Der Staat als juristische Person: Dogmengeschichtliche Untersuchung zu einem Grundbegriff der deutschen Staatsrechtslehre [1 ed.] 9783428500710, 9783428100712

Ist der Staat eine juristische Person? Erstmals vertrat 1837 der Göttinger Staatsrechtslehrer Wilhelm Eduard Albrecht in

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Der Staat als juristische Person: Dogmengeschichtliche Untersuchung zu einem Grundbegriff der deutschen Staatsrechtslehre [1 ed.]
 9783428500710, 9783428100712

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H E N N I N G UHLENBROCK

Der Staat als juristische Person

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 61

Der Staat als juristische Person Dogmengeschichtliche Untersuchung zu einem Grundbegriff der deutschen Staatsrechtslehre

Von Henning Uhlenbrock

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Uhlenbrock, Henning:

Der Staat als juristische Person : dogmengeschichtliche Untersuchung zu einem Grundbegriff der deutschen Staatsrechtslehre / von Henning Uhlenbrock. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zur Verfassungsgeschichte ; Bd. 61) Zugl.: Osnabrück, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10071-9

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-10071-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinem Vater Dipl.-Ing. Heinrich Uhlenbrock (1931-1990)

gewidmet

Vorwort Die Dogmatik der deutschen Staatsrechtswissenschaft ist in vielerlei Hinsicht noch dem „Erbe der Monarchie", dem Denken der positivistischen Staatsrechtslehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftet. Dies wird besonders deutlich in den Begriffskategorien mit denen die Staatsrechtslehre arbeitet. Der konstitutionellen Ära entstammende Rechtsinstitute wie das besondere Gewaltverhältnis" des Bürgers zum Staat oder die Vorstellung, Grundrechte würden dem Bürger durch den Staat „gewährt", sind nach wie vor im deutschen Staatsrecht geläufige Denk- und Begriffsmuster. Ein Relikt der vom monarchischen Prinzip geprägten Staatsrechtslehre ist auch die Doktrin vom Staat als juristische Person. Diese Untersuchung soll Anstoß und Hinweis sein, dass die dogmatischen Grundbegriffe des Staats- und Verwaltungsrechts im Kern zum Teil noch das Antlitz des 19. Jahrhunderts tragen. 150 Jahre nach dem Scheitern der März-Revolution von 1848/49 ist es an der Zeit, dass die deutsche Staatsrechtslehre ihr monarchisches Erbe abstreift und die Dogmatik des Staatsrechts der fortschreitenden Verfassungsentwicklung anpasst. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1999 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Jörn Ipsen für die Anregung des Themas und die vielfältige Unterstützung, die er mir als Mitarbeiter seines Lehrstuhls zukommen ließ. Herrn Prof. Dr. Wulf-Eckard Voß danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die vielen hilfreichen und kritischen Anregungen. Herrn Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zur Verfassungsgeschichte. Nicht zuletzt habe ich auch allen Freunden und Verwandten zu danken, die mir während der Bearbeitungszeit auf vielseitige Weise Hilfe geleistet haben. Hameln, im Januar 2000

Henning Uhlenbrock

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

1. Kapitel Ausgangspunkt: Die Ansichten über die Rechtsnatur des Staates zu Anfang des 19. Jahrhunderts I. Grundlagen der Staatsrechtslehre im frühen 19. Jahrhundert 1. Die staatsrechtliche Literatur bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert

20 20 20

a) Ursprung der Lehre von der Staatsperson im Naturrecht

20

b) Juristischer Wert der naturrechtlichen Persönlichkeitslehre

21

2. Das politische und verfassungsrechtliche Umfeld der Staatslehre zu Beginn des 19. Jahrhunderts

22

a) Politische Grundströmungen der Gesellschaft im „Vormärz"

22

b) Verfassungsdualismus in den frühkonstitutionellen Monarchien

23

3. Methodenwandel der Staatsrechtslehre zu Beginn des 19. Jahrhunderts

25

a) Emanzipation der Staatsrechtswissenschaft von der Philosophie

25

b) Trennung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht

26

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen 1. Auf die individualistische Philosophie Kants zurückgehende Staatslehren (die vernunftrechtliche Staatstheorie)

26 27

a) Johann Ludwig Klüber

27

b) Silvester Jordan

29

c) Carl von Rotteck und Carl Theodor Welcker

29

2. Auf der patrimonialen Staatsphilosophie Hallers basierende Staatslehren (die patrimonial-privatrechtliche Staatstheorie)

30

a) Romeo Maurenbrecher

31

b) Karl Friedrich Vollgraff

31

c) Karl Eduard Weiss und Johann Christoph Leist

32

10

Inhaltsverzeichnis 3. Staatslehren auf der Grundlage der Staatsphilosophie Schellings und Hegels (die historisch-organische Staatstheorie)

32

a) Nicolaus Thaddäus Gönner

34

b) Friedrich Ancillon

34

c) Karl Salomo Zachariä

34

d) Friedrich Christoph Dahlmann

35

III. Zusammenfassende Bewertung

35

1. Widerspruch der Postulate der herrschenden Staatslehre mit dem Verfassungsrecht im Frühkonstitutionalismus

36

2. Die Suche nach einer dogmatischen Grundlage für das konstitutionelle Staatsrecht

37

2. Kapitel Wilhelm Eduard Albrecht und die Begründung der Theorie der juristischen Persönlichkeit des Staates I. Die neue staatsrechtliche Auffassung Wilhelm Eduard Albrechts

39 39

1. Der Gegensatz zwischen älterem und neuerem Verfassungsrecht

40

2. Die Theorie der juristischen Staatspersönlichkeit

41

3. Die Intention Albrechts und die Auswirkungen seiner Staatstheorie

47

4. Zeitgenössische Kritik an Albrechts Thesen

49

a) Romeo Maurenbrecher

49

b) Friedrich Julius Stahl

50

c) Wilhelm Roscher

51

5. Kritische Würdigung der Staatspersönlichkeitslehre Albrechts II. Auswirkungen der Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit auf die Staatslehre der Jahrhundertmitte 1. Die konservativ-hegelianische Staatsrechtslehre

51

56 57

a) Friedrich Julius Stahl

57

b) Heinrich Zoepfl

58

c) Friedrich Jakob Schmitthenner

59

Inhaltsverzeichnis 2. Die liberalistisch-frühpositivistische Staatsrechtslehre

60

a) Robert von Mohl

60

b) Eduard Wippermann

61

c) Heinrich Albert Zachariä

61

3. Zusammenfassung

62

3. Kapitel Die juristische Persönlichkeit als Ausdruck der staatlichen Willensmacht nach Carl Friedrich von Gerber I. Der Methodenwandel in der Staatsrechtslehre II. Das Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte" von 1852 ....

63 63 64

1. Wille und Herrschaft als Grundlage des Staatsrechts

65

2. Der Staat als außerjuristischer Tatbestand

66

3. Literarische Reaktionen auf Gerbers frühe Staatsrechtskonstruktion

68

a) Joseph von Held

68

b) Johann Caspar Bluntschli

69

c) Otto Bähr

70

d) Hermann Bischof 4. Würdigung des Systematisierungsversuchs von 1852 III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" von 1865

70 70 72

1. Die Persönlichkeit des Staates als Ausgangs- und Mittelpunkt des Staatsrechts ..

73

2. Das Staatsrecht als Lehre vom herrschenden Staatswillen

74

3. Zeitgenössische Reaktion und Kritik an Gerbers „Grundzügen"

76

a) Karl Viktor Fricker

77

b) Robert von Mohl

77

c) Hermann Schulze

78

4. Zusammenfassende Würdigung von Gerbers „Grundzügen"

79

12

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Die Fortführung der Staatspersönlichkeitslehre Gerbers durch Paul Laband

I. Labands Reichsstaatsrecht und die juristische Person

84 84

1. Labands Gesetzespositivismus

84

2. Die individualistische impermeable Staatspersönlichkeit

85

3. Herrschaft des Reiches und der Einzelstaaten über das Volk

86

II. Kritiker der Gerber-Laband'sehen Staatsrechtskonstruktion 1. Die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit des Staates

89 89

a) Otto von Gierke

89

b) Hugo Preuss

92

2. Der Staat als Rechtsverhältnis nach den Herrschertheorien

94

a) Max von Seydel

94

b) Edgar Loening

94

c) Conrad Bornhak

95

d) Emil Lingg

95

e) Ludwig Gumplowicz

95

f) Albert Affolter

96

3. Die Fiktionstheorie

96

a) Albert Hänel

96

b) Eduard Holder

97

c) Alexander Hold-Ferneck

97

d) Hermann Rehm

97

4. Otto Mayers Anstaltsmodell

98

III. Zusammenfassende Würdigung der Gerber-Laband'schen Staatskonstruktion

99

5. Kapitel Georg Jellinek und die juristische Persönlichkeit des Staates als Grund- und Eckstein des Staatsrechts

104

I. Soziologischer und juristischer Staatsbegriff

104

1. Die Drei-Elemente-Lehre des Staates

105

2. Der Staat als Gebietskörperschaft

105

Inhaltsverzeichnis II. Die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates

105

III. Unterscheidung zwischen Staatsorgan und Organträger

107

IV. Die Statuslehre

109

V. Kritische Würdigung des Staatspersönlichkeitsdogmas

110

6. Kapitel Die Staatslehre der Weimarer Republik I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung 1. Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens

114 114 115

a) Die juristische Persönlichkeit des Staates als Personifikation der Rechtsordnung

116

b) Die Rechtsordnung als Ausdruck des Staatswillens

116

c) Die Auflösung des Dualismus von Staat und Recht durch den Rechtsstaat ...

117

d) Die Staatspersönlichkeit als unableitbares Symbol der Systemeinheit des Rechts 118 e) Zusammenfassende Würdigung 2. Staatslehren der Nachfolger Kelsens: Die „Wiener Schule"

119 120

a) Alfred Verdross und Adolf Merkl

120

b) Fritz Sander

120

3. Die Lehre von der Rechtssouveränität II. Die juristische Persönlichkeit des Staates als Rechtskonstruktion 1. Die Rechtspersönlichkeit als juristische Konstruktion des Gesamtstaates

121 122 122

a) Gerhard Anschütz

122

b) Richard Thoma

123

2. Personifizierung der Staatsorgane durch die Rechtspersönlichkeit des Staates ...

124

a) Felix Somló

124

b) Max Wenzel

125

c) Hans Julius Wolff

125

14

Inhaltsverzeichnis 3. Der Staat als Rechtsordnungssubjekt

127

a) Ernst von Beling

127

b) HansNawiasky

127

4. Zusammenfassende Bewertung der Staatspersönlichkeitslehre in der Weimarer Staatslehre III. Die geisteswissenschaftliche Richtung der Weimarer Staatsrechtslehre

128 129

1. Die Integrationslehre Rudolf Smends

129

2. Die Staatslehre Hermann Hellers

131

a) Der volonté générale als Subjekt der Souveräniät

131

b) Der Staat als reales Handlungs- und Wirkungsgefüge

132

IV. Die politische Staatslehre Carl Schmitts

134

1. Politische Dezision als Basis der Rechtsordnung

135

2. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet

136

7. Kapitel Die nationalsozialistische Staatslehre I. Grundlagen der nationalsozialistischen Staatsideologie II. Die Staatspersönlichkeit in der nationalsozialistischen Staatslehre 1. Der Staat als Genossenschaft der Volksgemeinschaft

138 138 138 139

a) Hans Helfritz

139

b) Otto Koellreutter

139

c) Edgar Tatarin-Tarnheyen

140

2. Unvereinbarkeit der Staatspersönlichkeit mit dem Führerprinzip

140

a) Reinhard Höhn

140

b) Franz Wilhelm Jerusalem

141

c) Ernst Rudolf Huber

142

3. Zusammenfassende Bewertung

142

Inhaltsverzeichnis 8. Kapitel Staatspersönlichkeit und Grundgesetz I. Staatliche Kontinuität Deutschlands als Rechtsproblem

144 144

II. Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates in der bundesdeutschen Staatsrechtslehre 145 1. Naturrechtlich-genossenschaftliche Staatspersönlichkeitslehren

145

a) Heinrich Kipp

146

b) Hans Helfritz

147

c) Günther Küchenhoff und Erich Küchenhoff

148

2. Die juristische Staatsperson in der konservativen deutschen Staatslehre

149

a) Herbert Krüger

149

b) Roman Herzog

152

c) Ernst Forsthoff

152

3. Neuansätze zur rechtsdogmatischen Erfassung des Staates

154

a) Gerhard Leibholz

154

b) Otto Kimminich

155

c) Hans Heinrich Rupp

156

d) Ernst-Wolfgang Böckenförde

158

III. Abschließende Stellungnahme: Der Staat des Grundgesetzes als juristische Person? 164

9. Kapitel Zusammenfassung und Ergebnis der Untersuchung

172

Literaturverzeichnis

176

Sachverzeichnis

193

Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen entsprechen dem „Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache" von Hildebert Kirchner, 4. Auflage, Berlin/New York 1996.

„... denn immer klarer wird mir das Bewusstsein, dass oft bis in die kleinsten Einzelheiten herab die richtige Lösung staatsrechtlicher Fragen abhängt von der Erkenntnis, die man vom Wesen des Staates besitzt." (Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, Vorrede S. X, Freiburg 1887)

Einleitung „Im Jahre 1837 entdeckte einer der Göttinger Sieben, der Staatsrechtslehrer Albrecht, daß der Staat eine Persönlichkeit ist." 1 In der Tat wird „der Staat"2 in der deutschen Staatsrechtslehre seit Ende des 19. Jahrhunderts ganz überwiegend als juristische Person qualifiziert. Anklagend und bewundernd zugleich schrieb Otto Mayer daher bereits 1908 den oft zitierten Vers: „Die deutschen Professoren haben, ohne alle Beihilfe, den Staat zur juristischen Person ernannt/' 3 Als Begründer dieser Theorie gilt gemeinhin der Göttinger Staatsrechtslehrer Wilhelm Eduard Albrecht, der 1837 im Rahmen einer unscheinbaren Rezension in den Göttingisehen gelehrten Anzeigen erstmals dem Staat den Charakter einer Rechtspersönlichkeit zuschrieb und diesen somit als eigenständiges Subjekt von Rechten und Pflichten deutete. Die Lehre vom Staat als juristische Person fand allerdings nicht, wie die zitierten Bemerkungen von Carl Schmitt und Otto Mayer suggerieren, blitzartige Verbreitung innerhalb der deutschen Staatsrechtswissenschaft, sondern blieb zunächst mehr oder weniger unbeachtet, bis sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur zentralen Prämisse des Staatsrechts avancierte und als Grundbegriff das gesamte staatliche Organisationsrecht prägte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dabei war schon vor Albrechts berühmter Rezension der Vergleich des Staates mit einer Persönlichkeit eine verbreitete Metapher der naturrechtlichen Staatslehre.4 Keineswegs aber wurden aus der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates stets die gleichen rechtlichen Ableitungen gezogen. Sie diente vielmehr unterschiedlichen politischen Kräften zur juristischen Fundamentierung ihres Programms. Noch Albrecht verfolgte mit seiner Theorie die Absicht, den Fürsten juristisch als Staatsorgan an die Verfassung zu binden und wird daher heutzutage als liberaler Verfechter der konstitutionellen Idee im Hannoverschen Verfassungskonflikt geehrt. Wenige Jahrzehnte später aber finden wir die ι Schmitt, Hugo Preuss, S. 8. Ähnlich Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. (163). Zur Etymologie des Wortes „Staat" siehe die umfassende Monographie von Weihnacht, Staat, Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, sowie Kern S. 21 ff. und Loening, Staat, S. 907 ff. (907 f.). 3 Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (59). 2

4 Neuerdings wird deshalb die Gründerleistung Albrechts zum Teil in Zweifel gezogen, vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 216 f.; Schönberger S. 42 ff. und Zwirner S. 95 ff. Dazu unten 2. Kapitel 1.2.

2 Uhlenbrock

18

Einleitung

Staatspersönlichkeitslehre als Grundlage einer einseitig auf die Staatsgewalt und die monarchische Herrschaft ausgerichteten Staatsrechtslehre. Die Staatspersönlichkeit galt jetzt als Anknüpfungspunkt für eine im Monarchen verkörperte, ungebundene Willensmacht, die sich rechtlich als Herrschaft und Zwangsgewalt gegenüber der Bevölkerung äußerte. In dieser Formulierung fand die Lehre allgemeine Verbreitung innerhalb der deutschen Staatsrechtslehre. Georg Jellinek verlieh dann der so verstandenen Staatspersönlichkeitstheorie als „Grund- und Eckstein4'5 seines öffentlich-rechtlichen Systems die Gestalt, in der sie nahezu unangefochten bis heute in der Staatsrechtswissenschaft rezipiert wird. Obwohl gegen diese Staatsrechtskonstruktion stets Widersprüche und Einwände erhoben wurden, ist das Dogma von der juristischen Persönlichkeit des Staates derart mächtig, dass es in der staatsrechtlichen Literatur meist ohne nähere Begründung übernommen wird. In Anbetracht der unübersehbaren Fülle von Versuchen, den Staat als soziales, kulturelles und politisches Gebilde zu erfassen bzw. den Staat als Organisation der menschlichen Gesellschaft zu legitimieren, scheint mit der Persönlichkeitsstruktur des Staates zumindest für die Zwecke der Rechtswissenschaft ein Denkmodell gewonnen zu sein, welches erlaubt, den Staat im Rechtsverkehr handhabbar zu machen und als Rechtssubjekt in Beziehung zu den übrigen Rechtspersonen zu setzen. Ohne entsprechenden Anhaltspunkt in der Verfassung wird der Staat dadurch aber gleichzeitig rechtssystematisch mit den von der Rechtsordnung konstituierten privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen juristischen Personen, der GmbH, der Gemeinde oder dem Verein, gleichgesetzt und mit den für diese geltenden Rechtskonstruktionen erfasst. Wie diese ist der Staat als juristische Person einerseits selbständiges Rechtssubjekt, andererseits aber auch auf Organe angewiesen, die für ihn im Rechtsverkehr handeln. Die juristische Persönlichkeit des Staates dient daher als Zurechnungseinheit für das Handeln der Organe und als Bezugspunkt für die durch die Organe artikulierten Rechte des juristisch verselbständigten Staates. Die Verselbständigung und Erhöhung des Staates als juristische Person gegenüber der im Staat zusammengefassten Gesamtheit der natürlichen Personen führt zu einer normativen Trennung zwischen Staat und Gesellschaft. Der die deutsche Staatslehre seit Ende des Absolutismus prägende Dualismus zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre hat daher eine Wurzel auch in der rechtlichen Verselbständigung des Staates als juristische Person.6 Solange der Staat mit der Person des Herrschers gleichgesetzt wurde, ließen sich die Beziehungsverhältnisse zwischen Regent und Regierten als ein auf Personen bezogenes zweiseitiges Rechtsverhältnis definieren. Erst die Ablösung des Staates von der Person des Regenten ermöglichte es, den Staat als abstrakte Institution zu 5 Jellinek, Gesetz, S. 195. 6 Dazu Böckenförde, Festgabe für Hefermehl, S. 11 ff. (12 ff.); Ehmke, Festgabe für Smend, S. 23 ff. (41); Frotscher S. 197 f.; Schönbergers. 79 ff.; Stolleis, Band II, S. 107.

Einleitung

19

begreifen und die öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen auf ihn zu beziehen. Nicht mehr Rechtsverhältnisse zwischen natürlichen Personen, sondern das allgemeine Gewaltverhältnis der Staatsperson zum Bürger und die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat prägten seitdem den Charakter des öffentlichen Rechts.7 Gegenüber dem rechtlich verselbständigten Staat und dessen umfassenden Befugnissen muss sich die Gesellschaft gewisse Freiräume sichern. Dem Staat werden rechtliche Schranken gesetzt, auf die sich der Einzelne berufen kann. Die Rechtspersönlichkeit des Staates ist insofern auch Grundvoraussetzung für die die Grundrechtsdogmatik beherrschende Lehre vom subjektiv öffentlichen Recht. Die Definition des Staates als Rechtsperson hat insofern weitreichende Folgen und es muss überraschen, dass diese vor weit über 100 Jahren auf dem Boden des konstitutionellen monarchischen Staatswesens entwickelte Theorie über alle fundamentalen Veränderungen, die die deutsche Geschichte seitdem im deutschen Verfassungsgefüge hinterließ, nach wie vor derart kritiklos übernommen und als Grundlage des staatsrechtlichen Systems beibehalten wird. Was sind die Hintergründe, die Albrecht 1837 zu der Qualifizierung des Staates als juristische Person bewegten? Warum hielt seine Lehre wenige Jahre später in anderem Gewand Einzug in die deutsche Staatsrechtswissenschaft? Und was veranlasst die deutsche Staatsrechtslehre nach wie vor, den Staat als juristische Person zu definieren? Antworten auf diese Fragen können nur durch eine dogmengeschichtliche Analyse zur Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates gewonnen werden. Die folgende Darstellung soll daher die Genese der Auffassungen über den juristischen Charakter des Staates, beginnend mit den Staatslehren des frühen 19. Jahrhunderts, analysieren und so die Gründe für die Durchsetzung des Dogmas von der juristischen Staatsperson erschließen. Die Auseinandersetzung mit der früher wie heute gegen die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates geäußerten Kritik wird schließlich erweisen müssen, ob das Dogma der Rechtspersönlichkeit des Staates auch heute noch Bestand haben kann.

ι Dazu Bauer S. 48. 2*

7. Kapitel

Ausgangspunkt: Die Ansichten über die Rechtsnatur des Staates zu Anfang des 19. Jahrhunderts I. Grundlagen der Staatsrechtslehre im frühen 19. Jahrhundert Albrechts Theorie von der juristischen Persönlichkeit des Staates ist nicht aus dem Nichts entstanden. Vielmehr ist sie Produkt der gesellschaftlichen Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts und reicht in ihren ideengeschichtlichen Wurzeln weit in die vorherigen Epochen zurück. Sie kann daher nicht ohne Rückblick auf die vorangegangenen Staatslehren und die politisch-gesellschaftlichen Strömungen des frühen 19. Jahrhunderts ergründet werden.

1. Die staatsrechtliche Literatur bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert

Die Idee den Staat als Einheit mit der Persönlichkeitsstruktur des Menschen zu vergleichen, ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts, vielmehr entwickelten schon zahlreiche Publizisten der Naturrechtsschule des 17. und 18. Jahrhunderts Ansätze zu einer Persönlichkeitsstruktur des Staates.1

a) Ursprung der Lehre von der Staatsperson im Naturrecht Bedingt durch die Notwendigkeit, die Rechtsbeziehungen der sich ausbildenden Staatswesen ohne Rücksicht auf die völlig unterschiedlichen inneren Herrschaftsformen rechtlich zu erfassen, wurden die Staaten zunächst im Völkerrecht als Rechtssubjekte betrachtet. Hugo Grotius 2 (1583-1645) sah die Staaten daher für die Zwecke seines Völkerrechtssystems als Einheit an.3 Auch der bedeutende niederländische Völkerrechtler Enter de Vattel 4 (1714-1767) begann sein Völkerrechtswerk mit einer Definition des Staates.5 ι Dazu Häfelin S. 24ff. 2 Zu Grotius vergleiche ADB 9, S. 767 ff.; Rehm, Geschichte, S. 237ff.; Stintzing / Landsberg, Band III / 1, S. 1 ff.; Stolleis, Band I, S. 278 ff. 3 Grotius 1. Buch, 1. Kapitel, § 14 sowie 1. Buch, 3. Kapitel, § 7 Nr. 3. 4 Zur Person Vattels ADB 39, S. 511.

I. Grundlagen der Staatsrechtslehre im frühen 19. Jh.

21

Weiterhin trug die naturrechtliche Vertragslehre, die den Ursprung des Staates in einem vertraglichen Zusammenschluß des Volkes sah, dazu bei, Herrscher und Beherrschte in einer Einheit zu erfassen. So entwickelte Samuel Pufendorf 6 (1632 — 1694) aus der Unterwerfung aller Individuen unter einen Gesamtwillen die These einer moralischen Staatspersönlichkeit (persona moralis composita).7 Der französische Staatsphilosoph Jean Jacques Rousseau (1712-1778) setzte den Staat mit der Einheit und dem Allgemeinwillen (volonté générale) des versammelten Volkes, dem er die ursprüngliche Souveränität zuschrieb, gleich.8

b) Juristischer

Wert der naturrechtlichen

Persönlichkeitslehren

Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die Naturrechtler den Staat immer nur mit dem durch den Gesellschaftsvertrag geeinten Volk gleichsetzten und nicht als eine über Volk und Herrscher stehende Größe betrachteten. Auch war in dieser Epoche die Staatsrechtswissenschaft noch nicht als völlig eigenständige Disziplin von der allgemeinen Philosophie geschieden; juristische Begriffe wurden nicht klar gegen philosophische und politische Erwägungen abgegrenzt. Daher darf trotz der juristischen Formulierung nicht übersehen werden, dass die Naturrechtslehrer mit der Persönlichkeit des Staates keinesfalls einen Rechtsbegriff kreieren wollten. Vielmehr wurden philosophische Begriffe, wie der einer freien selbstbestimmten Persönlichkeit, auf die Ebene des Staatswesens übertragen. Der Begriff der staatlichen Persönlichkeit, wie er in der naturrechtlichen Staatslehre verwendet wurde, darf daher nicht einfach mit dem Rechtsbegriff der juristischen Persönlichkeit des Staates, wie er im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, gleichgesetzt werden.9 Der Persönlichkeitsbegriff des Naturrechts diente nur als vereinfachende Umschreibung für eine verbundene Gesamtheit von Individuen. 10 Die Persönlichkeit des Staates war insofern eine in der Schule des Naturrechts zwar geläufige, aber nicht im juristischen Sinne zu verstehende Bezeichnung.

5 Vattel Einleitung, § 2 und 1. Buch, 1. Kapitel, § 1: „Eine Nation, ein Staat ist, wie bereits zu Beginn dieser Abhandlung gesagt, ein politischer Körper, eine Gemeinschaft von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um mit vereinten Kräften für ihren Nutzen und ihre Sicherheit zu sorgen." 6 Zu Pufendorf siehe ADB 26, S. 701 ff.; Kleinhey er / Schröder S. 223 ff.; Rehm, Geschichte, S. 248ff. und Stintzing/Landsberg, Band III/1, S. 11 ff. 7 Pufendorf 1. Buch, 2. Kapitel, § 6. Schon Thomas Hobbes (1588-1679) verglich in der Lehre vom Menschen und vom Bürger die Menge des Volkes mit einer (moralischen) Person, vgl. Hobbes, 6. Kapitel, § 1. Mit dem Ausdruck der moralischen Persönlichkeit sollte dabei angedeutet werden, dass es sich um eine nur geistig vorgestellte und nicht physisch tatsächlich vorhandene Person handelt, vgl. Helfritz, Staatsrecht, S. 84 Fn. 1. 8 Rousseau 2. Buch, 4. Kapitel. 9 Häfelin S. 61 ; Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (348 Fn. 47). 10

Quaritsch, Souveränität, S. 477.

22

1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

Die Autoren staatsrechtlicher Schriften kannten insofern bis zum 19. Jahrhundert eine juristisch verstandene Persönlichkeit des Staates mit eigenen Rechten und Pflichten ausnahmslos nicht. Die absolutistische Landesherrschaft in dieser Epoche ließ vielmehr nur eine Staatskonstruktion zu, die die individuelle Person des Fürsten und die diesem zustehenden Herrschaftsrechte als Landeshoheit in den Mittelpunkt rückte. 11 Die im „aufgeklärten" Absolutismus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende terminologische Unterscheidung zwischen dem Staat und der Person des Monarchen fand zwar einen Niederschlag in der Gesetzessprache 12, änderte jedoch nichts an der Vereinigung „aller Rechte und Pflichten des Staates gegen seine Bürger in dem Oberhaupte desselben", wie § 2 II 13 PrALR treffend formulierte. Bezeichnend für diese Situation ist die grundlegende Systematisierung des Staatsrechts durch den Göttinger Reichspublizisten Johann Stephan Pütter 13 (1725-1807). Das Staatsrecht definierte er als Summe der dem herrschenden Fürsten zustehenden Hoheitsrechte und zergliederte es demgemäß in einzelne subjektive Rechtsverhältnisse des Regenten zu seinen Untertanen. 14

2. Das politische und verfassungsrechtliche Umfeld der Staatslehre zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Der in der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert in Deutschland beginnende Übergang von der ständisch-feudalen Gesellschaft zur bürgerlich-liberalen Gesellschaftsordnung entzog der Staatslehre ihre bisherigen Grundlagen. Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 wurden die Fesseln der feudalen Gesellschaft gesprengt. Neue Formationen der Gesellschaft sowie neue politische Bewegungen und Ideologien, bestimmten nun die Struktur des Staates und damit den Gegenstand der wissenschaftlichen Staatslehre.15 a) Politische Grundströmungen der Gesellschaft im „ Vormärz " Beeinflußt von den Ideen Rousseaus und der Französischen Revolution, welche sich mit Napoleons Armeen in ganz Europa verbreiteten, wurde auch in Deutschland der Ruf nach Umgestaltung der Gesellschaft laut. Der absolutistische Fürsten11

Quaritsch, Souveränität, S. 479; Rehm, Staatslehre, S. 231. So etwa die Formulierung „Von den Rechten und Pflichten des Staats" als Überschrift zu II 13 PrALR. 12

« Zu ihm vgl. ADB 26, S. 749; Bluntschli, Geschichte, S. 403 ff.; Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. 1 ff. (6ff.); Kleinheyer/Schröder S. 219ff.; Rehm, Geschichte, S. 256 sowie Stintzing /Landsberg, Band III / 1, S. 331 ff. u Pütter, Einleitung § 5 (S. 5) und 3. Buch § 116 (S. 146 ff.). Dazu auch Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (347). 15 Dazu umfassend Stolleis, Band II, S. 39 ff.

23

I. Grundlagen der Staatsrechtslehre im frühen 19. Jh.

Staat sollte Rechts- und Verfassungsstaat werden. Nicht mehr bloße Herrschaftsverhältnisse, sondern die in einer Verfassung festgeschriebenen Rechtsbeziehungen sollten das Verhältnis zwischen dem Landesfürsten und den Bürgern regeln. 16 Als Konzession an diese liberale Bewegung bestimmte Art. 13 der den Deutschen Bund konstituierenden Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815: „In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung stattfinden." 17 Diesem Auftrag entsprechend erhielten zahlreiche deutsche Staaten Verfassungen (Konstitutionen)18, welche insbesondere Aufgaben und Rechte des Monarchen und der Volksvertretung bzw. der Landstände normierten. Die Umgestaltungen innerhalb der Gesellschaft führten nach der endgültigen Niederlage Napoleons 1815 allerdings auch zur Ausbildung einer Gegenbewegung, die jeden revolutionären Umsturz als widerrechtlich ablehnte und für eine Wiederherstellung (Restauration) des „guten alten Rechts", für eine Rückkehr zur alten Gesellschaftsordnung eintrat und sich insofern von der Verfassungsgesetzgebung eine Festschreibung der vorrevolutionären Gesellschaftsordnung versprach. 19

b) Verfassungsdualismus

in den frühkonstitutionellen

Monarchien

Anhänger von Liberalismus und Reaktion, den beiden großen politischen Bewegungen des frühen 19. Jahrhunderts, waren insofern bestrebt, ihr politisches Programm in die Verfassungen einfließen zu lassen und derart rechtlich abzusichern. Monarch und Bürgertum standen einander gegenüber in dem Bestreben, die eigene Machtbasis zu erhalten bzw. die gewonnenen Freiheitsräume zu sichern oder auszuweiten. Dieser Machtkampf zwischen liberalem Bürgertum und reaktionären monarchischen Kräften führte zu der für die deutsche konstitutionelle Monarchie charakteristischen dualistischen Verfassungsstruktur. 20 Dieser Dualismus in den frühkonstitutionellen Verfassungen wird besonders deutlich in dem Spannungsver16 Wesel S. 413; Eisenhardt Rn. 450; Ellwein S. 18 f.; MengerRn. 229ff. i? Zwischen den liberalen und den restaurativen Kräften kam es jedoch in den folgenden Jahren zu Auseinandersetzungen, ob unter den „Landständen" eine Vertretungskörperschaft altständisch-feudalen Stils oder eine moderne Volksrepräsentation zu verstehen sei. Ein im Auftrag des österreichischen Staatskanzlers Clemens Fürst von Metternich (1773-1859) bearbeitetes Gutachten „Über den Unterschied zwischen den landständischen und repräsentativen Verfassungen" des Wiener Staatsrechtslehrers Friedrich von Gentz (1764-1832) interpretierte Art. 13 der Deutschen Bundesakte im altständischen Sinne. Vgl. dazu ausführlich Huber, Band I, S. 641 ff.; Kern S. 33 f. und Klüber, Urkunden, S. 213 ff. mit dem Abdruck des Gentz'schen Gutachtens. 18 So ζ. Β in Nassau am 1. September 1814, in Bayern am 26. Mai 1818, in Baden am 22. August 1818, in Württemberg am 25. September 1819, in Hannover am 7. Dezember 1819, in Braunschweig am 25. April 1820 und in Hessen-Darmstadt am 17. Dezember 1820. Zur Verfassungsentwicklung siehe Menger Rn. 237 ff. Eisenhardt Rn. 422. 20 Vgl. dazu Boldt S. 97ff.; Ellwein S. 65 ff. Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27ff. (48ff.) und Kriele, Staatslehre, S. 312 ff.

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

hältnis zwischen monarchischem Prinzip einerseits und den Volksrechten sowie der mehr oder weniger starken Mitwirkung der Volksvertretungen an Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung andererseits. Zwar enthielten die frühkonstitutionellen deutschen Verfassungen regelmäßig einen Katalog von besonders hervorgehobenen Bürgerrechten, in die durch die vom Monarchen repräsentierte Exekutive nur unter besonderen Voraussetzungen eingegriffen werden konnte.21 Auch die Mitwirkungsbefugnisse der Volksvertretungen bzw. der Landstände22 bei Gesetzgebung und Haushaltsfeststellung waren durchweg in den Konstitutionen normiert. Jedes Gesetz bedurfte in der Regel eines übereinstimmenden Beschlusses von Monarch und Parlament. 23 Hinzu kam das Budgetrecht des Parlaments, welches den Monarchen zwang, seinen Haushalt im voraus durch das Parlament bewilligen zu lassen.24 Verfassungsrechtlich war der Herrscher insofern nicht mehr in der Lage, von seinem bedeutensten Souveränitätsrecht, der Gesetzgebungsbefugnis, eigenmächtig Gebrauch zu machen. Andererseits bestimmte Art. 57 der die Deutsche Bundesakte ergänzenden Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820: „Da der Deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriff zufolge, die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch die landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden."

Das so formulierte monarchische Prinzip 25 war daher gemeinsamer Verfassungsgrundsatz aller Staaten des Deutschen Bundes.26 Es wurde in zahlreiche Landesverfassungen aufgenommen oder zumindest in sie hineininterpretiert. 27 Das mo21 Siehe dazu Eisenhardt Rn. 488 ff. m. w. N. 22 Siehe oben Fn. 17. 23 Z. B. Titel VII § 2 der bayerischen Verfassung: „Ohne Beyrath und der Zustimmung der Stände des Königreiches kann kein neues Gesetz, welches die Freyheit der Person oder das Eigenthum des Staatsangehörigen betrifft erlassen, noch ein schon bestehendes Gesetz abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben werden." § 86 der sächsischen Verfassung formulierte schlichter: „Kein Gesetz kann ohne Zustimmung der Stände erlassen, abgeändert oder authentisch interpretiert werden." Zu den Verfassungsformeln des monarchischen Prinzips, siehe BoldtS. 19 ff. 24

Das Budgetrecht wird bei Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 112 ff. (125) „mehr noch als die Mitwirkung der Volksvertretung bei der Gesetzgebung, als der eigentliche Gegenpol zum monarchischen Prinzip in der konstitutionellen Verfassung" charakterisiert. Zum Steuerbewilligungsrecht der Stände auch Boldt S. 106 ff. sowie Ellwein S. 298 ff. 25 Allgemein zum monarchischen Prinzip, seiner Herkunft und Bedeutung: Boldt S. 15 f.; Ellwein S. 126; Huber, Band II, S. 651 ff.; Kaufmann, Staatslehre des monarchischen Prinzips, S. 3ff.; Stahl, Das monarchische Prinzip, S. Iff.; Stolleis, Band II, S. 102ff. sowie Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 112 ff. (114 ff.). 26 Huber, Band III, S. 7.

I. Grundlagen der Staatsrechtslehre im frühen 19. Jh.

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narchische Prinzip sollte die hergebrachte Fürstensouveränität normativ gegenüber der Volkssouveränität absichern und jedes parlamentarische Regierungssystem abwehren. Es diente damit den restaurativen Kräften als Instrument gegen revolutionäre wie liberale Forderungen. 28 Allen Mitwirkungsbefugnissen der Landstände zum Trotz sollte durch diesen „staatsrechtlichen Kunstgriff hohen Ranges"29 dem Monarchen eine unbeschränkte Stellung innerhalb des Verfassungsgefüges gesichert werden. 30

3. Methodenwandel der Staatsrechtslehre zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Die großen politischen Ereignisse, welche seit 1789 das politische Gefüge Europas veränderten, bedeuteten auch eine Zäsur für die wissenschaftliche Betrachtung des Staates. a) Emanzipation der Staatsrechtswissenschaft

von der Philosophie

Die zunehmende Verfassungsgesetzgebung führte zunächst dazu, dass die das Naturrecht kennzeichnende eher allgemein philosophisch-politische Betrachtung des Staates31 durch eine, bei Pütter bereits angedeutete Wissenschaftsmethode ersetzt wurde, die sich mehr dem konkreten, historisch geformten Staat und dessen normierten Staatsrecht zuwandte.32 Ausgehend vom positiven Recht wurde insofern versucht, die staatsrechtlichen Beziehungen unabhängig von der Philosophie und dem Naturrecht durch Analyse der Verfassungsbestimmungen in ihrer rechtlichen Struktur und Bedeutung zu erfassen und so eine primär juristische Betrachtung des Staatswesens zu begründen. Das Staatsrecht sollte daher als positive Wissenschaft betrieben werden; nur zur „Lückenfüllung" sollte das Natur- und Vernunftrecht herangezogen werden. 33 Die Trennung zwischen Staatsrecht und all27 So hieß es z. B. in Titel II § 1 der bayerischen Verfassung: „Der König ist das Oberhaupt des Staates und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassung festgestellten Bestimmungen aus." und in § 4 der württembergischen Verfassung: „Der König ist das Haupt des Staates, er vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus." 28 Bauer S. 47. Zum spezifischen Verständnis der „deutschen konstitutionellen Monarchie" und den unterschiedlichen Interpretationen des monarchischen Prinzips im Vormärz neuerdings auch Schönberger S. 70 ff. 29 So charakterisiert von Huber, Band I, S. 653. 30 Zum Widerspruch des monarchischen Prinzips mit dem realen Verfassungsrecht in zahlreichen deutschen Staaten siehe unten 1. Kapitel III. 1.

31 Siehe oben 1. Kapitel I. 1. b). 32 Böckenförde, Gesetz, S. 112; Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. 1 ff. (12ff. und 25ff.); ders., Staatswissenschaften, S. 155 ff.; Rehm, Geschichte, S. 255 f. 33 Pauly S. 57; Quaritsch, Souveränität, S. 481.

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

gemeiner Staatslehre deutete sich hier an. Gerade in den Grundlagen des Staatsrechts, den Fragen nach dem Subjekt der Souveränität und der Beziehung zwischen Regent und Staat, war jedoch, mangels eindeutiger Bestimmungen in den Konstitutionen, ein derartiger Rückgriff auf die naturrechtlich geprägte Staatslehre notwendig. Ausgehend von der Realität des Staats- und Verfassungsrechts mussten die Publizisten daher in ihren Systementwürfen doch immer wieder auf die rechtsphilosophischen Ideale zurückkommen. 34

b) Trennung des öffentlichen

Rechts vom Privatrecht

Einher ging mit dieser Entwicklung die sich seit dem 18. Jahrhundert abzeichnende kategorische Trennung des öffentliches Rechts (ius publicum) vom Privatrecht (ius privatum). Die Ablösung des Herrschaftsbandes zwischen Landesfürst und Untertan, welches die Rechtsbeziehungen der feudalen Zeit umfassend prägte, spaltete das Recht in das privatnützige, für die Beziehungen der Bürger untereinander universell geltende Privatrecht und das dem Gemeinwohl verpflichtete staatliche oder öffentliche Recht. Die Interessen des Monarchen als Privatmann sollten von seinen Rechten als Regent unterschieden werden. Die Hoheitsrechte des Souveräns und das Rechtsverhältnis des Bürgers gegenüber der Staatsgewalt wurden insofern dem öffentlichen Recht zugeordnet. 35

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen Je nach dem zugrunde liegenden Idealbild gelangten die derart entwickelten Staatsrechtssysteme zu unterschiedlichen Positionen über die Grundkonstruktion des Staatsrechts.36

34 Nicht unberücksichtigt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) in seiner 1814 erschienenen Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" die Aufarbeitung des idealen Rechts als Aufgabe des Juristen beschrieb und dadurch auch die Staatsrechtslehrer von den geltenden Verfassungsnormen emanzipierte. 35 Bullinger, Festschrift Rittner, S. 69 ff. (71 f.); Kern S. 39ff.; Schröder, Festschrift Gernhuber, S. 961 ff. (967); Grimm, HRG III, Sp. 1198 ff. (1202); Rittner S. 154f.; Stolleis, Band II, S. 51 ff. Nur angedeutet werden soll an dieser Stelle, dass die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht und die Frage, was das öffentliche Recht vom Privatrecht abhebt, seit jeher zu den umstrittensten Problemen der Rechtswissenschaft gehört. Zum heutigen Meinungsstand umfassend Maurer § 3 Rn. 12 ff.; Detlev Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht; Wolff /Bachof/Stober, VerwR I, § 22. 36 Vgl. dazu Boldt S. 287 ff.; Stolleis, Band II, S. 121 ff.

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen

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1. Auf die individualistische Philosophie Kants zurückgehende Staatslehren (die vernunftrechtliche Staatstheorie) Ausgehend von der naturrechtlichen Anschauung von der vertraglichen Grundlage des menschlichen Gesellschaftssystems 37 führte eine Gruppe von Staatslehrern den Staat auf einen ursprünglichen Konsens zurück. Beeinflusst wurden die Vertreter dieser Ansicht insbesondere von Immanuel Kant 38 (1724-1804) und seiner Rechts- und Staatsphilosophie. Kant, der sich in seiner Staatsphilosophie den Ideen Rousseaus anlehnte 3 9 , ging grundsätzlich von dem Prinzip der menschlichen Autonomie und der Freiheit des Willens aus. 4 0 Grundlage des Staates war deshalb nach ihm die der menschlichen Vernunft entsprechende Vereinigung der Individuen durch einen Gesellschaftsvertrag. 41 Ursprung der Staatsgewalt ist nach Kant daher die vereinigte Gesamtheit des Volkes 4 2 Dieser vertragliche Verband wurde von Kant als moralische Person, als der „übereinstimmende und vernünftige Wille aller" bezeichnet. Innerhalb dieses Verbandes standen sich nach Kant die moralischen Personen des Souveräns und des Volkes gegenüber, wobei die Person des Souveräns wiederum in die moralische Persönlichkeit der Legislative, der Exekutive und der Judikative gespalten wurde 4 3 a) In ein Staatsrechtssystem übertragen und fortgeführt wurden diese Ideen zuerst von Johann Ludwig Klüber 44 (1762-1837). Klüber, der aus der Göttinger 37 Vgl. oben 1. Kapitell, l.b). 38 Zu Kant und seiner Philosophie siehe ADB 25, S. 81 ff.; NDB 11, S. llOff. 39 Jellinek, Staatslehre, S. 213; Häfelin S. 48. Zur Staatsphilosophie Kants vgl. Barsch S. 135 ff. 40

Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung § B. Kant, Metaphysik der Sitten, § 46. 42 Die von seiner Philosophie beeinflusste Staatsrechtslehre ging daher auch von einer ursprünglich im Volk begründeten Souveränität aus. So insbesondere Klüber, Öffentliches Recht, S. 2, Anm. d; Rotteck, Band II, § 18 (S. 85 ff.). Häfelin S. 70 Fn. 28 betont zudem, dass die der naturrechtlichen Richtung zuzurechnenden Staatsrechtslehrer durchweg dem Liberalismus nahestanden. Zur gesellschaftsvertraglichen Legitimation der Monarchie vgl. Boldt S. 69 ff. 4 3 Kant, Metaphysik der Sitten, § 48 ff., vgl. dazu Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (48 Fn. 96). Heller, Hegel, S. 90; Kaufmann, Organismus, S. 5 ff. und Krüger S. 148 weisen aber darauf hin, dass Kant in seinen späteren Werken von der Vorstellung des Staates als Produkt menschlichen Wirkens („Maschine") abwich und die Idee des natürlichen, auf eigener Kausalität beruhenden Staatsorganismus begründete. Vgl. etwa die Anmerkung bei Kant, Kritik an der Urteilskraft, § 59, dass „ein monarchischer Staat durch einen beseelten Körper, wenn er nach inneren Volksgesetzen, durch eine bloße Maschine aber" symbolisiert werde, „wenn er durch einen absoluten Willen beherrscht wird." Dazu auch Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (580 ff.) und unten Fn. 93. 41

44 Johann Ludwig Klüber, geboren am 10. November 1762 in Tann an der Ulster, wurde nach Studium und Promotion 1787 Professor der Rechte in Erlangen und folgte 1807 einem Ruf nach Heidelberg. 1817 trat er als Geheimer Legationsrat in den preußischen Staatsdienst ein, aus dem er jedoch 1824 wegen eines gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens quittierte. Er starb am 16. Februar in Frankfurt am Main. Zu Klüber siehe ADB 16, S. 235 f.;

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

Schule Pütters stammte45, stellte erstmals den Begriff der Staatspersönlichkeit in das Zentrum seiner staatsrechtlichen Konstruktion. Der Staat, dem drei aufeinander aufbauende hypothetische Verträge zugrunde liegen 46 , sei, so Klüber, eine moralische Person mit eigenem Verstand, Willen sowie mit eigenen Rechten und Pflichten 4 7 Innerhalb dieser Staatspersönlichkeit wurden - ganz im Sinne Kants - wiederum die moralischen Persönlichkeiten des Staatsoberhauptes und der Untertanenschaft unterschieden.48 Das Staatsrecht wurde ganz auf die Persönlichkeit des Staates ausgerichtet, indem das gesamte öffentliche Recht als „Inbegriff der Rechte des Staates" verstanden wurde. 49 Unter diesen der Staatspersönlichkeit zustehenden Rechten kam der Staatsgewalt oder Souveränität, von Klüber definiert als „das Recht, die Mittel zum Zweck des Staates zu wählen" 50 , besondere Bedeutung zu. 51 Klüber hat insofern als erster die Staatsperson als Träger von Rechten und Pflichten herausgestellt und diese daher zum Subjekt der Souveränität erklärt. Unvollkommen wirkt Klübers System allerdings durch das unklare Verhältnis zwischen Staat und Monarchen und die dadurch bedingte Relativierung der Staatspersönlichkeit. Zwar bezeichnete Klüber das Oberhaupt des Staates bereits als Organ des Staates, als moralische Persönlichkeit, die als stets fortdauernd gedacht werden müsse und so von der natürlichen Person des jeweiligen Monarchen getrennt werden müsse.52 Diesen zukunftsweisenden Gedanken wurde jedoch jede Schärfe genommen, da Klüber die Zuweisung der Staatsgewalt auf Staat und Regenten aufteilte: Zum Subjekt der Substanz der öffentlichen Gewalt wurde der Staat selbst, zum Subjekt der Ausübung der Staatsgewalt wurde das Staatsoberhaupt erklärt. 53

NDB 12, S. 133; Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. Iff. (15ff.); Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 165 ff.; Stolleis, Band II, S. 83ff. 45 Böckenförde, Gesetz, S. 84; Mohl, Geschichte, S. 473; Stolleis, Band II, S. 49. 46 Klüber, Öffentliches Recht, § 1 (S. 2, Anm. b). Diese Verträge sind der Vereinigungsvertrag (contract social), der Staatsgrundvertrag (pactum ordinationis civiles fundamentalis) und der Unterwerfungsvertrag (pactum subjectionis civilis). 47 Klüber, Öffentliches Recht, § 3 (S. 5). Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. Iff. (29 Fn. 109) und Häfelin S. 70 Fn. 30 sehen in Klüber wegen dieser - freilich noch konsequenzlosen - Bemerkung den geistigen Vordenker des staatlichen Rechtspersönlichkeitsdogmas. 48 Zum Terminus der „persona moralis" siehe oben Fn. 7. 49 Klüber, Öffentliches Recht, § 5 (S. 7). 50 Klüber, Öffentliches Recht, § 3 (S. 5). Schon 1793 hatte August Ludwig von Schlözer (1735-1809) S. 100 den Herrscher als gesetzgebendes Organ des Gemeinwillens umschrieben und ihm insofern eine dienende Funktion innerhalb des von ihm als Maschine verstandenen Staates zugewiesen, siehe auch unten Fn. 93.

51 Indem Klüber das Bündel der Einzelbefugnisse der Fürsten durch die dem Staat zustehende singulare Staatsgewalt ersetzte, wurde von ihm zudem der bereits faktisch vollzogene Übergang der Landeshoheit zur Staatsgewalt auch juristisch festgeschrieben, vgl. Pauly S. 57. 52 Klüber, Öffentliches Recht, § 3 (S. 5) und § 252 (S. 353). 53 Klüber, Öffentliches Recht, § 96 (S. 107). Zum Ursprung der Differenzierung zwischen Substanz und Ausübung der Staatsgewalt in der Französischen Revolution, siehe Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (37) m. w. N. und unten Fn. 118. Schon Thomas von Aquin (um

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen

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Der Fürst nahm seine Rechte daher als eigene wahr und handelte nicht namens des Staates. Vielmehr wurde er als Inhaber der Staatshoheit und Souveränität bezeichnet, der sich „auch dem Volke gegenüber in voller natürlicher Freiheit befinde." 54 Damit führte Klüber sein System, in welchem die Anbindung der Monarchen als Organ an den ihm übergeordneten Staat bereits klar angedeutet wurde, doch wieder zurück auf das in Art. 57 der Wiener Schlussakte umschriebene monarchische Prinzip und die ungebundene Fürstensouveränität. 55 b) Bei den übrigen Vertretern dieser auf dem Naturrecht aufbauenden Staatslehre tritt die Idee der Staatspersönlichkeit dagegen mehr in den Hintergrund. So betonte der Marburger Professor Silvester Jordan 56 (1792-1861) in seiner Staatskonstruktion besonders die dem Staat zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen zwischen Regent und Untertanen, die sich als moralische Persönlichkeiten gegenüber stünden.57 Die rechtliche Untersuchung über den Staat58 beschränkte er insofern auf die von der Staatsgewalt des Herrschers ausgehenden Rechtsverhältnisse zu den Untertanen, die er Staatsrechtsverhältnisse nannte 5 9 Der ethisch, im Sinne einer umfassenden Einheit von Volk und Fürst verstandenen Persönlichkeit des Staates wurde demgegenüber nur im Völkerrecht Bedeutung beigemessen.60 c) Auch die ganz dem Liberalismus verpflichteten süddeutschen Staatsrechtslehrer Carl von Rotteck 161 (1775-1840) und Carl Theodor Welcher 62 (1790-1869) betonten in ihren Werken primär die zwischen den Gliedern des Staates bestehenden rechtlichen Beziehungen. Rotteck teilte den als ideale Gesamtperson verstandenen Staat in zwei sich gegenüberliegende Persönlichkeiten, die Regierung und 1225-1274) unterschied von der dem Herrscher zustehenden Ausübung der Staatsgewalt (potestas quoad exercitiam) die Substanz der Staatsgewalt (potestas quoad substantiam), die er im Volk begründet sah, vgl. Häfelin S. 20 Fn. 131. 54 Klüber, Öffentliches Recht, § 239 (S. 327 f.). 55 Auf diese Unvollkommenheit des Klüber'schen Systems weist auch Böckenförde, Gesetz, S. 84 ff. hin, der a. a. O. S. 87 daher in Klübers Werk eher „eine Staatsrechtskunde als ein wissenschaftliches Staatsrecht" sieht. 56 Zu Jordan siehe ADB 14, S. 513 ff.; NDB 10, S. 603; Stintzing/Landsberg, S. 393 ff. 57 Jordan S. 2 und 340 ff.

Band III/2,

58 Den Staat definierte Jordan S. 1 als „unauflöslichen Verein zur Begründung der Herrschaft des Rechtsgesetzes mittels Anerkennung einer gemeinschaftlichen Obergewalt." Obwohl diese Staatsdefinition eine ursprünglich im Volk begründete Souveränität nahelegt, wurde a. a. O. S. 5 die Volkssouveränität als „einer der folgenreichsten Irrthümer" ausdrücklich abgelehnt. 59 Jordan S. 58. 60 Jordan S. 2 und 490.

61 Zu Rotteck siehe ADB 29, S. 385 ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 523 ff.; Boldt S. 156 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 164 ff.; Kleinhey er/Schröder S. 236 ff. und Stintzing/ Landsberg, Band III/2, S. 396f. 62 Zu Welcker siehe ADB 41, S. 660ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 535 f.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 168f.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 297.

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

die Untertanenschaft, welche die Staatsgewalt untereinander aufteilen 63, während Welcker den Staat schlicht als „Rechtsverhältnis" umschrieb. 64

2. Auf der patrimonialen Staatsphilosophie Hallers basierende Staatslehren (die patrimonial-privatrechtliche Staatstheorie)

Die bereits allgemein anerkannte Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht ignorierend, versuchte dagegen eine entgegengesetzte restaurative Lehrmeinung, das Wesen des Staates rein privatrechtlich als Eigentumsherrschaft des Fürsten über das Staatsgebiet und dessen Bewohner zu erklären. Diesem Staatsmodell zugrunde lag die konservative Staatsphilosophie des Berner Stadtpatriziers Carl Ludwig von Haller 65 (1768 -1854), der in seinem für die ganze Epoche namensgebenden Werk „Restauration der Staatswissenschaften" die vorrevolutionäre Gesellschaftsordnung als die historisch gewachsene und allein legitime zu rechtfertigen suchte.66 Nach Haller entstand der Staat nicht, wie die Naturrechtslehrer postulierten, als Folge eines Gesellschafts- und anschließenden Herrschaftsvertrages der Urgesellschaft, sondern rein faktisch durch die Unterwerfung der Schwächeren unter die Schutzmacht der Stärkeren. Das natürliche Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und Nahrung führe zu einer tatsächlichen Herrschaft desjenigen, der diese Bedürfnisse zu befriedigen imstande sei. Die Entstehung der staatlichen Über- und Unterordnungsstrukturen erkläre sich daher nicht als Folge einer Machtübertragung von Seiten der Schwächeren, sondern dadurch, dass sich die Schwächeren einer bereits bestehenden Macht unterordnen. 67 Den Ursprung für eine derartige Machtstellung sah Haller in dem Patrimonium (Eigentum) an Grund und Boden, aus welchem sich im Laufe der Jahre sämtliche Herrschaftsrechte entwickelt haben. Nicht das Eigentum sei aus den Staaten, sondern im Gegenteil seien 63 Rotteck Band II, § 22 (S. 96). 64 Welcker, Gründe von Recht, Staat und Politik, S. 166. Im gemeinsam mit Rotteck herausgegebenen Staats-Lexikon betonte Welcker dagegen mehr den organischen Charakter des Staates, indem er den Staat als „die organische, freie moralisch persönliche souveräne Vereinigung eines Volkes" umschrieb, vgl. Welcker, Staats-Lexikon, S. 502ff. (504). Zum Kreis dieser süddeutschen Liberalen ist auch der Bayer Johann Christoph Freiherr von Aretin (1773-1824) zu zählen, der in seinem Staatsrechtslehrbuch ebenfalls von einer ursprünglichen Volkssouveränität ausging und eine konsensualen Grundlage des Staates und der Herrschaftsgewalt vertrat. Vgl. Aretin § 2 (S. 147 f.) und § 6 (S. 165 f.). 65 Zu Haller siehe ADB 10, S. 431 ff.; NDB 7, S. 549f.; Bluntschli, Geschichte, S. 494ff. sowie Boldt S. 60 ff. und Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 158. 66 Quaritsch, Souveränität, S. 214; Bluntschli, Geschichte, S. 498. Willoweit, HRG III, Sp. 1549 ff. (1549). Die völlig ins Feudalzeitalter zurückweisenden Thesen in Hallers Philosophie wurden selbst von konservativen Zeitgenossen Hallers als anachronistisch empfunden. So urteilte der keineswegs als entschieden liberal einzuschätzende Bluntschli a. a. O. S. 502 über Hallers Werk: „Die Zeit schritt darüber hinweg und überließ es den Toten, ihre Toten zu begraben". Zur partrimonialen Legitimation der Monarchie siehe auch Boldt S. 60 ff. 67 Haller, Band I, S. 473 ff.

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen

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Staaten und Herrschaften aus dem Eigentum hervorgegangen. 68 „Die Regierung", schrieb Haller, „ist kein abgesondertes Wesen, sie ist ein bloßer Ausfluß der PrivatRechte des Herrschenden, die natürliche Folge der Macht und des besitzenden Eigenthums, und von denselben sowenig als der Schatte von dem Körper zu trennen möglich." 69 Insofern ist der individuelle Herrscher nach Haller kraft des ihm zustehenden Eigentumsrechts der eigentliche und einzige Träger der staatlichen Gewalt, welche sich aus der Summe der diesem zustehenden Privatrechte ergibt. Der Staat dagegen wurde von ihm nur als Objekt der fürstlichen Herrschaft angesehen.70 a) Ausgehend von dieser rückwärtsgewandten Staatsphilosophie entwickelte der Bonner Staatsrechtslehrer Romeo Maurenbrecher 11 (1803-1843) ein Staatsmodell, welches den regierenden Fürsten die Herrschaftsgewalt als eigenes, dem Eigentum ähnliches Recht zuwies.72 Der „Staat" könne nach Maurenbrecher zwar als moralische Persönlichkeit bezeichnet werden, um die Einheit zwischen Fürst und Untertanen darzustellen, alleiniger Träger der Staatsgewalt könne jedoch nur der tatsächlich regierende Monarch sein.73 Dabei konnte Maurenbrecher seine These auf das positive Staatsrecht des Deutschen Bundes stützen, da nach Art. 57 der Wiener Schlussakte „die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt sein müsse". Diese Souveränität definierte Maurenbrecher aber als die Summe der Einzelrechte des Monarchen; sie sei „das reine Privatrecht des Fürsten", stehe „ihm nach Analogie des Eigenthums ,quasi dominium und quasi possessio4" zu und werde aus privatrechtlichen Gründen erworben oder verloren. 74 Diese Herrschertheorie definierte insofern den Monarchen als Rechtssubjekt außerhalb des staatlichen Verbandes und den Staat selbst als Objekt fürstlicher Eigentumsherrschaft. b) Auch Karl Friedrich Vollgrajf 5 (1796-1863), Professor für Staatsrecht und Politik in Marburg, stand ganz auf dem Boden der patrimonialen Staatsphilosophie. Demgemäß war für ihn allein der Monarch Inhaber der Souveränität und das Grundeigentum „von Naturrechts wegen" die Quelle der monarchischen Herrschaft, da „alle Regierungsformen in der ganzen Welt ... in der durch die Natur selbst gegebenen Aristokratie der Reichsten und Angesehensten" wurzele. 76 68 Haller, Band II, S. 57. 69 Haller, Band I, S. 479. 70 BrunnerS. 147; Quaritsch, Souveränität, S. 214. 71 Zu Maurenbrecher und seinem Staatsrechtssystem siehe ADB 20, S. 693 ff.; NDB 16, S. 433; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 189; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 398 ff.; Urbaschek S.28ff. 72 Diese Staatstheorie wird daher bei Meyer/Anschütz S. 16 auch Herrschertheorie genannt, vgl. unten 4. Kapitel II. 2. 73 Maurenbrecher, Grundsätze, § 46 (S. 57). 74 Maurenbrecher, Grundsätze, § 145 ff. (S. 244 ff.). Als privatrechtlich zu beurteilende Erwerbs· und Verlustgründe werden u. a. Erbfall, Verkauf, Tausch, Tod und Abdankung genannt. 75 Zu Vollgraff siehe ADB 40, S. 248 f. 76 Vollgraff S. 33 f.

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

c) Schließlich sind hier der Regensburger Staatsrechtslehrer Karl Eduard Weiss (1805-1851) und sein Göttinger Kollege Johann Christoph Leist 77 (1770-1858) zu nennen, deren Staatsrechtssysteme die Landeshoheit als den „Inbegriff sämtlicher Regierungs- und Hoheitsrechte" 78 innerhalb eines Territoriums sowie die Staatsgewalt als eigenes, wohlerworbenes und allodiales Recht der Landesfürsten charakterisierten 79 und insofern die Person des Monarchen zum Subjekt aller staatlichen Gewalt erklärten. 80

3. Staatslehren auf der Grundlage der Staatsphilosophie Schellings und Hegels (die historisch-organische Staatstheorie)

Dieser patrimonialen, den individuellen Fürsten in den Mittelpunkt stellenden Staatstheorie stand seit dem 19. Jahrhundert eine Staatslehre gegenüber, die den Staat ausgehend von einem überindividuellen Staatsorganismus, d. h. als eine übergreifende Einheit von Monarch und Volk, zu konstruieren suchte und damit eine vermittelnde Stellung zwischen der naturrechtlichen Richtung und der Patrimonialtheorie einnahm.81 Beeinflusst wurde diese Lehre zunächst vom Denken des Philosophen Wilhelm Joseph Schelling 82 (1775-1854), der als Vertreter der Romantik die individuelle Philosophie des Naturrechts ablehnte und seine Erkenntnisse grundsätzlich vom Standpunkt des Absoluten aus zu gewinnen versuchte. 83 Nach Schelling war das ganze Universum als ein von der „Weltseele" begründeter Organismus 84 zu begreifen, der sich nach innen in weitere belebte Organismen untergliedert. 85 Auch der Staat sei daher als ein von der Volksseele entwickeltes organisches Wesen anzusehen. Noch weiter ging Georg Wilhelm Friedrich Hegel 86 (1770-1831) in

77 Zu Leist siehe ADB 18, S. 226 f. und NDB 14, S. 161 f. 78 Leists 17 (S. 47 f.). 79 So Weiss § 222 (S. 430f.) und § 252 (S. 509 f.); Leist §§ 24ff. (S. 65 ff.). so Daneben vertrat auch der konservative Staatstheoretiker Wilhelm von Lancizolle (1796-1871) patrimonial-privatrechtliche Vorstellungen über das Wesen der Staatsgewalt. Vgl .Stolleis, Band II, S. 150 ff. 81 Vgl. Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (595). 82 Zu Schelling und seiner Rechtsphilosophie siehe ADB 31, S. 6ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 595ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 214ff. sowie Stolleis, Band II, S. 131 ff. 83 Schelling, Vorlesungen, S. 10. 84 Zum Ursprung des Organismus-Denkens bei Kant siehe Kaufmann, Organismus, S. 5 f. und oben Fn. 93. 85 Schelling, Darstellung, S. 98 ff. Dazu Badura, Methoden, S. 115 ff.; Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (602 f.) und Krieken S. 65 ff. 86 Zu Hegel ADB 11, S. 254 ff. und 795 ff., NDB 8, S. 207 ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 601 ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 347ff. und Stolleis, Band II, S. 133ff.

II. Juristische Staatslehren und ihre rechtsphilosophischen Grundlagen

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seiner Staatsphilosophie. Hegel stellte die Begriffe des Geistes und des Willens in den Mittelpunkt seines philosophischen Systems, verstand den Willen jedoch nicht als individuellen Einzelwillen, sondern als „objektiven Willen", der das grundsätzlich „Vernünftige" repräsentiert. 87 Dieser vernünftige und überindividuelle Geist war nach Hegels Ansicht Grundlage aller kulturellen Ordnungen. Der Staat war daher für ihn als die höchste Offenbarung des objektiven Geistes eine organische und selbstbewusste, die bürgerliche Gesellschaft überwölbende Persönlichkeit, die streng von den im Staat agierenden Menschen unterschieden wurde. 88 „Die besonderen Geschäfte und Wirksamkeiten des Staats", betonte Hegel daher, „sind als die wesentlichen Momente desselben ihm eigen, und an die Individuen, durch welche sie gehandhabt ... werden, nicht nach deren unmittelbaren Persönlichkeit, sondern nur nach ihren allgemeinen und objektiven Qualitäten geknüpft und daher mit der besonderen Persönlichkeit als solcher, äußerlicher und zufälligerweise verbunden. Die Staatsgeschäfte und Gewalten können daher nicht Privateigentum sein." 89 Trotz dieser gegen die patrimoniale Staatsauffassung gerichteten sittlichen Erhöhung des Staates konnte nach Hegel die Persönlichkeit des Staates allein durch die Person des Monarchen real werden. 90 Daher führte seine Philosophie in der Konsequenz zu einer Gleichsetzung der Staatsperson mit der absoluten und unbegrenzten Gewalt in der Person des Herrschers. 91' 9 2 Ausgehend von dieser spekulativen Staatsphilosophie konstruierte eine Gruppe von Staatsrechtslehrern bereits Anfang des 19. Jahrhunderts den Staat als organische, auf eigener Kausalität beruhende Persönlichkeit und begründete insofern eine völlig neue Staatstheorie.93

87 Hegel § 26. 88 Hegel § 279. Zur Persönlichkeit des Staates bei den Philosophen der Romantik umfassend Barsch S. 142 ff.; Krieken S. 58 ff. und Nass S. 57 ff. 89 Hegel § 277. Dazu Heller, Hegel, S. 108 f. 90 Hegel § 279. Den durch den Monarchen dargestellten Staat versuchte Hegel insofern von der bürgerlichen Gesellschaft zu emanzipieren, vgl. Stolleis, Band II, S. 135. Die Staatsphilosophie Hegels gilt daher als Grundlage und Ursprung des Dualismus von Staat und Gesellschaft, vgl. Heller, Staat, S. 608 ff. (609) sowie Frotscher S. 197; Isensee S. 149f.; Kaufmann, Organismus, S. 13 f. und Zippelius § 27 I. 91 Häfelin S. 94. Dadurch wird nach Heller, Hegel, S. 114 f. die der Staatspersönlichkeit zugeschriebene Macht auf die Person des Monarchen übertragen und dieser mithin wieder zum Inhaber der Souveränität erhoben. 92 Andere Staatsphilosophen der Romantik, wie Adam Müller (1779-1829) und Carl Ernst Jarche (1801-1852) benutzten die von Schelling entwickelte Organismuslehre, um den monarchischen Staat als christlich-religiöse Einheit zwischen Herrscher und Beherrschten zu legitimieren. Dazu Stolleis, Band II, S. 139 ff. und S. 148 ff. 93 Häfelin S. 72. Die Organismuslehre ist dabei in Opposition zu der Patrimonialtheorie und der vom Göttinger Politologen August Ludwig von Schlözer (1735-1809) begründeten antimetaphysischen Lehre vom Staat als einer künstlichen, zum Wohle der Menschen erfundenen Maschine zu sehen, vgl. Schlözer S. 3 f. 3 Uhlenbrock

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

a) Bereits der letzte Vertreter der Reichspublizistik Nicolaus Thaddäus Gönner 94 (1764-1827), der entsprechend dem von Pütter entwickelten, auf die subjektiven Rechtsbeziehungen des Monarchen bezogenen Staatsrechtssystems jede vom Herrscher abgelöste Persönlichkeit des Staates ablehnte95, setzte den Staat in Anlehnung an Schelling gelegentlich mit einem Organismus gleich. 96 b) Als erster bezeichnete dann Friedrich Ancillon 97 (1767-1837) den Staat als künstlich zusammengesetztes organisches Wesen98, wobei er jedoch ansonsten den Staat als Tatsache auffasste 99 und insofern die organische Persönlichkeit des Staates weniger als rechtliche, sondern als sittliche Größe verstanden wissen wollte. c) Karl Salomo Zachariä 100 (1769-1843) maß dagegen der organischen Persönlichkeit des Staates bereits rechtliche Bedeutung zu. Der Staat entsteht als Organismus und Verein der menschlichen Gesellschaft nach Zachariä als tatsächlicher historischer Vorgang aus dem ursprünglichen Rechtsgesetz heraus. Dieses Rechtsgesetz verpflichte die Menschen, „Staatsvereine miteinander abzuschließen, die schon bestehenden anzuerkennen und fortzusetzen." 101 Als Person bezeichnete Zachariä „Subjekte, welchen die Eigenschaft eines freien Willen zukommt." 102 Dem Staat komme aber eine Persönlichkeit deswegen zu, weil de jure „der Wille des Staatsherrschers zugleich als der Wille aller derer ... zu betrachten ist, welche ihm unterworfen sind" und insofern eine rechtliche Pflicht zum Gehorsam begründet werde. 103 Die als „Idee des Absoluten oder Unbedingten" definierte Machtvollkommenheit der Staatsgewalt manifestierte sich daher bei Zachariä allein in der Person des souveränen Staatsherrschers. 104 94 Zu Gönner siehe ADB 9, S. 367; NDB 6, S. 518; Rehm, Geschichte, S. 256f.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 147ff. 95 Gönner § 273 (S. 418 ff.) und § 275 (S. 422 ff.). 96 Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 151 f.; Stolleis, Band II, S. 56. Zum Bundesstaatsbegriff Gönners neuestens Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (347). 97 Zu Ancillon ADB 1, S. 420ff.; NDB 1, S. 264ff. sowie Bluntschli, Geschichte, S. 592f. und Stintzing/Landsberg, Band III / 2, S. 318. 98 Ancillon S. 11. 99 Ancillon S. 9. 100 Zu K. S. Zachariä vgl. ADB 44, S. 646 f.; Bluntschli, Geschichte, S. 596ff.; Boldt S. 215 ff., der Zachariä als Mittler zwischen Patrimonialtheorie und Vertragslehre charakterisiert; Lang, Die Staats- und Verfassungslehre Carl Salomo Zachariaes; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 100ff. und Stolleis, Band II, S. 169ff. ιοί Κ S. Zachariä, 2. Buch, 3. Hauptstück (S. 61). Auch das Volk war für Κ S. Zachariä, 2. Buch, 2. Hauptstück (S. 59) eine „moralische Person." Zur Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft bei K. S. Zachariä, siehe Lang S. 34ff. 102 K. S. Zachariä, 2. Buch, 2. Hauptstück (S. 59). Mit diesem Personenbegriff nahm K. S. Zachariä bereits die von Savigny im Privatrecht begründete und von Gerber in das Staatsrecht übertragene Willenstheorie vorweg, vgl. unten 3. Kapitel II. 1. 103 Κ S. Zachariä, 2. Buch, 2. Hauptstück (S. 58). Anders dagegen ders., 2. Buch, 1. Hauptstück (S. 51) wo der Staat als „die Thatsache oder das faktische Verhältnis44 der menschlichen Unterworfenheit definiert wird.

III. Zusammenfassende Bewertung

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Gemeinsam ist diesen frühen Vertretern einer organischen Staatspersönlichkeitslehre aber, dass sie die Einheitlichkeit der Staatsperson nur in der Unterordnung des Volkes unter die Person des Herrschers, der Quelle der Staatsgewalt, repräsentiert sahen.105 Die Souveränität stand daher allein der Person des Fürsten zu. 1 0 6 Auch insofern knüpften diese Staatsrechtler also an die Philosophie Hegels an, der den Monarchen als Spitze und Anfang der Staatsperson ansah und daher die Persönlichkeit des Staates nur in der Person des Herrschers wirklich werden ließ. 107 Die derart begründete Staatstheorie erfaßte insofern zwar den Staat als eigene, organisch verstandene Persönlichkeit und nicht als bloßes Objekt in den Händen des individuellen Monarchen, ließ aber diese Staatsperson doch nur in der realen Person des Herrschers offenbar werden. Damit stand auch nach dieser Lehre die Souveränität dem Monarchen als eigenes Recht zu. d) Allein der politisch aktive Göttinger Staatsrechtslehrer Friedrich Christoph Dahlmann 108 (1785-1860) sah in dem Staat einen historisch gewachsenen Organismus, ohne ihn zugleich mit der Person des Monarchen gleichzusetzen. Dahlmann trennte die privaten Rechte des Herrschers von seinen gemeinnützigen Aufgaben als Regent. Er fügte jedoch diese Gedanken nicht in ein juristisches System

III. Zusammenfassende Bewertung Dieser Überblick zeigt, dass innerhalb der Staatslehre des frühen 19. Jahrhunderts von einer allgemein vertretenen oder auch nur herrschenden Ansicht über die Rechtsqualität des Staates keineswegs gesprochen werden kann. Ausgehend von unterschiedlichen staatsphilosophischen Grundideen und zum Teil getragen von politischen Intentionen, gelangte die Staatslehre in dieser Epoche vielmehr zu eher gegensätzlichen Systementwürfen. Restaurative Kräfte konnten sich auf der Grundlage von Hallers Patrimonialtheorie auf eine neoabsolutistische Staatslehre berufen, welche den Staat zum Objekt, den Monarchen demgegenüber - ex iure proprio - zum alleinigen Subjekt der Staatsgewalt machte. Andere betonten zwar die organische Persönlichkeit des Staates, stellten jedoch ebenfalls die reale Person des Monarchen als Träger der Staatsgewalt in den Mittelpunkt ihres Systems. «w K. S. Zachariä, 2. Buch, 1. Hauptstück (S. 52). los Ancillon S. 12; K. S. Zachariä, 2. Buch, 2. Hauptstück (S. 58 f.). 106 κ . S. Zachariä, 3. Buch, 1. und 5. Hauptstück, (S. 82 f. und 105 ff.). Dazu Lang S. 38 ff. 107 Hegel § 279. los Zu Dahlmann siehe ADB 4, S. 693 ff.; NDB 3, S. 478; Bluntschli, Geschichte, S. 578 ff.; Boldt S. 180ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 396 und Stolleis, Band II, S. 180ff. 109 Dahlmann, Politik, 4. Kapitel, Nr. 88 ff. Wegen der vorrangig politischen Argumentation Dahlmanns meinte Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (121 Fn. 21), Dahlmann habe die Staatssouveränität nicht als Grundlage eines juristischen Prinzips verstanden. 3'

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

Demgegenüber entwickelten die dem Liberalismus nahestehenden Staatsrechtslehrer der naturrechtlichen Richtung ein zukunftsweisendes Modell, welches, insbesondere bei Klüber, bereits die Staatsperson als Ausgangspunkt ihrer Entwürfe nahm.

1. Widerspruch der Postulate der herrschenden Staatslehre mit dem Verfassungsrecht im Frühkonstitutionalismus

Die Herausbildung derart gegensätzlicher Staatskonstruktion spiegelt indes die unklare Verfassungslage der frühkonstitutionellen Epoche wider. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ließ die Realität der absolutistischen Fürstenherrschaft keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Souveränität dem Landesfürsten zuzuschreiben sei. Durch die frühkonstitutionellen Verfassungen wurde dem Fürsten nun jedoch ein Parlament gegenübergestellt, welches als Repräsentant des Volkes bzw. als Vertreter der Landstände110 mehr oder weniger stark an der Ausübung der Souveränitätsrechte, insbesondere der Gesetzgebung, zu beteiligen war. 111 Weder der Monarch, noch das Parlament war aber in der Lage, einseitig Gesetze zu erlassen. Die Ausübung der Staatsgewalt war insofern zwischen Monarch und Parlament aufgeteilt. Diese Aufteilung stand jedoch in deutlichem Widerspruch zu dem Souveränitätsbegriff dieser Zeit. Bereits Jean Bodin (1530- 1596), der Begründer der Souveränitätslehre, betonte die Unableitbarkeit und Unteilbarkeit der Souveränität. Auch die Staatslehre des Frühkonstitutionalismus suchte daher für ihr Staatsrechtssystem einen Zentralpunkt, der als Grundlage allen Staats- und Verfassungsrechts gelten sollte. 112 Auch die Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt wurde durchgehend betont. 113 Zwar schrieb Art. 57 der Wiener Schlussakte die Souveränität uneingeschränkt den Fürsten zu, doch konnte durch diese Forderung die reale Verfassungslage in zahlreichen deutschen Staaten114, in denen der Regent nur gemeinsam mit dem Parlament imstande war, Gesetze zu erlassen, nicht überdeckt werden. Ohne Aufgabe des Dogmas von der Unteilbarkeit der Souveränität war vielmehr das monarchische Prinzip mit dem realen Verfassungsrecht der meisten deutschen Staaten nicht zu vereinbaren. 115 no Siehe oben Fn. 17. in Siehe oben 1. Kapitel I. 2. b). 112 Ancillon S. 12. 113 Jordan S. 75 f.; Rotteck, Band II, § 26 (S. 106 f.) sowie Κ S. Zachariä, 3. Buch, 2. und 6. Hauptstück (S. 88 f. und 122 f.). 114 Eine bedeutsame Ausnahme bildeten insofern jedoch Preußen und Österreich, die erst im Verlauf der revolutionären Ereignisse von 1848/49 eine Verfassung erhielten. 115 Fröhling S. 120 f.; Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 81; Kaufmann, Organismus, S. 8 f.; Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (48 ff.); Quaritsch, Souveränität, S. 484. Anderer Ansicht ist jedoch Huber, Band I, S. 653 der aufgrund des monarchischen Prinzips die Souveränität nach wie vor in der Person des Monarchen vereinigt sieht. Huber hält die Landstände für sekundäre Staatsorgane, die ihre Befugnisse nur kraft Delegation seitens des

III. Zusammenfassende Bewertung

37

2. Die Suche nach einer dogmatischen Grundlage für das konstitutionelle Staatsrecht

Bei dieser Ambivalenz des Verfassungsrechts ließ sich die Souveränität ohne Aufgabe des Absolutheitsdogmas weder im Sinne des monarchischen Prinzips dem Regenten, noch auf der Grundlage ursprünglicher Volkssouveränität dem Parlament zusprechen. Insofern wäre nur ein vermittelnder rechtstheoretischer Kunstgriff in der Lage gewesen, den Widerspruch zwischen dem Postulat der unteilbaren Staatsgewalt und den Vorgaben des positiven Verfassungsrechts zu überwinden. 116 Der Staatslehre des beginnenden 19. Jahrhunderts ist es indes zunächst nicht gelungen, diesen Widerspruch rechtstheoretisch aufzulösen. Um den Souveränitätsbegriff zu retten, wurde vielmehr allgemein dem Monarchen als „Personifikation der Staatsgewalt"117 die oberste und unabhängige Gewalt im Staate zugesprochen. Dieser Schluß war folgerichtig für die restaurativen Lehren, welche den Monarchen als Beherrscher des Staates ganz in das Zentrum ihres Systems rückten. Die progressive naturrechtliche Lehre von der mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestatteten Staatspersönlichkeit mußte jedoch unausgereift erscheinen, wenn einerseits der Staatsperson alle öffentlichen Rechte zugeschrieben wurden, andererseits aber der Monarch letztlich Träger der Souveränität blieb. 118 Dabei führte gerade Klübers System nahe an eine normative Lösung heran. Die Vorstellung vom Staat als einer moralischen Person mit eigenen Rechten und Pflichten und die Bezeichnung des Monarchen als Organ des Staates bzw. als „Depositär des allgemeinen Willens" 1 1 9 legte an sich bereits die Bindung des Monarchen an den ihm normativ übergeordneten Staat nahe. Die Erhöhung der Staatsperson zum Träger der Souveränität, die damit einhergehende Organstellung von Regent und Parlament hätten das Zusammenwirken von Monarch und Parlament bei der Gesetzgebung juristisch einwandfrei zu erklären vermocht. Der Übergang von der Fürsten- zur Staatssouveränität wäre juristisch vollzogen worden. Landesfürsten innehatten. Ihnen komme daher keine originäre, sondern nur eine derivative Gewalt zu. Auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 54 hielt einen Dualismus dieser Verfassungen für unhaltbar, da jeder echte Machtkonflikt offenbaren müsse, ob die verfassungsgebende Gewalt dem Fürsten oder dem Volk zuzusprechen war. Allgemein zum Verhältnis der konstitutionellen Theorie zur Verfassungswirklichkeit, Boldt S. 123 ff. H6 Quaritsch, Souveränität, S. 485. Ähnlich Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27flf. (52 f.). 117 Klüber, Öffentliches Recht, § 3 (S. 5). us Diese Unvollkommenheit wird besonders deutlich bei der Verteilung der Souveränität hinsichtlich ihres Substrats und ihrer Ausübung, vgl. Klüber, Öffentliches Recht, § 96 (S. 107). Zu den Hintergründen dieser Differenzierung Kaufmann, Organismus, S. 8 f. und Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (36 f.). Allein Rotteck, Band II, § 24 (S. 101) und § 26 (S. 107) wagte die Staatsgewalt zwischen Monarch und Volk aufzuteilen, da für ihn die Vereinigung der Souveränität in der Hand des Monarchen eine „Zernichtung des Rechtszustandes44 bedeuteet. Die Einheit der Staatsgewalt könne nach ihm daher nur in der idealen Gesamtperson des Staat zusammenfinden. 119 Klüber, Öffentliches Recht, § 3 (S. 5).

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1. Kap.: Ansichten über die Rechtsnatur des Staates Anfang des 19 Jh.

Diese Konsequenzen zu ziehen, gelang Klüber indes nicht. 1 2 0 Wie erwähnt brachte er sein System mit den Vorgaben der Wiener Schlussakte in Einklang. Bezeichnenderweise erkannten aber die Anhänger der Fürstensouveränität in Preußen sehr wohl die für die königliche Autorität gefährlichen Ansätze in Klübers Lehre. Nach Erscheinen der 2. Auflage des „Öffentlichen Rechts des Teutschen Bundes" 1822 wurde daher sein Werk an preußischen Universitäten verboten. Gegen Klüber selbst wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches auf seinen eigenen Wunsch mit seiner Entlassung endete.121 Dennoch hat Klübers Werk mit seinen zukunftsweisenden Formulierungen die Ansätze geliefert, mit deren Hilfe die Widersprüche zwischen der realen Verfassungslage im Vormärz und den Postulaten der Staatslehre überbrückt werden konnten. Was fehlte war die Person, die aus diesen Ansätzen die notwendigen Konsequenzen zog und einbaute in eine widerspruchsfreie juristische Konstruktion des Staates. Diesen entscheidenden Schritt getan zu haben, ist der Verdienst des Göttinger Staatsrechtslehrers Albrecht.

120

Stolleis, Band II, S. 83 stellt daher fest, Klüber sei kein .juristischer Erfinder" gewesen. 121 Klüber, Öffentliches Recht, S. XVIII (Vorrede zur 3. Auflage 1831); Friedrich, Staatsrechtswissenschaften, S. 185; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 168; vgl. auch oben Fn. 44.

2. Kapitel

Wilhelm Eduard Albrecht und die Begründung der Theorie der juristischen Persönlichkeit des Staates I. Die neue staatsrechtliche Auffassung Wilhelm Eduard Albrechts Im September 1837 erschien in den „Göttingischen gelehrten Anzeigen" eine unscheinbare Besprechung über Maurenbrechers jüngst erschienene staatsrechtliche Abhandlung. Der Autor dieser Kritik, der Göttinger Staatsrechtslehrer Wilhelm Eduard Albrecht 1 ( 1800 -1876), vertrat darin die Ansicht, entgegen den Ausführungen Maurenbrechers sei nicht der im jeweiligen Staatswesen herrschende Fürst, sondern der als juristische Person anzusehende Staat selbst Subjekt aller Gewaltrechte gegenüber den Untertanen, hingegen der Monarch nur Organ der über ihm stehenden Staatspersönlichkeit. Obwohl dieser These von den Zeitgenossen zunächst wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, legte Albrecht mit seiner Abhandlung doch den Grundstein für eine juristische Staatskonstruktion, die schon bald als nahezu unangefochtenes Dogma der Staatsrechtslehre gelten konnte. Die nur etwas über zwanzig Seiten umfassende Rezension über Maurenbrechers Werk „Die Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts", welches noch einmal die Fürstensouveränität als die einzig mit Art. 57 der Wiener Schlussakte zu vereinbarende Staatslehre herausstellte und dem Herrscher ganz im Sinne Hallers neoabsolutistischer Patrimonialtheorie die Staatsgewalt als allodiales Eigentumsrecht zuschrieb2, war für Albrecht der Anlass, um ein neues theoretisches Funda1 Wilhelm Eduard Albrecht wurde am 4 März 1800 in Elbing geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Königsberg und Göttingen promovierte er 1822 bei dem Rechtshistoriker Karl Friedrich Eichhorn (1781 -1854) in Göttingen und habilitierte 1824 in Königsberg. 1829 erhielt er als Nachfolger Eichhorns eine Professur für deutsches Staats- und Kirchenrecht in Göttingen. Beendet wurde seine Lehrtätigkeit in Göttingen im Zuge des Hannoverschen Verfassungskonflikts durch Entlassung seitens des Königs am 12. Dezember 1837. Von 1840 bis zu seiner Emeritierung 1868 bekleidete Albrecht eine Professur für deutsches Recht in Leipzig. Der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche gehörte er vom 20. Mai bis zum 17. August 1848 an und schloss sich dort der rechtsliberalen „Casino"-Partei an. Er starb am 22. Mai 1876 in Leipzig. Zur Person Albrechts siehe ADB 45, S. 743 ff.; NDB 1, S. 185 ff.; Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht - Lehrer und Verfechter des Rechts; Stintzing / Landsberg, Band III/2, S. 318ff.; Huber, Band II, S. 98 Fn. 22; sowie die Porträtskizze in der DJZ zum 500jährigen Bestehen der Universität Leipzig, DJZ09, Sp. 1001 ff. 2

Zu Maurenbrechers Staatslehre oben 1. Kapitel II. 2. a).

40

2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

ment für das Staatsrecht zu entwickeln. Der privatrechtlich-patrimonialen Legitimation der Fürstensouveränität stellte Albrecht eine juristische Konstruktion entgegen, die er als „die wahrhafte staatsrechtliche ... im eminenten Sinne des Wortes"3 charakterisierte.

1. Der Gegensatz zwischen älterem und neuerem Verfassungsrecht

Albrecht legte seiner Abhandlung4 das damalige positive Staatsrecht der Staaten des Deutschen Bundes zugrunde. Das Verfassungsrecht der Staaten des Deutschen Bundes bot trotz gewisser Homogenitätsbestrebungen durch Art. 13 der Deutschen Bundesakte und Art. 57 der Wiener Schlussakte kein einheitliches Bild. Während in einigen Staaten, insbesondere in Preußen und Österreich, das Verfassungsgefüge noch ganz dem eines absolutistischen, allein durch die Landeshoheit des Fürsten geeinten Territorialstaates entsprach, hatten andere durch die Verfassungsbewegung ein moderneres staatsrechtliches Gepräge erhalten.5 Hinsichtlich der juristischen Erfassung dieser modernen konstitutionellen Staaten standen sich, wie bereits dargelegt, zwei von gegensätzlichen Grundpositionen ausgehende Systementwürfe gegenüber6, die Albrecht als die ältere privatrechtlich gestaltete Theorie und die neuere staatsrechtlich geprägte Theorie charakterisierte. 7 Zur Aufgabe setzte sich Albrecht daher, den bestehenden „Gegensatz zwischen älterem und neuerem Rechte in seiner ganzen Tiefe und Fülle aufzufassen" und so die zugrunde liegenden „wesentlich verschiedenen Grundansichten über die rechtliche Natur des Staates überhaupt, ... die Quelle und das Grundprinzip der meisten zum Theil ganz offen daliegenden Verschiedenheiten" auszuloten.8 Ausgehend von der rechtlichen Stellung der Landstände in den neueren deutschen Verfassungsstaaten und der Lehre von der Staatensukzession wies Albrecht zunächst nach, dass die konstitutionellen Staaten mit den Begriffen und Prinzipien der älteren patrimonialen Staatslehre im Sinne Maurenbrechers nicht mehr erfasst werden konnten.9 Während die Landstände im älteren Feudalstaat zur Interessenvertretung ihres jeweiligen Standes berufen waren, mithin ihre eigenen Individual3 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1491). Borsdorff S. 296 weist zutreffend darauf hin, dass es sich bei dem Werk Albrechts an sich gar nicht um eine Rezension, als vielmehr um eine selbständige Analyse des geltenden Staatsrechts handelt, die nur durch Maurenbrechers Werk veranlasst war. 5 Siehe oben 1. Kapitel Fn. 18 und Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (38). 4

6

Siehe oben 1. Kapitel II. Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1491). Mit der neueren staatsrechtlichen Theorie meinte Albrecht dabei offenbar die seit Hegel sich verbreitende Lehre von der Organismusstruktur des Staates, vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 215 ff. 8 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1491). 9 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1500 ff.). 7

I. Neue staatsrechtliche Auffassung Wilhelm Eduard Albrechts

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interessen gegenüber dem Monarchen vertraten und daher das Recht der Steuerbewilligung willkürlich ohne Bindung an höhere Interessen ausüben konnten10, seien die Landstände oder Parlamente der neueren Verfassungsstaaten zur Repräsentation des gesamten Volkes berufen und hätten daher ihr vornehmstes und wichtigstes Recht, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und die Bewilligung des Haushalts, nicht an den eigenen Vorteilen, sondern an dem Wohl der gesamten Nation auszurichten. Daher dürfe man die Landstände neueren Typs nicht als eine dem Monarchen entgegengesetzte Institution gewisser Stände begreifen, sondern nur als eine Einrichtung, die gemeinsam mit dem Monarchen zum Besten des Volkes zu handeln berufen sei. Gegen die Lehre von der Staatensukzession, die Maurenbrecher ganz im Sinne der patrimonialen Theorie als eine privatrechtliche Erbfolge des Fürsten konstruierte und daher grundsätzlich jede Bindung des Monarchen an Regierungshandlungen seines Vorgängers ablehnte11, führte Albrecht an, bereits in dem Recht der älteren Feudalstaaten habe der Grundsatz gegolten, dass Regentenhandlungen für jeden Nachfolger verbindlich seien.12 In den neueren Verfassungsstaaten aber, die deutlich zwischen Privatrechten und Regierungsrechten des Monarchen unterscheiden, habe daher diese Bindung erst recht für alle Maßnahmen des Vorgängers zu gelten, bei denen dieser als Regent zur Förderung des Allgemeinwohls gehandelt hatte. Mit der älteren patrimonial-privatrechtlichen Auffassung über die rechtliche Natur des Staates ließen sich daher nach Albrechts Auffassung die Rechtsbeziehungen in den neueren konstitutionellen Staaten nicht mehr erfassen, sondern mussten aufgrund einer neuen staatsrechtlich konstruierten Basis erklärt werden.

2. Die Theorie der juristischen Staatspersönlichkeit

Ausgangspunkt der rechtsdogmatischen Erfassung des neueren konstitutionellen Staatsrechts war für Albrecht die Charakterisierung des Staates als juristische Person. Die Notwendigkeit, den Staat als juristische Person zu konstruieren und damit rechtlich von der individuellen Person des Monarchen abzulösen, ergab sich dabei für Albrecht gerade aus den - im Vergleich zum älteren Staatsrecht offenbar wer10 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1503) meinte daher das Steuerbewilligungsrecht der älteren Landstände sei eher ein Steuerverweigerungsrecht gewesen. 11 Maurenbrecher, Grundsätze, § 232 (S. 443 f.). Eine Einschränkung machte Maurenbrecher, a. a. O., § 243 (S. 467 f.) nur für den Fall, dass infolge der Regierungshandlung des Vorgängers wohlerworbene Rechte der Bürger begründet wurden. Diese sollte nur widerrufen werden können, „wenn das Staatswohl es erheischt." 12 So auch Reyscher, ZDR 2 (1839), S. 1 ff. (69) unter Berufung auf eine Passage des Postglossatoren Baldus de Ubaldis (1327-1400), der in seinen Konzilien die Staatensukzession als „successio in dignitate" charakterisierte.

42

2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

denden - Eigenarten des öffentlichen Rechts gegenüber dem Privatrecht. Während im älteren feudalen Recht das öffentliche Recht als bloßer Annex zu den ansonsten privatnützig ausgestalteten Rechtsbeziehungen erschien, zeigte sich im neueren konstitutionellen Staat eine deutliche Trennung der beiden Rechtsgebiete. „Somit", formulierte daher Albrecht richtungsweisend, „zerlegt sich das Leben des Einzelnen (Herrschers und Unterthanen) in zwey Partien, die eine, in der er um jenes Allgemeinen willen, im Namen und Dienste des Staats, als Haupt oder Glied desselben, berechtigt oder verpflichtet ist, die andere, in der er, als selbständiges Individuum, um seiner selbst willen Rechte, oder um eines Anderen willen Verpflichtungen hat." Unmittelbar aus dieser spezifischen Unterscheidung zog Albrecht seinen berühmten Schluss: „Indem wir somit in Beziehung auf das erste Gebiet dem Individuum alle selbständige juristische Persönlichkeit (das um seiner selbst willen Berechtigt-Seyn) absprechen, werden wir nothwendig dahin geführt, die Persönlichkeit, die in diesem Gebiete herrscht, handelt, Rechte hat, dem Staate selbst zuzuschreiben, diesen daher als juristische Person zu denken."13

Die Bedeutung dieser Passage wird allerdings nicht einheitlich beurteilt. Während man früher Albrecht aufgrund dieser Ausführungen als Begründer des Dogmas von der juristischen Persönlichkeit des Staates ansah14, wird der Einfluss Albrechts auf die Entwicklung der Lehre vom Staat als juristische Person in neueren Untersuchungen deutlich relativiert. So wird der „Mythos" der MaurenbrecherRezension als Legende dargestellt, die auf einem Missverständnis der zufälligen Verwendung des Begriffs der juristischen Persönlichkeit durch Albrecht beruhe. Albrecht sei mit seinen Ausführungen über die rechtliche Natur des Staates vielmehr der Mehrzahl der zeitgenössischen Staatsrechtslehrer zuzuordnen, die den Staat im Sinne Hegels als Verkörperung einer sittlichen Idee betrachteten, da er mit der Bezeichnung des Staates als juristische Person nichts anderes habe ausdrücken wollen, als die Einbindung von Monarch und Volk in die sittliche Idee des Staates. Albrecht habe, so wird argumentiert, den Begriff der juristischen Person nur als Synonym für die seit den Naturrechtlern geläufige Bezeichnung des Staates als moralische Persönlichkeit gebraucht, nicht aber den Staat als Rechtssubjekt darstellen wollen. Erst Carl Friedrich von Savigny 15 (1779-1861) habe 1840 mit der von ihm begründeten Willenstheorie und der Lehre von der juristischen Person »3 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1492). Sehr ähnlich später Schmitthenner S. 263. ι* So etwa Bernatzik, AöR 5 (1890), S. 169 ff. (246 f.); Jellinek, Staatslehre, S. 169 Fn. 1; Mayer, Festgebe für Laband, S. 1 ff. (54); Meyer/Anschütz S. 15 Fn. 8; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 326. Aus der neueren Literatur: Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269ff. (273) Häfelin S. 86; Pauly S. 78 ff.; Quaritsch, Souveränität, S. 488; Rittner S. 171 Fn. 111; Schlink, Staat 28 (1989), S. 161 ff. (161) und Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (348 Fn. 46). Zur Rezeptionsgeschichte der Maurenbrecher-Rezension siehe Urbaschek S. 47 ff. 15 Zu Savigny siehe ADB 30, S. 425 ff.; Kleinheyer/Schröder S. 239 ff. und Stintzing/ Landsberg S. 186 ff. und unten 3. Kapitel I. und II. 1.

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als eines fiktiven eigenständigen Handlungs- und Willenssubjekts die Grundlagen für die juristische Verselbständigung des Staates als Rechtsperson geschaffen, so dass erst Carl Friedrich von Gerber 16 (1823-1891), der Savignys Willenstheorie in das Staatsrecht übertrug, als der Begründer der Theorie von der juristischen Persönlichkeit des Staates anzusehen sei. 17 Wenn auch, wie noch zu zeigen sein wird 18 , erst mit Gerber die Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit durch die Verknüpfung mit der Willenstheorie der Historischen Rechtsschule ihre spezifische Ausprägung erhielt und die Dogmatik des Staatsrechts revolutionierte, so wird doch die Bedeutung Albrechts für die Theoriegeschichte verkannt, wenn man seine Ausführungen über die dogmatischen Grundlagen des Staatsrechts im Sinne der seit dem Naturrecht geläufigen Idee einer sittlichen Staatspersönlichkeit deutet und den Begriff der juristischen Persönlichkeit einseitig auf die von Savigny begründete Persönlichkeitslehre fokusiert. Albrecht selbst bringt in seiner Rezension deutlich zum Ausdruck, dass es ihm gerade darum geht, die „Idee der Persönlichkeit des Staates, die bislang nur als Vorspann oder Beiwerk der neueren Staatslehre gebraucht wurde, als Fundament in das Staatsrecht einzubauen und deren reichhaltige Folgen in den dogmatischen Einzelmaterien konsequent durchzuführen." 19 Dieses Anliegen wird durch die folgenden Ausführungen Albrechts konkretisiert: „Wir denken uns heutzutage (wenigstens läßt sich dieses als eine überwiegend herrschende Ansicht betrachten) den Staat nicht als eine Verbindung von Menschen die lediglich und unmittelbar für individuelle Zwecke und Interessen derselben, sey es Aller oder Vieler, oder auch eines Einzelnen, namentlich etwa des Herrschers, berechnet ist, sondern als ein Gemeinwesen, eine Anstalt, die über dem Einzelnen stehend, zunächst Zwecken gewidmet ist, die keineswegs bloß die Summe individueller Interessen des Herrschers und der Unterthanen, sondern ein höheres allgemeines Gesamtinteresse bilden, von wo aus erst mittelbar jenen Nahrung, Förderung und Richtung zu Theil wird." 20

Diesem noch ganz im Sinne der Philosophie Hegels und Schellings einzuschätzenden Verständnis des Staates als ethische Person oberhalb der Individuen, verlieh Albrecht rechtlichen und dogmatischen Gehalt, indem er die Persönlichkeit des Staates juristisch fundierte und jede nur ethische und unverbindliche Verwendung des Persönlichkeitsbegriffs verwarf. 16

Zu Gerber siehe unten 3. Kapitel Fn. 1. So insbesondere Schönberger S. 42 ff., der die Bedeutung der Maurenbrecher-Rezension als Ergebnis einer bewussten Legendenbildung darstellt, durch die der Bruch der von Gerber begründeten positivistischen Staatsrechtslehre mit den Traditionen der älteren Staatslehre verdeckt werden sollte. Auch Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 174ff. und 215 ff.; Scheuner, Hegel, S. 81 ff. (93 Fn. 60) sowie Zwirner S. 95 ff. meinen, Albrecht habe sich mit seinem Werk sachlich nicht von zeitgenössischen Lehren unterschieden. 17

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Siehe unten 3. Kapitel. Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1495 f.). 20 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1491 f.).

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„Die Worte juristische Person4 des Staates, Rechte, Eigenthum, Handlungen, Pflichten des Staates" beklagte Albrecht in seiner Abhandlung, seien „in einem Grade eine alltägliche Redensart geworden, daß damit etwas ganz Triviales gesagt zu werden scheint."21 Die der patrimonialen Staatstheorie entgegengesetzten Persönlichkeitslehren hatten bis dahin den Staat reichlich unklar als moralische Person bezeichnet. Damit sollte zwar eine philosophisch-ideale Erhöhung der staatlichen Idee ausgedrückt werden, als Subjekt des Rechts wurde der vom Monarchen abgelöste Staat aber bis hin zu Albrecht nicht angesehen.22 Der Verwendung des Persönlichkeitsbegriffs in Bezug auf den Staat als eine lediglich „alltägliche Redensart", als „hingeworfener Gedanke" ohne Konsequenz für die rechtlichen Beziehungen innerhalb des Staatsverbandes, trat Albrecht daher entschieden entgegen. Dem rechtsethisch bereits bestehenden Gedanken von der Staatspersönlichkeit23 sollte ein deutlich juristisch-dogmatischer Ansatz verliehen werden. Den Begriff der juristischen Persönlichkeit wollte Albrecht zu diesem Zweck für die „Construction des Staatsrechts fruchtbar" 24 machen, indem er bewusst an die insoweit fortschrittlichere Dogmatik des Privatrechts anknüpfte. Dort hatte nämlich Georg Arnold Heise (1778-1851) in seinem 1807 erschienenen „Grundriss eines Systems des gemeinen Civilrechts" den Menschen, die bis dahin als einzig mögliche Rechtssubjekte angesehen wurden 25 , die juristischen Personen als mögliche Träger von Rechten und Pflichten beigeordnet. Der von Heise zu Anfang des 19. Jahrhunderts begründete Begriff der juristischen Person fand innerhalb der deutschen Privatrechtswissenschaft rasch allgemeine Verbreitung und verdrängte die pufendorfsche Lehre von der „persona moralis." Alles, was durch Gesetz außer den Menschen als Subjekt von Rechten und Pflichten anerkannt war, galt nach dieser Lehre als juristische Person. 26 Mehrere Jahrzehnte vor Savignys „System des heutigen römischen Rechts", in welchem der Begriff der Person von der Willens- und Handlungsfreiheit der Menschen abgeleitet wurde und die juristische Person deshalb als fingiertes Willens- und Handlungssubjekt konstruiert wurde 27 , war damit im Zivilrecht bereits der Begriff der juristischen Person als spezifischer Rechtsterminus (in einem einfacheren Sinne) etabliert. 28 21 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1495). 22 Siehe oben 1. Kapitel II. 1. und 3. 23 Wegen der besonders von Hegel vertretenen Lehre einer organischen Persönlichkeit des Staates hielt Heller Hegel für den Schöpfer der „modernen Persönlichkeitstheorie", vgl. Heller, Hegel, S. 109 f. Ähnlich Scheuner, Hegel, S. 81 ff. (93). 24 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1495). 25 Vgl. noch § 1 I 1 Pr ALR: „Der Mensch wird, insofern er gewisse Rechte in einer bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt." Zum ständischen Charakter dieser Rechtspersönlichkeit, vgl. Rittner S. 153. 26 Vgl. Flume, Festschrift Wieacker, S. 340 ff. (340 f.) und Pauly S. 78 Fn. 147. 27 Savigny, Bandii, §§ 85ff. 28 Die sogenannte Fiktionstheorie Savignys setzte sich allerdings in den folgenden Jahren gegenüber den älteren Lehren allgemein durch. Der Fiktionstheorie stellte Otto von Gierke

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Auf diesen präsavigny'schen Begriff der juristischen Person berief sich Albrecht also, wenn er in seiner Rezension anregte, die dogmatischen Fortschritte des Privatrechts auch für das moderne Staatsrecht fruchtbar zu machen.29 Durch den aus dem Privatrecht entlehnten Begriff der juristischen Person sollte daher der Staat als selbständiges Subjekt von hoheitlichen Rechten und Pflichten herausgestellt werden. Indem Albrecht den Staat mit eigener Rechtsfähigkeit bedachte, wollte er ihn aber gerade nicht im Sinne einer nur ethisch-moralischen Persönlichkeit verstanden wissen. Die Kennzeichnung des Staates als juristische Person war somit kein zufälliges Wortspiel, sondern eine bewusst gewählte juristische Terminologie. 30 Kraft der normativen Verbindlichkeit des Begriffs der juristischen Persönlichkeit konnten Grundlagen und Grundfragen des Staatsrechts in klar definierte rechtliche Formen gebracht, das Wesen des Staates insofern juristisch handhabbar gemacht werden. 31 Es bleibt aus diesem Grunde festzuhalten, dass Albrecht durch die Übertragung der privatrechtlichen Kategorie der juristischen Person in das Staatsrecht als Erster dem Staat die Qualität eines eigenständigen Rechtssubjekts zudachte und demzufolge berechtigterweise als Begründer der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates gilt. Träger aller hoheitlichen Rechte und zugleich Träger der Souveränität, der höchsten Gewalt innerhalb des Staatswesens, war damit der Staat. Der Monarch konnte in Albrechts System keine eigenen Hoheitsrechte mehr geltend machen. Als Organ 32 der juristischen Person „Staat" übte er lediglich fremde Rechte im (1841-1921) später die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit entgegen. Die Dogmengeschichte der Lehre von der juristischen Person im Privatrecht kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter vertieft werden. Vgl. dazu umfassend Flume, Festschrift Wieacker, S. 340 ff.; Nass S. 31 ff.; Rittner S. 180 ff.; Vietze, Zur Theorie der juristischen Person in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts; Wieacker, Festschrift Huber, S. 339 ff. und Wolff, Band I, S. 2 ff. 29 Vgl. Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1495). 30 Dies verkennt Schönberger, wenn er behauptet, Albrecht habe die Formulierung „juristische Person" in Übereinstimmung mit der älteren Staatslehre im Sinne einer moralischen Persönlichkeit verstanden, vgl. Schönberger S. 49 f. Schönberger geht insofern in seiner Kritik am „Mythos" der Maurenbrecher-Rezension zu weit, wenn er Albrecht den Verdienst abspricht, als Erster den Staat als Rechtssubjekt erkannt zu haben. Richtig daher Jellinek, Staatslehre, S. 169 Fn. 1: „... gegenüber spekulativen Unklarheiten" habe zuerst Albrecht den Staat als Rechtssubjekt erfasst. Ebenso Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. 348 Fn. 46 und Sc hl ink, Staat 28 (1989), S. 161 ff. (161). 31 Pauly S. 79. Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1495 f.) beklagte, dass der Terminus der juristischen Person des Staates eine „alltägliche Redensart" ohne juristischen Gehalt geworden sei, während in Bezug auf privatrechtliche Korporationen die Frage der juristischen Persönlichkeit nur „mit der äußersten Vorsicht beantwortet" werde. Die Absicht Albrechts, die im Zivilrecht seit Beginn des 19. Jahrhunderts dogmatisch durchgeformte Lehre der juristischen Person (im Sinne eines selbständigen Subjekts von Rechten und Pflichten) auch für die staatsrechtlichen Beziehungsverhältnisse fruchtbar zu machen, wird hier besonders deutlich. 32 In den Jahrzehnten nach Albrechts Rezension entbrannte unter den Anhängern der Lehre von der juristischen Person ein Streit zwischen der von den Romanisten vertretenen

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fremden Namen aus.33 Natürliche Personen wie der Fürst, der Beamte oder auch der Bürger konnten im Rahmen der juristischen Staatspersönlichkeit nur noch im Namen des Staates, „als Haupt oder Glied desselben" berechtigt oder verpflichtet sein. Im eigenen Namen dagegen konnte das Individuum nur handeln, wenn es „um seiner selbst willen Rechte, oder um eines Anderen willen Verpflichtungen" geltend machte und insofern als eigene juristische Persönlichkeit auftrat. 34 Der dem Allgemeinwohl verpflichtete Staat wurde damit über die individuellen Personen, egal ob Herrscher oder Untertan, gehoben. Der Staat als mit den Hoheitsrechten ausgestattete juristische Persönlichkeit trat dem Bürger dadurch als mächtige Überperson gegenüber. Seine prinzipiell unbegrenzten Herrschaftsrechte können jedoch in einer Verfassung gegenüber den Bürgern begrenzt werden. Die Konstitution begrenzte nach Albrechts Theorie insofern allein staatliche Rechte. Albrecht zerlegte damit die dem Monarchen zustehenden rechtlichen Befugnisse in die ihm als Privatperson zustehenden Eigentumsrechte und in Rechte des Staates, die er als dessen Organ, mithin nicht nach den Regeln des Privatrechts, sondern nach den Normen der Verfassung auszuüben hatte.35 Handelte der Fürst als Fürst, so wurde er nicht kraft eigenen fürstlichen Rechts tätig, sondern übte im „Namen und im Dienste des Staates" eine Befugnis aus, deren Rechtsträger der Staat als juristische Person war. 36 Der Regent konnte demgemäß die Staatsgewalt nur im „Vertretertheorie" (insbesondere Savigny, Band II, §§ 96 ff.) und der von den Germanisten vertretenen „Organtheorie" (insbesondere Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 603 ff.), der erst im 20. Jahrhundert zugunsten der „Organtheorie" entschieden werden konnte. Die Anhänger der Vertretertheorie hielten die juristische Person für willens- und handlungsunfähig, so dass nur eine Fiktion die Handlungen der Vertreter zu Handlungen der vertretenen juristischen Person erklären konnte. Demgegenüber erklärten die Vertreter der Organtheorie, die willensund handlungsfähige juristische Person betätige ihren Willen und handele selbst durch ihre Organe. Da nach Albrecht der Staat als juristische Person selbst - durch seine Organe - handelt und herrscht, gehört er der Sache nach in das Lager der späteren Organtheorie, ebenso Pauly, S. 81 Fn. 164. Die Genese dieses in erster Linie zivilrechtlichen Streits kann im Rahmen dieser Darstellung nicht weiter vertieft werden. Vgl. aber zum heutigen Meinungsstand Enneccerus/Nipperdey S. 617ff.; Wolff, Band II, S. 296ff. 33 Pauly S. 82. 34 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1492). Die von Haverkate, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 64 ff. (73) aus dieser Passage gezogene Schlussfolgerung, Albrecht habe die Existenz von individuellen Freiheitsrechten des Bürgers im öffentlichen Recht geleugnet, beruht aber offenbar auf einer Fehlinterpretation. Da Albrecht ebd. den Individuen eine eigene Berechtigung nur absprach, wenn sie in Angelegenheiten der Allgemeinheit, d. h. im Namen des Staates agieren, andererseits aber a. a. O. S. 1508 ff. (1512) die Rechtsbindung der im Namen der juristischen Person handelnden Organe an die Konstitution, mithin gerade auch die bürgerlichen Freiheitsrechte, als Konsequenz seiner Ansicht herausstellte, kam es ihm vielmehr entscheidend auf eine Stärkung der Verbindlichkeit der individuellen Freiheitsrechte an. Ähnlich Böckenförde, Geschichtliche, Grundbegriffe, S. 561 ff. (601) und Pauly S. 82 Fn. 167. 35 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1508 ff. (1511 f.). 36 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1492).

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Namen und im Dienste des Staates und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranken ausüben. In dieser Konsequenz lag zugleich ein besonderer juristischer Ertrag: Der Monarch war als Staatsorgan an die Verfassung gebunden - nicht im Sinne einer persönlichen vertraglichen Bindung, sondern als vorgegebene Beschränkung bei der Ausübung der staatlichen Rechte. Hinzu kam, dass der Staat dem Allgemeinwohl verpflichtet war und daher die in seinem Namen handelnden Staatsorgane in ihrem Handeln ebenfalls an das Gemeinwohl gebunden waren. Dem Monarchen war damit jede einseitige Aufkündigung einer einmal in Kraft gesetzten Verfassung entzogen. Vielmehr wurde durch die Lehre von der juristischen Staatsperson die Bindung des Monarchen an die Verfassung sowie die Verpflichtung der Beamten als Staatsdiener auf das Gemeinwohl widerspruchsfrei legitimiert und offengelegt. Handlungen des Monarchen waren stets Handlungen eines Staatsorgans. Der Nachfolger war insofern an die Organhandlungen seines Vorgängers in jedem Fall gebunden und nicht nur dann, wenn durch die Handlung des Vorgängers wohlerworbene Rechte des Bürgers erworben worden sind, wie noch Maurenbrecher formulierte. 37

3. Die Intention Albrechts und die Auswirkung seiner Staatstheorie

Albrechts Theorie war nach seinen Worten „bloß das juristische Gewand eines Gedankens . . . , der als ethischer wohl von Jedermann zugegeben wird, nämlich der Vorstellung vom Beruf des Monarchen für eine höhere, über ihm (dem Einzelnen) stehende Idee zu leben." 38 Albrecht entwickelte seine Lehre von der juristischen Staatsperson auf dem Boden des geltenden konstitutionellen Staatsrechts. Sie sollte die Stellung und Aufgabe des Monarchen innerhalb des Verfassungsgefüges des modernen Staatsrechts erläutern. Keine Anwendung finden sollte seine Staatskonstruktion dagegen auf Staaten, in denen noch die alten Strukturen der absolutistischen Territorialstaaten galten.39 Ausdrücklich sprach er diesen älteren „Patrimonialstaaten", die die monarchischen Befugnisse an keine Konstitution banden, jede Rechtspersönlichkeit ab. 40 Die Persönlichkeitslehre sollte insofern Ausdruck des modernen Staatsrechts gegenüber dem älteren Recht sein, eine Theorie des geltenden positiven Staatsrechts der frühkonstitutionellen Staaten. Nicht geleugnet werden konnte jedoch auch durch Albrecht, dass das geltende Staatsrecht im Deutschen Bund durch Art. 57 der Wiener Schlussakte geprägt wurde, welcher die fürstliche Souveränität zumindest äußerlich wahrte. Jedes Pro37

Maurenbrecher, Grundsätze, § 243 (S. 467 f.), siehe oben Fn. 11. 38 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1508 ff. (1513). 39 Insbesondere also Österreich und Preußen. Siehe oben 1. Kapitel Fn. 114. 40 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1500f.).

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gramm, das den Fürsten die Souveränität absprach, musste insofern den Anstoß erwecken, revolutionäre Tendenzen zu verfolgen. Albrecht suchte allerdings mit seinen Thesen nicht, der Volkssouveränität das Wort zu reden. Nachdrücklich wehrte er sich dagegen, dass eine Staatstheorie, die den Staat als juristische Person definiert, eine „antimonarchische, unheilbringende Lehre" sei. 41 Vielmehr unternahm Albrecht den Versuch, die verfassungstheoretischen Widersprüche im konstitutionellen Staat zu überwinden. Weder die absolute Fürstensouveränität noch die Volkssouveränität war mit dem geltenden konstitutionellen Staatsrecht in Einklang zu bringen. Seitdem die Monarchen durch die Konstitutionen bei Gesetzgebung und Steuererhebung an die Zustimmung der Landstände gebunden wurden, waren sie ihrer souveränen Stellung beraubt. Andererseits konnte in den monarchischen Staaten des Deutschen Bundes keineswegs von einer Souveränität des Volkes gesprochen werden. Nur ein verbindender Mittelweg konnte insofern das Wesen des konstitutionellen Staates definieren. Albrechts Staatskonstruktion nahm daher den Fürsten nicht ihre Souveränität, sondern verwandelte die fürstlichen Rechte in Rechte des Staates. Das monarchische Prinzip postulierte die Absolutheit der fürstlichen Rechte innerhalb des staatlichen Verbandes. Die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates verwandelte diese absoluten Rechte in Rechte des Verbandes selbst 42 Diese Verselbständigung des Staates enthob den Herrscher von seiner absolutistischen Stellung als Souverän, zugleich aber verhinderte sie die Ablösung der Fürstensouveränität durch die als revolutionär und gefährlich geltende Lehre von der Volkssouveränität. Damit fand Albrecht mit der Formel der juristischen Persönlichkeit des Staates das „Erlösungswort" für die Staatslehre der frühkonstitutionellen Epoche 4 3 Der Widerspruch des konstitutionellen Staatsrechts zwischen dem Anspruch auf fürstliche Souveränität gem. Art. 57 der Wiener Schlussakte und den realen verfassungsrechtlichen Machtverhältnissen wurde durch diesen dritten Weg, durch eine Synthese ganz im Sinne der hegelschen Dialektik, aufgelöst. Weder Fürst noch Volk, sondern die höhere Person des Staates sollte rechtliches Subjekt der Staatsgewalt werden, Monarch und Landstände dagegen nur dem Gemeinwohl und der sittlichen Idee des Staates verpflichtete Organe. 41 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1508 ff. (1512). 42 Quaritsch, Souveränität, S. 497. 43 So formuliert von Höhn, Staatsbegriff, S. 225; Schmitt, Hugo Preuss S. 8 f. ders., Verfassungslehre, S. 54 spricht von einem „dilatorischen Formelkompromiß". Haverkate, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 64 ff. (73) meint dagegen Albrecht habe weder mit der Verselbständigung des Staates gegenüber dem Fürsten, noch mit der rechtlichen Konstruktion des Staates als juristische Person neue Erkenntnisse gewonnen. In Anbetracht der bahnbrechenden Erkenntniskraft der Lehre Albrechts für die konstitutionellen Verfassungstheorie muss diese beweislos hingestellte Behauptung allerdings Verwunderung auslösen. Gleiches gilt für die Anmerkung von Scheuner, Hegel, S. 81 ff. (93 Fn. 60) über Albrechts Rezension, in der er sich fragt, „wie jemals ein so schwacher Gedanke in den Ruf eines wissenschaftlich bedeutenden Werks gelangen konnte."

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Die Theorie vom Staat als juristische Person diente Albrecht mithin dazu, das positive moderne Staatsrecht der konstitutionellen Staaten in einer rechtlichen Konstruktion darzustellen. Damit war jedoch nicht zugleich intendiert, der auch ihm als unheilvoll geltenden Lehre der Volkssouveränität Vorschub zu leisten. Seine Persönlichkeitstheorie sollte vielmehr wissenschaftliche „Grundlage und Ausgangspunkt für die Construction des heutigen Staatsrechts"44 sein.

4. Zeitgenössische Kritik an Albrechts Thesen

Im Hinblick auf die für die Dogmatik des Staatsrechts grundlegende Stellung, die Albrecht seiner These zuschrieb, hätte seine Abhandlung an sich ein breites wissenschaftliches Echo erfahren müssen. Die äußerst geringe literarische Resonanz, die Albrechts Staatskonstruktion in den nächsten Jahren fand, muss daher überraschen. a) Zunächst antwortete Romeo Maurenbrecher (1803-1843) 1839 auf die Rezension Albrechts in Form einer monographischen Gegenkritik mit dem Titel „Die deutschen regierenden Fürsten und die Souveränität." Die Theorie von der Staatspersönlichkeit wurde von Maurenbrecher darin als bloße Fiktion abgelehnt. Der Staat könne nur dort eine eigene Persönlichkeit haben, wo das positive Recht ihm diese Eigenschaft namentlich verliehen habe. Ausdrücklich kritisiert er jede Argumentation, „nach welcher es genug seyn soll, daß der ,Staat' einmal in den Gesetzen irgendwo als ein Subjekt von Rechten genannt sey, um ihn für alle Fälle, insbesondere auch hinsichtlich der Souveränität, als Rechtssubjekt zu haben."45 Die scharfe Kritik an der fehlenden positiv-rechtlichen Begründung der Persönlichkeitslehre wird besonders deutlich in der rhetorischen Frage: „Was würde aber Jakob Moser zu allen diesen Sätzen sagen, wenn er zu uns heimkehren und Rechenschaft verlangen könnte, wie sein großes uns hinterlassenes Erbtheil von uns benutzt worden ist? Was würde er zu einem deutschen Publicisten sagen, der solche Sätze aufstellt, ohne sie aus den Quellen zu beweisen?"46 Ausgehend von dem geschriebenen Recht der Staaten des Deutschen Bundes versuchte Maurenbrecher daher, die Theorie der Staatspersönlichkeit zu widerlegen. Auf der Grundlage des monarchischen Prinzips könne an der Souveränität der Fürsten nicht gezweifelt werden. Die Monarchen würden auch von den Verfassungen als Oberhaupt des Staates anerkannt, ihre Person werde als heilig und unverletzlich erklärt. Mit diesen Verfassungsnormen sei jedoch eine Stellung des Monarchen als Organ, 44 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1498). 45 Maurenbrecher, Fürsten, S. 275 f. 46 Maurenbrecher, Fürsten, S. 81. Wegen der polemischen Ausdrucksweise Maurenbrechers nannte Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (102) das Werk „ein wunderliches Chaos von wahren und corrupten Gedanken" und a. a. O. S. 97 ff. (138) „eine gränzenlose Confusion der Begriffe und Grundsätze, ... ein unausgesetztes Sichselbstwidersprechen." 4 Uhlenbrock

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als Diener einer Staatsperson, nicht zu vereinbaren. Vielmehr stellte Maurenbrecher fest, „daß die deutschen Verfassungsgesetze zwischen Recht und Ausübung zu unterscheiden gewußt haben" und daher Albrecht erklären müsse, „wo nun geschrieben sey oder weshalb nirgends geschrieben stehe: daß der deutsche Monarch nur die Ausübung der Souveränität, etwa wie ein Staatsverweser, haben solle?" 47 Insofern sei die Annahme „mehr dichterisch, wie juristisch, ... daß jeder monarchische Staat über seinem sichtbaren, sinnlichen Centrum (dem Fürsten) noch ein unsichtbares, übersinnliches Centrum habe, von dem alle Regierung ausgehe und das bald durch den Fürsten, bald durch die Standschaft, bald durch die Staatsdienerschaft oder wer sonst Lust und augenblicklich Macht dazu besitzt, repräsentiert werde." 48 Die souveräne Stellung der deutschen Fürsten habe sich vielmehr praktisch durch den Untergang des alten Deutschen Reiches 1806 eher noch verstärkt, da sie ihrer lehnsrechtlichen Bindungen gegenüber dem Kaiser enthoben wurden 4 9 Albrechts Theorie von der Staatssouveränität verwarf Maurenbrecher daher als „bloße Einbildung der Theoretiker." 50 Abgesehen von dieser Streitschrift Maurenbrechers, zu der Albrecht an sich eine monographische Antwort zu geben bestrebt war 51 , fanden seine Thesen aber nur beiläufige Resonanz im zeitgenössischen Schrifttum. b) Im Zusammenhang mit einer Rezension über Maurenbrechers Werk „Die deutschen regierenden Fürsten und die Souveränität" würdigte der Rechtsphilosoph Friedrich Julius Stahl 52 (1802-1861) Albrechts Aufsatz nur in einer Fußnote als „die flüchtigen Äußerungen" einer „Gelegenheitsschrift." Die Theorie von der Staatspersönlichkeit nannte er „ein in seinen Mitteln unsorgfältiges Bestreben, das staatsrechtliche Princip im Gegensatze des privatrechtlichen klar zu machen."53 Inhaltlich stimmte Stahl vielmehr mit Maurenbrecher in der Ablehnung „der falschen Vorstellung, als herrsche der Fürst nicht kraft eigener, persönlicher Autorität, sondern nur kraft und namens des Gesetzes"54, überein. Die Lehre von der Staatspersönlichkeit, „nach welcher die Stellung des Fürsten im Staate eine bloße Function 47

Maurenbrecher, Fürsten, S. 139. Maurenbrecher, Fürsten, S. 286. 49 Maurenbrecher, Grundsätze, § 92 (S. 135 f.). 48

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Maurenbrecher, Fürsten, S. 107. 51 Stintzing/Landsberg, Band III / 2, S. 326; BorsdorffS. 317. 52 Zu Stahl und seiner die konstitutionelle Ära prägenden Staatsphilosophie siehe ADB 35, S. 392ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 630ff.; Boldt S. 196 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 171 ff.; Kleinheyer/Schröder S. 265 ff.; Oertzen, Soziale Funktion, S. 72ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 370ff.; Stolleis, Band II, S. 152ff. und Zwirner S. 85 ff. 53 Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (121 Fn. 21). Ähnlich noch Carl Friedrich von Gerber, der 1852 von einer „gelegentlichen Äußerung" Albrechts spricht, vgl. Gerber, Rechte, S. 13 und 18, sowie oben 3. Kapitel Fn. 15. Zur Unterscheidung zwischen Privatrecht und dem öffentlichen Recht bei Stahl siehe auch Zwirner S. 91. s4 Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (100). Zur kritischen Haltung Stahls gegenüber der Lehre von der Staatssouveränität vgl. auch Boldt S. 81 Fn. 115.

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und nicht ein selbständiges seiner Person absolut zustehendes Recht ist", wurde von ihm daher als liberalistischer Irrtum abgelehnt. 55 c) Positiver fiel dagegen die Bemerkung des Göttinger Volkswirts und A l brecht-Schülers Wilhelm Roscher 56 (1817-1894) aus, der in seiner Schrift die „vortrefflichen Vorstellungen von A l b r e c h t " 5 7 als gesellschaftliche Staatslehre der patrimonialen Staatstheorie gegenüberstellte. Den Gegensatz zwischen der patrimonialen und der neuen, auf „den höchsten Culturstufen" stehenden staatsrechtlichen Grundansicht Albrechts prägte nach Roscher dabei bereits die Auslegung aller Staatsrechtsverhältnisse. 58

5. Kritische Würdigung der Staatspersönlichkeitslehre Albrechts Die spärliche zeitgenössische Kritik fiel insofern mehrheitlich negativ aus. 5 9 Insbesondere die ganz auf dem Boden des geltenden Verfassungsrechts argumentierende Stellungnahme Maurenbrechers schien Albrechts Lehre, die j a den Anspruch erhob, als „Grundlage und Ausgangspunkt für die Construction des heutigen Staatsrechts" 60 einen allgemeingültigen Satz des deutschen Staatsrechts zu bilden, besonders hart zu treffen. Bei der Würdigung von Albrechts Systementwurf und der darauf besonders von Maurenbrecher geäußerten Kritik muss aber zunächst auf die unterschiedlichen 55 Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (102). Auch die von Maurenbrecher favorisierte patrimonial-privatrechtliche Staatslehre wurde von Stahl, a. a. O., S. 97 ff. (120) jedoch abgelehnt, da dem Fürsten die Souveränität nicht zur „eigenen Befriedigung und der (rechtlich) willkürlichen Verfügung, wie beim Eigenthum" zustehe. Vielmehr sei der Fürst Wahrer der von Gott gesetzten staatlichen Ordnung, der „Legitimität", seine Souveränität sei für die öffentlichen Zwecke bestimmt, die Beziehungen zwischen Monarch und der Souveränität müssten daher allein staatsrechtlich begriffen werden, siehe unten 2. Kapitel II. 1. a). 56 Zu Roscher vgl. ADB 53, S. 486 ff. und DJZ 09, Sp. 984 ff. 57 Roscher, Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 6 (1843), Zweiter Band, S. 231 ff. (253 Fn. *). 58 Roscher, Neue Jahrbücher der Geschichte und Politik 6 (1843), Zweiter Band, S. 231 ff. (253). 59 Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, im Zuge der Rezeption der Albrecht'schen Lehre durch die positivistische Staatsrechtslehre, siehe dazu unten 3. und 4. Kapitel, wird die Rezension Albrechts dagegen als epochale Gründerleistung, als „symbolische Schrift" (Otto Mayer) und sogar als das Beste, was je über den Staat geschrieben worden ist (Bernatzik), gefeiert. Noch Schlink, Staat 28 (1989), S. 161 ff. (162) meint, Albrechts Rezension markiere den „Anfang der modernen Staatsrechtswissenschaft". Erst in neuester Zeit wird die Bedeutung der Maurenbrecher-Rezension wieder kritischer bewertet, vgl. Friedrich, Staatswissenschaft, S. 215 ff.; Haverkate, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 64ff. (73); Scheuner, Hegel, S. 81 ff. (S. 93 Fn. 60); Schönberger S. 42 ff.; Zwirner S. 96f. und oben Fn. 17. Zur Genese der wissenschaftlichen Bewertung der Schrift Albrechts umfassend Urbaschek S. 46 ff. 60 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1498). 4*

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

Erkenntnismethoden und Ziele beider Wissenschaftler hingewiesen werden. Für Maurenbrecher bestand die wissenschaftliche Bearbeitung des Staatsrechts in der Interpretation der historisch gewachsenen Verfassungsinstitutionen anhand der geltenden positiven Verfassungsgesetze. 61 Albrecht versuchte demgegenüber, eine juristische Dogmatik des geltenden Rechts zu entwickeln, die auf die konkreten Rechtsfragen der Epoche widerspruchsfreie Antworten zu geben imstande war. Albrechts Theorie war insofern zwar von dem geltenden Recht intendiert, nicht jedoch im Sinne einer positiv-rechtlichen Fundierung vorgegeben. Sie sollte vielmehr ein klares juristisch-dogmatisches Begriffssystem bilden und so die Auslegung der Verfassungstexte formen und leiten. Die Persönlichkeitslehre wurde von Albrecht insofern als staatstheoretisches Axiom herausgearbeitet. 62 Bei dieser Intention war es Albrecht gar nicht möglich, seine Lehre positiv-rechtlich zu begründen. Vielmehr fügte Albrecht aus dem vorhandenen Gedankengut der Philosophie und der Staatslehre gewisse Elemente zusammen, um sie gemeinsam mit der aus dem Zivilrecht übernommenen Lehre der juristischen Person zu einem theoretischen allgemeingültigen Konstrukt des geltenden Staatsrechts zu verbinden. Maurenbrecher, der sich auf eine Interpretation des vorhandenen Gesetzesmaterials der einzelnen Staaten beschränkte, übersah in seinen positiv-rechtlichen Erwägungen insofern, dass Albrechts Theorie einen anderen methodischen Zweck verfolgte und mit empirischen Argumenten nicht widerlegt werden konnte.63 Wenn Maurenbrecher daher die Charakterisierung des Monarchen als „Oberhaupt des Staates" zum Anknüpfungspunkt nahm, um zu beweisen, dass das geltende Verfassungsrecht von einer Stellung des Fürsten oberhalb des Staates ausgeht, verkannte er, dass „Oberhaupt" im Rahmen der Theorie Albrechts nur als oberstes Staatsorgan interpretiert werden konnte. Albrecht wollte gerade nicht die geltenden Verfassungs- und Gesetzestexte authentisch interpretieren, sondern ein dogmatisches System entwickeln, welches mit seinem Begriffsapparat die juristischen Kernfragen und Widersprüche des konstitutionellen Verfassungsrechts zu erfassen und zu beantworten imstande war. Auf der Grundlage dieses Anspruchs ist daher die Theorie zu würdigen. Der Wert einer rechtswissenschaftlichen Theorie bemisst sich nun aber danach, ob sich mit ihrer Hilfe die praktischen Probleme und Widersprüche der Rechtswirklichkeit auflösen lassen, ohne zugleich den Boden des positiven Rechts zu verlassen und insofern freie Philosophie zu betreiben. 64 Das moderne Staatsrecht der frühkonstitutionellen Epoche65 war gekennzeichnet durch den Dualismus zwischen 61 Maurenbrecher, Fürsten, S. 84f. und S. 275. Zu Maurenbrechers Methodik siehe Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. 1 ff. (18); Urbaschek S. 7 ff. 62 Quaritsch, Souveränität, S. 495. 6 3 Auf die verfehlte Argumentation Maurenbrechers weisen auch Pauly S. 84 und Quaritsch, Souveränität, S. 495 hin. 64

Quaritsch, Souveränität, S. 498.

I. Neue staatsrechtliche Auffassung Wilhelm Eduard Albrechts

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monarchischem Prinzip und den Mitwirkungsbefugnissen der Volksvertretungen bei der Ausübung der fürstlichen Rechte. Monarch und Parlament verkörperten den Gegensatz zwischen dem althergebrachten Grundsatz der fürstlichen Legitimität und dem seit Rousseau und der Französischen Revolution allgegenwärtigen Gedanken der Volkssouveränität. Weder die Fürsten- noch die Volkssouveränität entsprach jedoch der Verfassungswirklichkeit. Die Souveränitätsrechte, allen voran das Recht der Gesetzgebung, konnten nur Monarch und Volksvertretung gemeinsam ausüben.66 Der Staatslehre zu Beginn des 19. Jahrhunderts schien bei dieser Ambivalenz des Verfassungsgefüges daher nur zwei Lösungsmöglichkeiten offen zu stehen: Ganz im Sinne Maurenbrechers 67 konnte gestützt auf das monarchische Prinzip jede Beschränkung der monarchischen Souveränität geleugnet und die Mitwirkung der Stände an der Gesetzgebung als eine vom Monarchen abgeleitete Kompetenz zur Ausübung von Hoheitsrechten erklärt werden. Das monarchische Prinzip vermochte jedoch den fürstlichen Souveränitätsverlust durch die Konstitutionen nur scheinbar zu verdecken. Tatsächlich aber nahm das Parlament keine vom Monarchen abgeleitete Befugnis wahr und war ihm gegenüber auch zu keiner Rechenschaft verpflichtet, sondern stand ihm unabhängig und mächtig gegenüber. Ohne Vergewaltigung der realen Verfassungssituation ließ sich der Dualismus der konstitutionellen Monarchie insofern nicht erfassen, indem man ihn mit Hilfe des monarchischen Prinzips zugunsten einer fortbestehenden Fürstensouveränität negierte. 68 War dieser Weg, wenn auch durch Art. 57 der Wiener Schlussakte vorgezeichnet, dogmatisch wenig zufriedenstellend und ganz offensichtlich nur für eine Übergangszeit vertretbar, so konnte der Verfassungsdualismus scheinbar nur noch durch eine Teilung der Souveränität zwischen Monarch und Volksvertretung erklärt werden. 69 Dieser Gedanke hätte jedoch die Axt angelegt an die von Bodin begründete und dem neuzeitlichen Staatsrecht inhärente Lehre der Souveränität als der höchsten und absoluten, ungebundenen und unteilbaren Gewalt innerhalb des Staates. Nur in der Einheitlichkeit der Staatsgewalt konnte die rechtliche Einheit des Staatswesens gedacht werden. 70 Diese Einheit verkörperte bislang der Monarch mit der ihm allein zustehenden Souveränität. Wurde die per definitione unteilbare 65

Albrecht ging es ja allein darum, eine Theorie für das moderne konstitutionelle Staatsrecht zu entwickeln. Auf die älteren Patrimonial Staaten sollte seine Lehre demgegenüber keine Anwendung finden, vgl. oben 2. Kapitel I. 3. 66 Siehe oben 1. Kapitel I. 2. b) und 1. Kapitel III. 1. 67 Siehe Maurenbrecher, Fürsten, S. 203, der die Rechte der Ständeversammlung als Rechte eines Nichteigentümers an monarchischen Rechten interpretiert, welche nur aufgrund einer Delegation seitens des Fürsten ausgeübt werden dürfen. 68 So auch Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27 ff. (51 f.) und Quaritsch, Souveränität, S. 496. 69 Dieser Ansatz ist von Rotteck, Band II, § 22 (S. 96) auch tatsächlich vertreten worden, siehe oben 1. Kapitel II. 1. c). 70 Zippelius § 9 II 3.

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

Souveränität nun auf Fürst und Volksvertretung aufgeteilt, so schien die rechtliche Einheit des Staates gefährdet, drohte der als Ganzheit gedachte Staat zwischen Fürsten- und Volkssouveränität zu zerbersten. Die Staatslehre des beginnenden 19. Jahrhunderts stand insofern vor der Wahl, den augenfälligen Verfassungsdualismus entweder schlicht zu übergehen oder das Dogma von der Unteilbarkeit der Souveränität aufzugeben. In dieser Situation stellte die Lehre Albrechts von der Rechtspersönlichkeit des Staates in der Tat eine Denkleistung von historischem Rang dar. 71 Sie vermochte die gedankliche Einheit des Staates rechtstechnisch und ohne Abstriche beim klassischen Souveränitätsbegriff zu erhalten und konnte dennoch den Verfassungsdualismus des konstitutionellen Staates juristisch nachzeichnen. Indem Albrecht die Souveränität weder dem Monarchen noch dem Volk insgesamt zuschrieb, sondern einem von diesen Subjekten verschiedenen, Monarch und Volk aber umfassenden, höheren Corpus zum Träger der Souveränität erklärte, durchbrach er den gordischen Knoten des Verfassungsdualismus. Die Staatssouveränität bedeutete die Wahl eines dritten Weges, einer rechtstechnischen Zauberformel, welche die Staatsgewalt jeder juristischen Auseinandersetzung entzog. Monarch und Volksvertretung standen sich nicht mehr im Kampf um die Souveränität gegenüber, sondern rangen allenfalls um Zuständigkeiten zur Ausübung von Rechten der über ihnen thronenden juristischen Person des Staates. In der Formel der juristischen Persönlichkeit des Staates lag daher ein unausgesprochener Kompromiss, der zwar den Monarchen seiner absolutistischen Stellung als Verkörperung von Staat und Staatsgewalt enthob, zugleich jedoch der Lehre von der Volkssouveränität jeden juristischen Nährboden entzog.72 Albrechts Theorie hob damit die politischen Gegensätze zwischen monarchistischer Restauration und demokratischem Liberalismus keineswegs auf, doch verhinderte seine Lehre die Austragung des politischen Kampfes auf dem Boden des Staatsrechts. Monarchische oder parlamentarische Machtansprüche, die nicht in den Verfassungsgesetzen verbrieft waren, konnten unter der Staatssouveränität nicht juristisch eingekleidet werden. 73 Zumindest 71

So pointiert Quaritsch, Souveränität, S. 498. Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (595); Schmitt, Hugo Preuss, S. 8 f. und Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. (163). Höhn, Staatsbegriff, S. 225 bemerkt zu dem Kompromisscharakter des Albrecht'schen Systems: „Sie entthront den Fürsten von seiner souveränen Stellung, zugleich will sie ihn aber behalten und dem Absolutismus die Giftzähne ausbrechen, ohne sich selbst für die Volkssouveränität zu entscheiden. Der Begriff der Staatssouveränität und die Auffassung vom Herrscher als Organ bedeutet insofern im 19. Jahrhundert das staatsrechtliche Erlösungswort." Ähnlich pathetisch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 83: „Die Staatssouveränität wurde als Bronzestein auf den Grabhügel gesetzt, unter dem für alle Zeiten der Streit zwischen Volks- und Fürstensouveränität zu Grabe gebettet werden sollte." 72

7 3 Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 89; Quaritsch, Souveränität, S. 498 f.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 54. In diesem Zusammenhang weist Quaritsch, a. a. O., S. 503 zutreffend darauf hin, dass Albrechts Theorie insofern auch gegen das monarchische Prinzip gerichtet war. Indem es die Souveränität der Fürsten proklamierte, konnte es, da der Monarch nach Albrecht

I. Neue staatsrechtliche Auffassung Wilhelm Eduard Albrechts

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juristisch wurde daher der Machtkampf zwischen Herrscher und Untertanen durch Albrechts Theorie neutralisiert. Zugleich ermöglichten die Thesen Albrechts bislang ungelöste Fragen des konstitutionellen Staatsrechts widerspruchsfrei und juristisch exakt zu klären: 7 4 Als Staatsorgan war der Monarch an die Zwecke der Staatspersönlichkeit gebunden und insofern in seinen Organhandlungen stets den übergeordneten Gemeinwohlinteressen verpflichtet. Dieser Gemeinwohlbezug verbot insofern jede monarchische Willkür. Als Organ des Staates war der König von Rechts wegen nur nach Maßgabe der Verfassung zu handeln imstande. Diese war dem Regenten vorgegeben und konnte von ihm einseitig nicht wieder aufgehoben werden. Organhandlungen des Monarchen waren als Handlungen der kontinuierlichen juristischen Staatsperson anzusehen, so dass der Monarch an die Regierungshandlungen seines Vorgängers, insbesondere den Erlass einer Verfassung, unabänderlich gebunden war. 7 5 Die Theorie von der Rechtspersönlichkeit erlaubte zudem, die Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte auf verschiedene Organe des Staates zu verteilen und die juristisch nur als Staatsorgan verstanden werden konnte, nur als politischer und damit unverbindlicher Grundsatz mit allenfalls psychologischer Bedeutung, als „historische Arabeske" fortbestehen. Ähnlich Fröhling S. 123. 74 Siehe zu den wichtigsten juristischen Konsequenzen von Albrechts Staatslehre bereits oben 2. Kapitel I. 2. 75 Die Persönlichkeitstheorie Albrechts ermöglichte es daher, den politischen Kampf der Göttinger Sieben im Hannoverschen Verfassungskonflikt juristisch zu legitimieren und besaß insofern auch enorme praktische Relevanz. Albrechts Rezension erschien im September 1837, also kurz nach der Vertagung des Landtages und der Verweigerung des Verfassungseides durch den Thronfolger Ernst August (1771-1851) am 29. Juni 1837 und unmittelbar vor der Aufhebung der Verfassung durch den neuen König am 1. November 1837. Die Vehemenz, mit der Albrecht in seiner Schrift die Bindung des Monarchen an eine von seinem Vorgänger erlassene Verfassung betonte, vgl. Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489ff. (1499) sowie 1508ff. (1510 und 1512), lassen unverkennbar auf Albrechts Anliegen schließen, mit der Schrift dem vom König in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten des Staatsrechtslehrers Justus Christoph Leist (1770-1858) entgegenzutreten, der den königlichen Staatsstreich unter Hinweis auf die fehlende Zustimmung der agnatischen Verwandten und damit unter Bezugnahme auf die patrimonial-privatrechtliche Theorie legitimierte. Vgl. auch Borsdorff S. 306; Häfelin S. 88 Fn. 176; Pauly S. 80 f. und Quaritsch, Souveränität, S. 489 f. Um so mehr muss es daher verwundern, dass die Persönlichkeitstheorie trotz ihrer enormen Relevanz in den zahlreichen, den Hannoverschen Verfassungskonflikt juristisch aufarbeitenden Publikationen keine Berücksichtigung fand. So erwähnte August Ludwig Reyscher (1802- 1880) in seiner umfassenden Untersuchung „Hannoversche Verfassungsfragen", ZDR 2 (1839), S. 1 ff. Albrechts Lehre mit keinem Wort. Auch in der von Albrecht verfassten und von Dahlmann herausgegebenen Schrift „Vertheidigung des Staatsgrundgesetzes für das Königreich Hannover" von 1838 wurde die Verfassungsbindung des Monarchen nicht mit seiner Organstellung, sondern a. a. O. S. 44 ff. aus dem Verfassungsquellen des Deutschen Bundes und des Landes Hannover begründet. Vgl. zum Hannoverschen Verfassungskonflikt Huber, Band II, S. 91 ff.; Smend, Die Göttinger Sieben, S. 391 ff. (395 ff.); sowie die juristische Kontroverse zwischen Dilcher, JuS 77, S. 386 ff. und 524 ff.; ders., JuS 79, S. 197 ff. und Link, JuS 79, S. 191.

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

Modalitäten ihrer Ausübung in Verfassungen verbindlich zu regeln. Damit vermochte sie die Rechtsbindung sämtlicher Organe des Staates, mithin die Grundlagen der Gewaltenteilung und des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates, zu fundamentieren. Schließlich versperrte die Übertragung der souveränen Gewalt auf die kontinuierliche juristische Staatspersönlichkeit einer - nach patrimonialstaatlichen Vorstellungen denkbaren - Teilung des Staates infolge fürstlicher Erbvergleiche die juristische Grundlage. 76 Die Erhöhung des Staates zu einer Rechtsperson und die Übertragung der Staatsgewalt auf eben diese Staatspersönlichkeit durch Albrechts Theorie verband damit die Extreme des frühkonstitutionellen Staatsrechts zu einem höheren Ganzen. Sie integrierte Monarch wie Volksvertretung in das staatsrechtliche System, verhinderte jedoch durch die ihnen zugewiesene Organstellung sowohl die Rückkehr zur absolutistischen Fürstensouveränität, wie auch den revolutionären Übergang zur Volksherrschaft. 77 In der konsequenten Übertragung des zivilrechtlichen Instituts der juristischen Person auf den Staat und das Staatsrecht wurde Albrecht der Vollstrecker der im Naturrecht und insbesondere bei seinem Vordenker Klüber schon anklingenden Gedanken. Die Lehre von der Staatssouveränität entzog jedem Anklang eines fürstlichen Gottesgnadentums sowie allen Vorstellungen von einer ursprünglichen Volkslegitimation die juristische Grundlage. Die „Entzauberung der Welt" 7 8 , der Übergang zu einem objektiven, säkularisierten und rechtsstaatlichen Staats- und Verfassungsrecht, ist daher in Albrechts Thesen bereits vorgezeichnet. Darin liegt, neben der rechtsdogmatischen Erfassung des konstitutionellen Verfassungsgefüges, ihr besonderer Ertrag und Verdienst. 79

II. Auswirkungen der Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit auf die Staatslehre der Jahrhundertmitte Die zunehmende Konstitutionalisierung des Staatsrechts80 führte um die Jahrhundertmitte innerhalb der deutschen Staatsrechtslehre zu einem deutlichen Übergewicht, wenn nicht sogar zum Durchbruch der öffentlich-rechtlichen Staatstheo76 Gerber, Grundzüge, S. 85 Fn. 7; Stolleis, Band II, S. 109. 77

Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (595); Quaritsch, Souveränität, S. 503. 78 Vgl. Unruh, Festschrift Forsthoff, S. 433 ff. (451). 79 So auch Kriele, Staatslehre, S. 321 der in Albrechts Lehre daher eine gedankliche Vorwegnahme des Verfassungsstaates und des Prinzips der „rule of law" sieht. Vgl. dazu Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (348). 80 Im Gefolge der französischen Juli-Revolution von 1830 setzte in Deutschland die zweite Verfassungswelle ein. So wurden am 5. Januar 1831 in Kur-Hessen, am 4. September 1831 im Königreich Sachsen sowie am 26. September 1833 in Hannover Verfassungen in Kraft gesetzt.

II. Auswirkungen der Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit

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rien. Trotz ihrer richtungsgebenden theoretischen Erkenntniskraft und ihrer praktischen Verwertbarkeit im Rahmen des Hannoverschen Verfassungskonflikts hat Persönlichkeitslehre Albrechts die Staatsrechtslehre und das Staatsrecht seiner Zeit jedoch kaum beeinflusst. 81 Zeitgenössische und folgende Generationen von Staatsrechtslehrern führten vielmehr die bereits vor Albrecht vertretenen Staatskonstruktionen fort, ohne den juristisch-dogmatischen Ansatz Albrechts aufzugreifen. 82 Unterscheiden lassen sich insofern die ganz im Banne Hegels stehenden Staatsorganismuslehren und eine neuere der Historischen Rechtsschule entsprungene positivistische Richtung.

1. Die konservativ-hegelianische Staatsrechtslehre

Die eher monarchisch-konservativ eingestellte Staatsrechtslehre übernahm, gestützt auf die spekulative Staatsphilosophie der Schüler Hegels und Schellings83, die Ansätze einer organischen Staatspersönlichkeitslehre 84 und rückte damit wieder die Person des Fürsten in den Mittelpunkt der Staatsrechtskonstruktion. a) Geprägt und flankiert wurde die konservative Staatsrechtslehre von der einflussreichen Rechtsphilosophie des bereits erwähnten Friedrich Julius Stahl (1802-1861). Stahl sah im Staat ein sittliches Reich, welches vom Christentum und dem persönlichen Gott normativ gestaltet wird. Die Notwendigkeit einer mit persönlicher Autorität ausgestatteten Obrigkeit, der die Menschen Untertan sind, wurde von Stahl durch das Prinzip der „Legitimität" begründet, welches besagt, dass allein göttliche Fügung und nicht menschliche Tat die gegenwärtige Ordnung si Häfelin S. 89; Quaritsch, Souveränität, S. 497; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 327; Urbaschek S. 46. Siehe auch oben Fn. 59. Zivilrechtliche Autoren wie Johann Friedrich Kierulffi 1806-1894) und Karl Pfeifer beschränkten das Rechtsinstitut der Juristischen Person auf das private Vermögensrecht und hielten es daher für unnötig bzw. für „ganz ungehörig . . . , den Staat in diese privatrechtliche Lehre hineinzuziehen", vgl. Kierulff S. 130 Fn. * und Pfeifer S. 24 f. 82 Dies verwundert um so mehr, wenn man bedenkt, dass die Replik Maurenbrechers auf Albrechts Rezension im Schrifttum ein besonders umstrittenes Echo fand und häufig zitiert wurde. Durch die Auseinandersetzung mit Maurenbrecher muss daher auch Albrechts Werk allgemein bekannt gewesen sein. Dass eine Rezeption der Lehre oder auch nur ihre Erwähnung zunächst völlig ausblieb, führt daher Pauly S. 63 auf theoretische Vorbehalte und Widerstände innerhalb der Staatsrechtslehre zurück. 83 Dazu oben 1. Kapitel II. 3. Als Vertreter der spekulativen Staatsphilosophie dieser Epoche sind zu nennen: Heinrich Ahrens (1808-1874), Joseph von Held (1815-1890), Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832), Hermann von Leonhardi (1809-1875), Lorenz von Stein (1815-1890), Karl David August Röder (1806-1879), Jakob Schmitthenner (1796-1850) und Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872). Sie alle dachten den Staat als Organismus und sittliche Person, in deren Zentrum der Monarch als Träger der Staatsgewalt stand. Vgl. dazu ausführlich Häfelin S. 95 ff. und S. 100 ff. 84 Siehe oben 1. Kapitel II. 3. Zu den Hintergründen, durch die der Begriff des Organismus zum Leitbegriff der staatstheoretischen Diskussion wurde, siehe Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (587 ff.).

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

rechtfertigen. 85 Der Staat dürfe nicht als vertragliche Verbindung oder als natürlicher Organismus, sondern nur als von Gott eingesetzte Obrigkeit interpretiert werden. 86 Der Staat wurde von Stahl daher als politische Persönlichkeit, als das Subjekt des Rechts gedeutet und stand insofern auch über dem Fürsten. Dennoch war der Staat von der Person des Fürsten nicht trennbar, da die unteilbare Souveränität, die die innerste Persönlichkeit des Staates ausmachte, nach Stahl ein Individuum als Träger voraussetzte.87 Dem Fürsten wurde zwar die Souveränität nicht als freies und ungebundenes Eigentum übertragen, doch sei er „als Repräsentant der von Gott auf Erden gesetzten Ordnung" Inhaber der höchsten staatsrechtlichen Gewalt. 88 Dieser Umstand äußere sich in der Aufnahme des Denkens und Wollens des Herrschers in das Sein der Beherrschten. Daher müsse „der Fürst thatsächlich der Schwerpunkt der Verfassung, die positiv gestaltende Macht im Staate, der Führer der Entwicklung" bleiben. 89 Gegenüber der öffentlich-rechtlichen politischen Persönlichkeit des Staates als sittliches Reich diente die Konstruktion einer bloß juristischen Persönlichkeit dagegen nur dazu, ein Vermögenssubjekt für den Privatrechtsverkehr darzustellen, so dass nach Stahl allein der privatrechtlich agierende Staat als Fiskus juristische Person sei. 90 Das monarchische Prinzip erfuhr damit durch Stahls Gottesgnadentum noch einmal eine rechtsphilosophische Stütze. b) Ganz im Banne von Hegels Rechtsphilosophie betonte der Heidelberger Staatsrechtler Heinrich Zoepfl 91 (1807-1877) die von der Herrscherpersönlichkeit abgeleitete Persönlichkeitsstruktur des Staates. Zoepfl interpretierte das vorgefundene Rechtsmaterial, trotz seiner einleitenden Bemerkung „das gemeingiltige Staatsrecht, so wie es ist und wirklich gilt, darzustellen" 92, stets auch im Hinblick auf die soziale Vernünftigkeit und damit gerade nicht rechtspositivistisch. 93 Der Staat galt ihm als lebender Organismus und daher als juristisch-sittliche Persönlichkeit im höchsten Grade. Da die Herrschaft jedoch nur durch ein willensfähiges Subjekt denkbar sei, erlangte der Staat nach Zoepfl nur „in und mit seinem Herr85 Stahl, Band II, 2. Abteilung, § 75 (S. 250 ff.). 86 Stahl, Band II, 2. Abteilung, §§ 76 ff. (S. 259 ff.). 87 Stahl, Band II, 2. Abteilung, § 55 (S. 190f.). Der Monarch ist nach Stahl, Band II, 2. Abteilung, § 75 (S. 258), „nicht als ein Herrscher über den Staat,... sondern als ein Herrscher im Staat" anzusehen. Insofern war die Staatspersönlichkeit bei Stahl mit der Person des Fürsten identisch, vgl. dazu Boldt S. 81 Fn. 115, Kaufmann, Organismus, S. 16 und Zwirner S. 92. 88 Stahl, Kritische Jahrbücher 5 (1841), S. 97 ff. (117). 89 Stahl, Das monarchische Prinzip, S. 12; ders., Band II, 2. Abteilung, § 111 (S. 383ff.). Zur Interpretation des monarchischen Prinzips durch Stahl und die liberale Gegenauffassung von Mohl und Welcker siehe Schönberger S. 72 ff. 90 Stahl, Band II, 2. Abteilung, § 3 (S. 18 f.). Schon Savigny, Band II, § 85 beschränkte die Bedeutung der juristischen Persönlichkeit auf die Regelung der privatrechtlichen Vermögensbeziehungen, siehe dazu unten 3. Kapitel II 1 (S. 75 ff.). Zum Begriff der politischen und juristischen Person bei Stahl siehe auch Häfelin S. 104 Fn. 136 und Zwirner S. 91. Zu Zoepfl siehe ADB 45, S. 432ff.; Stintzing/Landsberg, 92 Zoepfl S. XII (Vorwort zur vierten Auflage). 93 Pauly S. 63 f.; Häfelin S. 73, Fn. 64.

Band III/2, S. 545 ff.

II. Auswirkungen der Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit

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scher" Rechts- und Handlungsfähigkeit. 94 Die Staatsgewalt sei aus diesem Grund Ausfluss des Territorialbesitzes der Fürsten und damit ein Recht des herrschenden Subjektes im Staate 9 5 Sie sei insofern nicht die höchste Gewalt des Staates, sondern die höchste Gewalt im Staate. Für den Begriff der Souveränität hielt es Zoepfl für völlig gleichgültig, ob sie rechtlich oder widerrechtlich erworben worden sei. 96 Ausdrücklich, aber ohne auf Albrecht oder seine Argumente einzugehen, lehnte Zoepfl daher eine Staatssouveränität ab. 97 Das Staatsrecht wurde allein durch die gegenseitigen Rechtsverhältnisse zwischen Herrscher und Untertanen bestimmt. Der absolute Charakter der Staatspersönlichkeit ging bei Zoepfl damit ganz im Sinne Hegels in der absoluten Gewalt des Monarchen auf. 98 c) Ebenso bezeichnete der Gießener Professor Friedrich Jakob Schmitthenner" (1796-1850) anknüpfend an Schelling den Staat als göttliche Idee und ethische Anstalt, als organische Gesellschaftsform des Volkes und öffentliche moralische Persönlichkeit (persona publica). 100 Angelehnt an Stahl sah Schmitthenner den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Recht darin, dass die öffentlichrechtlichen Rechtsbeziehungen innerhalb des Staates „in der Gliederung des Organismus oder, was dasselbe ist, durch die Idee oder Natur des Instituts bestimmt" werden, während allein der Privatrechtsverkehr sich auf die Willkür der Individuen gründet. 101 Schmitthenner lehrte, dass alles, „was eine sittliche Bestimmung für sich hat" und „was eine objektive sittliche Idee trägt" als Person Rechtsfähigkeit besitzt. 102 Neben den natürlichen oder physischen Personen billigte Schmitthenner auch den moralischen Persönlichkeiten die Rechtsfähigkeit zu, sofern sie eine sittliche Bestimmung für sich aufwiesen. Scharf kritisierte Schmitthenner die von Savigny begründete Auffassung, dass Rechtspersönlichkeit die Fähigkeit zur Bildung eines freien Willen voraussetze. 103 Die Willens- und Handlungsfähigkeit war 94 Zoepfl § 54 VI (S. 99). Besonders deutlich ders. § 55 I (S. 101): „Da alle Herrschaft ein willensfähiges Subjekt voraussetzt, so kann die Souveränität nur entweder bei einem Individuum, dem Fürsten, oder bei der Gesamtheit des Volkes sein." 95 Zoepfl § 58 IV (S. 111). 96 Zoepfl § 201 I (S. 555). Dieser macciavellistische Machtstaatsgedanke tritt in Zoepfls Werk trotz aller Orientierung an der Vernünftigkeit immer wieder hervor, worauf auch Pauly S. 68 Fn. 103 hinweist. So wird der Grund jeder Rechtsgeltung in der „Übermacht des Staates im Verhältnisse zu den Individuen" gesehen und dem Satz „Recht ist, was dem Mächtigen ... gefällt" ausdrücklich zugestimmt, vgl. Zoepfl, a. a. O., § 37 I (S. 64 Fn. 2). 97 Zoepfl § 54 (S. 97 ff.). 98 Häfelin S. 74 und oben 1. Kapitel II. 3. 99 Zu Schmitthenner siehe ADB 32, S. 48 ff.; Bluntschli, Geschichte, S. 605 ff.; Stintzing/ Landsberg, Band III/2, S. 346; Stolleis, Band II, S. 182ff. und Zwirner S. 92ff. 100 Schmitthenner S. 263 ff. ιοί Schmitthenner S. 1. 102 Schmitthenner S. 261. Auffallend ähnlich bereits die Formulierung bei Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1492): „das um seiner selbst Berechtigt-Seyn." ι 0 3 Schmitthenner S. 260 f. Anders als Savigny, der den Begriff der Rechtsperson mit der Handlungs- und Willensfähigkeit eines Individuums verknüpfte, vgl. dazu unten 3. Kapi-

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

nach Schmitthenner vielmehr für die Rechtsfähigkeit unerheblich. Auch der Staat, obwohl an sich willens- und handlungsunfähig, wurde so durch Schmitthenner als „die zusammenhaltende und beherrschende Idee" über Volk und Herrscher, zur Rechtspersönlichkeit erklärt. Ähnlich wie bereits bei Klüber und Albrecht fungierten nach Schmitthenner physische Personen als Organe für den Staat, um diesem zur Handlungsfähigkeit zu verhelfen. 104 Anders als bei Albrecht wurde die Staatsgewalt jedoch dem Regenten - ausdrücklich nicht dem Staatsorganismus selbst als eigenes Recht zugesprochen, während das Volk in seinem Staatsrechtssystem Objekt monarchischer Herrschaft blieb. 105

2. Die liberalistisch-frühpositivistische Staatsrechtslehre

Gegenüber dieser eher konservativen und rechtsphilosophisch argumentierenden Staatslehre gruppierte sich eine Anzahl von weitgehend liberal denkenden Rechtslehrern, die das Staatsrecht ohne jedes politische Raissonnement und ohne philosophische Argumentation allein induktiv aus den vorhandenen Verfassungsgesetzen zu systematisieren trachteten. a) Die Reihe dieser Staatsrechtslehrer wird begründet und angeführt von dem Tübinger Professor Robert von Mohl 106 (1799-1875), der durch sein Werk „Staatsrecht des Königreiches Württemberg" schlagartige Berühmtheit erlangte. Mohl versuchte, das Staatsrecht allein durch Auslegung und Analogie des positiven Verfassungs- und Gesetzesrechts zu beurteilen. 107 Demgemäß galt bei Mohl der Fürst als Träger der Souveränität, und die innerstaatlichen Beziehungen wurtel II. 1., sah Schmitthenner S. 267 Anm. 2 ebenso wie Albrecht in der Person im rechtlichen Sinne allein „eine Trägerin von Rechten und Pflichten, keineswegs aber ein wirkliches oder fingiertes Subjekt eines Willens." Für ihn war es der Grundfehler der von Savigny begründeten Ansicht, „daß sie die Rechtsfähigkeit mit der Handlungsfähigkeit verwechselt" und daher unfähig sei, die innerstaatlichen Verhältnisse zu erfassen, vgl. Schmitthenner S. 253. Dazu Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (593 f.) und Zwirner S. 98. 104 Schmitthenner S. 536. 105 Schmitthenner S. 374. Alle Rechte, die die Betätigung eines Willens voraussetzen, konnten nach Schmitthenner S. 267 Fn. 2 der Staatspersönlichkeit gerade nicht zugeschrieben werden. 106 Robert von Mohl wurde am 17. August 1799 in Stuttgart geboren. Er wurde 1827 Professor für Staatsrecht in Tübingen, jedoch 1845 wegen politischer Konflikte als Regierungsrat nach Ulm strafversetzt. Politisch liberal eingestellt, gehörte er - nachdem er 1847 einem Ruf als Professor nach Heidelberg gefolgt war - während der Zeit der deutschen Revolution 1848/49 sowohl dem Vorparlament, der Nationalversammlung, sowie als Justizminister der provisorischen Regierung an. Seine politische Laufbahn beendete er als badischer Gesandter am Frankfurter Bundestag und als Reichstagsabgeordneter in Berlin. Dort starb er am 4. November 1875. Zu Mohl siehe ADB 22, S. 54ff.; NDB 17, S. 692ff.; Bark S. 7ff.; Boldt S. 233 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 202 ff.; Kleinheyer/Schröder S. 191 ff.; Schroeder, NJW 98, S. 1521 ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 401 ff. und Stolleis, Band II, S. 172 ff. 107 Böckenförde, Gesetz, S. 188; Pauly S. 71.

II. Auswirkungen der Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit

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den als gegenseitige Rechtsbeziehungen zwischen Herrscher und Untertanen interpretiert. 108 Dem vom König verkörperten Staat stellte Mohl die von der Volksvertretung repräsentierte bürgerliche Gesellschaft gegenüber und begründete so den bis heute fortwirkenden rechtlichen Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft. Die gegen die Staatsgewalt des Monarchen gerichteten verfassungsmäßigen Rechte der Gesellschaft sollten durch das Parlament geschützt und zur Geltung gebracht werden. „Die Verteidigung der sämtlichen Volksrechte gegen etwaige Angriffe der Regierung," schrieb Mohl schon in seinem Württembergischen Staatsrechtslehrbuch, „ist somit der Zweck der Stände-Versammlung. Sie ist das Organ des Volkes hierzu." 109 Den Staat selbst dagegen erkannte er als einheitliche Person nur im Völkerrecht an, obwohl er ihn bisweilen auch als Organismus bezeichnete.110 b) Ähnlich in der entschieden positivistischen Argumentation wollte Eduard Wippermann (1814-1880), Staatsrechtslehrer in Göttingen, dem Staat nur dann eine juristische Persönlichkeit zuerkennen, wenn dies in dem positiven Verfassungs- und Gesetzesrecht eines Landes angelegt sei. Als moralisch-juristische Personen erkannte Wippermann daher diejenigen „Staatsvereine" an, in denen der Monarch als Organ innerhalb eines mitgliedschaftlich organisierten, also demokratisch geprägten Gemeinwesens wirkt 1 1 1 , während die übrigen Monarchien als Patrimonialstaaten nur Rechtsobjekte in fürstlicher Hand darstellten. Die Rechtssubjektivität gehöre daher nicht zu den notwendigen Voraussetzungen eines Allgemeinbegriffs des Staates.112 c) Schließlich definierte der unmittelbare Nachfolger Albrechts am Göttinger Lehrstuhl, Heinrich Albert Zachariä 113 (1806-1875), den Staat als eine vorjuristische moralische Person 114 mit eigenen Rechten und Pflichten. 115 Ohne Albrechts Persönlichkeitstheorie zu erwähnen, aber auch nicht ohne sichtliche Kongruenz 108 Mohl, Staatsrecht, § 30 (S. 185); ders., Encyklopädie, S. 108. 109 Mohl, Staatsrecht, § 97 (S. 535); Ähnlich ders., Encyklopädie, S. 238 f. no Mohl, Encyklopädie, S. 23 und 65 f. sowie S. 415 ff. in Wippermann S. 37ff. Als solche erkannte er a. a. Ο. S. 39 daher Frankreich und Belgien an, wo die Krone im Namen des Volkes getragen werde. ι·2 Wippermann S. 48 ff. Obwohl Wippermann, a. a. O., S. 167 sogar betonte, die Theorie Albrechts müsse „in allen Einzelheiten consequent durchgeführt werden", stand er einem zur Rechtspersönlichkeit erhobenen Staat, den er a. a. O. S. 41 Fn. 1 als Korporation mit der von ihm verabscheuten Volkssouveränität verband, ablehnend gegenüber. Vgl. dazu auch Häfelin S. 76 Fn. 96 f. und Stolleis, Band II, S. 333 Fn. 86. il 3 Zur Biographie siehe ADB 44, S. 617 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 191 f. und Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 658 ff. 1,4 Η. A. Zachariä stand damit in der naturrechtlichen Tradition der Lehre Klübers, siehe oben 1. Kapitel II. 1. a). Er wird deshalb von Pauly S. 63 ff. und Stolleis, Band II, S. 94 ff. wegen seiner sowohl positivistischen wie auch naturrechtlichen Argumentation als Mittler zwischen der in Klüber ihren Abschluss findenden naturrechtlichen Betrachtung und der neuen positivistischen Erkenntnismethode gesehen. Vgl. auch Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 659 ff. us H.A. Zachariä § 14 (S. 35).

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2. Kap.: Wilhelm Eduard Albrecht

zu dessen Lehre, bezeichnete Zachariä den Staat als Subjekt der Souveränität, den Fürsten als Inhaber einer durch den Staat empfangenen und durch die Staatszwecke begrenzten Befugnis zur Ausübung der Staatsgewalt.116 Seine explizit gegen den als unpassende privatrechtliche Analogie abgelehnten Art. 57 der Wiener Schlussakte gerichteten Ausführungen brachte er jedoch mit dem monarchischen Prinzip in Einklang, indem er dem Fürsten neben seiner Stellung als Kompetenzträger auch die Rolle eines Repräsentanten der gesamten Staatsgewalt zuschrieb. Die von Zachariä übernommene Idee der Staatssouveränität wird von ihm insofern nicht ins Zentrum seines Staatsrechtssystems gerückt. 117 3. Zusammenfassung

Trotz der ganz überwiegend öffentlich-rechtlichen Betrachtung der innerstaatlichen Rechtsbeziehungen nahm die Staatsrechtslehre die fundamentale Lehre von der juristischen Staatspersönlichkeit zunächst kaum zur Kenntnis. Zentrum aller staatsrechtlichen Beziehungen blieb der Monarch als persönlicher Inhaber der Staatsgewalt. Die Rechtsqualität des Staates wurde dagegen entweder ganz geleugnet oder juristisch unklar im Sinne der spekulativ-organischen Staatslehre als Organismus umschrieben. Der Monarch blieb Souverän, in seinem Handeln jedoch an unüberwindbare Rechtsschranken der Verfassung gebunden. Damit war Art. 57 der Wiener Schlussakte ebenso Genüge getan wie den liberalistischen Forderungen. Mit dem überkommenen Souveränitätsbegriff ließ sich dieser Verfassungsdualismus aber nicht in Einklang bringen. 118 Die von Albrecht 1837 entwickelten Gedanken wurden erst im Zuge der konservativen Reaktion nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 wieder aufgegriffen, dann jedoch in einer Weise rezipiert und umformuliert, welche der Lehre vom Staat als juristische Person zu allgemeiner Anerkennung verhelfen sollte.

116 H. A. Zachariä § 45 (S. 142). Besonders deutlich werden die Einflüsse Albrechts bei H. A. Zachariä, a. a. O., 3. Auflage, § 18 (S. 68): „An die Stelle des in sich unhaltbaren, dem gefährlichsten Mißbrauch unterworfenen und jede Stetigkeit der Staatsordnung ausschließenden Begriffs der Volkssouveränität, im Rousseau'schen oder anderen vulgären Sinne, setzen wir den Begriff der Staatssouveränität, jedoch nur im Gegensatz zu der falschen und gemißbrauchten Fürstensouveränität, um damit den Gedanken auszudrücken, daß nur das organische Gemeinwesen (die Anstalt des Staates) die Quelle aller öffentlichen Macht sei und daß niemals der Einzelne durch die Berufung auf sein privates Recht ... die Gesamtheit an der nothwendigen Entwickelung und Umbildung der Verfassung in rechtlicher Form zu hindern ... berechtigt sei." in Boldt S. 80 f.; Kaufinann, Organismus, S. 21 f.; Pauly S. 67.

us Quaritsch, Souveränität, S. 497.

3. Kapitel

Die juristische Persönlichkeit als Ausdruck der staatlichen Willensmacht nach Carl Friedrich von Gerber I. Der Methodenwandel in der Staatsrechtslehre 1852 erschien das Werk „Über öffentliche Rechte" des Albrecht-Schülers Carl Friedrich von Gerber 1 (1823-1891), in dem dieser die von der Historischen Rechtsschule, insbesondere von Georg Friedrich Puchta 2 (1798-1846), entwickelte streng juristisch konstruktive Methode in die Staatsrechtslehre übertrug und damit einen grundsätzlichen Methodenwandel im öffentlichen Recht einläutete. Die historische Methode der von Savigny3 begründeten Historischen Rechtsschule sollte den wissenschaftlichen Charakter der Zivilrechtslehre durch das Medium der geschichtlich gewachsenen Stoffmassen des gemeinen römischen Rechts neu beleben. Savigny trachtete danach, in Anlehnung an die klassische römische Jurisprudenz durch formale Argumentation und Logik eine Systematik des geltenden Rechts zu formulieren. Sein Schüler Puchta entwickelte daraus die Methode des formal-begrifflichen Denkens. Ohne Rückgriff auf nichtjuristische Elemente wollte er aus den einzelnen Rechtssätzen das Gemeinsame abstrahieren und in Gestalt einer Begriffspyramide zu Begriffen von wachsender Allgemeinheit zusammenfassen, mit deren Hilfe die tatsächlichen Vorgänge des Alltags rechtlich ausgedrückt werden konnten.4 Dieser Methodenwandel im Zivilrecht beeinflusste zunehmend auch die Staatsrechtswissenschaft. Die die naturrechtliche Staatslehre kennzeichnende Vermi1 Carl Friedrich von Gerber wurde am 11. April 1823 in Ebeleben im Fürstentum Schwarzburg-Sonderhausen geboren. Nach Studium bei Puchta und Albrecht in Leipzig wurde er bereits mit 23 Jahren Inhaber einer Professur für deutsches Privatrecht in Jena. Er wechselte über Erlangen und Tübingen, wo er 1855 Kanzler wurde, 1863 nach Leipzig. Von 1871 bis zu seinem Tode am 23. Dezember 1891 in Dresden war er Kultusminister in Sachsen. Zur Person Gerbers siehe ADB 49, S. 747 ff.; NDB 6, S. 251 f.; Barsch S. 62ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 222ff.; Oertzen, Soziale Funktion, S. 163 ff.; Stintzing / Landsberg, Band III/2, S. 778ff. und 826ff.; Stolleis, Band II, S. 331 ff. sowie die Porträtskizze in der DJZ zum 500jährigen Bestehen der Universität Leipzig, DJZ 09, Sp. 996 ff. 2 Zu Puchta vgl. ADB 26, S. 685 ff.; Kleinhey er / Schröder S. 215 ff. und Stintzing/Lands berg, Band III /2, S. 438 ff. 3 Zu Savigny siehe oben 2. Kapitel Fn. 15. 4 Eisenhardt Rn. 524ff.; Stolleis, Band II, S. 330f.; Wilhelm S. 70ff.

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

schung von politischen, juristischen, philosophischen und historischen Argumentationen sollte zugunsten einer primär am geltenden Verfassungsrecht anknüpfenden Methode ersetzt werden. Schon vor Gerber versuchten daher insbesondere Maurenbrecher und Mohl, ihre Staatsrechtssysteme auf das geltende positive Recht zu gründen.5 Diese frühpositivistische Methode berücksichtigte, verglich und systematisierte zwar auch die Norminhalte, aber sie gewann ihre Ergebnisse nicht allein aufgrund einer eindringlichen Analyse der Normstrukturen unter Verwendung streng juristischer Begriffe und formaler Strukturen, sondern unter Heranziehung vorjuristischer Staats- und Staatszwecklehren.6 Die ältere konstitutionelle Staatslehre blieb daher trotz aller positivistischer Intention eine Wissenschaft, die neben der Erforschung der Verfassungsnormen auch historische, philosophische und statistische Aspekte behandelte. Die eigentliche Aufgabe der Rechtswissenschaft im Sinne der Historischen Rechtsschule, die Kodierung der vorgegebenen tatsächlichen Strukturen des Staates in klar definierte, allgemeine und daher kodifizierbare Rechtsbegriffe, wurde von ihr nur beiläufig betrieben. Indem er ethische, historische und politische Gesichtspunkte als „Vorspiel im philosophischen Himmel" 7 verdrängte und dem „Bedürfnis einer schärferen und korrekteren Präcisierung der dogmatischen Grundbegriffe" 8 Rechnung trug, führte erst Gerber die formal-juristische Methode in die Staatsrechtswissenschaft ein. Dadurch sollte die Staatsrechtslehre als rein juristische Wissenschaft endgültig von der allgemeinen, politisch-historischen Staatslehre unterschieden werden. Die wissenschaftliche Herausarbeitung juristisch-dogmatischer Rechtsbegriffe zur Erfassung des tatsächlichen Verfassungsgefüges, die seit Gerber die Staatsrechtslehre prägte, bildete so den Nährboden, auf dem die Lehre von der juristischen Persönlichkeit als Zentralpunkt des Staatsrechtssystems gedeihen konnte. Dabei verlief jedoch der Weg, auf dem Gerber die von seinem Lehrer Albrecht begründete Theorie rezipierte, keineswegs geradlinig.

II. Das Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte" von 1852 Den Intentionen der formal-juristischen Methode entsprechend, versuchte Gerber zunächst in seiner Schrift „Über öffentliche Rechte", die elementaren Begriffe des Staatsrechts zu erschließen und zu einem staatsrechtlichen System zusammenzufügen. 5 Siehe oben 1. Kapitel II. 2. a) und 2. Kapitel II. 2. a). 6 Böckenförde, Gesetz, S. 200ff.; Korioth, Der Staat 37 (1998), S. 27ff. (43); Oertzen, Festgabe für Smend, S. 183 ff. (193); Pauly S. 74; Stolleis, Band II, S. 279. 7

Gerber, Grundzüge, 3. Auflage, S. 238. Gerber, Grundzüge, S. VII (Vorrede). Ähnlich schon 1846 für das Privatrecht: Gerber, Das Wissenschaftliche Prinzip, § 12 (S. 278). Dazu Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. 1 ff. (21 ff.). 8

II. Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte"

65

1. Wille und Herrschaft als Grundlage des Staatsrechts

Die juristische Methode der Historischen Rechtsschule gründete ihre Systematik auf den Begriff des individuellen Willens. Nach Savigny sichert das Recht dem Individuen die freie Entfaltung der in seinem Willen ruhenden Kraft. Demgemäß wurde die Rechtspersönlichkeit mit der Willensfähigkeit verknüpft. Das Privatrecht insgesamt wurde als Abgrenzung von Freiheitssphären der Willenssubjekte interpretiert. Das subjektive private Recht sei insofern „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht." 9 Die Entäußerung eines privaten Willens wurde aus diesem Grund als „Rechtsgeschäft" Grundlage der Privatrechtslehre. 10 Auch der stark von Puchta beeinflusste Gerber legte seinem Staatsrechtssystem den Begriff des Willens zugrunde. Ausgehend von dem Befund, dass der Staat als tatsächliche Vereinigung des Volkes dem Staatsrecht vorausgeht, basierte nach ihm das öffentliche Recht zwar auch auf „Willensäußerungen der Person, aber nicht als Individuum, sondern als Glied ... der Volksverbindung." 11 Das Staatsrecht hatte deshalb bei ihm im Gegensatz zur subjektiv-individuellen Basis des Privatrechts eine objektive Grundlage in der vorrechtlichen Organisation des Volkes. 12, 1 3 Nach Gerber formte nicht erst das Staatsrechtssystem die Struktur der staatlichen Organisation. Vielmehr war es nach seiner Ansicht die tatsächliche Verbindung des Volkes, die die öffentlich-rechtliche Rechtsordnung prägte. Der Staat stand in Gerbers System daher als Organisation auf „natürlichem Boden" und verdankte seine Existenz weder einer bewussten Willensentscheidung seiner Glieder noch dem Recht. 14 9

Savigny, Band I, § 4. Siehe dazu Eisenhardt Rn. 527; Wesel S. 439. Schon K. S. Zachariä führte den Begriff der Persönlichkeit auf die Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens zurück, vgl. oben 1. Kapitel II. 3. c). 10 Savigny, Band III, § 104. Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 11 ff. und S. 19 ff. sowie Rittner S. 156 f. Gerber, System des deutschen Privatrechts, S. VIII (Aus der Vorrede zur ersten Auflage) pries selbst die Leistung Savignys und Puchtas, die Grundbegriffe des Privatrechts auf die Äußerungen und Möglichkeiten des menschlichen Willens zurückgeführt zu haben. Zum Einfluss der Historischen Rechtsschule auf Gerber siehe Stintzing /Landsberg, Band III/ 2, S. 782; Wilhelm S. 91 f. Zum prinzipiell anderen Personenverständnis Albrechts und der Kritik Schmitthenners an der „atomistischen Ansicht" Savignys siehe oben 2. Kapitel Fn. 103. 11 Gerber, Rechte, S. 35. Gerber, Rechte, S. 21. So gelangte Gerber, ebd., S. 30 auch zu einer klaren Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht: Das Privatrecht hat als natürliches Substrat die Verkehrsgesellschaft von Individuen, die ihre freien Willensmöglichkeiten ungehindert betätigen und nur durch die notwendigsten Bindungen, die der Rechtsverkehr erfordert, beschränkt werden. Dem Staatsrecht liegt dagegen die unjuristische Verbindung des Volkes zugrunde, deren organisatorischer Charakter durch das Recht nur noch verstärkt und eingefasst werden muss, vgl. Pauly S. 112. Zum undemokratischen Volksbegriff Gerbers siehe unten Fn. 94. 13 Wegen der strikten Trennung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht lehnte Gerber, Rechte, S. 19, die privatrechtliche Auffassung vom Wesen des Staates, wie sie noch Haller und Maurenbrecher vertreten haben, strikt ab. 12

5 Uhlenbrock

3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

66

2. Der Staat als außerjuristischer Tatbestand

Aus diesem Grund lehnte Gerber in seinem staatsrechtlichen Frühwerk von 1852 auch die Theorie vom Staat als juristische Person als überflüssig ab: Indem die Person des Fürsten durch die Staatspersönlichkeit als Herrschaftssubjekt abgelöst werde, müsse die Übernahme der fiktiven privatrechtlichen Kategorie einer juristischen Person in das Staatsrecht vielmehr zu der an sich überwundenen privatrechtlichen Staatsauffassung zurückführen. 15 Der Staat insgesamt sei als sittlicher Organismus ein außeijuristischer Tatbestand. Juristisch relevant und daher in die formal-begriffliche Konstruktion einzubeziehen waren nach der von Gerber entwickelten Willenstheorie nur die einzelnen Glieder der Volksorganisation, welche als rechtliche Personen zu Willensäußerungen allein fähig seien. Deswegen konzentrierte sich sein staatsrechtliches System von 1852 auf die Willensmacht und die Willensverhältnisse von Monarch, Beamten und Untertanen. Nur die Rechtsverhältnisse zwischen natürlichen Rechtspersonen ließen sich auf Willensäußerungen zurückführen und als solche juristisch exakt konstruieren. Der Staat selbst dagegen war nach Gerber nicht fähig, Willensmacht zu besitzen und daher juristisch nicht erfassbar. Andererseits betätigten die handelnden Individuen als Glieder des Staates nicht ihren Individualwillen, sondern den Willen der im Staat vereinigten Volksgemeinschaft. Dieser allgemeine Wille 1 6 , der an keine juristisch existente Persönlichkeit angebunden war, sollte somit durch die jeweiligen Willen der Staatsglieder umgesetzt werden. Der Monarch betätige insofern, wenn er als Oberhaupt des Staates handelt, nicht seinen Individualwillen, sondern den imaginären allgemeinen Volkswillen. 17 Die juristische Willensmacht des Staates ließ Gerber deshalb im Bewusstsein des Monarchen entstehen.18 Der Wille der Volksgesamt14

Gerber, Rechte, S. 18 f. Die von ihm begründete Zurückführung aller öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisse auf einzelne Willensäußerungen und -beziehungen (sogenannte Willenstheorie) stellt zwar eine autonome, rein juristische Kategorie dar, da mit ihrer Hilfe jede Verfassungsordnung in die Rechtsbegriffe des Willens und der Herrschaft kodiert werden und somit juristisch erschlossen werden konnte. Die Anforderungen, die die Rechtsordnung an die Wirksamkeit und Geltung von Willensakten der Staatsglieder stellt, müssen sich nach Gerber jedoch an den tatsächlichen Gegebenheiten, „dem Boden", auf dem die Grundlagen des Staatsrechts ruhen, orientieren und ausrichten, vgl. Pauly S. 112. 15 Gerber, Rechte, S. 16. Gerber, a. a. Ο., S. 20 will nur i. S. v. Stahl den Staat als ethischpolitische Persönlichkeit anerkennen, vgl. oben 2. Kapitel II. 1. a). Wie Stahl wollte Gerber, a. a. O., S. 19 dem Staat nur im Privatrecht (als Fiskus) den Status einer juristische Person zuerkennen. 16

Gerber, Rechte, S. 56 Fn. 1 betonte, dass der allgemeine Wille nicht gleichgesetzt werden dürfe mit dem „Willen der Mehrheit der Einzelnen im Volke". Der bei ihm oft benutzte Terminus des allgemeinen Willens, hatte damit nichts mit einem demokratischen Prinzip zu tun. Vgl. die Abgrenzung des Gemeinwillens von der Volkssouveränität in Grundzüge, S. 20 Fn. 1, sowie unten Fn. 18 und 3. Kapitel III 4 (S. 92 ff.). Zum Volksgedanken bei Gerber auch Kuriki, Festschrift Scupin, S. 233 ff. (248 f.). π Gerber, Rechte, S. 55 ff. Ähnlich schon K. S. Zachariä, vgl. oben 1. Kapitel Fn. 104. is Pauly S. 111. Indem Gerber, Rechte, S. 65 den allgemeinen Willen des Volkes durch den König in Erscheinung treten lässt und dem Monarchen ebenso wie dem Präsidenten der

II. Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte"

67

heit, d. h. deren juristische Persönlichkeit, könne daher nur durch den Willen des herrschenden Subjekts festgelegt und betätigt werden. Auch die Staatsgewalt konnte bei Gerber, der eine juristische Persönlichkeit des Staates negierte, nicht als Recht des Staates erfasst werden. Die Staatsgewalt sei vielmehr „aus dem Leben des Staatsorganismus" zu erklären. Sie erhalte aber ihren rechtlichen Gehalt als absolute und unabhängige Gewalt, als Herrschaft über den Willen aller dem Staate zugehörenden Personen19, erst durch die „Anknüpfung an die im Könige dargestellte Volkspersönlichkeit." 20 Die Landstände dagegen bildeten in Gerbers System keinen „staatsrechtlichen Willen, der unmittelbar auf... die Beherrschung des Volkes wirkt." Sie haben allein „das Recht der Beschränkung des Monarchen in der Ausübung seiner Herrschaftsrechte." 21 Königliche Regierungsakte konnten aus diesem Grund aber nur dann als Ausdruck des allgemeinen Willens gelten, wenn sie verfassungsmäßig zustande gekommen waren. 22 Da dem Staat selbst als juristischem Nullum keine Rechte zustehen konnten, erklärte Gerber sämtliche Zuständigkeiten und Kompetenzen innerhalb des Staatswesen zu eigenen subjektiven Rechten der zur „steten und geregelten Ausübung" derselben berufenen Personen.23 Gerber sprach daher dem König Regierungsgewalt und Souveränität als eigenes Recht zu. Obwohl Gerber in seinem Staatsrechtsentwurf von 1852 die Ideen seines Lehrers Albrecht aufnahm, indem er den Staat über den Monarchen setzte und diesen zu einem bloßen Glied desselben erklärte, konnte er sich nicht zu einer rechtlichen Erfassung des Staates als juristischer Person im Sinne Albrechts und der damit verbundenen Herabstufung des Herrschers zu einem Organ fremden Willens verstehen. Die „gelegentliche Äußerung" Albrechts erkannte auch Gerber lediglich in ihrem Bemühen an, den Staat von den Privatrechten des Fürsten abzuheben.24 Die Rezeption der von Albrecht begründeten Staatstheorie durch Gerber war insofern zunächst eine unvollständige, ja sogar konservative, da sie die staatliche Persönlichkeit und den allgemeinen Willen allein im Monarchen verkörpert sah und diesen somit in den Mittelpunkt der staatsrechtlichen Dogmatik rückte. Die von Stahl rechtsphilosophisch begründete Interpretation des monarchischen Prinzips, als eines spezifisch deutschen Verfassungssystems, in welchem dem Monarchen als Republik die Aufgabe zuwies, den allgemeinen Willen in sein Bewusstsein aufzunehmen, knüpfte er unverkennbar auch an die Rousseau'sehe Lehre vom volonté générale an, vgl. oben 1. Kapitel I. 1. a). Gerber versuchte seine Lehre später aber von der Volkssouveränität abzugrenzen, vgl. Gerber, Grundzüge, S. 20 Fn. 1, siehe dazu auch Oertzen, Festgabe für Smend, S. 183 ff. (198). 19 Gerber, Rechte, S. 58 f. 20 Gerber, Rechte, S. 52. 21 22 23 24 5'

Gerber, Gerber, Gerber, Gerber,

Rechte, S. 84. Rechte, S. 59. Rechte, S. 63 ff. Rechte, S. 15 und 18.

68

3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

Verkörperung der souveränen Staatsgewalt die zentrale, der Ständeversammlung dagegen nur eine begrenzte und festumrissene Bedeutung zur Beschränkung der Staatsgewalt zukam, erhielt damit eine juristisch-dogmatische Formulierung. Gegenüber den liberalen Interpreten des monarchischen Prinzips, die dieses auf die Formel „nichts ohne und nichts gegen den Willen des Monarchen" 25 reduzierten und ansonsten das einverständliche Zusammenwirken von Monarch und Volksvertretung als Charakteristikum des konstitutionellen Systems betrachteten, konnte sich die konservative Interpretation à la Stahl im Gewand der von Gerber formulierten Rechtsbegriffe auf dem Boden der nun allgemein sich durchsetzenden rechtspositivistischen Wissenschaftsmethode artikulieren. Die ältere liberale Auslegung des monarchischen Prinzips und des konstitutionellen Systems wurde infolgedessen zunehmend als unjuristisch und politisierend abgetan.26

3. Literarische Reaktionen auf Gerbers frühe Staatsrechtskonstruktion

Gerber konnte sich mit seinem Versuch, die formal-juristische Methode der Pandektistik in das Staatsrecht zu übertragen und die Staatsrechtslehre als rein juristische Wissenschaft von allen politischen, historischen und philosophischen Argumenten zu reinigen, durchsetzen.27 Die nicht eben überschwengliche Aufmerksamkeit, die seine Schrift von 1852 erweckte, führte jedoch zunächst dazu, dass der von Albrecht entwickelte Gedanke einer juristischen Persönlichkeit des Staates und die Negation dieser Idee durch Gerber einem breiteren wissenschaftlichen Interesse ausgesetzt wurden. Die Staatslehre um die Mitte des 19. Jahrhunderts definierte den Staat ebenso wie Gerber in seiner Schrift von 1852 überwiegend als sittlichen Organismus.28 Dieser Organismus wurde aber, anders als bei Gerber, als ein Rechtsbegriff verstanden, welcher zugleich den sittlichen Persönlichkeitscharakter des Staates implizierte. Ansatzpunkt der Kritik an Gerbers Werk war insofern zunächst die Argumentation, mit der die juristische Erfassung des Staates an sich als überflüssig verworfen wurde. a) Joseph von Held 29 (1815-1890) vertrat auf dem Boden der hegelianischorganischen Staatslehre die Auffassung, der Staat sei Organismus und juristische Person zugleich. So wie die Persönlichkeit, die Rechtssubjektivität des Individuums, logische Folge seines sittlichen und geselligen Wesen sei, müsse auch der höchsten Verbindung von Individuen Rechtssubjektivität und damit Persönlichkeit 25 So H. A. Zachariä, 3. Auflage, § 22 (S. 85). 26 Vgl. Schönberger S. 78. 27 Reyscher, ZDR 13 (1852), S. 444 f. (445) urteilte bereits 1852, Gerbers Werk habe zur »Verwerfung der bisherigen Staatsrechts-Wissenschaft" geführt. 28 Siehe oben 2. Kapitel II. 1. 29 Zur Biographie vgl. ADB 50, S. 161 ff. und Stintzing/Landsberg,

Band III/2, S. 826f.

II. Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte"

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zugesprochen werden. 30 Held verband damit erstmals die Lehre von dem organischen Charakter des Staates mit der Theorie der juristischen Persönlichkeit. Dabei ging Held von der Prämisse aus, dass es neben den durch das Recht geschaffenen Rechtspersönlichkeiten auch solche gebe, die „ihrem Wesen nach bereits juristische Personen waren, ehe der Staat daran dachte, durch einen Akt seiner Gewalt solche Personen anzuerkennen oder neu zu schaffen." 31 Der Staat sei aber nur Person „im Sinne einer rechtlich subjektivierten sittlichen Idee" 32 und daher gerade nicht, wie bei Albrecht, als Träger von Rechten und Pflichten. Trotz der juristischen Formulierung blieb die Persönlichkeit des Staates bei Held also eine eher unklare ethische Größe und wurde nicht konsequent in das Staatsrechtssystem eingefügt. Diese Inkonsequenz wird deutlich in der Stellung des Monarchen, der durch Held als persönlich dargestellter Staat zum Subjekt der Staatsgewalt erklärt wurde. 33 b) Eine eigentümliche und kennzeichnende Ausprägung fand die Organismustheorie bei dem Schweizer Staatsrechtsgelehrten Johann Caspar Bluntschli 34 (1808-1881). Für Bluntschli ergab sich aus der Geschichte, dass der Staat als sittlich-geistiger Organismus, als ein Wesen mit eigenem Körper, eigenen Gefühlen und eigenem Willen anzusehen und deshalb als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen sei. 35 Besonderes Gepräge erhielt seine Lehre aber durch die anthropomorphistische Zergliederung der Staatsperson in einzelne Organe, die ebenso wie beim menschlichen Körper jeweils gewisse Funktionen innerhalb der Staatspersönlichkeit wahrnehmen. 36 Unklar blieb jedoch bei Bluntschli die Zuordnung der Souve30 Held, System, S. 184 und 193. Held, a. a. O., S. 189 bezeichnete die juristische Person allgemein als hypothetischen Ersatz für die äußere individuelle Erscheinung. Ähnlich ders., Grundzüge, § 58 (S. 81 f.). 31 Held, System, S. 187; ders., Grundzüge, § 59 (S. 82 f.). Diese Annahme Heids war notwendig, um dem Zirkelschluss auszuweichen, dass der Staat seine Persönlichkeit dem Recht verdankt, welches aber erst durch den Staat in Geltung gesetzt wird. Siehe dazu auch Pauly S. 133. 32 Held, System, S. 193. 33 Die Staatsgewalt und Souveränität des Staates kam nach Held, System, S. 272 allein in der Person des Fürsten zur Erscheinung, denn „die Souveränität des Fürsten ist die persönlich gewordene Staatssouveränität, und die Staatssouveränität ist in der des Fürsten aufgegangen." 34 Zu ihm vgl. ADB 47, S. 29ff.; NDB 2, S. 337f.; Kleinheyer/Schröder S. 42ff. und Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 552ff. 35 Bluntschli, Staat, S. 612ff. (618); ders., Staatsrecht, S. 39f. Ähnlich schon Welcker, Staats-Lexikon, S. 502 ff. (507) der betonte, der „Staat ist ein lebendiger Organismus" und keine bloße Rechtskonstruktion oder Maschine. Zur Gleichsetzung des Staates mit dem menschlichen Organismus siehe Krieken S. 81 ff. 36 Bluntschli, Staat, S. 612 ff. (619); ders., Staatsrecht, S. 38. Neben dem Staat erkannte Bluntschli, Staat, S. 612 ff. (620) auch die Kirche als Organismus und Persönlichkeit an. Bluntschli ging in der Anthropomorphisation sogar soweit, dass er a. a. O. den Staat mit dem männlichen, die Kirche demgegenüber mit dem weiblichen Körper gleichsetzte: „In der Kirche offenbart sich die weibliche Seite, in dem Staate die männliche Seite der gemeinsamen Menschennatur."

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

ränität. Denn neben der Souveränität des Gesamtorganismus erkannte er auch eine Souveränität des Fürsten an, die als Regierungssouveränität gegenüber der Gesetzessouveränität des Staates hervortrete. 37 c) Auch Otto Bahr 38 (1817-1895), ein weiterer Schüler Albrechts, verband die Lehre des staatlichen Organismus, den er als Genossenschaft der Nation bezeichnete 39 , mit der Idee von der juristischen Persönlichkeit des Staates. Um einer Zirkularität 40 dieser Ansicht zu entgehen, hielt er die Rechtspersönlichkeit des Staates aber für eine reine juristische Fiktion. 41 Sie sei daher kein Produkt des positiven Rechts, sondern Schöpfung der Rechtswissenschaft und als solche in ihrer Existenz nicht abhängig von einem Rechtssatz. Andere Autoren lehnten dagegen die Vorstellung einer eigenen Rechtspersönlichkeit ebenso wie Gerber entschieden ab, da sich allein aus der physisch-realen Willensmacht des Monarchen die Staatsgewalt rechtlich ableiten lasse 4 2 d) Einen besonderen Ausdruck fand die Ablehnung der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates bei dem Schüler Zoepfls, Hermann Bischof (18351889). Auch dieser ließ die organisch verstandene Staatspersönlichkeit nur durch die Person des Fürsten real werden. Beeinflusst von der Gerber'schen Willenstheorie sah er in der Staatsgewalt die „Unterwerfung aller Willen unter einen Willen." 43 Der Staatspersönlichkeit maß er jedoch grundsätzlich nur ethische Bedeutung zu, da für eine ausdrückliche Rechtspersönlichkeit des Staates „weder Grund noch Bedürfnis" bestehe.44

4. Würdigung des Systematisierungsversuchs von 1852

Gerbers Früh werk „Über öffentliche Rechte" erscheint unvollkommen. Einerseits gelang es Gerber, durch die rein formal-juristische Betrachtung die staatsrechtlichen Rechtsverhältnisse auf Willensmacht und Willensäußerungen zu reduzieren, die Staatsgewalt als Herrschaft über fremde Willen zu definieren und damit die staatsrechtlichen Beziehungen in juristisch handhabbare, klar definierte Begriffe aufzuschlüsseln. Seine Willenstheorie lieferte damit die Voraussetzungen, um 37 Bluntschli, Staatslehre, S. 574 f. Vgl. auch Kaufmann, Organismus, S. 15 ff. 38 Zu ihm vgl. ADB 47, S. 747 f. und Stintzing/Landsberg, 39 Bahr S. 45. 40 Siehe oben Fn. 31.

Band III / 2, S. 245 f.

41 Bahr S. 28. 42 Η. Α. Zächariä § 14 (S. 49 ff.); Zoepfl § 57 I (S. 99 f.); Mohl, Encyklopädie, S. 108 schreibt: „die Staatsgewalt bedarf zu ihrer Anwendung und Wirksamkeit eines bestimmten Trägers oder Inhabers; es kann aber dies kein anderer sein, als diejenige physische oder moralische Person, welcher die Ordnung und Leitung des Staatswesens zusteht." 43 BischofS. 31. 44 BischofS. 91 ff.

II. Staatsrechtssystem in Gerbers Schrift „Über öffentliche Rechte"

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die tatsächlichen Organisationsstrukturen der Verfassungen juristisch-konstruktiv zu erfassen. Ohne auf einzelne Verfassungsbestimmungen zurückzugreifen, hat Gerber daher ein für alle deutschen Staaten verwendbares juristisches Grundgerüst entwickelt. Ausgehend von den tatsächlichen Gegebenheiten entwarf Gerber damit eine auf die staatsrechtlichen Grundbegriffe gestützte Theorie des konstitutionellen Staatsrechts in der von Stahl geprägten Interpretation und zugleich eine juristische Theorie des Staatsrechts überhaupt. 45 Andererseits führte Gerber die juristische Erfassung des Tatsächlichen nur unvollständig durch, da er den Staat als Gesamtheit im vorjuristischen und natürlichen Raum beließ. Gerber konnte den Staat nur in Ausschnitten rechtlich erfassen, wenn er allein die Beziehungen zwischen den Staatsgliedern rechtlich strukturierte ίφ Der Staatswille blieb daher bei ihm ohne eigenes Subjekt und musste durch die Person des Monarchen rechtliche Qualität erlangen. Gerber scheute sich, den für das Privatrecht entwickelten Begriff der juristischen Person auf das öffentliche Recht zu übertragen, um die ihm besonders wichtig erscheinende deutliche Unterscheidung der beiden Rechtsgebiete nicht zu verwischen. Auch schien ihm die mit der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates einhergehende Organstellung des Monarchen der Realität nicht gerecht zu werden. Gerber bedauerte in seinem Werk von 1852 den unsicheren politischen Boden des gegenwärtigen Staatsrechts 46; gegen liberale Positionen plädierte er für eine starke Stellung des Monarchen.47 Die von ihm als Kern der Souveränität herausgestellte Willensmacht und Herrschaft, die ihre Realität durch die Person des Monarchen gewinnt, ist damit als eine deutliche Reaktion auf die gerade in der Revolution von 1848/49 gescheiterten liberalen und demokratischen Ideen zu erklären. Die von Gerber mit der Willenstheorie juristisch so klar formulierte Konstruktion des Staates entbehrte allerdings ihres juristischen Zentralpunktes. Die Ablehnung der rechtlichen Persönlichkeit des Staates durch Gerber bedeutete einen Verzicht auf „den alles zusammenhaltenden und systemintegrierenden Schluss- und Giebelstein."48 Gerber selbst bezeichnete sein Werk jedoch nur als bloßen „Versuch" 49 und räumte ein, dass er „sogar an der Möglichkeit der Realisierung mancher seiner Gedanken durch sofortige Einführung gezweifelt" 50 habe. Die Unvollständigkeit seines Werkes war ihm insofern bewusst. Ihm erschien aber das politische Umfeld unmittelbar nach der bürgerlichen Revolution, eine Zeit, „in welcher 45 Pauly S. 115. Gerber, Rechte, S. 13. 47 Stolleis, Band II, S. 334. 48 Pauly S. 110 f. 49 Gerber, Rechte, S. VII (Vorwort). 50 Gerber, Rechte, S. 28. Deutlich selbstkritisch insofern auch Gerber, a. a. O., S. 47 ff., dass der Begriff des staatlichen Organismus nur auf eine sehr unvollkommene Weise realisiert sei, wenn alle Lebensäußerungen des Staats in den Funktionen enthalten sind, welche das ausschließliche Recht des Monarchen und die daraus abgeleiteten Rechte der Beamten ausmachen.

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

eine Organisation die andere verdrängt, alle öffentlichen Verhältnisse im steten Schwanken begriffen sind, und das Bestehende jederzeit durch eine Umwälzung bedroht wird" 5 1 ungeeignet, um ein dauerhaftes, auf den tatsächlichen politischen Gegebenheiten aufgebautes konstruktives System des deutschen Staatsrechts zu entwickeln. Die zunehmende Beruhigung der politischen Verhältnisse nach 1850, die Resignation der demokratischen Kräfte und die Annäherung des liberalen Bürgertums an die traditionellen Mächte musste aber Gerber in dem Streben, ein geschlossenes juristisches System des deutschen Staatsrechts zu schreiben, begünstigen.52 Die 1865 erschienenen und bezeichnenderweise Albrecht gewidmeten „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" bedeuteten daher den Versuch Gerbers, den Torso seines bisherigen Werkes zu vollenden.

I I I . Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" von 1865 Wenige Werke der Rechtswissenschaft haben einen derart nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Rechtslehre genommen wie Gerbers „Grundzüge" von 1865.53 Gerber wollte mit seinem Werk erklärtermaßen eine juristisch-dogmatische Systematik „zu allen einzelnen deutschen Staatsrechten" entwickeln. Ohne die Absicht, „imperative Sätze von unmittelbar verbindlicher Kraft zu gewinnen", wollte er damit den „historisch-sittlichen Gehalt der einzelnen, in jedem Partikularstaatsrechte wiederkehrenden Rechtssätze und Rechtsinstitute" in abstrakten Rechtsbegriffen erfassen. 54 Die in ihren Ausmaßen fast schon zierliche Schrift vermochte auf wenigen Seiten, dafür aber mit bestechender begrifflicher Schärfe eine Systematik des Staatsrechts zu entwerfen, die trotz der grundlegenden Veränderungen, die seit 1865 (sie!) das deutsche Verfassungsgefüge modifiziert haben, noch heute die Staatsrechtslehre prägt. 55 Dabei wird die Kernaussage dieses Systems, in klarem Gegensatz zu den von Gerber noch 1852 vertretenen Positionen, gleich eingangs formuliert:

si Gerber, Rechte, S. 12 f. 52 So auch Bärsch S. 66f.; Schönberger S. 35. Bereits in einem Brief an seinen Freund Rudolf von Jhering (1818-1892) im November 1863 deutete Gerber an, die Lösung „einer ganzen Reihe staatsrechtlicher Fragen ... in einem einzigen Centraipunkt zu suchen." Der Brief ist abgedruckt bei Losano S. 549 ff. In Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 5 ff. (S. 9 f.) von 1865 bezeichnete Gerber den Staat bereits als juristische Person, die er jedoch als „Unicum" von der juristischen Person des Privatrechts strikt zu trennen suchte. Zum allmählichen Positionswechsel Gerbers zwischen 1852 und 1865 auch Pauly S. 137 ff. 53 Vgl. Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (53). 54

Gerber, Grundzüge, S. 10. 55 Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (616); Scheuner, Festgabe für Smend, S. 225 ff. (228 f.); Häfelin S. 132; Bärsch S 42.

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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„Die natürliche Betrachtung des im Staate geeinten Volkes erzeugt den Eindruck eines Organismus, d. h. einer Gliederung, welche jedem Theile seine eigenthümliche Stellung zur Mitwirkung für den Gesamtzweck anweist. Die juristische Betrachtung des Staates aber ergreift zunächst die Thatsache, dass das Volk in ihm zum rechtlichen Gesamtbewusstsein und zur Willensfähigkeit erhoben wird, m. a. W. dass das Volk in ihm zur rechtlichen Persönlichkeit gelangt. Der Staat als Wahrer und Offenbarer aller auf die sittliche Vollendung des Gesamtlebens gerichteten Volkskräfte ist die höchste rechtliche Persönlichkeit, welche die Rechtsordnung kennt; ihre Willensfähigkeit hat die reichste Ausstattung erfahren, welche das Recht zu geben vermag."56

1. Die Persönlichkeit des Staates als Ausgangs- und Mittelpunkt des Staatsrechts

Gerber hatte schon 1852 die rechtliche Charakteristik des Staates in einzelne Willensverhältnisse aufgelöst und die Souveränität als Herrschaft über fremde Willen definiert, aber ohne den staatlichen Organismus selbst als Träger des allgemeinen Willens herauszustellen. In seinen „Grundzügen" von 1865 räumte er nun ein, dass der Begriff des staatlichen Organismus für die rechtliche Charakteristik des Staates völlig ungeeignet sei 57 ; vielmehr hielt er es für „unmöglich, das staatliche Willensrecht ohne Anknüpfung an die staatliche Persönlichkeit zu entwickeln." 58 Der Vorstellung eines staatlichen Organismus maß Gerber daher in seinen „Grundzügen" nur „natürliche", also sittlich-politische, nicht jedoch juristische Bedeutung bei. Damit rückte Gerber die von Albrecht ersonnene Vorstellung des Staates als willensfähige Persönlichkeit entgegen seinen Thesen von 1852 nun doch in den Vordergrund. Die Lehre der juristischen Staatspersönlichkeit wurde als „Voraussetzung jeder juristischen Construktion des Staatsrechts" der Mittelpunkt seines Staatsrechtssystems.59 Er betonte jedoch, dass die juristische Persönlichkeit des Staates nicht mit der privatrechtlichen Kategorie der juristischen Person gleichgesetzt werden dürfe, sondern „ein Unicum" ohne Verwandtschaft in einem anderen Rechtsgebiet sei und daher die „Unterstellung unter einen allgemeinen Rechtsbegriff nicht duldet." 60 Der allgemeine Wille des im Staat geeinten Volkes erhielt dadurch einen Anknüpfungspunkt in der Person des Staates und wurde damit zum Staatswillen 6 1 Die Staatsgewalt konnte als ursprüngliche Willensmacht des 56

Gerber, Grundzüge, S. 1 f. 57 Nach Gerber, Grundzüge, 3. Auflage, S. 217 f. kann ein als Organismus konstruierter Staat sich immer nur durch das Zusammenwirken seiner Glieder unbewusst weiterentwickeln, während die für das Staatsrecht notwendige Vorstellung eines Staates mit freier und einheitlicher Selbstbestimmung mit dem Begriff des Organismus nicht darstellbar ist. 58 Gerber, Grundzüge, 3. Auflage, S. 217 f. 59 Gerber, Grundzüge, S. 2, Fn. 1. 60 Gerber, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 5 ff. (9 f.). 61 Grundlage des Staatswillens war damit zwar der allgemeine Wille des geeinten Volkes, die Vorstellung des Staates als juristische Person wollte Gerber, Grundzüge, S. 20 Fn. 1 aber gerade nicht mit der Volkssouveränität verbinden.

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

Staates definiert werden, welche sich rechtlich als die Herrschaft des staatlichen Willens über die Einzelwillen der ihm unterworfenen Individuen äußert. 62 Zur Verwirklichung des staatlichen Willens dienten nach Gerber als einzige Staatsorgane Monarch und Volksvertretung.

2. Das Staatsrecht als Lehre vom herrschenden Staatswillen

Das Staatsrecht konnte Gerber insofern als Lehre vom Staatswillen kennzeichnen; als solches beantworte es die Frage, „Was kann der Staat als solcher wollen? (Inhalt und Umfang der Staatsgewalt), durch welche Organe und in welchen Formen kann und soll sich sein Wille äussern?"63 Auf diese Grundfragen reduzierte er jedes staatsrechtliche Problem; jede verfassungsrechtliche Norm diente der Regelung von Inhalt, Grenzen und Äußerung des Staats willens. 64 Ohne einzelne Spezialnormen der verschiedenen deutschen Verfassungen zu vergleichen oder auch nur zu referieren, konnte Gerber daher die Grundprinzipien eines gemeinsamen deutschen Staatsrechts anhand der Willenstheorie und der daran anknüpfenden Grundbegriffe entwickeln. Die Willensmacht der Staatsperson wurde von Gerber als ursprüngliche Naturkraft bezeichnet, während Verfassungen und das Recht überhaupt als Produkt der Staatsgewalt erschienen. Hauptaufgabe der Konstitution sei mithin nur die Festlegung der Staatsorgane sowie der Formen und Schranken, in denen diese den Staatswillen zu äußern haben.65 Die Organe des Staates waren nach Gerber „die ursprünglichen, ... constitutionellen Vertreter des Staats ... im Gegensatz zu allen denjenigen zum Handeln Berufenen, welche erst von jenen die Vollmacht ihrer Thätigkeit für Zwecke des Staats ableiten", also etwa den Beamten.66 Dabei schrieb er den Organen das Recht auf Innehabung der Organstellung als eigenes Recht zu, wohingegen die Rechte des Organs selbst als Rechte des Staates anzusehen waren. 67 62 Gerber, Grundzüge, S. 19 ff. 63

Gerber, Grundzüge, S. 3. 64 Pauly S. 141. 65 Gerber, Grundzüge, S. 71. Daher kann Gerber, Grundzüge, S. 31 Fn. 1 auch behaupten die Verfassung schränke nicht die Staatsgewalt ein, sondern konstituiere sie erst. Vgl. dazu auch Pauly S. 151. 66 Als Organe des Staates erkannte Gerber, Grundzüge, S. 70 f. daher nur den Monarchen und die Volksvertretung an und kritisierte die organische Staatstheorie, die sowohl Monarch, Herrscherfamilie, Beamte und Staatsbürger zu Organen des Staates erklärten und damit nach Gerber den Begriff des Organs zu einer seine wissenschaftlichen Bedeutung einbüßenden wertlosen Phrase verkommen lassen, vgl. Gerber, a. a. Ο., S. 70 Fn. 1. Die Staatsdiener sind nach der Lehre Gerbers vielmehr Beauftragte der ursprünglichen Staatsorgane und damit des Monarchen; ebenso bereits Mohl, Staatsrecht, S. 185 und später Rönne § 12 I (S. 204). Sie handeln damit nicht im Namen des Staates, sondern im Namen des Königs. Siehe dazu auch die Kritik von Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. (445). 67 Gerber, Grundzüge, S. 73, Fn. 4.

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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Ganz im Einklang mit Art. 57 der Wiener Schlussakte maß Gerber dem Monarchen als Staatsorgan eine besondere Bedeutung zu. Zwar habe „der Landesherr... seine ehemalige Stellung als eines ausserhalb des Staats stehenden Rechtssubjects mit der Stellung des obersten Willensorgans in ihm vertauscht." 68 Aber der Monarch sei eben doch „das oberste Willensorgan des Staates. Sein Wille soll als allgemeiner Wille, als Wille des Staates gelten. In dem Monarchen wird die abstracte Persönlichkeit der Staatsgewalt verkörpert." 69 Gerber relativierte sogar die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates und der damit notwendig verbundenen Organrolle des Herrschers, indem er formulierte, „der Monarch nimmt die Persönlichkeit des Staats formell in seine Persönlichkeit auf.. . " 7 0 Im Gegensatz hierzu bezeichnete er die Stände zwar auch als Staatsorgane, wies ihnen aber nur Mitwirkungsbefugnisse bei der Ausübung der Staatsgewalt durch den Monarchen zu. 71 Der Umfang der Rechte des Monarchen als des obersten Organs des Staates richtete sich nach Gerber aber nach den Vorgaben der Verfassung. Als Organ des Staates konnte der Monarch daher rechtlich nur handeln, wenn er sich an die Verfassungsbestimmungen, insbesondere die ständischen Mitwirkungsrechte, hielt. 72 Die Volksvertretung hatte demgegenüber allein die Funktion, dafür zu sorgen, dass der Herrscher bei Gesetzgebung und Regierung „den wirklichen Inhalt des Staatswillens zur Erscheinung bringt." 73 Staatsbürger, Gemeinden und das Staatsgebiet waren dagegen Gegenstand der Staatsgewalt und unterstanden als solche der staatlichen Herrschaft. Die „Stellung des Volkes zum Staat", schrieb Gerber, „hat mehrere Seiten." Einerseits sei das Volk zwar die „natürliche Grundlage" des Staates und damit Motiv für die Willensbildung der Staatspersönlichkeit. Entscheidend für die rechtliche Stellung des Volkes im System des Staates hielt Gerber aber, „dass das Volk Gegenstand der Staatsherrschaft ist" und insofern in einem allgemeinen Gewaltverhältnis zum Staat steht.74 68 Gerber, Grundzüge, 3. Auflage, S. 88. 69 Gerber, Grundzüge, S. 71. Der dem älteren konstitutionellen Staatsrecht zuzurechnende Carl von Kaltenborn (1817-1866) formulierte bereits 1863, der Staat habe „in der Person des Monarchen ein persönliches Organ zur Manifestation seines Willens erhalten", vgl. Kaltenborn § 9 (S. 64). 70 Gerber, Grundzüge, S. 19 Fn. 1. Deutlich lehnte sich Gerber mit dieser Formulierung an Hegel an, nach dem die Persönlichkeit des Staates nur in der Person des Monarchen Wirklichkeit erlangte, vgl. oben 1. Kapitel Fn. 90. 71

Gerber, Grundzüge, 3. Aufl. S. 126, wo Gerber den Ständen die Aufgabe zuwies, „beschränkend zu dem herrschenden Willen des Monarchen hinzuzutreten, wo es die Verfassung fordert." Kritisch zur Einordnung der Ständeversammlung als Staatsorgan neben den Monarchen, wenn ihnen zugleich die Mitherrschaft verweigert wird, Krabbe S. 104, Rieker S. 40 ff. und Schönberger S. 56 ff. Siehe auch unten 4. Kapitel Fn. 15. 72 Gerber, Grundzüge, S. 73. 73 Gerber, Grundzüge, S. 118. Allerdings nahm die Volksvertretung bei Gerber eine eigentümliche Zwitterstellung als Staatsorgan und als Organ des Volkes an, da der Volksvertretung a. a. O. S. 119 auch die Aufgabe zugewiesen wird, die Interessen des Volkes laufend dem Staat zuzuführen. Vgl. auch Oertzen, Festgabe für Smend, S. 183 ff. (199); Scheuner, Festgabe für Smend, S. 225 ff. (228).

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

Gerber verband damit in seinen „Grundzügen" von 1865 die bereits in seinem Werk von 1852 vorhandenen Ansätze einer auf klar definierten juristischen Begriffen aufbauenden Staatskonstruktion mit der von Albrecht entwickelten Theorie der juristischen Staatspersönlichkeit zu einer die Einheit der Staatsgewalt sichernden dogmatischen Staatsrechtslehre. Grundlage des Staatsrechts wurde die mit absoluter Willensmacht ausgestattete juristische Person des Staates. Der Staat verwirklichte nach Gerber seinen Willen durch das Handeln seiner Organe. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung waren daher als Willensäußerungen des Staates mittels seiner Organe zu verstehen. Die Verfassung begrenzte dagegen nicht die absolute Staatsgewalt, sondern regelte das Zusammenwirken der staatlichen Organe zur Äußerung des staatlichen Willens. Die Lehre vom Staat als juristische Person war für Gerber insofern nicht mehr Ausdruck und Verkörperung des höheren allgemeinen Gesamtinteresses, sondern Mittel zur Verkörperung der als Willensmacht verstandenen Staatsgewalt. Dies ist die entscheidende Modifikation, mit der Gerber Albrechts Theorie von der juristischen Persönlichkeit des Staates rezipierte. 75 Der von Savigny begründete individualistische Personenbegriff wurde auf diese Weise durch Gerber auch dem öffentlichen Recht zugänglich gemacht, indem unter Verzicht auf die sittliche Idee des Staates die Staatsgewalt mit dem Willen der Staatsperson identifiziert wurde. 76

3. Zeitgenössische Reaktion und Kritik an Gerbers „Grundzügen"

Kurz nach Erscheinen der ersten Auflage seines staatsrechtlichen Systems 1865 befürchtete Gerber, dass die von ihm bezweckte Einführung der rechtspositivistischen Methodik und Denkweise innerhalb Staatsrechtslehre keinen Anklang finden werde. 77 In dieser pessimistischen Einschätzung über die Resonanz seines Werkes hat sich Gerber jedoch gründlich getäuscht. Die „Grundzüge des Staatsrechts" wur74 Gerber, Grundzüge, S. 41 f. Schon 1852 formulierte Gerber, Rechte, S. 76: „Die staatsrechtliche Stellung eines Untertanen ist die eines staatlich Beherrschten und ist mit diesem Begriffe vollständig bezeichnet." 75 So auch Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (615); Ehmke, Festgabe für Smend, S. 23 ff. (S. 41 Fn. 71); Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 175; Schönberger S. 52 ff.; Oertzen, Soziale Funktion, S. 196 ff.; Stolleis, Band II, S. 335; Wilhelm S. 136 Fn. 25 und Zwirner S. 121 ff. 76 Noch 1845 hatte Schmitthenner S. 266 f. behauptet, der willensbezogene Personenbegriff Savignys sei untauglich, die spezifisch öffentlich-rechtlichen Untertanenpflichten zu begründen, vgl. oben 2. Kapitel Fn. 103. Auch Gierke verband später seine Persönlichkeitstheorie mit einem von Savignys Definition verschiedenen Personenbegriff und stand somit Albrecht näher als Gerber. Vgl. unten 4. Kapitel Fn. 35. 77 Vgl. den Brief Gerbers an Jhering vom 20. Juli 1865, abgedruckt bei Losano S. 575 ff.: „Wenn das Büchlein die(selbe) Aufmerksamkeit erhält, die ich ihm zudanke, so wird es zum ersten Male das eigentliche juristische Denken in einem Stoff einführen, der bisher nur laienhaft, d. h. mit diletantischer Philosophie und politisierendem Klugmannsraissonement behandelt worden ist. Ich bezweifle aber, daß das Anklang findet."

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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den trotz ihres zierlichen Umfangs aufgrund der sprachlichen Eingängigkeit, der gedanklichen Präzision und des autoritären Stils Gerbers ein durchschlagender Erfolg. Die von ihm in das Staatsrecht übertragene formal-juristische Methode wurde bereits nach seinem Werk von 1852 zunehmend übernommen und fand nun fast allgemeine Zustimmung.78 Auch inhaltlich wurde Gerbers Willenstheorie ebenso wie die Gleichsetzung der Souveränität mit der Willensmacht der zentralen Staatsperson in den nachfolgenden Auflagen der führenden Staatsrechtslehrbücher kritiklos übernommen. 79 Die bislang ganz herrschende Organismusmetapher vom Staat und die Methode der älteren Staatsrechtslehre wurden zunehmend von Gerbers Staatsrechtskonstruktion und der modernen formal-juristischen Methode verdrängt. 80 Die Staatslehre Gerbers markiert damit einen deutlichen methodischen Wendepunkt sowie einen Paradigmenwechsel in der deutschen Staatsrechtslehre. 81 Die Vertreter der von Gerber besonders bekämpften Organismustheorie haben jedoch zunächst Methodik und Inhalt von Gerbers System mit scharfer Kritik widersprochen. 82 a) Ganz auf dem Boden der organischen Staatslehre hielt Karl Viktor Fricker (1830-1907) von der Universität Tübingen die Idee, den Staat als lebendigen Organismus zu begreifen, für unvereinbar mit der Lehre von der mit Herrschermacht ausgestatteten Staatsperson. Die schroffe Gegenüberstellung der Staatsperson mit den Staatsbürgern, die als Objekt staatlicher Herrschaft in Gerbers System keine Personalqualität besaßen, führe, so Fricker, zu einer Zerreißung der organischen Ganzheit aller Staatselemente.83 b) Der alte Robert von Mohl (1799 —1875) lobte Gerbers Schrift zwar einerseits wegen ihres „streng wissenschaftlichen und insbesondere juristischen, in formeller Beziehung ... ohne allen Zweifel meisterhaften" Stils und gestand zu, dass die von Gerber in den Mittelpunkt der Staatsrechtswissenschaft gerückte Lehre von der 78 Stolleis, Band II, S. 336 f. 79

Nachgewisen bei Oertzen, Soziale Funktion, S. 249 ff. 80 Als Beispiel für diese Rezeption der Gerber'schen Lehre kann das 1869 erschienene Staatsrecht von Georg August Grotefend (1832-1903) gelten, der ebd. § 14 (S. 10) die Erkenntnis der Rechtspersönlichkeit des Staates als Grundvoraussetzung für das richtige Verständnis des Staates und als Errungenschaft der neuesten Staatsrechtslehre preist. Die ebenfalls 1869 erschienene Schrift „Grundbegriffe des Staatsrechts" von W. E. von Lindgren führte bereits alle Herrschaftsmomente und die gesamte Rechtsordnung auf den Geltungsbefehl des rechtserzeugenden Staatswillen zurück, vgl. Pauly S. 163 ff. und Stolleis, Band II, S. 337. Auch Karl Theodor Inama-Sternegg (1843-1908), Eduard Holder ( 1847- 1911) und Albert Theodor van Krieken argumentierten bereits um 1870 auf der Grundlage von Gerbers Staatslehre, vgl. Inama-Sternegg, ZgS 26 (1870), S. 315 ff. (326); Holder, ZgS 26 (1870), S. 617 ff. (625 und 684 ff.) und Krieken S. 134 ff. Siehe auch unten 4. Kapitel II. 3. b). 81 Stolleis, Band II, S. 337. 82 Z. B. Mohl, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 354 ff. (S. 366 ff.); Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. Fricker, ZgS 21 (1865), S. 465 ff. Dazu, Oertzen, Soziale Funktion, S. 239 ff. 83 Fricker,

ZgS 22 ( 1866), S. 427 ff. (434); ders., ZgS 25 ( 1869), S. 29 ff. (38 f.).

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

Staatsgewalt und den Willensorganen der Staatsperson einen Fortschritt darstellte.84 Als ein „enges und hohles" Gebäude erschien ihm aber Gerbers Staatspersönlichkeitslehre, da in ihr mit keinem Wort auf die Frage eingegangen wird, was die Staatsperson als solche wollen darf und kann. „Eine klare Entscheidung über den Staatszweck", so Mohl, dürfe aber nicht umgangen werden. 85 Wenn die Frage, was der Staat zu leisten berechtigt und verpflichtet ist unbeantwortet bleibe und sich die Staatsrechtslehre auf die Art und Weise der Artikulation der Staatsgewalt beschränke, liege die Gefahr nahe, der Staatspersönlichkeit die Macht zuzusprechen, ihre Willensmacht und Herrschaft willkürlich zu betätigen.86 Mohls Kritik setzte insofern bei der von Gerber propagierten Abkehr von der sittlichen Ordnung an, in der Monarch und Volk nach der Vorstellung der älteren Staatslehre eingebettet waren. Der dieser sittlichen Idee entsprechende vernünftige Daseinszweck des Staates und die hervorgehobene Funktion der Volksrechte werden demgegenüber in Gerbers System, wie Mohl bereits klar erkannte, zugunsten eines statischen Herrschaftsverhältnisses zwischen Staatsgewalt und Untertanen vernachlässigt. c) Am konstruktivsten in der Kritik erwies sich aber die Schrift des noch in der Tradition der älteren konstitutionellen Staatslehre stehenden Breslauer Staatsrechtslehrers Hermann Schulze 87 (1824-1888). Schulze kritisierte neben der völligen Ausklammerung jeder philosophischen und historischen Einführung insbesondere die Reduzierung der wissenschaftlichen Disziplin der Staatsrechtslehre auf den Staatswillen und die Lehre von der Staatsgewalt.88 Für ihn war die juristische Persönlichkeit des Staates zwar die „herrschende und handelnde Personifikation des Staatszwecks", aber damit noch nicht der einzige rechtliche Anknüpfungspunkt im Staatsrecht.89 Das Staatsrecht sei vielmehr organisches Gesamtrecht, welches neben den Organen der Staatsgewalt, dem Monarchen und den Beamten, auch die Rechte der Staatsglieder berücksichtigen müsse. „Die Rechte der Staatsbürger, der Gemeinden, der Landstände", so Schulze, „müssen ebenso direkt aus dem Organismus des Staates - oder positiv-rechtlich ausgedrückt aus Verfassung und Gesetz - abgeleitet werden wie die Rechte der Staatsgewalt."90 Die subjektiven Rechte der Staatsglieder sollten ebenbürtig neben den Rechten des Staates stehen und nicht bloß als Reflex der Unterordnung unter den Staats willen erscheinen. Die von Gerber favorisierte Reduzierung des Staatsrechts auf den Willen des Staates 84 Mohl, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 354ff. (367). 85 Mohl, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 354 ff. (368 f.). 86 Mohl, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 354ff. (370ff.). 87 Zur Biographie siehe ADB 33, S. 1 ff. und 36, S. 791 sowie Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 976f. 88 Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. (422). Auch Schulze lobte allerdings a. a. O. S. 417 ff. (417 f.) den Juristischen Geist" und die „präzise Form" von Gerbers Werk. 89 Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. (423 f.); ders., Lehrbuch, S. 22. 90 Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. (425).

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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und seiner Organe berge die Gefahr, dass die Glieder des Staates (Bürger und Gemeinden) zu bloßen Objekten staatlicher Herrschaft herabsinken. Wenn das Staatsrecht nicht die Rechtsverhältnisse zwischen verschiedenen Rechtspersonen regele, sondern sich auf das Herrschaftsverhältnis zwischen Staatsperson und Untertanen beschränke, gibt es nach Schulze an sich überhaupt kein Recht im Staate mehr. Gerber aber kenne „nur ein Rechtssubjekt, die Staatsgewalt; Staatsbürger und Gemeinde sind ihm in demselben Sinne nur Objekte, wie das todte, unpersönliche Staatsgebiet."91

4. Zusammenfassende Würdigung von Gerbers „Grundzügen"

Vernichtender als in dem Urteil, die Lehre Gerbers negiere den Rechtscharakter der Beziehungen zwischen Staat und Bürger, konnte die Kritik an einer Staatsrechtskonstruktion nicht ausfallen. In der Tat war die Theorie von der als Zentralpunkt des Staatsrechts herausgearbeiteten Willensmacht der Staatsperson und ihrer rechtlichen Äußerung durch die Herrschaft eine autoritäre und monarchische, ja antiparlamentarische Lehre, die wieder für eine starke Stellung des Monarchen eintrat und den einzelnen Staatsbürger als Untertan zu Gehorsam zu verpflichten suchte. Die von Albrecht entwickelte Idee von der juristischen Persönlichkeit des Staates92 betrachtete Gerber einseitig unter dem Gesichtspunkt der absoluten Willensmacht der Staatsperson. Dadurch bewirkte er faktisch eine Festigung der monarchischen Herrschaft gegenüber allen demokratischen Bestrebungen: Trotz Bindung des Monarchen als Organ an die Verfassung führte nämlich die von Albrecht gegen das monarchische Prinzip und die absolute Fürstenherrschaft entwickelte Lehre durch die Gerber'sche Verengung als Verkörperung der Staatsgewalt in der Willensmacht der Staatsperson faktisch zu einer Festigung der monarchischen Herrschaft gegenüber allen demokratischen Bestrebungen. Zwar wurde der Wille des Staates mit dem allgemeinen Willen des im Staat vereinigten Volkes gleichgesetzt. Die demokratischen Konsequenzen dieses Ansatzes führte Gerber aber bewusst nicht im Sinne einer kollektiven Selbstbestimmung des Volkes fort, sondern ließ das Volk durch „ein definitorisches Meisterstück" letztlich in ein Subordinationsverhältnis zum Monarchen treten. 93 Der Wille des Staates sollte nach Gerber „den sittlichen Gesamtwillen des Volkes in voller Wahrheit darstellen." Nur in seiner Gesamtheit, als geschichtliche Gemeinschaft, die durch die jetzt 91 Schulze, Aegidis Zeitschrift 1 (1867), S. 417 ff. (425); Ähnlich Fricker, ZgS 21 (1865), S. 465 ff. (476); ders., ZgS 22 (1866), S. 427 ff. (438). Die Negation aller staatsbürgerlichen Rechte in Gerbers System bemerkt auch Mohl, Aegidis Zeitschrift 1 (1867) S. 354 ff. (378). 92 Siehe oben 2. Kapitel I. 5. und 2. Kapitel Fn. 73. Vgl. auch Quaritsch, Souveränität, S. 497 der betont die Persönlichkeitstheorie Albrechts sei unter Geltung des monarchischen Prinzips „ein Wagnis" gewesen. 93 Bärsch S. 71 ; Schönberger S. 23 f.

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

lebende Generation bloß in Erscheinung trete und nicht als eine „nach der Kopfzahl zu begreifende Menge", sei aber das Volk und sein Gesamtwille Grundlage der Staatsgewalt.94 Die Gleichsetzung des Staatswillens mit dem Willen der geschichtlichen Gemeinschaft des Volkes schloss damit eine Partizipation der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft an der Willensbildung a priori aus. Die Willensmacht der geistigen Einheit des Volkes wurde vielmehr allein in der Verkörperung durch den Monarchen real und äußerte sich rechtlich in der Herrschaft über die Glieder des Staates. Ohne Widerspruch konnte Gerber daher behaupten, die Staatsgewalt sei eine „wirksame Willensmacht, welcher das Volk in allen seinen Gliedern unterworfen ist." 9 5 Das Volk als Grundlage des Staatswillens wurde also als geistige Einheit definiert, während sich die konkrete Äußerung der Staatsgewalt an das einzelne Mitglied der Gesellschaft, den Staatsbürger, wendete. Die Staatsgewalt, die sich als Herrschaft in den Anweisungen des Monarchen und seiner Beamten artikulierte, zwang den Bürger, dass er sich „der Fügung des Staats willens in jeder Form seiner rechtmäßigen Kundgebung unterordne und gehorsam erweise." 96 Dieses allgemeine Gewaltverhältnis 97 machte den Bürger damit zum Untertanen unter den staatlichen, vom Monarchen geäußerten Willen und das Volk, verstanden als die Gesamtheit der im Staat vereinigten Individuen, zum Gegenstand der Staatsherrschaft. 98 Die Staatsperson wurde demgegenüber zum einzigen prinzipalen Rechtssubjekt innerhalb des Staatsrechts hochstilisiert 99 94 Gerber, Grundzüge, S. 128. Nach Gerber, Grundzüge, 3. Auflage, S. 226 werde das insoweit als historisch-kultische Größe definierte Volk erst im Staat zur rechtlichen Einheit gebracht. 95 Gerber, Grundzüge, S. 21. 96 Gerber, Grundzüge, S. 44 f. Als Gegengabe bzw. Reflex zu der Unterwerfung gewährte der Staat nach Gerber den Bürgern besondere Rechte, die ihnen als subjektives Recht zustanden. Insofern war es nach Gerber, a. a. O., S. 46 „die eigenthümliche Natur dieses Gewaltverhältnisses, das diese Unterwerfung nicht als eine Minderung des Rechtes, sondern als eine Wohltat empfunden wird." Im Rahmen dieser staatlich gewährten Rechtspositionen trat der Bürger gegenüber dem Staat nicht als Untertan, sondern als juristische Persönlichkeit auf. Noch heute ist Gerbers Einfluss spürbar, wenn die Staatsrechtslehre allgemein von „Grundrechtsgewährleistungen", wie einer erst durch den Staat verliehenen Rechtsposition spricht, vgl. Hesse, Verfassungslehre Rn. 280ff.; Pieroth/Schlink Rn. 220 und kritisch zu dieser Terminologie Ipsen Rn. 60 ff.

97 Gerber, Grundzüge, S. 42 Fn. 2. Der Begriff des allgemeinen Gewaltverhältnisses prägt noch in der heutigen Staatsrechtslehre das Verhältnis des Bürgers gegenüber dem Staat. Vgl. Ehmke, Festgabe für Smend, S. 23 ff. (42); Hesse, Verfassungslehre Rn. 280ff.; Krüger S. 941 ; Scheuner, Festgabe für Smend, S. 225 ff. (227 f. Fn. 9). 98 Diese Objektivierung des Volkes war Kernpunkt der Kritik Schulzes (a. a. O. oben Fn. 91) und Frickers (a. a. O. oben Fn. 83) an Gerbers Werk. Zwar sprach auch Gerber den Staatsbürgern gegenüber dem Staat eine Rechtspersönlichkeit zu, aber diese Subjektivität war bei ihm abhängig von einer staatlichen Rechtsgewährung und damit nur derivativer Natur. Als einzig originäres Subjekt fungierte in Gerbers Staatsrecht nur die Staatsperson, während die Organismustheorie von einer Mehrzahl apodiktischer Rechtssubjekte im Staatsrecht ausging, vgl. oben 3. Kapitel III. 2. und oben Fn. 66 sowie Pauly S. 165. 99 Pauly S. 165.

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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Gerbers Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates führte somit dazu, dass die Bürger der faktischen Macht des Monarchen untergeordnet wurden. Zwar stand der Bürger in einem allgemeinen Gewaltverhältnis zur Staatsperson, in welcher gerade das Volk zur rechtlichen Persönlichkeit, also zur Willensfähigkeit gelangen sollte. In der konkreten Gestaltung handelte es sich jedoch um eine Unterwerfung unter die faktische Macht des Monarchen, dessen Wille als Wille des Staates zu gelten hatte. Die Persönlichkeitstheorie, die zur Begrenzung der monarchischen Machtvollkommenheit entwickelt wurde, wurde damit ihrer liberalen Ansätze beraubt und von dem konservativen und antidemokratischen Gerber 100 in einem monarchischen Sinne umformuliert. 101 Durch die Reduzierung des Staatsrechts auf die Staatsgewalt löste Gerber aber zugleich die Einheit, welche selbst konservative Autoren wie Stahl bislang durch die Vorstellung des Staates als eines sittlich-geistigen Organismus zwischen Volk und Monarch herzustellen versuchten. Wenn er den Staat auch als natürlichen Organismus betrachtete, so verbannte er doch in der juristischen Erfassung des Staates die Vorstellung eines durch das Zusammenwirken seiner Glieder für den Gesamtzweck geprägten Organismus vollkommen. Nicht mehr eine Volk und Monarch gleichermaßen überwölbende Staatspersönlichkeit innerhalb des sittlichen Rechts, sondern das im Monarchen allein verkörperte staatliche Willenssubjekt wurde von Gerber als Subjekt des Rechts und der staatlichen Gewalt identifiziert. Die Staatsgewalt, von Stahl noch als „eine Macht im Staatsorganismus" bezeichnet 102 , war für Gerber jetzt Willensäußerung der juristischen Staatsperson, welche sich allein über den Monarchen artikulierte. Die juristische Persönlichkeit des Staates diente daher als Anknüpfungspunkt für die als ursprüngliche „Naturkraft" bezeichnete103, prinzipiell unbegrenzte Staatsgewalt, die sich durch ihre Verfassung selbst Schranken setzt. Während Albrecht die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates auf das einem höheren Allgemeininteresse gewidmete Gemeinwesen bezog und damit mit der Idee eines von Monarch und Volk gleichermaßen bewirkten Organismus verband 104 , beschränkte Gerber die Rechtspersönlichkeit auf die durch Monarch und den Behördenapparat verkörperte Herrschaftsorganisation. 105 Als herrschendes Subjekt stand damit die durch den Monar100 Gerber, Grundzüge, S. 72, Fn. 1 sprach sich gegen eine Teilung der Gewalten und gegen jede Mitherrschaft des Parlamentes aus. Zur antidemokratischen und antiparlamentarischen Haltung Gerbers vgl. auch Barsch S. 64ff.; Pauly S. 154 und Wilhelm S. 140ff. jeweils m. w. N. ιοί So auch Bärsch S. 74; Friedrich, JöR N. F. 34 (1985), S. 1 ff. (22); Pauly S. 155. Oertzen, Festgabe für Smend, S. 183 ff. (198) bemerkt demgegenüber, Gerber habe sich mit seiner Theorie der Demokratie genähert, ohne die letzten Konsequenzen ziehen zu wollen. 102 Stahl, Band II, 2. Abteilung, § 147 (S. 535).

103 Gerber, Grundzüge, S. 21. 104 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1491 f.). i°5 So auch Schönberger S. 50, der zudem nachweist, dass Gerber und Laband sich in ihrer den Staat charakterisierenden Terminologie bezeichnenderweise wieder der von der Organismusmetapher überwundenen Gleichsetzung des Staates mit einer Maschine annähern, vgl. Schönberger S. 31 und 64 m. w. N. 6 Uhlenbrock

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3. Kap.: Carl Friedrich von Gerber

chen verkörperte Staatsperson der bürgerlichen Gesellschaft des Volkes gegenüber, ohne dass eine höhere sittliche Einheit beide verband. Auch die Volksvertretung, bislang als Organ des Volkes gegenüber der monarchischen Exekutive interpretiert 1 0 6 , wurde von Gerber als nachgeordnetes Staatsorgan ebenfalls auf den Staat bezogen. Die Volksvertretung hatte dafür Sorge zu tragen, dass durch den Monarchen tatsächlich der wirkliche Staatswille geäußert wird und war insofern nachgeordnetes Staatsorgan. Da die Volksangehörigen außer der Stellung als Untertanen in Gerbers Staatsrecht nicht in Erscheinung traten, besteht die spezifische Eigenartigkeit von Gerbers Staatspersönlichkeitslehre in der Tat „nicht darin, daß sie den Staat als eine eigenständige Person anerkannt, sondern umgekehrt darin, daß sie dem Volk eine eigenständige Persönlichkeit aberkannt hat." 1 0 7 Der scharfen Kritik Schulzes an Gerbers Grundzügen kommt aus diesem Grund eine besondere Bedeutung zu. Sie zeigt, ebenso wie Flickers Inaugurationsrede von 1866 108 , wie deutlich der Staatsrechtslehre der Epochenwandel, den Gerbers Schrift 1865 einläutete, vor Augen lag und wie frühzeitig die antidemokratischen, autoritären Tendenzen der so formulierten Persönlichkeitstheorie gesehen wurden. Schulze, noch in der liberalistischen Tradition der Staatslehre im Vormärz stehend, erkannte die Unvereinbarkeit der Lehre Gerbers mit der Vorstellung eines staatlichen Gemeinwesen, in welches Herrscher und Beherrschte in gleicher Weise eingebunden sind. Nicht die Klassifikation des Staates als Rechtssubjekt, sondern die Reduzierung des Staatsrechts auf die Herrschaft der Staatsperson, die alle übrigen Glieder des Gemeinwesens zu Rechtsobjekten degradierte, war das grundsätzlich Neue an Gerbers Werk. Darin unterschied sich seine Lehre von den Persönlichkeitstheorien früherer Autoren, wie Schmitthenner, Held und auch seines Lehrers Albrecht. Mit der einseitigen Ausrichtung des Staatsrechts auf den durch den Monarchen geäußerten Willen der Staatspersönlichkeit nahm Gerber den bislang herrschenden Organismuslehren die Grundlage und begründete die sogenannte „anorganische Staatslehre." 109 Dass sich die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates in der von Gerber geprägten Fassung dennoch auffallend rasch durchsetzte 110, lag neben der 106 So z. B. Mohl, Staatsrecht, § 97 (S. 531 ff.); Η A. Zachariä § 24 (S. 94 f.); Zoepfl § 5 4 I X (S. 100 f.). 107 So Kuriki, Festschrift Scupin, S. 233 ff. (249). 108 Fricker, ZgS 22 (1866), S. 427 ff. 109 Häfelin S. 124; Schönberger S. 42 ff. kritisiert hier zu Recht die allgemein vertretene Ansicht, dass Albrecht durch seine Maurenbrecher-Rezension die Grundlage für den staatsrechtlichen Positivismus und die Reduzierung des Staatsrechts auf die Willensherrschaft der Staatsperson gelegt habe. Während Albrecht in der Tradition der liberalen Organismuslehre durch seine Theorie gerade die Bindung der vom Monarchen geäußerten Staatsgewalt an die Verfassung begründen wollte, ging es Gerber darum, die ungebundene „Naturkraft" des in der Staatsperson ruhenden Herrschaftswillens gegenüber dem Verfassungsrecht zu festigen. Mit Laband, der der Verfassung gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht keinen Vorrang mehr einräumte, ist dann die ursprüngliche Intention Albrechts ganz aufgeben., vgl. Laband, Staatsrecht II, S. 39. Siehe auch oben 2. Kapitel Fn. 79.

III. Gerbers „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts"

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meisterhaften wissenschaftlichen und literarischen Qualität seines Werkes daran, dass es in einer Zeit geschrieben wurde, in der sich das liberale Bürgertum mit dem politisch Errungenem - die Einigung des deutschen Reiches unter Bismarcks politischer Führung stand unmittelbar bevor - zufrieden gab und sich politisch mit der traditionellen Monarchie arrangierte und identifizierte; die „Realpolitik" sich insofern gegenüber den Idealen des vormärzlichen Liberalismus durchsetzte. 111 Die von Gerber 1865 skizzierten „Grundzüge" des Staatsrechts wurden in den folgenden Jahren in ihrer Bedeutung noch übertroffen, da sie durch Paul Laband, die herausragende staatsrechtliche Lehrautorität des Kaiserreiches, übernommen und en détail fortgeführt wurden.

110

Stolleis, Band II, S. 336; Pauly S. 160; Anlässlich der Inauguration auf den Tübinger Lehrstuhl am 8. März 1866 nannte Fricker, ZgS 22 (1866), S. 427 ff. (437) bereits die Lehre der anorganischen juristischen Persönlichkeit des Staates als „die jetzt gewöhnliche Theorie." Als „die für die rechtliche Betrachtung des Staates maßgebende Anschauung" bezeichnete dann Georg Meyer (1841 -1900) in seinem seit 1878 aufgelegten Lehrbuch die Persönlichkeitstheorie Gerbers, vgl. Meyer S. 9. Ebenso Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 87. in Bärsch S. 67; Scheuner, Festgabe für Smend, S. 225 ff. (228f.); Wilhelm S. 129 und 143 f. Dazu auch Kriele, Staatslehre, S. 326 ff. 6*

4. Kapitel

Die Fortführung der Persönlichkeitslehre Gerbers durch Paul Laband I. Labands Reichsstaatsrecht und die juristische Person Gerbers „Grundzüge" erlebten trotz ihrer Bedeutung nur drei Auflagen; bewusst unterließ er es, sein Werk den nach 1867 und 1871 eingetretenen Veränderungen innerhalb des deutschen Verfassungsgefüges anzupassen.1 Seine „Grundzüge" wurden aber durch das „Reichsstaatsrecht" des Straßburger Staatsrechtslehrers Paul Laband 2 (1838-1918) inhaltlich übernommen, fortgeführt und auf die veränderten Verhältnisse übertragen.

1. Labands Gesetzespositivismus

Laband führte die formal-juristische Methode und die Willenstheorie Gerbers fort und konzentrierte sein Staatsrechtssystem ganz auf die dogmatische Konstruktion der Willensbeziehungen innerhalb des Staates. Anders als Gerber, der seiner Lehre noch die allgemeinen Rechtsprinzipien und das gemeine deutsche Staatsrecht zugrunde legte, konnte Laband jedoch von dem positiven Recht des Deutschen Reiches, insbesondere von der Reichsverfassung vom 16. April 1871, ausgehen. Auf dieser Grundlage erfuhr die rechtspositivistische Methode durch Laband 1 Gerber erkannte im Vorwort der 3. Auflage seiner Grundzüge an, dass mit Labands Reichsstaatsrecht „eine vorzügliche Bearbeitung des positiven Staatsrechts des Deutschen Reichs44 vorliege und behielt daher seine bisherige Konzeption bei, durch abstrakte Rechtsbegriffe die Gemeinsamkeiten der Staatsrechte der deutschen Einzelstaaten zu einem wissenschaftlichen System zu vereinigen, vgl. oben 3. Kapitel Fn. 8. 2 Paul Laband wurde am 24. Mai 1838 in Breslau geboren, studierte in Breslau, Heidelberg und Berlin. Nach Arbeiten über Rechtsgeschichte und Handelsrecht wandte er sich im Verlauf des preußischen Verfassungskonflikts staatsrechtlichen Fragen zu. Als Verfechter von Bismarcks „Lückentheorie" reduzierte er die Bedeutung des Haushaltsgesetzes als formalisierte Übereinstimmungserklärung zwischen Regierung und Landtag und charakterisierte es damit als nur formelles Gesetz. 1864 wurde er Professor in Königsberg und wechselte 1872 an die neu gegründete Universität Straßburg. Wegen seiner loyalen Haltung genoss er hohes Ansehen beim Kaiser. Er starb am 23. März 1918 in Straßburg. Zu Laband siehe NDB 13, S. 362 f.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 235 ff.; Kleinheyer / Schröder S. 158 ff.; Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 833 und 977ff.; Stolleis, Band II, S. 341 ff. sowie Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (64 ff.).

I. Labands Reichsstaatsrecht und die juristische Person

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ihre für die deutsche Rechtsentwicklung charakteristische Ausprägung. Losgelöst von vergangenem Rechtsstoff und ohne Berücksichtigung dessen, was angeblich sein soll, habe die Staatsrechtswissenschaft nach Labands Bekenntnis allein das geltende positive Staats- und Verfassungsrecht zu analysieren und in abstrakten Rechtsbegriffen zu erfassen. Nur durch rein logische Denktätigkeit, ohne Vermengung mit politischen, historischen oder philosophischen Gesichtspunkten, wollte er „die einheitlichen Grundsätze und leitenden Principien" des Gesetzesrechts erschließen und systematisieren.3 Der rechtswissenschaftliche Positivismus Gerbers wandelte sich damit bei Laband zu einem wissenschaftlichen Gesetzespositivismus.4

2. Die individualistische, impermeable Staatspersönlichkeit

In Fragen, in denen das positive Gesetzesrecht wegen seiner Lückenhaftigkeit keine Ableitungen zuließ, griff aber auch Laband auf allgemeine Rechtsprinzipien und -begriffe, also die Wissenschaftsmethode des von Gerber geprägten rechtswissenschaftlichen Positivismus, zurück. Auch die rechtliche Natur des Reiches und der Einzelstaaten konstruierte Laband somit auf dem Boden von Gerbers Methode und der von diesem geprägten Lehre von der rechtlichen Persönlichkeit des Staates. Anders als Gerber lehnte sich Laband in seiner Staatslehre jedoch häufig an zivilrechtliche Rechtsinstitute an, deren absolute und allgemeingültige Begriffe nach seiner Ansicht auch im Staatsrecht Geltung beanspruchten. So führte er den Begriff der Rechtspersönlichkeit auf die formelle Rechtsfähigkeit zurück und maß ihm im öffentlichen und privaten Recht die gleiche Bedeutung zu. Der Staat wurde als öffentlich-rechtliche Körperschaft deshalb zusammen mit allen anderen rechtsfähigen Verbänden unter den allgemeinen Begriff der Rechtsperson subsumiert.5 Im öffentlichen wie im privaten Recht bedeutete ihm Rechtspersönlichkeit die Fähigkeit, Subjekt von Rechten und Pflichten zu sein. Den Rechtsterminus der Persönlichkeit des Staates abstrahierte Laband damit von allen neben der Rechtsfähigkeit mit dem Begriff der Persönlichkeit sonst verbundenen Elementen. Die juristische Persönlichkeit des Staates diente Laband nur als Abstraktion, um den nicht physisch fassbaren Staat als Träger von Rechten behandeln zu können. Die Staatspersönlichkeit war damit ein völlig abstrakter, aber auch absoluter Begriff, der 3 Laband, Staatsrecht I, 1. Auflage, S. VI (Vorwort); ders., Staatsrecht I, S. IX (Vorwort zur zweiten Auflage). 4 Schönberger S. 22; Stolleis, Band II, S. 343. 5 Laband, Staatsrecht I, S. 53. Laband, Staatsrecht 1,1. Auflage, S. VI (Vorwort) hielt ganz im Sinne von Puchtas Begriffspyramide, dazu oben 3. Kapitel Fn. 4, „die Schaffung eines neuen Rechtsinstituts, welches einem höheren und allgemeineren Rechtsbegriff überhaupt nicht untergeordnet werden kann, gerade so unmöglich wie die Erfindung einer neuen logischen Kategorie oder die Entstehung einer neuen Naturkraft." Er konnte daher die Rechtspersönlichkeit des Staates nicht wie Gerber als „Unicum" kennzeichnen.

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4. Kap.: Paul Laband

keine Zergliederung in weitere Personen duldete. Daher widersprach Laband unter Hinweis auf den abstrakten Charakter der Staatsperson den organischen Staatslehren 6, welche die Staatsperson in weitere Organpersonen mit eigener Rechtssubjektivität zergliederten. 7 Die schon durch die Reduzierung der Staatspersönlichkeitslehre auf die Staatsgewalt bei Gerber bewirkte Gegenüberstellung von Staat und Untertanen wurde von Laband offen als logische Konsequenz aus der staatlichen Persönlichkeit abgeleitet. Denn jedes Rechtssubjekt müsse notwendig als individualistische Einheit begriffen werden. Aus der Zusammenfassung einer Mehrheit von Personen zu einer selbständigen Person folge daher „nicht ein Auseinanderreißen, eine Trennung der Gesamtperson von ihren Gliedern, sondern eine logische Gegenüberstellung. ... Das Recht, welches die Gesamtheit zur selbständigen Trägerin von Rechten und Pflichten, also zur Person, konstituiert", so Laband, „setzt sie dadurch der Vielheit als einer von ihr begrifflich verschiedenen Einheit gegenüber, es hebt die Durchdringung der ,Einheit durch die Vielheit4 logisch auf, es macht aus der Summe der Sonderexistenzen eine neue Grundeinheit, innerhalb deren es keine Vielheit gibt." 8 Da das Recht nach Laband allgemein zur Abgrenzung der Willenssphären einzelner Rechtspersonen diente, führte die von ihm betonte Ausschließlichkeit der Staatsperson weiterhin sogar dazu, dass den innerstaatlichen Ordnungen konsequent jede Rechtsqualität abgesprochen wurde. 9 Demgemäß konnte Laband formulieren: „Regeln, die sich innerhalb der Verwaltung selbst halten, die in keiner Richtung einem außerhalb desselben stehenden Subjekt Beschränkungen auferlegen oder Befugnisse einräumen ... sind keine Rechtsvorschriften." 10 Weisungen der Regierung, Anordnungen von Vorgesetzten, Geschäftsordnungen der Staatsorgane und VerwaltungsVorschriften wurden insofern von Laband aus dem Rechtsbegriff ausgeklammert.11

3. Herrschaft des Reiches und der Einzelstaaten über das Volk

Gestützt auf diesen Rechts-, Personen- und Staatsbegriff entwickelte Laband ausgehend von der Frage, ob die Reichsgründung 1871 einen völkerrechtlichen 6

Siehe oben 3. Kapitel Fn. 82 und unten 4. Kapitel II. 1. 7 Laband, Staatsrecht I, S. 81 ff.

β Laband, Staatsrecht I, S. 84. Pauly S. 201 f. bezeichnet diesen Befund als „Impermeabilitätsdoktrin.44 Dazu Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 15 ff.; Fröhling S. 54 ff. und Rupp S. 19. »o Laband, Staatsrecht II, S. 181. 11 Die Verordnungen differenzierte Laband, Staatsrecht II, S. 179 ff. in Verwaltungsvorschriften, die allein im staatlichen Binnenbereich wirkten und deshalb keine Rechtsnormen waren und solche, die als Gesetz im materiellen Sinne Rechte und Pflichten von Rechtspersönlichkeiten begründeten und von ihm daher Rechtsverordnungen genannt wurden. Diese Differenzierung prägt bis heute die Dogmatik des Verwaltungsrechts, vgl. Maurer § 13 und §24. 9

I. Labands Reichsstaatsrecht und die juristische Person

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Staatenbund oder einen staatsrechtlichen Bundesstaat mit eigener Rechtspersönlichkeit begründet hat, sein Reichsstaatsrechtssystem. Als kennzeichnende Unterscheidung der Staatspersönlichkeit von den sonstigen Rechtspersonen des öffentlichen und privaten Rechts arbeitete Laband den Begriff der Herrschaft heraus. Die Persönlichkeit des Staates sei durch eigene Herrschaftsrechte zur Durchführung staatlicher Aufgaben und Pflichten sowie einen selbständigen Herrschaftswillen gekennzeichnet.12 „Herrschen" definierte Laband als „das Recht, freien Personen (und Vereinigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen und Leistungen zu befehlen und sie zur Befolgung derselben zu zwingen." Durch diese Herrschaft über andere Rechtspersonen hebe sich die Staatsperson gegenüber jeder anderen Rechtsperson, der nur Herrschaftsrechte an Sachen zustehen konnten, ab. 13 Subjekt der obersten und höchsten Rechtsmacht, der Staatsgewalt, konnte auch bei Laband nur die Staatsperson sein: „Der Staat allein herrscht über Menschen. Es ist dies sein spezifisches Vorrecht, das er mit Niemandem theilt. Sein Wille hat allein die Kraft, den Willen der Individuen zu brechen, über Vermögen, natürliche Freiheit und Leben derselben zu verfügen." 14 Monarch und Parlament sind demgemäß auch bei Laband Organe des Staates, durch die dieser seinen Willen äußert. Während aber der Volksvertretung jeder Anteil an der staatlichen Herrschaft abgesprochen wurde 15 , relativierte Laband, ähnlich wie schon Gerber, die Organfunktion des Monarchen, indem er diesen als den „alleinigen Träger der ungeteilten und unteilbaren Staatsgewalt"16 bezeichnete und ihn damit zum Ausgangspunkt jeder Delegation staatlicher Gewalt erhob. Das Volk wurde demgegenüber zwar als Substrat der juristischen Person des Staates anerkannt, dem einzelnen Staatsbürger im Verhältnis zur Staatsperson aber jede Rechtssubjektivität abgesprochen. „Das Wesen der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Organismus" schrieb Laband, „besteht in der Unterthanenschaft, d. h. in der Unterwerfung unter die obrigkeitliche Herrschermacht. Der Bürger ist als Einzelner Objekt der obrigkeitlichen Rechte des Staates."17 Laband rezipierte damit ganz die von Gerber begründete Lehre des in 12 Laband, Staatsrecht I, S. 55 ff. 13 Laband, Staatsrecht I, S. 68. Dazu Zwirner S. 123 Fn. 275 m. w. N. 14 Laband, Staatsrecht I, S. 69. is Laband, Staatsrecht I. S. 293. Daher lehnte Karl Rieker (1857-1927), der im übrigen Laband in der rechtlichen Konstruktion des Staates folgte, die Charakterisierung der Volksvertretung als Staatsorgan ab. Für ihn stellte die Volksvertretung vielmehr kraft gesetzlicher Fiktion die Gesamtheit der Untertanen dar, deren Zustimmung der Monarch bei gewissen Maßnahmen einholen musste, vgl. Rieker S. 40 und 53. Dazu Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 125 Fn. 4. Kritisch zur Einstufung der Volksvertretung als Staatsorgan in Labands Staatsrechtssystem auch Schönberger S. 168 ff., Siehe auch oben 3. Kapitel Fn. 71. 16 Laband, Staatsrecht I, S. 257; ders., Staatsrecht II, S. 6. Das Vorhandensein eines einzigen Trägers der einheitlichen und unteilbaren Staatsgewalt war für Laband begrifflich notwendiges Element des Staatsbegriffs. Dazu Meyer/Anschütz S. 19, Fn. 7; Schönberger S. 103 ff. und 220 ff. Zur Begründung des Begriffs „Träger der Staatsgewalt" durch H. A. Zachariä siehe Boldt S. 80 f. 17 Laband, Staatsrecht I, S. 141. Die einseitige Zentrierung der staatlichen Herrschaftsrechte in der impermeablen juristischen Staatsperson war Kernpunkt der Kritik Gierkes an

4. Kap.: Paul Laband

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Gestalt des Fürsten real werdenden Staatsabsolutismus, die den Bürger rechtlich zum Untertanen erklärte. Diese von Gerber auf die Verhältnisse innerhalb der deutschen Einzelstaaten zugeschnittene Ansicht wurde aber von Laband auch auf die Ebene des Deutschen Reiches übertragen. Als Substrat des Deutschen Reiches, welches nach Laband als Bundesstaat ebenfalls als juristische Person zu charakterisieren war 1 8 , sah er dagegen nicht das deutsche Volk, sondern die Einzelstaaten an: „Das Deutsche Reich ist nicht eine juristische Person von 56 Millionen Mitgliedern, sondern von 25 M i t gliedern." 1 9 Anders als bei der rechtlichen Konstruktion der Einzelstaaten sprach er auf Reichsebene prinzipiell den Mitgliedern der juristischen Person, also den Einzelstaaten die Trägerschaft der Reichsgewalt zu. Aus diesem Grund wurde der Bundesrat, durch den nach der Reichsverfassung die Rechte der Einzelstaaten vertreten wurden, als Träger der Staatsgewalt des Deutschen Reiches verstanden. Kaiser und Reichstag waren dagegen nur Reichsorgane mit vom Bundesrat abgeleiteten Kompetenzen. 2 0 Das Deutsche Reich war nach Laband insofern eine Vereinigung mehrerer Staatspersonen zu einer höheren juristischen Person, die durch die in Art. 78 der Reichsverfassung normierte Kompetenz-Kompetenz zum alleinigen Subjekt der Souveränität erhoben wurde. 2 1 Der Bürger sei daher sowohl der Labands Staatsrecht. Wenn das Volk rechtlich nicht als Einheit und Rechtssubjekt, sondern als Summe der individuellen Untertanen und als bloßes Objekt der staatlichen Herrschaftsrechte begriffen werde, so Gierke, Labands Staatsrecht, S. 35, trete der Staat als Rechtssubjekt außer und über seine eigenen im Volk begründeten Wurzeln; mithin führe Labands Lehre zu einer wirklichkeitsfremden Auseinanderreißung von Volk und Staat. Dazu unten 4. Kapitel II. l.a). 18

Laband bezog insofern Position in der seit der Reichsgründung 1871 umstrittenen Frage, ob das Deutsche Reich als Bundesstaat oder als Staatenbund aufzufassen sei. Einerseits vertrat Albert Hänel (1833-1918), Staatsrecht, §§ 135ff. (S. 793ff.) die Theorie, dass allein das Reich als Bundesstaat souveräner Staat mit foederativ zwischen Glied- und Gesamtstaat aufgeteilten Kompetenzen sei, den Ländern dagegen nur eine als Landeshoheit bezeichnete Selbstverwaltung zukomme. Andererseits betonte Max von Seydel (1846-1901), ZgS 28 (1871), S. 185 ff. (208) unter Hinweis auf die Unteilbarkeit der Souveränität, dass allein die deutschen Länder als Staaten gelten könnten und daher das Reich nur als Staatenbund angesehen werden könne. Näher zu dieser Kontroverse Stolleis, Band II, S. 365 ff.; Laband konnte dagegen die Bundesstaatstheorie mit der Lehre von der Unteilbarkeit der Souveränität verbinden, ohne den Einzelstaaten ihre Staatsqualität abzusprechen, da er die Souveränität nicht als Wesensmerkmal des Staates auffasste, siehe dazu Stolleis, Band II, S. 365 ff. und unten Fn. 21. 19 Laband, Staatsrecht I, S. 97. 20 Laband, Staatsrecht I, S. 256 f. Laband bezeichnete a. a. O. S. 228 den Kaiser als dasjenige Organ, „welches man bei privatrechtlichen Korporationen den Vorstand oder Direktor nennt." Die Anlehnung seines Staatsrechtssystem an zivilrechtliche Institutionen wird hier besonders deutlich. 21

Durch die Reichsgründung haben die deutschen Einzelstaaten nach Laband, Reichsstaatsrecht, S. 25 ihre Souveränität zugunsten des Reiches übertragen, ohne ihre Staatsqualität zu verlieren. Die Souveränität, seit Bodin als Quelle der Staatsgewalt charakterisiert, wurde von Laband, Staatsrecht I, S. 55 ff. als nicht begriffsnotwendiges Element der Staatsgewalt herausgearbeitet. Die bisherige Gleichsetzung von Souveränität und Staatsgewalt wurde

II. Kritiker der Gerber-Laband'sehen Staatsrechtskonstruktion

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Herrschaftsgewalt seines Staates wie auch der darüber stehenden souveränen Gewalt des Reiches Untertan. 22

I I . Kritiker der Gerber-Laband'schen Staatsrechtskonstruktion Grundlage von Labands Staatsrechtssystem war also die rechtliche Einheit der abstrakten Staatspersönlichkeit. Als Subjekt aller Herrschaftsrechte waren dieser alle Mitglieder des Staates als Objekte unterworfen. Jede Vorstellung des Staates als eines aus Haupt und Gliedern mit jeweils eigener Rechtspersönlichkeit bestehenden Organismus war mit Labands individualistischem Staatsbegriff unvereinbar. Labands Autorität führte dazu, dass die noch in der Jahrhundertmitte vorherrschende Organismustheorie mehr und mehr aufgegeben wurde. 2 3

I . Die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit des Staates Die von Gerber begründete und von Laband fortgeführte Lehre von der herrschenden individuellen Staatsperson war jedoch zunächst einer breiten Front von Opponenten ausgesetzt, deren führende Autoren gerade aus dem Lager der Organismus-Theorie entstammten. 24 a) In Otto von Gierke 25 (1841 - 1 9 2 1 ) , dem führenden Vertreter des germanistischen Zweigs der Historischen Rechtsschule, fand sich zunächst ein einflussreicher damit aufgegeben. Das Vorhandensein von Staatsgewalt setzte nach Laband nicht mehr zugleich Souveränität im Sinne einer obersten und höchsten Gewalt voraus. Ebenso Jellinek, Staatslehre, S. 461, der die Gleichsetzung von Souveränität und Staatsgewalt als „schwerwiegenden ... Fehler" der älteren Staatsrechtslehre qualifizierte. Ähnlich bereits Gerber, Grundzüge, S. 22 Fn. 5. Laband begründete damit die moderne Auffassung, dass die Souveränität, verstanden als höchste und unabhängige Gewalt, nicht wesensnotwendiges Merkmal für die Staatsqualität ist. Als notwendiges Merkmal des Staates und der Staatsgewalt sah Laband vielmehr das Vorhandensein von Herrschaftsrechten an. Laband widersprach insofern der bis dahin ganz herrschenden Auffassung, dass es keine nichtsouveränen Staaten geben könne. Dazu Meyer/Anschütz S. 7 Fn. 9 und Krüger S. 187 Fn. 7 jeweils m. w. N. 22 Laband, Staatsrecht I, S. 145. 23 Stolleis, Band II, S. 368 f. 24 Weiterhin zu nennen ist Hermann Schulze (1824-1888), der in seinem 1886 erschienen Lehrbuch weiterhin gegen Laband die organische Staatsauffassung vertrat, vgl. Schulze, Lehrbuch, S. 20 ff. und oben 3. Kapitel III. 3. c). 25 Otto von Gierke wurde am 1. November 1841 in Stettin geboren. Nach Studium und Promotion in Berlin und Heidelberg habilitierte er 1868 bei Georg Beseler (1809-1888) über das deutsche Genossenschaftsrecht. 1871 wurde er Professor in Breslau und wechselte 1887 nach Berlin. Als Vertreter des germanistischen Zweigs der Historischen Rechtsschule gehörte er zu den bedeutendsten Kritikern der von Gerber und Laband begründeten positivistischen Staatsrechtslehre. Er starb am 10. Oktober 1921 in Berlin. Zu Biographie und Werk Gierkes vgl. weiter NDB 6, S. 374f.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 266ff.; Kleinheyer/ SchröderS. 96ff. und Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 912ff.; Mertens, JuS 71, S. 508ff.

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4. Kap.: Paul Laband

Kritiker Labands, der in bewusstem Gegensatz zu dessen individualistischem Staatsbegriff eine genossenschaftlich fundierte organische Staatstheorie vertrat. Für Gierke war die von der formal-positivistischen Methode Gerbers und Labands gepriesene Verengung der juristischen Betrachtung auf die Logik reiner Rechtsbegriffe eine Verarmung des Rechts durch inhaltslose Begriffsjurisprudenz. Die Dogmatik des Staatsrechts sollte nach seiner Ansicht vielmehr ihre wichtigste inhaltliche Vorgabe in der geschichtlichen Entwicklung des Rechts finden und die juristische Methode müsse „zugleich durch und durch »historische Methode4 sein, wenn sie den Anforderungen wirklicher Wissenschaft genügen soll." „Hierbei", so Gierke, „herrscht ja auch seit den Siegen der historischen Rechtsschule kaum ein Streit." 26 Ausgehend von dieser genetischen Betrachtungsweise kritisierte Gierke die Reduktion des Staates auf den Herrschaftsverband und die Entrechtung der Bürger als Untertanen durch die Staatspersönlichkeitslehren Gerbers und Labands.27 Sein Staatsrechtssystem entwickelte er daher anknüpfend an die germanistische Genossenschaftslehre als politische Wirkungseinheit des Volkes. Gierke erfasste die gesamte Sozialordnung der Gesellschaft auf der Grundlage frei gebildeter genossenschaftlicher Strukturen, die sich in Form von wachsenden menschlichen Verbänden über Ehe, Familie, Gemeinde und Kirche bis hin zum Staat durchgebildet hätten. 28 Der Staat wurde insofern von den übrigen menschlichen Verbänden nur dem Umfang nach, nicht jedoch wesensmäßig unterschieden. Grundlage des Staates war für ihn daher die Verbindung der Einzelpersonen zu einem Staatskörper mit eigener Willens- und Handlungsfähigkeit. 29 Ebenso wie andere genossenschaftliche Verbände der Individuen sei der Staat als rechtlicher Organismus mit eigener Rechtspersönlichkeit, also als juristische Person anzusehen. Anders als bei Laband wurde der Staat von Gierke aber nicht als rechtsdogmatische, „seelenlose" juristische Person angesehen, sondern als real existierende Verbandspersönlichkeit. Gierke sah im Staat ein aus seinen Gliedern zusammengesetztes Ganzes, welches als „leiblich-geistige Lebenseinheit" mit einem von der Summe der Mitglieder unabhängigen Leben ausgestattet war. 30 Die Staatsperson bilde insofern nur die Spitze aller sozialen Verbände, die als umfassendste Genossenschaft der Rechtsordnung, als Gesamtperson alle übrigen Personen in sich schloss und Trä26 Gierke , Labands Staatsrecht, S. 18. 27 Gierke, Labands Staatsrecht, S. 35 hielt Laband vor, er habe die in der dualistischen konstitutionellen Verfassungsstruktur verwurzelte Idee einer der Staatspersönlichkeit gegenüberstehenden Persönlichkeit des Volkes beseitigt, ohne im Gegenzug dafür das Volk zu entschädigen. Vgl. in Bezug auf Gerber Kuriki, Festschrift Scupin, S. 233 ff. (249). 2 « Mertens, JuS 71, S. 508 ff. (510). 29 Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (315 f.); ders., Genossenschaftstheorie, S. 603; ders., Labands Staatsrecht, S. 42 f. 30 Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (269 und 305). Gierkes Lehre von der realen Persönlichkeit des Staates richtete sich erklärtermaßen besonders gegen die frühere von Schlözer vertretene, bei Laband wieder anklingende mechanische Staatstheorie. Vgl. Meyer/Anschiitz S. 14 und oben 1. Kapitel Fn. 93.

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ger der souveränen Gewalt war. Als höchste Allgemeinheit verkörpere und manifestiere sich nach Gierkes Auffassung die reale Verbandsperson des Staates aber in dem Volk. 31 Gierke knüpfte mit seiner Lehre, die den Staat als genossenschaftlich gegliederten Organismus erklärte, somit an die Organismustheorien Bluntschlis und Bährs 32 an und verband sie mit der von Gerber ins Zentrum der staatsrechtlichen Betrachtung gerückten Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates.33 Ebenso wie Gerber und Laband definierte Gierke zwar das Recht als Normierung von Willenssphären und führte daher das Staatsrecht auf einzelne Willensäußerungen zurück. Dagegen bekämpfte er aber die von Gerber und seiner Schule propagierte Reduzierung der wissenschaftlichen Disziplin des Staatsrechts auf das Rechtssubjekt des Staates und seine Willensäußerungen. Ausgangspunkt dieser Kritik war dabei der von Savigny geprägte Begriff der Rechtsperson bzw. des Rechtssubjekts. Diesem, von Savigny auf der Grundlage des klassischen römischen Rechts entwickelten und auf einzelne Individuen bezogenen privatrechtlichen Rechtsbegriff von absoluter Gültigkeit, stellte Gierke einen relativen, der germanistischen Rechtstradition entsprechenden Personenbegriff entgegen, mit welchem die Eingebundenheit des Menschen in soziale Verbände berücksichtigt werden sollte. 34 Ausgehend von dem Befund, dass der Mensch neben seinem individuellen und privaten Dasein stets auch als Glied eines Verbandes, sei es die Familie oder der Staat, existiere, sah Gierke in dieser doppelten Stellung des Menschen die tragende Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht. Während das Privatrecht durch den Individualwillen des Menschen geprägt werde, trete im öffentlichen Recht der menschliche Wille nur als Bestandteil des Gemeinwillens der Verbandspersönlichkeit auf. 35 Der Begriff einer Rechtspersönlichkeit bzw. eines Willenssubjekts bedeutete nach Gierke insofern im Privatrecht etwas anderes als im öffentlichen Recht. Gierke maß jedoch neben der Verbandsperson des Staates nach wie vor auch ihren einzelnen Gliedern den Charakter einer rechtlichen Persönlichkeit zu, so dass das Individuum auch in seiner Eigenschaft als Mitglied des Staatsverbandes Träger von Rechten und Pflichten blieb und nicht als rechtloses Objekt erschien.36 Daher konnte Gierke - anders als Laband37 - auch die innere Organisa31

Gierke , Genossenschaftsrecht I, S. 830. Siehe oben 3. Kapitel II. 3. und Häfelin S. 105 ff. (117) der auch den Einfluss der Philosophie Hegels in Gierkes Staatslehre hervorhebt. 33 Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 116 Fn. 3 führte die Rechtspersönlichkeit des Staates auf einen Rechtssatz zurück, den sich der Staat bei seiner Entstehung selbst gab. Gierke, Labands Staatsrecht, S. 58 sprach insofern auch von der „Selbstsetzung der Gesamtpersönlichkeit". Mit diesem Postulat fand Gierke eine Lösung des Zirkularitätsproblems der früheren Organismustheorie, vgl. oben 3. Kapitel Fn. 31. 32

34

Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht II, S. 29 ff. 5 Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (314 f.); vgl. zu Gierkes Personenlehre Rittner S. 183 ff. m. w. N. Einen zweiseitigen Personenbegriff vertrat schon Stahl durch seine Differenzierung zwischen politischer und juristischer Persönlichkeit, siehe oben 2. Kapitel Fn. 90. 3

3

* Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (287); ders., Genossenschaftstheorie, S. 191 ff.

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tion des Staates, das Verhältnis der Staatsorgane und der Staatsbürger zueinander und zum Staat, als Rechtsbeziehungen konstruieren. Das grundsätzlich andere Verständnis des Rechtssubjekts zwang Gierke nicht zu einer einseitig auf das staatliche Willenssubjekt fixierten Betrachtung. Da der einzelne Mensch seine Eigenschaft als Rechtssubjekt auch in seinem Verhältnis zur Staatsperson nicht verlor, konnte er als Staatsbürger und als Staatsorgan gegenüber dem Staat eigene subjekiv-öffentliche Rechte geltend machen.38 Auch die Organe des Staates, durch welche die „untheilbare gemeinheitliche Person, welche sich als Lebewesen im Recht betätigt" 39 handelt, wurden von Gierke als Teilrechtssubjekte (Organpersönlichkeiten) 40 mit eigenen Rechten und Pflichten angesehen.41 Wenn Gierke dabei auch dem Monarchen eine besondere Stellung als Haupt des staatlichen Gemeinwesens zuwies, so erkannte er doch an, dass im konstitutionellen Verfassungsstaat der Monarch „nicht der,alleinige 4 Träger der Staatsgewalt ist, sondern ,Mitträger 4 derselben44 neben der Volksvertretung. Diese sah Gierke also ebenso wie das stimmberechtigte Staatsvolk als gleichberechtigtes Staatsorgan an 4 2 Gierke wollte mithin die juristische Persönlichkeit des Staates nicht wie Laband als rein abstrakt-formalen Rechtsbegriff und als unsichtbaren Zurechnungspunkt des Staatsrechts verstanden wissen. Vielmehr dachte er den Staat als eine überindividuelle Lebenseinheit, die als reale Verbandspersönlichkeit ohne jede Fiktion einen von den Einzelpersonen verschiedenen und überindividuellen Willen hervorbrachte. Gegen die von Gerber und Laband mit der Persönlichkeitslehre verknüpfte Objektivierung aller Individuen unter die Herrschaft der Staatsperson, vertrat Gierke damit die Idee einer genossenschaftlichen Staatsstruktur, die die Rechtspersönlichkeit der einzelnen Mitglieder des Verbandes nicht negierte und diese daher auch gegenüber der Staatsgewalt als Rechtssubjekte akzeptierte. b) Fortgeführt wurde die Lehre der realen Verbandspersönlichkeit des Staates durch Gierkes Schüler Hugo Prems 43 (1860-1925). Auch er stellte die einheit37

Zur sog. Impermeabilitätsdoktrin Labands siehe oben 4. Kapitel I. 2. und Fn. 9. 38 Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (324). Die Grundrechte konnte Gierke daher problemlos als subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat definieren und somit bereits der heutigen Grundrechtsdogmatik vorgreifen, vgl. Pauly S. 232. 39 Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (330). 40 Im Gegensatz zum Privatrecht sprach nach Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (321 f.) das öffentliche Recht den Gliedern und Organen der Gesamtperson als lebendigen Teilwesen eine eigene, aber durch die Zugehörigkeit zur Allgemeinheit bedingte und bestimmte Personalität zu. Die Anerkennung eines Personenbegriffs, in dem das Ganze und seine Teile im Verhältnis zueinander als Rechtssubjekte Rechte und Pflichten besitzen, war für Gierke daher die Voraussetzung, mit der das Staatsrecht „steht und fällt". 41 Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 822 ff.; ders., Genossenschaftstheorie, S. 173 f. wo er die Organpersönlichkeiten als „relativ verselbständigte Elemente innerhalb der Willensorganisation einer vollen Verbandspersönlichkeit44 umschrieb. 42 Gierke, Labands Staatsrecht, S. 51. 4

3 Zu Preuss siehe Friedrich, S. 212 ff.

Staatsrechtswissenschaft, S. 270 f. und Kleinheyer/Schröder

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liehe Rechtspersönlichkeit des Staates in den Mittelpunkt seines Staatsrechtssystems, betonte aber, dass der Staat als Gesamtperson aus einer Vielzahl von Glied- und Organpersönlichkeiten bestehe.44 Die Staatsgewalt war nach seiner Ansicht zwischen Gesamtpersönlichkeit des Staates und den Organpersönlichkeiten aufgeteilt und äußerte sich als Herrschaft in dem besonderen sozialrechtlichen Verhältnis zwischen der Gesamtperson des Staates und ihren Gliedern. Ebenso wie Gierke fasste Preuss also den Staat als eine Verbandsperson auf, deren Mitglieder (die Bürger) und Organe wiederum Persönlichkeiten waren. Anders als Gierke, der allein der Verbandspersönlichkeit des Staates als der umfassendsten Genossenschaft die Souveränität zusprach, war Preuss aber der Auffassung, dass nicht allein der Staat, sondern auch die unterhalb des Staates organisierten Verbandspersönlichkeiten, wie z. B. Gemeinden, Herrschaftsgewalt über ihre Mitglieder besaßen. Ausgehend von der Gebietshoheit der Gemeinden, die Preuss als den historischen Ursprung des Staates ansah45, wollte er Staatsrecht und Staatsgewalt „von unten nach oben" konstruieren 4 6 Diese letztlich demokratische Sichtweise führte dazu, dass Preuss den traditionellen und obrigkeitsstaatlichen Begriff der Souveränität als unvereinbar mit dem genossenschaftlichen Persönlichkeitscharakter des Staates ablehnte. Das Recht werde nicht erst durch einen souveränen Willensakt des Staates erzeugt, sondern entstehe zugleich mit der Herausbildung menschlicher Verbände 4 7 Der Staat war für Preuss zwar die gegenwärtig oberste, aber nicht notwendig stets die höchste Persönlichkeit der Sozialordnung 4 8 , 4 9

44 Preuss S. 166 und 368. 45 Preuss S. 403 und 418 f. wollte den Begriff der Souveränität, den er als Symbol der obrigkeitsstaatlichen Herrschaft ansah, durch die Gebietshoheit ersetzen. Als Gebietshoheit definierte er a. a. O. S. 405 f. als „die spezifische Fähigkeit einer Gebietskörperschaft, Staat oder Gemeinde, sich selbst und die in ihr enthaltenen engeren Gebietskörperschaften wesentlich zu verändern und aufzulösen." 46 Preuss S. 209. 47 Preuss S. 204 ff. Ähnlich Schon Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (310): „Gleich der Staatsidee ist die Rechtsidee überhaupt erst im Menschen geboren." 4« Preuss S. 208 und 240 ff. (243). 49 Neben Preuss vertrat auch Heinrich Rosin (1855-1927) in seiner Monographie „Das Recht der öffentlichen Genossenschaften" eine genossenschaftlich aufgebaute, von den Selbstverwaltungskörperschaften der Gemeinden ausgehende Staatslehre. Gierkes genossenschaftliche Staatslehre wurde später von einem Teil der nationalsozialistischen Staatslehrer als Grundlage des völkischen Staatsgedankens wieder aufgegriffen, siehe oben 7. Kapitel II. 1. Ein Ausläufer der organischen Staatspersönlichkeitslehre war schließlich die von Häfelin S. 121 Fn. 140 als völlig unjuristisch bezeichnete biologische Staatspersönlichkeitstheorie des Schweden Rudolf Kjellén (1864- 1922). Unter Anlehnung an Gierke sah Kjellén S. 9 und S. 13 im Staat zwar auch ein Rechtssubjekt, hatte aber im Übrigen die Vorstellung, der Staat sei als „geographisches Individuum" einem Naturorganismus vergleichbar. Zu Kjelléns Staatslehre siehe Badura, Methoden, S. 119 ff. und Marek, Kant-Studien 23 (1918), S. 77 ff.

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4. Kap.: Paul Laband 2. Der Staat als Rechtsverhältnis nach den Herrschertheorien

Gierke und seine Schule werden allgemein der durch Gerber und Laband begründeten Staatsrechtslehre gegenüber gestellt. Dies erscheint im Hinblick auf die grundsätzlich unterschiedliche Methodik und die einerseits monarchisch-obrigkeitsstaatlich, andererseits genossenschaftlich-demokratisch intendierte Staatskonstruktion bei Gerber und Laband bzw. Gierke auch berechtigt. Übereinstimmend stellten aber beide Staatskonstruktionen die Persönlichkeitsstruktur des Staates in den Mittelpunkt ihrer Lehre. Während Gierke den Staat als reale Gesamtpersönlichkeit betrachtete, nahmen Gerber und Laband eine abstrakte Individualpersönlichkeit des Staates an. Die allgemeine Übernahme der Gerber'schen Willenstheorie bewog aber um die Jahrhundertwende einige Staatsrechtslehrer auch wieder, die von Laband als Abstraktion bezeichnete Persönlichkeitsstruktur des Staates als bloße Einbildung abzulehnen und die Staatsgewalt der individuellen Person des Herrschers zuzusprechen. a) Anknüpfend an die an sich überwundene patrimoniale Staatslehre lehnte der Vertreter des bayrischen Staatsrechts im Kaiserreich, der Münchener Professor Max von Seydel 50 (1846-1901), grundsätzlich jede Persönlichkeit des Staates ab. Seydel erkannte nur Menschen als handlungs- und willensfähige Personen an. 51 Bei wirklichkeitsnaher Betrachtung sei daher nur der Herrscher selbst, nicht dagegen das Abstraktum „Staat" willensfähig. Somit könne nur der Monarch selbst als „Inhaber der Herrschaft über den Staat" Subjekt der Staatsgewalt und Souveränität sein. 52 Insofern sei der Fürst niemals Organ im Staate, sondern stehe als Souverän über ihm. 53 Die Fiktion einer rechtlichen Persönlichkeit des Staates wurde von Seydel als „bloßer Rechenpfennig des Zivilrechts" abgelehnt, der Staat wurde von ihm vielmehr wieder als die Gesamtbezeichnung der Objekte monarchischer Herrschaft angesehen.54 b) Auch Edgar Loening 55 (1843 -1919) erkannte nur Menschen als willensfähige Rechtssubjekte an und gelangte so zu der Erkenntnis, dass der Staat auf eine Vielzahl von realen Rechtsverhältnissen zwischen herrschenden und beherrschten Individuen zurückzuführen sei. 56 Der Staat sei insofern juristisch nicht Rechtssubjekt, sondern setze sich zusammen aus einer unbestimmten Summe von Einzelrechtsverhältnissen, denen aber ein „im Wechsel der Zeiten einheitliches Rechts50 Zu Seydel siehe Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 261 f.; Stolleis, Band II, S. 287ff.; Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (61 f.). 51 Seydel, ZgS 28 (1871), S. 185 ff. (188). 52 Seydel, Staatsrecht, §§ lOff.; ders., ZgS 28 (1871), S. 185 ff. (189). 53 Seydel, Grundzüge, S. 7. Prinzipiell zustimmend auch Rönne § 12 I (S. 205 Fn. 1). 54 Seydel, Annalen 1876, S. 641 ff. (653); ders., Grundzüge, S. 12; ders., Staatslehre, S. 4. 55 Biographische Daten in NDB 15, S. 50 f. 56 Loening, Staat, S. 907 ff. (917).

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Verhältnis", das Herrschaftsverhältnis, zugrunde liege. 57 Daher konnte auch für ihn nur der individuelle Herrscher selbst Subjekt der einheitlichen Staatsgewalt sein.58 c) Ganz ähnlich kannte der Preuße Conrad Bornhak 59 (1861 -1944) „keine besondere, vom Inhaber der Herrschaft verschiedene Persönlichkeit des Staates", sondern sah die staatliche Gewalt als eigenes Recht des Herrschers an, der insoweit mit dem Staat gleichgesetzt wurde. 60 Die Staatsgewalt verkörpere sich allein im Monarchen, der sich als „Quelle allen staatlichen Rechts" mit der Verfassung selbst Schranken setze.61 Das staatliche Gemeinwesen umfasse allein die Beziehung des Herrschers zu den Beherrschten und sei insofern Rechtsverhältnis und nicht Rechtssubjekt.62 d) Auch der Österreicher Emil Lingg lehnte die Fiktion einer juristischen Persönlichkeit des Staates als „beweislos hingestellte Behauptung" ab 6 3 Der Staat müsse ausgehend von der einzigen Realität der Individuen als „Verhältnis der Beherrschung eines Volkes innerhalb eines gewissen Gebietes" angesehen werden. 64 Als Subjekte des Rechts sah auch Lingg nur die Menschen an, so dass er jede Vorstellung eines staatlichen Willens oder Rechts verwarf. Den Staat als Rechtssubjekt zu begreifen hieße, dass „Rechte und Pflichten bestehen, für die es kein natürliches Subjekt gibt." 65 Die Staatsgewalt interpretierte er daher als Recht des individuellen Inhabers der Herrschaft. 66 e) Als Verfechter einer sozialdarwinistischen und rassensoziologischen Staatsund Gesellschaftslehre lehnte Ludwig Gumplowicz 57 (1838-1909) die positivis57 Loening, Staat, S. 907 ff. (922 f.). 58 Loening, Staat, S. 907 ff. (927). 59 Zur Biographie Bornhaks siehe Stolleis, Band II, S. 303 Fn. 159. 60 Bornhak, Staatslehre, S. 13 f. Bornhak abstrahierte aber die Rechtspersönlichkeit des Staates als Institution von der individuellen Person des Herrschers, indem er a. a. O. S. 14 formulierte: „Die Rechtspersönlichkeit des Staates lebt in dem jeweiligen Inhaber der Herrschaft und nur in ihm. Aber sie ist nicht an seine physische Person gebunden, sondern geht von einer physischen Person auf die andere über." Ähnlich Rönne § 12 I (S. 205 Fn. 1). Kritisch zu dieser Konstruktion Rehm, Staatslehre, S. 157 Fn. 5. 61 Bornhak, ZgS 51 (1895), S. 597 ff. (613); ders., Staatslehre, S. 39 ff. 62 Bornhak, Staatsrecht, S. 87; ders., Staatslehre S, 43. 63 Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 91. Lingg bezeichnete a. a. O. S. 91 und S. 167 die juristische Persönlichkeit des Staates als „regressus ad infinitum", da jede Rechtspersönlichkeit eine übergeordnete Rechtsordnung voraussetze, die Rechtsordnung aber erst durch den Staat entstehe. Seiner Ansicht nach war die Theorie der Staatspersönlichkeit „dem modernen Bewußtsein zuliebe erfunden, welches sich gegen die Untertanschaft gegenüber einem physischen Herrscher sträubt", vgl. Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 175 f. 64 Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 6, 77 und 97. Lingg meinte a. a. O. S. 77 Fn. 266 so auch die begriffliche Unterscheidung zwischen Volk und Gesellschaft klären zu können, indem er das Volk in seinen übrigen Beziehungen, in denen es nicht beherrscht wird, als Gesellschaft umschrieb.

65 Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 91. 66 Lingg, Empirische Untersuchungen, S. 75 ff.

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tische Doktrin der Staatpersönlichkeit ab. Das Phänomen des Staates, so Gumplowicz, könne nicht durch die formal-juristische Methodik Gerbers und Labands, sondern nur durch soziologische Erkenntnisse erfasst werden 68. Insofern war der Staat für ihn nicht Rechtsbegriff, sondern eine tatsächliche Herrschaftsordnung, in der Menschen über Menschen herrschen 6 9 Die Staatsgewalt bedeutete für Gumplowicz eine außerrechtliche Gewalt des tatsächlichen Machthabers. 70 Als Gemeinschaft sui generis könne der Staat daher weder der juristischen Kategorie der Körperschaft noch den Genossenschaften untergeordnet werden. f) Schließlich lehnte der Schweizer Albert Affolter (1856-1932) die Rechtspersönlichkeit des Staates ab, da jede Personifizierung eine übergeordnete Rechtsordnung voraussetze. Als Bestandteil des Staates habe jedoch gerade die Rechtsordnung den Staat zur Voraussetzung und könne diesen daher nicht erst als Person erschaffen. 71 Der Staat könne Rechtsperson deshalb nur gegenüber anderen Staaten, nicht aber gegenüber den ihm ein- und untergeordneten Staatsgliedern sein 7 2 Das Staatsrecht verpflichte und berechtige aus diesen Gründen nie den Staat insgesamt, sondern immer nur einzelne Staatsorgane und Staatsglieder.73

3. Die Fiktionstheorie

Einige Autoren rezipierten demgegenüber Labands Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates, indem sie die Vorstellung des Staates als Rechtssubjekt als rein denkökonomische Fiktion 74 betrachteten und im Übrigen aber den Staat weiterhin als Rechtsverhältnis umschrieben. a) So betonte der dem Liberalismus nahestehende Kieler Staatsrechtslehrer Albert Härtel 75 (1833-1918), dass sich „außerhalb oder hinter den Organen des Staates ... schlechterdings keine Potenz aufweisen" ließe, „welcher wir ein 67 Vgl zu ihm auch NDB 7, S. 307 f.; Badura, Methoden, S. 182f. und Stolleis, Band II, S. 444 f. 68

Gumplowicz S. 431 ff. Gumplowicz S. 23 f. Gumplowicz S. 450 erklärte, die juristische Konstruktion des Staates als Rechtspersönlichkeit bedeute ungefähr dasselbe, „als wenn man eine Beethovensche Sonate mit Löffeln essen wollte." Er warf der deutschen Staatsrechtswissenschaft ebd. vor, sie versuche die Tatsache, dass Menschen im Staat über Menschen herrschen, durch die Lehre von der herrschenden Staatsperson „zu verdunkeln und zu verschleiern." 70 Gumplowicz S. 284 f. 69

71 Affolter, AöR 17 (1902), S. 93 ff. (127); ders., AöR 20 (1905), S. 374 ff. (375). So auch schon Lingg, siehe oben Fn. 63. 72 Affolter, AöR 20 (1905), S. 374 ff. (377 und 381). 73 Affolter, AöR 17 (1902), S. 93 ff. (135 f.); ders., AöR 20 (1905); S. 374 ff. (379 ff.). 74 Zur Fiktion siehe Jellinek, System, S. 17; Larenz, Methodenlehre, S. 262 ff.; Rehm, Staatslehre S. 156; sowie unten 5. Kapitel Fn. 9. 75 Zu Hänel siehe NDB 7, S. 441; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 262 f.; Stolleis, Band II, S. 355 ff.; Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (63 f.).

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menschliches Wollen und darum Rechte und Pflichten ... zuschreiben können." 76 Als korporativer Verband sei der Staat an sich keine Rechtsperson, sondern nur ein umfassendes Rechtsverhältnis zwischen einer Vielzahl von Einzelmenschen. Doch könne der Staat „zur Erleichterung unseres Denkens und Sprechens"77 als einheitliche Person fingiert werden, so dass infolge dieser rechtstechnischen Hilfskonstruktion dem Staat Rechte und Pflichten zugeordnet werden könnten.78 b) Auch Eduard Holder 79 (1847-1911) erkannte nur natürliche Personen als Rechtssubjekte an. Wie jede juristische Person sei auch der Staat als Gemeinwesen ein Rechtsverhältnis zwischen natürlichen Personen. Er sah daher in den Rechtsbeziehungen des Staates grundsätzlich nur Rechte und Pflichten von Einzelmenschen.80 Die Staatsorgane hielt er insofern in erster Linie für Vertretungen der Staatsangehörigen.81 Die Idee, den Staat selbst als Subjekt von Rechten und Pflichten zu begreifen, war nach Holder daher nur eine abkürzende Vereinfachung bzw. eine Fiktion, um die umfassenden Rechtsverhältnisse der Individuen zu ordnen. 82 c) Ähnlich wie Holder sah auch Alexander Hold-Ferneck (1875 -1955) 8 3 in der juristischen Person nur einen „Complex von Beziehungen zwischen einzelnen Menschen."84 Die dem Staat zugerechneten Rechtsbeziehungen fasste er daher als Rechte und Pflichten der Staatsorgane auf. Der Begriff der Staatspersönlichkeit sei mithin als eine abkürzende Ausdrucksweise für die zwischen den Individuen bestehenden Rechtsverhältnisse, nur als Rechtspersönlichkeit im formellen Sinne zu verstehen.85 d) Schließlich ist dieser Lehrrichtung, die eine vermittelnde Position zwischen Labands Staatspersönlichkeitslehre und den Herrschertheorien einnahm, auch Labands Straßburger Kollege, Hermann Rehm86 (1862- 1917), zuzuordnen. Rehm, der in seinen früheren Schriften der Herrschertheorie folgte 87 , definierte den Staat als „die organisierte, angesiedelte, weltliche Zwecke verfolgende und völkerrecht76 Hänel, Studien, S. 231; ders., Staatsrecht, § 13 f. (S. 99). 77 Hänel, Studien, S. 231. 78 Hänel, Staatsrecht, § 14 (106 f.). 79 Zu ihm vgl. DJZ 09, Sp. 1025 ff. so Holder, Personen, S. 198; ders., AöR 23 (1908), S. 321 ff. (359). ei Holder, Personen, S. 193 f. 82 Holder, Personen, S. 216. Vgl. zu Holder aber bereits oben 3. Kapitel Fn. 80. 83 Zur Biographie vgl. NDB 9, S. 523 f. 84 Hold-Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 255 und S. 259. 85 Hold-Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 270 f. Später betonte Hold-Ferneck, Staat, S. 64 f. unter Berufung auf Affolter, die Rechtspersönlichkeit des Staates sei nur im Außenverhältnis berechtigt, während innerhalb der staatlichen Rechtsordnung allein die Staatsorgane Rechtssubjektivität besäßen. 86 Zu ihm vgl. weiter Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 204 Fn. 40 und Stolleis, Band II, S. 440 f. 87 Rehm, Annalen 1885, S. 65 ff. (78). Der Monarch wurde von Rehm ebd. als Subjekt, der Staat neben Land und Leuten als Objekt der Staatsgewalt bezeichnet. 7 Uhlenbrock

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liehe Persönlichkeit besitzende Vereinigung mehrerer Menschen."88 Bei natürlicher Betrachtung sei der Staat daher nur eine Personenmehrheit, die unter einheitlicher Herrschaft stehe. Zwar könne der Staat deshalb kein wirkliches Rechtssubjekt darstellen, da nach Vorstellung seiner Mitglieder jedoch der Staat und nicht ein Individuum als Subjekt der staatlichen Gewalt erscheine, müsse der Staat in seiner juristischen Konstruktion als Rechtssubjekt künstlich vorgestellt werden. 89 Zugunsten dieser Rechtskonstruktion werde nach Rehm daher von der Auflösung des Staates in einzelne Rechtsverhältnisse „abgesehen, weil es nach Anschauung der Staatsgemeinschaft dem Staatszwecke entspricht." 90' 9 1

4. Otto Mayers Anstaltsmodell

Am intensivsten untersuchte Otto Mayer 92 (1846-1920) in der 1908 erschienenen Laband-Festgabe die Verwertbarkeit der zivilrechtlichen Kategorie einer juristischen Persönlichkeit zur Erfassung des Staates. Obwohl er noch 1897 die Laband'sche Lehre der Staatspersönlichkeit vertreten hatte 93 , kam nun auch er am Ende seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Staat weder als fiktive noch als reale juristische Person erfasst werden könne. Das Wesen der juristischen Person bestand nach Mayer darin, die Rechte an einer gesonderten Vermögensmasse losgelöst von den an dem Vermögen beteiligten natürlichen Personen einem neuen 88 Rehm, Staatslehre, S. 38. 89 Rehm, Staatslehre, S. 156 f. Rehm lehnte jedoch die Bezeichnung der juristischen Staatsperson als Fiktion ab, da er die Personifikation des Staates für eine Abstraktion hielt, vgl. unten 5. Kapitel Fn. 9. 90 Rehm, Staatslehre, S. 156. Anders als die herrschende Lehre hielt Rehm, a. a. O., S. 179 f. aber die Organe des Staates für eigenständige Rechtssubjekte und stellte die Organschaft der Stellvertretung gleich. Siehe auch oben 2. Kapitel Fn. 32. 91

Auch der Freiburger Strafrechtslehrer Richard Schmidt (1862-1944) vertrat in seiner dreibändigen Staatslehre die Lehre von der fiktiven Persönlichkeit des Staates. Die juristische Persönlichkeit des Staates war für Richard Schmidt, a. a. Ο., S. 225 die logisch notwendige Annahme einer höheren Einheit, der das Handeln der Staatsorgane zugerechnet werde. Da der Staat aber immer nur auf den Einzelpersonen aufbaue und eine Gesamtpersönlichkeit im Sinne von Gierkes Theorie nicht existent sei, könne die Persönlichkeit des Staates nur als Fiktion denkbar sein. Selbst Philipp Zorn (1850-1928), ansonsten glühender Verehrer Labands, konnte in der juristischen Persönlichkeit des Staates nicht mehr als eine Fiktion erkennen, vgl. Zorn, Staatsrecht, § 4 (S. 62 und 88 f.). Vom rechtsphilosophischen Standpunkt aus bezeichneten schließlich auch Ernst Rdolf Bierling (1843-1919) und Siegfried Marek (1889-1957) die Persönlichkeit des Staates als methodische Fiktion, vgl. Bierling S. 222ff. und Marek, Kant-Studien 23 (1918), S. 77 ff. (92). 92 Otto Mayer wurde am 29. März 1846 in Fürth geboren. Er studierte in Erlangen, betätigte sich zunächst als Anwalt und lehrte seit 1882 als Professor in Straßburg. Berühmt wurde er durch sein „Deutsches Verwaltungsrecht" von 1895/96, mit dem er den Grundstein für die verwaltungsrechtliche Dogmatik bis heute legte. 1903 nach Leipzig gewechselt, starb er am 8. August 1924 in Heidelberg. Zu Mayer vgl. NDB 16, S. 550 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 312 ff.; Kleinheyer/Schröder S. 178 ff. und DJZ 09, Sp. 1041 ff. 93 Mayer, AöR 12 (1897); S. 493 ff. (501 ff.).

III. Zusammenfassende Würdigung

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rechtlichen Beziehungspunkt zuzuordnen. 94 Insofern hielt Mayer die für die Erfassung zivilrechtlicher Vermögensbeziehungen konstruierte juristische Person für ungeeignet, „die grosse Tatsache, die wir den Staat nennen" zu erfassen. 95 Der Staat ist nach Mayer zunächst ein tatsächlicher Zustand, eine unpersönliche Anstalt, in welcher Menschen in einem bestimmten Gebiet unter einer obersten Gewalt leben. 96 Einer juristischen Betrachtung und Erfassung müsse sich der Staat aber von vornherein verschließen. Im Privatrecht entstehe die juristische Person bei Erfüllung gewisser Formvorschriften aufgrund gesetzlicher Normierung. Bei Gründung eines Staates aber fehle jede übergeordnete Gewalt, die das Geschaffene als juristische Person erklären und die rechtliche Trennung des Staates von seinen Gründern gewährleisten könne. Vielmehr müsse sich der Staat selbst zu einer juristischen Persönlichkeit erklären. „Dies aber ist Münchhausen, der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht. Denn die juristische Person, dieses Geschöpf der Rechtsordnung, ist bloss dadurch etwas, dass eine vorhandene höhere Macht dazwischen tritt und sich für sie einsetzt und ihre Daseinsmöglichkeit gewährleistet." 97 Insofern sei der Staat einfach „zu gewaltig, um sich in den Rahmen zu fügen, der für Unternehmungen des bürgerlichen Verkehrs geformt ist." 98 Er dürfe somit weder als fiktive juristische Person noch als reale Gesamtpersönlichkeit erfasst werden. Die Rechtspersönlichkeit des Staates sei daher nicht mehr als ein Bild oder Gleichnis ohne rechtliche Konsequenzen. Ohne zugleich die mit dieser Konstuktion verbundenen Folgen zu übersehen oder gar zu ziehen, hätten nach Mayer insofern die „deutschen Professoren . . . , ohne alle Beihilfe, den Staat zur juristischen Person ernannt." 99 Auch Mayer kam deshalb zu dem Schluss, dass die Herrschaftsrechte innerhalb des Staates dem tatsächlichen „Träger der Staatsgewalt zu eigenem Rechte" zukommen. 100

I I I . Zusammenfassende Würdigung der Gerber-Laband'schen Staatskonstruktion Schon Gerbers Staatslehre, die die absolute Willensmacht der Staatsperson in das Zentrum der staatsrechtlichen Konstruktion rückte, zeigte deutlich die Züge eines autoritären und undemokratischen Staatsverständnisses.101 Laband führte Gerbers Begriffssystem fort und brachte durch seine uneingeschränkte fachliche 94 Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (12 ff.). 95 Mayer, VerwR I, S. 9; ders., Festgabe für Laband, S. 1 ff. (46). 96

Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (53 f.). Unter Bezugnahme auf Albrecht definierte Mayer a. a. O. die Anstalt als eine dauernde Einrichtung, die überindividuellen Zwecken gewidmet ist. 97 Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (67). 98 Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (62). 99 So die viel zitierte Stelle bei Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (59). 100 Mayer, VerwR II, S. 589; ders., Festgabe für Laband, S. 1 ff. (62). ιοί Siehe oben 3. Kapitel III. 4. τ

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4. Kap.: Paul Laband

Autorität dessen formal-juristische Methode auch im Staatsrecht zu allgemeiner Anerkennung. Die Staatsrechtswissenschaft nahm sich zur Aufgabe, eine dogmatische Konstruktion der Rechtsinstitute zu erschließen, die die einzelnen Rechtssätze des positiven Rechts auf allgemeine Begriffe zurückführt und allein durch deren Logik systematisiert. Labands Ausspruch „Alle historischen, politischen und philosophischen Betrachtungen ... sind für die Dogmatik eines konkreten Rechtsstoffs ohne Belang" 102 fand daher allgemeine Nachahmung. Sein Staatsrecht des Deutschen Reiches gelangte zu „fast kanonischer Geltung." 103 Die juristische Persönlichkeit des Staates wurde in das so konzipierte Staatsrechtssystem als nicht wegzudenkender Grundbegriff eingebaut und bildete so den zentralen Zurechnungspunkt der öffentlich-rechtlichen Begriffspyramide. Allein die Staatsperson war bei Laband Inhaber von Rechten und Pflichten und damit Subjekt des öffentlichen Rechts. Während aber Gerber durch seine Konstruktion des Staates dem Volk als Einheit zur rechtlichen Persönlichkeit verhelfen wollte 1 0 4 , löste Laband die juristische Persönlichkeit des Staates als abstrakt-formalen Rechtsbegriff von jeder Anbindung an die Realität des Volkes. 105 Die Herrschaftsgewalt der Staatsperson, das Gewaltverhältnis in dem sich der einzelne Staatsbürger befand, wurde insofern völlig wertfrei und unkritisch als logische Konsequenz aus dem Begriff der juristischen Staatsperson hergeleitet. Abgesehen von der Unterwerfung unter die Herrschaft des als Person gedachten Staates, standen sich Bürger und Staat rechtlich beziehungslos gegenüber. Subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers waren daher mit Labands Staatskonstruktion unvereinbar. 106 Die juristische Person des Staates und ihr Recht wölbte sich über den Bürger, der als Untertan zu gehorchen hatte. Gerbers und Labands Staatsrechtssystem formte durch die Dogmatik der Begriffsbildung daher wieder ein auf den Herrscher und die Staatsgewalt zentriertes und damit ganz auf eine starke Exekutive bezogenes Staatsrecht. Subjekt der Staatsgewalt war die juristische Person „Staat." Die dem Staat zugedachten Rechte aber verwirklichte der Monarch als oberstes Staatsorgan und Träger der staatlichen 102

Laband, Staatsrecht I, S. III (Vorwort zur zweiten Auflage). 103 Grimm, HRG III, Sp. 1198 ff. (1208). 104 Siehe oben 3. Kapitel III. 1. 105 Wegen dieser Anbindung an das Volk hatte bei Gerber, Grundbegriffe S. 119 die Volksvertretung die Funktion, vom Volk ausgehende Motive dem Staat zuzuführen, während Laband, Staatsrecht I, S. 297 - abgesehen von der Wahl der Abgeordneten - jede Teilhabe des Volkes an den Staatsgeschäften leugnete. Vgl. Scheuner, Festgabe für Smend, S. 225 ff. (228 Fn. 11). 1 06 Laband, Staatsrecht I, S. 151 Fn. 2 bemerkte, dass die Hervorhebung natürlicher Handlungsfreiheiten als „Freiheits- oder Grundrechte" eine blosse historische Reminiszenz mit den gegenwärtigen Rechts- und Kulturzuständen kaum mehr vereinbar sei. Grundrechte waren nach Laband, a. a. Ο., S. 151 vielmehr allein objektive Schranken der Staatsgewalt, sie sicherten dem Einzelnen eine natürliche Handlungsfreiheit, „aber sie begründen nicht subjektive Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt." Dazu ausführlich Bauer S. 65 ff. und Stolleis, Band II, S. 371 ff.

III. Zusammenfassende Würdigung

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Gewalt: „In der Monarchie ist der Monarch der alleinige Träger der Staatsgewalt; von ihm geht daher nicht nur der Auftrag zur Geschäftsführung, sondern auch die Delegation der Staatsgewalt aus." 107 Durch die begriffliche Unterscheidung von Subjekt und Träger der Staatsgewalt goss Laband alten Wein in neue Schläuche.108 Die von Albrecht zur Verteidigung des Verfassungsstaates gegenüber der absoluten Fürstenherrschaft entwickelte Idee der Staatspersönlichkeit versöhnte und verband er mit dem monarchischen Prinzip. Gerber und Laband rückten damit wieder die Person des Monarchen als Träger der Staatsgewalt als Zentrum in das Staatsrecht. Aus der alleinigen Trägerschaft der Staatsgewalt folgerte man eine allgemeine Zuständigkeitsvermutung des Monarchen, sofern die Verfassung nicht ausdrücklich die Kompetenz eines anderen Staatsorgans normierte. 109 Die Staatspersönlichkeitslehre wurde insofern von Gerber und Laband im monarchischen Sinne umgeformt und trotz seiner scheinbaren Neutralität als Mittel zur Versteinerung des politischsozialen status quo im Kaiserreich missbraucht. 110 Der patrimoniale Fürstenabsolutismus wurde durch einen normativen, im Monarchen verkörperten Staatsabsolutismus wiederbelebt. Der bloß konstruktive Wandel des Monarchen vom Dominus zum Träger einer der abstrakten Staatspersönlichkeit zugeschriebenen Staatsgewalt änderte in der Sache an der zentralen, der Verfassung vorausgehenden Stellung des Herrschers im Gemeinwesen nichts. Laband selbst brachte dieses Ergebnis zum Ausdruck, als er formulierte, „die gesamte Staatsgewalt ist in dem Oberhaupte des Staates vereinigt geblieben; der Landesherr ist der Träger der einheitlichen Staatsgewalt Der Landesherr hat nicht sein Monarchenrecht erst durch die Verfassung erhalten, sondern er hat vielmehr die Verfassung dem Lande verliehen und sich dadurch selbst beschränkt. Durch die Entwickelung des modernen Staates zu einem organisierten Gemeinwesen, zu einer Person des öffentlichen Rechts hat sich aber das Verhalten des Monarchen zum Staat allerdings wesentlich verändert; er ist nicht mehr wie im sog. patrimonialen oder feudalen Staat der Eigentümer ... ; er steht nicht mehr über dem Staate als der Herr, dem Land und Leute gehörten nach Art eines privatrechtlichen Besitzrechts (dominum eminens), sondern er steht innerhalb des Staates und seiner Rechtsordnung; er ist das Haupt des Staates, ein Organ des staatlichen Gemeinwesens."111 Trotz aller Unterschiede in der Konstruktion lehrten 107 Laband, Staatsrecht I, 370. los Auf die Parallele von Labands Differenzierung zwischen Subjekt und Träger der Staatsgewalt und Klübers unklarer Unterscheidung zwischen Subjekt der Substanz und Subjekt der Ausübung der Staatsgewalt, vgl. oben Fn. 16 und 1. Kapitel Fn. 118, weist auch Häfelin S. 135 Fn. 84 hin. 109 Meyer/Anschütz S. 19. no Böckenförde, Gesetz, S. 235 Fn. 47; Fröhling S. 130f.; Grimm, HRG III, Sp. 1198ff. (1208 f.); Quaritsch, Souveränität, S. 505; Volkmann, JuS 96, S. 1058 ff. (1061). Nach Fröhling ebd. war durch Labands Staatspersönlichkeitslehre zwar formal die absolutistische Identifizierung von Staat und Monarch überwunden, materiell aber die Machtstellung der monarchischen Exekutive mit dem Herrscher im Zentrum der impermeablen juristischen Staatsperson beibehalten worden. in Laband, Kultur der Gegenwart, S. 293 ff. (325).

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4. Kap.: Paul Laband

und propagierten damit Gerber und Laband mit ihrer anorganischen Staatspersönlichkeitstheorie ebenso wie Seydel und Mayer mit ihren Herrschertheorien den ganz auf die monarchische Exekutive ausgerichteten Machtstaat, der als verselbständigter Apparat der bürgerlichen Gesellschaft gegenübertrat. In der Sache machte es schließlich kaum einen Unterschied, ob der Monarch gegenüber dem Bürger als ein über dem Staat stehender Patron oder als Willensorgan einer die Rechtsordnung formenden Staatsperson agierte. Als Objekt monarchischer Herrschaft verharrte die Bevölkerung in einem Status gehorchender Untertänigkeit. 112 Die tiefgreifende Kritik Gierkes und seiner Schüler an Labands anorganischer Persönlichkeitslehre und der herrschenden formal-juristischen Methode war insofern auch ein Appell gegen die einseitige Betonung der obrigkeitlichen Herrschaft, gegen jedes Leugnen von Grundrechten der Staatsbürger und gegen die völlige Emanzipation des Rechts von seinen sozialen Wurzeln. 113 Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates, die die Einheit der Nation juristisch zu fundamentieren verstand, versuchte die von Gierke angeführte Lehrrichtung vielmehr mit einem pluralistischen System, mit Selbstverwaltung und politischer Aktivität der Bürger zu verhindern. 114 Gegen die dogmatisch stimmige und die juristische Konstruktion des Staates als gedankliche Abstraktion anerkennende Staatslehre Labands vermochte sich Gierkes Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit des Staates aber nicht durchzusetzen. Zu einer Zeit, in der die Rechtswissenschaft die exakte Naturwissenschaft zum Vorbild nahm, war Labands Lehre von der abstrakt-individuellen juristischen Persönlichkeit des Staates der empirisch nicht nachweisbaren Theorie einer physisch realen und überindividuellen Staatspersönlichkeit überlegen. 115 Die Lehre von der anorganischen Rechtspersönlichkeit des Staates setzte sich gegen 1880 endgültig durch und wurde daher seit der Jahrhundertwende auch von Opponenten Labands zumindest als Fiktion zur Vereinfachung für die Erkenntniszwecke der Jurisprudenz allgemein übernommen. 116 Auch setzte nach Gründung des Deut112 Daher charakterisierte Gierke, ZgS 30 (1874), S. 265 ff. (294) die Herrschertheorien Seydelscher Prägung als „Geisteskinder der Gerber'schen Schule." Die Annäherung der von Gerber und Laband ganz auf Herrschaft und Staatsgewalt ausgerichteten Lehre der Rechtspersönlichkeit des Staates mit den Herrschertheorien Seydels und Bornhaks sowie die Übereinstimmung Mayers mit wesentlichen Grundaussagen des Laband'schen Systems betont auch Schönberger S. 306 ff. m. w. N. 113

Gierke, Grundbegriffe, S. 1192 bedauerte die herrschende rein „äußerliche, das Gesetz vergötternde, in das Zwangsreglement ausmündende Auffassung des Rechtes." 114 Stolleis, Band II, S. 361. n5

Laband, Staatsrecht I, S. 94 f. Fn. 1 konnte im Einklang mit seiner Staatspersönlichkeitslehre sogar behaupten, dass in der Natur allein Menschen nicht aber Rechtssubjekte existierten und daher jede Person als juristische Person blosse Fiktion sei. 1,6 Siehe oben 4. Kapitel II. 3. Auch Vertreter der organischen Staatslehre, wie Edmund Bernatzik (1854-1919) und Bruno Schmidt (1865-1905), verstanden ganz im Gegensatz zu Gierke die Persönlichkeit des Staates als etwas Erdachtes, so Bernatzik, AöR 5 (1890), S. 169 ff. (213) und Bruno Schmidt S. 111. Zu der terminologischen Differenzierung der herr-

III. Zusammenfassende Würdigung

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sehen Reiches eine Beruhigung und Versachlichung der Diskussion um die politische Ordnung ein, die Labands nüchterner Lehre zum Durchbruch verhalf. 117 Laband erwies sich insofern als der „geistige Testamentsvollstrecker Gerbers" 118 , indem er die Herrschaft der staatlichen Obrigkeit über die untertänigen Staatsbürger vermittels der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates dauerhaft legitimierte und durch den wissenschaftlichen Gesetzespositivismus Denken und Habitus der folgenden Juristengenerationen prägte. 119

sehenden Staatspersönlichkeitslehre in eine Abstraktions- und Fiktionstheorie siehe unten 5. Kapitel Fn. 9. Π7 Bärsch S. 45; Stolleis, Band II, S. 370. us Stintzing/Landsberg, Band III/2, S. 833. 119 Bärsch S. 45; Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (68). Deutlich kommt die Autorität Labands in den Worten des ansonsten mit dem Laband'schen Staatsrechtssystem keineswegs konformgehenden Lingg zum Ausdruck, der in AöR 14 (1899), S. 239 ff. (243) konstatierte: „Seit Laband weiss die Staatsrechtswissenschaft, dass ihre Aufgabe ist, das was ist, losgelöst von dem, was war und was angeblich oder wirklich sein soll, analysierend zu erfassen, begrifflich zum Bewusstsein zu bringen und systematisch zu erfassen."

5. Kapitel

Georg Jellinek und die juristische Persönlichkeit des Staates als Grund- und Eckstein des Staatsrechts Die von Gerber begründete und durch Laband zu allgemeiner Anerkennung gebrachte Lehre von der anorganischen und abstrakten Persönlichkeit des Staates fand ihren Höhepunkt und ihre für die Staatsrechtslehre des 19. und 20. Jahrhunderts1 richtungsgebende Durchgestaltung in den Werken des Heidelberger Staatsrechtslehrers Georg Jellinek 2 (1851-1911).

I· Sozialer und juristischer Staatsbegriff Ausgangspunkt von Jellineks Staatsrechtssystem war die Erkenntnis, dass der Staat in seiner Totalität nicht als reiner Rechtsbegriff erfasst werden könne3, andererseits aber dem durch das Recht geordneten Staat eine besondere Stellung im Rechtssystem zukomme und daher eine exakte juristische Bestimmung des Staates notwendig sei. Der Rechtsbegriff des Staates könne und dürfe aus diesem Grund nicht den Staat in seinem ganzen realen Wesen erfassen, sondern wolle nur „den Staat juristisch denkbar machen, d. h. einen Begriff auffinden, in dem alle rechtlichen Eigenschaften des Staates widerspruchslos zu denken sind."4 Das reale Dasein des Staates müsse Grundlage des juristischen Staatsbegriffs sein, könne durch ihn aber unmöglich in seiner Ganzheit erfasst werden.

1

So charakterisiert von Stolleis, Band II, S. 454. Georg Jellinek wurde am 16. Juni 1851 in Leipzig geboren. Nach dem „Studium generale" in Wien, Heidelberg und Leipzig bekleidete er Lehraufträge in Wien und Basel, bevor er 1891 einen Ruf als Professor nach Heidelberg erhielt. Dort entfaltete er sich zu einer führenden internationalen Autorität auf dem Gebiet des Völkerrechts und der Allgemeinen Staatslehre. Er starb am 12. Januar 1911 in Heidelberg. Zu Jellinek siehe NDB 10, S. 391 ff.; Fijal/Weingärtner, JuS 87, S. 97 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 285 ff.; Herwig S. 72 ff.; Kleinheyer/Schröder S. 141 ff. 3 Insofern war Jellinek Gegner des formal-juristischen, alle außerrechtlichen Elemente verdrängenden Positivismus der Gerber-Labandschen Schule. Vgl. Kleinheyer/Schröder S. 141 f. und Stolleis, Band II, S. 454. Schon Gerber aber unterschied von der juristischen Vorstellung des Staates als juristische Person die natürliche Betrachtung des Staates als Organismus, vgl. oben 3. Kapitel III. Dazu Schönberger S. 22 f.; Urbaschek S. 62ff. 4 Jellinek, Staatslehre, S. 163. 2

II. Die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates

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1. Die Drei-Elemente-Lehre des Staates

Als Grundlage für die juristische Konstruktion des Staates entwickelte Jellinek daher zunächst einen empirisch fundierten soziologischen Staatsbegriff zur Erfassung der sozialen Realität der staatlichen Gemeinschaft. Der Staat, so Jellinek, der wie alle menschlichen Verbindungen faktisch und historisch entstehe, unterscheide sich von sonstigen Vereinigungen vor allem durch seine Herrschaftsgewalt. Als Herrschaft umschrieb Jellinek dabei die Fähigkeit, seinen Willen anderen Willenssubjekten unbedingt zur Erfüllung aufzuerlegen und gegenüber anderen Willenssubjekten unbedingt durchsetzen zu können.5 Grundelement des Staates war mithin für ihn das Vorhandensein einer Herrscher- oder Staatsgewalt, durch die eine Gruppe von Menschen innerhalb eines abgegrenzten Gebietes vereinigt wird. 6 Anknüpfend an diese Voraussetzungen umschrieb er den soziologischen Begriff des Staates als „die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter Menschen."7 Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet waren deshalb nach Jellinek die Grundelemente der soziologischen Erscheinung des Staates.

2. Der Staat als Gebietskörperschaft

Diesem soziologischen Befund eines unter einer Herrschaft geeinten Menschenverbandes hatte nach Jellinek die juristische Konstruktion des Staates zu folgen, indem der Staat auch juristisch als Einheit eines menschlichen Verbandes unter einer Herrschaft erfasst werde. Diese Einheit unter einer Herrschaft könne aber juristisch nur konstruiert werden, wenn der Staat selbst als Rechtssubjekt, also als juristische Persönlichkeit, definiert werde und, um den mitgliedschaftlichen Charakter des Staates zu berücksichtigen, den Körperschaften beigeordnet werde. Jellinek umschrieb deshalb den Staat juristisch als „die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes oder, um einen neuerdings gebräuchlich gewordenen Terminus anzuwenden, die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgestattete Gebietskörperschaft." 8

II. Die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates Dieser juristische Begriff des Staates war für Jellinek ein reiner Rechtsbegriff bzw. eine Abstraktion, der in der Realität nichts objektiv Wahrnehmbares entsprach.9 Er sollte als Relation das Verhältnis des sozialen Tatbestandes des Staates 5 Jellinek, Staatslehre, S. 180. 6 Jellinek, System, S. 21. 7 Jellinek, Staatslehre, S. 180 f. » Jellinek, Staatslehre, S. 183. Jellinek, Staatslehre, S. 169 f. Mit allem Nachdruck betonte Jellinek, System, S. 17 aber, dass Rechtsbegriffe wie die juristische Persönlichkeit des Staates Abstraktionen nicht jedoch 9

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5. Kap.: Georg Jellinek

zur Rechtsordnung zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig wurde der Staat von Jellinek aber auch als „Träger der Rechtsordnung" 10 verstanden. Wie aber sollte der Staat einerseits Garant der Rechtsordnung, andererseits als Körperschaft des öffentlichen Rechts zugleich Produkt dieser Rechtsordnung sein können? Dieses, der juristischen Erfassung des Staates stets inhärente Problem der Zirkularität, löste Jellinek durch die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates. Jellinek behauptete, dass innerhalb der Rechtsordnung der Staat als Verpflichtender und Verpflichteter zusammenfalle. Einerseits, so Jellinek, sei die Staatsgewalt der Schöpfer und Bewahrer der Rechtsordnung, andererseits binde sich der ursprünglich allmächtige Staat selbst, indem er sich den Regeln des von ihm geschaffenen Rechts unterwerfe und sich verpflichte, die Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten. Erst diese Selbstverpflichtung des Staates bewirke daher, dass die staatliche Macht zur Rechtsmacht und der Staat als Rechtsperson Träger von Rechten und Pflichten werde. 11 Jeder Rechtssatz wurde deshalb als staatliche Selbstverpflichtung und zugleich als subjektives Recht des Staates angesehen, durch den der Staat als Rechtspersönlichkeit den übrigen Personen im Recht gegenübertreten konnte. 12 In der Selbstbeschränkung des Staates lag zugleich das entscheidende Kriterium, mit dessen Hilfe Jellinek den Staat von den anderen Rechtssubjekten unterschied. Während Rechte und Pflichten der Staatsperson auf autonomer Selbstbindung beruhten, wurden alle übrigen Personen erst durch die Staatsgewalt an das Recht gebunden.13 Jellinek entwarf durch die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates mithin ein Modell, durch welches das Problem des Verhältnisses zwischen Staat und Recht unlösbar mit der Rechtspersönlichkeit des Staates verknüpft wurde: 14 Der Staat erschafft durch die Selbstverpflichtung die Rechtsordnung und erhebt sich damit selbst zur Rechtspersönlichkeit.

Fiktionen darstellen: „Die juristische Welt ist eine reine Gedankenwelt, ... eine Welt der Abstraktionen, nicht aber der Fiktionen. Der Abstraktion liegen reale Vorgänge in der Welt des äußeren und inneren Geschehens zu Grunde, die Fiktion hingegen setzt an Stelle des natürlichen, einen ersonnenen Tatbestand und setzt ihn dem ersteren gleich. Die Abstraktion ruht auf Geschehenem, die Fiktion auf dem Erfundenem." Ganz ähnlich in der Unterscheidung Rehm, Staatslehre, S. 156. Diese Differenzierung wurde aber von vielen anderen Autoren nicht nachvollzogen, so dass die Rechtspersönlichkeit des Staates mal als Abstraktion, mal als Fiktion bezeichnet wurde, vgl. Häfelin S. 150 ff. An diese terminologische Unklarkeit wurde aber später angeknüpft, indem man versuchte, die herrschende Staatspersönlichkeitslehre in eine Abstraktions- und eine Fiktionstheorie aufzugliedern, vgl. Heller, Souveränität, S. 59 f.; Meyer/Anschütz S. 17 Fn. 1 und unten 6. Kapitel Fn. 49. Generell zur Fiktion der Persönlichkeit Nass S. 49 ff. 10 Jellinek, System, S. 9 f. 11 Jellinek, System, S. 200f.; ders., Staatslehre, S. 183. 12 Jellinek, Gesetz, S. 199 Anm. 11; ders., System, S. 86 und 239. 13 Jellinek, Staatslehre, S. 481 und 495 f.; ders., Gesetz, S. 196 f. 14 So Häfelin S. 142.

III. Unterscheidung zwischen Staatsorgan und Organträger

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I I I . Unterscheidung zwischen Staatsorgan und Organträger Da das Recht insgesamt als Beziehung zwischen Rechtssubjekten bzw. Rechtspersönlichkeiten verstanden wurde, war das Staatsrecht auch für Jellinek ohne eine Staatspersönlichkeit undenkbar. 15 Insofern rückte auch er die willens- und handlungsfähige juristische Person des Staates als Ausgangspunkt und Voraussetzung des öffentlichen Rechts in den Mittelpunkt seines Staatsrechtssystems. Jellinek bemühte sich aber als erster, das bislang unklare und uneinheitliche Verhältnis der Staatsorgane zur Staatsperson zu klären. Existieren könne der Staat nur aufgrund der Organe, durch die er als handlungsund willensfähige Person in Erscheinung trete; ohne Organe sei der Staat „ein juristisches Nichts." 16 Jellinek unterschied dabei als erster von den sogenannten selbständigen Organen, deren Willensäußerungen als Staatswille unmittelbar verpflichtende Autorität zukam, die unselbständigen Staatsorgane, deren Aufgabe allein darin bestand, durch ein „beschränkendes Hinzutreten" in bestimmten Einzelfällen den Maßnahmen eines selbständigen Organs rechtswirksame Kraft zu verleihen. Insofern wurde der Monarch als selbständiges, die Volksvertretung dagegen als unselbständiges Organ der Staatspersönlichkeit charakterisiert. 17 Diesen Organen aber konnte nach Jellinek gegenüber dem Staat keine eigene Rechtspersönlichkeit zugestanden werden, da Staat und Organ eine untrennbare Einheit bilden. Wie jede Rechtspersönlichkeit sei auch der Staat als Person unteilbar, so dass die Organe ihm nicht als selbständige Rechtspersönlichkeiten gegenübertreten könnten. Das Verhältnis des Staates zu seinen Organen sei damit an sich gar kein Rechtsverhältnis. Innerhalb einer gewissen Zuständigkeit stelle das Organ vielmehr den Staat dar. Daher erkannte Jellinek auch die von Laband entwickelte Stellung des Monarchen als Träger der Staatsgewalt nicht an, da Träger der Staatsgewalt allein „der Staat und niemand anders" sein könne.18 Ein Staatsorgan könne zwar objektive Kompetenzen, nicht jedoch subjektive Rechte haben. Kompetenzkonflikte zwischen Organen seien insofern Streitigkeiten „innerhalb ein und desselben Rechtssubjekts. Es sind stets Streitigkeiten über objektives, nie über subjektives Recht." 19 Dagegen unterschied Jellinek von den rein objektivrechtlichen Organ15 Jellinek, System, S. 193 f. Jellinek, Staatslehre, S. 560; ders., System, S. 196 f. und besonders deutlich S. 225: „Der Staat kann nur durch das Medium von Organen walten; denkt man sie hinweg, so ist auch die Vorstellung des Staates selbst verschwunden." 17 Jellinek, Gesetz, S. 207 ff.; ders., Staatslehre, S. 548. Durch diese Differenzierung vermochte Jellinek erstmals die unklare Rolle der Volksvertretung im Gerber-Laband'schen System zu erklären, die, obwohl Staatsorgan, keinen Anteil an der Willensäußerung der Staatsperson innehatte, vgl. oben 3. Kapitel Fn. 71. Dazu auch Schönberger S. 231 ff. 18

Jellinek, Staatslehre, S. 552. Zu Jellineks „Lehre vom höchsten Organ" siehe unten Fn. 36. 19 Jellinek, Staatslehre, S. 560 f.; ders., System, S. 194. Jellinek, Staatslehre, a. a. O., unterschied auf diese Weise die Organschaft klar von der Stellvertretung: „Vertretene und Vertretender sind und bleiben zwei, Verband und Organ sind und bleiben eine einzige Per-

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5. Kap.: Georg Jellinek

Zuständigkeiten die Rechte der Individuen auf die Berufung in die Organstellung. In diesem Bereich könne der Organträger als natürliche Person, sei es der Monarch, ein Volksvertreter, ein Präsident oder ein Wähler in der Demokratie durchaus subjektive Rechte haben.20 Um die Kontinuität des Staatslebens zu erklären, schied Jellinek aber die Organkompetenzen als rein objektives Recht von den subjektiven Rechten der Individuen auf die Organträgerschaft. Die Staatsgewalt komme dem Monarchen daher immer nur als objektivrechtliche Organkompetenz, niemals jedoch als subjektives Individualrecht zu, so dass bei einem Wechsel in der Trägerschaft des Amtes der Monarch an die Organhandlungen seines Vorgängers kraft objektiven Rechts gebunden sei. 21 Scharf wurde in diesem Zusammenhang von Jellinek der von Laband eingeführte Terminus des Trägers der Staatsgewalt kritisiert, da dieser Begriff ein einseitig auf den Monarchen zentriertes Staatsrechtssystem suggeriere und deswegen die Lehre von der zentralen Staatspersönlichkeit unterwandere. 22 Demgegenüber wurde das Recht des Beamten auf Besoldung ebenso wie das Recht des Thronfolgers auf den Thron als subjektiver Rechtsanspruch des Organträgers gegenüber dem Staat angesehen.23 Durch die eindeutige Trennung zwischen Organ und Organträger vermochte Jellinek insofern, die innerstaatlichen Rechtsbeziehungen eindeutig in rein objektiv-rechtliche Kompetenzen und subjektive Rechtsbeziehungen zwischen Staat und natürlichen Rechtspersönlichkeiten in ihrer Eigenschaft als Organträger zu differenzieren. Zugleich konnte er so Labands Behauptung von der mangelnden Rechtsqualität innerstaatlicher Regelungen relativieren und die staatliche Binnenorganisation dadurch erstmals in das dogmatische System des Staatsrechts einbeziehen. Jede Maßnahme einer Behörde, eines Beamten oder überhaupt jeder mit der Erledigung öffentlicher Aufgaben betrauten Stelle führte Jellinek schließlich auf den Willen der Staatsperson zurück, indem er neben unmittelbaren auch mittelbare Staatsorgane anerkannte. Während die unmittelbaren Organe als Verfassungsorgane direkt dem Staat verpflichtet seien, standen nach Jellinek mittelbare Organe zu einem höheren Staatsorgan in einem Organverhältnis, so dass die Handlung des sekundären Organs als Akt des primären Organs gelten könne.24 Die Organe entson." Jellinek verwarf daher die von Gierke vertretenen Gegenüberstellung von Staatspersönlichkeit und Organpersönlichkeit. Kritisch dazu Stettner S. 65. 20 Jellinek, System, S. 147; ders., Staatslehre, S. 562. 21 Jellinek, Staatslehre, S. 563. Die schon von Albrecht streng durchgeführte Reduzierung der monarchischen Befugnisse auf die eines Staatsorgans, wurde auch von Jellinek, a. a. Ο., S. 561 wieder betont: „Mit der richtigen Erkenntnis fällt auch die Lehre von dem eigenen Recht des Monarchen an der Staatsgewalt. Die Staatsgewalt gehört dem Staate, und der Monarch als solcher ist und bleibt in der heutigen Staatsordnung oberstes Organ des Staates." Vgl. demgegenüber die unklare Stellung, die Gerber (siehe oben 3. Kapitel Fn. 69) und Laband (siehe oben 4. Kapitel Fn. 16) dem Monarchen innerhalb des Staates als „Verkörperung der Persönlichkeit des Staates" bzw. als „Träger der ungeteilten Staatsgewalt" zuwiesen. 22 Jellinek, Staatslehre, S. 552. Zu den Hintergründen der scharfen Opposition Jellineks gegen den Begriff des „Trägers der Staatsgewalt" siehe Schönberger S. 220 ff. 23 Jellinek, Staatslehre, S. 562.

IV. Die Statuslehre

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standen nach Jellinek dabei entweder ipso iure durch Anknüpfung an bestimmte juristische Tatsachen, so etwa das Amt des Monarchen durch Erbfall in der erblichen Monarchie, oder durch ein rechtlich geordnetes Kreationsverfahren, wie zum Beispiel bei Parlaments wählen. Die den Kreationsakt vollziehenden Personen äußerten dabei als Kreationsorgane ebenfalls den Willen des Staates, so dass nach Jellinek die Gesamtheit des wahlberechtigten Volkes zum Staatsorgan und das Wählen zur Organhandlung erklärt wurde. 25 Mit der Einführung der Kategorie des Kreationsorgans, mit der nun auch das Volk als Organ des Staates erschien, führte er, indem jetzt jeder Einzelne rechtlich als Willensorgan des Staates verstanden wurde, die Zentralisierung der staatsrechtlichen Beziehungen auf die Willensmacht der Staatsperson zu ihrer höchsten Vollendung.26 Andererseits aber milderte Jellinek dadurch die noch bei Gerber und Laband einseitig auf die Untertanenschaft reduzierte Stellung der Bürger innerhalb des Staatsrechtssystems. Dies gilt umsomehr, als Jellinek in seiner Staatslehre auch subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers gegenüber der Staatsperson anerkannte.

IV. Die Statuslehre Schließlich differenzierte Jellinek das Verhältnis des einzelnen Staatsbürgers zur Staatsperson in verschiedene rechtliche Zustände oder Statusverhältnisse, aus denen sich Ansprüche des Bürgers gegen den Staat herleiten konnten. Ansprüche, die sich aus diesen Zuständen ableiteten, bezeichnete Jellinek dabei als subjektiv öffentliche Rechte.27 Grundsätzlich konstruierte auch Jellinek das Verhältnis des Bürgers zum Staat als ein Unterwerfungsverhältnis (status passivus). Als Glied des Staates sei der Bürger gegenüber den staatlichen Willensäußerungen zum Gehorsam verpflichtet, so dass in diesem UnterwerfungsVerhältnis jede Selbstbestimmung des Bürgers und damit jede Rechtspersönlichkeit ausgeschlossen war. Als Unterworfene seien die Individuen nach Jellineks Ansicht ebenso wie die unterhalb des Staates organisierten menschlichen Verbände Objekte der Staatsgewalt bzw. bloße Subjekte von Pflichten gegenüber der Herrschaft des Staates.28 24

Jellinek, Staatslehre, S. 544 ff. Mit dem weiten, alle öffentlich-rechtlichen Ämter erfassenden Organbegriff verwarf Jellinek mithin die Lehre Gerbers, der als Organe nur Monarch und Volksvertretung anerkannte und alle Staatsdiener als im Namen des Königs handelnde Vertreter des Fürsten ansah, siehe oben 3. Kapitel Fn. 66. 25 Jellinek, Staatslehre, S. 421 f. und 583. 26 Dazu auch Schönberger S. 243 ff. 27 Jellinek, System, S. 86. 28 Jellinek, Staatslehre, S. 425 f. Die Staatsgewalt ruhte nach Jellinek, a. a. O., S. 426 allein auf dem Gehorsam der Gesamtheit der Untertanen: Die Staatsperson „kann nämlich ihre Funktionen nur erfüllen durch sachliche und persönliche Leistungen der Einzelnen und der Verbände. Nur durch diese kann sie existieren, wollen und das Gewollte durchsetzen. Es

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5. Kap.: Georg Jellinek

Daneben erkannte Jellinek aber auch Zustände an, in denen dem Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt ein Freiraum zur Verfolgung individueller Interessen verblieb und er insoweit die Aufhebung aller diese Freiheit verletzenden staatlichen Maßnahmen verlangen konnte (status negativus) oder in denen der Bürger die Fähigkeit hatte, „die Staatsmacht für sich in Anspruch zu nehmen", also für individuelle Interessen zu nutzen (status positivus).29 Da der Staat als juristische Person nur durch seine Organe willens- und handlungsfähig wurde, also auf die Beteiligung seiner Glieder bei den Staatsgeschäften angewiesen war, komme schließlich der Anspruch des Staatsbürgers, ihn als Träger einer Organstellung anzuerkennen, ihn zur Ausübung staatlicher Tätigkeit zuzulassen oder durch den Wahlakt an der Bildung staatlicher Organe mitwirken zu lassen (status activus), hinzu. 30 Indem Jellinek die Beziehungen des Individuums zur Staatsperson durch die Statuslehre in verschiedene Zustände unterteilte und subjektiv öffentliche Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat anerkannte, qualifizierte er die Beziehungen des Bürgers zur Staatsperson zumindest teilweise als Rechtsbeziehungen. Die reine Objektposition, die Gerber und Laband dem Staatsbürger als Untertan innerhalb des Staatsrechts zuwiesen, wurde von Jellinek damit entscheidend relativiert.

V. Kritische Würdigung des Staatspersönlichkeitsdogmas Die Staatstheorie Jellineks wird als Höhepunkt der Entwicklung der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates angesehen.31 Ausgangspunkt des Staatsrechtssystems war bei Jellinek die Notwendigkeit, den Staat, der in seinem realen Dasein unabhängig vom Wechsel der Individuen stets als Einheit fortbesteht, auch juristisch unabhängig von dem Bestand der Individuen zu erfassen. Daher, so Jelligilt für jeden Staat: an dem Maße des Gehorsams und der Pflichterfüllung seiner Mitglieder hat er zugleich das Maß seiner Kraft und Stärke." Dazu Hesse, Verfassungslehre, Rn. 281 f. 29 Jellinek, Staatslehre, S. 419 ff.; ders., System, S. 87. Die Unterwerfung unter die staatliche Obrigkeit reiche nur so weit, wie das Recht sie anordne. Alles, was nach Abzug der rechtlichen Einschränkungen an individueller Freiheit verbleibt, wurde von Jellinek, Staatslehre, S. 419 als die gegenüber dem Staat negativ geschützte individuelle Freiheitssphäre (status negativus) angesehen. Jellinek konstruierte daher die in den Verfassungen normierten Grund- oder Freiheitsrechte nicht als staatliche Gewährleistung eines Freiraums, sondern als historisch bedingte besondere Anerkennung eines, dem staatlichen Zugriff entzogenen, natürlichen Freiraums. Anders dagegen noch Gerber und Laband, vgl. oben 3. Kapitel Fn. 96 und 4. Kapitel Fn. 106. 30 Jellinek, Staatslehre, S. 421 f.; ders., System, S. 87. Dabei beschränkte Jellinek, Staatslehre, S. 423 f. den status activus nicht auf demokratische Staaten, sondern betonte, dass die Staatsgewalt notwendig in irgendeiner Weise aus dem Volk hervorgehen müsse. So stehe auch in der Monarchie zumindest einem Mitglied des Volkes - dem Monarchen - ein persönlicher Anspruch auf die Trägerschaft des höchsten Staatsorgans zu. Weder „eine im Eigentum des Herrn stehende Sklavenherde" noch eine fremdbeherrschte Völkerschaft konnte daher nach Jellinek als Staat anerkannt werden. 31 So Häfelin S. 142.

V. Kritische Würdigung des Staatspersönlichkeitsdogmas

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nek, sei „es von vornherein ein Kriterium der richtigen juristischen Lehre vom Staate, daß sie die Einheit des Staates zu erklären vermag." 32 Mittelpunkt von Jellineks Staatskonstruktion war insofern die in der juristischen Persönlichkeit des Staates manifestierte Einheit des staatlichen Willens. Insbesondere durch die Herausarbeitung des objektivrechtlichen Charakters der Organkompetenzen vermochte Jellinek die rechtliche Struktur der innerstaatlichen Ordnung zu klären und alle Facetten des öffentlichen Rechts, die Ausübung staatlicher Gewalt, das Verhältnis der Staatsorgane zueinander, das Verhältnis der Individuen zum Staat und auch das grundlegende Verhältnis des Staates zur Rechtsordnung in einem einheitlichen System darzustellen. Die als Gebietskörperschaft klassifizierte juristische Persönlichkeit des Staates diente ihm dabei als axiomatischer und zentraler Zurechnungspunkt. Alle mit öffentlichen Aufgaben betrauten Instanzen, der Monarch ebenso wie der Beamte, brachten als unmittelbare oder mittelbare Organe den Willen des Staates zum Ausdruck. Auch das Volk wurde von Jellinek auf den Staat bezogen. Als Gesamtheit der Mitglieder der Gebietskörperschaft des Staates betätigte sich das Volk in seiner Gesamtheit durch Wahlen als Organ des Staates.33 Alle Entscheidungen und Handlungen der Träger hoheitlicher Gewalt wurden damit der juristischen Person des Staates zugerechnet, die dadurch die Einheit der Staatsgewalt dokumentierten. Die Staatsperson wurde mit der Gesamtheit der Staatsorgane gleichgesetzt. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung konnten insofern als Ausdruck und Funktion der einheitlichen und ursprünglichen Herrschaftsgewalt der Staatspersönlichkeit aufgefasst werden. Damit gelangte bei Jellinek der Staatswille, der zwar einerseits den Gesamtwillen der staatlichen Gemeinschaft darstellte, andererseits aber nur durch die Staatsorgane ausgesprochen wurde, zur absoluten Herrschaft. Das Volk war bei Jellinek sowohl Subjekt wie auch Objekt dieser absoluten Staatsgewalt. Aufgrund der körperschaftlichen Struktur des Staates folgte die subjektive Qualität des Volkes nach Jellinek auch „außerhalb demokratisch organisierter Staaten" in „tautologischer Weise aus dem so gefaßten Staatsbegriffe." 34 Durch die einheitliche und unteilbare Persönlichkeit, die der Staat als Gebietskörperschaft darstellt, wurden die Mitglieder des Staates aber zugleich zu Subordinierten. Gegenüber den Willensäußerungen der Staatsperson waren die Individuen zu Gehorsam verpflichtet. Die Organe des Staates waren zur Bildung und Äußerung des Staatswillens, nicht des Volkswillens berufen. Auch das Parlament diente daher in Jellineks Staatskonstruktion zur „gesetz- und zweckmäßigen Willensbetätigung des Staates."35 Der Wille der Abgeordnetenmehrheit repräsentierte zwar den Volkswillen, das Volk in seiner Gesamtheit war jedoch wiederum Staatsorgan, so dass der Volkswille mit dem Willen des Staates zusammenfiel. 32

Jellinek, 33 Jellinek, 34 Jellinek, 35 Jellinek,

Staatslehre, S. 163 f. Staatslehre, S. 421 und 583. Staatslehre, S. 407. System, S. 236.

112

5. Kap.: Georg Jellinek

Die juristische Persönlichkeit des Staates als Zurechnungspunkt der Willensbekundungen sämtlicher Staatsorgane begründete daher zwar normativ die Einheit der Staatsgewalt, führte aber im Ergebnis zu einer faktischen absoluten Herrschaft des obersten Staatsorgans, da nach Jellinek jeder Staat eines höchsten Organes bedurfte, dem die oberste Entscheidungsgewalt zusteht. „Das aber", so Jellinek, „ist jene Gewalt, die endgültig zu entscheiden hat über die Änderung der Rechtsordnung und nach außen hin die ganze Existenz des Staates auf das Spiel setzen kann ... In der Demokratie stehen diese Rechte dem Volke oder seinem sekundären Organ zu, in der Monarchie dem Monarchen." 36 Ohne ursprüngliche Rechtsmacht zu besitzen, lag somit alle Entscheidungsgewalt in der Hand der individuellen Organträger, die zur Äußerung des höchsten Willens des Staates berufen waren. Das einzelne Individuum, der Staatsbürger, konnte gegenüber dem Staat gewisse Freiräume beanspruchen, es konnte ihm auch das Recht zustehen, als Träger einer Organstellung anerkannt zu werden. Im Übrigen aber waren die den Staat bildenden Menschen auch bei Jellinek als Unterworfene des Staates Objekte der durch die Staatsorgane geäußerten staatlichen Herrschaft. Obwohl Jellinek vom Volk als Subjekt der Staatsgewalt ausging, führte die Staatspersönlichkeitslehre auf diese Weise zu einem „Gehorsam der Gesamtheit der Untertanen." 37 Die Rechtsordnung schließlich wurde als Ausdruck der staatlichen Selbstverpflichtung interpretiert, so dass die ursprüngliche Macht des Staates dem Recht logisch vorausging. Nicht das Recht erschuf durch die Kreation der juristischen Staatspersönlichkeit den Staat, sondern die faktische Macht des mit ursprünglicher Gewalt ausgestatteten Staates errichtete die Rechtsordnung. Nach Jellinek hat es insoweit niemals ein „Recht vor dem Staate" gegeben.38 Der Staat, für Jellinek zunächst nur eine erkenntnistheoretische Abstraktion, wurde damit zu einem seelenlosen, auf die Realität der Macht gebauten Überwesen. Als moralisch blinder „Leviathan" war dieser Machtverband daher „das mögliche Werkzeug für jegliches Gebot." 39 In der Hand der mächtigen Organträger konnte der Staat unter dem 36 Jellinek, Staatslehre, S. 554. Obwohl Jellinek, Staatslehre, S. 552 ff. die von Laband geprägte Rechtsfigur des monarchischen Trägers der Staatsgewalt ablehnte, da sie die Staatssouveränität nicht genügend zur Geltung bringe, schien auch er mit der „Lehre vom höchsten Organ" die Staatsgewalt nur in die Hände eines einzigen Organs legen zu wollen. Dies belegt deutlich die Passage bei Jellinek, Gesetz, S. 207, in der es heißt: „Jeder Staat muß mindestens ein unmittelbares selbständiges Organ besitzen. Es kann ihm aber auch eine Mehrheit derselben gegeben sein. Alsdann wird aber, soll die Staatsordnung nicht in Verwirrung stürzen, einem von ihnen der höchste, im eventuellen Streite der Organe definitiv entscheidende Wille zukommen. Dieses einzige und höchste unmittelbare und selbständige Organ des Staates wird als das souveräne bezeichnet." Zum Widerspruch der Lehre vom höchsten Organ mit der Kritik Jellineks an der Figur des Trägers der Staatsgewalt auch Schönberger S. 227. 37 Vgl. Bärsch S. 87. 38 Jellinek, Staatslehre, S. 364 ff. Zugrunde liegt dieser Sichtweise Jellineks Lehre von der „normativen Kraft des Faktischen", nach der das „Seiende" mit dem „Seinsollen" zusammenfällt. Die faktische Macht des Staates wird dadurch in eine Rechtsmacht umgewandelt. Vgl. Jellinek, Staatslehre, S. 338 ff. und Bärsch S. 59ff.; Nelson S. 19 ff. 39 Vgl. Hippel S. 103. Ähnlich Hesse, Verfassungslehre Rn. 281.

V. Kritische Würdigung des Staatspersönlichkeitsdogmas

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Schleier des Rechts seine Macht in jeder Form durchsetzen. Allein als „Freiheit von gesetzwidrigem Zwang" 40 , nicht jedoch vor staatlichem Zwang überhaupt, vermochten subjektiv-öffentliche Rechte dem Einzelnen einen Freiraum gegenüber der Staatsgewalt zu sichern. Gemeinsam mit der Lehre von der normativen Kraft des Faktischen, die vom Sein des Staates seine Vernünftigkeit ableitete, ermöglichte Jellineks Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates es somit, die sittlich ungebundene Gewalt des staatlichen Machtverbandes in Form des Rechts zur absoluten Geltung zu bringen. Jellineks Lehre von der Staatspersönlichkeit, die in ihrer allgemeinen Formulierung sowohl einer monarchischen, einer aristokratischen und einer demokratischen Staatsform zugrunde gelegt werden konnte, brachte so den von Gerber und Laband juristisch begründeten Absolutismus der herrschenden Staatsperson gegenüber dem gehorchenden Untertan zu fast universeller Geltung.41 Die grundsätzliche Ausgestaltung und Systematisierung der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates, wie sie durch Jellinek aufgearbeitet war, wurde daher in der Folgezeit als absolut vorherrschende Meinung in der Staatsrechtslehre 42 ebenso wie in der Rechtsphilosophie43 und Rechtsprechung44 rezipiert und als die dogmatische Grundlage des Staatsrechts betrachtet.

40

Jellinek, System, S. 103. Dazu auch Hesse, Verfassungslehre, Rn. 281 f. Zur Staatspersönlichkeitslehre in der französischen und italienischen Staatslehre vgl. Häfelin S. 214 ff. 4 2 So etwa in den Abhandlungen von Grosch, AöR 25 (1909), S. 407ff. (429f. und 449); Piloty, S. 457ff.; Werner Rosenberg, ZgS 65 (1909), S. Iff. (21 f. und 66f.); Seidler, juristische Kriterium des Staates, S. 55 ff. (74 f.); Triepel, Reichsaufsicht, S. 169 und S. 538 Anm. 2; Weyr, AöR 23 (1908), S. 529 ff. (562 f. Anm. 16); Siehe hierzu auch die umfassende Auflistung der Vertreter der Staatspersönlichkeitstheorie bei Häfelin S. 142 Fn. 149. Zu den Vertretern der Jellinek'schen Persönlichkeitstheorie unter den Staatsrechtslehrern der jüngeren Zeit siehe unten 6. Kapitel Fn. 50 (Weimarer Staatslehre) und 8. Kapitel Fn. 44 (heutige Staatsrechtslehre). 41

So von Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, S. 215 ff. (222 f.); Kohler, Lehrbuch der Staatsphilosophie, S. 237 und 265 ff.; Petraschek, System der Rechtsphilosophie, S. 228 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 282ff.; Sauer, Lehrbuch der Rechts- und Staatsphilosophie, S. 195 ff.; Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 6 und 28 f. Allein Binder, Rechtsphilosophie, S. 487 ff. und Kaufmann, Organismus, S. 32 sahen den Staat in Anlehnung an Gierke als realen Organismus an und lehnten die Persönlichkeitstheorie Jellineks ab. 44 RGZ 100, 25 (27); RGSt 53, 52 (52 f.); 53, 65 (65); 54, 149 (150f.). 8 Uhlenbrock

Das

6. Kapitel

Die Staatslehre der Weimarer Republik Das von Jellinek auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie entwickelte, aber universell formulierte Staatsrechtssystem, dessen „Grund- und Eckstein"1 die juristische Persönlichkeit des Staates bildete, ermöglichte auch das nach Revolution und Gründung der Weimarer Republik wesentlich veränderte Verfassungsgefüge des Deutschen Reiches in den herkömmlichen Rechtsbegriffen zu erfassen. Die juristische Persönlichkeit des Staates konnte über die verfassungsgeschichtliche Zäsur von 1918/19 als kontinuierlich fortbestehend gedacht werden, allein die Zusammensetzung ihrer Organe hatte sich verändert. Das Dogma der juristischen Persönlichkeit des Staates wurde insofern auch als Grundlage der Staatslehre in der Demokratie verwendet. Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes spiegelte aber die Weimarer Staatsrechtslehre die politische Zerrissenheit der Gesellschaft und die Instabilität des Weimarer Verfassungssystems wider, indem sie sich in mehrere grundlegend unterschiedliche Strömungen der Staatslehre spaltete.2 Innerhalb dieser Lehrrichtung der Weimarer Staatslehre wurde die Persönlichkeitslehre einerseits als fundamentale und apodiktische Grundlage der Rechtsordnung fortentwickelt, andererseits aber in ihrem Erkenntnis wert zunehmend relativiert.

I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung Ihre höchste Vollendung als Rechtsbegriff fand die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates in ihrer Ausgestaltung durch die „Reine Rechtslehre", also der von Hans Kelsen 3 (1881-1973) begründeten Rechtstheorie, die den Höhepunkt des rechtspositivistischen Denkens darstellte. ι Jellinek, Gesetz, S. 195. Robbers, JURA 93, S. 69 ff. (69). Zu den tieferen Ursachen und Ursprüngen der zentrifugalen Tendenzen innerhalb der deutschen Staatslehre, die schließlich die durch Jellinek verkörperte Einheit der Staatsrechtslehre überwanden, siehe auch Stolleis, Band II, S. 447 ff. und Rennert S. 22 ff. 3 Hans Kelsen wurde am 11. Oktober 1881 in Prag geboren, lehrte zunächst als Professor in Wien, ab 1929 in Köln, 1933 bis 1940 in Genfund schließlich von 1943 bis 1952 in Berkeley. Er war Schöpfer der österreichischen Verfassung von 1920 und Mitarbeiter des amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt ( 1882 - 1945) bei Formulierung der AtlantikCharter. Er starb am 19. April 1973 in Berkeley. Zu Kelsen siehe NDB 11, S. 479 f.; Badura, Methoden, S. 142 ff.; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 341 ff.; Sattler, Hans Kelsen, S. 100ff.; Stolleis, Band III, S. 164ff. 2

I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung

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1. Die Reine Rechtslehre Hans Kelsens

Grundlage der Reinen Rechtslehre Kelsens war die Unterscheidung zwischen Sein und Sollen. Nach Kelsens Überzeugung folgt aus der Tatsache, dass etwas ist, nicht zugleich, dass etwas auch sein soll, wie umgekehrt aus der Aussage, dass etwas sein soll, nicht gefolgert werden könne, dass etwas ist.4 Da Rechtsnormen grundsätzlich nur aussagen, wie etwas sein soll, sei Gegenstand der Rechtswissenschaft allein die normative Sollensordnung. In Opposition zu Jellinek, der die juristische Ordnung aus der soziologischen Erfassung des realen Daseins entwickelte5, betonte Kelsen wieder die Notwendigkeit einer rein juristischen Methode, die sich durch ihre eigengesetzliche Logik als positive Normwissenschaft von realer Sozialwissenschaft, von Moral und Politik unterschied.6 Erkenntniszweck der Rechtswissenschaft sei es daher, ein System von allgemeingültigen Rechtsbegriffen zu entwickeln, die, unabhängig vom Inhalt der konkreten Norm, die Rechtsordnung in rein formale und logische Strukturen zu zergliedern vermochten.7 Ähnlich wie schon Gerber und Laband aber weit konsequenter konstruierte Kelsen so ein rein logisch-formales System der Rechtsbegriffe, ohne außerrechtliche Elemente zu berücksichtigen. Nicht mehr metaphysische Werte wie Gerechtigkeit oder Volksgeist kamen somit als Legitimation der Rechtsnormen in Betracht. „Geltungsgrund einer Norm kann", nach Kelsens Auffassung, „nur die Geltung einer anderen Norm sein", von der sie ihre Wirksamkeit ableitet.8 So konstruierte er eine Normenpyramide von immer höheren Rechtsnormen bis zu einer höchsten Grundnorm, deren einzige Funktion darin bestand, die objektive Geltung einer positiven Rechtsordnung zu begründen. Aus dieser Grundnorm, so Kelsen, könne aber immer nur die Geltung einer Rechtsordnung, nicht dagegen ihr Inhalt abgeleitet werden. Wegen ihres Inhalts könne daher keiner Norm ihr Geltungsgrund abgesprochen werden. 9

4 Kelsen, Rechtslehre, S. 5 und 19; ders., Staatslehre, S. VII (Vorrede); Souveränität, S. 97 Anm. 1. 5

Siehe oben 5. Kapitel I. 6 Kelsen, Rechtslehre, S. 1 ff. 7

Nach Kelsen, Rechtslehre, S. 3 f. war allein die formale logische Struktur einer Norm der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis zugänglich, nicht dagegen ihr Inhalt. Über die materielle Gerechtigkeit schrieb Kelsen, Gerechtigkeit, S. 43, man wisse und könne nicht wissen, was sie ist. Vielmehr sei die absolute Gerechtigkeit nur der „schöne Traum der Menschheit." 8 Kelsen, Rechtslehre, S. 202. 9 Kelsen, Rechtslehre, S. 200 f. Als positive Wissenschaft, meint Kelsen, Rechtslehre, S. 72 ff. solle die Rechtswissenschaft Begriffe definieren, um das Recht - so wie es ist, nicht aber so, wie es sein soll - zu erkennen und beschreiben. Insofern sei die Rechtswissenschaft wertblind. 8*

116

6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

a) Die juristische Persönlichkeit des Staates als Personifikation der Rechtsordnung Die Reduktion der juristischen Betrachtung auf das rein Rechtliche führte Kelsen zu der Erkenntnis, dass der einheitliche Wille, auf dem seit Gerber das Wesen der Rechtspersönlichkeit beruhte 10, unabhängig von dem psychologischen Willensbegriff als rein juristisch-normative Kategorie erfasst werden müsse. Der Wille sei daher nur ein anderer Ausdruck für das normative Sollen, welches durch die Rechtsperson einen Zurechnungspunkt erhalte. 11 Natürliche und juristische Rechtssubjekte waren insofern für Kelsen aus Gründen der Anschaulichkeit erfundene anthropomorphe Personifikationen von Rechtsnormkomplexen, „Teilrechtsordnungen" bestehend aus Rechten und Rechtspflichten. 12 Während diese Normkomplexe bei physischen Personen einen Einzelmenschen betrafen, regelten sie bei den juristischen Personen die normative Organisation eines Menschenverbandes.13 Auch der Staat wurde so durch diesen umfassenden Personenbegriff erfasst. Wie jeder andere menschliche Verband konnte er normativ nur als Organisationsordnung verstanden werden. Waren aber die sonstigen Personen nur Personifikationen von Teilrechtsordnungen, so musste der umfassende Menschenverband des Staates die gesamte Rechtsordnung personifizieren. Als Personifikation der Rechtsordnung war die juristische Persönlichkeit des Staates für Kelsen daher mit der Rechtsordnung identisch.14 b) Die Rechtsordnung als Ausdruck des Staatswillens Der Staat als juristische Person war nach Kelsens Rechtstheorie als Personifikation der Rechtsordnung Endpunkt der Zurechnung aller Rechte und Rechtspflichten; der Wille der Staatsperson fiel zusammen mit dem Sollen der Rechtsordnung. 15 Der Staat realisiert sich nach Kelsen mithin allein durch Zurechnungsnormen der Rechtsordnung; allein die normative Zurechnung bewirke, dass neben den Menschen und ihren Handlungen auch von Staatsakten gesprochen werden könne. 16 Nach Kelsen handelt der Staat durch seine Organe nicht in der Weise, •o Siehe oben 3. Kapitel II. 1. Kelsen, Rechtslehre, S. 57 f.; ders., Staatslehre, S. 52 f., ders., Staatsbegriff, S. 69. 12 Kelsen, Staatsbegriff, S. 183 f.; ders., Staatslehre, S. 68. 11

13 Kelsen, Staatslehre, S. 63. Als Personifizierung eines Normenkomplexes und damit als Erscheinung des objektiven Rechts waren physische und juristische Personen nach Kelsen wesensgleich. 14 Kelsen, Staatslehre, S. 16ff.; ders., Souveränität, S. 9ff.; ders., Staatsbegriff, S. 75ff. Diese Identifizierung des Staates mit der Rechtsordnung hatte Kelsen in Hauptprobleme, S. 233 allerdings noch als „petitio principii" ausdrücklich abgelehnt, da die Staatsperson, verstanden als Personifikation der Rechtsordnung, nicht mit den übrigen Rechtspersonen gleichgesetzt werden könne. Dazu Häfelin S. 179 ff. 15 Kelsen, Staatslehre, S. l\ \ders., Souveränität, S. 289 f.

16 Kelsen, Staatslehre, S. 73 f.; ders., Staatsbegriff, S. 82.

I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung

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dass der menschliche Wille des Organwalters auf den Staat übertragen werde, sondern dadurch, dass eine bestimmte menschliche Handlung normativ als solche des Staates begriffen und somit dem Staat zugerechnet wurde. Diese Zurechnung erfolge dabei allein dadurch, dass sie durch eine Rechtsnorm als gesollt statuiert werde. 17 Staatsorgan im Sinne von Kelsens Rechtslehre war insofern eine rein objektive Funktionseinheit, die die staatliche Ordnung durch Normvollzug verwirklicht. 18 c) Die Auflösung des Dualismus von Staat und Recht durch den Rechtsstaat Den bisher in der Staatslehre dominierenden Dualismus von Staat und Recht, von Jellinek durch die Lehre von der Selbstverpflichtung des Staates im Sinne eines Primats des Staates gelöst, sah Kelsen daher als wissenschaftliches Scheinproblem an. 19 Die Erschaffung der Rechtsordnung als Akt des Staates zu begreifen, setze nach Kelsen voraus, dass die von Menschen vorgenommene Rechtssetzung nicht den „physisch Handelnden, sondern einem »hinter* ihm gedachtem Subjekte, dem Staat, zugerechnet" werden kann. Nur durch eine Rechtsnorm könne aber die Handlung dem Staat zugerechnet werden. Daher sei es unmöglich, den Staat als Voraussetzung der Rechtsordnung anzugeben, wenn die Rechtsordnung bereits vorausgesetzt werden müsse, damit der Rechtserzeugungsakt als Staatsakt gelte. 20 Der Dualismus zwischen Staat und Recht wurde so von Kelsen durch die Gleichsetzung von Staat und Rechtsordnung aufgelöst; jeder Staat war nach Kelsen notwendig Rechts-Staat.21 Die Gleichsetzung von Staat und Rechtsordnung führte dabei auch zu Kelsens Lehre von der Unfähigkeit des Staates, Unrecht zu tun. Da eine menschliche Handlung dem Staat nur zugerechnet werden könne, wenn eine Rechtsnorm die Zurechnung postuliere, könne der Staat nur nach Maßgabe dieser Norm, also im Rahmen des Rechts handeln. Der Wille des Staates entsprach insofern nur dem von ihm nach der Rechtsordnung gesollten Verhalten. Jedes „Unrecht" war daher notwendig dem Willen des Staates verschlossen.22

17 Kelsen, Staatslehre, S. 268. 18 Kelsen, Staatslehre, S. 262 ff. Vgl. dazu Pollmann S. 57 ff., der darin die Aufgabe der Jellinek'schen Unterscheidung zwischen Organ und Organträger sieht. 19

„Der Grundgedanke", so formulierte Kelsen, Staatsbegriff, S. V (Vorrede), „daß der Staat eine spezifisch normative Einheit und kein irgendwie kausal gesetzlich zu erfassendes Gebilde, daß er als Ordnung die Rechtsordnung, als überindividueller Wille die Personifikation dieser Rechtsordnung ist, und daß der übliche Dualismus von Staat und Recht eine unzulässige Verdopplung des Gegenstandes juristisch-normativer Erkenntnis darstellt, ist nach meiner Ansicht unerschüttert." 20 Kelsen, Staatslehre, S. 74. 21 Kelsen, Rechtslehre, S. 314. Den an sich in einem ganz anderen Sinne gebräuchlichen Terminus „Rechtsstaat" bezeichnete Kelsen a. a. O. daher als Pleonasmus. 22 Kelsen, Souveränität, S. 146; ders., Staatsbegriff, S. 197.

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

Die Gewalt oder Herrschaftsmacht des Staates konnte nach Kelsen deswegen nicht als Unterwerfung der Einzelwillen unter den Willen des Staates charakterisiert werden, sondern leitete sich ab aus der Sollensordnung des Staates, dem Befund, dass Menschen Normen unterworfen sind, die wiederum von normunterworfenen Menschen erschaffen wurden. Die Unterwerfung der Menschen unter die Gewalt des Staates bedeutete für Kelsen daher nichts anderes, als dass die Menschen einer Rechtsordnung gegenüber verpflichtet sind. 23

d) Die Staatspersönlichkeit als unableitbares Symbol der Systemeinheit des Rechts Jede Rechtspersönlichkeit war Zurechnungspunkt eines Komplexes von normativen Rechten und Pflichten, der Staat als juristische Person aber wurde durch Kelsens Rechtslehre der gemeinsame „Schnittpunkt aller Zurechnungslinien, die durch Organhandlungen gelegt" wurden. 24 Jede von der Rechtsordnung statuierte Pflicht oder Berechtigung fand den Endpunkt ihrer Zurechnung damit im normativen Willen der Staatsperson.25 Die Unableitbarkeit der im Staat personifizierten Rechtsordnung war zugleich Ausdruck ihrer Souveränität, die jetzt nicht mehr als reale Eigenschaft der Staatsperson, sondern als normative Kategorie der Sollensordnung erschien. 26 Die juristische Person des Staates, verstanden als Ausdruck der Souveränität der Rechtsordnung, war Zurechnungsendpunkt aller Teilrechtsordnungen, also der innerstaatlichen Rechtspersonen, und symbolisierte damit die „Systemeinheit" des Rechts. Die Staatspersönlichkeit hatte als unableitbarer Begriff innerhalb der Rechtswissenschaft aus diesem Grund für Kelsens Rechtslehre die gleiche Bedeutung wie Gott innerhalb der Theologie, das Atom - damals - innerhalb der Naturwissenschaft und die Seele innerhalb der Psychologie. 27

23

Kelsen, Staatslehre, S. 99. Wegen der streng normativen Betrachtung der Reinen Rechtslehre konnten reale Herrschaftsbeziehungen wie die Staatsgewalt juristisch nicht erfasst werden. Es ergab sich vielmehr immer nur eine Unterordnung unter die - wie auch immer geartete - objektive Rechtsordnung, vgl. Kelsen, Staatsbegriff, S. 9 und S. 184; ders., Souveränität, S. 8 f. Gegen Kelsens Gleichsetzung von Staat und Rechtsordnung aber bereits Hold-Ferneck, Staat, S. 59 ff. 24

Kelsen, Staatsunrecht, S. 15 und 17. 5 Kelsen, Souveränität, S. 128.

2

26

Kelsen, Staatslehre, S. 102 ff.; ders., Souveränität, S. 12 f. Da der nationalstaatlichen Rechtsordnung durch das Völkerrecht aber noch eine höhere Normebene beigeordnet wurde, lehnte Kelsen, Rechtslehre, S. 338 die Souveränität der Staatsperson zugunsten einer souveränen Universalrechtsordnung ab. 27 Kelsen, Rechtslehre, S. 319f.; ders., Staatsbegriff, S. 219ff.; ders., Staatslehre, S. 76ff.

I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung

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e) Zusammenfassende Würdigung Der Vergleich des juristischen Staatsbegriffes mit dem Gottesbegriff markiert die höchste Geltungsstufe der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates. Die apodiktische Geltung, die Kelsen damit der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates beimaß, führte aber zugleich zu einer Emanzipation der Persönlichkeitslehre von der positiven Rechtsordnung. Ebenso wie die hypothetische Grundnorm der Normenpyramide war die Staatspersönlichkeit nicht gesetzt, sondern vorausgesetzt.28 Wie der Begriff der Rechtsperson überhaupt, war die Persönlichkeit des Staates ein künstlicher Denkbehelf, den der Jurist nach Belieben anwenden oder nicht anwenden konnte. 29 Völlig unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Rechtsordnung war die Lehre der Rechtspersönlichkeit durch Kelsen daher als erkenntnistheoretische Hypothese bzw. als der „geometrische Punkt, auf den alle Rechtssätze bezogen werden" 30 zum inhaltslosen Instrument reiner Rechtslogik herabgesunken. Mit Kelsen ist daher, um ein Wort Urbascheks zu benutzen, „bereits die Peripetie der Theoriegeschichte der juristischen Person ... erreicht." 31 Aus der Persönlichkeit des Staates ließen sich keine Erkenntnisse über die Qualität der Rechtsbeziehungen innerhalb des staatlichen Verbandes mehr ableiten. Die von Albrecht mit weitreichenden Folgen für die Stellung von Monarch, Volksvertretung und Volk begründete Lehre der Staatsperson war damit ihrer Erkenntniskraft beraubt. Die Reine Rechtslehre als rein normative, die Realität soziologischer Herrschaftsbeziehungen ignorierende Wissenschaft ermöglichte es vielmehr, grundsätzlich jede noch so barbarische Herrschaftsorganisation als Rechtsordnung, ja sogar als Rechts-Staat zu legitimieren und insofern mit der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates zu verbinden. 32 Trotz aller Kritik, die Kelsen an Jellinek und seiner Staatslehre übte, musste er daher eingestehen: „In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre, die den Staat als einen ,Ζwangsapparat', als eine ,Herrschaftsorganisation' bezeichnet, wird die staatliche Ordnung von dem hier vertretenen Standpunkt aus als Zwangsordnung begriffen. Nur daß es nicht die Faktizität des Zwanges ist, die als Begriffsmerkmal akzep28

Kelsen, Souveränität, S. 98, Anm. 1. Kelsen, Staatsbegriff, S. 205 f.; ders., Souveränität, S. 292: Die Entscheidung über die Aufstellung der Staatspersönlichkeit liege daher nicht beim Gesetzgeber, sondern im Ermessen des Juristen. 30 Kelsen, Staatsunrecht, S. 13. 29

31 Urbaschek S. 75. Von Heller, Staatslehre, S. 198 wird Kelsens Rechtslehre daher als „Staatslehre ohne Staat" charakterisiert. 32 Vgl. Volkmann, JuS 96, S. 1058 ff. (1062), der die Fixierung der Reinen Rechtslehre auf die reine Normlogik als Reaktion der positivistischen Rechtswissenschaft auf die mangelnde Konsensfähigkeit der Weimarer Gesellschaft zurückführt. Diese an Kelsens Rechtslehre oft geübte Kritik wird der Reinen Rechtslehre als Theorie des Rechtspositivismus aber nur gerecht, wenn man zugleich anerkennt, dass Kelsen, Rechtslehre, S. 357 ff. dem „wertblinden" Rechtspositivismus die Rechtsphilosophie als eigene Wissenschaftskategorie beiordnete, deren Aufgabe in der Ermittlung des richtigen, gerechten Inhalts der Rechtsnormen bestand.

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

tiert wird, vielmehr erscheint hier der Zwang ... als Inhalt der Sollordnung, als Norm-Inhalt." 33 2. Staatslehren der Nachfolger Kelsens: Die „Wiener Schule"

Kelsens normative Methode und sein Streben nach reiner Rechtlichkeit hat zwar starken Einfluss auf die deutsche Staatsrechtslehre ausgeübt, wurde jedoch in ihrer ganzen Konsequenz nur fortgeführt durch die eigentlichen Anhänger der Reinen Rechtslehre, der sogenannten „Wiener Schule." 34 a) Die zentrale Position, die der Begriff der Rechtspersönlichkeit des Staates durch Kelsen erhielt, wurde von seinen Schülern jedoch zunehmend relativiert. Wie Alfred Verdross (1890-1980), der den einzelnen Staat innerhalb des universellen Völkerrechts nur als bloße Teilordnung ansah35, entthronte Adolf Merkl 36 (1890-1970) den Staat aus seiner unableitbaren Stellung als Personifikation der Gesamtrechtsordnung, indem er ihn als zentrale Teilordnung den Selbstverwaltungskörperschaften gegenüberstellte.37 Im Kern war damit die Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung bereits aufgegeben. 38 b) Allein Fritz Sander (1889-1939) führte Kelsens Staatspersönlichkeitslehre fort, indem er dem Staatsbegriff als „systematische Einheit aller Rechtswissenschaft" transzendentale Bedeutung zuwies.39 Wie die Energie in den Naturwissenschaften sah Sander im Staat die Substanz des Rechts, die sich als immanente, in allen Rechtstatbeständen repräsentierte Einheit offenbarte. Diese Überhöhung des Staates ging jedoch einher mit einer Relativierung der eigentlichen Bedeutung, die Kelsen der juristischen Persönlichkeit des Staates als Subjekt allen Rechts zumaß. Die Rechtspersönlichkeit des Staates habe nach Sanders Ansicht jeden Sinn und alle Bedeutung verloren, da der Staat als das absolut rechtskräftige souveräne Rechtswesen nicht neben die von der Rechtsordnung anerkannten Subjekte gestellt werden könne 4 0 Vielmehr sei der Staatswille als „Idee der höchsten Rechtsweis33 Kelsen, Staatsbegriff, S. 82. 34 Häfelin S. 199 f. 35 Verdross S. 110 f. Die Relativierung der unableitbaren Stellung der Staatspersönlichkeit durch das Völkerrecht war schon bei Kelsen, Rechtslehre, S. 338 angedeutet, vgl. oben Fn. 26. 36 Zu ihm NDB 17, S. 157. 37 Merkl S. 304. Merkl S. 291 ff. unterschied insgesamt drei konzentrisch ineinander gelagerte Staatsbegriffe: 1. Als weitesten Begriff: Den Staat als Inbegriff der Organe, die der Verwirklichung der Rechtsordnung dienen, 2. Als engeren Staatsbegriff: Die durch zentrale Kostenaufbringung gekennzeichnete Organisation des Behördenapparates und 3. Als engsten und juristischen Staatsbegriff: Die den Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber stehende Teilorganisation des engeren zweiten Staatsbegriffs. 38 Zur Staatslehre des ebenfalls der „Wiener-Schule" zuzurechnenden Walter (1888-1955) siehe unten Fn. 61. 39 Sander, Staat, S. 103. 40 Sander, Staat, S. 179 ff.

Henrich

I. Gleichsetzung der Staatsperson mit der Rechtsordnung

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heit" als einziger, weiser und allmächtiger Urheber der Rechtsordnung anzusehen. 41 Damit aber führte Sander die Reine Rechtslehre zurück zu der von Kelsen so kritisierten Vorstellung vom Staat als Schöpfer der Rechtsordnung und knüpfte offenkundig an die Philosophie Schellings und Hegels an, die im Staat die Offenbarung des objektiv Vernünftigen erkannten 4 2 Der Anspruch der Reinen Rechtslehre, als rein normative Wissenschaft sich jeder metaphysischen Betrachtung zu enthalten, war damit aber offensichtlich aufgegeben. In seinen späteren Werken lehnte Sander dann auch die Vorstellung einer Rechtspersönlichkeit des Staates ausdrücklich ab und wollte nur Individuen als Subjekte des Rechts anerkennen. In Anknüpfung an die älteren Herrschertheorien und offensichtlich beeinflusst von der nationalsozialistischen Staatsidee43 charakterisierte er den Staat als einen besonderen Status oder Beziehungszustand, der nur durch die allgemeine Staatslehre, nicht aber durch die Staatsrechtslehre erfasst werden könne.44 Die von der herrschenden Lehre der Staatsperson zugerechneten Akte oder Rechte führte er daher auf Handlungen und Rechte der im Staat herrschenden Individuen zurück. 45

3. Die Lehre von der Rechtssouveränität

Unabhängig von Kelsen und der „Wiener Schule" entwickelte auch der Niederländer Hugo Krabbe (1857-1936) mit der Lehre der Rechtssouveränität eine Staatskonstruktion, die den Staat allein über die Rechtsordnung definierte. Für Krabbe leitete sich im modernen Staat alle Gewalt und Autorität ausschließlich von der souveränen Rechtsordnung ab 4 6 Wie jede Rechtsperson erhalte auch der Staat seine Rechte ausschließlich von der übergeordneten objektiven Rechtsordnung und werde insofern erst durch die Anerkennung als Rechtssubjekt als „Rechtswert" gewürdigt. Die herkömmliche Vorstellung des Staates als Schöpfer der Rechtsordnung bedeute aber die Annahme eines ursprünglichen „Rechtsmehrwertes" der Staatsperson und sei daher undenkbar 4 7 Die Subordination des Staates als Rechtsperson und die Erfassung seiner Beziehung „zu den Bürgern als Rechts«» Sander, Staat, S. 112. « Siehe oben 1. Kapitel II. 3., sowie Häfelin S. 208 Fn. 334. 43 Siehe oben 4. Kapitel II. 2. und unten 7. Kapitel II. 44 Sander, Staatssubjekt, S. 363 ff. (368 ff.); ders., Staatslehre, S. 185 f. Wegen der verwirrenden Vermengung von Staat und Recht und der „Privatisierung des Staatlichen" verwarf Sander, Staatssubjekt, S. 363 ff. (375) das Persönlichkeitsdogma der herrschenden Lehre als Ausdruck einer veralteten liberal-demokratischen Staatsideologie. 45 Sander, Staatssubjekt, S. 363 ff. (367 und 383); ders., Staatslehre, S. 242 ff. 46

Krabbe S. 35 ff. Die objektive Souveränität der Rechtsordnung sollte nach Krabbe S. 47 ff. als unpersönliche Gewalt das persönliche Befehlsrecht des Herrschers ersetzen. Eine dem Recht übergeordnete Persönlichkeit des Staates lehnte er daher als Fortsetzung der persönlichen Gewalt des Herrschers unter dem Namen des Staates ab. 47 Krabbe S. 106 ff. Allerdings bezeichnete auch Krabbe S. 245 das Recht widersprüchlich als Willen der Staatsperson.

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

Verhältnis" waren für Krabbe insoweit die notwendigen Voraussetzung, um die „Idee des Rechtsstaates ... zur vollsten Entfaltung" zu bringen. 48

II. Die juristische Persönlichkeit des Staates als Rechtskonstruktion Anders als Kelsen und seine Schule sah der überwiegende Teil der Weimarer Staatsrechtslehre in Jellineks Lehre der juristischen Persönlichkeit des Staates nicht eine apriorische Grundvoraussetzung des Staatsrechts, sondern viel nüchterner eine bloß nützliche Abstraktion oder Fiktion 49 bzw. ein juristisches Hilfsmittel zur rechtlichen Konstruktion eines komplizierten Tatbestandes. Im Gegensatz zu Kelsen erkannten die Vertreter dieser herrschenden Richtung den Staat als reale soziale Erscheinung an und legten daher ihren Staatsrechtssystemen Jellineks Unterscheidung zwischen dem sozialen und dem juristischen Staatsbegriff zugrunde. Unterschiedlich bestimmt wurde dabei aber die Reichweite des juristischen Staatsbegriffs. 1. Die Rechtspersönlichkeit als juristische Konstruktion des Gesamtstaates

Während der Großteil der Weimarer Staatsrechtslehrer Jellineks Staatspersönlichkeitslehre unreflektiert als unbezweifelbares Dogma der Staatsrechtswissenschaft zugrunde legte 50 , sahen einige in der Lehre vom Staat als juristische Person nur eine vereinfachende, aber für die Dogmatik des Staatsrechts notwendige Konstruktion, um den Staat als Ganzes juristisch zu erfassen. a) In diesem Sinne vertrat zunächst Gerhard Anschütz 51 (1867-1948) eine ganz dem Jellinek'schen Dogma nachgebildete Persönlichkeitstheorie. Er sah im Staat eine begriffliche Abstraktion, durch die die in ihm verbundenen Glieder zu einer höheren Einheit verbunden und einer Herrschaft unterworfen werden. Rechtlicher Ausdruck dieser Einheit sei die juristische Persönlichkeit des Staates.52 Alle 48 Krabbe S. 196. 49 Zur Differenzierung der herrschenden Persönlichkeitslehre in die sich angeblich gegenüberstehenden Fiktions- und Abstraktionstheorien siehe bereits oben 5. Kapitel Fn. 9. 50

Zu dieser Gruppe, die die juristische Persönlichkeit im Sinne Jellineks als Abstraktion zur konstruktiven Erfassung des komplexen staatlichen Normensystems erkannte, gehören Friedrich Giese (1882-1958), Deutsches Staatsrecht, S. 3 ff. und 25 ff.; Julius Hatschek (1872- 1926), Deutsches und Preussisches Staatsrecht, S. 4ff.; Walter Jellinek (1885-1955), Verwaltungsrecht I, S. 187ff. und 203ff.; Otto Koellreutter (1883-1972), Staat, S. 582ff. (588); Gustav Seidler (1858-1933), Grundzüge des allgemeinen Staatsrechts, S. 51 ff. (55), der den Staat als Rechts- und Hoheitssubjekt ,sui generis4 dem Recht voranstellte; Fritz StierSomlo (1873-1932), Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, S. 43 ff. und Ludwig Waldecker, Allgemeine Staatslehre, S. 263 ff. (306f.). si Zur Biographie vgl. NDB 1, S. 307 und Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 337 ff. « Meyer/Anschütz S. 13 f.

II. Juristische Persönlichkeit des Staates als Rechtskonstruktion

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Herrschaftsrechte standen nach Anschütz daher dem Staat als öffentlich-rechtlichem Rechtssubjekt zu, doch sei dieser als Abstraktum nur durch natürliche Personen handlungsfähig, die als Organe des Staates den Staatswillen zum Ausdruck bringen. 53 Subjekt der Staatsgewalt sei insofern der Staat als Rechtssubjekt selbst, während Träger der Staatsgewalt das oberste Staatsorgan sei. 54 b) Richard Thoma 55 (1874-1957) sah unter Bezugnahme auf Loening 56 in der Rechtsordnung an sich nur ein verwickeltes System von privat- und öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnissen, während er im Gegensatz zu Kelsen dem Staat als Herrschaftsverband Realität zuschrieb. Doch sei es Aufgabe der Rechtswissenschaft, eine juristische Konstruktion abzuleiten, nach der die Rechtssätze, die sich auf die staatliche Herrschaftsordnung beziehen, als gedankliche Einheit geordnet und unter einen Rechtsbegriff subsumiert werden können.57 Insofern müsse der Staat juristisch als Körperschaft des in ihm zusammengeschlossenen Volkes definiert werden. Diese Definition ermögliche, alle öffentlich-rechtlichen Befugnisse als Organkompetenzen einheitlich zu bündeln, so dass „Gesetze, Urteile, Verwaltungsakte ... als Funktionen des Staates und als Ausflüsse eines konstruktiv erdachten ,Willens' der Staatsperson" erscheinen können.58

2. Personifizierung der Staatsorgane durch die Rechtspersönlichkeit des Staates

Daneben gab es aber auch eine Gruppe von Autoren, die in der juristischen Persönlichkeit des Staates ein von den Gestaltungen des positiven Rechts abhängiges Rechtsinstitut sahen, während die reale Erscheinung des Staates als Voraussetzung der Rechtsordnung von seiner Rechtspersönlichkeit geschieden wurde. Der umfassende, nach Jellinek den Staat insgesamt definierende Begriff der Staatspersönlichkeit wurde insofern terminologisch eingeschränkt und enger gefasst. a) Die Grundlage für diese Unterscheidung lieferte Felix Somló (1873-1932) mit der Lehre von den Rechtsvoraussetzungs- und Rechtsinhaltsbegriffen. Während Rechtsvoraussetzungsbegriffe allgemeine Gültigkeit besaßen, da sie Umstände umschrieben, die das Recht denknotwendig voraussetzt, ergaben sich Rechts53 Bei Anschütz wurde auch das Parlament als primäres Organ des Staates gedeutet, so dass das Volk juristisch in Staat und Staatsrecht vollkommen negiert wurde, vgl. Meyer/Anschütz S. 269 Fn. 1 und S. 330. 54 Meyer/Anschütz S. 19 Fn. 6a. Anschütz übernahm insofern nicht Jellineks Differenzierung zwischen Kompetenz des Organs und den Rechten der Organträger, sondern knüpfte an Labands Unterscheidung zwischen Subjekt und Träger staatlicher Rechte an. Vgl. oben 4. Kapitel Fn. 108 und 5. Kapitel III. 55 Zu ihm vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 339. 56 Siehe oben 4. Kapitel II. 2. b). 57 Thoma, Staat, S. 724 ff. (747); ders., Demokratie, S. 48. 58 Thoma, Staat, S. 724 ff. (749).

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inhaltsbegriffe nach Somló immer nur aus dem Inhalt der jeweiligen Rechtsordnung. 59 Auf der Grundlage dieser Terminologie sah er allein in der sozialen Erscheinung des Staates, Jellineks sozialem Staatsbegriff 60, die Grundlage für den Geltungsanspruch der von der sozialen Gruppe ausgehenden Rechtsordnung und insofern einen Rechtsvoraussetzungsbegriff. „Was unter dem Ausdruck Staat im betreffenden Recht zu verstehen ist", sei dagegen abhängig von dem Rechtsinhaltsbegriff des Staates, der sich aus den positiven Rechtsnormen ableite.61 Insofern war nach Somló die Rechtssubjektivität des Staates und die Willens- und Handlungszurechnung von Organen auf den Staat nur dann gegeben, wenn das positive Recht der jeweiligen Rechtsordnung dies statuierte. 62 b) Auch Max Wenzel (1882-1967) differenzierte zwischen der realen Staatsgemeinschaft als Begriffselement der Rechtsordnung und der Staatsperson, die als „Rechtsinhaltsbegriff' 63 durch die Rechtsordnung errichtet werden konnte, aber nicht mußte.64 Diese Staatspersönlichkeit wurde von Wenzel mit der Staatsorganisation identifiziert. 65 Indem er aber die Ansicht vertrat, die Persönlichkeit des Staates bewirke, dass sich das Recht als Willen der Staatsperson deklariere und der Gesetzgeber sich selbst „zu einem Organ seines Geschöpfes, der Staatsperson" mache66, gelangte die Rechtspersönlichkeit des Staates doch wieder zu zentraler Stellung. Staatsgewalt, Verfassungs- und Gesetzgebung wurden als Ausdruck des obersten Willens der Staatsperson gedeutet, so dass der realen Staatsgemeinschaft als Grundlage der Rechtsordnung an sich keine Bedeutung mehr zukommen konnte.67 c) Als bedeutenster Vertreter dieser Richtung kann Hans Julius Wolff ( 18981976) gelten. Mit seiner zweibändigen Habilitationsschrift „Organschaft und Ju59 Somló S. 26 ff. Rechtsvoraussetzungsbegriffe könne die Rechtswissenschaft nach Somló nur systematisch klären, während Rechtsinhaltsbegriffe durch die Jurisprudenz auch inhaltlich bestimmt werden können. 60 Siehe oben 5. Kapitel I. 1.

61 Somló S. 267. Auf der Grundlage der Differenzierung zwischen Rechtsvoraussetzungsund Rechtsinhaltsbegriffen lehnte daher der Kelsen-Schüler Walter Henrich (1888-1955) die Gleichsetzung des Staates mit der Rechtsordnung ab und betonte, dass die Frage der rechtlichen Persönlichkeit des Staates als Rechtsinhaltsbegriff grundsätzlich erst durch die konkrete Rechtsordnung statuiert werde, vgl. Henrich S. 24. 62 Somló S. 278. Somló S. 277 bemerkte, man könne „aus der Persönlichkeit des Staates nicht um ein Jota mehr herauslesen, als durch die Normen, auf die dieser Begriff zurückdeutet, in sie hineingelegt worden ist." 63 Zu der von Felix Somló entwickelten Differenzierung zwischen Rechtsvoraussetzungsund Rechtsinhaltsbegriffen siehe oben Fn. 59. 64 WenzelS. 198 ff. 65 WenzelS. 265. 66 Wenzel S. 221. 67 Wenzel S. 242 ff. Häfelin S. 158 weist daher darauf hin, dass Wenzel in späteren Ausführungen die Begriffe Staatsgemeinschaft und Staatsperson völlig synonym verwendete und insofern seiner eigenen Unterscheidung untreu wurde.

II. Juristische Persönlichkeit des Staates als Rechtskonstruktion

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ristische Person" legte Wolff die rechtstheoretischen und dogmatisch-konstruktiven Grundlagen des heutigen innerstaatlichen Organisationsrechts. 68 Als zentraler Bezugspunkt seines organisationsrechtlichen Begriffssystems diente ihm dabei die juristische Persönlichkeit des Staates. In Anlehnung an Wenzel ging Wolff dabei von der grundlegenden begrifflichen Unterscheidung zwischen „Staat" und der „Staatspersönlichkeit" aus 6 9 Sehe man, so Wolff, wie Kelsen die gesamte Rechtsordnung durch den Staat personifiziert, würde die Subjektivität des Staates bloße Normgemäßheit bedeuten, ohne dass der Staat als Rechtssubjekt von seinen Mitgliedern und Organwaltern inhaltlich abgegrenzt werde. Als „Staat" sei die gesamte Rechtsordnung vielmehr nur Ausdruck der von einer Ursprungsnorm abgeleiteten verfassungsgebenden Gewalt. Um als Rechtssubjekt den Bürgern entgegentreten zu können, dürfe demgegenüber durch die „Staatsperson" nur eine Teilrechtsordnung personifiziert werden, die „unter" der allgemeinen Rechtsordnung stehe. Nur die Normen der Staatsorganisation, welche das Verhalten der unmittelbaren und mittelbaren Organwalter nicht dem real handelnden Individuum, sondern einem gedanklichen Bezugsendpunkt zurechnen, wurden nach Wolff daher durch die juristische Persönlichkeit des Staates personifiziert. Der Staat mache „sich nach innen insofern selbst zur Person. Dies aber nicht als Person, sondern kraft der verfassungsgebenden Gewalt, auf der sowohl die organisatorischen, wie diejenigen Normen beruhen, welche die Personifikation der Organisation gestatten." 70 Die Personifikation der Gesamtheit der Staatsorgane sei daher nur die durch gewisse Norminhalte gerechtfertigte rechtstechnische Fiktion, um eine eigene Interessen-, Willens- und Handlungsfähigkeit des Staates zu konstruieren. 71 Im Gegensatz zum bisherigen Dogma der Staatspersönlichkeit stärkte Wolff aber die rechtliche Stellung der Staatsorgane, indem er durch die Differenzierung zwischen Eigenzuständigkeiten und Wahrnehmungszuständigkeiten den Staatsorganen den Charakter eines eigenständigen Rechtssubjekts zuwies. Als rechtstechnischer Zurechnungsendpunkt sei die Staatsperson zwar Subjekt aller staatlichen Rechte und Pflichten, die Organe seien aber insofern eigenständige Rechtssubjekte, als ihnen die Rechte und Pflichten der juristischen Person des Staates als eigene Wahrnehmungszuständigkeit zukamen und sie insofern Teilrechtsfähigkeit besaßen.72 Anknüpfend an Jellinek stellte schließlich auch Wolff den Organen als institution ™ So Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (269 f.). Wolff, Band I, S. 437 f. 70 Wolff, Band I, S. 431 ff. 71 Wolff, Band I, 435 f. Gegenüber der Staatsperson als rechtskonstruktiven Einheitsausdruck der Organisationsnormen sei der „Staat" nach Wolff, a. a. Ο., S 442 einerseits mehr, andererseits aber auch weniger. „Er ist weniger, insofern er in keinem Betracht Subjekt und Person ist; er ist mehr, als in ihm alle von der »verfassungsgebenden Gewalt4 abgeleiteten Normen begriffen werden, die allgemeine Rechtsordnung sowohl wie die personifizierte Organisation." 72 Wolff, Band II, S. 263 ff.; Genauer ausgeführt später bei Wolff, VerwR II, § 74 I 0 1. 7) und Wolff/ Bachof VerwR II, § 74 I 0 8. 7). Dazu kritisch Stettner S. 66 ff.

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nalisierten Zuständigkeitssubjekten natürliche Personen entgegen, die als sogenannte Organwalter die Kompetenzen und Befugnisse der Organe wahrzunehmen hatten. Wolff analysierte dabei als erster das rechtliche Beziehungsverhältnis zwischen Organ und Organwalter und begründete so die Lehre von den Innenrechtsverhältnissen. 73 Anders als Jellinek 74 lehnte Wolff es jedoch ab, die Staatsgewalt als reale, physisch bisweilen spürbare Gewalt und Zwangsmacht der nur juristisch konstruierten Staatspersönlichkeit zuzuschreiben. Als reales Faktum beruhe die Staatsgewalt vielmehr immer nur auf der Macht von Menschen. Einerseits nämlich auf der physischen Macht der Exekutivbeamten, andererseits auf der politischen Macht der hinter diesen stehenden Entscheidungsträger. Diese reale Macht werde zwar erst durch die Legalität, d. h. die formelle Übereinstimmung mit der Verfassung 75, zu einer Zuständigkeit, die im Namen des Staates ausgeübt werde. Die Staatspersönlichkeit sei aber stets nur eine juristische Vereinfachung und ein Denkmodell. Die reale Staatsgewalt stehe in letzter Trägerschaft daher immer den Menschen zu, denen die verfassungsgebende Gewalt zukomme, also in der Monarchie dem Monarchen und in der Demokratie dem Volk 7 6 Als bloß rechtstechnische Konstruktion oder Vereinfachung für die Zuständigkeitsordnung der Staatsorgane trat der Begriff der Staatsperson bei Wolff mithin gegenüber der Stellung des realen Verfassungsgebers und der Staatsorgane zurück. Andererseits wurde die rechtliche Konstruktion des Staates als juristische Person durch die Anerkennung der Staatsorgane als (Teil-)Rechtssubjekte und die Zuordnung der Staatsgewalt zu den individuellen Organträgern ihrer zentralistischen und eindeutigen Struktur beraubt. 77 73 Wolff, Band II, S. 224 ff. Näher dazu Wolff f Bachof, VerwR II, § 73 III c); kritisch zur Unterscheidung zwischen Außen- und Innenrecht, Rupp S. 19 ff., vgl. auch oben 8. Kapitel II 3. c). 74 Siehe oben 5. Kapitel Fn. 21. 75 Da die Legaliät der Ausübung von Staatsgewalt sich nach Wolff in der formellen Übereinstimmung mit den Verfassungsnormen erschöpfte, führte er die reale Macht auf diejenigen zurück, welche über die Verfassung als „politischen status" befinden. Diese Machthaber, meinte Wolff, Band I, S. 445 f., „können die obersten Organwalter selber, es können aber auch andere Menschen sein; und ihre Macht kann wieder rückbezüglich auf die des Exekutivapparates oder die anderer Menschen oder überwiegend auf psychische Motivationen (Beeinflussung der öffentlichen Meinung, Ideologien usw. gestützt sein. Regelrecht finden sich diese Machtgrundlagen verknüpft ... Die Legalität besagt ja nur die Gesetzmäßigkeit der Machtübung und läßt die faktische Möglichkeit illegaler Macht im Staate in jeder Weise offen.) Nicht einmal die Einflußnahme illegaler Mächte auf die Staatsorgane und damit die Umwandlung illegaler in legale Macht ist ausgeschlossen, weil und soweit die Legalität zur Machtübung von der Legalität (und Legitimität) ihres Zwecks unabhängig ist." Diese Weihnachten 1932, also wenige Wochen vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, erschienenen Zeilen belegen, wie sehr der Positivismus den Rechtswert aus der rechtswissenschaftlichen Betrachtung genommen und den Juristen insofern blind und machtlos gegenüber allen das Gerechtigkeits- und Menschenrechtsideal verachtenden Maßnahmen machte.

76 Wolff,

Band I, S. 447 f.

II. Juristische Persönlichkeit des Staates als Rechtskonstruktion

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3. Der Staat als Rechtsordnungssubjekt

Das Verhältnis der sozialen Erscheinung des Staates und der juristischen Persönlichkeit des Staates zur Rechtsordnung versuchte schließlich eine weitere Gruppe von Staatsrechtslehrern durch die Bezeichnung des Staates als „Rechtsordnungssubjekt" 78 zu klären. a) Der Strafrechtslehrer Ernst von Beling 19 ( 1866 -1932) sah in jedem menschlichen Verband ein sogenanntes Rechtsordnungssubjekt, da ihm die jeweilige normative Ordnung des Verbandes zugerechnet werde. 80 Auch der Staat sei als Autor der innerstaatlichen Rechtsordnung grundsätzlich Rechtsordnungssubjekt, so dass ihm ein „logisches prius vor" der Rechtsordnung zukomme.81 Erst durch seine Rechtsordnung, meinte Beling, könne sich der Staat als Rechtssubjekt kreieren und sich so Rechtspflichten gegenüber anderen Rechtssubjekten auferlegen. 82 b) Fortgeführt wurde diese Lehre von Hans Nawiasky (1880-1961). Ausgehend von der Tatsache, dass der Staat gleichzeitig der Rechtsordnung über- und untergeordnet ist, sah Nawiasky in der Rechtsordnung ein von der sozialen Realität der menschlichen Staatsgemeinschaft erschaffenes und abhängiges Normensystem. Insofern sei die soziale Realität des Staates als Träger der Rechtsordnung als Rechtsordnungssubjekt anzusehen, während der Staat als Inbegriff der staatlichen Organe innerhalb der Rechtsordnung als ein von der Rechtsordnung erschaffenes Subjekt erscheine. 83 Dem staatlichen Rechtsordnungssubjekt maß Nawiasky aber nur bis zur Errichtung einer ersten Rechtsordnung außerrechtlichen sozialen Charakter zu. Denn die neue Rechtsordnung enthalte „regelmäßig Bestimmungen darüber, in welcher Weise nunmehr in der betreffenden Rechtsgemeinschaft Rechtsnormen geschaffen werden können." 84 Die Fortbildung des Rechts sei deshalb an rechtliche Formen gebunden, so dass in dieser Phase auch der Staat als Rechtsordnungssubjekt rechtlich gebunden sei. In seiner Eigenschaft als Rechtsordnungs77 Dazu auch die umfassende Kritik bei Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (272 ff.) und unten 8. Kapitel II. 3. d). 78 Beling, Rechtsordnungssubjekt, S. 56 ff. (70); Petraschek S. 143, Anm. 2 und S. 228; Nawiasky, Rechtslehre, S. 16. 79 Biographische Daten bei NDB 2, S. 28. so Beling, Rechtsordnungssubjekt, S. 56 ff. (59 und 68). 81 Beling, Rechtsordnungssubjekt, S. 56 ff. (70). 82 Beling, Rechtsordnungssubjekt, S. 56 ff. (72). Beling betonte jedoch, dass nicht notwendig in jeder Rechtsordnung der Staat als Rechtssubjekt erscheinen müsse. Die Stellung des Staates als Rechtsordnungssubjekt wurde dagegen als Voraussetzung jeder Rechtsordnung betont, a. a. O., S. 56 ff. (70). 83 Nawiasky, Staatslehre, S. 49 f.; ders., Rechtslehre, S. 14 f. Zu Nawiaskys Staatsbegriff auch Badura, Methoden, S. 216 ff. 84 Nawiasky, Staatslehre, S. 50. Nawiasky, a. a. O., S. 51 f. wies aber darauf hin, dass das staatliche Rechtordnungssubjekt auch in der ersten Phase der Rechtserzeugung als Rechtsvoraussetzungsbegriff in einer Beziehung zum Recht stehe und daher Rechtsbegriff sei.

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Subjekt personifiziere der Staat daher die Organe der Rechtssetzung, wohingegen der Staat als Rechtssubjekt die Rechtsvollziehungsorgane als personelle Einheit umfasse. 85 Trotz dieser doppelten Verkörperung der staatlichen Organisation versuchte Nawiasky den Staat als juristische Person „von Rechts wegen als eine Einheit zu betrachten ohne zu unterscheiden, ob es sich um die Organe und die Funktionen der Rechtsetzung oder um die Organe und die Funktionen des Rechtsvollzugs handelt", indem er für den Staat als Rechtserscheinung den Begriff des Rechtssubjekts im weiteren Sinne verwendete. 86 Trotzdem ging jedoch durch die duale Personifikation der staatlichen Organe der eigentliche Anspruch der Persönlichkeitslehre, die Einheit des Staates durch eine zentrale Zurechnung rechtlich darzustellen und damit der Geltungsgrund dieser Rechtskonstruktion verloren.

4. Zusammenfassende Bewertung der Staatspersönlichkeitstheorie in der Weimarer Staatslehre

Zusammenfassend läßt sich daher bemerken, dass Jellineks Persönlichkeitstheorie zwar vom überwiegenden Teil der Weimarer Staatsrechtslehre übernommen und fortgeführt wurde, aber abgesehen von der Grundaussage der juristischen Persönlichkeit des Staates durch zahlreiche Differenzierungen und Einschränkungen derart relativiert und diffizil wurde, dass der Erkenntnis wert des Dogmas für die Rechtswissenschaft in Frage gestellt war. Abgesehen von Wolff richteten die meisten Autoren, die sich eingehender mit der Rechtspersönlichkeit des Staates auseinandersetzten, den Schwerpunkt ihrer Betrachtung auf die mehr rechtsphilosophische als rechtsdogmatische Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Recht und gelangten so zu Aussagen von philosophischer Allgemeinheit, die zwar für die Allgemeine Staatslehre, nicht jedoch für die dem positiven Recht verpflichtete Staatsrechtslehre von Bedeutung und Erkenntniskraft waren. Die juristische Persönlichkeit des Staates hatte insoweit den Charakter eines Zentralbegriffs innerhalb des Staatsrechtssystems eingebüßt.87

85 Nawiasky, Staatslehre, S. 54. Jellineks Selbstverpflichtungslehre konkretisierte Nawiasky, a. a. O., S. 55 insofern als die Verpflichtung des staatlichen Rechtssubjekts (verstanden als Exekutive und Judikative) durch die Legislative in ihrer Funktion als Rechtsordnungssubjekt. 86 Nawiasky, Staatslehre, S. 54 f. Die Verkörperung der staatlichen Organisation, mit der Nawiasky, a. a. O., S. 49 die Bedeutung des Staates als Rechtssubjekt innerhalb der Rechtsordnung charakterisierte, bezog sich insofern wohl auf den Begriff des Rechtssubjekts im weitesten Sinne, während sich die Aussage ebd., der Staat sei mit seiner Rechtsordnung identisch, auf die soziale Realität des Staates bezog. Anders aber Häfelin S. 164 Fn. 260. 8 7 So auch Häfelin S. 164 f.

III. Geisteswissenschaftliche Richtung der Weimarer Staatsrechtslehre

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I I I . Die geisteswissenschaftliche Richtung der Weimarer Staatsrechtslehre Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in der Staatsrechtslehre Versuche unternommen wurden, das Beziehungsverhältnis innerhalb der staatlichen Verfassungsordnung durch einen völlig anderen Ausgangspunkt zu erfassen und der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates daher nur eine marginale Rolle bei der Erfassung der staatsrechtlichen Strukturen zukommen zu lassen.

1. Die Integrationslehre Rudolf Smends

Rudolf Smend** (1882-1975) sah in der streng rechtspositivistischen Methode, die die Staatsrechtslehre seit Gerber prägte und die in der Reinen Rechtslehre Kelsens kulminierte, den Grund für die „Krise der Staatslehre". 89 Anstelle der statischen, auf die reine Logik der Begriffe aufbauenden Betrachtung des Staates müsse eine geisteswissenschaftliche, juristische und soziologische Gesichtspunkte verschmelzende Methode zur Erfassung staatlicher Strukturen herangezogen werden. Der Staat könne nicht als statisches Gebilde erfasst werden, sondern allein über die Wechselwirkungen zwischen Individuum und der Gemeinschaft. Für Smend ist der Staat kein „ruhendes Ganzes, das einzelne Lebensäußerungen, Gesetze, diplomatische Akte, Urteile, Verwaltungshandlungen von sich ausgehen läßt. Sondern er ist überhaupt nur vorhanden in diesen einzelnen Lebensäußerungen ... und den noch wichtigeren Erneuerungen und Fortbildungen ... ; er lebt, ... von einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt." 90 Diese Integration war für Smend daher der Angelpunkt des Staatlichen im Bereich der Wirklichkeit, von dem Staatslehre und Staatsrechtslehre auszugehen hatten. Die soziale Erscheinung des Staates charakterisierte Smend demzufolge als das Ergebnis der persönlichen Integration der Einzelnen in die Gemeinschaft und der Reintegration der sozialen Einheit gegenüber den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft: „Der Staat ist nur, weil und sofern er sich dauernd integriert, in und aus dem einzelnen aufbaut - dieser dauernde Vorgang ist sein Wesen als geistig-soziale Wirklichkeit." 91 Als normative Ordnung dieses dynamisches Prozesses galt ihm die Verfassung, jedoch nicht im Sinne eines vorgegebenen Statuts, sondern als auf88

Rudolf Smend wurde am 15. Januar 1882 in Basel geboren; bekleidete Lehrstühle für Staats- und Kirchenrecht in Greifswald, Tübingen, Bonn, Berlin und von 1935 bis 1950 in Göttingen. Die von ihm begründete Lehre vom Staat als Integration trug wesentlich zur Überwindung des staatsrechtlichen Positivismus bei. Er starb am 5. Juli 1975 in Göttingen. Zu Smend und seiner Staatslehre vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 353 ff.; Korioth, Integration und Bundesstaat sowie Rennert S. 214ff.; Stettner S. 104 und Stolleis; Band III, S. 174 f. 8 9 Smend, Verfassung, S. 2. 90 Smend, Verfassung, S. 18. 91 Smend, Verfassung, S. 20. 9 Uhlenbrock

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gegebenes Integrationssystem. 92 Wegen dieser dynamischen Erfassung des Staates konnte der Staat nach Smend juristisch nicht als überindividuelle Staatsperson, sondern nur als „Einheitsgefüge der Einzelanteile an dem Gesamterlebnis" 93 umschrieben werden. Um das Einheitsgefüge des Staates juristisch zu konstruieren, behielt aber auch Smend die herkömmliche Terminologie als „Stück juristischer Begriffstechnik" bei, indem er den Staat als organisierten souveränen Willensverband bezeichnete.94 Die Integrationslehre führte jedoch dazu, dass den Staatsorganen neben der Ausübung des Staatswillens auch die ständige Aufgabe zukam, durch Förderung der Integration den Staat als Einheit zu repräsentieren. Das Kabinett sollte daher „das ganze Staatsvolk zur staatlichen Einheit integrieren", und der Monarch sollte „in der eigenen Person Verkörperung und Integration des Volksganzen" sein 9 5 Obwohl die juristische Persönlichkeit des Staates bei Smend insofern zugunsten des dynamischen Integrationsprozesses in den Hintergrund trat, vermochte auch er die souveräne Einheit des Staates juristisch nur als herrschenden, verfassungsmäßig organisierten Willensverband und daher als Rechtssubjekt zu erfassen 9 6 Dabei war Smends Integrationslehre als soziologische Grundlage des Staatsrechtssystems mit Jellineks Staatspersönlichkeitstheorie an sich nicht in Einklang zu bringen. Wenn der einigende und integrierende Zusammenschluss der Einzelnen als Grundlage des Staates verstanden wurde, so konnte die Einheit des Staates juristisch nicht durch die zwingende und willensbeugende Herrschaft der Staatsperson und die Unterwerfung der Individuen konstruiert werden. 97 Zwar definierte Smend Herrschaft als „allgemeinste Form funktioneller Integration" 98 und ver92 Smend, Verfassung, S. 78. Aus dieser Integrationsfunktion der Verfassung leitete Smend, a. a. O., S. 128 ff. das Prinzip der Einheit der Verfassung ab, welches besagt, dass grundsätzlich alle Normen der Verfassung aufeinander Bezug nehmen und insofern eine Abstufung der Verfassungsnormen, wie Carl Schmitt (1888-1985) sie durch seine Differenzierung zwischen Verfassung und Verfassungsgesetz vornahm, ausschied, vgl. unten Fn. 118. 93 Smend, Verfassung, S. 13. 94 Smend, Verfassung, S. 32. Indem Smend, a. a. Ο., S. 57 betonte, der Staat sei realer Willensverband aller seiner Angehörigen und seine Macht manifestiere sich in seiner dauernden Erneuerung „trotz aller Passivität und aller Widerstände Einzelner und ganzer Gruppen, ja überwältigender Mehrheiten", konstruierte er den Staat in Übereinstimmung mit Jellinek doch als herrschenden Willensverband. 9 5 Smend, Verfassung, S. 27 f. 96 So auch Bärsch S. 94; Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 162; Rennert S. 231 und 235 f. jeweils unter Bezugnahme auf die späteren konkreteren Aussagen bei Smend, Staat, Sp. 1105 ff. (1109), wo als „hervorragendste Eigentümlichkeit" des Staates die Eigenschaft hervorgehoben wird, dass er „Träger von Macht" ist. Die machtvolle Erfüllung seiner Aufgaben aber setze „voraus, daß der Staat willens- und handlungsfähig, d. h. daß er organisiert ist. Er ist organisiert durch seine Verfassung, vermöge ihrer herrscht er." 97 Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 160. 98 Smend, Verfassung, S. 42 ff.. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 161 weist darauf hin, dass diese Definition von Herrschaft im Grunde eine persönliche Beziehung bedeutet und damit als persönliche Herrschaft auf die patrimonialen Staatstheorien zurückdeutet, siehe

III. Geisteswissenschaftliche Richtung der Weimarer Staatsrechtslehre

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suchte so, Integration und Herrschaft zu verknüpfen. Er verzichtete jedoch darauf, ausgehend von der individuellen Integration Ableitungen für die juristische Konstruktion des Staates zu entwickeln. Vielmehr stellte Smend die soziologische Integrationslehre, die den Staat als Einheitsgefüge begriff, in ein unklares Nebeneinander zu der herkömmlichen juristischen Konstruktion des Staates, die den Staatsverband als herrschendes Rechtssubjekt definierte. Die Integrationslehre konnte insofern zwar zur Erfassung des politisch-sozialen Prozesses der individuellen Betätigung im Staat beitragen, die rechtliche Konstruktion des Staates vermochte Smends Lehre jedoch wegen ihrer juristisch unspezifischen Aussagen nicht zu reformieren." 2. Die Staatslehre Hermann Hellers

Auch Hermann Heller 100 (1891 -1933), einer der wenigen Befürworter der Weimarer Demokratie innerhalb der deutschen Staatsrechtslehre, kritisierte den formal-juristischen Positivismus der herrschenden Staatsrechtslehre und das Dogma der souveränen Rechtspersönlichkeit des Staates. Ebenso wie Smend versuchte Heller das Staatsrecht nicht allein durch logische Begriffssystematik, sondern durch die geisteswissenschaftliche Methode unter Berücksichtigung politischer und soziologischer Gesichtspunkte als Produkt menschlicher Handlung und bewusster menschlicher Tat zu erfassen. 101 a) Der volonté générale als Subjekt der Souveränität Die individualistische Staatslehre der herrschenden positivistischen Richtung, die dem Staat trotz seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit nur in seinen Organen Realität beimaß und seine Einheit nur in einer denkökonomischen Abstraktion oder Fiktion als juristische Person darzustellen vermochte, war nach Heller nicht oben 1. Kapitel II. 2. Zum autoritären Zug der Integrationslehre Smends siehe auch Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. (164). 99 So auch Höhn, Staatsbegriff, S. 9; Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 163; Robbers, JURA 93, S. 69 ff. (71). Zu Gerhard Leibholz (1901-1982) und seiner auch von Smends Integrationslehre beeinflussten Repräsentationslehre siehe oben 8. Kapitel II. 3. a). 100 Geboren am 17. Juli 1891 in Teschen, studierte Heller bis 1915 in Wien, Graz, Innsbruck und Kiel. 1920 wurde Heller während des Kapp-Putsches wegen politischer Agitation verhaftet. Nach Tätigkeiten in der Volksschulbewegung in Kiel und Leipzig wurde Heller 1932 ordentlicher Professor für öffentliches Recht in Frankfurt am Main. Als Mitglied der SPD trat Heller aktiv für die Weimarer Republik ein, emigrierte aber nach der nationalsozialistischen Machtergreifung nach Spanien, wo er bereits am 5. November 1933 einem Herzanfall erlag. Zu Heller und seiner Staatslehre siehe NDB 8, S. 447; Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 370 ff.; Sattler, Hermann Heller, S. 147 ff.; Stettner S. 111; Stolleis, Band III, S. 183 ff. und Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. »oi Heller, AöR 55 (1929), S. 321 ff. (331). Heller knüpfte insofern bewusst an die Tradition der politischen Staatslehren Dahlmanns und Mohls an, die von der formal-juristischen Methode Gerbers und Labands bekämpft und überwunden wurde, siehe oben 3. Kapitel I . 9*

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

geeignet, die politisch-soziale Realität des Staates juristisch „nachzuweisen als ein wirkliches, einheitliches Aktzentrum innerhalb der Vielheit wirklicher und selbständiger, sei es einzelmenschlicher oder kollektiver Aktzentren." 102 Insbesondere sei es der seit Gerber und Jellinek herrschenden Staatslehre nicht gelungen, den Staat als Subjekt der Souveränität verständlich zu machen, denn die politisch täglich sich manifestierende souveräne Gewalt innerhalb des staatlichen Verbandes könne unmöglich die Macht eines bloßen Abstraktums oder gar einer Fiktion sein. 103 Um der seit Bodin der Staatslehre und Staatsrechtslehre zugrunde liegenden und staatskonstituierenden Theorie einer souveränen Staatsgewalt wieder einen Sinn zu geben, sah Heller die Grundlage jeder Staatsgewalt im Volk begründet. „Immer", so Heller, „wenn von Staatssouveränität die Rede ist, wird der Gedanke der Volkssouveränität irgendwie mitgedacht. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß der Gedanke der Staats- und Volkssouveränität auch einen bloß soziologischen oder sozialethischen, nicht juristischen Gehalt haben kann." Die im Volk fundierte Macht des Staats Verbandes werde stets gewissen Repräsentanten nur zur Verfügung gestellt. Während aber in autokratischen Staaten nur eine sozialethische Bindung des oder der Regierenden durch die Regierten bestehe, sei diese Bindung in der Demokratie eine juristische. 104 Subjekt der Souveränität müsse daher stets das Volk sein, jedoch nicht im Sinne des individualistischen Liberalismus als Summe der Einzelnen, sondern in der reellen Existenz des volonté générale, des Gemeinschaftswillens. 105

b) Der Staat als reales Handlungs- und Wirkungsgefiige Auf dieser Grundlage konnte der Staat nach Heller daher nicht als fingiertes, gleichwohl herrschendes Subjekt dem Volk gegenübergestellt werden, sondern musste als vielheitlich bewirktes, aber einheitlich wirkendes reales menschliches Handlungsgefüge konstruiert werden. 106 Zur beständigen und regelhaften Organisation werde dieses Handlungsgefüge aber erst durch eine objektive Rechts- und Verfassungsordnung, die gewissen Organen als Repräsentanten des Gemeinschafts>02 Heller, Staatslehre, S. 229; ders., Souveränität, S. 59 ff. Heller, AöR 55 (1929), S. 321 ff. (331) hielt neben der anorganischen Staatslehre Jellineks auch die organische Staatstheorie Gierkes für ungeeignet, die Realität des staatlichen Handlungs- und Wirkungsgefüges zu erfassen. 103 Heller, Souveränität, S. 62. Wobei Heller, a. a. O. , S. 60 auf Jellineks Aussage, dass bei einem Staat ohne Organe die Vorstellung des Staates insgesamt verschwinde, Bezug nahm, siehe oben 5. Kapitel Fn. 16. 104 Heller, Souveränität, S. 73 f. unter Berufung auf Hobbes, 6. Kapitel, § 1 und die naturrechtliche Vertragslehre, vgl. oben 1. Kapitel I. 1. a). Sinn der Lehre von Staatssouveränität war nach Heller, a. a. O., S. 73 „historisch und systematisch kein anderer als der einer Antithese gegen die autokratische Fürstensouveränität.44 105 Heller, Souveränität, S. 75. 106 So Heller, AöR 55 (1929), S. 321 ff. (332), wo er zudem betonte, dass der demokratische Staat eine Funktion der Gesellschaft sei.

III. Geisteswissenschaftliche Richtung der Weimarer Staatsrechtslehre

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willens eine auf wirksame Einheitsbildung gerichtete, also gemeinverbindliche Handlungs- und Entscheidungsmacht übertrage. 1 0 7 Unmittelbar organisiert werden konnten nach Heller aber nur Handlungen, nicht dagegen Willensüberzeugungen, so dass er den Staat nur als Handlungs- und Wirkungseinheit, nicht aber als W i l lenseinheit verstanden wissen w o l l t e . 1 0 8 Insofern sei es „unmöglich und überflüssig", den Staat als selbständiges, von den Menschen losgelöstes Wesen und Rechtssubjekt vorzustellen. 1 0 9 Grundlage des Staates und jeder anderen Organisation sei vielmehr der wirksame, wenn auch keineswegs allgemeine Gemeinschaftswille, der eine Willens- und Wertgemeinschaft, ein Wir-Bewusstsein in der Gesellschaft prägt, aber eben nicht durch eine fiktive Staatsperson vereinheitlicht werden könne. Die reale Existenz eines Gemeinschaftswillens selbst innerhalb der zerrissenen Gesellschaft der Weimarer Republik brachte Heller dabei plastisch zum Ausdruck, indem er formulierte:

„Mag der Arbeiter die Zoll- oder Steuergesetze, die militärischen Normen oder sonst etwas im Staate bekämpfen. Solange er sie in Kauf nimmt, weil er etwa die sozialpolitische Gesetzgebung, das Arbeitsrecht usw. des gleichen Staates will, ist der Wille zum konkreten Staat in diesem Arbeiter ganz ebenso gesichert wie umgekehrt im Unternehmer, wenn er die Staatsform, die Sozialgesetzgebung usw. in Kauf nimmt, weil sein Privateigentum und die ihm genehme Zollpolitik garantiert ist." 110 Dieser real präsente volonté générale bedurfte nach Heller daher einer Repräsentation zur einheitlichen Betätigung und Umsetzung innerhalb des staatlichen Handlungsgefüges. Während aber in autokratischen Staaten der oder die Repräsentanten 107 Heller, Staatslehre, S. 232; ders., Souveränität, S. 75. Als konstituierende Elemente jeder Organisation arbeitete Heller, Staatslehre, S. 231 das auf gegenseitiges Verhalten eingestellte Handeln einer Mehrzahl von Menschen heraus, die sich an einer regelgeforderten Ordnung orientieren, welche durch besondere Organe gesetzt und gesichert wird. Auf dieser Grundlage definierte Heller, Staatslehre, S. 237 als „genus proximum des Staates ... die Organisation, das zur Einheit der Entscheidung und Wirkung planmäßig organisierte Handlungsgefüge. Differentia specifica allen anderen Organisationen gegenüber ist seine Eigenschaft der souveränen Gebietsherrschaft." Dazu Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. (168 f.). los Heller, Staatslehre, S. 236. 109 Heller, Staatslehre, S. 231. Wie in jeder Organisation war nach Heller, Staatslehre, S. 244 auch im Staat die Frage nach der subjektiven Macht über die Organisation und der subjektiven Macht in der Organisation von der rein objektiven, keinem Rechtssubjekt zurechenbaren Macht der Organisation selbst zu unterscheiden. Subjekt der Macht über die Organisation ist derjenige, welcher über Sein und Form der Organisation bestimmt; in einem äußerlich unabhängigen Staat also der Gemeinschaftswille des Volkes. Subjekt der Macht im Staat sind diejenigen Personen, welche als Repräsentanten und höchste Organe die konkreten letztverbindlichen Entscheidungen zu treffen haben.

no Heller, Staatslehre, S. 234. Deutlich auch ders., Souveränität, S. 96, wo er ausrief: „Solange Partei- und Klassenkämpfe den Staat nicht tatsächlich zerreißen, ist seine willentliche Einheit, wenn auch oft notdürftig genug, in ihrer Existenz unzweifelhaft gegeben." Terminologisch widersprüchlich wirkt Hellers Staatslehre aber dadurch, dass er in Souveränität, S. 97 ff. von einer souveränen Staatsperson spricht, also den volonté générale doch im Staat personifiziert sah.

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

in ihrer selbständigen Entscheidungsgewalt nur sozialethisch an den Gemeinschaftswillen gebunden waren, also faktisch souverän ihren Individualwillen als Volkswillen betätigen konnten, sei Kennzeichen der Demokratie eine juristisch an den volonté génénale gebundene, „magistratische" Repräsentation. Art. 1 Satz 2 und Art. 21 WRV müssten daher als Ausdruck einer magistratischen Repräsentation des Gemeinschaftswillens durch die Abgeordneten interpretiert werden. Das „Gewissen" der Abgeordneten könne, um etwas Juristisches zu besagen, nicht auf irgendeine Ethik oder persönliche Moral, sondern allein auf den volonté générale bezogen werden. Allein dadurch sei juristisch garantiert, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht.111 Heller wollte mit seiner empirisch und praktisch orientierten Staatslehre die Bedeutung des sinnhaft handelnden Menschen für die gesellschaftliche Wirklichkeit verdeutlichen 112 und kritisierte insofern die für ihn wirklichkeitsfremden rechtskonstruktiven Staatspersönlichkeitstheorien, ohne ein alternatives geschlossenes System der rechtlichen Struktur des Staates zu liefern. Hellers Staatslehre sollte mithin zur Wiederentdeckung der politischen Wissenschaften beitragen und hat die juristisch-dogmatische Konstruktion des Staates daher nur mittelbar beeinflusst. 113 Aber seine Staatslehre, die den Staat immer nur ausgehend von der realen menschlichen Betätigung innerhalb der Gesellschaft zu erfassen suchte, vermochte doch die Schwächen des herrschenden Staatspersönlichkeitsdogmas aufzuzeigen. Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates konstruierte Abgeordnete, Präsidenten und Volker als Organe einer nur gedachten Staatsperson. Diese abstrakte oder fingierte Person sah die herrschende Staatsrechtslehre als Subjekt der Staatsgewalt und Souveränität an. Die herrschende Staatsrechtslehre musste insofern aber eingestehen, dass nach ihrem Staatsbegriff den grundlegenden Verfassungsbestimmungen des Art. 1 Satz 2 und Art. 21 WRV, wonach alle Staatsgewalt vom Volke und eben nicht von der Staatsperson ausgeht bzw. die Abgeordneten „Vertretrer des ganzen Volkes" und eben nicht Organe einer Staatsperson sind, nur programmatische, nicht jedoch juristische Bedeutung beigemessen werden konnte.

IV. Die politische Staatslehre Carl Schmitts Auch Carl Schmitt 114 (1888-1985), der wohl umstrittenste Vertreter der Weimarer Staatsrechtslehre 115, gelangte ausgehend von einer grundsätzlichen Kritik m Heller, Souveränität, S. 75 f. 112 Heller, Staat, S. 608 ff. (612). •ι 3 So auch Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 373. n 4 Carl Schmitt wurde am 11. Juli 1888 in Plettenberg geboren. Als Professor für Staatsund Völkerrecht lehrte er in Greifswald, Bonn, Köln und von 1933 bis 1945 in Berlin. Mit seiner Demokratie-Kritik legte er die Grundlagen für die autoritären Präsidialkabinette am Ende der Weimarer Republik und für das Staatsrecht des Nationalsozialismus. 1933 trat er in die NSDAP ein. Die Morde des 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch) rechtfertigte er als Akte der

IV. Die politische Staatslehre Carl Schmitts

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am staatsrechtlichen Positivismus zur Ablehnung der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates.

1. Politische Dezision als Basis der Rechtsordnung

Für Schmitt konnte der Staat nicht als Subjekt des Rechts verstanden werden, sondern nur als politischer Status oder als politische Einheit des Volkes. 116 Diese politische Einheit des Volkes sei aber nicht normatives Resultat der Rechtsordnung, sondern das faktische Ergebnis einer Konfrontation mit „Freund und Feind." 117 Erst die aus dieser politischen Verbindung entsprungene Verfassung bilde daher die Grundlage für die positive Rechtsordnung. Im Gegensatz zu Kelsens Reiner Rechtslehre war die Verfassung mithin für Schmitt nicht Ableitung einer hypothetischen Grundnorm, sondern Produkt einer politischen Grundentscheidung des Volkes in der Demokratie bzw. des Monarchen in der Monarchie. 118 Sie galt für ihn nicht kraft ihrer normativen Richtigkeit oder ihrer systematischen Geschlossenheit, sondern allein kraft des politischen Willens, der politischen Grundentscheidung des Verfassungsgebers. Die Verfassung ebenso wie das einfache Gesetz setze einen politischen Willen voraus. 119 Damit rückte bei Schmitt der Begriff der politischen Entscheidung als Grundlage des Staatsrechtssystems in den Mittelpunkt. Staatsgewalt und Souveränität mussten nach Schmitt deshalb in den Händen individueller Entscheidungsträger liegen und konnten unmöglich einem fingierten Subjekt zugesprochen werden. Die Theorie der souveränen Rechtspersönlichkeit des Staates entsprach nach Schmitt daher „ganz vortrefflich jener liberalen MethoFührer-Hoheit. Seit 1936 wurde er jedoch von dem radikalen Flügel der Nationalsozialisten in den Hintergrund gedrängt. Schmitt starb am 7. April 1985 in Plettenberg. Zur Person Schmitts siehe Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 359 ff.; Quaritsch, Complexio Oppositorum; Stettner S. 99 ff. sowie Stolleis, Carl Schmitt, S. 123 ff. und ders., Band III, S. 178 ff. Iis Vgl. Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 359. 116

Schmitt, Verfassungslehre, S. 23; ders., Begriff des Politischen, S. 7. H7 Schmitt, Begriff des Politischen, S. 13 ff. So auch Forsthoff, Der totale Staat, S. 38 f. Ii« Schmitt, Verfassungslehre, S. 23. Auf dieser Grundlage entwickelte Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff. die Unterscheidung zwischen der Verfassung als politischer Grundentscheidung und dem bloßem Verfassungsgesetz: Während als „Verfassung" die wesentlichen und grundlegenden politischen Entscheidungen (Demokratie, Republik, Bundesstaat usw.) des jeweiligen Trägers der verfassungsgebenden Gewalt normiert wurden, enthielt das darüber hinausgehende „Verfassungsgesetz" alle sonstigen nicht substantiellen Verfassungsinhalte. Während aber das „Verfassungsgesetz" mit der in dem Verfassungstext festgelegten Mehrheit stets geändert werden konnte, bedurfte es für eine Änderung der grundlegenden „Verfassung" einer erneuten unbedingten politischen Grundentscheidung des Souveräns. Der essentielle Kern der Verfassung wurde so jeder rechtlich geordneten Änderung entzogen. Diese auf die Unterscheidung zwischen Verfassungsgeber (pouvoir Constituante originaire) und Verfassungsgesetzgeber (pouvoir Constituante institué) aufbauende Differenzierung innerhalb des Verfassungstextes liegt auch dem Grundgesetz in Art. 79 Abs. 3 und Art. 146 zugrunde. 119 Schmitt, Verfassungslehre, S. 22.

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6. Kap.: Die Staatslehre der Weimarer Republik

de, welche die Frage nach dem Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt und den entscheidenden Repräsentanten der politischen Einheit umgeht und dafür einen souveränen Dritten konstruiert." 120 Für eine wirklichkeitsadäquate Erfassung des Staates war sie seiner Ansicht nach aber nicht geeignet.

2. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet

Wegen der Betonung der politischen Entscheidungsgewalt war für Schmitt daher in der Monarchie der Fürst Inhaber der Souveränität und der verfassungsgebenden Gewalt. Aber auch in der Demokratie sei die verfassungsgebende Gewalt und die Souveränität faktisch in den Händen eines einzelnen Führers oder einer Führungselite von Initiatoren oder Parteien vereint, da das Volk in seiner Gesamtheit nicht fähig sei, politische Entscheidungen wirksam zu treffen und insofern einer Repräsentation bedürfe. 121 Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes in der Demokratie war nach Schmitt daher nur sozialideologisch zu verstehen. Es entscheide sich vielmehr allein in der politischen und staatsrechtlichen Praxis, wer Träger der Staatsgewalt und der entscheidende Repräsentant der politischen Einheit sei. Die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung erfasse immer nur die regelmäßige und berechenbare Situation der politischen Ordnung, die Normallage. Sobald aber an die Stelle der Normallage der Ausnahmezustand getreten sei, habe die verfassungsmäßige Rechtsordnung ihren Sinn verloren. In dieser Situation könne nur die souveräne Gewalt durch eine außerrechtliche Entscheidung die Normallage als Basis der Rechtsordnung wiederherstellen. 122 Insofern gelangte Schmitt zu der vielzitierten Aussage: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."123 Aus diesem Grund zeigte sich für Schmitt im preußischen Verfassungskonflikt, dass der König, der auch bei einer Verfassungslücke seine Entscheidungen durchzusetzen vermochte, tatsächlich getreu dem monarchischen Prinzip Träger der verfassungsgebenden und verfassungsgesetzlich nicht zu erfassenden, prinzipiell unbegrenzten Gewalt war. 124 Bezogen auf die Weimarer Republik konnte nach dieser Ansicht allein der Reichspräsident als Souverän bezeichnet werden, dessen Gewalt sich durch die Fähigkeit, gem. Art. 48 Abs. 2 WRV im Ausnahmefall diktatorische Entscheidungen durchsetzen zu können, offenbarte. 125

120

Schmitt, Verfassungslehre, S. 56. 121 Schmitt, Verfassungslehre, S. 205. 122 Schmitt, Theologie, S. 20. 123 Schmitt, Theologie, S. 11; ders., Diktatur, S. 18 und 194. 124 Schmitt, Verfassungslehre, S. 56. Als Besonderheit der konstitutionellen gegenüber der parlamentarischen Monarchie stellte Schmitt, a. a. Ο, S. 55 daher unter Berufung auf Seydel fest: „Der konstitutionelle Monarch in Deutschland ... zog sich auf seine Staatsgewalt zurück, wenn es zu einem ernsthaften, d. h. die Frage der Souveränität und der verfassungsgebenden Gewalt betreffenden Konflikt kam", während diese Möglichkeit dem Monarchen im parlamentarischen Verfassungssystem Großbritanniens oder Belgiens verschlossen blieb.

IV. Die politische Staatslehre Carl Schmitts

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Schmitts dezisionistische Staatslehre führte insofern dazu, die Staatsgewalt demjenigen Verfassungsorgan zuzuschreiben, welches faktisch in der Lage war, seine Entscheidungen im Konfliktfall durchzusetzen. Die Frage der Zurechnung von Souveränität und Staatsgewalt war nach Schmitt mithin weniger Rechts- als politische Machtfragen. Die politische Einheit des Volkes sah Schmitt infolge dessen immer im souveränen Entscheidungsträger repräsentiert, so dass für ihn die Rechtspersönlichkeit des Staates als bloßer „Formelkompromiss" der vergangenen konstitutionellen Ära ohne konstruktive Bedeutung für die Gegenwart war. 126 Schmitts Dezisionslehre und die bei ihm bereits angedeutete Zurückführung der staatlichen Einheit auf die Zentralisation der Macht in den Händen eines obersten Entscheidungsträgers leitete aber bereits über zu der mit einer Staatspersönlichkeit prinzipiell unvereinbaren nationalsozialistischen Staatsideologie.

125 Heller, Souveränität, S. 67. Eindeutig äußerte sich Schmitt zur Frage nach dem Träger der Souveränität in der Weimarer Republik jedoch nicht. 126 Schmitt, Verfassungslehre, S. 54. Anders aber noch Schmitt, Wert des Staates, S. 53 und S. 85, wo der Staat noch als „einziges Rechtssubjekt im eminenten Sinne" und „als einziger Träger des im Recht zu findenden Ethos" gekennzeichnet wird und insofern noch als Dreh- und Angelpunkt der Staatsrechtslehre angesehen wurde.

7. Kapitel

Die nationalsozialistische Staatslehre I. Grundlagen der nationalsozialistischen Staatsideologie Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 stellte für die gesamte deutsche Rechtsordnung eine deutliche Zäsur dar. Sie führte zu einer Zentralisation aller staatlichen Kompetenzen in der Person des „Führers" und Reichskanzlers Adolf Hitler (1889-1945) und zu einer völligen Umwälzung der herkömmlichen Rechtskultur. Die nationalsozialistische Staatsideologie erklärte für Recht, was politische Zwecke und das Wohl der Volksgemeinschaft nach Ansicht des „Führers" erforderten. Dieses Führerprinzip und der um die Person des „Führers" geübte Kult bewirkten, dass nicht mehr die Rationalität, sondern die Irrationalität das Recht kennzeichneten.1 Der Staat wurde insofern ebenso wie das Recht als Mittel zur Volkserhaltung, also als reiner Zweckverband der völkischen Gemeinschaft, gedeutet.2 Auf der Grundlage dieser nationalsozialistischen Ideologie wurde das herkömmliche juristische Begriffssystem in zunehmendem Maße durch das neue völkische Rechtsdenken umgestaltet. Rasse, Volksgemeinschaft, Führertum und Gefolgschaft bildeten fortan die Grundbegriffe, die es in Gesetzgebung, Rechtssprechung und Rechtswissenschaft zu erfassen galt.3 Die vom Individuum ausgehende liberale Rechtswissenschaft wurde nun ganz auf das völkische Prinzip ausgerichtet. Ebenso wie der Gegensatz zwischen Recht und Moral, war ein Gegensatz zwischen Volk und Staat für die Nationalsozialisten unvereinbar.

II. Die Staatspersönlichkeit in der nationalsozialistischen Staatslehre Die ganz auf die völkische Gemeinschaft ausgerichtete Staatsideologie der Nationalsozialisten beeinflusste insofern auch die Ansichten über die Rechtsnatur ι Eisenhardt Rn. 630; Wesel S. 472 f. 2 Alfred Rosenberg S. 526. 3 Vgl. Loblitz, DR 36, S. 242 ff. (242), der als Leiter des Amtes für Rechtsschrifttum im Reichsrechtsamt der NSDAP formulierte: „Eine tiefgreifende Um- und Neugestaltung des juristischen Begriffssystems hat in allmählich wachsendem Maß im Rechtsdenken Platz ergriffen. Führer und Gefolgschaft, Staat und Partei, Gemeinschaft, Sittlichkeit, Rasse, Blut und Boden sind neu gebildete oder mit neuem Inhalt erfüllte Begriffe, die es in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft von ihrem grundsätzlich neuen Ausgangspunkt aus zu erfassen gilt."

II. Staatspersönlichkeit in der nationalsozialistischen Staatslehre

139

des Staates. Das Dogma vom Staat als juristische Person musste für die nationalsozialistische Staatslehre mit den politischen Prinzipien der Volksgemeinschaft und dem Führertum zu vereinbaren sein bzw. mit ihnen in Einklang gebracht werden. Der völkische Gedanke und das Führerprinzip bewirkten daher zunächst, dass wieder an die im 19. Jahrhundert verbreitete Organismus-Metapher angeknüpft wurde. 4

1. Der Staat als Genossenschaft der Volksgemeinschaft

Unter Bezugnahme auf Gierkes Lehre von der organischen Gesamtpersönlichkeit des Staates5 versuchte anfangs die Mehrzahl der Autoren, die sich überhaupt mit der Rechtsnatur des Staates beschäftigten, den völkischen Staat juristisch als Genossenschaft zu erfassen. a) So betonte Hans Helfritz (1877 —1958)6 die „geistigen Zusammenhänge zwischen Gierke und der Gegenwart des Deutschen Reiches"7 und sah daher in Gierkes Lehren die juristische Staatskonstruktion, welche mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft in der nationalsozialistischen Ideologie übereinstimmte.8 Der Staat, so Helfritz, sei ein aus Haupt und Gliedern bestehender Organismus und könne insofern nicht mehr als fingierte Person dem Volk gegenübergestellt werden. Als reale Verbandspersönlichkeit sei der Staat daher rechtlich die Gesamthandsgemeinschaft des Volkes, welche durch Organe handlungs- und willensfähig werde.9 b) Auch Otto Koe lire utter 10 (1883-1972) sah im Staat eine politische Organisation der Volksgemeinschaft, welche durch den „Führer" als einheitlich wirkende Größe in Erscheinung tritt. 11 In der juristischen Erfassung des Staates behielt aber 4 Siehe oben 3. Kapitel II. 3. So bemerkte der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers (1879-1962) in RVB1. 38, S. 609ff. (610), die liberale Antithese zwischen Staat und Volk sei im nationalsoziaistischen Staat nicht mehr haltbar, denn die staatliche Ordnung sei nunmehr „nichts anderes als die Rüstung, die Organisation des Organismus Volk." 5 Siehe oben 4. Kapitel II. 1. a). 6 Zu Helfritz siehe Stolleis, Band III, S. 160 f. 7 Helfritz, RVB1. 35, S. 485 ff. (488). » Helfritz, RVB1. 35, S. 485 ff. (489). Helfritz, a. a. O., S. 486 hielt die Bezeichnung des Staates als Person an sich für überflüssig, legte aber andererseits Wert auf die Rechtsfähigkeit des Staates. 9 Helfritz, Volk und Staat, S. 55; ders., RVB1. 35, S. 485 ff. (489). Diese an Gierke anknüpfende Staatstheorie vertrat Helfritz auch noch nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur im Sinne einer allgemeingültigen Staatskonstruktion, vgl. Helfritz, Staatsrecht, S. 87. Siehe unten 8. Kapitel II. 1. b). >o Zur Biographie vgl. Stolleis, Band III, S. 173 und NDB 12, S. 324 f. 11 Koellreutter, Fn 50.

Grundriß, S. 164. Zu Koellreutters Staatslehre siehe bereits oben 6. Kapitel

7. Kap.: Die nationalsozialistische Staatslehre

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auch Koellreutter die Vorstellung vom Staat als einer juristischen Person bei und verband sie durch die Genossenschaftslehre mit der völkischen Ideologie des Nationalsozialismus.12 c) Schließlich deutete Edgar Tatarin-Tarnheyen (1882-1966) sowohl den Staat als auch das Recht als Erscheinungen des Gemeinschaftslebens des Volkes. Als solche würden Staat und Recht auf einer souveränen völkischen Willens Verbindung beruhen und müssten auf Individualinteressen keine Rücksicht nehmen. Den Staat definierte er demgemäß als „die von höchster irdischer Macht getragene, erdverbundene, völkische Lebensganzheit", als Einheit von „Blut- und Erdverbundenheit." 13 Der Staat dürfe insofern juristisch nicht vom Volk getrennt werden. Unter Berufung auf Gierke sah Tatarin-Tarnheyen daher die Rechtskonstruktion des völkischen Staates in der „herrschaftlichen Genossenschaft", d. h. in einem Volksstaat, in dem Gefolgschaft und Führung zu einer staatlichen Einheit verbunden werden. 14 Diese Einheit bedeutete für ihn insofern „den organischen Staat schlechthin. In ihm", so Tatarin-Tarnheyden, „reichen sich altgermanische Vergangenheit und deutsche Zukunft die Hand." 1 5 ' 1 6

2. Unvereinbarkeit der Staatspersönlichkeit mit dem Führerprinzip

Unter Bezugnahme auf den bei Tatarin-Tarnheyen bereits angedeuteten Gegensatz zwischen individualistischer und völkischer Staatsauffassung hielten andere dagegen die Vorstellung einer über Volk und „Führer" thronenden Staatsperson als Ausdruck individualistischen Denkens für unvereinbar mit der völkischen Ideologie. 12 Koellreutter, 13

Grundriß, S. 261 ff.

Tatarin-Tarnheyen S. 16 f. 14 Tatarin-Tarnheyen S. 25 und 140. Ganz ähnlich setzte sich nach Ernst Forsthoff (1902-1974) der nationalsozialistische Staat aus einer Herrschafts- und einer Volksordnung zusammen, vgl. Forsthoff, Der totale Staat, S. 30. 15 Tatarin-Tarnheyen S. 25. 16 Zu dieser Autorengruppe, die Führerprinzip und Volksgemeinschaft unter Rückgriff auf Gierkes Lehren mit der juristischen Persönlichkeit des Staates zu verbinden suchten, gehören weiterhin Hans Gerber (1889-1981), AöR 64 (1934), S. 82ff., der a. a. O. S. 85 f. den Staat als eine vom Volksbewusstsein getragene Genossenschaft definierte und den „Führer" als „Organ im genossenschaftlichen Zusammenhange" dem Staat unterordnete sowie Ulrich Scheuner (1903-1981), AöR 63 (1933), S. 261 ff., der a. a. O. S. 269 angesichts der nationalsozialistischen Revolution ebenfalls eine „Wiederbelebung von Gierkes Gedanken" forderte. Auch Karl Larenz (1903-1993), Rechts- und Staatsphilosophie, ist dieser Gruppe zuzuordnen, da er, ohne sich auf Gierke zu berufen, den Staat a. a. O. S. 140 als den durch den „Führer" willens- und handlungsfähigen Organismus des politischen Volkes umschrieb. Werner Weber (1904-1976) trat dagegen dafür ein, den Staat „nicht mehr unter das Begriffsjoch der juristischen Person des öffentlichen Rechts* zu zwingen" und wollte daher den Staat nur „im Sinne eines sehr problematischen Allgemeinbegriffs" als öffentlich-rechtliche Person verstanden wissen, vgl. Werner Weber, S. 14 Fn. 1. Vgl. auch Stolleis, Band III, S. 328 m. w. N.

II. Staatspersönlichkeit in der nationalsozialistischen Staatslehre

141

a) Als erster vertrat insoweit Reinhard Höhn (geb. 1904) die Ansicht, dass die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates mit der nationalsozialistischen Staatslehre unvereinbar sei. Die juristische Persönlichkeit des Staates war für Höhn als dogmatische Formulierung des konstitutionellen Fürstenstaates ein Relikt der Begriffs- und Gedankenwelt der individualistischen und liberalen Staatslehre des 19. Jahrhunderts. Die Idee einer unsichtbaren Persönlichkeit des Staates als Subjekt der Souveränität sei nur als Synthese zwischen Fürsten- und Volkssouveränität zu rechtfertigen und daher bereits mit der Einführung der Volkssouveränität durch die Weimarer Verfassung überholt. 17 Insbesondere aber sei die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates als Ausdruck des individuellen Denkens mit dem völkischen Gedanken der neuen nationalsozialistischen Staatsideologie nicht in Einklang zu bringen. Die rechtliche Einbeziehung des „Führers" und des Volkes als Willensorgane in eine unsichtbare juristische Staatsperson war für Höhn unvereinbar mit dem Gedanken der Volksgemeinschaft, des Führertums und der Gefolgschaft. Über den Begriff der juristischen Persönlichkeit des Staates sei das Volk nur als Summe der Wahlberechtigten bzw. der Untertanen, nicht jedoch als Volksgemeinschaft denkbar. Die Staatspersönlichkeit sei insofern „ein ausgeprägt individualistischer Begriff, der jede Gemeinschaftsvorstellung vernichtet." 18 Führung aber setze Gefolgschaft und Gemeinschaft voraus, so dass der Begriff des „Führers" innerhalb des herkömmlichen Staatspersönlichkeitsdogmas nicht darstellbar sei. Aber auch Gierkes Lehre von der realen Gesamtpersönlichkeit des Staates könne dem neuen Staatsrecht nicht zugrunde gelegt werden, da auch diese Lehre das Recht nur als Beziehung zwischen Einzelpersönlichkeiten auffasse. 19 Die juristische Dogmatik der Gegenwart, die sich stets an den weltanschaulichen Grundlagen ihrer Zeit auszurichten habe, müsse nach Höhn jedoch die Prinzipien der Führung und der Gemeinschaft zum Ausgangspunkt nehmen und könne nicht auf dem Boden der individualistischen Begriffssystematik der vergangenen Epochen entwickelt werden. 20 Daher plädierte Höhn dafür, die Dogmatik des Staatsrechts ausgehend von den Begriffen der Führung und der Gemeinschaft neu zu bestimmen und sich von der „individualistischen Grundvorstellung des Staates als juristische Person" zu lösen, um der nationalsozialistischen Staatsideologie juristischen Ausdruck zu verleihen. Als „Grund- und Eckstein" des neuen Staatsrechts sollte deswegen nach Höhn die Idee der Volksgemeinschaft und der Führung die juristische Staatspersönlichkeit ersetzen.21 b) Auch Franz Wilhelm Jerusalem (1883-1970) ging in seiner staatsrechtlichen Abhandlung von der Unterscheidung zwischen dem germanischen Gemeinschaftsstaat und dem individualistischen Staat aus, wobei er die Ursprünge des letzteren 17 Höhn, DJZ 35, Sp. 65 ff. ( 69). i« Höhn, Staatsbegriff, S. 227. i* Höhn, DJZ 35, Sp. 65 ff. (70). 20 Höhn, Staatsbegriff, S. 227; ders., DJZ 35, Sp. 65 ff. (72). 21 Höhn, Wandlung, S. 33; ders., Staatsbegriff, S. 228; ders., DJZ 35, Sp. 65 ff. (72).

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7. Kap.: Die nationalsozialistische Staatslehre

in den Korporationen der mittelalterlichen Stadt erblickte. Die juristische Person als Ausdruck individualistischer Denkweise sei in dem historisch älteren Gemeinschaftsstaat, dessen Rechtsleben von der Vorstellung der Gesamthand bestimmt war, fremd gewesen. Die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates sei daher nur für den bürgerlichen Staat des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, dessen Wurzeln in der individualistischen Staatsidee begründet wurden, die zutreffende Rechtskonstruktion. 22 Der völkische Staat, den die nationalsozialistische Revolution begründet habe, knüpfe jedoch an die Tradition des germanischen Gemeinschaftsstaates an. Das individualistische Prinzip werde insofern durch das Prinzip der Gefolgschaft und den Gemeinschaftswillen verdrängt. 23 Daher waren für Jerusalem im völkischen Staat der Nationalsozialisten sämtliche Funktionen der Staatsgewalt in der Person des „Führers" der Volksgemeinschaft vereinigt. Dieser übe seine Gewalt im eigenen Namen als „Führer" des Volkes aus. Die Vorstellung, dass der „Führer" als Organ einer unsichtbaren Staatspersönlichkeit seine Aufgaben wahrnehme, hielt er deshalb für unhaltbar. 24 c) Schließlich lehnte Ernst Rudolf Huber 15 (1903-1990) die Vorstellung des Staates als juristische Persönlichkeit als Ausdruck einer individualistisch-bürgerlichen Staatsauffassung ab. Unter Berufung auf Carl Schmitt war für ihn der Staat als politische Ordnung wissenschaftlich nur durch einen politisch-ideologischen Begriff zu erfassen. 26 Das Staatsrechtsdenken müsse daher von den Begriffen der Volksgemeinschaft und des „Führers" ausgehen. Die Totalität des politischen Handelns und Wollens im Rahmen des Führerprinzips verlange insofern die Vereinigung sämtlicher Staatsgewalt in den Händen des „Führers." 27 Diese Führer-Souveränität gehöre zum Wesen des völkischen Staates, so dass das Amt des „Führers" mit der Stellung eines bloßen Organs einer übergeordneten Persönlichkeit des Staates nicht gleichgesetzt werden könne.28

3. Zusammenfassende Bewertung

Die nationalsozialistische Staatslehre verdrängte insofern den Rechtsbegriff des Staates durch die rein politisch-ideologischen Begriffe der Volksgemeinschaft, des Führertums und der Gefolgschaft. Die als Ausdruck des individuellen Denkens in der bürgerlich-liberalen Epoche angesehene Lehre der juristischen Staatspersönlichkeit wurde entweder als genossenschaftliche Organisation der Volksgemeinschaft umgedeutet oder aber, so die Ansicht der Mehrzahl der Autoren, als unver22 23 24 25

Jerusalem S. 225. Jerusalem S. 293. Jerusalems. 308f.

Vgl. zu Huber weiter Friedrich, Staatsrechtswissenschaft, S. 401 ff. * Huber, ZgS 95 (1935), S. 1 ff. (32). 27 Huber, Verfassungsrecht, S. 230. 2 « Huber, ZgS 95 (1935), S. 202 ff. (213).

II. Staatspersönlichkeit in der nationalsozialistischen Staatslehre

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einbar mit dem völkischen Prinzip und dem Führertum abgelehnt. In jedem Fall jedoch wurden die über Jahrzehnte in der Rechtswissenschaft entwickelten und klar definierten Begriffe des Staatsrechts durch die irrationalen und unklaren Begriffe der nationalsozialistischen Ideologie ersetzt. Dem Recht kam nur als Kampfinstrument zur Durchsetzung bzw. Erhaltung der nationalsozialistischen Staatsideologie eine Funktion zu. 29 Recht wurde durch das reine Faktum der Macht ersetzt, so dass auch der Staat nicht mehr als Rechtsbegriff erfasst werden musste, da seine Funktion sich auf die eines Machtapparates in den Händen der Machthaber beschränkte. 30

29 Eisenhardt Rn. 632; Hippel S. 170; Volkmann, JuS 96, S. 1058 ff. (1063). 30 Bezeichnend ist insofern der Vorschlag Hohns, DJZ 35, Sp. 65 ff. (72), den Staat begrifflich nicht als Person, sondern als Apparat zu erfassen. Ähnlich auch Larenz, Rechtsund Staatsphilosophie, S. 146.

8. Kapitel

Staatspersönlichkeit und Grundgesetz I. Staatliche Kontinuität Deutschlands als Rechtsproblem Seit 1945 bekennt man sich in Deutschland allgemein zu Demokratie und Volkssouveränität. In den Verfassungen der deutschen Länder, die nach Kriegsende unter Einfluss der Alliierten entstanden, wird neben dem demokratischen Prinzip durchweg hervorgehoben, dass das Volk Ursprung und Träger der Staatsgewalt ist.1 Auch Art. 20 Abs. 2 GG betont: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Die Bundesrepublik Deutschland wurde allerdings erst vier Jahre nach Kriegsende konstituiert. Da auch die deutschen Länder erst einige Monate bzw. Jahre nach dem völligen Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Mai 1945 wiedererrichtet wurden, setzte bereits kurz nach Kriegsende eine juristische Diskussion darüber ein, ob der deutsche Gesamtstaat als untergegangen oder als fortbestehend zu denken sei. Der Eintritt in die Schulden und das Vermögen des Deutschen Reiches, die Kontinuität der Beamtenverhältnisse sowie weitere äußerst bedeutsame Rechtsfragen stehen in Zusammenhang mit der Frage der staatlichen Existenz Deutschlands in der Zeit zwischen Kapitulation und der Wiedererrichtung staatlicher Strukturen durch die Alliierten. Dies macht die praktische Relevanz eines exakten juristischen Staatsbegriffs innerhalb des nationalen Rechts ebenso wie im Völkerrecht deutlich.

1 Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen in Baden-Württemberg (Art. 25 Abs. 1), Bayern (Art. 2 Abs. 1), Berlin (Art. 2), Brandenburg (Art. 2 Abs. 2), Bremen (Art. 66), Hamburg (Art. 3 Abs. 2), Hessen (Art. 70), Mecklenburg-Vorpommern (Art. 3 Abs. 1), Niedersachsen (Art. 2 Abs. 1), Rheinland-Pfalz (Art. 74 Abs. 2), Saarland (Art. 61 Abs. 1), Sachsen (Art. 3 Abs. 1), Sachsen-Anhalt (Art. 2 Abs. 2), Schleswig-Holstein (Art. 2 Abs. 1) und Thüringen (Art. 45). Weniger eindeutig dagegen Art. 2 der Verfassung Nordrhein-Westfalens.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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II. Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates in der bundesdeutschen Staatsrechtslehre2 Die Frage des Fortbestands des Deutschen Reiches wird von der deutschen Staatsrechtslehre überwiegend unter Bezugnahme auf Jellinek und die Drei-Elemente-Lehre des Staates diskutiert. 3 Auch ansonsten greift man bei der juristischen Erfassung des Staates allgemein auf die Begrifflichkeit der positivistischen Staatslehre des Kaiserreiches und der Weimarer Republik zurück und knüpft insofern an die traditionelle, von den Nationalsozialisten abgelehnte Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates an. Entgegen den klar formulierten grundlegenden Verfassungsbestimmungen der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Länder wird daher in der deutschen Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit überwiegend der Staat zum Subjekt der Staatsgewalt erklärt. 4

1. Naturrechtlich-genossenschaftliche Staatspersönlichkeitslehren

Andererseits setzte sich spätestens seit Radbruchs Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht"5 die Erkenntnis durch, dass gerade der juristische Positivismus dazu beigetragen hatte, dass die deutsche Rechtswissenschaft der nationalsozialistischen Ideologie und der durch sie bewirkten Pervertierung des Rechts nahezu kritiklos gegenüberstand und nur die Überwindung des einseitigen Rechtspositivismus vor künftigen Gesetzesmissbräuchen zu schützen vermag.6 Daher wurde seit Kriegsende von Rechtsprechung und Rechtslehre die Bedeutung des überpositiven natürlichen Rechts gegenüber den positivrechtlichen Normen 2

Die rechtsdogmatisch unergiebige, ideologisch geprägte Staatslehre der Deutschen Demokratischen Republik kann hier unberücksichtigt bleiben. 3 Vgl. Kettler S. 67 ff. Menger Rn. 433. Bei konsequenter Anwendung des von Jellinek geformten Staatsrechtssystems ist allerdings die Annahme staatlicher Kontinuität des Deutschen Reiches über den Mai 1945 hinaus unhaltbar. Wenn der Staat als Rechtspersönlichkeit eine abstrakte bzw. fiktive Einheit ist, die ohne ihre Organe keine selbständige Existenz führt, wie Jellinek, System, S. 225 formuliert, so muss das Deutsche Reich mit der Auflösung seiner letzten organisatorischen Strukturen als Rechtssubjekt untergegangen sein. Anders dagegen nach der Lehre von der realen Verbandspersönlichkeit, die auch nach Fortfall sämtlicher Organe als Rechtspersönlichkeit bestehen bleibt, vgl. Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 134. Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber bei der Formulierung seiner Doktrin, nach der das Deutsche Reich als zwar handlungsunfähiger, gleichwohl rechtsfähiger Staat fortbestanden habe und die Bundesrepublik Deutschland daher mit dem Deutschen Reich identisch sei, wenn auch zunächst der Geltungsbereich des Grundgesetzes nur bezüglich eines Teiles desselben gegolten habe (sog. Teilidentitätstheorie), jede Bezugnahme auf rechtstheoretische Staatsdefinitionen vermieden. Vgl. BVerfGE 2, 266 ff. (277); 3, 58 ff. (88ff.); 36, Iff. (15ff.). 4

So kurz nach Kriegsende z. B. Giese, Staatsrecht, S. 13 und 28 ff.; Laun S. 77 ff.; Thoma, Staatslehre, S. 61 ff. Dazu Kern S. 12 f. 5 Radbruch, SJZ46, S. 105 ff. (107). 6 Vgl. oben 6. Kapitel Fn. 75. 10 Uhlenbrock

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

hervorgehoben. Charakteristisch für die unmittelbar nach Kriegsende erschienene Staatsrechtsliteratur ist insofern das Bekenntnis, die Staatslehre habe gegenüber der rein rechtspositivistischen Konstruktion des Staates die hinter der Verfassungsordnung ruhenden „natürlichen Voraussetzungen des Staates" stärker herauszuarbeiten.7 a) Bezeichnend dafür ist zunächst das Werk von Heinrich Kipp (geb. 1910), der in seiner 1947 erschienenen, von der katholischen Theologie geprägten Staatslehre einen eigentümlichen Rückfall in die Staatslehre des Naturrechts vollzieht. Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt bezeichnet Kipp als die natürlichen Elemente des Staates, die zu einer lebendigen, organischen Einheit mit dem Ziel des Gemeinwohls verbunden werden.8 Dabei ist für ihn in der Schöpfung der Menschheit zugleich der Ursprung aller staatlichen Gewalt begründet. Der natürlichen Gemeinschaft der Menschen sei von Gott unmittelbar die Staatsgewalt verliehen. Ursprünglicher Träger und Subjekt der Staatsgewalt sei somit die sittliche Gesamtpersönlichkeit des Staates.9 Diese könne zwar einen Gesamtwillen bilden, die praktische Aussprache und Ausführung des Gesamtwillens sei jedoch nur über Einzelmenschen, die für die Gesamtheit tätig werden, möglich. Daher übt nach Kipp die Gesamtpersönlichkeit des Staates ihre Gewalt zunächst durch ihr natürliches Organ, das Staatsvolk, aus. 10 Primäre Staatsform sei insofern stets die Demokratie, doch könne die Staatsgewalt durch das Staatsvolk, dem Organ der Gesamtperson des Staates, auch auf einzelne Personen übertragen werden, „die sie dann als höchste Organe des Staates zu eigenem Recht innehaben."11 Verfassungen haben nach Kipp daher immer nur den Zweck, die Art und Weise und den Umfang der Übertragung der Staatsgewalt zu regeln. Die Staatsgewalt bleibe jedoch stets als subjektives Recht bei der sittlichen Gesamtperson des Staates und könne, sofern der aktuelle Träger der Staatsgewalt seine Macht in eklatanter Weise missbraucht, durch das Staatsvolk, dem natürlichen Organ des Staates, wieder übernommen werden. In dieser theologisch-naturalistischen Staatslehre sind die Einflüsse Jellineks und Gierkes deutlich erkennbar. Kipp selbst versteht sich auch als Vertreter der organischen Staatsauffassung und rezipiert insoweit Gierkes Lehre von der organischen Gesamtpersönlichkeit des Staates. Obwohl Kipp den Staat als Subjekt der Staatsgewalt ansieht, hält er den Staat aber offenbar nicht für ein Rechtssubjekt, da er ähnlich wie die klassische Naturrechtslehre stets nur von der sittlichen Gesamtpersönlichkeit des Staates ausgeht. Der Einfluss der Naturrechtslehre geht in Kipps 7

Hippel, Geleitwort zur 1. Auflage; Kipp S. 6 und 64. « Kipp S. 97. 9 Kipp S. 90. Die Staatsgewalt wird von Kipp S. 187 als „echtes subjektiv-öffentliches Recht mit personen- und sachenrechtlichen Charakter" definiert. 10 Kipp S. 89. Nach Kipp ebd. wird eine Einzelperson als Organ tätig, wenn sie „im Bewusstsein ihrer Gliedhaftigkeit für das Ganze und ... vom Ganzen hierfür bestimmt" ist. » Kipp S. 89.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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Staatslehre sogar so weit, dass er an Stelle der juristischen Person wieder den von Pufendorf entwickelten unjuristischen Terminus der „persona moralis" auf den Staat anwendet.12 Insofern erscheint die Staatslehre Kipps wie eine Fortsetzung der naturrechtlichen Persönlichkeitslehren des 18. Jahrhunderts, kann aber ebenso wie diese zur juristischen Erfassung des Staates keinen Beitrag leisten.13 In der mehr juristisch orientierten Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit wird dagegen die Rechtsnatur des demokratischen Staates meist unter Bezugnahme auf Gierkes antipositivistische Lehre der genossenschaftlichen Verbandspersönlichkeit zu erklären versucht und mit Jellineks Drei-Elemente-Lehre verbunden. b) So definiert Hans Helfritz (1877-1958), der 1944 noch den Staat der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft propagierte 14, 1949 in der 5. Auflage seines Allgemeinen Staatsrechts den Staat wieder auf der Grundlage von Jellineks DreiElemente-Lehre. Staatsgebiet und Staatsvolk sind nach ihm die sichtbaren Elemente, die staatliche Organisation das unsichtbare Element des Staatsbegriffs. 15 Anknüpfend an Gierke sieht Helfritz im Staat ein Rechtssubjekt, welches identisch mit der Gesamtheit des Volkes ist. Als reale Gesamtperson und natürlicher Organismus habe der Staat die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, ohne dass es dazu des Ausdrucks der juristischen Persönlichkeit bedürfe. 16 Der Staat, so Helfritz, könne nicht rechtlich als fiktive juristische Person über das Volk gehoben werden, da er aus der Gesamtheit seiner Angehörigen bestehe und insofern keine selbständige Existenz führe. Ohne den Ausdruck der juristischen Person zu verwenden, definiert er den Staat daher als eine durch Zusammenfassung von Einzelpersonen entstandene reale und rechtsfähige Verbandseinheit, die zu ihrer Willensbildung und -betätigung einer Organisation bedarf. 17 12 Kipp S. 89. Vgl. oben 1. Kapitel Fn. 7. 13

Siehe oben 1. Kapitel I. 1. b). Auch Ernst von Hippel (1895-1984), der mit seiner moralischen Staatslehre die überpositiven Prinzipien der Staatsgestaltung in ihrer rechtlichmoralischen Verbindlichkeit der nur-positivistischen Staatslehre entgegenhalten will, kann zur Klärung der juristischen Natur des Staates nicht beitragen. Der Staat ist für ihn eine rechtlich-moralische Teilordnung innerhalb der Menschheit, in der Gerechtigkeit, Wahrheit und Moralität als überpositive Voraussetzungen der normierten Verfassung erscheinen, vgl. Hippels. 212f. 14 Siehe oben 7. Kapitel II. 1. a). Schon 1949 charakterisierte Helfritz, Staatsrecht, S. 81 f. bezeichnenderweise die von ihm noch fünf Jahre zuvor selbst vertretene nationalsozialistische Staatsideologie als sinnlosen „Dezisionismus", der mit der Hervorhebung des Irrationalismus „nichts anderes war, als eine planmäßige Zersetzung des Rechts zu Gunsten einer ungehemmten Diktatur." 15 Helfritz, Staatsrecht, S. 84. 16 Helfritz, Staatsrecht, S. 85. 17 Helfritz, Staatsrecht, S. 93. Helfritz rezipiert zwar a. a. O. S. 87 ff. die Organlehre Jellineks und weist den Organen nur Zuständigkeiten zu, widersprüchlich erscheint es insofern aber, wenn er, a. a. O., S. 93 das oberste Organ im Staat als „Träger der Staatsgewalt" zum Ausgangspunkt aller hoheitlichen Gewalt erklärt und auf S. 114 die Staatspersönlichkeit als alleiniges Subjekt der einheitlichen Staatsgewalt herausstellt. 10*

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

c) Bei der 1950 in der ersten Auflage erschienenen Allgemeinen Staatslehre von Günther Küchenhoff { 1907-1983) und Erich Küchenhoff (geb. 1922) kam es den Autoren gerade „darauf an, die Begriffe der Allgemeinen Staatslehre, die im Alltag oft in den verschiedensten Bedeutungen verwandt werden, herauszuarbeiten." 18 Demzufolge kommt bei ihnen auch der begrifflichen Erfassung des rechtlichen Charakters des Staates eine besondere Bedeutung zu. Indem zwischen dem soziologischen und dem juristischen Wesen des Staates differenziert wird, lehnt sich Küchenhoffs Staatslehre zunächst an Jellinek an. So werden Staatsgebiet und Staatsgewalt als Merkmale des soziologischen Staatsbegriffs genannt und um die Staatsverfassung, als der äußeren Ordnung dieser Faktoren ergänzt. Juristisch wird der Staat ebenso wie bei Jellinek als Gebietskörperschaft definiert und gegenüber sonstigen Gebietskörperschaften (Gemeinden und Kreisen) durch die Fähigkeit zur Selbstorganisation abgegrenzt.19 Andererseits wird aber auf Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit Bezug genommen und allein die „genossenschaftliche Staatsauffassung" für vereinbar mit der heutigen pluralistischen Gesellschaft und der menschlichen Würde erklärt. Demgemäß könne das Staatsvolk nicht im Sinne früherer Theorien als bloßes Objekt staatlicher Herrschaft erscheinen. Vielmehr müsse der Staat als die zur Zeit höchstorganisierte Einheit menschlichen Zusammenwirkens begriffen werden, die in ständiger Wechselwirkung und Beeinflussung zu ihren Mitgliedern stehe. Als die notwendige Ordnung des Zusammenlebens zum Wohle aller erhalte allein in der genossenschaftlichen Staatsauffassung der Satz „Der Staat sind wir, die Bürger (das Volk)" Realität. 20 Diesen an Gierke, Heller und Smend angelehnten Grundpostulaten wird entsprochen, indem das Volk in seiner Gesamtheit als Träger und Urgrund der Staatsgewalt herausgestellt wird. 21 In der juristischen Konstruktion des Staates kehren Günther und Erich Küchenhoff aber wieder vollends zu der von Jellinek und Wolff formulierten Lehre von der herrschenden juristischen Staatspersönlichkeit zurück. Die Gebietskörperschaft des Staates wird als Rechtspersönlichkeit und juristische Person zum Subjekt der als Rechtsmacht verstandenen Staatsgewalt erklärt, während die Ausübung derselben den Staatsorganen, allen voran der Aktivbürgerschaft und dem Parlament, überlassen bleibt. 22 Damit vermögen auch Günther und Erich Küchenhoff dem Volk in der rechtlichen Konstruktion des Staates keine andere Funktion als die eines Organs innerhalb der juristischen Staatspersönlichkeit zu ι» Küchenhoff/KüchenhoffS. 5 (Vorwort). 19 Küchenhoff/Küchenhoff S. 21 f. 20 Küchenhoff/Küchenhoff S. 25 f. 21 Küchenhoff/Küchenhoff S. 85. Die ebenfalls bei Wolff, Band I, S. 194 aufgestellte Behauptung, das Volk sei als Träger der Staatsgewalt anzusehen, während der Staat als juristische Person nur „Titulär" der ihm nur rechtstechnisch zugerechneten Rechte und Pflichten sei, nennt Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (290 Fn. 74) eine bloße Menthalreservation ohne juristisch-konstruktive Bedeutung. 22 Küchenhoff/KüchenhoffS. 22 und 118.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

149

geben. Insofern bleibt es dabei, dass der Staat im juristischen Sinn gerade nicht identisch mit dem Volk ist.

2. Die juristische Staatsperson in der konservativen deutschen Staatslehre

Gegenüber dieser Autorengruppe, die den demokratischen Staat und die Volkssouveränität mit Hilfe des genossenschaftlichen Staatsmodells in einem Rechtsbegriff zu fassen sucht und damit der veränderten Verfassungsstruktur entsprechen will 2 3 , versteht die konservative deutsche Staatslehre die Theorie von der juristischen Persönlichkeit des Staates in erster Linie als Konstruktionsbehelf, um der organisierten Macht und Wirkungseinheit „Staat" ein Zurechnungssubjekt zu verleihen. Insofern wird wieder an die Tradition der positivistischen Staatslehre der Weimarer Republik und des Kaiserreichs angeknüpft. a) Wie eine Reaktion auf die Gierke-Renaissance seit 1945 und ein Rückfall in die Zeit des konstitutionellen Obrigkeitsstaates mutet zunächst die umfassende, 1963 in erster Auflage erschienene Staatslehre des Hamburger Staatsrechtslehrers Herbert Krüger (1905-1985) an. Nicht als Anordnung Gottes oder als Forderung der Sittlichkeit, sondern in seiner realen Existenz will Krüger den Staat erfassen 2 4 In der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates sieht er dabei nur eine unvermeidliche Lösung, um die staatliche Kontinuität trotz des stetigen Wechsels der individuellen Amtswalter zu ermöglichen und um den notwendigen rechtlichen „Anknüpfungspunkt zu stellen, dessen das zum Rechtsverhältnis erhobene Lebensverhältnis zwischen einzelnem Bürger und der Gesamtheit der Mitbürger bedarf." 25 So ist der Staat für Krüger eine unpersönliche Institution, die unabhängig 23

Bezeichnend insofern auch die Analyse über Labands Staatsbegriff von Ortrun Fröhling. Für sie ist gerade die veränderte Verfassungsstruktur der Bundesrepublik Deutschland, das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Volkssouveränität, der Grund für die Inadäquanz und Widersprüchlichkeit zwischen den juristischen Ableitungen aus dem Staatsbegriff und den Postulaten der Verfassung. Der Staatsbegriff könne immer nur in einer bestimmten verfassungspolitischen Situation Geltung beanspruchen und sei somit als geschichtlicher Begriff dem Staat nicht vorgegeben. Die Lehre von der abstrakten juristischen Staatsperson sei daher die dem politischen status quo im konstitutionellen deutschen Staat adäquate Staatskonstruktion, könne aber der geltenden Verfassungsordnung nicht mehr entsprechen, vgl. Fröhling S. 135 f. Andererseits aber sei ein juristisch brauchbarer Staatsbegriff erforderlich, um die auf den Staat bezogenen Rechtsverhältnisse einem Rechtssubjekt zuzuordnen. Der „Wesensgleichheit von Staat und Gesellschaft, der Identität von Herrschenden und Beherrschten und dem pluralistischen Rechtsgefüge im demokratischen Staat angemessener" erscheint ihr daher die von Gierke geprägte Lehre der genossenschaftlichen organischen Staatspersönlichkeit. Seine Verifikation soll dieser Begriff allerdings nach Fröhling ebd. nicht aufgrund seiner substanziellen Wahrhaftigkeit, sondern wegen „seiner Nützlichkeit und Adäquanz als Denkmittel für eine konkrete dogmatische Systematik" erhalten, vgl. Fröhling S. 138 Fn. 525. Ebenfalls auf der Grundlage von Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit definieren Boehmer S. 184 und Schunk/De Clerk S. 4 den Staat als juristische Person des öffentlichen Rechts. 24

Krüger S. V (Vorwort). Kritisch gegenüber Ansätzen Krügers, Badura, JZ 66, S. 123 ff. 5 Krüger S. 784.

2

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

vom Wechsel seiner Bürger und Herrscher existieren kann und sich von einer schlichten Organisation dadurch unterscheidet, dass sie die in ihr enthaltenen Gebilde zu einer selbständigen Einheit zusammenschließt.26 Willens- und Handlungsfähigkeit erhalte die an sich unpersönliche und konstruierte Institution des Staates dabei durch ein System von Ämtern, in denen natürliche Personen als Amtsträger innerhalb ihres Amtsauftrages die staatliche Institution repräsentieren. Diesen Ämtern zugeordnet sei eine spezifische Amtsgewalt, die einen Ausschnitt aus der umfassenden Staatsgewalt darstellt und sich in Form von Gesetz, Verordnung oder Einzelakt äußere. 27 In der juristischen Konstruktion dieses staatlichen Ämtersystems betont Krüger, dass weder Amtsauftrag noch Amtsgewalt als subjektive Rechte oder Pflichten des Amtes oder des Amtsträgers aufgefasst werden können. Vielmehr sei bei der Erkenntnis zu verharren, „daß ,Gewalt4 ein weiterer Erklärung weder bedürftiges noch fähiges ontisches Element des Amtes ist und daß daher die Konstruktion von Pflichten und Rechten diesen Sachverhalt nur verdunkeln kann." 28 Die den Ämtern zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse rechnet Krüger daher allein der Institution Staat zu. Indem er innerhalb des als Ämtersystem verstandenen Staates weder Rechte noch Pflichten anerkennt, sondern diesen Bereich als durch den Begriff der Gewalt erschöpfend erfasst ansieht, wird durch Krüger auf diese Weise die von Laband geprägte Lehre der impermeablen juristischen Person des Staates in anderer Begrifflichkeit wiedererweckt. Amt und Amtsträger sind nichts anderes als Organ und Organträger; Staatsinstitution nichts anderes als die Fiktion eines Anknüpfungspunktes, dem umfassende hoheitliche Rechte und Pflichten zukommen. Diesen Anknüpfungspunkt mag man juristische Person nennen oder nicht, in jedem Fall wird er bei Krüger wie bei Laband als das Subjekt konstruiert, welches in sich die Allmacht der Staatsgewalt bündelt. Auch Krüger sieht nämlich in der Staatsgewalt ein Institut des öffentlichen Rechts29, welches notwendig ein Rechtssubjekt voraussetzt, dem diese Rechtsmacht zusteht und in dessen Namen sie geltend gemacht wird. Die Beziehungen der insofern mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten, an sich unpersönlichen Institution Staat zu ihren Bürgern versteht Krüger daher als Rechtsverhältnis. 30 Auch in der Charakterisierung dieses Staat-Bürger-Verhältnisses knüpft Krüger selbst in der Terminologie an die Staatsrechtslehre des Obrigkeitsstaates Laband'scher Prägung an, indem er der Allmacht der Staatsgewalt den unbedingten Bür26 Krüger S. 176 f. 27 Krüger S. 256 ff. 28 So Krüger S. 263 f., der damit gegen Theorie der realen Verbandspersönlichkeit des Staates argumentiert, die neben dem Staatsverband auch den Organen des Staates als juristischen Personen oder Organpersönlichkeiten Rechte und Pflichten zuschrieb. Vgl. oben 4. Kapitel II. 1. a). 29 Die Staatsgewalt definiert Krüger S. 818 als „die General- und Blankovollmacht des Staates, sich nach eigenem Gutdünken mit allen Mitteln versehen zu dürfen, deren es zur Auseinandersetzung mit eingetretenen oder drohenden Lagen bedarf." 30 Krüger S. 782.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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gergehorsam entgegenstellt. Zwar werde im demokratischen Verfassungsstaat der Gehorsam nicht mehr einem Fürsten, sondern dem an seine Stelle getretenen Volk geschuldet. Da dieses jedoch nicht unmittelbar Rechtssubjekt zu sein vermag, habe „man ihm die ,Staatspersönlichkeit4, den Staat als Juristische Person substituiert", die so dem einzelnen Bürger im staatlichen Rechtsverhältnis gegenübertrete. 31 Dieses Rechtsverhältnis charakterisiert Krüger als das „allgemeine Gewaltverhältnis", in dem sich die der Staatsgewalt unterworfenen und zum Gehorsam verpflichteten Bürger befinden. Gegenüber der als General- und Blankovollmacht definierten Allmacht der Staatsgewalt sei der Bürger zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Die Unterwerfung und der Gehorsam sei die Vollendung des in der Demokratie vom Bürger ausgehenden Prozesses der Staatshervorbringung und insofern eine Ehre für den Bürger. 32 Gegenüber der Staatsgewalt könne der Bürger daher keinen Freiraum beanspruchen; selbst Grundrechte können nach Krüger dem Bürger keine staatsfreie Sphäre sichern. Ausdrücklich widerspricht er dem seit Jellinek herrschenden Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und reduziert die Funktion der Grundrechte auf „eine Umschreibung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung." 33 Damit aber wird unmissverständlich an die positivistische Lehre der Freiheit vom gesetzwidrigen Zwang angeknüpft, die zu unbedingter Unterwerfung unter den im Rahmen seiner Gesetze handelnden Staat zwingt. 34 Die Rechtspersönlichkeit des Staates ist daher auch bei Krüger das juristische Kleid eines Staatsabsolutismus. Anders als bei Laband und Jellinek repräsentiert zwar nicht mehr die Person des Monarchen allein die Allmacht der Staatsgewalt, sondern eine an sich unpersönliche Institution bzw. ein System von Ämtern. Der Gehorsam der Gesamtheit der Untertanen bestimmt bei Krüger aber ebenso wie bei der führenden posisi Krüger S. 784 f. 32

Krüger S. 940 f. Für Krüger ebd. ist der Staat Produkt eines Staatsverwirklichungsprozesses, durch welchen sich die Menschen in einem Prozess mehrfacher Selbstverwandlung über den Status des Bürgers („der in Gemeinschaft mit seinesgleichen sich steigernd den repräsentierten Staat in Gedanken und Tat erzeugt"), des Gesellschaftsgliedes („wenn er als Mitglied der Öffentlichkeit ... an der Aufbereitung des Volkes zum Staate mitwirkt") zum Untertanen verwandeln. Dazu kritisch Quaritsch, Souveränität, S. 211 f. 33

Krüger S. 537 unter Berufung auf Laband und Jellinek. Die dem Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte zugrunde liegende Auffassung, dass der Freiraum des Einzelnen „prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt ist", hält Krüger für eine Missdeutung, die zu einer Umkehrung der Realität führe. Als „Gipfel der Selbsttäuschung" bezeichnet Krüger S. 945 die Wesensgehaltsgarantie gem. Art. 19 Abs. 2 GG, die nichts anderes bedeute, als dass Gehorsam gegenüber dem Staat selbst dann verweigert werden dürfe, wenn dieser notwendig sei, um die Existenz des Gemeinwesen zu bewahren. Ausnehmen von dem Verständnis der Grundrechte als bloße Formulierung des Gesetzmäßigkeitsprinzips möchte Krüger aber offenbar diejenigen Grundrechte, welche die NichtIdentifikation des Bürgers mit dem Staat sichern sollen, also etwa die Glaubens-, Gewissensund Meinungsfreiheit, vgl. Krüger S. 944 Fn. 10. 34 Vgl. oben 5. Kapitel V.

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

tivistischen Staatsrechtslehre des Kaiserreichs die Rechtskonstruktion des Staates. 35 Obwohl auch Krüger den Ursprung der Staatsgewalt im Volk nicht leugnet, vermag er in der rechtlichen Staatskonstruktion den Bürger nur als Untertan der juristischen Staatsperson darzustellen. Der zentralen Bestimmung des Grundgesetzes „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" wird damit ebenso wie schon Art. 1 Satz 2 WRV der Status einer politischen Leerformel ohne juristischen Gehalt zugewiesen.36 b) Angelehnt an Krüger hält auch Roman Herzog (geb. 1934) die Lehre vom Staat als juristische Person einerseits für eine Phraseologie, andererseits aber auch für durchaus nützlich, um den Staat von den in ihm handelnden Personen zu abstrahieren und ihn zugleich als Träger von Rechten und Pflichten zu konstruieren. Für Herzog ist der Staat eine permanente Organisation, die historisch „aus besonders ausgeprägten und konzentrierten Herrschafts Verhältnissen mächtiger Einzelpersonen entstanden ist." 3 7 Aus diesen ursprünglich individuell geprägten Herrschaftsverhältnissen sei mit der zunächst ethischen, dann rechtlichen Ablösung der Person des Herrschers von dem Herrscheramt ein funktional geprägtes Ämtergefüge entstanden. Die Differenzierung zwischen der Person des Herrschers und dem Herrscheramt mache es aber logisch notwendig, „einen neuen Zurechnungspunkt für das Herrscheramt, d. h. einen Treugeber zu finden, dessen Treuhänder der Herrscher ist." 3 8 Die von der positivistischen Staatsrechtslehre zu diesem Zweck in Verbindung mit der Organlehre entwickelte Bezeichnung des Staates als juristische Persönlichkeit kann und muss nach Herzog aber auch im demokratischen Staatswesen weiterhin herangezogen werden, um dem Staat eine selbständige Existenz jenseits der seine Befugnisse wahrnehmenden Einzelmenschen zuzuschreiben und um ihn an subjektiv-öffentliche Rechte, insbesondere Grundrechte, zu binden. 39 „In diesem Sinne", schließt Herzog, „ist der moderne Staat also ein System von Organschaften. Sollte diese Tatsache einmal ernstlich in Zweifel gezogen werden, so wäre eine Epoche in der Geschichte des Staates zu Ende." 40 c) Schließlich ist hier Ernst Forsthoff 41 (1902-1974) zu nennen, der den Staat im Sinne der von Jellinek und Wolff geprägten Organlehre als juristische Person des öffentlichen Rechts konstruiert. Ämter und Behörden können daher auch nach 35

So auch Badura, JZ 66, S. 123 ff. (123), der Krügers Staatslehre daher als „politischen Positivismus" charakterisiert, sowie Stettner S. 125 f. 36 Siehe oben 6. Kapitel III. 2. b). 37 Herzog S. 96. 38 Herzog S. 97 f. 39 Herzog S. 101. Herzog ebd. hält aber Gierkes Lehre von der realen Verbandspersönlichkeit des Staates für eine petitio principii, die in ihrer organologisch-anthropologischen Betrachtung „als erklärendes Modell des staatlichen Lebens ungeeignet ist." 40 Herzog S. 102. 41

Zu Forsthoffs Staats- und Verwaltungslehre vgl. weiter Friedrich, schaft, S. 406 ff. und Stettner S. 89 ff.

Staatsrechtswissen-

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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Forsthoff weder eine eigene Rechtspersönlichkeit noch im Sinne Gierkes eine besondere Organpersönlichkeit haben. Sie üben vielmehr im Rahmen ihrer Kompetenzen Rechte des zentralen staatlichen Herrschaftssubjektes aus.42 Dabei hat Forsthoff aber Bedenken, das unter Geltung des monarchischen Prinzips in Deutschland entstandene, daher ganz auf den exekutivisch geprägten Staat und die Äußerung seiner Staatsgewalt fixierte, juristische Staatsverständnis auf den pluralistisch bewirkten, mit den gesellschaftlichen Verbänden mehrfach verbundenen und auf die Daseinsvorsorge ausgerichteten Staat der modernen Industriegesellschaft zu übertragen. Im Zusammenhang mit den Studentenrevolten und der außerparlamentarischen Opposition am Ende der 60er Jahre klagt daher Forsthoff, die Bundesrepublik Deutschland könne wegen der Eliminierung sämtlicher hoheitlichherrschaftlicher Elemente im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes nach „den Kriterien der Staatlichkeit, die seit Jahrhunderten gelten", nicht mehr unter den klassischen Staatsbegriff subsumiert werden. 43 Trotz der Erkenntnis, dass das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes nicht mit den begrifflichen Kategorien der konstitutionellen Ära erfasst werden könne, vermochte Forsthoff aber die von der positivistischen Staatsrechtslehre des Kaiserreichs geprägte Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates nicht durch einen anderen Begriff zu ersetzen. Dieses Festhalten am Begriff der juristischen Staatsperson kennzeichnet indes auch die übrige Staatsrechtslehre, die trotz aller Bedenken gegenüber der positivistischen Staatskonstruktion keine dogmatische Alternative zur juristischen Staatspersönlichkeit sieht. 44 42

Forsthoff, VerwR I, S. 447 ff. Forsthoff kritisiert ebd. allerdings die Zurückführung aller staatlichen Betätigungen auf Willensäußerungen des Staates und die daraus resultierende Organlehre. Die Verrichtungen des modernen, auf die Daseinsvorsorge ausgerichteten Staates und seiner Behörden können, so Forsthoff, nicht mehr mit der Kategorie des Willensaktes erfasst werden. Der Begriff des Staatsorgans ist für ihn, a. a. O., S. 449 Fn. 2 daher nicht viel mehr als eine fa$on de parier. Dagegen sieht er die Behörden als Institutionen mit einer bestimmten Kompetenz an, die gemeinsam mit anderen über- und untergeordneten Institutionen die Gesamtinstitution Staat bilden. Ob mit dieser Sicht die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates in Frage gestellt werden soll, bleibt jedoch unklar. 43 Forsthoff, Staat der Industriegesellschaft, S. 158 und 165. Vgl. auch Schmitt, Begriff des Politischen, S. 11. Dazu Häberle, ZHR 136 (1972), S. 425 ff. (426 ff.); Kriele, Festschrift Wolff, S. 89 ff. (104). Auch Bäumlin S. 15 f. beklagt, insbesondere unter Bezugnahme auf die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates, dass der konstitutionelle Verfassungsstaat als „Urgrund" allen Rechts angesehen wird und das Recht der Gegenwart insofern an einer vergangenen Rechtskultur gemessen wird. 44 Vgl. Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (287) unter Bezugnahme auf Jesch, AöR 85 (1960), S. 472 ff. (484), der die Entwicklung eines dem modernen Staat angemessenen pluralistischen Staatsbegriffs für „die dringendste, aber auch schwierigste Aufgabe" hält, die der modernen Staatsrechtslehre gestellt ist, gleichwohl aber die Erfassung des Staates als juristische Person als Zurechnungspunkt für die Handlungen der staatlichen Organe für unentbehrlich hält. Als gegenwärtige Anhänger der herrschenden Lehre vom Staat als juristische Person seien exemplarisch genannt: Doehring S. 16; Ermacora § 119; Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 6ff.; Laun S. 77ff.; Scheuner, Staat, S. 653ff. (662f.); Schlink, Staat 28 (1989), S. 161 ff. (161); Siekmann. Festschrift Stern, S. 341 ff. (350 f.); Zippelius § 13 II.

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz 3. Neuansätze zur rechtsdogmatischen Erfassung des Staates

Eine grundsätzliche Ablösung von der herrschenden positivistischen Staatsrechtskonstruktion ist dagegen von nur wenigen Autoren versucht worden. Gemeinsamer Ausgangspunkt dieser Ansätze ist dabei die von Heller geprägte, dem statischen Modell des positivistischen Staatsbegriffs entgegengesetzte Charakterisierung des Staates als organisierte Wirk- und Handlungseinheit der menschlichen Gesellschaft. 45 a) Gleichermaßen beeinflusst von Schmitt, Heller und Smend hat bereits Gerhard Leibholz (1901-1982) in seinem 1929 in der ersten Auflage erschienenen Werk über das Wesen der Repräsentation bemerkt, dass die herrschende positivistische Richtung der Staatsrechtslehre die veränderte politische und rechtliche Wirklichkeit noch mit Vorstellungen, Kategorien und Begriffen zu erfassen sucht, die einer vergangenen Epoche entstammen.46 Den Grund dafür sieht Leibholz - neben der Verkennung der Rolle der Repräsentation47 - in der juristischen Trennung zwischen Staat und Volk, durch die das Volk nur als Element des Staates und als Staatsorgan in Erscheinung trete. Mit der traditionellen Terminologie, die den Staat als Rechtspersönlichkeit zum Subjekt der Souveränität erklärt, sei daher die zentrale Verfassungsbestimmung, welche das Prinzip der Volkssouveränität proklamiert, nicht darstellbar. Vielmehr werde das Volk „als außerhalb des Abstraktums Staat stehend möglichst aus der staatsrechtlichen Betrachtung überhaupt zu eliminieren gesucht."48 Anders als noch in der konstitutionellen Monarchie ist nach Leibholz aber in der modernen Demokratie das Volk eine politisch ideelle Einheit, die im Staat nur ihre rechtliche Organisation erschafft. Die Rechtspersönlichkeit des Staates sei daher nur Ausdruck der Rechtssubjektivität des Volkes 4 9 Ebenso wie man von Organen des Staates rede, könne man somit auch von Organen des Volkes sprechen. Um dem Prinzip der Volkssouveränität auch rechtlichen Gehalt zu vermitteln, rückt Leibholz deshalb die Lehre von der Repräsentation gegenüber der Organlehre in den Vordergrund. Dabei bedeutet ihm Repräsentation, „daß etwas nicht real Präsentes wieder präsent, das heißt existenziell wird, etwas was nicht gegenwärtig ist, wieder anwesend gemacht wird." 5 0 Dem Parlament kommt nach Leibholz Vgl. Bäumlin S. 17 f.; Böckenförde, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 561 ff. (622); Stettner S. 222; Volkmann, JuS 96, S. 1058 ff. (1063). Kritisch demgegenüber Vesting, Der Staat 31 (1992), S. 161 ff. (170 ff.). Zu Hellers Staatslehre siehe oben 6. Kapitel III. 2. 46

Leibholz, Wesen Repräsentation, S. 242. Vgl. auch ders., Strukturprobleme, S. 262 ff. Vgl. zur Dogmengeschichte des Begriffs der Repräsentation und seiner Verknüpfung mit der Organlehre, Pollmann S. 45 ff. 48 Leibholz, Wesen Repräsentation, S. 131. 49 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 128 f. unter Bezugnahme auf Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 830f.: „... das Volk wird sich als geistig-sittliches Einheitswesen eins fühlen mit dem Staat." 47

50

Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 26.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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daher zunächst die Aufgabe zu, das Volk zu repräsentieren, also juristisch zu verkörpern. Neben der Repräsentation der politisch-ideellen Einheit des Volkes51 habe das Parlament aber zugleich die Funktion, als ein Willensorgan der rechtlichen Organisation des Volkes (also des Staates) zu wirken. 52 Für unvereinbar mit diesen Veränderungen hält Leibholz allerdings die Konsequenzen der herrschenden Organlehre, nach der der Staat einzig in seinen Organen existiert. „Ist der staatliche Verband, wie die Organismuslehre Gierke's immer schon betont hat, nur die rechtliche Organisation der dieser real zugrundeliegenden Volksgemeinschaft, so darf man vor allem nicht irgendwie von einer »Aufsaugung 1 der Verbandsperson durch das Organ sprechen, ohne zugleich zwei heterogene Dinge und Probleme, nämlich die Existenz des »Organismus4 und dessen Organisation, in unzulässiger Weise miteinander zu vermengen/' 53 In Anknüpfung an Gierke erkannte Leibholz insoweit auch Rechtsbeziehungen zwischen der juristischen Staatsperson und ihren Organen an. Trotz der terminologischen Kritik bleibt daher auch bei Leibholz die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates und die Organlehre im Prinzip erhalten. Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates wird bei Leibholz nur zugunsten der Repräsentation des Volkes modifiziert und im Sinne der Organismustheorie Gierkes umgedeutet.54 b) Die Schwierigkeit, die juristische Konstruktion des Staates mit der sozialen Realität der pluralistisch bewirkten Einheit des Staates und der vom Volk ausgehenden souveränen Staatsgewalt zu vereinbaren bemerkt auch Otto Kimminich (geb. 1932). Die traditionellen Beschreibungen des Staates sind daher für Kimminich fragwürdig geworden. 55 Der Staat könne aus diesem Grund nicht mehr als über den Einzelnen stehende, den Einzelnen nicht verantwortliche Persönlichkeit gedeutet werden. Für Kimminich ist der pluralistische Staat der modernen Demokratie nicht statischer Zustand, sondern ein dynamisches Feld von Beziehungen.56 Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG und das Prinzip der Volkssouveränität sei keine Leerformel. Jeder Bürger in der Demokratie sei vielmehr aktueller Machtträger. Diese Rechtslage sucht Kimminich mit der Tatsache, dass nur bestimmte Bürger für den Staat handeln, rechtlich durch das Mehrheitsprinzip, die Repräsentation und die 51

Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 45 definiert dabei das Volk als „ein den Individuen gegenüber höheres Sein, eine konkrete Totalität, die zugleich auch das Erbe vergangener Generationen, wie im Keime das Leben zukünftiger Geschlechter umfasst." 52 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 126 ff. Anders als der Begriff des Organs, der ein Rechtssubjekt als Zurechnungspunkt voraussetzt, könne von Repräsentation auch gesprochen werden, wenn eine ideelle Einheit, z. B. das Volk, repräsentiert werde. Organe des Staates können nach Leibholz daher zugleich Repräsentanten des Volkes sein. 53 Leibholz, Wesen Repräsentation, S. 133. 54 Vgl. Höhn, Staatsbegriff, S. 7. 55 Kimminich, Einführung, S. 91. 56 Kimminich, Einführung, S. 89. Ähnlich ders., VVDStRL 25 (1967), S. 2 ff. 57 f.) und Hesse, Verfassungslehre, Rn. 7 ff.

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

herkömmliche Organlehre zu vereinbaren. 57 Diese setze nämlich gerade nicht das Vorhandensein einer Überpersönlichkeit voraus, da der angebliche Wille der Staatsperson kein anderer als der eines menschlichen Individuums sein könne. Dieses Individuum, dessen Wille als Wille des Staatsverbandes gilt, sei insofern Willenswerkzeug oder Organ des staatlichen Verbandes.58 Insoweit sei die Organlehre nur die juristische Konstruktion für das Handeln im Namen des demokratischen Staates und daher neben Mehrheitsprinzip und Repräsentation, denen die Aufgabe zukomme, die staatliche Einheit gegenständlich zu machen, das Mittel, um dem Prinzip der Volkssouveränität Geltung zu verschaffen. 59 Kimminich überträgt damit die von Jellinek und Wolff auf der Grundlage der Theorie von der Rechtspersönlichkeit des Staates entwickelte Lehre von den Staatsorganen auf den von ihm als dynamisches Beziehungsfeld charakterisierten Staat der modernen Demokratie. Ohne einen statischen zentralen Zurechnungspunkt ist jedoch die von Jellinek auf eine willens- und handlungsfähige Rechtsperson bezogene Organlehre nicht denkbar. Indem er so die Vorstellung des Staates als juristische Person verwirft, ohne an deren Stelle einen anderen Zurechnungspunkt für Organhandlungen sowie Rechte und Pflichten des Staatsverbandes zu setzen, nimmt Kimminich der Organlehre ihre wesentliche Voraussetzung. c) Für Hans Heinrich Rupp (geb. 1907) sind vor allem die rechtlichen Konsequenzen, die aus der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates gezogen werden, der Anlass, um die überkommenen Grundbegriffe des staatsrechtlichen Organisationsrechts zu überdenken. Deswegen ist für ihn das Hauptanliegen seiner Untersuchung, „gegen die aus dem Zivilrecht stammende juristische Persönlichkeitslehre des Staates und dagegen anzugehen, daß aus der menschengleichen Einheit der juristischen Person Staat irgendwelche Folgerungen gezogen werden." 60 In diesem Sinne hält er vor allem die aus der Persönlichkeitslehre abgeleitete Impermeabilitätsdoktrin für verfehlt. Differenziere man, wie die von Laband und Jellinek formulierte herrschende Lehre, zwischen Außenrechtsbeziehungen der Staatsperson einerseits und staatlichen Innenverhältnissen, denen jede Rechtsqualität fehlt, andererseits sei eine eindeutige Abgrenzung beider Bereiche kaum möglich. Sehe man nämlich den Staat aus dem Blickwinkel des Völkerrechts, seien auch die üblicherweise als Außenverhältnisse qualifizierten Beziehungen des Staates zu seinen Bürgern bloße Innenverhältnisse ohne Rechtssatzqualität. Bei einer solchen Betrachtungsweise61 „gäbe es aber nicht nur kein Staatsrecht, sondern 57 In der Organlehre sieht Kimminich, Einführung, S. 279 die Hinterlassenschaft der ansonsten als „verhängnisvoller Irrtum" erwiesenen Organismus-Theorie des Staates. 58 Kimminich, Einführung, S. 279 unter Berufung auf Jellinek, Staatslehre, S. 540. 59 Kimminich, Einführung, S. 281. Ähnlich Bärsch S. 129 ff. 60 Rupp S. 22. 61 Schon Mohl, Encyklopädie, S. 415 ff., beschränkte den Begriff des Außenverhältnisses der Staatsperson auf das Völkerrecht, während er das Verhältnis des Monarchen zu seinen Untertanen als staatliches Innenrecht bezeichnete, vgl. oben 2. Kapitel II. 2. a).

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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überhaupt kein innerstaatliches Recht mehr; Rechtsqualität besäße ausschließlich das Völkerrecht." 62 Für Rupp ist daher die aus der Lehre von der Staatsperson abgeleitete Impermeabilitätsdoktrin mit ihrer Unterscheidung zwischen Innen- und Außenbereich bzw. zwischen rechtsfreien und rechtsbeherrschten Kreisen bereits im Ansatz verfehlt. Zwar sind auch für ihn die Beziehungen innerhalb der staatlichen Organisation anders aufzufassen als das Verhältnis zwischen Staat und Bürger oder zu anderen Staaten. Es würde aber eine „höchst bedenkliche Unterwanderung des Grundgesetzes" bedeuten, wenn man noch heute den Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Organen bzw. zwischen dem Staat und seinen Organwaltern die Rechtssatzqualität abspräche.63 Der Staat ist für Rupp aus diesem Grund ein vielschichtiges Gebilde, welches mit einem einheitlichen und absoluten Begriff der Rechtssubjektivität nicht erfasst werden könne. Ohne dass damit zugleich die juristische Persönlichkeit des Staates aufgegeben werden müsse, bedeute insofern „der in der Rechtsrelation des Völkerrechts, in den Beziehungen zu den Staatsbürgern oder im Rechtsverhältnis zu seinen Organen oder Organwaltern als korrespondierender Bezugspunkt auftretende ,Staat4 jeweils etwas anderes." 64 Die Möglichkeit, den Staat als Träger von Rechten und Pflichten zu begreifen, ist für Rupp somit nicht notwendig mit der dem Zivilrecht entlehnten Rechtsfigur der juristischen Person verknüpft. Um nicht in einen „unbegreifbaren Pluralismus von Kompetenzträgern" zu verfallen, hält aber auch Rupp an der Organlehre insoweit fest, als er die einzelnen Staatsorgane als Kompetenzkomplexe begreift 65 , die grundsätzlich eines rechtstechnischen Zurechnungssubjekts bedürfen. Auch er bekennt sich daher zu der Notwendigkeit, das Gefüge der staatlichen Organe in einem einheitlichen Rechtssubjekt zu bündeln, welches als solches gegenüber Staaten, Bürgern oder Staatsbediensteten agiert. Dieses 62

Rupp S. 21. Gegen die Verbindung der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates mit der Impermeabilitätsdoktrin wendet sich auch Jesch, AöR 85 (1960), S. 472 ff. (485). w Rupp S. 22 ff. 64 Rupp S. 23. 65 In der näheren Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses, in welchem das Staatsorgan zum Staat und zu Dritten steht, knüpft Rupp einmal mehr an die seit Gierke geläufige Vorstellung einer besonderen Organpersönlichkeit an. Bedingt durch die Relativität der Rechtspersönlichkeit ist für Rupp S. 81 das Staatsorgan zwar Rechtssubjekt nach innen, also gegenüber dem Staat und gegenüber anderen Staatsorganen (wobei Rupp S. 99 die Rechtssubjektivität auf Rechtspflichten der Organe beschränkt), andererseits aber im Rahmen seiner organschaftlichen Kompetenzen als bloßer Rechtswalter nach außen niemals Rechtssubjekt. Aber das Staatsorgan könne neben seiner Funktion als relativ rechtsfähiges Organ zugleich als Zurechnungsendpunkt für besondere Rechte und Pflichten fungieren, mithin zugleich eigenständige juristische Person sein. Dies führe etwa bei den Aufgaben der Gemeinden zu der rechtlich bedeutsamen Unterscheidung zwischen Aufgaben im übertragenen und im eigenen Wirkungskreis, vgl. Rupp S. 101. Wolff/ Bachof, VerwR II, § 74 II a) arbeitet hier demgegenüber mit dem vom Organ geschiedenen Begriff des „Gliedes" der staatlichen Organisation. Kritisch zu diesem Gesamtkomplex, Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (277 ff. und 291 Fn. 77) und unten Fn. 74.

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

Zurechnungssubjekt ist auch für ihn der Staat als Rechtssubjekt. Er sei mit juristischen Abstraktionen zwar zu denken, aber letztlich erklärbar nur durch historische oder soziologische Methoden. Offenbar hält damit auch Rupp trotz seiner einleitenden grundsätzlichen Kritik an der Lehre von der Rechtssubjektivität des Staates als rechtstechnischer Abstraktion fest. Zwar fordert er, dass „man sich von der Identifizierung des Staates mit der Funktionsorganisation und einer rechtsimpermeablen juristischen Person löst und den Staat als vom Recht beherrschte und durchdrungene, historisch, politisch, kulturell oder soziologisch zusammengewachsene Gemeinschaft ansieht."66 Ein alternativer, zur rechtstechnischen und dogmatischen Erfassung des Staates geeigneter Rechtsbegriff für die staatliche Gemeinschaft ist damit aber nicht gewonnen.67 d) Den letzten, zugleich aber auch konsequentesten Versuch zu einer Neubestimmung der dogmatischen Grundbegriffe des staatlichen Organisationsrechts hat Ernst-Wolfgang Böckenförde (geb. 1930) in der 1973 erschienenen Festschrift für Hans-Julius Wolff unternommen. Ausgangspunkt seiner Kritik an der von Gerber, Laband und Jellinek begründeten, von Wolff en détail ausformulierten juristisch-dogmatischen Staatsrechtskonstruktion ist für Böckenförde die, aus der normativen Isolierung des Staatsbegriffs resultierende, einseitige Ausrichtung des Staatsorganisationsrechts auf den zentralen Bezugspunkt der juristischen Staatsperson. Die das staatliche Organisationsrecht wesentlich bestimmende Organlehre sei in ihrer hierarchisch schematischen Bezogenheit auf die juristische Person nicht geeignet, die soziale Wirklichkeit der vielgliedrigen und vielgestaltigen, in sich differenzierten staatlichen Organisationen begrifflich und rechtstechnisch zu erfassen. Die juristischen Auseinandersetzungen, die gegenwärtig um die Anerkennung der sogenannten Innenrechtsbeziehungen als echte Rechtsbeziehungen, um den Rechtscharakter des sogenannten Insichprozesses sowie um die Qualifizierung der Kompetenzen staatlicher Organe als gerichtlich schützenswerte Rechtspositionen geführt werden 68, sind für Böckenförde daher an sich unnötige Konsequenzen einer verfehlten, der sozialen Wirklichkeit nicht entsprechenden, juristischen Begriffsbildung. 69 Diese Vermutung wird nach Böckenförde erhärtet durch den erheblichen konstruktiven Aufwand, mit welchem gewisse Phänomene der staatlichen Organisation wegen des auf die Zurechnungseinheit der juristischen Person ausgerichteten normativen Organbegriffs erfasst werden müssen. Unter Zugrundelegung des von 66 So Rupp S. 110. 67 Ebenso Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (288). 68 Zu diesem mit der rechtlichen Natur der Beziehungen innerhalb der juristischen Person zusammenhängenden Fragenkomplex siehe exemplarisch Erichsen, Der Innenrechtsstreit, Festschrift Menger, S. 211 ff.; Hoppe, Organstreitigkeiten und organisationsrechtliche subjektiv-öffentliche Rechte, DVB1. 70, S. 845 ff.; Hufen § 21 Fn. 1 ff.; Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung; Maurer § 21 Fn. 19ff.; Rupp S. 19ff. sowie Stettner S. 70ff. 69 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (272 ff.); ders., Gesetz, S. 333 f.

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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Jellinek und Wolff geprägten Organbegriffs 70 lasse sich zunächst das rechtliche Beziehungsverhältnis mehrerer Organe einer juristischen Person zueinander nicht sachgerecht erfassen. Das Organ nehme hier ja gerade nicht transitorisch Eigenzuständigkeiten der juristischen Person gegenüber anderen Rechtspersonen wahr, sondern übe eigene innerorganisatorische Zuständigkeiten, bzw. eigene Rechte und Pflichten gegenüber anderen Organen desselben Rechtsträgers aus. Dieses auf Bundesebene gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG als justiziabel anerkannte, zum Teil äußerst bedeutsame Rechtsverhältnis könne von der herrschenden Lehre, die ja seit Jellinek die Organe als rein objektivrechtliche Kompetenzkomplexe definiert, nur durch Hilfskonstruktionen und eine Relativierung des Organbegriffs systematisch dargestellt werden. 71 Für widersprüchlich und unausgereift hält Böckenförde auch die dogmatische Konstruktion der herrschenden Lehre bei der Einbeziehung organisatorisch verselbständigter, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteter Einheiten in das staatsrechtliche Organisationsgefüge. Der in der Praxis alltägliche Befund, dass Gemeinden - die per Legaldefinition als Gebietskörperschaften, also als juristische Personen gelten 72 - vom Staat übertragene und im staatlichen Auftrag wahrzunehmende Aufgaben erledigen, sei unter Geltung des Dogmas vom Staat als juristische Person nicht ohne Aufgabe der zentralen systematischen Prämissen darstellbar. Obwohl die Gemeinden ihrer Funktion nach hier als staatliche Organe fungieren, sei es begrifflich unmöglich, eine eigenständige juristische Person unter den Wolff' sehen Organbegriff zu subsumieren. Wolff müsse die Gemeinden daher als „Glieder" der staatlichen Organisation bezeichnen73, deren Wesen darin bestehe, im eigenen Namen und in eigener Trägerschaft Aufgaben einer anderen juristischen Person wahrzunehmen. Rechtstechnischer Bezugspunkt bzw. Oberbegriff dieser Glieder sei insofern nicht mehr die juristische Persönlichkeit 70 Siehe oben 5. Kapitel III. und 6. Kapitel II. 2. c), sowie Wolff, VerwR II, § 74 I f), wo das Organ als „institutionelles Subjekt von Zuständigkeiten zur transitori sehen Wahrnehmung von Eigenzuständigkeiten einer Juristischen Person" definiert wird. Ähnlich, aber auffälligerweise nicht mehr auf die juristische Person bezogen, die spätere Definition bei Wolff/ Bachof, VerwR II, § 74 I f)· Organ ist „ein durch organisierende Rechtssätze gebildetes, selbständiges institutionelles Subjekt von transitorischen Zuständigkeiten zur funktionsteiligen Wahrnehmung von Aufgaben einer (teil-Rechtsfähigen Organisation." Vgl. zum Organbegriff Wolffs auch Pollmann S. 88 Fn. 283 und Forsthoff, VerwR I, S. 447 ff. 71 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (277 ff.) unter Bezugnahme auf Wolff, VerwR II, § 74 I f) L 7), der in diesem Fall dem Organ als „Zwischen-Träger" Teilrechtsfähigkeit „in bezug auf die Verfassung der Organisation" zuerkennt, um nicht wie bei Jellinek, Staatslehre, S. 560 angedeutet, die Rechtsqualität des verfassungsrechtlich anerkannten Organstreits anzweifeln zu müssen. Ebenso noch Wolff/ Bachof, VerwR II, § 701 f) 8. 7). 72 Vgl. die auf § 1 Abs. 2 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl. I S. 49) zurückgehenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen in den deutschen Flächenländern Baden-Württemberg (§ 1 Abs. 4), Bayern (Art. 1), Brandenburg (§ 1 Abs. 2), Hessen (§ 1 Abs. 2), Mecklenburg-Vorpommern (§ 1 Abs. 2), Niedersachsen (§ 1 Abs. 2), NordrheinWestfalen (§ 1 Abs. 2), Rheinland-Pfalz (§ 1 Abs. 2), Saarland (§ 1 Abs. 2), Sachsen (§ 1 Abs. 2), Sachsen-Anhalt (§ 1 Abs. 2), Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 2) und Thüringen (§ 1 Abs. 2). 73 Vgl. Wolff,

VerwR II, § 74 II a) und Wolff /Bachof, VerwR II, § 74 II a).

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

des Staates, sondern eine davon verschiedene staatliche Organisation. Durch die Anerkennung einer von der juristischen Staatsperson zu unterscheidenden staatlichen Organisation werde allerdings die zentrale Prämisse der herrschenden Staatsrechtskonstruktion, nämlich die begrifflich-konstruktive Darstellung der Einheit der Staatsorganisation durch die juristische Persönlichkeit des Staates als dem zentralen Zurechnungsendsubjekt74, aufgegeben. Damit ist für Böckenförde die Ungeeignetheit des Begriffs der juristischen Person zur rechtlichen Darstellung der staatlichen Einheit und zur konstruktiven Erfassung der organisatorischen Rechtswirklichkeit erwiesen. Denn eine „Organisation, die sich als Juristische Person darstellt, kann nicht Organisationen, die sich ebenfalls als Juristische Personen darstellen, zu ihren - wie immer gearteten - Teilen haben."75 Schließlich, so Böckenförde, werde es mit dem organisationsrechtlichen Begriffssystem der von Wolff geprägten Staatspersönlichkeitslehre voll und ganz unmöglich, einigermaßen verständlich staatliche Organe zu konstruieren, die selbst eine innere organisatorische Gliederung aufweisen. Stark differenzierte Staatsorgane wie etwa der Deutsche Bundestag, die sich wiederum in eigene Organe (Bundestagspräsident, Fraktionen, Ältestenrat usw.) mit zum Teil eigener Organisation gliedern, seien aus Sicht der zentralen Zurechnungseinheit der juristischen Staatsperson Organ-Organe bzw. Organe eines Organ-Organs. Die von Wolff ohne Rücksicht auf die organisatorische Verselbständigung benutzte Bezeichnung eines „Unterorgans" 76 führe dann dazu, dass etwa organisationsrechtlich unselbständige Abteilungen innerhalb des Regierungspräsidiums begrifflich auf die gleiche Stufe gestellt werden wie die mit eigenen Kompetenzen ausgestatteten Ämter des Schuldirektors oder des Bundestagspräsidenten. Um der Tatsache, dass einzelne Teile staatlicher Organe von der Rechtsordnung als Subjekt eigener, auch gegenüber dem Organ selbst rechtlich 74

So die Definition der Staatsperson bei Wolff, Band I, S. 437 f. als „ein durch das Volkerrecht einerseits und durch die Allgemeine Rechtsordnung andererseits begründetes konstruktiv annehmbares Zurechnungsendsubjekt." Böckenförde zitiert Wolff allerdings unvollständig. Denn von dieser „Staatsperson" als der juristischen Persönlichkeit des Staates unterschied Wolff schon in seiner Habilitationsschrift den „Staat" als „Komplex derjenigen juristisch-normativen Beziehungen, die unmittelbar oder mittelbar von einer obersten positiven Norm (oder einem solchen Normensystem) delegativ abhängen." Vgl. Wolff, Band I, S. 437 und oben 6. Kapitel II. 2. c). Offenbar meint Wolff insofern mit der „staatlichen Organisation" den der Staatsperson übergeordneten „Staat". Damit unvereinbar wäre jedoch die Aussage bei Wolff, Band I, S. 436 Fn. 4, dass der Staat nicht mit anderen juristischen Personen (also etwa mit Gemeinden) koordiniert werden könne; eben dies erfolgt schließlich durch die Lehre von den Gliedern der staatlichen Organisation. In vollem Umfang berechtigt bleibt Böckenfördes Kritik dagegen, wenn man Wolff dahingehend versteht, dass mit der „staatlichen Organisation" ein Gebilde zwischen den in seiner Habilitationsschrift definierten Größen „Staat" und „Staatsperson" gemeint ist. Siehe dazu auch den Versuch einer Richtigstellung bei Wolff/ Bachof, VerwR II, § 741 f). 75 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (281). Nicht das Vorhandensein einer juristischen Person als Zurechnungseinheit, sondern allein der Grad der organisationsrechtlichen Verselbständigung innerhalb der Gesamtorganisation ist daher für Böckenförde ebd. der entscheidende Gesichtspunkt für begriffliche Differenzierungen.

76 Wolff,

VerwR II, § 74 I 0 6. ß).

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

161

geschützter Zuständigkeiten anerkannt seien, müsse zudem auch Wolff seinen ursprünglichen Organbegriff verlassen, da diese von ihm als „selbständige Organteile" mit eigener Organqualität bezeichneten Einheiten77 nicht Eigenzuständigkeiten der juristischen Person wahrnehmen, sondern eigene Zuständigkeiten gegenüber der Organisation ausüben. Auch hier sei Bezugspunkt für das selbständige Organteil nicht mehr die juristische Person, sondern die Handlungseinheit der Organisation. Es entstehe dadurch ein neuer Organbegriff, von dem der bisherige nur eine Unterart bilde. 78 Als Fazit seiner kritischen Untersuchungen kommt Böckenförde letztendlich zu dem Schluss, dass die Schwierigkeiten und Ungereimtheiten sowie der zum Teil erhebliche Konstruktionsaufwand bei der rechtsdogmatischen Erfassung des organisatorischen staatlichen Wirkungsgefüges in der verfehlten Lehre vom Staat als einer geschlossenen juristischen Person verwurzelt sind: „Die zutage getretenen Schwierigkeiten der sachgerechten begrifflichen Erfassung und juristischen Konstruktion zentraler Gegebenheiten im Bereich der staatlichen Organisation lassen sich", so Böckenförde in der Zusammenfassung, „auf wenige Grundansätze der organisationsrechtlichen Begriffsbildung zurückführen. An erster Stelle steht die Verankerung des organisationsrechtlichen Begriffssystems in dem von der Realität und der Wirkweise organisatorischer Gebilde abgelösten, ganz unter Zurechnungsgesichtspunkten konzipierten, rechtstechnisch-konstruktiven Begriff der Juristischen Person als dem zentralen Ausgangs- und Bezugspunkt; daraus folgend, die Bestimmung des Organbegriffs primär als eines am Vertretungsgedanken orientierten Zurechnungsbegriffs anstelle eines an der Handlungs- und Wirkeinheit orientierten Funktionsbegriffs sowie seine unmittelbare Beziehung auf die rechtstechnische Zurechnungseinheit der Juristischen Person statt auf die relativ selbständige reale Handlungseinheit der Organisation; schließlich die organisationsrechtliche Qualifizierung des Staates durch den auf die rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten der staatlichen Organisation in keiner Weise bezogenen, ihre sachgerechte Erfassung vielmehr ausschließenden Begriff der Juristischen Person." 79 Die Erarbeitung eines alternativen juristischen Staatsbegriffs ist daher für Böckenförde eine zentrale Aufgabe der gegenwärtigen Staatsrechtslehre. 80 Ausgangspunkt für dieses Unternehmen ist dabei auch für ihn die auf Hermann Heller zurückgehende Erkenntnis, dass der demokratische Staat als soziales Gebilde weder eine statisch vorgegebene noch eine nur fingierte Einheit, sondern eine organisierte, reale menschliche Wirkungseinheit sei. 81 Grundlage dieser sozialen Handlungs- und Wirkeinheit und Voraussetzung für ihre Beständigkeit im Sinne einer 77 So Wolff,

10.

VerwR II, § 74 I 0 6. 6). Dazu berichtigend Wolff/

78 Böckenförde, 79 Böckenförde, so Böckenförde,

Festschrift Wolff, S. 269 ff. (282 ff.). Festschrift Wolff, S. 269 ff. (286 f.). Gesetz, S. 334. So auch Jesch, AöR 85 (1960), S. 472 ff. (484).

8i Heller, Staatslehre, S. 228, vgl. oben 6. Kapitel III. 2. 11 Uhlenbrock

Bachof, VerwR II, § 74 I 0

162

8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

dauerhaften Organisation ist nach Böckenförde die Existenz von bestimmten, das Volk repräsentierenden, obersten Organen (im sozialwissenschaftlichen Sinn), die durch ihr organisierendes, lenkendes und das Einheitsbewusstsein der Bevölkerung aktualisierendes Verhalten Entstehung und Erhalt der Organisation als eines einheitlichen Wirkungszusammenhanges gewährleisten sowie eine normative Ordnung, die das Verhalten der Organe, Art und Maß der Einheitsbe Wirkung und - Wirkung rechtsgebunden und kontinuierlich regelt. 82 Die Tatsache, dass der Staat erst durch planvolles und beständiges, bewusst auf Einheitsbildung gerichtetes menschliches Handeln entstehe und insofern ein zwar vielheitlich bewirktes, aber einheitlich wirkendendes soziales Handlungsgefüge sei, müsse auch die Grundlage des juristischen Staatsbegriffs bilden. Dieser habe insofern eine schon vorgegebene rechtlich-soziale Wirklichkeit gedanklich zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen. 83 Ausgehend von diesen soziologischen Vorgaben kann die demokratische staatliche Einheit nach Böckenförde rechtlich nur durch den Anstaltsbegriff erfasst und konstruiert werden. Im gesellschaftlich-sozialen wie im juristischen Sinne habe die staatliche Einheit als „eine von mehreren Organen (im sozialwissenschaftlichen Sinn) maßgeblich bewirkte, aber mit diesen nicht identische Handlungs- und Wirkeinheit" insgesamt anstaltlichen Charakter. 84 Im Gegensatz zu der Lehre vom Staat als juristische Person sei die Anstalts-Konstruktion geeignet, den Staat als eine vom Volk ausgehende demokratische „Veranstaltung" darzustellen. Denn während im Rahmen der Staatspersönlichkeitslehre das Volk als bloßes Kreationsorgan der rechtlich absolut verselbständigten juristischen Person erscheine, vermag nach Böckenförde das Anstalts-Modell allein die dem demokratischen Prinzip entsprechende Stellung des Volkes im Staat zum Ausdruck zu bringen. Hier, so Böckenförde, erscheine nämlich das Volk als „Herr" und Ausgangspunkt der staatlichen Anstalt, während sich die obersten Verfassungsorgane als „die repräsentativen, die Leitung und Lenkung der Anstalt Staat unmittelbar für den Anstaltsherrn Volk ausübenden Organe" darstellen, welche - vom Volk beauftragt und eingesetzt - ihre Funktionen nach Maßgabe der Verfassung repräsentativ wahrnehmen.85 Als An82 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (293 f.) unter Bezugnahme auf Heller, Staatslehre, S. 231 f. Ähnlich Bäumlin S. 37 ff., der gegenüber der herkömmlichen Zuordnung und Abgrenzung von Willensäußerungen der Staatspersönlichkeit die Funktion der zeitlichen Zuordnung einer Aufgabe innerhalb des staatlichen Wirkungsgefüges hervorhebt, sowie Hesse, Verfassungslehre, Rn. 16 f. 83 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (292). Böckenförde, a. a. O., S. 288 kritisiert daher die Ablösung der öffentlich-rechtlichen Grundbegriffe von den sozialen Erscheinungen durch „freie" Begriffskonstruktionen. In der öffentlich-rechtlichen Dogmatik sei hier noch die begriffsjuristische Methode wirksam, die aus „dem Zivilrecht entnommene und von zivilrechtlichen Problemstellungen inhaltlich geprägte Begriffe" als rechtstheoretisch-allgemeine Grundbegriffe unreflektiert zur Erfassung öffentlich-rechtlicher Gegebenheiten anwendete, vgl. oben 3. Kapitel I. und Werner Weber, S. 11 ff. 84 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (294 f.). 85 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (296). Als Repräsentationsorgane der Organisation versteht Böckenförde a. a. O. Fn. 92 daher „diejenigen Leitungsorgane, die durch ihre

II. Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates

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stalt trete der Staat zudem nicht, wie in der Form der juristischen Person, als übergreifende Ganzheit und absolute Rechtspersönlichkeit über das Volk, sondern bleibe trotz der möglichen, relativen rechtlichen Verselbständigung einer fortdauernden Einwirkungsmöglichkeit des Anstaltsherrn ausgesetzt. Die „politisch-organisationsmäßige Wirklichkeit, wie sie dem Prinzip der politischen Demokratie gemäß ist", werde damit bruchlos in die juristische Konstruktion überführt. 86 Da sich der Staat als menschliche Handlungs- und Wirkungseinheit darstellt, müssen nach Böckenförde auch die organisationsrechtlichen Grundbegriffe auf Handlungszusammenhänge bezogen werden anstatt wie bisher allein unter Zurechnungsgesichtspunkten auf den zentralen Rechtsträger der juristischen Person. Neben der juristisch-normativen Erfassung der staatlichen Gesamtorganisation mit dem Begriff der Anstalt stellt er dabei die Begriffe der Organisation und des Organs in den Mittelpunkt eines alternativen, handlungsbezogenen organisationsrechtlichen Begriffsinstrumentariums. Während dabei das Organ ein einheitliches Handlungssubjekt darstellt, bezeichnet er als Organisation eine in verschiedene Handlungssubjekte gegliederte Handlungs- und Wirkungseinheit, die von der Rechtsordnung mit bestimmten Aufgaben und Zuständigkeiten betraut wird und diese im Verhältnis zu anderen Einheiten rechtlich relativ verselbständigt wahrnimmt. 87 Der handlungsbezogene Begriff der Organisation schließt nach Böckenförde nicht aus, dass eine Organisation in weitere Organisationen gegliedert ist, die

Leitungs- und Aktualisierungstätigkeit den einheitlichen Wirkzusammenhang der Organisation allererst herstellen, die gewährleisten, daß überhaupt gehandelt wird und dem Handeln der Organisation Maß und Richtung geben." Da der von Heller übernommene, sozialwissenschaftliche Begriff des Organs nicht wie der rechtstechnische Organbegriff Wolffs eine juristischen Person als Zurechnungspunkt voraussetzt, sondern rein tätigkeits- und funktionsbezogen (im Sinne von „organisieren") verstanden wird, wären damit im Hinblick auf ihre zentrale - von Art. 21 GG verfassungsmäßig anerkannte - Integrationsfunktion auch Parteien als repräsentative Organe der Organisation aufzufassen. Vgl. Leibholz, Strukturprobleme, S. 93 ff. und die seit BVerfGE 4, 27 ff. (30 f.) stRspr. des Bundesverfassungsgerichts zur Parteifähigkeit politischer Parteien im Organstreitverfahren. Kritisch demgegenüber Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 888. 86 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (296 f.). Böckenförde bezieht sich hier auf die bei Wolff, VerwR II, § 98 I a) 6., gegebene Definition der öffentlichen Anstalt als „eine von einer Hoheitsperson oder von mehreren Hoheitspersonen gemeinschaftlich getragene, i. d. R. mit Hoheitsgewalt ausgestattete, rechtlich subjektivierte und institutionalisierte Organisation, durch die der Träger (Anstaltsherr) eigene oder ihm gesetzlich auferlegte fremde, sachlich zusammenhängende öffentliche Angelegenheiten wahrnimmt und auf die er daher - soweit dies nicht gesetzlich ausgeschlossen ist - dauernd maßgeblichen Einfluß ausübt." Ebenso noch Wolff/ Bachof, VerwR II, § 98 I a) 6. 87

Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (298). Zum modernen Organisationsbegriff siehe Stettner S. 223 ff. Als Beispiel für derart rechtlich konstituierte Organisationen nennt Böckenförde, a. a. O., S. 298 f. die Schulen, die als abgegrenzter, aufgabenbezogener Handlungskomplex mit eigenen Untergliederungen wie ein eigenständiges organisatorisches Subjekt erscheinen, aber wegen ihrer mangelnden Rechtsfähigkeit von der auf die juristische Person bezogenen Begriffssystematik nur über Hilfskonstruktionen („Quasi-Organe") erfasst werden können, vgl. Wolff, VerwR II, § 74 I f) 9. 1

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

als Organe der übergeordneten Organisation fungieren, ihrerseits aber weiter untergliedert, also organisiert sind. So entstehe eine Hierarchie eingegliederter Organisationen bis hin zur staatlichen Gesamtorganisation. Auch könne eine Organisation hinsichtlich eines Teiles ihrer Aufgaben Organ einer höheren Organisation, ansonsten jedoch - wie die Gemeinden - unabhängige (d. h. nicht in höhere Organisationen eingegliederte) Organisation bleiben. Unerheblich für den Rechtsbegriff der Organisation ist dagegen für Böckenförde die Frage, ob die organisatorisch verselbständigte Handlungseinheit ihre Aufgaben unabhängig von anderen Stellen wahrnimmt, ob sie Träger eigener Rechte und Pflichten ist, ob sie selbst klagen oder verklagt werden kann und ob sie vermögensfähig ist. Eine Organisation könne mit zivilrechtlicher Rechts- und Prozessfähigkeit und mit innerer Autonomie ausgestattet werden, doch betreffe diese Frage „Attribute der Organisation, nicht aber ihren Begriff." 88 Die für die Rechtspraxis bedeutsame Frage, welcher rechtsfähigen, d. h. als Vermögens-, Haftungs- und Verantwortungsträger in Betracht kommenden Organisation das Handeln eines Organs bzw. einer Organisation zuzurechen sei, werde insofern durch ein handlungsbezogenes Begriffssystem nicht eliminiert, doch verliere die Frage ihre „einzigartige, die gesamte organisationsrechtliche Begriffsbildung bestimmende Stellung." Daher, so Böckenförde, müsse nur jedes Handeln für eine und in einer organisatorischen Einheit, das Vermögens- und haftungsrechtliche Folgen auslösen kann, einer mit Rechtsfähigkeit ausgestatteten „Träger-Organisation" zugerechnet werden, die dann die Vermögens- und haftungsrechtlichen Folgen des Organ- und Organisationshandelns trage. 89

III. Abschließende Stellungnahme: Der Staat des Grundgesetzes als juristische Person? Soweit ersichtlich ist Böckenfördes Organisations-Modell und sein Versuch, den Staat als Gesamtorganisation des Volkes mit dem Anstaltsbegriff zu erfassen, der einzige konsequent durchgeführte Ansatz, um das staatsorganisationsrechtliche Begriffssystem vom Dogma der juristischen Persönlichkeit des Staates zu lösen.90 88 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (300). 89 Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (304 f.). Aufgrund der Relativität der Rechtsfähigkeit könne unabhängig von der Vermögens- und haftungsrechtlichen Verantwortung (der sogenannten vollen zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit) im verwaltungs-, verfassungs- und intern-organisatorischen Bereich eine Teil-Rechtsfähigkeit bestehen, vgl. Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (304 f.). 90 Nicht unberücksichtigt bleiben darf hier jedoch Konrad Hesse (geb. 1919), für den der demokratische Staat keine statisch vorgegebene Einheit, sondern das Produkt der dynamischen politischen Einheitsbildung ist. Erst durch die politische Einheit der pluralistischen Kräfte der Gesellschaft entstehe der Staat als einheitlicher Handlungs- und Wirkungszusammenhang. Ebenso wie das herkömmliche Verständnis vom Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft ist für Hesse, Verfassungslehre, Rn. 5 ff. daher die Erfassung des Staates als statische Einheit mit dem Rechtsbegriff der juristischen Person ausgeschlossen. Die von ihm,

III. Abschließende Stellungnahme

165

Wie es scheint, ist Böckenfördes Kritik indes lautlos verhallt. 91 Die Lehre vom Staat als juristische Person und die von Jellinek und Wolff begrifflich geprägte Organlehre werden auch von der gegenwärtigen Staatsrechtslehre unreflektiert übernommen bzw. im Sinne der von Gierke begründeten genossenschaftlichen Persönlichkeitslehre ausgelegt.92 Um den Staat juristisch als einheitliches Rechtssubjekt darzustellen, scheint die Staatsrechtslehre insofern in Kauf zu nehmen, dass die staatsorganisationsrechtliche Begriffsdogmatik mit tragenden Grund- und Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes unvereinbar ist. Dabei erweist sich eine mögliche Inkongruenz zwischen der im juristischen Staatsbegriff gipfelnden Begriffsdogmatik und dem geltenden Verfassungssystem keineswegs als bloß terminologische Ungenauigkeit ohne Konsequenzen. Bereits Jellinek erkannte 1887, „daß oft bis in die kleinsten Einzelheiten herab die richtige Lösung staatsrechtlicher Fragen abhängt von der Erkenntnis, die man vom Wesen des Staates besitzt." 93 Der juristische Staatsbegriff und die von ihm abgeleiteten Grundbegriffe des öffentlich-rechtlichen Organisationsrechts sind aber auch für die postpositivistische Rechtswissenschaft Grundlage und Maßstab für die systematische Einordnung und Klärung juristisch relevanter Tatbestände. Ein ungenauer oder gar unrichtiger juristisch-dogmatischer Staatsbegriff kann insofern Probleme des gegenwärtigen Verfassungssystems verdecken bzw. deren juristische Klärung erschweren oder aber zu Ableitungen führen, die dem gegenwärtigen Verfassungszustand nicht (mehr) entsprechen. Die Mahnung Otto Mayers in der Laband-Festgabe, man möge, „bevor man entscheidet, ob der Staat eine juristische Person sein soll, ... klar sein darüber, was man tut, wenn man ihn dazu macht" 94 , hat daher nach wie vor nicht an Berechtigung und Aktualität verloren. Der Staat ist keine feststehende und unveränderliche Größe. Er ist vielmehr stets Produkt des sinnhaft handelnden Menschen, durch das eine Gesamtheit von Individuen in bestimmter Weise als Einheit koordiniert wird. Während aber früher diese Koordination auf der Grundlage rein faktischer Machtverhältnisse oder aufgrund des theologischen Weltbildes entstand bzw. legitimiert wurde, konstituiert sich der moderne Verfassungsstaat durch seine normative Rechtsordnung, deren Grundlage die Verfassung bildet. 95 Ausgangspunkt für die rechtsbegriffliche Erfassung des a. a. O., Rn. 11 verwendeten Begriffe des umfassenden „Gemeinwesens" und des die politische Einheitsbildung bewirkenden „Staates" sind aber nicht als dogmatische Grundbegriffe des Staatsrechts konzipiert, sondern sollen den sozialen Staatscharakter umschreiben. Vgl. auch ders., DÖV 75, S. 437 ff. (439). Zum Verfassungsverständnis Hesses siehe auch Stettner S. 126 ff. 91 Zu der offensichtlich durch Böckenfördes Kritik veranlassten terminologischen Variation in Wolffs Verwaltungsrechtslehrbuch, siehe oben Fn. 70. 9 2 Siehe oben 8. Kapitel II. 1. und Fn. 23,49 und 65. 93 Jellinek, Gesetz, S. X (Vorrede). Vgl. auch Fröhling S. 138. 94 Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (56). 9 5 Bäumlin S. 17 f.; Doehring S. 15; Häberle, ZHR 136 (1972), S. 425 ff. (435); ders., ZfP 21 (1974), S. 111 (114f.); Kägi S. 39ff.; Stettner S. 133f.; Rittner S. 176; Volkmann, JuS 96,

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

Staates muss daher stets das konkrete Verfassungsgefüge sein. Die Erkenntnis, dass der juristische Staatsbegriff den Wandlungen des Staats- und Verfassungsgefüges angepasst werden muss, ist indessen keineswegs neu. So hat schon der Urvater der Staatspersönlichkeitslehre, Wilhelm Eduard Albrecht, in seiner berühmten Rezension von 1837 die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates ausdrücklich nur auf diejenigen Staaten bezogen, deren Verfassungssystem die für die konstitutionelle Monarchie charakteristische dualistische Verfassungsstruktur aufwiesen, während er die älteren, absolutistisch regierten Staaten mit privatrechtlichen Kategorien zu erfassen suchte.96 Der gegenwärtige juristisch-dogmatische Staatsbegriff muss insofern die im Grundgesetz festgeschriebenen Verfassungsgrundsätze verarbeiten und darf nicht zu ihnen in Widerspruch stehen. In den Vordergrund der Betrachtung rückt hier zunächst das Bekenntnis zur Volkssouveränität in Art. 20 Abs. 2 GG. Die Staatsgewalt in Deutschland geht vom Deutschen Volke aus und wird durch Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG unterstreicht zusätzlich die Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes. Das Grundgesetz kennt demzufolge nur die im Volke ruhende Staatsgewalt und den durch Wahlen und Organe geäußerten Willen des Volkes. Der Wille des Volkes artikuliert sich als Staatsgewalt über besondere Organe der Gesetzgebung, der Gesetzesvollziehung und der Rechtsprechung. Da das Volk in der modernen Massendemokratie unmöglich real präsent seinen Willen bekunden kann, ist die Artikulation des Volkswillens besonderen Repräsentanten anvertraut, welche das Volk in seiner Gesamtheit verkörpern. 97 Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG erklärt die Abgeordneten insoweit zu „Vertretern des ganzen Volkes." Diese Bestimmungen verdeutlichen, dass der durch das Grundgesetz konstituierte Staat eine vom gesamten Deutschen Volk getragene Institution ist. Deutlich bringen dies auch die Präambel und Art. 146 GG zum Ausdruck, wo es heißt, dass „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben" hat und Geltung und Geltungsdauer der Verfassung der Entscheidung des Deutschen Volkes anheim gestellt ist. Träger der verfassungsgebenden und damit auch der staatskonstituierenden Gewalt, der „pouvoir constituant", ist damit allein das Deutsche Volk. 98 S. 1058 ff. (1063). Anderer Ansicht aber offenbar Forsthoff, Staat der Industriegesellschaft, S. 47, der meint, der Rechts- und Verfassungsstaat sei nur „das Gewand,... in das die Staatlichkeit als eine reale, souveräne Macht gekleidet ist", aber im Ernstfall jederzeit wieder als ungebundene Macht in Erscheinung gebracht werden könne. Die Verfassung kann nach Forsthoff daher die staatliche Exekutive zwar eingrenzen, nicht jedoch konstituieren. Dazu Kriele, Festschrift Wolff, S. 89 ff. (103 f.), der Forsthoff als Anhänger „des nationalkonservativen Souveränitätsdogmas44 bezeichnet. 96 Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1500 f.). vgl. oben 2. Kapitel I. 3. 97 Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 193 ff. 98 Dazu umfassend Kriele, Festschrift Wolff, S. 89 ff. (93 ff.) sowie Murswiek S. 23 ff. und 101 ff. Auch Siekmann, Festschrift Stern, S. 341 ff. (351) betont, dass das Grundgesetz den

III. Abschließende Stellungnahme

167

Der Staat des Grundgesetzes ist daher eine vom Volk ausgehende und vom Volk organisierte Handlungs- und Entscheidungseinheit.99 Dieser den Prinzipien der Volkssouveränität und Demokratie inhärente Befund muss auch in der rechtsdogmatischen Erfassung des Staates Berücksichtigung finden. Der Staat kann insofern nicht mehr als statisch vorgegebene und der Gesellschaft gegenüberstehende Größe definiert werden, sondern muss, der Realität entsprechend, als Funktion der Gesellschaft begriffen werden. Unabhängig davon, ob man mit einem Teil der Lehre den Staat für personell mit der Gesellschaft identisch erklärt 100 oder aber trotz wechselseitiger Verschränkung an der funktionellen Trennung zwischen Staat und Gesellschaft festhält 101 , ist die Annahme eines fortdauernden oppositionellen Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft im gegenwärtigen Verfassungsgefüge nicht mehr haltbar. Der demokratische und soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes konstituiert sich erst durch gesellschaftliches, wesentlich von den politischen Parteien geprägtes und bestimmtes Zusammenwirken und ist durch eine Vielzahl gegenseitiger Einflussnahmen und Abhängigkeiten mit der Gesellschaft verzahnt. In der Demokratie ist der Gegensatz zwischen staatlicher Obrigkeit und bürgerlicher Gesellschaft sowie zwischen monarchischer und liberaler Legitimität beseitigt. Die Einheit des demokratischen Gemeinwesens wird durch seine einzige Legitimationsgrundlage, dem Allgemeinwillen des Volkes, hergestellt, der „Regierende und Regierte eins werden läßt und den Zusammenhang zwischen der privaten Lebensform der Bürger und der politischen Lebensform der Nation herstellt." 102 Der Staat steht daher heute nicht mehr in Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft, sondern wird gerade durch sie geprägt und geformt. Die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates ist aber, wie die Untersuchung ergeben hat, gerade aus dem dualistischen Verfassungsgefüge der frühkonstitutionalistischen Epoche erwachsen. Die mit der Lehre vom Staat als juristische Person verbundene Staatssouveränität diente als Kompromissformel für ein Verfassungssystem, das weder ganz auf dem monarchischen Absolutismus noch auf der Souveränität des Volkes beruhte. 103 Demgemäß kann unter Geltung des Staatspersönlichkeitsdogmas die Souveränität des Volkes und seine verfassungsgebende Gewalt juristisch nicht dargestellt werden. Die Lehre von der Rechtsper„Staat" nur beiläufig erwähnt und daher allenfalls induktiv auf seine rechtliche Selbständigkeit im Sinne einer juristischen Persönlichkeit geschlossen werden könne. 99 Vgl. Hesse, DÖV 75, S. 437 ff. (439). 100 So grundlegend Ehmke, Festgabe für Smend, S. 23 ff. (42 ff.); sowie Barsch S. 112 und Fröhling S. 136. ιοί Vgl. Böckenförde, Festgabe für Hefermehl, S. 11 ff. (21 ff.), Frotscher S. 206ff.; Häberle, ZHR 136 (1972), S. 425 ff. (443); Hesse, Verfassungsrecht Rn. 11; ders., DÖV 75, S. 437 ff. (439 ff.); Isensee S. 149 ff.; Kriele, Festschrift Wolff, S. 89 ff. (106). ι 0 2 So Isensee S. 150 unter Bezugnahme auf Smends Integrationslehre. Zu den grundlegenden Unterschieden der Verfassungsstrukturen der konstitutionellen Monarchie und der Bundesrepublik Deutschland auch Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 74 ff. 103 Siehe oben 2. Kapitel I. 5.

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

sönlichkeit des Staates erklärt den Staat vielmehr selbst zum Subjekt der Staatsgewalt und die Verfassungsorgane zu Organen des staatlichen Willens. Wenn überhaupt so beschränkt die Lehre vom Staat als juristische Person, genauer vom Staat als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Rolle des Volkes innerhalb des Staates auf die Funktion eines Kreationsorgans zur Bildung eines primären Staatsorgans. 104 Das Volk, nach dem Grundgesetz Ursprung aller staatlichen Gewalt, sinkt damit zu einem sekundären Willensorgan der Staatsperson herab. Die körperschaftliche Rechtskonstruktion des Staates bewirkt insofern die juristische Verselbständigung des Staates als eigenständiges Rechtssubjekt gegenüber seinen Mitgliedern und Begründern, dem Staatsvolk. Als Rechtspersönlichkeit mit eigenen Rechten und Pflichten und ausgestattet mit einem eigenen Willen, der als Staatsgewalt durch die Staatsorgane geäußert wird, erhebt sich der Staat über das Volk, welches abgesehen von seiner Organfunktion als Adressat der staatlichen Gewalt erscheint. Die Gesellschaft steht in dieser Rechtskonstruktion als Masse des Volkes dem durch seine Organe, insbesondere dem Staatsoberhaupt, repräsentierten Staat gegenüber und beansprucht vor der Staatsgewalt eine staatsfreie Sphäre in Form der Grundrechte, die der Staat als Subjekt der Staatsgewalt via Selbstbindung gewährt. Dieses Modell entspricht dem Verfassungszustand der frühkonstitutionellen Ära, in der Monarch und Volk um die Souveränität im Staate rangen; mit der in Art. 20 Abs. 2 GG postulierten und dem Grundgesetz zugrunde liegenden Souveränität des Volkes hat dieses Modell jedoch nichts gemein. 105 Die Willensbildung im obersten Verfassungsorgan des Grundgesetzes, dem Bundestag, repräsentiert die Willensbildung des gesamten Volkes. Ebenso verkünden Gerichte die Urteile nunmehr „Im Namen des Volkes." 106 Das Volk ist daher nicht bloßes Organ eines staatlichen Willens, sondern umgekehrt ist der Staat eine Selbstorganisation des Volkes zur einheitlichen Willensbildung und -betätigung. Notwendigerweise muss dieses Verhältnis von Volk und Staat auch seinen Ausdruck im Rechtsbegriff des Staates finden. Dabei führt der Ansatz Böckenfördes, den Staat mit dem Begriff der Anstalt zu erfassen, in die richtige Richtung. Im Gegensatz zur Körperschaft bewirkt die 104 So etwa bei Jellinek, Staatslehre, S. 421 und 583 und Küchenhof/KüchenhoffS. 120 f. 105 So auch Frotscher S. 206 f. und allgemein Bäumlin S. 16 ff. 106 Gerade in der Formulierung der sogenannten Eingangsformel der Gerichtsurteile lässt sich der schrittweise Übergang von der Fürsten- zur Volkssouveränität seit dem 19. Jahrhundert ablesen. Die frühkonstitutionellen Verfassungen bestimmten unter Geltung des monarchischen Prinzips durchgängig, dass Urteile „Im Namen des Königs" zu sprechen seien, vgl. § 92 der württembergischen Verfassung vom 25. September 1819 und Art. 86 der Preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Das für das gesamte Deutsche Reich zuständige Reichsgericht in Leipzig sprach dagegen Recht „Im Namen des Reichs." Diese Formel wurde auch nach 1918 in der Weimarer Republik beibehalten. Erst das Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16. Februar 1934 (RGBl. I 91) bestimmte, dass Urteile „Im Namen des Deutschen Volkes" zu verkünden sind. Im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG bestimmen heute die Prozessordnungen einheitlich, dass Urteile „Im Namen des Volkes" ergehen, vgl. insbesondere § 311 Abs. 1 ZPO; § 268 Abs. 1 StPO; § 117 Abs. 1 VwGO. Vgl. dazu umfassend Müller-Graff, ZZP 88 (1975), S. 442 ff. (445 ff.).

III. Abschließende Stellungnahme

169

Qualifizierung des Staates als Anstalt keine absolute Verselbständigung und Erhöhung des Staates gegenüber dem Volk. Als „Anstaltsherr" bleibt das Volk vielmehr auch in der juristischen Konstruktion Ausgangspunkt und Schöpfer seiner „Veranstaltung"; das Volk erhält als Anstaltsherr damit eine juristisch-dogmatische Stellung, die seiner verfassungsmäßigen Position als „pouvoir constituant" wesentlich eher entspricht als die Funktion eines staatlichen Organs im Rahmen des körperschaftlichen Staatsmodells.107 Der Kompromisscharakter der Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates, die Fürst und Volk zu Organen der übergreifenden Staatsperson erklärte, wird durch die Erkenntnis von der anstaltlichen Natur des Staates um so deutlicher. Schon im 18. Jahrhundert, als man anfing, den Staat als Einrichtung von der Person des Fürsten zu lösen, begriff man nämlich den Staat als Anstalt mit dem Zweck, das Gemeinwohl zu heben. 108 Die unangefochtene Stellung des Monarchen als Souverän rückte dabei naturgemäß den Fürsten in die Stellung des Anstaltsherrn. Im heutigen Verfassungsstaat ist dagegen das Volk als Ursprung der Souveränität an die Stelle des Fürsten getreten. 109 Es hat insofern den Fürsten aus der Stellung als Herr der Anstalt „Staat" verdrängt. Nur in der Übergangszeit, der konstitutionellen Ära, die entsprechend dem monarchischen Prinzip die Staatsgewalt in der Hand des Herrschers vereinigte, ihn aber andererseits in der Ausübung der Staatsgewalt an die über Fürst und Untertan thronende Verfassungsordnung band, konnte der Monarch nicht mehr, das Volk dagegen noch nicht als Anstaltsherr begriffen werden. Daraus erklärt sich der Siegeszug der Fürst und Volk als Willensorgane des körperschaftlich verselbständigten Staates definierenden Lehre von der Staatssouveränität als Konstruktionsmodell für die Staatslehre unter Geltung des monarchischen Prinzips. Diese Übergangsphase ist aber durch die Revolution von 1918/19 und endgültig mit Inkrafttreten des Grundgesetzes beendet worden. Ebenso wenig wie der absolute Monarch als Organ des Staates begriffen wurde, darf daher das Staatsvolk als Souverän juristisch in der Stellung eines staatlichen Willensorgans aufgehen. Der demokratische und soziale Verfassungsstaat der Gegenwart kann mithin nicht mehr als körperschaftlich organisierte juristische Person des öffentlichen Rechts begriffen werden. Wenn in der deutschen Staatsrechtslehre trotz dieser fundamentalen Veränderungen vom Dogma der juristischen Persönlichkeit des Staates in der von Jellinek und Wolff geprägten körperschaftlichen Formulierung nicht abgewichen wird, so deshalb, weil man in der rechtlichen Verselbständigung des Staates von der Vielzahl 107 Das die souveräne Rechtsgemeinschaft unter Geltung des Satzes „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" notwendig anstaltliche Elemente enthält, betont auch Rittner S. 176. los Vgl. Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (53 ff.); Mohl, Encykläpädie, S. 75 ff.; Rehm, Staatlehre, S. 174; ders., Geschichte, S. 251; Richard Schmidt S. 227. Selbst Albrecht, Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff. (1492) hielt an der Charakterisierung des Staates als »Anstalt" fest.

i° 9 Krüger S. 784. Ebenso Frotscher S. 207, für den der Ludwig XIV. zugeschriebene Ausspruch „LEtat c'est moi" heute heißen müsste „L'Etat ce sont nous, tous les citoyens."

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8. Kap.: Staatspersönlichkeit und Grundgesetz

der Einzelpersonen die einzige Denkmöglichkeit sieht, um den Staat als einheitlichen Träger von Rechten und Pflichten zu sehen und vor allem, um ein vermögensfähiges Haftungssubjekt zu konstruieren, welches die haftungsrechtlichen Folgen für unrechtmäßige Maßnahmen der mit öffentlich-rechtlichen Kompetenzen ausgestatteten Behörden übernehmen kann. 110 Der Staat als die Selbstorganisation des Volkes kann jedoch ebenso wie einzelne Verfassungsorgane und Verbände durch die Rechtsordnung zum Subjekt eigener Rechte und Pflichten erklärt werden, ohne dass dazu eine absolute Verselbständigung gegenüber der ihm zugrunde liegenden sozialen Einheit notwendig ist. 111 Aber auch im Hinblick auf die praktische Notwendigkeit, den Staat als vermögensrechtliches Haftungssubjekt sowie als prozessfähige Partei zu konstruieren, ist die rechtliche Verselbständigung des Staates als Körperschaft gegenüber dem Volk nicht erforderlich. Wie das Beispiel der früheren sogenannten teilrechtsfähigen Anstalten der Bundesbahn und der Bundespost zeigt, können Anstalten zwar vermögensrechtlich und prozessual verselbständigt sein, im Übrigen aber rechtlich in Abhängigkeit zum „Anstaltsherrn" verbleiben. 112 Die Reichweite der rechtlichen Verselbständigung der Verfassungs- und Verwaltungsorganisationen und des Staates selbst sowie die eigene Prozess- und Vermögensfähigkeit sind - wie Böckenförde 113 zu Recht betont hat - fakultative Attribute, die durch die Rechts- und Verfassungsordnung vergeben werden können. A priori ist aber allein der Mensch als natürliches Willenssubjekt Träger von Rechten und Pflichten, nicht dagegen der Staat als Produkt menschlichen Gestaltungswillens. 114 Der rechtsdogmatische Begriff des Staates leitet sich daher von der konkreten Ausgestaltung ab, die der Staat durch die faktische oder normative Ordnung erhalten hat. 115 Wegen dieser historischen Bedingtheit der rechtlichen Konno Bärsch S. 130; Böckenförde,

Festschrift Wolff, S. 269 ff. (287 f.).

in Vgl. Böckenförde, Festschrift Wolff, S. 269ff. (300) sowie Frotscher S. 210. Schon 1902 resümierte Affolter, AöR 17 (1902), S. 93 ff. (134 f.), seine Untersuchung zu der juristischen Persönlichkeit des Staates mit dem Vorschlag: „Versuche man nur die Staatsrechtspersönlichkeit, überhaupt den Begriff des Staates bei Darstellung des positiven Rechts (Staatsrechts wie des übrigen Rechts) eines Staates verschwinden zu lassen; man wird sehen, daß es sehr gut geht und den Einblick in die wahren Verhältnisse des Staates nur fördert." Vgl. oben 4. Kapitel II. 2. f). 112 Maurer § 23 Rn. 48. Vgl. §§ 1 - 3 Bundesbahngesetz (BGBl. III 931 - 1 ) und §§ 1 - 6 Postverfassungsgesetz (BGBl. III 900 - 7). 113 Siehe oben Fn. 89. 114 „Nur der Mensch als Individuum ist nach dem allgemeinen natürlichen Begriffe Person und damit Rechtssubjekt" betonte schon der Begründer der Lehre von der privatrechtlichen juristischen Person Georg Arnold Heise (1778-1851) in seinen Vorlesungen, doch gebe „es Gründe, welche die Gesetze bestimmen können, andere Gegenstände gleichsam zu personifizieren ... Damit ergiebt sich der Begriff der juristischen Person, unter welchem man einen Gegenstand (im Gegensatz zu den Menschen) als Subjekt von Rechten anerkennt." Zitiert nach Flume, Savigny und die Lehre von der Juristischen Person, Festschrift Wieacker, 5. 340ff. (340f.). Ähnlich auch Savigny, Band II, § 85. 115 Richtig daher schon Maurenbrecher und Wippermann, die bereits im 19. Jahrhundert betonten, dass der Staat juristische Person nur insoweit sein könne, wie die konkrete Rechtsordnung dies intendiere, vgl. oben 2. Kapitel I. 4. a) und II. 2. b).

III. Abschließende Stellungnahme

171

struktion des Staates kann der Rechtsbegriff des Staates nicht als absoluter und statischer Terminus beibehalten werden, ohne die geänderten politisch-sozialen Bedingungen und Voraussetzungen im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland zu verarbeiten. Dies hat die deutsche Staatsrechtslehre, die nach wie vor dem von Gerber, Laband und Jellinek unter Geltung des monarchischen Prinzips geprägten Dogma vom Staat als einer impermeablen und ursprünglichen Rechtspersönlichkeit anhängt, bislang mehrheitlich verkannt. Insofern bleibt es „die dringendste und zugleich schwierigste Aufgabe, die der Staatsrechtslehre gestellt ist" 1 1 6 , durch die Entwicklung eines neuen juristischen Staatsbegriffs den juristisch-dogmatischen Zugang zu einem wirklichkeitsadäquaten Verständnis des modernen demokratischen Gemeinwesens zu ebnen.

Jesch, AöR 85 (1960), S. 472ff. (484).

9. Kapitel

Zusammenfassung und Ergebnis der Untersuchung Die Unvereinbarkeit des Dogmas von der juristischen Persönlichkeit des Staates mit den Verfassungsprinzipien des demokratischen und sozialen Rechtsstaates ist seit Hermann Hellers richtungsweisenden Ausführungen das überwiegende Ergebnis der wenigen grundlegenden Untersuchungen zur rechtlichen Natur des modernen Verfassungsstaates. 1 Um so deutlicher wird dadurch die historische Bedingtheit des juristischen Staatsverständnisses sichtbar. Die Lehre vom Staat als juristische Person des öffentlichen Rechts, die Ansicht, der Staat sei öffentlich-rechtliche Körperschaft, in der Volk und Staatsoberhaupt als Staatsorgane den Willen des Staates bekunden, ist nur verständlich als die juristische Staatskonstruktion des konstitutionellen Verfassungsstaates. In dieser Phase der Verfassungsentwicklung brachte die Lehre den juristischen Kompromiss für den frühkonstitutionellen Verfassungsdualismus unter Geltung des monarchischen Prinzips, in der die Exekutive noch durch die monarchische Legitimität, die Gesetzgebung dagegen bereits weitgehend von der demokratischen Legitimität geprägt wurde. 2 Die grundlegenden Veränderungen in den Verfassungsstrukturen der deutschen Staaten seit dem Wiener Kongress3 bewirken daher notgedrungen die Inkongruenz zwischen Staatsbegriff und Verfassungswirklichkeit. Die abschließende Zusammenfassung der dogmengeschichtlichen Untersuchung soll daher gegenüber einer Staatsrechtslehre, die mehrheitlich unreflektiert von einem statischen Verständnis der juristischen Staatsrechtskonstruktion ausgeht und mithin das gegenwärtige Verfassungssystem mit Begriffskategorien des 19. Jahrhunderts zu erfassen sucht, den historisch-dynamischen Charakter der juristischen Staatsdefinition und seine Abhängigkeit von dem zugrunde liegenden rechtlich-politischen Staatsverständnis verdeutlichen. Solange sich der Landesfürst als absolutistischer Herr über Land und Leute behauptete und die rechtlichen Beziehungen innerhalb des Staates weitestgehend per1 Vgl. oben 8. Kapitel II. 2. c) und Heller, Staatslehre, S. 231 sowie Bäumlin S. 17 ff.; Bökkenförde, Festschrift Wolff, S. 269 ff. (290); ders., Gesetz, S. 334; Hesse, Verfassungslehre Rn. 8 f.; Leibholz, Repräsentation, S. 131; Rupp S. 22. Bereits vor Hermann Heller betonte Otto Mayer, Festgabe für Laband, S. 1 ff. (54 f.) die Unvereinbarkeit der Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates mit der Fürsten- oder Volkssouveränität, vgl. oben 4. Kapitel II. 4. 2 Siehe oben 2. Kapitel I. 5 3 Dazu Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 74 ff. m. w. N.

9. Kap.: Zusammenfassung und Ergebnis der Untersuchung

173

sönlicher Art waren, wurde der Staat ideell und juristisch mit der Person des Monarchen identifiziert. 4 Dies änderte sich jedoch mit der Französischen Revolution. Das Bürgertum erwachte als politische „Nation" und verdrängte mit der Idee von der Souveränität des Volkes den Monarchen aus seiner absolutistischen Stellung als Inkarnation des Staates. Zwar wurde in Deutschland die Souveränität des Volkes nicht verwirklicht und zunächst auch nicht erstrebt, doch prägte der sogenannte konstitutionelle Kompromiss nach 1815 auch die deutsche Staatenwelt. Einerseits wurde der Monarch an die Bestimmungen einer Verfassung, insbesondere an die liberalen bürgerlichen Freiheitsrechte, gebunden, andererseits blieb aber nach dem monarchischen Prinzip die gesamte Staatsgewalt in der Person des Fürsten vereinigt. In dieser Situation bedeutete die juristische Abstraktion des Staates von der Person des Fürsten, die Wilhelm Eduard Albrecht in seiner berühmten Rezension von 1837 erstmals konsequent formulierte und forderte, eine dem liberalen Zeitgeist im Vormärz ebenso wie der Verfassungswirklichkeit entsprechende juristische Staatskonstruktion. Indem Albrecht den Staat als eigenständige, dem Gemeinwohl verpflichtete juristische Person konstruierte, innerhalb derer der Monarch als Staatsorgan seine verfassungsmäßigen Befugnisse wahrnimmt, konnte er die Bindung des Monarchen an die Verfassung auch juristisch darstellen und begründen.5 Die rechtliche Bindung des Monarchen an die Verfassungsbestimmungen durch eine juristische Staatskonstruktion zu begründen, ist insofern der ursprüngliche Zweck der Persönlichkeitslehre. Die mit der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848/49 einsetzende konservativ-monarchische Renaissance stellte demgegenüber das monarchische Prinzip und die Funktion des Fürsten als Haupt der exekutiven Gewalt in den Vordergrund der juristischen Betrachtung. Diese Reduzierung der juristischen Betrachtung auf das staatliche Herrschafts- und Gewaltverhältnis ist Ergebnis der mit Carl Friedrich von Gerbers „Grundzügen" von 1865 schlagartig einsetzenden Übernahme der im Zivilrecht entwickelten formal-juristisehen Methode in das öffentliche Recht. Die von Gerber zunächst zögernd vorgenommene Verknüpfung der Albrecht'schen Theorie mit der durch die Pandektistik entwickelten Lehre von der rechtlichen Persönlichkeit als eines einheitlichen Willenssubjekts führte zu der zentralen Ausrichtung aller staatsrechtlichen Beziehungen auf die Willensmacht bzw. Herrschaft der Staatsperson. Diese wurde durch den Monarchen, dem obersten Willensorgan der Staatsperson, gegenüber den Untertanen, die in einem allgemeinen Gewaltverhältnis zur Staatsperson standen, geäußert. Diese einseitige Ausrichtung des Staatsrechts auf die Äußerungen der ungebundenen, allumfassenden und durch den Monarchen verkörperten Staatsgewalt prägte spätestens seit dem preußischen Verfassungskonflikt das deutsche Staats Verständnis. Der auf die monarchische Exekutive ausgerichtete Cäsarismus der Bismarck-Ära findet in dieser Konstruktion mithin seinen rechtlichen Ausdruck. Die so verstandene Lehre von 4 Siehe oben 1. Kapitel I. 1. b). 5 Vgl. oben 2. Kapitel I. 5.

174

9. Kap.: Zusammenfassung und Ergebnis der Untersuchung

der juristischen Persönlichkeit des Staates diente daher Gerber und insbesondere seinen unmittelbaren wissenschaftlichen Nachfolgern Laband und Jellinek als Zentralbegriff und Zurechnungspunkt des öffentlich-rechtlichen Begriffssystems. Das Dogma der juristischen Staatspersönlichkeit als der Grund- und Eckstein der Staatsrechtslehre diente zugleich als juristisches Mittel, um die zentrale Stellung des Monarchen im Verfassungsgefüge gegenüber demokratischen Bestrebungen zu sichern.6 Sie ist damit Abbild einer Staatsrechtslehre, die zu einer Überhöhung des monarchisch-exekutivischen Staates neigte und diesen als Herrschaftsapparat zugleich der Gesellschaft gegenüberstellte. Als Element des Staates war das Volk Objekt der staatlichen Herrschaft bzw. Organ des staatlichen Willens. Der Monarch dagegen, obwohl gleichfalls Staatsorgan, erhielt durch die Laband'sche Bezeichnung als „Träger der Staatsgewalt" eine den Vorgaben des monarchischen Prinzips entsprechende Stellung innerhalb der Verfassungsordnung. 7 Die normative Geltung des monarchischen Prinzips und die konstitutionelle Monarchie endeten in Deutschland mit der Revolution von 1918/19; Art. 1 Abs. 2 WRV stellte die Souveränität des Volkes an die Spitze der Verfassungsordnung. Formal hatte sich damit der demokratische Gedanke gegenüber der monarchischen Legitimität durchgesetzt. Das auf den Monarchen bezogene Staatsverständnis aber blieb auch in der Weimarer Demokratie lebendig. Die auf die Äußerung der Staatsgewalt fixierte Staatsrechtslehre vermochte den Staat nur als mächtige Exekutive zu denken, die der Vielzahl der gesellschaftlichen Gruppierungen als einheitliches Willenssubjekt gegenübertritt. Wenn diese ihre Verkörperung auch nicht mehr im Monarchen finden konnte, so wurden doch die aus der Monarchie übernommene Beamtenschaft, das Heer und der Reichspräsident als Organe des der Gesellschaft übergeordneten Staates interpretiert. 8 Daher hielt die Weimarer Staatsrechtslehre überwiegend an der traditionellen positivistischen Staatsauffassung, der Lehre vom Staat als juristische Person und dem Dualismus von Staat und Gesellschaft fest. Auch in diesem Festhalten an den staatsrechtlichen Begriffsstrukturen der monarchischen Epoche manifestiert sich insofern die Demokratiefeindlichkeit der Weimarer Gesellschaft. Dieses in der Weimarer Gesellschaft trotz der verfassungsmäßigen Verankerung des demokratischen Prinzips vorherrschende exekutivische Staatsdenken trug letztlich mit zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie bei und mündete in den „totalen Staat" der Nationalsozialisten. Seit 1945 ist dagegen das Verständnis für die pluralistische Demokratie und die Volkssouveränität auch über den Verfassungstext hinaus in das Bewusstsein der Gesellschaft gedrungen. Staat und Gesellschaft stehen nicht in einem dualistischen Verhältnis der Opposition, sondern sind vielfach miteinander verknüpft. Das allge6 Dazu oben 3. Kapitel III. 4. und 4. Kapitel III. Sowie Schönberger S. 56 ff. und Wilhelm S. 152 ff. 7 Siehe oben 4. Kapitel Fn. 110. 8 Ellwein S. 339 sowie Ehmke, Festgabe für Smend, S. 23 ff. (40) und Kimminich, VVDStRL 25 (1967), S. 2ff. (48f.). Dazu auch Kriele, Staatslehre, S. 330ff.

9. Kap.: Zusammenfassung und Ergebnis der Untersuchung

175

meine Gewaltverhältnis, in dem die Bürger als Untertanen im Kaiserreich zur staatlichen Obrigkeit standen, ist einem allgemeinen Rechtsverhältnis gewichen, welches eine Differenzierung zwischen Obrigkeit und Untertan nicht mehr zulässt.9 Trotz dieser politisch-sozialen Veränderungen im Verfassungs- und Gesellschaftsbild trägt die Terminologie der gegenwärtigen Staatsrechtslehre nach wie vor weitgehend das Antlitz des Konstitutionalismus. Bezeichnend hierfür ist die Lehre von der juristischen Persönlichkeit des Staates. Trotz der unmissverständlichen Bestimmungen des Grundgesetzes wird von der deutschen Staatsrechtslehre überwiegend das von Gerber, Laband und Jellinek geprägte Staatspersönlichkeitsdogma rezipiert, das den vom Volk verselbständigten Staat als juristische Person zum Subjekt der Hoheitsrechte erklärt und das Volk demgegenüber als Element des Staates in der Funktion eines Wahlorgans aufgehen lässt. Indem die deutsche Staatsrechtslehre somit mehrheitlich die von der rechtspositivistischen Methodik Gerbers und Labands geprägte, auf die impermeable juristische Staatsperson fixierte Begriffssystematik als unbezweifelbare Grundlage des Staatsrechts beibehält, scheint sich die Prophezeiung Philipp Zorns zu bewahrheiten, der bereits 1907 prognostizierte, das von Gerber und Laband durch Anwendung der juristischen Methode entwickelte Begriffssystem habe „dem deutschen Staatsrecht neue Bahnen gewiesen, aus denen es niemals wieder wird weichen dürfen." 10 Wenn wir daher dieser Tage der gescheiterten deutschen Revolution von 1848/ 49 gedenken und die demokratische Tradition der Paulskirche in Erinnerung rufen, sollten wir uns auch darauf besinnen, dass die heutige deutsche Staatsrechtslehre vom „Erbe der Monarchie" 11 und der auf das Scheitern der März-Revolution folgenden konservativen Reaktion weit nachhaltiger geprägt wurde und nach wie vor geprägt wird als durch die kurze Episode der Frankfurter Nationalversammlung. Sich von diesem monarchischen Erbe zu lösen, bleibt, um noch einmal Jesch12 zu zitieren, wichtigste Aufgabe der deutschen Staatsrechtswissenschaft.

9 Vgl. Bauer S. 167 ff. 10 Zorn, JöR 1 (1907), S. 47 ff. (68). 11 So formuliert bei Ellwein S. 339. 12 Vgl. Jesch, AöR 85 (1960), S. 472 ff. (484).

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Band I

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averzeichnis Absolutismus 23, 36 Abstraktion / Abstraktionstheorie 85, 98 Fn. 89, 102 Fn. 116, 104 ff., 105 Fn. 9, 122 Fn. 50, 132 Allgemeine Staatslehre / Staatslehre 25, 36, 43 Fn. 17, 54, 63, 70, 112f., 113 Fn. 41 f., 128, 169 f. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten/ALR (1794) 22, 22 Fn. 12, 44 Fn. 25 Allgemeinwille / volonté générale 21, 66, 66 Fn. 18, 73, 131 ff., 132ff., 133 Fn. 110, 146, 166 Allgemeinwohl /Gemeinwohl 41 ff., 47, 55, 81, 146, 169, 173 Anorganische Staatslehre 82, 84, 99 ff., 104 Anstalt/Anstaltsstaat 43, 98 f., 99 Fn. 96, 162, 163 Fn. 86, 168 Anthropomorphe Staatslehre (Bluntschli) 69 f., 69 Fn. 36, 91, 93 Fn. 49 Atlantik-Charter (1941) 114 Fn. 3 Beamte 46, 66, 71 Fn. 50, 74, 74 Fn. 66, 78, 80, 108, 109 Fn. 24, 111, 144, 157 Begriffsjurisprudenz 52, 63 ff., 68, 84 f., 85 Fn. 5, 90, 114 ff., 141, 173 f. Budgetrecht / Haushaltsbewilligung 24, 24 Fn. 24, 41, 41 Fn. 10, 48, 84Fn.2 Bürgerrechte/Grundrechte 19,24,46 Fn. 34, 80, 80 Fn. 96, 92 Fn. 38, 100 Fn. 106, 102, 109 ff., 110 Fn. 29, 150 ff., 151 Fn. 33, 152, 167, 173 Bundesrat 88 Bundesstaat 86 ff., 88 Fn. 18 Bundesverfassungsgericht / Β VerfG 145 Fn. 3, 162 Fn. 85 Cäsarismus, wilhelminischer 99 ff., 173 Deutsche Bundesakte (1815) 23 f., 23 Fn. 17, 40 13 Uhlenbrock

Deutscher Bund 23,40, 49, 55 Fn. 75 Dezisionslehre (Carl Schmitt) 135 ff., 173 Dogmatik/Dogma 41, 44 ff., 52, 63 f., 68, 77, 86 Fn. 11, 90, 102, 113f., 122, 125ff., 128, 131, 141, 149 Fn. 23, 153 ff., 154 Fn. 47, 158ff., 164f., 169ff., 175 Drei-Elemente-Lehre (Jellinek) 104, 145 ff., 147 Dualismus Staat-Gesellschaft 18, 33 Fn. 90, 61, 102, 167, 174 Dualistische Verfassungsstruktur / Verfassungsdualismus 23 ff., 36 Fn. 115, 48, 52 ff., 90 Fn. 27, 167 ff., 172 f. Eigentum/Patrimonium 30 ff., 51 Fn. 55, 57, 101, 133 Eingangsformel (Gerichtsurteile) 168, 168 Fn. 106 Einheit der Staatsgewalt /Unteilbarkeit der Souveränität 36 f., 53 f., 76, 87, 88 Fn. 18, 112, 118, 128, 132 Fiktion/Fiktionstheorie 44 Fn. 28, 49, 70, 92, 94, 96 ff., 98 Fn. 89 ff., 102, 102 Fn. 115, 105 Fn. 9, 115, 122, 131, 139, 147, 150 Freund und Feind (Carl Schmitt) 135 f. Führer/Führerkult 137, 138ff., 140 Fn. 16, 141 Fürstenstaat /Fürstensouveränität 22 ff., 29, 39 f., 47, 53, 56, 69 Fn. 33, 102, 132 Fn. 104, 169, 172 f. Gebietshoheit 92 f., 93 Fn. 45, 133 Fn. 107 Geisteswissenschaftliche Richtung (Weimarer Staatsrechtslehre) 129 ff. Gemeinwohl/Allgemeinwohl 41 ff., 47, 55, 81, 146, 169, 173 Genossenschaft 89 ff., 92 f., 93 Fn. 49, 139 f. Gerechtigkeit 115, 115 Fn. 7, 119 Fn. 32, 126 Fn. 75, 147 Fn. 13

194

averzeichnis

Geschäftsordnungen 86 Gesellschaft, bürgerliche 18 f., 22, 33 Fn. 90, 61, 82, 90, 102, 132 Fn. 106, 142, 164, 167 ff., 168 Fn. 106, 170, 174 Gesellschaftsvertrag 21, 27, 29 Gewaltenteilung 27, 56, 81 Fn. 10, 128 Fn. 85, 168 Gewaltverhältnisse 18, 75 ff., 80, 80 Fn. 97, 81 ff., 99ff., 109 Fn. 28, 118, 150ff., 173, 175 „Glieder" der Organisation 91 ff., 110, 110 Fn. 65, 159 ff. Gottesgnadentum 56, 57 ff. Grundgesetz/GG (1949) 144 ff., 151 Fn. 33, 152 f., 155 ff., 158, 162 Fn. 85, 164 ff., 168, 174 Grundnorm 115, 119, 132 Grundrechte / Bürgerrechte 19,24,46 Fn. 34, 80, 80 Fn. 96, 92 Fn. 38, 100 Fn. 106, 102, 109ff., 110 Fn. 29, 150ff., 151 Fn. 33, 167 Grundrechtstheorie 19, 92 Fn. 38, 109, 110 Fn. 29 f., 151 Fn. 33 „Grundriss eines Systems des gemeimen Civilrechts" (Heise) 44, 170 Fn. 114 „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" (Gerber) 72 ff., 76 ff., 79 ff., 84,173 Handlungs- und Wirkungsgefüge (Heller) 132 ff., 161 f., 164 Fn. 90, 167 Hannoverscher Verfassungskonflikt (1837) 17, 39 Fn. 1,55 Fn. 75,57 Haushaltsbewilligung/Budgetrecht 24, 24 Fn. 24, 41,41 Fn. 10, 48, 84 Fn. 2 Heiliges Römisches Reich 22, 50 Herrschaft 67 f., 70, 74, 79, 81, 87 f., 99 ff., 105, 130 f., 150 f., 152, 173 Herrschertheorie 31 Fn. 72, 94 ff., 102 Fn. 112, 121 Historische Rechtsschule 43, 57, 63 f., 65 Fn. 10, 89 f., 89 Fn. 25 Impermeabilitätstheorie (Laband) 85 f., 86 Fn. 9, 92 Fn. 37, 108, 150, 156 ff., 175 Innenrecht / Innenrechtsbeziehungen 86, 91, 107ff., llOff., 124ff., 126 Fn. 73, 156ff., 158 ff., 158 Fn. 68

Integration / Integrationslehre 129 ff., 167 Fn. 102

(Smend)

Juristische Person 41 ff., 44, 45 Fn. 31, 66, 73 ff., 90, 98 f., 125, 140 Fn. 16, 156 f., 167, 175 Körperschaft 86, 88 Fn. 20, 93 Fn. 45, 96, 105, 111, 123, 141, 148, 168 f. Kompetenzen / Zuständigkeiten 62, 67, 88, 88 Fn. 18, 101, 107 ff., 125 ff., 153, 157, 158 ff., 170 Konstitutionelle Monarchie 23, 36 ff., 47 ff., 53, 55, 136 Fn. 124, 140, 153 Fn. 43, 169 Kreationsorgan 108 f., 162 Laband-Festgabe (1908) 17, 98 f., 165 Landeshoheit/Landesherrschaft 22, 28, Fn. 51, 32, 36 Fn. 115,40 Landstände/Landständische Verfassung 23, 23 Fn. 17, 36, 36 Fn. 115, 40 f., 41 Fn. 10, 48, 67 Legitimität 51 Fn. 55,57 ff., 126,126 Fn. 75, 167, 172, 175 Liberalismus 23 ff., 29, 36, 54, 68, 71 f., 82 f., 121 Fn. 44, 135 f., 140 f. Lückentheorie (Laband) 84 Fn. 2 Maschine/mechanische Staatstheorie 27 Fn. 43, 28 Fn. 50, 33 Fn. 93, 69 Fn. 35, 81 Fn. 105, 90 Fn. 30 Maurenbrecher-Rezension (1837) 17, 39, 40 Fn. 4, 42, 42 Fn. 14, 43 Fn. 17, 45 Fn. 30, 50,51 Fn. 59, 82 Fn. 109, 166, 173 Metaphysik 115, 120 f. Methodenwandel 25 f., 63 f., 77, 82, 84 f., 173 Methodik 52, 63, 84f., 90, 112f., 131, 157, 173,175 Mittelbares Organ/Unterorgan 108f., 111, 160 Monarch/monarchische Souveränität 24, 28 f., 31, 33 Fn. 91, 36, 41, 47 f., 66 f., 74, 74 Fn. 66, 79, 94 ff., 101, 107, 111, 126 Monarchisches Prinzip 24 ff., 24 Fn. 25, 36, 36 Fn. 115, 48, 53 ff., 54 Fn. 73, 58, 58 Fn. 89, 62, 67, 79 Fn. 92, 94, 101, 153, 173 ff.

Sachverzeichnis Moralische Person / persona moralis 21, 21 Fn. 7, 28 ff., 34 Fn. 101, 42, 43 ff., 58 ff., 81, 146 ff. Nationalsozialistische Staatslehre 93, 114, 121, 134 Fn. 114, 137, 138 ff., 174 Naturrecht/naturrechtliche Staatslehre 17, 20, 25,27,42, 63, 145 f. Norm/Rechtsnorm 64, 70, 84 f., 86 Fn. 11, 106, 115 f., 125 Normallage (Carl Schmitt) 136 f. Normative Kraft des Faktischen (Jellinek) 112 Fn. 38, 113 Öffentliches Recht 26 Fn. 35, 30, 42, 56, 65 Fn. 12,91, 111, 152, 172 Österreich 36 Fn. 114, 40, 114 Fn. 3 Organ 28, 39, 45 ff., 54, 59 f., 67, 74, 74 Fn. 66, 88, 92, 101, 107 ff., 109 Fn. 24, 116, 123, 123 Fn. 54, 130, 142, 145 Fn. 3, 146, 146 Fn. 10, 153 Fn. 42, 155 Fn. 52, 158 ff., 162 Fn. 85 Organisation 66, 81, 116, 128 Fn. 86, 133 Fn. 109, 146, 149, 152, 160, 160 Fn. 74, 163 Fn. 87 Organische Staatslehre 33 ff., 40 Fn. 7, 57 ff., 68, 76 ff., 86, 89 ff., 89 Fn. 24, 102 Fn. 116, 145 f., 156 Fn. 57 Organismus 32 ff., 40 Fn. 7, 57 f., 57 Fn. 83, 68, 72 f., 77, 89, 139 ff. Organpersönlichkeiten / Organzuständigkeiten 91 ff., 92 Fn. 41, 107 ff., 107 Fn. 19, 111, 124 ff., 148, 157 Fn. 65 „Organschaft und Juristische Person" (Wolff) 124 ff., 160 Fn. 74 Organtheorie (Gierke) 45 Fn. 32 Organ träger / Organ waiter 107 ff., 116 f., 123 Fn. 54, 124 ff., 158 ff. Parlament/Volksvertretung 24, 36, 61, 74 Fn. 66, 75, 75 Fn. 71 ff., 82, 87, 87 Fn. 15, 92, 107, 107 Fn. 17, 123 Fn. 53, 148, 155, 175 Parteien 39 Fn. 1, 162 Fn. 85, 166 f. Patrimonialtheorie 30 ff., 34 Fn. 100, 39 ff., 51 Fn. 55, 55 Fn. 75, 65 Fn. 13, 94, 130 Fn. 98 13*

195

Patrimonium/Eigentum 30 ff., 51 Fn. 55, 57, 101, 133 Paulskirchen-Verfassung (1849) 39 Fn. 1, 60 Fn. 106, 175 Person/Persönlichkeit 21, 27 f., 34, 37, 42 ff., 58, 65 Fn. 9 f., 68, 76, 76 Fn. 76, 85 f., 91 Fn. 35, 92 Fn. 40, 96 ff., 116, 170 Fn. 114 Persona moralis / moralische Person 21, 21 Fn. 7, 28 ff., 34 Fn. 101, 42, 43 ff., 58 ff., 81, 146 ff. Positivismus 25, 43 Fn. 17, 60, 63 f., 77, 82 Fn. 109, 84f., 99ff., 114, 119 Fn. 32, 126 Fn. 75, 129 f., 129 Fn. 88, 134, 145, 149 ff., 152 Fn. 35, 153, 173 ff. Preußen 36 Fn. 114, 38,40 Preußischer Verfassungskonflikt (1863) 84 Fn. 2, 136, 173 Privatrecht 26 Fn. 35, 30, 35, 42 f., 44 Fn. 28, 59, 63, 65 Fn. 10, 85, 91 f., 92 Fn. 40, 94, 99, 156, 173 Reaktion/Restauration 23 ff., 30, 37, 56 f. Rechtsbegriff (Laband) 84 ff., 85 Fn. 5, 104, 155 ff. Rechtskonstruktion / Staatskonstruktion 18, 40, 47 ff., 48 Fn. 43, 59 ff., 66, 71 ff., 84, 88 Fn. 69, 98, llOff., 114, 122, 126, 134, 140 f., 145, 156, 158 ff., 167, 173 Rechtsmehrwert (Krabbe) 121 f. Rechtsnorm/Norm 64, 70, 84 f., 86 Fn. 11, 106, 115 f., 125 Rechtsobjekt 61, 75, 78, 79 ff., 80 Fn. 98, 87 Fn. 17, 94, 97 Fn. 87, 102, 109, lllff., 150 Rechtsordnungssubjekt (Beling) 127 ff., 127 Fn. 82 Rechtssouveränität (Krabbe) 121 f. Rechtssubjekt/Rechtsperson 17 ff., 42 ff., 44f., 59f., 59 Fn. 103, 65, 69, 90ff., 96, 105 ff., 116, 124 f., 140 f., 169 f. Rechtsverhältnis 29, 61, 78 f., 94 ff., 107, 121 f., 123, 150 f., 175 Rechtsvoraussetzungs- / Rechtsinhaltsbegriffe (Somló) 123 ff., 124 Fn. 59 u. 61 Reflexrechte (Gerber) 78, 80 Fn. 96 Reichsgründung (1871) 83, 86, 88 Fn. 18 u. 21, 102 f.

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averzeichnis

Reichsverfassung (1871) 84, 88 Reine Rechtslehre (Kelsen) 114 ff., 118 Fn. 23, 120 f., 122, 129 Repräsentation 23 Fn. 17, 41, 62, 111, 130, 131 Fn. 99, 132 ff., 136, 154 ff., 162, 162 Fn. 85, 166 Restauration /Reaktion 23 if., 30, 37, 56 f. Revolution (1848/49) 36 Fn. 114, 39 Fn. 1, 60 Fn. 106, 62, 71 f., 173, 175 Revolution (1918/19) 114, 169, 174 Revolution, französische 22, 53, 56 Fn. 80, 173 Romantik 32 f. Rule of law 56 Fn. 79 Sein und Sollen (Kelsen) 112 Fn. 38, 115 ff., 118 ff. Selbstverpflichtung 95, 105 ff., 112, 117, 128 Fn. 85 „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" (Carl Schmitt) 136 Souveränität 21 f., 27, 31, 36 f., 48 f., 53 f., 59, 61 f., 67, 69 f., 88 Fn. 18 und 21, 93, 93 Fn. 45, 118, 118 Fn. 26, 131 f., 136, 173 Sozialdarwinismus 88 Staatenbund 87, 88 Fn. 18 Staatsbegriff 17 f., 17 Fn. 2, 104 f., 110 Fn. 30, 149 Fn. 23, 153 Fn. 44, 166 - juristischer 104 f., 122, 148, 165 - sozialer 104 f., 115, 122, 124, 128 Fn. 86, 129, 148, 161, 164 Fn. 90 Staatsgewalt 28 ff., 39, 48, 67, 69, 74 ff., 87, 88 Fn. 21, 95, 106, 108 Fn. 21, 122 f., 134, 144 ff., 150 Fn. 29, 151, 166, 168, 173 - Substanz 28, 28 Fn. 53, 37 Fn. 118 - Träger 31, 37, 70 Fn. 42, 87 ff., 87 Fn. 16, 92, 99, 101 Fn. 108, 107 ff., 108 Fn. 21 f., 112 Fn. 36, 123, 126, 147 Fn. 17, 148 Fn. 21, 174 Staatskonstruktion / Rechtskonstruktion 18, 40, 47 ff., 48 Fn. 43, 59 ff., 66, 71 ff., 84, 88 Fn. 69, 98, llOff., 114, 122, 126, 134, 140 f., 145, 156, 158 ff., 167, 173 Staatslehre / Allgemeine Staatslehre 25, 36, 43 Fn. 17, 54, 63, 70, 112f., 113 Fn. 41 f., 128, 169 f.

„Staatslehre ohne Staat" (Heller) 119 Fn. 31 Subjektiv-öffentliche Rechte 19, 91, 91 Fn. 38,100, 109, 111, 145 Fn. 9, 150 „System des heutigen römischen Rechts" (Savigny) 42,44, 65 Teilidentitätstheorie (BVerfG) 145 Fn. 3 Theorie, rechtswissenschaftliche 52 f., 53 Fn. 65, 119 Träger der Staatsgewalt 31, 37, 70 Fn. 42, 87 ff., 87 Fn. 16, 92, 99, 101 Fn. 108, 107 ff., 108 Fn. 21 f., 112 Fn. 36, 123, 126, 147 Fn. 17, 148Fn.21, 174 „Über öffentliche Rechte" (Gerber) 63, 64 ff., 69 ff. Unteilbarkeit der Souveränität /Einheit der Staatsgewalt 36 f., 53 f., 76, 87, 88 Fn. 18, 112, 118, 128, 132 Unterorgan / mittelbares Organ 108 f., 111, 160 Untertan 22, 29, 43, 46, 59, 66, 76 Fn. 74, 80, 80 Fn. 96, 86 ff., 100 ff., 107 f., 109 ff., 151 f., 151 Fn. 32, 169, 173 Verbandspersönlichkeit, Theorie der realen (Gierke) 44 Fn. 28, 89ff., 102, 139f., 142, 145 Fn. 3, 146 ff., 150 Fn. 28, 152 Fn. 39, 155 Verfassung 23 ff., 24 Fn. 27, 40, 46, 49 f., 72, 125, 129, 130 Fn. 92, 135 Fn. 118, 144 ff., 165, 165 Fn. 95, 174 Verfassung und Verfassungsgesetz (Carl Schmitt) 130 Fn. 92, 135 Fn. 118 Verfassungsdualismus / dualistische Verfassungsstruktur 23 ff., 36 Fn. 115, 48, 52 ff., 90 Fn. 27, 167 ff., 172 f. Verfassungsgebende Gewalt 125,125 Fn. 71, 126, 136, 166 Verfassungsgrundsätze 72,114, 135 Fn. 118, 136 Fn. 124, 144, 149 Fn. 23, 153, 165 ff., 174 f. Vertragstheorie (Naturrecht) 21, 27, 132 Fn. 104 Vertretertheorie (Savigny) 45 Fn. 32 Verwaltungsvorschriften 86, 86 Fn. 11

Sachverzeichnis Völkerrecht 20, 29, 61, 86 f., 97, 104 Fn. 2, 118 Fn. 26, 120, 144, 156 Fn. 61, 156f., 160 Fn. 74 Volk/Volkssouveränität 21, 25, 27, 27 Fn. 42, 29 Fn. 58, 30 Fn. 64, 49, 53, 56, 65, 65 Fn. 12, 66 Fn. 16, 73 Fn. 61, 75, 100 Fn. 105, 108 f., 126, 131 f., 144, 154, 155 Fn. 51, 166, 169, 174 Volksgemeinschaft 66, 138 f., 140 Fn. 16, 147 Volksseele 32 Volksvertretung / Parlament 24, 36, 61, 74 Fn. 66, 75, 75 Fn. 71 ff., 82, 87, 87 Fn. 15, 92, 107, 107 Fn. 17, 123 Fn. 53, 148, 155, 175 Volonté générale / Allgemeinwille 21, 66, 66 Fn. 18, 73, 131 ff., 132 ff., 133 Fn. 110, 146, 166 Vormärz 25 Fn. 28, 38, 82 Wahrnehmungszuständigkeiten (Wolff) 125 ff., 159, 159 Fn. 70 Weimarer Verfassung / WRV (1919) 114, 134,136,173

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Weltseele 32, 115 Wiener Kongress (1814/15) 172 Wiener Schlussakte (1820) 24, 29, 31, 36 f., 39, 40,47 f., 53, 62, 75 Wiener Schule 120ff., 120 Fn. 38, 124 Fn. 61 Wille/Willenstheorie 18, 27 Fn. 43, 33 f., 34 Fn. 102, 42 f., 59 f., 59 Fn. 103, 65 ff., 66 Fn. 14, 73ff., 79ff., 84f., 91 f., 99f., 108, 116, 124, 130 Fn. 94, 153 Fn. 42, 173 Wolff-Festschrift (1973) 127 Fn. 77, 153 Fn. 44, 158 ff. Zirkelschluss (Recht und Staat) 69 Fn. 31, 70, 91 Fn. 33, 95 Fn. 63, 96, 99, 106, 116 Fn. 14, 117, 117 Fn. 19 Zurechnung 28, 92, 100, 107 f., 110 ff., 116 f., 124 ff., 152, 153 Fn. 44, 156, 157 Fn. 65, 158 ff. Zuständigkeiten / Kompetenzen 62, 67, 88, 88 Fn. 18, 101, 107 ff., 125 ff., 153, 157, 158 ff., 170