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German Pages 445 [450] Year 2014
Thorsten Beckers
Kapitalmarktpolitik im Wiederaufbau Der westdeutsche Wertpapiermarkt zwischen Staat und Wirtschaft 1945–1957
Geschichte Franz Steiner Verlag
Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung – Band 26
Thorsten Beckers Kapitalmarktpolitik im Wiederaufbau
schriftenreihe des instituts für bankhistorische forschung e.v. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. Band 26
Thorsten Beckers
Kapitalmarktpolitik im Wiederaufbau Der westdeutsche Wertpapiermarkt zwischen Staat und Wirtschaft 1945–1957
Franz Steiner Verlag
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INHALTSVERZEICHNIS VORWORT............................................................................................................11 EINLEITUNG................................................................. .......................................13 Gegenstand der Untersuchung........................... .............................................14 Fragestellung................. ..................................................................................17 Gang der Untersuchung ..................................................................................22 Forschungsstand und Quellenlage ..................................................................24 I. STAAT UND WERTPAPIERMARKT (1870–1945) ........................................27 I. 1. Auf dem Weg zum Interventionsstaat (1870–1914) ................................27 I. 2. Reglementierung des Wertpapiermarktes während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) ...............................................................32 I. 3. Große Inflation und Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen (1919–1930) ……..............................................................36 I. 4. Die Bankenkrise von 1931 und ihre Folgen für den Wertpapiermarkt ......................................................................................42 I. 5. Einfügung in die gelenkte NS-Wirtschaft (1933–1945). .........................44 II. DER WERTPAPIERMARKT WÄHREND DER BESATZUNGSHERRSCHAFT (1945–1948) ...........................................................................57 II. 1. Alliierte Planungen für das besiegte Deutschland ................................57 II. 1. 1. US-amerikanische Planungen .....................................................59 II. 1. 2. Britische Planungen ....................................................................63 II. 2. Ingangsetzung des Wertpapierhandels ................................................ 65 II. 2. 1. Zuständigkeiten in der deutschen Verwaltung ...........................65 II. 2. 2. Wiedereröffnung der Wertpapierbörsen .....................................66 II. 2. 3. Notwendigkeit einer Wertpapierbereinigung ..............................69 II. 2. 4. Registrierung von Wertpapierbesitz und Einführung von Namenspapieren ...................................................................72 II. 2. 5. Lieferbarkeitsbescheinigungen (Affidavit-Verfahren) ...............75 II. 2. 6. Usancen des börslichen und außerbörslichen Wertpapierhandels ......................................................................76 II. 2. 7. Ausländische Investitionen in Deutschland ................................79 II. 3. Der Sekundärmarkt ................................................................................82 II. 3. 1. Der Aktienmarkt .........................................................................82 II. 3. 2. Der Rentenmarkt .........................................................................84 Exkurs: Das Hypothekenbank-Problem ..................................................87 II. 4. Primärmarkt und Emissionskontrolle ....................................................92
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III. DIE EINBINDUNG DES WERTPAPIERMARKTES IN DEN MARSHALLPLAN (1948/49) .....................................................................95 III. 1. Die Wende der alliierten Deutschlandpolitik ......................................95 III. 1. 1. Die Marshallplan-Initiative ......................................................95 III. 1. 2. Die Marshallplan-Verwaltung ...................................................99 III. 1. 3. Die Währungs- und Wirtschaftsreform vom 20./21. Juni 1948 ...................................................................101 III. 1. 3. 1. Die Währungsreform ..................................................102 III. 1. 3. 2. Das Steuerneuordnungsgesetz und das „Leitsätzegesetz“ .........................................................104 III. 1. 4. Investitionsbedarf und ERP-Planungen ................................107 III. 2. Das Problem des Kapitalmangels .....................................................113 III. 2. 1. Stockende Investitionen und unzureichende private Kapitalbildung ......................................................................114 III. 2. 2. Suche nach zusätzlichen Kapitalquellen .................................116 III. 2. 3. Das „Spitzengespräch“ über die Investitionsfinanzierung und Kapitallenkung …............................................................120 III. 3. Einbindung des Wertpapiermarktes in die Investitionslenkung .........123 III. 3. 1. Der erste Entwurf des Gesetzes über den Kapitalverkehr .......125 III. 3. 2. Reaktionen auf den Gesetzentwurf ........................................131 III. 3. 3. Beratungen im Wirtschaftsrat und im Länderrat ....................137 III. 3. 4. Verabschiedung des Gesetzentwurfs ......................................140 III. 3. 5. Ablehnung des Gesetzentwurfs durch die Militärregierung und die Diskussion um eine Ausweitung der Kapitallenkung ........142 III. 3. 6. Das Kapitalverkehrsgesetz in der ordnungspolitischen Debatte .................................................................................144 III. 3. 7. Alte und neue Streitpunkte ....................................................149 IV. DER WERTPAPIERMARKT UNTER DEM KAPITALVERKEHRSGESETZ (1949–1952) ..................................................................................155 IV. 1. Unzureichende freiwillige Kapitalbildung .........................................155 IV. 2. Quellen der Investitionsfinanzierung .................................................157 IV. 2. 1. Steuerliche Förderung der Selbstfinanzierung ........................161 IV. 2. 2. Finanzierungsmittel der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen .......................................................167 Exkurs: Das Finanzierungsmodell des sozialen Wohnungsbaus ...........170 IV. 2. 3. Kredite der Banken und Kapitalsammelstellen .......................174 IV. 2. 4. ERP-/ GARIOA-Gegenwertmittel und Auslandskapital .........179 IV. 2. 5. Vor- und Zwischenfinanzierung durch die Bank deutscher Länder ......................................................................................181 IV. 2. 6. Finanzierung aus „Anlagekonten“ ..........................................184 IV. 2. 7. Absatz von Wertpapieren ........................................................185 IV. 3. Die „Funktionsunfähigkeit“ des Wertpapiermarktes .........................190 IV. 3. 1. Die Etablierung eines niedrigen Zinsniveaus .........................192
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IV. 3. 1. 1. Die Einführung des 5-prozentigen Zinsfußes vor Inkrafttreten des KVG .................................................193 IV. 3. 1. 2. Die Diskussion um den „angemessenen“ Zins im Jahr 1950 ................................................................199 IV. 3. 1. 3. Festhalten am Status quo ..............................................208 IV. 3. 2. Emissionskontrolle durch den Kapitalverkehrsausschuss .......212 IV. 3. 2. 1. Die gesetzlichen Vorgaben ...........................................212 IV. 3. 2. 2. Die Genehmigungspraxis ............................................215 IV. 3. 2. 3. Die Spaltung des Wertpapiermarktes ...........................222 V. NEUE PROBLEMLAGE NACH AUSBRUCH DES KOREAKRIEGS (1950/51) .........................................................................................................223 V. 1. Dreifache Herausforderung im „Koreaboom“: Inflation, Zahlungsbilanzdefizit und Investitionsstau in den Grundstoffindustrien ..........223 V. 2. Innen- und außenpolitische Folgen der Krise .....................................227 V. 3. Ansätze zur Lösung der Krise ...........................................................230 V. 3. 1. Außenwirtschaftliche Lösungsversuche …............................. 230 V. 3. 2. Binnenwirtschaftliche Lösungsversuche …….........................232 V. 3. 2. 1. Sparmarken-Plan, Sonderumsatzsteuer und PreisErhöhungen ..................................................................233 V. 3. 2. 2. Die „Investitionshilfe“ .................................................236 V. 4. Auswirkungen der Krisenbewältigung auf den Kapitalmarkt .............240 V. 4. 1. Neue Bewegung in der Zinsfrage ............................................243 V. 4. 2. Rückführung der Selbstfinanzierung und Steuervergünstigungen für festverzinsliche Wertpapiere .................................245 V. 4. 3. Verlängerung des Kapitalverkehrsgesetzes ..............................248 VI. DER WEG ZUM ERSTEN KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZ (1951/52) ......................................................................................................255 VI. 1. Neue Ansätze in der Kapitalmarktpolitik ..........................................255 VI. 1. 1. Initiativen des „Interministeriellen Wirtschaftsausschusses“ und des „Scharnberg-Ausschusses“ ........................................255 VI. 1. 2. Anliegen des „Scharnberg-Ausschusses“ ...............................260 VI. 2. Die neuen Zielsetzungen staatlicher Fördermaßnahmen ....................263 VI. 2. 1. Steuerpolitische Maßnahmen ..................................................265 VI. 2. 1. 1. Begünstigung der Wertpapiererträge ............................265 VI. 2. 1. 2. Einführung des Prämiensparens ...................................268 VI. 2. 1. 3. Ausweitung der Steuerbegünstigung auf Körperschaften ...........................................................269 VI. 2. 1. 4. Fiskalische Auswirkungen ..........................................270 VI. 2. 1. 5. Verzicht auf eine Förderung des Aktienmarktes ..........271 VI. 2. 2. Umstrittene Punkte ..................................................................272 VI. 2. 2. 1. Kritik an der steuerlichen Begünstigung der Kapitalerträge ............................................................273 VI. 2. 2. 2. Auswahl der begünstigten Wertpapiertypen ...............276
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VI. 3. Die parlamentarischen Beratungen des KapitalmarktförderungsGesetzes .............................................................................................277 VI. 3. 1. Der erste Gesetzentwurf ..........................................................278 VI. 3. 2. Reaktionen des Bundesrats .....................................................280 VI. 3. 3. Verhandlungen in den Bundestagsausschüssen ......................283 VI. 3. 3. 1. Stellungnahme der Wirtschafts- und Bankenverbände .........................................................283 VI. 3. 3. 2. Kritik der Opposition, der BdL und des Wissenschaftlichen Beirats ..........................................287 VI. 3. 3. 3. Einzelberatung in den Bundestagsausschüssen ............291 VI. 3. 4. Verabschiedung des Kapitalmarktförderungsgesetzes ............296 VI. 4. Zinslockerung und Kapitallenkung: die Neufassung des Kapitalverkehrsgesetzes ....................................................................298 VII. DER WERTPAPIERMARKT UNTER DEM KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZ (1952–1954) .....................................................301 VII. 1. Anstieg der Wertpapieremissionen und des Wertpapierabsatzes ......301 VII. 2. Kritik am Kapitalmarktförderungsgesetz ........................................306 VII. 2. 1. Zögerliche Aufgabe des Dirigismus ......................................307 VII. 2. 2. Erstarrung des Zinsgefüges ....................................................310 VII. 2. 3. Hohe Marktanteile der öffentlichen Hand und des sozialen Wohnungsbaus …...................................................314 VII. 2. 4. Spaltung des Kapitalmarktes und erhöhte GeldmarktAbhängigkeit .........................................................................319 VII. 2. 5. Fortexistenz des „Grauen Pfandbriefmarktes“ .......................322 VII. 3. Versuch einer Reform der Kapitalmarktreform ...............................324 VII. 3.1. Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums vom Frühjahr 1953 und die „kleine Steuerreform“ ........................................324 VII. 3. 2. Kabinettsvorlagen des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums ...............................................329 VII. 3. 2. 1. Kapitalmarktpolitische Vorschläge des BundeswirtSchaftsministeriums ....................................................330 VII. 3. 2. 2. Reaktion des Bundesfinanzministeriums ....................338 VII. 3. 2. 3. Kabinettsvorlage des Bundesfinanzministeriums .......343 VII. 3. 3. Das Ringen um die Förderung der Aktie und die Wohnungsbaufinanzierung .....................................................349 VII. 3. 3. 1. Einbezug der Aktie in die steuerliche Förderung .......349 VII. 3. 3. 2. Die steuerliche Behandlung der Sozialpfandbriefe .....351 VII. 3. 3. 3. Mindestlaufzeit der steuerbegünstigten Wertpapiere ..356 VII. 4. Das Scheitern des Zweiten Kapitalmarktförderungsgesetzes ...........357 VII. 5. Verzicht auf die Emissionskontrolle .................................................362
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VIII. RÜCKZUG DES STAATES VOM WERTPAPIERMARKT (1955–1957) .............................................................................................365 VIII. 1. Übergang zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen ..........................365 VIII. 1. 1. Das Ende der Steuerbegünstigungen und die „große Steuerreform“ .....................................................365 VIII. 1. 2. Reibungsloser Auftakt am Rentenmarkt ..............................367 VIII. 1. 3. Rückkehr der Aktie als Refinanzierungsinstrument ............372 VIII. 2. Rückschlag am Rentenmarkt während der Hochkonjunktur ...........373 VIII. 2. 1. Die geldpolitische Wende Mitte 1955 ..................................373 VIII. 2. 2. Auswirkungen der währungspolitischen Wende auf den Wertpapiermarkt ....................................................380 VIII. 2. 3. Der Tiefpunkt 1956/57 .........................................................384 VIII. 3. Der Ruf nach erneutem staatlichen Eingreifen ................................391 VIII. 3. 1. Kurze Renaissance steuerlicher Fördermaßnahmen .............391 VIII. 3. 2. Das Ende der finanzpolitischen Beeinflussung des Wertpapiermarktes ......................................................395 VIII. 3. 3. Einrichtung des Zentralen Kapitalmarktausschusses ..........400 FAZIT ..................................................................................................................407 Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................422 Quellen- und Literaturverzeichnis ......................................................................423 Ungedruckte Quellen ................................................................................423 Literatur und gedruckte Quellen .................................................................424 Anhang .................................................................................................................437 1. Auflegung von festverzinslichen Wertpapieren und Aktien in der Bundesrepublik Deutschland Juli 1948 – Dezember 1954 2. Absatz von festverzinslichen Wertpapieren und Aktien in der Bundesrepublik Deutschland Juli 1948 – Dezember 1954 3. Absatz von festverzinslichen Wertpapieren in der Bundesrepublik Deutschland nach Käufergruppen Juni 1951 – Dezember 1954 4. Gesetz über den Kapitalverkehr vom 2. September 1949 5. Erstes Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts vom 16. Dezember 1952
VORWORT Die vorliegende Publikation wurde im Wintersemester 2011/12 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Die Wahl ihres Themas basierte auf folgenden Betrachtungen: Erstens liegt die wirtschaftsgeschichtliche Erforschung des Kapitalmarktes in Deutschland generell hinter der Erforschung des Bankwesens zurück, was dem vom Bankkredit geprägten Finanzsystem hierzulande geschuldet ist. Zweitens war bei Aufnahme der Arbeit immer noch die Frage von Interesse, wie nach Ende des Zweiten Weltkriegs der westdeutsche Wiederaufbau von der Finanzierungsseite her bewerkstelligt werden konnte und welche Maßnahmen dies ermöglichten. Natürlich gab es bereits Arbeiten, die weitreichende Aufschlüsse über verschiedene langfristige Finanzierungsformen (Einsatz von Steuermitteln, Bankkredite, ERP-Mittel etc.) ermöglichten. Aber eine systematische Betrachtung mit dem bisher kaum behandelten Wertpapiermarkt im Fokus schien weiterhin lohnenswert. Schließlich, drittens, schienen die Neuanfänge des Wertpapiermarktes nach 1945 auch mit Blick auf die späteren, bis in die Neunzigerjahre geläufigen – und zum Teil heute noch vorgebrachten – kritischen Urteile über den (west)deutschen Kapitalmarkt von Interesse: Er sei im Vergleich zu den angloamerikanischen Kapitalmärkten und angesichts der westdeutschen Wirtschaftskraft unterdimensioniert gewesen, vor allem mit Blick auf die untergeordnete Rolle der Aktie und die geringe Marktkapitalisierung der Unternehmen. Zudem sei der Rentenmarkt von strukturellen Schwächen geprägt gewesen, etwa der starken Abhängigkeit des Rentenmarktes vom Geldmarkt. Hier war die Frage nach möglichen Ursprüngen dieser „Schwächen“ in der Wiederaufbauphase, mithin die Frage nach Pfadabhängigkeiten für die Entwicklung des Kapitalmarktes in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 1990, Motivation der Nachforschungen. Während meiner Forschungsarbeit und beim Abschluss des Promotionsverfahrens begleiteten mich Wissenschaftler, Kollegen und Freunde. An dieser Stelle möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen: Prof. Dr. Joachim Scholtyseck, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der das Erstgutachten der Disseration, und Prof. Dr. Carsten Burhop, Universität Wien, der das Zweitgutachten übernommen hat. Prof. Dr. Dominik Geppert, Rheinische FriedrichWilhelms-Universität Bonn, gilt mein Dank für die Leitung des Promotionsausschusses. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Pohl danke ich für die langjährige Begleitung meines wissenschaftlichen Werdegangs als Schüler und Mitarbeiter. Den Archivarinnen und Archivaren des Historischen Archivs der Deutschen Bundesbank, des Bundesarchivs Koblenz sowie des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages danke ich für die freundliche und stets bereitwillige Unterstützung. Der wissenschaftliche Beirat des Instituts für bankhistorische Forschung hat die Aufnahme in
Vorwort
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die Schriftenreihe des IBF ermöglicht, das Institut und die Deutsche Bundesbank haben die Drucklegung finanziell unterstützt. Auch dafür bedanke ich mich sehr. Für die finale Durchsicht des Manuskripts danke ich meinem ehemaligen Kollegen Frank Dreisch, Redakteur und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für bankhistorische Forschung e.V., herzlich. Frankfurt am Main, Januar 2014
Thorsten Beckers
EINLEITUNG Der wirtschaftliche Wiederaufbau Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg ging seit 1950 dynamischer und reibungsloser vor sich, als man es im In- und Ausland für möglich gehalten hatte. Zur Beschreibung der überraschend schnellen Erholung machte bald das Schlagwort vom „Wirtschaftswunder“ die Runde. Seit nunmehr rund zweieinhalb Jahrzehnten bildet der Zeitraum zwischen 1945 und 1957 einen Schwerpunkt der wirtschaftshistorischen Forschung in der Bundesrepublik. Sie hat mittlerweile eine Reihe plausibler Erklärungen für die rasche Aufwärtsentwicklung herausgestellt und so für eine „versachlichte“ Wahrnehmung des Wiederaufbauprozesses gesorgt. Dabei fanden nicht nur die Erfolgsstories Berücksichtigung wie etwa die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft, der Beginn der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder die Versorgung großer Bevölkerungsgruppen mit Wohnraum und Arbeitsplätzen. Auch die wirtschaftlich äußerst problematischen Anfangsjahre der Bundesrepublik, in denen die Aufbaubemühungen wiederholt in akute Gefahr gerieten, sowie höchst umstrittene Projekte der Wirtschaftspolitik (Investitionshilfegesetz, Wettbewerbsgesetz etc.) wurden thematisiert. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die wirtschaftshistorische Forschung zu einem Bereich der Wirtschaft zu ergänzen, der bislang nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stand: Die Rolle des Kapitalmarkts, genauer des Wertpapiermarkts, bei den Rekonstruktionsbemühungen des Wiederaufbaujahrzehnts. Als sich nach Ankündigung des Marshallplans seit Mitte 1947 die Anzeichen verdichteten, dass Westdeutschland eine wichtige Stellung im europäischen Wiederaufbau einnehmen würde, sahen sich die politischen Entscheidungsträger vor finanziellen Herausforderungen gestellt, die überwältigend anmuteten: Die Beseitigung von Kriegszerstörungen und Demontageverlusten, die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, die drängende gesellschaftliche Eingliederung von Vertriebenen, Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern sowie die infrastrukturelle Neuordnung von Wirtschaftsräumen erforderten private und öffentliche Investitionen in enormen Größenordnungen. Dem stand ein Finanzvermögen der Einwohner gegenüber, das nach zwei ruinösen Kriegen, zwei Nachkriegsinflationen und nur wenigen kurzen Erholungsphasen in den vorangegangenen drei Jahrzehnten stark zusammengeschmolzen war. Es war die große Diskrepanz zwischen dem hohen Kapitalbedarf von Staat und Wirtschaft auf der einen und der prognostizierten geringen (freiwilligen) Kapitalbildung der privaten Haushalte auf der anderen Seite, die den Staat veranlasste, dem drohenden Kapitalmangel durch den massiven Einsatz wirtschaftsund finanzpolitischer Instrumente entgegenzuwirken. Die Beschaffung von Kapital zur Finanzierung des Wiederaufbaus war Anfang der Fünfzigerjahre das
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wirtschaftliche Kernproblem der jungen Bundesrepublik, bei dem sich der „funktionsunfähige“ Wertpapiermarkt als größtes Sorgenkind entpuppte: Während einige Bereiche der privaten Kapitalbildung wie etwa das Kontensparen, das Versicherungssparen und das Bausparen bereits wenige Monate nach der Währungsreform einen vielversprechenden Aufschwung erlebten, der bei den Finanzintermediären die Grundlage für ein reges Kreditgeschäft schuf, blieb die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage über lange Jahre hinweg ein charakteristisches Merkmal des Wertpapiermarkts. Wenige Zahlen illustrieren das Problem: Der Anteil des Wertpapierabsatzes an der Aufbringungen aller langfristigen Mittel in Westdeutschland (ohne Selbstfinanzierung) betrug im Jahr 1950 nur drei Prozent, während er im Durchschnitt der Jahre 1925 bis 1928 (nach der Währungsreform von 1923/24) deutlich über 40 Prozent gelegen hatte. Das Gesamtvolumen umlaufender Wertpapiere war Ende der Fünfzigerjahre immer noch weit geringer als vor dem Ersten Weltkrieg: Während Ende 1913 Wertpapiere inländischer Emittenten im Nennwert von 48,3 Mrd. M im Umlauf waren, waren es 1957, knapp zwölf Jahre nach Kriegsende, trotz einer massiven Ausweitung des Kapitalstocks erst 21,8 Mrd. DM. Der Prozess des Wiederauffüllens der Wertpapierbestände war Ende der Fünfzigerjahre also bei weitem noch nicht abgeschlossen.1 GEGENSTAND DER UNTERSUCHUNG Die staatlichen Organe griffen in Westdeutschland länger und tiefer in den Wertpapiermarkt ein als in den meisten anderen privatwirtschaftlich organisierten Bereichen der Volkswirtschaft. Aktivitäten, die in Bezug auf Ausmaß und Dauer vergleichbar sind, gab es wohl nur in den notorischen „Subventionszweigen“ der Agrar- und Wohnungswirtschaft. Der Umfang der kapitalmarktpolitischen Maßnahmen sowie die anhaltende öffentliche Diskussion um ihre Ausgestaltung lassen darauf schließen, dass der Staat gerade hier gefordert war, sein Verhältnis zur Wirtschaft zu bestimmen. Aus mehreren Gründen ist die Untersuchung des Wertpapiermarktes in besonderer Weise geeignet, dieses Verhältnis näher zu beleuchten: – Der Wertpapiermarkt wird gemeinhin, besonders wenn Wertpapierkauf und verkauf über die Börse abgewickelt werden, als „Herzstück“ einer Marktwirtschaft angesehen, da er sowohl für das Finanzsystem als auch für die Realwirtschaft von Bedeutung ist und – unter geeigneten rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – eine Reihe von Merkmalen aufweist, die der Idealform eines vollkommenen Marktes nahe kommen: Der Wertpapiermarkt betrifft ein „homogenes“ Gut (Effekten), die Fungibilität der gehandelten Werte ist aufgrund einer großen Anzahl von Anbietern und Nachfragern gewährleistet, der Organisationsgrad des Marktes ist hoch, die 1
Dabei ist das verkleinerte Staatsgebiet zu berücksichtigen. Ausgleichend wirkt die nicht berücksichtigte Inflation.
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Transaktionskosten sind aufgrund hoher Informationsdichte und Transparenz niedrig und schließlich erfolgt eine umfassende Transformation von Fristen, Risiken und „Losgrößen“.2 Aufgrund seiner engen Verbindungen zu den übrigen Bereichen des Kredit- und Finanzwesens sowie zur Güterwirtschaft kann der Wertpapiermarkt als Gradmesser für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie für den „Freiheitsgrad“ der Wirtschaftsordnung dienen. – Am Wertpapiermarkt wirkt der Staat in vier verschiedenen Funktionen: - als Gesetzgeber, der durch direkte Interventionen bzw. finanzpolitische Maßnahmen Einfluss nehmen kann, - als Kapitalnachfrager, - als Kapitalanbieter sowie - als Währungshüter (durch die Zentralbank). Diese verschiedenen Rollen und die mit ihnen jeweils verbundenen, oft gegensätzlichen Interessen verlangen ein Abwägen der zu verfolgenden staatspolitischen Ziele und ihrer ordnungspolitischen Vereinbarkeit. – Die Investitionsfinanzierung über den Wertpapiermarkt berührt zahlreiche Politikfelder und Wirtschaftsbereiche, so dass eine Untersuchung der Kapitalmarktpolitik Aufschlüsse über die Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten verspricht. Es handelt sich dabei beispielsweise um die alliierte Besatzungspolitik, die US-Auslandshilfe für Westeuropa (Marshallplan), die Steuerpolitik, die Wohnungsbaupolitik, die Währungspolitik sowie die Geschäfts- und Interessenpolitik der Finanzintermediäre und Wirtschaftsunternehmen. Als Teilbereich des organisierten Kapitalmarkts steht der Wertpapiermarkt in engen, wechselseitigen Beziehungen zu den übrigen Kapitalmarktsegmenten (nicht organisierter Kapitalmarkt), insbesondere zum langfristigen Kredit- und Einlagengeschäft der Finanzintermediäre sowie dem Geschäft mit Schuldscheindarlehen. Insofern diese Beziehungen Einfluss auf die Entwicklung des Wertpapiermarktes nahmen, sind sie in der vorliegenden Untersuchung zu berücksichtigen. Ähnliches gilt für den Geldmarkt, bei dem die Abgrenzung zum Wertpapiermarkt allerdings schwieriger ist, da beide den Handel mit verbrieften Vermögenswerten beinhalten. Als Markt für liquide Mittel des Kreditsektors nimmt der Geldmarkt jedoch prinzipiell eine andere Funktion wahr als der Wertpapiermarkt, der sich mit der langfristigen Investitionsfinanzierung befasst. Entsprechend sind an beiden Märkten schwerpunktmäßig unterschiedliche Akteure tätig: Am Geldmarkt dominieren die Kreditinstitute, während auf dem Wertpapiermarkt üblicherweise neben den Banken private Haushalte, institutionelle Anleger (Kapitalsammelstellen), öffentlich-rechtliche Körperschaften und Großunternehmen engagiert sind. Für die vorliegende Untersuchung bietet das einfache Kriterium der Laufzeiten eine zweckmäßige Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, die im Untersuchungszeitraum ebenfalls in der politischen und wirtschaftlichen Praxis (und der amtlichen Statistik) Anwendung fand: In den Fünfzigerjahren war der 2
Bruns, Entwicklungsprobleme, S. 11 f.; Kress, Kapitalmarktregulierung, S. 31 f.
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Markt für langfristige Wertpapiere (Laufzeiten der Wertpapiere zwischen drei und 40 Jahren) stark gegenüber dem kurzfristigen Geldmarkt (Laufzeit der Wertpapiere bis zu zwei Jahren) abgegrenzt. Da die Bandbreite der gehandelten Wertpapiere recht übersichtlich war, genügt ihre Aufzählung zur Bestimmung des Begriffs „Wertpapiermarkt“: Auf dem Rentenmarkt beschränkte sich das Angebot auf Anleihen der öffentlichen Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Städte- und Gemeindeverbände), Pfandbriefe, Kommunalobligationen (von einem Realkreditinstitut aufgrund eines Darlehens an eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband ausgegebene Schuldverschreibung), Unternehmensanleihen/ Corporate Bonds (damals Industrieobligationen genannt) sowie Wandelanleihen. Auf dem Aktienmarkt wurden Aktien, Kuxe und Bezugsrechte angeboten. Zu Überschneidungen zwischen langfristigem Wertpapiermarkt und kurzfristigem Geldmarkt kam es lediglich in wenigen Fällen. So konnten etwa Bundesschatzwechsel je nach Ausstattung zu beiden Märkten gezählt werden.3 Die staatliche Kapitalmarktpolitik kann auf den Primärmarkt (Emissionsmarkt), der die erstmalige Unterbringung neuer Wertpapiere betrifft, oder auf den Sekundärmarkt (Umlaufmarkt) abzielen, der den Handel mit umlaufenden Wertpapieren umfasst. Ersterer gibt Auskunft über die Kapitalkraft und Aufnahmefähigkeit des Wertpapiermarktes, Letzterer über die Effizienz des Kapitaltauschs (Fungibilität, Preisbildung, „Marktbreite“ etc.).4 Die vorliegende Untersuchung deckt beide Märkte ab, wobei in den Jahren 1945 bis 1948 der Sekundärmarkt im Vordergrund des wirtschaftspolitischen Interesses stand und seit der Währungsreform der Primärmarkt in den Mittelpunkt rückte. Vom Geschehen am Wertpapiermarkt in der Frühphase der Bundesrepublik ist bis heute die so genannte „Wertpapierbereinigung“ in Erinnerung geblieben. Mit ihr sollte sichergestellt werden, dass nach den Wirren der Kriegs- und Nachkriegsjahre nur solche Wertpapierstücke in den Handel gelangten, deren Inhaber auch die rechtmäßigen Besitzer waren. Zu diesem Zweck musste jedes Wertpapier ein amtliches Verfahren durchlaufen, das einen erheblichen bürokratischen Aufwand verursachte. Obwohl das Verfahren den Wertpapierhandel über Jahre hinweg erschwerte, handelte es sich letztlich nur um eine verwaltungstechnische Maßnahme, die keine Einwirkung auf die Kapitalbildung bzw. die Investitionsfinanzierung bezweckte und daher kein Instrument der Kapitalmarktpolitik war. Die Wertpapierbereinigung und ihre Vorläufer werden daher in der vorliegenden Arbeit nicht schwerpunktmäßig behandelt.
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Zu den zahlreichen Definitionsversuchen der Begriffe „Kapitalmarkt“ und „Geldmarkt“ vgl. Brahms, Kapitalmarktentwicklung, Kap. I; Flöge, Verbesserung, S. 54 f.; Tuchtfeldt, Kapitalmarkt, S. 433 ff. Merkel, Theorie, S. 65 f.; Wiegers, Kapitalmarktpolitik, S. 27 ff.
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FRAGESTELLUNG Wenn sich die politischen Entscheidungsträger dazu berufen sahen, im Bereich der Kapitalmarktpolitik tätig zu werden, stellt sich unweigerlich die Frage, unter welchen ordnungspolitischen Voraussetzungen bzw. anhand welcher Maßstäbe dies geschah. Nach Kriegsende fanden die deutschen und alliierten Finanzexperten einen Wertpapier-„markt“ vor, der nach 1931 Schritt für Schritt aller marktwirtschaftlichen Elemente beraubt und schließlich in die Lenkungswirtschaft des NS-Regimes eingefügt worden war. Von einem Normalzustand, der üblicherweise durch eine von Kapitalangebot und -nachfrage bestimmte Preisbildung, freien Marktzutritt sowie einen engen Renditezusammenhang zwischen den Teilmärkten (für Staatspapiere, Pfandbriefe, Aktien etc.) gekennzeichnet ist, war der Wertpapiermarkt weit entfernt. Seit der Währungsreform und dem „Leitsätzegesetz“ vom Juni 1948 begann sich zwar in Westdeutschland die „Soziale Marktwirtschaft“ als wirtschaftspolitische Leitvorstellung durchzusetzen. Doch für die Rolle des Staates in der Wirtschaft gab das Konzept – da von seinen „geistigen Vätern“ weder einvernehmlich noch präzise definiert – keine eindeutigen, konkreten Handlungsmuster vor; erst recht bot es keine Leitlinien für staatliches Handeln in wirtschaftlichen Ausnahmesituationen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten. Auch der Parlamentarische Rat vermied es, bei der Erarbeitung des Grundgesetzes allgemeinverbindliche ordnungspolitische Aussagen zu treffen. Aus der verfassungsrechtlichen Offenheit, die vom Bundesverfassungsgericht wiederholt bestätigt wurde (z. B. Urteil zum Investitionshilfegesetz von 1953), folgt die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Interpretation der Prinzipien, an denen sich das staatliche Einwirken auf die Wirtschaft orientieren sollte. Die Entscheidungsträger waren angehalten, immer wieder um ordnungspolitische Vorstellungen und ihre praktische Umsetzung zu ringen, was die wirtschaftspolitische Praxis im Jahrzehnt des Wiederaufbaus vor dem Hintergrund laufend wechselnder ökonomischer, sozialer und politischer Rahmenbedingungen gleichermaßen interessant wie umstritten machte. Das Fehlen feststehender theoretisch-normativer Grundprinzipien in der Ordnungspolitik schließt somit die Überprüfung der Wirtschaftspolitik anhand genau definierter Kriterien und Modelle weitgehend aus. Um die Motive und Wirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen, etwaige Einflussnahmen durch Gruppeninteressen und das Ringen um Kompromisse nachvollziehen zu können, bleibt die Möglichkeit einer „Realbeschreibung“.5 Sie kann die Theorie geleitete Forschung der Wirtschaftswissenschaften ergänzen, die erfahrungsgemäß Probleme hat, Entwicklungsverläufe nach ordnungspolitischen Brüchen bzw. nach Umwälzungen von Wirtschaftssystemen zu erklären. Dies zeigen nicht nur die Untersuchungen zur westdeutschen Nachkriegsgeschichte, sondern auch in jüngerer Zeit die Forschungen zur wirtschaftlichen Transformation der ehemaligen Ostblockstaaten: Für die Analyse von ordnungspolitischen Übergangsphasen fehlen einer5
Jaeger, Geschichte, S. 7.
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seits kontinuierliche Datenreihen zur statistischen Erfassung der Wirtschaftsentwicklung, andererseits üben zahlreiche exogene Faktoren eine dominierende Wirkung aus, die kaum in aussagefähige Modelle integriert werden können.6 Kompliziert wurde das ordnungspolitische Ringen im Westdeutschland der Nachkriegsjahre dadurch, dass die Wirtschaftspolitik zunächst von den alliierten Besatzungsmächten bestimmt, ab 1947 jedoch sukzessive den westdeutschen politischen Körperschaften überlassen wurde. Da sich die Besatzungsmächte weitreichende Kontrollrechte vorbehielten, überlappten sich die wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungskompetenzen auf westdeutscher und alliierter Seite bis in die Fünfzigerjahre hinein. Die ordnungspolitischen Vorstellungen divergierten nicht nur zwischen den alliierten und deutschen Stellen, sondern auch zwischen den einzelnen Besatzungsmächten oftmals stark und führten regelmäßig zu Konflikten und ineffizienten Verfahren in Gesetzgebung und wirtschaftspolitischer Praxis. Die Kompetenzteilung brachte es mit sich, dass unterschiedliche nationalstaatliche Traditionen auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Westdeutschland einwirkten. Die Befürworter einer vorwiegend marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsordnung, die staatlichen Eingriffen reserviert gegenüber standen, erlangten in den westdeutschen gesetzgebenden Körperschaften seit Ende der Vierzigerjahre zwar eine fragile Mehrheit (auch wenn es selbst in den bürgerlichen Parteien weiterhin führende Köpfe gab, die dem Marktgedanken skeptisch gegenüber standen). Aber sie trafen sowohl auf deutscher Seite als auch bei den Besatzungsmächten auf ordnungspolitische Traditionen, die eine skeptische Haltung gegenüber den Selbstregulierungskräften des Marktes zeigten. Die westdeutschen Politiker und Finanzexperten besaßen gerade in der Kapitalmarktpolitik langjährige Erfahrungen mit staatlichen Eingriffen am Aktien- und Rentenmarkt, die zum Zwecke übergeordneter politischer Ziele vollzogen worden waren. Der Wertpapiermarkt war faktisch seit 1914, also seit mehr als 30 Jahren, immer wieder nachhaltig gestört bzw. zerrüttet worden, so dass sich die Zeitgenossen im Jahr 1945 kaum noch an „normale“ Marktverhältnisse erinnern konnten. Es war aufgrund dieser habituellen Gewöhnung kein Tabubruch, die Kapitalkraft des Wertpapiermarkts in „außergewöhnlichen“ Phasen vollkommen in den Dienst übergeordneter sozial- oder wirtschaftspolitischer Ziele zu stellen. Die Regierungskoalition der bürgerlichen Parteien besaß bis 1953 nur ein fragiles Übergewicht im Bundestag und die oppositionelle SPD hoffte nicht ohne Grund, im Falle eines Regierungswechsels ihre Vorstellungen von einer weitreichenderen staatlichen Wirtschaftsplanung – gerade hinsichtlich der Investitionsplanung und -finanzierung – durchsetzen zu können. Auf die Besatzungspolitik des wichtigsten westlichen Alliierten, der USA, wirkte sich die tiefgreifende Neuorientierung der US-Wirtschaftspolitik seit 6
Bei dem Vergleich zwischen dem NS-Regime und den ehemals sozialistischen Staaten sind natürlich die vielen tief greifenden Unterschiede hinsichtlich der Eigentumsordnung, der Intensität der Lenkungswirtschaft, des Rechtswesens, der Dauer des Systems etc. zu berücksichtigen. Vgl. Schwarz, Chaos, S. 16 f., 43–55; Lohmann, Transformation, S. 20 ff.
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Beginn der New Deal-Ära aus, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg von der Innen- auf die Außenpolitik ausweitete und in die Konzeption des Marshallplans einfloss. Das Leitbild der klassischen Theorie, die sich an den Prinzipien der freien Konkurrenz durch komparative Vorteile, der stabilen Wechselkurse und eines ungehinderten Welthandels orientierte, war nach der Weltwirtschaftskrise den Vorstellungen eines „korporativen Kapitalismus“ gewichen, der neue Aspekte wie Wirtschaftsplanung, wirtschaftskoordinierende bzw. -kontrollierende Institutionen sowie Kooperationen zwischen politischen und unternehmerischen Führungskreisen betonte. Mit den neuen Instrumenten sollten stabilere Verhältnisse auf den nationalen und internationalen Märkten (unter US-amerikanischer Hegemonie) geschaffen, die Volatilität der konjunkturellen Entwicklung gemäßigt und der Wohlstand in breiten Bevölkerungsschichten gefördert werden – um auf diese Weise die Grundlagen des Kapitalismus trotz der durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten Ängste zu bewahren. Von dem Wandel der ordnungspolitischen Leitvorstellungen war auch das Bemühen der amerikanischen Besatzungsmacht geprägt, das Problem der westdeutschen Investitionsfinanzierung in den Griff zu bekommen. Die amerikanische Militärregierung hegte die Hoffnung, das Problem in einer marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung durch die oben erwähnte Kombination von Planung, Expertenbeteiligung und neuen Institutionen in den Griff zu bekommen. Beim „Juniorpartner“ der USA, den Briten, war die Skepsis gegenüber marktnahen Lösungen der Investitionsproblematik insbesondere während der Regierungszeit der Labour Party in Großbritannien (1945-1951) stark ausgeprägt, so dass sie einer Verstärkung lenkungswirtschaftlicher Elemente in der Frühphase der Bundesrepublik durchaus positiv gegenüberstanden. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung gilt den Fragen, welche Stellung der Wertpapiermarkt in der gesamtwirtschaftlichen Investitionsfinanzierung und Kapitalbildung im Zeitraum von 1945 bis 1957 einnahm und welchen Einfluss wirtschafts- bzw. finanzpolitische Maßnahmen darauf hatten. Als Teil des Kapitalmarktes kann der Wertpapiermarkt theoretisch durch andere Finanzierungsquellen substituiert werden, indem beispielsweise durch Veränderungen des institutionellen Arrangements das volkswirtschaftliche Sparen und die Kapitalverteilung auf Finanzintermediäre verlagert oder durch steuerpolitische Maßnahmen die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen ausgeweitet werden.7 Gab es also nach 1945/48 eine eigenständige Kapitalmarktpolitik, die einen „funktionsfähigen“ Wertpapiermarkt als gesamtwirtschaftlich/ -gesellschaftlich bedeutsamen Aspekt betrachtete, oder waren Effektenemission und -handel eher anderen, als wichtiger eingestuften Zielsetzungen untergeordnet? Als solche kamen etwa Ziele der Struktur-/ Subventionspolitik, der Fiskalpolitik oder der Sozial-/ Umverteilungspolitik in Frage. Aus ordnungspolitischer Perspektive ist zu klären, ob sich die Entscheidungsträger in der Kapitalmarktpolitik von erkennbaren Ordnungsprinzipien leiten ließen, die eine kohärente längerfristige Strategie ermöglichten und einen aktiven Gestaltungswillen erkennen ließen. Oder überwogen kurzfristige Ad-hoc-Maß7
Wolf, Probleme, S. 120 f.
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nahmen, die jeweils nur aktuellen Fehlentwicklungen entgegenwirken sollten? In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, wie stark angesichts des Ausmaßes der Kriegszerstörungen und des Umfangs der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Aufgaben das Vertrauen der Entscheidungsträger in die Selbstregulierungskräfte des Marktes waren, auf die man sich auf dem Gütermarkt seit dem Leitsätzegesetz vom Juni 1948 bzw. endgültig nach Überwindung der Koreakrise seit 1952 weitgehend verließ: Wollten die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik die Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung im Rahmen eines Systemwechsels von der „gelenkten Wirtschaft“ der NS-Zeit zu einer weitgehend freien Marktwirtschaft sicherstellen oder favorisierten sie ein – vorübergehendes oder längerfristiges – Festhalten an lenkungswirtschaftlichen Maßnahmen? Falls es eine eigenständige Kapitalmarktpolitik gab, die auf die Funktionsweise des Wertpapiermarktes abzielte, gilt es zu klären, welche Ziele sie konkret verfolgte. Grundsätzlich kommen drei in Frage: – die Wiederherstellung eines „funktionsfähigen“ Marktes für den Kauf und Verkauf von Wertpapieren: Dem Wertpapiermarkt würde in diesem Fall eine besondere Bedeutung als „Aushängeschild“ und Gradmesser der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung beigemessen. Im Vordergrund des staatlichen Interesses würden regulierende Maßnahmen stehen, die sich auf die Rahmenbedingungen des Marktgeschehens beschränken, um wichtige Voraussetzungen wie freien Marktzutritt, freie Preisbildung oder gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. – die Bevorzugung bestimmter, als volkswirtschaftlich vorrangig angesehener Kapitalnachfrager: In diesem Fall würden bestimmte Wirtschaftsbranchen bzw. öffentliche Institutionen durch staatliche Interventionen begünstigt, indem ihnen ein bevorzugter Zugriff auf Kapital gewährt würde bzw. indem die Kosten für ihre Kapitalaufnahme niedrig gehalten würden. Es wäre dann zu klären, ob mit den staatlichen Eingriffen akute Krisenerscheinungen bewältigt, spezifische Gruppeninteressen durchgesetzt oder bestimmte übergeordnete politische, soziale bzw. fiskalische Zwecke erreicht werden sollten. – die Förderung der Kapitalanbieter: Der Staat würde in diesem Fall die Kapitalbildung der privaten Haushalte fördern, indem er für attraktive Kapitalerträge und damit für eine größere „Sparwilligkeit“ sorgen würde. Auf diese Weise würde sich das Kapitalaufkommen am Wertpapiermarkt zum Vorteil der Investitionsfinanzierung erhöhen. Auch konnte der Staat auf diese Weise die Bildung von Rücklagen zu Vorsorgezwecken (Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit etc.) fördern. In der Bundesrepublik konnte dieser Aspekt insofern von besonderer Bedeutung sein, als eine staatliche geförderte Vermögensbildung die junge Demokratie gesellschaftspolitisch absichern konnte. In diesem Falle wären es insbesondere die Bezieher von geringen und mittleren Einkommen, die für eine staatliche Sparförderung in Frage kamen. Für sein Einwirken auf den Wertpapiermarkt steht dem Staat ein Instrumentarium zur Verfügung, das sich aus finanzpolitischen Maßnahmen, geldpolitischen Ent-
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scheidungen und direkten Eingriffen zusammensetzt.8 Es wird eine Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, die angewandten Instrumente der Kapitalmarktpolitik zu identifizieren und ihre Wirkungsweise zu erklären: Durch Steuergesetze können sowohl die Kapitalbildung als auch die Investitionstätigkeit mehr oder weniger zielgerichtet gefördert bzw. gehemmt werden. Die Geldpolitik kann in den Dienst des Kapitalmarktes gestellt werden, indem sie bewusst die Renditeunterschiede zwischen Geld- und Kapitalmarkt verändert und so das Anlage- bzw. Investitionsverhalten beeinflusst. Direkte staatliche Eingriffe befassen sich mit konkreten Geboten und Verboten der Kapitalverwendung. Die kapitalmarktpolitischen Maßnahmen können hinsichtlich ihrer Intensität in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden:9 Regulierung, Intervention oder Dirigismus. Bei der Regulierung stehen Maßnahmen zur Verhinderung von Marktversagen im Vordergrund, die möglichst „marktkonform“ aus Gemeinwohlgründen auf die Änderung von Rahmenbedingungen abzielen. Als Interventionen werden einzelne staatliche Eingriffe verstanden, die ohne Rücksicht auf ordnungspolitische Prinzipien zur Durchsetzung von Vorteilen für bestimmte Marktteilnehmer vorgenommen werden. Mit Dirigismus wird schließlich ein systematisches Eingreifen des Staates bezeichnet, mit dem zum Zwecke der Wirtschaftslenkung der Marktmechanismus in ganzen Wirtschaftsbereichen vollständig oder in großen Teilen außer Kraft gesetzt wird. Die vorliegende Untersuchung erfolgt vor dem Hintergrund, dass bis in die 1990er Jahre hinein immer wieder Defizite am deutschen Wertpapiermarkt beklagt wurden: die starke Geldmarktabhängigkeit des Rentenmarktes aufgrund des umfangreichen Engagements der kurzfristig orientierten Kreditinstitute; die dadurch bedingten Kursrisiken am Anleihemarkt; der geringe Anteil der privaten Haushalte am Wertpapiererwerb und daraus resultierend die geringe Bedeutung des Wertpapiersparens für die private Vermögensbildung; der umsatzschwache Börsenhandel; die Konzentration des Aktienkapitals in den Händen weniger, meist institutioneller Investoren, woraus eine geringe Bedeutung des Aktienmarkts als Primär- und Sekundärmarkt resultierte; der weitgehende Rückzug der Wirtschaftsunternehmen als Kapitalnachfrager auf dem Renten- und dem Aktienmarkt.10 Zudem wurde dem deutschen Finanzsystem in den zurückliegenden Jahren insbesondere von der anglo-amerikanischen Forschung wiederholt eine Rückständigkeit gegenüber den kapitalmarktorientierten Finanzsystemen vor allem der USA und Großbritanniens attestiert. Ihre Kritik konzentrierten die Forscher auf den unterentwickelten deutschen Aktienmarkt, indem sie die geringe Marktkapitalisierung der deutschen Aktiengesellschaften als Folge einer bewussten Einschränkung des Wettbewerbs interpretierten.11 Die genannten Defizite und Kritikpunkte sind in erster Linie Ausdruck der Etablierung eines bankorientierten Finanzsystems in der Bundesrepublik 8 9 10 11
Röhl, Entwicklung, S. 4 f. Müller/ Vogelsang, Regulierung, S. 33 ff., 101 ff. Flöge, Verbesserung, S. 20 ff., 37 ff., 68 ff.; Häuser, Geldmarktabhängigkeit, S. 310–318. Zum Beispiel: La Porta/ Lopez de Silanes/ Shleifer/ Vishny, Law; Rajan/ Zingales, Reversals.
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Deutschland (im Vergleich zum anglo-amerikanischen kapitalmarktorientierten Finanzsystem) und können zweifellos nicht mit der Kapitalmarktpolitik der Fünfzigerjahre hinreichend erklärt werden. Dennoch ist die Frage nach möglichen Pfadabhängigkeiten legitim: Sind die genannten Schwächen nicht auch eine Folge der Position, die der Gesetzgeber dem Wertpapiermarkt frühzeitig neben dem langfristigen Kreditgeschäft, der Selbstfinanzierung der Unternehmen und dem unorganisierten Kapitalmarkt zugewiesen hat? GANG DER UNTERSUCHUNG Für eine chronologische Gliederung der vorliegenden Arbeit spricht – neben der Vielzahl der auf den Wertpapiermarkt einwirkenden Faktoren, die einen systematischen Zugriff erschwert – der Umstand, dass sich die Rahmenbedingungen für den Wertpapiermarkt zwischen 1945 und 1957 mehrfach grundlegend änderten und so der Betrachtungszeitraum mehrere eigenständige Phasen umfasst. Wesentliche Einschnitte, die meist Folgeerscheinungen weltpolitischer bzw. gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen darstellten, waren 1) das kapitalmarktpolitische „Interregnum“ der Besatzungszeit zwischen 1945 bis 1948, in der die Fragen der Kapitalbildung und der Investitionsfinanzierung kaum eine Rolle spielten, 2) die Aufnahme von Investitionsplanungen im Rahmen des Marshallplans seit 1948 und das darauf zurückzuführende Gesetz über den Kapitalverkehr (Kapitalverkehrsgesetz) vom September 1949, 3) die drohende Gefahr von Produktionsengpässen infolge des Koreabooms 1950/51 und das Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarktes (Kapitalmarktförderungsgesetz) im Dezember 1952 sowie 4) der weitgehende Verzicht auf staatliche Einwirkungen auf den Wertpapiermarkt seit Anfang 1955. Die Untersuchung beginnt mit einer Analyse der staatlichen Eingriffe auf den Wertpapiermarkt in der Zeit zwischen der Reichsgründung im Jahr 1871 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Kapitel I). Dieser Rückblick, der weitgehend auf der Auswertung von Sekundärliteratur beruht, gibt Aufschluss darüber, inwiefern der deutsche Staat kapitalmarktpolitische Ziele verfolgte und welches Instrumentarium er entwickelte, um den Wertpapiermarkt zu regulieren bzw. zu bestimmten Zwecken zu manipulieren. Finanzexperten, die nach 1945 in verantwortliche Positionen rückten (Finanz-/ Wirtschaftspolitiker, Bankmanager, Zentralbanker), hatten den größten Teil ihrer beruflichen Erfahrungen während der Weimarer Republik und der NS-Zeit gemacht. Da die Problematik des Kapitalmangels und die Sicherstellung der Investitionsfinanzierung zwischen 1914 und 1945 stets im Vordergrund der Wirtschafts- und Finanzpolitik gestanden hatten, ist es nahe liegend, dass die Erfahrungen der ersten Jahrhunderthälfte auf die nach 1945 getroffenen Entscheidungen einwirkten. Im Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Jahreswende 1947/48 stellte die alliierte Besatzungspolitik sicherheitspolitische Aspekte in den Vordergrund, nicht den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands. Wirtschaftspolitisch war für die Besatzungsmächte in jenen Jahren von übergeordneter
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Bedeutung, den ärgsten Gütermangel durch Beseitigung von Produktionsengpässen zu überwinden und dabei ihre jeweiligen Zonen von Mittelzuweisungen aus dem Heimatland unabhängig zu machen. Angesichts der staatlichen Mangelwirtschaft und des zerrütteten Währungssystems mit blühendem Schwarz- und Kompensationshandel waren die Voraussetzungen für eine konstruktive Rolle des Wertpapiermarktes nicht gegeben. In Kapitel II wird den Fragen nachgegangen, welche Funktionen dem Wertpapiermarkt trotz starker exogener Einflüsse und fehlender langfristiger Perspektiven zufielen und welche Ausgangssituation sich daraus für die Frühphase der Bundesrepublik ergab. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung liegt auf der Kapitalmarktpolitik der Jahre 1948 bis 1955, in denen vielfältige Versuche unternommen wurden, den Wertpapiermarkt für die umfangreichen Finanzierungserfordernisse des Wiederaufbaus wieder „fit“ zu machen. Es gab in diesem Zeitraum zwei Wendepunkte in der Wirtschaftsentwicklung Westdeutschlands, die auch für den Wertpapiermarkt neue Rahmenbedingungen setzten: Der Einbezug Westdeutschlands in den Marshallplan führte zum Kapitalverkehrsgesetz von 1949, das durch die staatliche Kontrolle des Marktzugangs (Emissionskontrolle) und der Preise (Zinsfestlegung) eine effiziente, den volkswirtschaftlichen Bedürfnissen angemessene Verwendung des Kapitalaufkommens am Wertpapiermarkt sicherstellen sollte. Mit der Vorgeschichte und den Wirkungen des Gesetzes befassen sich Kapitel III und IV. Der Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950 und der anschließende Wirtschaftsboom verschärften die Anforderungen an den westdeutschen Wertpapiermarkt, da die gesamtwirtschaftliche Kapitalnachfrage exorbitant anstieg, drohende Produktionsengpässe in den Grundstoffindustrien verhindert werden mussten und zugleich bis dahin wichtige Kapitalquellen zu versiegen drohten. Es verstärkten sich Initiativen, die eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Wertpapiermarktes mit einer Rückführung des staatlichen Einflusses verbinden wollten. Beiden Anforderungen sollte das Kapitalmarktförderungsgesetz von 1952 gerecht werden, mit dessen Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise sich die Kapitel V, VI und VII beschäftigen. Nach Überwindung der Krisenerscheinungen verzichtete der Gesetzgeber ab Januar 1955 auf jegliche steuerlichen Sonderregelungen für den Wertpapiermarkt. Nach einer kurzen Erholungsphase drohte der Wertpapiermarkt jedoch seine Funktionsfähigkeit während eines massiven Wirtschaftsbooms erneut einzubüßen, so dass die Möglichkeiten und Grenzen der staatlichen Kapitalmarktpolitik erneut in den Vordergrund rückten. Mit dieser Diskussion des Jahres 1957 schließt die Arbeit: Der Gesetzgeber startete keine neuen kapitalmarktpolitischen Experimente, wandte sich von der allgemeinen Förderung der Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung ab und stellte fortan die gleichmäßige Vermögensbildung der privaten Haushalte in den Mittelpunkt. Die Stabilisierung des Wertpapiermarktes überließ er einem neu eingerichteten, im Grunde privatwirtschaftlichen Gremium, dem Zentralen Kapitalmarktausschuss, in dem führende Kreditinstitute auf informelle Weise die Emissionsbedingungen und -zeitpunkte koordinieren sollten.
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FORSCHUNGSSTAND UND QUELLENLAGE Weder der Wertpapiermarkt noch die Kapitalmarktpolitik im westdeutschen Wiederaufbau fanden bisher eine größere Aufmerksamkeit der Wirtschaftshistoriker. Ein Grund dürfte darin liegen, dass der Wertpapiermarkt in den Fünfzigerjahren – obwohl oft im Vordergrund der zeitgenössischen wirtschaftspolitischen Diskussionen – für die reale Wirtschaftsentwicklung nur untergeordnete Bedeutung besaß. Zudem ist die wirtschaftshistorische Forschung in der Bundesrepublik generell aufgrund der starken Stellung der Banken im deutschen Finanzsystem eher bankenorientiert, weniger kapitalmarktorientiert. Quellengestützte, wirtschaftshistorische Werke, die einen Schwerpunkt auf den Wertpapiermarkt nach 1945 legen, sind rar und sind zudem auf bestimmte Teilaspekte beschränkt: So legte Knut Borchardt 1971 im Rahmen einer Festschrift einen fundierten Abriss der Entwicklung der Wohnungsbaufinanzierung und des Pfandbriefmarktes zwischen 1870 und 1970 vor, auf den heute noch häufig verwiesen wird (Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt). Im Jahr 1994 beschäftigte sich York Dietrich im Rahmen seiner Dissertation mit der Vermögenspolitik der Regierungsparteien CDU/CSU zwischen 1949 und 1962 und berücksichtigte unter diesem Blickwinkel auch die kapitalmarktpolitischen Initiativen (Dietrich, Eigentum). Neben diesen Werken standen einige geschichtswissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung, die wichtige Bezugspunkte zur Kapitalmarktpolitik aufweisen. Dies betrifft etwa Arbeiten zur Steuerpolitik der Bundesregierung (Murscheid, Steuerpolitik; Franzen, Steuergesetzgebung), zur Investitionshilfe der Wirtschaftsunternehmen in der schwierigen Situation des Korea-Booms (Adamsen, Investitionshilfe) sowie zur Wohnungsbaupolitik in der frühen Bundesrepublik, die weitreichende Auswirkungen auf den Wertpapiermarkt hatte (Schulz, Wiederaufbau). Auch biografische Werke über Protagonisten der Wirtschafts- und Finanzpolitik halfen bei der Bewertung der kapitalmarktpolitischen Diskussionen und Entscheidungen (Hentschel, Erhard; Henzeler, Schäffer). Anders als in der Geschichtsforschung wurde der Wertpapiermarkt und die Kapitalmarktpolitik in der zeitgenössischen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur häufig thematisiert. Einige Werke, die für die vorliegende Arbeit herangezogen werden konnten, bieten fundierte Überblicke über das Geschehen am Rentenund Aktienmarkt (Brahms, Kapitalmarktentwicklung; Dannemann Struktur; Gamerdinger, Kapitalmarkt; Harder, Funktionswandel; Merkel, Theorie; Röhl, Entwicklung; Strathus, Kapitalmarkt). Hinzu kommen Arbeiten, aus denen wertvolle Informationen über spezielle Aspekte der Kapitalmarktproblematik gewonnen werden konnten, etwa zur Zinsdiskussion im Jahr 1950 (Hahn, Sanierung; Zins- und Mietpreisbildung), zur Kapitalbildung (Roskamp, Capital formation), zur Unternehmensfinanzierung (Dorner, Industriefinanzierung; Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform; Bornemeyer, Finanzierung) oder zur Wohnungsbaufinanzierung (Büning, Auswirkungen; Paul, Pfandbriefinstitute; Rieger, Hypothekarkredit- und Pfandbriefinstitute). Die vorliegende Untersuchung stützt sich überwiegend auf unveröffentlichte Quellen. Sie stammen in erster Linie von den gesetzgebenden Körperschaften und
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den zuständigen obersten Bundesbehörden. Bei Ersteren handelt es sich um Akten der amerikanischen Militärregierung (OMGUS), des Zonenbeirats der britischen Besatzungszone, des Länderrats der amerikanischen Besatzungszone, des bizonalen Wirtschaftsrats, des bizonalen Länderrats, des Deutschen Bundestags sowie der Bundesregierung. Bei Letzteren um Schriftgut des bizonalen Verwaltungsrats, der Verwaltung für Wirtschaft, der Verwaltung für Finanzen, des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundesfinanzministeriums, des Bundeswohnungsbauministeriums sowie der Bank deutscher Länder. Die Stellungnahmen aus Wirtschafts- und Bankkreisen zur Kapitalmarktpolitik werden durch die Überlieferung der öffentlichen Verwaltung sowie veröffentlichte Quellen (Rundschreiben, Verbandspublikationen, Presseartikel etc.) abgedeckt.
I. STAAT UND WERTPAPIERMARKT (1870–1945) I. 1. AUF DEM WEG ZUM INTERVENTIONSSTAAT (1870–1914) Die heftigen Einbrüche und Zäsuren der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands nach 1914 wandelten auch das Erscheinungsbild und die Struktur des Wertpapierhandels nachhaltig. Bereits in der Zwischenkriegszeit blickten die Zeitgenossen mit Wehmut auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, in der – so die allgemeine Überzeugung – günstige Rahmenbedingungen für ein nahezu reibungsloses Funktionieren des Wertpapiermarktes gesorgt hatten. Die Börsen dieser vergangenen Zeit wurden als „das Herz des nationalen (und internationalen) Kapitalmarktes“ und zugleich als ein „aussagekräftiges Barometer der wirtschaftlichen Befindlichkeit“ angesehen.1 Diese Umschreibungen entsprangen keiner von Wunschvorstellungen verzerrten Wahrnehmungsweise: Alle Bereiche des Wertpapiermarktes hatten nach Überwindung der Gründerkrise seit 1895 ein erhebliches Wachstum aufgewiesen. Sowohl die private als auch die staatliche Kapitalnachfrage hatte in erheblichem Maße zugenommen. Für die Alimentierung des Kapitalmarktes sorgte vor 1914 einerseits die steigende inländische Kapitalbildung, die sich zu einem großen Teil in Form von Wertpapiererwerb vollzog, und andererseits ein Kapitalimport, der auf dem festen Vertrauen der internationalen Anlegerschaft auf stabile Währungsverhältnisse unter dem Goldstandard basierte. Auf dem Börsenparkett begegneten sich Angebot und Nachfrage weitgehend unreglementiert.2 Das heißt allerdings nicht, dass der junge Nationalstaat in der Zeit der Hochindustrialisierung auf eine Einwirkung auf den inländischen Wertpapiermarkt gänzlich verzichtet hätte. Aufgrund ihrer Bedeutung für Gesamtwirtschaft und Staatsfinanzen wurden Wertpapierhandel und Börsen, die sich bis dahin ungehindert aus dem Privatrecht heraus entwickelt hatten, in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verstärkt Gegenstand staatlicher Intervention und Regulierung. Vor allem die negativen Folgen wiederholter Kursstürze und die betrügerischen Verhaltensweisen mancher Börsenakteure, die zu großer Unruhe am Kapitalmarkt geführt hatten, veranlassten den Staat, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Anleger in Erwägung zu ziehen, die schließlich mit dem Gesetz über das Börsenwesen von 1896 umgesetzt wurden. Das Gesetz, das bereits 1908 revidiert wurde, unterstellte das Börsenwesen dem Staat und fügte den Börsenhandel erstmals in einen gesetzlichen Rahmen.3 1 2 3
Meier, Entstehung, S. 33; Beer, Funktionswandel, S. 22. Harder, Funktionswandel, S. 29; Eichengreen, Goldstandard, S. 45 ff. Das Gesetz brachte einheitliche Regelungen über Börsenaufsicht, Maklerwesen, Terminhandel, Zulassungsbestimmungen für Börsenbesucher und Wertpapiere, Haftpflicht der Emis-
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I. Staat und Wertpapiermarkt (1870–1945)
Im Zeitalter des Imperialismus war der Anlegerschutz aber keineswegs das einzige Motiv des Staates für ein Engagement auf dem Wertpapiermarkt. Wenn sie maßgebliche politische Interessen berührt sah, scheute die Reichsregierung nicht vor direkten Eingriffen in den Marktmechanismus zurück, um auf die Verwendung inländischen Kapitals Einfluss zu nehmen. Betroffen war davon ausschließlich der Rentenmarkt, während der Aktienmarkt unberührt blieb: Die Reichsregierung verhinderte in Einzelfällen die Emission ausländischer Anleihen auf deutschen Finanzplätzen, wenn sie mit ihrem Veto außenpolitischen Druck ausüben oder den Abfluss knappen inländischen Kapitals verhindern wollte. Dagegen förderte die Reichsleitung die Ausgabe von Wertpapieren ausländischer Emittenten, wenn dies ihren geopolitischen Interessen diente. Seinen Einfluss auf die Emissionstätigkeit übte der Staat dabei in informeller Weise aus, indem sich die Finanzbürokratie bzw. die Reichsbank mit den führenden Emissionshäusern in Verbindung setzte und die Wünsche der Reichsregierung übermittelte. Um diese durchzusetzen, half man notfalls mit autoritärem Druck nach. Die Behörden konnte mithilfe zweier gesetzlicher Bestimmungen direkten Einfluss ausüben: 1) Das Börsengesetz schrieb an jedem Börsenplatz eine Zulassungsstelle für Emissionen vor, in der auch ein Vertreter des Staates mitwirkte. Emissionsanträge konnte die Zulassungsstelle ohne Angabe von Gründen ablehnen.4 2) Seit 1900 regelte das Bürgerliche Gesetzbuch in § 795, dass die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen nur mit staatlicher Genehmigung erfolgen durfte. Bei beiden Gesetzen hatte der Gesetzgeber darauf verzichtet, detaillierte Angaben über die Voraussetzungen einer Emissionsgenehmigung zu machen bzw. etwaige Auflagen, die den Emittenten vorgegeben werden durften, näher zu bestimmen.5 Aufgrund dieser unscharfen Bestimmungen konnten die Aufsichtsbehörden beide Regelungen flexibel handhaben. In den folgenden Jahrzehnten bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vor allem § 795 BGB immer wieder als Instrument staatlicher Emissionskontrolle genutzt. Trotz der Einflussmöglichkeiten des Staates wurde vor dem Ersten Weltkrieg ein Emissionsverbot für Auslandsanleihen nur in Einzelfällen ausgesprochen. Damit unterblieb eine systematische Kontrolle des Kapitalexports, obwohl der Wertpapiermarkt phasenweise großen Anspannungen ausgesetzt war und obwohl eine solche Kontrolle – wenn auch aus unterschiedlichen Motiven – sowohl von führenden konservativen Politikern, von Abgeordneten der Zentrumspartei als
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sionshäuser und Bedingungen des Kommissionsgeschäfts. Vgl. Meier, Entstehung, S. 89 ff.; Wetzel, Auswirkungen, S. 72 ff.; Föge, Verbesserung, S. 12 f. An den Sitzungen der Zulassungsstelle nahm der an jedem Börsenplatz von der zuständigen Landesregierung ernannte Staatskommissar teil, der dafür sorgte, dass die Wünsche der Regierung beachtet wurden, wenn „erhebliche allgemeine Interessen“ bedroht waren. Laut BGB sollten die Genehmigungen von der Landeszentralbehörde ausgesprochen werden, in deren Gebiet der Aussteller der Schuldverschreibungen seinen Wohnsitz bzw. seine Niederlassung hatte. Die Erteilung der Genehmigung und die Bedingungen, unter denen sie erfolgte, mussten im Reichsanzeiger bekannt gemacht werden. Schuldverschreibungen des Reichs und der Bundesstaaten waren von der Genehmigungspflicht ausgenommen. Bürgerliches Gesetzbuch, S. 244.
I. Staat und Wertpapiermarkt (1870–1945)
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auch von der Sozialdemokratischen Partei lautstark gefordert wurde.6 Auf höchster Ebene setzte sich Reichsschatzsekretär Adolf Wermuth im Jahr 1910 für die Errichtung einer ständigen Ministerialkommission ein, welche die Bedürfnisse der inländischen Emittenten und des Staatskredits gegen „die sonst in Betracht zu ziehenden allgemeinen Interessen (politisches Verhältnis zu beteiligten ausländischen Staaten, nationales Prestige, Interesse der heimischen Industrie, der deutschen Unternehmungen im Auslande)“ abwägen sollte. Mit ihrer Tätigkeit sollte die Kommission Nachfragespitzen auf dem Wertpapiermarkt verhindern bzw. im Falle einer unerwünschten Auslandsanleihe dafür Vorsorge tragen, dass die inländischen Behörden „zur Vermeidung schwerer Unzuträglichkeiten schleunigst mit einer eigenen Anleihe dem Auslande“ zuvorkommen würden.7 Beim preußischen Minister für Handel und Gewerbe, Reinhold Sydow, stieß die Initiative Wermuths auf Ablehnung. Er prophezeite, dass eine solche Kommission mit dem Austarieren von binnenwirtschaftlichen Erfordernissen einerseits und außenpolitischem Kalkül andererseits überfordert sein würde. Seiner Ansicht nach war ein freier Kapitalexport für die weltwirtschaftliche und -politische Stellung Deutschlands von großer Bedeutung. Die Anspannung des inländischen Wertpapiermarktes führte er dagegen – den Tatsachen entsprechend8 – nicht hauptsächlich auf den Kapitalexport, sondern auf die übermäßige Inanspruchnahme durch Staats- und Kommunalanleihen zurück. Auch Reichskanzler Bethmann Hollweg lehnte die Einrichtung einer besonderen Kommission ab, allerdings aus einem anderen Grund: Er wollte die Zulassung ausländischer Emissionen weiterhin als außenpolitisches Druckmittel nutzen und befürchtete, dass ein erhöhter Einfluss der Finanzbehörden dies zukünftig erschweren würde.9 Das Ziel einer Emissionskontrolle für ausländische Anleihen verfolgten auch konservative Lobbyisten, insbesondere die Großagrarier. Sie forderten eine neue, der Reichsregierung unterstehende Behörde, die im Börsengesetz verankert werden und für die Genehmigung ausländischer Wertpapieremissionen zuständig sein sollte. Ihr sollten drei Aufgaben gestellt werden: a) Der Vorrang von inländischen Emittenten sollte sichergestellt, b) ein moderates Zinsniveau durch 6
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Besonders die konservativen Großgrundbesitzer erhofften sich durch eine Verringerung des Kapitalexports eine Entspannung auf dem deutschen Kapitalmarkt. Diese sollte sich in einer Senkung des langfristigen Zinses, der ihrer Meinung nach gerade durch ausländische Anleihen in die Höhe getrieben wurde, und in einer Festigung der Anleihekurse äußern. Die Sozialdemokraten forderten eine Kontrolle des Kapitalexports, um eine Gefährdung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung durch ausländische „Spekulationspapiere“ abzuwenden. Vgl. Kroboth, Finanzpolitik, S. 89, 93. Ebd., S. 90 f. Das Argument, dass vor allem ausländische Emissionen zur Anspannung des Wertpapiermarktes führten, war gemessen an den Realitäten kaum schlagkräftig, da der Anteil der ausländischen Emissionen an den gesamten Neuemissionen seit Mitte der 1890er Jahre stark abnahm. Vgl. Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 126; Gömmel, Entstehung, S. 158 f. Das Reichsschatzamt nahm schließlich von weiteren Planungen Abstand, so dass es nur zu einer informellen Einigung zwischen den Finanzressorts des Reichs und Preußens kam, den Informationsaustausch auszuweiten. Vgl. Kroboth, Finanzpolitik, S. 29 ff., 91 f.
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I. Staat und Wertpapiermarkt (1870–1945)
Beschränkung des Emissionsvolumens gewahrt und c) die Verwendung der genehmigten Kapitalexporte für „nationale Interessen“ gewährleistet werden. Die Reichsregierung lehnte eine Novellierung des Börsengesetzes zugunsten einer Stärkung des staatlichen Einflusses mit Hinweis auf die wirtschaftlichen und außenpolitischen Vorteile des Kapitalexports ab. Die Vorgehensweise, die der Staat gegenüber ausländischen Kapitalnachfragern in Einzelfällen wählte – politisch motivierte Eingriffe in das Emissionsgeschäft –, wandte er gegenüber inländischen Emittenten am Rentenmarkt nicht an, obwohl hier die gleichen Instrumente des Börsengesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Verfügung standen. Initiativen, dem großen Kreditbedarf des Staates – kurzfristig durch Kassenkredite der Reichsbank und langfristig durch Anleiheemissionen am Kapitalmarkt – Vorrang vor anderen Kapitalnachfragern einzuräumen, konnten sich nicht durchsetzen, auch wenn die Kluft zwischen der chronischen Kapitalknappheit des Reichs und der steigenden Steuerkraft von Wirtschaft und Bevölkerung aufgrund des unausgewogenen Steuersystems immer weiter auseinanderklaffte.10 Die Aufnahme von Kapital war für die öffentliche Hand zuweilen schwierig, da der gesamte deutsche Kapitalmarkt seit 1895 einer starken Nachfrage ausgesetzt war. Während des enormen Wirtschaftswachstums zwischen 1895 und 1914 absorbierten sowohl Unternehmen als auch Wohnungsbau und Kommunen, die während des rasanten Urbanisierungsprozesses ihre Ausgaben drastisch erhöhten, enorme Kapitalmengen. Die Folge war, dass das große Angebot an Rentenwerten zu sinkenden Kursen führte, das Zinsniveau allmählich anstieg und somit der Schuldendienst teurer wurde. Unter diesen Bedingungen waren Staatsanleihen immer schwerer unterzubringen, zumal sich institutionelle Anleger wegen drohender Kursverluste allmählich vom Rentenmarkt zurückzogen.11 Durch die Schwäche des Staatskredits sahen manche Zeitgenossen bereits die Staatspolitik in Gefahr. Ihrer Ansicht nach wirkte sich der vermeintliche „Kapitalmangel“, der sich in den niedrigen Kursen der Reichs- und Staatsanleihen niederschlug, negativ auf die Kriegsbereitschaft des Deutschen Reichs aus, da er vom Ausland als Zeichen der Schwäche gewertet werden konnte.12 Trotz solcher Einschätzungen verzichtete die Reichsregierung auf direkte Eingriffe. Ebenso blockte sie Vorschläge ab, durch eine Beschränkung der Ausgabe von Kommunalanleihen eine Kurserholung der Reichs- und Staatsanleihen herbeizuführen.13 Der Grund für die Zurückhaltung lag wohl in der weitgehend übereinstimmenden 10 Verschiedene Reformversuche zur Verbesserung der regulären Steuereinnahmen des Reichs fruchteten kaum. Zugleich stiegen die Ausgaben des Reichs besonders durch umfangreiche Aufrüstungsinvestitionen, kostspielige Kolonialabenteuer und durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen stark an. Vgl. Witt, Auswirkungen; Gömmel, Entstehung, S. 161; Kroboth, Finanzpolitik, S. 29 ff. 11 Gömmel, Entstehung, S. 160 ff. 12 Kroboth, Finanzpolitik, S. 55 ff. 13 Die Reichsregierung wollte die Städte angesichts des gewaltigen Bevölkerungszuwachses nicht zu einer Einschränkung der notwendigen Investitionen zwingen. Vgl. Kroboth, Finanzpolitik, S. 100.
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Einschätzung in Politik und Wissenschaft über die Ursachen der Marktenge, die in erster Linie als eine vorübergehende Auswirkung der gesamtwirtschaftlich robusten Konjunkturentwicklung angesehen wurde.14 Die Reichsbehörden vertrauten weiterhin auf informelle Methoden, mit denen sie die Banken veranlassten, „sich bei ihren Emissionsabsichten künftig mehr nach der Stellung des einheimischen Marktes zu richten.“15 Nichtsdestotrotz wurden in den Reichsbehörden Überlegungen angestellt, wie die Stellung der Reichs- und Staatsanleihen am Rentenmarkt gestärkt werden konnte, und zwar auf indirekte Weise. Neben einer Vereinfachung der öffentlichen Schuldenaufnahme16 erwog man eine Manipulation des Marktmechanismus durch Anlagevorschriften für bestimmte Kapitalsammelstellen. Seit Anfang der 1890er Jahre zielten die zuständigen Behörden des Reichs und Preußens vor allem auf einen Anlagezwang für kommunale Sparkassen und private Versicherungen.17 Eine solche Zwangsregelung traf jedoch auf den Widerstand des preußischen Landtags und der Sparkassenorganisation, die nur wenig Neigung zeigte, ihre Spareinlagenbestände in 4-prozentige Staatspapiere zu investieren, die ein erhebliches Kursrisiko aufwiesen. Nach jahrelangen Verhandlungen setzten die preußischen Behörden schließlich mit dem Gesetz betreffend Anlegung von Sparkassenbeständen in Wertpapieren vom 23. Dezember 1912 durch, dass die preußischen Sparkassen – je nach den besonderen Verhältnissen der Institute – 15, 20 oder 25 Prozent ihres festverzinslich angelegten Vermögens in mündelsichere Inhaberschuldverschreibungen,18 davon mindestens 3/5 in Anleihen des Reichs und Preußens, anlegen mussten. Da Sparkassenrecht Landesrecht war, oblag die Entscheidung, sich dieser Regelung anzuschließen, den Ländern. Lediglich Sachsen fand sich bereit, den Sparkassen eine Anlage von zehn Prozent ihres Vermögens vorzuschreiben. Bayern und Württemberg lehnten einen Anlagezwang dagegen ab. Den preußischen Privatversicherungen wurde vorgeschrieben, je nach Geschäftsvolumen 7,5 bzw. zehn Prozent ihres Vermögens in Staatsanleihen anzulegen.19 14 Nicht zuletzt mag die Haltung des Staates auch damit zusammenhängen, dass die Hauptakteure auf dem Wertpapiermarkt, die Bankiers und Bankmanager, in ihrer Mehrzahl weiterhin liberalen Ordnungsvorstellungen anhingen und staatliches Eingreifen, das über eine maßvolle Steuergesetzgebung hinausging, sicherlich auf harten Widerstand gestoßen wäre. Vgl. Mommsen, Wirtschaft, S. 246. 15 Kroboth, Finanzpolitik, S. 94. 16 Henning, Börsenkrisen, S. 229 ff.; Kroboth, Finanzpolitik, S. 57, 100. 17 Im Falle der Sparkassen begründeten sie die geplanten Maßnahmen vor allem mit der Absicht, die Liquidität der Sparkassen zu sichern, die man als unzureichend bezeichnete. Tatsächliches Motiv waren aber wohl die günstigen Auswirkungen eines solchen Anlagezwangs auf die Kursentwicklung der Reichs- und Staatspapiere. Vgl. Trende, Geschichte, S. 301 f.; Mura, Entwicklungslinien II, S. 207; Dieckmann, Einfluß, S. 51 ff. 18 Die Länder gewährten Pfandbriefen erst nach langem Ringen und nur in Einzelfällen Mündelsicherheit. Dadurch sollte wohl auch der Absatz von Staatspapieren geschützt werden. Erst im Mai 1940 wurde Pfandbriefen und ähnlichen Schuldverschreibungen generell die Mündelsicherheit zuerkannt. Vgl. Borchard, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 123, 142. 19 Mura, Entwicklungslinien II, S. 207; Kroboth, Finanzpolitik, S. 101 f.
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Zum wirtschaftspolitischen Instrumentarium der Reichsregierung zählte auch die Reichsbank, die seit ihrer Gründung dem Reichskanzler direkt unterstand. Im Vordergrund ihrer Tätigkeit stand die Währungssicherung, aber auch die Pflege des Kapitalmarkts sah sie als ihre Aufgabe an. Die im Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 zugewiesene Aufgabe, die „Nutzbarmachung verfügbaren Kapitals“ zu fördern, wurde von der Reichsbank als Forderung nach niedrigen Geldmarktzinsen zur Unterstützung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aufgefasst.20 Im Hinblick auf die Beeinflussung des Zinsgefüges am Geldmarkt und am Kapitalmarkt entpuppte sich die Zinspolitik der Reichsbank vor dem Ersten Weltkrieg jedoch als relativ wirkungslos. Auch direkte, informelle Absprachen zwischen der Reichsbank und den Geschäftsbanken zeigten nur magere Ergebnisse. Im Jahr 1913 wurde zwar unter Führung der Reichsbank ein Konditionenkartell vereinbart, das den Geschäftsbanken elastische Untergrenzen für Debetzinsen und feste Obergrenzen für Einlagenzinsen vorschrieb, was sich – im Falle ihrer Wirksamkeit – sicherlich auch auf das Zinsniveau am Wertpapiermarkt ausgewirkt hätte. Doch aufgrund des eingeschränkten Wirkungsbereichs (nur bestimmte Geschäftssparten wurden abgedeckt, es gab zahlreiche Außenseiter) zeigte die Absprache kaum Wirkung.21 I. 2. REGLEMENTIERUNG DES WERTPAPIERMARKTES WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGS (1914–1918) Zu Beginn des 20. Jahrhunderts widmeten sich europaweit zahlreiche Finanzwissenschaftler und Politiker der Frage, wie im Falle eines Kriegsausbruchs die Finanzierung der jeweiligen nationalen Kriegsführung gesichert werden konnte. Die Kernfrage lautete stets, ob die anfallenden Kosten mehrheitlich durch Steuererhöhungen oder durch staatliche Kreditaufnahme getragen werden sollten.22 In Deutschland bevorzugten die Finanzexperten überwiegend die Kreditfinanzierung; Steuererhöhungen wurden dagegen nur zur Deckung der steigenden Zins- und Tilgungszahlungen in Erwägung gezogen. Eine solche Einstellung war aufgrund der oben angedeuteten strukturellen Schwäche des deutschen Steuersystems und der bereits eingeübten Kreditfinanzierung des Reichs vorgezeichnet, offenbarte aber auch ein starkes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des inländischen Kapitalmarktes.23 Die finanzpolitischen Vorbereitungen für den Ersten Weltkrieg werden rückblickend als rudimentär und unzureichend angesehen. Die Zeitgenossen kannten noch keinen lang andauernden, Material verschlingenden Krieg hochindustriali20 Von der königlichen Bank, S. 37. 21 Lindenlaub, Suche, S. 117, 123 ff. 22 Im Deutschen Reich gab es Vertreter beider Auffassungen, als deren Protagonisten Adolph Wagner (Steuerfinanzierung) und Heinrich Dietzel (Anleihefinanzierung) galten. Ausführlich zur Alternative von Steuer- und Kreditfinanzierung vgl. Lanter, Finanzierung, S. 48 ff.; Lapp, Finanzierung, S. 36 ff., 43 ff.; Ruedorffer, Reichsbank, S. 26 ff. 23 Lütge, Kriegsfinanzierung, S. 248; Lapp, Finanzierung, S. 79 f. ; Haller, Rolle, S. 131.
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sierter Staaten, sondern gingen von den Erfahrungen der vorangegangenen militärischen Auseinandersetzungen aus, die zeitlich und materiell eng begrenzt waren. Man sah nicht voraus, dass die neue Dimension der technischen Kriegsführung tiefgreifende Änderungen der Wirtschaftsstrukturen erzwingen würde, die mit einer enormen Ausweitung der staatlichen Aufgaben, etwa in der Produktions-, Investitions- und Konsumlenkung, verbunden sein würden. In den ersten Kriegsjahren hielt man an der gewohnten marktwirtschaftlichen Ordnung fest und konzentrierte die Bemühungen im finanztechnischen Bereich darauf, monetärer Engpässe zu vermeiden, wie sie im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 vorgekommen waren.24 Dementsprechend beschäftigten sich die Experten hauptsächlich mit dem Problem, dass die Reichsbank den Liquiditätsanforderungen von Staat und Wirtschaft in den ersten Kriegsmonaten gewachsen sein würde,25 was mit den Gesetzen vom 4. August 1914 umgesetzt wurde.26 Die geplante Anleihenfinanzierung, mit der die Vorfinanzierung der Reichsbank konsolidiert und die durch die massive Geldschöpfung geschaffene Kaufkraft reduziert werden sollte, wurde lange Zeit als nachrangiges Problem betrachtet.27 Von einer Zwangsanleihe in den ersten Kriegstagen sah man bewusst ab. Erst nachdem in den ersten Kriegswochen eine Liquiditätskrise durch die Tätigkeit der Reichsbank gemeistert worden war, wurde mit der Planung einer ersten Anleiheemission unter Konsortialführung der Reichsbank begonnen. Ihr war großer Erfolg beschieden, wie auch die nachfolgenden acht Anleihen ein erhebliches Kapitalvolumen aufbrachten.28
24 Lütge, Kriegsfinanzierung, S. 243 f., 251 f., 254; Ruedorffer, Reichsbank, S. 32; Haller, Rolle, S. 115 ff. 25 So wurde nach und nach vor allem der Goldbestand der Reichsbank durch Umtausch von Goldmünzen in Banknoten (seit 1911 gesetzliches Zahlungsmittel), Goldimporte und Erhöhung des Bestandes an Golddevisen erhöht. Auch vergrößerte man den Reichsschatz, der bei Kriegsausbruch an die Reichsbank überwiesen werden sollte, durch Ausgabe von Reichskassenscheinen. Schließlich förderte man die Verbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, um die Kreditvergabe von Beschränkungen des Notenumlaufs der Reichsbank unabhängiger zu machen. Vgl. Ruedorffer, Reichsbank, S. 36 ff. 26 Die neu eingerichteten Darlehenskassen sollten die Wirtschaft durch Gewährung von Lombardkrediten (gegen Verpfändung von Waren und Wertpapieren) mit Kredit versorgen, der in Form von Darlehenskassenscheinen ausgezahlt wurde. Diese wurden von öffentlichen Kassen in Zahlung genommen. Für die Geldschöpfung durch Darlehenskassenscheine bestanden keine Deckungsvorschriften. Darüber hinaus erhielt das Reich „praktisch unbegrenzten Zugang“ zum Notenbankkredit, Reichsschatzwechsel und Darlehenskassenscheine wurden zur Notendeckung eingesetzt, die Goldausfuhr verboten und die Einlösungspflicht für Banknoten, Scheidemünzen und Darlehenskassenscheinen in Gold wurde aufgehoben. Damit waren alle Verbindungen der Währung zum Goldbestand der Reichsbank beseitigt. Vgl. Haller, Rolle, S. 121 f.; Lütge, Kriegsfinanzierung, S. 245. 27 Lapp, Finanzierung, S. 96; Lütge, Kriegsfinanzierung, S. 248. 28 Ruedorffer, Reichsbank, S. 76 ff.; Haller, Rolle, S. 126 f., 129; Riesser, Kriegsbereitschaft.
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Zeichnungsergebnisse der Kriegsanleihen (in Mio. M)29 1. Kriegsanleihe 2. Kriegsanleihe 3. Kriegsanleihe 4. Kriegsanleihe 5. Kriegsanleihe 6. Kriegsanleihe 7. Kriegsanleihe 8. Kriegsanleihe 9. Kriegsanleihe
4.481 9.106 12.163 10.768 10.699 13.122 12.626 15.001 10.433
Insgesamt
98.399
Von Kriegsbeginn an griff der Staat stärker als je zuvor in den Wertpapiermarkt – und diesmal auch in den Aktienmarkt – ein, um Turbulenzen zu vermeiden und zugleich die Kriegsfinanzierung, die aufgrund der Abschottung von den ausländischen Märkten auf den inländischen Kapitalmarkt beschränkt war, durch einen befriedigenden Absatz seiner Anleihen sicherzustellen. Am 31. Juli 1914 wurden die Börsen mit der Begründung geschlossen, dass das Publikum vor Kursstürzen geschützt werden sollte. Fortan verlagerte sich der Wertpapierhandel in den außerbörslichen Handel, der von den Banken organisiert wurde.30 Neben dem Anlegerschutz diente die Schließung der Börsen jedoch auch dazu, dem Staat eine Vorrangstellung auf dem Wertpapiermarkt einzuräumen. Denn die Kapitalbeschaffung, besonders für spekulative Aktiengeschäfte, wurde mit der Börsenschließung deutlich erschwert und die Aufgabe der amtlichen Kursfeststellung machte die Kapitalanlage aufgrund der verminderten Transparenz schwieriger und risikoreicher. Es war anzunehmen, dass die Anleger in dieser Situation „sichere“ Reichsanleihen bevorzugen würden.31 Mit der Begründung, dass „Missbräuchen“ im nichtamtlichen Freiverkehr „vorgebeugt“ werden sollte, erließ der Bundesrat am 25. Februar 1915 eine Verordnung, mit der die Veröffentlichung von Kursen für inländische Wertpapiere verboten wurde. Mit der bewusst angestrebten Kommunikationsverschlechterung, die zu einer Erhöhung der Informations- und Transaktionskosten führen musste, wollte der Staat verhindern, dass immer mehr Kapital in den außerbörslichen Aktienhandel floss, der bereits von deutlichen Kurssteigerungen profitiert hatte. Dies war höchst unerwünscht, da dieses Kapital für die Zeichnung von Kriegsanleihen verloren ging.32 Erst am 9. November 1917 wurde
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Die Reichsbank 1901–1925, S. 84. Beer, Funktionswandel, S. 70, 153. Die Reichsbank 1901–1925, S. 79. Durch den Zufluss privater Gelder erlebte der Aktienmarkt eine Hausse, die den Zeichnungserfolg der Kriegsanleihen gefährdete. Als Ende 1917 die Börsen ihre Tätigkeit wieder aufnahmen, zeigte sich, dass die privaten Haushalte, die infolge der „Kriegskonjunktur“ ihr
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der Austausch von Kurslisten zwischen Inlandsbanken wieder erlaubt und Anfang Dezember der Aktienhandel an den Börsen wieder aufgenommen. Ein amtlicher Verkehr wurde jedoch erst ein Jahr später wieder eingeführt.33 Auf dem Primärmarkt verzichtete der Staat zunächst auf ähnlich massive Eingriffe. In den Jahren 1914 bis 1916 stellte er für Unternehmen und Realkreditinstitute keine neuen Hürden für Wertpapieremissionen auf. Auch ohne direkte Eingriffe war die Stellung des Staates nach Kriegsausbruch stark, da die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit und damit die konkurrierende Kapitalnachfrage in den ersten Kriegsjahren deutlich abnahm: Während der Wohnungsbau und die Kommunen ihre Investitionen zurückfuhren, erlebte der Unternehmenssektor in der staatlich refinanzierten Kriegskonjunktur einen starken Anstieg der Gewinne, der den Bedarf an Außenfinanzierung abschwächte.34 Zudem versuchte die Reichsbank, den langfristigen Kapitalbedarf von kommunalen und privaten Nachfragern dadurch zurückzudrängen, dass sie auf die kurzfristigen Finanzierungsmöglichkeiten der Banken, die durch die reibungslose Diskontierung von Reichsschatzanweisungen sehr liquide waren, und der Reichsdarlehenskassen verwies. Sie fand dafür „verständnisvolles Entgegenkommen“: Handel, Industrie und Banken unterwarfen sich „freiwillig einer Kontrolle ihres langfristigen Kapitalbedarfs.“35 Als jedoch mit zunehmender Kriegsdauer immer klarer wurde, dass die ständig steigenden Anforderungen an den Produktions- und Finanzapparat nicht mehr im Rahmen der überkommenen Wirtschaftsordnung zu leisten waren, führte der Gesetzgeber eine massive Umgestaltung des gesamten Wirtschaftslebens herbei. Auch im Finanzwesen wurden lenkungswirtschaftliche Instrumente eingeführt bzw. intensiviert, als die Anleihefinanzierung trotz guter Zeichnungsergebnisse nicht mehr ausreichte, um die schwebende Verschuldung zu konsolidieren.36 Man ging einerseits dazu über, die Steuerschraube anzuziehen, jedoch nur mit dem bescheidenen Ziel, wenigstens die steigenden Zinslasten aus Steuermitteln tragen zu können.37 Andererseits wurde der Kapitalmarkt vom Staat „monopolisiert“. Auf dem Wertpapiermarkt nutzte der Staat rigide die in § 795 BGB vorgesehenen Zulassungsverfahren für Inhaberschuldverschreibungen, um eine wirkungsvolle Emissionskontrolle durchzuführen.38 Dienten die – sehr allgemein formulierten – Bestimmungen des § 795 seit jeher dazu, unerwünschte Emissions-
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Geldvermögen erhöhen konnten, in großem Maße in Aktienwerte investiert hatten. Vgl. Beer, Funktionswandel, S. 71, 155 f. Bereits zum 31. Dezember 1916 waren zum Zwecke der steuerlichen Bewertung erstmals wieder Kurse für alle Wertpapiere ermittelt und publiziert worden. Vgl. Kiehling, Funktionsverlust, S. 18. Ebd., S. 19. Die Reichsbank 1901–1925, S. 79 f. Lütge, Kriegsfinanzierung, S. 249 f., 254 f. Ebd., S. 251; Haller, Rolle, S. 128 f., 131 ff. Das Zulassungsverfahren gemäß Börsengesetz (§ 32 ff.) kam nicht zur Anwendung, da die Zulassungsstellen an den Börsen ihre Tätigkeit eingestellt hatten. Vgl. Kiehling, Funktionsverlust, S. 19.
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anträge in Einzelfällen abzulehnen, so wurden sie nun – ohne dass eine Änderung des Wortlauts notwendig gewesen wäre – auf breiter Basis angewandt, um private Emittenten vom Wertpapiermarkt fernzuhalten und den staatlichen Kapitalbedarf zu sichern.39 Darüber hinaus baute der Gesetzgeber die staatliche Emissionskontrolle durch weitere Rechtsvorschriften aus. So machte die Bekanntmachung über die staatliche Genehmigung zur Ausgabe von Teilschuldverschreibungen und Vorzugsaktien vom 8. März 1917 die Ausgabe von Teilschuldverschreibungen und von Aktien, die das Recht auf eine im Voraus bestimmte, nach oben begrenzte Dividende beinhalteten, von der Genehmigung der zuständigen Landeszentralbehörde (meist Finanzministerien) abhängig.40 Mit der Bekanntmachung über die staatliche Genehmigung zur Errichtung von Aktiengesellschaften vom 2. November 1917 sollte sodann die Ausgabe von Stammaktien eingeschränkt werden. Fortan war die Gründung oder die Kapitalerhöhung von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie – zur Vermeidung von Umgehungen – von Gesellschaften mit beschränkter Haftung bei den Zentralbehörden der Bundesstaaten, in der das Unternehmen seinen Sitz hatte, zu beantragen, sofern das Transaktionsvolumen 300.000 M überschritt. Die Behörden konnten Aktienemissionen ablehnen, wenn „die Lage des Kapitalmarktes und die Rücksicht auf die Kriegs- und Übergangswirtschaft“ es nicht erlaubten.41 Eine Genehmigung konnten die Bundesstaaten hingegen nur im Einvernehmen mit dem Reichsbankdirektorium aussprechen, so dass der zentrale Einfluss der Reichsleitung auf die Kapitalverwendung gesichert war. Laut Reichsbank wurde die Emissionskontrolle „milde gehandhabt“, allerdings erst am 15. Oktober 1920 wieder aufgehoben.42 Flankiert wurde die staatliche Emissionskontrolle durch eine Niedrigzinspolitik der Reichsbank, die den Diskontsatz zwischen Dezember 1914 und Juli 1922 unverändert auf dem Niveau von fünf Prozent hielt, um den Schuldendienst des Reichs möglichst billig zu gestalten, günstige Kredite an die Wirtschaft vergeben zu können und einen Kursrückgang der Kriegsanleihen zu verhindern.43 I. 3. GROSSE INFLATION UND RÜCKKEHR ZU MARKTWIRTSCHAFTLICHEN VERHÄLTNISSEN (1919–1930) Bereits seit dem „Stinnes-Legien-Abkommen“ vom 15. November 1918 war erkennbar, dass die von den Mehrheitssozialdemokraten geführten Reichsregierungen in der äußerst prekären Nachkriegszeit keine grundlegende Umwälzung des überkommenen Wirtschaftssystems anstrebten. Auf dem Kapitalmarkt 39 Beer, Funktionswandel, S. 155. 40 RGBl. 1917, S. 220; vgl. Die Reichsbank 1901–1925, S. 80; Kiehling, Funktionsverlust, S. 19 f. 41 RGBl. 1917, S. 987; vgl. Die Reichsbank 1901–1925, S. 81. 42 Die Reichsbank 1901–1925, S. 81. 43 Pfleiderer, Reichsbank, S. 167 ff.; Kiehling, Funktionsverlust, S. 20.
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verzichtete der Staat während der Zwanzigerjahre weitgehend auf direkte Eingriffe. Ebenso wenig gab es eine umfassende Produktions- und Investitionskontrolle.44 Auf dem Wertpapiermarkt kehrte man relativ zügig zu freien Marktverhältnissen zurück, die während der Kriegszeit eingeführten Instrumente zur Emissionskontrolle wurden nach und nach wieder aufgehoben: Die Ausgabe von Industrieobligationen, Pfandbriefen und Kommunalobligationen wurde bereits Ende 1918 wieder von der Zustimmungspflicht der Reichsbank befreit. Die Reichsverordnung aus dem Jahre 1917, die eine Emissionskontrolle für Aktien vorschrieb, wurde im Oktober 1920 aufgehoben. Zu den bemerkenswertesten Aspekten des Kapitalmarktgeschehens in den Zwanzigerjahren zählt eben dieser Verzicht des Staates, die Kapitalbildung und die Investitionsfinanzierung gezielt nach eigenen Prioritäten zu lenken – ganz anders als in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei der Bewältigung der umfassenden sozial- und wirtschaftspolitischen Aufgaben des Staates, deren Umfang vor dem Ersten Weltkrieg noch undenkbar gewesen wäre,45 konnten die politischen Entscheidungsträger aufgrund der fehlenden Kapitalkraft nicht auf den weitgehend zerstörten Wertpapiermarkt zurückgreifen. Die deutsche Wirtschaftsund Finanzpolitik der Weimarer Republik war von zahlreichen, oftmals gegensätzlichen Motiven und Zielsetzungen und darüber hinaus stets von außenpolitischen Einflüssen geprägt, die schließlich „eine Krise der Staatsfinanzen beinahe unvermeidlich“ machten.46 An dieser Stelle sollen lediglich einige wesentliche Entwicklungszüge der Entwicklung am Wertpapiermarkt skizziert werden, die langfristige Wirkung entfalteten bzw. Vergleiche mit der Kapitalmarktpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg erleichtern: – Die Lage auf dem Kapitalmarkt war in den ersten Nachkriegsjahren entmutigend: Das Geldvermögen der Deutschen hatte sich zwischen Kriegsbeginn und Ende 1918 bereits halbiert, als nach Kriegsende die freiwillige Kapitalbildung als Reaktion auf die gesamtwirtschaftlich desolate Situation und die beschleunigte Geldentwertung beinahe zum Erliegen kam. Der geringen Kapitalbildung stand jedoch eine starke Kapitalnachfrage der öffentlichen Hand und der Unternehmen gegenüber. – Die sich bis zur Hyperinflation verstärkende Geldentwertung47 setzte die Funktionen von Geld und Zinsen nach und nach außer Kraft, wodurch die 44 Allerdings wurde eine Devisenkontrolle eingeführt, die verhindern sollte, dass exportfähige Industrien sich mit importierten Rohstoffen versorgen konnten, während am Binnenmarkt orientierte, aber von importierten Rohstoffen abhängige Industriebranchen (z.B. die Textilindustrie) dazu nicht in der Lage waren. Zudem war auch der Staat für Reparationsleistungen dringend auf Devisen angewiesen. Vgl. Witt, Wirtschaftspolitik, S. 175; Jaeger, Geschichte, S. 174. 45 Haller, Rolle, S. 137 ff.; Fischer, Landesbank, S. 68. 46 Witt, Auswirkungen, S. 53. 47 Ein Hauptverursacher der Hyperinflation war die Staatsfinanzierung. Zwar wurde mit der Erzbergerschen Steuerreform bereits 1919 die Finanzbasis des Reichs – auf Kosten der Länder und Gemeinden – verbessert. Doch das Reich blieb angesichts anhaltend hoher Ausgabenverpflichtungen während der ersten Nachkriegsjahre auf eine kurzfristige Verschul-
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Informationseffizienz der Märkte verloren ging. Sowohl der Rentenmarkt als auch der Aktienmarkt wurden angesichts rasch wechselnder Rahmenbedingungen zum Spielball in- und ausländischer Spekulations- und Arbitragegeschäfte. Der Renditezusammenhang und das Substitutionsverhältnis zwischen den Einzelmärkten waren zerrissen. Insbesondere die Kursentwicklung der Rentenwerte, deren nominale Verzinsung sich kaum erhöhte, konnte in keiner Weise mit dem Tempo der Geldentwertung Schritt halten. Die Inflation sorgte für massive Vertrauensverluste zwischen Kapitalnehmern und Kapitalgebern. Beispielsweise nutzten Hypothekarkreditnehmer die inflationäre Entwicklung und zahlten ihre Schulden vorzeitig in entwertetem Geld an die Hypothekenbanken zurück. Diese gerieten aufgrund fehlender Möglichkeiten, die zurückfließenden Mittel wieder anzulegen, in Existenzgefahr, da die Deckungsgrundlage der Pfandbriefe verloren ging. Der Staat unternahm nichts, um die Hypothekarkredite aufzuwerten bzw. vorzeitige Kreditrückzahlungen zu unterbinden. Auch Unternehmen nutzten zum Ärger der Anleger die Geldentwertung, um ihre Anleihen zu kündigen und so ihre Schulden in entwertetem Geld zurückzuzahlen.48 Die durch die Inflation ausgelöste Flucht in Sach- und Devisenwerte ließ seit 1922 einerseits den Aktienmarkt aufblühen und andererseits sachgebundene Rentenwerte aufkommen.49 Zu den Emittenten sachgebundener Wertpapiere gehörten sämtliche Kapitalnachfrager: Realkreditinstitute, Bundesländer, Kommunen und Unternehmen. Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptierte die Zentralbank die Bindung von Effekten an „Geldsurrogate“ (Gold, Roggen etc.) und erlaubte schließlich, als die Geldentwertung in die Hyperinflation überging, die Ausgabe von Dollar-gebundenen Reichspapieren: im März 1923 Dollarschatzanweisungen im Betrag von 50 Mio. Dollar und im August 1923 eine 5-prozentige Reichsanleihe in Höhe von 500 Mio. Goldmark. Mit dem Aufkommen wertbeständiger Anleihen konnten die staatlichen Anleihen, auf deren Emission seit Kriegsende nahezu vollständig verzichtet worden war, ihren Marktanteil wieder merklich erhöhen.50 Die
dung, zum großen Teil durch Vorfinanzierung der Reichsbank, zur Deckung der notorischen Haushaltsdefizite angewiesen. Auf diese Weise stieg die schwebende Staatsschuld zwischen November 1918 und März 1922 nominal von 51,2 auf 271,9 Mrd. M. Vgl. Kiehling, Börse, S. 73; Haller, Rolle, S. 142. 48 Die Zinsspanne zwischen Pfandbrief und Hypothekarkredit war behördlich vorgeschrieben. Sie betrug 1919 0,5 Prozent, 1921 ein Prozent, 1922 1,5 Prozent und 1923 schließlich 4,5 Prozent. Zinserträge und Provisionen reichten während der Inflation immer weniger zur Aufrechterhaltung des Realkreditgeschäfts aus. Vgl. Kiehling, Funktionsverlust, S. 22; Lehmann, Wandlungen, S. 29 ff. 49 Pfleiderer, Reichsbank, S. 177 f.; Lehmann, Wandlungen, S. 27. 50 Der Anteil der Anleihen von Reich und Bundesstaaten an allen Börseneinführungen von festverzinslichen Wertpapieren betrug zwar im Jahr 1919 nicht weniger als 97,5 Prozent. Dies lag aber daran, dass Kriegs- und Reichsanleihen, die während der Zeit der Börsenschließung nicht in den offiziellen Handel eingeführt werden konnten, nun ihre Zulassung erhielten. Neu emittieren konnte das Reich in diesem Jahr nur eine „Sparprämienanleihe“. In der Folgezeit musste das Reich die Form der Kreditaufnahme ändern und verschuldete sich fast nur noch
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langfristige Verschuldung des Reichs ging gleichwohl von ca. 100 Mrd. M auf 66 Mrd. M zurück, da das Reich seine langfristigen Schulden durch kurzfristige ersetzte. Insgesamt wurden nach Berechnung des Statistischen Reichsamtes bis Jahresende 1923 205 Festwertanleihen in einem Nominalwert von 2,2 Mrd. Goldmark ausgegeben (eine Goldmark = 10/42 Dollar), von denen 80 Prozent von öffentlichen Emittenten stammten und mehr als 75 Prozent auf Gold oder Goldmark lauteten.51 Die Festwertanleihen erfuhren bis zur Währungsbereinigung 1923/24 eine starke Kurssteigerung, wurden danach aber zu einer langfristigen Belastung der Emittenten. So erwies sich der niedrige Nominalzinssatz der Roggenpfandbriefe von 4,5 Prozent für die Anleger als so unattraktiv, dass der Kurs schon 1924 unter 50 Prozent fiel. Eine Konversion zahlreicher Festwertanleihen wurde unumgänglich.52 Insbesondere die Stellung der Landschaften, die zahlreiche Roggenpfandbriefe ausgegeben hatten, wurde dadurch in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre deutlich geschwächt.53 Im Rahmen der Währungsbereinigung von 1923/24 profitierten die Inhaber von Wertpapieren in unterschiedlichem Maße von der vorgenommenen Aufwertung. Während Pfandbriefgläubiger mit einer Aufwertung von durchschnittlich 20,9 Prozent weit besser abschnitten als Geldvermögensbesitzer, erging es den Inhabern von Reichsschuldverschreibungen weitaus schlechter: Für sie war die Währungsbereinigung wegen der äußerst niedrigen Aufwertungsquoten, die zuweilen unter derjenigen des Geldbesitzes lagen, eine tiefe Enttäuschung.54 Die Konstruktion des Währungsschnitts, die dem Reich relativ geringe Zins- und Tilgungsleistungen zubilligte, führte zu dem Vorwurf, dass sich das Reich auf Kosten seiner Gläubiger saniert habe. Das Vertrauen in den Reichskredit ging weitgehend verloren. Die Anleger verlagerten ihr Vermögen auf andere Anlageformen und das Reich war gezwungen, die Anleihefinanzierung fortan einzuschränken. Nach der Währungsbereinigung fielen die öffentlichen Anleihen, die den Wertpapiermarkt vor dem Ersten Welt noch dominiert hatten, in der Emissionsstatistik zurück. Der Pfandbrief kurzfristig, so dass der Anteil der staatlichen Anleihen an den Neuemissionen bis 1922 auf 7,5 Prozent schrumpfte. Vgl. Haller, Rolle, S. 140 ff.; Balderston, Origins, S. 184 ff. Pfleiderer, Reichsbank, S. 178 f.; Kiehling, Börse, S. 78 f. Puhl, Wiederaufbau, S. 237; Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 475. Aufgrund ihres starken Engagements im Geschäft mit Roggenpfandbriefen und -darlehen konnten insbesondere die Landschaften ihre Position auf dem Wertpapiermarkt ausweiten, während die Hypothekenbanken, die den Roggenpfandbrief trotz existenzieller Probleme nur zögernd emittierten, ihr Kredit- und Emissionsgeschäft bis Ende 1923 nahezu einstellten. Abnehmer für wertgebundene Hypothekarkredite gab es vor allem in der Landwirtschaft. Vgl. Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 475. Im Durchschnitt wurden Kommunalobligationen mit 12,5 Prozent und Industrieobligationen mit 15 Prozent aufgewertet. Dagegen lag die Aufwertung bei den Schulden des Staates nur zwischen ca. sieben Prozent (für die Anleiheablösungsschuld mit Auslosungsrechten (Altbesitz an Markanleihen)) und 2,5 Prozent. Zum Vergleich: Die Einlagen bei Sparkassen wurden im Durchschnitt um etwa 12,5 Prozent aufgewertet. Vgl. Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 132 f.; Witt, Auswirkungen, S. 61.
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wurde zum Leitpapier, da die Hypothekenbanken ihre Emissionstätigkeit mit Umsicht wieder aufnahmen und wirkungsvoll Kurspflege betrieben.55 Emissionen festverzinslicher Wertpapiere auf dem deutschen Wertpapiermarkt 1924–1931 (in Mio. RM)56 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 –
Öffentlichen Anleihen
Pfandbriefe
Kommunalobligationen
Industrieobligationen
21 15 654 698 456 520 339 27
367 840 1.628 1.597 1.459 899 1.814 993
10 38 465 349 489 258 548 279
36 74 323 181 294 8 36 1
Die Möglichkeiten zur Aufnahme von langfristigen Anleihen im Ausland wurden den öffentlich-rechtlichen Körperschaften erschwert. Die Reichsbank befürchtete, dass durch eine zu starke Auslandsverschuldung besonders der Kommunen, die kaum Devisenerträge erwirtschafteten, die Währungsreserven angegriffen, zugleich die Geldmenge übermäßig ausgedehnt und so die Währungsstabilität gefährdet werden könnte. Sie setzte sich Ende 1924 mit ihrer Forderung nach Errichtung einer „Beratungsstelle für ausländische Kredite“ beim Reichsfinanzministerium durch, die den langfristigen Kreditbedarf von Ländern und Gemeinden auf ihre Notwendigkeit und ihren Verwendungszweck hin überprüfen sollte. Seit 1930 wurden auch kurzfristige Auslandskredite der öffentlichen Stellen von der Beratungsstelle kontrolliert und darüber hinaus die inländische Schuldenaufnahme von Kommunen von der Genehmigung der jeweiligen Landesregierung abhängig gemacht.57 Durch die erschwerte Aufnahme langfristiger Auslandsanleihen wurde die Kapitalaufnahme der öffentlichen Stellen erstens auf die kurzfristige Kreditaufnahme im Ausland und zweitens auf den inländischen Kapitalmarkt umgelenkt – mit der Wirkung, dass eine Senkung der Kapitalmarktzinsen verhindert wurde.58
55 Sieben Jahre nach der Währungsbereinigung war der Pfandbriefumlauf wieder halb so groß wie der – in Jahrzehnten angehäufte – Bestand im Jahre 1914. Vgl. Harder, Funktionswandel, S. 73; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 136; Witt, Auswirkungen, S. 61 ff., 67 f. 56 Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 474; leicht abweichende Zahlen für die gesamten Rentenemissionen nennt Balderston, Origins, S. 203: 1924 440 Mio. RM, 1925 1.080 Mio. RM, 1926 3.579 Mio. RM, 1927 2.841 Mio. RM, 1928 2.905 Mio. RM, 1929 1.685 Mio. RM, 1930 2.856 Mio. RM, 1931 1.338 Mio. RM. 57 Tewaag, Versuche, S. 125; Balderston, Origins, S. 194; Balbaschewski, Pfund-Anleihe. 58 Obwohl die Beratungsstelle nur gutachtlich tätig war, fiel ihrem Urteil de facto Entscheidungscharakter zu, da die Reichsbank ebenfalls in diesem Gremium vertreten war. Vgl. Blatz, Bankenliquidität, S. 39 ff.
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Für die Privatwirtschaft war die Beratungsstelle nicht zuständig; ohnehin war die Großindustrie ausreichend mit Bankkrediten versorgt, die in hohem Maße durch Auslandskapital refinanziert wurden. Da die Einnahmen der öffentlichen Körperschaften und Parafisci in keinem Haushaltsjahr zwischen 1925/26 und 1932/33 zur Deckung der Ausgaben ausreichten, blieb der Staat auf zusätzlichen Kapitalzufluss angewiesen. Das Reich erschloss sich daher Kapitalquellen, auf die es weitgehende Einwirkungsmöglichkeiten besaß. So wurden die Invaliden-, Angestellten- und Rentenversicherungsträger per Gesetz veranlasst, ihre Mittel in öffentliche Anleihen und Kommunalobligationen anzulegen und Darlehen an die Sonderkreditanstalten des Reiches zu gewähren.59 Zwischen 1924 und 1929 lagen die Zinsen auf dem inländischen Geld- und Kapitalmarkt kontinuierlich über dem Zinsniveau des Auslands.60 In den Jahren 1925/26 dominierten 8- und 10-prozentige Pfandbriefe den Rentenmarkt, wobei die 8-prozentigen überwiegend von den Hypothekenbanken stammten und die Landschaften aufgrund ihres schwächeren Standings Zuflucht zu 10-prozentigen Emissionen nehmen mussten. 5-, 6- und 7-prozentige Papiere wurden daneben mit großem Disagio verkauft. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise erreichten die 8-prozentigen Pfandbriefe gerade pari. Die Rendite der Pfandbriefe sank nur vereinzelt unter sieben Prozent, der Zins für Hypothekarkredite unterschritt nicht die Marke von acht Prozent.61 Prozentuale Verteilung des Pfandbriefumlaufs nach Zinstypen 1925/2662
–
Zinstyp
5%
Ende 1925 Ende 1926
3,0 1,0
Ende 1925 Ende 1926
9,8 3,6
7% bei den Landschaften 1,7 3,2 bei den Hypothekenbanken 1,3 6,3
8%
10%
29,7 48,7
65,6 47,1
66,3 78,1
22,6 12,0
Die erste Hypothek im Wohnungsbau wurde in der Regel durch verbilligte öffentliche Mittel ersetzt, die schwerpunktmäßig aus Einnahmen der „Gebäu-
59 Insgesamt konnte das Reich zwischen 1925 und 1933 netto 3,2 Mrd. RM langfristiges Kapital aufnehmen, doch blieb damit ein Kapitalbedarf von ca. 4,5 Mrd. RM unbefriedigt, der durch Erhöhung der schwebenden Schuld bestritten werden musste. Gemäß Witt hatten z.B. die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und die Landesversicherungsanstalten von ihrem Gesamtvermögen von rd. 3.470 Mio. RM 580 Mio. RM in Reichsanleihen, 850 Mio. RM in kurzfristige Kredite an Gebietskörperschaften und 360 Mio. RM in Kommunalobligationen angelegt. Vgl. Witt, Auswirkungen, S. 55, 63 ff. 60 Als Ursache wird neben der Diskrepanz von Kapitalangebot und -nachfrage die große Nachfrage nach kurzfristigem Mitteln für laufende Umsätze angegeben, die wegen mangelnder Erstausstattung nach der Währungsbereinigung auf Kreditwege beschafft werden mussten. Vgl. Born, Bankenkrise, S. 165; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 137. 61 Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 475; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefgeschäft, S. 136 f.; Zahlen zum in- und ausländischen Zinsniveau s. auch Blatz, Bankenliquidität, S. 43 f. 62 Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 475.
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deentschuldungssteuer“ stammten und nur mit ein bis drei Prozent verzinst waren.63 Zwischen 1924 und 1931 steuerten die öffentlichen Haushalte mehr als die Hälfte aller Finanzierungsmittel des Wohnungsbaus bei, der vorwiegend von Wohnungsbaugesellschaften getragen wurde.64 Der öffentlichen Wohnungsbauförderung kam damit in der Weimarer Republik herausragende Bedeutung zu. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Subventionierung der Landwirtschaft, die zum großen Teil durch den Verkauf von Pfandbriefen an öffentliche Stellen erfolgte.65 Strukturell änderte sich der Wertpapiermarkt dahingehend, dass die Laufzeiten der Wertpapiere aufgrund der Abneigung der Anleger gegenüber langfristigen Engagements generell kürzer waren als vor dem Ersten Weltkrieg. Zugleich wurde die Stellung der institutionellen Anleger deutlich stärker. Zwischen 1924 und 1928 gingen 70 Prozent des Erstabsatzes von Rentenpapieren an Banken, Sparkassen und Versicherungen. Gleichzeitig verlagerte sich der Effektenumsatz tendenziell von den Börsen auf die Großbanken. Dreißig Prozent des gesamten Emissionsvolumens wurde im Ausland untergebracht.66 I. 4. DIE BANKENKRISE VON 1931 UND IHRE FOLGEN FÜR DEN WERTPAPIERMARKT
Die Bankenkrise, die sich ebenso wie die Hyperinflation der Jahre 1922/23 tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingrub, wirkte sich stark auf den Wertpapiermarkt aus. Auch wenn es sich in erster Linie um eine Liquiditäts- und Vertrauenskrise der Kreditwirtschaft handelte, wurde sie vor allem durch die strukturellen Probleme am Kapitalmarkt ausgelöst: Die Unergiebigkeit des inländischen Wertpapiermarktes aufgrund der Kapitalknappheit seit der Währungsbereinigung hatte im Bankensektor einerseits zu einer hohen Auslandsverschuldung und andererseits zu einer starken Verschiebung hin zur kurzfristigen Verschuldung geführt, was die Kreditinstitute gegenüber einem raschen Rückzug ausländischen Kapitals anfällig machte. Die Bekämpfung der Krise, mit der sich die Reichsregierung und die Reichsbank seit dem 1. Juli 1931 unter enormem Zeitdruck befasste, konzentrierte sich zunächst auf schnell wirkende Maßnahmen 63 Seit 1924 wurde eine „Gebäudeentschuldungssteuer“ (in Preußen „Hauszinssteuer“ genannt) auf Hauseigentum erhoben, das im Rahmen der Währungsstabilisierung aufgrund der günstigen Umstellung für Hypothekarkredite weitgehend entschuldet war. Die Steuer wurde als Zuschlag zur Miete erhoben und teils für allgemeine Etataufwendungen, teils für die Wohnungsbauförderung verwendet. Vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 102 f. 64 In die Wohnungsbauförderung flossen zwischen 1924 und 1931 öffentliche Mittel in Höhe von ca. 8,6 Mrd. RM. Vgl. Tewaag, Versuche, S. 125; Witt, Auswirkungen, S. 82. 65 Puhl, Wiederaufbau, S. 236 f.; Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 477; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefgeschäft, S. 134. 66 Flöge, Verbesserung, S. 15, 30, 34; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefgeschäft, S. 137; Balderston, Origins, S. 192 ff.
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wie die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Banken und die Vereinbarung eines Zahlungsmoratoriums bei den ausländischen Gläubigern.67 Zunächst war die Reichsregierung bemüht, bei der Bewältigung der Krise nicht zu tief in die privatwirtschaftlichen Strukturen einzugreifen. Als sich die Krise aber bis zum 13. Juli 1931 immer weiter zuspitzte, sah sich die Staatsführung aber zu massiven Unterstützungsmaßnahmen für die Banken gezwungen. Der Reichspräsident regierte fortan mit Notverordnungen. Für den Wertpapierhandel hatte die am 12. Juli verordnete Schließung der Wertpapierbörsen, die Verschärfung der Devisenwirtschaft und die Einschränkung des Zahlungsverkehrs weitreichende Folgen. Das ebenfalls verordnete Verbot der Kommunalkreditvergabe bedeutete, dass die Emission von Kommunalanleihen fortan untersagt war.68 Kein Zeitgenosse ahnte wohl, dass Gläubigerstillhaltung, Devisenbewirtschaftung und Kommunalkreditverbot mit nur wenigen Ausnahmen mehr als 20 Jahre in Kraft bleiben sollten. Die „Vierte Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens“ vom 8. Dezember 1931 brachte erste massive Eingriffe, die den Wertpapiermarkt direkt betrafen. Hatte der Staat bis dahin unter Aufwendung großer finanzieller Mittel die Sanierung des Bankwesens abgesichert, griff er nun tief in das Vertragsrecht zwischen Gläubigern und Schuldnern ein. Während nach der Währungsbereinigung von 1923/24 innerhalb der Finanzwelt die Meinung vorgeherrscht hatte, dass ein hohes inländisches Zinsniveau notwendig sei, um dringend benötigte Auslandsgelder anzulocken, so war die Mehrzahl der Experten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nunmehr überzeugt, dass das hohe Zinsniveau am Geld- und Kapitalmarkt gesenkt werden müsse, um die wirtschaftliche Erholung zu beschleunigen. Erzwingen wollte dies der Gesetzgeber per Rechtsetzung: Es war ein Teilstück der von Reichskanzler Heinrich Brüning rigoros verfolgten Deflationspolitik, die einerseits den öffentlichen Zinsdienst verringern und andererseits das gesamtwirtschaftliche Preis- und Kostenniveau so weit senken sollte, dass die Unternehmen zu einer Expansion der Produktion veranlasst wurden.69 Mit der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 wurde der Nominalzinssatz aller Anleihen, die in öffentlichen Schuldbüchern eingetragen oder als Teilschuldverschreibung emittiert worden waren und eine Laufzeit von mehr als zwölf Monaten hatten, herabgesetzt, und zwar pauschal auf sechs Prozent, wenn er zuvor zwischen sechs und acht Prozent betragen hatte. Hatten die Zinsen zuvor zwischen acht und zwölf Prozent betragen, so wurden sie im Verhältnis 8:6 gekürzt; diejenigen, die über zwölf Prozent gelegen hatten, wurden für den Teil, der über zwölf Prozent lag, im Verhältnis 8:4 gesenkt. Bankiers und Bankenverbände reagierten auf diese Entscheidung höchst unwillig und kritisierten sie als Verletzung der Vertragsrechte und des Privateigentums, die das Vertrauen der
67 Born, Bankenkrise, S. 89, 94 f., 132. 68 Ebd., S. 133. 69 Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 18 f.; Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 478.
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Anleger untergrabe.70 Sie sollten mit ihrer Kritik Recht behalten. Denn die in einer sehr labilen Marktsituation verordnete Maßnahme führte nicht zu einer dauerhaften Senkung der Emissionskosten, sondern löste lediglich einen Kursfall bei den betroffenen Wertpapieren aus, wodurch die Rendite im Grunde gleich blieb. Das Vertrauen der Besitzer von festverzinslichen Wertpapieren wurde zerstört und in der Folge kam die Emissionstätigkeit am gesamten Rentenmarkt bis zum Frühjahr 1933 praktisch zum Erliegen. Zu groß war die Angst der Anleger, dass weitere Zwangsmaßnahmen des Gesetzgebers – unter Umständen verbunden mit waghalsigen währungs- und kreditpolitischen Experimenten – folgen könnten.71 Um die allgemeine Zinssenkungsstrategie auch auf die Haben- und Sollzinsen der Kreditinstitute und die Geldmarktzinssätze auszudehnen, wurde der Wettbewerb um Kundengelder weitgehend aufgehoben. Im „Zentralen Kreditausschuss“ handelten Verbandsvertreter aller Institutsgruppen Vereinbarungen über Kreditkonditionen sowie Höchstsätze für Habenzinsen aus, die sich am Diskontsatz der Reichsbank orientierten. Tatsächlich sanken die Geldmarktzinsen deutlich von 7,48 Prozent (1931) über 5,33 Prozent (1932) auf 4,67 Prozent (1933).72 Mit der Vierten Notverordnung wurde schließlich auch eine Emissionskontrolle für alle festverzinslichen Wertpapiere eingeführt, die – wie das Stillhaltemoratorium und die Devisenbewirtschaftung – mehr als 20 Jahre Bestand haben sollte.73 Die Genehmigung für die Ausgabe von Teilschuldverschreibungen wurde zentralisiert und von den Ländern auf die Reichsregierung übertragen. Doch musste diese vor Erteilung einer Genehmigung die Zustimmung der zuständigen obersten Landesbehörde desjenigen Landes einholen, in dem der Emittent seinen Sitz hatte.74 I. 5. EINFÜGUNG IN DIE GELENKTE NS-WIRTSCHAFT (1933–1945) Nach den Schockwellen der Weltwirtschafts- und der Bankenkrise war das gesamte Bank- und Börsenwesen Anfang der Dreißigerjahre nicht nur wirtschaftlich stark angegriffen, sondern auch in der öffentlichen Meinung massiven Anschuldigungen ausgesetzt. An die Spitze der propagandistischen Angriffe auf die Finanzwelt stellte sich die „nationalsozialistische Bewegung“, deren Agitation angesichts des weit verbreiteten Misstrauens gegenüber den Kreditinstituten auf fruchtbaren Boden fiel. Auf diese Weise bereits erheblich geschwächt, wurde der 70 Born, Bankenkrise, S. 165. 71 Die Realkreditinstitute konnten erst 1934 wieder erste Pfandbriefe auf dem Primärmarkt unterbringen und 1935 ihre Hypothekarkreditgeschäft wieder aufnehmen. Vgl. Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 19; Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 478; Schreyer, Zinssenkung, S. 213 f. 72 Born, Bankenkrise, S. 166 f. 73 Beer, Funktionswandel, S. 290. 74 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Herrn Bayerischen Vertreter beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 14.1.1949 – PA, 2/415.
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private Finanzsektor nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten endgültig in die Defensive gedrängt. Das Schlagwort von der „Brechung der Zinsknechtschaft“75 prägte ebenso wie die polemische Gegenüberstellung von „schaffendem Industriekapital“ und „raffenden Finanzkapital“ schon früh das nationalsozialistische Bild vom Bankund Börsenwesen. Verbunden mit dumpfen Ressentiments gegen eine angeblich verschworene internationale jüdische Hochfinanz wurden sie zu einem Pfeiler der nationalsozialistischen Vorstellungswelt schlechthin. Diese negative Grundeinstellung der Nationalsozialisten blieb Bestandteil der offiziellen Programmatik,76 auch wenn einige Vordenker der NS-Wirtschaftsideologie wie Gottfried Feder oder Otto Wagener schon bald nach der „Machtergreifung“ rasch an Bedeutung verloren. In der politischen Praxis hatten sich die Nationalsozialisten indes schon vor 1933 von dezidiert antikapitalistischen Grundsätzen verabschiedet und operierten wesentlich pragmatischer als in der – oft widersprüchlichen – Propaganda verlautbart.77 So wurde die Maximalforderung einiger Parteiideologen, das gesamte Bankwesen zu verstaatlichen oder zumindest die Großbanken durch eine räumliche Begrenzung des Geschäftsbereichs zu zerschlagen, von der Reichsregierung nicht beachtet.78 Stand es in weiten Kreisen der Bevölkerung und der Wissenschaft nach den bitteren Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise außer Zweifel, dass der Staat eine größere Verantwortung für die konjunkturelle und gesamtwirtschaftliche Entwicklung tragen müsse, so ging die nationalsozialistische Auffassung von der Rolle des Staates in der Wirtschaft weit darüber hinaus: Sie forderte, dass der Staat nunmehr die gesamtwirtschaftlichen Daten und Ziele zu setzen habe, dem die Wirtschaft unter dem „Primat der Politik“ zu dienen habe.79 Um ihre ideologischen Wunschvorstellungen zu verwirklichen, sah sich die Reichsregierung der Aufgabe gegenüber, die darbende Wirtschaft, insbesondere die rüstungswirtschaftlich bedeutsame Großindustrie, wieder anzukurbeln, die Arbeitslosenraten zu senken und den Staat wiederaufzurüsten. Dazu sollten umfangreiche staatliche Arbeitsbeschaffungs- und Aufrüstungsmaßnahmen einen entscheidenden Beitrag leisten, für deren Refinanzierung man auf den bestehenden Bankenund Finanzapparat zurückgriff, der – nicht als aktiver Mitgestalter, sondern lediglich als Lieferant des technischen Know-hows – in die sich ausbreitende Staatswirtschaft eingeschaltet wurde. Lenkung und Kontrolle der Geld- und Kapitalströme wurden immer mehr zu einer Angelegenheit des Staates. 75 Barkai, Wirtschaftssystem, S. 31, 47; Kopper, Marktwirtschaft, S. 18 f., 30, 38, 48. 76 Dies belegt die erneut aufflammende Kritik am Bankwesen während des Kriegs deutlich. Vgl. James, Deutsche Bank, S. 390 ff.; Bähr, Bankenrationalisierung, S. 72 ff. 77 Barkai, Wirtschaftssystem, S. 39 f., 47 ff., 109; Jaeger, Geschichte, S. 179 ff.; Kopper, Marktwirtschaft, S. 21 f., 30, 48. 78 Im Gegenteil wurden die aus den Sanierungsmaßnahmen nach der Bankenkrise stammenden Staatsbeteiligungen an den Berliner Großbanken bis 1936 vollständig zurückgeführt, ein Beleg für den Entschluss Hitlers, die bestehenden privatwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse im Grundsatz nicht anzutasten. Vgl. Kopper, Marktwirtschaft, S. 30, 32 38, 40, 48 f. 79 Barkai, Wirtschaftssystem, S. 65; Jaeger, Geschichte, S. 177 f.
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Von Vorteil war für die Absichten der neuen Machthaber war, dass die letzten Regierungen der Weimarer Republik die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates bereits deutlich gestärkt hatten.80 Die unternehmerischen Dispositionen der privaten Kreditwirtschaft waren aufgrund der Beschränkungen in zahlreichen traditionellen Geschäftsfeldern (Devisengeschäft, Außenhandelsfinanzierung, Emissionsgeschäft, Wohnungsbau) stark eingeengt81 und die Kreditvergabe an rüstungswichtige Unternehmen wurde immer stärker über staatseigene Institute abgewickelt. Da die Kreditinstitute und Kapitalsammelstellen kaum noch andere Anlagemöglichkeiten besaßen, legten sie die Ersparnisse ihrer Kundschaft, die aufgrund stark eingeschränkter Konsummöglichkeiten stark anwuchsen, vor allem in Wertpapieren der öffentlichen Hand an und machten sich damit zum Handlanger der staatlichen Rüstungs- und Kriegsmaschinerie.82 Unmittelbarer als bei den Banken, Sparkassen und Kapitalsammelstellen griff der Staatsapparat in den Wertpapiermarkt ein. Seit 1933 führte er hier Maßnahmen durch, die die Funktionsfähigkeit des Wertpapiermarktes immer weiter einschränkten, bis er schließlich nahezu vollkommen unter staatlicher Kontrolle geriet. Zwar konnte das nationalsozialistische Regime dank der Steuerpolitik Brünings und des konjunkturellen Wirtschaftsaufschwungs auf steigende Steuereinnahmen zurückgreifen.83 Doch die ständige, in ihren Dimensionen bis dahin kaum vorstellbare Ausweitung der staatlichen Investitionen, welche die Staatsdefizite immer weiter anwachsen ließ und zu einer Verdreifachung der Staatsschuld zwischen 1933 und 1939 führte, machte die Ausnutzung zusätzlicher Kapitalquellen unausweichlich.84 Die wichtigste war der Wertpapiermarkt. Um ihn für die eigenen Zwecke zu reservieren, die Unterbringung von Reichspapieren zu gewährleisten und konkurrierende Kapitalnachfrager auszuschalten, bauten die Machthaber die kapitallenkenden Bestimmungen immer weiter aus. In den 80 Das Kreditwesengesetz von 1934 gab etwa schuf weitreichende neue Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten. Die Lenkungsmöglichkeiten schöpfte der Staat jedoch nicht aus. Denn zum einen erholten sich die Banken nur allmählich von den einschneidenden Folgen der Bankenkrise und bedurften weiterhin der Schonung ihrer Liquidität. Zum anderen war die Bedeutung der Geschäftsbanken für die Finanzierung des Wirtschaftsaufschwungs aufgrund des Finanzierungsverhaltens der Unternehmen (zunächst geringe Investitionsneigung, dann erhöhte Selbstfinanzierung und bewusster Verzicht auf Verschuldung) und der gewählten Technik der Staatsfinanzierung (Finanzierung durch MeFo-Wechsel) geringer als in früheren Zeiten. Vgl. Kopper, Marktwirtschaft, S. 71 f., 86 f., 115, 121; Barkai, Wirtschaftssystem, S. 124 f.; Kopper, Kreditlenkung, S. 118 ff., 127; Lehmann, Wandlung, S. 183 f. 81 Eine deutliche Abnahme des Kapitalmarktvolumens und der Kreditvergabe war in den Dreißigerjahren als Folge der Weltwirtschaftskrise auch in anderen europäischen Ländern festzustellen. Vgl. Boelcke, Kosten, S. 94 f.; James, Deutsche Bank, S. 315 f. 82 Federau, Weltkrieg, S. 17 ff., 38 f.; James, Deutsche Bank, S. 316 ff.; Pohl, Sparkassen [2005], S. 201 ff.; Wixforth, DekaBank, S. 123 ff., 142 ff. 83 Zu Steuerpolitik und -einnahmen s. Oertel, Kriegsfinanzierung, S. 693 ff.; Voß, Steuern. 84 Während die Nationalsozialisten weitgehend auf Steuererhöhungen verzichteten und die Verschuldung des Reichs kontinuierlich anstieg, konnten die anderen Gebietskörperschaften ihren Schuldenstand sogar vermindern. Stenogr. Bericht der 6. Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats vom 17./18.3.1947, S. 106, 110 – PA, 1/177.
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folgenden Abschnitten sollen die verschiedenen Maßnahmenbündel betrachtet werden, die eng miteinander verwoben waren. Die Maßnahmen umfassten a) die Kontrolle der Wertpapieremissionen zugunsten des Staates, b) eine „Politik des billigen Geldes“ durch eine breit angelegte Senkung des Zinsniveaus und c) die Beschneidung von Gewinnausschüttungen bei Unternehmen, um Rüstungs- und Kriegsgewinne staatlichen Investitionen zuzuführen. a) Schon 1933 wurde auf Initiative Schachts bei der Reichsbank ein Kapitalmarktausschuss eingesetzt, der die seit 1931 bestehende Emissionskontrolle fortführte. Er übernahm die Aufgabe, die Börseneinführung neuer Aktien und die Neuemissionen von Industrieobligationen und öffentlichen Schuldverschreibungen zu genehmigen. Die Einrichtung des Ausschusses wurde offiziell mit der Absicht begründet, den Wertpapiermarkt vor einer Übernachfrage zu schützen. Angesichts des am Boden liegenden Emissionsgeschäfts, das zu diesem Zeitpunkt kaum Anlass für einen derartigen Schritt bot,85 dürfte diese Begründung kaum den wahren Motiven entsprochen haben. Vielmehr kann die Einrichtung des Ausschusses als eine erste Maßnahme zur Reservierung des Wertpapiermarktes für die Nachfrage des Reichs angesehen werden, wie sie bis dahin nur während des Ersten Weltkriegs angewandt worden war.86 In der Finanzwelt rief die Einrichtung des Ausschusses keinen Widerspruch hervor, obwohl Genehmigungen für private Wertpapieremissionen bis Ende 1936 nur noch in Ausnahmefällen erteilt wurden.87 Im Rahmen des Vierjahres-Plans wurde die Ausgabe von Industrieobligationen seit 1936 vorübergehend erleichtert, da rüstungswichtige Unternehmen und Ersatzstoff-Industrien vor umfangreichen Produktionserweiterungen standen, die eine Finanzierung über Anleihen und Aktien notwendig machten. Nur solche Unternehmen erhielten Emissionsgenehmigungen, die der Autarkiepolitik des Regimes dienten. Die Emissionen fanden problemlos Absatz, blieben in ihrem Volumen aber deutlich hinter den Emissionen der öffentlichen Hand zurück.88 Im Juni 1941 wurde die Kontrolle über die Erstemission von Aktien, Zwischenscheinen, Genussscheinen sowie die Begebung von Anteilen am Stammkapital von Gesellschaften mit beschränkter Haftung durch die Verordnung über den Kapitalverkehr (KVVO) dem Reichswirtschaftsminister als alleiniger Entscheidungsinstanz übertragen, der eine Genehmigung – weitgehend willkürlich – mit Bedingungen und Auflagen verbinden konnte. Die Erste Durchführungsverordnung zur KVVO übertrug im August 1941 auch die Emissionskontrolle für 85 Im Jahr 1932 wurden so gut wie keine Anleihen auf den Markt gebracht. Vgl. Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 67. 86 Schulte, Regulierung, S. 81; Kopper, Kreditlenkung, S. 119. 87 Die Reichsbank sprach in ihrem Verwaltungsbericht davon, dass „die Ausgabe und die Zulassung festverzinslicher Wertpapiere privater Emittenten seit 1933 auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt“ worden sei. Von den zwischen 1933 und 1938 emittierten Wertpapieren stammten nur noch 15 Prozent von privaten Schuldnern. Vgl. Borchard, Realkreditund Pfandbriefmarkt, S. 141; Lehmann, Wandlungen, S. 164 f.; Beer, Funktionswandel, S. 290, FN 44 (Zitat). 88 James, Deutsche Bank, S. 326 ff.; Lehmann, Wandlungen, S. 189 f.,192 ff., 197–222.
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sämtliche Inhaberschuldverschreibungen unmittelbar auf den Reichswirtschaftsminister.89 Mit der Zurückdrängung der privaten Emissionstätigkeit legten die Nationalsozialisten einen Grundstein für die Defizitfinanzierung der Staatsausgaben, indem das anlagesuchende Kapital aufgrund fehlender Alternativen immer mehr zu den Staatspapieren geschleust wurde. Dabei erfolgte der Wertpapiererwerb kaum direkt durch private Anleger, sondern „geräuschlos“ über institutionelle Anleger: Mit Hilfe der Verbände der Kredit- und Versicherungswirtschaft wurde die Verteilung der Reichsanleihen und Reichsschatzanweisungen – schließlich in fast standardisierter Form – unter weitgehender Geheimhaltung vor der Öffentlichkeit abgewickelt.90 Auch produzierende Unternehmen wurden dazu angehalten, ihre überschüssigen Mittel in Reichstitel anzulegen. Dies geschah zunächst weitgehend reibungslos. Wiederholte Appelle der Reichsregierung zum Kauf der rollenden Reichsanleihen bzw. der staatlich garantierten Anleihen (z.B. für die Reichsbahn oder die Reichsautobahn-Gesellschaft) wurden widerspruchslos befolgt.91 War der Druck, der auf einzelne Kapitalsammelstellen ausgeübt wurde, zunächst nur schwach, wurde der staatliche Zwang unter dem Vierjahresplan deutlich spürbarer. Die enorme Zunahme der Emissionsvolumina auf 7,74 Mrd. RM (1938) führte zu einer Übersättigung des Rentenmarktes, von dem immer mehr Anleger fern blieben, obwohl kaum alternative Anlagemöglichkeiten bestanden. Ende 1938 konnte erstmals eine Reichsanleihe nicht ganz untergebracht werden.92 In vertraulichen Schreiben und durch einen Geheimerlass wurden die Kapitalsammelstellen dazu angehalten, sämtliche frei verfügbaren Mittel in Reichsanleihen zu investieren. Zugleich wurden Hypothekarkredite für Neubauten untersagt. Mit der „geräuschlosen Kriegsfinanzierung“ wurde der seit den Zwanzigerjahren beobachtbare Trend zur Institutionalisierung der Kapitalbildung weiter beschleunigt: Die volkswirtschaftliche Abteilung der Reichsbank stellte für das Jahr 1937 fest, dass sich mehr als die Hälfte aller in Deutschland
89 Ausgenommen von der Genehmigungspflicht waren Emissionen, die weniger als 0,5 Mio. RM betrugen, sofern die letzte Kapitalerhöhung nicht weniger als 36 Monate zurücklag. Eine Genehmigung war auch nicht erforderlich, wenn es sich um Wertpapierzuweisungen gegen Sacheinlagen handelte. Verordnung über den Kapitalverkehr vom 6.6.1941, RGBl. I, S. 328; Erste Durchführungsverordnung zur KVVO vom 9.8.1941, RGBl. I, S. 515. 90 Boelcke, Kosten, S. 105 f.; Lehmann, Wandlungen, S. 183; 196 f. 91 Feldman, Allianz, S. 194 f. 92 Zwischen 1935 und 1938 wurden acht Reichsanleihen emittiert. Das nachlassende Interesse an diesen Papieren zeigt die von der Deutschen Bank untergebrachte Quote: 1935 waren es 24,17 Prozent der gesamten Anleihe, 1937 nur noch 19,33 Prozent. Bei der letzten Anleihe des Jahres 1938 (Volumen 1,5 Mrd. RM) war die Deutsche Bank erstmals gezwungen, ein Volumen von 75 Mio. RM in ihr eigenes Portefeuille aufzunehmen. Besonders die Unternehmen legten immer weniger Mittel in Reichsanleihen an; ihr Anteil am Erwerb der Reichsanleihen fiel von 48 (1935) auf 34,2 Prozent (1938). Vgl. James, Deutsche Bank, S. 329 f.
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emittierten festverzinslichen Wertpapiere in den Beständen von Banken und Kapitalsammelstellen befanden.93 b) Nach der Machtübernahme wurde die in der öffentlichen Propaganda und den nationalsozialistischen Parteiprogrammen immer wieder geforderte Senkung des Zinsfußes auf dem Geld- und Kapitalmarkt rasch auf die wirtschaftspolitische Tagesordnung gesetzt. Das hohe Zinsniveau war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, erschwerte es doch die weit gesteckten öffentlichen Investitionsabsichten. Das Reich musste Ende 1933 immer noch eine Rendite von acht Prozent bieten, um eine stabile Kursentwicklung der Reichsanleihen sicherzustellen – ein Zeichen für die Wirkungslosigkeit der Zinskonversionen Brünings im Jahr 1931.94 Die Reichsregierung und die Reichsbank planten daher weitere Konversionsmaßnahmen und ließen „in mehrfachen, mit dem ganzen Gewicht autoritativer Stellungnahme ausgestatteten Erklärungen“ verkünden, dass „die Senkung der Zinssätze als die entscheidende Kapitalmarktaufgabe“ anzusehen sei.95 Mit diesem Anliegen stand man indes international nicht isoliert da. Auch in anderen Industrieländern wie Italien, Großbritannien oder den USA wurden nach der Weltwirtschaftskrise Konversionen in großem Umfang durchgeführt.96 Es stellt sich also die Frage, inwieweit die vollzogenen Eingriffe in den Kapitalmarkt hauptsächlich als Folge der Weltwirtschafts- und Bankenkrise anzusehen sind oder als Maßnahmen zur Durchsetzung spezifisch nationalsozialistischer Zielsetzungen.97 Mit Blick auf die sonstige Kapitalmarktpolitik des NS-Regimes liegt der Schluss nahe, dass mit den Konversionen keine Verbesserung des Investitionsklimas in der Privatwirtschaft beabsichtigt war,98 sondern die Reduzierung der Kosten des staatlichen Schuldendienstes bzw. die Ausweitung der staatlichen Verschuldungsmöglichkeiten. Die Konversion wurde nicht sofort in alle Segmenten des Wertpapiermarktes durchgeführt, sondern schrittweise in Bereichen vorbereitet, die besonders unter dem Zinsdruck litten bzw. die Finanzmarktakteure in besonderem Maße beunruhigten. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht sprach sich gegen abrupte Zwangskonversionen aus, die er als staatliches „Oktroi“ mit schädlichen Folgen für die Gesamtwirtschaft ansah, und setzte auf eine „organische Zinssenkung“, die neues Vertrauen bei den Anlegern schaffen und die Fehler der Konversion von 1931 vermeiden sollte (durch Kurspflegemaßnahmen, Zurückhaltung bei Neuemissionen, Steigerung der Nachfrage nach Rentenpapieren durch Diskriminierung alternativer Anlageformen). Unter allen Umständen wollte Schacht für stabile Kurse der konvertierten Papiere sorgen und Kursrutsche verhindern, da eine erneute Verunsicherung des Rentenmarktes die Finanzierung der staatlichen 93 Borchard, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 141; James, Deutsche Bank, S. 203 f.; Beer, Funktionswandel, S. 284. 94 Ulrich, Aufstieg, S. 290. 95 Benning, Kapitalmarkt, S. 423 (Zitat). 96 Schultze, Zinssenkungsproblem, S. 169 f. 97 Beer, Funktionswandel, S. 281. 98 Diese Behauptung etwa bei Glembin, Theorie, S. 65 f.
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Investitionen gefährdet hätte. Die Senkung des Nominalzinses musste also einhergehen mit einer Senkung der Rendite. Schacht erhielt für seine Vorschläge breite Zustimmung. Dass der Staat sich direkter Eingriffe bediente, die Reichsbank dagegen mit den klassischen Mitteln der Zins- und Kreditpolitik so gut wie gar nicht operierte, offenbart deutlich den ordnungspolitischen Zwangscharakter des NS-Regimes: Der Diskontsatz der Reichsbank blieb zwischen Ende 1932 und Kriegsbeginn unverändert bei vier Prozent.99 Die ersten Etappen der breit angelegten Konversion betrafen vorrangig die kurz- und mittelfristige Verschuldung: 1) 1933 wurde eine Zwangskonversion bei den Gläubigern der Landwirtschaft vollzogen, die mit Ablösungsschuldverschreibungen mit einem Nominalzinssatz von 4,5 Prozent abgefunden wurden. 2) Im Herbst 1933 folgte eine Umschuldungsmaßnahme zugunsten der Kommunen und Gemeindeverbände,100 die per Gesetz vom 21. September 1933 in die Lage versetzt wurden, ihre bis zum 3. März 1935 fälligen bzw. bereits fällig gewordenen kurz- und mittelfristigen Schulden im Inland durch 4-prozentige, vom Reich garantierte Schuldverschreibungen abzulösen, die bis 1936 tilgungsfrei waren. Alle Gemeinden, die notleidend geworden waren, und auch Schatzanweisungen der Länder101 wurden in diese Aktion eingebunden. Den Gläubigern wurde zwar die Möglichkeit einer Ablehnung der Konversion zugebilligt. Allerdings mussten sie in diesem Fall eine Stundung der kurzfristigen Kredite und der Zinszahlungen für fünf Jahre einräumen. Insgesamt war von dieser Aktion ein Volumen von 2,6 Mrd. RM betroffen; die meisten Gläubiger nahmen das Angebot an, so dass vorübergehend Umschuldungsanleihen zu vier Prozent und die „normalen“ Kommunalobligationen und öffentlichen Anleihen mit einem 6- bis 6,5-prozentigen Zinsfuß zusammen auf dem Markt waren. Die Gemeindeumschuldung trug spürbar zur Beruhigung des Rentenmarktes bei, da sie für ein Ende der „regellosen Verschuldung und Abtragung der Schulden“ sorgte.102 3) Im Juli 1934 wurde den Besitzern der 7-prozentigen Reichsanleihe von 1929 die Konversion in eine 4-prozentige Reichsanleihe angeboten, die ab 1934 zu tilgen war. 4) Es wurden
99 Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 140; Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 42, 56 f. 100 Zu Beginn des Rechnungsjahres 1932/33 betrug die Gesamtverschuldung der Gemeinden und Gemeindeverbände 11,3 Mrd. RM. Laut Reichsstatistik wiesen Ende März 1933 von 1.205 Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern 785 Gemeinden einen Rückstand beim Schuldendienst von 466,1 Mio. RM auf. Vgl. Ehrenforth, Gemeindeumschuldungs-Gesetz, S. 64. 101 Einbezogen wurden die Schatzanweisungen von Preußen, Sachsen und der Reichspost, die 1934 fällig waren. Sie wurden in drei- bis fünfjährige Schatzanweisungen mit einem Zinssatz von 4,5 Prozent und einem Ausgabekurs von 97 Prozent umgewandelt. Vgl. Benning, Kapitalmarkt, S. 424. 102 Die Schuldverschreibungen sollten ab dem 1. Oktober 1936 durch Auslosung innerhalb von 20 Jahren getilgt werden. Emissionsträger war der Umschuldungsverband deutscher Gemeinden, dem die teilnehmenden Gemeinden beitreten mussten. Vgl. Barocka, Kommunalkredit, S. 81 f. (Zitat S. 82); Ehrenforth, Gemeindeumschuldungs-Gesetz, S. 64, 66; Tewaag, Versuche, S. 131.
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daraufhin Versuchsemissionen mit 4,5-prozentigen Pfandbriefen vorgenommen, um ihre Absatzmöglichkeiten zu testen; sie verliefen mit Erfolg.103 Nach diesen vorbereitenden Aktionen begann im Frühjahr 1935 die große Konversion zu einem Zeitpunkt, als das deficit spending des NS-Regimes bereits zu einer spürbaren Verflüssigung der Geldmärkte mit entsprechenden Zinssenkungstendenzen geführt hatte, die eine Aufnahme der konvertierten Rentenwerte ohne große Kursverluste erleichterte. Auch der Anleihemarkt zeigte seit Mitte 1932 eine steigende, wenn auch von Schwankungen geprägte Kurstendenz: Höherverzinsliche Schuldverschreibungen (ab einem Nominalzins von sechs Prozent) erreichten Ende 1934 fast pari, die Kurse der übrigen Wertpapiere schwankten zwischen 92,2 und 94,4 Prozent.104 Die Konversion galt für die Mehrzahl der Rentenwerte und erfasste ein Volumen von zehn Mrd. RM. Sie begann mit dem „Gesetz über die Durchführung einer Zinsermäßigung bei Kreditanstalten“, das den Nominalzins für Pfandbriefe und Kommunalobligationen, die mit sechs oder mehr Prozent verzinst waren, auf 4,5 Prozent herabsetzte. Dass bei dieser Maßnahme Zwang vorherrschte, zeigt die Tatsache, dass den Gläubigern weder eine Kündigungsfrist noch eine Rückzahlung angeboten wurden. Lediglich die Wahl zwischen einer Annahme des Angebots innerhalb einer kurzen Frist von zehn Tagen, bei der eine einmalige Auszahlung von zwei Prozent winkte, und einer Ablehnung war möglich. In letzterem Fall wurde zwar der alte Zinssatz weiter bedient, aber zugleich wurden die Wertpapiere vom Börsenhandel ausgeschlossen und ihrer Lombardfähigkeit beraubt, womit sie praktisch für die Restlaufzeit nicht fungibel waren. Diese Nachteile und die Wirkung der Propaganda, die eine Teilnahme zur Vaterlandspflicht erklärte, bewogen ca. 99 Prozent der Gläubiger zur Annahme der konvertierten Papiere. Bei den inländischen Wertpapierinhabern gingen „von 8,39 Mrd. RM unter das Umtauschangebot fallenden Werten der privaten und öffentlichrechtlichen Kreditanstalten [...] nur 19,47 Mio., d.i. 0,23% des Umlaufs, zum Protest.“105 Nach dem Erfolg der Umstellung privatwirtschaftlicher Wertpapiere wagte sich die Reichsregierung schließlich an die Staatspapiere heran, für die nun kaum noch die Gefahr eines Kursrutsches bestand. Per Gesetz wurde der Nominalzins für öffentliche Schuldverschreibungen im Umfang von ca. zwei Mrd. RM ebenfalls auf 4,5 Prozent gesenkt. Damit war auf dem Rentenmarkt ein fester Zinssatz installiert.106 Flankiert wurden die Konversionsmaßnahmen durch eine Senkung
103 Mischke, Pfandbriefmarkt, S. 478 f.; Schreyer, Zinssenkung, S. 213; Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 57 f. 104 Die Rendite der festverzinslichen Wertpapiere sank zwischen August 1933 und Januar 1934 im Gesamtdurchschnitt von 9,08 auf 6,96 Prozent und stieg daraufhin bis Juni 1934 wieder auf 7,13 Prozent. Vgl. Benning, Kapitalmarkt, S. 423; Kopper, Marktwirtschaft, S. 156. 105 Schreyer, Zinssenkung, S. 213. 106 Erbe, Wirtschaftspolitik, S. 58 f.
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der Habenzinsen und der Bankgebühren im Zentralen Kreditausschuss.107 Zuletzt konnten auch die Unternehmen von der allgemeinen Zinssenkung profitieren, indem sie mit Hilfe der Banken die Zinssätze ihrer Industrieobligationen auf fünf Prozent senkten. Nach den Konversionen kam es zu keinen stärkeren Kursbewegungen, da alle Teilbereiche des organisierten Kapitalmarktes gleichermaßen betroffen waren und überdies die Verflüssigung des Geldmarktes dem entgegenwirkte.108 Während des Kriegs sorgte die staatliche Rüstungswirtschaft zusammen mit Investitions- und Konsumbeschränkungen für eine zusätzliche Verflüssigung des Geldmarktes, die weitere Zinssenkungen erlaubte. Im März 1940 wurden Reichsschatzanweisungen zu vier Prozent ausgegeben, im Januar 1941 zu drei Prozent. Die privaten langfristigen Schuldverschreibungen wurden Ende 1941 erneut konvertiert, diesmal auf vier Prozent. Der Absatz der Wertpapiere lief weiterhin gut genug, um die Kursstände über pari zu halten.109 c) Die Versorgung des Staates mit billigem Kapital hätten die geschilderten Maßnahmen auf dem Rentenmarkt allein nicht garantieren können. Zwar beugte die Senkung der Kapitalmarktzinsen einem kräftigen Kursrückgang vor, da alle Wertpapiertypen betroffen waren und daher der Umtausch von Rentenpapieren keine höhere Rendite versprach. Als Ausweg für die Anleger blieb der Aktienmarkt, der aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Erholung und der wachsenden Unternehmensgewinne bereits 1933 die Anleger mit der Hoffnung auf hohe Dividendenausschüttungen und Kurssteigerungen anlockte. Um die anlagebereiten Mittel auf den Markt für festverzinsliche Wertpapiere zu schleusen und dort die Kurse trotz der steigenden Inanspruchnahme und der Konversionen zu stabilisieren, musste die Reichsregierung also auch am Aktienmarkt aktiv werden und dort der – für die Anleger – günstigen Entwicklung einen Riegel vorschieben: Die Begrenzung der Dividenden und Aktienkurse hing also unmittelbar mit der Zinssenkung am Rentenmarkt zusammen. Neben der Sicherung der Staatsfinanzierung verfolgten die Nationalsozialisten mit ihren Eingriffen auf dem Aktienmarkt noch weitere Motive. So widersprachen hohe Kapitaleinkünfte aus Dividenden der offiziellen antikapitalistischen Propaganda der NSDAP, die das „arbeitslose Einkommen“ einzuschränken versprach. Zudem äußerten sich in hohen Dividenden die erheblichen Gewinnmöglichkeiten ganzer Wirtschaftsbranchen in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft. An nichts war das NS-Regime weniger interessiert als an einer solch offensichtlichen Demonstration der Profitmöglichkeiten. Um hohe Gewinnausschüttungen zu vermeiden,
107 Die Zinsen für Termingelder mit einer Festlegungsfrist bis zu 90 Tagen wurden von 3,25 auf 2,5 Prozent, für Termingelder mit einer Laufzeit von einem Jahr von fünf auf 3,75 Prozent und für Spareinlagen von 3,5 auf drei Prozent gesenkt. Vgl. Geld- und Bankwesen, S. 278. 108 Vgl. Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 140; Lehmann, Wandlungen, S. 185; James, Deutsche Bank, S. 326 ff. 109 Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 142.
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förderte es daher seit 1933 die Bildung stiller Reserven in den Unternehmensbilanzen.110 Im März 1934 trat das „Gesetz über die Bildung eines Anleihestocks bei Kapitalgesellschaften (Kapitalanlagegesetz)“ mit folgenden Bestimmungen in Kraft:111 Kapitalgesellschaften, die im Geschäftsjahr 1933/34 einen höheren Gewinn ausschütteten als im Vorjahr und zugleich eine Dividende von mehr als sechs Prozent bezahlten, hatten einen Anleihestock zu bilden.112 Die Höhe der Mittel, die in dem Anleihestock angelegt werden mussten, unterschied sich bei den Unternehmen und war von der im Vorjahr ausgeschütteten Dividende abhängig.113 Der Anleihestock war aus Anleihen des Reichs, der Länder oder der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände zu bilden und als Vermögensbestandteil des jeweiligen Unternehmens in der Bilanz als eigenständiger Aktivposten zu führen. Er sollte bis zum 31. März 1936 festgelegt und danach frei verfügbar sein. Als die Reichsbank und die übrigen zuständigen Reichsbehörden im Sommer 1934 feststellten, dass der Rentenmarkt die für die beabsichtigte Konversion notwendige Kurssteigerung nicht erreichen würde und im Jahr 1935 eine starke Inanspruchnahme des Rentenmarktes absehbar war, nahm man dies zum Anlass, die Beschneidung der Dividendenausschüttung für Unternehmen mit einem Grundkapital über 100.000 RM durch das „Gesetz über die Gewinnverteilung bei Kapitalgesellschaften (Anleihestockgesetz)“ vom 4. Dezember 1934 noch rigider zu handhaben.114 Als Höchstgrenze für die bare Gewinnausschüttung an die Aktionäre wurde mit dem Gesetz die Marke von 6- bzw. 8 Prozent fixiert. Eine 110 Boelcke, Kosten, S. 126 ff.; Spoerer, Scheingewinnen, S. 83 f.; 86 f. 111 RGBl. 1934, Teil I, S. 295 f. 112 Es waren also nur Unternehmen betroffen, die ihre Dividenden erhöhen wollten; gegenüber dem Vorjahr gleichbleibende Dividenden blieben von dem Gesetz unberührt, auch wenn sie über sechs Prozent betrugen. 113 Das Gesetz unterschied zwischen Unternehmen, die a) im vorangegangenen Jahr sechs Prozent oder mehr Dividende bzw. b) weniger als sechs Prozent ausgeschüttet hatten. Unternehmen der ersten Gruppe mussten einen Betrag in einen Anleihestock anlegen, der gleich der Mehrausschüttung gegenüber dem Vorjahr war. Gruppe b) musste den Betrag im Anleihestock anlegen, der den Mitteln entsprach, die für die Ausschüttung einer Dividende oberhalb des Niveaus von sechs Prozent notwendig war. Hatte also ein Unternehmen im Vorjahr sieben Prozent Dividende ausgeschüttet und wollte nun die bare Gewinnausschüttung für die Aktionäre auf zehn Prozent steigern, so musste es zusätzlich drei Prozent im Anleihestock anlegen. Die Gewinnausschüttung machte damit insgesamt 13 Prozent aus. Ein Unternehmen, das im Vorjahr drei Prozent Dividende gezahlt hatte und seinen Aktionären nun zehn Prozent Dividende zukommen lassen wollte, musste zusätzlich vier Prozent in den Anleihestock stecken. Die Gewinnausschüttung hätte also insgesamt 14 Prozent betragen. 114 Das Anleihestockgesetz verpflichtete Unternehmen, die zwischen sechs und acht Prozent Dividende ausschütteten, denjenigen Betrag, der für die Ausschüttung über sechs Prozent aufgewendet werden musste, an den Anleihestock abzuführen. Unternehmen, die über acht Prozent Dividende zahlten, mussten entweder den Betrag, der über acht Prozent lag (wenn im Vorjahr bereits mehr als acht Prozent Dividende bezahlt worden waren), oder den Betrag, der über sechs Prozent lag (wenn im Vorjahr weniger als acht Prozent Dividende bezahlt worden war), an den Anleihestock abführen. Vgl. Falkenhausen, Ergänzungen, S. 365; Beer, Funktionswandel, S. 294.
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weitere Neuerung war, dass der Anleihestock nun von den Unternehmen an die Golddiskontbank – eine Tochter der Reichsbank – überwiesen werden musste, die vier Jahre lang treuhänderisch die Verwaltung der Gelder für die Aktionäre übernehmen sollte. Der Anleihestock wurde Ende 1937 aufgelöst, nachdem sich nur 109,8 Mio. RM angesammelt hatten; doch wurden die Beträge den Aktionären nicht bar ausbezahlt, sondern in Form von unverzinslichen Steuergutscheinen zugeteilt, die ab 1941 eingelöst werden konnten. Sie waren allerdings fungibel und börsenfähig; die Verkäufer mussten jedoch aufgrund der langen Frist bis zur Einlösung ein Disagio von bis zu 17,5 Prozent hinnehmen. Das Anleihestockänderungsgesetz aus dem Jahre 1937 brachte im Großen und Ganzen eine Verlängerung des Anleihestockgesetzes mit den gleichen Bestimmungen, allerdings wurde Mitte 1941 festgesetzt, dass der Anleihestock von 1937 erst nach Kriegsende ausgezahlt werden sollte. Im Jahr 1941 hatte der Anleihestock wie sein Vorgänger von 1934 nur ein bescheidenes Volumen: 107,7 Mio. RM.115 Dennoch wurden mit der Regelung drei Ziele erreicht: die Gewinnbeschneidung für Aktionäre, die zum Zwangssparen verpflichtet wurden, die Erhöhung der Selbstfinanzierung im Unternehmenssektor durch die Bildung von stillen bzw. offenen Reserven und die zusätzliche Kreditmöglichkeit für den Staat durch die Anlage des Anleihestocks in öffentlichen Anleihen.116 Den Abschluss der Gesetzgebung zur Begrenzung der Dividendenausschüttungen brachte die „Verordnung zur Begrenzung von Gewinnausschüttungen (Dividendenabgabeverordnung)“ vom 12. Juni 1941.117 Sie folgte dem Charakter nach zwar dem Anleihestockgesetz, wich aber in der Zielsetzung ab. Es hatte sich gezeigt, dass manche Unternehmen trotz der Einrichtung des Anleihestocks dazu übergegangen waren, ihre Dividenden zu erhöhen. Es kamen Dividendenausschüttungen von über zehn Prozent vor. Grund war die gute Gewinnsituation der Unternehmen, die zu einem deutlichen Anstieg der offenen und stillen Reserven führte, deren Umwandlung in Grundkapital durch die Ausgabe von Gratisaktien aber aus steuerlichen Gründen nicht vorgenommen wurde. Eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage der Dividenden, also des Grundkapitals, war nicht möglich, da die Emissionskontrolle kaum Aktienemissionen zuließ. Also gingen die Unternehmen dazu über, ihre Gewinne trotz aller Hemmnisse auszuschütten.118 Dies war der Reichsregierung im dritten Kriegsjahr ein Dorn im Auge, hatte Hitler doch öffentlich die Kriegsgewinne der englischen Industrie angeprangert und für deutsche Unternehmen einen Gewinnsatz von sechs Prozent als ausreichend bezeichnet. Zudem stand die Dividendenabgabeverordnung in Verbindung mit dem bereits verwirklichten Lohn-, Preis- und Gewinnstopp: Auch die
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Spoerer, Scheingewinnen, S. 85 f. Voß, Steuern, S. 115. Oertel, Kriegsfinanzierung, S. 697 ff. Ausführlich dazu Spoerer, Scheingewinnen, S. 87 f.
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Einnahmen aus Aktienbesitz sollten eingefroren werden.119 Die Dividendenabgabeverordnung beschränkte weiterhin die Ausgabe von Unternehmensgewinnen, zugleich erleichterte sie aber die Möglichkeit zur Erhöhung des Grundkapitals: Kapitalgesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als 300.000 RM, die bis 1941 weniger als sechs Prozent Dividende ausgeschüttet hatten, wurde die Alternative eröffnet, entweder die Ausschüttung auf sechs Prozent zu erhöhen oder sie auf dem niedrigeren Niveau zu belassen, dafür aber das Grundkapital durch eine nur gering besteuerte Umwandlung von offenen und stillen Reserven in Aktien so zu vergrößern, dass es zu diesem niedrigen Satz passte.120 Unternehmen, die in den vergangenen Jahren mehr als sechs Prozent Dividende ausgeschüttet hatten, wurde eine Ausschüttungshöchstgrenze von acht Prozent des alten Grundkapitals gesetzt. Auch sie konnten ihr Grundkapital entsprechend aufstocken. Eine höhere Dividende als sechs bzw. acht Prozent war nun nicht mehr erlaubt. Der gesamte Dividendenbetrag, der den Höchstsatz überschritt, wurde gesammelt, als Treuhandvermögen für die Dauer des Kriegs verwaltet und in Reichsschatzanweisungen angelegt. Zudem waren die Unternehmen, nicht aber die Anteilseigner verpflichtet, für die Beträge, die sechs Prozent überstiegen, eine Abgabe zu zahlen, die desto höher ausfiel, je höher die Dividende war: „Der Grundgedanke geht dahin, eine 6-prozentige Dividende als Normaldividende zu plakatieren und darüber hinausgehende Dividenden durch eine progressive Dividendenabgabe, die bei über 8%-Dividenden praktisch prohibitiv wirkt, zu verhindern.“121 Unternehmen, die hohe Dividenden ausschütteten, wurde erstmals Vermögen dauerhaft entzogen, während das Anleihestockgesetz lediglich zum Zwangssparen verpflichtet hatte. Den Abschluss der staatlichen Einwirkung auf den Wertpapiermarkt bildete die Festsetzung von Stoppkursen am Aktien- und am Rentenmarkt, mit der die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage vollkommen außer Kraft gesetzt wurde. Nachdem die Erhöhung bzw. Einführung diverser Steuern im September 1941 nicht ausgereicht hatte, um den Kursanstieg an den Börsen einzudämmen,122 intensivierte das Reichswirtschaftsministerium seine Bemühungen zur Bekämpfung der Aktienspekulation. Zunächst gab es „Empfehlungen“ über Höchstkurse 119 Simon, Betrachtungen, S. 381. 120 Spoerer, Scheingewinnen, gibt folgendes Beispiel: Wenn eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von fünf Mio. RM zuvor vier Prozent Dividende ausgegeben hatte, so konnte sie entweder die Dividende auf sechs Prozent erhöhen (also insgesamt 300.000 RM ausschütten) oder die Dividende von vier Prozent beibehalten, aber das Grundkapital auf 7,5 Mio. RM erhöhen (Ausschüttung insgesamt ebenfalls 300.000 RM). Die Erhöhung des Grundkapitals durfte nicht dazu führen, dass die zukünftige Dividendenausschüttung über die Schwelle der 6%-Dividende, gemessen am alten Grundkapital (im Beispiel 300.000 RM), hinausging. Dies war der eigentliche „Dividendenstopp“. Vgl. auch Simon, Betrachtungen, S. 382. 121 Ebd., S. 381. 122 Die Aktienkurse stiegen zwischen September 1939 und Dezember 1942 um durchschnittlich 56,4 Prozent. Vgl. Hof, Kurswechsel, S. 318 ff.
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an die Börsenmakler aus, die noch keine Zwangskurse darstellten und mit Zustimmung der jeweiligen Maklerkammer überschritten werden durften. Mit der „Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet des Börsenwesens während des Kriegs“ vom 30. März 1943 wurde dem Reichswirtschaftsminister schließlich die Möglichkeit eingeräumt, fortan ohne Begründung Höchstkurse für Wertpapiere festzulegen. Er machte von dieser Befugnis sowohl am Aktien- als auch am Rentenmarkt umgehend Gebrauch. Als Richtwert dienten die Kurse an der Berliner Börse vom 25. Januar 1943, die bei Aktien und bestimmten festverzinslichen Wertpapieren (Pfandbriefe, Kommunalobligationen) fortan nur noch um ein Prozent überschritten werden durften. Seit September 1943 galten die Stoppkurse auch für Wertpapiergeschäfte außerhalb der Börse. Ausgenommen blieben lediglich Reichsanleihen und bis 1944 Industrieobligationen.123
123 Die Kurse der Reichsanleihen wurden von der Berliner Börse ermittelt und waren mit einer Abweichung von höchstens 0,5 Prozent verbindlich. Als Mittel gegen massive Kurssteigerungen bei Industrieobligationen wurde die Möglichkeit der Auslosung und Tilgung als ausreichend angesehen. Dies war bei den Papieren der Daueremittenten (Pfandbriefe, Kommunalobligationen) nicht möglich. Vgl. Hof, Kurswechsel, S. 417 ff.
II. DER WERTPAPIERMARKT WÄHREND DER BESATZUNGSHERRSCHAFT (1945-1948) II. 1. ALLIIERTE PLANUNGEN FÜR DAS BESIEGTE DEUTSCHLAND Nachdem US-Amerikaner und Briten Anfang 1943 in Casablanca vereinbart hatten, dass einzig eine bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland die Kriegshandlungen beenden sollte, war klar, dass die alliierten Mächte nach der militärischen Einnahme des deutschen Territoriums für einen unbestimmten Zeitraum die oberste Regierungsgewalt in dem besetzten Gebiet übernehmen mussten. Mit fortschreitendem Kriegsverlauf wurde immer offensichtlicher, dass man sich angesichts des hohen Zerstörungsgrades nicht, wie zunächst geplant, auf eine Kontrolle der obersten Staatsorgane würde beschränken können, sondern dass umfassende Verwaltungs- und Aufsichtsfunktionen wahrgenommen werden mussten. Die Tatsache, dass es sich um ein hochindustrialisiertes Land mit entsprechend komplexen Wirtschaftsstrukturen und hohem gesellschaftlichen Organisationsgrad handelte, machten die Vorbereitungsmaßnahmen für eine solche Aufgabe, wie sie in diesem Ausmaß noch nie unternommen worden war, sehr schwierig. Wesentlich verkompliziert wurde die Situation dadurch, dass es unter den drei alliierten Mächten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber gab, wie mit dem deutschen Staat nach Kriegsende wirtschafts- und sicherheitspolitisch verfahren werden sollte. Denn die politische und wirtschaftliche Ausgangslage der einzelnen Alliierten war gegen Kriegsende so unterschiedlich, ja gegensätzlich, dass eine gütliche Einigung über die zukünftige politische und wirtschaftliche Gestaltung Deutschlands von allen Beteiligten eine große Kompromissbereitschaft erfordert hätte.1 Selbst bei den einzelnen Siegermächten herrschten in der Heimat keine einheitlichen Vorstellungen über die zukünftige Deutschlandpolitik; es gab erheblich voneinander abweichende Meinungsströmungen, deren Zusammenfassung zu einer einheitlichen Außenpolitik große Probleme bereitete. Insofern ist es schwierig, einen Überblick über die Deutschlandpolitik der Alliierten zu erlangen, da sie „eine Fülle von inhaltlichen Einzelaspekten beinhaltet und zudem nicht nur die drei Alliierten unterschiedliche Konzepte entwickelten, sondern diese Konzepte jeweils in sich nicht einheitlich waren und unterschiedliche politische Repräsentanten, Interessengruppen und Entscheidungsträger reflektieren.“2 Nachdem auf der Moskauer Außenministerkonferenz im Oktober 1943 beschlossen worden war, dass die Regierungsgewalt in Deutschland nach der 1 2
Watt, Großbritannien, S. 15 f.; Kettenacker, Großbritannien, S. 36. Kleßmann, Staatsgründung, S. 19.
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Kapitulation auf eine interalliierte Kontrollkommission übergehen sollte, wurde Anfang 1944 in London mit der „European Advisory Commission“ (EAC) ein ständiger Ausschuss von Vertretern der drei Alliierten, ab November 1944 unter Einbeziehung Frankreichs, zur Ausarbeitung detaillierter politischer Leitlinien eingesetzt.3 Aufgrund der divergierenden Interessen der dort vertretenen Mächte und der dilatorischen Behandlung vieler Themen besonders durch die USA und die Sowjetunion erzielte dieses Gremium nur wenige konkrete Ergebnisse. Die langatmigen Beratungen wurden immer wieder von den Entwicklungen auf den Kriegsschauplätzen eingeholt und konkrete Vereinbarungen wollten die Regierungen der für die Besatzungszeit vorgesehenen interalliierten Kontrollkommission überlassen.4 Unterhalb der interalliierten Verhandlungsebene kam es zwischen Amerikanern und Briten, die ihre Streitkräfte auf dem europäischen Kriegsschauplatz unter einem gemeinsamen Oberkommando (SHAEF) zusammengefasst hatten, zu Versuchen, angesichts des zähen Verhandlungsverlaufs im EAC die Besatzungsziele wenigstens bilateral in Übereinstimmung zu bringen. Seit Juli 1943 diente das Combined Civil Affairs Committee (CCAC) als gemeinsames Beratungsgremium, in dem auch die Grundsätze für die „Deutschlandpolitik“ koordiniert wurden. Als sichtbares Ergebnis kam im April 1944 die „Directive for Military Government in Germany Prior to Defeat or Surrender“ zustande, die von den Combined Chiefs of Staff als Direktive CCS 551 angenommen und in Kraft gesetzt wurde. Sie sollte den Offizieren vor Ort für die Zeit zwischen der Besetzung deutschen Bodens und der endgültigen Kapitulation als Leitlinie vorgegeben werden und besaß bis Juli 1945 Gültigkeit.5 Es ist bezeichnend, dass schon in diesem frühen Planungsstadium die Ansichten der beiden westlichen Alliierten so weit auseinander gingen, dass als Minimalkonsens nur Kompromissformeln für die kurze Zeit „prior to surrender“ gefunden werden konnten: Für diese Phase standen Maßnahmen im Vordergrund, die vor allem die Ordnung des besetzten Territoriums unter militärischen Gesichtspunkten gewährleisten mussten, während eine langfristige politische Orientierung nicht angesprochen wurde. Was die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands betrifft, enthielt die Direktive einige grundsätzliche Leitlinien, die im Großen und Ganzen als konstruktiv bezeichnet werden können, da sie der Erholung der deutschen Wirtschaft keine Hindernisse in den Weg legten. Hinsichtlich des deutschen Finanzwesens beschränkte sich die Direktive vornehmlich auf die Sicherstellung der Geldversorgung im Besatzungsgebiet. Das Steuersystem sollte aufrechterhalten bleiben, lediglich diskriminierende NS-Gesetze sollten beseitigt werden. Verwaltung und Wirtschaft sollten für eine möglichst rasche Normalisierung der Lebens-
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Benz, Potsdam, S. 32 f., 35 ff. Horstmann, Alliierten, S. 21. Henke, Besetzung, S. 96.
II. Wertpapiermarkt während der Besatzungsherrschaft
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verhältnisse sorgen und von den Militärs nach dem Prinzip der „indirect rule“ überwacht werden.6 Als zusätzliches Beratungsgremium wurde beim gemeinsamen Oberkommando der britischen und amerikanischen Streitkräfte in Europa Anfang 1944 eine Division „G-5“ als Generalstabsstelle eingerichtet, welche mit der Vorbereitung der künftigen Zivilverwaltung der Militärregierung in Europa beauftragt wurde. Innerhalb dieser Division wurden so genannte „Country Units“ geschaffen, die speziell für den Bereich eines Staates zuständig waren. Die „German Country Unit“ erarbeitete erste detaillierte Vorlagen für die Tätigkeit der amerikanischen Militärregierung auf deutschem Boden. So machte sie sich beispielsweise mit den Aufsichtsverhältnissen der deutschen Börsenorganisation vertraut und empfahl die Entlassung der Börsenkommissare und der Börsenausschüsse.7 Doch schon bald nach Ausarbeitung der Direktive CCS 551 wurden die gemeinsamen Konsultationen im CCAC und in den Country Units aufgegeben, da man einerseits weitreichenden Meinungsverschiedenheiten, wie sie sich bei der Zusammenarbeit im CCAC angedeutet hatten, aus dem Wege gehen und andererseits nicht durch eine zu enge anglo-amerikanische Planungsarbeit das Misstrauen der Sowjetunion erregen wollte. Die „German Country Unit“ wurde aufgelöst und sowohl auf Seiten der Amerikaner als auch auf Seiten der Briten mit der „U.S. Group Control Council (USGCC)“ bzw. der „Control Commission for Germany/ British Element (CCGBE)“ eigenständige Planungsstäbe ins Leben gerufen.8 Wie aus den knappen Ausführungen deutlich wird, kamen die interalliierten Bemühungen um eine Festlegung auf gemeinsame besatzungspolitische Ziele kaum über die Vereinbarungen auf höchster Ebene bei den Treffen der Regierungschefs und der Außenminister hinaus. Es blieb im Großen und Ganzen bei grundlegenden, meist technisch-organisatorischen Kompromissen, die politische Inhalte soweit wie möglich aussparten. II. 1. 1. US-amerikanische Planungen Vor allem in den USA offenbarte sich, wie innenpolitisch umstritten die Ausrichtung der Deutschlandpolitik war. Übereinstimmung herrschte in den verschiedenen gesellschaftlichen Lagern darüber, dass eine erneute deutsche Aggression unter allen Umständen verhindert werden musste. Allgemein akzeptiert war auch, dass das politische Erbe der NS-Diktatur durch eine Neuordnung der politischen Strukturen, durch Umerziehung und eine Neuausrichtung der Wissenschaft, durch Entnazifizierungs- und Abrüstungsmaßnahmen beseitigt werden sollte. Erhebliche Meinungsverschiedenheiten herrschten jedoch darüber, auf welche Art und Weise 6 7 8
Brackmann, Krieg, S. 200 f.; Scherpenberg, Finanzwirtschaft, S. 91 ff., 94; Henke, Besetzung, S. 93, 100 f. Memo (Bogdan, Financial Institutions Unit, German Country Unit, G-5 Operations Branch, Supreme Headquarters) vom 28.5.1944 – BA Ko, Z 45 F, 2/109/8. Kettenacker, Großbritannien, S. 30 f.; 45; Horstmann, Alliierten, S. 22 f.
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wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Vorbeugung einer erneuten deutschen Aggression beitragen konnten. In diesem Punkt kam es gerade in den letzten Kriegsmonaten zu heftigen Debatten. Bis in die Sommermonate des Jahres 1944 hinein hatte das US-Außenministerium die Vorstellungen über die langfristigen Zielsetzungen der Deutschlandpolitik bestimmt. Beeinflusst von den bitteren Erfahrungen in Europa nach dem Ersten Weltkrieg, die von den amerikanischen Diplomaten auf die unzulänglichen Nachkriegsregelungen zurückgeführt wurden, sahen die Pläne des Außenministeriums eine relativ milde und konstruktive Behandlung Deutschlands vor. Grob skizziert enthielten sie folgende Eckpunkte: Deutschland sollte wieder eine Stellung vergleichbar derjenigen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zugestanden werden; es sollte in eine multilaterale Weltwirtschaft integriert und der deutschen Wirtschaft Reparationsleistungen nur in einem Maße abverlangt werden, das einen wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht verhinderte und der deutschen Bevölkerung einen bescheidenen Lebensstandard ermöglichte. Diese insgesamt konstruktive Haltung hatte ihren Ursprung auch in genuin amerikanischen Interessen. Denn eine hohe deutsche Industrieproduktion konnte die USA entlasten, indem sie sowohl wichtige Produkte für den Wiederaufbauprozess in ganz Europa als auch Güter für die amerikanische Kriegsführung in Ostasien lieferte. Insgesamt war die Deutschlandkonzeption des Außenministeriums also in eine globale US-Strategie eingefügt.9 Eine Wende erfuhren die Planungsarbeiten, als der amerikanische Finanzminister Morgenthau während seiner Europareise im August 1944 den Eindruck gewann, dass die US-Regierung „zumindest in Ansätzen [...] eine politisch-ökonomische Gesamtverantwortung der Militärregierung für die Reorganisation des zivilen Lebens in den besetzten Gebieten“ anstrebte. Genau dies lehnte Morgenthau – ebenso wie eine milde Behandlung Deutschlands – brüsk ab. Er forderte, dass den Deutschen in spürbarer Weise ihre Verantwortung für die zurückliegenden Vergehen und Verbrechen verdeutlicht werden sollte, und stellte darüber hinaus sicherheitspolitische Erwägungen in den Vordergrund seiner Überlegungen.10 Die harsche Ablehnung der Konzepte des Außenministeriums legt offen, dass die Nachkriegsplanungen innerhalb der US-Administration bis zu diesem Zeitpunkt kaum koordiniert worden waren.11 Präsident Roosevelt zeigte sich für die Überlegungen Morgenthaus, d.h. für eine Revision der bisherigen 9 Mausbach, Morgenthau, S. 11 ff., 33, 39 f. 10 Mausbach fasst die grundlegenden Forderungen zur künftigen wirtschaftspolitischen Behandlung Deutschlands, wie sie sich aus verschiedenen Äußerungen Morgenthaus schließen lassen, folgendermaßen zusammen: Die gesamte Rüstungsindustrie sollte demontiert werden und die übrigen Produktionsanlagen strengen Kontrollen unterliegen; das Ruhrgebiet sollte deindustrialisiert werden, indem die Produktionsanlagen abgebaut, in die Nachbarländer transportiert und dort wiederaufgebaut wurden; dadurch sollten Reparationswünsche erfüllt, der Schwerpunkt der industriellen Fertigung von Deutschland auf die Nachbarländer übertragen und zugleich das deutsche Kriegspotenzial entscheidend dezimiert werden. Vgl. Mausbach, Morgenthau, S. 61 ff., 78; Henke, Besetzung, S. 106 f. 11 Brackmann, Krieg, S. 207 f.
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amerikanischen Besatzungsplanungen, offen. Es war der Ausgangspunkt einer monatelangen Auseinandersetzung innerhalb der US-Administration um die grundlegende Haltung in der Deutschlandpolitik, die unter dem Schlagwort „Morgenthau-Kontroverse“ bekannt geworden ist. Für kurze Zeit sah es so aus, als könne sich der Finanzminister auf ganzer Linie mit seinen Vorstellungen durchsetzen. Doch schon bald zeigten die Briten ihre deutliche Ablehnung der Morgenthau-Pläne und auch Roosevelt zögerte eine endgültige Festlegung in dieser Frage wiederholt hinaus. Das Außenministerium wiederum nahm jede Gelegenheit wahr, ihre eigenen Planungen gegen die Konzeption des Finanzministeriums doch noch zu behaupten, während das Verteidigungsministerium eine ambivalente Haltung einnahm.12 Da die Kontroverse just zu jenem Zeitpunkt stattfand, als der Einmarsch der alliierten Truppen in deutsches Gebiet unmittelbar bevorstand, beeinträchtigte jede weitere Verzögerung die Besatzungsvorbereitungen empfindlich. Bis zur Potsdamer Konferenz lag kein vom Präsidenten gebilligtes politisches Programm der USA vor.13 Lediglich einige Grundsätze waren im April 1945 nach langen Auseinandersetzungen in der Direktive JCS 1067 festgelegt worden, die einen Kompromiss im Meinungsstreit der US-Administrationen erkennen lassen:14 Dem Obersten Militärbefehlshaber räumte die Direktive große Handlungsfreiheit ein. Er konnte weitreichende Maßnahmen ergreifen, die er für militärische Zwecke bzw. zur Durchsetzung der Regierungsgewalt für erforderlich hielt. Vor allem aber wurde die Militärregierung dazu angehalten, keine Schritte zu unternehmen, die explizit eine Erholung oder auch nur die Erhaltung der deutschen Wirtschaft zum Ziel hatten.15 Eingriffe in das deutsche Wirtschaftsleben sollten von Seiten der amerikanischen Militärregierung ausschließlich zu dem Zweck vorgenommen werden, die politischen Zielsetzungen (Ausschaltung des Nazismus und Militarismus, industrielle Abrüstung, Entmilitarisierung und Kontrolle des deutschen Kriegspotentials) durchzusetzen, den Schutz und den Güterbedarf der amerikanischen Armee zu sichern und Hungersnöte, Krankheiten und Unruhen in der deutschen Bevölkerung zu verhindern, da diese eine Gefährdung der alliierten Streitkräfte bedeuten würden. Eine weitere Anweisung lautete, dass eine ausufernde Inflation verhindert werden sollte, sobald sie die Besatzungsziele zu gefährden drohte.16 Die Direktive war in erster Linie auf die Bedürfnisse der Besatzungsarmee zugeschnitten. Der sicherheitspolitische Aspekt, d.h. der Schutz vor einem 12 Mausbach, Morgenthau, S. 46 f.; Henke, Besetzung, S. 104 f. 13 Henke, Besetzung, S. 97. 14 Obwohl der Entwurf von den amerikanischen Joint Chiefs of Staff akzeptiert wurde, waren mehrere Revisionen notwendig, ehe eine allgemeine Zustimmung erzielt werden konnte. Im Vergleich zum ursprünglichen Inhalt sah die letztgültige Fassung besonders in Bezug auf die wirtschaftspolitische Behandlung der besetzten Gebiete ein deutlich restriktiveres Vorgehen vor. Direktive JCS 1067 ist abgedruckt in: Dokumente und Berichte, S. 58–73; vgl. Henke, Besetzung, S. 112 f. 15 Dokumente und Berichte, S. 59, 65. 16 Ebd., S. 60 f., 69.
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Wiederaufleben des deutschen militärischen Widerstands und vor Unruhen und Chaos in der Bevölkerung, stand klar im Vordergrund der Bestimmungen. Für die deutsche Bevölkerung bot die Direktive dagegen wenig hoffnungsvolle Aussichten. Lediglich die Vorsorge vor Hungertod und Seuchen sahen die Bestimmungen von JCS 1067 als unbedingt notwendig vor. Wie sich aber später zeigen sollte, konnte die amerikanische Militärregierung mit dieser Passage („deseaseand-unrest“-Formel) in der Zusammenbruchgesellschaft weitreichende konstruktive Wiederaufbaumaßnahmen begründen. Die Vorschriften sahen vor, dass Deutschland sowohl politisch als auch wirtschaftlich dezentralisiert werden sollte, was eine Zerschlagung der überkommenen Wirtschafts- und Finanzstrukturen mit weitreichenden Auswirkungen zur Folge haben musste. Dagegen akzeptierte die Direktive Ausnahmen von der beabsichtigten Dezentralisierung, wenn dies von dem zukünftigen Kontrollrat für die Bereiche der öffentlichen Dienste, der Produktion bzw. Verteilung lebensnotwendiger Güter sowie des Finanzwesens vereinbart werden sollte. Bezüglich des Finanzwesens beschäftigte sich JCS 1067 in erster Linie mit der Geldversorgung der alliierten Streitkräfte, mit der Sicherstellung von Vermögenswerten von NS-Organisationen sowie mit der Kontrolle von Devisentransaktionen. Was die Zukunft des deutschen Finanzsystems betraf, stellte die Direktive dem Militärmachthaber eine Reihe von Maßnahmen frei, die er nach eigenen Erwägungen durchführen konnte. So durfte er den Handel mit Wertpapieren und anderen Vermögenswerten verbieten und die Banken so lange schließen, bis eine ausreichende Kontrolle etabliert und politisch verdächtiges Personal entlassen worden waren. Auch andere Finanzinstitutionen, zum Beispiel Börsen, durfte er so lange schließen, wie er es für nötig hielt. Im Notfall konnten auch Schuldenmoratorien erlassen werden. So bald wie möglich sollte der staatliche Schuldendienst wieder aufgenommen werden.17 Auch wenn sie bereits nach der Potsdamer Konferenz in einigen Teilen modifiziert wurde, besaß die Direktive JCS 1067 offiziell bis Juli 1947 Gültigkeit, allerdings nur für die amerikanische Militärregierung. Die Briten hatten bei den Combined Chiefs of Staff den Entwurf der Direktive und ihre ganze Ausrichtung bereits im Oktober 1944 als Nachfolgedirektive von CCS 551 abgelehnt, da sie mit ihrer Deutschlandpolitik in wesentlichen Fragen eine andere Zielrichtung verfolgten.18 Was die amerikanische Planungsarbeit durch den USGCC betrifft, der den Kern einer zukünftigen US-Militärregierung bilden sollte, so veranstaltete er – von den übrigen Militärstellen weitgehend isoliert – Planspiele, die sich nach Kriegsende als weitgehend unbrauchbar erwiesen.19. Für die Zuständigkeit im gesamten Bereich des Finanzwesens war bei USGCC eine Finance Division eingerichtet worden, aus der später personell weitgehend identisch die Finance 17 Ebd., S. 70 ff. 18 Gimbel, Besatzungspolitik, S. 17. 19 Statement of Mission of Financial Institutions Branch for the Basic Plan, 3.4.1945, von Capt. Bogdan, Chief Financial Institutions Branch – BA Ko, Z 45 F, 2/145/3; vgl. auch Brackmann, Krieg, S. 210 f.; Henke, Besetzung, S. 979 f.
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Division der amerikanischen Militärregierung OMGUS hervorging.20 Von Bedeutung ist, dass es dem amerikanischen Finanzministerium gelungen war, die Finance Division zum großen Teil mit seinen Beschäftigten zu besetzen, weshalb der Einfluss Morgenthaus in der Frühphase der Besatzung als besonders hoch einzuschätzen ist.21 II. 1. 2. Britische Planungen In Großbritannien gab es keine so tiefgreifenden Auseinandersetzungen über die anzustrebende Deutschlandpolitik wie in den USA. Die Briten setzten sich seit Anfang 1943 – trotz der Vorbehalte Winston Churchills gegenüber detaillierten Festlegungen – ausführlich mit Nachkriegsplanungen auseinander und waren nach Kriegsende auf ihre Aufgaben im besetzten Deutschland vorbereitet. Sie hatten in Whitehall mehr als ein Dutzend interministerieller Ausschüsse etabliert, die vielfältige Einzeldirektiven für die zukünftige Deutschlandpolitik und verschiedenste politische und wirtschaftliche Bereiche entwarfen. Die Ausarbeitung wirtschaftsund finanzpolitischer Konzeptionen lagen ab 1944 in der Verantwortung der Economic Advisory Branch, die vom Foreign Office und dem Ministry of Economic Warfare eingerichtet worden war, sowie bei dem gemeinsamen Arbeitsstab des Foreign Office und des War Office (Economic and Industrial Planning Staff). Für die Planungen im Kredit- und Finanzwesen konnten die Militärs ausgewiesene Experten gewinnen, die von der Bank of England und aus der City rekrutiert worden waren und über das deutsche Finanzsystem gut unterrichtet waren.22 Sowohl die Ausgangsposition der Briten als auch ihre Besatzungsziele unterschieden sich deutlich von denen der US-Amerikaner. Die USA gingen außenpolitisch gestärkt aus den Kriegshandlungen hervor und verfolgten vorrangig das Ziel, Deutschland als potenziellen Störfaktor einer von den USA dominierten wirtschaftlichen und politischen Weltordnung auszuschalten. Großbritannien dagegen lag am Kriegsende wirtschaftlich am Boden, war hoch verschuldet und dennoch darum bemüht, seinen Status als globale Führungsmacht zu behaupten. Ausgangspunkt der britischen Politik war die Stabilisierung und Demokratisierung Deutschlands, um einen weiteren Krieg gegen Großbritannien bzw. Europa künftig unmöglich zu machen. Ein Kollaps der deutschen Wirtschaft, etwa durch umfassende Reparationsverpflichtungen, sollte verhindert werden, um eine erneute Radikalisierung der Bevölkerung zu vermeiden.23 Es lag im Interesse der Briten, dass ihnen aus der Besetzung keine zusätzlichen Kosten entstanden. Eine 20 Henke/ Oldenhage, Office, S. 23. 21 So war bis Oktober 1945 Colonel Bernard Bernstein Leiter der Finance Division, ein enger Vertrauer Morgenthaus und eifriger Verfechter von dessen Thesen. Vgl. Horstmann, Alliierten, S. 28 ff.; Mausbach, Morgenthau. 22 Horstmann, Alliierten, S. 33 f.; Brackmann, Krieg, S. 202 f. 23 Turner, Occupation, S. 5 f.
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ökonomische Schwächung Deutschlands über Jahrzehnte hinweg hatten die Briten zwar zunächst befürwortet, davon aber angesichts der Abspaltung der Gebiete jenseits der Oder-Neisse-Grenze und der zu erwartenden russischen Reparationsforderungen abgesehen. Sie trachteten seit Frühjahr 1945 danach, die deutsche Wirtschaftskraft (insbes. Kohle, Eisen, Stahl) zu nutzen, um die westeuropäischen Staaten zu stabilisieren. Darüber hinaus plante Großbritannien, Deutschland wieder in die politischen und wirtschaftlichen Strukturen Europas einzubinden, um ein Glacis gegen die weit gefährlicher eingeschätzte Sowjetunion bilden zu können.24 Zu diesem Zweck waren die Briten – anders als die US-Amerikaner – bereit, die Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zu übernehmen und die Kontrolle über die deutsche Wirtschaft auszuüben. Eine Dezentralisierung oder gar Zerstörung der überkommenen Wirtschaftsstrukturen sahen die Briten dabei als kontraproduktiv an; vielmehr wollten sie Organisationsstrukturen und Personal weitgehend beibehalten, wie es der britischen Kolonialtradition der indirekten Machtausübung auf der Grundlage bestehender Strukturen entsprach. Dies galt im Grundsatz auch für das institutionelle Gefüge der deutschen Finanzwirtschaft und des Bank- und Börsenwesens, in das die Briten nur in unbedingt notwendigem Maße, etwa zur Entnazifizierung, eingreifen wollten. Oberste Devise war „that it is the Germans themselves who will be running the administrative machine, of course under our control.“25 Im Finanzwesen sahen es die Briten als wichtigste Aufgabe an, das Ausbrechen einer offenen Inflation zu verhindern und damit öffentlichen Unruhen vorzubeugen. Banken und Sparkassen sollten, wenn überhaupt, nur kurz für wenige „Bankfeiertage“ geschlossen werden, um eine Übersicht über die Geschäfte und die Liquiditätslage zu erlangen. Die Abhebung von Bankguthaben sollte in Grenzen möglich sein, Kredite nur für wesentliche Besatzungszwecke erlaubt werden. Die Behandlung der Börsen blieb weitgehend unreglementiert. Steuern und Abgaben sollten unverändert von deutschen Behörden erhoben, die öffentlichen Schulden weiter bedient und öffentliche Ausgaben in vollem Umfang getätigt werden, soweit sie den Waffenstillstandsbedingungen nicht widersprachen. Defizite der öffentlichen Haushalte sollten über den Geld- und Kapitalmarkt finanziert werden, wobei der Banken- und Börsenapparat einzuschalten war. Die Finanzierung von börsenfähigen Großunternehmen stellte aus Sicht der britischen Planer kein Problem dar, da sie aufgrund der Kriegskonjunktur über große Liquiditätsbestände verfügten.26
24 Foschepoth, Deutschlandpolitik, S. 694 f.; 699 ff.; Milward, Großbritannien; S. 25 ff.; Watt, Großbritannien, S. 19 ff.; Schneider, Sieg, S. 49; Pingel, Aufschwung, S. 43 f.; Scherpenberg, Finanzwirtschaft, S. 92 f., 102; Turner, Occupation, S. 8. 25 Kettenacker, Großbritannien, S. 33 ff.; Brackmann, Krieg, S. 204 f (Zitat). 26 Zu den Vorschriften vgl. „Handbook for Military Government in Germany, prior to defeat or surrender“, Direktive 33: Finance and Property in Germany (excluding Austria), abgedruckt in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, S. 933-938; vgl. auch Scherpenberg, Finanzwirtschaft, S. 96 f., 100.
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II. 2. INGANGSETZUNG DES WERTPAPIERHANDELS II. 2. 1. Zuständigkeiten in der deutschen Verwaltung In der amerikanischen Zone wurden aufgrund der föderalistischen Orientierung der Besatzungsmacht bereits seit September 1945 öffentliche Gebietskörperschaften auf Landesebene eingerichtet, deren Regierungen ein gutes Jahr später durch Wahlen demokratisch legitimiert wurden. Ihr gemeinsames Organ war der Länderrat, der die Ministerpräsidenten bzw. den Senatspräsident der Stadt Bremen umfasste und – unter amerikanischer Kontrolle – die Einheitlichkeit der Ländergesetzgebung gewährleisten sollte.27 Im Unterausschuss Bankwesen des Länderrats waren die Leiter der Bankaufsichtsbehörden, also die Länderfinanzminister, vereint, die auch für das Wertpapierwesen und die Börsenaufsicht zuständig waren.28 In der britischen Zone behielt sich die zentralistisch orientierte Militärregierung die Gesetzgebungsbefugnisse weitgehend selbst vor. Die hier auf deutscher Seite eingerichteten Zentralämter und der im März 1946 geschaffene Zonenbeirat waren vorläufig nur Exekutivorgane der Militärregierung bzw. hatten beratende Funktionen. Erst allmählich erhielten sie die Erlaubnis, eigene Rechtsanordnungen nach Maßgabe der britischen Militärregierung zu erlassen. Ihre Kompetenzen gingen damit über diejenigen der in der zweiten Jahreshälfte 1946 eingerichteten Länder hinaus.29 Aufgrund des „Vorläufigen Abkommens über die Bildung eines Deutschen Finanzrates“ vom 13. September 1946 konstituierte sich der Gemeinsame Deutsche Finanzrat (GDF) am 25./26. September 1946 in Frankfurt am Main. Er setzte sich aus den Länderfinanzministern der amerikanischen Zone sowie aus beauftragten Vertretern der deutschen Finanzverwaltung der britischen Zone zusammen. Letztere waren seit Januar 1947 ebenfalls die Finanzminister der neu gebildeten Länder. Der GDF wurde den Landesfinanzbehörden bzw. den Zentralämtern der Finanzverwaltung als bizonale Verwaltungseinrichtung zur Seite gestellt, um eine Koordinierung der Finanzverwaltung auf westdeutschem Gebiet zu gewährleisten. Seine Zuständigkeitsbereiche waren in fünf Abteilungen aufgegliedert: Verwaltung und Organisation (I), Haushalt (II), Steuern und Zölle (III), Geld und Kredit (IV), Versicherungen (V) und Vermögenskontrolle (VI). Charakteristisch für die Arbeitsweise des GDF waren die ständig eingerichteten Unterausschüsse, in denen die Beschlüsse des GDF vorbereitet wurden. Für das Wertpapier-, Bank- und Börsenwesen war der Unterausschuss Geld- und Kreditangelegenheiten zuständig, zu dessen Sitzungen oftmals Sachverständige eingeladen wurden, die entweder anderen Verwaltungsstellen angehörten oder Vertreter 27 Vogel, Westdeutschland, S. 16 f. 28 Kurzprotokolle über die Sitzung des Unterausschusses „Bankwesen“ des Länderrats der amerikanischen Zone vom 5.12.1946 und vom 13.5./17.6.1947 – BA Ko, Z 1/321, pag. 275, 543; Extracts from Finance Officers´ General Financial Report November 1947, Land Bavaria, 29.12.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6. 29 Vogel, Westdeutschland, S. 18 f.
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der von den jeweiligen Beratungen betroffenen Wirtschaftsbranchen waren.30 Der GDF selbst trat während seiner etwa einjährigen Tätigkeit nur einmal monatlich zu – insgesamt elf – nichtöffentlichen Sitzungen zusammen. Zur Beaufsichtigung der Tätigkeit des GDF richteten die britische und die amerikanische Militärregierung gemeinsam die Finance Control Group ein, die den Informationsfluss zwischen den Militärverwaltungen und dem GDF sicherstellen und eine Kontrolle der deutschen Behörden gewährleisten sollte. Im Rahmen der im Frühjahr 1947 vorgenommenen Umstrukturierung der bizonalen deutschen Verwaltungsbehörden wurde der GDF aufgelöst, dessen Aufgaben auf zentraler Ebene nunmehr die mit erweiterten Kompetenzen ausgestattete Verwaltung für Finanzen (VfF) übernahm. Zum Direktor der VfF wurde Alfred Hartmann, bisheriger Leiter der Haushaltsabteilung im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen, berufen. Die Aufsichtsbefugnisse der Militärregierungen nahm nunmehr ein aus Sachverständigen zusammengesetzter Ausschuss (Finance Panel) wahr, der Ende 1947 unter der Bezeichnung Finance Group als Abteilung in das Bipartite Control Office (BICO) übernommen wurde. Nach Gründung der Bundesrepublik blieb die VfF zunächst als überleitende Finanzverwaltungsbehörde tätig; ihre Überführung in das Bundesfinanzministerium wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1950 abgeschlossen.31 II. 2. 2. Wiedereröffnung der Wertpapierbörsen An den US-Streitkräften im europäischen Kriegsgebiet war der monatelange Streit in Washington um die Ausrichtung der amerikanischen Deutschlandpolitik nahezu vollkommen vorbeigegangen. Die Kompromisslösung, die mit der Direktive JCS 1067 die Vorgehensweise in der kurzen Phase bis zur Kapitulation regeln sollte, wurde von den amerikanischen Generälen zur Kenntnis genommen und ohne Widerspruch akzeptiert. Doch hatte es sich schon zu Beginn der Besetzung des deutschen Territoriums im Aachener Raum im September 1944 gezeigt, dass es die verantwortlichen Militäroffiziere vor Ort trotz der vorgegebenen Handbücher und Direktiven vorzogen, ihre Aktionen von pragmatischen Erwägungen leiten zu lassen.32 Als der stellvertretende amerikanische Militärgouverneur, General Lucius D. Clay, im Mai 1945 seine Tätigkeit aufnahm, zählte es zu seinen ersten Handlungen, die Bestimmungen der Direktive JCS 1067 für eine praktische Umsetzung nutzbar zu machen.33 Er erkannte schnell, dass die Direktive, die er grundsätzlich für wenig zweckmäßig hielt, weiten Interpretationsspielraum ließ. Clay beauftragte Anfang Juni 1945 alle division directors der USCCG, für die ihnen unter30 Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses beim Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 2./3.9.1947, Anlage 1: Rede von Direktor Hartmann, S. 12 – PA, 2/743. 31 Ausführlich dazu Schweigert, Finanzverwaltung, passim. 32 Henke, Besetzung, S. 105 f. 33 Ebd., S. 987.
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stehenden Bereiche konkrete Pläne und Empfehlungen zur praktischen Umsetzung der Bestimmungen von JCS 1067 auszuarbeiten.34 Der Leiter der Finance Division, Colonel Bernhard Bernstein, der als enger Vertrauter Morgenthaus an der Abfassung des Finanzteils von JCS 1067 maßgeblich beteiligt gewesen war, hielt sich streng an die Vorgaben der Direktive.35 Zur Erreichung der übergeordneten Ziele führte Bernstein einen Katalog von Maßnahmen an, denen er in den ersten Monaten der Besatzungszeit Priorität auf dem Gebiet des Finanzwesens einräumte. Im Vordergrund standen die Sicherung der Geldversorgung der Alliierten, die Unterbindung des Zahlungsverkehrs unerwünschter Organisationen bzw. Personen und die Aufrechterhaltung des Steuersystems zur Vermeidung größerer Haushaltsdefizite. Den Umgang mit den deutschen Finanzinstitutionen berührte Bernstein dagegen nur kurz. Dem Willen, die Deutschen zunächst einmal im Chaos schmoren zu lassen, entsprach die Vorschrift, Banken, Börsen und alle anderen Institutionen des Finanzsektors nicht zu schließen. Ausnahmen sollten nur gelten, wenn Maßnahmen zur Entnazifizierung und die Blockierung von verdächtigen Konten vorübergehend eine Schließung zwingend notwendig machten. Zwar sollten die Finanzoffiziere die Kreditvergabe der Banken und Kapitalsammelstellen kontrollieren, um die Mittelzuwendung für unerwünschte Zwecke und Personen zu verhindern. Ansonsten sollte aber der Handel mit öffentlichen und privaten Wertpapieren ebenso wie die Übertragung von anderen Vermögenswerten weiterhin ohne Beschränkung erlaubt sein. Um die Wiederaufnahme des Schuldendienstes der öffentlichen Hand, ein für den Wertpapierhandel maßgebliches Thema, sollte sich die Militärregierung vorerst nicht kümmern.36 Den deutschen Finanzinstitutionen und Finanzbehörden wurde offiziell erklärt, dass die angestrebten Entnazifizierungsmaßnahmen durchweg Vorrang vor der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems haben sollten.37 34 Resume of Minutes of Division Director’s Meeting, 9.6.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/106/3. 35 Das von ihm entworfene Programm hob noch einmal die grundlegenden Zielsetzungen und ihre Bedeutung für die Finance Division hervor: a) Unterstützung der amerikanischen Streitkräfte in sämtlichen Finanzangelegenheiten, b) Entfernung politisch unerwünschter Organisationen und Personen aus dem Finanzwesen, c) Unterstützung der deutschen Abrüstung auf finanzpolitischem Gebiet, d) Kontrolle und Beschlagnahme von Devisen sowie von Vermögen politisch verdächtiger Organisationen und Personen, e) Beschaffung von Informationen zur Unterstützung der Ziele des Militärbefehlshabers und f) Übertragung von Kompetenzen in höchstmöglichen Maße an deutsche Stellen, um die amerikanischen Militärs weitgehend der Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu entheben. Plan for Initial Implementation of JCS 1067 in US Zone: Finance (Bernstein, USGCC Finance Division), 15.6.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/533/14; Schreiben Bernstein an Clay, 15.6.1945 – 2/106/3. 36 Ebd. Im Kredit- und Finanzwesen stand die Bewältigung der Probleme bei der Sicherung der Geldversorgung der Alliierten (Militärgesetz Nr. 51), bei der Sperrung und Beaufsichtigung von Vermögen verdächtiger Personen und Organisationen (Militärgesetz Nr. 52), bei der Kontrolle von Devisentransaktionen (Militärgesetz Nr. 53) und bei der Aufsicht über die öffentlichen Haushalte im Vordergrund. 37 Military Government – Germany, United States Zone, Law No. 52: Blocking and Control of Property, revised text, 20.7.1945; Law No. 53: Foreign Exchange Control, revised text, 20.7.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/281/5.
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Die Übernahme der Verwaltungshoheit durch die Militärregierungen bedeutete für die Wertpapierbörsen keinen tiefen Einschnitt. Sie hatten bis kurz vor Kriegsende ihren Handel, wenn auch in eingeschränktem Maße, aufrecht erhalten und erst in den chaotischen Zuständen der letzten Kriegstage auf eigenen Beschluss hin ihre Pforten geschlossen.38 Die Wiederaufnahme des Wertpapierhandels wurde zuerst in Frankfurt am Main aktuell, als dort am 26. April 1945 die Banken wieder geöffnet und seit Juli Wertpapierkäufe und -verkäufe zwischen Bankkunden abgewickelt wurden. Das militärische Oberkommando (G-5 Division, European Theater) machte keine Einwände gegen die Wiederaufnahme des börsenmäßigen Wertpapierhandels, nicht zuletzt da die Börsen offiziell nie geschlossen worden waren. Es forderte lediglich, dass die amerikanische Militärregierung nicht in administrative Probleme hineingezogen werden sollten und die Börsengeschäfte den Militärgesetzen und der deutschen Gesetzgebung, sofern sie nicht „diskriminierend“ war, folgen sollten.39 Vor Ort trieben die Finanzoffiziere die Vorbereitungen zur Wiederaufnahme des Börsenhandels voran. In Frankfurt am Main hatten sie gemeinsam mit der örtlichen Handelskammer fünf politisch unverdächtige Personen ausgewählt, die die Wiederaufnahme des Wertpapierhandels an der Börse vorbereiten sollten. Ähnlich war die Vorgehensweise an der Münchener und der Stuttgarter Börse, wo unbelastete Experten zur Ausarbeitung der Börsenbestimmungen eingesetzt wurden.40 Die Öffnung der Wertpapierbörsen erfolgte zuerst in München am 10. August 1945, dann in Frankfurt am 17. September 1945 und in Stuttgart am 5. November 1945. Ein Offizier der Finance Division gab als Motiv für die Zulassung des Wertpapierhandels an, dass denjenigen Personen, die nicht über Bargeld verfügten, die Möglichkeit geboten werden sollte, ihre Wertpapiere zu einem marktnahen Kurs zu verkaufen. Angesichts des Wegfalls vieler Einkommen, zum Beispiel des generellen Ausfalls von Dividendenzahlungen, der Einstellung des Zinsdienstes aller öffentlich-rechtlichen Schuldner, der Ertraglosigkeit zerstörten Hausbesitzes und des Verbots von Pensions- und Einkommenszahlungen an politisch verdächtige Personen, ist diese Begründung nachvollziehbar.41 Im Unterschied zu anderen Bereichen des Kredit- und Finanzwesens wurde der Wertpapiermarkt von der amerikanischen Militärregierung nicht als gesamtstaatliche oder auch nur als zonale Angelegenheit betrachtet. Vielmehr blieb es in 38 Die Frankfurter Börse gab ihren Handel am 23. März 1945 auf, die Münchener Börse am 27. April 1945. Memorandum (Erdman, U.S. Forces European Theater, G-5 Division, Financial Branch), 3.10.1945; Memo (Sandelin), 15.5.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4; Report on trip to Strassburg to secure financial information (Finance Division, USGCC), 26.12.1944 – BA Ko, Z 45 F, 11/17/11. 39 Account of the Frankfurt Exchange since its opening, by Dr. Peter Bartmann – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6; Schreiben (European Theater, G-5 Division), 15.8.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3; Memo (Finance Division), 11.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 40 Memo (Fortney, OMGB, Finance Division/Finance Branch), 20.6.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3. 41 Memo (Erdman, Finance Division, Financial Institutions Branch), 8.10.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4; vgl. auch Handelsblatt vom 1.1.1948.
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aller Regel den Finanzoffizieren vor Ort vorbehalten, die administrativen und aufsichtsrechtlichen Probleme gemeinsam mit deutschen Experten zu lösen. Da die Maßnahmen ausschließlich auf lokaler Ebene durchgeführt wurden, gab es auch keine Bemühungen, die neuen Regeln des Wertpapierhandels aufeinander abzustimmen. Man hielt sich im Grunde an die traditionellen Börsenbestimmungen und entschlackte diese allenfalls von „Überreglementierungen“. Das bedeutet, dass es außer der Streichung explizit diskriminierender Regelungen aus der NS-Zeit und der allgemeinen alliierten Instruktionen für Finanzinstitute keine besonderen Militärgesetze für Wertpapierhandel, Börsenorganisation oder Zulassungsbestimmungen gab. Ebenso wenig wirkten die Finanzoffiziere darauf ein, die geltenden Regelungen in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen und Zielen der Militärregierung zu bringen, so dass die Wertpapiergeschäfte seit Handelsbeginn ohne zentrale Aufsicht unter weitgehender Selbstkontrolle der Börsenorgane abgewickelt wurden.42 Durch regelmäßige Berichterstattung über Umsätze und Kurstendenzen erhielten die Militärregierung und die deutschen Aufsichtsbehörden Einblick in den Handelsverlauf.43 Zu den allgemeinen Instruktionen für Finanzinstitute, die Auswirkungen auf das Wertpapierwesen hatten, zählte die Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom 20. September 1945, die den Handel in ausländischen Werten bzw. das Engagement von Ausländern im deutschen Wertpapierhandel verbot sowie die Beschlagnahmung des Vermögens des Reichs und der Reichsbank ankündigte. Unberührt blieben die vom NS-Regime im Kriege umgesetzten Maßnahmen zur Reglementierung des Wertpapiermarktes. So wurde der Kursstopp für Aktien- und Rentenwerte – mitsamt den nur wenig modifizierten übrigen Bewirtschaftungsmaßnahmen (Preis- und Lohnstopp) – beibehalten, um zusätzliche inflationäre Impulse und daraus resultierende öffentliche Unruhen zu vermeiden.44 Auch die Dividendenabgabeverordnung von 1941 blieb unverändert in Kraft. II. 2. 3. Notwendigkeit einer Wertpapierbereinigung Über das Ausmaß der Schwierigkeiten, die mit der Wiederaufnahme des Wertpapierhandels verbunden waren, konnten sich die Militärregierungen erst im 42 German Stock Exchange (Kamarck, Chief/Field Investigation Section), 13.3.1946; Investigation of Stuttgart Stock Exchange, 12.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9; Memo (Fortney, OMGUS Bavaria Finance Division, Finance Branch), 20.6 1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3. 43 Auf deutscher Seite war die Aufsicht ebenfalls nicht einheitlich geregelt und wurde recht locker gehandhabt: In Frankfurt waren der Finanzminister, in Bayern und BadenWürttemberg zunächst die Wirtschaftsminister zuständig, die ihre Kompetenzen jedoch „auf Wunsch“ der Amerikaner wenig später an die Finanzminister abgaben, da in deren Verwaltung die Finance Division für das Bank- und Börsenwesen zuständig war. Memo (Kamarck, Chief, Field Investigation Section), 13.3.1946; Investigation of Stuttgart Stock Exchange, 12.3.1946 Investigation of Munich Stock Exchange, 4.3.1946; Dr. Peter Bartmann, Account of the Frankfurt Exchange since its opening, 13.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 44 Nicholls, Freedom, S. 188.
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Laufe der folgenden Monate einen Überblick verschaffen. Die gesamtdeutsche Verflechtung des Wertpapierwesens trat immer deutlicher zu Tage und zeigte, dass die unkoordinierte Regelung des Handels allein auf lokaler Ebene nicht funktionieren konnte und zu erheblicher Verwirrung führte. Viele Wertpapierurkunden waren durch Bombenschäden sowie infolge von Evakuierung und Vertreibung vernichtet worden, so dass sie für den Handel nicht mehr zur Verfügung standen. Zudem war der größte Teil der in deutschem Besitz befindlichen Wertpapiere bei einem Besitzwechsel gar nicht lieferbar. Denn im Zuge der „Kriegsvereinfachungsmaßnahmen“ war die Verantwortung für die Sammelverwahrung von Wertpapieren 1942/43 den regionalen Wertpapiersammelbanken auf Anordnung des Reichswirtschaftsministers weitgehend entzogen und der Zentrale der Wertpapiersammelbank übertragen worden, die sich im Hause der Reichsbank befand. Zugleich waren die Geschäftsbanken gezwungen worden, Wertpapiere aus ihren regionalen Streifbanddepots bei der Reichsbank in Sammelverwahrung zu geben.45 Nach Kriegsende lagen die Hauptsitze der meisten Geschäftsbanken und auch der Reichsbank im sowjetisch kontrollierten Sektor Berlins, wo alle Banken geschlossen und unter Aufsicht der sowjetischen Besatzungsmacht gestellt worden waren. Die Wertpapierbestände waren dabei beschlagnahmt worden.46 Die Klärung der Frage, was mit den Effektensammeldepots und den Streifbanddepots geschehen sollte, stand oben auf der Liste der Angelegenheiten, die auf interalliierter Basis noch im Verlauf des Jahres 1945 geklärt werden sollten.47 Zwar sicherte der sowjetische Vertreter in der Alliierten Kommandatur von Berlin im Frühjahr 1946 zu, dass die Dokumente und Vermögenswerte der geschlossenen Ostberliner Banken nicht ohne die Zustimmung des Alliierten Kontrollrats berührt oder gar zerstört würden. Doch die zähen Verhandlungen in den nächsten Monaten zeigten, dass die westlichen Alliierten auf Dauer nicht über die Wertpapierdepots würden verfügen können. Sie waren zum Faustpfand der Sowjetunion in den langwierigen, von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägten alliierten Auseinandersetzungen um die zukünftige Gestaltung des deutschen Bankwesens geworden. Auch der vorübergehend diskutierte Vorschlag, eine zentrale alliierte Behörde zur Regelung der strittigen Frage einzusetzen, hatte angesichts der verhärteten Fronten keine Aussicht auf Verwirklichung.48 In den westdeutschen Behörden befasste man sich damit, die Bestände der Ostberliner Girosammeldepots, die man auf 60 bis 80 Prozent aller börsenfähigen
45 Sayatz, Schicksal, S. 59 f.; Zschaler, Reorientierung, S: 219 ff. 46 Pollems, Bankplatz. 47 Memo (Jennings, Financial Institution Branch, USGCC), 26.7.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/136/12. 48 Schreiben Lichtenstein (Chief, Financial Institution Branch) an Benett (Director, Financial Division), 27.12.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/102/8; Minutes of the 58th Meeting of the Finance Directorate, 5.8.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/134/12.
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Wertpapiere schätzte,49 dennoch wieder für den Handel zugänglich zu machen. Außer den Wertpapierbesitzern waren auch die Banken und Börsen daran interessiert, das Volumen der Wertpapiertransaktionen zu erhöhen, um einerseits die Kursfestsetzung genauer vornehmen und andererseits höhere Provisionen und Gebühren einnehmen zu können. Da das Kreditgeschäft brach lag, war das Wertpapiergeschäft das Hauptbetätigungsfeld der Groß- und Privatbanken in den Nachkriegsmonaten. Nicht zuletzt hätte eine Zunahme des Wertpapierhandels auch den Landeshaushalten höhere Steuereinnahmen beschert.50 Der Umgang mit den beschlagnahmten Wertpapieren in Ostberliner Girosammeldepots wurde an den verschiedenen Finanzplätzen zunächst unterschiedlich gehandhabt. In München und Stuttgart war der Handel mit Bescheinigungen über Wertpapiere in Girosammelverwahrung („Girostücke“), die als Ersatz der Wertpapiere dienen sollten und lediglich einen Anspruch auf die Lieferung effektiver Stücke darstellten, untersagt. Die Frankfurter Börse erlaubte dies zunächst, wobei die Bescheinigungen einen Kursabschlag von etwa 30 Prozent gegenüber der Notierung effektiver Stücke erfuhren. In München und Stuttgart war man der Meinung, dass ein Handel angesichts der Unsicherheit über die Zukunft dieser Werte nicht zugelassen werden dürfe.51 Diese Sichtweise teilte auch die amerikanische Militärregierung. Die Finance Division wirkte Anfang 1946 auf den Vorstand der Frankfurter Börse ein, den Handel in Girostücken aufzugeben, wodurch sich das Handelsvolumen erheblich verminderte.52 Zum großen Teil wich der risikoreiche Handel in Girostücken von der Börse auf den Interbankenhandel aus.53 Er wurde von den Bankaufsichtsbehörden nicht unterbunden; die Kreditinstitute wurden lediglich angehalten, den Handel mit solchen Bescheinigungen „mit größter Zurückhaltung“ zu betreiben, nicht dafür zu werben und die Kunden über die Risiken aufzuklären.54 Zögerlich zeigte sich die amerikanische Militärregierung bei der Beurteilung von Plänen deutscher Experten, die Freigabe von Girosammeldepotstücken 49 Vorschlag zu einer langsamen teilweisen Mobilisierung von Girosammeldepot-Effekten („Münchener Plan“), 7.8.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/15/2; vgl. Der Wirtschaft-Spiegel, Dezember 1946/ Januar 1947, S. 47. 50 Vermerk vom 13.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9; Partial opening of Wertpapier Sammelbank in Munich (Aikin, Director, Finance Division), 10.3.1947 – BA Ko, Z 45 F, 11/15/2. 51 Zudem sprach auch das deutsche Recht gegen einen solchen Handel. Es untersagte Transaktionen, wenn das Wertpapier nicht innerhalb von drei Börsentagen oder spätestens acht Wochentagen nach dem Kauf geliefert werden konnte. Memorandum (Erdman, U.S. Forces European Theater, G-5 Division, Financial Branch), 3.10.1945; Memorandum for file, 24.12.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4; Vermerk (Reichsbank Main Office, Stuttgart) vom 2.11.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 52 Vermerk vom 13.3.1946, S. 6 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9; Schreiben (Dr. Bartmann) vom 6.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6; Memo (Lichtenstein, Chief, Financial Institutions Branch), 22.10.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4. 53 Niederschrift über die Sitzung des Bankenausschusses beim Länderrat am 29.10.1947 – BA Ko, Z 1/322, Bl.193. 54 Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses Bankwesen des Länderrats vom 9.12.1947 – BA Ko, Z 1/322, Bl. 174 f.
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systematisch zu regeln. Bereits am 7. August 1945 legte die Münchener Bankenvereinigung einen Entwurf („Münchener Plan“) vor, mit dem im Vorfeld einer endgültigen Regelung dieses Problems eine Mobilisierung der Sammeldepotbestände „in Raten“ angegangen werden sollte. Der Vorschlag basierte auf dem Umstand, dass sich die Aktien und Anleihen von bayerischen Unternehmen zu einem großen Teil noch in einem Girosammeldepot der Wertpapiersammelbank München befanden.55 Da jede Geschäftsbank Kenntnis davon hatte, wie viele Aktien- bzw. Anleihenanteile ihrer Kunden von der Wertpapiersammelbank in München verwaltet wurden und wie viele sich in Girosammeldepots außerhalb Münchens befanden, bestand die Möglichkeit, die in München verwahrten Stücke an die Besitzer auszuhändigen.56 Doch schob die Militärregierung die Billigung des Plans immer wieder hinaus und stimmte ihm erst 1947 zu. Ein Grund für die Verzögerung war, dass man keine große Dringlichkeit sah, das Problem der Münchener Wertpapiersammelbank zu lösen, während das weitaus brisantere Schicksal der Berliner und der ostdeutschen Depots ungelöst blieb. Hinzu kam, dass mit der Freigabe der Girosammeldepots einige übergeordnete Probleme berührt wurden, deren Lösung aus organisatorischen Gründen vorab geregelt werden sollte: die Registrierung von Wertpapieren im Rahmen von Entflechtungsmaßnahmen sowie die Einführung von Namenspapieren.57 II. 2. 4. Registrierung von Wertpapierbesitz und Einführung von Namenspapieren Zu den ambitionierten Vorhaben der Amerikaner im Nachkriegsdeutschland zählte die Dekartellisierung und Dezentralisierung der Großindustrie und des Bankwesens. Die Amerikaner sahen in der ihrer Auffassung nach übermäßigen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Großindustrie und Großbanken eine der maßgeblichen Ursachen dafür, dass das Hitler-Regime ein so großes Militärpotenzial hatte aufbauen können. Durch eine umfangreiche Dezentralisierung und Entflechtung von Großunternehmen, Kartellen, Syndikaten und sonstigen wirtschaftlichen Machtballungen sollte nun die potenzielle Kriegsfähigkeit Deutschlands gemindert werden. Die amerikanischen Entflechtungsbemühungen ent-
55 Vor der Besetzung war der Bestand der Wertpapiersammelbank München nach Regensburg verlagert worden, wo er nach Kriegsende vollständig zur Verfügung stand. Monthly Report on Financial Aspects of the Allied Occupation of Germany, June 1945 (Finance Division, USGCC), 10.7.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/533/14. 56 Vorschlag zu einer langsamen teilweisen Mobilisierung von Girosammeldepot-Effekten („Münchener Plan“), 7.8.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/15/2; Schreiben der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank im Namen der Münchener Bankenvereinigung vom 18.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3. 57 Schreiben (Bennett, Director) vom März 1947; Partial Opening of Wertpapier Sammelbank in Munich (Aikin, Financial Institution Branch), 10.3.1947 – BA Ko, Z 45 F, 11/15/2.
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sprachen den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz.58 Zu den Dekartellisierungsbemühungen gehörte der Plan, alle handelbaren Wertpapiere, die sich in Besitz von Personen, Unternehmen und Banken befanden, einem Depotzwang zu unterwerfen und registrieren zu lassen. Zudem wurde erwogen, alle deutschen Inhaberaktien durch Namenspapiere zu ersetzen, wie es in den anglo-amerikanischen Ländern üblich war. Beide Maßnahmen waren als Vorbereitung einer umfangreichen Antitrust-Gesetzgebung vorgesehen, um eine Übersicht über die Vermögensverteilung, besonders in Bezug auf den Aktienbesitz und die Stimmrechtsverhältnisse bei den Aktiengesellschaften, zu erhalten.59 Zumindest im Falle der Registrierung der deutschen Wertpapiere konnten die Amerikaner auf die Unterstützung der beiden übrigen westlichen Alliierten bauen,60 nicht zuletzt weil dieses Verfahren weitere wichtige Vorteile versprach: Illegal erworbene Papiere konnten ausfindig gemacht werden und der Handel mit ihnen wirksam unterbunden werden. Auch die Ermittlung derjenigen Wertpapiere war möglich, die nach Erlass entsprechender Gesetze ausländischen Entschädigungsberechtigten zu Restitutionszwecken überlassen werden sollten. Ein wichtiges Argument war zudem, dass eine Registrierung angesichts der permanent angespannten Haushaltslage große Vermögenswerte erfassen konnte, die bis dahin nicht versteuert wurden.61 Schließlich erhoffte man sich Aufschluss darüber, wie die finanziellen Verhältnisse der Unternehmen tatsächlich aussahen und welche Dimension die Reichsschuld hatte, von der man angesichts der vielen zerstörten Urkunden kein genaues Bild besaß.62 Ein erster Gesetzentwurf über eine obligatorische Depotverwahrung und Registrierung von Wertpapieren wurde am 11. Juni 1946 von den Franzosen im Finanzdirektorat des Alliierten Kontrollrats eingebracht und in dessen Bankenausschuss prinzipiell von allen drei westlichen Alliierten akzeptiert.63 Aber die sowjetischen Finanzexperten wandten sich von Beginn an mit dem Hinweis auf ungelöste übergeordnete Problemfelder strikt gegen solche Maßnahmen, wodurch der Gesetzentwurf in die Tretmühle der langatmigen, von gegenseitigem Miss58 Auf der Potsdamer Konferenz war vereinbart worden, dass in kürzester Zeit „die deutsche Wirtschaft dezentralisiert werden soll[te] mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration wirtschaftlicher Macht, wie sie sich besonders in Kartellen, Syndikaten, Trusts und anderen monopolistischen Vereinigungen“ darstellte. ACA, Economic Directorate, Working Party on Decartelization, 17.4.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8; vgl. Mai, Kontrollrat, S. 231 (Zitat). 59 Schreiben Ehard (Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium der Justiz) an die Zentralleitung der Reichsbankhauptstelle vom 7.9.1946 – BA Ko, Z1/ 681. 60 Memo (Aikin, Acting Chief, Financial Institutions Branch), 7.3.1947 – BA Ko, Z 45 F, 11/15/2. 61 Eine Schätzung aus dem Jahre 1947 kam zu dem Ergebnis, dass dem Fiskus Steuern in Höhe von 350 bis 400 Mio. RM entgangen waren. History: Compulsory Depositing und Registering of Negotiable Securities in Germany; Hamburger Entwurf eines Gesetzes zur Rekonstruktion deutschen Wertpapierbesitzes, III/1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8. 62 Memo (o. D.) – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8. 63 ACA, Economic Directorate, Working Party on Decartelization, 17.4.1947; Memo (Bedingfield), 30.5.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8.
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trauen geführten Grundsatzdebatten im Kontrollrat und seinen verschiedenen Direktoraten geriet.64 Die sowjetischen Vertreter begründeten ihre Weigerung damit, dass eine Registrierung unweigerlich zum Erhalt der Großunternehmen beitragen würde, sofern sie vor der Verabschiedung eines Entflechtungsgesetzes durchgeführt würde. Denn indirekt würde der Alliierte Kontrollrat durch eine solch aufwendige Aktion zur Legitimation der Großunternehmen beitragen und die Potsdamer Beschlüsse zur Beseitigung übermäßiger wirtschaftlicher Machtkonzentration missachten. Zudem war nach Ansicht der Sowjets erst die Zukunft der Reichsschuld zu klären, bevor eine Registrierung von Wertpapieren Sinn machte. Vor allem aber sollte eine Registrierung erst dann vorgenommen werden, wenn die Alliierten sich über die gesamte Restitutions- und Reparationsproblematik geeinigt hätten.65 Die USA waren nicht bereit, die Wertpapierregistrierung mit der Restitutionsproblematik zu verbinden, die sie als eigenständigen Verhandlungsgegenstand betrachteten.66 Aufgrund der Verstrickung mit den grundsätzlichen Schlüsselfragen der interalliierten Deutschlandpolitik kamen die Verhandlungen über die Wertpapierregistrierung im Juli 1947 zum Stillstand, so dass sich die westlichen Alliierten fortan auf eine bi- bzw. trizonale Lösung konzentrierten. Auf deutscher Seite war seit Herbst 1946 in der Bizone der Gemeinsame Deutsche Finanzrat (GDF) mit der Thematik befasst, als die amerikanische Militärregierung einen Entwurf über die geplante Neuordnung des Aktienwesens vorlegte.67 Das Vorhaben traf im Finanzrat auf eine weitgehend ablehnende Haltung. Wie in der gesamten Dekartellisierungs- und Dezentralisierungsproblematik antworteten die Deutschen auf die ehrgeizigen Vorhaben der Alliierten, deren Durchsetzung einen tiefen Eingriff in die überkommenen deutschen Wirtschaftsstrukturen bedeutet hätte, mit technisch-organisatorischen Vorbehalten. Akribisch listeten die Sachverständigen der Verwaltung für Finanzen (VfF) Ende 1947 die Schwierigkeiten auf, die bei einer Durchführung der Wertpapierregistrierung auftreten würden.68 Und je größer die Erwartung einer baldigen Währungsreform wurde, desto mehr wollte man vermeiden, dass ein umfassendes
64 Memo (Financial Institutions Branch, Finance Division), 20.7.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/140/3; ausführlich zu den Verhandlungen im Alliierten Kontrollrat s. Mai, Kontrollrat, S. 231 ff. 65 Memo (o. D.); Memo (ACA, Finance Directorate, Banking Committee), 24.7.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8. 66 Memo (Rhyne), 5.5.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/8. 67 Besprechung von Beamten, Bankleuten und Reichsbankangestellten, Einladung, 17.10.1946 – BA Ko, Z1/689, Bl. 39. 68 Die vorgebrachten Gegenargumente waren, dass die notwendigen Registrierungsarbeiten einen Zeit-, Material- und Arbeitsaufwand erfordern würden, der praktisch nicht zu bewältigen wäre. Auch befürchtete man, dass eine endgültige Bereinigung des Wertpapierwesens unter Umständen eine erneute Inventarisierung unter anderen Gesichtspunkten notwendig machen würde, was doppelte Arbeit bedeuten würde. Bericht über die 3. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 4.12.1946 und über die 4. Sitzung vom 7.1.1947 – BA, Ko, Z 28/13, Bl. 87 f.
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Registrierungsverfahren den Aktienhandel lähmen und damit die Finanzierung des Wiederaufbaus gefährden könnte.69 Mit ähnlichen Argumenten operierten die deutschen Sachverständigen auch bei der von den Amerikanern dringend angemahnten Umwandlung der Inhaber- in Namenspapiere.70 Auch wenn einige Einwände nicht von der Hand zu weisen waren, weist das Vorgehen der deutschen Experten auf eine Verzögerungstaktik hin. Ganz offensichtlich befürchtete man auf deutscher Seite, dass die Amerikaner ihr eigenes Finanzsystem ohne Rücksicht auf überkommene Strukturen einfach auf Westdeutschland übertragen wollten. Im Ergebnis führten die Einwände sowohl bei der Registrierung der Wertpapierbestände als auch bei der Einführung von Namensaktien dazu, dass die Vorhaben verzögert und schließlich weitgehend verhindert wurden. Seit Anfang 1948 nahmen die Vorbereitungsmaßnahmen für die Währungsreform, für die Errichtung eines Zentralbanksystems und für eine Wertpapierbereinigung die ganze Aufmerksamkeit der alliierten und deutschen Experten in Anspruch. Immerhin konnte wenigstens ein erster Überblick über die Verteilung des Wertpapierbesitzes gewonnen werden: Ein vereinfachtes Inventarisierungsverfahren wurde durchgeführt, das die in Bankverwahrung befindlichen Wertpapiere der Westzonen, nicht aber die Stücke in privater Verwahrung erfasste.71 II. 2. 5. Lieferbarkeitsbescheinigungen (Affidavit-Verfahren) Nicht nur über die Wertpapierbestände in den Sammeldepots herrschte Ungewissheit. Auch der Handel in effektiven Stücken, also denjenigen Wertpapieren, die sich nicht in unzugänglichen Sammel- oder Streifbanddepots befanden, barg erhebliche Unsicherheiten. Denn bei den lieferbaren Wertpapieren gab es angesichts der chaotischen Verhältnisse am Kriegsende, die Plünderungen begünstigten, und aufgrund der großen Fluchtbewegungen, in denen Wertpapiere zu den bevorzugten Beutegütern zählten, keinerlei Gewähr, dass der Verkäufer eines Wertpapiers auch der rechtmäßige Besitzer war.72 Dieses Problem vermoch69 Verwaltung für Finanzen, Auszug aus der Aufzeichnung über die Sitzung der Sachverständigen für Geld-, Bank- und Börsenwesen am 23.10.1947, 27.11.1947 – PA, 2/743; Schreiben Scharnberg an Hartmann, Direktor der Verwaltung für Finanzen, vom 10.12.1947 – PA, 2/623. 70 Bericht über die 5. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 14.2.1947 – BA Ko, Z 28/13, Bl. 178 f.; Tagesordnung für die 10. Sitzung des GDF am 3.6.1947 – BA Ko, B 126/10672; Kurzprotokoll der Sitzung des Finanzausschusses beim Wirtschaftsrat vom 16.12.1947 – PA, 2/743. 71 Bericht über die 5. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 14.2.1947 – BA Ko, Z 28/13, Bl. 178 f.; Protokoll der Sitzung des Finanzausschusses beim Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 2./3.9.1947, Anlage 1: Rede von Direktor Hartmann vor dem Wirtschaftsrat, S. 13 – PA, 2/743. 72 Bericht über die 5. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 14.2.1947 – BA Ko, Z 28/13, Bl. 178 f.; Dr. Erich Trost, Berlin, The reorganization of the security market, 20.1.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6; vgl. Sayatz, Schicksal, S. 57 f.
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ten die deutschen und alliierten Finanzexperten zu lösen. Ende 1946 erarbeitete ein Arbeitsstab des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten des GDF innerhalb weniger Tage „Richtlinien für die Bescheinigung der Lieferbarkeit von Wertpapieren“, die am 6./7. Februar 1947 vom GDF als Beginn einer Gesamtbereinigung des Wertpapierwesens verabschiedet und von den Vorständen aller Börsen in der Bizone übernommen wurden. Der Entwurf sah vor, dass Wertpapiere nur noch mit einer besonderen Bescheinigung eines Kreditinstituts als lieferbar gelten sollten. Solch eine Lieferbarkeitsbescheinigung (Affidavit) konnte für Wertpapiere ausgestellt werden, die sich a) am 1. Oktober 1946 in einem Bankdepot befanden, die b) nach dem 8. Mai 1945 in Erfüllung eines Börsengeschäfts geliefert worden waren oder über die c) der Besitzer bzw. die Vorbesitzer seit mindestens 1. Januar 1945 verfügungsberechtigt waren. Als Nachweis konnten Kaufabrechnungen, Auslieferungsbestätigungen und Depotauszüge, gegebenenfalls aber auch andere Unterlagen dienen, während eidesstattliche Versicherungen und Zeugenaussagen in der Regel nicht ausreichten. Die Prüfung und die Ausstellung des Affidavits oblag den einzelnen Kreditinstituten, die von der Reichsbank dazu ermächtigt worden waren und für ihre Entscheidungen hafteten.73 II. 2. 6. Usancen des börslichen und außerbörslichen Wertpapierhandels Aufgrund der mangelnden Koordination erfolgte der Wertpapierhandel in den ersten Nachkriegsmonaten an den einzelnen Börsenplätzen unter abweichenden Bedingungen. Während die Münchener Börse zum Schutze der Anleger recht rigide Handelsbedingungen vorschrieb, strebte der Frankfurter Börsenvorstand eine Ausweitung des Handelsvolumens mit vergleichsweise wenigen Regulierungen an. Beim Kursstopp – einem Erbe des NS-Regimes – hielten sich die Börsen in München und Stuttgart zur Verhinderung übermäßiger Spekulation an die vorgegebenen Obergrenzen, die sich nach den Quotierungen vom 23. März 1945 richteten. In Frankfurt durften die Preise dagegen nach mündlicher Zustimmung eines amerikanischen Finanzoffiziers zunächst das Kurslimit um 10 bis 15 Prozent übersteigen. Nachdem die Verbindung der Börsenplätze durch Telefonund Telegraphenleitungen wieder hergestellt worden war, eröffneten die höheren Frankfurter Kurse für eine kurze Zeit Gewinnmöglichkeiten im Arbitrage-Handel, an dem sich vorwiegend die Großbanken über ihre Filialen beteiligten. Ende Februar 1946 wurde die Überschreitung der Stoppkurse untersagt.74 73 Das Affidavit-Verfahren wurde nicht als Gesetz verabschiedet, sondern per Koordinierungsbeschluss des GDF am 1. Januar 1948 an den Börsen eingeführt. Nachtrag zur Tagesordnung für die 5. Sitzung des GDF am 14.1.1947, Anlage 6 – BA Ko, Z 28/5, Bl. 46-48; Bericht über die 8. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten – BA Ko, Z 28/15, Bl. 151 f. 74 Offiziell wurde die großzügige Regelung des Handels in Frankfurt damit begründet, dass die Stoppkurse die Wertpapierbesitzer benachteiligen würden; tatsächlich sollte sie aber wohl dazu dienen, mehr Transaktionen an die Frankfurter Börse zu locken. Memorandum
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In Frankfurt und Hamburg wurde der Handel nur im Freiverkehr abgewickelt, während in Stuttgart ein „halbamtlicher“ Freiverkehr und in München – als einziger Börse der Westzonen – ausschließlich ein amtlicher Handel durchgeführt wurde. Der Handel der in den Freiverkehr einbezogenen Werte konzentrierte sich auf Frankfurt und Hamburg. An der Hamburger Börse konzentrierten sich etwa 70 bis 75 Prozent des gesamten Wertpapierhandels der westzonalen Börsen.75 Insgesamt war der Börsenumsatz in aller Regel gering und nahm in der Tendenz immer weiter ab, da das ohnehin geringe Angebot an Wertpapieren immer mehr in feste Hände gelangte und damit für den Handel nicht mehr zur Verfügung stand.76 Die Kurse bewegten sich bei den meisten Werten im Jahr 1947 nach Erreichen des Stoppkurses nicht mehr77 und es gab nur noch relativ wenige Papiere, die regelmäßige Umsätze aufwiesen. Aktien, die den Stoppkurs noch nicht erreicht hatten, wurden als Werte „von mehr oder weniger zweifelhafter Qualität“ angesehen. Es waren dies vor allem Werte aus der SBZ und Aktien von Unternehmen, die von Entflechtungs- bzw. Sozialisierungsmaßnahmen bedroht waren.78
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(European Theater, G-5 Division, Financial Branch), 3.10.1945; Memo (Lichtenstein, Chief Financial Institutions Branch), 18.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4; Frankfurt Stock Exchange, General Description (Anfang 1946); Memo (Karmack, Chief, Field Investigation Section), 13.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. Reichsbank Main Office, Stuttgart, 2.11.1945; Investigation in Stuttgart Stock Exchange, 12.3.1946; Account of the Frankfurt Exchange since its opening, by Dr. Peter Bartmann, 13.2.1946; Frankfurt Stock Exchange, General Description – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. Investigation of Munich Stock Exchange, 4.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6; Schreiben Josef Bayer (Präsident der Münchener Börse) vom 9.1.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4;Tagesordnung für die 7. Sitzung des GDF am 3./4.3.1947 – BA Ko, Z 28/6, Bl. 87; Rhein-Neckar-Zeitung vom 2.1.1947. Schreiben des Vorsitzenden des GDF an die Bipartite Finance Control Group vom 24. Juli 1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3; vgl. Harder, Funktionswandel, S. 99. Ein Blick auf die Jahresschlusskurse der Frankfurter Börse vom 31. Dezember 1947 zeigt, dass von den insgesamt 345 notierten Aktienwerten 249 ihren Stoppkurs erreicht hatten. Vgl. Jahresschlusskurse 1947 der im Frankfurter geregelten Wertpapierverkehr gehandelten Wertpapiere. Sonderdruck des Frankfurter Börsen-Kursblattes vom 31. Dezember 1947. Vergleichszahlen zum Börsenumsatz: Oktober 1946: Umsatz = 100; Januar 1947 = 80; März 1947 = 47; Juni 1947 = 54; Ende 1947 = 60-65. Handelsblatt vom 1.1.1948; Tagesordnung für die 7. Sitzung des GDF am 3./4.3.1947 – BA Ko, Z 28/6, Bl. 87 (Zitat).
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Börsenumsatz in der US-Zone im ersten Halbjahr 1946 (in 1.000 RM)79 Frankfurt
Stuttgart
München
Gesamt
Aktien Renten insges. Aktien Renten insges. Aktien Renten insges.
Jan. Febr. März April Mai 4.104 1.938 873 665 819 1.457 1.109 823 998 953 5.561 3.047 1.696 1.663 1.772 91 59 77 92 197 336 359 567 490 485 427 418 644 582 682 1.280 550 1.347 1.157 1.580 916 1.225 1.643 2.400 2.456 2.196 1.775 2.990 3.557 4.036 8.184
5.240
5.330
5.802
Juni Insges. 712 9.111 1.323 6.663 2.035 15.774 136 652 407 2.644 543 3.296 871 6.785 1.978 10.618 2.849 17.403
6.490 5.427
36.473
Im Vergleich zum Börsenhandel war der außerbörsliche Wertpapierhandel über Banken von größerer Bedeutung. Anfang 1946 berichtete ein deutscher Journalist der amerikanischen Militärregierung von Handelsaktivitäten außerhalb der Börsen, bei dem Preise erzielt würden, die 15 bis 20 Prozent über den Börsennotierungen lagen.80 Erst als Finanzoffiziere aus Baden-Württemberg im Januar 1947 von einem lebhaften Telefonverkehr zwischen den Banken berichteten, wurden regelmäßig Daten erhoben.81 Für Hessen meldeten sie Ende 1947 ein Gesamthandelsvolumen in Wertpapieren von 22,9 Mio. RM, wovon 18,5 Mio. RM oder 81 Prozent außerhalb der Börse gehandelt worden seien.82 Ähnlich lauteten die Zahlen für Bayern, wo von den Transaktionen in Gesamthöhe von 12,6 Mio. RM Nennwert (Verkaufswert: 15,4 Mio. RM) nur 69 Prozent über die Börse abgewickelt worden waren.83 Die außerbörslichen Geschäfte betrafen oft die zum Börsenhandel nicht zugelassenen Girostücke. Hinzu kamen Aktienwerte, die ihren offiziellen Stoppkurs erreicht hatten und zum Beispiel in Hamburg auf dem Schwarzen Markt um 70 bis 100 Prozent höhere Notierungen erlangten. Ob der außerbörsliche Markt rechtmäßig oder illegal war, blieb umstritten. Im Oktober 1941 hatte der Reichswirtschaftsminister den Börsenzwang – bei gleichzeitigem Verbot des Kompensationshandels – für alle Aktienwerte, Kuxe und verwandte Werte eingeführt, nicht aber für festverzinsliche Wertpapiere.84 Was mit dieser Bestimmung nach Kriegsende geworden war, ob sie von der Militärregierung bestätigt oder aufgehoben worden war, konnten die Finanzoffiziere vor Ort selbst Anfang 1948 noch nicht beantworten.85 Aus diesem Grunde sahen die Börsen auch keine Möglichkeit, rechtlich gegen den „Schwarzen Markt“ vorzu79 80 81 82
Memo (Bancroft) – BA Ko, Z 45 F, 2/134/12. Memo (Kamarck, Chief, Field Investigation Section), 13.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. Memo (Bancroft, Financial Intelligence Section), 14.1.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6. Extract from Finance Officers’ General Report, Greater Hesse, September 1947, 5.12.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6. 83 Extracts from Finance Officers’ General Report, Land Bavaria, November 1947, 29.12.1947; Memo (Bankcroft, Financial Intelligence Section), 23.1.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6. 84 Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 244, 18.10.1941. 85 Memo (Bancroft, Financial Intelligence Section), 14.1.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6.
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gehen, obwohl man in Stuttgart und München offiziell von einem Börsenzwang sprach, um das Handelsvolumen zu erhöhen und einer Manipulation des Marktes durch möglichst marktnahe Preise entgegenzuwirken. De facto wurde der Börsenzwang aber nicht beachtet und ein reger Interbanken- und Kompensationshandel betrieben,86 der besonders für die Filialgroßbanken eine wichtige Einnahmequelle darstellte. Die Umgehung der Börsen kann als Beleg für den fortschreitenden Zerfall des gesamten Bewirtschaftungssystems gesehen werden, zu dem auch die Stoppkurse zählten.87 II. 2. 7. Ausländische Investitionen in Deutschland Zu den offenen Fragen im Wertpapierwesen, die über den technisch-organisatorischen Bereich hinausreichten und weitreichende politische Interessen der Alliierten berührten, zählten die Wünsche ausländischer Unternehmen und Anleger, in Deutschland Investitionen zu tätigen. Es war dies eine Frage der Interpretation und der Umsetzung der Militärgesetze Nr. 52 und Nr. 53, die kurze Zeit nach der Kapitulation für alle Zonen verabschiedet worden waren. Mit Ausnahme besonderer Ausnahmeregelungen der Militärregierung verbot das Militärgesetz Nr. 53 jegliche Geschäftstransaktionen mit Vermögen, die sich in Deutschland befanden, aber im Besitz oder unter Kontrolle von Personen außerhalb Deutschlands waren (Art. I, par. 1 b). Ebenso verbot es alle Devisen- und Geldtransaktionen zwischen In- und Ausländern. Damit war es unmöglich, Devisen nach Deutschland zu transferieren und dort zu investieren.88 Militärgesetz Nr. 52 bestimmte, dass alle Reichsmark-Konten von Ausländern unter die Kontrolle der Militärregierung gestellt und blockiert werden sollten. Unternehmen in ausländischer Hand wurden in der amerikanischen Zone Treuhändern („custodians“) unterstellt, die auf die Bewahrung des Vermögens zu achten hatten und unter der Aufsicht der Militärregierung standen, während die Unternehmen in der englischen Zone von der Militärregierung selbst verwaltet wurden.89 In der Praxis wurden die Bestimmungen von den Amerikanern rigide ausgelegt.90 Ausländische Muttergesellschaften durften an ihre Betriebe in Deutschland 86 Frankfurt Stock Exchange, General description – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9; Schreiben des Vorsitzenden des GDF an die Bipartite Finance Control Group vom 24. Juli 1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3; Memo (Bancroft, Financial Intelligence Section), 23.1.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6. 87 JB Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main für das Jahr 1947/48, S. 13. 88 OMGUS, Law No. 53, Foreign Exchange Control, Revised Text, 20.7.1945 – BA Ko, Z 45 F, 11/281/5. 89 Foreign Assets and Investments in Germany, Discussion (November 1947) – BA Ko, Z 45 F, 3/272/3. 90 Das strikte Festhalten an den gesetzlichen Bestimmungen konnte sogar zu einer Diskriminierung ausländischer Vermögensinhaber führen. Während zahlreiche Deutsche in der Zeit vor der Währungsreform die Gelegenheit nutzen konnten, ihr Geldvermögen in Sachwerte umzuwandeln, besaßen die ausländischen Besitzer von gesperrten Reichsmarkguthaben diese
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nicht einmal Rohstoffe schicken, ohne dass eine entsprechende Erlaubnis der Militärbehörden vorlag und der Import bar bezahlt wurde. Ebenso wenig war es Unternehmen in ausländischem Besitz mit Sitz in Deutschland erlaubt, mit Reichsmarkbeständen oder anderen Vermögenswerten Immobilien anderer Unternehmen, geschweige denn Anteile an diesen Unternehmen zu erwerben. Sie durften in der Regel also ihr Vermögen nicht ausweiten.91 Das generelle Verbot von Auslandsinvestitionen, über das die Amerikaner und Briten informelle Absprachen trafen, hatte vor allem drei Gründe: Der Status quo des ausländischen Besitzes sollte gewahrt bleiben; zugleich sollten die deutschen Unternehmen vor einem Ausverkauf durch ausländische Investoren geschützt werden und zudem die Chancengleichheit aller ausländischen Anleger bei möglichen Neuinvestitionen sichergestellt werden. Schon früh erhielt die amerikanische Militärregierung jedoch Informationen über die Käufe von ostdeutschen Unternehmen durch sowjetische Kreise, aber auch über den Erwerb bzw. Rückerwerb von Montan- und Textilunternehmen durch Franzosen.92 Diese Vorgänge erschwerten eine Übereinkunft im Alliierten Kontrollrat über Auslandsinvestitionen, so dass sich die Amerikaner veranlasst sahen, den Umgang mit ausländischen Investoren in der Bizone zu überdenken. Auch wurde der Druck in den Vereinigten Staaten immer stärker, den US-Unternehmen in Westdeutschland einen größeren Handlungsspielraum zuzugestehen. Dass das Problem keineswegs als Nebensache abgetan werden konnte, wird allein durch die Höhe des Auslandsvermögens in Deutschland klar: Die amerikanische Militärregierung schätzte, dass in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 22 Prozent aller Unternehmen von ausländischen Unternehmen oder Personen kontrolliert worden waren.93 General Clay setzte sich in dieser Frage für eine restriktive Haltung ein.94 In einem Schreiben an den amerikanischen Verteidigungsminister verdeutlichte er
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Möglichkeit nicht. Memorandum von Bennett (Finance Adviser to Commander-in-Chief) to General Clay, 29.2.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/91/3. Den Unternehmen in ausländischem Besitz wurde in der amerikanischen Zone jedoch das Recht zugestanden, in Ausnahmefällen Vermögensgegenstände als Ersatz für kriegszerstörte oder durch Reparationsmaßnahmen verlorengegangene Vermögenswerte zu erwerben. C.P. Kindleberger (Department of State), Treatment of Foreign Property in Germany, 12.8.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/166/1; Schreiben OMGUS an AGWAR (Mitte 1947) – BA Ko, Z 45 F, 2/159/8; Draft Ball (Director, Finance Division, OMGUS) an Coates (Director, Finance Division, CCG/BE), Oktober oder November 1947 – BA Ko, Z 45 F, 11/336/9. C.P. Kindleberger (Department of State), Treatment of Foreign Property in Germany, 12.8.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/166/1. Im Jahre 1943 veranschlagte der Reichskommissar für feindlichen Vermögensbesitz die Investitionen aus den zehn wichtigsten Staaten in deutsches Vermögen auf 2,751 Mrd. RM. Für die US-Zone (einschl. dem amerikanischen Sektor Berlins) stellte die Militärregierung zum 31. August 1947 Auslandsinvestitionen und Auslandsvermögen in Höhe von 1,75 Mrd. RM fest. Foreign Assets and Investments in Germany, Discussion (November 1947) – BA Ko, Z 45 F, 3/272/3. Clay stützte sich auf die Einschätzung seines Wirtschaftsberaters Jack Bennett, für den ein Kapitalimport ökonomisch betrachtet kaum Sinn machte, da die Probleme der deutschen
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nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte des Problems, sondern ging auch auf die weitreichenden politischen Hintergründe ein. Seiner Ansicht nach würde die Devisenposition eines zukünftigen deutschen Staates ohnehin durch eine hohe Verschuldung gegenüber den Alliierten geprägt sein, für deren Abbau alle verfügbaren Devisen eingesetzt werden müssten. Würde durch Neuinvestitionen ausländischer Unternehmen und Personen in Deutschland eine zusätzliche lobbystarke Gruppe entstehen, die eine Gewinnausschüttung in ausländischer Währung fordern würde, wäre einerseits die Devisenwirtschaft Deutschlands stark bedroht, andererseits würde der Schuldendienst gegenüber den USA und Großbritannien in Gefahr geraten. Damit würden die „Investitionen“, die die amerikanischen und britischen Steuerzahler in den deutschen Staat getätigt hätten, gänzlich vernichtet.95 Eine weitere Befürchtung Clays war, dass massive amerikanische Investitionen die Stimmung in der deutschen Bevölkerung negativ beeinflussen könnten mit der Folge, dass sich die Deutschen bei freien Abstimmungen für die Sozialisierung bestimmter Wirtschaftsbereiche aussprechen könnten.96 Als wichtigstes Argument führte Clay an, dass umfangreiche Auslandsinvestitionen die Position der amerikanischen Diplomatie gegenüber der Sowjetunion schwächen könnten. Die Amerikaner warfen den Sowjets vor, die ostdeutsche Grundstoffindustrie durch den Kauf mit konfiszierten bzw. neu gedruckten Reichsmarkbeständen in sowjetischen Besitz zu überführen. Dagegen hatte die amerikanische Militärregierung auf interalliierter Ebene wiederholt protestiert und klar gemacht, dass sie die sowjetischen Akquisitionen nicht anerkenne. Die amerikanische Militärregierung wollte ausländische Investitionen solange verbieten, bis eine neue deutsche Regierung eingesetzt worden war. Im Falle der Zulassung amerikanischer Investitionen sah Clay die Fortsetzung dieser Politik gefährdet, da sie dann auch den Vermögenserwerb in Ostdeutschland anerkennen müsse.97 Die Frage der Neuinvestitionen und der sowjetischen Akquisitionen in Ostdeutschland, die eng mit dem äußerst umstrittenen Problemkomplex der Reparationsleistungen verbunden war, konnte in nachfolgenden Verhandlungen keine einheitliche Regelung erzielt werden.98 In der amerikanischen Zone blieb man bei der bisherigen Regelung der Lizenzierung von Neuinvestitionen.99 Das Verfahren
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Wirtschaft in der Versorgung mit Nahrung, Kohle und Stahl sowie der Arbeitslosigkeit lagen. Memorandum (Jack Bennett, Finance Adviser to Commander-in-Chief), 4.9.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/166/1. Schreiben General Clay an Kenneth C. Royall (Secretary of War), 3.9.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/166/1. Schreiben Theodore H. Ball (Director, Finance Division, OMGUS) an Eric Coates (Director, Finance Division, CCG/BE) vom Oktober oder November 1947, BA Ko, Z 45 F, 11/336/9. Schreiben General Clay an Kenneth C. Royall (Secretary of War), 3.9.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/166/1. Foreign Assets and Investments in Germany, Discussion (November 1947) – BA Ko, Z 45 F, 3/272/3. Memorandum (Bennett, Finance Adviser to Commander-in-Chief), 29.2.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/91/3.
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wurde im April 1948 formal in der gesamten Bizone anerkannt und in der Presse bekannt gegeben: Es musste sich bei den Investitionen der ausländischen Unternehmen um Ersatzinvestitionen für seit dem 1. September 1939 verloren gegangene Vermögenswerte handeln, die in Deutschland erworben werden mussten und nur mit Reichsmarkguthaben bezahlt werden durften.100 II. 3. DER SEKUNDÄRMARKT II. 3. 1. Der Aktienmarkt Die nationalsozialistische „geräuschlose Kriegsfinanzierung“ hatte zu einem großen Kaufkraftüberhang geführt, der nach Kriegsende durch Schwarzmarktgewinne ergänzt wurde,101 so dass reichlich Geldvermögen vorhanden war, das händeringend werterhaltende Anlagemöglichkeiten suchte.102 Denn die vollkommen unsichere Währungslage blieb keinem Zeitgenossen angesichts der strikten Bewirtschaftungsvorschriften und des aufblühenden Schwarzmarktes verborgen. Unter diesen Umständen, die den meisten Zeitgenossen aus der Zeit der Großen Inflation noch in unguter Erinnerung waren, begann nach einer kurzen Zeit des Abwartens und Sondierens die Flucht in die Sachwerte. Angesichts mangelnder sonstiger Investitionsmöglichkeiten bedeutete dies, dass am Wertpapiermarkt vor allem Aktien, Kuxe und verwandte Wertpapiertypen bevorzugt nachgefragt wurden. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Situation der meisten Unternehmen bis Mitte 1947 nicht weniger ungewiss war als die Zukunft der Reichsmark. Da es keine Konkursverfahren gab, nahmen die Börsenvorstände nur vereinzelt Wertpapiere aus dem Markt, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens zur Gänze aufgegeben würde. So wurde an der Münchener Börse beispielsweise zeitweise der Handel mit Aktien der Bayerischen Motorenwerke (BMW), der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt Leipzig (ADCA) und der drei Berliner Großbanken ausgesetzt.103 Dass die Militärregierungen die Zahlung von Dividenden weiterhin unterbanden, konnte die Nachfrage nach Sachwerten nicht schwächen: Renditen und andere objektive Bewertungskriterien spielten in den
100 Investment in Germany by Nationals of the United Nations and Neutral Nations, 17.4.1948 – BA Ko, Z 45 F, 17/310/9. 101 Memo (Kamarck, Chief, Field Investigation Section), 13.3.1946; Memo (Finance Division), 16.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 102 Eine Aufstellung kam zu dem Ergebnis, dass sich auf dem Reichsgebiet zwischen 1932 und Mai 1945 das Stückgeld von 5,6 Mrd. RM auf 73 Mrd. RM, die Sichtguthaben von 12,7 Mrd. RM auf 100 Mrd. RM und die Spareinlagen von 15,3 Mrd. RM auf 125 Mrd. RM erhöht hatten. In den westlichen Zonen wurden die Einlagen bei Kreditinstituten nicht gesperrt, es gab also anders als in der sowjetischen Zone keine massive Beschneidung des Geldvermögens. Vgl. Mai, Kontrollrat, S. 257. 103 Investigation of Munich Stock Exchange, 4.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6.
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ersten beiden Nachkriegsjahren keine Rolle.104 Wie es die Fachpresse ausdrückte: „Die Börsen [..]. spiegeln nicht wie zu normaler Zeit das Wirtschaftsleben, sondern nur die labilen Stimmungen der zwischen Hoffnung und Pessimismus schwankenden deutschen Wirtschaft.“105 Das spekulationsfreudige Klima wurde dadurch zusätzlich angeheizt, dass Wertpapierumsätze und -kurse außerordentlich stark von politischen Entscheidungen bzw. Gerüchten über bevorstehende Maßnahmen der Alliierten (Industriepläne, Entflechtung/ Sozialisierung, Währungsreform) abhängig waren. Davon waren besonders Werte der Montan- und Schwerindustrie sowie der Banken betroffen.106 So stiegen die Kurse zum Teil drastisch bei der Gründung der Bizone, der Ankündigung des Marshallplans, Gerüchten über eine Währungsreform oder der Ankündigung von Exporterleichterungen und sanken ähnlich stark bei Nachrichten über umfangreiche Demontagen oder Entflechtungsmaßnahmen, verringerte Kohlenförderung, Rohstoff- bzw. Nahrungsknappheit oder neue Steuergesetze. Unter diesen Umständen blieb die Furcht vor einer Währungsreform „wirksamster Motor der Hausse“ am Aktienmarkt.107 Die Wertpapierkäufer waren davon überzeugt, dass Geldvermögen bei einer Währungsreform vollends seinen Wert verlieren und Wertpapiere eine bessere Behandlung erfahren und somit einen größeren Vermögensschutz bieten würden. Hinzu kam, dass Bankeinlagen nicht verzinst wurden und daher keine attraktive Alternative zum Wertpapiererwerb waren.108 In höchst spekulativer Weise stürzten sich die Käufer auch auf Wertpapiere von Unternehmen, deren Perspektive angesichts drohender Dekartellisierungsmaßnahmen und Reparationsbestimmungen völlig unklar war. Das Paradebeispiel bietet der Handel mit Aktien der I.G.-Farben, der in den ersten Nachkriegsmonaten die meisten Umsätze bei erheblichen Kursschwankungen verzeichnete, ehe er Ende Januar 1946 durch das Militärgesetz Nr. 55 an allen Börsen ausgesetzt wurde.109 Bei einigen Unternehmen, zum Beispiel BMW, kam es zu solch paradoxen Erscheinungen, dass Gerüchte über bevorstehende Zerstörungen von Betriebsstätten zu Kurssteigerungen führten. Den Spekulationseifer spornte in diesen Fällen die Erwartung an, dass eine zukünftige deutsche Regierung für Verluste, die durch Kriegseinwirkungen entstanden waren oder – wie im Falle der Dekartellisierungs- und Reparationsmaßnahmen – als Kriegsfolgelasten angesehen wurden, zumindest teilweise würde Entschädigung leisten müssen.110 Selbst Anteile von Unternehmen in der sowjetischen Zone, von denen man aufgrund der politischen Ereignisse erst recht nicht wusste, wie viel sie tatsächlich wert waren, 104 Rhein-Neckar-Zeitung vom 2.1.1947. 105 Der Wirtschaft-Spiegel, August 1946, S. 53. 106 Der Wirtschaft-Spiegel, November/Dezember 1946, S. 39; Der Wirtschaft-Spiegel, Dezember 1946/ Januar 1947, S. 46. 107 Der Wirtschaft-Spiegel, Dezember 1946/ Januar 1947, S. 46. 108 Strathus, Kapitalmarkt, S. 8; vgl. auch JB Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main für das Jahr 1947/48, S. 13. 109 Vermerk vom 4.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 110 Memo (Finance Division), 16.2.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9.
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verschmähte man angesichts eines immer enger werdenden Angebots von Wertpapieren nicht gänzlich, auch wenn sich die betreffenden Kurse durchweg auf erheblich niedrigerem Niveau bewegten als die der Unternehmen in den Westzonen. Namentlich an der Bayerischen Börse konzentrierte sich die Nachfrage – wie seit jeher üblich – auf Werte von regionalen Unternehmen, die ihre Stoppkurse bei nur unwesentlichen Schwankungen schon früh erreicht hatten.111 Spätestens seit Ende 1947 hatte das Anlage suchende Publikum ein neues Argument für ein Engagement in Aktienwerten: In Presseartikeln wurde gemutmaßt, dass zahlreiche Unternehmen in der Lage seien, die durch Kriegseinwirkungen und Kriegsfolgen erlittenen Substanzverluste mit Hilfe umfangreicher stiller Rücklagen zumindest finanziell „erstaunlich gut“ zu meistern und „ihre Bilanzen auch beim Ausbleiben der Entschädigungen für Kriegsschäden ohne Beeinträchtigung des Grundkapitals zu bereinigen“. Viele Unternehmen – so die Wirtschaftspresse – näherten sich wieder der Rentabilitätsgrenze, so dass selbst Aktienkurse über pari nicht „realitätsfremd“ seien.112 Wenn es trotz der enormen Nachfrage nicht zu einem explosiven Anstieg des Handelsvolumens kam, so lag die Ursache auf der Angebotsseite. Aufgrund der bereits angesprochenen Sperrung der Girosammel- und Streifbanddepots in Ostberlin und der Sowjetzone war das Volumen der handelbaren Anteilswerte drastisch reduziert. Schätzungen gingen davon aus, dass der Anteil der tatsächlich lieferbaren Stücke lediglich 25 bis 30 Prozent aller börsengängigen Titel ausmachte.113 Hinzu kam, dass das wichtigste Motiv für den Kauf von Aktienwerten gleichzeitig der Hauptgrund für die Inhaber war, auf einen Verkauf zu verzichten: Die ungewisse Zukunft der Reichsmark ließ das Eigentum von Sachwerten wesentlich attraktiver erscheinen als Geldbesitz. Dementsprechend veräußerten die Aktienbesitzer ihre Papiere in der Regel nur dann, wenn unbedingter Geldbedarf bestand. Für das Halten von Aktien sprach dabei auch, dass ein Verkauf – zumindest über die Börse – trotz der großen Nachfrage aufgrund des Kursstopps nur begrenzte Gewinnmöglichkeiten versprach. Der gesamte Wertpapiermarkt war also von einem „Leerkaufen“ geprägt, bei dem die angebotenen Stücke zumeist in feste Hände gelangten und dadurch das Angebot immer geringer wurde.114 II. 3. 2. Der Rentenmarkt Die Entwicklung auf dem Rentenmarkt verlief ähnlich wie bei den Aktien, da die Ausgangsbedingung ähnlich war: Die Nachfrage war größer als das Angebot. Die Nachfrage war hoch, da die Anleger die Hoffnung hegten, dass festverzinsliche 111 Vermerk vom 4.3.1946; Investigation of Stuttgart Stock Exchange, 12.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9. 112 Der Kurier vom 19.12.1947. 113 Handelsblatt vom 1.1.1948. 114 Der Kurier vom 19.12.1947.
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Wertpapiere im Rahmen einer Währungsreform – wie bei der Einführung der Reichsmark 1923/24 – von einer Schuldenaufwertung profitieren würden.115 Das Angebot war gering, weil der Handel in Reichsanleihen, die den mit Abstand größten Bestand aller festverzinslichen Effekten ausmachten, nach Kriegsende ausgesetzt worden war und kaum Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Industrieobligationen verfügbar waren, da Realkreditinstitute (Einstellung des Wohnungsbaus), Kommunen (Kommunalkreditverbot) und Unternehmen (Eigenfinanzierung) in den zurückliegenden Jahren nur wenige Emissionen platziert hatten. Pfandbriefe und Kommunalobligationen von Realkreditinstituten mit Sitz in den Westzonen waren bei den Käufern begehrt; ihre Kurse waren stabil und erreichten frühzeitig die Stoppkurse. Diese lagen bei 102,5 für Pfandbriefe und 110 für Industrieobligationen. Auf diese Höchstwerte wurden zunächst monatlich die nicht bedienten Coupons aufgeschlagen.116 Daher lagen die Kurse Anfang 1947 in der amerikanischen Zone für Pfandbriefe bei 108 und für Industrieobligationen bei 113/114. Eine neue Begrenzung wurde auf der Tagung der Börsenvorstände Ende Oktober 1946 beschlossen und im Frühjahr 1947 vom GDF bestätigt, wonach die Kurse für Hypothekenpfandbriefe und Kommunalobligationen einheitlich auf 106,5 und für Industrieobligationen auf 112 festgelegt wurden. Die Zinsen wurden fortan nicht mehr jeden Monat hinzuaddiert.117 Auch Wertpapiere von Realkreditinstituten mit Sitz in der sowjetischen Zone wurden gehandelt, wenn bekannt war, dass diese Institute ein nennenswertes Kreditgeschäft in den westlichen Zonen unterhalten hatten, von dem die Käufer zu profitieren hofften. Die „Ostpfandbriefe“ wurden in der Regel mit starkem Kursabschlag gehandelt, der aber deutlich abnahm, sobald ein Institut Niederlassungen in den Westzonen gründete und dort die Zinszahlungen wieder aufnahm.118 In aller Regel lösten die Realkreditinstitute die Zinsscheine ihrer Pfandbriefe unter Währungsvorbehalten ein.119 Industrieobligationen waren zunächst sehr niedrig notiert, nur in München zogen süddeutsche Werte schon frühzeitig bis zu den Stoppkursen an.120 Je hoffnungsvoller die Lage der deutschen Wirtschaft wurde, desto begehrter wurden die Industriewerte. Ob Zinsen gezahlt wurden, richtete sich danach, ob die betreffen115 Memo (Sandelin), 15.5.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4. 116 Schreiben Bartmann (Vorstandsmitglied der Deutschen Effekten- und Wechselbank) an Raeder (Deputy Chief, Financial Institutions Branch) vom 12.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/237/4. 117 Rhein-Neckar-Zeitung vom 2.1.1947; Schreiben des Vorsitzenden des GDF an die Bipartite Finance Control Group vom 24. Juli 1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3. 118 Anfang 1946 betrug der Kursabschlag dieser Ostwerte knapp 15 Prozent. Finance Officer’s General Financial Report, Land Greater Hesse, May 1946, 15.6.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/183/6; vgl. Der Wirtschaft-Spiegel, November/ Dezember 1946, S. 37; JB Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main für das Jahr 1947/48, S. 14. 119 Der GDF beschloss zwar ein Verbot dieser Vorbehalte, das in der Praxis aber nicht eingehalten wurde. Tagesordnung für die 7. Sitzung des GDF am 3./4.3.1947 – BA Ko, Z 28/6, Bl. 76. 120 Investigation of Munich Stock Exchange, 4.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/231/9.
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den Unternehmen unter das Militärgesetz Nr. 52 fielen oder nicht. Kam das Gesetz zur Anwendung, wurden keine Zinsen bezahlt. Die übrigen Unternehmen nahmen den Zinsdienst allmählich wieder auf. Vor der Währungsreform wurden die Obligationen offenbar in der Regel zu den Halbjahresterminen bedient.121 Die Umschuldungsanleihen und Anleihen der Städte und Länder wurden spätestens seit Anfang 1947 wieder an den Börsen der amerikanischen Zone gehandelt, nachdem die Wiederaufnahme des Zinsdienstes für öffentlich-rechtliche Schulden mit Ausnahme der Reichsschulden von der Militärregierung erlaubt worden war. Dies setzte auch die Verantwortlichen in der britischen Zone unter Druck, im Sinne der Vereinheitlichung eine ähnliche Regelung vorzunehmen.122 Der Zonenbeirat sprach sich daraufhin für eine Wiederaufnahme des Schuldendienstes aus, um dadurch wieder ein wenig mehr Rechtssicherheit zu schaffen und das Vertrauen der privaten und institutionellen Anleger in die Schuldnerqualität des öffentlichen Sektors wiederherzustellen, nicht zuletzt mit Blick auf eine eventuell notwendig werdende Neuverschuldung. Man war sich bewusst, dass die Gläubiger des Reichs diskriminiert wurden, da die Reichsschuld weiterhin nicht bedient wurde.123 Hinsichtlich der Zinslast sah man keine Bedenken, da die gesamte öffentliche Verschuldung während der Zeit des Nationalsozialismus immer stärker von den Gemeinden und Ländern auf das Reich verlagert worden war. Während die Verschuldung des Reichs kontinuierlich angestiegen war, hatten die anderen Gebietskörperschaften ihren Schuldenstand vermindern können. Man schätzte im Zonenbeirat, dass die Reichsschuld (einschließlich Reichsbahn und Reichspost) ca. 350 Mrd. RM betrug, während die übrigen öffentlichen Schulden (im gesamten ehemaligen Reichsgebiet) auf etwa zehn Mrd. RM taxiert wurden. Entsprechend ging man von einer vergleichsweise geringen jährlichen Belastung durch Zins- und Tilgungszahlungen in der britischen Zone von 300 bis 400 Mio. RM aus. Der GDF forderte dementsprechend im Juli 1947, den öffentlichen Zinsdienst außer für Reichsschulden wieder zuzulassen.124 Nach Zustimmung der britischen Militärregierung wurde die Schuldendienstsperre im Juli 1947 aufgehoben.125 121 Schreiben des nordrhein-westfälischen Justizministers an den Präsidenten des Zentral-Justizamtes für die Britische Zone vom 3.1.1948 – BA Ko, Z 8/191, pag. 127 f. 122 Stenograph. Bericht der 6. Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats am 17./18.3.1947, S. 104 – PA, 1/177. 123 Der Zinsdienst für Gemeinde- und Länderschulden war in den süddeutschen Ländern wohl auch aus föderalen Motiven heraus wieder aufgenommen worden, um die die „Reichseinheit wahrende Gebietskörperschaft“ zu diskriminieren. Vorschlag des Finanzausschusses an den Zonenbeirat betr. Bedienung der öffentlichen Schulden der Gemeinden, Gemeindeverbände, Länder usw., 29./30.1.1947; Stenograph. Bericht über die 6. Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats vom 17./18.3.1947, S. 107 ff., 111 – PA, 1/177. 124 Tagesordnung für die 7. Sitzung des GDF am 3./4.3.1947 – BA Ko, Z 28/6, Bl. 72 ff.; Schreiben des Vorsitzenden des GDF an die Bipartite Finance Control Group vom 24. Juli 1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3; Stenograph. Bericht über die 6. Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats vom 17./18.3.1947, S. 106, 110 – PA, 1/177. 125 Zuvor war dieses Problem in der britischen Zone auf verschiedene Weise behandelt worden, indem in einigen Regionen (z.B. Hamburg) das Verbot weitgehend beachtet, in anderen der
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Exkurs: Das Hypothekenbank-Problem Neben den öffentlichen Gebietskörperschaften nahmen die privaten und öffentlich-rechtlichen Realkreditinstitute als Daueremittenten traditionell die wichtigste Stellung am deutschen Wertpapiermarkt ein. Auf sie kam nach Kriegsende gleich eine Flut von Problemen zu, die an drei Punkten festgemacht werden können: 1. Ein großer Prozentsatz der mit Hypotheken belasteten Immobilien war durch Kriegseinwirkungen zerstört oder stark beschädigt worden, so dass sie den Hypothekarschuldnern keinerlei Einnahmen brachten bzw. erhebliche Ertragseinbußen bescherten. Die während des Kriegs vom Reich geleistete Nutzungsentschädigung für entstandene Kriegsschäden fiel seit der alliierten Besetzung fort. Als Konsequenz konnten die Schuldner die fälligen Zins- und Tilgungszahlungen gar nicht bzw. nicht vollständig an die Hypothekenbanken abführen.126 2. Zahlreiche Hypothekenschuldner, deren Immobilien nicht stark zerstört waren, nutzten die günstige Gelegenheit und kündigten ihren Hypothekarkredit vorzeitig, indem sie ihre während der zurückgestauten Inflation angesammelten Geldmittel für die Rückzahlung nutzten – ein Verhalten, das es in ähnlicher Weise schon während der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg gegeben hatte. Es stellte eine Möglichkeit dar, die Flucht in Sachwerte anzutreten. Auf kurze Sicht halfen diese Rückzahlungen den Realkreditinstituten dabei, ihren eigenen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.127 Aber schon bald ergab sich die bedrohliche Folge, dass sich ihr Kreditportfolio immer stärker aus Hypotheken auf zerstörten oder beschädigten Objekten zusammensetzte.128 Denn die Neubegebung von Hypothekenkrediten war fast zum Erliegen gekommen, da es aufgrund des Wertverlustes der Währung kaum Nachfrage nach Darlehen gab. Niemand wollte Kredite in einer verfallenden Währung aufnehmen, um diese nach einer Währungsreform, mit
Zinsdienst wieder aufgenommen worden war. Schreiben der Landesregierung Schleswig-Holstein, Ministerium für Finanzen, an das Zentral-Justizamt für die Britische Zone vom 25.10.1947 – BA Ko, Z 8/191, pag. 131; Stenograph. Bericht über die 9. Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats vom 24.9.1947, S. 12 f. – PA, 1/177. 126 Rechtlich betrachtet blieben die Zinsverpflichtungen aus den „Ruinenhypotheken“ allerdings in uneingeschränktem Umfang bestehen, so dass einige Hypothekenbanken verschiedene Schritte unternahmen, um Zwangsvollstreckungen gegen die Schuldner vorzunehmen. Schreiben der Direktion der Bayerischen Vereinsbank an die Militärregierung vom 12.10.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/136/12; Privat Mortgage Banks in Germany, 10.4.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/137/2; vgl. Deumer, Finanzierung, S. 3 f.; Schreiben des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V. an Generalsekretär Weisser (Zonenbeirat) vom 20.3.1947 – PA, 1/123; vgl. Christ, Westdeutsche Bodenkreditanstalt, S. 68 f. 127 Kohlhaas, Geschichte, S. 127. 128 Draft (Ball, Finance Division), o. D. – BA Ko, Z 45 F, 2/140/3; Stenograph. Bericht der Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats zusammen mit dem wirtschaftspolitischen Ausschuss und dem Rechts- und Verfassungsausschuss vom 28.4.1947, S. 15 f. – PA, 1/178.
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deren Durchführung in naher Zukunft gerechnet wurde, in hartem Geld zurückzahlen zu müssen.129 Die Deckung der Pfandbriefe war somit bedroht. 3. Nach der Schließung der Kreditinstitute und ihrer Filialen der SBZ standen die Hypothekenbanken mit Hauptsitz in Berlin und Ostdeutschland vor der Aufgabe, ihr Geschäft auf Westdeutschland zu verlagern und dort ihre Geschäftsbeziehungen neu zu strukturieren. Das setzte zunächst voraus, dass in allen drei westlichen Besatzungszonen getrennte Unternehmensverwaltungen eingerichtet werden mussten.130 Auch für zahlreiche westdeutsche Realkreditinstitute bedeutete die Stillegung der Geschäfte in Berlin und der SBZ eine erhebliche Beschneidung der Geschäftsbasis, da sie ihre Hypothekarkredite in großem Maße für Objekte in der sowjetischen Zone und besonders in Berlin ausgezahlt hatten, für die die jeweilige Berliner Filiale zuständig war.131 Zinszahlungen der Hypothekenschuldner konnten seit Mai 1945 für diese Gebiete praktisch nicht mehr eingenommen werden.132 Alle Hypotheken westdeutscher Banken im sowjetischen Sektor Berlins wurden enteignet oder beschlagnahmt.133 Angesichts dieser Hindernisse, Zins- und Tilgungszahlungen aus ihren Hypotheken einzunehmen, musste die Bedienung der Pfandbriefe unweigerlich in Schwierigkeiten geraten. Von den bayerischen Hypothekenbanken, die seit jeher eine wichtige Position im Gesamtmarkt einnahmen, wurde das Problem notdürftig in eigener Initiative gelöst, indem sie dazu übergingen, allen Inhabern von Pfandbriefen und Kommunalobligationen im amerikanischen Besatzungsgebiet nur noch die Hälfte der fälligen Zinsbeträge auszuzahlen. Aber selbst dafür mussten einige Banken noch auf Rücklagen zurückgreifen.134 Zinsscheine von Wertpapieren, die sich in der britischen oder französischen Zone befanden, wurden auf 129 Sofern von den Realkreditinstituten Hypothekarkredite vergeben wurden, wurde ein Zinssatz von 4 bis 4,5 Prozent verlangt. Stenograph. Bericht der Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats zusammen mit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuss am 28.4.1947, S. 4 – PA, 1/178; Niederschrift über die Finanzierungsbesprechung (Zonenbeirat) am 22./23.7.1947, S. 9 – PA, 1/123; vgl. auch: Ashauer, Ersparungscasse, S. 262; Unverzagt, Sparkassen, S. 10. 130 Rechenschaftsbericht der Deutschen Centralbodenkredit-AG, Berlin-Köln, 1948–1951, S. 11 f. 131 Als Beispiel für die Kreditengagements der westdeutschen Hypothekenbanken außerhalb der westlichen Zonen sei die Rheinische Hypothekenbank genannt, die 40 Prozent ihrer Hypothekarkredite in die von der Sowjetunion besetzten Gebiete begeben hatte, davon wiederum allein 80 Prozent in Berlin. Schreiben der Bayerischen Handelsbank an die ZinsscheinEinlösestellen vom 11.7.1945; Rundschreiben der Bayerischen Handelsbank vom 16.10.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/136/12; Schreiben der Rheinischen Hypothekenbank an den Finanzminister von Württemberg-Baden vom 27.5.1946 – BA Ko, Z 1/292, pag. 580 f.; Bericht über die 5. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten des GDF vom 14.2.1947 – BA Ko, Z 28/13, pag. 181 f. 132 Private Mortgage Banks in Germany, 10.4.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/137/2; Bericht über die 2. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 15./16.11.1946; Bericht über die 5. Sitzung vom 14.2.1947 – BA Ko, Z 28/13, pag. 42, 180 f. 133 Kohlhaas, Geschichte, S. 127. 134 Schreiben Bayerische Handelsbank an die Zinsschein-Einlösestellen vom 11.7.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/136/12.
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gleiche Weise bedient, als mit der Ingangsetzung des interzonalen Zahlungsverkehrs im Herbst 1945 wieder Zinszahlungen von Hypothekenschuldnern aus diesen Gebieten eingingen.135 Um den Kreditbestand der Hypothekenbanken zu sichern und gleichzeitig die Rechte der Pfandbriefinhaber zu wahren, wurden seit Anfang 1946 die Bemühungen verstärkt, bindende rechtliche Vorschriften zu erlassen. In der britischen Zone wies die Militärregierung die Hypotheken- und Schiffspfandbriefbanken im März 1946 über die Reichsbank an, dass bis zu einer künftigen gesetzlichen Regelung Zinszahlungen für Pfandbriefe und Kommunalobligationen ab dem 1. Januar 1946 nur noch in dem Verhältnis vorgenommen werden durften, wie entsprechende Hypothekenzinsen eingenommen wurden, wobei 1/9 der Darlehenszinsen zur Deckung der Verwaltungskosten einbehalten werden durfte.136 Es gab sowohl Banken, welche den vollen Zinssatz bezahlten, als auch solche, die ihre Zinszahlungen auf zwei Prozent begrenzten.137 Auch in der amerikanischen Zone sah man das Problem als dringlich an, dienten die Pfandbriefe hier doch traditionell breiten Bevölkerungsschichten zur Anlage ihrer Spargelder. Am 2. April 1946 stimmte der Länderrat der amerikanischen Zone einem Gesetzentwurf zu, der eine Regelung wie in der britischen Zone vorsah.138 Die Verordnung wurde von der Militärregierung genehmigt und im Oktober 1946 von der Landesregierung Württemberg-Baden rückwirkend zum 16. Mai 1945 in Kraft gesetzt.139 Doch bevor dies auch in Bayern und Hessen geschehen konnte, wurde sie aus formalen Gründen gestoppt.140 Im Dezember
135 Ausgeschlossen von dieser Regelung, die von der amerikanischen Militärregierung und der bayerischen Landesregierung trotz fehlender Rechtsgrundlage toleriert wurde, blieben hingegen alle Zinsscheine, die aus den Gebieten außerhalb des alten Reichsgebiets, aus Berlin und aus der sowjetischen Zone zur Einlösung eingereicht wurden, von wo ja auch keine Zinseinnahmen aus Hypotheken eingingen. Nur durch diese Maßnahme konnten die Hypothekenbanken der Westzonen, die fast alle erhebliche Kreditverbindungen zu diesen Gebieten besaßen, wenigstens die halbierten Zinssätze für diejenigen Pfandbriefe zahlen, deren Besitzer in den westlichen Zonen wohnten. Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Einlösung von Pfandbrief-Zinsscheinen, März 1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/137/8; „Bayerische Handelsbank“ (Banking Branch, Financial Division, CCGBE), 21.11.1945 – BA Ko, Z 45 F, 2/136/12; 6. Sitzung des Parlamentarischen Rates in Stuttgart am 4.8.1947 – BA Ko, Z 1/327, pag. 10. 136 Banking Branch, Finance Division, CCGBE: Instructions to the Reichsbank No. 14/46, 28.3.1946 – BA Ko, Z 45 F, 2/137/8. 137 Minutes of the 1st Meeting of the Sub-Committee for Monetary and Credit Matters (Unterausschuss für Geld- und Kreditangelegenheiten des GDF), 29.10.1946 – BA Ko, Z 28/13, pag. 13. 138 Ebd., pag. 15. 139 Bei der Württembergischen Hypothekenbank standen beispielsweise Ende 1946 Einnahmen aus Hypothekenzinsen von 5,58 Mio. RM Zinsforderungen von Pfandbriefgläubigern in Höhe von 7,25 Mio. RM gegenüber. Vgl. Kohlhaas, Geschichte, S. 128. 140 Draft (Ball, Finance Division), o. D. – BA Ko, Z 45 F, 2/140/3; Niederschrift der Sitzung des Rechtsausschusses des Länderrats der amerikanischen Zone vom 6./7.11.1946; Schreiben des Generalsekretärs des Länderrats der amerikanischen Zone an Nöll v.d. Nahmer vom
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1946 beschloss der GDF auf Empfehlung seines Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten, sich an dem bisherigen Verfahren in der britischen Zone zu orientieren. Neu an dem Beschluss war, dass es einzelnen Länderregierungen vorbehalten bleiben sollte, den Realkreditinstituten einen Mindestzinssatz für die Ausschüttung vorzuschreiben bzw. einen Verwaltungskostensatz festzulegen.141 Im Oktober 1947 wurde ein entsprechendes Gesetz vom Länderrat der amerikanischen Zone ausgearbeitet und von der amerikanischen Militärregierung genehmigt.142 Erheblich schwieriger gestaltete sich die Regelung der vorzeitigen Voll- bzw. Teilrückzahlung von Hypothekarkrediten. Zwar hatte der GDF beschlossen, dass die Kündigungen von den Banken uneingeschränkt hingenommen werden mussten. Doch die bayerischen Realkreditinstitute verzichteten nicht auf einen Währungsvorbehalt bei der Annahme von Rückzahlungen.143 Es gab darüber hinaus eine Prozesswelle, die nicht nur Hypothekendarlehen, sondern auch andere Kreditverhältnisse betraf, in denen es um die Weigerung von Gläubigern ging, die Kündigung der Schuldner anzunehmen. Angesichts der unsicheren Rechtslage kamen die Gerichte zu sehr unterschiedlichen Urteilen und vermehrten dadurch die Rechtsunsicherheit. Mal wurde bestimmt, dass Mark gleich Mark sei und der Gläubiger die Kündigung anzunehmen habe. Mal wurde festgestellt, dass der Wert der Reichsmark außerordentlich abgenommen habe und daher keinem Gläubiger zugemutet werden könne, für das verliehene „harte“ Geld entwertete Reichsmark zurückzunehmen.144 Seit März 1947 verstärkten die Hypothekenbanken ihren Widerstand gegen die Rückzahlungswelle, die sich von Monat zu Monat verstärkte, und wiesen darauf hin, dass sie dazu nicht nur aus eigenem Interesse veranlasst würden, sondern auch die Wahrung der Interessen der Pfandbriefgläubiger dies gebiete. Denn diese hätten das Recht, dass die „zur Sicherung ihrer Ansprüche bestehenden Deckungswerte so vollwertig wie nur irgend
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15.11.1946; Schreiben Lubowski (Hessisches Staatsministerium der Finanzen) an Kreuser (Bayerisches Finanzministerium) vom 29.4.1947 – BA Ko, Z 1/327, pag. 28, 35. Bericht über die 2. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten vom 15./16.11.1946 – BA Ko, Z 28/13, pag. 43; Bericht über die 4. Sitzung des GDF vom 6., 11. und 12.12.1946 – BA Ko, Z 28/4, pag. 153. Entwurf „Gesetz über die Einlösung der Zinsscheine von Pfandbriefen und Kommunalobligationen“ (Ausschuss für Finanz- und Kreditwesen, Länderrat der amerikanischen Zone), 14.7.1947 – BA Ko, Z 1/295, pag. 128; Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses Bankwesen des Länderrats der amerikanischen Zone vom 27.1.1948 – BA Ko, Z 1/322, pag. 154 ff.; Schreiben Regional Government Coordinating Office an den Generalsekretär des Länderrats vom 29.10.1947 – BA Ko, Z 1/344, pag. 25. Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses Bankwesen des Länderrats der amerikanischen Zone am 13.5./17.6.1947 – BA Ko, Z 1/321, pag. 363 f. Stenograph. Bericht über die Sitzung des Finanzausschusses des Zonenbeirats zusammen mit dem wirtschaftspolitischen Ausschuss und dem Rechts- und Verfassungsausschuss vom 28.4.1947, S. 14. – PA, 1/178.
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möglich erhalten“ blieben. Daher forderten sie ein Moratorium für Hypothekenrückzahlungen.145 Die verschiedenen Fachausschüsse beim Länderrat der amerikanischen Zone, beim Zonenbeirat und beim GDF waren sich im Klaren darüber, dass nicht nur die Hypothekenbanken gefährdet waren, sondern auch die Pfandbriefinhaber Schaden erlitten. Denn manche Hypothekenbanken waren ihrerseits dazu übergegangen, angesichts ihres schrumpfenden Deckungsstocks Pfandbriefserien einseitig zu kündigen und zurückzuzahlen.146 Die Ausschüsse unterstellten den Hypothekenbanken aber auch, dass sie die einseitigen Rückzahlungen nicht nur als Ausgleich für den schrumpfenden Deckungsstock, sondern auch aus Gründen der Zinspolitik vornehmen würden. In diesen Fällen hätten die Hypothekenbanken die Mittel, die aus der Rückzahlung von vorzeitig gekündigten Hypotheken eingegangen waren, nicht als Ersatzdeckung genutzt, sondern zur Bedienung der Pfandbriefzinsen, um so aus Konkurrenzgründen das Kursniveau der Pfandbriefe möglichst hoch zu halten. Viele Wertpapierbesitzer reichten ihre Pfandbriefe nicht zur Einlösung ein, da sie kein Interesse an dem „entwerteten“ Geld zeigten, für das es ohnehin kaum Anlagemöglichkeiten gab, und da sie immer noch hofften, von der Realdeckung der Pfandbriefe bei einer zukünftigen Währungsreform profitieren zu können. Die Mehrzahl der Hypothekenbanken verzichtete daraufhin – wohl aus Furcht vor einer tiefgehenden Verstimmung ihrer Pfandbriefgläubiger – auf eine umfangreiche Kündigung ihrer Pfandbriefe.147 Eine einheitliche rechtliche Regelung war umstritten, da diese Frage über den rein wirtschaftlichen Bereich hinausreichte und politisch heikle Themen berührte. Einem Moratorium für Hypothekenrückzahlungen wollte man auf deutscher Seite mehrheitlich nicht zustimmen, da dies eine offizielle Anerkennung des massiven Wertverlustes der Reichsmark gewesen wäre. Man befürchtete, dass in diesem Falle auch in anderen Bereichen Vorbehalte gegen die Zahlung in Reichsmark gemacht würden, so z.B. bei der Lohnzahlung. Eine solche Diskriminierung der Reichsmark wollte man angesichts einer in der Presse bereits intensiv geführten Diskussion um den Wert der Währung nicht riskieren. Als Alternative zu einem Moratorium weiteten die Hypothekenbanken ihre Ersatzdeckung mit Schuldverschreibungen von Bundesstaaten oder mit Bargeld aus. Bei der Ersatzdeckung erfuhr das Währungsproblem aber lediglich eine Fortsetzung, da auch hier eine einheitliche Festlegung des Wertes der Reichsmark notwendig war.148 1948 sah
145 Schreiben der Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank an den GDF vom 10.3.1947 und vom 6.5.1947 – BA Ko, Z 28/14, pag. 53 f.; 189 ff. 146 Schreiben Notenius (Senat für die Finanzen der Stadt Bremen) an den Länderrat der amerikanischen Zone, Unterausschuss Bankwesen, vom 24.7.1947 – BA Ko, Z 1/321, pag. 275; vgl. auch Kohlhaas, Geschichte, S. 128. 147 Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses Bankwesen beim Länderrat der amerikanischen Zone vom 29.10.1947 – BA Ko, Z 1/322, pag. 192 f.; vgl. Kohlhaas, Geschichte, S. 128; Christ, Westdeutsche Bodenkreditanstalt, S. 70; Westdeutsche Bodenkreditanstalt, S. 52. 148 Ebd.
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man im Vorfeld der Währungsreform schließlich von einem erneuten Vorstoß für ein Rückzahlungsmoratorium ab.149 II. 4. PRIMÄRMARKT UND EMISSIONSKONTROLLE Die vorherrschende Geldfülle und die Erwartung eines Währungsschnitts, der den gesunkenen Wert der Reichsmark endgültig offen legen würde, waren gute Gründe, mit der Ausgabe von Wertpapieren zur Deckung des langfristigen Kapitalbedarfs bis zur Zeit nach der Währungsreform zu warten, statt neue Schuldverhältnisse mit dem Risiko einzugehen, die Schulden in einer „harten“ Währung zurückzahlen zu müssen.150 Bis Mitte 1948 wurde der Produktionsprozess in der „zurückgestauten Inflation“ vom Rohstoff- und Arbeitskräftemangel bestimmt, nicht vom Kapitalmangel.151 Die Situation wurde bereits am Beispiel der Realkreditinstitute angedeutet: Da es keine Nachfrage nach Hypothekarkrediten gab, war an die Ausgabe von neuen Pfandbriefen nicht zu denken, obwohl sie beim Publikum zweifellos einen reißenden Absatz gefunden hätten. Auch auf Seiten der öffentlichen Hand gab es dank stark erhöhter Steuersätze kaum größeren Kapitalbedarf, da die regulären Steuereinnahmen und kurzfristige Kassenkredite eine ausreichende Basis bildeten. Nichtsdestotrotz kamen grundsätzlich einige Interessenten in Frage, die ihren Kapitalbedarf nicht ohne Weiteres auf einen späteren Zeitpunkt verschieben konnten. Neben einzelnen Unternehmen, die ihr Grundkapital aufstocken wollten, waren dies die Gemeinden und Gemeindeverbände, die den Großteil der Investitionen zur Bewältigung der Kriegsfolgen und zum Wiederaufbau bewältigen mussten. Damit wurde die Frage akut, ob die Emission neuer Wertpapiere einer Genehmigung bedurfte und, wenn ja, wer dafür zuständig sein sollte. Im Februar 1946 schlossen die Alliierten eine Vereinbarung, die den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden die Möglichkeit eröffnete, neben kurzfristigen Kassenkrediten auch langfristige Anleihen aufzunehmen, um ihre Budgetausgaben zu finanzieren. Die Anleihen sollten der Finanzierung von Investitionen im Rahmen außerordentlicher Haushalte dienen, dabei eine Laufzeit von mindestens fünf Jahren haben und nominal mit höchstens 4,5 Prozent p.a. verzinst sein. Jede einzelne Kreditaufnahme und alle Kreditkonditionen mussten von den jeweiligen Militärregierungen genehmigt werden.152 In der Praxis sahen die Länder und Gemeinden von dem Einsatz der Anleihe als Finanzierungsinstrument jedoch ab. Man rechnete zwar mit geringen Haushaltsdefiziten in den ersten Nachkriegsjahren, wollte diese aber vor der erwarteten Währungsreform
149 Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses Bankwesen beim Länderrat der amerikanischen Zone vom 27.1.1948 – BA Ko, Z 1/322, pag. 154 ff. 150 Strathus, Kapitalmarkt, S. 8. 151 Röhl, Entwicklung, S. 18. 152 Memo (Milburn, Brigadier General, GSC, Chief of Staff) – BA Ko, Z 45 F, 11/10/8.
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durch eine Ausweitung der Kassenkredite ausgleichen.153 Auf diese Weise wurde das Problem vermieden, wie die neuen Anleiheschulden im Rahmen einer Währungsreform umgestellt werden sollten, die – anders als bei den Reichsschulden – von Körperschaften aufgenommen wurden, die weiterhin existierten. Was die Genehmigung von Neuemissionen der Privatwirtschaft betraf, so herrschte sowohl auf Seiten der Besatzungsmächte als auch auf Seiten der deutschen Verwaltungsstellen erhebliche Unsicherheit. Im Frühjahr 1947 flackerte kurz eine Diskussion auf, als der Verwaltungsrat für Wirtschaft die Frage aufwarf, wer eigentlich die Entscheidungskompetenz in dieser Angelegenheit habe. Damit wurde das Problem berührt, inwieweit Gesetze, die vom NS-Regime während des Kriegs erlassen worden waren, weiterhin Gültigkeit besaßen. Die Verordnung über den Kapitalverkehr und die dazu erlassene Erste Durchführungsverordnung aus dem Jahr 1941 hatten die Ausgabe von Aktien und Schuldverschreibungen von der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers abhängig gemacht, der dadurch noch umfassender als zuvor auf die Lenkung der Kapitalströme hatte einwirken können. Der Unterausschuss für Geld- und Kreditangelegenheiten des GDF kam zu dem Ergebnis, dass diese Verordnung als Teil der Kriegsgesetzgebung anzusehen sei und daher großer Zweifel bestehe, ob sie nach Kriegsende noch Gültigkeit besitze. Er sprach sich für eine Abschaffung der Verordnung über den Kapitalverkehr aus, um die Wirtschaft „von unnötigen Fesseln aus der Vergangenheit zu befreien.“154 Im Falle einer Beibehaltung der Regelung war nach Ansicht der Mehrheit der Ausschussmitglieder ungeachtet der grundsätzlichen Zuständigkeit des GDF weder dieser noch der Verwaltungsrat für Wirtschaft für die Genehmigung einzelner Emissionen zuständig, sondern die für Kreditangelegenheiten zuständigen Länder- bzw. Zoneninstanzen.155 Der GDF stimmte den Empfehlungen seines Unterausschusses zu und bat den Verwaltungsrat für Wirtschaft um Stellungnahme.156 Inzwischen war jedoch der Interzonale Wirtschaftsrechtsausschuss zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kapitalverkehrsverordnung nicht zur Kriegsgesetzgebung zähle, da wesentliche Bestimmungen über die Genehmigung von Wertpapieremissionen schon vor Kriegsbeginn rechtsgültig gewesen seien und die Verordnung daher nicht unmittelbar mit den Kriegsereignissen in Verbindung gebracht werden könne. Vielmehr solle die Verordnung, die derzeit aufgrund fehlender Emissionstätigkeit kaum Bedeutung besitze, beibehalten werden, da 153 Auf Veranlassung der Militärregierung wurden in der britischen Zone keine Anleihen begeben; darüber hinaus wurde den Kreditinstituten verboten, sich an der Zeichnung von Anleihen in anderen Zonen zu beteiligen oder solche Anleihen zu beleihen. Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses Finanz- und Kreditwesen beim Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes vom 14.6.1946 – BA Ko, Z 1/294, pag. 425 f.; Schreiben der Reichsbankleitstelle Hamburg an den GDF vom 12.5.1947 – BA Ko, Z 28/14, pag. 197–202. 154 Auszug aus der Niederschrift über die 8. Tagung des Interzonalen Wirtschaftsrechtsausschusses vom 18./19. Juni 1947 in Minden – BA Ko, Z 8/191, pag. 142 f. 155 Bericht über die 6. Sitzung des Unterausschusses für Geld- und Kreditangelegenheiten beim GDF vom 10./11.4.1947 – BA Ko, Z 28/14, pag.75. 156 Bericht über die 9. Sitzung des GDF vom 22.4.1947 – BA Ko, Z 28/7, pag. 163.
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nach einer Währungsreform mit einer starken Verknappung des Kapitalangebots zu rechnen sei, die erneut eine Lenkung des Kapitalmarktes notwendig machen werde. Die Rechtsexperten fürchteten, dass es angesichts der „derzeitigen Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsapparates“ große Schwierigkeiten bereiten würde, nach der Währungsreform auf schnellem Wege eine neue gesetzliche Regelung zu schaffen, wenn die Kapitalverkehrsverordnung einmal abgeschafft sei. Der Wirtschaftsrechtsausschuss empfahl daher dem Verwaltungsrat für Wirtschaft, dem Beschluss des GDF zur Abschaffung der Kapitalverkehrsverordnung nicht zuzustimmen. Die Zuständigkeit für Emissionsgenehmigungen sollte nach Ansicht des Wirtschaftsrechtsausschusses vom Reichswirtschaftsminister auf die zuständigen Länderministerien übertragen werden.157 Die Verordnung über den Kapitalverkehr wurde nicht mehr vom Verwaltungsamt für Wirtschaft behandelt und geriet wohl im Zuge der Verwaltungsneuordnung in der Bizone bzw. der Vorbereitungsmaßnahmen für die Zentralbank- und Währungsreformgesetze wieder in Vergessenheit. Sie wurde jedenfalls nicht offiziell aufgehoben.158 Die Finanzexperten der amerikanischen Militärregierung befürworteten den Vorschlag der deutschen Gremien, die Emissionsgenehmigung den Ländern zu übertragen, da sie selbst – ohne ein entsprechendes Militärgesetz – keine Verantwortung übernehmen wollten. Ein Einwirken der Militärregierungen, wie sie von der britischen Militärregierung gefordert wurde, hätte nach Auffassung der amerikanischen Finanzexperten den Wiederaufbau marktwirtschaftlicher Strukturen nur behindert. Die Amerikaner argwöhnten, dass die Briten, die sich für eine Zentralisierung der Genehmigungskompetenz auf höchster Ebene unter alliierter Kontrolle einsetzten, ein „sozialistisch“ geprägtes Verwaltungssystem einführen wollten, das die Kapitalströme zu den Unternehmen lenken sollte, die der Erfüllung vorgegebener Pläne am besten dienen konnten.159 Man ging mit den Vorwürfen sogar noch weiter und beschuldigte die Briten in einem internen Vermerk, dass sie mit derartigen Regulierungsversuchen, die den Dezentralisierungsbemühungen der Amerikaner diametral entgegenstünden, lediglich versuchen würden, „their few thousand former German Nazi officials assembled in Minden“ mit Arbeit zu versorgen.160 Die Argumentation zeigt, dass die Amerikaner der Emissionsgenehmigung Mitte 1947 gesamtwirtschaftlich noch keine große Bedeutung beimaßen. Nur wenige Monate später sollten die fundamental veränderten Rahmenbedingungen eine Neubewertung dieser Frage bewirken.
157 Auszug aus der Niederschrift über die 8. Tagung des Interzonalen Wirtschaftsrechtsausschusses vom 18./19. Juni 1947 – BA Ko, Z 8/191, pag. 142 f. 158 Schreiben Müller (Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen) an Fredericks (Director, Fiscal Section) vom 8.10.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/156/13. 159 Memorandum (Conrad, FE & BC Branch), 16.6.1947; Memorandum (Rhyne), 18.6.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3. 160 Memorandum to Mr. Aikin (Hagen), 19.6.1947 – BA Ko, Z 45 F, 2/157/3.
III. DIE EINBINDUNG DES WERTPAPIERMARKTES IN DEN MARSHALLPLAN (1948/49) III. 1. DIE WENDE DER ALLIIERTEN DEUTSCHLANDPOLITIK III 1. 1. Die Marshallplan-Initiative War der deutsche Kapitalmarkt zwischen Kriegsende und Mitte 1947 nur ein Nebenschauplatz der alliierten Deutschlandpolitik und weitgehend sich selbst überlassen, so wandelte sich dies infolge der veränderten weltpolitischen Lage. Es war der heraufziehende Ost-West-Konflikt, der seit Ende 1946 die Deutschlandplanungen und -verhandlungen der Alliierten immer deutlicher überschattete und schließlich die Wertmaßstäbe für die politische und wirtschaftspolitische Behandlung Deutschlands fundamental verschob. Schon im Verlauf des Jahres 1946 erlahmte im Alliierten Kontrollrat der Wille zur Kooperation, der in der Frühphase der Besatzungszeit vor allem bei den Amerikanern zu beobachten gewesen war.1 In der Folgezeit gerieten die Beratungen im Kontrollrat und seinen Direktoraten ins Stocken, da über wesentliche Streitfragen keine Einigung erzielt werden konnte bzw. Kernprobleme dilatorisch behandelt wurden. Grundsätzlich war bei den Delegationen in Berlin aber weiterhin Verhandlungsbereitschaft vorhanden, die in dem ein oder anderen Fall zu bemerkenswerten Ergebnissen führen konnte, so noch 1947 bei den Gesprächen über die Durchführung einer gesamtdeutschen Währungsreform.2 Auf der übergeordneten diplomatischen Ebene waren jedoch zu diesem Zeitpunkt die Anzeichen einer deutlichen Abkühlung des außenpolitischen Klimas zwischen den beiden anglo-amerikanischen Besatzungsmächten und der Sowjetunion schon deutlich sichtbar. Bereits im Herbst 1946 standen in Washington die politischen Beziehungen zur Sowjetunion auf dem Prüfstand und in den maßgeblichen Politik- und Wirtschaftskreisen begann ein Umdenken über das zukünftige Vorgehen in Europa und Deutschland. Vorerst übte die US-Regierung den Spagat, die deutschlandpolitischen Verhandlungen – besonders in der Reparationsfrage – mit der Sowjetunion fortzuführen, ohne innenpolitisch untragbare Zugeständnisse machen zu müssen. Je länger, desto mehr offenbarte sich aber, dass die Arbeit im Alliierten Kontrollrat nur noch aufrecht erhalten wurde, um den Kontakt zwischen den westlichen Siegermächten und der Sowjetunion nicht abbrechen zu lassen. 1 2
Im Januar 1946 hatte die Zusammenarbeit der vier Alliierten mit dem ersten Industrieniveauplan zu einem weitreichenden Verhandlungsergebnis geführt. Vgl. Maier, Zukunft, S. 36 f; Mausbach, Morgenthau, S. 175, 185 f., 214 f. Brackmann, Krieg, S. 233–244; Lehmann, Marshall-Plan, S. 87; Schillinger, Entscheidungsprozess, S. 44 f.
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Jede Besatzungsmacht wollte es unbedingt vermeiden, die Schuld für eine mögliche Teilung Deutschlands auf sich zu nehmen. Die grundsätzlichen ideologischen Gegensätze zwischen den USA und der Sowjetunion ließen ein Klima gegenseitigen Misstrauens entstehen, das die Bereitschaft zu Kompromissen, die von der Sachlage her – trotz regelmäßiger Störmanöver der Briten und Franzosen – selbst in der Reparationsfrage möglich gewesen wären, erstickte.3 Briten und Amerikaner stellten sich schließlich darauf ein, dass die Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit nicht durchsetzbar sein würde. Diese Konsequenz, die von den Briten schon seit längerer Zeit erwogen worden war, um die wirtschaftlichen Probleme ihrer Zone in den Griff zu bekommen, wurde für die Amerikaner nach dem Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz im März/April 1947 zu einer ernsthaften Option.4 Die amerikanische Regierung sah sich nun aufgrund der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, die als Zeichen für das Scheitern der bisherigen interalliierten Zusammenarbeit angesehen wurde, vor die Aufgabe gestellt, nach neuen Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die nicht mehr vorrangig von der Kooperation aller vier Alliierten ausgingen. Für die Zukunft Deutschlands sollte sich der Wandel der geopolitischen Strategie der USA, die als Weltmacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen war und die Politik der westlichen Besatzungsmächte zunehmend dominierte, als entscheidend erweisen. Seit 1945 hatte der Sicherheitsaspekt im Vordergrund der amerikanischen Deutschlandpolitik gestanden, also der Schutz vor einer erneuten militärischen Aggression der Deutschen.5 Dies änderte sich, als die US-Amerikaner nicht mehr ein militaristisches Deutschland als größte Gefährdung der internationalen Beziehungen ansahen, sondern – wie zuvor schon die Briten – das als „expansionistisch“ angesehene Verhalten des sowjetischen Staates in Mittel- und Südosteuropa. Die Eindämmung der „sowjetischen Bedrohung“ wurde nunmehr als vorrangiges weltpolitisches Sicherheitsproblem eingestuft, das die Amerikaner auf diplomatischem Wege, aber auch durch weitreichende wirtschaftspolitische Maßnahmen zu lösen gedachten. Dreh- und Angelpunkt in den amerikanischen Überlegungen war die Absicht, die (west)europäischen Staaten durch Wirtschaftshilfen politisch zu stabilisieren, sie als Akteure im – US-amerikanisch dominierten – Welthandel zu etablieren und 3 4
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Möller, Währungsreform, S. 443 f.; Buchheim, Währungsreform, S. 124 ff. Dort waren Lösungen für die Kernprobleme der Deutschlandpolitik, auf die sich der Konflikt der Alliierten zugespitzt hatte, nämlich die Reparationsproblematik, die Ruhrfrage und die Einrichtung zentraler Verwaltungsstellen, endgültig in weite Ferne gerückt. Vgl. Herbst, Option, S. 36–41; Lehmann, Marshall-Plan, S. 89 f. Kernpunkt der sicherheitspolitischen Konzeption waren die Planungen zur Umstrukturierung der deutschen Industrieproduktion, durch die das deutsche Rüstungspotenzial entscheidend geschwächt werden sollte. Trotz des Widerstands der britischen Regierung, die drastische Einschnitte in die überkommene deutsche Wirtschaftsstruktur aus Furcht vor einem weiteren Produktionseinbruch ablehnte, wurde das sicherheitspolitisch motivierte Umstrukturierungskonzept von den Amerikanern in den Verhandlungen über den ersten Industrieplan und über die Reparationsregelungen konsequent verfolgt. Vgl. Mausbach, Morgenthau, S.113 ff.
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damit zugleich gegen den expandierenden Kommunismus sowjetischer Prägung zu „immunisieren“. Dabei konnte man nicht von der Notwendigkeit absehen, dass zu diesem Zweck die Wiedereingliederung der deutschen Wirtschaft in die internationalen Handelsbeziehungen von großer Bedeutung sein würde. Die deutsche Industrie sollte, wie vor der Zeit des Nationalsozialismus, als Lieferant von Investitionsgütern und Kohle zum europäischen Wirtschaftswachstum beitragen.6 Die Wirtschaftspolitik innerhalb der USA war seit Anfang der Dreißigerjahre von der „New Deal“-Politik geprägt, der Präsident Roosevelt zum Durchbruch verholfen hatte. Mit ihrem spezifischen Arrangement des public-private partnership hatten die New Dealer neben dem Ausbau der sozialen Sicherungssysteme imposante Infrastrukturprojekte insbesondere im Süden und Westen der USA durchgeführt.7 Mit dem verstärkten Engagement des Staates in zahlreichen wirtschafts- und sozialpolitischen Programmen, das schließlich die gesamte „Wirtschaftskultur“ des Landes veränderte, konnten die unmittelbaren Folgen der Weltwirtschaftskrise abgeschwächt und das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem stabilisiert werden. Der New Deal basierte dabei auf „self-governing economic groups, integrated by institutional coordinators and normal market mechanisms, led by cooperating public and private elites, nourished by limited but positive government power, and geared to an economic growth in which all could share“.8 Das System des New Deal hatte sich in den USA in den späten Dreißigerjahren bereits erschöpft, nicht zuletzt weil wesentliche Zielsetzungen wie die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht erreicht worden waren. Doch erhielt es mit den beginnenden Rüstungsvorbereitungen und dem Kriegseintritt der USA, die eine Ausweitung der Kooperation von staatlichen Planungsbehörden und privaten Unternehmen erforderten, neue Impulse und konnte schließlich in den Vierzigerjahren seine größte Wirkungskraft entfalten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollten die im Inland gemachten Erfahrungen der New Deal-Ära auch außenpolitisch genutzt werden, um die internationale Weltwirtschaftsordnung auf eine neue Basis zu stellen. Wirtschaftswissenschaftliche Planung sowie Kooperation von wirtschaftlichen und politischen Eliten in internationalen Organisationen sollten dazu dienen, private und öffentliche Macht zu teilen und durch marktwirtschaftliche Anreize und staatliche Regulierung die internationalen Handels- und Finanzbeziehungen unter amerikanischer Führung zu festigen. Dazu dienten schon zu Kriegszeiten das Abkommen von Bretton Woods und die Einrichtung des Internationalen Währungsfonds, dazu sollte seit 1947 auch der Marshallplan beitragen.9 Nach der Moskauer Außenministerkonferenz wurden in den USA im Frühjahr 1947 die Bemühungen intensiviert, die noch wenig konkreten Konzepte zur neuen Deutschland- und Europapolitik mit programmatischen Aussagen zu unterfüttern. Gemeinsam war den Entwürfen, dass sie finanzielle Auslandshilfen als Mittel der 6 7 8 9
Maier, Zukunft, S. 15 f.; Buchheim, Wiedereingliederung, S. 35. Kennedy, Freedom, Kap. 12. Hogan, Marshall Plan, S. 3. Lehmann, Marshall-Plan, S. 73–82.
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Außenpolitik vorschlugen, um über eine wirtschaftliche auch eine politische Stabilisierung der europäischen Staaten zu erzielen.10 In den folgenden Monaten schälte sich das „European Recovery Program“ (ERP) (Marshallplan) mit seinen weitgesteckten Zielsetzungen heraus, die von einer effizienten Nutzung der Ressourcen und einer Stabilisierung von Staatsfinanzen und Währungen über die Ausweitung der Kooperation zwischen den teilnehmenden Ländern, die Durchsetzung von Zollerleichterungen und die optimale Nutzung der Arbeitskräfte bis zur Überwindung der Dollarlücke in Europa reichten.11 Um die genannten Ziele zu erreichen, erklärten sich die USA bereit, die europäischen Staaten vor allem mit umfangreichenden Materiallieferungen zu versorgen, deren Zusammensetzung und Volumen koordinierte Planungsbehörden der Europäer und Amerikaner vorschlagen sollten. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Jahresprogramme sollten dem amerikanischen Kongress als Grundlage für die Bewilligung von ERP-Lieferungen dienen, die jedes Jahr aufs Neue beschlossen werden sollten. Die Lieferungen aus den USA erfolgten an die europäischen Unternehmen nicht kostenlos, sondern mussten in der jeweiligen Landeswährung bezahlt werden. Die für den Erwerb aufgebrachten Mittel, so genannte „ERP-Gegenwertmittel“, wurden auf Sonderkonten angesammelt und konnten von den einzelnen Staaten mit Erlaubnis der USA zu Investitionszwecken genutzt werden. Anders als von der US-Administration zunächst vorgesehen, sah sie sich schon bald veranlasst, genaue Vorgaben über die Form und Gestaltung des Programms zu machen. Denn die teilnehmenden europäischen Staaten waren zwar generell an einer materiellen Unterstützung der USA sehr interessiert, doch schätzten sie die Problemlage in Europa grundsätzlich anders ein: Sie führten die Probleme der Nachkriegszeit in erster Linie auf konjunkturelle Ursachen zurück und nicht, wie die Amerikaner, auf umfassende strukturelle Verwerfungen und gestörte internationale Wirtschaftsbeziehungen. Besonders die größeren europäischen Staaten hatten weitgehende Einwände gegen eine zu enge zwischenstaatliche Kooperation, die mit einer Beschneidung der nationalen Souveränität gleichgesetzt wurde.12 10 Erhebliche Abweichungen gab es aber in der Schwerpunktsetzung: Mal wurde generell das politische Ziel hervorgehoben, dass mit einer finanziellen Unterstützung der Europäer der sowjetische Einflussbereich eingedämmt werden sollte, mal wurden wirtschaftliche Aspekte wie die Wiederherstellung der innereuropäischen Arbeitsteilung, die Überwindung der Dollarlücke und die Förderung des Welthandels in den Vordergrund gestellt. Daneben wurden als Ziele der Auslandshilfe auch konkrete, aber sehr unterschiedliche Einzelziele angeführt, wie „die Einbeziehung Großbritanniens in das Währungssystem von Bretton Woods und in ein multilaterales Handelssystem, die Stabilisierung der deutschen Wirtschaft, die Stärkung der bürgerlichen Kräfte in Frankreich und Italien, die Unterstützung der monarchistischen Partei im griechischen Bürgerkrieg und die Entwicklungshilfe an die Türkei.“ Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 43. 11 Selbst als US-Außenminister Marshall das Angebot einer amerikanischen Auslandshilfe in seiner Rede am 5. Juni 1947 an der Harvard-Universität der Öffentlichkeit bekannt gab, existierte noch kein detaillierter Plan. Ebd., S. 101. 12 Krüger, Sicherheit, S. 82 ff., 88 ff.
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III. 1. 2. Die Marshallplan-Verwaltung Nach langer Diskussion im US-Kongress wurde mit dem „Economic Cooperation Act“ vom 3. April 1948 eine eigenständige Verwaltung für die Durchführung der Auslandshilfe errichtet. Die „Economic Cooperation Administration“ (ECA) erhielt den Rang eines Ministeriums, dessen Leiter dem Präsidenten direkt unterstellt war. Sie war – im Stile des New Deal – ein Zwitter aus öffentlicher und privatwirtschaftlicher Einrichtung, deren Personal sich aus Beamten der beteiligten US-Ministerien sowie Fachkräften aus Unternehmenskreisen zusammensetzte. Man erhoffte sich von dieser Konstruktion, dass sie Know-how aus Politik und Wirtschaft am besten kombinieren und eine flexible und „wirtschaftsnahe“ Durchführung des ERP gewährleisten würde.13 Die ECA hatte dem Kongress den Umfang und die Zusammensetzung der Hilfslieferungen vorzuschlagen und war für die Verteilung der Güter verantwortlich. Sie organisierte Bestellung, Bezahlung und Transport der Lieferungen und verwaltete die daraus resultierenden ERP-Gegenwertmittel. Durch diese umfassenden Kompetenzen erhielt die ECA ein enormes Gewicht in den europäischen Staaten, wo sie neben den Vertretungen des State Departments eigene Agenturen einrichtete. In ihrem Selbstverständnis sah sich die ECA befugt, tiefer als die traditionelle Diplomatie in die jeweilige nationale Wirtschaftspolitik der ERP-Teilnehmerländer, die ihrerseits in der Organisation for European Economic Co-operation (OEEC) ein gemeinsames Gremium erhielten, einzugreifen und den europäischen Wiederaufbau zu lenken – eine Auffassung, die nicht nur in Europa, sondern auch in den USA durchaus umstritten war, da man befürchtete, dass die umfassende (bürokratische) Einflussnahme der ECA die Entwicklung marktwirtschaftlicher Verhältnisse in Europa behindern könnte.14 Bei den westdeutschen Politikern waren die Reaktionen auf das ERP mit Ausnahme der Kommunistischen Partei durchweg positiv, da die Auslandshilfe angesichts der bitteren Mangelwirtschaft die Hoffnungen auf eine moderate Erholung nährte. Aber der janusköpfige Charakter des ERP, der planwirtschaftliche Instrumente mit marktwirtschaftlichen Zielen verband, musste gerade in Westdeutschland, wo sämtliche wirtschaftspolitische Debatten vor dem Hintergrund der zähen Auseinandersetzungen um eine neue Wirtschaftsordnung abliefen, besondere Aufmerksamkeit erfahren. In den verschiedenen politischen Lagern ließ der angekündigte Einbezug der Westzonen in den Marshallplan entgegengesetzte Hoffnungen keimen: Sahen die bürgerlichen Parteien die Möglichkeit, die Wiederaufnahme eines marktwirtschaftlich geprägten deutschen Staates in die Weltwirtschaft und damit die Wiedererlangung internationaler Anerkennung zu beschleunigen, so erhofften sich die Sozialdemokraten eine Verstärkung der Wirtschaftsplanung und -kooperation nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. In den Augen der Zeitgenossen war mit der Teilnahme am ERP keine endgültige Entscheidung über die zukünftige west13 Hogan, Marshall Plan, S. 102 ff. 14 Hardach, Marshall-Plan, S. 95 ff.
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deutsche Wirtschaftsordnung verbunden. Im Vorfeld der Gründung der Bundesrepublik bildete das ERP allerdings den Rahmen, in dem sich das ordnungspolitische Tauziehen zwischen den beiden Extrempolen Planwirtschaft und freie Marktwirtschaft vollzog.15 Die Reaktionen der deutschen Politik und Öffentlichkeit auf die Ankündigung des ERP hatten jedoch kaum praktische Bedeutung und besaßen letztlich nur akklamatorischen Charakter, da die beiden bizonalen gesetzgebenden Körperschaften, der Wirtschaftsrat und der Länderrat, von den Besatzungsmächten nicht mit diesem Thema betraut und über die laufenden Verhandlungen nur sporadisch unterrichtet wurden. Wenn die westdeutsche Seite von den alliierten Besatzungsmächten in die Vorbereitung des ERP eingebunden wurde, so beschränkte sich dies auf die technisch-organisatorische Mithilfe der neu errichteten Wirtschaftsverwaltungen, die nicht „parlamentarisch“ kontrolliert wurden. Die Verantwortung für die ERP-Verhandlungen, die mit der amerikanischen Regierung geführt wurden, lag bei den Militärgouverneuren der Westzonen als Vertreter der obersten Regierungsgewalt. Diese begrüßten zwar eine allgemeine politische Unterstützung des ERP auf deutscher Seite, wollten aber gleichzeitig aus Furcht vor Verzögerungen und Behinderungen auf die Einbindung des Wirtschaftsrats verzichten.16 Die Militärgouverneure waren es auch, die im Juli 1948 schließlich das Abkommen über die Auslandshilfe für die Bizone unterschrieben und an die Spitze der bizonalen ERP-Organisation traten. Bis zur Gründung der Bundesrepublik lenkten sie die Wiederaufbaupolitik, vertraten die Bizone in der OEEC bzw. gegenüber der ECA und bestimmten die westdeutschen Investitionsprogramme, bevor diese zur Koordination an die OEEC gingen. Hinsichtlich der detaillierten Planungsarbeiten waren sie aber auf die Zusammenarbeit mit deutschen Experten angewiesen, so dass sie Hermann Pünder, der als Oberdirektor die Arbeit der fünf bizonalen Zentralverwaltungen koordinierte, beauftragten, in seiner Oberdirektion eine „kleine, aber sehr wichtige Stelle für die deutsche Mitarbeit am Marshallplan“ einzurichten, mit dessen Leitung der Bankier Otto Schniewind betraut wurde.17 Auf deutscher Seite lehnten es Pünder und Schniewind ab, für den Marshallplan eine ähnlich aufwendige Verwaltung aufzubauen wie die USA oder andere europäische Länder. Vielmehr vertrauten sie darauf, dass die ERP-Angelegenheiten unter der Führung der Verwaltung für Wirtschaft (VfW), die dabei eng mit den anderen Zentralverwaltungen zusammenarbeiten sollte, zufriedenstellend erledigt werden konnten. Eine neue eigenständige Behörde hätte dagegen ihrer Auffassung nach nur zu Kompetenzstreitigkeiten mit den etablierten Verwaltungen geführt. Die Aufgabenteilung sollte so erfolgen, dass Schniewind als „Berater für den Marshallplan bei dem Vorsitzer des Verwaltungsrates“ die allgemeinen ERP-Angelegenheiten erledigen und den Kontakt zur ECA-Mission und den ERPInstanzen der Militärregierungen pflegen sollte, während die Verwaltungen, 15 Schwabe, Echo, S. 264–271, 288 f. 16 Ebd., S. 274–279. 17 Bührer, Westdeutschland, S. 83; Scholtyseck, Schniewind, S. 378 ff.
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insbesondere die VfW, die fachlichen Planungsarbeiten übernehmen sollten.18 Diese Arbeitsteilung wurde im Grundsatz nach Gründung der Bundesrepublik beibehalten, auch wenn ein Bundesministerium für den Marshallplan eingerichtet wurde, das – personell bescheiden ausgestattet – für die Verteilung der ERPGegenwertmittel und die diesbezügliche Abstimmung mit der ECA und der OEEC zuständig blieb. Vorübergehend erhielt das Marshallplan-Ministerium, das von dem FDP-Vorsitzenden Franz Blücher geleitet wurde, erheblichen Einfluss auf die westdeutsche Außenwirtschafts- und Investitionspolitik. Die eigentliche Planungsarbeit blieb aber weiterhin – begleitet von wiederholten Kompetenzstreitigkeiten – dem Bundeswirtschaftsministerium vorbehalten.19 III. 1. 3. Die Währungs- und Wirtschaftsreform vom 20./21. Juni 1948 Die Neuorientierung der amerikanischen Außenpolitik seit Frühjahr 1947 führte in den westlichen Besatzungszonen zu weitreichenden Reformen, die darauf abzielten, die Bizone wirtschaftlich selbständig zu machen und in den Wiederaufbau Europas einzubeziehen. Damit wurde zwar noch keine endgültige Entscheidung über eine Teilung Deutschlands getroffen; die Briten und USAmerikaner waren aber inzwischen bereit, die Gefahr einer dauerhaften Trennung der westlichen Zonen und der SBZ als Preis für die wirtschaftliche Erholung und die demokratische Neuordnung Westdeutschlands in Kauf zu nehmen. Auf dieser Grundlage hoben die anglo-amerikanischen Besatzungsmächte die Produktionsbeschränkungen des ersten Industrieniveauplans vom Februar 1946 deutlich an und leiteten eine Verwaltungsreform in die Wege, die erstmals nach dem Krieg wieder exekutive und legislative Körperschaften für die gesamte Bizone schuf. Mit diesen Körperschaften20 wurde die Zentralgewalt gestärkt und die Macht der Ministerpräsidenten der Länder eingeschränkt, die bis dahin die einzigen demokratisch legitimierten Volksvertreter gewesen waren. Die Grundlagen für die künftige wirtschaftliche Entwicklung schufen drei miteinander verwobene Maßnahmenbündel, die zeitgleich am 20. Juni 1948 umgesetzt wurden: die 18 Zur besseren Koordination der beteiligten Verwaltungen und Stellen wurde ein „ERPArbeitsausschuss“ eingerichtet, der dem Oberdirektor direkt unterstellt war und neben den zentralen Behörden auch Vertreter der BdL, der Gewerkschaften etc. vereinte. Die in die bizonale Verwaltung weitgehend integrierten ERP-Verwaltungsstellen besaßen keine Entscheidungsbefugnisse und arbeiteten in erster Linie der ERP-Administration der Militärregierung zu. Vgl. ebd.; Löffler, Marktwirtschaft, S. 411. 19 Löffler, Marktwirtschaft, S. 409–415. 20 Zunächst wurden der Wirtschaftsrat und der Exekutivrat als legislative Organe geschaffen. Die Exekutive lag in der Hand der nunmehr für die gesamte Bizone zuständigen zentralen Verwaltungsämter. Aufgrund von Konstruktionsmängeln und ungenauen Kompetenzverteilungen wurde die nur schwerfällig und ineffektiv arbeitende bizonale Verwaltung Anfang 1948 erneut umstrukturiert. Der neue institutionelle Rahmen mit Wirtschaftsrat, Länderrat und Verwaltungsämtern mit einem Oberdirektor an der Spitze entsprach den Anforderungen weit besser und bildete den Nukleus für den Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Wengst, Staatsaufbau, S. 29 ff.; Ambrosius, Durchsetzung, S. 152.
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Währungsreform, das Steuerneuordnungsgesetz sowie die in das „Leitsätzegesetz“ verpackte Wirtschaftsreform. III. 1. 3. 1. Die Währungsreform Weder auf alliierter noch auf deutscher Seite bestanden nach Kriegsende angesichts der zerrütteten Währungsverhältnisse Zweifel, dass die Durchführung einer Währungsreform notwendig war, um den massiven Geld- bzw. Kaufkraftüberhang zu beseitigen und das gewaltige Volumen der Staatsschuld zu verringern.21 Der Weg, auf dem diese Neuordnung des Geldwesens erreicht werden sollte, war Gegenstand langwieriger Verhandlungen zwischen den Alliierten, auf die westdeutsche Politiker und Finanzexperten kaum Einfluss nehmen konnten.22 Für den Kapitalmarkt hatten die schließlich festgesetzten Bestimmungen weitreichende Folgen: Im Rahmen der Währungsreform wurde der gesamte Besitz an festverzinslichen Wertpapieren im Verhältnis 10:1 von Reichsmark auf Deutsche Mark umgestellt. Die Wertpapierbesitzer waren von dieser Regelung maßlos enttäuscht, hatten sie doch lange auf eine „Schattenquote“ gehofft und deshalb vor der Reform kräftig Wertpapiere gekauft. Nun mussten sie sich mit einer ähnlich niedrigen Umstellungsquote zufrieden geben wie die Geldbesitzer bzw. Kontensparer, obwohl insbesondere die Pfandbriefe noch zu etwa 60 bis 70 Prozent durch reale Werte gedeckt waren. Dies führte bei den Anlegern zu heftigen Reaktionen und Protesten. Die damit verbundene Verkaufswelle am Rentenmarkt brachte die umgestellten RM-Wertpapiere unter heftigen Kursdruck.23 Auch die Erwartung, dass im Rahmen eines Lastenausgleichs, der die Kriegsfolgelasten gleichmäßiger auf die Bevölkerung verteilen sollte, eine gewisse Entschädigung der Wertpapiersparer erfolgen würde, wurde spätestens mit Verabschiedung des Soforthilfegesetzes im August 1949 enttäuscht.24 Die – besonders im Vergleich zum Währungsschnitt von 1923/24 – niedrige Umstellungsquote stellte eine schwere Belastung für den Neustart des Wertpapiergeschäfts dar. Es sollte sich schnell erweisen, dass Neuemissionen am Rentenmarkt nur sehr schwer unterzu21 Zum finanziellen Erbe des NS-Regimes: Boelcke, Kosten, S. 144 f., 188. 22 Zur Vorbereitung Durchführung der Währungsreform s. Buchheim, Währungsreform; Möller, Vorgeschichte; ders., Währungsreform; Brackmann, Krieg. 23 Pfandbriefe, die durch Immobilien weitgehend abgesichert waren, wurden wie Bankeinlagen im Verhältnis 1:10 umgestellt. Dagegen wurden die – weiterhin an einem Preisstopp gebundenen – Mieten im Verhältnis 1:1 umgestellt. An die Stelle der restlichen 90 Prozent Gläubigerbesitz traten Grundschulden. Die Immobilien, die bisher bei den Realkreditinstituten als Deckung für Pfandbriefe gedient hatten, wurden als „Hypothekengewinnabgabe“ in den Lastenausgleichfonds eingebracht. Vgl. Rieger, Hypothekarkredit- und Pfandbriefinstitute, S. 87 f.; Redebeitrag Biber in: Zins- und Mietpreisbildung, S. 18 f. 24 Wie sich die Währungsreform letztlich auf den Aktienbesitz auswirken würde, zeigte sich erst, als die ersten DM-Eröffnungsbilanzen der Unternehmen veröffentlich wurden. Die ersten DM-Bilanzen wurden erst 1950 auf Grundlage des DM-Bilanzeröffnungsgesetzes aufgestellt. Vgl. Strathus, Kapitalmarkt, S. 17 f., 42 ff.; Gierse, Selbstfinanzierung, S. 17 f.
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bringen waren, da die festverzinslichen Wertpapiere in den Augen der Privatanleger ihre Funktion als sicherer Hort der Geldaufbewahrung weitgehend eingebüßt hatten. Mit der Währungsreform wurde auch das Problem der übermäßigen Staatsverschuldung entschärft. Die Schulden des Reichs, der Reichsbahn und der Reichspost, die den weitaus größten Teil der Staatsschuld ausmachten, da sich die Verschuldung während der NS-Zeit immer stärker auf das Reich verlagert hatte, wurden von der Umstellung der Schuldforderungen auf D-Mark ausgenommen. Die Reichstitel, die sich im Portefeuille der Kapitalsammelstellen und Kreditinstitute befanden, wurden für wertlos erklärt. Da diese Unternehmen im Rahmen der „geräuschlosen Kriegsfinanzierung“ den größten Teil der Reichsanleihen aufgenommen hatten, hatte sich damit die Staatsverschuldung zum größten Teil in Luft aufgelöst. Um die dadurch entstandenen Lücken in den Bilanzen der Zentralbank, der Kreditinstitute und Kapitalsammelstellen zu schließen, wurden ihnen so genannte Ausgleichsforderungen in Höhe von insgesamt ca. 20,57 Mrd. DM zugewiesen. Schuldner waren der Bund (7,7 Mrd. DM) und die Länder (12,6 Mrd. DM).25 Die Ausgleichsforderungen waren niedrig verzinst und im Prinzip nicht handelbar, wodurch sie sowohl die Rentabilität als auch die Liquiditätsposition der Finanzinstitute erheblich belasteten.26 Lediglich in Ausnahmefällen konnten sie durch einen Verkauf an das Zentralbanksystem, das nach der Währungsreform in Gestalt der Landeszentralbanken und der Bank deutscher Länder seine Arbeit aufnahm, in liquide Mittel umgewandelt werden.27 Damit waren die (Alt)Schulden des Bundes und der Länder reduziert und vom übrigen Kapitalmarkt isoliert, was jegliche Kurspflege überflüssig machte. Die niedrige Verzinsung sorgte dafür, dass die Belastungen der öffentlichen Haushalte durch den Schuldendienst nur gering waren. Private Besitzer von Reichstiteln gingen im Rahmen der Währungsreform ganz leer aus. Sie wurden erst im Allgemeinen Kriegsfolgegesetz im Jahre 1957 berücksichtigt, das die Entschädigungsleistungen für die mittel- und langfristig verbriefte Reichsschuld regelte. Da die öffentlichen und privaten Kapitalsammelstellen, Bausparkassen und Kreditinstitute in diesem Gesetz nicht mehr berücksichtigt wurden, war ein vergleichsweise geringes Volumen von knapp 20 Mrd. RM betroffen, für die eine Quote von 6,5 Prozent erstattet wurde.28 25 Die Bank deutscher Länder und die Landeszentralbanken erhielten Ausgleichsforderungen in Höhe von 8,7 Mrd. DM, Postscheck- und Postsparkassenämter 326 Mio. DM, Kreditinstitute 6,9 Mrd. DM, Versicherungsunternehmen 4,57 Mrd. DM und Bausparkassen 67 Mio. DM. Vgl. Statistisches Handbuch der BdL 1948–1954, S. 247. 26 Die Ausgleichsforderungen der Kreditinstitute waren mit drei Prozent (wenn sie zur Deckung von langfristigen Schuldverschreibungen u.ä. dienten: 4,5 Prozent), diejenigen der Versicherungen und Bausparkassen mit 3,5 Prozent verzinst. Vgl. ebd. 27 Röhl, Entwicklung, S. 15 f. 28 Die unverbriefte Reichsschuld wurde – mit Ausnahme von Härtefällen – gelöscht. Dies geschah ebenfalls mit den kurzfristigen Verbindlichkeiten (Reichsschatzanweisungen, Reichsschatzwechsel). Die Finanzinstitute wurden bei der Umwandlung der verbrieften
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III. 1. 3. 2. Das Steuerneuordnungsgesetz und das „Leitsätzegesetz“ Im Februar 1946 hatten die alliierten Besatzungsmächte Steuergesetze verabschiedet, die in allen vier Zonen rückwirkend zum 1. Januar 1946 die Progression der Einkommensteuer bis zu einem Spitzensatz von 95 Prozent und den Körperschaftsteuersatz auf 60 Prozent erhöht hatten.29 Sie wollten mit dieser drastischen Anhebung des Steuerniveaus, die Westdeutschland mit einer Steuerbelastung des nominalen Sozialprodukts von 44 Prozent zum höchstbesteuerten Land der Welt machte, die öffentlichen Haushalte sanieren und die Verwaltungs-, Besatzungs- und Kriegsfolgekosten weitgehend durch das deutsche Steueraufkommen abdecken.30 Da künftig die Wiederaufbauanstrengungen im Vordergrund stehen sollten, waren die westlichen Alliierten nach der Währungsreform bestrebt, die freiwillige Kapitalbildung der Bevölkerung durch steuerliche Anreize anzuregen. Sie setzten zwar im Steuerneuordnungsgesetz vom 20. Juni 1948 die Sätze für die Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen- sowie Erbschaftsteuer in den Westzonen in weit geringerem Maße herab, als dies – gerade für die mittleren und hohen Einkommen, die für die Kapitalbildung von besonderer Bedeutung waren – von deutscher Seite gefordert worden war.31 Denn die Militärregierung fürchtete weiterhin Haushaltsdefizite in den Westzonen und eine daraus resultierende Destabilisierung der neu eingeführten D-Mark. Zudem wollte sie die Steuersätze nicht unter das Niveau ihrer Heimatländer (insbesondere Großbritannien) fallen lassen.32
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mittel- und langfristigen Schuld im Rahmen des Kriegsfolgegesetzes nicht mehr berücksichtigt, da sie im Rahmen der Währungsreformgesetze bereits mit Ausgleichsforderungen ausgestattet worden waren. Auf sie entfielen 114 Mrd. RM der gesamten lang- und mittelfristigen verbrieften Reichsverschuldung in Höhe von insgesamt 142 Mrd. DM. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 9, 179 ff. Roskamp, Capital formation, S. 122. Kaum schlüssig ist das häufig vorgebrachte Argument, dass durch die hohen Steuersätze der hohe Kaufkraftüberhang abgeschöpft werden sollte. Denn die eingenommenen Steuergelder wurden von den Verwaltungen zur Gänze wieder ausgegeben. Die „Februargesetze“, denen neben den westlichen Alliierten auch die Sowjetunion zustimmte, erhöhten auch die Umsatz-, Vermögen- und Erbschaftsteuer. Vgl. Ullmann, Steuerstaat, S. 180; Franzen, Steuergesetzgebung, S. 85; Boelcke, Kosten, S. 167 f. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.6.1948. Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Britisches Kontrollgebiet, 1948, Nr. 24, S. 889. Ullmann, Steuerstaat, S. 182.
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Tarife der Einkommensteuer 1946 und 1948 (in Prozent des Arbeitseinkommens)33 Einkommen pro Jahr (RM/DM) 1.800 3.000 4.200 6.000 10.200 12.000 24.000 60.000 120.000 300.000 1.000.000
Kontrollratsgesetz Nr. 12 (Februar 1946) St.Kl. I St.Kl. II St.Kl. III,2 7,9 5,6 16,1 11,4 4,5 24,4 19,6 10,5 32,1 26,7 21,0 39,7 36,3 33,0 42,0 39,2 35,9 57,3 55,2 52,8 77,2 75,9 72,1 86,1 85,3 84,2 91,4 91,2 90,7 93,9 93,8 93,7
Militärregierungsgesetz Nr. 64 (Juni 1948) St.Kl. I St.Kl. II St.Kl. III,2 2,8 1,7 8,7 5,1 2,3 13,0 9,6 3,6 18,7 15,2 10,9 29,7 26,5 20,9 33,3 30,6 25,4 47,7 45,9 42,6 67,0 66,2 64,5 78,6 78,2 77,3 87,2 87,0 86,7 92,7 92,6 92,5
Die Alliierten führten aber erhebliche Steuerbegünstigungen ein, die vor allem der Kapitalbildung und der Investitionsfinanzierung dienen sollten – ein Weg, den der deutsche Gesetzgeber später in verstärktem Maße fortsetzen sollte. So gaben die Alliierten Sparanreize, indem sie Steuervergünstigungen für kapitalbildende Lebensversicherungsverträge, Bausparverträge und für so genannte „Kapitalansammlungsverträge“ einführten. Neben allgemeinen Sparverträgen und Ratensparverträgen zählten zu den „Kapitalansammlungsverträgen“, die nur Privatpersonen, nicht jedoch Kapitalgesellschaften abschließen durften, auch der Ersterwerb von Pfandbriefen, Kommunalobligationen und anderen Schuldverschreibungen von Grund-, Real- oder Kommunalkreditinstituten, die nach dem 20. Juni 1948 neu ausgegeben wurden. Auch öffentliche Anleihen konnten laut Gesetz mit dieser Begünstigung ausgestattet werden, nicht jedoch Industrieobligationen.34 Die für diese Sparformen aufgewandten Beträge waren im Rahmen bestimmter Höchstbeträge35 vollständig als Sonderausgaben vom steuerpflichtigen Einkommen abzugsfähig. Darüber hinausgehende Beträge waren seit 1949 bis zur Grenze von 7,5 Prozent der Gesamteinkünfte und einer Obergrenze von sehr großzügigen 15.000,- DM zur Hälfte abzugsfähig.36 Voraussetzung für die Steuervergünstigung war, dass die Wertpapiere bzw. Guthaben einer dreijährigen Sperrfrist unterlagen und in diesem Zeitraum nicht veräußert bzw. aufgelöst wurden; Wertpapiere waren also in diesen drei Jahren nicht fungibel. Die Förderung der Kapitalansammlungsverträge wurde in das Einkommensteuergesetz von 1950 33 Muscheid, Steuerpolitik, S. 45. 34 Steuerzollblatt 1948, S. 123. 35 Zwischen 1951 und 1954 betrugen diese Höchstbeträge 800,– DM für den Ehemann sowie 400,– DM für die Ehefrau und jedes Kind. Für Personen über 50 Jahren waren die Sätze doppelt so hoch. Vgl. Roskamp, Capital formation, S. 100; Ehler, Verbandszusammenschlüsse, S. 170 f. 36 Zweites Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.4.1949, WiGBl. 1949, S. 69.
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übernommen und blieb – trotz wiederholter Änderungen – in ihren Grundlagen bis 1958 in Kraft, ehe sie durch die Einführung des Prämiensparens abgelöst wurde.37 Das Ausmaß, in dem die privaten Sparer bzw. Anleger von den steuerlichen Begünstigungen der Kapitalansammlungsverträge profitierten, hing von dem jeweiligen individuellen Einkommensteuersatz ab.38 Da die Einkommensteuer weiterhin stark progressiv war, zogen die Empfänger hoher Einkommen einen weitaus größeren Nutzen aus dieser Regelung als die kleineren und mittleren Einkommen. Bei Spitzeneinkünften konnte die Steuerersparnis analog zu den hohen Steuersätzen ein exorbitantes Ausmaß erreichen. Bei den mittleren Einkommen bewirkte die Förderung der Kapitalansammlungsverträge eher, dass durch eine Verringerung der Steuerbelastung die Fähigkeit zum Sparen überhaupt erst hergestellt wurde. Denn ohne die Förderung hätte derjenige Teil des Einkommens, der für das Sparen überhaupt in Frage kam, in Form von Einkommensteuern an den Staat abgeführt werden müssen. Vom Gesamtaufkommen an Kapitalmarktmitteln in Höhe von 3,3 Mrd. DM im Jahr 1951 waren nicht weniger als 1,6 Mrd. DM steuerbegünstigt gespart worden, und zwar ganz vorwiegend in Form von Spar- und Depositeneinlagen bei Kreditinstituten.39 Wie unten ausgeführt wird, fiel demgegenüber der steuerbegünstigte Erstabsatz von Wertpapieren an Privatpersonen kaum ins Gewicht. Zeitgleich mit der Währungsreform trat das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ in Kraft, das anders als die Währungsgesetze von der deutschen Administration vorbereitet und vom Wirtschaftsrat – gegen die Stimmen der SPD – verabschiedet worden war.40 Trotz der Bedenken der zögerlichen Alliierten und vieler Wissenschaftler, die ein Funktionieren des Marktprozesses kurz nach der Währungsreform wegen der drohenden Geldentwertung bezweifelten, wies das Gesetz dem Direktor der VfW weitgehende Befugnisse auf dem Gebiet der Bewirtschaftung und Preisgestaltung zu, wobei die Beseitigung der Kontingentierung und die Freigabe von Preisen Vorrang haben sollte. Auf dieser gesetzlichen Grundlage setzte Ludwig Erhard als Direktor der VfW umgehend durch, dass die Bewirtschaftung in weiten Teilen außer Kraft gesetzt wurde und eine freie Preisbildung für viele Waren, insbesondere für gewerbliche Fertigwaren, ermöglicht wurde. Er wollte mit dieser „Schocktherapie“ den Märkten wieder Steuerungs- und Allokationsfunktionen zuweisen und der Notwendigkeit aus dem Weg gehen, komplizierte Bewirtschaftungs- und Planungsmaßnahmen zur Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft fortzusetzen, die bereits in den Jahren 1945 bis 1948 weitgehend versagt hatten.41
37 Ergänzende Bestimmungen aus den Jahren 1953 und 1955 strebten lediglich an, Missbräuche zu unterbinden, etwa die Darlehensaufnahme zum Zwecke des Abschlusses von Kapitalansammlungsverträgen. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 38 f. 38 Roskamp, Capital formation, S. 96, 101, 106 f. 39 Wolf, Probleme, S. 125. 40 Zur Diskussion um das Leitsätzegesetz vgl. Nicholls, Freedom, Kap. 9, S. 178 ff. 41 Buchheim, Währungsreform, S. 220 ff.
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Von der freien Preisbildung weitgehend ausgeschlossen blieben wichtige Wirtschaftsbereiche wie Kohle, Stahl, Eisen, sonstige Rohstoffe, Versorgungsunternehmen, die Landwirtschaft und der Wohnungsbau. Ihre Preise wurden aus wirtschafts- bzw. sozialpolitischen Gründen weiterhin von staatlicher Seite auf niedrigem Niveau fixiert. Auch der Wertpapiermarkt zählte nicht zu den Bereichen, die von der Liberalisierung betroffen waren. Wären die Preise, also die Nominalzinsen der Wertpapiere, hier ebenfalls freigegeben worden, wären vor allem die konsumnahen Wirtschaftsbereiche im Vorteil gewesen. Denn sie waren aufgrund der günstigen Ertragsaussichten nach Aufhebung der Preisbindungen und des raschen Warenumsatzes in der Lage, hohe Zinsen zu zahlen. Die Wirtschaftszweige aber, die weiterhin Preisbindungen unterlagen und überdies aufgrund der langfristigen Investitionshorizonte sehr zinsempfindlich waren, wären unweigerlich benachteiligt gewesen. Insofern wurde die „Schocktherapie“ Erhards durch die Aussparung wichtiger Wirtschaftsbereiche abgefedert. III. 1. 4. Investitionsbedarf und ERP-Planungen Im Februar 1948 wurden die Frankfurter Verwaltungen von den Militärgouverneuren offiziell darüber unterrichtet, dass die drei Westzonen in das Europäische Wiederaufbauprogramm einbezogen werden sollten. Damit sahen sich die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger auf alliierter und deutscher Seite vor Finanzierungsaufgaben von überwältigendem Umfang gestellt:42 – Die durch den Bombenkrieg in besonderem Maße zerstörte Infrastruktur (Verkehrssystem, Energieversorgung) musste wiederhergestellt werden. Dabei ergaben sich zusätzliche Probleme dadurch, dass sich die Rekonstruktion an den stark veränderten Wirtschaftsstrukturen orientieren musste, die durch die faktische Abtrennung der östlichen und mittleren Teile des ehemaligen Deutschen Reichs bedingt waren. – Der in hohem Grade zerstörte Wohnungsbestand musste nicht nur ersetzt, sondern aufgrund der Zuwanderung von vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen deutlich vergrößert werden. – Die stark erhöhte Bevölkerungsdichte verlangte die Sicherstellung der Ernährungsgrundlage durch eine Modernisierung der Landwirtschaft. – Zahlreiche Unternehmen hatten Neuinvestitionen nachzuholen, die zwischen 1939 und 1948 zurückgestellt worden waren. Zwar hatte das Anlagekapital der Unternehmen in den Kriegsjahren nicht so stark gelitten wie etwa das Transportwesen und der Wohnungsbestand. Aber Bombenzerstörungen, alliierte Demontagemaßnahmen nach dem Krieg und die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft verlangten erhebliche Investitionen – nicht zuletzt mit dem Ziel, die um mehrere Millionen Menschen angewachsene Bevölkerung in Lohn und Brot zu setzen und die Vertriebenen und Flüchtlinge zu integrieren. 42 Roskamp, Capital formation, S. 51 f.; Röhl, Entwicklung, S. 19.
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Da das erste Jahresprogramm des ERP bereits für den Zeitraum von Juli 1948 bis Juni 1949 vorgesehen war, standen die westdeutschen Verwaltungsstellen unter großem Zeitdruck, noch rechtzeitig vor Beginn der Laufzeit einen Programmentwurf für die Bizone fertigzustellen. Bereits im März/ April legten sie auf Anforderung der Militärgouverneure erste Entwürfe vor, die das Niveau der erreichten Wirtschaftsproduktion ermittelten und davon ausgehend die angestrebten Produktionsziele projizierten.43 Gegenüber den Produktionszielen spielte die Finanzierung der als notwendig erachteten Investitionen keine Rolle, da die Planungen vor der Währungsreform stattfanden und die Entwicklung der Währungsverhältnisse nicht absehbar war. Hinzu kam, dass auch über den Einsatz von ERP-Gegenwertmitteln noch keine Aussagen getroffen werden konnten, da auch hier völlige Unklarheit herrschte, wann die ersten Materiallieferungen eintreffen und die ERP-Gegenwertmittel für Investitionszwecke zur Verfügung stehen würden. Auch war nicht bekannt, unter welchen Bedingungen die Gegenwertmittel von der ECA freigegeben würden.44 Erste explizite Zielmarken für die Investitionstätigkeit in Westdeutschland und erste konkrete Angaben zu ihrer Finanzierung gaben der „Long Term Plan“ und das Jahresprogramm 1949/50, die beide fast zeitgleich erstellt wurden und inhaltlich aufeinander abgestimmt waren. Mit dem Long Term Plan verfolgte die ECA die Absicht, alle europäischen Teilnehmerländer zu einer verbindlichen Festlegung ihrer langfristigen Planziele zu bewegen. Eine Fixierung der von Jahr zu Jahr anzustrebenden Wirtschaftsdaten bis 1952/53, dem ersten Jahr nach dem voraussichtlichen Abschluss des Marshallplans, sollte für alle Staaten den Weg bis zur Erreichung der Ziele des Wiederaufbauprogramms genau vorzeichnen. Die Planziele sollten dem amerikanischen Kongress bei der jährlichen Festsetzung des ERP-Haushalts als Vergleichsmaßstab für die tatsächlich erreichten Daten dienen, um so die Höhe der zukünftigen Auslandshilfe ermitteln zu können. Auf Betreiben der OEEC-Staaten, die eine zu starke Einschränkung ihrer Souveränität fürchteten, wurde der Charakter des Long Term Plan aber so weit abgeändert, dass die ursprüngliche Absicht der ECA kaum mehr zum Tragen kam. Der Plan sollte nur noch eine unverbindliche Zielprojektion sein, bei der auf die Angabe detaillierter Daten verzichtet werden sollte. In der Bizone überließ die Militärregierung die Aufstellung des Long Term Plan „soweit wie vertretbar“ den westdeutschen Behörden, die so auf die eigenständige Mitgliedschaft in der OEEC nach der Staatsgründung vorbereitet werden sollten. Der Plan wurde im Oktober
43 Zur Erreichung des Ziels wurde eine deutliche Erhöhung des Imports veranschlagt, dem ein wesentlich geringerer Export gegenüberstand. Die Differenz zwischen Import und Export sollte durch GARIOA-Mittel (US-Hilfsprogramm zur Sicherstellung der Ernährung in den besetzten Staaten), durch Mittel der britischen Besatzungsmacht und durch ERP-Mittel bezahlt werden. Das von den deutschen Stellen vorgelegte Programm wurde von den zuständigen Stellen der Militärverwaltung überarbeitet und das geschätzte Defizit schließlich auf 1,8 Mrd. Dollar festgelegt. Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 213 ff. 44 Harries, Wiederaufbau, S. 30 f.
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1948 fertiggestellt und in einer von der bizonalen Militärverwaltung nur wenig geänderten Fassung an die OEEC weitergeleitet.45 Der Long Term Plan sah für die Bizone bis 1952/53 eine Steigerung der Industrieproduktion auf ein Niveau von 110 Prozent der Jahresleistung von 1936, eine Vervierfachung des Exportwertes und eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts auf ein Niveau von 105 Prozent gemessen am Stand von 1936 vor. Um solche Wachstumsraten zu gewährleisten, sah man für den gesamten Zeitraum Investitionen im Gesamtvolumen von zwölf Mrd. Dollar als notwendig an, was einer jährlichen Bruttoinvestitionsquote von ca. 20 Prozent bzw. einer Nettoinvestitionsquote von 7,5 Prozent entsprechen sollte.46 Die Steigerung des Investitionskapitals wurden neben der Stabilisierung der jungen westdeutschen Währung zur Hauptaufgabe der bizonalen Finanzpolitik erklärt.47 Die Verfasser des Plans sahen in realistischer Einschätzung voraus, dass dem großen Investitionsbedarf keine entsprechend hohe freiwillige Sparrate gegenüberstehen würde, mit der die Investitionsfinanzierung bestritten werden konnte. Sie gaben dafür drei Gründe an: a) Das Pro-Kopf-Einkommen würde in der Bizone nur langsam steigen und noch im Jahr 1952/53 um ca. 20 Prozent tiefer liegen als 1936, so dass nicht von einer hohen Sparfähigkeit ausgegangen werden konnte. b) Der aufgestaute Konsumbedarf und die starke Nachfrage nach langlebigen Verbrauchsgütern würden zu starken Konsumausgaben führen und die Sparwilligkeit der Bevölkerung in engen Grenzen halten. c) Die hohen Steuersätze würden den Spielraum für freiwilliges Sparen beschränken. Der Long Term Plan zählte Möglichkeiten auf, wie trotz dieser Hemmnisse der privaten Kapitalbildung die erforderlichen Mittel aufgebracht werden könnten, verzichtete dabei aber auf konkrete Zahlenangaben. Die Investitionsfinanzierung sollte sich demnach auf vier Säulen stützen: a) Es wurden Zwangssparmaßnahmen in Form von direkten und indirekten Steuern (vor allem Erhöhung der Luxussteuer) angekündigt, die gegebenenfalls durch die Auflegung von Zwangsanleihen ergänzt werden sollten. Das so erzielte zusätzliche Kapitalaufkommen sollte der Staat zur Investitionsfinanzierung einsetzen. b) Weiterhin sollten Möglichkeiten zur Senkung der Staatsausgaben gefunden werden, um mehr Mittel für die Investitionsfinanzierung frei zu machen. c) Die Selbstfinanzierung von Unternehmen sollte durch eine steuerliche Begünstigung der einbehaltenen Gewinne unterstützt werden. d) Die Durchführung von organisierten „Propaganda“Aktionen, mit denen umfassend für das Sparen geworben werden sollte, und Steuererleichterungen für langfristiges Sparen wurden als mögliche Maßnahmen in Betracht gezogen. Ergänzt werden sollte das in der Bizone aufgebrachte Kapital durch die Auslandshilfe der USA und andere Auslandsinvestitionen. Das
45 Langfristiges Programm (1952/53) für die amerikanischen und britischen Besatzungsgebiete, Europäisches Wiederaufbauprogramm – PA, 2/606. 46 Dies entsprach ungefähr dem Investitionsniveau des Jahres 1936. 47 Langfristiges Programm (1952/53) für die amerikanischen und britischen Besatzungsgebiete, Europäisches Wiederaufbauprogramm, S. 13 f. – PA, 2/606.
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Potenzial von Kapitalimporten aus Staaten außerhalb der USA wurde auf höchstens 200 Mio. Dollar geschätzt.48 Der Katalog zeigt, dass die Investitionsfinanzierung zum überwiegenden Teil eine Lenkungsaufgabe des Staates werden sollte, der die unzureichende freiwillige Sparkapitalbildung kompensieren sollte – ein Eindruck, der von dem amerikanischen Wirtschaftsexperten Bode bestätigt wurde, der den Long Term Plan der Bizone in der OEEC vorstellte.49 Er machte deutlich, dass sich die wirtschaftspolitischen Leitlinien der Militärregierung stark von dem neoliberalen Kurs unterschieden, den die VfW unter Leitung von Ludwig Erhard seit Mitte 1948 eingeschlagen hatte. Zwar sei eine „systematische Planwirtschaft“ keineswegs vorgesehen, doch halte die Militärverwaltung in Kernbereichen der Wirtschaft die Anwendung von wirtschaftslenkenden Maßnahmen für notwendig, deren bedeutsamstes Steuerungselement die bevorzugte Zuteilung von Kapital, Stahl, Kohle und eventuell von Arbeitskräften sein sollte.50 Schon zu diesem frühen Zeitpunkt deuteten sich damit mögliche Konfliktfelder zwischen der von Ludwig Erhard angestrebten, marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung und der widersprüchlichen Konzeption des Marshallplans an, der marktwirtschaftliche Ziele mit planwirtschaftlichen Methoden verband. Das Jahresprogramm 1949/50 wurde parallel zum Long Term Plan erstellt und orientierte sich an dessen langfristigen Planzielen. In der bereits eingeübten Weise wurden die statistischen Grundlagen und Prognosen von den deutschen Verwaltungsstellen zu einem Programmentwurf zusammengefasst und den Militärbehörden im September 1948 vorgelegt, die sie daraufhin in ihrem Sinne überarbeiteten. Dabei legten die Militärstellen großen Wert darauf, der ECA und dem amerikanischen Kongress Fortschritte zu präsentieren und die benötigte Auslandshilfe nicht zu hoch erscheinen zu lassen. Die Militärregierung übergab das Programm schließlich im Oktober 1948 der OEEC, wo die Teilnehmerländer die einzelnen nationalen Planziele in Übereinstimmung zu bringen suchten und über die Aufteilung der Auslandshilfe verhandelten. Da noch erhebliche Abstimmungen vorgenommen werden mussten, wurde für die Bizone schließlich im Mai 1949 ein revidierter Jahresplan aufgestellt, der für den Zeitraum vom 1. Juli 1949 bis zum 30. Juni 1950 private und öffentliche Nettoinvestitionen (ohne Abschreibungen) in Höhe von 8,3 Mrd. DM (2,2 Mrd. Dollar) und einen Bedarf an Betriebsmitteln in Höhe von 1,2 Mrd. DM (360 Mio. Dollar) vorsah – „das Höchstmaß dessen, was sich unter Wahrung der finanziellen Stabilität in der Bizone [...] verantworten lässt“ und zugleich das „Mindestmaß dessen, was notwendig ist, um die Ziele des Longterm-Plan zu erfüllen.“51 48 Ebd.; Bericht über die Besprechung des Longtermplanes der Bizone im Executiv-Komitee, Sitzung am 5.11.1948, verfasst von Dr. Keiser – PA, 2/608. 49 Hardach, Marshall-Plan, S. 138. 50 Bericht über die Besprechung des Longtermplanes der Bizone im Executiv-Komitee, Sitzung am 5.11.1948, verfasst von Dr. Keiser – PA, 2/608. 51 Auszug aus einem Bericht an den ERP-Arbeitsausschuss Frankfurt über „Die Maßnahmen zur Sicherung der inneren finanziellen Stabilität in der Bizone“, Anlage zur 33. ZBR-Sitzung am 26.4.1949 – HA BBk, B 330/13.
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Wie hoch der Unsicherheitsfaktor bei der Ermittlung des Finanzbedarfs der bizonalen Wirtschaft war, zeigt das Vorgehen der VfW bei dem Versuch, den Investitionsbedarf für das Jahresprogramm 1949/50 genauer aufzuschlüsseln: „Wegen der Ungeklärtheit dieser Fragen [über die Auswirkungen von Lastenausgleich und Steuergesetzgebung; d. Vf.] und der völligen Ungewissheit über die Höhe der Sparrate erscheint es nicht ratsam, den Finanzplan von der möglichen Verfügbarkeit langfristiger Kredite her aufzubauen. Es wurde deshalb der andere mögliche Weg gewählt und der Finanzbedarf von der technischen Investitionsmöglichkeit her ermittelt, d.h. es wurde praktisch von der überschaubaren Verfügbarkeit des Engpassrohstoffes Eisen und Stahl für Investitionszwecke ausgegangen und zunächst ein Verteilungsplan des zur Verfügung stehenden Investitionseisens aufgestellt.“52
Aus dem zur Verfügung stehenden Eisen- und Stahlkontingent wurde der Investitionsbedarf für jeden Wirtschaftsbereich ermittelt. Unter Berücksichtigung der spezifischen Finanzierungsstrukturen der verschiedenen Wirtschaftszweige und der prognostizierten Produktionsentwicklung wurde dann der Grad der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten errechnet; die Differenz zwischen Selbstfinanzierungsrate und Investitionsbedarf ergab dann die Summe des erforderlichen Kreditvolumens. Diese Erhebungsmethode bedeutet nichts anderes, als dass der Faktor Kapital auch einige Monate nach der Währungsreform noch keinen brauchbaren Maßstab für die Investitionsplanungen lieferte. Denn der Finanzierungsbedarf wurde – ähnlich wie in den Jahren vor der Währungsreform – erst errechnet, nachdem die Verfügbarkeit der Engpassfaktoren im Rohstoff- und Produktionsgüterbereich geklärt worden war. Der Grund lag darin, dass aufgrund der völlig veränderten Verhältnisse auf dem Geld- und Kapitalmarkt nach Einführung der D-Mark alle Vergleichsgrundlagen für Schätzungen über das zur Verfügung stehende Kapital fehlten: Unkenntnis herrschte über die Entwicklung der Löhne und Preise ebenso wie über die Auswirkungen der bevorstehenden Neuordnung des Steuersystems und der Lastenausgleichsgesetzgebung. Damit konnten seriöse Aussagen über die Sparquote kaum gemacht werden.53 Da man aber auf eine Prognose nicht verzichten konnte, lieferte die VfW der Militärregierung als Ergebnis des oben geschilderten Erhebungsverfahrens folgende Einschätzung über den Kreditbedarf der einzelnen Wirtschaftsbereiche (ohne Selbstfinanzierung):54
52 VfW: Finanzbedarf für den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft für die Zeit von: Währungsreform bis 30.6.1949 und 1.7.1949 bis 30.6.1950, 22.11.1948 – PA, 2/608. 53 Auszug aus einem Bericht an den ERP-Arbeitsausschuss Frankfurt über „Die Maßnahmen zur Sicherung der inneren finanziellen Stabilität in der Bizone“, Anlage zur 33. ZBR-Sitzung am 26.4.1949 – HA BBk, B 330/13. 54 Die Zahlen für die Zeit von der Währungsreform bis Mitte 1949 fußen auf Statistiken über die bis zu diesem Zeitpunkt getätigten Investitionen. Für das Jahr 1949/50 konnten nur Schätzungen vorgenommen werden. VfW: Finanzbedarf für den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft für die Zeit von: Währungsreform bis 30.6.1949 und 1.7.1949 bis 30.6.1950, 22.11.1948; BICO, Joint Secretariat: Memorandum des Jahresprogramms 1949/50 für die Bizone, S. 79, November 1948 – PA, 2/608.
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Industrie, Bergbau und Energie Verkehrswirtschaft Ernährung und Landwirtschaft Wohnungsbau und öffentliche Bauten Handel, Handwerk, sonstiges Gewerbe, öffentliche Verwaltung und Versorgung, Ausgleichsreserve
Kreditbedarf von der Währungsreform bis zum 30.6.1949 in Mio. DM 1.255
Kreditbedarf vom 1.7.1949 bis zum 30.6.1950 in Mio. DM 2.934
685 60
1.025 105
200
1.600
100
336
2.300
6.000
Obwohl weiterhin vollkommene Unsicherheit über das zukünftige Volumen der Kapitalbildung in der Bizone herrschte,55 gab das revidierte Jahresprogramm 1949/50 unter Verwendung der seit der Währungsreform gemachten Erfahrungen immerhin grobe Schätzungen an, welche Quellen zur Aufbringung des Kapitals beitragen konnten:56 Investitionsmittel: Selbstfinanzierung und Investitionen über den unorganisierten Kapitalmarkt Öffentliche Haushalte57 Sozialversicherungen Sparguthaben Wertpapieranlagen der Privaten Privatversicherungen
1.200 Mio. DM 1.950 Mio. DM 300 Mio. DM 700 Mio. DM 350 Mio. DM 300 Mio. DM 4.800 Mio. DM
55 Es war in dieser Planungsphase vor allem unklar, wie hoch die Konsumneigung sein würde und wie groß die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen sein würden. VfW: Finanzbedarf für den Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft für die Zeit von: Währungsreform bis 30.6.1949 und 1.7.1949 bis 30.6.1950, 22.11.1948 – PA, 2/608. 56 Revised Program 1949/50, General Memorandum, S. 14 f. – PA, 2/606; vgl. auch Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft beim Wirtschaftsrat vom 25.4.1949, S. 5 – PA, 2/738. 57 Der Großteil der in den öffentlichen Haushalten vorgesehenen Investitionsmittel sollte von den Länderhaushalten getragen werden; auf sie entfielen 1,55 Mrd. DM, auf den bizonalen Haushalt 100 Mio. DM und auf die Kommunen und Kommunalverbände 300 Mio. DM. Vgl. Auszug aus einem Bericht an den ERP-Arbeitsausschuss Frankfurt über „Die Maßnahmen zur Sicherung der inneren finanziellen Stabilität in der Bizone“, Anlage zur 33. ZBR-Sitzung am 26.4.1949 – HA BBk, B 330/13.
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Betriebsmittel: Bankkredite Selbstfinanzierung von Lagerbeständen und Kapitalgütern
1.000 Mio. DM 200 Mio. DM 1.200 Mio. DM
Die Aufstellung zeigt die Erwartung der Planungsbehörden, dass die Hauptlast der Investitionsfinanzierung auf die öffentlichen Budgets, die einschließlich der Sozialversicherungen knapp 47 Prozent des veranschlagten Kapitals aufbringen sollten, und auf die Selbstfinanzierung (25 Prozent) entfallen würden. Die freiwilligen Formen der Kapitalbildung – Sparguthaben, Wertpapiererwerb, Versicherungsprämien –, die in „normalen“ Zeiten das Rückgrat der Kapitalbildung einer Marktwirtschaft gebildet hatten, traten demgegenüber in den Hintergrund. Die Lücke zwischen den für Investitionen und Betriebsmittel veranschlagten Mitteln und dem durch inländische Quellen aufzubringenden Kapital sollte durch ERP-Gegenwertmittel geschlossen werden. Die Angaben zur freiwilligen Kapitalbildung waren ermittelt worden, indem man das Aufkommen der ersten drei Monate des Jahres 1949 auf die Laufzeit des Programms hochrechnete. Bei der Einschätzung der Spareinlagenentwicklung ging man davon aus, „dass bei zunehmender Beschäftigung und gesteigerter Produktivität der Arbeit die Sparfähigkeit und der Sparwille der Bevölkerung durch das wiedergewonnene Vertrauen in die Stabilität des Geldwertes erhalten“ bleiben würde.58 In Bezug auf den Wertpapiermarkt schätzte man die Entwicklung vorsichtiger ein, da hier aufgrund des Vertrauensverlustes der Anleger nach der Währungsreform und der noch ausstehenden Bestimmungen des DM-Bilanzgesetzes und des Lastenausgleichs erhebliche Unsicherheiten über den zukünftigen Wertpapierabsatz bestanden. Auf Basis der im Januar und Februar neu begebenen Schuldverschreibungen in Höhe von 111 Mio. DM, von denen nur 50 Prozent abgesetzt werden konnten, und der Angaben der Realkreditinstitute über den von ihnen angestrebten Wertpapierabsatz veranschlagte man ein Volumen von nur 350 Mio. DM, das von privaten Anlegern aufgenommen würde.59 III. 2. DAS PROBLEM DES KAPITALMANGELS Es muss nicht besonders betont werden, dass die Amerikaner ihre Auslandshilfe so gering halten wollten, wie es die Zielsetzungen des Marshallplans eben erlaubten. Sie versuchten daher nicht nur, die effiziente Verwendung der Marshallplan-Lieferungen und der ERP-Gegenwertmittel sicherzustellen, sondern 58 Ebd. 59 Zu diesem Volumen kamen die Wertpapiere hinzu, die von Kapitalsammelstellen und öffentlichen Körperschaften bzw. Sozialversicherungen übernommen wurden. Diese – weitaus höhere Zahl – ist wohl in den Positionen private/öffentliche Versicherungen und öffentlichen Haushalte enthalten. Vgl. ebd.
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zielten auch darauf ab, das in der Bizone selbst aufgebrachte Investitionskapital optimal einzusetzen und zu diesem Zweck in bestimmte Branchen zu lenken. Denn die Wirksamkeit der ERP-Gegenwertmittel, so die Befürchtung der amerikanischen Planer, würde verpuffen, wenn das in der Bizone selbst mühsam aufgebrachte Kapital für volkswirtschaftlich sinnlose Investitionen eingesetzt würde. Damit folgten die Amerikaner in der Finanzierungsfrage der gleichen Maßgabe, die auch für die Durchführung des ERP insgesamt galt: Einerseits sollten die Hilfsleistungen für die Bizone in einem angemessenen Rahmen gehalten werden, andererseits wurden von der westdeutschen Seite eigene Leistungen für den Wiederaufbau – und damit im Sinne des ERP auch für den Wiederaufbau der westeuropäischen Nachbarländer – gefordert.60 Die im Long Term Plan und im Jahresprogramm 1949/50 angekündigten finanzpolitischen Maßnahmen zur Erhöhung der inländischen Kapitalbildung und zur Lenkung des so aufgebrachten Kapitals waren das Ergebnis einer ausgedehnten Diskussion, die auf deutscher und anglo-amerikanischer Seite im ersten Halbjahr 1949 geführt worden war. Sie soll im Anschluss ausführlicher betrachtet werden. III. 2. 1. Stockende Investitionen und unzureichende private Kapitalbildung Die Kapitalversorgung der westdeutschen Wirtschaft war für die Besatzungsmächte in den ersten Monaten nach der Währungsreform nur von untergeordneter Bedeutung. Die meisten Unternehmen bewegten sich in einem Verkäufermarkt mit steigenden Preisen, erwirtschafteten hohe Gewinne und hatten erheblichen Spielraum zur Selbstfinanzierung. Als zusätzliche Mittel für Neuinvestitionen verwendeten die Unternehmen mangels langfristigen Kapitals kurzfristige Bankkredite, die vielfach prolongiert bzw. revolvierend eingesetzt wurden. Dies reichte für die Finanzierungsbedürfnisse zunächst aus, da vergleichsweise geringe Investitionen in dieser Phase zu erheblichen Produktionssteigerungen führten.61 Die Kreditexpansion fand jedoch ihr vorläufiges Ende, als die Bank deutscher Länder den Kreditinstituten im November 1948 vor dem Hintergrund enormer Preiserhöhungen massive Restriktionen für die Vergabe kurzfristiger Kredite auferlegte. Damit versiegte eine wichtige Quelle der Investitionsfinanzierung, die daraufhin in ihrer Gesamtheit ins Stocken geriet.62 Aufgrund der nachlassenden Investitionstätigkeit befürchtete die Militäradministration eine drastische Erhöhung der Arbeitslosigkeit vor allem in der Kapitalgüterindustrie, einen Rückgang der fest eingeplanten Exporte und damit
60 Schwabe, Echo, S. 280. 61 Roskamp, Capital formation, S. 75 f. Selbst vorhandenes Kapital wurde kaum langfristig vergeben, da Unsicherheit und Transaktionskosten mit zunehmender Kreditlaufzeit ernorm anstiegen. 62 Röhl, Entwicklung, S. 30 f.; Holtfrerich, Geldpolitik, S. 365 f.
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einhergehend einen Einbruch bei den lebenswichtigen Deviseneinnahmen.63 Als erste Produktionsziele im Stahlbereich gefährdet schienen, trat das Problem Kapitalmangel plötzlich in den Vordergrund der wirtschaftspolitischen Diskussion.64 Anfang 1949 bekannte das Bipartit Control Office (BICO), dass die Aufbringung von Kapital in der Bizone zu einer der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen des gesamten Wiederaufbauprogramms geworden sei. Zu den „alten“ Engpassfaktoren Rohstoffe und Produktionsgüter gesellte sich nun also das Kapital. Obwohl die Geldpolitik Wirkung zeigte und die BdL seit März 1949 ihre restriktiven Maßnahmen schrittweise wieder zurücknehmen konnte, blieb das strukturelle Problem des Kapitalmangels unverändert bestehen.65 Aus den Berechnungen verschiedener Militärregierungsstellen ergaben sich unterschiedliche Vorhersagen über die zu erwartende Lücke zwischen der für das Erreichen der ERP-Ziele notwendigen Kapitalbildung und den tatsächlich verfügbaren Ressourcen. Der Fehlbetrag wurde für das laufende Programmjahr auf etwa ein bis zwei Mrd. DM bei einem Bruttoinvestitionsvolumen von insgesamt sechs bis sieben Mrd. DM geschätzt.66 Die Aufgabe, vor der sich die Militärregierung in diesen Monaten gestellt sah, war also, die Finanzierung dringender Investitionen in möglichst kurzer Zeit sicherzustellen, ohne die Gefahr erneuter massiver Preiserhöhungen heraufzubeschwören.67 In der ersten Jahreshälfte 1949 diskutierte die Finance Group von BICO ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die letztlich auf zwei Lösungsmöglichkeiten hinausliefen: die Aufbringung von zusätzlichem Kapital bzw. die effiziente Verwendung durch Kapitallenkung.
63 Schreiben BICO, Joint Secretariat an Bipartite Secretariat vom 11.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2; Bericht des gemeinsamen Ausschusses des Wirtschaftsrats, Länderrats und Verwaltungsrats: Auswirkungen der Kreditpolitik auf die Wirtschaft – PA 2/783. 64 Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft beim Wirtschaftsrat vom 25.4.1949, S. 4 – PA 2/738. 65 Die Phase der Preissteigerungen war in eine deflationäre Entwicklung übergegangen: Die Güterpreise gingen zurück, während die Herstellungskosten nicht in ähnlicher Weise sanken. Als Folge nahmen die bis dahin hohe Liquidität der Unternehmen und die Möglichkeiten der Selbstfinanzierung ab. The Currency Situation during the First Quarter of 1949, 12.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, 2/140/7. 66 Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 23.2.1949, Anlage A – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 67 Von britischer Seite wurde zwar die vorübergehende Investitionsfinanzierung durch Kredite der BdL ins Spiel gebracht, um so durch vorfinanzierte Investitionen zu den erhofften Ersparnissen zu gelangen. Doch wurde dies von den meisten Militärregierungsstellen abgelehnt und der umgekehrte Weg bevorzugt: Die Suche nach „richtigem“ Kapital, das durch Konsumverzicht entstanden war, sollte Vorrang haben. Economic Trends in the Bizonal Economy. A Critical Analysis of Inflation and Deflation, By E.F. Schumacher, 15.2.1949; Long-term Investment Finance, by E. F. Schumacher (Economic Advisory Branch, Office of the British Chairman), 28.2.1949; Comments on Long-term Investment Finance, March 1949; The Currency Situation during the First Quarter of 1949, 12.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, 2/140/7.
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III. 2. 2. Suche nach zusätzlichen Kapitalquellen Die Finance Group sah sowohl in einer zusätzlichen Förderung der privaten Kapitalbildung als auch in einem verstärkten Einsatz öffentlicher Mittel Möglichkeiten, die Investitionen auf dem notwendigen Niveau zu halten. In Bezug auf die private Kapitalbildung setzte sie auf weitere Steueranreize für langfristiges Sparen, die über die bereits umgesetzte Förderung der Kapitalansammlungsverträge hinausgingen. So sollten nach Meinung einiger alliierter Finanzexperten persönliche Einkommen und Unternehmensgewinne von der Besteuerung befreit werden, wenn sie in öffentlichen Anleihen angelegt wurden, die der Investitionsfinanzierung dienten. Sollten solche Steuererleichterungen nicht zu den erwarteten Ergebnissen führen, erwogen die Experten ein Zwangssparen in solchen Anleihen.68 Eine Steigerung des Sparaufkommens versprachen sich die Finanzexperten auch von der Einrichtung eines „repräsentativ“ zusammengesetzten „Bizonal Savings Committee“, das umfassende, einheitlich gestaltete Werbekampagnen zugunsten des Kontensparens und des Erwerbs von Anleihen organisieren sollte. Es sollte sich an dem Vorbild der in ganz Großbritannien eingesetzten Ausschüsse zur Sparförderung orientieren, wo – laut dem britischen Militärgouverneur General Brian Robertson – eine „Sparschlacht“ im Gange war.69 Den Absatz von öffentlichen Anleihen in einem erheblichen Volumen schätzte die Finance Group offenbar – trotz der katastrophalen Erfahrungen der Deutschen mit Staatstiteln – als realistisch ein. Anleihen sollten für Kleinsparer dadurch attraktiver gestaltet werden, dass man sie mit einem geringen Nennwert ausgab oder mit Lotterieauslosungen verknüpfte. Darüber hinaus erhoffte man sich von einer „Aufbauanleihe“, die mit einer Steueramnestie verbunden werden sollte, die Einnahme erheblicher Mittel. Da die empfohlenen Maßnahmen längere Zeit benötigen würden, ehe sie Wirkung entfalteten, wurde ein Überbrückungskredit der BdL ins Auge gefasst, mit dem das bereits erreichte Investitionsniveau aufrecht erhalten werden sollte.70 Die Experten der Finance Group gaben sich aber keineswegs der Hoffnung hin, dass die private Kapitalbildung allein das Problem der Investitionsfinanzierung lösen würde. Im Gegenteil: Den Schwerpunkt ihrer Planungen legten sie auf die Ausweitung der staatlichen Investitionsfinanzierung durch Einsatz von Steuermitteln. Sie schlugen vor, dass die öffentlichen Budgets zugunsten der Investitionsfinanzierung umgeschichtet werden sollten, indem Haushaltsmittel der Länder zwangsweise in bestimmten Bereichen investiert oder feste Anteile aus 68 Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 23.2.1949, Anlage A – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 69 Ebd.; Schreiben BICO, Joint Secretariat an Bipartite Secretariat vom 11.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2; Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136, S. 7 (Zitat). 70 Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 23.2.1949, Anlage A; Schreiben BICO, Joint Secretariat an Bipartite Secretariat vom 11.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2.
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dem Steueraufkommen – vorgeschlagen wurden ca. 30 Prozent der Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchssteuern – in Anleihen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angelegt werden sollten.71 Weiter ging der Wirtschaftsberater von Militärgouverneur Clay, L. Wilkinson, der – anders als die Finance Group und General Clay selbst – noch Raum für weitere Steuererhöhungen sah. Er hielt die Steigerung der öffentlichen Ersparnis für die einzige Möglichkeit, die schwache private Kapitalbildung zu ersetzen, und erinnerte an das Beispiel der USA, wo in den Dreißigerjahren die Reconstruction Finance Corporation und andere „reconstruction agencies“ im Rahmen des New Deal produktive Projekte „im nationalen Interesse“ mit öffentlichen Mitteln finanziert hatten. Entsprechend regte Wilkinson an, Haushaltsmittel stärker zur Alimentierung der KfW zu nutzen, die sie dann ihrerseits gezielt einsetzen sollte.72 Er sprach sich klipp und klar dafür aus, die Freigabe von GARIOA-73 und ERP-Gegenwertmitteln von entsprechenden Steuererhöhungen der deutschen Verwaltung abhängig zu machen. Nicht nur diese extreme Einstellung des Wirtschaftsberaters, sondern auch die genannten Vorschläge der Finance Group, die zum Teil Eingang in den Long Term Plan fanden, stießen bei den deutschen Verwaltungsstellen auf äußerste Zurückhaltung. Die Finanzoffiziere der Finance Group waren darüber zunehmend verärgert, so dass sie den Militärgouverneuren schließlich empfahlen, die deutschen Stellen durch Direktiven zur Mitwirkung zu zwingen: „In the ordinary course of events Finance Group would have discussed a subject of this nature with the appropriate German Authorities and would have tested their reactions before approaching the Joint Chairmen. The Group has, however, discussed the subject of capital formation on several occasions in recent months with the Director of the Department for Finance, and has impressed upon him the necessity for taking bold and immediate measures to create the necessary funds. It has been made obvious in those discussions that enforced savings through taxation and the creation of budget surpluses are inescapable methods of dealing with the problem. The response so far has been so negative as to lead the Finance Group to believe that there is little to be gained by discussing these proposals with the German Authorities and attempting to get all, or any of them, put through by voluntary German action. Finance Group are therefore of the opinion that nothing less than Military Government directions will achieve the object.“74
71 Dafür kamen nach Ansicht der Finance Group unter anderem die Mittel in Frage, die durch die Verminderung der Besatzungskosten verfügbar wurden. Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 23.2.1949, Anlage A – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 72 Memorandum (Wilkinson) an Clay vom 24.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/17/17. 73 GARIOA (Government Appropriations for Relief in Occupied Areas) wurde das umfangreiche US-Hilfsprogramm zur Sicherstellung der Ernährung in den besetzten Staaten genannt. Die US-Lieferungen im Rahmen dieses Programms mussten wie beim ERP ebenfalls mit inländischer Währung bezahlt werden, so dass auch hier Bestände an Gegenwertmitteln entstanden, über deren Verwendung die Militärregierung zu entscheiden hatte. Zu den verschiedenen Bedeutungen der Abkürzung GARIOA vgl. DIE ZEIT vom 11.8.1949. 74 Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 23.2.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2.
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Es war vor allem General Clay, der den Elan seiner Finanzbehörde zügelte. Seine Haltung weist auf den gewandelten Charakter der Besatzungspolitik hin: Clay sah es als nicht opportun an, den Deutschen im Rahmen des von der amerikanischen Besatzungsmacht maßgeblich geförderten föderalen Staatsaufbaus erst legislative Körperschaften zuzugestehen, ihnen dann aber explizit vorzuschreiben, in welcher Weise sie ihren Verpflichtungen nachkommen sollten. Er lehnte es daher ab, in die Haushaltsführung der Länder einzugreifen und diesen vorzuschreiben, Mittel in bestimmten Werten anzulegen. Vielmehr wollte er die Verantwortung bei den deutschen gesetzgebenden Körperschaften belassen.75 Der Erlass von Direktiven war in dieser Phase ohnehin nicht mehr erwünscht, da die Vorbereitungen für die Gründung eines westdeutschen Staates – der schon bald seine Interessen in der OEEC selbständig vertreten würde – bereits weit fortgeschritten waren. Anders als der britische Militärgouverneur Robertson, der die Anstrengungen der Deutschen hinsichtlich der Kapitalaufbringung als unzureichend kritisierte und dazu tendierte, mehr Druck auszuüben,76 wollte Clay sich darauf beschränken, die Spitzen der deutschen Verwaltung zu einem Gespräch zu bitten, in dem sie ihre Pläne zur Kapitalbildung vorbringen sollten.77 Das Zusammentreffen, zu dem die Militärgouverneure neben den Spitzen der zuständigen deutschen Verwaltungsbehörden auch die Leitung der BdL und der KfW einluden, wurde auf den 13. April 1949 angesetzt.78 Auf deutscher Seite hatte das Problem der Investitionsfinanzierung bis zu diesem Zeitpunkt erheblich weniger Aufmerksamkeit erfahren als bei der Militärregierung. Hier hielt man die für das ERP-Jahresprogramm 1949/50 vorbereiteten Schätzungen über das in der Bizone zur Verfügung stehende Kapital für seriös und vertraute im Großen und Ganzen darauf, dass die zu erwartende Kapitallücke durch die rasche Freigabe von ERP-Gegenwertmitteln und GARIOA-Mitteln (USHilfsprogramm zur Sicherstellung der Ernährung in den besetzten Staaten) gefüllt würde. Dies war die Position, die Ludwig Erhard – als Direktor der VfW Wortführer der deutschen Behörden bei den diesbezüglichen Verhandlungen mit BICO79 – bereits vor und unverändert auch nach der Währungsreform gegenüber den Militärgouverneuren vertrat. Ebenso regelmäßig warnten die beiden Generäle 75 Report of Informal Discussion (Holgate), 22.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1. 76 Meeting on 24.2.1949: Methods for securing additional funds to finance new capital formation; Memo, 30.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 77 Memo, 30.3.1949; Rundschreiben des Bipartite Control Office, Joint Secretariat, vom 5.4.1949 betr. Methods for securing additional funds to finance capital formation – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 78 Von deutscher Seite waren eingeladen: der Präsident des Wirtschaftsrates, Köhler, der Oberdirektor des Verwaltungsrats, Pünder, der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Erhard, der Direktor der Verwaltung für Finanzen, Hartmann, der Vorsitzende des Finanzausschusses des Länderrats, Hilpert, der Vorsitzende des Finanzausschusses des Wirtschaftsrats, der Präsident des Zentralbankrats der BdL, Bernard, der Vorsitzende des Direktoriums der BdL, Vocke, und der Vorsitzende des Vorstands der KfW, Abs. Schreiben von BICO, Joint Secretariat, vom 5.4.1949 – BA Ko, Z 4/47. 79 Als wichtigste Behörde für die Durchführung des Marshall-Plans auf deutscher Seite führte die VfW auch in der Frage der Investitionsfinanzierung das Wort.
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die deutschen Verantwortlichen davor, sich zu sehr auf die Auslandshilfe bei der Kapitalaufbringung zu verlassen und eigene Anstrengungen zu vernachlässigen.80 Auch Erhard sah das Problem einer drohenden Investitionslücke, aber sie sorgte ihn nicht allzu sehr. Im Gegenteil, in gewissem Maße war sie ein Element seines wirtschaftsliberalen Credos: Seit 1947 zeigte er sich davon überzeugt, dass die Währungsreform und die zeitgleiche Freigabe zahlreicher Güterpreise mit dem Ziel, eine weitgehend marktwirtschaftliche Wettbewerbswirtschaft einzurichten, nur dann gelingen konnte, wenn der Kaufkraft der Bevölkerung ein entsprechendes Angebot an Konsumgütern gegenüberstand. Dieses würde einem Überhitzen der Preise entgegenwirken, so die neue Währung stabilisieren und entscheidend zur Akzeptanz der neuen Währung in der Bevölkerung beitragen. Er sprach sich daher dafür aus, die Verbrauchsgüterindustrie bevorzugt mit knappen Rohstoffen und Kapital zu versorgen. Im Gegenzug nahm er die finanzielle Unterversorgung der Kapitalgüterindustrie in Kauf.81 Erhard befürwortete damit implizit eine gewisse Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft von der Investitionsgüter- auf die Konsumgüterindustrie. Diese konnte natürlich nur soweit erfolgen, wie eine Massenarbeitslosigkeit in der Investitionsgüterindustrie vermieden und eine Versorgung des verarbeitenden Gewerbes mit Halbwaren und Rohstoffen gewährleistet war. Um Engpässe in der Kapitalversorgung der Investitionsgüterindustrie zu vermeiden, vertraute Erhard auf drei vage Hoffnungen: 1) den Einsatz von umfangreichen ERP-Gegenwertmitteln, 2) den Kapitalimport und 3) die Versorgung der Investitionsgüterindustrie mit Kapital durch die expandierende Konsumgüterindustrie.82 Dass Erhards Vorstellungen auf erheblichen Widerstand bei den alliierten Stellen treffen mussten, war unausweichlich. Denn sie stimmten kaum mit den ERP-Planungen überein, die Deutschland als wichtigen Produzenten dringend benötigter Investitionsgüter vorsahen. In der Frage des Kapitalmangels hielten die deutschen Finanzexperten zusätzliche Anstrengungen, die über die im Rahmen der ERP-Programme gemachten Angaben hinausgingen, für weitgehend unnötig. Sie schlugen den Alliierten halbherzig drei Maßnahmen vor:83 a) die Verabschiedung einer Steuerreform, die weitere Steuererleichterungen für die Kapitalbildung bringen sollte, b) die Auflegung einer steuerbegünstigten Wiederaufbauanleihe und c) die Erhöhung der Ersparnis der öffentlichen Hand durch eine Rationalisierung der Verwaltungs80 Hentschel, Erhard, S. 80. 81 So befürwortete Erhard die Förderung der Konsumindustrie, auch wenn „eine Vernachlässigung unserer volkswirtschaftlichen Produktivkräfte zugunsten eines Augenblickskonsums möglicherweise dahin führen könnte, nach einer Währungsbereinigung die exportabhängige, aber technisch rückständige deutsche Wirtschaft zur Erfüllung ihrer Aufgaben untauglich werden zu lassen.“ Zit. n. Hentschel, Erhard, S. 56; zudem konnte so vermieden werden, dass in der Kapitalgüterindustrie zusätzliches großes Einkommen erwirtschaftet wurde, dem kein entsprechendes Konsumangebot gegenüberstand. Ebd., S. 70. 82 Ebd., S. 67, 88 f., 95 f., 106 f.; Adamsen, Investitionshilfe, S. 41, 45. 83 Vgl. Vermerk (Martini) betr. BICO-Schreiben vom 5.4.49 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen vom 9.4.1949 – BA Ko, Z 14/136.
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organisation, die allerdings eine entsprechende Verkleinerung der Militärverwaltung voraussetzen würde. Aus der Einschätzung der Effektivität dieser Maßnahmen machten die Finanzexperten allerdings ebenso wenig einen Hehl wie aus der eigentlich von deutscher Seite erhofften Lösung des Problems: „Die möglichen deutschen Maßnahmen werden sich zum Teil nur sehr allmählich auswirken. Infolgedessen ist es dringend erwünscht, die laufend bei der BdL sich ansammelnden Beträge aus den GARIOA- und ERP-Einfuhren möglichst ungekürzt für langfristige Investitionskredite zur Verfügung zu stellen. [...] Für die praktische Arbeit der Kreditanstalt für Wiederaufbau wären feste Zusagen über die Termin und Beträge der Mittel aus den Counterpart Fundes von größtem Wert.“84
Das Vorgehen der deutschen Seite entsprach der von Erhard propagierten Haltung, auf lenkende Maßnahmen möglichst zu verzichten. Das große Vertrauen auf die Auslandshilfe und das geringe Vertrauen in die schnelle Wirkung der eigenen Maßnahmen standen allerdings in diametralem Gegensatz zur Auffassung der Militärregierungen, dass die Angelegenheit äußerst eilbedürftig sei und in der Hauptverantwortung der deutschen Stellen liege.85 III. 2. 3. Das „Spitzengespräch“ über die Investitionsfinanzierung und Kapitallenkung Wie weit die Positionen beider Seiten auseinander gingen, zeigte sich schnell, als in dem „Spitzengespräch“ über das Problem der Investitionsfinanzierung am 13. April 1949 die divergierenden Ansichten der Militärgouverneure und der deutschen Politiker aufeinander prallten. Bei dieser Auseinandersetzung ist zu berücksichtigen, dass die Abhängigkeit in der Kapitalfrage nicht einseitig war: Gewiss waren die Deutschen auf das Wohlwollen der Militärregierung angewiesen, um sich den Zugriff auf die lebensnotwendigen ERP-Mittel nicht zu verbauen. Nichtsdestotrotz stand auch die Militärregierung unter Druck und musste an einer einvernehmlichen Lösung mit der deutschen Seite interessiert sein: Die Militärgouverneure selbst standen dafür ein, dass die von der Bizone im Rahmen des ERP eingegangenen Verpflichtungen eingehalten wurden. Denn sie waren es, die den ECA-Kooperationsvertrag der Bizone mit den USA unterzeichnet hatten.86 Die in unregelmäßigen Abständen abgehaltenen Gespräche zwischen den Militärgouverneuren und den deutschen Verwaltungsspitzen wiesen mit der Zeit einen „gewissen Ritus“ auf: „Die Generäle bestellten die deutschen Herren in den Sitz der bizonalen Militärverwaltung in Frankfurt am Main, in das IG-Farben-Haus, zum Rapport. Pünder und der Präsident des 84 Ebd. 85 Telegramm von BICO Frankfurt an Bercomb (OMGUS for BISEC Berlin) vom 9.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 86 Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen, S. 1 – BA Ko, Z 14/136.
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Wirtschaftsrates repräsentierten die deutschen Behörden, Erhard war gewöhnlich deren Wortführer. Die Generäle demonstrierten Distanz. Sie hörten zu, kommentierten, was sie hörten, kenntnisreich und kompetent, lobend und tadelnd, eher tadelnd als lobend, und ließen sich auf Diskussionen nicht ein.“87
Am 13. April 1949 stellte General Robertson gleich zu Beginn der Besprechung zum wiederholten Male klar, dass es Aufgabe der deutschen Verwaltung sei, das Problem der Investitionsfinanzierung selbst zu lösen. Er wies darauf hin, dass die Militärgouverneure lediglich über die Freigabe der GARIOA-Gegenwertmittel entscheiden dürften, während über die Freigabe der ERP-Gegenwertmittel allein die ECA in Paris zu bestimmen habe, die darauf bestehe, dass ihr Geld planvoll für die übergeordneten Zwecke des ERP eingesetzt werde.88 Robertson machte klar, dass die Freigabe von ERP-Gegenwertmitteln durch die ECA voraussetze, dass die deutsche Verwaltung neben dem ERP-Investitionsprogramm einen eigenständigen, kurzfristig umsetzbaren Generalplan für die Investitionsfinanzierung aufstelle.89 Mit diesem Plan sollten die deutschen Stellen endlich den Beweis liefern, dass sich die Bizone mit ganzer Kraft um die Überwindung der Lücke in der Investitionsfinanzierung bemühe.90 Darauf antwortete Ludwig Erhard, dass angesichts der „Erfahrungen der letzten Jahrzehnte“ jegliche Maßnahmen des Zwangssparens „verhängnisvoll“ seien, da sie den bereits wieder erkennbaren Sparwillen der westdeutschen Bevölkerung „töten“ würden. Das einzige realistische Mittel, die Kapitalbildung zu erhöhen, war für Erhard das Gegenteil von Steuererhöhungen, nämlich Steuersenkungen und eine Ausweitung von Steuervergünstigungen für freiwillige Sparleistungen. Um die Spartätigkeit allerdings nicht dem Zufall zu überlassen und die Kapitallenkung entsprechend dem Investitionsplan des ERP durchzuführen, wollte Erhard die durch Steuervergünstigungen zusätzlich aufgebrachten Mittel gezielt bestimmten Investitionszwecken, vor allem über die KfW, zuführen. Die aus den Steuererleichterungen resultierende Kürzung der Haushaltseinnahmen hatte nach Ansicht Erhards zudem den nützlichen Nebeneffekt, auf Ausgaben der öffentlichen Verwaltungen disziplinierend zu wirken.91 Er wies darauf hin, dass in den deutschen Verwaltungen bereits mit Planungen zur Senkung der Einkommenund Körperschaftsteuertarife begonnen worden sei.92 87 Hentschel, Erhard, S. 80. 88 BICO meeting held on Wednesday, 13 April 1949, consisting of Allied and German officials – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 89 Vgl. auch Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft beim Wirtschaftsrat vom 25.4.1949, S. 4 – PA, 2/738. 90 Telegramm von BICO Frankfurt an Bercomb (OMGUS for BISEC Berlin) vom 9.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2; Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136, S. 2. 91 Ebd., S. 3 f. 92 Erhard spielte in diesem Zusammenhang auf die Vorbereitungen für das Zweite Steueränderungsgesetz an, das eine deutliche Reduzierung der Steuersätze für private Haushalte und Unternehmen vorsah.
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Mit seinen Vorschlägen versuchte Erhard, den Vorwürfen der Militärgouverneure die Spitze zu nehmen und die Handlungsbereitschaft der deutschen Verantwortlichen zu demonstrieren. Allerdings provozierten seine Ausführungen eine harsche Reaktion des amerikanischen Militärgouverneurs. Clay wollte sich mit den Hoffnungen auf eine positive „psychologische“ Auswirkung von Steuervergünstigungen nicht begnügen. Zudem befürchtete er, dass Steuervergünstigungen in erster Linie zu Mindereinnahmen führen und so den Spielraum für öffentliche Investitionen weiter einschränken würden. Er forderte daher, dass – wie in anderen europäischen Staaten auch – umgehend Maßnahmen in Angriff genommen werden sollten, und wiederholte die Kritik an die deutschen Verwaltungen, sich allzu sehr auf den Einsatz der Gegenwertmittel in der Investitionsfinanzierung zu verlassen: „I said once before, and I repeat right now, that the worst thing that ever happened to German economy is that there is a counterpart fund. I haven’t heard of a financial proposal in a year that wasn’t based on the use of counterpart funds for that financial proposal.“93
Clay verlangte genaue Aufstellungen darüber, wie viel Kapital jedes Land der Bizone auf welche Weise aufzubringen gedachte, und forderte die Länderregierungen und die führenden Bankenvertreter auf, in gemeinsamen Treffen die Vorgehensweise abzustimmen. Er wies darauf hin, dass Westdeutschland bald selbst bei der OEEC und der ECA für die ordnungsgemäße Durchführung des ERP-Programms einstehen müsse. Sollte bis dahin keine Lösung der Finanzierungsfrage gefunden worden sein, würde die neue westdeutsche Regierung in eine schwierige Lage geraten. Wenig später sagte Clay dann die Sätze, die den Deutschen Kopfzerbrechen bereiten sollten: „Wir haben 400 Mio. DM aus den Counterpart Funds freigegeben. Halten Sie es nicht für fair, dass dann die deutschen Stellen den fünffachen Betrag, nämlich zwei Mrd. DM aufbringen und bis dahin nichts von den Counterpart Funds freigegeben wird?“94 Die Militärgouverneure nahmen somit Abstand davon, den Deutschen unmittelbar Zwangsmaßnahmen vorzuschreiben. Stattdessen griffen sie zu einem etwas subtileren Druckmittel, indem sie mit der Einfrierung der ERP-Gegenwertmittel drohten. Sie hatten damit einen gewissen Erfolg: Erhard kam den Forderungen der Militärgouverneure entgegen und gestand ein, dass eine bessere Kontrolle der Kapitalverwendung und eine straffere Lenkung notwendig seien, um die vorhandenen Mittel wirksamer einsetzen und damit den Bedürfnissen des Wiederaufbaus gerecht werden zu können. Die deutschen Vertreter zeigten sich schließlich bereit, gewisse staatliche Kontrollmechanismen auf dem Kapitalmarkt zum Zwecke der Kapitallenkung einzuführen.95 Dieses Zugeständnis beruhte aber kaum auf eigenen Überzeugungen, sondern war das Ergebnis des erhöhten Drucks der Militärregierung. Wie in vielen anderen 93 BICO meeting held on Wednesday, 13 April 1949, consisting of Allied and German officials (Stenograph. Bericht), S. 10 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2. 94 Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136. 95 Ebd.
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strittigen Fragen beschränkte sich das Entgegenkommen der deutschen Verhandlungsführer auf das unbedingt Notwendige, um prinzipielle Handlungsfähigkeit und -bereitschaft zu signalisieren, zugleich aber die weitreichenden Forderungen der Militärregierung zu umgehen.96 Auf deutscher Seite war man davon überzeugt, dass die Bizone bereits erhebliche Mittel für wichtige Wiederaufbauprojekte aufgebracht habe. In der harschen Kritik der Militärgouverneure sah man daher lediglich das Ergebnis eines „Kommunikationsproblems“: Man habe ihnen bisher nicht klar machen können, wie groß die Anstrengungen und Erfolge der bizonalen Verwaltung und Wirtschaft tatsächlich schon waren. Daher werde die Leistung der Deutschen von der Militärregierung „völlig verkannt“.97 III. 3. EINBINDUNG DES WERTPAPIERMARKTES IN DIE INVESTITIONSLENKUNG Nicht zufällig waren neben dem grundsätzlichen Problem des Kapitalmangels die Überlegungen, auf welche Weise das in der Bizone schon aufgebrachte Kapital unter staatlicher Kontrolle am effizientesten eingesetzt werden konnte, ein Hauptthema des Spitzengesprächs. Bereits Monate bevor der Kapitalmangel zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Problem der Bizone avancierte, waren die alliierten Militärbehörden kurz nach der Währungsreform mit der Frage nach der Notwendigkeit einer Kapitallenkung konfrontiert worden. Auslöser waren Nachrichten, die über den Einsatz erheblicher Investitionsmittel für Projekte berichteten, die nach Ansicht der höchst verärgerten Militäradministration so gut wie keinen Beitrag zum Wiederaufbau leisteten. Als – heute noch notorische – Beispiele wurden der Bau von Schwimmbädern oder die Anlage von Rennstrecken angeführt, deren zum Teil hohe Rentabilität die Militärbehörden zwar nicht anzweifelten. Aber solche Investitionen dienten eindeutig nicht dem Erreichen der ERP-Ziele, sondern erschwerten und verteuerten im Gegenteil den Zugang zu Kapitalquellen für Investitionen, die zwar keine so hohen Renditen abwarfen, gesamtwirtschaftlich aber von höchster Bedeutung waren. Um solchen „Fehlallokationen“ entgegenzuwirken, dachten die Finanzexperten über Möglichkeiten einer zentralisierten Kapitallenkung nach.98 Um die Jahreswende 1948/49
96 So ist es beispielsweise zu einer koordinierten Investitionsplanung zwischen den Bundesländern, wie sie Clay gefordert hatte, nie gekommen. 97 Aufgerüttelt durch die unnachgiebige Haltung der Militärgouverneure konzentrierte sich die deutsche Verwaltung in den folgenden Wochen darauf, schnellstmöglich genauere Daten darüber zu erheben, wie viel Kapital bereits investiert worden war. Mit diesem Material wollte man die Militärgouverneure von den deutschen Anstrengungen überzeugen. Schreiben des hessischen Finanzministers vom 14.4.1949; Schreiben (Martini) an die VfF und die VfW vom 14.4.1949 – BA Ko, Z 14/136. 98 Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 9.2.1949; Schreiben Finance Group (BICO) an Joint Chairmen vom 22.3.1949; Entwurf eines Schreibens an den bizonalen Exekutivrat, o. D. – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1.
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umfassten die Planungen der Militärregierungen folgende Instrumente der Kreditund Kapitallenkung: 1. Als wichtigste Institution für die Lenkung von Investitionsmitteln war im November 1948 nach langwierigen Verhandlungen zwischen deutschen, britischen und amerikanischen Stellen die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als staatliche Förderbank gegründet worden. Über sie sollte einerseits die Ausleihung der ERP- und GARIOA-Gegenwertmittel erfolgen; andererseits sollte sie mit eigenen langfristigen Krediten und Garantieleistungen, die durch die Ausgabe von Anleihen bzw. durch die Aufnahme von Darlehen refinanziert werden sollten, zur Wiederaufbaufinanzierung beitragen. Es war vorgesehen, dass die KfW in enger Zusammenarbeit mit der VfW eine „Liste der Prioritäten“ für volkswirtschaftlich wichtige Investitionsvorhaben zusammenstellen sollte, die bevorzugt mit langfristigen Darlehen versorgt werden sollten.99 Von der Militärregierung wurde die KfW als ein „Eckpfeiler“ des westeuropäischen Wiederaufbaus angesehen,100 der – in stetigem Kontakt mit den Länderbehörden – von zentraler Stelle aus wichtige Kerninvestitionen finanzieren sollte. Allerdings war im Frühjahr 1949 noch nicht abzusehen, wie die weitreichenden Aufgaben der KfW refinanziert werden konnten. Weder waren auf absehbare Zeit ausreichende Bestände an ERP-Gegenwertmitteln verfügbar, noch waren die Erörterungen über eine erste Anleihe der KfW zum Abschluss gekommen, so dass vorerst nur GARIOA-Gegenwertmittel für eine zentrale Kreditvergabe in Frage kamen. Die Lenkung eines großen Kapitalstroms über die KfW war also noch Zukunftsmusik. 2. Für die zentrale Vergabe langfristiger Kredite sahen die Amerikaner neben der KfW auch die Errichtung bzw. Wiederbelebung anderer Kreditinstitute mit speziellen Aufgabenbereichen vor, etwa der Rentenbank-Kreditanstalt für die Landwirtschaft oder der Deutschen Industriebank für den gewerblichen Mittelstand. Sie sollten der bevorzugten Kreditvergabe an spezielle Wirtschaftsbereiche dienen; allerdings befanden sie sich Anfang 1949 noch in einem Planungsstadium, so dass ebenfalls völlig ungewiss war, wann sie ihren Betrieb aufnehmen und wie sie sich refinanzieren würden.101 99 Die Einflussnahme der VfW auf die Kreditvergabe der KfW sollte in unterschiedlicher Stärke erfolgen: Im Rahmen bestimmter Programme war ein starkes Eingreifen der VfW bis in einzelne Kreditbeziehungen hinein vorgesehen, so z.B. im Energieprogramm. Auch bei Bergbauvorhaben sollte der Einfluss der VfW groß sein. Bei den übrigen Industrien sollte die Auswahl von Investitionsobjekten aber in der Regel durch die KfW und die Industrien selbst erfolgen. Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft beim Wirtschaftsrat vom 25.4.1949, S. 5 f. – PA, 2/738; vgl. Pohl, M., Wiederaufbau, S. 34 ff.; Harries, Wiederaufbau, S. 10 ff. 100 Memo (McCutcheon/Mather, Bipartite Secretariat), 17.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2; Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13.4.1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136, S. 2, 8. 101 Licensing of and Priorities for Issue of Securities (Jack Benett, Finance Adviser to the Military Governor), Oktober 1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1.
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3. Bei den Investitionsmitteln aus öffentlichen Haushalten waren die Voraussetzungen für eine gezielte und kontrollierte Verwendung gegeben, so dass sie ebenso wie die zentral vergebenen Kredite der staatlichen Förderbanken als Vehikel der Kapitallenkung in Frage kamen. Angesichts des drohenden Kapitalmangels hielten die Militärbehörden die genannten Instrumente seit dem Frühjahr 1949 für völlig unzureichend, da der weitaus größte Teil des aufgebrachten Kapitals weiterhin unkontrolliert verwendet werden konnte. Deshalb stellte die Militärregierung Überlegungen darüber an, auf welche Weise die Institutionen des organisierten Kapitalmarkts – Kapitalsammelstellen, Kreditinstitute und Wertpapiermarkt – in die Investitionslenkung eingefügt werden konnten. III. 3. 1. Der erste Entwurf des Gesetzes über den Kapitalverkehr Auf den Wertpapiermarkt richtete sich das Augenmerk der amerikanischen Militärregierung erstmals, als Anfang Oktober 1948 bekannt wurde, dass die bayerische Landesregierung die Neuemission verschiedener Wertpapiere genehmigt hatte. In Bayern war das Interesse an Emissionen besonders groß, da es Sitz vieler bedeutender Realkreditinstitute war, die als Daueremittenten für das Funktionieren des Wertpapiermarkts von erheblicher Bedeutung waren bzw. von seinem Funktionieren am stärksten abhängig waren.102 Die Militärgouverneure äußerten erhebliche Zweifel, ob eine Landesregierung zu solchen Genehmigungen überhaupt befugt war, und baten die bayerische Landesregierung um eine Stellungnahme.103 Offensichtlich waren sich die Militärbehörden über die rechtliche Lage im Unklaren, da es nach der kurzen Diskussion über die Emissionskontrolle im Sommer 1947 zu keiner einheitlichen Regelung für die amerikanische Besatzungszone gekommen war. Im britisch kontrollierten Besatzungsgebiet war die rechtliche Situation dagegen eindeutig: Die britische Militärregierung hatte sich die Genehmigung von Emissionen selbst vorbehalten.104 In der geforderten Stellungnahme legte der Staatssekretär im bayerischen Finanzministerium das Verfahren dar, nach dem die Emissionsanträge behandelt worden waren: Dem bayerischen Ministerrat waren von sieben Kreditinstituten105 Anträge über die Emission von 5-prozentigen Pfandbriefen in Höhe von 102 Harder, Funktionswandel, S. 48 f. 103 Memo (K. Fredericks, Finance Adviser, OMGB), 12.10.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/156/13. 104 In der britischen Zone waren zu diesem Zeitpunkt schon Emissionsanträge aus SchleswigHolstein genehmigt worden. Schreiben des Vorsitzenden des Sonderausschusses Bankenaufsicht an die Mitglieder des Sonderausschusses vom 29.9.1948; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankaufsicht am 16.11.1948, TOP 10 – BA Ko, B 126/12414. 105 Antragsteller waren die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank, München, die Bayerische Vereinsbank, München, die Bayerische Handelsbank, München, die Süddeutsche Bodenkreditbank, München, die Vereinsbank in Nürnberg, die Bayerische Landwirtschaftsbank eGmbH, München, und die Bayerische Gemeindebank, München.
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insgesamt 21 Mio. DM, von 5-prozentigen Kommunalobligationen im Gesamtbetrag von vier Mio. DM und von 6-prozentigen Industrieobligationen der Bayernwerk AG über zehn Mio. DM vorgelegt worden. Die Anträge waren vom bayerischen Finanzministerium, vom bayerischen Innenministerium und von der Landeszentralbank Bayern einvernehmlich geprüft worden, und zwar anhand der für gültig erachteten Gesetze und Verordnungen.106 Dies waren nach Angabe des Staatssekretärs: § 795 BGB, die Vierte Notverordnung vom 8. Dezember 1931, die Verordnung über den Kapitalverkehr vom 12. Juni 1941 (KVVO) und deren Erste Durchführungsverordnung vom 9. August 1941.107 Ihre Zuständigkeit für die Emissionsgenehmigung begründete die Landesregierung damit, dass im Sommer 1948 diejenigen Gesetzgebungsbereiche, für die früher die Reichsministerien zuständig gewesen waren, im Einvernehmen mit der Militärregierung automatisch in Landesrecht überführt worden seien, wenn weder die bizonalen Verwaltungsstellen für zuständig erklärt worden seien, noch die Militärregierung selbst ihre Zuständigkeit erklärt habe. Da dem Wirtschaftsrat im Rahmen der Verwaltungsreform die Zuständigkeit für das Währungs-, Kredit- und Finanzwesen wieder abgenommen108 und der bizonalen Wirtschaftsverwaltung hinsichtlich Emissionsgenehmigungen keine Gesetzgebungsgewalt übertragen worden war, sah sich die bayerische Landesregierung bei ihrem Vorgehen in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.109 Neben den rechtlichen Kriterien nannte der bayerische Staatssekretär auch offenherzig die wirtschaftspolitischen Gründe für die Emissionsgenehmigungen: Da Bayern ein klassisches „Kapitalüberschussland“ sei, würde die Ablehnung von Emissionsanträgen bayerischer Unternehmen die Gefahr heraufbeschwören, dass heimisches Kapital in „nichtbayerische“ Gebiete abfließen würde. Dem wollte die Landesregierung mit der Ausgabe von Wertpapieren bayerischer Emittenten, insbesondere der Realkreditinstitute (Wohnungsbau) und der Industrieunternehmen (Schaffung von Arbeitsplätzen), entgegenwirken.110 Die Stellungnahme der bayerischen Landesregierung war Ausgangspunkt einer eingehenden Beschäftigung der Militärregierungsstellen mit Fragen der künftigen Kapitalmarktpolitik. Nur kurze Zeit nach dem Schreiben des bayerischen Staatssekretärs fasste der Finanzberater des amerikanischen Militärgouverneurs, Jack Benett, im Oktober 1948 seine grundlegenden Gedanken zur Investitionsfinanzierung in einem knappen Memorandum zusammen. Für ihn stellte sich die Ausgangslage vier Monate nach der Währungsreform so dar, dass 106 Schreiben des Staatssekretärs im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen (Müller) an den Direktor der Fiscal Section der Militärregierung (Fredericks) vom 8.10.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/156/13. 107 Vgl. Kap. I. 1., I. 4. und I. 5. 108 Ambrosius, Durchsetzung, S. 148 f. 109 Licensing of and Priorities for Issue of Securities (Jack Benett, Finance Adviser to the Military Governor), Oktober 1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1. 110 Schreiben des Staatssekretärs im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen (Müller) an den Direktor der Fiscal Section der Militärregierung (Fredericks) vom 8.10.1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/156/13.
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in nahezu allen Wirtschaftsbereichen, ob bedeutsam für den Wiederaufbau oder nicht, große Nachfrage nach mittel- und langfristigem Kapital bestehe und schnelle, wirksame Maßnahmen erforderlich seien. Benett plädierte dafür, dass die Finanzpolitik dem Grundsatz treu bleiben müsse, dass den Investitionsausgaben die Aufbringung von Kapital durch „echtes Sparen“ vorausgehen müsse. So sollte statt der von deutscher Seite wiederholt geforderten Freigabe von Gegenwertmitteln das benötigte Kapital vor allem durch Gewinne der Unternehmen und durch die Ausgabe von Wertpapieren der KfW und anderer Spezialkreditinstitute aufgebracht werden.111 Benett beklagte die Saumseligkeit der deutschen Verwaltung bei den gesetzlichen Vorarbeiten zur Gründung der KfW und bei der Reorganisation der bereits existierenden Spezialbanken. Da diese Institute auf absehbare Zeit immer noch nicht zur Verfügung stünden, müsse man sich verstärkt dem Wertpapiermarkt zuwenden. Und hier sah er in dem Versuch der bayerischen Landesregierung, das Kapital nur dort einzusetzen, wo es auch aufgebracht worden war, die Gefahr einer erheblichen Störung der bizonalen Gesamtwirtschaft: Der Austausch von Investitionskapital zwischen Kapitalüberschussländern und Kapital nachfragenden Ländern könne nicht funktionieren, wenn die Emissionsgenehmigungen von jedem Land autonom vorgenommen würden. Denn jedes Land würde dann versuchen, den Kapitalbedarf der eigenen Wirtschaft bevorzugt zu befriedigen. Die einzelnen Länder waren nach Ansicht Benetts zu klein, um diese partikularistischen Bestrebungen ohne negative Auswirkungen für die bizonale Gesamtwirtschaft umsetzen zu können.112 Als Lösung schlug Benett eine das gesamte westdeutsche Gebiet umfassende Regelung zur Emissionskontrolle vor. Er wies darauf hin, dass die anglo-amerikanischen Besatzungsmächte ja schon für die geplanten Investitionsbanken (z.B. die KfW) zum Wohle der Gesamtwirtschaft die Dezentralisierungsbestimmungen, die der Geschäftstätigkeit der Kreditinstitute eine regionale Begrenzung auferlegten, außer Kraft gesetzt hatten.113 Er schlug vor, den Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets mit der Ausarbeitung eines Gesetzes zu beauftragen, das die Genehmigung von Emissionsanträgen und die dabei zu berücksichtigenden Prioritäten einheitlich regeln sollte. Die Federführung sollte die VfF übernehmen.114 Nach Vorlage des Benett-Berichts akzeptierte die bizonale Militärregierung zwar die bereits getroffenen Genehmigungsentscheide der Landesregierungen und legte auch keinen Widerspruch gegen die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder
111 An dieser und ähnlichen Einschätzungen der Militärbehörden wird deutlich, dass die Amerikaner der Kapitalaufbringung durch Wertpapierabsatz erhebliche Bedeutung zumaßen. Licensing of and Priorities for Issue of Securities (Jack Benett, Finance Adviser to the Military Governor), Oktober 1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1. 112 Ebd. 113 Vgl. dazu Horstmann, Alliierten, S. 142 f. 114 Licensing of and Priorities for Issue of Securities (Jack Benett, Finance Adviser to the Military Governor), Oktober 1948 – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1.
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ein.115 Sie wirkte aber darauf hin, dass die VfW mit den Länderfinanzministern der amerikanischen Zone (in der britischen Zone konnte die Militärregierung ohnehin alle Emissionen unterbinden) eine Stillhaltung bei den Emissionsgenehmigungen vereinbarte.116 Dem Vorschlag Benetts entsprechend wurde zugleich der bizonale Verwaltungsrat117 mündlich beauftragt, ein Gesetz zur einheitlichen Regelung der Genehmigung von Wertpapieremissionen auszuarbeiten.118 Auf westdeutscher Seite stimmten die politischen Gremien und die BdL mit der Militäradministration überein, dass der Erlass eines Gesetzes dringend geboten war. Auch sie hielten es für bedenklich, dass verschiedenste Länderinstanzen für Emissionsgenehmigungen zuständig waren. Denn ganz offensichtlich erteilten die Länder die Genehmigungen nach völlig unterschiedlichen Kriterien. Dies hatte zur Folge, dass die Emittenten sich bei den Ausgabebedingungen gegenseitig überboten und die Investitionszwecke in keiner Weise aufeinander abgestimmt waren. Die Auffassung war nahezu einhellig, dass die – seit 1931 bestehende – Genehmigungspflicht beibehalten und zentral koordiniert werden sollte.119 Der Verwaltungsrat reagierte auf den Auftrag der Militärregierung mit ungewöhnlicher Schnelligkeit und legte innerhalb kürzester Zeit am 10. Dezember 1948 dem Wirtschaftsrat und wegen der Eilbedürftigkeit zeitgleich dem Länder-
115 Aus Berichten der Länder stellte der Sonderausschuss Bankenaufsicht beim Länderrat Mitte November 1948 folgende Liste von Emissionsanträgen zusammen: Bayern: 25 Mio. DM (Pfandbriefe, bereits genehmigt); Schleswig-Holstein: zehn Mio. DM (Pfandbriefe, bereits genehmigt); Niedersachsen: 20 Mio. DM (Pfandbriefe); Württemberg-Baden: 22 Mio. DM (Pfandbriefe, vom Ministerrat unter Vorbehalt bizonaler Zustimmung bereits beschlossen); Nordrhein-Westfalen: eine Mio. DM (Schiffspfandbriefe), 20 Mio. DM (Pfandbriefe der Landesbank Düsseldorf) und 20 Mio. DM (Kommunalobligationen); Hamburg: 15 Mio. DM (Pfandbriefe der Landesbank), 1,5 Mio. DM (Schiffspfandbriefe) und fünf Mio. DM (Pfandbriefe der Hypothekenbank); Bremen: 0,5 Mio. DM (Schiffspfandbriefe); Hessen: 25 Mio. DM (Pfandbriefe). Die meisten Emissionsanträge sahen eine Nominalverzinsung von fünf Prozent und einen Auszahlungskurs von 98 Prozent vor. Memorandum, Conference with the Finance Adviser of OMG Hesse, 15.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, 2/148/2; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankaufsicht am 16.11.1948, TOP 10; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankaufsicht am 12.10.1948, TOP 5 – BA Ko, B 126/12414. 116 Schreiben Vocke/ Könneker an Bernard vom 8.2.1949 – BBk HA, B 330/10; Niederschrift über die 28. ZBR-Sitzung am 8.2.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2. 117 Zu Organisation und Aufgabenfeld des Verwaltungsrats s. Ambrosius, Durchsetzung, S. 151. 118 Der Verwaltungsrat betrat damit kein völliges Neuland, denn schon bei der Vorbereitung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau hatte er im August 1948 darüber diskutiert, welche öffentliche Stelle die Wertpapieremissionen der KfW genehmigen sollte. Damals war man zu dem Ergebnis gekommen, diese Aufgabe dem Verwaltungsrat selbst zu überlassen. Protokoll über die 26. Direktorial-Sitzung am 24.8.1948, TOP 4 – PA 2/791; Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses für Finanzen beim Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 18.12.1948 – BA Ko, Z 3/85. 119 Vermerk (Martini) vom 8.12.1948 – BA Ko, Z 13/819; vgl. auch Protokoll der 19. ZBRSitzung am 5.10.1948, TOP 10 – BA Ko, B 169/1.
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rat120 den ersten Entwurf eines „Gesetzes über den Kapitalverkehr“121 vor, mit dem a) die erstmalige Begebung von Aktien und ähnlichen Beteiligungswerten für Unternehmen mit einem Stammkapital von mehr als 200.000 DM und b) die erstmalige Ausgabe aller Inhaber-, Order- und Namensschuldverschreibungen einem einheitlichen Prüfungsverfahren unterworfen werden sollte.122 Dass die Federführung bei der VfF lag, war wohl ein Wunsch der Militärregierung, bei der die Finance Division für den Wertpapiermarkt zuständig war.123 Der VfW wurde bei der Vorbereitung des Gesetzes ein Mitspracherecht eingeräumt, da die Kapitallenkung eng mit der Investitionspolitik verbunden war, die von der Wirtschaftsverwaltung bestimmt wurde. Durch die Mitwirkung der VfW sollte offenbar vermieden werden, dass fiskalische Gesichtspunkte bei der Emissionskontrolle ein zu großes Gewicht gegenüber den Belangen der Privatwirtschaft erlangten.124 Warum die Abfassung des Gesetzentwurfs nur kurze Zeit in Anspruch nahm, zeigt bereits ein kurzer Blick auf den Wortlaut: Die Passagen des Gesetzestextes hatte die VfF weitgehend der „Verordnung über den Kapitalverkehr“ und ihrer Ersten Durchführungsverordnung aus dem Jahr 1941 entnommen. Die Änderungen gegenüber der NS-Gesetzgebung waren lediglich der staatlichen Neuordnung nach 1945 geschuldet, die eine stärkere Berücksichtigung der Länderinteressen verlangte. War es bei der Kapitalverkehrsordnung von 1941 der Reichs120 Der Länderrat hatte als zweite gesetzgebende Körperschaft neben dem Wirtschaftsrat über die Gesetze, die im Wirtschaftsrat beraten wurden, einen Beschluss zu fassen. Er war berechtigt, die Gesetzentwürfe des Wirtschaftsrats abzulehnen oder zu verändern. Die Ablehnung des Länderrats konnte der Wirtschaftsrat nur mit absoluter Mehrheit zurückweisen. Dem Länderrat stand es auch frei, aus eigener Initiative Gesetzentwürfe einzubringen. Schreiben Krautwig an den Vorsitzenden des Länderrats (Lüdemann) vom 10.12.1948 – BA Ko, Z 13/819; vgl. Ambrosius, Durchsetzung, S. 149 ff. 121 Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr vom 10.12.1948. Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Drucksachen 808/1948, S. 1235, in: AVBRD, S. 1235 ff. 122 Die Emissionsgenehmigung nach dem Gesetz über den Kapitalverkehr sollte die in § 795 BGB vorgeschriebene staatliche Genehmigung für Schuldverschreibungen auf den Inhaber ersetzen. 123 Auf deutscher Seite wurden auch andere Argumente für die Zuständigkeit der VfF angeführt, etwa dass die Finanzverwaltung schon seit 1945 für die Kapitalmarktpolitik zuständig gewesen sei und sie für einen Großteil der Emittenten (Kommunen, Länder, Reichspost und Reichsbahn) ohnehin schon Aufsichtsfunktionen wahrnehme. Ein weiteres Argument lautete, dass man der VfF bei dieser die Gesamtwirtschaft betreffenden Regelung mehr „Neutralität“ zutrauen könne als etwa der VfW oder der VELF, die immer unter dem Verdacht stehen würden, bestimmte Wirtschaftsbereiche zu bevorzugen. Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankaufsicht am 16.11.1948, TOP 10 – BA Ko, B 126/12414. 124 Man kann rückblickend also schon zu diesem frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses die Konfliktfelder erkennen, die sich aus der Kompetenzverteilung zwischen Finanz- und Wirtschaftsverwaltung auf dem Gebiete der Kapitalmarktpolitik ergaben und später das Verhältnis zwischen Bundeswirtschaftsminister Erhard und Bundesfinanzminister Schäffer dauerhaft belasten sollten. Neben den zentralen Verwaltungen wurde auch ein Vertreter der Länder zu der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs hinzugezogen. Vermerk (Martini) vom 8.12.1948 – BA Ko, Z 13/819.
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wirtschaftsminister, der im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzminister über Emissionsgenehmigungen entscheiden sollte, wurde diese Kompetenz nun einem neu zu errichtenden Gremium übertragen: Ein „Ausschuss für Kapitalverkehr“ sollte bei der VfF gebildet werden und sich aus je einem Vertreter der Verwaltung für Finanzen, der Verwaltung für Wirtschaft und der Bank deutscher Länder sowie zwei Vertretern der Länder zusammensetzen. Die Beschlüsse des selbständigen Ausschusses sollten mit einfacher Mehrheit getroffen werden. Neu war in dem Gesetzentwurf der VfF auch die weitgehende Einbindung von Landesbehörden in das Genehmigungsverfahren: Ihnen sollte die Durchführung der Beschlüsse des Ausschusses für Kapitalverkehr übertragen werden und über sie sollten auch die Emissionsanträge abgewickelt werden. Die Anträge sollten über die zuständige oberste Landesbehörde, in dem das Antrag stellende Unternehmen seinen Sitz hatte, bei der VfF eingereicht werden. Zuvor sollten die Landesbehörde und die jeweilige Landeszentralbank die Möglichkeit erhalten, eine eigene Stellungnahme über den Antrag abzufassen. Diese verwaltungstechnische Bestimmung war deshalb von Bedeutung, weil sie den Ländern die Gelegenheit gab, eine Vorauswahl der Emissionsanträge vorzunehmen und damit wirtschaftspolitischen Einfluss auszuüben.125 Ähnlich wie die Kapitalverkehrsverordnung von 1941 hüllte sich der Gesetzentwurf bei entscheidenden Aspekten in Schweigen: Er machte keinerlei Angaben darüber, nach welchen Kriterien der „Ausschuss für Kapitalverkehr“ die Emissionskontrolle vornehmen sollte, auf welche Weise also die Kapitallenkung auf dem Wertpapiermarkt durchgeführt werden sollte. Ebenso wenig gab er Hinweise darauf, welche Emittenten bevorzugt Kapital erhalten sollten bzw. unter welchen Bedingungen dies geschehen sollte. Die dem Gesetzentwurf beigefügte schriftliche Begründung folgte ganz der Argumentation Benetts.126 Die Entstehung des Gesetzentwurfs und sein Inhalt legen einige Schlüsse nahe: a) Die Direktoren der bizonalen Verwaltung legten eine bemerkenswerte Unbekümmertheit an den Tag, ein Gesetz, das zur Lenkung der NS-Kriegswirtschaft konzipiert worden war, in seinen Grundzügen zu übernehmen. Trotz Währungsreform und Leitsätzegesetz löste eine Fortsetzung der Lenkungswirtschaft nach fast zwanzig Jahren staatlichem Dirigismus in den Verwaltungen offenbar keinen Diskussionsbedarf aus. Man sah sogar vor, das Gesetz in einigen Bereichen gegenüber der Kapitalverkehrsordnung von 1941 zu verschärfen; so wurde beispielsweise die Grenze des Stammkapitals der betroffenen Aktienunternehmen von 500.000,- RM auf 200.000,- DM reduziert. b) Den Ländern sollte zwar durch die Mitwirkung im Kapitalverkehrsausschuss, durch die Übertragung der exekutiven Gewalt und durch die Einbindung in das Antragsverfahren eine Mitverantwortung bei der Emissionskontrolle eingeräumt werden. Mit dem Ausschuss für Kapitalverkehr als entscheidender Instanz sollte die Emissionskontrolle jedoch zentral und auf höchster politischer Ebene angesiedelt 125 Ebd. 126 Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr. Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Drucksachen 808/1948, in: AVBRD, S. 1236.
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werden, um jedem partikularistischen Streben entgegenzuwirken. Die zentralen Behörden würden dabei in der Lage sein, die Länder zu überstimmen. c) Der Verwaltungsrat sah für die Durchführung der Emissionskontrolle weder eine Beteiligung von politisch verantwortlichen Abgeordneten des Wirtschaftsrats noch eine Beteiligung von Wirtschafts- oder Gewerkschaftsvertretern vor, so dass sie vornehmlich in der Hand von Behördenvertretern liegen würde. III. 3. 2. Reaktionen auf den Gesetzentwurf Die Reaktionen auf den Gesetzentwurf fielen auf deutscher Seite recht verhalten aus. Die Politiker und Finanzexperten der bizonalen Einrichtungen sahen vor allem in der Verfügbarkeit von ERP-Gegenwertmitteln die Lösung des Kapitalmangelproblems. Die Bedeutung des Wertpapiermarktes schätzten sie dagegen – anders als die Finanzexperten der Militärregierung – für die nähere Zukunft eher gering ein, wodurch auch seine Lenkung weniger wichtig erscheinen musste. Der Gesetzentwurf wurde zu einer Zeit in die gesetzgebenden Körperschaften eingebracht, als das Ringen um die zukünftige westdeutsche Wirtschaftsordnung in vollem Gange war. In dieser Situation hätte das Kapitalverkehrsgesetz, das inhaltlich eng mit dem ERP verbunden war und wie dieses wirtschaftslenkende bzw. planwirtschaftliche Elemente beinhaltete, für den Wirtschaftsrat und den Länderrat einen Kristallisationspunkt für eine ordnungspolitische Debatte bilden können.127 Dass eine ordnungspolitische Diskussion dennoch nicht in Gang kam, lag daran, dass es an der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Emissionskontrolle kaum Zweifel gab. Allerdings weisen bereits die ersten Reaktionen auf den Gesetzentwurf darauf hin, welche Konfliktfelder mit einer Regelung der Emissionskontrolle verbunden waren. Denn die Art und Weise ihrer Durchführung war durchaus umstritten und betraf im Kern drei Punkte: die Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses, den Modus seiner Beschlussfassung und die fehlenden Leitlinien für den Entscheidungsprozess. Solange der Gesetzentwurf keine Leitlinien vorgab, die anhand von nachprüfbaren Kriterien die Entscheidungsfindung auch für Außenstehende nachvollziehbar machten, konnten die politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen lediglich versuchen, durch die Unterbringung von eigenen Vertretern im Kapitalverkehrsausschuss auf die Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Wirtschaftsrat Der Direktor der VfF, Hartmann, brachte den Gesetzentwurf in erster Lesung am 17. Dezember 1948 mit knappen Worten, die über die schriftliche Begründung des Entwurfs nicht hinausgingen, in die Vollversammlung des Wirtschaftsrats ein. 127 Schwabe, Echo, S. 275 ff., 298 f.
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Daraufhin meldete sich als einziger Abgeordneter Hans Wellhausen (FDP) zu Wort, dessen Ausführungen belegen, dass die ordnungspolitische Tragweite des Gesetzes durchaus erkannt wurde. Wellhausen wies darauf hin, dass mit dem vorliegenden Entwurf Bestimmungen fortgeführt werden sollten, die einzig zu dem Zweck aufgestellt worden seien, eine Ausweitung der Rüstungsmaßnahmen und der Kriegsführung zu ermöglichen. Da diese Motive nicht mehr existierten, fragte Wellhausen nach den aktuellen Gründen für die Notwendigkeit einer Emissionskontrolle, die der Entwurf nicht erwähne.128 Wellhausen selbst äußerte grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit, Kapitalströme zentral und ohne klare Vorgaben, dafür aber mit Hang zur Schematisierung zu lenken. Falls man sich eine Vereinheitlichung der Emissionsbedingungen für Anleihen und Aktien verspreche, so würde dies seiner Meinung nach „ein sehr schwieriges Unterfangen“ werden. Überdies stehe der Gesetzentwurf im Widerspruch zu der vom Wirtschaftsrat vertretenen Gewerbefreiheit. Der FDP-Abgeordnete kritisierte die vorgesehene Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses aus fünf Verwaltungsbeamten, denen Entscheidungen abverlangt würden, die hohe volkswirtschaftliche Kompetenzen erfordern und mit einer hohen Verantwortung und großer Machtfülle verbunden sein würden. Damit sah er die vorgesehenen Ausschussmitglieder überfordert. Auf die Kritik Wellhausens antwortete kein Mitglied des Wirtschaftsrats, so dass der Gesetzentwurf ohne weitere Diskussion dem Wirtschaftsratsausschuss für Finanzen zur Beratung überwiesen wurde.129 Länderrat Welche Widerstände der Gesetzentwurf auf Länderebene auslöste, zeigt eine „Note“ aus dem bayerischen Justizministerium, die allen zuständigen Ausschüssen des Wirtschaftsrats zugeleitet wurde.130 Das Ministerium stimmte zwar zu, dass eine straffe Überwachung des Wertpapiermarktes und eine Steuerung von Kapital und Investitionen notwendig seien.131 Den Weg allerdings, den der Gesetzentwurf des Verwaltungsrats vorzeichne, sah man als verfehlt an. Es waren die dem Verwaltungsrat-Entwurf innewohnenden „zentralistischen Tendenzen“, 128 Wörtlicher Bericht über die 29. Vollversammlung des Wirtschaftsrates am 17.12.1948, in: Wörtliche Berichte, S. 1280 f. 129 Wegen der Strafbestimmungen des Gesetzentwurfs wurde ebenfalls der Rechtsausschuss mit dem Gesetzentwurf befasst. Erst nachträglich erfolgte durch den Präsidenten des Wirtschaftsrates die Überweisung an den Wirtschaftsausschuss, nachdem sich verschiedene Mitglieder dieses Ausschusses dafür eingesetzt hatten. Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Wirtschaftsrates vom 17.2.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 134. 130 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Bayerischen Vertreter beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 14.1.1949 – PA, 2/415. 131 Bereits im November 1948 hatte sich der Sonderausschuss Bankenaufsicht des Länderrats für eine Zentralisierung der Emissionskontrolle ausgesprochen. Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankaufsicht vom 16.11.1948, TOP 10 – BA Ko, B 126/12414.
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die in Bayern auf „allergrößte Bedenken“ stießen. So brachte man keinerlei Verständnis dafür auf, dass der Ländereinfluss „auf ein Minimum“ reduziert und die „Eigenstaatlichkeit der Länder“ nicht genügend berücksichtigt wurde, wenn die Schuldverschreibungen der Länder – wie die Emissionen von x-beliebigen juristischen Personen – den Beschlüssen des Kapitalverkehrsausschusses, und damit Vertretern zentraler Behörden, unterworfen werden sollten. Das bayerische Justizministerium machte unmissverständlich klar, dass den Ländern ein entscheidendes Mitspracherecht eingeräumt werden müsse. Der „Wille“ desjenigen Landes, in dem der Antragsteller seinen Sitz hatte, müsse auf jeden Fall mitentscheidend sein. Deshalb forderte das Ministerium, dass nicht nur das jeweils betroffene Land mit einem Vertreter an der Entscheidung des Kapitalverkehrsausschusses mitwirken solle, sondern auch die vorgesehene einfache Mehrheit bei der Beschlussfassung des Ausschusses aufgehoben werden müsse: Eine Emission, die von der zuständigen Landesregierung befürwortet worden sei, sollte nur durch eine einstimmige Ablehnung von VfF, VfW und BdL verhindert werden können. Weiterhin verlangte das bayerische Justizministerium, dass die Anleihen der Länder von der Zuständigkeit des Kapitalverkehrsausschusses ausgenommen werden sollten. Länderanleihen sollten nur dann unterbleiben, wenn sich die VfF, die VfW und die BdL einstimmig dagegen ausgesprochen hätten.132 Der Widerstand der Länder, wie er aus dem Schreiben des bayerischen Justizministeriums hervorgeht, ist mit ihrem Streben nach möglichst großer finanzpolitischer Eigenständigkeit erklärbar. Nachdem die Länder infolge der Erzbergerschen Reformen seit den Zwanzigerjahren immer stärker zu Kostgängern des Reichs geworden waren, kämpften sie nun bei der Neugestaltung des westdeutschen Staates hartnäckig darum, ihre eigene finanzielle Handlungsfähigkeit mit einer entsprechend gestalteten Finanzverfassung abzusichern, was ihnen im Frühjahr 1949 schließlich auch gelang.133 Hatten die Länder durch die Regelungen zur Dezentralisierung der Großbanken und des Zentralbanksystems noch erheblich an Macht gegenüber einer zukünftigen Zentralregierung gewonnen, so drohte nun nach der Errichtung der KfW, die gesamtstaatlich und in enger Zusammenarbeit mit der VfW agieren würde, mit dem Kapitalverkehrsausschuss eine weitere Beschränkung der Länderkompetenzen. Wirtschaftsverbände Von den Wirtschaftsverbänden meldete sich Anfang 1949 nur die Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern zu Wort, die dem grundsätzlichen Anliegen des Gesetzes zustimmte. Sie erhoffte sich von der Emissionskontrolle eine Einschränkung der „ungehemmte[n] Inanspruchnahme des Kapitalmarktes, 132 Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz an den Bayerischen Vertreter beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 14.1.1949 – PA, 2/415. 133 Federau, Weltkrieg, S. 15; Düwell, Reichsreform, S. 227 f.; Ambrosius, Staat, S. 16.
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insbesondere auch durch die öffentliche Hand“.134 Sie befürwortete die Einrichtung eines eigenständigen Gremiums für die Emissionskontrolle, kritisierte aber die vorgesehene Zusammensetzung. Die Befürchtung der Arbeitsgemeinschaft war, dass der Kapitalverkehrsausschuss „konkrete privatwirtschaftliche Bedürfnisse [...] unter dem Gesichtspunkt einer organischen wirtschaftlichen Gestaltung“ vernachlässigen könnte, wenn die Entscheidungen nur von Vertretern der öffentlichen Verwaltung und der BdL gemäß starrer finanz- und wirtschaftspolitischer Vorschriften getroffen würden. Deutlich äußerte der Verband seine Befürchtung, dass der Kapitalverkehrsausschuss in der vorgesehenen Zusammensetzung Gefahr laufe, bei der Zuteilung von Kapital die Privatwirtschaft gegenüber der öffentlichen Hand zu benachteiligen. Um dies zu verhindern, forderte er die Entsendung von drei Vertretern der Wirtschaft in den Kapitalverkehrsausschuss. Sollte dies nicht möglich sein, verlangte er, dass die Zahl der Ausschussmitglieder der VfW, von der man offensichtlich am ehesten eine vorteilhafte Vertretung erwartete, auf vier erhöht werden sollte. Von einer wichtigen Lobbygruppe erfolgte überhaupt keine Reaktion: Die Kreditinstitute waren offenbar von den existenziellen Herausforderungen, wie sie etwa die Bewältigung der Dezentralisierungsmaßnahmen darstellten, zu sehr in Anspruch genommen und hatten offenbar nicht die Ressourcen, um auf den Gesetzentwurf zu reagieren. Bank deutscher Länder Als der Zentralbankrat der BdL (ZBR) im Herbst 1948 von ersten Pfandbriefemissionen erfahren hatte, die von Ländern genehmigt worden waren, hatte er sich bereits vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens mit dem Thema Emissionskontrolle auseinandergesetzt und wiederholt die Einführung eines „kapitalmarktpolitischen Lenkungsprinzips“ durch eine zentrale Zulassungsstelle für Emissionen befürwortet. Der ZBR hatte sich mit der Bitte an die Ministerpräsidenten der Länder gewandt, sich bis zur Einführung einer zentralen Regelung vor jeder Emissionsgenehmigung mit der BdL „ins Einvernehmen zu setzen“ und ihr aus Gründen der „allgemeinen Bankpolitik“ eine maßgebliche Beteiligung an dem Entscheidungsprozedere zu ermöglichen. Denn nur unter ihrer zentralen Mitwirkung, so das Argument des ZBR, könnten wichtige Gesichtspunkte – wie Zinsbedingungen, Aufnahmefähigkeit des Marktes und kreditpolitische Aspekte – wirksame Berücksichtigung finden.135 Als leichte Drohung ist wohl der Hinweis an die Länderregierungen zu verstehen, dass die BdL im Falle ihrer Nichtberück-
134 Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 6.1.1949 – BA Ko, Z 4/47. 135 Stenograph. Bericht über die 22. ZBR-Sitzung vom 16.11.1948, S. 26 – BBk HA, B 330/7.
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sichtigung den genehmigten Schuldverschreibungen die Lombardfähigkeit verweigern könnte.136 Die Notwendigkeit von einheitlichen Kriterien bei der Beurteilung von Emissionsanträgen war der BdL im eigenen Hause vor Augen geführt worden, als die Länder die von ihnen eingereichten Anträge mit aller Macht durchzusetzen suchten.137 Daher stand die BdL dem Gesetzentwurf der VfF grundsätzlich positiv gegenüber. Dennoch regte sich auch im ZBR „schärfster Widerspruch“, nicht so sehr gegen die geplante Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses, sondern gegen die vorgesehene Art der Beschlussfassung, die es erlaubt hätte, den Vertreter der BdL bei jeder Entscheidung zu überstimmen. Dies wollte die BdL nicht hinnehmen und forderte ein Vetorecht.138 Vorläufig sah sich die BdL als einzige zentrale Stelle in der Lage, eine einheitliche Aufsicht über Wertpapieremissionen auszuüben. Sie beschränkte sich dabei auf die Prüfung der Emissionsbedingungen, während sie keine wirtschaftspolitischen Entscheidungen darüber treffen wollte, wer Emissionen ausgeben durfte und zu welchen Zwecken. In der Folgezeit gingen aufgrund eines unter den Länderministerien vereinbarten Aufschubs aller Emissionsgenehmigungen nur wenige Anträge bei der BdL ein, denen sie in aller Regel zustimmte.139 Militärregierung Als die Militärregierung die westdeutsche Verwaltung im Oktober 1948 mit der Vorbereitung des Gesetzes beauftragte, geschah dies zu einem Zeitpunkt, als ihre eigene Position bezüglich der einzuschlagenden Kapitalmarktpolitik keineswegs geklärt war. Obwohl sich die Beschäftigung mit dem Themenkomplex „Kapital136 Die Lombardfähigkeit war für den Absatz von Wertpapieren von großer Bedeutung. Da es keinen funktionierenden amtlichen Börsenhandel gab, stellte die Lombardierung eine wichtige Möglichkeit dar, die Wertpapiere zu verflüssigen. Üblicherweise setzte die Lombardfähigkeit die Notierung an einer Börse voraus. Protokoll der 19. ZBR-Sitzung vom 5.10.1948, TOP 10; Kurzprotokoll der 20. ZBR-Sitzung vom 19.10.1948, TOP 10; Protokoll der 22. ZBR-Sitzung vom 16.11.1948, TOP 8 – BA Ko, B 169/1; Entwurf eines Schreibens der BdL an die Ministerpräsidenten der Länder betr. Beteiligung der BdL bei Wertpapieremissionen vom 18.10.1948 – BBk HA, B 330/6; Stenograph. Bericht über die 39. ZBR-Sitzung vom 12.7.1949, S. 2 – BA Ko, B 169/2. 137 Nach den ersten Entscheidungen der BdL hatten sich einige Länder benachteiligt gefühlt und ihrerseits Emissionsanträge gestellt (Bremen, Hessen und Niedersachsen). Schreiben Vocke/ Könneker an Bernard vom 8.2.1949 – BBk HA, B 330/10; Protokoll der 28. ZBR-Sitzung vom 8.2.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2. 138 Protokoll der 22. ZBR-Sitzung am 16.11.1948, TOP 7 – BA Ko, B 169/1. 139 Die BdL stimmte bis Februar 1949 der Ausgabe von Pfandbriefen und Schiffspfandbriefen in einem Gesamtvolumen von 85 Mio. DM zu, die vor allem von Emittenten aus NordrheinWestfalen, Württemberg-Baden und Hamburg stammten. Für alle Wertpapiere war ein Zinssatz von fünf Prozent vorgesehen. Voraussetzung für die Genehmigung war bei einigen Emissionen, dass sie in Tranchen untergebracht wurden bzw. dass sie von der Post (Anlegung von Postscheckgeldern) übernommen wurden. Schreiben Vocke/ Könneker an Bernard vom 8.2.1949 – BBk HA, B 330/10.
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bildung/ -lenkung“ in der Militärverwaltung noch im Anfangsstadium befand, war die Reaktion auf den Gesetzentwurf eindeutig: Sie missbilligten die vorgesehenen Bestimmungen, die ihrer Ansicht nach weitgehend unbrauchbar waren. Die Vorstellungen der anglo-amerikanischen Finanzexperten erstreckten sich inzwischen auf viel umfassendere Maßnahmen zur Kapitallenkung, für die sie im Gesetzentwurf keine brauchbaren Ansätze fanden. Zugleich monierten sie, dass die Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses eher (partei)politischen Bedürfnissen entsprach, als eine funktionale und professionelle Durchführung der Emissionskontrolle zu gewährleisten: Die Militärregierung sah keinen Grund, warum das Gremium auf höchster politischer Ebene angesiedelt sein sollte. Mit Hilfe genauer Richtlinien und festgelegter Standards würde auch ein Ausschuss von Fachleuten der VFF und der BdL in der Lage sein, zufriedenstellende Entscheidungen zu treffen. Aber gerade das Fehlen solcher Richtlinien und Standards führte die Militärregierung als größten Mangel des Gesetzentwurfs an.140 Die ablehnende Stellungnahme macht deutlich, dass die Militärregierung die Emissionskontrolle eher als eine technisch-organisatorische, nach bestimmten Vorgaben möglichst effizient und transparent auszuführende Aufgabe ansah – und nicht als Exerzierfeld von Spitzenpolitikern, wie es offenbar die Deutschen bevorzugten. Die amerikanischen Haltung entsprach dem Grundmodell des New Deal: Führende Fachleute aus der öffentlichen Verwaltung und der privaten Wirtschaft sollten gemeinsam – unter weitgehender Zurückhaltung der Politik – an praktischen, wissenschaftlich abgesicherten Lösungen arbeiten. Anstatt aber dem Wirtschaftsrat oder der VfF die fundamentale Kritik am Gesetzentwurf mitzuteilen, beließ es die Militärregierung bei einer internen Stellungnahme.141 Grund dafür dürfte gewesen sein, dass es in der Militärverwaltung zu diesem Zeitpunkt nur sehr allgemeine kapitalmarktpolitische Vorstellungen gab, während detaillierte Maßnahmen noch gar nicht erwogen worden waren. Man hätte also dem Wirtschaftsrat kaum konstruktive Verbesserungsvorschläge unterbreiten können. Die Folge der alliierten Zurückhaltung war, dass die Diskussionen um die Ausgestaltung der Kapitallenkung in der deutschen Verwaltung und in der Militärverwaltung getrennt ohne gegenseitige Konsultationen fortgeführt wurden. Wie sich bald zeigen sollte, schlugen die deutschen gesetzgebenden Körperschaften im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens einen Weg ein, der mit den Konzepten der Militärregierung nicht vereinbar war – und dessen Korrektur viel Zeit beanspruchen sollte.
140 Draft cable (BISEC) to BICO (Januar 1949) – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1. 141 Die Finance Group zog in Erwägung, die Genehmigung für Emissionen solange auszusetzen, bis ein den Vorstellungen der Militärregierung entsprechendes Gesetz verabschiedet worden war. Long-term Investment Policy and Organization (Januar 1949) – BA Ko, Z 45 F, 2/139/1; Methods for securing additional funds to finance new capital formation, Meeting on 24.2.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2.
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III. 3. 3. Beratungen im Wirtschaftsrat und im Länderrat Das Gesetzgebungsverfahren erfuhr im Wirtschaftsrat und im Länderrat eine Wendung, die nicht im Sinne der Militärregierung sein konnte. Als sich der Finanzausschuss des Wirtschaftsrats in seiner Sitzung vom 5./6. Januar 1949 mit der gesetzlichen Regelung der Emissionskontrolle befasste, lehnte er den Entwurf des Verwaltungsrats mit der Begründung ab, dass die ihm zugrunde liegenden Vorgaben der Militärregierung nicht zweckmäßig seien – Ausdruck eines bemerkenswert selbstbewussten Auftretens der Ausschussmitglieder.142 So lehnte der Finanzausschuss einen Kapitalverkehrsausschuss als zentrale Entscheidungsstelle rundweg ab. Stattdessen wollte er die Zuständigkeit für Emissionsgenehmigungen auf die Länderregierungen übertragen. Um dennoch ein einheitliches Verfahren zu gewährleisten, schlug er vor, alle Genehmigungsentscheide der Länder von der Zustimmung einer künftigen westdeutschen Zentralregierung abhängig zu machen. Da die Wünsche des Finanzausschusses stark von dem VerwaltungsratsEntwurf abwichen, war die Ausarbeitung eines neuen Gesetzentwurfs durch die VfF notwendig. Als daraufhin in den folgenden Wochen mehr als vier revidierte Entwürfe vorgelegt wurden, war allen Beteiligten klar, dass das Gesetz zu einem „Gegenstand heftiger und zeitraubender grundsätzlicher Auseinandersetzungen“ wurde.143 Dies lag kaum an ordnungspolitischen Differenzen, denen die Verwaltungen und der Wirtschaftsrat weiterhin aus dem Wege gingen. Die Auseinandersetzungen entzündeten sich vielmehr an Fragen der Entscheidungskompetenzen und Einflussmöglichkeiten, wie ein Sitzungsbericht des Finanzausschusses des Länderrats treffend wiedergibt: „Die Schwierigkeit der Materie erklärt sich aus den vielfältigen diametralen Anforderungen, die an ein Emissionskontrollgesetz gestellt werden. Die Notwendigkeit einer zentralen Kapitalmarkt- und Investitionspolitik liegt auf der Hand; aber sie findet ihre Grenze in dem Erfordernis, auch den Ländern einen angemessenen Einfluss zu sichern, da ihre wirtschaftlichen Lebensinteressen von der Handhabung der Emissionskontrolle entscheidend berührt werden. Hinzu kommt die Vielzahl von Kompetenzen, die hier konkurrierend aufeinander treffen: unter den Mitwirkungsansprüchen der einzelnen Ressorts (Zentralnotenbank, Finanz, Wirtschaft, Arbeit, Ernährung usw.) soll ein angemessener Ausgleich herbeigeführt werden; gleichzeitig soll durch Einschaltung von Kräften der politischen Willensbildung und der freien Wirtschaft das notwendige Gegengewicht zur Einflussmöglichkeit der Ministerialbürokratie geschaffen werden. Es leuchtet ein, dass die Berücksichtigung aller dieser Wünsche nur mit einer übermäßigen Komplizierung des Zulassungsverfahrens erkauft werden kann.“144
142 Besonders die Vertreter der FDP machten ihre Bedenken geltend. Vermerk vom 28.1.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 175; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankenaufsicht vom 11./12.1.1949, TOP 6 – BA Ko, Z 4/46. 143 Vermerk vom 28.1.1949; Schreiben des Bundesfinanzministers an den Bundesjustizminister, o.D. – BA Ko, Z 4/47 (Zitat). 144 Kurzbericht über die 21. Sitzung des Finanzausschusses des Länderrates vom 3.2.1949 – BA Ko, Z 4/555, pag. 93 f.
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Auf deutscher Seite sah man es also als Aufgabe, eine filigrane Lösung zu finden, die für eine angemessene Machtbalance zwischen den politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen sorgte. Gerade dies widersprach den Vorstellungen der Militärregierung, die eine Politisierung der Kapitallenkung durch eine technokratische, unpolitische Behandlung des Problems verhindern wollte. Die verschiedenen Fassungen des Gesetzentwurfs wurden jeweils in engem Informationsaustausch zwischen der VfF sowie den Finanz- und den Wirtschaftsausschüssen des Wirtschaftsrats bzw. des Länderrats ausgearbeitet. Die Auseinandersetzungen spielten sich dabei in erster Linie zwischen der Finanzverwaltung und der Wirtschaftsverwaltung ab, die um ihre jeweiligen Kompetenzen stritten, während die Parteizugehörigkeit der Protagonisten nur eine untergeordnete Rolle spielte. Der Gesetzentwurf erhielt in diesem Prozess Schritt für Schritt ein anderes Gesicht. Der Finanzausschuss des Wirtschaftsrats sprach sich schließlich dafür aus, dass alle Emissionsentscheide zunächst von der obersten zuständigen Landesbehörde, in der der Antragsteller seinen Sitz hatte, getroffen werden sollten.145 Bevor eine Emissionsgenehmigung der Länder jedoch wirksam werden sollte, verlangte der Finanzausschuss zusätzlich die Zustimmung desjenigen bizonalen Verwaltungsdirektors, der für den Wirtschaftsbereich des antragstellenden Unternehmens bzw. der antragstellenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft zuständig war. Die Verwaltungsdirektoren sollten bei ihrer Entscheidung ein Gutachten des Ausschusses für Kapitalverkehr berücksichtigen.146 Diesen Instanzenweg setzte der Finanzausschuss mit nur kleinen Änderungen schließlich in langwierigen Verhandlungen durch.147 Es gelang den Ländern damit, ihre Mitwirkung an der Emissionskontrolle dank der Zugeständnisse der bizonalen Verwaltungen, vor allem der VfF, erheblich auszuweiten. Dies widersprach der Hauptforderung der Militärregierung, die Emissionskontrolle einer zentralen Stelle zu übertragen, die eine einheitliche Behandlung unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Bedürfnisse garantieren sollte. Immerhin machte der revidierte Gesetzentwurf die Zustimmung des Verwaltungsrates zur Voraussetzung für eine Emissionsgenehmigung, womit eine ausgeglichene Machtverteilung zwischen bizonaler Verwaltung und Ländern 145 Er berücksichtigte damit die Forderungen des Wirtschaftsausschusses des Länderrats, der mit dem Veto des Länderrats gedroht hatte. Protokoll der 11. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats vom 15.1.1949 – PA, 2/415. 146 Kurzprotokoll des Ausschusses für Finanzen beim Wirtschaftsrat über die Sitzung am 26.1.1949 – PA, 2/743. 147 Es war dies das Resultat des Widerstands der VfW, des Wirtschaftsausschusses des Wirtschaftsrats und der im Wirtschaftsausschuss des Länderrats versammelten Landeswirtschaftsminister gegen eine Vorrangstellung der VfF. Sie konnten sich allerdings nicht mit ihrer Maximalforderung durchsetzen, die Federführung in dem Gesetzesverfahren der VfW zu übertragen, deren Zuständigkeit vor allem mit der engen Verbindung von ERP-Investitionsplanung und Kapitallenkung begründet wurde. Vgl. zum Beispiel die Äußerungen Erhards im Wirtschaftsausschuss des Länderrats: Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats vom 23.2.1949 – BA Ko, Z 4/47; Kurzbericht über die 22. Sitzung des Ausschusses für Finanzen des Länderrats vom 10.2.1949 – BA Ko, Z 4/555, pag. 125 f.
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erzielt werden sollte. Der Ausschuss für Kapitalverkehr, dem nun neben den ursprünglich vorgesehenen Mitgliedern auch ein Vertreter der KfW angehören sollte, während man Vertreter der Wirtschaft und der Kommunen nicht beteiligen wollte, stand in dem neuen Entwurf nicht mehr die maßgebliche Entscheidungsbefugnis zu, sondern er sollte nur noch als „objektiver Gutachterausschuss“148 fungieren. Uneinigkeit herrschte über die Einbeziehung von Aktien in die Emissionskontrolle.149 Zunächst stand der Vorschlag im Raum, alle Aktienemissionen von der gesetzlichen Genehmigungspflicht auszunehmen. Hintergrund war die Annahme, dass auf absehbare Zeit ohnehin keine neuen Aktien beim Publikum untergebracht werden könnten, sie vielmehr von Kreisen übernommen würden, die an den Unternehmensgründungen unmittelbar beteiligt waren. Diesen wollte man angesichts der allgemein schwierigen Situation keine zusätzlichen Steine in den Weg legen.150 Dann sprach man sich dafür aus, dass lediglich Vorzugsaktien und Genussscheine der Genehmigungspflicht unterworfen werden sollten. Doch einigte man sich schließlich darauf, dass für alle Emissionen von Aktien, Zwischenscheinen und Genussscheinen, die ein Volumen von einer Mio. DM überstiegen, ein Antrag obligatorisch sein sollte.151 Auch die Behandlung der Anleihen der Länder, der Reichspost und der Reichsbahn gestaltete sich schwierig: Einerseits musste es die Effektivität der Emissionskontrolle stark einschränken, wenn Länder, Post und Bahn aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgenommen wurden. Andererseits sahen die Länder ihre Selbständigkeit in der Haushaltsführung, die einen Grundpfeiler des angestrebten föderalen Staatsaufbaus bildete, durch eine Unterwerfung unter das Kapitalverkehrsgesetz gefährdet. Weder die Entscheidungsbefugnis des Kapitalverkehrsausschusses noch das Genehmigungs- bzw. Vetorecht des Verwaltungsrats war für die Länder mit ihrer Finanzautonomie vereinbar. Nachdem das Grundgesetz proklamiert worden war, das die Finanzautonomie der Bundesländer festschrieb (Art. 109 GG), wurden die Anleihen von Bund und Ländern generell aus dem Geltungsbereich des Kapitalverkehrsgesetzes ausgeklammert.152 Auch die Anleihen von Post und Bahn blieben schließlich außen vor, da die
148 Kurzprotokoll des Ausschusses für Finanzen beim Wirtschaftsrat über die Sitzung am 16.2.1949 (Zitat); Kurzprotokoll des Ausschusses für Finanzen beim Wirtschaftsrat über die Sitzung am 9./10.2.1949 – PA, 2/743. 149 Protokoll der 11. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats vom 15.1.1949 – PA, 2/415. 150 Schreiben (Neuling) an den Hauptreferenten für Wirtschaft, Verkehr und Arbeit des Länderrats vom 28.1.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 174. 151 Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr (gemäß den Beschlüssen des Finanzausschusses des Wirtschaftsrats), 7.2.1949; Referentenentwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, Änderungsvorschlag zu dem Entwurf vom 7.2.1949, 10.2.1949; Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, 11.2.1949 – PA, 2/415. 152 Vermerk (Kremer) vom 24.11.1950 – BA Ko, B 126/12076; vgl. Ambrosius, Staat, S. 16.
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Bundesregierung nicht dem im Gesetz vorgesehenen Instanzenweg unterworfen werden sollte.153 Zwischenzeitlich sah ein Gesetzentwurf die Aufstellung von Richtlinien vor, die als Leitfaden für die Emissionsgenehmigung dienen sollten.154 Doch wurde diese Passage wieder gestrichen, so dass immer noch jeder Hinweis auf Kriterien fehlte, an denen sich die Genehmigung von Emissionen orientieren sollte. Damit wollten die Abgeordneten und Parteien weiterhin einen Streit umgehen, der grundsätzliche Fragen der ordnungspolitischen Ausrichtung des künftigen westdeutschen Staates betroffen hätte. Der FDP-Abgeordnete Wellhausen begründete dies vor dem Wirtschaftsrat so: „Es hätte nur zwei Möglichkeiten gegeben. Entweder hätte man in mehr oder weniger allgemeinen Redewendungen etwas aufführen müssen, oder man hätte, wenn man sich schon konkret ausgedrückt hätte, vor der Notwendigkeit gestanden, diese Vorschriften und Bestimmungen alle Augenblicke zu ändern. Beides glaubte der Finanzausschuss ablehnen zu sollen. Es handelt sich letzten Endes um eine Verwaltungsentscheidung, bei der das Ermessen maßgeblich sein muss.“155
III. 3. 4. Verabschiedung des Gesetzentwurfs Der FDP-Abgeordnete Wellhausen, der den ersten Gesetzentwurf im Wirtschaftsrat noch mit deutlichen Worten kritisiert hatte, stellte den neuen Entwurf am 18. Februar 1949 der Vollversammlung des Wirtschaftsrats als Berichterstatter des Finanzausschusses in der zweiten und dritten Lesung vor. Er betonte, dass der überarbeitete Gesetzestext die Bestimmungen des ursprünglichen Entwurfs auflockere und dass es sich um eine Regelung handele, „die nach unserer Ansicht keineswegs auf die Dauer gelten soll.“ Man wolle sich der Emissionskontrolle, die Wellhausen als eine Spätwirkung der NS-Wirtschaftspolitik bezeichnete, die in „normalen Zeiten“ nicht üblich gewesen sei, baldmöglichst wieder entledigen und die Dauer des Gesetzes auf anderthalb Jahre beschränken.156 Auch habe sich der Finanzausschuss bemüht, die Grenzen für die Genehmigung von Wertpapieremissionen „so eng zu ziehen wie überhaupt nur möglich“. Zudem sei statt einem allein entscheidenden Kapitalverkehrsausschuss ein Instanzenzug geschaffen 153 Nach der geltenden Rechtslage bedurfte die Ausgabe von Schuldverschreibungen durch die Post der „vorherigen Verständigung“ mit der VfF und die Emission von Bahnanleihen des „Einvernehmens“ mit der VfF. Nach Gründung der Bundesrepublik lag die Entscheidung über die Ausgabe von Schuldverschreibungen und verzinslichen Schatzanweisungen der Bundesbahn in Händen der Bundesregierung. Bei der Bundespost musste neben dem Bundespostministerium das Bundesfinanzministerium zustimmen. Kurzprotokoll der Sitzung des Finanzausschusses des Wirtschaftsrats am 16.2.1949 – BA Ko, Z 3/85. 154 Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr (gemäß den Beschlüssen des Finanzausschusses des Wirtschaftsrats), 7.2.1949 – PA, 2/415. 155 Wörtlicher Bericht über die 33. Vollversammlung des Wirtschaftsrats am 18.2.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1443. 156 Ebd., S. 1442 f.
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worden, der den Ländern entscheidendes Gewicht zubillige und zugleich die Mitwirkung des Verwaltungsrats als zentraler Instanz notwendig mache. Abschließend äußerte Wellhausen sein Bedauern, dass ein solches Gesetz in der „Zeit der Gewerbefreiheit und der Befreiung von der Zwangswirtschaft“ noch notwendig sei. Aber eine Kapitallenkung in die „volkswirtschaftlich richtigen Kanäle“ halte er aufgrund des „unruhigen und fiebrigen Zustandes“ in Teilen der Gesamtwirtschaft für eine Übergangszeit als unumgänglich, wenn sie auch so eng wie möglich gehalten werden müsse.157 Kritik an dem Gesetzentwurf kam aus den Fraktionen der KPD, SPD und FDP. Der Vertreter der SPD (und der KPD, der jedoch schnell in eine ideologische Grundsatzkritik überging) begrüßte zwar die Kapitalkontrolle grundsätzlich, rügte aber die enge Beschränkung der Kapitalverkehrskontrolle auf Wertpapieremissionen, die falsche Kompetenzverteilung zwischen Wirtschaftsressort und Finanzressort, die der für Lenkungsmaßnahmen zuständigen Wirtschaftsverwaltung zu wenig Kompetenzen zuspreche, sowie die Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses, in dem beispielsweise Gewerkschaftsführer fehlten. Die Fraktion der FDP war gespalten. Während der FDP-Vorsitzende Franz Blücher, wenig später zum Bundesminister für den Marshallplan und zum Vizekanzler ernannt, den Ausführungen Wellhausens mit fast gleicher Wortwahl zustimmte, lehnten einzelne FDP-Abgeordnete das Gesetz ab, da es die Nachfolge eines „berüchtigten Nazigesetzes“ antrete und gegen die Gewerbefreiheit verstoße.158 Das stärkere Gewicht, das den Ländern mit dem im Wirtschaftsrat verabschiedeten Gesetzentwurf zugewiesen wurde, sorgte dafür, dass sich der Länderrat mit der vorliegenden Fassung zufrieden gab. Die Protokolle der Länderratsausschüsse für Finanzen und für Wirtschaft legen jedoch den Schluss nahe, dass die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Finanz- und Wirtschaftsressorts, die den seit geraumer Zeit schwelenden Konflikt der Behörden um die Zuständigkeit für den Gesamtbereich Geld und Kredit widerspiegelten, hier noch intensiver ausgetragen wurden als im Wirtschaftsrat.159 Bis zuletzt versuchten die Länderwirtschaftsminister mit Unterstützung von VfW-Direktor Ludwig Erhard, die Federführung der Wirtschaftsverwaltung bei der Emissionskontrolle mit dem Argument durchzusetzen, dass die Wirtschaftsressorts auch für die ERP-Planung zuständig seien,160 was vom Finanzausschuss des Länderrats und vom Sonderausschuss Banken157 Ebd., S. 1443 f. 158 Ebd., S. 1446 f. 159 Kurzbericht über die 24. Sitzung des Finanzausschusses des Länderrats vom 11.3.1949, TOP 1 – BA Ko, Z 4/621. 160 Schreiben des Hauptreferenten für Wirtschaft, Verkehr und Arbeit beim Länderrat an die Bevollmächtigten der Länder vom 10.2.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 147 ff.; Kurzbericht über die 22. Sitzung des Finanzausschusses des Länderrats vom 10.2.1949 – BA Ko, Z 4/555, pag. 125 f.; Schreiben des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Nölting an Kriedemann (Mitglied des Wirtschaftsrats) vom 11.2.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 142; Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats am 23.2.1949 – BA Ko, Z 4/47, pag. 111 f.
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aufsicht jedoch abgewehrt wurde.161 In der öffentlichen Sitzung des Länderrats kam keine Diskussion mehr über die Bestimmungen des Gesetzentwurfs auf. Der hessische Finanzminister Hilpert (SPD) forderte lediglich als einzige Änderung die Entsendung von vier statt zwei Ländervertretern in den Kapitalverkehrsausschuss; ein entsprechender Entschluss des Länderrats wurde getroffen.162 Hilpert betonte vor dem Länderrat, dass es sich bei dem KVG wohl lediglich um ein erstes Gesetz handele, dem „viel eingehendere, die ganze Kapitalmarktpolitik beeinflussende Gesetze“ folgen würden.163 Es ist möglich, dass diese Äußerung auf Gerüchte über weitreichende kapitalmarktpolitische Planungen der Militärregierung zurückging. Bei den bisherigen Verhandlungen war auf deutscher Seite jedenfalls keine Rede von einer Ausweitung der staatlichen Kontrolle über den Wertpapiermarkt hinaus gewesen. III. 3. 5. Ablehnung des Gesetzentwurfs durch die Militärregierung und die Diskussion um eine Ausweitung der Kapitallenkung Das vom Wirtschaftsrat in dritter Lesung am 19. Februar 1949 mit großer Stimmenmehrheit verabschiedete Gesetz über den Kapitalverkehr musste zwangsläufig bei der Militärverwaltung auf Ablehnung stoßen, da es noch deutlicher als der erste Gesetzentwurf von ihren Vorstellungen abwich. In der Finance Group waren die Erörterungen über die Kapitalbildung und -lenkung während der Gesetzesberatung im Wirtschaftsrat fortgesetzt worden, die schließlich sehr viel weiter reichten als auf deutscher Seite. Anstatt nur Wertpapieremissionen einer Kontrolle zu unterziehen, forderten die alliierten Finanzexperten nunmehr eine zentrale Kontrolle über sämtliche langfristigen Ausleihungen, die den Betrag von 500.000 DM überschritten. Ihrer Auffassung nach ging eine Kapitallenkung, die sich auf Wertpapieremissionen beschränkte, nicht weit genug. Man verwies in diesem Zusammenhang auf die Verhältnisse in Großbritannien, wo während der Kriegszeit alle Ausleihungen über 100.000 £ und seit Kriegsende sogar alle Ausleihungen über 50.000 £ die Zustimmung des Treasury benötigten.164 Mit den weitgehenden Forderungen ihrer Finanzexperten konfrontiert, beauftragten die Militärgouverneure am 17. Februar 1949, also zwei Tage vor der Verabschiedung des Gesetzes über den Kapitalverkehr im Wirtschaftsrat, die
161 Kurzbericht über die 23. Sitzung des Finanzausschusses des Länderrats vom 25.2.1949 – BA Ko, Z 4/555; Niederschrift über die Sitzung des Sonderausschusses Bankenaufsicht am 15.2.1949 – PA, 2/415. 162 Wörtlicher Bericht über die 13. öffentliche Sitzung des Länderrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 2.3.1949 – PA, 2/415. 163 Ebd. 164 Schreiben BICO, Finance Group an BICO, Joint Secretariat vom 3.3.1949; Entwurf eines Schreibens an den bizonalen Exekutivrat, o. D. – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1.
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Finance Group mit der Einsetzung einer Ressort übergreifenden Arbeitsgruppe,165 die einen Bericht ausarbeiten sollte über a) die Notwendigkeit einer Kontrolle der Kapitalbildung, b) die dafür in Frage kommenden Kontrollorgane und c) die Art der „Begleitung“ durch alliierte Verwaltungsstellen. Es war dies der erste Versuch, die Vorstellungen der verschiedenen Abteilungen der Militärverwaltung zusammenzutragen und zu einem einheitlichen Meinungsbild zusammenzufassen. Die Arbeitsgruppe legte ihren Bericht einen Monat später vor, in dem sie sich gegen eine umfassende Investitionskontrolle aussprach. Sie kam zu dem Ergebnis, dass zwar eine Regulierung der Investitionsfinanzierung notwendig sei, da sonst zu viel Kapital in hochprofitable Unternehmen fließen würde, die gesamtwirtschaftlich nicht notwendig seien. Zugleich hielt sie Kontrollmaßnahmen an sich aber für wenig wünschenswert und wollte sie so eng begrenzen und in ihrer Verwaltung so einfach gestalten wie nur möglich. Aus diesem Grunde sprach sich die Arbeitsgruppe dafür aus, die Kontrollmaßnahmen auf Wertpapieremissionen, die sie bemerkenswerter Weise als wichtigste Quelle der Kapitalaufbringung einschätzte, und auf die langfristige Kreditvergabe der wichtigsten Kapitalsammelstellen (private Versicherungsgesellschaften und KfW) zu beschränken. Die Genehmigungspraxis sollte sich nach der gesamtwirtschaftlichen Nützlichkeit richten und ab einer Größenordnung von 500.000 DM greifen. Falls die Länder als Entscheidungsinstanzen eingesetzt werden sollten, müssten – so das Ergebnis der Arbeitsgruppe – allgemeinverbindliche Richtlinien die Einheitlichkeit der Kontrolle garantieren. Darüber hinaus sollten alle verfügbaren Investitionsmittel aus öffentlichen Budgets in KfW-Anleihen angelegt werden, um einen gezielten Kapitaleinsatz zu gewährleisten.166 Nach Kenntnisnahme des Berichts erfolgte am 25. März die offizielle Reaktion der Militärregierung auf das vom Wirtschaftsrat verabschiedete Kapitalverkehrsgesetz. In einem Schreiben an den Präsidenten des Wirtschaftsrats und den Vorsitzenden des Länderrats sparte die Militärregierung nicht mit Kritik und wies das Gesetz zurück.167 Sie rügte scharf das Fehlen von Entscheidungsrichtlinien, wodurch der Verwaltungsrat bzw. die Länderregierungen ihre Beschlüsse nach Gutdünken („with absolute discretion“) treffen könnten, ohne auch nur verpflichtet zu sein, ihre Entscheidungen schriftlich zu begründen. Dadurch sei Sinn und Zweck des Gesetzes unmöglich zu erkennen. Der Militärregierung
165 Der Arbeitsgruppe gehörten Vertreter der folgenden Stellen an: Allied Bank Commission, French Finance Division (Baden-Baden), JEIA, Commerce and Industry Group, Food, Agriculture and Forestry Group, ERP-Committee und US-/ UK- Economic Advisers to BICO. Memo (BIPFIN), Responsibility for determining priority for long term investment, 17.2.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1. 166 Schreiben BICO, Finance Group (Milne) an Joint Chairmen vom 22.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1. 167 Entwurf eines Schreibens des Joint Secretariat (BICO) an den Präsidenten des Wirtschaftsrats vom 21.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1; Schreiben des Joint Secretariat (BICO) an den Präsidenten des Wirtschaftsrates und den Vorsitzenden des Länderrates betr. Wirtschaftsratsgesetz Nr. 94 über den Kapitalverkehr vom 25.3.1949, Drucksache 1088/1949, in: AVBRD.
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erschien eine solche Möglichkeit zum Machtmissbrauch vollkommen unvereinbar mit dem angestrebten demokratischen Regierungssystem. Die Ansiedlung der Entscheidungsbefugnisse auf den höchsten politischen Ebenen der Länder und der Bizone lehnte die Militärregierung ab und forderte stattdessen die Einrichtung von Fachausschüssen, die ihre Entscheidungen nach festgelegten Standards, die zuvor von den gesetzgebenden Körperschaften genehmigt worden seien, fällen sollten.168 Als letzten Kritikpunkt führte das Schreiben aus, dass mit dem Gesetz nur ein kleiner Teilbereich des Kapitalmarktes erfasst werde: „We assume that the purpose of this law was to control the use of credit so that it should be devoted to essential purposes. Military Government would welcome such legislation if it covered a much wider field and if it were so designed as to achieve its objective.“
So klar die Kritik der Militärregierung an dem Gesetz auch ausfiel, explizite Vorgaben für Verbesserungen machte sie den deutschen gesetzgebenden Körperschaften trotz der vorliegenden Ergebnisse der Arbeitsgruppe weiterhin nicht. Dies lag offensichtlich daran, dass die interne Diskussion noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidung, auf welche Bereiche die Kontrolle des „Kapitalverkehrs“ ausgeweitet werden sollte, noch ausstand.169 Die Militärregierung kündigte ein weiteres Schreiben an, das diesbezügliche Vorgaben machen sollte. Die oben erwähnte Abneigung Clays, der deutschen Verwaltung wenige Monate vor Gründung des westdeutschen Staates Vorschriften zur Investitionsfinanzierung zu machen, bezog sich auch auf den Bereich des Wertpapierwesens: Da er die Verantwortung bei den deutschen gesetzgebenden Körperschaften belassen wollte, lehnte er ein Zwangsgesetz der Militärregierung ab – wie es einige Experten der Finance Group durchaus verlangten. Clay forderte die Deutschen auf, das Kapitalverkehrsgesetz noch einmal im Sinne der Militärregierung zu überarbeiten und dann erneut vorzulegen.170 III. 3. 6. Das Kapitalverkehrsgesetz in der ordnungspolitischen Debatte Mit der Ablehnung des Gesetzentwurfs waren die Karten in der Frage der Emissionskontrolle neu gemischt. Nicht nur brachen im Wirtschaftsrat und im Länderrat alte Konflikte über die Kompetenzverteilung neu auf. Vielmehr sorgte die Forderung der Militärregierung, die Kontrolle des Kapitalverkehrs weit über den Bereich des Wertpapiermarktes auszudehnen, für neues Konfliktpotenzial, das 168 Schreiben BICO, Finance Group an BICO, Joint Secretariat vom 3.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1. 169 Während z.B. General Robertson den Wohnungsbau, insbesondere für Arbeiter im Ruhrgebiet, für vordringlich hielt, war Clay von der Dringlichkeit der Wohnungsfinanzierung im Ruhrgebiet nicht überzeugt. Memo, 30.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/4/2; Memo, 31.3.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1. 170 Report of Informal Discussion (Holgate), 22.4.1949 – BA Ko, Z 45 F, FIN/2/1.
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eine neue ordnungspolitische Tragweite gewann. Dies umso mehr, als die weiteren Vorarbeiten zum KVG in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs gerieten, in dem die zukünftige ordnungspolitische Orientierung zu einem Ausschlag gebenden Thema wurde. Welche Konflikte dies heraufbeschwören konnte, zeigte eine zeitgleich stattfindende Debatte im Wirtschaftsrat. Im Frühjahr 1949 hatten die beiden Militärgouverneure erkennen lassen, dass sie eine positive öffentliche Stellungnahme des einzigen gewählten Gremiums der Bizone, des Wirtschaftsrats, zum Europäischen Wiederaufbauprogramm für äußerst wünschenswert hielten. Für die deutschen Parteien entpuppte sich ein Bekenntnis zu den Aufgaben und Zielen des Marshall-Plans angesichts der nicht geklärten Ausrichtung der zukünftigen Wirtschaftsordnung jedoch als heikel. Bis dahin war der Marshallplan von den politischen Akteuren sehr unterschiedlich interpretiert worden. Hatten die bürgerlichen Parteien besonders das Ziel einer marktwirtschaftlichen Ordnung in Europa betont und die planwirtschaftlichen Elemente lediglich als vorübergehendes Mittel zu diesem Zweck heruntergespielt, hofften die Sozialdemokraten im Gegenteil, dass gerade diese Planungsinstrumente Vorläufer einer künftigen umfassenderen nationalen und internationalen Wirtschaftsplanung sein würden.171 Unter diesen Voraussetzungen musste eine Stellungnahme zum Wiederaufbauprogramm wenige Monate vor der Bundestagswahl einen richtungweisenden Charakter annehmen, wobei insbesondere für die bürgerlichen Parteien angesichts der planwirtschaftlichen Elemente des Marshallplans eine vorbehaltlose Zustimmung kaum in Frage kam. Man sah man vor, die Stellungnahme in Form von Leitsätzen zu verabschieden, für die VfW-Direktor Erhard Anfang Mai 1949 einen ersten Entwurf vorlegte. Darin wurden wenig überraschend die langfristigen Zielsetzungen des Marshallplans – Produktivitätssteigerung, Verbesserung des Lebensstandards, Währungsstabilität, Exportausweitung – hervorgehoben und die Förderung der Privatinitiative, eine der Kapitalbildung förderliche Steuerpolitik sowie eine gezielte Investitionspolitik als probate wirtschaftspolitische Mittel angeregt.172 Dies stieß umgehend auf den Widerstand der SPD, die Aussagen über „eine wirksame Art der Kapitalbildung, Investitionskontrolle und der Verwendung der Rohstoffe“, also die planwirtschaftliche Komponente des Marshallplans, in die Leitsätze aufnehmen wollte. Eine daraufhin überarbeitete Fassung der Leitsätze, die mehr auf die Vorstellungen der Sozialdemokraten einging und u.a. die Forderung nach einem jährlichen Investitionsprogramm und einem Kapitalverkehrsgesetz enthielt, wurde Ende Mai jedoch von der SPD-Fraktion selbst mit der Begründung verworfen, dass die bürgerliche Mehrheit im Wirtschaftsrat die Neufassung, die „in krassem Widerspruch“ zu Erhards seit Mitte 1948 umgesetzter Wirtschaftspolitik stand, ohnehin nicht ernst nehmen würde.173 Das war eine realistische Annahme, wenn man das ausgesprochen marktwirtschaftlich geprägte 171 Schwabe, Echo, S. 266, 270 f., 289 ff. 172 Ebd., S. 298 ff. 173 Ebd., S. 300.
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Wahlprogramm der CDU vom 15. Juli 1949 („Düsseldorfer Leitsätze“) berücksichtigt, in dem von einem „Hinnehmen“ der „planungsmäßigen Ansätze“ der amerikanischen Hilfsleistungen die Rede war, die sich nur mit dem höheren Interesse einer „europäischen Befriedung“ rechtfertigen lasse.174 Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen der sich seit dem Frühjahr 1949 festigenden marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik175 und den planwirtschaftlichen Elementen des populären Marshallplans wollten die bürgerlichen Parteien wohl eine ordnungspolitische Auseinandersetzung auf dem Rücken des Europäischen Wiederaufbauprogramms vermeiden. Die Leitsätze wurden jedenfalls nie im Plenum des Wirtschaftsrats diskutiert und die SPD „hatte ein letztes Mal den vergeblichen Versuch unternommen, ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen mit den vermeintlichen Zielen des Marshallplanes zu identifizieren und damit die Erhardsche Politik der sozialen Marktwirtschaft als Verstoß gegen die wahren Intentionen des amerikanischen Hilfsprogrammes zu diskreditieren.“176 Die geringe Durchschlagskraft der Sozialdemokraten war dabei nicht zuletzt ein Zeichen der Hilflosigkeit, dem Programm der bürgerlichen Parteien eigene ordnungspolitische Konzeptionen entgegenzustellen. Vor dem Hintergrund dieser parteipolitischen Auseinandersetzungen legte die VfF Mitte Mai 1949 den bizonalen Verwaltungen und der BdL einen neuen Entwurf des Kapitalverkehrsgesetzes vor, der den Kritikpunkten der Militärregierung entsprechen sollte.177 Er war „in seinen Grundzügen“ mit zwei Vertretern von BICO abgesprochen worden, so dass die VfF zuversichtlich war, dass er die Zustimmung der Besatzungsmächte finden würde. Auch mit einem Vertreter der französischen Militärregierung war der Entwurf erörtert worden, da in der französischen Zone ein ähnliches Gesetz in Kraft treten sollte.178 In dem Gesetzentwurf wurde die Zuständigkeitsfrage wieder zugunsten der VfF geregelt, die sich damit wieder selbst die maßgeblichen Kompetenzen zusprach und den mühsam gefundenen Kompromiss in der Kompetenzverteilung wieder sprengte: Als Genehmigungsbehörde wurde zwar weiterhin die jeweilige oberste Landesbehörde, in dem der Antragsteller seinen Sitz hatte, angeführt; sie sollte nun jedoch bei jeder Entscheidung die Zustimmung des Ausschusses für Kapitalverkehr einholen. 174 Hentschel, Erhard, S. 103 ff.; Lehmann, Marshall-Plan, S. 268 f. 175 In der zweiten Jahreshälfte 1948 waren die wirtschaftspolitischen Maßnahmen Erhards angesichts stark steigender Preise und zunehmender Arbeitslosigkeit in der Öffentlichkeit massiv kritisiert worden. Vgl. Hentschel, Erhard, S. 92 f. 176 Schwabe, Echo, S. 300. 177 So Wellhausen vor dem Wirtschaftsrat. Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1852 f. 178 Laut Wellhausen hatten die „ausführlichen“ Gespräche mit den Vertretern der Militärregierung dazu beigetragen, „einige Missverständnisse und Überraschungen aufzuklären, die aus den weitgehenden Wünschen der Formulierung des ersten Schreibens [der Militärregierung vom 25. März 1949] entstanden sein könnten.“ Schreiben der VfF an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats vom 14.5.1949 – BA Ko, Z 13/819; Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1853.
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Dieser wiederum sollte verpflichtet sein, jeden seiner Beschlüsse durch den Direktor der VfF bestätigen zu lassen.179 Damit war der Kapitalverkehrsausschuss wieder von einem begutachtenden Gremium zu einem Entscheidungsträger geworden; seine Beschlüsse waren aber von der Entscheidung des Direktors der VfF als letzter Instanz abhängig. Erstmals wurden in den Gesetzentwurf Aussagen über die Kriterien getroffen, nach denen die Emissionen genehmigt werden sollten. Sie wurden zwar sehr allgemein gehalten, aber immerhin wurde die Verbindung zwischen Kapitalverkehrsgesetz und ERP- Investitionsplänen nun ausdrücklich erwähnt, wie es dem Wunsch der Alliierten entsprach.180 Aufgrund dieser engen Verbindung wurde auch die Laufzeit des Kapitalverkehrsgesetzes, die im ersten Gesetzentwurf auf ein Jahr beschränkt gewesen war, bis zum 30. Juni 1952, dem offiziellen Ende des ERP, ausgedehnt. In § 5 KVG hieß es nun: (1) Genehmigungen auf Grund dieses Gesetzes sollen nur erteilt werden, wenn die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes nach Art und Umfang den volkswirtschaftlichen Erfordernissen entspricht und mit den Zielen des europäischen Wiederaufbauprogramms in Einklang steht. (2) Die mit der Durchführung des Gesetzes beauftragten Stellen haben bei ihren Entschließungen darauf hinzuwirken, dass die von den zuständigen Stellen aufgestellten Investitionsprogramme und Richtlinien eingehalten werden und dass den währungs- und kreditpolitischen Erfordernissen Rechnung getragen wird.
Zwar hatte die Militärregierung in ihrem Schreiben vom 25. März angekündigt, dass sie selbst Vorschläge unterbreiten wolle, für welche Bereiche des Kapitalmarktes – außer dem Wertpapiermarkt – weitergehende Bestimmungen in das Kapitalverkehrsgesetz aufgenommen werden sollten. Doch hatte sie inzwischen zu erkennen gegeben, dass ein solches Schreiben nicht mehr an die deutsche Verwaltung gerichtet werde.181 Dies führte auf deutscher Seite zu verschiedenen Interpretationen: Die Mehrheit der bürgerlichen Parteien im Wirtschaftsrat sah dies als Hinweis, dass die Militärregierung mittlerweile auf ihre „recht weit-
179 Wenn der Direktor der VfF Bedenken hatte, eine Emission zu genehmigen, sollte er den Emissionsantrag an den Kapitalverkehrsausschuss zur erneuten Stellungnahme zurückverweisen oder den Verwaltungsrat um eine Entscheidung anrufen können, die dann endgültig sein sollte. Der Entwurf sah weiterhin vor, dass die Entscheidung dem Verwaltungsrat zufallen solle, falls der Direktor der VfW aus wirtschaftspolitischen Gründen oder die BdL aus währungspolitischen Gründen innerhalb von zwei Wochen nach Beschlussfassung des Kapitalverkehrsausschusses Einspruch erheben sollten. Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, 19.5.1949 – PA, 2/415. 180 Der Verweis auf das ERP ist ein Zeichen dafür, dass bei den politischen Entscheidungsträgern im Frühjahr 1949 das Bewusstsein gewachsen war, in welch hohem Maße der Marshallplan in den nächsten Jahren die gesamte westdeutsche Wirtschaftspolitik bestimmen würde. Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1853. 181 Schreiben des Hauptreferenten für Wirtschaft, Verkehr und Arbeit beim Länderrat (v.d. Heide) an die Bevollmächtigten der Länder im Länderrat vom 16.5.1949 – BA Ko, Z 4/47.
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gehenden Wünsche“ verzichtet habe.182 Im SPD-dominierten Länderrat teilte man diese Ansicht aber nicht und glaubte weiterhin, den Wunsch der Militärregierung auf eine Ausdehnung des Geltungsbereichs des KVG zu erkennen.183 Die VfF versuchte, der Militärregierung mit der Aufnahme eines neuen Paragraphen entgegenzukommen. Er sollte dem Kapitalverkehrsausschuss die Möglichkeit einräumen – aber nicht explizit vorschreiben –, den Wirkungsbereich des KVG auszuweiten und auch den Kreditinstituten und privaten Versicherungsunternehmen Richtlinien für die Kapitalanlage vorzugeben.184 § 6 des Entwurfs lautete: (1) Der Ausschuss für Kapitalverkehr kann den Kreditinstituten und den Versicherungsunternehmen Anlagen als volkswirtschaftlich erwünscht oder unerwünscht bezeichnen. (2) Der Ausschuss für Kapitalverkehr kann Richtlinien für die Anlage der langfristig verfügbaren Mittel bei Kreditinstituten sowie für die Anlage der Deckungsbestände der Versicherungsunternehmen erlassen.
Die „Kann“-Vorschriften waren Ausdruck der zurückhaltenden bis ablehnenden Einstellung gegenüber einer Ausweitung der Kapitallenkung.185 Im Vorfeld der Gesetzesberatungen hatten die zentralen Verwaltungen das Problem am Beispiel einzelner Institutsgruppen durchgespielt. Bei den Sparkassen sprachen aus ihrer Sicht mehrere Gründe gegen einen direkten Zwang, Spareinlagen in Wertpapiere, etwa der KfW, anzulegen: Die Sparkassen würden wie alle anderen Kreditinstitute nach der Währungsreform sehr vorsichtig disponieren müssen, um ihre Liquidität zu sichern. Ein Zwang, langfristige Wertpapiere zu erwerben, hätte die Sparkassen dabei beeinträchtigen und sogar Zusammenbrüche verursachen können, da die Lage auf dem Wertpapiermarkt den Verkauf von Titeln ohne Kursverlust nicht erlaubte. Zudem musste ein Anlagezwang unweigerlich zu einer Einschränkung der Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen führen, deren Erfolg für den Wiederaufbau als genauso wichtig angesehen wurde wie derjenige der Großindustrie. Als zweckmäßiger sahen die deutschen Experten den Erlass „genereller Richtlinien“ an, die den Sparkassen die Anlage im Rahmen der Wiederaufbau-
182 Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1852 ff. 183 Die SPD führte als Beweis mehrere Schreiben der Militärregierung an, in denen sie forderte, dass mit Hilfe von gesetzgeberischen Maßnahmen sichergestellt werden sollte, dass das verfügbare Kapital den Investitionsplänen entsprechend eingesetzt wurde. Schreiben des Hauptreferenten für Wirtschaft, Verkehr und Arbeit beim Länderrat (v.d. Heide) an die Bevollmächtigten der Länder im Länderrat vom 28.6.1949 – BA Ko, Z 4/47; Schreiben des Generalsekretärs des Länderrats an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats vom 1.7.1949 – BA Ko, Z 4/136. 184 Neu war in den Bestimmungen des Gesetzentwurfs schließlich auch die Vorgabe, dass die oberste Landesbehörde bzw. der Kapitalverkehrsausschuss eine schriftliche Begründung abgeben mussten, wenn sie einen Antrag ablehnten oder nur unter Auflagen genehmigten. Damit sollte das Verfahren, wie von der Militärregierung gewünscht, transparenter und für die Antragsteller nachvollziehbar gestaltet werden. 185 Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136, S. 5.
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pläne vorschreiben und zugleich bestimmte Anlagen (z.B. Kredite an Gaststätten, für unnötige Bauten etc.) verbieten sollten.186 Weniger Bedenken gegen einen Anlagezwang hatten die Behörden bei den privaten Versicherungen, deren Deckungsstock man – aufgrund der besonderen Bedingungen der Kapitalbildung vor allem bei den Lebensversicherungen187 – für den Erwerb von bestimmten langfristigen Wertpapieren für geeignet hielt. Doch wollte man expliziten Zwangsmaßnahmen auch hier aus dem Wege gehen und neigte – in guter, alter Tradition – eher einem informellen Verfahren der freiwilligen Selbstverpflichtung zu.188 Schon wenige Wochen vorher hatte der Präsident des ZBR in einem Schreiben an den Verband der Lebensversicherungsunternehmen eine solche freiwillige Selbstverpflichtung empfohlen: „Soweit ich unterrichtet bin, wird von keiner amtlichen Stelle eine Regelung dahin angestrebt, dass den Lebensversicherungen über die in den Versicherungsgesetzen enthaltenen Vorschriften hinaus eine bestimmte Anlage ihrer Mittel zur Pflicht gemacht wird. Dass in der Öffentlichkeit wiederholt solche Forderungen oder Anregungen geltend gemacht worden sind, ist mir bekannt. Die Lebensversicherungsunternehmen werden, wie mir scheint, eine Verstärkung solcher Forderungen am besten dadurch vermeiden, dass sie bei Anlage ihrer Mittel versuchen, sich der allgemeinen Wirtschaftspolitik möglichst anzupassen und auch bei der Wahl ihrer Zinssätze jede Störung des Kapitalmarktes zu unterlassen.“189
Tatsächlich konnten die deutschen Behördenvertreter den Militärgouverneuren wenig später mitteilen, dass mit den großen Lebensversicherungsgesellschaften eine Absprache getroffen worden war, ihre Anlagepolitik, soweit sie Wirtschaftsunternehmen betraf, in Abstimmung mit der KfW vorzunehmen.190 III. 3. 7. Alte und neue Streitpunkte Die erneute Verlagerung der Entscheidungskompetenz vom Verwaltungsrat auf den Kapitalverkehrsausschuss und den Direktor der VfF sorgte dafür, dass überwunden geglaubte Konfliktfelder wieder freigelegt wurden und die bereits ad acta gelegte Diskussion um die Zuständigkeitsfrage munter von vorne losging. Der Verwaltungsrat stimmte dennoch am 18. Mai 1949 dem Gesetzentwurf der VfF zu und veranlasste die Überweisung an den Finanzausschuss des Wirtschaftsrats.
186 Vermerk (Martini) betr. BICO-Schreiben vom 5.4.49 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen vom 9.4.1949 – BA Ko, Z 14/136. 187 Vgl. dazu Müller, Kapitalmarkt, S. 26 f.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 41 f. 188 Vermerk (Martini) betr. BICO-Schreiben vom 5.4.49 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen vom 9.4.1949 – BA Ko, Z 14/136. 189 Schreiben des Präsidenten des ZBR an den Verband der Lebensversicherungsunternehmen vom 14.3.1949 – BA Ko, Z 14/136. 190 Vermerk über die Besprechung mit den Militärgouverneuren am 13. April 1949 über Methoden für die Sicherung zusätzlicher Kapitalquellen – BA Ko, Z 14/136, S. 10.
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Damit hatte die VfW ihren Anspruch auf Federführung in der Emissionskontrolle – zumindest vorläufig – aufgegeben.191 Mit der Formulierung von Entscheidungsrichtlinien und mit der Ankündigung von Anlagerichtlinien für Kreditinstitute und Kapitalsammelstellen schuf der Gesetzentwurf neue Konfliktfelder. Der Ausschuss für Finanz- und Steuerwesen des Wirtschaftsrats scheute sich nicht, eine Reihe von Änderungen zu beschließen, die nahezu alle wichtigen Passagen des Entwurfs berührten. So strichen die Ausschussmitglieder nach langen Diskussionen § 6 komplett, in dem die Möglichkeit einer Ausweitung der Kapitallenkung auf andere Bereiche des Kapitalmarktes und des langfristigen Kredits vorgesehen war. Stattdessen wollten sie sich damit begnügen, in der offiziellen Begründung des Gesetzentwurfs im Bundesanzeiger anzukündigen, dass der Kapitalverkehrsausschuss bei Bedarf eine verbindliche Erklärung darüber im Rahmen der allgemeinen Bankenaufsicht geben könne.192 Die bürgerliche Mehrheit im Finanzausschuss und in der Vollversammlung des Wirtschaftsrats wollte bindende Anlagevorschriften unbedingt vermeiden. Sie verwies darauf, dass man die unheilvollen Erfahrungen, die man während der NS-Zeit mit solchen Vorschriften gemacht habe, nicht wiederholen dürfe. Zudem werde die unternehmerische Selbständigkeit der Kapitalsammelstellen zu sehr eingeschränkt.193 In § 5 wurde der Passus aufgenommen, dass Emissionsgenehmigungen nur dann erteilt werden sollten, wenn „die von den zuständigen Stellen aufgestellten Investitionsprogramme und Richtlinien“ beachtet wurden. Damit wurden die Entscheidungen der Landesbehörden, des Direktors der VfF und des Kapitalverkehrsausschusses unmittelbar an die Investitionsprogramme der VfW gebunden.194 Die bürgerlichen Parteien im Finanzausschuss formulierten die Richtlinien für die Emissionsentscheidungen bewusst allgemein, um sie flexibel – und im Zweifelsfall eher lasch – anwenden zu können. Sie waren sich darüber im Klaren, dass die Auslegung des Gesetzestextes alle Möglichkeiten offen ließ, und hofften, dass sie „immer nur im guten Sinne“ interpretiert würden.195
191 Schreiben des Hauptreferenten für Wirtschaft, Verkehr und Arbeit beim Länderrat (v.d. Heide) an die Bevollmächtigten der Länder im Länderrat vom 16.5.1949 – BA Ko, Z 4/47. 192 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Finanzen des Wirtschaftsrats vom 21.6.1949, TOP 4 – BA Ko, Z 4/47. 193 Formal wollten sie Anlagerichtlinien nicht in das KVG aufnehmen, weil diese Frage auch in anderen Gesetzentwürfen behandelt wurde (Versicherungs- bzw. Bankenaufsicht). Wörtlicher Bericht über die 39. Vollversammlung des Wirtschaftsrats des Vereinten Wirtschaftsgebiets, in: Wörtliche Berichte, S. 1912 ff. 194 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Finanzen des Wirtschaftsrats vom 31.5./1.6.1949, TOP 10 – BA Ko, Z 4/47. 195 Die Notwendigkeit solcher Richtlinien, die in dem vom Wirtschaftsrat im Februar verabschiedeten KVG noch gänzlich gefehlt hatten, wurde von Wellhausen betont: Der Ausschuss für Kapitalverkehr solle schließlich „kein Geheiminstitut [sein]; die Öffentlichkeit soll durchaus wissen, wohin die Reise in der Kreditpolitik geht, und soll auch die Möglichkeit zur Kritik haben.“ Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1853.
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Schließlich forderte der Ausschuss, dass in den Kapitalverkehrsausschuss noch ein zusätzlicher Vertreter des Bank- und Sparkassenwesens aufgenommen werden sollte.196 Dagegen sprach sich die VfF aus, die dadurch „das sorgfältig abgewogene Stimmenverhältnis gestört“ sah. Der Finanzausschuss begnügte sich schließlich damit, die Rolle der Vertreter des Bankgewerbes auf die von beratenden Fachleuten zu beschränken, obwohl er es nach den Worten Blüchers bevorzugt hätte, „wenn er die unmittelbar im Wirtschaftsleben stehenden Männer stärker hätte berücksichtigen können.“197 Der Grund für den Verzicht auf Bankenvertreter dürfte darin bestanden haben, dass sich die SPD mit Händen und Füßen gegen eine einseitige Hinzuziehung von Unternehmern gewehrt hätte. Vermutlich hätte sie dann auch die Berücksichtigung von Gewerkschaftsvertretern gefordert.198 Es blieb bei der Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses: jeweils ein Vertreter der VfF, der VfW, der BdL und der KfW sowie zwei Vertreter der Länder (sowie ein zusätzlicher Vertreter der Länder der französischen Zone, sobald das Gesetz dort in Kraft trat). Am 24. Juni stimmte die Vollversammlung des Wirtschaftsrats dem vom Ausschuss für Finanz- und Steuerwesen abgeänderten Entwurf mit großer Mehrheit zu. Auch die SPD-Fraktion zählte zu den Befürwortern, da sie das Gesetz, das sie für äußerst eilbedürftig hielt, schnell umsetzen wollte. Und ordnungspolitisch bedeutete das Gesetz ja keine Niederlage, da der vage Wortlaut bei der praktischen Umsetzung weiten Interpretationsraum ließ. So konnte die SPD hoffen, im Falle eines Siegs bei den Bundestagswahlen das Gesetz in ihrem Sinne, d.h. im Rahmen einer umfassenderen Investitionslenkung, anwenden zu können.199 Nachdem Wellhausen vor dem Wirtschaftsrat über die Tätigkeit des Ausschusses für Finanz- und Steuerwesen Bericht erstattet hatte, schloss er mit folgenden Sätzen: „Ich darf Sie daran erinnern, dass ich schon [...] bei unserem ersten, leider erfolglosen Versuch, dieses Gesetz zu erlassen, darauf hingewiesen haben, die Mehrheit des Ausschusses für Finanz- und Steuerwesen vertrete die Ansicht, dass es gut sei, wenn die Lenkung des Kapitalmarktes sich recht bald als entbehrlich herausstellte. Man muss aber zugeben – und das war auch die Auffassung des Ausschusses – , dass das zumindest im Augenblick noch nicht möglich ist. Es genügt meines Erachtens, [...] auf die zwangsläufigen Folgerungen aus dem Marshallplan hinzuweisen, mit dessen Inhalt und Sinn eben unsere Wirtschaft für die nächsten Jahre aufs engste verknüpft ist, um nicht zu sagen, von dem sie abhängt. [...] All das, was ich sage, [...] macht es meines Erachtens notwendig, herauszustellen, dass der Mehrheit dieses Hauses auf Grund der von ihr eingeschlagenen Wirtschaftspolitik und auch der Mehrheit des Ausschusses [...] nichts lieber sein kann, als von den Hilfsmitteln dieses Gesetzes baldmöglichst keinen Gebrauch mehr machen zu müssen.“200
196 197 198 199
Ebd. Ebd., S. 1854. So der Abgeordnete Seuffert (SPD) vor der Vollversammlung des Wirtschaftsrats. Ebd. Wörtlicher Bericht über die 39. Vollversammlung des Wirtschaftsrats am 19./20.7.1949, in: Wörtliche Berichte, S.1912. 200 Wörtlicher Bericht über die 38. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 23./24.6.1949, in: Wörtliche Berichte, S. 1854.
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Die Reaktion des Wirtschaftsausschusses des Länderrats fiel erneut ablehnend aus: Er sprach von einer unbefriedigenden Lösung „des für unsere Volkswirtschaft vordringlichen Problems der Kapitallenkung“ und plädierte dafür, die Lenkungsmaßnahmen zu konkretisieren, um „eine energische Kapitallenkung, die die Durchführung des ERP gebiete“, zu ermöglichen.201 Der württembergbadische Wirtschaftsminister Hermann Veit (SPD) forderte, dass die vom Finanzausschuss des Wirtschaftsrats gestrichenen Anlagerichtlinien für Kreditinstitute und Kapitalsammelstellen nicht nur wieder eingefügt, sondern „im einzelnen schärfer konkretisiert“ werden müssten. Er fand im Länderrat Zustimmung, der in seiner Sitzung vom 8. Juli 1949 beschloss, wieder die Bestimmung des vom Wirtschaftsrat gestrichenen § 6 aufzunehmen, dass der Kapitalverkehrsausschuss „Grundsätze [...] für die Anlage der langfristig verfügbaren Mittel der Kreditinstitute und für die Anlage der Deckungsbestände der Versicherungsunternehmen“ erlassen solle. Die Mehrheit im Länderrat war der Meinung, dass die öffentliche Hand die Möglichkeit haben sollte, auf die Verwendung der verfügbaren Mittel „ordnend und ausgleichend Einfluss zu nehmen“. Dem Länderrat schwebten dabei nicht detaillierte Vorschriften vor, sondern globale Steuerungsmaßnahmen, die auf die besonderen Verhältnisse bei den einzelnen Bank- und Versicherungsunternehmen Rücksicht nehmen sollten.202 In Bezug auf die Entscheidungsrichtlinien beschloss der Länderrat, den Wortlaut des § 5 zum Zwecke der „sachlichen Klarstellung“ zu ändern. Um zu gewährleisten, dass die regionalwirtschaftliche und strukturelle Neuordnung des deutschen Wirtschaftsraumes in angemessener Weise berücksichtigt wurde, forderte der Länderrat, die Emissionsgenehmigungen nicht nur an den Zielen des ERP auszurichten. Gleichwertig hinzutreten sollte eine Bestimmung, dass die Emissionen den „Erfordernissen einer raumwirtschaftlichen Neuordnung“ genügen müssten. Damit ging der Länderrat über die Vorstellungen der bürgerlichen Mehrheit des Wirtschaftsrats hinaus.203 Der Vorschlag des Länderrats basierte auf Beratungen der ERP-Referenten der Länder, die sich seit Juni 1949 mit Fragen der Raumordnung beschäftigten. Sie stellten mit Unbehagen fest, dass in den einzelnen Ländern bereits mit dem Auf- bzw. Ausbau von Versorgungsunternehmen begonnen worden war, ohne 201 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats vom 2.6.1949 – BA Ko, Z 4/47. 202 Schreiben des Länderrats an den Präsidenten des Wirtschaftsrats vom 8.7.1949 – BA Ko, Z 4/47. 203 Ebd. (Zitat). Der Ausschuss für Finanzen hatte erwogen, die Emissionsgenehmigungen nach der Bevölkerungszahl der einzelnen Länder auszurichten bzw. die Berücksichtigung rückständiger Wirtschaftsgebiete sicherzustellen. Um „schematische Vorgaben“ zu vermeiden, beließ es der Ausschuss jedoch bei der allgemeinen Erklärung, dass der Kapitalverkehrsausschuss „darauf achten [solle], dass die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die einzelnen Wirtschaftsgebiete und Länder den Erfordernissen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung entspricht.“ Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Finanzen des Wirtschaftsrats vom 21.6.1949, TOP 4 – BA Ko, Z 4/47; Niederschrift über die 12. Sitzung des Sonderausschusses Bankenaufsicht vom 21.6.1949 – PA 2/415.
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Rücksicht darauf zu nehmen, ob ihr Standort überhaupt den Anforderungen der neuen gesamtwirtschaftlichen Strukturen entsprach. Zwar gab es bereits auf Länderebene Raumplanung und Standortpolitik. Um die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen, die von der Erreichung der ERP-Ziele bis zur Wiedereingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen reichten, zu bewältigen und die Gefahr von Kapitalfehlleitungen zu vermeiden, betonten die Referenten jedoch die Notwendigkeit einer bis dahin kaum vorhandenen Strukturpolitik, die die Grenzen der Länder überschritt und sich an überregionalen Wirtschaftsräumen ausrichtete. Als wirksamstes Instrument, den Erfordernissen der Raumordnung bei der Investitionsplanung Rechnung zu tragen, sahen die ERP-Referenten die Kapitallenkung an, die ihren Rahmen in den Investitionsplanungen der VfW finden sollte. 204 Der Wirtschaftsrat stimmte zu, in das Gesetz einen Hinweis auf die Berücksichtigung der Raumordnung einzufügen, weigerte sich aber beharrlich, Anlagerichtlinien für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen aufzunehmen. Als Grund gab er an, dass sie „eine Schwächung des Verantwortungsbewusstseins bei den Geldanlegenden“ hervorrufen könnten und solche Vorschriften nicht in die Systematik des Gesetzes passten.205 Der Wirtschaftrat stimmte daraufhin am 20. Juli 1949 dem Entwurf des Ausschusses für Finanzund Steuerwesen in dritter Lesung zu. Der Wirtschaftsausschuss des Länderrats gab seinen Widerstand gegen den Gesetzentwurf zwar nicht auf, den er in der vorliegenden Form weiterhin für unannehmbar hielt, und schlug eine spätere Regelung durch den Bund vor.206 Der Länderrat sah jedoch von einer weiteren Behandlung des Gesetzes ab, so dass die Zustimmung des Wirtschaftsrats wirksam wurde. Die Militärregierung stimmte dem Gesetz am 23. August ohne Auflagen zu, so dass es am 2. September veröffentlicht werden konnte und am gleichen Tage in Kraft trat.
204 Schreiben des Hauptreferenten für Finanzen beim Länderrat (Fischer-Menshausen) an Ministerialdirektor Weisser vom 7.7.1949 – BA Ko, Z 4/634; Schreiben des Hauptreferenten für Finanzen beim Länderrat (Fischer-Menshausen) an die Bevollmächtigten der Länder vom 9.7.1949 – PA, 2/415. 205 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses für Finanzen des Wirtschaftsrats vom 19.7.1949 – BA Ko, Z 4/47. 206 Auszug aus der Niederschrift über die 17. Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Länderrats vom 27./28.7.1949 – BA Ko, Z 4/47.
IV. DER WERTPAPIERMARKT UNTER DEM KAPITALVERKEHRSGESETZ (1949-1952) IV. 1. UNZUREICHENDE FREIWILLIGE KAPITALBILDUNG Das Kapitalangebot auf dem Kapitalmarkt wird durch die Struktur der Ersparnisbildung bestimmt. Bis in die Zwanzigerjahre wurde der deutsche Kapitalmarkt von den Ersparnissen der privaten Haushalte gespeist, wodurch diese für die Sachvermögensbildung nutzbar gemacht wurden. Dagegen gelangten Ersparnisse der öffentlichen Hand und der Wirtschaftsunternehmen in „normalen“ Zeiten kaum auf den Kapitalmarkt.1 Wie die Entstehungsgeschichte des KVG deutlich gemacht hat, hegten die politischen Entscheidungsträger auf alliierter und auf deutscher Seite aber keine Illusionen darüber, dass die freiwillige Kapitalbildung der privaten Haushalte nach der Währungsreform den immensen volkswirtschaftlichen Kapitalbedarf auch nur annähernd würde decken können. Die Fakten sprachen eine allzu klare Sprache: Nach zwei verheerenden Geldentwertungen und zwei Währungsreformen in einem Zeitraum von knapp 30 Jahren war das Geldvermögen der Deutschen zusammengeschmolzen. Der „klassische“ kapitalkräftige Mittelstand (freie Berufe, gehobenes Beamtentum, Unternehmer, Rentiers etc.), der vor dem Ersten Weltkrieg insbesondere den Wertpapiermarkt mit Kapital alimentiert hatte, war kaum noch vorhanden.2 Und der Spielraum der breiten Bevölkerung, Erspartes zurückzulegen, war zunächst gering: Die Löhne verharrten vorerst auf einem niedrigen Niveau und bei höheren Verdiensten wirkten sich die von den Alliierten stark erhöhten progressiven Einkommensteuertarife aus. Nicht nur die Sparfähigkeit der westdeutschen Bevölkerung war in den ersten Nachkriegsjahren stark eingeschränkt, auch ihre Sparwilligkeit hatte deutlich gelitten: Nach den schmerzlichen Erfahrungen der Währungsreform konnte man zunächst nicht mit einer großen Sparbereitschaft der Deutschen rechnen, die das Vertrauen in eine stabile Währung verloren hatten. Für die Kapitalbildung der privaten Haushalte ebenso schwerwiegend war, dass der Nachholbedarf an Konsumgütern nahezu unerschöpflich war, da nach der Währungsreform erstmals seit Mitte der Dreißigerjahre wieder vielfältige Möglichkeiten bestanden, bescheidene Wünsche nach langlebigen Konsumgütern zu befriedigen. Und gerade die Preise dieser begehrten Konsumgüter stiegen nach der Währungsreform kräftig an. Für die Volkswirtschaft bedeutete dies, dass der Bedarf an Investitionskapital in scharfe Konkurrenz zur starken Konsumneigung der Bevölkerung trat.3 1 2 3
Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 164; Flöge, Verbesserung, S. 83 ff. Gierse, Selbstfinanzierung, S. 16; Schulz, Sparkassen, S. 265 f., 268. Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 49, 69.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
Ein weiterer, kaum zu überschätzender Faktor, der neben der Einkommenshöhe und -verteilung sowie der individuellen Sparquote entscheidend auf die Ersparnisbildung einwirkte, war die allerorts vorherrschende Unsicherheit, sei es in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Hinsicht: 1948/49 war kaum absehbar, wie sich die westdeutsche Wirtschaft ordnungspolitisch, strukturell bzw. konjunkturell entwickeln würde; es war nicht abzusehen, ob sich der Wert der neuen Währung als stabil erweisen und wie sich die Produktion und die Nachfrage entwickeln würde; und vor allem bewirkte die als bedrohlich eingeschätzte weltpolitische Lage im beginnenden Kalten Krieg eine skeptische Haltung der Sparer. All dies führte zu einer starken Verunsicherung der Zeitgenossen, die dazu führte, dass kurzfristige, liquide Geldanlagen eindeutig jeglichen Formen der langfristigen Anlage bevorzugt wurden. Die Sparquote der privaten Haushalte verbesserte sich zwar langsam dank steigender Einkommen von ca. drei Prozent (1950/51) auf 9,3 Prozent (1954), sank aber in den Folgejahren – insbesondere aufgrund von Inflationsängsten – wieder deutlich (1956 6,8 Prozent).4 Trotz der nur moderat zunehmenden freiwilligen Kapitalbildung erreichten die gesamtwirtschaftlichen Investitionen in Westdeutschland bereits in den ersten Jahren nach der Währungsreform ein beeindruckendes Niveau, das in den Folgejahren noch stark gesteigert werden konnte. So gelang es in den Jahren 1949 bis 1951, Netto-Anlageinvestitionen in Höhe von durchschnittlich 12,3 Mrd. DM pro Jahr zu finanzieren.5 In diesen Jahren lagen die Investitionen real um 21 Prozent über dem Wert von 1936, zwischen 1952 und 1954 waren es bereits 63 Prozent. Von der Währungsreform bis 1957 lag die Investitionsquote im Durchschnitt bei über 20 Prozent, wobei sich die Investitionstätigkeit der Industrie laufend erhöhte und zwischen 1950 und 1955 real fast verdoppelte.6 Die Erklärung für die Diskrepanz zwischen der eher geringen privater Sparwilligkeit und -fähigkeit einerseits und der hohen volkswirtschaftlicher Ersparnis andererseits liefert ein Blick auf die Gesamtstruktur der Kapitalbildung und der Investitionsfinanzierung.
4 5
6
Bornemeyer, Finanzierung, S. 15 ff.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 21 ff.; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 164. Zum Vergleich: 1936 hatten die Nettoanlageinvestitionen ca. acht Mrd. Reichsmark betragen. Als Vergleichsjahr wird in der Regel das Jahr 1936 gewählt, da es relativ „normale“ Daten liefert, bevor die Rüstungsanstrengungen und damit die staatlichen Eingriffe im Rahmen des Vierjahresplans massiv zunahmen. Vgl. Irmler, Währungsreform, S. 13. S. unten stehende Tabelle: Die Beträge der Gesamtersparnis entsprechen per definitionem den Beträgen der gesamten Nettoinvestitionen. Vgl. Adamsen, Investitionshilfe, S. 46; Bornemeyer, Finanzierung, S. 10.
IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
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IV. 2. QUELLEN DER INVESTITIONSFINANZIERUNG Da die freiwillige Kapitalbildung den Investitionsbedarf aus den oben genannten Gründen nicht decken konnte, blieben drei Alternativen: a) die „erzwungene“ Kapitalbildung der inländischen Haushalte entweder durch hohe Steuerabgaben (Kapitalakkumulation der öffentlichen Hand) oder durch ein überhöhtes Preisniveau (Kapitalakkumulation der Unternehmen), b) die Investitionsfinanzierung durch Auslandskapital und c) die Vorfinanzierung langfristiger Investitionen durch kurzfristige Mittel der Zentralbank. Die beiden letztgenannten Finanzierungsmöglichkeiten waren stark begrenzt: Auslandskapital war vorläufig weitgehend auf Mittel aus dem Marshallplan beschränkt, die nur für begrenzte, genau definierte Investitionszwecke zur Verfügung standen. Der Einsatz von zusätzlichem ausländischem Kapital war von einer Regelung der schwebenden deutschen Auslandsverschuldung und von der Aufhebung der Devisenbewirtschaftung abhängig, die schrittweise erst ab 1953 erfolgten. Damit war anders als nach der Währungsstabilisierung von 1923/24 eine wesentliche Quelle der Investitionsfinanzierung vorerst versiegelt. Was die direkte Einschaltung der Zentralbank in die Investitionsfinanzierung durch Geldschöpfung betrifft, so eignet sie sich prinzipiell nur für die kurzfristige Vorfinanzierung von Investitionsvorhaben. Nach der Währungsreform war sie vom geldpolitischen Spielraum der BdL abhängig und daher bestenfalls nur in bestimmten Phasen möglich, erlangte allerdings vorübergehend im Rahmen des „Arbeitsbeschaffungsprogramms“ der Bundesregierung im Jahr 1950 große Bedeutung. Blieb als wichtigste Finanzierungsquelle das „erzwungene“ Sparen der westdeutschen Bevölkerung,7 das in der Tat die wichtigste Stützte der Wiederaufbaufinanzierung darstellte. Dies verdeutlicht der – ganz im Gegensatz zur Zeit nach der Währungsreform von 1923/248 – ungewöhnlich hohe Anteil der öffentlichen Hand und der Unternehmen an der volkswirtschaftlichen Ersparnis bzw. der entsprechend geringe Anteil der privaten Haushalte.
7 8
Dorner, Industriefinanzierung, S. 41 f. Zwischen 1926 und 1929 hatten die privaten Haushalte einen Anteil von mehr als 60 Prozent an der volkswirtschaftlichen Ersparnis, die öffentlichen Haushalte lediglich 14 Prozent und die Unternehmen 11 Prozent. Vgl. Borchard, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 162.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
Nettoersparnis in der Bundesrepublik Deutschland 1950–1956 (in Mrd. DM/ Prozent der Gesamtersparnis)9 Jahr 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956
Private Haushalte DM % 2,1 17,7 2,7 15,0 4,5 22,2 5,5 25,6 6,7 28,2 6,7 21,0 6,9 20,6
Unternehmen
Öffentl. Hand
DM 4,9 8,3 7,6 5,3 5,3 11,1 10,8
DM 3,4 6,1 7,8 10,6 11,6 14,3 16,3
% 40,8 45,7 38,1 24,7 22,4 34,9 32,1
% 28,4 33,5 38,7 49,8 49,0 44,9 48,6
Ausland DM 1,6 1,1 0,2 0,0 0,1 -0,2 -0,5
% 13,1 5,8 1,0 0,0 0,4 -0,8 -1,4
Gesamt DM 12,0 18,1 20,1 21,3 23,7 31,8 33,6
% 100 100 100 100 100 100 100
Nettoinvestitionen und Außenbeitrag in der Bundesrepublik Deutschland 1950– 1956 (in Mrd. DM/Prozent des Gesamtbetrags)10 a b Unternehmen Gesamt Öffentl. Hand Ausland DM % DM % DM % DM % 9,8 81,6 2,0 16,7 0,2 1,7 12,0 100 1950 c (2,3) 12,4 68,5 2,7 14,9 3,0 16,6 18,1 100 1951 (2,9) 14,2 70,7 3,0 14,8 2,9 14,5 20,1 100 1952 (4,3) 13,7 64,3 3,7 17,4 3,9 18,3 21,3 100 1953 (5,8) 16,0 67,5 3,9 16,5 3,8 16,0 23,7 100 1954 (7,0) 24,7 77,7 4,9 15,4 2,2 6,9 31,8 100 1955 (7,9) 23,9 71,1 5,5 16,4 4,2 12,5 33,6 100 1956 (8,7) a Bauinvestitionen, Grundstückserwerb, Erwerb von beweglichem Sachvermögen b Finanzierungssaldo der Zahlungsbilanz c Zahlen in Klammern: Wohnungsbauinvestitionen
Jahr
In der Wirtschaftspolitik der Jahre 1949 bis 1952 standen Investitionen im Mittelpunkt, die ein rasches gesamtwirtschaftliches Wachstum bewirken sollten. In der Sozialpolitik galt es, die sozialen Härten der Kriegs- und Nachkriegsfolgen abzufedern. Im Vordergrund des Interesses stand dagegen nicht die Förderung eines „funktionierenden“ Kapitalmarktes. Im Gegenteil: Die verschiedenen Instrumente, die zur Erreichung der übergeordneten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele dienen sollten, sorgten am Kapitalmarkt, insbesondere am Wertpapiermarkt, regelmäßig für erhebliche Unruhe.11 9 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, November 1957, S. 53. 10 Ebd., S. 55, 59, 62. 11 Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 49.
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Dem Staat fiel im Bereich Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung in mehrfacher Hinsicht die Schlüsselrolle zu: Er „zwang“ die Bürger zu hohen Steuerabgaben, die ihn einerseits in die Lage versetzten, einen erheblichen Teil der gesamtwirtschaftlichen Investitionen direkt aus Haushaltsüberschüssen zu finanzieren, und die andererseits dafür sorgten, dass der Konsum der Bevölkerung zugunsten des (Zwangs-)Sparens begrenzt wurde. Zudem wirkte er über die Steuerpolitik massiv auf die Unternehmensfinanzierung ein, die er in Richtung Selbstfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen verschob. Zugleich versuchte er, durch steuerpolitische Anreize die freiwillige private Kapitalbildung zu fördern, um den hohen Anteil des Staates und der Unternehmen an der volkswirtschaftlichen Ersparnis, der langfristig zu enormen Kapitalkonzentrationen führen musste, zu verringern.12 Die Interventionen des Staates beruhten kaum auf stringenten wirtschaftstheoretischen Konzepten, noch folgten sie einer übergeordneten wirtschaftspolitischen Planung – wie sie von der oppositionellen SPD immer wieder gefordert, aber von der bürgerlichen Mehrheit in den legislativen und exekutiven Körperschaften nur sehr zurückhaltend betrieben wurde. Dennoch führte die Finanz- und Wirtschaftspolitik de facto dazu, dass die einzelnen Wirtschaftssektoren zwischen 1949 und 1952 schwerpunktmäßig bestimmte Kapitalquellen für die Investitionsfinanzierung in Anspruch nahmen: Der konsumnahen gewerblichen Wirtschaft wurde der Weg der Selbstfinanzierung gewiesen; ihre darüber hinausgehenden Kreditbedürfnisse wurden über Darlehen der Banken und Kapitalsammelstellen gedeckt. Die Rohstoff- und Grundstoffindustrien sowie die Versorgungsunternehmen, also Wirtschaftsbereiche, die weiterhin von Preisbindungen betroffen waren und aufgrund der daraus resultierenden geringen Gewinne kaum Möglichkeiten besaßen, Wertpapiere zu emittieren, erhielten in den Jahren 1949 bis 1951 die weitaus meisten ERP-Mittel (vor allem Kohlebergbau, Eisen- und Stahlindustrie, Versorgungsunternehmen, Verkehrsbetriebe, Bergarbeiterwohnungsbau).13 Für andere Wirtschaftsbereiche, die ebenfalls Preisbindungen unterlagen, standen für flächendeckende Investitionen nicht einmal ansatzweise genügend ERP-Mittel zur Verfügung, etwa für den Wohnungsbau, die Landwirtschaft und einige Bereiche der Versorgungswirtschaft.14 Sie blieben auf öffentliche Subventionen angewiesen und mussten sich zudem Investitionsmittel auf dem „freien“ Kapitalmarkt besorgen. Die öffentlichen Gebietskörperschaften dagegen, die in den vergangenen Jahrzehnten zu den größten Kapitalnachfragern am Rentenmarkt gezählt hatten, waren nach der Währungsreform aufgrund der weitgehenden Entschuldung und des hohen Steuerniveaus zunächst nicht auf eine langfristige Schuldenaufnahme angewiesen. Der Zugriff auf die Finanzierungsquellen sah – 12 Roskamp, Capital formation, S. 49 f., 70 f., 95 f., 122 ff.; Carlin, Reconstruction, S. 63. 13 Borchardt/ Buchheim, Wirkung, S. 311 ff. 14 Dies waren Wirtschaftsbereiche, die weitgehend staatlicher Regulierung unterlagen (Wohnungsbau, Landwirtschaft) bzw. sich zum großen Teil in öffentlichem Besitz befanden (Versorgungsunternehmen). Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 11 f.
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ohne Berücksichtigung der direkten Finanzierung durch Körperschaften/ durch Subventionen – etwa folgendermaßen aus:15 1. Grundstoffindustrie: 2. Gewerbliche Produktion: 3. Verkehrs- und öffentliche Versorgungsbetriebe: 4. Wohnungsbau: 5. soziale Einrichtungen:
öffentliche
ERP-Gegenwertmittel Selbstfinanzierung; ERP-Gegenwertmittel (bei Wirtschaftsbranchen mit Preisbindungen) Kapitalmarktmittel; Energieversorgung zum Teil durch ERP-Gegenwertmittel Kapitalmarktmittel Kapitalmarktmittel
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik schuf nach der Währungsreform alle zwei bis drei Jahre neue Rahmenbedingungen für den Wertpapiermarkt. Dieses „learning by doing” war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die verantwortlichen Wirtschafts- und Finanzpolitiker gerade in der komplizierten Lage, in der sich Westdeutschland nach der Währungsreform befand, kaum auf konkrete, allgemein akzeptierte Empfehlungen der Wirtschaftswissenschaften zurückgreifen konnten. Zum einen lag dies daran, dass die Transformation von der gelenkten Wirtschaft der NS-Zeit zur Marktwirtschaft kompliziert und ohne historisches Beispiel war.16 Zum anderen erlebte die westdeutsche Nationalökonomie Anfang der Fünfzigerjahre einen Paradigmenwechsel. Die Wirtschaftswissenschaftler diskutierten intensiv die Gültigkeit, Vereinbarkeit und Vorteile der „alten“ klassischen Wirtschaftstheorie und der „neuen“, keynesianisch geprägten Konzepte. In dieser Diskussion waren gerade die grundlegenden Fragen zum wirtschaftspolitisch neuralgischen Thema Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung umstritten. Wie aus dem einführenden Referat der Tagung des Vereins für Socialpolitik aus dem Jahr 1952 hervorgeht, erstreckte sich die Unsicherheit der Wirtschaftsexperten praktisch auf alle wichtigen Kernfragen, zum Beispiel „ob Kapitalbildung durch Sparen oder durch Geldschöpfung erfolgt, ob die Investition autonom oder induziert ist, ob in der Beziehung zwischen Kapitalbildung und Kapitalverwendung diese oder jene die unabhängige Variable ist, ob der Zins oder die Einkommensverwendung die kapitalmarktregulierende Funktion besitzt, ob Kapitalverzehr oder Reinvestition in einer eindeutigen Beziehung stehen, oder der technische Fortschritt einen
15 Niederschrift der 23. KVA-Sitzung vom 16.8.1951 – BA Ko, B 126/12081. 16 Wie schwierig die Umsetzung eines Systemwechsel ist, zeigen die Forschungen zur Transformation der ehemaligen Ostblock-Staaten. Die zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegen, dass es nicht annäherungsweise ein allgemeingültiges Konzept der Transformation gibt – sei es aus institutionenökonomischer, ordnungstheoretischer oder monetärer Sicht –, das die Abfolge der Umwandlungsschritte („Sequencing“) vorgeben könnte. Freilich sind die weitreichenden Unterschiede zwischen den planwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen des Ostblocks und der Lenkungswirtschaft des NS-Regimes zu berücksichtigen. Vgl. etwa Schwarz, Chaos; Lohmann, Transformation; Weidenfeld, Change; Feldmann, Transformation.
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Einfluss auf die Kapitalbildung und die Kapitalverwendung hat oder vielmehr von diesen gesteuert wird.“17
So ist es kaum verwunderlich, dass auch der Wissenschaftliche Bereit beim Bundeswirtschaftsministerium, der als Bindeglied zwischen Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspolitik fungieren sollte, bei seinen Empfehlungen bezüglich der Investitionsfinanzierung und der Kapitalmarktpolitik lange Zeit zurückhaltend und wenig konkret blieb. IV. 2. 1. Steuerliche Förderung der Selbstfinanzierung Mit Ausnahme derjenigen Wirtschaftsbereiche, die nach wie vor Preisbindungen unterworfen waren, bewegten sich die Unternehmen zu Beginn der Fünfzigerjahre in einem Verkäufermarkt, der erhebliche Gewinnmöglichkeiten und damit beste Voraussetzungen für eine umfangreiche Innenfinanzierung bot.18 Die Preise für ihre „konsumnahen“ Produkte waren im Rahmen des Leitsätzegesetzes weitgehend freigegeben worden. Da die Preiselastizität der Nachfrage im Konsumbereich gering war, konnten die Unternehmen ohne Probleme höhere Produktpreise am Markt durchzusetzen. Zugleich wurden sie auf der Ausgabenseite dadurch entlastet, dass sie seit der Währungsreform weitgehend entschuldet waren und die Löhne nur allmählich anstiegen.19 Der Gesetzgeber weitete die an sich schon günstigen Bedingungen der Innenfinanzierung durch steuerliche Begünstigungen deutlich aus. Sukzessive räumte er den Unternehmen eine ganze Reihe von Steuererleichterungen ein, die vor allem darauf abzielten, die Eigenkapitalbildung der Unternehmen durch Verminderung der Ertragsteuern und Begünstigung stiller Reserven zu fördern. Dies geschah in Reaktion auf die von den Alliierten festgesetzte hohe Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, die die Ausschüttung von Gewinnen bzw. die Bildung offener Rücklagen für Unternehmer und Anteilseigner höchst unattraktiv machte.20 Hatten die Alliierten einerseits auf einem hohen Steuerniveau bestanden, so förderten sie andererseits allerdings seit Inkrafttreten des Steuerneuordnungs17 Das Thema der Tagung lautete „Kapitalbildung und Kapitalverwendung“. Vgl. Sauermann, Kapitalbildung, S. 26. 18 Ermöglicht wurde diese Entwicklung weniger durch eine großzügige Umstellung von Vermögenswerten im Rahmen der Währungsreform, d.h. durch die Höhe der Geldmenge, als durch die hohe Umschlaggeschwindigkeit des Geldes. Dabei hatte man vor der Währungsreform eher eine Deflation befürchtet. Vgl. Carlin, Reconstruction, S. 57 ff. 19 Die Verbindlichkeiten waren wie das Geldvermögen im Verhältnis 10:1 zusammengestrichen worden. Zudem bestand das Vermögen der meisten Gewerbe- und Industrieunternehmen aus Sachwerten, die im Rahmen der Währungsreform keinen Wertverlust erlitten hatten. Vgl. Muscheid, Steuerpolitik, S. 29; Gierse, Selbstfinanzierung, S. 35. 20 Die Körperschaftsteuer betrug seit 1946 einheitlich 60 Prozent für einbehaltene und für ausgeschüttete Gewinne. In Verbindung mit den hohen Einkommensteuersätzen führte die „Doppelbesteuerung“ von Unternehmen und Aktionären dazu, dass vom Gewinn des Unternehmens nur ein geringer Anteil beim Aktionär übrig blieb.
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gesetzes vom 20. Juni 1948 – in ähnlicher Weise wie die freiwillige Kapitalbildung der privaten Haushalte in Form von Kapitalansammlungsverträgen – die Finanzierung von Investitionen, indem sie für alle Unternehmen erstmals die Möglichkeit der degressiven Abschreibung für die Ersatzbeschaffung von beweglichen Wirtschaftsgütern einführten, die durch Krieg oder Demontage verloren gegangen waren (§ 7a EStG). Zudem konnte der nicht entnommene Gewinn bei Personengesellschaften zur Hälfte (höchstens jedoch zehn Prozent des gesamten Gewinns) von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden (§ 10 EStG).21 Auf deutscher Seite wurden die Sätze der Einkommen- und Körperschaftsteuer, zumindest von der bürgerlichen Mehrheit in Exekutive und Legislative, als „fast konfiskatorisch“ angesehen. Man befürchtete, dass der Arbeitswille der Bevölkerung gedämpft, die Steuermoral geschwächt und vor allem dringend notwendige Investitionen der Privatwirtschaft verhindert werden könnten. Nachdem die westdeutschen gesetzgebenden Körperschaften vermehrt Kompetenzen auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung erhalten hatten, gingen sie den von der Militärregierung beschrittenen Weg weiter: Wirtschaftsrat und Länderrat weiteten die Steuerbegünstigungen sowohl für Private als auch für Unternehmen sukzessive aus, um die hohen Steuersätze durch Vergünstigungen bei der Ermittlung der Steuerschuld zu unterlaufen. Die Steuererleichterungen sollten also in erster Linie als Ersatz für Tarifsenkungen der „wirtschaftsschädlichen Steuersätze“ dienen, die von westdeutscher Seite gefordert, von den Alliierten aber nicht genehmigt wurden. Die gesetzlichen Tarife wurden dadurch immer mehr unterhöhlt.22 Diesem Zweck diente etwa das Zweite Steuerneuordnungsgesetz, das von der VfF erarbeitet, vom Wirtschaftsrat im April 1949 verabschiedet und von den Alliierten anschließend genehmigt wurde.23 Es dehnte die Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen und Wohnungsbauträger deutlich aus: Die degressive Abschreibung war nun auch generell für Wohnbauten und Wohnungsbaudarlehen (§ 7 b und 7 c),24 für den Schiffbau (§ 7 d) sowie für Fabrikgebäude 21 Muscheid, Steuerpolitik, S. 45 f.; Adamsen, Investitionshilfe, S. 49 f. 22 Protokoll der 40. ZBR-Sitzung vom 2./3.8.1949, TOP 5 c – BA Ko, B 169/2; vgl. v. Spindler, Finanzpolitik, S. 10 f; Adamsen, Investitionshilfe, S. 50; Muscheid, Steuerpolitik, S. 44; Ullmann, Steuerstaat, S. 182. 23 Neben dem Hinweis auf die unnachgiebige Haltung der Alliierten in Bezug auf Steuersenkungen diente als weitere Begründung für das Gesetz die „Furcht vor einer inflationären Ausweitung des Konsums“, der durch eine Erhöhung der Kapitalbildung entgegengewirkt werden sollte. 24 Der Wertpapiermarkt war eng mit den Bestimmungen des § 7 b sowie 7 c EStG verbunden, da sie ebenso wie die meisten Wertpapieremissionen der Wohnungsbaufinanzierung dienten. § 7 b erlaubte den Bauträgern die Abschreibung von zehn Prozent der Hausbaukosten (ohne Grund und Boden) im Baujahr und im darauf folgenden Jahr. In den nächsten zehn Jahren waren Abschreibungen von jeweils drei Prozent erlaubt. Danach erfolgte die Abschreibung gemäß Restwert und restlicher Nutzungsdauer. Innerhalb von zwölf Jahren konnte so die Hälfte der Baukosten von der Steuer abgeschrieben werden. Im Gegenzug mussten allerdings auch die Nutzwerte des selbstgenutzten Wohnraums (geringe fiktive Miete) bei der Einkommensteuer versteuert werden. § 7 c begünstigte Zuschüsse oder zinslose Darlehen an gemein-
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(§ 7 e) möglich. Die steuerliche Absetzungsmöglichkeit des nicht entnommenen Gewinns erhöhte das Gesetz bei Personengesellschaften auf bis zu 15 Prozent des Gesamtgewinns (§ 10). Zudem erlaubte es Einzelfirmen und Personengesellschaften, die bis dahin der progressiven Einkommensteuer unterworfen gewesen waren, die niedrigeren Sätze der Körperschaftsteuer anzuwenden, sofern sie die Gewinne reinvestierten.25 Das DM-Bilanzeröffnungsgesetz vom August 1949, das die Bewertung der Unternehmensvermögen nach der Währungsumstellung regelte, setzte die Steuerbegünstigung der Unternehmen fort, indem es für alle Unternehmen „aus dem Nichts“ umfangreiche Finanzierungsmöglichkeiten schuf: Eigentlich sah die Situation nach der Währungsreform so aus, dass dem hohen Investitionsbedarf der Unternehmen nur geringe Abschreibungsmöglichkeiten aus Anlagewerten gegenüberstanden, die bereits vor der Währungsreform weitgehend abgeschrieben worden waren. In dieser Situation erlaubte das Gesetz unter Aufgabe des Prinzips der Bilanzkontinuität den Unternehmen großzügige Wertansätze bei der Neubewertung ihres beweglichen Anlagevermögens, indem die Werte der RMSchlussbilanz bis auf „fiktive“ Anschaffungskosten erhöht und bereits abgeschriebene Positionen erneut aktiviert werden durften: „Im Endeffekt konnten in einmaliger Weise Vermögensgegenstände bis zu zweimal abgeschrieben und damit über den Absatzpreis refinanziert werden.“26 Eine hohe Veranlagung ging allerdings bei Aktiengesellschaften zu Lasten der Aktionäre, da die Abschreibungen künftige Gewinne und damit auch Dividendenausschüttungen verringerten. Das Einkommensteuer-Änderungsgesetz vom April 1950, das zwischen Bund, Ländern und Alliierter Hoher Kommission durchaus umstritten war,27 brachte schließlich – neben einer generellen Senkung der Einkommensteuertarife um durchschnittlich 17 Prozent – weitere Vereinfachungen und die Ausweitung bestehender Vergünstigungen, etwa der Steuerermäßigungen für nicht entnomnützige Wohnungsbauträger und Einrichtungen der staatlichen Wohnungsbaupolitik. Die dafür aufgebrachten Mittel durften noch im laufenden Jahr als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt werden, sofern der Gewinn auf Basis ordnungsgemäßer Buchführung ermittelt wurde. In den Genuss der Abschreibungsmöglichkeit gemäß § 7 c kamen also nur Gewerbetreibende; eine Ausdehnung auf alle Steuerpflichtigen lehnte der Bundesfinanzminister wegen der drohenden Steuerausfälle ab. Begünstigt wurden auch Zuschüsse an Wohnungsbauunternehmen und einzelne, private Bauherren, die Wohnungen gemäß den Bestimmungen für Gemeinnützige errichteten (sozialer Wohnungsbau und steuerbegünstigter Wohnungsbau, nicht jedoch frei finanzierter Wohnungsbau). Vgl. Roskamp, Capital formation, S. 129; Scholten, Förderung, S. 8 ff. 25 Gierse, Selbstfinanzierung S. 71 ff., 130-142; Muscheid, Steuerpolitik, S. 46. 26 Gegen eine hohe Veranlagung des Vermögens sprach zwar, dass der Lastenausgleich, der das Realvermögen belasten würde, noch ausstand. Aber die meisten Unternehmen entschieden sich dafür, die großen Bewertungsspielräume des DM-Eröffnungsgesetzes zu nutzen, da sich abzeichnete, dass der Lastenausgleich das vorhandene Vermögen nur mäßig belasten würde. Vgl. Adamsen, Investitionshilfe, S. 49 f. (Zitat); Harder, Funktionswandel, S. 102 f.; Roskamp, Capital formation, S. 125 f.; Muscheid, Steuerpolitik, S. 47; Franzen, Steuergesetzgebung, S. 72. 27 Franzen, Steuergesetzgebung, S. 107 f.
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mene Gewinne (§§ 10a und 32a) sowie für das Wohnungsbausparen (§ 7 c).28 Mit den verschiedenen Maßnahmen, die insbesondere für Exportunternehmen noch ausgeweitet wurden, kompensierte der deutsche Gesetzgeber nicht nur die hohen Einkommen- bzw. Körperschaftssteuersätze. Vielmehr machte er die Selbstfinanzierung zur mit weitem Abstand wichtigsten Säule der Unternehmensfinanzierung, die Neuinvestitionen in erheblichem Umfang ermöglichte: Bis 1952 hatte der Unternehmenssektor den größten Anteil an der volkswirtschaftlichen Ersparnisbildung; im Laufe der Fünfzigerjahre wurde das Vermögen der Unternehmen zu rund 35 Prozent aus Abschreibungen finanziert und zu ca. 25 Prozent aus einbehaltenen Gewinnen.29 Nicht zu Unrecht spricht Adamsen in diesem Zusammenhang von einer „geräuschlosen Wiederaufbaufinanzierung“.30
28 Gemäß § 32 a EStG konnten bei Personengesellschaften Einkommen über 30.000 RM mit 50 Prozent besteuert werden, wenn von dem Gesamteinkommen nicht mehr als 15.000 DM aus dem Geschäft herausgenommen wurden, also mindestens 50 Prozent im Unternehmen investiert wurde. Vgl. Roskamp, Capital formation, S. 131. 29 Im Grunde handelte es sich bei einigen der wichtigsten Instrumente der steuerlichen Förderung, den §§ 7 a-e EStG, nur um Steuerstundungen. Dennoch führte die Selbstfinanzierung zu einem echten Vermögenszuwachs und trug zur Kapitalbildung bei, da die modernen Anlagen, die durch Sonderabschreibungen finanziert wurden, in der Regel das gebundene Kapital schnell wieder freisetzten, das reinvestiert und wiederum für Abschreibungen genutzt werden konnte. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 26; Dorner, Industriefinanzierung, S. 41 f.; Roskamp, Capital formation, S. 110 ff.; Schulte, Regulierung, S. 2 ff. 30 Adamsen, Investitionshilfe, S. 50.
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Inanspruchnahme von steuerlichen Sondervergünstigungen 1949–1957 (in Mio. DM)31 Art der Vergünstigung § 7 a Bewertungsfreiheit für Ersatzbeschaf- fung beweglicher Güter § 7 b erhöhte Absetzungen für Wohngebäude § 7 c Wohnungsbauförderung § 7 d Förderung des Schiffbaus § 7 e Bewertungsfreiheit für Fabrikgebäude § 7 f Förderung des Lastenausgleichs Abschnitt 125 a EstER 1954 §§ 3-4 des Ausführförderungsgesetzes § 36 Investitionshilfegesetz, Sonderabschreibungen §§ 76-78 EStDV 1955 § 74 EStDV Zuführung zur Rücklage für Preissteigerungen §§ 75-79, 82 EStDV § 80 EStDV Bewertungsabschlag für Wirtschaftsgüter ausländischer Herkunft § 81 EStDV Bewertungsfreiheit für Wirtschaftsgüter im Bergbau Sonstige Vergünstigungen Insgesamt
1949
1950
1954
1957
450
429
65
102
38
69
446
1.164
148 11 47
270 48 78
540 319 10
65 75 10
65 8 464 856 1 35 69 233 101
694
894
2.772
24 1.876
Es handelte sich bei der Selbstfinanzierung um eine Form der Kapitalbildung, die sozialpolitische Brisanz barg, da sie nur Unternehmern, Aktionären und Freiberuflern zugute kam. Dadurch vergrößerten sich die Vermögensunterschiede zu den Lohnempfängern deutlich.32 Doch stellte man sozialpolitische Bedenken zunächst zurück, um die Gesamtwirtschaft anzukurbeln, wovon dann – so die Hoffnung – auch Lohn- und Gehaltsempfänger profitieren sollten.33 Die Beschlüsse zur Umgehung bzw. Aushöhlung der Steuertarife traf der Gesetzgeber oft in großer Ungewissheit, da die Höhe der Steuerausfälle aus Mangel an statistischen Daten und wegen der unsicheren wirtschaftlichen Entwicklung nicht annähernd beziffert werden konnte.34
31 Muscheid, Steuerpolitik, S. 54; laut Schulz, Wiederaufbau, S. 335, wurden die für den Wohnungsbau wichtigen § 7 b und c folgendermaßen in Anspruch genommen (in Mio. DM): 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 § 7b 78 624 778 960 1.177 1.395 1.545 § 7c 270 600 750 850 1.000 250 250 32 Hahn, Sanierung, S. 5. 33 Muscheid, Steuerpolitik, S. 47. 34 Franzen, Steuergesetzgebung, S. 105.
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Die Steuerbegünstigungen wurden von den Unternehmen in großem Umfang in Anspruch genommen, da sie dringend benötigtes Eigenkapital schufen und darüber hinaus eine billige Finanzierungsform darstellten, die mit keinerlei Verpflichtungen gegenüber Gläubigern oder Aktionären verbunden waren. Durch die hohe Ertragsbesteuerung, die den ausgewiesenen Gewinn belastete, wurden die Unternehmen geradezu angehalten, ihre Gewinne einzubehalten und im eigenen Unternehmen zu investieren.35 Wie es ein Vertreter des BDI im Oktober 1950 vor dem Kapitalverkehrsausschuss offenherzig ausdrückte, wurden die Unternehmer „jahrzehntelang durch die Steuergesetzgebung dazu erzogen, Kosten zu schaffen, um steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen zu können.“36 Dies ist ein bezeichnender Hinweis auf die wachsende Bedeutung der Selbstfinanzierung seit der Schwächung des organisierten Kapitalmarktes nach dem Ersten Weltkrieg.37 Aus betriebswirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Perspektive war die Gefahr von Fehlallokationen hoch, da auch dann noch in das eigene Unternehmen investiert wurde, wenn die zu erwartenden Erträge im Verhältnis zu den Kapitalaufwendungen sanken. Das „billige“ Geld barg also die Gefahr, dass die Frage der Rentabilität in den Hintergrund trat: Es wurden Unternehmen in betriebswirtschaftlich unvernünftige Dimensionen „aufgebläht“ und Projekte mit mangelnder Wirtschaftlichkeit durchgeführt, auch wenn eine Investition außerhalb des Unternehmens eine höhere Rendite erbracht hätte bzw. aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wesentlich sinnvoller gewesen wäre. Zudem führte die Bildung und anschließende Auflösung von stillen Reserven dazu, dass die Ertragsrechnung der Unternehmen – in einer Zeit, in der die Berechnung des Cashflow noch keine Rolle spielte – von außen völlig undurchsichtig wurde, da nicht ersichtlich war, welchen Anteil die Bildung bzw. Auflösung stiller Reserven am Zustandekommen des Gewinns hatte.38 Die übermäßige Selbstfinanzierung war auch deshalb von Nachteil, weil die Unternehmen kaum Gewinne an die Eigentümer ausschütteten. Diese hatten dadurch weniger Mittel, die sie auf dem freien Kapitalmarkt hätten reinvestieren können. Das Kapital floss also nicht über organisierte Märkte, insbesondere den Wertpapiermarkt, die eine gewisse Lenkungs- und Kontrollfunktion hätten ausüben können, in rentable Projekte zurück. Die Rechnung für eine Vernachlässigung der Rentabilität hatten letztlich die Konsumenten zu begleichen, indem sie überhöhte Warenpreise zahlten. Mit Blick auf den Wertpapiermarkt bewirkte 35 Gemäß Aktienrecht war die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft – im Gegensatz zu früheren Zeiten – nur dazu befugt, über einen Teil des Bilanzgewinns verfügen. Vorstand und Aufsichtsrat konnten sich schon im Vorfeld der Hauptversammlung über die Zuführung zur Rücklage verständigen. Vgl. Gierse, Selbstfinanzierung, S. 47 f. 36 Niederschrift über die 13. KVA-Sitzung vom 5.10.1950, S. 8 f. – BA Ko, B 126/12080; ähnlich der Kölner Finanzwissenschaftler Günter Schmölders in: ZfgK, 1952, S. 129. 37 Zur Selbstfinanzierung in Deutschland seit der Währungsreform 1923/24 vgl. Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 102-105. 38 Gierse, Selbstfinanzierung, S. 42 f.; Röhl, Entwicklung, S. 25; Dorner, Industriefinanzierung, S. 46 f.
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die Steuerpolitik, dass nicht nur die Nachfrage der Unternehmen nach Kapital stark zurückging, sondern zugleich auch das Kapitalangebot: Die Schicht der Besitzbürger, die traditionell einen Großteil ihres Vermögens in Wertpapierbesitz angelegt hatte, war weitgehend verschwunden und wurde durch eine schmale Schicht von vermögenden Unternehmern ersetzt, die eine Investition ihrer Ersparnisse im eigenen Unternehmen dem Kauf „fremder“ Papiere vorzogen.39 Wie groß die durch Selbstfinanzierung ausgelösten Fehlinvestitionen tatsächlich ausfielen, war aufgrund der kaum vorhandenen Vergleichsdaten freilich äußerst umstritten.40 Als die Bundesregierung im Jahr 1951 die künftige Steuerpolitik beriet, prognostizierte der Bundesfinanzminister für Bund und Länder ein Haushaltsdefizit von 2,23 Mrd. DM bei einem Steueraufkommen von insgesamt ca. 15,49 Mrd. DM. Da die Bundesregierung inzwischen zu der Überzeugung gelangt war, dass „die betriebliche Selbstfinanzierung nicht mehr in dem bisherigen Maße förderungswürdig“ war, begann sie mit dem Abbau der Steuervergünstigungen: §§ 10 a und 32 wurden ersatzlos gestrichen und § 7 a auf Verfolgte, Flüchtlinge und Vertriebene begrenzt. Die Förderung des Wohnungsbaus (§ 7 b und 7 c) blieb jedoch unverändert bestehen. Ein Rückgang der Selbstfinanzierungsquote war daraufhin erstmals 1952 erkennbar; doch erfuhr die Selbstfinanzierung seit Mitte der Fünfzigerjahre wieder einen Aufschwung aufgrund der günstigen Marktsituation und der ab 1955 vom Gesetzgeber wieder großzügiger erlaubten allgemeinen degressiven Abschreibungssätze. Zudem gingen die Unternehmen seit 1951 dazu über, große Rücklagen in Form von Pensionsfonds zu bilden, die eine billige, da steuerbegünstigte Finanzierungsform darstellten.41 IV. 2. 2. Finanzierungsmittel der öffentlichen Haushalte und der Sozialversicherungen Die Kehrseite des von den Alliierten eingeführten hohen Steuerniveaus war, dass sich in den öffentlichen Haushalten erhebliche investitionspolitische Spielräume 39 Die Schicht des klassischen „Besitzbürgertums“ war geschmolzen. Die aufsteigende Schicht der Selbständigen, leitenden Angestellten und Facharbeiter mit gehobenen Einkommen kamen zwar schon bald für den Wertpapiererwerb in Frage, behielten aber vorerst ihre überkommenen Spargewohnheiten bei, die den Wertpapiererwerb nicht vorsahen. Vgl. Merkel, Theorie, S. 21 ff.; Dannemann, Struktur, S. 104. 40 Während die Fehlallokationen in der Industrie häufig als nicht sehr gravierend eingeschätzt wurden, da die Unternehmen aufgrund des Kapitalmangels nur die wichtigsten Investitionen vorgenommen hätten, wurde insbesondere der Missbrauch von Steuererleichterungen und Subventionen im Wohnungsbau als sehr beträchtlich angesehen. Vgl. Dorn, Industriefinanzierung, S. 47. 41 Nach Bilanzuntersuchungen des Statistischen Bundesamts verdoppelten sich bei 1.000 untersuchten Aktiengesellschaften von Ende 1949 bis Ende 1951 die Rückstellungen. Sie besaßen einen Anteil an der Bilanzsumme von durchschnittlich 11,7 Prozent. In den folgenden Jahren stieg das Volumen der Rückstellungen, meist steuerfreie Pensionsrückstellungen, weiter an. Vgl. Strathus, Kapitalmarkt, S. 62 f.; Dorn, Industriefinanzierung, S. 48 f., 54 ff.
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eröffneten.42 Bereits vor Gründung der Bundesrepublik wies die BdL auf die sich stark verbessernde Haushaltslage der Länder hin, die Anfang 1949 beträchtliche Überschüsse – etwa 700 bis 800 Mio. DM – angesammelt hatten.43 Neben den Haushalten der Gebietskörperschaften wiesen auch die Sozialversicherungsträger, insbesondere die Rentenversicherungen, die nach dem Prinzip der Kapitaldeckung operierten, sowie der Arbeitslosenstock Überschüsse aus, die zur mittel- und langfristigen Anlage zur Verfügung standen. Ein Großteil der Überschussmittel wurde in Investitionen für öffentliche Bauten und öffentliche Unternehmen gesteckt. Darüber hinaus gewährte die öffentliche Hand umfangreiche Kredite an den Wohnungsbau.44 Schätzungen gehen davon aus, dass der Anteil der öffentlichen Haushaltsmittel an den gesamtwirtschaftlichen Anlageinvestitionen von unter 25 Prozent in den Jahren 1949 und 1950 auf 37 Prozent im Jahr 1952 anstieg, bei Berücksichtigung der Kapitalanlagen der Sozialversicherungen im letztgenannten Jahr sogar auf 43,4 Prozent.45 Das Verhältnis der öffentlichen Kreditgewährung an Dritte zwischen Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern betrug in den Fünfzigerjahren etwa 2,5 zu 1. Während die Kreditgewährung der Gebietskörperschaften sich zu mehr als 90 Prozent auf nicht fungible Forderungen erstreckte, die mit dem Wertpapiermarkt nicht unmittelbar in Berührung kamen, erreichten die Wertpapieranlagen der Sozialversicherungsträger im Durchschnitt 40 Prozent der Rücklagenbildung, so dass ihnen eine erhebliche Bedeutung für den gesamten Wertpapiermarkt zufiel. Die Sozialversicherungen investierten dabei in erster Linie in Pfandbriefe, Kommunalobligationen und öffentliche Anleihen, während Industrieobligationen aufgrund der ihnen vom Gesetzgeber vorgegebenen Anlagerichtlinien46 nur eine untergeordnete Rolle spielten. Bei der Verzinsung der Wertpapiere konnten sich die Sozialversicherungsträger mit geringeren Nominalzinsen zufrieden geben, da sie nicht der Körperschaftsteuer unterlagen, ihre Wertpapiererträge also nicht versteuern mussten.47 Das Gewirr der staatlichen Investitionsfinanzierung kann an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt, sondern allenfalls skizziert werden. Es gab viele weitgehend unabhängig wirtschaftende Einzelfisken mit eigener Rechnungslegung (Gebietskörperschaften, Lastenausgleichsfonds, Sondervermögen, Sozialversicherungen, öffentlich-rechtliche Anstalten und Unternehmen). Sie wiesen Einzelhaushalte aus, die zentral weitgehend unkoordiniert waren, und unterhielten 42 Bis weit in die Sechzigerjahre hinein blieb der Staat gegenüber der Wirtschaft in einer Gläubigerposition. 43 Stenograph. Bericht über die Aussprache zwischen dem ZBR und dem Direktor der VfW, Ludwig Erhard, am 22.2.1949 – BBk HA, B 330/11. 44 Roskamp, Capital formation, S. 143 ff. 45 Dorner, Industriefinanzierung, S. 42 f. 46 Für die Sozialversicherungen kamen Industrieobligationen nur dann als Anlagemöglichkeit in Frage, wenn sie mündelsicher waren. Dies war nur bei Papieren von Unternehmen der Fall, an denen die öffentliche Hand allein oder zumindest überwiegend beteiligt war. Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 47. 47 Dannemann, Struktur, S. 115; Bornemeyer, Finanzierung, S. 115 f.
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überdies untereinander vielfältige gegenseitige Kreditbeziehungen. Auch gab es bezüglich der Finanzierungsformen von Bundesland zu Bundesland Unterschiede.48 Hinzu kam, dass die BdL immer wieder zum Zwecke der Vor- und Zwischenfinanzierung in die Anlagegeschäfte der öffentlichen Hand eingeschaltet wurde. Entsprechend schwierig ist es, die langfristigen öffentlichen Finanzierungsgeschäfte en detail zu verfolgen.49 Bei der Bereitstellung von Investitionsmitteln nutzte die öffentliche Hand vielfältige Formen, die von unmittelbaren Subventionen und der direkten Vergabe von zinsverbilligten bzw. zinslosen Krediten, über durchlaufende Treuhandkredite, die über das Bankensystem abgewickelt wurden, bis zur Gewährung umfassender Steuerbegünstigungen und der Kanalisierung von sonstigen verfügbaren Mittel (z.B. für Wertpapierkäufe) reichten. Mit ihrem Mitteleinsatz strebten die öffentlichen Haushalte in der Regel die Schließung von Finanzierungslücken bei „förderungsbedürftigen“ Investitionen an, die entweder „gemeinwirtschaftlich“ bzw. sozial- oder volkswirtschaftlich von hervorgehobener Bedeutung waren. Dies betraf Finanzierungsmaßnahmen zugunsten der Landwirtschaft und bundeseigener Unternehmen (Verkehrsinfrastruktur, Kommunikation), die Wirtschaftsförderung für Flüchtlinge und Vertriebene sowie die Wirtschaftshilfen für Berlin und das Saarland. Von besonderer Bedeutung war angesichts der sozialpolitischen Brisanz der Kriegszerstörungen und der Flüchtlingsströme der Wohnungsbau, auf den in den Fünfzigerjahren knapp 30 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Investitionsvolumens entfielen und in den im Rahmen der jährlichen Wohnungsbauprogramme auch die meisten öffentlichen Mittel flossen. Sie wurden – anders als nach dem Ersten Weltkrieg („Hauszinssteuer“) – nur in geringem Maße durch Sonderabgaben aufgebracht, sondern stammten vorwiegend aus regulären Haushaltsmitteln.50 Eine Schätzung des Bundesfinanzministeriums ging davon aus, dass in den Fünfzigerjahren 55 Prozent der gesamten Ausgaben für den Wohnungsbau aus staatlichen Budgets stammten (wovon allerdings 50 bis 60 Prozent wieder an die öffentlichen Haushalte zurückfließen sollten). Die Zinssubventionen und Steuerbegünstigungen für den Wohnungsbau bezifferte die Bundesregierung für den Zeitraum von 1949 bis 1957 auf ca. 9,7 Mrd. DM.51 An produzierende Unternehmen gingen dagegen nur wenige direkte Staatsmittel, vor allem an Branchen
48 Zum Beispiel der unterschiedlichen Finanzierung von „Sozialbauten“ ( Krankenhäuser und Schulen etc.) durch Sozialversicherungsträger s. etwa Niederschrift über die 19. Sitzung des KVA vom 5.4.1951 – BA Ko, B 126/12081. 49 Dannemann, Struktur, S. 108 f. 50 Ausnahme war die 1951 von der Bundesregierung beschlossene „Kohleabgabe“. Vgl. Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 154. 51 Gemäß Schulz betrugen die Gesamtinvestitionen in den Wohnungsbau zwischen 1950 und 1957 64,1 Mrd. DM. Insbesondere die Steuervorteile stellten zum großen Teil nur einen vorübergehenden Verzicht der öffentlichen Hand dar. Vgl. Roskamp, Capital formation, S. 178; Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 155; Schulz, Wiederaufbau, S. 355, Tab. 11.
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mit Preisbindungen; insgesamt hatten staatliche Bürgschaften, die vor allem im Exportgeschäft gewährt wurden, für die Industrie eine größere Bedeutung.52 Fiskalisch ist bei der öffentlichen Mittelvergabe der Gebietskörperschaften zwischen Kassenmitteln und Haushaltsmitteln zu unterscheiden. De facto ergaben sich aber nach der Währungsreform verworrene Finanzierungswege, bei denen kaum noch zwischen kurz- und langfristiger Anlage zu unterscheiden war. Häufig wollten Bund und Länder nur Kassenmittel zur Verfügung stellen, die zur Anschubfinanzierung von Investitionen dienen sollten. Doch waren die zu diesem Zweck ausgegebenen Wertpapiere oft nicht anderweitig unterzubringen, so dass sie längere Zeit im Besitz der öffentlichen Haushalte verblieben bzw. an die BdL weitergeleitet wurden. Ein markantes Beispiel für die herrschende Kapitalnot vor und nach der Währungsreform war die Reichs-/ Bundesbahn. Sie hatte bis Mitte 1949 zur Überbrückung langfristiger Finanzierungen Schatzwechsel und Schatzanweisungen in Höhe von 600 Mio. DM ausgegeben, die bis Jahresende auf eine Mrd. DM anzusteigen drohten. Untergebracht waren sie in öffentlichen Budgets, insbesondere der Länder, was die ZBR für nicht mehr tragbar hielt.53 Als die Unterbringung einer Reichsbahnanleihe im Jahr 1949 scheiterte, übernahm das Bundesfinanzministerium Anteile der Anleihe in dreistelliger Millionenhöhe.54 Exkurs: Das Finanzierungsmodell des sozialen Wohnungsbaus Im Nachkriegsdeutschland hatte der Wohnungsbau aus sozialpolitischen – und auch wahltaktischen – Gründen höchste Priorität. Das Erste Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 zementierte die politische Vorrangstellung des Wohnungsbaus und bestimmte mit seinen Eckpunkten zur Wohnungsbaufinanzierung die Entwicklung am Wertpapiermarkt. Laut Gesetz hatte sich die Wohnungsbaufinanzierung an den vorgegebenen jährlichen Produktionsleistungen im Wohnungsbau zu orientieren und nicht umgekehrt. Da der Wohnungsbau auf langfristige Mittel des organisierten Kapitalmarkts für die erste Hypothek angewiesen war, wurde der Wertpapiermarkt, wie die Sparkassen und Versicherungen, in den Dienst des 52 Schmiedeberg, Geschichte, S. 69; Bornemeyer, Finanzierung, S. 114 f. 53 Länder wie öffentliche Versicherungsträger machten die Möglichkeit, die Schatzanweisungen bzw. Anleihestücke bei der BdL lombardieren zu können, zur Voraussetzung ihres Engagements. Die Beleihungsgrenze beim Lombard betrug allgemein 75 Prozent. Stenograph. Bericht über die 33. ZBR-Sitzung vom 26.4.1949, TOP 3; Protokoll der 37. ZBR-Sitzung vom 14./15.6.1949, TOP 9; Stenograph. Bericht über die 39. ZBR-Sitzung vom 12.7.1949; Protokoll der 40. ZBR-Sitzung vom 2./3.8.1949, TOP 5b, BBk HA, B 330/16; Protokoll der 43. ZBR-Sitzung vom 27./28.9.1949, TOP 11 – BA Ko, B 169/2; Protokoll der 55. ZBRSitzung vom 8./9.3.1950, TOP 7; Protokoll der 58. ZBR-Sitzung vom 4.4.1950, TOP 9; Protokoll der 59. ZBR-Sitzung vom 19./20.4.1950, TOP 3 – BA Ko, B 169/3; Niederschrift über die 36. Sitzung des KVA vom 18.9.1952 – BA Ko, B 126/12082. 54 Stücke im Nennwert von 100 Mio. DM verkaufte das Ministerium im September 1950 an die BdL, um Getreidelieferungen aus dem GARIOA-Programm zu bezahlen. Protokoll der 54. ZBR-Sitzung vom 1.3.1950 – BA Ko, B 169/3; Protokoll der 68. ZBR-Sitzung vom 6./7.9.1950, TOP 4 – BA Ko, B 169/4.
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Wohnungsbaus gestellt.55 Das Gesetz teilte den Wohnungsbau in drei Kategorien ein:56 1. Der „öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau“ betraf Wohnungen, die zwischen 32 und 65 qm groß waren. Sie wurden öffentlich bewirtschaftet und unterlagen einer – sozialpolitisch begründeten – niedrigen Richtsatzmiete, die gestaffelt war und höchstens 1,10 DM/qm betragen durfte. Die Bauherren kamen in den Genuss aller staatlichen Förderinstrumente: Steuervergünstigungen, zinslose bzw. -verbilligte Kredite und Bürgschaften. Das Gesetz legte fest, dass im Rahmen von Jahresbauprogrammen innerhalb von sechs Jahren 1,8 Mio. neue Wohneinheiten im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau entstehen sollten. 2. Der „steuerbegünstigte Wohnungsbau“ umfasste größere Wohnungen von maximal 80 qm, für kinderreiche Familien 120 qm, die nicht öffentlich bewirtschaftet wurden. Der Bauherr konnte Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen, erhielt aber keine direkten öffentlichen Fördermittel. Für den steuerbegünstigten Wohnungsbau galt nicht die Richtsatzmiete, sondern die höhere Kostenmiete, die alle Ausgaben für Kapitaldienst, Abschreibung, Bewirtschaftung und Eigenkapitalverzinsung abdeckte. 3. Der „frei finanzierte Wohnungsbau“ betraf alle Wohnungen, die ohne öffentliche Förderungen (mit Ausnahme von Steuervergünstigungen gemäß § 7 b EStG) gebaut wurden. Sie unterlagen keiner Bewirtschaftung, Miet- oder Flächenbegrenzung. Die Fixierung der Richtsatzmiete auf niedrigem Niveau bedeutete, dass der politisch vordringliche Neubau von Sozialwohnungen nicht über den freien Kapitalmarkt finanziert werden konnte. Denn die Bauträger mussten wegen der geringen Realverzinsung der Bauobjekte mit Kreditzinssätzen operieren, die unter dem Niveau der „Marktzinsen“ lagen. So wurde die Rendite im sozialen Wohnungsbau für 1950 auf 1,1 Prozent und für 1954 auf 0,7 Prozent geschätzt; damit konnten keine marktüblichen Hypothekarkredite mit Zinssätzen von sechs Prozent oder mehr getragen werden.57 Da sich folglich kaum private Investoren im sozialen Wohnungsbau engagierten, wurde er zum weitaus überwiegenden Teil von der öffentlichen Hand und gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften getragen.58 Für die privaten Haushalte hatte die Mietpreispolitik im sozialen Wohnungsbau dagegen einen stark entlastenden Effekt: Zwischen 1950 und 1959 mussten sie im Durchschnitt nur weniger als sieben Prozent ihrer Verbrauchsausgaben für Wohnungszwecke aufbringen.59
55 56 57 58 59
Lütge, Kapitalmarkt, S. 68. Erstes Wohnungsbaugesetz, BGBl. I, 1950, S. 83 ff.; vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 240. Calin, Reconstruction, S. 63. Muthesius, Redebeitrag in: Zins- und Mietpreisbildung, S. 13. Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 153.
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Wohnungsbauproduktion 1949–195760
Jahr 1949 1951 1953 1955 1957
Fertiggestellte Wohnungen (Neu- und Wiederaufbau) im sozialen Wohnungsbau Absolut Absolut in % 221.960 153.340 69,1 425.405 295.580 69,5 539.683 304.240 56,4 568.403 288.988 50,8 559.641 293.160 52,4
Für den Wertpapiermarkt erlangte das Finanzierungsmodell des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus, der in den Fünfzigerjahren weit mehr als die Hälfte aller neu errichteten Wohnungen umfasste, existenzielle Bedeutung. Das Modell, das die Miethöhe begrenzen und zugleich den Wohnungsbau möglichst wirtschaftlich gestalten sollte, stützte sich auf drei Komponenten: öffentliche Mittel, Eigenkapital der Bauherren und Kapitalmarktmittel. Entscheidend war, dass die Richtsatzmiete und die Kosten der Bauträger in diesem Modell vorgegeben waren. Die öffentlich subventionierten Wohnungsbaukredite waren dagegen in ihrer Höhe flexibel und hatten eine zweifache Aufgabe: Sie sollten erstens die Lücke zwischen dem Eigenkapital der Bauherren und den Kapitalmarktmitteln (= erststellige Hypothek) schließen. Zweitens sollten sie auf der Aufwendungsseite die Diskrepanz zwischen sozialpolitisch gebundener Richtsatzmiete und Ausgaben deckender Kostenmiete ausgleichen. Schulz61 gibt als Beispiel die Kostenrechnung einer 50qm-Wohnung an, deren Errichtung im Jahr 1950 durchschnittlich 10.000 DM kostete. Der Beispielfall geht davon aus, dass die erststellige Hypothek 40 Prozent der Baukosten abdeckte und Eigenkapital in Höhe von 15 Prozent der Baukosten vorhanden war (verlangt waren je nach Bundesland zehn bis 20 Prozent). Aus diesen Annahmen ergibt sich bei einer Richtsatzmiete von 1,-- DM/qm folgendes Finanzierungsmodell: Finanzierung 10.000 DM – 4.000 DM – 1.500 DM = 4.500 DM
Herstellungskosten erststellige Hypothek Eigenkapital Restkosten = öffentliche Kreditmittel
Jährliche Erträge und Aufwendungen 600 DM Einnahmen aus der Richtsatzmiete – 240 DM erststellige Hypothek (6% Zinsen auf 4.000 DM) – 60 DM Eigenkapitalverzinsung (4% auf 1.500 DM)62 – 200 DM Abschreibung (2% auf 10.000 DM) – 50 DM Instandhaltungskosten (0,5%) = 50 DM 60 Schulz, Wiederaufbau, Anhang Tab. 4, S. 351. 61 Ebd., S. 244. 62 Laut Gesetz hatten die Bauherren – im sozialen Wohnungsbau waren dies überwiegend gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften – einen Anspruch auf die Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals in Höhe von vier Prozent.
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In dem angegebenen Beispiel war ein öffentlicher Kredit in Höhe von 4.500,– DM notwendig, für dessen Bedienung pro Jahr 50,– DM zur Verfügung standen; dies bedeutete bei einem Verzicht auf Tilgung eine Verzinsung von 1,1 Prozent. Als Zins durfte die öffentliche Hand laut Gesetz nicht mehr verlangen, als nach Deckung aller anderen Ausgaben (einschließlich der Eigenkapitalverzinsung in Höhe von vier Prozent) von den Erträgen der Richtsatzmiete übrig blieb. Gab es keinen unverbrauchten Rest, musste der Staat auf eine Verzinsung ganz verzichten. Dies bedeutete de facto, dass die Einnahmen der öffentlichen Hand aus den an den sozialen Wohnungsbau vergebenen Krediten sanken, sobald sich der Zinssatz für Kapitalmarktmittel erhöhte und damit die Kosten für die erststellige Hypothek anstiegen. Da ein Großteil der erststelligen Hypothek auf Pfandbriefemissionen basierte, führte ein Anstieg des Pfandbriefzinses unweigerlich dazu, dass die Wohnungsbauträger (gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften) für die öffentlichen Darlehen weniger oder gar keine Zinsen mehr zahlen mussten. Im vorliegenden Beispiel hätte etwa ein Anstieg der Pfandbriefzinsen auf sechs Prozent und damit ein Anstieg der Verzinsung der erststelligen Hypothek auf ca. sieben Prozent zur Folge gehabt, dass kein Restbetrag mehr für den Zinsdienst an die öffentliche Hand übrig geblieben wäre. Die Finanzierung des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik 1950, 1954, 1957 63 Finanzierungsquellen 1950 Mio. DM % 1.672 41,9 507 13,3 244 6,4 233 6,2 24 1,0 386 10,6 181 6,5 1.668 43,9 308 8,1 600 15,8 670 17,6
Finanzierungsmittel 1954 1957 Mio. DM % Mio. DM % 3.878 43,0 4.830 42,0 1.009 11,2 885 7,7 1.430 15,8 1.215 10,4 402 4,5 538 4,7 42 0,5 299 2,6 982 10,9 1.893 16,4 12 0,1 0 0,0 3.027 33,6 3.181 27,7 717 8,0 910 7,9 1.040 11,4 1.120 9,8 1.050 11,7 896 7,8
Kapitalmarktmittel - Sparkassen - Realkreditinstitute a - Lebensversich. a - Sozialversich. - Bausparkassen - ERP-Mittel Öffentliche Mittel - Bund - Länder/ Gemeinden - Soforthilfe-/ Lastenausgleichsmittel - Arbeitslosenversich./ 90 2,4 220 2,4 255 2,2 Bahn/ Post b 540 14,2 2.095 23,4 3.489 30,3 Sonstige Mittel Insgesamt 3.800 100,0 9.100 100,0 11.500 100,0 a ohne mittelbare Finanzierung, insbesondere durch Wertpapiererwerb b Eigenkapital, Arbeitgeberdarlehen, Mieterdarlehen, Zwischenkredite, Privathypotheken, Selbst-/ Gemeinschaftshilfe etc.
63 Rieger, Hypothekarkredit- und Pfandbriefinstitute, S.138 f.; Vermerk über Maßnahmen zur Belebung des Kapitalmarktes (Abt. Volkswirtschaft und Statistik der BdL), 15.1.1952, Anhang 3 – BBk HA, B 330/53.
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Die Aufstellung der Finanzierungsmittel im Wohnungsbau in den Fünfzigerjahren zeigt, wie groß die Bedeutung der öffentlichen Hand als Geldgeberin Anfang der Fünfzigerjahre war und welche Stellung die einzelnen Finanzintermediäre bei der Bereitstellung von Kapitalmarktmitteln einnahmen (wozu die BdL auch ERPMittel und Kredite der Sozialversicherungen zählte). Obwohl die Realkreditinstitute die wichtigsten Akteure am Wertpapiermarkt waren, spielten sie Anfang der Fünfzigerjahre für die Wohnungsbaufinanzierung insgesamt mit einem Anteil von 6,4 Prozent nur eine Nebenrolle. Die erststellige Hypothek beherrschten in dieser Frühphase die Sparkassen und Kapitalsammelstellen. Dies änderte sich erst seit 1953, als das Kapitalmarktförderungsgesetz zu einer Belebung des Wertpapiermarktes führte und insbesondere den Pfandbriefabsatz der Realkreditinstitute beflügelte. IV. 2. 3. Kredite der Banken und Kapitalsammelstellen Wenn die privaten Haushalte im Nachkriegsjahrzehnt sparten, dann vor allem in Form des Einlagensparens bei Kreditinstituten. Für die Einlagen sprach, dass sie liquide waren und frei von Kursschwankungen des unsicheren Rentenmarktes. Allerdings brauchte es einige Jahre, bis sich die Spareinlagenbestände nach der Währungsreform wieder auffüllten, so dass selbst bei den Sparkassen bis ins Jahr 1954 die Sichteinlagen (von Unternehmen und Kommunen) die Spareinlagen der privaten Haushalte übertrafen.64 Die Zinssätze für Einlagen bei Kreditinstituten waren im Rahmen des Habenzinsabkommens festgelegt; sie betrugen beispielsweise seit 1950 drei Prozent für Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist und 3,5 Prozent für Spareinlagen mit sechs- bis zwölfmonatiger Kündigungsfrist.65 Neben dem Einlagensparen erfuhren das – von der Öffentlichen Hand geförderte66 – Bausparen und das Versicherungssparen mit ihrer speziellen Zweckbindung einen bemerkenswerten Aufschwung: Auf sie entfielen Mitte der Fünfzigerjahre 36,2 Prozent der privaten Geldvermögensbildung; 1936 waren es erst 25 Prozent, 1926/28 sogar nur sieben Prozent gewesen.67 Insgesamt rückte das Sparen für Vorsorgezwecke, das in der Vergangenheit im Vordergrund gestanden hatte und bei dem der Wertpapiererwerb eine wesentliche Rolle
64 Die Sparkassen waren gezwungen, vorübergehend ihr kurzfristiges Aktivgeschäft gegenüber dem langfristigen auszubauen, da ihre Refinanzierungsbasis zunächst nicht das traditionell dominierende Spareinlagengeschäft war, sondern kurzfristige Sichteinlagen. Der Spareinlagenbestand, der eine langfristige Anlagepolitik erst möglich machte, musste sich erst wieder aufbauen – was nach der Koreakrise seit Mitte 1951 dann allerdings schnell gelang. Vgl. Pohl, H., Sparkassen, S. 203–211. 65 Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 282. 66 Bausparbeiträge waren abzugsfähige Sonderausgaben bei der Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens; 1952 wurden öffentliche Prämien für das Bausparen eingeführt. 67 Bornemeyer, Finanzierung, S. 17.
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gespielt hatte, gegenüber dem kurzfristigeren „Zwecksparen“ in den Hintergrund.68 Sicht- und Spareinlagenbestände bei Kreditinstituten (in Mio. DM)69 Jahr
SichtSpardavon davon davon davon davon einlagen einlagen Sparkassen GenossenGeschäftsPostübrige** insgesamt insgesamt schafts. banken* sparkasse 1949 8.574 3.076 2.103 512 311 94 56 1950 9.658 4.111 2.756 654 483 142 76 1951 11.602 5.088 3.357 783 705 206 37 1952 12.446 7.581 4.934 1.118 1.093 380 56 1953 13.522 11.547 7.461 1.651 1.693 659 83 1954 15.992 17.225 10.965 2.418 2.748 965 129 1955 17.769 21.374 13.555 2.944 3.457 1.236 182 1956 19.378 24.276 15.506 3.418 3.713 1.457 182 1957 21.795 29.388 18.665 4.140 4.536 1.822 225 * Großbanken, Regionalbanken, Privatbankhäuser, sonstige Kreditbanken ** Girozentralen, genossenschaftliche Zentralkassen, Realkreditinstitute, Teilzahlungsinstitute, Kreditinstitute mit Sonderaufgaben
Bauspareinlagen bei den Bausparkassen sowie Vermögensanlagen der Lebensversicherungen (in Mio. DM)70 Jahr
Einlagen/ aufgenommene Kredite der Bausparkassen 1949 218 1950 517 1951 683 1952 947 1953 1.443 1954 2.207 1955 3.030 1956 3.841 1957 4.856 * Zahlen in Klammern: Ausgleichsforderungen
Vermögensanlagen der Lebensversicherungen* 633 (--) 2.667 (1.605) 3.313 (1.807) 3.934 (1.897) 4.928 (1.971) 5.791 (1.938) 6.775 (1.930) 7.794 (1.903) 9.062 (1.860)
Aufgrund der deutlichen Aufwärtsentwicklung bei den Spareinlagen und Prämienzahlungen wurden die Sparkassen als wichtigste Träger des Spareinlagengeschäfts71 und die privaten Lebensversicherungen,72 die traditionell aufgrund 68 69 70 71
Strathus, Kapitalmarkt, S. 26 ff., 45; Roskamp, Capital formation, S. 91 ff. Geld- und Bankwesen, S. 136 f., 226–232. Ebd., S. 245, 309. Da die Einlagen bei Sparkassen und Girozentralen mündelsicher waren, geschah die Anlage ihres Vermögens satzungsgemäß in erster Linie unter Betonung des Sicherheitsaspekts. Sie erwarben daher vorrangig mündelsichere Inhaberpapiere. Geschäftsbanken hatten dagegen traditionell weniger Interesse an einer langfristigen Anlage ihres Vermögens, etwa in Wertpapieren, die sie im Rahmen ihres Emissions- und Wertpapiergeschäfts in der Regel nur vorübergehend hielten. Vgl. Dannemann, Struktur, S. 82. 72 Die Lebensversicherungen tätigten den Großteil der Vermögensanlagen aller aufsichtspflichtigen Versicherungen, Mitte der 1960er Jahre beispielsweise ca. 60 Prozent. Vgl. Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 53.
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ihres Geschäftsmodells im langfristigen, sicherheitsorientierten Anlagegeschäft eine führende Rolle einnahmen,73 nach und nach zu wichtigen Akteuren im langfristigen Kredit. Doch blieben beide Institutsgruppen dem Wertpapiermarkt nach 1948 weitgehend fern. Die Versicherungen waren von der vergleichsweise ungünstigen Umstellung der Rentenwerte im Rahmen der Währungsreform in besonderem Maße betroffen: Ihr Deckungsstock wurde durch die niedrige Umstellungsquote von Pfandbriefen und Kommunalobligationen reduziert und zudem wurde ihre Rentabilität durch die Streichung der Reichstitel, die durch niedrig verzinsliche Ausgleichsforderungen ersetzt wurden, beeinträchtigt. Aufgrund der unsicheren Kursverhältnisse am Wertpapiermarkt und der – als Folge des KVG – niedrigen Rendite der Rentenwerte vollzogen sie einen Wandel in ihrer Anlagepolitik, indem sie sich vom Wertpapiererwerb abwandten und ihre direkte Kreditvergabe an Unternehmen und Privatpersonen verstärkten.74 Anders als vor dem Ersten Weltkrieg engagierten sich die Versicherungen nicht bevorzugt im Hypothekarkredit; vielmehr trat das Schuldscheindarlehen seinen Siegeszug an, das nicht nur einen höheren Zins versprach, sondern aufgrund seiner relativ kurzen Laufzeit relativ schnell mobilisierbar war. Der höhere Zins war besonders für die Lebensversicherungen attraktiv, deren Überschüsse laut Gesetz nur zu fünf Prozent der Körperschaftsteuer unterlagen.75 So stieg das Volumen der Schuldscheindarlehen, die meist mit Laufzeiten von fünf bis zehn Jahren und Größenordnungen von fünf bis zehn Mio. DM (ggfs. unterteilt in Tranchen) begeben wurden, stark an. Ungefähr drei Viertel aller Schuldscheindarlehen stammten von (privaten und öffentlichen) Versicherungen und wurden an öffentliche Körperschaften, Industrieunternehmen und Kreditinstitute
73 Günstige Voraussetzungen für die langfristige Vermögenslage waren bei Lebensversicherungen ein stetiger, gleichmäßiger Zufluss von Prämien, lange Vertragslaufzeiten sowie eine relativ genaue Berechnung des Mittelbedarfs. Vor dem Ersten Weltkrieg vergaben die Lebensversicherungen den größten Teil ihrer Mittel als Hypothekarkredit. Damals waren offensichtlich selbst Staatspapiere aufgrund ihrer stetig sinkenden Kurse zu unsicher. Mit dem Anwachsen des öffentlichen Finanzbedarfs stieg nach dem Ersten Weltkrieg der Erwerb von Staatstiteln durch Lebensversicherungen; zudem wurde 1923 in gewissen Grenzen die Aufnahme von Aktien und Unternehmensanleihen in den Deckungsstock erlaubt. Vgl. Dannemann, Struktur, S. 90. 74 Protokoll der 22. ZBR-Sitzung vom 16.11.1948 – BA Ko, B 169/1; vgl. Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 42 f. 75 Die Lebensversicherungen unterlagen nur für einen Bruchteil ihres Vermögens der Körperschaftsteuer, da sie 95 Prozent ihrer Überschüsse an die Versicherungsnehmer weiterleiten mussten. Für die Industrieunternehmen als Darlehensnehmer war die höhere Verzinsung der Schuldscheindarlehen gegenüber einer Anleihe kein größeres Problem, da im Gegenzug die Kosten einer Anleiheemission entfielen. Die Schuldscheindarlehen boten den Versicherungen außer dem Umstand, dass sie keine Kursverluste in der Bilanz auslösen konnten, weitere Vorteile: Sie unterlagen nicht der Genehmigungspflicht durch den Bundeswirtschaftsminister, so dass die Konditionen frei verhandelbar waren. Die Fälligkeiten arrangierten die Versicherungen so, dass sie Jahr für Jahr gleichmäßig eintraten, so dass ihre Liquidität weitgehend abgesichert war und der Vorteil der Lombardfähigkeit der Wertpapiere nicht mehr stark ins Gewicht fiel. Vgl. Dannemann, Struktur, S. 90 f.; Rosen, Kapitalmarktausschuss, S. 164.
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vergeben. Zwischen 1948 und 1957 war die Unternehmensfinanzierung über Schuldscheine stets größer als diejenige über Anleihen.76 Vermögensanlagen der größten deutschen Versicherungsunternehmen (in Mio. DM)77 Jahr
Anzahl
1952 442 1954 471 1957 479
Hypothek.-, SchuldWertpapiere GrundGrund-, Renscheine und stücke tenforderungen Darlehen 919,0 1.079,1 462,5 558,9 1.545,8 2.190,5 1.201,6 951,0 2.671,5 4.190,7 2.440,8 1.590,8
Ausgleichs- andere forderungen 3.978,5 4.166,3 4.057,0
152,9 252,7 533,2
Neben den Versicherungen fielen auch die Sparkassen als Käufer von Wertpapieren aus, da sie sich auf die Kreditnachfrage ihrer Kunden konzentrierten und zudem aufgrund der im Rahmen der Währungsreform zusammengeschmolzenen Spareinlagenbestände kaum Spielraum für langfristige Anlagen besaßen.78 Aufgrund der großen Bedeutung der Versicherungen und Sparkassen für den langfristigen Kredit erörterten Wirtschaftspolitiker Möglichkeiten, wie auf die Anlage des Spareinlagenbestandes bzw. des Deckungsstocks Einfluss genommen werden könnte.79 Um bindende gesetzliche Regelungen zu vermeiden, gaben sowohl die Sparkassen als auch die Lebensversicherungen „freiwillige“ Absichtserklärungen ab, einen Teil des Spareinlagenbestandes bzw. des Deckungsstocks für bestimmte Anlagen einzusetzen. Die „Spitzenverbände des Realkredits“80 sagten alljährlich zu, mindestens 50 Prozent ihrer langfristigen Ausleihungen für Projekte des Wohnungsbaus einzusetzen sowie den Bedarf an ersten Hypotheken für Bauvorhaben des sozialen Wohnungsbaus zu decken. Die Versicherungen richteten darüber hinaus ihre Kreditvergabe an Industrieunternehmen zum Teil nach den Investitionsprogrammen des Bundeswirtschaftsministeriums, das den Versicherungen jedoch relativ große Freiheit bei der Auswahl der Investitionsprojekte ließ.81 Der größte Teil der extern aufgebrachten Finanzierungsmittel der Unternehmen wurde durch kurz-, mittel- und langfristige Bankkredite aufgebracht. Die Kredite des Geschäftsbankensektors waren nach der Währungsreform – als rund 76 Niederschrift über die 10. KVA-Sitzung vom 27.7.1950 – BA Ko, B 126/12080; vgl. Reinboth, Schuldscheindarlehen, S. 71 f.; Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 141 f. 77 Geschäftsberichte und Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungsund Bausparwesen; zusammengestellt nach den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank vom Juli 1959, S. 110, und April 1967, S. 93, in: Brahms, Kapitalmarktentwicklung, Tab. 27. 78 Pohl, H., Sparkassen, S. 203 ff. 79 Niederschrift über die 9. Sitzung des KVA vom 7.7.1950 – BA Ko, B 126/12080; vgl. Diskussionsbeitrag Strathus, in: Finanzierungsprobleme und Steuerpolitik, S. 43 f. 80 Dazu zählten die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sparkassen- und Giroverbände und Girozentralen, der Verband öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten, die Arbeitsgemeinschaft des privaten Hypothekenbankgewerbes, der Verband der Lebensversicherungsunternehmen sowie der Verband der privaten Bausparkassen. Vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 234 f.; ders., Sparkassen, S. 273. 81 Bornemeyer, Finanzierung, S. 102.
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ein Drittel aller Finanzierungsmittel der Unternehmen durch Bankkredite aufgebracht wurde – de iure zum großen Teil kurzfristig, wurden aber de facto oft durch wiederholte Prolongation von Eigenakzepten und Kontokorrentkrediten langfristig verwendet.82 Die massiven Inflationsschübe im zweiten Halbjahr 1948 und in den Jahren 1950/51, die das Zentralbanksystem jeweils mit einer restriktiven Geldpolitik beantwortete, zeigten allerdings deutlich, dass der Investitionsfinanzierung durch Kreditschöpfung Grenzen gesetzt waren. In den Bankbilanzen sammelten sich immer größere Bestände an kurzfristigen Krediten, die aufgrund des darnieder liegenden Wertpapiermarktes nicht über die Ausgabe von Schuldverschreibungen an Investoren weitergereicht und konsolidiert werden konnten. Ein „Atmen der Bankbilanzen“83, das eine Entlastung von Kreditrisiken ermöglicht hätte, war nicht möglich. Auf Dauer bedrohte dieser Zustand die Liquidität der Banken. Schon 1949 drohten Engpässe in der Bereitstellung neuer Kredite, so dass erwogen wurde, über Anleihen der KfW bzw. der Industrie-Kreditbank einen Teil der länger gebundenen Bankkredite zu absorbieren.84 Mitte 1950 erörterte der ZBR eine Umschuldung von kurzfristigen Bankkrediten durch die Ausgabe einer 5-prozentigen Umschuldungsanleihe in einem Volumen von 300 bis 500 Mio. DM.85 Während das kurzfristige Geschäft hauptsächlich Gewerbe- und Industrieunternehmen betraf, ging der Löwenanteil der langfristigen Darlehen aus dem Kreditsektor in den Wohnungsbau; Kreditgeber waren hier in erster Linie die Sparkassen. Der Anteil der Industrie am langfristigen Kreditgeschäft war relativ gering – nicht zuletzt, weil die Privat- und Großbanken als typische Hausbanken der Industrie nicht über die entsprechende Refinanzierung durch Spareinlagen verfügten. Von den mittel- und langfristigen Krediten, die bis Ende 1951 ohne
82 Viele Unternehmen wären aufgrund der günstigen Absatz- und Gewinnsituation durchaus in der Lage gewesen, ihre kurzfristigen Kredite zurückzuzahlen. Aber sie waren darauf bedacht, angesichts des Kapitalmangels die erwirtschafteten Erträge wieder in den eigenen Betrieb zu reinvestieren. Die Banken konnten die Prolongationen vornehmen, da der stetig ansteigende Einlagenbestand eine Kündigung der Kredite unnötig machte. Die kurzfristigen Ausleihungen machten 1950 knapp 68 Prozent des Gesamtkreditvolumens der Kreditinstitute aus. Ende 1951 hatten die kurzfristigen Kredite an Wirtschaftsunternehmen und Private ein Volumen von 15,3 Mrd. DM. Vgl. Dannemann, Struktur, S. 18 f.; Gierse, Selbstfinanzierung, S. 33 f.; Bornemeyer, Finanzierung, S. 98 f.; Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 123, 127; Dorn, Industriefinanzierung, S. 51 f. 83 Im Konjunkturverlauf tritt in der Regel eine „Phase der Konsolidierung“ ein, in der die – häufig in Wellen nachgefragten – kurz- und mittelfristigen Kredite der Banken, die zur Vorfinanzierung von Investitionsvorhaben gewährt werden, durch die Emission von Wertpapieren in langfristige Forderungen umgewandelt werden. Auf diese Weise verkürzen sich die Bilanzen der Kreditinstitute, die dadurch neuen Spielraum für die Kreditschöpfung erhalten. Vgl. Strathus, Kapitalmarkt, S. 55; Bornemeyer, Finanzierung, S. 22; Röhl, Entwicklung, S. 31 f.; Dorn, Industriefinanzierung, S. 49 ff. 84 Stenograph. Bericht über die 58. ZBR-Sitzung vom 4.4.1950 – BBk HA, 330/25; Protokoll der 55. ZBR-Sitzung vom 8./9.3.1950, TOP 7 – BA Ko, B 169/3. 85 Anlage zum Protokoll der 66. ZBR-Sitzung vom 27./28.7.1950: Schreiben des Vizepräsidenten des Direktoriums an den Präsidenten des ZBR vom 25.7.1950 – BBk HA, B 330/29.
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Berücksichtigung von ERP-Mitteln in Höhe von 7,59 Mrd. DM begeben worden waren, entfielen auf sie nur 1,4 Mrd. DM oder ca. 19 Prozent.86 IV. 2. 4. ERP-/ GARIOA-Gegenwertmittel und Auslandskapital Ein Aspekt des Marshallplans war, dass die teilnehmenden Staaten diejenigen Geldbeträge, die inländische Unternehmen für den Erwerb der importierten amerikanischen Waren gezahlt hatten, zentral sammeln und als „ERP-Gegenwertmittel“ für Investitionszwecke im Rahmen der ERP-Jahresprogramme verwenden durften. Eine ähnliche Regelung galt für die GARIOA-Mittel. Auf deutscher Seite wurde die KfW mit der Aufgabe betraut, die ERP- und GARIOAMittel in die aus volkswirtschaftlicher Sicht vorrangigen Wirtschaftsbereiche zu lenken.87 Ein interministerieller Ausschuss sorgte bei der KfW dafür, dass die Verteilung der Mittel gemäß den Zielen der ERP-Jahresprogramme erfolgte. Die Datenbasis für die Planung stellte die Wirtschaftsverwaltung zur Verfügung.88 Bevorzugte Empfänger der ERP-Mittel waren Wirtschaftsbereiche von herausragender Bedeutung für den in- und ausländischen Wiederaufbau, in denen zugleich noch Preisbindungen bestanden, also Kohle, Eisen, Stahl, Gas, Wasser und Elektrizität. Für Investitionsvorhaben, die Zugang zum Kapitalmarkt oder zu Bankkrediten hatten, standen ERP-Mittel nicht zur Verfügung. Es standen für Investitionszwecke insgesamt folgende ERP- und GARIOA-Mittel zur Verfügung: ERP- und GARIOA-Mittel für Westdeutschland 1945–1952 (in Mio. RM/DM)89 GARIOA ERP
1945/46
1947
1948
1949
1950
75
237
788
503
177,8
-
-
142
420
302,6
1951
1952
1945-62
11,9
0,4
1.793
415,8
114,1
1.678
86 Auch an der Weiterleitung von öffentlichen Geldern und ERP-Mitteln waren die privaten Geschäftsbanken, die in erster Linie für die Finanzierung der Industrie und des Großhandels in Frage kamen, nur unterdurchschnittlich beteiligt. Sie hatten im Jahr 1952 an den durchlaufenden Krediten in einer Gesamthöhe von 1,72 Mrd. DM nur einen Anteil von ca. 140 Mio. DM; über die Sparkassen und Girozentralen, die auf die Finanzierung des Wohnungsbaus und der öffentlichen Hand spezialisiert waren, flossen dagegen mehr als eine Mrd. DM. Institut „Finanzen und Steuern“, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Produktivität in der deutschen Volkswirtschaft durch steuerliche Maßnahmen, 10.9.1952, S. 7 – PA, Ges.dok, I/363 A; vgl. Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 125 ff. 87 Sie verzichtete dabei weitgehend auf die direkte Kreditvergabe an Unternehmen und leitete die Mittel entweder über andere Förderbanken (Industriekreditbank) oder über die Hausbanken an die Kreditnehmer weiter. Zum Hausbankprinzip vgl. Dickertmann, Finanzierungshilfen, S. 288 f. 88 Pohl, M., Wiederaufbau, S. 35–39. 89 Berger/ Ritschl, Rekonstruktion, S. 479.
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Mit ERP- und GARIOA-Gegenwertmitteln wurden weniger als sechs Prozent der gesamten Netto-Anlageinvestitionen zwischen 1949 und 1951 finanziert.90 Trotz des vergleichsweise geringen Anteils sorgte die ERP-Finanzierung in den genannten Industrien jedoch für wichtige Anstoßfinanzierungen, die über Multiplikator-Effekte auf die gesamte Wirtschaft ausstrahlten. Die Schwerpunkte der ERP-Jahresprogramme schwankten erheblich, so dass die Finanzierung der einzelnen Wirtschaftsbereiche von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich ausfiel. Besonders wichtig waren die ERP-Gegenmittel für den Kohlenbergbau, die Energieversorgung sowie die Eisen- und Stahlproduktion.91 Anteil der ERP-Finanzierung an Brutto-Anlageinvestitionen in Westdeutschland (in %)92 Gesamtwirtschaft Industrie (insgesamt) - Kohlenbergbau - Grundstoffe/ Produktionsgüter - Eisen/Stahl - Investitionsgüter - Verbrauchsgüter - Nahrungs-/ Genussmittel Energieversorgung Nachrichten-/ Verkehrswesen Wohnungswirtschaft Landwirtschaft Übrige
1949 6,4 7,1 47,0 0,8 3,8 0,5 0,3 14,0 20,0 0,7 2,0 -
1950 8,6 13,0 40,0 14,0 18,0 13,0 5,7 2,6 24,0 7,1 4,6 13,0 0,4
1951 4,5 4,5 13,0 6,1 14,0 2,0 3,2 2,5 21,0 3,3 2,9 2,7 0,5
1952 2,3 2,3 4,9 1,8 2,0 1,1 2,3 3,5 5,5 2,2 2,3 3,7 0,3
Was das sonstige Auslandskapital in Westdeutschland betrifft, so wurden nach der Währungsreform so genannte DM-Sperrguthaben eingerichtet, auf denen die Guthaben ausländischer Besitzer gebucht wurden, die sich seit Einführung der Devisenbewirtschaftung im Jahr 1931 angesammelt hatten und stillgelegt worden waren. Sie stellten nur Ansprüche dar und waren nicht nutzbar. Zögernd erlaubten die Alliierten nach und nach eine begrenzte Verwendung der Guthaben.93 Insgesamt betraf die Verwendung von Sperrguthaben nur geringe Volumina. Dies änderte sich auch nicht grundsätzlich, als Anfang März 1951 das Verkaufsverbot für Sperrmark zwischen Ausländern aufgehoben wurde. Denn im Ausland wurde die politische Lage in Deutschland weiterhin als zu unsicher angesehen. Zudem 90 Wolf, Probleme, S. 122. 91 Zur Diskussion über die Wirksamkeit der ERP-Mittel vgl. Borchardt/ Buchheim, Wirkung; Berger/ Ritschl, Rekonstruktion sowie Maier, Zukunft, S. 47 ff.; s. auch Lehmann, MarshallPlan, S. 138 ff. 92 Baumgart, Investitionen, S. 122–125. 93 Wer ein Sperrmarkkonto besaß, durfte schließlich in Grundstücken und börsenfähigen Wertpapieren und mit besonderer Genehmigung auch in privaten gewerblichen Unternehmen investieren. Daraufhin wurde ein Teil der Sperrguthaben in Aktien angelegt, die als relativ wertsicher angesehen wurden. Protokoll der 68. ZBR-Sitzung vom 6./7.9.1950, TOP 14 – BA Ko, B 169/4; vgl. Harder, Funktionswandel, S. 104; Krüger, Voraussetzungen, S. 121 ff.
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war von großem Nachteil, dass die Sperrmarkbesitzer ihre in Westdeutschland erwirtschafteten Kapitalerträge auf ihren Sperrkonten belassen mussten. Im Zuge der Wiederaufnahme eines freien Zahlungsverkehrs mit dem Ausland wurden mit Wirkung zum 16. September 1954 die Guthaben der DM-Sperrkonten (inzwischen 650 Mio. DM) entsperrt, indem sie a) im Verrechnungswege ins Ausland überwiesen oder b) auf ein „liberalisiertes Kapitalkonto“ des jeweiligen Devisenausländers übertragen werden konnten. Mit den Guthaben auf den „liberalisierten Kapitalkonten“, auf die neben den Sperrmark-Guthaben auch die laufenden Transferzahlungen an Ausländer (Wiedergutmachungsleistungen, Wertpapierverkäufe, Grundstücksveräußerungen, Dienstleistungen, Tilgung fälliger Verbindlichkeiten etc.; geschätztes jährliches Volumen 1,5 Mrd. DM) flossen, durften Ausländer genehmigungsfrei Investitionszahlungen vornehmen. Erlaubt waren beispielsweise der Erwerb von Grundstücken, die Errichtung von Bauten auf eigenem Grundbesitz, der Erwerb von börsenfähigen Wertpapieren sowie die Gewährung von Darlehen an Deviseninländer. Guthaben der „liberalisierten Kapitalkonten“ konnten genehmigungsfrei ins Ausland transferiert werden und waren dort unter freier Kursbildung handelbar. Auf deutscher Seite hoffte man, dass über die liberalisierten Kapitalkonten erhebliche Teile der beträchtlichen Transferzahlungen in den inländischen Wertpapiermarkt fließen würden.94 IV. 2. 5. Vor- und Zwischenfinanzierung durch die Bank deutscher Länder Seit der Währungsreform wurden die Möglichkeiten einer „monetären Kapitalbildung“ intensiv diskutiert. Die führenden Wirtschaftswissenschaftler, darunter auch die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, empfahlen eine „Doppelstrategie“: Durch Geldschöpfung sollten zunächst Investitionen gefördert werden, die unmittelbar Geldeinkommen schufen, aber nicht in gleicher Schnelligkeit zur Produktion von Konsumgütern führten. Gleichzeitig sollte zur Vermeidung von Preissteigerungen die Spartätigkeit der Bevölkerung umfassend gefördert werden. Damit die beschäftigungswirksame Investitionsausweitung nicht durch das verstärkte Sparen wieder erstickt wurde, sollten zeitgleich und im Ausmaß des Sparens neue Investitionen erfolgen. Auf diese Weise sollten Geldschöpfung und Sparförderung zusammen eine kontinuierliche Konjunkturentwicklung und einen Abbau der Arbeitslosigkeit ermöglichen.95 In der Praxis waren der BdL in der Finanzierung des Wiederaufbaus jedoch enge Grenzen gesetzt: Zwar war ein großes Arbeitskräftepotenzial vorhanden, aber die Produktionsmittelreserven waren so gering, dass die Investitionsfinanzierung über Kreditschöpfung schnell zu Preissteigerungen führte. Damit wurde das Ziel der Währungsreform, den Geldüberhang zu beseitigen und das Vertrauen der 94 Vermerk (Volkswirtschaftliches Generalreferat) vom 21.9.1954 betr. Auflösung der Sperrmark in kapitalmarktpolitischer Sicht – BA Ko, B 126/2195. 95 Richter, Geldpolitik, S. 564 f.
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Bevölkerung in die Währung wiederherzustellen, konterkariert.96 Als in den Monaten nach der Währungsreform die Inflationsrate in die Höhe schoss, reagierte die BdL mit restriktiven Maßnahmen. In dieser Situation hielt sie die Vorfinanzierung von Investitionen durch Kredite des Zentralbanksystems für ausgeschlossen. Als sich im Frühjahr 1949 die inflationären Gefahren abschwächten, wurde die BdL immer öfter und immer stärker mit Forderungen nach Vorfinanzierungsmaßnahmen konfrontiert. Diese sollten vor allem die Verzögerungen bei der Zuteilung von ERP-Mitteln überbrücken bzw. Investitionen finanzieren, von denen ungewiss war, ob überhaupt ERP-Mittel für diesen Zweck zur Verfügung gestellt würden.97 Die BdL konnte solche Wünsche nach „Kreditspritzen“ in hohen Größenordnungen bis Mitte 1949 mit dem Hinweis auf geldpolitische Notwendigkeiten und auf ihre rechtlichen Bindungen als Notenbank abwehren.98 Seitdem ließ sie sich jedoch wiederholt von der Notwendigkeit von „Vorfinanzierungsmaßnahmen“ in erheblichem Umfang überzeugen. Sie machte zwar offiziell stets zur Voraussetzung, dass solche kurzfristigen Finanzierungsaktionen nur dann möglich seien, wenn die Konsolidierung endgültig gesichert sei. De facto handelte es sich aber oft um mittel- und langfristige Kredite.99 Im Jahr 1950 schaltete sich die BdL schließlich massiv in die Finanzierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Bundesregierung ein, die angesichts steigender Arbeitslosenzahlen zur Jahreswende 1949/50 unter massiven Druck der Alliierten Hohen Kommission, der ECA und der SPD-geführten Opposition geraten war. Der Ruf nach konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Erhöhung der Investitionen und zur Ausweitung des Exports wurde laut. Bundeskanzler Adenauer erlebte in dieser Situation eine politische Niederlage, als der Bundestag am 9. Februar 1950 nach zehnstündiger Debatte auf Antrag der SPD die Auflage eines formellen Arbeitsbeschaffungsprogramms beschloss. Nach diesem Erfolg der SPD versuchte das Bundeskabinett, eine erneute Bloßstellung vor dem Parlament zu vermeiden. Daher sollte das Programm nicht über einen außerordentlichen Haushalt, der die Zustimmung des Bundestags und damit eine erneute wirtschaftspolitische Grundsatzdebatte vorausgesetzt hätte, sondern ohne weitere parlamentarische Debatten außerhalb des Bundeshaushalts über das Bankensystem finanziert werden.100 In zähen Verhandlungen, in die sich Adenauer schließlich persönlich einschaltete, konnte das Bundeskabinett den ZBR überzeugen, im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms insgesamt 1,5 Mrd. DM im Wege der Vorfinanzierung zur Verfügung zu stellen. Der ZBR machte zur Bedingung, dass die 96 Bornemeyer, Finanzierung, S. 13 f.; Dorner, Industriefinanzierung, S. 40; Carlin, Reconstruction, S. 57 f. 97 Borchardt/ Buchheim, Wirkung, S. 343 f. 98 Protokoll der 35. ZBR-Sitzung vom 24.5.1949, TOP 2 – BA Ko, B 169/2. 99 S. zum Beispiel Protokoll der 40. ZBR-Sitzung vom 2./3.8.1949, TOP 5c – BA Ko, B 169/2; vgl. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 382. 100 Vgl. zur Vorgeschichte und Durchführung des Arbeitsbeschaffungsprogramms Adamsen, Investitionshilfe, S. 59–77; Hentschel, Erhard, S. 140–149.
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vorfinanzierten Projekte dazu dienen mussten, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, die Abhängigkeit der westdeutschen Wirtschaft von der Dollar-Hilfe zu vermindern und strukturelle Probleme zu lösen. Die Leistungen des Zentralbanksystems umfassten Refinanzierungskredite an die KfW zur Unterstützung der gewerblichen Wirtschaft und von Flüchtlingsbetrieben sowie die Mittelvergabe an Länder, Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften (Versorgungs- und Verkehrsbetriebe).101 Zu Beginn des Programms war geplant, die Kredite mit ERP-Gegenwertmitteln zu tilgen. Als sich gegen Ende des Marshallplans abzeichnete, dass ERP-Mittel dafür nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen, erlaubte der ZBR Mitte 1952, dass die KfW und die öffentlichen Körperschaften zur Konsolidierung Schuldverschreibungen emittierten und in „Fonds der öffentlichen Hand“ – gemeint waren insbesondere die Arbeitslosenversicherung und die öffentlichen Rentenversicherungen – unterbrachten. Die BdL beendete die Vorfinanzierungsaktion auf diese Weise im Laufe des Jahres 1953.102 Eng mit den Forderungen nach Vorfinanzierungsaktionen verbunden war der Wunsch, die BdL möge die Kurse von festverzinslichen Schuldverschreibungen im Rahmen von Offen-Markt-Geschäften stützen.103 Die BdL erwarb erstmals 1950 im Auftrag der Bundesbahn Wertpapiere, als sie Stücke der 6-prozentigen Bahnanleihe, die kaum auf Nachfrage stieß, zum Kurs von 100 Prozent aufkaufte.104 Der ZBR begründete sein Vorgehen damit, dass er es im Rahmen seiner Bemühungen, den Kapitalmarkt funktionsfähig zu machen, und insbesondere im Hinblick auf eine künftige Anleiheemission des Bundes nicht zulassen könne, dass eine der ersten DM-Anleihen, die von einer Bundesverwaltung begeben worden sei, im Kurs sinke.105 Die Alliierte Hohe Kommission warnte davor, dass die Aufnahme von umfassenden Kurspflegemaßnahmen durch die BdL die Währungsstabilität gefährden könnte. Daraufhin beruhigte ZBR-Präsident Bernard, dass sich die BdL der währungspolitischen Bedeutung der OffenMarkt-Geschäfte durchaus bewusst sei und daher nur mit größter Vorsicht operieren werde. Bernard versicherte, dass die Offen-Markt-Geschäfte gestoppt würden, wenn sie nicht zu einer Festigung der Kurse beitragen bzw. sich Gefahren für die
101 Protokoll der 53. ZBR-Sitzung vom 22./23.2.1950; Protokoll der 54. ZBR-Sitzung vom 1.3.1950, TOP 1 – BA Ko, B 169/3; Stenograph. Bericht über die 60. ZBR-Sitzung vom 4.5.1950, Anlage 1: Schreiben Vocke an Bernard vom 29.4.1950 – BBk HA, B 330/26; 102 Schreiben Vocke an Bernard vom 3.5.1952; Protokoll der 120. ZBR-Sitzung vom 15.5.1952 – BBk HA, B 330/56; Protokoll der 138. ZBR-Sitzung vom 4.2.1953 – BBk HA, B 330/64. 103 Protokoll der 36. ZBR-Sitzung vom 31.5.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2. 104 Zwischen der Börseneinführung und dem 1. Juli 1950 nahm die BdL Bahnanleihen im Volumen von 617,5 Mio. DM auf eigene Rechnung auf. In der gleichen Zeit wurde ein Viertel der Summe wieder verkauft. Protokoll der 65. ZBR-Sitzung vom 12./13.7.1950, TOP 5 – BA Ko, B 169/4; Steno-Bericht über die 65. ZBR-Sitzung; Stenograph. Bericht über die 66. ZBR-Sitzung vom 27./28.7.1950 – BBk HA, B 330/29. 105 Protokoll der 66. ZBR-Sitzung vom 27./28.7.1950, TOP 4 – BA Ko, B 169/4; Niederschrift über die 36. Sitzung des KVA am 18.9.1952 – BA Ko, B 126/12082.
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Währung ergeben würden.106 Auch die Ausgleichsforderungen der Kreditinstitute und Kapitalsammelstellen waren Gegenstand der Offen-Markt-Politik der BdL.107 Vor allem die Eigenmittel der Hypothekenbanken waren im Zuge der Währungsreform „auf ein Minimum“ reduziert worden und reichten kaum zur Zwischenfinanzierung im Hypothekarkreditgeschäft aus. Die BdL sah sich wiederholt veranlasst, Ausgleichsforderungen der Realkreditinstitute anzukaufen, um die Produktionsziele der Wohnungsbauprogramme der Bundesregierung nicht zu gefährden.108 IV. 2. 6. Finanzierung aus „Anlagekonten“ Im Rahmen der Währungsreform vom Juni 1948 wurden die Altspareinlagen im Verhältnis 1:10 von Reichsmark auf D-Mark umgestellt. Unter Anrechnung der bar ausgezahlten „Kopfquote“ erhielten die Sparer von diesen zehn Prozent nur die Hälfte zur freien Verfügung, die andere Hälfte in Höhe von insgesamt ca. fünf Mrd. DM wurde auf Festkonten verbucht, bei denen es sich nicht mehr um Einlagen bei Banken oder Sparkassen handelte, sondern um Ansprüche gegenüber der öffentlichen Hand. Die Guthaben auf den Festkonten wurden von den Alliierten „stillgelegt“, um die zirkulierende Geldmenge zu verringern und dadurch die neue Währung vor Wertverlust zu schützen. Über die Verfügbarkeit der Festkonten wollten die Alliierten erst entscheiden, nachdem erste Erfahrungen über die monetäre Entwicklung gesammelt worden waren. Im Oktober 1948 entschieden die Alliierten dann per Gesetz – ohne Rücksicht auf deutsche Einwände –, dass 70 Prozent der auf Festkonten gebuchten Einlagen ersatzlos gestrichen, 20 Prozent an die Besitzer freigegeben und zehn Prozent einem Anlagekonto gutgeschrieben werden sollten, über das die Besitzer bis zum 1. Januar 1954 nur beschränkt verfügen durften.109 Um die Verwendung der Guthaben auf den Fest- bzw. Anlagekonten wurde lebhaft gerungen. Insbesondere als klar wurde, dass die ERP-Gegenwertmittel nicht so schnell fließen würden wie auf deutscher Seite erhofft, war die Freigabe der Fest- bzw. Anlagekonten für Investitionszwecke eine lockende Alternative. Haupthemmnis war – ähnlich wie bei dem Einsatz der ERP-Gegenwertmittel – die Frage, ob eine Freigabe dieser Konten zusätzliche inflatorische Impulse auslösen und so das Vertrauen in die neue Währung weiter unterminieren würde. Auch
106 Anlage zum Protokoll der 65. ZBR-Sitzung: Schreiben der ABC an den Präsidenten des ZBR vom 8.7.1950; Antwortschreiben vom 11.7.1950 – BBk HA, B 330/29. 107 Stenograph. Bericht über die 102. ZBR-Sitzung vom 6.9.1951 – BBk HA, B 330/47. 108 Protokoll der 67. ZBR-Sitzung vom 23./24.8.1950, TOP 4 – BA Ko, B 169/4; Stenograph. Bericht über die 68. ZBR-Sitzung vom 6./7.9.1950 – BBk HA, B 330/30; vgl. Rieger, Hypothekarkredit- und Pfandbriefinstitute, S. 36. 109 Zur Währungsreform vgl. Buchheim, Errichtung, bes. S. 128 ff.; Protokoll der 19. ZBRSitzung vom 5.10.1948, BA Ko, B 169/1; Protokoll der 58. ZBR-Sitzung vom 4.4.1950 – BA Ko, B 169/3.
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wenn auf den Anlagekonten „nur“ ca. 450 Mio. DM lagen, schätzte der ZBR die inflatorischen Gefahren einer generellen Freigabe zunächst als zu hoch ein.110 Nachdem die Alliierten die Anlagenkonten für Investitionszwecke freigegeben hatten, erklärte die BdL zunächst den Erwerb von einzelnen Anleihen und Schuldscheindarlehen für zulässig, wenig später dann generell den Erwerb bestimmter Wertpapiertypen (Pfandbriefe, Schiffspfandbriefe, Kommunalobligationen). Nach Erlass des KVG beschloss der Kapitalverkehrsausschuss, dass alle von ihm genehmigten Anleihen mit Mitteln aus Anlagekonten gezeichnet werden durften.111 Der ZBR wünschte, dass die Kreditinstitute bei ihren Kunden dafür werben sollten, mit den Guthaben der Anlagekonten Anleihen zu erwerben. Die Kreditinstitute fürchteten jedoch, dass der Abfluss dieser Gelder ihre bereits angespannte Liquiditätslage weiter verschlechtern würde. Entsprechend zurückhaltend war ihre Reaktion. Dieser Umstand und die Tatsache, dass auf den Anlagekonten in aller Regel nur sehr kleine Guthaben lagen und die Inhaber dementsprechend wenig Interesse an dem Erwerb von Wertpapieren hatten, führten dazu, dass aus Anlagekonten viel weniger Mittel in Anleihen flossen als ursprünglich erhofft.112 IV. 2. 7. Absatz von Wertpapieren Die Darstellung des Wertpapiermarktes in den Jahren 1948 bis 1952 läuft auf eine Darstellung seiner weitgehenden Funktionslosigkeit und Randexistenz hinaus. Im Rahmen der Währungsreform wurden Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Industrieobligationen im Nominalwert von ca. 925 Mio. DM von Reichsmark auf D-Mark umgestellt, von dem sich etwa 125 Mio. DM im Besitz öffentlicher Stellen, ca. 70 Mio. DM bei Versicherungsgesellschaften und der Rest in privater Hand befand.113 Gemäß einer Schätzung der Volkswirtschaftlichen Abteilung der BdL waren von den umgestellten Wertpapieren Mitte 1950 lediglich Stücke im Nennwert von 400 bis 500 Mio. DM im Umlauf, da nur Werte gehandelt werden durften, die mit einer Lieferbarkeitsbescheinigung ausgestattet waren.114 110 Stenograph. Bericht über die 26. ZBR-Sitzung vom 11.1.1949; Protokoll der 28. ZBRSitzung vom 8.2.1949; Protokoll der 32. ZBR-Sitzung vom 5.4.1949 – BA Ko, B 169/2. 111 Anlage 2 zur Niederschrift über die 16. Sitzung des KVA vom 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080; Niederschrift über die 39. Sitzung des KVA vom 27.11.1952 – BA Ko, B 126/12082. 112 Protokoll der 35. ZBR-Sitzung vom 24.5.1949, TOP 5; Protokoll der 38. ZBR-Sitzung vom 28.6.1949, TOP 3; Protokoll der 42. ZBR-Sitzung vom 13./14.9.1949, TOP 7 – BA Ko, B 169/2. 113 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 114 Im Rahmen der Wertpapierbereinigung wurden die auf alte Währung lautenden Wertpapiere für kraftlos erklärt und durch neue ersetzt, die auf D-Mark lauteten. Für Unternehmen, die ihren Hauptsitz im Westen Deutschlands hatten, wurden nach dem Wertpapierbereinigungsgesetz vom 1. Oktober 1949 alle Wertpapiere für kraftlos erklärt und über die Gesamtsumme Sammelurkunden ausgestellt. Vgl. Sayatz, Schicksal.
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Während die Kapitalbildung insgesamt schon bald eine beachtliche Höhe erreichte, wurden über den Wertpapiermarkt nur äußerst geringe Beträge aufgebracht. So machte die gesamte Kapitalbildung im Jahr 1950 ca. 15 Prozent des Bruttosozialprodukts aus gegenüber nur neun Prozent im Durchschnitt der Jahre 1925 bis 1928 (also der Zeit nach der Währungsreform von 1923/24). Der Anteil des Wertpapierabsatzes an der Aufbringung langfristiger Mittel (ohne Selbstfinanzierung) betrug dagegen im Jahr 1950 nur ganze drei Prozent, während es im Durchschnitt der Jahre 1925 bis 1928 etwa 47 Prozent gewesen waren (davon ein erheblicher Anteil des Auslands). Vor dem Ersten Weltkrieg war der Anteil des Wertpapiersparens noch größer gewesen.115 Auf dem Rentenmarkt nahmen die Realkreditinstitute als Daueremittenten eine dominierende Stellung ein. Insbesondere das Geschäftsmodell der privaten Hypothekenbanken war von einem regelmäßigen Absatz von Inhaberschuldverschreibungen abhängig.116 In den ersten beiden Jahren nach der Währungsreform (Juni 1948–Juli 1950) wurden Pfandbriefe im Nennwert von 315,8 Mio. DM und Kommunalobligationen im Nennwert von 62,9 Mio. DM neu emittiert.117 Industrieunternehmen, die anders als die Realkreditinstitute nur in besonderen Situationen auf die Außenfinanzierung durch Industrieobligationen angewiesen sind, nahmen den Wertpapiermarkt dagegen nur sehr begrenzt in Anspruch. Entsprechend war der Anteil der Neuemissionen an der Industriefinanzierung seit der Währungsreform vernachlässigbar gering: Den geschätzten industriellen Nettoinvestitionen von sechs bis acht Mrd. DM zwischen Juli 1948 und Ende 1951 stand ein Absatz an Industrieobligationen von ca. 220 Mio. DM gegenüber. Die Rolle des Wertpapiermarkts in der Industriefinanzierung blieb während des gesamten Betrachtungszeitraums marginal. In den Fünfzigerjahren stammten nur ca. 3,5 Prozent der von der Wirtschaft insgesamt aufgebrachten Mittel vom Wertpapiermarkt, davon nur knapp zwei Prozent in Form von festverzinslichen Industrieobligationen, die zum weitaus größten Teil von der Schwerindustrie, der Energiewirtschaft und der chemischen Industrie begeben wurden, und etwa 1,5 Prozent Aktien. In keinem Jahr stammten mehr als 18 Prozent der – ohnehin
115 Vermerk (Abt. Volkswirtschaft und Statistik der BdL) über Maßnahmen zur Belebung des Wertpapiermarktes vom 15.1.1952 – BBk HA, B 330/53; vgl. Strathus, Kapitalmarkt, S. 29. 116 Daneben hatten private Hypothekenbanken die Möglichkeit, langfristige Kredite aufzunehmen. Bei den öffentlich-rechtlichen Grundkreditanstalten war die Lage günstiger: Sie konnten ihr Geschäft am schnellsten wieder aufbauen, da sie von den öffentlichen Garantieträgern im Rahmen der verschiedenen staatlichen Bauprogramme, Siedlungsvorhaben etc. umfangreiche Darlehen bzw. Mittelzuweisungen erhielten, so dass sie sich nicht hauptsächlich, sondern lediglich ergänzend über den Wertpapiermarkt refinanzieren mussten. Im Gegenzug operierten sie – anders als die privaten Hypothekenbanken – in hohem Maße im nachstelligen Bereich des Hypothekarkredits, der durch Ländermittel abgedeckt wurde. Die öffentlich-rechtlichen Grundkreditanstalten hatten die gesamten Fünfzigerjahre hindurch den größten Anteil am Geschäftsvolumen aller Realkreditinstitute. Vgl. Paul, Pfandbriefinstitute, S. 22 ff. 117 Vgl. Anhang, Tab. I und II; Stenograph. Bericht über die 66. ZBR-Sitzung vom 27./28.7.1950 – BBk HA, B 330/29.
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relativ geringen – Fremdfinanzierungsmittel vom Wertpapiermarkt.118 Wie bei allen anderen Wertpapierarten hinkte der Absatz bei den Industrieobligationen Anfang der Fünfzigerjahre der Auflage weit hinterher, etwa im Verhältnis 1:3. Die Unternehmen wandten sich der billigeren Selbstfinanzierung zu und gingen auf Distanz zum Effektenmarkt, auf dem die Industrieobligationen aufgrund des Ausschlusses aus der steuerlichen Förderung gemäß § 10 EStG (Kapitalansammlungsverträge) ohnehin benachteiligt waren. War das hohe Maß an Selbstfinanzierung einerseits eine Folge des nicht funktionsfähigen Wertpapiermarktes, so verhinderte die Selbstfinanzierung ihrerseits eine schnellere Wiederbelebung des Wertpapiermarktes. Lediglich umgestellte RM-Industrieobligationen wurden lebhaft gehandelt, sofern die Unternehmen den Zinsdienst wieder aufgenommen hatten. Denn bei ihnen war die Gesamtrendite angesichts der kurzen Restlaufzeiten und der über pari liegenden Rückzahlungskurse vergleichsweise hoch.119 Vorübergehend stieg die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen zwischen Herbst 1951 und Frühjahr 1952 deutlich an, da sie den Emittenten bessere Erfolgsaussichten bot als die klassischen Instrumente Aktie und Industrieobligation. Da die Aktienkurse nach Veröffentlichung der ersten DM-Eröffnungsbilanzen stark anstiegen, versprach die Konversion in Aktien den Gläubigern erhebliche Gewinnmöglichkeiten (und kam darüber hinaus dem Sachwertdenken der Anleger entgegen). Die Emittenten konnten ihrerseits bei Inanspruchnahme des Umtauschrechts in der Regel günstiger Eigenkapital aufnehmen als durch die Ausgabe von jungen Aktien, die zu einem deutlich tieferen Kurs angeboten werden mussten als Altaktien. Zwischen Juli 1951 und April 1952 wurden zwölf Wandelanleihen mit einem Nominalwert von 110 Mio. DM aufgelegt. Sie waren durchweg wie Industrieobligationen mit einem Zinssatz von 6,5 Prozent ausgestattet und wurden überwiegend ohne Disagio ausgegeben. Sie waren stark gefragt und konnten ohne Probleme untergebracht werden. Als die Aktienkurse im Laufe des Jahres 1952 jedoch deutlich sanken, nahm das Interesse rapide ab.120
118 Geld- und Bankwesen, S. 302; Roskamp, Capital formation, S. 113, Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 83. Bornemann/ Linnhoff gehen davon aus, dass die Industrie zwischen 1949 und 1957 ca. zehn Prozent ihrer Bruttoanlageinvestitionen über den Absatz von Wertpapieren finanzieren konnten. Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 18. 119 Nach der Währungsreform hatten viele Unternehmen ihre RM-Anleihen aufgrund von Kriegsfolgen und alliierten Verboten (z.B. Bergbauunternehmen) nicht bedient. Als viele Unternehmen im Jahr 1951 ihren Zinsdienst wieder aufnahmen, kam es vorübergehend zu einem deutlichen Anstieg der Kurse. Vgl. Dorner, Industriefinanzierung, S. 44 ff., 134, 137; Bornemeyer, Finanzierung, S. 92-102. 120 Die Laufzeit betrug in aller Regel 15 Jahre und der Umtausch in Aktien war an eine Sperrfrist von drei bis vier Jahren gebunden. Die einzelnen Emissionen unterschieden sich in erster Linie durch das Agio, das bei der Konversion zu zahlen war. Die Wandelschuldverschreibungen hatten den Vorteil, dass sie sofort eine feste Verzinsung erbrachten. Nach der Sperrfrist boten sie die Möglichkeit, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, um entweder von den steigenden Aktienkursen zu profitieren oder sich gegen Inflationsgefahren – durch eine Anlage in Sachwerten – zu schützen. Vgl. Harder, Funktionswandel, S. 121; Röhl, Entwick-
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Als Käufer von Neuemissionen traten am Rentenmarkt vor allem staatliche Stellen auf, während Unternehmen und Privathaushalte als Abnehmer kaum von Bedeutung waren.121 Wie bereits erwähnt, fiel den Sozialversicherungsträgern und dem Arbeitslosenstock dabei eine besondere Rolle zu, da sie einen erheblichen Teil ihrer Überschüsse in Wertpapieren anlegten. Beispielsweise hatte die Arbeitslosenversicherung Anfang 1956 eine Gesamtrücklage in Höhe von 2,58 Mrd. DM, von der 29,5 Prozent (0,76 Mrd. DM) in Wertpapieren angelegt und 48,5 Prozent (1,25 Mrd. DM) als Darlehen vergeben waren. Die Rentenversicherung der Angestellten hatte Ende 1955 ihre Gesamtrücklage in Höhe von 2,34 Mrd. DM zu 38,5 Prozent (0,89 Mrd. DM) in Pfandbriefen und Kommunalobligationen angelegt, weitere 38 Prozent (0,88 Mrd. DM) flossen als Hypotheken-, Schuldschein- und Treuhanddarlehen direkt in den Wohnungsbau.122 Die Zahlen für die frühen Fünfzigerjahre dürften noch deutlicher zugunsten der Wertpapieranlage ausgefallen sein. Banken und Sparkassen scheuten sich, ihr Vermögen in langfristige festverzinsliche Wertpapiere mit schwankendem Wert und entsprechenden Kursrisiken zu investieren, da ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Kunden auf der Aktivseite meist kurzfristig und mit festen Zinssätzen versehen waren.123 Entsprechend strebten die Kreditinstitute an, ihr Vermögen am Geldmarkt zu platzieren, hatten dabei aber immer wieder Probleme, da nicht genügend kurzfristige Papiere angeboten wurden.124 Die Lebensversicherungen gingen beim Erwerb von Wertpapieren ebenfalls – wie oben bereits dargelegt – vorsichtig vor. Dies verdeutlicht folgende Tabelle, die den Anteil der Wertpapiere am Deckungsstock der Lebensversicherungsgesellschaften wiedergibt:
121 122 123 124
lung, S. 54 ff., 67 ff.; Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 84 ff.; Strathus, Kapitalmarkt, S. 86 Vgl. Anhang, Tab. III; Wolf, Probleme, S. 118. Dannemann, Struktur, S. 117. Wolf, Probleme, S. 135. Protokoll der 107. ZBR-Sitzung vom 7./8.11.1951, TOP 6 – BBk HA, B 330/49.
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Wertpapieranlagen der deutschen Lebensversicherungsgesellschaften von 1913 bis 1955125 Jahr
Mark, RM bzw. DM
1913 164,3 1924 16,0 1932 478,7 1936 1.289,5 1938 1.967,6 1941 4.875,0 1944 (Schätzung) 9.000,0a 1950 118,1 1952 208,2 1953 317,5 1955 620,1 a davon geschätzte 7.500 RM in Reichstiteln b ohne Ausgleichsforderungen c einschließlich Ausgleichsforderungen
Prozent der gesamten Kapitalanlagen 2,9 12,5 14,1 25,7 32,2 48,2 11,1b 10,2b 10,7b 8.6c
Am Aktienmarkt spielte sowohl der Primärmarkt als auch der Sekundärmarkt in den Jahren 1949 bis 1952 kaum eine Rolle. Bis Ende 1950 lagen praktisch keine Bilanzdaten der Unternehmen vor, da noch keine DM-Eröffnungsbilanzen publiziert worden waren. Die Aktienkursentwicklung wurde daher überwiegend von externen Faktoren beeinflusst. So bevorzugten die Anleger zunächst Titel der Konsumgüterindustrie, die aufgrund der starken Konsumentennachfrage in besonderem Maße von der Freigabe der Preise profitierte. Lockerungen der Produktionsbeschränkungen lösten eine verstärkte Nachfrage nach Aktien der Montanindustrie aus. Insgesamt überwog beim Aktienkauf die Bewertung der Unternehmenssubstanz die Renditeerwartungen.126 Seit 1951 wurde der Aktienmarkt von den DM-Eröffnungsbilanzen geprägt, deren Veröffentlichung von vielen Unternehmen hinausgezögert worden war, um wichtige gesetzliche Regelungen, etwa zur Körperschaftsteuer und zum Lastenausgleich, abzuwarten und bei der Bewertung des Vermögens berücksichtigen zu können. Als sich zeigte, dass die Aktiengesellschaften ihr Eigenkapital im Durchschnitt erhalten konnten, kam es zu einem starken Anstieg des Kursniveaus. Während 1949 erst 5,2 Prozent der Aktien pari standen, erreichten oder überschritten im Jahresdurchschnitt 1951 fast alle Aktien dieses Kursniveau. In der zweiten Jahreshälfte folgte allerdings aufgrund der konjunkturellen Eintrübung, die das Augenmerk der Anleger wieder auf die Renditeerwartungen lenkte, ein Kursverfall, der bis Mitte 1953 anhielt.127 125 Dannemann, Struktur, S. 89. 126 Röhl, Entwicklung, S. 54 ff. 127 Gierse, Selbstfinanzierung, S. 18.
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Neuemissionen von Aktien blieben aus mehreren Gründen selten. Viele Unternehmen waren aufgrund der hervorragenden Selbstfinanzierungsmöglichkeiten nicht auf zusätzliches Aktienkapital zur Finanzierung ihrer Investitionen angewiesen. Im Bereich Kohle, Stahl und Eisen schloss die Ungewissheit über anstehende Kontroll- und Entflechtungsmaßnahmen die Ausgabe von langfristigen Wertpapieren weitgehend aus. Zudem fielen die Aktienkurse nach einer kurzen Erholungsphase wieder unter pari, so dass aus rechtlichen Gründen keine Emissionen möglich waren.128 Zwar hätten viele Unternehmen ihre Emissionsfähigkeit durch eine stärkere Zusammenlegung ihres Aktienkapitals in der DM-Eröffnungsbilanz schneller erreichen können. Doch entschieden sie sich im Regelfall für eine großzügige Bewertung ihrer Aktiva, um die oben beschriebenen Steuervorteile der Abschreibungen umfassend in Anspruch nehmen zu können.129 Ein noch größeres Hemmnis für Aktienemissionen stellte die sehr geringe Aktienrendite dar, da der hohe Körperschaftsteuersatz, die Doppelbesteuerung sowie die weiterhin geltende Dividendenabgabenverordnung die Spielräume für Ausschüttungen stark begrenzten. Die Rendite war noch geringer als bei den festverzinslichen Wertpapieren. Da kaum Aktien abgesetzt bzw. gehandelt wurden, standen die Aktiengesellschaften nicht unter dem Druck, die Aktionäre durch hohe Ausschüttungen zufrieden stellen zu müssen. Sie konnten es sich leisten, im Durchschnitt weniger als zehn Prozent der ausgewiesenen Bruttoerträge auszuschütten, während in der Zwischenkriegszeit noch Ausschüttungsquoten von 40 bis 45 Prozent die Regel gewesen waren.130 Da sich die Altaktien weitgehend in fester Hand befanden und Neuemissionen ebenfalls nahezu ausschließlich an Investoren mit strategischem Interesse gingen, war das für den Handel zur Verfügung stehende Material weiter rückläufig. Die Konzentration des Aktienbesitzes schritt weiter voran.131 IV. 3. DIE „FUNKTIONSUNFÄHIGKEIT“ DES WERTPAPIERMARKTES Zusammengefasst zeigen die vorangegangenen Ausführungen eine langfristig abnehmende Bedeutung des Wertpapierabsatzes im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Kapitalbildung seit dem Ersten Weltkrieg. Sie drückte sich vor allem in einer sinkenden Wertpapiernachfrage der privaten Haushalte aus, die nicht durch entsprechend vermehrte Wertpapierkäufe institutioneller Anleger ausgeglichen wurde. Der abnehmenden Kapitalkraft des Wertpapiermarktes stand dabei eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Investitionsquoten gegenüber, die 128 Das Aktiengesetz verbot die Ausgabe von Neuaktien zu Kursen unter pari. Vgl. Bornemeyer, Finanzierung, S. 71 f. 129 Harder, Funktionswandel, S. 102 f.; Röhl, Entwicklung, S. 59 f.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 31. 130 Strathus, Kapitalmarkt, S. 15 f.; Bornemeyer, Finanzierung, S. 68. 131 Strathus, Kapitalmarkt, S. 13 f.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 84 f.
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in erster Linie auf den technischen Fortschritt zurückzuführen war.132 Bereits die Zeitgenossen identifizierten ein ganzes Bündel von strukturellen Ursachen für die rückläufige Entwicklung am Wertpapiermarkt, die nicht nur Deutschland, sondern im Grunde alle Industrieländer betraf:133 a) die steigende Bedeutung der öffentlichen Hand in der langfristigen Finanzierung (Wohnungsbau, Versorgungswirtschaft etc.); b) die Ausweitung der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen; c) die Einkommensnivellierung durch die progressive Einkommensteuer, verbunden mit einem steigenden Anteil der Arbeitseinkommen und einem Rückgang der Selbstständigenquote; d) der Strukturwandel des privaten Sparens weg vom Vorsorge- hin zum Zwecksparen aufgrund des Ausbaus des staatlichen und institutionellen Vorsorgesystems durch Sozialversicherungen und Pensionsfonds; e) die Verlagerung des privaten Sparens auf Kapitalsammelstellen (Sparkassen, Lebensversicherungen, Bausparkassen etc.); f) das Aufkommen von „Wertpapiersurrogaten“ etwa in Form von Schuldscheindarlehen bei gleichzeitig abnehmendem Interesse der Kapitalsammelstellen an der Fungibilität, einem der wichtigsten Vorteile der Wertpapiere. Für Westdeutschland sahen die Zeitgenossen noch weitere, spezielle Gründe für die Verschiebung der Kapitalbildung zuungunsten des Wertpapiermarktes. Zu diesen Sonderfaktoren zählten a) die abschreckende Wirkung des niedrigen Umstellungsverhältnisses der festverzinslichen Wertpapiere im Rahmen der Währungsreform auf die Sparwilligkeit der Bevölkerung, b) die massiven Inflationsschübe in den Jahren 1948 und 1950, die das Vertrauen in die langfristige Stabilität der jungen Währung untergruben, sowie c) die Furcht vor Kursstürzen am Wertpapiermarkt aufgrund der zu erwartenden hohen Steuerbelastungen und der Ungewissheit über die Zinsentwicklung bzw. die DM-Eröffnungsbilanzen der Unternehmen.134 Während in Politik und Wirtschaft weitgehend Konsens darüber herrschte, dass dem international zu beobachtenden strukturellen Wandel der Kapitalbildung wirtschaftspolitisch kaum zu begegnen war, wurde über die speziell den westdeutschen Wertpapiermarkt belastenden Faktoren heftig gestritten. Dabei konzentrierte sich die politische Diskussion zunächst auf die Zinsfrage am Rentenmarkt. Später rückte die Wirkung der gesamtwirtschaftlichen Steuerbelastung auf den Absatz von Festverzinslichen stärker in den Fokus der wirtschaftspolitischen Debatte. Der Aktienmarkt blieb in den Diskussionen zunächst außen vor, da man hier keinen dringenden Handlungsbedarf sah. Denn es zeichnete sich ab, dass die Belastung der Unternehmen durch Steuern und Lastenausgleich moderat bleiben würde, der Substanzwert der ausgegebenen Aktien also kaum in Mitleidenschaft gezogen würde und die Aktionäre – im Gegensatz zu den Besitzern von Renten132 Dannemann, Struktur, S. 67; Roskamp, Capital formation, S. 95. 133 Dannemann, Struktur, S. 68 f.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 71 ff.; Roskamp, Capital formation, S. 90 f. 134 Auch die komplizierte Abwicklung der Wertpapierbereinigung wirkte lähmend auf den Wertpapiermarkt. Vgl. Strathus, Kapitalmarkt, S. 41-51; Harder, Funktionswandel, S. 100; Röhl, Entwicklung, S. 82 ff.; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 32 f.; Roskamp, Capital formation, S. 90 f.
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werten – durch die Währungsreform kaum Wertverluste erleiden würden. Folglich war der Aktienmarkt bei seinem „Neubeginn“ nicht so stark belastet wie der Rentenmarkt. IV. 3. 1. Die Etablierung eines niedrigen Zinsniveaus Sowohl die neoklassische als auch die keynesianische Wirtschaftstheorie gehen davon aus, dass sich Investitionen konträr zum Zinssatz entwickeln, dass also bei steigendem (Real-)Zins die Investitionen zurückgehen und vice versa. Während die Auswirkungen von Zinsänderungen auf die Investitionen kaum umstritten waren, sorgte die Frage, wie sehr sich das künftige Zinsniveau auf die private Kapitalbildung auswirken würde, wie sehr also höhere Zinssätze zu einer zusätzlichen Kapitalaufbringung führen würden, für hitzige wissenschaftliche und wirtschaftspolitische Auseinandersetzungen. Gerade die zinssensiblen, mit langen Investitionsfristen operierenden Wirtschaftsbereiche wie die Versorgungswirtschaft, der Wohnungsbau und die Landwirtschaft bedurften umfangreicher Investitionen und waren angesichts der Kriegszerstörungen und der riesigen Flüchtlings- und Vertriebenenströme sozialpolitisch von höchster Bedeutung.135 Empirisch war davon auszugehen, dass die langfristigen Investitionen dieser Branchen mit vergleichsweise geringem Risiko und entsprechend knapp über dem Marktzins liegendem Kalkulationszinsfuß zinsabhängiger waren als kurz- und mittelfristig wirkende Investitionen, die mit einem höheren Risiko und entsprechend hohem Kalkulationszinsfuß geplant wurden. Deutlich verschärft wurde das Finanzierungsproblem dadurch, dass der Gesetzgeber die Preise dieser Wirtschaftsbranchen im „Leitsätzegesetz“ vom Juni 1948 nicht freigegeben, sondern weiterhin auf einem staatlich vorgegebenen, niedrigen Niveau gebunden hatte, um die Kosten für die von ihnen angebotenen Güter und Dienstleistungen aus sozialpolitischen Gründen gering zu halten. In ähnlicher Weise wie Versorgungsunternehmen, Landwirtschaft und Wohnungsbau waren die Kohleförderung sowie die Eisen- und Stahlproduktion von langen Investitionszeiträumen und staatlichen Preisbindungen betroffen: Kohle, Eisen und Stahl sollten der westdeutschen verarbeitenden Industrie billig zur Verfügung gestellt werden, um deren internationale Konkurrenzfähigkeit sicherzustellen.136 Die Gewinnmöglichkeiten der preisgebundenen Branchen waren im Vergleich zu den konsumnahen Wirtschaftsbereichen stark eingeschränkt. Damit war ihnen eine Investitionsfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen weitgehend verwehrt, so dass sie auch von den Steuererleichterungen für die Selbstfinanzierung kaum profitieren konnten. Zudem konnten sie aus dem gleichen Grund auf dem freien Kapitalmarkt nicht so hohe Preise für Kapital (sprich: Zinsen) zahlen wie die rentableren, konsumnahen Wirtschaftsbereiche. Die Wirtschaftspolitiker sahen sich also vor die Aufgabe gestellt, die preisgebundenen Wirtschaftsbereiche trotz 135 Röhl, Entwicklung, S. 21 ff. 136 Ebd., S. 21.
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der dreifachen Benachteiligung (hohe Zinsempfindlichkeit, mangelnde Gewinnmöglichkeiten, dadurch beschränkte Inanspruchnahme der steuerlichen Begünstigung der Selbstfinanzierung) dennoch mit Kapital zu versorgen. Eine Teillösung stellte die bevorzugte Zuteilung von ERP-Gegenwertmitteln und von direkten öffentlichen Subventionen dar.137 Da jedoch das Ausmaß der staatlichen Zuwendungen aus ordnungs- und haushaltspolitischen Gründen begrenzt war, musste zumindest einigen preisgebundenen Wirtschaftsbereichen der Zugang zum freien Kapitalmarkt eröffnet werden – und zwar zu Bedingungen, die der relativ geringen Rentabilität der Investitionen entsprachen. Der organisatorisch einfachste Weg, der sich dem Gesetzgeber bot, war die Senkung der Kapitalkosten durch die Etablierung eines niedrigen Zinsniveaus. IV. 3. 1. 1. Die Einführung des 5-prozentigen Zinsfußes vor Inkrafttreten des KVG In den Monaten zwischen der Währungsreform und dem Inkrafttreten des Kapitalverkehrsgesetzes (Juni 1948 bis September 1949) lag die rechtliche Zuständigkeit für die staatliche Genehmigung von Wertpapieremissionen bei den Ländern. Wie bereits dargelegt, forderte die BdL die Länder während dieser Phase auf, sich bei Emissionsentscheidungen mit ihr ins Einvernehmen zu setzen. Denn sie sah sich als einzige Instanz, die auf zentraler Ebene ordnenden Einfluss auf die Ausstattung von Neuemissionen nehmen konnte. Der ZBR und das Direktorium der BdL zeigten in der Praxis jedoch erhebliche Unsicherheit in der Frage der Emissionsbedingungen, da ihre „behördliche“ Festlegung äußerst riskant war. Insbesondere bei den Rentenwerten drohte ein falsche Zinsempfehlung weitgehende Probleme nach sich zu ziehen: Die Wahl eines zu niedrigen Nominalzinssatzes für Neuemissionen würde kaum Kapital an den Wertpapiermarkt locken, da die Rendite für die Anleger zu gering sein würde, und darüber hinaus zu massiven Fehlallokationen führen, da die Selektionsfunktion des Zinses außer Kraft gesetzt würde. Zudem würden die Käufer der niedrig verzinsten Wertpapiere unweigerlich herbe Kursverluste erleiden, wenn im weiteren Verlauf Neuemissionen mit höheren Nominalzinsen ausgestattet werden müssten. Dagegen würde die Wahl eines zu hohen Zinssatzes zu einer überhöhten Zinsbelastung der Kapitalschuldner führen; zudem würden ganze Wirtschaftsbereiche vom Wertpapiermarkt ausgeschlossen werden, die einen solch hohen Zins nicht tragen konnten. Falls im Nachhinein eine Herabkonvertierung auf breiter Basis notwendig würde, wäre damit ein erheblicher Aufwand und ein weitgehender Vertrauensverlust bei den Altanlegern verbunden. Angesichts der kaum abzusehenden Wirtschaftsentwicklung verhielt sich die BdL nach der Währungsreform zunächst abwartend und vermied es, mit der 137 Für die westdeutsche Kohle-, Stahl- und Eisenproduktion, die unmittelbar dem industriellen Wiederaufbau Westeuropas diente, stellten die ERP-Gegenwertmittel ein lebenswichtiges Finanzierungsinstrument dar. 1948/49 war jedoch noch offen, ob die Montanunternehmen zu Refinanzierungszwecken zusätzlich auch auf den Wertpapiermarkt zurückgreifen mussten.
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Einführung neuer Wertpapiertypen Unruhe in den Markt zu tragen. Als einziger Wertpapiertyp existierte der Pfandbrief mit einem Nominalzins von fünf Prozent und einem Ausgabekurs von 98 Prozent, den die Realkreditinstitute im September/ Oktober 1948 angesichts eines nichtexistenten Primärmarktes in einem „Vorstoß ins Dunkle“ gewählt hatten138 – und der von den Landeszentralbanken und den Landesaufsichtsbehörden akzeptiert worden war. Die BdL wollte erst dann weitere Zinsempfehlungen geben, wenn die Konditionen bekannt waren, mit denen die neu geschaffene KfW die für Investitionszwecke im Rahmen des ERP vorgesehenen Kredite vergab.139 Da sich die ersten ERP-Kredite jedoch bis Anfang 1949 verzögerten, fällte der ZBR am 16. November 1948 einen ersten Entschluss, der den Emittenten weitgehende Freiheit bei der Zinsgestaltung zubilligte: Der ZBR wollte beim Nominalzins lediglich eine Untergrenze von fünf Prozent für festverzinsliche Wertpapiere gewahrt wissen, da unter diesem Niveau voraussichtlich keine Wertpapiere dauerhaft abzusetzen waren. Gegen eine höhere Verzinsung wollte der ZBR keine Einwände erheben, auch einen Höchstzins legte er nicht fest.140 Der Präsident des BdL-Direktoriums, Wilhelm Vocke, sprach sich sogar dafür aus, dass die Emittenten beim Nominalzins nicht unter sechs Prozent gehen sollten. Er erwartete einen steigenden Zins und wollte künftigen Kursverwerfungen bei zu niedrig verzinsten Papieren vorbeugen. Ausdrücklich meinte er damals zu den Beratungen zum KVG: „Wenn die Dinge aber dahin gehen, dass die Kommission [der Kapitalverkehrsausschuss; d. Vf.] den Zweck haben soll, den Zins unbedingt auf fünf Prozent festzuhalten, so muss ich sagen, dass ich nicht bereit wäre, an einer solchen Sache mitzuarbeiten, weil ich dies für vollkommen verfehlt halte. […] Es geht nicht an, dass man sagt: Wir verschwören uns auf eine Politik des billigen Geldes.“141
Der ZBR bestätigte Anfang Februar 1949 noch einmal die Untergrenze von fünf Prozent mit der Begründung, dass Investitionen ohne Schädigung der Allgemeinheit nur dann finanziert werden könnten, wenn Mittel durch einen Konsumverzicht aufgebracht worden seien. Daher sprach er sich dafür aus, alle Bemühungen auf die Bildung von Kapital zu konzentrieren, womit eine Politik künstlich 138 Die Realkreditinstitute rechneten damit, dass nach der Währungsreform in der Bevölkerung so gut wie keine Bereitschaft bestand, festverzinsliche Wertpapiere zu kaufen. Daher gingen sie davon aus, dass selbst ein Nominalzins von sechs oder sieben Prozent keinen besseren Absatz bewirkt hätte. Die Institute hatten große Furcht davor, ein zu hohes Zinsniveau zu wählen, das nur sehr schwer wieder gesenkt werden konnte und die Kreditnehmer zu stark belastet hätte. Hier wirkten die Erfahrungen der Zinskonversionen seit den späten Zwanzigerjahren nach. Vgl. Redebeitrag Biber in: Zins- und Mietpreisbildung, S. 19 ff. 139 Vgl. Pohl, M., Wiederaufbau, S. 54. 140 Die BdL wollte auch 6-prozentigen Emissionen zustimmen. Stenograph. Bericht über die 22. ZBR-Sitzung vom 16.11.1948, S. 25 – BBk HA, B 330/7. 141 Stenograph. Bericht über die 28. ZBR-Sitzung vom 8.2.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2. Diese Meinung äußerte Vocke im Frühjahr 1949 auch gegenüber Erhard, als er betonte, dass auf längere Sicht das Festhalten an dem 5-prozentigen Typ „nicht das Richtige“ sei, da man die Kapitalbildung beschränke und „einer Illusion“ nachlaufe. Stenogramm über die Aussprache zwischen dem ZBR und dem Direktor der VfW, Erhard, am 22.2.1949, S. 21 f. – HA BBk, B 330/11.
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niedrig gehaltener Zinsen nicht vereinbar sei. Die BdL ging davon aus, dass weder private noch institutionelle Anleger bei einem Zins von weniger als fünf Prozent bereit sein würden, Kursrisiken einzugehen bzw. auf Konsum zu verzichten. Bei der Wohnungsbaufinanzierung müsse der Staat gegebenenfalls Subventionen leisten.142 Noch im Laufe des Februar änderte die Mehrheit der ZBR-Mitglieder jedoch ihre Haltung: Der ZBR rückte von seiner liberalen Haltung in der Zinsfrage ab und befürwortete ausdrücklich einen einheitlichen Nominalzinssatz für Pfandbriefe und Kommunalobligationen von fünf Prozent. Dieser Sinneswandel war weder das Ergebnis einer eingehenden Prüfung der Verhältnisse am Wertpapiermarkt noch war er ordnungspolitisch motiviert; er war lediglich eine Reaktion auf besondere Umstände bei der wichtigsten Emittentengruppe: Die Realkreditinstitute kämpften – mit den bayerischen Instituten an der Spitze – „geradezu leidenschaftlich“ um die Beibehaltung des 5-prozentigen Pfandbrieftyps, der ihrer Ansicht nach durchaus befriedigenden Absatz fand und den Renditeerwartungen auf Käufer- und Verkäuferseite entsprach. Das Hauptmotiv der Realkreditinstitute war aber rein formaler Natur und betraf die Verbindung von Pfandbriefzins und Hypothekenzins: Die Anhebung des Nominalzinssatzes für Pfandbriefe auf über fünf Prozent hätte umgehend zu einer Anhebung des Zinses für Hypothekendarlehen auf mehr als sechs Prozent p.a. geführt. Dies wiederum hätte gemäß § 247 BGB143 zur Folge gehabt, dass die Schuldner ihre Hypotheken mit einer sechsmonatigen Frist hätten kündigen können, ohne dass dieses Kündigungsrecht durch Vertragsklauseln ausgeschlossen werden konnte. Dadurch wäre die gesamte Finanzplanung der ohnehin stark geschwächten Realkreditinstitute erheblich erschwert worden.144 Die ZBR-Mitglieder beschlossen deshalb am 22. Februar 1949 mehrheitlich, dass die BdL nur noch Emissionen von Pfandbriefen und Kommunalobligationen zustimmen werde, deren Nominalzins fünf Prozent nicht überstieg.145 Die Alliierte Bankenkommission wies den ZBR daraufhin an, seinen Beschluss umgehend wieder aufzuheben. Die Begründung lautete kurz und bündig, dass die Bankenkommission gegen die Festsetzung eines Zinsniveaus „in dieser Form“ große Bedenken trage, da der 5-prozentige Zinssatz nicht im Einklang mit den Marktverhältnissen stehe, also zu niedrig sei. Daraufhin hob der ZBR seinen Beschluss wieder auf und kehrte offiziell zu der Regelung vom 16. November 1948 zurück. Er gab den Ländern aber bewusst keine Empfehlung, ihre Emissionsgenehmigungen von einer höheren Nominalverzinsung als fünf Prozent 142 Niederschrift über die 28. ZBR-Sitzung vom 8.2.1949, TOP 2 und 3 – BA Ko, B 169/2. 143 § 247 BGB regelte ein unabdingbares Kündigungsrecht bei einem „hohen“ Zinssatz: „Ist ein höherer Zinssatz als sechs vom Hundert für das Jahr vereinbart, so kann der Schuldner nach dem Ablauf von sechs Monaten das Kapital unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten kündigen.“ Die Regelung wurde erst zum 1. Januar 1987 außer Kraft gesetzt. 144 Schreiben Ministerialrat v. Spindler (BMF) an Johannes Zahn, Bankhaus C.G. Trinkaus, 11.2.1950 – BA Ko, B 126/12080; Niederschrift über die 31. ZBR-Sitzung vom 22.3.1949, TOP 4 – BA Ko, B 169/2. 145 Niederschrift über die 29. ZBR-Sitzung vom 22.2.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2.
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abhängig zu machen, da dies aus Sicht des ZBR aufgrund der besonderen Situation der Realkreditinstitute keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.146 Als richtungweisend für das Zinsgefüge am Kapitalmarkt und als Stütze des 5-prozentigen Pfandbrieftyps erwiesen sich die Zinssätze, zu denen die KfW seit Anfang 1949 ihre Unternehmenskredite auf Basis der ERP-Gegenwertmittel begab.147 Als die deutschen Behörden die Verwaltung der ERP-Gegenwertmittel übernahmen, verknüpfte die ECA die Vergabe der Mittel an die Bedingung, dass die Kreditzinsen an der unteren Grenze des „marktgerechten“ Zinssatzes liegen sollten.148 Bei der Vergabe von Wohnungsbaudarlehen, die über Realkreditinstitute an die Wohnungsbaugesellschaften vergeben wurden und ausschließlich als erste Hypotheken für den sozialen Wohnungsbau Verwendung finden sollten, operierte die KfW mit folgenden Sätzen:149 Einstandszinssatz Marge für die KfW Marge für Realkreditinstitute Letzter Zinssatz (Kreditnehmer)
1949 5,00 % 0,25 % 0,75 % 6,00 %
1950 4,125 % 0,250 % 0,625 % 5,00 %
Die Zinssätze der KfW für die Verleihung von ERP-Geldern an die gewerbliche Wirtschaft und Landwirtschaft lauteten folgendermaßen:150 Wirtschaftsbereich Energiewirtschaft, Versorgungs-, Verkehrsbetriebe Kohlenbergbau Sonstige Industrie Handel Landwirtschaft Ernährungsindustrie Siedlungskredite für Vertriebene Seeschifffahrt
Einstandszinssatz der KfW 5,5
Höchstzinssatz für den letzten Kreditnehmer 6,5-7,5
5,5 5,5 5,5 3,0 5,5 1,25
7,0 7,5 7,5 4,0 7,5 2,5
2,25
3,25
146 Niederschrift über die 31. ZBR-Sitzung vom 22.3.1949, TOP 4 – BA Ko, B 169/2. 147 Pohl, M., Wiederaufbau, S. 36 ff., 53 f. 148 Ganz entsprechend verabschiedeten die Bundestagsausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Geld und Kredit im März 1950 eine Resolution, in der die Bundesregierung ersucht wurde, geeignete, „nicht zwangswirtschaftliche“ Maßnahmen einzuleiten, die die Gewinnung von ersten Hypotheken für den Wohnungsbau zu einem billigen, dem Vorkriegsstand entsprechenden Zinsfuß herbeiführen konnten. Kurzprotokoll einer Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 24.2.1950; Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.5.1950 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 149 Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.5.1950 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 150 Ebd.
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Um die von der KfW vergebenen ERP-Mittel durch Mittel des inländischen Kapitalmarkts zu ergänzen, wurden einige Energieunternehmen veranlasst, über Bankkonsortien eigene 6,5-prozentige Industrieobligationen auszugeben. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass der weitaus größte Teil dieser „Energieanleihen“ nicht am Rentenmarkt unterzubringen war, so dass die KfW die Obligationen bis zu einer späteren Platzierung in ihr Portefeuille nehmen musste.151 Trotz des Misserfolgs der „Energieanleihen“ wurde der 6,5-prozentige Nominalzinssatz für alle Industrieobligationen in den folgenden Jahren zum Richtwert. Er bewegte sich innerhalb des traditionell üblichen Zinsabstands zu den 5-prozentigen Pfandbriefen, so dass das Zinsgefüge nicht in außergewöhnlichem Maße gespreizt war.152 Der Kapitalverkehrsausschuss erwog zwischenzeitlich sogar, den Nominalzinssatz von Industrieobligationen auf sechs Prozent zu senken. Aber die Bankkonsortien waren in aller Regel nicht bereit, beim Zins unter 6,5 Prozent zu gehen.153 Insgesamt hatten die Einwände der Alliierten Bankenkommission gegen die Etablierung „zu niedriger“ Zinssätze auf dem Wertpapiermarkt keine praktischen Auswirkungen auf die Emissionsgenehmigungen der Länder. Der Fünf-Prozent-Typ setzte sich auf Betreiben der Realkreditinstitute bei den Pfandbriefen und Kommunalobligationen durch, der Zinssatz von 6,5 Prozent etablierte sich bei den Industrieobligationen nach dem Vorbild der unter dem Schutz der KfW emittierten „Energieanleihen“. Die von Vocke befürchtete „Politik des billigen Geldes“ war Wirklichkeit geworden. Die BdL besaß zwar die Möglichkeit, ihr geldpolitisches Instrumentarium bewusst in den Dienst des Kapitalmarktes zu stellen, indem sie versuchte, durch eine Senkung der Leitzinsen die Zinsspanne zwischen Geld- und Kapitalmarkt zu erhöhen (und so die Attraktivität der langfristigen Wertpapiere zu erhöhen). De facto war dies aufgrund der währungspolitischen Herausforderungen der Jahre 1948/49 jedoch nur selten möglich. Im Juli 1949 senkte der ZBR kurz vor der Verabschiedung des KVG den Diskontsatz von 4,5 auf vier Prozent mit der ausdrücklichen Begründung, dass durch die Spreizung des Zinsniveaus die Attraktivität der Anleihezinsen erhöht und „eine günstige, überwiegend psychologische Auswirkung auf den Kapitalmarkt“ erzielt werden sollte.154
151 Die Industrieobligationen stießen nur auf geringe Nachfrage; so waren etwa im April 1950 von den insgesamt aufgelegten „Energieanleihen“ in Höhe von 242 Mio. DM nur 42 Mio. DM untergebracht. Die KfW nahm die Anleihen in ihr Portefeuille auf, wo sie zur Absicherung von Buchkrediten hinterlegt wurden, die die KfW den betroffenen Unternehmen mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren ebenfalls mit einem Zinssatz von 6,5 Prozent gewährte. Da die Industrieobligationen von der KfW dosiert und nur bei entsprechender Nachfrage auf den Markt gebracht wurden, waren ihre Kurse relativ fest. Niederschrift über die 4. Sitzung des KVA vom 17.4.1950 – BA Ko, B 126/12080; vgl. Pohl, M., Wiederaufbau, S. 49, 54. 152 In der ersten Jahrhunderthälfte hatte sich ein Zinsgefälle zwischen Industrieobligationen und Pfandbriefen von einem Prozent etabliert. Stenograph. Bericht über die 31. ZBR-Sitzung vom 22.3.1949 – BA Ko, B 169/2. 153 Niederschrift über die 7. Sitzung des KVA vom 5.6.1950 – BA Ko, B 126/12080. 154 Protokoll der 39. ZBR-Sitzung vom 12.7.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2.
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Solange die Zinssätze auf dem Kapitalmarkt behördlich festgelegt waren, gab es keinen Zinszusammenhang zwischen Geldmarkt und Kapitalmarkt, so dass jede Leitzinsänderung der BdL unmittelbare Auswirkungen auf die Unterbringungsmöglichkeiten der langfristigen Rentenwerte haben musste. In den folgenden Monaten und Jahren wirkte sich dies – gerade bei den institutionellen Anlegern – negativ auf die Haltefristen aus. Denn das Anlageverhalten am Wertpapiermarkt wurde von den kurzfristigen, am Geldmarkt orientierten Renditeüberlegungen abhängig. Umgekehrt wurden Diskussionen über mögliche günstige Wirkungen einer etwaigen Zinserhöhung am Wertpapiermarkt überflüssig, sobald sich die Leitzinsen der BdL in die Nähe der Nominalzinsen am Rentenmarkt bewegten. Denn hohe Geldmarktzinsen machten den Erwerb von langfristigen Wertpapieren mit ähnlicher oder gar niedrigerer Verzinsung – bei begrenztem Marktvolumen und entsprechenden Kursrisiken – vollends unattraktiv.155 Seit seiner Einrichtung Mitte 1948 setzte sich auch der Wissenschaftliche Beirat bei der VfW bzw. beim Bundesministerium für Wirtschaft regelmäßig mit dem Thema Investitionsfinanzierung und Kapitalbildung auseinander. Seine Empfehlungen an die Wirtschaftspolitik wurden in knappen Gutachten veröffentlicht, die zum Thema Kapitalmarktzins die allgemeine Unsicherheit teilten, sehr allgemein ausfielen und daher für eine unmittelbare Umsetzung kaum geeignet waren. Kurz vor der Währungsreform sprach sich der Beirat beispielsweise angesichts der Diskrepanz zwischen Kapitalangebot und Kapitalnachfrage für eine „zielbewusste Investitionspolitik“ aus.156 Mit einer ausreichenden Kapitalbildung bei den privaten Haushalten sei zunächst kaum zu rechnen und das Problem der Deckung des Anlagebedarfs ohne Auslandshilfe nicht lösbar. Der Höhe des Kapitalmarktzinses maß der Beirat eine wesentliche Bedeutung zu: Während das Kapitalangebot von der Höhe des Zinssatzes weitgehend unabhängig sei, werde sie für die Auslese der Investitionsvorhaben eine entscheidende Rolle spielen. Es seien daher Zinssätze anzustreben, „die ein bei der volkswirtschaftlichen Lage notwendiges und tragbares Investitionsvolumen ermöglichen.“ Für bestimmte Wirtschaftsbereiche wie Wohnungsbau, Landwirtschaft und Verkehrswesen sei die Reservierung von Kreditkontingenten bei zentralen Investitionsbanken denkbar. Unmittelbar nach der Währungsreform betonte der Beirat, dass angesichts der notwendigen hohen Geldzinsen eine Pflege des Kapitalmarktes „mit dem Ziele einer Anpassung der Zinskosten für Investitionen an die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals erforderlich“ sei. Um Geldströme von der Konsum- in die Produktionssphäre umzuleiten, sprach sich der Beirat für eine Erhöhung der Habenzinsen aus.157 Nach Ende der Preishausse stellte der Beirat im Februar 1949 – ganz wie die politischen Entscheidungsträger auf alliierter und deutscher Seite – die Förderung der Kapitalbildung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. In Bezug auf den Zinssatz äußerte er zwar die Ansicht, dass der Kapitalmarktzins nicht sich 155 Niederschrift über die 14. Sitzung des KVA vom 27.10.1950 – BA Ko, B 126/12080. 156 BMWi, Wissenschaftlicher Beirat I, Gutachten vom 12.6.1948, S. 32 f. 157 BMWi, Wissenschaftlicher Beirat I, Gutachten vom 11.7.1948, S. 37.
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selbst überlassen bleiben dürfe, wenn extreme Ausschläge bei der Zinsbildung vermieden werden sollten. Der Beirat wollte den Zinssatz aber keinesfalls willkürlich auf niedrigem Niveau festgelegt wissen: „Vielmehr sollte bei der Bemessung der Zinssätze für langfristige Anlagen schon jetzt angestrebt werden, die Knappheit der zur Investition verfügbaren Mittel widerspiegeln zu lassen.“ Zugleich sollten nach Meinung des Beirats die noch gebundenen Preise schrittweise an die Marktbedingungen angepasst werden, so dass die davon betroffenen Wirtschaftsbranchen ihr Kapital zu Marktbedingungen aufnehmen konnten.158 Seit diesem Gutachten befürwortete der Beirat in der Kapitalmarktpolitik im Allgemeinen und in der Frage des Kapitalmarktzinses im Besonderen dezidiert marktnahe Lösungen, d.h. vor allem die Freigabe der Zinsen. IV. 3. 1. 2. Die Diskussion um den „angemessenen“ Zins im Jahr 1950 Mit Inkrafttreten des KVG ging die Befugnis von den zuständigen Länderministerien auf den Kapitalverkehrsausschuss über, Emissionsbedingungen und genehmigungen zu bestimmen. Es bestand für die Ausschussmitglieder (Vertreter der BdL, des Bundesfinanzministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums, der KfW, der Bundesländer) zu Beginn ihrer Tätigkeit allerdings kein Anlass, in hektische Betriebsamkeit zu verfallen, da zunächst keine Emissionsanträge in nennenswertem Umfang eingingen. Nach einer Erhebung des Bundesfinanzministeriums waren in den Ländern der Bizone zwischen der Währungsreform im Juni 1948 und dem Inkrafttreten des KVG im September 1949 Emissionen in einem Gesamtvolumen von 750 Mio. DM genehmigt worden, von denen im Herbst 1949 ca. 577 Mio. DM noch nicht untergebracht waren.159 D.h. die Emittenten hatten sich vor Inkrafttreten des KVG Emissionen „auf Vorrat“ genehmigen lassen, um so etwaige strengere Vorschriften des neuen Gesetzes umgehen zu können.160 Während der Beratungen zum KVG im Wirtschaftsrat und Länderrat hatte die Frage, ob und auf welchem Niveau der Kapitalmarktzins festgesetzt werden sollte, keine Rolle gespielt. Wie zuvor die BdL war auch der Kapitalverkehrsausschuss von Beginn an mit der Frage konfrontiert, ob die Höhe des Nominalzinses für Erstemissionen administrativ festgelegt werden sollte oder ob sich ein von staat158 Es ist bezeichnend, dass es gerade in der Zinsfrage zu einem der wenigen Minderheitsvoten kam, das zwei Beiratsmitglieder in das Gutachten aufnehmen ließen. Beide Wissenschaftler sprachen sich explizit gegen eine Erhöhung des Zinses aus, da ihm unter den gegebenen Umständen keine Steuerungs- und Selektionsfunktion zufalle. Denn der größte Teil der Investitionsfinanzierung spiele sich außerhalb des Wertpapiermarktes ab und die volkswirtschaftlich wünschenswerten Investitionen seien keineswegs immer die rentabelsten. BMWi, Wissenschaftlicher Beirat I, Gutachten vom 27.2.1949, S. 51 ff., 55 f. 159 Die Statistik der Bundesbank weist zwischen Juli 1948 und September 1949 eine Auflage von Wertpapieren in Höhe von 773,7 Mio. DM auf (ohne Anleihen von Spezialkreditinstituten und der öffentlichen Hand). Statistisches Handbuch der BdL 1948-1954, S. 232. 160 Vermerk (v. Spindler) vom 12.11.1949 – BA Ko, B 126/12080.
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lichen Maßnahmen weitgehend unbeeinflusstes Zinsniveau und damit erst ein „Markt“ für Wertpapiere im eigentlichen Wortsinne etablieren sollte. Die Ausschussmitglieder stimmten darin überein, dass die Einführung von „marktgerechten“ Zinssätzen vorläufig eine „Utopie“ sei, da eine Freigabe der Zinsen die Produktionskosten stark erhöhen und vor allem den zinsempfindlichen Wohnungsbau zum Erliegen bringen würde. Sie waren sich einig, dass eine „Unruhe im Zinsgefüge“ unbedingt vermieden werden müsse, die aufgrund der Marktenge bereits durch einzelne höherverzinsliche Emissionen hervorgerufen werden konnte.161 Der Ausschuss stellte damit von Beginn an die Emissionsbedingungen in den Dienst wirtschafts- und sozialpolitischer Erwägungen, denen Vorrang vor einer freien Preisbildung am Wertpapiermarkt gegeben wurde. Freilich waren die Mitglieder des Kapitalverkehrsausschusses auch der Auffassung, dass man auf Dauer nicht an einem niedrigen Zinssatz festhalten könne, der das Verhältnis von Angebot und Nachfrage weitgehend außer Acht lasse. Man beschloss daher – wie bereits die BdL ein Jahr zuvor –, weiter abzuwarten und erste Erfahrungen zu sammeln, wohlwissend, „dass die Frage des Zinsfußes zu einer ‚Weltanschauungsfrage‘ gemacht werden“ konnte.162 Man einigte sich darauf, vorläufig weiterhin nur 5-prozentige Pfandbriefe und Kommunalobligationen und 6,5-prozentige Industrieobligationen mit einem Auszahlungskurs von jeweils 98 Prozent zu genehmigen.163 Daraufhin trat die Zinsfrage für einige Monate in den Hintergrund des politischen Interesses. Seit Ende 1949 waren die Bundesregierung und die BdL vollauf mit der Debatte um die Ausgestaltung des Arbeitsbeschaffungsprogramms beschäftigt, die zu massiven Auseinandersetzungen mit der Alliierten Hohen Kommission („Memorandenkrieg“) führte.164 Auch bereiteten die „verordneten“ Emissionsbedingungen dem Kapitalverkehrsausschuss keine gravierenden Probleme: Ob die Verzinsung dem Verhältnis von Kapitalangebot und -nachfrage entsprach oder nicht, war kaum festzustellen, da die wenigen genehmigten Neuemissionen zum weitaus überwiegenden Teil nicht gehandelt wurden und daher offiziell auch keine Kursverluste festzustellen waren. Denn die meisten abgesetzten Wertpapiere unterlagen einer Sperrfrist und durften nicht veräußert werden, entweder weil private Anleger für sie Steuervergünstigungen im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen in Anspruch nahmen (dreijährige Sperrfrist) oder weil die Emissionen einer expliziten Zweckbindung der (meist öffentlichen) Kapitalgeber unterlagen und sich in festem Besitz befanden.165 Die Realkredit161 Niederschrift über die 1. Sitzung des Ausschusses für Kapitalverkehr vom 25.11.1949 – BA Ko, B 126/12080. 162 Schreiben Ministerialrat v. Spindler (BMF) an Johannes Zahn, Bankhaus C.G. Trinkaus, 11.2.1950 – BA Ko, B 126/12080. 163 Bei Industrieobligationen, die mit Staatsgarantien versehen waren, sollte der Nominalzinssatz sechs Prozent nicht übersteigen. Niederschrift über die 3. Sitzung des KVA vom 27.2.1950 – BA Ko, B 126/12080. 164 Abelshauser, Ansätze, S. 718 f. 165 Vermerk (Abtl. Volkswirtschaft und Statistik der BdL) über Maßnahmen zur Belebung des Wertpapiermarktes vom 15.1.1952 – BBk HA, B 330/53.
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institute verzeichneten daher so gut wie keine Rückflüsse. Sofern Pfandbriefe und Kommunalobligationen überhaupt an den Börsen gehandelt wurden, waren die Realkreditinstitute in der Lage, sie zum Emissionskurs von 98 Prozent zurückzunehmen.166 Trotzdem standen die neu emittierten Pfandbriefe sehr wohl unter einem gewissen Kursdruck, da sich außerhalb der Börse innerhalb weniger Monate ein „grauer Pfandbriefmarkt“ entwickelte, dessen Kurse in keinerlei Verbindung zum Emissionskurs standen. Der „graue Markt“ war häufig mit so genannten Koppelgeschäften verbunden: Im Privatkundengeschäft wurden häufig Pfandbriefe in Abschnitten von 20.000 bis 30.000,- DM durch Vermittlung eines Kreditinstituts an Interessenten von Wohnungen verkauft. Diese veräußerten die Pfandbriefe an eine Versicherungsgesellschaft mit einem erheblichen Disagio. Die dadurch entstandenen Zusatzkosten konnten sie zahlen, weil sie ihn mit dem staatlichen Baukostenzuschuss aufrechnen konnten. Solche Dreiecksgeschäfte zwischen Versicherungsgesellschaft, Bauherrn und Wohnungssuchenden waren in der Regel vorher abgesprochen.167 Im institutionellen Wohnungsbau spielten sich die Geschäfte auf dem „grauen Markt“ oftmals so ab, dass die Wohnungsbaugesellschaften Geschäftsbanken beauftragten, auf eigene Rechnung von einem Realkreditinstitut Pfandbriefe zu kaufen. Der Gegenwert der Pfandbriefe wurde den Wohnungsbaugesellschaften als Hypothekendarlehen zur Verfügung gestellt. Die Kreditbanken verpflichteten sich, die Pfandbriefe während einer Sperrfrist nicht in den Handel zu bringen, um sie nicht unter Kursdruck zu bringen, der die Realkreditinstitute eventuell zum Rückkauf der Wertpapiere im Rahmen ihrer Kurspflege gezwungen hätte. Nach Ablauf der Frist veräußerten die Kreditbanken die Pfandbriefe an ihre Privatkundschaft, an Versicherungen etc. mit einem erheblichen Disagio, das sie der Wohnungsbaugesellschaft in Rechnung stellten. Auf diese Weise zahlte der Kreditnehmer einen Bonus von zehn bis 15 Prozent, was einem „grauen“ Kurs der Pfandbriefe von 83 bis 88 Prozent entsprach (bzw. einer Rendite von 5,7 bis sechs Prozent gegenüber der offiziellen Rendite von 5,1 Prozent). Die zusätzlichen Ausgaben konnten ebenfalls zu einem Gutteil mit staatlichen Zuschüssen verrechnet werden. Dass es einen „grauen Markt“ gab, war allgemein bekannt. Aber es existierten keine Daten über sein Volumen.168 Erst als die Finanzierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms geklärt war, sah der ZBR den Zeitpunkt gekommen, sich systematisch mit den anzustrebenden Zinsverhältnissen am Kapitalmarkt zu befassen. Unmittelbarer Anlass war eine Diskussion im Finanzausschuss des Bundesrates über eine Erhöhung der Habenzinsen für Bankeinlagen, die sich umgehend auf den Wertpapierabsatz ausgewirkt hätte. Die Diagnose über den Zustand des Wertpapiermarktes war unumstritten: Obschon sich die Kapitalbildung in Westdeutschland insgesamt erfreulich ent166 Redebeitrag Biber in: Zins- und Mietpreisbildung, S. 22. 167 Schreiben Janke (Verband öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten) an Scharnberg vom 17.9.1952 – PA, Ges.dok. I/363 A. 168 Röhl, Entwicklung, S. 44.
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wickelt hatte,169 litt der Markt für festverzinsliche Wertpapiere unter einer geringen Aufnahmebereitschaft und enormen Kursrisiken. Daher waren nach allgemeiner Auffassung Maßnahmen notwendig, um die „Erstarrung“ des Marktes zu beheben. Indes gingen die Auffassungen über die Ursachen dieser Erstarrung und die zu ergreifenden Maßnahmen weit auseinander.170 Mitte April 1950 beauftragte der ZBR das Direktorium der BdL mit einer eingehenden Untersuchung zu den Fragen, welche Bedeutung dem Kapitalmarktzins für die Kapitalbildung und die Investitionsfinanzierung zukomme,171 auf welche Weise Kapitalangebot und Kapitalbedarf am Wertpapiermarkt effizient zusammengeführt werden könnten und welche Rücksichten auf ordnungspolitische Prinzipien zu nehmen seien.172 Die Direktoriumsmitglieder Bernhard Benning und Victor Wrede legten daraufhin zwei Denkschriften vor, die weitgehend gegensätzliche Positionen einnahmen und in Grundzügen die zeitgenössischen Positionen in Wissenschaft und Praxis reflektieren.173 Zeitgleich befassten sich auch der Wissenschaftlichen Beirat des BMWi, mehrere Mitglieder des ZBR sowie zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler und Finanzexperten mit dem umstrittenen Thema, so dass im Juni 1950 eine Reihe von Gutachten und Untersuchungen vorlagen, die ein breites Meinungsspektrum widerspiegelten.174 Die gegensätzlichen Pole der Debatte wurden durch das Vertrauen bzw. Misstrauen bestimmt, das die Protagonisten dem freien Spiel der Marktkräfte entgegenbrachten.175 So unterschiedlich die Meinungen in den sich gegenüberstehenden Lagern war, so eilbedürftig war eine Lösung: Seitdem die Zinsfrage auch in der Wirtschaftspresse massiv diskutiert wurde, hielten sich die Anleger mit einem Engagement auf dem Wertpapiermarkt noch stärker zurück. Schon gingen Gerüchte um, dass aufgrund der Zinsdebatte erste Emissionsgeschäfte geplatzt seien.
169 So stellte Fritz Neumark auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik im Jahr 1952 heraus, dass „die Sparkapitalbildung in Deutschland keineswegs gering [ist], ja, man könnte sie sogar in Ansehung der bitteren Erfahrungen, die Krieg und Inflation den Sparern gebracht haben, als erstaunlich groß bezeichnen.“ Vgl. Neumark, Möglichkeiten, S. 75. 170 Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3. 171 Protokoll der 59. ZBR-Sitzung vom 19./20.4.1950, TOP 8 – BA Ko, B 169/3. 172 Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3. 173 Nur eines der Gutachten, nämlich dasjenige, das eine Erhöhung der Zinssätze am Wertpapiermarkt befürwortete, wurde dem ZBR offiziell vorgelegt. Wohl nicht zufällig spiegelte dieses Gutachten aus der Feder Bennings auch die Meinung von Direktoriumspräsident Vocke wider. Die folgende Darstellung stützt sich schwerpunktmäßig auf beide Denkschriften. Protokoll der 72. Kabinettssitzung vom 9. Juni 1950 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 29.3.2010). 174 Zur zeitgenössischen wissenschaftlichen Debatte über die Zinsfrage vgl. die Beiträge in: Zins- und Mietpreisbindung; Kraus, Kapitalzins; Hahn, Sanierung. 175 Gerungen wurde nicht um den für Investitionen eigentlich relevanten Realzins, sondern um den Nominalzins – unter der impliziten Annahme einer langfristig geringen Inflation.
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Befürworter einer Zinserhöhung Die Befürworter einer Erhöhung der Kapitalmarktzinsen lehnten eine „Politik des billigen Geldes“ ab und wollten möglichst rasch zu einem marktbestimmten Kapitalzinsfuß gelangen, um ein Gleichgewicht zwischen Kapitalnachfrage und angebot herbeizuführen. Sie argumentierten vorwiegend auf mikroökonomischer Ebene und vertrauten darauf, dass die Rentabilitätserwägungen der Emittenten einer „Übersteigerung“ der Zinssätze entgegenwirken würden. Die Entwicklung auf den Warenmärkten seit Inkrafttreten des Leitsätzegesetzes hatte ihrer Ansicht nach eindeutig gezeigt, „dass überall dort, wo künstliche Lenkung durch freie Marktordnung abgelöst wurde, sich Energien entfaltet haben, die alle Erwartungen übertrafen und zu einem überzeugenden Fortschritt der Produktion und Versorgung geführt haben“.176 Wie die Güterbewirtschaftung vor dem Leitsätzegesetz die Verknappung noch verstärkt habe, so rühre die Funktionsunfähigkeit des Kapitalmarktes daher, dass ihm die freie Marktordnung bislang vorenthalten worden sei.177 Die „Marktbefürworter“ betonten die besondere volkswirtschaftliche Bedeutung des Wertpapiersparens, das allein den Sparer – im Gegensatz zum „Zwecksparen“ mittels Spareinlagen – zu einer wirklich langfristigen Bindung veranlasse.178 Für eine marktwirtschaftlich orientierte Volkswirtschaft sei die Auslesefunktion des Zinses von großer Bedeutung, da sie die bestmögliche Kapitalverteilung auf rentable Investitionsvorhaben ermögliche. Diese Funktion sei mit dem 5-prozentigen Pfandbrieftyp in keiner Weise gegeben, da er keinen „Marktkontakt“ habe, was schon allein an dem niedrigen Finanzierungsanteil des Wertpapiermarktes an den Nettoinvestitionen und an dem äußerst geringen Interesse des privaten Publikums am Wertpapiererwerb erkennbar sei. Ein „künstlich“ niedrig gehaltener Zinssatz musste nach Ansicht der „Marktbefürworter“ sowohl die inländische Kapitalbildung hemmen als auch das Interesse potenzieller ausländischer Investoren von vornherein erlahmen lassen. Als weiteres Zeichen des fehlenden Marktkontaktes sahen sie den „grauen Markt“ an, wo Pfandbriefe zu Kursen von 83 bis 88 gehandelt wurden. Bei Industrieobligationen und den umgestellten 4-prozentigen RM-Papieren sah es
176 Zu Folgendem ausführlich: Dr. Benning, Zur Problematik des Kapitalmarktzinses, 25.5.1950, Anlage 2 zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung – HA BBk, B 330/28. 177 Entwurf einer Eingabe an den Zentralbankrat zur Frage des Kapitalzinses, o.D. – BA Ko, B 126/12080. 178 Benning vertrat hier die Auffassung, dass der Emittent während der gesamten Laufzeit des Wertpapiers über den Emissionsbetrag verfügen konnte, die Mittel also gebunden waren. Wenn ein Anleger sein Wertpapier veräußern wollte, musste er dafür einen anderen Käufer (also „Sparer“) finden. Anders sah es nach dieser Überlegung bei den Spareinlagen aus: Auf Basis der Spareinlagen konnten die Kreditinstitute zwar auch ihr langfristiges Kreditgeschäft aufbauen. Aber sobald die Sparer ihre Einlagen massenhaft wieder zurückforderten, mussten die Kreditinstitute ihr Kreditgeschäft entsprechend zurückfahren. Die Mittel wurden auf diese Weise schnell von der Investitions- in die Konsumsphäre umgeleitet.
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ihrer Ansicht nach nicht viel besser aus.179 Dagegen bewerteten sie die Entwicklung des Spareinlagengeschäfts der Kreditinstitute, die einen Zinssatz von vier Prozent für Spareinlagen mit einjähriger Kündigungsfrist boten, als sehr erfolgreich. Dieser Zins lag nur wenig unter dem Nominalzins der festverzinslichen Wertpapiere und war mit keinem Kursrisiko verbunden. Nach Auffassung der „Marktbefürworter“ würde sich eine Erhöhung des Zinses positiv auf den Wertpapierabsatz auswirken. Denn nicht nur werde der „Sparwillen“ des privaten Sparers durch eine höhere Verzinsung gesteigert. Auch die institutionellen Anleger, von denen der Wertpapierabsatz in erster Linie abhängig sei, wüssten bereits eine geringe Zinserhöhung sehr zu schätzen.180 Als Folge der unzureichenden Verzinsung spielte sich nach Ansicht der „Marktbefürworter“ der Ausgleich von Kapitalangebot und -nachfrage zum größten Teil außerhalb des Wertpapiermarktes ab, z.B. über die direkte Kreditvergabe der Kapitalsammelstellen. Dieser beklagenswerte Zustand würde sich ihrer Meinung nach auch dann nicht nennenswert ändern, wenn sich die BdL dazu entschließen sollte, Offen-Markt-Geschäfte zum Zwecke der Kurspflege zu betreiben. Denn selbst die BdL sei zu schwach, um „künstliche Manipulationen“ zugunsten eines nicht marktgerechten Zinsniveaus durchzuführen, da ihr zu viele Papiere angeboten würden. Im Grunde würden solche Interventionen nicht die Funktionsfähigkeit des Wertpapiermarktes sicherstellen, sondern gegen den Markt gerichtet sein.181 Zusammengefasst entspricht die Analyse der „Marktbefürworter“, die sich auch auf den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium berufen konnten,182 weitgehend der neoklassischen Annahme, dass der Zins zwei Funktionen habe: 1) das knappe Kapitalangebot den Investitionsprojekten mit der höchsten Produktivität zuzuweisen und 2) die privaten Haushalte zum Verzicht auf gegenwärtigen Konsum zu veranlassen, um mit ihrer Ersparnis neues Sach179 Schreiben der Arbeitsgemeinschaft des privaten Hypothekenbankgewerbes betr. Gutachten von Bankdirektor Dr. Christ, Anlage zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3. 180 Dr. Benning, Zur Problematik des Kapitalmarktzinses, 25.5.1950, Anlage 2 zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung – HA BBk, B 330/28. 181 Ebd. 182 Der Wissenschaftliche Beirat sprach sich seit Herbst 1949 für Zinserhöhungen aus. Als beste Lösung für einen vom „Zinsdirigismus“ befreiten Kapitalmarkt sah er die steuerliche Förderung derjenigen Formen der freiwilligen Kapitalbildung an, die zur Kräftigung des Kapitalmarkts beitragen konnten. Bezüglich der Investitionsfähigkeit der Wirtschaft forderte der Beirat die Aufhebung von Preisbindungen in den zinssensiblen Wirtschaftsbereichen und die Reduzierung der steuerlichen Förderung der Selbstfinanzierung. Insbesondere die Wohnungswirtschaft wollte er schrittweise durch die Aufhebung künstlich niedrig gehaltener Mietpreise, die er in Härtefällen durch direkte Mietzuschüsse ersetzen wollte, in die Lage versetzen, auf dem Kapitalmarkt konkurrenzfähig zu werden, sprich: Kapital zu „marktgerechten“ Zinssätzen aufnehmen zu können. Mit diesen Forderungen setzte der Wissenschaftliche Beirat frühzeitig die Themen der Kapitalmarktpolitik der kommenden Jahre. BMWi, Wissenschaftlicher Beirat I, Gutachten vom 18.9.1949, S. 66; Gutachten vom 26.2.1950, S. 85 ff.; Gutachten vom 7.5.1950, S. 89 ff.
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kapital zu schaffen.183 Auf Grundlage dieser Argumentation schlugen sie folgende Maßnahmen vor: Damit der Zins zu einem höheren Kapitalangebot führen und seiner Auslesefunktion gerecht werden könne, sollte er für Neuemissionen erhöht werden. Benning errechnete in seiner Denkschrift aus Kursen des „grauen Pfandbriefmarktes“ und aus den marktüblichen Zinssätzen für Schuldscheindarlehen einen „marktnahen“ Nominalzinssatz für Pfandbriefe von sieben Prozent bei einem Ausgabekurs von 98 Prozent.184 Die seit der Währungsreform bereits abgesetzte Pfandbriefmenge von ca. 300 Mio. DM hielt er für so gering, dass man sie ohne allzu großen Mehraufwand auf sechs Prozent heraufkonvertieren konnte. Da „normale Kapitalmärkte“ von einer großen Anzahl von Wertpapiertypen mit unterschiedlicher Verzinsung geprägt seien, plädierte Benning dafür, dass man die „deutsche Neigung, jeden und alles festzulegen,“ aufgeben und getrost mehrere Wertpapiertypen zulassen solle. Der erhöhte Kapitalmarktzins sollte nach Auffassung der „Marktbefürworter“ nach einer erfolgten Konversion der Altwerte durch Offen-Markt-Geschäfte der BdL gestützt werden, um Kursschwankungen zu vermeiden und so der Präferenz des Privatanlegers für liquide und sichere Anlagen entgegenzukommen. Zudem forderten sie, dass die BdL für eine angemessene Zinsspanne zwischen Geldmarkt und Kapitalmarkt sorgen sollte, etwa durch eine Senkung des Diskontsatzes, wie es schon einmal im Juli 1949 geschehen war. Dagegen sprachen sie sich dezidiert gegen eine Erhöhung der Zinssätze für Spar- und Termineinlagen aus. Denjenigen Wirtschaftsbereichen, die aus sozialen Gründen oder aufgrund von Preisbindungen nicht imstande waren, ein höheres Zinsniveau ohne starken Rückgang der Investitionstätigkeit zu tragen, sollte mit direkten Subventionen unter die Arme gegriffen werden. Subventionen hielten die „Marktbefürworter“ für das kleinere Übel, da sie wenigstens klar aufzeigten, wo die Marktwirtschaft noch nicht funktioniere und welche Kosten damit verbunden seien. Gegner einer Zinserhöhung Anders als die Verfechter einer Zinserhöhung machten die Gegner geltend, dass die Auslesefunktion des Zinses unter den herrschenden Bedingungen „unrealistisch“ sei.185 Nicht nur das: Sie sei sogar störend. Denn ein höherer Zins würde in unerwünschter Weise das Kapital für zinsempfindliche Wirtschaftsbranchen verteuern, die noch Preisbindungen unterworfen waren bzw. im Rahmen des Marshall-Plans nicht unter Rentabilitätsgesichtspunkten operierten, und sie vom Wertpapiermarkt verdrängen. Otto Pfleiderer, Präsident der LZB BadenWürttemberg, drückte es so aus: 183 Filc, Theorie, S. 30 f. 184 Protokoll der 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3. 185 Zu Folgendem: Otto Pfleiderer, Thesen zur Kapitalzinspolitik, Anlage 1 zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung; Dr. Victor Wrede, Zur Frage der Zinspolitik am Kapitalmarkt – HA BBk, B 330/28.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz „Rein markttechnisch lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt wie auf jedem Einzelmarkt mit unfehlbarer Sicherheit durch eine entsprechende Preisgestaltung (hier: Zinsgestaltung) erzwingen. Aber der wirtschaftspolitische Preis, der für ein solches markttechnisches Gleichgewicht zu zahlen wäre, wenn es durch einen Rückgang der Investitionen und des Verbrauchs (und mit beidem: der Beschäftigung) erkauft wäre, würde zu hoch sein. Das Marktgleichgewicht würde dann dem Zustand der Friedhofsruhe gleichen.“186
Die Gegner einer Zinserhöhung erteilten dem neoklassischen Konzept des Marktgleichgewichts eine Absage und argumentierten ganz im Sinne Keynes’, dass die Schwäche des Wertpapiermarktes an dem Umstand liege, dass der Ertrag der Volkswirtschaft zu gering sei. Unter den gegebenen Bedingungen sei Kapitalmarktpolitik „keine Frage der Technik“, sondern der Wirtschaftspolitik. Und hier habe die Produktionspolitik Vorrang, was im Nachkriegsdeutschland die „Mengenkonjunktur bei gleichbleibenden, teilweise sinkenden Preisen als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung einer hohen Beschäftigung und die Steigerung des Exports“ bedeutete.187 Eine ausreichende Ersparnis der privaten Haushalte erwarteten die „Marktskeptiker“ erst bei einer Steigerung der Beschäftigungsquote, einer entsprechenden Verminderung der staatlichen Transferleistungen und einer darauf folgenden Senkung der allgemeinen Steuerlast sowie gleichzeitiger Erhöhung der Produktion und des Lebensstandards. Darauf könne man aber bei der Investitionsfinanzierung nicht warten. Die „Marktskeptiker“, zu denen sich auch das Institut für Wirtschaftsforschung und führende Vertreter der Bankenbranche gesellten,188 stellten bei den Anlegern eine ausgeprägte Liquiditätspräferenz fest und bezweifelten daher, dass eine Erhöhung des Kapitalmarktzinses die Sparbereitschaft der Bevölkerung erhöhen würde. Denn für den Sparer stehe nicht die Rendite im Vordergrund, sondern die Wertbeständigkeit und Verfügbarkeit. Daher entscheide er sich vorwiegend für das „Zwecksparen“ in Form von Spareinlagen, die kurzfristig und ohne Kursverluste zur Verfügung stünden.189 Die Gegner einer Zinserhöhung betonten also – der keynesianischen Zinstheorie folgend – die Bedeutung der Erwartungen und der Unsicherheit der Anleger sowie ihre stark ausgeprägte Liquiditätspräferenz (im Gegensatz zum Konsumverzicht der neoklassischen Lehre). Nach ihrer Überzeugung bevorzugten die Anleger Sparformen, bei denen sie sich sicher sein konnten, dass ihr „Einstandspreis“ gewahrt wurde. Diese Sicherheit könne – so die „Marktskeptiker“ – der Wertpapiermarkt aufgrund des Kursrisikos, das – wie die Kurse des „grauen“ Marktes zeigten – bei Neuemissionen „katastrophal“ sei, nicht 186 Otto Pfleiderer, Thesen zur Kapitalzinspolitik, Anlage 1 zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung – HA BBk, B 330/28. 187 So der Präsident der Landeszentralbank Schleswig-Holstein, Otto Burkhardt. Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950 – HA BBk, B 330/26. 188 Hahn, Sanierung, S. 3 f.; Strathus, Kapitalmarkt, S. 108. 189 Protokoll der 29. ZBR-Sitzung vom 22.2.1949, Anlage zu TOP 3: Schreiben der Arbeitsgemeinschaft des Privaten Hypothekenbankgewerbes an den Präsidenten des ZBR – BA Ko, B 169/2.
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bieten. Auch bei einer deutlichen Erhöhung des Zinses sei keineswegs gewiss, dass sich die Kurse besser entwickeln würden, da die Anleger weiterhin steigende Zinssätze erwarten würden. Ganz im Gegenteil würde eine Erhöhung des Kapitalmarktzinses das Vertrauen derjenigen, die seit 1948 Rentenwerte gekauft hatten, erneut zerstören, da sie erhebliche Kursverluste erleiden würden. Diese Anleger würden zukünftig keine Wertpapiere mehr kaufen, auch wenn sie höher verzinst wären, weil sie einen weiteren Zinsanstieg und zusätzliche Kursverluste fürchten müssten. Davon betroffen wären vor allem Länder wie Bayern, wo die Sparer zwei Drittel aller Pfandbriefe abgenommen hätten.190 Die „Marktskeptiker“ waren also der Meinung, dass sich die Wirtschaft in einer Art Liquiditätsfalle befand: Auch wenn die Zinsen auf dem Kapitalmarkt sehr hoch steigen würden, würden die privaten Anleger immer noch kurzfristige, deutlich niedriger verzinste Anlageformen vorziehen.191 Institutionelle Anleger konnten ihrer Ansicht nach die ausfallende Wertpapiernachfrage der privaten Haushalte nicht kompensieren, da sie nur kurzfristig und in unzureichendem Maße auf dem Wertpapiermarkt engagiert sein würden; daher sollten ihre Renditeerwartungen keine Rolle für die Kapitalmarktpolitik spielen. Letztlich waren die „Marktskeptiker“ ohnehin der Meinung, dass die Zinsen am Wertpapiermarkt keine richtungweisende Bedeutung besaßen. Dafür hielten sie den Anteil des Wertpapiermarktes an den Nettoinvestitionen für zu gering, während ihrer Meinung nach die Dominanz der institutionellen Sparformen (Einlagensparen, Versicherungssparen etc.) kaum umzukehren war. Zudem betonten sie, dass die öffentliche Hand eine viel größere Rolle in der Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung einnehme als in der Vergangenheit. Daher spielten sich Kapitalangebot und -nachfrage größtenteils außerhalb des Wertpapiermarktes ab. Hinzu kam aus Sicht der „Marktskeptiker“, dass die Selbstfinanzierung und das Zwecksparen so stark vom Staat gefördert wurden, dass die Rendite durch die Steuererleichterungen weitaus stärker beeinflusst wurde als durch die Zinshöhe. Solange der steuerbegünstigte Ersterwerb von bestimmten Wertpapieren den Käufergruppen – je nach Steuerbelastung – unterschiedliche Vorteile verschaffe, könne der Zinssatz nur ein Anreiz unter anderen für den Erwerb von Wertpapieren sein. Beispielsweise sei der Ersterwerb von Pfandbriefen und Kommunalobligationen für Privatpersonen steuerbegünstigt, nicht jedoch derjenige von Industrieobligationen. Der Renditeunterschied zwischen beiden Wertpapiertypen sei bei Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung weit höher als die Differenz der Nominalzinssätze von 1,5 Prozent.192
190 So auch führende Vertreter des Bankgewerbes vor dem KVA. Niederschrift über die 7. KVASitzung vom 5.6.1950 – BA Ko, B 126/12080. 191 Nach diesem Ansatz hätte auch die Geldpolitik der Bank deutscher Länder keinen Einfluss auf langfristige Anlageentscheidungen nehmen können (etwa indem der Diskontsatz niedrig gehalten wurde, um das Zinsgefälle zum Kapitalmarkt zu erhöhen und somit die Rendite der langfristigen Wertpapiere attraktiver zu machen). 192 Niederschrift über die 1. Sitzung des KVA vom 25.11.1949, TOP 1; Niederschrift über die 3. Sitzung des KVA vom 27.2.1950 – BA Ko, B 126/12080.
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Aufgrund des geringen Wertpapierabsatzes würde – so die „Marktskeptiker“ – eine Erhöhung der Nominalzinsen der Festverzinslichen auch in Zukunft die Finanzierungslücke der westdeutschen Wirtschaft nicht verhindern können, selbst wenn Spar- und Termineinlagen, für die keine Zinserhöhung vorgesehen sei, in Wertpapiere umgeschichtet würden. Denn in diesem Fall finde nur eine Umverteilung bereits vorhandenen Vermögens statt. Da auch bei einem höheren Zinssatz Nachfrage und Angebot auf dem Wertpapiermarkt nicht ausgeglichen sein würden, würde auch der „graue Wertpapiermarkt“ nicht verschwinden. Während die Auswirkungen einer Zinsfreigabe auf das Verhalten der Sparer für die „Marktskeptiker“ daher sehr zweifelhaft waren, hielten sie die Auswirkungen auf die Investoren für gewiss: Die Investitionsbereitschaft würde zurückgehen, insbesondere in den preisgebundenen Wirtschaftsbereichen, die keine Erhöhung der Zinslasten verkraften würden.193 Die Zinsbelastung durch direkte Subventionszahlungen auszugleichen, wie es die Befürworter einer Zinserhöhung forderten, stellte für die Gegner keine ernsthafte Alternative dar. Sie seien keineswegs durch öffentliche Haushaltsmittel gesichert und auch nicht erwünscht.194 Um den Wertpapierabsatz dauerhaft zu stabilisieren, sahen die „Marktskeptiker“ als einziges probates Mittel die Verminderung des Kursrisikos durch eine angemessene Kurspflege der Emittenten an, die dabei maßgeblich von der Zentralbank unterstützt werden sollten. Dabei sollte das Eingreifen der BdL „währungsneutral“ und unter ständiger Kontrolle erfolgen. Eine Offen-MarktPolitik der Zentralbank könne bei einem Kapitalmarktzinssatz von fünf Prozent genauso gut durchgeführt werden wie beim einem Zins von sieben Prozent, da die Schwäche der Rentenmärkte hauptsächlich mit der Erwartung steigender Zinssätze verbunden sei. Und diese sei bei beiden Zinsniveaus gegeben. IV. 3. 1. 3. Festhalten am Status quo Nicht nur unter den Finanzexperten, auch im Bundeskabinett herrschte in der Zinsfrage tiefer Dissens. Bundesfinanzminister Schäffer schloss sich voll und ganz den „Marktskeptikern“ an, da für ihn Kapitalangebot und -nachfrage zu sehr auseinander klafften und die Auswirkungen einer Zinserhöhung für Landwirtschaft und Wohnungsbau „geradezu verheerend“ sein würden. Noch höhere Subventionen, etwa für den Wohnungsbau, lehnte Schäffer ab, da er die Auswirkungen auf den Bundesetat für unabsehbar hielt.195 Wie die „Marktskeptiker“ betrachtete er die Höhe des Zinses als nicht entscheidend für die Vermögens193 Büning, Auswirkungen, S. 23. 194 Otto Pfleiderer, Thesen zur Kapitalzinspolitik, Anlage 1 zum Protokoll der 64. ZBR-Sitzung (Zitat); Dr. Victor Wrede, Zur Frage der Zinspolitik am Kapitalmarkt, Anlage 3 – HA BBk, B 330/28. 195 Dazu passt die Äußerung Schäffers während der ZBR-Sitzung: „Würde heute eine Zinsänderung beschlossen, müsste ich zu Kollegen Wildermuth sagen: Machen wir unseren Laden zu.“ Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung am 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3.
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disposition der Anleger, sondern die Wertbeständigkeit der Anlagen. Zudem hielt er den Zinsunterschied zwischen kurzfristigen und langfristigen Werten für wichtiger als die absolute Höhe des Kapitalmarktzinses: Daher forderte er, dass man mit den Wertpapierzinsen nicht herauf-, sondern mit dem Diskontsatz herunter gehen sollte. Der Argumentation Schäffers folgten im Bundeskabinett Wohnungsbauminister Wildermuth,196 Landwirtschaftsminister Niklas sowie – in abgeschwächter Form – Bundesminister für den Marshallplan Blücher.197 Bundeswirtschaftsminister Erhard tendierte dazu, auf dem Kapitalmarkt mehr Freiheiten zuzulassen, und argumentierte, dass er nicht zweierlei Politik betreiben wolle, bei der einerseits die Preise auf den Warenmärkten weitgehend frei, andererseits die Preise auf dem Kapitalmarkt generell gebunden seien. Erhard war der Meinung, dass man den „marktgerechten“ Kapitalmarktzins relativ genau bestimmen könne, und zwar aufgrund der Zinssätze auf dem „grauen“ Kapitalmarkt. Ein Kapitalmarktzins von sieben Prozent sei „unendlich viel richtiger“ als ein Zinssatz von fünf Prozent. In der gegenwärtigen Situation, in der die westdeutsche Wirtschaft „in die Weltwirtschaft einmünden“ müsse und in der es heiße, „wieder auf den Leistungsstand der übrigen Welt zu kommen“, empfahl er, nur solche Kapitalanlagen durchzuführen, die „echter volkswirtschaftlicher Produktivität“ entsprächen. Dagegen warnte er vor Fehlleitungen bei einem „unechten“ Zins, denn man dürfe die Zinspolitik auf keinen Fall an „der schwächsten Stelle der Wirtschaft“ orientieren, womit er wohl vor allem den Wohnungsbau meinte.198 Erhard war also weiterhin bereit, die Unternehmen des Konsumgüterbereichs und der Exportsektoren bei der Kapitalversorgung besser zu stellen als die preisgebundenen Wirtschaftsbereiche. Er war der festen Überzeugung, dass die von den Gegnern befürchteten Folgen einer Zinserhöhung ebenso wenig eintreten würden wie sich die Befürchtungen bei der Aufhebung der Preisbindungen nach der Währungsreform bewahrheitet hatten.199 Allerdings signalisierte Erhard Kompromissbereitschaft und konzedierte, dass man – obwohl er persönlich keine Angst vor einer völligen Zinsfreigabe habe – der öffentlichen Meinung in dieser Frage wohl „Komplimente machen“ müsse, wozu er auch bereit sei. An Erhards Seite stand im Kabinett – mit einer etwas milderen Haltung – Bundesverkehrsminister Seebohm. Die Zinsdiskussion fand ihren vorläufigen Abschluss in der Sitzung des ZBR am 29. Juni 1950, in der sich der ZBR mit einer Mehrheit von neun zu vier 196 Wildermuth argumentierte, dass die Freigabe des Zinsniveaus am Kapitalmarkt in den Zwanzigerjahren dazu geführt habe, dass auch die besten Anlagen die hohen Zinsen nicht „herauswirtschaften“ konnten, was eine Ursache für die Krise der Jahre 1930/31 gewesen sei. Wildermuth erwartete, dass sich das Zinsniveau in den kommenden Jahren senken und sich auf dem Niveau von fünf Prozent einpendeln würde. Protokoll der 72. Kabinettssitzung vom 9.6.1950 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 30.3.2010). 197 Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.5.1950 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 198 Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3. 199 Protokoll der 72. Kabinettssitzung vom 9.6.1950 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 30.3.2010).
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Stimmen der Meinung der „Marktskeptiker“ anschloss. In seinem Beschluss hielt der ZBR fest, dass er nicht davon ausgehe, dass von einer Zinserhöhung eine „beträchtliche Auflockerung“ des Rentenmarktes zu erwarten sei, vielmehr die Hauptursache für die geringe Anlagebereitschaft in dem hohen Kursrisiko der festverzinslichen Werte liege. Daher lehnte der ZBR eine Zinserhöhung bzw. eine Senkung der Emissionskurse ab. Er nahm davon Abstand, den Diskontsatz zugunsten des Kapitalmarktes zu senken, sprach sich aber dafür aus, die Habenzinsen der Kreditinstitute nicht zu erhöhen, um so den Zinsspanne zu den Wertpapieren aufrecht zu erhalten.200 Hinsichtlich des Offen-Markt-Geschäfts beschloss der ZBR mit großer Mehrheit (Stimmverhältnis zwölf zu eins), Mittel der BdL für die Kurspflege umgestellter RM-Pfandbriefe und -Kommunalobligationen bereitzustellen. Da die seit 1949 neu emittierten Wertpapiere zum weitaus größten Teil nicht gehandelt wurden, wurden – wie oben bereits erwähnt – die umgestellten, amtlich notierten 4-prozentigen RM-Pfandbriefe zur Kursfeststellung herangezogen. Diese waren nicht im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen steuerbegünstigt, hatten ein größeres Volumen als die neu ausgegebenen DM-Emissionen und befanden sich zum größten Teil in privatem Besitz.201 Allerdings war ihre Kursentwicklung aufgrund der relativ kurzen Restlaufzeiten nur bedingt mit derjenigen von DMPapieren vergleichbar.202 Neuemissionen sollten in die Offen-Markt-Geschäfte der BdL nicht einbezogen werden, da diese in ihrer Höhe nicht begrenzt waren und die Gefahr bestand, dass sie auf Kosten des Notenbanksystems „über Gebühr“ ausgedehnt würden.203 Man hoffte, dass sich ihre Kurse an diejenigen der RMPapiere angleichen würden. Bereits Anfang 1951 empfahl der ZBR den Landeszentralbanken, die Kurspflege der umgestellten RM-Pfandbriefe und -Kommunalobligationen aufgrund der währungs- und devisenpolitischen Lage wieder einzustellen.204
200 Spätere Untersuchungen, etwa zur Entwicklung der Spareinlagenbestände bei den Sparkassen, bestätigten die Einschätzung, dass die Höhe der Nominalzinsen generell keinen Ausschlag gebenden Einfluss auf die Kapitalbildung hat. Niederschrift über die 64. ZBRSitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3; vgl. Wilsdorf, Bestimmungsgründe, S. 51; Somogyi, Kapitalmarktzins, passim. 201 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 202 Die Pfandbriefkurse sanken beispielsweise von September 1949 bis Juni 1951 von 7,91 DM auf 7,03 DM für 100 RM Nennwert, die Kurse der Kommunalobligationen im gleichen Zeitraum von 7,84 DM auf 7,16 DM. Statistisches Handbuch der BdL 1948–1954, S. 239. 203 Protokoll der 36. ZBR-Sitzung vom 31.5.1949, TOP 3 – BA Ko, B 169/2. 204 Protokoll der 86./87. ZBR-Sitzung vom 24./28.2. und 1.3.1951, TOP 3 – BA Ko, B 169/5.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
Kursentwicklung der umgestellten RM-Pfandbriefe, -Kommunalobligationen und Industrieobligationen 1949–1954, Indexziffern (1950=100)205 140
Pfandbriefe Kommunalobligationen
130
Industrieobligationen
120
110
100
90
80
1949
1950
1951
1952
1953
1954
Der Präsident des Direktoriums, Wilhelm Vocke, stimmte den Beschlüssen des ZBR zum Kapitalmarktzins und zur Offen-Markt-Politik ausdrücklich nicht zu und gab zu Protokoll, dass er in dem Festhalten am 5-prozentigen Pfandbrief und dem Beschluss, diesen „überholten Emissionskurs“ durch Interventionen mit Zentralbankmitteln weiter künstlich zu stützen, „ein entscheidendes Abweichen von den Grundsätzen einer gesunden Notenbankpolitik“ sah.206 Damit blieb Vocke seiner liberalen Position in der Kapitalmarktpolitik unbeirrt treu. Nach der Entscheidung des ZBR, die zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, drängte Bundesfinanzminister Schäffer das Bundeskabinett, eine eigene Erklärung zur Zinsfrage zu veröffentlichen, um den Eindruck zu vermeiden, dass das Kabinett anderer Ansicht sei als die BdL, und damit der Beunruhigung am Kapitalmarkt endlich ein Ende zu setzen. Erhard sträubte sich zunächst und war in der Kabinettssitzung am 11. Juli 1950, in der die Zinsfrage diskutiert wurde, nicht persönlich anwesend. Das Kabinett beschloss daraufhin, dass Schäffer seine Auffassung in einer formulierten Entschließung Erhard zuleiten solle. Sollte dieser weiterhin Einwände erheben, war eine erneute Behandlung des Themas im
205 Statistisches Handbuch der BdL 1948–1954, S. 239. 206 Stenograph. Bericht über die 64. ZBR-Sitzung vom 28./29.6.1950, TOP 6 – BA Ko, B 169/3.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
Kabinett vorgesehen. Dazu kam es jedoch nicht, da Erhard seinen Widerspruch in einer persönlichen Aussprache mit Schäffer zurückzog.207 Mit den Beschlüssen des ZBR sowie der Zustimmung des Bundesfinanz- und des Bundeswirtschaftsministers war die Entscheidung in der Zinsfrage endgültig gefallen, auch wenn die formelle Zuständigkeit letztlich beim Kapitalverkehrsausschuss lag. Aber dort waren nur weisungsabhängige Behördenvertreter versammelt, die den Entscheidungen ihrer vorgesetzten Stellen keine unabhängigen Positionen entgegenstellten. Bezeichnenderweise fand die Ausschusssitzung, in der über die Zinsfrage entschieden werden sollte, gut eine Woche nach der Beschlussfassung des ZBR statt. Erst jetzt, nachdem die Entscheidung in der Zinsfrage praktisch gefallen war, hörte der Ausschuss die Stellungnahmen der Vertreter der Finanzwirtschaft und der Industrie an. Es zeigte sich, dass diese in der Frage des Kapitalmarktzinses gleichermaßen gespalten waren wie Politik und Wissenschaft. Die Vertreter der Realkreditinstitute wollten unbedingt den niedrigen Kapitalmarktzins beibehalten. Sie deuteten sogar an, dass er für den Wohnungsbau und die Landwirtschaft schon etwas zu hoch sei, so dass er bereits die Kapitalnachfrage drossele. Beim privaten Sparer hätten die 5-prozentigen Pfandbriefe – wenigstens in Süddeutschland – befriedigenden Absatz gehabt und auch die Rückflüsse seit der Börseneinführung im Herbst 1949 seien – trotz Ablauf von Sperrfristen – keinesfalls Besorgnis erregend.208 Banken- und Wirtschaftsexperten, die der Industrie nahe standen, schlossen sich vor dem Kapitalverkehrsausschuss dagegen den Argumenten der Befürworter eines höheren Zinsniveaus an, konnten aber an der bereits im Vorfeld getroffenen Entscheidung nichts ändern: Der Kapitalverkehrsausschuss übernahm ohne jede weitere Diskussion den Beschluss der Zinsfrage der BdL und der Bundesregierung.209 IV. 3. 2. Emissionskontrolle durch den Kapitalverkehrsausschuss IV. 3. 2. 1. Die gesetzlichen Vorgaben Laut KVG erstreckte sich die Zuständigkeit des Kapitalverkehrsausschusses seit dem 2. September 1949 auf die Genehmigung von Anleihen, Wandelanleihen und Aktien. In den Ländern der ehemaligen französischen Zone erlangte das Gesetz aus formalrechtlichen Gründen erst am 12. Mai 1950 Gültigkeit. Von den Bestimmungen des KVG ausgenommen waren Schuldscheindarlehen, die nach Auffassung des Gesetzgebers den Wertpapiermarkt nicht unmittelbar berührten, da sie üblicherweise in hohen Beträgen angeboten wurden und nur durch Zession
207 Protokoll der 80. Kabinettssitzung vom 4.7.1950; Protokoll der 82. Kabinettssitzung vom 11. Juli 1950 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 30.3.2010). 208 Überlegungen zur Marktgerechtigkeit des 5%igen Pfandbriefzinssatzes, zusammengestellt von der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank, o.D. – BA Ko, B 126/12080. 209 Entwurf einer Erörterung für die 10. Sitzung des KVA am 27.7.1950 – BA Ko, B 126/12080.
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abgetreten werden konnten.210 Sie waren daher nur selten Gegenstand von Handelsgeschäften und wurden zum „privaten Geld- und Kreditverkehr“ gezählt, für den das KVG nicht konzipiert war.211 Bei den Wertpapieremissionen waren wichtige Emittenten vom Zuständigkeitsbereich des Kapitalverkehrsausschusses ausgenommen: Für Bundesanleihen einschließlich der Anleihen der Deutschen Post und der Deutschen Reichsbahn/ Bundesbahn war die Genehmigung des Ausschusses ebenso wenig notwendig wie für die Anleihen der Bundesländer.212 Die Anleihen der KfW, die unter direkter Aufsicht des Bundesfinanzministeriums stand, fielen ebenfalls nicht in den Aufgabenbereich des Kapitalverkehrsausschusses. Die KfW sollte auf Drängen der Alliierten neben der bankmäßigen Verteilung der freigegebenen ERP-Gegenwertmittel mit eigenen Anleihen zusätzliche Mittel auf dem Wertpapiermarkt aufnehmen, mit denen sie gesamtwirtschaftlich vordringliche Investitionen finanzieren sollte. Damit stand dem Verwaltungsrat der Bizone bzw. später der Bundesregierung eine Institution zur Verfügung, die neben dem Kapitalverkehrsausschuss eine Lenkung der über den Wertpapiermarkt aufgenommenen Kapitalmarktmittel hätte vornehmen können. Dazu ist es allerdings nicht gekommen. Denn die KfW scheiterte zwischen September und Dezember 1949 grandios mit der Auflage ihrer beiden ersten Anleihen, einer steuerbegünstigten,213 mit 3,5 Prozent verzinsten Wohnungsbauanleihe, die dem sozialen Wohnungsbau und der Landwirtschaft zugute kommen sollte, sowie einer nicht steuerbegünstigten, 5,5-prozentigen Wiederaufbauanleihe für die gewerbliche Wirtschaft. Die Konditionen beider Anleihen zeigen, dass mit ihnen das niedrige Zinsniveau gefestigt und die Wirtschaft mit „billigem Geld“ versorgt werden sollte. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die Erwartungen bei beiden Anleihen – allein die Wohnungsbauanleihe sollte bis zu 400 Mio. DM aufbringen – vollkommen überzogen waren. Anders als die Realkreditinstitute verfügte die neu gegründete KfW nicht über 210 Schreiben des Vorstandes der Preußischen Landespfandbriefanstalt an den Bundesminister für Finanzen, z. Hd. Min.Rat Kremer, 6.4.1950, BA Ko, B 126/ 12080; Vermerk (Kremer) vom 24.11.1951; Vermerk (Fischer-Menshausen) vom 22.12.1951, BA Ko, B 126/12076; Auszug aus den Erläuterungen zur Tagesordnung der 13. öffentlichen Sitzung des Länderrats am 2.3.1949 – BA Ko, Z 4/47. 211 Schreiben des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen an das BMF (Ladewig) vom 10.12.1951 – B 126/12076. 212 Bei jeder Wertpapieremission der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Post war eine Stellungnahme der Bundesregierung und der BdL vorgeschrieben. Widersprachen beide übereinstimmend einer Emission, so musste diese unterbleiben. Die Bundesregierung hatte vor ihrer Entschließung ein Gutachten des Kapitalverkehrsausschusses einzuholen. Nicht ganz klar war die Zuständigkeit des Kapitalverkehrsausschusses bei der Ausgabe von Schatzanweisungen von Bahn und Post. Er machte dies schließlich von den Bedingungen abhängig, mit denen die Schatzanweisungen begeben wurden. Niederschrift über die 36. KVA-Sitzung vom 18.9.1952 – BA Ko, B 126/12082. 213 Es handelte sich bei der Steuerbegünstigung um die Möglichkeit, die gezeichneten Beträge steuerwirksam als Sonderausgabe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen (§ 10 EStG) bzw. um die Begünstigung gemäß § 32 EStG für nicht entnommenen Gewinn. Vgl. Pohl, M., Wiederaufbau, S. 68 f.
214
IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
einen im Laufe langjähriger Geschäftsbeziehungen gewachsenen Emissionskredit bei den Anlegern (sie hatte noch nicht einmal eine Bilanz veröffentlicht) und konnte nur einen Bruchteil der Emissionen absetzen. Nachdem im Frühjahr 1949 schon die „unter dem Schutz“ der KfW emittierten Energieanleihen gescheitert waren, führte das vollkommen enttäuschende Ergebnis dazu, dass sich die KfW für die nächsten neun Jahre als Emittentin vom Kapitalmarkt verabschiedete.214 Als der Kapitalverkehrsausschuss im November 1949 zu seiner ersten Sitzung zusammentrat, beschäftigten sich die Ausschussmitglieder zunächst mit der Frage, auf welche Weise die Kapitallenkung durchgeführt werden sollte. Das KVG bestimmte in § 5, dass Emissionen nur dann genehmigt werden durften, wenn a)
die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes nach Art und Umfang mit den volkswirtschaftlichen Bedürfnissen sowie den Zielen des Marshallplans in Einklang standen; dabei waren die von den zuständigen Stellen erarbeiteten Investitionsprogramme und Richtlinien zu beachten; und b) die Emissionen die währungs- und kreditpolitischen Erfordernisse berücksichtigten. c) Zudem sollte der KVA bei seinen Entscheidungen darauf achten, dass „die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die einzelnen Wirtschaftsgebiete und Länder den Erfordernissen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung“ entsprach.
Laut Gesetz war der Kapitalverkehrsausschuss dazu angehalten, allgemeine Grundsätze festzulegen und öffentlich bekannt zu machen, nach denen er seine Emissionsentscheidungen treffen sollte.215 Die generelle Zuständigkeit für die Investitionslenkung lag beim Bundeswirtschaftsministerium, das die Investitionsprogramme für die ECA-Verwaltung gemeinsam mit dem Bundesministerium für den Marshallplan koordinierte. Da Erhard jedoch eine grundsätzliche Abneigung gegen detaillierte Lenkungsmaßnahmen hegte, hatten die Wirtschaftsplaner im Bundeswirtschaftsministerium einen schweren Stand. Bezüglich der Kapitallenkung am Wertpapiermarkt empfahl das BMWi, dass die vom Kapitalverkehrsausschuss aufzustellen Grundsätze in einem vom „ERP-Arbeitsausschuss Investitionen“ aufzustellenden Rahmenprogramm für Kapitalmarktinvestitionen Berücksichtigung finden sollten.216 Die Grundsätze für die Emissionsgenehmigungen wurden schließlich erst im September 1950 veröffentlicht und waren so allgemein formuliert, dass sie kaum Einfluss auf die Praxis des Kapitalverkehrsausschusses hatten. Auch für die Berücksichtigung raumwirtschaftlicher Aspekte bei der Emissionsgenehmigung fehlte dem Kapitalverkehrsausschuss 214 Von der im September 1949 aufgelegten Wiederaufbauanleihe wurde trotz mehrfach verlängerter Zeichnungsfrist bis Jahresende nur ein Betrag von 22 Mio. DM gezeichnet; weitere 28 Mio. DM übernahm ein Garantiekonsortium bestehend aus 72 Bankiers und Banken, das im Verlauf des folgenden Jahrs nur 13 Mio. DM der Anleihe auf dem „Markt“ unterbringen konnte. Somit waren insgesamt nur Anteile im Volumen von 35 Mio. DM gezeichnet worden. Die Banken wurden im Jahr 1950 von der Garantieverpflichtung befreit, nachdem trotz Kurspflege Anleihestücke in einem Betrag von sechs Mio. DM vom Markt an die KfW zurückgeflossen waren. Noch schlechter lief die Wohnungsbauanleihe: Als ihre Zeichnungsfrist am 31. Dezember 1949 endete, waren gerade einmal acht Mio. DM gezeichnet. Vgl. Pohl, M., Wiederaufbau, S. 67–73; Harries, Wiederaufbau, S. 35 ff. 215 Niederschrift über die 2. KVA-Sitzung vom 14.1.1950 – BA Ko, B 126/12080. 216 Niederschrift über die 10. KVA-Sitzung vom 27.7.1950 – ebd.
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jeglicher Maßstab, da es keine auf das Gebiet der Bundesrepublik abgestimmten Investitionsprogramme gab. Der Ausschuss verzichtete daher darauf, Richtlinien mit raumwirtschaftlichen Bestimmungen zu veröffentlichen, die nach Lage der Dinge nur „Gemeinplätze“ ohne praktischen Nutzen hätten beinhalten können. Der Ausschuss entschied von Fall zu Fall, was eine Systematik weitgehend ausschloss.217 Laut KVG hatten die Kapitalnachfrager ihre Emissionsanträge zunächst an die zuständigen obersten Landesbehörden zu richten, die somit eine erste Auswahl der Anträge treffen konnten.218 Ob und inwieweit die Länderministerien von dieser Auslesemöglichkeit Gebrauch machten, ist auf Basis der Akten des Kapitalverkehrsausschusses nicht zu klären. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass die Neigung der Länder, Emissionen aus dem eigenen Gebiet zu unterbinden, nur gering war. In den Emissionsanträgen hatten die Antragsteller Angaben zu machen über das Emissionsvolumen, die Art der auszugebenden Wertpapiere, die Emissionsbedingungen (Zins, Ausgabekurs, Rückzahlungsmodalitäten etc.), den Verwendungszweck (bei Kommunalobligationen: Stellungnahme des kommunalen Kreditausschusses) und die Platzierung bereits zuvor genehmigter DM-Emissionen (am offenen Markt untergebracht/ der KfW überlassen/ noch nicht begeben/ an der Börse eingeführt).219 IV. 3. 2. 2. Die Genehmigungspraxis Im Zeitraum zwischen dem 25. November 1949 und dem 27. November 1952, in dem das KVG die Rahmenbedingungen auf dem Wertpapiermarkt bestimmte, behandelte der Kapitalverkehrsausschuss in 39 Sitzungen ca. 350 Emissionsanträge.220 Insgesamt fragten die Antragsteller um die Ausgabe von Festverzinslichen und Aktien im Gesamtvolumen von ca. 3,17 Mrd. DM nach. Davon gewährte der Ausschuss Emissionen in Höhe von ca. 2,85 Mrd. DM, also rund 90 Prozent. Schon diese Zahl zeigt, dass die Ablehnung eines Emissionsantrages nur selten vorkam – zumal die Differenz zwischen beantragtem und bewilligtem Emissionsvolumen zum Teil auf die Kürzung von beantragten Emissionsbeträgen zurückzuführen war – und von einer „Lenkung“ bzw. Rationierung des Wertpapiermarktes durch den Ausschuss kaum gesprochen werden kann. Nach offizieller Statistik der BdL wurden zwischen Anfang Dezember 1949 und Ende November 1952 Wertpapiere (Festverzinsliche und Aktien) im Gesamtvolumen von insgesamt 3,15 Mrd. DM aufgelegt.221 Demnach fielen etwa 90 Prozent der insgesamt in diesem Zeitraum aufgelegten Wertpapiere in den Zuständigkeits217 218 219 220
Niederschrift über die 3. KVA-Sitzung vom 27.2.1950 – ebd. Niederschrift über die 7. KVA-Sitzung vom 5.6.1950 – ebd. Niederschrift über die 2. KVA-Sitzung vom 14.1.1950 – ebd. Da einzelne Anträge mehrmals in verschiedenen Sitzungen behandelt wurden, kann es in Einzelfällen zu Doppelzählungen kommen. 221 Statistisches Handbuch der BdL 1948–1954, S. 232.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
bereich des Kapitalverkehrsausschusses. Die öffentlichen Körperschaften, die nicht von einer Genehmigung des Kapitalverkehrsausschusses abhängig waren, hielten sich also weitgehend mit eigenen Emissionen zurück. Verteilung der Emissionsgenehmigungen des Kapitalverkehrsausschusses nach Wertpapierarten (in Prozent)222 Pfandbriefe und Kommunalobligationen I* II**
Schiffspfandbriefe
Industrieobligationen
Wandelschuldverschreibungen
Aktien
46 26 2 9 5 13 * Realkreditinstitute (Hypothekenbanken, Grundkreditinstitute, Stadt-/Landschaften) ** Landesbanken, Kommunalbanken, öffentliche Förderbanken; darunter auch Schuldverschreibungen der Landesrentenanstalten
Was den gesamten Wertpapiermarkt charakterisierte, galt auch für die vom Kapitalverkehrsausschuss genehmigten Emissionen: Sie wurden von Pfandbriefen und Kommunalobligationen dominiert, während die Kapitalnachfrage von Handel und Industrie nur von geringer Bedeutung war. Nach Abschluss der Zinsdiskussion im Juli 1950 schrieb der Kapitalverkehrsausschuss bis Ende 1952 für alle festverzinslichen Wertpapiertypen die gleichen Konditionen vor: Kommunalobligationen, Pfandbriefe und Schiffspfandbriefe wurden mit einem Nominalzins von fünf Prozent ausgestattet, Industrieobligationen mit 6,5 Prozent. Der Ausgabekurs betrug stets 98 Prozent. Die im Kapitalverkehrsausschuss vertretenen Behörden waren sich bewusst, dass diese Emissionsbedingungen nicht den Marktbedingungen entsprachen. Dies zeigt beispielsweise ihre Zurückhaltung in der Frage der Börseneinführung der Wertpapiere, die bei der Emissionsgenehmigung zwar regelmäßig zur Auflage gemacht, aber in vielen Fällen von den Emittenten nicht umgesetzt wurde.223 Der Kapitalverkehrsausschuss zeigte dafür Verständnis, da es „unter den augenblicklich noch gegebenen Verhältnissen am Kapitalmarkt [...] in der Tat den Emittenten kaum zumutbar [erscheint], die Börseneinführung zu betreiben.“ Denn die Börseneinführung könne nur dann den gewünschten Zweck des Gläubigerschutzes erfüllen, wenn sie zum Begebungskurs sichergestellt werden könne. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Emittenten massiv Kurspflege betreiben bzw. erhebliche Teile der Emissionen dauernd in ihrem Portefeuille halten müssten. Und dies wiederum widersprach dem Ziel der Kapitalmarktpolitik, möglichst viel Kapital über den Wertpapiermarkt für die Investitionsfinanzierung in wirtschaftspolitisch vorrangigen Bereichen aufzubringen.224 Entsprechend fiel es dem Kapitalverkehrsausschuss auch
222 1.-39. KVA-Sitzung – BA Ko, B 126/12080, 12081, 12082. 223 Niederschrift über die 35. KVA-Sitzung vom 28.8.1952 – BA Ko, B 126/12082. 224 „Es darf die Bemerkung gestattet sein, dass in Zeiten, in denen den Emittenten die Ausgabe von Wertpapieren mit einer marktechten Verzinsung nicht erlaubt wird, die gleichzeitige Auflage dieser Wertpapiere an der Börse mit dem wahrscheinlichen Erfolg einer dann erst
IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
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leichter, eine Emissionsgenehmigung auszusprechen, wenn die Wertpapiere gar nicht erst am Markt eingeführt wurden, sondern die Unterbringung bei institutionellen Anlegern bereits im Vorfeld der Emission gesichert war. Die Emissionsentscheidungen lassen nicht erkennen, dass der Ausschuss bewusst bestimmte Wertpapiertypen bevorzugte. Wenn die meisten Genehmigungen Pfandbriefe und Kommunalobligationen betrafen, so war dies ein Ausdruck dafür, dass der Wohnungsbau und die Realkreditinstitute auf den Wertpapiermarkt existenziell angewiesen waren und daher die meisten Anträge vorlegten. Das Interesse der Industrieunternehmen (ohne Preisbindungen) war dagegen vergleichsweise gering, da sie den Weg der Selbstfinanzierung beschreiten bzw. Schuldscheindarlehen oder Bankkredite in Anspruch nehmen konnten. Zudem war das Interesse der Anleger an Industrieobligationen aus verschiedenen Gründen gering (keine Nachfrage der Sozialversicherungen, kein Einbezug in die steuerliche Förderung der Kapitalansammlungsverträge etc.) Als in der Wirtschaftspresse Kritik an der Genehmigungspraxis des Kapitalverkehrsausschusses aufkam und ihm vorgeworfen wurde, dass er kaum noch Genehmigungen für Industrieobligationen erteile, um so den Absatz der 5-prozentigen Pfandbriefe zu fördern, wies er dies umgehend zurück. Der Kapitalverkehrsausschuss stellte klar, dass die geringe Anzahl von genehmigten Industrieobligationen nicht auf die Tätigkeit des Ausschusses zurückzuführen sei, sondern einfach auf die geringe Anzahl der Anträge.225 Einige Realkreditinstitute verfügten offensichtlich weiterhin über ein so starkes „Standing“, dass sie – anders als die dezentralisierten Großbanken im Falle der Industrieobligationen – ihre Pfandbriefe trotz schlechter Umfeldbedingungen relativ gut absetzen konnten.226 Der Kapitalverkehrsausschuss achtete darauf, welcher Anteil der genehmigten Emissionen untergebracht werden konnte bzw. ob es hohe Rückflüsse gab. In seiner öffentlichen Bekanntmachung bestimmte der Ausschuss im September 1950, dass er zukünftig nur noch Anträge von Emittenten genehmigen werde, deren frühere Emissionen keine hohen Rückflüsse aufwiesen bzw. langfristig platziert worden seien.227 Beim Verwendungszweck machte der Kapitalverkehrsausschuss vor allem für Kommunalobligationen und Pfandbriefe Auflagen, da bei den Daueremittenten die Verwendung des Emissionserlöses nicht so eindeutig feststand wie bei den Emissionen der Industrieunternehmen, die in der Regel in einer besonderen Situation zu einem bestimmten Zweck erfolgten. Die Realkreditinstitute und Landesbanken wiesen darauf hin, dass sie die Frage nach dem Verwendungszweck im Wesentlichen nur dahingehend beantworten könnten, dass der Emissionserlös entsprechend den Bestimmungen des Hypothekenbankgesetzes bzw. der Satzung sichtbar werdenden unrealistischen Kursbildung ein unbilliges Verlangen darstellt.“ Vermerk (Sekretariat des KVA) vom Oktober 1952 – BA Ko, B 126/12082. 225 Schreiben BMF (v. Spindler) an Johannes Zahn (Bankhaus C.G. Trinkaus) vom 11.2.1950 – BA Ko, B 126/12080. 226 Niederschrift über die 1. KVA-Sitzung vom 25.11.1949 – BA Ko, B 126/12080. 227 Schreiben des KVA-Sekretariats an den Vorsitzenden des Sonderausschusses Bankenaufsicht vom 18.9.1950 – BA Ko, B 126/12080.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
des jeweiligen Instituts verwendet werden sollte. Außerdem könne angegeben werden, inwieweit der Wohnungsbau, die Landwirtschaft etc. im Rahmen der Anleihenerlöse berücksichtigt werden sollten. Es sei zum Zeitpunkt der Antragstellung jedoch unmöglich, Einzelobjekte zu benennen, die später beliehen werden sollten.228 Dies lag daran, dass die Hypothekenbanken aufgrund der unsicheren Kursentwicklung am Wertpapiermarkt und des Finanzierungsmodells des sozialen Wohnungsbaus ihr traditionelles Geschäftsmodell umgekehrt hatten: Früher war eine Pfandbriefemission erst dann erfolgt, wenn die Realkreditinstitute ihre Hypothekarkredite bereits ausgezahlt hatten, die dann als Deckungsgrundlage der Pfandbriefe gedient hatten. Diese Geschäftsabfolge setzte einen stabilen Wertpapiermarkt voraus, der einen gleichmäßigen Pfandbriefabsatz zu gleichbleibenden Bedingungen ermöglichte.229 Da diese Bedingung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben war, mussten die Hypothekenbanken den Geschäftsablauf umkehren: Da die Baugenehmigungen im sozialen Wohnungsbau erst dann erteilt wurden, wenn die Objekte vollständig, inklusive der Zusage für die erste Hypothek, durchfinanziert waren, mussten die Hypothekenbanken bereits vor Baubeginn Pfandbriefe verkaufen. Denn nur auf der Grundlage der untergebrachten Pfandbriefe konnten sie die Kredite und ihre Konditionen verbindlich zusagen. Das geringe Eigenkapital der Realkreditinstitute, das überwiegend aus niedrig verzinslichen Ausgleichsforderungen bestand, konnte keine Vor- bzw. Zwischenfinanzierungsfunktion mehr erfüllen. Ein Nebeneffekt dieser Finanzierungsabfolge war, dass zwischen der Ausgabe von Pfandbriefen und der Inanspruchnahme der Baudarlehen längere Zeiträume vergingen, so dass die Ersatzdeckung in Form von Geld bzw. liquiden Geldmarkttiteln enorm zunahm. Dies widersprach im Grunde dem Sinn des Hypothekenbankgesetzes, das eine sichere Deckung des Pfandbriefs durch besonders sichere Anlagen voraussetzte.230 Bei der Formulierung des Verwendungszwecks blieben die Antrag stellenden Realkreditinstitute zuweilen so allgemein, dass sie im Falle einer Genehmigung den Emissionserlös praktisch nach eigenem Ermessen hätten verwenden können. In solchen Fällen vertagte der Kapitalverkehrsausschuss seine Entscheidung und
228 Rundschreiben Nr. 6 der Arbeitsgemeinschaft des privaten Hypothekenbankgewerbes vom 19.1.1950 – BA Ko, B 126/12080. 229 In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg hatte es nur zwei Pfandbrieftypen gegeben: einen 4-prozentigen Typ bis ca. 1890 und nachfolgend einen 3,5-prozentigen Typ. Vgl. Knacke, Hypothekenbanken, S. 67. 230 Dies machte Ersatzdeckungen in enormer Höhe notwendig. Erst im Jahr 1956 wurde diesem Umstand für eine Übergangszeit durch ein Gesetz Rechnung getragen, das den erlaubten Umfang der Ersatzdeckung bis Ende 1960 auf 20 Prozent des Pfandbriefumlaufs ausdehnte. Anlage zum Schreiben des Bundesjustizministers vom 13.3.1956: Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über einige Maßnahmen auf dem Gebiete des Realkredits – BBk HA, B 330/93; vgl. Knacke, Hypothekenbanken, S. 64 f.
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forderte zusätzliche Informationen an.231 Eine feste Auflage für Emissionen gab es nur bei den Kommunalobligationen. Hier stimmte der Ausschuss in der Regel nur unter der Bedingung zu, dass 90 Prozent des Emissionserlöses „für den Wohnungsbau, insbesondere den sozialen Wohnungsbau, für Erschließungskosten in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung des Wohnungsbaugesetzes, für die Errichtung von Versorgungsanlagen, für Kanalisationsvorhaben sowie für den Bau von Straßen, Brücken, Schlachthöfen und Verkehrsanlagen (Meliorationen und wasserwirtschaftliche Maßnahmen)“ Verwendung fanden. Höchstens zehn Prozent des Erlöses durften für die Errichtung und den Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern und sonstigen „Sozialbauten“ verwendet werden.232 Die Kontrolle, ob die Auflagen des Kapitalverkehrsausschusses tatsächlich eingehalten wurden, oblag den obersten Landesbehörden. Wenn ein Emittent gegen die mit der Emissionsgenehmigung verknüpften Auflagen verstieß, drohte eine Strafe nach dem Bewirtschaftungsnotgesetz vom 30. Oktober 1947. Die zuständigen Behörden für die Strafverfahren bestimmten ebenfalls die Länder. Damit war der Kapitalverkehrsausschuss auf die Bundesländer angewiesen, wenn er etwas über den Verlauf der Emissionen bzw. die Verwendung der aufgebrachten Mittel erfahren wollte.233 Er bat die zuständigen Länderministerien, künftig die Einhaltung der Emissionsbedingungen nach dem Vorbild Bayerns im Rahmen der allgemeinen Betriebsprüfung der Realkreditinstitute kontrollieren zu lassen und dem Ministerium einen diesbezüglichen Auszug aus dem Prüfbericht zuzuleiten. Diesem Wunsch kamen die meisten Bundesländer nach; in einigen Ländern stieß das Verfahren jedoch auf Widerspruch, so dass die Kontrolle dort den Bankaufsichtsbehörden bzw. bei Hypothekenbanken den Treuhändern übertragen wurde.234 Die oft rudimentären Angaben des Verwendungszwecks in den Emissionsanträgen und die zersplitterte Aufsicht über die Verwendung der Emissionserlöse auf Länderebene lassen darauf schließen, dass die Kontrolle über die Einhaltung der Emissionsbedingungen von Bundesland zu Bundesland verschieden gehandhabt wurde und die Kontrolldichte insgesamt recht gering war. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass im Kapitalverkehrsausschuss kein einziger Fall einer „Zweckentfremdung“ genehmigter Emissionen diskutiert wurde. Aber auch wenn sich Verdachtsmomente für einen Verstoß gegen Emissionsbedingungen ergaben, konnte der Kapitalverkehrsausschuss kaum selbst aktiv werden. So musste er sich an den Sonderausschuss Bankenaufsicht, in dem die Aufsicht führenden Länderminister vertreten waren, wenden, als der Verdacht aufkam, dass einzelne Realkreditinstitute ihre Wertpapiere zu niedrigeren Ausgabekursen platziert hatten als 231 Rundschreiben des KVA-Sekretariats an die zuständigen Länderministerien vom 23.5.1950 – BA Ko, B 126/12081. 232 Schreiben BMF (v. Spindler) an den BMI vom 15.2.1952 – BA Ko, B 126/12076. 233 Niederschrift über die 4. KVA-Sitzung vom 17.4.1950 – BA Ko, B 126/12080. 234 Niederschrift über die 21. KVA-Sitzung vom 29.6.1951; Niederschrift über die 24. KVASitzung vom 10.9.1951 – BA Ko, B 126/12081; Vermerk (Drechsler) betr. Neufassung des KVG vom 21.1.1952 – BA Ko, B 126/12076.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
in den Anträgen angegeben war. Die Bankenaufsichtsbehörden der Länder berichteten daraufhin, dass ihnen solche Fälle zwar nicht bekannt seien, sie aber durchaus wahrscheinlich seien, was allerdings „außerordentlich schwer festzustellen“ sei.235 Warum eine hohe Kontrolldichte auch gar nicht nötig war, zeigt ein Blick auf die Erstabnehmer von Pfandbriefen und Kommunalobligationen. Gemäß den Angaben in den Emissionsanträgen, denen der Kapitalverkehrsausschuss zwischen November 1949 und Oktober 1950 zugestimmt hatte, wollten die Emittenten von dem beantragten Gesamtvolumen von 599 Mio. DM 34,9 Mio. DM bei Kapitalsammelstellen (sechs Prozent), 87 Mio. DM bei öffentlichen Stellen (15 Prozent), 114,7 Mio. DM „in sonstiger Weise ohne Inanspruchnahme des offenen Kapitalmarktes“ (19 Prozent) und nicht weniger als 362,5 Mio. DM am freien Kapitalmarkt (60 Prozent) unterbringen.236 Die tatsächliche Unterbringung der Wertpapiere ergab aber ein ganz anderes Bild: 76 Prozent der Pfandbriefe und 81 Prozent der Kommunalobligationen gingen 1951 an öffentliche Stellen, insbesondere Sozialversicherungen.237 Da die Hypothekenbanken den institutionellen Anlegern angesichts der schwierigen Absatzlage bei der Verwendung des Emissionserlöses weit entgegenkommen mussten, konnten die Wertpapierkäufer, also zum überwiegenden Teil die öffentliche Hand, ihre Anlagewünsche weitgehend diktieren und auf diese Weise das Aktivgeschäft der Hypothekenbanken bestimmen.238 Die Emissionen der öffentlich-rechtlichen Landesbanken und Kreditanstalten dienten ohnehin öffentlich vorgegebenen Zwecken. Damit standen die auf Basis von Pfandbriefen und Kommunalobligationen durchgeführten Investitionen zum weitaus überwiegenden Teil unter öffentlich-rechtlicher Regie; die Realkreditinstitute wurden praktisch nur zur Durchleitung öffentlicher Gelder in den sozialen Wohnungsbau genutzt. Die Einflussnahme auf die Zweckverwendung der Emissionserlöse erfolgte nicht so sehr auf zentraler Ebene durch den Kapitalverkehrsausschuss, sondern dezentral über die Wertpapierkäufe der verschiedenen öffentlichen Körperschaften. Angesichts dieses Umstandes verwundert es kaum, dass im Kapitalverkehrsausschuss keine Grundsatzdebatte über die anzustrebenden 235 Schreiben des KVA-Sekretariats an den Vorsitzenden des Sonderausschusses Bankenaufsicht vom 18.9.1950; Schreiben des Vorsitzenden des Sonderausschusses Banken (Dr. Schwandt) an den BMF vom 11.11.1950 – BA Ko, B 126/12080. 236 Übersicht über die Art der vorgesehenen Unterbringung von Emissionen, denen der Kapitalverkehrsausschuss bisher zugestimmt hat, 8.11.1950 – BA Ko, B 126/12080. 237 Nur bei den Industrieobligationen war der Anteil der Unternehmen (78 Prozent) und der privaten Anleger (neun Prozent) im Vergleich zur öffentlichen Hand (13 Prozent) hoch. Vgl. Anhang, Tab. III. 238 Wenn Investoren größere Pakete von Pfandbriefen und Kommunalobligationen übernahmen, so geschah dies in aller Regel mit der Auflage, die zur Verfügung gestellten Finanzierungsmittel für bestimmte Zwecke einzusetzen, in erster Linie für den Bau von Sozialwohnungen und die Errichtung von „Sozialbauten“ (vor allem Schulen und Krankenhäuser). Eine Zweckbindung war allgemein üblich, egal ob es sich bei den Pfandbriefkäufern um Sozialversicherungsträger, öffentliche Gebietskörperschaften oder um private Versicherungen handelte. Vgl. Rieger, Hypothekarkredit- und Pfandbriefinstitute, S. 11, 35 f., 86.
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Verwendungszwecke der genehmigten Emissionen aufkam, die während der Beratungen zum KVG im Wirtschaftsrat und im Länderrat eine so große Rolle gespielt hatte. Umstritten war lediglich die – letztlich untergeordnete – Frage, inwieweit aus Erlösen der Kommunalobligationen auch so genannte „Sozialbauten“ finanziert werden durften. Darunter fielen etwa Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungsgebäude (auch Kirchen), also Einrichtungen, die üblicherweise von Gemeinden und Gemeindeverbänden getragen wurden. Der Kapitalverkehrsausschuss genehmigte die Emission von Kommunalobligationen in der Regel nur dann, wenn für solche „Sozialbauten“ nicht mehr als zehn Prozent der Emissionssumme Verwendung fand, da sie nicht zu den bevorzugten Investitionen des Marshallplans zählten. Dort hatten Investitionen in „produktive Anlagen“ einschließlich Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerken eindeutige Priorität.239 Dementsprechend sollten Kommunalobligationen in erster Linie der kommunalen Versorgungswirtschaft zugute kommen, die vorerst weder ERP-Gegenwertmittel erhielten noch im „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ der Bundesregierung aus dem Jahr 1950 berücksichtigt wurden.240 Der Deutsche Landkreistag wandte sich gegen die Genehmigungspraxis des Kapitalverkehrsausschusses und argumentierte, dass Kommunalobligationen generell von allen Beschränkungen des Verwendungszwecks befreit werden sollten. Die Unterscheidung zwischen werbenden Betrieben der Gemeinden wie Schlachthöfe und nichtwerbenden Betrieben wie Krankenhäusern sei nicht angebracht. Es müsse zudem beachtet werden, dass die kommunalen Kreditausschüsse zu den beabsichtigten Projekten der Gemeinden bereits Stellung genommen hätten und somit die Investitionen schon beurteilt und gesteuert würden.241 Auch der Bundesfinanzminister sprach sich dafür aus, je nach Lage eine Freigabe für Sozialbauten bis zu 20 Prozent zuzulassen.242 Der Kapitalverkehrsausschuss konnte sich zwar nicht zu einer generellen Freigabe der Investitionen von „Sozialbauten“ durchringen und bestand grundsätzlich auf eine Beschränkung auf zehn Prozent des Emissionserlöses, aber in Ausnahmefällen dehnte er den Anteil dieser Bauten auf bis zu 30 Prozent aus. Der Ausschuss machte solche Ausnahmen, wenn Regionen betroffen waren, die einen hohen Zerstörungsgrad aufwiesen bzw. überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen hatten.243
239 Vermerk für den Herrn Minister vom 12.6.1950 – BA Ko, B 126/12080. 240 Niederschrift über die 13. KVA-Sitzung vom 5.10.1950 – BA Ko, B 126/12080. 241 Es ist dabei zu berücksichtigen, dass Mitte 1950 von den insgesamt begebenen festverzinslichen Wertpapieren in Höhe von 759 Mio. DM nur 132 Mio. DM auf Kommunalobligationen und somit nur ein Anteil von etwa 13 Mio. DM auf den Schul- und Krankenhausbau entfielen. Niederschrift über die 23. KVA-Sitzung vom 16.8.1951 – BA Ko, B 126/12081. 242 Vermerk (Dr. Messer) vom 25.9.1950 – BA Ko, B 126/12080. 243 60 Prozent der ca. zehn Mio. Vertriebenen und Flüchtlinge konzentrierten sich auf drei Bundesländer. Vermerk für den Herrn Minister vom 12.6.1950 – BA Ko, B 126/12080.
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IV. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz
IV. 3. 2. 3. Die Spaltung des Wertpapiermarktes Der Markt für Wertpapiere war unter dem KVG im Grunde in drei Teile gespalten: 1) Der Wertpapierabsatz an öffentliche Kapitalsammelstellen funktionierte reibungslos: Die Verzinsung war für diese Körperschaften nur zweitrangig, da sie nicht der Körperschaftsteuer unterlagen; sie konnten über den Wertpapiermarkt Einfluss auf den Verwendungszweck der Emissionserlöse nehmen; die eingeschränkte Fungibilität spielte keine Rolle, da Pfandbriefe und Kommunalobligationen langfristig ins Portefeuille wanderten. Allerdings wurden auf diese Weise kaum „originäre“ Sparbeträge angelegt, sondern zum größten Teil Mittel, die zuvor schon durch die privaten Haushalte, etwa in Form von Steuern oder Versicherungsbeiträgen, aufgebracht worden waren. 2) Der Wertpapierabsatz an privatwirtschaftliche Kapitalsammelstellen und Kreditinstitute funktionierte nur schlecht. Da diese nicht in den Genuss von Steuervergünstigungen beim Ersterwerb von Wertpapieren (Kapitalansammlungsverträge) kamen, die natürlichen Personen vorbehalten blieb, war ein Zinssatz von fünf Prozent bei Pfandbriefen bzw. 6,5 Prozent bei Industrieobligationen für sie kaum attraktiv. Bei normaler Steuerpflicht hatten sie ca. 70 Prozent der Zinseinnahmen abzuführen, so dass effektiv nicht einmal ein Drittel des Nominalzinses übrig blieb. Selbst für Lebensversicherungsunternehmen, die nur sehr eingeschränkt der Steuerpflicht unterlagen, war der Kauf von 5-prozentigen Wertpapieren kaum attraktiv, zumal die Marktenge bei den meisten Rentenwerten eine geringe Fungibilität bei hohem Kursrisiko bedeutete. Schuldscheindarlehen und direkte Kreditvergabe versprachen den privaten Kapitalsammelstellen wesentlich höhere Renditen ohne entsprechend höheres Risiko. 3) Der Wertpapierabsatz an private Haushalte verlief trotz der Steuerbefreiung des Ersterwerbs von Wertpapieren (Kapitalansammlungsverträge) vollkommen ungenügend. Denn die privaten Haushalte bevorzugten das Sparen in Form von Einlagen bei Kreditinstituten, das ebenfalls eine vollständige Steuerbefreiung mit sich brachte, aber mit keinerlei Kursrisiko verbunden war. Hinzu kamen die oben genannten mentalen Gründe für das Abnehmen des langfristigen privaten Vorsorgesparens und die Zunahme des kurzfristigen Zwecksparens (Enttäuschung über die Währungsreform, Inflationsangst etc.).244
244 Bei den Hypothekenbanken, die ein eigenes Filialnetz unterhielten (z.B. Münchner gemischte Hypothekenbanken), war der Absatz durch entsprechende Werbemaßnahmen durchaus befriedigend. Wenn Realkreditinstitute aber beim Vertrieb auf das Filialnetz der Geschäftsbanken und Bankiers angewiesen waren, waren die Verkaufserfolge eher gering. Für die Geschäftsbanken waren die geringen Provisionen nicht attraktiv und das bilanzwirksame eigene Einlagengeschäft von eindeutig übergeordneter Bedeutung. „Die gegenwärtigen Verhandlungen über eine Kapitalmarkt-Reform“, Vortrag von Dr. Biber, 2.4.1952 – BBk HA, B 330/3156.
V. NEUE PROBLEMLAGE NACH AUSBRUCH DES KOREAKRIEGS (1950/51) V. 1. DREIFACHE HERAUSFORDERUNG IM KOREABOOM: INFLATION, ZAHLUNGSBILANZDEFIZIT UND INVESTITIONSSTAU IN DEN GRUNDSTOFFINDUSTRIEN Die gesamtwirtschaftliche Situation erfuhr ein halbes Jahr nach der intensiv geführten Diskussion um den „angemessenen“ Kapitalmarktzins eine grundsätzliche Wende, mit der sich in der Folgezeit auch die Rahmenbedingungen der Kapitalmarktpolitik änderten. Als am 25. Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, wurden die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen neu justiert. Bedeutende westliche Industrieländer, allen voran die USA und Großbritannien, stellten – geschockt von dem Ausbruch des Krieges und den Kriegseintritt Chinas – ihre Wirtschaft binnen kurzem verstärkt auf Rüstungsproduktion um. In der Folge fielen sie als Lieferanten von Investitionsgütern auf dem Weltmarkt weitgehend aus, so dass sich die Nachfrage auf Länder verlagerte, die noch über freie Produktionskapazitäten verfügten. Zu ihnen zählte vor allem Westdeutschland, das keine Rüstungsgüter produzieren durfte, als traditioneller Exporteur von Investitionsgütern über das notwendige Know-how verfügte und an einer Ausweitung seines Exports höchst interessiert war. Für die westdeutsche Wirtschaft entpuppte sich der internationale Krisenherd in mancherlei Hinsicht als Wachstumsmotor.1 Bevor der „Koreaboom“ jedoch mittel- und langfristig seine günstigen wirtschaftlichen Wirkungen in Westdeutschland entfalten konnte, stürzte der Kriegsausbruch die Bundesregierung zwischen September 1950 und März 1951 in tiefe außen- und innenpolitische Krisensituationen. Hatte schon die Arbeitslosenproblematik, die zu Beginn des Jahres 1950 die tagespolitische Agenda bestimmt hatte, zur grundsätzlichen Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung Anlass gegeben, so entzündete sich an den wirtschaftlichen Folgen des Koreakriegs eine noch heftigere politische Auseinandersetzung. Nichts weniger als die bisherige – eng mit dem Namen Ludwig Erhard verbundene – marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik wurde von Grund auf in Frage gestellt. Und aufs Neue wurde heftig um die zukünftige ordnungspolitische Ausrichtung der Bundesrepublik und die Rangfolge der wirtschaftspolitischen Zielsetzungen 1
Es ist nach wie vor umstritten, ob eher die Steigerung des Exports oder eher die starke Belebung der Binnennachfrage (Hortung aus Angst vor Lieferengpässen) zum Produktionsschub beitrugen. Zu den unterschiedlichen Standpunkten vgl. Wallich, Triebkräfte, S. 83; Abelshauser, Jahre, S. 21 f.; ders, Wirtschaftsgeschichte, S. 158 ff.; Giersch/ Paqué/ Schmieding, Miracle, S. 70 f.; Dickhaus, Bundesbank, S. 87 ff.; Lindlar, Wirtschaftswunder, S. 244 ff.; Winkler, Weg, S. 160 f.
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V. Neue Problemlage nach Ausbruch des Koreakriegs
gerungen. Es begann für den Bundeswirtschaftsminister eine „Phase der Bewährung und Bewahrung des wirtschaftspolitischen Systems“,2 das bis dahin in wesentlichen Bereichen auf Marktmechanismen vertraut und den Einfluss des Staates zu begrenzen versucht hatte. Während das Arbeitslosenproblem vorübergehend – aber keineswegs gelöst – in den Hintergrund trat, kulminierten nach Ausbruch des Koreakriegs die Probleme vor allem auf drei Feldern: Die Inflation stieg heftig an, das westdeutsche Zahlungsbilanzdefizit weitete sich drastisch aus und ein Engpass in der Kohleproduktion drohte die Wiederaufbaubemühungen zu lähmen. Hinzu kam als langfristige Konsequenz, dass der erste „Stellvertreterkrieg“ mit Beteiligung der Großmächte USA, China und UdSSR die Angst vor einem dritten Weltkrieg schürte und eine globale Aufrüstungswelle auslöste, die auch der Bundesrepublik einen Anteil an der Finanzierung der steigenden Militärausgaben aufbürdete. Wie groß der Schock der US-Amerikaner nach Ausbruch des Koreakriegs war, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass die US-Regierung wieder rigide Maßnahmen zur (internationalen) Rohstofflenkung sowie Exportkontrollen für kriegswichtige Waren einführte und dafür sorgte, dass der Marshallplan von einem zivilen wirtschaftlichen Wiederaufbauprogramm in ein militärisches Aufrüstungsprogramm für Westeuropa umgewandelt wurde. Im Rahmen der Rüstungsanstrengungen drängten die USA ihre europäischen Verbündeten, eine effiziente Verteidigungsgemeinschaft zu bilden, in die auch Westdeutschland einbezogen werden sollte.3 Bei aller Betonung der rüstungswirtschaftlichen Herausforderungen waren sich die US-Amerikaner bewusst, dass die Umwidmung des Marshallplans für militärische Zwecke die Gefahr in sich barg, dass die Anstrengungen zur wirtschaftlichen Erholung Westeuropas ins Stocken geraten, insbesondere die sozial schwachen Schichten darunter leiden und so politische Unruhen entstehen könnten. Um dies zu vermeiden und dennoch die angestrebten Rüstungsausweitungen schultern zu können, sahen die Amerikaner eine Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität Westeuropas als unabdingbar an. Dies setzte aus ihrer Sicht eine verstärkte internationale Kooperation, eine Ausweitung der Handelsliberalisierung und zusätzliche Investitionen in moderne Produktionsanlagen voraus. Um soziale Unruhen zu vermeiden, sollte die Arbeitslosigkeit reduziert und die Nationaleinkommen zugunsten der sozial schwächeren Schichten umverteilt werden.4 Indes war man auf westdeutscher Seite vorerst mit der Bewältigung der unmittelbaren Auswirkungen des Koreakriegs vollauf beschäftigt, die zur „größten konjunkturellen Instabilität“ der Bundesrepublik in ihrer Geschichte führten:5 a) Zu den Auswirkungen des Krieges, die als erstes zu spüren waren, zählte der globale Anstieg der Rohstoff- und Warenpreise. Er war die Folge einer 2 3 4 5
Erhard, Wohlstand, S. 65. Hogan, Marshall Plan, S. 337, 339; Abelshauser, Ansätze, S. 722 ff.; ders., Wirtschaftsgeschichte, S. 175 ff.; Hardach, Marshall-Plan, S. 301 ff. Hogan, Marshall Plan, S. 341 ff. Lindlar, Wirtschaftswunder, S. 246.
V. Neue Problemlage nach Ausbruch des Koreakriegs
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elementaren Verschiebung der globalen Nachfrage- und Angebotssituation. Zum einen stieg die Nachfrage an, da die nationalen Rüstungsindustrien enorm ausgeweitet und zugleich Waren und Rohstoffe auf Vorrat gekauft wurden, um einer erwarteten Verknappung vorzubeugen. Zum anderen sank das Angebot, da die Exportländer, allen voran die USA, ihre Ausfuhren zugunsten des eigenen Bedarfs reduzierten. Der Preisanstieg traf die Bundesrepublik, die in hohem Maße von Rohstoff- und Nahrungsmittelimporten abhängig war und weite Teile ihres Außenhandels bereits liberalisiert hatte, mit voller Wucht. Infolgedessen stieg das Preisniveau in Westdeutschland, wenn auch durch staatliche Subventionen und Preisbindungen (Grundnahrungsmittel, Kohle, Mieten) zeitverzögert, ab November 1950 scharf an.6 Diese Entwicklung musste auf Dauer auch weitreichende Auswirkungen auf den Kapitalmarkt haben, da die Kapitalbildung bei einer zweistelligen Inflationsrate früher oder später ins Stocken geraten musste (angesichts einer Nominalverzinsung von Spareinlagen bzw. Wertpapieren zwischen drei und 6,5 Prozent). b) In der zweiten Jahreshälfte 1950 legte die industrielle Produktion in der Bundesrepublik aufgrund der stark steigenden Güternachfrage im In- und Ausland drastisch zu.7 Der an sich willkommene Produktionsanstieg stellte jedoch aufgrund seiner schieren Größe zusätzliche Herausforderungen an die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger, da er den Importbedarf trotz der stark erhöhten Rohstoffpreise noch mehr erhöhte, so die inländische Inflation zusätzlich anheizte, erhebliche Devisenabflüsse verursachte und zu einem immer größeren Defizit in der Zahlungsbilanz führte. Denn vorerst blieb der Wert der Exporte deutlich hinter demjenigen der Importe zurück.8 Die Europäische Zahlungsunion (EZU) – erst im September 1950 nach mühsamen Verhandlungen mit dem Ziel ins Leben gerufen, den europäischen Handels- und Zahlungsverkehr durch ein multilaterales Clearing- und Kredit6
7 8
Im Juli 1951 lag der Index der Lebenshaltungskosten um zwölf Prozent über dem Wert des Vorjahres. Der Anstieg entsprach ungefähr den Inflationsraten in anderen Industrieländern. Von den Preissteigerungen war auch der Wohnungsbau betroffen. Der Preisindex für Wohngebäude (1938=100) stieg von 195 auf 232 Indexpunkte, der Preisindex für Baustoffe von 203 auf 260. BdL, Hauptabteilung Volkswirtschaft und Statistik, Zusammenfassung und auszugsweise Wiedergabe des 3. Berichts der OEEC über die „Innere Finanzielle Stabilität“, November 1951 – BBk, HA, B 330/51; Schulz, Wiederaufbau, S. 268. Die Industrieproduktion stieg in der zweiten Jahreshälfte 1950 im Vergleich zur ersten Jahreshälfte um fast ein Viertel. Vgl. Hentschel, Erhard, S. 166; Holtfrerich, Geldpolitik, S. 373 f. Das Übergewicht der Importe gegenüber den Exporten hatte verschiedene Gründe: Aufgrund der guten Binnenkonjunktur bedienten die westdeutschen Unternehmen zunächst die Binnennachfrage und widmeten sich erst später dem beschwerlicheren Exportgeschäft. Auch hatten sich die terms of trade zuungunsten der Bundesrepublik verändert. Zudem hatten die Zahlungsusancen zur Folge, dass Importe (von Rohstoffen und Nahrungsmitteln) zeitnäher bezahlt werden mussten als die exportierten Waren (Investitionsgüter). BdL, Hauptabteilung Volkswirtschaft und Statistik, Zusammenfassung und auszugsweise Wiedergabe des 3. Berichts der OEEC über die „Innere Finanzielle Stabilität“, November 1951 – BBk, HA, B 330/51; vgl. auch Adamsen, Investitionshilfe, S. 96.
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V. Neue Problemlage nach Ausbruch des Koreakriegs
system zu fördern – musste sich gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit mit dem Problem der westdeutschen Zahlungsbilanz auseinandersetzen, die Ende September ein Defizit von knapp 172 Mio. Dollar aufwies. In einer Besprechung mit Bundeskanzler Adenauer übten die Hohen Kommissare am 12. Oktober 1950 deutliche Kritik an der Untätigkeit der Bundesregierung. Der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy9 – der zugleich auch Sonderbeauftragter der ECA für die Bundesrepublik war – betonte, dass die ECA das deutsche Zahlungsbilanzproblem mit großer Sorge beobachte, und drängte die Bundesregierung zum Handeln. Die gleiche Haltung nahm das Direktorium der EZU ein, das der Bundesregierung und der BdL vorwarf, zu spät und zu zögerlich eingegriffen zu haben.10 c) Neben dem Zahlungsbilanzproblem setzte der „Koreaboom“ das Problem der Produktionsengpässe wieder ganz oben auf die wirtschaftspolitische Tagesordnung. Denn ein altbekanntes Problem drohte das forcierte westdeutsche Wirtschaftswachstum zu ersticken: Die stagnierende Kohleförderung war dem stark ansteigenden Bedarf der unmittelbar nachgelagerten Eisen- und Stahlproduktion sowie der Energieerzeugung nicht mehr gewachsen. Als Folge drohte ein Stahlund Energiemangel, der empfindliche Produktionseinbußen in der gesamten verarbeitenden Industrie nach sich ziehen würde. Es kam zu ersten Stromsperrungen und die Schließung von ersten Industriebetrieben stand im Raum.11 Der Kohlemangel beruhte teils auf Arbeitskräftemangel, der wiederum auf den begrenzten Wohnraum im Ruhrgebiet zurückzuführen war, und teils auf den infolge des Koreakriegs erhöhten Lieferverpflichtungen gegenüber den europäischen Nachbarländern – trotz weiterhin gültiger Produktionsbeschränkungen. Vor allem aber war der Kohlemangel das Ergebnis der bisherigen Wirtschaftspolitik, die auf billige, preisgebundene Kohle gesetzt hatte, um die weiterverarbeitende Industrie zu fördern und ihre Exportfähigkeit zu erhöhen. Aufgrund der niedrigen Kohlepreise hatten die Zechen, deren Zukunft – ebenso wie diejenige der Eisenund Stahlindustrie – aufgrund der laufenden alliierten Verhandlungen über Entflechtungsmaßnahmen ohnehin ungewiss war, in den zurückliegenden Jahren kaum Gewinne erzielt. Daher waren sie nicht in der Lage gewesen, Erweiterungsinvestitionen über Eigenfinanzierung voranzutreiben und das Produktionsvolumen der steigenden Nachfrage anzupassen.12
9
Der amerikanische Hohe Kommissar war Republikaner und ehemaliger Präsident der Weltbank. Trotz seiner Parteizugehörigkeit und seiner Nähe zur Wall Street war er Anhänger einer korporatistischen Wirtschaftsordnung in Verbindung mit wirtschaftlicher Regulierung und einer keynesianisch geprägten Finanz- und Geldpolitik – wie sie auch von den führenden Repräsentanten der ECA propagiert wurde. Vgl. Hogan, Marshall Plan, S. 356. 10 Hardach, Marshall-Plan, S. 302 f. 11 Abelshauser, Jahre, S. 21. 12 Roskamp, Capital formation, S. 164-169; Hentschel, Erhard, S. 190 f.
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V. 2. INNEN- UND AUßENPOLITISCHE FOLGEN DER KRISE Mit dem gleichzeitigen Auftreten des Zahlungsbilanzdefizits, des Inflationsanstiegs und des Kohlemangels geriet die Bundesregierung innen- und außenpolitisch von verschiedenen Seiten unter Druck. Die Gewerkschaften kündigten an, dass sie auf die Preissteigerungen mit hohen Lohnforderungen reagieren würden – was die Inflation weiter angeheizt hätte – und kündigten bereits Tarifverträge auf. Dies geschah in einer Phase, in der Bundeskanzler Adenauer bemüht war, keine Spannungen im Verhältnis zu den Gewerkschaften aufkommen zu lassen, die er in richtungweisende politische Projekte wie den Schumann-Plan, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und die betriebliche Mitbestimmung einbinden wollte. Die SPD sah sich durch die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die der Koreaboom aufgedeckt hatte, in ihrer langjährigen Forderung bestätigt, eine umfassendere Wirtschafts- und Investitionsplanung unter der Regie des Staates aufzunehmen, die bisher von der Bundesregierung weitgehend abgelehnt worden war. Die SPD verurteilte die zurückliegende Wirtschaftspolitik der Regierungskoalition als konzeptionslos und strebte eine neue Grundsatzdebatte über die ordnungspolitische Zukunft Deutschlands an.13 Gewerkschaften und SPD sahen ihre Positionen durch Äußerungen der Alliierten Hohen Kommission und der ECA gestärkt, die ebenfalls verstärkte Interventionen des Staates forderten, um Rohstoffversorgung und Investitionen in den Engpassbereichen sicherzustellen. Die US-Amerikaner waren darüber besorgt, dass Westdeutschland angesichts seiner vielfältigen wirtschaftlichen Probleme nicht in der Lage sein könnte, die forcierten Rüstungsanstrengungen der westeuropäischen Staaten angemessen – sei es durch finanzielle Mittel, sei es durch Rohstoff- oder Warenlieferungen – zu unterstützen. Schon im Oktober 1950 hatten die Westmächte der Bundesregierung mitgeteilt, dass die von deutscher Seite gewünschte Lockerung des Besatzungsstatuts nur dann in Erwägung gezogen werden könne, wenn die Bundesregierung eine Erklärung in dem Sinne abgebe, dass sie bei der Verteilung der für die gemeinsame Verteidigung notwendigen knappen Rohstoffe mit den westlichen Alliierten kooperieren, den Warenexport für den Verteidigungsbedarf „zu angemessenen Preisen [...] in einem der Billigkeit entsprechenden Verhältnis zum inneren Verbrauchs- und Investitionsbedarf“ sicherstellen sowie diesen Lieferungen einen Vorrang vor anderen Exporten zugestehen werde.14 Die Forderungen der OEEC und der ECA wurden um die Jahreswende 1950/51 immer eindringlicher und massiver. Die Verärgerung über die zögerlichen deutschen Politiker kulminierte schließlich in einem Schreiben des Hohen Kommissars McCloy an Bundeskanzler Adenauer vom 6. März 1951, in dem er angesichts der dramatisch veränderten Weltlage unumwunden eine Neuorientie-
13 Dietrich, Eigentum, S. 146. 14 Schreiben der AHK an die Bundesregierung vom 23.10.1950, in:. Europa-Archiv 1951, S. 3851.
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rung der westdeutschen Wirtschaftspolitik forderte.15 Die von den USA geforderten Rüstungsanstrengungen in der westlichen Hemisphäre seien auf deutscher Seite nicht allein durch steuer- oder geldpolitische Maßnahmen zu erreichen, da „nur eine bedeutsame Modifizierung der freien Marktwirtschaft der veränderten Situation gerecht werden“ könne.16 McCloy forderte von der Bundesregierung direkte Maßnahmen zur Lenkung der Rohstoffversorgung, zur Rationierung von Waren sowie zur Lohn- und Preiskontrolle. Darüber hinaus sollten Kredite stärker für vorrangige Investitionen reserviert werden. Auch sollte die Versorgung der Besatzungsmächte und der Export von rüstungswichtigen Produkten an NATOMitgliedsländer fortan Priorität genießen. McCloy drohte, ERP-Lieferungen auszusetzen bzw. Rohstoffimporte einzuschränken, falls die Deutschen nicht bereit seien, die geforderten wirtschaftslenkenden Maßnahmen – für die „sowohl die Regierung als auch das westdeutsche Volk nicht unbeträchtliche Opfer“ würden erbringen müssen – durchzuführen. Nur eine Investitionslenkung zugunsten der rüstungspolitisch wichtigen Grundstoff- und Investitionsgüterindustrie sowie eine gleichzeitige Beschränkung des Konsums, so die Meinung McCloys und der führenden ECA-Vertreter, könne die Bundesrepublik in die Lage versetzen, die Verteidigungsanstrengungen der westlichen Staaten durch höhere Zahlungen und die Lieferung von mehr Kohle und Investitionsgütern zu unterstützen.17 Adenauer fürchtete nicht zu Unrecht, dass bei einer weiterhin zögerlichen Haltung der Bundesregierung nicht nur ein Ausbleiben der MarshallplanLieferungen drohte, sondern auch die Gefahr bestand, dass die USA direkt über das Besatzungsrecht in die westdeutsche Wirtschaftspolitik eingreifen könnten. Seine Bemühungen um eine Rückgewinnung der vollen staatlichen Souveränität hätten dadurch einen herben Rückschlag erlitten.18 Er war daher bereit, den Forderungen der Amerikaner entgegenzukommen, eine Neujustierung der Wirtschaftspolitik zuzulassen und dabei die Beachtung ordnungspolitischer Prinzipien in den Hintergrund zu stellen. Adenauers pragmatische Einstellung musste mit Ludwig Erhards missionarischem Streben nach marktwirtschaftlichen Verhältnissen in Konflikt geraten.19 Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das von der Person Erhard verkörpert wurde, angesichts der wirtschaftlichen Probleme ohnehin schon massiver Kritik ausgesetzt war. Adenauer versuchte, die geschwächte Position des Bundeswirtschaftsministers zu nutzen, um die Kompetenzen Erhards zu beschneiden und eine „Koordinierung“ der Wirtschaftspolitik unter der Leitung des Bundeskanzleramtes herbeizuführen. Die Einrichtung eines „Wirtschaftskabinetts“, das vom Bundeskanzleramt aus geführt werden sollte, scheiterte jedoch letztlich am Widerstand der Bundes15 Der Briefwechsel zwischen McCloy und Adenauer ist abgedruckt in: Abelshauser, Ansätze, S. 734 ff. 16 Ebd. 17 Hardach, Marshall-Plan, S. 301 f. 18 Herbst, Option, S. 94 ff. 19 Henning, Adenauer, S. 27 f.; Koerfer, Kontroversen, S. 34 sowie Diskussionsbeitrag ebd., S. 48.
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minister. Als dauerhafte Einrichtung blieb lediglich der von Adenauer im März 1951 eingerichtete Interministerielle Wirtschaftsausschuss, später Kabinettsausschuss für Wirtschaftsfragen genannt, bestehen, der auf Beschluss der Bundesregierung wirtschaftspolitische Entscheidungen vorbereiten bzw. Themen beraten sollte, für die im Kabinett keine beschlussfähige Mehrheit erreicht werden konnte.20 Adenauer wies in seinem Antwortschreiben an McCloy, das vom Interministeriellen Wirtschaftsausschuss vorbereitet worden war, auf die inzwischen ergriffenen kreditpolitischen Maßnahmen der BdL zur Bewältigung der Zahlungsbilanzkrise sowie auf die durch das „Wirtschaftssicherungsgesetz“ geschaffenen Möglichkeiten zur Lenkung der Rohstoffim- und -exporte hin.21 Er versprach darüber hinaus, dass der Bedarf der Besatzungsmächte wie gewünscht Priorität erhalten sollte. Der Forderung der Amerikaner nach Steuergesetzen, die „überflüssigen“ Konsum einschränken sollten, kam er mit Hinweis auf bereits aufgenommene Gesetzesarbeiten nach: „Was insbesondere die Einführung von umfassenden Verkaufssteuern auf Luxusgüter im engeren und weiteren Sinn angeht, so ist sich die Bundesregierung der Notwendigkeit, den gehobenen Konsum einzuschränken, durchaus bewusst. Sie bittet aber um Verständnis dafür, dass angesichts der großen sozialen und produktionspolitischen Tragweite einer in die Breite gehenden Belastung des Konsums hierfür sorgfältige Vorarbeiten erforderlich sind. Das Problem wird weiterhin unter den besonderen deutschen Verhältnissen noch dadurch kompliziert, dass die Bundesregierung bemüht sein muss, die Kapazitäten der Grundstoffindustrien (einschl. gewisser Zweige des Verkehrs), nicht zuletzt auch im Interesse einer höheren Leistungsfähigkeit Deutschlands für die westliche Verteidigung, auszubauen. Angesichts der Unergiebigkeit des deutschen Kapitalmarktes ist diese Aufgabe nur lösbar durch eine gewisse Zweckbindung von Mitteln, die bisher weniger dringlichen Investitionen oder dem gehobenen Konsum zugeflossen sind. Die Vorarbeiten für eine Gesetzgebung, die zugleich der Zielsetzung gerecht wird, sowohl den gehobenen Konsum im erforderlichen Ausmaß zu reduzieren und die notwendigen Investitionskapitalien aufzubringen, als auch die erforderlichen zusätzlichen Haushaltsmittel aufzubringen, werden in den beteiligten Ministerien z.Zt. mit allem Nachdruck gefördert.“22
Adenauer gab zwar den amerikanischen Forderungen tendenziell nach, aber die angekündigten Maßnahmen und Instrumente waren weit von den lenkungswirtschaftlichen Überlegungen McCloys und einer grundlegenden Neuausrichtung der westdeutschen Wirtschaftsordnung entfernt. Adenauer begnügte sich damit, mögliche Instrumente zur Wirtschaftslenkung aufzuzeigen. Inwieweit die Bundesregierung sie tatsächlich anwenden würde, ging aus seiner Stellungnahme nicht hervor. Es sollte sich in den folgenden Monaten einmal mehr erweisen, dass insbesondere Bundeswirtschaftsminister Erhard durch taktisches, dilatorisches Handeln einen massiven Wandel seiner Wirtschaftspolitik abwenden konnte, bis 20 Offiziell saß Adenauer selbst dem Ausschuss vor; sein Vertreter war nicht Erhard, sondern Bundesminister für den Marshallplan Blücher. Vgl. Löffler, Marktwirtschaft, S. 320 f. 21 Es war u.a. eine Bundesstelle für den Warenhandel eingerichtet sowie das Wirtschaftssicherungsgesetz verabschiedet worden, das die Rohstoffversorgung der Exportindustrie sicherstellen sollte. Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 312 f. 22 Schreiben Adenauer an McCloy vom 27.3.1951, abgedruckt in: Abelshauser, Ansätze, S. 743.
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sich der Druck aus den USA wieder verminderte.23 Nichtsdestotrotz: Vorläufig traten lenkungswirtschaftlich Aspekte wieder in den Vordergrund der westdeutschen Wirtschaftspolitik, die auch die Kapitalmarktpolitik zu berücksichtigen hatte. V. 3. ANSÄTZE ZUR LÖSUNG DER KRISE V. 3. 1. Außenwirtschaftliche Lösungsversuche Die Bundesregierung hatte dem Zahlungsbilanzdefizit im Sommer 1950 zunächst abwartend gegenübergestanden, da sie den Wirtschaftsaufschwung, der nicht zuletzt entscheidend zur Lösung des Arbeitslosenproblems beitragen konnte, positiv beurteilte und zudem die Kreditfazilität der EZU für eine weitere Ankurbelung der Wirtschaft nutzen wollte. Insbesondere Erhard glaubte daran, dass die Zahlungsbilanzkrise innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung zu lösen sei und lehnte staatliche Eingriffe in das Preissystem ebenso ab wie eine Zurücknahme der Liberalisierungsschritte im Außenhandel.24 Bei der ECA wurde der Vorwurf laut, dass die westdeutschen Unternehmen auf Kosten der anderen EZU-Teilnehmerstaaten Importgüter horteten, um sich gegen zukünftige Lieferengpässe abzusichern. Die rückblickende Einschätzung der OEEC bringt das Dilemma der westdeutschen Wirtschaftpolitik auf den Punkt: „Die Auswirkungen der auf der ganzen Welt vorherrschenden inflatorischen Tendenzen auf eine psychologischen Einflüssen gegenüber ziemlich anfällige Volkswirtschaft [i.e. Westdeutschlands; d. Vf.] verstärkte den Konflikt zwischen der Furcht vor einer Inflation und den Zahlungsbilanzschwierigkeiten einerseits und dem Wunsch nach einer Erhöhung von Produktion und Beschäftigung andererseits.“25
Die BdL hatte zunächst die positive Einschätzung Erhards geteilt, beurteilte die außenwirtschaftliche Lage jedoch seit September 1950 zunehmend skeptisch. Bereits einen Monat später sah sie sich veranlasst, der zunehmend rasanten Wirtschaftsentwicklung schrittweise mit restriktiven Maßnahmen entgegenzuwirken.26 Mit Verweis auf die Kreditpolitik der BdL erreichte die Bundesregie23 Berghahn, Unternehmer, S. 291 f. 24 Diese hätten eine Verstärkung staatlicher Außenhandelskontrollen, größere Handelsbeschränkungen und letztlich eine Verminderung des Wirtschaftswachstums bedeutet. Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 300; Holtfrerich, Geldpolitik, S. 374 ff. 25 BdL, Hauptabteilung Volkswirtschaft und Statistik, Zusammenfassung und auszugsweise Wiedergabe des 3. Berichts der OEEC über die „Innere Finanzielle Stabilität“, November 1951 – BBk, HA, B 330/51. 26 Zunächst erhöhte die BdL die Sätze der Mindestreserven deutlich, dann verlangte sie von allen Unternehmen, die Importlizenzen beantragten, die Hinterlegung von 50 Prozent des Importwertes (= Devisenbedarf) und kürzte die Rediskontierung von Bankakzepten und Wechselkrediten, die für die Einfuhrfinanzierung Verwendung fanden, um zehn Prozent. Anfang November 1950 erhöhte die BdL unter dem Druck des Auslands den Diskont- bzw. Lombardsatz von vier auf sechs bzw. von fünf auf sieben Prozent. Protokoll über die 15.
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rung Mitte November 1950 nach langem Ringen, dass der Rat der OEEC der Bundesrepublik eine Sonderquote der EZU in Höhe von 180 Mio. US-Dollar einräumte.27 Dieser Kredit erlaubte es der Bundesrepublik vorerst, den erreichten Grad der Außenhandelsliberalisierung beizubehalten und eine Drosselung des Wirtschaftswachstums, die bei einer Einschränkung der Importe gedroht hätte, zu vermeiden.28 Die OEEC verlangte im Gegenzug die Ausarbeitung eines „Stabilisierungsprogramms“ der Bundesregierung, das Aufschluss darüber geben sollte, wie das Zahlungsbilanzdefizit beseitigt werden sollte. Die Bundesregierung präsentierte daraufhin ihre bereits bekannten Rezepte, die kurzfristig auf eine restriktive Geldpolitik und langfristig auf eine Steigerung des Exports setzten. Um ein ausgeglichenes Wachstum der westdeutschen Wirtschaft zu gewährleisten, kündigte die Bundesregierung jedoch eine Reihe neuer Maßnahmen an, darunter eine Erhöhung der Steuereinnahmen zum Zwecke des Ausgleichs der öffentlichen Haushalte und zusätzliche Fördermaßnahmen zur Belebung des Kapitalmarkts.29 Da der westdeutsche Import dank der großzügig vergebenen Einfuhrlizenzen des Bundeswirtschaftsministeriums weiter florierte, waren die von der EZU eingeräumten Kreditlinien bereits im Führjahr 1951 nahezu ausgeschöpft.30 Die Bundesregierung war nun gezwungen, mit just der Maßnahme entgegenzuwirken, die sie so lange hatte vermeiden wollen: Die Handelsliberalisierung der Bundesrepublik wurde am 22. Februar ausgesetzt. Nur das Entgegenkommen der übrigen EZU-Mitgliederstaaten, insbesondere der Länder mit Handelsüberschüssen (Großbritannien, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Portugal, Schweiz), ermöglichte es in den folgenden Monaten, in gemeinsamen Verhandlungen die Grundlage für eine Bereinigung der Zahlungsbilanzkrise zu schaffen.31
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Sitzung des ERP-Ausschusses vom 23.11.1950 – PA, 1. Wahlperiode/ 15. Ausschuss; zu den Restriktionsmaßnahmen der BdL vgl. ausführlich Dickhaus, Bundesbank, S. 90-93. Im Rahmen der Sonderquote mussten weitere Defizite nur zu einem Drittel mit Dollar ausgeglichen werden, zwei Drittel, also 120 Mio. US-Dollar, erhielt die Bundesrepublik als Kredit. Vgl. Hentschel, Erhard, S. 177. Die Liberalisierung sollte nach dem Willen der Bundesregierung und der BdL dazu dienen, „größere Engpässe und Mangellagen in der Versorgung durch Importe“ aufzufüllen. Eine Rückführung der Liberalisierung hätte dagegen die Rohstoffversorgung der Industrie beschränkt, die Importe insgesamt verteuert und so die Inflation weiter angeheizt. Zudem drohte ein Ausscheren Westdeutschlands das Liberalisierungsprogramm der OEEC zu gefährden. Vgl. Dickhaus, Bundesbank, S. 93 f.; Holtfrerich, Geldpolitik, S. 374 ff. Tagesordnung für die KVA-Sitzung am 12.12.1950 – B 126/12080. Die BdL verschärfte ihre Geldpolitik Ende Februar noch einmal, indem sie die Geschäftsbanken anwies, ihre kurzfristigen Kredite an Handel und Industrie bis Ende April auf einen um 7,5 Prozent unter dem Niveau vom Januar 1951 liegenden Stand zu verringern. BdL, Hauptabteilung Volkswirtschaft und Statistik, Zusammenfassung und auszugsweise Wiedergabe des 3. Berichts der OEEC über die „Innere Finanzielle Stabilität“, November 1951 – BBk, HA, B 330/51. Es wurde vereinbart, dass die Überschussländer den Grad der Handelsliberalisierung für Importe aus der Bundesrepublik auf dem erreichten Niveau halten sollten. Dadurch konnte Westdeutschland seine Exporte steigern und zugleich durch die einseitige Aufhebung der Liberalisierung seine eigenen Importe vermindern. Seit Mai 1951 wies die Bundesrepublik dank dieser Regelung wieder eine positive Handelsbilanz auf. Die Exporte stiegen so stark an,
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Mit den Zugeständnissen der OEEC-Mitgliedsländer war erneut die Forderung verbunden, dass die Bundesrepublik ein strenges Programm aufstellen sollte, um das Defizit mit eigenen Anstrengungen zu beseitigen. So stand nach Bewältigung der Zahlungsbilanzkrise die Selbstverpflichtung der Bundesregierung gegenüber der ECA und der OEEC im Raum, den Haushalt zu konsolidieren und den Konsum einzuschränken, um künftige Ungleichgewichte in der Zahlungsbilanz auszuschließen. Zugleich sollte die Leistungskraft der westdeutschen Wirtschaft durch eine gesteigerte Produktivität und Exportfähigkeit in den Dienst der westeuropäischen Wiederaufbau- und Rüstungsanstrengungen gestellt werden, was nach Lage der Dinge nur durch zusätzliche Investitionen erreicht werden konnte. V. 3. 2. Binnenwirtschaftliche Lösungsversuche Das Ende des Marshallplans im Jahr 1952 stellte den Zeitpunkt dar, bis zu dem die deutsche Wirtschaft eine gewisse Planungssicherheit hinsichtlich ihrer Investitionen besaß. Denn sie konnte davon ausgehen, dass die USA erhebliche Anstrengungen und Kosten auf sich nehmen würden, um die Zielsetzungen des ERP zu erreichen. Damit war auch das westdeutsche Wirtschaftswachstum in gewissem Maße „abgesichert“. Wie es nach Beendigung der US-Auslandshilfe weitergehen sollte, darüber herrschte seit 1948/49 Unsicherheit. Würde die westdeutsche Wirtschaft stark genug sein, notwendige Investitionen eigenständig durchzuführen, im internationalen Wettbewerb zu bestehen und die Eingliederung der Arbeitsuchenden zu bewerkstelligen? Der Koreakrieg sorgte dafür, dass diese Fragen früher akut wurden als angenommen. Denn die weitreichende Problematik des Investitionsstaus in der Grundstoffindustrie rückte seit Ende 1950 immer stärker in den Fokus der Wirtschaftspolitik und weitete sich schließlich zu einer Grundsatzdebatte über die ordnungspolitische Ausrichtung der Bundesrepublik aus. In dieser prekären Phase wurde die Bundesregierung mit der Absicht der USA konfrontiert, die Zweckbestimmung des ERP zu ändern und ihn von einer Wirtschafts- in eine Militärhilfe umzuwandeln. Die Probleme der westdeutschen Investitionsfinanzierung drohten sich dadurch noch zu verschärfen. Die Diagnose war in den westdeutschen Parteien, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften unumstritten: Der – eingetretene bzw. bevorstehende32 – Produktionsrückstand bei Kohle, Eisen, Stahl und Energie hatte das Potenzial, das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu ersticken. Während das Produktionsniveau in diesen Bereichen 1950 immer noch unter dem des Jahres 1936 lag, hatten die dass sie real im Jahr 1951 um die Hälfte höher waren als 1950. Der Grad der Liberalisierung des westdeutschen Imports erreichte erst im Januar 1952 wieder das Niveau vom Februar 1951. Vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 306 ff. 32 De facto wies wohl nur der Kohlebergbau zur Jahreswende 1950/51 Produktionsengpässe auf. Der Rückgang bzw. die Stagnation der Stahl-, Eisen- und Energieerzeugung war eher eine unmittelbare Folgeerscheinung des Kohlemangels. Vgl. Hentschel, Erhard, S. 190 f.
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Investitionsgüter- (Maschinenbau, Elektrotechnik, Metallverarbeitung) und Konsumgüterindustrie diesen bereits deutlich überschritten.33 Für diese Diskrepanz machten die Zeitgenossen die ungleiche Verteilung von Kapitalbildung und Investitionen verantwortlich, die sich in erheblichem Maße auf die konsumnahen Wirtschaftsbranchen ohne Preisbindungen konzentriert hatten. Den preisgebundenen Grundstoffindustrien mangelte es dagegen an Investitionsmitteln, da ihre Gewinnmöglichkeiten stark eingeschränkt waren. Hinzu kam, dass sich kaum private Investoren für Industriebranchen fanden, in denen weiterhin Produktionsbeschränkungen bestanden bzw. die Eigentumsfrage nicht abschließend geklärt war.34 Selbst Erhard gab zu, dass die ungleichen Finanzierungsmöglichkeiten zu dem Produktionsengpass beigetragen hatten. Er beharrte aber darauf, dass die Förderung des Konsums nach der Währungsreform der einzig richtige und gangbare Weg gewesen sei. Nun müsse man angesichts der neuen Umstände eben korrigierend eingreifen und eine Umlenkung der Investitionen zugunsten der Grundstoffindustrien herbeiführen.35 Wie dieses korrigierende Eingreifen aussehen sollte, war allerdings höchst umstritten. Die Schwierigkeit bestand vor allem darin, dass die Engpassproblematik stark mit anderen wichtigen Fragen der Wirtschaftspolitik verflochten war. Neben der ungleichen Verteilung von Kapitalbildung und Investitionsmitteln betrafen sie auch die gegenüber dem Ausland eingegangenen Verpflichtungen, die öffentlichen Haushalte auszugleichen und den Konsum angesichts hoher Inflationsraten einzuschränken. Die Lösung der gesamten Problematik lief letztlich auf die ordnungspolitische Alternative hinaus, entweder Maßnahmen zur Kapitallenkung zu ergreifen und damit verbunden die Investitionsfinanzierung über die öffentlichen Haushalte auszuweiten oder aber die verbliebenen Preisbindungen in den Engpasssektoren, im Wohnungswesen und in der Versorgungswirtschaft abzubauen, um die Ressourcen- und Kapitalverteilung über den Markt zu regeln und den Staatshaushalt zu entlasten.36 Ersteres war ohne massive Eingriffe in die Wirtschaft nicht möglich und kaum mit einer Entlastung der öffentlichen Haushalte zu vereinbaren, Letzteres widersprach dem Ziel, der Geldentwertung entgegenzuwirken, da es mit erheblichen Preissteigerungen verbunden war. V. 3. 2. 1. Sparmarken-Plan, Sonderumsatzsteuer und Preiserhöhungen Den zahlreichen Implikationen entsprechend wurden mannigfaltige Lösungsansätze in politischen Gremien und in der Öffentlichkeit erörtert.37 Erhard ent33 34 35 36 37
Röhl, Entwicklung, S. 128 f. Adamsen, Investitionshilfe, S. 207. Hentschel, Erhard, S. 192 f. Adamsen, Investitionshilfe, S. 108 ff. Der “Spiegel” zählte 13 Konzepte und Gutachten von verschiedensten Seiten auf. Urheber waren unter anderem: der Niederbreisiger Kreis, der Wissenschaftliche Beirat des BMWi, Heinrich Strathus (Gutachter des BMF), der Deutsche Gewerkschaftsbund, der BDI,
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wickelte im Rahmen der hitzig geführten Debatte seinen bekannten „SparmarkenPlan“, bei dem der Erwerb „höherwertiger“ Konsumwaren durch Rabattmarken verteuert und die so eingenommenen Mittel in der Investitionsfinanzierung Verwendung finden sollten. Die Konsumenten sollten im Gegenzug für ihre Rabattmarken Anteile an Anleihen erhalten, die für diesen Zweck emittiert und mit 6,5 Prozent verzinst werden sollten. Erhard wollte mit dieser Konstruktion drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens wollte er den Konsum durch die Verteuerung der Waren einschränken, um so die inflationäre Entwicklung abzuschwächen. Zweitens wollte er die Kapitalbildung unter „sanftem Zwang“ und ohne zusätzliche steuerliche Belastungen erhöhen und drittens beabsichtigte er, das durch die Sparmarken aufgebrachte Kapital über Anleiheemissionen von der Konsumgüter- in die Investitionsgütersphäre umzulenken.38 Die wirtschaftsliberalen Flügel der Regierungsfraktionen (CDU/CSU, FDP), die sich im „Niederbreisiger Arbeitskreis“ zusammenfanden, unterstützten Erhards Sparmarken-Plan und forderten darüber hinaus, die noch gebundenen Preise für Wohnungsmieten, Nahrungsmittel, Verkehrsmittel und Kohle freizugeben, um so über höhere Preise – gerechnet wurde mit einem Anstieg des allgemeinen Preisindexes um bis zu zehn Prozent – die Kapitalbildung in diesen Wirtschaftsbereichen zu erleichtern und zugleich den Konsum zu dämpfen. Flankiert werden sollte diese dezidiert marktorientierte Lösung durch eine rigide Geldpolitik der Zentralbank, die den Anstieg des Preisniveaus im Zaum halten sollte.39 Dass die Preisbindungen keinen Dauerzustand darstellen konnten, wurde nicht in Zweifel gezogen. Aber zu welchem Zeitpunkt und in welchem Maße die Preise erhöht bzw. freigegeben werden sollten, war aufgrund der sozialen Auswirkungen höchst umstritten. Die Bundesregierung thematisierte die Preispolitik im Laufe des Jahres 1951 mehrfach in Kabinettssitzungen und erörterte die Möglichkeiten, Preisbindungen für landwirtschaftliche Produkte, Kohle, Gas und Energie sowie Alt- und Neubaumieten zu lockern. Während die Bundesregierung im März 1951 Preiserhöhungen für einige Grundnahrungsmittel (Weizen, Milch, Zuckerrüben), die bei Sozialhilfeempfängern und Rentnern durch staatliche Transferleistungen gemildert werden sollten, zustimmte,40 konnte sie sich nicht zu einer generellen Anhebung des Kohlepreises durchringen. Zwar plädierte Erhard für eine Erhöhung, da er eine Steigerung der Kohleproduktion nur für möglich hielt, wenn eine Hermann Josef Abs (KfW), der Interministerielle Wirtschaftsausschuss. „In wirklich hartem Ringen“, in: Der Spiegel 16/1951 vom 18.4.1951. 38 Grünbacher, Reconstruction, S. 98 f.; Hook, Germany, S. 218 f. 39 Hook, Germany, S. 215; Zündorf, Preis, S. 102 f. 40 Der Bundeshaushalt wurde zunehmend dadurch belastet, dass die Preise für Waren im Inland niedrig gehalten wurden, die zu wesentlich höheren Weltmarktpreisen eingeführt werden mussten. Im Inland führten die niedrigen Preise dazu, dass Bauern verbreitet anfingen, ihre Erzeugnisse, vor allem Getreide, zu horten. Protokoll der 84. ZBR-Sitzung vom 31.1.1951 – BA Ko, B 169/5; Protokoll der 133. Kabinettssitzung vom 2.3.1951; Protokoll der Sondersitzung der Bundesregierung vom 6.3.1951 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 15.4.2010).
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gewisse Rentabilität durch höhere Preise gewährleistet war. Aber einige Bundesminister, BdL-Präsident Vocke und KfW-Präsident Abs sprachen sich angesichts des zunehmenden Tempos der Geldentwertung dagegen aus.41 Bei den Wohnungsmieten sah Bundeswohnungsbauminister Wildermuth Spielraum für eine Erhöhung der Altmieten um zehn und der Neubaumieten um zwanzig Prozent. Doch auch hier war die Mehrheit der Kabinettsmitglieder der Meinung, dass angesichts der inflationären Tendenzen eine Erhöhung des Mietzinses aus sozialen Gründen nicht opportun war. Zudem legte Bundesfinanzminister Schäffer Berechnungen vor, nach denen eine Anhebung der Mieten um durchschnittlich zehn Prozent zu einem Mehraufwand für Sozialtransfers von 1,1 bis 1,65 Mrd. DM führen würde. Damit war die Mietpreisfrage vorläufig vom Tisch, der Mietpreis blieb ebenso wie der Brotpreis ein „politischer Preis“.42 Doch wollte man „dieses Problem im Auge behalten“ und umgehend anfassen, „wenn es die Zeitläufte erlauben“.43 Die Bundesregierung lehnte umfassende Preiserhöhungen sicherlich auch aus Rücksichtnahme vor der parlamentarischen Opposition und den Gewerkschaften ab, denen man in der heiklen gesamtwirtschaftlichen Situation keine weiteren Argumente für sozialpolitische Debatten liefern wollte. Dass die Gewerkschaften die Vorschläge des Niederbreisiger Kreises als Affront auffassen mussten, war offensichtlich. Sie vertraten den entgegengesetzten Standpunkt und sahen den Zeitpunkt gekommen, ihren Forderungen nach einer umfassenderen staatlichen Wirtschaftsplanung Nachdruck zu verleihen. Die Aufbringung von zusätzlichen Investitionsmitteln durch eine Belastung der Konsumenten – sei es durch Preiserhöhungen, Rabattmarken oder höhere Umsatzsteuern – lehnten sie kategorisch ab und drohten für diesen Fall, etwaige aufgezwungene Konsumbeschränkungen durch entsprechende Lohnforderungen auszugleichen. Die Gewerkschaftsvertreter forderten, dass nicht die Verbraucher, sondern die Wirtschaft selbst die fehlenden Investitionsmittel für die Grundstoffindustrien aufbringen solle. Sie sollte zu diesem Zweck Teile ihrer Gewinne an den Staat abführen, der es nach wirtschaftspolitischen Kriterien verteilen sollte. Ergänzend schlugen die Gewerkschaften Investitionsverbote für bestimmte Industrien vor.44 Zwischen den Positionen des Niederbreisiger Kreises und der Gewerkschaften bewegten sich die Vorschläge, die KfW-Präsident Hermann Josef Abs in die Diskussion einbrachte. Er sprach sich dafür aus, dass die Unternehmen der verarbeitenden Industrie den Grundstoffindustrien Investitionsmittel zur 41 Die Bundesregierung beschloss allerdings eine Abgabe in Höhe von einer DM auf jede geförderte Tonne Kohle, die dem Wohnungsbau für Bergarbeiter zugute kommen sollte („Kohleabgabe“). Auf diese Weise wurde zwischen 1952 und 1957 über eine Mrd. DM für den Bergarbeiterwohnungsbau aufgebracht. Sondersitzung der Bundesregierung am 6.3.1951 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 15.4.2010); vgl. Roskamp, Capital formation, S. 181 f. 42 Grünbacher, Reconstruction, S. 180. 43 Protokoll der Sondersitzung der Bundesregierung vom 6.3.1951 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 15.4.2010). 44 Adamsen, Investitionshilfe, S. 138 ff.
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Verfügung stellen und so eine Umlenkung von Kapital von der konsumnahen zur Grundstoffindustrie ermöglichen sollten.45 Die Mittel dafür sollten jedoch nicht aus den Gewinnen, sondern aus den Abschreibungen der Unternehmen stammen, die nach Abs’ Plan zu etwa einem Viertel in Wertpapieren anzulegen waren, die eigens zum Zwecke der Investitionsfinanzierung der Grundstoffindustrien emittiert werden sollten. Auf diese Weise sollten die aus Abschreibungen resultierenden Mittel der Eigenfinanzierung entzogen und als Fremdkapital auf den Wertpapiermarkt geleitet werden. Bundesfinanzminister Schäffer befürwortete das Konzept von Abs und wollte zusätzlich eine Sonderumsatzsteuer auf Waren „des gehobenen Bedarfs“ einführen, die einerseits Kaufkraft abschöpfen und andererseits zur Finanzierung der steigenden Ausgaben für Rüstung und Exportförderung beitragen sollte.46 V. 3. 2. 2. Die „Investitionshilfe“ Da Adenauer im Verlauf der Debatte auf die Gewerkschaften zugegangen war, auf deren Unterstützung für weitreichende außen-, innen- und wirtschaftspolitische Projekte (Montanunion, Wiederaufrüstung, Entflechtung der Montanunternehmen) er nicht verzichten wollte, befürchteten die Wirtschaftsverbände eine politische Stärkung der Gewerkschaften, die sich in der Frage der Mitbestimmung schon ankündigte. Wie die Reaktion Adenauers auf die Kritik der Hohen Kommission und der ECA gezeigt hatte, war die Annahme, dass der Bund – sei es durch neue Steuern, sei es durch direkte Eingriffe – verstärkt Einfluss auf die gesamtwirtschaftlichen Investitionen nehmen könnte, keineswegs abwegig. Dies wollten die Wirtschaftsverbände unbedingt vermeiden. Sie hatten seit Kriegsende nur geringen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik ausüben können und sahen nun eine geeignete Gelegenheit, ihre wiedererstarkte Stellung zugunsten eigener Interessen einzusetzen.47 Die im „Gemeinschaftsausschuss der deutschen gewerblichen Wirtschaft“ versammelten Wirtschaftsverbände wandten sich vehement gegen Schäffers Pläne einer Sonderumsatzsteuer, die sie als „kalte Enteignung des Staatsbürgers zu Gunsten eines unberechtigten Kapitalanspruchs des Fiskus“ brandmarkten.48 Auf das Konzept von Hermann Josef Abs zurückgreifend schlugen sie stattdessen Anfang April 1951 eine „Selbsthilfe“-Maßnahme der Wirtschaft vor, die weitgehend in Eigenregie der Verbände und ohne staatliche Einwirkung erfolgen sollte. Das gegenüber dem Abs-Vorschlag modifizierte Konzept der Verbände zielte vor allem darauf ab, eine Verlagerung der Investitionen von der Verarbei45 Gall, Bankier, S. 240 ff. 46 Protokoll der Sondersitzung der Bundesregierung vom 6.3.1951 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 15.4.2010). 47 Zu den folgenden Ausführungen über die Entstehung und Wirkung des InvestitionshilfeGesetzes grundlegend: Adamsen, Investitionshilfe; zudem Roskamp, Capital formation, S. 172 ff.; Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 50 ff.; Hook, Germany, S. 220-229. 48 Adamsen, Investitionshilfe, S. 137.
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tenden zur Grundstoffindustrie möglich zu machen, ohne den Fiskus zu diesem Zweck einzuschalten.49 Mit ihrem Vorstoß trafen sie bei Bundeswirtschaftsminister Erhard auf offene Ohren, der ebenfalls den Einfluss des Staates auf Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung so gering wie möglich halten wollte. Nachdem sein Sparmarken-Plan trotz eifrigen Werbens auf massiven Widerstand gestoßen war,50 akzeptierte Erhard das Angebot der Verbände als Teillösung der Wirtschaftskrise und nutzte die Gelegenheit, seinen eigenen Plan diskret zurückzuziehen. In einem Spitzengespräch, das Adenauer zwischen der Bundesregierung sowie den Spitzenvertretern der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften anberaumt hatte, unterbreiteten die Verbände offiziell ihren Vorschlag einer wirtschaftsinternen „Selbsthilfe“-Maßnahme. Das Kabinett nahm ihn wohlwollend auf und bewertete das Angebot als „ein hoffnungsvolles und positiv zu beurteilendes Unterfangen [...], dem allerdings der Charakter eines Experiments nicht ganz abgesprochen werden könne.“51 Die Grundkonzeption sah vor, dass alle westdeutschen Unternehmen – in direkter Weise und nicht über Abschreibungen – Geldmittel zur Verfügung stellen und über die Industriekreditbank in Form von Krediten an die Unternehmen der Engpassbereiche weiterleiten sollten, wobei die Verbände einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl der Kreditnehmer und die Investitionszwecke nehmen sollten. Für das bereitgestellte Kapital sollten die Unternehmen im Gegenzug Anleihestücke erhalten, die zu diesem Zweck von der Industriekreditbank emittiert werden sollten. Die Wirtschaftsverbände machten von Anfang an klar, dass es sich bei dieser „Investitionshilfe“ um eine begrenzte Aktion handeln sollte, die man auf die einfache Formel „Eine Milliarde, ein Jahr“ brachte: Die Aktion sollte nur für die Dauer eines Jahres laufen und die Aufbringungssumme auf eine Mrd. DM beschränkt sein. Über die genaue Ausgestaltung der Investitionshilfe rangen die Kapital aufbringenden Unternehmen, deren Interessenlage je nach Wirtschaftsbranche sehr verschieden war, und die Wirtschaftsverbände drei Monate lang. Es ging in den Verhandlungen darum, wie viel Kapital die einzelnen Branchen und Unternehmen aufbringen sollten, wie die Aufbringungsquote bemessen werden sollte (Gewinn oder Umsatz), welche Unternehmen von der Aufbringung befreit werden sollten und wie das aufgebrachte Kapital auf die einzelnen Engpassbereiche (Kohle, Eisen/Stahl, Energie, Verkehr) verteilt werden sollte.52 Nachdem sich Unternehmen und Verbände auf die Rahmendaten der Selbsthilfeaktion geeinigt hatten, wollte Adenauer diese im Juli 1951 ohne eingehende parlamentarische Diskussion innerhalb einer Woche vom Bundestag als Gesetz 49 Cassier, Biographie, S. 181. 50 Es gab Zweifel an der technischen Durchführbarkeit und an der grundsätzlichen Konstruktion: Vor allem die Gewerkschaften schlossen eine zusätzliche Belastung der Konsumenten aus. Vgl. Zündorf, Preis, S. 103. 51 Protokoll der 146. Kabinettssitzung vom 8.5.1951, TOP 2 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 15.4.2010); vgl. Löffler, Marktwirtschaft, S. 106 f. 52 Als Bemessungsgrundlagen dienten schließlich die Gewinne und Umsätze der Jahre 1950 und 1951. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 131; Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 50 ff.
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verabschieden lassen. Denn den Verbänden war daran gelegen, die gesamte Aktion durch ein Gesetz abzusichern, um die brüchige Einigkeit im Unternehmerlager über die „freiwilligen“ Verpflichtungen zu wahren – wodurch es letztlich doch zu einer „Zwangsmaßnahme“ wurde. Das Vorgehen Adenauers zeigt, wie bereitwillig er auf das Angebot der Industrie einging und wie weit er den Wünschen der Industrie bei der Investitionshilfe entgegenkommen wollte. Doch die Bundestagsfraktionen stellten sich quer, verschoben die parlamentarische Lesung auf einen Termin nach der Sommerpause und überwiesen das Gesetz an den Ausschuss für Wirtschaftspolitik. Es dauerte schließlich bis zum Jahresende, ehe der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen werden konnte.53 Der Vorschlag der Wirtschaftsverbände wurde von den Bundestagsabgeordneten in einigen wichtigen Punkten geändert. Sie verfolgten damit die Absicht, die Belastung der verarbeitenden Industrie zu mindern54 und zugleich die Investitionstätigkeit der Grundstoffindustrien zusätzlich zu fördern. Zu den wichtigsten Neuerungen, die auf Initiative der FDP – und gegen die haushaltspolitischen Bedenken der SPD – eingeführt wurden,55 zählte die Förderung der Selbstfinanzierung der Grundstoffindustrien durch die Einführung umfassender neuer Sonderabschreibungsmöglichkeiten, die weit über frühere Regelungen, etwa § 7 a-e EStG, hinausgingen. Mit diesem Instrument veränderten die Abgeordneten die Wirkungsweise der Investitionshilfe erheblich, denn in den folgenden Jahren wurde über die Sonderabschreibungen mit ca. 3,2 Mrd. DM drei Mal mehr Mittel aufgebracht als über die „freiwilligen“ Investitionshilfe-Kredite der Unternehmen.56 Die Bundestagsausschüsse setzten auch durch, dass dem Bundeswirtschaftsminister – ganz im Sinne des Programms des Niederbreisiger Kreises – im Rahmen des Investitionshilfe-Gesetzes die Möglichkeit eingeräumt wurde, Preisbindungen „bei ganz offensichtlich unzureichenden Grundstoffpreisen“ zu lockern und entsprechende Preiserhöhungen zu verordnen. Auf diese Weise sollte den Grundstoffindustrien die Möglichkeit eröffnet werden, über
53 Adamsen, Investitionshilfe, S. 181 ff. 54 Im Verlauf der Gesetzesberatungen hatte sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld erneut gewandelt und die Konsumgüterindustrie befand sich mittlerweile in einem konjunkturellen Abschwung. Daher wollten die Abgeordneten sie nicht zu stark mit Investitionshilfe-Abgaben belasten. 55 Die FDP machte in der Öffentlichkeit geltend, dass sie das Investitionshilfe-Gesetz nur dann unterstützen werde, wenn „klare wirtschaftspolitische Zusicherungen über die Basis weiterer Investierungen in den Grundstoffindustrien“ gemacht würden. Vgl. Adamsen, Investitionshilfe, S. 188. 56 Zwar wurden die zusätzlichen Abschreibungsmöglichkeiten zeitlich befristet, und zwar für Anschaffungen oder Herstellungen zwischen dem 1. Januar 1952 und dem 31. Dezember 1954. Aber anders als bei früheren Regelungen wurden nicht nur Ersatzbeschaffungen steuerlich gefördert, sondern auch und gerade Neuinvestitionen zur Kapazitätsausweitung. Dabei betraf die Abschreibungsfreiheit bis zu 50 Prozent bei beweglichen und bis zu 30 Prozent bei unbeweglichen Anlagegütern, wobei es keine Beschränkung auf einen Höchstbetrag gab. Vgl. Muscheid, Steuerpolitik, S. 51.
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höhere Gewinne die im Investitionshilfe-Gesetz gewährten Abschreibungsmöglichkeiten umfassend in Anspruch zu nehmen.57 Die Kapitaltransfers im Rahmen der Investitionshilfe begannen schon Monate vor Verabschiedung des Gesetzes, da die BdL Mitte 1951 einen Vorfinanzierungskredit in Höhe von 100 Mio. DM zugesagt hatte. Dennoch wurde der zeitliche Ablauf der Investitionshilfe zu einem Hauptkritikpunkt: Während die Engpässe um die Jahreswende 1950/51 aufgetreten waren, erfolgte die Bereitstellung der weitaus meisten Investitionshilfemittel erst zwischen Mitte 1952 und Mitte 1954. Die Aktion wirkte sich meist also erst zwei bis drei Jahre nach dem Zeitpunkt aus, an dem die Engpässe aufgetreten waren.58 Die Mittel aus der Investitionshilfe wurden von einem eigens eingerichteten InvestitionshilfeKuratorium folgendermaßen auf die begünstigten Wirtschaftsbereiche verteilt: Finanzierung von Investitionshilfe-Vorhaben nach Wirtschaftszweigen59 Industriezweig Kohle Eisen/Stahl Elektrizität Gas Wasser Waggonbau Insgesamt
Gesamtkosten Investitionshilfemittel in Mio. in % in Mio. DM In % DM 1.597 100 228 14 1.264 100 297 24 1.387 100 242 17 215 100 106 49 232 100 77 33 50 100 50 100 4.745 100 1.000 21
Eigene Mittel Sonstige Mittel in Mio. in % in Mio. in % DM DM 930 59 439 27 532 42 435 34 610 44 535 39 94 44 15 7 61 26 94 41 2.227 47 1.518 32
Das Kuratorium war auch für die Ausgabe der Wertpapiere zuständig, die den aufbringungspflichtigen Unternehmen als Gegenwert für die von ihnen geleisteten Zahlungen ausgehändigt wurden. Die Wertpapiere waren mit „marktgerechten“ Konditionen auszustatten, die das Kuratorium festsetzte. Mit dieser Form der Ablösung wurde die Investitionshilfe in Form von „Zwangsanleihen“ konsolidiert, zu deren Zeichnung die kapitalaufbringenden Unternehmen aufgerufen wurden. Insgesamt wurden im Rahmen der Investitionshilfe zu vier verschiedenen Terminen 75 Anleihetypen an die Unternehmen ausgehändigt, darunter sowohl neu emittierte Industrieobligationen als auch solche, die bereits in früheren Jahren emittiert worden waren.60
57 58 59 60
Adamsen, Investitionshilfe, S. 181, 187 f., 192 f. Röhl, Entwicklung, S. 139 ff. Adamsen, Investitionshilfe, Anhang, Tab. 16, S. 270. Die Aufbringung der Investitionshilfe-Mittel erfolgte in vier Raten, deren Termine auf den 2.5., 22.8. und 22.11.1952 sowie den 21.4.1953 fielen. Vor der Zuteilung der Wertpapiere hatten die aufbringungspflichtigen Unternehmen mit ihren zur Verfügung gestellten Mitteln (verzinste) Ansprüche an ein Sondervermögen erworben, die mit der Übernahme der Wertpapiere erloschen. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 131, 134; Pohl, M., Wiederaufbau, S. 117.
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Aufruf und Zeichnung der Investitionshilfe-Wertpapiere61 Aufruf 30.06.1953 30.01.1954 30.10.1954 30.03.1955 Insgesamt
Anzahl der Anleihen 11 31 23 10 75
verfügbarer gezeichneter Nominalbetrag (Mio. DM) 178,6 588,9 377,3 677,4 375,3 475,3 87,3 155,2 1.018,4 1.896,9
Betroffen war ein Gesamtvolumen von 1.018 Mio. DM, davon 821 Mio. DM Industrieobligationen, 174 Mio. DM Kommunalobligationen und 23 Mio. DM Schuldverschreibungen der Industriekreditbank AG. Über die Hälfte der in den Jahren 1953 bis 1955 abgesetzten Industrieobligationen wurden im Rahmen der Investitionshilfe erworben. Die Verzinsung betrug bei 20 Anleihen, deren Erträge steuerbefreit waren, 5,5 Prozent; 54 Anleihen, deren Erträge mit einer ermäßigten, 30-prozentigen Kapitalertragsteuer belegt wurden, besaßen Zinssätze zwischen 6,5 und acht Prozent. Nur eine Anleihe unterlag der tariflichen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Zunächst war für die Anleihen eine Sperrfrist von drei Jahren vorgesehen, doch hob der Gesetzgeber diese Bestimmung im August 1952 wieder auf.62 V. 4. AUSWIRKUNGEN DER KRISENBEWÄLTIGUNG AUF DEN KAPITALMARKT Eine Steigerung der Investitionen galt in der Bundesrepublik Anfang der Fünfzigerjahre als Allheilmittel zur Überwindung der wirtschaftlichen Engpässe sowie allgemein zur Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Outputs, der Produktivität und der Exportfähigkeit. Die Finanzierung der Investitionen war anders als das Zahlungsbilanzproblem und die Inflation ein langfristiges, strukturelles Problem, bei dem sich nach der Umwidmung des Marshallplans in ein Militärhilfeprogramm Ratlosigkeit breit machte. Wirtschaft und Politik waren sich einig, dass es sich bei der Investitionshilfe nur um eine zeitlich und volumenmäßig begrenzte Aktion handeln konnte.63 Mochte die Auseinandersetzung um die Investitionshilfe für das Verhältnis von Wirtschaft und Staat in der jungen Bundesrepublik von großer Bedeutung gewesen sein: Im Hinblick auf die Investitionsfinanzierung hatte sie allenfalls vorübergehende Bedeutung, so dass die Bundesregierung mittelfristig neue Lösungen finden musste.
61 Röhl, Entwicklung, S. 135. 62 Cassier, Biographie, S.185 ff.; Adamsen, Investitionshilfe, S. 212 f., 266. 63 Nicht nur bei den Kapital aufbringenden Unternehmen, sondern auch auf politischer Seite wurde eine zeitliche Befristung des Investitionshilfegesetzes gefordert, da die Politiker den Wirtschaftsverbänden nicht dauerhaft weitreichende Einflussmöglichkeiten in der Kapitalmarkt- und Investitionspolitik einräumen wollten.
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Im Verlauf der politischen Diskussionen rund um das Zahlungsbilanzdefizit, die Geldentwertung und die Investitionshilfe im Jahr 1951 hatte sich bezüglich der Investitionsfinanzierung folgende Gemengelage ergeben: Die Investitionen in den Engpassbereichen der Grundstoffindustrie mussten aus binnenwirtschaftlichen Gründen und auf außenpolitischen Druck hin intensiviert werden. Der vordringliche Investitionsbedarf verlangte eine Umlenkung von Kapital aus den übrigen Wirtschaftsbranchen in die Grundstoffindustrie. Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen mussten künftig in größerem Ausmaß als in den Vorjahren über den freien Kapitalmarkt finanziert werden, da a) die ERP-Gegenwertmittel, mit denen bis dahin wichtige Investitionen in diesem Bereich finanziert worden waren, nach dem Willen der ECA verstärkt für Rüstungszwecke eingesetzt werden sollten und ab 1952 neue ERP-Mittel nach Abschluss des Marshall-Plans ganz ausbleiben würden; b) durch die Investitionshilfe nur vorübergehend Investitionsmittel zur Verfügung gestellt wurden; c) der Staat wegen zusätzlicher Belastungen durch Rüstungsausgaben, Exportförderung und Sozialausgaben sowie aufgrund der gegenüber der ECA geäußerten Zusage, die öffentlichen Haushalte auszugleichen, nicht in der Lage war, die entstehenden Finanzierungslücken zu schließen; d) die restriktive Geldpolitik der BdL keine Möglichkeit zuließ, im Wege der Vorfinanzierung weitere Kredite des Zentralbanksystems für Investitionen einzusetzen. Die steuerliche Förderung der Selbstfinanzierung sollte – mit Ausnahme der Engpassbereiche – eingeschränkt werden, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten und künftige Fehlallokationen zu vermeiden.64 Die Kürzung der Selbstfinanzierung sollte durch eine Stärkung der Fremdfinanzierung ausgeglichen werden. Nicht zuletzt konnte Fremdkapital besser in vordringliche Investitionen gelenkt werden als einbehaltene Gewinne, bei denen eine Kapitallenkung – sofern auf direkte Investitionsverbote des Staates verzichtet wurde – nahezu ausgeschlossen war.65 Eine 64 Die bereits eingetretenen Fehlallokationen waren in den Engpassindustrien für jedermann sichtbar. Dass die große Mehrzahl der Unternehmen „übermäßige“ Gewinne erzielte und „zu einer Selbstfinanzierung von geradezu imponierendem Ausmaß befähigt“ war, lag ebenso offen zutage. Die wörtlichen Zitate entstammen einem Vermerk der BdL: Bemerkungen zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung „Förderung des Kapitalmarkts (Sitzung des Gremiums Scharnberg am 10.11.1951)“ – BBk HA, B 330/3156. 65 Die selbstfinanzierten Investitionsvorhaben der Unternehmen waren kaum zu kontrollieren, dementsprechend hoch war der vermutete Missbrauch. Bundesfinanzminister Schäffer gab vor dem Bundestagsausschuss für Finanz- und Steuerfragen an, dass die Betriebsprüfung bei 28 großen Unternehmen ergeben habe, dass die Unternehmen nur 53 Prozent der tariflich zu zahlenden Steuern tatsächlich an den Fiskus abgeführt hatten. Die restlichen 47 Prozent der Steuerlast konnten die Unternehmen durch Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen
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Verlagerung auf Fremdfinanzierung verbesserte potenziell auch die Wirksamkeit der Geldpolitik der BdL, da der monetäre Transmissionsmechanismus aufgrund des hohen Ausmaßes der Selbstfinanzierung bis dahin nur sehr eingeschränkt funktioniert hatte.66 Der Investitionsbedarf in den Wirtschaftsbereichen mit Preisbindungen warf die Frage auf, ob die Preise nicht erhöht bzw. freigegeben werden sollten, um die Investitionsfinanzierung aus einbehaltenen Gewinnen zu stärken. Für den Wertpapiermarkt war in diesem Zusammenhang vor allem die Mietpreisbindung von Bedeutung, die sich auf die Verzinsung von Pfandbriefen und Kommunalobligationen auswirkte. Der enorme Preisanstieg während der Koreakrise führte zu Anstrengungen, den Konsum einzuschränken. Die Notwendigkeit, die staatliche Förderung des Sparens fortzusetzen, war dagegen unumstritten. Es wurde erwogen, die Ersparnisse von Unternehmen und privaten Haushalten, die überwiegend in liquider Form (Termingelder, Spareinlagen etc.) bei den Kreditinstituten lagen, teilweise in Wertpapierbesitz umzuwandeln: Dadurch sollte einerseits der Wertpapiermarkt (und damit die Fähigkeit der Unternehmen, Fremdkapital aufzunehmen) belebt und andererseits eine längerfristige Bindung der Anleger erreicht werden.67 Im Ergebnis liefen die Lösungsansätze darauf hinaus, dass a) die Investitionsfinanzierung in stärkerem Maße gelenkt, b) die Selbstfinanzierung (mit Ausnahme der Grundstoffindustrien) eingeschränkt, c) die Fremdfinanzierung zugleich gestärkt sowie d) zur Erleichterung der Fremdfinanzierung der Wertpapiermarkt gefördert werden sollte. Maßnahmen, die zur Lösung der Investitionsproblematik beitragen sollten, hatte die Bundesregierung in ihren Stellungnahmen an die OEEC und an die Alliierte Hohe Kommission skizziert. Im Herbst 1950 hatte sie „im Hinblick auf ein Gleichgewicht zwischen Spar- und Investierungsquote“ folgende Punkte zur Förderung der Kapitalbildung angegeben, die – ganz im Sinne von ECA und OEEC68 – vor allem die Leistungsfähigkeit des Wertpapiermarktes erhöhen sollten:69
umgehen. Wörtlicher Bericht über die 64. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 14.3.1951, S. 21; Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 12.4.1951 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 66 Bornemeyer, Finanzierung, S. 50 f. 67 Letzteres hatte – so die Überzeugung der beteiligten Finanzexperten – den positiven Nebeneffekt, dass die Währungspolitik der BdL nicht mehr so stark vom Verhalten der Sparer beeinflusst wurde, wie dies während der Koreakrise geschehen war: Als der Krieg ausgebrochen war, war es zu einem massiven Abzug von Spar- und Termingeldanlagen gekommen. Die Gelder waren von den Privathaushalten und Unternehmen umgehend zu Konsumzwecken bzw. zur Warenhortung genutzt worden, so dass die Bemühungen der BdL, die Preissteigerungen durch restriktive Maßnahmen einzudämmen, konterkariert worden waren. Vgl. Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 75. 68 Die OEEC und die ECA machten deutlich, dass es für eine zufriedenstellende Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft von „außerordentlicher Bedeutung“ sei, dass baldmöglichst ein funktionsfähiger Kapitalmarkt aufgebaut werde. Auszug aus dem Bericht des Direktoriums
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a) b) c) d)
die Freigabe des Kapitalmarktzinses, die steuerpolitische Förderung des Wertpapiersparens, die Aufhebung des Dividendenstopps, die Beschneidung von Abschreibungsmöglichkeiten im Einkommensteuergesetz. Im März 1951 bestätigte Adenauer nochmals gegenüber dem Hohen Kommissar McCloy, dass ein neues Einkommensteuergesetz „künftig die Selbstfinanzierung der Unternehmen zu Gunsten der Fremdfinanzierung beschränken“ solle. Die steuerliche Förderung der Kapitalbildung „in den Formen des Geld- und Wertpapiersparens“ solle ausgeweitet werden und der Körperschaftsteuertarif für Kapitalgesellschaften von bisher 50 auf 60 Prozent heraufgesetzt werden.70 Rückblickend waren die genannten Ziele richtungweisend für die Kapitalmarktpolitik der folgenden Jahre. Vorläufig handelte es sich jedoch nur um die Ankündigung von Maßnahmen, die unverbunden nebeneinander standen und für deren konkrete Umsetzung noch „vielseitige und langwierige Arbeiten der gesetzgebenden Körperschaften“ notwendig waren. Diese „langwierigen Arbeiten“ wurden nach und nach, noch während das Investitionshilfegesetz in den Bundestagsausschüssen beraten wurde, auf verschiedenen Feldern aufgenommen: Die Nominalzinsen am Wertpapiermarkt, die Steuertarife und die Emissionskontrolle wurden erneut einer Prüfung unterzogen. V. 4. 1. Neue Bewegung in der Zinsfrage Nur wenige Monate nach der ausführlichen Diskussion um die Kapitalmarktzinsen Mitte 1950 definierte die BdL ihre Haltung zum Kapitalmarktzins und zur Investitionslenkung während der akuten Phase der Zahlungsbilanzkrise neu.71 So forderte der ZBR im November 1950, dass die Regeneration des Kapitalmarktes mit besonderem Nachdruck verfolgt werden müsse. Die BdL sei gezwungen, künftig eine restriktive Kreditpolitik zu verfolgen, so dass sie nicht mehr wie in den zurückliegenden Monaten im Stande sein werde, Lücken in der Kapitalversorgung durch Notenbankkredit zu schließen. Wenn die deutlich erhöhten Diskont- und Lombardzinssätze – wie zu erwarten – für längere Zeit aufrecht erhalten werden mussten, war es nach Auffassung des ZBR vollkommen „unrealistisch“, dass der Kapitalverkehrsausschuss seine Emissionsgenehmigungen weiterhin von niedrigen Nominalzinsen abhängig machte: Falls die Kapitalmarktzinsen dauerhaft unter die Geldmarktzinsen rutschen sollten, wäre eine völlige Verödung des Kapitalmarktes unvermeidbar. der AHC (Report by the managing board on the German programme of the 12th March 1951), Anlage zur 90. ZBR-Sitzung vom 29.3.1951 – BA Ko, B 169/5. 69 Kurzprotokoll der Sitzung des ERP-Ausschusses vom 23.11.1950 – PA, 1. Wahlperiode/ 15. Ausschuss. 70 Abelshauser, Ansätze, S. 751. 71 Zu den folgenden Ausführungen vgl. Protokoll der 75. ZBR-Sitzung vom 15./16.11.1950 – BA Ko, 169/4; Niederschrift über die 15. KVA-Sitzun vom 17.11.1950 – B 126/12080.
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Der ZBR befürwortete nun eine grundsätzliche Freigabe des Zinses – unter gebührender Berücksichtigung der Wirtschaftsbranchen mit fortbestehenden Preisbindungen, die zum Ausgleich durch Subventionen gestützt werden sollten. Die Mitglieder des ZBR sprachen sich zudem dafür aus, dass die bisherigen Emissionen heraufkonvertiert werden sollten.72 Damit war der ZBR in das Lager der „Marktbefürworter“ in der Zinsdiskussion gewechselt. Entsprechend plädierte der Vertreter der BdL im Kapitalverkehrsausschuss, Benning, dafür, dass nach dem Beschluss des ZBR nun die Zinsen mit sofortiger Wirkung freigegeben werden müssten. Jedes weitere Zögern würde nur die Anpassung an ein höheres Zinsniveau zusätzlich erschweren.73 Im Februar 1951 ermächtigte der ZBR Benning explizit, bei der Genehmigung von Anleiheanträgen auch Zinssätzen zuzustimmen, die über dem bisherigen Nominalzinsniveau lagen.74 Anders als die BdL blieb die Bundesregierung in der Zinsfrage zögerlich. Zwar hatte sie gegenüber der OEEC erklärt, dass ein wesentlicher Beitrag zur Lösung der investitions- und kapitalmarktpolitischen Probleme in einer Heraufsetzung des Zinsfußes für langfristige Anlagen lag. Aber das Kabinett sah darin ein weitreichendes, komplexes Problem, dessen Lösung zunächst Maßnahmen in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik voraussetzte. So wollte die Mehrheit der Bundesminister eine Erhöhung der langfristigen Zinsen nur dann riskieren, wenn auf der anderen Seite die noch bestehenden Preisbindungen, insbesondere im Wohnungsbau, bei der Kohleerzeugung und bei den Versorgungsbetrieben, aufgehoben worden waren. Sie fürchteten, dass diese Wirtschaftsbranchen andernfalls bei einer Zinserhöhung erst recht vom Wertpapiermarkt abgekoppelt würden.75 Ein weiteres entscheidendes Hemmnis für den Wertpapiermarkt blieben die hohen Steuertarife: Erstens schränkten sie die Sparfähigkeit der Bevölkerung stark ein. Zweitens erschwerten sie eine „marktgerechte“ Zinsbildung am Kapitalmarkt: Bei einer moderaten Erhöhung der Nominalzinsen auf dem Wertpapiermarkt war die zusätzliche Rendite für die Anleger nach Abzug der Steuern so gering, dass nicht mit einem umfangreichen zusätzlichen Kapitalaufkommen gerechnet werden konnte. Bei einer deutlichen Erhöhung der Wertpapierzinsen würde dagegen zwar die steigende Rendite mehr Anleger an den Wertpapiermarkt locken, aber die Zinsbelastung wäre für zahlreiche Emittenten untragbar. Kurz: Der durch die hohe Besteuerung verursachten Zinsunempfindlichkeit der potenziellen Anlegerkreise stand die Zinssensibilität sozial- und wirtschaftspolitisch bedeutsamer Wirtschaftsbereiche entgegen.76 Erst wenn das Steuerniveau der mittleren und niedrigen Einkommen gesenkt worden war, sah die Bundesregierung Spielraum, 72 Da die emittierenden Banken die aufgenommenen Mittel langfristig zu entsprechend niedrigen Zinssätzen wieder ausgeliehen hatten, sollte nach Auffassung des ZBR ein Sonderfonds eingerichtet werden, der die Kosten der Heraufkonvertierung übernehmen sollte. 73 Niederschrift über die 16. KVA-Sitzung vom 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080. 74 Protokoll der 75. ZBR-Sitzung vom 15./16.11.1950 – BA Ko, B 169/4; Niederschrift über die 19. KVA-Sitzung vom 5.4.1951 – BA Ko, B 126/12081. 75 Tagesordnung für die KVA-Sitzung am 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080. 76 Röhl, Entwicklung, S. 92.
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auch die verbliebenen, sozialpolitische begründeten Preisbindungen zu lockern bzw. zu beseitigen. Mit dem Wegfall der Preisbindungen wiederum würde ein Wettbewerbsverhältnis aller Emittenten auf dem Wertpapiermarkt ermöglicht. Beide Bedingungen konnten nach Ansicht der Bundesregierung erst nach umfangreichen Vorarbeiten zur „Bereinigung“ des Preisniveaus sowie zur Steuerreform geschaffen werden.77 Die Vertreter der Bundesministerien betonten daher im Kapitalverkehrsausschuss, dass die Bundesregierung in der Frage des Kapitalmarktzinses zwar weitgehend mit der Meinung des ZBR übereinstimme. Aber angesichts der – auch von der BdL zugegebenen – „großen Problematik, die sich durch eine Heraufsetzung der Zinssätze ergeben würde“, verwiesen sie auf die Forderung des Bundeskanzlers und des Bundesfinanzministers, die Anträge vorerst weiter wie bisher zu behandeln. In der Zwischenzeit wollte die Bundesregierung Konzepte erarbeiten, um die Zinsfrage im Rahmen einer Gesamtlösung zu klären. Der Kapitalverkehrsausschuss stimmte daraufhin zu, die bisherigen Konditionen bis auf weiteres beizubehalten.78 V. 4. 2. Rückführung der Selbstfinanzierung und Steuervergünstigungen für festverzinsliche Wertpapiere Mit dem Gesamtpaket, das die Bundesregierung zur Lösung der Zinsfrage im Auge hatte, war vor allem die seit langem angekündigte „systematische“ Steuerreform gemeint, mit der ganz unterschiedliche Ziele erreicht werden sollten. So sollten endlich die von den Alliierten oktroyierten hohen Tarife der Einkommenund Körperschaftsteuer gesenkt und eine insgesamt ausgewogenere Steuerbelastung erreicht werden. Mit der Durchführung der „großen Steuerreform“ war laut Bundesfinanzministerium aufgrund der notwendigen Vorbereitungszeit aber frühestens erst im Jahr 1953 zu rechnen. Unter dem Eindruck der Krisenerscheinungen im Herbst 1950/ Frühjahr 1951 sah sich der Bundesfinanzminister daher gezwungen, schon früher neue Übergangsbestimmungen für die Einkommen- und Körperschaftsteuer vorzuschlagen. Die Steuerplanungen standen dabei unter dem Eindruck des Investitionsengpasses sowie steigender öffentlicher Ausgaben für Verteidigung und Soziales, deren Höhe kaum abzuschätzen war. Zugleich stand Bundesfinanzminister Schäffer wegen der Zusicherungen gegenüber der OEEC und der ECA in der Pflicht, Haushaltsdefizite zu vermeiden.79 Um Investitionslenkung, steigende Haushaltsausgaben und Budgetausgleich unter einen Hut zu bringen, plante man, bei den gesamtwirtschaftlichen Investitionen eine Verlagerung von der Selbst- auf die Fremdfinanzierung herbeizuführen. Auf diese Weise sollte das Steueraufkommen durch Wegfall von Steuerbegünstigungen erhöht und die Möglichkeiten zur Kapitallenkung ausgeweitet 77 Tagesordnung für die KVA-Sitzung am 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080. 78 Der Vertreter der BdL enthielt sich fortan bei den Emissionsbedingungen der Stimme. Niederschrift über die 16. KVA-Sitzung vom 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080. 79 Henzler, Schäffer, S. 399-407.
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werden. Zudem sollte die Einschränkung der Selbstfinanzierung zur beabsichtigten Belebung des Wertpapiermarktes beitragen: Die Unternehmen würden – so die Hoffnung – vermehrt Wertpapiere kaufen, statt die Gewinn in die eigenen Betriebe zu investieren.80 Entsprechend schlug Bundesfinanzminister Schäffer vor, wesentliche Bereiche der betrieblichen Steuervergünstigungen abzuschaffen. Da es mittlerweile politischer Konsens war, dass die Förderung der Selbstfinanzierung für die meisten Unternehmen nicht mehr in dem bisherigen umfassenden Maße notwendig war, fand er dafür ohne Probleme die Zustimmung des Bundestags und des Bundesrats. Im Einkommensteueränderungsgesetz vom 27. Juni 1951 wurden daraufhin die §§ 10a und 32a EStG gestrichen; § 7a, der die Ersatzbeschaffung beweglicher Güter begünstigte, wurde erheblich eingeschränkt und zukünftig auf Unternehmen von Verfolgten und Flüchtlingen beschränkt. Die steuerliche Förderung des Wohnungsbaus und der Kapitalbildung gemäß § 7 b und c blieben jedoch bestehen.81 Die offizielle Begründung für die Beschneidung der Steuervergünstigungen verwies auf fiskalische Motive und die Vereinfachung der Finanzverwaltung. Den Hinweis, dass man künftig nur noch volkswirtschaftlich wichtige Investitionen staatlich fördern wolle, vermied der Gesetzgeber bewusst, da die Steuerverwaltung gar nicht erst in die Verlegenheit geraten sollte, zwischen volkswirtschaftlich mehr oder weniger vordringlichen Investitionen unterscheiden zu müssen.82 Zunächst hatte das Bundesfinanzministerium vorgesehen, im Rahmen des Gesetzes auch die Förderung der privaten Kapitalbildung in Form von Kapitalansammlungsverträgen zu beschneiden. Doch konnte die Lobbyarbeit der Finanzbranche, insbesondere der Lebensversicherungen, diesen Vorstoß erfolgreich abwenden.83 Weniger erfolgreich war der BDI; er konnte eine weitere Erhöhung der Körperschaftsteuer von 50 auf 60 Prozent nicht verhindern.84 Das Gegenstück zur Beschneidung der Selbstfinanzierung stellte die Förderung der Fremdfinanzierung über den Wertpapiermarkt dar. Das Bundesfinanzministerium wollte zunächst die Steuervergünstigungen des Wertpapiermarktes (und damit der Fremdfinanzierung) erst im Rahmen der großen Steuerreform behandeln. Doch wollte sich Schäffer nicht dem dringenden Wunsch der „Bankabteilung“ seines Hauses verschließen, schon vorab „zur Förderung des Kapital-
80 Protokoll der 75. ZBR-Sitzung vom 15./16.11.1950 – BA Ko, B 169/4; Niederschrift über die 15. KVA-Sitzung vom 17.11.1950 – B 126/12080. 81 Muscheid, Steuerpolitik, S. 49. 82 Zudem befürchteten die Finanzministerien, dass die Wirtschaftsverbände im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens eine Flut von Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Wirtschaftsbereiche stellen würden. Wörtlicher Bericht über die 64. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 14.3.1951, S. 16, 28 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 83 Geplant war die Streichung des hälftigen Sonderausgabenabzuges sowie der doppelten Festbeträge der über 50-Jährigen. Vgl. Ehler, Verbandszusammenschlüsse, S. 172 f. 84 Dietrich, Eigentum, S. 169.
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marktes etwas zu tun.“85 Wie die Einschränkung der steuerlichen Begünstigung der Selbstfinanzierung sollte auch die Förderung der Fremdfinanzierung, die sich in erster Linie auf steuerliche Begünstigungen für das Konten- und Wertpapiersparen erstrecken sollte, in einem Ergänzungsgesetz geregelt werden und später in die geplante große Reform einfließen. Anfang Oktober 1951 legte das Bundesfinanzministerium den Entwurf eines „Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes“ vor, das die seit 1948 bestehende Regelung der steuerlichen Begünstigung von Kapitalansammlungsverträgen ausweiten sollte. Bestand die Steuervergünstigung bis dahin nur für Privatpersonen, sollte sie nun mit dem neuen Gesetz auch auf Körperschaften ausgedehnt werden. Der Entwurf sah vor, dass Unternehmen, unter ihnen auch Kreditinstitute und Versicherungen, bei der Ermittlung ihres Gewinns die Hälfte der von ihnen für langfristige Vermögensanlagen aufgewendeten Beträge (höchstens zehn Prozent der Gewinne) im Rahmen einer Sonderausgabenregelung voll absetzen durften. Für den Verkauf der Wertpapiere sollte eine Sperrfrist von drei Jahren gelten. Von der Regelung sollten – wie bei den Kapitalansammlungsverträgen der Privatanleger – vor allem Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Staatsanleihen profitieren.86 Ein weiteres Ziel des Gesetzentwurfs war, die Sperrfrist für Wertpapiere, die seit 1948 im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen erworben worden waren, mitsamt der Steuerbegünstigung um ein weiteres Jahr, also auf insgesamt vier Jahre, zu verlängern. Hintergrund dieser Bestimmung war, dass für erste Wertpapiere die dreijährige Sperrfrist endete. Man befürchtete, dass die Anleger nach Ablauf der Frist massenhaft Papiere auf den Markt werfen könnten, um mit dem Erlös Neuemissionen zu kaufen, die erneut steuerbegünstigt waren. Dies hätte die Kurse für Pfandbriefe und Kommunalobligationen zusätzlich unter Druck gesetzt und einen weiteren Vertrauensverlust bei den Anlegern verursacht, da mit nennenswerten Stützungskäufen der Emittenten bzw. der BdL nicht zu rechnen war. Mit der Prolongationsmöglichkeit wollte man die Anleger dazu bewegen, die Wertpapiere zu halten, und so die Aufnahmefähigkeit des Wertpapiermarktes sicherstellen. Die Verlängerung der Sperrfrist um ein Jahr sollte die Zeit bis zur 85 Auch waren in der Begründung zum EStG von 1950 Maßnahmen zur Förderung des Wertpapiermarktes angekündigt worden. Niederschrift über die 25. KVA-Sitzung vom 5.10.1951 – BA Ko, B 126/12081. 86 Der Kapitalverkehrsausschuss diskutierte den Vorschlag, auch Industrieobligationen, insbesondere die bei der KfW hinterlegten Anleihen von Energieversorgern, in die Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge einzubeziehen. Dies war umstritten, da Industrieobligationen höher verzinst waren und in der Regel kürzere Laufzeiten hatten als Pfandbriefe und Staatsanleihen, also mit zusätzlicher Steuerbegünstigung deutlich attraktiver gewesen wären. Während die Vertreter der Länder eine Benachteiligung des Wohnungsbaus, „das Hauptanliegen der Landesfinanzminister“, befürchteten, war der Vertreter der BdL der Meinung, dass es „im Sinne einer volkswirtschaftlichen Dringlichkeitsstufung“ in den folgenden Jahren durchaus sinnvoll sein könnte, mehr Industrieobligationen als Pfandbriefe zu emittieren. Die Mehrheit des Ausschusses sprach sich gegen eine generelle Begünstigung von Industrieobligationen, aber für eine Einbeziehung von Anleihen der Energieunternehmen aus, wie es von der KfW beantragt worden war. Niederschrift über die 25. KVA-Sitzung vom 5.10.1951; Niederschrift über die 26. KVA-Sitzung vom 2.11.1951 – BA Ko, B 126/12081.
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geplanten Steuerreform überbrücken, von der eine dauerhafte Lösung des Problems erwartet wurde.87 Die Ausweitung der steuerlichen Begünstigung des Ersterwerbs von Wertpapieren auf Körperschaften wurde schließlich vom Bundesrat verhindert. Die Steuerreferenten der Länder sprachen sich Ende 1951 dagegen aus, so dass die Regelung aus dem Gesetzentwurf entfernt wurde. Mittlerweile hatten die Erörterungen über die steuerliche Förderung des Kapitalmarkts neue Impulse erhalten, die die gesamte Kapitalmarktpolitik auf einen neuen Weg brachte; die Ausweitung der Kapitalansammlungsverträge auf Unternehmen war daher kein Thema mehr. Daraufhin verabschiedete das Bundeskabinett im Januar 1952 einen Gesetzentwurf, der nur die erwähnte Möglichkeit der Prolongation der Sperrfrist und der Steuerbefreiung von Kapitalansammlungsverträgen enthielt. Allerdings wurde die Sperrfrist nicht um ein, sondern um drei weitere Jahre verlängert.88 V. 4. 3. Verlängerung des Kapitalverkehrsgesetzes Parallel zu den Fragen des Kapitalmarktzinses und der Steuervergünstigung von Wertpapieranlagen wurde die Zukunft des KVG erörtert. Das Gesetz, das offiziell am 30. Juni 1952 außer Kraft treten sollte, war im Bundesrat auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen.89 Es stand die Frage im Raum, ob das Gesetz über den 30. Juni 1952 hinaus verlängert werden sollte, und wenn ja, ob eine Modifikation notwendig war. Die Bundesregierung sowie die zuständigen Bundestagsund Bundesratsausschüsse gingen Ende 1950, also mitten in der Koreakrise, mehrheitlich davon aus, dass auf eine Emissionskontrolle bis auf weiteres nicht verzichtet werden konnte, und befürworteten eine Verlängerung des KVG.90 Die Begründung lautete, dass der freie Kapitalmarkt immer noch darniederliege, aber in Zukunft stärker in Anspruch genommen werden müsse, da die bisherigen Hauptkapitalquellen – Selbstfinanzierung, Haushaltsmittel, ERP-Gegenwertmittel – künftig nur noch in verringertem Maße zur Verfügung stehen würden. Daher werde es „in der Zukunft noch notwendiger als bisher sein, diejenigen Mittel, die 87 Niederschrift über die 25. KVA-Sitzung vom 5.10.1951 – BA Ko, B 126/12081. 88 Auszug aus dem Protokoll der 195. Kabinettsitzung vom 15.1.1952 – BA Ko, B 126/12079. 89 Die Bedenken betrafen die Tätigkeit des Kapitalverkehrsausschusses. Dieser war nach Ansicht des Rechtsausschusses des Bundesrats weder ein Organ des Bundes noch ein Organ der Länder und daher formalrechtlich nicht zu dem im KVG festgelegten Verfahren der Emissionsgenehmigung berechtigt. Ohne das bisherige Verfahren grundsätzlich ändern zu wollen oder die sachliche Notwendigkeit des KVG in Frage zu stellen, forderte der Bundesrat, dass zukünftig der zuständige Bundesminister die Genehmigung aussprechen solle, während sich die Tätigkeit des KVA auf gutachterliche Stellungnahmen beschränken solle. Entwurf einer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, 11.11.1950 – BA Ko, B 126/12076. 90 Dies galt für die FDP nur in eingeschränktem Maße. Zwar war auch sie mit der Verlängerung des Gesetzes einverstanden, wollte dem Kapitalverkehrsausschuss aber fortan nicht mehr das Recht zubilligen, auf die Zinssätze der Emissionen Einfluss zu nehmen. Vermerk (v. Spindler) vom 15.1.1952 – BA Ko, B 126/12076.
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vom Kapitalmarkt für Investitionen langfristig zur Verfügung gestellt werden können, zu erfassen und sie der Finanzierung der volkswirtschaftlichen dringlichsten Investitionsvorhaben zuzuführen.“91 Wie in der Zinsfrage war der ZBR auch in der Frage der Emissionskontrolle dezidiert anderer Meinung und sprach sich gegen eine Verlängerung des KVG aus. Die ZBR-Mitglieder waren inzwischen mehrheitlich der Meinung, dass das Gesetz nicht mit den Grundsätzen einer Marktwirtschaft vereinbar sei. Ihrer Auffassung nach konnte sich am Wertpapiermarkt nur dann ein marktgerechter Zins bilden, wenn freier Zutritt zum Emissionsmarkt bestand. Es widerspreche dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, wenn der Kapitalverkehrsausschuss Emissionen mit der Begründung verhindere, dass der Markt nicht aufnahmefähig sei oder die Konditionen nicht der Marktlage entsprächen. Sollte es aus „übergeordneten volkswirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Gründen als unbedingt notwendig“ angesehen werden, Investitionen in bestimmten Wirtschaftsbereichen zu unterbinden, so schien es dem ZBR sinnvoller, solche Investitionsvorhaben direkt zu untersagen, als den Versuch zu unternehmen, ihnen die Finanzierung über den Kapitalmarkt abzuschneiden.92 Mit ihrer Position in den Fragen des Kapitalmarktzinses und der Emissionskontrolle etablierte sich die BdL als führender Exponent der Marktbefürworter. Sie selbst schätzte ihren Einfluss jedoch realistisch ein und rechnete damit, dass ein Antrag des ZBR auf Einstellung der Emissionskontrolle „mit Sicherheit“ sowohl bei fast allen Bundesressorts als auch in den gesetzgebenden Körperschaften auf heftigen Widerstand stoßen würde.93 Die beteiligten Bundesministerien beabsichtigten zwar, bei der Neufassung des KVG nur wenige Änderungen vorzunehmen. Im Verlauf der Gesetzesberatungen kamen jedoch keineswegs nur formale Aspekte wie die zeitliche Verlängerung des Gesetzes oder die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats zur Sprache. Vielmehr wurden – unter dem Eindruck der Diskussion um die Investitionshilfe und die Investitionslenkung – zahlreiche Vorschläge hinsichtlich einer Ausweitung der Kapitalverkehrskontrolle gemacht, die schon 1949 erörtert worden waren, damals aber keinen Eingang in das Gesetz gefunden hatten. Sie bezogen sich vor allem auf eine Ausdehnung des Zuständigkeitsbereichs des Kapitalverkehrsausschusses. Das KVG hatte bis dahin nur einen kleinen Teil des gesamten „Kapitalverkehrs“ abgedeckt, während weite Bereiche außerhalb der Zuständigkeit des Kapitalverkehrsausschusses und damit außerhalb der um die Jahreswende 1950/51 vielfach geforderten Kapitallenkung geblieben waren. Nun versprachen sich nicht nur SPD-Politiker, sondern auch Abgeordnete der Regierungsparteien eine Linderung der Investitionsengpässe, wenn Schuldscheindarlehen, die langfristige Mittelvergabe der Kapitalsammelstellen sowie die Wertpapieremissionen von Bundesländern, Bundespost und Bundesbahn ebenfalls
91 Entwurf einer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, 11.11.1950 – BA Ko, B 126/12076. 92 Schreiben der BdL an das BMF vom 3.3.1952 – BA Ko, B 126/12076. 93 Schreiben Vocke an Bernard vom 8.1.1952 – BBk, HA, B 330/52.
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unter zentrale staatliche Kontrolle gestellt würden.94 Selbst das Bundeswirtschaftsministerium hatte keine Einwände gegen eine Ausweitung der Kapitallenkung im KVG, ein Zeichen für das Nachgeben Erhards, der während der schwierigen Monate im Winter 1950/ Frühjahr 1951 mehrmals betont hatte, dass eine neue Phase der Wirtschaftspolitik angebrochen sei, die zur Erhaltung der Marktwirtschaft auch Lenkungsmaßnahmen notwendig machen könnten.95 Schuldscheindarlehen und Schatzanweisungen hatten sich für den Kapitalverkehrsausschuss zunehmend zu einem Ärgernis entwickelt, weil sie regelmäßig von öffentlich-rechtlichen Körperschaften bzw. von privaten Unternehmen mit einem deutlich höheren Zins begeben wurden als Pfandbriefe und Kommunalobligationen.96 Auch gab es Schuldscheindarlehen, deren Besitzübertragung derart leicht war, dass sie ohne größeren Aufwand am Kapitalmarkt gehandelt werden konnten.97 Der Einbezug der Länderanleihen in ein neues KVG wurde erwogen, um auch ihre Anleihepolitik nach gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten auszurichten.98 Insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium war daran interessiert, die Länderanleihen in die Emissionskontrolle des neuen KVG einzubeziehen, da ansonsten die Versuchung für die Länder zu groß sei, sich beim Zugang zum Wertpapiermarkt insbesondere gegenüber den privaten Unternehmen Vorteile zu verschaffen. Der Argwohn des Bundeswirtschaftsministeriums verstärkte sich, als sich einzelne Länder anschickten, hochverzinsliche kurzfristige Wertpapiere auszugeben, mit denen offensichtlich langfristige Investitionen ohne abschließende Regelung der Anschlussfinanzierung bestritten werden sollten. Vor allem die Emission von 8-prozentigen Schatzanweisungen und 7,25-prozentigen Schatzwechseln des Freistaates Bayern sorgte für großen Unmut und wurde weithin als „Missbrauch der Emissionsfreiheit“ gedeutet,99 der einen Zinswettlauf um die Anleger einläuten konnte.100 Schon bei den Beratungen über das KVG im Jahr 1949 waren verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Einbezug der Länderanleihen in die 94 Niederschrift über die 22. KVA-Sitzung – BA Ko, B 126/12081. 95 Vgl. etwa Erhard, Wirtschaftspolitik, S. 132 f., 148 f., 159. 96 So begab die Bundespost 1951 Schuldscheindarlehen mit einer Verzinsung von neun Prozent, die Conti-Gummi AG zu 8,5 Prozent und die Rhein-Main-Donau AG zu 8,5 Prozent. Niederschrift über die 24. KVA-Sitzung vom 10.9.1951 – BA Ko, B 126/12081. 97 Selbst der Verband der Lebensversicherungen hatte keine grundsätzlichen Bedenken, solche Darlehen der Kontrolle des Kapitalverkehrsausschusses zu unterstellen. Schreiben des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen e.V. an das BMF (Regierungsrat Ladewig) vom 10.12.1951 – BA Ko, B 126/12076. 98 Vermerk (Drechsler) vom 13.12.1951; Vermerk (Fischer-Menshausen) vom 22.12.1951 – BA Ko, B 126/12076. 99 Selbst der Bund emittierte Schatzanweisungen mit einer Laufzeit von sechs bzw. zwölf Monaten, die mit 6,5 bzw. 6,75 Prozent diskontiert wurden. Auch wenn Schuldscheindarlehen und Schatzanweisungen nicht im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen steuerbegünstigt waren, waren diese Zinssätze Wasser auf die Mühlen der Gegner niedriger Kapitalmarktzinsen. 100 Niederschrift über die 32. KVA-Sitzung vom 15.5.1952 – BA Ko, B 126/12082; Protokoll der 120. ZBR-Sitzung vom 15.5.1952 – BBk HA, B 330/56.
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Emissionskontrolle vorgebracht worden. Anders als das Bundesjustizministerium kamen die Rechtsexperten im Bundesfinanzministerium zu dem Ergebnis, dass die faktische Unterstellung der Anleihepolitik der Länder unter die Aufsicht des Bundes verfassungswidrig sei, da die Haushaltsautonomie der Länder gefährdet werde.101 Falls der Einbezug der Länder aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei, forderte Erhard, dass die Länder sich in Form einer Verwaltungsvereinbarung für die Dauer des neuen KVG freiwillig einer Abstimmung der Emissionsbedingungen bzw. der Emissionsabfolge unterwerfen sollten.102 Die Bundesregierung verzichtete schließlich jedoch ganz auf die Einbeziehung der Länderanleihen, weil starker Widerstand des Bundesrats drohte und die Länder bereits mit dem Gang zum Bundesverfassungsgericht drohten.103 Der Entwurf für das neue KVG sah vor, den Zuständigkeitsbereich des Kapitalverkehrsausschusses weit über die Genehmigung von Wertpapieremissionen hinaus auszudehnen. Der Bundesregierung sollte das Recht eingeräumt werden, durch Vorgabe von Richtlinien in die langfristige Anlagepolitik der Kapitalsammelstellen einzugreifen. Zur Zielgruppe zählten dabei insbesondere Sparkassen, private Hypothekenbanken, öffentlich-rechtliche Kreditanstalten sowie Lebensversicherungsunternehmen.104 Zur Begründung hieß es, dass die Wertpapieremittenten benachteiligt würden, wenn die Kapitalsammelstellen nicht in die Kapitallenkung einbezogen würden.105 Vorbild für die Anlagerichtlinien war das erste Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950, das der Bundesregierung das Recht einräumte, die Kapitalsammelstellen zu verpflichten, einen bestimmten Teil ihrer langfristigen Anlagemittel – unter Beachtung der sonstigen gesetzlichen Vorschriften und der Satzungsbestimmungen – für die Finanzierung des Wohnungsbaus einzusetzen.106 Im weiteren Verlauf der Beratungen wurde dieser Punkt auf Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums, das seit Mitte 1952 die Ressortzuständigkeit für den Bereich Geld und Kredit hatte, insofern abgeschwächt, als der Bundesregie101 Vermerk (Fischer-Menshausen) vom 22.12.1951; Schreiben des Bundesjustizministers an den Bundesfinanzminister betr. Entwurf einer Neufassung des Gesetzes über den Kapitalverkehr vom 24.1.1952; Vermerk (Drechsler) vom 29.1.1952 – BA Ko, B 126/12076. 102 Sowohl die Anleiheemissionen des Bundes als auch diejenigen der Länder bedurften zwar jeweils eines Gesetzes. Aber die Konditionen der Anleihen wurden nicht gesetzlich verankert. Vielmehr wurden die Konditionen bei jeder Anleihe vom Bundesfinanzministerium bzw. von den Länderfinanzministerien festgelegt. Vermerk (Drechsler) vom 29.1.1952; Vermerk (v. Spindler) vom 27.3.1952; Vermerk (Drechsler) vom 29.9.1952 – BA Ko, B 126/12076 103 Auch war inzwischen politischer Konsens, dass in naher Zukunft die Freigabe des Kapitalmarktzinses vollzogen werden sollte. Da der Verwendungszweck der Länderanleihen ohnehin nicht durch den Bund bestimmt werden konnte, würde bei einem Wegfall der Zinsbindung der gesamte Einbezug der Länderanleihen keinen Sinn mehr machen. Vermerk (v. Spindler) betr. Gesetz über den Kapitalverkehr vom 2.4.1952 – BA Ko, B 126/12077. 104 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode, Drucksache 3439, 9.6.1952. 105 Entwurf einer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr, 11.11.1950 – BA Ko, B 126/12076. 106 Erstes Wohnungsbaugesetz vom 24.4.1950 (§ 4). BGBl. I, 1950, S. 83.
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rung nicht mehr das Recht eingeräumt wurde, bindende Richtlinien vorzugeben. Sie sollte nur noch Anlagezwecke „empfehlen“ können, von denen die Kapitalsammelstellen „nur aus wichtigen Gründen“ abweichen durften.107 Es wollte mit dieser lex imperfecta erreichen, die Kapitalsammelstellen „wenigstens an den Verhandlungstisch zu bringen“. Ob und inwieweit sie tatsächlich gezwungen werden sollten bzw. konnten, den Anlagewünschen der Bundesregierung nachzukommen, wollte das Bundeswirtschaftsministerium der weiteren Entwicklung überlassen.108 Der Entwurf des neuen KVG änderte auch die allgemeine Zielsetzung des Gesetzes, die nach Ablauf des Marshall-Plans neu formuliert werden musste. Künftig sollten Emissionsgenehmigungen nur dann erteilt werden, wenn die beantragten Emissionen in Einklang standen a) mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern, und b) mit den Grundsätzen einer geordneten Währungspolitik. Dabei waren die „von den zuständigen Stellen aufgestellten Investitionsprogramme zu beachten“, worunter etwa Investitionsprogramme des Bundes, die das Investitionsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums im Rahmen der Investitionshilfe oder Programme zur Förderung Berlins fielen.109 Mit dieser schwammigen Formulierung, die eine Anwendung des Gesetzes in jegliche Richtung offen hielt, vermieden die zuständigen Ministerien weiterhin jegliche wirtschaftspolitische Festlegung. Um die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrates auszuräumen, übertrug der Gesetzentwurf dem Bundeswirtschaftsminister allein die Entscheidung über Emissionsanträge. Der Ausschuss für Kapitalverkehr, dessen Gutachten der Bundeswirtschaftsminister vor seiner Entscheidung einzuholen hatte, sollte nur noch beratende Aufgaben haben. Da die Beschlüsse des Kapitalverkehrsausschusses auch bisher schon der Bestätigung des Bundesfinanzministers bedurft hatten – die dieser in keinem Fall verwehrt hatte, bedeutete diese Regelung keine grundsätzliche Änderung für die Aufgabenstellung des Ausschusses. Er sollte im Grunde in der gleichen Weise wie bisher tätig sein.110 Als die Bundesregierung dem Entwurf des neuen KVG in der Kabinettssitzung am 11. März 1952 zustimmte, geschah dies unter dem Vorbehalt, dass sich der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister über den Einbezug der Länderanleihen einigten. Als Erhard zustimmte, auf die formelle Ausdehnung des KVG auf die Länder zu verzichten, war das Gesetz von der Bundesregierung verabschiedet. Der Bundesrat stimmte daraufhin dem KVG mit nur wenigen Änderungsvorschlägen zu,111 die von der Bundesregierung akzeptiert 107 Vermerk (Fischer) vom 31.8.1951 – BA Ko, B 102/12663; Niederschrift (v. Spindler) über die Besprechung betr. den Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr (Neufassung) am 27.9.1951 – BA Ko, B 126/12076. 108 Schreiben Vocke an Bernard vom 8.1.1952 – BBk, HA, B 330/52. 109 Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr vom 9.6.1952 sowie Begründung desselben – PA, Ges.dok. I/365 A. 110 Ebd. 111 83. Sitzung des Bundesrates am 25.4.1952, TOP 14; Vermerke (Drechsler) vom 4.4. und 18.4.1952 – BA Ko, B 126/12077.
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wurden. Am 18. Juni 1952 wurde das Gesetz in erster Beratung in den Bundestag eingebracht und von diesem umgehend an den Ausschuss für Geld und Kredit weitergeleitet.112 Hier wurde der Gesetzgebungsprozess erst einmal gestoppt. Denn inzwischen waren die Probleme des Koreabooms nicht mehr aktuell und es wurden ganz andere Lösungsansätze diskutiert, um dem Kapitalmarkt neues Leben einzuhauchen. So waren die Bundestagsausschüsse für Finanz- und Steuerfragen sowie für Geld und Kredit seit dem Frühjahr 1952 mit den Vorbereitungen für ein Gesetz befasst, das neuartige steuerliche Anreize zur Förderung des Wertpapiermarktes setzen und zugleich die direkte Einflussnahme des Staates auf den Wertpapiermarkt reduzieren sollte. Diese Neuausrichtung widersprach der Absicht des KVG-Entwurfs, die Kapitallenkung auszuweiten, diametral und ließ die Zukunft des KVG im Ungewissen. Sofern die gesetzgebenden Körperschaften eine Fortführung der Emissionskontrolle weiterhin befürworten sollten, war absehbar, dass sich die Tätigkeit des Kapitalverkehrsausschusses an den Zielen des geplanten Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Kapitalmarktes orientieren musste und nicht umgekehrt.
112 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 219. Sitzung am 18.6.1952, S. 9664.
VI. DER WEG ZUM ERSTEN KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZ (1951/52) VI. 1. NEUE ANSÄTZE IN DER KAPITALMARKTPOLITIK VI. 1. 1. Initiativen des „Interministeriellen Wirtschaftsausschusses“ und des „Scharnberg-Ausschusses“ Sukzessive waren die verschiedenen Bemühungen um die Freigabe des Zinses, die steuerliche Förderung des Wertpapiermarktes sowie die Fortsetzung der Kapitalverkehrskontrolle zum Erliegen gekommen. Gleichzeitig setzte sich mehr und mehr die Einsicht durch, dass der mangelnden Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts und den Herausforderungen der Investitionsfinanzierung nicht länger mit isolierten Einzelmaßnahmen begegnet werden konnte, sondern der gesamte Komplex einer zusammenhängenden Lösung bedurfte – und zwar noch vor der Verabschiedung einer „großen“ Steuerreform. Insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium beklagte, dass das Bundesfinanzministerium eine Förderung des Wertpapiermarktes, wie sie im Zusammenhang mit dem EZU-Memorandum vom Herbst 1950 fest zugesagt worden war, auch nach Ablauf eines Jahres noch nicht in Angriff genommen hatte, und forderte die Wiederaufnahme eines diesbezüglichen Dialogs.1 Einen ersten Anstoß für die Aufnahme koordinierter Beratungen gab der Interministerielle Wirtschaftsausschuss (Kabinettsausschuss für Wirtschaft), der im Herbst 1951 im Rahmen einer Stellungnahme zu aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik auch auf mögliche Maßnahmen zur Förderung der Investitionsfinanzierung einging. Das Memorandum fasste den Stand der bis dahin erarbeiteten Konzepte der Bundesministerien zusammen und stand dabei sichtlich unter dem Einfluss der US-amerikanischen Forderungen nach Lenkungsmaßnahmen sowie den laufenden Gesetzgebungsarbeiten zur Investitionshilfe und zum neuen KVG. Das Memorandum ging gleichwohl an einigen Stellen über die bisherigen Aspekte der Kapitalmarktpolitik, wie sie das KVG repräsentierte, hinaus. In die Protokolle des Interministeriellen Ausschusses wurden die Erörterungen nicht aufgenommen und auch der ZBR, dem das Memorandum zur Information vorgelegt wurde, sah davon ab, die diesbezügliche Diskussion in das Sitzungsprotokoll
1
Notiz für den Herrn Staatssekretär Dr. Westrick (Meinhold) vom 28.9.1951 – BA Ko, B 102/12663/1.
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VI. Der Weg zum Ersten Kapitalmarktförderungsgesetz
aufzunehmen.2 Man wollte dieses Thema vorläufig nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wissen. Nachdem der Interministerielle Wirtschaftsausschuss in seinem Memorandum einführend auf die steigende Bedeutung der Kapitalbildung im Allgemeinen und der Kapitalbildung über den Wertpapiermarkt im Besonderen hingewiesen hatte, ging er auf die Möglichkeiten einer Förderung des Wertpapiermarktes ein. Als Grundvoraussetzungen für seine „Gesundung“ wurden die Wiedergewinnung des Vertrauens der Sparer in die Stabilität des Geldwertes und der – allerdings erst auf längere Sicht mögliche – Umbau des Steuersystems „zur Unterstützung des Leistungsstrebens der Wirtschaft“ genannt. In der Kapitalmarktpolitik sah der Interministerielle Ausschuss Handlungsbedarf in folgenden Punkten: 1) Der Aktienmarkt sollte belebt werden, indem der Dividendenstopp für Aktien mit sofortiger Wirkung aufgehoben, die Doppelbesteuerung der Aktien beseitigt und die Ausgabe von Wandelobligationen gefördert wurde. 2) Mit Blick auf die beunruhigenden Inflationsraten in den Jahren 1950/51 sollte die Kapitalbildung über den Wertpapiermarkt – wie schon während der Großen Inflation von 1923 – durch die Einführung neuer Formen des „wertbeständigen“ Sparens gesteigert werden, indem festverzinsliche Wertpapiere mit einer Sachwertbindung auf den Markt gebracht werden sollten, die weitgehend gegen Kursschwankungen abgesichert waren. 3) In der Frage der Freigabe der Nominalzinsen für festverzinslicher Wertpapiere konstatierte der Ausschuss weiterhin abweichende Meinungen: Während das Bundeswirtschaftsministerium und die BdL eine Zinsfreigabe als Voraussetzung für den Wiederaufbau des Kapitalmarktes ansahen, hielt das Bundesfinanzministerium sie in der gegenwärtigen Lage für nicht angebracht. Auch hinsichtlich der Frage, ob bei einer Freigabe bzw. Erhöhung der Kapitalmarktzinsen eine Heraufkonvertierung bereits begebener Wertpapiere notwendig sei, hielt das Memorandum verschiedene Ansichten fest. 4) Selbst bei Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen, so die Auffassung des Ausschusses, würde das Mittelaufkommen auf dem Wertpapiermarkt nicht annähernd ausreichen, um die volkswirtschaftlich dringlichen Investitionsvorhaben zu finanzieren. Daher sprach er sich für eine Fortführung der steuerlichen Begünstigung des Wertpapiersparens aus, deren Form allerdings modifiziert werden sollte: Vorerst sollte zwar die Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge fortgeführt und auf Körperschaften ausgedehnt werden. Mittelfristig dachte der Ausschuss jedoch daran, die steuerliche Förderung gemäß den Vorschlägen des Münsteraner Ordinarius Professor Horst Jecht umzustellen. Das Konzept von Jecht sah vor, weiterhin den Ersterwerb von Wertpapieren und den 2
Stellungnahme des Interministeriellen Wirtschaftsausschusses (IWA) zu aktuellen Fragen der Wirtschaftspolitik, Anlage zum Stenograph. Bericht über die 107. ZBR-Sitzung vom 7./8.11.1951 – BA Ko, B 330/49.
VI. Der Weg zum Ersten Kapitalmarktförderungsgesetz
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Abschluss von Sparverträgen zu fördern. Die gesparten Beträge sollten allerdings nicht mehr zur Gänze von dem steuerpflichtigen Einkommen, sondern nur noch zu einem für alle Einkommensstufen gleichen Prozentsatz der Sparbeträge von der Steuerschuld abgezogen werden dürfen.3 Der Interministerielle Wirtschaftsausschuss befürwortete zudem, dass in Zukunft auch Industrieobligationen in das steuerbegünstigte Wertpapiersparen einbezogen sowie die Kapitalsammelstellen verstärkt in die Investitionen der Engpassindustrien eingebunden werden sollten. 5) Die Anhebung der Preise in der Grundstoffindustrie, die der Bundeswirtschaftsminister im Herbst 1951 in ersten Schritten bei Kohle, Eisen und Stahl vorgenommen hatte, sah der Ausschuss als geeignet an, wenigstens die Ersatzinvestitionen in den preisgebundenen Wirtschaftsbereichen sicherzustellen und damit das Problem der Engpassinvestitionen zu mildern. Aber die Errichtung umfangreicher neuer Produktionskapazitäten war nach Ansicht des Ausschusses auf diese Weise nicht möglich. Der Interministerielle Wirtschaftsausschuss gab mit seinen Vorschlägen erste Anregungen für künftige kapitalmarktpolitische Maßnahmen. Die Lösungsansätze miteinander zu verknüpfen und einer einheitlichen Behandlung zuzuführen, machte sich der Wirtschaftsausschuss jedoch nicht zur Aufgabe. Dies übernahm vielmehr ein inoffizielles Gremium, das neben den zuständigen Bundesministern praktisch alle für einen Gesetzgebungsprozess wichtigen Spitzenvertreter der Koalitionsparteien vereinte.4 Auf Einladung der beiden Bundestagsabgeordneten Hugo Scharnberg (CDU) und Victor-Emanuel Preusker (FDP), Erstgenannter Vorsitzender, Letzterer Mitglied des Bundestagsausschusses für Geld und Kredit,5 trafen sich Bundeswirtschaftsminister Erhard (CDU), Bundesfinanzminister Schäffer (CSU), Bundeswohnungsbauminister Wildermuth 3
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Der Jechtsche Vorschlag zielte darauf ab, die großen Unterschiede der steuerlichen Begünstigung zwischen den unteren und den oberen Einkommensschichten zu vermeiden. Aber er hätte kaum zu der angestrebten Stärkung des Wertpapiermarktes geführt: Die Beibehaltung der Sperrfristen hätte die Kurse des Rentenmarkts weiter unter Druck gesetzt und den Wertpapierhandel weiterhin gelähmt vom 2.4.1952 – BBk HA, B 330/3156. Hinzugezogen wurden ferner einige Sachverständige der Bundesministerien und der BdL. Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. Hugo Scharnberg war Direktor der Dresdner Bank und trat 1946 als parteiloses Mitglied der Hamburger Bürgerschaft der CDU bei. Er war langjähriger CDU-Landesvorsitzender in Hamburg, Mitglied des Wirtschaftsrats und anschließend Mitglied des Bundestags. Scharnberg wirkte an der Abfassung des Ahlener Programms der CDU im Frühjahr 1948 mit und stellte in der Ordnungspolitik laut Ralf Dahrendorf neben der Umsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien gleichberechtigt soziale Aspekte. Scharnberg äußerte mehrmals, dass er „ein getreuer Anhänger [von Erhards] Politik und Persönlichkeit“ sei. Viktor-Emanuel Preusker war promovierter Volkswirt. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war er ebenfalls bei der Dresdner Bank angestellt, nach Kriegsende hatte er ein Unternehmen der Holzwirtschaft geführt. Preusker zählte zu den angesehensten wirtschaftsliberalen FDP-Politikern; er unterstützte die marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards. Vgl. Dahrendorf, Bucerius, S. 88 f.; Schulz, Wiederaufbau, S. 196; Löffler, Marktwirtschaft, S. 476 f.
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(FDP), die beiden Präsidenten der BdL, Vocke und Bernard, sowie „wirtschaftspolitisch besonders interessierte Abgeordnete der Koalitionsparteien“ in Bonn. Bei Letzteren handelte es sich neben Scharnberg und Preusker um den FDPBundestagsabgeordneten Hans Wellhausen, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Finanz- und Steuerfragen, sowie den CSU-Bundestagsabgeordneten Franz Etzel, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaftspolitik.6 Damit gehörten dem Gremium zwei Vertreter der CDU, zwei der CSU, drei der FDP sowie die beiden – offiziell keiner Partei zugehörigen, aber bezüglich ihrer ordnungspolitischen Vorstellungen wohl ohne größere Schwierigkeiten einzuordnenden – BdL-Präsidenten an. Da alle zuständigen Ministerien und Bundestagsausschüsse vertreten waren, kann der Schluss gezogen werden, dass mit der Tätigkeit dieses Gremiums ein Initiativgesetz vorbereitet werden sollte. Der neunköpfige Ausschuss wurde später häufig nach seinem Vorsitzenden „Scharnberg-Ausschuss“ genannt. Seine anfänglichen Beratungen standen unter der Maßgabe strengster Geheimhaltung, da eine Beunruhigung des Kapitalmarktes durch Gerüchte über neue staatliche Maßnahmen, wie sie im Zusammenhang mit der Zinsdiskussion vom Februar/ März 1950 noch in lebhafter Erinnerung war, unbedingt vermieden werden sollte.7 Die Mitglieder des „Scharnberg-Ausschusses“ loteten die Ziele und Interessen einer zukünftigen Kapitalmarktpolitik im vorparlamentarischen Raum aus; dabei wollten sie einen umfassenden Ansatz wählen, um der bisherigen Politik der „kleinen Mittelchen“8 ein Ende zu bereiten. Innerhalb kurzer Zeit kristallisierte sich aus den wenig konkreten Ansätzen des Interministeriellen Wirtschaftsausschusses ein detailliertes Konzept heraus, das seit Ende 1951 als Diskussionsgrundlage diente. Die Schnelligkeit der Arbeitsweise verwundert aufgrund des recht homogenen Meinungsspektrums im „Scharnberg-Ausschuss“ wenig: Der Ausschuss wurde von Kritikern der bisherigen Kapitalmarktpolitik und dezidierten Befürwortern einer stärker marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftspolitik dominiert, die in zahlreichen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik eng kooperierten. Zu diesen Befürwortern zählten neben Bundeswirtschaftsminister Erhard und den beiden BdL-Präsidenten Vocke und Bernard, die sich schon lange für eine Freigabe der Kapitalmarktzinsen eingesetzt hatten, die Bundestags6
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Franz Etzel galt als wirtschaftsliberaler, der Schwerindustrie nahe stehender Bundestagsabgeordneter, der wie Scharnberg bereits an der Abfassung des Ahlener Programms mitgewirkt und sich vehement für die Durchführung der Investitionshilfe eingesetzt hatte. Er war Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses der CDU, zwischen 1949 und 1952 Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaftspolitik und wurde 1957 zum Bundesfinanzminister ernannt. Hans Wellhausen war Direktor der MAN AG in Nürnberg, bis 1956 als Abgeordneter der FDP im Wirtschaftsrat und im Bundestag vertreten (ehe er in die CSUFraktion wechselte) und zwischen 1951 und 1957 Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Finanz- und Steuerfragen. Vgl. Dietrich, Eigentum, S. 126 f.; Löffler, Marktwirtschaft, S. 110 f., 466. Protokoll der 110. ZBR-Sitzung vom 19.12.1951 – BBk HA, B 330/51. So Preusker im Herbst 1951. Zit. n. Adamsen, Investitionshilfe, S. 188.
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abgeordneten Etzel (CSU), Wellhausen (FDP) und Preusker (FDP), die alle dem im „Niederbreisiger Kreis“ lose zusammengeschlossenen wirtschaftsliberalen Flügel der Koalitionsparteien nahe standen. Der „Niederbreisiger Kreis“ war bereits während der Koreakrise mit weitgehenden Forderungen nach marktwirtschaftlichen Lösungen hervorgetreten und hatte damals eine Gegenposition zu dem wirtschaftspolitischen Kalkül Adenauers bezogen.9 Es waren aber auch Personen im Ausschuss vertreten, die mit Blick auf die geringe private Kapitalbildung einerseits und den Finanzierungsbedürfnissen des sozialen Wohnungsbaus andererseits zögerten, den Marktgesetzen freien Lauf zu lassen. Aus der Phalanx der dezidierten Marktbefürworter scherte etwa Bundesfinanzminister Schäffer aus, der die bisherige, unter der Federführung des Bundesfinanzministeriums stehende Kapitalmarktpolitik – wenn auch als „notwendiges Übel“ – verantwortet hatte. Bundeswohnungsbauminister Wildermuth befürwortete persönlich zwar eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftspolitik, musste jedoch Rücksicht auf die Sachzwänge seines Ressorts nehmen.10 Auch Hugo Scharnberg sprach sich wiederholt für eine staatliche Einwirkung auf den Wertpapiermarkt aus. Ohne diese drei Politiker war keine Neuausrichtung der Kapitalmarktpolitik möglich und der Ausschuss musste Kompromisslösungen erarbeiten, die ihre Interessen berücksichtigten. Warum wurde diese „informelle“ Form der Beratungen in einem Gremium gewählt, das verfassungsrechtlich nicht vorgesehen war? Die Etablierung des „Scharnberg-Ausschusses“ ist vermutlich auf einen politischen Handel zurückzuführen: Wie der führende Vertreter und Lobbyist des Realkreditgewerbes, Wilhelm Biber,11 im Frühjahr 1952 mutmaßte, ging der Anstoß für die Beratungen hinter verschlossenen Türen auf Bedingungen zurück, „welche eine der Koalitionsparteien bei ihrer Zustimmung zum Investitionshilfegesetz gestellt hat; sie zielen auf eine Auflockerung der noch bestehenden zwangswirtschaftlichen Regelungen hin.“12 Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, dass mit der angesprochenen Partei die FDP gemeint war, die das Investitionshilfegesetz zunehmend kritisch bewertet hatte und ihre Zustimmung unter anderem von der Aufnahme einer „konstruktiven Kapitalmarktpolitik“ abhängig gemacht hatte.13 Die Initiative von Scharnberg und Preusker räumte der FDP ein größeres Mitspracherecht ein, als ihr im Rahmen eines formellen Gesetzgebungsverfahrens in der Bundesregierung und im Bundestag zugefallen wäre. Denn im „Scharnberg9 Löffler, Marktwirtschaft, S. 478; Adamsen, Investitionshilfe, S. 120, 182 f. 10 Eberhard Wildermuth war in den Zwanzigerjahren im Reicharbeitsministerium an führender Stelle mit der Wohnungsbaupolitik befasst. 1928 wechselte er in die Direktion der öffentlichrechtlichen Deutschen Bau- und Bodenbank AG. 1947 wurde er als ein führender Vertreter der DVP bzw. FDP Wirtschaftsminister in Württemberg-Hohenzollern, 1949 erster Bundesminister für Wohnungsbau in Westdeutschland. Er gehörte dem wirtschaftsliberalen Flügel der FDP an. Vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 187 ff., 196. 11 Wilhelm Biber war Direktor der Bayerischen Vereinsbank sowie geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft des privaten Hypothekenbankgewerbes. 12 Nicht öffentlich gehaltener Vortrag von Dr. Biber, 2.4.1952 – BBk HA, B 330/3156. 13 Adamsen, Investitionshilfe, S. 187 (Zitat), 191.
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Ausschuss“, in dem die FDP drei der sieben Parteienvertreter entsandte, hatte jedes Mitglied eine gleichberechtigte Stellung. Diese „Stimmverteilung“ hatte eine weitere Wirkung: Mit ihr konnte die festgefahrene Situation im Bundeskabinett, insbesondere der anhaltende Gegensatz und das – nahezu schon obligatorische – Kompetenzgerangel zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium, überwunden werden. Denn im „Scharnberg-Ausschuss“ waren beide Ministerien „gleichberechtigt“ und der Widerstand eines Ministers konnte leichter überwunden werden.14 Als die Zuständigkeit für den Bereich Geld und Kredit im Juli 1952 endgültig vom Bundesfinanzministerium auf das Bundeswirtschaftsministerium überging, wurde die Konfliktgefahr auf dem Gebiet der Kapitalmarktpolitik eher noch größer: Fortan besaß zwar der Bundeswirtschaftsminister offiziell die Ressortzuständigkeit, aber die den Kapitalmarkt betreffenden Gesetzentwürfe wurden weiterhin federführend im Bundesfinanzministerium verfasst, da es sich durchweg um Steuergesetze handelte. VI. 1. 2. Anliegen des „Scharnberg-Ausschusses“ Grundüberzeugung der kapitalmarktpolitischen Reformbemühungen der Regierungsparteien blieb, dass die auf Westdeutschland zukommenden finanziellen Belastungen ohne Gefährdung der inneren finanziellen Stabilität und ohne Beeinträchtigung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten nur dann getragen werden konnten, wenn es gelang, das Sozialprodukt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit wesentlich zu erhöhen.15 Eine solche Erhöhung hatte zur Voraussetzung, dass die Produktivität über die Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Investitionen gesteigert wurde, was im Wesentlichen nur durch eine höhere private Kapitalbildung, im Idealfall über einen höheren Absatz von Wertpapieren, möglich war. Die im „Scharnberg-Ausschuss“ versammelten politischen Entscheidungsträger verkannten keineswegs, dass die abnehmende Bedeutung des Wertpapiermarktes ein internationales Phänomen und zum großen Teil auf strukturelle Ursachen zurückzuführen war, denen mit kapitalmarktpolitischen Maßnahmen kaum zu begegnen war. Sie gingen daher davon aus, dass der Wertpapiermarkt seine frühere Dominanz innerhalb des organisierten Kapitalmarktes nicht wiedererlangen konnte.16 Dennoch herrschte Konsens, dass angesichts der künftigen Finanzierungsaufgaben und der wegfallenden alternativen Finanzierungsmöglichkeiten ein möglichst großer Teil der Investitionsfinanzierung über 14 Vermerk (Fischer, Abt. VI) vom 20.10.1953 – BA Ko, B 102/28611. 15 Noch vor Verabschiedung des Kapitalmarktförderungsgesetzes wurden im August 1952 das Londoner Schuldenabkommen und im September 1952 das Israel-Abkommen abgeschlossen, die erhebliche Zahlungsverpflichtungen an das Ausland beinhalteten, die für längere Zeit eine Belastung der Handelsbilanz darstellten. Auch dies war ein Grund, den Export anzukurbeln. Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 59. 16 Vermerk (Abt. Volkswirtschaft und Statistik der BdL) über Maßnahmen zur Belebung des Wertpapiermarktes vom 15.1.1952 – BBk HA, B 330/53.
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den Wertpapiermarkt erfolgen sollte, nicht zuletzt, weil das Wertpapiersparen im Vergleich zum Kontensparen als volkswirtschaftlich „wertvoller“ angesehen wurde. Denn nach allgemeiner Überzeugung hatte das Kontensparen während der Koreakrise einen wesentlichen Nachteil offenbart: Sparguthaben bzw. Termingelder konnten kurzfristig aufgelöst und in liquide Mittel umgewandelt werden, wodurch die für Investitionszwecke zur Verfügung stehenden Mittel zurückgingen und – insofern das Ersparte für Konsumzwecke verwendet wurde – inflationäre Tendenzen verstärkt wurden. Auf diese Weise wurde sowohl die Investitionsfinanzierung gefährdet als auch die restriktive Währungspolitik der BdL unterlaufen. Solche Probleme tauchten nach Meinung der Mitglieder des „ScharnbergAusschusses“ beim Wertpapiersparen nicht auf: Das durch die Emission eines festverzinslichen Wertpapiers aufgebrachte Kapital blieb während der gesamten Laufzeit erhalten und war langfristig gebunden. Die Wertpapierbesitzer konnten ihre Wertpapiere nur dann in liquide Mittel verwandeln, wenn andere Sparer bereit waren, an ihre Stelle zu treten und das Wertpapier zu kaufen.17 Auch wenn dieses Argument bei näherer Betrachtung Schwächen aufweist, auf die der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sparkassen- und Giroverbände und Girozentralen (später: Deutscher Sparkassen- und Giroverband), Fritz Butschkau, auch aufmerksam machte,18 war die Dringlichkeit einer Belebung des Wertpapiermarktes politisch unumstritten.19 Die Mehrheit des „Scharnberg-Ausschusses“ versprach sich von der staatlich verordneten Zinsfestlegung mittlerweile keine Vorteile mehr und betrachtete die bisherige Kapitalmarktpolitik unter dem seit mehr als zwei Jahren geltenden KVG als gescheitert. Sie wollte daher nicht nur eine kapitalmarktpolitische Kurskorrektur vornehmen, sondern einen Richtungswechsel vollziehen. Zu diesem Zweck war sie bereit, die wirtschaftspolitischen Reizthemen der zurückliegenden Jahre in ihrem Sinne anzupacken: die Freigabe der Kapitalmarktzinsen und – damit eng zusammenhängend – die Lockerung von Preisbindungen, insbesondere der Wohnungs17 Diese Argumentation wurde auch in die Begründung des Gesetzentwurfs aufgenommen. Schreiben des Bundeskanzlers an den Präsidenten des Bundesrats vom 6.6.1952, Anhang: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarkts durch steuerliche Begünstigung festverzinslicher Wertpapiere nebst Begründung – PA Ges.dok. I/363 A. 18 Wäre nämlich während der Koreakrise ein höherer Anteil der umlaufenden Wertpapiere in Privatbesitz gewesen, so hätten die Anleger mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Papiere massenhaft auf den Markt geworfen, um an liquide Mittel zu gelangen. Dadurch wären die Kurse erheblich unter Druck geraten und es hätte durchaus eine Situation entstehen können, in der auf breiter Basis Kurs stützende Wertpapierkäufe notwendig geworden wären – die nach Lage der Dinge einzig die BdL im Rahmen ihrer Offen-Markt-Geschäfte hätte tätigen können. Dies hätte zweifellos einen währungspolitischen Drahtseilakt dargestellt. Nach Überzeugung Butschkaus hatte sich das Kontensparen während der Koreakrise durchaus als krisenfest erwiesen, da im Gesamtjahr 1951 kein Auszahlungsüberschuss verzeichnet worden war. Schreiben Butschkau an Scharnberg vom 16.9.1952 – PA, Ges.dok, I/363 A. 19 Als Vorteil des Wertpapiersparens gegenüber dem Kontensparen wurde auch vorgebracht, dass die Kreditinstitute nicht das von den Sparern am Wertpapiermarkt gemiedene Liquiditätsrisiko zur Gänze übernehmen konnten. Vgl. Wolf, Probleme, S. 121.
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mieten, zum Wohle des Kapitalmarktes. Mit einem ähnlichen Programm war der „Niederbreisiger Kreis“ Anfang 1951 während der Diskussion um die Überwindung der Produktionsengpässe noch gescheitert. Nun, ein knappes Jahr später, wurde ein erneuter Versuch unternommen, mit der Etablierung eines funktionierenden Zinsmechanismus am Kapitalmarkt und mit dem (Teil-)Rückzug des Staates aus der Investitionsfinanzierung Kernelemente wirtschaftsliberalen Denkens durchzusetzen. Die meisten Mitglieder des „Scharnberg-Ausschusses“ wollten lieber früher als später den Kapitalmarktzins freigeben und ihn der Wahl der Emittenten überlassen. Je „marktnäher“ der Zins ausfallen würde, so das einfache Kalkül, desto attraktiver würde die effektive Verzinsung für die Anleger ausfallen und um so mehr Kapital dem Wertpapiermarkt zufließen, so dass ein größerer Teil der gesamtwirtschaftlichen Investitionen über den freien Kapitalmarkt finanziert werden konnte. Das wiederum würde verhindern, dass der Staat angesichts versiegender Kapitalquellen (ERP-Mittel, Investitionshilfe, Hypothekengewinnabgabe) sein Engagement in der Investitionsfinanzierung intensivieren und die öffentlichen Haushalte noch stärker belasten musste. Damit würde gleichzeitig auch der Staatsanteil an der westdeutschen Wirtschaft insgesamt zurückgehen. Da die Zinsbindung seit 1949 in erster Linie aus Rücksicht auf den sozialen Wohnungsbau aufrecht erhalten worden war, war es folgerichtig, dass der „Scharnberg-Ausschuss“ nun als Gegenstück zur Zinsfreigabe am Kapitalmarkt die Möglichkeit von Mieterhöhungen ins Auge fasste. Die erhöhten Mieten sollten die Wohnungsbauträger in die Lage versetzen, höhere Zinsen für die erste Hypothek zu zahlen, und dies wiederum sollte den Real- und Grundkreditinstituten ermöglichen, ihre Pfandbriefe und Kommunalobligationen mit höheren Nominalzinsen auszustatten, so dass sie mit den übrigen Emittenten in Wettbewerb treten konnten. Die Aussichten, Mieterhöhungen durchsetzen zu können, hatten sich verbessert, nachdem der Bundeswirtschaftsminister bereits Preiserhöhungen bei Kohle, Eisen und Stahl erlaubt hatte und die Diskussionen im Bundeskabinett die Absicht hatten erkennen lassen, eine Mieterhöhung zuzulassen, sobald eine Beruhigung der Preisentwicklung eintrat.20 Die Freigabe des Kapitalmarktzinses und die Stärkung des Wertpapiermarktes standen zweifellos im Mittelpunkt der Zielsetzungen des „Scharnberg-Ausschusses“. Aber zu Beginn der Beratungen um die Jahreswende 1951/52 vertraten einige Beteiligte neben den Argumenten, die eine Durchsetzung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen auf dem Kapitalmarkt forderten, durchaus noch andere, im Grunde ordnungspolitisch entgegengesetzte Positionen: Betont wurde etwa die Absicht, dass über einen verstärkten Wertpapierabsatz die Konsumneigung eingeschränkt und das Kapital durch Emissionskontrolle einer zentralen
20 Zwischen 1951 und 1953 stiegen die Erzeugerpreise bei Kohle um 38 Prozent. Bei Eisen und Stahl erhöhten sich die Preise allein von 1951 auf 1952 um 40 Prozent. Vgl. Adamsen, Investitionshilfe, S. 232 f.
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Lenkung unterworfen werden konnte.21 Das lenkungswirtschaftliche Element, wie es in den zurückliegenden Monaten wiederholt von den USA gefordert worden war und in den Verhandlungen über die Investitionshilfe und über die Verlängerung des KVG zum Tragen gekommen war, klang hier nach, verlor allerdings im Laufe der Verhandlungen immer mehr an Gewicht, bis es in der letzten Phase des Gesetzgebungsverfahrens vollends verschwand. VI. 2. DIE NEUEN ZIELSETZUNGEN STAATLICHER FÖRDERMAßNAHMEN Die Mitglieder des „Scharnberg-Ausschusses“ waren sich bewusst, dass sie ihre Idealvorstellungen eines freien Marktes im Wertpapierwesen kaum voll umsetzen konnten, da sie auf eine ganze Reihe von Problemen Rücksicht nehmen mussten. Dass eine Freigabe der Kapitalmarktzinsen angesichts der komplexen Situation nicht das alleinige Heilmittel für eine Belebung des Wertpapiermarktes darstellen konnte, hatten die aufreibenden Diskussionen um den „angemessenen“ Zins Mitte 1950 hinlänglich gezeigt. Gerade die wichtigste Voraussetzung für eine Liberalisierung des Wertpapiermarktes war auf kurze Sicht politisch kaum umzusetzen: die restlose Beseitigung der Preisbindungen. Und solange diese in Kraft blieben, musste nach – wesentlich komplexeren – Ersatzlösungen gesucht werden. Wenn der „Scharnberg-Ausschuss“ anstrebte, auf der einen Seite, der Anlegerseite, durch eine Erhöhung bzw. Freigabe der Zinsen die Renditen zu steigern, so musste er auf der anderen Seite, der Emittentenseite, unbedingt sicherstellen, dass die Zinsfreigabe keinen „Zinswettlauf“ entfachen würde. Denn viele Emittenten sowohl aus der freien Wirtschaft als auch aus dem öffentlichen Sektor konnten ihre Wertpapiere mit deutlich höheren Nominalzinsen ausstatten als die langfristig orientierten „zinsempfindlichen“ Wirtschaftsbranchen. Hier war es erneut und vor allem der soziale Wohnungsbau mit seinem weiterhin niedrigen Mietpreisniveau, den man davor bewahren wollte, durch hohe Nominalzinsen vom Wertpapiermarkt ausgeschlossen zu werden.22 Auch musste bei einer Freigabe der Kapitalmarktzinsen beachtet werden, dass durch einen solchen Schritt nicht zusätzlich Porzellan zerschlagen und das Vertrauen der bisherigen Anleger geschädigt wurde. Denn im Falle einer nennenswerten Erhöhung der Nominalverzinsung der Neuemissionen musste es zwangsläufig zu Kurseinbrüchen bei den umgestellten RM-Emissionen und den 21 Vermerk (Abtl. Volkswirtschaft und Statistik der BdL) über Maßnahmen zur Belebung des Wertpapiermarktes vom 15.1.1952 – BBk HA, B 330/53. 22 Dass die Rücksichtnahme auf den sozialen Wohnungsbau herausragende Bedeutung hatte, betonte später der Bundestagsabgeordnete Preusker (FDP): „Die im Gesetzentwurf vorgesehene Objektsteuer [= Kapitalertragsteuer; d. Vf.] wäre mit 30 Prozent vollkommen einheitlich gewesen, wenn man nicht den sozialen Wohnungsbau hätte herausnehmen wollen.“ Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit gemeinsam mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss.
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seit der Währungsreform begebenen DM-Emissionen kommen, die durchweg nur niedrig verzinst waren. Hier mussten also Instrumente geschaffen werden, die die bisherigen Emissionen auf dem Wertpapiermarkt weiterhin wettbewerbsfähig machten.23 Schließlich war auch das Grundproblem der Kapitalmarktpolitik seit Mitte 1948 zu berücksichtigen: Die starke Steuerbelastung der Wertpapiererträge, die ein Engagement am Wertpapiermarkt für tarifbesteuerte Anleger weitgehend uninteressant machte, musste gemildert werden, damit steigende Nominalzinsen überhaupt erst zu nennenswerten Renditeerhöhungen führen konnten. Aus den genannten Gründen entwarf der „Scharnberg-Ausschuss“ ein zusammenhängendes Maßnahmenpaket, das bis zur Verabschiedung der großen Steuerreform allen Forderungen gerecht werden sollte: 1) Die Zinsentscheidung sollte weitgehend den Emittenten überlassen werden. 2) Trotz der generellen Zinsfreigabe sollte der Anstieg des Zinsgefüges nach oben hin abgeschirmt werden. Dadurch würde auch der durch eine Zinserhöhung am Kapitalmarkt ausgelöste Anstieg der Konsumentenpreise – insbesondere durch Mieterhöhungen – moderat bleiben. 3) Die Besitzer von umlaufenden Wertpapieren sollten vor Kursverlusten geschützt werden. 4) Die Vermögensanlage in Wertpapieren sollte wegen der hohen Steuertarife weiterhin vom Staat gefördert werden, um die Rendite der Anleger zu erhöhen. Als geeignetes Instrument für diese Zwecke sah der „Scharnberg-Ausschuss“ die Steuerpolitik an. An die Stelle der direkten Zinsfixierung unter dem KVG sollte eine indirekte steuerpolitische Manipulierung des gesamten Zinsgefüges treten, die sich nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten richtete. Bei seinen Planungen ging der „Scharnberg-Ausschuss“ von der Schätzung aus, dass nach einer Zinsfreigabe die Nominalzinsen für Pfandbriefe des freien Wohnungsbaus bzw. für Industrieobligationen auf etwa sieben bis acht Prozent ansteigen würden.24 Es war unwahrscheinlich, dass die Emittenten – nicht zuletzt aufgrund der schlechten Erfahrungen mit 10-prozentigen Pfandbriefen nach dem Währungsschnitt von 1923/24 – langfristig eine höhere Zinsbelastung auf sich nehmen würden. Der Nominalzins derjenigen Pfandbriefe, deren Emissionserlöse ausdrücklich dem „öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau“ dienten, sollte nach den Vorstellungen des „Scharnberg-Ausschusses“ nur moderat auf etwa 5,6 bis sechs Prozent ansteigen. Aber trotz eines Zinsabstands von ca. zwei Prozent zu den übrigen Rentenwerten sollten diese „Sozialpfandbriefe“ auf dem Wertpapiermarkt dennoch konkurrenzfähig bleiben. Zu diesem Zweck sollte der Renditeunterschied durch Steuervorteile ausgeglichen werden. Der anzustrebende Nominalzinssatz für Sozialpfandbriefe von 5,6 bis sechs Prozent wurde einfach danach berechnet, wie stark die Richtsatzmieten im sozia23 Tagesordnung für die KVA-Sitzung am 12.12.1950 – BA Ko, B 126/12080. 24 Man orientierte sich bei der Schätzung des voraussichtlichen Zinsniveaus von Pfandbriefen, die nicht steuerlich begünstigt sein sollten, an der Effektivverzinsung der 4-prozentigen umgestellten RM-Pfandbriefe, deren Ertrag normal versteuert werden musste und deren Kurse „im Großen und Ganzen“ nicht manipuliert wurden. Diese RM-Pfandbriefe erzielten eine Rendite von ca. sieben Prozent. Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des ScharnbergAusschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53.
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len Wohnungsbau, von denen die Wohnungsbauträger die Zinskosten ihrer Hypothekarkredite bestreiten mussten, nach politischem Ermessen ansteigen durften. Denn die Erhöhung der Zinskosten für Pfandbriefe sollte in vollem Maße über die Wohnungsbauträger auf die Mieter abgewälzt und nicht durch zusätzliche Subventionen abgefedert werden. Für die Wohnungswirtschaft errechnete man, dass die Anhebung des Pfandbriefzinses um ein Prozent eine Erhöhung der Richtsatzmieten um sieben bis höchstens zehn Pfennig pro Quadratmeter Wohnfläche erfordern würde. Damit würden die Richtsatzmieten, die damals bei höchstens 1,10 DM pro Quadratmeter lagen, um ca. zehn Prozent steigen – eine Erhöhung, die Bundeswohnungsbauminister Wildermuth bereits im März 1951 als möglich bezeichnet hatte.25 Aus der Differenz zwischen dem gewünschten Zinssatz für Sozialpfandbriefe und dem voraussichtlichen Zinssatz der übrigen Rentenwerte ergab sich die Höhe der steuerlichen Begünstigungen. Dies bedeutete also de facto, dass sich die von den „Marktbefürwortern“ geforderte Freigabe der Kapitalmarktzinsen vorläufig auf eine moderate, nach oben begrenzte Erhöhung der Nominalzinsen beschränken sollte. Dass im geplanten Gesetz keine expliziten Zinsobergrenzen festgelegt werden sollten bzw. dass weiterhin von einer prinzipiellen Zinsfreigabe gesprochen wurde, änderte daran nichts.26 VI. 2. 1. Steuerpolitische Maßnahmen VI. 2. 1. 1. Begünstigung der Wertpapiererträge Die steuerliche Förderung der privaten Kapitalbildung hielt der „Scharnberg-Ausschuss“ für unabdingbar. Aber er beabsichtigte, die Art der Steuerbegünstigung grundlegend zu ändern. Damit wollte man mehreren Nachteilen der alten Regelung entgegenwirken: Erstens führte die Förderung der Kapitalansammlungsverträge, die verschiedenste Sparformen (Konten-, Raten-, Versicherungs-, Wertpapiersparen etc.) in gleicher Weise von der Steuer befreite, dazu, dass die privaten Haushalte sich in aller Regel für das Konten- und Ratensparen entschieden, während der steuerlich geförderte Erstabsatz von Wertpapieren an Private keine nennenswerte Größenordnung erlangte. Denn die Sparer konnten beim Kontensparen dem erheblichen Kursrisiko des Rentenmarkts aus dem Wege gehen. Im Vergleich zu den deutlich abweichenden Risiken fiel die – staatlich festgelegte – Renditedifferenz von etwa einem Prozent zwischen beiden Anlageformen kaum ins Gewicht.27 25 Ebd. 26 Freilich war nicht vorgesehen, die Nominalzinsen nach unten zu begrenzen. Aber mit einer Zinssenkungstendenz am Rentenmarkt rechnete zur Jahreswende 1951/52 wohl niemand ernsthaft. 27 Während die Verzinsung der Wertpapiere vom Kapitalverkehrsausschuss festgelegt wurde, wurden die Einlagenzinsen im Habenzinsabkommen geregelt. Der Zins für Kündigungsgeld mit drei- bis sechsmonatiger Frist betrug 1951 3,88 Prozent, für Festgeld zwischen 90 und
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Zweitens führte die staatliche Förderung der Kapitalansammlungsverträge, die eine Absetzung der auf drei Jahre festgelegten Mittel bei der Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens erlaubte, zu individuell sehr unterschiedlichen Begünstigungen: Bei gleichem Sparaufkommen profitierten die Bezieher hoher Einkommen unverhältnismäßig mehr als Sparer mit niedrigen Einkommen, da das Ausmaß der Steuerbegünstigung parallel zur Steuerprogression stark anstieg. Hinsichtlich ihres Sparanreizes waren die Kapitalansammlungsverträge damit für die niedrigen Einkommensschichten zu gering, für die oberen dagegen unverhältnismäßig hoch. Die „Prämie“ der oberen Einkommensschichten ging oft über 25 Prozent hinaus28 – was schließlich so weit führte, dass sich die Kreditaufnahme für das Sparen in Kapitalansammlungsverträgen lohnte. Die ungleiche Verteilung der staatlichen Begünstigung war an den Einlagenbeständen der Kreditinstitute ablesbar, deren Kundenstämme sich damals noch stark nach sozialen Schichten unterschieden: Während bei den Sparkassen nur ca. zehn Prozent aller Spareinlagen im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen angelegt waren, waren es bei den Groß- und Privatbanken ca. 40 Prozent.29 Drittens sprach gegen die alte Regelung der Steuerbegünstigung, dass sie eine auf drei Jahre befristete Festschreibung der Kapitalansammlungsverträge vorschrieb. Für den Wertpapiermarkt war dies in mehrfacher Hinsicht von entscheidendem Nachteil: Angesichts der Kursrisiken fehlte den privaten Anlegern ohnehin schon das Vertrauen, ihr Erspartes in Wertpapieren anzulegen. Nun wurde dazu noch die Fungibilität der Papiere – einer der wesentlichen Vorteile des Wertpapiers, der das fehlende Vertrauen in die Wertbeständigkeit wenigstens zum Teil durch die schnelle Verkaufsmöglichkeit ausgleichen konnte – durch die Sperrfrist weitgehend beseitigt.30 Zu allem Überfluss drohte nach Ablauf der Sperrfrist weiteres Ungemach: Mit dieser Frist endete auch die Steuerbegünstigung, so dass der Anreiz für alle Anleger groß war, ihre Wertpapiere (auch mit einem Disagio) zu veräußern, um mit dem Erlös erneut steuerbegünstigte Titel zu erwerben. Entsprechend groß waren die Befürchtungen, dass nach Ablauf der Sperrfrist aufgrund des großen Wertpapierangebots hohe Kursverluste eintreten würden. Die „Zweiterwerber“ der Wertpapiere hatten kein Anrecht auf Steuerbegünstigungen, so dass sie die Titel nur zu einem entsprechend niedrigen Kurs kaufen würden. Die Diskrepanz zwischen großem Angebot und geringer
179 Tagen 4,25 Prozent. Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist wurden 1951 mit drei Prozent verzinst, bei Kündigungsfristen über ein Jahr betrug der Zins 4,5 Prozent. Vgl. Geldund Bankwesen, S. 282. 28 Vermerk (Wolf) zur Kapitalmarkt-Aussprache im Zentralbankrat vom 28.2.1952 – BBk HA, B 330/3156. 29 Roskamp, Capital formation, S. 106 f.; Bornemeyer, Finanzierung, S. 45; Schulz, Sparkassen, S. 417. 30 Vermerk (Gocht) vom 5.11.1952 – BA Ko, B 102/12663/1; vgl. Harder, Funktionswandel, S. 53.
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Nachfrage drohte die Kurse am Rentenmarkt nach Ablauf der jeweiligen Sperrfristen dauerhaft unter Druck zu setzen.31 Um all diese Nachteile der Kapitalansammlungsverträge zu vermeiden und die oben genannten Ziele der neuen Kapitalmarktpolitik zu ermöglichen, sah der „Scharnberg-Ausschuss“ vor, künftig nicht den Ersterwerb von Wertpapieren steuerlich zu begünstigen, sondern den Besitz von Wertpapieren. Dies sollte dadurch erfolgen, dass nicht mehr die Ausgaben für Wertpapierkäufe von der Steuer abgesetzt werden konnten, sondern die Zinserträge der Wertpapiere steuerbegünstigt wurden. Der „Scharnberg-Ausschuss“ favorisierte ein Modell, bei dem die Steuerbegünstigung nach Wertpapiertypen gestaffelt war: Alle Wertpapiere, die ausschließlich der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus dienten, sollten von sämtlichen Ertragsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) befreit werden. Alle übrigen Emissionen, sowohl Neu-Emissionen als auch rückwirkend alle Emissionen, die seit der Währungsreform auf den Markt gebracht worden waren, sollten mit einer einheitlichen Kapitalertragsteuer belegt werden, mit der die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgegolten werden sollte. Der Satz der Kapitalertragsteuer sollte dabei mit 25 bis 30 Prozent deutlich unter den durchschnittlichen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuertarifen liegen. Er war so gewählt, dass sich der Nettoertrag eines nominell mit sieben Prozent verzinsten Wertpapiers bei Anwendung der Kapitalertragsteuer auf etwa fünf Prozent belaufen und somit ungefähr dem Nettoertrag der von allen Steuern befreiten Sozialpfandbriefe entsprechen würde. Steuersystematisch sollte durch die neue Regelung also an die Stelle der Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer eine Kapitalertragsteuer als nicht erstattungsfähige Objektsteuer treten.32 Für den Fall, dass sich das Zinsniveau der mit Kapitalertragsteuer belegten Wertpapiere oberhalb der vom „Scharnberg-Ausschuss“ erwarteten Obergrenzen von sieben bis acht Prozent etablieren und damit ihre Nettorendite deutlich über fünf bis sechs Prozent steigen würde, sollte eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer möglich sein. Durch die damit bewirkte Verringerung der Rendite sollten die Sozialpfandbriefe geschützt werden, die dann weiterhin mit einem Nominalzins von ca. 5,6 bis sechs Prozent angeboten und untergebracht werden konnten.33 Die Wertpapiere sollten generell keiner Sperrfrist mehr unterliegen und jederzeit vom Anleger verkauft werden können, so dass sie fungibel und liquide sein würden. Damit sollten die Marktenge und die begründete Angst der Wertpapieranleger vor Kursverlusten nach Ablauf der Sperrfristen überwunden werden.34 31 Hauptverwaltung Volkswirtschaft u. Statistik: Vermerk über Maßnahmen zur Belebung des Wertpapiermarktes vom 15.1.1952 – BBk HA, B 330/3156. 32 Schreiben des Hessischen Finanzministers Troeger vom 12.9.1952 – BA Ko, B 126/12078. 33 Entwurf vom 16.1.1952 – BA Ko, B 126/12078. 34 Laut Einkommensteuerrecht unterlagen Kursgewinne von Aktien (oder anderer Dividendenwerte) der Steuerpflicht, wenn der Anleger die Aktien beim Verkauf weniger als zwölf Monate besessen hatte. Nach der Jahresfrist waren die Kursgewinne nicht mehr steuerpflichtig. Auf diese Weise wollte man den Erwerb von Aktien zu Spekulationszwecken eindämmen. Von der Jahresfrist waren Kursgewinne bei Rentenwerten nicht betroffen; sie waren stets steuerfrei. Bemerkungen zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung „Förderung des
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Das Kalkül des „Scharnberg-Ausschusses“ war kurz und bündig ausgedrückt: Die steuerliche Begünstigung der Wertpapiererträge sollte beim Anleger zu einem spürbaren Anstieg der Rendite führen und so mehr Kapital an den Wertpapiermarkt locken. Die durch die Steuerbegünstigung ausgelöste Renditesteigerung sollte wiederum bewirken, dass die Emittenten die Nominalzinsen, die sie fortan selbst bestimmen sollten, nicht sehr stark erhöhen mussten, um sie für die Anleger attraktiv zu machen. Denn die Renditesteigerung beruhte in erster Linie auf der Steuerbegünstigung und erst in zweiter Linie auf dem höheren Nominalzins. Die Rendite der Anleger wurde also durch Steuerausfälle auf Kosten des Steuerzahlers erhöht, um im Gegenzug die Zinskosten des sozialen Wohnungsbaus, aber auch der übrigen Emittenten niedrig zu halten. Zwar profitierten nach dem Entwurf des „Scharnberg-Ausschusses“ letztlich alle Wertpapiertypen von dieser Regelung. Aber Ausgangspunkt der gesamten Regelung war, dass der soziale Wohnungsbau weiterhin mit relativ „billigem“ Kapital versorgt werden konnte: Würden die übrigen Emittenten ihre Nominalzinsen so stark erhöhen, dass die Sozialpfandbriefe aufgrund ihrer geringeren Rendite nicht mehr konkurrenzfähig sein würden, drohten ihnen Strafsteuern (durch eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer). VI. 2. 1. 2. Einführung des Prämiensparens Von der Änderung der steuerlichen Förderungsmaßnahmen sollte nach Vorstellung des „Scharnberg-Ausschusses“ nicht nur der Wertpapiererwerb, sondern auch das Kontensparen betroffen sein. Dies war der zweite, ergänzende Pfeiler des Reformkonzepts zur Förderung des Wertpapiermarktes: Die bisherige Förderung des Kontensparens im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen sollte aufgehoben und durch ein Prämiensparverfahren ersetzt werden, wie es schon im Wohnungsbauprämiengesetz vorgesehen war: Bei Abschluss eines Prämiensparvertrages sollte dem Steuerpflichtigen eine staatliche Sparprämie in Höhe von 25 Prozent des Sparbetrags gutgeschrieben werden (erwogen wurden pro Jahr bis zu 800,- DM für Personen unter 50 Jahren, bis zu 1.600,- DM für Personen über 50 Jahren), über die der Sparer aber erst am Ende der Laufzeit des Prämiensparens verfügen durfte.35 Auf diese Weise sollte die steuerliche Förderung des Kontensparens für die unteren Einkommensgruppen günstiger und für die mittleren und höheren Einkommensgruppen wesentlich niedriger ausfallen als unter der alten Regelung.36 Die Absicht hinter der Neuregelung war klar: Wenn das Kontensparen wie Kapitalmarktes (Sitzung des Gremiums Scharnberg am 10.11.1951)“ vom 30.11.1951 – BBk HA, B 330/3156. 35 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses vom 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 36 Die BdL schätzte, dass durch die Einführung des Prämiensparens praktisch alle Einkommensbezieher, die mehr als 3.000 DM Jahreseinkommen zu versteuern hatten, schlechter gestellt sein würden als bei den bisherigen Kapitalansammlungsverträgen. Vermerk (Wolf) zur Kapitalmarkt-Aussprache im Zentralbankrat vom 28.2.1952 – BBk HA, B 330/3156.
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bisher generell ähnlich große Steuererleichterungen genossen hätte wie der Wertpapierbesitz, hätten sich die meisten Anleger weiterhin für das risikolose Kontensparen entschieden. Das Ziel, den Wertpapiermarkt zu stärken, wäre dadurch bedroht gewesen. Daher sollte das Kontensparen für die höheren Einkommensschichten unattraktiver gestaltet und ein Umstieg auf das Sparen in festverzinslichen Wertpapieren, bei dem keine Einkommensteuer bzw. höchstens eine Kapitalertragsteuer von 25 bis 30 Prozent anfallen würde, schmackhaft gemacht werden.37 Um die gehobenen Einkommensschichten vom Kontensparen wegzulocken, sah der „Scharnberg-Ausschuss“ für sie durchaus eine „Diskriminierung“ des Kontensparens vor.38 Die unteren Einkommensschichten dagegen, die in der Vergangenheit kaum in Form von Effekten gespart hatten und weiterhin das Einlagensparen bevorzugen würden, sollten beim Kontensparen bleiben. Sie würden vom Prämiensparen durchschnittlich mehr profitieren als von den steuerbegünstigten Kapitalansammlungsverträgen.39 VI. 2. 1. 3. Ausweitung der Steuerbegünstigung auf Körperschaften Nach den Vorstellungen des „Scharnberg-Ausschusses“ sollte die Steuerbegünstigung des Wertpapierbesitzes nicht – wie bei den Kapitalansammlungsverträgen – auf Privatpersonen beschränkt bleiben, sondern auch auf juristische Personen ausgedehnt werden. Demnach sollten auch Unternehmen und öffentlich-rechtliche Körperschaften von der Steuerbefreiung bzw. von der Kapitalertragsteuer, die nur halb so hoch war wie die 60-prozentige Körperschaftsteuer, profitieren. Nachdem die Anreize, Gewinne im eigenen Unternehmen zu investieren, durch die Beschneidung der Steuervergünstigungen zur Selbstfinanzierung seit Mitte 1951 gesunken waren, hoffte man nun, durch steuerliche Anreize einen nennenswerten Teil der Gewinne aus den Unternehmen herauslösen und auf den Wertpapiermarkt umleiten und so aus volkswirtschaftlicher Perspektive Eigenfinanzierung durch Fremdfinanzierung ersetzen zu können. Die Termineinlagen der Unternehmen waren im Frühjahr 1952 – infolge des Wirtschaftsaufschwungs, des expandierenden Exportes und nicht zuletzt der verringerten Attraktivität der Selbstfinanzierung – bereits auf fünf bis sechs Mrd. DM angewachsen, die zumindest teilweise für eine längerfristige Wertpapieranlage in Frage kamen.40 Bei einem Emissionsvolumen am Wertpapiermarkt von insgesamt nur 2,2 Mrd. DM zwischen der Währungsreform und Ende 1951 weckte dies große Hoffnungen, dass die
37 Vermerk (v. Spindler) betr. Steuerreform vom 5.2.1952 – BA Ko, B 126/12078; BMWi, Wissenschaftlicher Beirat II, Gutachten vom 4.2.1952, S. 76-79. 38 Vermerk (Wolf) zur Kapitalmarkt-Aussprache im Zentralbankrat vom 28.2.1952 – BBk HA, B 330/3156. 39 Vermerk (v. Spindler) betr. Steuerreform vom 5.2.1952 – BA Ko, B 126/12078. 40 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses vom 13.2.1952 – BBk HA, 330/53; Entwurf einer Begründung zu einem Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes, 21.3.1952 – BBk HA, B 330/55.
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Unternehmen mit ihren freien Mitteln maßgeblich zu einer Expansion der Wertpapieremissionen beitragen konnten. Für den Fiskus stellte die Einführung der Kapitalertragsteuer einen weiteren Vorteil in Aussicht: Während die öffentlichen Kapitalsammelstellen, die zwischen 1949 und 1952 mit Abstand die Hauptabnehmer von neu emittierten Wertpapieren waren, von der Körperschaftsteuer weitgehend befreit waren und daher bislang auch keine Steuern für Wertpapiererträge gezahlt hatten, würden sie der Kapitalertragsteuer als „Objektsteuer“ genauso unterliegen wie alle anderen Unternehmen.41 VI. 2. 1. 4. Fiskalische Auswirkungen Das Bundesfinanzministerium und die BdL gingen in ihren Berechnungen davon aus, dass die vorgeschlagene Umstellung der Steuerbegünstigung nicht zu einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte, sondern eher zu einer Entlastung führen würde.42 Aufgrund der Umstellung der Steuervergünstigungen vom Wertpapiererwerb auf den Wertpapierbesitz erwarteten sie unter Annahme eines gleichbleibenden Wertpapierabsatzes zwar eine zusätzliche Belastung von 1,5 Mio. DM (Steuerausfälle am Beispiel des Wertpapierabsatzes im Jahr 1951: elf Mio. DM statt 9,5 Mio. DM). Dagegen würde beim Kontensparen der Wechsel von Kapitalansammlungsverträgen auf Prämiensparen zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte in Höhe von ca. 15 Mio. DM führen. Die steuerpolitischen Vorschläge des „Scharnberg-Ausschusses“ würden also innerhalb eines Jahres die Steuerausfälle um ca. 13 Mio. DM vermindern.43 Allerdings bestand zwischen der alten Förderung und den vorgeschlagenen neuen Instrumenten ein wesentlicher Unterschied: Während die Steuerbegünstigung der Kapitalansammlungsverträge nach drei Jahren endete, war die Begünstigung der Wertpapiererträge – theoretisch – für die gesamte Laufzeit der Wertpapiere vorgesehen.44
41 Schreiben des Bundesfinanzministeriums (Lenski) an den Herrn Bundeswirtschaftsminister vom 18.9.1952 – BA Ko, B 126/12078. 42 Vermerk zu der Frage wie die Einnahmen- und Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte durch die steuerlichen Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes berührt wird, 12.2.1952 – PA, Ges.dok. I/ 363 A; Entwurf einer Begründung zu einem Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes, 21.3.1952; Die steuerlichen Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf dem Gebiet der langfristigen Kapitalbildung, 21.3.1952 – BBk HA, B 330/55. 43 Vermerk zu der Frage wie die Einnahmen- und Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte durch die steuerlichen Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes berührt wird, 12.2.1952 – PA, Ges.dok. I/ 363 A 44 Nicht öffentlich gehaltener Vortrat von Dr. Wilhelm Biber vom 2.4.1952 – BBk HA, B 330/3156.
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VI. 2. 1. 5. Verzicht auf eine Förderung des Aktienmarktes Einige Punkte, die der Interministerielle Wirtschaftsausschuss als bedeutsam für die Belebung des Wertpapiermarkts herausgestellt hatte, ließ der „ScharnbergAusschuss“ schon in den ersten Beratungen fallen, andere stellte er zurück. Die Diskussion über Wertsicherungsklauseln für Wertpapiere etwa beendete binnen kurzem der massive Widerstand der BdL, die das Vertrauen in ihre Geldpolitik durch solche Klauseln massiv bedroht sah.45 Das Stichwort „Wertsicherungsklausel“ tauchte fortan nicht mehr in der wirtschaftspolitischen Agenda auf. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zugunsten des Aktienmarkts, der seit der Währungsreform noch nicht Gegenstand staatlicher Förderung gewesen war, wurden zunächst nicht weiter verfolgt. Die Aktienbesitzer waren im Vergleich zu den Geldvermögensbesitzern seit der Währungsreform sehr gut gefahren: Wie die ersten DM-Eröffnungsbilanzen zeigten, schnitten die Aktienbesitzer bei der Währungsumstellung hervorragend ab und die Aktienkurse waren zwischen Juli 1948 und Ende 1951 im Durchschnitt um mehr als das Dreieinhalbfache gestiegen. Kursdurchschnitt westdeutscher Aktien 1948–195146 1948 31.7. 31.12.
1949 31.7. 31.12.
1950 31.7. 31.12.
31.7.
1951 31.12.
Grundstoffindustrien
27,86
24,27
22,42
64,16
56,05
61,32
80,20
148,92
Eisen/Metallverarbeitung
34,55
34,51
33,41
62,51
62,35
70,61
82,34
109,41
Sonstige verarbeitende Industrien
43,52
45,60
44,33
72,33
74,18
83,51
94,87
112,40
Handel und Verkehr
30,54
28,29
28,80
58,12
54,87
56,08
68,00
93,42
Aktien insgesamt
33,56
32,30
31,26
64,60
61,39
67,25
81,54
120,66
Eine Wiederherstellung des Anlegervertrauens, wie er beim Rentenmarkt als absolut notwendig angesehen wurde, war aus Sicht der politischen Entscheidungsträger daher auf dem Aktienmarkt zunächst nicht vordringlich. Im Gegenteil: Sie nahmen bewusst in Kauf, dass die steuerliche Begünstigung der Festverzinslichen den Graben zwischen Aktien- und Rentenmarkt noch vertiefen würde, da künftig die am Rentenmarkt zu erzielenden Renditen weitaus höher sein würden als die Aktienrendite. Man befürchtete, dass eine Förderung der Aktie Kapital vom Renten- auf den Aktienmarkt abfließen lassen und so das Ziel einer
45 Protokoll der 110. ZBR-Sitzung vom 19.12.1951 – BBk HA, B 330/51. 46 Dorner, Industriefinanzierung, S. 83.
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Erholung des Rentenmarktes gefährden könnte.47 Dass die Nichtbeachtung der Aktie in der Kapitalmarktpolitik kein dauerhafter Zustand sein konnte, war jedoch Konsens, da Aktienemissionen mittelfristig ebenfalls verstärkt zur Investitionsfinanzierung herangezogen werden sollten. Dem Aktienmarkt wollte man sich – so die allgemeine Einstellung – intensiver zuwenden, sobald die Frage der Wiederbelebung des Rentenmarktes gelöst sein würde. Maßnahmen zur Förderung der Aktie blieben daher weiterhin im Gespräch und tauchten in der kapitalmarktpolitischen Diskussion immer wieder auf. VI. 2. 2. Umstrittene Punkte Das Konzept des „Scharnberg-Ausschusses“ war so angelegt, das es je nach Standpunkt verschiedene, ja gegensätzliche Bewertungen und Interpretationen zuließ. Befürworter marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien konnten es als einen ersten Schritt werten, mit dem die „Bewirtschaftung des Kapitals“ zurückgeführt werden und nun auch auf dem Kapitalmarkt marktwirtschaftliche Verhältnisse Einzug halten sollten. Politiker, die der Sozialpolitik Vorrang einräumten, konnten die dominierende Absicht des Konzeptes darin erkennen, den sozialen Wohnungsbau weiterhin durch staatliche Maßnahmen abzuschirmen. Den Befürwortern einer stärker planwirtschaftlich orientierten Politik bot das Konzept die Aussicht, dass die Belebung des Wertpapiermarktes einen Weg aufzeigen könnte, das aufgebrachte Kapital stärker von zentraler Stelle aus – etwa durch einen in seiner Bedeutung gestärkten Kapitalverkehrsausschuss – in „förderungswürdige“ Engpassbereiche zu lenken. Schließlich beruhigte das Konzept auch diejenigen, die weitere Turbulenzen auf dem Wertpapiermarkt vermeiden und verloren gegangenes Vertrauen wiederherstellen wollten, indem es die bisher emittierten Wertpapiere in die Steuerbegünstigung mit einbezog und so gegen unerwünschte Kursstürze schützte. Ganz vom Blickwinkel des Betrachters hing auch die Bewertung ab, ob bei dem Konzept eher die Interessen der Kapitalnachfrager (Unternehmen, Wohnungsbau, Kreditinstitute, Staat) im Vordergrund standen oder ob das Hauptziel doch eher in der steuerlichen Begünstigung der privaten Anleger bzw. Kapitalanbieter lag, die im Vergleich zu den Kapitalansammlungsverträgen sozial ausgewogener ausfiel. Aber trotz der Berücksichtigung verschiedenster Interessen: Bereits in der vorparlamentarischen Behandlung des Konzepts kristallisierten sich einige strittige Punkte heraus, die auch das Gesetzgebungsverfahren in der zweiten Jahreshälfte 1952 begleiten sollten.
47 Schreiben Dr. Lemmer an Dr. von der Lippe vom 15.10.1953 – BBk HA, B 330/3157.
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VI. 2. 2. 1. Kritik an der steuerlichen Begünstigung der Kapitalerträge Wie groß die oben geschilderten Nachteile der steuerlichen Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge auch gewesen sein mögen, diese Form der Förderung hatte einen wesentlichen Vorteil: Indem die Kapitalansammlungsverträge den Anteil des Einkommens, der für das Sparen aufgebracht wurde, in ganzer Höhe von der Einkommensteuer befreiten, eröffneten sie für viele Privatpersonen überhaupt erst die Möglichkeit zum Sparen. Wären nämlich die Beträge, die in die Kapitalansammlungsverträge flossen, zuvor der Einkommensteuer unterworfen worden, hätte das Sparaufkommen bei weitem nicht das tatsächlich erzielte Volumen erreicht. Daher waren die Kapitalansammlungsverträge an sich erfolgreich, wie das Volumen des steuerbegünstigten Kontensparens zeigte. Steuerbegünstigte Spareinlagen im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen48
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1952
1954
1956
Verträge (1.000 Stück) Guthaben (Mio. DM) Durchschnittsbetrag (DM) Verträge (1000 Stück) Guthaben (Mio. DM) Durchschnittsbetrag (DM) Verträge (1000 Stück) Guthaben (Mio. DM) Durchschnittsbetrag (DM) Verträge (1000 Stück) Guthaben (Mio. DM) Durchschnittsbetrag (DM)
Allgemeine Kapitalansammlungsverträge 30,8 44,1 1.433,0 114,1 243,7 2.136,0 285,7 635,6 2.225,0 335,4 721,4 2.151,0
Kapitalansammlungsverträge mit festgelegten Sparraten 132,9 105,0 790,0 195,1 192,2 985,0 405,4 475,6 1.173,0 373,6 763,4 2.043,0
Insgesamt
163,7 149,1 911,0 309,2 435,8 1.410,0 691,1 1.111,3 1.608,0 709,0 1.484,8 2.094,0
Dieser „kapitalbildende Effekt“ würde wegfallen, sobald die Kapitalansammlungsverträge durch die Besteuerung der Kapitalerträge (beim Wertpapiersparen) bzw. durch staatliche Prämienzahlungen (beim Kontensparen) ersetzt würden. Denn die Spartätigkeit würde in beiden Fällen nur noch aus voll versteuertem Einkommen erfolgen.49 Insbesondere die BdL, die dem Konzept des „ScharnbergAusschusses“ grundsätzlich positiv gegenüberstand,50 forderte, die „steuerliche Schonung der Sparfähigkeit“ stärker zu berücksichtigen. Damit überhaupt Sparkapital gebildet werden konnte, befürwortete die BdL, weiterhin einen Abzug der zur Vermögensanlage bestimmten Einkommensteile vom steuerpflichtigen 48 Rieger, Hypothekar- und Pfandbriefinstitute, S. 141 nach DSGV, JB 1958. 49 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses vom 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 50 Schreiben Vocke an Bernard vom 1.3.1952 – BBk HA, B 330/3156.
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Einkommen zuzulassen, wie es auch für das Versicherungs- und das Bausparen vorgesehen war.51 Diese Haltung nahm auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium ein, der sich in seiner Sitzung am 3. und 4. Februar 1952 mit den vorliegenden Plänen zur Kapitalmarktförderung beschäftigte. Auch er hielt angesichts der Steuerprogression die steuerliche Begünstigung des Sparens „leider“ weiterhin für notwendig. Allerdings sollte nach Ansicht der Beiratsmitglieder die Steuerbegünstigung in Ausmaß und zeitlicher Dimension begrenzt werden, da jegliche staatliche Eingriffe „Ungleichheiten in den Startbedingungen bei der Vermögensbildung“ schaffen und „das Funktionieren des Marktes durch Aufspaltung“ erschweren würden.52 Insbesondere lehnte der Beirat eine steuerliche Begünstigung von Kapitalerträgen ab, vor allem eine komplette Steuerbefreiung der Sozialpfandbriefe: Die Einführung der Kapitalertragsteuer bzw. Steuerfreiheit würde dazu führen, dass die Steuerbegünstigung für die gesamte Laufzeit der Pfandbriefe gewährt werden müsste, das Prinzip der progressiven Einkommensteuer „in völlig unsystematischer Weise durchbrochen“ würde und so die Steuerbegünstigungen – statt einen breiten Markt zu schaffen – lediglich den Rentenmarkt „in eine Mehrzahl gegeneinander abgeschlossener Teilmärkte aufspalten“ würden. Stattdessen wollte der Beirat weiterhin den Erwerb und die Festlegung von Wertpapieren steuerlich begünstigen und diese auf Körperschaften ausdehnen. Er sprach sich dafür aus, dass nicht nur die höheren Einkommen durch eine Begünstigung des Wertpapierbesitzes gefördert werden sollten, sondern auch die Bezieher niedrigerer Einkommen in den Genuss einer ausgeweiteten steuerlichen Förderung des Kontensparens kommen sollten. Er favorisierte dabei den Jechtschen Steuerplan, um den Nachteilen der bisherigen Kapitalansammlungsverträgen aus dem Wege zu gehen. Sollte dieser nicht durchsetzbar sein, wollte der Beirat auch ein Prämiensystem akzeptieren.53 Im Falle einer Freigabe der Kapitalmarktzinsen54 sah er für den sozialen Wohnungsbau nur zwei Alternativen:
51 Der „Scharnberg-Ausschuss“ sah vor, die steuerlichen Vergünstigungen für das Versicherungssparen und das Bausparen (einschließlich des Ersterwerbs von Anteilen an Bau-, Wohnungs- oder Verbrauchergenossenschaften) (EStG § 10, Abs. 1, Ziff. 2 a bis c) beizubehalten. Die Prämien und sonstigen Aufwendungen für diese Zwecke sollten also weiter bei der Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens abgesetzt werden können. Der Ausschuss sah lediglich vor, die bisherige Freigrenze, bis zu der die Sparbeträge abgesetzt werden konnten, von höchstens 15 Prozent des Gesamteinkommens auf höchstens zehn Prozent herabzusetzen. Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses vom 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 52 BMWi, Wissenschaftlicher Beirat II, Gutachten vom 4.2.1952, S. 76 f. 53 Ebd. 54 Der Beirat begründete seine Forderung, die Kapitalmarktzinsen freizugeben, deutlicher als der Entwurf der Wirtschaftspolitiker auf wirtschaftstheoretischen Annahmen: Das Sparen sei „aus Gründen der Investitions- und Währungspolitik, insbesondere aber zur Ermöglichung einer Offenmarktpolitik des Zentralbanksystems und zur Erzielung einer kreditpolitischen Elastizität des Geschäftsbankensystems erforderlich.“ Der Beirat sah als vorrangiges Ziel der
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Entweder mussten die Richtsatzmieten erhöht werden oder die Subventionen zu Lasten der öffentlichen Haushalte „ansehnlich“ ausgeweitet werden.55 Im Vergleich zur Haltung der BdL, die nur einen Baustein des erarbeiteten Konzepts verworfen hatte, war die Kritik des Wissenschaftlichen Beirats wesentlich massiver; sie hatte aber, da aus dem akademischen Bereich stammend, keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Gesetzgebungsprozess, obwohl die Wirtschaftspresse der Argumentation des Beirats folgte.56 Als erster ernsthafter Stolperstein für den geplanten Umbau der Steuervergünstigungen erwies sich der Widerstand der Steuerreferenten beim Bundesrat, die Anfang April 1952 über das Konzept des „Scharnberg-Ausschusses“ berieten. Sie stimmten zwar den Vorschlägen zur Umstellung der steuerlichen Begünstigung des Wertpapiersparens zu, sahen aber beim Kontensparen durch die Einführung von Prämien einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand auf die Finanzbehörden zukommen.57 Sie lehnten daher die Einführung des Prämiensparens ab und favorisierten das Fortbestehen der steuerbegünstigten Kapitalansammlungsverträge (einschließlich des Ersterwerbs von Wertpapieren) als das „kleinere Übel“. Sie waren sich bewusst, dass damit ein wesentliches Ziel der vorgeschlagenen Neuordnung, nämlich die Abschaffung der Sperrfristen für steuerfrei erworbene Wertpapiere, nicht erreicht wurde.58 Auch nahmen sie bewusst in Kauf, dass das Wertpapiersparen im Falle der Beibehaltung der Kapitalansammlungsverträge auf zweifache Weise steuerlich gefördert würde: a) wie bisher beim ersten Erwerb der Wertpapiere durch Absetzung bei der Einkommensteuer als Sonderausgabe und b) zusätzlich durch die Steuerbegünstigung bzw. Steuerbefreiung der Wertpapiererträge.59 Gegen die vergleichsweise komplizierte Arithmetik des Zinsgefüges und der steuerlichen Begünstigung, die der „Scharnberg-Ausschuss“ empfohlen hatte, wurde wiederholt – etwa von der SPD-Fraktion im Bundestag – eine einfache Lösung ins Spiel gebracht, bei der lediglich zwischen zwei Gruppen von Wertpapieren unterschieden werden sollte:60 Die Erträge aller seit der Währungsreform emittierten Wertpapiere sowie zukünftig nur noch die Erträge von Pfandbriefe, die dem sozialen Wohnungsbau dienten, sollten von sämtlichen Ertragsteuern befreit werden. Alle übrigen Neuemissionen sollten dagegen ohne jegliche Begünstigung und ohne staatliche Einflussnahme auf die Konditionen herausgebracht werden. Der Vorschlag war allerdings nicht mehrheitsfähig, da bei dieser einfachen
55 56 57 58 59 60
Kapitalmarktpolitik also die Entlastung der Banken von Krediten an (Bilanzkürzung), um diese „bei unveränderter Zentralbankpolitik expansionsfähiger“ zu machen. Ebd., S. 76, 79. Ebd. WWI-Mitteilungen 12/1953, S. 763. Vermerk (Mersmann) vom 8.4.1952 – BA Ko, B 126/12078. Schreiben Scharnberg an Bundesfinanzminister Schäffer vom 5.4.1952 – BA Ko, B 126/12078; Vermerk (Benning) vom 9.4.1952 – BBk HA, B 330/3156. Vermerk (Mersmann) vom 8.4.1952 – BA Ko, B 126/12078. Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss; Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 236. Sitzung am 30.10.1952, S. 10892-10895.
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Konstruktion die Gefahr bestand, dass die öffentlichen Körperschaften und Sozialversicherungen, die bisher die weitaus meisten 5-prozentigen Pfandbriefe und Kommunalobligationen erworben hatten, ihr Vermögen auf die nicht steuerbegünstigten, wesentlich höher verzinsten Wertpapiere umgeschichtet hätten.61 VI. 2. 2. 2. Auswahl der begünstigten Wertpapiertypen Wenn der Staat daran ging, die Rendite von Wertpapieren durch Steuerbegünstigungen zu erhöhen, so lag die Frage auf der Hand, welche Wertpapiere bzw. welche Emittenten von dieser Form der staatlichen Förderung profitieren sollten und wie hoch die Förderung ausfallen sollte. Der „Scharnberg-Ausschuss“ sah als einen der Hauptnutznießer der neuen Regelung den sozialen Wohnungsbau, dessen Zinsbelastung nur geringfügig steigen sollte. Daher war von vornherein klar, dass Neuemissionen, die dem sozialen Wohnungsbau dienten, künftig von allen Ertragssteuern befreit sein sollten. Für eine komplette Steuerbefreiung wurden auch die bereits umlaufenden Pfandbriefe, Kommunalobligationen und sonstigen Bankschuldverschreibungen vorgesehen, d. h. sowohl die vor der Währungsreform begebenen und auf DM umgestellten RM-Wertpapiere als auch die unter den Bedingungen des KVG emittierten Wertpapiere. Damit sollte etwaigen Kursverlusten, die diesen Emissionen bei einer Freigabe der Kapitalmarktzinsen drohten, entgegengewirkt werden. Von der nachträglichen Steuerbefreiung ausgenommen bleiben sollten jedoch – wiederum – die umlaufenden Industrieobligationen und Wandelanleihen. Das Volumen der umgestellten Wertpapiere konnte annähernd exakt auf ca. 925 Mio. DM geschätzt werden.62 Der Steuerausfall bei Einbezug der genannten umgestellten Anleihen wurde auf jährlich sechs Mio. DM veranschlagt.63 Eine Kapitalertragsteuer von 25 bis 30 Prozent sah der „ScharnbergAusschuss“ für alle Pfandbriefe, Kommunalobligationen und sonstige Bank61 Die Sozialversicherungen waren nicht körperschaftsteuerpflichtig, so dass die Nettorendite der tarifbesteuerten Papiere für sie drastisch höher sein würde als diejenige der steuerbefreiten Pfandbriefe. Dadurch wären die Kurse der Sozialpfandbriefe unter enormen Druck geraten und die Finanzierung des Wohnungsbaus gefährdet worden. Diese unerwünschten Folgen hätte man nur durch die Einführung eines Anlagezwangs für die öffentlichen Kapitalsammelstellen vermeiden können. Eine solche Zwangsregelung wollten die Regierungsfraktionen aber unter allen Umständen vermeiden, da er dem ursprünglichen Sinn des Gesetzes, durch eine Lockerung der Zinsen mehr marktwirtschaftliche Elemente zur Geltung kommen zu lassen, vollkommen widersprochen hätte. Vermerk über die Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, Finanz- und Steuerfragen und Wirtschaftspolitik am 19.9.1952 – PA, Ges.dok. I/363 A. 62 An diesem Vorschlag wurde Kritik geäußert, da der Einbezug dieser Papiere auf eine Teilaufwertung zu Lasten der öffentlichen Haushalte hinauslief. Die BdL schlug vor, die umgestellten RM-Pfandbriefe der 25-prozentigen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen. Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 63 Die steuerlichen Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf dem Gebiet der langfristigen Kapitalbildung, 21.3.1952 – BBk HA, B 330/55.
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schuldverschreibungen vor, die nach Verabschiedung des angestrebten Gesetzes aufgelegt wurden und nicht für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen waren. Auch bei neuen Aktienemissionen wollte der „Scharnberg-Ausschuss“ ursprünglich die Steuerbegünstigung in Form der niedrigen Kapitalertragsteuer anwenden,64 nicht jedoch bei Neuemissionen von öffentlichen Anleihen und Industrieobligationen. Um mit der Rendite der 7- bis 8-prozentigen steuerbegünstigten (d.h. mit einer 30-prozentigen Kapitalertragsteuer belegten) bzw. der 5bis 6-prozentigen steuerbefreiten Pfandbriefe konkurrieren zu können, hätten diese Papiere einen Nominalzins von mindestens 13 Prozent bieten müssen. Das war für langfristige Zahlungsverpflichtungen untragbar.65 Aus dem Bundesfinanzministerium kam daher umgehend die Forderung, den Kreis der begünstigten Wertpapiere auf Bundes- und Länderanleihen, Anleihen der Bundsbahn und der Bundespost auszudehnen. Auch die BdL legte nahe, bei Bundes- und Länderanleihen die Kapitalertragsteuer anzuwenden.66 In den folgenden Verhandlungen wurde nicht nur diese Begünstigung gewährt, sondern durchgesetzt, dass künftig die Besitzer von neu emittierten Bundesanleihen gänzlich von Ertragssteuern befreit sein sollten. Sogleich kam der nahe liegende Verdacht auf, dass sich die öffentliche Hand mit dem geplanten Gesetz die Unterbringung der eigenen Anleihen auf Kosten der übrigen Emittenten erleichtern wolle.67 Die Industrieobligationen wurden schließlich ebenfalls in den Kreis der mit Kapitalertragsteuer zu belegenden Wertpapiere aufgenommen. VI. 3. DIE PARLAMENTARISCHEN BERATUNGEN DES KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZES Nachdem die Argumente zwischen den beteiligten Behörden und Experten zumindest in den Grundlinien abgestimmt worden waren, „beauftragte“ der „Scharnberg-Ausschuss“ das Bundesfinanzministerium mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs. Aufgrund der steuerrechtlichen Relevanz war das Bundesfinanzministerium federführend, obgleich die Ressortzuständigkeit für den Bereich Geld und Kredit kurze Zeit später zum Bundeswirtschaftsministerium wechselte. Da sich sämtliche Maßnahmen zur Förderung des Wertpapiermarktes auf Ausnahmeregelungen bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer bezogen, wurde der Entwurf folgerichtig als „Gesetz zur Änderung des Einkom64 Vermerk (Wolf) zur Kapitalmarkt-Aussprache im ZBR vom 28.2.1952 – BBk HA, B 330/3156. 65 Vermerk über die Kapitalmarkt-Vorschläge des Scharnberg-Ausschusses, 13.2.1952 – BBk HA, B 330/53. 66 Vermerk (Wolf) zur Kapitalmarkt-Aussprache im Zentralbankrat vom 28.2.1952 – BBk HA, B 330/3156. 67 „Konzept“ Förderung des Kapitalmarktes, 13.2.1952; Vermerk (Abt. II, Oeftering) vom 27.3.1952 betr. Steuervergünstigung für Zinserträgnisse von festverzinslichen Wertpapieren – BA Ko, B 126/12078; Niederschrift über die 33. KVA-Sitzung am 26.6.1952 – BA Ko, B 126/12082.
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mensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes“ konzipiert. Die Absicht, die Gesetzesvorbereitungen in aller Stille vorzunehmen, war bereits gescheitert, da die Beratungen bis ins Detail an die Öffentlichkeit gelangt waren und bereits seit Frühjahr 1952 lebhaft in der Wirtschaftspresse diskutiert wurden. VI. 3. 1. Der erste Gesetzentwurf Anfang Juni 1952 legte das Bundesfinanzministerium den ersten Gesetzentwurf vor. In der Gesetzesbegründung betonte das Ministerium die künftige herausragende Bedeutung von Investitionen nicht nur im Wohnungsbau und in den Engpassbereichen, sondern auch in allen übrigen Wirtschaftsbereichen zum Zwecke der Modernisierung und Rationalisierung. Die Bundesregierung halte es „für besonders dringlich, den Kapitalmarkt und hier vor allem den Markt der festverzinslichen Wertpapiere zu aktivieren.“68 Das Bundesfinanzministerium deckte die Ziele der künftigen Kapitalmarktpolitik ohne Umschweife auf: 1) Der Anreiz der effektiven Zinssätze festverzinslicher Wertpapiere sollte erhöht werden. 2) Ein weiterer Vertrauensverlust, der durch den Kursverfall bei den umlaufenden Wertpapieren im Falle eines Anstiegs der Kapitalmarktzinsen droht, sollte vermieden werden. 3) Bestimmte Emittentengruppen sollten vor einer untragbaren Zinslast bewahrt werden. Letzteres betonte das Bundesfinanzministerium in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, in der es hieß, dass der Zinssatz für steuerbefreite Wertpapiere „bis auf Weiteres“ nicht über den Satz von fünf bis 5,5 Prozent steigen sollte. Die Absicht, Preiserhöhungen zum Wohle des Wertpapiermarktes zu veranlassen, wie es der „Scharnberg-Ausschuss“ ursprünglich vorgesehen hatte, erwähnte der Gesetzentwurf dagegen nicht.69 Dieses Festhalten an einem bestimmten Zinsniveau zeigt, dass der Gesetzentwurf kaum einen Triumph der „Marktbefürworter“ darstellte. Denn das federführende Bundesfinanzministerium und sein Minister blieben ihrer vorsichtigen Haltung treu und bildeten weiterhin ein Gegengewicht zu den wirtschaftsliberalen Exponenten der Koalitionsparteien: Sie begrüßten zwar grundsätzlich die Förderung des Wertpapiersparens und konzedierten, dass eine Erhöhung der Kapitalmarktzinssätze auf Dauer unausweichlich sei. Zugleich betrachteten sie jedoch nach wie vor eine Freigabe der Kapitalmarktzinsen sehr skeptisch. Das Bundesfinanzministerium machte keinen Hehl daraus, zumindest für eine Übergangszeit eine Emissionskontrolle gemäß dem KVG beibehalten zu wollen, um „große Verzerrungen“ des Zinsgefüges zu verhindern. Das Festhalten an einem behördlich verordneten niedrigen Zins kritisierte das Bundeswirtschaftsministerium
68 Schreiben Adenauer an den Präsidenten des Bundesrats vom 6.6.1952, Anhang: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Kapitalmarkts durch steuerliche Begünstigung festverzinslicher Wertpapiere nebst Begründung – PA Ges.dok. I/363 A. 69 Vermerk (Abt. V) vom 14.5.1952 – BA Ko, B 126/12078.
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umgehend scharf und der entsprechende Hinweis in der Gesetzesbegründung wurde im Verlauf der weiteren Verhandlungen gestrichen.70 Von großer Bedeutung war, dass sich der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums nur noch mit einer Hälfte der ursprünglichen Vorschläge des „Scharnberg-Ausschusses“ befasste, nämlich der Steuerbegünstigung von Wertpapiererträgen. Die ergänzende Einführung des Prämiensparens war nach dem Widerspruch der Steuerexperten der Bundesländer aus dem Gesetzgebungsverfahren herausgelöst worden. Als der Bundesrat wenig später seine Meinung änderte und sich nun doch für die Einführung des Prämiensparens aussprach, brachten die Fraktionen der Regierungsparteien den Entwurf eines eigenständigen Initiativgesetzes im Bundestag ein.71 In den Bundestagsausschüssen einigte man sich im Oktober 1952 darauf, dass ein Prämienspargesetz erst nach Verabschiedung des vorliegenden, den Wertpapiermarkt betreffenden Gesetzentwurfs behandelt werden sollte.72 Der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums beinhaltete folgende Bestimmungen zur steuerlichen Förderung des Wertpapierbesitzes: a) Von allen Steuern befreit werden sollten die Erträge bestimmter, besonders förderungswürdiger Wertpapiere. Darunter fielen • neu emittierte Pfandbriefe und Kommunalobligationen, deren Erlöse zu mindestens 90 Prozent zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus eingesetzt wurden; • neu emittierte festverzinsliche Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen des Bundes mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren (nicht dagegen die Anleihen der Länder, Städte und Gemeinden); • alle festverzinslichen Wertpapiere, die unter dem KVG genehmigt worden waren, ausgenommen Industrieobligationen, Wandelanleihen und Gewinnobligationen; • alle umgestellten RM-Anleihen; • Neuemissionen, deren Verwendungszweck nach Anhörung des Kapitalverkehrsausschusses als besonders förderungswürdig anerkannt wurde; Innerhalb der Gruppe der steuerbefreiten Wertpapiere sollte also zwischen solchen Papieren unterschieden werden, die keiner Überprüfung der besonderen Förderungswürdigkeit und kein entsprechendes Votum des Kapitalverkehrsausschusses bedurften (Punkte 1-3), und solchen, für die 70 „Konzept“ Förderung des Kapitalmarktes, 13.2.1952 – BA Ko, B 126/12078. 71 Es war wahrscheinlich, dass Regelungen über das Prämiensparen nicht zum Jahresbeginn 1953 wirksam werden konnten. Dies hätte die Maßnahmen zur Förderung des Wertpapiermarktes verzögert, wenn beides in einem Gesetz behandelt worden wäre. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Geld und Kredit (zu Drucksache Nr. 3773) vom 24.10.1952 – PA, Ges.dok., I/366 A. 72 Mit der Streichung des Prämiensparens war vorläufig auch der Hauptkritikpunkt der BdL obsolet, so dass der ZBR die übrigen gesetzlichen Maßnahmen zwar „als Stückwerk und Abschlagszahlung“, aber als dringend notwendig akzeptieren konnte. Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss.
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dies notwendig war (Punkt 4). Bei Letzteren sollte der Kapitalverkehrsausschuss auch prüfen, ob eine Emission zu normalen Bedingungen nicht möglich war bzw. die beantragte Emission zu keiner Störung des Kurs- und Zinsgefüges am Wertpapiermarkt führte.73 b) Folgende Wertpapiere sollten einer Kapitalertragsteuer in Höhe von 30 Prozent unterliegen, mit der die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgegolten wurde: • Industrieobligationen, Wandelanleihen und Gewinnobligationen, die zwischen der Währungsreform und dem Inkrafttreten des Gesetzes emittiert worden waren;74 • festverzinsliche, auf die Dauer von mindestens fünf Jahren unkündbare Schuldverschreibungen der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, sofern die Erträge dieser Wertpapiere nicht aufgrund der besonderen Förderungswürdigkeit ohnehin schon durch Beschluss des Kapitalverkehrausschusses steuerbefreit waren (was laut Begründung des Gesetzentwurfs der Regelfall sein sollte); • alle festverzinslichen Wertpapiere, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes emittiert wurden, sofern die Verzinsung für mindestens fünf Jahre festgelegt war. c) Einer 50-prozentigen Kapitalertragsteuer sollten festverzinsliche Wertpapiere unterliegen, deren Nominalzinsen über einen Satz von acht Prozent hinausgingen. VI. 3. 2. Reaktionen des Bundesrats Die im Finanzausschuss des Bundesrats vereinten Länderfinanzminister und senatoren waren von Bundesfinanzminister Schäffer über die Gesetzesvorbereitungen in seinem Hause vorab unterrichtet worden und hatten sich bereits Anfang Mai mit der künftigen Kapitalmarktpolitik befasst. Sie sprachen sich zu diesem Zeitpunkt dafür aus, den Kapitalmarkt dadurch zu beleben, dass die Kapitalmarktzinsen „möglichst wenig“ manipuliert wurden. Zudem befürworteten die Finanz73 Kurzprotokoll der 149. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 3.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 74 In Einzelfällen führte dies zu ungerechtfertigten Vorteilen bzw. Nachteilen, die entweder in Kauf genommen oder durch umständliche gesetzliche Regelungen beseitigt werden mussten. Zum Beispiel waren in der Gruppe der Wertpapiere, die unter dem KVG emittiert worden waren und nun gänzlich steuerbefreit werden sollten, einige Emissionen, die einen Nominalzinssatz über 5,5 Prozent hatten. Dazu zählten etwa die 6-prozentige Reichsbahnanleihe von 1949 oder einige 6-prozentige Schiffspfandbriefe, die bei einer vollständigen Steuerbefreiung die Rendite des Sozialpfandbriefs übertroffen hätten. Umgekehrt wären die 6,5-prozentigen Industrieobligationen, die vom Kapitalverkehrsausschuss seit 1949 genehmigt worden waren, nicht mehr konkurrenzfähig gewesen, wenn sie – wie vorgesehen – mit einer Kapitalertragsteuer von 30 Prozent belastet worden wären und damit eine Nettorendite von ca. 4,5 Prozent aufgewiesen hätten. Schreiben der Arbeitsgemeinschaft des privaten Hypothekenbankgewerbes (Biber) an Scharnberg vom 18.9.1952 – PA, Ges.dok. I/363 A.
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minister weitergehende Maßnahmen wie die Abschaffung der Dividendenabgabenverordnung und die Einführung des Prämiensparens.75 Als nun der Gesetzentwurf – noch bevor er in den Bundestag eingebracht worden war – dem Bundesrat im Juni vorgelegt wurde, fand der Finanzausschuss harsche Worte der Kritik. Er bemängelte, dass seine Forderungen vom Mai überhaupt nicht berücksichtigt worden seien, und monierte, dass das Gesetz bestenfalls eine Teillösung des Kapitalmarktsproblems darstellen könne und eine Reihe weiterer Regelungen notwendig mache. Auch eine Bevorzugung der öffentlichen Hand gegenüber der Privatwirtschaft, wie sie der Gesetzentwurf aus Sicht der Länderminister nahe legte, hielt er nicht für wünschenswert. Wenig später, in der Bundesratssitzung am 20. Juni 1952, schlug der Berichterstatter des Ausschusses, der hessische Finanzminister Dr. Heinrich Troeger (SPD), jedoch andere Töne an: Nach „reiflichen Erörterungen und Überlegungen“ habe der Finanzausschuss seine ursprüngliche Meinung inzwischen revidiert und der Einführung einer „Kouponsteuer“ (i.e. Kapitalertragsteuer) als Objektsteuer nun doch zugestimmt, um die „Manipulierung des Zinses auf dem Kapitalmarkt“ zu ermöglichen.76 Offensichtlich war es Bundesfinanzminister Schäffer, der ebenso wie Hugo Scharnberg an der Sitzung des Finanzausschusses am Tage vor der Bundesratssitzung teilgenommen hatte, gelungen, die Mehrheit der Länderfinanzminister auf die Linie des Bundesfinanzministeriums einzuschwören. Er hatte in der Sitzung ausdrücklich betont, dass das Gesetz im Grunde dazu konzipiert sei, die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus nach der Zinsfreigabe sicherzustellen. Es solle dagegen nicht dazu dienen, die Unterbringung festverzinslicher Wertpapiere des Bundes zu erleichtern, wie die Länderfinanzminister argwöhnten.77 Dass Scharnberg und Schäffer zusagten, die Länderanleihen den Bundesanleihen in einem revidierten Gesetzentwurf gleichzustellen und ebenfalls generell von allen Steuern zu befreien, war dem Meinungsumschwung der Finanzminister und senatoren sicherlich nicht abträglich.78 Die Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder begrüßten im Wirtschaftsausschuss des Bundesrats den Gesetzentwurf zwar als einen ersten Schritt, aber auch sie waren alles andere als zufrieden. Der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, der niedersächsische Wirtschaftsminister Hermann Ahrens (GB/BHE), betonte in der Bundesratssitzung am 20. Juni 1952, dass es eine 75 Kurzbericht über die 80. Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats vom 19.6.1952 – PA, Ges.dok. I/363 A. 76 Wörtlicher Bericht der 87. Sitzung des Bundesrats am 20. Juni 1952, S. 274 – www.bundesrat.de/cln_179/nn_1952678/SharedDocs/Downloads/DE/Plenarprotokolle/1952 (letzter Abruf: 11.5.2011). 77 Kurzbericht über die 80. Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats vom 19.6.1952 – PA, Ges.dok. I/363 A. 78 Allerdings sperrte sich der niedersächsische Finanzminister Alfred Kubel weiterhin und gab in der Bundesratssitzung bekannt, dass sein Land dem Gesetz in der vorliegenden Fassung die Zustimmung verweigern werde. Wörtlicher Bericht der 87. Sitzung des Bundesrats am 20. Juni 1952, S. 276 – www.bundesrat.de/cln_179/nn_1952678/SharedDocs/Downloads/DE/ Plenarprotokolle/1952 (letzter Abruf: 11.5.2011).
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Anomalie sei, dass vier Jahre nach Freigabe der meisten Warenpreise „an der Bewirtschaftung des Kapitals und einem gebundenen Zins“ festgehalten werde.79 Vielmehr solle endlich „ernsthaft“ geprüft werden, ob die Kosten einer direkten Zinssubvention für den Wohnungsbau, die unter Finanzexperten und Politikern äußerst umstritten war,80 nicht geringer wären als die Schäden, die dem Wertpapiermarkt durch die steuerpolitische Zinsmanipulation entstünden. Zudem bedurfte die Kapitalmarktpolitik nach Ansicht der Wirtschaftsminister wichtiger Ergänzungen: So forderte Ahrens im Namen der Mehrheit des Wirtschaftsausschusses die Beseitigung der Doppelbesteuerung der Aktiendividenden, eine Abschaffung der Dividendenabgabeverordnung sowie die Einführung des Prämiensparens nach Vorbild des Wohnungsbauprämiengesetzes. Trotz der grundsätzlichen Kritik waren die beiden Bundesrats-Ausschüsse bereit, den Gesetzentwurf weiter zu behandeln. Insbesondere die Wirtschaftsminister hielten ihr Pulver vorerst trocken, so dass vorläufig nur harmlose Änderungsvorschläge des Finanzausschusses diskutiert wurden, die sich nicht auf den Kern des Gesetzes, sondern nur auf einige Detailregelungen bezogen. Besonders am Herzen lag den Bundesrats-Ausschüssen, dass die Wertpapieremissionen der Länder mit denjenigen des Bundes gleichgestellt werden sollten. Ferner sollte der Kapitalverkehrsausschuss nicht das Recht erhalten, den Verwendungszweck der Länderanleihen zu überprüfen. Bei ihnen sollte sich der Kapitalverkehrsausschuss auf die Emissionsbedingungen (Zins, Ausgabekurs, Volumen, Rückzahlungsmodalitäten etc.) beschränken, während die Länder den Verwendungszweck frei bestimmen können sollten. Um eine völlige Gleichstellung von Bund und Ländern zu erreichen, verlangten die Bundesrats-Ausschüsse, dass der Kapitalverkehrsausschuss auch die Emissionsbedingungen der Bundespapiere prüfen solle. Von den weiteren Forderungen der Ausschüsse81, denen sich der Bundesrat anschloss, war nur eine weitreichend: Der Bundesrat wollte als Wertpapiere, deren Verwendungszweck vom Kapitalverkehrsausschuss als „besonders förderungswürdig“ eingestuft werden konnte und die dadurch steuerbefreit sein sollten, nur noch
79 Ebd., S. 275. 80 Die Einführung von Zinssubventionen war ein heftiger Streitpunkt und politisch kaum mehrheitsfähig. Es wurde befürchtet, dass Zinssubventionen die Kapitalnachfrage des Wohnungsbaus erheblich erhöhen und – solange es nicht zu einer entsprechenden Ausweitung des Kapitalangebots kam – zu einer massiven Steigerung des Zinsniveaus am Wertpapiermarkt führen könnten. Die höheren Zinsen würden wiederum weitere Zinssubventionen nach sich ziehen. Zudem würden über kurz oder lang konkurrierende, nicht subventionierte Emittenten vom Markt verdrängt werden. Die Befürworter von Zinssubventionen wandten dagegen ein, dass sich der Zinswettlauf durch Zinssubventionen nicht ins Uferlose fortsetzen könne, da mit steigenden Zinssätzen – vor allem im Wohnungsbau – immer weniger lohnende Investitionsobjekte in Frage kämen. Vgl. Büning, Auswirkungen, S. 17, 21 f., 24 f. 81 Zu Folgendem: Sekretariat des Bundesrates, Zu Punkt 9 der Tagesordnung der 87. Bundesratssitzung am 20.6.1952, BR-Drucksache Nr. 235/3/52, 20.6.1952 – PA, Ges.dok I 363/A.
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Emissionen der öffentlichen Hand zulassen.82 Im Übrigen forderten die Bundesrats-Ausschüsse, dass auf „die beherrschende Stellung des Ausschusses für Kapitalverkehr in nicht allzu ferner Zeit“ ganz verzichtet werden sollte.83 Vor der Beschlussfassung zeigte sich Schäffer in der Bundesratssitzung überzeugt, dass das Bundeskabinett einem Großteil der Änderungsvorschläge des Bundesrats zustimmen werde.84 In der Tat erörterte die Bundesregierung die Vorschläge umgehend und stimmte den meisten Änderungsvorschlägen kommentarlos zu. So erklärte sie sich mit der Gleichstellung der Schuldverschreibungen von Bund und Ländern einverstanden, lehnte es allerdings aus formalrechtlichen Gründen ab, die Emissionsbedingungen der Bundespapiere vom Kapitalverkehrsausschuss überprüfen zu lassen. Auch die Beschränkung der Steuerbefreiung aufgrund besonderer Förderungswürdigkeit auf öffentlich-rechtliche Emittenten lehnte die Bundesregierung ab. Sie betonte, dass gerade durch diesen Paragraphen die steuerliche Begünstigung von bestimmten Industrieobligationen ermöglicht werden sollte.85 VI. 3. 3. Verhandlungen in den Bundestagsausschüssen VI. 3. 3. 1. Stellungnahme der Wirtschafts- und Bankenverbände Nachdem die von der Bundesregierung akzeptierten Forderungen des Bundesrats in den Gesetzentwurf eingearbeitet worden waren, brachte die Bundesregierung ihn am 18. Juli 1952 in den Bundestag ein. Das Plenum überwies ihn ohne Aussprache an die Bundestagsausschüsse Geld und Kredit, Finanzen und Steuern, Wirtschaftspolitik, Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie Kommunalpolitik. Federführend war der Ausschuss für Geld und Kredit.86 Die BdL drängte „trotz aller Schwächen“ auf eine schnelle Verabschiedung des geplanten Gesetzes, da der Kapitalmarkt angesichts der Ungewissheit über die künftigen gesetzlichen Regelungen inzwischen wie gelähmt war. Dies betraf vor allem den Markt für 82 Zudem forderte der Bundesrat auf Antrag der Länder Bremen, Hamburg und SchleswigHolstein den Einbezug von Schiffspfandbriefen in die Kategorie der steuerbefreiten Wertpapiere. 83 Wörtlicher Bericht der 87. Sitzung des Bundesrats am 20. Juni 1952, S. 275 – www.bundesrat.de/cln_179/nn_1952678/SharedDocs/Downloads/DE/Plenarprotokolle/1952 (letzter Abruf: 11.5.2011). 84 Ebd., S. 276. 85 Zudem wollte die Bundesregierung Schiffspfandbriefe und Pfandbriefe des sozialen Wohnungsbaus nicht gleich stellen. Jedoch konnten die Schiffspfandbriefe ihrer Auffassung nach in aller Regel steuerbefreit werden, indem der Kapitalverkehrsausschuss den Verwendungszweck der Schiffspfandbriefe durchweg als besonders förderungswürdig einstufte. Bundestag Drucksache Nr. 3596, Schreiben Blücher an den Präsidenten des Deutschen Bundestags vom 10.7.1952, Anlage 3: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates vom 20. Juni 1952. 86 Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 226. Sitzung am 18.7.1952, S. 10212.
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Unternehmensanleihen. Kein Unternehmen wollte die Emission einer 6,5-prozentigen Industrieobligation beantragen und dabei die Gefahr eingehen, dass die Anleihebedingungen aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen schon bei der Platzierung nicht mehr „marktgerecht“ waren. Dabei war der Investitionsbedarf – laut BdL – in weiten Teilen der Industrie sehr groß, während die Finanzierung aus eigener Kraft eingeengt war und die Hausbanken den Unternehmen kaum weitere Investitionskredite zur Verfügung stellen konnten, da die Bankbilanzen bereits mit hohen konsolidierungsbedürftigen Krediten blockiert waren.87 Trotz der Mahnungen der BdL begannen die Beratungen in den Bundestagsausschüssen erst nach der parlamentarischen Sommerpause im September 1952. Bevor die Abgeordneten in die Generalsaussprache eintraten, wandten sie sich zunächst denjenigen zu, die vorrangig, aber in vollkommen unterschiedlicher Weise von dem Gesetzentwurf betroffen waren: dem Finanzgewerbe und den Wirtschaftsunternehmen. Nach Lage der Dinge konnten die Kreditinstitute hoffen, aus den Bestimmungen des neuen Gesetzes auf zweifache Weise Nutzen zu ziehen: Einerseits würde der Absatz von festverzinslichen Wertpapieren (d.h. eigener Emissionen und Emissionen der Kreditkunden) leichter werden, was die Geschäftsgrundlage der Realkreditinstitute stärken und bei den Geschäftsbanken das „Atmen der Bankbilanzen“ ermöglichen würde. Andererseits würden Banken und Sparkassen im Rahmen ihrer Vermögensanlage zu den Nutznießern einer Renditesteigerung der Wertpapiere zählen. Ganz anders sah es bei den Industrieunternehmen aus: Ihre Emissionen würden zwar von der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer profitieren, aber die Annahme war realistisch, dass vor allem die Unternehmen die Folgen einer Zinslockerung am Wertpapiermarkt würden schultern müssen, da sie ihre Anleihen mit deutlich höheren Nominalzinsen ausstatten mussten als die steuerbefreiten Sozialpfandbriefe und öffentlichen Anleihen. Der Ausschuss für Geld und Kredit lud die Spitzenfunktionäre der Wirtschafts-, Versicherungs- und Bankenverbände am 5. September 1952 zu einer Sitzung nach Bonn ein.88 Scharnberg ging einführend nochmals auf die Motive der Gesetzesinitiative ein, wobei er das Hauptgewicht seiner Argumente auf die notwendige Ausweitung der Investitionsfinanzierung durch verstärkten Wertpapierabsatz legte. Er widersprach dem Vorwurf, dass mit dem Gesetz die steuer87 Schreiben der BdL an Bundeswirtschaftsminister Erhard und Bundesfinanzminister Schäffer vom 29.7.1952 – BA Ko, B 102/12663/1. 88 An der Sitzung nahmen die Spitzenvertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie (Prof. Dr. Hermann, Dr. Reuleaux), der Arbeitsgemeinschaft der privaten Hypothekenbanken (Dr. Biber), der Arbeitsgemeinschaft der Sparkassen und Giroverbände und Girozentralen (Dr. Butschkau), des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes (Dr. Dermitzel), der Rheinisch-Westfälischen Börse (Forberg), des Deutschen Industrie- und Handelstages (Dr. Gast), des Verbands öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten (Dr. Janke) und der Arbeitsgemeinschaft privater Schiffsbanken (Dr. Schackow) teil. Hinzu kamen Vertreter einzelner Finanzinstitute: Hypothekenbank Hamburg (Güssefeld), Allianz (Dr. Meister) und RheinMain-Bank (Matthiensen). Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss.
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befreiten Wertpapiere gegenüber den mit Kapitalertragsteuer belegten Emissionen bevorzugt werden sollten. Vielmehr sei es auf der Käuferseite so, dass die Effektivverzinsung der steuerbefreiten und der mit Kapitalertragsteuer belegten Wertpapiere weitgehend gleich sei. Insofern sei eine „Marktspaltung“ nur auf Seiten der Emittenten gegeben, die künftig unterschiedliche Zinslasten zu tragen hätten. Scharnberg betonte, dass es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf nur um eine „vorweggenommene Teilsteuerreform“ handele, und kündigte als weitere Maßnahmen des Bundes ein Sparprämiengesetz, den Umbau des § 10 EStG, die Milderung der Doppelbesteuerung der Aktie, die Aufhebung des Dividendenstopps, eine Neufassung des KVG, die Entschädigung der Altsparer sowie die Amortisation der Ausgleichsforderungen an. Die Argumentation Scharnbergs zeigt, dass der Gesetzentwurf verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zuließ – je nachdem, wer von dem Gesetz überzeugt werden sollte. Stellte Schäffer gegenüber den Länderfinanzministern die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in den Fordergrund, so waren es bei Scharnberg die Freigabe der Zinsen und die Ausweitung der Investitionsfinanzierung. Wie zu erwarten, fiel die Reaktion der einzelnen Verbände sehr unterschiedlich aus. Weitgehende Unterstützung fand der Gesetzentwurf bei den Vertretern der Kreditinstitute, wenn auch in differenzierter Weise, da die einzelnen Bankengruppen sich in unterschiedlichem Maße Vorteile von dem neuen Gesetz versprachen. Die Realkreditinstitute durften hoffen, von der Steuerbegünstigung am meisten zu profitieren, und unterstützten den Gesetzentwurf voll. Die Geschäftsbanken und Sparkassen akzeptierten den Gesetzentwurf als notwendigen ersten Schritt einer Kapitalmarktbelebung, an dem sie im Sinne ihres Wertpapiergeschäfts sowie der Konsolidierung ihrer Bilanzen interessiert waren. Zudem waren sie erleichtert, dass der Gesetzentwurf das Prämiensparen aussparte und die Beibehaltung der Kapitalansammlungsverträge – zumindest vorerst – ermöglichte.89 Der Vertreter der Versicherungsbranche schließlich nahm eine neutrale Stellung ein und erwartete von dem neuen Gesetz zumindest für die Anlagepolitik der Lebensversicherungen keine nennenswerten Änderungen. Die Vertreter der verschiedenen Bankengruppen und der Lebensversicherungen betonten gemeinsam die Eilbedürftigkeit des Gesetzes; ihre Änderungswünsche betrafen letztlich nur spezielle zusätzliche Vergünstigungen für ihre jeweilige Klientel.90
89 Sparkassenpräsident Butschkau betonte explizit, dass die steuerliche Beeinflussung des Zinsniveaus besser sei als eine Zinsfreigabe, die schon nach dem Währungsschnitt von 1923/24 ein Fehler gewesen sei und zu einer Überschuldung geführt habe. Schreiben Butschkau (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sparkassen- und Giroverbände und Girozentralen e.V.) an Scharnberg vom 16.9.1952 – PA, Ges.dok I 363/A. 90 Beispielsweise forderte Wilhelm Biber als Vertreter der Realkreditinstitute, Schiffspfandbriefe generell von allen Steuern zu befreien. Letzteres forderte Butschkau für die Anleihen der Städte und Gemeinden. Der Vertreter der Lebensversicherungen, Meister (Allianz AG), wollte generell auch Schuldscheindarlehen und Hypothekarkredite in die Steuerbegünstigung einbezogen wissen. Der Verband Öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten setzte sich dafür ein, auch Pfandbriefe und Bodenkulturschuldverschreibungen, die der Finanzierung der Landwirt-
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Mit dem recht harmonischen Bild auf Seiten der Kreditinstitute und Versicherungen kontrastierte die Haltung der Wirtschaftsverbände. Mitte 1952 deuteten die gesamtwirtschaftlichen Daten vermeintlich darauf hin, dass der Koreaboom vorbei war und eine Normalisierung der Wirtschaftsentwicklung bevorstand.91 Die Produktivitätssteigerung verlangsamte sich in der ersten Hälfte 1952, zugleich nahm die Investitionsneigung laut einer Umfrage des Ifo-Instituts deutlich ab. Die Wirtschaftsverbände zeigten sich überzeugt, dass nur umfassende Rationalisierungsinvestitionen die Produktivität „in dem notwendigen Maße“ anheben konnten, um die angestrebte Steigerung des Sozialprodukts zu erreichen. 92 Vor diesem Hintergrund gingen die Vertreter des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in der Ausschusssitzung gar nicht erst auf Details des Gesetzentwurfs ein – etwa auf die Behandlung der Industrieobligationen bzw. Aktien und ihre mögliche Benachteiligung gegenüber anderen Wertpapiertypen –, sondern zielten direkt aufs Ganze: Sie monierten, dass der Gesetzentwurf viel zu eng und zu einseitig gefasst sei, da er lediglich die Fremdfinanzierung über den Wertpapiermarkt betreffe und wesentliche andere Felder der Investitionsfinanzierung unberührt lasse. Der Wortführer der Wirtschaftsverbände, Gast (DIHT), beklagte eine Vorzugsstellung der öffentlichen Hand im Gesetzentwurf, die den öffentlichen Körperschaften praktisch „unbegrenzte Zugriffsmöglichkeiten am Kapitalmarkt“ eröffnen würde, während kaum Raum für Emissionen der Wirtschaft übrig bleiben würde. Unverblümt forderte er, dass als unbedingte Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfs, der im Übrigen aufgrund der Durchbrechung der Steuerprogression fundamentale Grundsätze des Steuerrechts verletze, die steuerliche Förderung der Selbstfinanzierung, die „in der Verwirrung der Korea-Krise beseitigt worden sei“, erneut auf das Niveau des Zeitraums vor dem 31. Dezember 1950 angehoben werden müsse. Seit die Begünstigung der Selbstfinanzierung Mitte 1951 eingeschränkt worden sei, erfolge eine „Wegbesteuerung“ der Gewinne, „die in Verbindung mit der sonstigen Belastung, insbesondere Lastenausgleich, bis zu Substanzeingriffen führ[e] und die Finanzierung der gewerblichen Wirtschaft aufs äußerste einschränk[e].“93 Am Ende seiner Ausführungen legte Gast schließlich den 34-seitigen Entwurf eines „Gesetzes zur Förderung der Produktivität in der deutschen Volkswirtschaft durch steuerliche Maßnahmen“ vor, der im Auftrag des Rationalisierungskuratoriums der deutschen Wirtschaft vom „Institut Finanzen und Steuern“ erstellt
schaft dienten, von den Steuern zu befreien. Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 91 Berger, Konjunkturpolitik, S. 6 f. 92 Institut „Finanzen und Steuern“, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Produktivität in der deutschen Volkswirtschaft durch steuerliche Maßnahmen, 10.9.1952, S. 6, 8 – PA, Ges.dok, I/363 A; vgl. Hardach, Marshall-Plan, S. 132 ff. 93 Schreiben Schäfer (DIHT) und Rohde (Gesamtverband des deutschen Groß- und Außenhandels) an Scharnberg vom 16.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A.
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worden war.94 Dieses Konzept ging weit über die Förderung des Wertpapiermarktes hinaus und befasste sich mit dem gesamten Bereich der Investitionsfinanzierung. So wurde die Forderung erhoben, generell die Gewinnsteuern der Unternehmen zu senken (innerbetriebliche Kapitalbildung) und alle Sparbeträge der Privathaushalte bei Banken und Kapitalsammelstellen von der Einkommensteuer zu befreien (außerbetriebliche Kapitalbildung). Zudem enthielt der Entwurf die Bestimmung, dass die Dividenden einerseits in die geplanten Steuerbegünstigungen mit einbezogen und andererseits durch eine Senkung der Körperschaftsteuer (bzw. der Einkommensteuer der Einzelunternehmen und Personengesellschaften) generell erhöht werden sollten. Im Grunde behandelte das vom DIHT vorgelegte Konzept die gesamte Themenpalette, die zur Beratung im Rahmen der großen Steuerreform anstand, und eignete sich daher nur sehr bedingt als Diskussionsgrundlage für den vorliegenden Gesetzentwurf. Entsprechend zögerlich nahmen ihn die Ausschuss-Mitglieder auf.95 Mittelfristig trugen die Vorschläge der Wirtschaftsverbände jedoch durchaus Früchte, da sich die Bundestagsausschüsse nur wenig später erneut dem Problem der Doppelbesteuerung der Aktie und den Körperschaftsteuertarifen zuwandten. VI. 3. 3. 2. Kritik der Opposition, der BdL und des Wissenschaftlichen Beirats Erst nach Anhörung der Wirtschaftsvertreter kam es in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik am 19. September 1952 zur Generalaussprache zwischen den Abgeordneten der drei Bundestagsausschüsse sowie Vertretern des Bundesrats, der Bundesregierung und der BdL.96 Die Diskussion zeigte schnell, dass der vom Bundesfinanzministerium erarbeitete Gesetzentwurf im Grunde von keiner Seite einhellig begrüßt wurde. In der Opposition und bei den Wirtschaftsministern der Länder stieß er auf klare Ablehnung und seine Befürworter akzeptierten ihn allenfalls als Notlösung. Die Bandbreite und die Vehemenz der Kritik, die selbst die Kernpunkte des Entwurfs in Frage stellte, spiegelte dabei letztlich die vielfältigen Aspekte wider, die das Gesetz berührte. Bereits vor der Generaldebatte hatte ein Zwischenfall unmissverständlich gezeigt, dass der Gesetzentwurf keineswegs dazu geeignet war, die kapitalmarktpolitischen Differenzen zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Bundeswirtschaftsminister auszuräumen. Erhard wagte zwar nicht, den Gesetzentwurf öffentlich zu kritisieren; das konnte er kaum tun, nachdem die Bundesregierung das Gesetz mit seiner Zustimmung verabschiedet hatte. Er stellte sich aber 94 Institut „Finanzen und Steuern“, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Produktivität in der deutschen Volkswirtschaft durch steuerliche Maßnahmen, 10.9.1952 – PA, Ges.dok, I/363 A. 95 Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit gemeinsam mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 96 Ebd.
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symbolisch hinter die vernichtende Kritik, die der Wissenschaftliche Beirat seines Hauses am 5./6. Juli 1952, wenige Tage bevor der Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht worden war, erneut geäußert hatte: Der Beirat stellte in seinem Gutachten nochmals fest, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen weitgehend ungeeignet seien, und forderte erneut die völlige Deregulierung des Wertpapiermarktes, für die der Zeitpunkt nun gekommen sei. Denn außer im Wohnungsbau, für den zusätzliche Subventionen erwogen werden müssten, seien in allen Wirtschaftsbereichen inzwischen die Voraussetzungen durch Preiserhöhungen geschaffen worden.97 Der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums im Wissenschaftlichen Beirat, Helmut Meinhold,98 akzeptierte diese Argumentation nicht nur, sondern äußerte sogar die Meinung, dass begründete Aussicht bestünde, die Zustimmung des Bundestags zu wesentlichen Punkten des Gesetzentwurfs zu verhindern (insbesondere hinsichtlich der Steuerfreiheit für Bundes- und Länderanleihen). Das Bundesfinanzministerium reagierte ungehalten und wollte die Veröffentlichung des Gutachtens mit der Begründung unterbinden, dass der Wissenschaftliche Beirat die konkreten wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die zu den Regelungen des Gesetzentwurfs geführt hätten, nicht berücksichtigt habe.99 Schäffer schrieb an Erhard, dass er in dem Gutachten „eine unerwünschte und unzweckmäßige Beeinflussung der öffentlichen Meinung und eine ernste Gefahr für die schnelle und erfolgreiche Verabschiedung des Gesetzentwurfs“ sehe, und forderte seinen Kabinettskollegen auf, eine Veröffentlichung zu unterbinden. Als das Gutachten nicht nur in vollem Wortlaut in der Wirtschaftspresse publiziert und kommentiert wurde, sondern auf Veranlassung Erhards gar im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, dem Publikationsorgan der Bundesregierung, veröffentlicht wurde, war Schäffer außer sich.100 Er verzichtete zwar auf eine Gegendarstellung, da er keinen „Krieg“ im Bulletin entfachen wollte, beklagte sich aber bei Bundeskanzler Adenauer bitterlich und kündigte eine Kabinettsvorlage an, um zu verhindern, dass „ein Ressort einem Gesetzentwurf zustimmt und dann während dessen Behandlung in den gesetzgebenden Körperschaften eine negative Kritik dieses Entwurfs durch seinen Wissenschaftlichen Beirat im Bulletin veröffentlicht.“101 Nach diesem Zwischenfall begegnete der Gesetzentwurf auch in der Generaldebatte der Bundestagsausschüsse fundamentaler Kritik. Der Vertreter des Bundesrats, der hessische Finanzminister Troeger (SPD), verkündete, dass die Landesfinanzminister einmal mehr ihre Meinung geändert hätten und wieder dazu 97 98 99 100
BMWi, Wissenschaftlicher Beirat II, Gutachten vom 6.7.1952, S. 87 ff. Zu Helmut Meinhold vgl. Löffler, Marktwirtschaft, S. 103 ff. Vermerk (Feest) vom 9.7.1952 – BA Ko, B 126/12078. Schreiben Schäffer an Erhard vom 15.7.1952; Vermerk (Feest) vom 19.8.1952 – BA Ko, B 126/12078; Industriekurier vom 10.7.1952; Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 100, 29.7.1952, S. 976 f. 101 Schreiben Schäffer an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes vom 28.8.1952; Bundesministerium der Finanzen, Kabinettsvorlage vom 27.8.1952; Vermerk (v. Stahlberg) vom 18.9.1952 – BA Ko, B 126/12078.
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neigten, die steuerliche Förderung des Ersterwerbs von Wertpapieren der steuerlichen Begünstigung der Wertpapiererträge vorzuziehen. Er wies nun darauf hin, dass die Kapitalertragsteuer einen ungerechtfertigten Vorteil für fundierte Einkommen bedeuten würde. Zudem sei es problematisch, Steuerbegünstigungen, die laufend durch Mehrheiten im Bundestag per Gesetz geändert werden könnten, als Anreiz für den Erwerb von Wertpapieren zu empfehlen. Denn der Gesetzgeber könne die Rendite der Wertpapiere jederzeit – je nach politischer Absicht – verändern, während die Anleger sie unter der Annahme gekauft hätten, dass sie dauerhaft in der einmal festgelegten Höhe begünstigt würden. Troeger äußerte zudem die Befürchtung, dass die mit Kapitalertragsteuer belegten Wertpapiere zukünftig höhere Nettorenditen erzielen könnten als die steuerbefreiten Wertpapiere. Dies würde zur Folge haben, dass sowohl für den sozialen Wohnungsbau als auch für die übrigen förderungswürdigen Unternehmen in Zukunft kein ausreichendes Kapital zur Verfügung stehen würde. Er persönlich sei auch nicht überzeugt davon, dass die Kapitelertragsteuer zu einer Kanalisierung des Kapitalmarkts und damit zu einer gewissen Lenkung der Investitionen führen würde. Statt der Kapitalertragsteuer empfahl Troeger als Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarkts, die Steuerfreiheit bestimmter Kapitalsammelstellen zu überprüfen und die Befugnisse des Kapitalverkehrsausschusses auszuweiten.102 Der Wortführer der SPD im Ausschuss für Geld und Kredit, der Bundstagsabgeordnete Walter Seuffert, nutzte die Gelegenheit zu einer Grundsatzkritik an den Vorschlägen der Bundesregierung. Es war der Moment, in dem sich die Opposition erstmals mit der Kapitalmarktpolitik der Regierungsparteien auseinandersetzen konnte. Schließlich war die SPD-Fraktion an der kapitalmarktpolitischen Diskussion bisher nicht beteiligt worden, da sie zu den Besprechungen des „Scharnberg-Ausschusses“ nicht eingeladen worden war.103 Seuffert interpretierte die Anhörung der Wirtschaftsexperten vor dem Ausschuss für Geld und Kredit grundlegend anders als Scharnberg: Während die einen Sachverständigen ausgesagt hätten, dass das geplante Gesetz für das von ihnen vertretene Sachgebiet bedeutungslos sei, hätten die anderen betont, dass sich der Kapitalmarkt erst dann beleben werde, wenn sich weitere Maßnahmen unmittelbar anschließen würden. Er verwies auf die unmissverständliche Aussage des DIHT und des Großhandelsverbandes, dass der vorliegende Gesetzentwurf „unzureichend und in seiner Einseitigkeit sogar schädlich“ sei und in der derzeitigen Fassung nicht verabschiedet werden dürfe.104 Als Konsequenz forderte Seuffert, dass zunächst einmal klar gestellt werden müsse, welche weiteren Schritte zur Förderung des Kapitalmarkts durchgeführt werden sollten. Erst danach könne der vorliegende 102 Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit gemeinsam mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss; Vermerk über die Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, Finanz- und Steuerfragen und Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A. 103 Kurzprotokoll der 69. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 104 Schreiben Schäfer (DIHT) und Rohde (Gesamtverband des deutschen Groß- und Außenhandels) an Scharnberg vom 16.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A.
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Entwurf bewertet werden. Die SPD bevorzuge, das gesamte Problem des Kapitalmarkts im Rahmen einer großen Steuerreform durch eine Änderung der Steuersystematik zu lösen. Seuffert forderte in diesem Zusammenhang die Einführung der von der SPD-Franktion seit langer Zeit geforderten proportionalen Besteuerung der unteren und mittleren Einkommensgruppen (bis 12.000 DM), um über höhere Ersparnisse mehr Investitionskapital aufzubringen.105 Zugleich mit den Änderungen des Steuersystems empfahl er, die Befugnisse des Kapitalverkehrausschusses im Sinne einer echten Kapitallenkung zu erweitern. Die Kritik Seufferts an den Einzelbestimmungen des Gesetzentwurfs entsprach weitgehend derjenigen Troegers. Zudem verurteilte er, dass der Entwurf vor allem die hohen Einkommensbezieher und große, emissionsfähige Unternehmen begünstige, während kleinen und mittlere Unternehmen im Rahmen des Einkommensteuergesetzes keine derartige Vorteile erhalten sollten. Auch erwartete Seuffert, dass durch die Steuerbegünstigung für Wertpapiere privater Emittenten eine erhebliche Gefahr für die Unterbringung der 5-prozentigen Sozialpfandbriefen entstehen würde, die doch eigentlich mit dem Gesetz gefördert werden sollten. Wie Troeger befürchtete er, dass die Rendite der mit Kapitalertragsteuer belegten Wertpapiere höher sein würde als diejenige der Sozialpfandbriefe. Abschließend führte er aus, dass die SPD bezweifle, dass man durch einzelne Steueränderungsgesetze und eine Manipulation der Kapitalmarktrenditen eine solide Grundlage für den Kapitalmarkt schaffen könne. Der vorliegende Entwurf werde – isoliert ausgeführt – lediglich zu einer Beunruhigung der gesamten Spartätigkeit führen. Seuffert selbst behielt sich vor, bei einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Fassung eine öffentliche Warnung auszusprechen, sich auf dieses Gesetz zu verlassen.106 Scharnberg und Preusker antworteten als Vertreter der Regierungsparteien auf die Einwände der SPD-Politiker. Sie betonten, dass der Kapitalmarkt durchaus mit steuerpolitischen Bestimmungen beeinflusst werden könne. Denn schließlich sei der Kapitalmarkt „ja auch durch Steuergesetze in Unordnung gebracht worden“. Die grundsätzliche Kritik Troegers und Seufferts an der Kapitalmarktpolitik der Regierungsparteien wiesen sie mit dem lapidaren Hinweis zurück, dass es zum vorliegenden Gesetz keine Alternative gebe, es sei denn, Selbstfinanzierung und Staatsfinanzierung sollten weiterhin die Geschicke des Kapitalmarkts bestimmen. Sie betonten, dass der vorliegende Gesetzentwurf hauptsächlich Einzelpersonen zum Wertpapiersparen anregen solle, und widersprachen damit implizit Seuffert, der als Hauptzweck des Gesetzes die Begünstigung bestimmter Emittenten herausgestellt hatte. Für die Bezieher kleiner Einkommen solle der von den Regierungsparteien vorgelegte Entwurf eines Sparprämiengesetzes einen Ausgleich bringen. Zudem werde durch den im Gesetzentwurf vorgesehenen 105 Vermerk über die Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, Finanz- und Steuerfragen und Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A. 106 Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit gemeinsam mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss.
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Strafsteuersatz (erhöhte Kapitalertragsteuer von 50 Prozent) sichergestellt, dass die Nettorendite der Sozialpfandbriefe nicht wesentlich den Ertrag der übrigen Wertpapiere unterschreiten werde.107 Die Nachfrager von kleinen und mittleren Krediten würden nicht vernachlässigt, wie von Seuffert behauptet, da kleine und mittlere Unternehmen doch langfristige Kredite von Spezialinstituten wie der Industriebank erhalten könnten, deren Refinanzierung ebenfalls durch die im Gesetz vorgesehene Begünstigung ihrer Emissionen erleichtert würde.108 Der Präsident des ZBR, Bernard, sowie Prof. Helmut Meinhold, der inzwischen das Bundeswirtschaftsministerium verlassen hatte, als Ordinarius an die Universität Heidelberg gewechselt war und den Vorsitz im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums übernommen hatte, befürworteten den Gesetzentwurf prinzipiell, wenn auch mit erheblichen Vorbehalten. Bernard sprach sich für eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes aus, auch wenn es mit klaren Schwächen behaftet sei. Er wies in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass sich der Schwerpunkt der Steuerbegünstigung nicht auf die Kapitalerträge, sondern auf den Anreiz zur Kapitalbildung beziehen sollte. Meinhold war weniger ablehnend, als das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom Juli 1952 vermuten ließ. Er sprach hinsichtlich des Gesetzentwurfs von einer „mit Mängeln behafteten Lösung“, der eine einseitige Begünstigung des Rentenmarktes bedeute, während der Aktienmarkt vernachlässigt werde. Um eine Gesundung des Kapitalmarkts herbeizuführen, seien weitere Maßnahmen wie die Freigabe der Mieten, eine „Bereinigung“ des Lohngefüges und eine Steuerreform erforderlich. Eine Erfüllung dieser Forderungen werde jedoch noch längere Zeit in Anspruch nehmen, der Kapitalmarkt aber bedürfe einer baldigen Reform. Meinhold gab daher zu, dass man keinen anderen Weg als den vorliegenden Entwurf gefunden habe, auch wenn die Gefahr bestehe, dass die „große Steuerreform“ durch das vorliegende Gesetz präjudiziert werde. Eine Ausweitung der Kapitallenkung durch den Kapitalverkehrsausschuss lehnte er dezidiert ab.109 VI. 3. 3. 3. Einzelberatung in den Bundestagsausschüssen Im Verlauf der Einzelberatung des Gesetzentwurfs wurden nicht nur Details des Gesetzentwurfs geändert, sondern auch einige neue Aspekte hinzugefügt. Dies lag unter anderem daran, dass die Ausschüsse im Laufe der Beratungen ihre Erörterungen über den eigentlichen Gesetzentwurf hinaus auf die gesamte Kapitalmarktpolitik ausdehnten, indem sie zeitgleich die an den Ausschuss für Geld und 107 Vermerk über die Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, Finanz- und Steuerfragen und Wirtschaftspolitik am 19.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A. 108 Kurzprotokoll der 71. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit gemeinsam mit den Ausschüssen für Finanz- und Steuerfragen und für Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 109 Meinhold hielt eine systematische Kapitallenkung letztlich nur bei einer Konfiszierung der Einkommen schon bei ihrer Entstehung für möglich, eine Investitionslenkung nur bei einer vollkommenen Bewirtschaftung von Baustoffen und Stahl. Ebd.
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Kredit überwiesenen Entwürfe eines revidierten Gesetzes über den Kapitalverkehr sowie eines Gesetzes zur Aufhebung der Dividendenabgabeverordnung in die Beratungen einbezogen. Die Grundzüge des Gesetzentwurfs, der auf Vorschlag von Fritz Butschkau schließlich die Bezeichnung „Erstes Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts“ (Kapitalmarktförderungsgesetz) erhielt, blieben allerdings im Verlauf der Ausschussberatungen weitgehend erhalten. Insofern zeigte die Fundamentalkritik der SPD keine Wirkung. Es blieb bei der im Gesetzentwurf vorgesehenen Unterscheidung zwischen Wertpapieren, deren Erträge von der Steuer gänzlich befreit werden sollten, und solchen, deren Erträge mit einer 30-prozentigen Kapitalertragsteuer belegt werden sollten. Auch die im Entwurf des Bundesfinanzministeriums vorgenommene Aufteilung der Wertpapiertypen in beide Kategorien blieb im Wesentlichen bestehen. Erwähnenswert ist lediglich, dass die Ausschüsse für die öffentlichen Gebietskörperschaften eine dreifache Unterscheidung trafen: Obwohl nach den Ländern auch die Kommunalverbände heftig interveniert hatten und eine generelle Steuerbefreiung ihrer Wertpapieremissionen gefordert hatten,110 wurden die Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände nicht den Anleihen von Bund und Ländern gleichgestellt. Stattdessen sollte eine unterschiedliche Behandlung durch den Kapitalverkehrsausschuss erfolgen: Während der Ausschuss die Anleihen des Bundes, zu denen auch Emissionen der Bundesbahn, der Bundespost und des Lastenausgleichsfonds zählten, überhaupt nicht kontrollieren sollte, sollte er bei den Länderanleihen nur die Emissionsbedingungen, also Nominalzins, Ausgabekurs, Emissionsvolumen etc., prüfen, um zu verhindern, dass sich die Länder durch zu hohe Zinssätze oder ungewöhnlich günstige Ausgabe- oder Rückzahlungskurse Vorteile gegenüber den übrigen Emittenten verschafften. Schatzanweisungen des Bundes und der Länder mit Laufzeiten unter drei Jahren sollten grundsätzlich der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer unterliegen. Bei den Anleihen der Städte und Gemeinden sollte der Kapitalverkehrsausschuss zusätzlich zu der Prüfung der Emissionsbedingungen auch noch den Verwendungszweck der Emissionserlöse kontrollieren. Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände sollten also, anders als die Bundes- und Länderanleihen, nicht per se steuerfrei sein, sondern nur nach Zuerkennung der besonderen Förderungswürdigkeit. Insofern waren sie den Wertpapiertypen, beispielsweise Industrieobligationen oder Pfandbriefen des freien Wohnungsbaus, gleichgestellt, was von den kommunalen Spitzenverbänden harsch kritisiert wurde.111 Die Bundesregierung wollte durch diese Regelung verhindern, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände für „nicht unbedingt lebenswichtige Zwecke“ steuerfreie 110 Kurzprotokoll der 6. Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik vom 12.9.1951 – PA, 1. Wahlperiode/ 48. Ausschuss; Schreiben der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Spitzenverbände an den Vorsitzenden und die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Kommunalpolitik vom 26.8.1952 – PA, Ges.dok, I/363 A. 111 Schreiben Arbeitsgemeinschaft kommunaler Spitzenverbände an den Vorsitzenden und die Mitglieder des kommunalpolitischen Ausschusses des Bundestages vom 26.8.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A.
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Anleihen aufnahmen. Die Kommunalaufsicht allein konnte aus ihrer Sicht einen möglichen Missbrauch nicht verhindern.112 Es liegt nahe, in diesem Misstrauen gegenüber den Kommunen eine Nachwirkung der Bankenkrise zu sehen, die nicht zuletzt auf die ausufernde, zentral nicht zu kontrollierende Verschuldung der Gemeinden und Gemeindeverbände zurückgeführt wurde. Neben den im Gesetzentwurf einzeln aufgeführten Wertpapiertypen, die grundsätzlich von allen Steuern befreit werden sollten, sah der Regierungsentwurf die Möglichkeit vor, den Kreis der steuerbefreiten Wertpapiere auszudehnen. Dies sollte durch eine Generalklausel möglichst flexibel gehandhabt werden, die für Emissionen gelten sollte, deren Verwendungszweck vom Kapitalverkehrsausschuss als „besonders förderungswürdig“ eingestuft würde. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, diese Möglichkeit auf Emittenten aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich zu beschränken. Dies lehnten die Bundestagsausschüsse – ebenso wie zuvor schon die Bundesregierung – ab, da man durch diesen Paragraphen die Investitionsfinanzierung in volkswirtschaftlich wichtigen, aber zinsempfindlichen Wirtschaftsbranchen durch steuerbefreite Industrieobligationen ermöglichen wollte. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens waren einige Wirtschaftsbranchen genannt worden, in denen Investitionen besonders wünschenswert erschienen, etwa Schiffbau, Wasserwirtschaft, Siedlungsmaßnahmen, landwirtschaftliche Meliorationen und Export von Investitionsgütern.113 Letztlich erwies sich eine erschöpfende Auflistung jedoch als undurchführbar, da eine exakte Abgrenzung der Verwendungszwecke kaum möglich war und die Liste der in Frage kommenden Investitionen immer länger wurde. Mit dem flexiblen Instrument der „besonderen Förderungswürdigkeit“ wollte man die Notwendigkeit umgehen, die Verwendungszwecke genau definieren und einen entsprechenden Katalog aufstellen zu müssen. Die Bundestagsausschüsse übernahmen die Formulierung des Regierungsentwurfs, dass Emissionen nur dann als förderungswürdig anerkannt werden sollten, wenn eine Ausgabe der Anleihe für den vorgesehenen Verwendungszweck zu den üblichen Bedingungen am Kapitalmarkt nicht möglich war. Sie sprachen sich darüber hinaus dafür aus, dass eine Steuerbefreiung aufgrund besonderer Förderwürdigkeit grundsätzlich nur dann möglich sein solle, „wenn die ertragsmäßigen Verhältnisse des Emittenten z.B. durch Eingriff von hoher Hand oder durch besondere Umstände so sind, dass es ihm unmöglich ist, Zinsen, wie sie für kapitalertragsteuerpflichtige Emissionen erforderlich sind, zu bezahlen.“114 Diese Präzisierung wurde jedoch nicht in den 112 Kurzprotokoll der 6. Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik vom 12.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 48. Ausschuss. 113 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Geld und Kredit vom 24.10.1952 (zu Drucksache Nr. 3773) – PA, Ges.dok., I/366 A. 114 Dies sei etwa typisch beim sozialen Wohnungsbau, weil dieser aufgrund gesetzlicher Bestimmungen mit Richtsatzmieten, nicht aber mit Kostenmieten operieren müsse. Auch sei dies der Fall, wenn Exportunternehmen mit im Ausland gewährten Vergünstigungen konkurrieren mussten. Dagegen kam nach Ansicht der Ausschussmitglieder eine Steuerbefreiung keinesfalls in Frage, um Emittenten am Kapitalmarkt Vorteile zu verschaffen und so Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen oder kriselnde Unternehmen zu unterstützen. Ebd.
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Gesetzentwurf aufgenommen, so dass die Kriterien für eine „Förderungswürdigkeit“ nebulös blieben. Neben diesen Änderungen nahmen die Bundestagsausschüsse einige weitere kleinere Ergänzungen vor. So fügten sie hinsichtlich der Sozialpfandbriefe einen Verweis auf das Erste Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 ein. Damit sollte sich eine Kontrolle der Emissionsbedingungen weitgehend erübrigen, da der Zinssatz für diese Pfandbriefe durch die im Wohnungsbaugesetz festgelegten Mietpreise bestimmt wurde.115 Die Prohibitivstufe bei der Kapitalertragsteuer, die als Instrument gegen weit überdurchschnittliche Nominalzinssätze eingesetzt werden sollte, erhöhten die Ausschüsse aus steuertechnischen Gründen von 50 auf 60 Prozent.116 Dagegen räumten sie dem Gesetzgeber, anders als im Regierungsentwurf vorgesehen, nicht das Recht ein, die Kapitalertragsteuer für Wertpapiere im Nachhinein zu erhöhen oder zu vermindern. Sollten sich Emittenten mit Zinsund Kursangeboten völlig außerhalb des üblichen Zins- und Kursgefüges bewegen, sollte vielmehr der Kapitalverkehrsausschuss eingreifen können. Eine entsprechende Regelung war im neuen KVG vorgesehen. Mit den bisher genannten Änderungen bewegten sich die Ausschüsse im Rahmen der Vorgaben des Regierungsentwurfs. Weit darüber hinaus gingen sie, als sie Überlegungen zu möglichen Vergünstigungen für Aktien wieder aufgriffen. Diese hatte das Konzept des „Scharnberg-Ausschusses“ zwar ursprünglich vorgesehen; sie waren aber im Regierungsentwurf nicht aufgenommen worden, da der Bundesfinanzminister diese Frage im Rahmen der großen Steuerreform angehen wollte. So sollte eine Senkung der Einkommensteuertarife auch das Problem der Doppelbesteuerung deutlich entschärfen.117 Die Abgeordneten der Regierungsparteien wollten dagegen nicht mehr bis zur Steuerreform warten und schon vorab erste Maßnahmen zugunsten des Aktienmarkts durchführen, um der von Wirtschaft und Wissenschaft monierten „Einseitigkeit“ des Gesetzes zugunsten des Rentenmarkts entgegenzuwirken. Die massive Kritik der Wirtschaftsverbände an dem Gesetzentwurf und das von ihnen vorgelegte Gutachten des „Instituts Steuern und Finanzen“ zeigten hier ihre Wirkung. Die Abgeordneten der Bundestagsausschüsse betonten nun mehrheitlich, dass sie die Aktie als Finanzierungsquelle der Wirtschaft für unentbehrlich hielten und ihre Benachteiligung gegenüber Anleihen und Krediten nicht länger akzeptieren wollten. Sie wiesen in diesem Zusammenhang auf die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Dividenden und Anleihezinsen hin: Während die Unternehmen Zinsen, die sie zur Bedienung ihrer Obligationen zahlten, steuerlich absetzen konnten, mussten Dividendenausschüttungen voll aus – durch Abgaben und Steuern hoch belasteten – Gewinnen gezahlt werden.118 Da 115 Kurzprotokoll der 149. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit am 3.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 116 Es sollte vermieden werden, dass sich Konzerne durch interne Anleihegeschäfte Vorteile bei der Körperschaftsteuer für thesaurierte Gewinne verschaffen konnten. 117 Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 113. 118 Die Wirtschaftsverbände rechneten vor, dass allein zur Bewältigung der steuerlichen Vermögensbelastung ca. 16,2 Prozent auf das Vermögen verdient werden mussten und darüber
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Aktiengesellschaften aus diesem Grunde die Fremd- der Eigenfinanzierung generell vorzogen, konnte dies nach Auffassung der bürgerlichen Abgeordneten zu einem „ungesunden Verhältnis zwischen haftendem Kapital und Kredit führen und so die Finanzierung überhaupt behindern.“ Dieser „Diskriminierung der Aktie“119 wollten sie durch Neuregelungen im Gesetzentwurf entgegenwirken. Dass der aus der NS-Zeit stammende Dividendenstopp endlich aufgehoben werden sollte, war bei den Ausschussmitgliedern unumstritten und wurde mit einem entsprechenden Gesetz – zeitgleich zum Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes – besiegelt.120 Die lange Geltungsdauer der Dividendenabgabeverordnung aus dem Jahre 1941 kann in erster Linie mit den Vorarbeiten zum Lastenausgleich in Verbindung gebracht werden: Die Bundesregierung wollte eine gleichzeitige Behandlung der Verordnung und des Lastenausgleichsgesetzes „aus politischen und psychologischen Gründen“ (Scharnberg) vermeiden. Hintergrund war, dass die Aktienbesitzer die Währungsumstellung auf D-Mark nahezu unbeschadet überstanden hatten, während im Rahmen des Lastenausgleichs nur eine quotale Entschädigung der Altsparer erfolgen sollte. In dieser Situation hätte eine Anhebung der Dividenden, die nach Wegfall der Verordnung möglich gewesen wären, die Aktionäre zusätzlich begünstigt.121 Auch eine Verbindung zwischen Dividendenstopp und KVG ist naheliegend: Es hätte vermutlich zu politischen Diskussionen geführt, wenn die Entscheidung über die Höhe der Dividenden den Unternehmen überlassen worden wäre, gleichzeitig aber die Zinssätze am Rentenmarkt vom Kapitalverkehrsausschuss staatlich vorgeschrieben wurden. Man hätte dies wiederum als Bevorzugung der Aktionäre werten können.122 Neben der Aufhebung des Dividendenstopps berieten die Bundestagsausschüsse eine Reihe von Möglichkeiten, Aktienbesitz steuerlich zu fördern. So wurde erwogen, die Dividendenausschüttungen ganz oder teilweise als Betriebsausgaben anzuerkennen (Förderung der Unternehmen), um so das Volumen der Gewinnausschüttungen zu erhöhen. Es wurde auch der Vorschlag gemacht, den Aktionären für einen Teilbetrag der Dividenden die gleichen steuerliche Begünstigung einzuräumen wie bei den Kapitalerträgen aus festverzinslichen Wertpapieren (Förderung der Aktienbesitzer). Beide Alternativen erwiesen sich aber als nicht umsetzbar: Die Anerkennung der Dividenden als Betriebsausgaben hätte einen Fehlanreiz für die Unternehmen dargestellt, höhere Ausschüttungen vorzunehmen, als betriebswirtschaftlich vertretbar war. Zudem hätte diese Form der Förderung in unerwünschter Weise die Wahl der Rechtsform beeinflusst, indem massenhaft Personen- in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden wären. Einer Gleichstellung von Dividenden und Zinserträgen im
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hinaus für je ein Prozent Dividende weitere 3,2 Prozent. Für eine Dividende von zwei Prozent mussten demnach ca. 22,6 Prozent Gewinn gemacht werden. Steuerliche Erleichterung von Dividendenauschüttungen, 20.10.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A. Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 34 f. BGBl. I, 1952, S. 804. Niederschrift über die 25. KVA-Sitzung vom 5.10.1951 – BA Ko, B 126/12081. Harder, Funktionswandel, S. 115.
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Kapitalmarktförderungsgesetz wollten die Ausschüsse aber auch nicht zustimmen, da Anteilswerte und Schuldforderungen ihrem Charakter nach prinzipiell zu verschieden waren.123 Damit blieb eine letzte Möglichkeit übrig, die Aktienrendite attraktiver zu gestalten: Auch wenn die Ausschüsse sich darin einig waren, dass eine Abschaffung der Doppelbesteuerung der Dividenden schon aus fiskalischen Gründen nicht möglich war, so wollten die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sie zumindest abmildern. Als ersten Schritt in diese Richtung schlugen sie eine Verminderung der Körperschaftsteuer auf Gewinnausschüttungen von 60 auf 40 Prozent vor, die in den vorliegenden Entwurf des Kapitalmarktförderungsgesetzes eingearbeitet werden sollte. Die Ausschussmitglieder erwarteten, dass durch diese Maßnahme das Ausschüttungsvolumen erhöht und die höheren Dividenden die Anleger anregen würden, dem Aktienmarkt neues Kapital zuzuführen. Den entstehenden Steuerausfall bezifferten die Ausschüsse auf jährlich 70 bis 80 Mio. DM.124 Gegen eine solch grundlegende Ausweitung des Gesetzes wandte sich der SPD-Abgeordnete Seuffert vehement. Er drohte damit, im Falle der pauschalen Kürzung der Körperschaftsteuer, die für ihn in keiner Weise mit dem Charakter des Gesetzentwurfs vereinbar war, seinerseits die Steuerfreiheit für Ausschüttungen von Genossenschaftsanteilen zu fordern. Diese Forderung passte genauso wenig zu der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes wie die Senkung der Körperschaftsteuer, aber die Regierungsparteien akzeptierten sie, um ihren eigenen Vorschlag durchzubringen, und weiteten die Steuerbefreiung auf die Gewinnanteile gemeinnütziger Wohnungsbauunternehmen aus.125 VI. 3. 4. Verabschiedung des Kapitalmarktförderungsgesetzes Die abschließende Beratung des Kapitalmarktförderungsgesetzes im Bundestag nutzte Walter Seuffert für eine Generalabrechnung mit der Kapitalmarktpolitik der Koalitionsparteien. In den Bundestagsausschüssen hatte sich die SPD in keiner Weise gegen die Koalitionsparteien durchsetzen können und sich weitgehend in eine defensive Abwehrhaltung zurückgezogen. Dies lag natürlich an den Mehrheitsverhältnissen, aber auch daran, dass die SPD den Regierungsplänen kein schlüssiges kapitalmarktpolitisches Konzept entgegenstellen konnte. Hier offenbarte sich ein erheblicher Gegensatz zur Wohnungsbaupolitik, in der die SPD erhebliche Initiative zeigte und wichtige Punkte ihres Programms umsetzen konnte.126 Der Kapitalmarkt im Allgemeinen und der Wertpapiermarkt im 123 Vermerk über die Sitzung der Ausschüsse für Geld und Kredit, Finanz- und Steuerfragen und Wirtschaftspolitik vom 19.9.1952 – PA, Ges.dok., I/363 A. 124 Kurzprotokoll der 150. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit am 8.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 125 Kurzprotokoll der 149. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit am 3.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss. 126 Schulz, Wiederaufbau, S. 230-239, 246, 319 ff.
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Besonderen waren für die SPD nur ein Teilbereich der Wohnungsbau- und Investitionsfinanzierung neben anderen, wichtigeren. Im Plenum machte Seuffert nun seinem Ärger Luft und zählte die Unstimmigkeiten des Gesetzes auf, die hier noch einmal dargestellt werden sollen, da sie nicht nur die Meinung seiner Partei widerspiegelten, sondern auch in Politik und Wirtschaft von vielen geteilt wurden.127 Seuffert identifizierte als Kernstück des Gesetzes die Sicherung der Kapitalversorgung der Wohnungswirtschaft, was er ausdrücklich begrüßte, da die Wohnungswirtschaft faktisch kein Teil der Privatwirtschaft mehr sei, sondern Teil der öffentlichen Wirtschaft. Aber die Auflockerung des Kapitalmarktes zugunsten des sozialen Wohnungsbaus durfte nach Seufferts Überzeugung auf keinen Fall auf dem Wege versucht werden, den das Gesetz mit der Begünstigung der Kapitalerträge beschreite. Als wichtigstes Problem hob er die Durchbrechung der Steuerprogression beim „arbeitslosen Zinseinkommen“ durch Einführung der Kapitalertragsteuer hervor. Dabei handele es sich um ein Instrument zur Ermäßigung der Steuern für große Einkommen, deren Einkommensteuertarife weit über 30 Prozent lagen, und zur Erhöhung der Steuern von Beziehern niedriger Einkommen, die in aller Regel weniger als 30 Prozent Einkommensteuer zahlten. Daran könne auch das im Gesetz vorgesehene Wahlrecht der Anleger, die Kapitalertragsteuer oder die normale Lohnsteuer zu bezahlen, nichts ändern, weil dieses Wahlrecht wegen des großen Aufwands in der Praxis nicht ausgeübt werde.128 Die Nettorendite der Wertpapiere staatlicherseits maßgeblich zu beeinflussen, war laut Seuffert mit einem hohen Unsicherheitsfaktor für die Kapitalmarktakteure verbunden, da die Steuersätze – anders als die in Anleiheverträgen festgelegten Zinssätze – jederzeit von der jeweiligen Mehrheit des Parlaments geändert werden konnten. Darüber hinaus lasse das Gesetz in „dilettantischer und täppischer“ Weise den Gesamtzusammenhang des Kapitalmarktes außer Acht, indem es das Wertpapiersparen einseitig gegenüber dem Kontensparen und Bausparen bevorzuge und so zugleich den großen, emissionsfähigen Unternehmen gegenüber den mittleren und kleineren Unternehmen, denen nur der Bankkredit zur Verfügung stehe, Vorteile verschaffe. Seuffert brachte aber auch ein neues Gegenargument in die Diskussion ein, das sich als sehr begründet erweisen sollte: Künftig – so Seuffert – würden Kreditinstitute doch lieber Wertpapiere, die mit sechs bis acht Prozent verzinst und mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegt waren, kaufen als mühsam Kredite an mittelständische Unternehmen zu neun oder zehn Prozent Zinsen vergeben, die mit einer Körperschaftsteuer von 60 Prozent belegt seien. Von Mittelstandsförderung oder Kreditversorgung des Handwerks, wie es allerorten gefordert werde, könne hier keine Rede sein. Manipulationen seien möglich, je nachdem ob Gläubiger oder Schuldner das Gesetz in Anspruch nehmen wollten oder nicht. So könnten beispielsweise aus Renditeerwägungen
127 Zu Folgendem: Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 1. Wahlperiode, 236. Sitzung am 30.10.1952, S. 10892-10895. 128 Ebd., S. 10893.
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heraus leicht Anleihen in Schuldscheindarlehen umgewandelt werden und vice versa.129 Abschließend kam Seuffert noch einmal auf die grundsätzlichen Probleme der Kapitalbildung zu sprechen: Nicht der Nominalzins an sich sei entscheidend für die Kapitalbildung, sondern die mangelnde Sparfähigkeit und das mangelnde Vertrauen der breiten Masse. Ersteres sei eine Folge der steilen Steuerprogression, die den Spitzensteuersatz schon bei einem Jahreseinkommen von 9.000 DM festlege, Letzteres das Ergebnis kontinuierlicher Preisunsicherheit (Inflation). Und hier schaffe das Gesetz in keiner Hinsicht Abhilfe; es sei nach Ansicht der SPD das Gegenteil einer planmäßigen Ordnung des Kapitalmarkts. Dass Seuffert erneut gegen die Senkung der Körperschaftsteuer für den ausgeschütteten Gewinn wetterte, war für die weitere Debatte ohne Bedeutung. Denn die Koalitionsparteien hatten sich inzwischen darauf geeinigt, diese Maßnahme in einem eigenständigen Gesetz durchzuführen und stimmten der Streichung des diesbezüglichen Paragraphen aus dem Kapitalmarktförderungsgesetz ohne Gegenwehr zu. Die steuerliche Förderung der Ausschüttungen von Genossenschaftsanteilen blieb dagegen Bestandteil des Gesetzes. Nachdem der FDPAbgeordnete Preusker im Sinne der Urheber des Gesetzes noch einmal ausführlich die Zielsetzungen des Gesetzes erläutert hatte, wurde der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsparteien verabschiedet. Das Gesetz trat am 16. Dezember 1952 in Kraft und besaß bis zum 31. Dezember 1954 Gültigkeit.130 Danach sollte es durch die Regelungen der großen Steuerreform ersetzt werden. VI. 4. ZINSLOCKERUNG UND KAPITALLENKUNG: DIE NEUFASSUNG DES KAPITALVERKEHRSGESETZES Mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz stand das Gesetz über den Kapitalverkehr in unmittelbarem Zusammenhang. Einerseits wies das Kapitalmarktförderungsgesetz dem Kapitalverkehrausschuss bestimmte Aufgaben zu,131 andererseits musste bei der Neufassung des KVG die im Kapitalmarktförderungsgesetz angestrebte Freigabe der Zinsen berücksichtigt werden. Der im Juni 1952 an den Ausschuss für Geld und Kredit überwiesene Regierungsentwurf einer Neufassung des KVG ging davon aus, dass eine Begrenzung des Emissionsvolumens für eine Übergangszeit weiterhin notwendig sein würde. Dem schloss sich der Ausschuss für Geld und Kredit grundsätzlich an. Aber es blieb ein großer Streitpunkt, 129 Seuffert vor dem Bundestag: „Ich weise weiter darauf hin, welche Geschäfte möglich sind, wenn der Schuldner auf der einen Seite seine Zinsen mit 60 Prozent bei der Steuer abziehen kann, wenn er 60 Prozent Körperschaftsteuer zahlt, und auf der anderen Seite der Gläubiger von diesen Zinsen auf keinen Fall mehr als 30 Prozent zu zahlen hat.“ Ebd. 130 BGBl. I 1952, S. 793. 131 Überprüfung der Konditionen bei Länderanleihen, Überprüfung der Konditionen und des Verwendungszwecks bei Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie bei Emissionen, für die eine Steuerbefreiung aufgrund besonderer Förderungswürdigkeit beantragt wurde.
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welchen Einfluss der Kapitalverkehrsausschuss zukünftig noch auf die Emissionsbedingungen nehmen sollte. Bundeswirtschaftsminister Erhard kritisierte die nahezu unlösbaren Aufgaben, die der Kapitalverkehrsausschuss bis dahin hatte erfüllen müssen, und sprach sich dafür aus, ihm die Kontrolle der Emissionskonditionen nicht mehr zu gestatten. Er wollte dem Ausschuss künftig nur noch „ein gewisses Einspruchsrecht“ bei Emissionen mit stark abweichenden Konditionen zubilligen. Die BdL ließ erklären, dass sie den Kapitalverkehrsausschuss nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes im Grunde für überflüssig halte und empfehle, die Aufsicht über den Emissionsmarkt dem Bundeswirtschaftsministerium zu übertragen.132 Dagegen sprach sich die SPD dezidiert gegen eine Beschränkung der Emissionskontrolle aus, während Bundesfinanzminister Schäffer weiterhin für eine Übergangszeit nicht auf eine Prüfung der Emissionsbedingungen verzichten wollte. Seiner Ansicht nach gehörten Kapitalmarktförderungsgesetz und Kapitalverkehrsgesetz zusammen: Das Kapitalmarktförderungsgesetz gewährte steuerliche Begünstigungen, die eine gewisse Nettorendite ermöglichten, so dass eine sofortige völlige Zinsfreigabe aus seiner Sicht nicht gerechtfertigt erschien. Ebenso wie die SPD und die Landesfinanzminister sah Schäffer die Gefahr, dass sich eine generelle Zinsfreigabe – trotz möglicher Strafsteuern – zu Lasten der niedrig verzinsten, steuerfreien Papiere auswirken könnte. Solange sich kein funktionsfähiger Wertpapiermarkt entwickelt habe, müsse eine Zwischenlösung gefunden werden.133 Mit Blick auf die Ziele des Kapitalmarktförderungsgesetzes präzisierte der Ausschuss für Geld und Kredit schließlich den Aufgabenkreis des Kapitalverkehrsausschusses und schränkte dabei seine Möglichkeiten, auf die Emissionsbedingungen Einfluss zu nehmen, ein. Die Vertreter der Koalitionsparteien zeigten sich darin einig, dass für Emissionen festverzinslicher Wertpapiere keine Kontrolle der Zinsbedingungen durch den Kapitalverkehrsausschuss mehr gewünscht wurde.134 In Übereinstimmung mit dem Bundeswirtschaftsminister und mit Zustimmung des Bundesfinanzministers wurde der Gesetzentwurf daher leicht geändert. Künftig sollten Emissionsgenehmigungen nur noch dann versagt werden können, wenn Zinssatz sowie Ausgabe- und Rückzahlungskonditionen von den Bedingungen gleichartiger Wertpapiere wesentlich abwichen und ein nachhaltige Störung des Kurs- und Zinsgefüges am Kapitalmarkt befürchten ließen.135 Später wies Scharnberg darauf hin, dass er von Victor-Emanuel Preusker „gedrängt 132 Kurzprotokoll über die Fortsetzung der 74. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 10.10.1952; Kurzprotokoll der 75. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 22.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 12. Ausschuss. 133 Ebd. 134 Kurzprotokoll der 149. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit am 3.10.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Geld und Kredit vom 24.10.1952 (zu Drucksache Nr. 3773) – PA, Ges.dok., I/366 A. 135 Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr vom 9.6.1952 sowie Begründung desselben – PA, Ges.dok. I/365 A.
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worden“ sei, die Bestimmung aus dem Gesetzentwurf zu entfernen, nach dem der Kapitalverkehrsausschuss auch weiterhin die Emissionen „nach Art und Umfang“ prüfen solle.136 Damit war dem Kapitalverkehrsausschuss künftig eine Rationierung von Emissionen formal nicht mehr erlaubt. In der dritten Beratung des Gesetzes im Bundestag legte Scharnberg, der für den Ausschuss für Geld und Kredit Bericht erstattete, großen Wert auf die Feststellung, dass gemäß der Auffassung der Ausschussmehrheit und entsprechend der neuen Formulierung des Gesetzes in Zukunft keine allgemeine Beeinflussung des Zinsniveaus durch den Kapitalverkehrsausschuss mehr erfolgen dürfe. Den im Regierungsentwurf vorgesehenen Passus, dass der Kapitalverkehrsausschuss eine Genehmigung auch dann verweigern könne, „wenn sie mit den Grundsätzen einer geordneten Währungspolitik nicht in Einklang stand“, entfernte der Ausschuss aus dem Gesetzentwurf. Er war den Ausschussmitgliedern zu unkonkret und bot die Gefahr, „dass die Genehmigungsbehörde unter Verwendung einer solchen allgemeinen Formulierung der an sich angestrebten Auflockerung des Kapitalmarkts entgegenwirken“ könnte.137 Eine Regulierung „durch die Hintertür“ wollte der Ausschuss also vermeiden, wobei ein Misstrauen gegenüber den zuständigen Behörden durchaus spürbar war. Auch die Bestimmung, dass das neue KVG nur gut ein Jahr bis zum 31. Dezember 1953 Gültigkeit besitzen sollte, ist ein Zeichen dafür, dass die Regierungsparteien die Regelungen nur noch für eine kurze Übergangszeit akzeptieren wollten. Aus dem Gesetzentwurf strich der Ausschuss für Geld und Kredit auch den Passus, mit dem der Bundesregierung die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, Richtlinien für die Anlage von Mitteln der Kapitalsammelstellen zu erlassen. Nach Auffassung der Ausschussmehrheit hatte die Bundesregierung auch auf informellem Wege genug Möglichkeiten, die Anlage der Mittel mit den Kapitalsammelstellen zu erörtern. Dies war das Ende der Diskussionen über eine Ausweitung der Kontrolle der Kapitalströme über den Wertpapiermarkt hinaus.138 Ansonsten beließ es der Ausschuss bei den im Gesetzentwurf verankerten Zuständigkeiten, die das Recht zur Emissionsgenehmigung auf den Bundeswirtschaftsminister übertrug, der „im Einvernehmen“ mit dem Bundesfinanzminister zu entscheiden hatte. Die Zusammensetzung des Kapitalverkehrsausschusses blieb unverändert. Das Gesetz wurde mit den Änderungen in die zweite Lesung eingebracht und mit marginalen Änderungen verabschiedet. Der Bundesrat stimmte mehrheitlich für das Gesetz und wehrte Anträge auf Anrufung eines Vermittlungsverfahrens ab. Damit konnte es einen Tag nach dem Kapitalmarktförderungsgesetz am 17. Dezember 1952 in Kraft treten.139
136 Vermerk (v. Stahlberg) vom 1.12.1953 betr. Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/6208. 137 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Geld und Kredit (zu Drucksache Nr. 3773) vom 24.10.1952 – PA, Ges.dok., I/366 A. 138 Ebd. 139 BGBl. I 1952, S. 801.
VII. DER WERTPAPIERMARKT UNTER DEM KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZ (1952-1954) VII. 1. ANSTIEG DER WERTPAPIEREMISSIONEN UND DES WERTPAPIERABSATZES Im Gesamtjahr 1951 wurden festverzinsliche Wertpapiere in einem Gesamtvolumen von 735,2 Mio. DM aufgelegt; 1952 betrug der Nominalwert der aufgelegten Rentenwerte in den elf Monaten von Januar bis November 1.084 Mio. DM. Dann kam es zu einem sprunghaften Anstieg: Allein im Monat Dezember 1952, also unmittelbar nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes, wurden Rentenwerte in Höhe von 972,4 Mio. DM emittiert. Im folgenden Jahr, 1953, lag der Umfang der ausgegebenen festverzinslichen Wertpapiere bereits bei 3.103,6 Mio. DM, 1954 waren es schließlich 4.440,3 Mio. DM.1 Das war wesentlich mehr, als sich die Initiatoren des Kapitalmarktförderungsgesetzes erhofft hatten. Nicht nur die Auflage von Wertpapieren verzeichnete eine starke Zunahme, auch das Verhältnis zwischen den aufgelegten und den tatsächlich abgesetzten Wertpapieren verbesserte sich merklich: Wurden im Jahr 1952 festverzinsliche Wertpapiere mit einem Nominalwert von knapp 500 Mio. DM weniger abgesetzt als emittiert, betrug der Differenzbetrag 1953 nur noch 201,7 Mio. DM. 1954 übertraf der Betrag der abgesetzten festverzinslichen Wertpapiere sogar den Betrag der aufgelegten Emissionen um mehr als 200 Mio. DM. Gegenüber dem jeweiligen Vorjahr stieg der Wertpapierabsatz 1953 um 86 Prozent und 1954 um 60 Prozent; der prozentuale Zuwachs war damit deutlich stärker als bei den Spareinlagen.2
1 2
Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948-1954, S. 232. Die Spareinlagenbestände erhöhten sich bei den deutschen Kreditinstituten (einschl. Zinsgutschriften) zum Jahresende 1953 auf 11,2 Mrd. DM (+ 52 % gegenüber dem Vorjahr) und zum Jahresende 1954 auf 17,2 Mrd. DM (+ 53% gegenüber dem Vorjahr). Vgl. Schulz, Sparkassen, S. 409, Tab. 2a.
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VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
Emissionen festverzinslicher Wertpapiere unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz (in Mio. DM bzw. als Anteil an der Gesamtauflage von Rentenwerten)3 1.12.1952-31.12.1953 Mio. DM % 1.522,9 37,4 852,7 20,9 963,9 23,6 295,5 7,2 405,0 9,9
Pfandbriefe Kommunalobligationen Anleihen der öffentl. Hand Industrieobligationen Schuldverschreibungen von Spezialinstituten* Sonstige 36,0 * KfW, Lastenausgleichsbank etc.
0,9
1.1.1954-31.12.1954 Mio. DM % 1.915,3 43,1 830,2 18,7 568,7 12,8 1.003,2 22,6 120,0 2,7 2,9
0,0
Der Pfandbrief fungierte weiterhin als Leitpapier; gemeinsam mit den Kommunalobligationen dokumentierte er die Dominanz des Wohnungsbaus auf dem Wertpapiermarkt, die 1954 noch deutlich zunahm. Grund für diese Zunahme war die zurückhaltende Inanspruchnahme des Wertpapiermarktes durch Bund, Länder und öffentlich-rechtliche Spezialkreditinstitute seit Anfang 1954, wodurch sich die Absatzmöglichkeiten für Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen deutlich verbesserte. Zwischen Dezember 1952 und Dezember 1953 hatten die Anleihen der öffentlichen Hand und der öffentlichen Förderbanken das Geschehen am Rentenmarkt mit einem Anteil von 33,5 Prozent noch geprägt, was vor allem auf die Bundesanleihe (550 Mio. DM) und eine Anleihe der Lastenausgleichsbank (200 Mio. DM) zurückzuführen war, die kurz nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes im Dezember 1952 emittiert worden waren. Der Anteil der Privatwirtschaft an den Neuemissionen, ablesbar an der Ausgabe von Industrieobligationen, erhöhte sich 1953 im Vergleich zu den Vorjahren kaum.4 Obwohl es 1954 zu einer rasanten Steigerung des Emissionsvolumens kam, zählte die Privatwirtschaft nur bedingt zu den Nutznießern des Kapitalmarktförderungsgesetzes. Denn die Auflage der Industrieobligationen erfolgte einerseits zum überwiegenden Teil im Rahmen der Investitionshilfe und war insofern nicht „freiwillig“.5 Zum anderen legte die Ausgabe von Industrieanleihen außerhalb der Investitionshilfe erst im Dezember 1954 deutlich zu, also zu einem Zeitpunkt, als das Ende des Kapitalmarktförderungsgesetzes absehbar war. Die Unternehmen versprachen sich offensichtlich einen noch besseren Absatz ihrer Anleihen nach Beseitigung der Steuerbegünstigungen.
3 4
5
Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948-1954, S. 232. Bis Mitte 1953 wurden keine Industrieobligationen emittiert, da bei der Vorbereitung des Kapitalmarktförderungsgesetzes ein Fehler unterlaufen war, der zu einer Diskriminierung der Industrieobligationen führte: Laut Gesetz wurde mit der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer die Einkommen- und die Körperschafsteuer abgegolten, nicht jedoch die so genannten „Nebensteuern“ (Gewerbesteuer, Notopfer Berlin etc.), die immerhin eine Steuerbelastung von ca. zehn Prozent ausmachten. Zur Beseitigung der Diskriminierung musste ein Ergänzungsgesetz verabschiedet werden, das erst am 15. Mai 1953 in Kraft trat. Vgl. Biber, Kapitalmarktförderungsgesetz, S. 280. Vgl. Kap. V. 3. 2. 2; Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 51.
303
VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
Absatz von festverzinslichen Wertpapieren nach Käufergruppen (in Prozent)6
1951
I 76
Pfandbriefe II III 19
IV 5
1952
75
17
8
82
15
3
9
57
34
1953
46
43
11
51
45
4
16
69
15
1954
31
9
22
5
6
49
I: öffentliche Stellen II: Kreditinstitute
11
Kommunalobligationen I II III IV 81 17 2
57
16
Industrieobligationen I II III IV 13 78 9
20
67
7
III: sonstige Wirtschaftsunternehmen IV: private Haushalte
Beim Wertpapierabsatz nach Käufergruppen leitete das Kapitalmarktförderungsgesetz einen spürbaren Wandel ein: Die Bedeutung der öffentlichen Hand als Erstabnehmer von Pfandbriefen und Kommunalobligationen ging in den Jahren 1953/54 stark zurück. Dies war politisch erwünscht und ein Zeichen der Normalisierung. Die Unternehmen, insbesondere die Kreditinstitute, wurden als Wertpapierkäufer dagegen immer wichtiger. Dies hatten die Schöpfer des Kapitalmarktförderungsgesetzes zwar beabsichtigt, aber es war kein Zeichen der Normalisierung, da Unternehmen und Kreditinstitute ihre liquiden Mittel üblicherweise nicht in großem Ausmaß in langfristigen Wertpapieren anlegen und keine dominierende Stellung am Wertpapiermarkt einnehmen. 1953 erwarben sie nicht weniger als die Hälfte aller festverzinslichen Wertpapiere und 1954 waren sie mit einem Anteil von ca. 70 Prozent mit großem Abstand die Hauptabnehmer. Die Kreditinstitute kauften vor allem steuerbefreite Wertpapiere, also öffentliche Anleihen, Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen, während Wirtschaftsunternehmen und Lebensversicherungen bevorzugt höherverzinsliche, mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegte Industrieobligationen erwarben. Der Erstabsatz an Private stieg im Vergleich zur Zeit vor dem Kapitalmarktförderungsgesetz nur vorübergehend gering an; 1954 nahm er sogar wieder von zehn (1953) auf sieben Prozent des gesamten Erstabsatzes ab. In welchem Umfang Privatanleger festverzinsliche Wertpapiere aus dem Bestand der Kreditinstitute übernahmen, ist nicht bekannt. Man ging davon aus, dass der Anteil der Privathaushalte auch bei Berücksichtigung ihrer Wertpapierkäufe über den Bankschalter nicht deutlich höher ausfiel. Selbst bei einer angenommenen Verdopplung ihres Anteils wäre die Bedeutung der Privatanleger mit 20 bzw. 14 Prozent im Vergleich zu früheren Jahren nur gering gewesen.7 Von den 1953 abgesetzten festverzinslichen Wertpapieren waren 84 Prozent gänzlich von der Steuer befreit, ihr Volumen umfasste 2.435,3 Mio. DM. 1954 waren es 72 Prozent (3.358,9 Mio. DM). Die restlichen Emissionen unterlagen der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer. Bei Pfandbriefen waren 1953 (1954) 90 6 7
Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948-1954, Tab. 3, S. 234. Für die zweite Hälfte der Zwanzigerjahre wurde der Anteil der Privatanleger auf ca. 70 Prozent geschätzt, für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf ca. 90 Prozent. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 125.
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VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
Prozent der Emissionen steuerbefreit (92 Prozent), bei Kommunalobligationen 81 Prozent (91 Prozent), bei Industrieobligationen 36 Prozent (10) und bei öffentlichen Anleihen 99 Prozent (52).8 Von der Möglichkeit der Steuerbefreiung der Wertpapiererträge wurde also in umfassendem Maße Gebrauch gemacht. Bei den Industrieobligationen und den öffentlichen Anleihen gab es die markantesten Änderungen: Wurden Industrieobligationen und Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände 1953 noch oft bzw. nahezu ausschließlich als steuerfreie Papiere ausgegeben, so wurden sie nach Ablauf des KVG seit Januar 1954 generell nicht mehr mit dem Privileg der Steuerfreiheit emittiert. Bund und Länder verzichteten ab Anfang 1954 freiwillig auf die Steuerbefreiung ihrer Anleihen, wie unten auszuführen sein wird; damit war die Steuerfreiheit der Wertpapiererträge im Jahr 1954 ein Alleinstellungsmerkmal der Pfandbriefe und Kommunalobligationen des sozialen Wohnungsbaus. Auf den ersten Blick lässt sich also feststellen, dass die Auflage und der Absatz von festverzinslichen Wertpapieren unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz erheblich anstiegen. Ganz offensichtlich trug die Steuerbefreiung bzw. begünstigung der Wertpapiererträge massiv zu diesem Ergebnis bei. Es waren vor allem Kreditinstitute und Wirtschaftsunternehmen, die zu einer verstärkten Anlage ihrer Mittel auf dem Wertpapiermarkt angeregt wurden, während sich der Staat als Wertpapierkäufer langsam zurückzog. Größter Profiteur des gesteigerten Wertpapierabsatzes war der soziale Wohnungsbau, der prompt mit ca. 350.000 Wohneinheiten (neu errichtete Wohnungen insgesamt: 475.000) 1953 das beste Nachkriegsergebnis erzielen konnte.9 Ein primäres Ziel des Gesetzes, nämlich die privaten Anleger, insbesondere Bezieher höherer Einkommen, verstärkt für den Erwerb von Wertpapieren zu interessieren, wurde hingegen nicht erreicht. Aktien, die generell im Rahmen des Kapitalmarktförderungsgesetzes keine steuerliche Förderung erfuhren, vielmehr hinsichtlich der erzielbaren Renditen weiter hinter die Festverzinslichen zurückfielen, kamen 1953 auf ein Emissionsvolumen von 286,9 Mio. DM; 1954 stieg die Auflage auf 498,5 Mio. DM. Sie hatten damit einen Anteil am Primärmarkt von 8,4 bzw. 10,0 Prozent. Aktien wurden weiterhin zum überwiegenden Teil von Konzerngesellschaften und Großaktionären fest übernommen und nicht einmal zehn Prozent der Neuemissionen waren zum Emissionszeitpunkt für die Platzierung am Markt vorgesehen; tatsächlich abgesetzt werden konnten im Publikum nur weniger als fünf Prozent.10 Dies 8 9
Statistisches Handbuch der BdL 1948-1954, S. 234, Tab. 4. 1953 gingen mit einem Investitionsaufwand von knapp sieben Mrd. DM mehr als fünf Prozent des Bruttosozialprodukts in den Wohnungsbau. 23 Prozent der Anlageinvestitionen und 45 Prozent der gesamten Bauleistungen entfielen auf Wohnungen. Der Bundesminister für Wohnungsbau, Wohnungsbau 1952/53; Ergebnis und Merkmale, 15.1.1954, Anlage 2 zum Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Bau- und Bodenrecht vom 19.1.1954 – PA, 2. Wahlperiode/ 32. Ausschuss. 10 Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953; Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611.
VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
305
bedeutete, dass sich die Konzentration des Aktienbesitzes weiter verstärkte. Dabei hatten sich die Rahmenbedingungen für eine „Normalisierung“ des Aktienmarktes eigentlich verbessert: Zwar hatte sich nach der Koreakrise bei den Aktienbesitzern wieder die Renditeorientierung gegenüber dem Sachwertdenken durchgesetzt, so dass die Aktienkurse angesichts der zu erwartenden niedrigen Renditen von Januar 1952 bis Mitte 1953 deutlich sanken und im Durchschnitt wieder unter pari rutschten. Aber eine Reihe von günstigen Umständen sorgte ab Mitte 1953 für eine Erholung der Kurse: Die DM-Eröffnungsbilanzen zeigten eine unerwartet hohe Kapitalausstattung der Unternehmen; aufgrund steigender Kurse der Sperrmark nahmen die Aktienkäufe aus dem Ausland zu;11 die Ertragsentwicklung der Unternehmen war im Umfeld einer robusten Konjunktur günstig und ließ nach Beseitigung der Dividendenabgabeverordnung steigende Ausschüttungen erwarten; die Senkung der Körperschaftsteuer auf ausgeschüttete Gewinne von 60 auf 30 Prozent im Rahmen der „kleinen Steuerreform“ vom Juni 1953 sorgte für steigende Renditeerwartungen; das gute Abschneiden der Regierungskoalition bei den Bundestagswahlen im September 1953 schließlich ließ staatliche Fördermaßnahmen zugunsten des Aktienmarktes erwarten.12 Die Kursverluste der vorangegangenen anderthalb Jahre konnten bis Ende 1953 wettgemacht werden und der Aktienmarkt ging anschließend in eine lebhafte Hausse über, die das Durchschnittsniveau der Aktienkurse von 97 Prozent Anfang 1954 auf 167 Prozent Ende 1954 ansteigen ließ; im Oktober 1954 hatten von den 668 börslich notierten Titeln 512 Werte mit einem Anteil von 94 Prozent des erfassten Gesamtkapitals einen höheren Kurs als 100. Zusätzliche Kurstreiber waren die Senkung des Diskontsatzes auf drei Prozent, dem niedrigsten Niveau seit 1905, sowie das Auslaufen des Kapitalmarktförderungsgesetzes am 31. Dezember 1954, das ein Ende der den Rentenmarkt bevorzugenden Steuerbegünstigungen bedeutete. Im Vergleich zum Vorjahr verdreifachten sich 1954 an den Aktienbörsen die Umsätze.13 Insgesamt erhöhte sich unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz der Anteil des Wertpapiererwerbs nichtöffentlicher Stellen an der Aufbringung aller langfristiger Finanzierungsmittel deutlich: Die Wertpapierkäufe von Unternehmen, Finanzinstituten und privaten Haushalten hatten 1952 einen Anteil von 7,6 Prozent, 1953 von 12,1 Prozent und 1954 von 19,9 Prozent. Die öffentlichen Finanzierungsmittel nahmen absolut zwar weiter zu, stiegen aber deutlich langsamer als die privaten Kapitalmarktmittel. 11 Im Ausland war das Zinsniveau deutlich niedriger als in der Bundesrepublik. Zudem wurde die Rückerstattung der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer für Devisenausländer durch eine Ergänzungsverordnung vom 31. Juli 1953 möglich gemacht, so dass sich beispielsweise die Nettoverzinsung der Industrieobligationen für die ausländischen Anleger auf etwa 7,5 Prozent belief. Dass sich das Engagement des Auslands am deutschen Rentenmarkt aber in Grenzen hielt, war ebenfalls auf die hohen Zinsen zurückzuführen, die als Risikoprämien wahrgenommen wurden und das Misstrauen gegenüber den westdeutschen Finanzverhältnissen widerspiegelten. Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 59 f. 12 Dorner, Industriefinanzierung, S. 88, 112 f.; Röhl, Entwicklung, S. 113 ff. 13 Röhl, Entwicklung, S. 116 f.
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Aufbringung langfristiger Finanzierungsmittel (ohne Selbstfinanzierung und statistisch nicht erfasste Kredite) (in Mrd. DM)14 1952 1953 1954 3,55 6,55 8,11 1. Kapitalmarktmittel a) Wertpapierkäufe ( Banken, 0,83 1,75 3,43 a Unternehmen, Privaten) b) Kapitalanlagen der Lebens- und 0,71 1,00 1,26 Sachversich. c) Kapitalauszahlungen der 0,41 0,66 1,09 Bausparkassen d) Sonstige Kredite von Unternehmen 1,60 3,14 2,33 b und Privaten 6,25 7,09 8,78 2. Mittel aus öffentlichen Haushalten a) Investitionsausgaben der 4,70 5,27 5,94 Gebietskörperschaften aus regulären Einnahmen b) Soforthilfe/ Lastenausgleichsfonds 0,79 1,03 1,00 c) Kapitalanlagen der 0,76 0,79 1,84 Soz.versicherungen 3. Öffentliche Sonderprogramme 0,87 0,84 0,22 a) weitergeleitete Gegenwertmittel 0,55 0,34 0,12 b) Kredite im Rahmen der Investitions0,32 0,50 0,10 hilfe 10,67 14,48 17,12 Insgesamt a ohne Wertpapierabsatz an öffentliche Haushalte und öffentliche Versicherungen b Postition der BdL-Bankenstatistik „mittel- und langfristige Kredite an Nichtbanken“ abzüglich der auf dem Absatz von Bankschuldverschreibungen beruhenden Bankkredite, der über Banken geleiteten öffentlichen Haushalts-, Gegenwert- und Investitionshilfemittel (geschätzt)
VII. 2. KRITIK AM KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZ Trotz der auf den ersten Blick erfolgreichen Entwicklung des Wertpapierabsatzes unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz wurde bereits kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes in Politik- und Wirtschaftskreisen Kritik laut, die sich nicht nur auf einzelne Aspekte der steuerlichen Begünstigungen erstreckten, sondern die Förderung insgesamt in Frage stellten. Zu viele Beteiligte sahen Nachteile und sogar Gefährdungen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, während die Durchsetzung von marktwirtschaftlich orientierten Prinzipien nur in Ansätzen gelang. Es offenbarte sich der Charakter des Gesetzes als allseits ungeliebte und nur vorübergehend akzeptierte Kompromisslösung, die schon bald zu neuen Reformbemühungen Anlass gab.
14 Ebd., S. 126.
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VII. 2. 1. Zögerliche Aufgabe des Dirigismus Unter dem revidierten KVG war eine Neuorientierung in der Emissionskontrolle zunächst nicht erkennbar. Zwar zeigten sich Scharnberg, die BdL und das Bundeswirtschaftsministerium überzeugt, dass durch die Neufassung des KVG „der Kapitalmarkt freigegeben“ und mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz eine neue Phase der Kapitalmarktpolitik eingeläutet worden sei. Allein sie beklagten, dass der Kapitalverkehrsausschuss und auch die Emittenten von dieser neuen Freiheit keinen Gebrauch machten. Die bloße Fortexistenz des Kapitalverkehrsausschusses veranlasste die Emittenten offenbar zu der Annahme, dass auch in Zukunft nur solche Emissionen genehmigt werden würden, die den seit 1950 geltenden Richtlinien entsprachen. Im März 1953 forderte der ZBR, dass der Kapitalverkehrsausschuss in der Frage des Zinssatzes und des Ausgabekurses endlich von der bisherigen starren Handhabung abrücken und großzügiger verfahren solle.15 Wenig später machte der Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, Alfred Müller-Armack, seine Absicht deutlich, die im KVG vorgesehenen „gesetzlichen Möglichkeiten der marktlichen Zinsgestaltung nunmehr auch tatsächlich zu effektuieren“16 und der stillschweigenden Unterstellung eines fortdauernden Dirigismus entgegenzuwirken. Wie umstritten die Ausübung der Emissionskontrolle im Kapitalverkehrsausschuss war, zeigte sich, als im Laufe des Jahres 1953 eine Flut von Emissionsanträgen für steuerfreie Wertpapiere beim Kapitalverkehrsausschuss einging: Einige Mitglieder des Ausschusses sprachen sich dafür aus, erneut eine Kontingentierung der Emissionen vorzunehmen, um so ein Überangebot zu vermeiden und einem Wiederaufleben von „grauen Märkten“ entgegenzuwirken. Sie waren bereit, Emissionen von Aktien, Industrieobligationen und öffentlichen Anleihen weiterhin ohne Einschränkung zu genehmigen, aber bei Pfandbriefen und Kommunalobligationen wollten sie zunächst nur ein Drittel des jeweils beantragten Emissionsvolumens zur Auflegung freigeben. Erst wenn diese Tranche sicher untergebracht war, wollten sie die Ausgabe der nächsten erlauben.17 Sie machten den Realkreditinstituten – ganz zu Recht – zum Vorwurf, „auf Vorrat“ größere Emissionen zu beantragen, als sie tatsächlich zur Refinanzierung ihrer Kredite benötigten, um sich mit Emissionsgenehmigungen einzudecken. Die Realkreditinstitute wurden zu diesem Verhalten durch Diskussionen veranlasst, die – wie unten darzustellen sein wird – schon wenige Monate nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes in den zuständigen Bundesressorts aufkamen und die Aussetzung der Steuerfreiheit für festverzinsliche Wertpapiere zum Thema hatten. Die Diskussion gelangte in die Öffentlichkeit und weckte bei den Emit-
15 Protokoll der 141. ZBR-Sitzung vom 18.3.1953 – BBk HA, B 330/66. 16 Schreiben Müller-Armack an Scharnberg vom 20.5.1953; Schreiben Vocke an Erhard vom 6.7.1953 – B 102/12663/1. 17 Protokollentwurf der 149. ZBR-Sitzung am 8.7.1953 – BBk HA, B 330/70.
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tenten die Befürchtung, dass es mit der Steuerbegünstigung ihrer Wertpapiere schon bald wieder vorbei sein könnte.18 Bezüglich der Fortsetzung einer Emissionskontingentierung unter den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen war der Kapitalverkehrsausschuss gespalten: Die Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, der BdL und zweier Bundesländer sprachen sich dagegen aus; die Vertreter des Bundesfinanzministeriums und der – dem Bundesfinanzministerium unterstehenden – KfW befürworteten eine Beschränkung des Emissionsvolumens und wurden dabei vom Verband privater Hypothekenbanken und vom Bundesverband des privaten Bankgewerbes unterstützt.19 Besonders vehement wandte sich der ZBR gegen eine „Rationierung“ des Emissionsangebots, die seiner Ansicht nach nicht zu einer Entspannung des Wertpapiermarktes führen, sondern lediglich die Emittenten zu überhöhten Emissionsanträgen verleiten würde. Es lag in der Tat nahe, dass die Realkreditinstitute die Kontingentierung in ihre Planungen einbeziehen und von vornherein einen höheren Emissionsbetrag veranschlagen würden, als für ihr Kreditgeschäft notwendig gewesen wäre. Der ZBR machte keinen Hehl daraus, dass er den Kapitalverkehrsausschuss als ein Residuum aus der Zeit des Dirigismus betrachtete, das nicht mehr zur gegenwärtigen Kapitalmarktpolitik passte. Er sprach ihm rundweg die Berechtigung ab, Marktentwicklungen weiterhin durch direkte administrative Eingriffe zu beeinflussen: Gemäß dem Wortlaut des neuen KVG durfte der Ausschuss beantragte Neuemissionen ja nur dann ablehnen, wenn „eine nachhaltige Störung des Kurs- und Zinsgefüges am Kapitalmarkt“ zu befürchten war. Ein „marktgerechtes“ Kursgefüge konnte sich nach Auffassung des ZBR aber gar nicht erst bilden, wenn der Marktzutritt beschränkt wurde. Ein Überangebot an Neuemissionen wollte der ZBR vorübergehend in Kauf nehmen, da ein dadurch entstehender Kursdruck lediglich darauf hingewiesen hätte, dass die Verzinsung nicht marktgerecht war. Die BdL wollte also endlich durchsetzen, dass sich – unter den Voraussetzungen der gestaffelten Ertragsteuern – ein durch Angebot und Nachfrage bestimmtes Kurs- und Zinsniveau etablierte.20 Obwohl sich die Indizien verdichteten, dass die Realkreditinstitute mehr Pfandbriefe und Kommunalobligationen emittierten als es ihr Aktivgeschäft erforderte, kam es zu keiner Beschränkung der Emissionen. Die Argumente des ZBR verpufften vorerst ohne nennenswerte Wirkungen. Dies lag vor allem daran, dass die Bundesregierung und insbesondere Bundeskanzler Adenauer im Vorfeld der Bundestagswahl, die im September 1953 stattfinden sollte, keine Einschränkung der Wohnungsbaufinanzierung riskieren wollte. Adenauer forderte gar, das ambitionierte Wohnungsbauprogramm für das Jahr 1953, das den Bau von 300.000 Wohnungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus und die Errichtung von 100.000 frei finanzierten, durch Steuerbegünstigungen geförderten Wohnungen vorsah, größtenteils bereits vor der Wahl bis zum Sommer durchzu18 Röhl, Entwicklung, S. 101, 122 f. 19 Protokolle der 148. ZBR-Sitzung vom 24.6.1953 und der 149. ZBR-Sitzung vom 8.7.1953 – BBk HA, B 330/70; Schreiben Vocke an Erhard vom 6.7.1953 – B 102/12663/1. 20 Protokoll der 148. ZBR-Sitzung vom 24.6.1953 – BBk HA, B 330/70.
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führen. Der Wohnungsbau war ein ausschlaggebendes Wahlkampfthema, das breite Massen anging und viele Wählerstimmen einbringen bzw. kosten konnte.21 Unmittelbar nach der Bundestagswahl kam der Kapitalverkehrsausschuss auf die Problematik zurück und machte darauf aufmerksam, dass der Bedarf an erststelligen Hypotheken für das laufende Jahresprogramm mit den bewilligten Pfandbriefemissionen bereits voll abgedeckt sei. Das Ausmaß der Antragsflut hatte mittlerweile alle Ausschussmitglieder davon überzeugt, dass die Genehmigung weiterer Emissionen eingeschränkt werden müsse, um zu verhindern, dass die Wohnungsbaugesellschaften dazu übergingen, sich auf Kosten anderer Wirtschaftsbereiche bereits für das Jahr 1954 vorzufinanzieren.22 Der Ausschuss konnte seine Argumentation anhand der Bilanzdaten der Realkreditinstitute untermauern, die eine zunehmende Diskrepanz zwischen der Kreditvergabe auf der Aktivseite und dem Eingang der Emissionserlöse auf der Passivseite aufwiesen: Da die Institute nicht so schnell Kredite vergeben konnten, wie anlagebereite Gelder einströmten, stieg die Ersatzdeckung der Realkreditinstitute weit über das gesetzlich erlaubte Maß bis auf einen Rekordstand von 33 Prozent an; das waren weit über eine Mrd. DM. Zudem staute sich bei den Instituten bis Mai 1954 ein Bestand an aufgelegten, aber noch nicht untergebrachten Wertpapieren in Höhe von mehr als 1,4 Mrd. DM an.23 Auch wenn das Hypothekengeschäft im sozialen Wohnungsbau es erforderte, dass die Refinanzierung von Bauprojekten schon Monate vor der Kreditauszahlung sichergestellt werden musste, konnte ein solcher Überhang nicht mehr mit vorausschauender Geschäftspolitik begründet werden. Da die Realkreditinstitute einen Großteil des aufgebrachten Kapitals nicht in Form langfristiger Kredite weiterleiteten, sondern in liquide Anlagen steckten, floss das Kapital auf den Geldmarkt ab. Dies war genau das Gegenteil dessen, was der Gesetzgeber mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz angestrebt hatte, nämlich Mittel des liquiden Geldmarkts auf den Kapitalmarkt umzuleiten.24 Trotz der eindeutigen Belege kritisierte der amtierende Bundeswohnungsbauminister Fritz Neumayer (FDP)25 die Forderung nach einer Emissionskontingentierung vehement. Er war – ebenso wie seine Länderkollegen – der Auffassung, dass die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus „aufs ärgste gefährdet“ würde,
21 Protokoll der 280. Kabinettssitzung vom 6.3.1953, TOP 6 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 22 Schreiben Neumayer an Erhard vom 14.9.1953 – BA Ko, B 126/51541. 23 Stenograph. Bericht über die 169. ZBR-Sitzung vom 19.5.1954 – BBk HA, B 330/77; Schreiben des Bundesrats an Erhard vom 20.7.1954 – BBk HA, B 330/3157; BdL, GB 1954, S. 62. 24 Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt, S. 157. 25 Fritz Neumayer übernahm nach dem plötzlichen Tod Wildermuths zwischen Juli 1952 und Oktober 1953 die Leitung des Bundeswohnungsbauministeriums. Nach der Bundestagswahl 1953 wurde er Bundesjustizminister. Seine wohnungspolitischen Überzeugungen deckten sich weitgehend mit denjenigen seines Vorgängers, zielten also auf eine stärker marktwirtschaftlich orientierte Baupolitik und eine Rückführung der Subventionen. Vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 195 ff.
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wenn die Emission von Sozialpfandbriefen eingeschränkt würde.26 Er betonte in diesem Zusammenhang wiederholt, dass er grundsätzlich anstrebe, in der Wohnungswirtschaft marktwirtschaftliche Prinzipien anzuwenden, „auf eine echte Kostenmiete hinzusteuern“ und so die „Wirtschaftlichkeit des Hausbesitzes“ zu erhöhen, um vermehrt privates Kapital für den Wohnungsbau zu interessieren. Er wies darauf hin, dass in seinem Hause bereits Untersucherungen darüber durchgeführt würden, wie die Bindung der Mieten aufgelockert und das Subventionsverfahren zur Entlastung der öffentlichen Haushalte abgewandelt werden könnte. Diese Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen. Daher sei eine Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft zwar ein „Fernziel“, aufgrund der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage vorläufig aber unmöglich. Es sei damit auch weiterhin notwendig, die steuerliche Förderung und die uneingeschränkte Emission der Sozialpfandbriefe aufrecht zu erhalten, um die „optimalen Wohnungsbauleistungen“ nicht zu beeinträchtigen. Daraufhin wurde einmal mehr das Ansinnen des Ausschusses zugunsten des sozialen Wohnungsbaus zurückgestellt.27 Erst im Sommer 1954 kam es schließlich zu einer Einschränkung der immer weiter ausufernden Emissionen. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits beschlossene Sache, dass die steuerliche Begünstigung der Wertpapiererträge am 31. Dezember 1954 enden sollte. Bei den Realkreditinstituten führte diese Aussicht zu einer regelrechten „Torschlusspanik“, in der sie zahlreiche neue Emissionen beantragten.28 Daraufhin setzte Bundeswirtschaftsminister Erhard mit Zustimmung seiner Kabinettskollegen und der BdL im August 1954 ein Kontingent für Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen in Höhe von 400 Mio. DM fest, das noch bis Jahresende genehmigt werden durfte.29 VII. 2. 2. Erstarrung des Zinsgefüges Kurz nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes wollte das Bundeswirtschaftsministerium die Emittenten ermutigen, den Rentenmarkt mit verschiedenen Varianten von Wertpapierkonditionen abzutasten. Doch änderten sich die Nominalzinsen und Ausgabekurse während der gesamten Laufzeit des Gesetzes nur moderat. Den ersten Anstoß gab die 5-prozentige steuerfreie 26 Neumayer sagte, dass laut Berechnungen seines Hauses im erststelligen Bereich noch Hypotheken im Volumen von 180 Mio. DM fehlten. Schreiben Neumayer an Erhard vom 14.9.1953 – BA Ko, B 126/51541. 27 Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen und des Ausschusses für Bau- und Bodenrecht vom 2.9.1952 – PA, 1. Wahlperiode/ 18. Ausschuss; Protokoll der 280. Kabinettssitzung vom 6.3.1953, TOP 6; Protokoll der Sondersitzung des Bundeskabinetts vom 10.7.1953, TOP 1 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 28 Stenograph. Bericht über die 173. ZBR-Sitzung vom 28.7.1954 – BBk HA, B 330/78. 29 Protokoll der 173. ZBR-Sitzung vom 28.7.1954 – BBk HA, B 330/78; Protokoll der 179. ZBR-Sitzung vom 20.10.1954 – BBk HA, B 330/80.
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Bundesanleihe vom Dezember 1952: Ihre Attraktivität beruhte – außer auf dem steuerfreien Zins, der auf dem Niveau der Sozialpfandbriefe lag – vor allem auf ihrer kurzen Laufzeit von nur fünf Jahren, die eine Emissionsrendite von ca. 5,5 Prozent bedeutete. Die kurze Zeitspanne gab der Anleihe den Charakter eines mittelfristigen Papiers und kam der weit verbreiteten Aversion der Anleger gegen langfristige Bindungen entgegen. Nach Auflegung der Bundesanleihe und ähnlicher kurzfristiger Länderanleihen gerieten die Kurse der übrigen Wertpapiere unter Druck und der Absatz von Pfandbriefen, Kommunalobligationen und Industrieobligationen stockte. Die Emittenten mussten reagieren und die Renditen ihrer Papiere ebenfalls erhöhen: Die Realkreditinstitute konnten die Laufzeiten ihrer 5-prozentigen Pfandbriefe bzw. Kommunalobligationen (Emissionsrendite ca. 5,1 Prozent) unmöglich auf das Niveau der Bundesanleihe verkürzen, da diese mit den aus den Emissionserlösen finanzierten langfristigen Darlehen abgestimmt sein mussten und daher keine Fristentransformation möglich war. Sie versuchten folglich, den Absatz ihrer Emissionen zunächst durch eine Senkung der Ausgabekurse – bis auf 93 Prozent im Mai/Juni 1953 – sicherzustellen. Seit August 1953 genehmigte der Kapitalverkehrausschuss auch Sozialpfandbriefe, die bei Ausgabekursen von 97 bis 99 Prozent mit 5,5 Prozent verzinst waren. Der Nominalzins von Pfandbriefen, die für Bauprojekte außerhalb des sozialen Wohnungsbaus Verwendung fanden und mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegt waren, stieg von sieben auf 7,5 Prozent; in wenigen Fällen wurden auch 8-prozentige Pfandbriefe emittiert.30 Die Unternehmen reagierten ebenfalls auf die kurze Laufzeit der Bundes- und nachfolgenden Länderanleihen, um den Absatz ihrer mit 30-prozentiger Kapitalertragsteuer belegten Industrieobligationen, die Laufzeiten von zehn Jahren und mehr hatten, zu sichern. Sie brachten ihre Anleihen nun mit einem Nominalzins von acht Prozent und einem Emissionskurs von 98 Prozent auf den Markt, was (bei regulärer Laufzeit) einer Nettorendite von 5,6 Prozent entsprach. Zusätzlich versahen sie ihre Anleihen mit der so genannten „Degussa-Klausel“. Diese räumte den Gläubigern die Möglichkeit ein, die Anleihe schon nach relativ kurzer Frist, die sich in der Regel auf fünf bis acht Jahre erstreckte, zum Parikurs zu kündigen. Es handelte sich also de facto um ein mittelfristiges Finanzierungsinstrument mit Kursgarantie. Angesichts des Zinssatzes und der Kündigungsmöglichkeit fanden die „Degussa-Obligationen“ reibungslosen Absatz und waren regelmäßig überzeichnet.31 Der „Degussa-Typ“ kam jedoch nur für Unternehmen mit erstklassiger Bonität in Frage, die ohnehin kapitalkräftig genug waren, um nach wenigen Jahren – in denen sich die mit dem Anleihekapital finanzierten Investitionen in der Regel 30 Vermerk (Gocht) vom 15.8.1953 – BA Ko, B 102/12663/1; Vermerk vom 18.5.1954 betr. Rundfunkinterview des Herrn Ministers in Hamburg – BA Ko, B 126/6208; vgl. Biber, Kapitalmarktreform, S. 308 ff. 31 Vermerk (Pittroff, Steinberg) vom 8.9.1953 betr. Künftige Kapitalmarktpolitik – BA Ko, B 126/6208; vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 29, 32, 48; Dorner, Industriefinanzierung, S. 146 f.
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noch nicht amortisiert hatten – eine Anschlussfinanzierung sicherzustellen und die Rückzahlung vorzunehmen. Emittierende Unternehmen waren neben der Degussa etwa Bosch, Mannesmann, Deutsche Linoleum und Esso.32 Die große Mehrzahl der Unternehmen war dazu jedoch nicht in der Lage. Deswegen geriet der „Degussa-Typ“ auch bei den Politikern in die Kritik, die zudem die Neigung der Anleger zu kurzfristigen Engagements am Wertpapiermarkt nicht weiter fördern wollten. Da sich die Absatzlage verbesserte und die öffentliche Hand sich ab Ende 1953 in seiner Emissionstätigkeit zurückhielt, konnte seit Herbst 1953 auf das vorzeitige Kündigungsrecht verzichtet werden.33 Die Liquidität am Geldmarkt, die der ZBR angesichts der stabilen Preissituation nicht mit geldpolitischen Instrumenten bekämpfte, verbunden mit der Herabsetzung der Habenzinsen im Juni 1954 und der Senkung des Diskontsatzes auf drei Prozent im Mai 1954 sorgte für ein deutliches Zinsgefälle zwischen dem Geld- und dem Kapitalmarkt. Tatsächlich strömten verstärkt Mittel vom Geld- auf den Rentenmarkt, wo seit der zweiten Jahreshälfte 1954 die Kurse spürbar anzogen.34 Ausgewählte Wertpapierkurse 1952–1955 (Jahresdurchschnitt)35 5%-Bundesanleihe 5%-Pfandbrief 5%-Kommunalobl. 5,5%-Pfandbrief 8%-Industrieobligation
1952 98,0 97,9 -
1953 100,3 96,6 96,6 98,7 98,0
1954 102,6 96,3 97,0 99,5 101,9
1955 102,7 101,0 100,9 102,1 104,8
Die Kursanstiege betrafen zunächst die öffentlichen Anleihen, die aufgrund ihrer kurzen Laufzeiten von den Kreditinstituten bevorzugt wurden und daher besonders vom Geldmarkt abhingen, und die Industrieobligationen. Anschließend ging die Entwicklung auch auf die Pfandbriefe und Kommunalobligationen über. Der Nominalzins für Industrieobligationen mit 30-prozentiger Kapitalertragsteuer sank bei Neuemissionen von acht auf sieben Prozent und die Ausgabekurse für 5prozentige steuerfreie Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen konnten
32 Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 – BA Ko, B 102/28611; Liste aller Industrieobligationen in: Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform. 33 Im Oktober 1953 konnte die Badenwerk AG eine Anleihe ohne die Degussa-Klausel am Vormittag des ersten Zeichnungstages voll unterbringen. Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/28611; vgl. auch Röhl, Entwicklung, S. 100; Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 77. 34 Der ZBR hatte die Diskontsenkung unter anderem mit der Hoffnung verbunden, dass die Zinsen für Termineinlagen sinken würden und auf diese Weise für die Anleger ein stärkerer Reiz bestehen würde, von Einlagen auf Wertpapieranlagen umzusteigen. Protokoll der 170. ZBR-Sitzung vom 2.6.1954 – BBk HA, B 330/77; Niederschrift über die 172. ZBR-Sitzung am 30.6.1954 – BBk HA, B 330/78K; vgl. Dickhaus, Bundesbank, S. 202. 35 Stat. JB für die Bundesrepublik Deutschland 1956, S. 356.
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wieder auf 99 bis 100 Prozent angehoben werden.36 Letzteres erfolgte im zweiten Halbjahr 1954 auf Drängen der Bundesregierung, die vor Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes ein niedrigeres Zinsniveau am Rentenmarkt etablieren wollte, um nach Wegfall der steuerlichen Begünstigungen weiterhin ein moderates Zinsniveau zu ermöglichen. Daher genehmigte der Bundeswirtschaftsminister seit August 1954 auch keine Emissionsanträge mehr für Sozialpfandbriefe mit 5,5 Prozent Nominalzins.37 Auch wenn einige Mitglieder des Kapitalverkehrsausschusses ihre gesetzlich übertragene Aufgabe, „Störungen des Zinsgefüges zu verhindern“, rigide interpretierten, war es weniger das aktive Wirken des Ausschusses, das die Zinsentwicklung am Rentenmarkt einschränkte.38 Diesen Zustand gab vielmehr das Kapitalmarktförderungsgesetz selbst vor. Der Nominalzins für steuerbefreite Pfandbriefe und Kommunalobligationen war am Finanzierungsmodell des sozialen Wohnungsbaus ausgerichtet, das wiederum auf der gesetzlich festgelegten Richtsatzmiete basierte: Jede Nominalzinserhöhung beim Sozialpfandbrief musste – da die Mieteinnahmen gesetzlich fixiert waren – zu höheren Kosten bei der erststelligen Hypothek und damit zu größeren Subventionen im sozialen Wohnungsbau führen. Zu einer Ausweitung der Subventionszahlungen war der Bundesfinanzminister jedoch nicht bereit, so dass die Realkreditinstitute de facto keine Möglichkeit besaßen, den Pfandbriefzins nennenswert anzuheben, ohne den sozialen Wohnungsbau massiv einzuschränken. Da sich die Verzinsung aller übrigen Rentenwerte gemäß der Konstruktion des Kapitalmarktförderungsgesetzes an der Nettorendite der steuerbefreiten Sozialpfandbriefe orientierte, war der Gestaltungsspielraum für den gesamten Wertpapiermarkt nur gering. Wurde der Sozialpfandbrief zunächst dafür verantwortlich gemacht, dass die Zinsen trotz starker Kapitalnachfrage nicht ansteigen konnten, so kehrte sich die Kritik seit 1954 um: Nun vermehrten sich die Klagen, dass der Sozialpfandbrief einer allgemeinen Zinssenkung im Wege stehe.39 Denn die hohe Liquidität des Geldmarktes, der permanent durch hohe Handelsbilanzüberschüsse gespeist wurde, hätte – bei gleichbleibender Inanspruchnahme des Rentenmarktes – durchaus zu noch stärkeren Kursanstiegen führen und so eine ausgeprägtere Zinssenkung einleiten können. Doch sorgte ein immer weiter ausuferndes Angebot an steuerfreien 5-prozentigen Pfandbriefen dafür, dass sich eine generelle Zinssenkung nicht durchsetzen konnte; das Zinsniveau wurde aufgrund der Kapitalhortung der Realkreditinstitute zementiert. Die grundlegende Charakteristik des Wertpapiermarktes blieb damit auch unter den neuen Rahmenbedingungen bestehen: Der Wertpapiermarkt blieb von den gesetzlichen Bestimmungen zum sozialen Wohnungsbau abhängig und der Wertpapierzins spiegelte nicht das
36 Röhl, Entwicklung, S. 122. 37 Rundschreiben Erhard an alle privaten und öffentlich-rechtlichen Realkreditinstitute vom 20.8.1954 – BBk HA, B 330/79. 38 Rieger, Hypothekar- und Pfandbriefinstitute, S. 100 f. 39 Stenograph. Bericht über die 234. ZBR-Sitzung vom 10.1.1957 – BBk HA, B 330/99.
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Verhältnis von Nachfrage und Angebot wider, so dass er nicht als Gradmesser für die Rentabilität der vorgesehenen Investitionen dienen konnte. Die Unternehmen hätten vermutlich mehr Industrieobligationen unterbringen können, wenn sie ihre Emissionsbedingungen großzügiger gestaltet hätten. Auch wenn die Zinsbelastung der Industrie immer wieder als zu hoch bezeichnet wurde,40 hätte eine Vielzahl von Unternehmen angesichts der günstigen Gewinnaussichten durchaus einen Zins oberhalb von acht Prozent tragen können – zumal sie die Zinskosten steuerlich voll absetzen konnten. Aber einerseits hätte dies der Kapitalverkehrsausschuss nicht erlaubt, da dadurch die Nettorendite des Sozialpfandbriefs übertroffen worden wäre; andererseits verhielten sich die Unternehmen selbst abwartend, da mittelfristig ein Sinken der Anleihezinsen möglich schien. Immer noch erlaubten es die Ertragslage und die steuerlichen Begünstigungen der Selbstfinanzierung den Unternehmen, ihre Investitionen zum größten Teil durch Innenfinanzierung zu bestreiten. Wenn dies nicht ausreichte, dienten kurzfristige Bankkredite zur Überbrückung; Unternehmen erster Bonität konnten auf Schuldscheindarlehen zurückgreifen.41 VII. 2. 3. Hohe Marktanteile der öffentlichen Hand und des sozialen Wohnungsbaus Die Verteilung der aufgelegten Emissionen deutet auf ein weiteres Problem hin, das mit dem Regelwerk des Kapitalmarktförderungsgesetzes verbunden war. Es wurde bereits gezeigt, dass die Realkreditinstitute durch die Ertragsteuerfreiheit dazu verleitet wurden, den Wertpapiermarkt mit einer überhöhten Zahl von Pfandbriefemissionen zu belasten. Bei der anderen Gruppe steuerbefreiter Wertpapiere, den öffentlichen Anleihen, war es ähnlich. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens hatten die Wirtschaftsverbände den Verdacht geäußert, dass der Staat mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz vor allem die Absicht verfolge, sich Vorteile auf dem Wertpapiermarkt zu verschaffen. Dies war von den zuständigen Spitzenpolitikern stets bestritten worden. Nun aber schien es sich zu bestätigen, da sich der Staat augenscheinlich Emissionen „auf Vorrat“ sicherte:42 Als der Bund noch im Dezember 1952 eine steuerfreie Anleihe im Volumen von nicht weniger als 550 Mio. DM emittierte, der Lastenausgleichsfonds eine 40 So etwa die Bank deutscher Länder in ihrem Monatsbericht vom September 1953; vgl. auch Biber, Kapitalmarktreform; Röhl, Entwicklung, S. 97. 41 Anders als 1951 befürchtet, hatte der Kreditsektor aufgrund des flüssigen Geldmarkts weiterhin die Möglichkeit, sein kurzfristiges Kreditgeschäft auszuweiten. Vgl. Geld- und Bankwesen, S. 164 ff.; Bornemeyer, Finanzierung, S. 43. 42 Der Vorwurf der Kapitalhortung beruhte auf der Tatsache, dass die Besatzungsmächte wesentlich weniger Bundesmittel abriefen als vereinbart. Anfang 1954 hatte sich bei der BdL ein Überhang von zwei Mrd. DM angesammelt. Im Jahr 1953 befand man sich mitten in den Planungen für die Organisation und Finanzierung der NATO, an der Westdeutschland wesentlichen Anteil haben sollte. Vgl. Abelshauser/ Schwengler, Wirtschaft und Rüstung, S. 99 ff.; Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 46 f.
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Anleihe über 200 Mio. DM auflegte und nur wenig später die ersten Länderanleihen folgten, kam es bereits kurz nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes zu lautstarken Protesten und heftiger Kritik, dass die öffentliche Hand ungeniert ein Gesetz zum eigenen Vorteil nutze.43 Verbände, Unternehmer und Wirtschaftspresse sahen in der Steuerfreiheit der Staatspapiere nichts anderes als die Absicht, eine Kostenminderung für die öffentlichen Investitionen herbeizuführen: Durch das Niedrighalten der laufenden Zinslast des ordentlichen Etats – so der Vorwurf – würden erst Investitionen aus dem außerordentlichen Etat ermöglicht, die in diesem Umfang sonst kaum durchführbar gewesen wären.44 Dass der Bund unmittelbar nach Verabschiedung des Kapitalmarktförderungsgesetzes seine erste Anleihe begeben würde, war allerdings seit langem bekannt. Bundesfinanzminister Schäffer hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Flüssigkeit am Geldmarkt dazu nutzen wollte, die schwebende Staatsverschuldung mit einer Anleiheemission zu konsolidieren.45 Zudem strebte er an, als erster Emittent unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz an den Markt heranzutreten, um mit den Konditionen der Bundesanleihe einen Maßstab für die künftige Zinsentwicklung zu setzen. Vor allem aber wollte Schäffer sicherstellen, dass die Unterbringung der Bundesanleihe reibungslos erfolgen und dabei den Kapitalmarkt nicht erneut in Unruhe versetzen würde: Es handelte sich schließlich um die erste Anleihe des Bundes, die nicht nur die Kreditwürdigkeit des Bundes selbst, sondern der öffentlichen Hand insgesamt dokumentieren sollte. Sie durfte daher auf keinen Fall scheitern (wie etwa die Bahnanleihe im Jahr 1949), da sonst das Standing der öffentlichen Hand nachhaltig geschädigt worden wäre.46 Hier mögen unschöne Erinnerungen an die erste Reichsanleihe nach der Währungsstabilisierung von 1923/24 nachgewirkt haben: Im Februar 1927 war die Anleihe in einem Volumen von 500 Mio. RM emittiert worden; der Nominalzins hatte fünf Prozent, der Ausgabekurs 92 Prozent betragen. Auch damals war der Versuch unternommen worden, mit dem niedrigen Zinssatz der Reichsanleihe einen Maßstab für folgende Emissionen zu setzen. Allerdings war das Experiment grandios gescheitert, da schon bald eine große Verkaufswelle eingesetzt hatte und umfangreiche Stützungskäufe notwendig geworden waren: Es stellte sich heraus, dass der Nominalzins zu gering bemessen war und die schiere Größe der Emission die Aufnahmekapazitäten des Marktes weit überstiegen hatte.47 Die Frage lautete also Ende 1952, wie die Unterbringung der Bundesanleihe und ihre anschließende Kursstabilität unter den neuen Rahmenbedingungen 43 Röhl, Entwicklung, S. 90. 44 Der Kommentar für Wirtschaft und Presse, Nr. 542 vom 23.9.1953. 45 Er gab später an, dass die durch die Anleihe entstandene Neuverschuldung nur 125 Mio. DM betragen habe. Anlage zum Kurzprotokoll Nr. 3 des Haushaltsausschusses, Nr. 3 des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und Nr. 2 des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.12.1953, S. 14 – PA, 2. WP/22. Ausschuss. 46 Vermerk (Feldmann) vom 6.10.1953 betr. Kapitalmarktpolitische Maßnahmen – BA Ko, B 126/2195. 47 Balderston, Origins, S. 205 f.
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gesichert werden konnte, ohne die übrigen Emittenten vom Wertpapiermarkt zu verdrängen. Wie knifflig die Frage der Verzinsung war, zeigen beispielhaft zwei Haltungen: Die BdL, die das Emissionskonsortium der Bundesanleihe anführte, brachte Bedenken gegen eine aus ihrer Sicht zu niedrige Nominalverzinsung der Anleihe vor. Sie wollte mit einem höheren als dem bisher üblichen Zinsfuß von fünf Prozent ein Zeichen setzen, dass mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz der Moment einer allgemeinen Zinserhöhung am Wertpapiermarkt gekommen war. Zudem war ihr ebenso wie dem Bundesfinanzminister daran gelegen, die Anleihe mit Erfolg dauerhaft unterzubringen, was jedoch kaum möglich war, wenn nachfolgende Emissionen bessere Bedingungen für die Anleger geboten hätten. Die BdL war für die Kurspflege zuständig und hätte, falls der Zinssatz sich als zu niedrig erwiesen hätte, einen Großteil der zurückfließenden Papiere aufnehmen müssen.48 Ganz anderer Meinung waren die konkurrierenden Emittenten: Insbesondere die Realkreditinstitute vertraten die Ansicht, dass Anleihen erstklassiger öffentlicher Emittenten üblicherweise niedriger verzinst sein sollten als Schuldverschreibungen der Realkreditinstitute. Sie hielten daher eine Verzinsung von 4,5 Prozent – also einen Zinsabstand von 0,5 Prozent gegenüber dem 5-prozentigen Sozialpfandbrief – für angemessen.49 Schäffer entschied sich schließlich für einen Nominalzins von fünf Prozent. Er war davon überzeugt, dass er mit dieser Wahl das Hauptziel des Kapitalmarktförderungsgesetzes – wie er es sah – beachtete, nämlich die Mittel für den sozialen Wohnungsbau weiterhin mit einem Pfandbriefzins von fünf bis 5,5 Prozent aufzubringen. Zwar verzichtete er darauf, die Anleihe – neben der Steuerfreiheit des Kapitalertrags – mit weiteren Sondervergünstigungen zu versehen. Aber indem er eine Laufzeit von nur fünf Jahren wählte, verschaffte er ihr dennoch einen enormen Wettbewerbsvorteil und nahm eine Benachteiligung der übrigen Emittenten in Kauf: Die Bundesanleihe erhielt den Charakter eines bei den potenziellen Anlegern und Investoren bevorzugten Geldmarktpapiers.50 Mit einem Emissionskurs von 98 Prozent und fünf Jahren Laufzeit erbrachte sie eine Emissionsrendite von 5,5 Prozent, und damit mehr als Pfandbriefe und Kommunalobligationen mit mehreren Jahrzehnten Laufzeit bzw. fast genauso viel wie 8prozentige Industrieobligationen mit 30-prozentiger Kapitalertragsteuer.51 Die Bundesanleihe fand schnell Absatz und notierte im Herbst 1953 bei 101 Prozent, so dass die Einführung – zumindest aus Sicht des Bundesfinanzministeriums – als gelungen betrachtet werden konnte.52 Als im Juli 1953 Pläne bekannt wurden, dass die Lastenausgleichsbank und der Bund die Ausgabe weiterer Anleihen planten, sprach sich der ZBR – „auch in Würdigung der nicht abreißenden Kritik an der Anleihepolitik der öffentlich 48 Stenograph. Bericht über die 123. ZBR-Sitzung vom 25.6.1952 – BBk HA, B 330/57. 49 Biber, Kapitalmarktreform, S. 308 f. 50 Schreiben Dr. Biber, Vorstand des Verbandes privater Hypothekenbanken, März 1953 – BBk HA, B 330/3157. 51 Schreiben Schäffer an das Direktorium der BdL vom 30.8.1952 – BBk HA, B 330/60. 52 Vermerk (Pittroff, Steinberg) vom 8.9.1953 betr. Künftige Kapitalmarktpolitik – BA Ko, B 126/6208.
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Hand“ – dagegen aus, da er den Bedarf an langfristigen Mitteln bei den genannten Emittenten angesichts der ausgezeichneten Kassenlage als nicht dringlich einschätzte. Er wollte den Kapitalmarkt für die anderen Emittenten offen halten und empfahl, einen günstigeren Zeitpunkt für die Emissionen abzuwarten.53 Daraufhin wurde erst im Herbst 1953 eine 5-prozentige Anleihe des Lastenausgleichsfonds in Höhe von 200 Mio. DM zu einem Emissionskurs von 97 genehmigt, die als letzte steuerfreie Anleihe des Bundes auf den Markt kam.54 Neben den Bundes-/ Länderanleihen bzw. den Pfandbriefen/ Kommunalobligationen des sozialen Wohnungsbaus sollten laut Kapitalmarktförderungsgesetz auch die Erträge derjenigen Wertpapiere von allen Steuern befreit werden, die „förderungswürdigen“ Zwecken dienten. Für das „Prädikat förderungswürdig“, das der Kapitalverkehrsausschuss zuerkennen konnte, kamen in erster Linie Industrieobligationen und Anleihen von Städten und Kommunen in Frage. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hatte sich die Frage, welche Investitionen als förderungswürdig anzusehen seien, als Streitpunkt entpuppt. Die Emittenten waren naturgemäß darauf erpicht, für ihre Wertpapiere Steuerfreiheit zu erlangen. Es bestand bei einer großzügigen Interpretation des Begriffs jedoch die Gefahr, dass die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt wurde: Das Kapitalmarktförderungsgesetz sah das Steuerprivileg für bestimmte, gesamtwirtschaftlich besonders wichtige Ausnahmefälle vor, in denen eine Finanzierung zu marktmäßigen Bedingungen nicht möglich war. Nun drohte angesichts fehlender Auswahlkriterien die Gefahr, dass anstelle des Privilegs die Diskriminierung jener Emittenten treten würde, denen es nicht gelang, die Anerkennung der „Förderungswürdigkeit“ ihrer Vorhaben zu erlangen. Der Vorwurf wurde laut, dass der Kapitalverkehrsausschuss Emissionen aus dem bloßen Grunde als „förderungswürdig“ anerkannte, dass der Emittent die normalen Emissionsbedingungen nicht erfüllen konnte. Dies traf jedoch nicht nur Wirtschaftsbereiche zu, in denen noch Preisbindungen bestanden, sondern war auch dann der Fall, wenn mit dem Emissionserlös lediglich unrentable Investitionen finanziert werden sollten, die volkswirtschaftlich bzw. sozialpolitisch ohne Bedeutung waren.55 Nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums gab es für die Bewertung der Förderungswürdigkeit von Investitionen keine Dringlichkeitsskala oder Prioritätsliste mehr, die sich nach übergeordneten wirtschaftspolitischen Zielen richteten und der Rationierung der Kapitalnachfrage dienen konnten. Vielmehr hatte der Gesetzgeber nach Überzeugung des Ministeriums mit dem neuen KVG und dem Kapitalmarktförderungsgesetz die Voraussetzung dafür geschaffen, dass grundsätzlich jedem Emittenten der Zutritt zum Kapitalmarkt offen stehen sollte, was den Begriff „förderungswürdig“ im Grunde obsolet mache. Bei den 53 Protokoll der 151. ZBR-Sitzung vom 9.8.1953 – BBk HA, B 330/71. 54 Protokoll der 157. ZBR-Sitzung vom 11.11.1953 – BBk HA, B 330/73. 55 Protokoll und stenograph. Bericht der 151. ZBR-Sitzung vom 9.8.1953 – BBk HA, B 330/71; Vermerk (Prittroff, Steinberg) vom 8.9.1953 betr. Künftige Kapitalmarktpolitik des Hauses – BA Ko, B 126/6208.
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Industrieobligationen äußerte das Bundeswirtschaftsministerium Zweifel, ob eine Anerkennung der Förderungswürdigkeit überhaupt angebracht war: Für eine Steuerbefreiung von Industrieobligationen sprach nach Ansicht des Ministeriums zwar generell, dass die Zinslast der Industrie erleichtert würde. Auch konnten auf diese Weise die Vorzugsstellung der öffentlichen Hand und des sozialen Wohnungsbaus beseitigt und der Industrie zu gleichen Startbedingungen am Wertpapiermarkt verholfen werden. Dies wiederum würde im weiteren Verlauf – so die Einschätzung (und Hoffnung) des Bundeswirtschaftsministeriums – mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer Aufhebung des Kapitalmarktförderungsgesetzes führen. Gegen eine Steuerbefreiung der Industrieobligationen sprach allerdings, dass kein zwingender Grund für eine derartige „Subventionierung“ von Aktiengesellschaften zu Lasten der Steuerzahler bestand.56 In der Praxis ging der Kapitalverkehrsausschuss mit der Vergabe des Prädikats „förderungswürdig“ für Industrieobligationen in den ersten Monaten recht großzügig um. Als er mit zunehmender Zahl der Emissionsanträge vorsichtiger wurde, war es nicht einfach, von der gehandhabten Praxis wieder loszukommen und die Förderungswürdigkeit in Fällen abzulehnen, die in den Vormonaten uneingeschränkt genehmigt worden waren. Damit setzte er sich dem Vorwurf einer ungleichmäßigen und willkürlichen Behandlung einzelner Emittenten aus.57 Anders als bei den Industrieobligationen war die Haltung des Bundeswirtschaftsministeriums im Falle der Anleihen von Städten und Kommunen eindeutig: Es lehnte die generelle Einstufung dieser Anleihen als „förderungswürdig“ ab, da es fürchtete, dass dann nahezu der gesamte Wertpapiermarkt von der öffentlichen Hand abgeschöpft und nur ein kümmerlicher Rest für die Privatwirtschaft übrig bleiben würde.58 Das Ministerium argwöhnte, dass das Privileg der Steuerfreiheit in Wirtschaftsbereichen mit Preisbindung (Kohle, Gas, Strom, Wasser etc.), insbesondere bei kommunalen Versorgern, dazu genutzt wurde, um sich billig über den Kapitalmarkt zu finanzieren und Preiserhöhungen aus politischen Motiven zu umgehen.59 Der Kapitalverkehrsausschuss legte bei den Anleihen der Städte und Kommunen entsprechend strenge Maßstäbe an.60 Da das KVG – wie unten darzustellen sein wird – Ende 1953 außer Kraft trat, existierte seitdem auch kein Kapitalverkehrsausschuss mehr, der über die Förderungswürdigkeit von Emissionen entscheiden konnte. Seit Anfang 1954 gab es daher keine Steuerbefreiung mehr für Anleihen der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie für Industrieobligationen.61 Zum gleichen Zeitpunkt verzichteten Bund und Länder auf das Privileg der Steuerfreiheit. Entsprechend ging der Anteil der steuerbefreiten Wertpapiere bei Industrieobligationen und öffentlichen 56 Vermerk (v. Boeckh) vom 8.8.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 57 Protokoll der 157. ZBR-Sitzung vom 11.11.1953 – BBk HA, B 330/73; Vermerk (Gocht) vom 16.1.1953; Vermerk (Gocht) vom 2.2.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 58 Bundes- und Länderanleihen waren gemäß Kapitalmarktförderungsgesetz ja generell steuerbefreit. 59 Vermerk (Gocht) vom 2.2.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 60 Vermerk (v. Boeckh) vom 8.8.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 61 Vermerk (Gocht) vom 15.8.1953 – BA Ko, B 102/12663/1.
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Anleihen stark zurück. Im gesamten Jahr 1954 genossen allein die neu emittierten Pfandbriefe und Kommunalobligationen des sozialen Wohnungsbaus weiterhin den Vorzug der Steuerfreiheit. VII. 2. 4. Spaltung des Kapitalmarktes und erhöhte Geldmarktabhängigkeit Das Kapitalmarktförderungsgesetz schuf ein Problem, das seine Schöpfer zwar vorausgesehen, dessen Ausmaß sie aber offenbar unterschätzt hatten, obwohl der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium und auch die Kapitalmarktexperten der BdL schon in der Frühphase der Gesetzesberatungen im Frühjahr 1952 ausdrücklich davor gewarnt hatten.62 Die gesetzlichen Bestimmungen waren so justiert, dass sich die Rendite aller Wertpapiere für Anleger mit üblicher Steuerbelastung auf etwa gleichem Niveau bewegten. Da aber die Steuerlast der Wertpapierkäufer unterschiedlich war, zeigte es sich bald, dass der Rentenmarkt auf der Käuferseite in verschiedene Teilmärkte zerfiel, die kaum miteinander kommunizierten: So entstand jeweils ein Markt a) für Privatanleger, b) für tarifbesteuerte Unternehmen und Kreditinstitute sowie c) für private und öffentliche Versicherungen, Kapitalsammelstellen und Sparkassen, die nicht der vollen Steuerlast unterlagen. Davon ganz abgesehen gab es auch weiterhin kaum kommunizierende Kursentwicklungen am Rentenmarkt und Aktienmarkt, da zwischen Aktien und Festverzinslichen keine „normalen“ Renditeverhältnisse herrschten. Beide Märkte führten daher weiterhin ein Eigenleben.63 a) Die Hoffnung, dass nach Überwindung der Koreakrise das Sachwertdenken in den Hintergrund treten und vom Rentabilitätsdenken abgelöst würde, erfüllte sich – zumindest mit Blick auf die Privatanleger – kaum.64 Dabei waren die Renditen, die Privatpersonen am Rentenmarkt bei einer Kombination der Steuerbefreiung des Ersterwerbs von Wertpapieren (Kapitalansammlungsverträge) und der Steuerfreiheit der Wertpapiererträge erzielen konnten, außerordentlich hoch:65 Neben dem 5-prozentigen Nominalzins, der aufgrund der Ertragsteuerfreiheit einen Nettoertrag bedeutete, konnte die Steuerersparnis beim Ersterwerb nochmals eine zusätzliche Rendite von 10 bis 20 Prozent p.a. – abhängig vom indivi-
62 BMWi, Wissenschaftlicher Beirat II, Gutachten vom 4.2.1952, S. 76 f. 63 Röhl, Entwicklung, S. 92 ff.; Dorner, Industriefinanzierung, S. 109 f. 64 Diese Hoffnung hegte man im Frühjahr 1953 in den Bundesministerien. Vermerk (v. Stahlberg) vom 10.3.1953 – BA Ko, B 126/12078. 65 Angesichts dieser Renditemöglichkeiten hatte die BdL vor Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes bezeichnenderweise darauf verzichtet, die Leitzinsen zu senken, um dem Wertpapiermarkt durch eine Ausweitung der Zinsdifferenz zwischen Geld- und Kapitalmarkt zusätzliche Schubkraft zu verleihen. Sie erwartete, dass die neuen gesetzlichen Bestimmungen zu sehr hohen Nettozinsen führen würden, die auch ohne Senkung der Geldmarktzinsen genug Anreiz bieten sollten, in die Wertpapieranlage zu wechseln. Protokoll der 133. ZBR-Sitzung vom 12./13.11.1952 – BBk HA, B 330/62.
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duellen Einkommensteuersatz des Anlegers – einbringen.66 Dennoch blieben die Privatanleger weiterhin mehr als zurückhaltend, was die Einschätzung der Marktskeptiker stützte: Nicht die Renditemöglichkeiten standen für die Anleger im Vordergrund, sondern die Sicherheit der Anlagen. Die Risikoaversion gegen ein langfristiges oder auch nur mittelfristiges Engagement an den Finanzmärkten war offensichtlich weiterhin stark ausgeprägt. b) Anders sah es bei den Kreditinstituten und Unternehmen aus. Ihnen bot das Kapitalmarktförderungsgesetz ebenfalls sehr hohe Renditechancen, die sie auch nutzten.67 Da sie voll körperschaftsteuerpflichtig waren, entsprach eine Nettorendite von knapp über fünf Prozent bei den steuerbefreiten Wertpapieren bzw. von 5,6 Prozent bei den mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegten 8-prozentigen Industrieobligationen dem Bruttoertrag von 16 bzw. 18 Prozent aus einer anderen, mit den üblichen Ertragsteuern in Höhe von etwa 70 Prozent (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Notopfer Berlin etc.) belasteten Kapitalanlage.68 Während sich Kreditinstitute vor allem für öffentliche Anleihen, die aufgrund ihrer kurzen Laufzeit den Geldmarktpapieren sehr nahe kamen, und für steuerfreie Pfandbriefe und Kommunalobligationen entschieden, waren Unternehmen die Abnehmer der – meist im Rahmen der Investitionshilfe aufgelegten – 8-prozentigen Industrieobligationen.69 Der Anreiz zum Kauf von Wertpapieren wurde für Kreditinstitute und Unternehmen noch größer, wenn sie für den Wertpapiererwerb Kredite aufnahmen. Denn in diesem Fall konnten sie nicht nur die Erträge der erworbenen Wertpapiere einstreichen, sondern zusätzlich die Aufwendungen für die Kreditzinsen als Betriebsausgaben steuerlich absetzen, was die Gesamtrendite zusätzlich steigerte. Dies war höchst problematisch und veranlasste den Präsidenten des BdL-Direktoriums Vocke zu der Bemerkung, dass die „Generalisierung der Steuerfreiheit“ der „furchtbarste Fehler“ der Kapitalmarktpolitik gewesen sei. Denn es war zu befürchten, dass sich Unternehmen aus eigenen Investitionsprojekten zurückzogen, um ihr Geld risiko- und steuerfrei in festverzinslichen Wertpapieren anzulegen. Wertpapierbesitz erschien offenbar nicht selten lukrativer als Investitionen in den eigenen Betrieb.70 Im Kreditsektor führten die steuerfreien bzw. -begünstigten Wertpapiere zudem zu erheblichen Verzerrungen des Zinsgefüges: Einerseits waren die 66 Bei voller Inanspruchnahme der Steuervergünstigungen konnte schon bei einem Jahreseinkommen von 8.000,- DM mit einem 5-prozentigen steuerfreien Papier eine Nettorendite von 14,2 Prozent erzielt werden; falls der angelegte Betrag nicht im Rahmen der normalen Sonderausgaben untergebracht werden konnte, betrug die Rendite immer noch 10,7 Prozent. Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611; vgl. Bornemeyer, Finanzierung, S. 85; Gamerdinger, Kapitalmarkt, S. 34; Biber, Kapitalmarktförderungsgesetz, S. 281. 67 Vermerk (v. Stahlberg) vom 10.3.1953 – BA Ko, B 126/12078. 68 Protokoll der 139. ZBR-Sitzung vom 18.2.1953 – BBk HA, B 330/65. 69 Vermerk (Pittroff, Steinberg) vom 8.9.1953 betr. Künftige Kapitalmarktpolitik – BA Ko, B 126/6208. 70 Stenograph. Bericht über die 159. ZBR-Sitzung vom 16.12.1953 – BBk HA, B 330/74.
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Kreditinstitute in der Lage, auf Basis der hohen Nettorendite der Wertpapiere den Wettbewerb71 um Termin- und Spareinlagen der Kunden zu intensivieren.72 Andererseits bildeten die Kundeneinlagen die Voraussetzung für die Ausweitung des lukrativen Wertpapiererwerbs, so dass sich selbst eine Einlagenverzinsung jenseits von zehn Prozent für die Banken noch lohnte. Beide Entwicklungen bedingten sich gegenseitig. Für die Aufsichtsbehörden erschwerte dies die Durchsetzung des Habenzinsabkommens merklich.73 Solche Auswirkungen auf unternehmerische Entscheidungen hatten die Urheber des Kapitalmarktförderungsgesetzes sicherlich nicht beabsichtigt. Und so drohten erneut Fehlallokationen in großem Ausmaß.74 Als im Juni 1953 die Mehrheit des ZBR angesichts der Beruhigung am Kreditmarkt für eine Senkung des Diskontsatzes von vier auf 3,5 Prozent stimmte, sprachen sich einige ZBR-Mitglieder mit der Begründung dagegen aus, dass der Geldmarkt für Kreditinstitute noch unattraktiver würde und sie sich noch stärker auf dem Wertpapiermarkt engagieren würden. Nicht nur aus Sicht der BdL war dies unerwünscht, da vorauszusehen war, dass ein Großteil der neu emittierten Wertpapiere nicht dauerhaft untergebracht wurde und die Kreditinstitute und Wirtschaftsunternehmen bei Liquiditätsanspannungen umfangreiche Wertpapierbestände abstoßen würden.75 Aus gesamtwirtschaftlichen Gründen entschloss sich die Mehrheit des ZBR jedoch dazu, den Diskontsatz herabzusetzen. Im Mai 1954 folgte eine weitere Senkung auf nur noch drei Prozent, wodurch sich die Attraktivität der Wertpapieranlage für Kreditinstitute weiter erhöhte.76 In der Bankenstatistik der BdL lassen sich die steigenden Wertpapierkäufe der Kreditinstitute grob an dem 71 Dieser Wettbewerb wurde auf breiter Front mit Zinsangeboten, die das Niveau der Habenzinsabkommen überstiegen, oder mit einem Entgegenkommen bei den Konditionen etwaiger Kredite oder mit einer Herabsetzung von Gebühren etc. geführt. Stenograph. Bericht über die Ausführungen von Hermann Josef Abs über Soll- und Habenzinsen, S. 6 ff., Anlage zum Protokoll der 159. ZBR-Sitzung vom 16.12.1953 – BBk HA, B 330/74. 72 Der ZBR mutmaßte schon im April 1953, dass von dem liquiden Geldmarkt günstige Auswirkungen auf den Kapitalmarkt nicht so sehr deshalb zu erwarten waren, weil die Banken selbst – mangels attraktiver Anlagemöglichkeiten am Geldmarkt – in die Wertpapieranlage gedrängt würden, sondern eher weil die Einlagensparer der Banken umdisponieren würden, wenn ihnen die Banken als Folge des auf ihnen lastenden Zinsdrucks keine günstigen Sonderbedingungen mehr bieten könnten. Nach dieser Lesart waren die Banken eher Getriebene am Kapitalmarkt als Nutznießer der Steuerbegünstigungen. Protokoll der 142. ZBR-Sitzung vom 1.4.1953 – BBk HA, B 330/67. 73 Die Aufsichtsbehörden und die Verbände versuchten gemeinsam, diesem Wettbewerb, der nicht zuletzt die Erholung des Rentenmarktes bedrohte, durch Verpflichtungserklärungen, Einrichtung von Ehrengerichten und Androhung von Strafen entgegenzuwirken. Die Ausweichmöglichkeiten blieben aber groß. Den Vorschlag der Aufsichtsbehörden, das Habenzinsabkommen abzuschaffen, wiesen die Kreditinstitute entschieden zurück. Die Angst vor einer Verschärfung des Wettbewerbs ließ sie offensichtlich vor zu viel Freiheit zurückschrecken. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 46; Biber, Kapitalmarktreform, S. 310. 74 Stenograph. Bericht über die 151. ZBR-Sitzung vom 9.8.1953 – BBk HA, B 330/71; vgl. Röhl, Entwicklung, S. 99. 75 Protokoll der 147. ZBR-Sitzung vom 10.6.1953 – BBk HA, B 330/69. 76 Protokoll der 170. ZBR-Sitzung vom 2.6.1954 – BBk HA, B 330/77.
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Posten „Bankschuldverschreibungen“ bzw. „Wertpapiere und Konsortialbeteiligungen“ ablesen: Beide Positionen erhöhten sich zwischen Dezember 1952 und Dezember 1954 um ca. 260 Prozent von 1,33 Mrd. DM auf 4,77 Mrd. DM, während die Aktiva der Kreditinstitute insgesamt im selben Zeitraum „nur“ um ca. 57 Prozent anstiegen.77 c) Für Lebensversicherungen, Sozialversicherungen, Sparkassen und Pensionskassen, die den Wertpapiermarkt in der Vergangenheit als wichtige Anlegergruppe geprägt und die langfristige Unterbringung von Wertpapieren sichergestellt hatten, bot das Kapitalmarktförderungsgesetz keine nennenswerte Vorteile. Da sie überhaupt nicht bzw. nicht voll körperschaftsteuerpflichtig waren, profitierten sie kaum von den steuerlichen Vergünstigungen. Für sie blieb die Verzinsung der Wertpapiere von übergeordneter Bedeutung. Da diese aufgrund des Kapitalmarktförderungsgesetzes niedrig blieb, stellten Renditegründe keinen Kaufanreiz dar. Die mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegten Wertpapiere waren für die Kapitalsammelstellen ebenfalls nicht attraktiv, da die Kapitalertragsteuer auch von den nicht körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen/ Körperschaften entrichtet werden musste. Während die Sozialversicherungsträger dennoch aus übergeordneten sozialpolitischen Motiven weiterhin in großem Umfang Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen kauften, da sie daran interessiert waren, ihren Versicherungsnehmern billigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wandten sich die Lebensversicherungen vom Wertpapiermarkt ab und verstärkten die eigene Kreditvergabe; dabei spielten insbesondere Schuldscheindarlehen, die mit sieben bis acht Prozent verzinst wurden, eine herausragende Rolle. Für die Vermittlung solcher Schuldscheingeschäfte zwischen Versicherungen und Kreditnehmern erster Bonität entwickelte sich ein lukrativer Markt; für die langfristige Verwendung kurzfristiger Gelder der Versicherungen entstand ein Geschäft mit revolvierenden Krediten.78 VII. 2. 5. Fortexistenz des „Grauen Pfandbriefmarktes“ Der steigende Finanzbedarf veranlasste die Kreditnehmer (Bauherren/ Wohnungsbaugesellschaften) bzw. Realkreditinstitute auch weiterhin, den Kapitalgebern bei der Platzierung der Pfandbriefe weit entgegenzukommen. Die öffentlichen Kapitalsammelstellen als wichtigste Abnehmer von Sozialpfandbriefen verlangten beispielsweise regelmäßig, dass die Realkreditinstitute die von ihnen gewünschte Beleihung von Wohnungsbauprojekten mit zusätzlichen eigenen Mitteln um 20 oder mehr Prozent erhöhten. Durch diese Aufstockungsverpflichtung waren die Mittel der Realkreditinstitute so knapp, dass größere
77 Berechnungen nach Geld- und Bankwesen, S. 136 f. 78 Protokoll der 152. ZBR-Sitzung vom 2.9.1953 – BBk HA, B 330/71; vgl. Münemann, Formen, S. 41 f.
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Beleihungen aus freien Pfandbriefverkäufen, insbesondere Beleihungen von gewerblichen Objekten, in der Regel nicht möglich waren.79 Das Kapitalmarktförderungsgesetz konnte den „grauen Pfandbriefmarkt“ vorerst nicht beseitigen, weil das Missverhältnis zwischen Kapitalangebot und nachfrage in der Bauwirtschaft bestehen blieb. Weiterhin erfolgte die Finanzierung von Wohnungsbauprojekten im „grauen Markt“ so, dass die Realkreditinstitute den Wohnungsbauträgern statt eines Kredits ihre Pfandbriefe überließen, die diese selbst an Kapitalsammelstellen verkaufen mussten.80 Die Unterbringung erfolgte so, dass die Bauträger über den Geldvermittler (Banken) eine Sondervergütung, oft als „Geldbeschaffungskosten“ deklariert, in Höhe von acht bis zwölf Prozent an die aufkaufenden Kapitalsammelstellen entrichteten. Die Kapitalsammelstellen erwarben die Pfandbriefe auf diese Weise de facto mit einem erheblichen Disagio, also zu einem verbilligten – „grauen“ – Kurs. Teilnehmer am „grauen Markt“ waren vor allem die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die nur begrenzt Gewinne ausschütten durften und ihre Erträge dazu nutzten, um die Disagien zu zahlen.81 Die Existenz des „grauen Pfandbriefmarktes“ ließ die plausible Vermutung aufkommen, dass den Trägern des sozialen Wohnungsbaus mehr Subventionen zur Verfügung gestellt wurden, als sie bei dem gegebenen Baukosten- und Mietzinsniveau für ihre Bauprogramme benötigten, so dass sie auf Basis hoher Zinszahlungen eine zusätzliche Kapitalnachfrage entfalten konnten. Für diesen „Spitzenbedarf“ konnten sie Zinsen in einer Höhe zahlen, die sonst nicht tragbar gewesen wären.82 Am Rentenmarkt führte die Zahlung der Disagien zu einer beträchtlichen Erhöhung der Effektivrendite und des Zinsgefüges, eine Entwicklung, die nicht nur das Bundeswirtschaftsministerium und die BdL als untragbar ansahen. Selbst über die Schalter der Banken wurden Pfandbriefe zu „grauen Kursen“ angeboten; private Wertpapierkäufer erhielten für solche Käufe mitunter sogar – unter Anwendung bestimmter Tarnmanöver – Bestätigungen für das Finanzamt, um Steuervergünstigungen gemäß § 10 EStG geltend zu machen.83 Der ZBR forderte, diese Missstände durch eine sorgfältigere Kontrolle der Subventionen für den Wohnungsbau zu beenden und den „grauen Rentenmarkt“, insbesondere die 79 Schreiben Dr. Biber, Vorstand des Verbandes privater Hypothekenbanken, März 1953, S. 4 f. – BBk HA, B 330/3157. 80 Die institutionellen Anleger waren durch diese Geschäftspraktiken deutlich besser gestellt als die Privatanleger, die ihre Pfandbriefe in der Regel zum Ausgabekurs von 98 Prozent erwarben und so von Beginn an ein erhebliches Kursrisiko trugen. Stenograph. Bericht über die 141. ZBR-Sitzung vom 18.3.1953 – BBk HA, B 330/66. 81 Schulz, Wiederaufbau, S. 331. 82 Wohnungsbaugesellschaften waren sogar bereit, den Realkreditinstituten Kapitalbereitstellungsprovisionen zu bezahlen, damit diese die Erlöse der „auf Vorrat“ emittierten Pfandbriefe zu ungünstigeren Bedingungen vorübergehend am Geldmarkt parken konnten. Vgl. Röhl, Entwicklung, S. 101. 83 Schreiben Dr. Biber, Vorstand des Verbandes privater Hypothekenbanken, März 1953, S. 6 – BBk HA, B 330/3157.
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Darlehensgewährung durch Pfandbriefhingabe, mit Nachdruck zu bekämpfen.84 Das Bundeswirtschaftsministerium richtete im März 1953 ein Schreiben an die Verbände des Bankgewerbes und forderte diese auf, Maßnahmen gegen den „grauen Markt“ zu ergreifen. Doch erwies sich dieses Vorgehen als kontraproduktiv: Die Kurse am „grauen Markt“ stiegen nicht, wie erhofft, sondern sanken weiter von 88 auf 82 Prozent. Ursache dieses Rückgangs war offensichtlich die Zurückhaltung der Kreditinstitute, die sich verpflichtet hatten, keine Geschäfte auf dem „grauen Markt“ mehr zu betreiben.85 Im Frühjahr 1953 fanden im Bundeswohnungsbauministerium einige Gespräche statt, in denen mögliche Maßnahmen gegen den „grauen Markt“ erörtert wurden. Die Vertreter der Länder und der Wohnungsbaugesellschaften erklärten unumwunden, dass das vorgesehene Bauvolumen mit allen Mitteln erreicht werden müsse, auch wenn für die Beschaffung der ersten Hypothek Disagien gezahlt werden müssten. Für das Bundeswirtschaftsministerium war dies inakzeptabel. Daher wollte es von jedem Bauherrn, der nachrangige öffentliche Mittel in Anspruch nahm, eine Erklärung fordern, die Aufschluss darüber gab, welche Kreditinstitute oder Makler die erste Hypothek vermittelt hatten und ob Zuzahlungen zur Unterbringung der Pfandbriefe bzw. bei der Beschaffung der ersten Hypothek geleistet worden waren. Die Vertreter der Länder und der Baugesellschaften lehnten dies jedoch rundweg ab.86 Die Realkreditinstitute erklärten sich im Herbst 1953 lediglich in einer freiwilligen Selbstverpflichtung bereit, ihre Neuemissionen je nach Marktlage einzuschränken, um ein Überangebot zu vermeiden. Sie setzten allerdings voraus, dass im Gegenzug auch die öffentliche Hand keine großen Emissionen auflegte.87 Wie die weitere Entwicklung zeigte, hatte diese Selbstverpflichtung keine nennenswerten Auswirkungen auf das Geschehen am Primärmarkt. VII. 3. VERSUCH EINER REFORM DER KAPITALMARKTREFORM VII. 3. 1. Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums vom Frühjahr 1953 und die „kleine Steuerreform“ Bereits wenige Monate nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes begannen im Bundeswirtschaftsministerium Erörterungen über eine Modifizierung der Kapitalmarktpolitik. Es ist dies ein beredtes Zeichen dafür, dass das Bundeswirtschaftsministerium letztlich – trotz seiner Ressortzuständigkeit für den 84 Schreiben Vocke an Erhard vom 6.7.1953 – BA Ko, B 102/12663/1; Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611. 85 Vermerk (v. Stahlberg) vom 14.4.1953 betr. Besprechung im Bundeswirtschaftsministerium über Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/6208. 86 Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611. 87 Protokoll der 153. ZBR-Sitzung vom 16.9.1953 – BBk HA, B 330/72.
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Bereich Geld und Kredit seit Mitte 1952 – nur sehr begrenzt Einfluss auf die Entstehung des Ersten Kapitalmarktförderungsgesetzes hatte nehmen können. Nachdem im Bundeswirtschaftsministerium selbst ein Revirement stattgefunden hatte, das die letzten Verfechter einer umfassenderen Wirtschaftsplanung verdrängt hatte,88 startete es einen neuen Versuch, die Kapitalmarktpolitik nun selbst nach eigenen Prioritäten zu gestalten. Dies geschah in einer Phase, in der die Kapitalmarktpolitik erstmals seit Kriegsende nicht unter dem Zwang wirtschaftlicher Notsituationen stand, wie es seit 1945 fortwährend durch akuten Wohnungsnotstand, steigende Arbeitslosigkeit, Investitionsengpässe, Vorgaben der Besatzungsmächte, Zahlungsbilanzprobleme, Inflationsgefahren etc. der Fall gewesen war. Bundeswirtschaftsminister Erhard erkannte, dass die Voraussetzungen für den lang gehegten Wunsch, den freien Wettbewerb auch auf dem Wertpapiermarkt durchzusetzen, inzwischen günstiger waren: Die Zahlungsbilanz wies seit vielen Monaten deutliche Überschüsse aus, dementsprechend stark war die Stellung der Bundesrepublik in der EZU. Die Exporterlöse und die Kassenüberschüsse der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Länder und Kommunen,89 sorgten im Inland für einen flüssigen Geldmarkt. Die Lohn- und Preisentwicklung hatte sich deutlich stabilisiert und die Sparbereitschaft der Bevölkerung wuchs mit zunehmendem Vertrauen in die D-Mark. Die persönliche Stellung des Bundeswirtschaftsministers in der politischen Landschaft der Bundespolitik hatte sich ebenfalls verbessert. In der öffentlichen Meinung wurde der Wirtschaftsaufschwung nicht zuletzt als sein persönliches Verdienst aufgefasst. Auch Bundeskanzler Adenauer zeigte sich mit den Leistungen Erhards (vorübergehend) zufrieden und wies ihm im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle zu.90 Die Zielsetzungen, die das Bundeswirtschaftsministerium mit einer Neuausrichtung der Kapitalmarktpolitik anstrebte, unterschieden sich deutlich von den Prioritäten des bis 1952 zuständigen Bundesfinanzministeriums, indem sie sich von den Bedürfnissen des sozialen Wohnungsbaus bzw. der öffentlichen Hand abund den Interessen der Wirtschaft zuwandten. Das Bundeswirtschaftsministerium zeigte sich dabei offen für die Wünsche der Wirtschaftsverbände und führender Wirtschaftsvertreter, insbesondere aus Bank- und Finanzkreisen, die in Gutachten und Stellungnahmen dafür plädierten, endlich die Unternehmensfinanzierung, insbesondere über Aktien, zu fördern und die Wertpapieremissionen der Unternehmen durch steuerliche Maßnahmen attraktiver zu machen.91 Alarmiert durch das Vorpreschen der öffentlichen Hand am Wertpapiermarkt nach Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes wollten die Wirtschaftsvertreter nicht bis 88 Löffler, Marktwirtschaft, S. 98-109. 89 Die Länder pumpten ihre flüssigen Mittel zum großen Teil in die Girozentralen/ Landesbanken, wo sie zur Ausweitung der Geldschöpfung beitrugen. 90 Löffler, Marktwirtschaft, S. 322. 91 Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen vom 30.1.1953; Denkschrift des Bundesverbandes des privaten Kreditgewerbes: Die fehlende Funktionsfähigkeit des Aktienmarktes und die Wege zu ihrer Wiederherstellung, 3.2.1953 – BBk HA, B 330/3156
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zum Jahr 1956 darauf warten, dass im Rahmen einer künftigen Steuerreform die Unternehmensfinanzierung – etwa durch Milderung der Doppelbesteuerung – erleichtert würde,92 sondern möglichst schnell steuerliche Vergünstigungen durchsetzen. Für den Fall, dass Maßnahmen ausblieben, malten sie düstere Szenarien einer durch ausbleibende Investitionen gedrosselten Wirtschaftsentwicklung an die Wand.93 Das Bundeswirtschaftsministerium ging auf die Argumente der Finanzkreise ein und übernahm sie zum großen Teil für die Ausarbeitung eigener Reformkonzepte. Es begründete die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Kapitalmarktpolitik ganz im Sinne der Wirtschaftsvertreter: Eine Steigerung der Investitionen sei eine unabdingbare Voraussetzung für die notwendige Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion der Bundesrepublik;94 die Bereitstellung von Investitionsmitteln gestalte sich aber immer schwieriger, da der Umfang der zentral steuerbaren Mittel deutlich gesunken sei, sich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung verlangsamt habe und die Investitionsgüterproduktion stagniere; auch die Unternehmensgewinne seien infolge der Senkung der Preise und der Steigerung der Unkosten, insbesondere der Löhne, gesunken, womit der Spielraum zur Selbstfinanzierung sinke.95 Hinzu komme das Dauerproblem der hohen Steuern, die nur so lange für die Unternehmen tragbar gewesen seien, als entsprechend hohe Preise durchgesetzt werden konnten, sprich: solange ein Verkäufermarkt geherrscht habe. Aufgrund der ungünstigeren Rahmenbedingungen erachteten viele Unternehmen – so die Argumentation des Bundeswirtschaftsministeriums – die volkswirtschaftlich so dringend notwendigen Neuinvestitionen nicht mehr als lohnend. Gerade in dieser Situation werde die Unternehmensfinanzierung zusätzlich dadurch erschwert, dass der Kapitalmarkt seit Ende 1952 zu stark von der öffentlichen Hand in Anspruch genommen werde. Daher halte das Bundeswirtschaftsministerium die Anwendung neuer kapitalmarktpolitischer Instrumentarien für notwendig. Es schloss sich der Argumentation der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen und des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes an, dass ein Ausbau der Wirtschaft vor allem auf die Heranziehung verantwortlichen Eigenkapitals angewiesen und daher die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Aktienmarktes dringend geboten sei.96 92 Das Bundesfinanzministerium ging inzwischen davon aus, dass die vorgesehene große Steuerreform frühestens Anfang 1955 in Kraft treten konnte. Die neuen Steuertarife würden sich entsprechend auf das Einkommen und die Gewinne des Jahres 1955 beziehen und sich daher erst im Jahr 1956 auswirken. Vermerk betr. Aufzeichnungen des Präsidenten der IHK Düsseldorf für den Ministerpräsidenten, Anfang 1954 – BA Ko, B 102/28611. 93 „Aufstand der Aktionäre“, in: Der Spiegel vom 18.3.1953. 94 Vermerk (Müller-Armack) vom 20.2.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 95 Vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 57 f. 96 Zu den Argumenten der Kreditwirtschaft und der Industrie: Ernst Matthiensen, Vorstandsmitglied der Rhein-Main-Bank (AG) (Nachfolgeinstitut der Dresdner Bank AG), Überlegungen zur Reform des Kapitalmarktes, 18.3.1953 – BA Ko, B 102/12663/2; Biber, Kapitalmarktreform, S. 306 f.
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Rückblickend betrachtet wirkt die Warnung vor einer gesamtwirtschaftlichen Gefahr, die wegen angeblicher Finanzierungsprobleme der Unternehmen drohte, angesichts eines tatsächlichen realen BIP-Wachstums im Jahr 1953 von über neun Prozent reichlich übertrieben. Auch ist davon auszugehen, dass die Gewinnlage der Unternehmen weitgehend stabil war. Preisrückgang und Rationalisierung veranlassten die Unternehmen lediglich, sorgfältiger zu kalkulieren, als dies bisher der Fall gewesen war.97 Insoweit war die Argumentation des Bundeswirtschaftsministeriums kaum stichhaltig. Allerdings war die Hausse an den Aktienbörsen im Februar 1952 von einer starken Baisse abgelöst worden, da sich die Anleger von der Substanzorientierung ab- und der Renditeorientierung zuwandten. Nun erschienen die Aktienkurse im Vergleich zu den erzielbaren Renditen, die aufgrund der steuerlichen Belastung und der geringen Dividendenausschüttungen weit unter denjenigen der Rentenwerte blieben, als zu hoch. Da die Kurse daraufhin bis Ende 1952 im Durchschnitt um 23 Prozent fielen, wurde es entsprechend schwieriger, Aktienemissionen unterzubringen.98 Angesichts dieser Entwicklung war es in wirtschaftsliberalen Kreisen der Regierungsparteien Konsens, dass die Aktie gestärkt werden müsse, um normale Renditeverhältnisse zwischen Aktien und Festverzinslichen herzustellen: Die Aktienrendite betrug 1952 im Durchschnitt nur 3,44 Prozent, während sich die Rendite bei den festverzinslichen Papieren auf fünf bis 5,6 Prozent belief. Nach Berechnungen des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes hätte die durchschnittliche Dividende bei pari zwischen zwölf und 14 Prozent betragen müssen, um nach Steuern eine durchschnittliche Nettorendite von 5,4 Prozent zu erzielen.99 Im April 1953 legte die Grundsatzabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums, das mittlerweile von Alfred Müller-Armack allein geleitet wurde, einige Thesen zur Reform der Kapitalmarktpolitik vor, die in die für das Jahr 1953 vorgesehene „kleine Steuerreform“ einfließen sollten. Ein revidiertes Kapitalmarktförderungsgesetz wollte das Ministerium noch nicht vorbereiten, da keine Aussicht bestand, es noch in der laufenden Legislaturperiode umzusetzen.100 Ein Angebot Scharnbergs, die Pläne bereits in einem frühen Stadium mit ihm und Preusker abzustimmen, lehnte der Bundeswirtschaftsminister ab. Er wollte das Gesetz des Handelns diesmal nicht aus der Hand geben.101 Das Thesenpapier stellte mit Blick auf die Investitionsbedürfnisse der Industrie folgende Forderungen:102 1) Solange die Investitionen der gewerblichen Wirtschaft nicht über den Kapitalmarkt befriedigt werden konnten, sollten die zentral steuerbaren Mittel, insbesondere aus dem ERP-Sondervermögen, so weit wie möglich zur Industriefinanzierung eingesetzt werden. 2) Um einen breiten Markt für Emissionen der 97 98 99 100
Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 57. Dorner, Industriefinanzierung, S. 109. Ebd., S. 116. Vermerk (v. Stahlberg) vom 14.4.1953 betr. Besprechung im Bundeswirtschaftsministerium über Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/6208. 101 Schreiben Scharnberg an Erhard vom 7.4.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 102 Thesen zur Reform des Kapitalmarktes, 18.4.1953 – BA Ko, B 102/12663/1.
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Privatwirtschaft zu schaffen, sollte ein neuer Kreis potenzieller Anleger angesprochen werden: die Unternehmen selbst.103 Als Voraussetzung sah das Wirtschaftsministerium unverändert die Etablierung eines „realistischen Zinssatzes“ an, um die Unternehmen dazu zu veranlassen, der Kapitalanlage in Wertpapieren bis zu einem gewissen Umfang den Vorzug vor der Anlage im eigenen Betrieb zu geben. 3) Obwohl die steuerliche Begünstigung des Ersterwerbs von Wertpapieren nicht dazu geführt hatte, dass private Anleger ihr Vermögen verstärkt in verbriefter Form anlegten, wollte das Bundeswirtschaftsministerium dieses Förderungsinstrument ausbauen und fortan ebenfalls Industrieobligationen einbeziehen. So sollten die Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen am Primärmarkt erhalten. 4) Um der Aktie als Finanzierungsinstrument wieder Geltung zu verschaffen, sollte die steuerliche Belastung der Unternehmensgewinne abgebaut werden. Das Bundeswirtschaftsministerium befürwortete eine generelle Senkung des Körperschaftsteuersatzes, sah jedoch ein, dass dies aufgrund des damit verbundenen Steuerausfalls nicht durchsetzbar war. Auch wenn die Spaltung der Körperschaftsteuer aus seiner Sicht Nachteile barg, da sie die Ausschüttungspolitik der Unternehmen stark beeinflusste, befürwortete es eine Senkung des Satzes für ausgeschüttete Gewinne von 60 auf 30 Prozent. 5) Um die Aktie nicht schlechter zu stellen als Rentenwerte, hielt es das Bundeswirtschaftsministerium für notwendig, Einkünfte aus Dividenden ebenfalls mit einer einheitlichen Kapitalertragsteuer von 30 Prozent zu belegen. In der „kleinen Steuerreform“ vom Juni 1953 fand das Konzept kaum Berücksichtigung. Denn das Steuergesetz wurde weitgehend ohne Beteiligung des Bundeswirtschaftsministeriums erarbeitet und stellte im Vorfeld der Bundestagswahl keine kapitalmarktpolitischen, sondern allgemeine wirtschaftspolitische Zielsetzungen in den Fokus, etwa die Senkung der durchschnittlichen Steuerbelastung und die Förderung des Mittelstandes.104 Soweit die „kleine Steuerreform“ kapitalmarktrelevante Änderungen brachte, handelte es sich um Maßnahmen, die zwischen den Koalitionsparteien im Grunde bereits während der Beratungen zum Kapitalmarktförderungsgesetz vereinbart worden waren. So wurde die Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne, wie bereits Ende 1952 vorgeschlagen, erstmalig für das abgeschlossene Geschäftsjahr 1953 von 60 auf 30 Prozent des Nettobetrags gesenkt. Man erhoffte sich davon eine Erhöhung der Dividenden, die den Renditeunterschied zwischen Aktien und Festverzinslichen
103 Erhard kritisierte die außerordentliche Flüssigkeit auf dem Geldmarkt, die durch Exportüberschüsse und die großen Guthaben der Länder im Girosystem hervorgerufen worden war. Die Geldflüssigkeit habe ein solches Ausmaß erreicht, dass die Bank deutscher Länder im Notfall mit marktkonformen Mitteln die Entwicklung nicht mehr steuern könne. Dagegen war Abteilung VI des Bundeswirtschaftsministeriums der Meinung, dass das breite Publikum der Träger des Wertpapiermarktes sein müsse. Es sei aus volkswirtschaftlichen und politischen Gründen „nicht zweckmäßig“, wenn das Eigentum von Wirtschaftsunternehmen in großem Umfang in der Hand anderer Unternehmen liege. Vermerk (vom Hofe) vom 11.5.1953 – BA Ko, B 102/12663/1. 104 Henzler, Schäffer, S. 475 f.; Franzen, Steuergesetzgebung, S. 119 ff.
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verkleinern sollte.105 Auf die Beratungen des Kapitalmarktförderungsgesetzes ging auch die Bestimmung der „kleinen Steuerreform“ zurück, ab dem 1. Januar 1955 das Kontensparen im Rahmen der steuerlichen Förderung von Kapitalansammlungsverträgen (§ 10 EStG) nicht mehr zu berücksichtigen. Weitere Änderungen der „kleinen Steuerreform“ waren zwar nicht kapitalmarktpolitisch motiviert, konnten aber mittelfristig zu einer Belebung des Wertpapiermarktes beitragen: So sollte die steuerliche Förderung des Wohnungsbaus und des Schiffbaus beschnitten werden, indem § 7c (Begünstigung unverzinslicher Wohnungsbaudarlehen) und § 7d EStG (Begünstigung für Darlehen an den Schiffbau) mit Wirkung zum 1. Januar 1955 aufgehoben wurden. Zudem wurden die Einkommensteuersätze generell um durchschnittlich 15 Prozent herabgesetzt, was die Sparfähigkeit der Bevölkerung weiter erhöhen musste; der niedrigste Steuersatz betrug nun zehn und der höchste 80 Prozent (ab 220.000 DM Jahreseinkommen).106 VII. 3. 2. Kabinettsvorlagen des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums Unmittelbar nach der Bundestagswahl Anfang September 1953, bei der die Union einen deutlichen Sieg errungen hatte, wurden die Erörterungen zur Kapitalmarktpolitik wieder aufgenommen. Den äußeren Anlass bildete der Umstand, dass die Laufzeit des KVG am 31. Dezember 1953 endete. Sowohl der Bundeswirtschaftsminister als auch der Bundesfinanzminister bekundeten die Absicht, dem Bundeskabinett Vorschläge zur künftigen Kapitalmarktpolitik vorzulegen.107 Erhard gab als vorrangige wirtschaftspolitische Ziele der neuen Legislaturperiode an, „eine noch stärkere Expansion der deutschen Wirtschaft“ herbeizuführen und zugleich die „unvernünftig hohe“ Steuerlast zu senken. Er forderte öffentlich, das überkommene Steuersystem „mit Stumpf und Stil“ zu beseitigen, da eine Fortsetzung der Steuerpolitik „das Ende des wirtschaftlichen Aufbaus in der Bundes-
105 Nach der Senkung des Steuersatzes für ausgeschüttete Gewinne von 60 auf 30 Prozent mussten die Unternehmen immer noch knapp das Doppelte des Ausschüttungsbetrages verdienen. Für die Rendite der Anleger hatte dies folgende Auswirkungen: Bei einem gleichbleibenden Bruttogewinn ermöglichte die Tarifsenkung der kleinen Steuerreform im Jahr 1953 eine Erhöhung der Dividende um 35,3 Prozent. Hatte ein Unternehmen im Jahr 1952 eine Dividende von fünf Prozent ausgeschüttet, so konnte es im Jahr 1953 aus dem gleichen Bruttogewinn eine Dividende von 6,76 Prozent ausschütten. Protokolle der 269. Kabinettssitzung vom 16.1.1953, der 270. Sitzung vom 20.1.1953 und der 272. Sitzung vom 30.1.1953 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 5.10.2010); Kurzprotokoll der 202. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen am 22.4.1953 – PA, 1. Wahlperiode/ 11. Ausschuss; Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611; vgl. Dorner, Industriefinanzierung, S. 94 f. 106 Muscheid, Steuerpolitik, S. 57. 107 Vermerk vom 21.9.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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republik Deutschland“ bedeuten würde.108 Um beides zu erreichen, erklärte er die „Gesundung des Kapitalmarktes“ zu einer der wirtschaftspolitischen Hauptaufgaben und kündigte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kapitalmarktförderungsgesetzes an.109 Bundesfinanzminister Schäffer war mit den Haushaltsplanungen für 1954 bzw. den Vorbereitungen für die seit langem angekündigte „große Steuerreform“ beschäftigt und plante, dem Bundeskanzler auf direktem Wege Vorschläge für die künftige Kapitalmarktpolitik zu unterbreiten, die in die Regierungserklärung Adenauers zu Beginn der neuen Wahlperiode einfließen sollten.110 Beide Minister waren darauf bedacht, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen und so ihre Führungsrolle zu behaupten, was angesichts des notorisch angespannten Verhältnisses im Bereich Geld und Kredit zu weiteren, letztlich unfruchtbaren Kompetenzstreitigkeiten führen musste. Erhard wollte unmissverständlich seine Ressortzuständigkeit für den Kapitalmarkt geltend machen, während Schäffer die Fiskalpolitik grundsätzlich von allen kapitalmarktpolitischen Regelungen berührt sah und daher die entsprechenden Gesetze in seinem Haus erarbeiten lassen wollte. Die Obstruktion Schäffers ging soweit, dass er seinen Fachreferenten verbot, dem Bundeswirtschaftsministerium in Ressortbesprechungen Sachauskünfte zu erteilen.111 Daraufhin erarbeitete das Bundeswirtschaftsministerium ohne weitergehende interministerielle Beratungen eine Kabinettsvorlage, die am 28. September 1953 an die Regierungsmitglieder versandt wurde.112 VII. 3. 2. 1. Kapitalmarktpolitische Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums Zwischen der Bundestagswahl und der Zustellung der Kabinettsvorlage lagen nur gut drei Wochen, in denen das Bundeswirtschaftsministerium seine kapitalmarktpolitischen Ziele zusammengefasst hatte. Die Kabinettsvorlage schloss an die Thesen vom Frühjahr 1953 an und thematisierte erneut die Stärkung der Unternehmensfinanzierung. Dafür kam aus ordnungspolitischen Erwägungen heraus für das Bundeswirtschaftsministerium nur der Wertpapiermarkt in Frage; denn die bisherige Kapitalmarktpolitik habe die Unternehmen zu einer „ungesunden Preisund Dividendenpolitik“ veranlasst, die aufgrund der übertrieben hohen Selbstfinanzierungsquote Preissenkungen für die Konsumenten verhindert habe. Wenn die Beamten des Wirtschaftsressorts das Hauptproblem des Kapitalmarktes in der 108 Auszüge einer Rede Erhards auf dem deutschen Chemietag 1953, zit. nach Henzler, Schäffer, S. 477. 109 Tagesnachrichten des Bundeswirtschaftsministeriums vom 28.9.1953 – BA Ko, B 102/28611; vgl. Benning, Bankkredite, S. 7. 110 Vermerk für Herrn Minister (Fischer) vom 15.9.1953 – BA Ko, B 102/28611; vgl. Henzler, Schäffer, S. 477. 111 Vermerk für Herrn Minister (Fischer) vom 15.9.1953 – BA Ko, B 102/28611. 112 Schreiben Erhard an Schäffer vom 28.9.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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übertriebenen Selbstfinanzierung sahen, die sie als eine Spielart der „Politik des billigen Geldes“ betrachteten, dann hieß dies zugleich, dass sie die (aufgrund der zur Selbstfinanzierung einbehaltenen Gewinne) mangelnde Gewinnausschüttung der Unternehmen für den größten Hemmschuh der Unternehmensfinanzierung hielten. Insofern war es konsequent, die Aktie als Finanzierungsinstrument in den Vordergrund der Kapitalmarktpolitik zu stellen. Das Bundeswirtschaftsministerium konstatierte, dass sich das Kapitalmarktförderungsgesetz aufgrund des deutlich gesteigerten Wertpapierabsatzes zwar als nutzbringend erwiesen habe, aber aufgrund seiner vielfältigen Mängel umgestaltet werden müsse. Insbesondere missfiel dem Ministerium, dass von den Emissionen in Höhe von insgesamt rund zwei Mrd. DM, die seit Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes ausgegeben worden waren, nicht weniger als 1,7 Mrd. DM auf öffentliche Anleihen sowie Sozialpfandbriefe entfielen, dagegen nur 150 Mio. DM auf Industrieobligationen und 180 Mio. DM auf Aktien.113 Dem wollten die Ministerialbeamten entgegenwirken: Künftig sollte der Wertpapiermarkt wieder seine Position in der klassischen Abfolge der Investitionsfinanzierung der Unternehmen einnehmen, indem kurzfristige Bankkredite durch die Ausgabe von Aktien und Industrieobligationen konsolidiert wurden und die „Bankbilanzen wieder atmen“ konnten. Zu diesem Zweck sollte die aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums bestehende Diskriminierung der Unternehmen am Wertpapiermarkt beseitigt werden, indem künftig für alle Emittenten – teils durch Beseitigung von Steuervorteilen (Staatsanleihen, Pfandbriefe), teils durch Einführung neuer Steuervergünstigungen (Industrieobligationen, Aktien) – gleiche Startbedingungen geschaffen wurden. Dabei stellte das Bundeswirtschaftsministerium, wie von Bank- und Börsenkreisen gewünscht, die Förderung der Aktie in den Vordergrund. Die Kabinettsvorlage basierte im Einzelnen auf folgenden Überlegungen:114 a) Einführung der Kapitalertragsteuer für Aktien Neu einführen wollte das Bundeswirtschaftsministerium die steuerliche Begünstigung der Aktie, mit der die tiefe Spaltung zwischen Renten- und Aktienmarkt aufgrund der Renditeunterschiede überwunden werden sollte. Auch wenn eine „ernsthafte Finanzierungskrise“ noch nicht „unmittelbar“ bevorstand, sah das Bundeswirtschaftsministerium in der Aufbringung von längerfristigem Investitionskapital und der Verbesserung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen weiter-
113 Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953; Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611. 114 Zu Folgendem: Entwurf einer Kabinettsvorlage betr. Zweites Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes, Sept. 1953 – BBk HA, B 330/3156; Vermerk (Fischer) vom 14.9.1953; Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an das Bundeskanzleramt betr. Kabinettsvorlage: Zweites Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes, 28.9.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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hin den „eigentlichen Notstand“.115 Erneut wies das Ministerium in diesem Zusammenhang auf die sinkenden Gewinnmöglichkeiten der Unternehmen „im Zeichen der Mengenkonjunktur“, die zunehmende Wettbewerbsintensität und den abnehmenden Liquiditätsspielraum der Unternehmen hin. Im Vergleich zum Frühjahr war die Begründung nun aber überzeugender. Denn nicht ganz zu Unrecht befürchtete das Bundeswirtschaftsministerium, dass die Fremdfinanzierung der Unternehmen schwieriger werden könnte, sobald die Banken bei der Kreditvergabe vorsichtiger würden.116 Die Zurückhaltung der Banken konnte tendenziell dadurch gesteigert werden, dass sich das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital in den Unternehmensbilanzen immer weiter verschlechterte. Bei einer rückläufigen Wirtschaftsentwicklung fürchtete das Bundeswirtschaftsministerium, dass die Kreditinstitute ihre kurz- und mittelfristigen Kredite, die vielfach zur Investitionsfinanzierung eingesetzt worden waren, zurückfordern und die kreditnehmenden Unternehmen illiquide werden könnten. Zudem sahen es die Ministerialbeamten als Voraussetzung für eine weitere Kreditvergabe der Banken an, dass diese selbst ihre Eigenkapitalbasis durch Ausgabe eigener Aktien stärkten. Selbst der Hinweis, dass bei politischer Untätigkeit eine Entwicklung wie in der Bankenkrise 1931 drohe, fehlte in der Argumentation des Bundeswirtschaftsministeriums nicht.117 Das Ministerium beklagte, dass die Aktie vor allem aufgrund der „diskriminierenden“ Steuergesetzgebung, die ausgewiesene Unternehmensgewinne stark belaste und gleichzeitig die Selbstfinanzierung großzügig unterstütze, als Finanzierungsinstrument bislang praktisch ohne Bedeutung gewesen sei. Das Problem hatte erstmals in der „kleinen Steuerreform“ mit der Tarifsenkung für ausgeschüttete Gewinne Berücksichtigung gefunden, war aber aus Sicht des Wirtschaftsministeriums keinesfalls gelöst.118 Das Ministerium machte am Aktienmarkt eine verhängnisvolle Wirkungskette aus: Aufgrund der hohen steuerlichen Belastung der Gewinne beschränkten die Unternehmen ihre Dividenden auf ein Minimum bzw. verzichteten ganz auf Gewinnausschüttungen. Aufgrund der daraus resultierenden geringen Renditen war die Nachfrage nach Aktien gering und das Kursniveau niedrig. Da die Aktienkurse – trotz der Hausse im Sommer 1953, die auf die Erwartungen an den Ausgang der Bundestagswahl 115 Anlage zum Kurzprotokoll der 5. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.2.1954: Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft über die Lage auf dem Geld- und Kapitalmarkt – PA, 2. WP/ 22. Ausschuss. 116 Die Zurückhaltung der Kreditinstitute kündigte sich nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums schon an: Das kurz- und mittelfristige Kreditgeschäft wuchs 1951 um 2,25 Mrd. DM, 1952 um 1,44 Mrd. DM und 1953 nur noch um 200 Mio. DM. Nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums wurde die wirtschaftliche Expansion daher 1953 nicht mehr durch die Kreditausweitung, sondern durch die Außenhandelsüberschüsse getragen. Entwurf der Gutachtlichen Äußerung zu dem Gesetzentwurf des Bundesministers der Finanzen zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Vorschriften zur Förderung des Kapitalmarktes (Fischer) vom 25.1.1954 – BA Ko, B 102/28611. 117 Ebd. 118 Eine 8-prozentige Dividende brachte dem Aktionär – je nach Einkommensteuertarif – eine Rendite zwischen 1,2 und 4,6 Prozent.
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zurückführen war119 – im Durchschnitt wieder unter pari fielen,120 der Gesetzgeber aber Emissionen unter pari verbot (§ 9 Aktiengesetz), waren die Aktiengesellschaften gar nicht in der Lage, neue Aktien zu emittieren.121 Wenn zugleich die Steuerpolitik bei den vergleichsweise risikolosen festverzinslichen Wertpapieren zu so hohen Renditen führte, die bei direkten Investitionen gar nicht zu erwirtschaften waren, wer – so fragte das Bundeswirtschaftsministerium – solle denn dann noch in risikoreiches „Produktivkapital“ investieren?122 Nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums sollte die Aktie als Anlagepapier in der breiten Bevölkerung bereits wieder etabliert sein, wenn mit den geplanten Tarifsenkungen der „großen Steuerreform“ ab dem 1. Januar 1955 zusätzliche Einkommensteile für Anlagezwecke frei würden. Daher sollte die Aktie schon vorab gefördert werden. Durch eine Steigerung der Effektivrenditen könne – so das Wirtschaftsministerium – die Attraktivität der Aktien erhöht und somit das Kursniveau innerhalb kurzer Zeit so weit angehoben werden, dass die Kursstände wieder über pari steigen und Neuemissionen auf breiter Front möglich sein würden. Zu diesem Zweck schlug das Ministerium vor, die Dividenden – wie die Zinsen der festverzinslichen Wertpapiere – künftig beim Empfänger mit einer pauschalen Kapitalertragsteuer zu belegen, die etwas höher sein sollte als für Rentenwerte, aber immer noch wesentlich niedriger als die Tarife der Einkommensteuer.123 Entsprechend der Regelung für Festverzinsliche im Kapitalmarktförderungsgesetz wollte das Bundeswirtschaftsministerium also die Rendite der Aktionäre auf Kosten der Steuerzahler erhöhen. Eine freiwillige Anhebung der Dividendenausschüttungen durch die Unternehmen, die seit 119 Die Wirtschaftsverbände erhofften sich von einem Sieg der Regierungskoalition eine „Fortsetzung der bewährten Wirtschaftspolitik und ihre Ausdehnung auf den Kapitalmarkt“. Schreiben Arbeitsgemeinschaft der deutschen Wertpapierbörsen an den Bundesfinanzminister vom 28.10.1953 – BA Ko, B 126/6208. 120 Nach Feststellung des Statistischen Bundesamtes lag der Kursdurchschnitt der Aktien bei 95,4. Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611. 121 Unternehmen, deren Aktien über pari notierten, verzichteten laut Bundeswirtschaftsministerium auf Aktienemissionen, da auch diese Überparikurse infolge der steuerlichen Benachteiligung der Aktie dem eigentlichen Substanzwert bei weitem nicht entsprachen. Eine weitere Folge der niedrigen Aktienkurse war aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums, dass sie es ausländischen Investoren ermöglichte, sich durch Aufkauf der unterbewerteten Aktien billig – insbesondere mit Sperrmarkgeldern – an deutschen Aktiengesellschaften zu beteiligen. Die Schweiz wurde in diesem Zusammenhang als „sehr aktiv“ beschrieben. Vermerk (Abt. VI) vom 24.2.1953 – BA Ko, B 102/12663/1; Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums an das Bundeskanzleramt betr. Kabinettsvorlage: Zweites Gesetz zur Förderung des Kapitalmarktes, 28.9.1953; Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611; vgl. Flöge, Verbesserung, S. 39. 122 Anlage zum Kurzprotokoll der 5. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.2.1954: Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft über die Lage auf dem Geld- und Kapitalmarkt – PA, 2. WP/ 22. Ausschuss. 123 Vermerk (v. Hofe) vom 19.12.1953 – BA Ko, B 102/26811.
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Aufhebung der Dividendenstoppverordnung im Dezember 1952 möglich war, erwähnte das Konzept hingegen nicht. Denn das Ministerium ging davon aus, dass die Unternehmen ihre Ausschüttungen kaum erhöhen würden, solange sich dies angesichts der hohen Steuerbelastung kaum auf die Rendite auswirken würde.124 b) Beseitigung der steuerfreien Wertpapiere und Einführung einer einheitlichen Kapitalertragsteuer Die Steuervergünstigungen für festverzinsliche Wertpapiere wollte das Bundeswirtschaftsministerium „gleichmäßiger“ verteilt wissen. Um gleiche Startbedingungen am Rentenmarkt zu schaffen, forderte das Bundeswirtschaftsministerium die Einführung einer einheitlichen Kapitalertragsteuer für alle festverzinslichen Wertpapiere. Sie sollte nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums von 30 auf 20 Prozent herabgesetzt werden, um auf diese Weise das Zinsniveau auf dem Wertpapiermarkt zu senken.125 Das hieß zugleich, dass die im Kapitalmarktförderungsgesetz vorgesehene Steuerfreiheit für bestimmte Wertpapiere ganz abgeschafft werden sollte. Damit wollte das Wirtschaftsministerium die Sonderstellung der öffentlichen Hand und des sozialen Wohnungsbaus am Wertpapiermarkt beseitigen. Insbesondere Erhard war überzeugt, dass sich Bund und Länder mehr Kapital beschafft hatten, als sie tatsächlich benötigten; und in Bezug auf den sozialen Wohnungsbau hatte sich seiner Ansicht nach erwiesen, dass er durchaus „marktgerechte“ Zinssätze verkraften könne, wie die von den Bauträgern am „grauen Pfandbriefmarkt“ gezahlten Preise zeigten. Im Bundeswirtschaftsministerium ging man davon aus, dass die steuerfreien Pfandbriefe maßgeblich dazu beitrugen, das Zinsniveau am Rentenmarkt – auch und gerade über den „grauen Pfandbriefmarkt“ – hoch zu halten.126 Im Falle der steuerlichen Gleichstellung aller Festverzinslichen ging das Ministerium davon aus, dass der soziale Wohnungsbau trotzdem nicht vom Markt verdrängt würde. Ihm würden – so seine Einschätzung – auch in Zukunft die Gelder der Sozialversicherungsträger zufließen, die sich weiterhin von gemeinwirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen und dafür sorgen würden, dass der Wohnungsbau nicht mit unzumutbaren Zinsen belastet wurde. Mittelfristig müsse das System der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus jedoch auf einen verstärkten Einsatz privater Hypotheken umgestellt werden, um die öffentlichen
124 In der Kabinettsvorlage erklärte sich Erhard bereit, die Auswirkungen der Körperschaftsteuersenkung der kleinen Steuerreform abzuwarten, bevor er öffentlich eine weitere Senkung der Doppelbesteuerung forderte. Eine Änderung des Steuergesetzes, bevor die letzte überhaupt wirksam geworden war, wäre auch kaum durchzusetzen gewesen. Vermerk (Lenski) vom 15.9.1953 betr. Zukünftige Kapitalmarktpolitik – BA Ko, B 126/6208. 125 Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 126 Auch die Steuerfreiheit für besonders förderungswürdige Emissionen sollte entfallen. Diese sollten nach Auffassung des Ministeriums künftig besser mit Subventionen direkt unterstützt werden. Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611.
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Haushalte zu entlasten.127 Zum Zwecke der Senkung der Kapitalmarktzinsen hielt es das Bundeswirtschaftsministerium sogar für begrüßenswert, wenn das Volumen des – politisch bisher sakrosankten – sozialen Wohnungsbaus künftig eingeschränkt würde.128 Eindeutiger hätte man den Willen, die Dominanz des Wohnungsbaus am Wertpapiermarkt zu brechen, wohl kaum formulieren können. c) Beschränkung der Steuerbegünstigungen auf langfristige Wertpapiere Das Kapitalmarktförderungsgesetz erlaubte die Ertragsteuerfreiheit für Titel der öffentlichen Hand bei einer Mindestlaufzeit von nur drei Jahren; bei den übrigen Emittenten betrug die Mindestlaufzeit fünf Jahre. Diese Regelung führte dazu, dass die Steuerbegünstigungen zum großen Teil mittelfristigen öffentlichen Papieren zugute kamen. Die öffentliche Hand besaß wesentlich vorteilhaftere Umschuldungsmöglichkeiten als die Privatwirtschaft und der Wohnungsbau, die kaum in der Lage waren, Investitionen mit Mitteln zu finanzieren, die nur drei oder fünf Jahre zur Verfügung standen. Diese Vorzugsstellung wollte das Bundeswirtschaftsministerium beseitigen, indem die steuerliche Förderung künftig nur noch für Papiere in Frage kommen sollte, die eine Mindestlaufzeit von zehn Jahren hatten. Auf diese Weise sollte die Förderung auf „echte“ Kapitalmarktpapiere beschränkt werden und die Emission „ungesunder“ kurzfristiger Emissionen eingeschränkt werden. d) Beibehaltung der steuerlichen Begünstigung des Ersterwerbs von Wertpapieren Die steuerliche Förderung des Ersterwerbs von Wertpapieren im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen wollte das Bundeswirtschaftsministerium bis zur Verabschiedung der „großen Steuerreform“ beibehalten und auf Industrieobligationen ausdehnen. Dagegen hielt das Ministerium die Förderung des Kontensparens angesichts der Normalisierung des Sparprozesses nicht mehr für notwendig und sprach sich für die sofortige ersatzlose Streichung aus, statt sie, wie es in der „kleinen Steuerreform“ festgelegt worden war, erst Ende 1954 abzuschaffen. Auf die Einbeziehung des Aktienerwerbs in diese Förderung verzichtete
127 Eine willkommene Folge sei dann (aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums), dass Bund und Länder unter Druck gesetzt würden, innerhalb weniger Monate eine Anpassung der Mieten vorzunehmen, wenn sie nicht ihre Haushalte durch höhere Zuschüsse für den Wohnungsbau belasten wollten. Eine Umstellung der Wohnungsbaufinanzierung sah das Bundeswirtschaftsministerium aber nicht als Voraussetzung für eine Abschaffung des Sozialpfandbriefes an. Denn die Realkreditinstitute hatten in großem Umfange Emissionen auf Vorrat emittiert und bei den Sozialversicherungsträgern untergebracht, so dass aus Sicht des Ministeriums die Finanzierung „für lange Zeit“ bis zu der notwendigen Umstellung gesichert war. Ebd. 128 Kurzprotokoll der Ressortbesprechung über kapitalmarktpolitische Maßnahmen zwischen Vertretern des BMF, BMWo, der BdL und des BMWi vom 18.9.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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das Ministerium, da es die damit verbundene Sperrfrist von drei Jahren als schädlich für den Aktienmarkt ansah.129 Das Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums berücksichtigte zahlreiche Vorschläge der Finanzbranche, basierte aber bezeichnenderweise kaum auf Forderungen aus Handel und Industrie. Diese hielten sich mit kapitalmarktpolitischen Initiativen eher zurück – wohl nicht zuletzt, weil eine Stärkung des Wertpapiermarktes ihnen nicht nur Vorteile brachte: Wenn das Bundeswirtschaftsministerium die Aktienfinanzierung stärken wollte, so verfolgte es damit zugleich die Absicht, die Selbstfinanzierung einzuschränken. Das war nicht unbedingt im Sinne der Aktiengesellschaften, die bisher sehr gut mit der staatlich geförderten Rücklagenbildung gelebt hatten. Sicherlich war die Emission von Aktien bisher auch deshalb so unbedeutend, weil die überwiegende Mehrzahl der Aktiengesellschaften – mit wohlwollendem Einverständnis der staatlichen Verwaltungen – eine Politik der „stillen“ Substanzanreicherung betrieben hatte, die eine außerordentlich billige Form der Finanzierung darstellte, keine Verpflichtungen nach außen mit sich brachte und nicht zuletzt die Einflussnahme unerwünschter Aktionäre verhinderte.130 Hinzu kam, dass die Aktienpakete in der Regel an ausgewählte, strategisch orientierte Investoren abgegeben wurden, die hohen Gewinnausschüttungen keinen großen Wert beimaßen. Erleichtert wurde die Innenfinanzierung durch die weitgehende Entmachtung der Aktionäre seit den Zwanzigerjahren, besonders infolge der Änderung des Aktiengesetzes von 1937: Sie konnten seitdem nur noch in sehr begrenztem Maße über die Verwendung des Unternehmensgewinns bestimmen.131 Insofern kann dem Bundeswirtschaftsministerium kaum vorgehalten werden, dass es mit seiner kapitalmarktpolitischen Initiative einseitig die Interessen der Wirtschaft verfolgte.132 Die vorgeschlagenen Änderungen ernteten in der Wirtschaftspresse zwar wohlwollende Kommentare. Aber letztlich betraf die Förderung der Aktie nur wenige Unternehmen und einen engen Kreis von Aktienbesitzern: Es gab Mitte der Fünfzigerjahre (1956) in Westdeutschland 2.824 Aktiengesellschaften (nominales Aktienvolumen: 25,1 Mrd. DM), von denen nur 686 an der Börse notiert waren (Nominalkapital: 12,9 Mrd. DM).133 Folglich war die steuerliche Förderung der Eigenfinanzierung von Großunternehmen kaum geeignet, im breiten Publikum politisches Interesse bzw. wohlwollende Aufmerksamkeit hervorzurufen. In seinen öffentlichen Stellungnahmen setzte Erhard die – ordnungspolitisch motivierten – Vorschläge seines Hauses daher in einen gesamtwirtschaftlichen 129 Abt. VI: Der Kapitalmarkt. Bemerkungen zu unserer Vorlage vom 28.9.1953 und Stellungnahme zu den Gegenargumenten, o.D. – BA Ko, B 102/28611. 130 Vermerk (Gocht) vom 4.3.1953 – BA Ko, B 102/12663/1; Stenograph. Bericht über die 234. ZBR-Sitzung vom 10.1.1957 – BBk HA, B 330/99. 131 Dorner, Industriefinanzierung, S. 47; Strathus, Kapitalmarkt, S. 16, 38. 132 Bemerkenswert ist, dass die Unternehmen keineswegs die Abschaffung des Kapitalmarktförderungsgesetzes forderten, sondern lediglich seine Ausweitung auf die Industrieobligationen. Vgl. Riedl, Publizistik, S. 129 f. 133 Geld- und Bankwesen, S. 306, Tab. 1.10; Flöge, Verbesserung, S. 39.
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und -gesellschaftlichen Zusammenhang und lieferte übergeordnete Gründe für die vorgeschlagenen Maßnahmen. Hier scheint erstmals ein Perspektivwechsel in der Kapitalmarktpolitik auf, indem Erhard sich nicht mehr generell die Bedeutung der private Kapitalbildung in den Mittelpunkt stellte, sondern die Förderung einer sozial ausgeglichenen Vermögensbildung der privaten Haushalte betonte:134 Er argumentierte, dass die Schaffung eines Wertpapiermarktes, der auf einer möglichst breiten Mitwirkung des Publikums beruhe, nicht nur eine der wichtigsten Voraussetzungen für die weitere Expansion der Wirtschaft sei, sondern auch – was bisher selten gesehen werde – ein soziales Erfordernis ersten Ranges. Da das Wertpapiersparen bisher völlig unzureichend gewesen sei, habe der Wiederaufbau im Wesentlichen mit öffentlichen Mitteln und über die Gewinne der Unternehmen „in unorganischer Weise“ finanziert werden müssen. Dabei seien die Bürger durch hohe Steuern und Preise belastet, jedoch nicht an dem neu geschaffenen Eigentum beteiligt worden – was auf Dauer zu einer unerwünschten Kapitalkonzentration führen müsse. Infolge der jahrzehntelang befolgten „unehrlichen Politik“, zwar den Kapitalbedarf der Wirtschaft anzuerkennen, aber jede Kapitalbildung als „sozial anrüchig“ zu brandmarken, seien weite Kreise der Bevölkerung dem Wertpapiersparen völlig entfremdet worden.135 Dagegen würde ein größeres Engagement des Publikums am Wertpapiermarkt dazu führen, dass die öffentlichen Haushalte entlastet und Unternehmen umfassende Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchführen könnten. Die dadurch möglichen Steuer- und Preissenkungen würden zu einem höheren Lebensstandard führen und zugleich werde der private Wertpapiersparer Teilhaber an den industriellen Investitionen. Mit zunehmender materieller Wohlfahrt werde schließlich in immer größeren Bevölkerungskreisen ein Gefühl der sozialen Sicherheit und staatsbürgerlichen Unabhängigkeit wachsen. Dies alles lasse sich allein durch Schaffung freier Wettbewerbsverhältnisse auf dem Kapitalmarkt bewerkstelligen, die bereits auf den Warenmärkten alle Engpässe beseitigt hätten.136 Vorläufig aber, solange der hohe Steuerdruck eine ausreichende Kapitalbildung verhindere, sprach sich Erhard für das „Korrektiv“ steuerlicher Begünstigungsmaßnahmen aus. Da das marktwirtschaftliche Prinzip eine unterschiedslose Behandlung aller Marktteilnehmer voraussetze und den privaten Investitionen dieselbe soziale Bedeutung zukomme wie den öffentlichen (Schaffung von Arbeitsplätzen, Steigerung des Lebensstandards), müsse die „Begünstigungspolitik“ allen Wettbewerbern am Kapitalmarkt in gleicher Weise zugute kommen. Für die öffentliche Hand dürfe es daher keine Priorität mehr geben. Die organische Verbindung von Geld- und Kapitalmarkt müsse wiederhergestellt werden
134 Flöge, Verbesserung, S. 23, 61. 135 Vermerk (Vogt) vom 26.9.1953 betr. Anhaltspunkte für einen Artikel des Herrn Ministers über Probleme des Kapitalmarkts – BA Ko, B 102/28611. 136 Vermerk (v. Hofe) vom 19.12.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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und die Wohnungsbaufinanzierung grundsätzlich geändert werden.137 Sobald dies geschehen sei und der Staat sich jeglicher Beeinflussung der Emissionsbedingungen enthalte, werde an die Stelle der reglementierten Ordnung, d.h. der „Verzerrung und Öde des Kapitalmarktes“, bald eine lebendige Entwicklung und ein natürliches Zinsgefälle treten.138 VII. 3. 2. 2. Reaktion des Bundesfinanzministeriums Auch wenn Bundesfinanzminister Schäffer nach außen hin den Eindruck zu erwecken suchte, dass in seinem Hause eigene kapitalmarktpolitische Konzepte erarbeitet wurden, diskutierte und kommentierte das Bundesfinanzministerium de facto nur die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums. Schäffer hatte dabei immer die „große Steuerreform“ im Blick, mit der alle steuerlichen Sonderregelungen für den Wertpapiermarkt beseitigt werden sollten.139 Insofern hatte die von Erhard angestoßene Diskussion über eine Änderung des Kapitalmarktförderungsgesetzes für ihn immer nur den Charakter einer Übergangslösung. Die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums identifizierte das Bundesfinanzministerium als die Wünsche der Wirtschafts- und Kreditverbände, die bereits in der Presse diskutiert worden waren. Sie deckten sich zudem in weiten Teilen mit Empfehlungen, welche die BdL in ihrem Monatsbericht für September 1953 – ganz zum Missfallen Schäffers – ausgesprochen hatte.140 Im Bundesfinanzministerium gab es zwei voneinander abweichende Reaktionen auf die Vorschläge, einmal eine recht positive Einschätzung der Kapitalmarktexperten in Abteilung V (Rechtsfragen, ehem. Zuständigkeit für den Bereich Geld und Kredit) und einmal eine ablehnende Haltung der Steuerexperten in Abteilung IV (Besitz- und Verkehrssteuern). Die Beamten der Abteilung V brachten den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministeriums Verständnis entgegen, da sie die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes ebenfalls als Schlüssel für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen ansahen. In puncto Steuerfreiheit von Wertpapiererträgen sprachen sie sich für einen künftigen Verzicht der öffentlichen Hand aus. Es war ihrer Ansicht nach offensichtlich, dass die öffentlichen Emittenten bisher einen besonders großen
137 Tagesnachrichten des Bundeswirtschaftsministeriums vom 28.9.1953 – BA Ko, B 102/28611. 138 Vermerk (Vogt) vom 26.9.1953 betr. Anhaltspunkte für einen Artikel des Herrn Ministers über Probleme des Kapitalmarkts – BA Ko, B 102/28611. 139 Die „große Steuerreform“ sollte nach allgemeiner Auffassung die durchschnittliche Steuerbelastung deutlich senken und im Gegenzug alle steuerlichen Sonderregelungen zugunsten des Kapitalmarkts beseitigen; letztere waren ja im Grunde zu dem Zweck eingeführt worden waren, die hohen Einkommensteuertarife bei den Anlegern zu umgehen. 140 BdL, Monatsbericht September 1953, S. 5 ff.; Vermerk (v. Spindler) vom 5.10.1953 betr. Entwurf einer Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/51541.
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Vorteil aus dem Kapitalmarktförderungsgesetz gezogen hatten.141 Daher sei es wünschenswert, dass sie fortan auf ihre Vorzugsstellung verzichten (also ihre Anleihen mit einer 30-prozentigen Kapitalertragsteuer versehen) und ihre Emissionen zu „marktkonformen“ Zinssätzen anbieten würden. Damit könne nicht zuletzt Angriffen von Seiten der Wirtschaft und der Presse die Spitze genommen werden. Der Bund solle bei dem Verzicht auf Steuerfreiheit den Anfang machen, so dass die Länder nachfolgen müssten. Trotzdem erwarteten die Kapitalmarktexperten im Bundesfinanzministerium, dass die öffentliche Hand auch weiterhin einen gewissen Vorteil am Rentenmarkt haben würde, da sie im Vergleich zu den anderen Nachfragern relativ kurzfristige Papiere emittieren konnte, die am Markt sehr gefragt waren.142 Entsprechend sprach sich Abteilung V entgegen den Forderungen des Bundeswirtschaftsministeriums dafür aus, dass die Kapitalertragsteuer auch bei relativ kurzfristigen Papieren Anwendung finden sollte. In Bezug auf die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe wollte die Abteilung V zunächst das Votum des Bundeswohnungsbauministeriums sowie der einschlägigen Verbände des Wohnungsbaus und des Realkredits abwarten. Wie das Bundeswirtschaftsministerium war sie der Ansicht, dass die Existenz der „grauen Pfandbriefmärkte“ darauf hinweise, dass der Wohnungsbau eine stärkere Zinsbelastung vertragen könne „als er es bisher wahr haben wollte.“ In Betracht kam für Abteilung V eine Übergangsfrist für die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe, bis die gesetzlichen Grundlagen für eine notwendige Neuordnung der Wohnungsbaufinanzierung geschaffen waren.143 Der Senkung der Kapitalertragsteuer für steuerbegünstigte Rentenwerte von 30 auf 20 Prozent stimmten die Kapitalmarktexperten im Bundesfinanzministerium nicht zu, da ihrer Meinung nach nicht erneut versucht werden sollte, eine Senkung des allgemeinen Zinsniveaus durch steuerliche Maßnahmen herbeizuführen. Bezüglich der steuerlichen Begünstigung von Kapitalansammlungsverträgen bzw. des Ersterwerbs von Wertpapieren sprach sich Abteilung V für einen allmählichen Abbau der Förderung aus, beginnend mit dem Kontensparen. Eine Ausweitung auf Industrieobligationen hielt sie nur dann für notwendig, wenn die Förderung wie bisher fortgesetzt wurde.144 Mit Blick auf den Aktienmarkt war Abteilung V der Meinung, dass die vom Bundeswirtschaftsministerium geforderte steuerliche Förderung der Aktie nicht grundsätzlich abgelehnt werden sollte. Eine Begünstigung der Aktien sei notwendig, wenn man eine stärkere Selbstfinanzierung der Unternehmen vermeiden 141 Vermerk (v. Spindler) vom 5.10.1953 betr. Entwurf einer Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/51541. 142 Ebd. 143 Spätestens mit der Aufhebung der Steuerfreiheit für Sozialpfandbriefe sollte auch die Steuerfreiheit für Emissionen, denen eine besondere Förderungswürdigkeit zuerkannt wurde, wegfallen. Auszugsweise Abschrift aus der Stellungnahme der Abt. V vom 5.10.1953 betr. Kapitalmarktpolitische Maßnahmen, Entwurf der Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/2195. 144 Ebd.
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wolle.145 Das Bundesfinanzministerium solle daher prüfen, ob der Aktienmarkt nicht vorübergehend durch eine Senkung der Körperschaftsteuer bzw. eine Ermäßigung der Einkommensteuer beim Dividendenempfänger gefördert werden könne.146 Abteilung V und die volkswirtschaftliche Gruppe des Bundesfinanzministeriums, die dem Standpunkt des Bundeswirtschaftsministeriums in Sachen Aktienförderung weitgehend wohlwollend gegenüberstanden, gingen davon aus, dass es dem Bundesfinanzministerium ohnehin kaum möglich sein würde, sich den Wünschen Erhards vollkommen zu entziehen. Zu groß erschien ihnen Erhards Gewicht in der Öffentlichkeit, in der das Thema Aktienfinanzierung – auch und vor allem aufgrund des medienwirksamen Engagements Erhards – bereits ausgiebig diskutiert wurde.147 Auch im Bundestag rechneten sie mit einer Unterstützung der Aktienförderung.148 Im Gegensatz zu Abteilung V stellte Abteilung IV des Bundesfinanzministeriums (Besitz- und Verkehrssteuern) nicht die Sanierung des Wertpapiermarktes in den Vordergrund ihrer Überlegungen. Vielmehr wies sie auf die fiskalpolitischen Implikationen hin und sah die Kernfrage der künftigen Kapitalmarktpolitik darin, ob man wieder zu dem Grundsatz einer gleichmäßigen Besteuerung aller Einkünfte zurückkehren wolle. Nachdrücklich forderte sie mehr „Steuergerechtigkeit“, da es ihr wirtschafts- und sozialpolitisch nicht vertretbar schien, auf längere Sicht fundierte Einkünfte wesentlich besser zu behandeln als andere Einkünfte (aus selbständiger bzw. nicht selbständiger Arbeit, aus Vermietung etc.). Daher verurteilte sie die Einführung der Kapitalertragsteuer als systemwidrig und sozial ungerecht: Während alle anderen Einkünfte einer progressiven Besteuerung unterworfen seien, führe die Kuponsteuer bei Beziehern kleiner Einkommen zu einer Mehrbelastung (bzw. bei Erstattungsmöglichkeit zu keiner Entlastung), dagegen bei Beziehern mittlerer und großer Einkommen zu einem ungewöhnlichen Steuervorteil. Aus diesem Grund lehnte sie auch die Forderung des Bundeswirtschaftsministeriums ab, die Kapitalertragsteuer auf Wertpapiererträge von 30 auf 20 Prozent zu senken, da dadurch das Missverhältnis in der Besteuerung der verschiedenen Einkünfte noch vergrößert würde.149 Die steuerliche Begünstigung bestimmter fundierter Einkommen werde – so die Steuerabteilung – 145 Nach Ansicht von Abt. V würden die Unternehmen auch bei einem härter werdenden Wettbewerb keine Preissenkungen vornehmen, solange sie darauf angewiesen waren, ihre Investitionen weitgehend aus Gewinnen und Abschreibungen zu finanzieren. Vermerk (v. Spindler) vom 5.10.1953 betr. Entwurf einer Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/51541. 146 Vermerk (Feldmann) vom 6.10.1953 betr. Kapitalmarktpolitische Maßnahmen; Vermerk (Feldmann) vom 21.10.1953 betr. Kapitalmarktförderung: steuerliche Behandlung der Aktie – BA Ko, B 126/2195. 147 Vermerk (v. Stahlberg) vom 29.9.1953 betr. Künftige Kapitalmarktpolitik – BA Ko, B 126/51541. 148 Vermerk (Feldmann) vom 21.10.1953 betr. Kapitalmarktförderung: steuerliche Behandlung der Aktie – BA Ko, B 126/2195 149 Vermerk (Lenski, Grieger) vom 29.9.1953 betr. Förderung des Kapitalmarktes; Vermerk (Lenski, Grieger) vom 6.10.1953 betr. Entwurf einer Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/51541.
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immer Wünsche anderer Einkunftsbezieher nach sich ziehen, denen nur schwer zu begegnen sei. Zudem werde die unterschiedliche Behandlung von Kapitalerträgen immer Verzerrungen auf dem Kapitalmarkt hervorrufen.150 Ausgehend von der Vorstellung einer gleichmäßigen Behandlung aller Einkünfte hatte die Steuerabteilung an den vorgeschlagenen Reformmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums einiges auszusetzen. Sie befürwortete statt einer Modifizierung des Kapitalmarktförderungsgesetzes, die bis zum Inkrafttreten der großen Steuerreform ohnehin nur für höchstens ein Jahr gelten sollte, sein Außerkrafttreten bereits zum Jahresende 1953 und damit den Verzicht auf sämtliche Sonderregelungen für den Rentenmarkt.151 Vor allem aber setzte sie sich dafür ein, in einem ersten Schritt die Steuerfreiheit für Wertpapiererträge grundsätzlich aufzuheben und alle festverzinslichen Wertpapiere ab 1954 für eine Übergangsfrist einheitlich der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, die mit der „großen Steuerreform“ dann ebenfalls abgeschafft werden sollte. Bei den Kapitalansammlungsverträgen wollte Abteilung IV nicht nur, wie vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen, die Steuerbefreiung für das Kontensparen aufheben, sondern auch die steuerliche Begünstigung des Ersterwerbs von festverzinslichen Wertpapieren zum Jahresende 1954 abschaffen. Einen Einbezug von Industrieobligationen in die Förderung der Kapitalansammlungsverträge betrachtete sie als „zweckloses Geschenk an die Steuerpflichtigen“, da der Absatz von Industrieobligationen auch bisher schon reibungslos funktioniere. Dezidiert sprach sich die Steuerabteilung gegen eine Ausweitung der steuerlichen Förderung auf Aktien aus. Schon die Herabsetzung der Körperschaftsteuer auf den ausgeschütteten Gewinn im Rahmen der „kleinen Steuerreform“ bewertete sie als eine große Begünstigung, die die Doppelbesteuerung erheblich gemildert habe. Sollten die Erträge aus Anteilswerten beim Anleger ebenfalls mit einer 30-prozentigen Kapitalertragsteuer versehen werden, würde dies den durchschnittlichen Steuersatz so stark senken und zu einer so starken Begünstigung der Kapitalgesellschaften und ihrer Gesellschafter führen, dass die geplante „große Steuerreform“ keine weiteren Steuererleichterungen mehr bringen könnte, sondern im Gegenteil den Unternehmen Mehrbelastungen aufbürden müsste: Bei Einführung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden würde die steuerliche Gesamtbelastung der Aktie (Körperschaftsteuer auf den ausgeschütteten Gewinn zzgl. Kapitalertragsteuer) nur noch 60 Prozent betragen, was deutlich unter dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer für Einzelunternehmen und Personengesellschaften lag (80 Prozent).152
150 Vermerk (Lenski, Grieger) vom 29.9.1953 betr. Förderung des Kapitalmarkts – BA Ko, B 126/51541. 151 Vermerk (Lenski, Grieger) vom 24.9.1953 betr. Förderung des Kapitalmarkts – BA Ko, B 126/6208. 152 Vermerk (Lenski, Grieger) vom 29.9.1953 betr. Förderung des Kapitalmarktes – BA Ko, B 126/51541.
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Die Doppelbesteuerung der Aktiengesellschaften war nach Ansicht der Steuerexperten im Vergleich zu den Sätzen der Einkommensteuer durchaus angemessen, solange die Steuersätze optimal aufeinander abgestimmt waren.153 Dagegen würde eine weitere Aufweichung der Doppelbelastung ohne gleichzeitige, aus verschiedenen Gründen nicht vertretbare allgemeine Erhöhung der Körperschaftsteuersätze das Gleichgewicht zugunsten der Kapitalgesellschaften bzw. der Aktienbesitzer entscheidend verschieben. Für die bevorstehende „große Steuerreform“ würde damit ein Präjudiz hinsichtlich der Höhe der Einkommensteuerspitzensätze geschaffen. Denn die Steuerabteilung fürchtete, dass eine Ausweitung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden als ein erster Schritt zur Abschaffung der Doppelbesteuerung angesehen würde und im Rahmen einer großen Steuerreform kaum mehr rückgängig zu machen wäre. In diesem Fall müsste im Sinne der Steuergerechtigkeit auch die Besteuerung der GmbH und der Personengesellschaften gesenkt werden, was rechtlich enorm schwierig sei und insgesamt zu hohen Steuerausfällen führen würde. So würde mit einer kleinen Maßnahme (Einführung der Kapitalertragsteuer für Dividenden), auch wenn sie zunächst nur für einen kurzen Übergangszeitraum vorgesehen sei, ein Großteil der geplanten Steuerreform beeinflusst und der Gestaltungsspielraum des Bundesfinanzministeriums erheblich eingeengt werden. Genau das sei auch das Ziel der Wirtschaftsverbände, so argwöhnten die Steuerexperten im Bundesfinanzministerium: Unter dem Deckmantel der Förderung des Aktienwesens strebe die Wirtschaft ein Präjudiz für die Minderung bzw. Abschaffung der Doppelbesteuerung an. Dies wollte die Steuerabteilung auf keinen Fall zulassen.154 Zudem fürchtete sie, dass der Einbezug der Aktien in die Kapitalertragsteuer zu einer so starken Begünstigung gegenüber den Rentenwerten führen würde, dass festverzinsliche Wertpapiere nur noch bei einer übermäßig hohen Verzinsung absetzbar wären, was wiederum insbesondere den Sozialpfandbrief benachteiligen würde. Aus all dem schloss die Steuerabteilung, dass zahlreiche gewichtige Gründe gegen eine Begünstigung von Dividenden beim Empfänger sprachen und dass die Kapitalmarktpolitik bei den Kapitalgesellschaften ansetzen sollte, damit diese eine angemessene Ausschüttung vornehmen konnten. Dabei wollte sie vermeiden, auf die Ausschüttungspolitik der Unternehmen Einfluss zu nehmen: „Es mag sein, dass der Staat augenblicklich Ausschüttungen aus Gründen der Kapitalmarktpolitik lieber sieht als Investierungen. Die Verhältnisse können aber morgen bereits anders liegen.“155 Daher sprach sich Abteilung IV für eine einheitliche Körperschaftsteuer für den einbehaltenen und den ausgeschütteten Gewinn aus, der künftig wieder 50 Prozent betragen sollte – ein Vorschlag, der außerhalb des Bundesfinanzministeriums wohl kaum als ernstzunehmende Maßnahme zur Förderung des Kapitalmarktes angesehen worden wäre. 153 Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 154 Vermerk (Lenski, Grieger) vom Januar 1954 betr. Kabinettsvorlage vom 13.1.1954 – BA Ko, B 126/6208; Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 155 Vermerk (Lenski, Grieger) vom 29.9.1953 betr. Förderung des Kapitalmarktes – BA Ko, B 126/51541.
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VII. 3. 2. 3. Kabinettsvorlage des Bundesfinanzministeriums Bundeskanzler Adenauer bat Erhard Anfang Oktober 1953 darum, angesichts der laufenden Verhandlungen um die Neubesetzung einiger Bundesressorts die interministerielle Besprechung seiner Kabinettsvorlage zurückzustellen. Diesem Wunsch kam Erhard nach, um nur zwei Wochen später feststellen zu müssen, dass Schäffer inzwischen seinerseits aktiv geworden war.156 Nicht nur erschwerte der Bundesfinanzminister die Zusammenarbeit zwischen den Fachreferaten beider Ministerien; er konsultierte auch den Bundeswohnungsbauminister in kapitalmarktpolitischen Angelegenheiten und trat anschließend an die Öffentlichkeit: Schäffer informierte ohne vorherige Absprache mit dem Bundeswirtschaftsministerium eine handverlesene Gruppe von Journalisten (Die Welt, Hamburger Abendblatt, Industriekurier, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Deutsche Presseagentur, Die Zeit) über die kapitalmarktpolitischen Präferenzen seines Hauses. Er sprach davon, dass das KVG am 31. Dezember 1953 aufgehoben werden solle, der Bund zukünftig auf die Steuerfreiheit seiner Anleihen verzichten werde und auch die Möglichkeit bestehe, dass die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe abgeschafft werde. In Bezug auf eine staatliche Förderung der Aktie gab er sich zurückhaltend und deutete an, dass vor der „großen Steuerreform“ keine Maßnahmen zu erwarten seien.157 Erhard gegenüber begründete Schäffer sein wenig kollegiales Verhalten mit dem Hinweis, dass seit Jahren Interna über Gesetzesvorhaben der Bundesregierung aus dem Bundeswirtschaftsministerium an die Öffentlichkeit gelangt seien. Mit dem Vorwurf an Erhard, sein eigenes Haus nicht im Griff zu haben, stand Schäffer nicht allein: In regelmäßigen Abständen beklagten dies eine Reihe von Kabinettskollegen und der Bundeskanzler.158 Nun wollte Schäffer offenbar den Spieß umdrehen und seine Ideen vorab der Öffentlichkeit mitteilen, um der ständigen Medienpräsenz Erhards entgegenzuwirken. Das Bundeswirtschaftsministerium argwöhnte hingegen, dass der Bundesfinanzminister mit seinem Vorstoß lediglich Entscheidungen in der Kapitalmarktpolitik hinauszögern wolle,159 um kapitalmarktrelevante Lösungen im Rahmen der „großen Steuerreform“ präsentieren zu können. Denn auf die Gestaltung kapitalmarktpolitischer Instrumente im Rahmen der Steuerreform hätte das Bundeswirtschaftsministerium viel weniger Einfluss gehabt. Dass die Auseinandersetzung – wieder einmal – von einem Briefwechsel mit deutlichen Worten und gegenseitigen Vorwürfen, in den Erhard auch den Bundeskanzler einschaltete, begleitet wurde, verstand sich mittlerweile fast von selbst. In diesem Zusammenhang drohte Erhard seinerseits, an Ressortbesprechungen, die vom Bundesfinanzministerium zur Kapitalmarkt156 Schreiben Erhard an Adenauer vom 19.10.1953 – BA Ko, B 102/28611. 157 Vermerk für Herrn Minister (Fischer) vom 15.9.1953; Schreiben Fischer (BMWi) an Kramer (BMWi) vom 7.10.1953; Vermerk (Abt. VI) vom 16.10.1953; Vermerk (Fischer) vom 16.l0.1953 – BA Ko, B 102/28611. 158 Löffler, Marktwirtschaft, S. 314 ff., 332 ff. 159 Vermerk (Fischer) vom 6.10.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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politik einberufen würden, nicht teilzunehmen, solange das Kabinett zu seinen eigenen kapitalmarktpolitischen Vorschlägen keine Stellung genommen hatte.160 Schäffers öffentlichkeitswirksamer Alleingang ereignete sich unmittelbar vor der Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 20. Oktober 1953 anlässlich des Beginns der neuen Legislaturperiode, in der Adenauer nur wenig Konkretes zur Kapitalmarktpolitik äußerte und keine eindeutige Stellung zugunsten eines seiner Minister bezog. Immerhin erklärte Adenauer vor dem Parlament die Absicht der Bundesregierung, im Wohnungsbau „die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft Schritt für Schritt“ zur Geltung zu bringen. Mit Blick auf den Kapitalmarkt kündigte er an, dass private, über den freien Kapitalmarkt finanzierte Investitionen in stärkerem Maße als bisher öffentliche, steuerfinanzierte Investitionen ablösen sollten, damit die Steuerlast der Bevölkerung gemindert werden könnte. Ob Dividendenpapiere künftig steuerlich gefördert würden, ließ Adenauer offen: Dies werde „zur Zeit geprüft“.161 Erhard zeigte sich von Schäffers Entscheidung, der Fiskalpolitik Vorrang vor kapitalmarktpolitischen Überlegungen einzuräumen, tief enttäuscht. Der schärfste Gegensatz herrschte in der Frage der Aktienförderung. Schäffer entschied sich ausdrücklich dafür, im Vorfeld der „großen Steuerreform“ keine steuerlichen Begünstigungen für Anteilswerte – weder beim Aktionär noch bei der Aktiengesellschaft – einzuführen, um das Steuersystem nicht durch weitere Einzelbestimmungen zu komplizieren bzw. die Haushaltsdisziplin durch neue Steuerausfälle zu gefährden. Die Vorschläge aus dem Bundeswirtschaftsministerium hielt Schäffer nicht für erfolgversprechend genug, um in der Unternehmensfinanzierung die gewünschte Verlagerung von der Selbst- auf die Fremdfinanzierung herbeizuführen.162 Wenn die Aktie nicht mit den Rentenwerten konkurrieren könne, dann war dies nach Schäffers Überzeugung nicht auf eine zu hohe Besteuerung der Kapitalgesellschaften zurückzuführen, sondern auf das Kapitalmarktförderungsgesetz, das die festverzinslichen Wertpapiere zu stark begünstige. Die Aktie könne steuerlich gar nicht so sehr gefördert werden, dass sie mit den Rentenwerten konkurrieren könne. Folgerichtig forderte Schäffer die sofortige und vollständige Aufhebung des Kapitalmarktförderungsgesetzes. Da dies aber aufgrund der Beibehaltung des Sozialpfandbriefes, der letztlich auf das
160 Schreiben Erhard an Schäffer vom 8.10.1953; Schreiben Erhard an Adenauer vom 19.10.1953 – B 102/28611. 161 Bevor Adenauer auf die Wirtschaftspolitik einging, würdigte er die Erfolge der Bundesregierung in der Sozialpolitik, insbesondere im Wohnungsbau, für den er eine verstärkte Eigenheimförderung ankündigte. Wohl mit Blick auf das angespannte Verhältnis zwischen Schäffer und Erhard betonte Adenauer die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Wirtschafts- und Finanzpolitik bei der Kapitalbildung: „Beide Bereiche der staatlichen Tätigkeit sind so miteinander auf Gedeih und Verderb verbunden, dass, wenn nirgendwo, dann hier enge und verständnisvolle Zusammenarbeit nötig ist.“ Regierungserklärung vom 20.10.1953, S. 15, 21 f. 162 Niederschrift über eine Besprechung im Bundesfinanzministerium vom 26.10.1953 – BA Ko, B 126/6208; Vermerk (Lenski) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 126/5154.
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Festhalten an den Richtsatzmieten zurückging, nicht möglich sei, müsse die Benachteiligung der Aktie eben fortbestehen.163 In seiner Argumentation stellte er ganz im Sinne seiner Steuerabteilung steuersystematische Aspekte in den Vordergrund, ließ sich damit nicht von den vorgebrachten gesamtwirtschaftlichen Argumenten überzeugen und wandte sich gegen die Forderungen des Bundeswirtschaftsministers und der BdL sowie den enormen Druck in Wirtschaft und Wirtschaftspresse, die nach dem Wahlsieg der Union Maßnahmen zugunsten der Aktie erwarteten und vor einer Enttäuschung der Finanzmärkte warnten.164 Die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Schäffer und Erhard überdeckten allerdings, dass beide Minister in wichtigen Fragen der Kapitalmarktpolitik nicht mehr weit voneinander entfernt waren. Die Übereinstimmungen betrafen vor allem den Kernbereich des Kapitalmarktförderungsgesetzes: die Förderung der festverzinslichen Wertpapiere. Hier zeigte Schäffer eine deutlich flexiblere Haltung als in der Aktienfrage. Auch ihm war bewusst, dass die bisherige Kapitalmarktpolitik die Finanzierung der öffentlichen Haushalte wesentlich erleichtert hatte: Die öffentlichen Investitionen waren von 5,2 Mrd. DM im Haushaltsjahr 1950 um 58 Prozent auf 8,1 Mrd. DM im Jahr 1952 angestiegen. Gleichzeitig konnte die Finanzierung der öffentlichen Investitionen stärker auf die außerordentlichen Haushalte und damit auf den Kapitalmarkt verlagert werden: Mussten 1950 noch ca. 80 Prozent der öffentlichen Investitionen aus Steuermitteln gedeckt werden, so waren es 1953 nur noch weniger als 60 Prozent. Die zurückgehende Inanspruchnahme von Steuermitteln für Investitionen eröffnete die Möglichkeit, das Steueraufkommen für andere Zwecke einzusetzen, bzw. schuf den Spielraum für Steuersenkungen im Rahmen der großen Steuerreform.165
163 Vermerk (Lenski, Grieger) vom Januar 1954 betr. Kabinettsvorlage vom 13.1.1954 – BA Ko, B 126/6208. 164 Der Aktienmarkt hatte vor und nach der für die Union so günstigen Bundestagswahl deutliche Kursanstiege verzeichnet, da mit dem sich abzeichnenden Wahlsieg der Koalition eine aktive Förderung des Aktienmarktes verbunden und in den Aktienkurse eingepreist wurde. Fernschreiben der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Wertpapierbörsen an den Bundesfinanzminister vom 28.10.1953 – BA Ko, B 126/6208; Vermerk vom 7.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 165 Anfang 1953 hatte Scharnberg im Vorfeld der „kleinen Steuerreform“ auf den Zusammenhang zwischen öffentlicher Anleihefinanzierung und Steuererleichterungen hingewiesen: „Vor allem aber ist zu sagen, dass die Begebung dieser Bundesanleihe die Grundlage für den augenblicklich diskutierten Plan einer Steuertarifsenkung geschaffen hat. Denn eine solche Tarifsenkung führt ohne Zweifel zu einem vorübergehenden Ausfall im ordentlichen Haushalt des Bundes. Die Konsolidierung eines Teilbetrages von 500 Mill. DM der kurzfristigen Verschuldung des Bundes bewirkt nicht nur einen entsprechenden Ausgleich des defizitären außerordentlichen Haushalts, sondern auch eine Entlastung des ordentlichen Haushalts. Nur deshalb kann der Finanzminister das Risiko einer Tarifsenkung auf sich nehmen. Eine solche Tarifsenkung aber würde die Reallöhne erhöhen und damit zu einer Produktionssteigerung führen; sie würde andererseits die innerbetriebliche Kapitalbildung verbessern und zugleich dem Kapitalmarkt neue Mittel zuführen. So käme indirekt die durch das Kapitalmarktförderungsgesetz ermöglichte Bundesanleihe allen in der Wirtschaft Tätigen, Unternehmern und
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An der Leistungsfähigkeit des Rentenmarktes war dem Bundesfinanzministerium aus eigenem Interesse gelegen. So plante Schäffer im Jahr 1954 allein für den Bund eine mittel- und langfristige Schuldenaufnahme in Höhe von rund einer Mrd. DM.166 Allerdings zeigte die erfolgreiche Unterbringung der öffentlichen Anleihen auf dem Wertpapiermarkt in den zurückliegenden Monaten, dass ihr Absatz keiner besonderen Förderung mehr bedurfte. Daher erklärte sich Schäffer nicht nur vor der Presse, sondern auch während der Haushaltsberatungen im Bundeskabinett ohne Umschweife bereit, bei zukünftigen Emissionen des Bundes freiwillig auf die Steuerfreiheit der Kapitalerträge zu verzichten.167 Hatte die Bundesanleihe von 1952 den Reigen der Emission steuerfreier Wertpapiere eröffnet, sollte nun eine Anleihe der Lastenausgleichsbank in Höhe von 200 Mio. DM die Ära der steuerfreien Papiere des Bundes im Dezember 1953 beenden.168 Schäffer ging davon aus, dass sich die Länder, deren Kassenlage aufgrund stetiger Einnahmenüberschüsse hervorragend war, anschließen und ebenfalls auf die Steuerfreiheit ihrer Emissionen verzichten würden.169 Im Bundeskabinett und in der Öffentlichkeit betonte Schäffer mehrfach, dass er – wie ihm seine Steuerabteilung nahe gelegt hatte – das Kapitalmarktförderungsgesetz am liebsten gemeinsam mit dem KVG Ende 1953 ganz abschaffen wolle, damit sich die Zinsen auf dem Wertpapiermarkt frei einspielen könnten. Er ließ seinen Staatssekretär erklären, dass mit steuerlichen Maßnahmen keine Kapitalmarkt- und Zinspolitik mehr betrieben werden solle. Die Wirtschaft müsse vielmehr in völliger Freiheit selbst entscheiden, wie sie ihr Geld anlegen wolle. Man solle sie durch steuerliche Maßnahmen weder zu Investitionen noch zu Ausschüttungen oder zu Kreditrückzahlungen zwingen.170 Diese Äußerungen hätten durchaus auch von Erhard stammen können. Trotzdem blieb Schäffer auf Distanz und darauf bedacht, die Vorarbeiten aller Gesetzesvorhaben, die Einfluss auf die „große Steuerreform“ haben konnten, im eigenen Hause und unter eigener Regie zu halten. Unmissverständlich machte er
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Arbeitnehmern, zugute.“ Die Zeit vom 22.1.1953 (Zitat); Vermerk (Volkswirtschaftliche Gruppe) vom 13.11.1953 betr. Investitionen und Steuerbedarf – BA Ko, B 126/2195. Hinzu kam eine kurzfristige Neuverschuldung von 500 Mio. DM. Anlage zum Kurzprotokoll Nr. 3 des Haushaltsausschusses, Nr. 3 des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und Nr. 2 des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.12.1953, S. 17 – PA, 2. WP/22. Ausschuss. Protokoll der 4. und 5. Kabinettssitzung vom 4.11.1953, TOP 1 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). Anlage zum Kurzprotokoll Nr. 3 des Haushaltsausschusses, Nr. 3 des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und Nr. 2 des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.12.1953, S. 14 – PA, 2. WP/22. Ausschuss. Schäffer zeigte sich indes überzeugt, dass eine Vorzugsstellung der öffentlichen Emissionen auch nach Wegfall der Steuerfreiheit durch die kürzeren Laufzeiten der Anleihen gewahrt würde. Vermerk (Referat IV) vom 1.10.1953 – BA Ko, B 126/6208; Vermerk (Feldmann) vom 6.10.1953 betr. Kapitalmarktpolitische Maßnahmen – BA Ko, B 126/2195; Vermerk (v. Spindler) vom 8.10.1953 betr. Konferenz der Finanzminister und Finanzsenatoren am 8.10.1953 – BA Ko, B 126/51541. Vermerk vom 28.11.1953 – BA Ko, B 126/6208; Stenograph. Bericht über die 158. ZBRSitzung vom 25.11.1953 – BBk HA, B 330/73.
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Erhard gegenüber deutlich, dass er nicht gewillt sei, sich über das Bundeskabinett beauftragen zu lassen, Gesetzentwürfe nach den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministeriums anzufertigen.171 Wie in vielen anderen Fällen zeigte sich Erhard letztendlich weniger hartnäckig als sein Kabinettskollege. Gegen den Rat seiner eigenen Beamten nahm er ein erneutes Angebot Hugo Scharnbergs an, informell bei den Gesetzesverhandlungen zu vermitteln,172 und überließ dem Bundestagsabgeordneten die Koordinierung der kapitalmarktpolitischen Fragen. Doch erlangte der inoffizielle „Scharnberg-Ausschuss“ in der Folgezeit nicht mehr eine vergleichbare Bedeutung wie im Vorfeld des Kapitalmarktförderungsgesetzes.173 Denn Schäffer zog die Verhandlungen immer mehr an sich und verzichtete schließlich ganz auf diese Form der Beratung, nachdem wiederholt vertrauliche Informationen aus dem „Scharnberg-Ausschuss“ an die Presse gelangt waren.174 Im Oktober/ November 1953 kam es trotz der gegenseitigen Drohungen von Schäffer und Erhard zu ersten Ressortbesprechungen, in denen die Positionen der zuständigen Bundesministerien auf Fachebene ausgetauscht wurden. Im Anschluss stellte das Bundesfinanzministerium am 16. Dezember 1953 einen ersten Gesetzentwurf für eine Novellierung des Kapitalmarktförderungsgesetzes mit der Bezeichnung „Gesetz zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Vorschriften zur Förderung des Kapitalmarktes“ vor. Schäffer machte bei der Vorstellung des Entwurfs noch einmal deutlich, dass er nur widerstrebend bereit sei, für eine weitere Übergangszeit die Steuerbefreiung bzw. -begünstigung bestimmter Wertpapiertypen zu akzeptieren. Er finde sich nur deshalb damit ab, weil lediglich auf dieser Grundlage eine Einigung zwischen den Bundesressorts möglich sei.175 Zu einer Annäherung zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium in der Frage der Aktienförderung war es indes nicht gekommen. Dies zeigt allein die Tatsache, dass der Gesetzentwurf für die Aktie keinerlei Begünstigungen vorsah, weder den Einbezug der Dividenden in 171 Schreiben Schäffer an Erhard vom 8.10.1953 – BA Ko, B 126/51541. 172 Die Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums argwöhnten, dass Schäffer Scharnberg zu dem Angebot veranlasst habe, um über den Scharnberg-Ausschuss, der die Diskussion wie schon beim Kapitalmarktförderungsgesetz von der Regierungsebene auf die parlamentarische Ebene verlagern würde, die Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums auszuhebeln. Vermerk (Fischer) vom 20.10.1953 – BA Ko, B 102/28611. 173 Scharnberg lud Ende November 1953 seinerseits Vertreter der Bundesministerien der Finanzen, für Wirtschaft, für Wohnungsbau und der Justiz zu einer Besprechung ein. Vermerk (Kramer) vom 9.12.1953 – BA Ko, B 102/28611. 174 Seit Anfang 1954 erfolgten keine Einladungen mehr zu Sitzungen des „ScharnbergAusschusses“. Stenograph. Bericht über die 169. ZBR-Sitzung vom 19.5.1954 – BBk HA, B 330/77. 175 Damit war in erster Linie die Rücksichtnahme auf das Bundeswohnungsbauministerium gemeint, das ohne die steuerliche Förderung des Sozialpfandbriefs die Wohnungsbaufinanzierung in Gefahr sah. Protokoll der 2. Sitzung des Kabinettausschusses für Wirtschaft vom 21.12.1953 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010); Vermerk (Lenski) vom 23.6.1954 – BA Ko, B 126/6208; vgl. v. Spindler, Finanzpolitik, S. 12.
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die 30-prozentige Kapitalertragsteuer noch eine Senkung der Körperschaftsteuer auf den ausgeschütteten Gewinn. Der Entwurf des Bundesfinanzministeriums ging davon aus, dass das KVG nicht noch einmal verlängert und wie vorgesehen am 31. Dezember 1953 enden sollte. Dies war in allen beteiligten Ressorts unumstritten. Der Wegfall des KVG bedeutete automatisch, dass es ab dem 1. Januar 1954 keine „förderungswürdigen“ Emissionen und keine damit verbundene Steuerfreiheit (§ 3a EStG (Kapitalmarktförderungsgesetz)) mehr geben würde.176 Denn das zuständige Gremium, das über die Förderungswürdigkeit zu befinden hatte, der Kapitalverkehrsausschuss, würde nicht mehr existieren. Die Gefahr, dass mit dem Wegfall des KVG zu viele Emissionen aufgelegt werden könnten und so ein Überangebot am Wertpapiermarkt entstehen würde, sollte ein Rückgriff auf § 795 BGB verhindern, der in modifizierter Form wieder in Kraft treten sollte.177 Ob dieser Paragraph künftig eine Lenkungsbefugnis beinhalten sollte, war allerdings umstritten.178 Im Einzelnen sah der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums folgende Regelungen vor: Die Ertragsteuerfreiheit für festverzinsliche Wertpapiere sollte aufgehoben werden,179 die Wertpapiererträge sollten fortan einheitlich mit einer die Einkommen- und Körperschaftsteuer abgeltenden Kapitalertragsteuer in Höhe von 30 Prozent belegt werden.180 Einzige Ausnahme sollten die Pfandbriefe und Kommunalobligationen des sozialen Wohnungsbaus sein, deren Erträge weiterhin von allen Steuern befreit sein sollten. Die 30-prozentige Kapitalertragsteuer sah der Gesetzentwurf für alle festverzinslichen Wertpapiere vor, die eine Laufzeit von mindestens sechs Jahren hatten. Wertpapiere mit kürzere Laufdauer sollten nicht mehr einer prohibitiven 60-prozentigen Kapitalertragsteuer unterworfen
176 Niederschrift vom 10.11.1953 betr. Die Ressortbesprechung vom 31.10.1953 – BA Ko, B 126/51541. 177 Das Bundesfinanzministerium wollte darauf hinwirken, dass die Zuständigkeit für Emissionsgenehmigungen gemäß § 795 BGB nicht – wie früher – den Bundesländern, sondern zentral einem Bundesministerium zuerkannt werden sollte. Im Bundeswirtschaftsministerium war umstritten, wer die Emissionsgenehmigungen nach Auslaufen des KVG übernehmen sollte. Abteilung VI (Geld und Kredit) wollte die Zuständigkeit beim Bundeswirtschaftsminister zentralisieren. Abteilung I (Grundsatzabteilung) wollte diese Kompetenz dagegen den Ländern zugestehen. Denn Müller-Armack rechnete damit, dass die Länder keine weitere Kontingentierung bzw. Mengenbeeinflussung bei den Emissionen mehr vornehmen würden, da sie unter dem Druck der Kreditinstitute jede Emission genehmigen müssten. Damit würde der freie Wettbewerb am Wertpapiermarkt nach Ansicht Müller-Armacks endlich hergestellt werden. Vermerk (v. Stahlberg) vom 1.12.1953 betr. Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/ 6208; Unsere Wünsche zum Kapitalverkehrsgesetz und Kapitalmarktförderungsgesetz vom 21.9.1953 – BA Ko, B 102/28611; Vermerk (v. Spindler) vom 5.10.1953 betr. Entwurf einer Kabinettsvorlage des Bundeswirtschaftsministeriums – BA Ko, B 126/51541. 178 Vermerk (Kramer) vom 13.1.1954 – BA Ko, B 102/12663/2. 179 Vermerk (Lenski) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 126/51541. 180 Änderungen der Bestimmungen des EStG und KStG, soweit sie den Kapitalmarkt betreffen, o.D. – BA Ko, B 126/51541; Niederschrift über eine Besprechung im Bundesfinanzministerium vom 26.10.1953 – BA Ko, B 126/6208.
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sein, sondern den normalen Tarifen der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer.181 Der Gesetzentwurf bestimmte, dass alle Vorschriften des neuen Gesetzes zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der „großen Steuerreform“ am 31. Dezember 1954 außer Kraft treten sollten. VII. 3. 3. Das Ringen um die Förderung der Aktie und die Wohnungsbaufinanzierung VII. 3. 3. 1. Einbezug der Aktie in die steuerliche Förderung Es kann kaum verwundern, dass Erhard, der sich öffentlich und in den Haushaltsberatungen der Bundesregierung für die kapitalmarktpolitischen Konzepte seines Hauses stark gemacht hatte,182 den Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums rigoros zurückwies. Zu weit hatte er sich vor und nach der Bundestagswahl aus dem Fenster gelehnt, als dass er ohne Gesichtsverlust auf eine Berücksichtigung der Aktie hätte verzichten können.183 In einem Schreiben an Schäffer beklagte er, dass der Gesetzentwurf ohne Berücksichtigung des Aktienmarktes nur Stückwerk sei und forderte, „wenn anders nicht das Ansehen der Bundesregierung geschädigt werden soll“, weitergehende Verhandlungen.184 Zu diesem Zeitpunkt war die Forderung Erhards aber nur noch Wunschdenken. Denn in den zurückliegenden Wochen hatte Erhard im Tauziehen um die Förderung der Aktie Schritt für Schritt zurückweichen müssen. Zwar fand er generell Unterstützung beim Bundeskanzler, der dem Ansinnen Erhards beipflichtete, die Aktie von „diskriminierenden steuerlichen Sondervorschriften zu befreien, um der Wirtschaft die dringend erforderlichen weiteren Antriebskräfte zu geben.“185 Ebenso stimmte Adenauer Erhard im Grunde zu, dass der Staatsanteil an der Investitionsfinanzierung grundsätzlich zurückgeführt werden müsse. Doch auf die Kapitalmarktpolitik hatten diese allgemeinen Äußerungen keine Auswirkungen. Schon zu Beginn der Gesetzesberatungen hatte Erhard akzeptiert, dass aus fiskalischen Gründen eine allgemeine Herabsetzung der Körperschaftsteuersätze bzw. eine Beseitigung der Doppelbesteuerung nicht möglich war. Daraufhin hatte er einen Einbezug der Dividenden in die 30-prozentige Kapitalertragsteuer gefor181 Entwurf der Gutachtlichen Äußerung zu dem Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers vom 25.1.1954 – BA Ko, B 102/12663/2. 182 Protokoll der 4. und 5. Kabinettssitzung vom 4.11.1953, TOP 1 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 183 Vermerk (Kramer) vom 14.12.1953 – BA Ko, B 102/28611; Protokoll der 2. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 21.12.1953 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 184 Schreiben Erhard an Schäffer vom 16.12.1953; Vermerk (v. Hofe) vom 19.12.1953 – BA Ko, B 102/28611. 185 Protokoll der 16. Kabinettssitzung vom 29.1.1954, TOP 4 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010).
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dert, den der Bundesfinanzminister jedoch aus den dargelegten Gründen ebenfalls abgewehrt hatte.186 Schließlich drängte Erhard, wenigstens „etwas für die Aktien zu tun“, um zu signalisieren, dass die Bundesregierung die Notwendigkeit erkannt habe, auch den Aktienmarkt zu stützen. Er schlug nun vor, die Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne weiter zu senken, und zwar von 30 Prozent des Bruttoertrags des Gewinns auf 15 Prozent des Nettobetrags. Auch eine Vorverlegung der „großen Steuerreform“ hinsichtlich des Körperschaftsteuertarifs brachte er ins Spiel. Vorübergehend kamen aus dem Bundesfinanzministerium tatsächlich Signale, dass eine Senkung der Körperschaftsteuer auf den ausgeschütteten Gewinn von 30 auf 20 Prozent des Bruttoertrags möglich sei.187 Doch kurze Zeit später rückte Schäffer wieder von dieser Position ab, nachdem sowohl Hermann-Josef Abs als auch Viktor-Emanuel Preusker geäußert hatten, dass eine Förderung der Aktie nicht dringlich sei. Schäffer versteifte sich trotz heftiger Reaktionen in der Wirtschaftspresse fortan darauf, dass eine Herabsetzung der Körperschaftsteuer systematisch nicht in das Kapitalmarktförderungsgesetz hineinpasse, vielmehr – wie schon im Rahmen der „kleinen Steuerreform“ – in einem gesonderten Gesetz zu behandeln sei.188 Erhard gab schließlich seine Hoffnung auf, vor der großen Steuerreform noch Maßnahmen für den Aktienmarkt durchsetzen zu können. Er schwenkte auf die Linie Schäffers ein und argumentierte nun, dass im Rahmen der „großen Steuerreform“ mehrere Fragen der Kapitalmarktpolitik gleichzeitig geregelt werden sollten: Neben einer Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer, die „das Beste sei, was überhaupt zu einer Gesundung des Kapitalmarkts getan werden“ könne, solle sie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Wertpapiere und gleiche Belastungen für Kapital- und Personengesellschaften schaffen. Sei dieser Zustand einmal erreicht, so sei es auch nicht mehr gerechtfertigt, den Kapitalertrag steuerlich besonders zu bevorzugen. Dass Erhard dem Widerstand aus dem Bundesfinanzministerium immer weiter nachgab und sich schließlich den Vorgaben Schäffers fügte, rief in der Wirtschaft große Enttäuschung hervor.189 Fortan begnügte sich Erhard damit, die steuerfreien Wertpapiere und die Inanspruchnahme des Rentenmarkts durch die öffentliche Hand als besonders krasse Miss-
186 Protokoll der 2. Sitzung des Kabinettausschusses für Wirtschaft vom 21.12.1953 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 187 Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 188 Auch eine Anwendung des bestehenden Steuersatzes von 30 Prozent auf den Brutto- statt den Nettobetrag des ausgeschütteten Gewinns, wie vom Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen, lehnte das Bundesfinanzministerium aufgrund des drohenden Steuerausfalls ab. Als Schäffer in Wirtschaftskreisen als notorischer „Neinsager“ bezeichnet wurde, reagierte er sehr empfindlich. Vermerk (Kramer) vom 12.12.1953; Vermerk (Kramer) vom 14.12.1953 – BA Ko, B 102/28611; Schreiben Schäffer an die Direktion der Rheinisch-Westfälischen Bank AG vom 25.2.1954; Antwortschreiben vom 3.3.1954 – BA Ko, B 126/51541. 189 Vermerk (Kramer) vom 9.12.1953 – BA Ko, B 102/28611.
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stände anzuprangern. Beides führte seiner Ansicht nach dazu, dass sich die Emittenten „ohne echtes Bedürfnis Kapital auf Vorrat“ beschafften.190 VII. 3. 3. 2. Die steuerliche Behandlung der Sozialpfandbriefe Schlüsselproblem jeder Neuregelung am Rentenmarkt blieb die Frage der Wohnungsbaufinanzierung. Schäffer favorisierte die Beseitigung des Kapitalmarktförderungsgesetzes und damit die Abschaffung der Steuervergünstigung für Sozialpfandbriefe. Die Länderfinanzminister teilten seine Meinung ebenso wie der Bundeswirtschaftsminister und die BdL.191 Es war jedoch Konsens, dass die Entscheidung letztlich von der Bereitschaft und der Fähigkeit des Bundeswohnungsbauministers abhing, eine grundsätzliche Neuregelung der Wohnungsbaufinanzierung herbeizuführen. Schäffer beklagte sich während der Vorbereitungen des Gesetzentwurfs darüber, dass er bereits vor Monaten eine Stellungnahme vom Wohnungsbauminister erbeten habe, ob sich die Wohnungsbaufinanzierung künftig stärker nach den Kosten orientieren und auf die steuerliche Förderung der Sozialpfandbriefe bzw. Kommunalobligationen verzichten könne. Aber eine Antwort stand – vor allem aufgrund der Neubesetzung an der Spitze des Wohnungsbauministeriums – Ende 1953 immer noch aus und auch bei den Ressortberatungen zur Novellierung des Kapitalmarktförderungsgesetzes konnten die Vertreter des Wohnungsbauministeriums zunächst keine verbindlichen Erklärungen abgeben.192 Aber schon kurz nach seiner Ernennung sorgte Victor-Emmanuel Preusker (FDP) als neuer Wohnungsbauminister für Aufsehen, als er verlautbarte, dass es das vorrangige Ziel seiner Tätigkeit sei, sein eigenes Ministerium innerhalb einer 190 Erhards Verdacht wurde von Angaben der BdL gestützt, die bestätigte, dass beispielsweise der gesamte Erlös der steuerfreien Anleihe des Lastenausgleichsfonds nach über fünf Monaten noch auf den Konten der BdL lag. Ähnliches gelte für verschiedene Länderanleihen, deren Erlöse auf den Konten der Landeszentralbanken nicht abgerufen wurden. Erhard rechnete vor, dass der Lastenausgleichsfond, der eine Anleihe über 200 Mio. DM auflegen wollte, bereits über freie Mittel in Höhe von 950 Mio. DM inklusive eines Kreditplafonds verfügte – mehr Mittel, als der Fonds in einem Jahr überhaupt vergeben konnte. Vermerk (v. Spindler) vom 27.4.1954 betr. Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/6208; Anlage zum Kurzprotokoll der 5. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.2.1954: Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft über die Lage auf dem Geld- und Kapitalmarkt – PA, 2. WP/ 22. Ausschuss. 191 Die Finanzminister schätzten die Bedeutung des Sozialpfandbriefs im Vergleich zur Steuerbegünstigung des § 7 c des EStG als eher gering ein und waren angesichts des grauen Pfandbriefmarktes davon überzeugt, dass der soziale Wohnungsbau mit höheren Einstandskosten kalkulieren konnte. Insgesamt zeigten sich die Länderfinanzminister überzeugt, dass die Wohnungsbaufinanzierung grundsätzlich umgestaltet werden müsse. Der beste Weg sei, Bedürftigen Mietzuschüsse zu gewähren, die von den Fürsorgeträgern zu leisten seien. Niederschrift vom 10.11.1953 betr. die Ressortbesprechung vom 31.10.1953 – BA Ko, B 126/51541. 192 Vermerk (Lenski) betr. Steuerliche Vorschriften zur Förderung des Kapitalmarkts vom 3.11.1953 – BA Ko, B 126/51541.
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Legislaturperiode „überflüssig“ zu machen. Er äußerte damit auf pointierte Weise seinen Willen, die dominierende Stellung des Staates im Wohnungsbau zu beseitigen und der Marktwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Absicht hatten bereits seine Vorgänger regelmäßig geäußert und auch der Bundeskanzler hatte sie in seine Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 aufgenommen. Die Vehemenz, mit der Preusker sie verfolgte, war jedoch neu. Nach Ansicht Preuskers war der Bau von möglichst vielen Wohnungen innerhalb kurzer Zeit eine Angelegenheit, die nüchtern nach Prinzipien der Wirtschaftlichkeit erledigt werden müsse. Falls einkommensschwache Bevölkerungsgruppen unter diesen Bedingungen nicht angemessen mit Wohnraum versorgt werden könnten, sei dies „eine ebenso nüchterne Aufgabe der Sozialpolitik.“193 Dies war eine ordnungspolitisch motivierte Kampfansage gegen die sozialpolitisch begründete Richtsatzmiete, die sich nicht an der „Wirtschaftlichkeit“ der Wohnungsbauprojekte orientierte. Mit Nachdruck wollte Preusker das Finanzierungsmodell des ersten Wohnungsbaugesetzes ändern und mittelfristig durchsetzen, dass der Anteil öffentlicher Mittel zurückgeführt und durch freie Kapitalmarktmittel ersetzt wurde.194 Voraussetzung dafür war, dass auch im sozialen Wohnungsbau die Kostenmiete eingeführt würde, die die erheblichen Preissteigerungen im Hausbau seit der Koreakrise auffangen sollte.195 Im Gegenzug sollten Transferzahlungen die gestiegene Kostenbelastung mildern, Sozialwohnungen nur noch an wirklich Bedürftige vermietet und das Bausparen zusätzlich gefördert werden. In aller Eile versuchte Preusker, eine entsprechende Novelle zum ersten Wohnungsbaugesetz auf den Weg zu bringen.196 Für den Wertpapiermarkt ließen die Absichtserklärungen Preuskers eine Lockerung der Bindungen an den sozialen Wohnungsbau erwarten, jedoch erst mittelfristig: Denn bei allen weitreichenden Plänen war auch dem Wohnungs193 Zit. n. Schulz, Wiederaufbau, S. 291. 194 Die Haushaltsmittel des Bundes in Höhe von 500 Mio. DM, die gemäß der Wohnungsbaunovelle von 1953 für den Wohnungsbau verwandt wurden, sollten bis 1957 weiterhin eingesetzt werden und ab 1958 jährlich um zehn Prozent gekürzt werden. Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Bauund Bodenrecht vom 19.1.1954 – PA, 2. Wahlperiode/ 32. Ausschuss. 195 Das Bundeswohnungsbauministerium machte im Bundestagsausschuss für Wiederaufbau und Wohnungswesen folgende Angaben: Die Baukosten waren seit 1950 um durchschnittlich 25 Prozent gestiegen. Die Lebenshaltungskosten waren dagegen zwischen Frühjahr 1950 und Ende 1952 nur um zehn Prozent gestiegen. Das Durchschnittseinkommen hatte im gleichen Zeitraum eine Steigerung von 35 bis 40 Prozent erfahren. Die Renten waren um 22 Prozent gestiegen. Diese Zahlen belegten, dass ein Anstieg der Mieten auch im sozialen Wohnungsbau möglich war, ohne den Lebensstandard gegenüber früheren Jahren zu verschlechtern. Allerdings war der Preisindex im Wohnungsbau im Jahr 1953 stark rückläufig. Kurzprotokoll über die 155. Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen vom 12.3.1953 – PA, 1. Wahlperiode/ 18. Ausschuss. 196 Preusker vertraute darauf, dass auch im Wohnungssektor der Wettbewerb zu niedrigeren Mieten führen würde. Für die untersten Einkommensschichten sah er zinsfreie bzw. -günstige öffentliche Darlehen vor, um die Mieten zu verbilligen. Direkte Mietzuschüsse umfasste das Konzept Preuskers nicht. Vermerk (Preusker) betr. Konzentration der Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus vom 7.12.1953 – BA Ko, B 134/6253.
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bauminister klar, dass eine rein privatwirtschaftliche Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus noch in weiter Ferne lag. Die Problemlage machte Robert Pferdmenges, Präsident des Bundesverbands privater Banken und enger Vertrauter Adenauers, in einem viel beachteten Vortrag vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU deutlich: Eine vollständige Aufhebung der staatlichen Subventionierung des sozialen Wohnungsbaus hatte nicht nur zur Voraussetzung, dass der soziale Wohnungsbau zu einem Eigenkapitaleinsatz von bis zu 30 Prozent übergehen musste und die Kreditinstitute (aufgrund des Ausfalls der Subventionen für die nachstellige Hypothek) auf bis zu 80 Prozent des jeweiligen Beleihungswertes Hypotheken vergeben mussten (bisherige Beleihungsgrenze: 40 Prozent). Vor allem setzte dies die Einführung einer Kostenmiete von ca. 2,00 DM/qm² voraus, was eine Steigerung gegenüber dem geltenden Höchstsatz der Richtsatzmiete von über 80 Prozent bedeutet hätte.197 Selbst wenn der Staat die Subventionen nicht vollständig zurückgeführt und eine öffentliche Unterstützung von jährlich 900 Mio. DM beibehalten hätte, wäre eine Kostenmiete von 1,70 DM/qm² notwenig gewesen, was immer noch eine Steigerung von 55 Prozent bedeutet hätte; die erforderliche Eigenkapitalquote im sozialen Wohnungsbau wäre dann auf ca. 23 Prozent gestiegen.198 Beides war politisch und wirtschaftlich kaum umzusetzen, auch wenn die durchschnittliche Belastung der privaten Haushalte durch Mietzahlungen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten drastisch niedriger war, nämlich nur acht bis neun Prozent des verfügbaren Einkommens im Vergleich zu 20 bis 25 Prozent in der Zwischenkriegszeit (unter Berücksichtung der Einnahmen aus Untervermietung).199 Die Wohnungsbaufinanzierung war und blieb höchst umstritten und barg erhebliche sozialpolitische Brisanz. Ihr Umbau erforderte eine Novellierung des ersten Wohnungsbaugesetzes, dessen Entstehung die zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Interessen, mit denen der Wohnungsbau verbunden war, offenbart hatte. Die Gewerkschaften und die SPD – in der Wohnungsbaupolitik so engagiert, wie sie in der Kapitalmarktpolitik unbedeutend blieben – lehnten eine Lockerung der Richtsatzmieten und erst recht die Durchsetzung der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau mit dem Argument strikt ab, dass dadurch das Mietgefüge weiter verzerrt würde und die sozial schwächsten Schichten die größte Last tragen müssten. Dies veranlasste Preusker, die Kostenmiete im sozialen
197 Vortrag Dr. h.c. Pferdmenges vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU am 5.12.1953 – BBk HA, B 330/3156. 198 Im Jahr 1953 betrugen die direkten Subventionen für den sozialen Wohnungsbau ca. 2,6 Mrd. DM (davon Bund 700 Mio. DM, Länder und Gemeinden 900 Mio. DM, Lastenausgleichsfonds 600 Mio. DM, Kohlenabgabe 150 Mio. DM, Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleichsfonds 250 Mio. DM). Der von Pferdmenges angegebene Mittelweg ging davon aus, dass die Gelder des Lastenausgleichsfonds weiter flossen, während die Haushaltsmittel der Gebietskörperschaften eingespart wurden. Ebd. S. 9 ff. 199 Zündorf, Preis, S. 195.
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Wohnungsbau vorerst nicht weiter zu verfolgen.200 Auch zwischen den Regierungsparteien und selbst innerhalb der Union gab es tiefgreifenden Dissens über das angemessene Verhältnis von Liberalisierung und Dirigismus im Wohnungsbau. Es dauerte schließlich zweieinhalb Jahre, bis das zweite Wohnungsbaugesetz am 27. Juni 1956 verabschiedet werden konnte. Angesichts der Unsicherheit, wann und in welcher Form eine Neuregelung erfolgen würde, war die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus für den Zeitraum nach Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes, also ab dem 1. Januar 1955, vollkommen ungeklärt. Während bei Altbauwohnungen, im öffentlich geförderten sowie im frei finanzierten Wohnungsbau 1955/56 merkliche Mieterhöhungen vorgenommen wurden, blieb im sozialen Wohnungsbau die Richtsatzmiete bestimmend, die nur geringe Anpassungen an das steigende Preisund Lohnniveau erfuhr. Jährliche Mietsteigerungen 1950–1957201 Jahr
1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957
Altbauwohnungen
Neubauwohnungen Sozialwohnungen Wohnungen insgesamt Erhöhung gegenüber dem Vorjahr in Prozent 1,3 0,1 1,2 1,2 0,1 1,0 1,9 0,5 1,7 4,0 1,9 3,5 0,3 1,7 0,3 3,3 1,2 3,0 6,7 1,7 6,5 1,0 2,0 1,2
Bei aller Betonung seiner marktwirtschaftlichen Überzeugungen machte Preusker immer wieder deutlich, dass es erklärter Wille des Bundeskabinetts und des Parlaments sei, den Wohnungsbau nicht nur fortzuführen, sondern noch auszuweiten, da noch immer eine große Zahl von Bürgern in ungeeigneten Behausungen wie Bunkern, Nissenhütten etc. untergebracht war. Er nannte als Ziel 2,2 Mio. neue Wohnungen in den vier Jahren der zweiten Wahlperiode.202 Während Preusker jede Einschränkung der Bautätigkeit aus Kapitalmangel für politisch untragbar hielt,203 weigerte sich Schäffer, bis zur Umstellung der Wohnungsfinanzierung aus den öffentlichen Haushalten mehr Subventionen zur 200 Kurzprotokoll über die 155. Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen vom 12.3.1953 – PA, 1. Wahlperiode/ 18. Ausschuss; vgl. Schulz, Wiederaufbau, S. 305 f.; Zündorf, Preis, S. 192 f. 201 Schulz, Wiederaufbau, S. 354, Tab. 9. 202 Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Bau- und Bodenrecht vom 19.1.1954 – PA, 2. Wahlperiode/ 32. Ausschuss. 203 Kurzprotokoll der Ressortbesprechung über kapitalmarktpolitische Maßnahmen zwischen Vertretern des BMF, BMWo, der BdL und des BMWi vom 18.9.1953 – BA Ko, B 102/28611.
VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
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Verfügung zu stellen. In diesem Konfliktfeld stand die Frage nach der Zukunft des steuerfreien Sozialpfandbriefes, in der die zuständigen Ministerien recht sprunghaft agierten. 204 Der Wohnungsbauminister und die Wohnungsbauexperten nahezu aller Bundestagsparteien wollten einen Verzicht auf die Steuerfreiheit des Sozialpfandbries in Betracht ziehen, wenn im Gegenzug § 7c EStG (steuerliche Begünstigung von Wohnungsbaudarlehen) beibehalten würde, der laut den Bestimmungen der „kleinen Steuerreform“ zum 1. Januar 1955 wegfallen sollte. § 7c war von besonderer Bedeutung, weil er dem Wohnungsbau zinslose Darlehen ermöglichte und so die Finanzierungskosten merklich senkte.205 Falls diese wesentliche Säule der Wohnungsbaufinanzierung, die bis dahin jährlich zwischen 600 und 850 Mio. DM zum sozialen Wohnungsbau beigesteuert hatte,206 abgeschafft würde, hielten selbst die Referenten des Bundesfinanzministeriums eine Beseitigung der steuerfreien Sozialpfandbriefe und -kommunalobligationen für nahezu unmöglich. Eine Umstellung auf Zinssubventionen als Alternative zum steuerfreien Sozialpfandbrief hätte dagegen zu wesentlich höheren Belastungen der öffentlichen Haushalte geführt. Denn eine Beseitigung des steuerbefreiten Pfandbriefs hätte aufgrund der dann eintretenden Zinserhöhungen die Kreditkosten im sozialen Wohnungsbau verteuert und damit automatisch die staatlichen Subventionen erhöht.207 Vorübergehend wurde erwogen, die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe aufzuheben und sie ebenfalls mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer zu belasten. Als Ausgleich sollte eine Rückvergütung der 30-prozentigen Kapitalertragsteuer an die Pfandbriefbanken für die von ihnen vergebenen Hypothekarkredite erfolgen, so dass sie ihre Darlehen weiterhin zu verbilligten Bedingungen vergeben konnten.208 Da dies jedoch zu kompliziert war und darüber hinaus nicht vor deutlichen Zinssteigerungen schützte, erklärten sich das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsministerium schließlich damit einverstanden, im Rahmen des 204 Als Schäffer von Berechnungen des Wohnungsbauministeriums erfuhr, die davon ausgingen, dass der Bund im Falle eines Verzichts auf die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe ab 1955 zusätzliche Zins- oder Mietzuschüsse in Höhe von jährlich 300 bis 350 Mio. DM zahlen müsse, lehnte er dies rundweg ab. Wenn die Steuerfreiheit aufgehoben werden sollte, musste dies seiner Ansicht nach bedingungslos erfolgen. Vermerk (v. Spindler) vom 8.10.1953 betr. Konferenz der Finanzminister und Finanzsenatoren am 8.10.1953 – BA Ko, B 126/51541; Vermerk (v. Spindler) vom 27.4.1954 – BA Ko, B 126/6208. 205 Protokoll der 2. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 21.12.1953 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010); Vermerk (Lenski) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 126/51541; Vermerk (v. Hofe) vom 3.11.1953 – BA Ko, B 102/26811; Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Bau- und Bodenrecht vom 19.1.1954 – PA, 2. Wahlperiode/ 32. Ausschuss. 206 Kurzprotokoll über die gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Wiederaufbau und Wohnungswesen sowie für Bau- und Bodenrecht vom 8.2.1954 – PA, 2. Wahlperiode/ 32. Ausschuss. 207 Unsere Wünsche zum Kapitalverkehrsgesetz und Kapitalmarktförderungsgesetz, 21.9.1953 – BA Ko, B 102/28611. 208 Vermerk (Mersmann) betr. Finanzministerkonferenz vom 12.11.1953 – BA Ko, B 126/51541.
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VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
Kapitalmarktförderungsgesetzes die Steuerfreiheit der Sozialpfandbriefe vorübergehend beizubehalten. Sie wollten aber die Ausgabe dieser Pfandbriefe – gegen den Widerstand des Bundeswohnungsbauministeriums209 – von einer zusätzlichen Kontrolle des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums abhängig machen.210 Dies symbolisierte die neue Phase der Kapitalmarktpolitik: Durch das Kapitalmarktförderungsgesetz sollte nicht mehr der Sozialpfandbrief vor stärkeren Wettbewerbern geschützt werden, sondern umgekehrt sollte nun der Wertpapiermarkt davor bewahrt werden, dass zu viele steuerfreie Pfandbriefe auf den Markt gelangten und das Kursniveau drückten bzw. das Zinsniveau anhoben. Insbesondere die Abteilung Geld und Kredit im Bundeswirtschaftsministerium wollte mit dieser Vorsichtsmaßnahme den Zinssenkungstendenzen am Kapitalmarkt zum Durchbruch verhelfen. Die administrative Einflussnahme auf die Emissionsbedingungen – sei es auf Basis des Kapitalmarktförderungsgesetzes, sei es auf Grundlage eines modifizierten § 795 BGB – lehnte die Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium dagegen entschieden ab.211 VII. 3. 3. 3. Mindestlaufzeit der steuerbegünstigten Wertpapiere Ein umstrittener Punkt des Gesetzentwurfs betraf die Mindestlaufzeit von Wertpapieren, die mit einer 30-prozentigen Kapitalertragsteuer gefördert werden sollten. Unter dem ersten Kapitalmarktförderungsgesetz wurde den Bundes- und Länderanleihen die Steuerfreiheit bereits ab einer Laufzeit von nur drei Jahren gewährt. Der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums sah nun vor, dass die Mindestlaufzeit auf sechs Jahre angehoben werden sollte. Auch diese Laufzeit konnten im Grunde nur staatliche Emittenten anbieten, während die privatwirtschaftliche Konkurrenz kaum in der Lage war, ihre Anleihen innerhalb so kurzer 209 Stellungnahme zu den Ergänzungsvorschlägen des Bundeswohnungsbauministeriums für das Gesetz zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Vorschriften zur Förderung des Kapitalmarktes vom 7.1.1954 – BA Ko, B 102/26811; Vermerk (Lenski/ Grieger) betr. Kabinettsvorlage vom 13.1.1954 – BA Ko, B 126/6208. 210 Die Steuerfreiheit sollte nur dann gewährt werden, wenn eine Stellungnahme des Bundesfinanzministers im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister bestätigte, dass die Ausgabebedingungen das Kurs- und Zinsgefüge am Wertpapiermarkt nicht störten. Damit sollten die Ministerien die Handhabe erhalten, „außergewöhnliche“ Abweichungen von den marktüblichen Emissionsbedingungen, die das gesamte Gefüge des labilen Rentenmarktes ins Wanken bringen könnten, zu verhindern. Vermerk (Lenski/ Grieger) betr. Kabinettsvorlage vom 13.1.1954 – BA Ko, B 126/6208. 211 Die Grundsatzabteilung (Abt. I) sprach sich dezidiert gegen eine Fortsetzung der Beeinflussung der Zinsen aus. Der Sozialpfandbrief müsse sich in seinen Emissionsbedingungen den allgemeinen Marktbedingungen unter Berücksichtigung der Steuerfreiheit anpassen. Der Versuch, durch Höchstzinsvorschriften den Zinssatz für Sozialpfandbriefe niedrig zu halten, müsse dagegen den Absatz verringern oder erneut einen grauen Pfandbriefmarkt provozieren. Stellungnahme zu den Ergänzungsvorschlägen des Bundeswohnungsbauministeriums vom 7.1.1954; Vermerk (Gocht) vom 26.1.1954 – BA Ko, B 102/26811.
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Frist zurückzuzahlen. Das Bundesfinanzministerium wollte die erforderliche Laufzeit aus nahe liegenden fiskalischen Gründen so niedrig wie möglich halten.212 In den übrigen Bundesressorts und in der Wirtschaft war der Widerstand gegen die Laufzeitregelung dagegen groß, besonders im Bundeswohnungsbauministerium und bei den Realkreditinstituten. Sie fürchteten, dass die Sozialversicherungen den steuerfreien Pfandbrief künftig links liegen lassen und in kurzfristige Titel investieren würden.213 Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der BdL wollten sie die Besserstellung der staatlichen Anleihen dadurch abschaffen, dass die Kapitalertragsteuer nur für langfristige Wertpapiere mit einer Mindestlaufzeit von zehn Jahren gelten sollte.214 Da die privaten Banken der Auffassung waren, dass Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit am Markt kaum eine Chance gegenüber den Industrieobligationen hätten, schlugen sie vor, eine Mindestlaufzeit von acht Jahren festzulegen.215 Im weiteren Verlauf zeigte sich das Bundesfinanzministerium in diesem Punkt kompromissbereit und erklärte sich mit einer Mindestlaufzeit von acht Jahren einverstanden.216 VII. 4. DAS SCHEITERN DES ZWEITEN KAPITALMARKTFÖRDERUNGSGESETZES Das Bundeskabinett stimmte dem Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums im Januar 1954 mit der Maßgabe zu, dass einige Fragen – insbesondere die mögliche Förderung der Aktie – noch abschließend zwischen den Ressorts geklärt und in dem Entwurf berücksichtigt werden sollten.217 Mit dem raschen Beschluss wollte das Kabinett erreichen, dass das Gesetz im Frühsommer als Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten der „großen Steuerreform“ wirken konnte.218 Der Gesetzentwurf wurde dem Bundesrat und seinen Ausschüssen vorgelegt, wo – 212 Das Bundesfinanzministerium wies sogar darauf hin, dass die Staatspapiere nicht nur den Kapitalmarkt, sondern auch den Geldmarkt ansprechen sollten. Schreiben des Verbandes privater Hypothekenbanken e.V. (v. Köller) an die Mitglieder des Hauptausschusses vom 6.1.1954 – BA Ko, B 102/28611. 213 Vermerk (Lenski) vom 17.2.1954 – BA Ko, B 126/6208; Schreiben des Verbandes privater Hypothekenbanken e.V. (v. Köller) an die Mitglieder des Hauptausschusses vom 6.1.1954 – BA Ko, B 102/28611. 214 Vermerk (v. Hofe, Abt. I) vom 3.11.1953; Vermerk (Gocht) betr. Gutachtliche Äußerung der Abteilung VI zum Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums vom 26.1.1954 – BA Ko, B 102/28611. 215 Die Bankenvertreter rieten dazu, Industrieobligationen nicht zum steuerbegünstigten Ersterwerb im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen zuzulassen. Denn sie waren der Auffassung, dass ansonsten die Industrieobligationen im Laufe des Jahres 1954 die Staatsanleihen und Pfandbriefe marginalisieren würden. Vermerk vom 7.11.1953 – BA Ko, B 102/28611. 216 Schreiben Erhard an Schäffer vom 16.12.1953 – BA Ko, B 102/28611. 217 Protokoll der 16. Kabinettssitzung vom 29.1.1954, TOP 4 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 218 Vermerk (Lenski) vom 23.6.1954 – BA Ko, B 126/6208.
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VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
analog zur Bundesebene – zwischen den Finanz- und Wirtschaftsministern gegensätzliche Auffassungen über die Förderung der Aktie und die Mindestlaufzeit der steuerbegünstigten Wertpapiere bestanden.219 Letztlich machte der Bundesrat jedoch nur geringe Änderungswünsche geltend.220 Je länger sich der Gesetzgebungsprozess hinzog, desto stärker geriet er in den Sog der Vorbereitungen zur „großen Steuerreform“, so dass sich beide Beratungen schließlich überlappten.221 Um sich für die Vorbereitung eines neuen Wohnungsbaugesetzes Zeit zu verschaffen, präsentierte Bundeswohnungsbauminister Preusker dem Bundeskabinett Anfang März 1954 die Alternativen bezüglich der künftigen Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus:222 Es sei nunmehr zu entscheiden, ob a) § 7c EStG, eventuell mit gewissen Einschränkungen, entgegen der Bestimmung der „kleinen Steuerreform“ auch nach dem 1. Januar 1955 noch für längere Zeit beibehalten werden sollte,223 oder ob stattdessen b) über den 1. Januar 1955 hinaus der Sozialpfandbrief gegenüber den anderen Wertpapierarten steuerlich begünstigt werden sollte. Trotz sehr starker Bedenken sprach sich Preusker inzwischen für den letztgenannten Weg aus – offensichtlich ein Ergebnis des Widerstands aus dem Bundesfinanzministerium. Das Bundeskabinett zeigte sich insgesamt gespalten, da es sich bei beiden Vorschlägen um wenig geschätzte Notlösungen handelte, die jeweils mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden waren. Vizekanzler Blücher und Bundeswirtschaftsminister Erhard sprachen sich für die Beibehaltung des § 7c aus, damit 219 Die Länderfinanzminister wollten keine Steuerbegünstigungen für die Aktie in den Gesetzentwurf aufnehmen, während sich die Länderwirtschaftsminister für eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes für den ausgeschütteten Gewinn von 30 auf 20 Prozent aussprachen. Vermerk (Steinberg) vom 10.2.1954 betr. Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats am 11.2.1954; Vermerk (Lenski) vom 18.2.1954 betr. Sitzung des Bundesrates am 19.2.1954 – BA Ko, B 126/51541. 220 Der Bundesrat forderte etwa den Einbezug der Schiffspfandbriefe in die Steuerbefreiung, was das Bundeskabinett im März 1954 jedoch zurückwies. Sitzung des Bundeskabinetts am 24.3.1954 und am 25.5.1954; Anlage 1 zum Schreiben den Herrn Staatssekretär des Bundeskanzleramts vom 11.3.1954 – BA Ko, B 126/6208. 221 Je länger die Diskussionen dauerten, desto klarer wurde, dass der Gesetzentwurf nicht mehr vor der „großen Steuerreform“ in Kraft treten würde. Die meisten Vergünstigungen liefen Ende 1954 mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz aus und ab Anfang 1955 sollten die neuen Regelungen der „großen Steuerreform“ greifen. Daher stand während der gesamten Vorarbeiten zur Änderung des Kapitalmarktförderungsgesetzes die Frage im Raum, ob es überhaupt noch Sinn machte, für den kurzen Zeitraum von März bis Dezember 1954 neue Regelungen einzuführen. Niederschrift über eine Besprechung im Bundesfinanzministerium vom 26.10.1953 – BA Ko, B 126/6208; zu den parlamentarischen Verhandlungen im Vorfeld der „großen Steuerreform“ vgl. Henzler, Schäffer, S. 479–490. 222 Protokoll der 22. Kabinettssitzung vom 8.3.1954, TOP 2 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 223 Preusker sah sogar eine Ausweitung der Steuerbegünstigungen gemäß § 7 b und 7 c vor, um den Erwerb von Wohneigentum zu fördern. Er schlug vor, dass bei Bau oder Erwerb von Eigenheimen bzw. Eigentumswohnungen die Kosten innerhalb von acht Jahren zur Hälfte abgesetzt werden konnten. Stellungnahme zu den Ergänzungsvorschläge des Bundeswohnungsbauministers vom 7.1.1954 – BA Ko, B 102/26811.
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der Kapitalmarkt nicht durch steuerbegünstigte Sozialpfandbriefe weiter gestört würde. Auch die BdL wollte die Emission von steuerbegünstigten Sozialpfandbriefen über den 31. Dezember 1954 hinaus unbedingt vermeiden, auch wenn sich der ZBR nicht dazu durchringen konnte, eine Verlängerung des § 7 c zu empfehlen.224 Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister hatten erhebliche Bedenken gegen eine Beibehaltung des § 7c wegen der damit verbundenen „Rückwirkungen“, womit erhebliche Steuerausfälle und besonders weitreichende Missbräuche gemeint waren. Denn die Steuervergünstigung für zinslose Wohnungsbaudarlehen gemäß § 7c EStG, durch die Tilgungszahlungen der Darlehen beim Darlehensgeber steuerfrei waren, wurden häufig für Geschäfte des „grauen Marktes“ missbraucht.225 Im Grunde lehnte Schäffer aber ebenso die Förderung des Sozialpfandbriefs ab.226 Nach eingehender Aussprache schloss sich das Kabinett schließlich dem Vorschlag Preuskers „als kleinerem Übel“ an: Um die Wohnungsbaufinanzierung vorläufig zu sichern, sollte der Sozialpfandbrief nach Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes ab dem 1. Januar 1955 weiterhin steuerlich gefördert werden, indem er als einziges Wertpapier mit einer niedrigen 30-prozentigen Kapitalertragsteuer belegt werden sollte.227 Nur wenige Wochen später erfuhr die Angelegenheit eine erneute Wendung, als Erhard im Bundeskabinett neue Bedenken gegen den Sozialpfandbrief vorbrachte.228 Hintergrund waren zunehmende Verwerfungen am Wertpapiermarkt, welche die Bedenken erhöht hatten, dass ein Festhalten am Sozialpfandbrief mit zu hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden sein könnten: Nach dem Außerkrafttreten des KVG und der Auflösung des Kapitalverkehrsausschusses Ende 1953 war die Zuständigkeit für die Genehmigung von Wertpapieremissionen wieder auf die Länder übergegangen. Dies war eine vorübergehende Lösung, da eine Neufassung des § 795 BGB, die bereits im Bundestag beraten wurde, diese Aufgabe wieder zentralisieren und auf den Bundeswirtschaftsminister übertragen sollte. Obwohl vereinbart worden war, dass die Emissionsgenehmigungen während der Übergangszeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgestimmt werden sollten, hielten sich die Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin nicht daran und genehmigten 224 Protokoll der 22. Kabinettssitzung vom 8.3.1954, TOP 2 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 225 Wenn etwa ein 7c-Darlehen erststellig mit sieben Prozent Tilgung eingesetzt wurde, bedeutete dies für den Bauherrn in drei Jahren einen Vermögenszuwachs von ca. 20 Prozent. Mit diesen Mitteln konnte er leicht eine Disagiovergütung für die Unterbringung von Pfandbriefen in Höhe von zehn Prozent zahlen. Schreiben Dr. Biber, Vorstand des Verbandes privater Hypothekenbanken, März 1953, S. 6 – BBk HA, B 330/3157. 226 Protokoll der 163. ZBR-Sitzung vom 17.2.1954 – BBk HA, B 330/75; Vermerk vom 18.5.1954 betr. Rundfunkinterview des Herrn Ministers in Hamburg – BA Ko, B 126/6208. 227 Schreiben Preusker an Schäffer vom 15.3.1954 – BA Ko, B 126/51541; Protokoll der 22. Kabinettssitzung vom 8.3.1954, TOP 2 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 228 Protokoll der 33. Kabinettssitzung vom 25.5.1954, TOP 3 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 2.12.2010).
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„hemmungslos“ Sozialpfandbriefe und Kommunalobligationen, was die anderen Länder zu ähnlichem Verhalten veranlasste.229 Versuche der Bundesministerien, auf Bankenverbände, Kapitalsammelstellen und Bankaufsichtsbehörden der Länder einzuwirken und eine Einschränkung der Emissionen zu erreichen, blieben ergebnislos. Zugleich sorgte die öffentliche Berichterstattung über das voraussichtliche Ende des Kapitalmarktförderungsgesetzes dafür, dass die Emittenten umfangreiche Emissionen „auf Vorrat“ beantragten, um noch in den Genuss der Steuerbegünstigungen zu gelangen. Die Zeit war für die Emittenten günstig: Die Aufnahmefähigkeit des Wertpapiermarktes war für ihre Papiere „nahezu unbegrenzt“,230 da sich die liquiden Kreditinstitute und Unternehmen emsig mit steuerbefreiten und steuerbegünstigten Titeln eindeckten. Dies hatte vor allem zwei fatale Wirkungen: Einerseits sammelte sich bei den Realkreditinstituten bis Mitte 1954 ein enormer „Überhang“ an Sozialpfandbriefen und Kommunalobligationen an, für die keine entsprechenden Bauprojekte vorhanden waren. Andererseits erwarben Unternehmen und Kreditinstitute immer größere Wertpapierbestände, mit denen sie in aller Regel keine langfristigen Anlagemotive verbanden. Es war nicht abzusehen, wie lange sie diese Papiere halten würden bzw. wann sie gezwungen sein würden, ihre erheblichen Wertpapierbestände aus Liquiditätsgründen zu veräußern.231 Angesichts dieser erheblichen „Störung“ des Wertpapiermarktes regte Erhard im Bundeskabinett an, den Sozialpfandbrief nun doch spätestens Ende 1954 zu beseitigen; den „berechtigten Wünschen“ des Bundesministers für Wohnungsbau sollte auf anderem Wege entsprochen werden. Schäffer erklärte sich gesprächsbereit. Gemeinsam kamen beide zu dem Ergebnis, dass eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus zu einem Überangebot an steuerfreien Pfandbriefen und Kommunalobligationen führen würde. Die Minister erkannten die Gefahr, dass insbesondere die Wertpapiere in Unternehmensbesitz das Einspielen eines freien Kapitalmarktes nach Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes im Jahr 1955 gefährden und insbesondere die erwartete Zinssenkung am Rentenmarkt beeinträchtigen könnten. Die Bundesministerien nahmen erneut Verhandlungen über die Wohnungsbaufinanzierung auf und beschlossen am 2. Juni 1954, dass sämtliche Steuervergünstigungen des Kapitalmarktförderungsgesetzes zum Jahresende 1954 beseitigt werden sollten.232
229 Protokoll der 172. ZBR-Sitzung vom 30.6.1954 – BBk HA, B 330/78; Vermerk (v. Spindler) vom 24.5.1954 – BA Ko, B 126/6208. 230 Rundschreiben des Bundeswirtschaftsminister an alle Realkreditinstitute vom 20.8.1954 – BBk HA, B 330/79. 231 Nach Schätzungen der BdL befanden sich Sozialpfandbriefe im Volumen von 500 bis 600 Mio. DM allein im Besitz der Kreditbanken. Rundschreiben des Bundeswirtschaftsminister an alle Realkreditinstitute vom 20.8.1954 – BBk HA, B 330/79. 232 Als Missstände wurden aufgeführt: Erwerb steuerfreier Wertpapiere auf Kredit durch Unternehmen, Verhinderung einer nachhaltigen Senkung der Zinssätze am Rentenmarkt, Ungleichheit der „Startbedingungen“ für einzelne Wertpapierarten. Schreiben Schäffer an die Landesfinanzminister (-senatoren) vom 5.6.1954 – BA Ko, B 126/6208.
VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
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Mit diesem Beschluss war de facto die Verabschiedung eines zweiten Kapitalmarktförderungsgesetzes vom Tisch, da auch für die Sozialpfandbriefe keine Sonderregelung mehr gelten sollte.233 Am 9. Juni stellte Preusker ein Konzept zur Wohnungsbaufinanzierung vor, das einen Verzicht auf den Sozialpfandbrief und stattdessen die Beibehaltung eines modifizierten § 7c EStG vorsah, der die steuerliche Begünstigung im Vergleich zu den Vorjahren merklich einschränkte.234 Er war also letztlich bereit, auf wesentliche Elemente der Wohnungsbauförderung zu verzichten, um die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien voranzutreiben. Sein Kalkül war wohl, dass dank der umfangreichen Pfandbriefemissionen des Jahres 1954 die erststellige Hypothek im sozialen Wohnungsbau noch weit bis in das Jahr 1955 hinein gesichert sein würde. Er gewann dadurch ein weiteres Jahr Zeit, um ein neues Bundeswohnungsbaugesetz durchzusetzen, mit dem die Wohnungsbaufinanzierung auf eine neue Grundlage gestellt werden konnte. Die Bemühungen des Bundesfinanzministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums und der BdL galten fortan dem Ziel, die bis Ende 1954 noch möglichen Emissionsgenehmigungen für steuerfreie Wertpapiere auf ein vernünftiges Maß einzudämmen und die Emissionsbedingungen so zu gestalten, dass möglichst gute Startbedingungen für den Wertpapiermarkt nach Aufhebung der steuerlichen Maßnahmen geschaffen wurden.235 Zunächst scheute sich Erhard, den Emittenten bindende Vorschriften zu machen. Er wollte die liberale Genehmigungspraxis beibehalten und lediglich die Steuervergünstigungen für alle Wertpapiere streichen, die Ende 1954 noch nicht abgesetzt waren.236 Aufgrund der sich zuspitzenden Situation entschieden sich die Bundesministerien jedoch dazu, bei den Sozialpfandbriefen und den Kommunalobligationen eine Emissionsbeschränkung vorzunehmen.237 Damit sollte verhindert werden, dass die Realkreditinstitute den Wertpapiermarkt vor Ende der staatlichen Förderung mit steuerfreien Wertpapieremissionen überfluteten und so die Aufnahmefähigkeit des Marktes nach dem Auslaufen des Kapitalmarktförderungsgesetzes längere Zeit massiv einschränkten.238 Erhard legte im Juli 1954 ein Kontingent von 400 Mio. 233 Vermerk (Lenski) vom 23.6.1954 betr. Sitzung des Bundestags am 24.6.1954 – BA Ko, B 126/51541. 234 Die wichtigste Änderung des § 7c lag darin, dass die großen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr so leicht wie bisher die Möglichkeit erhalten sollten, an verbilligtes Kapital zu kommen. Laut der Neufassung sollten Steuerpflichtige, die Bauherren für mindestens zehn Jahre ein zinsloses Darlehen gaben, nur noch 25 Prozent vom Gewinn/ Einkommen abziehen können. Protokoll der 37. Kabinettssitzung vom 30.6.1954, TOP B – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 18.9.2010). 235 Entwurf eines Schreibens von Schäffer an die Finanzminister und -senatoren der Länder vom 5.6.1954 – BA Ko, B 126/6208. 236 Vermerk (v. Spindler) vom 5.6.1954 – BA Ko, B 126/6208. 237 Vermerk (v. Spindler) vom 22.6.1954; Niederschrift vom 7.7.1954 über die Ressortbesprechung am 24.6.1954 über steuerliche Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/20893. 238 Dadurch sollte die Kontinuität der Wohnungsbaufinanzierung gewährleistet werden, wenn als Folge der Beseitigung der Steuerfreiheit verübergehend ein Rückgang im Emissionsgeschäft zu verzeichnen war. Eventuelle regionale Engpässe bei der Versorgung mit ersten Hypotheken wollte man durch individuelle Lösungen für einzelne Realkreditinstitute beseitigen.
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VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
DM für Sozialpfandbriefe fest, das noch bis zum Jahresende 1954 emittiert werden durfte. Der Zuteilungsschlüssel für die einzelnen Institute richtete sich nach dem Gesamtumlauf an Pfandbriefen zum Jahresende 1953.239 Erhard hielt die Realkreditinstitute dazu an, die Pfandbriefe dauerhaft und vorzugsweise im privaten Publikum zu platzieren, um eine noch stärkere Abhängigkeit des Wertpapiermarktes von der Liquiditätsreserve der Banken und Unternehmen zu vermeiden. Preusker setzte sich mit Erfolg dafür ein, dass die steuerfreien Sozialpfandbriefe noch bis März 1955 abgesetzt werden durften, sofern sie bis Ende 1954 genehmigt worden waren. Auf diese Weise sollte die Finanzierung der Wohnungsbaubeginne bis zum 1. Oktober 1955 gewährleistet werden.240 Dies bedeutete de facto, dass das Kapitalmarktförderungsgesetz über den 31. Dezember 1954 hinaus in Kraft blieb, da noch im Jahr 1955 steuerfreie Pfandbriefe in großem Umfang auf den Markt gelangten.241 Erhard informierte die Realkreditinstitute, dass für den Rest des Jahres nur noch steuerfreie Papiere mit einem Nominalzins von höchstens fünf Prozent und steuerbegünstigte Papiere mit einem Nominalzins von höchstens sieben Prozent genehmigt würden. Dadurch wollte er noch während der Laufzeit des Kapitalmarktförderungsgesetzes ein relativ niedriges Zinsniveau etablieren, um dem voraussehbaren Zinsanstieg nach Abschaffung der Steuervergünstigungen abzumildern.242 Für Kommunalobligationen, von denen im ersten Halbjahr 1954 schon mehr abgesetzt worden waren als im Gesamtjahr 1953, wurde die Steuerfreiheit bereits seit Sommer 1954 nicht mehr gewährt. VII. 5. VERZICHT AUF DIE EMISSIONSKONTROLLE Nach dem Außerkrafttreten des KVG am 31. Dezember 1953 kam wieder § 795 BGB zur Anwendung, mit dem die Zuständigkeit für Emissionsgenehmigungen wieder auf die Länder überging. Die Bundesregierung beeilte sich, ein neues, den § 795 BGB ergänzendes Gesetz über die staatliche Genehmigung von Inhaberund Orderschuldverschreibungen zu verabschieden, um die Zuständigkeit wieder der Bundesregierung zu übertragen. Ein entsprechender Entwurf, der die Genehmigungskompetenz dem Bundeswirtschaftsminister zusprach, der „im Einvernehmen“ mit dem Bundesfinanzminister und dem zuständigen Landesminister im Sitzland des Emittenten entscheiden sollte, passierte nach langen Debatten den
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Das Ansinnen einiger Länder, noch steuerfreie Anleihen zu emittieren, wurden abgewehrt. Protokoll der 173. ZBR-Sitzung vom 28.7.1954 – BBk HA, B 330/78; Protokoll der 179. ZBR-Sitzung vom 20.10.1954 – BBk HA, B 330/80. Vermerk (v. Spindler) vom 27.4.1954 – BA Ko, B 126/20893; Stenograph. Bericht über die 173. ZBR-Sitzung vom 28.7.1954 – BBk HA, B 330/78. Vermerk (v. Spindler) vom 13.7.1954 – BA Ko, B 126/20893. Ebd. Rundschreiben des Bundeswirtschaftsminister an alle Realkreditinstitute vom 20.8.1954 – BBk HA, B 330/79.
VII. Der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz
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Bundesrat und wurde im Bundestag in erster Lesung verabschiedet.243 Der Entwurf enthielt ebenso wie § 795 BGB aus dem Jahr 1900 keine detaillierten Bestimmungen darüber, welche Voraussetzungen und Bedingungen für eine Emissionsgenehmigung erfüllt sein mussten bzw. welche Auflagen die Bundesministerien an eine Genehmigung knüpfen durften. Vor der für Anfang Mai 1954 vorgesehenen Verabschiedung des Gesetzes in zweiter Lesung nahm der Entwurf im Bundestagsausschuss für Geld und Kredit jedoch eine „merkwürdige Entwicklung“.244 Dort neigte der Ausschussvorsitzende Scharnberg ebenso wie die Ausschussmitglieder der SPD dazu, den Ministerien – anders als bis dahin vorgesehen – eine starke Lenkungsbefugnis einzuräumen, die an das gerade erst aufgegebene KVG erinnerte.245 Zudem bemühte sich der Ausschuss, auch Länderanleihen zukünftig von Emissionsgenehmigungen des zuständigen Bundesministers abhängig zu machen. Tatsächlich erreichte es der Ausschuss, mit den Ländern eine Einigung dahingehend zu erzielen, dass diese sich vor Begebung von Anleihen mit dem zuständigen Bundesminister „ins Benehmen“ setzen mussten.246 Von einer expliziten Regelung einer Emissionskontrolle sah man jedoch ab: Das Gesetz enthielt keinerlei Vorschriften über die beim Genehmigungsverfahren zu beachtenden Gesichtspunkte, so dass sich die Prüfung der Emissionsanträge im Wesentlichen nur noch auf die Bonität des Antragstellers und die Abwehr von „Notständen“ erstreckte.247 Wie sich in den folgenden Jahren zeigen sollte, löste der weitgehende Verzicht auf eine Einwirkung auf den Umfang der Emissionen erhebliche Turbulenzen am Wertpapiermarkt aus. Die durch den Wegfall des KVG ausgelöste Rechtsunsicherheit wurde schließlich durch das am 26. Juni 1954 in Kraft getretene Gesetz über die staatliche Genehmigung der Ausgabe von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen beseitigt.248
243 Die Länderfinanzminister sprachen sich dafür aus, die Zuständigkeit für Emissionsgenehmigungen wie früher dauerhaft den Ländern zu übertragen; die Länderjustizminister waren mit einer Zentralisierung der Aufgabe bei einem Bundesministerium einverstanden; die Länderwirtschaftsminister waren je zur Hälfte für eine Föderalisierung bzw. eine Zentralisierung der Aufgabe. Vermerk (v. Stahlberg) vom 16.1.1954 betr. Gesetz zur Änderung von § 795 BGB – BA Ko, B 126/6208. 244 Stenograph. Bericht über die 169. ZBR-Sitzung vom 19.5.1954 – BBk HA, B 330/77. 245 Die Ausschussmitglieder waren mehrheitlich der Meinung, dass § 795 BGB seit jeher nicht nur dem Anlegerschutz gedient habe, sondern auch zum „Schutz des Staatskredits“ geschaffen worden sei. Kurzprotokoll der 7. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 2.4.1954, TOP 2 – PA, 2. Wahlperiode/ 22. Ausschuss. 246 Das „Benehmen“ sollte sich nicht allgemein auf die Zulässigkeit einer Anleihe beziehen, sondern die Anleihebedingungen, vor allem Zins, Emissionskurs, Rückzahlungskurs, Laufzeit, Umfang und Zeitpunkt der Ausgabe, betreffen. Kurzprotokoll der 9. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 21.5.1954, TOP 1 – PA, 2. Wahlperiode/ 22. Ausschuss 247 Stahlberg, Ordnung. 248 Mit dem Gesetz wurde das BGB mit dem Paragraphen 808a erweitert. BGBl. I, 1954, S. 147 f.; vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 27.
VIII. RÜCKZUG DES STAATES VOM WERTPAPIERMARKT (1955–1957) VIII. 1. ÜBERGANG ZU MARKTWIRTSCHAFTLICHEN VERHÄLTNISSEN VIII. 1. 1. Das Ende der Steuerbegünstigungen und die „große Steuerreform“ Am 31. Dezember 1954 endete mit dem Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes der Versuch, den Rentenmarkt durch besondere steuerliche Fördermaßnahmen zu beleben. Fortan gab es keine Neuemissionen von festverzinslichen Wertpapieren mehr, deren Kapitalerträge steuerbefreit bzw. mit einer ermäßigten Kapitalertragsteuer belegt waren. Entsprechend gab es keine Bevorzugung bestimmter Kapitalnachfrager mehr. Die steuerlich differenzierten Teilmärkte verschwanden damit jedoch nicht über Nacht. Denn erstens blieben die Erträge der in den beiden Vorjahren ausgegebenen Wertpapiere unverändert steuerbefreit bzw. -begünstigt. Zudem mussten die Emittenten, zweitens, noch ein großes Kontingent von steuerfreien Wertpapieren am Markt platzieren, die im Jahr 1954 genehmigt worden waren. Dies führte dazu, dass im Jahr 1955 immer noch knapp ein Drittel aller abgesetzten Rentenwerte steuerbegünstigt war; es handelte sich dabei ganz überwiegend um Sozialpfandbriefe.1 Alle Beteiligten in Politik und Wirtschaft rechneten damit, dass mit dem Ende der Steuervergünstigungen eine schwierige Übergangszeit anbrechen würde, in der die Entwicklung am Wertpapiermarkt kaum absehbar war.2 Es blieb abzuwarten, ob bzw. wie schnell die Teilmärkte (einschließlich des Aktienmarktes) zu einem kommunizierenden System zusammenfinden würden. Die Ungewissheit wurde durch die „große Steuerreform“ noch gesteigert, die zum 1. Januar 1955 abermals die Umfeldbedingungen des Wertpapiermarktes neu justierte. Zwar wurde sie ihrer Bezeichnung kaum gerecht, da sie den großen Erwartungen zum Trotz die Steuersystematik nicht veränderte, sondern sich wie die vorangegangenen Reformen auf eine Senkung der allgemeinen Steuerbelastung beschränkte. Aber sie brachte eine Reihe von neuen Bestimmungen, die Einfluss auf die Kapitalbildung und damit auf den Wertpapiermarkt ausüben konnten.3 So wurden 1 2 3
Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Internationalen Währungsfonds, Januar 1956 – BA Ko, B 126/7256. Schreiben des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes an Schäffer vom 21.3.1955 – BBk HA, B 330/3157. Insbesondere Schäffer stemmte sich – u.a. mit der Drohung seines Rücktritts als Finanzminister – gegen die zahlreichen Wünsche aus Wirtschafts- und Bankkreisen sowie einiger Ministerkollegen mit dem Argument, keine Steuereinbrüche hinnehmen zu wollen. Einer der wichtigsten Verhandlungsgegenstände, die Finanzreform, die eine Neuverteilung der Steuereinnahmen, insbesondere der Einkommensteuer, zwischen Bund und Ländern regeln sollte,
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VIII. Rückzug des Staates vom Wertpapiermarkt
bei der Einkommensteuer die Tarife nochmals gesenkt sowie die Freibeträge erhöht, um – zusammen mit der Aufhebung von Steuervergünstigungen – eine gleichmäßigere Besteuerung zu erzielen, die nicht mehr so stark die höheren Einkommen begünstigte.4 Die Körperschaftsteuer wurde ebenfalls gesenkt, blieb aber gespalten: Während der Satz für ausgeschüttete Gewinne unverändert bei 30 Prozent blieb, „um den Thesaurierungsbestrebungen zahlreicher Kapitalgesellschaften und den Tendenzen zu einer übermäßigen Eigenfinanzierung im Betrieb“ entgegenzuwirken,5 wurde der Satz für nicht ausgeschüttete Gewinne von 60 auf 45 Prozent gesenkt, um ihn den gesenkten Einkommensteuertarifen der Personengesellschaften anzupassen. Durch die Tarifsenkungen bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer wurde die Doppelbesteuerung der Aktie gemildert, so dass der Renditeabstand zu den neu emittierten Rentenwerten, deren Erträge seit Anfang 1955 den normalen Einkommensteuertarifen unterlagen, abnahm. Damit wurde eine der Hauptforderungen der Wirtschaft, der sich auch Bundeswirtschaftsminister Erhard verschrieben hatte, erfüllt und die Aktie als Finanzierungsinstrument deutlich attraktiver. Vor der „kleinen Steuerreform“ vom Juni 1953 hatte die Nettorendite eines steuerfreien Pfandbriefs von knapp über fünf Prozent unter Zugrundelegung der bis Mitte 1953 geltenden Gewinnbesteuerung der Kapitalgesellschaften von durchschnittlich 68,5 Prozent (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Notopfer Berlin etc.) dem Bruttogewinn einer Investition von 16 Prozent entsprochen; nach der „kleinen Steuerreform“ (Körperschaftsteuersenkung auf 30 Prozent für den ausgeschütteten Gewinn) war dieser bereits auf 11,7 Prozent gesunken. Nach der Herabsetzung des Körperschaftsteuertarifs in der „großen Steuerreform“ entsprach die Nettorendite eines steuerfreien Pfandbriefs nur noch dem Bruttogewinn einer Investition von 9,7 Prozent.6 Seit dem 1. Januar 1955 wurden auch die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen weiter eingeschränkt (Abschreibungsmöglichkeiten im Rahmen des Investitionshilfegesetzes § 36 EStG), die eine Finanzierung über Aktien vielfach unnötig gemacht hatten, sowie die Frist, in der zwischen Aktienkauf und -verkauf eine Spekulationssteuer erhoben wurde, von einem Jahr auf drei Monate gesenkt.
4 5 6
war aufgrund tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten im Vorfeld von den Verhandlungen ausgenommen worden. Zu den Verhandlungen und Vorbereitungen der „großen Steuerreform“ vgl. Henzler, Schäffer, S. 479 ff.; zudem Franzen, Steuergesetzgebung, S. 167 ff.; Muscheid, Steuerpolitik, S. 58 ff.; Ullmann, Steuerstaat, S. 188 f. Franzen, Steuergesetzgebung, S. 168. Begründung des Gesetzentwurfs zit. n. ebd., S. 172. Röhl, Entwicklung, S. 154.
VIII. Rückzug des Staates vom Wertpapiermarkt
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Entlastungswirkungen der großen Steuerreform von 19547 Einkommen
1.001 2.001 3.001 5.001 9.001 12.001 20.001 60.001 100.001 1.000.001
Steuerbelastung des Einkommens (in %) 1949 3,2 5,4 12,4 21,1 30,7 42,0 66,2 75,7 92,6
1951 2,6 4,5 10,3 17,6 25,6 33,4 48,3 57,8 79,9
1953 3,0 8,1 14,5 21,4 28,8 40,9 47,8 69,9
1954 1,5 6,7 11,7 16,2 21,7 34,1 38,8 54,9
Steuerentlastung durch den Tarif der großen Steuerreform (in %) gegenüber den Einkommensteuertarifen von 1949 1951 1953 100,0 100,0 72,2 66,7 49,4 45,8 35,0 17,7 44,2 33,1 19,3 47,5 37,0 24,6 48,3 35,0 24,6 48,5 29,4 16,6 48,7 32,9 18,8 40,7 31,3 21,5
Die steuerliche Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge blieb für alle bisher geförderten Sparformen erhalten, allerdings wurde die Sperrfrist, in der die privaten Anleger nicht auf ihre Sparbeträge bzw. erworbenen Wertpapiere zugreifen durften, erheblich von drei auf zehn Jahre (für Personen, die im Veranlagungszeitraum das 50. Lebensjahr nicht vollendeten) bzw. sieben Jahre (für Personen, die im Förderungszeitraum älter als 50 Jahre waren) erhöht. Fortan sollte diese Form der Sparförderung nicht mehr der allgemeinen Kapitalbildung, sondern in erster Linie der Altersvorsorge dienen. Die Regelung war ein Kompromiss zwischen den Befürwortern und den Gegnern des steuerbegünstigten Kontensparens innerhalb der Koalitionsparteien.8 Für den Wertpapiermarkt, der stark von der Fungibilität der gehandelten Werte abhing, bedeutete dies praktisch eine Beseitigung der Förderung. VIII. 1. 2. Reibungsloser Auftakt am Rentenmarkt Die „große Steuerreform“ erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich die Gesamtwirtschaft bereits äußerst robust entwickelte; die vorgenommenen Tarifsenkungen befeuerten die Investitionsbereitschaft zusätzlich. War das BIP 1954 mit real acht 7 8
Bundeshaushaltsbericht 1955, übernommen aus: Muscheid, Steuerpolitik, S. 62. Insgesamt durften voll abzugsfähige Sonderausgaben bei Personen unter 50 Jahren in Höhe von 800 DM geltend gemacht werden (zuzüglich 800 DM für die Ehefrau und 500 DM pro Kind). Bei Personen über 50 Jahren verdoppelten sich die Höchstbeträge. Über diese Beträge hinausgehende Sonderausgaben durften zu 50 Prozent abgezogen werden, allerdings nur bis zu einem Betrag, der höchstens 50 Prozent aller vollabzugsfähigen Sonderausgaben ausmachte. Diese Regelung galt nur für Personen mit einem steuerpflichtigen Vermögen von weniger als 40.000 DM. Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 21.12.1954 (EStG 1955), BGBl. I 1954, S. 448 ff.; vgl. Dietrich, Eigentum, S. 212.
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Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen – etwas geringer als in den Jahren 1952 und 1953 –, so erreichte das reale BIP-Wirtschaftswachstum 1955 einen Spitzenwert von zwölf Prozent.9 Mit dem starken Wachstum war eine Abnahme der Arbeitslosenzahl um rund 500.000 verbunden, so dass im Sommer 1955 mit einer Arbeitslosenquote von weniger als fünf Prozent das Niveau der Vollbeschäftigung erreicht wurde. Vorübergehend gestaltete sich die Wirtschaftspolitik als einfache Aufgabe, wie sich an den im Bundeskabinett behandelten Themen ablesen lässt: Hauptthema war im Spätsommer 1955 die Einführung der 40-Stunden-Woche sowie die mögliche Beschäftigung von Gastarbeitern, um den Personalbedarf der Industrie zu decken. Es mehrten sich zwar Anzeichen einer konjunkturellen Überhitzung. Doch nahm man vorläufig an, dass lediglich Teilbereiche der Wirtschaft betroffen waren und dass die Preiserhöhungen, die man insbesondere bei Kohle, Eisen und Stahl, Baustoffen und Nahrungsmitteln fürchtete, unter Kontrolle waren. An dieser Einschätzung änderte sich auch nichts, als erste Tarifverhandlungen mit Lohnforderungen von über neun Prozent geführt wurden und den Beginn einer Lohn-Preis-Spirale ankündigten.10 Für den Übergang zu freien Marktverhältnissen am Wertpapiermarkt waren die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu Beginn des Jahres 1955 also günstig. Doch hing das Geschehen am Rentenmarkt ganz wesentlich davon ab, wie die Anleger mit ihren Beständen an steuerfreien und steuerbegünstigten Wertpapieren umgehen würden. Bei dieser Entscheidung ließen sie sich – entsprechend der Spaltung des Wertpapiermarktes unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz – von unterschiedlichen Erwägungen leiten: Wie der oben dargestellte Vergleich zeigt, entsprach die Nettorendite der steuerbefreiten Wertpapiere von gut fünf Prozent bei tarifbesteuerten Kreditinstituten und Unternehmen immer noch einer Bruttorendite sonstiger Investitionen von 9,7 Prozent (die Nettorendite der mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegten Industrieobligationen betrug sogar 5,6 Prozent). Auch für Privathaushalte mit höherem Einkommen war die Rendite der steuervergünstigten Wertpapiere weiterhin hoch. Unter Renditegesichtspunkten hatten also weder steuerpflichtige Unternehmen noch Bezieher höherer Einkommen Anlass, ihre unter den Bedingungen des Kapitalmarktförderungsgesetzes erworbenen Wertpapiere zu verkaufen bzw. gegen tarifbesteuerte Neuemissionen umzutauschen, solange die Kurse um pari lagen bzw. die neu emittierten Papiere keine Nettorendite von mehr als fünf bzw. 5,6 Prozent erzielten. Die große Ungewissheit, die über dem Geschehen am Rentenmarkt schwebte, war allerdings, wie lange die Kreditinstitute und Unternehmen ihre umfangreichen Wertpapierbestände in ihrem Portefeuille halten würden. Es bestand kein Zweifel, dass sie die Wertpapiere in den Jahren 1953/54 in erster Linie wegen der zu erzielenden Steuerersparnisse gekauft hatten. Und es war ebenso klar, dass sie 9 Holtfrerich, Geldpolitik, S. 388 f. 10 Protokoll der 24. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 14.2.1955; Protokoll der 26. Sitzung vom 3.3.1955; Protokoll der 30. Sitzung vom 24.6.1955 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011); vgl. Berger, Konjunkturpolitik, S. 207 f.; Koerfer, Kampf, S. 84.
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sich von Teilen ihres Wertpapierbestandes würden trennen müssen, sobald sich ihre Liquiditätslage verschlechterte. Die BdL bekannte sich zwar dazu, die „dringend notwendige Senkung des Kapitalzinses durch Niedrighaltung des Diskonts zu unterstützen.“11 Aber angesichts der konjunkturellen Entwicklung war es nicht ausgeschlossen, dass sie aus Gründen der Geldwertstabilität mittelfristig restriktive Maßnahmen würde ergreifen müssen. Wann dies geschehen und wie es sich auf die Kursentwicklung am Rentenmarkt auswirken würde, war indes vollkommen ungewiss. Letzteres würde vor allem davon abhängen, ob die Wertpapiere, die von den Kreditinstituten und Unternehmen veräußert wurden, dauerhaft anderweitig platziert werden konnten. Dass der Wertpapiermarkt unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz in eine große Abhängigkeit vom Geldmarkt geraten war, war allen Akteuren bewusst – schließlich war dies ein wesentlicher Grund für seine Beseitigung gewesen.12 Ganz anderen Erwägungen folgten die Kapitalsammelstellen, die nicht oder nur zum Teil der Körperschaftsteuer unterlagen (Lebensversicherungen, Sozialversicherungen, Sparkassen etc.), sowie die Privathaushalte mit geringem Einkommen und entsprechend niedriger Einkommensteuerbelastung. Für sie war der Nominalzins eines Wertpapiers weitgehend gleich dem Nettoertrag. Entsprechend hatten sie aus dem Kapitalmarktförderungsgesetz keinen Nutzen ziehen können, da sie von den Steuervergünstigungen kaum profitierten und das Zinsniveau – im Vergleich zum Kursrisiko – gering blieb. Daher waren sie dem Wertpapiermarkt in der Regel fern geblieben. Eine Ausnahme stellten die Sozialversicherungen dar, die trotz der niedrigen Rendite aus übergeordneten sozialpolitischen Erwägungen heraus erhebliche Teile ihres Deckungsstocks in steuerfreien Pfandbriefen und Kommunalobligationen angelegt hatten. Da die ab 1955 tarifbesteuerten Neuemissionen mit Sicherheit einen höheren Nominalzins bieten würden als die bisherigen steuervergünstigten Papiere, bestand die Gefahr, dass die Sozialversicherungen aus Renditeerwägungen heraus größere Umtauschaktionen von steuervergünstigten in tarifbesteuerte Wertpapiere vornehmen würden. In diesem Falle drohte auf dem Markt für steuerbefreite Rentenwerte eine erhebliche Kursgefahr. Welchen Umfang solche Tauschgeschäfte annehmen würden, hing von der Anlagepolitik der Sozialversicherungen sowie der Kursentwicklung am Rentenmarkt ab. Um den Wertpapiermarkt in der sensiblen Übergangsphase nach Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes nicht unter zusätzlichen Druck zu setzen, stellten alle Emittentengruppen für eine Übergangszeit ihr Emissionsgeschäft am Rentenmarkt freiwillig ein: Die Industrieunternehmen hielten sich im gesamten Jahr 1955 vollständig zurück und wandten sich der Finanzierung über Schuldscheindarlehen zu.13 Die Bundesministerien für Wirtschaft, der Finanzen 11 Schreiben des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes (Dermitzel, Strathus) an Schäffer vom 21.3.1955 – BBk HA, B 330/3157; vgl. Ambrosius, Staat, S. 43. 12 Schreiben Schäffer an Erhard vom 19.1.1956 betr. IWF-Konsultation; Vermerk (Heveling) vom 16.1.1956 – BA Ko, B 126/7256; vgl. Büning, Auswirkungen, S. 35 f. 13 Röhl, Entwicklung, S. 153 f.; Dorner, Industriefinanzierung, S. 153.
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VIII. Rückzug des Staates vom Wertpapiermarkt
und des Inneren sowie die BdL versuchten „mit voller Macht“, durch umfassende Überzeugungsarbeit Länder und Kommunen zu einem befristeten Verzicht auf Neuemissionen zu bewegen, um durch eine Verknappung des Angebots eine bessere Aufnahmefähigkeit zu erzielen und eventuell sogar niedrigere Nominalzinssätze am Markt durchsetzen zu können.14 Ihre Appelle fanden Gehör, so dass im ersten Halbjahr 1955 keine öffentlichen Anleihen auf den Markt kamen; die Länder versprachen auch für das zweite Halbjahr weitgehende Zurückhaltung. Diese Zusagen fielen nicht allzu schwer, da die öffentlichen Gebietskörperschaften aufgrund der guten Kassenlage nicht auf die Finanzierung außerordentlicher Haushalte über den Wertpapiermarkt angewiesen waren.15 Auch die Realkreditinstitute vereinbarten eine freiwillige Emissionspause, um ihren enormen Emissionsüberhang an steuerfreien Pfandbriefen reibungslos absetzen zu können und den Markt auf tarifbesteuerte Pfandbriefe vorzubereiten. Ihr Emissionsstopp währte bis Mitte März 1955. Für die folgenden Monate April und Mai sahen sie eine Begrenzung des Emissionsvolumens auf jeweils insgesamt 100 Mio. DM vor. Um ein maßvolles Anlaufen der Emissionstätigkeit zu gewährleisten, erklärten sie zudem, im Aktivgeschäft wieder zum hergebrachten Geschäftsmodell zurückkehren zu wollen: Der Abschluss von Darlehensgeschäften sollte fortan dem Verkauf der sie refinanzierenden Pfandbriefe und Kommunalobligationen wieder vorangehen.16 Da angesichts der anhaltenden Liquidität des Geldmarktes weiterhin mit sinkenden Zinsen zu rechnen war, war die Zurückhaltung durchaus auch im Eigeninteresse der Daueremittenten, die sich zu Jahresbeginn noch völlig im Unklaren darüber waren, mit welchen Konditionen der tarifbesteuerte Pfandbrief ausgestattet werden sollte.17 Kurz vor Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes hatten sich die Kurse am Rentenmarkt vorübergehend abgeschwächt, aber diese Phase war Anfang 1955 bereits wieder überwunden. Als die Realkreditinstitute vor diesem Hintergrund die Konditionen für Neuemissionen erörterten, standen eine Nominalverzinsung von sechs Prozent bei einem Ausgabekurs von 94 Prozent bzw. ein Nominalzins von 6,5 Prozent kombiniert mit einem Ausgabekurs von 98 Prozent zur Diskussion.18 Bei einer 35-jährigen Laufzeit bedeutete dies eine Emissionsrendite von ca. 6,5 bzw. 6,8 Prozent. In der Frage des künftigen Pfandbrief14 Stenograph. Bericht über die 189. ZBR-Sitzung vom 16.3.1955 – BBk HA, B 330/84; Protokoll der 196. ZBR-Sitzung vom 22./23.6.1955 – BBk HA, B 330/86. 15 Die Länderminister erklärten sich zu einem entsprechenden Emissionsverzicht gegenüber dem Bundesfinanzminister am 9. März 1955 bereit. Allerdings teilten die Länder mit, dass zwei Ausnahmen gemacht werden müssten: Die Länder Hessen und Niedersachsen wollten zwei Anleihen in Höhe von insgesamt ca. 170 Mio. DM herausgeben. Protokoll der 27. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 11.3.1955 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011). 16 Protokoll der 187. ZBR-Sitzung vom 16./17.2.1955 – BBk HA, B 330/83; Stenograph. Bericht über die 189. ZBR-Sitzung vom 16.3.1955 – BBk HA, B 330/84. 17 Protokoll der 185. ZBR-Sitzung vom 19./20.1.1955 – BBk HA, B 330/82. 18 Protokoll der 27. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 11.3.1955 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011).
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zinses kam es zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium erneut zu einem kurzen Schlagabtausch, da Schäffer keine Emissionen mit einem Nominalzins von 6,5 Prozent zulassen wollte, der seiner Ansicht nach nicht der herrschenden Zinssenkungstendenz entsprach. Dagegen bekräftigten Erhard und der ZBR einmal mehr, dass ein solcher Zins zwar unerwünscht sei, aber eine „unorganische Beeinflussung“, wie sie unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz üblich gewesen sei, nunmehr vermieden und die weitere Zinsentwicklung dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage überlassen bleiben sollte. Sie wollten eine staatliche Emissionsgenehmigung nur noch dann verweigern, wenn eine „grobe, also in der Größenordnung beträchtliche Normabweichung“ auftreten sollte.19 Weitere Erörterungen erübrigten sich, als sich die Realkreditinstitute auf den 6-prozentigen Pfandbrieftyp einigten, der sich in den folgenden Monaten als Leitpapier durchsetzte. Damit fiel der Zinssatz am freien Wertpapiermarkt niedriger aus, als die Bundesregierung noch wenige Monate zuvor zu hoffen gewagt hatte, und bewegte sich in einer für den sozialen Wohnungsbau durchaus tragbaren Höhe.20 Die Realkreditinstitute konnten mit ihrer Emissionspolitik Mitte 1955 sehr zufrieden sein: Die Aufnahmebereitschaft des Marktes blieb auch nach Wegfall der Steuervergünstigungen groß und die Neuemissionen trafen in den Monaten Juni, Juli und August auf ein so reges Interesse, dass die starke Nachfrage kaum befriedigt werden konnte. Zwischen März und Juni wurden Pfandbriefe in Höhe von 925 Mio. DM und Kommunalobligationen in einem Volumen von 658 Mio. DM neu aufgelegt. Die ersten tarifbesteuerten 6-prozentigen Pfandbriefe, die mit einem Ausgabekurs von 94 Prozent abgesetzt worden waren, notierten im Juni bei 98,25. Zugleich war die Bonifikation, die den Banken zur Unterbringung der Papiere geboten wurde, von zwei Prozent auf 3/8 Prozent gesunken.21 In dieser Situation sahen die Bundesressorts die Gelegenheit gekommen, am „anleihehungrigen“ Wertpapiermarkt erste öffentliche Emissionen aufzulegen, ohne die herrschende Zinssenkungstendenz zu beeinträchtigen. Für die Staatspapiere sollte eine Anleihe der Stadt Berlin, die mit einer Bundesgarantie versehen war, die Pionierrolle übernehmen. Zwischen der Emittentin, den Bundes19 Beispielsweise wurde der Wunsch einiger Sozialversicherungsträger, die den sozialen Wohnungsbau weiter mit billigem Geld versorgen wollten, nach 5-prozentigen tarifbesteuerten Pfandbriefen abgelehnt. Diese Verzinsung lag nach übereinstimmender Meinung der Aufsichtsbehörden deutlich unter den Marktbedingungen und hätte Störungen hervorgerufen, sobald die Sozialversicherungen als Abnehmer solcher Papiere ausgefallen wären. Protokoll der 191. ZBR-Sitzung vom 15.4.1955 – BBk HA, B 330/84; Protokoll der 192. ZBR-Sitzung vom 27./28.4.1955 – BBk HA, B 330/85. 20 Im Januar 1954 hatte Bundeswohnungsbauminister Preusker noch die Hoffnung geäußert, durch Anwendung verschiedener Maßnahmen (etwa Offenmarkt-Politik der Zentralbank) nach Ablauf des Kapitalmarktförderungsgesetzes einen Kapitalzins für tarifbesteuerte Pfandbriefe von sieben Prozent innerhalb von zwei Jahren zu erreichen. Schreiben Preusker an Bernard vom 7.1.1954 – BBk HA, B 330/3157. 21 Stenograph. Bericht über die 196. ZBR-Sitzung vom 22./23.6.1955 – BBk HA, B 330/86.
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ministerien und der BdL wurde eine Nominalverzinsung von 5,5 Prozent, ein Ausgabekurs von 98 Prozent und eine Laufzeit von 15 Jahren, davon zehn Jahre tilgungsfrei, vereinbart. Im August 1955 wurden neben der Berlin-Anleihe auch Anleihen bundeseigener Sondervermögen ausgegeben, deren Finanzierungswünsche bis dahin zurückgestellt worden waren:22 Die Bundespost gab eine Anleihe über 125 Mio. DM aus (gleiche Bedingungen wie bei der BerlinAnleihe), der Lastenausgleichsfonds legte eine Anleihe im Volumen von 200 Mio. DM auf (Nominalzins 5,5 Prozent, Ausgabekurs 97, Laufzeit zwölf Jahre). Weitere öffentliche Anleihen im Umfang von insgesamt 500 Mio. DM waren für die kommenden Monate mit ähnlichen Ausgabebedingungen geplant.23 VIII. 1. 3. Rückkehr der Aktie als Refinanzierungsinstrument Der Aktienmarkt setzte seinen seit Mitte 1953 währenden Kursaufschwung im Jahr 1955 fort. Neuen Schub gab das Außerkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes, das die Steuervorteile der Festverzinslichen beseitigte, sowie die „große Steuerreform“, die eine Milderung der Doppelbesteuerung brachte, so die Ausschüttungsfähigkeit der Unternehmen erhöhte und die Ausgabe von neuen Aktien erleichterte. Mit der Neujustierung der Renditeverhältnisse zwischen Renten- und Aktienmarkt erlebte die Aktie eine kaum erwartete „Renaissance“.24 Anders als in den Jahren zuvor, als in der Regel Aktienpakete en bloc ohne Einschaltung der Börse an strategische Investoren abgegeben worden waren, erfolgte die Ausgabe neuer Aktien in erster Linie in Form des Angebots von Bezugsrechten, die – nicht zuletzt als Entschädigung für den Ausfall von Dividenden in den Vorjahren – zu vorteilhaften Bedingungen zu pari bzw. wenig darüber eingeräumt wurden. Die Unternehmen erhöhten nach den Steuersenkungen zwar ihre Dividenden. Da aber die Kurse zwischen Januar und Oktober 1955 von durchschnittlich 167 auf 191 Prozent weiter anstiegen, blieb die Durchschnittsrendite gering; sie erhöhte sich nur von 2,63 (Ende 1954) auf 3,10 Prozent (Ende 1955).
22 Vermerk vom 14.5.1956 – BA Ko, B 126/7256. 23 Protokoll der 27. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 11.3.1955 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011); Protokoll der 196. ZBR-Sitzung vom 22./23.6.1955 – BBk HA, B 330/86; Protokoll der 200. ZBR-Sitzung vom 31.8.1955 – BBk HA, B 330/87. 24 Dorner, Industriefinanzierung, S. 119 f.
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Entwicklung der Dividendenzahlungen in Westdeutschland 1953–195525 1953
a
1954
b
durchschnittliche 6,03 6,86 Dividende (nur Dividenden zahlende Gesellschaften) Durchschnittliche 4,24 5,63 Dividende (inkl. Gesellschaften ohne Dividendenzahlung) a einschl. Organgesellschaften und gemeinnützige Unternehmen b ohne Organgesellschaften und gemeinnützige Unternehmen
1955
b
7.71
7,15
Die günstigen Bezugsrechte und die steigenden Dividenden beflügelten den Aktienhandel, der zudem nach Einführung der liberalisierten Kapitalkonten26 durch spekulative Auslandskäufe angeregt wurde. Dies verbesserte wiederum die Platzierungsmöglichkeiten neuer Aktien, so dass das Emissionsvolumen mit 1,56 Mrd. DM (Vorjahr: 498,5 Mio. DM) erstmals nach dem Krieg die Milliardenmarke überstieg. Davon entfielen 1,19 Mrd. DM auf Aktien von Industrieunternehmen. Aktien machten 1955 ein Drittel aller abgesetzten Wertpapiere aus, ein Wert, der seit 1928 nicht mehr erzielt worden war. Der Börsenumsatz erhöhte sich 1955 in den ersten zehn Monaten um 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr, so dass die angestrebte Verbreiterung des Aktienmarkts bzw. die Überwindung der Marktenge bei einer Fortsetzung der Hausse in Reichweite kam.27 VIII. 2. RÜCKSCHLAG AM RENTENMARKT WÄHREND DER HOCHKONJUNKTUR VIII. 2. 1. Die geldpolitische Wende Mitte 1955 Die wirtschaftspolitisch entspannten Monate näherten sich ihrem Ende, als die BdL Mitte 1955 eine geldpolitische Wende einläutete. Die starke Konsumnachfrage, die Teuerung der Importwaren und anziehende Löhne hatten den Inflationsdruck erhöht und veranlassten die BdL zunächst, ihre Offen-Markt-Geschäfte mit Geldmarkttiteln zu intensivieren.28 Als diese aufgrund der kontinuierlichen Leistungsbilanzüberschüsse keinen dämpfenden Effekt auszuüben vermochten,29 25 26 27 28 29
Ebd., S. 122. Vgl. Kap. IV. 2. 4. Dorner, Industriefinanzierung, S. 127 ff. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 388 f. Die EZU verzeichnete Mitte der Fünfzigerjahre wieder erhebliche Ungleichgewichte: Während Frankreich und Großbritannien hohe EZU-Defizite aufwiesen, avancierte die Bundesrepublik zum größten Überschussland. Die Zinsentscheidung vom 3. August 1955 lehnte eine Minderheit im ZBR mit dem Argument ab, dass sie der Zinssenkungstendenz am Kapital-
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griff die BdL zu „sichtbaren“ Maßnahmen, indem sie im August den Diskontsatz um 0,5 auf 3,5 Prozent erhöhte und die Bankenliquidität durch eine Anhebung der Mindestreservesätze (plus ein Prozent) um 500 Mio. DM verringerte. Die drohende Überhitzung der Wirtschaft war seit September 1955 auch Thema im Bundeskabinett und überschattete die politische Agenda in den folgenden Monaten immer stärker. Ihren Ursprung hatten die Auseinandersetzungen in den divergierenden Einschätzungen über das Ausmaß der konjunkturellen Überhitzung, ihre Ursachen und die zu ergreifenden Gegenmaßnahmen.30 Erklärbar sind die aus heutiger Sicht übertrieben wirkenden Reaktionen wohl nur mit der Unerfahrenheit und den Ängsten der Politiker und Finanzexperten, die in ihrem Berufsleben noch nie mit dem Problem einer überschießenden Konjunktur konfrontiert worden waren. Insbesondere das Gespenst einer außer Kontrolle geratenden Inflation und einer unsoliden Investitionsfinanzierung über kurzfristige Kredite rief bei vielen Zeitgenossen Erinnerungen an die großen Finanzkrisen der Weimarer Republik wach.31 Der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister stellten sich von Beginn an hinter die geldpolitischen Entscheidungen der BdL, indem sie betonten, dass die Wirtschaft an der „Grenze der äußersten Leistungsfähigkeit“ angelangt sei.32 Ihre Hauptsorge galt der steigenden Inflation, für die sie nicht zuletzt die Unternehmen verantwortlich machten: Sie beschuldigten die Arbeitgeber, angesichts des drohenden Arbeitskräftemangels den Lohnforderungen der Gewerkschaften allzu leicht nachzukommen und die dadurch verursachten Kostensteigerungen ungeniert über Preiserhöhungen an die Verbraucher weiterzuleiten. Auch hielten sie die Investitionsneigung, die durch die Steuersenkungen und Investitionsanreize der „großen Steuerreform“ zusätzlich angeheizt worden war, für übertrieben. Die wissenschaftlichen Beiräte beim Bundeswirtschafts- und beim Bundesfinanzministerium sowie die volkswirtschaftliche Abteilung der BdL sahen die Ursachenfolge umgekehrt: Sie machten weniger die Lohnentwicklung als die ausufernden privaten und öffentlichen Investitionen als Hauptverursacher des Preisanstiegs aus.33
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markt entgegenwirken würde. Stenograph. Bericht über die 198. ZBR-Sitzung vom 3.8.1955 – BBk HA, B 330/87; vgl. Dickhaus, Bundesbank, S. 199 f. Die konjunkturpolitischen Auseinandersetzungen der Jahre 1955/56 und die Ereignisse rund um die „Gürzenich-Affäre“ sind inzwischen detailliert untersucht. Im Folgenden wird die Entwicklung daher nur skizziert. Vgl. Koerfer, Kampf, S. 111–121; Berger, Konjunkturpolitik, S. 207–228; Hardach, Erhard, S. 318–359; Holtfrerich, Geldpolitik, S. 388–398; Nützenadel, Stunde, S. 245 ff. Erhard, Wohlstand, S. 78, 100; Koerfer, Kampf, S. 84 f. Protokoll der 100. Kabinettssitzung vom 15.10.1955, TOP C; Protokoll der 112. Kabinettssitzung vom 11.1.1956, TOP A – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011); vgl. Erhard, Wohlstand, S. 78. Als Auslöser der Überhitzung betrachteten die Wissenschaftler die ausufernden öffentlichen und privaten Investitionen, die durch eine starke Nachfrage, durch hohe Unternehmensgewinne infolge niedriger Kosten (insbesondere niedriger Lohnkosten, die hinter den Produktivitätssteigerungen zurückblieben) und eine großzügige Kreditvergabe der Banken angereizt wurden und das Produktionspotenzial überstiegen. Die wissenschaftlichen Beiräte
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In der Öffentlichkeit konzentrierte Erhard seine Bemühungen darauf, eine drohende Lohn-Preis-Spirale durch öffentlichkeitswirksame Maßhalteappelle an die Tarifparteien zu verhindern. Um Handlungsbereitschaft zu demonstrieren, schnürte die Bundesregierung nach einer Generaldebatte des Bundestags ein „Konjunkturprogramm“, das nicht – wie die Bezeichnung üblicherweise erwarten lässt – zur Konjunkturbelebung beitragen, sondern dämpfende Wirkung ausüben sollte. Das Programm beinhaltete allerdings keine durchgreifenden Maßnahmen, sondern beschränkte sich weitgehend auf Absichtserklärungen und Appelle.34 Sein zurückhaltender Tonfall war Ausdruck der konjunkturpolitischen Dissonanzen im Bundeskabinett, die sich mit zunehmender Dauer der Diskussion verstärkten: Auf der einen Seite standen – angesichts der zurückliegenden Dauerquerelen in durchaus überraschender Eintracht – der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister, die zusätzliche, die Investitionsbereitschaft mäßigende geld- und fiskalpolitische Maßnahmen als notwendig erachteten;35 auf der anderen Seite positionierten sich insbesondere Bundeskanzler Adenauer, Bundeswohnungsbauminister Preusker und Bundeslandwirtschaftsminister Lübke, die generelle, alle Wirtschaftsbereiche betreffende Restriktionen ablehnten.36 Adenauer wollte vor den Bundestagswahlen im September 1957 keine Abkühlung der Wirtschaftsleistung riskieren; er befürchtete vor allem, dass der Wohnungsbau und die mittelständische Wirtschaft Rückschläge erleiden könnten – beides Wirtschaftsbereiche, die wahlkampfpolitisch von herausragender Bedeutung. Adenauer verwies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm angeregtes Gutachten von BDI-Präsident Fritz Berg, das die Geldpolitik der BdL äußerst kritisch bewertet und als massive Konjunkturbelastung gebrandmarkt hatte.37 Preusker und Lübke nahmen den Standpunkt ein, dass die konjunkturelle
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empfahlen in einem gemeinsamen Gutachten, die Investitionen durch eine restriktive Geldpolitik einzudämmen. Zudem sollte die degressive Abschreibung eingeschränkt, die direkte staatliche Unterstützung von privaten Investitionen zurückgefahren sowie öffentliche Bauinvestitionen verschoben werden. Protokoll der 30. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 24.6.1955 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011); vgl. Hentschel, Erhard, S. 325 f., 329. So wollte man die Tarifparteien überzeugen, eine moderate Lohn- und Preispolitik zu betreiben, und an die öffentlichen Gebietskörperschaften appellieren, die Kürzung öffentlicher Bauaufträge zu prüfen. Konkret war lediglich die Ankündigung Erhards, vorübergehend die Zölle für Nahrungsmittel sowie land- und bauwirtschaftliche Betriebsmittel zu senken, um durch verstärkte Importe den Preisdruck abzuschwächen. Vgl. Berger, Konjunkturpolitik, S. 112 ff., 210 f. Im Bundeskabinett lobte Schäffer im Oktober 1955 ausdrücklich die Wirtschaftspolitik Erhards in den zurückliegenden Jahren als „vollen Erfolg“. Erhard sah 1955/56 zwischen Bundeswirtschaftsministerium und BdL „eine immer gleichartigere Beurteilung der wirtschaftspolitischen Lage.“ Protokoll der 99. Kabinettssitzung vom 6.10.1955, TOP D – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 13.4.2011); Erhard, Wohlstand, S. 96. Protokoll der 140. Kabinettssitzung vom 19.6.1956, TOP 12 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 13.4.2011); vgl. Nützenadel, Stunde, S. 253 ff. Der Bundeskanzler zählte auf die finanzielle Wahlkampfunterstützung der Industrie und legte Wert auf den Rat des BDI-Präsidenten, mit dem Schäffer und Erhard aufgrund ihrer Kritik an
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Anspannung keineswegs die Gesamtwirtschaft betreffe. Im Wohnungsbau und in der Landwirtschaft seien beispielsweise keine Überhitzungserscheinungen zu beobachten. Daher würden zusätzliche geldpolitische Maßnahmen der BdL bzw. etwaige fiskalpolitische Maßnahmen des Bundesfinanzministers, die naturgemäß in ihrer Wirkung sehr „grob“ seien, diesen Sektoren großen Schaden zufügen. Daran könne die Bundesregierung kein Interesse haben.38 In den Mittelpunkt der konjunkturpolischen Debatte rückten die Bauinvestitionen. Als der ZBR Anfang 1956 wiederholt empfahl, den Wohnungsbau aus konjunkturpolitischen Gründen zu drosseln, verhärteten sich die Fronten zwischen der BdL und dem Bundeskanzler.39 Hielt das Bundeskabinett mehrheitlich (mit Ausnahme Erhards und Schäffers) eine Begrenzung des Wohnungsbaus aus politischen Gründen für unmöglich, sah der ZBR gerade in einer solchen Beschränkung die Lösung der konjunktur- und zinspolitischen Problematik. Vor die Wahl gestellt, ob aus währungspolitischen Gründen die Investitionen der Industrie oder der Wohnungsbau eingeschränkt werden sollte, sprach sich der ZBR eindeutig für die Begrenzung des Wohnungsbaus und eine Fortsetzung der „produktiven“ Industrie- und Verkehrsinvestitionen aus.40 Adenauer war außer sich, warf der BdL zum wiederholten Male mangelndes politisches und soziales Verständnis vor und kritisierte Erhard und Schäffer scharf wegen ihres Eintretens für die BdL.41 Nachdem Erhard und Preusker übereinstimmend festgestellt hatten, dass vom sozialen Wohnungsbau, der gegenüber dem Vorjahr eine abnehmende Tendenz aufwies, keine konjunkturellen Gefahren ausgingen, rückten die gewerblichen und öffentlichen Bauinvestitionen in den Mittelpunkt der Kritik.42 Für Gewerbebauten wurden Steueränderungen erwogen, die die Rückstellung von Bauvorhaben belohnen bzw. die Abschreibungsmöglichkeiten für Bauvorhaben verringern
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der Lohnpolitik der Arbeitgeber über Kreuz lagen. Stenograph. Bericht über die 209. ZBRSitzung vom 21.12.1955 – BBk HA, B 330/90; Protokoll der 112. Kabinettssitzung vom 11.1.1956, TOP A – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 13.4.2011); vgl. Koerfer, Kampf, S. 87 f., 212; Berger, Konjunkturpolitik, S. 213. Protokoll der 115. Kabinettssitzung vom 25.1.1956, TOP 6; Protokoll der 118. Kabinettssitzung vom 8.2.1956, TOP B – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 22.4.2011). Die BdL refinanzierte schon seit Oktober 1955 keine Wechsel mehr, die der Zwischenfinanzierung von Bauvorhaben dienten. Stenograph. Bericht über die 225. ZBR-Sitzung vom 22.8.1956 – BBk HA, B 330/96; Stenograph. Bericht über die 247. ZBR-Sitzung vom 12.6.1957 – BBk HA, B 330/103. Adenauers Kritik gipfelte in der Bemerkung, dass die „letzte Verantwortung“ für die Währungsstabilität nicht bei der BdL, sondern bei der Bundesregierung liege. Protokoll der Sondersitzung des Kabinetts vom 7.3.1956, TOP B; Protokoll der 118. Kabinettssitzung vom 8.2.1956, TOP B – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 26.2.2011). Die Kosten für gewerbliche Bauten waren 1955 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent angestiegen. Protokoll der 113. Kabinettssitzung vom 18.1.1956, TOP C, TOP 4; Protokoll der 115. Kabinettssitzung vom 25.1.1956, TOP 6 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 26.2.2011).
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sollten. Die Bundesregierung nahm Kontakt zu den Ländern und Gemeinden auf und forderte, nicht vordringliche Bauten zurückzustellen. Zudem wurde erwogen, die öffentliche Bautätigkeit, die durch anstehende Bauten für Verteidigungszwecke vor zusätzlichen Herausforderungen stand, verstärkt auf die Wintermonate zu verlegen. Im März 1956 wurde ein Interministerieller Arbeitsausschuss Bauwirtschaft ins Leben gerufen, der die Aufgabe verfolgte, die Bauprogramme der öffentlichen Körperschaften zu koordinieren, um Kapazitätsüberspannungen der Bauwirtschaft zu vermeiden.43 Neben der Lohn-/ Preisentwicklung und den dauernden Leistungsbilanzüberschüssen bedrohte ein weiterer Umstand die Währungsstabilität: Die Haushaltsüberschüsse der öffentlichen Gebietskörperschaften, die von mehreren Bundesministern und von den Wirtschaftsverbänden regelmäßig scharf kritisiert wurden,44 hatten seit 1952 laufend Liquidität abgeschöpft und damit – unbeabsichtigt – als Puffer gegen inflationäre Tendenzen gewirkt. Insbesondere der Bund hatte enorme Haushaltsüberschüsse angesammelt, die Schäffer offiziell für den Aufbau einer Armee und für Besatzungsausgaben der Alliierten verwenden wollte, die aber aufgrund eines geringeren Mittelabrufs, unrealistischer Planungen für die Bundeswehr und langwieriger Verhandlungen um die Errichtung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft deutlich langsamer abgerufen wurden als vorgesehen.45 Die als „Julius-Turm“ bezeichneten Überschüsse des Bundes, die als Einlagen im Zentralbanksystem stillgelegt waren, betrugen Ende 1955 ca. sieben Mrd. DM bzw. 3,6 Prozent des BIP; ihren Gipfel erreichten sie im September 1956 mit 7,5 Mrd. DM.46 Unter Ökonomen wurden Befürchtungen laut, dass der „Julius-Turm“, der bislang dämpfend auf die Konjunktur gewirkt hatte, nun zur Unzeit aufgelöst werden und zusätzliche inflationäre Impulse geben könnte. Tatsächlich etablierte sich im Frühjahr 1956 ein Arbeitsausschuss der CDU/CSU-Fraktion, später mit dem sinnfälligen Begriff „Kuchenausschuss“ versehen, der damit begann, die Überschüsse des Bundes im Vorfeld der Bundestagswahl an verschiedenste Interessen- und Klientelgruppen zu verteilen.47 Der Bundesfinanzminister geriet 43 Protokoll der 42. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 30.1.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011). 44 Schäffer wurde zum Vorwurf gemacht, dass seine Steuerschätzungen prinzipiell auf zu pessimistischen Annahmen beruhten, etwa bezüglich der konjunkturellen Entwicklung. Denn regelmäßig lagen die realen Haushaltseinnahmen weit über dem Soll. Der Bundeswirtschaftsminister beklagte gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden, dass den Unternehmen durch die Kapitalakkumulation in den öffentlichen Haushalten dringend benötigtes Kapital vorenthalten werde. Anlage zum Kurzprotokoll Nr. 3 des Haushaltsausschusses, Nr. 3 des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und Nr. 2 des Ausschusses für Geld und Kredit vom 4.12.1953, S. 14 – PA, 2. Wahlperiode/ 22. Ausschuss; Anlage zum Kurzprotokoll der 5. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 5.2.1954: Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft über die Lage auf dem Geld- und Kapitalmarkt, S. 10 – PA, 2. Wahlperiode/ 22. Ausschuss; vgl. Henzler, Schäffer, S. 487. 45 Henzler, Schäffer, S. 488, 505 ff. 46 Holtfrerich, Geldpolitik, S. 387; Ullmann, Steuerstaat, S. 187, 190. 47 Koerfer, Kampf, S. 89.
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dadurch in die Bredouille: Während er einerseits mit Erhard übereinstimmte, dass die Investitionen aus konjunkturpolitischen Gründen zurückgeführt werden sollten, sah er sich im Vorfeld der Bundestagswahl mit Forderungen der Koalitionsparteien nach weiteren Steuersenkungen konfrontiert, die einer restriktiven Geld- und Finanzpolitik entgegenwirken mussten. Schäffer, der aufgrund seiner unnachgiebigen Haltung im Vorfeld der „großen Steuerreform“ bereits verstärkten politischen Widerstand aus den Koalitionsparteien erfuhr, wollte zwar ebenso wie seine Länderkollegen die Ausgabefreudigkeit der Fraktionen eindämmen,48 musste aber letztlich auf ganzer Linie nachgeben: Im Juli 1956 und im Frühjahr 1957 beschloss der Bundestag eine Reihe unterschiedlichster, zum Teil widersprüchlicher Maßnahmen, die von Erleichterungen bei der Einkommensteuer bis zur Senkung der Umsatzsteuer reichten; sie bedeuteten nicht nur die restlose Verausgabung des „Julius-Turms“, sondern ließen für die Folgejahre auch Defizite im Bundeshaushalt erwarten.49 Da keine Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Konsum- und Investitionsnachfrage zu erkennen war,50 die Arbeitslöhne inzwischen deutlich stärker stiegen als die Produktivität,51 da sich zudem das Bundeskabinett in der Frage kontraktiver Maßnahmen selbst blockierte und der „Kuchenausschuss“ mit seinen Steuer- und Subventionsgeschenken zusätzliche Inflationsimpulse zu setzen drohte, erhöhte der ZBR den Diskontsatz zunächst am 8. März 1956 auf 4,5 Prozent und dann am 18. Mai 1956 auf 5,5 Prozent.52 Er hoffte, dass die ergriffe48 Protokoll der 95. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 29.6.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 19. Ausschuss. 49 Schäffer musste hinnehmen, dass die Ausgaben des Bundes allein von 1955 auf 1956 um 23 Prozent zunahmen, während die Einnahmen nur einen Zuwachs von acht Prozent verzeichneten. Bis 1959 war der „Julius-Turm“ abgebaut. Protokoll der 117. Kabinettssitzung vom 1.2.1956, TOP 6; Protokoll der Sondersitzung des Bundeskabinetts vom 7./8.3.1956, TOP B, TOP 2; Protokoll der 126. Kabinettssitzung vom 14.3.1956, TOP 1 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011); Stenograph. Bericht über die 247. ZBR-Sitzung vom 12.6.1957 – BBk HA, B 330/103; vgl. Ullmann, Steuerstaat, S. 190; Henzler, Schäffer, S. 519 ff. 50 Trotz der eingeleiteten restriktiven Geldpolitik stieg das Kreditvolumen der Banken im Gesamtjahr 1955 um 23 Prozent an. Dabei verschärfte sich zugleich die Liquiditätslage der Banken aufgrund eines verstärkten Umlaufs von Bargeld (Lohnerhöhungen), der OffenMarkt-Verkäufe der BdL und der Kassenüberschüsse der öffentlichen Hand. In der Folge stiegen die Geldmarktsätze deutlich über den Diskontsatz von 3,5 Prozent an. Vgl. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 390. 51 Zwischen Januar und Ende Mai 1956 hatten die Gewerkschaften Tarifverträge für ca. 3,3 Mio. Arbeitnehmer gekündigt. In den neu ausgehandelten Tarifverträgen wurden Lohnerhöhungen zwischen acht und elf Prozent vereinbart. In der Metallindustrie einigten sich die Tarifpartner im Juni 1956 darauf, dass ab Oktober die Wochenarbeitszeit von 48 auf 45 Stunden verkürzt und zugleich die Löhne um acht Prozent erhöht werden sollten. Protokoll der 140. Kabinettssitzung vom 19.6.1956, TOP A und TOP 2 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011). 52 Bei diesen mit Blick auf die inländische Preisentwicklung getroffenen Maßnahmen nahm der ZBR die Gefahr zusätzlicher Devisenzuflüsse, die tatsächlich im zweiten Quartal 1956 einsetzten, in Kauf und damit die Gefahr einer importierten Inflation. Die Devisenzuflüsse
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nen Maßnahmen „ihren Eindruck auf Regierung und Parlament nicht verfehlen“ und zu einer Umkehr in der Finanzpolitik führen würden. Das Echo war in der Tat groß, aber sicherlich nicht ganz im Sinne des ZBR. In Regierungskreisen wurde die BdL beschuldigt, einen tiefen Graben zwischen Geldmarkt und Kapitalmarkt geschaffen und so den Wertpapiermarkt „kaputt gemacht“ zu haben.53 Adenauer, der im Vorfeld der Zinsentscheidungen nicht informiert, geschweige denn konsultiert worden war, sah darin einen gegen ihn gerichteten Affront der BdL, des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesfinanzministers, die er daraufhin während einer Veranstaltung des BDI im Kölner Gürzenich am 23. Mai äußerst scharf angriff. Die öffentlichen Reaktionen waren so enorm, dass die Bundesregierung darauf bedacht war, die Auseinandersetzungen so schnell wie möglich zu beenden. Einen Rücktritt seiner beiden wichtigsten Minister Erhard und Schäffer wollte Adenauer ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht riskieren.54 Im Rahmen einer Regierungserklärung vor dem Bundestag stellte Erhard am 22. Juni 1956 ein zweites „Konjunkturprogramm“ der Bundesregierung vor, das neben verschiedenen Absichtserklärungen55 folgende konkrete Maßnahmen umfasste:56 die Verlängerung und Ausweitung der Zollsenkungen; steuerliche Vergünstigungen zur Importförderung (Sonderabschreibungsmöglichkeiten); die Reduktion von staatlichen Bürgschaften für Investitionsvorhaben; eine 10prozentige Investitionssperre des Bundes (mit Ausnahme des sozialen Wohnungsbaus und mit Kompensationen für Verteidigung und Landwirtschaft); Appelle zur Beschränkung der Bautätigkeit der öffentlichen Gebietskörperschaften sowie steuerliche Maßnahmen zur Sparförderung.57 In Bezug auf Letztere kündigte Erhard an, das Sparen in Form von Kapitalansammlungsverträgen (§ 10 EStG)
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beruhten einerseits auf den für ausländische Anleger attraktiven Zinsen und andererseits auf der Liquiditätsverknappung im Inland, die zu einer verstärkten Nachfrage nach ausländischen Krediten führte. Da in dem inzwischen weitgehend konvertiblen Währungssystem mit festen Wechselkursen mittelfristig mit Wechselkursanpassungen gerechnet werden musste, beruhte ein Großteil der westdeutschen Zahlungsbilanzüberschüsse auf Wechselkursspekulationen. Zum Spannungsverhältnis zwischen „innerem und äußerem Gleichgewicht“ s. Dickhaus, Bundesbank, S. 200 f., 204 f. Vor allem Preusker warf der BdL vor, den für den Wohnungsbau so wichtigen Kapitalmarkt seit September 1955 systematisch „zerstört“ zu haben. Protokoll der Sondersitzung des Kabinetts vom 7.3.1956, TOP B – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011); Stenograph. Bericht über die 223. ZBR-Sitzung vom 11.7.1956 – BBk HA, B 330/95; vgl. Dickhaus, Bundesbank, S. 203. Ausführlich zur „Gürzenich-Affäre“: Koerfer, Kampf, S. 111 ff., 123 ff.; Hentschel, Erhard, S. 349 ff. Es wurde die Absicht geäußert, die Inanspruchnahme von Teilzahlungskrediten zu erschweren, Tarifverträge zu überprüfen, das Pensionsalter für Beamte zu erhöhen und Haushaltsdefizite künftig zu vermeiden. Protokoll der 140. Kabinettssitzung vom 19.6.1956, TOP 12 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011); Verhandlungen des Deutschen Bundestags, Bd. 30, S. 8143-8150; vgl. Berger, Konjunkturpolitik, S. 118 ff. Protokolle der 49.-53. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 5., 8., 12. und 15.6.1956 sowie 9.7.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011).
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wieder attraktiver gestalten zu wollen.58 Den Kern des im Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteten Programms konnte Erhard im Bundeskabinett allerdings nicht durchsetzen: Die beabsichtigte Herabsetzung der degressiven Abschreibungssätze scheiterte in erster Linie am unnachgiebigen Willen des Bundeskanzlers, der unter keinen Umständen einen Investitionsrückgang auf breiter Front zulassen wollte.59 Als die Bundesregierung ihr Programm beschloss, hatte der Konjunkturzyklus seinen Scheitelpunkt bereits überschritten, was sich an den nachlassenden Investitionen und der Abschwächung des Preisauftriebs ablesen ließ. Der ZBR senkte den Diskontsatz bereits im September 1956 wieder um 0,5 Prozent auf fünf Prozent, um das Zinsgefälle gegenüber dem Ausland zu verringern und einen Rückgang der Kapitalmarktzinsen zu erreichen.60 VIII. 2. 2. Auswirkungen der währungspolitischen Wende auf den Wertpapiermarkt Es dauerte einige Wochen, ehe sich die währungspolitischen Maßnahmen der BdL im Herbst 1955 auf den Rentenmarkt auszuwirken begannen. Im September konnten noch ähnlich viele Wertpapiere abgesetzt werden wie in den Vormonaten.61 Allerdings musste die BdL bereits zu diesem Zeitpunkt feststellen, dass die Kreditinstitute, die ihre Wertpapierbestände zwischen Januar und Juli noch um 957 Mio. DM erhöht hatten,62 auf die ungünstigere Liquiditätslage reagierten, indem sie überhaupt nicht mehr oder nur noch in geringem Maße Wertpapierkäufe tätigten. Sie nahmen Wertpapiere nur noch dann in ihr Portefeuille auf, wenn eine Rücksichtnahme auf die Emittenten dies unbedingt notwendig machte (etwa wenn es sich bei ihnen um wichtige Kunden handelte). Wertpapiere aus Eigenbeständen verkauften die Kreditinstitute nach Kenntnis der BdL zu diesem Zeitpunkt noch nicht in größerem Umfang. Das Verhalten der Banken war ganz im Sinne der BdL, da die nachlassende Wertpapiernachfrage eine weitere Steigerung der Kurse
58 Protokoll der 55. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 27.7.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011). 59 Das Bundeswirtschaftsministerium beabsichtigte eine Senkung des AfA-Satzes für Wirtschaftsgüter mit einer Nutzungsdauer von zehn Jahren von 28,31 auf 22 Prozent. Der Bundesfinanzhof hatte im Vorfeld kritisiert, dass die geltenden Abschreibungssätze überhöht seien. Das Bundeskabinett hatte dem Vorschlag Erhards bereits mit knapper Mehrheit zugestimmt, als Adenauer sein ganzes Gewicht in die Waagschale warf und einen Verzicht auf die Senkung des Abschreibungssatzes verlangte. Protokoll der 140. Kabinettssitzung vom 19.6.1956, TOP 12 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 3.2.2011). 60 Holtfrerich, Geldpolitik, S. 394, 397. 61 Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Internationalen Währungsfonds, Januar 1956 – BA Ko, B 126/7256; stenograph. Bericht über die 203. ZBR-Sitzung vom 13.10.1955 – BBk HA, B 330/88. 62 Stenograph. Bericht über die 198. ZBR-Sitzung vom 3.8.1955, TOP 3 – BBk HA, B 330/87.
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bzw. Senkung der Kapitalmarktzinsen und damit eine Ausweitung der bereits überbordenden Investitionstätigkeit verhinderte.63 Nur einen Monat später, im Oktober 1955, war im ZBR bereits von einer „Stockung“ des Rentenmarktes die Rede. Während die restriktiven Maßnahmen der BdL nicht die erhoffte dämpfende Wirkung auf das kurzfristige Kreditgeschäft der Banken auszuüben vermochten, erwiesen sich die Folgen für den Wertpapiermarkt als gravierend: Der „Geldmarktschleier“ wurde vom Wertpapiermarkt weggezogen, d.h. seine starke Abhängigkeit vom Geldmarkt offengelegt.64 Die Kreditinstitute begannen, sich von Eigenbeständen zu trennen, um ohne Inanspruchnahme der BdL liquide Mittel zu beschaffen und den zahlreichen Kreditwünschen ihrer Kunden nachkommen zu können. Dies löste ein Sinken der Rentenkurse aus, auf das wiederum die Versicherungen reagierten, indem sie sich erneut vom Wertpapiermarkt abwandten und auf das direkte Kreditgeschäft auswichen. Zwar konnten die Realkreditinstitute weiterhin Pfandbriefe und Kommunalobligationen unterbringen; aber der Absatz, der in erster Linie an die Sozialversicherungen erfolgte, war mit größeren Zugeständnissen an die Zeichner bezüglich Kurse und Bonifikationen verbunden.65 War 1954 beim Pfandbriefabsatz noch ein Spitzenwert von 2,2 Mrd. DM erzielt worden, betrug das Volumen im Gesamtjahr 1955 nur noch 1,4 Mrd. DM.66 Angesichts des steigenden Wertpapierangebots und der stark anziehenden Geldmarktzinsen, die stetig über dem Diskontsatz lagen,67 sanken die Kurse der 5-prozentigen steuerfreien Pfandbriefe bis November 1955 auf 93 Prozent und diejenigen der tarifbesteuerten 6prozentigen Pfandbriefe, die bereits bei pari gelegen hatten, auf 96,5 Prozent.68 Während Realkreditinstitute und öffentliche Emittenten zu einer verstärkten Kurspflege übergingen, wurden bei den Industrieobligationen nur sehr eingeschränkt Stützungskäufe vorgenommen, so dass sich hier Angebot und Nachfrage weitgehend frei begegneten. Besonders hoch war der Verkaufsdruck bei Industrieobligationen, die im Rahmen der Investitionshilfe an Unternehmen ausgegeben worden waren (Zuteilungsvolumen 1955: 285 Mio. DM): Die 6-prozentigen Papiere erster Adressen wurden von den aufbringungspflichtigen Unternehmen in großem Umfang weiterveräußert, so dass die Kurse bis auf 88 Prozent sanken. Dieser Kursverfall zog auch die übrigen Industrieobligationen in Mitleidenschaft. Bei den unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz emittierten 6,5- bzw. 7-prozentigen, mit 30 Prozent Kapitalertragsteuer belegten Industrieobligationen sanken die Kurse, die bis zu 107 Prozent notiert hatten, langsam, aber stetig und erreich63 Protokoll der 202. ZBR-Sitzung vom 28.9.1955 – BBk HA, B 330/87. 64 Vermerk (Dürre) vom 18.1.1957 zur Vorbereitung des Kapitalmarktgesprächs am 22.1.1957 – BA Ko, B 102/28613. 65 Stenograph. Bericht über die 215. ZBR-Sitzung vom 21.3.1956 – BBk HA, B 330/92. 66 Das Volumen der abgesetzten Kommunalobligationen verharrte dagegen 1954/55 auf gleichem Niveau bei etwa einer Mrd. DM. Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 302. 67 Die Tagesgeldzinsen erreichten im Jahr 1955 eine Spitze von 4,5 Prozent. Ebd., S. 280. 68 Stenograph. Bericht über die 204. ZBR-Sitzung vom 26.10.1955; stenograph. Bericht über die 206. ZBR-Sitzung vom 23.11.1955 – BBk HA, B 330/89; Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 280.
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ten teilweise pari.69 Die sinkenden Kurse waren ein Zeichen dafür, dass sich auch die Liquiditätslage bei den Unternehmen, die den Hauptteil der Industrieobligationen aufgenommen hatten, anspannte. Insgesamt konnten 1955 nur noch Industrieobligationen im Volumen von 432 Mio. DM (1954: 792 Mio. DM) untergebracht werden. In der ersten Jahreshälfte 1956 wurden keine neuen Unternehmensanleihen mehr aufgelegt, da sowohl Emittenten als auch Anleger die weitere Zinsentwicklung abwarteten.70 Auch die öffentlichen Anleihen gerieten in Bedrängnis. Die BdL vollzog die währungspolitische Wende Mitte 1955 just zu dem Zeitpunkt, als Bund und Länder die ersten öffentlichen Emissionen nach Ablauf des Kapitalmarktförderungsgesetzes aufgelegt hatten. Noch ehe sie an der Börse eingeführt waren, entsprach die Ausstattung der 5,5-prozentigen Anleihen (Berlin, Bundespost, Lastenausgleichsbank) nicht mehr den Marktbedingungen. Dies löste erhebliche Diskussionen darüber aus, zu welchen Bedingungen sie an der Börse eingeführt werden sollten:71 a) die Einführung zum nicht mehr marktgerechten Emissionskurs von 98 Prozent, der zwar das Vertrauen der Anleihebesitzer (überwiegend Kreditinstitute) bewahrt hätte, aber die übrigen Wertpapiere unter Druck gesetzt und eine erhebliche, kaum Erfolg versprechende Kurspflege notwendig gemacht hätte; oder b) die Einführung zum niedrigen, marktgemäßen Kurs von etwa 95 Prozent, der die steigende Zinstendenz wiedergegeben und eine kostspielige Kurspflege unnötig gemacht hätte, aber den Anleihebesitzern innerhalb kurzer Zeit erhebliche Verluste beschert und so dem „Emissionskredit“ der öffentlichen Hand geschadet hätte.72 Die Börseneinführungen wurden schließlich monatelang bis zum April (Bundespost, Berlin) bzw. Juni 1956 (Lastenausgleichsbank) hinausgeschoben. Dann erfolgten sie auf eine für die Anleiheinhaber vorteilhafte Weise: Die Anleihen wurden nicht nur auf einen Nominalzins von sechs Prozent heraufkonvertiert, sondern die öffentlichen Emittenten erklärten sich auch bereit, die Anleihen trotz völlig veränderter Marktlage zum Emissionskurs von 98 Prozent zurückzunehmen. Dieses Angebot führte zu erheblichen Verkäufen an den Börseneinführungstagen,73 die deutlich machten, dass auch ein Nominalzins von sechs Prozent
69 Dorner, Industriefinanzierung, S. 153 f. 70 Stenograph. Bericht über die 209. ZBR-Sitzung vom 21.12.1955 – BBk HA, B 330/90; Stenograph. Bericht über die 214. ZBR-Sitzung vom 7./8.3.1956 – BBk HA, B 330/92; Robert Oberklus (Bank für Gemeinwirtschaft), Vorschlag für eine Stützungsaktion am Kapitalmarkt, 23.3.1956 – BBk HA, B 330/3157. 71 Kurzprotokoll der 46. Sitzung des Ausschusses für Geld und Kredit vom 20.4.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 22. Ausschuss; Vermerk vom 14.5.1956 betr. Unterrichtung des Herrn Bundeskanzler über die finanzielle Lage – BA Ko, B 126/7256. 72 Protokoll der 210. ZBR-Sitzung vom 11.1.1956 – BBk HA, B 330/91; Schreiben Scharnberg an Bernard vom 20.4.1956; Notiz über Ferngespräch mit Minister Erhard vom 24.4.1956 – BBk HA, B 330/3157. 73 Protokoll der 214. ZBR-Sitzung vom 7./8.3.1956 – BBk HA, B 330/92; Vermerk vom 14.5.1956 betr. Unterrichtung des Herrn Bundeskanzler über die finanzielle Lage – BA Ko, B 126/7256.
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nicht mehr marktgerecht war.74 Innerhalb von knapp vier Wochen betrug der Rücklauf bei der Postanleihe, die ein Gesamtvolumen von 125 Mio. DM hatte, nicht weniger als 47 Mio. DM. Auch bei den anderen öffentlichen Anleihen mussten erhebliche Mittel für Stützungskäufe bereitgestellt werden.75 Allein im Mai 1956 wurden für die Kurspflege der gerade erst an der Börse eingeführten Titel Mittel in Höhe von 200 Mio. DM aufgewandt, die zuvor im Zentralbanksystem stillgelegt worden waren. Auf diese Weise wurden die Kreditinstitute mit liquiden Mitteln versorgt und die restriktiven Maßnahmen der BdL unterlaufen. Dennoch mussten die Kurse sukzessive zurückgenommen werden; sie lagen für die drei tarifbesteuerten Anleihen mit Bundesbeteiligung im September 1956 bei 94 Prozent (Bundespostanleihe, Berlin-Anleihe mit Bundesgarantie) bzw. 93 Prozent (Anleihe der Lastenausgleichsbank).76 Die Stützungsmaßnahmen des Bundes und der Länder wurden nach einmütiger Auffassung so schlecht ausgeführt, dass die öffentliche Hand am Kapitalmarkt erheblich an Vertrauen einbüßte. Selbst die steuerfreie Bundesanleihe von 1952 war Anfang 1956 vorübergehend von deutlichen Kursverlusten betroffen.77 Am Aktienmarkt wirkte sich die Liquiditätsanspannung seit Herbst 1955 aus. Aufgrund von Geldbeschaffungsverkäufen und später von Umtauschoperationen (Erwerb von 8-prozentigen Industrieobligationen) entstand ein Angebotsdruck, der seit Oktober starke Kursrückgänge auslöste. Diese Entwicklung setzte sich – von kurzen Aufschwüngen unterbrochen – ins Jahr 1956 fort, in dem die Kursgewinne des Vorjahres trotz steigender Unternehmensgewinne und höherer Dividendenausschüttungen wieder aufgezehrt wurden und der Kursdurchschnitt um elf Prozent sank. Dass die Kurse nicht noch weiter fielen, führte die BdL im Wesentlichen darauf zurück, dass die meisten inländischen Anleger an ihrem Aktienbesitz festhielten und die Erwartungen bezüglich künftiger Gewinnausschüttungen positiv blieben. Anders als auf dem Rentenmarkt wurde der Primärmarkt für Aktien nicht von der ungünstigen Kursentwicklung in Mitleidenschaft gezogen. 74 75 76 77
Vermerk (v. Stahlberg) vom 19.5.1956 – BA Ko, B 126/7256. Stenograph. Bericht über die 220. ZBR-Sitzung vom 29.5.1956 – BBk HA, B 330/94. Vermerk (Pittroff) vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7258. Adenauer kritisierte daraufhin den Bundesfinanzminister – offenbar nach Beschwerden von Robert Pferdmenges – harsch, dass nicht rechtzeitig mit der Kurspflege begonnen worden sei, wodurch dem Kapitalmarkt erheblicher Schaden entstanden sei. Den Vorwurf gab Schäffer postwendend an die BdL als Konsortialführerin weiter. Direktoriums-Präsident Vocke beruhigte Schäffer daraufhin, dass man sich um die Kurspflege der Bundesanleihe nicht zu sorgen brauche, da es sich praktisch um ein Geldmarktpapier handele, das bereits 1957 fällig werde, und der Bund bei der BdL ein Kassenguthaben von mehreren Mrd. DM unterhalte. Die BdL nahm die Bundesanleihe zum Kurs von 101 Prozent zurück, woraufhin sich die Kursentwicklung bei diesem Papier wieder beruhigte. Allerdings gerieten dadurch die Länderanleihen unter zusätzlichem Abgabedruck. Adenauer forderte seit Mai 1956 halbmonatlich vom Bundesfinanzminister einen Bericht über die finanzielle Lage der Bundesrepublik. Vermerk (v. Spindler) vom 11.1.1956 betr. Schreiben des Vizepräsidenten des BdLDirektoriums vom 11.1.1956; Schreiben Pferdmenges an Schäffer vom 14.2.1956; Antwortschreiben Schäffer an Pferdmenges vom 17.2.1956; Vermerk vom 9.5.1956 – BA Ko, B 126/7256.
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Denn dank der günstigen Ausgabekurse erhöhte sich das Volumen der aufgelegten bzw. abgesetzten Neuaktien 1956 gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich auf 1,94 Mrd. DM bzw. 1,84 Mrd. DM, wovon knapp 80 Prozent auf Industrieunternehmen entfielen.78 VIII. 2. 3. Der Tiefpunkt 1956/57 Nach offizieller Lesart stellte sich die Bundesregierung im Jahr 1956 auf eine Phase der „Konsolidierung“ am Wertpapiermarkt ein, in der die dauerhafte Unterbringung der im Besitz der Kreditinstitute und Unternehmen befindlichen Wertpapiere im Vordergrund stehen sollte.79 Dies erwies sich jedoch als Wunschvorstellung. Mitte 1956 war nicht mehr von einer Stagnation des Rentenmarktes die Rede, sondern von seiner „weitgehenden Funktionsunfähigkeit“.80 Der gesamte Kapitalmarkt wurde von zwei Seiten, der Kapitalbildung und der Kapitalnachfrage, „in die Zange genommen“:81 Aufgrund der Furcht vor einer weiteren Entwertung des Geldes nahm das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität der D-Mark ab. Die Sparbereitschaft sank, während die Konsumneigung dank Vollbeschäftigung und steigender Löhne zunahm. Zugleich stieg angesichts von Hochkonjunktur und „Überoptimismus“ die Nachfrage der Unternehmen nach langfristigen Finanzierungsmitteln stark an. Während die Kapitalbildung bei Lebensversicherungen und Bausparkassen relativ unberührt blieb – was vor allem an ihrer Zweckbindung lag –, war das Spareinlagengeschäft bereits in der ersten Jahreshälfte 1956 schwächer als im Vorjahr, ehe es in der zweiten Jahreshälfte, insbesondere in den außenpolitisch unruhigen Monaten Oktober und November (Suez-Krise, Ungarnaufstand), ins Stocken geriet. Allerdings beruhigte sich die Entwicklung bei den Spareinlagen seit Anfang 1957 wieder relativ schnell, so dass der unter andauerndem Kursdruck stehende Wertpapiermarkt als Sorgenkind übrig blieb. Nach den beiden Diskonterhöhungen vom März und Mai 1956, die der ZBR trotz Warnungen vor weiteren Zinssteigerungen am Kapitalmarkt beschlossen hatte, machte sich eine „Liquiditätssucht“ breit, die den Absatz von Wertpapieren erschwerte und auch das Geschäft mit Schuldscheindarlehen eintrübte.82 Auf dem Geldmarkt kam es zu erheblichen Zinssteigerungen: Der Zinssatz für Tagesgeld hielt sich in der ersten Jahreshälfte 1956 durchweg auf bzw. über dem Niveau des 78 79 80 81 82
Dorner, Industriefinanzierung, S. 125, 130 ff. Vermerk (Heveling) vom 16.1.1956 – BA Ko, B 126/7256. Stenograph. Bericht über die 220. ZBR-Sitzung vom 29.5.1956 – BBk HA, B 330/94. Stenograph. Bericht über die 225. ZBR-Sitzung vom 22.8.1956 – BBk HA, B 330/96. War der Bestand an Wertpapieren und Konsortialbeteiligungen bei den Kreditinstituten in den Monaten Januar bis Mai 1955 noch um 753 Mio. DM gewachsen, nahm er im gleichen Zeitraum 1956 nur noch um 108 Mio. DM zu. Vermerk (v. Stahlberg) vom 9.2.1956 betr. Möglichkeit neuer kreditpolitsicher Maßnahmen der BdL und deren Auswirkungen auf den Geldund Kapitalmarkt – BA Ko, B 126/2196; stenograph. Bericht über die 222. ZBR-Sitzung vom 27.6.1956 – BBk HA, B 330/95.
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Diskontsatzes und erreichte in der Spitze bis zu sechs Prozent; für Termingelder von drei Monaten wurden im August 1956 bis zu sieben Prozent geboten. Angesichts dieser Entwicklung war die Annahme utopisch, dass das Volumen des Emissionsmarktes angesichts eines Pfandbriefzinsfußes von sechs Prozent auch nur im Entferntesten auf dem Niveau des Vorjahres gehalten werden konnte.83 Infolge des Kursverfalls und der allgemeinen Liquiditätsneigung setzte der zunehmende Verkaufsdruck seit Frühjahr 1956 ganze Segmente des Rentenmarkts außer Funktion, so dass der Kapitalbedarf der Unternehmen und der öffentlichen Hand nicht über den Emissionsweg befriedigt werden konnte.84 Im Sommer war es mangels Nachfrage nicht mehr möglich, größere Posten bestimmter Wertpapiere, etwa 5-prozentiger steuerfreier Pfandbriefe, an der Börse zu verkaufen, so dass institutionelle Anleger auf ihren Beständen sitzen blieben.85 Bruttowertpapierabsatz 1955/56 (in Mio. DM Nominalwert)86 1955 Pfandbriefe Kommunalobligationen Industrieobligationen Anleihen der öffentlichen Hand Aktien
1.382 1.027 432 334 1.554
1956 1.040 617 563 335 1.838
Auf die Konditionen der Neuemissionen hatte die Kursentwicklung am Rentenmarkt erstaunlich lange keine Auswirkungen. Während sich die Unternehmen und die öffentlichen Körperschaften dazu entschlossen, ihre Emissionstätigkeit vorübergehend vollkommen einzustellen, beharrten die Realkreditinstitute darauf, dass die Schwäche am Rentenmarkt auf vorübergehende, „situationsbedingte“ Liquiditätsanspannungen des Geldmarktes zurückzuführen und die Zinssenkungstendenz im langfristigen Bereich nicht dauerhaft unterbrochen sei. Entsprechend weigerten sie sich, auf die heftigen Zinssteigerungen am Geldmarkt mit „voreiligen“ Zinserhöhungen am Kapitalmarkt zu reagieren.87 Mit diesem Argument schoben sie eine Anhebung des Pfandbriefzinses so lange auf, wie es 83 Sprechzettel für die Sitzung des Abteilungsleiterausschusses für Konjunkturpolitik am 20.8.1956 – BA Ko, B 126/7256; Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 208. 84 Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 64. 85 Das Bundesfinanzministerium versuchte im August 1956, Pfandbriefe von zehn verschiedenen Emittenten, die sich im Besitz eines von ihm treuhänderisch verwalteten Sondervermögens (JEIA-Liquidationsvermögen) befanden, im Volumen von je 50.000 DM an der Börse zu verkaufen. Nur ein Institut nahm Wertpapiere im Wert von 3.000 DM auf. Schreiben v. Stahlberg (BMF) an Rudolf Pfeifer, Mitglied des Vorstandes der Frankfurter Hypothekenbank, vom 3.8.1956; Schreiben v. Stahlberg an Gerhard Wachsmann, Vorstandsmitglied der Bremer Landesbank 3.8.1956 – BA Ko, B 126/7256. 86 Vermerk vom 17.8.1956 betr. Lage am Kapitalmarkt – BA Ko, B 126/7256; Deutsches Geldund Bankwesen, S. 302. 87 Vermerk (v. Spindler) vom 10.7.1956 betr. Kapitalmarktfragen; Mitteilung des Verbandes öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7256.
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nur irgend möglich war. Erste Überlegungen zu einer Anpassung der Nominalzinsen kamen im Frühjahr 1956 auf, wurden jedoch umgehend wieder zurückgestellt. Zu groß war die Angst, dass angesichts der allgemeinen Verunsicherung am Rentenmarkt eine Anhebung des Pfandbriefzinses keine neuen Gelder anlocken, sondern nur die Umtauschaktionen von niedrig- in höherverzinsliche Pfandbriefe verstärken würde, die den Markt ohnehin schon belasteten.88 Die Realkreditinstitute hofften, die Kurse der 6-prozentigen Pfandbriefe halten zu können, sofern Bund, Länder und Kommunen Erfolg bei der Kurspflege ihrer Anleihen haben würden. Als Therapie für den „erkrankten“ Wertpapiermarkt sahen sie weitgehende Ruhe vor, die durch eine Zurückhaltung bei den eigenen Emissionen angestrebt werden sollte.89 Zugleich versuchten sie, mit einer „Aufklärungskampagne“ Kleinanleger für den Erwerb von Pfandbriefen und Kommunalobligationen zu gewinnen. Die öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten und die privaten Hypothekenbanken richteten zu diesem Zweck den Gemeinschaftsdienst der Boden- und Kommunalkreditinstitute mit Sitz in Köln ein, der den „kleineren und mittleren Sparern“, insbesondere dem „entproletarisierten Arbeiter“, mit verschiedenen Werbe- und Aufklärungsaktionen das Wesen und die Bedeutung von Pfandbrief und Kommunalobligation näher bringen sollte.90 Der Kursdruck am Rentenmarkt erreichte eine neue Stufe, als erste Industrieunternehmen im Juli 1956 nach gut halbjähriger Emissionspause wieder Industrieobligationen ausgaben.91 Mit einem Nominalzins von acht Prozent und einem Ausgabekurs von 98 Prozent (Laufzeit 20 Jahre, davon sieben Jahre tilgungsfrei) setzten sie sich deutlich von dem bisherigen Zinsniveau ab (obwohl selbst dieser Zinssatz zeitweise unter demjenigen für kurzfristige Kredite lag). Die Papiere fanden sehr guten Absatz, wobei erstmals seit der Währungsreform Privatanleger einen großen Anteil an der Platzierung hatten.92 Auch die Lebensversicherungen griffen beherzt zu, so dass innerhalb von nur zwei Monaten Industrieobligationen im Volumen von 500 Mio. DM untergebracht werden konnten. Schon wurden Überlegungen angestellt, den Nominalzins auf 7,5 Prozent zurückzunehmen, als das Kaufinteresse der Anleger und Investoren aufgrund der Suez-Krise und des 88 Eine Erhöhung um 0,5 auf 6,5 Prozent hätte aus Sicht der Realkreditinstitute den Absatz kaum beflügelt. Den Zeitpunkt für die Einführung des 7-prozentigen Zinsfußes sahen sie dagegen als verfrüht an. Die Umtauschaktionen betrafen vor allem die nicht voll steuerpflichtigen Kapitalsammelstellen und Sozialversicherungen, die ihr Vermögen verstärkt in tarifbesteuerten Wertpapieren anlegten. 89 Vermerk (Pittroff) vom 7.5.1956 betr. Telefongespräch mit Geschäftsführer Dr. Kummert vom Verband privater Hypothekenbanken am 4.5.1956;Vermerk (Spindler) vom 10.7.1956; Schreiben Rudolf Pfeifer, Vorstandsmitglied der Frankfurter Hypothekenbank, an MinRat Stahlberg (BMF) vom 30.5.1956 – BA Ko, B 126/7256. 90 Bekannt wurde vor allem die Werbung in Taschenbüchern und Zeitschriften. Vermerk (Heveling) vom 16.1.1956 – BA Ko, B 126/7256. 91 Die erste Anleihe stammte von der Firma Bosch. Aufgrund des großen Erfolgs dieses Anleihetyps sprach man später vom „Bosch-Effekt“ am Anleihemarkt. Vgl. Rosen, Kapitalmarktausschuss, S. 26; Baehring, Börsen-Zeiten, S. 207, 209. 92 Schätzungen gingen von einem Anteil des privaten Publikums am Absatz von bis zu 60 Prozent aus.
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Ungarischen Volksaufstands im Herbst wieder nachließ. In der Folge sanken die Kurse der 8-prozentigen Industrieobligationen auf pari, 7,5-prozentige notierten im letzten Vierteljahr darunter. Selbst die 5-prozentige Bundesanleihe von 1952 rutschte Ende 1956 erstmals unter pari, so dass die Hoffnung auf eine Zinswende im Keim erstickt wurde.93 Die Unternehmen kehrten mit der 8-prozentigen Industrieobligation zu einem Zinsniveau zurück, das sie schon unter dem Kapitalmarktförderungsgesetz gewählt hatten. Es stellte also keine neue Spitze dar. Neu war lediglich, dass Pfandbriefe und Kommunalobligationen nicht mehr durch Steuergesetze vor den Industrieobligationen geschützt wurden. Die Realkreditinstitute – und nicht nur sie – reagierten daher mit harscher Kritik auf deren Einführung, die ihrer Ansicht nach mit viel zu großzügigen Konditionen und „zur Unzeit“ erfolgt war.94 In der Folge waren Hypothekenbanken und Grundkreditanstalten zur Rücknahme erheblicher Pfandbriefbestände gezwungen, wofür ihnen langsam die Mittel ausgingen. In dieser Situation schien auch ein Zinsfuß von sieben Prozent keinen reibungslosen Absatz von Pfandbriefen mehr zu garantieren. Einen Nominalzins von 7,5 Prozent sahen die Realkreditinstitute jedoch für den sozialen Wohnungsbau als untragbar an, da sie nicht damit rechneten, dass der Bundesfinanzminister willens war, die höheren Kapitalkosten des Wohnungsbaus durch zusätzliche Subventionen auszugleichen. Sie hielten die Lage am Wertpapiermarkt aufgrund der Geldpolitik der BdL und der „unberechenbaren Konjunkturpolitik“ der Bundesregierung inzwischen für so schlecht und das Vertrauen der Anleger für so geschädigt, dass ihrer Meinung nach erst eine grundlegende Stabilisierung notwendig war, ehe Änderungen der Emissionsbedingungen überhaupt nennenswerte Anlagekäufe auslösen konnten. Folglich hielten die Realkreditinstitute selbst dann noch an dem 6-prozentigen Pfandbrief mit einem Ausgabekurs von 94 fest, als im Oktober 1956 eine Reihe von Länderanleihen mit einem Nominalzins von 7,5 Prozent zum Ausgabekurs von 98 Prozent begeben wurden (Bremen 30 Mio. DM; Hamburg 15 Mio. DM; Rheinland-Pfalz 50 Mio. DM).95 Eine gravierende Folge dieses Verhaltens war das Wiederaufleben des „grauen Marktes“ für Pfandbriefe und Kommunalobligationen: Die Darlehensnehmer bzw. Baufirmen des sozialen Wohnungsbaus leisteten an die Pfandbriefkäufer erneut direkt oder über Mittelsleute Zuzahlungen, die bei sechs bis acht Prozent des Nominalwertes lagen. Diese Zuzahlungen entsprachen der Differenz zwischen dem offiziellen Ausgabekurs und dem tatsächlichen Verkaufskurs bei der Endplatzierung dieser Werte. Entsprechend wurden auf dem „grauen Markt“ 93 Protokoll der 225. ZBR-Sitzung vom 22.8.1956 – BBk HA, B 330/96; Stenograph. Bericht über die 288. ZBR-Sitzung vom 3.10.1956 – BBk HA, B 330/97; vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 63. 94 Zu den Kritikern der 8-prozentigen Papiere zählte auch ZBR-Präsident Bernard. Stenograph. Bericht über die 226. ZBR-Sitzung vom 5./6.9.1956 , TOP 3 – BBk HA, B 330/96; Schreiben der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank an Schäffer vom 21.9.1956 – BA Ko, B 126/7256. 95 Schreiben des Verbandes privater Hypothekenbanken an den Bundesfinanzminister vom 17.12.1956 – BA Ko, B 126/7257.
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im August 1956 6-prozentige Pfandbriefe zu Kursen von 88 Prozent gehandelt.96 Die amtlichen Börsenkurse verloren dagegen erneut ihre Aussagekraft, da kaum Umsätze zustande kamen. Im Grunde wurden die Pfandbriefkurse von dem einzelnen Bauträger bestimmt, je nachdem, welche Zuzahlungen er dem Käufer der Papiere zu bieten vermochte. Dadurch wurde der Kurs der Pfandbriefe noch stärker gedrückt, als es der Marktlage entsprach.97 Wichtigster Akteur dieser systematischen Art der Mittelbeschaffung war offensichtlich die „Neue Heimat“, mit der auf Vermittlung des Verbands öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten eine besondere Vereinbarung getroffen wurde, auf solche Geschäfte künftig zu verzichten. In der Kommunalwirtschaft kam es zu ähnlichen Entwicklungen. Hier waren es die städtischen Betriebe, die Zuzahlungen leisteten.98 In der Frage des Pfandbriefzinses kam es abermals zum Streit auf höchster politischer Ebene. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte die Realkreditinstitute veranlassen, das Zinsniveau am Wertpapiermarkt zu akzeptieren, und forderte sie im August 1956 auf, den Pfandbriefzins auf 7,5 Prozent anzuheben, um die Wohnungsbaufinanzierung sicherzustellen. Das Ministerium ging davon aus, dass der Wohnungsbau trotz gegenteiliger Behauptungen einen Teil der zusätzlichen Zinskosten tragen konnte. Darüber hinausgehende Kosten sollten Zinssubventionen abfedern. Im Bundeskabinett widersprachen Preusker und Schäffer: Während der Bundeswohnungsbauminister untragbare Mieterhöhungen prognostizierte, lehnte der Bundesfinanzminister beharrlich jegliche zusätzlichen direkten Subventionen für den sozialen Wohnungsbau ab.99 Der ZBR stellte sich diesmal nicht auf die Seite des Bundeswirtschaftsministers, sondern schloss sich der Kritik an den – im internationalen Vergleich – hohen Kapitalmarktzinsen an. Er war der Meinung, dass die Zinsen die internationale Gläubigerposition der Bundesrepublik nicht widerspiegeln und den Zufluss weiteren spekulativen Auslandskapitals anheizen würden. Die Überschüsse der Handels- und Dienstleistungsbilanz sowie die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland entwickelten sich seit 1956 zum Kernproblem der Geldpolitik der BdL, da sie eine 96 Schreiben Rudolf Pfeifer, Mitglied des Vorstandes der Frankfurter Hypothekenbank, an Min.Rat Stahlberg (BMF) vom 30.5.1956; Vermerk vom 17.8.1956 betr. Lage am Kapitalmarkt – BA Ko, B 126/7256; Vermerk (Pittroff) vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7258. 97 Mitteilung M 45/57 des Verbandes öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten vom 13.3.1957 betr. amtliche Kurs der Pfandbrief und Kommunalobligationen. 98 Die „Neue Heimat“ wollte außerdem Hypothekenbanken dazu bewegen, 6-prozentige Pfandbriefe zu Emissionskursen von 80 Prozent auszugeben – ein bis dahin nicht gekanntes Niveau – und schon ab dem dritten Jahr durch Auslosung zu tilgen. Dadurch hätten sich den Anlegern spekulative Gewinnchancen nach Art einer Lotterie geboten. Schreiben des Präsidenten der deutschen Pfandbriefanstalt (Lubowski) an den Vorsitzenden des Verbandes öffentlichrechtlicher Kreditanstalten (Brandes) vom 12.7.1957 – BA Ko, B 126/7257; FAZ vom 5.7.1957. 99 Protokoll der 224. ZBR-Sitzung vom 25.7.1956 – BBk HA, B 330/95; Stenograph. Bericht über die 225. ZBR-Sitzung vom 22.8.1956 – BBk HA, B 330/96; Niederschrift vom 23.1.1957 betr. die Ergebnisse der Kapitalmarktbesprechung im Bundeswirtschaftsministerium am 22.1.1957 – BA Ko, B 126/2196; Vermerk (Beyer-Fehling) vom 23.1.1957 betr. das Ergebnis der Sitzung der Kapitalmarktbesprechung am 22.1.1957 – BA Ko, B 102/28613.
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doppelte Gefahr heraufbeschworen: Einige wichtige EZU-Mitgliedsländer hatten angesichts der strukturellen Ungleichgewichte im Außenhandel mit einer „DMark-Lücke“ zu kämpfen, und im Inland drohte angesichts des stetigen Devisenzuflusses eine „importierte Inflation“.100 Anders als das Bundeswirtschaftsministerium bezweifelte der ZBR, dass der Wohnungsbau bei dem gegebenen Mietniveau eine deutliche Steigerung des Pfandbriefzinses verkraften könnte. Eine Ausweitung der Zinssubventionen hielt er für gefährlich, da eine solche Politik „das Marktbild verzerren und die Zinssätze weiter in die Höhe treiben“ würde. Denn die Industrieunternehmen könnten durchaus mit noch höheren Nominalzinsen von neun oder zehn Prozent reagieren. Darüber hinaus wies der ZBR auf die Auswirkungen eines Zinswettlaufs für die übrigen Teile des Kapitalmarkts hin. So würde ein weiteres Ansteigen der Wertpapierzinsen einen Zinsanstieg bei den Spareinlagen auslösen, was insbesondere die Sparkassen unter starken Druck setzten würde.101 Die Diskontsenkungen im September 1956 und im Januar 1957, die just zu einer Zeit starker Unruhe am Kapitalmarkt vorgenommen wurden, hatten nicht die erhofften Auswirkungen auf den Wertpapiermarkt. Mit der geldpolitischen Wende verbanden einige ZBR-Mitglieder, unter ihnen ZBR-Präsident Bernard, ausdrücklich das Ziel, das allgemeine Zinsniveau herabzudrücken. Durch eine Lockerung der Geldpolitik sollte den Unternehmen signalisiert werden, dass ein Ende der Liquiditätsanspannung absehbar war. Andere ZBR-Mitglieder, allen voran Direktoriums-Präsident Vocke, hielten solche Versuche für ungeeignet oder irrelevant, da sie bezweifelten, mit geldpolitischen Maßnahmen Einfluss auf die Zinsentwicklung am Kapitalmarkt nehmen zu können.102 Sie waren der Meinung, dass man sich unter den herrschenden Umständen damit abfinden müsse, dass die Investitionsneigung sowohl der öffentlichen Hand als auch der Unternehmen stets die gegebenen Finanzierungsmöglichkeiten übersteigen würde, so dass unter Marktbedingungen anhaltende Zinsauftriebstendenzen unausweichlich seien.103 Die Skeptiker behielten Recht: Zwar beruhigte sich die Kursentwicklung bei Pfandbriefen und Kommunalobligationen nach den Leitzinssenkungen vorübergehend, aber den weiteren Zinsanstieg am Wertpapiermarkt konnten sie nicht aufhalten.104 Auch die Rufe nach einer aktiveren Offen-Markt-Politik der BdL zur Kursstützung am Rentenmarkt wurden immer lauter. Der Bundesfinanzminister bot dem ZBR mehrfach an, Mittel aus dem „Julius-Turm“ für Offen-MarktGeschäfte zu nutzen. Sehr zum Missfallen des Bundeskanzlers lehnte der ZBR dies ebenso regelmäßig ab.105 Der ZBR blieb dabei, dass er am Rentenmarkt nicht 100 101 102 103
Großbritannien hatte beispielsweise als Schuldnerland einen gleich hohen Zins. Stenograph. Bericht über die 235. ZBR-Sitzung vom 23.1.1957 – BBk HA, B 330/99. Stenograph. Bericht über die 247. ZBR-Sitzung vom 12.6.1957 – BBk HA, B 330/103. Mit dieser Begründung verhinderten sie eine dritte Senkung des Diskontsatzes im Juli 1957. Niederschrift über die 250. ZBR-Sitzung vom 24.7.1957, TOP 2 – BBk HA, B 330/104. 104 Stenograph. Bericht über die 228. ZBR-Sitzung vom 3.10.1956 – BBk HA, B 330/97; Stenograph. Bericht über die 235. ZBR-Sitzung vom 23.1.1957 – BBk HA, B 330/99. 105 Vermerk (v. Stahlberg) vom 6.8.1956 – BA Ko, B 126/2196.
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systematisch intervenieren wollte, erklärte sich aber, da er an einem leistungsfähigen Kapitalmarkt interessiert sei, bereit, in geringem Umfang Rentenpapiere oder öffentlichen Anleihen aufzukaufen, um einen „unangebrachten Kurseinbruch“ zu verhindern. Er wollte sich allerdings nicht festlegen, welches Kursniveau er für angemessen hielt und welche Beträge zur Kursstützung eingesetzt werden sollten, da er äußerst vorsichtig zu Werke gehen wollte. Der ZBR hoffte – wie sich herausstellen sollte: vergeblich –, mit einem Signal an die Märkte, dass die BdL ein Absinken der Kurse unter ein bestimmtes Niveau nicht für zweckmäßig halte, mit relativ geringen Mitteln ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen.106 Größere Engagements scheute die BdL, da sie – abgesehen von den konjunkturpolitisch unerwünschten Folgen einer Geldausweitung – befürchtete, auf den erworbenen Papiere sitzen zu bleiben bzw. erhebliche Kursverluste zu erleiden.107 Im Januar 1957 gaben verschiedene Länder und Städte schließlich Anleihen mit einem Nominalzins von acht Prozent bei einem Ausgabekurs von 98 Prozent aus, Realkreditinstitute emittierten ähnlich ausgestattete Kommunalobligationen, so dass trotz der anhaltenden Schwäche des Rentenmarktes ein erhebliches Emissionsvolumen zustande kam und sich der 8-prozentige Zinsfuß als Standardzins etablierte.108 Damit war ein Zinsniveau erreicht, dass demjenigen nach der Währungsreform von 1923/24 sehr nahe kam. Im März 1957 wurde bekannt, dass „der beste staatliche Emittent“, die Bundespost, ebenfalls mit einer 8-prozentigen Anleihe an den Markt herantreten wollte. Nach langem Hin und Her kamen erste Realkreditinstitute schließlich im Mai 1957 mit einem 7-prozentigen Pfandbrieftyp heraus, der zum Ausgabekurs von 95 bis 96 emittiert wurde; ihm folgten schon zwei Monate später 7,5-prozentige Pfandbriefe zum Kurs von 95. Bis in den August 1957 hinein wurden allerdings auch weiterhin 6-prozentige Pfandbriefe emittiert, die entweder direkt mit einem bis dahin nicht gekannten Disagio von 20 Prozent ausgegeben bzw. zu Kursen um 80 Prozent am „grauen Markt“ an die Endabnehmer verkauft wurden.109
106 Vermerk (v. Spindler) betr. Besprechung mit ZBR-Präsident Bernard vom 5.11.1955 – BA Ko, B 126/7256. 107 Schreiben v. Stahlberg (BMF) an Rudolf Pfeifer, Mitglied des Vorstandes der Frankfurter Hypothekenbank, vom 3.8.1956 – BA Ko, B 126/7256. 108 Auf diesem Zinsniveau waren Industrieobligationen nach wie vor besser absetzbar als öffentliche Anleihen. Allerdings war für die 6-prozentigen Industrieobligationen inzwischen auch ein „grauer Markt“ entstanden, auf dem Transaktionen zu Kursen von 76 Prozent durchgeführt wurden. Vermerk (v. Spindler) für Herrn Minister vom 7.2.1957; Vermerk (Stahlberg) vom 27.2.1957 über die heutige Besprechung des Herrn Bundeswirtschaftsminister mit den Länderwirtschafts- und -finanzministern über die Kapitalmarktlage – BA Ko, B 126/7257. 109 Stenograph. Bericht über die 244. ZBR-Sitzung vom 3.5.1957 – BBk HA, B 330/102; Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums (Dürre) an das Bundesfinanzministerium vom 9.8.1957 – BA Ko, B 126/7257.
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VIII. 3. DER RUF NACH ERNEUTEM STAATLICHEN EINGREIFEN VIII. 3. 1. Kurze Renaissance steuerlicher Fördermaßnahmen Seit Anfang 1956 hatten die 6-prozentigen Pfandbriefe und Kommunalobligationen den Marktkontakt verloren. Die Realkreditinstitute waren seitdem mehr denn je darauf angewiesen, dass sie ihre Neuemissionen bei den Sozialversicherungen absetzen konnten, die nicht so genau auf die Rendite schauten. Diese hatten sich bis dahin als zuverlässige Stützen des Pfandbriefmarktes erwiesen und ihre Wertpapierbestände im Großen und Ganzen gehalten.110 Gerade in der misslichen Situation, als von den 8-prozentigen Industrieobligationen neuer Druck auf den gesamten Rentenmarkt ausging, sahen die Realkreditinstitute diese lebenswichtige Verbindung jedoch bedroht: Infolge der geplanten Rentenreform, die eine Umstellung von der kapitalgedeckten auf die beitragsgedeckte Finanzierung vorsah, drohten die Sozialversicherungen künftig als Pfandbriefkäufer auszufallen. Es kursierten sehr pessimistische Annahmen – etwa von Scharnberg, Preusker oder Pferdmenges – über die Vermögensentwicklung bei den Sozialversicherungen nach der Rentenreform, die davon ausgingen, dass die Rücklagen schon Ende 1957 vollkommen aufgezehrt sein würden und in den folgenden zehn Jahren Defizite von sechs bis 13 Mrd. DM zu erwarten seien – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Anlagemöglichkeiten der Versicherungsträger.111 Diese Prognosen erwiesen sich zwar schon wenige Monate nach der Rentenreform als stark übertrieben,112 taten aber vorläufig ihre Wirkung. So stockten die Sozialversicherungen bereits Monate vor der Rentenreform ihre liquiden Mittel erheblich auf und gingen bei der Vermögensanlage angesichts des Kursrisikos am Rentenmarkt vom Wertpapiererwerb auf die direkte Kreditvergabe über. Der Bundeswohnungsbauminister und die BdL waren darüber verstimmt, hatten aber keine Handhabe, die Rentenversicherungen zu einer Änderung ihrer Anlagepolitik zu bewegen. Die öffentlichen Versicherungsanstalten wurden nicht zentral gesteuert und hatten auch keine Vertreter der Bundesministerien in ihren autonomen Verwaltungsorganen. Sie verwalteten sich weitgehend selbst und konnten über ihre Mittel im Rahmen der gesetzlichen Anlagerichtlinien frei disponieren. Angesichts der umfangreichen Kursverluste ließen sie sich nicht vom Bundeswohnungsbauminister vorschreiben, den sozialen Wohnungsbau weiterhin durch 110 Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Internationalen Währungsfonds, Januar 1956; Vermerk vom 17.8.1956 – BA Ko, B 126/7256. 111 Die Sozialversicherungen hatten bis Ende 1956 Wertpapiere in Höhe von insgesamt ca. 4,6 Mrd. DM erworben, von denen etwa 75 Prozent Pfandbriefe und Kommunalobligationen waren. Niederschrift vom 23.1.1957 betr. die Ergebnisse der Kapitalmarktbesprechung im Bundeswirtschaftsministerium am 22.1.1957 – BA Ko, B 126/2196; Schreiben Preusker an Adenauer vom 1.2.1957 – BA Ko, B 102/28613; vgl. Bornemann/ Linnhoff, Währungsreform, S. 47. 112 Mitte 1957 rechnete die BdL bereits wieder mit einem Überschuss der Sozialversicherungsträger für das laufende Jahr von insgesamt mehr als einer Mrd. DM. Stenograph. Bericht über die 247. ZBR-Sitzung vom 12.6.1957 – BBk HA, B 330/103.
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Pfandbriefkäufe zu stützten, zumal die übrigen Bundesministerien angesichts der ungewissen Wirkungen der Rentenreform keine ähnlichen Forderungen erhoben.113 Angesichts der Kursentwicklung und des drohenden Rückzugs der wichtigsten Pfandbriefabnehmer stellt sich die Frage, warum die Realkreditinstitute so lange an dem 6-prozentigen Nominalzinssatz festhalten konnten. Die Antwort liefert erneut die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Auch wenn die Zinsentwicklung am Wertpapiermarkt nicht ausschließlich negativ bewertet wurde,114 nahmen die Bundesministerien Mitte 1956 wieder Überlegungen auf, der Unruhe am Rentenmarkt mit finanzpolitischen Instrumenten zu begegnen. Denn der rückläufige Wertpapierabsatz drohte die Finanzierung von Wohnungsbau und Agrarwirtschaft und damit die gesamtwirtschaftliche Produktion im Vorfeld der Bundestagswahl zu beeinträchtigen. Da die Finanzierung erster Hypotheken war nur für das Jahr 1956 weitgehend gesichert, nicht aber für 1957. Das Bundeskabinett war gezwungen, auf Vorschlag des Bundeswohnungsbauministers einen Überbrückungskredit in Höhe von 250 Mio. DM zur Vorfinanzierung von Wohnbauten zu bewilligen, um die Versorgung mit ersten Hypotheken bis ins Jahr 1957 hinein abzusichern und die Finanzierung der im zweiten Wohnungsbaugesetz vorgesehenen Produktion von 300.000 Wohnungen zu gewährleisten.115 Der Kredit, der in den Maßnahmenkatalog des zweiten Konjunkturprogramms einfloss, war eine Form der direkten Subvention, die der Bundesfinanzminister im Grunde ablehnte, aber auf dringenden Wunsch des Kanzlers akzeptieren musste. Mit der Vorfinanzierung konnte man sich ein wenig Zeit verschaffen, um alternative Finanzierungsquellen zu erschließen und so eine Ausweitung der Transferzahlungen zu vermeiden. Was lag in dieser Situation näher, als auf Maßnahmen zurückzugreifen, die erfahrungsgemäß den Pfandbriefabsatz förderten? Als Erhard bei der Vorstellung des zweiten Konjunkturprogramms am 22. Juni 1956 im Bundestag ankündigte, dass man die steuerliche Begünstigung der Kapitalansammlungsverträge – nur anderthalb Jahre nach ihrer Einschränkung im Rahmen der „großen Steuerreform“ – wieder attraktiver gestalten wolle, verfolgte die Bundesregierung damit zwei 113 Stenograph. Bericht über die 229. ZBR-Sitzung vom 17.10.1956 – BBk HA, B 330/97; Vermerk (v. Stahlberg) vom 27.4.1956 – BA Ko, B 126/7256; Protokoll der 55. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 27.7.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 9.4.2011). 114 Direktoriumspräsident Vocke begrüßte zum Beispiel das große Interesse der privaten Haushalte an den 8-prozentigen Industrieanleihen (etwa die Hälfte des Absatzes) sowie den Umstand, dass die langfristigen Zinsen erstmals deutlich niedriger waren als die Zinsen für kurzfristigen Bankkredite, wodurch Umschuldungsmaßnahmen erleichtert wurden. Stenograph. Bericht über die 226. ZBR-Sitzung vom 5./6.9.1956 , TOP 3 – BBk HA, B 330/96. 115 Die Vorfinanzierung sollte ab 1958 konsolidiert werden. Vermerk vom 1.8.1956 betr. sozialer und ähnlicher Wohnungsbau; Sprechzettel für die Sitzung des Abteilungsleiterausschusses für Konjunkturpolitik am 20.8.1956 – BA Ko, B 126/7256; Protokoll der 152. Kabinettssitzung vom 19.9.1956, TOP 12 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 9.4.2011); Kurzprotokoll der 102. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 24.10.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 19. Ausschuss.
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Ziele: Einerseits sollte die Kapitalbildung gefördert und der Konsum gezügelt, andererseits die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus sichergestellt werden. Dafür sollte die Wettbewerbsfähigkeit der Pfandbriefe und Kommunalobligationen gegenüber den Industrieobligationen verbessert und im Grunde erneut der nicht marktgemäße Zinsfuß der Pfandbriefe gestützt werden.116 Mit Gesetz vom 5. Oktober 1956 und Verordnung vom 8. Oktober wurde die Erwerbsteuerbegünstigung gemäß § 10 EStG geändert und die staatliche Förderung der Kapitalansammlungsverträge wieder auf das Niveau der Jahre 1948 bis 1954 gehoben: Die Sperrfrist, in denen die festgelegten Guthaben nicht verwendet bzw. erworbene Wertpapiere nicht veräußert werden durften, wurde wieder von sieben (für Personen über 50 Jahren) bzw. zehn Jahren (für Personen unter 50 Jahren) auf drei Jahre verringert.117 Auch wenn das Bundesfinanzministerium davon ausging, dass die Effekte nicht groß sein würden und die Steuervergünstigungen die fiskalischen Einbußen nicht lohnten, wollte man den Realkreditinstituten die kürzere Sperrfrist wenigstens „zu Reklamezwecken“ zubilligen.118 Die neue Regelung, die im Bundeskabinett und im ZBR unumstritten war, erleichterte zwar den Absatz neuer Papiere, brachte aber den Rentenmarkt vorübergehend unter zusätzlichen Druck, da viele Anleger die in ihrem Besitz befindlichen Pfandbriefe und Kommunalobligationen veräußerten, um mit dem Verkaufserlös neue, steuerbegünstigte Kapitalansammlungsverträge abzuschließen.119 Für den Bundeswohnungsbauminister ging die Maßnahme des Konjunkturpakets nicht weit genug. Kurz nach Beschluss des zweiten Konjunkturprogramms legte er im September 1956 eine Kabinettsvorlage vor, in der dringende Sofortmaßnahmen zur Stützung der Wohnungsbaufinanzierung aufgeführt wurden.120 Er begründete seine Vorschläge damit, dass die Hypothekenzusagen für den sozialen Wohnungsbau im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als eine Mrd. DM im 116 Nicht umsonst setzten gerade die Realkreditinstitute große Hoffnungen in diese Maßnahme, deren Hauptnutznießer sie waren: Die Industrieobligationen waren nach wie vor nicht in die steuerliche Förderung der Kapitalansammlungsverträge einbezogen und die öffentliche Hand verzichtete weitgehend auf Neuemissionen. Schreiben des Verbandes Privater Hypothekenbanken (Kummert) an Schäffer vom 17.12.1956, Anhang: Presseverlautbarung – BA Ko, B 126/7257; Stenograph. Bericht über die 240. ZBR-Sitzung vom 6.3.1957 – BBk HA, B 330/101. 117 Gesetz zur Änderung der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vom 5.10.1956; Verordnung über steuerbegünstigte Kapitalansammlungsverträge, BGBl. I, 1956, S. 781, 789. 118 Vermerk (Pittroff) vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7258. 119 Zudem musste erneut damit gerechnet werden, dass nach Ablauf der dreijährigen Sperrfrist eine große Verkaufswelle bei Pfandbriefen und Kommunalobligationen einsetzen würde, weil dann mit einem Umsteigen der Anleger auf höherverzinsliche Industrieobligationen gerechnet werden musste. Protokoll der 55. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 27.7.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 9.4.2011); Protokoll der 233. ZBR-Sitzung vom 19.12.1956 – BBk HA, B 330/98. 120 Die Vorschläge des Ministers umfassten die Vorfinanzierung erststelliger Hypotheken durch den Bund, den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel zum Zwecke des Wohnungsbaus, die Fortführung der besonderen Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus sowie des Flüchtlingswohnungsbaus. BA Ko, B 134/653.
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Rückstand waren, wofür er in erster Linie die Zurückhaltung der Sozialversicherungen beim Pfandbriefkauf verantwortlich machte. Inzwischen sah Preusker den sozialen Wohnungsbau „in einer solchen Finanzierungsbedrängnis“, dass er „jeden Weg“, der zusätzliche Mittel zur langfristigen Finanzierung erststelliger Hypotheken liefern könne, „gehen müsse.“121 Preuskers Absicht war es, durch ein „Notgesetz“122 zusätzliche Steuervergünstigungen im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen einzuführen, um als Ausgleich für das zurückgehende Engagement der Sozialversicherungen den Anreiz zum Pfandbriefkauf für Privatanleger zu erhöhen. Er schlug daher vor, speziell den Ersterwerb von Sozialpfandbriefen künftig mit weiteren Steuerbegünstigungen zu versehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde wegen der Eilbedürftigkeit nicht als Entwurf der Bundesregierung, sondern als Initiativentwurf der Koalitionsparteien am 28. September 1956 in den Bundestag eingebracht. Er sah vor, dass jeder Steuerpflichtige über die bereits bestehenden Sonderausgabenhöchstbeträge hinaus bis zu zehn Prozent seiner Einkünfte als Sonderausgaben absetzen durfte, wenn er den doppelten Betrag in Pfandbriefen (oder diesen gleichgestellten Wertpapieren) anlegt hatte. Mit dieser Regelung wären nur die obersten Einkommensschichten begünstigt worden, die einen so großen Einkommensteil für Sparzwecke erübrigen konnten. Laut Gesetzentwurf sollten alle anderen festverzinslichen Wertpapiere von dieser Förderung ausgeschlossen bleiben; zudem sollte die Festlegungsfrist im Rahmen von Kapitalansammlungsverträgen für sie wieder auf sieben Jahre angehoben werden. Das Konten- und Versicherungssparen sollte von der zusätzlichen Steuerbegünstigung ebenfalls nicht profitieren.123 In den Bundestagsausschüssen für Finanz- und Steuerfragen sowie für Geld und Kredit erfuhr der Gesetzentwurf wichtige Änderungen. So wurde die ursprünglich vorgesehene exklusive Stellung des Pfandbriefs sowie die Beschränkung der Begünstigung auf die oberen Einkommensschichten beseitigt: In die zusätzliche Förderung wurden nun sowohl weitere Wertpapiere als auch das Konten- und das Versicherungssparen einbezogen. Voraussetzung für die zusätzliche Förderung war, dass die Steuerpflichtigen Bescheinigungen vorweisen konnten, dass 90 Prozent der in Wertpapieren angelegten Summe, 70 Prozent der bei den Sparkassen eingezahlten Sparbeträge bzw. 100 Prozent des bei Lebensversicherungen eingezahlten Einmalbetrags für die Gewährung von Hypothekarkrediten im sozialen Wohnungsbau Verwendung fanden.124 Statt der im Gesetz-
121 Kurzprotokoll der 102. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 24.10.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 19. Ausschuss. 122 Ebd. 123 Kurzprotokoll der 101. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 12.10.1956; Kurzprotokoll der 102. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 24.10.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 19. Ausschuss. 124 Die Ausweitung der Förderung wurde vorgenommen, obwohl man sich der Gefahr bewusst war, dass sie wieder zu einem überproportional hohen Anteil des Konten- und Versicherungssparens, das kein Kursrisiko mit sich brachte, im Vergleich zum Wertpapiersparen führen
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entwurf ursprünglich vorgesehenen gleitenden Sätze der Sonderausgaben wurden wie bisher feste Höchstsätze bestimmt, die allerdings gegenüber den in der „großen Steuerreform“ festgelegten Beträgen verdoppelt wurden. Der Höchstbetrag der abzugsfähigen Sonderausgaben betrug nun jährlich 6.000 DM. Fortan mussten Kapitalansammlungsverträge „aufgrund ihrer Ausgabebedingungen unter Berücksichtigung ihres volkswirtschaftlichen Zwecks besonders förderungsbedürftig“ sein, um steuerlich anerkannt zu werden. Die „Förderungswürdigkeit“ musste vom Bundesfinanzministerium anerkannt werden.125 Das „Notgesetz“, nach seinem Initiator „lex Preusker“ genannt, wurde am 19. Dezember 1956 verabschiedet und ersetzte die Verordnung über Kapitalansammlungsverträge vom 9. Oktober. Sein Charakter als Übergangsregelung kam darin zum Ausdruck, dass es nur für Kapitalansammlungsverträge Anwendung fand, die zwischen dem 6. Oktober 1956 und dem 1. April 1957 abgeschlossen wurden.126 Der erneute Versuch, niedrig verzinste Emissionen des ertragsschwachen Wohnungsbaus durch massive Steuervergünstigungen vor höher verzinsten, marktgängigen Titeln zu stützen, wurde wegen der dadurch bewirkten Marktspaltung als „zweiter Aufguss“ des Kapitalmarktförderungsgesetzes bezeichnet.127 Das Bundesfinanzministerium erwartete bis Ende 1957 ein Kapitalaufkommen von ca. einer Mrd. DM bei einem Steuerausfall von Bund und Ländern von ca. 300 Mio. DM. Das Ministerium ging davon aus, dass von der Gesamtsumme lediglich 200 Mio. DM frisches Kapital darstellen würde, während der Rest auf Umtauschaktionen beruhen würde. Der Pfandbriefmarkt wurde nach Einschätzung des Ministeriums auf diese Weise zwar stabilisiert, aber zu einem sehr hohen Preis, da ein zusätzliches Kapitalaufkommen von 200 Mio. DM mit einem Steuerverlust von 300 Mio. DM erkauft wurde. Schäffer kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich „solche Gesetze für die Zukunft von selbst verböten“. Dem stimmten der Bundeswirtschaftsminister sowie die Länderfinanz- und -wirtschaftsminister zu.128 VIII. 3. 2. Das Ende der finanzpolitischen Beeinflussung des Wertpapiermarktes Wie groß das Bangen um die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus nach der Rentenreform war, zeigt die Tatsache, dass die gesetzlichen „Notmaßnahmen“ politisch kaum umstritten waren. Nachdem sie beschlossen worden waren, wurde
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konnte. Die Sparkassen konnten mit Rücksicht auf die Liquiditätsvorschriften nur 70 Prozent des aufgebrachten Kapitals für die Gewährung von Hypothekarkrediten verwenden. Kurzprotokoll der 103. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen gemeinsam mit dem Ausschuss für Geld und Kredit vom 7.11.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 19. Ausschuss. Protokoll der 152. Kabinettssitzung vom 19.9.1956, TOP 12 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 9.4.2011). Vorlage für den Bundesfinanzminister vom 15.11.1956 – BA Ko, B 126/7257. Vermerk (v. Spindler) vom 28.2.1957 über die Besprechung der Herren Bundeswirtschaftsminister und Bundesfinanzminister mit den Länderwirtschafts- und -finanzministern über die Kapitalmarktlage – BA Ko, B 126/6289.
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es um die Kapitalmarktpolitik aber nicht ruhiger. Ganz im Gegenteil kam es seit Ende 1956 zu einer neuen, öffentlich geführten Diskussion über die Kapitalmarktpolitik, die sich bis zu den Bundestagswahlen im September 1957 hinzog und zwischenzeitlich so lebhaft wurde, dass sie aus dem Ruder zu laufen drohte. Hintergrund waren die andauernden umfangreichen Anleihewünsche öffentlicher und privater Emittenten, die eine Überforderung des Marktes und eine weitere Steigerung der Zinssätze befürchten ließen, sowie die abnehmende Sparneigung, die im Gefolge der Suez-Krise und des ungarischen Volksaufstands zu einem Einbruch in der Kapitalbildung geführt hatte. Zudem war der Zeitpunkt gekommen, die kapitalmarktpolitischen Ziele und Gestaltungsmöglichkeiten der nächsten Legislaturperiode zu erörtern. Die Diskussion wurde von zwei Seiten angestoßen. Im November 1956 forderte der Bundeskanzler seine zuständigen Minister auf, mögliche Maßnahmen zur Stabilisierung des Rentenmarktes aufzuzeigen. Im Vorfeld der Bundestagswahlen wollte Adenauer sicher gehen, dass vom Kapitalmarkt keine gravierenden Gefahren für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ausgehen würden.129 Daraufhin begannen die Ministerien, ihre kapitalmarktpolitischen Konzepte nochmals zusammenzufassen, was jedoch einige Wochen in Anspruch nahm. Als Grundlage für den Meinungsaustausch zwischen Bundesregierung, Parlament und Interessengruppen, den der Bundeswirtschaftsminister im Januar 1957 eröffnete, diente daher ein Gutachten des Verbandes der privaten Hypothekenbanken, das sich mit Maßnahmen zur Förderung des Kapitalmarktes nach Ende der „lex Preusker“ befasste.130 In der Diskussion wiesen sowohl die Ursachenanalyse als auch die Lösungsvorschläge nur wenige neue Ideen und Nuancen auf. Sie wirken daher wie ein Aufguss der vorangegangenen Debatten der Jahre 1949 bis 1954. Der Tonfall wurde indes schnell wieder grundsätzlich, wobei die Bandbreite der Argumente nach wie vor von lenkungswirtschaftlichen Forderungen bis zum freimütigen Bekenntnis zum laissez-faire reichte. So forderte der Bremer Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff (FDP) die Wiedereinführung einer Dringlichkeitsskala für Investitionen zur Schonung des Marktes.131 Der hessische Finanzminister Troeger (SPD) regte an, für bestimmte Rücklagen der Unternehmen einen Anlagezwang
129 Im Frühjahr 1957 lagen Gutachten des Bundeswirtschaftsministers und des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Franz Blücher, vor. Bundesminister Dr. Franz Blücher, Überlegungen zur Frage der Sanierung des deutschen Kapitalmarktes, 16.1.1957; Bundesminister für Wirtschaft, Die Kapitalbildung in der Bundesrepublik, 12.3.1957 – BA Ko, B 126/2196; Entwurf eines Schreibens von Erhard an Schäffer vom Mai 1957 – BA Ko, B 102/28613. 130 Einladungsschreiben des Bundeswirtschaftsministers vom 8.1.1957 – BA Ko, B 102/28613; Gutachten des Verbandes privater Hypothekenbanken e.V. betr. Maßnahmen zur Sanierung des Kapitalmarktes, 10.1.1957 – BA Ko, B 126/7257. 131 Vermerk (v. Spindler) vom 28.2.1957 über die Besprechung der Herren Bundeswirtschaftsminister und Bundesfinanzminister mit den Länderwirtschafts- und -finanzministern über die Kapitalmarktlage – BA Ko, B 126/6289.
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einzuführen, um den Wertpapiermarkt zu beleben.132 Der Abteilungsleiterausschuss für Konjunkturpolitik133 lehnte dagegen jegliches staatliches Eingreifen ab, da der Wertpapiermarkt nur einen begrenzten Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Investitionsfinanzierung habe und eine besondere Einwirkung daher nicht ratsam sei. Die gegenwärtig „etwas nervöse Situation“ am Rentenmarkt rechtfertige es nicht, die „marktwirtschaftliche Probe des Wertpapiermarktes“ zu unterbrechen.134 Was sich seit 1952 deutlich geändert hatte, waren nicht die Argumente und die vorgeschlagenen Lösungen, sondern die Mehrheitsverhältnisse zwischen Befürwortern und Gegnern von fiskalischen Maßnahmen als Mittel der Kapitalmarktpolitik. Hier zeigte sich, dass die Lage am Wertpapiermarkt 1957 eine andere war als fünf Jahre zuvor: Als der „befreite“ Wertpapiermarkt nach hoffnungsvoll stimmendem Start erneut in schwere Fahrwasser geriet, setzten die Zeitgenossen keine großen Hoffnungen mehr in kurzfristig wirkende steuerpolitische Maßnahmen. Man stellte sich mittlerweile auf eine lange Phase der Normalisierung ein.135 Das Problem war nicht mehr grundsätzlich eine „Funktionsunfähigkeit“ des Wertpapiermarktes, denn seine Position in der langfristigen Investitionsfinanzierung hatte sich seit Anfang der Fünfzigerjahre erheblich verbessert. Das Problem war eher, dass der Rentenmarkt die Kapitalnachfrage in Zeiten starken Wirtschaftswachstums nicht bewältigen konnte. Die Befürworter von Steuererleichterungen gerieten immer mehr in die Defensive. Ihre eifrigsten Anhänger waren – wenig verwunderlich – nach wie vor die privaten Hypothekenbanken, die nach Ablauf der „lex Preusker“ die staatliche Sparförderung nicht nur beibehalten, sondern systematisch ausweiten wollten. Um ihre Forderungen nicht als reines Gruppeninteresse erscheinen zu lassen und in Politikkreisen eine breitere Unterstützung zu finden, schlugen sie allerdings vor, dass die Kapitalbildung nicht mehr nur mit Blick auf die Bedürfnisse des Wohnungsbaus, sondern zugunsten des gesamten Rentenmarkts wirksamer und systematischer gefördert werden sollte. Sie empfahlen zu diesem Zweck kombinierte Steuererleichterungen sowohl für Wertpapiererträge als auch für den Wertpapiererwerb, von denen alle festverzinslichen Rentenwerte in gleicher Weise profitieren sollten.136 Um kurzfristig eine Senkung des hohen Zinsniveaus 132 Vermerk (v. Spindler) vom 10.7.1956 betr. Kapitalmarktfragen – BA Ko, B 126/7256. 133 Der Abteilungsleiterausschuss war im Frühjahr 1956 von der BdL, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium als „lose Zusammenkunft“ eingerichtet worden, um im hitzigen Umfeld der Konjunkturdebatte die „Meinungsbildung“ der Bundesregierung und der BdL im Rahmen von monatlichen Gesprächen vorzubereiten. Protokoll der 128. Kabinettssitzung vom 28.3.1956, TOP G – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 9.4.2011). 134 Sprechzettel für die Sitzung des Abteilungsleiterausschusses für Konjunkturpolitik am 20.8.1956 – BA Ko, B 126/7256. 135 Vorlage für den Herrn Bundesfinanzminister (v. Spindler) vom 15.11.1956 – BA Ko, B 126/7257. 136 Erstgenannte sollten zur Hälfte einer reduzierten Kapitalertragsteuer unterworfen werden und zur Hälfte ganz steuerfrei sein. Letzterer sollte gefördert werden, indem der Staat eine Prämie
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herbeizuführen, regten die Hypothekenbanken darüber hinaus eine vorübergehende Emissionsbeschränkung für hochverzinsliche Industrieobligationen und öffentliche Anleihen an. Aus ihrer Sicht hatten die Unternehmen und die öffentlichen Körperschaften den Zinsanstieg der Jahre 1956/57 ausgelöst, indem sie ihre Emissionen – unnötigerweise – mit zu hohen Zinsen ausgestattet und die zusätzliche Zinsbelastung auf die Konsumenten bzw. Steuerzahler abgewälzt hätten (was die Hypothekenbanken bei ihren Kreditnehmern, den Bauherren, nicht konnten). Bezeichnend für die Etablierung einer gewissen „Subventionsmentalität“ war der Hinweis der Hypothekenbanken, dass ihre Vorschläge „im Ergebnis verhältnismäßig billig und angesichts der steuerlichen Vorzugsbehandlung zahlreicher anderer Sektoren durchaus vertretbar“ seien.137 Die privaten Hypothekenbanken fanden für ihre Vorschläge kaum Unterstützung. Lediglich Bundeswohnungsbauminister Preusker und der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Geld und Kredit, Hugo Scharnberg, stellten sich auf ihre Seite. Da beide weitreichende Folgen der Rentenreform für den sozialen Wohnungsbau befürchteten, setzten sie sich für eine Fortsetzung der Steuerbegünstigungen ein. Während Scharnberg sowohl die Steuerbegünstigung von Wertpapierkäufen und Wertpapiererträgen als auch eine gemäßigte Form der Emissionskontrolle befürwortete, sprach sich Preusker langfristig für eine durchgreifende generelle Steuersenkung aus. Da diese vorerst nicht durchzusetzen sei, forderte er eine Förderung der Kapitalbildung durch die fortgesetzte Steuerbegünstigung der Kapitalansammlungsverträge, eine großzügigere Gestaltung des § 7c EStG sowie die Einführung des Prämiensparens. Als ad hoc-Maßnahme empfahl auch er Steuererleichterungen nicht nur für niedrig verzinsliche Pfandbriefe und Kommunalobligationen, sondern für alle festverzinslichen Wertpapiere, indem die Wertpapiererträge nur zur Hälfte besteuert werden sollten.138 Gegen Steuererleichterungen sprachen sich dezidiert das Bundeswirtschaftsministerium und die BdL aus. Sie blieben bei der Einschätzung, dass der Wertpapiermarkt am wirkungsvollsten durch eine Einschränkung der Bautätigkeit geschont werden könne, also durch eine geringere Ausgabe von Pfandbriefen. Auch gingen sie davon aus, dass der Wohnungsbau höhere Zinsen tragen und am Rentenmarkt konkurrieren konnte. Erhard nutzte die Diskussion, um seine bekannten Forderungen noch einmal vorzubringen: die Aufhebung aller speziellen Steuervergünstigungen für das Sparen und zugleich die Einschränkung der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen (durch die Senkung der degressiven Abschreibungssätze). Die dadurch aufgebrachten bzw. eingesparten Haushaltsmittel wollte er im Gegenzug für eine generelle Steuersenkung und eine Aufhebung der Doppelbesteuerung der Aktiendividenden einsetzen.139 Mit dieser für langfristige Sparleistungen an Privatpersonen zahlte. Vermerk (Stahlberg) vom 18.1.1957 – BA Ko, B 126/7257. 137 Schreiben des Verbandes privater Hypothekenbanken (Kummert) an den Bundesfinanzminister vom 17.12.1956 – BA Ko, B 126/7257. 138 Entwurf eines Schreibens von Erhard an Schäffer vom Mai 1957 – BA Ko, B 102/28613. 139 Entsprechende Vorschläge – verbunden mit der Kritik an dem hohen Anteil der öffentlichen Hand und der Selbstfinanzierung an der Kapitalbildung – machte Erhard auch in einem für
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Konzentration auf das Aktienwesen verfolgte der Bundeswirtschaftsminister mittlerweile das vorwiegend gesellschaftspolitische Ziel, den Aktienbesitz möglichst breit in der Bevölkerung zu streuen. Dazu sollte neben der Ausgabe von Volksaktien auch das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften vom 16. April 1957 dienen, mit dem die Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen in die Lage versetzt werden sollten, „Miteigentum“ an Aktienunternehmen zu erwerben und vom „Wertzuwachs des industriellen Vermögens“ zu profitieren.140 Wie im Bundeswirtschaftsministerium und bei der BdL herrschte auch im Bundesfinanzministerium die Meinung vor, dass nicht länger mit schwerfälligen finanzpolitischen Maßnahmen Wirtschaftspolitik betrieben werden sollte. Das Bundesfinanzministerium lehnte Steuervergünstigungen für Wertpapiererträge ebenso ab wie eine generelle Senkung der Einkommensteuer. Auch zusätzliche Bundesmittel für Zins-, Miet- oder Kapitalsubventionen im sozialen Wohnungsbau, die erneut als Alternative zur steuerlichen Förderung des Pfandbriefs ins Spiel gebracht wurden, schloss Schäffer kategorisch aus. Er übte sich bezüglich der Möglichkeiten, mit der Finanzpolitik auf den Kapitalmarkt einzuwirken, in äußerster Zurückhaltung und stellte – in Einklang mit BdL-Direktoriumspräsident Vocke – lapidar fest, dass man angesichts des mangelnden Kapitalangebots am Rentenmarkt vorläufig weiterhin mit hohen Zinsen rechnen müsse.141 Überraschend war, dass sich auch die öffentlich-rechtlichen Grundkreditanstalten gegen die Steuervergünstigung von Wertpapiererträgen wandten. Anders als die privaten Hypothekenbanken wollten sie nicht länger am niedrig verzinsten Pfandbrief festhalten, sondern „marktgemäße“ Zinsen einführen. Sie waren der Meinung, dass die daraus resultierende Verteuerung der Hypothekendarlehen angesichts der kräftigen Lohnzuwächse durchaus durch moderate Mieterhöhungen finanziert werden könnte. Einen Appell an Industrie und öffentliche Körperschaften, mit der Kapitalaufnahme am Wertpapiermarkt Adenauer vorgesehenen Memorandum über die künftige Kapitalbildung. Scharnberg und Preusker waren damit alles andere als einverstanden, da sie befürchteten, dass eine verstärkte Verlagerung der Kapitalbildung von den festverzinslichen Wertpapieren auf Dividendenwerte die Wohnungsfinanzierung unter zusätzlichen Druck setzen würde. Memorandum des Bundeswirtschaftsministers für den Bundeskanzler betr. Die Kapitalbildung in der Bundesrepublik, Entwürfe vom 25.2. und 12.3.1957; Entwurf eines Schreibens von Erhard an Schäffer vom Mai 1957 – BA Ko, B 102/28613; vgl. Spindler, Finanzpolitik, S. 12 f.; Dietrich, Eigentum, S. 246. 140 Kurzprotokoll der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik vom 14.11.1956 – PA, 2. Wahlperiode/ 21. Ausschuss (Zitat); vgl. Spindler, Fragen, S. 9 f.; zur Entstehung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und zum Beginn der „Investmentbewegung“ in Westdeutschland vgl. Beckers, Gründung, S. 247 ff. 141 Die bisherigen Senkungen der Einkommensteuer – beim Spitzensatz von 93 auf 55 Prozent – hatten nach Ansicht des Ministeriums den Wertpapiermarkt nicht saniert und weitere Senkungen ließen dies auch nicht erhoffen, da bei den unteren und mittleren Einkommensbeziehern erhebliche Beträge in den Konsum fließen würden. Niederschrift vom 23.1.1957 betr. die Ergebnisse der Kapitalmarktbesprechung im Bundeswirtschaftsministerium am 22.1.1957 – BA Ko, B 126/2196; vgl. Interview Schäffer, in: Industriekurier vom 3.5.1957; Spindler, Finanzpolitik, S. 9 f.
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Maß zu halten, hielten auch die öffentlichen Realkreditinstitute für wünschenswert. Den Kreditbedarf im kommunalen Sektor wollten sie durch mittelfristige, steuerlich nicht geförderte Emissionen befriedigen.142 Die Vertreter der privaten Geschäftsbanken schließlich lehnten ebenfalls neue Steuerbestimmungen ab („keine Experimente“), wollten aber die bestehenden beibehalten, um nicht neue Unruhe im Markt hervorzurufen und den drohenden Kapitalausfall durch die Rentenreform nicht noch zu verschärfen.143 Auf die gegen sie gerichteten Vorwürfe, Industrieobligationen mit zu großzügigen Konditionen auf den Markt gebracht zu haben, reagierten sie mit dem Hinweis, dass sie bei der Platzierung stets behutsam vorgegangen seien. Wenn es zu Anspannungen am Wertpapiermarkt durch ein Überangebot von Emissionen gekommen sei, dann sei dies in erster Linie auf die Länderanleihen zurückzuführen. Industrie und Bankwirtschaft forderten bereits seit Anfang 1956, öffentliche Emissionen massiv einzuschränken und setzten sich – im Einklang mit der BdL – dafür ein, Kapital künftig nur noch für Investitionen zu reservieren, die eine Produktivitätssteigerung mit sich brachten. Die meisten öffentlichen Vorhaben sahen sie unter dieser Prämisse als nicht vordringlich an. Sobald sich die öffentliche Hand mit Emissionen zurückhalte, werde es keinen Grund mehr geben, an Emissionsbeschränkungen zu denken. VIII. 3. 3. Einrichtung des zentralen Kapitalmarktausschusses Am Ende der Diskussion standen keine neuen steuerpolitischen Maßnahmen, für die es kaum noch Befürworter gab. Die Emittenten waren aber zu der übereinstimmenden Einschätzung gelangt, dass der Kursverfall am Rentenmarkt nicht nur auf die zunehmende Liquiditätsneigung der Unternehmen und die abnehmende Sparneigung der privaten Haushalte zurückzuführen war, sondern auch auf ein Überangebot an Emissionen. Dabei gingen die Vorwürfe wild durcheinander: Die Geschäftsbanken warfen den Bundesländern vor, viel zu viele Anleihen mit viel zu großzügigen Konditionen auf den Markt zu bringen. Die Realkreditinstitute erhoben denselben Vorwurf gegenüber der öffentlichen Hand und den Emittenten der 8-prozentigen Industrieobligationen. Die BdL und das Bundeswirtschaftsministerium waren gemeinsam mit den Industrieverbänden der Meinung, dass der Wohnungsbau zu den Hauptverursachern der konjunkturellen Überhitzung zähle und die Realkreditinstitute zu viele Pfandbriefe ausgaben, die zudem von marktgerechten Konditionen weit entfernt waren. Erste Versuche, mäßigend auf Emissionswünsche einzuwirken, gab es im öffentlichen Sektor. Schon im November 1955 hatte der Bundeswirtschaftsminister die Länder und Gemeinden zum Verzicht auf neue Anleihen aufgerufen. 142 Schreiben des Verbandes privater Hypothekenbanken (Kummert) an den Bundesfinanzminister vom 17.12.1956 – BA Ko, B 126/7257. 143 Schreiben des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes an den Bundeswirtschaftsminister vom 4.2.1957 – BA Ko, B 126/7257.
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Den für Kommunalangelegenheiten zuständigen Bundesinnenminister hatte Erhard gebeten, dass er die Kommunen auffordern möge, „übertriebenen Zinsforderungen“ der Kapitalgeber nicht stattzugeben. Diese würden die Lage am Rentenmarkt nur dramatisieren, um höhere Einnahmen zu erzielen.144 Wenig später brachte Erhard eine Vorlage im Bundeskabinett ein, um eine bessere Koordination der Anleiheemissionen zwischen Bund und Ländern herzustellen. Bis dahin hatten die Länder den Bund regelmäßig erst dann über eigene Emissionen unterrichtet, wenn ihre Einigung mit den Bankkonsortien bereits in der Presse mitgeteilt worden war.145 Nun sollten regelmäßige kapitalmarktpolitische Konsultationen zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und den Ländern, die bereits im März 1953 angeregt, aber noch nicht umgesetzt worden waren, eine bessere Koordination der öffentlichen Emissionsvorhaben sicherstellen. Anlässlich eines Anleihevorhabens des Landes Bayern im Februar 1956 schlug Erhard vor, § 795 BGB zu verschärfen und die Länderanleihen einer stärkeren Kontrolle des Bundeswirtschaftsministeriums zu unterwerfen.146 Sollte dies aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gelingen, strebte er eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern an, nach der die Länder erst dann befugt sein sollten, den Geld- und Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen, wenn sie ihre Emissionsvorhaben in einem neu zu bildenden Kreditrat mit Vertretern der Bundesregierung, der Länder und der BdL beraten hatten. Schäffer unterstützte Erhard zwar in dem Bestreben, die Länder stärker in die Bestimmungen des § 795 BGB einzubinden; er hielt die Einrichtung eines Kreditrats aber nur für wenig erfolgversprechend, da dieser aus verfassungsrechtlichen Gründen ein widerstrebendes Bundesland nicht maßregeln könne und daher nur freiwillige, wenig wirksame Selbstverpflichtungen produzieren würde. Solche Vereinbarungen würden letztlich immer vom „guten Willen“ der Länder abhängig sein.147 Schließlich scheuten sich das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium, in das „föderalistische Wespennest“ zu stechen und damit „einen grenzenlosen Skandal“ auszulösen, nachdem sich auch der Bundeskanzler, der die
144 Schreiben des Bundeswirtschaftsministers an den Bundesinnenminister vom 12.11.1955 betr. Kapitalmarktinanspruchnahme der Kommunen – BA Ko, B 126/7258. 145 Von Anfang 1956 bis Februar 1957 waren fünf Länderanleihen im Volumen von 190 Mio. DM emittiert worden. Vermerk (Stahlberg) vom 27.2.1956 betr. heutige Besprechung des Herrn Bundeswirtschaftsministers mit den Länderwirtschafts- und -finanzministern über die Kapitalmarktlage – BA Ko, B 126/7257. 146 Gemäß § 795 BGB musste für die Emission von Länderanleihen nur ein „Benehmen“ zwischen dem Bundeswirtschaftsminister und dem jeweiligen zuständigen Landesminister hergestellt werden. Das Bundeswirtschaftsministerium war nun daran interessiert, dass über die Schuldverschreibungen der Länder künftig ein „Einvernehmen“ hergestellt werden sollte, so dass der Bundeswirtschaftsminister solche Anleihen eher unterbinden konnte. Ebd. 147 Schreiben des Bundesfinanzministers an den Bundeswirtschaftsminister vom 2.3.1956; Vermerk (Diller) vom 16.3.1956 – BA Ko, B 126/7257.
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Ministerpräsidenten im Februar 1956 in einem Schreiben aufgefordert hatte, ihre Bauinvestitionen zu begrenzen, dagegen ausgesprochen hatte.148 Erhard musste sich wohl oder übel mit Appellen an die Länder begnügen – ein Weg, dem man selbst im Bundeswirtschaftsministerium keine Aussicht auf Erfolg einräumte. Zum Unwillen der privaten Banken beließ es das Bundesfinanzministerium bei einer Empfehlung an die Länder, vorläufig vom Wertpapiermarkt fern zu bleiben und stattdessen Schuldscheindarlehen aufzunehmen, mit denen sie umfassende Stützungskäufe bei steigendem Zins umgehen könnten. Allein der Bund ging im Rahmen des zweiten Konjunkturprogramms eine bindende Verpflichtung ein, die eigenen (Bau-)Investitionen um zehn Prozent zurückzuführen.149 Neben den öffentlichen Anleihen waren auch die privaten Emissionen Gegenstand der Diskussion. Es gab Appelle aus der Kreditwirtschaft selbst, auf die Emissionspolitik der Geschäftsbanken Einfluss zu nehmen, denen eine erhebliche Mitschuld an der Unruhe am Wertpapiermarkt durch die Einführung der 8-prozentigen Industrieobligationen gegeben wurde. Die Kritiker beschwerten sich beim Bundeswirtschaftsminister, dass 7,5-prozentige Unternehmensanleihen erstklassiger Bonität wohl ebenso reibungslose Abnahme gefunden hätten. Zudem würden Industrieobligationen an den Markt gebracht, obwohl die Platzierungsmöglichkeiten fehlten. Damit rückte das Thema einer generellen Emissionsbeschränkung, insbesondere für „hochverzinsliche“ Wertpapiere, wieder auf die Tagesordnung. Doch auf den Vorschlag, die Ausgabe von Wertpapieren über den § 795 BGB zu kontingentieren oder gar einen staatlich verordneten Emissionsstopp herbeizuführen, reagierten der Bundeswirtschaftsminister, der Bundesfinanzminister und der ZBR ablehnend. Man wollte es bei Appellen an die Konsortialführer belassen, die Anleihen sicher unterzubringen.150 Im September 1956 wandte sich Erhard in einem Schreiben an den Bundesverband des privaten Bankgewerbes und an den Verband öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute und fragte nach, was von Seiten des Bundeswirtschaftsministeriums gegen die Probleme am Primär- und Sekundärmarkt unternommen werden könne. Die Kreditwirtschaft wollte eine Rückkehr zu staatlichen Emissionsbeschränkungen aus nahe liegenden Gründen vermeiden und schlug daher vor, die Vertreter der führenden Emissions- und Konsortialbanken zu einer gemeinsamen Sitzung einzuladen, um die „allgemein als notwendig erkannte Selbstbeschränkung sowohl hinsichtlich der Ausgabe von Schuldverschreibungen überhaupt als 148 Die Initiative Adenauers war weitgehend wirkungslos. Die meisten Ministerpräsidenten beantworteten nicht einmal das Schreiben des Kanzlers. Vermerk (Pittroff) vom 17.5.1956 – BA Ko, B 126/7257; Protokoll der 50. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 8.6.1956 – Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online (letztes Abrufdatum: 23.4.2011) 149 Schreiben des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes an Erhard vom 4.2.1957; Vermerk (Stahlberg) vom 27.2.1957 über die heutige Besprechung des Herrn Bundeswirtschaftsministers mit den Länderwirtschafts- und -finanzministern über die Kapitalmarktlage – BA Ko, B 126/7257. 150 Vermerk (Pittroff) vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7258; Vermerk (v. Spindler) für Herrn Minister vom 29.1.1957 – BA Ko, B 126/7257.
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auch der dabei zu bietenden Konditionen zu erörtern.“151 Daraufhin fand Anfang 1957 im Bundeswirtschaftsministerium eine Besprechung zwischen den zuständigen Ressortchefs, der BdL und den Spitzenvertretern der Kreditverbände statt, in der eine „lockere Vereinbarung“ der einzelnen Bankengruppen über eine freiwillige Einschränkung der Emissionstätigkeit getroffen wurde. Die Konsortialund Emissionsbanken einigten sich auf die Errichtung einer Kommission, die sich aus drei Vertretern des privaten Bankgewerbes, zwei Vertretern der öffentlichrechtlichen Kreditinstitute, drei Vertretern der öffentlich-rechtlichen Realkreditinstitute und zwei Vertretern der privaten Hypothekenbanken zusammensetzen sollte. Ihr wurde „mit dem Segen“ des Bundeswirtschaftsministers die Aufgabe zugewiesen, den Markt zu beobachten, sich in gemeinsamen Gesprächen um eine wirksame Begrenzung der Emissionen zu bemühen und in der Frage der Ausgabebedingungen eine Übereinstimmung herbeizuführen.152 Es war die Geburtsstunde des Zentralen Kapitalmarktausschusses, auch „Elferrat“ genannt, der in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entscheidenden Einfluss auf das Emissionsgeschäft in der Bundesrepublik nehmen sollte. Seine Einrichtung zeigte, dass der Staat die Hoffnung aufgegeben hatte, mit wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumenten eine abschließende Lösung der Kapitalmarktprobleme herbeiführen zu können. Man erhoffte sich offensichtlich, dass die Kreditwirtschaft die Probleme mit „leichter Hand“ besser und dauerhaft lösen konnte. In den Bundesbehörden war man der Meinung, dass in der Bundesrepublik an sich genügend Kapital vorhanden war, um die Finanzierung der gesamtwirtschaftlich notwendigen Investitionen sicherzustellen. Insofern hielt man keine besondere staatliche Förderung mehr für notwendig. Lediglich die Anfälligkeit des Wertpapiermarktes gegenüber Liquiditätsschwankungen ließ es notwendig erscheinen, in konjunkturellen Boomphasen eine Einschränkung der überbordenden Kapitalnachfrage vorzunehmen. Die spezielle Situation der Jahre 1956/57 ähnelt in gewisser Weise der Lage am Rentenmarkt vor dem Ersten Weltkrieg. Auch damals litt der Primärmarkt an einer ausufernden Kapitalnachfrage, die die Rentenkurse erheblich unter Druck setzte. Auch damals wurde die Einführung von staatlichen Emissionskontrollen erwogen, um das Wertpapierangebot einzuschränken. Wie damals entschied sich die Regierung auch 1957 (allerdings erst nach der Erprobung zahlreicher staatlicher Instrumente) gegen ein staatliches Eingreifen, stimmte freilich einer Lösung zu, die vor 1914 undenkbar gewesen wäre: Im Zentralen Kapitalmarktausschuss durften fortan ausgerechnet jene Unternehmen das Geschehen am Wertpapiermarkt entscheidend beeinflussen, die vom Wertpapiergeschäft am meisten profi-
151 Mitteilung des Verbandes öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten vom 14.9.1956 – BA Ko, B 126/7256. 152 Protokoll der 235. ZBR-Sitzung vom 23.1.1957 – BBk HA, B 330/99; Protokoll der 237. ZBR-Sitzung vom 20.2.1957 – BBk HA, B 330/100; Vermerk (v. Spindler) für Herrn Minister vom 7.2.1957 – BA Ko, B 126/7257; Entwurf eines Schreibens von Erhard an Schäffer vom Mai 1957 – BA Ko, B 102/28613.
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tierten und darüber hinaus aufgrund der engen Verzahnung von Geld- und Wertpapiermarkt auch die Hauptauslöser der Probleme waren. Der Bundeswirtschaftsminister überließ die zuvor vom Staat wahrgenommene Aufgabe der Emissionskontrolle einem Gremium, dessen Befugnisse rechtlich nicht geregelt waren, das sich aber ganz ähnlicher Instrumente bediente wie der Kapitalverkehrsausschuss in den Jahren 1949 bis 1952: Es legte den Umfang und die Reihenfolge von Anleihen fest, untersagte mitunter (erstmals 1959) Emissionen während so genannter Emissionspausen, sprach quantitative Beschränkungen des Emissionsvolumens aus und gab „Empfehlungen“ über die Ausstattung einzelner Emissionen.153 Diese Ausübung weitreichender Befugnisse von wenigen ausgewählten Kreditinstituten wirft grundlegende Fragen auf, die künftige, quellengestützte Forschungsarbeiten zu klären haben werden. Es wird beispielsweise zu analysieren sein, ob mit den wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen des Zentralen Kapitalmarktausschusses, die offiziell nur die Emissionen von Einmalemittenten betrafen, aber auch maßgeblichen Einfluss auf die Daueremittenten ausübten,154 das Wettbewerbsrecht ausgehebelt wurde und ob mit ihnen starke Interessenkonflikte verbunden waren (Interessen der Anleger, der Emittenten, der Emissions- und Konsortialbanken; gesamtwirtschaftliche Zwecke wie eine stabile Zins- und Kursentwicklung).155 Zudem wird zu klären sein, welche Zielsetzungen der Kapitalmarktausschuss im Laufe der Jahre verfolgte, welche Beziehungen er zu den staatlichen Aufsichtsbehörden unterhielt und wie die Machtverhältnisse innerhalb des Ausschusses verteilt waren.156 Schon zu Beginn ihres Zusammenwirkens im Zentralen Kapitalmarktausschuss kündigten die Kreditinstitute an, die Forderung nach Produktivitätssteigerungen bei der Zulassung von Anleihevorhaben zu berücksichtigen. Emissionen, die nicht unbedingt erforderlich schienen bzw. nur aus Furcht vor einer weiteren Verschlechterung der Kapitalmarktlage geplant waren, sollten zurückgestellt werden.157 Die im Kapitalmarktausschuss vertretenen Kreditinstitute nahmen diesbezüglich vor allem die Emissionen des Wohnungsbaus und der Kommunalwirtschaft ins Visier.158 Auch wollten die Banken versuchen, durch eine Aufteilung der Anleihen in Tranchen die Belastungen des Wertpapiermarktes zu verringern bzw. auf einen längeren Zeitraum zu verteilen. Der Markt sollte mit dringenden Emissionen abgetastet werden und die Emissionstätigkeit immer dann eingeschränkt werden, wenn sich Anzeichen einer Überbelastung des Marktes 153 Rosen, Kapitalmarktausschuss, S. 135, 139. 154 Einmalemittenten gaben zwischen 1957 und 1972 ca. 40 Prozent aller festverzinslichen Wertpapiere aus. Ebd. S. 155, 159 ff.. 155 Ebd., S. 110 ff., 114-118. 156 Da der Kapitalmarktausschuss Industrieobligationen bevorzugte, die eine Steigerung der Produktivität bewirken sollten, wurden offenbar nicht alle Emittenten gleich behandelt, sondern eine Rangfolge von „wünschenswerten“ Emissionen aufgestellt. Ebd. S. 146 f. 157 Schreiben des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes an Erhard vom 4.2.1957 – BA Ko, B 126/7257. 158 Rundschreiben des Bundesverbandes des privaten Bankgewerbes an die Finanzminister der Länder vom 13.7.1957 – BA Ko, B 126/7257.
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ergaben. Auf diese Weise sollte „mit leichter Hand jede starre Rangordnung der Emissionen“ und die Festlegung von Emissionspausen vermieden werden. Voraussetzung dafür war aus Sicht der Kreditinstitute, dass eine Abstimmung mit den Anleihewünschen der öffentlichen Hand gelang.159 In der Tat trat seit Mitte 1957 eine spürbare Beruhigung des Rentenmarktes ein, die bis ins Jahr 1959 hinein anhielt. Die Mitglieder des Zentralen Kapitalmarktausschusses kamen im Juli 1957 zu der Einschätzung, dass kein Anlass zu fortgesetzten Zinserhöhungen am Rentenmarkt mehr bestand. Sie vereinbarten aber auch, dass künftig von der Emission weiterer 6-prozentiger Pfandbriefe sowie vom Verkauf bereits aufgelegter 6-prozentiger Emissionen abgesehen werden sollte, da dieser Zinssatz auf absehbare Zeit nicht mehr marktgerecht war.160 Die Entspannung am Rentenmarkt war jedoch weniger auf die Tätigkeit des Kapitalmarktausschusses zurückzuführen als eine Folge der konjunkturellen Normalisierung. Die Inflationsfurcht war geschwunden, was sich an dem Anstieg der Sparquote von fünf (1956) auf 6,7 Prozent (1957) ablesen ließ, und die privaten Haushalte kauften in stärkerem Maße als früher Wertpapiere. In der zweiten Jahreshälfte 1957 und vor allem Anfang 1958 erhöhten auch die Kreditinstitute ihre Wertpapierbestände wieder in enormen Größenordnungen (erstes Quartal 1958 + 1,08 Mrd. DM). Vor allem die Sparkassen kauften aufgrund hoher Spareinlagenzuwächse und geringerer Nachfrage nach Hypothekarkrediten erstmals nach 1945 verstärkt Wertpapiere. Die öffentlichen Haushalte, der Wohnungsbau und die Unternehmen konnten so ihren Kapitalbedarf in einem Umfeld sinkender Zinsen über den Rentenmarkt befriedigen. Die Emission von Industrieobligationen erreichte 1957 mit 22,1 Prozent des Bruttoabsatzes aller festverzinslichen Wertpapiere einen neuen Höchststand. 1958 wurde zuweilen sogar ein Mangel an Neuemissionen beklagt.161
159 Schreiben des Bundesverbands des privaten Bankgewerbes an Erhard vom 4.2.1957 – BA Ko, B 126/7257. 160 Schreiben des Verbandes öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten an den Bundesfinanzminister vom 5.8.1957 – BA Ko, B 126/7257. 161 Brahms, Kapitalmarktentwicklung, S. 82; Strathus, Chancen, S. 7 ff., 20.
FAZIT Der Wiederaufbau Westdeutschlands im Rahmen des Marshallplans stellte die politischen Entscheidungsträger vor die Aufgabe, die während der Kriegs- und Nachkriegszeit entstandenen Verluste an Infrastruktureinrichtungen, Wohnungen und Produktionsstätten auszugleichen und den neuen Herausforderungen anzupassen. Ende der Vierzigerjahre herrschte sowohl auf alliierter als auch auf westdeutscher Seite große Unsicherheit, wie die großen Investitionsanforderungen finanziert werden sollten und welche Kapitalquellen in Betracht kamen. Der Bereich des organisierten Kapitalmarkts, der in einer marktwirtschaftlich Ordnung üblicherweise von prägender Bedeutung ist, bereitete in diesen Überlegungen die größte Sorge: der am Boden liegende Wertpapiermarkt. Wenn die Zeitgenossen in den Fünfzigerjahren allgemein von „Kapitalmarktpolitik“ sprachen, war in aller Regel das staatliche Einwirken auf den Wertpapiermarkt gemeint. Meist war der Begriff sogar noch enger gefasst und betraf die politischen Bemühungen um die Schaffung eines „funktionierenden“ Rentenmarktes. Nach Kriegsende erfuhr der Wertpapiermarkt weder bei den Besatzungsmächten noch in den westdeutschen Verwaltungen viel Aufmerksamkeit. Nur sporadisch war er zwischen Mai 1945 und Juni 1948 Gegenstand wirtschaftspolitischer Überlegungen, die vorwiegend um die Frage kreisten, wie der Wertpapierhandel im Gewirr der Nachkriegszeit aufrecht erhalten werden konnte. Der Primärmarkt kam dagegen vollkommen zum Erliegen: Die unsicheren Zukunftsaussichten des gesamten deutschen Wirtschafts-, Währungs- und Finanzsystems, die sich in umfangreichen Kompensations- und Schwarzmarktgeschäften äußerten, ließen keine Nachfrage nach langfristigem Kapital aufkommen. Das lenkungswirtschaftliche Erbe des NS-Regimes wurde – soweit es nicht Ausdruck genuin nationalsozialistischen, „diskriminierenden“ Gedankenguts war – weitgehend beibehalten, sei es mit ausdrücklicher Zustimmung der deutschen und alliierten Verwaltungsstellen (Kursstopp; Dividendenabgabeverordnung), sei es stillschweigend und ohne größere Beachtung (Kapitalverkehrsverordnung). Versuche insbesondere der amerikanischen Militärregierung, durch die Registrierung von Wertpapieren oder die Umwandlung von Inhaberpapieren in Namenspapiere eine Kontrolle über den vorhandenen Wertpapierbesitz herzustellen, blieben aufgrund der dilatorischen Behandlung der deutschen Verwaltungsstellen in Ansätzen stecken. Für die Kapitalmarktpolitik nach der Währungsreform boten die Besatzungsjahre somit kaum Anknüpfungspunkte hinsichtlich der Problematik der Kapitalbildung und Investitionsfinanzierung. Die weiterhin geltenden Regelungen der NS-Lenkungswirtschaft und die rigide, an sicherheits-
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politischen Aspekten orientierte Wirtschaftspolitik der Besatzungsmächte stellten dafür zu ungünstige Rahmenbedingungen dar. Der zerrüttete Zustand des Wertpapiermarktes Mitte 1948 war der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine massive Ausweitung des staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft gezeigt hatte. Davon war der Wertpapiermarkt, im liberalen Zeitalter noch als „Herzstück“ des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems betrachtet, in besonderer Weise betroffen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren angesichts zunehmender Anspannungen zwischen Kapitalangebot und -nachfrage Möglichkeiten erörtert worden, die Ausgabe von Wertpapieren staatlich zu kontrollieren, um die Kursentwicklung zu stabilisieren bzw. die Kapitalversorgung des Staates jederzeit zu garantieren. Man verzichtete jedoch auf solch massive Eingriffe, beließ es bei vereinzelten Interventionen, die sich auf Auslandsanleihen bezogen, und vertraute weiterhin auf die Marktfunktionen. Die Reichsregierung begnügte sich damit, die Emissionsbanken auf informellem Wege dazu anzuhalten, den Wertpapiermarkt nicht mit einem Überangebot an Neuemissionen zu überlasten. Wie in der Wirtschaftspolitik allgemein entpuppten sich auch in der Kapitalmarktpolitik der Erste Weltkrieg, die Bankenkrise von 1931 sowie die Rüstungsund Kriegspolitik des NS-Regimes als Katalysatoren staatlichen Handelns. In allen drei Phasen verstärkte der Staat sein Einwirken sowohl auf dem Primärmarkt als auch auf dem Sekundärmarkt. Während er in der Bankenkrise mit Notmaßnahmen auf die Stabilisierung des inländischen Finanzsystems abzielte, verfolgte er während des Ersten Weltkriegs und der NS-Zeit in erster Linie eigene Ziele, indem Kapital für die Rüstungs- und Kriegsfinanzierung reserviert, die Kurs- bzw. Zinsentwicklung am Anleihe- und Aktienmarkt manipuliert und so – durch die dadurch möglichen günstigeren Konditionen für Reichsanleihen – die Kostenbelastung der öffentlichen Haushalte gesenkt wurden. Im Ersten Weltkrieg war man noch darauf bedacht, die Regeln des freien Marktes möglichst lange beizubehalten. Der Primärmarkt wurde erst im letzten Kriegsjahr einer direkten staatlichen Emissionskontrolle unterworfen, die jedoch kaum Wirkung entfalten konnte, da private Neuemissionen zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr aufgelegt wurden. Am Sekundärmarkt beschränkte sich die Reichsregierung auf indirekte Maßnahmen wie Börsenschließungen und das Publikationsverbot von Börsenkursen, die zu einer Erhöhung der Informationsund Transaktionskosten beim Handel mit Wertpapieren privatwirtschaftlicher Emittenten führten. Das NS-Regime machte sich von Beginn an die erweiterten Eingriffsmöglichkeiten des Staates seit der Bankenkrise von 1931 zunutze und baute sie systematisch aus: Bereits Mitte der Dreißigerjahre war das Emissionsgeschehen lückenlos überwacht, private Emittenten wurden zugunsten der Staatsfinanzierung diskriminiert und die privaten Haushalte schließlich durch den „geräuschlosen“ Wertpapierabsatz bei Kapitalsammelstellen weitgehend vom Erwerb von Neuemissionen ausgeschlossen. Im Wertpapierhandel bestimmte des NS-Regime nach und
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nach das Zins-, Dividenden- und Kursniveau, bis der Wertpapiermarkt schließlich Ende 1945 de facto alle Marktfunktionen verloren hatte. Die kapitallenkenden Maßnahmen des NS-Regimes wirkten so zielgerichtet und systematisch auf den Renten- und den Aktienmarkt ein, dass sie unter dem Begriff „Dirigismus“ subsumiert werden können. Es zeigte sich, dass der Wertpapiermarkt, der aufgrund seiner besonderen Merkmale den Vorstellungen eines freien Marktes sehr nahe kommen kann, ebenso sehr durch relativ wenige Verwaltungsakte zu einem lückenlos reglementierten Bereich der Volkswirtschaft werden kann: Den großen „Marktpotenzialen“ des Wertpapiermarktes steht seine besondere Anfälligkeit gegenüber, für staatliche Zwecke vereinnahmt zu werden. Zum „Erfahrungsschatz“ der seit Mitte 1948 mit der Kapitalmarktpolitik befassten westdeutschen Politiker und Finanzexperten zählten aber nicht nur die staatlichen Eingriffe der Jahre 1917/18 bzw. 1931 bis 1945, sondern auch das gänzlich anders gelagerte Beispiel der Weimarer Republik, in der man sowohl während der Großen Inflation als auch nach der Währungsstabilisierung von 1923/24 von einer staatlichen Einwirkung auf den Wertpapiermarkt weitgehend abgesehen hatte. Dieser Verzicht war höchst umstritten. Die meisten Zeitgenossen sahen ihn als Fehler an, da er ihrer Ansicht nach einen massiven Zinsanstieg am Rentenmarkt nicht verhindert und so die Wirtschafts- und Bankenkrise mit ausgelöst hatte. Nach der Währungsreform vom Juni 1948 waren die politisch Verantwortlichen hinsichtlich der Kapitalbildung mit drei Ausgangsbedingungen konfrontiert: 1) Die Sparfähigkeit der privaten Haushalte war aufgrund der großen Vermögensverluste, der hohen Arbeitslosigkeit und der geringen Löhne auf absehbare Zeit stark eingeschränkt. 2) In der Bevölkerung herrschten aufgrund der seit Mitte der Dreißigerjahre stark begrenzten Konsummöglichkeiten große Nachholbedürfnisse nach Konsumgütern, so dass die Sparwilligkeit der privaten Haushalte nur gering war. 3) Die im Februar 1946 von den Alliierten eingeführten hohen Tarife der Einkommen- und der Körperschaftsteuer belasteten die Sparfähigkeit der privaten Haushalte zusätzlich und schränkten bei den Unternehmen die Rücklagenbildung und die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten ein. Während die freiwillige Kapitalbildung auf diese Weise noch stärker zurückging, erzielten die öffentlichen Haushalte aufgrund des steuerlichen „Zwangssparens“ Einnahmenüberschüsse, die einen bemerkenswerten Spielraum für langfristige Investitionsfinanzierungen boten. Schon die westlichen Alliierten waren der Meinung, dass es nur vorübergehend hingenommen werden konnte, einen großen Teil der Kapitalbildung und der Investitionsfinanzierung über die öffentlichen Haushalte zu leiten. Ausgangspunkt der Kapitalmarktpolitik war daher nach der Währungsreform, die Kapitalbildung der privaten Haushalte und der Unternehmen durch steuerliche Begünstigungen zu erhöhen: Steuererleichterungen für private Haushalte im Rahmen von „Kapitalansammlungsverträgen“ (Abzugsfähigkeit der Sparbeträge von der Einkommensteuer) sollten zu Konsumverzicht und größeren Sparanstrengungen
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führen; Steuerbegünstigungen für Unternehmen sollten über die Rücklagenbildung die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten erhöhen. Der Wertpapiermarkt profitierte von diesen ersten Fördermaßnahmen kaum, da der Wertpapiererwerb nur eine von vielen begünstigten Sparformen war. Vor allem aber war er bei Sparern und Anlegern äußerst unbeliebt. Denn mit der Währungsreform hatte der Wertpapiermarkt auch noch die letzte Funktion verloren, die ihn seit 1945 am Leben erhalten hatte: die Funktion der (vermeintlich) sicheren Geldaufbewahrung. Da die Umstellungsquote für Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Industrieobligationen nicht höher war als für Geldvermögen, war das Vertrauen der Anleger in den Rentenmarkt nachhaltig erschüttert. Am Aktienmarkt sah es zunächst nicht viel besser aus, da die Unternehmen erst nach Veröffentlichung der DM-Eröffnungsbilanzen, die erst ab 1951 nach und nach publiziert wurden, bewertet werden konnten. Die westdeutschen Politiker und Finanzexperten trauten dem Wertpapiermarkt auf absehbare Zeit keine große Rolle bei der Finanzierung des Wiederaufbaus zu. Die anglo-amerikanischen Besatzungsmächte setzten dagegen große Hoffnungen darin, dass der Wertpapierabsatz schnell wieder aufleben und eine tragende Rolle bei der Aufbringung und Verteilung von Kapital spielen könnte. Entsprechend waren es die Militärgouverneure, die zuerst auf dem Gebiet der Kapitalmarktpolitik aktiv wurden. Sie wollten vor allem sicherstellen, dass das westdeutsche Kapital ausschließlich für gesamtwirtschaftlich vorrangige Zwecke eingesetzt wurde und so die ERP-Hilfe effektiv ergänzen konnte. Dafür sahen sie – wie beim Marshallplan selbst – kapitallenkende Maßnahmen als geeignete Instrumente an. Die Finanzexperten in den westdeutschen Verwaltungen und die bürgerliche Mehrheit im bizonalen Wirtschaftsrat reagierten mit Bedenken auf solche „planwirtschaftlichen“ Methoden, die sie aufgrund der während der NS-Zeit gemachten Erfahrungen für eine junge Demokratie denkbar schlecht geeignet hielten. Doch erklärten sie sich ohne größeren Widerstand zur Mitarbeit bereit, um mit ihrer Kooperationsbereitschaft die Freigabe der dringend benötigten ERP-Gegenwertmittel zu beschleunigen. Was zunächst einfach anmutete – man konnte zur Kapitallenkung ja auf entsprechende Bestimmungen des NS-Regimes zurückgreifen –, entwickelte sich schließlich zu einem zähen Gesetzgebungsverfahren, das schwierige Abstimmungsbemühungen erforderte und zu langwierigen Auseinandersetzungen sowohl zwischen westdeutschen und den anglo-amerikanischen Entscheidungsträgern als auch innerhalb der westdeutschen Verwaltungen und gesetzgebenden Körperschaften führte. Zwischen der anglo-amerikanischen Militärregierung und den westdeutschen Politikern und Finanzexperten war der Dissens inhaltlicher Natur. Die Alliierten tendierten dazu, die Kontrolle des Kapitalverkehrs umfassend zu gestalten und zu diesem Zweck neben den Wertpapieremissionen auch die langfristigen Ausleihungen der Kapitalsammelstellen einem staatlichen Genehmigungsverfahren zu unterwerfen. Für dieses Verfahren sollten nach Auffassung der Militärregierung nicht Spitzenpolitiker, sondern gemäß den Usancen des New Deal Verwaltungsund Finanzexperten zuständig sein. Auf diese Weise sollte gewährleistet werden,
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dass die Kapitallenkung nüchtern nach gesetzlichen Richtlinien erfolgte und nicht durch aktuelle (partei)politische Auseinandersetzungen beeinträchtigt wurde. Im Gegensatz zur Militärregierung wollten die deutschen Verwaltungsspitzen und Finanzexperten nach den Erfahrungen des NS-Dirigismus, der zwischen 1945 und 1948 auf unrühmliche Weise in Form von Bewirtschaftungsmaßnahmen nachgewirkt hatte, die gesetzlichen Vorschriften zur Kapitallenkung so stark begrenzen wie möglich. Sie neigten dazu, die Kontrolle der Kapitalströme auf den Wertpapiermarkt zu beschränken und dort die Emissionskontrolle den obersten politischen Behörden zuzuweisen. Zudem wollten sie explizite gesetzliche Richtlinien vermeiden, um Entscheidungen möglichst „flexibel“ treffen zu können. Für andere Bereiche des organisierten Kapitalmarkts sahen die westdeutschen Entscheidungsträger – in guter alter Tradition – „freiwillige“ Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft vor, um Kapital für bestimmte Investitionsvorhaben verfügbar zu machen. Auf innerdeutscher Seite kam es ebenfalls zu zähen Auseinandersetzungen um die Kapitalkontrolle. Sie betrafen allerdings kaum inhaltliche, ordnungspolitisch relevante Aspekte. Dies lag zum einen daran, dass sich die bürgerliche Mehrheit in den Verwaltungen und im Wirtschaftsrat – ohne nennenswerten Widerstand der SPD – darauf verständigen konnte, die Kapitalverkehrskontrolle auf den Wertpapiermarkt zu beschränken. Zum anderen vermieden die Parteien im Vorfeld der ersten Bundestagswahlen bzw. während der Verhandlungen zum Grundgesetz jegliche ordnungspolitischen Grundsatzdiskussionen. Sie wollten hinsichtlich der zukünftigen Wirtschaftsordnung kein Präjudiz schaffen, indem sie sich in heiklen Streitfragen – und dazu zählte neben der Konzeption des Marshallplans, der marktwirtschaftliche Ziele mit lenkungswirtschaftlichen Instrumenten zu erreichen versuchte, auch die eng mit ihm verbundene Kapitalverkehrskontrolle – eindeutig festlegten. Entsprechend formulierten sie ordnungspolitisch relevante Gesetze so vage, dass sie einen denkbar weiten Interpretationsspielraum zuließen, der von der ersten Bundesregierung je nach parteipolitischer Präferenz mit Inhalt gefüllt werden konnte. Wenn es in der westdeutschen Legislative und Exekutive in der Frage der Emissionskontrolle dennoch zu Konflikten kam, dann in erster Linie deshalb, weil man sich um Zuständigkeiten und Einflussmöglichkeiten stritt. Die Konfliktlinien verliefen dabei weniger zwischen den politischen Parteien als zwischen den Zentral- und Länderverwaltungen einerseits sowie zwischen den Finanz- und Wirtschaftsverwaltungen andererseits. Unternehmen und Wirtschaftsverbände waren im Jahr 1949 nicht in der Lage, nennenswerten Einfluss auf die Vorbereitungen zum Kapitalverkehrsgesetz zu nehmen. Letztlich sorgte eine Mischung aus dilatorischer Behandlung, Missverständnissen und mangelnden alliierten Vorgaben dafür, dass die westdeutschen Politiker ihre Vorstellungen gegenüber der Militärregierung weitgehend durchsetzen konnten: 1) Das Kapitalverkehrsgesetz beschränkte die Kontrolle von Kapitalbildung und Investitionen auf den Wertpapiermarkt; wichtige Kapitalsammelstellen (Sparkassen, Versicherungen) wurden von den Behörden auf Basis „freiwilliger Selbstverpflichtungen“ dazu angehalten, ihr Vermögen anteilig in bestimmten Wirtschaftsbranchen, insbesondere im sozialen Wohnungsbau, anzu-
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legen. 2) Das Kapitalverkehrsgesetz beinhaltete keine detaillierten, nachprüfbaren Kriterien als Grundlage der Beurteilung von Emissionsanträgen. 3) Die Entscheidungskompetenz lag nicht in den Händen von Finanzexperten, sondern auf höchster politischer Ebene beim Bundesfinanzministerium, beim Bundeswirtschaftsministerium und bei der BdL, die ihre Vertreter in den Kapitalverkehrsausschuss entsandten. De iure war das Gesetz ein dirigistisches Instrument, da es das Potenzial hatte, die Marktgesetze in einem wichtigen Segment des organisierten Kapitalmarktes weitgehend auszuschalten: Marktzutritt, Emissionsbedingungen, Emissionsvolumina und Verwendungszweck der Emissionen unterlagen der staatlichen Genehmigungspflicht. De facto kann aber nur sehr bedingt von einer Kapitallenkung gesprochen werden. Die westdeutschen Entscheidungsträger sahen das – von den Alliierten nahezu aufgedrängte – Kapitalverkehrsgesetz nicht als ein wichtiges Instrument an, dem Wertpapiermarkt eine führende Rolle in der Aufbaufinanzierung zuzuweisen. Zu groß war ihr Zweifel an der Kapitalkraft des Wertpapiermarktes. Weder waren mit dem Kapitalverkehrsgesetz Projektionen über zu erreichende quantitativen Zielgrößen verbunden noch wurde der Wertpapiermarkt als wünschenswerte Finanzierungsquelle für bestimmte Wirtschaftsbereiche vorgesehen. Erst recht enthielt das Gesetz keinerlei Anreize für Anleger, ihr Vermögen in Wertpapieren anzulegen. In der Praxis kam dem Kapitalverkehrsausschuss schon allein deshalb keine größere Bedeutung zu, weil er im Vergleich zu den gesamtwirtschaftlichen Investitionen nur mit einem geringen Kapitalvolumen befasst war. Von den Emissionswünschen, die an ihn herangetragen wurden, lehnte er nur wenige ab. Seine Genehmigungen machte er von wenigen Auflagen abhängig, über deren Beachtung er nur geringe Kontrolle besaß. Die eigentliche Kapitallenkung, d.h. die Auswahl von Investitionsprojekten, erfolgte daher in den Jahren 1949 bis 1952 kaum zentral durch den Kapitalverkehrsausschuss, sondern in erster Linie dezentral durch die Wertpapierabnehmer. Denn aufgrund des behördlich festgelegten niedrigen Zinsniveaus und der hohen Kursrisiken operierten kaum private Anleger am Wertpapiermarkt. Das Kapitalangebot war so rar, dass die Emittenten den Wertpapierkäufern beim Verwendungszweck der Emissionserlöse weit entgegenkommen mussten. Da es sich bei den Abnehmern weitgehend um öffentlichrechtliche Körperschaften handelte, floss der größte Teil des Kapitals in die von ihnen favorisierten Kanäle, und das hieß: in den sozialen Wohnungsbau. So blieb die Lage am Wertpapiermarkt unter dem Kapitalverkehrsgesetz zwischen 1949 und 1952 weitgehend unverändert: Die relativ wenigen Emissionsanträge betrafen vorwiegend Pfandbriefe und Kommunalobligationen, die sowohl für die erste Hypothek im sozialen Wohnungsbau als auch für das Geschäftsmodell der Realkreditinstitute, die als „Daueremittenten“ existenziell auf den Wertpapiermarkt angewiesen waren, von Bedeutung waren. Die Wirtschaftsunternehmen beantragten dagegen als „Einmalemittenten“ aufgrund der schlechten Absatzsituation kaum Industrieobligationen und wichen auf andere, meist kostengünstigere Finanzierungsformen aus (Selbstfinanzierung, Schuldscheindarlehen, fortlaufend prolongierte kurzfristige Kredite). Auch die öffent-
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liche Hand war aufgrund der ausgeglichenen Haushaltslage nicht auf die Finanzierung außerordentlicher Haushalte über den Rentenmarkt angewiesen. Insgesamt spielte der Wertpapiermarkt somit für die Investitionsfinanzierung nur eine untergeordnete Rolle und blieb weitgehend eine Angelegenheit der öffentlichen Hand, die auf der einen Seite das meiste Kapital anbot und auf der anderen Seite ihre Wohnungsbauprogramme zum Teil aus den Emissionserlösen finanzieren konnte. Die staatliche Dominanz ging einher mit einem fehlenden Marktkontakt der Wertpapiere, der sich vor allem in der Existenz eines „grauen Pfandbriefmarktes“ äußerte, auf dem Pfandbriefe weit unter den offiziellen Emissions- und Börsenkursen gehandelt wurden. In ordnungspolitischer Hinsicht kam es unter dem Kapitalverkehrsgesetz nur zu einer richtungweisenden Diskussion. Sie betraf die behördliche Festlegung der Nominalzinsen am Rentenmarkt, an der sich im Jahr 1950 eine intensive Debatte um die Kapitalmarktpolitik entzündete. In der Debatte begegneten sich Befürworter der staatlichen Emissionskontrolle, die volkswirtschaftlich vorrangige Wirtschaftsbereiche weiterhin mit „billigem Geld“ versorgen wollten, und Anhänger einer eher marktwirtschaftlich orientierten Lösung des Kapitalproblems, die der Auffassung waren, dass der Kapitalmangel sich in einem höheren Preis, sprich: höheren Zinsen, widerspiegeln müsse. Vorerst behaupteten sich die Befürworter der Kapitallenkung, denen sich der ZBR und die Bundesregierung mehrheitlich anschlossen. Sie erwarteten von einer Zinserhöhung keine nennenswerte „Auflockerung“ des Rentenmarktes, da sie als Hauptursache für seine geringe Kapitalkraft nicht die geringen Renditen, sondern die mangelnde Sparfähigkeit der Bevölkerung und die große Scheu der privaten und institutionellen Anleger vor Kursrisiken ansahen. Nach Ausbruch des Koreakriegs erhielt die Kapitalmarktpolitik 1950/51 neue Impulse, als zeitgleich eine Reihe tief greifender gesamtwirtschaftlicher Probleme auftraten, die das Wirtschaftsmodell der jungen Bundesrepublik in Frage stellten. Starke Inflationstendenzen, ein ausgeprägtes Zahlungsbilanzdefizit, drohende Produktionsengpässe in den Bereichen Kohle, Eisen/Stahl und Energie sowie steigende Haushaltausgaben für Verteidigung und Sozialtransfers setzten die Bundesregierung innen- und außenpolitisch stark unter Druck und verlangten ordnungspolitisch weitreichende Grundsatzentscheidungen. Als Königsweg zur Lösung der verschiedenen Probleme galt die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und die Erhöhung des Exports, was nur durch verstärkte Investitionen zur Produktionsausweitung und -rationalisierung realisiert werden konnte. Als wäre die Aufbringung zusätzlichen Kapitals nicht schon schwierig genug gewesen, wurde das Problem dadurch verschärft, dass künftig neue Wege der Investitionsfinanzierung beschritten werden mussten. Denn einige der bis dahin wichtigsten Kapitalquellen drohten zu versiegen: 1) Die investitionspolitischen Spielräume von Bund und Ländern schrumpften, da höhere Haushaltsausgaben absehbar waren und zugleich Verpflichtungen gegenüber der ECA und der OEEC bestanden, ausgeglichene Haushalte vorzuweisen. 2) Neue ERP-Gegen-
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wertmittel standen zu Investitionszwecken kaum mehr zur Verfügung, da der Marshallplan zunächst in ein Rüstungsprogramm umgewandelt und im Jahr 1952 – wie von Beginn an vorgesehen – ganz eingestellt werden sollte. 3) Die Investitionsfinanzierung über kurzfristige Kredite stieß in den Bankbilanzen immer mehr an ihre Grenzen, da der schwache Wertpapiermarkt kein „Atmen der Bilanzen“ zuließ. 4) Die steuerliche Begünstigung der Selbstfinanzierung wurde aus haushalts- und ordnungspolitischen Gründen stark beschnitten. Im Jahr 1951 suchte die Bundesregierung Hände ringend nach neuen, schnell umsetzbaren Lösungen für die Investitionsfinanzierung, insbesondere in den Engpassbereichen der Grundstoffindustrien. Eine Übergangslösung schuf die „Investitionshilfe“ der westdeutschen Wirtschaft, die auf „freiwilliger“ Basis Kapital von der Gesamtheit der Unternehmen auf die Engpassindustrien umleitete. Die Investitionshilfe-Initiative der Wirtschaftsverbände wurde im Bundestag um Steuervergünstigungen für die Grundstoffindustrien erweitert und in Gesetzesform gegossen. War die Investitionshilfe ordnungspolitisch für das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in der frühen Bundesrepublik auch von bemerkenswerter Bedeutung, so war ihre Wirkung auf die Investitionsfinanzierung begrenzt, da sie auf die Engpassindustrien beschränkt blieb und nur von kurzer Dauer war. In den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Überlegungen rückte immer mehr der Wertpapiermarkt, über den nach der enttäuschenden Entwicklung unter dem Kapitalverkehrsgesetz künftig wieder ein größerer Anteil der Investitionsfinanzierung fließen sollte. Dazu war es notwendig, dass er seine Abhängigkeit vom Staat verringerte, das Vertrauen der Anleger wiedergewann und einen nennenswerten Teil des freiwillig aufgebrachten Kapitals an sich zog. Wäre es nach dem Willen der wirtschaftsliberalen Exponenten in Politik und Wirtschaft gegangen, so wäre der Wertpapiermarkt zügig von den Regelungen des Kapitalverkehrsgesetzes befreit und sowohl der Kapitalmarktzins als auch der Marktzutritt freigegeben worden. Damit verbunden war die Hoffnung, dass der Zins wieder seine Auslesefunktion wahrnehmen und mehr privates Kapital an den Wertpapiermarkt locken würde. Dies wiederum sollte den Staat in die Lage versetzen, sich allmählich aus der Investitionsfinanzierung zurückzuziehen, seine Dominanz am Wertpapiermarkt aufzugeben und mittelfristig die Staatsquote zu senken. Allerdings war seit der Zinsdiskussion vom Frühjahr 1950 klar, dass es gegen eine solche marktnahe Lösung gewichtige wirtschafts- und sozialpolitische Vorbehalte gab: Wirtschaftspolitisch lautete das Argument, dass einige volkswirtschaftlich wichtige Wirtschaftsbereiche sehr zinssensibel waren, aufgrund weiterhin gültiger Preisbindungen aber nur mangelnde Gewinnmöglichkeiten besaßen und daher auf dem Wertpapiermarkt kaum konkurrenzfähige Emissionsbedingungen bieten konnten (Kohle, Stahl, Eisen). Sozialpolitisch lautete das Argument, dass die ebenfalls zinssensiblen Investitionen in der Versorgungswirtschaft und im Wohnungsbau möglichst billig finanziert werden sollten, um dadurch eine Preisbindung (für Wohnungsmieten, Strom, Gas, Wasser etc.) auf niedrigem Niveau zu ermöglichen und die Bevölkerung vor zusätzlichen Kostenbelastungen zu schützen. Hinzu kam, dass das Kernproblem der freiwilligen Kapitalbildung,
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die hohen Einkommen- und Körperschaftsteuertarife, weiterhin eine Belebung des Wertpapiermarktes behinderte. Bevor marktwirtschaftliche Verhältnisse am Wertpapiermarkt durchgesetzt werden konnten, bedurfte es daher nach allgemeiner Überzeugung vorab eines Bündels von Maßnahmen. Besondere Bedeutung sollte dabei einer systematisch angelegten „großen Steuerreform“ zukommen, die eine Senkung der Einkommenund Körperschaftsteuertarife sowie eine Einschränkung der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen (zugunsten der Fremdfinanzierung über den Wertpapiermarkt) bewirken sollte. Ein weiterer Schritt sollte die Lockerung der verbliebenen Preisbindungen sein, mit der die betroffenen Wirtschaftsbranchen in die Lage versetzt werden sollten, höhere Kapitalkosten zu tragen und so als Kapitalnachfrager am Wertpapiermarkt konkurrenzfähig zu werden. Da die Bundesregierung aufgrund der starken Inflationstendenzen der Jahre 1950/51 Preiserhöhungen auf breiter Basis ablehnte und da mit der „großen Steuerreform“ frühestens erst im Jahr 1953 zu rechnen war, suchte man nach Übergangsregelungen, um die Investitionsfinanzierung über den Wertpapiermarkt möglichst rasch auszuweiten. Zunächst zielten die Bemühungen sogar auf eine Ausweitung der Kapitallenkung, wie sie die Forderungen der US-Amerikaner nach Bewirtschaftung der knappen Rohstoffe und Ressourcen während der Koreakrise nahe legte. Ende 1951 nahm jedoch ein informelles, hochkarätig zusammengesetztes Gremium aus Bundesministern, führenden Bundestagsabgeordneten der Regierungsparteien und den beiden Präsidenten der BdL die Kapitalmarktpolitik in die Hand, um sie stärker marktwirtschaftlich auszurichten. Die Zusammensetzung des Gremiums, des so genannten „Scharnberg-Ausschusses“, lässt den Schluss zu, dass er mit der Absicht ins Leben gerufen wurde, im vorparlamentarischen Raum einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Die im Ausschuss versammelten Spitzenpolitiker und Zentralbanker hegten zum überwiegenden Teil wirtschaftsliberale Überzeugungen. Es waren aber auch Persönlichkeiten dabei, die mit Blick auf die geringe private Kapitalbildung einerseits und die Finanzierungsbedürfnisse des sozialen Wohnungsbaus andererseits zögerten, den Marktgesetzen freien Lauf zu lassen. Zu ihnen zählten Bundesfinanzminister Schäffer, Bundeswohnungsbauminister Wildermuth und der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Geld und Kredit, Hugo Scharnberg. Die Ausschussmitglieder verfolgten vor allem zwei Ansätze, um die dirigistischen Instrumente des Kapitalverkehrsgesetzes zu überwinden: Auf der Kapitalnachfrageseite wollten sie das staatliche Einwirken auf den Wertpapiermarkt abschwächen, indem künftig alle Emittenten ungehinderten Zugang zum Wertpapiermarkt erhalten und die Wahl der Emissionsbedingungen weitgehend selbst bestimmen sollten. Auf der Angebotsseite sah der „Scharnberg-Ausschuss“ vor, die Wertpapierrendite zu erhöhen und so vermehrt Geldvermögen an den Wertpapiermarkt zu locken. Als potenzielle Wertpapierkäufer hatten die Politiker nicht nur die privaten Haushalte mit gehobenem Einkommen im Blick, sondern auch Wirtschaftsunternehmen, bei denen sich nach Einschränkung der steuerbegünstigten Selbstfinanzierung erhebliche liquide Mittel angesammelt hatten. Trotz des
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freien Marktzugangs, dem Verzicht auf behördlich verordnete Emissionsbedingungen und des Wunsches nach einer Steigerung der Wertpapierrenditen wollte der „Scharnberg-Ausschuss“ aber verhindern, dass die Zinsen am Rentenmarkt stark anstiegen und zu einem existenziellen Problem für die zinsempfindlichen Emittenten wurden. Daher sprach er sich dafür aus, das gesamte Zinsniveau nach oben hin abzuschirmen. Als probates Mittel für die genannten Ziele betrachteten die Mitglieder des „Scharnberg-Ausschusses“ die Einführung von Steuererleichterungen für Wertpapiererträge, die je nach Wertpapiertyp gestaffelt werden sollten. Im Prinzip beabsichtigten sie, die am Wertpapiermarkt erzielbaren Renditen steuerpolitisch zu manipulieren, um so das Zinsniveau am Rentenmarkt und damit die Kapitalkosten der Emittenten gering zu halten. Für die Kosten der angestrebten Renditesteigerung sollten dabei nicht in erster Linie die Emittenten selbst, sondern die Steuerzahler aufkommen. Dem Konkurrenzprinzip wurde damit am Wertpapiermarkt nicht zum Durchbruch verholfen. Vielmehr sollte der Staat weiterhin mehr als nur regulierend in den Markt eingreifen, indem er mit steuerpolitischen Interventionen eindeutige Vorteile sowohl für bestimmte Anleger- als auch für ausgewählte Emittentengruppen schuf. Das aus den Vorarbeiten des „Scharnberg-Ausschusses“ hervorgegangene Kapitalmarktförderungsgesetz hob die staatliche Kontrolle der Emissionsbedingungen, des Emissionsvolumens und des Verwendungszwecks von Emissionserlösen weitgehend auf. Es befreite die Erträge von neu emittierten Pfandbriefen und Kommunalobligationen des sozialen Wohnungsbaus, von Bundes- und Länderanleihen sowie von bestimmten, „förderungswürdigen“ Emissionen von allen Ertragsteuern. Die übrigen Neuemissionen, etwa Industrieobligationen und Gemeindeanleihen, belegte das Gesetz mit einer moderaten pauschalen Kapitalertragsteuer in Höhe von 30 Prozent. Aus der Zweiteilung der Steuervergünstigungen sollte bei allen Rentenwerten eine ungefähr gleiche Rendite resultieren. Dabei sollte der steuerfreie Pfandbrief mit einem Nominalzins von fünf bis 5,5 Prozent den Anker des Zinsgefüges bilden, da er durch die Richtsatzmieten im sozialen Wohnungsbau weitgehend gebunden war. Wertpapiere, die mit 30prozentiger Kapitalertragsteuer belegt waren, mussten eine Nominalverzinsung von sieben bis acht Prozent anbieten, um eine ähnlich Rendite zu bieten. Eine „Strafsteuer“ in Form einer 60-prozentigen Kapitalertragsteuer war für Anleihen vorgesehen, deren Nominalzinsen über dieses Niveau hinausgingen und den Absatz von Sozialpfandbriefen und Kommunalobligationen zu stören drohten. Auf diese Weise wurden die niedrig verzinsten Emissionen des sozialen Wohnungsbaus davor bewahrt, durch Anleihen von Unternehmen oder öffentlichen Gebietskörperschaften vom Markt verdrängt zu werden. Als zweiten Pfeiler der Kapitalmarktreform hatte der „Scharnberg-Ausschuss“ neben der steuerlichen Förderung der Wertpapiererträge ursprünglich die Umwandlung der Sparförderung vorgesehen. Er plante, die steuerliche Förderung von Kapitalansammlungsverträgen abzuschaffen und stattdessen Steuerbegünstigungen in Form von Sparprämien einzuführen. Damit sollten die Nachteile der Kapitalansammlungsverträge (überdurchschnittliche Vorteile für höhere
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Einkommen, dreijährige Sperrfrist) beseitigt und insbesondere das Interesse der Privathaushalte mit höherem Einkommen für den Wertpapiererwerb geweckt werden. Doch während der Gesetzgebungsarbeiten wurde dieser Teil der Kapitalmarktreform aus verwaltungstechnischen Gründen ausgeklammert und schließlich erst nach mehrjähriger Verzögerung Anfang 1959 umgesetzt. Auch hatte der „Scharnberg-Ausschuss“ vorgeschlagen, Aktiendividenden gleichfalls pauschal mit einer moderaten 30-prozentigen Kapitalertragsteuer zu belegen. Aber dagegen regte sich so großer Widerstand, dass die Förderung der Aktie auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde. Die Maßnahmen für den Rentenmarkt erhielten Vorrang, da hier die Dringlichkeit höher eingeschätzt wurde, das nach der Währungsreform verloren gegangene Vertrauen der Anleger wieder herzustellen. Die Regelungen des Kapitalmarktförderungsgesetzes wurden von den Zeitgenossen sehr unterschiedlich interpretiert. Befürworter marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien sahen das Gesetz als einen ersten Schritt an, die „Bewirtschaftung des Kapitals“ hinter sich zu lassen und den Wettbewerb auf dem Wertpapiermarkt zu erhöhen. Diejenigen, die der Sozialpolitik vorrangige Bedeutung zumaßen, erkannten in dem Gesetz eine geeignete Maßnahme, den sozialen Wohnungsbau weiterhin vor starker Konkurrenz zu schützen. Den Befürwortern einer stärker planwirtschaftlich orientierten Politik bot das Konzept schließlich die Aussicht, die Belebung des Wertpapiermarktes dazu zu nutzen, das aufgebrachte Kapital stärker von zentraler Stelle aus – über den weiterhin tätigen Kapitalverkehrsausschuss – in „förderungswürdige“ Engpassbereiche zu lenken. Die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten weisen darauf hin, dass es sich bei dem Gesetz um einen mühsamen Kompromiss handelte, der im Grunde von keiner Seite einhellig begrüßt und nur als vorübergehende „Notlösung“ akzeptiert wurde. Dies trifft auch auf die Interessenvertreter der Industrie und Finanzwirtschaft zu, die in den Gesetzesberatungen keine einheitliche Linie verfolgten und daher keinen größeren Einfluss ausüben konnten. Auch wenn der Gesetzgeber mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz keine konsequente ordnungspolitische Linie verfolgte, kann es doch nicht einfach – wie von vielen Zeitgenossen – als kurzatmige ad hoc-Maßnahme disqualifiziert werden. Denn die komplexe Ausgangslage erforderte nun einmal die Rücksichtnahme auf zahlreiche Einzelprobleme, für die der Gesetzgeber schließlich einen filigranen Lösungsansatz fand. In der Praxis erwies es sich dann allerdings, dass das Gesetz den vielfältigen Anforderungen nicht gerecht werden konnte und seine Wirkungen äußerst zwiespältig ausfielen. Ausgesprochen positiv war, dass der Absatz von festverzinslichen Wertpapieren in den Jahren 1953/54 dank der Steuervergünstigungen stark zunahm. Der Wertpapiermarkt stieg wieder zu einem ernstzunehmenden Faktor in der langfristigen Finanzierung auf: Die erste Hypothek im Wohnungsbau konnte über den Rentenmarkt gesichert werden, der Staat konnte die Investitionen über außerordentliche Haushalte ausweiten und die Industrie konnte – nach Einschränkung der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten – einen höheren Anteil der Investitionen über den Wertpapiermarkt finanzieren – und dies alles mit einer vergleichsweise geringen Zinsbelastung. Diesem Erfolg
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stand allerdings eine Reihe von gewichtigen Problemen gegenüber, die das Kapitalmarktförderungsgesetz nicht lösen konnte bzw. selbst erst schuf. So kritisierten zahlreiche Zeitgenossen, dass mit dem Gesetz die „Steuersystematik“ in eklatanter Weise durchbrochen wurde, indem Kapitaleinkommen im Durchschnitt wesentlich niedriger versteuert wurden als sonstige Einkommen wie Gehälter, Mieteinnahmen etc. – mit den entsprechenden sozialen Auswirkungen. Zudem spalteten die gesetzlichen Regelungen den Rentenmarkt auf der Anlegerseite in verschiedene Teilmärkte auf, die kaum miteinander in Kontakt standen, da die Rendite der Wertpapiere weniger von den Zinsen als vielmehr von den Steuerbegünstigungen bestimmt wurde: Die Attraktivität der Wertpapiere war von der Steuerbelastung des einzelnen Käufers abhängig und Privathaushalte mit höherem Einkommen zogen aufgrund der stark progressiven Einkommensteuer sehr viel größeren Nutzen aus den Steuervergünstigungen als Privathaushalte mit mittlerem oder niedrigem Einkommen. Ebenso profitierten tarifbesteuerte Unternehmen in viel größerem Maße von den gesetzlichen Bestimmungen als Kapitalsammelstellen mit ermäßigter Steuerlast (Lebensversicherungen, Sparkassen, Sozialversicherungsträger etc.). Da das Kapitalmarktförderungsgesetz gerade für die liquiden Geschäftsbanken und Unternehmen attraktive Renditen schuf, wurden sie zu den Hauptabnehmern von neu emittierten Wertpapieren. Damit lösten sie zwar den Staat als dominierenden Kapitalanbieter ab, aber der Rentenmarkt geriet in eine große Abhängigkeit von der Liquiditätslage der Banken und Unternehmen, und damit vom Geldmarkt. Dagegen gelang es nicht, mit den Steuerbegünstigungen ein vorrangiges Ziel zu erreichen: Obwohl eine Kombination der staatlichen Förderungen (Begünstigung der Wertpapiererträge und Förderung der Kapitalansammlungsverträge) bei Festverzinslichen hohe Renditen von 20 Prozent und mehr pro Jahr ermöglichte, waren die privaten Haushalte immer noch nicht bereit, ihr Vermögen in nennenswertem Umfang in festverzinslichen Wertpapieren anzulegen. Auf der Nachfrageseite schuf das Kapitalmarktförderungsgesetz ebenfalls Ungleichgewichte. Aufgrund ihrer Steuerfreiheit waren die Bundes- und Länderanleihen, die obendrein mit sehr kurzen Laufzeiten ausgestattet wurden, für Anleger so attraktiv, dass sie stark nachgefragt waren und auch in großem Umfang aufgelegt wurden. Der Vorwurf der Wirtschaftsverbände, dass sich der Staat mit dem Kapitalmarktförderungsgesetz eine Vorzugsstellung am Wertpapiermarkt habe einräumen wollen, war daher kaum von der Hand zu weisen. Ein noch größeres Problem stellten die Realkreditinstitute dar, die den Rentenmarkt mit steuerfreien Sozialpfandbriefen geradezu überfluteten. Diese waren zwar, wie alle anderen Festverzinslichen, angesichts der anhaltenden Flüssigkeit am Geldmarkt stark nachgefragt, verhinderten aufgrund ihrer schieren Masse aber ein Sinken des Zinsniveaus am Rentenmarkt. Da das Kapitalmarktförderungsgesetz keine Steuervergünstigungen für Aktien vorsah, vergrößerte es die Renditeunterschiede zwischen dem Rentenmarkt und dem – aufgrund der niedrigen Dividendenausschüttungen, der Doppelbesteuerung etc. – renditeschwachen Aktienmarkt noch mehr, so dass die Nachfrage der Privatanleger nach Aktien gering blieb. Massive Versuche des Bundeswirt-
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schaftsministeriums, den Aktienbesitz ebenfalls in die staatliche Förderung einzubeziehen, scheiterten wiederholt am Widerstand von Bundesfinanzminister Schäffer, der auch nach 1952, als die Ressortzuständigkeit für den Bereich Geld und Kredit an das Bundeswirtschaftsministerium übergegangen war, die Kapitalmarktpolitik stärker zu prägen vermochte als Bundeswirtschaftsminister Erhard. Nach zwei Jahren setzte der Gesetzgeber das Kapitalmarktförderungsgesetz wie geplant Ende 1954 außer Kraft, so dass fortan alle steuerlichen Sonderregelungen für den Wertpapiermarkt entfielen. Anders als von Politikern und Wirtschaftsexperten befürchtet, verlief der Übergang auf freie Marktverhältnisse weitgehend reibungslos. Dank einer robusten Konjunktur, eines sehr flüssigen Geldmarkts und zunehmenden Vertrauens in die Stabilität der jungen Währung konnte der Verzicht auf Steuerbegünstigungen ohne bedrohliche Kurs- und Zinsschwankungen am Rentenmarkt bewerkstelligt werden. Weiterhin flossen Mittel in großem Volumen vom Geld- auf den Rentenmarkt und führten dort zu einer so großen Wertpapiernachfrage der Kreditinstitute und Wirtschaftsunternehmen, dass sich die Zinsen im ersten Halbjahr 1955 auf einem unerwartet niedrigen Niveau bewegten. Die Aktie erlebte nach der Milderung der Doppelbesteuerung in der „kleinen“ und „großen“ Steuerreform sogar seine „Renaissance“ als langfristiges Finanzierungsinstrument. Die große Ungewissheit, die über dem Geschehen am Rentenmarkt schwebte, war allerdings, wie lange die Kreditinstitute und Unternehmen ihre umfangreichen Wertpapierbestände im Portefeuille würden halten können. Diese hatten in den Jahren 1953/54 Wertpapiere vor allem aufgrund der Steuervorteile erworben und es war vorherzusehen, dass sie sich von Teilen ihres Wertpapierbestandes würden trennen müssen, sobald sich ihre Liquiditätslage verschlechterte. Als die BdL ihre Geldpolitik im Herbst 1955 zunehmend restriktiv gestaltete, wurde die große Abhängigkeit des Wertpapiermarktes vom Geldmarkt sichtbar. Vor allem der Rentenmarkt geriet in die Bredouille, da sich hier Kapitalnachfrage und Kapitalangebot immer weiter voneinander entfernten: Die Kapitalbildung der privaten Haushalte nahm aufgrund von Inflationsängsten und zunehmender Konsumbereitschaft ab, während gleichzeitig die Nachfrage der Unternehmen nach Investitionskapital im Wirtschaftsboom stetig zunahm. Die Kreditinstitute und Unternehmen konzentrierten ihren Mitteleinsatz zunehmend auf den eigenen Geschäftsbetrieb, verzichteten auf den Erwerb von Wertpapieren und gingen schließlich dazu über, ihre Wertpapierbestände zu veräußern, um an liquide Mittel zu kommen. Die Situation am Rentenmarkt wurde dadurch verschärft, dass die Rentenversicherungsträger im Vorfeld der Rentenreform, die eine Umstellung von der kapitalgedeckten auf die beitragsgedeckte Finanzierung vorsah, den Erwerb von Pfandbriefen und Kommunalobligationen spürbar einschränkten. Infolge des Absatzrückgangs gerieten die Kurse am Rentenmarkt unter enormen Druck. Die Wertpapierbesitzer erlitten schmerzhafte Verluste, sofern sie für ihre Wertpapiere überhaupt einen Käufer fanden, denn größerer Wertpapierbestände fanden kaum
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noch Abnehmer. Am Primärmarkt konnte selbst ein erheblicher Anstieg des Zinsniveaus nicht verhindern, dass die Unterbringung neuer Wertpapiere 1955/56 gegenüber den Vorjahren deutlich zurückging. Zu groß war die Furcht der Anleger und Investoren vor weiter steigenden Zinsen und damit einhergehenden Kursverlusten. Unter dem schleppenden Wertpapierabsatz litten insbesondere die Realkreditinstitute und schon bald läuteten angesichts von klaffenden Finanzierungslücken im Wohnungsbau und in der Landwirtschaft die Alarmglocken. Da die erste Hypothek für das Jahr 1957 nicht mehr gesichert schien, griff der Staat nochmals mit einer vorübergehenden Ausweitung der Steuerbegünstigungen für Kapitalansammlungsverträge zugunsten des sozialen Wohnungsbaus in die Kapitalbildung ein. Doch war dies ein letzter, nur kurzfristig wirkender Eingriff. Im Frühjahr 1957 beendete der Staat endgültig seine steuerpolitischen Experimente am Wertpapiermarkt, da die Bundesministerien, die BdL und die meisten Wirtschaftsverbände inzwischen davon überzeugt waren, dass die damit verbundenen Nachteile die Vorteile bei weitem überwogen. Das Hauptinteresse der Bundesregierung galt mittlerweile nicht mehr der generellen Förderung der Kapitalbildung, sondern dem gesellschaftspolitischen Ziel, das Eigentum möglichst breit in der Bevölkerung (etwa durch Volksaktien, Kapitalanlagegesellschaften etc.) zu streuen. Die kapitalmarktpolitische Diskussion im Jahr 1957 führte zu dem Ergebnis, dass nicht nur die abnehmende Kapitalbildung und die angespannte Liquiditätssituation der Wirtschaft an der Unruhe des Rentenmarkts schuld war, sondern auch eine überbordende, ungezügelt auf den Markt drängende Kapitalnachfrage. Die verschiedenen Emittentengruppen beschuldigten sich gegenseitig, zu viele Neuemissionen (mit ungeeigneten Konditionen) ausgegeben zu haben, ohne den Unterbringungsmöglichkeiten genügend Beachtung geschenkt zu haben. Sie verständigten sich daher darauf, das Geschehen am Primärmarkt zukünftig enger miteinander abzustimmen. An dieser Stelle wurde die Bundesregierung noch einmal aktiv, indem sie die Errichtung des Zentralen Kapitalmarktausschusses als informelles Gremium der führenden Emissions- und Konsortialbanken billigte und ihm – ohne spezifische rechtliche Regelungen – Befugnisse zugestand, die bis dahin allein staatlichen Stellen vorbehalten gewesen waren. Die Bundesregierung ging offenbar davon aus, dass die Kreditwirtschaft die Probleme des Rentenmarkts mit „leichter Hand“ besser und dauerhaft lösen konnte. Die im Zentralen Kapitalmarktausschuss versammelten Kreditinstitute wandten im Grunde ähnliche dirigistische Instrumente an, die mit dem Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes im Jahr 1952 abgeschafft worden waren und die der Staat selbst nicht mehr anwenden wollte: Sie konnten Emissionsbedingungen (Nominalzins, Laufzeiten, Emissionszeitpunkt) und Emissionsvolumina zwar nicht rechtlich bindend vorschreiben, aber entscheidenden Einfluss darauf nehmen. Zudem versuchten sie offenbar, in gewissem Maße eine Kapitallenkung durchzuführen, indem sie Emissionen zum Zwecke der Produktivitätssteigerung bevorzugten. War der Rentenmarkt seit Inkrafttreten des Kapitalmarktförderungsgesetzes auf der Nachfrageseite in eine verstärkte Abhängigkeit von den Kredit-
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instituten als Wertpapierkäufer geraten (wodurch die Krise der Jahre 1955 bis 1957 mit ausgelöst wurde), so konnten diese über den Zentralen Kapitalmarktausschuss ihren Einfluss zweifellos auch auf der Angebotsseite ausdehnen. Es bedarf noch eingehender wirtschaftshistorischer Studien, um das Verhalten der Bankenvertreter im Zentralen Kapitalmarktausschuss, ihre Einflussnahme auf das Geschehen am Rentenmarkt, ihre damit verfolgten Interessen und ihr Verhältnis zu den staatlichen Behörden zu analysieren. Es steht die Frage im Raum, ob die Kreditinstitute – mit staatlicher Billigung – in der Art eines Kartells agierten, den Wettbewerb spürbar beschnitten und beispielsweise dazu beitrugen, das im Ausland berüchtigte „fortress Germany“ zu bilden, das konkurrierende Auslandsbanken bis in die Siebziger- und Achtzigerjahre hinein vom deutschen Primärmarkt fernhielt.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABC ................ Allied Banking Commission ACA ...................... Allied Control Authority Abt. ............................................. Abteilung AG ................................. Aktiengesellschaft AHC/AHK .......... Allied High Commission/ .................. Alliierte Hohe Kommission AVBRD .......... Akten zur Vorgeschichte der .............. Bundesrepublik Deutschland BA Ko ...................... Bundesarchiv Koblenz BBk ........................... Deutsche Bundesbank BGB ......................Bürgerliches Gesetzbuch BICO ...................... Bipartite Control Office BDI Bundesverband der Deutschen Industrie BdL ..........................Bank deutscher Länder BGBl. .............................. Bundesgesetzblatt BMF ......... Bundesministerium der Finanzen BMI ..............Bundesministerium des Innern BMJ .............. Bundesministerium der Justiz BMWi .... Bundesministerium für Wirtschaft CCAC .. Combined Civil Affairs Committee CCG/BE ................ Control Commission for ..................... Germany/British Element CDU ......... Christlich-Demokratische Union CSU ...................... Christlich-Soziale Union DIHT .. Deutscher Industrie- und Handelstag EAC ......... European Advisory Commission ECA Economic Cooperation Administration ERP ................ European Recovery Program EStG .......................Einkommensteuergesetz EZU ................. Europäische Zahlungsunion FAZ ........... Frankfurter Allgemeine Zeitung FDP ................... Freie Demokratische Partei GARIOA .... Government Appropriations for ...................... Relief in Occupied Areas GB/BHE...Gesamtdeutscher Block/ Bund der ... Heimatvertriebenen und Entrechteten GDF ...... Gemeinsamer Deutscher Finanzrat Ges.dok. ................. Gesetzesdokumentation GmbH Gesellschaft m. beschränkter Haftung HA BBk Historisches Archiv der Deutschen ........................................... Bundesbank
JB ..........................................Jahresbericht Jg. ................................................ Jahrgang KfW ............ Kreditanstalt für Wiederaufbau KVA ................... Kapitalverkehrsausschuss KVG .......... Gesetz über den Kapitalverkehr ................................................von 1949 KVVO Verordnung über den Kapitalverkehr ................................................von 1941 LZB ................................ Landeszentralbank o. D. .......................................... ohne Datum OECD ............... Organization for Economic .............. Cooperation and Development OEEC .................. Organization of European ........................ Economic Co-operation OMGUS ...... Office of Military Government ............................... for Germany (U.S.) PA Parlamentsarchiv, Deutscher Bundestag pag. ........................................... Paginierung RGBl. ................................ Reichsgesetzblatt RLC ........ Reconstruction Loan Corporation RM ........................................... Reichsmark SBZ ................. Sowjetische Besatzungszone SHAEF ......... Supreme Headquarters Allied .............................. Expeditionary Force SPD ................... Sozialdemokratische Partei ...................................................Deutschlands TOP ............................. Tagesordnungspunkt USGCC ............U.S. Group Control Council VfF .......................Verwaltung für Finanzen VfW ................... Verwaltung für Wirtschaft VELF ................ Verwaltung für Ernährung, ...................Landwirtschaft und Forsten WiGBl. ..............Gesetzblatt des Vereinigten ............................... Wirtschaftsgebietes WP .......................................... Wahlperiode ZBR ...... Zentralbankrat der Bank deutscher ................................................... Länder ZfgK .....Zeitschrift für das ges. Kreditwesen
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS UNGEDRUCKTE QUELLEN Bundesarchiv Koblenz: Z 45 F Z1 Z3 Z4 Z8 Z 13 Z 28
Office of Military Government for Germany (U.S.) (OMGUS) Länderrat der amerikanischen Besatzungszone Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Direktorialkanzlei des Verwaltungsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Gemeinsamer Deutscher Finanzrat/ Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes B 102 Bundesministerium für Wirtschaft B 126 Bundesministerium der Finanzen B 134 Bundesministerium für Wohnungsbau B 169 Bank deutscher Länder Kabinettsprotokolle der Bundesregierung und des Kabinettsausschusses für Wirtschaft (Kabinettsprotokolle online) Plenarprotokolle des Bundesrats (www.bundesrat.de) Archiv des Deutschen Bundestags (Parlamentsarchiv): Bestand 1 Zonenbeirat der britischen Besatzungszone Bestand 2 Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Ausschuss für Geld und Kredit (erste und zweite Wahlperiode) Ausschuss für Wirtschaftspolitik (erste und zweite Wahlperiode) Ausschuss für Finanz- und Steuerfragen (erste und zweite Wahlperiode) Ausschuss für Wiederaufbau und Wohnungswesen (erste und zweite Wahlperiode) Ausschuss für ERP-Angelegenheiten (erste Wahlperiode) Gesetzesdokumentation I/363 A und I/363 B (Erstes Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts) Gesetzesdokumentation I/365 A (Gesetz über den Kapitalverkehr [1952]) Gesetzesdokumentation I/366 A (Gesetz zur Aufhebung der Dividendenabgabeverordnung) Deutsche Bundesbank, Historisches Archiv: B 330 (Bank deutscher Länder/ Bundesbank)
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ANHANG
1. Auflegung von festverzinslichen Wertpapieren und Aktien in der Bundesrepublik Deutschland Juli 1948 – Dezember 1954 (Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948 – 1954, S. 232) 2. Absatz von festverzinslichen Wertpapieren und Aktien in der Bundesrepublik Deutschland Juli 1948 – Dezember 1954 (Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948 – 1954, S. 233) 3. Absatz von festverzinslichen Wertpapieren in der Bundesrepublik Deutschland nach Käufergruppen Juni 1951 – Dezember 1954 (Statistisches Handbuch der Bank deutscher Länder 1948 – 1954, S. 234) 4. Gesetz über den Kapitalverkehr vom 2. September 1949 (WiGBl. 1949, S. 305) 5. Erstes Gesetz zur Förderung des Kapitalmarkts vom 16. Dezember 1952 (BGBl. I, 1952, S. 793-796)
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Winfried Lampe
Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation Deutsche Großbanken in den Jahren 1914 bis 1923 Schriftenreihe des Instituts für Bankhistorische Forschung – Band 24
Winfried Lampe Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation 2012. 440 Seiten mit 64 Tabellen. Kart. ISBN 978-3-515-10100-4
Die traditionelle Bankbetriebslehre sieht grundsätzlich keine Probleme bei der Bewältigung des inländischen Geldwertrisikos durch den Bankbetrieb. Solange der Bankbetrieb das „Prinzip der Wertgleichheit“ realisiert, jederzeit Forderungen und Verbindlichkeiten, Realwerte und Eigenkapital im Gleichgewicht hält, ist er gegen Geldwertschwankungen immun. Die Erfahrungen der Banken in der großen deutschen Inflation mit sehr hohen Eigenkapitalverlusten stellen diesen einfachen theoretischen Ansatz infrage. Winfried Lampe analysiert detailliert die betriebswirtschaftliche Entwicklung von Commerzbank, Deutscher Bank und Dresdner Bank in den unterschiedlichen Phasen der Geldentwertung und unterzieht das „Prinzip der Wertgleichheit“ einer kritischen Überprüfung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Banken leichte bis mittlere Geldentwertung durch entsprechende Geschäftspolitik bewältigen können, Hyperinflation aber durch den unvermeidlichen Einlagenabzug das faktische Ende der Geschäftstätigkeit von Banken bedeutet. Die Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ geht ins Leere. Banken sollten daher ein ureigenes Interesse an einer auf Geldwertstabilität ausgerichteten Geld- und Fiskalpolitik haben.
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Frauke Schlütz
Ländlicher Kredit Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914) Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung – Band 25
Frauke Schlütz Ländlicher Kredit 2013. 471 Seiten mit 19 Abbildungen, 3 Karten und 41 Tabellen. Kart. & 978-3-515-10439-5 @ 978-3-515-10587-3
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Übergang vom Agrar- zum Industriestaat ländliche Kreditgenossenschaften. Frauke Schlütz analysiert erstmals auf der Basis der Originalquellen der Genossenschaften und anhand eines breiten Samples die Entstehung und Entwicklung der Kreditgenossenschaften in den Jahren 1889 bis 1914 – am Beispiel der ehemaligen bergischen Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. Sie untersucht die Gründungsgeschichte und Initiatoren (wie etwa den Landwirtschaftlichen Verein und die Bauernvereine), die Bedeutung der regionalen Genossenschaftsverbände für den Ausbau des Genossenschaftswesens und die innere Ausgestaltung der Kreditgenossenschaften, die Statuten, aus denen sich die Regeln und Verfahren der Kreditvergabe ableiteten sowie das operative Aktiv- und Passivgeschäft. Ein besonderer Blick gilt auch den genossenschaftlichen Zentralkassen als ‚Ausgleichstellen‘ für die Primärgenossenschaften. Zudem werden Leitung und Kontrolle durchleuchtet, hier insbesondere die Revision durch die Genossenschaftsverbände und die Entwicklung der Revisionspraxis. .............................................................................
Aus dem Inhalt Wirtschaft und Gesellschaft: Die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth | Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften | Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz | Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane | Formularwesen und Revision | Geschäftsbezirke und Mitgliederentwicklung | Geschäftstätigkeit | Konkurrenz mit Sparkassen und anderen Bankentypen
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Verena von Wiczlinski
Im Zeichen der Weltwirtschaft Das Frankfurter Privatbankhaus Gebr. Bethmann in der Zeit des deutschen Kaiserreichs 1870-1914 Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung – Band 23
Nach der Blütezeit der Privatbankiers im 18. und frühen 19. Jahrhundert folgte in den Jahren um 1870 für sie eine Phase ernster Herausforderungen. Zwar brachte eine erste Welle der Globalisierung neue Finanzierungsaufgaben mit sich, doch infolge der Entstehung von Groß- und Aktienbanken erwuchs ihnen eine gefährliche Konkurrenz, und speziell die Frankfurter Bankiers mußten auf die Verlagerung des wirtschaftlichen Schwerpunktes im neuen Kaiserreich nach Berlin reagieren. Das Ausgreifen des Deutschen Reiches nach Übersee, sein Eintritt in die „Weltpolitik“ schufen im Zeitalter des Imperialismus neue politische Rahmenbedingungen auch für wirtschaftliche Aktivitäten. Verena von Wiczlinski Im Zeichen der Weltwirtschaft 2011. 410 Seiten. Kart. ISBN 978-3-515-09786-4
Am Beispiel des bereits 1748 gegründeten Frankfurter Privatbankhauses Gebr. Bethmann untersucht die Autorin, wie diese vielfältigen Wandlungsprozesse wahrgenommen und welche Strategien angewandt wurden, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Anhand der Quellen des Bethmannarchivs stellt sie die Frage nach den Handlungsspielräumen von Wirtschaftsakteuren im späten 19. Jahrhundert und zeigt, wie das Bankhaus im Gegensatz zu zahlreichen anderen Privatbanken vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur seine Unabhängigkeit bewahren konnte, sondern auch an unterschiedlichsten Projekten des internationalen Kapitalexportes mitwirkte.
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Der westdeutsche Wiederaufbau nach 1945 erforderte umfangreiche gesamtwirtschaftliche Investitionen. Anfang der Fünfzigerjahre war die große Diskrepanz zwischen Kapitalnachfrage und -angebot das wirtschaftliche Kernproblem der jungen Bundesrepublik, bei dem sich der „funktionsunfähige“ Wertpapiermarkt als größtes Sorgenkind entpuppte. Thorsten Beckers betrachtet die Rolle, die der Wertpapiermarkt in der Investitionsfinanzierung und Kapitalbildung zwischen 1945 und 1957 einnahm, und analysiert, welchen Einfluss die umfangreichen finanz- und geldpolitischen Maßnahmen
hatten, mit denen der Staat auf den drohenden Kapitalmangel reagierte. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der reglementierte Wertpapiermarkt nach 1945 aus ordnungspolitischer Perspektive behandelt wurde: Konnten sich Marktbefürworter oder die Anhänger lenkungswirtschaftlicher Maßnahmen durchsetzen? In der traditionell von der Bankengeschichte geprägten deutschen Forschung eröffnet der Band eine neue Perspektive auf die Wiederaufbaufinanzierung sowie die Stellung des organisierten Kapitalmarkts in der Bundesrepublik.
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ISBN 978-3-515-10807-2
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