Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder: Dogmengeschichtliche Entwicklung und Neuausrichtung bauaufsichtlicher Präventivverfahren in Korrelation zu der Risikoverteilung zwischen Staat und privaten Rechtssubjekten [1 ed.] 9783428496587, 9783428096589

Nach einem bundesweit geführten Reformprozeß zeichnen sich im bauordnungsrechtlichen Verfahrensrecht Konturen eines auf

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Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder: Dogmengeschichtliche Entwicklung und Neuausrichtung bauaufsichtlicher Präventivverfahren in Korrelation zu der Risikoverteilung zwischen Staat und privaten Rechtssubjekten [1 ed.]
 9783428496587, 9783428096589

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THOMAS GNATZY

Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 785

Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder Dogmengeschichtliche Entwicklung und Neuausrichtung bauaufsichtlicher Präventivverfahren in Korrelation zu der Risikoverteilung zwischen Staat und privaten Rechtssubjekten

Von Thomas Gnatzy

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gnatzy, Thomas: Verfahrensliberalisierung im Bauordnungsrecht der Länder : dogmengeschichtliche Entwicklung und Neuausrichtung bauaufsichtlicher Präventivverfahren in Korrelation zu der Risikoverteilung zwischen Staat und privaten Rechtssubjekten / von Thomas Gnatzy. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 785) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09658-4

Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09658-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im WS 1997/98 durch den Juristischen Fachbereich der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Sie ist in Literatur, Rechtsprechimg und Gesetzgebung auf dem Stand von Juni 1997; einbezogen werden konnte noch die im August 1997 erfolgte Bekanntmachung der Neufassung des BauGB. Seither sind weitere Rechtsänderungen erfolgt: So wurde nun auch im Freistaat Bayern als zweitem Bundesland eine Sachverständigenverordnung erlassen (SVBau vom 28.7.1997, Bay. GVB1. S. 370), mit der die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur variablen Abschichtung bauaufsichtlicher Prüfungen durch Vorlage von Sachverständigenbescheinigungen in Geltung gesetzt ist. Deis weiteren haben auch die Gesetzgebungsaktivitäten in mehreren Ländern Fortsetzung gefunden. Bayern (BayBO i.d.F. der Bekanntmachung v. 4.8.1997, Bay. GVB1. S. 433) und Berlin (BauO Bln. i.d.F. der Bekanntmachung v. 3.9.1997, GVB1. Bln. S. 421) haben jeweils eine Neufassimg ihrer Bauordnung bekanntgegeben, nachdem zuvor weitere Änderungen - insbesondere auch zum Verfahrensrecht - erfolgt sind. Eine dahingehende Novellierung der Bauordnimg findet sich ebenso in Brandenburg (ÄndG v. 18.12.1997, GVB1. Bbg. S. 124). Ein abschließender Stand ist damit keinesfalls erreicht und auch nicht absehbar. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Harald Bogs, der nicht nur den Anstoß zu dieser Arbeit gegeben, sondern die Aibeit auch über einen so langen Zeitraum, in der die Entwicklung der landesrechtlichen Reformbestrebungen unabsehbare Dimensionen erreichte, stets mit wissenschaftlicher Unterstützung und persönlicher Betreuung maßgeblich gefördert hat. Für seine kritischen Anregungen und die Erstellung des Zweitgutachtens bin ich Herrn Privatdozenten Dr. Martin Ibler zu Dank verpflichtet. Danken möchte ich schließlich auch Herrn Prof. Dr. Norbert Simon für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum öffentlichen Recht. Bonn, im September 1998 Thomas Gnatzy

Inhaltsverzeichnis Einleitung

33

I. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung

33

Π. Durchführung der Untersuchung

35

Erster

Teil

Rechtshistorische Grundlagen

38

1. Abschnitt Dogmengeschichtliche Entwicklung präventiv ausgerichteter Instrumentarien im Baurecht A. Mittelalterliches Baurecht

38 38

I. Forstwirtschaftliche und militärische Aspekte als erste Motive fur die Ausbildung präventiver Kontrollinstrumente bei der Erstellung von Bauwerken

38

Π. Entstehung baulicher Gefahrenlagen durch das Anwachsen der Städte im späten Mittelalter

41

1. Zunächst fehlende baurechtliche Kodifikation durch die von Bauhütten und Zünften garantierten Sicherheitsstandards

42

2. Ausbildung erster präventiver Vorbehalte in den älteren Stadtrechten mittelalterlicher Städte

43

ΙΠ. Kodifikation umfangreicherer Regelungen baurechtlichen Inhalts in Stadtrechtssammlungen und Bauordnungen unter Einschluß präventiver Kontrollvorbehalte

45

B. Landesherrliches Baurecht bis zum Ende des fürstlichen Absolutismus

47

I. Ausdehnung des Vorbehalts obrigkeitlicher Genehmigung auf das platte Land als Ausdruck umfassender landesherrlicher Gewalt

47

Π. Gebrauch präventiver Instrumentarien zur Steuerung und Durchsetzung landesherrlicher Vorstellungen

48

C. Baurecht im Zeitalter der Aufklärung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts...

51

I. Entwicklung des formellen Baupolizeirechts in Preußen

52

Π. Entwicklung in den anderen deutschen Staaten

55

10

nsverzeichnis

ΠΙ. Der Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf die weitere Ausgestaltung des baurechtlichen Verfahrens in Deutschland

57

1. Das französische Repressivsystem im Gegensatz zu dem System präventiver Ausrichtung in Deutschland

57

2. Kritik am uneingeschränkten Präventivsystem in Deutschland

58

3. Modifikationen des umfassenden Genehmigungsvorbehaltes

61

a) Gemildertes Baukonsenssystem

61

aa) Reines Baukonsensverfahren unter Ausschluß geringfügiger Bauherstellungen (Sachsen)

62

bb) Baukonsensverfahren mit partiell fakultativer Genehmigungs-/ Anzeigeverpflichtung

64

(1) Bayern

64

(2) Hessen

68

(3) Preußen

69

cc) Baukonsensverfahren mit partiell obligatorischer Anzeigeverpflichtung (dreistufiges Präventiwerfahren)

72

(1) Württemberg

72

(2) Braunschweig

74

(3) Baden

74

b) Reines Anzeigesystem (Hamburg) 4. Weitere Maßnahmen zur Entschärfung des Bauzulassungsrechts

77 79

a) Kodifikation von allgemeinen Beschleunigungsgrundsätzen und Fristenregelungen

80

b) Zulassung vorbereitender Bauarbeiten bis zur Erteilung der Baugenehmigung

82

aa) Vorläufige Gestattung der Bauausführung kraft Gesetzes oder durch behördlichen Zulassungsakt

82

bb) Befugnis zum vorläufigen Baubeginn nach Fristablauf

83

2. Abschnitt Zusammenfassung und Wertung der rechtshistorischen Untersuchungsergebnisse

84

nsverzeichnis Zweiter

Teil

Das präventive Bauaufsichtssystem als Bestandteil einer komplexen Schutzgemeinschaft zur Abwehr baulicher Gefahren und Schädigungen

87

1. Abschnitt Bestandsaufnahme - Art und Umfang des auf den einzelnen Rechtsgebieten gewährleisteten Schutzes A. Regelungsinstrumentarien im öffentlichen Recht I. Präventiver Schutz durch Baugenehmigungs-/Anzeigevorbehalt und Bauüberwachung 1. Die bauordnungsrechtlichen Präventiworbehalte,

87 88 88 88

a) Entwicklung des neuzeitlichen Baugenehmigungsverfahrens seit der Neuordnung des Bauaufsichtsrechts durch die grundgesetzliche Kompetenzordnung

89

aa) Einführung einer dreistufigen Systematik des baiiaufsichtlichen Präventivverfahrens in der MBO 1959

92

bb) Rückführung auf das zweistufige System genehmigungspflichtiger/genehmigungsfreier Vorhaben in der MBO 1981.......

94

cc) Weitere Verfahrensänderungeri zur Vereinfachung und Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens

96

(1) Reduktion staatlicher Prüfverantwortung durch partiellen Verzicht auf die Prüfung technischer Nachweise

96

(2) Einführung eines "vereinfachten" bzw. "beschleunigten" Baugenehmigungsverfahrens in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern 100 b) Dogmatik der formellen Präventi worbehalte aa) Der Baugenehmigungsvorbehalt ( 1 ) Regelungsgehalt und Rechtsnatur der Baugenehmigung

101 101 101

(a) Die Baugenehmigung als Verwaltungsakt mit feststellendem und verfügendem Regelungsgehalt 101 (aa) Feststellender Regelungsgehalt hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem öffentlichem Recht 102 (bb) Verfügender Regelungsgehalt durch die Aufhebung des formellen Bauverbotes 103 (cc) Die Baufreigabe als Bestandteil des verfügenden Regelungsgehalts? 104

12

nsverzeichnis (b) Die Baugenehmigung als umfassende öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung 106 (aa) Das gesamte öffentliche Recht als Prüfungsmaßstab.

106

(bb) Schlußpunkttheorie

107

(c) Rechtsdogmatisches Verständnis der Baugenehmigung im Lichte einer aus Art. 14 11 GG abgeleiteten Baufreiheit 108 (aa) Die Baufreiheit als Bestandteil der durch Art. 14 I GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentumsgarantie 108 (bb) Die Baugenehmigung als gebundene Entscheidung.. 109 (2) Rechtswirkungen der Baugenehmigung

112

(a) Die Baugenehmigung als fundamentale Voraussetzung für die Baufreigabe 112 (b) Sicherungsfunktion der Baugenehmigung für die genehmigte bauliche Anlage 112 (aa) Einfach-rechtliche Sicherungswirkung aufgrund der Bindungswirkung der Baugenehmigung 113 (bb) Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz aus Art. 14 I 1 GG durch die Baugenehmigung? 114 bb) Der Anzeige vorbehält

120

(1) Rechtsnatur der formellen Bauzulassung beim Bauanzeigeverfahren 120 (a) Unterlassen fristgemäßer Untersagung als stillschweigende bauaufsichtliche Zustimmung oder Genehmigung? 121 (b) Interpretation des interventionsfreien Fristablaufs als fiktive Baugenehmigung 123 (2) Rechtswirkungen des interventionsfreien Fristablaufs beim Bauanzeige verfahren 124 (a) Formelle Legalisierung des angezeigten Bauvorhabens....

124

(b) Fehlende Sicherungswirkung durch bloße Aufhebung des formellen Bauverbotes? 124 cc) Baugenehmigungsrechtliche Sonderverfahren zur Beschleunigung und Vereinfachung des umfassenden Präventiworbehalts... 125 ( 1 ) Bauvorbescheid (insbes. Bebauungsgenehmigung) (2) Typengenehmigung/Teilbaugenehmigung

125 127

nsverzeichnis 2. Die Instrumente der Bauüberwachung

129

a) Allgemeine (laufende) Bauüberwachung

129

b) Bauzustandsbesichtigungen/Bauabnahmen

133

Π. Repressiver Schutz durch Eingriffsermächtigungen zur Beseitigung baurechtswidriger Zustände und durch Ahndung von Verwaltungsunrecht 135 1. Bauordnungsrechtliche Generalbefugnis

136

2. Spezialermächtigungen

136

a) Baueinstellung

137

b) Baubeseitigung

138

c) Nutzungsuntersagung

140

3. Ahndung von Verstößen gegen baurechtliche Vorschriften als Ordnungswidrigkeit 141 ΙΠ. Verantwortlichkeiten/Haftung auf Seiten der staatlichen Bauaufsicht

142

1. Staatshaftungsrechtliche Ersatzansprüche fur Schäden im Zusammenhang mit dem Baugenehmigungsverfahren und der Bauaufsicht 142 a) Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG)

142

aa) Verletzung des Genehmigungsanspruchs

143

bb) Erteilung eines rechtswidrigen Bauverwaltungsakts

144

(1) Geschützter "Dritter" bei Erteilung eines fehlerhaften Bauverwaltungsakts 144 (2) Schutzzweck der Amtspflicht als maßgebendes Kriterium für die Bestimmung der sachlichen Drittgerichtetheit 147 (a) Einbeziehung von Vermögensinteressen infolge des durch die Bauverwaltungsakte vermittelten Vertrauenstatbestands 147 (b) Begrenzung der sachlichen Drittgerichtetheit bei reinen Vermögensbelangen: Abgrenzung nach Risikosphären.... 148 (aa) Schäden/fehlerhafte selbst

Vorrichtungen am Bauwerk

(bb) Altlastenfôlle/Geo-Risiken

149 150

cc) Amtshaftung fur fehlerhafte Auskünfte in Baurechtsangelegenheiten sowie filr Fehler im Rahmen der Bauüberwachung 151 dd) Subsidiarität der Amtshaftung durch das Verweisungsprivileg gem. § 83912 BGB 153 b) Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff

154

14

nsverzeichnis 2. Fazit: Partielle Risikoverlagerung für Investitionsschäden auf die öffentliche Hand durch Haftung für die staatliche Baukontrolle 154

IV. Die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit der am Bau beteiligten privaten Rechtssubj ekte 156 1. Die Verantwortlichkeit des Bauherrn

157

a) Pflicht zur Beauftragung der anderen am Bau Beteiligten

157

b) Pflicht zur Vornahme der notwendigen Verfahrenshandlungen

158

c) Folgen einer Pflichtverletzung

159

2. Die Verantwortlichkeit des Entwurfsverfassers

159

a) Vollständigkeit und Brauchbarkeit des Entwurfs

160

\>) Verantwortung für die Ausführungsplanung

160

c) Pflicht zur Heranziehung von Sachverständigen

161

3. Die Verantwortlichkeit des Unternehmers

161

a) Ordnungs-und plangemäße Ausführung des Bauvorhabens

162

b) Sonstige Pflichten des Bauunternehmers

163

4. Die Verantwortlichkeit des Bauleiters

164

a) Überwachungspflicht

164

b) Sonstige Pflichten des Bauleiters

165

B. Regelungsinstrumentarien im Zivilrecht I. Die vertragliche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten

166 166

1. Die Verantwortlichkeit des Entwurfsverfassers

167

a) Die Leistungspflichten des Architekten

168

aa) Beherrschung der Regeln der Technik

169

bb) Grundlagenermittlung/Vorplanung

170

cc) Entwurfsplanung und nachfolgende Leistungsphasen

171

dd) Objektüberwachung/Objektbegehung

172

b) Die Haftung des Architekten

173

aa) Erfüllungs- bzw. Nachbesserungsansprüche

174

bb) Gewährleistungsansprüche

175

(1 ) Wandlung, Minderung (§ 634 BGB)

175

(2) Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 635 BGB)

176

nsverzeichnis cc) Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung 2. Die Verantwortlichkeit des Unternehmers a) Die Pflichten des Unternehmers

178 178 179

aa) Die Erfüllungspflicht des Unternehmers

179

bb) Prüfungs- und Hinweispflichten des Unternehmers

179

b) Die Haftung des Unternehmers Π. Die deliktische Haftung der privaten Baubeteiligten 1. Die Haftung aus § 823 I BGB a) Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten

180 180 181 181

b) Haftung des Architekten und des Bauunternehmers gegenüber dem Bauherrn wegen Eigentumsverletzung? 181 2. Die Haftung aus § 823 Π BGB a) Verletzung nachbarschützender Normen

182 183

aa) § 1004 BGB i.V. mit nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts 183 bb) § 909 BGB

183

cc) § 906 BGB

184

b) Verletzung strafrechtlicher Normen ΙΠ. Instrumentarium zur Risikovorsorge der am Bau Beteiligten 1. Haftpflichtversicherungen der Baubeteiligten a) Die Bauherrenhaftpflichtversicherung

184 185 185 185

b) Die Berufshaftpflichtversicherung des Architekten und des Bauingenieurs 185 c) Die Betriebshaftpflichtversicherung des Bauunternehmers 2. Bauleistungsversicherungen

186 187

a) Die Bauleistungsversicherung des Bauherrn

187

b) Die Bauleistungsversicherung des Unternehmers

188

2. Abschnitt Aus den vorhandenen Regelungsinstrumentarien erwachsende Risikoverteilung zwischen dem Staat und den am Bau beteiligten privaten Rechtssubjekten

188

16

nsverzeichnis Dritter

Teil

Neue Entwicklungslinien im Bauordnungsrecht der Länder

193

1. Abschnitt Liberalisierung des bauaufsichtsrechtlichen Verfahrens A. Umfassende Novellierungen im Bauordnungsrecht der Länder

193 193

I. Die neugefaßte MBO (Stand: Dez. 1992/Dez. 1993) als Grundlage für die Novellierungsvorhaben der Länder 194 Π. Verwirklichung unterschiedlicher Konzeptionen hinsichtlich des bauordnungsrechtlichen Verfahrensrechts in den einzelnen Ländern 195 Β. Verfahrensimmanente Ansätze I. Normierung von Beschleunigungsgrundsätzen

196 196

1. Inhalt und Vorgaben aus dem bauordnungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz 197 2. Beschleunigungs- und Effektivitätsgebot bereits aus dem grundrechtlich geschützten Baugenehmigungsanspruch bzw. aus Art. 19 IV GG/ §10 Satz 2 VwVfG? 198 Π. Verschärfte Zurückweisungsbefugnis bei unzureichenden Bauanträgen

200

ΙΠ. Gesetzlich normierte Fristvorgaben in den bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren 202 1. Bearbeitungs-/Entscheidungsfristen mit schadensrechtlicher Sanktionsfolge 202 2. Fristvorgaben mit fiktionsrechtlicher Sanktionsfolge

207

a) Fiktionsregelungen gegenüber dritten Stellen

207

aa) Verschweigungsfristen für die Abgabe von Stellungnahmen

207

bb) Verschweigungsfristen für die Wahrnehmung von Zustimmungs-, Einvernehmens- und Benehmensvorbehalten 208 cc) Weitgehende Übernahme der MBO-Konzeption mit divergierenden Fristvorgaben in den LBauO 209 b) Fiktionsregelungen gegenüber dem Bauherrn bei Vorlage unvollständiger oder mangelhafter Bauvorlagen 210 c) Fiktionsregelungen gegenüber der Baugenehmigungsbehörde (Genehmigungsfiktion) 211

nsverzeichnis aa) Erste Genehmigungsfiktionen in den (früheren) Bauordnungen für Werbeanlagen und den Bauvorbescheid 211 bb) Baugenehmigungsfiktion im vereinfachten Genehmigungsverfahren als neues verfahrensrechtliches Instrumentarium 212 ( 1 ) Rechtskonstruktive Ausgestaltung

212

(2) Gravierende Divergenz hinsichtlich der Frist vorgaben in den einzelnen LBauO 214 C. Verfahrensmodifizierende Ansätze

215

I. Installierung neuer Verfahren unter zumindest partieller staatlicher Prüfverantwortung in den Landesbauordnungen 215 1. Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren a) Anwendungsbereich des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens. aa) Erfaßte Bauvorhaben und Genehmigungsvoraussetzungen

215 217 217

(1) Nach Art und Umfang abschließend bestimmter Kreis von Bauvorhaben 217 (2) Der Begriff des Wohngebäudes i.S. der bauordnungsrechtlichen Verfahrensregeln 218 bb) Wahlrecht des Bauherrn oder zwingende Anwendung? b) Rechtskonstruktive Ausgestaltung

221 221

aa) Keine Ausnahme vom Baugenehmigungsvorbehalt

221

bb) Partieller Verzicht auf baubehördliche Prüfungen

222

(1)Ausschluß vor allem des technisch-sicherheitsrelevanten Prüfprogramms 222 (2) Möglichkeit zur Anordnung einer Standsicherheitsprüfung im Einzelfall

223

cc) Koppelung mit einer verfahrensrechtlichen Genehmigungsfiktion 225 c) Normativ ungelöste Rechtsfragen 225 aa) Prüf- und Versagungsermessen bei Verstößen gegen nicht zum Prüfprogramm gehörende Rechtsvorschriften 226 (1) Zulässigkeit einzelfallbezogener Präventivmaßnahmen auch außerhalb des Pflichtprüfbereichs 226 (2) Ablehnung eines Ermessensprüfprogramms

228

(3) Verpflichtung zu gefahrabwehrenden Präventivmaßnahmen außerhalb des Pflichtprüfbereichs? 229 2 Gnatzy

18

nsverzeichnis (4) Sperrwirkung für repressiv-rechtliche Standardmaßnahmen bei Verletzung präventiver Hinweispflichten gegenüber dem Bauherrn? 230 (5) Pflicht zur Versagung der Baugenehmigung oder eingeräumtes Versagungsermessen? 232 bb) Abweichungen von Vorschriften außerhalb des Pflichtprüfprogramms 236 d) Beschränkung des Anwendungsbereichs auch beim Bauvorbescheid.

238

e) Reduktion der Bauüberwachung?

239

f) Auswirkungen auf den Nachbarrechtsschutz

241

2. Administrativer Genehmigungsverzicht im Einzelfall

243

3. Anzeigeverfahren (qualifizierte Bauanzeige)

246

3.1 Anzeigeverfahren mit Zulassung kraft interventionsfreien Fristablaufs . 248 a) Anwendungsbereich und Voraussetzungen

248

aa) Nach Art und Umfang erfaßte Bauvorhaben

248

bb) Beschränkung auf Vorhaben in qualifiziert beplanten Gebieten...

249

cc) Plan- und Bauordnungsrechtskonformität

250

(1) Zulassung von Abweichungen qua systemwidrigem Vorbescheid? 251 (2) Plankonformität bei geringfügigen Deviationen durch normimmanente Abweichungsbefugnis? 252 dd) Formelle Vorlagepflichten ( 1 ) .. .als bestimmende Kriterien des Anwendungsbereichs?

254 255

(2) Rechtsnatur der gemeindlichen Erklärungen und Rechtsschutzmöglichkeiten des Bauherrn bei verzögerter/nicht erfolgender Abgabe 256 ee) Prinzipiell fehlende Wahlmöglichkeit auf Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens? 259 b) Rechtskonstruktive Ausgestaltung

260

aa) Qualifizierte Bauanzeige/Ausnahme vom Baugenehmigungsvorbehalt 260 bb) Bauaufsichtliche Zulassung sui generis ( 1 ) Formelle Legalisierung kraft interventionsfreien Fristablaufs (2) Vorzeitige Baufreigabe

260 261 262

Inhaltsverzeichnis

19

cc) Behördliche Prüfverpflichtung hinsichtlich der materiell-rechtlichen Anforderungen an das Bauvorhaben? 263 (1) Absentierung jeglicher Prüfverpflichtung kraft normativer Anordnung 263 (2) Fakultative Prüfverpflichtung oder bloße Prüfoption?

263

dd) Präventive Untersagungspflicht bei festgestellten Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften? 266 c) Unzulässigkeit einer Bauvoranfrage

267

d) Weitgehender Verzicht auf Bauzustandsbesichtigungen unter Aufrechterhaltung der allgemeinen Bauüberwachung 269 e) Verpflichtungssituation beim Nachbarrechtsschutz

269

3.2 Anzeigeverfahren unter dem Vorbehalt einer administrativen Bestätigung 270 a) Anwendungsbereich und Voraussetzungen

271

b) Rechtskonstruktive Ausgestaltung

271

aa) Beschränkte Prüfpflichten

272

( 1 ) Von Amts wegen zu prüfende Anwendungsvoraussetzungen.

272

(2) Ausschluß sonstiger Prüfpflichten kraft normativer Anordnung 272 bb) Rechtsnatur und Funktion der baubehördlichen Bescheinigung...

273

cc) Fristvorgaben für die Erteilung der bauaufsichtlichen Bestätigung 275 c) Unterschiedlich konzeptionierte Bauüberwachung

276

d) Anfechtungs- und auch Verpflichtungssituation beim Nachbarrechtsschutz 277 4. Genehmigungsfreistellungsverfahren

277

4.1 Genehmigungsfreistellung mit verfahrensrechtlicher Beteiligung der Gemeinde 278 a) Anwendungsbereich und Voraussetzungen der Genehmigungsfreistellung 278 b) Rechtskonstruktive Ausgestaltung aa) Reichweite der gemeindlichen Beteiligung

279 279

(1) Motive zur Ausbringung einer gemeindlichen Verfahrensbeteiligung 279 2*

20

nsverzeichnis (2) Begrenzter verfahrensrechtlicher Funktionsvorbehalt der Gemeinde 280 (a) Fehlen jeglicher Präventivprüfverpflichtung

281

(b) Einräumung beschränkter Prüfrechte allein im eigenen Interesse der Gemeinde 283 (c) Erklärungspflicht bei erkannten Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Anforderungen? 284 (3) Schrankenloser gemeindlicher Entscheidungsspielraum auf Abgabe einer Negativ-Erklärung? 285 (a) Bloße Chance des Bauherrn auf Genehmigungsfreistellung? 285 (b) Bedenken gegen ein unbeschränktes gemeindliches Erklärungsrecht aus dem Blickwinkel der verfassungsrechtlich fundierten Baufreiheit 287 (c) Einschränkende Auslegung: Erfordernis konkreter Anhaltspunkte für einen Baurechtsverstoß 289 bb) Rechtsnatur der gemeindlichen Negativ-Erklärung

292

(1) Rechtsdogmatische Einordnung als Verwaltungsakt oder als schlichter Realakt? 292 (2) Beschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten des Bauherrn? cc) Formelle Legalisierung des Bauvorhabens ( 1 ) Ungenutzter Ablauf der gemeindlichen Erklärungsfrist (2) Vorzeitige Baufreigabe c) Präventivbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden

294 296 296 298 298

d) Uneinheitliche Überwachung der Bauausführung: Staatliche Bauüberwachung versus privatrechtlich konzeptionierter Kontrolltätigkeit 299 e) Verpflichtungssituation beim Nachbarrechtsschutz 4.2 Genehmigungsfreistellung mit einfacher Bauanzeige vor Baubeginn a) Anwendungsbereich und Voraussetzungen

301 301 302

aa) Beschränkung auf Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen im qualifiziert beplanten Gebiet 302 bb) Volle materiell-rechtliche Plan- und auch Bauordnungsrechtskonformität als Anwendungsvoraussetzung? 302 cc) Weitere formelle Voraussetzungen als bestimmende Kriterien des Anwendungsbereichs oder als Rechtmäßigkeitskriterien? 304

nsverzeichnis b) Rechtskonstruktive Ausgestaltung

306

aa) Echte Genehmigungsfreiheit: Bloße Unterrichtung der Bauaufsichtsbehörde mittels einfacher Bauanzeige 306 bb) Wegfall jeglicher staatlicher Prüfverpflichtung oder -option

307

c) Beschränkung der Bauüberwachung bis hin zum Ausschluß jeglicher Kontrolle während der Bauausführung 308 d) Sonstige Verfahrenskriterien wie beim Freistellungsverfahren mit gemeindlicher Beteiligung 309 Π. "Privatisierung" des Baugenehmigungsverfahrens

309

1. Partielle Verlagerung bauaufsichtlicher Aufgaben auf staatlich anerkannte Sachverständige oder sachverständige Stellen 310 a) Die Rechtsfigur des staatlich anerkannten Sachverständigen

313

b) Unterschiedliche rechtskonstruktive Einbindung in das Baugenehmigungsverfahren 314 aa) Privatrechtliche Konzeption: Einschaltung eines staatlich anerkannten Sachverständigen im Vorfeld des Baugenehmigungsverfahrens durch den Bauherrn 315 ( 1 ) Rechtskonstruktion

315

(a) Rein privatrechtliches Tätigwerden im Auftrag des Bauherrn 315 (b) Staatliche Anerkennung unter verbindlicher Vorgabe eines qualifizierenden Anforderungsprofils 316 (c) Einschaltung des Sachverständigen im Vorfeld der Baugenehmigung 318 (d) Freies Wahlrecht auf Inanspruchnahme privater Sachverständiger anstelle bauaufsichtlicher Präventivprüfung 319 (2) Staatlicher Prüfverzicht bei Vorlage von Sachverständigenbescheinigungen 319 (a) Öffentlich-rechtliche Wirkung der Sachverständigenbescheinigung 320 (b) Unterschiedliche Reichweite ihrer Rechtswirkung

321

(aa) Widerlegliche Vermutung über die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen 321 (bb) Fiktion der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen 322 (3) Sonstige verfahrensrechtliche Determinanten

325

22

nsverzeichnis (4) Wirksamkeit der Neuregelung erst nach tatsächlicher Umsetzung durch Erlaß von Sachverständigenverordnungen 325 bb) öffentlich-rechtliche Konzeption: Einschaltung eines "Prüfingenieurs für Entwurf' als beliehener Unternehmer durch die Bauaufsichtsbehörde 326 ( 1 ) Rechtsverhältnis

326

(a) Staatliche Anerkennung als "Prüfingenieur für Entwurf'.

326

(b) Hoheitliche Beleihung durch konkrete Aufgabenübertragung seitens der unteren Bauaufsichtsbehörde 327 (c) Fachaufsicht durch die oberste Bauaufsichtsbehörde

328

(2) Prüfbericht als Grundlage für die Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde über die Zulässigkeit des Bauvorhabens 328 (a) Eigenständige Prüfung der Bauunterlagen durch den Prüfingenieur 329 (b) Allgemeine Bauüberwachung und Bauzustandsbesichtigung ebenfalls durch den Prüfingenieur 329 (c) Koordinierungsfunktion und Genehmigungsentscheidung durch die Bauaufsichtsbehörde 330 2. Reduktion der Baugenehmigung auf eine rein planungsrechtliche Gestattung 330 a) Aufgabe der staatlichen Prüfverantwortung für den gesamten Bereich des Bauordnungsrechts 330 b) Normative Vorgaben/Vorbehalt konkretisierender Ausgestaltung durch Rechtsverordnung 331 c) Verfahrensrechtliche Dualität: Überwindung der bauordnungsrechtlichen Präventivsperre alternativ durch staatliche oder private Kontrolle 332 d) Rechtsverhältnis und Befugnisse des besonders qualifizierten Entwurfsverfassers 333 2. Abschnitt Normenverringerung im materiell-rechtlichen Regelungsbestand A. Abbau von Regelungsvorschriften

334 334

B. Grundlegende Systemänderung hinsichtlich des normkonkretisierenden technischen Regelwerks 335 I. Einbeziehung der allgemein anerkannten Regeln der Technik in den verbindlichen Regelungsbestand nach bisheriger Rechtslage 335

nsverzeichnis Π. Beschränkung des Prüfungsmaßstabs auf die eingeführten Technischen Baubestimmungen nach neuem Recht 336

Vierter

Teil

Stellungnahme und Vorschläge

339

1. Abschnitt Konnexität und Relevanz der neuen Verfahrenstypik im System des vorhandenen baurechtlichen Normengefuges A. Dogmatische Einordnung der liberalisierten Verfahrensinstrumentarien I. Gegenseitige Abgrenzung anhand typisierender Merkmale

339 339 340

Π. Unterschiedliche Präventivsysteme in den einzelnen Ländern 342 1. Zweistufiges System entsprechend dem herkömmlichen verfahrensrechtlichen Dualismus 343 2. Dreistufige Bauaufsichtssysteme

343

a) Erweiterung durch ein Anzeigeverfahren

343

b) Ergänzung durch ein Freistellungsverfahren

344

3. Weitergehende verfahrensrechtliche Differenzierungen

345

ΙΠ. Wegfall der Ordnungsfunktion der Baugenehmigung mangels einheitlicher bauaufsichtlicher Regelungsgehalte 345 B. Aufgabe der Baugenehmigung als umfassende öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung 347 I. Beschränkungen der umfassenden Feststellungswirkung der Baugenehmigung 347 Π. Abkehr von der Schlußpunkttheorie

349

C. Umkehrung des präventiv-rechtlichen Bauaufsichtssystems zum Repressivsystem 353 I. Abkehr von der bestehenden Typik des bauaufsichtlichen Präventiwerfahrens 353 1. Schrittweise Aufgabe des "Vier-Augen-Prinzips"

353

2. Beschränkung der staatlich-präventiven Bauüberwachung

354

a) Wertungswiderspruch gegenüber den vollends prüf- und verfahrensfreien Vorhaben im Rahmen der allgemeinen Bauüberwachung 354

24

nsverzeichnis b) Reduktion der Bauüberwachung bis hin zu ihrer vollständigen Aufgabe 355 Π. Vermehrte Durchsetzung baurechtskonformer Zustände mit repressiven Aufsichtsmitteln 357

D. Genehmigungsfreistellung unter gleichzeitigem Verzicht auf Einhaltung anerkannter Regeln des Baurechts: Wer konkretisiert die bauordnungsrechtlichen Ziel vorgaben? 358 I. Die Konkretisierungsfunktion technischer Regelwerke nach dem Systemwechsel 358 1. Lückenlose Erfassung der gefahrabwehrenden Regelungsmaterie ?

358

2. Gefahr "nachhängender" Anpassung bei fortschreitender Technisierung. 359 3. Konkretisierung durch administrative Rezeption privater Regelwerke mittels Einzelfallentscheidung im Baugenehmigungsverfahren 360 Π. Konkretisierungsmangel aufgrund fehlender Möglichkeit zur einzelfallbezogenen Rezeption in den Anzeige-/Freistellungsverfahren 360 E. Bundesrechtswidrigkeit des liberalisierten Verfahrensrechts wegen Verstoßes gegen das Bundesbaurecht? 362 I. Verfassungswidrige Deviationen zu § 29 Satz 1 BauGB vor Änderung durch das BauROG 1998? 362 1. Rechtsdogmatische Vorgaben aus § 29 Satz 1 BauGB a.F. fur die Anwendbarkeit des Bauplanungsrechts 363 2. Von § 29 Satz 1 BauGB a.F. tatbestandlich erfaßte Präventivverfahren mit liberalisierter Ausrichtung 366 3. Unmittelbare Geltung des materiellen Bauplanungsrechts trotz fehlender verfahrensrechtlicher Verknüpfung im Fall der Freistellungsverfahren 368 4. Verpflichtung der Landesgesetzgeber zur Vorgabe einer Präventivpflichtprüfung bei städtebaulich relevanten Vorhaben? 370 Π. Verletzung der bundesrechtlichen Fristenregelung zur Herstellung des gemeindlichen Einvernehmens (§ 36 Π 2 BauGB)? 372 ΙΠ. Faktischer Ausschluß der gemeindlichen Sicherungsrechte aus §§ 14, 16 ff/15 BauGB 374 1. Unzureichende Möglichkeiten zum Erlaß einer Veränderungssperre (§§ 14, 16 ff. BauGB) aus Anlaß einzelner anzeigepflichtiger/freigestellter Bauvorhaben 374 a) Fehlende informatorische Einbindung der Gemeinden außerhalb von Baugenehmigungsverfahren 375 b) Anzeige-/Freistellungsverfahren mit hinreichender gemeindlicher Kenntnisvermittlung 376

nsverzeichnis 2. Unterlaufen des Zurückstellungsverfahrens nach § 15 BauGB durch den landesrechtlichen Verzicht auf eine Zulässigkeitsentscheidung 378 F. Beschränkung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes bei Reduktion des Präventi werfahrens 380 I. Verlagerung im nachbarlichen Rechtsschutzsystem vom strikten Genehmigungs- auf den ermessensabhängigen Vorhabenabwehranspruch 380 1. Wegfall des Genehmigungsabwehranspruchs hinsichtlich der sektoral oder global prüffreigestellten Anforderungen 3 80 2. Bloß ermessensdeterminierter Nachbaranspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten 381 Π. Beschränkte prozessuale Durchsetzung von Nachbarrechten auch im Wege vorläufigen Rechtsschutzes 382 ΙΠ. Fazit: Drastische Verschlechterung der materiell-rechtlichen und prozessualen Durchsetzung von Nachbarrechten 384 G.Auswirkungen der Liberalisierung im bauordnungsrechtlichen Verfahrensrecht auf die Staatshaftung 385 I. Neue Anknüpfungspunkte fìir staatshaftungsrechtliche Ansprüche

385

1. Rechtswidrige fiktive Baugenehmigung beim vereinfachten Genehmigungsverfahren 385 2. Fehlerhafte Negativ-Erklärung der Gemeinde im Freistellungsverfahren? 386 3. Verzögerte Abgabe gemeindlicher Erklärungen im Rahmen der Anzeige-/Freistellungsverfahren 387 4. Verletzung verbindlicher Bearbeitungs-/Entscheidungsfristen

387

Π. Wegfall der Staatshaftung mangels Zurechnungstatbestand bei Aufgabe staatlicher Prüftätigkeit 388 2. Abschnitt Verfassungsrechtliche Überprüfung der Liberalisierungsinstrumentarien A. Grundsätzliche Zulässigkeit der "Privatisierung" von Staatsaufgaben

390 390

I. Prinzip der offenen Staatsaufgaben

391

Π. Privatisierungsgrenzen nur bei genuin-staatlichen Aufgaben

392

1. Prinzipieller Privatisierungsausschluß bei staatsvorbehaltenen Aufgaben 392 2. Zulässigkeit partieller Monopoldurchbrechungen

393

26

nsverzeichnis 3. Statthaftigkeit einer Funktionsteilhabe privater Rechtssubjekte auch im Bereich gefahrabwehrender Präventivsicherung 3 94

B. Die neuen Verfahrensinstrumentarien im System der Privatisierung I. Typologische Kategorisierung der Privatisierungsformen 1. Die Grundmodelle der Privatisierung

395 395 395

a) Formelle Privatisierung (Organisationsprivatisierung)

396

b) Materielle Privatisierung

396

aä) Aufgabenprivatisierung

396

bb) Funktionelle Privatisierung

397

2. Weitere Erscheinungsformen der Privatisierung

397

a) Teilprivatisierung

397

b) Verfahrensprivatisierung als eigenständige Kategorie?

398

Π. Dogmatische Einordnung der staatsreduzierten neuen Verfahrensinstrumente 399 1. Beschränkte Präventiwerfahren ohne administrative Kontrollpflicht und Zulassungsentscheidung 399 2. Bauaufsichtliche Verfahren mit partieller Substituierung staatlicher Prüfverantwortung durch Einbindung qualifizierter Privater 401 C. Verstoß gegen den beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalt in Art. 33 TV GG?.. 403 D. Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot?

405

E. Verstoß gegen Schutzpflichten des Staates?

410

I. Dogmatische Herleitung und Umfang staatlicher Schutzpflichten

410

1. Der Schutz der Allgemeinheit vor baulichen Gefahren

413

2. Schutzpflichtdimensionen gegenüber dem Bauherrn

415

Π. Notwendigkeit kompensatorischer Maßnahmen entsprechend der veränderten Risikoverteilung 417 3. Abschnitt Rechtspolitische Bewertung der bauordnungsrechtlichen Liberalisierung

422

A. Schrittweiser Rückzug des Staates hinsichtlich seiner Kontrolltätigkeit im öffentlichen Baurecht 422 B. Auswirkungen auf den Bauherrn

423

nsverzeichnis I. Verwirklichung von Baufreiheit durch mehr Eigenverantwortung des Bauherrn? 423 Π. Beschleunigung und Kostensenkung bei der Verwirklichung von Bauvorhaben? 423 1. Beschleunigung durch partiellen Prüfverzicht?

424

2. Beschleunigung durch gesetzliche Fristvorgaben?

425

3. Kostensenkung durch liberalisierte Verfahrensvorbehalte?

427

ΙΠ. Erhöhte Risiken/Rechtsunsicherheit für den Bauherrn

429

1. Wegfall der dem Baugenehmigungsverfahren zukommenden Schutzfunktion für den Bauherrn/fehlende Investitionssicherheit 429 a) Vereinfachtes Genehmigungsverfahren

429

aa) Partieller Wegfall der Sicherungswirkung einer Baugenehmigung 429 bb) Rechtsunsicherheit im Fall der Fiktionsfolge b) Anzeige-ZFreistellungsverfahren aa) Fehlende Sicherungswirkung für den Bauherrn

430 431 431

(1) Vollständiger Wegfall der Sicherungswirkung einer Baugenehmigung 431 (2) Keine Sperrwirkung durch die eingeräumte Prüfoption beim Anzeigeverfahren 432 bb) Erhöhte Rechtmäßigkeitsrisiken

434

(1) Tatsächliche Übereinstimmung mit dem nach materiellen Kriterien bestimmten Anwendungsbereich 434 (2) Rechtsänderungen vor Baufertigstellung

436

(3) Nichtigkeit der planungsrechtlichen Grundlage

441

2. Finanzielles Risiko bei Insolvenz der verantwortlichen Sachverständigen/Entwurfsverfasser 445 3. Bis zur Verwirkung zeitlich unbeschränkte Geltendmachung nachbarlicher Rechtsmittel 446 4. Gefahr der Ungleichbehandlung von Bauherren mangels staatlich gewährleisteter Objektivität 446 IV. Fazit: Keine beachtlichen Vorteile gegenüber gravierenden Nachteilen für den Bauherrn 447 C. Auswirkungen auf die übrigen am Bau beteiligten privaten Rechtssubjekte I. Erweiterter Pflichtenkreis/Haflungsumfang für den Entwurfsverfasser

448 448

28

nsverzeichnis Π. Faktisch erhöhtes Haftungsrisiko mangels staatlicher Gegenkontrolle fur alle privaten Baubeteiligten 450

D. Auswirkungen auf die Allgemeinheit

451

I. Erschwerter Vollzug des materiellen Baurechts

451

Π. Reduzierter Rechtsgüterschutz

454

1. ...durch Prüfverzichte

454

2. ... durch Beschleunigungsfristen und Fiktionsregelungen

455

E. Föderale Rechtszersplitterung im neuen bauordnungsrechtlichen Verfahrensrecht 456 I. Mangelnde Kongruenz der Landesbauordnungen zur MBO und untereinander 457 Π. Deregulierung durch verfahrensrechtliche Komplizierung? F. Gesamtbetrachtung

457 459

I. Entlastung des Staates

460

Π. Geänderte Risikoverteilung zwischen dem Staat und den privaten Rechtssubjekten 461 1. Konzept einer kooperativen Funktionsteilung durch funktionelle Einbindung gesellschaftlicher Selbstregulierung 461 2. Überhöhte Risikotragung durch die Privaten

462

4. Abschnitt Vorschläge zu einer angemessenen Risikoverteilung

464

A.Notwendigkeit einer angemessenen Risikoverteilung aufgrund der Schutzpflicht des Staates 464 B. Maßnahmen im einzelnen I. Kompensatorische Maßnahmen im Bauaufsichtsrecht 1. Sicherstellung einer hinreichenden staatlichen Aufsicht a) Aufsicht über die privaten Sachverständigen/Entwurfsverfasser

464 465 465 465

b) Hinreichende Überwachung der Bautätigkeit durch die allgemeine Bauaufsicht 468 2. Aufwertung und Anpassung der repressiv-rechtlichen Aufsichtsmittel zur Kompensation enstehender Schutzlücken fur die Allgemeinheit 469 a) Verringerung der Eingriffsschranken bei den keiner präventiven Pflichtprüfung unterliegenden Bauausführungen 470

nsverzeichnis aa) Verfahren mit partiellem oder globalem Ausschluß präventiver Pflichtprüfung 470 bb) Anzeige verfahren mit fristgebundener Interventionsmöglichkeit.. 473 b) Weitergehende Ahndung von Baurechtsverstößen als Verwaltungsunrecht 474 3. Modifikationen zur Sicherung eines effektiven öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsschutzes 475 a) Notwendigkeit einer kompensatorischen Anpassung

476

aa) Rückzug des Staates aus der Konfliktschlichtung zwischen Bauherrn und Nachbarn? 476 bb) Zivilrechtliche Ansprüche als kompensatorische Rechtsschutzalternative? 478 cc) Verfassungsrechtlich geforderte Effektivität nachbarlichen Rechtsschutzes auch im Rahmen der liberalisierten Präventivverfahren 479 b) Kompensatorische Angleichung im einzelnen

483

aa) Verringerung der Anforderungen an ein bauaufsichtliches Einschreiten bei Nachbareinwendungen 483 bb) Vorläufiger Rechtsschutz entsprechend der im Aussetzungsverfahren nach §§ 80, 80a VwGO geltenden Entscheidungsmaßstäbe 484 4. Kompensation von Schutzlücken auf Seiten des Bauherrn a) Zulassung eines feststellenden Verwaltungsakts?

485 485

b) Landesrechtliche Sonderregelungen über die Folgenlosigkeit einer nachträglich festgestellten Nichtigkeit der qualifizierten Satzungsgrundlage 487 c) Beschränkung des bauaufsichtlichen Eingriffsermessens bei nachfolgenden Rechtsänderungen im Rahmen der repressiv-rechtlichen Aufsichtsmittel 489 d) Reduktion von Geo-Risiken

492

aa) Ausbringung eines staatlich anerkannten Sachverständigen der Fachrichtung "Erd- und Grundbau" 492 bb) Amtshaftungsbewehrte Informationspflichten der planenden Gemeinde bei konkreten Anhaltspunkten fur Geo-Risiken 494 5. Vorgabe eines angemessenen Vergütungsrahmens für die kompensatorische Tätigkeit privater Sachverständiger 496 Π. Kompensatorische Maßnahmen im Privatrecht

497

30

nsverzeichnis 1. Verlängerte Gewährleistungsfristen für bauliche Maßnahmen

498

2. Versicherungslösungen zur Abdeckung des Insolvenzrisikos im Schadensfall 500 a) Berufshaftpflichtversicherungen

501

b) Baugewährleistungsversicherungen

502

C.Herstellung vollständiger Bundesrechtskonformität auch im System der gemeindlichen Sicherungsrechte (§ 29 i.V. mit §§ 36,14,16 ff., 15 BauGB) 505

Anhang: Die liberalisierten Bauaufsichtssysteme der Länder im Überblick

508

Literaturverzeichnis

510

Sachwortverzeichnis

537

Abkürzungsverzeichnis BaufreistellungsVO BW

BauO Bln. BauO LSA BauO NRW BauO Saar. BayBO BbgBO Bln. BaufreistellungsVO BMBau BremLBO HBauO HessBO Hmb. BauanzeigeVO Hmb. BaufreistellungsVO HmbWoBauErlG LBauO BW LBauO M-V LBauO RhlPf. LBauO Schl.-H. MBO NBauO Nds. PrüfeinschränkungsVO

[Baden-Württembergische] Verordnung des Innenministeriums über den Wegfall der Genehmigungspflicht bei Wohngebäuden und Nebenanlagen Bauordnung für Berlin Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen Bauordnung für das Saarland Bayerische Bauordnung Brandenburgische Bauordnung [Berliner] Verordnung über die Freistellung von der bauaufsichtlichen Genehmigungspflicht Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bremische Landesbauordnung Hamburgische Bauordnung Hessische Bauordnung [Hamburgische] Verordnimg über anzeigebedürftige Bauvorhaben Verordnung über die Freistellung baulicher Anlagen von der Genehmigungsbedürftigkeit nach der Hamburgischen Bauordnung Hamburgisches Gesetz zur Erleichterung des Wohnungsbaus Landesbauordnung für Baden-Württemberg Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern Landesbauordnung Rheinland-Pfalz Landesbauordnung für das Land SchleswigHolstein Musterbauordnung Niedersächsiche Bauordnung [Niedersächsische] Verordnung über die Einschränkung von Prüfungen im Baugenehmigungsverfahren

32 NW BauanzeigeVO

SächsBO ThürBO

Abkürzungsverzeichnis [Nordrhein-Westfälische] Verordnung über anzeigebedürftige Vorhaben nach der Landesbauordnung Sächsische Bauordnung Thüringer Bauordnung

Hinsichtlich aller übrigen Abkürzungen wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New York 1993

Einleitung I. Anlaß und Gegenstand der Untersuchung Die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand ist an die Grenzen gestoßen. Dies hat zu der Einsicht gefuhrt, daß der öffentliche Sektor vermindert werden muß. Der gewachsene Zustand staatlicher Überreglementierung und staatlicher Übervorsorge erfordert die Rückkehr zu mehr gesellschaftlicher Eigenverantwortung und einer verstärkten Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, wonach sich die staatliche Verantwortlichkeit soweit wie möglich auf hoheitliche Kernaufgaben zu beschränken hat. Die Erkenntnis hierüber führte zu einer Debatte um die Deregulierung bzw. Liberalisierung des gesamten Staatswesens, die auch den Bereich des Baurechts erfaßte. Forciert durch das Problem eines beträchtlichen Wohnungsmangels hat sich dort in den vergangenen Jahren sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ein beachtlicher Aktivismus zu Reformüberlegungen entwickelt. Ergänzt durch die Einrichtung zahlreicher Expertenkommissionen sollten neue Lösungsansätze für einen vereinfachten und beschleunigten Wohnungsbau und eine Reduktion der Staatsquote gefunden werden. A m Ende einer länderübergreifend geführten Reformdiskussion haben alle Bundesländer in den Jahren von 1993 bis 1996 ihr Bauordnungsrecht umfassend novelliert. Anlaß für eine Überarbeitung der Landesbauordnungen war zunächst die europarechtliche Verpflichtung zur Transformation der EGBauproduktenrichtlinie 1 in nationales Recht. Diese rechtlich unabdingbare Vorgabe gab Gelegenheit fur eine zeitgemäße, dem beschriebenen Deregulierungsdruck Rechnung tragende Fortentwicklung der materiellen und formellen Anforderungen des Bauordnungsrechts. Dabei waren die Reformüberlegungen insbesondere i m Hinblick auf die dringenden Probleme der Wohnungsversorgung vor allem darauf ausgerichtet, wie die den Wohnungsbau beeinträchtigende Regelungsdichte sowie Dauer und Aufwand investiver Genehmigungsverfahren reduziert werden könnten. Als Zielsetzung der Reformansätze wur-

1 Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte (Amtsbl. EG Nr. L 40 S. 12). Vgl. zu Inhalt, Struktur und Umsetzung der EG-Bauproduktenrichtlinie Krieger, UPR 1992,401 ff. 3 Gnatzy

34

Einleitung

den daher auch der Abbau von Investitionshemmnissen für den Wohnungsbau sowie die Entstaatlichung des Bauordnungsrechts formuliert. Innerhalb der dieserart initiierten Revision des Bauordnungsrechts entwickelte sich schließlich die Vereinfachung und Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens wie auch der Verzicht auf Baugenehmigungserfordernisse zum Kernstück einer umfassenden Baurechtsnovelle der Länder. Während sich die Länderbauminister/-senatoren im Rahmen der ARGEBAU nicht auf ein weitreichendes Konzept zur Entbürokratisierung und Deregulierung des bauordnungsrechtlichen Verfahrensrechts verständigen konnten, entwickelten einige Länder einen konzeptionellen Ansatz zu einer grundlegenden Systemänderung und beschränkten sich nicht auf das Ergebnis partieller systeminterner Korrekturen der ARGEBAU. Hierdurch sah sich die Mehrheit der übrigen Länder - wohl auch aufgrund des politischen Drucks - offenbar veranlaßt, ihre Entwürfe anhand dieser Projektierungen auszurichten. Nach dem vorläufigen Abschluß dieses Reformprozesses beginnt sich ein auf mehrere Schritte ausgerichteter Systemschnitt abzuzeichnen, der durch Abbau des Präventiworbehalts eine Verantwortungs- und Aufgabenverlagerung von der staatlichen Bauaufsicht zu den privat am Bau beteiligten Rechtssubjekten zur Folge hat. Schlagwortartig ist dies von einigen Landesgesetzgebern auch als "Privatisierung des Baugenehmigungsverfahrens" überschrieben worden. Der damit verbundene Rückzug des Staates aus seiner bisher umfassend getragenen Präventiwerantwortung läßt eine Entwicklung erkennen, die sich von der rein imperativ-ordnungsrechtlichen Gestaltung entfernt und Formen gesellschaftlicher Eigenverantwortung sucht. Während der Staat über rechtliche Vorgaben weiterhin die Direktiven für das baurechtlich Erforderliche setzt, obliegt es in den liberalisierten Sektoren nunmehr der Eigenverantwortung des Bauherrn und der weiteren privaten Baubeteiligten, die Einhaltung dieser staatlichen Vorgaben sicherzustellen. Dem Staat verbleibt über die repressivrechtlichen Eingriffsinstrumentarien indes die Letztentscheidungskompetenz, wenn die gesellschaftliche Selbstregulation versagt. Das, was jetzt mit der bauordnungsrechtlichen Verfahrensliberalisierung vollzogen werden soll, kann daher als Konzept einer kooperativen Funktionsteilung bezeichnet werden. Der mit den erfolgten Neufassungen der Landesbauordnungen bereits manifest gewordene erste Schritt zu diesem Systemwechsel gibt Anlaß zu untersuchen, ob hierdurch nicht zugleich eine Verschiebung der Risikoverteilung zwischen dem Staat und den am Bau beteiligten privaten Rechtssubjekten einhergeht. Eine größere Eigenverantwortung läßt jedenfalls als komplementäre Entsprechung auch eine erhöhte Risikotragung vermuten. Damit könnte insbesondere dem Bauherrn eine Risikoverantwortung erwachsen, die sich nach dem bestehenden Normengefuge aus rechtspolitischer Sicht, möglicherweise auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten, als bedenklich erweist, so daß es

Einleitung

35

einer Schaffung oder Fortentwicklung rechtlicher Instrumentarien bedarf, um wieder eine angemessene Zuweisung von Risiken für die mit der Erstellung von Bauwerken verbundenen Gefahren herzustellen.

IL Durchführung der Untersuchung Vorschläge zur Liberalisierung haben das Bauordnungsrecht zu allen Zeiten begleitet. Am Beginn der Untersuchung steht daher eine rechtshistorische Analyse, mit der die vielfältigen Entwicklungslinien zu ermitteln sind, die zum heutigen Recht geführt haben, um aus dem dogmengeschichtlicher Befund die systembedingten Schwachpunkte des Präventiwerfahrens abzuleiten.2 Hierdurch sollen Anhaltspunkte ermittelt werden, die für eine Bewertung dieser Instrumentarien im heutigen Recht nutzbar gemacht werden können. Dabei erscheint von grundlegender Bedeutung, wie das Bedürfnis nach präventivrechtlicher Ausgestaltung seinerzeit entstanden ist und - etwa im Gegensatz zu Frankreich mit seinem Repressivsystem - über alle zeitlichen Epochen aufrecht erhalten werden konnte. Einen Schwerpunkt bildet demgemäß die Fragestellung, welche Instrumentarien und bauaufsichtlichen Systeme im Verlauf der Entwicklungsgeschichte des Präventiwerfahrens Zugang in eine baurechtliche Reglementierung gefunden haben. Eine derartige Untersuchung, in der die rechtshistorischen Grundlagen unseres tradierten Präventivsystems von den Ursprüngen bis hin zur Neuordnung des Bauaufsichtsrechts durch die grundgesetzliche Kompetenzordnung dargelegt sind, fehlt bisher und soll anhand dieser Arbeit für die weitere Diskussion um die Neuausrichtung der staatlichen Bauaufsicht aufbereitet werden. Im Rahmen einer Bestandsaufnahme soll nachfolgend festgestellt werden, wie die Risikoverteilung für die baulichen Gefahren zwischen dem Staat und den privaten Rechtssubjekten nach bisherigem Recht ausgestaltet ist, wozu anhand der vielfältigen Instrumentarien auf den einzelnen Rechtsgebieten zu ermitteln ist, ob diesbezüglich sich überschneidende und damit verzichtbare oder vielmehr einander ergänzende Pflichtenstellungen bestehen. Dabei wird auch zu klären sein, inwieweit durch die staatliche Präventivaufsicht als Instrument subsidiärer Aufgabenverantwortung, mit der eigentlich nur die Normerfüllung durch die privaten Baubeteiligten und damit die ordnungsgemäße Erfüllung gesellschaftlicher Eigenverantwortung überwacht werden soll, zugleich eine staatliche Risikoübernahme bewirkt wird, die sodann unter dem neuen Liberalisierungskonzept entfiele. Den Schwerpunkt dieses Untersu2

Vgl. auch Ortloff, NVwZ 1993, 713, der einen rechtshistorischen Rückblick gleichermaßen als fruchtbar bemißt, wobei er insbesondere die Zeit bis 1945 mit dem zersplitterten Recht der Länder und einigen reichsrechtlichen Regelungen von Interesse erachtet, wie auch die Entwicklung in der Bundesrepublik bis 1960. 3«

36

Einleitung

chungsteils bildet daher das Baugenehmigungsverfahren und die damit verbundene Baugenehmigung als zentrales Ordnungs- und Steuerungsinstrument des baurechtlichen Geschehens, der über ihre Kontrollfunktion nicht nur eine überragende Bedeutung im Rahmen der Gefahrenvorsorge, sondern auch eine umfassende Sicherungsfunktion für den Bauherrn zuzumessen ist. Zugleich soll auch eine kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten des vorhandenen bauaufsichtlichen Instrumentariums vorgenommen werden, die in ihrem heute vorherrschenden Verständnis unter dogmatischen Gesichtspunkten korrekturbedürftig erscheinen. Die unterschiedliche Bereitschaft der einzelnen Länder zur Deregulierung und zur Reduktion des umfassenden Baugenehmigungsvorbehalts hat zu einer Ausbildung unterschiedlichster Verfahrenstypen und -systeme mit zahlreichen Abweichungen im Detail und damit zu einem partikularen Bestand bauaufsichtlicher Verfahrensregeln geführt. Mangels Konsensfindung innerhalb der ARGEBAU und ohne weitere länderübergreifende Absprachen ist daraus eine kaum noch überschaubare Fülle differierender landesrechtlicher Regelungen entstanden, die darin gipfelt, daß selbst Verfahrensvorbehalte strukturell vergleichbaren Inhalts terminologisch unterschiedlich bezeichnet werden.3 Es bedarf daher als Grundlage für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung einer systematischen Erfassung der landesrechtlich disparaten Verfahrensvielfalt, die mit dieser Arbeit durch Herausarbeitung einer neuen Typologie geleistet werden soll. Neben der durch landesrechtliche Deviationen eingetretenen Unübersichtlichkeit wird aber nach näherer Hinsicht auch der Eindruck manifest, daß mancher Landesgesetzgeber mitunter überhastet seine bisherige Konzeption verändert, die daraus resultierenden Folgen hingegen nicht hinreichend bedacht hat. So sind dogmatische Widersprüche zum Bestand des überkommenen Verfahrensrechts und auch normativ ungelöste Rechtsfragen existent, die hier einem systemkonformen Lösungsansatz zugeführt werden sollen. Infolge der liberalisierten Neuausrichtung des bauordnungsrechtlichen Verfahrensrechts vollzieht sich ein beachtlicher Umformungsprozeß mit einer neuen Pflichten- und Risikoverteilung, der auch einer dahingehenden Untersuchung bedarf, ob er mit den Direktiven des Verfassungsrechts übereinstimmt. Hier stellt sich vor allem die Frage, inwieweit eine Funktionsteilhabe privater Rechtssubjekte im Bereich gefahrabwehrender Präventivsicherung statthaft sein kann, aber auch, ob der bisher umfangreich gewährleistete Schutz der Allgemeinheit wie auch des Bauherrn über die neu installierten Mechanismen in hinreichender Form gewährleistet bleibt oder von Verfas3 So auch die Bewertung von Stüer/Ehebrecht-Stüer, DVB1. 1996, 482: "Stätte, zu der nur noch Eingeweihte vertieften Zugang finden" und Ortloff, NVwZ 1996, 650: "Trend zur Unübersichtlichkeit".

Einleitung

sungs wegen weitergehend substituierungsbedürftig ist. Dies bedingt eine ausgiebige Analyse der Auswirkungen auf den Bauherrn, auf die übrigen privaten Baubeteiligten und auf die Allgemeinheit, dort insbesondere der Nachbarn, an deren Ende auch festzustellen ist, welche Konsequenzen der Systemwechsel - unter zusätzlicher Einbindung rechtspolitischer Aspekte - für die bisherige Risikoverteilung hat. Wenngleich einem tendenziell repressiv ausgerichteten Verfahrensrecht an sich keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen und auch rechtspolitisch ein Konzept vermehrter gesellschaftlicher Eigenverantwortung und Funktionsteilhabe durchaus sinnvoll erscheint - dies soll bereits als Ergebnis vorweggenommen werden -, so ergibt sich doch ein beachtlicher Korrekturbedarf, um der staatlichen Gewährleistungsverantwortung im erforderlichen Maße nachzukommen. Die Arbeit schließt daher mit umfangreichen Vorschlägen für eine angemessene Risikoverteilung.

Erster

Teil

Rechtshistorische Grundlagen

1. Abschnitt

Dogmengeschichtliche Entwicklung präventiv ausgerichteter Instrumentarien im Baurecht A. Mittelalterliches Baurecht Ein Bedürfnis nach baurechtlichen Regelungen im weitesten Sinne konnte erst aufkommen, nachdem die Bauten einen größer dimensionierten Umfang und eine gewisse Standfestigkeit bekamen. Das frühe Mittelalter mit seinen zu dieser Zeit üblichen primitiven (einräumigen) Holzhäusern4 kannte daher keine baurechtlichen Bestimmungen, zumal wegen der weiten Hausabstände auch keine Gefahren für die Nachbarn erwachsen konnten.5 Erst das Entstehen größerer Siedlungsformen brachte die Notwendigkeit von Anordnungen mit sich, die allgemein beachtliche Anweisungen im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauwerken enthielten.

L Forstwirtschaftliche und militärische Aspekte als erste Motive für die Ausbildung präventiver Kontrollinstrumente bei der Erstellung von Bauwerken Im Hinblick auf präventiv ausgestaltete Instrumentarien bestand bereits bei den alten deutschen Markgenossenschaften, wie auch bei den diesen nachgebildeten Dorfgemeinschaften, die Handhabe einer Anzeigeverpflichtung vor

4

Vgl. hierzu Stephanie, Der älteste deutsche Wohnbau, Band Π, S. 476-479 und S. 570-573. 5 Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 73/74; Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 15.

1. Abschnitt: Dogmengeschichtliche Entwicklung

39

der Errichtung neuçr Bauten. Ihr folgte eine Bedürfhisprüfung über die Notwendigkeit des Bauholzes, das den Markgenossen, nachdem das zunächst unbeschränkte Beholzigungsrecht zu Verwüstungen der Waldungen und Holzmangel geführt hatte, nur noch kontingentiert zustand.6 Die "Bauanzeige11 war daher ihrem Gegenstand nach auf die Anweisung des für die Errichtung des Gebäudes erforderlichen Bauholzes gerichtet. Um das tatsächliche Bedürfnis festzustellen, sollte meistenteils der jeweilige Bau zuvor von den Markbeamten besichtigt werden. Später durfte vielerorts aus demselben Grunde, nämlich zur Schonung der Mark-/Gemeindewaldungen, ohne Genehmigung der Markgenossen bzw. der Gemeinde kein neues Gebäude erbaut werden. Daraus entwikkelte sich in der Folge eine Aufsicht über sämtliche Gebäude in der Mark, verbunden mit regelmäßigen, jährlich ein- bis zweimal durchgeführten Besichtigungen, die von der Sorge um die Erhaltung der Häuser getragen waren.7 Offenbar sollte präventiv verhindert werden, daß Gebäude aus Nachlässigkeit verfielen, für deren Neuaufbau ein vermeidbarer Holzverbrauch hätte in Rechnung gestellt werden müssen. Wenngleich hier also forstwirtschaftliche Interessen im Vordergrund standen, und die "Bauanzeige" daher als Kontroll- und Präventivmittel gegen eine unnötige Abholzung verstanden werden muß,8 so lassen sich doch auch baupolizeiliche Elemente konstatieren,9 da beispielsweise zu der während einer Gebäudebesichtigung getroffenen Feststellung, welche Menge Holz zur Ausführung einer Reparatur anzuweisen war, der baufällige Zustand eines jeden aus Markholz gebauten Gebäudes untersucht werden mußte.10 Jedenfalls dem Instrument regelmäßiger Gebäudebesichtigungen dürften daher wohl kaum ausschließlich forstwirtschaftliche Interessen inhärent gewesen sein. Eine weitere Regelung im Hinblick auf das Erfordernis einer obrigkeitlichen Genehmigung zur Errichtung von Bauwerken findet sich im Sachsenspiegel, der wahrscheinlich in der Zeitspanne 1224-1227, sicher aber vor 1231, niedergeschrieben worden ist.11 Der Sachsenspiegel bestand aus einer Zusammenstellung von sächsischem Gewohnheitsrecht, das sich im Laufe der

6 v. Maurer, Geschichte der Markenverfassung, S. 127-129; ders., Geschichte der Dorfverfassung, Band I, S. 214/215 und 235-237. 7 v. Maurer, Geschichte der Markenverfassung, S. 129-131; ders., Geschichte der Dorfverfassung, Band I, S. 237/238, Band Π, S. 11. 8 Ackermann, Der Baukonsens, S. 3. 9 v. Maurer, Geschichte der Markenverfassung, S. 130 und S. 307/308, erblickt hierin bereits die Ausbildung einer "wahren Baupolizei"; ihm folgend Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 3, der diesbezüglich von der "Entstehung polizeilicher Maßnahmen" spricht. 10 Hierzu mit Nachweisen: v. Maurer, Geschichte der Markenverfassung, S. 131. 11 Eckhardt, Sachsenspiegel, Band IV, S. 35 und 61.

40

Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen

vorherigen Jahrhunderte gebildet hatte12 und eroberte sich im 14. Jahrhundert die Geltung eines Gesetzbuchs, wodurch er über mehrere Jahrhunderte hindurch eine maßgebende Rechtsquelle in Ost- und Mitteldeutschland war. In Buch III Art. 66 des Landrechts wurde geregelt, wann eine obrigkeitliche Genehmigung zur Errichtung von Bauten erforderlich war oder sich erübrigte. 13 Bereits dem Regelungsgehalt läßt sich freilich entnehmen, daß dieser Genehmigungsvorbehalt in keinem Zusammenhang mit den gefahrenabwehrenden Gesichtspunkten der Baugenehmigungspflicht nach heutigem Verständnis stand. Vielmehr äußerte sich in der Bindung der Bautätigkeit an eine vorgängige obrigkeitliche Erlaubnis die vom Landesherrn für den König wahrgenommene Wehrhoheit, die es naturgemäß nicht zuließ, daß ohne Kontrolle Gebäude mit wehrhaftem Charakter entstanden;14 ein zu dieser Zeit in den alten deutschen Städten allgemein herrschender Grundsatz.15 Eine entsprechende Regelung findet sich daher auch im Landrecht des Schwabenspiegels,16 einer Fortführung des Deutschenspiegels, dem wiederum der Sachsenspiegel als Grundlage diente und in dem süddeutsches Gewohnheitsrecht verarbeitet wurde. Auch die in den alten deutschen Städten vielerorts vorhandene Vorschrift, wonach ohne Erlaubnis des Rates oder der Stadtgemeinde niemand befugt war, einen Neubau auf dem Gemeinland zu errichten, 17 dürfte kaum von gefahrabwendenden Aspekten heutiger bauordnungsrechtlicher Diktion als vielmehr von der Besorgnis um die bedrohte Sicherheit der Stadt getragen gewesen sein.18 Gleiches gilt für die Bestimmung, wie sie in einer Satzung des Straubinger Stadtbuchs niedergelegt wurde, nach der es bei Strafe verboten war, Bauwerke außerhalb der Stadtmauern zu errichten, ohne zuvor die Genehmigung des Rats über die Art der Bauausführung eingeholt zu haben.19 Wenngleich hier auch der Gedanke einer geordneten städtebaulichen Planung bereits eine Rolle gespielt haben mag,20 was sich daraus entnehmen läßt, daß

12

Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 273; Schlöbcke, Die Bauverwaltung 1970, 29. 13 Vgl. die Übertragung ins Hochdeutsche von Eckhardt, Sachsenspiegel, Band V, S. 122/123. 14 Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 170; Rasch, Geschichte der Städtebaupolizei von Münster, S. 47; vgl. auch Buff \ Bauordnung im Wandel, S. 24. 15 v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung, Band Π, S. 17/18. 16 Abgedruckt bei Eckhardt, Schwabenspiegel, Band I, S. 247/248 [Art. 143 a/Art. 143 b]. 17 Hierzu: v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung, Band Π, S. 810. 18 Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 4; Ackermann, der Baukonsens, S. 4. 19 Abgedruckt bei Rosenthal, Beiträge zur Deutschen Stadtrechtsgeschichte, Heft Π, S. 328 [XXXVm Vor der stat ze pauen]. 20 Rosenthal, Beiträge zur Deutschen Stadtrechtsgeschichte, Heft Π, S. 243.

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insbesondere die Bauweise zum ausdrücklichen Genehmigungsgegenstand erklärt wurde, stand doch wohl das Verteidigungsinteresse im Vordergrund. Dies zeigt die Nähe zu den weitverbreiteten Verboten, außerhalb der Stadtmauern Gebäude zu errichten, sog. Rayonbeschränkungen.21 Hierdurch sollte herannahenden Feinden keine Gelegenheit gegeben werden, sich vor den Stadtmauern im Schutze irgendwelcher Baulichkeiten festzusetzen. 22 Teilweise wurden leicht gebaute Holzhäuser zum Neubau zugelassen, die bei einer drohenden Belagerung abgebrannt werden konnten.23 Anhand der untersuchten Quellen ist festzustellen, daß die Erstellung von Bauwerken zwar schon frühzeitig an vorhergehende Anzeigen oder Genehmigungen gebunden war, also durchaus unter dem Vorbehalt präventiver Kontrollinstrumente stand, diesen jedoch weitgehend forstwirtschaftliche oder sicherheitsrechtlich-militärische Motive zugrunde lagen. Baupolizeiliche Aspekte lassen sich für diese Zeit allenfalls in Ansätzen erahnen.

Π. Entstehung baulicher Gefahrenlagen durch das Anwachsen der Städte im späten Mittelalter Mit dem Anwachsen der Städte des späten Mittelalters, welches wegen des damit verbundenen engen Zusammenlebens der Menschen hinter den schützenden Stadtmauern eine sehr dichte Bebauung innerhalb der Wehranlagen mit sich brachte, wuchsen aber auch die Gefahren, die naturgemäß mit der Errichtung von Bauten in einem derartigen städtebaulichen Gefüge verbundenen sind. Hinzu kamen die sich ändernde Bauweise, die nunmehr massiver und dadurch technisch komplizierter wurde, sowie das Aufkommen mehrgeschossiger Wohnhäuser.24 Zwar finden sich schon sehr frühzeitig, nachzuweisen seit dem 13. Jahrhundert, Regelungen - auch verfahrensrechtlicher Art zur Verhinderung der Feuersgefahr, veranlaßt durch die vielen Brandkatastrophen, denen kaum eine Stadt des Spätmittelalters entging.25 Es sind jedoch zu dieser Zeit - soweit ersichtlich - weder allgemein geltende Regelungen im Hin-

21

Hierzu Gönnenwein, in: Festgabe fìir Hans Fehr, S. 93; Ernst, BBauBl. 1953,

208. 22

Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 93. Vgl. dazu, wenn auch bezogen auf eine Verordnung zum Ende des 16. Jahrhunderts, Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 18. 24 Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 76/77. 25 Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 109 mit vielen Hinweisen auf entsprechende Regelungen; Lauffer, in: Zeitschrift für Geschichte der Architektur 1919, S. 153; Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 19; Ρ ir son, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 181; Welker, B1GBW 1968, 155; Proksch, Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 15. 23

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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen

blick auf die sichere Erstellung von Bauwerken niedergelegt, noch fand eine diesbezügliche obrigkeitliche Überwachung der Bautätigkeit statt.26

1. Zunächst fehlende baurechtliche Kodifikation durch die von Bauhütten und Zünften garantierten Sicherheitsstandards

Der Grund hierfür ist darin zu finden, daß die Bauausführung fest in den Händen von Meistern lag, die in Bauhütten und Zünften organisiert waren, deren Bestreben wiederum in der fachgerechten Ausführung und Beschaffenheit der in Auftrag gegebenen Bauwerke lag.27 Die Bauhütten waren aus dem klösterlichen Bauwesen der romanischen Zeit hervorgegangene feste Verbindungen von Steinmetzen und Maurern, denen eine religiös-künstlerische Auffassung der Baukunst zu eigen war. Hieraus erwuchs ein besonderes Pflichtgefühl, welches verbunden mit einer ausgeprägten inneren Organisation dazu beitrug, daß der Bau auf das Sorgfältigste ausgeführt wurde. Darüber wachte zudem eine eigene Gerichtsbarkeit der Bauhütte. Die aus der Erfahrung hervorgegangenen Grundsätze über Statik, Materialgerechtigkeit und allgemeine Sicherheit wurden stets, auch an die Baumeister der Bauhütten in anderen Städten, in mündlicher Form weitergegeben. So bildeten sich bald anerkannte Regeln der Baukunst, die zu einer gewissen Einheitlichkeit und Sicherheit der Bauausführung führten. 28 Beachtlich ist, daß dem Baumeister gegenüber dem Bauherrn die alleinige, volle Verantwortung oblag, mangels obrigkeitlicher Vorschriften zudem ohne jegliches Korrektiv einer überwachenden Instanz. Neben den Bauhütten bildeten sich in Deutschland etwa ab dem 11712. Jahrhundert die allein zu wirtschaftlich-gewerblichen Zwecken gegründeten Zünfte des Baugewerbes. In den ihrer Tätigkeit zugrundegelegten Satzungen wurden auch die Beziehungen der Zunftmitglieder zu ihren Auftraggebern geregelt, wodurch erhebliche Anforderungen an die Sorgfalt handwerklicher Tätigkeit begründet wurden. Durch den für alle Bauhandwerker bestehenden Zunftzwang, der etwa ab dem 12. Jahrhundert galt,29 und die eigene Gerichts-

26 So auch der Befund von Laujfer, in: Zeitschrift für Geschichte der Architektur 1919,150/151. 27 Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 18; Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 16; Prokschy Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 16; Geithe, Entwicklung technischer Baubestimmungen, S. 37; Watzke, Baugestaltung als Aufgabe der Baupolizei, S. 6. 28 Buff ; Bauordnung im Wandel, S. 27/28; Krüger Geschichte der Baupolizei, S. 16. 29 Fehr, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 94.

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barkeit, vermochte sich niemand den strengen Anforderungen zu entziehen.30 Da die Sicherheit der erstellten Bauwerke so durch Qualitätsarbeit garantiert war, ergab sich offenbar keine Notwendigkeit zum Erlaß obrigkeitlicher Regelungen.31 Trotz mancher Ansätze, wie sie etwa in den großen deutschen Rechtsbüchern wie dem Sachsen- oder dem Schwabenspiegel erblickt werden können, unterblieb dieserart zunächst eine weitere Entwicklung von Ordnungen baupolizeilicher Ausrichtung.

2. Ausbildung erster präventiver Vorbehalte in den älteren Stadtrechten mittelalterlicher Städte

Die Sorge um die städtische Allmende, hierunter wurden die im Eigentum der Gemeinde bzw. Stadt befindlichen öffentlichen Straßen und Gassen verstanden,32 gab jedoch Anlaß zu zahlreichen obrigkeitlichen Anordnungen im Hinblick auf jegliche Bautätigkeit in diesem Bereich, wobei sich auch präventive Vorbehalte ausbildeten. Im Nürnberger Satzungsbuch, das Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhunderts angelegt wurde und das damals geltende örtliche Gewohnheitsrecht enthielt, ist eine Vorschrift nachzuweisen, nach der bei Androhung von Strafe niemand gegen die Straße bauen solle, es sei denn, daß 2 Baumeister dabei seien.33 Im Stadtrecht Leutkirchens ist Ende des 14. Jahrhunderts ausgesprochen, daß alle Bauwerke, die an der Straße erstellt werden sollen, dem Rat der Stadt anzuzeigen sind, der daraufhin nach einer Augenscheinseinnahme die für die Bauausführung verbindlichen Anordnungen erläßt. 34 Im gleichen Tenor bestimmt dies auch eine Heilbronner Ratsverordnung.35 Zwar ist in diesen Vorschriften nicht expressis verbis das Erfordernis einer Baugenehmigung ausgesprochen. Doch ist die angeordnete Einnahme eines Augenscheins durch Ratsbeauftragte oder sog. Untergänger als mündliches Genehmigungsverfahren zu deuten, in dem diese nach Besichtigung der örtlichen Verhältnisse ihre Zustimmung zu dem geplanten Bauvorhaben gaben oder aber verbindliche Weisungen darüber, wie der Bau im einzelnen zu gestalten sei;36 ein Verfahren, das lange Zeit Bestand hatte. Wenn30 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 16/17; Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 19. 31 Buff, Bauordnung im Wandel, S. 27; Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 17. 32 Hierzu Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 94; Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 10/11. 33 Urschlechter, Baurecht der Stadt Nürnberg, S. 7 und S. 13. Abgedruckt bei Baader, Nürnberger Polizeiordnungen, S. 287. 34 Abgedruckt bei Müller, Oberschwäbische Stadtrechte I, S. 55. 35 Abgedruckt bei Ernst, BBauBl. 1953,208. 36 Gönnenwein, Festgabe für Hans Fehr, S. 105; Kalusche, Baurecht und Bauästhetik seit dem 15. Jahrhundert.

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gleich diese Vorschriften also dahin zu verstehen sind, daß eine ausdrückliche - mündliche - Genehmigung vor Errichtung neuer Häuser ausgesprochen werden mußte, waren nach dem Indiz der untersuchten Quellen zunächst nur solche Gebäude, die an der Straße errichtet werden sollten, Anknüpfungspunkt eines derartigen Vorbehaltes.37 Zudem ist anzunehmen, daß ihr Inhalt im wesentlichen auf Straßen- bzw. planungsrechtliche und nachbarrechtliche Aspekte beschränkt blieb.38 Diese Begrenzung des Baukonsenses auf Bauten nach der Straße hin wurde jedoch wohl bald fallen gelassen.39 In Ulm schrieb man die vorhergehende Baugenehmigung im vorbezeichneten Sinne eines mündlichen Verfahrens schon im Jahre 1427 allgemein, d. h. für jegliche Ausbesserung schadhafter als auch die Ausführung neuer Gebäude, vor [Art. 245].40 Ebenso in der ältesten Willkür der Stadt Dresden41 sowie im älteren Stadtrecht der oberschwäbischen Reichsstadt Isny,42 die beide etwa zur gleichen Zeit Bestand hatten. Auch in Köln war eine Prüfung von Bauvorhaben Gegenstand obrigkeitlicher Überwachungstätigkeit. Die vom Rat der Stadt Köln erlassene Verordnung vom 6.7.1478 sprach eine Strafandrohung für den Fall aus, daß eine besondere Anordnung vorläge, wonach der Rat ein Bauvorhaben ablehne und sodann festgestellt würde, daß ein Baumeister trotzdem ein solches Bauvorhaben ausgeführt habe.43 Beleg hierfür sind auch verschiedene Ratsprotokolle. Wenngleich diese aus einer Zeit stammen, die gut ein Jahrhundert später liegt, hatte sich doch in der Zwischenzeit die Rechtslage bis auf den Umstand, daß durch weitere bauliche Verordnungen noch materielle Regelungen hinzugefügt wurden, nicht entscheidend geändert.44

37

So auch Ernst, BBauBl. 1953, 208; Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 104; Urschlechter, Baurecht der Stadt Nürnberg, S. 13. 38 Urschlechter, Baurecht der Stadt Nürnberg, S. 13. 39 Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 104. 40 Abgedruckt bei Mollwo, Das rote Buch der Stadt Ulm, S. 130. Vgl. auch Jäger, Schwäbisches Städtewesen des Mittelalters, Erster Band, S. 438. 41 Abgedruckt bei Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 67. 42 Abgedruckt bei Müller, Oberschwäbische Stadtrechte I, S. 243. 43 Abgedruckt bei Vogts, Das Kölner Wohnhaus, Zweiter Band, S. 667. 44 Vgl. hierzu Ennen, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 17, S. 92/93.

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ΠΙ. Kodifikation umfangreicherer Regelungen baurechtlichen Inhalts in Stadtrechtssammlungen und Bauordnungen unter Einschluß präventiver Kontrollvorbehalte Es kann anhand der Quellen nicht genau festgestellt werden, welchen Prüfauftrag die Ratsbeauftragten bzw. Untergänger hatten, zumal keine Pläne eingereicht werden mußten und nur mündlich entschieden wurde. Sicher zählten aber neben der Berücksichtigung nachbarlicher Interessen, die schon frühzeitig einen beachtlichen Stellenwert einnahmen45, die Einhaltung von Brandschutzvorschriften, gewisse planungsrechtliche Vorstellungen der Stadt bzw. Gemeinde, das Gebäudeabstandsrecht und in Anfängen eine geordnete Abwasserbeseitigung zum Prüfprogramm. 46 Jedenfalls ab dem Zeitpunkt, zu dem umfangreichere Regelungen baurechtlicher Art in die Stadtrechtssammlungen aufgenommen oder sogar erste Bauordnungen kodifiziert wurden - in beiden Fällen meist eine formelle Zusammenfassung der gesammelten Einzelentscheidungen der Ratsbeauftragten bzw. Untergänger oder einzelner Anordnungen in Bausachen -, 47 gehörten vermehrt auch sicherheitsrechtlich-technische Regelungen zum Prüfiimfang der ebenfalls ausgesprochenen präventiven Kontrollvorbehalte. Ein Beispiel hierfür mögen "Der stat München pau-sätz und Ordnung de anno 1489"48 sein, die in 44 Artikeln, später ergänzt auf 67 Artikel, bereits die wesentlichen Gegenstände heutiger Bauordnungen enthielten.49 Zugleich wurde angeordnet [Art. 13 § 2], daß Neubauten den beeideten Baumeistern der Stadt angezeigt und von ihnen geprüft werden sollten, wobei die Anzeigeverpflichtung nicht dem Bauherrn sondern noch dem Bauunternehmer oblag. Hierdurch sollten einerseits fehlerhafte oder gefährliche Bauten verhindert und nachbarlichen Streitigkeiten vorgebeugt werden, aber andererseits auch der

45

Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 106/107 mit mehreren Nachweisen und S. 133; Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 13. 46 Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 8; Gönnenwein, in: Festgabe für Hans Fehr, S. 108-112,117-119 und S. 122. 47 Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 8; vgl. für Köln, wo die im Zimmerund Steinmetzamt lebenden Traditionen sowie die späteren Ratsverordnungen zusammengestellt und in einer besonderen Bauordnung publiziert wurden: Ennen, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 17, S. 93; für München, in dessen Stadtrechtsbuch vom Jahre 1347 bereits verschiedene Vorschriften über das Bauund Kundschaftswesen enthalten waren, die im Jahr 1489 zusammengestellt und ergänzt zu einer ersten Bauordnung führten: Schels, Entwicklung des öffentlichen Baurechts der Stadt München, S. 7. 48 Abgedruckt bei Auer, Stadtrecht von München, S. 200 ff 49 Schels, Entwicklung des öffentlichen Baurechts der Stadt München, S. 9; vgl. hierzu auch das Register dieser Bauordnung, abgedruckt bei Auer, Stadtrecht von München, S. 200-202.

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Bauunternehmer vor der Gefahr bewahrt werden, Bauanlagen wieder beseitigen zu müssen, weil sie mit den bestehenden Bauvorschriften nicht im Einklang standen.50 Auch die Frankfurter Stadtreformation von 1509 gab vor, daß künftig alle neuen Bauwerke den hierzu bestimmten Ratsherren anzuzeigen seien und nur noch nach Rat und Gutachten des Bauamtes und der Stadtwerksmeister errichtet werden dürften, 51 nachdem festgestellt worden war, daß viele ohne Sinn und Verstand gebaut hätten. Darüber hinaus wurde unter Strafandrohung eine weitere Anzeige nach Fertigstellung des Baues verlangt, um feststellen zu können, ob die baurechtlichen Vorgaben auch tatsächlich eingehalten worden waren. 52 Einen umfassenden Eindruck, was zum Ausgang des Mittelalters Gegenstand baurechtlicher Regelungsmaterie gewesen sein mag, gibt die Musterbauordnung aus dem Jahr 1564, die im Auftrage Kaiser Ferdinand I. vom Ulmer Leonhard Frönsperger für die schwäbischen Lande erarbeitet wurde.53 Die "Bauw Ordnung von Burger und Nachbarlichen Gebeuwen/in Stetten/ Merckten/Flecken/Dörffern/und auflf dem Land" bestand aus drei Büchern, wobei das I. das Baurecht im engeren Sinne behandelte, das II. und III. Buch hingegen Vorläufer der heutigen Verdingungsordnung für Bauleistungen, der allgemeinen technischen Baubedingungen sowie der Handwerksordnungen für das Baugewerbe beinhalteten. Das I. Buch umfaßte 39 Kapitel, wobei das 2. Kapitel das Baugenehmigungsverfahren in allen Einzelheiten beschrieb.54 Zusammenfassend ist festzustellen, daß zum Ausgang des Mittelalters die Ausbildung baurechtlicher Kodifikation in den Städten mit ihrer zusammengedrängt wohnenden Bevölkerung eine gefestigte Ausgestaltung erfuhr, wobei hier nicht nur die materiellen Grundsätze unseres modernen Baupolizeirechts ihre Wurzeln haben, sondern auch Vorschriften mit verfahrensrechtlichpräventivem Regelungsgehalt ihren Ursprung finden. 55

50 Auer, Stadtrecht von München, S. 158; Schels, Entwicklung des öffentlichen Baurechts der Stadt München, S. 32. 51 8. Teil, Titel I § I, abgedruckt bei Orth, Anmerkungen über die erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt, dritte Fortsetzung, S. 385. 52 8. Teil, Titel I, §§ XXI, ΧΧΠ, abgedruckt bei Orth, Anmerkungen über die erneuerte Reformation der Stadt Frankfurt, dritte Fortsetzung, S. 426/427. 53 Hierzu Angaben bei Buff, Bauordnung im Wandel, S. 33; Geithe, Entwicklung technischer Baubestimmungen, S. 35/36; Schlöbcke, Die Bauverwaltung 1970, 90. 54 Vgl. die Übertragung ins Hochdeutsche durch Schlöbcke, Die Bauverwaltung 1970, 91/92. 55 So auch die Untersuchungsergebnisse von Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 6; Ackermann, Der Baukonsens, S. 5; Leuthold, Annalen des deutschen Reichs 1879, S. 878; Proksch, Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 16; Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 15 und S. 17; Ernst, BBauBl. 1953,208.

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B. Landesherrliches Baurecht bis zum Ende des fürstlichen Absolutismus Mit der absolutistischen Epoche entstand der Polizeistaat, dessen obrigkeitlichen Organe, als "Wohlfahrtspolizey" verstanden, die "Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit" zum Ziel hatten;56 so jedenfalls die offizielle Begründung für das autark in Anspruch genommene Recht, den Untertanen alles vorzuschreiben, was der Monarch als richtig empfand. 57

L Ausdehnung des Vorbehalts obrigkeitlicher Genehmigung auf das platte Land als Ausdruck umfassender landesherrlicher Gewalt War das Bauwesen zuvor noch eine rein städtische Angelegenheit, wurde es nach der politischen Entmachtung der Städte dem Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht des Landesherrn unterworfen. 58 Das überkommene mittelalterliche Rechtsinstrumentarium in Bausachen wurde übernommen, wobei es auch bei der bekannten verfahrensrechtlichen Reglementierung verblieb, insbesondere dem Verbot, ein Bauwerk ohne vorherige obrigkeitliche Genehmigung auszuführen. 59 Dieser präventiv-rechtliche Vorbehalt wurde nun durch landesherrliche Verordnungen auch auf das "platte Land" ausgedehnt.60 Bereits die unter Christoff Herzog zu Würtemberg und zu Teckh publizierte "Newe Bawordnung des Fürstenthumbs Würtemberg" vom 1. März 1568 machte die Ausführung eines neuen Bauwerkes umfassend, also auch auf dem platten Land, von einer vorgängigen obrigkeitlichen Genehmigung abhängig.61 Zugleich wurde eine Art Bauaufsicht mit präventiven Kontrollaufgaben eingeführt, indem Untergänger und Baubeschauer jährlich die Gebäude auf Brand-, aber auch andere Gefahren in Augenschein zu nehmen hatten und von ihnen

56 Zur "allgemeinen Wohlfahrt" als damaligem "Zweck der Polizei": WolzendorjJ\ Umfang der Polizeigewalt im Polizeistaat, S. 46-49. 57 Vgl. dazu Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrensabwehr, S. 4/5; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, RdNrn. 7-9; v. Unruh, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 1, S. 405; Förster, in: Brügelmann, BauGB Kom, Einleitung RdNr. 26. 58 Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 7; Ackermann, Der Baukonsens, S. 5; Kiessner, Rechtsnatur der Baukonzession, S. 12. 59 Proksch, Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 18; Ernst, BBauBl. 1953,209. 60 Kiessner, Rechtsnatur der Baukonzession, S. 12; Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 7; Ackermann, Der Baukonsens, S. 6; Loening, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, S. 456. 61 Newe Bawordnung des Fürstenthumbs Würtemberg, S. Π/ΙΠ [Wer einen newen Hauptbaw thun will].

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die Beseitigung der festgestellten Mängel zu veranlassen war. 62 Der Vorbehalt für Landbauten diente im Gegensatz zu demjenigen für städtische Gebäude aber nicht in jedem Fall unmittelbar sicherheitspolizeilichen oder städtebaulichen Zwecken. Dies kann beispielhaft für den Bereich des Ansbachischen Fürstentums aufgezeigt werden, wo im Jahr 1753 eine generelle Genehmigungspflicht für Gebäude auf dem flachen Land durch Sonderbestimmung angeordnet wurde. In der amtlichen Begründung fehlt jeglicher Hinweis auf den Schutz der Allgemeinheit vor schädlichen oder störenden Bauwerken zur Erläuterung dieses Vorbehaltes. Vielmehr wird darin ausgeführt, es läge im eigenen Interesse des Bauenden, sich mit den Behörden ins Benehmen zu setzen, die ihn vor einer Übervorteilung durch die Handwerker und vor der Errichtung unzweckmäßiger sowie unwirtschaftlicher Bauten bewahren könnten.63 Die gegebene Erklärung ist sicher als signifikant für die damals herrschende Theorie des Eudämonismus zu bezeichnen, die den Staatszweck in der Erzeugung höchstmöglicher Glückseligkeit erblickte und es daher auch als legitim ansah, dem Baulustigen in jeglicher Hinsicht positive Ratschläge und Anweisungen zu erteilen.64 Tatsächlich wurden mit diesem präventiven Aufsichtsmittel jedoch in erster Linie wirtschaftspolitische Zwecke verfolgt. So sollte etwa eine rentable und zweckmäßige Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Betriebe sichergestellt, vor allem aber eine Kontrolle des Materialverbrauchs im Hinblick auf das im Lande vorhandene Bauholz bewirkt werden;65 ein Aspekt, der bereits im Mittelalter zur Grundlage für die Installierung präventiver Bauvorbehalte genommen wurde. Ebenso schreibt eine Hessische Verordnung vom 17. März 1712 die Einholung einer Bauerlaubnis für die Dörfer vor und versucht zugleich wohlfahrtstaatlich zu verhindern, daß die Bürger ohne die hierzu erforderlichen Mittel bauen.66

IL Gebrauch präventiver Instrumentarien zur Steuerung und Durchsetzung landesherrlicher Vorstellungen Es gehörte zum Selbstverständnis der Landesherren, ihren uneingeschränkten Machtanspruch auch nach außen hin zu verkörpern, was insbesondere 62 Newe Bawordnung des Fürstenthumbs Würtemberg, S. Ι/Π [Von Undergängern vnd Bawbeschawern]. 63 Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 175. 64 Watzke, Baugestaltung als Aufgabe der Baupolizei, S. 8; Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 190. Zum Begriff des Eudämonismus und dem Einfluß der eudämonistischen Staatstheorien auf den Polizeibegriff grundlegend: WolzendorjJ\ Der Polizeigedanke des modernen Staats, S. 14 ff. 65 Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 175. 66 Pfaff 9 Allgemeine Bau=Ordnung für das Großherzogthum Hessen, Erster Theil, S. 2.

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durch die Anlage repräsentativer Bauten und die städtebauliche Planung und Ausgestaltung ihrer Residenzstädte erfolgte. 67 Zur Verwirklichung ihrer ausgeprägten baugestalterischen Vorstellungen wurden Vorgaben bis ins kleinste Detail gemacht, wobei an die Stelle städtischer Bauordnungen oftmals landesfürstliche Weisungen an die Architekten traten, welche die technische Leitung und Verantwortung für die korrekte Bauausführung der Vorhaben zu übernehmen hatten.68 Präventive Genehmigungs- oder Anzeigevorbehalte waren dabei unverzichtbare Instrumente zur Durchsetzung dieser Vorgaben gegenüber dem Bauherrn. 69 Sie wurden sehr schnell von der Obrigkeit als Mittel zur Bindung der Bautätigkeit an eine planmäßige Ordnung entdeckt und finden sich daher in allen folgenden Anordnungen und Verordnungen in Bausachen, wobei sich diese zunächst vorwiegend auf die Residenzstädte erstreckten. 70 Exemplarisch hierfür ist etwa das von Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg erlassene Bau-Reglement für die Städte Berlin und Cölln an der Spree aus dem Jahre 1691 anzuführen. Hiernach mußten Gesuche, bauen zu dürfen, beim Magistrat angebracht werden, der die Gesuche prüfte und die Bauerlaubnis erteilte bzw. verweigerte. 71 Für die Residenzstädte Preußens wurde das Erfordernis baupolizeilicher Genehmigung, bekräftigt durch mehrere nachfolgende obrigkeitliche Anordnungen, schließlich obligatorisch. Beginnend mit dem Edikt vom 20. Nov. 1706 durften die Bauherren, unter der Strafandrohung sofortiger Einsperrung, nicht mit der Errichtung eines Bauwerkes beginnen, ohne daß ihnen zuvor ein Bau-Schein erteilt worden war. 72 Diesem Edikt folgten das Bau-Reglement vom 9. Juli 1708 sowie das Patent vom 14. Mai 1710,73 in denen gleichlautend die Verpflichtung zur Durchführung eines Präventiv· Verfahrens in Bausachen ausgesprochen wird. Auch in der sächsischen Residenzstadt Dresden galt seit dem Jahr 1700 ein kraft Befehl angeordnetes Baugenehmigungsverfahren, das durch Bau-Reglement vom 7. Feb. 1718 sowie durch Bau-Reglement vom 4. März 182074 um67

Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 20; Proksch, Bauordnungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 17; Geithe, Entwicklung technischer Baubestimmungen, S. 44. 68 Buff, Bauordnung im Wandel, S. 34 und S. 37; Geithe, Entwicklung technischer Baubestimmungen, S. 45. 69 Kalusche, Baurecht und Bauästhetik seit dem 15. Jahrhundert, S. 244. 70 Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 172; Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 7. 71 Doehl, Repertorium des Bau-Rechts und der Bau-Polizei für den Preußischen Staat, S. 10. 72 Abgedruckt bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des preußischen Staates, S. 396. 73 Beide abgedruckt bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des preußischen Staates, S. 396. 74 Beide abgedruckt bei Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 74-82. 4 Gnatzy

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fangreich ausgestaltet wurde. Mußten Neubauten zuvor dem Oberkommandanten ohne Vorlage irgendwelcher Bauunterlagen angezeigt und dessen Genehmigung eingeholt werden, so waren nun Risse in zweifacher Ausfertigung in der Gouvernementskanzlei einzureichen, wo sie einer eingehenden fachlichen Überprüfung durch die Ober Bauamts-Commission unterzogen und anschließend mit einem Kommentar versehen an den Gouverneur weitergeleitet wurden. Dieser kontrollierte die Pläne seinerseits, bevor sie mit einem kurzen Genehmigungsvermerk (Resolutio) versehen in einfacher Ausführung an den Bauherrn zurückgegeben wurden.75 Hierdurch mag beispielhaft dokumentiert werden, daß die Beibringung schriftlicher Baupläne und anderer Bauunterlagen etwa seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert eine entscheidende Bedeutung im Genehmigungsverfahren erlangte, getragen von der Intention, die Bauvorhaben einer intensiveren Prüfung sowie einer besseren nachträglichen Kontrolle unterziehen zu können.76 Eine weitere präventive baupolizeiliche Maßregel heutiger Zeit läßt sich in der vom Landgrafen Friedrich zu Hessen im Jahre 1784 erlassenen BauOrdnung für die Hauptstadt Cassel nachweisen. Diese verlangte vor jedem Neubau eine Anzeige bei der Obrigkeit nebst nachfolgender Augenscheinseinnahme. Darüberhinaus sollte die Obrigkeit den Bau, wenn er vollendet ist, jedesmal daraufhin in Augenschein nehmen, ob er auch vorschriftsmäßig ausgeführt wurde.77 Wenngleich in früheren Zeiten bereits andernorts eine nachträgliche Überprüfung auf Übereinstimmung mit den obrigkeitlichen Vorgaben stattgefunden hat, waren jene primär auf den Brandschutz gerichtet.78 Mit der Casseler Bau-Ordnung wurde hingegen eine globale durchgängige Baubesichtigung als abschließender Akt des Genehmigungsverfahrens installiert. Dieses Instrument der Schlußbesichtigung fand gerade auch nach der obligatorisch gewordenen Vorlage von Bauzeichnungen weitgehende Verbreitung, da anhand der Unterlagen auf das Genaueste festgestellt werden konnte, ob das fertiggestellte Bauwerk mit dem geplanten und bewilligten übereinstimmte. 79

75

Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 20 und S. 25/41. Vgl. hierzu Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 182/183, der zugleich die 1715 im Ansbacher Fürstentum eingeführte Verpflichtung beschreibt, einen "architecturmäßigen Riß" einzureichen; Kalusche, Baurecht und Bauästhetik seit dem 15. Jahrhundert, S. 244; Watzke, Baugestaltung als Aufgabe der Baupolizei, S. 8/9. 77 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 37. 78 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 28. Lediglich in der Frankfurter Stadtreformation von 1509 findet sich ein vergleichbares Instrument abschließender Kontrolle im Hinblick auf sämtliche vorhandenen baurechtlichen Vorgaben (8. Teil, Titel I, § ΧΧΠ), vgl. dazu bereits die Ausführungen auf S. 46. 79 Kalusche, Baurecht und Bauästhetik seit dem 15. Jahrhundert, S. 244; Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 192. 76

1. Abschnitt: Dogmengeschichtliche Entwicklung

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Insgesamt ist zu beurteilen, daß in dieser zeitlichen Epoche das bauaufsichtliche Kontrollverfahren mit präventiver Genehmigungspflicht und wesentlichen Elementen einer effektiven Bauüberwachimg zu einem allgemeingültigen Instrumentarium geworden ist. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß dabei nicht durchgängig die Abwehr von baulichen Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit im Vordergrund gestanden hat, sondern diese Instrumente vielfach als Mittel obrigkeitlicher Einflußnahme eingesetzt worden sind. Sie dienten denn auch letztlich vorwiegend dazu, die eigenen herrschaftlichen Vorstellungen unter dem offiziellen - die Wirklichkeit freilich verzeichnenden - Terminus "Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt" gegenüber den Bürgern durchzusetzen80 und waren zugleich von den energischen Anstrengungen der Landesherren zur Erzielung eines stilgerechten und einheitlichen Stadtbilds bestimmt.81 Dies führte in der absolutistischen Phase zu Übertreibungen der vermeintlichen Fürsorge: Nicht nur Musterbaupläne (Typenentwürfe), nach denen die künftigen Bauten zu errichten waren, wurden vorgegeben,82 auch eine bis ins kleinste Detail gehende Reglementierung, etwa über die Länge und Breite des Hauses, Größe der Fenster, Anstrich der Bauten,83 bis hin zur Prüfung von Inschriften auf korrekte Orthographie 84 waren Gegenstand baurechtlicher Anordnungen dieser Epoche, die über das präventive Baukontrollverfahren durchgesetzt wurden.

C. Baurecht im Zeitalter der Aufklärung bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts Geprägt durch das Gedankengut der Französischen Revolution von 1789 und die Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts setzte sich nun auch in Deutschland eine liberalistische Auffassung mit ihrer Betonung der Freiheit des Einzelnen in allen Lebensbereichen immer stärker durch. 85 Die hiermit 80

Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 190. Kalusche, Baurecht und Bauästhetik seit dem 15. Jahrhundert, S. 244; Pirson, Baurecht des fürstlichen Absolutismus, S. 173. 82 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 24; Watzke, Baugestaltung als Aufgabe der Baupolizei, S. 8; für Dresden: Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 28/29 und S. 55, der überdies darauf hinweist, daß die Herausgabe von Musterentwürfen (Dessins) ein typisches Mittel des absolutistischen Städtebaus war. 83 Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 21; Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 38; vgl. auch den Entwurf zu einer allgemeinen Bauordnung für die Stadt Dresden aus dem Jahr 1747, Abschnitt 35, abgedruckt bei Geyer, Das Stadtbild Alt-Dresdens, S. 91. 84 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 38 unter Hinweis auf eine "Instruktion für die Bau-Kommission der Residenzstadt München". 85 Ernst, BBauBl. 1953,209; Plate, Neues Landesbauordnungsrecht, S. 23. 81

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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen

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verbundene Entwicklung vom Staatsabsolutismus zum neuzeitlichen Rechtsstaat blieb auch im Bereich des Baupolizeirechts nicht ohne Einfluß. 86 Wie in der gesamten Sphäre der Eingriffsverwaltung richtete sich die geänderte Staatsauffassung ebenso dort gegen die bevormundende absolutistische Reglementierung und forderte eine Verrechtlichung staatlicher Eingriffsakte. So erschien nun als unabweisbare Forderung, die baupolizeilichen Vorschriften gesetzlich zu verankern und dem Gutdünken sowie der Willkür der allgemeinen Verwaltungsbehörden des Polizeistaats zu entziehen.87

L Entwicklung des formellen Baupolizeirechts in Preußen Diese freiheitlichen Anschauungen kamen bereits zum Ende des Spätabsolutismus im "Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten" vom 1. Juni 1794 zum Ausdruck, dessen § 65 Teil I Titel 8 die Baufreiheit als ein aus dem Eigentum abgeleitetes umfassendes Individualrecht statuierte. Beschränkungen dieser umfänglich formulierten Baufreiheit ließ das prALR nur aus Gründen der Gefahrenabwehr und des Verunstaltungsschutzes zu (§ 66, I. 8). Als Aufsichts- und Kontrollinstrumente wurden lediglich ein präventiver Anzeigenvorbehalt bei Neubauten in Städten sowie eine Prüfpflicht der zuständigen Behörden (§§ 67, 68,1. 8) formuliert. 88 Ein allgemeiner Genehmigungsvorbehalt, wie er bis dahin gängiger Regelungsbestand gerade auch in den preußischen Landesteilen war, wurde im prALR expressis verbis nicht begründet. Der Obrigkeit oblag jedoch die Pflicht, zu überwachen, daß der Bestimmung des § 66,1. 8 prALR nicht entgegen gehandelt wird. In Verbindung mit dem Anzeigenvorbehalt für Neubauten in Städten, der bereits eine präventive Kontrolle sicherstellen sollte, und der in § 68,1. 8 prALR angesprochenen behördlichen Prüfverantwortung, wurde hieraus jedoch der Grundsatz abgeleitet, daß ein Bauvorhaben nicht eher zur Ausführung kommen durfte, als bis die Obrigkeit die Erlaubnis dazu erteilt hatte.89 Diese Auslegung fand zunächst im We86

Schanz, Baugenehmigung in Bayern, S. 8; Thiel/Rößler/Schumacher, Kom BauR NRW, Einleitung RdNr. 11.03; Schmidt-Assmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 8. 87 Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 42. 88 Abgedruckt bei Grotefend, Gesetze und Verordnungen für den preußischen Staat, Band I. 89 Katz, Grundzüge des preussischen Baurechts, S. 67; Grein, Baurecht nach den Vorschriften des ALR, S. 27; Ackermann, Der Baukonsens, S. 43/44; Doehl, Repertorium des Bau-Rechts und der Bau-Polizei für den Preußischen Staat, S. 41. So führen auch Baltz-Fischer, Preußisches Baupolizeirecht, S. 73, Anm. 4 zu § 67,1. 8, als Erläuterung zu der in § 67 ausgespochenen Verpflichtung, der Obrigkeit zur Beurteilung Anzeige zu machen, aus: "D.h. die Erteilung der Baugenehmigung beantragen. Die Anzeige allein genügt nicht; erst die nachfolgende Genehmigung gibt das Recht zum Bauen". Ebenso Saß, Preußisches Baupolizeirecht, Anm. 12 zu § 67,1. 8 prALR (S. 79).

1. Abschnitt: Dogmengeschichtliche Entwicklung

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ge zahlreicher obrigkeitlicher Anordnungen90 ihre ausdrückliche Bestätigung.91 Ausgesprochen ist dies für Neubauten in Städten auf Grundlage des § 67,1. 8 prALR etwa in dem "Publicandum der Königl. Regierung zu Münster vom 4ten März 1817", worin folgendes bestimmt wurde: "Die landräthlichen Behörden werden hierdurch ermächtigt, die im Gefolg §. 67. u. 69.1. Tit. 8. des A.L.R. nothwendige Erlaubnis zur Errichtung neuer Bauten und Feuersteilen in Städten oder auf dem Lande nach vorheriger Prüfung zu ertheilen,...".92 Auch die Königl. Polizei=Intendantur zu Berlin äußerte sich in einem Publicandum vom 2. März 1819 zur "Notwendigkeit der polizeilichen Genehmigung der Bau=Anlagen". Hierin wurde, unter Bezugnahme auf die im prALR Teil I Titel 8 § 66 enthaltene Regelung, eine Bestimmung dem Publiko abermals bekannt gemacht, wonach "um Schaden und Unsicherheit des Gemeinwesens, so wie Verunstaltung der Städte und öffentlicher Plätze zu verhüten, keine Bauanlage und Veränderung, ohne vorgängige Anfrage bei der Polizei=Obrigkeit, vielmehr nur nach erfolgter Genehmigung der leztern, vorgenommen werden dürfe". 93 Ebenso gab die Königl. Regierung zu Marienwerder in einem Publicandum vom 25. August 1823 den Behörden sowie dem gesamten Publikum vor, "sich bei vorkommenden Neubauten nach folgenden Vorschriften zu achten: 1. Vor jeder Ausführung ganz neuer oder vor der Wiederherstellung abgebrannter oder sonst zerstörter Gebäude jeder Art, ist in Gemäßheit des Allgemeinen Landrechts Thl. I. Tit. 8. § 65. - 78. jedesmal die Genehmigung der Orts=Polizei=Behörde nachzusuchen".94 Wegen des knappen und sehr allgemein gehaltenen Regelungsgehaltes der wenigen für alle Landesteile geltenden baurechtliche Bestimmungen im prALR (§§ 65-82 I. 8: Einschränkungen des Eigenthümers beim Bauen), blieb die nähere Ausgestaltung des öffentlichen Baurechts der Regelung durch örtli-

90 Siehe hierzu die nachfolgend dargestellten Publik./Reskripte sowie die weiteren Nachweise bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des Preußischen Staates, S. 398 ff./ S. 584 ff. und Krüger, Geschichte der Baupolizei, S. 46/47. 91 Vgl. hierzu Katz, Grundzüge des preussischen Baurechts, S. 67, der diesbezüglich von einer gewohnheitsrechtlichen Entwicklung spricht, die in den neueren Gesetzen, welche er auf S. 68 benennt, Anerkennung gefunden habe, so daß an ihrem rechtmäßigen Bestand nicht mehr gezweifelt werden könne. 92 Abgedruckt in Annalen der Preußischen innern Staatsverwaltung, Erster Band (1817), Erstes Heft, S. 220, sowie bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des Preußischen Staates, S. 400. Die hierin angesprochene Vorschrift des § 69,1. 8 prALR schrieb eine förmliche behördliche Erlaubnis für die Errichtung neuer Feuerstellen in der Stadt und auf dem Lande vor. 93 Abgedruckt in Annalen der Preußischen innern Staatsverwaltung, Dritter Band (1819), Erstes Heft, S. 238, sowie bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des Preußischen Staates, S. 397. 94 Abgedruckt in Annalen der Preußischen innern Staatsverwaltung, Siebenter Band (1823), Drittes Heft, S. 599.

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Erster Teil: Rechtshistorische Grundlagen

che Baupolizeiordnungen überlassen.95 In den in der Folgezeit erlassenen Regulis dieser Art wurde, entsprechend dem oben ausgeführten Grundsatz, eine umfassende - nicht nur auf Neubauten beschränkte - Verpflichtung zur Einholung einer Baugenehmigung in den Städten und darüber hinaus auch auf dem platten Land statuiert und von den Aufsichtsbehörden bestätigt, wie etwa anhand eines Reskripts des Königl. Ministeriums des Innern und der Polizei vom 30. September 1834 belegt werden kann. Hierin wurde ausgeführt: "Das Ministerium des Innern und der Polizei findet es (...) unbedenklich, die Zweckmäßigkeit einer Anordnung anzuerkennen, wodurch die Ausführung eines jeden Neubaues und jeder Haupt=Reparatur auf dem platten Lande von der Genehmigung der Kreis=Polizeibehörde abhängig gemacht wird". 96 Durch "Reskript des Königl. Ministeriums des Innern und der Polizei vom 25. November 1838" wurde sogar ausdrücklich angeordnet, daß die Regierungen "zur Ergänzung der landrechtlichen Bestimmungen über Einholung polizeilicher Erlaubnis zu Bauten und Reparaturen die dem provinziellen und örtlichen Bedürfniß entsprechenden Verordnungen erlassen" sollen.97 Aufgrund dieser Rechtsfortbildung wurde der ausschließlich für Neubauvorhaben in Städten geltende Präventiworbehalt des prALR (§ 67, I. 8) in zweifacher Hinsicht durch ortspolizeiliche Vorschriften erweitert: Für den Bereich der Städte durch Einbeziehung von Hauptreparaturen und für das platte Land schlechthin (Neubauten und Hauptreparaturen). Die Rechtsprechung sah darin eine Konkretisierung der bestehenden Regelungen des prALR über den baurechtlichen Genehmigungsvorbehalt sowie eine zulässige Ausdehnung auf analoge Fälle und bestätigte damit zugleich die vorgenannten ministeriellen Erlasse.98 Somit war in den weit überwiegenden Teilen Preußens infolge der

95 Leuthold, Annalen des deutschen Reichs 1879, S. 823 und S. 878 Fn. 2; Grein, Baurecht nach den Vorschriften des ALR, S. 34/35; Groschupf, DVB1. 1975, 874. Umstritten war seinerzeit, ob sich aus den genannten Vorschriften in §§ 66,1. 8 prALR ff. unmittelbar die Befugnis zum Erlaß näherer Reglungen durch orts=baupolizeiliche Vorschriften ergab, oder - jedenfalls für das platte Land - auf die Ermächtigung in § 10, Π. 17 prALR zurückzugreifen war; vgl. hierzu Grein, Baurecht nach den Vorschriften des ALR, S. 35; Ackermann, Der Baukonsens, S. 16. 96 Abgedruckt in Annalen der Preußischen innern Staats=Verwaltung, Achtzehnter Band (1834), Erstes Heft, S. 860, sowie bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des Preußischen Staates, S. 398. 97 Abgedruckt in Annalen der Preußischen innern Staatsverwaltung, Zweiundzwanzigster Band (1838), Erstes Heft, S. 1018, sowie bei v. Rönne/Simon, Die Baupolizei des Preußischen Staates, S. 406. 98 Erkenntnis des Königlichen Ober=Tribunals vom 15. März 1877, abgedruckt im Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung 1977, S. 137. Vgl. auch die Urteilsbegründung zu prOVGE 5 (1880), 381 >382423/43043428969288/28956712627627359552219198194/195250/25152444285116273285120211943/944392801273171/172< 327 Uechtritz, in: Festschrift für Konrad Gelzer, S. 268 (Fußn. 54), schlägt vor, diesbezüglich von einer "Legalisierungswirkung" der Baugenehmigung zu sprechen, um auch terminologisch deutlich eine Differenzierung zu dem durch Art. 14 1 GG vermittelten "Bestandsschutz" zu schaffen; dahingehend auch Dolde, in: Festschrift für Otto Bachof, S. 212. 328 Vgl. aber die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen zur Anpassung an das geltende Recht aus Gründen der Gefahrenabwehr (§ 83 I MBO 1993), unter deren Vorbehalt die Bindungswirkung von vornherein steht. Hierzu Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, S. 224; Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht Π, S. 165/166 und S. 169-172. 329 Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, S. 174-177; Dolde, in: Festschrift für Otto Bachof, S. 197; Uechtritz, in: Festschrift für Konrad Gelzer, S. 271. 330 So bereits BVerwG, Urt. v. 28.6.1956 -1C 93.54 -, E 3, 351 >353/354162/163300128122436336845/46123/12482< 332 Zur Entwicklung dieses Instituts in der Rspr. des BVerwG vgl. Sendler, in: Festschrift für Werner Ernst, S. 403^09.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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Danach folgt unmittelbar aus dem Eigentumsgrundrecht die verfassungsrechtlich gesicherte Rechtsposition, eine in legaler Eigentumsausübung geschaffene bauliche Anlage halten und weiternutzen zu können, auch wenn sie nach inzwischen geänderter Rechtslage materiell illegal geworden ist. 333 Dies bewirkt - ebenso wie die Bindungswirkung der wirksamen Baugenehmigung - ein Abwehrrecht gegen Beseitigungsanordnungen und Nutzungsuntersagungen (sog. einfacher bzw. passiver Bestandsschutz),334 führt aber darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen und in gewissem Umfang auch zu Erweiterungen des vorhandenen Bestandes (aktiver/überwirkender Bestandsschutz).335 Im Gegensatz zur einfach-rechtlichen Sicherungswirkung, kommt es nach der Judikatur des BVerwG bei dem aus Art. 14 I GG abgeleiteten Bestandsschutz jedoch nicht auf die formelle Legalität, d.h. das Vorliegen einer Baugenehmigung an; maßgebend ist vielmehr die Existenz eines materiell-legal geschaffenen Bestandes.336 Dabei ist der verfassungsrechtlich vorgegebene Bestandsschutz nicht nur Bauwerken zuerkannt worden, die im Zeitpunkt ihrer Erstellung materiell legal waren, sondern auch solchen, bei denen erst zu einem späteren Zeitpunkt eine Übereinstimmung mit dem materiellen Recht eingetreten ist. 337 Unabdingbares Wesensmerkmal des Bestandsschutzes war nach der Rspr. des BVerwG indes stets, daß die geschaffene bauliche Anlage zu irgendeinen Zeitpunkt materiell rechtmäßig war. 338

333 Vgl. aus den in Fußn. 330/331 genannten Fundstellen nur BVerwGE 47, 126 >128823912493355< 337 Hierzu und zu der umstrittenen Frage, ob für die materielle Legalität die Dauer einer logischen Sekunde genügt oder etwa der Zeitraum zugrundezulegen ist, der für die ordnungsgemäße Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens benötigt wird, vgl. Ortloff; in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht Π, S. 143/144 m.w.N. sowie Jäde, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNrn. 66-69 zu Art. 89. 338 So auch die Feststellung von Jäde, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 65 zu Art. 89. Vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - 4 C 9.76 -, Buchholz, 406.11, § 34 BBauG Nr. 64, S. 54 >55126123/12482943/944498581681845849869528314< 358 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung auf S. 92 f.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

121

diglich der rechtliche Gehalt wie ein Bauantrag zukommt.359 Anders als beim Baugenehmigungsverfahren und beim Zustimmungsverfahren für Bauvorhaben öffentlich-rechtlicher Rechtsträger ist hier auch kein ausdrücklicher Verwaltungsakt als Zulassungsinstrument vorgesehen. Als Anknüpfungspunkt für die Beseitigung der präventiven Sperre kommen beim Bauanzeigeverfahren vielmehr die Unterlassung der Untersagung und/oder der Fristablauf in Betracht, da diese Elemente als tatbestandliche Voraussetzung für den gesetzlich bestimmten Baubeginn genannt sind.

(a) Unterlassen fristgemäßer Untersagung als stillschweigende bauaufsichtliche Zustimmung oder Genehmigung? Die anfängliche Diskussion um die Rechtsnatur der bauaufsichtlichen Zulassung beim Bauanzeigeverfahren war zunächst ergebnisorientiert dadurch beeinflußt, daß nach § 29 Satz 1 BBauG 1960 ausschließlich Vorhaben, die einer bauaufsichtlichen Genehmigung oder Zustimmung bedurften, den bauplanungsrechtlichen Anforderungen nach §§ 30 ff. BBauG a.F. unterfielen. Es war daher erforderlich, die Zulassung anzeigepflichtiger Vorhaben entweder der Baugenehmigung zuzuordnen oder als bauaufsichtliche Zustimmung zu qualifizieren, da andernfalls jegliche bauplanungsrechtliche Überprüfbarkeit entfallen wäre. 360 Dementsprechend wurde das Anzeigeverfahren von einem Teil der Literatur und Rechtsprechung als durch einfachere Entscheidungsformen gekennzeichnetes vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren und hieraus folgend das Unterlassen der Untersagung innerhalb der gesetzlichen Frist als stillschweigende Baugenehmigung qualifiziert. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß die bloß anzeigepflichtigen ebenso wie die baugenehmigungspflichtigen Bauvorhaben mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmen müßten, weshalb ein Bauvorhaben bei bestehenden Divergenzen zwingend zu untersagen sei; hierdurch bestünde eine rechtsgleiche Prüfungspflicht. Die Bauaufsichtsbehörde habe daher ebenso eine Entscheidimg über die mate-

359

BVerwG, Urt. v. 12.11.1964 - I C 58.64 -, E 20, 12 >154791553183237152/3125236-238321206321236238228479208286338644035529384045422834152176231217356/357565/5664807267544984925044801518268444283117911268130< m.w.N; Papier, in: MünchKomm, RdNrn. 193/198 zu § 839; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 47; Krohn, ZfBR 1994,10.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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Gefahren zu bewahren, die mit der Ausführung baurechtswidriger Vorhaben verbunden sein können. Indem die baurechtlichen Bestimmungen und die dementsprechenden Amtspflichten dem Schutz der Allgemeinheit dienen, schützen sie alle diejenigen Personen als Glied der Allgemeinheit, denen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum bei einem nicht den öffentlichrechtlichen Anforderungen entsprechenden Bauvorhaben drohen. Geschützter Dritter i.S. des § 839 BGB ist daher jeder - auch der Bauherr selbst -, der als Bewohner, Benutzer, Besucher bzw. als Vorübergehender oder Arbeiter (etwa mit Bauarbeiten betraute Bauunternehmer und deren Hilfspersonen) zu dem Bauwerk in Beziehung tritt und auf dessen Sicherheit vertrauen darf. 450 Die Amtspflicht, einen rechtswidrigen Bauverwaltungsakt nicht zu erteilen, obliegt der Bauaufsichtsbehörde aber nicht nur im Allgemeininteresse sondern auch gegenüber dem antragstellenden Bauherrn. Er soll nicht in die Gefahr gebracht werden, einen vorschriftswidrigen Bau auszuführen, der keinen Bestand haben kann und unter Umständen wieder beseitigt werden muß.451 Der Erklärungsgehalt der Baugenehmigung, daß dem Vorhaben rechtlich nichts im Wege stehe, hat somit auch die Zweckrichtung, dem Antragsteller zu signalisieren, daß er sinnvoll in ein Projekt mit Bestand investieren könne.452 Dementsprechend soll ihm auch durch den Bauvorbescheid hinsichtlich der gestellten Fragen eine verläßliche Grundlage für seine weiteren Planungen und wirtschaftlichen Dispositionen gegeben werden. 453 Im Gegensatz zur Versagung ist die positiv erteilte Baugenehmigung bzw. ein entsprechender Bauvorbescheid nicht (ausschließlich) an die Person des Antragstellers gebunden, sondern auf das Grundstück sowie das beantragte Bauvorhaben bezogen. Deshalb ist auch auf die Interessen der Personen Rücksicht zu nehmen, die im berechtigten, schutzwürdigen Vertrauen auf einen Baubescheid unmittelbar die Verwirklichung des konkreten Bauvorhabens in 450 BGH, Urt. v. 27.5.1963 - m ZR 48/62 -, BGHZ 39, 358 >363/3641123444117394911322622114202/20311755321/322130B1. 3114727/728130/13157366204269< m.w.N. Zum Schutzzweck als haftungsbegrenzendes Regulativ vgl. auch Krohn, ZfBR 1994, 8-10; Wurm, JA 1992,2/3; Windthorst, JuS 1995, 894/895; Ibler, BauR 1995, 603. 460 Krohn, ZfBR 1994, 8; Windthorst, JuS 1995, 895. 461 BGH, Urt. v. 25.1.1973 - ΠΙ ZR 256/68 -, BGHZ 60, 112 >116/117394198821/822622114202/20355322/323130/131269728364/365118/119394385322622444
444365118/119157385444< Diese Relativierung der Drittbezogenheit, nach der lediglich ein partieller Schutz des Geschädigten besteht, wird als sog. "gespaltene" Amtspflicht bzw. Drittgerichtetheit klassifiziert; vgl. Kreft, in: RGRK-BGB, RdNr. 246 zu § 839; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 55; Ibler, BauR 1995,601/602. 469 Kritisch zu der grundlegenden Entscheidung des BGH (BGHZ 39, 385 ff.), Böhmer, JZ 1965, 487/488; zustimmend hingegen Kreft, LM 1966 § 839 (A) BGB Nr. 28. Ladeur, DÖV 1994, 673, regt an, diese Haftungsbegrenzung im Lichte der neueren Rechtsprechung zur "Vertrauenshaftung" noch einmal zu überdenken. 470 BGH, Urt. v. 1.12.1994 - ΠΙ ZR 33/94 -, NVwZ 1995, 620 >622394373/374385198-200365196< 473 BGH, Urt. v. 16.1.1992 - ΠΙ ZR 18/90 -, BGHZ 117, 83 >87/88B1. 690/91< Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH jedoch, ob die Vornahme der Vermögensdispositionen vom Schutzzweck umfaßt gewesen wäre, wenn der Bauamtsleiter selbst die betreffenden Auskünfte erteilt hätte. 477 BGH, Urt. v. 5.5.1994 - m ZR 28/93 -, LM H. 10/1994 § 839 (Cb) BGB Nr. 91 >B1. 6460189373131130912728< zur Frage, ob eine Befreiung nach § 31 BauGB erteilt werden kann, da die Ermessensentscheidung hierüber in die Alleinverantwortung der Baubehörde falle. 483 BGH, Beschl. v. 29.3.1990 - ΙΠ ZR 145/88 -, BGHR BGB § 839 I 2 Bauunternehmer 1. 484 Vgl. BGH, Urt. v. 23.9.1993 - ΙΠ ZR 139/92 -, NJW 1994, 130 >131912/913264B1. 3< mit Anm. Burmeister; de Witt/Burmeister, NVwZ 1992, 1041. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens hatte der BGH bislang erst unter der Fragestellung eines mitwirkenden Verschuldens (§ 254 BGB) geprüft, während er sie nunmehr dem Amtshaftungstatbestand als Kriterium zur Begrenzung der objektiven Reichweite des durch das Amtshaftungsrecht gewährten Vermögensschutzes zuordnet. Vgl. auch BGH, Urt. v. 16.1.1992 - m ZR 18/90 -, BGHZ 117, 83 >90B1. 3< mit Anm. Burmeister.

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Zweiter Teil: Das präventive Bauaufsichtssystem

Grundstücksmarkt u.a. als preisbildender Faktor entfalten kann, herausgestellt, daß dieser eine geeignete Vertrauensgrundlage für Vermögensdispositionen des Bauherrn und auch eines am Erwerb des Grundstücks interessierten Dritten begründet. Insgesamt läßt sich also feststellen, daß mit der Haftung für Fehler im Rahmen der staatlichen Baukontrolle jedenfalls eine partielle Risikoverlagerung für Investitionsschäden auf die öffentliche Hand verbunden ist.

IV. Die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit der am Bau beteiligten privaten Rechtssubjekte Sämtliche Landesbauordnungen nennen als verantwortliche Baubeteiligte den Bauherrn, den Entwurfsverfasser und den Unternehmer. 491 Darüber hinaus kennen die meisten Landesbauordnungen den Bauleiter. 492 Im Grundsatz ist die Verantwortlichkeit der Baubeteiligten dahingehend geregelt, daß der Bauherr umfassend und die übrigen am Bau Beteiligten in ihrem Wirkungskreis dafür Sorge zu tragen haben, daß die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. 493 Dem Bauherrn wird demzufolge eine besondere Stellung zugewiesen. Dies hat seinen Grund darin, daß er als Auftraggeber der übrigen am Bau Beteiligten deren Tätigkeit bestimmen kann.494 Auch wenn den Bauherrn eine umfassende Pflichtenstellung trifft, kann die Bauaufsichtsbehörde gleichwohl unmittelbar gegen die anderen am Bau Beteiligten bauordnungsrechtliche Maßnahmen treffen, sofern diese in ihrem Wirkungskreis 491 §§ 42-44 LBauO BW 1995; Art. 62-64 BayBO 1994; §§ 52 I, 52 a BauO Bln. 1996; §§ 58/59, 61 BbgBO 1994; §§ 55-57 BremLBO 1995; §§ 54-56 HBauO 1995; §§ 56-58 HessBO 1993; §§ 55-57 LBauO M-V 1994; §§ 57-59 NBauO 1995; §§ 57-59 BauO NW 1995; §§ 52, 54/55 LBauO RhlPf 1995; §§ 56-59 BauO Saar. 1996; §§ 5557 SächsBO 1994; §§ 57, 59/60 BauO LSA 1994; §§61-63 LBauO Schl.-H. 1994; §§ 55-57 ThürBO 1994. 492

§45 LBauO BW 1995; §53 BauO Bln. 1996; §62 BbgBO 1994; §58 BremLBO 1995; § 57 HBauO 1995; § 59 HessBO 1993; § 58 LBauO M-V 1994; § 56 LBauO RhlPf. 1995; § 60 BauO Saar. 1996; § 58 SächsBO 1994; § 61 BauO LSA 1994; § 64 LBauO Schl.-H. 1994; § ThürBO 1994. Nicht (mehr) in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. 493 Während fast alle Landesbauordnungen diesen Grundsatz in einer eigenen Vorschrift niedergelegt haben, vgl. §41 LBauO BW 1995; Art. 61 BayBO 1994; § 57 BbgBO 1994; § 54 BremLBO 1995; § 53 HBauO 1995; § 55 HessBO 1993; § 54 LBauO M-V 1994; § 56 BauO NW 1995; § 52 LBauO RhlPf. 1995; § 55 BauO Saar. 1996; § 54 SächsBO 1994; § 57 BauO LSA 1994; § 60 LBauO Schl.-H. 1994; § 54 ThürBO 1994; ergibt sich dies in Niedersachsen und Berlin aus dem dortigen Regelungszusammenhang sowie den einzelnen Vorschriften über die bauordnungsrechtliche Verantwortlichkeit. 494 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 4 zu Art. 61; Michel, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, RdNr. 4 zu § 54.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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für eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung einzustehen haben.495 Die in den Bauordnungen der Länder geregelte Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten erfaßt nur die öffentlich-rechtliche Komponente des Pflichtenverhältnisses dieser Personen. Unbeachtlich hierfür ist deren zivilrechtliche Haftung, 496 so daß öffentlich-rechtliche Pflichten mitunter selbst dann fortbestehen, wenn ein privatrechtliches Auftragsverhältnis zwischen dem Bauherrn und den übrigen am Bau Beteiligten nicht mehr existiert. 497 Umgekehrt können sich die Regelungen über die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit in Verbindung mit den bauordnungsrechtlichen Sicherheitsvorschriften aber auf die Haftung wegen unerlaubter Handlung nach § 823 BGB auswirken. Ähnliches gilt für die strafrechtliche Haftung der Baubeteiligten.498

1. Die Verantwortlichkeit des Bauherrn

Wie soeben festgestellt, ist der Bauherr umfassend dafür verantwortlich, daß die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde eingehalten werden. Die Vorschriften über die Verantwortlichkeit des Bauherrn konkretisieren dies einerseits in einer Reihe von expressis verbis benannten Pflichten 499 und verbinden andererseits die Pflichten des Bauherrn mit denen der übrigen am Bau Beteiligten dadurch, daß sie dem Bauherrn bindend vorgeben, bestimmte Fachleute zu bestellen.

a) Pflicht zur Beauftragung der anderen am Bau Beteiligten So hat der Bauherr nach sämtlichen Landesbauordnungen die Pflicht, einen geeigneten Entwurfsverfasser und einen geeigneten Unternehmer zu beauftragen.500 Hierdurch soll sichergestellt werden, daß sowohl an der Vorbereitung 495 Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 2 zu § 52; Dirnberger, in: Jäde/ Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 14 zu Art. 61. 496 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 2 zu Art. 61. 497 Vgl. etwa HessVGH, Urt. v. 26.02.1982 - IV OE 43/79 -, BRS 39 Nr. 98. 498 Vgl. Wiechert, in: Große-SuchsdorfTLindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNr. 4 zu § 57; Einzelheiten zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit der Baubeteiligten nachfolgend auf S. 180 ff. 499 Die in den Vorschriften über die Verantwortlichkeit des Bauherrn genannten Pflichten sind nicht abschließend geregelt; zu den weiteren Pflichtenstellungen vgl. Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 30 zu Art. 62. 500 § 42 I 1 LBauO BW 1995; Art. 62 I 2 BayBO 1994; § 52 I 1 BauO Bln. 1996; § 58 12 BbgBO 1994; § 55 12 BremLBO 1995; § 54 I 1 Abs. 1 HBauO 1995; § 56 IV 1 HessBO 1993; § 55 I 1 LBauO M-V 1994; § 57 Π 1/2 NBauO 1995; § 57 I 1 BauO

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Zweiter Teil: Das präventive Bauaufsichtssystem

als auch an der Ausführung von baulichen Maßnahmen hinreichend qualifizierte Personen beteiligt sind.501 Seiner Pflicht kommt der Bauherr durch Abschluß privatrechtlicher Verträge nach.502 Mit der Übernahme der Aufgaben eines Entwurfsverfassers bzw. Unternehmers tritt der Betreffende automatisch in die entsprechende öffentlich-rechtliche Pflichtenstellung ein. 503 Entwurfsverfasser und Unternehmer sind geeignet, wenn sie ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung besitzen, um die ihnen von den Landesbauordnungen auferlegten Pflichten zu erfüllen. 504 Maßgebend sind Schwierigkeiten und Umfang des Bauvorhabens im Einzelfall; der Beauftragte muß also zur Erfüllung deijenigen Aufgaben geeignet sein, zu denen er im Rahmen des Bauvorhabens verpflichtet wurde, um das es im konkreten Fall geht.505 Die Pflicht zur Beauftragung geeigneter Baubeteiligter besteht grundsätzlich nur, wenn es sich um eine genehmigungsbedürftige Baumaßnahme handelt.506

b) Pflicht zur Vornahme der notwendigen Verfahrenshandlungen Entsprechend der normativen Vorgaben fast aller Landesbauordnungen obliegen dem Bauherrn fernerhin die nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderlichen Anträge, Vorlagen und Anzeigen an die Bauaufsichtsbehörde, 507 so daß ihn die umfassende Verpflichtung zur Vornahme aller notwendigen Verfahrenshandlungen trifft. Die BayBO sieht in Art. 62 I 3 HS 2 vor, daß NW 1995; § 52 I 1 LBauO RhlPf. 1995; § 56 I BauO Saar. 1996; § 55 I 1 SächsBO 1994; § 5711 BauO LSA 1994; § 6111 LBauO Schl.-H. 1994; § 5512 ThürBO 1994. 501 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 11 zu Art. 62. 502 Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNr. 11 zu § 57; Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 10 zu § 53. 503 Böckenförde, in: Gädtke/Böckenförde/Temme, LBO NW Kom, RdNr. 7 zu § 53; Schmidt, in: Jeromin LBauO RhlPf Kom, RdNr. 10 zu § 53. 504 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 15 zu Art. 62. 505 OVG Lüneburg, Beschl. v. 4.2.1975 - U I Β 97.74. - BRS 29 Nr. 180; HessVGH, Beschl. v. 13.11.1978-IVTH87/78 -,BRS 33Nr. 100. 506 Die gleiche Verpflichtung gilt aber auch hinsichtlich der neu geschaffenen Anzeige- und Freistellungsverfahren; vgl. im einzelnen die nachfolgende Darstellung des novellierten Verfahrensrechts im 3. Teil der Untersuchung auf S. 215 ff. und 310 f. 507 § 42 I 2 LBauO BW 1995; Art. 62 I 3 BayBO 1994; § 52 I 2 BauO Bln. 1996; § 58 I 3 BbgBO 1994; § 55 I 3 BremLBO 1995; § 54 12 HBauO 1995; § 56 12 HessBO 1993; § 55 12 LBauO M-V 1994; § 5712 BauO NW 1995; § 52 I 3 LBauO RhlPf. 1995; § 56 I BauO Saar. 1996; § 55 12 SächsBO 1994; § 5712 BauO LSA 1994; § 61 I 2 LBauO Schl.-H. 1994; § 55 I 3 ThürBO 1994; Niedersachsen verzichtet auf die Statuierung einer solchen Pflicht. Zu den hier im einzelnen in Betracht kommenden Anträgen, Vorlagen und Anzeigen vgl. die ausführliche Darstellung bei Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNrn. 24 ff. zu Art. 62.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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der Bauherr die Verpflichtung zur Vornahme der genannten Verfahrenshandlungen auch auf seinen Entwurfsverfasser übertragen kann. Diese Übertragung wirkt nicht nur zivilrechtlich, sondern entläßt den Bauherrn auch aus seiner öffentlich-rechtlichen Verantwortung. 508

c) Folgen einer Pflichtverletzung Kommt der Bauherr seiner Pflicht nicht nach, geeignete Baubeteiligte zu beauftragen, so kann die Bauaufsichtsbehörde vor und während der Bauausführung verlangen, daß geeignete Sachverständige herangezogen oder ungeeignete Beauftragte durch geeignete ersetzt werden und kann darüber hinaus auch die Bauarbeiten einstellen, bis geeignete Beauftragte oder Sachverständige beauftragt sind. (vgl. § 54 III MBO 1993) Verletzt der Bauherr seine Antrags-/Vorlage-/Anzeige- und Mitteilungspflichten, so kann dies eine Ordnungswidrigkeit nach Maßgabe der jeweiligen Vorschriften über die Ahndung von Verwaltungsunrecht darstellen (vgl. § 80 I Nr. 10 MBO 1993). Die Einstufung dieser Pflichtverletzungen als Ordnungswidrigkeiten entspricht der umfassenden Verantwortlichkeit des Bauherrn. 509

2. Die Verantwortlichkeit des Entwurfsverfassers

Entwurfsverfasser ist, wer für eine konkrete Baumaßnahme die technischen Unterlagen zum Bauantrag und/oder für die Bauausführung anfertigt oder unter seiner Verantwortung anfertigen läßt. 510 Der Entwurfsverfasser muß nach Sachkunde und Erfahrung zur Vorbereitung des jeweiligen Bauvorhabens geeignet sein (vgl. § 55 I 1 MBO 1993); es handelt sich insoweit um die sog. materielle Qualifikation des Entwurfsverfassers. 511 Um die geforderte Qualifikation im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten und die Einreichung unzulänglicher Bauunterlagen zu verhindern, fordern die Landesbauordnungen eine formelle Qualifikation in Gestalt der Bauvorlageberechtigung,512 mittels derer die Bauaufsichtsbehörde einer in der Praxis kaum 508

Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dimberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 27 zu Art. 62. 509 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 31 zu Art. 62. 510 Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 5 zu § 54. 511 Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNrn. 9/10 zu § 58; Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 7 zu § 54. 512 § 43 ΠΙ LBauO BW 1995; Art. 75 BayBO 1994; § 58 BauO Bln. 1996; § 60 BbgBO 1994; § 70 BremLBO 1995; § 64 HBauO 1995; § 57 HessBO 1993; § 67 LBauO M-V 1994; § 58 ΙΠ NBauO 1995; § 70 BauO NW 1995; § 63 LBauO RhlPf.

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Zweiter Teil: Das präventive Bauaufsichtssystem

durchfuhrbaren Einzelfallprüfung enthoben werden soll. Der Bauvorlageberechtigung kommt insoweit die - widerlegliche - Vermutung zu, daß der Entwurfsverfasser für ein davon umfaßtes Vorhaben auch im konkreten Fall die notwendige Sachkunde und Erfahrung aufweist, 513 also materiell qualifiziert ist.

a) Vollständigkeit

und Brauchbarkeit des Entwurfs

Der Entwurfsverfasser ist für die Vollständigkeit und Brauchbarkeit seines Entwurfs verantwortlich (vgl. § 55 I 2 MBO 1993).514 Vollständig ist der Entwurf, wenn die baurechtlichen Vorschriften eingehalten werden, so daß der dargestellte Bau den materiellen Anforderungen des gesamten öffentlichen Baurechts genügen muß.515 Maßgebend sind in erster Linie die Bauvorlagenverordnungen der Länder, in denen detailliert geregelt ist, welche Unterlagen in welcher Form der Bauaufsichtsbehörde vorgelegt werden müssen. Brauchbar ist der Entwurf, wenn er lesbar und so gestaltet ist, daß er eine ausreichende Grundlage ftir die Prüfung durch die Baubehörde und für die bautechnische Ausführung des Vorhabens im Einklang mit den baurechtlichen Vorschriften bietet.516

b) Verantwortung für die Ausföhrungsplanung

Der Entwurfsverfasser hat dafür zu sorgen, daß die ftir die Ausführung notwendigen Einzelzeichnungen, Einzelberechnungen und Anweisungen den genehmigten Bauvorlagen oder, wenn eine Genehmigung nicht erforderlich ist bzw. sich die Genehmigung nicht auf die Bauunterlagen erstreckt, den öffentlich-rechtliche;n Vorschriften entsprechen (vgl. § 55 I 3 MBO 1993). Die im 1995; § 70 BauO Saar. 1996; § 65 SächsBO 1994; § 69 BauO LSA 1994; § 71 LBauO Schl.-H. 1994; § 65 ThürBO 1994; ausführlich zur formellen Qualifikation des Entwurfsverfassers: Wiechert, in: Große-SuchsdorfTLindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNrn. 13 ff. zu § 58. 513 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dimberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 6 zu Art. 63. 514 Die BauO Bln. 1996 kennt keine öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit des Entwurfsverfassers. 515 Michel, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, RdNr. 6 zu § 56; Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNr. 6 zu § 58. Vgl. auch den Wortlaut des § 5811 NBauO 1995, wonach der Entwurfsverfasser dafür verantwortlich ist, daß der Entwurf dem öffentlichen Baurecht entspricht; ähnlich die Formulierung in § 4311 LBauO BW 1995. 516 Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 14 zu § 54; Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 10 zu Art. 63.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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Rahmen der Ausführungsplanung erstellten Unterlagen sind nicht Teil der Bauvorlagen, die der Bauaufsichtsbehörde vorzulegen sind, sondern bereits der erste Schritt zur Ausführung der baulichen Anlage. Sie dienen dazu, daß der Unternehmer gefahrlos und mit der erforderlichen Genauigkeit bauen kann. Die Entwurfsplanung bzw. die Baugenehmigung selbst reichen hierzu nicht aus, da sie nur die wichtigsten, die bauliche Maßnahme bestimmenden Angaben und Maße enthalten.517

c) Pflicht zur Heranziehung von Sachverständigen Hat der Entwurfsverfasser auf besonderen Fachgebieten nicht die erforderliche Sachkunde und Erfahrung, so müssen geeignete Sachverständige hinzugezogen werden. Die Landesbauordnungen enthalten allerdings unterschiedliche Regelungen darüber, wie diese Hinzuziehung zu erfolgen hat. Nach einigen Bauordnungen muß der Entwurfsverfasser den Bauherrn darauf hinweisen, daß die Hinzuziehung von Sachverständigen erforderlich ist, ihn also dazu veranlassen;518 nach anderen Bauordnungen kann der Entwurfsverfasser selbst geeignete Sachverständige hinzuziehen.519 Die eingeschalteten Sachverständigen sind für die von ihnen gefertigten Unterlagen selbst verantwortlich, wobei den Entwurfsverfasser dann allerdings die Koordination der Fachentwürfe obliegt (vgl. § 55 II 2/3 MBO 1993).

3. Die Verantwortlichkeit des Unternehmers

Unternehmer ist, wer mit der selbständigen Ausführung von Arbeiten gemäß den Bauvorlagen, Einzelzeichnungen, Einzelberechnungen und Anweisungen des Entwurfsverfassers bzw. des Bauherrn beauftragt und dafür verantwortlich ist. 520 Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Arbeiten eigenhändig oder durch sein Personal, handwerklich oder industriell ausführt. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob ein gültiger Werkvertrag besteht, der 517

Vgl. hierzu OLG Hamm, Beschl. v. 18.8.1976 - Κ Ss Owi 976/76 -, BauR 1976, 426; Böckenförde, in: Gädtke/Böckenförde/Temme, LBO NW Kom, RdNr. 9 zu § 54; Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 12 zu Art. 63. 518 § 43 Π 1 LBauO BW 1995; Art. 63 I 1 BayBO 1994; § 56 Π 1 BremLBO 1995; § 55 Π 1 HBauO 1995; § 57 Π 1 HessBO 1993; § 58 Π 2 NBauO 1995; § 58 Π 1 BauO NW 1995; § 54 Π 1 LBauO RhlPf. 1995; § 57 Π 1 BauO Saar. 1996. 519 § 59 Π 1 BbgBO 1994; § 56 Π 1 LBauO M-V 1994; § 56 Π 1 SächsBO 1994; § 59 Π 1 BauO LSA 1994; § 62 Π 2 LBauO Schl.-H. 1994; § 56 Π 1 ThürBO 1994. 520 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/E)iniberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 2 zu Art. 64. 11 Gnatzy

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Zweiter Teil: Das präventive Bauaufsichtssystem

Unternehmer legal oder "schwarz" tätig wird. 521 Im Regelfall wird der Bauherr nicht einen, sondern mehrere Unternehmer beschäftigen, die je nach Auftrag nur für ihren jeweiligen Bereich verantwortlich sind.522

a) Ordnungs- und plangemäße Ausführung des Bauvorhabens Der Unternehmer ist dafür verantwortlich, daß seine Arbeiten dem öffentlichen Baurecht 523 bzw. den öffentlich-rechtlichen Vorschriften 524 entsprechend ausgeführt werden. Er muß sich bei der Ausführung der Arbeiten an die genehmigten Bauvorlagen oder, wenn eine Genehmigung nicht erforderlich ist bzw. sich die Genehmigung nicht auf die Bauvorlagen erstreckt, an die baurechtlichen Vorschriften halten, (vgl. § 56 11 MBO 1993).525 Hinsichtlich der ordnungsgemäßen Bauausführung ist der Unternehmer neben dem Entwurfsverfasser verantwortlich, 526 wobei sich die Frage stellt, wie weitgehend diese Verantwortlichkeit zu sehen ist, wenn die Bauvorlagen, die Einzelzeichnungen/-berechnungen bzw. Anweisungen des Entwurfsverfassers nicht dem öffentlichen Recht entsprechen. In der Literatur wird hierzu teilweise vertreten, der Unternehmer dürfe nicht blindlings auf dessen Entwurf vertrauen; wenn er aus seiner Sicht offensichtlich fehlerhaft sei, dürfe er ihn nicht ausführen. 527 Teilweise wird aber auch differenziert: soweit die Bauaufsichtsbehörde ein Bauvorhaben geprüft und Bauvorlagen genehmigt habe, sei zu vermuten, daß die Bauvorlagen den öffentlich-rechtlichen Anforderungen entsprechen. Der Unternehmer habe nicht die Pflicht, eine nochmalige detaillierte Prüfung vorzunehmen. Nur falls er einen Fehler erkenne oder hätte erkennen müssen, sei er verantwortlich, wenn er gleichwohl die bauliche Anlage nach den fehlerhaften und genehmigten Bauvorlagen ausführe. Soweit allerdings die Bauvorla521 Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNr. 2 zu § 59. 522 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 2 zu Art. 64. 523 So die Formulierung in § 5911 NBauO 1996; ähnlich § 52 a 11 BauO Bln. 1996 und § 6111 BbgBO 1994. 524 § 44 11 LBauO BW 1995; Art. 64 11 BayBO 1994. Nach § 55 11 LBauO RhlPf. 1995 müssen die Arbeiten den baurechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gemäß ausgeführt werden. 525 Art. 64 11 BayBO 1994; § 52 a 11 BauO Bln. 1996; § 61 11 BbgBO 1994; § 57 I 1 BremLBO 1995; § 56 I 1 HBauO 1995; § 58 I 1 HessBO 1993; § 57 I 1 LBauO M-V 1994; § 59 I 1 BauO NW 1995; § 59 I 1 BauO Saar. 1996; § 57 I 1 SächsBO 1994; § 60 11 BauO LSA 1994; § 63 11 LBauO Schl.-H. 1994; § 5711 ThürBO 1994. 526 Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNr. 8 zu Art. 64. 527 Wiechert, in: Große-SuchsdorfTLindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO Kom, RdNr. 3 zu § 59; Schmidt, in: Jeromin, LBauO RhlPf Kom, RdNr. 5 zu § 55.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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gen im Rahmen genehmigungsfreier Vorhaben von der Baugenehmigungsbehörde nicht geprüft worden seien, habe der Unternehmer in jedem Fall eine entsprechende Prüfung vorzunehmen.528 Sämtliche Landesbauordnungen verlangen von dem Unternehmer die Einhaltung technischer Regeln, wobei sich hier aber hinsichtlich des Umfangs weitreichende Unterschiede ergeben. So muß der Unternehmer nach einigen Landesbauordnungen die allgemein anerkannten Regeln der Technik beachten. 529 Diese werden definiert als technische Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen, sowie im Kreise der nach dem neusten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als richtig und notwendig anerkannt sind. 530 Nach anderen Landesbauordnungen hingegen muß er lediglich die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln beachten,531 also nur einen Teil aus der Gesamtmenge der allgemein anerkannten Regeln der (Bau)Technik.

b) Sonstige Pflichten des Bauunternehmers Der Unternehmer ist des weiteren für die ordnungsgemäße Einrichtung und den sicheren Betrieb der Baustelle, insbesondere für die Tauglichkeit und Betriebssicherheit der Gerüste, Geräte und der anderen Baustelleneinrichtungen sowie die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen verantwortlich (vgl. § 56 I 1 MBO 1993). Er hat die erforderlichen Nachweise über die Verwendbarkeit der eingesetzten Bauprodukte und Bauarten zu erbringen und auf der Baustelle bereitzuhalten (vgl. § 56 I 2 MBO 1993). Diese Verpflichtung dient 528

Dirnberger, in: Jäde/Weinl/Dirnberger/Bauer/Eisenreich, Die neue BayBO, RdNrn. 8/9 zu Art. 64. 529 § 52 a 11 i.V.m. § 3 ΠΙ 1 BauO Bln. 1996; § 5611 HBauO 1995; § 58 11 i.V.m. § 3 ΠΙ 1 HessBO 1993; § 5711 i.V.m. § 3 ΠΙ 1 LBauO M-V 1994; § 59 11 BauO NW 1995; § 60 11 BauO LSA 1994; § 63 11 i.V.m. § 3 ΙΠ 1 LBauO Schl.-H. 1994. 530 So bereits RG, Urt. v. 11.10.1910 - IV 644/10 -, RGSt 44, 76 >79/80522227/228206/207438< 554 Die Einordnung nicht bauwerksbezogener Architektenleistungen ist hingegen nach wie vor umstritten; teilweise wird hier ausnahmsweise Dienstvertragsrecht angewendet, so etwa Locher, Privates Baurecht, RdNr. 224, teilweise jedoch auch Werkvertragsrecht, wie etwa von Werner/Pastor, Der Bauprozeß, RdNr. 502; Einzelheiten bei Groscurth, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil Π RdNrn. 71 ff. 555 Groscurth, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil Π RdNrn. 166 f. 556 Schmalzt, Die Haftung des Architekten, RdNr. 225; Locher, Privates Baurecht, RdNr. 228. 557 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.10.1981 - 2 BvR 201/80 -, NJW 1982, 373 >374353587587146129/130912< m.w.N.; OLG München, Urt. v. 2.7.1990 - 28 U 6783/89 -, NJW-RR 1992, 788 >78991225799121693483483337< 584 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 256. 585 Groscurth, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil Π RdNr. 231. 57 9

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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chitekten.586 Der Architekt muß bei der Untersuchung und Behebung von Mängeln beratend tätig sein, damit dem Auftraggeber nicht infolge falscher Maßnahmen Schäden entstehen.587 Er hat den Bauunternehmer bei mangelhafter Leistung namens des Bauherrn zur Nachbesserung innerhalb bestimmter Fristen aufzufordern und notfalls nach fruchtlosem Fristablauf im Einvernehmen mit dem Bauherrn einen anderen Unternehmer mit der Mängelbeseitigung zu beauftragen. 588

b) Die Haftung des Architekten Wird dem Bauherrn keine vollwertige Leistung zuteil oder wird ihm ein Schaden zugefügt, so kann er gegen den Schädiger Gewährleistungs- und Haftungsansprüche haben.589 Gewährleistungsansprüche, also das Einstehenmüssen für die ordnungsgemäße und vertragsgerechte Erfüllung der Leistungspflichten aus dem Vertrag, sind - bis auf § 635 BGB - 5 9 0 verschuldensunabhängig.591 Weist das Werk einen Mangel auf, so hat der Unternehmer grundsätzlich nachzubessern. Dieser Nachbesserungsanspruch stellt jedoch keinen Gewährleistungsanspruch, sondern einen reinen Erfüllungsanspruch dar. 592 Gewährleistungsansprüche sind hingegen Wandlung, Minderung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 634, 635 BGB. Als grundsätzliches Abgrenzungskriterium zwischen Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüchen ist die Abnahme der Architektenleistung heranzuziehen, da sie den Erfüllungsanspruch zum Erlöschen bringt.

586

Groscurth, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil Π RdNr. 179. 587 BGH, Urt. v. 4.10.1984 - VII ZR 342/83 -, BauR 1985, 97 >99/100232/233323< 589 Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 5. 590 Obwohl § 635 BGB im Regelfall auf Geld gerichtet ist und Verschulden voraussetzt, mithin insoweit Parallelen zum Normalfall der Haftung bestehen, wird er als Gewährleistungsanspruch angesehen; vgl. hierzu ausführlich Dohna, in: Neuenfeld/ Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 6. 591 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 45; Soergel, in: MünchKomm, RdNr. 4 zu §634. 592 Vgl. im einzelnen Soergel, in: MünchKom, RdNr. 2 zu § 633; Peters, in: Staudinger, BGB Kom, RdNr. 2 zu § 633; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, RdNr. 1343; BGH, Urt. v. 10.5.1979 - VE ZR 30/78 -, BauR 1979,422 >422534/53521710114991176< 604 Bindhardt, BauR 1970,29; Brandt, BauR 1970,27. 605 Ganten, Pflichtverletzung und Schadensrisiko im privaten Baurecht, S. 95/96; Bindhardt/Jagenburg, Die Haftung des Architekten, § 4 RdNr. 32; Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNrn. 39 ff.; dort auch (RdNr. 39) zahlreiche Beispiele aus der Praxis, in denen der Architekt sein mangelhaftes Werk erfolgreich nachgebessert hat und infolgedessen die Unmöglichkeitsprämisse des BGH bereits faktisch widerlegt ist.

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Zweiter Teil: Das präventive Bauaufsichtssystem

schon vor der Abnahme erklärt werden kann, kann es vorkommen, daß noch keiner der Vertragspartner geleistet hat, so daß die gegenseitigen Leistungspflichten entfallen. 606 Die erforderliche Rückgewähr in Natur wirft dann keine Probleme auf, wenn der Architekt bisher lediglich Planungsleistungen erbracht hat. Eine Rückgewähr des bereits erstellten Baus hingegen kommt nicht in Betracht, da das Bauwerk nicht allein die Leistung des Architekten sondern auch der Bauausführenden ist. 607 Angesichts dieser Probleme, vor die der Bauherr bei der Wandlung gestellt ist, kommt sie praktisch kaum vor. 608 Hingegen bietet die Minderung keine großen Schwierigkeiten. Ein Minderungsrecht ist schon bei unerheblichen Mängeln gegeben, § 634 Abs. 3 BGB. Die Minderung erfolgt, indem der Bauherr das Honorar in dem Verhältnis herabsetzt, in welchem der Wert einer mangelfreien zu dem der tatsächlich erbrachten mangelhaften Architektenleistung gestanden haben würde, § 472 I BGB. 609

(2) Schadensersatz wegen Nichterfüllung

(§ 635 BGB)

Der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ist der wichtigste Gewährleistungsanspruch, den der Bauherr gegen den Architekten geltend machen kann. 610 Der maßgebende Unterschied zu den Gewährleistungsansprüchen der Wandlung und Minderung gemäß § 634 BGB besteht darin, daß er ein " Vertreten müssen" voraussetzt, was bei einem Verschulden oder einem Garantieversprechen gegeben ist. 611 § 635 BGB erfaßt nur Mängel, die dem Werk unmittelbar anhaften, weil die Werkleistung infolge des Mangels unbrauchbar, wertlos oder minderwertig ist, 612 sowie nicht allzu entfernte Mängelfolgen, die noch einen direkten Zusammenhang zwischen Schaden und Werkmangel herzustellen vermögen.613 Ist dies nicht mehr der Fall, liegt ein sogenannter mittelbarer Schaden vor, der nur über das Institut der positiven

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Soergel, in: MünchKomm, RdNr. 21 zu § 634. Hess, Die Haftung des Architekten für Mängel des errichteten Bauwerks, S. 79; Bindhardt/Jagenburg, Die Haftung des Architekten, § 4 RdNrn. 36/37. 608 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 240; Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/ Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 54. 609 Zur Anwendung dieser Vorschrift auf das Architektenrecht: Hess, Die Haftung des Architekten für Mängel des errichteten Bauwerks, S. 80. 610 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 244. 611 Peters, in: Staudinger, BGB Kom, RdNrn. 8 ff. zu § 635; Glanzmann, in: RGRKBGB, RdNr. 4 zu § 635. 612 BGH, Urt. v. 3.7.1969 - VÏÏ ZR 132/67 -, NJW 1969,1710 >1710< 613 Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 61. 607

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

1

Vertragsverletzung erfaßt werden kann. 614 Die Rechtsfolgen bei mittelbarem Schaden sind andere als bei unmittelbarem Schaden: Letzterer kann nur statt Wandlung und Minderung, der Anspruch aus positiver Vertragsverletzung hingegen auch neben den Gewährleistungsansprüchen geltend gemacht werden.615 Die Ansprüche aus § 635 BGB verjähren gemäß § 638 BGB in fünf Jahren, die aus positiver Vertragsverletzung jedoch erst in dreißig Jahren.616 Der Anspruch aus § 635 BGB setzt die Abnahme der Werkleistung, also der Architektenleistung voraus. Schäden während der Ausführung sind nach den Regeln der positiven Vertragsverletzung zu ersetzten.617 Zwar ist das Architektenwerk grundsätzlich abnahmefähig, 618 jedoch gibt es bei den meisten Architektenverträgen keine formelle Abnahme, so daß die Feststellung, ob eine Abnahme des Architektenwerks erfolgt ist, im Einzelfall Schwierigkeiten aufwerfen kann. 619 Der Schadensersatz nach § 635 BGB umfaßt die Rückerstattung des bezahlten Architektenhonorars, den technischen Wertunterschied zwischen mangelhaftem und mangelfreiem Gebäude, den Gewinnentgang oder auch einen verbleibenden merkantilen Minderwert sowie bei schwierigen technischen Fragen die Kosten eines Privatgutachtens.620 Der Schadensersatz ist regelmäßig in Geld und nur in Ausnahmefällen durch Naturalrestitution zu leisten.621

614 Grundlegend BGH, Urt. v. 27.4.1961 - VÏÏ ZR 9/60 -, BGHZ 35, 130 >132/133596489839419763646123568482126< 631 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 31; a.A Vygen, Bauvertragsrecht nach VOB und BGB, RdNr. 515: Gewährleistungsanspruch. 632 BGH, Urt. v. 7.11.1985 - VÏÏ ZR 270/83 -, NJW 1986, 922 >9234214764054424321128/ 1129c. 643 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 49.

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Zweiter Teil: Das präventive Bauatifsichtssystem

rungszeiträume können daher nach den jeweiligen Anspruchsgrundlagen unterschiedlich lang sein.644 Die Instanzgerichte haben jedoch immer wieder ausgesprochen, daß eine Sachbeschädigung nur vorliegen könne, wenn eine bereits vorhandene Sache beeinträchtigt werde. Führe eine fehlerhafte Bauleistung zur mangelhaften Herstellung einer neuen Sache, könne dem nur über die Vertragshaftung begegnet werden. 645 Der Bundesgerichtshof ist dem weitgehend gefolgt, da im Falle einer fehlerhaften Bauwerkserrichtung das Bauwerk nie in mangelfreiem Zustand im Eigentum des Bauherrn gestanden habe. Die Verschaffung eines mit Mängeln behafteten Bauwerks zu Eigentum sei daher keine Verletzung schon vorhandenen Eigentums. In der mangelhaften Errichtung eines Bauwerks erweise sich lediglich ihr Mangelunwert, so daß ein Vermögensschaden vorliege. 646 In der Literatur wird diese Rechtsprechung weitgehend begrüßt. Sie entspreche einer natürlichen Betrachtungsweise, berücksichtige den deliktischen Bestandsschutz und verhindere die Aushöhlung der Verjährungsfrist in § 638 BGB. 647 Es sei gerechtfertigt, denjenigen, der einen Vertrag abschließe und seinen Vertragspartner vor Vertragsschluß prüfen könne, haftungsmäßig anders zu behandeln als einen Geschädigten, dem gegenüber keine vertragliche Bindung bestehe und der den Schädiger unter Umständen vor Eintritt des Schadens überhaupt nicht kenne.648 Der Bauherr ist daher regelmäßig auf die vertragliche Haftung beschränkt.

2. Die Haftung aus § 823 Π BGB

Bauunternehmer und Architekt können jedoch gemäß § 823 II BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie schuldhaft gegen ein "den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz" verstoßen und dadurch Schaden verursachen. Anders als § 823 I BGB schützt § 823 II BGB in begrenztem Umfang auch das Vermögen Dritter und zwar dann, wenn der Gesetzgeber mit dem entsprechenden Gesetz das Vermögen gegen gewisse Angriffe unter besonde-

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Hierzu im einzelnen Mertens, in: MünchKomm, RdNrn. 47 ff. zu § 852; Werner/ Pastor, Der Bauprozeß, RdNr. 1277. 645 Vgl. etwa OLG Köln, Urt. v. 28.3.1958 - 4 U 68/57 -, VersR 1958, 748 >748913369113139K. 647 Vgl. etwa Ingenstau/Korbion, VOB Kom, RdNr. 14 zu § 13 m.w.N.; Hess, Die Haftung des Architekten, S. 113; Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 104. 648 Locher, Privates Baurecht, RdNr. 462.

1. Abschnitt: Bestandsaufnahme

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ren Schutz gestellt hat. 649 Ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB ist gegeben, wenn es nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern auch den Schutz des Einzelnen oder eines bestimmten Personenkreises umfaßt. Bestimmungen der Landesbauordnungen kann demzufolge dann Schutzgesetzcharakter zukommen, wenn sie den Schutz Dritter bezwecken. Im einzelnen kommt vor allem die Verletzung folgender Schutzgesetze in Betracht:

a) Verletzung nachbarschützender Normen aa) § 1004 BGB i.V. mit nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts Ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB stellt der Eigentumsfreiheitsanspruch des § 1004 BGB i.V. mit nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts dar. 650 Dadurch kann der Nachbar Abwehransprüche gegen eine Beeinträchtigung seines Grundstücks im gleichen Umfang, wie sonst nur über die Bauaufsichtsbehörde, auf dem Zivilrechtsweg unmittelbar gegen den Bauherrn geltend machen.651 Dieser Anspruch ist grundsätzlich auch ohne Nachweis des Verschuldens gegeben. Allerdings muß für die Einordnung des § 1004 BGB als Schutzgesetz nach § 823 II BGB noch zusätzlich zu den Tatbestandsvoraussetzungen ein Verschulden gegeben sein.652

bb) § 909 BGB § 909 BGB verbietet die Vertiefung eines Grundstücks, soweit das Nachbargrundstück die erforderliche Stütze dadurch verliert. Vertiefung ist jede Senkung der Oberfläche, selbst auf kleinstem Raum oder nur vorübergehend.653 Diese Vorschrift schränkt das Eigentum an dem zu vertiefenden 649 Dohna, in: Neuenfeld/Baden/Dohna/Groscurth, Handb. des ArchitektenR, Teil IV RdNr. 106; a. A. BGH, Urt. v. 3.12.1964 - VII ZR 61/63 -, NJW 1965, 534 >534472/473< Locher, Privates Baurecht, RdNr. 465. Vgl. BGH, Urt. v. 19.1.1979 - V ZR 115/76 -, BauR 1979, 355 >357/358854557630284283283S. 1S. 1 und 6S. 1 2666726661/62