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German Pages 501 [502] Year 2023
Schriften zum Prozessrecht Band 294
Verbandsklagen im Individualinteresse Die Verschiebung der Parteirollen und ihre Eingliederung in die Zivilprozessordnung im Rahmen der Musterfeststellungsklage und der Richtlinie über Verbandsklagen
Von Philipp Simon
Duncker & Humblot · Berlin
PHILIPP SIMON
Verbandsklagen im Individualinteresse
Schriften zum Prozessrecht Band 294
Verbandsklagen im Individualinteresse Die Verschiebung der Parteirollen und ihre Eingliederung in die Zivilprozessordnung im Rahmen der Musterfeststellungsklage und der Richtlinie über Verbandsklagen
Von
Philipp Simon
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat die Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.
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© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-19002-7 (Print) ISBN 978-3-428-59002-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2023 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Doktorarbeit angenommen. Nach Einreichung der Arbeit im Januar 2022 wurden die Rechtsprechungsund Literaturnachweise bis zum Frühjahr 2023 fortlaufend aktualisiert. Die gesetzgeberischen Entwicklungen im Zuge der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie berücksichtigt das vorliegende Werk bis zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz durch entsprechende Anmerkungen im Rahmen der Verweise. Auf diesem – der Aktualität der Thematik geschuldeten – Wege blieb der ursprüngliche Charakter der Arbeit erhalten, während gleichzeitig die aktuellen Entwicklungen Berücksichtigung finden konnten. Zuvörderst gilt mein Dank Frau Prof. Dr. Kieninger, deren Ermutigung mich überhaupt erst zur Promotion bewegt hat. Ihre stetige Förderung, die fortwährende Gesprächsbereitschaft und der gleichzeitig gewährte wissenschaftliche Freiraum haben das Entstehen dieser Arbeit wesentlich ermöglicht. Dies und die sehr angenehme Zeit am Lehrstuhl in Würzburg werde ich immer in bester Erinnerung behalten. Ein besonderer Dank gilt außerdem Frau Prof. Dr. Scherer für die Bereitschaft zur Übernahme der Zweitkorrektur und die ausgesprochen zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Des Weiteren möchte ich mich bei denjenigen aus meinem privaten Umfeld bedanken, die durch ihre Aufmunterung und ihre Gesprächsbereitschaft das Zustandekommen dieser Arbeit wesentlich gefördert haben. Exemplarisch nennen möchte ich insoweit Annika Schülke, Florian von Edlinger und Yannik Mohren. Ihre aufmerksame, stets kritische und bisweilen spontane Lektüre des Manuskripts hat einen kaum zu vergeltenden Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit geleistet. Abschließend gilt ein Dank von grundsätzlicher Natur meinen Eltern und meiner Schwester, deren Unterstützung und Fürsorge meinen bisherigen Lebensweg geprägt und meine Ausbildung – sowie auch diese Arbeit – überhaupt erst möglich gemacht haben. Entsprechend reicht dieser Dank weit über die hiesige Arbeit hinaus, ein einfacher Dank kann nicht genügen. Frankfurt a. M., im Mai 2023
Philipp Simon
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anlass und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1 Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes und Überblick über die zu untersuchenden Rechtsinstrumente A. Bedürfnis nach legislativem Handeln zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Differenzierung nach Schadensphänomenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Streu-/Bagatellschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bisherige Möglichkeiten der kollektiven Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . 1. Zum Begriff des kollektiven Rechtsschutzes in Abgrenzung zum tradierten Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überblick über die Rechtsinstrumente vor Einführung der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterlassungsklagen durch Verbraucherschutzverbände . . . . . . . bb) Einziehungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gewinnabschöpfungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Musterklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Möglichkeiten der Verfahrensbündelung im Rahmen der ZPO d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der Rechtslage unter Berücksichtigung des Zweckes des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Einführung in die Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzeshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die gesetzliche Regelung der Musterfeststellungsklage . . . . 1. Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensablauf und Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Individualverfahren nach Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens
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C. Einführung in die EU-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis I. Bisherige Entwicklungen des kollektiven Rechtsschutzes auf Ebene der EU II. Inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Bestimmungen der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zwischenergebnis: Erste Einordnung des kollektiven Rechtsschutzes in die ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Kapitel 2 Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
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A. Gesetzgeberische Motivation für die Übertragung der Klagebefugnis auf qualifizierte Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung . . . . . . . . . I. Anforderungen im Rahmen der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlehnung an das UKlaG als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an die Verbandstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anforderungen an die Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtliche Überprüfung des Anforderungsprofils an qualifizierte Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen im Sinne des Art. 4 der EU-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Verbandsklagen . . a) Anforderungen an Struktur und Verbandstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanzielle Ausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unabhängigkeit der Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachweise zu den Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifizierte Einrichtungen bei innerstaatlichen Verbandsklagen . . . . . . . 3. Überprüfung der Verbände und Offenlegungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusätzliche Anforderungen im Falle einer Finanzierung der Abhilfeklage III. Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung der getroffenen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anmerkungen zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 77 77 79 80 82 83 86 87 87 88 88 88 89 89 91 92 92 98
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis bei der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 I. Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Anmeldeverfahren und prozessführungsbefugnisbezogene Voraussetzungen bei der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis 1. Die Anmeldung der Verbraucher als Verbindung zwischen den Rechtsinhabern und dem Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablauf des Anmeldeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung der Anmeldung für die Teilhabe der Verbraucher am Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anforderungen an eine wirksame Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Voraussetzungen für eine wirksame Eintragung in das Klageregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Inhaltliche Anforderungen an eine wirksame Anmeldung . . (a) Tätigung vollständiger und zutreffender Angaben . . . . . (b) Abhängigkeit der angemeldeten Ansprüche und Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtswirkungen der wirksamen Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Anmeldung . . . . . . . . . . a) Teilweise Ablehnung einer gerichtlichen Überprüfung . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten im Rahmen des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis bei der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlangung der Prozessführungsbefugnis durch die Eigenschaft einer qualifizierten Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermächtigung zur Prozessführung durch die Anmeldung . . . . . . . . . . aa) Verbindung des Verfahrens mit den materiellen Rechten durch die wirksame Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Musterfeststellungsklage ohne Anmelder . . . . . . . . . . . . . . cc) § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO als Ausprägung der Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bisheriger Meinungsstand zur Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessstandschaft der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbandsklagen als gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prozessstandschaft für den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prozessführungsbefugnis über fremde Kollektivrechte . . . . . . . . . . . . 2. Sonderformen der Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstständige Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Privatrechtliche Kontrollkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbände als Inhaber eines materiellen Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materieller Anspruch der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzgeberische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis bb) Dogmatische Verwerfungen der gesetzgeberischen Entscheidung b) Doppelnatur der Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Betrachtung der gesetzgeberischen Ausgestaltung . . . . . . . . . (2) Berücksichtigung der Zwecksetzung der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schwierigkeiten des Anspruchsbegriffs im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesamtergebnis zur Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage . . IV. Ansichten zur Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modell einer repräsentativen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Art der Prozessvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzlich verliehene Prozessführungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung der Musterfeststellungsklage als Prozessstandschaft im Kollektivinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unzulänglichkeiten der Bestimmung des Kollektivinteresses . . . bb) Legislative Anhaltspunkte für die Annahme eines Kollektivinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Begrenzte subjektive Wirkungen der Musterfeststellungsklage . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eigener Lösungsansatz zur Einordnung der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Skizzierung des Grundgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessstandschaft trotz fehlender Geltendmachung von Individualansprüchen und -rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösung der Problematik unter Betrachtung der Klageart . . . . . . . . c) Art der Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung zur Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse . . . . 3. Einordnung als gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschaft . . . . . . . 4. Dogmatische Grundlage der funktionalen Prozessstandschaft . . . . . . . . . . 5. Erfordernis eines eigenen rechtlichen Interesses der qualifizierten Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigenes rechtliches Interesse des Prozessstandschafters . . . . . . . . . . . . aa) Begründung eines eigenen rechtlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . bb) Erfüllung im Rahmen der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (1) Keine Notwendigkeit eines besonderen eigenen Interesses . . (2) Anderweitige Verwirklichung des Missbrauchs- und Beklagtenschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zur Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . I. Vorgaben der Richtlinie zur verfahrensrechtlichen Stellung der qualifizierten Einrichtung und der Verbraucher bei Abhilfeklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgestaltung der Abhilfeentscheidung als Opt-out-Verfahren . . . . . . . . . . . 1. Vorteile für die Effizienz des kollektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . 2. Spannungsverhältnis zum Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Praktische Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verletzung des Dispositionsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verletzung des rechtlichen Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Zur Verfassungsmäßigkeit der Musterfeststellungsklage . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung eines Vorschlags zur Rechtsnatur der Abhilfeklagen als Opt-in-Verfahren im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individualansprüche der Verbraucher als Gegenstand der Abhilfeklagen a) Ablehnende Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung im Wege einer Prozessstandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klage im Kollektiv- oder Individualinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umsetzungsvorschlag für die Ausgestaltung der Rechtsnatur der Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abhilfeklage als Prozessstandschaft für die zustimmenden Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Registereintragung zur Erreichung des Opt-in-Verfahrens . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels im Hinblick auf die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Kapitel 3 Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses und das Verfahren nach der Zivilprozessordnung
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A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren – Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Prozess . . . . . . . . . . . . . 213 I. Anwendung der Zivilprozessordnung auf das Musterfeststellungsverfahren 214
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Inhaltsverzeichnis 1. Auswirkungen auf die Parteiänderung sowie die Beteiligung und Einbeziehung Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parteiänderung im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit der Vorschriften zur gesetzlichen Parteiänderung auf das Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anwendung gegenüber den Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Anwendung gegenüber dem Anmelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit des gewillkürten Parteiwechsels und nachträglicher Parteierweiterungen im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . (1) Änderungen auf Klägerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Änderungen auf Beklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Prozessverbindung gemäß § 147 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbeziehung Dritter im Wege von Nebenintervention und Streitverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageänderung/-erweiterung und Widerklage im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit von Klageänderung und -erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme zum Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen auf den Zivilprozess . b) Prozessuale Verteidigung des Beklagten im Wege der Widerklage . . aa) Widerklagemöglichkeit im Verhältnis zur qualifizierten Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Betrachtung des Meinungsstandes zur Zulassung einer Widerklage gegen die qualifizierte Einrichtung . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme zur Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit der Drittwiderklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkungen auf die prozessuale Verteidigung des Beklagten im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen des § 610 Abs. 4 ZPO auf die materielle Prozessleitungspflicht des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stimmen aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme unter Berücksichtigung des § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO . . c) Ergebnis zu den Auswirkungen auf die materielle Prozessleitungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Substantiierungsund Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswirkungen auf die Darlegungslast der qualifizierten Einrichtung aa) Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bestreitens mit Nichtwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215 215 215 216 217 219 220 221 221 223 223 225 225 226 226 229 232 232 233 233 236 238 239 240 241 241 245 246 247 247
Inhaltsverzeichnis (1) Problemstellung als Folge der Parteirollenverschiebung . . . . (2) Lösungsansätze zur Vermeidung der aufgezeigten Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO . . . bb) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die sekundäre Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Problemstellung als Folge der Parteirollenverschiebung . . . . (2) Zwischenergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche weitergehende Konsequenzen im Hinblick auf die Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweisaufnahme: Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeugenbeweis durch den Anmelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erlangung der Zeugenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts zugunsten des Anmelders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Lösungsmöglichkeit: Entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen auf die Führung des Urkunden- und des Augenscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachteile des Beklagten bei der Führung des Urkundenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abhilfemöglichkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung beim Augenscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachteile des Beklagten bei der Führung des Augenscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abhilfemöglichkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis zu den Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf den Augenscheins- und Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vermeidung prozessualer Nachteile durch die Anwendung der Grundsätze über die Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Perpetuierung auch für das Folgeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schwierigkeiten der Beweiserhebung aufseiten der qualifizierten Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzicht und Anerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 247 248 250 250 251 253 253 255 255 256 257 260 261 262 262 262 264 267 267 268 270 272 273 274 275 276
14
Inhaltsverzeichnis b) Klagerücknahme und Erledigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis zur Verfahrensbeendigung bei der Musterfeststellungsklage II. Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung . . . 1. Fehlende Einfügung der prozessualen Materialisierung infolge der Musterfeststellungsklage in die Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materialisierung des Zivilprozessrechts durch die Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückwirkungen der Parteirollenverschiebung auf das materielle Recht c) Folgewirkungen für die Waffengleichheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlende Anpassung an die Parteirollenverschiebung als Grundlage gesteigerter Richtermacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswirkungen auf das Verhältnis von Richtermacht und Verhandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortgeltung der Dispositionsmaxime und Steigerung der Richtermacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung zu den Auswirkungen auf die Maximen und die Richterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung der gefundenen Ergebnisse im Hinblick auf die Eingliederung in die Zivilprozessordnung und Ausblick auf die Abhilfeklage . . . . . . . . . . .
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von durch qualifizierte Einrichtungen geführten kollektiven Abhilfeklagen auf die Verfahrensgestaltung der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mindestvorgaben der Richtlinie für die Abhilfeklagen – Umsetzungsrahmen II. Einleitung der Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit für Abhilfeklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulassungsverfahren für die Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an die Klageschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Zulassung der Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinreichende Ähnlichkeit der Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ablauf der Anmeldung durch die Verbraucher und Prüfung der Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anmeldebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablauf der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeitpunkt der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgestaltung der Anmeldung zum Abhilfeverfahren . . . . . . . . . . c) Prüfung der Zulässigkeit der Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung der Klageart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schaffung einer kasuistischen Klageart oder einer allgemeinen Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277 279 280 280 280 285 286 290 290 294 297 298
299 299 303 303 304 309 310 310 311 312 315 315 317 317 321 325 326 326
Inhaltsverzeichnis 2. Umfassender Anwendungsbereich anstelle einer Beschränkung auf den Richtlinienanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abhilfeklage durch mehrere qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gestaltung des Verfahrensablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahren als weitgehend gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturierung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strukturierung und Kanalisierung des Parteivortrags . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Materielle Prozessleitungsbefugnis und Parteistellung . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswirkungen auf die Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswirkungen auf die Dispositionsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besondere Ausgestaltung der Stellung der angemeldeten Verbraucher . . 6. Änderungen im Beweisrecht durch die Umsetzung des Artikels 18 RL zum Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen des Art. 18 RL an die Offenlegung von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung einer systemwahrenden Umsetzung in das nationale Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatische Grundlage der Umsetzung im deutschen Recht . . . . . . d) Sanktionen bei Nichtbefolgung einer zulässigen Forderung nach Beweismitteloffenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis zur Umsetzung in das nationale Recht . . . . . . . . . . 7. Bestimmung von Schadensersatz und weiterer summenmäßiger Beträge 8. Ausgestaltung der Abhilfeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassende Stellungnahme zur möglichen Integration des Abhilfeverfahrens in die Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
327 328 329 329 331 335 336 337 340 342 345 345 346 349 351 352 353 355 356
C. Abschließende Anmerkungen zur Eingliederung der Musterfeststellungsund der Abhilfeklage in die Verfahrensausgestaltung der Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Kapitel 4 Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahren zum Abschluss eines Vergleichs nach § 611 ZPO . . . . . . . . . . . . . 1. Einigung zwischen den Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angemessenheitsprüfung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erreichung des Verbraucherquorums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abschließender Beschluss des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt und Vollstreckung des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vergleichskonstellationen außerhalb des § 611 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
362 362 363 363 364 366 368 369 371
16
Inhaltsverzeichnis
B. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Rechtsnatur des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prozessuale und materielle Wirkungen des Vergleichs nach § 611 ZPO . . . . 1. Vorliegen von prozessualen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorliegen und Entstehen der materiellen Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis der prozessualen und der materiellen Wirkungen . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis zur Rechtsnatur des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesteigerte Bindungswirkung von Vergleichen im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtskraft des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . a) Stellungnahmen der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit dem Regelungsgehalt bereits bestehender Vergleichsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansichten zur Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . d) Übertragbarkeit auf den Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO und Auswirkungen auf die Rechtsnatur des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung der gesteigerten Bindungswirkung des Vergleichs . . . . . . . . . III. Ergebnis zur Rechtsnatur des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht beim Musterverfahrensvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einfluss des Gerichts auf den Vergleichsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausweitung gerichtlicher Sachverhaltsermittlungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zum Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht . . . . . . . . . .
372 373 373 379 382 386 386 387 387 388 390 393 397 399 399 400 401 403
D. Umsetzung der Richtlinienvorgaben zum Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 Kapitel 5 Auswirkungen der Verbandsklagen auf den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Bindung an das Urteil A. Betrachtung der Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf den Streitgegenstand . . . . . 1. Streitgegenstandsbegriff der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . a) Feststellungsziele der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses für das Feststellungsziel c) Zugrunde liegender Lebenssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Regelungen zur Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
408
408 408 408 409 411 412 414 415
Inhaltsverzeichnis 1. Rechtshängigkeitssperre zwischen den Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre durch § 610 Abs. 1, 2 ZPO . . 3. Auswirkungen der Rechtshängigkeitssperre im Verhältnis zu den Anmeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Rechtshängigkeit . . III. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Bindung an das Urteil 1. Rechtskraft zwischen den Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bindung der Anmelder an das Musterfeststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenstand, Inhalt und Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . b) Dogmatische Einordnung der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Parteirollenverschiebung . . . . . IV. Ergebnis zur Einfügung der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umsetzung der Abhilfeklagen im Hinblick auf den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorgaben der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingliederung in das nationale Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auswirkungen auf den Streitgegenstandsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung des Rechtshängigkeitseinwandes bei der Abhilfeklage . . 3. Rechtskraft bei der Abhilfeklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Integration der Verbandsabhilfeklage in das System der EuGVVO . . . . . . . 1. Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit des Art. 29 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Praktikabilität der Anwendung auf ein Massenverfahren . . . . . . . . . . 2. Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 415 416 419 421 423 424 425 425 428 430 431 431 432 434 434 438 441 442 443 443 445 447 448
C. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
Abkürzungsverzeichnis Nicht erläutert werden allgemeingebräuchliche Abkürzungen deutschsprachiger juristischer Zeitschriften, Unternehmensbezeichnungen und solche Abkürzungen, die sich als Kurztitel anhand des Literaturverzeichnisses erschließen lassen. a. A. abl. ABl. C ABl. EG C ABl. L Abs. AEUV a. F. AG AGB AGBG allg. Alt. Anm. Anm. d. Verf. Art. Az. BAG BayObLG Begr. BfJ BGB BGBl. BGH BIP BMJV BMVEL BR-Drs. BR-Plenarprotokoll bspw.
andere Ansicht ablehnend Amtsblatt C der Europäischen Union Amtsblatt C der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt L Absatz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft (bei Bezug auf ein Unternehmen)/Amtsgericht (bei Bezug auf ein Gericht) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen allgemein Alternative Anmerkung Anmerkung des Verfassers Artikel Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Begründer (eines Werkes) Bundesamt für Justiz (auch: Bundesjustizamt) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bruttoinlandsprodukt Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache des Bundesrates Plenarprotokoll des Bundesrates beispielsweise
Abkürzungsverzeichnis BT-Drs. BT-Plenarprotokoll BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. CCDU COM/KOM CPO CSU DAV DIHK DiskEntw. dt. Dtl. EG EGMR EGZPO Einf. Einl. EMRK endg. ErwGr. etc. EU EU-Ausland EU-Bürger EuCML EuGH EuGH-Rspr. EuGVVO
EU-Kommission EU-Mitgliedstaaten EU-RL
EUR-Lex EU-Verbandsklagenrichtlinie
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Drucksache des Bundestages Plenarprotokoll des Bundestages Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bezüglich beziehungsweise Curia Christlich Demokratische Union Deutschlands Kommission der Europäischen Union Civilprozessordnung Christlich-Soziale Union in Bayern Deutscher Anwaltsverein Deutscher Industrie- und Handelskammertag Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage deutsch Deutschland Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Gesetz, betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung Einführung Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Erwägungsgrund et cetera Europäische Union (Staatsgebiet der) Mitgliedstaaten der Europäischen Union Bürger der Europäischen Union Journal of European Consumer and Market Law Europäischer Gerichtshof Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Kommission der Europäischen Union Mitgliedstaaten der Europäischen Union Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/ 22/EG Rechtsinformationssystem der Europäischen Union Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/ 22/EG
20 e.V. EWG f. FDP ff. Fn. Gesamt-Hrsg. gew. GG ggf. ggü. GKG GmbH GRCh grds. GVG GWB h. M. Hrsg. HS. i. d. R. i. E. IHK Inc. insb. insg. InsO i.R. d. i. S. d. i. S. v. i.V. m. Jh. Kap. KapMuG KG KMU LG lit. L. Soc. Rev. Ltd. mbH
Abkürzungsverzeichnis eingetragener Verein Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Freie Demokratische Partei fortfolgende Fußnote Gesamtherausgeber (eines Werkes) gewillkürt (bei Bezug auf Willensentscheidungen)/gewöhnlich (bei Bezug auf Aufenthaltsort) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls gegenüber Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Meinung Herausgeber (eines Werkes) Halbsatz in der Regel im Ergebnis Industrie- und Handelskammer Incorporated insbesondere insgesamt Insolvenzordnung im Rahmen der im Sinne der im Sinne von in Verbindung mit Jahrhundert(s) Kapitel Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz Kommanditgesellschaft kleines und mittleres Unternehmen Landgericht litera Law & Society Review, Journal of the Law and Society Association Limited mit beschränkter Haftung
Abkürzungsverzeichnis MERCP MFK MFKRegV MFV m.w. N. Nr. ODR OLG qual. RBerG RDG RefE RG RGBl. RL RL-Entw. Rn. Rs. Rspr. RVG S. SA Slg. s. o. sog. SpA SPD str. u. a. UAbs. UKlaG US USA US-amerikanisch US-Prozessrecht US-Sammelklage
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Model European Rules of Civil Procedure Musterfeststellungsklage Verordnung über das Register für Musterfeststellungsklagen Musterfeststellungsverfahren mit weiteren Nachweisen Nummer Online Dispute Resolution Oberlandesgericht qualifiziert(e) Rechtsberatungsgesetz Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen Referentenentwurf eines Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes Reichsgericht Reichsgesetzblatt Richtlinie Richtlinienentwurf Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Seite (bei Bezug auf Literaturangabe)/Satz (bei Bezug auf Normzitate und Zitate aus Erwägungsgründen) Société Anonyme Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz siehe oben sogenannte(r) Società per azioni Sozialdemokratische Partei Deutschlands strittig unter anderem Unterabsatz Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG) Vereinigte Staaten (Bundesebene) Vereinigte Staaten von Amerika Vereinigte Staaten von Amerika Bundesprozessrecht der Vereinigten Staaten von Amerika (Federal Rules of Civil Procedure) Sammelklage nach Bundesrecht der Vereinigten Staaten von Amerika
22 UWG v. VDuG-E VDuG-RefE vgl. VO Vorb. VRUG-E vzbv z. B. ZPO ZPO-RG
Abkürzungsverzeichnis Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von Entwurf eines Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes (Gesetzentwurf der Bundesregierung) Referentenentwurf eines Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes vergleich(e) Verordnung Vorbemerkung Entwurf eines Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (Gesetzentwurf der Bundesregierung) Verbraucherzentrale Bundesverband zum Beispiel Zivilprozessordnung Reformgesetz zur Zivilprozessordnung (von 2001)
Einleitung I. Anlass und Gegenstand der Untersuchung Verbandsklagen sind im deutschen Prozessrecht seit Längerem etabliert.1 An diesem tradierten Ansatz einer Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf qualifizierte Einrichtungen2 orientiert sich auch die Einführung einer allgemeinen zivilprozessualen Musterfeststellungsklage im Zuge des Dieselabgasskandals.3 Während zugleich auf europäischer Ebene die Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher (nachfolgend: Richtlinie)4 dem Ansatz einer Klageberechtigung qualifizierter Einrichtungen folgt.5 Wodurch die neuen Rechtsinstrumente augenscheinlich den Eindruck von Kontinuität erwecken. Jedoch hatten die Verbandsklagen bislang keine über die Verfahrensparteien hinausgehenden Wirkungen auf die individuellen Rechtsbeziehungen anderer Rechtssubjekte zur Folge.6 Im Gegensatz zum auf die Durchsetzung privater Rechte ausgerichteten Zivilprozess, stellten die Verbandsklagen einen Sonderbereich eines Schutzes überindividueller Interessen mit den Mitteln des Zivilprozesses dar.7 Mit der Musterfeststellungsklage und der Richtlinie dehnt sich der Anwendungsbereich der Verbandsklagen nunmehr aber bis in den klassischen Kernbereich des Zivilprozesses aus. Entsprechend halten mit der Mus1 Grundsätzliche Ausgestaltung des kollektiven Rechtsschutzes als Verbandsklage: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 76, vgl. die tabellarische Übersicht: ebenda, S. 13. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 65. Allg. zu kollektivem Rechtsschutz: Menges, in: MüKoZPO, Vor § 606, Rn. 6. 2 Heese, JZ 2019, 429 (433); Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 68; Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (45). Die Ausgestaltung ähnele Unterlassungs- und KapMuG-Verfahren: Koch, MDR 2018, 1409 (1411); siehe auch: Basedow, EuZW 2018, 609 (610). 3 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07. 2018, BGBl. I Nr. 26, vom 17.07.2018, S. 1151; Heese, JZ 2019, 429 (429); Koch, MDR 2018, 1409 (1410); Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 16, 52. Darstellung der Rechtszersplitterung im Dieselskandal bei: Heese, NZV 2019, 273 (273 ff.); Heese, NJW 2021, 887 (887 ff.). Zur Gerichtsbelastung: Stackmann, ZRP 2021, 189 (189). 4 Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11. 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. L 409/1 vom 04.12.2020. Einen Überblick bietet: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114 ff.). 5 Siehe nur: Art. 4 Abs. 1 RL. 6 Eine Ausnahme bildete § 11 S. 1 UKlaG: Walker, in: UKlaG, § 11, Rn. 2; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 11 UKlaG, Rn. 1; Stadler/Klöpfer, VuR 2012, 343 (344 f.). 7 Vgl. Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 1.
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terfeststellungsklage, und zukünftig mit der von der Richtlinie vorgegebenen Abhilfeklage, der kollektive Rechtsschutz Einzug in die ZPO.8 In Folge dieser Entwicklung könnte es zu einer Diskontinuität zum tradierten Zivilprozess kommen. Jedoch sollte die Aktualität dieser Entwicklung nicht verdecken, dass die hier zu thematisierende Problematik bereits wenige Jahre nach Einführung der ZPO Relevanz erlangte. Schon das Reichsgericht hat im Hinblick auf die gewillkürte Prozessstandschaft von einem „nicht unerheblichen Eingriff in das Gefüge des Zivilprozesses“ gesprochen.9 Dieses Diktum folgte der Erkenntnis, dass die ZPO von einer Rechtsdurchsetzung durch den Rechtsinhaber ausgeht und die Prozessführung durch Rechtsfremde die Ausnahme darstellt.10 Bereits aus diesem Grunde erscheint es lohnenswert die Eingliederung der neuen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes in die Zivilprozessordnung zu untersuchen.11 Weder auf nationaler12 noch auf europäischer13 Ebene stehen die zunehmend breiteren Raum einnehmenden rechtspolitischen Debatten um kollektiven Rechtsschutz für grundsätzlich neuartige Entwicklungen. Ihr Ursprung gründet in einer fortschreitenden Technisierung und Industrialisierung, durch die signifikante Veränderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eingetreten sind, die Schadensereignisse mit immer größerer subjektiver Reichweite zur Folge haben können. Während für eine umfassende Bewältigung großer Schadensereignisse die Erwartung gerechtfertigt wäre, dass dem Verfahrensrecht eine zentrale Rolle 8
Für die Musterfeststellungsklage: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 23. RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 279/17, RGZ 91, 390 (398). Siehe auch: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 79. Zum Zusammenhang mit dem Erfordernis des eigenen rechtlichen Interesses siehe nur: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (540 f.). 10 Vgl. zur Prozessführungsbefugnis: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 12, 22, 57. Diese Feststellung hat ihre Gültigkeit behalten, vgl.: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (491). Auf die fehlende Abstimmung weist Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (423) hin. Vgl. bereits: Stegemann, ZZP 17 (1892), 326 (361, 363). 11 Dies bleibt auch zukünftig relevant, denn § 13 Abs. 1 VDuG-E verweist weitgehend auf die ZPO. Die hier aufgeworfenen Fragen stellen sich demnach trotz der Verortung in einem Sondergesetz weiterhin. 12 Vgl. zur rechtspolitischen Debatte: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 23. Ebenso: Heese, JZ 2019, 429 (430). Siehe bereits: v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 80 ff.; Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 107 ff.; Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, S. 87 ff. Siehe auch: Schneider, BB 2018, 1986 (1986): „Evergreen“; Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 1, zur Historie: ebenda, Rn. 44 ff.; Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 1. Siehe auch: Halfmeier, ZRP 2017, 201 (201); Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (344). 13 Domej, ZEuP 2019, 446 (447) m.w. N. Siehe zu früheren Ansätzen und Überlegungen: Stadler, GPR 2013, 281 (281 ff.); Meller-Hannich/Krausbeck, DAR-Extra 2018, 721 (721); Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 33 ff. Einen Überblick bietet: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 14 ff. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 26, 60 ff. 9
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zukommt, blieb die Zivilprozessordnung seit ihrer Einführung in ihrem wesentlichen Kerngehalt unangetastet.14 Allerdings gehen – wie bereits angedeutet – die erhebliche personale Breitenwirkung möglicher Schadensereignisse und ihre prozessualen Implikationen über die klassischen Konstellationen des Zivilprozesses hinaus.15 Infolge der Einführung kollektiver Rechtsschutzinstrumente innerhalb der ZPO entspinnt sich ein Spannungsverhältnis durch die Differenzen zwischen kollektivem Rechtsschutz einerseits und einer auf individuelle Rechtsverfolgung angelegten Prozessordnung andererseits.16 Vornehmlich der Gesichtspunkt der Repräsentation einer Vielzahl betroffener Rechtsinhaber durch nur einen Kläger kann als prägende Besonderheit des kollektiven Rechtsschutzes in den mittlerweile etablierten Ausgestaltungen charakterisiert werden.17 Dementsprechend soll Gegenstand dieser Arbeit die Betrachtung der prozessualen Auswirkungen der Zwischenschaltung eines Klägers sein, der in keiner materiellen Beziehung zu den durchzusetzenden Ansprüchen steht. Sowohl die Musterfeststellungsklage18 als auch die einzuführende Abhilfeklage19 gehen von der Klage einer qualifizierten Einrichtung für die Anspruchsinhaber aus. Aus einer Zweipersonenkonstellation, wie sie im auf subjektive Rechtsverfolgung ausgelegten Zivilprozess etabliert ist,20 wird auf diesem Wege eine faktische Mehrpersonenkonstellation, wodurch aufseiten des Klägers eine Vielzahl von gleichgelagerten Interessen ge-
14 Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 1. Vgl. zum rechtspolitischen Handlungsbedarf bei Massenphänomenen: Basedow, EuZW 2018, 609 (614); Domej, ZEuP 2019, 446 (448); dienende Funktion des Prozessrechts: Basedow, JZ 2018, 1 (1) m.w. N. Beispiele bei Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 1 ff. Zur Einordnung in den Kontext liberaler Prozessmodelle: Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in: Festschrift Frisch, S. 187 (193). Zur Reaktion des Rechtsdienstleistungsmarktes: Gsell, BKR 2021, 521 (523). 15 Basedow, EuZW 2018, 609 (610); vgl. auch: Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, Vorwort, S. V. 16 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 17; Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in: Festschrift Frisch, S. 187 (193 ff.); abl. daher: Bruns, NJW 2018, 2753 (2754 f.). Siehe auch: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (1 f.). Vorrang des Individualrechtsschutzes ggü. dem Kollektivrechtsschutz: Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 183, zu systemischen Problemen: ebenda, S. 185; dazu auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 132 m.w. N. 17 Vgl. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 54. Eine Betrachtung aus der Perspektive der Verbraucher findet sich bei Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers. 18 Siehe nur: Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 23; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Vor § 606, Rn. 3. 19 Augenhofer, NJW 2021, 113 (114); Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (41); Hornkohl, EuCML 2021, 189 (191); Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 41. Einen ersten Überblick zum Ref-E des VDuG bieten Vollkommer, MDR 2022, 325 ff.; Schultze-Moderow/Steinle/Muchow, BB 2023, 72 ff.; Meller-Hannich, DB 2023, 628 (628 ff.), die insbesondere auch betont, dass es beim kollektiven Rechtsschutz um die Verbindung des Klägers mit dem „Kollektiv“ gehe, vgl. ebenda (628 f.). 20 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (6); Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 25.
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bündelt wird.21 Parteien des Verfahrens können jedoch nur die qualifizierte Einrichtung und der beklagte Unternehmer sein, wohingegen die Verbraucher – trotz Bindung an das Verfahrensergebnis – nicht Partei sein können.22 Diese Ausgestaltung steht zwar im grundsätzlichen Einklang mit dem formellen Parteibegriff 23 und wird auch erst durch diesen ermöglicht, dennoch geht die Zivilprozessordnung im Kontrast zu dieser Verfahrensarchitektur davon aus, dass Verfahrensbeteiligte diejenigen sind, die auch an der materiellen Rechtsbeziehung teilhaben.24 Es kommt somit zu einer Verschiebung in der Rolle der Klägerpartei, die nachfolgend als Parteirollenverschiebung bezeichnet werden soll25 und welche bereits das eingangs zitierte Reichsgericht als problembehaftet erachtete. Charakterisiert werden hiermit die prozessualen Auswirkungen der Klage durch einen Rechtsfremden. Daneben dürften mit dem Aspekt der Parteirollenverschiebung bei der Musterfeststellungs- und der Abhilfeklage noch zwei weitere wesentliche Gesichtspunkte verknüpft sein: Beide Verfahren intendieren die Bündelung einer Vielzahl möglicher Rechtsbeziehungen auf der Klägerseite,26 wodurch die Wirkungen der Parteirollenverschiebung wiederum einer subjektiven Multiplikation unterworfen werden. Zugleich kommt der Parteirollenverschiebung die für den kollektiven Rechtsschutz in Form von Verbandsklagen zentrale Aufgabe zu, solche Gestaltungsformen in die Struktur eines Zweiparteienprozesses einzufügen.27 21 Vgl. für die Musterfeststellungsklage: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 429. Auf Störungen des prozessualen Gefüges durch Drittbeteiligungen weist Schneider, BB 2018, 1986 (1988) hin. Keine mehrseitigen Verfahren in der ZPO: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 40, Rn. 26; Jacoby, in: Stein/ Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 26. 22 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 68; Röthemeyer, MDR 2019, 6 (11): „Figur [. . .] der gebundenen Nichtpartei“; Koch, MDR 2018, 1409 (1411); Schmidt, WM 2018, 1966 (1971): „prozessuale Entmündigung“. 23 Siehe nur: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 50, Rn. 3. 24 Vgl. Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 43; Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (351). Es gilt aber ein formeller Parteibegriff: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 14 m.w. N. Siehe bereits: Oetker, Juristisches Literaturblatt 1890, 188 (189); Stegemann, ZZP 17 (1892), 326 (334, 358, 384). 25 Siehe nur: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 79: „Verschiebung der Parteirollen“ bei gewillkürter Prozessstandschaft; Frank, ZZP 92 (1979), 321 (322): „Verschiebung von Prozeßrechtsverhältnissen“; RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 279/ 17, RGZ 91, 390 (398). 26 Vgl. für die Abhilfeklage: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 10; zur Musterfeststellungsklage: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 2. 27 Zur RL: Woopen, JZ 2021, 601 (602); die RL folgt einem Verbandsklagemodell: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (675); Stadler, Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (569) zum Repräsentationsprinzip. Vgl. auch: Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in: Festschrift Frisch, S. 187 (194), zur integrativen Bedeutung von Zustimmungselementen für die Fremdprozessführung. Siehe allg. zur Geltung des Zweiparteiengrundsatzes: Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 430 ff., insb. S. 434: „Ordnungssystem des Zivilprozesses“; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 14, 17.
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Da die Ausnahme einer Prozessführung durch einen Dritten im Rahmen der Verbandsklagen zur Durchsetzung von Individualinteressen zur Regel wird, soll es das Ziel dieser Arbeit sein herauszuarbeiten, ob sich die Parteirollenverschiebung durch ihre Institutionalisierung zu einem Fremdkörper innerhalb des Erkenntnisverfahrens der ZPO entwickelt.28 In diesem Zusammenhang bedürfen vor allem zwei Gesichtspunkte einer eingehenderen Untersuchung: Zum einen die Auswirkungen einer Verfahrensführung durch einen Dritten und deren Abstimmung mit der Zivilprozessordnung, zum anderen die Auswirkungen einer Interessenbündelung auf der Klägerseite im Rahmen eines Zivilprozesses und die praktische Bewältigung der damit intendierten subjektiven Reichweite. Letzteres ist wiederum eng verknüpft mit der Beibehaltung der Zweiparteienstruktur durch die Konzentration der Prozessführung auf qualifizierte Einrichtungen. Darauf aufbauend müssen auch die möglichen Folgewirkungen auf das Gefüge des Zivilprozesses untersucht werden, für die exemplarisch Auswirkungen auf den Prozesszweck, die Dispositions- und die Verhandlungsmaxime sowie die Gewichtung von Parteiherrschaft und Richtermacht29 genannt sein sollen. Demnach ist es Ziel dieser Arbeit, die Eingliederung der bereits kodifizierten Musterfeststellungsklage unter dem Gesichtspunkt der Parteirollenverschiebung anhand einiger zentraler parteibezogener Aspekte zu untersuchen. Dies betrifft sowohl die dogmatischen Grundlagen des Rechtsinstruments als auch die praktische Anwendung der Zivilprozessordnung. Dadurch soll mit Blick auf die erforderliche Richtlinienumsetzung die Bedeutung der Thematik aufgezeigt und sollen Impulse für die Berücksichtigung im Rahmen der Abhilfeklage gegeben werden.30 Daneben hat diese Untersuchung zum Ziel Erkenntnisse darüber zugewinnen, inwiefern die durch die Parteirollenverschiebung ermöglichte Beibehaltung der Zweiparteienstruktur geeignet ist eine systemwahrende Eingliederung der Interessenbündelung mittels des kollektiven Rechtsschutzes in die ZPO zu erzielen. Aufgrund des prozessualen Fokus soll demgegenüber nicht beurteilt werden, inwiefern die Rechtsinstrumente zur Beseitigung von Streu- und Massenschäden geeignet sind.31 Auch soll die gesetzgeberische Präferenz für Verbandsklagen 28 Von einem „Fremdkörper“ in Abgrenzung zu Zessionsmodellen sprechen Thiery/ Schlingmann, DB 2018, 2550 (2550). Kritisch auch: Säcker, in: MüKoBGB, Einl. BGB, Rn. 8. Vgl. zum Anpassungsbedarf durch die Abhilfeklage: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (351). 29 Hierzu aus jüngerer Zeit: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht. Zu einigen dieser Aspekte im kollektiven Rechtsschutz allg.: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 245 ff. 30 Auf die Berücksichtigung des „Dreiecksverhältnis[ses]“ weist Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (364) hin. Vgl. zum gesetzgeberischen Ziel ganzheitlicher Lösungen: Gaul, Urteilswirkungen nach §§ 19, 21 AGBG, in: Festschrift Beitzke, S. 997 (998 f.). Erste Umsetzungsvorschläge bei: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten und Bruns, Rechtsgutachten. 31 Die Musterfeststellungsklage trifft keine nähere Differenzierung, vgl. Waclawik, NJW 2018, 2921 (2921); ebenso: Koch, MDR 2018, 1409 (1410 f.). Ungeeignetheit bei
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nicht zur Disposition gestellt werden.32 Daher werden externe, die Klageaktivität beeinflussende Faktoren, insbesondere die viel diskutierte Finanzierungsproblematik33 und eine Evaluation der gesetzgeberischen Ausgestaltung weitestgehend ausgeklammert.34
II. Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf den Kapiteln zwei bis fünf, denn in diesen erfolgt eine Untersuchung ausgewählter Aspekte der Parteirollenverschiebung. Dem vorangestellt bedarf es allerdings zunächst einer Aufbereitung der Thematik des kollektiven Rechtsschutzes in der deutschen Rechtsordnung, um so dessen Bedeutung in einem sich wandelnden wirtschaftlichen Umfeld zu illustrieren. Hierzu werden in der gebotenen Kürze die bisherigen Instrumente vorgestellt und wird ein mögliches Bedürfnis für eine Erweiterung des kollektiven Rechtsschutzes speziell unter Berücksichtigung der Zwecksetzung des Zivilprozesses untersucht. Dadurch kommt es zugleich zu einer ersten Standortbestimmung des kollektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf eine Verortung im Rahmen der Zivilprozessordnung. Diese ist nicht nur relevant für die Frage nach der grundsätzlichen Integration der Verbandsklagen im Individualinteresse, sondern auch für den Standort der umzusetzenden Abhilfeklage
Streuschäden: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 3 m.w. N.; Nordholtz, in: ebenda, § 1, Rn. 15; zur problembehafteten Eile des Gesetzesverfahrens: ebenda, § 1, Rn. 5. 32 Hierzu: Halfmeier, ZRP 2017, 201 (201 f.); siehe auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 76 f. Nur Prozesse mit guten Erfolgsaussichten: Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3028). Tendenziell positivere Bewertung bei: Heese, JZ 2019, 429 (434). Zur Erweiterung des Klägerkreises: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 171 ff. Die Bundesregierung für die 20. Legislaturperiode plant hieran festzuhalten: Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, S. 106. So auch: § 1 Abs. 1 VDuG-E. 33 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 88 m.w. N. Siehe auch: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 44, zu Lösungsansätzen: ebenda, S. 370 ff. Allg. zu beschränkten Ressourcen: Schneider, BB 2018, 1986 (1997); Biard/Kramer, ZEuP 2019, 249 (254 f.); Kostentragung i. E. beim Staat: Scholl, ZfPW 2019, 317 (336). Kritisch zur Streitwertminderung: Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204). Zur Finanzierung der Abhilfeklage: Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (44 f.); Augenhofer, NJW 2021, 113 (117 f.); Gsell, BKR 2021, 521 (527); Synatschke/ Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (200 f.). Allg. zur Drittfinanzierung: Stadler, GPR 2013, 281 (289). Siehe auch: Voit, Sammelklagen, S. 367 ff. 34 Überblickartig zu Kritikpunkten am Konzept der Musterfeststellungsklage: Koch, MDR 2018, 1409 (1414 f.), ausführlich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 109 ff. Kritisch zur Einführung einer Feststellungsklage: Heese, JZ 2019, 429 (436 f.) m.w. N. Geringe Klageaktivität: Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192) und keine Klärung individueller Fragen: ebenda (193). Anerkennend zur Effektivität, aber kritisch zur Klageaktivität: Stackmann, ZRP 2021, 189 (191). Zur Kritik am RL-Entw.: Basedow, EuZW 2018, 609 (614).
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im Gesetz. Daneben wird ein kurzer Überblick über die Musterfeststellungsklage und die Richtlinie gegeben. In den anschließenden Kapiteln wird jeweils zunächst eine Betrachtung der Musterfeststellungsklage vorgenommen, da diese in einer endgültigen Gesetzesfassung existiert und insofern eine Grundlage für eine nähere Analyse der Parteirollenverschiebung bieten kann. In einem nächsten Schritt wird dann jeweils die Umsetzung der Abhilfeklage untersucht und – unter Berücksichtigung der Ergebnisse zur Musterfeststellungsklage – der Versuch unternommen, eine möglichst mit Struktur und Systematik der ZPO im Einklang stehende Ausgestaltung zu finden. Das zweite Kapitel dient der Klärung der dogmatischen Erfassung der neuen Verbandsklagen. Hierbei handelt es sich zwar um eine im Ausgangspunkt theoretische Frage, durch deren Beantwortung kann allerdings zugleich auch die konkrete Ausgestaltung der Parteirollenverschiebung einer dogmatischen Erfassung zugeführt werden. Hierdurch können wiederum Erkenntnisse für die Ausgestaltung der legistischen Implementierung der Rechtsakte gewonnen werden. In diesem Zusammenhang ist es zunächst erforderlich, die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung vorzustellen, schließlich sind diese eine Grundvoraussetzung für die Klagemöglichkeit. Anschließend bedarf es einer Verortung der Prozessführungsbefugnis im Rahmen der Musterfeststellungsklage, um auf diesem Wege Schlussfolgerungen für die Rechtsnatur ziehen zu können. Hierbei soll insbesondere auch zu Zwecken der Abgrenzung und Differenzierung ein Vergleich zu den bisherigen Ansichten zur Rechtsnatur der Verbandsklagen gezogen werden. Der letzte Abschnitt widmet sich der systemwahrenden Umsetzung der Abhilfeklage in die Zivilprozessordnung und entwickelt einen entsprechenden Umsetzungsvorschlag. Auf der Grundlage des theoretischen Fundaments unternimmt die Arbeit in den Kapiteln drei bis fünf eine Untersuchung der verfahrensbezogenen Auswirkungen der Parteirollenverschiebung. Dazu wird zunächst im dritten Kapitel eine nähere Betrachtung der Auswirkungen auf das Verfahren und die Anwendung der ZPO im Kontext der Parteirollenverschiebung durchgeführt. Denn wie bereits das obige Zitat aus dem Urteil des Reichsgerichts vermuten lässt, sind in diesem Bereich Konsequenzen zu erwarten. Zu diesem Zweck untersucht die Arbeit einige ausgewählte Verfahrenskonstellationen und Rechtsnormen auf ihre Anwendung im Bereich der Musterfeststellungsklage, wobei auch solche Aspekte aufgegriffen werden, die bereits in der Debatte um die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft Diskussionsbedarf hervorriefen. Aus den Ergebnissen sollen mögliche Schlussfolgerungen für das Verfahrensgefüge gezogen werden. Diese beziehen sich insbesondere auf die Geltung der Prozessmaximen, das Verhältnis der Parteien untereinander sowie zum Gericht, wie auch zu einer sich abzeichnenden Materialisierungsten-
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denz. Die gewonnenen Erkenntnisse finden in einem nächsten Schritt Eingang in einen zu entwickelnden Umsetzungsvorschlag für die Abhilfeklage. Anhand der sehr reduzierten verfahrensrechtlichen Vorgaben der Richtlinie soll ein Vorschlag zu einer möglichen Umsetzung in nationales Zivilprozessrecht skizziert werden. Dieser ist nicht als umfassend anzusehen, sondern adressiert primär die zuvor benannten Problemstellen der Parteirollenverschiebung. Hierbei wird es allerdings erforderlich sein, über den zentralen Gegenstand der Parteirollenverschiebung hinausgehend, Ausführungen zur Verfahrensausgestaltung zu treffen. Einen Selbstzweck verfolgt dies nicht, vielmehr muss berücksichtigt werden, dass eine Betrachtung von Einzellösungen ohne ihren (möglichen) Regelungskontext zumeist zu Verkürzungen und Unklarheiten führt, wodurch systemische Differenzen geradezu provoziert würden. Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang die binnenmarktbezogene Intention und damit grenzüberschreitende Dimension der Richtlinie, denn eine weitere Steigerung der Verfahrenskomplexität, wenn die Parteirollenverschiebung zugunsten von Bürgern anderer EU-Mitgliedstaaten erfolgt, liegt auf der Hand. Im Anschluss an die verfahrensbezogenen Auswirkungen bieten – entsprechend der Chronologie eines tatsächlichen Verfahrens – das vierte und fünfte Kapitel im Kern eine Analyse der Parteirollenverschiebung im Kontext der Verfahrensbeendigung. Das vierte Kapitel befasst sich zu diesem Zweck mit der konsensualen Verfahrensbeendigung. Gerade beim Prozessvergleich, dem anerkanntermaßen sowohl prozessuale als auch materielle Wirkungen zukommen, erscheint es lohnend, die Auswirkungen einer Klage durch einen Rechtsfremden mit Wirkung für verfahrensrechtliche Dritte auf dessen Rechtsnatur zu untersuchen. Neben den unmittelbaren Folgen der Parteirollenverschiebung zeigen sich beim Prozessvergleich auch die mittelbaren Konsequenzen der subjektiven Reichweite einer Interessenbündelung mittels der Parteirollenverschiebung mit Blick auf die gesteigerte Bedeutung der Bestandskraft eines Vergleichs. Wie bereits im dritten Kapitel soll auch in diesem Zusammenhang ein zusätzliches Augenmerk auf die die Stellung des Gerichts betreffenden Implikationen beim Vergleichsschluss gerichtet werden, wodurch die Auswirkungen auf das Gefüge des Zivilprozesses, speziell das Verhältnis der Parteien zum Gericht aufgezeigt werden. Zum Abschluss der Arbeit behandelt das fünfte Kapitel die Ausgestaltung von Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilswirkungen bei der Musterfeststellungsklage. Da das Urteil auch Wirkungen für die Anmelder als Nichtparteien entfaltet, liegt der Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung auf der Hand und wurde auch vom Gesetzgeber grundsätzlich berücksichtigt. Aus diesem Grund beschränken sich die Ausführungen zu diesem Punkt auf eine Betrachtung der gesetzgeberischen Lösung und einer Verdeutlichung des Zusammenhangs mit der Parteirollenverschiebung. Auf der Grundlage, der bereits im zweiten Kapitel
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begonnenen dogmatischen Eingliederung der Abhilfeklage, soll anschließend der Umsetzungsvorschlag um eine Berücksichtigung der Parteirollenverschiebung bei Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilswirkungen ergänzt und damit abgerundet werden. In jedem Fall muss auch an dieser Stelle die grenzüberschreitende Dimension infolge ihrer bereits im dritten Kapitel hervorgehobenen Bedeutung Berücksichtigung erfahren.
Kapitel 1
Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes und Überblick über die zu untersuchenden Rechtsinstrumente A. Bedürfnis nach legislativem Handeln zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung Eine gesetzgeberische Regelung stellt zumeist eine legislative Reaktion auf ein erkanntes oder vermutetes Regelungsbedürfnis dar. Folglich muss für das Verständnis eines Rechtsinstruments immer dessen Kontext betrachtet werden.1 Dies geschieht nachfolgend unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen werden die Schadensphänomene, zum anderen die bisherigen Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des kollektiven Rechtsschutzes dargestellt. Dem schließt sich eine Untersuchung der gefundenen Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt des Zwecks des Zivilprozesses an, um das legislative Handlungsbedürfnis näher hervorzuheben.
I. Differenzierung nach Schadensphänomenen Bereits die Einteilung der Schadensphänomene und die Festlegung der Terminologie erfolgt uneinheitlich.2 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf solche Schäden, welche mit einem individuellen Anspruch korrelieren, denn nur in diesen Fällen ist eine Durchsetzung im Wege des Zivilprozesses an1 Die Bedeutung des Regelungsziels für die Rechtspolitik betont auch: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (50). 2 So auch: Koch, JZ 1998, 801, (802); ausführlich zu den verschiedenen Differenzierungsansätzen: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 18 ff. m.w. N.; siehe auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 6 ff. m.w. N. Nachfolgend wird die Einteilung Wagners zugrunde gelegt, welcher neben Gemeinschaftsgüterschäden zwischen Streu- und Massenschäden differenziert, vgl. Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (51). Da hier nur solche Schadensphänomene betrachtet werden, welche mit einem Individualanspruch korrelieren, sind hier nur Streu- und Massenschäden relevant, vgl. die Unterteilung bei: Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 7 f.; Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (3); siehe auch die Unterteilung bei: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (51).
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gezeigt. Fälle ohne individuellen Anspruch sind vornehmlich solche, in denen aus einer rechtswidrigen Handlung allein noch kein Schaden entstanden ist,3 sowie solche, bei denen keine oder nicht nur Individualrechtsgüter verletzt werden (Gemeinschaftsgüterschäden).4 1. Streu-/Bagatellschäden Unter Streuschäden, welche auch unter dem Terminus Bagatellschäden firmieren,5 sind häufig auftretende gleichartige Schadensereignisse zu verstehen.6 Die Schäden treten „gestreut“ auf, mithin ist eine Vielzahl von Einzelsubjekten betroffen.7 Der wirtschaftliche Wert der einzelnen Ersatzansprüche ist jedoch relativ gering, sodass der Einzelne den Schaden bisweilen gar nicht wahrnimmt8 oder aber zumindest kein nennenswertes Interesse an der Rechtsverfolgung besitzt.9 Erst aus der Addition der Einzelschäden entsteht ein numerisch gewichtiger 3 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 27 f. Eine Ausnahme hiervon gilt für Unterlassungsansprüche, vgl. zu diesen nur: Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 23 f. 4 Zu diesem Begriff: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 126 f. m.w. N.; ebenda, S. 128 f. m.w. N. zur Schadensberechnung; Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (50 f.), der herausstellt, dass es sich hierbei z. B. um Umweltschäden handeln kann. Siehe auch: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1322). 5 Zur synonymen Verwendung: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 22 m.w. N.; kritisch zum Streuschadensbegriff und für eine Verwendung des Bagatellschadens: Lange, Gruppenverfahren, S. 13 ff.; anders wohl: Schaub, JZ 2011, 13 (13 f., 16), wonach Streuschaden eine Art Oberbegriff wäre. Typische Fallbeispiele für Streuschäden sind Füllmengenunterschreitungen, vgl. Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 2 f. oder unwirksame Bankentgelte, vgl. Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (3). Siehe außerdem: MellerHannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 25; Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Streu- und Massenschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (52) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 6 Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Streu- und Massenschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (52). Nach Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 20 handelt es sich dabei um den gemeinsamen Ausgangspunkt von Streu- und Massenschäden. 7 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 22 zieht eine Parallele zur „Vielzahl“ in § 305 Abs. 1 S. 1 BGB, für das Wettbewerbsrecht stellt sie auf 15 bis 30 Betroffene ab, dazu: Micklitz/Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 35 f.; siehe auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 49 f. Lange, Gruppenverfahren, S. 20 f., kritisiert, wegen des Begriffs der „Streuung“, die Gleichsetzung von Bagatellschäden mit Streuschäden, da auch Massenschäden auf einer breiten Streuung von Schäden (z. B. falsche Kapitalmarktinformationen) beruhen. 8 Gerade bei Streuschäden besteht eine Informationsasymmetrie zulasten der Geschädigten, so: Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (19 f.). 9 Meller-Hannich, NJW-Beilage 2018, 29 (30); Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 107.
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Schaden.10 Für den Einzelnen besteht allerdings ein „rationales Desinteresse“ an der Rechtsverfolgung, da die Rechtsverfolgungskosten, die Verfahrensdauer und der persönliche Zeitaufwand sowie die Ungewissheit über den Verfahrensausgang eine Klageerhebung wirtschaftlich uninteressant erscheinen lassen.11 Dadurch besteht eine Disparität zwischen dem Prozessrisiko einerseits und dem verfolgten Individualanspruch andererseits.12 Treffenderweise wird daher auch teilweise synonym der Begriff „rationale Apathie“ verwandt.13 Für die zahlenmäßige Abgrenzung, ab welcher Schadenshöhe ein solches rationales Desinteresse vorliegen soll, wurden bereits zahlreiche Vorschläge unterbreitet.14 So könnten die Ergebnisse des Spezial-Eurobarometers der Europäischen Kommission „Die Bürger der Europäischen Union und der Zugang zur Justiz“ herangezogen werden, welches sich mit der Zugänglichkeit und der Haltung der EU-Bürger zum Justizsystem befasste.15 Demnach wäre die Bereitschaft, für einen Schwellenwert von unter 100 Euro ein Gericht zu bemühen, nur bei 13 Prozent der Befragten gegeben. Für jeweils 18 Prozent läge der Schwellenwert sogar bei 500 Euro oder 1.000 Euro.16 Teilweise wird pauschal davon ausgegangen, eine Nichtverfolgung von Schäden unter 100 Euro sei rational nachvollziehbar.17 An anderer Stelle wird der Durchschnittswert mit 1.950 Euro beziffert.18 Zur Ermittlung von Wertgrenzen wird 10 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 22 m.w. N. legt den Schwerpunkt zur Abgrenzung auf das rationale Desinteresse (ebenda, S. 23); dazu auch: Haß, Gruppenklage, S. 12. Siehe auch: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 107; Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (52). 11 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 25; speziell im Hinblick auf Verbraucher: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 39 f. 12 Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (52 f.). 13 Scholl, ZfPW 2019, 317 (328); siehe auch: Meller-Hannich, System des kollektiven Rechtsschutzes, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 13 (14); Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, 3 (5). 14 Siehe nur: Lange, Gruppenverfahren, S. 18 ff. m.w. N. Eine Übersicht findet sich bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 22 f. 15 Hierauf weist Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 23 hin. 16 Diejenigen Befragten, die bei einem Betrag von unter 100 Euro nicht klagen würden, führten als Gründe an: Verhältnis zwischen Gerichtskosten und Preis (73 %), Verfahrensdauer (33 %) und zu komplexes Verfahren (23 %). Interessanterweise gaben 67 % der Befragten an, dass eine Möglichkeit des Zusammenschlusses mit anderen Verbrauchern ihre Bereitschaft zu klagen wahrscheinlich erhöhen würde. Spezial-Eurobarometer, Die Bürger der europäischen Union und der Zugang zur Justiz, Zusammenfassung, S. 13 ff. 17 So: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 107; Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (52 f.), unter Verweis auf die Prozesskosten und Gerichtsgebühren. 18 Dies stellt einen Durchschnittswert aus den Einzelantworten dar. So würden für einen Betrag von unter 500 Euro nur 17 % klagen, 22 % erst bei 1.000 bis 2.500 Euro,
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bisweilen eine Anlehnung an das Kostenrecht vorgenommen,19 wobei diese Grenze bei juristisch ungeschulten Geschädigten kaum durchgreifen kann, fehlen dort doch bereits Grundkenntnisse des Kostenrechts. Eine starre summenmäßige Grenzziehung erscheint daher nicht angezeigt und enthält zwangsläufig ein Element der Willkürlichkeit.20 Hierfür sind Faktoren wie die individuelle Klage- und Risikobereitschaft, aber auch der Einfluss des verbleibenden Restwertes von Sachen und Leistungen oder deren ursprünglicher Wert zu wenig generalisier- und objektivierbar. Letztlich kann als Befund aber konstatiert werden, dass Klagen, trotz bestehender Schäden, ausbleiben.21 Bereiche, in denen typischerweise Streuschäden entstehen, wie dem Verbraucher-, Lauterkeits-, und Kartellrecht, weist dementsprechend auch das Gutachten zum 72. Deutschen Juristentag als typische Rechtsgebiete mit hoher Verbandsklagetätigkeit aus, was als Indiz für eine zaghafte individuelle Durchsetzung gewertet werden kann.22 Wenn aber Schadensersatzansprüche nicht durchgesetzt werden, kann das Haftungsrecht auch seine Kompensations- und Präventionsfunktion nicht erfüllen.23 Für einen kalkulierenden Schädiger ist somit die maßgebliche Variable nicht die eigentliche Schadenshöhe, sondern das Verhältnis zwischen den Kosten der präventiven Schadensvermeidung auf der einen Seite und den Kosten der Rechtsverteidigung und Schadensliquidation auf der anderen Seite. Bei einem rationalen Desinteresse an der Schadensliquidation auf der Geschädigtenseite kann folglich die präventive Schadensvermeidung wirtschaftlich uninteressant werden und zugleich vgl. ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Roland, Rechtsreport, 2014, S. 36. Auf diese Studie weisen u. a. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 4 und Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 39 hin. 19 Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 13; dazu auch: Micklitz/ Stadler, Unrechtsgewinnabschöpfung, S. 92 f. 20 So auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 19; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 23 erkennt an, dass eine konkrete Bezifferung nicht möglich ist und schlägt einen Bereich von 200 bis 1000 Euro vor. 21 Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1322); Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (5). 22 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 28 ff., wobei nicht übersehen werden sollte, dass dies auch die Bereiche sind, in denen die Verbraucherverbände bislang klagebefugt sind. Vgl. für das Wettbewerbsrecht: Van den Bergh/ Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (20 f.). 23 Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 45 ff., dies wird bestätigt durch die ökonomische Analyse des Haftungsrechts, vgl. ebenda, S. 55 ff. Zwar besteht die im dt. Recht primäre Aufgabe des Schadensersatzrechts in der Kompensationsfunktion, das Präventionsprinzip ist aber eine gewollte Folgewirkung, so: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (47 f.) m.w. N. Wenn der Einzelne an der „repressiven“ Anspruchsgeltendmachung nur ein minimales Interesse hat, dann kann die „präventive“ Verhaltenssteuerung in den Vordergrund treten, vgl. Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 109 f.; siehe auch: Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559 (560); Koch, JZ 1999, 922 (922 ff., insb. 928).
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auch, zumindest für manche Marktteilnehmer, ein unlauteres Geschäftsmodell lohnenswert erscheinen, weil die Höhe des zu erwartenden Schadensersatzes sinkt.24 Letztlich steht die privatnützige Entscheidung für ein Verharren in rationaler Apathie in keinem sachlich angemessenen Verhältnis zu den gesamtgesellschaftlichen Implikationen im Bereich der Streuschäden.25 Die objektive Rechtsordnung büßt infolge mangelnder Bewehrung an Durchsetzungsfähigkeit ein.26 Dies gefährdet den Wettbewerb27 und geht zulasten der Verhaltenssteuerung, im Sinne einer wettbewerbskonformen Verhaltensweise, die im Hinblick auf die Durchsetzung des objektiven Rechts auch eine soziale Dimension hat.28 Bisweilen wird sogar davon ausgegangen, dass die Verhaltenssteuerung der ausschließliche Zweck des Ausgleichs bei Streuschäden sei, da die individuelle Schadenskompensation unverhältnismäßige administrative Kosten verursachen würde.29 2. Massenschäden Massenschäden unterscheiden sich von Streuschäden maßgeblich durch die Höhe der Einzelschadensereignisse,30 welche nicht gering, sondern mittelgroß 24 Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (68 ff.); Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (74); Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 49 f.; vgl. auch: Meller-Hannich, System des kollektiven Rechtsschutzes, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 13 (14). Es sollte dennoch nicht ignoriert werden, dass, gerade bei KMUs, auch Rechtsunsicherheiten Gründe für die Schadensentstehung sein können, so: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 6. 25 Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (20 f.). Da bei kalkuliertem Rechtsbruch Sanktionen und folglich auch Prävention ausbleiben hat die Allgemeinheit hier ein gesteigertes Interesse an der Rechtsdurchsetzung, so: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 25 f. 26 So im Hinblick auf das Verbraucherrecht: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 50, 63; Koch, JZ 1999, 922 (929). 27 Diese führt wiederum zu Wohlfahrtseinbußen für die Gesamtgesellschaft, Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 55 ff.; BT-Drs. 19/ 2507, S. 1; Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1323); ebenso: Scholl, ZfPW 2019, 317 (329). 28 Wobei „sozial“ i. S. v. „gesellschaftlich“ zu verstehen ist, vgl. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 51 ff. 29 So aus schadensrechtlicher Perspektive: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 109; unter Verweis auf: Stadler/Micklitz, WRP 2003, 559 (560). Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (53, 73 f.), hier wird sogar postuliert, der Gesetzgeber solle eine individuelle Rechtsdurchsetzung bei Streuschäden, zum Schutz des Justizsystems nicht fördern. 30 Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 119, als Beispiele werden Flugzeugabstürze, Schiffsunglücke, fehlerhafte Kapitalmarktinformationen, Produktschäden infolge von Konstruktionsfehlern etc. genannt. Kritisch zur Abgrenzung nach der Schadenshöhe und für eine Abgrenzung anhand des Interesses, unterschieden in absolutes Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung (Bagatellschäden) und relatives Desin-
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bis groß ausfallen.31 Auch insoweit kann eine verhältnismäßig große Anzahl Betroffener gegeben sein. Die Schadensereignisse sind einander ähnlich und häufig gleich oder gleichartig gelagert.32 Defizite des Rechtsschutzes können hier weniger im Bereich der Mobilisierung möglicher Anspruchsberechtigter identifiziert werden, denn die wirtschaftliche Relevanz des Schadens dürfte für viele einen Anreiz zur Rechtsverfolgung bieten.33 Anders als bei Streuschäden ergibt sich keine faktische Funktionsverlagerung des Haftungsrechts hin zur Prävention, im Gegenteil, steht hier die tradierte Schadenskompensation und die erst daraus folgende Schadensprävention im Vordergrund.34 Defizite ergeben sich vielmehr aus der Konzeption des Zweiparteienprozesses der ZPO.35 So kann eine große Anzahl ähnlich gelagerter Klagen die Ressourcen der Justiz derart beanspruchen,36 dass es aufgrund der ähnlich gelagerten Fallgestaltungen und der ähnlichen Rechtsfragen zu einer gewissen Ineffizienz des einzelnen Prozesses kommt, sowie weitergehend zu einer Gefahr sich widersprechender Judikate.37 Für den Schädiger, in seiner prozessualen Rolle als Beklagter, bietet die „Vereinzelung“ der Kläger aber einen entscheidenden Vorteil. Er kann, gerade aufgrund der Ähnlichkeit der Verfahren, seine Ressourcen bündeln. Er wird gewissermaßen zum „Wiederholungstäter“ („repeat player“).38 In der Praxis ergibt teresse (bei höheren Schadenssummen): Lange, Gruppenverfahren, S. 15 ff., letztlich führt auch diese Art der Abgrenzung zu ähnlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Notwendigkeit verbesserter prozessualer Rechtsdurchsetzungsinstrumente, vgl. hierfür das Ergebnis bei: ebenda, S. 26 f. 31 Meller-Hannich, NJW-Beilage 2018, 29 (30); Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 26. 32 Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (54); Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 119; Scholl, ZfPW 2019, 317 (327) m.w. N.; siehe zu möglichen Schadensfällen: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 20 f. m.w. N. 33 Siehe nur: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (80). 34 In diese Richtung auch: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (55) m.w. N., der jedoch den Präventionseffekt betont. 35 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 27. 36 So, unter Verweis auf den „Telekom-Prozess“, Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 26; hierzu: Jahn, ZIP 2008, 1314 (1315); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 24 f.; anschaulich: Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (4). 37 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 26 f., dort auch exemplarisch zum „Dieselabgasskandal“; zur Problematik der Defizite in der Rechtsdurchsetzung, vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 24 f. m.w. N. und Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (54 f., 81); Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1323 f.); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 24 f. m.w. N. 38 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 27; Galanter, L. Soc. Rev. 1974, 95 (97).
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sich daher eine Tendenz zu einer möglichst langwierigen Verfahrensgestaltung. Dies beinhaltet eine weitgehende Ausnutzung des Instanzenzugs, während späte Anerkenntnisse und Vergleichsschlüsse gleichzeitig Grundsatzurteile verhindern.39 Diesem prozesstaktischen Vorgehen des Beklagten kann der Kläger, welcher meist nennenswerter Prozesserfahrung (sog. „one shooter“) entbehrt und der nicht über entsprechende Ressourcen verfügt, keine adäquate Antwort geben.40 Trotz der mobilisierenden Schadenshöhe sollte außerdem nicht unterschätzt werden, dass gerade das beschriebene Szenario der „Vereinzelung“ viele potenziell Geschädigte von einer Klage abhalten kann. Hohe Streitwerte und ungewisse Erfolgsaussichten können für Einzelkläger hemmend wirken.41 Im Ergebnis lässt sich somit feststellen, dass bei Massenschäden nicht die Überwindung eines „rationalen Desinteresses“ der Rechtsdurchsetzung im Wege steht, sondern die fehlende effiziente Gestaltung des Zivilverfahrens.42 Ein effizienter Einsatz von Justizressourcen dient somit einer effektiven Rechtsdurchsetzung43 und schafft positive Skaleneffekte hinsichtlich der Verfahrenskosten.44
II. Bisherige Möglichkeiten der kollektiven Rechtsverfolgung Um ein mögliches Rechtsschutzdefizit bei Streu- und Massenschäden besser belegen zu können, werden nachfolgend die bisherigen Rechtsschutzinstrumente auf dem Gebiet des kollektiven Rechtsschutzes überblicksartig dargestellt. 1. Zum Begriff des kollektiven Rechtsschutzes in Abgrenzung zum tradierten Individualrechtsschutz Bevor die bisherigen prozessualen Rechtsdurchsetzungsinstrumente betrachtet werden können, ist zu klären, was unter kollektivem Rechtsschutz im Allgemeinen zu verstehen ist. Die EU-Kommission geht von folgender Definition45 aus: „,Kollektiver Rechtsschutz‘ ist ein allgemeiner Begriff, der sämtliche Verfahren einschließt, mit denen die Unterlassung oder Verhütung unerlaubter Geschäfts39
Röthemeyer, in: Hk-ZPO, Einf., Rn. 10 ff. m.w. N. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 32 f.; Galanter, L. Soc. Rev. 1974, 95 (97). Ebenso: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 38 ff. 41 Röthemeyer, in: Hk-ZPO, Einf., Rn. 9. 42 So auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 25; Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (6); Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 120. 43 In diese Richtung: Scholl, ZfPW 2019, 317 (327 f.) m.w. N. 44 Differenzierend: Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (17, 26 f.). 45 Eine anerkannte Definition existiert nicht, vgl. Koch, Internationaler kollektiver Rechtsschutz, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 53 (55); Stadler, JZ 2009, 121 (121 f.). 40
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praktiken mit nachteiligen Folgen für eine Vielzahl von Klägern oder der Ersatz des durch derartige Praktiken entstandenen Schadens erwirkt werden kann.“ 46 Begrifflich geht es um Verfahren, die Rechtsschutz, also die Durchsetzung materieller Rechte auf gerichtlichem und außergerichtlichem 47 Wege, zum Gegenstand haben. Im Unterschied zum Individualrechtsschutz besteht aber eine gewisse personale Breitenwirkung und ergibt sich ein dementsprechend intendierter Bündelungseffekt hinsichtlich mehrerer möglicher Ansprüche und deren Anspruchsinhabern.48 Insofern erfasst diese Definition den zentralen Aspekt einer Rechtsdurchsetzung mit Breitenwirkung, deren Ursache in einem abgrenzbaren Ereignis oder Verhalten liegt. Allerdings muss der Anlass des kollektiven Rechtsschutzes nicht eine unerlaubte Geschäftspraktik sein und kann das Klageziel auch in einer Feststellung liegen.49 Daneben werden ebenso solche Verfahren erfasst, die zwar nicht direkt eine rechtliche Bindung zwischen dem Beklagten und den potenziell Geschädigten bewirken, und somit nicht final dem Individualschutz dienen, die aber über die Interessen des Einzelnen hinausgehend einem „überindividuellen Interesse“ zugutekommen sollen.50 Festgehalten werden kann daher 46 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz. Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, vom 04.02.2011, SEK (2011) 173 endg., S. 3 f. Auf diese Definition weist auch Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 29 f. hin. Siehe auch die Definition in: Rule 207 der Model European Rules of Civil Procedure (abrufbar unter: https://www.europeanlawinstitute.eu/filead min/user_upload/p_eli/Publications/200925-eli-unidroit-rules-e.pdf (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). 47 So auch die Ausführungen der Kommission, in: Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Öffentliche Konsultation: Kollektiver Rechtsschutz. Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, vom 04.02.2011, SEK (2011) 173 endg., S. 4: „Kollektive Rechtsschutzverfahren können verschiedenerlei Gestalt annehmen und schließen außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren ebenso ein wie die Betrauung einer öffentlichen Einrichtung oder eines anderen Vertretungsorgans mit der Durchsetzung des kollektiven Anspruchs.“ 48 Kollektiver Rechtsschutz und individueller Rechtsschutz sind somit „Gegenbegriff[e]“: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 40 f.; den Bündelungseffekt betont auch Hess, JZ 2011, 66 (66, insb. Fn. 8); Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 170; Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor §§ 50–58, Rn. 55. Anhaltspunkte zu den verschiedenen Ausgestaltungsformen als Verbandsklagen, Sammelklagen, Gruppenklagen und Musterklagen finden sich bei: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (31 ff.); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 29 ff. 49 Hierauf weist Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (401) hin. 50 So weist Koch darauf hin, dass der Begriff „kollektiv“ eine Verfolgung sowohl mehrerer Ansprüche/Interessen erfassen kann und dementsprechend sowohl die gebündelte Durchsetzung von Individualinteressen als auch die Durchsetzung von Interessen, welche über den Einzelnen hinausgehen, erfassen kann, vgl. Koch, Internationaler kollektiver Rechtsschutz, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 53 (56). Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 121 f. m.w. N. möchte kollektiven Rechtsschutz als Rechtsverfolgung „unter einem gemeinsamen überindividuellen Zweck“ charakterisieren, was in vielen Fällen der kollektiven Anspruchsbündelung eine eher theoretische Annahme sein dürfte.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
ein gewisser antithetischer Ausgangspunkt des kollektiven Rechtsschutzes gegenüber dem Individualrechtsschutz als eine Art Gegensatzpaar,51 wobei Ersterer Letzteren nicht im Sinne eines Zielkonflikts kategorisch ausschließen muss. Denn ein Kollektivverfahren ist zwar kein Individualverfahren, kann aber nichtsdestotrotz individualschützende Funktionen und Wirkungen erfüllen, respektive entfalten. Sofern in der Literatur unter kollektivem Rechtsschutz diejenigen Rechtsbehelfe verstanden werden, die nicht nur ein Individualinteresse, sondern unter Umständen auch neben diesem noch ein weiteres (kollektives) Interesse durchsetzen, ermöglicht dies ein grundlegendes Verständnis.52 Letztlich ist der Begriff des „kollektiven Rechtsschutzes“ damit jedoch nicht abschließend erfassbar.53 In Abgrenzung zum klassischen Individualverfahren54 werden daher nachfolgend all diejenigen Rechtsinstrumente beleuchtet, die entweder einen Bündelungseffekt bei Individualansprüchen und -rechtsverfolgung ermöglichen und solche, die Interessen durchsetzen, die über das Individuum hinausgehen. 2. Überblick über die Rechtsinstrumente vor Einführung der Musterfeststellungsklage Um das Bedürfnis nach einem legislativen Handeln zu verdeutlichen, bedarf es einer Darstellung der bisherigen limitierten Möglichkeiten und der daraus sich ergebenden Defizite im Bereich der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Dafür soll nachfolgend der Status quo ante vor dem 01.11.2018 aufgezeigt werden. Die Ausführungen beschränken sich hierbei auf die wesentlichen Merkmale der Rechtsinstrumente.55
51 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 170 spricht vom „zweiten großen Zweig gerichtlichen Rechtsschutzes neben den Individualverfahren“. 52 Vgl. Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 121 m.w. N., unter Verweis auf: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 39 ff.; Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 54 f. Das Abstellen auf den Aspekt der gebündelten Rechtsverfolgung dürfte zu eng sein, so aber: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 45, unter Verweis auf: Djazayeri, jurisPR-BKR 2018, Anm. 1. 53 Stadler, JZ 2009, 121 (121 f.); Meller-Hannich/Höland, DRiZ 2011, 164 (164); Montag, ZRP 2013, 172 (173); zu diesen Nachweisen: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 118. Alexander, JuS 2009, 590 (590) weist darauf hin, dass die Begrifflichkeit in ihrem Bedeutungsgehalt nicht überbewertet werden sollte. 54 Vgl. insoweit den Ausgangspunkt von: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 121, der funktional danach abgrenzt, ob nicht nur die Interessen eines Subjekts durchgesetzt werden. 55 Eine tabellarische Übersicht findet sich bei: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 13; eine ausführliche Darstellung bietet: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 70 ff.; siehe auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 32 ff., dort auch zu weiteren Verfahren; siehe auch: Voit, Sammelklagen, S. 145 ff.
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a) Verbandsklagen Verbandsklagen stellen das bislang in Deutschland bedeutendste Instrument des kollektiven Rechtsschutzes dar.56 Im Folgenden soll zum einen aus Platzgründen der Fokus auf solchen Verbandsklagen liegen, welche den Verbraucherverbänden offenstehen.57 Dies sind Einrichtungen, die sich den Schutz von Verbraucherinteressen durch Aufklärung und Beratung zum Ziel gesetzt haben.58 Zum anderen wird diese Fokussierung gewählt, da sowohl die Musterfeststellungsklage59 als auch die EU-RL60 auf eine Klageaktivität gerade dieser Verbände gerichtet sind. aa) Unterlassungsklagen durch Verbraucherschutzverbände Verbandsunterlassungsklagen sind kein Novum in der deutschen Rechtsordnung.61 So existieren lauterkeitsrechtliche Verbandsklagen bereits seit 1896.62 Eine Klagebefugnis, gerichtet auf Unterlassung eines wettbewerbswidrigen Handelns, wurde Verbraucherverbänden im UWG mit dem Jahr 1965 eingeräumt.63 Hieran orientierte64 sich die Einführung von Unterlassungsklagen zugunsten von Verbraucherverbänden im Bereich des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Jahre 1977.65 Im GWB nahm der Gesetzgeber eine Ausdehnung der Unterlassungsklagen zugunsten von Verbraucherverbänden 2012 vor.66 56 So die Einschätzung bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 40; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 76. 57 Weitergehende Darlegungen finden sich u. a. bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 40 ff.; Schaumburg, Verbandsklage, S. 47 ff. Andere „Verbände“ sind insbesondere: Qualifizierte Wirtschaftsverbände, Industrie- und Handelskammern, nach der Handwerksordnung errichtete Organisationen, berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts, Gewerkschaften (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2, 3 UKlaG, § 8 Abs. 3 Nr. 2, 4 UWG) und Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen (vgl. § 33 Abs. 4 Nr. 1 GWB). 58 Vgl. nur zu Verbraucherverbänden: Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.52, 3.56 f. 59 Vgl. nur: § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 B. I. 1.–3. und 5. 60 ErwGr. 24, S. 1 RL. 61 Vgl. nur: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 14; Schaumburg, Verbandsklage, S. 19; Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (345). 62 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27.05.1896, RGBl. I Nr. 13, vom 30.05.1896, S. 145. 63 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Warenzeichengesetzes und des Gebrauchsmustergesetzes vom 21.07.1965, BGBl. I Nr. 32, vom 30.07.1965, S. 625 f. 64 Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, Vor § 1 UKlaG, Rn. 10. 65 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGesetz) vom 09.12.1976, BGBl. I Nr. 142, vom 15.12.1976, S. 3317 ff., siehe auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 9; mit der Einführung von § 3 UKlaG sind gegenüber der Vorgängerregelung im AGBG keine wesentlichen Ände-
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
Im Einzelnen ergibt sich somit folgendes Bild: Die Unterlassungsklagen im Bereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen und verbraucherschutzgesetzwidriger Praktiken befinden sich seit 2002 in § 3 Abs. 1 S. 1 UKlaG für Verstöße gegen die §§ 1 bis 2 UKlaG.67 Zu den Anspruchsberechtigten zählen nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG „qualifizierte Einrichtungen“, dies sind Verbraucherverbände68 sowie ferner die hier ausgeklammerten qualifizierten Wirtschaftsverbände (Nr. 2), Industrie- und Handelskammern, nach der Handwerksordnung errichtete Organisationen, berufsständische Körperschaften und Gewerkschaften (Nr. 3).69 Gemäß § 1 UKlaG besteht ein Unterlassungsanspruch bei Verwendung und ein Widerrufsanspruch bei Empfehlung der Verwendung von nach §§ 307 bis 309 BGB unwirksamen AGBs.70 Nach § 2 Abs. 1 UKlaG besteht ein Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung eines Verstoßes gegen dort aufgelistete Verbraucherschutzgesetze. 71 Schadensersatzansprüche für deren Verletzung sind dabei nicht vorgesehen.72 Für den Bereich des unlauteren Wettbewerbs sind Abwehransprüche zugunsten von Verbraucherverbänden in § 8 Abs. 1 i.V. m. Abs. 3 Nr. 3 UWG normiert.73 Die Abwehransprüche umfassen einen Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, S. 2 UWG) bezüglich bereits eingetretener und künftiger unlauterer Geschäftshandlungen und einen Beseitigungsanspruch (§ 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 UWG) für eingetretene Beeinträchtigungen.74 Sie beziehen sich verschuldensunabhängig
rungen intendiert: vgl. Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 1; Walker, in: UKlaG, § 3, Rn. 1. 66 Keßler, VuR 2012, 391 (397); Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 18. Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.06.2013, BGBl. I Nr. 32, vom 29.06.2013, S. 1738 ff. Bereits durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, vom 27.07.1957, BGBl. I Nr. 41, vom 09.08.1957, S. 1081 ff. wurden Verbandsklagen, allerdings ohne Klageberechtigung von Verbraucherverbänden, eingeführt. 67 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 45 f. 68 Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 12. 69 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 3 UKlaG, Rn. 4 ff. Siehe zu den Änderungen zum 01.12.2021 durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020, BGBl. I Nr. 56, vom 01.12.2020, S. 2568 ff. für die Verbände und Kammern: Max, VuR 2021, 129 (130 ff.). 70 Walker, in: UKlaG, § 1, Rn. 5 ff. und 12 ff. 71 Walker, in: UKlaG, § 2, dort zu den Anspruchsvoraussetzungen: Rn. 3 ff., zum Anspruchsinhalt: Rn. 9. 72 Allgemein für Verbandsunterlassungsklagen: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 45; für die Fälle des § 2 UKlaG explizit: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 2 UKlaG, Rn. 43. 73 Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.52 ff. Siehe zu den Anpassungen durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs: Möller, NJW 2021, 1 (4). 74 Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 1.1 ff.; zu einem möglichen Folgenbeseitigungsanspruch: ebenda, Rn. 1.107 ff., Büscher, in: Fezer/
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auf unzulässige geschäftliche Handlungen, also Verstöße gegen §§ 3 und 7 UWG.75 Der Beseitigungsanspruch ist nicht mit einem Schadensersatzanspruch gleichzusetzen, auch wenn beide gleichlaufend sein können.76 Schadensersatzansprüche für Verstöße gegen §§ 3 und 7 UWG können nach § 9 UWG dem Mitbewerber77 und teilweise dem Verbraucher zustehen,78 nicht jedoch den qualifizierten Einrichtungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG. Der verschuldensunabhängige Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des § 33 Abs. 1 GWB für Verstöße gegen das Kartellrecht79 kann nach § 33 Abs. 4 GWB auch von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen (Nr. 1) sowie von Verbraucherverbänden nach Nr. 2 lit. a) und b) geltend gemacht werden.80 Auch insoweit ist der Beseitigungsanspruch allerdings nicht gleichbedeutend mit einem Schadensersatzanspruch, denn Ersterer ist gerichtet auf die Beseitigung der primären Störungsquelle, während Zweiterer der Kompensation des erlittenen Schadens dient.81 Den Unterlassungsklagen ist gemein, dass sie Rechtsverstöße nur mit Wirkung für die Zukunft unterbinden können.82 Im Hinblick auf die oben skizzierten Phänomene der Streu- und Massenschäden können Unterlassungsklagen, sofern sich der Schaden bereits realisiert hat, keine Abhilfe schaffen; eine Kompensation der erlittenen Schäden ist durch sie ohnehin nicht möglich.83 bb) Einziehungsklagen Nach Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG von 200284 war eine Geltendmachung fremder oder abgetretener Forderungen durch Verbraucherverbände nur möglich, sofern Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, § 8 UWG, Rn. 8. Siehe auch: Lühmann, NJW 2020, 1706 (1708). 75 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 8, Rn. 1. 76 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 8, Rn. 70. 77 Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 9, Rn. 12. 78 Siehe zur Neuregelung des § 9 Abs. 2 UWG: Heinze/Engel, NJW 2021, 2609 (2609); Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 10.08.2021, BGBl Nr. 53, vom 17.08.2021, S. 3504 f. 79 Näher zu den Verstößen: Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 4 ff., 8, 14. 80 Zur Aktivlegitimation der Verbände: Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 18 ff., insb. Rn. 21; Kersting, in: L/M/R/K/M-L, Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 52 f. 81 Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 14: § 33 Abs. 1 GWB gleicht dem Anspruch aus § 8 UWG, vgl. zu diesem: Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 1.102, 1.104 ff. 82 Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 110. 83 Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 24 und S. 1281 f. 84 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl I Nr. 61, vom 29.11.2001, S. 3138 (3180).
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
dies im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich war.85 2007 kam es zu Änderungen im Bereich des Rechtsdienstleistungsrechts,86 sodass seither Verbraucherverbände nach § 79 Abs. 1 S. 2 HS. 2 i.V. m. Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO als Prozessvertreter Einziehungsklagen für Verbraucher erheben können.87 Hierbei macht der Verbraucherverband Ansprüche von Verbrauchern geltend, die ihm entweder zuvor abgetreten wurden oder zu deren Einziehung er ermächtigt wurde.88 Der praktische Nutzen der Anspruchsbündelung nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO wird jedoch in der Praxis als gering bewertet, da die Durchsetzung individueller Ansprüche im Wege der Einziehungsklage eine erhebliche Koordination erfordere und daher für die Verbände schwierig zu leisten sei.89 Die Regelung ermöglicht zwar eine gewisse Anspruchsbündelung, aber keine Bündelung der Klagen und beinhaltet somit kein effektives Instrument, um kollektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.90 cc) Gewinnabschöpfungsklagen Gewinnabschöpfungsklagen finden sich in § 34a GWB und § 10 UWG. Seit 2004 gibt es in § 10 Abs. 1 UWG für die Verletzung von Wettbewerbsverstößen nach §§ 3 und 7 UWG einen Gewinnabschöpfungsanspruch für Verbände.91 Zudem wurde 2005 ein Vorteilsabschöpfungsanspruch zugunsten von Verbänden
85 Zur alten Rechtslage nach Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG, siehe: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 54 m.w. N.; zur früheren Rechtslage ebenfalls: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (35 ff.). Ausführlich zum Kriterium der Erforderlichkeit in der Rechtsprechung: Micklitz/Beuchler, NJW 2004, 1502 (1502 ff.) m.w. N.; siehe auch: BGH, Urteil vom 14.11.2006, Az. XI ZR 294/05, NJW 2007, 593 (593 ff.). 86 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12.12.2007, BGBl. I Nr. 63, vom 17.12.2007, S. 2840; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 11. 87 Piekenbrock, in: BeckOKZPO, § 79, Rn. 13. Anders als zuvor bedurfte es keiner „Erforderlichkeit im Interesse des Verbraucherschutzes“ (so noch Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG) mehr, vgl. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 11. 88 Dies sind die Alternativen des § 79 Abs. 1 S. 2 HS. 1 ZPO, vgl.: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 79 Rn. 3; zu den Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO siehe: ebenda, Rn. 13. 89 So die Gesetzesbegründung zur Musterfeststellungsklage, BT-Drs. 19/2507, S. 14; Röthemeyer, VuR 2019, 87 (89); ebenfalls kritisch: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (63); Röthemeyer, in: Hk-ZPO, Einf., Rn. 35. 90 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 55 m.w. N. 91 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 03.07.2004, BGBl. I Nr. 32, vom 07.07.2004, S. 1414 ff.; diese Norm war bei ihrer Einführung vielfältiger Kritik ausgesetzt, vgl. nur die Nachweise bei: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 2; ausführlich: von Braunmühl, in: Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, § 10 UWG, Rn. 105 ff.; sowie Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 48 f. m.w. N.
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nach § 33 Abs. 4 GWB für den Bereich des Kartellrechts in § 34a Abs. 1 GWB verankert.92 Die Klagen nach § 10 Abs. 1 UWG93 und § 34a Abs. 1 GWB94 bieten eine Möglichkeit vom Verletzer den durch eine Zuwiderhandlung gegen die dort enumerierten Gesetze erlangten Gewinn bzw. wirtschaftlichen Vorteil herauszuverlangen. Für die Verbände ist jedoch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Normen schwer nachzuweisen, so erfordern beide Ansprüche Vorsatz95 des Handelnden und den bezifferten Nachweis eines Gewinns.96 Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen diese Ansprüche eine Rechtsschutzlücke im Bereich der Streuschäden schließen.97 Eine Kompensation der Geschädigten gewährleistet die Gewinnherausgabe allerdings nicht. Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Zufluss an den Bundeshaushalt, zum anderen aus der Tatsache, dass Gewinnabschöpfung und Schadensersatz nicht deckungsgleich sind.98 Im Hinblick auf die obigen Schadensphänomene muss daher festgestellt werden, dass ein Gewinnabschöpfungsanspruch weder eine ausreichende Kompensation für entsprechende Individualschäden darstellen kann, noch eine wirksame Präventionswirkung bei Streuschäden entfaltet.99 Der vollständige Verbleib des Prozesskostenrisikos beim Verband dürfte die Klageaktivität ebenfalls nicht erhöhen.100
92 Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 07.07.2005, BGBl. I Nr. 42, vom 12.7.2005, S. 1954. 93 Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 7. 94 „Wirtschaftlicher Vorteil“, vgl. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 34a GWB, Rn. 12 f. 95 Für § 10 UWG: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 6; für § 34a GWB: Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 34a, Rn. 3. Der VRUG-E, S. 53, 146 sieht eine Abschwächung beim Verschulden und beim Nachweis eines Gewinns vor. 96 Siehe nur: Rott, Kollektive Klagen von Verbraucherorganisationen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 259 (272 f.). 97 Zu § 10 UWG: BT-Drs. 15/1487, S. 23; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 3; in diese Richtung geht auch die Begründung zu § 34a GWB, vgl. BT-Drs. 15/3640, S. 36. 98 Näher hierzu: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 7 ff. 99 So auch die Bewertung bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 52 ff.; bzgl. § 10 UWG: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 112, 114. 100 Die abgeschöpften Gewinne fließen dem Bundeshaushalt zu, vgl. für § 10 UWG: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 21; für § 34a GWB vgl.: Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 34a, Rn. 2, 11. Ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 34a Abs. 4 S. 2, 3 GWB besteht nur im Falle eines prozessualen Obsiegens des Verbandes, er trägt somit das Prozesskostenrisiko. Für den Aufwendungsersatzanspruch aus § 10 Abs. 4 S. 2 UWG gilt Gleiches, vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 34a, Rn. 13; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 10 UWG, Rn. 20 ff.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
b) Musterklagen Das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz wurde zum 01.11.2005 eingeführt101 und zum 01.11.2012 reformiert.102 Der Anwendungsbereich des KapMuG wird durch den Katalog des § 1 Abs. 1 KapMuG definiert und umfasst insbesondere Ansprüche wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen.103 Die Rechtsdurchsetzung mittels des KapMuG gliedert sich chronologisch in drei Teile, nämlich das Vorlageverfahren (§§ 2 ff. KapMuG), das Musterverfahren (§§ 9 ff. KapMuG) und die Fortsetzung der Individualverfahren unter Beachtung des Musterentscheids.104 Initiiert wird das Verfahren mittels Stellung eines Musterverfahrensantrags durch den Kläger oder den Beklagten (§ 2 Abs. 1 S. 2 KapMuG) beim Gericht der Hauptsache in der ersten Instanz, gerichtet auf Klärung bestimmter Feststellungsziele (§ 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG).105 Sofern das Gericht den Musterverfahrensantrag für zulässig erachtet und im Klageregister bekannt macht, kommt es zu einer Unterbrechung des Ausgangsverfahrens (§ 5 KapMuG).106 Für die Zulässigkeit des Musterverfahrens müssen binnen sechs Monaten seit Bekanntmachung im Bundesanzeiger neun weitere gleichgerichtete Anträge bekannt gemacht werden (§ 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG).107 Das Prozessgericht legt dem OLG108 dann den bindenden Vorlagebeschluss vor. Dieser bestimmt für das Musterverfahren, vorbehaltlich § 15 KapMuG, den Streitgegenstand.109 Das Prozessgericht setzt alle anhängigen Verfahren, welche von den Feststellungszielen abhängig sind, nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister aus (§ 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG).110 Das OLG wählt den Musterkläger nach § 9 Abs. 2 KapMuG aus.111 Anschließend können nach § 10 Abs. 2 S. 1 KapMuG Personen, die bislang keine Klage erhoben haben, eine Anmeldung vornehmen; diese hat aber nur verjährungshemmende Wirkung, denn die Anmelder sind keine Partei eines ausgesetzten Individualverfahrens und nehmen somit auch 101 Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren vom 16.08.2005, BGBl. I Nr. 50, vom 19.08.2005, S. 2437. 102 Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl. I Nr. 50, vom 25.10.2012, S. 2182. 103 Ausführlich zum Anwendungsbereich: Radtke-Rieger, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 1, Rn. 16 ff. 104 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 61; siehe auch: Großerichter, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, KapMuG, Einf., Rn. 8. 105 Großerichter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, Einf., Rn. 9. 106 Fullenkamp, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 5, Rn. 1. 107 Fullenkamp, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 6, Rn. 12. 108 Die Zuständigkeit des OLG ergibt sich aus § 6 Abs. 1 S. 1 KapMuG, § 118 GVG. 109 Fullenkamp, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 6, Rn. 24, 28. 110 Zusammenfassend zum Vorlageverfahren: Großerichter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, Einf., Rn. 9. 111 Lange, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 9, Rn. 13.
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nicht an den rechtlichen Wirkungen des Verfahrensergebnisses teil.112 Hingegen werden diejenigen erstinstanzlichen Kläger, die wiederum nicht Musterkläger sind, nach § 9 Abs. 3 KapMuG zu Beigeladenen des Musterverfahrens.113 Das Musterverfahren vor dem OLG richtet sich weitgehend nach der ZPO (§§ 11 ff. KapMuG).114 Sofern nicht das Verfahren durch einen Vergleichsschluss nach §§ 17 ff. KapMuG115 oder eine Beendigung nach § 13 Abs. 5 S. 1 KapMuG116 abgeschlossen wird, erlässt das Gericht einen Musterentscheid gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 KapMuG durch Beschluss. Gegen diesen findet die Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO) statt (§ 20 Abs. 1 S. 1 KapMuG).117 Nach der Beendigung des Musterverfahrens werden die ausgesetzten Individualprozesse fortgesetzt (§ 22 Abs. 4 KapMuG). Das Prozessgerichte ist an den Musterentscheid gemäß § 22 Abs. 1 KapMuG gebunden.118 Das Kapitalanlegermusterverfahren119 war das bis dato einzige Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zur Erleichterung der Durchsetzung von Individualschadensersatzansprüchen.120 Es ist zwar regelungstechnisch gelungen, jedoch sehr komplex und führt nicht zwingend zu einer signifikant gesteigerten Effizienz verglichen mit einer rein individuellen Rechtsverfolgung. Außerdem ist es sektoriell begrenzt und schafft keinen zusätzlichen Mobilisierungseffekt, weil das Musterverfahren aus bereits anhängigen Klagen entwickelt wird.121 c) Weitere Möglichkeiten der Verfahrensbündelung im Rahmen der ZPO Nach der Vorstellung der besonderen Rechtsinstrumente soll abschließend noch ein Kurzüberblick über die bereits im Rahmen der ZPO bestehenden Mög112
Großerichter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, Einf., Rn. 11. Lange, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 9, Rn. 38; laut Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 123 führt dies zu einer Ineffizienz des KapMuG-Verfahrens. Die Rechtstellung der Beigeladenen bestimmt sich nach § 14 KapMuG, ausführlich hierzu: Lange, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 14, Rn. 7 ff. 114 Großerichter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, Einf., Rn. 10. 115 Hierzu: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 65. 116 Kotschy, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 13, Rn. 13. 117 Kotschy, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 16, Rn. 1. 118 Kruis, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 22, Rn. 1 f., zur Bindungslockerung nach § 22 Abs. 3 KapMuG vgl. ebenda, Rn. 28 ff. 119 Die dogmatische Einordnung ist strittig, siehe hierzu: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 59 f. m.w. N. 120 So auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 56, mit ausführlicher Darstellung zum KapMuG. Entgegen der Annahme des Gesetzgebers stellt das KapMuG aber kein Instrument zur Liquidation von Streuschäden dar, BT-Drs. 15/5091, S. 13, sondern von Massenschäden, in diese Richtung: Wagner, Gutachten A zum 66. Deutschen Juristentag, S. 121 ff. 121 Vgl. zur gespaltenen Bewertung: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 66 ff. m.w. N.; siehe auch: Liebscher, AG 2020, 35 (35 ff.). 113
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
lichkeiten zur Verfahrensbündelung gegeben werden. Dies sind namentlich die Streitgenossenschaft, Nebenintervention, Verfahrensverbindung und -aussetzung sowie die Musterprozessabrede. Eine Verfahrenszusammenfassung kann im Rahmen einer Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO) erfolgen. Hierbei werden mehrere Prozessrechtsverhältnisse in einem Prozess zusammengefasst,122 mit der Folge eines einheitlichen Beweisverfahrens.123 Im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes dürfte meist nur eine einfache Streitgenossenschaft (§ 60 ZPO)124 möglich sein, da keine Fälle vorliegen in denen eine einheitliche Entscheidung ergehen muss (notwendige Streitgenossenschaft, § 62 Abs. 1 ZPO).125 Für eine effektive Bewältigung von Streu- oder Massenschäden ist diese aber nicht geeignet. Denn zum einen ist die meist nachträgliche Streitgenossenschaftsbildung, als subjektive Klagehäufung, nur vor demselben Gericht und nur für bereits erhobene Klagen möglich, womit ein Mobilisierungseffekt ausbleibt. Zum anderen erfordert sie Kenntnis von den parallelen Verfahren.126 Weiterhin bleiben die Verfahren der einzelnen Streitgenossen getrennt.127 Dies reduziert den Bündelungseffekt, was wiederum in keinem sachgerechten Verhältnis zum gesteigerten organisatorischen Aufwand des Gerichts bei einem Massenverfahren steht.128 Auch die Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) scheidet als Möglichkeit aus. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Nebenintervenient als „Dritter“ auf der Seite einer Partei in den Prozess eintritt129 und die Nebenintervention nur bei Vorlie-
122 Schultes, in: MüKoZPO, § 59, Rn. 22; Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 60, Rn. 1; es bleibt bei selbstständigen Prozessrechtsverhältnissen: Dressler, in: BeckOKZPO, § 59, Rn. 9. 123 Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 61, Rn. 3; v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 90 f. 124 Die Ansprüche oder Verpflichtungen müssen gleichartig sein und auf einem im Wesentlichen gleichartigen rechtlichen oder tatsächlichen Grund beruhen: Schultes, in: MüKoZPO, § 60, Rn. 2. § 60 ZPO ist weit auszulegen: Dressler, in: BeckOKZPO, § 60, Rn. 1 ff., insb. Rn. 4; Vossler, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 06.06.2018, Az. X ARZ 303/18, NJW, 2018, 2200 (2201 f.). 125 Vgl. zur Abgrenzung: Schultes, in: MüKoZPO, § 59, Rn. 4, 7; Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 62, Rn. 3 ff. 126 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (5) spricht von „Zufallsgemeinschaften“. 127 Im Einzelnen: Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 61, Rn. 6 ff.; im Falle der hier nur möglichen einfachen Streitgenossenschaft ergibt sich dies ausdrücklich aus § 61 ZPO: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 61, Rn. 1. 128 So auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 36 f. m.w. N.; i. E. ebenfalls ablehnend: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (60 f.). 129 Siehe zum Normzweck: Schultes, in: MüKoZPO, § 66, Rn. 1 m.w. N., § 67, Rn. 2; Dressler, in: BeckOKZPO, § 66, Rn. 1 f.; zur verfahrensrechtlichen Stellung: Dressler, in: BeckOKZPO, § 67, Rn. 1 ff.
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gen eines Interventionsgrundes zulässig ist.130 Ferner ist die Nebeninterventionswirkung (§ 68 ZPO) im Folgeprozess für den Nebenintervenienten eine grundsätzlich nachteilige, da diese nur zugunsten der unterstützten Hauptpartei wirkt.131 Dies ist also kein Instrument zur erleichterten Anspruchsdurchsetzung oder Bündelung gleichartiger Verfahren.132 Da auch der Zweck der Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO) nur in der Einflussnahme auf einen Folgeprozess mit dem Streitverkündungsempfänger (dem Dritten) liegt,133 scheidet diese als Möglichkeit kollektiven Rechtsschutzes aus. Gegenüber dem Beitritt ist eine Verbindung mehrerer Verfahren (§ 147 ZPO) möglich, wenn ein rechtlicher Zusammenhang zwischen den Ansprüchen der Einzelverfahren besteht oder diese in einer Klage hätten erhoben werden können.134 Problematisch hieran ist jedoch, dass eine Verbindung nur erfolgen kann, wenn die Verfahren vor demselben Gericht und in derselben Instanz anhängig sind.135 Außerdem bedarf es der Kenntnis anderer Verfahren, was dazu führt, dass die Verfahrensverbindung im Ergebnis von einem zufälligen Element abhängt.136 Auf der Rechtsfolgenseite kommt es außerdem „lediglich“ zu einer Streitgenossenschaft,137 deren Nachteile für die hier relevanten Schadensphänomene bereits zu Beginn dieses Abschnitts dargelegt wurden.138 Daneben können nach § 148 Abs. 1 ZPO Verfahren ausgesetzt werden, bis in einem anderen Rechtsstreit über eine präjudizielle139 Rechtsfrage entschieden wurde. Die Ungeeignetheit für die beschriebenen Schadensphänomene ergibt sich diesbezüglich schon aus der meist fehlenden Präjudizialität, denn in der Regel besteht nur eine Gleichartigkeit gewisser Tatsachen und Rechtsfragen.140 130 „Rechtliches Interesse“ i. S. d. § 66, ein rein ideelles oder wirtschaftliches Interesse genügt nicht, vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 66, Rn. 5 f.; BGH, Beschluss vom 18.11.2015, Az. VII ZB 57/12, NJW 2016, 1018 (1019). 131 Dressler, in: BeckOKZPO, § 68, Rn. 7; BGH, Urteil vom 04.04.2019, Az. III ZR 338/17, NJW 2019, 1748 (1750); Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 68, Rn. 1. 132 So auch die Bewertung bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 37 f. 133 Siehe nur: Schultes, in: MüKoZPO, § 72, Rn. 1. 134 Bünnigmann, in: Anders/Gehle, ZPO, § 147, Rn. 15. 135 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 147, Rn. 2; Wöstmann, in: Hk-ZPO, § 147, Rn. 2 f. 136 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (5); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 33 f. 137 Wendtland, in: BeckOKZPO, § 147, Rn. 11 f.; Wöstmann, in: Hk-ZPO, § 147, Rn. 8. 138 Ebenfalls ablehnend: v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 96. 139 Wöstmann, in: Hk-ZPO, § 148, Rn. 4; Bünnigmann, in: Anders/Gehle, ZPO, § 148, Rn. 4 f.; str., gegen eine restriktive Auslegung des § 148 ZPO: v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 92 f. 140 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (6); Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (41); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 34 f.
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Durch Abschluss einer Musterprozessabrede zwischen potenziellen Parteien eines Rechtsstreits werden ein oder mehrere Musterprozesse geführt und vereinbart, dass deren Ergebnisse für die anderen Verfahren bindend sein sollen. Zwar ist eine vertragliche Rechtskrafterstreckung nicht möglich, das Ergebnis kann aber den Ausgangspunkt eines materiell-rechtlichen Vergleichs bilden und so auf andere Verfahren, infolge übereinstimmenden Parteivortrags, übertragen werden.141 Eine praktikable Lösung kann hierin allerdings nicht gesehen werden, denn für die Führung eines Musterprozesses zwingend notwendig ist die Erzielung eines Konsenses hinsichtlich der Musterprozessabrede zwischen einer hinreichenden Anzahl potenzieller Kläger und dem Beklagten.142 Letztlich auch auf der Privatautonomie beruhen außergesetzlich organisierte Alternativlösungen. Die Verfolgung von Ansprüchen durch einzelfallbezogene Interessengemeinschaften, welche zumeist rechtlich als Personengesellschaften, mit den Anspruchsinhabern als Gesellschaftern, organisiert sind, und durch Rechtsverfolgungsgesellschaften, die meist auf der Grundlage von Abtretungen Forderungen einziehen,143 bieten eine Möglichkeit zur Bündelung von Ansprüchen. Neben Fragen der Zulässigkeit aufgrund des RDG144 zeigt die Existenz dieser Rechtsverfolgungsmodelle aber gerade, dass die ZPO, trotz bestehenden Bedarfs, keine hinreichenden Instrumente zur Verfügung stellt.145 d) Zwischenergebnis Es kann somit festgehalten werden, dass das deutsche Verfahrensrecht zwar Möglichkeiten der kollektiven Rechtsdurchsetzung, jedoch keine effektiven Durchsetzungsinstrumente für Individualansprüche vorsah.146
III. Bewertung der Rechtslage unter Berücksichtigung des Zweckes des Zivilprozesses Nachdem die bisher bestehenden Rechtsinstrumente betrachtet wurden, kann festgestellt werden, dass das Zivilprozessrecht – mit Ausnahme des sektoriellen 141 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 325, Rn. 20; v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 83 f.; Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (7 f.). 142 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (7 f.) m.w. N.; vgl. auch: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (56 f.). 143 Anschaulich hierzu: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 85 f. m.w. N.; Mann, NJW 2010, 2391 (2391 ff.); speziell für Interessengemeinschaften: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 38 ff. 144 Johnigk, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 2 RDG, Rn. 57 ff.; siehe zur aktuellen Rechtsprechung: Lühmann, NJW 2020, 1706 (1709 f.). 145 Vgl. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 66 f. 146 Entgegen vielen: Scholz, ZG 2003, 248 (253).
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KapMuG – im Status quo ante keine Rechtsschutzverfahren vorsah, welche im kollektiven Wege eine Geltendmachung von Individualansprüchen ermöglichten.147 Fraglich ist daher, inwiefern der Zweck des Zivilprozesses eine Verbesserung des Rechtsschutzes gebietet. Die Bedeutung des Prozesszwecks hierfür ergibt sich daraus, dass gerade dieser den funktionalen Zusammenhang des materiellen Rechts und des Prozessrechts widerspiegelt.148 Hieraus folgt freilich keine Handlungsverpflichtung der Legislative, aber es kann zumindest ein Hinweis darauf gewonnen werden, ob eine Anpassung der Rechtsdurchsetzung an die moderne Wirtschaftswelt mit dem Zweck des tradierten Zivilprozesses kongruent ist.149 Nach der Prozesszwecklehre von Wach aus dem Jahre 1885 sei der Prozesszweck die Bewehrung der Rechtsordnung im Wege des Individualrechtsschutzes.150 Dies klingt nur vordergründig wie eine Antithese zum subjektiven Individualrechtsschutz einer liberalen Prozessauffassung im Sinne einer rein objektivierenden Betrachtungsweise.151 Insbesondere wollte Wach den Zivilprozesszweck nicht aus der Sicht des Zivilrechts bestimmen, weil dies unweigerlich eine subjektive Klägerperspektive beinhaltet, sondern das Interesse beider Parteien betonen. Hieraus lässt sich eine objektive Zweckbestimmung des Prozesszwecks ableiten. Sowohl die Rechtsdurchsetzung als auch die Rechtsverteidigung subjektiver Individualinteressen führen schließlich gerade zu einem Individualschutz im Zivilprozess.152 Spätestens seit der Einführung des Grundgesetzes, mit der ver147 Siehe nur: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 75; bereits abl. zur Feststellung eines Rechtsschutzdefizits: Bruns, NJW 2018, 2753 (2756). 148 So: Roth, ZfPW 2017, 129 (132). Siehe auch: Voit, Sammelklagen, S. 74 ff., insb. S. 78, 84, jedoch stärker auf Verhaltenssteuerung damit auf die Bewehrung abstellend. 149 Aus der Erkenntnis über den Prozesszweck kann keine Lösung von Einzelproblemen gewonnen werden, mit der Erkenntnis des Zieles kann aber die Eignung des Mittels zweckmäßiger bewertet werden: Gaul, Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 68 (70). Zur Berücksichtigung des Zwecks bei der Gesetzgebung: Gaul, AcP 168 (1968), 27 (35 ff.); dazu auch: Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 242. 150 Vgl. Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (22 f.); siehe hierzu: Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, S. 3 ff. Bülow, ZZP 27 (1900), 201 (221) sah den Prozesszweck in der Verwirklichung des objektiven Privatrechts im Wege der Bewehrung mittels des Zivilprozesses. Eine Übersicht über die Literatur zum Prozesszweck findet sich bei: Münch, Grundfragen des Zivilprozesses, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 5 (7, Fn. 3), zu den Prozesszwecktheorien: ebenda (18 ff.), Münch selbst geht vom alleinigen Prozesszweck des Individualrechtsschutzes aus, ebenda (35, 49). 151 Bei der Prozesszwecklehre Wachs ist zu beachten, dass diese eine Abkehr vom aktionenrechtlichen Prozessverständnis markierte, nach welchem der Prozess aus der Klägerperspektive betrachtet wurde. Mit dem Bezug auf die objektive Rechtsordnung sollte auch die Rechtsverteidigung einbezogen werden, siehe: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (24) m.w. N. 152 Instruktiv zur Prozesszwecklehre: Wachs: Gaul, Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 68 (76 f.).
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fassungsrechtlichen Garantie des Justizgewährleistungsanspruchs (Art. 20 Abs. 3 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG)153 ist der Individualrechtsschutz endgültig in den Vordergrund getreten.154 Primärer Zweck des Zivilprozesses ist demnach die Feststellung und Durchsetzung privater Rechte, im Wege des Erkenntnisverfahrens und eines anschließenden Urteils.155 Gerade auch als Ausgleich des Verbots der Selbsthilfe besteht ein Anspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat, ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren.156 Der Zweck des Zivilprozesses besteht somit in der Verwirklichung subjektiver Rechte, sodass der Zivilprozess primär dem Rechtsschutz des Einzelnen dient.157 Die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung ist damit Folge des Rechtsschutzes zur Durchsetzung von Individualinteressen.158 Hierbei darf gleichwohl nicht übersehen werden, dass die gerechte materielle Durchsetzung eines subjektiven Rechts gerade einer objektiven Rechtsordnung bedarf.159 Dass im Zivilprozess auch öffentliche Interessen, wie namentlich
153 Vgl. zu dessen Wirkung im Zivilprozess: BVerfG, Beschluss vom 30.05.2012, Az. 1 BvR 509/11, NJW 2012, 2869 (2869); Bethge, NJW 1991, 2391 (2392 ff.); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 9. 154 Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (22 f.). Zur Judikatur des BVerfG: Schumann, Bundesverfassungsgericht, Grundgesetz und Zivilprozeß, S. 18 f. 155 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 5; Roth, ZfPW 2017, 129 (132 f.) Zur Ausgestaltung des Zivilprozesses im Sinne des Individualrechtsschutzes: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 10 f. m.w. N. und für die Grundmaximen der ZPO: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (29 ff.); BGH, Urteil vom 18.11.2004, Az. IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138 (143). Ausführlich zum Prozesszweck und dem Zusammenhang mit der materiellen Rechtsordnung: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 183 ff. 156 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 6. 157 Schilken, Zweck des Zivilprozesses in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (23 f.); Baur, Funktionswandel, in: Festschrift Tübinger Juristenfakultät, S. 159 (164); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 9 f. Die Schaffung von Rechtsfrieden ist eine Folge des Zivilprozesses, so: Gaul, Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 68 (83 f.). Nach Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (29), sind Rechtsfrieden und Rechtssicherheit sekundäre Prozesszwecke, str., siehe die Nachweise bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 10. 158 Die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung ist damit ein „sekundärer Prozesszweck“, so: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (25). Vgl. zu den anderen Prozesszweckansätzen: Roth, ZfPW 2017, 129 (134 f.). 159 Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (24). Nach Gaul besteht der Sinn des Zivilprozesses weder allein in der Bewehrung der objektiven Privatrechtsordnung noch in der Durchsetzung von Individualrechten, sondern in beidem. Er begründet dies u. a. mit der liberalen Auffassung des CPOGesetzgebers von 1877, welcher die Individualinteressen im Blick hatte. Mit der nachfolgenden Novellengesetzgebung wurde aber die Parteiherrschaft eingeschränkt und damit die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung stärker gewichtet, vgl.: Gaul, AcP 168 (1968), 27 (44 ff.).
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die Bewehrung der Privatrechtsordnung verfolgt werden,160 ist somit kein Gegensatz, sondern positive Folgewirkung. Die Annahme die Parteien würden ihren Prozess in erster Linie im Interesse der Allgemeinheit an der Bewehrung der Rechtsordnung führen, entspricht jedoch nicht der Lebenswirklichkeit.161 Unter Zugrundelegung dieses Prozesszweckverständnisses kann im Hinblick auf den kollektiven Rechtsschutz somit gefolgert werden: Musterprozesse (wie nach dem KapMuG) führen eine erleichterte Rechtsverfolgung von Individualansprüchen herbei, was kongruent zum oben herausgearbeiteten primären Zweck des Zivilprozesses ist.162 Wenngleich hierbei auf den sekundären Prozesszwecken, wie Rechtsfrieden, Rechtssicherheit und insbesondere die Bewehrung der Rechtsordnung, allein schon aufgrund der Bündelungs- und Breitenwirkung solcher Verfahren ein stärkerer Akzent liegt.163 Anders ist dies bei den Verbandsklagen im UWG, UKlaG und GWB, auch wenn von einem eigenen materiellen Anspruch der Verbände ausgegangen wird, werden diese letztendlich geführt, um ein überindividuelles Interesse durchzusetzen.164 Der Prozesszweck kann bei diesen daher nur in der Bewehrung des objektiven Rechts liegen.165 In diesem Sinne ist die Verankerung in einem Sondergesetz folgerichtig. Anders ist dies bei Verbandsklagen zur Durchsetzung von Individualansprüchen im Wege einer Abtretung oder Ermächtigung (§ 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO). Mit diesen wird der primäre Zweck einer Durchsetzung subjektiver Rechte verwirklicht, die Stärkung sekundärer Prozesszwecke tritt nur hinzu, aber nicht an deren Stelle.166 160 Vgl. dazu: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 12; unter Verweis auf: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 3 ff. 161 Gaul, Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 68 (79). 162 Differenzierend: Roth, ZfPW 2017, 129 (151 f.), die Aussetzung der Individualverfahren betrifft auch die Durchsetzung subjektiver Rechte, wird aber durch die Funktionsfähigkeit der Justiz institutionell legitimiert. Siehe auch: Münch, Grundfragen des Zivilprozesses, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 5 (47 f.). 163 Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (41); in diese Richtung wohl auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 13 f. Es lässt sich auch eine Parallele zu „strategischen Zivilprozessen“ ziehen, vgl. dazu: Roth, ZfPW 2019, 129 (144). 164 Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (46 f.), der aber im Hinblick auf Normen der ZPO, welche Allgemeininteressen absichern, gewisse Abweichungen für hinnehmbar hält. Allerdings muss angemerkt werden, dass es für den Beklagten sehr wohl um die Durchsetzung subjektiver Rechte geht. Soll sich aus der aktionenrechtlichen Klägerperspektive gelöst werden, so darf dieser Aspekt nicht unbeachtet bleiben. Siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 78. Münch, Grundfragen des Zivilprozesses, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 5 (46 f.) sieht hierin einen prozessualen Interessenschutz und lehnt daher eine Friktion mit dem üblichen Prozesszweck ab. 165 Siehe nur: Roth, ZfPW 2017, 129 (147 f., 153) m.w. N., der auch auf systemische Unstimmigkeiten der ZPO bei Klagen im Allgemeininteresse hinweist. 166 Vgl. Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (47).
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
Es bildet sich somit folgende Leitlinie heraus: Diejenigen kollektiven Rechtsschutzinstrumente, die der Durchsetzung oder zumindest erleichterten Durchsetzung konkreter subjektiver Individualansprüche dienen, stehen im Einklang mit dem primären Zweck des Zivilprozesses. Das kollektive Element stärkt zwar die sekundären Prozesszwecke unweigerlich, dies kehrt aber nicht deren Verhältnisse um. Anders liegt es bei kollektivem Rechtsschutz, mit welchem nur, oder zumindest als alleiniges Verfahrensziel, Allgemeininteressen verfolgt werden.167 Somit gliedert sich die Stärkung einer individuellen Rechtsdurchsetzung im Wege kollektiver Rechtsschutzinstrumente in die ZPO ein.168 Ein gradueller Unterschied besteht jedoch zwischen den oben angeführten Schadensphänomenen.169 Bei Massenschäden geht es vor allem um eine gesteigerte Verfahrenseffizienz zur verbesserten Durchsetzung der subjektiven Rechte. Dies ist mit dem primären Prozesszweck deckungsgleich. Streuschäden hingegen berühren eine zeitlich vor der Rechtsdurchsetzung liegende Frage, nämlich die grundsätzliche Entscheidung zur Klageerhebung. Zwar ist auch das Teil der Durchsetzung subjektiver Rechte, steht aber dennoch logischerweise vor dem eigentlichen Zivilprozess. Bei diesen Schäden steht folglich die Frage im Vordergrund, wie die finanzielle Schwelle des absoluten rationalen Desinteresses abgesenkt werden kann. In den danach verbleibenden Fällen besteht weitgehend ein rein öffentliches Interesse an der Rechtsbewehrung,170 was aber immerhin auch einem sekundären Prozesszweck entspricht. Es kann somit vorläufig konstatiert werden, dass Rechtsinstrumente zur erleichterten Durchsetzung von Individualansprüchen den Zweck des Zivilprozesses fördern. Inwiefern dies auf die Musterfeststellungsklage und die Abhilfeklage in concreto zutrifft, bedarf allerdings noch einer weiteren Klärung.171 Es besteht somit nicht nur ein Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz zur Durchsetzung subjektiver Rechte bzw. subjektiven Interessenschutzes172 in unse167 Vgl. auch: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1322) nach welchen es nicht Aufgabe des Zivilrechts ist, (Bagatell-)Schäden zu liquidieren, die der Geschädigte selbst nicht liquidieren will. 168 In diese Richtung auch: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (48), andeutungsweise zu einer Ausgliederung von Fällen, in denen sekundäre Prozesszwecke im Vordergrund stehen: ebenda (S. 45), insg. aber für eine Verortung im Zivilprozessrecht, ebenda (S. 52). Siehe für die Eingliederung eines speziellen Verbraucherprozessrechts: Koch, Verbraucherprozeßrecht, S. 130 f. 169 Eine vergleichbare Differenzierung findet sich auch bei: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 38 f. 170 Gaul spricht hinsichtlich des mit der AGBG-Verbandsklage bezweckten Institutionenschutzes von einem „Fremdkörper“, vgl. Gaul, Zweck des Zivilprozesses, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 68 (80). 171 Siehe hierzu insb. die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c) bb), 4., D. III. und E. 172 Der Begriff des „subjektiven Rechts“ ist eigentlich zu eng, präziser wäre bspw. „Interessenschutz für die Individualperson“: Münch, Grundfragen des Zivilprozesses, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 5 (36 ff.).
B. Einführung in die Musterfeststellungsklage
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rer Rechtsordnung, sondern der Zivilprozess und damit die Zivilprozessordnung sind für diesen, aufgrund ihrer Zwecksetzung, auch der geeignete Standort.173
B. Einführung in die Musterfeststellungsklage Als eine Maßnahme zur Beseitigung des soeben beschriebenen Rechtsdurchsetzungsdefizits wurde vom Gesetzgeber die Musterfeststellungsklage eingeführt,174 welche nachfolgend im Wege eines ersten Überblicks vorgestellt werden soll.
I. Gesetzeshistorie Das Musterfeststellungsverfahren gehört zu einer der am schnellsten beschlossenen Regelungen der ZPO,175 deren Gesetzgebungsverfahren entsprechend nur kurz dargestellt werden soll.176 Die längere Historie anderer kollektiver Regelungsinstrumente177 und die wissenschaftliche Betrachtung des kollektiven Rechtsschutzes werden, aus Platzgründen, hier nicht aufgegriffen.178 Bereits 2017 forderten die Verbraucherschutzminister der Länder die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zu einer Musterfeststellungsklage vorzulegen.179 Auch die Justizminister der Länder hielten das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz auf ihrer Frühjahrskonferenz 2017 zur Vorlage eines Entwurfs einer Musterfeststellungsklage an.180 Schon am 31.07.2017 präsentierte das BMJV einen entsprechenden Diskussionsentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage.181 Nach der Bundestagswahl am 24.09.2017 stellte der 173 Nach den Vorstellungen des VRUG-E soll es zukünftig mit dem VDuG ein eigenes Gesetz für diese Verfahrensarten geben (VRUG-E, S. 1, 68). Nach § 13 Abs. 1 VDuG-E soll aber die ZPO weiterhin Anwendung finden. 174 BT-Drs. 19/2507, S. 14. 175 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 35; Lühmann, NJW 2020, 1706 (1706). Die Bundestagsberatungen dauerten nur eine Woche, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 82; Hettenbach, WM 2019, 577 (577). 176 Näher zum Gesetzgebungsverfahren: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 11 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 69 ff.; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 35 ff. m.w. N. 177 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. II. 2. 178 Einen ersten Überblick bietet: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 9 ff. m.w. N. 179 Ergebnisprotokoll der 13. Verbraucherschutzministerkonferenz am 28.04.2017 in Dresden, Top 55 und 56, Kollektiver Rechtsschutz – Musterfeststellungsklagen im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern zügig einführen, S. 74. 180 Beschluss zu TOP I.3 Verbesserung des kollektiven Rechtsschutzes, Frühjahrskonferenz am 21. und 22.06.2017, 88. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder 2017 in Rheinland-Pfalz. 181 Der Diskussionsentwurf ist abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Ge setzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_Musterfeststellungsklage.pdf?__blob=publica tionFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 17.05.2023); ein Referentenentwurf aus dem De-
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD die Einführung einer Musterfeststellungsklage in Aussicht, welche spätestens bis zum 01.11.2018 umgesetzt werden sollte.182 Nach der positiven Beschlussfassung durch das Bundeskabinett am 09.05.2018183 wurde der Regierungsentwurf dem Bundesrat zugeleitet und am 04.06.2018 in den Bundestag eingebracht.184 Einen identischen Gesetzentwurf führten die Regierungsfraktionen am 05.06.2018 in den Bundestag ein.185 Die erste Lesung erfolgte am 08.06.2018,186 schon am 13.06.2018 empfahl der Rechtsausschuss die Annahme in geänderter Fassung.187 Am 14.06.2018 erfolgten die zweite und dritte Lesung im Bundestag sowie die Annahme des Gesetzentwurfs.188 Der Bundesrat stimmte am 06.07.2018 zu.189 Das Gesetz wurde am 12.07.2018 ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt am 17.07.2018 veröffentlicht.190 Es trat zum 01.11.2018 in Kraft.191
II. Überblick über die gesetzliche Regelung der Musterfeststellungsklage Die Musterfeststellungsklage ist im sechsten Buch der ZPO in den §§ 606 ff. ZPO kodifiziert.192 Daneben regelt § 32c ZPO eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des Beklagten (§§ 12, 13, 17 ZPO), sofern dieser im Inland liegt.193 Nach § 119 Abs. 3 S. 1 GVG sind die Oberlandesgerichte sachlich zuständig.194 § 29c Abs. 2 ZPO definiert einen prozessualen Verbraucherbezember 2016 war an Widerständen innerhalb der Regierungsressorts gescheitert, so: Stadler, VuR 2018, 83 (83); Lühmann, NJW 2020, 1706 (1706). 182 Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, S. 124. 183 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 80. 184 BT-Drs. 19/2439. 185 BT-Drs. 19/2507. 186 BT-Plenarprotokoll 19/37, vom 08.06.2018, S. 3590 ff. 187 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), BT-Drs. 19/2741, insb. S. 4. 188 BT-Plenarprotokoll 19/39, vom 14.06.2018, S. 3743 ff. 189 Der Vermittlungsausschuss wurde nicht angerufen, BR-Plenarprotokoll 969, vom 06.07.2018, S. 211 ff., zur BR-Drs. 268/18, vom 15.06.2018. 190 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.07.2018, BGBl. I Nr. 26, vom 17.07.2018, S. 1151 ff. 191 Lühmann, NJW 2020, 1706 (1706); Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 38. 192 Eine ausführliche Darstellung des Verfahrens findet sich bei: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 43 ff.; siehe auch: Voit, Sammelklagen, S. 198 ff., dort auch m.w. N. zur Kritik am Konzept der Klage. 193 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 112; zur internationalen Zuständigkeit: Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 32c, Rn. 2; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 12 ff. 194 BT-Drs. 19/2741, S. 24; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 118; näher hierzu: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 5 ff. m.w. N. In Bayern wurde von der Möglichkeit der Zuweisung an ein Oberstes Landesgericht nach § 119 Abs. 3 S. 2
B. Einführung in die Musterfeststellungsklage
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griff, der sowohl an eine vertragliche als auch eine außervertragliche Entstehung von Rechtsverhältnissen und Ansprüchen anknüpft.195 Verfahrenseinleitung, Verfahrensablauf und das nachfolgende Individualverfahren gestalten sich wie folgt: 1. Verfahrenseinleitung Die Rechtsdurchsetzung unter Zuhilfenahme des Musterfeststellungsverfahrens ist zweistufig konzipiert. Nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO klagt hierbei eine qualifizierte Einrichtung196 auf die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer.197 Somit werden auf der ersten Stufe die Feststellungsziele einer gerichtlichen Klärung zugeführt.198 Das Musterfeststellungsverfahren wird durch die Klageschrift eingeleitet. 199 Sofern die Voraussetzungen des § 606 Abs. 2 S. 1 ZPO gewahrt wurden,200 macht das Gericht die Klage im Klageregister öffentlich bekannt (§ 607 Abs. 2 ZPO).201 Für die Zulässigkeit der Klage müssen jedoch zusätzlich die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 606 Abs. 3 ZPO erfüllt sein.202 InsbesonAlt. 2 GVG Gebrauch gemacht (Schultzky in: Zöller, ZPO, § 32c, Rn. 4). Aus Gründen der Lesbarkeit wird nachfolgend von der Zuständigkeit des OLG gesprochen. In Bayern tritt an dessen Stelle das BayObLG. § 3 Abs. 1, 3 VDuG-E sieht keine inhaltlichen Änderungen vor. 195 BT-Drs. 19/2507, S. 20; näher zum prozessualen Verbraucherbegriff: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 53 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 3 und § 29c, Rn. 2 ff. Der VDuG-E sieht eine Beibehaltung vor, vgl. VRUG-E, S. 68. 196 Zur qualifizierten Einrichtung i. S. d. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO siehe die Ausführungen unter Kap. 2 B. I., dort insb. 2.–4. 197 BT-Drs. 19/2507, S. 21. Der Anwendungsbereich ist damit allgemein und nicht sektorspezifisch gefasst, vgl. Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 27; zu den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606 Rn. 8, 11 ff.; näher zu den Feststellungszielen: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 45 ff. m.w. N. 198 Vgl. zu dieser Ausgestaltung des Verfahrens auf zwei Stufen die Ausführungen bei: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 43 ff., insb. S. 44. Genau genommen ist jedoch nur die Rechtsdurchsetzung unter Einschaltung der Musterfeststellungsklage zweistufig. Das Musterfeststellungsverfahren selbst gliedert sich in drei Teile. In diese Richtung auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 606, Rn. 5. 199 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 60 ff.; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 41 f. 200 BT-Drs. 19/2507, S. 22. Ausführlich zu diesen Voraussetzungen: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 19 ff. 201 Vgl. zum Meinungsstand bzgl. der Prüfung der Bekanntmachungsvoraussetzungen: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 50 f. m.w. N. Näher zum Zweck der Bekanntmachung: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 2 ff. 202 BT-Drs. 19/2507, S. 22 f.; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 44.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
dere müssen sich nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO innerhalb von zwei Monaten nach der Bekanntmachung mindestens 50 Verbraucher anmelden.203 Die Anmeldung ist ab dem Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung im Klageregister möglich.204 Für die Anmeldung bedarf es einer Tätigung der Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO gegenüber dem Bundesamt für Justiz (§ 608 Abs. 4 ZPO).205 Eine inhaltliche Überprüfung der Anmeldung findet jedoch nicht statt.206 Die Anmeldephase endet mit Ablauf des Tages vor Beginn der mündlichen Verhandlung (§ 608 Abs. 1 ZPO).207 Hingegen ist die Rücknahme der Anmeldung bis zum Ablauf des Tages der ersten mündlichen Verhandlung möglich (§ 608 Abs. 3 ZPO).208 Das Klageregister dient als Instrument zur Herstellung des Opt-in.209 Nach der erfolgten Anmeldung210 sichert es die Information der Anmelder hinsichtlich des Verfahrensfortgangs. Hierfür werden nach § 607 Abs. 3 ZPO Terminbestimmungen, Hinweise und Zwischenentscheidungen im Klageregister eingetragen, unter der Voraussetzung, dass diese für die Information der Verbraucher erforderlich sind.211 Auch ein gerichtlich genehmigter Vergleich ist im Klageregister zu vermerken (§ 611 Abs. 5 S. 3 ZPO). Dies gilt auch für ein Musterfeststellungsurteil (§ 612 Abs. 1 ZPO), die Einlegung von Rechtsmitteln gegen dieses, den Eintritt der Rechtskraft (§ 612 Abs. 2 ZPO) und jede andere Beendigung des Verfahrens (vgl. § 607 Abs. 3 S. 3 ZPO).212 Eine rechtshängige Musterfeststellungsklage213 entfaltet nach § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Sperrwirkung gegenüber späteren Musterfeststellungsklagen im 203 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 88. Näher zu den Voraussetzungen. nach § 606 Abs. 3 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 74 ff. 204 BT-Drs. 19/2507, S. 23. Siehe für das Klageregister § 609 ZPO, Näheres bei: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 609, Rn. 1 ff. und BT-Drs. 19/2507, S. 24 f. 205 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 94 ff.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 7 ff.; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 9 ff. 206 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 15; zur Anmeldung: BT-Drs. 19/2507, S. 24. 207 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 2. 208 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 40. 209 Anmeldung ähnlich dem Opt-in: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4; zur Bedeutung: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 2 f. 210 Übersichtlich zu den Wirkungen der Anmeldung: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 7; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 54 f.; Röthemeyer, in: HkMFKG, § 608, Rn. 16 ff.; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 44 ff. m.w. N. 211 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 45, 47 f.; zur Bekanntmachung und den Eintragungen im Klageregister: BT-Drs. 19/2507, S. 23 f. 212 Zur Information der Verbraucher durch das Register: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 607, Rn. 14 ff.; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 50 ff. 213 Zu den Rechtshängigkeitsfolgen: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 49 f.
B. Einführung in die Musterfeststellungsklage
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Hinblick auf denselben Beklagten bei gleichem Streitgegenstand.214 Sofern jedoch mehrere Musterfeststellungsklagen mit gleichem Streitgegenstand am selben Tag bei demselben Gericht anhängig gemacht werden, können diese nach § 610 Abs. 2 ZPO verbunden werden.215 Nach § 613 Abs. 2 ZPO ist eine bereits erhobene Individualklage des angemeldeten Verbrauchers, sofern deren Streitgegenstand den des Musterfeststellungsverfahrens betrifft, auszusetzen.216 Die Erhebung einer Individualklage eines angemeldeten Verbrauchers ist nach Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage ausgeschlossen (§ 610 Abs. 3 ZPO).217 Jedoch bewirkt bereits die Erhebung der Musterfeststellungsklage eine rückwirkende Verjährungshemmung ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit im Hinblick auf die später angemeldeten Ansprüche (§ 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB).218 2. Verfahrensablauf und Beendigung Das Musterfeststellungsverfahren219 wird im Grunde, da die Anmelder keinerlei Beteiligungsrechte am Verfahren haben, wie ein Zweiparteienprozess geführt.220 Auf das Musterfeststellungsverfahren finden gemäß § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten Anwendung.221 Anwendbar sind somit die §§ 253–494a ZPO.222 Ausgenommen sind lediglich die §§ 128 Abs. 2, 278 Abs. 2–5, 306 und 348–350 ZPO (§ 610 Abs. 5 S. 2 ZPO).223 Ein rein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO ist dadurch, anders als das schriftliche Vorverfahren (§ 276 ZPO), ausgeschlossen.224 Eine Güteverhandlung 214 BT-Drs. 19/2507, S. 25; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 65. Siehe zum Streitgegenstand die Ausführungen unter Kap. 5 A. I. 1. 215 BT-Drs. 19/2507, S. 26; hierzu: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 75 f. 216 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3 Rn. 87; nach § 148 Abs. 2 ZPO kann ein Unternehmer bei Vorgreiflichkeit der Feststellungen einer Musterfeststellungsklage die Aussetzung des Individualverfahrens beantragen, vgl.: ebenda, Rn. 91 ff. 217 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 83. 218 BT-Drs. 19/2507, S. 28; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 84 f. und Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 50 ff.; Meller-Hannich, in: BeckOGK, Stand: 01.03.2023, § 204 BGB, Rn. 109. Ausführlich zur Verjährungshemmung (§ 204a BGB nach dem VRUG-E) im Rahmen des VRUG-E: Meller-Hannich, DB 2023, 628 (634). 219 Ausführlich zum Verfahrensgang: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 17 ff. m.w. N. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 220 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 1. 221 BT-Drs. 19/2507, S. 26; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 121; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 5. 222 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 59. 223 Ausführlich hierzu: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 8 ff. m.w. N. 224 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 60 f.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
(§ 278 Abs. 2–5 ZPO) ist im Musterfeststellungsverfahren ebenfalls nicht vorgesehen.225 Ein Verzichtsurteil nach § 306 ZPO ist, zum Schutz der Anmelder, ausgeschlossen.226 Die Möglichkeit einer Einzelrichterentscheidung (§§ 348–350 ZPO) besteht nicht,227 es bleibt bei der Zuständigkeit des Senats (§ 122 Abs. 1 GVG).228 Daneben sind die allgemeinen Vorschriften im ersten Buch der ZPO anwendbar.229 Allerdings ist eine Nebenintervention der Anmelder (§ 610 Abs. 6 Nr. 1 ZPO) sowie anderer Verbraucher im Sinne des § 610 Abs. 6 Nr. 2 ZPO nicht zugelassen. Dies gilt auch für die Streitverkündung.230 Mit Ausnahme dieser Bestimmungen treffen die §§ 606 ff. ZPO kaum Anordnungen über die Verfahrensführung und -gestaltung. Nennenswert erscheint aber § 610 Abs. 4 ZPO, der dem Gericht aufgibt spätestens im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf sachdienliche Anträge hinzuwirken.231 Am Ende der ersten Stufe der Rechtsdurchsetzung kommt es zur Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens. Dies kann durch übereinstimmende Erledigungserklärung, Klagerücknahme,232 Urteil oder Vergleich geschehen.233 § 611 ZPO ermöglicht den Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches234 ab dem Zeitpunkt des ersten mündlichen Termins (vgl. § 611 Abs. 6 ZPO).235 Der Vergleich kann entweder in der mündlichen Verhandlung oder im schriftlichen Verfahren (§ 278 Abs. 6 ZPO) geschlossen werden.236 Er soll Regelungen nach § 611 Abs. 2 ZPO enthalten237 und bedarf einer gerichtlichen Genehmigung (§ 611 Abs. 3 S. 1 ZPO). Aus der Regelung des § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO kann gefolgert 225
Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 62. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 63 ff. 227 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 66. 228 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 12. 229 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 59. 230 BT-Drs. 19/2507, S. 26; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 67, eine Streitverkündung ggü. Dritten bleibt möglich, vgl. Rn. 68. Die Verbraucher können nicht in das Verfahren einbezogen werden, gleichzeitig haben sie keine Möglichkeit auf die Prozessführung einzuwirken, vgl. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 14 ff. 231 BT-Drs. 19/2741, S. 25; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 18, 20; vgl. zu § 610 Abs. 4, 5 auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 57 ff. m.w. N. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 3. 232 Zur Zulässigkeit von Klagerücknahme und übereinstimmender Erledigungserklärung: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 50 f. 233 Nähere Ausführungen zu Vergleich und Urteil erfolgen in den Kapiteln 4 und 5. 234 BT-Drs. 19/2507, S. 26 f. Eine Darstellung zum Vergleich findet sich bei: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 62 ff. m.w. N. 235 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 165; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7 Rn. 4 ff. 236 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 25. 237 Näher zum Inhalt eines Vergleichs: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 169 ff.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 13 ff.; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 8 ff. 226
B. Einführung in die Musterfeststellungsklage
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werden, dass hierbei durch das Gericht gerade nicht nur eine Überprüfung in rechtlicher Hinsicht, sondern auch eine Prüfung der Angemessenheit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes erfolgen soll.238 Der Vergleich entfaltet Bindungswirkungen gegenüber den Verbrauchern, wenn diese innerhalb von einem Monat nach dessen Zustellung239 keinen Austritt nach § 611 Abs. 4 S. 2 ZPO erklären.240 Dies gilt allerdings nur dann, wenn weniger als 30 Prozent der Anmelder ihren Austritt erklären (Opt-out, § 611 Abs. 5 S. 1 ZPO).241 Inhalt und Wirksamkeit des Vergleichs werden vom Gericht mit unanfechtbarem Beschluss festgestellt (§ 611 Abs. 5 S. 2 ZPO).242 Anstelle eines Vergleichsschlusses kann das Verfahren auch durch Erlass eines Urteils beendet werden. Das Musterfeststellungsurteil schafft keinen Leistungstitel, sondern umfasst lediglich einen Feststellungstenor.243 Auch für den Fall des prozessualen Obsiegens der qualifizierten Einrichtung bedarf es somit nachfolgender Individualklagen zur Schaffung von Leistungstiteln.244 Das Urteil ist nach seiner Verkündung im Klageregister bekannt zu machen (§ 612 Abs. 1 ZPO).245 Nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO bindet das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil auch das im Zuge der Individualklage zwischen Anmelder und Unternehmer angerufene Gericht, sofern dessen Entscheidung den Streitgegenstand des Musterfeststellungsverfahrens betrifft.246 Das Musterfeststellungsurteil entfaltet also über die Parteien (qualifizierte Einrichtung und Unternehmer) hinausgehende Bindungswirkungen im Verhältnis zu den wirksam angemeldeten Verbrauchern, sofern deren Ansprüche oder Rechtsverhältnisse gegenüber dem beklagten Unternehmer von den Feststellungszielen und dem Lebenssachverhalt der Musterfest-
238 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 173; die Angemessenheitsprüfung soll gerade auch dem Schutz der Anmelder dienen, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 34. 239 Zu Zustellung und Belehrung: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 177 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 42 ff. 240 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 163; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 54. 241 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 179, 181. Zur Austrittserklärung: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 59 ff. 242 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 183; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 58 f.; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 67 f. 243 Zum Musterfeststellungsurteil, vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 5 ff. 244 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 196. 245 BT-Drs. 19/2507, S. 27. § 612 Abs. 1 ZPO erfasst mit dem „Musterfeststellungsurteil“ jedes Urteil, welches im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens ergeht, vgl.: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 612, Rn. 4, str. Zu Verkündung und Bekanntmachung: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 18 f. 246 BT-Drs. 19/2507, S. 27; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 195; ausführlicher zu den Urteilswirkungen: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 38 ff. m.w. N. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. III. 2.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
stellungsklage betroffen sind.247 Nach § 614 S. 1 ZPO kann gegen das Musterfeststellungsurteil Revision beim BGH (§ 133 Var. 1 GVG) eingelegt werden.248 Die grundsätzliche Bedeutung des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist hierbei nach § 614 S. 2 ZPO stets gegeben.249 3. Individualverfahren nach Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens Da das Musterfeststellungsurteil keinen Leistungstitel schafft, bedarf es nachfolgend noch einer individuellen Geltendmachung der Ansprüche durch die angemeldeten Verbraucher. Dies gilt auch für den Fall, dass ein geschlossener Vergleich keine Leistungen vorsieht, sondern nur Feststellungen enthält. Die individuelle Geltendmachung soll aber infolge der bereits getroffenen Entscheidung vereinfacht sein, da diese hinsichtlich der entschiedenen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen (vgl. § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO) verbindlich ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es verstärkt zu außergerichtlichen Einigungen kommt. Nach dessen Vorstellung erhöht sich die Vergleichsbereitschaft also mit der Entscheidung über die Feststellungsziele. Auch ein nachfolgendes Klageverfahren würde erleichtert, da die Feststellungsziele bereits verbindlich geklärt seien.250
C. Einführung in die EU-Richtlinie Während die Musterfeststellungsklage die qualifizierte Einrichtung nur in die Lage versetzt ein Feststellungsurteil anzustreben, sieht die EU-Richtlinie eine sogenannte Abhilfeklage vor, mit welcher auch Leistungsansprüche verfolgt werden können.251 Dieses Instrument des kollektiven Rechtsschutzes wird in nationales Recht bis zum 25.12.2022 umzusetzen sein252 und soll an dieser Stelle einleitend vorgestellt werden.
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Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 3 f., 6, 15. Vgl. allgemein zu Rechtsmitteln gegen das Musterfeststellungsurteil: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 9, Rn. 1 ff. 249 BT-Drs. 19/2741, S. 26; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 199, kritisch zur Regelungstechnik des § 614 ZPO: ebenda, Rn. 200 ff. 250 BT-Drs. 19/2507, S. 16; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 211 f.; ausführlich zu den Konstellationen im Folgeverfahren: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 7 ff.; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 67 ff.; kritisch zu den Möglichkeiten einer Musterfeststellungsklage: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 69 ff. 251 Siehe nur: Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49). 252 Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 RL; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (43). Die Anwendung hat ab dem 25.06.2023 zu erfolgen, Art. 24 Abs. 1 UAbs. 2 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (136). 248
C. Einführung in die EU-Richtlinie
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I. Bisherige Entwicklungen des kollektiven Rechtsschutzes auf Ebene der EU Gerade auf europäischer253 Ebene steht der kollektive Rechtsschutz254 schon seit Längerem auf der Agenda.255 Wiedergegeben werden sollen hier allerdings nur die wesentlichen Eckpunkte der Entwicklung.256 Bereits 1975 befasste sich die EWG programmatisch mit der Verbraucherpolitik und hob die Bedeutung schneller und kostengünstiger Verfahren für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten hervor.257 Erst im Jahr 1998 folgte mit der Unterlassungsklagenrichtlinie258 ein erster Rechtsakt der EG, der ein Rechtsschutzdefizit der Verbraucher 253 Viele EU-Mitgliedstaaten haben bereits Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes, vgl. überblicksartig: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 17 ff. 254 Neben Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes können an dieser Stelle noch einige Rechtsinstrumente genannt werden, welche zumindest in Teilbereichen eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung erreichen können: Verfahren für geringfügige Forderungen, vgl. Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. L 199/1 vom 31.07.2007; Mediationsrichtlinie, vgl. Richtlinie 2008/52/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 136/3 vom 24.05.2008; alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten: vgl. Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. L 165/63 vom 18.06.2013; Onlinestreitbeilegung im Verbraucherrecht vgl. Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten), ABl. L 165/1 vom 18.06.2013. Diese werden teilweise als Ersatz für kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren vorgestellt, vgl.: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 16 f. m.w. N. 255 Ein chronologischer Überblick findet sich bei: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 14 ff. 256 Ein ausführlicher Überblick findet sich bei: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 24 ff.; siehe auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 258 ff. 257 Entschließung des Rates vom 14.04.1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. EG C 92/1 vom 25.04.1975, S. 8; hierzu auch: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherschutzes, S. 30. In den Folgejahren blieb es bei Memoranden der Kommission und Entschließungen von Rat und Europäischem Parlament, vgl. die Nachweise bei: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherschutzes, S. 26. 258 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.05.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen, ABl. L 166/51 vom 11.06.1998. Dem vorausgegangen war das Grünbuch über den „Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ vom 16.11.1993, KOM(93) 576 endg., insb. S. 76 und 87 ff.; vgl. Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 27.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
bei grenzüberschreitenden Rechtsverstößen adressieren sollte.259 Dieser verpflichtete die Mitgliedstaaten klagebefugten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten für Unterlassungsklagen nach Art. 2 der Richtlinie in Fällen grenzüberschreitender Verstöße (Art. 4 Abs. 1) gegen die im Anhang enumerierten Rechtsakte (vgl. Art. 1 Abs. 1) ein Klagerecht zuzugestehen.260 Diese Richtlinie wurde durch die Unterlassungsklagenrichtlinie 2009/22/EG ersetzt,261 in welcher eine Beschränkung auf grenzüberschreitende Sachverhalte nicht mehr vorgesehen war. Die Klagebefugnis lag weiterhin bei qualifizierten Einrichtungen im Sinne des Art. 3 der Richtlinie, zu deren Gunsten bei grenzüberschreitenden Verstößen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung normiert wurde (Art. 4 Abs. 1 S. 1).262 Daneben blieb es in jüngerer Zeit vorerst bei vorbereitenden Konsultationen und Arbeitsdokumenten,263 die sich auf zwei Rechtsgebiete fokussierten: zum einen auf das Wettbewerbsrecht264 und zum anderen auf das Verbraucherrecht. Im Grünbuch zum Wettbewerbsrecht aus dem Jahr 2005 thematisierte die Kommission die Stärkung der privaten Schadensersatzdurchsetzung als Mittel zur Stärkung des Wettbewerbsrechts und stellte fest, dass die Mitgliedstaaten überwiegend keine effiziente Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit gewährleisteten.265
259 Vgl. Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 29. Siehe zur Richtlinie auch: Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (8 ff.); außerdem: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (30 ff.). 260 Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 29 m.w. N. 261 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04. 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. L 110/30 vom 01.05.2009. 262 Vgl. die Art. 1 und 2 RL 2009/22/EG. Siehe auch: Köhler/Feddersen, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.51. 263 Hierzu: Meller-Hannich/Höland, GPR 2011, 168 (168 f.). 264 Für den Bereich des Wettbewerbsrecht hat der EuGH betont, dass das nationale Recht dem Geschädigten ermöglichen muss, seinen Schadensersatz einzuklagen, vgl. EuGH, Urteil vom 20.09.2001, Rs. C-453/99 – Courage Ltd./Crehan, Slg. 2001 I-06297, Rn. 24 ff. und EuGH, Urteil vom 13.07.2006, verbundene Rs. C-295/04, C-296/04, C-297/04, C-298/04 – Vincenzo Manfredi/Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA, Antonio Cannito/Fondiaria Sai SpA, Nicolò Tricarico und Pasqualina Murgolo/Assitalia SpA, Slg. 2006 I-06619, Rn. 60 ff. Die Verordnung 1/2003/EG (ABl. L EG 1/1 vom 04.01. 2003) stärkte entsprechend das private enforcement, Wagner, in: Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (42). 265 Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ vom 19.12.2005, KOM(2005) 672 endg., S. 5. Wagner, in: Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (43).
C. Einführung in die EU-Richtlinie
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Als Möglichkeiten zur besseren Durchsetzung niedriger Schadensersatzsummen wurden Verbandsklagen, gerichtet auf Schadensersatz, und Sammelklagen für Zwischenabnehmer vorgeschlagen.266 In ihrer verbraucherpolitischen Strategie für die Jahre 2007 bis 2013 legte die Kommission einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Verbraucherrechtsdurchsetzung. Explizit angesprochen wurden eine Evaluation der Unterlassungsklagenrichtlinie von 1998 und Sammelklagen von Verbrauchern.267 Das Weißbuch zum Wettbewerbsrecht (2008) stellte ein weiterhin bestehendes Durchsetzungsdefizit im Bereich der privaten Rechtsdurchsetzung fest268 und befasste sich mit Möglichkeiten kollektiven Rechtsschutzes zur Verbesserung der Geschädigtenkompensation bei Streuschäden. Als Regelungsoptionen wurden nebeneinander bestehende Verbandsklagen zugunsten einer Gruppe Geschädigter und Optin Gruppenklagen genannt.269 In ihrem Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren (2008) geht die EU-Kommission von der Prämisse aus, dass fehlende Möglichkeiten kollektiver Rechtsdurchsetzung in anderen Mitgliedstaaten Verbraucher vom grenzüberschreitenden Handel abhalte.270 Als eine Lösungsoption sieht das Grünbuch die Einführung eines kollektiven Rechtsschutzinstruments in jedem Mitgliedstaat vor. Hierfür stellt die Kommission Verbands-, Gruppen- und Musterklagen, sowie die Ausgestaltung als Opt-in- oder Opt-outVerfahren zur Diskussion.271 Die vorbereitenden Arbeiten, für die hier im Fokus stehende Richtlinie, lassen sich auf das Jahr 2010 zurückführen.272 Mit einem Papier von 2010 wurde ein einheitliches europäisches Vorgehen im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes
266 Grünbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ vom 19.12.2005, KOM(2005) 672 endg., S. 10 f. 267 „Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013), Stärkung der Verbraucher – Verbesserung des Verbraucherwohls – wirksamer Verbraucherschutz“ vom 13.3.2007, KOM(2007) 99 endg., S. 8 f., 12 f. (veröffentlicht im: ABl. C 279 E/17 vom 19.11. 2009). 268 Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ vom 02.4.2008, KOM(2008) 165 endg., S. 2. 269 Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ vom 02.04.2008, KOM (2008) 165 endg., S. 4 f.; Wagner, in: Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (44). 270 Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher vom 27.11.2008, KOM(2008) 794 endg., S. 2, Rn. 1 f. Zu Recht kritisch zu dieser These: Wagner, in: Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (44 f.). 271 Grünbuch über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher vom 27.11.2008, KOM(2008) 794 endg., S. 15, Rn. 48 ff.; siehe auch: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 31. 272 Hierzu auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 15 f.
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
angeregt.273 Im Jahr 2011 startete die EU-Kommission eine entsprechende öffentliche Konsultation274 und 2013 folgte eine Empfehlung der Kommission über kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren. Diese enthält auch eine Empfehlung zur Einführung von Opt-in-Schadensersatzklagen.275 Der Umsetzungsbericht von 2018 bewertete den Erfolg im Hinblick auf eine tatsächliche Implementierung effektiver Rechtsdurchsetzungsverfahren allerdings zurückhaltend.276 Dessen Ergebnisse mündeten in den sogenannten „New Deal for Consumers“, welcher von der EU-Kommission am 11.04.2018 vorgestellt wurde und auf eine Modernisierung und Verbesserung des Verbraucherschutzes in der EU abzielt. Die Vorschläge selbst unterteilen sich in einen Vorschlag für eine Verbandsklage zum Schutz der Verbraucherinteressen277 und einen Vorschlag zur Änderung von vier verbraucherschützenden Richtlinien.278 Der Richtlinienvorschlag stand in erster Lesung des Europäischen Parlament am 26.02.2019 auf der Tagesordnung. Nach der Annahme durch den Rat der Europäischen Union am 28.11.2019 begann im Januar 2020 das Trilogverfahren,279 welches im Juni 2020 273 European Commission, Joint Information Note „Towards a Coherent European Approach to Collective Redress: Next Steps“ vom 05.10.2010, Document SEC(2010) 1192; hierzu: Meller-Hannich/Höland, GPR 2011, 168 (170 f.). 274 Öffentliche Konsultation „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ vom 04.02.2011, SEK(2011) 173 endg.; hierzu: Meller-Hannich/ Höland, GPR 2011, 168 (172 ff.). 275 Empfehlung der Kommission vom 11.06.2013 „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren“ in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“, ABl. L 201/60 vom 26.07.2013; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 15 f. 276 Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission vom 11.06.2013 über gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei der Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, 25.01.2018, COM(2018) 40 final, S. 24. 277 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, vom 11.04.2018 COM (2018) 184 final. Vgl. auch: Krausbeck, VuR 2018, 287 (291 f.); Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (243 ff.); ausführlich: Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 13 ff. Siehe auch die erläuternde Mitteilung der Kommission: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher“, vom 11.04.2018, COM(2018) 183 final. 278 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.05.1993, der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften, vom 11.04.2018, COM(2018) 185 final. Siehe zum „New Deal for Consumers“: Augenhofer, EuZW 2019, 5 (5 ff.). 279 Lühmann, NJW 2020, 1706 (1710) m.w. N.; Axtmann/Staudigel, ZRP 2020, 80 (80).
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abgeschlossen wurde.280 Die finale Unterzeichnung durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates erfolgte am 25.11.2020, dem schloss sich die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU am 04.12.2020 an.281 Den vorläufigen Schlusspunkt der skizzierten Entwicklung bildet somit die Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG. Kompetenzrechtlich wird sie gestützt auf die Binnenmarktkompetenz der EU aus Art. 114 (i.V. m. Art. 169) AEUV.282
II. Inhaltliche Ausgestaltung der Richtlinie Ziel der Richtlinie ist es, Verbandsklagen in den Mitgliedstaaten zu etablieren, mit welchen qualifizierte Einrichtungen zum Schutz der Verbraucherinteressen Unterlassungs- und Abhilfeentscheidungen begehren können.283 1. Anwendungsbereich Die Grundarchitektur der Richtlinie umschreibt Art. 1 Abs. 1 S. 1 RL dahingehend, dass die in Art. 3 Nr. 4 RL legaldefinierten qualifizierten Einrichtungen die Interessen284 der Verbraucher (Legaldefinition in Art. 3 Nr. 1 RL) repräsentieren. Hierzu können die qualifizierten Einrichtungen Unterlassungs- und Abhilfeklagen gegenüber Unternehmern (Legaldefinition in Art. 3 Nr. 2 RL), die (potenziell) gegen das Unionsrecht verstoßen, erheben.285 Die Verbandsklage kann sowohl in einem Gerichts- als auch in einem Verwaltungsverfahren vorgesehen werden. Im Falle eines Verwaltungsverfahrens muss jedoch ein wirksamer Rechtsbehelf gewährleistet werden.286 Die Richtlinie soll bereits bestehende 280
Meller-Hannich, DAR 2020, 481 (481); Dangl, EuZW 2020, 798 (798). Amtsblatt der Europäischen Union L 409 vom 04.12.2020, S. 1. 282 ErwGr. 3 f. RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (129); Lühmann, ZIP 2021, 824 (824). Ausführlich und ablehnend zur Kompetenzgrundlage des Art. 114 (i.V. m. Art. 169) AEUV, dafür aber für Art. 81 AEUV unter Beschränkung auf grenzüberschreitende Verstöße: Dangl, EuZW 2020, 798 (798 ff., insb. 803). Siehe auch: Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (9 f.); Hornkohl, EuCML 2021, 189 (190 f.). Ausführlich: Sauerland, Harmonisierung des kollektiven Verbraucherrechtsschutzes, S. 65 ff.; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 264 ff. 283 Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 3 Nr. 5 RL. Einen ausführlichen Überblick bietet: Voit, Sammelklagen, S. 228 ff. 284 Das sog. Kollektivinteresse der Verbraucher, vgl. Legaldefinition in Art. 3 Nr. 3 RL. 285 ErwGr. 8 RL. 286 ErwGr. 19 RL. Für die nachfolgende Darstellung wird von einer Umsetzung in ein gerichtliches Verfahren ausgegangen. Dies entspräche auch dem bei Umsetzung der Vorgängerrichtlinien 1998/27/EG und 2009/22/EG verfolgten Ansatz des dt. Gesetzgebers. Abl. zu einem Verwaltungsverfahren: Bruns, Rechtsgutachten, S. 23 f. 281
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
nationale Verfahren nicht ablösen, sondern lediglich die Mitgliedstaaten287 dazu verpflichten, eine entsprechende Verbandsklage zu schaffen (Art. 1 Abs. 2 S. 1, 2 RL). Sie gibt entsprechend nur ein Mindestharmonisierungsziel vor, die konkrete Verfahrensausgestaltung (Zulässigkeitsregelungen, Rechtsmittel und Mindestverbraucherzahl) obliegt der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten.288 Nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL werden in Anhang I der Richtlinie diejenigen Bestimmungen des Unionsrechts genannt, für deren Verletzung mindestens ein entsprechendes kollektives Rechtsschutzinstrument geschaffen werden soll.289 Dies umfasst insbesondere die Bereiche des allgemeinen Verbraucherrechts, Datenschutz, Wertpapier- und Finanzdienstleistungen, Reisen, Tourismus, Energieversorgung und Telekommunikation.290 Erfasst werden sowohl rein innerstaatliche wie auch grenzüberschreitende unzulässige Praktiken (Art. 2 Abs. 1 S. 3 RL).291 Die Richtlinie trifft aber nach Art. 2 Abs. 3 keine Regelungen auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts und der Internationalen Gerichtlichen Zuständigkeit.292 Die Klageaktivität soll bei qualifizierten Einrichtungen im Sinne des Art. 4 RL liegen, gemeint sind hiermit insbesondere Verbraucherschutzorganisationen, wobei dies auch öffentliche Stellen sein können.293 Für ausschließlich innerstaatliche Verbandsklagen sind die Mitgliedstaaten in der Festlegung der Kriterien, die an eine qualifizierte Einrichtung zu stellen sind, frei; sie können aber die in der Richtlinie genannten Voraussetzungen übernehmen.294 Für grenzüberschreitende
287 Nach Art. 26 RL, welcher Art. 288 Abs. 3 AEUV nachbildet, sind die Mitgliedstaaten Adressaten der Richtlinie. 288 ErwGr. 11 f. RL. Vgl. auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114) und Hornkohl, EuCML 2021, 189 (190 f.). 289 ErwGr. 14 RL, geplant ist eine fortlaufende Aktualisierung der Liste, vgl. ErwGr. 17 RL. Die Mitgliedstaaten sind befugt, die Richtlinie auch auf andere Rechtsvorschriften auszudehnen, ErwGr. 18 RL. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); Lühmann, ZIP 2021, 824 (824). 290 Hier sieht die Union im Zuge der Digitalisierung wichtige Bereiche, in welchen die Verbraucherrechtsdurchsetzung gestärkt werden müsse, vgl. ErwGr. 13 RL. Siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44). 291 ErwGr. 20 RL. 292 ErwGr 21 RL, es bleibt daher bei der Geltung der VO (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) und der VO (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO); Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (275). 293 ErwGr. 24 RL; Augenhofer, NJW 2021, 113 (115 f.); ausführlich: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44 f.); Vollkommer, MDR 2021, 129 (131); Lühmann, ZIP 2021, 824 (825 f.). Vgl. zum Kommissionsentwurf: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (244). Vgl. zur Fassung des Rechtsausschusses: Lühmann, NJW 2019, 570 (571). 294 ErwGr. 26 RL. Vgl. zur Legaldefinition der innerstaatlichen Verbandsklage Art. 3 Nr. 6 RL. Die Richtlinie unterscheidet zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verbandsklagen; siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114, 116); Vollkommer, MDR 2021, 129 (130).
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Verbandsklagen295 regelt die Richtlinie hingegen in Art. 4 Abs. 3 einheitlich die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung.296 Die EU-Kommission soll auf Grundlage der von den Mitgliedstaaten übermittelten Einrichtungen für die Zwecke der grenzüberschreitenden Verbandsklagen eine Liste der entsprechenden qualifizierten Einrichtungen erstellen (Art. 5 Abs. 1 RL), deren Eintragungen grundsätzlich von den mitgliedstaatlichen Gerichten anzuerkennen sind (Art. 6 Abs. 1, 3 RL).297 2. Klageziele Die qualifizierte Einrichtung oder für den Fall, dass Verbraucher in mehreren Mitgliedstaaten von der Praktik298 des Unternehmers betroffen sind, auch mehrere qualifizierte Einrichtungen zusammen (Art. 6 Abs. 2 RL), soll(en) gemäß Art. 7 Abs. 4 RL sowohl Unterlassungs- als auch Abhilfeentscheidungen begehren können.299 Hierbei soll es möglich sein, Unterlassungs- und Abhilfeentscheidungen entweder in getrennten Verbandsklagen oder innerhalb einer Verbandsklage zu erreichen (Art. 7 Abs. 5 RL).300 Partei des Verfahrens ist ausschließlich die qualifizierte Einrichtung, nicht aber die repräsentierten Verbraucher (Art. 7 Abs. 6 S. 1 RL). Mit der Unterlassungsklage können sowohl einstweilige Verfügungen (Art. 8 Abs. 1 lit. a) RL) als auch endgültige Entscheidungen (Art. 8 Abs. 1 lit. b) RL) angestrebt werden.301 Hierfür müssen nach Art. 8 Abs. 3 RL die Verbraucher nicht ihre Zustimmung erteilen, die Unterlassungsklage ist somit mandatsunabhängig ausgestaltet. Auch muss die qualifizierte Einrichtung weder den Eintritt von Verlusten und Schäden der betroffenen Verbraucher noch Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Unternehmers nachweisen.302 295
Legaldefinition in Art. 3 Nr. 7 RL; vgl. auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114). ErwGr. 25 RL. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115 f.). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 B. II. 1. und 2. 297 ErwGr. 32 RL. 298 Legaldefinition Art. 3 Nr. 8 RL. 299 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116). Zum Kommissionsentwurf: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (244 f.). Vgl. zur Fassung mit den Änderungen des Rechtsausschusses, die außerdem eine Feststellungsklage vorsahen: Lühmann, NJW 2019, 570 (571 f.); zur Entwicklung im Gesetzgebungsverfahren allg.: Axtmann/Staudigel, ZRP 2020, 80 (81 f.). 300 ErwGr. 35 RL; Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44); Hornkohl, EuCML 2021, 189 (194). 301 Ausführlich: ErwGr. 40 RL. Nach Art. 8 Abs. 4 RL können die Mitgliedstaaten eine vorherige Konsultation des Unternehmers durch die qualifizierte Einrichtung vorsehen. Siehe auch: ErwGr. 41 RL. 302 ErwGr. 33 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (132); Lühmann, ZIP 2021, 824 (827). Der Verfahrensbeschleunigung bei Unterlassungsklagen räumt die Richtlinie eine herausgehobene Bedeutung ein, vgl. Art. 17 Abs. 1 RL. Die Erwirkung einstweiliger Maßnahmen kann ggf. in einem summarischen Verfahren erfolgen. 296
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
Hingegen bedarf es für die Abhilfeklage gemäß Art. 9 Abs. 2 RL entweder der ausdrücklichen oder der stillschweigenden Zustimmung der Verbraucher. Die Richtlinie überlässt es somit den Mitgliedstaaten ein Opt-in- oder Opt-out-Verfahren oder eine Verbindung beider Ausgestaltungsmöglichkeiten einzuführen.303 Mit dieser Klageart soll den Verbrauchern, abhängig von den Regelungen des unionalen oder nationalen materiellen Rechts, Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung eines bereits geleisteten Preises gewährt werden (Art. 9 Abs. 1 RL).304 Die Beteiligung eines Verbrauchers an einer Verbandsklage soll die Individualklageerhebung oder eine Beteiligung an einer anderen Verbandsklage, sofern es jeweils um denselben Klagegegner und Klagegrund geht, nach Art. 9 Abs. 4 RL ausschließen.305 Im Rahmen von Abhilfeklagen sollen nach Art. 11 Abs. 1 RL auf Vorschlag der Parteien oder nach Aufforderung durch das Gericht Vergleichsabschlüsse möglich sein. Vorgesehen ist die Notwendigkeit einer gerichtlichen Bestätigung (Art. 11 Abs. 2 S. 1, 2 RL).306 Weitergehend können die Mitgliedstaaten auch eine Prüfung der Fairness des Vergleichs (Art. 11 Abs. 2 S. 3 RL) vorsehen.307 Ein genehmigter Vergleich ist gemäß Art. 11 Abs. 4 RL für die Parteien und die betroffenen Verbraucher bindend. Zugunsten der Verbraucher kann gemäß Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 RL ein Zustimmungserfordernis statuiert werden.308 3. Weitere Bestimmungen der Richtlinie Daneben enthält die Richtlinie noch eine Reihe weiterer Bestimmungen, die vor allem die Wirksamkeit der geschaffenen Rechtsinstrumente sicherstellen und Missbrauch vermeiden sollen. Hierbei handelt es sich insbesondere um Regelungen zur Finanzierung und Kostentragung, um Informationsverpflichtungen und um Fragen des Beweisrechts. 303 ErwGr. 43 S. 2 RL; Augenhofer, NJW 2021, 113 (114 f.). Eine vorherige Feststellung eines Verstoßes im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 3 RL soll nicht erforderlich sein. Anders als der Rechtsdurchsetzung mittels Musterfeststellungsklage liegt der Abhilfeklage somit kein zweistufiges Verfahren zugrunde. Anders noch der Kommissionsentwurf: Lühmann, NJW 2019, 570 (572). 304 Vgl. auch die Legaldefinition der Abhilfeentscheidung in Art. 3 Nr. 10 RL. Nach Art. 9 Abs. 6 RL sollen die Verbraucher Nutzen aus der Abhilfeentscheidung ziehen können. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); Vollkommer, MDR 2021, 129 (132 ff.). 305 ErwGr. 46 RL, die Mitgliedstaaten sollen entsprechende Regelungen verabschieden, um Kollisionen zu vermeiden, vgl. auch: ErwGr. 48 RL. 306 ErwGr. 53, 55 RL. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (116 f.); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50 f.). Zum Kommissionsentwurf: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (246); Krausbeck, VuR 2018, 287 (291 f.). Zur Fassung des Rechtsausschusses: Lühmann, NJW 2019, 570 (575). 307 ErwGr. 56 RL. 308 ErwGr. 57 RL.
C. Einführung in die EU-Richtlinie
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So bestimmt Art. 12 Abs. 1 RL als Grundregel für die Kostentragung eine Kostenpflichtigkeit der unterliegenden Partei.309 Art. 10 Abs. 1, 2 RL fordert Sicherungsmechanismen zur Vermeidung von Interessenkonflikten bei einer Drittfinanzierung von Abhilfeklagen, insbesondere mit Blick auf Nachteile für die Verbraucher. Diese Anforderungen unterliegen einer gerichtlichen Überprüfung und Sanktionierung (Art. 10 Abs. 3, 4 RL).310 Nach Art. 20 Abs. 1, 2 RL sollen außerdem die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die qualifizierten Einrichtungen nicht durch die erwarteten Kosten an der Klageerhebung gehindert werden.311 Art. 13 RL verpflichtet die Mitgliedstaaten die Information der Verbraucher über Verbandsklagen und rechtskräftige Entscheidungen312 entweder durch den Unternehmer, die qualifizierte Einrichtung oder auf andere Weise sicherzustellen.313 Außerdem fordert Art. 14 RL die Schaffung von elektronischen Datenbanken durch die Mitgliedstaaten und die Kommission. Auf diesen sollen unter anderem Informationen über die qualifizierten Einrichtungen und anhängige und beendete Verbandsklagen abrufbar sein.314 Nach Art. 15 RL müssen ergangene rechtskräftige Entscheidungen in einem anderen Verfahren, gerichtet auf Abhilfe wegen derselben Praktik gegen denselben Unternehmer, als Beweismittel genutzt werden können. Die freie richterliche Beweiswürdigung soll allerdings unberührt bleiben.315 Neben der Beweiswirkung für Urteile in Art. 15 RL will die Richtlinie auch ein bestehendes Informationsgefälle zwischen Verbraucher- und Unternehmerseite ausgleichen. Hierzu sollen sowohl der beklagte Unternehmer als auch die klagende qualifizierte Einrichtung, sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, verpflichtet werden können, Beweise herauszugeben (Art. 18 RL). Um der Waffengleichheit der Parteien Rechnung zu tragen, wird dieses Recht beiden Parteien zugestanden.316 Um den Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, eine eigene Klage oder eine Beteiligung an einer Abhilfeklage erst nach Erlass einer Unterlassungsentschei309 Ausführlich: ErwGr. 38 RL. Augenhofer, NJW 2021, 113 (117 f.); Lühmann, ZIP 2021, 824 (832). 310 Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (117); Lühmann, ZIP 2021, 824 (832 f.). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 B. II. 4. 311 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45, 52); Lühmann, ZIP 2021, 824 (826). 312 Vgl. hierzu die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 9 RL. 313 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (48 f.). 314 ErwGr. 63 RL. 315 ErwGr. 64 RL. Augenhofer, NJW 2021, 113 (117); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (52). Zur Entwicklung der Regelung im Gesetzgebungsverfahren: Axtmann/Staudigel, ZRP 2020, 80 (82). Hornkohl, EuCML 2021, 189 (197) nimmt eine Beschränkung auf die Parteien der Verbandsklage an, der Wortlaut spricht jedoch dagegen („allen“). 316 ErwGr. 68 RL; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49); Lühmann, ZIP 2021, 824 (834). Vgl. zur Fassung des Rechtsausschusses: Lühmann, NJW 2019, 570 (574 f.). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 6. a).
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Kap. 1: Einführung in die Thematik des kollektiven Rechtsschutzes
dung zu erheben bzw. anzustreben, fordert Art. 16 Abs. 1 RL für die von der Unterlassungsklage betroffenen Verbraucher den Eintritt einer Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verbraucher nachfolgend eine Individualklage oder eine Verbandsklage anstreben.317 Auch für eine anhängige Abhilfeklage sieht die Richtlinie eine Verjährungshemmung oder -unterbrechung zugunsten der betroffenen Verbraucher vor (Art. 16 Abs. 2 RL).318 Hierzu wird teilweise vertreten, dass die Verjährungshemmung bereits unabhängig vom Beitritt zur Abhilfeklage quasi universell zugunsten aller „betroffenen Verbraucher“ allein durch die Erhebung einer Abhilfeklage eintrete (Art. 16 Abs. 2 RL). Dafür spräche, dass diese Terminologie in der Richtlinie durchgängig verwendet wird.319 Regelungssystematisch kann dies allerdings nicht überzeugen, da es die Richtlinie den Mitgliedstaaten gerade freistellt, ob sie ein Opt-in- oder Opt-out-Modell einführen. Eine generelle Verjährungshemmung würde bei einem Opt-in-Modell aber gerade der gesetzgeberischen Ausgestaltung eines notwendigen Willensentschlusses widersprechen. Abhängig von dieser legislativen Entscheidung dürfte der Begriff der Betroffenheit auszulegen sein.320
D. Zwischenergebnis: Erste Einordnung des kollektiven Rechtsschutzes in die ZPO Nachdem zu Beginn die defizitäre Rechtsdurchsetzung bei gewissen Schadensereignissen herausgestellt wurde und der legislative Handlungsbedarf, in Ermangelung effektiver zivilprozessualer Instrumente, belegt wurde, konnte anschließend im Wege einer Zweckbetrachtung des Zivilprozesses die Erkenntnis 317 ErwGr. 65 RL; zeitliche Übergangsregelung in ErwGr. 66 RL. Siehe auch: Lühmann, NJW 2019, 570 (574). 318 Unklar bleibt nach Art. 16 Abs. 2 RL und ErwGr. 65 RL, inwiefern mit „betroffene Verbraucher“ solche gemeint sind, die ihre Zustimmung erteilt haben oder ob dies auch nur faktisch betroffene Verbraucher einschließt. Da Art. 16 Abs. 1 RL ebenfalls von betroffenen Verbrauchern spricht, bei der Klage auf Erlass einer Unterlassungsentscheidung aber keine Zustimmung notwendig ist, könnte dies für die tatsächliche Betroffenheit und nicht die Notwendigkeit einer Zustimmung sprechen. 319 Zwar ist der Wortlaut („betroffenen Verbraucher“) nicht gänzlich eindeutig. Die RL spricht aber durchgängig (siehe nur: Art. 16 Abs. 1 RL) von betroffenen Verbrauchern, ohne zwischen Anmeldern und Nichtanmeldern zu unterscheiden, vgl. ausführlich: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 37, insb. Fn. 160. So auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (135); Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (43); Gsell, BKR 2021, 521 (525). Auch die englische Sprachfassung spricht sowohl bei Unterlassungs- als auch Abhilfeklagen von „consumers concerned by that representative action“. Vgl. auch: ErwGr. 65 RL. 320 Vgl. Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49); Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 68 f. Siehe auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (835), der darauf hinweist, dass in Art. 9 Abs. 1 RL, ErwGr. 37 RL Betroffenheit in dem Sinne verstanden wird, dass derjenige an der Abhilfe teilhaben kann. Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 53 ff.
D. Zwischenergebnis
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gewonnen werden, dass die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung auch für diese im Zuge moderner Wirtschaftspraktiken entstehenden Schadensphänomene und deren negative gesamtgesellschaftliche Implikationen durchaus mit dem Zweckverständnis der Zivilprozessordnung aus dem 19. Jahrhundert vereinbar ist. Derartige Instrumente können somit, ohne eine zweckbedingte systemische Verwerfung zu erzeugen in die ZPO integriert werden. Hierbei gilt es festzuhalten, dass dies unterhalb der Grenze eines absoluten rationalen Desinteresses, als diejenige Kennziffer, unterhalb derer keine Individualklagen erhoben werden, auch bei deutlicher Absenkung der Bagatellgrenze infolge von Effizienzsteigerung und Kostensenkung, nur noch im Hinblick auf sekundäre Prozesszwecke bejaht werden kann. Da diese aber in keiner Antithese zum primären Prozesszweck stehen, folgt hieraus auch kein zwingender Widerspruch. Dieser erste Eindruck dürfte sich verstärken, wenn es gelingt herauszustellen, dass die Musterfeststellungsklage und die EU-RL für Verbandsklagen, mit Ausnahme des Sonderfalls der Unterlassungsklage, vor allem der Individualrechtsdurchsetzung dienen sollen. Die neuen Arten der Verbandsklage stellen in gewisser Weise eine Verbindung der bisher in der deutschen Zivilverfahrenspraxis schon bekannten Verbandsklage und einer Gruppenklage, also einem Verfahren, in welchem ein Kläger die gebündelten Ansprüche einer Vielzahl von Anspruchsinhabern stellvertretend für diese geltend macht,321 dar. Man könnte in diesem Sinne von einer Art „Verbandsklage im Individualinteresse“ sprechen. Im folgenden Kapitel 2 soll daher die Rechtsnatur der Verbandsklage näher untersucht werden, um die Frage der systematischen Integration in die ZPO vertiefend zu betrachten.
321 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 30 m.w. N. Unter den vielfältigen und nicht umfassend typologisierbaren Regelungsmodellen, vgl. Koch, JZ 2011, 438 (439 ff.), zur kollektiven Rechtsdurchsetzung lassen sich im Wesentlichen drei Modelle unterscheiden: Verbands-, Gruppen- bzw. Sammelklagen und Musterklagen, vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 29 m.w. N.
Kapitel 2
Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen Nachdem einleitend das Rechtsschutzdefizit herausgearbeitet und die Grundzüge der gesetzgeberischen Lösung dargestellt wurden, erfolgt nun eine eingehende Betrachtung der gesetzgeberischen Lösung und der Einfügung der Parteirollenverschiebung in die ZPO. Wie bereits deutlich wurde, liegt die Klagebefugnis sowohl im Rahmen der Musterfeststellungsklage als auch der Richtlinie bei sog. qualifizierten Einrichtungen.1 Zum Verständnis dieser Besonderheit sollen nachfolgend die Gründe für diese gesetzgeberische Entscheidung und die Anforderungen an die qualifizierten Einrichtungen überblickartig vorgestellt werden. Im Hinblick auf die Anforderungen der Richtlinie bedarf es außerdem einiger Anmerkungen zur Umsetzung in nationales Recht. Anschließend wird die Prozessführungsbefugnis und deren Eingliederung in die Dogmatik der ZPO näher beleuchtet.
A. Gesetzgeberische Motivation für die Übertragung der Klagebefugnis auf qualifizierte Einrichtungen Für die Ausgestaltung kollektiver Rechtsschutzverfahren bestehen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, es seien an dieser Stelle nur schlagwortartig Verbands-, Sammel- oder Gruppenklagen und Musterverfahren genannt.2 Aus der Fülle möglicher Ausgestaltungen haben sich sowohl der deutsche Gesetzgeber für die Musterfeststellungsklage als auch der europäische Richtliniengeber für das Modell einer Verbandsklage entschieden. In der Diskussion um die Einführung von Elementen kollektiven Rechtsschutzes wurde vielfach die Sorge vor „amerikanischen Verhältnissen“ artikuliert.3
1 Für die Musterfeststellungsklage: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 26. Für die RL: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114). 2 Ausführlich hierzu: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 29 ff. 3 Vgl. für die Musterfeststellungsklage die Nachweise bei: Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 60; Schneider, BB 2018, 1986 (1987); Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 4; für die Debatte auf europäischer Ebene: Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (3).
A. Gesetzgeberische Motivation für die Übertragung der Klagebefugnis
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Dies adressiert die Missbrauchsgefahren einer US-amerikanischen class action.4 Ohne die Begründetheit dieser Risiken hier näher erörtern zu wollen, sei kurz darauf hingewiesen, dass eine Bewertung der class action nur dann zielführend erfolgen kann, wenn eine kontextbezogene Erörterung unter Einbeziehung des US-amerikanischen Prozessrechts erfolgt, da erst dieses den „toxic cocktail“ 5 ergibt. Im US-Prozessrecht bestehen umfassende Möglichkeiten des Ausforschungsbeweises (pre-trial discovery),6 mit erheblichen Offenlegungspflichten für den Beklagten.7 Die separate Kostentragung jeder Partei, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens (american rule), geht mit einem hohen potenziellen Kostenrisiko einher.8 Die hohen Schadenssummen sind vielfach nicht das Ergebnis der bloßen Anspruchskumulation, sondern beinhalten Strafschadensersatz (punitive damages und treble damages).9 Für mögliche Klägerkanzleien ergibt sich der hohe finanzielle Anreiz zudem aus der Möglichkeit einer Erfolgshonorarvereinbarung.10 Die Kumulation dieser Aspekte bewirkt ein großes wirtschaftliches Potenzial11 und ein entsprechendes strategisches Interesse der Klägerkanzleien.12 4 Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (65); Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 60; eine Darstellung des Verfahrensablaufs bei einer class action findet sich bei: Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (54 f.) m.w. N. 5 Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (3). Bei einer Einbettung in die europäischen Zivilprozessrechtstraditionen ergäben sich daher die konstatierten Nachteile nicht, so: Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (66). Ausführlich zur class action im Kontext des US-Prozessrechts: Eichholtz, Class Action, S. 52 ff. 6 Janssen, Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 3 (3). Diese ist insbesondere im Zusammenhang mit den niedrigen Substantiierungsanforderungen für das Klagevorbringen im Rahmen des notice pleading problematisch, da dies die Erhebung von tendenziell unbegründeten Klagen fördert, vgl. Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (55). 7 Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 62. 8 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 94; für den Zivilprozess in Deutschland gilt nach § 91 ZPO der Grundsatz der Kostentragungspflicht des Unterlegenen, vgl. nur: Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, § 91, Rn. 1. 9 Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (55); Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 63. 10 Vgl. zum Einfluss von Erfolgshonoraren und Stundensätzen auf das anwaltliche Agieren: Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (80 ff.); die Erfolgsbeteiligungen haben für Klägervertreter einen erheblichen finanziellen Anreiz und führen zur aktiven Klägersuche, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 94; Koch, ZZP 113 (2000), 413 (426); Homburger/Kötz, Klagen Privater im öffentlichen Interesse, S. 84 ff. Erfolgshonorare sind in Dtl. nur unter den Voraussetzungen des § 4a RVG zulässig, vgl. nur: v. Seltmann, in: BeckOKRVG, § 4a, Rn. 1 ff. 11 Die Kosten des Rechtsystems in den USA belaufen sich auf 2 % des BIP, vgl. die Nachweise bei: Woopen, NJW 2018, 133 (134); eine anschauliche Kostenaufstellung findet sich bei: Scholl, ZfPW 2019, 317 (330 f.). 12 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einf., Rn. 94, 97.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Sammelklagen US-amerikanischer Prägung werden daher von den Klägern häufig nur gegen solche Beklagten angestrengt, bei denen eine hohe Solvenz zu erwarten ist, wodurch diese mittlerweile sogar als Investitionsmöglichkeit dienen.13 Ein damit im Zusammenhang stehender Kritikpunkt ist eine Gefahr tendenziell unbegründeter Klagen mit dem primären Ziel eines für die beteiligten Rechtsanwälte vorteilhaften Vergleichsschlusses unter Ausnutzung eines dem Beklagten drohenden Reputationsverlustes und Kostenrisikos.14 Aber nicht nur im Verhältnis zu den potenziellen Beklagten ergeben sich Missbrauchsgefahren. Für den Mandanten besteht bereits bei Einzelklagen ein gewisses Informationsgefälle gegenüber seinem Rechtsbeistand. Bei einer Anspruchsbündelung, wie bei der class action, vergrößert sich dieses Gefälle zunehmend, da die Principale, die Klägergruppe der Sammelklage, kaum effektiv das Handeln des Agenten, des Prozessvertreters des lead plaintiff, überwachen können.15 Vielfach profitieren vor allem die beteiligten Rechtsanwälte, während die Geschädigten nur selten eine effektive Schadenskompensation erhalten,16 was insbesondere auch auf die Vereinbarung von prozentualen Erfolgshonoraren und den Einsatz von Prozessfinanzierern zurückzuführen ist.17 Dementsprechend hat der deutsche Gesetzgeber18 im Rahmen der Musterfeststellungsklage mit der Reduzierung des Klägerkreises auf registrierte, nicht gewinnorientierte qualifizierte Einrichtungen die skizzierten Missbrauchsgefahren vermeiden wollen.19 Die Konzentration der Klagebefugnis und die Anforderun13
Siehe nur: Woopen, NJW 2018, 133 (133). Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (31) m.w. N.; Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (66). Ausführlich zum Verhältnis der „Beutetheorie“ und der „Rechtsdurchsetzungstheorie“ unter Einschluss empirischer Untersuchungen: Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (71 ff.); Scholl, ZfPW 2019, 317 (329 f.); siehe auch: Eichholtz, Class Action, S. 24 ff. 15 Vgl. Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (77 f.); Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (65 f.). Zum Interessenkonflikt als Folge ökonomischer Anreize: Woopen, NJW 2018, 133 (133 f.). Ausführlich zum Principal-Agenten-Konflikt: Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (28 ff.); Eichholtz, Class Actions, S. 19 ff.; Scholl, ZfPW 2019, 317 (330). 16 Siehe nur: Woopen, NJW 2018, 133 (133), der außerdem darauf hinweist, dass Verbraucherschutzklagen nur einen kleinen Anteil der class actions ausmachen. 17 Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 63. 18 BT-Drs. 19/2507, S. 15, 22. 19 Scholl, ZfPW 2019, 317 (333); kritisch zu dieser restriktiven Ausgestaltung: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Vor § 606, Rn. 4; siehe auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 35 f.; vgl. zu den Gefahren eines Principal-Agenten-Konflikts bei 14
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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gen an die qualifizierte Einrichtung sind somit ein Schutzmechanismus gegen eine Kommerzialisierung der Musterfeststellungsklage.20 Auch die Richtlinie hebt die Bedeutung der Missbrauchsverhinderung (Art. 1 Abs. 1 S. 1 RL) für die Unternehmen im Binnenmarkt hervor und verweist hierfür auf die Regelungen zur Benennung und Finanzierung der qualifizierten Einrichtungen.21
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung Nachfolgend sollen die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung im Fall der Musterfeststellungsklage und anschließend für die Richtlinie dargestellt werden.
I. Anforderungen im Rahmen der Musterfeststellungsklage Die Befugnis zur Erhebung einer Musterfeststellungsklage steht nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nur qualifizierten Einrichtungen zu.22 Dies ist in § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ausdrücklich als Zulässigkeitsvoraussetzung klargestellt.23 1. Anlehnung an das UKlaG als Ausgangspunkt Die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung, welche nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO klagebefugt ist, werden in § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO dahingehend präzisiert, dass es sich hierbei um eine Stelle im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG handeln muss.24 Hierfür ist eine Eintragung, entweder nach § 4 UKlaG oder nach Artikel 4 Abs. 3 der Richtlinie 2009/22/EG,25 in das Verzeichnis der Verbandsklagen: Van den Bergh/Keske, Rechtsökonomische Aspekte der Sammelklage, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 17 (38 f.). Bei der Zwischenschaltung eines Verbandes verlängert sich die Vertretungskette, was die Gefahren eines Agentenkonflikts potenziell steigert, ausführlich: Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (86 ff.), jedoch kann die Ausgestaltung diesem Problem begegnen, so: ebenda (96); kritisch zur Ausgestaltung: DIHK, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 2. 20 Siehe nur: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (46). 21 ErwGr. 10 RL. Auch die Vermeidung von Strafschadensersatz (ebenso ErwGr. 42 RL) wird herausgestellt, dies hat aber keinen Bezug zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung. ErwGr. 25, 52 RL betonen die notwendige Unabhängigkeit von Dritten, wie Unternehmern, Hedgefonds oder Finanzierern. 22 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 32. 23 BT-Drs. 19/2507, S. 22. 24 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 6, 21; hierzu: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 135 f.; ausführlich zu den Anforderungen an eine Eintragung nach § 4 UKlaG: Schaumburg, Verbandsklage, S. 144 ff. Siehe zu den Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs: Max, VuR 2021, 129 (130 ff.). 25 Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 über Unter-
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Europäischen Kommission erforderlich.26 Der Verweis auf die von der Kommission geführte Liste nach Art. 4 Abs. 3 der RL 2009/22/EG lässt auch eine Klageerhebung durch ausländische Einrichtungen zu.27 Nicht verwiesen wird hingegen auf die qualifizierten Wirtschaftsverbände (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG), auf Industrie- und Handelskammern, auf nach der Handwerksordnung errichtete Organisationen, andere berufsständische Körperschaften und Gewerkschaften (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UKlaG).28 Nach § 4 Abs. 1 UKlaG führt die Liste der qualifizierten Einrichtungen das Bundesamt für Justiz.29 In diese Liste werden rechtsfähige Vereine auf deren Antrag eingetragen, wenn sie die satzungsmäßige Aufgabe einer nicht gewerbsmäßigen Aufklärung und Beratung im Interesse von Verbrauchern ausüben. Weiterhin müssen die Vereine aus jeweils mindestens drei auf dem gleichen Aufgabenfeld tätigen Verbänden bestehen oder mindestens 75 natürliche Personen als Mitglieder haben, seit einem Jahr existieren und aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit und Ausstattung muss es als gesichert erscheinen, dass sie die satzungsmäßigen Aufgaben in Zukunft dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen werden (§ 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG).30 Hinsichtlich solcher Verbände, welche mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, besteht eine unwiderlegliche Vermutung des Vorliegens dieser
lassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110/30 vom 01.05.2009). Dies wurde zuletzt durch Verordnung (EU) Nr. 524/2013 (ABl. L 165/1 vom 18.06. 2013) geändert. 26 Hierauf beschränkt waren die Anforderungen an den Kläger noch im Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_Muster feststellungsklage.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 17.05.2023), vgl. S. 2 und 15. Es sollte verdeutlicht werden, dass es um den Schutz von Verbraucherinteressen geht und „keine sachwidrigen oder missbräuchlichen Musterfeststellungsklagen erhoben werden“ (DiskEntw., S. 12). Zu Letzterem ebenso: BT-Drs. 19/2507, S. 15, 22; näher zur Eintragung, insbesondere zur von der EU-Kommission geführten Liste: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 27 ff. 27 Schneider, BB 2018, 1986 (1990); zu Beispielen: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 4. Kritisch im Hinblick auf die niedrigen Anforderungen an eine Listeneintragung nach Art. 4 Abs. 3 RL 2009/22/EG: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (46); Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (366). 28 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 33, nach welchem im internen Referentenentwurf Kammern im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UKlaG a. F. noch umfasst waren. Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 7: Diese Regelung führt dazu, dass eine griechische oder slowenische Handelskammer, die Verbraucherinteressen durchsetzen darf, klagebefugt wäre, nicht aber die IHK. Außerdem würden einige klageaktive Verbände (bspw. Wettbewerbsverbände) ausgeschlossen. Die IHK selbst hat kein Interesse an einer Klagebefugnis, vgl. DIHK, Stellungnahme, Gesetzesentwurf, S. 4 f. 29 Max, VuR 2021, 129 (130). 30 BT-Drs. 19/2507, S. 21 f.; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 5; zu den Anforderungen im Einzelnen: Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 4 UKlaG, Rn. 12 ff.; Max, VuR 2021, 129 (130 f.).
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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Voraussetzungen (§ 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG).31 Unter den Voraussetzungen des § 4c UKlaG kann eine Aufhebung der Eintragung stattfinden. Daneben kann im Rahmen eines laufenden Verfahrens das Gericht das BfJ zu einer Überprüfung auffordern (vgl. § 4a Abs. 2 UKlaG).32 Die im Folgenden aufzuzeigenden Voraussetzungen, die eine qualifizierte Einrichtung im Rahmen einer Musterfeststellungsklage erfüllen muss, gehen jedoch über § 4 Abs. 2 UKlaG hinaus.33 2. Strukturelle Anforderungen Hinsichtlich der Struktur werden an die qualifizierte Einrichtung bei einer Musterfeststellungsklage über § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 UKlaG hinausgehende Anforderungen gestellt.34 So muss die qualifizierte Einrichtung nach § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO aus mindestens zehn Verbänden mit gleichem Aufgabenbereich oder 350 natürlichen Personen bestehen.35 Zur Begründung dieses Erfordernisses wird vorgebracht, die Mindestmitgliederzahl 36 solle die finanzielle Solvenz absichern37 und die Relevanz des Verbandes belegen.38 Nach Ansicht der Rechtsprechung sollen zur Erreichung der Zahl von 350 natürlichen Personen „Internetmitglieder“ ohne Stimmberechtigung und mit weitgehend fehlenden organschaftlichen Rechten und Pflichten nicht ausreichen, sondern nur Vollmitglieder mit eigener Stimmberechtigung zählen, die durch ihre organschaftlichen Rechte auf den Verband Einfluss nehmen können. Das Erfordernis einer vollwertigen Mitgliedschaft folge aus der angestrebten besonderen Stabilität des Klageberechtigten, die eine Mitgliedschaft mit voller Stimmberechtigung erfordere. Andernfalls 31 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4 UKlaG, Rn. 10; Max, VuR 2021, 129 (131). 32 Max, VuR 2021, 129 (132 f.); vgl. auch: BT-Drs. 19/2507, S. 21; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 28; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 4. 33 BT-Drs. 19/2507, S. 15; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 3; nach Ansicht des DAV würde die Registrierung in der Liste der EU-Kommission nicht ausreichend vor Missbrauch schützen, DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8 f.; zur ursprünglich weiteren Klagebefugnis im DiskE. Vgl. Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (323 f.) m.w. N. 34 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 7. Anschaulich dazu: OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1351). 35 BT-Drs. 19/2507, S. 22; zu Mischverbänden: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 33.1. 36 Nach Ansicht von Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (329) sei die Offenlegung personenbezogener Daten zum Nachweis der Mitgliederzahl nicht erforderlich und unangemessen; gegen anonymisierte Mitgliederlisten in Verbindung mit eidesstattlicher Versicherung hingegen: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 7. Letzteres überzeugt, anonymisierte Listen haben nur eine geringe Aussagekraft, eine notarielle Beglaubigung verlagert die gerichtliche Prüfung auf einen Dritten. Ausführlich: OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.12.2018, Az. 4 MK 1/18, BKR 2019, 294 (295 f.). 37 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 35. 38 Kritisch: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
könnten die Mitgliederzahlen kurzfristig zur Erreichung der Klagebefugnis erhöht werden.39 Dem kann allerdings nur insoweit gefolgt werden, als die besondere Form der Mitgliedschaft im Einzelfall nur dazu dient, kurzfristig eine entsprechende Mitgliederzahl für die Erhebung einer Musterfeststellungsklage einzuwerben, da dies die Anforderungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO unterläuft.40 In allen anderen Fällen sollte aber die Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Mitgliedschaft (vgl. § 38 BGB) als Ausfluss der Vereinsautonomie41 gewahrt werden. Berücksichtigt werden muss weiterhin, dass Stabilität nicht mit einer Art „Bestandsgewähr“ 42 gleichgesetzt werden kann. Außerdem muss die Eintragung in die Liste nach § 4 UKlaG bzw. in das Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 2009/22/ EG mindestens vier Jahre lang bestehen (§ 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO). Hierdurch sollen mit Blick auf die regelmäßige Verjährungsfrist einzelfallmotivierte Ad-hoc-Gründungen verhindert werden und soll genügend Zeit für das BfJ verbleiben die Eintragung zu prüfen.43 3. Anforderungen an die Verbandstätigkeit Die satzungsmäßigen Aufgaben im Verbraucherinteresse müssen „weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten“ 44 erfüllt 39 BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (640); so bereits die Vorinstanz: OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1350); BGH, Beschluss vom 17.11.2020, Az. XI ZB 1/19, ZIP 2021, 1065 (1066 f.); so auch: Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 6; a. A. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 5; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324); Röthemeyer, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, BKR 2019, 298 (302): Es gilt das Vereinsrecht des BGB und dieses lässt einen Ausschluss von Stimmrechten zu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 7. 40 So der Sachverhalt in: OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1350), in welchem die Prozessvertreter explizit den Zweck einer Erreichung der Klagebefugnis anführten. 41 Vgl. Leuscher, in: MüKoBGB, § 38, Rn. 8 f.; Wagner, NZG 2019, 46 (49 f.). Nach § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG sind deutsche Verbände im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO als Vereine organisiert. 42 So die Kritik von: Röthemeyer, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03. 2019, Az. 6 MK 1/18, BKR 2019, 298 (302). 43 Ausdrücklich: BT-Drs. 19/2507, S. 22; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 36, die starre Regelung bindet auch Einrichtungen, die keine einzelfallbezogenen Neugründungen sind. Kritisch ebenfalls: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 7, Missbrauchsschutz bei Ad-hoc-Gründungen sei bereits durch die § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3–5 ZPO gewährleistet. Siehe zu Vorratsgründungen: Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414 (3415 f.). Positiv hingegen: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 147 f. 44 Kritisch: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (325 f.), die die Unbestimmtheit des Begriffs „weitgehend“ hervorheben und auf Schwierigkeiten in der Ermittlungspraxis verweisen. Es sei widersprüchlich diesen Verbänden ein Klagerecht einzuräumen, aber gleichzeitig die Klageaktivität zu limitieren. Auch diene die prozessuale Durchsetzung von Verbraucherrechten gerade der Aufklärung. Zu den Unterschieden gegenüber § 4
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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werden (§ 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO).45 Die Erhebung von Musterfeststellungsklagen soll demnach gerade nicht die überwiegende Tätigkeit der qualifizierten Einrichtung bilden, sondern sie soll überwiegend aufklärend oder beratend tätig sein. Dies sei durch „geeignete Nachweise über die tatsächliche Tätigkeit zu belegen“.46 Eine Vermutung einer der Satzung entsprechenden Tätigkeit kann nicht angenommen werden.47 Nach Ansicht des OLG Stuttgart komme es hierbei nicht maßgeblich auf den Zeitaufwand an, sondern darauf, wie die Wirkung im Hinblick auf den Schutz der Verbraucherinteressen erzielt wird, schließlich falle der zeitliche Aufwand des Gerichtsverfahrens vor allem bei den Prozessvertretern an.48 Zwar sollte die Wirkung im Rahmen einer Gesamtabwägung durchaus eine herausgehobene Bedeutung einnehmen, jedoch stellt der Wortlaut „weitgehend“ ein quantitatives Kriterium in den Vordergrund.49 Demnach dürfen Verbraucherinteressen nicht schwerpunktmäßig im Wege einer gerichtlichen Durchsetzung oder durch Abmahnungen verfolgt werden,50 dies soll vielmehr nur eine untergeordnete Rolle spielen.51 Um dies zu bestimmen sollte somit eine Gesamtbetrachtung unter indizieller Berücksichtigung des Zeit- und Personalaufwands und des Verhältnisses von Mitgliedsbeiträgen und (außer-)gerichtlichen Abmahngebühren und Vertragsstrafen erfolgen.52 Die mediale Wirkung als Folge eines Rechtsstreits stellt keine Aufklärung im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO dar,53 Abs. 2 S. 1 UKlaG: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (47); OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.12.2018, Az. 4 MK 2/18, BKR 2019, 294 (296 f.). 45 Ausführlich: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 149 ff. m.w. N. 46 BT-Drs, 19/2507, S. 22. Kritisch zum Ausschluss klageaktiver Verbände: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 8. Laut Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 35 sollten neben gewerblichen Tätigkeiten auch solche Verbände ausgeschlossen werden, die überwiegend Öffentlichkeitsarbeit und politische Einflussnahme betreiben. Instruktiv zu den Schwierigkeiten der Ermittlung: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 37. 47 BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (641); BGH, Beschluss vom 17.11.2020, Az. XI ZB 1/19, ZIP 2021, 1065 (1068), vielmehr bedarf es eines hinreichenden klägerischen Vortrags. 48 OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1351). 49 Vgl. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 7. 50 OLG Brauchschweig, Beschluss vom 12.12.2018, Az. 4 MK 2/18, BKR 2019, 294 (296 f.), welches die ggü. § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG verschärften Anforderungen und als Anhaltspunkt die Einnahmenverteilung hervorhebt. 51 BT-Drs. 19/2507, S. 22; OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1351). 52 BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (641), welcher darauf hinweist, dass erst ein vielfaches Übersteigen der Abmahngebühren im Verhältnis zu den Mitgliedsbeiträgen indizielle Bedeutung erlangt. Mit Verbraucherberatung und -aufklärung lassen sich kaum Einnahmen generieren, vgl. Röthemeyer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, NJW 2021, 1014 (1018). Zur Gesamtbetrachtung: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 36. 53 OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1351); Röthemeyer, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18,
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
kann also nicht zugleich die Klagebefugnis (mit-)begründen. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass die Erfüllung der Voraussetzung des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO nur im Wege einer Gesamtabwägung im Einzelfall ermittelt werden kann.54 4. Anforderungen an die Finanzierung Eine weitere Anforderung, welche sich genau genommen nicht nur auf den Verband selbst, sondern auf die Musterfeststellungsklage an sich bezieht, ist der Ausschluss der Klageerhebung zum Zwecke der Gewinnerzielung nach § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ZPO. Ziel ist es hiermit eine Klageindustrie und die Erhebung von Klagen mit Gewinnerzielungsabsicht zu verhindern.55 Da die Musterfeststellungsklage nur auf Feststellungen gerichtet ist und mit ihr kein Leistungstitel erstrebt werden kann, dürfte diese Regelung auch auf das nachfolgende Anspruchsdurchsetzungsverfahren abzielen. Im Hinblick auf dieses könnten Prozessfinanzierer und Anwaltskanzleien versucht sein, auf den Musterkläger Einfluss zu nehmen.56 Der Ausschluss der Gewinnerzielungsabsicht soll auch für eine mittelbare Gewinnerzielung durch nahestehende Dritte, beispielweise Rechtsanwälte mit Vereinsmitgliedschaft und damit im Zusammenhang stehendem Einfluss auf die vereinsinterne Willensbildung, gelten.57 Dem kann zugestimmt werden, da ein Idealverein (§ 21 BGB) selbst bereits keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen darf und daher auf Dritte abgestellt werden muss, um ein Leerlaufen des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ZPO zu vermeiden.58 Außerdem dürfen nicht mehr als fünf Prozent der finanziellen Mittel der qualifizierten Einrichtung aus Zuwendungen von Unternehmen stammen (§ 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 ZPO).59 Hierdurch werden einerseits Kollisionen zwischen Verbraucher- und Unternehmerinteressen und andererseits Wettbewerbsschädigungen BKR 2019, 298 (303); kritisch zum Judikat allg.: Hartmann, Anmerkung zu OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, EwiR 2020, 159 (160). 54 BGH, Beschluss vom 17.11.2020, Az. XI ZB 1/19, NJW 2021, 1018 (1021). 55 BT-Drs. 19/2507, S. 22. 56 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 38, So auch: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (327). 57 OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18, ZIP 2019, 1349 (1352), im konkreten Fall waren mindestens 30 Mitglieder auch Angehörige einer mandatierten Kanzlei. Zustimmend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 11; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 154; Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414 (3416); im konkreten Fall, mangels Entscheidungserheblichkeit, offenlassend: BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (642). 58 So auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 37; gegen eine zu restriktive Auslegung: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 8. 59 Näher zum Begriff der „finanziellen Mittel“ und der „Zuwendungen“: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 43 f., außerdem für eine „erweiternde Auslegung“ im Interesse des Missbrauchsschutzes, ebenda, Rn. 47. Zu möglichen Umgehungsgefahren durch Stiftungen und Privatpersonen: Schneider, BB 2018, 1986 (1990).
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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durch Unternehmen unter Zuhilfenahme der Musterfeststellungsklage reguliert.60 Außerdem reduziert dies die Möglichkeit des Beklagten auf die qualifizierte Einrichtung Einfluss zu nehmen.61 Das Gesetz geht von einer abstrakten Gefährlichkeit solcher finanziellen Zuwendungen aus, es bedarf gerade keiner konkreten Konfliktsituation zwischen Unternehmer- und Verbraucherinteressen.62 Einen Zeitraum, in welchem die finanziellen Zuwendungen die Fünfprozentgrenze nicht überschreiten dürfen, nennt das Gesetz nicht.63 Teilweise wird daher auf das Jahr vor der Klageerhebung abgestellt.64 Möglich erscheint aber auch ein dahingehendes Verständnis, keinerlei zeitliche Beschränkung für die Einhaltung der Fünfprozentgrenze zuzulassen. Schließlich können finanzielle Förderungen in der Vergangenheit auch nachwirken.65 Sofern die Möglichkeit einer Nachwirkung von finanzieller Förderung aus einem Zeitraum vor dem Jahr der Klageerhebung besteht, sollten daher auch frühere Zeiträume in die Betrachtung eingestellt werden können. 5. Gerichtliche Überprüfung des Anforderungsprofils an qualifizierte Einrichtungen Anders als im Rahmen des § 4a Abs. 2 UKlaG können die Gerichte im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO selbstständig überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine qualifizierte Einrichtung beim Kläger vorliegen.66 Über § 253 Abs. 2 ZPO hinausgehend67 muss die Klageschrift nach § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO Angaben und Nachweise zur Erfüllung der Anforderungen 60 BT-Drs. 19/2507, S. 22, erwähnt ausdrücklich ausländische Verbände; der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah einen bloßen Verweis auf die Regelung des UKlaG vor, auf Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz wurde die Regelung inhaltlich übernommen und der Bezug zu § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO verdeutlicht, vgl. BT-Drs. 19/2741, S. 9, 24. 61 Darüber hinaus vermutet Röthemeyer, dass mit dieser Regelung auch Anwaltskanzleien an der Einflussnahme auf Verbände gehindert werden sollten, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 42. 62 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 44; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (327). 63 Kritisch hierzu: Langheid, VersR 2020, 789 (790). 64 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 45, welcher darauf hinweist, dass aus besonderen Gründen auch andere Zeiträume herangezogen werden könnten; nur das jüngste Rechnungsjahr: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 9. 65 Auf dieses Risiko weist auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 9 hin; für ein Abstellen auf den jährlichen Haushalt: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 12. 66 Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (47). Dies gilt aber nicht für die Eintragung i. S. d. UKlaG, vgl. Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 5. Ausführlich zur „Residualkompetenz“ des § 4 Abs. 4 UKlaG: Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 4a UKlaG, Rn. 6 ff.; ausführlich zur Prüfung: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (328 ff.). 67 Vgl. § 606 Abs. 2 S. 3 ZPO; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.11.2018, Az. 4 MK 1/18, VuR 2019, 106 (107).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO enthalten.68 Andernfalls erfolgt bereits keine Bekanntmachung im Klageregister nach § 607 Abs. 2 ZPO,69 welche jedoch keine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage beinhaltet.70 Es muss daher substantiiert zum Vorliegen der Voraussetzungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO vorgetragen werden.71 Außerdem muss die Klageschrift entsprechende Nachweise, also Beweismittel zum Nachweis der tatsächlichen Behauptungen (§ 253 Abs. 4 i.V. m. § 130 Nr. 5 ZPO), enthalten.72 Hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO (vgl. § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO)73 ist das Gericht zu einer Prüfung von Amts wegen verpflichtet (§ 56 Abs. 1 ZPO),74 entsprechend steht dem Gericht hierfür der Freibeweis zur Verfügung.75 Die qualifizierte Einrichtung ist, da ihr die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO obliegt, verpflichtet darzulegen, dass sie die entsprechenden Anforderungen erfüllt.76 Sofern das Gericht ernsthafte Zweifel77 an der Erfüllung der finanziellen Anforderungen (§ 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und 5 ZPO)
68 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 15; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 19 f. 69 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 607, Rn. 3. Ausführlich zur Bekanntmachung: Gluding, Kollektiver- und überindividueller Rechtsschutz, S. 201 ff. 70 Vgl. nur: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 30. 71 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 43. Zu anonymisierten Mitgliederlisten: BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (640); OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.12.2018, Az. 4 MK 2/18, BKR 2019, 294 (295 f.). 72 Ausführlich: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 46 ff.; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (48 f.); BGH, Beschluss vom 17.11.2020, Az. XI ZB 1/19, ZIP 2021, 1065 (1066). 73 BT-Drs. 19/2507, S. 22. Die explizite Nennung ist deklaratorisch, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17, Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 75. 74 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 11; kritisch: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324). 75 BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19, ZIP 2021, 638 (639) m.w. N. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 48, 50 weist entsprechend darauf hin, dass die Regelung des § 606 Abs. 1 S. 3 ZPO in Anbetracht des möglichen Freibeweises nicht zwingend notwendig ist und eher den Missbrauchsschutz verdeutlichen soll. Allgemein zum Freibeweis: Greger, in: Zöller, ZPO, § 284, Rn. 1b; für die Prüfung der Prozessführungsbefugnis: BGH, Urteil vom 11. 8. 2010, Az. XII ZR 181/08, NJW 2010, 3033 (3033) m.w. N. 76 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 15. 77 Nach der Literatur seien, wie bei § 4 Abs. 4 UKlaG a. F. strenge Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, ob konkrete Tatsachen es rechtfertigen, ein gewerbsmäßiges Handeln oder ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis anzunehmen, vgl. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 11; BGH, Urteil vom 04.02.2010, Az. I ZR 66/09, NJW-RR 2010, 1560 (1561); OLG München, Urteil vom 15.10.2019, Az. MK 1/19, WuM 2019, 624 (628).
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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hat, verlangt es vom Kläger die Offenlegung der finanziellen Mittel. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers schafft § 606 Abs. 1 S. 3 ZPO Transparenz bezüglich der finanziellen Ausstattung und ermöglicht es dem Gericht die Voraussetzungen zu überprüfen.78 Da es sich hierbei aber um eine grundsätzlich von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung handelt, bewirkt die Beschränkung auf „ernsthafte Zweifel“ zugleich für das Nachweismittel der Offenlegung auch eine Einschränkung der amtswegigen Prüfung.79 Die gerichtliche Prüfung ist für Fälle einer überwiegenden öffentlichen finanziellen Förderung beschränkt. Bei dieser Sachlage ist nur der Nachweis der Listeneintragung und der entsprechenden Förderung notwendig.80 § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO schafft eine parallele Regelung zu § 4 Abs. 2 S. 2 UKlaG, wonach für solche Verbände, die eine überwiegende81 Förderung aus öffentlichen Mitteln erfahren, eine unwiderlegliche Vermutung der Erfüllung aller Voraussetzungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–5 ZPO gegeben ist.82 Ausweislich der Gesetzesbegründung ist damit keine projektbezogene, sondern nur eine substanzielle Förderung gemeint.83 Es genügt aber nicht die bloße Tatsache der Förderung, vielmehr muss diese in Anbetracht der Gesamtfinanzierung als Finanzquelle überwiegen.84
78 BT-Drs. 19/2507, S. 22, weist auf ausländische qualifizierte Einrichtungen hin. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 10, zur Gefahr einer entsprechenden Prozessstrategie des Beklagten als Folge der Kenntnis klägerischer Finanzmittel. 79 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 10. Vgl. auch: OLG München, Urteil vom 15.10.2019, Az. MK 1/19, WuM 2019, 624 (628); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 159 f. 80 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 15. Andere Angaben sind dann nicht erforderlich, Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (48 f.). Ggf. kann dies unter § 291 ZPO fallen, vgl. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 20; anschaulich: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 28; OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.11.2018, Az. 4 MK 1/18, VuR 2019, 106 (107). Das Erfordernis des Überwiegens wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz eingefügt: BT-Drs. 19/2741, S. 9, 24. 81 Also mehr als 50 % der Finanzmittel, Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (47); vgl. auch: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (366); vgl. auch: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 28, OLG Dresden, Urteil vom 31.03.2021, Az. 5 MK 2/20, BeckRS 2021, 6404, Rn. 13 f. 82 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 11; laut Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 53 betrifft dies insbesondere die 16 Verbraucherzentralen, den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. und den Verbraucherschutzverein Berlin. Dies gilt auch für ausländische Verbände, vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 14. Kritisch dahingehend, dass die bloße Finanzierung keine Aussage über die Gewährleistung aller Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO trifft: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8 f. 83 BT-Drs. 19/2507, S. 22. 84 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 54; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (327); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 162.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
II. Voraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen im Sinne des Art. 4 der EU-Richtlinie Auch im Rahmen der Richtlinie liegt die Klagebefugnis nur bei sogenannten qualifizierten Einrichtungen. Entsprechend der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 4 RL ist dies „jede Organisation oder öffentliche Stelle, welche die Verbraucherinteressen vertritt und die von einem Mitgliedstaat als für die Erhebung von Verbandsklagen gemäß dieser Richtlinie qualifiziert benannt wurde“.85 Die wesentlichen Anforderungen werden in Art. 4 RL definiert, wobei für das Anforderungsprofil unterschieden wird zwischen innerstaatlichen Verbandsklagen, also solchen, die von der qualifizierten Einrichtung im Staat ihrer Benennung erhoben werden,86 und grenzüberschreitenden, also solchen, die in einem anderen Staat als demjenigen der Benennung angestrengt werden.87 Die Richtlinie nennt als mögliche qualifizierte Einrichtungen Verbraucherorganisationen (Art. 4 Abs. 2 RL),88 aber auch öffentliche Stellen, sofern dies im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtstraditionen steht.89 Für letzteren Fall kann ein Mitgliedstaat auch solche Stellen benennen, die bereits nach der Vorgängerrichtlinie 2009/22/EG als qualifizierte Einrichtungen benannt waren (Art. 4 Abs. 7 RL). Öffentliche Stellen müssen die Anforderungen der Richtlinie an qualifizierte Einrichtungen nicht erfüllen.90 Gemäß Art. 13 Abs. 1 RL müssen die Mitgliedstaaten die qualifizierte Einrichtung zur öffentlichen Tätigung von Angaben über die geplante Erhebung von Verbandsklagen (lit. a)), über den Stand erhobener Verbandsklagen (lit. b)) und über die Ergebnisse von Verbandsklagen (lit. c)) verpflichten.91 Sofern dem be85 Dazu: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (67). Vgl. Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 279 ff. zu den verschiedenen Vorschlägen im Gesetzgebungsverfahren. 86 Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 6 RL. Anschaulich zur getroffenen Unterscheidung: ErwGr. 23 RL. 87 Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 7 RL. Diese Unterscheidung war im Kommissionsvorschlag noch nicht enthalten, vgl. COM(2018) 184 final, S. 31 f., 37; Augenhofer, NJW 2021, 113 (114). Inhaltlich sind die Regelungen zu den qualifizierten Einrichtungen (vgl. Art. 4, 7, 15 und 16 COM(2018) 184 final) weitgehend gleich geblieben. Allerdings konnten die Mitgliedstaaten im Kommissionsvorschlag, vgl. COM(2018) 184 final, S. 32, noch Vorschriften festlegen, wonach nur bestimmte qualifizierte Einrichtungen Abhilfeklagen erheben konnten, kritisch hierzu: Augenhofer, EuZW 2019, 5 (11). Mit der Streichung wurde der Anregung des Rechtsausschusses gefolgt, vgl. Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 33. 88 Nach diesem sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbände für innerstaatliche und/oder grenzüberschreitende Verbandsklagen benannt werden können. 89 Vgl. ErwGr. 24 RL. 90 Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 91 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73). Nach ErwGr. 58 RL sollen die Verbraucher verständlich über den Gegenstand des Verfahrens, Rechtsfolgen und mögliche betroffene Verbrauchergruppen informiert werden.
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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klagten Unternehmen für den Fall des prozessualen Unterliegens die Aufgabe übertragen wird, die betroffenen Verbraucher zu informieren, gilt dies im umgekehrten Fall auch für die qualifizierte Einrichtung (Art. 13 Abs. 4 RL).92 Die Mitgliedstaaten sind außerdem aufgefordert, sicherzustellen, dass die zu erwartenden Kosten der Verbandsklagen die qualifizierten Einrichtungen nicht von der Klageerhebung abhalten (Art. 20 Abs. 1 RL).93 Nach Art. 20 Abs. 4 RL sollen Kommission und Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit und Koordination der Verbände unterstützen.94 Entsprechend der Unterscheidung in der Richtlinie sollen nachfolgend zuerst die Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden und anschließend bei innerstaatlichen Verbandsklagen erörtert werden. 1. Qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Verbandsklagen Für grenzüberschreitende Verbandsklagen sollen einheitliche Benennungskriterien gelten.95 Nach Art. 4 Abs. 3 RL benennen die Mitgliedstaaten diejenigen Einrichtungen, die alle dort gelisteten Kriterien erfüllen. a) Anforderungen an Struktur und Verbandstätigkeit Bei der Einrichtung muss es sich um eine nach dem mitgliedstaatlichen Recht gegründete juristische Person handeln. Diese muss vor dem Antrag auf Benennung als Beleg einer gewissen Dauerhaftigkeit bereits zwölf Monate nachweislich öffentlich für den Schutz von Verbraucherinteressen tätig gewesen sein (Art. 4 Abs. 3 lit. a) RL).96 Eine Ad-hoc-Benennung qualifizierter Einrichtungen soll für grenzüberschreitende Verbandsklagen ausgeschlossen sein.97 92 Vgl. ErwGr. 62 RL. Nach Art. 13 Abs. 3 S. 2 RL kann dies auch durch anderweitige Informationsgewährleistungen umgesetzt werden. Im Kommissionsentwurf war dies nur einseitig für den Beklagten vorgeschrieben, vgl. COM(2018) 184 final, S. 35. 93 Art. 20 Abs. 2 RL nennt öffentliche Finanzierungen, Begrenzung von Gerichtskosten und Prozesskostenhilfe. Nach Abs. 2 können die Mitgliedstaaten für Abhilfeklagen die qualifizierten Einrichtungen ermächtigen, von den Verbrauchern eine (moderate) Gebühr zu verlangen. Ausführlich auch: ErwGr. 70 RL, wonach die Mitgliedstaaten nicht zur Finanzierung verpflichtet werden. Der Rechtsausschuss hatte sich für eine „strukturelle Unterstützung“ ausgesprochen, vgl. Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 52 f. Nach Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (79) dürfte eine Vielzahl von Finanzquellen nötig sein, um die Finanzierung sicherzustellen. 94 Vgl. ErwGr. 71 RL. 95 Ausdrücklich: ErwGr. 25 RL. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Die Kriterien sind insoweit starr: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45 f.). 96 Vgl. ErwGr. 25 RL. Dieser fordert einen gewissen Umfang der öffentlichen Tätigkeiten. Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag sah diesbezüglich mehr Umsetzungsspielraum vor, vgl. Lühmann, NJW 2019, 570 (571). 97 ErwGr. 28 RL; Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Weiterhin ist gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. b) RL erforderlich, dass sich aus dem Satzungszweck der Einrichtung ergibt, dass diese ein legitimes Interesse am Schutz der Interessen von Verbrauchern im Zusammenhang mit den in Anhang I aufgeführten Rechtsakten hat.98 Mit ihrer Tätigkeit darf die qualifizierte Einrichtung keinen Erwerbszweck verfolgen (Art. 4 Abs. 3 lit. c) RL). Durch diese Regelungen soll die Schaffung von Klagevehikeln ausgeschlossen und eine angemessene Verbraucherinteressenvertretung sichergestellt werden.99 b) Finanzielle Ausstattung Gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. d) RL darf sich die Einrichtung nicht in einem Insolvenzverfahren befinden oder bereits für insolvent erklärt sein.100 Eine signifikante Hürde dürfte hiermit nicht verbunden sein.101 c) Unabhängigkeit der Einrichtung Die Unabhängigkeit der Einrichtung muss gesichert sein (Art. 4 Abs. 3 lit. e) RL). Sie darf nicht beeinflusst werden von Personen mit einem wirtschaftlichen Interesse an der Verbandsklageerhebung. Ausgenommen hiervon sind Verbraucher. Die Regelung zielt vor allem auf Unternehmer ab, adressiert aber auch die Finanzierung durch Dritte. Für den Fall externer Finanzierung muss die Einrichtung über Verfahren verfügen, welche Einflussnahmen und Interessenverquickungen zwischen ihr selbst, den Verbraucherinteressen und den Drittfinanzierern verhindern.102 d) Nachweise zu den Anforderungen Gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. f) RL sind entsprechende Angaben zu den genannten Anforderungen öffentlich zugänglich zu machen.103 Dies gilt weiterhin für Angaben zu den Finanzquellen, der Organisations- und Managementstruktur, der Mitgliederstruktur, dem Satzungszweck und den Tätigkeiten der Einrichtung. Dies dürfte der erleichterten Überprüfung der Einhaltung der Benennungskriterien dienen.104 98
Vgl. ErwGr. 25 RL. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (68). 100 Im Kommissionsvorschlag war dies noch nicht enthalten, vgl. COM(2018) 184 final, S. 23, 31. 101 Vgl. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (68). 102 Vgl. auch: ErwGr. 25 RL. Vgl. zum abweichenden Kommissionsvorschlag: COM(2018) 184 final, S. 23, 31. 103 Die RL nennt ausdrücklich die Webseite der Einrichtung. Die Informationen müssen in klarer und verständlicher Sprache publiziert werden. Dies geht auf eine Anregung des Rechtsausschusses (Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 31) zurück. 104 Lühmann, NJW 2019, 570 (571), unter Verweis auf: Didier, Bericht des Rechtsausschusses A8-0447/2018, S. 31. 99
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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2. Qualifizierte Einrichtungen bei innerstaatlichen Verbandsklagen Für die Erhebung innerstaatlicher Verbandsklagen stellt die Richtlinie keine direkten Anforderungen auf.105 Die Mitgliedstaaten müssen aber nach Art. 4 Abs. 4 RL sicherstellen, dass die Kriterien für die Benennung der qualifizierten Einrichtungen hinsichtlich der Zielerreichung mit der RL „in Einklang stehen“. Die Funktionalität der Verbandsklagen muss demnach gewährleistet sein.106 Es bleibt den Mitgliedstaaten aber unbenommen, die Anforderungen des Art. 4 Abs. 3 RL entsprechend zu übertragen (Art. 4 Abs. 5 RL).107 Für die Zwecke innerstaatlicher Verbandsklagen ist auch eine Ad-hoc-Benennung für nur einzelne Klagen durch die Richtlinie nicht ausgeschlossen,108 sofern die nationalen Anforderungen im Übrigen gewahrt werden (Art. 4 Abs. 6 RL). 3. Überprüfung der Verbände und Offenlegungspflichten Die Mitgliedstaaten schaffen ein öffentlich zugängliches Verzeichnis der für innerstaatliche109 sowie für grenzüberschreitende Verbandsklagen benannten Einrichtungen.110 Letzteres Verzeichnis ist der Kommission nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 RL zu übermitteln und Änderungen sind ihr mitzuteilen. 111 Diese veröffentlicht das Verzeichnis und aktualisiert es fortlaufend (Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 RL). Die Eintragung in dieses Verzeichnis ist von den anderen Mitgliedstaaten als Nachweis, für die Berechtigung grenzüberschreitende Verbandsklagen zu erheben, anzuerkennen (Art. 6 Abs. 3 RL).112
105 Die Mitgliedstaaten sind demnach frei in der Setzung der Benennungskriterien, ErwGr. 26 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (67); siehe auch: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (192). 106 Vgl. ErwGr. 27 RL. Dieser nennt zusätzlich auch die grenzüberschreitenden Verbandsklagen. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). 107 ErwGr. 26 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (70). 108 ErwGr. 28 RL: Die RL möchte keine Anreize schaffen. Vgl. auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 109 Vgl. Art. 5 Abs. 2 RL. 110 Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 3 RL. Die Mitgliedstaaten können und die EU-Kommission muss elektronische Datenbanken schaffen, näher hierzu: Art. 14 RL. Das Benennungsverfahren obliegt den Mitgliedstaaten: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (68 f.). 111 Der Kommissionsvorschlag verzichtete noch auf eine Liste der Kommission und sah nur eine solche der Mitgliedstaaten vor, vgl. COM(2018) 184 final, S. 31 und Augenhofer, EuZW 2019, 5 (11). 112 Vgl. auch: Art. 7 Abs. 1 RL. Das Gericht ist befugt zu überprüfen, ob der Satzungszweck der qualifizierten Einrichtung die Klagerhebung im konkreten Fall zulässt (Art. 6 Abs. 3 HS. 2 RL). Erläuternd zum Verzeichnis: ErwGr. 32 RL. Siehe auch: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (192).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Mindestens alle fünf Jahre müssen die Mitgliedstaaten die für grenzüberschreitende Klagen benannten Einrichtungen auf die Erfüllung der Kriterien überprüfen und ihnen gegebenenfalls ihren Status entziehen (Art. 5 Abs. 3 RL).113 Sofern ein anderer Mitgliedstaat oder die EU-Kommission Bedenken bezüglich der Erfüllung der Kriterien hat, muss der benennende Staat gemäß Art. 5 Abs. 4 S. 1 RL ebenfalls eine Prüfung durchführen.114 Für die Zwecke des Art. 5 Abs. 4 RL sollen nationale Kontaktstellen benannt werden, über welche die Kommission eine Liste führt (Art. 5 Abs. 5 RL).115 Die gerichtliche Prüfung der Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung ist durch die Richtlinie allerdings, entgegen dem grundsätzlichen Postulat einer gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung nach Art. 7 Abs. 3 RL, eingeschränkt. Der Beklagte soll bei begründeten116 Bedenken die Möglichkeit haben, gegenüber dem Gericht die fehlende Einhaltung der Kriterien nach Art. 4 Abs. 3 RL geltend zu machen (Art. 5 Abs. 4 S. 3 RL). Daraus könnte man zwar eine gerichtliche Überprüfung ableiten, systematisch dürfte dies aber verfehlt sein. Denn Art. 5 Abs. 4 S. 3 RL folgt auf die Regelung zur Prüfung der Benennungsvoraussetzungen durch den Mitgliedstaat (S. 1 und 2), was eine Überprüfung auch des gerichtlichen Vorbringens durch den Benennungsstaat zumindest nahelegt. Außerdem fordert der nachfolgende Abs. 5 für die Zwecke des Abs. 4, auf welchen in Gänze Bezug genommen wird, also auch bezüglich des gerichtlichen Vorbringens, die Errichtung nationaler Kontaktstellen. Diese Kontaktstelle prüft die Einhaltung der Kriterien nach Art. 4 Abs. 3 RL.117 Die eingeschränkte gerichtliche Überprüfung ergibt sich zudem aus Art. 6 Abs. 3 i.V. m. Abs. 1 RL. Demnach müssen die Mitgliedstaaten die benannten Einrichtungen jeweils für grenzüberschreitende Klagen anerkennen. Art. 6 Abs. 3 RL lässt zwar eine gerichtliche Überprüfung zu, diese beschränkt sich aber darauf, inwiefern der Satzungszweck mit der konkret erhobenen Klage übereinstimmt.118 Im Umkehrschluss aus dieser begrenzenden Regelung und in der systematischen Gesamtschau mit Art. 5 Abs. 4 S. 3 und Abs. 5 RL folgt also eine nur eingeschränkte gerichtliche Über113
ErwGr. 29 RL. ErwGr. 30 RL. Entgegen Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44), dürfte die Prüfung durch den Benennungsstaat kaum Befürchtungen gegenüber ausländischen Klägerverbänden widerspiegeln. 115 Siehe auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (69). 116 Die Anforderungen scheinen insoweit im Rahmen des Art. 5 Abs. 4 S. 3 RL strenger zu sein als bei Art. 5 Abs. 4 S. 1 RL. ErwGr. 30 RL hebt einen Unterschied allerdings nicht hervor. 117 Dies bestätigt ein Blick auf ErwGr. 29 und 30 RL: Nach ErwGr. 29 RL obliegt es dem benennenden Mitgliedstaat, die Kriterieneinhaltung zu überprüfen. Die Kontaktstellen sollen Prüfbitten entgegennehmen und an die zuständigen Stellen übermitteln. Kritisch zu diesem „schwerfällige[n] Beanstandungsverfahren“: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46). 118 Vgl. ErwGr. 32 RL. Wie hier: Lühmann, ZIP 2021, 824 (826). 114
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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prüfung. Die Richtlinie setzt somit auf eine gegenseitige Anerkennung119 und ein weitgehend behördliches Überprüfungsverfahren durch den benennenden Mitgliedstaat. 4. Zusätzliche Anforderungen im Falle einer Finanzierung der Abhilfeklage Über die Voraussetzungen an die qualifizierte Einrichtung hinaus stellt Art. 10 RL besondere Anforderungen an die Drittfinanzierung von Klagen, die auf Abhilfeentscheidungen gerichtet sind.120 Die Anforderungen gelten demnach sowohl für innerstaatliche als auch für grenzüberschreitende Abhilfeklagen. Sofern eine Drittfinanzierung von Abhilfeklagen nach nationalem Recht zulässig ist,121 fordert die Richtlinie von den Mitgliedstaaten die Vermeidung von Interessenkonflikten sicherzustellen. Außerdem dürfen die Verbraucherinteressen in Fällen einer Klagefinanzierung durch Dritte mit eigenem wirtschaftlichen Interesse an der Klage nicht ihre zentrale Bedeutung verlieren (vgl. Art. 10 Abs. 1 RL). Zu diesem Zweck gilt es nach Art. 10 Abs. 2 lit. a) RL, insbesondere eine Einflussnahme des Finanzierers auf die Entscheidungen der qualifizierten Einrichtung im Zusammenhang mit der Klage, speziell auch bei Vergleichsabschlüssen, die für die betroffenen Verbraucher nachteilig wären, auszuschließen.122 Eine Finanzierung von Klagen gegen Unternehmen, mit denen der Drittfinanzierer im Wettbewerb steht oder von denen er abhängig ist, soll ausgeschlossen werden (Art. 10 Abs. 2 lit. b) RL).123 Sofern begründete Zweifel an der Einhaltung dieser Anforderungen bestehen, sollen die Gerichte befugt sein, die Einhaltung mittels einer von der qualifizierten Einrichtung vorzulegenden Finanzierungsübersicht, inklusive Finanzquellenauflistung für die konkrete Klage, zu überprüfen (Art. 10 Abs. 3 RL). Für den Fall erkannter Interessenkonflikte sollen die Mitgliedstaaten nach Art. 10 Abs. 4 S. 1 RL die Gerichte ermächtigen, eine anderweitige Finan-
119
Vgl. ErwGr. 32 RL. Siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (131). Ausführlich hierzu: ErwGr. 52 RL. Der aber über Art. 4 Abs. 3 und Art. 10 Abs. 3 RL hinausgehend eine Transparenz bzgl. der Tätigkeitsfinanzierung im Allgemeinen verlangt, nicht nur in Bezug auf die erhobene Klage. Nach dem zweiten Absatz des ErwGr. 52 RL ist eine indirekte Finanzierung (Spenden, Mitgliedsbeiträge, Unternehmensinitiativen zur sozialen Verantwortung, Crowdfunding), sofern die Transparenzund Unabhängigkeitsanforderungen gewahrt und Interessenkonflikte vermieden werden, zulässig. Im Falle von festgestellten Interessenkonflikten gilt aber auch hier Art. 10 Abs. 4 S. 1 RL. Anders noch der Kommissionsentwurf, vgl. COM(2018) 184 final, S. 26, 33 f. 121 Die Mitgliedstaaten können somit über die Zulassung disponieren, vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (117), die hierdurch die Wirksamkeit beeinträchtigt sieht. Nach Röthemeyer, VuR 2021, 43 (52) schränkt Art. 10 RL die Drittfinanzierung erheblich ein. 122 Ausweislich des ErwGr. 52 S. 3 RL genügt hierfür die potenzielle Möglichkeit („beeinflussen kann“). 123 Ausführlich: ErwGr. 52 RL. Zu diesen Anforderungen auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 48; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45). 120
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
zierung zu fordern und, sofern erforderlich, auch die Klagebefugnis entziehen können.124
III. Zusammenfassende Stellungnahme Im Nachfolgenden soll ein Fazit zu den Anforderungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO und denen der Richtlinie in Fällen grenzüberschreitender Verbandsklagen gezogen und eine mögliche Umsetzung in nationales Recht erörtert werden. 1. Bewertung der getroffenen Regelungen Die Restriktionen der Klagebefugnis sind bei der Musterfeststellungsklage und der Richtlinie das zentrale Instrumentarium, um missbräuchliche Klagen zu verhindern.125 Im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage wurde die auf Verbraucherschutzverbände beschränkte Klagebefugnis vielfach kritisiert. So wurde insbesondere in den Stellungnahmen zum Gesetzgebungsverfahren eine Klageberechtigung von Einzelpersonen, zumindest aber von Wettbewerbs- und Berufsverbänden gefordert.126 Die gesetzgeberische Grundsatzentscheidung einer begrenzten Klagebefugnis soll an dieser Stelle jedoch nicht infrage gestellt werden, da die Arbeit die Eingliederung der Rechtsinstrumente in die ZPO untersuchen möchte.127 Zwar kommt es insoweit zu einer „Mediatisierung“ 128 im Rahmen der kollektiven Rechtsdurchsetzung, die vom privaten Rechtssubjekt wegführt. Dies hat aber den Vorteil, dass die typische Struktur eines Zweiparteienprozesses aufrechterhalten werden kann, was nicht nur bewährte Strukturen erhält und den legistischen Anpassungsbedarf minimiert, sondern auch die prozessuale Effizienz gegenüber einem Mehrparteienprozess signifikant steigert. 124 Vollkommer, MDR 2021, 129 (135); Lühmann, ZIP 2021, 824 (832); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (70). Gemäß Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL sollen die Rechtspositionen der Verbraucher hiervon unberührt bleiben, was im dt. Prozessrecht unproblematisch ist, vgl. Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45). 125 Hinsichtlich der Musterfeststellungsklage die Einschätzung bei: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 4. Nach Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45 f.) ist Missbrauchsschutz kein Ziel der RL, er hat aber eine gesteigerte Bedeutung gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 RL. 126 Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 7. Auch der DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8 forderte eine Öffnung für Privatkläger unter Verweis auf das KapMuG. 127 Problematisch erscheint die Fokussierung allein auf Verbraucherinteressen dennoch. Letztlich haben auch Unternehmer ein Interesse an einem effektiven Rechtsschutz. Dies gilt gerade für KMUs, die je nach Fallgestaltung keine nennenswert bessere Position innehaben als ein Verbraucher. Zur Ergänzung des Rechtsschutzes durch die zusätzliche Einführung einer Gruppenklage neben der Verbandsklage: Gsell/MellerHannich, Folgegutachten, S. 8 ff., insb. S. 16 ff. Siehe ferner Voit, Sammelklage, S. 325, der eine Sammelklage initiiert durch einen privaten Anspruchsinhaber vorschlägt, die zugleich Verbänden (sog. Verbandssammelklage) offenstehen soll. 128 Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (244); Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (659); vgl.: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (191).
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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Die Regelungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO und Art. 4 Abs. 3 RL weisen eine gewisse Parallelität auf.129 Im Ausgangspunkt setzen beide Regelungsmodelle zur Erlangung des Status einer qualifizierten Einrichtung auf eine Listeneintragung. Diesbezüglich wurde gegen § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO wiederholt vorgebracht, dass damit ein Missbrauch, insbesondere durch im EU-Ausland gegründete Klagevehikel, nicht verhindert werde.130 Maßgeblich für diese Kritik war vor allem die Klageberechtigung für in die Liste nach Art. 4 Abs. 3 RL 2009/22/ EG eingetragene Einrichtungen, da diese Eintragung verhältnismäßig einfach zu erhalten sei.131 Dass eine Aufnahme in eine Liste ohne weitergehende Kriterien keine wirkliche Sicherung gegen Missbrauch gewährleistet, erkennen aber sowohl die Richtlinie mit den Kriterien des Art. 4 Abs. 3 als auch die ZPO mit den über die Eintragung nach § 4 Abs. 1 UKlaG132 und damit von Amts wegen zu prüfenden Anforderungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO an.133 Als grundlegendes Kriterium erfordert die RL eine juristische Person (Art. 4 Abs. 3 lit. a) RL), dies gilt ebenso für die Musterfeststellungsklage, da zumindest die deutschen Verbände als Verein verfasst sein müssen.134 Nicht erforderlich im Rahmen der Richtlinie ist eine Mindestmitgliederzahl. 135 Solche lassen jedoch ohnehin keine erkennbaren Rückschlüsse auf eine verbesserte Interessenvertretung der Verbraucher136 und eine Missbrauchsvermeidung zu. Sie sind zwar geeignet, eine qualifizierte Einrichtung, gebildet durch wenige Einzelpersonen, zum Beispiel eine Rechtsanwaltskanzlei, zu verhindern, aber auch die weitergehende Mitgliederrekrutierung dürfte kein unüberwindbares Hindernis zur Erreichung der Klagebefugnis darstellen. Im Ergebnis dürfte somit das Fehlen eines Mitgliederquorums nicht schwer wiegend sein.137
129 Auf die Ähnlichkeit weisen Augenhofer, NJW 2021, 113 (115) und Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44) hin. 130 So: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1327). Die dort geforderte Prüfung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO von Amts wegen soll Missbrauchsgefahren entgegenwirken. Positiv hinsichtlich einer gesteigerten Klageaktivität durch Ausnutzung möglicher Auslegungsspielräume: Fries, ZZP 134 (2021), 433 (438 f.). 131 Vgl. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (46). Siehe auch: Schneider, BB 2018, 1986 (1990). Zu den Bedenken ebenfalls: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (366). Kritisch zur weitreichenden Aufnahme in die Liste der Kommission ebenfalls: Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (659). 132 Diese wird nach § 4a UKlaG nur vom BfJ überprüft. 133 So auch die Bewertung bei: DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8 f. 134 Vgl. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V. m. § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG. 135 Mekat, RAW 2021, 93 (96). 136 Augenhofer, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 5 f. 137 Dies gilt insbesondere auch, weil zu hohe Anforderungen an die klagenden Verbände regionale oder spezialisierte Verbände ausschließen. Hierauf wies auch der vzbv, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 5 hin.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit der Einrichtung sind im Rahmen der RL auf zwölf Monate abgesenkt.138 Ad-hoc-Gründungen sind damit weiterhin ausgeschlossen. Diese könnten jedoch bei einem Einzelereignis als Auslöser für einen Zusammenschluss der Betroffenen durchaus sachgerecht sein.139 Wobei in diesen konkreten Fällen eine Zeitspanne von zwölf Monaten nicht übermäßig prohibitiv ist. Der Vorteil einer gewissen Mindestdauer des Bestehens für eine qualifizierte Einrichtung liegt zumindest darin, dass kurzfristig im Interesse beteiligter Rechtsanwälte gegründete Klagevehikel ausgeschlossen werden. Ein planvolles Vorgehen kann dies aber gleichwohl nicht verhindern. Sowohl § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO als auch Art. 4 Abs. 3 lit. b) RL stellen einen Bezug zwischen der Klageaktivität und dem Satzungszweck des Schutzes von Verbraucherinteressen her. Die ZPO verfolgt weitergehend das Ziel, eine zu starke Fokussierung auf Klageaktivitäten und damit ein reines Klagevehikel zu verhindern, was jedoch den Negativeffekt einer fehlenden Professionalisierung der Verbände im Hinblick auf die Erhebung von Musterfeststellungsklagen zur Folge haben kann. Dies ist im Sinne einer sachgerechten Wahrnehmung von Verbraucherinteressen nicht geboten und verhindert einen Ausgleich der abstrakt schwächeren prozessualen Rolle der Verbraucher gegenüber professionell beratenen Beklagten.140 Das Fehlen einer solchen Limitierung in der Richtlinie ist somit begrüßenswert. Entscheidend für den Ausschluss einer Kommerzialisierung der Verbandsklagen ist der Ausschluss eines Erwerbszweck für die Verbände im Zusammenhang mit der Klage. Für die Musterfeststellungsklage bewirkt dies § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ZPO. Sofern hiergegen vorgebracht wird, dass dies zu kurz greife, weil die Prozessvertreter nicht erfasst seien,141 vermag dieser Einwand nur bedingt zu überzeugen. Zum einen fasst die Rechtsprechung dieses Kriterium in personeller Hinsicht relativ weit, was letztlich restriktiv wirkt,142 zum anderen dürften finanziell nicht allzu potente Einrichtungen kaum attraktive finanzielle Anreize für Prozessvertreter bieten. Die Streitwertdeckelung des § 48 Abs. 1 S. 2 GKG ist im Hinblick auf die Anwaltsgebühren für diese aufwendigen Verfahren eine deutliche Begrenzung.143 Mit Blick auf die Musterfeststellungsklage besteht zudem 138 139
Mekat, RAW 2021, 93 (96). Kritisch daher auch: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren,
S. 7. 140
So auch die Kritik bei: Scholl, ZfPW 2019, 317 (333). Diese könnten eine hohe Vergütung oder Erfolgshonorare erhalten. So: SchmidtKessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8, 13 f. Scholl, ZfPW 2019, 317 (334) weist auf die finanzielle Unattraktivität des Verfahrens für den Kläger hin. 142 Wie oben gezeigt, dehnt die Rechtsprechung das Kriterium auch auf nahestehende Dritte aus. 143 Die Begrenzung des Gebührenstreitwerts steht in einem Missverhältnis zum Aufwand eines Massenverfahrens und zu möglichen Haftungsrisiken, kritisch daher: 141
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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ohnehin lediglich die Möglichkeit einer Feststellungsklage, wobei ein finanziell attraktives Erfolgshonorar nur bei Leistungsklagen Sinn ergäbe. Erst im Folgeverfahren nach der Musterfeststellungsklage bestünde eine Möglichkeit für erfolgsbasierte Finanzierungsmodelle.144 Auf dieser Ebene ist die Situation dann aber letztlich keine andere als diejenige im Rahmen von Individualklagen. Anders stellen sich solche Risiken bei auf Leistung gerichteten Klagen wie der Abhilfeklage dar. Aber auch hier ist mit Art. 4 Abs. 3 lit. c) RL145 der Erwerbszweck ausgeschlossen und nach lit. e) muss die Unabhängigkeit von wirtschaftlich interessierten Dritten gesichert sein. Für die Drittfinanzierung einer Abhilfeklage enthält Art. 10 Abs. 1, 2 RL Mechanismen zum Ausschluss von Interessenkonflikten. Im Hinblick auf Erfolgsbeteiligungen bei externer Finanzierung oder durch eingeschaltete Prozessvertreter sollten die Risiken überdies nicht überbewertet werden. Da die qualifizierte Einrichtung nicht über die geltend gemachten Verbraucheransprüche disponieren kann,146 wird sie auch nicht in die Lage versetzt, entsprechende Erfolgshonorare zu vereinbaren. Insbesondere erhält die qualifizierte Einrichtung keine Erlöse aus der Abhilfeklage, sodass eine Finanzierung hieraus nicht erfolgen kann.147 Möglich wären nur Vereinbarungen im Vorfeld oder im Rahmen der Zustimmung (Art. 9 Abs. 2, 3 RL) mit den betroffenen Verbrauchern.148 Dies ist aber im Rahmen des § 4a RVG bereits bislang (eingeschränkt) privatautonom möglich.149 An diesem Punkt muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich aus der Richtlinie bereits der Grundsatz ergibt, dass die beteiligten Verbraucher finanziell nur begrenzt einbezogen werden können. Art. 20 Abs. 3 RL eröffnet mit der Option einer „moderaten“ Gebühr durch die sich beteiligenden Verbraucher zwar einerseits eine Möglichkeit zur Klagefinanzierung, die abhängig vom Streitwert für die Betroffenen auch genutzt werden sollte,150 andererseits macht dies zugleich deutlich, dass die Richtlinie die finanzielle Lastentragung durch die Verbraucher begrenzt. Dieser Gedanke zeigt sich außerdem in Art. 12 Abs. 2 RL. Eine hohe prozentuale Erfolgsbeteiligung, wie sie im Rahmen einer kommerziellen Prozessfinanzierung üblich ist,151 würde
Schneider, BB 2018, 1986 (1997). Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (369) heben hervor, dass dies die Kostenerstattung des obsiegenden Beklagten deutlich mindert. 144 Vgl. nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 8. 145 Die RL bezieht dies zwar nur auf die Einrichtung selbst, ein Unterschied ist damit aber nicht verbunden, da auch der Idealverein im Rahmen der Musterfeststellungsklage keine Gewinne erwirtschaften darf. 146 Vgl. Bruns, Rechtsgutachten, S. 78. 147 Lühmann, ZIP 2021, 824 (833). 148 Hierauf weisen Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (247) hin. 149 Vgl. v. Seltmann, in: BeckOKRVG, § 4a, Rn. 1 ff. 150 Zustimmend auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (118); Lühmann, ZIP 2021, 824 (826). Siehe auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (78). 151 Häufig bis zu 35 %: Prütting, ZIP 2020, 197 (203). Eine 30 %ige Beteiligung eines Prozessfinanzierers dürfte keine moderate Gebühr mehr darstellen, so: Gsell/
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
diesen Grundsatz einer nur minimalen finanziellen Einbeziehung der Betroffenen letztlich unterlaufen.152 Einen Mechanismus zum Ausschluss von Interessenkonflikten zwischen den Verbrauchern und finanziell engagierten Dritten oder Mitbewerbern beinhalten somit beide Regelungsmodelle. Hinsichtlich der Richtlinie wurde bereits auf Art. 4 Abs. 3 lit. e) und Art. 10 hingewiesen. Für die Musterfeststellungsklage vermeidet § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 ZPO missbräuchliche Einflussnahmen durch eine Finanzierungsbegrenzung.153 Anders als die Musterfeststellungsklage schreibt Art. 4 Abs. 3 lit. d) RL Solvenzanforderungen vor. Letztlich stellt die Anforderung aber nicht mehr als eine finanzielle Untergrenze dar, sodass die Auswirkungen überschaubar bleiben dürften. Die Unterschiede in den Voraussetzungen zwischen der Richtlinie und der Musterfeststellungsklage sind somit nicht grundsätzlicher, sondern nur gradueller Natur. Die Regelungen können aber zur Vermeidung von Missbrauch als ausreichend angesehen werden. Entscheidend sind hierfür letztlich zwei Kriterien: Der Ausschluss eines Erwerbszwecks (Art. 4 Abs. 3 lit. c) RL), welcher durch die Regelung des Art. 10 RL für die Erhebung einer Abhilfeklage noch intensiviert wird, und die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Einrichtung von wirtschaftlich motivierten Einflussnahmen (Art. 4 Abs. 3 lit. e) RL).154 Ein absoluter Missbrauchsausschluss kann realistisch nicht gewährleistet werden.155 Da aber auch außerhalb des kollektiven Rechtsschutzes kein absoluter Schutz vor miss-
Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 49, Fn. 213. Deren Vorschlag einer Kostentragung des Erfolgshonorars durch den unterliegenden Beklagten ist abzulehnen (Lühmann, ZIP 2021, 824 (833)), da dies gerade für KMUs eine hohe finanzielle Belastung darstellen würde. 152 So auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (833). Art. 20 Abs. 3 RL, er spricht außerdem auch von „eine[r] vergleichbare[n] Gebühr“, was nahelegt, dass über Beitrittsgebühren hinaus Gebühren jeder Art erfasst sein sollen, eine Erfolgsbeteiligung würde aber faktisch wie eine Gebühr wirken. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 48 f. schlagen demgegenüber eine Drittfinanzierung mit Erfolgshonorar vor, weisen allerdings auf die rechtlichen Unsicherheiten und eine wahrscheinlich notwendige Klärung durch den EuGH hin. 153 Die Regelung des § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO wird teilweise kritisiert, da sie eine Umgehung des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 ZPO zulasse. Kritisch daher: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8. Zur Anwendung auf ausländische Verbände: OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.12.2020, Az. 4 MK 1/20, unter: Gründe II, 8. 154 Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (826) zu Art. 4 Abs. 3 lit. e) RL. 155 Vgl. Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (49). Mit einer langfristigen Herangehensweise lassen sich dessen Anforderungen zwar auch mit einer zweckwidrigen Intention erreichen. So auch: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922). Darauf weisen auch Schneider, BB 2018, 1986 (1990) und Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (366) hin. Dadurch, dass nicht die bloße Eintragung in die Liste der Kommission genügt, sondern weitere Anforderungen erfüllt sein müssen, ist zumindest das Risiko deutlich reduziert.
B. Anforderungen an die klageberechtigte qualifizierte Einrichtung
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bräuchlichen Klagen besteht, sind die Regelungen im Sinne eines Interessenausgleiches angemessen. Negativ hervorzuheben ist jedoch, dass weder die Musterfeststellungsklage156 noch die RL157 positive Kriterien, die eine sachgerechte rechtliche Vertretung der Verbraucher sicherstellen, enthalten. Ein erhebliches Defizit in der Durchsetzung des Art. 4 Abs. 3 RL im Rahmen grenzüberschreitender Verbandsklagen dürfte allerdings im Rahmen der Überprüfung zu erwarten sein.158 Die behördliche Überprüfung der Eintragungen ist nach Art. 5 Abs. 3 RL nur alle fünf Jahre zwingend vorgeschrieben. Allein die zeitliche Spanne kann zu erheblichen Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse führen und ist folglich nicht geeignet, das gegenseitige Vertrauen in die Anerkennung der qualifizierten Einrichtungen zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Wie oben dargestellt, ist eine gerichtliche Überprüfung weitgehend beschränkt auf die Übereinstimmung der Klage mit dem Satzungszweck (Art. 6 Abs. 3 RL). Im Übrigen bleibt lediglich die Möglichkeit zu einer behördlichen Prüfung aufzufordern, die gemäß Art. 5 Abs. 4 S. 3 RL bei begründeten Bedenken des Beklagten möglich ist.159 Nicht nur stellt dies eine Einschränkung des Grundsatzes der Amtsprüfung für Zulässigkeitsvoraussetzungen im Rahmen der ZPO dar,160 sondern dies führt auch zu einer unpraktikablen Vorgehensweise. Zum einen können grenzüberschreitende behördliche Überprüfungen, abhängig von der personellen und organisatorischen Ausstattung, langwierig sein, was für die Prozessparteien und die Verbraucher nachteilbehaftet ist, zum anderen ist eine tendenziell abstrakte behördliche Prüfung ungeeignet, rechtsmissbräuchliche Vorgänge in Bezug auf die konkrete Klage zu überprüfen. Eine Überprüfung durch das Gericht, ohne vorgetragene begründete Bedenken des Beklagten würde außerdem einer Kollusion zum Nachteil der Verbraucher effektiver vorbeugen. Insofern ist die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung bei Drittfinanzierungen (Art. 10 Abs. 3 S. 1 RL) positiv zu bewerten, die Norm bezieht sich aber leider nur auf die Finanzierung konkreter Klagen, eine Finanzierung der Einrichtung im Allgemeinen ist davon nicht erfasst.161
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Vgl. Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922); Scholl, ZfPW 2019, 317 (333). Die positiven Qualitätsanforderungen des Ausschusses für Verkehr und Tourismus wurden nicht übernommen: Mayer, Stellungnahme des Ausschusses für Verkehr und Tourismus für den Rechtsausschuss, A8-0447/2018, S. 113 f. 158 Nach Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (69) sind die Kriterien strikt, wenn die Prüfung tatsächlich erfolgt. 159 Hornkohl, EuCML 2021, 189 (193) hält wohl bereits diesen Beklagtenschutz für zu weitgehend. 160 Zu dieser allg.: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 56, Rn. 1; Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 56, Rn. 1. 161 Sofern Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46) die Kriterien des Art. 10 RL bei der Benennung antizipierend berücksichtigen möchte, dürfte dies praktisch und im Hinblick auf den Einzelfall kaum angemessen sein. 157
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
2. Anmerkungen zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben in nationales Recht Sofern sich der deutsche Gesetzgeber entscheidet die Musterfeststellungsklage beizubehalten,162 wäre eine Anpassung der Kriterien in § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO an diejenigen nach Art. 4 Abs. 3 RL vorzugswürdig, die zusätzlich auch für innerstaatliche Abhilfeklagen gelten sollten.163 Möglich wäre eine Regelung, die eine Benennung für seit zwölf Monaten satzungsgemäß im Interesse des Verbraucherschutzes nachweislich tätige Idealvereine,164 die nicht insolvent sind, vorsieht. Diese müssten zusätzlich durch ihre Personalstruktur und ihre Finanzquellen einen Ausschluss der Einflussnahme wirtschaftlich interessierter Dritter belegen. Über diese Anforderungen hätten sie öffentlich zugängliche Angaben zu tätigen; eine behördliche Überprüfung sollte jährlich und im Rahmen der Amtsprüfung durch das Gericht stattfinden. Dies sollte auch für die Finanzierung der Abhilfeklage gelten, die gleichzeitig nicht restriktiver als in Art. 10 RL ausgestaltet sein sollte.165 Diese Anforderungen dürften gegenüber den wenig aussagekräftigen Mindestmitgliederzahlen 166 und einer wenig sachgerechten Klagenlimitierung einen ausreichenden Missbrauchsschutz gewährleisten.167
162
Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 C. So auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Demgegenüber sah der Ref-E eine weitgehende Beibehaltung der bisherigen Kriterien des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–5 ZPO (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VDuG-RefE; Meller-Hannich, DB 2023, 628 (629)) sowie eine Einbeziehung des Verzeichnisses nach Art. 5 Abs. 1 S. 4 RL (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VDuG-RefE) vor (Ref-E, S. 70), vgl. Vollkommer, MDR 2022, 325 (325); Schultze-Moderow/Steinle/ Muchow, BB 2023, 72 (72 f.). 164 Dies beinhaltet zugleich den Ausschluss eines Erwerbszwecks. § 2 Abs. 1 Nr. 1 VDuG-E senkt die Anforderungen gegenüber § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO deutlich ab, demnach kommt es im Wesentlichen auf die Eintragung nach § 4 UKlaG an. § 4 Abs. 1 UKlaG bleibt für innerstaatliche Verbandsklagen unverändert. Die qual. Einrichtungen für innerstaatliche Verbandsklagen firmieren zukünftig als „qualifizierte Verbraucherverbände“; siehe zudem § 4d UKlaG n. F. bzgl. der Einrichtungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 VDuG-E für grenzüberschreitende Verbandsklagen; dazu insg.: VRUG-E, S. 126, 129 f. 165 Vgl. auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46). Zur möglichen Umsetzung vgl. § 2 Abs. 2 VDuG-E (VRUG-E, S. 78) sowie § 4 Abs. 2, 3 VDuG-E, wodurch eine unangemessene Beeinflussung durch den Finanzierer ausgeschlossen werden soll (VRUG-E, S. 80); kritisch insoweit: BRAK, Stellungnahme, S. 5; siehe ferner: Chaprehari/Saam/ Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 68. Die Regelung gewährleistet einen weiten Anwendungsbereich und übernimmt gleichzeitig die bisherigen gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten. 166 Vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Dieses Kriterium stellt ein Hemmnis dar: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 158. 167 ErwGr. 27 RL betont, dass die Anforderungen das Funktionieren der Verbandsklage nicht beeinträchtigen sollten. Zum Missbrauchsschutz im Ref-E: Schultze-Moderow/Steinle/Muchow, BB 2023, 72 (74). 163
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Eine zentrale Vorschrift für alle kollektiven Verbandsklagen mit durchgängigen und gleichbleibenden Kriterien hätte den Vorzug der Einheitlichkeit.168 Daher sollte eine weitgehend einheitliche und zentrale Regelung für Musterfeststellungsklagen und innerstaatliche sowie grenzüberschreitende Abhilfeklagen getroffen werden. Da es für Musterfeststellungsklagen und innerstaatliche Verbandsklagen die Richtlinienvorgabe eines den Verbraucherschutz belegenden Satzungszwecks nicht bedarf, wäre zur Erweiterung der Klagebefugnis und der damit zusammenhängenden Klageaktivität eine Ausdehnung auf qualifizierte Wirtschaftsverbände im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG zweckmäßig.169 Beibehalten werden sollte aber die Amtsprüfung sowohl für die Musterfeststellungsklage als auch für innerstaatliche Abhilfeklagen. Für die innerstaatlichen Verbandsklagen im Zuge der Richtlinie sollten die Kriterien ebenfalls angewendet werden. Das Missbrauchsrisiko dürfte hier ohnehin geringer ausfallen, vorausgesetzt das Gericht ist zur Prüfung von Amts wegen befugt, da so insbesondere finanzielle Verflechtungen im Einzelfall vom Gericht geprüft werden können. Für staatlich geförderte institutionalisierte Kläger sollte eine § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO entsprechende Regelung beibehalten bzw. deren Anwendungsbereich auf innerstaatliche Abhilfeklage erweitert werden.170 Problematisch dürfte aber die weitgehend nur behördliche Überprüfung der Kriterien nach Art. 4 Abs. 3 RL für grenzüberschreitende Klagen sein, da diese die Überprüfung an eine externe Stelle auslagert.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis bei der Musterfeststellungsklage Nachdem soeben die gesetzlichen Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung als Kläger dargestellt wurden, soll nachfolgend die bislang ungeklärte Frage171 nach der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage einer Lösung zugeführt werden, denn mit ihrer Erfassung und dem hierdurch ausgedrückten Zweck168 Dazu auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 23 f. Welche auch auf die Wettbewerbszentralen hinweisen. Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (43). Für eine teilweise Differenzierung: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46). 169 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 24 wollen alle Verbände und Vereinigungen nach § 3 UKlaG einbeziehen. Zu den qualifizierten Wirtschaftsverbänden siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46); Röthemeyer, jM 2022, 178 (180); Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 80 ff., der zugleich einen Wegfall der Anmeldebeschränkung auf Verbraucher anregt; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 254. Restriktiver: Bruns, Rechtsgutachten, S. 34. 170 Vgl. auch: Art. 4 Abs. 2 RL, dazu: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Dies ist aber nur für innerstaatliche Verbandsklagen möglich, vgl. Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46); Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten, S. 29 f. § 2 Abs. 3 VDuG-E entspricht § 606 Abs. 1 S. 4 ZPO, vgl. VRUG-E, S. 78. 171 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
verständnis hängt auch die Frage nach der Eingliederung in die Zivilprozessordnung unmittelbar zusammen. Die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage basiert entscheidend auf der Rechtsnatur bzw. Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis.172 In einem ersten Schritt soll daher die Prozessführungsbefugnis näher betrachtet werden, bevor sich anschließend der Blick auf die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage als solche richtet. Zur Annäherung an die Prozessführungsbefugnis (Klagebefugnis) der qualifizierten Einrichtung erläutert die Arbeit zunächst den Begriff der Prozessführungsbefugnis. Im Anschluss wird das Anmeldeverfahren und dessen Zusammenhang mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Musterfeststellungsklage näher untersucht. In diesem Zusammenhang soll eruiert werden, inwieweit dem Anmeldeerfordernis und der Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung ein Einfluss auf die Prozessführungsbefugnis zukommt. Danach werden die bisherigen Ansichten zur Verbandsklage auf ihre Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage sowie die zur Musterfeststellungsklage vorgeschlagenen Antworten zur Rechtsnatur analysiert, bevor den Abschluss ein eigener Lösungsansatz bilden kann.
I. Prozessführungsbefugnis Eine positiv-rechtliche Regelung hat die Prozessführungsbefugnis in der ZPO nicht erfahren, sie wird dort nicht einmal ausdrücklich genannt.173 Die Notwendigkeit einer Prozessführungsbefugnis ergab sich für die Prozessrechtsdogmatik auch erst im ausgehenden 19. Jahrhundert. Bis dato ging die Rechtswissenschaft von einem materiellen Parteibegriff aus. Partei eines gerichtlichen Verfahrens konnten demnach nur auch materiell an dem Recht oder Rechtsverhältnis Beteiligte sein.174 Dies ging noch zurück auf das römische Recht, welches mit dem Institut der actio nicht zwischen materiellem Recht und Prozessrecht trennte.175 Damit eine Person Partei eines Rechtsstreits sein konnte, musste sie ihre subjektive Berechtigung an dem streitgegenständlichen Recht oder Rechtsverhältnis 172 So allgemein für die Verbandsklagen: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 108. 173 Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 108; siehe auch: Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (403); Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (109) für Prozessstandschaft und Prozessführungsbefugnis. 174 Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 3; Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, S. 518 f., 520 ff.; Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (404); zur Entwicklung der actio: Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 31 ff.; siehe auch: Henckel, Parteilehre, S. 15 ff. 175 Nach dem aktionenrechtlichen Verständnis des römischen Formularprozesses konnte das materielle Recht nur insofern zur Durchsetzung gelangen, als dass es eine entsprechende Klageart (actio) gab. Dies führt zu einer detaillierten Herausbildung der einzelnen Klagen, die Bedeutung des materiellen Rechts nahm aber deutlich ab, es verwirklicht sich nur in der actio. Siehe hierzu: Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (401) m.w. N.; Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 5 f.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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nachweisen.176 Auch der CPO von 1877 lag nach überwiegender Ansicht noch der materielle Parteibegriff zugrunde.177 Dies widersprach jedoch den im Gesetz vorgesehenen Konstellationen einer Prozessführung durch einen Rechtsfremden (beispielsweise Testamentsvollstrecker und in Fällen der Sachveräußerung), für welche Kohler den Begriff der Prozessstandschaft entwickelte.178 Während Kohler diese noch als im materiellen Recht verankert ansah, erkannte demgegenüber Hellwig deren prozessualen Ursprung als prozessuale Befugnis, die zur Durchsetzung eines Rechts berechtigt.179 Mit der Lösung der Partei im prozessrechtlichen Sinne von der Subjektstellung im Rahmen des materiellen Rechtsverhältnisses bildete sich der formelle Parteibegriff.180 Partei eines Rechtstreits ist demnach, wer als Kläger im eigenen Namen Rechtsschutz vor Gericht begehrt und gegen wen als Beklagter vor Gericht Rechtsschutz gesucht wird.181 Der Vorteil des materiellen Parteibegriffs, welcher im Schutz des Beklagten vor einer ungerechtfertigten prozessualen Inanspruchnahme bestand, fiel unter dem formellen Parteibegriff weg. Diese Aufgabe kommt 176 Die Notwendigkeit eines Nachweises der Berechtigung ist ein Anzeichen für das Problem des materiellen Parteibegriffs. Wenn man nur dem materiellen Rechtsinhaber die Fähigkeit, als Partei im Prozess zu stehen, zuerkennen wollte, dann müsste man im Rahmen der Zulässigkeit die Anspruchsinhaberschaft umfassend prüfen. Um diese Problematik zu umgehen, hatte sich bis Mitte des 19. Jh. die Ansicht durchgesetzt, dass nur der Nachweis der subjektiven Berechtigung der Partei an dem Recht bzw. Rechtsverhältnis zu prüfen sei. Anschaulich: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 3. Siehe auch: Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 21 f.; Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 6 f. 177 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 2 f.; Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 1. 178 Siehe nur: Kohler, ZZP 12 (1888), 97 (100 f., 106 f.); Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 22; Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 15 ff. Mit Ausnahme der Annahme, dass die Prozessführungsbefugnis im materiellen Recht begründet liege, hat Kohler damit das moderne Verständnis der Prozessführungsbefugnis maßgeblich entwickelt, vgl. Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (412). Zum Einfluss der Lehre Windscheids durch die Trennung des Anspruchs vom Prozessrecht: Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (403); Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (403); Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (8 f.), zur Bedeutung Kohlers und Hellwigs, ebenda (10 ff.). 179 Anschaulich Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (411 f.); Hellwig, Lehrbuch des Deutschen Civilprozessrechts, S. 156 f., 317; Hellwig, System, §§ 70–74; Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 108 ff. siehe auch: S. 123 ff. m.w. N.; Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 93 ff. m.w. N. 180 Oetker, Juristisches Literaturblatt 1890, 188 (189); dazu: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 5; Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 22 f.; Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 7, Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 23; Lüke ZZP 76 (1963), 1 (8). Anschaulich zu den Nachteilen des materiellen Parteibegriffs: Costede, Parteilehre, in: Liber Amicorum Henckel, S. 33 (35 f.). 181 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 2, 45; dazu: BGH, Urteil vom 24.01.1952, Az. III ZR 196/50, NJW 1952, 545 (545); Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 5; Hellwig, System, § 66, S. 145; Nikisch, Zivilprozeßrecht, S. 108; Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (459 f.), welcher darauf hinweist, dass erst diese Entwicklung die gewillkürte Prozessstandschaft ermöglicht hat, vgl. ebenda (461).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
nunmehr der Prozessführungsbefugnis zu.182 Prozessführungsbefugnis ist demnach die Befugnis, als richtige Partei im eigenen Namen einen Prozess über ein (behauptetes) eigenes oder fremdes Recht zu führen.183 Diese Sachurteilsvoraussetzung stellt die notwendige Verbindung zwischen dem materiellen Recht und der Selbstbetroffenheit der Parteien mit der Stellung als Partei im Prozess her.184 Dadurch wird zugleich die Möglichkeit einer Popularklage durch einen in keiner Beziehung zum Recht stehenden Dritten ausgeschlossen.185 Der Kläger und der Beklagte müssen demnach zur Führung des Prozesses über den Streitgegenstand befugt sein.186 Hierfür genügt grundsätzlich die klägerische Behauptung ihm stehe das geltend gemachte Recht als eigenes zu. Für die Prozessführungsbefugnis als Prozessvoraussetzung genügt daher die Behauptung der Rechtsinhaberschaft, deren tatsächliches Vorliegen ist erst im Rahmen der Begründetheit als Aktivlegitimation (Sachlegitimation) zu prüfen.187 Die Verneinung der Prozessführungsbefugnis bedürfte hier eines besonderen Grundes. Genauso sind umgekehrt auch die Fälle der Geltendmachung fremder Rechte, also der Prozessstandschaft rechtfertigungsbedürftig,188 wobei eine gesetzliche oder gewillkürte Ermächtigung in Betracht kommt.189 182 Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 5 f.; Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 23; Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 8; zu den Aufgaben der Prozessführungsbefugnis: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 43 ff., insb. 48 f.; vgl. auch: Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (111). 183 Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 50, Rn. 26; Hüßtege, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 51, Rn. 20; Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (413 f.); übersichtlich: Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 23 m.w. N. Gegen eine Einbeziehung der Wendung „als richtige Partei“: Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 3. Hier wird sie verwendet, um den Zusammenhang mit dem formellen Parteibegriff hervorzuheben; ausführlich zur Begriffs- und Definitionsentwicklung bei der Prozessstandschaft: Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 7 ff.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46, Rn. 1. 184 Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (461); dazu auch: Henckel, Parteilehre, S. 17; anschaulich: Nikisch, Zivilprozeßrecht, S. 118; siehe auch: Becker-Eberhard, ZZP 104 (1991), 413 (417): Prozessführungsbefugnis als die aus einem Verhältnis des Klägers zum materiellen Recht folgende Befugnis. 185 Siehe nur: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 14 m.w. N.; Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 20. Ausführlich: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 43 ff. m.w. N.; Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (413). 186 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 45; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 15. Bei fehlender passiver Prozessführungsbefugnis des Beklagten ist die Klage als unzulässig abzuweisen: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 22; BGH, Urteil vom 11.07.2018, Az. IV ZR 243/17, NJW 2018, 3389 (3392); a. A. Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 35. 187 Hierzu: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 18. Zur Unterscheidung der Rechtsfiguren: Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (407); dazu auch: Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (6 ff.); Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 48, Rn. 3. 188 Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 17; für die Prozessstandschaft: Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (111 f.). Diederichsen, ZZP 76 (1963), 400 (401, 417, 420) sieht die Aufgabe der Prozessführungsbefugnis nur in der Bewältigung einer Klage durch einen Rechtsfremden.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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An dieser Stelle gilt es daher der Frage nachzugehen, woraus sich die Prozessführungsbefugnis bei der Musterfeststellungsklage ergibt oder ob dieser Prozessvoraussetzung keine Bedeutung im Rahmen der Musterfeststellungsklage mehr zukommt. Dieser Untersuchung wird die später noch zu validierende Hypothese des Fehlens eines eigenen materiellen Anspruchs zugrunde gelegt. Sofern sich die Musterfeststellungsklage also auf fremde Ansprüche oder Rechtsverhältnisse stützt, können dies nur die der angemeldeten Verbraucher sein. Allein im Falle der Klage eines Rechtsfremden stellt sich die Frage, welche Zulässigkeitsvoraussetzung die Schnittstelle190 zwischen materiellem Recht und Prozessführung, mithin also die Prozessführungsbefugnis, bei der Musterfeststellungsklage einnimmt bzw. wie diese ausgestaltet ist, weil sich die Prozessführungsbefugnis andernfalls bereits aus der Geltendmachung eines eigenen Rechts ergäbe. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang das Verfahren der Anspruchsanmeldung, da dieses eine Verbindung zwischen dem Musterfeststellungsverfahren und den möglichen Anspruchs- bzw. Rechtsverhältnisinhabern schafft. An diesem Punkt zeigt sich zugleich die Relevanz dieser Frage für diese Arbeit, da die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage als die Klage eines Rechtsfremden für die Anmelder als Dritte eine infolge der Parteirollenverschiebung aktuell werdende Fragestellung ist.
II. Anmeldeverfahren und prozessführungsbefugnisbezogene Voraussetzungen bei der Musterfeststellungsklage Nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ist die Musterfeststellungsklage nur dann zulässig, wenn sich innerhalb von zwei Monaten nach der Bekanntmachung im Klageregister 50 Verbraucher angemeldet haben.191 Um die Bedeutung des Anmeldeverfahrens für die Prozessführungsbefugnis näher zu untersuchen, soll zunächst die Anmeldung und deren Wirkungen betrachtet werden. Anschließend wird auf die gerichtliche Prüfung der Anmeldung und sodann auf die Bedeutung der Anmeldung und der Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung für das Vorliegen der Prozessführungsbefugnis eingegangen.
189
Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 50, Rn. 26. Vgl. Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (1). 191 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 4; Windau, jM 2019, 404 (405) spricht im Hinblick auf die Anmeldung von einem „Kernstück der Neuregelung“; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 89: „Anspruchsanmeldung [. . .] von zentraler Bedeutung“. Diese Regelung soll entfallen und durch eine weitergehende Glaubhaftmachung der Betroffenheit bzw. Abhängigkeit von 50 Verbrauchern ersetzt werden, vgl. § 4 Abs. 1 VDuG-E, VRUG-E, S. 79; Meller-Hannich, DB 2023, 628 (633). 190
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
1. Die Anmeldung der Verbraucher als Verbindung zwischen den Rechtsinhabern und dem Musterfeststellungsverfahren a) Ablauf des Anmeldeverfahrens Die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage erfolgt über das sogenannte Klageregister, welches vom BfJ geführt wird.192 Anmeldebefugt sind nach § 608 Abs. 1 ZPO nur Verbraucher.193 Hierfür wurde in § 29c Abs. 2 ZPO ein neuer prozessualer Verbraucherbegriff eingeführt. Anders als nach § 13 BGB kommt es nicht auf den Abschluss eines Rechtsgeschäfts an. Erforderlich ist stattdessen, dass der Anmelder abgestellt auf den Entstehungszeitpunkt des Anspruchs oder des streitigen Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelte. Anders als durch die Anwendung des § 13 BGB können so gesetzliche Ansprüche im Rahmen der Musterfeststellungsklage (teil-)durchgesetzt werden.194 Um an den Wirkungen des Musterfeststellungsverfahrens teilzuhaben, bedarf es der tatsächlichen Erfüllung des § 29c Abs. 2 ZPO; die bloße Eintragung genügt nicht.195 Die Anmeldung ist ab dem Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage im Klageregister (§ 607 Abs. 1, 2 ZPO) bis zum Ablauf des Tages vor dem ersten Termin möglich.196 Sie hat gemäß § 608 Abs. 4 ZPO in Textform (§ 126b BGB) gegenüber dem BfJ zu erfolgen.197 Die Rücknahme der Anmeldung kann nur bis zum Ablauf des Tages des Beginns der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung geschehen (§ 608 Abs. 3 ZPO) und ist wiederum in Textform gegenüber dem BfJ zu tätigen.198 Zwingend notwendig für eine formell ordnungsgemäße Anmeldung ist die Einhaltung der Voraussetzungen des § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO. Die Anforderungen lehnen sich an § 253 Abs. 2 ZPO an.199 Eine Zuordnung der Anmeldung zu einem im Register eingetragenen Verfahren und individuelle Kenntnis von der Person des Anmelders sollen durch die personen- und beklagtenbezogenen Angaben
192
Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 609, Rn. 2. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 7 f. 194 Vgl. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 29c, Rn. 6a; Patzina, in: MüKoZPO, § 29c, Rn. 10; Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 29c, Rn. 4; BT-Drs. 19/2507, S. 20. Ausführlich zur Regelung: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 29c, Rn. 1 ff.; siehe auch: Touissant, in: BeckOKZPO, § 29c, Rn. 12. 195 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 29c, Rn. 5. 196 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 16 f.; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 92; ausführlich zu den zeitlichen Anforderungen an die Anmeldung: Windau, jM 2019, 404 (405). 197 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 15; Röthemeyer, in: HkMFKG, § 608, Rn. 4 f.; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 93. 198 Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 14. 199 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 4; BT-Drs. 19/2507, 24. 193
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nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 ZPO sichergestellt werden.200 § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO fordert vom Anmelder den Gegenstand und Grund des Anspruchs oder Rechtsverhältnisses anzugeben.201 Für das Verständnis dieser Anforderung kann auf § 253 Abs. 2 ZPO zurückgegriffen werden.202 Hieraus ergibt sich, dass „Grund“ den Lebenssachverhalt meint, aus welchem sich der Anspruch oder das Rechtsverhältnis ableiten bzw. ableiten sollen.203 Die Tatbestandsvoraussetzung des „Gegenstandes“ bezeichnet die Anspruchsformulierung oder die Beschreibung des Rechtsverhältnisses.204 Zur Feststellung einer möglichen späteren Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils muss die Anmeldung also vor allem eine Individualisierung des Anspruchs bzw. Rechtsverhältnisses zulassen.205 Eine Substantiierung, wie sie für einen bestimmten Antrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO notwendig ist, oder schlüssige Angaben sind aber nicht erforderlich.206 Eine Angabe über die Forderungshöhe muss nicht getätigt werden. Nach der Sollangabe des § 608 Abs. 2 S. 2 ZPO können die Verbraucher aber eine solche Angabe vornehmen.207 Um einen gewissen Missbrauchsschutz zu gewährleisten, muss der Verbraucher die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben versichern (§ 608 Abs. 2 200 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 18 f.; Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 8 ff.; zu Missbrauchsrisiken: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 97. 201 Da die genauen Anforderungen noch nicht klar sind, sei von einer nur andeutungsweisen Darstellung Abstand zu nehmen, vgl. Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922). 202 BT-Drs. 19/2507, S. 24; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5. 203 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 20 f.; Rathmann, in: HkZPO, § 608, Rn. 3. 204 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 22 f. unter Bezugnahme auf die Verjährungshemmung bei Mahn- und Güteanträgen, vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 20.08.2015, Az. III ZR 373/14, NJW 2015, 3297 (3298). Bei § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kommt diesem Tatbestandsmerkmal unter Geltung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs keine nennenswerte Bedeutung mehr zu, vgl. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 253, Rn. 24. § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO nennt aber keinen Antrag. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (27) geht hingegen von der Geltung eines prozessualen Anspruchsbegriffs aus, ohne diesen näher zu bestimmen. 205 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 4; zumindest für den Schuldner muss eine Individualisierung möglich sein, vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 11, 21; siehe auch: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 21; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 100. Vgl. auch zur Individualisierung die Ausfüllanleitung des BfJ, abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Verbraucherrech te/Musterfeststellungsklagen/Klageregister/Ausfuellanleitung/Ausfuellanleitung_node. html (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). 206 Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 11 m.w. Hinweisen; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608, Rn. 4. Siehe auch: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922 f.), wonach klar erkennbar sein muss, was genau die Verbraucher im Hinblick auf das Musterfeststellungsverfahren anmelden möchten. 207 Kritisch hierzu: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 24 ff.; dies würde die Gefahr von Fehlern aber deutlich erhöhen, Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 13; siehe zur Anregung des Bundesrates: BT-Drs. 19/2701, S. 6, Nr. 10, S. 9 und des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz: BT-Drs. 19/2741, S. 11, 25.
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Nr. 5 ZPO).208 Die Eintragungen der Anmeldungen in das Klageregister unterliegen aber keiner inhaltlichen Prüfung seitens des BfJ (§ 608 Abs. 2 S. 3 ZPO).209 b) Bedeutung der Anmeldung für die Teilhabe der Verbraucher am Musterfeststellungsverfahren Für die Klärung der Rolle der Anmeldung im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis bedarf es zunächst einer Feststellung der Anforderungen an eine wirksame Anmeldung. aa) Anforderungen an eine wirksame Anmeldung Da seitens des BfJ keine inhaltliche Prüfung der Anmeldeangaben erfolgt,210 stellt sich die Frage, welche Anforderungen für eine wirksame Anmeldung überhaupt erfüllt sein müssen. Ist die wirksame Anmeldung auf die Tätigung der nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO erforderlichen Angaben beschränkt oder müssen dafür auch in materieller Hinsicht gewisse Anforderungen erfüllt sein? Die Frage ist deshalb relevant, weil nicht nur § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO das Adjektiv „wirksam“ verwendet, sondern dies auch § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO fordert. Letzterer bezieht sich aber nicht nur auf die Anmeldung per se, sondern benennt eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Musterfeststellungsklage.211 Bei der Beurteilung der Frage nach den Anforderungen an eine wirksame Anmeldung sind zwei Fragestellungen zu trennen: Die erste ist diejenige nach den für eine Eintragung durch das BfJ erforderlichen Angaben. Die zweite ist diejenige nach den Anforderungen an eine tatsächlich wirksame Anmeldung, also an eine Anmeldung, die auch Rechtswirkungen entfaltet. Es ist daher zu unterscheiden zwischen der wirksamen Eintragung und der wirksamen Anmeldung.212 (1) Voraussetzungen für eine wirksame Eintragung in das Klageregister Gemäß § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO ist es dem BfJ verwehrt, die von den Anmeldern nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO gemachten Angaben auf ihre inhaltliche Rich208 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5; Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 12; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 29 ff.; zur Änderung im Gesetzgebungsverfahren: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 206. 209 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 38; nach § 609 Abs. 2 S. 1 ZPO hat die Eintragung unverzüglich zu erfolgen, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 609, Rn. 3. Zum Umgang mit formalen Mängeln seitens des BfJ: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 40 ff. 210 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 38; Röthemeyer, in: HkMFKG, § 608, Rn. 15; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 103. 211 Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 23. 212 Vgl. dazu auch: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 36.
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tigkeit hin zu überprüfen.213 Hinsichtlich der formalen Anforderungen wird aber überzeugend angenommen, dass diese durch das BfJ trotzdem geprüft werden und bei Fehlern die Eintragung verweigert werden kann.214 Dies folgt aus einem Erst-recht-Schluss zu § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO, welcher nur die inhaltliche Überprüfung ausschließt, damit aber eine formale Prüfung zulässt.215 Die Eintragung durch das BfJ ist daher rein deklaratorisch.216 Dementsprechend sind auch keine weitergehenden Anforderungen an die wirksame Eintragung zu stellen. (2) Inhaltliche Anforderungen an eine wirksame Anmeldung Es muss geklärt werden, inwieweit die Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO getätigt werden müssen und inwiefern die Anforderungen des § 608 Abs. 1 ZPO, also die Konnexität der Ansprüche/Rechtsverhältnisse mit den Feststellungszielen vorliegen müssen. Diesbezüglich nimmt die Literatur teilweise an, die formund fristgerechte Tätigung der Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO sei ausreichend.217 Weiterhin seien für eine wirksame Eintragung die Anforderungen an die Konnexität des § 608 Abs. 1 ZPO nicht notwendig. Dies ergebe sich daraus, dass die Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO zwar eine Überprüfung der Konnexität theoretisch zuließen, dies aber wegen § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO gerade nicht zu prüfen sei.218 (a) Tätigung vollständiger und zutreffender Angaben Für die Wirksamkeit der Anmeldung kann die alleinige Übermittlung der Angaben an das BfJ nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO und in der Folge die wirksame Eintragung jedoch nicht genügen. So fordert bereits § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO, dass die Anmeldung nur wirksam ist, wenn die dortigen Angaben enthalten sind. Feh213 So auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 15, nur Vollständigkeit und Plausibilität. Keine Prüfung von Richtigkeit und Schlüssigkeit: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608, Rn. 5. 214 So: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 6. Diese Beschränkung auf die formalen Anforderungen und die aus deren Vorliegen folgende Wirksamkeit solle dann auch für die Zulässigkeitsvoraussetzung nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO gelten, vgl. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 24. 215 Ausführlich: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 40 ff. Das BfJ soll demnach verfristete Anmeldungen zurückweisen und zumindest die Eintragung unvollständiger und offensichtlich unrichtiger Anmeldungen verweigern können. 216 Siehe nur: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608, Rn. 4; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 17. 217 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608, Rn. 5. 218 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 11. Was aber außer Acht lässt, dass diese Norm nur das BfJ, nicht aber das Gericht adressiert. Ähnlich auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 207. Der Hinweis darauf, dass das Gericht bei der Eintragung keine Prüfung vornimmt, ist unerheblich, da das Register ausschließlich vom BfJ geführt wird.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
len sie, dann treten trotz Eintragung keine Rechtswirkungen ein.219 Dass diese Angaben zwingend vorhanden sein müssen, folgt neben dem eindeutigen Wortlaut zusätzlich aus der Systematik der Norm. Aus der Sollvorschrift des § 608 Abs. 2 S. 2 ZPO ergibt sich im Umkehrschluss die zwingende Natur der Angaben nach S. 1.220 Die Eintragung in das Klageregister allein kann somit nicht für eine wirksame Anmeldung ausreichen. An dieser Stelle ist auch § 608 Abs. 2 Nr. 5 ZPO hervorzuheben. Der Gesetzgeber war sich der Fehleranfälligkeit des Anmeldeverfahrens sehr wohl bewusst. Die Norm spiegelt aber wider, dass der Gesetzgeber falsche Anmeldungen ausschließen wollte. Gemeint sind sowohl unvollständige als auch unrichtige Anmeldungen.221 Dem Inhalt der Anmeldung wird insofern für die Wirksamkeit sehr wohl eine Bedeutung beigemessen. Dies ergibt sich schon aus der Stellung von Nr. 5 nach dem einleitenden Satz zur Wirksamkeit der Anmeldung. Dies sollte daher bei der Frage, welche Anforderungen für eine wirksame Anmeldung erforderlich sind, berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass das BfJ die Eintragung ohne eine inhaltliche Überprüfung, also ohne eine Validierung der Angaben oder eine Schlüssigkeitsprüfung,222 durchführt, ist dem gesetzgeberischen Ziel geschuldet, ein einfach zu handhabendes Verfahren einzuführen.223 Dies soll aber gerade nicht dazu führen, dass die Anforderungen unterlaufen werden können. Eine formell oder inhaltlich fehlerbehaftete Anmeldung wird nicht durch die Eintragung, gleichsam im Wege einer „Heilung“, zu einer wirksamen Anmeldung.224 Teilweise wird angenommen, dass es genüge, wenn die Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 ZPO gegenüber dem BfJ in Textform fristgemäß getätigt wurden. Sofern zu allen Nummern des Abs. 2 S. 1 Angaben enthalten sind, sollen die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit einzelner Angaben der Anmeldung trotzdem nicht die Wirksamkeit nehmen. Auch bei Fehlen der Verbrauchereigenschaft liege eine zumindest in formeller Hinsicht wirksame Anmeldung vor. Die Auswirkungen würden sich aus den jeweils einschlägigen Tatbeständen (z. B. § 613
219
Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 76 f. Die Sollvorschrift wurde eingeführt, weil in der Betragsangabe eine Schwierigkeit für die Verbraucher gesehen wurde, vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 13; BT-Drs. 19/2741, S. 25; das zeigt aber gerade, dass sich der Gesetzgeber bewusst war, dass die Anmeldung für den Verbraucher eine juristische Hürde darstellen kann. Siehe auch: § 3 Abs. 2 S. 1 MFKRegV (zukünftig: Verbandsklageregisterverordnung, vgl. Art. 2 VRUG-E), wonach diese Angaben als verpflichtend zu kennzeichnen sind. 221 BT-Drs. 19/2507, S. 24; vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5, die darauf verweist, dass eine einzelne Person z. B. 50 Anmeldungen vornehmen könnte, um die Voraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO zu erreichen. 222 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608, Rn. 5. 223 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-ZPO, § 608, Rn. 15. 224 Zutreffend: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 39. 220
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Abs. 1 S. 1 ZPO) ergeben.225 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Sofern Angaben zu den einzelnen Nummern des § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht vollständig sind, ist die Anmeldung bereits unvollständig.226 Dass gegebenenfalls Angaben zu allen Punkten existieren, hilft hierüber nicht hinweg, da diese Angaben trotzdem unvollständig bleiben. § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO ist insofern eindeutig: Die Anmeldung ist nur dann wirksam, wenn sie diese Angaben enthält.227 Lediglich im Hinblick auf das Substantiierungserfordernis der Nr. 4 sollten keine übermäßigen Anforderungen gestellt werden.228 Hinsichtlich der Unrichtigkeit kann auf die obigen Ausführungen zu § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 ZPO verwiesen werden. Es kann auch nicht gegen die Notwendigkeit einer Tätigung korrekter und vollständiger Angaben angeführt werden, dass die Frage des Eintritts der von der Anmeldung abhängigen Rechtsfolgen für Anmelder, die keine Verbraucher sind, sich nach den einzelnen spezielleren Rechtsnormen bestimme. Dies ergibt sich schon daraus, dass im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO alle Normen, die die Verbraucher nach der Anmeldung adressieren, durchgängig vom „angemeldeten Verbraucher“ sprechen,229 die Verbrauchereigenschaft muss somit ohnehin vorliegen. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, wonach nur der Verbraucher seine Adressdaten anzugeben hat; damit kann aber überhaupt nur ein Verbraucher anmeldebefugt sein. Wer kein Verbraucher ist, kann schließlich auch keine Angaben in seiner Verbraucherrolle tätigen.230 Die Annahme, dass eine wirksame Anmeldung auch dann vorliegen könne, wenn die Verbrauchereigenschaft nicht gegeben sei, führt bei stringenter Anwendung zur befremdlichen Konsequenz, dass wegen des Wortlauts des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, der eine wirksame Anmeldung für die Verjährungshemmung des Gläubigers (nicht des Verbrauchers) fordert, eine Verjährungshemmung auch für Nichtverbraucher möglich wäre, weil die wirksame Anmeldung keinen materiellen Anforderungen
225 So noch in der 46. Edition: Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 16. Ebenda jetzt abweichend unter Verweis auf: BGH, Versäumnisurteil vom 26.09.2022, Az. VIa ZR 124/22, BeckRS 2022, 33057, Rn. 23 f., welcher auf das Erfordernis einer wirksamen Anmeldung nach § 608 Abs. 2 ZPO hinweist. 226 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24 „notwendigen Inhalt“. 227 Siehe nur: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 76; Rathmann, in: HK-ZPO, § 608, Rn. 3 „Pflichtangaben“; wohl auch: Halfmeier, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 9. 228 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 100. BR-Drs. 176/1/18, S. 13, siehe auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 11. Zu den Schwierigkeiten der Verbraucher siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 8. 229 Siehe nur: § 606 Abs. 3 Nr. 3, § 609 Abs. 4 S. 1, § 610 Abs. 3 und Abs. 6 Nr. 1, § 611, § 613 ZPO. Siehe auch: Röß, NJW 2020, 953 (953 f.), der zwischen organisationsbezogenen Vorschriften und solchen, die individuelle Vorteile für Anmelder verschaffen, differenziert. 230 Die Anmeldung eines Nichtverbrauchers zum Register ist somit ohne Wirkung, vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608, Rn. 2.
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unterliegt.231 Dies ist aber nicht überzeugend, da die Musterfeststellungsklage nur dem Rechtsschutz von Verbrauchern dienen soll.232 Die Angaben des § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO müssen daher zutreffend und vollständig getätigt werden, auch wenn Abstriche bei der Substantiierung akzeptiert werden müssen. (b) Abhängigkeit der angemeldeten Ansprüche und Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen Zu klären ist des Weiteren, ob die Abhängigkeit der angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen, also die Konnexität nach § 608 Abs. 1 ZPO, zu den Anforderungen an eine wirksame Anmeldung zählt.233 Die Abhängigkeit erfordert hinsichtlich des Anspruchs, dass dessen Bestand oder Umfang von den Feststellungszielen abhängen muss und hinsichtlich der Rechtsverhältnisse, dass die Feststellungsziele Auswirkungen auf diese haben können.234 Um die Verbindung zum Verfahrensgegenstand der Musterfeststellungsklage herzustellen, fordert § 608 Abs. 1 ZPO, dass die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage abhängen, wobei für die abstrakte Einschätzung ausreichen dürfte, dass das Bestehen der Ansprüche/Rechtsverhältnisse zumindest auch von den Feststellungszielen abhängen kann.235 Hierzu wird angenommen, dass die Abhängigkeit bloß deskriptiven Charakter habe und keine Wirksamkeitsvoraussetzung verkörpere. Dies folge aus der zwar theoretischen, aber insbesondere durch § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO ausgeschlossenen Möglichkeit einer Überprüfung der Konnexität anhand der Angaben nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 4.236 Die Begründung vermag allerdings nicht zu überzeugen, 231
So noch in der 46. Edition, jetzt abweichend: Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 22. Zur Gegenansicht: Meller-Hannich, in: BeckOGK, Stand: 01.03.2023, § 204 BGB, Rn. 112. 232 Beziehungen zwischen Unternehmern werden durch § 29c Abs. 2 ZPO i.V. m. § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO ausgeschlossen, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 29c, Rn. 12, 14. 233 So wohl: Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 3. A. A. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 3. Vgl. dazu: BT-Drs. 19/2507, S. 24 in Bezug auf Informationsrechte und § 611 ZPO genügt dort die Anmeldung. Bei „wirksame[r] Anmeldung“ tritt zusätzlich („zudem“) die Verjährung und Bindungswirkung, „soweit“ (nicht: wenn) Konnexität gegeben ist ein. Der Begründung könnte somit eine Differenzierung zwischen Anmeldung und den erweiterten Wirkungen einer wirksamen Anmeldung entnommen werden, vgl. zu einer ähnlichen Unterscheidung: Röß, NJW 2020, 2068 (2069); siehe auch: Röß, NJW 2020, 953 (953 f.). 234 Vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 11. So kann es genügen, wenn die Beantwortung einer Rechtsfrage in einer gewissen Weise oder die Feststellung einer Tatsache für die Begründetheit des Anspruchs mitentscheidend ist, vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 3. 235 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 12. 236 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 11. Für eine Reduzierung der Abhängigkeit zwischen Anspruch/Rechtsverhältnis und Feststellungszielen auf einen gemeinsa-
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denn die Überprüfung adressiert schließlich nur das BfJ.237 Außerdem sagt § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO nichts darüber aus, ob dies für eine wirksame Anmeldung notwendig ist, sondern nur, dass für die Eintragung keine Prüfung erfolgt.238 Jedenfalls aber muss der Verbraucher zur Abhängigkeit selbst keine Angaben bei seiner Anmeldung machen. § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO erfordert lediglich eine Individualisierung des Anspruchs oder Rechtsverhältnisses.239 Somit könnte ein Abhängigkeitserfordernis für die wirksame Anmeldung, unter Hinweis auf die enumerative Aufzählung des § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO nach dem Prinzip enumeratio ergo limitatio ausgeschlossen sein. Das gilt aber nur, wenn die Auflistung in § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO wirklich abschließend ist, da dann auf § 608 Abs. 1 ZPO nicht abgestellt werden könnte. Das Gesetz selbst scheint hiervon allerdings nicht auszugehen. § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO spricht nicht von „ist wirksam, wenn“, sondern fügt das Wort „nur“ ein. Damit sind diese Angaben aber keine für die Wirksamkeit erschöpfende Aufzählung mehr, sondern lediglich eine formale Mindestanforderung. Außerdem folgt aus dem Ausschluss der Angabe noch nicht, dass auf die Anforderung verzichtet wird. Ein Ausschluss der Konnexität kann deshalb nicht überzeugen, weil mit den Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO, insbesondere denjenigen zu Gegenstand und Grund des Anspruchs/Rechtsverhältnisses (Nr. 4), eine ausreichende Individualisierung und Konkretisierung des Begehrens der Anmelder erreicht werden soll.240 Ein solches Verständnis ergibt sich auch aus der Ausfüllanleitung des BfJ, welche die Kenntlichmachung der Abhängigkeit fordert, aber zur näheren Erläuterung nur auf die Präzisierung der Angaben zum Lebenssachverhalt und den Ansprüchen/Rechtverhältnissen abstellt.241 Wenn nämlich Anspruch oder Rechtsverhältnis hinreichend klar angemeldet wurden, dann ergibt sich aus diesen Angaben, ob eine hinreichende Konnexität zu den Feststellungszielen besteht oder nicht. Nach den Gesetzesmaterialien sind diese Anforderungen schließlich notwendig, um die individuellen Wirkungen der Musterfeststellungsklage für die Verbraucher herbeizuführen,242 diese wiederum
men Lebenssachverhalt: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 13. Auch dadurch dürfte eine ausreichende Verbindung des Verfahrensgegenstandes mit den materiellen Rechten bestehen. 237 Vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 38. 238 Ausführlich zur Prüfung durch das BfJ: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 38 ff. 239 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608, Rn. 4. Dazu: BT-Drs. 19/2701, S. 6, Nr. 9 und S. 9. 240 Vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 21 ff., insb. Rn. 23; vgl. auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 4. 241 Vgl. die Ausfüllanleitung unter: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/ Verbraucherrechte/Musterfeststellungsklagen/Klageregister/Ausfuellanleitung/Ausfuell anleitung_node.html (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). 242 Vgl. BT-Drs. 19/2701, S. 9. Dazu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 8; vgl. auch: BT-Drs. 19/2507, S. 24.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
können aber nur eintreten, wenn das Verfahren auch einen Bezug zu den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen hat.243 Zum besseren Verständnis des Konnexitätserfordernisses erscheint es zudem sinnvoll, die Regelung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO heranzuziehen, da diese eine wirksame Anmeldung zur Zulässigkeitsvoraussetzung erhebt und damit eng mit der wirksamen Registeranmeldung verknüpft ist.244 Wie bereits soeben herausgearbeitet, folgt aus dem bloßen Faktum der Eintragung noch nicht die wirksame Anmeldung. Individuelle Rechtswirkungen entfaltet nicht die wirksame Eintragung, sondern die wirksame Anmeldung. Dies gilt auch für § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, der expressis verbis nicht nur 50 Registereintragungen verlangt, sondern 50 wirksame Anmeldungen.245 Wirksam können die Anmeldungen aber lediglich sein, wenn zwischen den Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen der angemeldeten Verbraucher und den Feststellungszielen eine Konnexität besteht.246 Dies folgt schon aus dem Zweck der Regelung, nämlich die von der Musterfeststellungsklage intendierte Breitenwirkung herzustellen.247 Hierzu ist es aber geradezu erforderlich, dass die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen als Verfahrensgegenstand abhängen.248 Andernfalls würde keine rechtliche Bedeutung aus dem Verfahren für die Anmelder erwachsen. Dass aber den Tatbestandsmerkmalen der wirksamen Anmeldung in § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO und in § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO ein unterschiedlicher Inhalt zukommen soll, ist nicht ersichtlich. Indirekt ergibt sich die Notwendigkeit der Konnexität für die wirksame Anmeldung auch aus den Anforderungen des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO selbst, denn dieser nimmt mit dem nicht näher beschriebenen Merkmal „Ansprüche oder Rechtsverhältnisse“ notwendigerweise Bezug auf § 608 Abs. 1 ZPO,249 da dieser im Hinblick auf das Anmeldeverfahren die Regelung ist, welche die Anforderungen an die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher näher umschreibt. Die Gesetzesbegründung zu § 608 ZPO spricht das Kriterium der „Abhängigkeit“ im direkten Zusammenhang mit der Möglichkeit der Verbraucher zur Anmeldung an, was belegt, dass es der gesetzge243 Siehe dazu: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 19794, Rn. 70 f. 244 Auf einen Zusammenhang weist auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 3 hin. 245 So auch die Ausführungen bei: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 36. Siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18; dort auch zu Missbrauchsrisiken. 246 Auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17 verweist in diesem Zusammenhang auf § 608 Abs. 1 ZPO. 247 Stadler, Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 17; BT-Drs 19/2507, 15, 23; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 4; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 88. 248 Zur Abhängigkeit in § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO auch bei: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 55. 249 Vgl. auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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berischen Intention entspricht, dass nur abhängige Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse wirksam angemeldet werden können.250 Gemeint sind also solche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage abhängig sind.251 Es genügt somit nicht irgendwelche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse anzumelden. Vielmehr bedarf es eines Konnexitätsverhältnisses zu den Feststellungszielen. Würde eine Konnexität für eine wirksame Anmeldung nicht gefordert, dann wäre das Merkmal in § 608 Abs. 1 ZPO bedeutungslos.252 Denn für den Eintritt der individuellen Wirkungen der Anmeldung (§§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 und 2 ZPO, § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB) ergibt sich die Abhängigkeit bereits aus den jeweiligen Tatbeständen selbst.253 Daher ist aber auch im Bereich des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO die Konnexität im Rahmen der wirksamen Anmeldung erforderlich,254 da kein Grund ersichtlich ist, warum die Abhängigkeit für die individuellen Wirkungen entscheidende Bedeutung haben sollte, nicht jedoch für die Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage, welche notwendige Bedingung zur Erreichung von Individualwirkungen ist und die Signifikanz des Verfahrens (Breitenwirkung) belegen soll. Abschließend kann darauf verwiesen werden, dass ein Verzicht auf die Konnexität für eine wirksame Anmeldung bereits wenig zielführend wäre. Denn wieso sollte der Gesetzgeber ein Verfahren schaffen, in dem jemand wirksam zu einem Verfahren angemeldet sein kann, aber rechtlich in keinerlei Beziehung zum Streitgegenstand stehen muss? Das würde das Anmeldeverfahren ad absurdum führen und ihm seine Berechtigung nehmen. bb) Rechtswirkungen der wirksamen Anmeldung An eine wirksame Anmeldung knüpft das Gesetz für die Anmelder einige Rechtsfolgen.255 Gleichwohl erlangen sie infolge der Anmeldung keine Parteistellung oder sind auf sonstige Weise an dem Musterfeststellungsverfahren beteiligt. Sie haben somit keine Einflussnahmemöglichkeit auf das Verfahren.256 250
Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17. 252 So letztlich aber die Ansicht von: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 11. Damit würde aber die Betonung der Abhängigkeit in der Gesetzesbegründung zu § 608 ZPO (vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24) ignoriert. 253 Vgl. hierzu nur: Menges, in: MüKoZPO, § 608, Rn. 15, 16, 19; Röß, NJW 2020, 953 (953). 254 Für Konnexität auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 55. 255 Siehe nur: Schmidt: in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 7; Lutz, in: BeckOKZPO, § 608, Rn. 15; Menges, in: MüKoZPO, § 608, Rn. 14 ff. Ein Überblick findet sich bei: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (94). 256 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 4; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 21. Die Verbraucher haben nur Auskunfts- und Einsichtsrechte: Boese/ Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5 Rn. 80, 82. 251
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Ein Verbraucher, der seinen Anspruch bzw. das Rechtsverhältnis zum Klageregister angemeldet hat, kann keine parallele Individualklage mehr gegen den Unternehmer erheben. Nach § 610 Abs. 3 ZPO tritt eine Sperrwirkung gegenüber Individualklagen, deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele wie die rechtshängige Musterfeststellungsklage betrifft, ein.257 Sofern der Verbraucher bereits vor der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage eine Klage gegen den Unternehmer, welcher zugleich Beklagter des Musterfeststellungsverfahrens ist, erhoben hat und die rechtshängige Klage die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft, setzt das betreffende Gericht der Individualklage das Verfahren von Amts wegen aus (§ 613 Abs. 2 ZPO).258 Die Sperrwirkung der Musterfeststellungsklage entfällt mit dem Ende ihrer Rechtshängigkeit, im Falle des § 613 Abs. 2 ZPO auch wenn die Anmeldung zurückgenommen wird.259 Dies ist in der Wirkung dem anerkannten Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) bei der gewillkürten Prozessstandschaft vergleichbar,260 da beide Male eine doppelte Prozessführung vermieden werden soll.261 Die durch § 613 Abs. 2 ZPO angeordnete Aussetzung des Individualverfahrens spricht nicht gegen die Vergleichbarkeit, da auch bei der gewillkürten Prozessstandschaft der Rechtsinhaber weiterhin grundsätzlich prozessführungsbefugt bleibt.262 Die Aussetzung entspricht aber dem Charakter der Musterfeststellungsklage als Instrument zur prozessökonomischen Klärung vorgreiflicher Fragen.263 Bei einer bereits rechtshängigen Individualklage wäre schließlich die nach erfolgter Anmeldung notwendige Abweisung oder die Verweigerung der Anmeldung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit wenig prozessökonomisch. 257 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 610, Rn. 1; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 75; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 33 ff.; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 3. 258 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 8; Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 43; ausführlich: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 65 ff. 259 Siehe nur: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 44. 260 Zur gewillkürten Prozessstandschaft: Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 62; Becker-Eberhard, MüKoZPO, § 261, Rn. 51; BGH, Urteil vom 03.07.1980, Az. IV a ZR 38/80, BGHZ 78, 1 (7); BGH, Urteil vom 02.10.1987, Az. V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126 (127); Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 49. 261 Vgl. Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 62. Zu §§ 610 Abs. 3 und 613 Abs. 2 ZPO: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 7. 262 Vgl. Becker-Eberhard, ZZP 104 (1991), 413 (441), m.w. N. Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 122 f. Es tritt ggü. einer Klage nur der Einwand der Rechtshängigkeit ein: BGH, Urteil vom 03.07.1980, Az. IV a ZR 38/80, BGHZ 78, 1 (7); Roth, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 261, Rn. 25. 263 Zum Zweck der einheitlichen Entscheidung bei der Musterfeststellungsklage: BT-Drs. 19/2507, S. 15. Siehe zum Zweck des § 613 ZPO: BT-Drs. 19/2507, S. 27. Prozessökonomie und Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen als Zweck des § 613 Abs. 2 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 20.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil entfaltet nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO Bindungswirkungen zwischen dem beklagten Unternehmer und dem wirksam angemeldeten Verbraucher, soweit die Entscheidung des Gerichts im Folgeverfahren von den Feststellungszielen und dem Lebenssachverhalt des Musterfeststellungsurteils betroffen ist.264 Im Rahmen der Musterfeststellungsklage trifft den Anmelder also eine der Rechtskraft vergleichbare Bindungswirkung. Auch bei der gewillkürten Prozessstandschaft wird der Ermächtigende an die Urteilswirkungen (Rechtskraft) des gegenüber dem Standschafter ergehenden Urteils gebunden.265 Auch insoweit besteht daher eine Vergleichbarkeit der prozessualen Wirkungen. Daneben sind auch in materiell-rechtlicher Hinsicht deutliche Parallelen erkennbar. Zum einen bleibt der Anmelder materieller Rechtsinhaber und kann als solcher umfassend über sein Recht verfügen.266 Zum anderen wirkt auch die wirksame Anmeldung zur Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB,267 wie die Klage in gewillkürter Prozessstandschaft,268 verjährungshemmend. Die Anmeldung hat ferner Auswirkungen im Hinblick auf die Opt-out-Regelung beim Vergleich nach § 611 ZPO. Nach § 611 Abs. 4 S. 2 ZPO können die angemeldeten Verbraucher aus dem Vergleich austreten und sich somit seiner Bindungswirkungen entziehen.269 Sie können allerdings auch, wenn sie keinen Opt-out vornehmen die Wirkungen des Vergleichs gegen sich gelten lassen.270 Die hiermit implizierte Trennung prozessualer und materieller Wirkungen und Dispositionsmöglichkeiten steht nicht im Widerspruch zum gezogenen Vergleich
264 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 46; Menges, in: MüKoZPO, § 608, Rn. 19; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 2; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 213 f. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. III. 2. a). 265 Zur gewillkürten Prozessstandschaft: Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 62; Regenfus, in: BeckOGK, Stand: 01.01.2023, § 185 BGB, Rn. 191; BGH, Urteil vom 03.07.1980, Az. IV a ZR 38/80, BGHZ 78, 1 (7); BGH, Urteil vom 02.10.1987, Az. V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126 (127); Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 49; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 40. 266 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 18. 267 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 214. Ausführlich zur Verjährungshemmung: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 50 ff. Auf das Erfordernis einer wirksamen Anmeldung weist Windau, jM 2019, 404 (406) hin; ebenso: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (29). 268 Regenfus, in: BeckOGK, Stand: 01.01.2023, § 185 BGB, Rn. 192, allerdings besteht hier ein Unterschied wegen der erst nachträglich erfolgenden Genehmigung; Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 81; BGH, Urteil vom 16.09.1999, Az. VII ZR 385/98, NJW 1999, 3707 (3708); Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 38. 269 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 11; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 18. 270 Siehe nur: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 17.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
mit der Prozessstandschaft, da ein zwingender Zusammenhang auch bei dieser nicht gegeben sein muss.271 Zwar können aus der aufgezeigten Ähnlichkeit keine direkten Rückschlüsse auf die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung gezogen werden. Für einen wirksam angemeldeten Verbraucher sind allerdings die prozessualen Wirkungen einer Musterfeststellungsklage mit den Folgen einer Übertragung der Prozessführungsbefugnis durch eine Ermächtigung bei der gewillkürten Prozessstandschaft vergleichbar.272 Dies ist nicht nur ein erster Hinweis auf die noch zu behandelnde Frage nach der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage, sondern auch ein Beleg für die enge Verknüpfung der Prozessführung mit Wirkung für fremde Rechte und der Anmeldung,273 da die Anmeldung die prozessualen Wirkungen einer Prozessführungsermächtigung im Hinblick auf den ermächtigenden Rechtsinhaber weitgehend teilt. cc) Zwischenergebnis Es kann somit konstatiert werden: Eine formal wirksame Eintragung liegt vor, wenn das BfJ die Eintragung vornimmt und die Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO rein objektiv enthalten sind. Die Richtigkeit ist hierfür nicht notwendig. Für eine wirksame Anmeldung, also eine solche, die auch Rechtswirkungen zugunsten der Anmelder entfaltet, sind weitergehende Voraussetzungen zu erfüllen. Die getätigten Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO müssen inhaltlich richtig sein, der Anmelder muss ein Verbraucher im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO und seine geltend gemachten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse müssen von den Feststellungszielen abhängig sein (§ 608 Abs. 1 ZPO). Außerdem wird die Musterfeststellungsklage erst durch die Anmeldung mit den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen der Rechtsinhaber verbunden.274 Inwiefern diese Verbindung eine nur theoretische ist oder ob diese auch tatsächlich Relevanz für das Verfahren entfaltet, soll nachfolgend untersucht werden. Hier geht es um die Wirkungen der Anmeldung für das Verfahren, nicht hingegen um die individuellen Wirkungen für die Anmelder. Es wird daher hier nicht übersehen, dass die Musterfeststellungsklage die Prüfung der wirksamen Anmeldung weitgehend in das nachfolgende Verfahren verschiebt,275 sondern es wird untersucht, ob hiervon verfahrensrelevante Ausnahmen existieren. 271
Anschaulich: Klinck, WM 2006, 417 (417 f.) m.w. N. Vgl. zur Legitimierung der Wirkungen bei der gewillkürten Prozessstandschaft durch die Ermächtigung: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 49. 273 Vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608, Rn. 1: Anmeldung „erstreckt [. . .] die Wirkungen“. 274 Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922) für das Klageregister. I. E. dürfte kein Unterschied bestehen. 275 Siehe nur exemplarisch die Verjährungshemmung: Menges, in: MüKoZPO, § 608, Rn. 17. 272
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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2. Gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Anmeldung Die Regelung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO fordert, dass zum dort genannten Stichtag, also zwei Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage im Klageregister, mindestens 50 Verbraucher wirksam angemeldet sein müssen.276 Dies dürfte auch der gesetzgeberischen Vorstellung des Verfahrens entsprechen, wonach die Rechtsverfolgung durch die qualifizierte Einrichtung zugunsten von „mindestens 50 betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern“ 277 erfolgt. Gegen den hier skizzierten Zusammenhang zwischen Anmeldung und Prozessführungsbefugnis ließe sich einwenden, dass die Wirksamkeit der Anmeldung im Verfahren nicht näher geprüft wird und ihr daher für das Verfahren auch keine wesentliche Bedeutung zu kommen könne. a) Teilweise Ablehnung einer gerichtlichen Überprüfung Vielfach wird vertreten, dass das Gericht keine inhaltliche Prüfung der Anmeldedaten, also der Angaben im Klageregister vornehme. Dies wird begründet mit einer sich aus dem Zulässigkeitserfordernis des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO andernfalls ergebenden Langwierigkeit des Verfahrens. Demnach sei insbesondere die „Abhängigkeit“ im Sinne des § 608 Abs. 1 ZPO nicht zu überprüfen,278 die Wirksamkeit der Eintragungen ergebe sich nur aus § 608 Abs. 2 ZPO. Die Abhängigkeit sei jedoch nicht Bestandteil der Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO. Außerdem werde dies auch vom BfJ nicht geprüft279 und somit sei auch
276 Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 45. Ein späteres Absinken der Anmelderzahl ist hingegen unerheblich, vgl. ebenda, Rn. 46. Zur Bestimmung des Stichtages: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 82. 277 BT-Drs. 19/2507, S. 15. Siehe zur Befürchtung eines Verfahrens ohne Bezug zu den Ansprüchen/Rechtsverhältnissen der Anmelder: BT-Drs. 19/2701, S. 2, 8. Auch unter Geltung des § 4 Abs. 1 VDuG-E geht der Entwurf weiterhin von einer Vermeidung rein individueller Verfahren aus, insoweit wird von der Belegbarkeit der Relevanz auch ohne Anmeldungen ausgegangen (vgl. VRUG-E, S. 79). Gleichzeitig sollen die Angaben nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 VDuG-E eine Überprüfung des Quorums als Zulässigkeitsvoraussetzung ermöglichen (vgl. VRUG-E, S. 80 f.; siehe auch: Schultze-Moderow/ Steinle/Muchow, BB 2023, 72 (73); Meller-Hannich, DB 2023, 628 (630)). Womit weiterhin die Bedeutung der Ansprüche und Rechtsverhältnisse gegeben ist, gleichwohl in formal abgeschwächter Form. Meller-Hannich, DB 2023, 628 (633) sieht in der Glaubhaftmachung des Quorums, verglichen mit dem Anmelderquorum, eine Erschwerung für die Verbände. Tendenziell nimmt damit die Bedeutung der Anmeldung ab, gleichzeitig wird aber die Kopplung an die Ansprüche/Rechtsverhältnisse intensiviert. 278 Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88); Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 15. 279 Röthemeyer, in: Hk-MFKG § 608, Rn. 15. Offen bleibt, warum etwas das vom BfJ nicht geprüft wird, gleichzeitig das Gericht beschränken sollte. Ausführlich zur Eintragung durch das BfJ: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 38 ff. auch hier wird differenziert zwischen der Eintragung und der davon zu trennenden Wirksamkeit der Anmeldung.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
das Gericht zur Überprüfung nicht verpflichtet.280 Diese Ansicht verweigert sogar dem Beklagten Einwände gegen die Erfüllung des Quorums, die sich auf die Anmeldungen beziehen, vorzutragen. Demnach bestimme sich die Wirksamkeit der Anmeldung im Sinne des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO allein danach, dass Eintragungen nach § 608 Abs. 2 ZPO vorliegen.281 b) Gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten im Rahmen des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO Jedoch wäre zumindest eine Überprüfung der Konnexität anhand der Angaben des § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO möglich.282 Hierfür muss berücksichtigt werden, dass der Wortlaut des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO wirksame Anmeldungen („wirksam angemeldet“) erfordert und diese ergeben sich – wie gezeigt – nicht aus dem bloßen Vorliegen von 50 Registereintragungen, sondern nur aus dem Nachweis von 50 wirksamen Anmeldungen.283 Wie oben dargelegt wurde, umfasst die Wirksamkeit gerade auch die Abhängigkeit der angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von den Feststellungszielen.284 Sinnvollerweise sollte unterschieden werden, inwieweit das Gericht die Wirksamkeit der Anmeldung aus den getätigten Angaben heraus untersucht und inwieweit es die inhaltliche Richtigkeit der getätigten Angaben selbst (weitergehend) überprüft. Differenzierend wird daher vielfach angenommen, dass das Gericht die Voraussetzungen für eine wirksame Anmeldung, also die Voraussetzungen des § 608 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 ZPO überprüft. Hierbei werde aber die inhaltliche Richtigkeit der Angaben, wegen § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO weder vom Gericht noch vom BfJ geprüft.285 Dem kann im Ausgangspunkt zugestimmt werden. Wobei zunächst anzumerken ist, dass die gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit von 280 Zusammenfassend zu dieser Ansicht: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606 Rn. 81 f.; in diese Richtung wohl auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 25; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 25. 281 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 81. Für einen reduzierten Prüfungsumfang infolge des § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO wohl auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 24. Siehe auch: Scholl, ZfPW 2019, 317 (340 f.), allerdings mit Einschränkungen, so will er u. a. Ansprüche, die keine Konnexität aufweisen, ausscheiden. 282 In diese Richtung: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 4. So auch Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 11, aber i. E. ablehnend zur Prüfung. 283 Vgl. hierzu die obigen Ausführungen und: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 36. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 16 f., der zwischen der wirksamen Anmeldung und ihren Wirkungen und der nicht konstitutiven Eintragung unterscheidet, Folgerungen für das Verfahren selbst werden keine gezogen. 284 So auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17. 285 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18; ebenda, § 608, Rn. 3. Zustimmend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 25, da die Systematik dafürspreche, dies erst im Folgeverfahren zu klären. Anmeldungen die offensichtlich von Nichtverbrauchern stammen, Doppel- und Scheinanmeldungen und Anmeldungen, die nicht ernst gemeint sind, sollen aber ausgeschlossen werden.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Amts wegen erfolgt.286 Der Ausschluss der inhaltlichen, nicht aber der formalen Prüfung durch § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO richtet sich nicht an das Gericht, sondern nur an die eintragende Behörde.287 Sie betrifft somit das BfJ und überdies das Verfahren der Eintragung, nicht aber die gerichtliche Zulässigkeitsprüfung. Eine Beschränkung der Überprüfung durch das Gericht ist nicht normiert. Dies widerspräche auch dem Zweck der Regelung des § 609 Abs. 5 ZPO.288 Nach dessen S. 1 hat das BfJ alle erfassten Daten zu den im Register bis zum Zeitpunkt des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO eingetragenen Personen289 an das Gericht, auf dessen Aufforderung hin, zu übermitteln. Die Regelung stellt überdies, unter Verweis auf die Anmeldefrist, einen ausdrücklichen Bezug zur Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO her.290 Für eine Berücksichtigung der Konnexität spricht außerdem, dass § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ausdrücklich von „wirksamen“ Anmeldungen spricht. Wenn der Gesetzgeber also eine Prüfung nicht für erforderlich halten würde, hätte es genügt, sich auf das bloße Faktum einer Anmeldung, unter Ausklammerung der Wirksamkeit, zu beschränken.291 Mithin wäre es unbeachtlich und damit letztlich überflüssig, dass das Gesetz in § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO mit den Formulierungen „Verbraucher“ und „wirksam angemeldet“ gerade wertungsbedürftige Tatbestandsmerkmale verwendet. Die Verbrauchereigenschaft im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO ist, ebenso wie die für die wirksame Anmeldung erforderliche Abhängigkeit (§ 608 Abs. 1 ZPO), nur im Wege einer juristischen Prüfung zu ermitteln. Das Gericht überprüft daher, anhand der Informationen aus dem Registerauszug, ob innerhalb von zwei Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung 286 Siehe nur: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 27; Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 42; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 55. 287 Zu dessen Prüfungsumfang: Scholl, ZfPW 2019, 317 (341 f.). Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926) folgert gerade daraus eine gerichtliche Überprüfung. 288 Die Regelung des § 609 Abs. 5 ZPO soll das Gericht in die Lage versetzen, die Voraussetzungen des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO prüfen zu können, vgl. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 609, Rn. 17; BT-Drs. 19/2507, S. 25. Rathmann, in: Hk-ZPO, § 609, Rn. 3; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 609, Rn. 5, der darauf hinweist, dass die Übermittlung der Überschrift an die Parteien nach § 609 Abs. 5 S. 2 ZPO deren rechtliches Gehör sicherstellen soll. Diese Normierung wäre wenig sinnvoll, wenn es, wie Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 81 meint, zutreffend wäre, dass der Beklagte mit Einwendungen nicht gehört wird. Den Parteien steht nach § 609 Abs. 6 ein eigenes Einsichtsrecht zu. Mit der zeitlichen Beschränkung in § 609 Abs. 5 ZPO ist keine Einschränkung der Auskunftsmöglichkeiten verbunden: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 29. Die Regelung findet sich perspektivisch in § 48 Abs. 2, 4 VDuG-E. Siehe zur gleichbleibenden Intention der Regelung: VRUG-E, S. 118. 289 Die Norm spricht nicht von „Verbrauchern“, sondern von „Personen“, das Gesetz scheint also selbst davon auszugehen, dass unter den Anmeldern auch Nichtverbraucher sein könnten. 290 Vgl. Rathmann, in: Hk-ZPO, § 609, Rn. 3; siehe auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 212. 291 Vgl. Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
mindestens 50 fristgerechte Anmeldungen292 getätigt worden sind.293 Die Anmeldungen müssen die Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO umfassen und von Verbrauchern getätigt worden sein, welche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage abhängig sind, angemeldet haben (§ 608 Abs. 1 ZPO).294 Die Verbrauchereigenschaft sowie die Abhängigkeit werden dabei auf der Grundlage der nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO getätigten Angaben geprüft.295 Sofern sich bereits aus diesen Angaben die fehlende Verbrauchereigenschaft (beispielsweise bei Eintragung einer juristischen Person) oder die fehlende Abhängigkeit aufgrund der Angaben zum Lebenssachverhalt nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO ergibt, werden diese Anmeldungen ausgenommen.296 Auszuscheiden sind auch Doppeleintragungen, Eintragungen offensichtlich nicht existenter Personen oder Eintragungen, die nicht ernst gemeint sind.297 Aufgrund des begrenzten Umfangs an Informationen aus dem Registerauszug und den faktischen Grenzen eines umfangreichen Massenverfahrens sind jedoch grundsätzlich keine weitergehenden Ermittlungen seitens des Gerichts vorzunehmen. Das Tatsachenmaterial für die inhaltliche Überprüfung beschränkt sich auf die abgegebenen Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO,298 es erfolgt also nur insoweit eine inhaltliche Richtigkeitsüberprüfung, als sich bereits aus den Angaben selbst die Unrichtigkeit ergibt.299 Weitergehende gerichtliche Ermittlungen 292 Auch hier zeigt sich, dass der bloßen Eintragung wenig Bedeutung beigemessen wird. Entscheidend ist nicht die fristgerechte Eintragung, sondern der fristgerechte Eingang der Anmeldung, BT-Drs. 19/2507, S. 25. 293 Exemplarisch: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 76. Siehe auch: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926). 294 Vgl. OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 19794, Rn. 72, 76 zur Prüfung und der Feststellung des Beruhens der Ansprüche/Rechtsverhältnisse anhand der individualisierenden Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO. Zur Prüfung der Abhängigkeit auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 3. 295 Vgl. die Anforderungen des OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/ 19, BeckRS 19794, Rn. 72, nach welchem die Angaben laut § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO das Beruhen des Anspruchs/Rechtsverhältnisses auf dem Verfahrensgegenstand fordert. 296 Zutreffend daher: Lutz in BeckOKZPO § 606, Rn. 55. Siehe auch: Scholl, ZfPW 2019, 317 (340 f.). Siehe zur gerichtlichen Vorgehensweise in der Praxis und den Schwierigkeiten der Verbraucher exemplarisch: Rotter, VuR 2019, 283 (292 f.) m.w. N. 297 Lutz in BeckOKZPO, § 606, Rn. 55; zustimmend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 25. 298 Lutz in BeckOKZPO, § 606, Rn. 55, also auf die nach § 609 Abs. 5 ZPO mitgeteilten Daten: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 14. Für einen Ausschluss der Richtigkeitsprüfung wegen § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18. 299 Für den Beklagten sind diese reduzierten Anforderungen nachteilig. Insbesondere die Bindungswirkung bleibt bis zum Folgeverfahren ungeklärt, vgl. Balke/Liebscher/ Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1326). Durch missbräuchliche Anmeldungen könnte § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO unterlaufen werden, vgl. ebenda (1326). Dies wird aber vom Gesetzgeber hingenommen, in diese Richtung auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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können jedoch dann geboten sein, wenn begründete und nicht gänzlich unerhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im Register bestehen.300 Ein Anlass für die Annahme, dass die Parteien gegen das Vorliegen der Voraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO keine Einwendungen erheben dürfen, ergibt sich aus dem Gesetz nicht.301 Eine solche Einschränkung würde offensichtlich der Verhandlungsmaxime widersprechen. Die hier skizzierte Linie gerichtlicher Überprüfung steht weitestgehend im Einklang mit der amtswegigen Prüfung der Prozessvoraussetzungen außerhalb der §§ 606 ff. ZPO. Die amtswegige Prüfung erfordert gerade keine gerichtliche Inquisition. Eine gerichtliche Prüfungspflicht entsteht daher erst dann, wenn das Gesetz hierzu ausdrückliche Bestimmungen trifft, das Gericht selbst an der Erfüllung der Sachentscheidungsvoraussetzungen zweifelt oder eine Partei Entsprechendes vorträgt.302 Danach ist grundsätzlich vom Vorliegen der Prozessvoraussetzungen auszugehen, sofern sich nicht aus dem Parteivortrag (hier zudem aus dem Registereintrag) Anhaltspunkte ergeben, die auf ein Fehlen schließen lassen.303 Überprüft werden allerdings nicht alle Eintragungen im Klageregister, sondern nur inwiefern die Anzahl von 50 wirksamen Anmeldungen erreicht wurde.304 Außerdem wird die gerichtliche Überprüfung für die Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der Wirksamkeit erfolgter Anmeldungen durch die zeitliche Fixierung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO eingeschränkt. Üblicherweise wäre die Prozessführungsbefugnis von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen.305 Die Norm bezieht sich jedoch nur auf die zum Stichtag des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO Angemeldeten.306 Deren Anmeldungen müssen überprüft werden, um festzustellen, ob das Quorum erfüllt wurde. Weitere, zeitlich nachfolgende Eintragungen sind hiervon ausgenommen. Insofern weicht die Regelung im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis, welche sonst in jeder Verfahrenslage von Amts 300 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 55 „ernsthaften Zweifeln“. Gegen eine Überprüfung der Richtigkeit: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18. 301 Vgl. auch OLG München, Urteil vom 15.10.2019, Az. MK 1/19, WuM 2019, 624 (628 f.) zur Stellungnahmemöglichkeit der Parteien. Siehe auch: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 49; OLG Dresden, Urteil vom 31.03.2021, Az. 5 MK 2/20, BeckRS 2021, 6404, Rn. 27; identisch: OLG Dresden, Urteil vom 31.03.2021, Az. 5 MK 3/20, BeckRS 2020, 9159, Rn. 25. Außerdem OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 19794, Rn. 74. Zur fehlenden Individualisierung auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5. 302 Siehe nur: Balzer, NJW 1992, 2721 (2722) m.w. N. 303 Siehe nur: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 56, Rn. 2 f.; Jacoby, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 56, Rn. 5. 304 OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 19794, Rn. 76: Keine Aussage über die anderen Anmeldungen. 305 Siehe nur: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46, Rn. 48. Siehe auch: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 56, Rn. 5. 306 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 82; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 54.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
wegen zu prüfen ist,307 von der üblichen Vorgehensweise bei der Prüfung einer Prozessvoraussetzung ab. Die Frage, ob es zu einer Musterfeststellungsklage ohne existierende Anmeldung kommen kann, wird daher noch zu klären sein.308 c) Zwischenergebnis Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass ein Zusammenhang zwischen dem Anmeldeverfahren und der Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage besteht, da das Gericht die Wirksamkeit der Anmeldung, insbesondere auch die Verbrauchereigenschaft und die Konnexität zumindest teilweise im Rahmen des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO überprüft. Es darf aber nicht übersehen werden, dass nur ein Teil der Anmeldung auf diese Weise überprüft wird, nämlich nur diejenigen, die zur Erreichung des Quorums erforderlich sind.309 Inwiefern die Anmeldung tatsächlich wirksam erfolgt ist, wird erst im Folgeverfahren geklärt werden können und geht dort gegebenenfalls zulasten der Anmelder.310 3. Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis bei der Musterfeststellungsklage Um an dieser Stelle nach der Erörterung des Anmeldeverfahrens und der Bedeutung einer wirksamen Anmeldung den Bogen zur Prozessführungsbefugnis zu spannen, soll nachfolgend untersucht werden, ob die Prozessführungsbefugnis im Zusammenspiel der Regelungen der §§ 606 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 Nr. 3 und § 608 ZPO eine Normierung gefunden hat. Genau genommen kann es hierbei aber nur um die Frage gehen, worauf sich die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung gründet. Dass diese nicht unmittelbar aus den Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen der Anmelder folgen kann, ergibt sich schon daraus, dass diese im Musterfeststellungsverfahren nicht rechtshängig werden,311 womit bereits eine wesentliche Abweichung der Musterfeststellungsklage vom tradierten Zivilprozess benannt wäre. a) Erlangung der Prozessführungsbefugnis durch die Eigenschaft einer qualifizierten Einrichtung Dass der Gesetzgeber die Sachentscheidungsvoraussetzung der Prozessführungsbefugnis für die Musterfeststellungsklage nicht aufgeben wollte, ergibt sich bereits aus der Erwähnung der Klagebefugnis in den Gesetzgebungsmateria307
Siehe nur: Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (122) m.w. N. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) bb). 309 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 3. 310 Siehe nur: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 76 f.; OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 48. 311 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89; siehe auch zur Ausrichtung des Streitgegenstands: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 63 f. 308
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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lien.312 Denn anstelle des Begriffes der Prozessführungsbefugnis kann auch der Begriff der Klagebefugnis, insbesondere wenn eine Bezugnahme auf den Kläger erfolgen soll, synonym verwendet werden, auch wenn der Begriff tendenziell im Verwaltungsprozessrecht anzusiedeln ist.313 Aus der verwendeten Begrifflichkeit selbst können somit aber auch keine Rückschlüsse auf das inhaltliche Verständnis im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO gezogen werden. Die Gesetzgebungsmaterialien äußern sich zur Klagebefugnis (Prozessführungsbefugnis) dahingehend, dass sie den qualifizierten Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG zustehe („stehe . . . zu“),314 sofern sie die weiteren Anforderungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erfüllen. Daraus könnte abgeleitet werden, dass § 606 Abs. 1 S. 1 i.V. m. S. 2 ZPO die Prozessführungsbefugnis abschließend regelt. Zweifellos ergibt sich daraus, dass die Prozessführungsbefugnis auf der Klägerseite ausschließlich bei einer qualifizierten Einrichtung liegen kann. Daraus folgt aber nicht reflexartig, dass sie auch tatsächlich immer bei ihr vorhanden ist. Im Hinblick auf das Verständnis der Prozessführungsbefugnis, als das Recht als richtige Partei im eigenen Namen über ein (behauptetes) eigenes oder fremdes Recht einen Prozess zu führen315 erschiene dies etwas verkürzt. Denn die Regelung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO schafft keine Verbindung zum materiellen Recht, dem Kläger fehlt jede Betroffenheit hinsichtlich des Streitgegenstands.316 Die Prozessführungsbefugnis kennzeichnet eine Beziehung der Partei zum Verfahrensgegenstand.317 Die Eigenschaften des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO adressieren allerdings die Konstitution des Klägers. Jedoch ist die Prozessführungsbefugnis gerade keine Eigenschaft, die in der Partei ihren Ausdruck findet.318 Aus der Regelung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO kann sich danach lediglich 312 BT-Drs. 19/2507, S. 15, 21, 22. Siehe allgemein zur Bedeutung der Prozessführungsbefugnis als Sachurteilsvoraussetzung: Schneider, ZZP 77 (1964), 278 (278 ff., insb. 286 f.). Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 88 sieht in § 606 Abs. 1 ZPO hingegen eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Prozessführungsbefugnis. 313 Siehe nur: Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, Rn. 244. 314 BT-Drs. 19/2507, S. 21. Eintragung als Voraussetzung der Prozessführungsbefugnis: OLG München, Urteil vom 15.10.2019, Az. MK 1/19, WuM 2019, 624 (628). 315 Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 16; Schellhammer, in: Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1202; Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (467) m.w. N. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. I. 316 Vgl. dazu: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 143 zur Verbandsklage und der Klagebefugnis. 317 Schulze, in: Wieczorek/Schütze, Vorauflage, ZPO, Vor § 50, Rn. 29: „bezieht sich auf das Klagerecht“; in diese Richtung auch: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 11, 13 f.; Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 44; Berg, JuS 1966, 461 (461 f.). 318 Vgl. Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46, Rn. 2: Partei- und Prozessfähigkeit betreffen demgegenüber die Eigenschaften der Partei. Siehe auch: Schulze, in: Wieczorek/Schütze, Vorauflage, ZPO, Vor § 50, Rn. 29; weniger deutlich jetzt: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 50, Rn. 13; siehe aber auch: ebenda, Vor § 50, Rn. 12.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
ergeben, wer zur Prozessführung befugt sein kann. Worauf sich diese Prozessführungsbefugnis dogmatisch gründet, genauer gesagt, woraus sie sich ableitet, ist damit aber noch nicht gesagt. Da die qualifizierte Einrichtung keinen eigenen Anspruch geltend macht,319 liegt ein Fall der Fremdprozessführungsbefugnis vor, welche einer besonderen Begründung bedarf.320 Anders als bei den bislang bekannten Formen der Verbandsklage sind die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Betroffenen für den Prozess der qualifizierten Einrichtung nicht irrelevant,321 da das Verfahren durch die Bindungswirkung und die Konnexität gerade im Hinblick auf deren Rechte Wirkungen entfalten soll.322 Wenn aber ein Fall der Fremdprozessführung vorliegt, dann stellt sich die Frage, um welche fremden Rechte es sich handelt. Andernfalls läge ein rein abstraktes Kontrollverfahren vor,323 was mit der Musterfeststellungsklage indes gerade nicht angestrebt wird.324 Die Regelung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO stellt Anforderungen an den Kläger, sie schafft aber keine Beziehung zum materiellen Recht bzw. dem Prozessgegenstand. Die Anforderungen an den Kläger betreffen somit dessen Berechtigung eine Musterfeststellungsklage zu erheben, sie können aber nicht dessen Befugnis über die Anmelderrechte zu prozessieren, begründen. § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO betrifft somit den Status als qualifizierte Einrichtung. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass dem Kläger die Prozessführungsbefugnis zustehen kann.325 Sie kann diese aber nicht selbstständig begründen. Der Status selbst kann auch außerhalb der Klage und ohne Bezug zu einem materiellen Recht bestehen und auch wäh319 So auch: Stadler, in Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4; siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c), dort insb. bb). Dieser Fall wäre im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis unproblematisch, vgl. Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 33. 320 Denn in dieser Konstellation geht es nicht um die Durchsetzung eigener Rechte im eigenen Namen. In diese Richtung: Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 33; Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (468); Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 14, 17: Für die Fälle der Prozessstandschaft bedarf es somit eines Grundes zur Innehabung der Prozessführungsbefugnis. Zum Begriff der Fremdprozessführung: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (9). 321 Vgl. Urbanczyk, Verbandsklage, S. 141. 322 Vgl. Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 7. Zur Konnexität bei § 613 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 6. 323 Vgl. Häsemeyer, Verbandsklage als Instrument öffentlicher Kontrolle, in: Festschrift Spellenberg, S. 99 (103), ein Instrument, das auf konkrete Ereignisse gerichtet ist, kann nicht mit einer Normenkontrollklage verglichen werden. Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (18, 24): § 13 AGBG als abstraktes Normenkontrollverfahren. 324 Vgl. Jansen/Birtel, Kollektiver Rechtsschutz und Musterfeststellungsklage, in: Festschrift Graf-Schlicker, S. 63 (69). 325 Vgl. hierzu: Häsemeyer, Verbandsklage als Instrument öffentlicher Kontrolle, in: Festschrift Spellenberg, S. 99 (106 f.), welcher die Voraussetzungen an Verbände im Rahmen des UKlaG/UWG als besondere Rechts- und Parteifähigkeit begreift. Ablehnend dazu: Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.10.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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rend des Musterfeststellungsverfahrens entfallen, ohne dass dies einen Bezug zum materiellen Recht voraussetzt.326 Insofern besteht auch kein Widerspruch zum Postulat der Gesetzesbegründung, wonach die Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtung zusteht,327 da dies der subjektiven Zuordnung im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nicht entgegensteht. Die Folgefrage ist dann nur, welche weiteren Voraussetzungen die Prozessführungsbefugnis begründen. Aus § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO folgt lediglich, wem die Prozessführungsbefugnis auf der Aktivseite zustehen kann. b) Ermächtigung zur Prozessführung durch die Anmeldung Entsprechend bedarf es nun einer Klärung der Frage, worauf sich die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung bei der Musterfeststellungsklage gründet. aa) Verbindung des Verfahrens mit den materiellen Rechten durch die wirksame Anmeldung Da die qualifizierte Einrichtung keinen eigenen materiellen Anspruch geltend macht328 und ein rein abstraktes Kontrollverfahren unter Berücksichtigung der individuellen Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht angenommen werden kann,329 muss die Herleitung der Prozessführungsbefugnis untersucht werden. Gegenstand des Verfahrens sind zwar nicht die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder,330 jedoch wird durch die Konnexität der Feststellungsziele, als dem Verfahrensgegenstand, eine Verbindung zu diesen geschaffen.331 Würde die Konnexität nicht gefordert, könnten die Feststellungsziele ohne Bezug zu den angemeldeten Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen stehen.332 Durch die Konnexität ist aber sichergestellt, dass der Prozess mit den zugrunde liegenden 326 Vgl. hierzu: Häsemeyer, Verbandsklage als Instrument öffentlicher Kontrolle, in: Festschrift Spellenberg, S. 99 (106). Auch im Rahmen des § 606 ZPO müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen bis zum Abschluss des Verfahrens vorliegen: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 84. 327 BT-Drs. 19/2507, S. 21. Ebenda, S. 22 spricht außerdem von „besonderen Voraussetzungen der Klagebefugnis“, was die hiesige Sichtweise bestätigen dürfte. 328 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c), dort insb. bb). 329 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 2. b) und 3. c) bb) (3). 330 Diese sind schließlich nicht rechtshängig, siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89. 331 Vgl. zur Relevanz der Konnexität: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 22 f.; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 52; zur Bindungswirkung bei Konnexität: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 51. Dass die Konnexität im Rahmen des Folgeverfahrens eventuell verneint wird, steht dem nicht entgegen. Es geht im Rahmen der Zulässigkeit nur um ein behauptetes Recht und die (behauptete) Beteiligung an diesem, vgl. Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 103 f. 332 Für eine Abweisung als unzulässig in diesem Fall: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 68 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 23 m.w. N. Vgl. auch Jansen/ Birtel, Kollektiver Rechtsschutz und Musterfeststellungsklage, in: Festschrift GrafSchlicker, S. 63 (69).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Rechten verbunden ist. Genau auf diese Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der Verbraucher bezieht sich somit das Musterfeststellungsverfahren. Dies erkennt auch der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung an, wenn es heißt „die einer Musterfeststellungsklage zugrunde liegenden Individualansprüche“.333 Somit kann mit Blick auf die Wirkungen der Anmeldung eine Parallelität zur Prozessführungsbefugnis festgestellt werden, da sich aus dieser ergibt, wer befugt ist, das Recht geltend zu machen.334 Für die Schnittstelle zum materiellen Recht, welche die Prozessführungsbefugnis einnimmt, spielt daher die wirksame Anmeldung nach § 608 Abs. 1, 2 ZPO eine wesentliche Rolle. Denn Anspruchsinhaber im Hinblick auf die Individualansprüche, um deren erleichterte Durchsetzung es der Musterfeststellungsklage geht, sind die Verbraucher, bei denen somit grundsätzlich die Eigenprozessführungsbefugnis gegeben ist.335 Ihnen gegenüber entfaltet das Verfahren im Falle einer wirksamen Anmeldung Rechtswirkungen.336 Die Anmeldung erfüllt hier die sonst der Prozessführungsbefugnis zugeschriebene Funktion337 eine Einmischung Dritter zu verhindern. Nur im Falle der Anmeldung wird das Musterfeststellungsverfahren mit Wirkung für die angemeldeten Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse betrieben, und wird damit in den Grenzen der Klageart, welche nur eine Geltendmachung einzelner Feststellungsziele erlaubt, ein fremdes Recht durch die qualifizierte Einrichtung geltend gemacht. Die Anmeldung erlaubt es daher der qualifizierten Einrichtung, eine gebündelte Rechtsverfolgung für die Verbraucher anzustreben.338 Deren Wirkungen sind insoweit mit einer Ermächtigung zur gewillkürten Prozessstandschaft vergleichbar.339 Dass die Ermächtigung hier der Klageerhebung erst zeitlich nachfolgt, ist unproblematisch, da eine Genehmigung auch für die gewillkürte Prozessstandschaft schon bislang anerkannt war.340 Dementsprechend kann auch aus der zunächst selbstständigen Klageerhebung durch die qualifizierte Einrichtung kein
333 So wörtlich: BT-Drs. 19/2507, S. 16. Ohne diese Abhängigkeit wäre die Musterfeststellungsklage ein reines Kontrollverfahren, was aber nicht ihrem Zweck entspräche. 334 Vgl. zur Prozessführungsbefugnis: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 15 m.w. N. 335 Deren Eigenprozessführungsbefugnis würde sich bereits aus der Behauptung einer Beteiligung am strittigen materiellen Rechtsverhältnis ergeben. Vgl. Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 103. 336 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) aa) (2) und bb). 337 Vgl. nur: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 44, die Prozessführungsbefugnis ist somit ein „Instrument zur Regulierung, wer über ein Recht Prozess führen kann“. 338 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 339 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) bb). Siehe zur Ermächtigung bei der gewillkürten Prozessstandschaft: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 56. 340 Siehe nur: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 58. Dies übersieht Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11), der der Anmeldung u. a. deshalb die Einordnung als Prozessermächtigung versagt.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Rückschluss auf eine eigenständige – insbesondere eine von den Anmeldern unabhängige – Ermächtigung gezogen werden. Schließlich genügt die Klageerhebung bzw. die grundsätzliche Berechtigung der qualifizierten Einrichtung hierzu für die Zulässigkeit noch nicht. Andernfalls, also ohne wirksame Anmeldungen, kann der Kläger daher nicht die Geltendmachung (behaupteter) fremder Rechte für sich beanspruchen.341 Das Verfahren entfaltet dann weder Wirkungen für die betroffenen Verbraucher,342 noch kann – bei Verfehlung des Quorums nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO – die qualifizierte Einrichtung einen Prozess führen.343 Nur eine wirksame Anmeldung führt folglich dazu, dass die qualifizierte Einrichtung für die Rechtsinhaber und deren von den Feststellungszielen abhängige Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse einen Prozess führen darf.344 Aus der Anmeldung der Ansprüche und Rechtsverhältnisse leitet sich somit die Prozessführungsbefugnis im Rahmen der Musterfeststellungsklage ab.345 Die Klärung vorgreiflicher Feststellungsziele im Rahmen der Musterfeststellungsklage ist im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis ein Ausschnitt aus der gesamten Prozessführungsbefugnis, die, im Vorfeld der Anmeldung, umfassend beim Anmelder liegt.346 Durch die Anmeldung des Anspruchs oder Rechtsverhältnisses als Ganzes nach § 608 Abs. 1 ZPO347 wird aber die Befugnis der qualifizierten Einrichtung begründet, über diese, im Wege der Klärung abhängiger Feststellungsziele, einen Prozess zu führen. Problematisch an dem begrenzten Verfahrensgegenstand könnte jedoch sein, dass die qualifizierte Einrichtung nur berechtigt ist, Feststellungsziele geltend zu machen. Sie kann nicht die Ansprü341 Siehe zu dieser Definition die Ausführungen unter Kap. 2 C. I. Siehe auch: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 28. Nach Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 105 m.w. N. handele es sich hierbei um abgeleitete Befugnisse. Zutreffender dürfte die Annahme einer originären Befugnis sein, vgl. dazu: Klinck, WM 2006, 417 (418) m.w. N.; Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (500). Von einer abgeleiteten, in Abhängigkeit zur Berechtigung des Rechtsinhabers stehenden Befugnis geht Markoulakis, Betroffenheit Dritter von der Rechtskraft, S. 68 f. aus, allg. zur Kritik an der Ansicht Bergers: ebenda, S. 68 ff. 342 Siehe nur: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 606, Rn. 7, 9. 343 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 16; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 4. 344 Die Anmeldung stellt die Beziehung der qualifizierten Einrichtung zu den in Streit stehenden Ansprüchen und Rechtsverhältnissen her. Vgl. zu dieser Aufgabe der Prozessführungsbefugnis: Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 14; Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 108. 345 Vgl. zu diesem Gedanken: Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 104. Konstruktiv kann eine eigene Prozessführungsbefugnis des Prozessstandschafters oder eine abgeleitete Befugnis angenommen werden. 346 Vgl. Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 128, Dessen Ausführungen zumindest insoweit übertragen werden können, als die Situation bei der Musterfeststellungsklage vergleichbar mit einer Klage über präjudizielle Rechtsverhältnisse für den Folgeprozess ist, welche er als eine „Teilmenge der Prozeßführungsbefugnis über das abhängige Rechtsverhältnis“ begreift (ebenda, S. 128). 347 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 9 f.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
che oder Rechtsverhältnisse in Gänze einer gerichtlichen Klärung zuführen.348 Hierzu fehlt ihr bei einer Musterfeststellungsklage die Befugnis. Für die Zwecke der Prozessführungsbefugnis kann dies aber dahingestellt bleiben,349 weil es sich hierbei um eine Auswirkung der Klageart handelt.350 Hinsichtlich der Prozessführungsbefugnis wirkt sich dies nur insofern aus, als deren Ausübung durch die Verfahrensart immanenten Beschränkungen unterliegt. Für die Prozessführungsbefugnis relevant ist hingegen, dass nach § 608 Abs. 1 ZPO der Anspruch oder das Rechtsverhältnis als Ganzes anzumelden ist.351 Der Anmeldung liegt damit der gesamte Anspruch bzw. das gesamte Rechtsverhältnis zugrunde. Dadurch ist der Kläger befugt über die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse in Gänze durch die Geltendmachung von Feststellungszielen zu prozessieren. Für die Prozessführungsbefugnis ist durch die vollständige Anspruchs- bzw. Rechtsverhältnisanmeldung anstelle einer bloß punktuellen Genehmigung aber belegt, dass sich die Prozessführungsbefugnis des Klägers auf diese umfassend bezieht.352 Eine abweichende Bewertung ist auch nicht dadurch angezeigt, dass die Anmelder selbst keine entsprechende Klage erheben könnten. Hierbei handelt es sich um eine prozessuale Beschränkung, wie sie speziell in § 256 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommt.353 Dies lässt aber weder Rückschlüsse auf die materielle Befugnis der Anmelder zu noch belegt dies eine gegenüber den Anmeldern weitergehende rechtliche Befugnis der qualifizierten Einrichtung. Zwar erfolgt bei der Musterfeststellungsklage keine Prüfung dahingehend, ob der einzelne Anmelder auch tatsächlich Rechtsinhaber ist,354 es kann also zu ei348 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 9; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 32, 38. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 8. 349 Anders wohl: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 217. Vgl. zur Unzulässigkeit einer Beschränkung der Prozessführungsbefugnis bei der gewillkürten Prozessstandschaft: Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (500). Eine Beschränkung der Prozessführungsbefugnis wäre der ZPO auch bislang nicht fremd. Der Nebenintervenient, der seine Prozessführungsbefugnis von der Hauptpartei ableitet, ist in seinen Prozesshandlungen und der Disposition über den Streitgegenstand ebenfalls beschränkt, dazu: Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 111 f. m.w. N. Vgl. auch Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, § 67, Rn. 1. 350 Musterfeststellungsklage als neue Klageart, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 15. 351 Vgl. zur Anmeldung: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 9 f. Der Begriff des Anspruchs bestimmt sich nach § 194 Abs. 1 BGB, derjenige des Rechtsverhältnisses ist gleichbedeutend mit § 256 ZPO. Siehe Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 9. Von einem prozessualen Anspruchsbegriff geht wohl Berger, ZZP 133 (2020), 3 (27) aus. 352 Die vollständige Anmeldung des Anspruchs/Rechtsverhältnisses ist maßgeblich für die Klageänderung und -erweiterung, vgl. hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa). 353 Zu dessen Anwendungsbereich nur: Greger in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 2a. 354 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 18, aus §§ 606 Abs. 3 Nr. 3 i.V. m. 608 Abs. 2 ZPO folge, dass die Anmeldung nur im Rahmen der Zulässigkeit überprüft werden könne.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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nem Verfahren kommen, bei welchem die Anmelder, wegen einer unwirksamen Anmeldung, an den Rechtswirkungen des Urteils nicht partizipieren können.355 Für die Prozessführungsbefugnis ist dies jedoch unerheblich. Denn die Frage der tatsächlichen Rechtsinhaberschaft ist eine Frage der Sachlegitimation, die erst die Begründetheit betrifft.356 Im Rahmen der Prozessführungsbefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung genügt die Behauptung, dass ein Anspruch bzw. Rechtsverhältnis zugunsten der Anmelder bestehe,357 diese Behauptung kann aber in der Tätigung einer Anmeldung durch die Verbraucher erblickt werden, welche die qualifizierte Einrichtung mit dem Klagebegehren konkludent aufgreift. bb) Keine Musterfeststellungsklage ohne Anmelder Zweifelhaft könnte die Annahme einer Ableitung der Prozessführungsbefugnis aus den Anmeldungen jedoch unter dem Gesichtspunkt eines Wegfalls des Anmelderquorums nach dem Stichtag des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO sein. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber eindeutig bestimmt, dass ein Absinken nach dem Zeitpunkt des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO für die Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzung unerheblich ist.358 Es könnte somit der Fall eines Absinkens der Anmelderzahl auf null eintreten. In einer solchen Situation könnte aber auch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Kläger über das Recht des Anmelders einen Prozess führt. Die Prozessführungsbefugnis würde damit entfallen, sodass es zur paradoxen Situation eines obsiegenden Urteils für den Verband, trotz Wegfalls einer Zulässigkeitsvoraussetzung kommen könnte. Dieser Überlegung ist jedoch zweierlei entgegenzuhalten. Zum einen hat der Gesetzgeber damit nur den Prüfungszeitpunkt der Zulässigkeitsvoraussetzung festgelegt. Daraus folgt noch nicht zwingend der Rückschluss auf eine Absage an die Prozessführungsbefugnis aus den Anmeldungen. Zum anderen sollen nach Sinn und Zweck des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO gerade Verfahren mit nur „individueller Bedeutung“ 359 verhindert werden. Nach dem Telos der Regelung wäre es daher aber nicht überzeugend, ein Verfahren ohne jede noch bestehende Anmel-
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Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 76 f. Siehe nur: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 27; zur Trennung von Prozessführungsbefugnis und Sachlegitimation: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46, Rn. 3. 357 Vgl. Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 14, 16; ausführlich: Schneider, ZZP 77 (1964), 278 (282 ff.); Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 103 f. 358 BT-Drs. 19/2507, S. 23; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 54; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 15; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 88; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 85. 359 So die Gesetzesbegründung wörtlich: BT-Drs. 19/2507, S. 23. Zukünftig: VRUG-E, S. 79. 356
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
dung zuzulassen. Dann wäre nicht einmal eine individuelle Bedeutung gegeben. Eine systematische Zusammenschau mit § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bestätigt diese Annahme. Danach muss glaubhaft gemacht werden, dass von den Feststellungszielen mindestens die Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse von zehn Verbrauchern abhängen,360 eine Anmeldung dieser Verbraucher ist zwar nicht notwendig.361 Es würde jedoch dem Regelungszweck des § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO, der die Breitenwirkung absichern soll, widersprechen, wenn es für möglich gehalten würde, ein Musterfeststellungsverfahren ohne eine einzige Anmeldung zu führen.362 Daher sollte ein Absinken unter zehn wirksame Anmeldungen dazu führen, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist. Dies ergibt sich zwar nicht aus der insoweit eindeutigen Stichtagsregelung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, aber aus der Wertung des § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.363 Es wäre letztlich widersprüchlich die Glaubhaftmachung von zehn betroffenen Verbrauchern bereits für die Bekanntmachung im Klageregister364 und für jedes Feststellungsziel365 zu fordern, jedoch gleichzeitig ein Verfahren, ohne jede Anmeldung zuzulassen.366 Dieser Gedanke scheint auch der Gesetzesbegründung zugrunde zu liegen. Im Zusammenhang mit der Annahmerücknahme in der Frist des § 608 Abs. 3 ZPO, also gerade nicht im Hinblick auf den Stichtag des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, geht diese nämlich davon aus, dass die Parteien und das Gericht einen Rückschluss auf das fortbestehende Interesse der Anmelder erhalten.367 So360 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 17; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 76 ff. Zur Schlüssigkeitsprüfung für die Feststellung der Vorgreiflichkeit im Rahmen der Zulässigkeit: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 51, die demnach eine besondere Form des Sachentscheidungsinteresses sei. Siehe auch die Stellungnahme des Bundesrates zur Abweisung von Feststellungszielen, die in keinem Zusammenhang mit den Ansprüchen/Rechtsverhältnissen stehen, BT-Drs. 19/2701, S. 3, Nr. 4. Bereits für § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO muss die mögliche Aktivlegitimation von Verbrauchern dargelegt werden: OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.11.2018, Az. 4 MK 1/18, VuR 2019, 106 (107). Siehe auch: BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1983 f.). 361 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 15; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 80. 362 Aus diesem Grunde ablehnend: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 22 m.w. N. 363 Die Voraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muss für jedes Feststellungsziel gesondert vorliegen, vgl. BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1983 f.). Die Regelung belegt damit eine Breitenwirkung hinsichtlich des Streitgegenstandes. 364 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 607, Rn. 7. 365 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 76, 78. 366 So auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 193 f. Im Ergebnis zustimmend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 23: Wegfall des Rechtsschutzinteresses. 367 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24: „Zugleich gewinnen die Parteien der Musterfeststellungsklage und das Gericht einen Überblick über das fortbestehende Interesse der betroffenen angemeldeten Verbraucher.“
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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fern für die Anmeldungen nur die Stichtagsregelung relevant sein sollte, wäre diese Wendung irrelevant. Entsprechend wird in der Literatur als Folge des Rechtsschutzinteresses,368 welches nach dem Sinn des § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mindestens zehn bestehende Anmeldungen fordert, ein Verfahren ohne jede Anmeldung ausgeschlossen. Dem kann zugestimmt werden. Ein solches Verfahren würde keinerlei rechtliche Wirkungen entfalten, wodurch die Gerichte unnötigerweise in Anspruch genommen würden.369 Nach der hier skizzierten Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis fehlt nämlich bereits die Prozessführungsbefugnis, da der Kläger nicht behaupten könnte Ansprüche und Rechtsverhältnisse geltend zu machen. Somit begrenzt § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO zwar die gerichtliche Prüfung der Prozessführungsbefugnis, lässt aber nach seinem Telos kein rein abstraktes Verfahren zu. cc) § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO als Ausprägung der Prozessführungsbefugnis Aus dem Geschriebenen ergibt sich bereits die Relevanz des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO und speziell des Abs. 3 Nr. 3 für die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung. Teilweise wird zwar hervorgehoben, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 606 Abs. 3 ZPO über die bislang geltenden Prozessvoraussetzungen und Prozesshandlungsvoraussetzungen hinausgehen.370 Entsprechend den obigen Ausführungen ist die ausdrückliche Notwendigkeit von 50 wirksamen Anmeldungen zum Stichtag (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO)371 funktional gleichbedeutend mit der Prüfung der Prozessführungsbefugnis. Sie sichert ab, dass das Verfahren eine gewisse Breitenwirkung hat.372 Durch den Rekurs auf wirksame Anmeldungen und damit insbesondere auf solche Anmeldungen, die eine Abhängigkeit zwischen den Feststellungszielen und den Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen aufweisen, nimmt sie aber zugleich auch die Aufgabe der Prozessführungsbefugnis wahr. Diese stellt den Berührungspunkt zwischen dem materiellen Recht und dem Prozessrecht dar, wie er sich früher aus dem materiellen Parteibegriff zwangsläufig ergab, und entspricht funktional der Prozessführungsbefugnis unter Geltung des formellen Parteibegriffs.373
368 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 23. Siehe auch: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 37, wonach das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn das Verfahren keine Bindungswirkungen entfalten könne. Dies wäre bei vollständig fehlenden Anmeldungen nicht anders. 369 Zum Rechtsschutzbedürfnis: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 90, Rn. 32. 370 Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 41. 371 Siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 79, 82. 372 BT-Drs. 19/2507, S. 23. 373 Vgl. zur Prozessführungsbefugnis: Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (467).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
4. Zwischenergebnis Im Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass für die Prozessführungsbefugnis die Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 606 Abs. 1 S. 2 (also § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO zusammen vorliegen müssen.374 Die Befugnis, über fremde Rechte zu prozessieren, folgt aus den wirksamen Anmeldungen, die die Konnexität miteinschließt, personal ist die Prozessführungsbefugnis aber auf qualifizierte Einrichtungen beschränkt. Die Eigenschaft der qualifizierten Einrichtung ist somit eine besondere Voraussetzung für die Übertragung der Prozessführungsbefugnis.375 Erst mit der Anmeldung besteht ein Bezug des Verfahrens zum Rechtskreis der Betroffenen, diese Funktion stellt sicher, dass das Verfahren nur von demjenigen oder (sofern zugelassen) für denjenigen erhoben werden kann, der auch von der Klage betroffen ist und entspricht der Aufgabe der Prozessführungsbefugnis im Rahmen der prozessualen Sachentscheidungsvoraussetzungen.376
III. Bisheriger Meinungsstand zur Verbandsklage Die bislang zur Verbandsklage vertretenen Theorien377 im Hinblick auf ihre Rechtsnatur sollen im Nachfolgenden dargestellt und deren Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage untersucht werden. Diese Vorgehensweise bietet sich deshalb an, da die Musterfeststellungsklage die Prozessführungsbefugnis auf Verbände konzentriert, mithin eine Verbandsklage vorsieht.378 Der diffizile Meinungsstand zur Verbandsklage geht zurück auf den früheren indifferenten Wortlaut von §§ 13 Abs. 2 UWG und 13 Abs. 2 AGBG, die davon
374 Andeutungsweise zu einem Zusammenhang: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 30. 375 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 22: „besondere Voraussetzung der Klagebefugnis“. 376 Vgl. Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (15) zur Rolle der Prozessführungsbefugnis und dem Ausschluss der Popularklage. Zukünftig soll es nur noch der Glaubhaftmachung nach § 4 Abs. 1 VDuG-E bedürfen, womit der Anmeldung für die dogmatische Erfassung nur noch eine geringe Bedeutung zukommen dürfte, allerdings bedarf es anstatt dessen der Glaubhaftmachung eines Quorums samt gerichtlicher Überprüfung, ferner geht die Entwurfsbegründung von einer Geltendmachung der materiellen Verbraucheransprüche aus (VRUG-E, S. 68, 80), so dass eine Ableitung der Prozessführungsbefugnis aus diesen Ansprüchen/Rechtsverhältnissen weiterhin angenommen werden könnte. Entsprechend soll das Verbandsklageregister den Verbrauchern die Möglichkeit geben ihren Willen zur Repräsentation zu äußern (VRUG-E, S. 113, 115). 377 Eine anschauliche Darstellung findet sich bei: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 90 ff.; Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 272 ff.; Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (4 ff.). 378 Vgl. Jansen/Birtel, Kollektiver Rechtsschutz und Musterfeststellungsklage, in: Festschrift Graf-Schlicker, S. 63 (66): „besondere Form der Verbandsklage“.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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sprachen, dass die Ansprüche „geltend gemacht werden von“.379 Das Ziel der nachfolgenden Ausführungen wird jedoch keine erschöpfende Darstellung sein, die Erörterung erfolgt nur in dem Maße, wie sie erforderlich ist, um Rückschlüsse für die Einordnung der Musterfeststellungsklage zu ziehen. Daher wird auch eine Untersuchung des § 10 UWG nicht erfolgen, da dessen deliktsähnlicher Tatbestand mit bereicherungsähnlicher Rechtsfolge380 keine Parallelität zur Musterfeststellungsklage aufweist. Auch die teilweise vertretene381 Annahme einer Popularklage soll hier bereits vorweg ausgeschlossen werden. Schon die bisherigen Verbandsklagen konnten nicht als eine solche qualifiziert werden, da gerade kein quivis ex populo klagt, sondern nur ein begrenzter Kreis von Verbänden.382 Entscheidend wird es sein herauszuarbeiten, inwiefern die bislang hypothetisch zugrunde gelegte Annahme eines fehlenden Anspruchs der qualifizierten Einrichtung und einer fehlenden originären Zuordnung der im Verfahren durchgesetzten Interessen durch die Abgrenzung zu den bisherigen Verbandsklagen eine Bestätigung erfährt. 1. Prozessstandschaft der Verbände Eine gerade im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage interessierende Charakterisierung der Verbandsklagen dürfte jene als eine Form der Prozessstandschaft sein. a) Verbandsklagen als gewillkürte Prozessstandschaft In gewissen Konstellationen wurden Verbände als gewillkürte Prozessstandschafter anerkannt. Insbesondere zugunsten von Anwaltsvereinen hat die Rechtsprechung Klagen in gewillkürter Prozessstandschaft aus Rechten der Vereins379 Schaumburg, Verbandsklage, S. 34 m.w. N.; Hadding, JZ 1970, 305 (308) weist darauf hin, dass nicht der Anspruchsinhaber benannt werde, sondern nur, wer zur Geltendmachung befugt ist; siehe auch: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (65); Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (399). Die Verbandsklagendogmatik überlagerte sich zudem mit dem Problem der Rechtsnatur der Unterlassungsklage, vgl. zu dieser: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 117 ff.; Reinel, Verbandsklage, S. 99 ff. RG, Urteil vom 29.04.1930, Az. II ZS 355/29, RGZ 128, 330 (342) spricht für die Verbandsklagen von einer „besondere[n] Klageberechtigung“. 380 Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 111: Kein Anspruch sui generis, da kein eigener Schadensersatzanspruch besteht. Für einen Anspruch: Schaumburg, Verbandsklage, S. 38, aber unter Hinweis auf dogmatische Unstimmigkeiten. 381 Ausführlich: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 279 f. (m.w. N.), 290 f., 311. Siehe auch: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 119 m.w. N. zur früheren Rspr. des BGH zu § 13 UWG. 382 Siehe nur: Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 7; ablehnend: Hefermehl, WRP 1987, 281 (282); Hadding, JZ 1970, 305 (307 f.). Für Einordnung als Popularklage: Scholz, ZG 2003, 248 (250 f.). Koch, Prozeßführung, S. 275 „eingeschränkte Popularklage“.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
mitglieder zugelassen.383 Eine Ermächtigung durch die Mitglieder könne sich bereits aus dem Beitritt zu einem solchen entsprechend klageaktiven Verein ergeben. Das für die Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft erforderliche schutzwürdige Interesse ergebe sich aus der Geltendmachung gesetzlicher Vorschriften, welche die der entsprechenden Berufsgruppe gesetzlich zustehenden Aufgaben betreffen, sofern der Nachweis einer Rechtsverletzung für das einzelne Mitglied schwer zu führen ist.384 Diese Rechtsprechung wurde vielfach kritisch bewertet.385 Insbesondere, weil nicht verlangt wird, dass eine Person aus der Gruppe selbst erfolgreich ihren Schaden nachweisen könnte und damit klageweise obsiegen würde.386 Folge hiervon ist eine „Rechtsschutzerlangung durch Bündelung“.387 Damit werden Schwierigkeiten des Schadensnachweises durch prozessuale Bündelung überwunden, was wenig überzeugend erscheint.388 Unabhängig davon greift die skizzierte Rechtsprechung nur außerhalb des Bereichs der Verbandsklagen im UWG, UKlaG und GWB,389 bietet also keine unmittel383 Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 22 f., 26. Eine Prozessstandschaft zugunsten des unmittelbar Verletzten hat die Rechtsprechung aber (zu § 13 Abs. 2 UWG a. F.) ausdrücklich abgelehnt, da die Klagebefugnis von der Verletzung unabhängig sei, vgl. auch: BGH, Urteil vom 20.03.1956, Az. I ZR 162/55, NJW 1956, 911 (912), RG, Urteil vom 24.01.1928, Az. II 272/27, RGZ 120, 47 (49 f.); Zur Klage eines Brauereiverbandes: BGH, Urteil vom 05.10.1955, Az. IV ZR 302/54, JZ 1956, 154 (154). Zu Klagen in gewillkürter Prozessstandschaft durch Wettbewerbsverbände: Hinz, Wettbewerbsklagen von Verbänden, in: Festschrift Piper, S. 257 (261 ff.). 384 BGH, Urteil vom 09.05.1967, Az. I b ZR 59/65, NJW 1967, 1558 (1559); Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 35 f. 385 So merkt Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 3 f. – neben einer Kritik an der Ableitung einer Zustimmung aus der Satzung – an, dass eine Vielzahl von Ansprüchen geltend gemacht würde und jeder Anspruch geprüft werden müsste. Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 39 f. verweist auf den Zweck der Unterlassungsklage Schäden zu verhindern, bei zumindest einem tatsächlich Geschädigten bestünden keine Bedenken. 386 Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 42 ff. Diese „Vorverlegung des Interessenschutzes“ ist nur möglich, wenn eine genügende Personenanzahl aus der Gruppe eine Ermächtigung abgibt, ebenda, S. 83. 387 Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 42. Dies meint nicht eine gebündelte Anspruchsdurchsetzung, sondern die Überbrückung der Individualisierungsschwierigkeiten des Geschädigten durch Zusammenfassung der möglichen Betroffenen. Kritisch zum eigenen rechtlichen Interesse: Koch, Prozeßführung, S. 277. 388 Das eigene rechtliche Interesse des Verbandes wird aus der Schwierigkeit der einzelnen Mitglieder, ihre Betroffenheit bei Verletzung des Berufsrechts nachzuweisen, abgeleitet, vgl. hierzu die Kritik bei: Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 4 ff.; siehe auch: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 30. 389 Vgl. Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 2. Nach v. Gamm, WRP 1987, 290 (291) soll eine Klage in gewillkürter Prozessstandschaft aber von der Verbandsklage (§ 35 Abs. 3 GWB a. F.) nicht ausgeschlossen werden. Für § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG hat der BGH die gewillkürte Prozessstandschaft abgelehnt, vgl. BGH, Urteil vom 09.10.1997, Az. I ZR 122/95, GRUR 1998, 417 (418); Mees, WRP 1999, 62 (64); Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG § 8, Rn. 337; siehe zum Problemkreis auch: Hinz, Wettbewerbsklagen von Verbänden, in: Festschrift Piper, S. 257
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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bare Antwort auf die Frage nach der Rechtsnatur der Verbandsklage. Der Anspruchsbündelung, um die fehlende Nachweisbarkeit eines Individualschadens zu umgehen, bedarf es jedenfalls für die Musterfeststellungsklage nicht. Zwar findet auch hier eine Bündelung mittels der generalisierenden Feststellungsziele statt.390 Dies dient aber nicht der Überbrückung eines individuellen Schadensnachweises. Gerade aufgrund dieses Aspekts, dass die Musterfeststellungsklage die Anspruchsdurchsetzung und die Feststellung von Rechtsverhältnissen, die jeweils für sich bereits einen Anspruch/ein Rechtsverhältnis begründen können, ermöglichen soll, liegt der Gedanke einer gewillkürten Prozessstandschaft für diese aber letztlich näher als in der obigen Rechtsprechung. Da hier nicht erst die Bündelung zur Schaffung einer rechtsschutzfähigen Größe genutzt wird, sondern eine solche bereits besteht und durch einen Dritten teilweise geltend gemacht werden soll. b) Gesetzliche Prozessstandschaft Eine weitere Ansicht geht für die normierten Verbandsklagen vom Vorliegen einer gesetzlichen Prozessstandschaft aus.391 Inhaber des subjektiven Rechts und damit des materiellen Unterlassungsanspruchs seien Verbraucher, Gewerbetreibende oder Mitbewerber.392 Daneben hätten auch die Verbände ein Prozessführungsrecht. Da sie aber nicht selbst Anspruchsinhaber seien, liege hier ein Fall der Prozessstandschaft vor,393 deren Grundlage eine gesetzliche Ermächtigung sei.394 Gegen eine Prozessstandschaft wird eingewendet, dass diese nur dort in Betracht komme, wo das vom Gesetz geschützte Interesse einem anderen Rechtssubjekt als dem Kläger zugeordnet wird.395 Im Bereich des UWG ergäbe sich aber, dass alle Tatbestände, die im reinen Individualinteresse bestehen, die also einem anderen Rechtsträger zugeordnet werden können, von der Verbandsklage (263, 266 ff.) m.w. N.: Rechtsmissbrauch, wenn gewillkürte Prozessstandschaft die Umgehung der gesetzlichen Beschränkungen zur Folge hat. 390 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 391 So für § 3 Abs. 1 UKlaG und § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG: Schellhammer, in: Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 1209; Berg, JuS 1966, 461 (463). Siehe auch: Pawlowski, JuS 1990, 378 (378) m.w. N.; Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (9 f.) allerdings für ein Kollektiv. 392 Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 12 stellt fest, dass, wenn man die durch das UWG geschützten Interessen als individualrechtliche anerkennen würde, nur eine gesetzliche Prozessstandschaft in Betracht käme. 393 Habscheid, GRUR 1952, 221 (222); so auch: Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 85, 87; siehe auch: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 274 f.; ablehnend für § 33 GWB: Bornkamm/Tolkmitt, in: Langen/Bunte, Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 79. 394 Anders: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 282, der für das UWG darauf hinweist, dass es nicht auf die Verletzung des Anspruchsinhabers ankomme, sondern auf den Nachweis eines Gesetzesverstoßes. So auch: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 42. 395 Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 122.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
ausgenommen sind.396 Demnach komme eine gesetzliche Prozessstandschaft nicht in Betracht, weil mit der Verbandsklage keine Individualansprüche geltend gemacht werden.397 Die Verbandsklage schütze nicht die Individualinteressen,398 sondern den Rechtsverkehr als solchen, daher scheide eine Einordnung als Prozessstandschaft aus.399 Speziell diese Erkenntnis steht bei der Musterfeststellungsklage jedoch nicht entgegen, sodass bei dieser der Gedanke einer Prozessstandschaft als zielführender erscheint. Bei den bisherigen Verbandsklagen war die Einordnung als Prozessstandschaft durch das Schutzgut problembehaftet. Die Verfahren dienen vorwiegend dem Allgemeininteresse oder zumindest einem überindividuellen Interesse.400 Die Musterfeststellungsklage soll jedoch gerade die Durchsetzung von Individualansprüchen erleichtern.401 Dies deckt sich, wegen des Bezugs zu einem Individualrecht, deutlich besser mit der Annahme einer Prozessstandschaft. c) Prozessstandschaft für den Staat Daneben wird vertreten, es liege eine Prozessstandschaft zugunsten des Staates vor. Es gehe bei der Verbandsklage um die Durchsetzung objektiven Rechts, was kein Individual- oder Gruppeninteresse, sondern ein beim Staat anzusiedelndes Allgemeininteresse sei.402 Der materielle Anspruch liege entsprechend nicht bei den Verbänden, sondern stehe dem Staat zu und der Verband mache ihn als dessen Prozessstandschafter geltend.403 396 Hierzu: Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 12 f. Siehe auch: Berni, Verbandsklagen, S. 199 f. 397 Vgl. Hadding, JZ 1970, 305 (309), es müsste sich aus dem Vortrag ergeben, dass zumindest eine Person in ihrem subjektiven Recht verletzt sei; so wohl auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 46. Vgl. auch: Koch, Prozeßführung, S. 276. Auch Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66) weist darauf hin, dass für eine Prozessstandschaft die Geltendmachung eines fremden Rechts erforderlich wäre. Dazu auch: Henckel, AcP 174 (1974), 97 (137). Auch Halfmeier, Popularklagen, S. 270 f. weist darauf hin, dass eine Prozessstandschaft nicht in Betracht komme, da es nicht auf die Betroffenheit von Ansprüchen der Betroffenen ankomme. Vgl. dazu: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 276, 311. 398 Geschützt wird der Rechtsverkehr, sodass sich das Problem der Betroffenheit und der Zuordnung des Schutzgutes ergibt, vgl. Schmidt, ZIP 1991, 629 (632); siehe dazu: Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (181 f.), der die Rechtsprechung zur Bündelung bei der gewillkürten Prozessstandschaft übertragen möchte, aber einen sachlichen Grund für eine „Bevormundung des Rechtsinhabers“ ablehnt. Siehe auch: Reinel, Verbandsklage, S. 117 f. 399 Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194). 400 Vgl. beispielhaft: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 106; Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194). 401 BT-Drs. 19/2507, S. 13. 402 Halfmeier, Popularklagen, S. 272 f.; Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (188 f.). 403 § 13 Abs. 2 UWG stelle die Ermächtigung dar, so: Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 74.
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Gegen die Annahme einer Prozessstandschaft für den Staat spricht bereits grundsätzlich, dass nicht nur der Staat, der wiederum im Föderalismus kein Monolith ist, Träger von Allgemeininteressen ist. Darüber hinaus setzt er objektives Recht in der Regel nicht klageweise, sondern in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts durch. Auch erscheint die Einordnung des Staates in ein zivilrechtliches Anspruchsdenken und der damit verknüpften subjektiven Rechtsposition nur im Bereich der fiskalischen Aufgabenwahrnehmung dogmatisch überzeugend.404 Eine Transponierung auf die Musterfeststellungsklage dürfte im Wesentlichen an zwei Aspekten scheitern. Erstens wird die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung maßgeblich durch das Anmeldeverfahren begründet. Die Befugnis zur Fremdprozessführung405 leitet sich also von den Anmeldern ab und nicht vom Staat. Zweitens dient die Musterfeststellungsklage vor allem als Instrument zur erleichterten Anspruchsdurchsetzung.406 Dies ist aber, abgesehen von der positiven Folgewirkung im Hinblick auf die Bewehrung der Rechtsordnung und die Steigerung der Effizienz im Bereich der Justizressourcen kein primäres Allgemeininteresse. Nur bezüglich diesem kann jedoch der Staat als Anspruchsinhaber betrachtet werden. Somit käme auch allein in diesem Bereich eine Prozessstandschaft für den Staat in Betracht. d) Prozessführungsbefugnis über fremde Kollektivrechte Nach dieser Ansicht geht es bei den Verbandsklagen nicht um die Geltendmachung von Allgemein- oder Einzelinteressen, sondern um ein Kollektivrecht der tatsächlich betroffenen Gruppe von Verbrauchern. Dieses Recht wird vom Verband als Prozessstandschafter durchgesetzt. Es liege daher eine Prozessführungsbefugnis über ein fremdes Kollektivrecht vor.407 Befugt sei der Verband hierzu durch die ihm gesetzlich eingeräumte Stellung. Es komme daher nicht auf die individuellen Verbraucher oder deren individuelle Betroffenheit an, da lediglich ein Kollektivanspruch geltend gemacht werde.408 Hiergegen spricht, dass die Einordnung der Verbandsklage als Prozessstandschaft mit der Annahme eines unbestimmten Kollektivinteresses unvereinbar erscheint, denn mit dem Kollektiv kann kein Rechtsträger benannt werden. Die Prozessstandschaft setzt aber die Verfolgung eines einem anderen zustehenden 404 Ausführlich: Halfmeier, Popularklagen, S. 273 f.; siehe auch: Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (6). 405 Vgl. zum Begriff: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (9). 406 Siehe nur: BT-Drs. 19/2507, S. 13. 407 Schaumburg, Verbandsklage, S. 36; Urbanczyk, Verbandsklage, S. 45. 408 Urbanczyk, Verbandsklage, S. 45. Siehe auch: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (9 f.), der von einer Art Partei kraft Amtes und einer gesetzlichen Prozessstandschaft für das Kollektivrecht spricht.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Anspruchs voraus. Dabei käme es indes gerade nicht auf die Individualansprüche, sondern auf ein von diesen unabhängiges Kollektivinteresse an. Die Feststellung einer abgrenzbaren Gruppe, welche dieses Kollektiv bildet und damit dessen Rechtsträger sein könnte, ist aber gerade im Hinblick auf die Verbraucherrolle, welche durch jede natürliche Person regelmäßig eingenommen wird, nicht möglich.409 Letztlich werde hier nur ein entindividualisiertes Kollektivrecht geschaffen, welches eher ein Interesse als ein konkretes Recht sei und für die praktische Anwendung keinen Vorteil biete.410 Da die erleichterte Durchsetzung von Individualansprüchen Zweck des Musterfeststellungsverfahrens ist, erscheint die Annahme eines von den Individualansprüchen unabhängigen Kollektivrechts dogmatisch fragwürdig. Dies würde zu einer Art Anspruchs- oder Interessenverdopplung führen, und dies, obwohl die Betroffenheit einer gewissen Gruppe noch kein eigenständiges subjektives Recht dieser Gruppe begründet. Wird aber berücksichtigt, dass die Individualansprüche als solche nicht Gegenstand des Musterfeststellungsverfahrens sind,411 sondern nur zur Begründung der Prozessführungsbefugnis dienen,412 könnten die Feststellungsziele, als die generalisierbaren tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder, deren Kollektivinteresse darstellen. Ein Konflikt im Sinne einer Anspruchsverdopplung würde hierdurch nicht eintreten. Auf diesen Gedanken wird an späterer Stelle, bei der Betrachtung einer vergleichbaren Ansicht zur Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage zurückzukommen sein.413 2. Sonderformen der Prozessführungsbefugnis Neben dem Versuch einer Einordnung in tradierte prozessuale Institute wurden auch gewisse Sonderformen, die die Besonderheiten der Verbandsklagen berücksichtigen sollen, entwickelt. a) Selbstständige Prozessführungsbefugnis Diese Ansicht attestiert den Verbänden eine Stellung vergleichbar einer Partei kraft Amtes, ähnlich einem öffentlich-rechtlichen Amtswalter.414 Der Verband sei 409 So auch: Halfmeier, Popularklagen, S. 271 f.; vgl. auch: Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (6). 410 Urbanczyk, Verbandsklage, S. 45 f. So aber: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (9 f.), der auf die Erfassung auch solcher Situationen abstellt, in denen keine Individualansprüche bestehen können. 411 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89. 412 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. c) aa) und 4. 413 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. IV. 4. 414 Hadding, JZ 1970, 305 (310). Ausführlich zu dieser Ansicht: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 277 ff., zum Begriff des Amtes, ebenda, S. 289 f.; Urbanczyk, Verbandsklage, S. 43 ff.; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechts-
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zwar prozessführungsbefugt, besitze aber nur eine rein prozessuale Klagebefugnis.415 Diese Befugnis bestehe somit unabhängig von einem materiellen Anspruch,416 wodurch es sich um eine aktionenrechtliche Klage handele.417 Begründet wird dies mit dem Handeln der Verbände, welches einer gewerbepolizeilichen Aufgabe ähnlich sei. Zu diesem Zweck nähmen sie eine vom materiellen Anspruch isolierte, nur prozessrechtliche Befugnis wahr.418 Jedoch kann den Verbandsklagebefugnissen – was für eine Ähnlichkeit mit hoheitlicher Tätigkeit zumindest naheliegend wäre – keine entsprechende Verpflichtung zum Tätigwerden entnommen werden.419 Problematisch an dieser Ansicht ist insbesondere, dass nach dem gängigen Verständnis der Prozessführungsbefugnis deren Inhalt in der Geltendmachung eines Rechts besteht.420 Sofern also von einer „selbstständigen Prozessführungsbefugnis“ ausgegangen wird, negiert dies den eigentlichen Inhalt der Prozessführungsbefugnis. Eine Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage ist demnach nicht möglich. Wie oben herausgearbeitet,421 steht die Prozessführungsbefugnis des Musterklägers nicht isoliert von den materiellen Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen, sondern ist durch das Erfordernis einer wirksamen Anmeldung mit diesen verknüpft. Von einer selbstständigen, im Sinne von isolierten, Prozessführungsbefugnis kann daher jedoch nicht gesprochen werden. b) Privatrechtliche Kontrollkompetenz In Anbetracht der Schwierigkeit, die Verbandsklage in die tradierte Dogmatik einzuordnen, wird teilweise vorgeschlagen diese als eine „privatrechtliche Konschutzes, S. 96 f.; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 123 f. Siehe auch die Nachweise bei: Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (169). 415 Zustimmend: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 291, 311 f. Für ein rein prozessuales Verständnis auch: Halfmeier, Popularklagen, S. 275. Die Verbandsklage ermögliche nur die Rechtsverfolgung, ein materielles Recht liege ihr nicht zugrunde. In diesem Sinne verwendet er auch die Formulierung der „privatrechliche[n] Kontrollkompetenz“, Halfmeier, Popularklagen, S. 276. 416 Hadding JZ 1970, 305 (310); insoweit zustimmend: Koch, Prozeßführung, S. 129; siehe auch: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66). 417 Hadding JZ 1970, 305 (310); Berni, Verbandsklagen, S. 203 f.; kritisch Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 8, insb. Fn. 26. 418 Kur, GRUR 1981, 558 (565). 419 Vgl. Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (169 f.). 420 Reinel, Verbandsklage, S. 119. Göbel, Prozesszweck der AGB-Klage, S. 125 spricht von einer „Ausdehnung“. Das erkennt auch Halfmeier, Popularklagen, S. 278 an, der auf ein aktionenrechtliches Verständnis verweist. Urbanczyk, Verbandsklage, S. 45: Das eigentliche Schutzgut bleibt unklar, was Feststellungen zur Rechtsverletzung kaum möglich macht. Gegen eine vollständige Entkopplung vom materiellen Recht: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (7); ähnlich: Wolf, ZZP 94 (1981), 107 (109). 421 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa) und 4.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
trollkompetenz“ 422 zu beschreiben, da die Verbandsklage ihren Grund in einem überindividuellen Allgemeininteresse habe.423 Mit ihr erfolge die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe in zivilistischer Art und Weise.424 Die Erfassung auch außerprozessualer Elemente erkläre außerdem die Möglichkeit einer außergerichtlichen Abmahnung durch die Verbände.425 Mit dieser Formulierung als Kontrollkompetenz soll die Ähnlichkeit mit den Normenkontrollverfahren des öffentlichen Rechts herausgestellt werden, was aufgrund der Loslösung vom konkreten Einzelfall sachgerecht erscheine,426 da die Verbände die Einhaltung objektivrechtlicher Normen überwachen.427 Angemerkt wird hierzu allerdings, dass bei einer Kontrollkompetenz eine privatrechtliche Einordnung ausgeschlossen ist, da die Kontrolle nur eine öffentliche Aufgabe sein könne.428 Abgesehen von der Tatsache, dass eine solch rein de-
422 Reinel, Verbandsklage, S. 123 ff.; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 125 ff. Zu diesem Begriff auch: Greger, NJW 2000, 2457 (2458). Hierzu auch: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 97 f. Von Kontrollkompetenz spricht auch: Koch, Internationaler Unterlassungsrechtsschutz, in: Liber Amicorum Siehr, S. 341 (350); Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1283 f.; Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz, S. 124 f., allerdings durch Rekurs auf die Prozessführungsbefugnis ähnlich einer selbstständigen Prozessführungsbefugnis. Vergleichbar auch die Annahme eines Institutionenschutzes, vgl. die Nachweise bei: Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (7). Zum Institutionenschutz: Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz, S. 114 ff.; Halfmeier, Popularklagen, S. 277 m.w. N. Zum Institutionenschutz als Prozesszweck: Koch, Prozeßführung, S. 183 ff. Kritisch: Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (404 f.), der hierin i. E. ein Definitionsproblem erblickt. 423 Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194), nach dessen Ansicht auch eine Zuordnung in die Verwaltungsgerichtsbarkeit möglich gewesen wäre. 424 Vgl. Reinel, Verbandsklage, S. 123 ff., insb. S. 127. Vgl. Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (403); Urbanczyk, Verbandsklage, S. 46. 425 So wohl: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66, 80). 426 Dies bezieht sich vornehmlich auf die abstrakte Überprüfung von AGBs, vgl. Leipold, Verbandsklagen zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66). Nach dieser Ansicht ließen sich auch Mehrfachklagen vermeiden, vgl. ebenda, S. 68 f. Kritisch hierzu: Schmidt, NJW 1989, 1192 (1193) der dieser Ansicht vorwirft, dass sie durch die Ablehnung eines Individualanspruchs aus dem Zivilprozess einen Verwaltungsprozess mache. Vgl. zu § 21 S. 1 AGBG (heute § 11 S. 1 UKlaG) als Annäherung an eine Normenkontrolle: Gaul, Urteilswirkungen nach §§ 19, 21 AGBG, in: Festschrift Beitzke, S. 997 (1014 ff.); siehe auch: Greger, ZZP 113 (2000), 399 (411); ablehnend: Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz, S. 122 ff. 427 Urbanczyk, Verbandsklage, S. 47 stellt zutreffend fest, dass dieser Ansatz die Überprüfung von AGBs und die umstrittene Normtheorie betrifft und nur in diesem Zusammenhang möglich erscheint, eine Übertragung auf das UWG komme nicht infrage. Zur Übertragbarkeit auf § 13 UWG a. F.: Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (175). 428 Urbanczyk, Verbandsklage, S. 104; in diese Richtung auch Berni, Verbandsklagen, S. 196 f.; Schmidt, ZIP 1991, 629 (633) spricht sich für eine „dritte Rechtsschutz-
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skriptive Lösung nur dann notwendig ist, wenn eine dogmatische Einordnung nicht gelingt, was noch zu klären bleibt, und außerdem nur neue Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet,429 kann die Annahme einer privatrechtlichen Kontrollkompetenz für die Musterfeststellungsklage nicht überzeugen. Die Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage, welche die Klagebefugnis auf private Einrichtungen überträgt, belegt zwar die privatrechtliche Einordnung gegenüber einer öffentlichen-rechtlichen Konzeption.430 Auch weist die Musterfeststellungsklage mit den generalisierenden Feststellungszielen einen, einer Kontrollkompetenz zumindest angenäherten, Abstraktionsgrad auf. Die Prüfung erfolgt nämlich ohne Bezug zu individuellen Aspekten.431 Jedoch führt dies nicht zu einer reinen Kontrollkompetenz. Die Klärung der Feststellungsziele soll gerade die Anspruchsdurchsetzung im Einzelfall erleichtern.432 Dass damit auch die Bewehrung des objektiven Rechts gestärkt wird, was zu einem verstärkten Institutionenschutz führen kann, ist eine positive Folgewirkung.433 Eine bloß abstrakte Kontrollkompetenz würde dem Charakter und dem Zweck der Musterfeststellungsklage als Instrument zur Verbesserung der Durchsetzung von Individualpositionen mit einer Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO) und der Möglichkeit zum Vergleichsabschluss mit Leistungsansprüchen für die Anmelder434 nicht ausreichend gerecht. 3. Verbände als Inhaber eines materiellen Anspruchs a) Materieller Anspruch der Verbände Insbesondere die Rechtsprechung geht davon aus, dass den Verbänden ein eigener materiell-rechtlicher Anspruch435 und damit auch ein eigenes Klagerecht spur“ aus, da weder eine privatrechtliche noch eine öffentlich-rechtliche Betrachtungsweise passend sei. Dazu auch: Hensen, ZHR 145 (1981), 88 (90). 429 Vgl. Wolf, ZZP 94 (1981), 107 (109). 430 Vgl. Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 14. 431 BT-Drs. 19/2507, S. 16, 21; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. 432 BT-Drs. 19/2507, S. 16. 433 Vgl. dazu BT-Drs. 19/2507, S. 13, Durchsetzung der Ansprüche und Rechtsverhältnisse als primäres Ziel und verbesserte Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen als Folgewirkung. 434 Vgl. § 611 Abs. 2 ZPO, der auf Leistungen abzielt: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 13 ff. 435 BGH, Urteil vom 21.11.1958, Az. I ZR 115/57, GRUR 1959, 244 (245); BGH, Urteil vom 24.04.1964, Az. Ib ZR 73/63, BGHZ 41, 314 (317 f.); vgl. auch: Tetzner, NJW 1965, 1944 (1944 ff.); Borck, WRP 1968, 1 (2); Pastor, WRP 1982, 371 (371 f., 375); Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138). Zum Begriff des Anspruchs und seiner historischen Entwicklung: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 107 ff.; Halfmeier, Popularklagen, S. 254 ff. und S. 231 ff. zum Begriff des subjektiven Rechts. Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 11 ff., insb. S. 34 sieht die Verbände als Träger des Gruppeninteresses und billigt ihnen eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Klagebefugnis zu; siehe auch: Wolf, BB 1971, 1293 (1294, 1296). Ablehnend, aber unter Rekurs auf den Gedan-
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
zusteht. Der Anspruch sei unabhängig von den Mitgliederinteressen und bestehe im öffentlichen Interesse.436 Dennoch handle es sich um einen materiellen Anspruch im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB.437 Jedoch erkannte die Rechtsprechung (für § 13 AGBG) an, dass die Inhaberschaft des subjektiven Rechts nicht beim Verband selbst liegt, sondern bei den Verbrauchern. Der Rechtsschutzanspruch stehe aber dem Verband zu.438 Dem entspricht auch die heute h. M., nach der die Verbraucherschutzverbände einen eigenen materiellen Anspruch durchsetzen.439 Die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung wäre demnach eine Frage der Aktivlegitimation.440 aa) Gesetzgeberische Entscheidung Der eingangs angesprochene indifferente Wortlaut der § 13 Abs. 2 AGBG und § 13 Abs. 2 UWG a. F. wurde vom Gesetzgeber geändert und damit der bisherige Meinungsstreit zugunsten eines materiellen Anspruchs der Verbände entschieden.441 Für das AGBG wurde § 13 Abs. 2 im Rahmen der Umsetzung der Unterlassungsklagenrichtlinie 98/27/EG in „Ansprüche [. . .] stehen zu“ 442 abgeänken der Repräsentation als Grundlage der Legitimation ebenfalls für einen Anspruch: Bettermann, ZZP 85 (1972), 133 (137, 143 f.); dazu auch Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (180 f.); Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 64 ff., ablehnend zum Repräsentationsgedanken: ebenda, S. 69 ff.; ebenso: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 37 ff. Ablehnend zum Ansatz Wolfs: Berni, Verbandsklagen, S. 190. Kritisch zur individuellen Betroffenheit: Schmidt, ZIP 1991, 629 (632); Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194). 436 BGH, Urteil vom 15.10.1969, Az. I ZR 3/68, NJW 1970, 243 (244) für § 13 Abs. 1 UWG a. F.; BGH, Beschluss vom 05.07.1967, Az. Ib ZR 20/66, NJW 1967, 2402 (2403); BGH, Urteil vom 26.04.1967, Az. Ib ZR 22/65, GRUR 1968, 95, (97 f.); ausführlich: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 275 ff. Auch im Rahmen des GWB soll dem Verband ein materieller Anspruch zustehen, vgl. v. Gamm, WRP 1987, 290 (291 f.) für § 35 Abs. 3 GWB a. F. Kritisch zur Annahme eines Anspruchs: Hadding, JZ 1970, 305 (308). 437 Ausdrücklich: BGH, Urteil vom 21.02.1990, Az. VIII ZR 216/89, NJW-RR 1990, 886 (887). Wonach es dementsprechend auch keiner anderen Einordnungsversuche bedarf. 438 Schaumburg, Verbandsklage, S. 34 f. 439 Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 91 f.; Urbanczyk, Verbandsklage, S. 127 ff. Für eine Klage des Verbands aus eigenem Recht: Hefermehl, GRUR 1969, 653 (657), allerdings soll die Prüfung im Rahmen der Prozessführungsbefugnis erfolgen; für materiellen Anspruch wohl: Kur, GRUR 1981, 558 (565). 440 Greger, NJW 2000, 2457 (2463); Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 602. So wohl auch: Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 18 ff.; Krohs, in: Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 169, 171, 174. 441 Siehe nur: Schmidt, NJW 2002, 25 (27 f.); Greger, NJW 2000, 2457 (2458); Lange, Gruppenklage, S. 44; Piekenbrock, in: Staudinger, BGB, § 3 UKlaG, Rn. 1; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 98 f.; Schaumburg, Verbandsklage, S. 36 ff.; Guski, ZZP 131 (2018), 353 (365). 442 BT-Drs. 14/2658, S. 51 ff. Auch § 22 Abs. 2 AGBG wurde entsprechend formuliert, für einen materiellen Anspruch auch hier: Greger, ZZP 113 (2000), 399 (403).
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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dert.443 Diese Normierung wurde in §§ 3, 3a UKlaG beibehalten.444 Die Verbandsklage stützt sich damit auf einen materiellen Anspruch und ist somit der Aktivlegitimation zuzuordnen.445 Eine entsprechende Formulierung wurde 2004 auch in § 8 Abs. 3 UWG446 gewählt und dadurch dort ebenso ein materiell-rechtlicher Anspruch eindeutig festgelegt.447 Entsprechend wird mittlerweile mehrheitlich davon ausgegangen, dass den Verbänden für die Fälle der Unterlassungsklagen eigene materielle Ansprüche zustehen. Im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis ergeben sich daher keine nennenswerten Probleme, da der Verband ein eigenes Recht im eigenen Namen geltend macht. bb) Dogmatische Verwerfungen der gesetzgeberischen Entscheidung Problematisch an der gesetzgeberischen Entscheidung für einen eigenen materiellen Anspruch des Verbandes ist die Frage, ob der Verband überhaupt ein subjektives Recht besitzen kann, welches geltend gemacht wird, respektive geschützt werden soll.448 Nach dem klassischen Anspruchsbegriff bedarf es für einen Anspruch eines eigenen Rechts, Rechtsguts oder Interesses.449 Auf dieses bezieht sich der Anspruch und steht demnach gerade nicht isoliert für sich. Mit den Unterlassungsklagen (bzw. dem Unterlassungsanspruch) verfolgt der Verband aber kein eigenes Recht oder Interesse, sondern ein öffentliches Interesse bzw. Allgemeininteresse, wodurch die Zuweisung an einen Einzelnen problembehaftet
443 Schaumburg, Verbandsklage, S. 36; Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (10). 444 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. I Nr. 62, vom 29.11.2001, S. 3138 (3193 ff.). 445 Schaumburg, Verbandsklage, S. 37; Greger, ZZP 113 (2000), 399 (403 f.). Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (409 f., 411 f.) sieht eine Erweiterung des Anspruchs durch eine Aufgreifmöglichkeit der Verbände, ist gleichzeitig aber für eine amtswegige Prüfung der Prozessführungsbefugnis. 446 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 03.07.2004, BGBl. I Nr. 32, vom 07.07.2004, S. 1414 (1416 f.). Die zuvor, bei Änderung des UKlaG, nicht erfolgte Änderung des § 13 Abs. 2 UWG (a. F.) wurde vielfach als Redaktionsversehen gewertet, so auch: Greger, NJW 2000, 2457 (2462). 447 Schaumburg, Verbandsklage, S. 38. 448 Vgl. zum Unterlassungsanspruch im UWG allg.: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 283. Zur Kritik: Gilles, ZZP 98 (1985), 1 (8); Koch, Internationaler Unterlassungsrechtsschutz, in: Liber Amicorum Siehr, S. 341 (351). 449 Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 92; ein Anspruch steht nie isoliert für sich, sondern bezieht sich auf ein subjektives Recht. Das subjektive Recht ist damit ein individuelles Primärrecht und bedarf einer individuellen Betroffenheit. Ansprüche und Forderungen dienen hingegen nur der Durchsetzung dieser subjektiven Rechte. Vgl. hierzu: Schmidt, ZIP 1991, 629 (630); Raiser, JZ 1961, 465 (466); ausführlich: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 282 ff. Siehe auch: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1282 f. mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
erscheint.450 Der Verband nimmt also ein Kollektivinteresse/überindividuelles Interesse wahr und gerade kein eigenes subjektives individuelles451 Recht. Dies entspricht aber nicht dem Verständnis des § 194 Abs. 1 BGB.452 Daher wird diesbezüglich teilweise angenommen, dass es sich um ein Interesse der Gruppenmitglieder, die im Verband organisiert sind, handelt. Der Verband sei Träger dieses Interesses und nehme diejenigen Interessen wahr, die den Verbandsmitgliedern gemeinschaftlich zustehen.453 Die Übereinstimmung zwischen dem Satzungszweck und dem geschützten Interesse der Gruppe führe zu einer Anerkennung als Recht des Verbandes.454 Allerdings kann im Hinblick auf die Größe der Mitgliederzahl eines Verbandes gerade nicht immer davon ausgegangen werden, dass dieser die betroffene Gruppe zu seinen Mitgliedern zählt,455 oder zumindest eine ausreichende Repräsentation besteht. Exemplarisch sind hierfür die Gruppeninteressen von Verbrauchern, da diese Gruppe eine große personelle Reichweite aufweisen kann. Da jede natürliche Person regelmäßig als Verbraucher handelt, wird ein Verband diese Gruppe schon deshalb nicht repräsentieren können, weil es an einer Abgrenzbarkeit fehlt.456 450 Vgl. Schmidt, NJW 2002, 25 (28); Schmidt, In Diffusis Submersus, in: Liber Amicorum Reich, S. 81 (83, 87, 91); zur Problematik auch: Lange, Gruppenklage, S. 45; kritisch ebenfalls: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (65); siehe auch: Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 11 f., der diesbezüglich von einem Institutionenschutz spricht; Marotzke, ZZP 98 (1985), 160 (179). Der Anspruch stehe dem Verband auch „nur ,im Interesse des Verbraucherschutzes‘ zu“, also bei einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung, vgl. Greger, NJW 2000, 2457 (2460). Henckel, AcP 174 (1974), 97 (138) geht davon aus, dass der Anspruch nicht auf den Schutz eigener Interessen gerichtet ist, sondern darauf, dass fremde Sphären nicht verletzt werden, hieran habe der Kläger aber ein eigenes Interesse. Dazu auch: Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (401 f., 404), vgl. zu dessen Ansicht auch den Diskussionsbericht von Münch/Stadler, ZZP 103 (1990), 413 (413 ff.). 451 Vgl. dazu die Kritik bei: Reinel, Verbandsklage, S. 111 f.; Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 117 ff. Individualansprüche sind von der Klagebefugnis nach § 13 Abs. 2 UWG a. F. ausgenommen, vgl. Mees, WRP 1999, 62 (63); demgegenüber sieht Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 23 den Verband selbst als Verletzten an. 452 Schaumburg, Verbandsklage, S. 45 f. spricht daher von einer neuen Anspruchskategorie als „materiell-rechtlicher Anspruch zur Durchsetzung überindividueller Interessen“, also eines Anspruchs sui generis. Differenzierend: Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (14 ff.) unter Rekurs auf selbstständige Ansprüche. 453 Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 93 f. m.w. N.; anders die Rechtsprechung, vgl. nur: BGH, Urteil vom 15.10.1969, Az. I ZR 3/68, NJW 1970, 243 (244), kritisch auch: Berni, Verbandsklagen, S. 190. 454 Schaumburg, Verbandsklage, S. 44, unter Verweis auf Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 10 ff., insb. S. 22 f. 455 Davon geht Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 34 auch nicht aus. Es müssen Gruppenangehörige, aber gerade nicht alle oder ein repräsentativer Anteil zu den Verbandsmitgliedern zählen. 456 Vgl. Schaumburg, Verbandsklage, S. 44 f.; vgl. zur Repräsentation: Bettermann, ZZP 85 (1972), 133 (137). Reinel, Verbandsklage, S. 114 f. Hierauf weist auch Leipold,
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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b) Doppelnatur der Verbandsklage Teilweise wird vertreten, § 3 Abs. 1 UKlaG,457 § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG458 und § 33 Abs. 4 GWB459 regelten nicht nur die Aktivlegitimation, sondern normierten zugleich die Prozessführungsbefugnis. Die Kriterien, an welche die Befugnis des Verbands geknüpft ist, den Rechtsschutzanspruch geltend zu machen, würden nicht im Rahmen der Begründetheit geprüft, sondern als Zulässigkeitsvoraussetzung,460 um die vielfach auftretenden Missbrauchsfälle auch amtswegig in der Revisionsinstanz noch prüfen zu können.461 Daher liege eine „Doppelnatur der Verbandsklage“ vor.462 Dies rechtfertige sich daraus, dass eine Prüfung als Zulässigkeitsvoraussetzung mit einer möglichen Folge der Abweisung als unzulässig der Tatsache entspreche, dass die Verbände die Ansprüche nicht im eige-
Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66) hin. 457 Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 3 UKlaG, Rn. 3; Walker, in: UKlaG, § 3, Rn. 1 f.; Baetge, in: jurisPK-BGB, Stand: 01.02.2023, § 3 UKlaG, Rn. 2; Theorie sei zwar „nicht haltbar“, aber „sachlich richtig“: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 3 UKlaG, Rn. 2. Zu einer europarechtlichen Begründung: Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 7. A. A. Piekenbrock, in: Staudinger, BGB, § 3 UKlaG, Rn. 1. 458 Büscher, in: Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, § 8, Rn. 245 f., 266, 279; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 8, Rn. 326 ff.; Köhler/ Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.9 ff.; Ottofülling, in: MüKo Lauterkeitsrecht, § 8, Rn. 393 ff.; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, § 8, Rn. 86; siehe auch: Hinz, Wettbewerbsklagen von Verbänden, in: Festschrift Piper, S. 257 (261). 459 Franck, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 33 GWB, Rn. 36; Kersting, in: L/M/R/K/M-L, Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 51; Roth, in: Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 104, 106; Bornkamm/Tolkmitt, in: Langen/ Bunte, Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 79 f. Lediglich von einer Regelung der Aktivlegitimation sprechen Bosch, in: Bechtold/Bosch, GWB, § 33, Rn. 18 ff. und Krohs, in: Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht, § 33 GWB, Rn. 169, 171, 174. 460 Exemplarisch: BGH, Beschluss vom 10.03.1971, Az. I ZR 73/69, GRUR 1971, 516 (516). Zustimmend, mit umfassender Begründung: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 130, 146 ff.; siehe auch: Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (409). Ablehnend: Lange, Gruppenverfahren, S. 46; siehe auch: Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, S. 600, der davon ausgeht, dass es dieser Lehre nicht mehr bedarf. 461 So die Praxis auch unter Geltung des veränderten Wortlauts: BGH, Urteil vom 27.01.2005, Az. I ZR 146/02, GRUR 2005, 689 (690); BGH, Urteil vom 22.09.2011, Az. I ZR 229/10, NJW 2012, 1812 (1813); BGH, Urteil vom 14.11.2006, Az. XI ZR 294/05, NJW 2007, 593 (594). 462 Schaumburg, Verbandsklage, S. 35; so auch: BGH, Urteil vom 11.07.1996, Az. I ZR 79/94, GRUR 1996, 804 (805); in diese Richtung auch: Mees, WRP 1999, 62 (64, 66); Hefermehl, WRP 1987, 281 (282 f.), zur Prüfung durch die Revision. Sofern der Verband die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt, fehlt ihm die Prozessführungsbefugnis und die Sachbefugnis, vgl. BGH, Urteil vom 26.09.1996, Az. I ZR 265/95, BGHZ 133, 316 (319). Hierzu: Greger, NJW 2000, 2457 (2462), der aufgrund der klaren gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten eines materiellen Anspruchs davon ausgeht, dass die Lehre von der „Doppelnatur“ obsolet sei.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
nen Interesse innehätten, sondern zur Wahrung des Interesses einer Gruppe.463 Rechtsdogmatisch überzeugend ist diese Lösung aber nicht. Es könnte wegen derselben Tatsache sowohl eine Klageabweisung wegen Unzulässigkeit als auch wegen Unbegründetheit erfolgen.464 Aus der Gesetzesbegründung zur oben bereits erwähnten Änderung des § 13 Abs. 2 AGBG (a. F.)465 ergibt sich aber eindeutig, dass der Gesetzgeber die Gerichtspraxis einer Prüfung als Zulässigkeitsvoraussetzung beenden wollte.466 c) Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage Im Hinblick auf die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage soll nachfolgend untersucht werden, ob die Annahme eines materiellen Anspruchs des Verbandes übertragbar ist. aa) Stimmen aus der Literatur Diese Betrachtung ist deshalb angezeigt, da Vertreter der Literatur teilweise annehmen,467 dass für die Klagebefugnis bei der Musterfeststellungsklage auf die dogmatische Einordnung in der Rechtsprechung zum UKlaG und UWG Bezug genommen werden kann. Die Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtung habe demnach auch bei der Musterfeststellungsklage eine Doppelnatur, und zwar als Prozessführungsbefugnis und als Aktivlegitimation. Anders als bei § 3 UKlaG sei es für die Klagebefugnis jedoch wegen § 606 Abs. 3 ZPO klar, dass diese im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen sei und nicht erst in der Begründetheit. Die Klagebefugnis beschränke sich allerdings nicht auf die Prozessführungsbefugnis, sondern begründe auch die Aktivlegitimation.468 Die qualifizierte Einrichtung nehme eine eigene Aufgabe wahr, welche aus dem Satzungszweck folge und mache „nicht die Rechte einer unbestimmten Vielzahl betroffener Verbraucher geltend“.469 Die Aktivlegitimation sei nicht mit der Anspruchsberech463
Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 3 UKlaG, Rn. 3. Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 95 m.w. N. Vgl. zur Prüfung: BGH, Urteil vom 26.09.1996, Az. I ZR 265/95, GRUR 1997, 382 (383). Anschaulich zur Kritik: Balzer, NJW 1992, 2721 (2721, 2726 f.), der auf die Problematik einer Gleichsetzung von Prozessführungsbefugnis und Sachlegitimation hinweist. 465 BT-Drs. 14/2658, S. 52. Vgl. zur Resonanz: Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (10 f.). 466 Schmidt, NJW 2002, 25 (28). Für das UWG aber: Köhler/Feddersen, in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.8, 3.9. 467 Zu den nachfolgenden Ausführungen: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. Ähnlich die Ansicht von: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50 Rn. 87 ff., die aber wohl keinen Anspruch beim Verband verorten. 468 Nach Lutz in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26 sind also Klagebefugnis und Prozessführungsbefugnis nicht gleichbedeutend. Inwiefern die Klagebefugnis aber auch Grundlage der Aktivlegitimation sein soll, erscheint schwer nachvollziehbar. 469 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. 464
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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tigung gleichzusetzen, sondern sei als eine Rechtsschutzzuständigkeit zu verstehen.470 bb) Stellungnahme Bereits weiter oben wurden die Einwände gegen die Bejahung eines materiellen Anspruchs skizziert. Nachfolgend soll untersucht werden, inwiefern diese Aspekte und die Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage der Übertragung der herrschenden Dogmatik zu den Verbandsklagen auf das Musterfeststellungsverfahren entgegenstehen. (1) Betrachtung der gesetzgeberischen Ausgestaltung Für diese Ansicht könnte die Verweisung des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO auf § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG sprechen. Denn § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG enthält nach dem Willen des Gesetzgebers einen materiellen Anspruch für die Verbände.471 Diese Argumentation übersieht aber, dass § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO nur auf Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG verweist.472 Es wird mit Blick auf den Wortlaut lediglich auf den Kläger verwiesen, mithin also nicht auch auf die Anspruchsberechtigung nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG. Eine Entscheidung zugunsten der Doppelnatur ergibt sich ebenso wenig aus den §§ 606 ff. ZPO. Dies wird schon daran deutlich, dass § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht davon spricht, dass der qualifizierten Einrichtung ein Anspruch auf Klärung der Feststellungsziele zusteht. Die Norm spricht vielmehr nur von „können [. . .] begehren“.473 Diese Formulierung lässt aber auf das Klagebegehren, mithin auf ein prozessuales und gerade nicht materielles Verständnis schließen. Wenn aber die qualifizierte Einrichtung einen eigenen Anspruch auf Geltendmachung der Feststellungsziele hätte, dann sollte die Formulierung „steht . . . zu“ lauten. Auch die Gesetzesbegründung spricht nur davon, dass diesen Einrichtungen die Klagebefugnis zusteht.474 Sie verwendet somit in Bezug auf die qualifizierte Einrich-
470 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26, hinsichtlich der Ausführungen zur Rechtsschutzzuständigkeit wird Bezug genommen auf: Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 3 f. In diese Richtung auch Waßmuth/Dörfler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 606 ZPO, Rn. 7, aus der Klagebefugnis sollen Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation folgen, eine Anspruchsberechtigung sei aber nicht gegeben. Anders: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4, wonach die Doppelnatur nicht übertragbar sei. 471 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. a) aa). 472 Es geht bei dieser Verweisung um die Listeneintragung, vgl. Röthemeyer, in: HkMFKG, § 606, Rn. 26 f. 473 Auf den Wortlaut weist auch Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 138 hin. 474 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 21. Siehe auch: VRUG-E, S. 80.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
tung einen prozessualen Terminus. Aus dem Begriff „Klagebefugnis“ auch ein materielles Verständnis abzuleiten, überdehnt indes den Wortlaut.475 Gerade in Anbetracht der gezielten gesetzgeberischen Eingriffe476 zugunsten eines materiellen Anspruchsverständnisses im AGBG/UKlaG und UWG wäre eine entsprechende Formulierung hier durchaus zu erwarten gewesen. Gegen einen Vergleich mit den Verbandsklagen aus dem UKlaG und UWG spricht in systematischer Hinsicht die Regelung des § 610 Abs. 1 ZPO.477 Diese schließt eine zeitlich nachfolgende Musterfeststellungsklage mit demselben Streitgegenstand aus; nur im Fall der Einreichung mehrerer Musterfeststellungsklagen am selben Tag findet gemäß § 610 Abs. 2 ZPO die Prozessverbindung nach § 147 ZPO Anwendung.478 Für UKlaG und UWG hingegen kann es, gerade wegen des jedem Verband zustehenden eigenen materiellen Anspruchs, zu Mehrfachverfolgungen kommen.479 Wenn also die Musterfeststellungsklage tatsächlich dem Verband als „eigene Aufgabe“ 480 zusteht, dann wäre das zeitliche Vorrangprinzip nicht zu erklären. Auch die Zustimmungsregelung des § 611 Abs. 5 S. 1 ZPO481 spricht gegen einen eigenen materiellen Anspruch des Verbandes. Wenn davon ausgegangen wird, dass zumindest die Rechtsschutzzuständigkeit für die Feststellungsziele beim Verband liegt, dann wäre seine Dispositionsbefugnis, obwohl er für diese Anspruchsinhaber ist, von der Zustimmung Dritter abhängig. Dieselbe Frage stellt sich im Hinblick auf den Ausschluss des Klageverzichts nach § 306 ZPO in § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO.482 Wenn es sich um eine originäre Rechtsschutzzustän-
475 Prozessführungsbefugnis und Sachlegitimation sind zu trennen, siehe nur: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46, Rn. 3. 476 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. a) aa). Vgl. zu den hier hervorgehobenen Unterschieden zu § 3 UKlaG auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 19. 477 Zu § 610 Abs. 1 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 2, 6 ff. 478 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 26. 479 Zur Zulässigkeit von Mehrfachklagen im UKlaG: Walker, in: UKlaG, § 3, Rn. 4; für das UWG: Köhler/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 UWG, Rn. 3.3; BGH, Urteil vom 05.01.1960, Az. I ZR 100/58, GRUR 1960, 379 (380); Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (68, 80) für AGBG und UWG. 480 So wörtlich: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. 481 Zu dessen Rechtsfolgen: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 54. 482 Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 24: Der Kläger könne nicht über die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der Anmelder verfügen und somit auch keinen Verzicht erklären. Unausgesprochen dürfte mit dem Verweis auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder eine Ablehnung eines eigenen Anspruchs des Klägers verbunden sein. Im UKlaG wäre ein Klageverzicht zulässig, vgl. Micklitz/Rott, MüKoZPO, § 5 UKlaG, Rn. 1.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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digkeit bzw. einen eigenen Anspruch des Verbandes handeln würde, dann wäre dieser Ausschluss nicht zu erklären.483 (2) Berücksichtigung der Zwecksetzung der Musterfeststellungsklage Darüber hinaus deckt sich bereits das zur Begründung für eine Übertragung der Dogmatik der Doppelnatur vorgetragene Zweckverständnis der bisherigen Verbandsklagen nicht mit dem Telos der Musterfeststellungsklage. Danach erfülle die qualifizierte Einrichtung mit der Klageerhebung eine eigene Aufgabe, mit welcher sie zugleich dem Allgemeininteresse diene. Sie mache also gerade „nicht die Rechte einer unbestimmten Vielzahl betroffener Verbraucher geltend“.484 Zwar ist es zutreffend, dass der Verbraucherschutz eine satzungsgemäße Aufgabe des Verbands sein muss.485 Davon, dass die Musterfeststellungsklage dem „Allgemeininteresse“ 486 und nicht den Rechten einer unbestimmten Verbraucheranzahl diene, kann aber nicht ausgegangen werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Hinweis auf das „Allgemeininteresse“ in der als Begründung zitierten BT-Drucksache487 nicht zu finden ist. Hier lässt sich weder wörtlich noch sinngemäß eine entsprechende Passage auffinden. Im Gegenteil: Die Gesetzesbegründung nennt das Allgemeininteresse nur an zwei Stellen: einmal als Begründung der Kostenregelung und ein anderes Mal in Bezug auf eine Verbesserung der Effektivität der Justiz, wobei Letzteres vor allem als Folgewirkung des Verfahrens verstanden wird.488 Die Folgewirkung kann aber nicht den primären Zweck bestimmen. Die Gesetzesbegründung betont vielmehr, dass mit der Musterfeststellungsklage eine Vereinfachung der Durchsetzung von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen ermöglicht werden soll.489 Der entscheidende Unterschied zwischen der Musterfeststellungsklage und den bisherigen Verbandsklagen liegt somit in der Zielrichtung des Verfahrens.490 Die Musterfeststellungs483 Der Ausschluss erklärt sich aus einem Widerspruch zum Interesse der Anmelder, vgl.: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8. 484 BT-Drs. 19/2439, S. 12, so der Nachweis bei: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. 485 § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO, dazu: Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 11. 486 Kritisch zum Allgemeininteresse bei den früheren Verbandsklagen bereits Wolf, ZZP 94 (1981), 107 (109), stattdessen für ein Gruppeninteresse. 487 BT-Drs. 19/2439, S. 12. 488 BT-Drs. 19/2507, S. 28 (Kostenrecht) und S. 13 („funktionsfähigen und sicheren Rechtsverkehr“). Sehr deutlich zum Primat des Individualschutzes ggü. dem Allgemeininteresse und daher mit Kritik an der Betonung des Allgemeininteresses bei der Kostenregelung: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606 Rn. 27. 489 BT-Drs. 19/2507, S. 13 f. 490 UKlaG und UWG wahren überindividuelle Interessen durch die Verbandsklagebefugnis, vgl. Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 294 (für UWG) und S. 333 (für AGBG); der Begriff des überindividuellen Interesses wird von ihm als Sammelbezeichnung für alle Interessen gewählt, die keine Individualinteressen sind.
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klage dient der verbesserten Rechtsdurchsetzung zugunsten von angemeldeten Verbrauchern und eben nicht nur einer verbesserten Verbraucherrechtsdurchsetzung,491 also einer Bewehrung der objektiven Rechtsordnung.492 Es geht nicht primär um ein öffentliches Interesse, kollektives Interesse, Gruppeninteresse oder Interesse der Allgemeinheit am Verbraucherschutz.493 Entsprechend betont auch der Gesetzgeber, dass eine Durchsetzung von individuellen Ansprüchen mit den bisherigen Verbandsklagen gerade nicht erreicht werden konnte.494 Damit macht er aber zugleich den Unterschied zu den bisherigen Verbandsklagen deutlich. Das Telos des Gesetzes zielt bereits vornehmlich auf eine Verbesserung des Individualschutzes ab. Damit unterscheidet es sich jedoch schon im Ausgangspunkt wesentlich von den bisherigen Verbandsklagen. Die Annahme eines Allgemeininteresses, wie von Lutz vertreten,495 gründet also auf einem Verständnis des Gesetzeszweckes, der in Antithese zur Begründung und auch zur Ausgestaltung496 des Verfahrens steht. Die Musterfeststellungsklage begründet gerade kein Verfahren, welches sich in einer Kontrollkompetenz erschöpft.497 Schon unter diesem Gesichtspunkt scheidet eine Übertragbarkeit aus. Dem steht ebenso wenig entgegen, dass die Musterfeststellungsklage individuelle Fragen nicht klärt, sondern nur solche, die im Wege generalisierender Feststellungsziele in das Verfahren eingeführt werden können;498 denn diese Art der Vorabklärung ist in eine auf verbesserten Individualrechtsschutz ausgerichtete Verfahrensarchitektur samt Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO) eingebettet. Es erfolgt keine Abstraktion 491 Vgl. hierzu: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 39; BT-Drs. 19/2507, S. 14. Zur Überwindung des rationalen Desinteresses: Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 8. Exemplarisch zur Auslegung der Gesetzesbegründung: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 48. 492 So auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (10 f.). Vgl. zu §§ 13 ff. AGBG a. F.: Gaul, Urteilswirkungen der §§ 19, 21 AGBG, in: Festschrift Beitzke, S. 997 (1021 f.); zu § 13 UWG als Schutz der Verbraucherinteressen: ebenda (1023). 493 Dies bestätigt auch der Befund zur Untersuchung der Ziele der Musterfeststellungsklage von Amrhein. Demnach trifft die Gesetzesbegründung zu ordnungspolitischen Aspekten oder Kollektivinteressen, also zu überindividuellen Interessen keine Aussagen: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 41. Eine relevante Ausnahme wäre lediglich die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen: Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 18 f. Vgl. demgegenüber für die bisherigen Verbandsklagen: Guski ZZP 131 (2018), 353 (353 f.). 494 BT-Drs. 19/2507, S. 14. 495 Siehe Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. 496 Die Anmeldung stellt eine Verbindung zwischen den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen der Verbraucher mit dem Verfahren her, vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 2. Auf diese Weise sollen die Verbraucher vom Verfahren profitieren, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 24. 497 So muss aber der Verweis von Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26 auf die Ansicht von Micklitz/Rott verstanden werden. Dort wird nämlich von einer „privatrechtlich ausgestalteten Sorgezuständigkeit“ und einer „privatrechtlichen Kontrollkompetenz“ gesprochen, vgl. Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 4. 498 Vgl. nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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von,499 sondern aus den individuellen Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen. Die Musterfeststellungsklage ist Teil einer zweistufigen Rechtsdurchsetzung, die weiterhin grundsätzlich eine Individualklage erfordert500 und daher schon ihrer Struktur nach in ein System individualschützender Rechtsverfolgung eingegliedert ist. Darüber hinaus kann das Verfahren, durch die Möglichkeit eines Vergleichsabschlusses nach § 611 ZPO für die einzelnen Anmelder Leistungen schaffen,501 wodurch der individualschützende Charakter sehr deutlich belegt wird, denn die Bewehrung des Rechts würde sich nur im Urteil verwirklichen.502 Dem Zweck der Musterfeststellungsklage entspricht es somit, den Verbänden keine eigenen Ansprüche zuzuweisen, da das Verfahren den Individualinteressen der Anmelder dient.503 (3) Schwierigkeiten des Anspruchsbegriffs im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage Die Zuordnung eines eigenen materiell-rechtlichen Anspruchs im Rahmen der bisherigen Verbandsklage ist konstruktiv nur deshalb möglich, weil hier Interessen durchgesetzt werden, für welche ein konkreter Rechts- bzw. Interessenträger nicht identifiziert werden kann.504 Anders als bei den Regelungen des UKlaG und UWG geht es bei der Musterfeststellungsklage jedoch nicht um Institutionenschutz, welcher den Verbänden zugeordnet wird, sondern um die Erleichterung der Durchsetzung materieller Individualansprüche.505 Im Hinblick auf die bisherigen Verbandsklagen ging es um ein nicht näher individualisierbares Gruppen- bzw. Allgemeininteresse. Erst diese Tatsache, also die Loslösung von den Individualansprüchen, ermöglicht es, den Verbänden einen eigenen Anspruch zuzuordnen.506 Schließlich käme es andernfalls zu einer dogmatisch fragwürdigen Anspruchsdoppelung, da der Verbandsanspruch neben den inhaltsgleichen Individualansprüchen stünde. Dieser Aspekt kann jedoch bei der Musterfeststellungsklage nicht greifen, da im Wege des Anmeldeverfahrens hinreichend individualisiert ist, auf wessen Individualansprüche sich die Feststellungsziele beziehen sol499 „Abstraktion von individueller Betroffenheit“ bei Verbandsklagen: Schmidt, In Diffusis Submersus, in: Liber Amicorum Reich, S. 81 (90). Siehe zu unterschiedlichen Ausgestaltungen: Koch, ZZP 113 (2000), 413 (415). 500 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (9 f.). 501 Vgl. zu § 611 Abs. 2 Nr. 1 ZPO: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 14. 502 Vgl. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 119 f. m.w. N. 503 Die Begründung zu § 13 Abs. 3 VDuG stützt perspektivisch diese Sichtweise, da die qualifizierte Einrichtung nach dieser „keine eigenen Ansprüche verfolgt“, VRUG-E, S. 86. 504 Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194); Guski, ZZP 131 (2018), 353 (356). 505 Rathmann, in: Hk-ZPO, Vor § 606, Rn. 2; BT-Drs. 19/2507, S. 14. 506 Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194). Zum Auseinanderfallen von subjektivem und objektivem Interesse im Bereich des UWG: Urbanczyk, Verbandsklage, S. 82 f.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
len. Die Musterfeststellungsklage ist damit nicht vollständig gelöst von den zugrunde liegenden Interessen.507 Die postulierte Rechtsschutzzuständigkeit der qualifizierten Einrichtung würde sich im Fall der Musterfeststellungsklage auf Ansprüche oder Rechtsverhältnisse beziehen, die einem Individualinteresse bzw. subjektiven Recht der angemeldeten Verbraucher zugeordnet sind. Für diejenigen generalisierbaren Anspruchsvoraussetzungen und Tatbestandsmerkmale, die allen Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen gemeinsam sind, käme es zu einer doppelten Rechtsschutzzuständigkeit. Der eigentliche Anspruchsinhaber hätte die Rechtsschutzzuständigkeit inne, aber gleichzeitig eben auch die qualifizierte Einrichtung. Weitergehend spricht schon gegen die Grundannahme eines eigenen Anspruchs der qualifizierten Einrichtung, dass die Musterfeststellungsklage nicht sektoriell beschränkt ist, sondern die gesamte Zivilrechtsordnung umfasst.508 Die qualifizierte Einrichtung hätte also eine (potenzielle) Rechtsschutzzuständigkeit509 für die gesamte Zivilrechtsordnung. Dies würde zu Friktionen führen, weil dann neben dem einzelnen Anspruchsinhaber auch die qualifizierte Einrichtung potenziell rechtsschutzzuständig wäre. Damit wären bezüglich der generalisierbaren Anspruchsmerkmale und Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich zwei Träger aktivlegitimiert. Dass aber neben jeden Anspruch im Rahmen der Zivilrechtsordnung, sofern glaubhaft gemacht werden kann, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern (§ 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) abhängig sind510 und sofern der Anspruch angemeldet ist,511 auch eine Rechtsschutzzuständigkeit der qualifizierten Einrichtung bestehen kann, würde zu einer erheblichen Änderung der Dogmatik des Anspruchsbegriffs führen.512 Entweder wird nämlich davon ausgegangen, dass sich die Rechtsschutzzuständigkeit der qualifizierten Einrichtung auf die Ansprüche der Anmelder bezieht.513 Dies hätte zur Folge, dass der Anspruchsbegriff mit 507 Daher kann auch das Aufsetzen eines Interesses auf die gebündelten Interessen, wie es Becker-Eberhard, Einordnung der Verbandsklage, in: Festschrift Leipold, S. 3 (18) vorschlägt, nicht übertragen werden. 508 BT-Drs. 19/2507, S. 14 f. Rathmann, in: Hk-ZPO, Vor § 606, Rn. 2. Die Musterfeststellungsklage erfasst potenziell alle Anspruchsarten. Es geht gerade nicht um Sonderkonstellationen im Bereich des Institutionenschutzes. 509 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26. Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 90 halten die bisherigen Überlegungen zur Verbandsklage ebenfalls für übertragbar. Sie sprechen von einer „im öffentlichen Interesse verliehenen Aufgreifzuständigkeit “. Zur „Aufgreifkompetenz“ bei Verbandsklagen: Berni, Verbandsklagen, S. 202. 510 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 15. 511 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 606, Rn. 6. 512 Auch Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 3 weisen darauf hin, dass solche „,abnormen‘ Anspruchs- und Klagezuständigkeiten“ einer entsprechenden Rechtfertigung bedürfen. 513 Diese sind aber nicht einmal Gegenstand des Verfahrens, vgl. Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 9.
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prozessualen Elementen aufgeladen wird,514 da die Rechtsschutzzuständigkeit abhängig wäre von der Erfüllung prozessualer Sachentscheidungsvoraussetzungen.515 Demnach würde die prozessuale Aufladung der Verbraucheransprüche erst im Moment einer wirksamen Anmeldung eintreten. Ein anderer Ansatz wäre, von einer völlig losgelösten Rechtsschutzzuständigkeit auszugehen.516 In diesem Fall würde neben den Anspruch des Inhabers auch eine, zumindest theoretische Rechtsschutzzuständigkeit der qualifizierten Einrichtung treten. In dogmatischer Hinsicht ergäbe sich dann aber die Frage nach dem materiellen Gehalt des Anspruchs der qualifizierten Einrichtung. Dogmatisch spricht gegen einen Anspruch des Verbandes, ähnlich wie bereits oben zu den bisherigen Verbandsklagen ausgeführt, dass er kein eigenes Recht oder Interesse besitzt. Außerdem wäre unklar, worin der Anspruch bestünde. Ein Anspruch gerichtet auf Klärung der Feststellungsziele wäre mit § 194 Abs. 1 BGB nicht in Einklang zu bringen.517 Streitgegenstand und materieller Anspruch sind nach allgemeinem Verständnis nicht identisch.518 Daher wäre es für den Inhalt des Anspruchs nicht ohne Weiteres möglich, auf die Feststellungsziele abzustellen. Ein anderer Ansatzpunkt für einen möglichen Anspruchsinhalt lässt sich aber aus § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht gewinnen. An den dort genannten Ansprüchen und Rechtsverhältnissen ist der Kläger nicht beteiligt und mithin auch nicht deren Inhaber.519 Es bliebe damit unklar, worin das Tun oder Unterlassen (§ 194 Abs. 1 BGB), welches die qualifizierte Einrichtung vom Beklagten verlangen können soll, bestehen sollte. Es würde auch nicht weiterhelfen, wenn konstruktiv für den Fall einer Verletzung der Rechte eines Verbrauchers im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO durch einen Unternehmer zwischen diesem und der qualifizierten Einrichtung das Entstehen eines Rechtsverhältnisses kraft Gesetzes angenommen würde.520 514 Anschaulich zur Reichweite der Trennung von materiellem Anspruch und prozessualer Durchsetzung: Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB, § 194, Rn. 3. 515 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26 geht davon aus, dass die Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit stattfindet, es sich also um prozessuale Elemente handelt. 516 Dafür spricht die Annahme einer „privatrechtlichen Kontrollkompetenz“ bei Micklitz/Rott, in: MüKoZPO, § 3 UKlaG, Rn. 4, auf welche Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 26 verweist. 517 Auch die Feststellungsklage des § 256 ZPO schafft keinen materiellen Anspruch auf Feststellung, vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 256, Rn. 3. Gegen einen solchen Feststellungsanspruch ist auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4. Wie schon die Lehre vom Anerkennungsanspruch könnte die Annahme eines materiellen Anspruchs die mit der Musterfeststellungsklage gegebene Möglichkeit der Feststellung des Nichtbestehens nicht erklären, vgl. zur Kritik am Anerkennungsanspruch: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 126 f. 518 Siehe nur: Henrich, in: BeckOKBGB, § 194, Rn. 15. 519 Wie bereits im Rahmen der Ausführungen zur Prozessführungsbefugnis dargelegt, gründet sich das Verfahren auf die materiellen Ansprüche der angemeldeten Verbraucher. Diese liegen mithin der Feststellung zugrunde. 520 So die teilweise vertretene Annahme für die Verwendung rechtswidriger AGBs: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 92 m.w. N.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Zwar könnten aus diesem Rechtsverhältnis Ansprüche folgen, jedoch bliebe dann wiederum unerklärlich, worin der materielle Gehalt eines Anspruchs, gerichtet auf die Klärung der Feststellungsziele, liegen sollte. Der Anspruch wäre dann gleichbedeutend mit dem Klagebegehren, was einem aktionenrechtlichen Verständnis entspräche.521 Die Konzeption des Verfahrens als Musterfeststellungsklage, als eine besondere Form der Feststellungsklage, vermeidet aber gerade diese Schwierigkeiten. Eine Feststellungsklage hat nicht die Durchsetzung eines subjektiven Rechts oder eine Rechtsänderung zum Gegenstand, sondern gründet nur auf einem materiellen Recht.522 Diese Feststellungsklage kann sich auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder beziehen, ohne diese selbst unmittelbar zum Gegenstand haben zu müssen, was dem Zweck einer erleichterten Durchsetzung gerade dieser Ansprüche zudem besser entspricht als die Annahme eines eigenen parallelen Anspruchs der qualifizierten Einrichtung. Für eine Feststellungsklage ist ein solchermaßen materielles Verständnis, im Sinne eines eigenen Feststellungsanspruchs, wie er noch zu § 231 CPO vertreten wurde, nicht notwendig.523 Ob es sich bei dieser um ein rein prozessuales Institut handelt, kann an dieser Stelle offenbleiben.524 Für die Annahme des Vorhandenseins eines materiellen Anspruchs der qualifizierten Einrichtung besteht somit weder ein Bedürfnis, noch lässt sich dem Gesetz ein solcher Anspruch entnehmen.525 (4) Zwischenergebnis Die Musterfeststellungsklage besitzt somit keine Doppelnatur, insbesondere verfügt die qualifizierte Einrichtung über keinen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch.526 521 Vgl. zum Aktionenrecht: Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB, § 194, Rn. 2. Selbst im Aktionenrecht blieb aber noch ein materielles Substrat erkennbar, welches hier vollständig fehlen würde. Siehe auch: Häsemeyer, Verbandsklage als Instrument öffentlicher Kontrolle, in: Festschrift Spellenberg, S. 99 (103). 522 Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 1. 523 Vgl. Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 3; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 256, Rn. 3. Ausführlich zur Historie der Feststellungsklage: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 177 ff. Ablehnend für die Musterfeststellungsklage: Bruns, Rechtsgutachten, S. 39 f. 524 Dafür: Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 1; a. A. Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 1. 525 Vgl. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (10). So wohl auch: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (365). 526 So auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4; Scherer, VuR 2019, 243 (247); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 138. Nicht ganz klar wird bei Prütting, ZIP 2020, 197 (201), ob eine Doppelnatur bei der Musterfeststellungsklage vorliegen soll. Jedenfalls wäre ein Rückschluss aus § 606 Abs. 3 ZPO auf
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4. Gesamtergebnis zur Übertragbarkeit auf die Musterfeststellungsklage Die Darstellung zur Rechtsnatur der bisherigen Verbandsklagen hat vor allem gezeigt, dass es bei den Verbandsklagen um die Durchsetzung öffentlicher Belange und kollektiver Interessen geht,527 und zwar durch private Verbände mittels des Zivilprozesses.528 Darin liegt der maßgebliche Unterschied zum klassischen Zivilprozess begründet, welcher darauf abzielt subjektive Rechte eines individualisierbaren Rechtsträgers durchzusetzen.529 Die Verbandsklagen verfolgen mithin ein allgemeines bzw. überindividuelles Interesse, nicht aber das Interesse eines einzelnen Rechtsträgers.530 Bei der Musterfeststellungsklage stellt sich dies anders dar. Wie herausgearbeitet wurde, geht es bei dieser um eine erleichterte Individualrechtsdurchsetzung. Folglich dient diese Verbandsklage dem Individualinteresse.531 Die positiven Folgen für Allgemeinbelange haben eher den Charakter einer erwünschten Nebenfolge. Anders als bei den bisherigen Verbandsklagen erfolgt die Zuweisung der Prozessführungsbefugnis im Rahmen der Musterfeststellungsklage nicht aus dem Grund heraus, dass kein Anspruchsträger, für die Sicherstellung des Institutionenschutzes gegeben ist.532 Denn die Verbraucheransprüche haben offensichtlich einen Rechtsträger.533 Es geht gerade nicht um die Zuordnung einer Kontrollkompetenz für das Allgemeininteresse an eine pridie Rechtsnatur im UKlaG nicht überzeugend, da § 606 Abs. 3 ZPO nur die Musterfeststellungsklage betrifft. 527 Ausführlich zum Gruppeninteresse: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 70 ff. 528 Schmidt, NJW 2002, 25 (27). Anschaulich: Schmidt, NJW 1989, 1192 (1193) der für die Verbandsklage im AGB-Recht darauf hinweist, dass die individuelle Einbeziehung der AGBs nicht geprüft wird und somit nur die Gefahr unzulässiger AGBs für die Allgemeinheit beseitigt werden soll. 529 Vgl. Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (57). 530 Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (61); Guski, ZZP 131 (2018), 353 (356 f.). Baur, Funktionswandel, in: Festschrift Tübinger Juristenfakultät, S. 159 (171 f.): „Interessenbündelung“. Lesenswert zu den Schwierigkeiten einer Trennung von Individual- und Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht: Tetzner, GRUR 1981, 803 (803 f.). 531 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 358 f. Das Individualinteresse kann wie folgt definiert werden: „Unter Individualinteresse versteht man entweder die (subjektive) Anteilnahme eines Menschen an einem Gegenstand oder aber den (objektiven) Nutzen, den ein Mensch durch den Gegenstand gewinnt.“: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 28. Anders wohl: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 252 f. 532 Vgl. Schmidt, NJW 1989, 1192 (1194). Für § 13 UWG a. F. vgl. Habscheid, GRUR 1952, 221 (222). 533 Vgl. die Unterscheidung der Unterlassungsklagen im Privatinteresse und solchen zum Institutionenschutz bei: Marotzke, Unterlassungsklage zur Verbandsklage, S. 11 ff. Zum Institutionenschutz bei den Verbandsklagen auch: Lindacher, ZZP 103 (1990), 397 (410 f.).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
vate Einrichtung, sondern um die Zuweisung einer (teilweisen) Durchsetzung individueller zivilrechtlicher Ansprüche an einen privaten Akteur. Zwar weist die Prozessführungsbefugnis gewisse Unterschiede zur üblichen Dogmatik auf,534 da ihr ein Recht nicht unmittelbar zugrunde liegt und sie nur bezüglich eines Teils der behaupteten Ansprüche/Rechtsverhältnisse geprüft wird. Dennoch wird durch das Anmeldeverfahren, die Konnexität und die Beziehung der Feststellungsziele zu den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen der Anmelder noch über ein fremdes (Teil-)Recht prozessiert. Aufgrund der Tatsache, dass die qualifizierte Einrichtung mit Bindungs- und Breitenwirkung ein Verfahren zugunsten der angemeldeten Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher betreibt, erscheint die Einordnung als eine Art der Prozessstandschaft sinnvoll. Fraglich ist an diesem Punkt daher insbesondere die nähere Einordnung der Rechtsnatur als Prozessstandschaft. Da auch in der Literatur zur Musterfeststellungsklage derartige, auf der Annahme einer Prozessstandschaft basierende Theorien bereits entwickelt wurden, sollen diese nachfolgend untersucht werden, um dann auf der Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse eine eigene Ansicht herausbilden zu können.
IV. Ansichten zur Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage Auch zur Musterfeststellungsklage wurden bereits Möglichkeiten die Rechtsnatur einzuordnen diskutiert. Zur Herausbildung einer eigenen Ansicht sollen diese Ansätze vorab einer näheren Betrachtung und Bewertung unterzogen werden.535 1. Modell einer repräsentativen Klage Teilweise wird davon ausgegangen, die Musterfeststellungsklage basiere auf dem Modell einer repräsentativen Klage. Insoweit sei das Verbot der Popularklage durchbrochen.536 Mit dem Modell einer Repräsentation dürfte vor allem gemeint sein, dass anders als bei einer Sammelklage US-amerikanischer Prägung keiner der Geschädigten selbst klagt (lead plaintiff), sondern ein unbeteiligter Dritter das Verfahren initiiert und führt.537
534
Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. Nicht erörtert wird Thiery/Schlingmann, DB 2018, 2550 (2550), die von einem Konzept einer Klage in fremdem Namen und fremdem Interesse ausgehen. Ablehnend auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4, Fn. 20. Siehe auch: Adolphsen, ZZP 135 (2022), 299 (321 f., 327), welcher eine Einordnung in tradierte Kategorien als Ausdruck „dogmatische[r] Unsicherheit“ ablehnt; es handele sich um „Klagerechte ohne Anspruch“. 536 Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (53). 537 So wohl: Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (55). 535
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Der Begriff der „Repräsentation“ erscheint jedoch unbestimmt und ist im deutschen Prozessrecht nicht verwurzelt.538 Sofern hierunter ein Stellvertreter zu verstehen ist,539 passt dies auf die Musterfeststellungsklage nur partiell. Zwar kann davon gesprochen werden, dass der Musterkläger die Interessen der Anmelder im Musterfeststellungsverfahren vertritt, diese also repräsentiert.540 Allerdings klagt er nicht in fremdem Namen, was bei einer Stellvertretung zwingend wäre. Der Prozessvertreter ist nicht selbst Partei, sondert handelt nach dem Grundsatz der unmittelbaren Stellvertretung für die Partei.541 Die Anmelder werden aber gerade nicht Partei des Verfahrens; dies sind nur die qualifizierte Einrichtung und der Musterbeklagte.542 Der Musterkläger kann demnach aber, neben der begrifflichen Unstimmigkeit, nicht Prozessvertreter der Anmelder sein. Der Begriff der Repräsentation kann daher nur im Sinne einer Repräsentation der Anmelderinteressen verstanden werden. Hierin liegt jedoch keine juristisch präzise Begriffsund Systembildung,543 sondern eher eine deskriptive Vorgehensweise, die nur gewählt werden sollte, wenn andere Möglichkeiten einer präzisen Erfassung fehlschlagen. Darüber hinaus von einer teilweisen („insoweit“) Durchbrechung des Verbots der Popularklagen zu sprechen erscheint nicht als zutreffend. Zum einen ist der Klägerkreis sehr begrenzt, sodass gerade kein quivis ex populo klagt,544 sondern eine Einrichtung, welche die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erfüllt. Außerdem wird unter einer Popularklage das eigenmächtige Wahrnehmen fremder Angelegenheiten verstanden.545 Davon kann aber bei der Musterfeststellungs538 Auf die Untauglichkeit des Terminus „Repräsentation“ weist auch Lange, Gruppenverfahren, S. 119 hin. Die zu vermutenden Ursprünge im englischen und US-amerikanischen Prozessrecht erschweren eine simultane Übertragung auf das deutsche Prozessrecht und führen zu Missverständnissen. Anders jedoch: Stadler, Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (571). Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (53, 55) scheinen eine Analogie zur US-Sammelklage zu bilden. 539 So auch das Verständnis bei Lange, Gruppenklage, S. 120. Unter dem Stichwort „Repräsentant“ erscheinen bei Fuchs, in: Weber, Rechtswörterbuch nur Verweise auf den Versicherungsvertrag. Der Begriff „Repräsentationstheorie“ führt bei Fuchs, in: Weber, Rechtswörterbuch zur Stellvertretung. 540 Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Repräsentation bei: Haß, Gruppenklage, S. 299 ff.; Prütting, ZIP 2020, 197 (198). Für ein Repräsentationsmodell bei einer Gruppenklage: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 80 f., allerdings als Prozessstandschaft. 541 Vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 85, Rn. 1. Auf das „Repräsentationsprinzip“ weist Touissant, in: MüKoZPO, § 85, Rn. 1 hin. 542 Röthemeyer, in: HK-MFKG, § 606, Rn. 2. 543 Daher ablehnend: Lange, Gruppenklage, S. 120. Ablehnend auch: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 325, Rn. 52 für die Rechtskrafterstreckung. 544 Ablehnend daher für die bisherigen Verbandsklagen: Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 7; Hefermehl, WRP 1987, 281 (282); Hadding, JZ 1970, 305 (307 f.). 545 Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 14.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
klage nicht ausgegangen werden – die Interessen der Verbraucher werden erst dann wahrgenommen, wenn sie hierzu im Wege der Anmeldung ihre Zustimmung erteilen. Von einer Popularklage kann somit nicht gesprochen werden.546 2. Besondere Art der Prozessvertretung Ähnlich der soeben behandelten Ansicht wird bisweilen von einer besonderen Art der Prozessvertretung ausgegangen, die sich nur auf eine Verfahrensart beziehe.547 Dementsprechend stelle die Regelung des § 610 Abs. 1 ZPO einen Eingriff in das Recht der freien Wahl des Prozessvertreters dar, weil der Verbraucher die qualifizierte Einrichtung nicht frei wählen könne.548 Nach dem Gesagten kann die Annahme einer Vertretung allerdings nicht überzeugen, da die qualifizierte Einrichtung im eigenen Namen und nicht in fremdem Namen klagt. Bei einer Vertretung der Anmelder wären Letztere gerade selbst Partei.549 Es erscheint außerdem zweifelhaft, wenn Prozessvertretung und Prozessführungsbefugnis (Klagebefugnis) quasi synonym verwendet werden.550 Die Prozessvertretung ist von der Befugnis, über ein Recht im eigenen Namen einen Prozess zu führen, zu trennen. Sofern man von einer Regelung der Prozessvertretung ausgeht, wäre systematisch eine entsprechende zusätzliche Normierung im Bereich des § 79 Abs. 2 ZPO angezeigt gewesen.551 Der Wortlaut dieser Norm belegt überdies, dass die ZPO, meint sie einen Prozessvertreter, vom Bevollmächtigten spricht, bezüglich der qualifizierten Einrichtung wird diese Wortwahl jedoch zu Recht nicht gewählt. Sofern der Begriff der Vertretung nicht für den Bereich der §§ 606 ff. ZPO inhaltlich anders gefasst werden sollte als nach dem Verständnis der ZPO üblich, 546
In diese Richtung wohl auch: Halfmeier, Popularklagen, S. 7 f. Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 9, der auch auf einen „Repräsentationscharakter“ verweist, auf S. 10 „Repräsentanten“. Bezüglich der Schwierigkeiten dieses Begriffs kann auf weiter oben verwiesen werden. Als eine Art der Prozessvertretung auch: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (371). 548 Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (371). Die allerdings i. E. die Regelung für gerechtfertigt halten. Zwischen dem Anmelder und der qualifizierten Einrichtung entstehe ein „besonderes unkündbares Prozessrechtsverhältnis“. Hierzu auch: SchmidtKessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 9, 15. 549 Vgl. hierzu die Ausführungen zur in dieser Hinsicht vergleichbaren Gruppenklage bei: Lange, Gruppenklage, S. 121. Der Unterschied zwischen der Partei und den Anmeldern wird von dieser Ansicht selbst anerkannt, vgl. Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 15. 550 Vgl. Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 10. Die Loslösung der Klagebefugnis von einer Anknüpfung an eine materielle Rechtsposition sei eine Abkehr von einem immanenten Prinzip der ZPO, eine Ausnahme sei bislang die gewillkürte Prozessstandschaft, vgl. Merkt/Zimmermann, VuR, 2018, 363 (365). 551 § 79 Abs. 2 ZPO enthält eine – zumindest für die ZPO selbst – umfassende Aufzählung der Vertretungsbefugnis, vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 79, Rn. 5. 547
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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ist er zur Charakterisierung der Rechtsnatur ungeeignet. Dieser sollte daher nur zur Deskription im Sinne einer Art Interessenvertretung verwendet werden. 3. Gesetzlich verliehene Prozessführungskompetenz Im Wesentlichen vergleichbar mit der oben thematisierten Annahme einer selbstständigen Prozessführungsbefugnis oder privatrechtlichen Kontrollkompetenz im UWG und UKlaG552 wird für die Musterfeststellungsklage angenommen, dass diese aus einer eigenen, gesetzlich verliehenen Prozessführungskompetenz folgt.553 Die Prozessführungskompetenz der qualifizierten Einrichtung lasse sich nicht mit dem herkömmlichen Anspruchsverständnis erfassen. Das Gesetz erfordere für die Klageerhebung keine Beauftragung oder Einwilligung der Verbraucher, nicht einmal bei der Nennung der Voraussetzungen zur Erfüllung der Anforderungen gemäß § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO müssen der Anmelder einwilligen.554 Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung überzeugt jedoch nicht. Für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzung wird allgemein nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt.555 Warum dies bei der Musterfeststellungsklage anders sein sollte, wird nicht dargetan, zumal sich aus § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO eine abweichende zeitliche Fixierung in Bezug auf die Zulässigkeit ergibt, welche sich aber gerade nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung bezieht.556 Wie bereits herausgearbeitet wurde,557 folgt die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung zwar nicht unmittelbar aus den Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen der Anmelder, sie leitet sich jedoch aus deren Anmeldung ab. Die Annahme einer gesetzlich verliehenen Prozessführungskompetenz wird somit der Bedeutung der Anmeldung für die Ansprüche/Rechtsverhältnisse der Verbraucher und ihrer Relevanz für die Erzielung eines breitenwirksamen Verfahrens nicht ausreichend gerecht. Zwar erkennt diese Ansicht zutreffend die Besonderheit der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung, insbesondere die gelockerte Beziehung zu den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen, weshalb sie hier auch nicht vollständig abgelehnt wird. Bei der Entwicklung einer eigenen Lösung muss jedoch der Aspekt der Anbindung des Verfahrens an 552
Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 2. a) und b). Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 16. Zum näheren Verständnis dürfte eine Heranziehung von Halfmeier, Popularklagen, S. 275 f. möglich sein. 554 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608, Rn. 16. 555 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 253, Rn. 11 m.w. N. Anschaulich: Lüke, Zivilprozessrecht I, § 13, Rn. 4. 556 Vgl. zum Beurteilungszeitpunkt bei § 606 Abs. 3 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 85. 557 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b). 553
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
die Ansprüche/Rechtsverhältnisse der Verbraucher durch die Anmeldung stärker berücksichtigt werden. 4. Einordnung der Musterfeststellungsklage als Prozessstandschaft im Kollektivinteresse Daneben ordnet eine andere Ansicht die Musterfeststellungsklage als eine Prozessstandschaft im Kollektivinteresse ein. Wie angekündigt,558 soll auch diese Ansicht noch einer näheren Betrachtung unterzogen werden. a) Darstellung der Ansicht Diese Ansicht geht von der Feststellung aus, dass zugunsten der qualifizierten Einrichtung kein eigener materiell-rechtlicher Anspruch besteht und damit eine Übertragung der bisher h. M. zu den Verbandsunterlassungsklagen ausscheidet und somit die Frage nach der Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtung prozessual eingeordnet werden sollte. Es liege eine Prozessstandschaft vor, da die qualifizierte Einrichtung im eigenen Namen klagt, aber keinen eigenen Anspruch geltend macht. Gegen eine Einordnung als gesetzliche Prozessstandschaft spreche jedoch, dass der Verband keine konkreten materiellen Ansprüche der Anmelder durchsetze und die Mindestanmelderzahl lediglich eine Zulässigkeitsvoraussetzung sei. Der Verband handele daher nicht für die angemeldeten Verbraucher, denn deren Ansprüche sind nicht der konkrete Verfahrensgegenstand. Weiterhin entfalte das Musterfeststellungsurteil über § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO hinaus auch Wirkungen auf Individualklagen vor anderen Gerichten, da sich diese am Urteil im Musterfeststellungsverfahren orientieren werden, auch wenn keine rechtliche Bindungswirkung existiert. Die Klage finde somit nicht im Interesse der einzelnen Anmelder, sondern im Kollektivinteresse in Form einer Prozessstandschaft statt. Für dieses Kollektivinteresse stelle die Zahl von 50 Anmeldungen in § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO eine Art Indiz dar.559 b) Stellungnahme Zustimmung verdient der Ausgangspunkt einer Ablehnung eines eigenen materiell-rechtlichen Anspruchs und einer Doppelnatur. Fraglich ist jedoch die Annahme eines Kollektivinteresses. 558
Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 2. b). So Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4. Zustimmend: Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 5, 55 und Verweis bei Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 1. In diese Richtung auch Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 8. Der davon ausgeht, dass der Musterkläger in einem gesamtgesellschaftlichen Interesse tätig werde. Siehe ferner: Althammer, Teilnahme ausländischer Forderungsinhaber an deutschen Musterfeststellungsklagen, in: Festschrift Roth, S. 657 (658 f.): „Verfolgung eines verbraucherschützenden Kollektivinteresses“, wobei der Kläger im Rahmen einer neuen Art der Prozessstandschaft ein eigenes Kollektivinteresse wahrnehme. 559
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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aa) Unzulänglichkeiten der Bestimmung des Kollektivinteresses Die Prozessstandschaft ist eine Klage im eigenen Namen über ein fremdes Recht. Für den Fall der Annahme einer Prozessstandschaft wäre es somit erforderlich, den Rechtsträger zu identifizieren, dessen Anspruch durchgesetzt werden soll.560 Eine Einordnung als Prozessstandschaft im Kollektivinteresse561 umgeht aber gerade diese Frage. Die Zahl von mindestens 50 wirksam angemeldeten Verbrauchern (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) solle lediglich ein Indiz für das Kollektivinteresse sein.562 Ein konkreter Träger oder mehrere Träger des Kollektivinteresses sind nur schwer auszumachen. Sofern also von einem Kollektivinteresse gesprochen wird, dann bleibt unklar, für welche Interessenträger der Musterkläger eigentlich als Prozessstandschafter auftritt. Fraglich wäre, ob es überhaupt möglich ist, von „dem“ Kollektivinteresse zu sprechen. Es wird nicht näher ausgeführt, ob es sich hierbei um die Summe der Interessen aller potenziell betroffenen, aber nicht individualisierbaren Verbraucher handelt oder ob dies eine eigenständige Größe sein soll, die losgelöst und unabhängig von den Individualinteressen besteht. In Anbetracht der Tatsache, dass nicht einmal für alle wirksam angemeldeten Verbraucher sämtliche Feststellungsziele im Folgeverfahren entscheidungserheblich sein müssen,563 erscheint dies mit Blick auf ein über diesen Kreis hinausgehendes Kollektiv noch schwieriger. Es kann nicht in allen Fällen ein verbindendes gemeinsames Interesse aller potenziell Betroffenen ermittelt werden.564 Es bestünde daher kaum ein einheitliches Kollektivinteresse, sondern es gäbe mindestens mehrere mögliche Untergruppen. Der Begriff des Kollektivinteresses ist somit für eine präzise Erfassung der Musterfeststellungsklage ungeeignet. Im Hinblick auf jene Betroffenen, die bewusst von einer Anmeldung absehen, hätte die Bejahung eines Kollektivinteresses überdies eher den Charakter einer Fiktion.565 bb) Legislative Anhaltspunkte für die Annahme eines Kollektivinteresses Auf ein Kollektivinteresse im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage geht die Gesetzesbegründung in keiner Weise ein. Die „Kollektivinteressen der Verbraucher“ werden lediglich in Bezug auf den abstrakten Schutzauftrag der quali560 Vgl. hierzu für das AGBG: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (66). 561 Zu diesem Begriff: Halfmeier, Popularklagen, S. 205 ff. 562 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4. 563 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12 m.w. N. Zur Ermittlung der Vorgreiflichkeit: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 51. 564 Vgl. zum Gruppeninteresse: Thiere, Wahrung überindividueller Interessen, S. 86 f. m.w. N.; zum Kollektivinteresse: Halfmeier, Popularklagen. S. 205 f. m.w. N. 565 Vgl. zum Wahlrecht der Verbraucher: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 70 ff.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
fizierten Einrichtungen genannt.566 Obwohl also die Gesetzesbegründung durchaus mit diesem Terminus operiert, wird er nur im Hinblick auf die generellen Ziele qualifizierter Einrichtungen verwendet, aber gerade nicht um das Verfahren zu charakterisieren. Diejenigen Verbraucher, die sich nicht angemeldet haben, werden nur insofern erwähnt, als sie eine Individualklage erheben könnten.567 Dahingehend, dass auch sie positiv von der Musterfeststellungsklage profitieren sollten, finden sich keine weitergehenden Einlassungen.568 Demnach geht es der Musterfeststellungsklage erkennbar nicht um die Durchsetzung eines Kollektivinteresses, sondern primär um die Verbesserung der Durchsetzung von Individualansprüchen.569 Sie ist gerade nicht, wie die bisherigen Verbandsklagen, als eine Art rein objektives Verfahren ausgestaltet. Vielmehr zielt sie insbesondere mit dem Anmeldeverfahren auf einen konkreten Individualschutz ab.570 Gerade das Anmeldeverfahren mit dem Erfordernis der Abhängigkeit in § 608 Abs. 1 ZPO571 belegt, dass der Musterfeststellungsklage die Individualansprüche der Anmelder und damit deren Individualinteresse zugrunde liegen.572 Nur diejenigen, die ihre Anmeldung zum Verfahren nach § 608 Abs. 1 ZPO vornehmen wollen, sollen auch an den Wirkungen des Verfahrens partizipieren.573 Die Annahme, dass der Musterkläger gleichwohl auch die Interessen der Nichtanmelder, als im Kollektivinteresse enthaltenes Interesse prozessstandschaftlich vertrete, würde zu einer Negierung der im Verzicht auf eine Anmeldung liegenden Entscheidung führen.574 Eine Wirkung, welche über die Anmelder hinausgeht, hat im Gesetz keinerlei Ausdruck gefunden.575 Im Gegenteil: Eine Aussetzungsmöglichkeit laufender
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BT-Drs. 19/2507, S. 22. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 568 Die insofern einzige Ausnahme bildet die Erwähnung im Zusammenhang mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vergleichs. Diese soll auch den Nichtanmeldern ermöglichen, in Verhandlungen mit dem Beklagten einzutreten (BT-Drs. 19/2507, S. 27). Für das Musterfeststellungsurteil erfolgt aber keine solche Hervorhebung. 569 Sofern der Gesetzgeber die Verfolgung eines Kollektivinteresses hätte ermöglichen wollen, wäre ein Feststellungsurteil mit einer Urteilswirkung ähnlich § 11 S. 1 UKlaG und einer allgemeinen Verjährungshemmung eine näherliegende und ressourcenschonendere Gestaltungsmöglichkeit gewesen. 570 BT-Drs. 19/2507, S. 13. 571 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) aa) (1) (b). 572 Das Zugrundeliegen der Individualansprüche hebt BT-Drs. 19/2507, S. 16 hervor. 573 Die BT-Drs. 19/2507, S. 24 spricht ausdrücklich davon, dass die Verbraucher durch die Anmeldung die Möglichkeit erhalten, von den Wirkungen der Musterfeststellungsklage zu profitieren. 574 In Bezug auf die Nichtanmelder hebt die Gesetzesbegründung gerade die Möglichkeit hervor, Individualklage zu erheben, BT-Drs. 19/2507, S. 16. 575 Vgl. auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Vor § 606, Rn. 4, den nicht angemeldeten Ansprüchen gegenüber bestehe „allenfalls eine faktisch-politische Wirkung“. 567
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Verfahren für all diejenigen Verbraucher, die sich nicht angemeldet haben, aber trotzdem zum „Kollektiv“ gehören, sieht die ZPO nicht vor. § 148 Abs. 2 ZPO regelt eine Aussetzungsmöglichkeit nur auf Antrag eines Unternehmers.576 Ein Unternehmer kann sich nicht zum Klageregister anmelden und kann daher nach der Konzeption der §§ 606 ff. ZPO nicht von den Wirkungen der Musterfeststellungsklage profitieren. Dem trägt § 148 Abs. 2 ZPO Rechnung.577 Für andere Individualverfahren, in welchen sich das Kollektivinteresse auch auswirken könnte, sieht das Gesetz solche Möglichkeiten nicht explizit vor. Weiterhin tritt im Fall des § 148 Abs. 2 ZPO überdies nur eine rein faktische Wirkung ein.578 Im Umkehrschluss aus der begrenzten Regelung des § 148 Abs. 2 ZPO ergibt sich aber zugleich, dass der Gesetzgeber nicht von einem über die wirksam Angemeldeten hinausgehenden Interessenkreis ausgeht.579 Sofern hiermit nur auf eine rechtlich unverbindliche Präzedenzwirkung abgestellt wird, hat diese keine größere Bedeutung als bei jedem anderen Verfahren, welches einen Präzedenzfall bildet.580 Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass das Verfahren über die Anmelder hinaus Wirkungen entfalten soll und kann, dann wäre eine generelle Verjährungshemmung für alle möglichen Ansprüche betroffener Verbraucher,581 beispielsweise vergleichbar der Regelung des § 33h Abs. 6 GWB,582 erforderlich gewesen. Nach der aktuellen Konzeption der Musterfeststellungsklage können, zumindest bei längerer Verfahrensdauer, gerade nur angemeldete Verbraucher gesichert von den Feststellungswirkungen profitieren. Dies gilt in rechtlicher (§ 613 Abs. 1 ZPO) wie auch tatsächlicher Hinsicht, da der Lauf der Verjährungsfrist für unangemeldete Ansprüche zur Verjährung vor Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens führen kann. Allein aus dem Charakter der Klageart, welche nur eine Klärung generalisierbarer Fragen zulässt, folgt noch keine Abkehr von einem Verfahren im IndiviGluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 139 will das Kollektivinteresse dagegen im Quorum erblicken. 576 Auch hier besteht also eine Wahlfreiheit, vgl. Wendtland, in: BeckOKZPO, § 148, Rn. 12. 577 Wöstmann, in: Hk-ZPO, § 148, Rn. 1.1; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 148, Rn. 2, 6. 578 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 15; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 148, Rn. 3. 579 Nicht angemeldete Verbraucher können nicht profitieren: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 170. 580 Siehe zu faktischen Wirkungen eines Urteils: Wolf, Klagebefugnis der Verbände, S. 64 f. Die Gesetzesbegründung bezieht die Wirkungen in einem Folgeverfahren oder in einem Verfahren der außergerichtlichen Streitschlichtung nur auf das Verhältnis des Beklagten zu den Anmeldern, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 581 Für die potenziell Betroffenen nennt die Gesetzesbegründung nur zwei Möglichkeiten: Anmeldung oder Individualklage, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 582 Zu dieser Regelung: Franck, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 33h GWB, Rn. 31 ff.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
dualinteresse.583 Zwar werden die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder nicht unmittelbarer Verfahrensgegenstand.584 Die Gestaltung der Klageart, mit der die Klärung solcher Feststellungsziele, von denen Ansprüche oder Rechtsverhältnisse abhängig sind585 mit einer Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 ZPO) allein gegenüber den Anmeldern,586 ermöglicht wird, belegt aber dennoch klar das Ziel einer erleichterten Durchsetzung von Individualinteressen.587 Zwar hat die Prozessführungsbefugnis hier einen partiell veränderten Inhalt.588 Die Feststellungsziele sind aber eine Frage des Streitgegenstands, die Prozessführungsbefugnis, als parteibezogene Sachurteilsvoraussetzung, ist jedoch von den streitgegenstandsbezogenen Sachurteilsvoraussetzungen abzugrenzen.589 Daher sollte auch kein direkter Rückschluss aus dem Streitgegenstand auf die Prozessführungsbefugnis (Klagebefugnis) gezogen werden. Dies gilt hier im Besonderen, da auch diese Ausgestaltung der Klageart einen erleichterten Individualschutz für identifizierbare Individualrechtsträger bewirkt.590 Ein Kollektivinteresse hat weder in der Gesetzesbegründung noch in der Ausgestaltung eine Anerkennung erfahren. cc) Begrenzte subjektive Wirkungen der Musterfeststellungsklage Zu klären ist, wie die faktischen Folgen des Musterfeststellungsverfahrens für Nichtanmelder zu bewerten sind. Wie erwähnt, stellt eine faktische Wirkung des Verfahrens über die Grenzen der Anmelder hinaus kein Unikum der Musterfeststellungsklage dar. Für den Fall eines Schadensereignisses mit erheblicher Breitenwirkung würde ein in zeitlicher Hinsicht frühes obergerichtliches Urteil in einem Individualverfahren, welches zu wesentlichen Fragen Stellung nimmt, eine ähnliche Bedeutung für die anderen Betroffenen und deren Rechtsstreitigkeiten entfalten. Für diesen Fall kann aber auch nicht angenommen werden, der Kläger des Individualverfahrens habe sogleich ein nicht näher individualisierbares Kollektivinteresse verfolgt. 583 Dies scheint aber die Annahme Stadlers zu sein. Für die Fälle einer Klage mit Leistungscharakter würde sie eine Einordnung zwischen einer gewillkürten und einer gesetzlichen Prozessstandschaft vornehmen, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO § 606, Rn. 4. 584 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 9. 585 Siehe zur Vorgreiflichkeit nur: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 15; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 1. 586 Siehe nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 613, Rn. 2. 587 Vgl. zur Rechtskraft als „instrumentale Absicherung des Prozeßzwecks“: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 213 ff. 588 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. 589 Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 14. 590 Übertragbar sind in dieser Hinsicht die Feststellungen von: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (38 f.) zum KapMuG. Dieses bewirke zwar für einen Ausschnitt der Ansprüche eine gleichförmige Beurteilung, sei aber auf den Individualrechtsschutz im Wege eigener Klagen zugeschnitten.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Die verrechtlichten Wirkungen591 einer Musterfeststellungsklage treten aber gerade nur für den Fall der wirksamen Anmeldung ein. Stadler selbst erkennt, dass die praktische Bedeutung einer Einordnung der Rechtsnatur im Bereich von Umfang und Rechtfertigung der Bindungswirkungen und der Folgen eines Vergleichsaustritts liegen.592 Im Hinblick auf die Annahme eines Kollektivinteresses überrascht diese Erkenntnis hingegen. Schließlich treten die Wirkungen des Feststellungsurteils593 und die Möglichkeit eines Austritts aus dem Vergleich594 gerade nur für Anmelder ein. Überdies versagt die Annahme eines Kollektivinteresses, welches auch die Nichtanmelder betrifft, bereits im Fall eines Vergleichsschlusses. Eine Teilhabe an den Vergleichswirkungen ist nach § 611 Abs. 1 ZPO nur für Anmelder vorgesehen595 und eine Präzedenzwirkung des Urteils, insbesondere die Gewinnung von Rechts- und Tatsachenerkenntnissen, scheidet aus.596 Selbst aus der Angemessenheitsprüfung (§ 611 Abs. 3 S. 1, 2 ZPO) können keine Schlussfolgerungen gezogen werden, da diese auf den Sach- und Streitstand des Verfahrens bezogen ist.597 dd) Stellungnahme Der Annahme eines schwer fassbaren Kollektivinteresses bedarf es somit nicht. Das Musterfeststellungsverfahren bezieht sich auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der wirksam angemeldeten Verbraucher.598 Betroffen ist somit ein klar abgrenzbarer Personenkreis.
V. Eigener Lösungsansatz zur Einordnung der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage 1. Skizzierung des Grundgedankens Wie bereits herausgearbeitet, bezieht sich die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der wirk591
Übersichtlich hierzu: Schmidt in: Anders/Gehle, ZPO, § 608, Rn. 7. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4. 593 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 4. 594 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 51. 595 Vgl. Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 55 ff., die Wirkungen sind auf die Anmelder begrenzt und faktische Wirkungen scheiden bei einer privatautonomen Regelung aus. Vergleich und Angemessenheitsprüfung sind auf die Interessen der Betroffenen ausgerichtet: Kähler, ZIP 2020, 293 (301). 596 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 109 ff., insb. S. 110 f., S. 119 f. m.w. N. Siehe auch: Schneiders, Der Prozessvergleich, in: Festschrift Schilken, S. 457 (460). Selbst angemeldete, aber aus dem zustande gekommenen Vergleich ausgetretene Verbraucher ziehen keinen Nutzen mehr aus dem Musterfeststellungsverfahren, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 17. 597 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 47. 598 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b), dort insb. aa). 592
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
sam angemeldeten Verbraucher.599 Die qualifizierte Einrichtung hat keinen eigenen materiellen Anspruch, den sie geltend machen könnte.600 In diesem Zusammenhang601 wurde zudem herausgearbeitet, dass die Musterfeststellungsklage primär ein Verfahren zum Schutz der Individualinteressen der Anmelder ist. Zusammenfassend handelt es sich daher um ein Verfahren eines rechtsfremden Dritten im Interesse der Rechtsinhaber mit Bezug zu deren Ansprüchen und Rechtsverhältnissen. Diese Situation kommt einer klassischen Prozessstandschaft sehr nahe. Auch in der Literatur wird, neben den obigen Ansätzen, die Nähe zur Prozessstandschaft anerkannt.602 Da aber die Ansprüche der Verbraucher selbst nicht rechtshängig werden, solle nur eine „Quasi-Prozessstandschaft“ vorliegen.603 Andere Stimmen stellen vor allem auf die Rolle der qualifizierten Einrichtung ab. Diese handele „als eine Art Prozessstandschafter für die Verbraucher“.604 Besonders interessant ist die Annahme einer „teilweise gesetzlichen, teilweise gewillkürten Prozessstandschaft sui generis“.605 Hierbei wird zwischen dem Anmeldeverfahren als einem gewillkürten Akt und der daraus folgenden gesetzlichen Begründung der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung unterschieden.606 Daneben wird von einer gesetzlichen Prozessstandschaft ausgegangen.607 2. Prozessstandschaft trotz fehlender Geltendmachung von Individualansprüchen und -rechtsverhältnissen Für die Einordnung als Prozessstandschaft muss zunächst untersucht werden, ob dies im Hinblick auf die Tatsache, dass die individuellen Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher nicht Verfahrensgegenstand sind, abzulehnen ist. 599
Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c) bb). 601 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c) bb) (2). 602 Siehe beispielsweise: Scholl, ZfPW 2019, 317 (333); Waclawik, NJW 2018, 2921 (2921). 603 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 88 f.; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 19. 604 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 606, Rn. 6. Bezugspunkt seien Rechtsverhältnisse zwischen Verbrauchern und Unternehmern, das Verfahren finde aber nur zwischen qualifizierter Einrichtung und Unternehmer statt. 605 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 19. Zustimmend: Horn, ZvlgRWiss 118 (2019), 314 (322); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 140: „Prozessstandschaft sui generis“. 606 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 20. 607 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 235 f., 245; Schellhammer, in: Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 195, 1209. Für die Verbandsklagen nach § 3 Abs. 1 UKlaG und § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG liege ebenfalls eine gesetzliche Prozessstandschaft vor. Nach Prütting, ZIP 2020, 197 (201) handelt es sich bei einer solchen Konstellation „an sich“ um eine gesetzlich zugelassene Prozessführungsbefugnis. 600
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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a) Problematik Gegen das Vorliegen einer Prozessstandschaft wird vielfach eingewendet, dass die Ansprüche der Verbraucher, auch im Falle einer Anmeldung nach § 608 Abs. 1 ZPO nicht rechtshängig werden.608 Wäre die Musterfeststellungsklage eine tradierte Form der Prozessstandschaft, dann käme es zu einer objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO),609 resultierend aus allen angemeldeten Ansprüchen bzw. Rechtsverhältnissen. Dies ist aber gerade nicht der Fall, weshalb die Ansprüche/Rechtsverhältnisse der Anmelder auch nicht separat im Hinblick auf Zulässigkeit und Begründetheit untersucht werden.610 b) Auflösung der Problematik unter Betrachtung der Klageart Die Musterfeststellungsklage ist als Feststellungsklage ausgestaltet.611 Die Möglichkeit einer Prozessstandschaft besteht auch bei einer Feststellungsklage.612 Die Feststellungsklage im Sinne des § 256 ZPO ist ein prozessrechtliches Institut eigener Art, also ein rein prozessuales Rechtsinstitut.613 Dennoch dient sie der Verfolgung materiell-rechtlicher Positionen,614 schließlich können 608 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89, der von einer „Quasi-Prozessstandschaft“ ausgeht. Nach Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 199 gehe nicht um die Durchsetzung der Rechte der Anmelder, sondern nur um Klärung der Feststellungsziele, eine Prozessstandschaft sei daher ausgeschlossen, vgl. ebenda, S. 213. 609 Zur objektiven Klagehäufung: Geisler, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 260, Rn. 2 ff. Eine objektive Klagehäufung kann aus mehreren Feststellungszielen als Streitgegenständen folgen: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einl., Rn. 81. 610 Urbanczyk, Verbandsklage, S. 30 hebt dies im Hinblick auf die oben angesprochene gewillkürte Prozessstandschaft bei Verbandsklagen nach der Rechtsprechung als Kritikpunkt hervor. 611 Vgl. das Verhältnis zu § 256 ZPO: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 16. Sie ist eine eigenständige Klageart: BT-Drs. 19/2507, S. 15; Koch, MDR 2018, 1409 (1411). Für die Feststellungsklage ist die Prozessstandschaft anerkannt, vgl. nur: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (463). 612 Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 118; Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (463). Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 38 verneint, wegen der Drittfeststellungsklage, das praktische Bedürfnis. 613 Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 1; kritisch: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 153 ff., insb. S. 163 ff. A. A. auch Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 1. Siehe zum rein prozessualen Institut die Nachweise bei: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 131 f., der an das materiell-rechtlich zu verstehende Rechtsverhältnis, unter Entlastung des Feststellungsinteresses, zwischen den Parteien als „materielrechtliches Band“ (ebenda, S. 179) anknüpfen möchte, vgl. ebenda, S. 178 f., 239 ff. 614 Vgl. Becker-Eberhard, MüKoZPO, § 256, Rn. 36; Feststellungsklage gründe auf materiellem Recht: Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 1. Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 52 das Rechtsverhältnis als Beleg der materiellen Beziehung der Parteien sei konturlos geworden.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
gerade aus dem Rechtsverhältnis auch Ansprüche entstehen.615 Sie erfordert aber weder einen Anspruch,616 noch muss das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien bestehen.617 Die Lösung der Musterfeststellungsklage von ihrem unmittelbaren Bezug auf materielle Rechte ist damit bereits im Charakter der Feststellungsklage angelegt, weil sich diese selbst vom materiellen Recht gelöst hat.618 Die fehlende unmittelbare Verknüpfung der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung mit den Ansprüchen/Rechtsverhältnissen der Anmelder infolge einer fehlenden Rechtshängigkeit, ist somit vornehmlich eine Folge der Klageart.619 Die obige Kritik, die sich an der fehlenden Durchsetzung von Ansprüchen entzündet und aus der eine Ablehnung der Prozessstandschaft abgeleitet wird, geht also zu einem erheblichen Teil im Charakter der Klageart als Feststellungsklage auf.620 Die Feststellungsklage führt nicht zu einem Leistungsbefehl, sondern zu einer verbindlichen Feststellung.621 Dies lässt aber keinen Rückschluss auf die Prozessführungsbefugnis zu, da auch die Feststellungsklage nach § 256 ZPO eine Prozessführungsbefugnis erfordert.622 Andernfalls könnte die subjektive Beziehung des Streitgegenstandes zu einer Person nicht festgestellt werden.623 Die abstrahierende Loslösung von einem konkreten Anspruch oder Rechtsverhältnis ist daher in der Feststellungsklage angelegt und nicht in der Prozessführungsbefugnis. Nicht beantwortet ist damit allerdings die Folge einer fehlenden Rechtshängigkeit der Individualansprüche und -rechtsverhältnisse. Hierfür ist der Inhalt der Prozessstandschaft relevant. Sie wird als die Befugnis, über ein fremdes Recht im eigenen Namen einen Prozess zu führen, definiert.624 Noch deutlicher wäre 615 Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (447). 616 Ein solcher kann aber Gegenstand eines Anspruchs sein, vgl. Roth, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 256, Rn. 3 f. 617 Vgl. nur: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (446). Bei den in der Rechtsprechung angeführten Fällen von Drittrechtsverhältnissen handele es sich um Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien oder Präjudizialverhältnisse: ebenda, S. 452 ff., insb. S. 460 f. Siehe auch: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 256, Rn. 5. 618 Brehm, Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse, in: Festgabe BGH, S. 89 (106); Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (490 f.). 619 Weitergehend Brehm, Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse, in: Festgabe BGH, S. 89 (106 f.), allerdings überwiegend mit Bezug zur Drittfeststellungsklage. 620 Vgl. Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 14, die Prozessführungsbefugnis weist einen Bezug sowohl zu den partei- als auch zu den streitgegenstandsbezogenen Sachurteilsvoraussetzungen auf. 621 Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 256, Rn. 1; Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 3. 622 Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 3b m.w. N. 623 Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 73 f. 624 Vgl. Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 16; Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 28; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 21.
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die Diskrepanz zur Musterfeststellungsklage, wenn die Prozessstandschaft als die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen definiert wird.625 Dies passt allerdings ganz allgemein nicht zu einer Klage mit einem feststellenden Charakter, da mit dieser kein Recht geltend gemacht wird, sondern allenfalls festgestellt werden kann. Problematisch an dieser Definition ist daher, dass es nach ihrem Wortlaut nur Leistungsklagen geben könnte, weshalb es sich empfiehlt „die Prozessstandschaft als ,die befugte Prozeßführung über [ein – Anm. d. Verf.] fremdes Rechtsverhältnis im eigenen Namen‘ zu definieren“.626 Diese Definition ist bereits deutlich passender für die Musterfeststellungsklage. Zentral für die Prozessstandschaft ist somit letztlich, dass sich der Streitgegenstand auf eine materielle Position bezieht, die Gegenstand eines behaupteten fremden materiellen Rechtsverhältnisses ist.627 Außerdem muss der Kläger anerkennen, dass es sich um ein für ihn fremdes Recht handelt.628 Als Zwischenergebnis kann somit die grundsätzliche Einordnung als Prozessstandschaft festgehalten werden. Da aber mit der Musterfeststellungsklage nur Feststellungsziele geklärt werden können, bilden die einzelnen Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der Anmelder nicht den eigentlichen Klagegegenstand.629 Die Definition bedürfte daher für die Musterfeststellungsklage einer weiteren Anpassung: Bei der Prozessstandschaft handelt es sich um die befugte Prozessführung mit Bezug auf fremde Rechtsverhältnisse oder Ansprüche im eigenen Namen.630 Eine Folgeproblematik, die sich an dieser Stelle ergibt, ist diejenige, ob es sich hierbei noch um eine Prozessstandschaft im tradierten Sinne handelt oder damit eine Prozessstandschaft sui generis entsteht. 625 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (110); Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 34. Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 116 weist auf die Missverständlichkeit dieser Definition hin. Gleichzeitig sei sie nicht unrichtig, da die Prozessführungsbefugnis und der Streitgegenstand eine Verbindung aufweisen. Prütting, ZIP 2020, 197 (201) scheint eine Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen auch für die Musterfeststellungsklage anzunehmen. 626 Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 10 f., 53 ff. Vgl. auch die Definition bei: Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 16: „Wer ist dazu befugt, den Prozeß über die Feststellung des behaupteten bzw. verleugneten Rechtsverhältnisses im eigenen Namen zu führen?“, i. E. aber ablehnend zur Prozessstandschaft bei der Feststellungsklage (ebenda, S. 19). 627 Vgl. Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 118. Vgl. auch: Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 117. 628 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (110) m.w. N. 629 Siehe nur: Röthemeyer, VuR 2019, 87 (87 f.), aber im besten Falle stehe der Anspruch infolge des Musterfeststellungsverfahrens bereits dem Grunde nach fest. Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 21 spricht trotzdem von Geltendmachung. Die Musterfeststellungsklage hat, vergleichbar der Feststellungsklage (hierzu: Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 69), ihre Grundlage nicht im materiellen Recht selbst, sondern beruht auf prozessualen Grundlagen. 630 Das Prozessrecht muss sich nicht zwingend an die Formen des materiellen Rechts anlehnen. Das materielle Recht erlangt im Prozess in den Strukturen des Prozessrechts Relevanz. Vgl. Brühl, Prozessführungsbefugnis, S. 70.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
c) Art der Prozessstandschaft Wesentlich am Begriff der Prozessstandschaft ist der Bezug auf fremde Rechte.631 Die Feststellungsziele sollen sich gerade auf die hinter ihnen stehenden Interessen der eigentlichen Rechtsinhaber beziehen, was sich an der erforderlichen Vorgreiflichkeit jener für die Individualansprüche und -rechtsverhältnisse zeigt.632 Entsprechend kann die fehlende Abhängigkeit zwischen Feststellungszielen und Verbraucheransprüchen bzw. Rechtsverhältnissen zur Zurückweisung führen.633 Die Musterfeststellungsklage wahrt also gerade den Charakter einer Prozessführung über ein fremdes Recht. Die Ausgestaltung als eine besondere Klageart, die die materiellen Bezugspunkte abschwächt, steht dem nicht entgegen, denn trotz allem liegt der materielle Bezugspunkt in den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen der Anmelder.634 Die Musterfeststellungsklage wird daher zu Recht als eine Klage im Drittinteresse bezeichnet.635 Insbesondere gilt gerade im Hinblick auf die abstrakten Feststellungsziele, welche quasi an die Stelle der Verbraucheransprüche und Rechtsverhältnisse treten, das Abhängigkeitserfordernis nach § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 ZPO.636 Es liegt eben keine völlige Abstraktion vor, sondern der Musterfeststellungskläger führt als Partei im eigenen Namen mit Wirkung für und gegen die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder (vgl. § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO)637 auf der Grundlage einer von ihnen erteilten Zustimmung (vgl. § 608 Abs. 1 ZPO)638 einen Prozess. Es entsteht somit durch die Parteirollenverschiebung die bei der Prozessstandschaft übliche Dreiecksbeziehung.639
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Vgl. Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 33. Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 15, 51; vgl. auch: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 34 f.; siehe auch: Scherer, VuR 2019, 243 (247). 633 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12 m.w. N. Die notwendige Konnexität verhindert die Klärung „abstrakte[r] Rechtsfragen“, vgl. Vollkommer, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, MDR 2020, 81 (82), 634 Für die gewillkürte Prozessstandschaft bei der Feststellungsklage vgl. Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 106. 635 Waclawik, NJW 2018, 2921 (2921); Lüke, Zivilprozessrecht I, § 7, Rn. 3. 636 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 15, 17. 637 Zur Bindungswirkung: Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 1 f.; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 613, Rn. 1. 638 Das Klageregister stellt die Verbindung zwischen der Klage im Drittinteresse und den Verbrauchern her: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922). Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 2. 639 Vgl. Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (462). Ebenso bildet bei der Musterfeststellungsklage das Verhältnis zwischen Beklagtem und Anmelder den Hauptgegenstand des Verfahrens. 632
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Weiterhin ergibt sich aus der Prozessführungsbefugnis, dass der Prozessstandschafter befugt sein muss, den Prozess zu führen.640 Jene Befugnis zur Prozessführung ist zwar durch die Feststellungsziele begrenzt,641 dennoch steht dem Musterkläger eine weitreichende Dispositionsbefugnis642 aufgrund der umfassenden Anspruchs- bzw. Rechtsverhältnisanmeldung (§ 608 Abs. 1 ZPO) zu. Denn nach richtiger Auffassung kann er die Klage zurücknehmen und die Feststellungsziele ändern.643 Die Prozessführungsbefugnis ist auch im Rahmen der Musterfeststellungsklage die aus einer bestimmten Beziehung zum behaupteten Recht(-sverhältnis) folgende Befugnis, den Prozess als eigenen zu führen.644 Im Ergebnis wird somit das bisherige Verständnis der Prozessführungsbefugnis und auch der Prozessstandschaft im Kern beibehalten. Die Stellung der qualifizierten Einrichtung ist, in den Grenzen der Klageart, derjenigen einer tradierten Prozessstandschaft so deutlich angenähert, dass zwischen der gesetzgeberischen Ausgestaltung und dem Fall einer tatsächlichen Rechtshängigkeit der Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse kein erkennbarer Unterschied besteht.645 Der Unterschied zur Rechtshängigkeit der Individualansprüche folgt erst aus der Klageart; dies beweist auch folgender hypothetischer Gedankengang: Wenn angenommen würde, die Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse würden durch die Klage der qualifizierten Einrichtung im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft, allerdings in den Grenzen der Klageart, rechtshängig, dann wäre der wesentliche Unterschied, dass nach
640 Vgl. die Definition bei: Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 33; BGH, Urteil vom 25.11.2004, Az. I ZR 145/02, GRUR 2005, 502 (503). 641 Zu diesen: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 15 ff.; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (658) zum Diskussionsentwurf. 642 Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 15 mit Einschränkungen. Der Verzicht ist durch § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO ausgeschlossen, dies beschränkt die Dispositionsbefugnis, vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 12. 643 Antragsänderungen und -erweiterungen sind nach §§ 263, 264 ZPO grundsätzlich zulässig, vgl. BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, NJW 2020, 341 (342 f.); Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 20. Zur Änderung der Feststellungsziele: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12a. Einschränkend: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 16 f.; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 59; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 73. Klagerücknahme und Erledigungserklärung sind zulässig, vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 12; Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 610, Rn. 8; a. A.: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 18. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 2. und 6. 644 Vgl. die Definition bei: Becker-Eberhard, ZZP 104, (1991), 413 (417) m.w. N. 645 Die Möglichkeit einer parallelen Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage und der Individualverfahren (vgl. § 613 Abs. 2 ZPO) steht dem nicht entgegen, da die Begründung der Prozessführungsbefugnis bei einem Dritten nicht mit einem Verlust beim Ermächtigenden einhergehen muss. Siehe nur: Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 122 f.; für eine Übertragung hingegen: Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (29); Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 102 f. Kritisch zum Ansatz Bergers: Markoulakis, Betroffenheit Dritter von der Rechtskraft, S. 68 f.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
h. M. eine Rechtskrafterstreckung auf die Rechtsinhaber eintreten würde.646 Im Ergebnis kommt dem aber die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO sehr nahe,647 sodass kein signifikanter Unterschied besteht. Da die Musterfeststellungsklage somit eine tradierte Prozessstandschaft, allerdings ohne Rechtshängigkeit der Verbraucheransprüche und -rechtsverhältnisse, nachbildet, bedarf der Begriff sui generis, also eigener Art, einer weiteren Präzisierung. Die Musterfeststellungsklage, genauer gesagt deren Prozessführungsbefugnis in Bezug auf Drittrechtsverhältnisse, ist funktional identisch mit der tradierten Prozessstandschaft. Präziser dürfte es daher sein, von einer funktionalen Prozessstandschaft zu sprechen.648 Die Besonderheit der Musterfeststellungsklage besteht darin, dass es sich um eine Klageart handelt, die nach der Konzeption des Gesetzes vom einzelnen Anmelder nicht einmal theoretisch erhoben werden könnte.649 Somit beinhaltet schon die Klageart selbst den Bezug auf das Rechtsverhältnis oder den Anspruch eines Dritten.650 Dadurch formt bereits die Klageart die Prozessstandschaft mit aus und begrenzt sie durch die Feststellungsziele zugleich. Der Blick auf die Folgen der Ausgestaltung der Klageart konnte somit zeigen, dass die Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung dem bisherigen Modell einer Prozessstandschaft funktional entspricht. Die Unterschiede folgen aus einem anders gefassten Streitgegenstand, welcher auf die Klärung von Feststellungszielen ausgerichtet ist. Während also die Prozessführungsbefugnis im Kern erhalten bleibt, zeigen sich deutliche Änderungen bei der Klageart gegenüber der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO. Ein weiterer wesentlicher Unterschied, welcher aber von der Prozessführungsbefugnis zu trennen ist, ergibt sich im Rahmen der Begründetheit: Die Konnexität des § 608 Abs. 1 ZPO, die maßgeblich die Feststellungsziele mit den angemeldeten Individualansprüchen und -rechtsverhältnissen verbindet, wird im Rahmen der Begründetheit nicht geprüft.651 Daraus können jedoch keine Rückschlüsse auf die Prozessführungsbefugnis als Zulässigkeitsvor-
646 Vgl. Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 62 m.w. N.; BGH, Urteil vom 03.07. 1980, Az. IVa ZR 38/80, BGHZ 78, 1 (7). 647 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 201. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) bb) und Kap. 5 A. III. 2. 648 Vgl. allg. zu kollektiven Rechtsschutzinstrumenten: Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (513) „strukturelle Parallelität“. 649 Siehe nur: Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 2. 650 Zur Statthaftigkeit: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 3. 651 In diese Richtung wohl Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 18a: zur Prüfung der Konnexität als Rechtsfrage, der Schlüssigkeit und des Bestehens der Feststellungszielen hingegen in der Begründetheit. A. A. wohl Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 23. Zur Unbegründetheit wegen fehlender Aktivlegitimation des Ermächtigenden: Furtner, JR 1958, 50 (52).
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aussetzung gezogen werden, da es im Rahmen der Zulässigkeit nicht auf die definitive Feststellung ankommt.652 Die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage sollte daher als funktionale Prozessstandschaft verstanden werden. d) Abgrenzung zur Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse Das so präzisierte Verständnis der Prozessstandschaft bei der Musterfeststellungsklage könnte leicht mit einer Drittfeststellungsklage verwechselt werden,653 weshalb hier eine Abgrenzung zu erfolgen hat.654 Nach Ansicht des BGH ist eine Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen nur einer der Prozessparteien und einem prozessfremden Dritten655 sowie eine Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses ausschließlich zwischen prozessfremden Dritten zulässig.656 Die Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse dient vor allem dem Interesse des Klägers am Schutz eines eigenen rechtlichen Interesses. Demgegenüber ist Zweck der Prozessstandschaft (auch) der Schutz des Interesses des Rechtsinhabers.657 Dies gilt insbesondere für die Musterfeststellungsklage, bei der die qualifizierte Einrichtung die rechtlichen Interessen der Anmelder schüt652 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa). Zur Trennung von Sachlegitimation und Prozessführungsbefugnis: Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (6); Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 114. Nach Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 612, Rn. 4 könnte der Obersatz demnach lauten: „Die Musterfeststellungsklage ist begründet, wenn sich das Feststellungsziel aus dem [. . .] festgestellten Mustersachverhalt [. . .] unter Anwendung der einschlägigen [. . .] Rechtsvorschriften ergibt.“ 653 Auf die Ähnlichkeit zwischen gewillkürter Prozessstandschaft und Drittfeststellungsklage weist Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (469) hin. Ausführlich zur Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 46 ff. 654 Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 37 f. hält die gewillkürte Prozessstandschaft für überflüssig, da diese wie die Drittfeststellungsklage ein eigenes rechtliches Interesse voraussetze. Das weist die Prozessführungsbefugnis dem Feststellungsinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO zu, was zu einer Ausweitung der Anwendung der Drittfeststellungsklage zum Nachteil der Prozessstandschaft führt, vgl. Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 305 f. Siehe auch Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 146 ff., es geht bei der Drittfeststellungsklage, im Gegensatz zur Prozessstandschaft, um eine Berührung des eigenen Rechts- und Interessenkreises. 655 BGH, Urteil vom 25.02.1982, Az. II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (125 f.); BGH, Urteil vom 16.06.1993, Az. VIII ZR 222/92, BGHZ 123, 44 (46 f.) m.w. N.; BGH, Urteil vom 07.11.1997, Az. LwZR 1/97, BGHZ 137, 134, (136). Zur Entwicklung der Anerkennung der Drittfeststellungsklage vgl.: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (465 ff.) m.w. N. 656 BGH, Urteil vom 17.05.1977, Az. VI ZR 174/74, BGHZ 69, 37 (40); Saenger, in: Hk-ZPO, § 256, Rn. 6 m.w. N., weist darauf hin, dass es sich bei den entschiedenen Fällen um solche handelt, in denen die Parteien der Feststellungsklage auch Parteien des Rechtsverhältnisses waren. Dazu auch: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (460 f.). 657 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 256, Rn. 34, 45.
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zen will und für sich selbst lediglich die Verfolgung eines altruistischen Satzungszwecks in Anspruch nehmen kann. Bei der Drittfeststellungsklage leitet sich die Prozessführungsbefugnis, anders als bei der funktionalen Prozessstandschaft, nicht von den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen der Anmelder ab, sondern folgt aus einem eigenen Feststellungsinteresse des Klägers.658 Die Drittfeststellungsklage berührt mithin den Interessenkreis des Klägers, wohingegen die Prozessstandschaft denjenigen eines anderen betrifft.659 Bei einer Drittfeststellungsklage besteht außerdem keine Bindungswirkung gegenüber den an der Feststellungsklage nicht beteiligten Subjekten des Rechtsverhältnisses, was wiederum einen Unterschied zur Prozessstandschaft darstellt.660 Dies kann gleichsam auf die funktionale Prozessstandschaft bei der Musterfeststellungsklage übertragen werden, welche somit keine Drittfeststellungsklage ist. Der Blick auf die Drittfeststellungsklage bestätigt überdies die angenommene funktionale Prozessstandschaft. Die Drittfeststellungsklage hat sich von einer Beziehung zu einem materiellen Recht zwischen Kläger und Beklagtem gelöst.661 Wird aber davon ausgegangen, dass ein Drittrechtsverhältnis nur unter den Voraussetzungen der Prozessstandschaft geltend gemacht werden kann,662 dann fügt sich die Musterfeststellungsklage, als funktionale Prozessstandschaft, die aus einer Ermächtigung folgt, besser in den zivilprozessualen Grundsatz ein, nach welchem fremde Rechte allein im Wege der Prozessstandschaft durchgesetzt werden können, als es umgekehrt die Drittfeststellungsklage könnte.663 3. Einordnung als gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschaft Für die Prozessstandschaft wird allgemein zwischen der gesetzlichen und der gewillkürten Prozessstandschaft unterschieden.664 Da die Musterfeststellungsklage zwar eine gesetzliche Normierung erfahren hat, aber gleichzeitig wesentlich von der Anmeldung der Verbraucher abhängt, erscheint auch insoweit die 658
Ausführlich: Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S.158 ff., insb. S. 164. Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 146 ff. 660 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 256, Rn. 127. 661 Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 3b. Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 36 weist darauf hin, dass es nicht überzeugen kann die Prozessführungsbefugnis aus dem Feststellungsinteresse abzuleiten bzw. diesem zuzuweisen. Siehe auch: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 303 ff. A. A. Brehm, Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse, in: Festgabe BGH, S. 89 (106 f.). 662 Vgl. zu diesem Einwand gegen die Drittfeststellungsklage die Nachweise bei: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 304. 663 Zu diesem Gedanken zur Feststellungsklage: Jacobs. Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 304, 387 f.; Greger, in: Zöller, ZPO, § 256, Rn. 3b m.w. N.; BeckerEberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 36. 664 Siehe nur: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 47; Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 34; Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 18. 659
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Einordnung klärungsbedürftig. Vielfach wird von einer gesetzlichen Prozessstandschaft ausgegangen,665 teilweise wird jedoch auch betont, dass eine präzise Einordnung schwerfalle.666 Bei der gewillkürten Prozessstandschaft handelt es sich um einen auf dem Willen des Ermächtigenden beruhenden Fall der Prozessstandschaft.667 Deutlicher wird dies, bei den synonym verwendeten Begriffen: Ermächtigung zur Prozessführung,668 Prozessermächtigung,669 Klageermächtigung,670 Prozessführungsermächtigung671 und Prozessgeschäftsführung.672 Während also die Prozessführungsbefugnis bei der gewillkürten Prozessstandschaft auf dem Willen des Rechtsinhabers beruht, ist die gesetzliche Prozessstandschaft von dessen Willen unabhängig und folgt aus der gesetzlichen Ermächtigung.673 Bei einer gewillkürten Prozessstandschaft kommt es demnach entscheidend darauf an, ob der Rechtsinhaber einen Dritten ermächtigt hat.674 Bei der gesetzlichen Prozessstandschaft folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung die Prozessführungsbefugnis des rechtsfremden Dritten,675 aufgrund derer fremde Rechte geltend gemacht werden können.676 665 Schellhammer, in: Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 195, 1209; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11). 666 Vgl. Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 139 m.w. N. 667 Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (459); Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 38. 668 BGH, Urteil vom 04.06.1959, Az. VII ZR 217/58, BGHZ 30, 162 (166); BGH, Urteil vom 19.03.1987, Az. III ZR 2/86, BGHZ 100, 217 (219); BGH, Urteil vom 10.11.1999, Az. VIII ZR 78/98, NJW 2000, 738 (739). 669 BGH, Urteil vom 06.10.1964, Az. VI ZR 176/63, BGHZ 42, 210 (213); BGH, Urteil vom 19.03.1987, Az. III ZR 2/86, BGHZ 100, 217 (219). 670 BGH, Urteil vom 17.11.1955, Az. II ZR 222/54, BGHZ 19, 69 (71); BGH, Urteil vom 20.12.1956, Az. II ZR 177/55, BGHZ 23, 17 (20). 671 BGH, Urteil vom 24.02.1994, Az. VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (199 ff.). 672 BGH, Urteil vom 26.09.1957, Az. II ZR 267/56, BGHZ 25, 250 (259); zu allen Begriffen: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (458), dort auch zu den hier exemplarisch gelisteten Urteilen. 673 Vgl. Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 17 f. Nach Bock, Gewillkürte Prozessstandschaft, S. 27 f. kann bei den gesetzlichen Fällen der Kläger ohne den Willen des Rechtsinhabers klagen. Siehe auch: Ludewig, Ermächtigung, S. 48. Nach Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 107 sieht das Gesetz bei der gesetzlichen Prozessstandschaft ein Auseinanderfallen von Rechtszuständigkeit und Rechtsausübungszuständigkeit vor. 674 Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (469); Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 38. Nach Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 320 wird die gewillkürte Prozessstandschaft nicht durch Gesetz begründet, sondern durch die Zustimmung des Rechtsinhabers. Zur Ermächtigung siehe auch: BGH, Beschluss vom 10.12.1951, Az. GSZ 3/51, BGHZ 4, 153 (164 f.); BGH, Urteil vom 19.03.1987, Az. III ZR 2/86, BGHZ 100, 217 (218 f.); BGH, Urteil vom 22.12.1988, Az. VII ZR 129/88, NJW 1989, 1932 (1933). 675 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (112). 676 Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 19.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Die funktionale Prozessstandschaft hat bei der Musterfeststellungsklage eine gesetzliche Regelung erfahren. Dieser Aspekt könnte für eine gesetzliche Prozessstandschaft sprechen, schließlich ist die Prozessführung durch eine qualifizierte Einrichtung nur deshalb möglich, weil die §§ 606 ff. ZPO dies entsprechend ausgestalten. Man könnte also „gesetzlich“ im Sinne von „gesetzliche Regelung“ verstehen. Den obigen Erläuterungen würde dies aber nicht gerecht, kommt es doch entscheidend darauf an, ob die Prozessstandschaft aus einer gesetzlichen Ermächtigung folgt.677 Die gesetzliche Regelung der §§ 606 ff. ZPO begründet die funktionale Prozessstandschaft jedoch nicht allein, auch wenn sie wesentlich für ihre Ausgestaltung ist. Die Grundlage über fremde Rechte zu prozessieren, liegt hingegen in der Anmeldung nach § 608 Abs. 1, 2 ZPO begründet,678 von welcher auch die Zulässigkeit des Verfahrens gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO abhängt.679 Das Gesetz selbst ermächtigt die qualifizierte Einrichtung somit nicht unmittelbar einen Prozess über fremde Rechte zu führen. Diese Möglichkeit für die qualifizierte Einrichtung als funktionaler Prozessstandschafter mit Wirkung gegenüber fremden Rechten aufzutreten, folgt nach der gesetzlichen Konzeption nur aus der Zustimmung der Anmelder.680 Die funktionale Prozessstandschaft beruht also im Wesentlichen nicht auf der gesetzlichen Anordnung in § 606 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO, sondern auf der Zustimmung.681 Um die Bedeutung und Notwendigkeit des Anmeldeverfahrens zu betonen, sollte daher von einer gewillkürten Grundlage ausgegangen werden. Allerdings hat diese eine starke gesetzliche Ausformung erfahren, was bereits durch die Annahme einer funktionalen Prozessstandschaft impliziert wird, sodass von einer gesetzlich typisierten funktionalen Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage gesprochen werden sollte. 4. Dogmatische Grundlage der funktionalen Prozessstandschaft Infolge der fehlenden Rechtshängigkeit der Individualansprüche ist die Beziehung des Verfahrens zum materiellen Recht unweigerlich gelockert. Die Grundlage der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung kann daher nur eine rein prozessuale sein. Die Annahme einer materiell-rechtlichen Einzie677 Vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 16. Vgl. auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 82. 678 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa) und bb). 679 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) cc). Wenn die qualifizierte Einrichtung gesetzlicher Prozessstandschafter wäre, ließe sich nicht konsequent erklären, wie die Verfehlung des Anmelderquorums zur Unzulässigkeit führt. 680 Anders Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11), der einen entsprechenden Willen der Anmelder ablehnt, allerdings dürfte eine Prozessführung für ihre Ansprüche/Rechtsverhältnisse maßgeblicher Grund der Anmeldung sein. 681 Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen gewillkürter und gesetzlicher Prozessstandschaft bei: Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50, Rn. 33.
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hungs-682 oder Ausübungsermächtigung683 lässt sich aus der Anmeldung nach § 608 Abs. 1, 2 ZPO nicht begründen. Die Anmeldung enthält damit eine rein prozessual begründete und wirkende Ermächtigung. Eine friktionsfreie dogmatische Einordnung in die anerkannte gewillkürte Prozessstandschaft ist daher nur dann möglich, wenn eine rein prozessual begründete Prozessführungsbefugnis auch bislang schon zulässig gewesen ist.684 Vielfach wird davon ausgegangen, dass der gewillkürten Prozessstandschaft ein materiell-rechtliches Substrat685 zugrunde liegt. Das Prozessrecht verwirkliche damit die materiell-rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten einer Ausübungsoder Einziehungsermächtigung.686 Die Möglichkeit einer reinen prozessualen Ermächtigung sei demnach ausgeschlossen.687 So geht Stathopoulos davon aus, dass der Parteiwille allein, ohne eine materielle Berechtigung des Ermächtigten, eine Prozessführungsbefugnis nicht begründen könne.688 Die Prozessführungsbefugnis könne nur durch prozessuale Regelungen zugelassen werden und nicht durch den Parteiwillen begründet werden. Aus einer materiellen Position folge aber grundsätzlich die Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung. Für den Fall, dass eine materiell-rechtliche Ermächtigung erteilt werde, sei auch eine gewillkürte Prozessstandschaft zulässig, denn dann ergebe sich bereits aus dem Prozessrecht die Zulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung und nicht aus dem Parteiwillen.689 Nach dieser Prämisse wären Klagen in Prozessstandschaft, die 682 Die Einziehungsermächtigung (§ 185 Abs. 1 BGB) berechtigt den Ermächtigten die für ihn fremde Forderung im eigenen Namen geltend zu machen. Er verlangt Leistung an sich selbst, die Forderung verbleibt aber beim Rechtsinhaber. Vgl. Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 56 m.w. N.; Regenfus, in: BeckOGK, Stand: 01.01.2023, § 185 BGB, Rn. 165 ff.; siehe nur: RG, Urteil vom 07.07.1931, Az. II 447/30, RGZ 133, 234 (241). 683 Bei nicht abtretbaren (unselbstständigen) Ansprüchen kommt eine Ausübungsermächtigung nach § 185 Abs. 1 BGB in Betracht, auch hier wird das fremde Recht im eigenen Namen geltend gemacht. Vgl. exemplarisch zu § 894 BGB: Schäfer, in: MüKoBGB, § 894, Rn. 24; Berger, in: Jauernig, BGB, § 894, Rn. 8. 684 Dafür wohl: Berger, Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft, S. 95. 685 Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (436). Auf Schlussfolgerungen aus den positiv geregelten Fällen der Prozessstandschaft wird hier verzichtet, da diese inhaltlich zu stark differieren und Ausnahmetatbestände darstellen, siehe nur: Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (17 ff.). 686 Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (417 f.). Die Ableitung der Prozessführungsberechtigung allein aus der Ermächtigung vertritt Ludewig, Ermächtigung, S. 45 ff., insb. S. 48; ablehnend: Löbl, AcP 129 (1928), 257 (281 f.), der von einer Übertragung der Gläubigerstellung ausgeht (ebenda (291, 309)); kritisch dazu: Mundhenke, Ermächtigung, S. 28 ff. 687 Siebert, Treuhandverhältnis, S. 272; Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 135, der nur darlegt, dass die Übertragung der Prozessführungsbefugnis nicht vom Privatwillen der Parteien abhängig sei, sondern vom Prozessrecht, vgl. ebenda, S. 133 f. Das beantwortet nicht, ob das Prozessrecht eine materielle Ermächtigung erfordert. 688 Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 141. 689 Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 133 f.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
auf Leistung an den Rechtsinhaber gerichtet sind, ohne dass eine materielle Rechtsübertragung bzw. Einräumung einer materiellen Rechtsposition erfolgt, grundsätzlich ausgeschlossen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Rechtsprechung zur gewillkürten Prozessstandschaft aber unter dem Eindruck eines Bedürfnisses der Prozessstandschaft bei nicht übertragbaren Berichtigungsansprüchen (§ 894 BGB)690 entwickelt hat, würde dies praktisch wichtige Fälle ausschließen.691 Überzeugender erscheint es von der Möglichkeit einer rein prozessualen Ermächtigung auszugehen.692 Eine materielle Einziehungsermächtigung müsste der Prozessstandschafter entsprechend nur dann vorweisen, wenn der Klageantrag auf Leistung an ihn selbst und nicht an den Rechtsinhaber lautet.693 Demnach ist zu unterscheiden zwischen der Einziehungsermächtigung und der (bloßen) gewillkürten Prozessstandschaft.694 Zur Begründung wird teilweise auf die Dispositionsbefugnis verwiesen, die es ermögliche, die Prozessführungsbefugnis zu übertragen.695 Dagegen spricht aber, dass die Prozessführungsbefugnis, als parteibezogene Sachurteilsvoraussetzung, nicht zur Disposition der Parteien steht.696 Zielführend ist die Unterscheidung zwischen der außergerichtlichen Geltendmachung und der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten.697 Die enge Verknüpfung mit der materiellen Ausübungs- oder Einziehungsermächtigung verkennt, dass die Prozessführungsbefugnis ein prozessuales Institut ist und sich damit deren Übertragung in erster Linie nach dem Prozessrecht be690 RG, Urteil vom 07.02.1903, Az. V 315/02, RGZ, 53, 408 (410 f.); Anschaulich: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (464). Für weitere Fälle der Ausübung nicht übertragbarer Rechte vgl. die Nachweise bei: Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 57. Siehe für Begründungsansätze zur Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft: RG, Urteil vom 27.04.1910, Az. V 309/09, RGZ 73, 306 (308 f.). 691 Aus diesem Grund für eine prozessuale Ermächtigung als Grundlage der Prozessstandschaft: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (469, 484). 692 Für rein prozessuale Prozessstandschaft: Furtner, JR 1958, 50 (50 f.); Henckel, Einziehungsermächtigung und Inkassozession, in: Festschrift Larenz, S. 643 (653); Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 59; Lüke, ZZP 76 (1963), S. 1 (4, 29). Auch die Rechtsprechung geht von einer prozessualen Ermächtigung aus, vgl.: BGH, Urteil vom 26.11.1957, Az. VIII ZR 70/57, NJW 1958, 338 (339). Prozessuales Rechtsgeschäft nach Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (463). 693 BGH, Urteil vom 24.02.1994, Az. VII ZR 34/93, NJW 1994, 2549 (2551); siehe auch: BGH, Urteil vom 23.03.1999, Az. VI ZR 101/98, NJW 1999, 2110 (2111). 694 Vgl. Henckel, Einziehungsermächtigung und Inkassozession, in: Festschrift Larenz, S. 643 (644 f., 653); vgl. auch: Frank, ZZP 92 (1979), 321 (334 f.). Auch die Einziehungsermächtigung bewirkt meist eine Prozessstandschaft: Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 56. 695 Lüke, ZZP 76 (1963), S. 1 (29); Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 333. 696 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 84; BGH, Urteil vom 11.07.2018, Az. IV ZR 243/17, NJW 2018, 3389 (3392) m.w. N. 697 Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 328, 332.
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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stimmt.698 Infolge der Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht kann Letzteres die Prozessführungsbefugnis als prozessuales Institut auch eigenständig von der materiellen Rechtszuständigkeit ausfüllen.699 Von einer materiell-rechtlichen Ermächtigung ist nur die Begründetheit abhängig, die Prozessführungsbefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aber aus der prozessrechtlichen Zustimmung des Ermächtigenden.700 Ohnehin könnte im Rahmen der Zulässigkeit nur geprüft werden, ob eine entsprechende materielle Grundlage behauptet wird, nicht jedoch, ob diese tatsächlich gegeben ist.701 Überzeugender erscheint es daher, eine Ermächtigung zur rein prozessualen Geltendmachung zuzulassen702 und auf die Notwendigkeit der Übertragung einer materiell-rechtlichen Position zu verzichten.703 Die Prozessführungsbefugnis ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung und ein prozessuales Institut. Mithin kann das Prozessrecht dessen nähere Ausgestaltung und Übertragung regeln. Auf einer Linie mit dieser Erkenntnis liegt auch die Ausgestaltung bei der Musterfeststellungsklage. Eine materiellrechtliche Begründung der Prozessstandschaft scheidet aus, ist aber wegen des Charakters als prozessuales Institut auch nicht erforderlich. Der Hinweis von Rüßmann auf die fehlende Sinnhaftigkeit einer reinen Prozessstandschaft, welche aus der Tatsache folge, dass die Klage des Prozessstandschafters, der ohne materielle Berechtigung den Prozess führt, als unbegründet abgewiesen werde,704 kann für die Musterfeststellungsklage nicht durchgreifen.705 Hier muss die qualifizierte Einrichtung keine materielle Berechtigung nachweisen, auf eine solche kommt es für die abstrahierenden Feststellungsziele gerade nicht zwingend an. Somit kann festgestellt werden, dass die funktionale Prozessstandschaft trotz der nur rein prozessualen Berechtigung im Hinblick auf die Ermächtigung von
698 Instruktiv: Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 332; zum prozessualen Institut der Prozessführungsbefugnis: ebenda, S. 115 m.w. N. 699 Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 118. 700 Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 123. 701 Vgl. zu dieser Problematik: Frank, ZZP 92 (1979), 321 (334 f.). 702 So auch: Furtner, JR 1958, 50 (50 f.), Pohle, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 05.10.1955, Az. IV ZR 302/54, MDR 1956, 154 (156), Lüke, ZZP 76 (1963), 4 (29 ff.); BGH, Urteil vom 26.09.1957, Az. II ZR 267/56, BGHZ 25; 250 (259 f.). Siehe auch: BGH, Urteil vom 29.05.1961, Az. VII ZR 46/60, BGHZ 35, 180 (183). Anders, wenn der Prozessstandschafter aus fremdem Recht klagt, aber Leistung an sich begehrt, hier muss eine materielle Ermächtigung gegeben sein, dies ist aber eine Frage der Begründetheit, vgl.: Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (31). 703 Gegen eine zwingende materielle Grundlage spricht, dass mit Prozessbeginn ein Widerruf auf materiell-rechtlicher Ebene der Ausübungs- oder Einziehungsermächtigung möglich ist, der Widerruf aber prozessual nur eingeschränkt durchgreift. Vgl. zum Widerruf: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (421 f.) m.w. N. 704 Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (523 Fn. 19). 705 Wobei auch außerhalb der §§ 606 ff. ZPO für die Sachlegitimation auf den Ermächtigenden und nicht auf den Ermächtigten abzustellen wäre. Siehe nur: Furtner, JR 1958, 50 (52).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
den dogmatischen Begründungsansätzen der gewillkürten Prozessstandschaft nicht abweicht. Für die Fälle der gesetzlichen Prozessstandschaft ist eine rein prozessuale Ermächtigung der ZPO bereits mit § 265 Abs. 2 S. 1 nicht fremd.706 5. Erfordernis eines eigenen rechtlichen Interesses der qualifizierten Einrichtung Neben der Ermächtigung durch den Rechtsinhaber, der Abtretbarkeit des Anspruchs707 und eines Verbots ungerechtfertigter Nachteile des Beklagten708 fordert die Rechtsprechung für die gewillkürte Prozessstandschaft ein eigenes rechtliches Interesse des Ermächtigten.709 Ein derartiges Erfordernis findet sich jedoch weder in der Gesetzesbegründung,710 noch im Normtext der §§ 606 ff. ZPO.711 Sofern an diesem Erfordernis, auch für den Bereich der Musterfeststellungsklage festgehalten werden soll,712 müsste sich dessen Vorliegen implizit aus anderen 706 § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO führt zu einer gesetzlichen Prozessstandschaft, vgl. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 265, Rn. 9. Über die fehlende materielle Berechtigung hilft die Norm nicht hinweg (vgl. Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 265, Rn. 71), sie begründet nur die Prozessführungsbefugnis. 707 Str. ob, das Recht abtretbar sein muss, vgl. Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 30. Zumindest zur Ausübung überlassbar: Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (472) m.w. N. Vgl. Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 31, 33 ff.; BGH, Urteil vom 17.02. 1983, Az. I ZR 194/80, NJW 1983, 1559 (1561) m.w. N. Bei der Musterfeststellungsklage dürfte der enge Bezug zur Person nicht relevant werden. Das Erfordernis der Offenlegung (str.) der Prozessstandschaft dürfte sich bei der Musterfeststellungsklage bereits konkludent aus den Umständen ergeben, vgl. BGH, Urteil vom 21.03.1985, Az. VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117 (122) zur schlüssigen Ermächtigung. Vgl. zum Meinungsstand: Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (472 f.) m.w. N. 708 Diese Voraussetzung wird von der Rechtsprechung tendenziell beim eigenen rechtlichen Interesse des Prozessstandschafters mitbehandelt, vgl. Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (477). 709 Siehe nur: RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 219/17, RGZ 91, 390 (396); dazu: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 26 ff. Siehe nur: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 66. BGH, Beschluss vom 10.12.1951, Az. GSZ 3/51, BGHZ 4, 153 (165); Furtner, JR 1958, 50 (52); Ludewig, Ermächtigung, S. 53 f.; a. A. Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (118); Rosenberg, JZ 1952, 137 (137 f.); Löbl, AcP 129 (1928), 257 (315 ff.). Wobei dieses Erfordernis in der Rechtsprechung zunehmend weiter gefasst wird, vgl. die Nachweise bei: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (475). Zum eigenen rechtlichen Interesse bei Klagen eines Verbandes in gewillkürter Prozessstandschaft: Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage, in: Festschrift Larenz, S. 443 (478 ff.). 710 Die Gesetzesbegründung erwähnt das rechtliche Interesse nur im Hinblick auf eine Nebenintervention der Anmelder, nicht aber in Bezug auf die Prozessführungsbefugnis, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 26. 711 Vgl. Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 20. 712 Kritisch zu diesem Erfordernis: Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 123 ff.; Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 50 ff. Eine Verbesserung der Prozessökonomie und der Prozesssituation sind von der Rspr. nicht als rechtliches Interesse anerkannt: vgl. Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 31; RG, Urteil
C. Die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis
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Aspekten ergeben. Nachfolgend soll daher zuerst die Begründung für das Erfordernis eines „eigenen rechtlichen Interesses“ untersucht werden, bevor überprüft werden kann, inwiefern dessen Funktion bei der Musterfeststellungsklage anderweitig abgesichert ist. a) Eigenes rechtliches Interesse des Prozessstandschafters Das eigene rechtliche Interesse des Prozessstandschafters soll vorliegen, wenn die Entscheidung auf die eigene Rechts- oder Wirtschaftsstellung des Ermächtigten Einfluss hat.713 aa) Begründung eines eigenen rechtlichen Interesses Nach Ansicht der Rechtsprechung ergebe sich das Erfordernis aus verfahrensrechtlichen Vorschriften. Das Rechtsschutzbedürfnis müsse in prozessualen Sonderkonstellationen, wie der Prozessführung durch einen Dritten, besonders dargetan werden. Dieses eigene Interesse werde vom Verfahrensrecht gefordert.714 Damit dürfte insbesondere die Normierung des eigenen rechtlichen Interesses in § 256 Abs. 1 ZPO als Begründung dienen.715 Außerdem könnte auf § 66 Abs. 1 ZPO verwiesen werden, der vom Streithelfer ebenfalls ein rechtliches Interesse für die Zulassung der Streithilfe verlangt.716 Grundlage eines besonderen Begründungserfordernisses sei, dass es durch die Klage des Prozessstandschafters zu einer „Verschiebung der Parteirolle“ 717 komme, der Beklagte habe aber ein vom 01.02.1929, Az. II 413/28, JW 1929, 1372 (1374); differenzierend: Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 50. Siehe hingegen für eine Abwägung der Interessen: Mundhenke, Ermächtigung, S. 48 ff. 713 Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 32; Weth, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 51, Rn. 27 m.w. N.; Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 49. 714 Vgl. RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 279/17, RGZ 91, 390 (397 f.); anders noch: RG, Urteil vom 27.04.1910, Az. V 309/09, RGZ 73, 306 (308 f.); BGH, Urteil vom 05.10.1955, Az. IV ZR 302/54, JZ 1956, 62 (62); BGH, Urteil vom 26.11.1957, Az. VIII ZR 70/57, NJW 1958, 338 (339); dazu: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 26 f.; Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (117); Lüke, ZZP 76 (1963), 1 (30) lehnt eine Übertragung des Rechtsschutzinteresses ab und zieht die Dispositionsmaxime heran. 715 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (117); Pohle, Rechtsschutzbedürfnis, in: Festschrift Lent, S. 195 (211) unter Verweis auf die Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse; dazu auch: Pohle, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 05.10.1955, Az. IV ZR 302/54, MDR 1956, 154 (156); siehe auch: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 96. 716 Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 50; Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (120). Pohle, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 05.10.1955, Az. IV ZR 302/54, MDR 1956, 154 (156); Pohle, Rechtsschutzbedürfnis, in: Festschrift Lent, S. 195 (211); siehe auch: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 96. 717 RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 279/17, RGZ 91, 390 (398); Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (418): Das rechtliche Interesse des Ermächtigten und die zum Nachteil des Beklagten erfolgende Verschiebung des prozessualen Gefüges stehen in keinem erkennbaren Verhältnis. Siehe auch: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (541).
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Interesse daran, nur mit dem tatsächlichen Rechtsinhaber prozessieren zu müssen und nicht mit einem Dritten.718 Daher sei ein eigenes rechtliches Interesse des Prozessstandschafters erforderlich.719 Auch wird angeführt, das eigene Interesse belege die Selbstbetroffenheit des Ermächtigten, die sich aus der Prozessführungsbefugnis üblicherweise ergebe.720 bb) Erfüllung im Rahmen der Musterfeststellungsklage Fraglich ist, wie bei der Musterfeststellungsklage mit diesem Erfordernis umzugehen ist. (1) Keine Notwendigkeit eines besonderen eigenen Interesses Das Erfordernis eines eigenen rechtlichen Interesses beruht maßgeblich auf der Annahme einer besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit der gerichtlichen Inanspruchnahme durch einen Rechtsfremden.721 Im Rahmen der Musterfeststellungsklage verwirklicht sich diese besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit jedoch bereits mit der Zulassung im Gesetz selbst.722 Außerdem kann ein Interesse der qualifizierten Einrichtung an der Rechtsdurchsetzung zugunsten von Verbrauchern auch aus ihrer satzungsmäßigen Zwecksetzung abgeleitet werden.723 Was durch die gesetzliche Regelung aufgegriffen wird (vgl. § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO).724 718 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (119); Jacoby, in: Stein/ Jonas, ZPO, Vor § 50, Rn. 46; Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 61. 719 Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 27; unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 24.10.1985, Az. VII ZR 337/84, NJW 1986, 850 (850 f.); BGH, Urteil vom 19.03.1987, Az. III ZR 2/86, BGHZ 100, 217 (218); BGH, Urteil vom 08.06.1989, Az. I ZR 135/87, BGHZ 107, 384 (389); BGH, Urteil vom 15.06.1989, Az. VII ZR 205/88, BGHZ 108, 52 (56); BGH, Urteil vom 23.09.1982, Az. I ZR 251/90, BGHZ 119, 237 (242); BGH, Urteil vom 11.03.1999, Az. III ZR 205/97, NJW 1999, 1717 (1717). 720 Leyendecker, ZZP 122 (2009), 465 (470 f.); andeutungsweise Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (475). 721 RG, Urteil vom 05.01.1918, Az. V 279/17, RGZ 91, 300 (308); Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (474). Nach Henckel, Einziehungsermächtigung und Inkassozession, in: Festschrift Larenz, S. 643 (647 f.) bestehe auch bei den gesetzlichen Fällen ein solches besonderes Interesse. Vgl. dazu bereits: Henckel, Parteilehre, S. 105 ff.; kritisch: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (530 f.). Siehe zum Erfordernis des rechtlichen Interesses als Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 50 ff. Das Rechtsschutzbedürfnis betreffe das „Ob“ des Prozesses, die Prozessführungsbefugnis die Frage nach dem „wer“. Ähnlich Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 138. 722 Hierzu auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 20; vgl. auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 152. 723 Vgl. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 83. 724 Ein Bezug der Klage zum Schutzauftrag der Satzung wird nicht gefordert: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (21).
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Ferner kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber im Bereich der §§ 606 ff. ZPO auf das rechtliche Interesse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO verzichtet hat. Die Musterfeststellungsklage ist als eine Feststellungsklage ausgestaltet, verzichtet aber, anders als § 256 Abs. 1 ZPO, auf das ausdrückliche Erfordernis des rechtlichen Interesses.725 Darüber hinaus kann das Erfordernis des eigenen Interesses aus § 256 Abs. 1 ZPO für die Musterfeststellungsklage nicht Platz greifen, da die Gefahr unnötiger Prozesse hier nicht virulent ist.726 Auch eine Ableitung des Erfordernisses des eigenen rechtlichen Interesses direkt aus dem Rechtsschutzbedürfnis kann nicht überzeugen, da sich auch das Rechtsschutzinteresse erst aus dem Zweck der Musterfeststellungsklage ergeben kann.727 Im Hinblick auf den Prozesszweck ist die Musterfeststellungsklage aber geeignet, die Durchsetzung subjektiver Rechte und demzufolge auch die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung zu fördern.728 Ebenso wenig kann eine Übertragung des Gedankens aus § 66 Abs. 1 ZPO, eine Einmischung eines Unbeteiligten in für ihn fremde Angelegenheiten zu unterbinden,729 für die Musterfeststellungsklage Geltung beanspruchen. Sofern die qualifizierte Einrichtung die Anforderungen des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO erfüllt und diejenigen nach § 606 Abs. 3 ZPO vorliegen, hat der Gesetzgeber gerade die Prozessführung durch den Musterkläger zugelassen. Von einer unzulässigen Einmischung kann daher nicht ausgegangen werden.730 725 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606 Rn. 26 geht davon aus, dass sich das Feststellungsinteresse aus dem Zweck der Musterfeststellungsklage ergibt. Nach Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4 hat die qualifizierte Einrichtung ein eigenes Feststellungsinteresse. Siehe zum Feststellungsinteresse auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 12. 726 Für die gewillkürte Prozessstandschaft weist Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (120) darauf hin, dass es nicht um die Frage geht, ob dieser Prozess geführt wird, sondern durch wen; folglich gelte die Voraussetzung aus § 256 Abs. 1 ZPO nicht. Ähnlich auch: Löbl, AcP 129 (1928), 257 (315, 317). Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (523) stellt auf eine Förderung des Prozesszwecks ab. Eine Analogie zu § 256 Abs. 1 ZPO sei abzulehnen, ebenda, S. 529. 727 Vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 26. 728 So für die gewillkürte Prozessstandschaft: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (531 f., 540), der letztlich auf das Rechtsschutzbedürfnis in der Person des Ermächtigenden abstellt, ebenda (554). Zum Zusammenhang von Rechtsschutzbedürfnis und Prozesszweck: Pohle, Rechtsschutzbedürfnis, in: Festschrift Lent, S. 195 (198 f.). 729 Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (121). Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (529): Die Heranziehung von § 66 Abs, 1 ZPO sei unpassend, da die Streithilfe Rechte des Streithelfers schützen solle. In diese Richtung auch: Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 139 f. Ablehnend auch: Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 126. Die Gesetzesbegründung erwähnt das rechtliche Interesse im Hinblick auf § 66 ZPO nur bezüglich der Anmelder, BT-Drs. 19/2507, S. 26. 730 Auch ist die Situation nicht vergleichbar, da die Nebenintervention gerade die Interessen des Intervenierenden schützen solle (vgl. Dressler, in: BeckOKZPO, § 66, Rn. 1), die Musterfeststellungsklage dient aber dem Schutz der Anmelderinteressen, nicht derer der qualifizierten Einrichtung.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
(2) Anderweitige Verwirklichung des Missbrauchs- und Beklagtenschutzes Das Erfordernis eines eigenen Interesses des Prozessstandschafters wird teilweise vor allem als eine Art Missbrauchsschutz angesehen.731 So seien über § 185 BGB hinausgehende Anforderungen zu stellen, um ungerechtfertigten Benachteiligungen des Beklagten vorzubeugen.732 Dafür spräche die teilweise erfolgte Zulassung der gewillkürten Prozessstandschaft in der Rechtsprechung mit der Erwägung, dass für den Prozessgegner daraus kein Nachteil entstehe, ohne einen gleichzeitigen entscheidungserheblichen Einfluss des rechtlichen Interesses des Standschafters.733 Für die Musterfeststellungsklage kann diesbezüglich auf die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung verwiesen werden, welche speziell dem Missbrauchsschutz dienen.734 Außerdem sind die Anforderungen für eine zulässige Klage in § 606 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO nicht unbedingt als gering anzusehen735 und wird einer doppelten Prozessführung durch § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO vorgebeugt.736 Auch kann nicht eingewendet werden, dass durch die bloße Ermächtigung dem Beklagten ein rechtsfremder Dritter als Prozessgegner aufgedrängt werde,737 da bei der Musterfeststellungsklage diese Rollenverschiebung gerade der gesetzlichen Konzeption entspricht. b) Zwischenergebnis Dem Erfordernis eines eigenen rechtlichen Interesses der qualifizierten Einrichtung als funktionaler Prozessstandschafter kommt im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO keine eigenständige Bedeutung zu,738 da dessen mögliche Begründungsan731 Henckel, Einziehungsermächtigung und Inkassozession, in: Festschrift Larenz, S. 643 (654 f.); Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (407 f.); Kass, Prozeßstandschaft und Rechtskraftwirkung, S. 334 f. Kritisch: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (540 f.). Auch Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 135 f. m.w. N. weist für das eigene rechtliche Interesse des Standschafters weniger auf dogmatische als mehr auf praktische Erwägungen hin. 732 Siehe nur: Regenfus, in: BeckOGK, Stand: 01.01.2023, § 185 BGB, Rn. 190. 733 Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (408); unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 21.12.1989, Az. VII ZR 49/89, NJW 1990, 1117 (1117); BGH, Urteil vom 03.11.2000, Az. V ZR 189/99, BGHZ 145, 383 (386). 734 BT-Drs. 19/2507, S. 15, 22. 735 Auch Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (121 f.) weist darauf hin, dass das Missbrauchsrisiko bei der gewillkürten Prozessstandschaft anderweitig verhindert werden könnte. 736 Das Gericht im Folgeverfahren ist insoweit in seiner Entscheidungskompetenz beschnitten: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 6. 737 Vgl. die Nachweise bei: Grunsky, Prozeßstandschaft, in: Festgabe BGH, S. 109 (119). 738 Siehe auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 20. Dies ist konsequent, da Prozessführungsbefugnis und Rechtsschutzinteresse zu trennen sind, vgl. Urbanczyk, Verbandsklage, S. 145; dazu: Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 196 ff.
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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sätze und Zwecksetzung durch die Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage gewahrt werden. Die Parteirollenverschiebung ist schließlich gerade vom Gesetz intendiert. 6. Ergebnis zur Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage Es kann somit festgehalten werden, dass die Ausgestaltung der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage infolge der Parteirollenverschiebung als eine gesetzlich typisierte funktionale Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage zu charakterisieren ist.739 Durch die Anmeldung stimmen die Verbraucher der Parteirollenverschiebung und damit der funktionalen Prozessstandschaft zu, wodurch die Begründung der Prozessführungsbefugnis im gewillkürten Akt liegt. Die Ermächtigung zur Prozessführungsbefugnis ist hierbei, da materiell-rechtliche Ermächtigungen nicht vorliegen, eine rein prozessuale. Die Prozessstandschaft hat eine gesetzliche Ausformung erfahren, für welche hier die Formulierung einer gesetzlichen Typisierung verwandt wird. Da die Parteirollenverschiebung vom Gesetz intendiert wird, bedarf es außerdem keiner besonderen Begründung des eigenen rechtlichen Interesses der qualifizierten Einrichtung an der Prozessführung.
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis Im Anschluss an die Betrachtung der Musterfeststellungsklage soll nun der Blick auf die Prozessführungsbefugnis im Rahmen der Richtlinie gelenkt werden. Hierfür werden zuerst diejenigen Vorgaben der Richtlinie, die im Zusammenhang mit der Prozessführungsbefugnis bei Abhilfeklagen740 stehen, dargestellt. Anschließend sollen verfassungsrechtliche Grenzen gezogen und abschließend ein Vorschlag zur Ausgestaltung, unter Berücksichtigung der möglichen Rechtsnatur, gemacht werden. 739 Hieran kann auch nach der absehbaren Modifizierung durch den VDuG-E festgehalten werden. Zwar entfällt die Voraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, gleichzeitig verdeutlicht jedoch § 46 Abs. 1 S. 1 VDuG-E („Verbraucher können Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die Gegenstand einer Verbandsklage sind (. . .) anmelden“) die Bezugnahme auf die Individualansprüche klarer als bislang (siehe ferner: VRUG-E, S. 68, 77 zu § 1 Abs. 2 VDuG-E, sowie ebenda, S. 80 zu § 4 Abs. 3 VDuG-E). Außerdem fällt das Quorum nicht gänzlich weg, sondern wird aufgrund der gesetzgeberischen Annahme, dieses werde zumeist ohnehin erreicht, durch eine gerichtlich zu prüfende, aber weitergehende Glaubhaftmachung ersetzt (VRUG-E, S. 79). Auch bleiben die Anforderungen an eine wirksame Anmeldung inhaltlich unverändert (vgl. § 46 Abs. 2, 3 VDuG; VRUG-E, S. 116 f.). Des Weiteren entfaltet das Verfahren Bindungswirkung nur für und gegen die Anmelder (§ 11 Abs. 3 S. 1 VDuG-E) und bezieht sich somit unmittelbar auf deren Ansprüche/Rechtsverhältnisse. 740 Vgl. Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 RL zur Abhilfeentscheidung. Nach Art. 7 Abs. 4 RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass qual. Einrichtungen Unterlassungs- und Abhilfeentscheidungen erheben können.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
I. Vorgaben der Richtlinie zur verfahrensrechtlichen Stellung der qualifizierten Einrichtung und der Verbraucher bei Abhilfeklagen Nach der Konzeption der Richtlinie können ausschließlich qualifizierte Einrichtungen741 im Sinne des Art. 4 RL Verbandsklagen erheben (Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 RL), nur diese können somit klagebefugt bzw. prozessführungsbefugt sein.742 Die Verweigerung der Klagebefugnis der qualifizierten Einrichtung, insbesondere wegen einer Gefahr von Interessenkonflikten bei Drittfinanzierung von Klagen im Einzelfall, soll zur Unzulässigkeit der Klage führen (Art. 10 Abs. 4 S. 1 RL).743 Die Rechte der betroffenen Verbraucher werden davon aber nach Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL nicht berührt.744 Die qualifizierte Einrichtung soll die verfahrensrechtliche Stellung einer antragsstellenden Verfahrenspartei einnehmen und die Interessen der Verbraucher repräsentieren (Art. 7 Abs. 6 S. 1 RL). Auf Klägerseite kann daher nur eine qualifizierte Einrichtung stehen.745 Insbesondere sind die einzelnen betroffenen Verbraucher von einer Parteistellung ausdrücklich ausgeschlossen. Allerdings können die Mitgliedstaaten den Verbrauchern innerhalb der Verbandsklage einzelne Rechte einräumen. Es soll ihnen aber nicht möglich sein, Verfahrensentscheidungen der qualifizierten Einrichtung zu beeinträchtigen, selbstständig Beweismittel zu erheben oder Rechtsbehelfe einzulegen. Darüber hinaus dürfen den Verbrauchern keine prozessualen Verpflichtungen auferlegt werden.746 Jedoch soll die Abhilfeklage die Verbraucher in die Lage versetzen, Nutzen aus dieser zu ziehen (Art. 7 Abs. 6 S. 2, Art. 9 Abs. 6 RL),747 damit soll aber grundsätzlich keine Verpflichtung zur Tragung der Verfahrenskosten verbunden sein (Art. 12 Abs. 2
741 Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 4 RL. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. I. 742 Siehe nur: Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). Den Begriff Klagebefugnis verwendet die Richtlinie ausdrücklich in: ErwGr. 32 S. 1, 3, ErwGr. 52 UAbs. 1 S. 2, Art. 10 Abs. 4 S. 1, 2 RL. 743 Siehe nur: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). 744 Vgl. ErwGr. 52 UAbs. 2 S. 2 und 3 RL; allgemeiner: ErwGr. 12 S. 6 RL. 745 Dies folgt bereits aus der Legaldefinition der Verbandsklage in Art. 3 Nr. 5 RL. Siehe auch: Woopen, JZ 2021, 601 (602); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674 f.); Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). 746 ErwGr. 36 RL. Zur passiven Verbraucherrolle auch: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678); Augenhofer, NJW 2021, 113 (114); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50); Lühmann, ZIP 2021, 824 (826 f.); Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (348 f.). 747 Vgl. ErwGr. 37 S. 1 RL. Bei Abhilfemaßnahmen werden Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Preiserstattung genannt (ErwGr. 37 S. 2 RL). Bei Unterlassungsklagen soll der Nutzen im Verbot oder der Unterbindung der Praktik liegen (ErwGr. 37 S. 3 RL).
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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RL).748 Im Gegensatz zu den Unterlassungsklagen749 fordert die Richtlinie für die Abhilfeklage eine Zustimmung der Verbraucher (Art. 9 Abs. 2 RL).750 Hierdurch sollen sie die Möglichkeit haben, den Willen zur Repräsentation durch die qualifizierte Einrichtung und die Bindung an das Ergebnis der Verbandsklage zu bekunden. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten das Verfahren entweder als Opt-in- oder Opt-out-Mechanismus gestalten.751 Der Unterschied zwischen dem Opt-in- und dem Opt-out-Verfahren besteht darin, dass bei Ersterem die Verbraucher ausdrücklich ihren Willen zur Repräsentation durch die qualifizierte Einrichtung äußern müssen, während bei Zweiterem von den Verbrauchern verlangt wird, ihren der Repräsentation durch die qualifizierte Einrichtung entgegenstehenden Willen zu äußern. Weiterhin müssen die Mitgliedstaaten die konkrete Weise der Willensäußerung und das Verfahrensstadium der Äußerung bestimmen.752 Für Verbraucher mit einem gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Gerichtstaates soll jedoch das Opt-in-Verfahren zwingend sein (Art. 9 Abs. 3 RL).753 Mit der Klageerhebung muss die qualifizierte Einrichtung nach Art. 7 Abs. 2 RL hinreichende Angaben zu den betroffenen Verbrauchern754 tätigen,755 damit das Gericht seine Zuständigkeit und das anwendbare Recht bestimmen kann. Die Anforderungen können je nach Verfahrensgestaltung, also insbesondere im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Opt-in- oder Opt-out-Mechanismus verschieden ausgestaltet sein.756 Denjenigen Verbrauchern, die ihre Zustimmung zur Repräsentation durch die qualifizierte Einrichtung geäußert haben, soll es verwehrt sein, sich wegen des748 Entsprechend kann den Verbrauchern auch, außer unter den Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 3 RL, keine Verpflichtung auferlegt werden, Verfahrenskosten der Gegenseite zu tragen (Art. 12 Abs. 2 RL). Siehe auch ErwGr. 38 S. 3, 4 RL. 749 Vgl. hierzu: Art. 8 Abs. 3 S. 1 RL: Die Verbraucher müssen bzgl. dieser Klage ihren Willen nicht äußern. Außerdem muss die qualifizierte Einrichtung weder einen tatsächlichen Verlust oder Schaden der Verbraucher nachweisen (Art. 8 Abs. 3 S. 2 lit. a) RL), noch muss Vorsatz oder Fahrlässigkeit beim Unternehmer vorliegen (Art. 8 Abs. 3 S. 2 lit. b) RL). 750 Hornkohl, EuCML 2021, 189 (195). 751 Wobei auch eine Kombination möglich ist: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 8. 752 Ausführlich: ErwGr. 43 S. 1, 5 RL; Woopen, JZ 2021, 601 (608); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). 753 Siehe auch: ErwGr. 45 RL; Rentsch, EuZW 2021, 524 (529). 754 Siehe zum Verbraucherbegriff die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 1 RL. Das Verständnis des Verbraucherbegriffs im Hinblick auf die umfassten Rechtsakte erläutert ErwGr. 14 RL. 755 Da Art. 7 Abs. 2 RL keine Unterscheidung zwischen Unterlassungs- und Abhilfeklagen trifft, dürfte die Regelung für beide Fälle gleichermaßen gelten. 756 Hierzu: ErwGr. 34 S. 4 RL. Die Angaben zu den betroffenen Verbrauchern sollen die Prüfung der Zuständigkeit und die Ermittlung des anwendbaren Rechts ermöglichen. Siehe zu weiteren Informationspflichten der qualifizierten Einrichtung: ErwGr. 49 RL.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
selben Klagegrundes von einer anderen qualifizierten Einrichtung repräsentieren zu lassen oder eine entsprechende Individualklage zu erheben (Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL).757 Auf diesem Wege sollen doppelte Prozessführungen verhindert werden. Außerdem schließt Art. 9 Abs. 4 S. 2 RL bezüglich desselben Klagegrundes eine doppelte Entschädigung aus.758 Die Verbraucher sollen die Abhilfe ohne eine weitere Klageerhebung erlangen (Art. 9 Abs. 6 RL).759 Allerdings sollen die Mitgliedstaaten für die Inanspruchnahme von Abhilfebeträgen Fristen vorsehen (Art. 9 Abs. 7 S. 1 RL). Abgesehen von den Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen und der Zuweisung der Parteistellung an diese sowie einer passiven Rolle der Verbraucher, enthält die Richtlinie somit keine weitreichenden Vorgaben zur Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis. Im Wesentlichen muss es sich bei dieser um eine Klage eines Rechtsfremden für die passiven Rechtsinhaber handeln, sodass es auch bei der Abhilfeklage zu einer Parteirollenverschiebung kommt. Ebenso wird die Wahl zwischen einem Opt-in- oder Opt-out-Mechanismus ins Belieben der Mitgliedstaaten gestellt und damit deren Verfahrensautonomie respektiert.760
II. Ausgestaltung der Abhilfeentscheidung als Opt-out-Verfahren In Anbetracht der beiden zentralen Ausgestaltungsmöglichkeiten als Opt-inoder Opt-out-Verfahren gilt es zunächst, eine Entscheidung zwischen den Ausgestaltungsoptionen zu treffen. Hierzu soll deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit überprüft werden, wobei die vorliegenden Ausführungen aus Platzgründen nur einige Eckpunkte aufgreifen können. Aufgrund des Umsetzungsspielraums des nationalen Gesetzgebers wird nur eine Vereinbarkeit des Opt-out-Mechanismus mit dem Grundgesetz thematisiert.761
757 ErwGr. 46 S. 1 RL; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); kritisch zur Ausgestaltung der Regelung: Woopen, JZ 2021, 601 (604). 758 Ausführlich ErwGr. 44, 46 RL. 759 Nach ErwGr. 50 S. 2 RL darf kein gesondertes Verfahren notwendig sein. Nach ErwGr. 50 S. 4 RL sind gewisse Anforderungen, wie eine Meldepflicht, gegenüber den Verbrauchern zulässig. 760 Vgl. zur Wahrung der Verfahrensautonomie: ErwGr. 12 S. 1 RL. Dazu auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114); Gsell, BKR 2021, 521 (522); Scherber, in: Asmus/ Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, RL (EU) 2020/1828, Rn. 29. Die Richtlinie gibt vielfach nur Mindestanforderungen vor: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674). 761 Siehe zur Geltung der Grundrechte im Umsetzungsspielraum europäischer Rechtsakte: Fiedler, Class Actions, S. 127 ff. Auf Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1, Abs. 3 EMRK sowie Art. 47 Abs. 2 GRCh (vgl. Rentsch, EuZW 2021, 524 (531); Brüning, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 103, Rn. 130) wird hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen.
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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1. Vorteile für die Effizienz des kollektiven Rechtsschutzes Die Vorteile eines Opt-out-Modells sind evident. Das Verfahren ist geeignet, eine weitreichende Breitenwirkung und dadurch eine einheitliche und umfassende rechtliche Beurteilung einer Vielzahl von Fällen zu erzielen. Dadurch wird die Einheitlichkeit der Justiz und die Effektivität des justiziellen Ressourceneinsatzes maximiert. Außerdem dürfte die Vergleichsbereitschaft des Beklagten tendenziell steigen. Mittels eines Opt-out-Verfahrens könnte dies zu einer sehr weitgehenden, eventuell sogar endgültigen, Streiterledigung führen.762 2. Spannungsverhältnis zum Individualrechtsschutz Kollektiver Rechtsschutz bewegt sich in einem Spannungsverhältnis zur Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG, da sie die Möglichkeit des Rechtsinhabers betrifft, seine Rechtsverhältnisse selbst zu gestalten.763 Einem Opt-out-Mechanismus ist, zumindest sofern der Rechtsinhaber keine Kenntnis vom Verfahren erlangt, eine Einmischung in ein fremdes Rechtsverhältnis immanent und insoweit auch eine gewisse Vergleichbarkeit mit der Popularklage konstatierbar.764 a) Praktische Grenzen Ein Opt-out-Verfahren begegnet außerdem praktischen Hindernissen. Hierzu zählt bereits die Schwierigkeit, die Gruppe der Betroffenen sinnvoll einzugrenzen. Eine fehlende Kenntnis der individuell Betroffenen, wie sie bei Opt-out-Verfahren häufig vorliegt, kann zu erheblichen Problemen bei der Bestimmung von Schadensersatzbeträgen führen.765 Weder dürfte es immer möglich sein, die Gesamtzahl der Geschädigten zu ermitteln, noch deren jeweilige Schadenshöhe. Dem liegt ein weiteres Problem zugrunde, nämlich die Schwierigkeit einer Ermittlung der Gruppenzugehörigkeit. Hier sind beispielsweise schon allein aus dem Zeitpunkt und der Art der Schadensentstehung erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten denkbar. Dies wäre nicht nur für die Abhilfeklage selbst relevant, sondern auch für Individualklagen Betroffener.766 Daneben ergibt sich noch die Schwierigkeit der Verteilung eines erstrittenen Schadensersatzbetrages.767 762 Siehe nur: Lange, Gruppenverfahren, S. 130; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 202; Tamm, EuZW 2009, 439 (440); Rentsch, EuZW 2021, 524 (530 f.). Für die RL: Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 37. 763 Vgl. auch: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 185. 764 Zur Popularklage: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 182 f.; Wolf, BB 1971, 1293 (1293 f.). 765 Vgl. Lange, Gruppenverfahren, S. 130 f. 766 Vgl. Stadler, Rechtspolitischer Ausblick, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 93 (111 f.); siehe auch: Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1151). 767 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203; siehe auch: Tamm, EuZW 2009, 439 (442).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Zudem kann ein Opt-out-Verfahren auch für den Kläger mit erheblichem Aufwand verbunden sein, da er eine eventuell sehr große Gruppe vertritt.768 Eine qualifizierte Einrichtung müsste daher sehr präzise kalkulieren, ob eine Abhilfeklageerhebung überhaupt finanziell realisierbar ist. Eine dadurch gebotene Schaffung zusätzlicher Finanzierungsanreize widerspräche gleichzeitig dem grundsätzlich intendierten Missbrauchsschutz.769 Die Sachverhaltsferne der qualifizierten Einrichtung, welche bei einer fehlenden Kenntnis der Betroffenen noch potenziert wird, ist außerdem geeignet, die inhaltliche Richtigkeit der Abhilfeentscheidung zu beeinträchtigen. Dies dient weder dem rechtspolitisch wünschenswerten effizienten Einsatz von Justizressourcen noch folgt daraus ein Mehrwert für die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung.770 b) Rechtliche Grenzen Im Folgenden soll die grundrechtliche Zulässigkeit eines Opt-out-Mechanismus untersucht werden.771 Gegenstand der Betrachtung wird das Opting-out sein, nicht hingegen die Ausgestaltung der Beteiligung der Verbraucher an der nachfolgenden Verbandsklage.772 Diese soll im nächsten Abschnitt inzident in einem Exkurs zur Wahrung des rechtlichen Gehörs bei der Musterfeststellungsklage geklärt werden. aa) Verletzung des Dispositionsgrundsatzes Der Einzelne hat unter Geltung des Grundgesetzes die Entscheidungsfreiheit darüber, ob und inwieweit er einen Anspruch vor Gericht durchsetzen möchte.773 Dies ist als ein Aspekt des Dispositionsgrundsatzes zumindest im Kerngehalt auch grundrechtlich geschützt.774 Teilweise wird eine verfassungsrechtliche Ge768 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (14). 769 Vgl. zur Kostenproblematik: Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (14 f.). Siehe zum Missbrauchsschutz: Art. 1 Abs. 1 S. 1 RL. 770 Vgl. zur Popularklage: Klocke, Rechtsschutz in kollektiven Strukturen, S. 182 f.; Wolf, BB 1971, 1293 (1293 f.). 771 Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit Lange, Gruppenverfahren, S. 129 ff. Siehe auch: Voit, Sammelklagen, S. 90 ff., dessen Bewertung nach dem hier Gesagten jedoch nicht geteilt wird, vgl.: ebenda, S. 106. 772 Siehe zur Debatte um Opt-in- und Opt-out-Verfahren auch die Nachweise bei: Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 174. 773 Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeßrecht, S. 1 (17); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203; siehe auch: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (29). 774 Lange, Gruppenverfahren, S. 131 f. Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1, Rn. 38; Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 318; siehe auch: Scholz, ZG 2003, 248 (257 f.) zur Absicherung individual-rechtlicher Garantien. Wundenberg, ZEuP 2007, 1097 (1115) geht von einer Gewährleistung durch den Justizgewährleistungsan-
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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währleistung, mangels einer positiv-rechtlichen Normierung zwar abgelehnt.775 Da aber die Verfügungsbefugnis über personenrechtliche und vermögensrechtliche Ansprüche aus den materiellen Freiheitsrechten der Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG (sowie Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitet werden, folgt daraus auch die verfahrensrechtliche Dispositionsbefugnis, über die prozessuale Durchsetzung dieser Ansprüche selbstständig zu entscheiden.776 Die nahezu zwangsweise Geltendmachung des Anspruchs eines nicht benachrichtigten Anspruchsinhabers bewirkt einen Eingriff in den Dispositionsgrundsatz.777 Anders könnte dies lediglich dann bewertet werden, wenn eine individuelle Benachrichtigung sichergestellt wäre, wobei dann immer noch die Problematik einer fehlenden Kenntnisnahme den Einzelnen erheblich belasten würde.778 Ein solcher Idealfall wird aber bereits in vielen Fällen nicht gegeben sein. Es werden immer Betroffene ohne eine entsprechende Benachrichtigung verbleiben, womit das Austrittsrecht nicht genutzt werden kann.779 Eine Rechtfertigung780 des Eingriffs scheidet hier aus, da zwar ein Opt-outVerfahren Vorteile hinsichtlich der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, der Effizienz und Prozessökonomie bietet,781 dies aber in keinem angemessenen Verhältnis zum, insbesondere im Fall einer Klageabweisung, erheblichen Eingriff in die Dispositionsbefugnis des Anspruchsinhabers stünde. Für die Fälle der Streuschäden wären bereits Unterlassungs- und Gewinnabschöpfungsklagen ein zur Bewehrung der Rechtsordnung und Durchsetzung der Präventionswirkung des Scha-
spruch aus. Zu denken ist auch an die verfahrensrechtliche Dimension der Grundrechte, insbesondere des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG: Papier/Shirvani, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 14, Rn. 126 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.12.1968, Az. 1 BvR 683/64, 1 BvR 673/64, 1 BvR 200/65, 1 BvR 238/65, 1 BvR 249/65, BVerfGE 24, 367 (401). Die Dispositionsmaxime findet in Art. 19 Abs. 4 GG, gegenüber der öffentlichen Gewalt, eine direkte Absicherung: Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 264. 775 Halfmeier/Wimalasena, JZ 2012, 649 (656). 776 Stürner, Verfahrensgrundsätze, in: Festschrift Baur, S. 647 (651); Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (57) m.w. N.; Lange, Gruppenverfahren, S. 132 m.w. N.; Stadler, Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (577); Fiedler, Class Actions, S. 258 f. Zur privatautonomen Verfügungsbefugnis: BVerfG, Urteil vom 08.07.1976, Az. 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvL 148/75, BVerfGE 42, 263 (294 f.). 777 Anschaulich: Stürner, Verfahrensgrundsätze, in: Festschrift Baur, S. 647 (652). 778 Lange, Gruppenverfahren, S. 136 f. Darauf weist auch: Haß, Gruppenklage, S. 320 hin. 779 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203. 780 Wundenberg, ZEuP 2007, 1097 (1115) geht von einer Rechtfertigung durch Art. 19 Abs. 4 GG aus, dieser adressiert allerdings den Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt. 781 Vgl. Lange, Gruppenverfahren, S. 139.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
densrechts milderes Mittel.782 Zudem ist die Rechtsprechungseinheitlichkeit und die Effektivität des Rechtsschutzes von durchaus zweifelhaftem Wert, da sie mit einer zwangsläufigen Nivellierung individueller Rechtspositionen einhergehen dürfte. Insbesondere erscheint eine Instrumentalisierung der Einzelansprüche zur Herbeiführung einer verbesserten Rechtsdurchsetzung nicht angezeigt: würde sie doch zum Nachteil derer gereichen, die tatsächlich auch an der Geltendmachung niedriger Schadensbeträge interessiert sind.783 Die Rechtssprechungseinheit und die Verfahrenseffizienz, die insbesondere bei Massenschäden gesteigerte Relevanz erlangen,784 könnten mit einem Opt-in-Verfahren ebenfalls weitgehend erreicht werden.785 Die bloße Wirkmächtigkeit eines Verfahrens kann einen derart weitgehenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Dispositionsbefugnis nicht rechtfertigen.786 Die Annahme, eine Verletzung der Dispositionsmaxime liege nicht vor in Fällen rationalen Desinteresses, weil der Anspruchsinhaber hier ohnehin inaktiv bleibe und nicht disponieren wolle und auch ein Anspruchsverlust dem Betroffenen gleichgültig sein könne,787 übersieht bereits, dass im Entschluss, nicht zu disponieren, auch eine Disposition im Sinne einer negativen Freiheit liegt.788 Die Bedeutung einer grundrechtlich gesicherten Position hängt nicht allein von der Wertschätzung und Kenntnis ihres Trägers ab.789 Ein Opt-out-Verfahren würde somit, solange nicht die Benachrichtigung jedes individuell Betroffenen gewährleistet werden kann, die Dispositionsmaxime verletzen.790
782 Vgl. Stadler, Rechtspolitischer Ausblick, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 93 (107 f.) bei Streuschäden wäre ein Opt-out-Verfahren, welches auf individuelle Schadenskompensation ausgerichtet ist, aufgrund der geringen Schadenshöhe ungeeignet und daher ein Gewinnabschöpfungsanspruch sinnvoller. 783 Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 59. Stadler, Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (577), leitet aus einem geringen Schaden ein geringeres Interesse und damit eine geringe Betroffenheit ab. 784 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. 2. 785 Ähnlich: Stadler, Rechtspolitischer Ausblick, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 93 (111). 786 Ähnlich wohl: Stürner, Verfahrensgrundsätze, in: Festschrift Baur, S. 647 (652 f.) m.w. N., der zwischen verbandsbetriebenen Zahlungsurteilen als verfassungswidrig und rechtfertigungsfähigen Klagen (nur) zum Schutz der objektiven Rechtsordnung unterscheidet. 787 Halfmeier/Wimalasena, JZ 2012, 649 (657). 788 Rixen, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 52 zur negativen Handlungsfreiheit. 789 Vgl. zur Unkenntnis bei Grundrechtseingriffen: Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 10, Rn. 76. 790 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203; Mann, NJW 1994, 1187 (1188 f.). Kritisch auch: v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 101; ähnlich auch: Mark, EuZW 1994, 238 (240 f.); Bruns, Rechtsgutachten, S. 6 f., 19.
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bb) Verletzung des rechtlichen Gehörs Da hier von einer Umsetzung mittels eines gerichtlichen Verfahrens ausgegangen wird, könnte auch Art. 103 Abs. 1 GG,791 also das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht (i. S. d. Art. 92 GG) betroffen sein.792 Dieses verpflichtet auch den parlamentarischen Gesetzgeber bei der Normierung von Verfahrensvorschriften.793 Die Verbraucher werden vom persönlichen Schutzbereich des Jedermanngrundrechts, obwohl sie keine Parteistellung einnehmen, umfasst, da eine unmittelbare rechtliche Betroffenheit von dem Verfahren angenommen werden kann.794 Die Problematik eines Opt-out-Verfahrens besteht wesentlich in der Schwierigkeit, alle potenziell Betroffenen zu individualisieren, weshalb es rein faktisch nicht möglich sein wird, alle Betroffenen zu benachrichtigen.795 Folglich würden diese nicht informiert und könnten nicht einmal von ihrem Austrittsrecht Gebrauch machen. Allerdings ist bereits die Information über ein anhängiges Verfahren vom Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG, in der Ausprägung eines Rechts auf Information betroffen.796 Als vorbehaltlos garantiertes Grundrecht können Eingriffe in Art. 103 Abs. 1 GG nur durch verfassungsimmanente Schranken gerechtfertigt werden.797 In Betracht käme eine Rechtfertigung durch ein objektives Interesse des Staates an einer funktionsfähigen Rechtspflege.798 In vielen Fällen dürfte eine individuelle Benachrichtigung der Betroffenen an faktischen Limitierungen scheitern, weshalb nur eine Be791
Hierzu auch: Tamm, EuZW 2009, 439 (442). Vgl. Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 3; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 5. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 59 geht davon aus, dass ein Opt-out-Verfahren wegen der Notwendigkeit einer individuellen Gehörsgewährung nicht praktikabel wäre. 793 Brüning, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 103, Rn. 94. 794 Siehe nur: Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 11; Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 4. Unter Verweis auf: BVerfG, Beschluss vom 22.04.1964, Az. 2 BvR 190/62, BVerfGE 17, 356 (361); BVerfG, Beschluss vom 03.11.1983, Az. 2 BvR 348/ 83, BVerfGE 65, 227 (233); BVerfG, Beschluss vom 18.01.2000, Az. 1 BvR 321/96, BVerfGE 101, 397 (404); BVerfG, Beschluss vom 08.02.1994, Az. 1 BvR 765/89, 1 BvR 766/89, BVerfGE 89; 381 (390 f.); BVerfG, Beschluss vom 07.03.1995, Az. 1 BvR 790/91, 1 BvR 540/92, 1 BvR 866/92, BVerfGE 92, 158 (183); BVerfG, Beschluss vom 25.01.2018, Az. 2 BvR 1362/16, NJW 2018, 1077 (1078). Vgl. auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 147; Wundenberg, ZEuP 2007, 1097 (1112); Baur, AcP 153 (1954), 393 (407). 795 Siehe nur: Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 1 (17). Für einen Verstoß daher: Prütting, ZIP 2020, 197 (198). 796 BVerfG, Beschluss vom 11.07.1984, Az. 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208 (211); Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 13, 27; Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 8; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 79. 797 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rn. 38. 798 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rn. 38. Dazu: BVerfG, Beschluss vom 19.07.1972, Az. 2 BvL 7/71, BVerfGE 33, 367 (383); BVerfG, Beschluss vom 19.06.1979, Az. 2 BvR 1060/78, BVerfGE 51, 324 (343 f.). 792
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kanntgabe möglich wäre, die ähnlich einer öffentlichen Zustellung erfolgt.799 Nach Ansicht des BVerfG kann eine solche Zustellungsfiktion zulässig sein, wenn eine Zustellung aus sachlichen Gründen entweder gar nicht oder nur schwer durchzuführen wäre. Ein solcher Fall kann auch eine fehlende Überschaubarkeit des Betroffenenkreises sein.800 Davon könnte auch bei Abhilfeklagen mit einer erheblichen Breitenwirkung ausgegangen werden. Dem sollte aber für Optout-Verfahren nicht gefolgt werden. Bei den bisherigen Fallgestaltungen handelt es sich um Sonderkonstellationen, die die Bildung einer allgemeinen Regel nicht zulassen,801 was sich allein schon daraus ergibt, dass der Verbraucher bei der Abhilfeklage nicht auf der Beklagtenseite steht oder in der Rolle eines Drittbetroffenen berührt wird, sondern er auf der Klägerseite steht.802 Außerdem folgt die fehlende Überschaubarkeit des Betroffenenkreises beim Opt-out-Verfahren erst aus dem Auftreten eines Dritten und dessen Intervention in für ihn fremde Rechtsverhältnisse. Die für eine Einschränkung bei Massenverfahren angeführte Notwendigkeit einer Verfahrensbeschleunigung803 kann für ein Opt-out-Verfahren nicht geltend gemacht werden. Die Notwendigkeit einer Verfahrensbeschleunigung bei einem Massenverfahren hinsichtlich der Informationsgewährung an alle Betroffenen ergibt sich bei einer Opt-out-Klage gerade erst aus dem Opt-outMechanismus. Erst dessen intendierte Folge einer enormen Breitenwirkung des Verfahrens macht es notwendig, ein Verfahren zu schaffen, welches, als Konsequenz des großen Kreises (potenziell) Betroffener, das Bedürfnis nach einer Verfahrensbeschleunigung ausreichend berücksichtigt. Der Mechanismus als solcher wäre damit Grund und Rechtfertigung zugleich, was nahezu zirkulär wäre. In eine ähnliche Richtung geht das zur Rechtfertigung eines Opt-out-Verfahrens 799 Vgl. zu deren grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Zulässigkeit nur: Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rn. 26. 800 BVerfG, Beschluss vom 02.12.1987, Az. 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 (285); BVerfG, Beschluss vom 26.10.1987, Az. 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361 (2361) m.w. N.; zur faktischen Undurchführbarkeit: Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 8; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 86; Nolte/Aust, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103, Rn. 30; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 39. Eine beispielhafte Auflistung entsprechender Verfahren findet sich bei: Halfmeier/Wimalasena, JZ 2012, 649 (654 f.). Eine Zustellung, bei welcher nicht gewährleistet wird, dass der Einzelne Kenntnis erlangt, bedarf einer Rechtfertigung „durch Erfordernisse der geordneten Verfahrensabwicklung und Verfahrensbeschleunigung“ (Brüning, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 103, Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 02.12.1987, Az. 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 (285); BVerfG, Beschluss vom 29.11.1989, Az. 1 BvR 1011/88, BVerfGE 81, 123 (126)). 801 v. Bar, Gutachten A zum 62. Deutschen Juristentag, S. 100 f., beispielsweise im Insolvenzrecht. 802 Hierauf weist: Stadler, Bündelung von Verbraucherinteressen, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 1 (18) hin. Ferner stellt sie fest, dass Verfahren zur Anspruchsanmeldung dem deutschen Recht zwar nicht fremd sind, diese aber letztlich eine ultima ratio darstellen. Vgl. auch: Deutlmoser, EuZW 2013, 652 (654); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203. 803 Vgl. zur Rechtsprechung des BVerfG: Lange, Gruppenverfahren, S. 168 f.
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teilweise hervorgehobene funktionale Verständnis des Art. 103 Abs. 1 GG, wonach nicht in jedem Fall eine individuelle Benachrichtigung erforderlich sei.804 Dem Verständnis als Funktionsgarantie kann zwar zugestimmt werden, sie gewährt allerdings keine Begründung für derartig erhebliche Beschneidungen des rechtlichen Gehörs.805 Insbesondere kann ein funktionales Verständnis, welches letztlich abhängig ist vom Verfahrenszweck, keine pauschale Begründung für die Einschränkung liefern, weil damit durch die Definition des Verfahrensziels, eine möglichst große Breitenwirkung eines Massenverfahren zu erlangen, auch die Reichweite des Gehörsanspruchs mitbestimmt würde. Da also die Rechtfertigung nicht aus dem Opt-out-Mechanismus selbst folgen kann, bedürfte es eines kollidierenden Gutes von Verfassungsrang.806 Ein solches könnte in einer effektiveren Geltendmachung von Streuschäden mittels eines Opt-out-Mechanismus liegen.807 Allerdings hätte dies zur Folge, dass damit gerade in Fällen einer häufig erheblichen Breitenwirkung Art. 103 Abs. 1 GG weitgehend leerlaufen würde, was trotz des legitimen Ziels einer verbesserten Rechtsdurchsetzung, in Anbetracht von milderen Mitteln wie Unterlassungs-808 und Gewinnabschöpfungsklagen, nicht angemessen wäre. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Einzelne häufig nicht einmal an der Schadenskompensation partizipieren würde und daher der Anspruchsinhaber letztlich im Verfahren einen reinen Objektstatus zur Effektivierung der Rechtsordnung einnehmen würde.809 Einer besonderen Betonung bedarf an dieser Stelle, dass Art. 103 Abs. 1 GG gerade auch die Würde des Menschen schützt (Art. 1 Abs. 1 GG) und verhindert, dass dieser zu einem reinen Objekt eines gerichtlichen Verfahrens wird.810 Ein prozessuales Verfahren, welches außerhalb von besonderen Sachverhalten,811 jedoch bereits in seiner Grundstruktur akzeptiert, dass einzelne Betroffene eventuell nicht benachrichtigt werden, zielt gerade auf eine Objektivierung des Ein804 Halfmeier/Wimalasena; JZ 2012, 649 (655 f.); ähnlich auch: Koch, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozeß, S. 93 f. und Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (7 ff.). 805 So auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 160. 806 Siehe nur: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 83. 807 Wundenberg, ZEuP 2007, 1097 (1114) bei Streuschäden sei eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes möglich. 808 Diese fordert die Richtlinie in Art. 8. 809 Ablehnend ebenfalls: Lange, Gruppenverfahren, S. 169. Siehe auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 59. 810 Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 21; BVerfG, Beschluss vom 08.01.1959, Az. 1 BvR 396/55, BVerfGE 9, 89 (95). 811 Vgl. die Fälle bei: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 254. Stadler, Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (573 ff.) stellt auf bereits existente Fälle der öffentlichen Bekanntmachung ab, dann nämlich, wenn die Rechtsdurchsetzungsfunktion im Vordergrund stünde, sei eine öffentliche Bekanntmachung ausreichend, was anhand der individuellen Schadenshöhe bestimmt werden solle. Siehe auch: Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (9 f.).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
zelnen und seiner Rechtsposition ab.812 Massenschäden und die durch diese berührte Frage nach effektivem Rechtsschutz und Einsatz von Justizressourcen können bereits durch einen Opt-in-Mechanismus bewältigt werden.813 Aber selbst bei Fällen einer möglichen individuellen Bekanntmachung können sich Hindernisse ergeben.814 Zu denken sei hier nur an Fälle von Sprachbarrieren.815 Weiterhin ergäben sich Probleme der Rechtssicherheit, da bei einem Massenverfahren die Unterscheidung zwischen solchen Fällen, bei denen eine individuelle Benachrichtigung möglich wäre und solchen, in denen nur eine öffentliche Zustellung in Betracht kommt, fehlerbehaftet sein dürfte.816 Ein Opt-out-Verfahren würde daher das immanente Risiko einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG begründen.817 cc) Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs Zum Kern des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG (i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG)818 gehört der Justizgewährleistungsanspruch als Anspruch auf Rechtsschutz durch ein unabhängiges Gericht.819 Für die Umsetzung der Richtlinie er812 Gegen eine Instrumentalisierung des Geschädigten bei Streuschäden: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 59. Siehe auch: Deutlmoser, EuZW 2013, 652 (654). 813 Siehe zu Massenschäden die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. 2. Von der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG in diesen Fällen geht auch Haß, Gruppenklage, S. 305 aus. 814 So kann eine Kenntnis vom Verfahren, selbst bei individueller Benachrichtigung infolge von Briefverlust oder Abwesenheit ausgeschlossen sein, siehe Lange, Gruppenverfahren, S. 136. 815 Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung infolge fehlender Sprachkenntnisse: Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rn. 45; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975, Az. 2 BvR 1074/74, BVerfGE 40, 95 (99 f.). 816 Eine öffentliche Zustellung lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn andere Zustellungsarten nicht durchführbar sind, vgl. Nolte/Aust, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 103, Rn. 30; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 40. Solche Abgrenzungsschwierigkeiten könnten das Verfahren mit dem Risiko von Verfassungsbeschwerden belasten. 817 So auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 203; Eichholtz, Class Action, S. 230. A. A. Koch/Zekoll, ZEuP 2010, 107 (114 ff.). 818 Zu den verfahrensrechtlichen Fragen des Art. 2 Abs. 1 GG: Kunig/Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2, Rn. 31 m.w. N. 819 BVerfG, Beschluss vom 12.02.1992, Az. 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337 (345 f.); BVerfG, Beschluss vom 02.03.1993, Az. 1 BvR 249/92; BVerfGE 88, 118 (124 f.); BVerfG, Beschluss vom 20.06.1995, Az. 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99 (107); BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006, Az. 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (154 ff.); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 211 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 130a; Rux, in: BeckOKGG, Art. 20, Rn. 199 m.w. N.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 162; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 322.
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gäbe sich aus dem Ausschluss von Individualklagen durch Art. 9 Abs. 4 RL bei einem Opt-out-Verfahren insofern ein Problem, als dem Betroffenen, wenn er zuvor keine Kenntnis von seiner Austrittsmöglichkeit hatte und nun selbst ein Verfahren anstrengen möchte, eine Sperrwirkung entgegengehalten wird. In dieser Situation würde ihm der durch Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherte Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren verwehrt. Dies gilt nicht nur im Falle einer noch anhängigen Verbandsklage, sondern wegen der Bindungswirkung der Abhilfeentscheidung auch über die Beendigung des Verfahrens hinaus.820 Die durch Art. 20 Abs. 3 GG auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten gewährleistete umfassende Prüfung des Streitgegenstandes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht821 würde dem Rechtsinhaber verwehrt. Wie bereits oben dargelegt, würde dies auf der Grundlage eines verfassungsrechtlich problematischen Verfahrens basieren, wodurch dieses auch keine Rechtfertigung für den Ausschluss des Individualrechtsschutzes begründen kann.822 3. Exkurs: Zur Verfassungsmäßigkeit der Musterfeststellungsklage Bedingt durch den Ausschluss jeder Beteiligungsmöglichkeit der Anmelder im Rahmen der Musterfeststellungsklage823 wird vielfach von einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ausgegangen.824 Das Grundrecht auf rechtliches Gehör umfasst nach allgemeiner Auffassung zugunsten des Grundrechtsinhabers drei Gewährleistungen:825 Zum einen ist dies das Recht auf Information über entschei-
820 Vgl. zur Problematik auch: Lange, Gruppenklage, S. 126 ff., die eine nachträgliche Beitrittsmöglichkeit vorschlägt. 821 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 20, Rn. 64 m.w. N. 822 Vgl. auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 126 ff. 823 Siehe nur: Röthemeyer, MDR 2019, 6 (7). Allg. zu grundrechtlich geschützten Rechten: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 116 ff. 824 So wohl: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1324); Fölsch, DAR-Extra 2018, 736 (738); Scholl, ZfPW 2019, 317 (347); Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190); Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 5, 7 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 4. Röthemeyer, MDR 2019, 6 (6 ff.), der davon ausgeht, dass das Gericht durch eine aktive Verfahrensgestaltung der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG entgegenwirken könnte, ebenda (10 f.); Röthemeyer, jM 2022, 178 (181 f.), für ein Wahlrecht der Anmelder betreffend die Bindung; ausführlich zu einem „asymmetrischen Bindungskonzept“: Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 33 ff., insb. S. 79. Zweifelnd an der Verfassungsmäßigkeit: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (364, 366 f.). Augenhofer, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 6, zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch die qualifizierte Einrichtung. Siehe zur Möglichkeit einer Wahrnehmung der Dispositionsfreiheit durch einen Dritten: Fiedler, Class Actions, S. 259 f. 825 Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 7; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 20: „Phasen der Verwirklichung“. Degenhart, in: Sachs, GG Art. 103, Rn. 11: „Stufen der Realisation“.
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dungsrelevante Tatsachen,826 welches im Rahmen der Musterfeststellungsklage auf die Bekanntmachungen nach § 607 Abs. 2, 3 ZPO reduziert ist. Zum anderen muss der Betroffene im Rahmen des Äußerungsrechts eine hinreichende Gelegenheit haben, sich zu den potenziell erheblichen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern.827 Eine solche Möglichkeit gewährleisten die §§ 606 ff. ZPO nicht, wodurch wiederum das Recht auf Berücksichtigung des vom Betroffenen Vorgebrachten tangiert wird,828 denn was nicht vorgebracht werden kann, unterliegt auch keiner Berücksichtigung. Das rechtliche Gehör des Anmelders ist somit erheblich betroffen.829 Andererseits schafft die Musterfeststellungsklage nur eine zusätzliche Möglichkeit Rechtsschutz zu erlangen.830 Im Hinblick auf die Einwilligung des Anmelders an ein Verfahren gebunden zu sein, in welchem ihm kein rechtliches Gehör gewährt wird, kann von einem Grundrechtsausübungsverzicht gesprochen werden, da der Anmelder sein Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht verliert, sondern nur auf die Ausübung in einem konkreten Fall verzichtet.831 Zu beachten ist bei der Frage nach der Zulässigkeit eines Ausübungsverzichts im Rahmen der Musterfeststellungsklage, dass ein Grundrecht keinen Selbstzweck erfüllt, welches sich in seiner Existenz erschöpft, sondern dass es Ausdruck einer individuellen Freiheit ist und damit auch die Entschließung des Einzelnen auf die Ausübung zu verzichten grundsätzlich umfasst.832 Der entscheidende Unterschied zum Opt-out-Mechanismus liegt in der bei der Musterfeststellungsklage gewährleisteten Möglichkeit, über den Ausübungsverzicht zu entscheiden. Da aber Grundrechte in erster Linie ein subjektiv-öffentliches Recht des Trägers begründen, muss auch von dessen grundsätzlicher Dispositionsbefugnis ausgegangen werden. Im Gegenteil bedarf eher die Verweigerung der Disposition, also des Ausübungsverzichts einer eingehenden 826 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 103, Rn. 23; Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 8 m.w. N. 827 Brüning, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Art. 103, 130; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 14; Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 11; BVerfG, Beschluss vom 19.05.1992, Az. 1 BvR 986/9, BVerfGE 86, 133 (144 f.); BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999, Az. 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106 (129). 828 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 231 f.; vgl. zur Berücksichtigung: Radtke, in: BeckOKGG, Art. 103, Rn. 13 m.w. N. 829 Röthemeyer, MDR 2019, 6 (7). 830 Hierauf weist Schneider, BB 2018, 1986 (1987) zutreffend hin. Scholl, ZfPW 2019, 317 (347) verwirft diesen Aspekt im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG. Ebenso: Röthemeyer, MDR 2019, 6 (7 f.), der nach der subjektiven Bedeutung des Gehörs für einzelne Anmelder differenziert, vgl.: Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 25 ff. 831 Vgl. Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 719, 733 ff. Siehe auch zur Abgrenzung zwischen Grundrechtsverzicht und Ausübung: Bethge, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 203, S. 1114, insb. zum Grundrechtsausübungsverzicht: S. 1164 f., 1166; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1, Rn. 301. 832 Vgl. Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 735 f.; Hillgruber, in: BeckOKGG, Art. 1, Rn. 74.
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Rechtfertigung.833 Eine Einschränkung könnte sich bei Art. 103 Abs. 1 GG aus zwei Aspekten ergeben. Zum einen daraus, dass dieses kein Freiheitsrecht, sondern ein Verfahrensgrundrecht834 ist und als objektivrechtliches Verfahrensprinzip für ein grundgesetzkonformes Verfahren konstitutiv ist.835 Zum anderen aus dem Menschenwürdegehalt des rechtlichen Gehörs.836 Allerdings ist nicht einmal die Menschenwürde ein für den Grundrechtsträger vollständig indisponibles Gut.837 Nur dann, wenn ein Grundrecht nicht primär dem Individualinteresse, sondern dem Allgemeininteresse dient, kann ein Verzicht ausgeschlossen sein.838 Davon sollte aber für Art. 103 Abs. 1 GG nicht ausgegangen werden; dieser ist nicht nur ein objektiv-rechtliches Prinzip,839 sondern ein grundrechtsgleiches Recht, welches dem von der Entscheidung Betroffenen als Subjekt nicht nur ein Abwehr-, sondern auch ein Leistungsrecht840 gewährt und damit gerade dem Einzelnen und nicht überwiegend der Allgemeinheit dient. Zumindest aber kann nicht von einem Überwiegen des Allgemeininteresses ausgegangen werden.841 Mit der Anmeldung zum Klageregister und dem Fristablauf zur Rücknahme der Eintragung verzichtet der Verbraucher im konkreten Fall und gerade nicht abstrakt im Voraus auf das rechtliche Gehör. Dieser Verzicht ist verfassungsrechtlich möglich und zu respektieren.842 Außerdem erfordert § 607 Abs. 1 Nr. 6 ZPO 833 Vgl. Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 740. Ausführlich zur Legitimation eines Grundrechtsausübungsverzichts: Bethge, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 203, S. 1168 ff. 834 Siehe nur: BVerfG, Beschluss vom 10.10.1978, Az. 1 BvR 475/78, BVerfGE 49, 252 (259). 835 Vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 90, Rn. 251 m.w. N.; BVerfG, Beschluss vom 09.07.1980, Az. 2 BvR 701/80, BVerfGE 55, 1 (6). 836 Ausführlich: Graßhof, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 133, S. 1368 m.w. N. Siehe zu den Grenzen des Grundrechtsausübungsverzichts auch: Bethge, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 203, S. 1170 f. Menschenwürdegehalt: Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 1 m.w. N. 837 Vgl. Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 740 f. 838 Vgl. Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 741. Fälle wären die Geheimheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 GG) oder die Benachrichtigungspflicht bei Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 4 GG, str.). Stern, in: Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, Einl., Rn. 191 geht von einer gesteigerten Verfügungsbefugnis bei solchen Grundrechten aus, die personale Rechtsgüter betreffen gegenüber solchen mit Gemeinschaftsbezug. 839 Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 1; siehe zum objektivrechtlichen Prinzip: BVerfG, Beschluss vom 18.06.1985, Az. 2 BvR 414/84, BVerfGE 70, 180 (188). 840 Vgl. Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 1 m.w. N. 841 Vgl. zur Komplexität des Gewährleistungsbereichs: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 12 ff. 842 Für die Zulässigkeit auch: Merten, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, § 73, S. 740. Ein Totalverzicht wäre hingegen unzulässig, siehe Bethge, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 203, S. 1166 ff. Ablehnend Lange, Gruppenverfahren, S. 166 f., die hierin wohl einen generellen Verzicht erblickt. Überzeugen kann das nicht, da der Anmelder in einem konkreten Fall die Wahl zwischen der Musterfeststellungsklage und dem Individualverfahren hat; siehe auch: Oehmig, Rechtsstellung
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
bereits für die Bekanntmachung im Klageregister Informationen zur Wirkung der Anmeldung, sodass sichergestellt werden kann, dass der Anmelder in Kenntnis der Anmeldewirkungen einwilligt.843 Die Erfüllung der Anforderungen an einen wirksamen Verzicht sind demnach von der Ausgestaltung der Informationen bei der Anmeldung abhängig. Zumindest in diesem Punkt dürfte die aktuelle Ausgestaltung des Anmeldeverfahrens unzureichend sein, dies ist allerdings korrigierbar.844 Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich beim Verzicht auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs für ein ganzes Verfahren nicht um einen konkreten Fall handelt, da dieser sehr deutlich abgrenzbar und begrenzbar ist.845 Insoweit kann eine Parallele zum Grundrechtsausübungsverzicht bei Verzicht auf ein Rechtsmittel gezogen werden.846 Zudem könnte eine Rechtfertigung des Eingriffs durch kollidierendes Verfassungsrecht,847 insbesondere die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes, in Betracht kommen.848 Die fortlaufende Information sämtlicher Anmelder, deren – gegebenenfalls eingeschränkte – Äußerung und die Berücksichtigung derselben, können leicht zu einem äußerst ineffektiven und langwierigen Verfahren führen.849 Da aber der Justizgewährleistungsanspruch (Art. 20 Abs. 3 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) auch einen Rechtsschutz in angemessener Zeit fordert,850 liegt hierin ein verfassungsimmanenter Rechtfertigungsgrund für eine Gehörsbeschrän-
des angemeldeten Verbrauchers, S. 204, 210 ff. Für die Zulässigkeit durch Einwilligung: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (49); Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 20. Ablehnend: Scholl, ZfPW 2019, 317 (347); Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 5, 7 f. 843 BT-Drs. 19/2507, S. 23. 844 Darauf weist zutreffend Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 220 ff., insb. S. 222 hin. Hingegen geht Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 234 ff. davon aus, dass weder Verzicht noch Rechtfertigung möglich seien, sondern das Gericht durch ein „gehörsfreundliches Prozessmanagement“ (ebenda, S. 237 f.) einen Grundrechtsverstoß verhindern könne; dazu auch: Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 28 f. 845 Anderer Auffassung: Röthemeyer, MDR 2019, 6 (8). 846 Vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Vor Art. 1, Rn. 132. Siehe auch: BVerfG, Beschluss vom 17.03.1959, Az. 1 BvL 5/57, BVerfGE 9, 194 (199). 847 Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 23. 848 Vgl. zur Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nur: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 284 f. 849 Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1385 f. 850 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 164. Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG als den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch übertragen: Zuck, NJW 2013, 1132 (1132); BVerfG, Beschluss vom 30.04.2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395 (406 f.); siehe auch: Voßkuhle, NJW 2003, 2193 (2196). Auf Art. 20 Abs. 3 GG kann innerhalb des Individualrechtsschutzes durch Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG rekurriert werden, vgl. Zuck, NJW 2013, 1132 (1133).
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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kung.851 Anders als beim Opt-out erfolgt dies auch nicht bereits aus dem Optout-Mechanismus selbst, sondern durch Einwilligung aufgrund der Vielzahl der angemeldeten Grundrechtsberechtigten. Eine weitere Ansicht, die einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ablehnt, stellt auf den Repräsentationsgedanken ab. Der Anmelder habe die Wahl, ob er Individualklage erhebe oder sich zum Verfahren anmelde und damit der qualifizierten Einrichtung die Wahrnehmung seines rechtlichen Gehörs übertrage.852 Auch dieser Gedanke bietet eine tragfähige Begründung für eine Verneinung des Gehörsverstoßes. 4. Zwischenergebnis Es kann daher festgehalten werden, dass ein Opt-out-Verfahren verfassungsrechtlich problematisch wäre853 und auch keinen signifikant gesteigerten praktischen Nutzen gegenüber einem Opt-in-Verfahren bieten würde,854 da, infolge der Unkenntnis von den individuell Betroffenen, dem Verfahren eine Nivellierung individueller Aspekte inhärent wäre. Die Musterfeststellungsklage ist, wegen ihres Anmeldeerfordernisses, grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Allerdings muss der Verbraucher auf die grundrechtlichen Folgen seiner Anmeldung deutlicher hingewiesen werden. Anzumerken gilt es an dieser Stelle zuletzt, dass die Konsequenzen der Parteirollenverschiebungen somit nicht nur zivilprozessuale, sondern auch verfassungsrechtliche Auswirkungen haben.
851 Vgl. die Forderung bei: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informationsund Dienstleistungsgesellschaft, S. 1386 f. Hierfür spricht auch das enge Verhältnis zwischen Justizgewährleistungsanspruch und rechtlichem Gehör. Das BVerfG spricht insofern von einem „funktionalen Verhältnis“: Beschluss vom 18.08.2010, Az. 1 BvR 3268/ 07, BVerfGK 17, 479 (487); Zuck, NJW 2013, 1132 (1134). Ablehnend zur konkreten Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage: Röthemeyer, MDR 2019, 6 (9). Differenzierend: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 298. 852 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (32) m.w. N. Ähnlich auch Koch, Prozeßführung, S. 299 hin. Siehe auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 84 f.; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 230 hält den Gedanken der Repräsentation mangels freier Wahl des Klägers für unanwendbar. Ebenfalls ablehnend: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 219 ff., insb. S. 245 f. Allg. zu diesem Ansatz: Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 184 ff. 853 Siehe auch: Scholl, ZfPW 2019, 317 (341); Bruns, Rechtsgutachten, S. 21. Für eine Opt-in-Lösung zur Vermeidung von verfassungsrechtlichen Konfliktlagen: Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1384. 854 Im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 RL hätte ein Opt-in-Verfahren den Vorteil der Einheitlichkeit. Ein Opt-out-Modell dürfte mit dem Risiko von Verfassungsbeschwerden belastet sein. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch die Rechtskraft Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ist, siehe: Benda/Weber, Einfluß der Verfassung im Prozeßrecht, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 1 (7, 29).
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
III. Entwicklung eines Vorschlags zur Rechtsnatur der Abhilfeklagen als Opt-in-Verfahren im nationalen Recht Nachfolgend soll auf Grundlage der getroffenen Entscheidung zugunsten eines Opt-in-Verfahrens855 die Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung untersucht werden.856 1. Individualansprüche der Verbraucher als Gegenstand der Abhilfeklagen Im Unterschied zur Musterfeststellungsklage zielt die Abhilfeklage auf eine vollständige Anspruchsdurchsetzung ab;857 der Abstraktion des Verfahrensgegenstandes durch Feststellungsziele bedarf es daher nicht. Denkbar wäre folglich zur Überwindung dogmatischer Schwierigkeiten eine Rechtshängigkeit der Individualansprüche. a) Ablehnende Stimmen aus der Literatur Zu dem Entwurf der Richtlinie in der Fassung des Rechtsausschusses wird vertreten, dass der qualifizierten Einrichtung ein „Kollektivklagerecht“ zustehe, welches von den individuellen Rechten der Verbraucher zu unterscheiden sei.858 Demnach sei eine Prozessstandschaft ausgeschlossen, da der Kläger keine fremden, sondern eigene Rechte geltend mache. Zur Begründung wird auf Art. 2 Abs. 2 RL-Entw. verwiesen, nach welchem die individuellen Rechte der Verbraucher auf Abhilfe unberührt blieben, und auf Art. 6 Abs. 4 RL-Entw., der regele, dass der Rechtsschutz durch die Verbandsklage unbeschadet zusätzlicher Ansprü855 Für ein Opt-in-Verfahren auch: Rentsch, EuZW 2021, 524 (531); Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1151); für ein Opt-out-Verfahren hingegen: Augenhofer, NJW 2021, 113 (116). 856 Der hier vorgeschlagene frühe opt-in der Verbraucher reduziert die von Adolphsen, ZZP 135 (2022), 299 (322 ff.) betonten dogmatischen Schwierigkeiten. Hierbei wird nicht übersehen, dass die Klage jedenfalls zu Beginn ohne rechtshängige Ansprüche erhoben wird. Da jedoch die Zulässigkeit einer Klage am Ende der mündlichen Verhandlung vorliegen muss, ist ein solches Phänomen auch außerhalb der Verbandsklagen nicht ausgeschlossen, ohne dass dies zu abweichenden Einordnungen zwänge. Anschaulich zur Fülle des Streitstandes und der möglichen Ausgestaltungsoptionen: Berner/Termath, ZZP 135 (2022), 335 (335 ff.). 857 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); siehe auch: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674). 858 Scherer, VuR 2019, 243 (248); ähnlich: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (362 f., 370). Siehe auch: Basedow, EuZW 2018, 609, 611 „Aktivlegitimation“ in Bezug auf die Anforderungen für qualifizierte Einrichtungen; so auch: Geissler, GWR 2018, 189 (190); Schuschnigg, EuZW 2022, 1043 (1044). Zur Frage auch allg.: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (283 f.). Ablehnend hinsichtlich eines Bezuges zu den Ansprüchen der Verbraucher und eine dogmatische Verortung i.R. d. Prozessführungsbefugnis sowie zugleich eine materiell-rechtliche Lösung verneinend: Adolphsen, ZZP 135 (2022), 299 (323 f.).
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
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che der Verbraucher auf Rechtsschutz bestehe. Regelungsgegenstand der Richtlinie sei nur die Verbandsklage und es gehe nicht um die individuellen Rechte der Verbraucher.859 Auch sei ebenso wenig bereits eine Individualisierung der betroffenen Verbraucher nach Art. 6 Abs. 1 S. 3 RL-Entw. erforderlich, woraus folge, dass die Ansprüche nicht Gegenstand der Abhilfeklage sein können.860 Die Art. 6 Abs. 4 lit. b) und Art. 10 Abs. 1 RL-Entw.,861 die Überkompensation und doppelte Abhilfe ausschließen, beträfen nur das materielle Recht und zusätzlich solche Verbraucher, die ihre Zustimmung zur Abhilfeklage erteilt haben, aber nicht Partei geworden seien.862 Daneben schlägt neuerdings auch Bruns im Rahmen eines Umsetzungsvorschlages für die Abhilfeklage „die Schaffung eines materiellrechtlichen Anspruchs des Verbandes auf Abhilfeleistung“ 863 vor. b) Stellungnahme Jedenfalls für die endgültige Fassung der Richtlinie kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Individualansprüche der Verbraucher nicht Gegenstand der Abhilfeklage sein können.864 So spricht die Richtlinie im Hinblick auf die qualifizierte Einrichtung von einer Klagebefugnis,865 was, trotz der autono859 Scherer, VuR 2019, 243 (243, 248). Anders wohl: Meller-Hannich, DAR 2020, 481 (481). Aus Art. 2 Abs. 2 RL-Entw. und ErwGr. 23 RL-Entw. (COM(2018), 184 final, S. 26, 30, insoweit identisch: Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/ 2018, S. 16; Art. 2 Abs. 2 RL-Entw. hat keine Änderungen erfahren, vgl. Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 26) ergibt sich, dass die RL die Vorschriften über die materiellen Rechte unberührt lässt. Auch Art. 6 Abs. 4 RL-Entw. spricht nur davon, dass die Abhilfeklage „unbeschadet etwaiger zusätzlicher Ansprüche auf Rechtsschutz“ gilt, (COM(2018) 184 final, S. 33; Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 39; so auch: Meller-Hannich/Krausbeck, DAR-Extra 2018, 721 (723)). Außerdem forderte Art. 10 Abs. 1 RL-Entw. in der Rechtsausschussfassung (Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 47), dass für denselben Schaden eine zweimalige Verbraucherentschädigung ausgeschlossen sein soll. 860 Scherer, VuR 2019, 243 (248). 861 Scherer, VuR 2019, 243 (248); in der Fassung des Rechtsausschusses, vgl.: Didier, Bericht des Rechtsausschusses, A8-0447/2018, S. 40, 47. 862 Scherer, VuR 2019, 243 (248), die Zitierung eines „Art. 4 b)“ dürfte sich auf Art. 6 Abs. 4 lit. b) RL-Entw. des Rechtsausschusses beziehen. 863 Bruns, Rechtsgutachten, S. 26. Dieser Anspruch wäre gerichtet auf einen Abhilfefonds: ebenda, S. 29. 864 Missverständlich ist insofern die Formulierung bei Augenhofer, NJW 2021, 113 (116): „[. . .] Art. 9 VI, der vorschreibt, dass die Abhilfeentscheidung einen Anspruch begründen soll [. . .]“. Die Norm spricht nämlich nur davon, dass die Verbraucher infolge der Abhilfeentscheidung „[. . .] Anspruch darauf haben, dass ihnen die [. . .] Abhilfe zugutekommt [. . .]“. Ein gesonderter Anspruch in Bezug auf die Abhilfeklage selbst dürfte aber nicht intendiert sein. Vgl. für das entsprechende Verständnis i.R. d. beabsichtigten Umsetzung: VRUG-E, S. 80, 86. 865 ErwGr. 32 S. 1, 3, ErwGr. 52 UAbs. 1 S. 2, Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
men Auslegung, ein prozessuales Verständnis durchaus nahelegt.866 Eine Ausnahme in diesem Zusammenhang stellt Art. 20 Abs. 1 RL dar, in welchem von einem Recht bezüglich der Einleitung des Verfahrens gesprochen wird. Schon aus der Zielsetzung der Richtlinie ergibt sich aber, dass diese die Verbraucher darin bestärken möchte, ihre Rechte wahrzunehmen867 und dafür den Zugang zur Justiz verbessern soll.868 Dadurch wird deutlich, dass es der Richtlinie um die Individualrechte bzw. -ansprüche geht. Außerdem zielt die Richtlinie im Zusammenhang mit der Abhilfeklage nicht auf die Schaffung neuer Ansprüche ab. So sollen „die Vorschriften über die materiellen Rechte der Verbraucher [. . .] unberührt“ bleiben.869 Eine Abhilfeklage soll entsprechend nur dann möglich sein, wenn das unionale oder nationale materielle Recht solche Abhilferechte vorsieht.870 Ein zwingendes Argument für eine Einbeziehung der Verbraucheransprüche ist dies freilich nicht, da dies nur die Schaffung neuer materieller Rechte ausschließt.871 Die Regelung des Art. 9 Abs. 9 RL,872 welche vergleichbar ist mit dem Regelungsgehalt von Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 4 RL-Entw., gilt nur für solche Rechte auf Abhilfe der Verbraucher, die nicht bereits Gegenstand der Verbandsklage waren. Im Umkehrschluss kann daraus aber zumindest auch die Vermutung abgeleitet werden, dass die Richtlinie davon ausgeht, dass Gegenstand der Klage auf Abhilfe eben jene Verbraucheransprüche waren.873 Für den Fall, dass ein Verbraucher bereits im Rahmen einer Klage auf Abhilfe repräsentiert wird, sollen bei gleichem Klagegrund parallele Individualklagen oder eine weitere Beteiligung an einer Verbandsklage ausgeschlossen sein (Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL).874 Dies hat nur dann eine besondere Berechtigung, wenn die Abhilfeklage gerade
866 So soll die Verweigerung der Klagebefugnis zur Unzulässigkeit führen: ErwGr. 52 UAbs. 1 S. 2 RL. Siehe aber: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (353), der materielle Verbandsansprüche prüft, da mit dem Anmeldemodell nur eine prozessuale Lösung vorliege. Zu deren Zulässigkeit bei Prozessstandschaft siehe bereits die Ausführungen unter Kap. 2 C.V. 4. 867 ErwGr. 7 S. 2 RL. 868 ErwGr. 10 S. 1 RL. 869 ErwGr. 42 S. 1 RL. Dazu auch: Bruns, WM 2022, 549 (553). 870 ErwGr. 42 S. 2 RL; Gsell, BKR 2021, 521 (524). Nach ErwGr. 42 S. 3 RL soll nach nationalem Recht kein Strafschadensersatz auferlegt werden; siehe auch: Gsell/ Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 7. 871 Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (828). 872 Siehe auch: Art. 2 Abs. 2 RL. 873 Siehe dazu: Lühmann, ZIP 2021, 824 (829); Fries, ZZP 134 (2021), 433 (450). Eine vergleichbare Regelung findet sich für den Vergleichsabschluss in Art. 11 Abs. 5 RL. Bereits zu Art. 6 Abs. 4 RL-Entw. betonte Lühmann, NJW 2019, 570 (574), dass weitergehende Ansprüche unberührt bleiben. Zu weites Verständnis wohl bei: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (198). 874 ErwGr. 46 und 48; Vollkommer, MDR 2021, 129 (133).
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deren Rechte durchsetzen soll, zumal nach Art. 9 Abs. 6 RL die Abhilfe unmittelbar den Verbrauchern zustehen soll.875 Besonders deutlich wird die Adressierung der Individualansprüche der Verbraucher durch die Richtlinie im Zusammenhang mit der Zulässigkeit, wenn es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, festzulegen, welchen „Grad der Ähnlichkeit die Einzelansprüche aufweisen müssen“.876 An diesem Punkt scheint die Richtlinie nicht von einem Anspruch der qualifizierten Einrichtung auszugehen oder von einem „Kollektivklagerecht“,877 sondern hat bereits im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage die Individualansprüche der Verbraucher im Blick. Dementsprechend steht es den Mitgliedstaaten ebenfalls frei, die Mindestzahl der Verbraucher zu bestimmen, welche von der Abhilfeklage betroffen sein müssen.878 Außerdem müssen, wie bereits dargelegt wurde, Angaben zu den betroffenen Verbrauchern gemacht werden.879 Die Tatsache, dass aus einer unzulässigen Verbandsklage keine Beeinträchtigung der Rechte der betroffenen Verbraucher folgen soll,880 steht dem nicht entgegen, da diese Abweisung auch nach einem autonomen Verständnis der Richtlinie so zu verstehen sein dürfte, dass hiermit Fälle gemeint sind, in denen frühzeitig, also vor einer Entscheidung in der Sache, eine Abweisung zum Schutz der betroffenen Verbraucher oder der Gegenpartei vor Missbrauch erfolgen soll.881 Dies wird bestätigt durch die von Art. 7 Abs. 7 RL geforderte frühzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen,882 womit deutlich wird, dass die Richtlinie zwischen Unzulässigkeit und Unbegründetheit unterscheidet und nur für die Unzulässigkeit ausdrücklich ein Auswirkung auf die Verbraucheransprüche ausschließt. Darüber hinaus setzt sich die Richtlinie die Wahrung der mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen zum Ziel,883 womit die Richtlinie vor allem eine Zielvorgabe 875 Vgl. auch: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (284): Ziel ist Abhilfe unmittelbar für die Verbraucher. Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 7. Den prozessualen anstelle eines eigenständigen materiellen Gehaltes hervorhebend: Fries, ZZP 134 (2021), 433 (445). Der daraus ein Vollstreckungsrecht des Verbrauchers, begründet durch eine Prozessstandschaft des Verbandes im Erkenntnisverfahren, ableitet, ebenda (445 ff.). 876 ErwGr. 12 S. 3 RL. Siehe auch: ErwGr. 49 S. 3 RL; Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (185); siehe auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (828), der betont, dass es sich um eine Voraussetzung für die Zulässigkeit und nicht die Begründetheit handelt. 877 So aber: Scherer, VuR 2019, 243 (248). 878 ErwGr. 12 S. 3 RL; Hornkohl, EuCML 2021, 189 (191). 879 Art. 7 Abs. 2 RL; ErwGr. 34 und 49 S. 1, 2 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73); Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (184). 880 Siehe nur: ErwGr. 12 S. 6; ErwGr. 52 UAbs. 1 S. 3; Art. 10 Abs. 4 S. 2 RL. 881 Vgl. ErwGr. 12 S. 6 RL; ErwGr. 52 UAbs. 1 S. 2 RL. 882 ErwGr. 39 S. 1 RL; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678); Vollkommer, MDR 2021, 129 (132). 883 Vgl. ErwGr. 11 RL.
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trifft, die verfahrensrechtliche Ausgestaltung im Detail allerdings den Richtlinienadressaten überlässt. Zwingende Gründe aus der Richtlinie für die Annahme eines Kollektivklagerechts oder weitergehend eines eigenen materiellen Anspruchs der qualifizierten Einrichtung sind somit nicht ersichtlich. Vielmehr unterstreicht die Richtlinie, dass durch die Abhilfeklage die Rechte der einzelnen Verbraucher durchgesetzt werden sollen. Aufgrund der wiederholten Betonung der Betroffenheit der Verbraucher884 und deren Repräsentation885 durch die qualifizierte Einrichtung dürfte Art. 20 Abs. 1 RL im Sinne einer Berechtigung und nicht eines eigenen materiellen Rechts zu verstehen sein.886 Die Annahme eines Kollektivklagerechts bzw. eines eigenen Anspruchs dürfte zwar konstruktiv durch die Richtlinie nicht ausgeschlossen sein.887 Der praktische Mehrwert einer solchen Lösung dürfte jedoch fraglich sein, letztlich hätte dieses Kollektivklagerecht im Hinblick auf die Abhilfeklage keinen anderen Inhalt als eine Bündelung der Individualklagebefugnisse der Verbraucher und würde nur im Falle einer stattgebenden oder ablehnenden Abhilfeentscheidung im entsprechend geltend gemachten Umfang an die Stelle der Individualbefugnisse bzw. -ansprüche der Verbraucher treten.888 Aufgrund des erheblichen Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten als Richtlinienadressaten scheint eine solche Lösung für die deutsche Zivilprozessrechtsdogmatik nicht angezeigt. Insoweit gelten sinngemäß auch in diesem Zusammenhang die obigen Ausführungen zu den dogmatischen Friktionen eines Verbandsanspruch bei der Musterfeststellungsklage, die insbesondere auch einer Umsetzung des Vorschlags von Bruns entgegenstehen.889 Es sollte daher eine systemwahrende Umsetzung durch die Rechtshängigkeit der Individualansprüche angestrebt werden.890
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Siehe exemplarisch: ErwGr. 12, S. 3, 6, ErwGr. 34, 36, 37, 38, 43 S. 1, ErwGr. 45 S. 1, ErwGr. 49, Art. 3 Nr. 10, Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 RL. 885 Siehe exemplarisch: ErwGr. 23 S. 4, ErwGr, 43, 45, 46, ErwGr. 65 S. 2, Art. 7 Abs. 6 S. 1, Art. 9 Abs. 2, 3, 4 S. 1, 2 RL. 886 Dafür spricht auch, dass die Norm von einem „Recht auf Einleitung der Verfahren“ spricht, also nicht von einem Recht auf Abhilfe oder Urteilserlass, sondern es wird nur Bezug genommen auf die Einleitung. 887 Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (828 f.); vgl. auch: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (284). Ebenfalls ablehnend: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (357), i. E. aber ein solches fordernd: ebenda (370 f.). 888 Vgl. hierzu auch die Ablehnung eines eigenen Anspruchs des Verbandes bei: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 24. Ohnehin dürfte die Vermeidung von Doppelkompensationen Probleme bereiten: Vollkommer, MDR 2021, 129 (137), ein eigenständiges Kollektivklagerecht dürfte diese nur noch vertiefen. Siehe auch: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (361). 889 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. III. 3. c) bb). Anders hingegen: Bruns, Rechtsgutachten, S. 40 ff., der letztlich eine von ihm abgelehnte Art aktionenrechtlicher Klage schaffen würde. Daneben dürfte ein Abhilfefonds nicht den Klagezielen des Art. 9 Abs. 1 RL entsprechen (a. A. Bruns, Rechtsgutachten, S. 68 f.). Die Schaffung eines Anspruchs des Verbandes im Rahmen der Umsetzung ablehnend: VRUG-E,
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2. Umsetzung im Wege einer Prozessstandschaft Die Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen erfolgt im deutschen Zivilprozess im Wege der Prozessstandschaft.891 Entsprechend sollte auch die Umsetzung der Richtlinie ausgestaltet sein.892 Dies entspräche bereits der Legaldefinition der Verbandsklage in Art. 3 Nr. 5 RL, nach welcher (nur) die qualifizierte Einrichtung als Partei im Interesse der Verbraucher Abhilfe erwirken kann. a) Klage im Kollektiv- oder Individualinteresse In Anbetracht der Häufigkeit mit der die Richtlinie von den „Kollektivinteressen der Verbraucher“ spricht, könnte hier die obige Ansicht einer „Prozessstandschaft im Kollektivinteresse“,893 eine Normierung gefunden haben. Exemplarisch genannt sei Art. 1 Abs. 1 S. 1 RL, nach welchem der Zweck der Verbandsklagen im Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern bestehe.894 Jedoch zeigt schon die Legaldefinition des Kollektivinteresses in Art. 3 Nr. 3 RL, dass dies nicht in Antithese zum Individualinteresse stehen dürfte. Dort wird nämlich im Hinblick speziell auf Abhilfeklagen von den „Interessen einer Gruppe von Verbrauchern“ gesprochen.895 Durch die Verwendung des Plurals legt die Definition nahe, dass hiermit vor allem eine Interessenkumulierung ausgeS. 86. Eine Klage aus eigenem Recht nimmt demgegenüber Meller-Hannich, DB 2023, 628 (630) an. 890 Für eine Durchsetzung der Verbraucheransprüche: Gsell/Meller-Hannich, vzbvGutachten, S. 10. Der VDuG-E äußert sich zur Rechtshängigkeit der Verbraucheransprüche nicht ausdrücklich, steht diese aber wohl entgegen, wie die Struktur eines dem Abhilfegrundurteil (§ 16 VDuG-E) nachfolgenden Umsetzungsverfahrens (§§ 22 ff. VDuG) zeigt, an welches sich zudem noch Individualklagen (§§ 39 f. VDuG-E) anschließen können. Allerdings geht die Begründung zu § 11 Abs. 1 VDuG-E von einer möglichen Streitgegenstandsidentität im Verhältnis zu einer Individualklage aus (VRUG-E, S. 83 f.). Außerdem lässt § 16 VDuG-E ein konkretes Leistungsurteil für individualisierte Verbraucher zu. 891 Siehe nur: Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51, Rn. 16. 892 Lühmann, ZIP 2021, 824 (828 f.). Von der Zulässigkeit dieser Gestaltungsform geht wohl Rentsch, EuZW 2021, 524 (532) aus. Siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47), der von einem Repräsentationsmodell wie der Musterfeststellungsklage ausgeht. Vgl. auch allg.: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 21 m.w. N. Ablehnend: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (358 ff.), aber letztlich ein solches Modell fordernd: ebenda (363). 893 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. IV. 4. Für den Fall einer Leistungsklage nimmt Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO § 606, Rn. 4 aber eine Einordnung zwischen gesetzlicher und gewillkürter Prozessstandschaft vor. 894 Jedenfalls unterscheidet die Richtlinie zwischen dem Kollektivinteresse und dem öffentlichen Interesse und setzt dieses mithin nicht gleich, aber mit dem Schutz der Kollektivinteressen soll ein öffentliches Interesse verfolgt werden, vgl. ErwGr. 70 S. 1 RL. 895 Vgl. auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114), wonach bereits ein Verstoß genügen soll.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
drückt wird,896 woraus gerade nicht zwingend ein eigenes selbstständiges Kollektivinteresse abzuleiten ist. Auch das konkrete Verfahrensziel der Abhilfeklage intendiert eine Abhilfe für die betroffenen Verbraucher.897 Dass die Abhilfeklage vor allem auf einen verbesserten Schutz individueller Interessen ausgerichtet ist, belegt auch die Existenz eines konsensualen Streitbeilegungsmechanismus, der eine Befriedigungsfunktion gegenüber den Verbrauchern entfalten soll.898 Ein konsensuales Verfahren ist aber ungeeignet, einem über die Einzelinteressen hinausgehenden Interesse zu dienen. Der Vergleich dient schon seinem Wesen gemäß nur der Befriedigung und dem Ausgleich der betroffenen Interessen.899 Da Gegenstand der Abhilfeklage die Ansprüche der Verbraucher sind und es primär um die Durchsetzung der Interessen der betroffenen Verbraucher geht, dürfte somit die Durchsetzung jener Individualinteressen den Wesenskern der Abhilfeklage ausmachen.900 Dementsprechend sollte auch hier nicht von einer Prozessstandschaft im Kollektivinteresse, sondern im Individualinteresse ausgegangen werden. b) Umsetzungsvorschlag für die Ausgestaltung der Rechtsnatur der Abhilfeklage Abschließend soll ein Vorschlag für die Umsetzung der Rechtsnatur einer Verbandsklage als Prozessstandschaft im Individualinteresse gegeben werden. aa) Abhilfeklage als Prozessstandschaft für die zustimmenden Verbraucher Nach der Konzeption der Richtlinie erhebt die qualifizierte Einrichtung eine Abhilfeklage für die Verbraucher und wird damit für diese tätig;901 der Nutzen der Klage soll bei den Verbrauchern liegen,902 die hierzu ihre ausdrückliche Zu-
896
Hierzu auch: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (356 f.). Vgl. die Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 RL. ErwGr. 9, die RL bezweckt eine verbesserte Durchsetzung des Unionsrechts und eine Überwindung der Hindernisse bei Einzelklagen. Auch ErwGr. 11 RL betont, dass die Verbandsklage keine nationalen Verfahren im Kollektivinteresse oder individuellem Interesse ersetzen soll. ErwGr. 5 RL unterscheidet zwischen den bisherigen Verbandsunterlassungsklagen zum Schutz von Kollektivinteressen, die primär Rechtsverstöße unterbinden sollen, und der Erweiterung um Abhilfeklagen. 898 Gemäß Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 RL soll der Vergleich auch für die betroffenen Verbraucher bindend sein. 899 Vgl. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 109 ff., insb. S. 110 f. 900 Siehe aber auch: Voit, Sammelklage, S. 243, der eine insgesamt unbestimmte Zwecksetzung der RL rügt. 901 Vgl. ErwGr. 36 S. 1 RL: „im Interesse und im Auftrag der [. . .] betroffenen Verbraucher“. Unterlassungsklagen sind von der Verbraucherzustimmung unabhängig, Art. 8 Abs. 3 S. 1 RL. 902 ErwGr. 37 S. 1, 2 RL. 897
D. Anforderungen der Richtlinie an die Prozessführungsbefugnis
209
stimmung erklären müssen (Opt-in). Zwar spricht die Richtlinie im Rahmen der Klagebefugnis nur die qualifizierte Einrichtung an903 und nicht die Zustimmung der Verbraucher. In Anbetracht der von der Richtlinie statuierten Wahrung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie und der Ausgestaltung der Zulässigkeit der Verbandsklage904 durch die Mitgliedstaaten konfligiert eine Zuordnung des Opt-in-Verfahrens zur Prozessführungsbefugnis nicht mit der Umsetzungspflicht des nationalen Gesetzgebers. Hierfür spricht insbesondere, dass diese Ausgestaltung als Option in der Richtlinie vorgesehen ist und der Verwirklichung der Repräsentation durch die qualifizierte Einrichtung dient.905 Die Schwierigkeiten des Begriffs der Repräsentation wurden bereits dargetan,906 nichtsdestotrotz ist er zur Deskription der Gegebenheiten bei der Abhilfeklage geeignet.907 Für die rechtliche Erfassung einer Klage im eigenen Namen über fremde Rechte ist aber die Einordnung als Prozessstandschaft vorzugswürdig. Ähnlich wie bereits bei der Musterfeststellungsklage beruht die Prozessführungsbefugnis im Hinblick auf den jeweiligen Anspruch nicht bereits auf einer gesetzlichen Übertragung (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL). Zwingend vorgegeben ist jedoch für die Verbandsklage, dass die Klagebefugnis (Prozessführungsbefugnis) nur bei einer qualifizierten Einrichtung liegen kann.908 Entscheidend zur Herstellung der Repräsentation ist aber nach der Richtlinie die Zustimmung der Verbraucher, besonders deutlich wird dies bei der hier präferierten ausdrücklichen Zustimmung (Opt-in) durch die Verbraucher. Da die Prozessstandschaft somit sowohl eine gewillkürte Grundlage als auch eine gesetzliche Ausgestaltung erfahren hat, sollte sie als gesetzlich ausgestaltete Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage eingeordnet werden.909 Das schutzwürdige eigene Interesse des Prozessstandschafters kann einerseits im Satzungszweck (Art. 4 Abs. 3 lit. b) RL)910
903
Vgl. ErwGr. 32 S. 1, 2 RL. ErwGr. 12 S. 1, 2 RL. 905 Vgl. ErwGr. 43 S. 1. Zur Repräsentation im Richtlinienentwurf: Lühmann, NJW 2019, 570 (574). 906 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. IV. 1. 907 Auch Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 80 f. verwendet den Begriff eines „Repräsentationsmodells“ für den Vorschlag einer Gruppenklage, sie bleibt aber zur näheren Präzisierung nicht bei diesem Begriff stehen: MellerHannich, VbR 2021, 40 (42) zur Abhilfeklage. 908 Art. 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 6 S. 1 RL. 909 Für den Vorschlag einer Gruppenklage spricht Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 82 von einem Modell zwischen der gesetzlichen und gewillkürten Prozessstandschaft. Ähnlich auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 4. 910 Vgl. dazu auch die Begründungsansätze bei: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 82 f. Ablehnend: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (359 f.), da keine materielle Beziehung zwischen Verband und Verbraucher bestehe. 904
210
Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
gesehen werden; daneben ist die Parteirollenverschiebung911 auch hier gesetzlich anerkannt worden. Die Rechtshängigkeit der Einzelansprüche würde außerdem, aufgrund der Möglichkeit einer Rechtshängigkeitssperre, eine systematisch überzeugende Lösung für die Umsetzung der Anforderungen des Art. 9 Abs. 4 RL bieten.912 Ferner könnte sie eine Bindungswirkung gegenüber den Verbrauchern begründen913 und gleichzeitig in Übereinstimmung mit Art. 9 Abs. 9 RL gewährleisten, dass andere Abhilfe, die nicht Gegenstand der Klage war, unberührt bleibt. Auch die Abhilfeerlangung zugunsten der Verbraucher, ohne eine gesonderte Klageerhebung (Art. 9 Abs. 6 RL), kann mit der Rechtshängigkeit der Einzelansprüche erreicht werden. Die Rechtshängigkeit der Individualansprüche – im Rahmen eines prozessualen Streitgegenstandes – kann somit eine geeignete Umsetzung der Richtlinie ermöglichen. Das Modell einer gesetzlich ausgestalteten Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage ermöglicht daher eine systemwahrende Richtlinienumsetzung. bb) Registereintragung zur Erreichung des Opt-in-Verfahrens Um die praktischen Schwierigkeiten einer Ermächtigungserteilung durch die Verbraucher zu vermeiden, sollte diese über eine Online-Registereintragung kanalisiert werden.914 Allerdings sollte die Eintragung gegenüber § 608 Abs. 1 und 2 ZPO deutlich verbessert werden, da diese sich in der Praxis als durchaus problemanfällig erwiesen hat.915 Nicht durch die Richtlinie determiniert ist der Zeitpunkt, zu welchem die Verbraucher ihren Willen zur Repräsentation im Rahmen der Abhilfeklage kundtun müssen.916 Von einer Rechtshängigkeit der Verbraucheransprüche kann nur dann ausgegangen werden, wenn diese ihre Ansprüche vor Urteilserlass anmelden müssen. Die Argumente für eine frühzeitige Anspruchsanmeldung und der genaue Zeitpunkt werden aus Gründen des Sachzusammenhangs an späterer Stelle bei der Verfahrensausgestaltung thematisiert.917 Der Vorschlag einer sogenannten 911
Vgl. zum Zusammenhang: Regenfus, in: BeckOGK, Stand: 01.01.2023, § 185 BGB, Rn. 190; siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Kap. 2 C.V. 5. a). Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen bei der Abhilfeklage auch: Fries, ZZP 134 (2021), 433 (449 f.). 912 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 B. II. 2. 913 Vgl. ErwGr. 45 S. 2 RL. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 B. II. 3. 914 Vgl. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 82. 915 Vgl. zu den aktuellen Defiziten nur: Prütting, ZIP 2020, 197 (200 f.). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. II. 3. b) bb). 916 Lühmann, ZIP 2021, 824 (828); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 917 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. II. 4. b) aa) und bb).
E. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels
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„verhaltenen Prozessstandschaft“,918 bei welcher der Beitritt zum Verfahren erst nach Urteilserlass erfolgt, wird daher an dieser Stelle nicht weiterverfolgt.919 cc) Zwischenergebnis Es kann somit festgehalten werden, dass für die Umsetzung in das deutsche Zivilverfahrensrecht eine gesetzlich ausgestaltete Prozessstandschaft auf einer gewillkürten Grundlage nicht nur der Richtlinienausgestaltung entspricht, sondern sich auch systematisch empfiehlt.
E. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels im Hinblick auf die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis Wie bereits im ersten Kapitel angedeutet wurde, sind die Musterfeststellungsklage und die Opt-in-basierte Abhilfeklage der Richtlinie ihrer Rechtsnatur nach primär Instrumente zum Schutz von Individualinteressen und damit dem primären Prozesszweck einer Durchsetzung von Individualinteressen verpflichtet. Insofern gliedern sich diese Instrumente in die Zwecksetzung der Zivilprozessordnung ein.920 Dieser Charakter zeigt sich wiederum in der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage als gesetzlich typisierte funktionale Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage. Die Anforderungen, die an die qualifizierte Einrichtung gestellt werden, sind demnach eine Voraussetzung für die Begründung der Prozessführungsbefugnis durch die Anmeldungen der Verbraucher. Die bisherigen Ansichten zu den Verbandsklagen können daher, wegen ihrer Ausrichtung auf einen Schutz überindividueller Interessen und Allgemeininteressen, nicht übertragen werden. Im Hinblick auf die Abhilfeklage konnte gezeigt werden, dass eine systemwahrende und zugleich den Vorgaben der Richtlinie entsprechende Umsetzung im Wege einer gesetzlich ausgestalteten Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage möglich ist.
918 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 25; siehe auch: Gsell, BKR 2021, 521 (528 f.). 919 So aber der Vorschlag von: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 20 ff., der eine „gesetzliche Prozessstandschaft als Repräsentationsmodell“ (ebenda, S. 24) vorsähe. Nach ErwGr. 47 RL wäre ein nachträglicher Beitritt mit der RL vereinbar, vgl. Vollkommer, MDR 2021, 129 (133); Lühmann, ZIP 2021, 824 (828). Fries, ZZP 134 (2021), 433 (441) hält die Zulassung wohl für zwingend, was sich aus ErwGr 47 RL aber nicht ergibt. 920 Vgl. Münch, Grundfragen des Zivilprozesses, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 5 (47). Zur Aufwertung der objektiven Rechtsbewehrung Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 81 f. m.w. N.
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Kap. 2: Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur der Verbandsklagen
Auch wenn die Rechtsnatur der beiden Instrumente somit nicht deckungsgleich mit bisherigen Instrumenten ist, kann sie dennoch in Annäherung an bekannte Institute der Zivilprozessordnung bestimmt werden. Im Hinblick auf die Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis sind dennoch die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung klar erkennbar. Schließlich ist erst die Parteirollenverschiebung, also die Klage eines Rechtsfremden für die eigentlichen Rechtsinhaber der Grund der besonderen Rechtsnatur. Bei der Musterfeststellungsklage ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass diese abstrahierende Feststellungsziele durchsetzt, was dem Prozessrecht außerhalb des sondergesetzlichen KapMuG bislang fremd ist und somit eine gewisse systemische Differenz schafft. Unter diesem Gesichtspunkt kann sich eine Umsetzung der Abhilfeklage, die zu einer gebündelten Durchsetzung der Individualansprüche mittels einer Prozessstandschaft führt, kohärenter in die Zivilprozessordnung einfügen. Im nächsten Kapitel sollen die abstrakten Ausführungen zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung im Bereich der Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis um eine Erörterung der praktischen Auswirkungen auf die Verfahrensausgestaltung ergänzt werden.
Kapitel 3
Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses und das Verfahren nach der Zivilprozessordnung Nachdem im vorherigen Kapitel die Prozessführungsbefugnis sowie die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage näher beleuchtet wurden und ein erster Ansatz für die Ausgestaltung der Richtlinienumsetzung gegeben wurde, stehen in diesem Kapitel die verfahrensbezogenen Auswirkungen der institutionalisierten Rechtsdurchsetzung durch einen rechtsfremden Dritten im Mittelpunkt. Der Verfahrensablauf einer Musterfeststellungsklage war bereits vielfach Gegenstand von Beiträgen in der Literatur.1 Die nachfolgenden Ausführungen zielen daher ausschließlich darauf ab den zentralen Aspekt der Parteirollenverschiebung, der sich durch die Klage eines Rechtsfremden für den Rechtsinhaber ergibt, im Hinblick auf die Auswirkungen auf das Zivilverfahren herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang soll auch untersucht werden, ob sich die Musterfeststellungsklage auf die materielle Prozessleitungsbefugnis des Gerichts auswirkt. Anschließend bedürfen die gefundenen Ergebnisse einer näheren Einordnung unter dem Gesichtspunkt der Materialisierung des Zivilprozessrechts und des Verhältnisses von Parteiherrschaft und Richtermacht. Danach soll der Blick auf die Abhilfeklagen der Richtlinie gelenkt und ein Vorschlag zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung skizziert werden.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren – Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Prozess Der Gesetzgeber hat die Musterfeststellungsklage nicht als Sondergesetz ausgestaltet, sondern sie auf das gesamte Zivilrecht erstreckt und dementsprechend als eine weitere Klageart in die Zivilprozessordnung eingefügt.2 1 Siehe nur: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 43 ff.; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 37 ff. und 64 ff.; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6. 2 BT-Drs. 19/2507, S. 15. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 1. Der VRUG-E beabsichtigt eine Ausgliederung der Abhilfe- und Musterfeststellungsklagen in ein Sondergesetz. Die ZPO soll aber weiterhin zur Anwendung kommen (§ 13 Abs. 1 VDuG-E).
214 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
I. Anwendung der Zivilprozessordnung auf das Musterfeststellungsverfahren Das Musterfeststellungsverfahren richtet sich gemäß § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO im Grundsatz nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften für das landgerichtliche Verfahren.3 Dies gilt vorbehaltlich anderweitiger Normierungen in den §§ 606 ff. ZPO, zu welchen insbesondere § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO zu zählen ist.4 Das Musterfeststellungsverfahren soll sich demnach in die Verfahrensvorschriften der ZPO einfügen. Allerdings steht zu erwarten, dass sich die Klage durch einen Rechtsfremden als Partei überall dort auswirkt, wo sich das Gesetz auf die Partei bezieht.5 Entsprechend dieser Hypothese soll daher das Verhältnis der Parteirollenverschiebung zu einigen zentralen Verfahrensvorschriften und Instituten untersucht werden. Da die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO Gewähr für die Integrität des Klägers bieten sollen,6 werden Fragen der Prozesskostensicherheit (§ 108 ZPO), des Prozesskostenerstattungsanspruchs und die Erschleichung der Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) ausgeklammert.7 Die Verschiebung von Gerichtszuständigkeiten ist wegen § 32c ZPO ohnehin ausgeschlossen.8 Friktionen im Umgang mit dem Parteibegriff des § 41 ZPO können entweder durch Auslegung9 oder durch die Anwendung des § 42 Abs. 2 ZPO aufgelöst werden.10
3 Waclawik, NJW 2018, 2921 (2923); Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 59; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (18). 4 Demnach finden die §§ 128 Abs. 2, 278 Abs. 2–5, 306 und 348–350 ZPO keine Anwendung. Ausführlich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 60 ff. 5 Vgl. für die gewillkürte Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 80. Der Begriff „Partei“ in der ZPO berücksichtigt nicht das Auseinanderfallen von formeller Parteistellung und Rechtsinhaberschaft: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (423). Costede, Parteilehre, in: Liber Amicorum Henckel, S. 33 (35 f.): Der materielle Parteibegriff überzeuge für die Prozessstandschaft nicht, auch der formelle Parteibegriff könne vielfach für die Vorschriften der ZPO mit Parteibezug nicht überzeugen. Mit Blick auf § 13 Abs. 1 VDuG-E bleibt die hier aufgeworfene Thematik sowohl für die Musterfeststellungs- als auch für die Abhilfeklage relevant, der Entwurf des VDuG berücksichtigt die Problematik nicht, vgl. auch: VRUG-E, S. 85. 6 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 26. 7 Zu diesen Problemkreisen für die gewillkürte Prozessstandschaft auch: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 101 ff.; Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (545 ff.) m.w. N.; Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (428 ff.); Frank, ZZP 92 (1979), 321 (322 ff.); Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 35 f.; Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 65 ff.; Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (487 ff.). 8 Zur gewillkürten Prozessstandschaft: Frank, ZZP 92 (1979), 321 (325); Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 84 ff. m.w. N.; Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 63 f., die Problematik stellt sich außerdem nur bei einer Parteirollenverschiebung auf Beklagtenseite. 9 Für die gewillkürte Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 93 ff. Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 76 ff. Zur Problematik bei
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
215
1. Auswirkungen auf die Parteiänderung sowie die Beteiligung und Einbeziehung Dritter Die Musterfeststellungsklage beschränkt die aktive Prozessführungsbefugnis auf die qualifizierte Einrichtung,11 während auf der Passivseite ein beklagter Unternehmer steht und die Anmelder nur die Rolle eines verfahrensfremden Dritten einnehmen können.12 Die Verfahrensrollen – welche noch näher zu betrachten sein werden13 – sind demnach fest zugeordnet, was sich auf die Möglichkeiten einer Parteiänderung sowie auf die Beteiligung und Einbeziehung Dritter in das Verfahren auswirken könnte. a) Parteiänderung im Musterfeststellungsverfahren Da eine Parteiänderung vorliegt, wenn anstelle des bisherigen Klägers oder Beklagten ein Dritter den Prozess fortführt,14 könnte sich die Parteirollenverschiebung, wegen ihres unmittelbaren Bezuges zur Partei, im Rahmen der Parteiänderung auswirken. Bei der Parteiänderung ist zu differenzieren zwischen den gesetzlichen15 und den gewillkürten Fällen.16 aa) Anwendbarkeit der Vorschriften zur gesetzlichen Parteiänderung auf das Musterfeststellungsverfahren Mangels eines Ausschlusses oder einer vorrangigen Spezialregelung sind die Regelungen der §§ 239 ff. ZPO grundsätzlich anwendbar17 und damit auch die
der Musterfeststellungsklage: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (14). Die Ablehnung des Sachverständigen erfolgt gemäß § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO nach denselben Regelungen wie die des Richters, vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 227 ff. 10 So für die Musterfeststellungsklage: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 42, Rn. 11a, für Anmeldung von Angehörigen; Vossler, in: BeckOKZPO, § 42 Rn. 13a m.w. N. zu möglichen Fallgestaltungen; für Anmelder als Richter in Verfahren zum selben Schadenskomplex: BGH, Beschluss vom 10.12.2019, Az. II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 (1681). 11 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 9, 61. 12 Vgl. nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 2; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 606, Rn. 6. 13 Siehe hierzu u. a. die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 2. a) und b) cc), 4. und II. 1. c). 14 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 40. 15 Vgl. zum gesetzlichen Parteiwechsel bei der Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 106 ff. 16 Vgl. nur: Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 50, Rn. 15 f. 17 Wöstmann, in: Hk-ZPO, Vor § 239, Rn. 1; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 98. Die §§ 239 ff. ZPO gelten grds. in jeder Prozessart: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 239, Rn. 1.
216 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Regelungen zur gesetzlichen Parteiänderung in den §§ 239, 240, 242, 265 Abs. 2 S. 1 ZPO.18 (1) Anwendung gegenüber den Parteien Für die qualifizierte Einrichtung dürften aus dem Bereich der §§ 239 ff. ZPO nur die §§ 239 und 240 ZPO, also die Verfahrensunterbrechung infolge von Tod19 oder Insolvenzeröffnung,20 besondere Bedeutung haben, da im Rahmen des Musterfeststellungsverfahrens zumeist keine natürlichen Personen die Parteistellung einnehmen werden.21 Einem Todesfall im Sinne des § 239 ZPO wird allerdings das Erlöschen der juristischen Person unter gewissen Voraussetzungen gleichgestellt.22 Für die qualifizierte Einrichtung kann das jedoch nicht gelten. Der Verlust des Status als juristische Person ist gleichbedeutend mit dem Verlust der Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung, denn § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO23 i.V. m. § 4 Abs. 2 S. 1 UKlaG setzt einen eingetragenen Verein24 voraus.25 In der Folge verliert der Kläger die Parteifähigkeit, insbesondere aber die Prozessführungsbefugnis, da diese nur bei einer qualifizierten Einrichtung vorliegen kann.26 Ein Insolvenzverfahren dürfte hingegen keine schwerwiegenden Konsequenzen haben. Eine grundsätzlich mögliche Unterbrechung tritt hier nur ein, wenn der Streitgegenstand die Insolvenzmasse betrifft (§ 240 S. 1 ZPO).27 Dies ist mit Blick auf die qualifizierte Einrichtung bei der Musterfeststellungsklage, die nur
18 Vgl. zu diesen: Gruschwitz, JA 2012, 689 (690). § 266 Abs. 1 ZPO dürfte im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO keinen praktischen Anwendungsbereich haben, vgl. zum Regelungsgehalt: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 266, Rn. 1. 19 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 239, Rn. 3; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 239, Rn. 2. 20 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 240, Rn. 3 f.; Greger, in: Zöller, ZPO, § 240, Rn. 1. 21 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 99. 22 Hierzu: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 239, Rn. 7; zu Fällen entsprechender Anwendung: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 239, Rn. 5. 23 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 27. 24 Die Eigenschaft als juristische Person ist Folge der Eintragung gemäß § 21 BGB: Schwennicke, in: Staudinger, BGB, § 21, Rn. 1. 25 Siehe nur: Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4 UKlaG, Rn. 5. 26 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. a). Hier scheidet die Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 07.07.1993, Az. IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132 (136)), wonach der Rechtsinhaber unter Anwendung der Grundsätze des gewillkürten Parteiwechsels eintreten könne, aus. Kritisch zu dieser Rechtsprechung: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 108 m.w. N. 27 Hierzu: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 240, Rn. 7 ff., insb. Rn. 12, die Norm findet auch bei der gewillkürten Prozessstandschaft auf die formelle Partei Anwendung, ebenda, Rn. 7.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder betrifft, in aller Regel nicht der Fall.28 Für den Beklagten können grundsätzlich die §§ 239 ff. ZPO umfassend zur Anwendung gelangen. Insbesondere kann der Beklagte – zu denken wäre an einen Einzelkaufmann29 – auch eine natürliche Person sein. Die Unterbrechung bei Verlust des Anwalts (§ 244 ZPO)30 dürfte bei beiden Parteien keine mit der Musterfeststellungsklage zusammenhängenden Schwierigkeiten hervorrufen. Für die Fälle der §§ 239, 241, 242 ZPO sind durch die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten vor dem OLG (§ 78 Abs. 1 S. 1 ZPO),31 wegen des Wegfalls einer automatischen Unterbrechung nach § 246 Abs. 1 ZPO, eventuelle Schwierigkeiten abgemildert.32 (2) Anwendung gegenüber dem Anmelder Die Unterbrechungsgründe der §§ 239–252 ZPO könnten auch beim Anmelder als Rechtsinhaber Anwendung finden. Gegen ein Abstellen auf die materielle Partei sprechen aber gewichtige Praktikabilitätserwägungen.33 Es erscheint nicht sachgerecht, bei Eintritt eines der Ereignisse der §§ 239 ff. ZPO zu einer Unterbrechung, Aussetzung oder zu einem Ruhen der Musterfeststellungsklage zu kommen. Diese Regelungen stellen enge Ausnahmetatbestände vom grundsätzlichen Ziel einer Fortführung des Prozesses dar.34 Im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes ist diese Erwägung – unter Berücksichtigung der Interessen der weiteren Anmelder – nochmals von erheblich gesteigerter Bedeutung.35 Da die Fälle der Gesamtrechtsnachfolge in den §§ 239 ff. ZPO zu einem unmittelbaren Eintritt des Rechtsnachfolgers in die Parteistellung führen,36 erscheint es dementsprechend konsequent, den Rechtsnachfolger des Anmelders in dessen Stellung, 28 Vgl. für die Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 107 f.; Greger, in: Zöller, ZPO, § 240, Rn. 7; vgl. auch: Gerken, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 240, Rn. 7. 29 Zu diesem Beispiel: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 99. 30 Becker, in: Anders/Gehle, ZPO, § 244, Rn. 3 f. 31 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 78, Rn. 8; in Bayern würde § 78 Abs. 1 S. 2 ZPO eingreifen. 32 Vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 246, Rn. 1, 3; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 246, Rn. 1. 33 Eine Unterbrechung bei Wegfall der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (so: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 101) überzeugt nicht, da es hier nur zur Unzulässigkeit des jeweiligen Feststellungsziels kommt. 34 Stackmann, in: MüKoZPO, Vor § 239, Rn. 2; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 239, Rn. 1. 35 Für einen Ausschluss ebenfalls: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 100. 36 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 42.
218 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
also nur in die Anmelderstellung eintreten zu lassen. Die Parteistellung der qualifizierten Einrichtung wird dadurch nicht berührt.37 Jedoch können bei der Anwendung des § 240 ZPO im Hinblick auf die Zugehörigkeit der angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Insolvenzmasse Friktionen mit dieser auftreten. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 240 ZPO auch Verbraucherinsolvenzen erfasst (vgl. § 304 Abs. 1 S. 1 InsO) und nach § 80 InsO ein Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter stattfindet.38 Zwar wird vielfach bei der Anwendung des § 240 ZPO in Fällen der gewillkürten Prozessstandschaft auf den formellen Parteibegriff und nicht auf die Rechtsinhaberschaft abgestellt.39 Speziell im Hinblick auf ein weitreichendes Massenverfahren, wie es die Musterfeststellungsklage ist, sprechen hierfür erhebliche Praktikabilitätsgesichtspunkte, zumal der Anspruch im Rahmen der Musterfeststellungsklage nicht selbst rechtshängig wird.40 Nichtsdestotrotz wird ein möglicher Widerspruch zum Insolvenzverfahren dadurch nicht vermieden und bleibt letztlich ungelöst. Die Regelung des § 265 Abs. 2 S. 2 ZPO kann, da die Prozessführungsbefugnis im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nur bei einer qualifizierten Einrichtung liegen kann41 und der Anmelder und damit auch dessen Rechtsnachfolger einer passiven Rolle unterworfen ist,42 keine Bedeutung erlangen. Die Regelung des § 265 Abs. 2 S. 3 ZPO ist nach dem Sinn und Zweck des § 610 Abs. 6 ZPO, der eine Nebenintervention weitgehend ausschließt, ebenfalls nicht anwendbar.43 In diesem Zusammenhang bietet es sich an, grundsätzlich auf die Anwendbarkeit des § 265 ZPO einzugehen. Die Anmeldung der Verbraucher hat auf deren materiell-rechtliche Befugnisse bezüglich der angemeldeten Ansprüche und Rechtsverhältnisse keinen Einfluss. Trotz fehlender Rechtshängigkeit44 be37 Vgl. für die gewillkürte Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 107. Dem Widerruf der Prozessführungsermächtigung entspräche die Rücknahme der Anmeldung in den Grenzen des § 608 Abs. 3 ZPO. 38 Vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 240, Rn. 1. 39 BGH, Urteil vom 13.03.1997, Az. I ZR 215/94, NJW 1998, 156 (157); so auch: Greger, in: Zöller, ZPO, § 240, Rn. 7; siehe auch: BGH, Urteil vom 09.01.2014, Az. IX ZR 209/11, NJW 2014, 1386 (1388), aber für eine entsprechende Anwendung des § 240 ZPO bei § 259 Abs. 3 InsO; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 240, Rn. 7, i. E. abweichend in: ebenda, Rn. 12. Für den materiellen Parteibegriff: Roth, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 240, Rn. 7; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 240, Rn. 2; Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 107 f. m.w. N. 40 Siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 89. 41 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 26; siehe auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 2. 42 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 68 für den Anmelder. 43 Nach § 610 Abs. 6 Nr. 1 ZPO ist die Nebenintervention für den Anmelder ausgeschlossen (Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 610, Rn. 6), der Gedanke eines effektiven Verfahrens und die Umgehungsgefahr gebieten eine telelogische Extension auf den Rechtsnachfolger. 44 Streitbefangener Anspruch im Sinne des § 265 ZPO ist immer nur der konkrete rechtshängige Anspruch, vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 265, Rn. 11.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
219
steht somit eine Vergleichbarkeit zum Normzweck des § 265 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO.45 Der Schutz des Prozessgegners, also des beklagten Unternehmers, vor einer Veränderung der prozessualen Lage infolge materiell-rechtlicher Veränderung46 kann schließlich auch im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO Geltung beanspruchen. Da die §§ 606 ff. ZPO jedoch keine Regelungen über die Auswirkungen einer Veränderung der Sachlegitimation47 bei den Anmeldern enthalten, besteht eine Regelungslücke. Diese ist außerdem planwidrig, denn die Möglichkeit von Veränderungen der Rechtsinhaberschaft der Ansprüche und Rechtsverhältnisse wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht bedacht.48 Die Interessenlagen beim üblichen Erkenntnisverfahren und bei der Musterfeststellungsklage sind vergleichbar, denn eine Veränderung der materiellen Lage könnte für den angemeldeten Anspruch zu einem weiteren Prozess des neuen Rechtsinhabers gegen den Beklagten führen und so das Parteiinteresse an der Vermeidung von Doppelprozessen und an einer prozessökonomischen Fortführung des Verfahrens unterminieren.49 Außerdem ordnet § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO ausdrücklich die Geltung der Vorschriften für das Verfahren vor den Landgerichten an.50 § 265 ZPO sollte daher in der Konstellation einer Anmeldung analog angewendet werden, sodass analog § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO die Anmelderstellung und das Musterfeststellungsverfahren unberührt bleiben.51 Die notwendige subjektive Erweiterung der §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO wird noch zu erörtern sein.52 (3) Zusammenfassung Die Anwendung der Vorschriften zu der gesetzlichen Parteiänderung begegnet im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO für das Verhältnis der Parteien, zumindest soweit es um die Parteirollenverschiebung geht, keinen größeren Schwierigkeiten. Eine Anwendung der §§ 239 ff. ZPO auf entsprechende Fallgestaltungen bei den Anmeldern sollte nicht erfolgen. Durch die Parteirollenverschiebung ergibt sich allerdings die Gefahr eines Konflikts mit möglichen Insolvenzverfahren, welcher vom Gesetz nicht aufgelöst wird. Auf die Nachfolge in der Anmelderstellung sollte § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO analog angewendet werden. 45 Zum Normverständnis: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 265, Rn. 4. Siehe auch: Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, § 265, Rn. 1, 5. 46 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 265, Rn. 1. 47 Das ist aber Zweck des § 265 ZPO: Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 265, Rn. 1 f. 48 Die Gesetzesmaterialien enthalten insoweit keine Hinweise. Ein Abweichen von allg. Grundsätzen ist nicht erkennbar: Müller, GWR 2019, 399 (400). 49 Zu diesen Parteiinteressen: Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 265, Rn. 2 f.; für die Musterfeststellungsklage vgl.: Müller, GWR 2019, 399 (400 f.). 50 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8. 51 So auch: Röß, NJW 2020, 953 (957). 52 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. II. 3. Müller, GWR 2019, 399 (400).
220 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
bb) Zulässigkeit des gewillkürten Parteiwechsels und nachträglicher Parteierweiterungen im Musterfeststellungsverfahren Die Zulassung einer gewillkürten Parteiänderung, also des Parteiwechsels und der Parteierweiterung,53 kann im Rahmen der Musterfeststellungsklage, neben der Betroffenheit der Interessen von Kläger und Beklagtem, auch die Anmelder erheblich betreffen, diese sind schließlich von der Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung abhängig54 und behaupten Ansprüche/Rechtsverhältnisse gegenüber dem jeweiligen Beklagten.55 Bereits außerhalb der §§ 606 ff. ZPO ist die rechtstechnische Umsetzung der gewillkürten Parteiänderung umstritten. Die Rechtsprechung geht sowohl für den Parteiwechsel als auch für die Parteierweiterung von einer Klageänderung aus und wendet die §§ 263 ff. ZPO an.56 In der Literatur werden verschiedene Ansichten vertreten, vornehmlich soll für den Parteiwechsel eine Klagerücknahme mit anschließender Klageerhebung57 oder ein prozessuales Institut eigener Art vorliegen.58 Auf den Parteibeitritt wendet die Literatur zumeist die §§ 59, 60 ZPO an.59 Die genaue dogmatische Einordnung dürfte für die hier problematische Frage einer grundsätzlichen Zulässigkeit dahinstehen können.60 Die Parteien erfahren bei den obigen Ansichten durch die Anwendung der §§ 263 ff. ZPO oder § 269 ZPO ausreichenden Schutz. Bei der Musterfeststellungsklage relevant sind allerdings nicht nur die Parteiinteressen, sondern zusätzlich auch noch diejenigen der Anmelder. Für die Fälle eines Par53 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 50, Rn. 11; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 263, Rn. 13; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 40, zu möglichen Rechtsgrundlagen, ebenda, Rn. 43. 54 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 22; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 188. 55 Vgl. nur zur Definition des Feststellungszieles: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. Zum Zweck der Anmeldung siehe nur: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608, Rn. 1. Die Bestimmung gegen wen der Prozess geführt wird, ist Teil der Dispositionsmaxime und obliegt grundsätzlich der Parteientscheidung: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 161, 166. 56 Für die Parteierweiterung: BGH, Urteil vom 12.10.1995, Az. VII ZR 209/94, NJW 1996, 196 (196) m.w. N.; für den Parteiwechsel: BGH, Urteil vom 27.06.1996, Az. IX ZR 324/95, NJW 1996, 2799 (2799) m.w. N.; dazu Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 50, Rn. 20 f. Übersichtlich zum Meinungsstand: Gruschwitz, JA 2012, 689 (690 f.). Zur „Klageänderungstheorie“: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 130. 57 So für den Parteiwechsel auf Beklagtenseite: Greger, in: Zöller, ZPO, § 263, Rn. 23; Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 263, Rn. 77 f. Für die Anwendung des § 269 ZPO: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 263, Rn. 14, 19. Zur „Klagerücknahmetheorie“: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 132. 58 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 133 f. m.w. N.; Roth, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 263, Rn. 48. 59 Siehe nur: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 50, Rn. 25 m.w. N.; Greger, in: Zöller, ZPO, § 263, Rn. 20, 27; ausführlich: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 121 f. 60 So auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 393.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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teiwechsels auf Klägerseite oder des nachträglichen Parteibeitritts kann von einer fortbestehenden Zustimmung der Anmelder nicht ausgegangen werden. Denn hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Parteien schon bei der Bekanntmachung im Klageregister genannt werden müssen (§ 607 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).61 (1) Änderungen auf Klägerseite Welche qualifizierte Einrichtung den Prozess führt, kann für die Anmelder von erheblicher Bedeutung sein und ist Gegenstand ihrer Anmeldung.62 Genauso wie ein Kläger infolge der Dispositionsmaxime nicht gegen seinen Willen in einen Prozess einbezogen werden kann und einem bisherigen Kläger nicht gegen seinen Willen die ihm zustehende streitbeilegende Entscheidung entzogen werden kann,63 muss der Wille der Anmelder, an deren Stelle der Musterkläger das Verfahren führt, entsprechende Berücksichtigung erfahren.64 Für den Parteibeitritt ist außerdem zu beachten, dass die Musterfeststellungsklage nur im Falle des § 610 Abs. 2 ZPO eine Klageverbindung gemäß § 147 ZPO vorsieht.65 Die Existenz einer Sonderregelung lässt den Schluss zu, dass Parteimehrheiten auf Klägerseite nicht der gesetzgeberischen Intention entsprechen.66 In anderen Fällen gilt nämlich bei identischen Feststellungszielen und identischem Lebenssachverhalt die grundsätzliche Sperrwirkung des § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO.67 (2) Änderungen auf Beklagtenseite Mit Blick auf die Anmeldung und damit auf die Konsequenzen der Parteirollenverschiebung ist die Situation einer bereits zu Beginn gegen mehrere Unter61 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 607, Rn. 4: Die Informationen nach § 607 Abs. 1 Nr. 1–4 ZPO sind für die Entscheidung über eine Anmeldung wichtig. Siehe zum Inhalt der Bekanntmachung auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 607, Rn. 2; dies ist Inhalt der Anmeldung: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 607, Rn. 2. 62 Vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 393 f., die Verbraucher erteilen speziell diesem Kläger „das Mandat zur Prozessführung“. 63 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 137 m.w. N. Die Zustimmung aller Beteiligter ist für einen Klägerwechsel erforderlich: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 49; BGH, Urteil vom 29.08.2012, Az. XII ZR 154/09, NJW 2012, 3642 (3643). 64 So auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 394. Auch die Ermächtigung bei gew. Prozessstandschaft bedarf einer hinreichenden Bestimmtheit bzgl. Anspruch/Rechtsverhältnis und muss den Kläger ermächtigen, vgl. Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 46; Hübsch, in: BeckOKZPO, § 51, Rn. 47 m.w. N. 65 Hierzu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 22 ff. 66 So auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 153 f.; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 394. Siehe auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 63 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Rn. 56, 59. A. A. Scholl, ZfPW 2019, 317 (345 f.); Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 147. 67 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 2.
222 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
nehmer gerichteten Musterfeststellungsklage unproblematisch.68 Allerdings kann für einen Wechsel des Beklagten oder das Hinzutreten eines weiteren Beklagten nicht von einer fortbestehenden Zustimmung der Anmelder ausgegangen werden. Tritt ein neuer Beklagter hinzu, so entsteht ein neues Prozessrechtsverhältnis,69 wodurch es zu einer neuen Musterfeststellungsklage kommt. Diese müsste ihrerseits zunächst die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 606 Abs. 2, 3 ZPO erfüllen, deren Umgehung durch einen Parteibeitritt droht.70 Über die Nennung des Beklagten in der Bekanntmachung (§ 607 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) hinaus gibt der Verbraucher den Beklagten auch bei seiner Anmeldung zur Musterfeststellungsklage an (§ 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).71 Entsprechend der für einen Beklagtenwechsel erforderlichen Zustimmung des Klägers,72 bedürfte es mit Blick auf die Betroffenheit der Anmelder auch deren Zustimmung. Unter Beachtung der erweiterten oder subjektiv veränderten Bindungswirkungen (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO)73 durch die neue beklagte Partei, scheidet eine Fortgeltung der in der zuvor erfolgten Anmeldung liegenden Zustimmung aus. Diese würde zudem Rechtshängigkeits- und Rechtskraftkollisionen im Hinblick auf andere Individualverfahren der Anmelder herbeizuführen.74 Außerdem kann die Parteiänderung zu Abweichungen bei der Bestimmung des dem Verfahren zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes führen, was wiederum die Verjährungshemmung und auch die angestrebte Bindungswirkung zum Nachteil der Verbraucher berühren könnte.75 Soweit bisweilen vertreten wird, dass die Parteierweiterung unter restriktiver Handhabung des Sachdienlichkeitskriteriums in § 263 ZPO zugelassen werden kann,76 ver-
68 Siehe zur anfänglichen Klageerhebung gegen mehrere Beklagte: Schmidt, WM 2018, 1966 (1968). Ohne zeitliche Differenzierung hingegen: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (48). Siehe zur grundsätzlichen Möglichkeit: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 60; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 13. Für eine allgemeine Zulässigkeit: Scholl, ZfPW 2019, 317 (346). 69 Siehe nur: Saenger, in: Hk-ZPO, § 263, Rn. 22. 70 Vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 395. 71 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 18 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5. 72 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 139. Diese Zustimmung liegt im Antrag des Klägers: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 54. 73 Die Bindungswirkung hängt von der Anmeldung ab: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 16, ebenda, § 613, Rn. 4. Bereits für den Fall einer fehlenden Kenntnisnahme des Anmelders wären Grundrechtspositionen betroffen, vgl. zu den Informationspflichten aus Art. 103 Abs. 1 GG: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1, Rn. 34 f. Zum Tatsachenstoff des Verfahrens dürften unproblematisch die Beteiligten/ Betroffenen zählen. 74 Hierauf weist Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 394 f. hin. 75 Vgl. zu diesen Einwänden: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 395. 76 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 61 ff.; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 153 f.
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kennt dies die Begrenzungen durch das Anmeldeerfordernis. Eine solche Erweiterung der gerichtlichen Befugnisse würde die Dispositionsmöglichkeiten des Anmelders erheblich betreffen und die Stellung des Gerichts im Verhältnis zum Anmelder deutlich stärken. (3) Prozessverbindung gemäß § 147 ZPO Von der Frage einer gewillkürten Parteiänderung oder -erweiterung zu trennen ist die Möglichkeit einer Prozessverbindung gemäß § 147 ZPO. Eine solche sehen die §§ 606 ff. ZPO nur in § 610 Abs. 2 ZPO vor, für andere Fälle ist sie nicht ausdrücklich vorgesehen.77 Sie könnte eine prozessökonomische Abhilfe zur Erzielung eines einheitlichen Prozesses78 in solchen Fällen bieten, in denen nach den soeben getätigten Ausführungen Parteiänderungen nicht zulässig wären. Für diese Vorgehensweise spräche die gemeinsame Verhandlung und Beweisaufnahme, welche aber auch ohne eine Prozessverbindung erfolgen kann.79 Allerdings kommt es zu einer Verbindung der bislang selbstständigen Verfahren,80 mit dem Ergebnis einer einheitlichen gerichtlichen Entscheidung.81 Die Verbraucher haben sich jedoch nur zu einem Verfahren angemeldet. Bei einer einheitlichen Entscheidung dürfte es in vielen Fällen zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung derjenigen Bindungswirkungen des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO, die gegenüber dem einzelnen Anmelder zur Anwendung gelangen, kommen. Die Anwendung des § 147 ZPO sollte daher die vorgenannten Gesichtspunkte berücksichtigen und kann demnach nur bedingt Abhilfe schaffen. b) Einbeziehung Dritter im Wege von Nebenintervention und Streitverkündung In unmittelbarem Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung steht die Frage, ob sich die Rechtsinhaber am Verfahren beteiligen können.82 Die Musterfeststellungsklage verfolgt in diesem Zusammenhang ein Konzept, welches die Prozessführungsbefugnis allein auf die qualifizierte Einrichtung konzentriert.83 77 Hierauf weisen de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 64 und Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 153 ausdrücklich hin. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 260, Rn. 6d geht von einem Verbindungsverbot aus. 78 Vgl. zum Normzweck: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 147, Rn. 1. 79 Zu dieser Möglichkeit: Fritsche, in: MüKoZPO, § 147, Rn. 13; Seiler, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 147, Rn. 12. Dieses Vorgehen könnte hier sinnvoll sein. 80 Siehe nur: Bünnigmann, in: Anders/Gehle, ZPO, § 147, Rn. 23. 81 Fritsche, in: MüKoZPO, § 147, Rn. 9; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 147, Rn. 4. 82 Zur Nebenintervention des Rechtsinhabers bei Prozessstandschaft: Schultes, in: MüKoZPO, § 66, Rn. 18; zur Zeugenstellung: Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 57 m.w. N. 83 Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 21.
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Anmelder (§ 610 Abs. 6 Nr. 1 ZPO) und solche Verbraucher, die zum Beklagten in einem der in § 610 Abs. 6 Nr. 2 ZPO beschriebenen Verhältnisse stehen, können nicht unter Anwendung der §§ 66–74 ZPO in das Musterfeststellungsverfahren einbezogen werden oder intervenieren.84 Dieser Ausschluss setzt die Parteirollenverschiebung konsequent fort, wobei § 610 Abs. 6 Nr. 2 ZPO einen Ausschluss auch gegenüber solchen Verbrauchern vorsieht, die sich zwar nicht angemeldet haben, für die aber grundsätzlich die Möglichkeit einer Anmeldung bestanden hätte. Aufgrund der enumerativen Ausgestaltung des Ausschlusses der §§ 66–74 ZPO in § 610 Abs. 6 ZPO lassen sich dem Gesetz keine Hinweise für einen weitergehenden Ausschluss der Nebenintervention und Streitverkündung aufseiten der qualifizierten Einrichtung und des Beklagten entnehmen.85 Die Befürchtung der Beklagte könnte anderen Verbrauchern oder Unternehmern, die die Kriterien des § 610 Abs. 6 ZPO nicht erfüllen, den Streit verkünden, um das Musterfeststellungsverfahren über die Anmelder hinaus auszudehnen,86 dürfte in Anbetracht der begrenzenden Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 ZPO kaum relevant werden.87 Speziell Regressketten auf Unternehmerseite sollten im Wege der §§ 66, 72 ZPO weiterhin einbezogen werden können.88 Dagegen dürften Nebeninterventionen Dritter, beispielsweise Unternehmer (aufseiten der qualifizierten Einrichtung), die das Musterfeststellungsverfahren zur eigenen Anspruchsdurchsetzung nutzen wollen, vielfach ausgeschlossen sein. Da sie nicht an der Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO teilnehmen können, fehlt es an einem rechtlichen Interesse im Sinne des § 66 ZPO.89 84 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 15; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 67; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 610, Rn. 4; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 18. 85 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 68: Andernfalls hätten die §§ 66 ff. ZPO pauschal ausgeschlossen werden können. Ausführlich: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 44 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 13. Für einen Ausschluss aller Verbraucher wohl: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 21 m.w. N. Siehe hierzu auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 160 f. m.w. N. Nach Ansicht von Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 9 sei der Wortlaut der Nr. 2 zu weit gefasst, da er keinen Bezug zum Streitgegenstand fordert. Vgl. Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663) zu den Interessen des Beklagten. 86 Schneider, BB 2018, 1986 (1993): Also solche bei denen weder eine Anmeldung noch ein Behaupten vorliegt. 87 Zum Alternativverhältnis bei § 72 Abs. 1 HS. 1 ZPO: Schultes, in: MüKoZPO, § 72, Rn. 9 ff. Zu Regressansprüchen und Prozessen über fremde Rechte i.R. d. § 72 Abs. 1 HS. 2 ZPO: Mansel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 72, Rn. 66 ff. 88 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 21; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 13; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663). 89 Vgl. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (51). Siehe zum rechtlichen Interesse: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 66, Rn. 5 f. m.w. N. Bloß faktische Wirkung genügt nicht: BGH, Beschluss vom 10.02.2011, Az. I ZB 63/09, NJW-RR 2011, 907 (908); BGH, Beschluss vom 18.11.2015, Az. VII ZB 57/12, NJW 2016, 1018 (1019).
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c) Zusammenfassung und Bewertung Es können somit Auswirkungen der Parteirollenverschiebung mit teilweise nachteiligen Folgen konstatiert werden. Während die Anwendung der §§ 239 ff. ZPO zwischen den Parteien grundsätzlich keine Schwierigkeiten bereitet, erweist sich die infolge der Parteirollenverschiebung erschwerte Anwendung des § 240 Abs. 1 ZPO und damit das Zusammenspiel mit dem Insolvenzverfahren als problematisch. Ebenso ist die Möglichkeit gewillkürter Parteiänderungen deutlich beschränkt. Die teilweise vertretene Annahme einer zwingenden Sachdienlichkeitsprüfung als Voraussetzung der Parteiänderung würde zu einer deutlichen Stärkung der gerichtlichen Stellung führen,90 ihr ist somit eine problematische Tendenz inhärent, da sie den Parteien die alleinige Entscheidung entziehen würde und die Zustimmung der Anmelder unterlaufen könnte. Eine Begrenzung auf Grundlage der Zustimmung zur funktionalen Prozessstandschaft erscheint daher sachgerechter. Die Parteirollenverschiebung führt damit zu einem faktischen Ausschluss der auf prozessökonomischen Erwägungen gründenden Parteiänderung91 und reduziert damit zugleich die parteilichen Dispositionsmöglichkeiten. Die Regelung des § 610 Abs. 6 ZPO führt zu einer Konzentration des Verfahrens auf die qualifizierte Einrichtung im Verhältnis zu den (potenziellen) Anmeldern und wahrt damit die Effektivität des Verfahrens.92 2. Klageänderung/-erweiterung und Widerklage im Musterfeststellungsverfahren Einen wichtigen Punkt zur Beurteilung des prozessualen Verhältnisses der Parteien untereinander sowie zum Gericht, stellt die Frage nach der Streitgegenstandsdisposition93 dar. Denn die Dispositionsmaxime überantwortet die Bestimmung des Streitgegenstandes dem Parteiermessen und begrenzt dadurch zugleich die gerichtliche Entscheidungskompetenz.94 Da die Dispositionsmaxime das prozessuale Gegenstück zur Privatautonomie bildet,95 ist sie zugleich von Relevanz im Hinblick auf die Parteirollenverschiebung, da durch diese die prozessuale Disposition und die Stellung innerhalb der materiellen Beziehung auseinanderfallen. 90 Vgl. zur parallelen Entwicklung bei der Klageänderung: Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (388). 91 Vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 40; siehe auch: Saenger, in: Hk-ZPO, § 263, Rn. 18. 92 BT-Drs. 19/2507, S. 26; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 150. 93 Ausführlich zum Streitgegenstand im Musterfeststellungsverfahren unter Kap. 5 A. I. 1. 94 Musielak, in: MüKoZPO, § 308, Rn. 1; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 165. 95 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 76, Rn. 1; Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 456; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor 128, Rn. 161, Einschränkungen sind bei fehlender materieller Verfügungsbefugnis oder überwiegenden öffentlichen Interessen vorgesehen: ebenda, Rn. 172 ff.
226 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
a) Zulässigkeit von Klageänderung und -erweiterung Aufgrund des Charakters der Musterfeststellungsklage als Klage eines Dritten für die Anmelder hat die Frage nach der Zulässigkeit von Klageänderungen und -erweiterungen eine erhebliche Relevanz.96 Entsprechende Anträge, die auf die Einführung von Feststellungszielen im Musterfeststellungsverfahren abzielen, können nur vom Musterverfahrenskläger gestellt werden, nicht aber vom Musterverfahrensbeklagten oder den Anmeldern.97 Mangels einer entsprechenden Sonderregelung, respektive eines Ausschlusses im Sinne des § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO, ist von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 263 ff. ZPO auszugehen,98 was aber gewisse Friktionen begründet. Zum einen kann dies zu einem Abweichen des Verfahrensgegenstandes von den Vorstellungen der Verbraucher bei ihrer Anmeldung führen, zum anderen können Änderungen des Streitgegenstands auch den Kreis der Anmeldeberechtigten betreffen, diesen also vergrößern oder verkleinern und damit Anmelder von den Verfahrenswirkungen ausschließen.99 aa) Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung Die überwiegende Ansicht lässt die Klageänderung – wenn auch mit Einschränkungen – zu.100 Eine Klageänderung liegt vor bei einer Änderung des Streitgegenstandes, bei Anwendung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs,101 also bei einer Änderung des Lebenssachverhaltes (Klagegrund in der Terminologie des § 264 ZPO) oder des Klageantrags (Feststellungsziele).102 Nach zutref96 Eine ausführliche Darstellung der Klageänderung im Musterfeststellungsverfahren findet sich bei Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 328 ff.; siehe auch: Röß, NJOZ 2021, 1569 (1569 ff.). 97 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 18; siehe auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 19 m.w. N. A. A. Waßmuth/ Asmus, ZIP 2018, 657 (663 f.); für Stellung durch den Beklagten: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 11. 98 Vgl. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 53; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 73; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12a; Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 16; Schneider, BB 2018, 1986 (1992); Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (373); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 329. 99 Darauf weist Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 14 hin. Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 150 ff. Siehe auch: Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 606, Rn. 12a. Zum Konflikt mit Art. 103 Abs. 1 GG und den Beklagteninteressen: Windau, jM 2019, 404 (407). Siehe auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 335 f. 100 Einen Überblick über den Meinungsstand bietet: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 330 ff. m.w. N. Siehe zur Rechtsprechung: BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984). 101 Für die Musterfeststellungsklage: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 21. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. I. 1. 102 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 7; Saenger, in: Hk-ZPO, § 263, Rn. 2; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 100, Rn. 8 f.
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fender h. M. unterliegt auch die Einführung eines weiteren Streitgegenstandes (objektive Klagehäufung) den §§ 263 ff. ZPO.103 Letzteres tritt bei der Musterfeststellungsklage insbesondere dann ein, wenn weitere Feststellungsziele eingeführt werden.104 Um Nachteilen für die Anmelder vorzubeugen, wird vielfach angenommen, dass Klageänderung und -erweiterung nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung (§ 608 Abs. 3 ZPO) nur restriktiv zur Anwendung kommen sollten,105 da sie ab diesem Zeitpunkt ihre Anmeldung nicht mehr zurücknehmen können.106 Dementsprechend wird teilweise eine zeitliche Begrenzung dahingehend vorgenommen, dass eine Bekanntmachung im Klageregister vor dem Termin zur ersten mündlichen Verhandlung erfolgen müsse, andernfalls sei die Klageänderung unzulässig.107 Eine andere Ansicht möchte das praktische Bedürfnis nach einer Klageänderung im Prozessverlauf berücksichtigen, weshalb deren Zulassung vorgeschlagen wird, aber – zum Schutz der Verbraucher – diesen über den Zeitpunkt des § 608 Abs. 3 ZPO hinaus die Anmelderücknahme gewährt werden soll.108 In eine ähnliche Richtung geht die Anregung einer entsprechenden Begrenzung der Bindungswirkungen.109 Auf eine gesetzliche Grundlage kann sich dieses Vorgehen allerdings nicht stützen.110 Außerdem erscheint es zumindest fraglich, ob der nicht erfolgten Rücknahme ein solcher Erklärungswert beigemessen werden kann.111 Gegen eine zeitliche Begrenzung durch § 608 Abs. 3 ZPO wird das Hinwirken des Gerichts zur Stellung sachdienlicher Anträge spätestens in der mündlichen Verhandlung gemäß § 610 Abs. 4 ZPO angeführt, wodurch zumindest bis zu diesem Zeitpunkt noch Änderungen möglich
103 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 263, Rn. 11; Saenger, in: Hk-ZPO, § 263, Rn. 2 m.w. N. 104 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 150; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 17. 105 Exemplarisch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 14 m.w. N. 106 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 59; Pelz/Dobiosch, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, WuB 2020, 47 (50). Ähnlich auch: Röß, NJOZ 2021, 1569 (1571). 107 OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 85 f., welches § 610 Abs. 4 ZPO in seiner Funktion auf „zulässige Anträge“ (ebenda, Rn. 85) beschränken will. 108 Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (373). A. A. Röß, NJOZ 2021, 1569 (1571 f.). 109 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12a regt eine Begrenzung der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils bei Klageänderung nach dem Zeitpunkt des § 608 Abs. 3 ZPO an. 110 Pelz/Dobiosch, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/ 18, WuB 2020, 47 (50). 111 Vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 332 f., Kenntnis und Bewusstsein der Bedeutung erscheinen für die Anmelder zwar fraglich, der Erklärungswert könne aber angenommen werden.
228 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
sein müssen. Gleichzeitig wird hieraus eine zeitliche Beschränkung für Klageänderungen abgeleitet.112 Für den Fall der nachträglichen, also nach dem Zeitpunkt der letzten Rücknahmemöglichkeit gemäß § 608 Abs. 3 ZPO erfolgenden objektiven Klagehäufung wird vorgeschlagen (nur) § 264 ZPO anzuwenden.113 Es sollten somit zusätzliche Feststellungsziele zulässig sein, die denselben Lebenssachverhalt betreffen und sich auf dieselbe Anspruchsgrundlage beziehen, da hier nur Ergänzungen ohne wesentliche Änderungen des inhaltlichen Gehalts vorlägen.114 Zudem sollen nachträgliche objektive Klagehäufungen zulässig sein, wenn deren Einführung als sachdienlich nach § 263 Alt. 2 ZPO zu bewerten ist, womit für eine Stärkung der gerichtlichen Prozessleitungsbefugnis plädiert wird.115 Daneben wird für die Klageänderung ebenfalls vielfach hervorgehoben, dass der zugrunde liegende Lebenssachverhalt keiner Abwandlung zugänglich sein sollte. Auch für die solchermaßen beschränkte Anwendung des § 263 ZPO solle die gerichtliche Sachdienlichkeitsprüfung zwingend sein. Die ohnehin durch die Klageart signifikant eingeschränkten Regelungen des § 264 Nr. 2 und 3 ZPO116 sollten nicht als stets zulässige Streitgegenstandsänderungen bewertet werden, die Anwendung des § 264 Nr. 1 ZPO sei hingegen unproblematisch.117 Die Einführung einer generellen gerichtlichen Sachdienlichkeitsprüfung lehnt sich an § 15 KapMuG an, welcher eine solche für Erweiterungen der Feststellungsziele eines Kapitalanlegermusterverfahrens vorschreibt.118 Sachdienlichkeit im Sinne des § 263 Alt. 2 ZPO ist speziell dann gegeben, wenn die Klageänderung geeignet ist, zu einer Beendigung des Streits zwischen den Parteien zu führen und eine weitere Klage zu vermeiden. Es kommt demnach vor allem auf Er-
112 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 9; Schmidt, WM 2018, 1966 (1969 f.). Für eine Zulässigkeit der Klageänderung hingegen: Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 20. 113 Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 16, andernfalls sei ein gesondertes Anmeldeverfahren zu eröffnen. Dazu: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 151 f. Ausführlich: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 373 ff. 114 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 16. In anderen Fällen seien die Anträge erneut bekannt zu machen und sei ein erneutes Anmeldeverfahren durchzuführen. 115 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 152. Dagegen: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 370 ff., zur Untauglichkeit des Sachdienlichkeitskriteriums. 116 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 153 spricht von Nr. 1 und 2, aufgrund der vorherigen Ausführungen dürften aber Nr. 2 und 3 gemeint sein. 117 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 152 f. m.w. N. Zur Anwendung des § 264 Nr. 1 ZPO im Musterfeststellungsverfahren: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 50, 96. Gegen eine uneingeschränkte Anwendung des § 264 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 73; Röthemeyer, MDR 2019, 6 (11), zurückhaltend zur Anwendung des § 264 Nr. 2 ZPO. 118 So letztlich: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 57; Scholl, ZfPW 2019, 317 (345). Zur Sachdienlichkeit i. S. d. § 15 KapMuG: Kruis, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 15, Rn. 16 ff.
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wägungen der Prozessökonomie an.119 Aufgrund der zeitlichen Grenze des § 608 Abs. 3 ZPO sollte eine Zulassung von Änderungen der Feststellungsziele nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung aber einer sehr restriktiven Handhabung unterliegen. Denn eine Orientierung an Gründen der Prozessökonomie könnte zu einer Umgehung der Zustimmung der Anmelder zu den bis dato gestellten Feststellungszielen führen.120 In Anbetracht der Tatsache, dass § 610 Abs. 4 ZPO auf den ersten Termin der mündlichen Verhandlungen abstellt, könne dieser jedoch nicht bereits die zeitliche Grenze definieren; schließlich müssen Änderungen, die als Reaktion hierauf erfolgen, noch möglich sein.121 Allerdings wird aus dem rechtlichen Gehör der Anmelder und § 610 Abs. 4 ZPO teilweise abgeleitet, dass Klageänderungen nach dem Zeitpunkt des § 610 Abs. 4 ZPO nicht sachdienlich sein sollen. Die Sachdienlichkeit würde daher im Ergebnis anhand der Interessen der Anmelder bestimmt. Die fehlende Sachdienlichkeit solle die Einwilligung des Beklagten und die Regelung des § 264 ZPO gegebenenfalls überlagern und dementsprechend eine Einschränkung der §§ 263 f. ZPO begründen.122 Ebenfalls unter Betonung der Anmelderinteressen wird eine Zulässigkeit befürwortet, wenn keine wesentliche Änderung der Feststellungsziele erfolgt und diese auf den Entschluss des Anmelders vernünftigerweise keinen Einfluss haben könnte.123 Die Tendenz geht also dahin, die Klageänderung und -erweiterung nur zeitlich eingeschränkt oder unter dem Vorbehalt einer Sachdienlichkeitsprüfung zuzulassen. Derartige Tendenzen, insbesondere das Kriterium der Sachdienlichkeit, wurden bereits im Rahmen der Parteiänderung zur Bewältigung der Konsequenzen der Parteirollenverschiebung bemüht. Es obläge demnach dem Gericht, die Interessen des Anmelders als Rechtsinhaber wahrzunehmen.124 bb) Stellungnahme zum Meinungsstand Eine sachgerechte Lösung ermöglichen die Vorschläge nicht. Es kann durchaus im Interesse der Anmelder liegen nachträgliche Veränderungen des Streit119 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 263, Rn. 71. Dieser Aspekt kann bei der Musterfeststellungsklage Relevanz beanspruchen, geht es bei diesem doch um eine möglichst weitgehende Streitentscheidung des Verhältnisses zwischen Unternehmer und Anmeldern, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 15 f. 120 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 59. Neue Feststellungsziele, die das Verfahren verzögern könnten, seien häufig prozessunökonomisch und es bestehe die Möglichkeit einer weiteren Musterfeststellungsklage, ebenda, § 6, Rn. 60. Diesen Zeitpunkt hebt auch Windau, jM 2019, 404 (407 f.) hervor. 121 Scholl, ZfPW 2019, 317 (345). 122 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 73. 123 Windau, jM 2019, 404 (408). Für nachträgliche Feststellungsziele sollte der Zeitpunkt des § 608 Abs. 3 ZPO vorausschauend bestimmt werden oder ein zweites Anmeldeverfahren erfolgen. Kritisch zu einem neuen Anmeldeverfahren: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 341. 124 So ausdrücklich: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13).
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gegenstandes zuzulassen,125 da dies dem Verfahrenszweck einer umfassenden Vorabklärung entspricht.126 Bei der Bewertung der obigen Ansichten muss berücksichtigt werden, dass die Annahme einer generellen Sachdienlichkeitsprüfung vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Diese Anregung geht auf § 15 KapMuG zurück, wurde aber im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nicht kodifiziert.127 Die entsprechende Prüfbitte des Bundesrates, welche entweder auf den Ausschluss der Änderung von Feststellungszielen oder einer anderweitigen Berücksichtigung der Anmelderinteressen abzielte,128 führte letztlich zu keiner normativen Verankerung.129 Eine Begrenzung auf den Zeitpunkt der letzten Rücknahmemöglichkeiten nach § 608 Abs. 3 ZPO verkennt die fehlende Möglichkeit, nicht anwaltlich vertretener Anmelder, eventuelle Änderungen zu identifizieren.130 Fraglich ist also, inwiefern sich eine sachgerechte Begrenzung von Klageänderung und -erweiterung erreichen lässt. Eine Lösung bietet die bereits herausgearbeitete Stellung des Klägers als funktionaler Prozessstandschafter.131 Konsequenterweise sollte daher auf die Grundlage der Befugnis der qualifizierten Einrichtung mit Wirkung für und gegen die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder ein Verfahren im eigenen Namen zu führen, rekurriert werden.132 Diese Grundlage findet sich in der Anmeldung. Die Verbraucher melden nach 125 Ähnlich, unter Verweis auf die Erfahrungen des KapMuG: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 10. Zum Gesetzeszweck einer weitreichenden Vorabklärung vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 15 f. 126 Siehe hierzu: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 333 f., 353 ff. 127 Aus dem Fehlen einer dem § 15 KapMuG vergleichbaren Regelung kann nicht auf einen Ausschluss geschlossen werden: BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984); Langheid, VersR 2020, 789 (791); siehe zur fehlenden Kodifikation eines „Sachdienlichkeitskriteriums“: Pelz/Dobiosch, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, WuB 2020, 47 (50). Kritisch zur Rechtsprechung: Halfmeier, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/ 18, EWiR 2019, 737 (738). Für eine generelle Sachdienlichkeitsprüfung: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 86. 128 BT-Drs. 19/2701, S. 4, die Bundesregierung wollte diese Bitte im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen, ebenda, S. 8. Aufgrund der Vielzahl möglicher Lösungen und der später eingefügten Regelung des § 610 Abs. 4 ZPO kann hieraus keine konkrete Lösung der Problematik abgeleitet werden. 129 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12a, dort insb. Fn. 81. Siehe auch: Röß, NJOZ 2021, 1569 (1572 f.). 130 Vgl. Pelz/Dobiosch, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, WuB 2020, 47 (50). 131 Dies ist eine Konsequenz der Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage als funktionale Prozessstandschaft. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C.V., dort insb. 2. c). 132 Zu diesem Ansatzpunkt auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 342 f., dass nur eine Abtretung eine „uneingeschränkt Verfügungsmacht“ begründen könne, erscheint nicht überzeugend. Siehe auch: Röß, NJOZ 2021, 1569 (1571), der aber insb. auf den Lebenssachverhalt abstellt.
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der Vorstellung des Gesetzes (vgl. § 608 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO) ihren gesamten Anspruch bzw. das gesamte Rechtsverhältnis an.133 Hierbei müssen sie nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO den Gegenstand und den Grund von Anspruch und Rechtsverhältnis benennen.134 Die Grenze der Zustimmung des Anmelders liegt somit nicht bereits in den Feststellungszielen, die bei Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung gestellt wurden. Durch die weiterreichende Anmeldung ist die Möglichkeit des Musterklägers durch Erweiterung der Feststellungsziele – also die Disposition über die Ansprüche und Rechtsverhältnisse auszuweiten – grundsätzlich eröffnet. Die Einwilligung bezieht sich dabei nur auf diese Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse und auch nur auf den Lebenssachverhalt. Eine Auswechslung des Klagegrundes ist somit bereits grundsätzlich nicht möglich. Die Stellung weiterer oder die Änderung bisheriger Feststellungsziele ist dann möglich, wenn sie sich auf diesen Lebenssachverhalt beziehen und die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von diesen abhängig sind.135 Andernfalls wäre die Einwilligung der Anmelder überdehnt und der Musterverfahrenskläger würde die Grenzen der Prozessführungsbefugnis überschreiten. An diesem Punkt zeigt sich sehr deutlich, dass eine Herleitung der Prozessführungsbefugnis, die sich allein aus der Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung ergibt, zweckdienliche Lösungen erschweren würde. Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass die Anwendung der §§ 263 ff. ZPO im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO keinerlei Modifikationen erfahren hat,136 weshalb von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit auszugehen ist. Allerdings sind die Dispositionsmöglichkeiten – aufgrund der Beschränkung der Prozessführungsbefugnis, welche auf der Anmeldung beruht – reduziert und damit für die Anmelder auch nicht mehr problematisch.137 133 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b). Auch eine Prozessermächtigung muss ausreichend bestimmt sein, vgl. Loyal, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 50, Rn. 46. Dies ist notwendig, um festzulegen, wozu der Prozessstandschafter ermächtigt wurde. Dies ist vergleichbar mit der Anmeldung bei der Musterfeststellungsklage. 134 Grund meint den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt, siehe: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 21. Die Formulierung entspricht § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, vgl.: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 608, Rn. 3; die Erwähnung des Gegenstandes ist keine Doppelung des Antrags (so aber: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 22), sondern meint Anspruch/Rechtsverhältnis, anders wären diese gar nicht individualisiert. So auch das Verständnis der Ausfüllanleitung des BfJ, abrufbar unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Verbraucherrechte/Muster feststellungsklagen/Klageregister/Ausfuellanleitung/Ausfuellanleitung_node.html (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). 135 Im Ergebnis kann somit mit der vorgeschlagenen Lösung den berechtigten Einwendungen bei Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 151 f. und Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 16 für den Fall nachträglicher objektiver Klagehäufungen Rechnung getragen werden. Das Anwendungsergebnis dürfte nicht wesentlich abweichen. 136 Vgl. BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984). 137 Vgl. auch: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 10: Entsprechende Anwendung des § 264 Nr. 2 ZPO, um Änderungen, die im Lebenssachverhalt angelegt sind, zu berücksichtigen.
232 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
cc) Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen auf den Zivilprozess Eine Klageänderung oder -erweiterung ist somit grundsätzlich möglich. Allerdings ist die Prozessführungsbefugnis des Klägers durch die mit der Anmeldung einhergehende Zustimmung bereits begrenzt, denn nur diese begründet die Befugnis des Rechtsfremden zur Prozessführung. Das Verfahren wird durch diese Konsequenz der Parteirollenverschiebung,138 die zu einer Begrenzung der Parteidisposition führt, unflexibler. Die vielfach vorgeschlagene Sachdienlichkeitsprüfung durch das Gericht hingegen würde die gerichtliche Einwirkung auf die Dispositionsbefugnis, zum Nachteil der Parteien, stärken.139 Hier zeigt sich die bereits hervorgehobene Tendenz, dem Gericht im (vermeintlichen) Interesse der Anmelder weitere Kompetenzen zuzuweisen.140 Die bislang vorhandenen Einschränkungen der Parteidisposition, die überwiegend aus einer Begrenzung materieller Verfügungsbefugnisse oder überwiegenden öffentlichen Interessen resultieren,141 würden damit erweitert. Allerdings stellt das Musterfeststellungsverfahren gerade eine Möglichkeit privater Rechtsdurchsetzung dar, die denjenigen individuellen Interessen dient, bei denen kein öffentliches Interesse im Vordergrund steht.142 b) Prozessuale Verteidigung des Beklagten im Wege der Widerklage Auch die Möglichkeit einer Widerklage betrifft den Streitgegenstand des Verfahrens143 und der hierfür vorgesehene Gerichtsstand des § 33 ZPO dient der Herstellung der prozessualen Waffengleichheit im Interesse des Beklagten.144 Für eine Bewertung der Streitgegenstandsdisposition und der Waffengleichheit im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage bedarf es zunächst einer Klärung, ob eine Widerklage überhaupt möglich ist.145 Die §§ 606 ff. ZPO normieren weder den Ausschluss noch die Zulassung der Widerklage ausdrücklich. Die Ein138 Vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 335, der darauf hinweist, dass die Schwierigkeiten der Klageänderung aus dem Verhältnis des Klägers zum Anmelder resultieren. 139 Vgl. Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (388). 140 Zur Untauglichkeit des Sachdienlichkeitsbegriffs: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 370 ff., dessen Bezugnahme auf die Anmelderinteressen spiegelt i. E. die Parteirollenverschiebung wider. 141 Vgl. Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 172 ff.; Gottwald, in: Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 76, Rn. 5 f.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 36. 142 Vgl. dazu: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 358 f. 143 Einführung eines selbstständigen Streitgegenstandes: Patzina, in: MüKoZPO, § 33, Rn. 8. 144 Siehe nur: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 1 m.w. N. Siehe auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 67; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35). Durchbrechung der Bestimmung des Verfahrensgegenstandes durch den Kläger: Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 280. 145 Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 154 ff.
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führung von Feststellungszielen durch den Beklagten trüge allerdings jedenfalls dazu bei, eine möglichst umfassende Streiterledigung herbeizuführen.146 aa) Widerklagemöglichkeit im Verhältnis zur qualifizierten Einrichtung Vor der Abgabe einer Stellungnahme, soll zunächst wieder ein Überblick über den Meinungsstand gegeben werden. (1) Betrachtung des Meinungsstandes zur Zulassung einer Widerklage gegen die qualifizierte Einrichtung Teilweise wird von der Zulässigkeit der Widerklage ausgegangen.147 Zur Begründung wird auf den Zweck des Musterfeststellungsverfahrens verwiesen, welcher in einer weitreichenden Vorabklärung der Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Anmelder zum Beklagten bestehe, und der sich auf diesem Wege erleichtert verwirklichen ließe.148 Als zentrales Argument für die Zulassung der Widerklage wird die Nennung auch negativer Feststellungsziele in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO angeführt.149 Eine Ableitung der Zulässigkeit der Widerklage aus der in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO vorgesehenen Stellung von negativen Feststellungszielen („Nichtvorliegens“, „Nichtbestehen“), unter Hinweis darauf, dass dies die Verfahrensführung der qualifizierten Einrichtung nicht adressieren würde, kann aber nicht überzeugen.150 Im Gegenteil, eine umfassende und vorausschauende Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung bezieht auch solche tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen mit ein, die für die Anmelder negativ sein könnten. Andernfalls würde der Unternehmer solche Aspekte im anschließenden Indivi146 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 19; vgl. auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 70 f. m.w. N. Siehe auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 65; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35); Hettenbach, WM 2019, 577 (581); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 399, ein ausführlicher Vergleich des Zwecks der Widerklage und der Musterfeststellungsklage findet sich ebenda, S. 420 ff. 147 Exemplarisch: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 11; Hettenbach, WM 2019, 577 (580 f.) will ein vergleichbares Ergebnis durch eine Analogie zu § 15 KapMuG erzielen. Für Zulassung von Feststellungsanträgen durch den Beklagten: Lutz, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 9. 148 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 6 m.w. N. 149 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 66; Waßmuth/ Asmus, ZIP 2018, 657 (663 f.); Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34); vgl. auch: Hettenbach, WM 2019, 577 (580). Hierauf weist ebenso Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926) hin, der die Formulierung allerdings für eine Bejahung als zu undeutlich ansieht. 150 So aber: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 66; Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 11 für ggf. analoge Anwendung des § 33 ZPO. Wie hier: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926). Ausführlich zum Streitstand: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 413 f. m.w. N.
234 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
dualverfahren den Verbrauchern entgegenhalten.151 Dies wäre weder im Sinne einer möglichst weitreichenden Vorabentscheidung, noch wäre dadurch die einheitliche Entscheidung aller zentralen Tatsachen- und Rechtsfragen gewährleistet.152 Die fehlende Überzeugungskraft des Wortlautarguments gilt gleichermaßen für die teilweise erhobene Forderung eines Antragsrechts des Beklagten zur Einführung von Feststellungszielen.153 In dem Risiko des Musterklägers mit solchen Feststellungszielen auch zu unterliegen, realisiert sich eine Folge des allgemeinen Prozessrisikos, welches jeder Prozessbeteiligte zu tragen hat.154 Der aus Art. 103 Abs. 1 GG abgeleitete Ausschluss der Widerklage,155 kann zumindest im Ausgangspunkt nicht gänzlich überzeugen. Die Widerklage ist eine selbstständige Klage.156 Gegen das Beklagtwerden kann sich grundsätzlich nicht verwehrt werden.157 Zutreffend ist dieser Einwand allerdings für die Einführung von Verfahrensgegenständen, zu denen die Anmelder ihre Zustimmung zur Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung im Wege der Anmeldung nicht erklärt haben. Hier müssten die Anmelder selbst verklagt werden, weil die qualifizierte Einrichtung insoweit nicht prozessführungsbefugt wäre. Das ist aber eine Frage der Drittwiderklage.158 Diesbezüglich kommt es teilweise zur Annahme, dass es bei der Musterfeststellungsklage nicht überzeuge, davon auszugehen, dass der Musterverfahrenskläger zwar zur aktiven Prozessführung ermächtigt sei, er aber nicht umgekehrt auch als Widerbeklagter die Interessen der Verbraucher wahrnehmen dürfe.159 Hierbei würde die passive Prozessführungsbefugnis160 relevant, welche aber nur soweit bestehen könnte, wie diese von der Anmeldung der Verbraucher gedeckt wäre – dies gilt unabhängig vom Ansatz einer funktionalen Prozessstandschaft, weil der Beklagte ansonsten gegenüber der qualifizier151 So auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71; Schmidt, WM 2018, 1966 (1969). Abweichende Bewertung bei: Hettenbach, WM 2019, 577 (578). 152 So aber die Vorstellung des Gesetzgebers, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 15. 153 So wohl: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328), die aber eine Klageerweiterung durch den Beklagten ablehnen. 154 Vgl. nur allg. zum Prozessrisiko: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 44, Rn. 11. Prozessrisiko der Parteien des Musterfeststellungsverfahrens: Nordholtz, in: Musterfeststellungsklage, § 1, Rn. 22. 155 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71; Windau, jM 2019, 404 (409); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 409 f. 156 BAG, Urteil vom 26.06.1990, Az. 1 AZR 454/89, NZA 1990, 987 (988) m.w. N.; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 7. 157 Vgl. für den Beklagtenwechsel: Musielak/Voit, Grundkurs ZPO, Rn. 409. 158 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8; siehe zur Drittwiderklage gegen den Rechtsinhaber bei gew. Prozessstandschaft: Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 33, Rn. 26. 159 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 155; Hettenbach, WM 2019, 577 (579). In diese Richtung auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 433. 160 Vgl. zur passiven Prozessführungsbefugnis: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 22.
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ten Einrichtung, ohne dass die Verbraucher in deren Prozessführung eingewilligt haben, beliebige Fragen in das Musterfeststellungsverfahren einbeziehen könnte, obwohl insoweit eigentlich eine eigenständige Klage notwendig wäre.161 Eine weitergehende Ansicht plädiert dafür, eine Widerklage im Rahmen des § 256 ZPO, nicht aber des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO zuzulassen.162 Dies negiert allerdings die Entscheidung im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nur die Klärung von Feststellungszielen zu ermöglichen.163 Dass § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO einzig eine Sonderregelung für die Aktivseite darstelle, ist zwar überzeugend, kann aber nicht begründen, wieso dem Beklagten eine entsprechende Möglichkeit einer sehr viel weitergehenden Feststellungswiderklage im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage gegeben werden sollte. Auf diesem Wege käme schließlich dem Beklagten selbst, im Rahmen der eigenständigen Widerklage, eine Klägerstellung zuteil.164 Letztlich hätte ein derartiges Vorgehen die von dieser Absicht abgelehnte Wirkung einer Drittwiderklage, da eine solche Widerklage theoretisch die Möglichkeit böte, auch solche Feststellungsklagen zu erheben, die über die durch die Anmeldung vermittelte Zustimmung zur Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung hinausgingen und damit nur gegen die Anmelder selbst gerichtet werden könnten.165 Die Ansicht beruht auf der bereits widerlegten166 Annahme einer Prozessstandschaft im Kollektivinteresse. Nur unter dieser Hypothese erscheint es aber möglich, eine Widerklage gegen ein Rechtssubjekt zuzulassen, welches (insoweit) weder zur Prozessführung ermächtigt noch Rechtsinhaber – also de facto ein unbeteiligter Dritter – wäre. Denn ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gegenüber der qualifizierten Einrichtung bestünde gerade nicht.167 Noch weniger überzeugend erscheint es von einer teleologischen 161 Im Rahmen der gewillkürten Prozessstandschaft wäre daher eine isolierte Drittwiderklage zulässig: Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 33, Rn. 26. Auf eine unterschiedliche Prozessart, begründet in den Abweichungen der Musterfeststellungsklage vom üblichen Erkenntnisverfahren, weist Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 156 hin; a. A. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 440 ff. 162 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8. Für eine Anwendung des § 256 ZPO auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 20, der allerdings auf das zumeist fehlende Rechtsverhältnis hinweist. 163 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16, 21; auch Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71 sieht hierin eine Begrenzung. Vgl. hierzu ebenso: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 407 f. Die Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs (dazu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8) würde sich wegen individueller Fragen nicht klären lassen, folglich müssten die Anmelder in das Verfahren einbezogen werden. 164 Vgl. Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 33, Rn. 18; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 54. 165 Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71, der bereits eine grundsätzliche Begrenzung durch den Bezug zum Streitgegenstand zu ziehen scheint. 166 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. IV. 4., dort insb. b). 167 Vgl. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 18. Davon geht auch Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71 aus.
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Reduktion der Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 ZPO für den Fall einer Widerklage nach dem durch § 608 Abs. 3 ZPO markierten Zeitpunkt auszugehen. Nach dieser Ansicht verbleibt dann nur noch eine Präzedenzwirkung des Verfahrens.168 Diese Ansicht ermöglicht es dem Musterverfahrensbeklagten, die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 ZPO auszuhebeln und dem Verfahren auf diese Weise jegliche effektive Bindungswirkung zu nehmen. Dies wäre nicht mit der gesetzlichen Regelung eines Verfahrens mit intendierter Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO) vereinbar,169 weshalb es bereits an einer gesetzesimmanenten Teleologie zur Begründung einer einschränkenden Auslegung fehlt.170 (2) Stellungnahme zur Zulässigkeit Im Ergebnis überzeugender erscheint es daher, von einem Ausschluss der Widerklagebefugnis des Beklagten auszugehen.171 Es wäre nämlich für das Verhältnis zwischen qualifizierter Einrichtung und Unternehmer bereits fraglich, worauf die Widerklage gerichtet sein sollte. Zwischen dem Beklagten und der qualifizierten Einrichtung dürften infolge der Parteirollenverschiebung keine (konnexen) Ansprüche bestehen, sodass infolge fehlender Parteiidentität nur die Möglichkeit einer Drittwiderklage bestünde.172 Eine Ausnahme hiervon würde, wie soeben thematisiert, nur insoweit greifen, als durch die Anmeldung der Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse (§ 608 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 ZPO) auch die passive Prozessführungsbefugnis begründet würde.173 Nach der herausgearbeiteten Konzeption der Prozessführungsbefugnis wäre dies zwar konsequent, entscheidend für einen Ausschluss der Widerklagebefugnis des beklagten Unternehmers spricht jedoch die gesetzliche Konzeption seiner passiven Rolle.174 Auf der Aktivseite kann im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nur eine qualifizierte Einrichtung ste-
168 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8. Die Bedeutung der Präzedenzwirkung solle demnach nicht unterschätzt werden. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 20 verneint die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35) spricht sich für eine erweitere Abmeldemöglichkeit zur Zulassung einer Widerklage aus. 169 Vgl. zu dieser Zwecksetzung exemplarisch: BT-Drs. 19/2507, S. 15 f., 27. 170 Vgl. zur teleologischen Reduktion: Larenz, Methodenlehre, S. 391 ff. 171 Gegen eine analoge Anwendung des § 15 KapMuG: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 157 ff. 172 Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328). Ablehnend daher auch: Prütting, ZIP 2020, 197 (201); Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 60. 173 Anders: Hettenbach, WM 2019, 577 (579), der aus der Klärung von Vorfragen und der fehlenden Rechtshängigkeit der Individualansprüche eine Trennung von der materiellen Rechtsposition ableitet. 174 Auf diesen Aspekt weist auch Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 159 hin. Ebenso: Scholl, ZfPW 2019, 317 (345); Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 60: Eine Musterfeststellungsklage durch den Beklagten ist nicht statthaft.
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hen.175 Dies macht § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO deutlich, der formuliert: „Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung [. . .] begehren“. Das Klagebegehren kann also nur von der qualifizierten Einrichtung ausgehen. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig, da § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO gerade nicht lautet: „Mit der Musterfeststellungsklage können Feststellungen zwischen [. . .] begehrt werden.“ Der Wortlaut ist im Hinblick auf die Eigenschaft des Klägers keineswegs neutral formuliert. Würde die Widerklage zugelassen, stünde auf der Klägerseite keine qualifizierte Einrichtung, sondern das widerklagende Unternehmen. Dies widerspräche der Konzeption der §§ 606 ff. ZPO.176 Der in der Literatur dagegen erhobene Einwand der Notwendigkeit prozessualer Waffengleichheit als zwingendes Argument für die Zulassung177 mag zwar rechtspolitisch überzeugen, entspricht aber nicht der gesetzlichen Konzeption de lege lata.178 Auch einer analogen Anwendung des § 15 KapMuG zur Einführung von Feststellungszielen durch den Beklagten steht diese Ausgestaltung entgegen, weshalb es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.179 Neben der konzeptionell passiven Rolle des beklagten Unternehmers stellt sich somit die fehlende Rechtsinhaberschaft der qualifizierten Einrichtung – mithin die Parteirollenverschiebung – als ein Hindernis für die Zulassung der Widerklage dar. Somit scheitert die Erhebung einer Widerklage an der fehlenden Rechtsinhaberschaft der qualifizierten Einrichtung und an der passiv konzipierten Rolle des Beklagten.180
175 Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Schmidt, WM 2018, 1966 (1969); vgl. auch: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (93); Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926). A. A.: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 66. Nach Schneider, BB 2018, 1986 (1990) steht die Klagebefugnis nur qual. Einrichtungen zu, zur Einführung von Musterfeststellungszielen äußere sich das Gesetz nicht. Nach Hettenbach, WM 2019, 577 (580) liegt hierin ein Ausschluss der Widerklage aufgrund abweichender Prozessart bei Klage und Widerklage. 176 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 19; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926); Schmidt, WM 2018, 1966 (1969); Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 60; siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610 Rn. 70; Hettenbach, WM 2019, 577 (580). A. A. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 415 ff., der nicht berücksichtigt, dass § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO zugleich die Klageart definiert. Nach der hiesigen Ansicht bedarf es der von Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 406 ff. vorgenommenen zeitlichen Unterscheidung für die Zulassung nicht. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (19): „Kläger kann nur eine qualifizierte Einrichtung sein.“ 177 Siehe nur: Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663). Vgl. auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 425 f. Aus diesem Grund, trotz der erkannten Problematik, für eine Zulassung: Waßmuth/Dörfler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 606, Rn. 107 ff., sowie Asmus, in: ebenda, § 610, Rn. 84. 178 Vgl. auch BT-Drs. 19/2507, S. 22: „Beschränkung der Klagebefugnis auf diese besonders qualifizierten Einrichtungen.“ 179 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 448 f.; a. A.: Hettenbach, WM 2019, 577 (580 f.). 180 Überzeugend: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 156.
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bb) Zulässigkeit der Drittwiderklage Die Zulässigkeit einer isolierten Drittwiderklage im Rahmen der Musterfeststellungsklage kann ebenfalls nicht überzeugen.181 Eine Parteistellung der Anmelder wird durch die Musterfeststellungsklage gerade ausgeschlossen. Daher würde die Drittwiderklage unter Berücksichtigung der Wertungen der §§ 606 ff. ZPO182 an einer Verletzung schutzwürdiger Interessen des Dritten scheitern.183 Als eine solche Wertung kann § 610 Abs. 6 ZPO betrachtet werden, denn das Verfahren sollen ausschließlich die qualifizierte Einrichtung und der Unternehmer führen.184 Die Regelung des § 610 Abs. 6 ZPO schließt bereits die Einbeziehung der Anmelder (Nr. 1) und teilweise auch weiterer Verbraucher (Nr. 2) mittels einer Streitverkündung oder Nebenintervention aus.185 Erst recht ausgeschlossen dürfte dann die Drittwiderklage sein, die darüberhinausgehend zu einer Stellung des Verbrauchers als Widerbeklagtem führt.186 Dies kann insbesondere dann Geltung beanspruchen, wenn das Verfahren im Rahmen der Widerklage nicht auf Feststellungsziele im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO beschränkt wäre, 181 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 20; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 157; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 21; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 58; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 61 geht davon aus, dass schutzwürdige Interessen der Anmelder verletzt würden; gegen Zulässigkeit auch: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Fölsch, DAR-Extra 2018, 736 (737). Zur Anwendbarkeit des § 33 ZPO auf parteierweiternde und isolierte Drittwiderklagen: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 103 ff., insb. Rn. 108 f. und Rn. 110 f.; allg. zur Entwicklung der Drittwiderklage: Lüke, Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, S. 282 ff. Zur Problematik der Widerklage bei der gew. Prozessstandschaft: Frank, ZZP 92 (1979), 321 (326 f.); Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (548 ff.); Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (483 f.); relativierend: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (427 f.). Zum Meinungsstand bei der Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 113 m.w. N. Zur Zulässigkeit isolierter Drittwiderklagen allg.: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 110 ff. 182 Vgl. zur Begrenzung der Verfahrensbeteiligten und zum Schutz Dritter: BT-Drs. 19/2507, S. 26. 183 Nach der Rechtsprechung ist eine Drittwiderklage ausgeschlossen, wenn durch diese schutzwürdige Interessen des Dritten verletzt werden: BGH, Urteil vom 17.10. 1963, Az. II ZR 77/61, BGHZ, 40, 185 (190); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 105. 184 Die Musterfeststellungsklage soll „ausschließlich zwischen dem klagenden Verbraucherschutzverband und der beklagten Partei geführt werden“: BT-Drs. 19/2507, S. 15; dazu auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 403; ferner: Waßmuth/Dörfler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 606 ZPO, Rn. 8. 185 Hierauf weist Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 18 hin. Siehe auch: Schmidt, WM 2018, 1966 (1969). 186 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 21 m.w. N.; Fölsch, DAR-Extra 2018, 736 (737) verweist auf die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 610 Abs. 6 ZPO; siehe auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 404.
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sondern einen weitreichenderen Verfahrensgegenstand hätte. Die Verfahrenskomplexität würde hierdurch signifikant gesteigert.187 Dementsprechend kann es nicht überzeugen, anzunehmen, eine Drittwiderklage gerichtet beispielsweise auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Anspruchs sei nicht durch die Musterfeststellungsklage ausgeschlossen, da der Klageantrag gegenüber den punktuellen Feststellungszielen weiterreiche.188 Im Rahmen einer Musterfeststellungklage können nur Feststellungsziele im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2 ZPO erhoben werden,189 eine Veränderung der Klageart wird hierdurch ausgeschlossen.190 Außerdem kann, wie bereits oben ausgeführt, ohnehin nur die qualifizierte Einrichtung Feststellungsziele in den Prozess einführen. Die Zulassung einer Vielzahl separater Drittwiderklagen gegen die Anmelder würde den Bündelungseffekt der §§ 606 ff. ZPO unterlaufen.191 Eine Widerklage des Beklagten gegen die Anmelder ist demnach ausgeschlossen.192 cc) Auswirkungen auf die prozessuale Verteidigung des Beklagten im Musterfeststellungsverfahren Die im Rahmen der Musterfeststellungsklage ausgeschlossene Widerklage schränkt die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten ein, denn es ist ihm verweigert, zusammenhängende Materien oder weitere Feststellungsziele zur möglichst weitreichenden und einheitlichen Sachentscheidung193 in das Verfahren einzuführen. Infolge der Parteirollenverschiebung kommt es dadurch zu Auswirkungen auf die prozessuale Verteidigung des Beklagten.194 Anders als für die insoweit parallele Problematik bei der gewillkürten Prozessstandschaft195 kann eine isolierte Drittwiderklage keine Abhilfe schaffen. Außerdem stellt die Formulierung des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Abkehr von der ansonsten personal neu187
Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 402 f. m.w. N. Dies nimmt Fölsch, DAR-Extra 2018, 736 (737) an. 189 Vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 30. 190 Zur Problematik einer abweichenden Prozessart bei Zulassung der Widerklage: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 156; Hettenbach, WM 2019, 577 (580). 191 Siehe zur analogen Anwendung der Rechtshängigkeitsvorschriften auf den beklagten Unternehmer die Ausführungen unter Kap. 5 A. II. 4. 192 Allg.: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71, der auf die Thematisierung in den Gesetzesberatungen hinweist und aus dem Schweigen des Gesetzes entsprechend keine Zulassung ableiten will. 193 Dies ist eigentlich Ziel der Ausgestaltung der §§ 606 ff. ZPO, vgl. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 4; BT-Drs. 19/2507, S. 16. Dies ist ebenso Ziel des § 33 Abs. 1 ZPO: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 33, Rn. 1. 194 Vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 434, der daher die Parteiidentität im Rahmen der Widerklage als gegeben ansieht. 195 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 79; Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 54; näher: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (427 f.). 188
240 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
tralen Formulierung der ZPO dar,196 in der grundsätzlich jeder die Rolle von Kläger und Beklagtem einnehmen kann.197 Hingegen sind die Rollen bei der Musterfeststellungsklage präformiert, worin sich die noch zu thematisierende Materialisierung widerspiegeln dürfte.198 Im Hinblick auf die fehlende Möglichkeit der Widerklage von einer Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung der Waffengleichheit auszugehen199 überzeugt zwar nicht, denn zum einen kann der Beklagte immer noch eine gesonderte Klage erheben,200 zum anderen verbleibt ihm die Widerklagemöglichkeit im Folgeverfahren. Nichtsdestotrotz wird ihm im Kontrast zu den angemeldeten Verbrauchern eine prozessökonomische gebündelte Klärung mit Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO) im Musterfeststellungsverfahren verweigert. 3. Auswirkungen des § 610 Abs. 4 ZPO auf die materielle Prozessleitungspflicht des Gerichts Hinsichtlich der Ausgestaltung des eigentlichen Musterfeststellungsverfahrens treffen die §§ 606 ff. ZPO nur geringfügige Abweichungen gegenüber den nach § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO anwendbaren Vorschriften für das Verfahren vor den Landgerichten.201 Im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung enthält nur § 610 Abs. 4 ZPO eine Regelung. Danach soll das Gericht spätestens im ersten Termin der mündlichen Verhandlung auf die Stellung sachdienlicher Klageanträge hinwirken.202 Unter Berücksichtigung der oben thematisierten Ausweitungen gerichtlicher Befugnisse in der Literatur zum Schutz der Anmelder bedarf auch 196 Vgl. nur die §§ 33, 253, 256, 263 ff., 308 Abs. 1 ZPO, die entweder nur von Partei sprechen oder an die Parteirolle anknüpfen, sachlichen Kriterien muss die Partei aber in der Regel nicht genügen. Siehe zur neutralen Formulierung: Huber, JuS 2008, 313 (313); Bötticher, Gleichheit vor dem Richter, S. 9 f. 197 Vgl. zur passiven Rolle des Beklagten: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 9. In subjektiver Hinsicht wird das Prozessrechtsverhältnis üblicherweise durch die Klageschrift (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) bestimmt: Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 256, Rn. 45. Die Beteiligten bestimmen sich nach den verfahrenseinleitenden Handlungen, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 50, Rn. 3; BGH, Urteil vom 29.03.2017, Az. VIII ZR 11/16, WM 17, 1526 (1528). 198 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 1. 199 Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (483); darauf bezugnehmend: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 113. 200 Allerdings ist der Einwand der Rechtshängigkeit zu beachten, siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. II. 201 Ausführlich zu den anwendbaren und ausgeschlossenen Vorschriften: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 60 ff.; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 20 ff. Der Entwurf des VDuG sieht keine § 610 Abs. 4 ZPO entsprechende Regelung mehr vor. 202 BT-Drs. 19/2741, S. 25; kritisch im Hinblick auf die Effektivität der Regelung: Schneider, BB 2018, 1986 (1992). Nach Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 15 sei der erste Termin (§§ 275 Abs. 1, 272 Abs. 1 ZPO) als die „erstmalige intensive Sachbefassung mit dem Streitstoff“ zu verstehen. Dies findet aber keine Stütze in § 610 Abs. 4 ZPO, der Zusammenhang mit § 608 Abs. 1, 3 ZPO spricht gegen diese Auffassung.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
241
diese Norm im Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung einer näheren Betrachtung. Hierfür soll zunächst deren Regelungsgehalt geklärt werden. a) Stimmen aus der Literatur Im Hinblick auf die Verfahrensregelungen der §§ 606 ff. ZPO ließe sich die These aufstellen, dass diese sich auf das prozessuale Verhältnis von Kläger und Beklagtem zum Gericht nicht wesentlich auswirken. Eine andere Bewertung wäre lediglich dann angezeigt, wenn – mit Teilen der Literatur203 – aus § 610 Abs. 4 ZPO eine Befugnis des Gerichts dahingehend abgeleitet werden soll, dass dieses eine Erweiterung der beantragten Feststellungsziele anregen könne. Zum Zwecke einer umfassenden Streiterledigung solle das Gericht Vorfragen und solche Tatbestandsmerkmale, die anspruchsausschließende Wirkung entfalten könnten, in das Verfahren einbeziehen. § 610 Abs. 4 ZPO verfolge zu diesem Zweck die Intention, die Grenze der Besorgnis der Befangenheit zu verschieben.204 Unter Berücksichtigung der oben herausgearbeiteten ausschließlichen Befugnis des Musterfeststellungsklägers die Klage zu erweitern oder zu beschränken, würde diese Auslegung zwar nicht nur, aber insbesondere dem Musterkläger und damit mittelbar den Anmeldern zugutekommen. Zwar könnte das Gericht auf die Einbeziehung von Einwendungen des Beklagten durch Einführung weiterer Feststellungsziele hinweisen und diese anregen, letztlich läge es aber im Ermessen der qualifizierten Einrichtung diese auch in den Prozess einzuführen.205 b) Stellungnahme unter Berücksichtigung des § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO Zur Validierung dieser Überlegung bedarf es eines Vergleichs mit § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO, welcher schon unter Geltung des bisherigen Rechts eine materielle Prozessleitungspflicht des Gerichts zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge enthält, welche nach § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO so früh wie möglich zu erfolgen hat.206 Ein Blick auf die Systematik zeigt, dass § 610 Abs. 4 ZPO die Regelung des weiterhin anwendbaren § 139 ZPO nicht verdrängt (arg. e contrario § 610 203 Insb. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10. Von einer Möglichkeit erweiterter Befugnisse geht auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 184 aus. 204 So die Ansicht von: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10. Zustimmend: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 13, der aber von einer „Nachbesserung“ spricht, was eine qualitative Abschwächung verglichen mit der Anregung neuer Feststellungsziele darstellen dürfte. Für eine generell großzügigere Handhabung des Neutralitätsverständnisses: Deubner, Gedanken zur richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht, in: Festschrift Schiedermair, S. 79 (86 f.). 205 Vgl. Hettenbach, WM 2019, 577 (579). 206 Greger, in: Zöller, ZPO, § 139, Rn. 4b,11; Reiter, JA 2004, 226 (228 f.); Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 132 f., der zudem darauf hinweist, dass sachdienliche Anträge, trotz des Wortes „insbesondere“, kein Unterfall der Tatsachenerklärung sind.
242 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Abs. 5 S. 1 ZPO).207 Eine Neukonzeption der materiellen Prozessleitung durch § 610 Abs. 4 ZPO hätte mit einem Ausschluss des § 139 ZPO oder zumindest einer weiterreichenden Modifikation einhergehen müssen. Allerdings bezieht sich sowohl § 610 Abs. 4 ZPO als auch § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO auf das Hinwirken auf sachdienliche (Klage-)Anträge, wodurch sich aus dem Wortlaut keinerlei inhaltliche Veränderungen, sondern eher inhaltliche Konstanz ableiten lässt.208 Die Regelung geht auf einen Vorschlag des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Gesetzgebungsverfahren zurück. Demnach sollten durch die Einfügung „verfahrenslenkende Maßnahmen“ 209 des Gerichts ermöglicht und das Verfahren effektiv durchgeführt werden. § 139 ZPO sollte davon unberührt bleiben.210 Damit dürfte also primär eine aktive Verfahrensgestaltung durch das Musterfeststellungsgericht bezweckt und gefordert werden. Eine Stärkung der Richtermacht ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Verschiebung der Neutralitätsgrenzen, sondern muss gleichzeitig die prozessuale Waffengleichheit achten. Eine aktive Verfahrensgestaltung erfordert, unter Berücksichtigung der Dispositionsmaxime, zudem keine Befugnis auf eine Erweiterung der Klageanträge hinzuwirken.211 Bereits die Reform von 2001 sollte dazu beitragen, dass das Gericht im Gespräch mit den Parteien die wesentlichen Punkte erörtert und auf eine sinnvolle Führung des Verfahrens hinwirkt.212 Das dürfte im Wesentlichen auch dem Zweck des § 610 Abs. 4 ZPO entsprechen. Inhaltlich fordert also sowohl § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO ein Hinwirken des Gerichts auf die Stellung sachdienlicher Anträge als auch § 610 Abs. 4 ZPO.213 Ein substanzieller Unterschied resultiert hieraus nicht. Insbesondere folgt gerade aus dem Rekurs auf den Wortlaut des § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO kein neuer sachlicher Gehalt und entsprechend keine generelle Befugnis einer Anregung zur Erweiterung der Feststellungsziele.214 Auch für § 610 Abs. 4 ZPO ist somit ein Antrag 207
So bereits das Verständnis in: BT-Drs. 19/2741, S. 25. Vgl. auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 47. 209 BT-Drs. 19/2741, S. 25. 210 BT-Drs. 19/2741, S. 25. Im ursprünglichen Entwurf war die Regelung noch nicht vorgesehen, siehe BT-Drs.19/2507, S. 9. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 47 f. 211 Ausführlich zur Rechtslage: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 166 m.w. N. Die Dispositionsmaxime wäre trotzdem nicht verletzt, weil eine Partei den Antrag stellen muss; aber ein zu nachdrückliches Hinwirken des Gerichts greift die Grundlagen der Parteiherrschaft an. Zur Wahrung der Gleichbehandlung und Neutralität bei Anwendung des § 139 ZPO: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 4, 20 f. 212 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 159 f.; BT-Drs. 14/3750, S. 53. 213 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 610, Rn. 3. 214 So aber: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10; zum abweichenden Gehalt des § 139 ZPO vgl.: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 149. Zusätzliche Feststellungsziele wären eine Anregung zur Klagehäufung und würden § 139 ZPO überschreiten: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 165 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.10.1985, Az. 5 WF 269/85, NJW 1986, 389 (389); Hart208
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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dann sachdienlich, wenn er geeignet ist, aus dem Sachverhalt und dem Streitstand diejenigen Folgerungen zu ziehen, die für das Erreichen des Prozessziels der Parteien zweckdienlich sind. Es kommt also darauf an, ob sich das prozessuale Ziel und der Antrag in Einklang bringen lassen.215 Ein Abstellen auf den Lebenssachverhalt, welcher der Klage zugrunde liegt, würde aber deutlich über das Prozessziel hinausgehen.216 Trotzdem sollte nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung mittlerweile von einer prozessualen Zweckmäßigkeit und mithin von einer Sachdienlichkeit dann ausgeht, wenn eine Anpassung des Klageantrags früher Rechtsfrieden zwischen den Parteien schaffen kann, also die Vermeidung von Folgeprozessen fördert.217 Auf dieser Linie liegt auch das Bekunden des Gesetzgebers eine „abschließende Befriedigung aller Streitigkeiten“ ermöglichen zu wollen.218 Entsprechend dürfte eine Grenze dort zu ziehen sein, wo die gerichtliche Prozessleitung solche Aspekte in das Verfahren einführt, die im Parteivortrag keine Grundlage finden.219 Im Hinblick auf den sachlichen Gehalt der materiellen Prozessleitung beim Hinwirken auf sachdienliche Klageanträge, dürften zwischen § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO und § 610 Abs. 4 ZPO daher keine nennenswerten Unterschiede bestehen. Nach alledem ist es jedoch nicht gerechtfertigt von einer Verschiebung der Grenzen der Neutralitätspflicht auszugehen. In Anbetracht der nur dem Musterkläger gegebenen Möglichkeit, Feststellungsziele in den Prozess einzuführen, wäre eine weitere Verschiebung der Neutralitätspflicht des Gerichts in Bezug auf die Antragstellung – die nur dem Kläger obliegt – im Hinblick auf die prozesmann, VersR 2019, 528 (530) ist für eine weite Auslegung des § 139 ZPO aufgrund des Verfahrensumfangs und eine weitreichende Bindungswirkung. 215 Für § 139 ZPO: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 160, unter Verweis auf: BAG, Urteil vom 18.02.2003, Az. 9 AZR 356/02, NJW 2003, 2771 (2773). Unzulässig ist eine Änderung des Prozessziels: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 139, Rn. 13; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 42 f.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 47. Zum Begriff der Sachdienlichkeit: Ventsch, Materielle Prozessleitung, S. 131 ff. m.w. N. 216 So aber: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10. 217 Für § 139 ZPO: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 168; unter Verweis auf Urteile zur Klageänderung: BGH, Urteil vom 13.04.1994, Az. XII ZR 168/92, NJW-RR 1994, 1143 (1143); BGH, Urteil vom 26.05.1986, Az. II ZR 237/85 NJW-RR 1987, 58 (58); BGH, Urteil vom 10.01.1985, Az. III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 (1842). Zu neuen Prozess- und Sachanträgen auch: Fritsche, in: MüKoZPO, § 139, Rn. 25 ff.; kritisch zur Entwicklung einer Aufklärungspflicht anstelle einer Hinwirkung auf der Sache dienende Anträge und entsprechenden Vortrag: Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (389 f.). 218 BT-Drs. 19/2507, S. 16. 219 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 160; BT-Drs. 14/3750, S. 53, BT-Drs. 14/4722, S. 77; Prütting, Die materielle Prozessleitung, in: Festschrift Musielak, S. 397 (408). Grenze ist somit das „streitige Interesse der Parteien“: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 161; ebenso: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 17, 47, 50 f. Siehe auch: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 94 ff.; Greger, in: Zöller, ZPO, § 139, Rn. 2 zur richterlichen Neutralität.
244 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
suale Stellung des Beklagten überdies ausgesprochen problematisch. Anderes könnte nur gelten, wenn das Gericht gerade auch für den Beklagten günstige Anregungen tätigen würde.220 Ein entsprechendes Hinwirken des Gerichts dürfte, sofern der Beklagte solche Einwendungen vorbringt, im Sinne der prozessualen Waffengleichheit durchaus geboten sein,221 insbesondere entspräche dies dem Ziel der Musterfeststellungsklage, nämlich eine möglichst weitgehende Streitentscheidung zu erreichen. Es gilt aber zu beachten, dass der Wortlaut des § 610 Abs. 4 ZPO eine darüberhinausgehende Aufweichung der Neutralitätspflicht nicht stützen kann. Die Möglichkeit des Richters auf eine Klageerweiterung – über die Grenzen des Prozessziels hinaus – hinzuwirken, würde die Rolle des Richters als neutraler Dritter denaturieren. Der Richter würde zugunsten des Klägers oder des Beklagten eigene prozessuale Ziele verfolgen. Mit der Konsequenz eines Verlusts der Unparteilichkeit des Richters ginge die prozessuale Gleichheit zwischen den Parteien verloren.222 Die richterliche Prozessleitung soll jedoch gerade die formelle Gleichheit der Parteien gewährleisten.223 Zur Wahrung der gerichtlichen Neutralität sollte es daher beim Diktum bleiben, dass der Hinweis nicht „erst den Boden zum Erfolg des Klägers bereiten“ 224 darf. Die Einführung des § 610 Abs. 4 ZPO hat dementsprechend keine maßgebliche inhaltliche Änderung gegenüber § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO zum Gegenstand,225 sondern zielt vielmehr auf § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO. Der wesentliche Unterschied zwischen § 139 ZPO und § 610 Abs. 4 ZPO besteht damit in der Konkretisierung des Zeitpunkts des Hinwirkens im Rahmen der materiellen Prozessleitung. Diese Auslegung ergibt Sinn unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Musterfeststellungsverfahrens gegenüber den Anmeldern und der bis zum Ablauf des
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Dies dürfte Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10 berücksichtigen, da „anspruchsausschließende Tatbestandmerkmale oder Vorfragen“ angesprochen werden. 221 Dafür auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 9. Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 68 f.: Hinweisgebung kann zur Erreichung der Chancengleichheit notwendig sein. Zur Begrenzung durch den Streitstoff: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 52 ff. 222 Vgl. hierzu die Ausführungen bei: Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 51 ff., 67, 119, 124, 129 zur Reform von 2001 im Hinblick auf die Erörterungspflicht des § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO. 223 Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 120 f.; Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 23 ff., 39 ff. 224 OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.03.1970, Az. 5 W 4/70, NJW 1970, 1884 (1885); OLG Rostock, Urteil vom 21.07.2000, Az. 3 U 94/99, NJW-RR 2002, 576 (576); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 170 ff. m.w. N. zum Meinungsstand. Siehe auch: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 50; zur Neutralitätspflicht: Reiter, JA 2004, 226 (227). 225 In sachlicher Hinsicht dürfte wie bei der Reform 2001 (vgl. dazu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 160; BT-Drs. 14/3750, S. 52) beabsichtigt gewesen sein, durch ein Hinwirken auf eine gerichtliche Mitverantwortung den Streitstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu klären.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung bestehenden Möglichkeit, die Anmeldung zurückzunehmen (§ 608 Abs. 3 ZPO).226 Ein aktives gerichtliches Verfahrensmanagement kann den Interessen der (potenziellen) Anmelder an einer fundierten Entscheidungsgrundlage Rechnung tragen.227 Der temporale Aspekt zielt somit nicht auf eine Verschiebung der Neutralitätspflicht ab, sondern soll eine verfahrenslenkende Wirkung entfalten, um die Verfahrenseffizienz zu steigern.228 Ähnliche Erwägungen wurden bereits bei der Einführung des § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO angestellt,229 was die Zielrichtung des § 610 Abs. 4 ZPO nochmals unterstreicht. Für den zeitlichen Aspekt kann auch eine Betonung durch den Standort im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO angenommen werden. § 139 ZPO befindet sich systematisch im Bereich der Regelungen zur mündlichen Verhandlung (§§ 128 ff. ZPO), woraus sich eine Erörterung im Rahmen der materiellen Prozessleitung gerade – aber nicht nur – in der Verhandlung ergibt.230 Die Regelung des § 610 Abs. 4 ZPO bewirkt somit eine zeitliche Vorverlegung („spätestens“). c) Ergebnis zu den Auswirkungen auf die materielle Prozessleitungspflicht Die materiellen Prozessleitungspflichten des Musterfeststellungsgerichts weisen damit allgemein und auch speziell im Hinblick auf § 139 ZPO – abgesehen vom temporalen Aspekt – keine weitergehenden Verpflichtungen auf.231 § 610 Abs. 4 ZPO soll das Gericht aber zu einer aktiveren Verfahrensführung und, gerade auch im Hinblick auf die Interessen der Anmelder, zu einer aktiven Verfah-
226 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 7. In diesen Zusammenhang kann auch die Prüfbitte des Bundesrates (BT-Drs. 19/2701, S. 4) bzgl. des Ausschlusses der Änderung von Feststellungszielen und des Anmelderschutzes bei Zulassung gesehen werden. Dazu auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 48 hin. Siehe zum zeitlichen Ansatzpunkt ebenso: Hettenbach, WM 2019, 577 (578 f.). 227 Zu Wegen einer entsprechenden Verfahrensgestaltung: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 52 ff. 228 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 20. Siehe auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 57 f. Siehe auch die gerichtlichen Hinweise, die im Klageregister veröffentlich werden, exemplarisch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 55. 229 Hierzu: Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 180 f. m.w. N. zum ZPO-RG 2001: BT-Drs. 14/3750, S. 39; BT-Drs. 14/4722, S. 62; Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 86 f.: Ziel war es, durch frühere gerichtliche Aktivität das Verfahren zu konzentrieren und einer früheren Beendigung zuzuführen, ohne die materiellen Gerichtskompetenzen auszudehnen. Dies dürfte auf § 610 Abs. 4 ZPO übertragbar sein. Speziell zu § 139 Abs. 4 ZPO: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 92 f. m.w. N. als Bestimmung einer „frühzeitigen aktiven Prozessleitung“. 230 Für § 139 Abs. 1 S. 1 ZPO: Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 78; Ventsch, Materielle Prozessleitung, S. 79. Siehe auch: Kern, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 139, Rn. 7 f., 10. 231 So auch: Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 27.
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rensgestaltung anhalten.232 Die Norm weist daher einen deutlichen Bezug zur Parteirollenverschiebung auf. Letztlich wird damit die Stellung des Gerichts und dessen Verantwortung für den Prozessablauf gegenüber den Parteien betont und die Richtermacht durch eine aktive Verfahrensführung tendenziell, wenn auch nuanciert, gestärkt. Speziell, soweit dem Gericht Beurteilungsspielräume für eigene Aktivitäten zustehen, dürfte dadurch die gerichtliche Aktivität gefördert werden.233 Es kann somit festgehalten werden, dass die gerichtliche Verfahrensführung gestärkt wurde. Neben dem zu berücksichtigenden Umfang eines Verfahrens des kollektiven Rechtsschutzes liegt einer der wesentlichen Gründe hierfür im Schutz der verfahrensrechtlich unbeteiligten Rechtsinhaber. Im Interesse einer frühzeitigen Kenntnis der Anmelder über den Verfahrensgegenstand betont das Gesetz die materielle Prozessleitungspflicht des Gerichts. Somit wirkt sich auch hier die Parteirollenverschiebung aus, was durch die Deckungsgleichheit der Zeitpunkte in § 610 Abs. 4 ZPO und § 608 Abs. 3 ZPO (Rücknahmemöglichkeit) exemplifiziert wird. Die teilweise geforderte weitergehende Verschiebung der Neutralitätsgrenzen würde die Bedeutung der Parteirollenverschiebung zusätzlich potenzieren. 4. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Substantiierungs- und Darlegungslast Die §§ 606 ff. ZPO enthalten keine Sonderregelungen für das Beweisverfahren, es gelten somit die allgemeinen Vorschriften der ZPO.234 Die Anmelder sind nur Dritte, weshalb die Führung des Beweisverfahrens auf Klägerseite in den Händen der qualifizierten Einrichtung liegt.235 Da die ZPO im Hinblick auf das Beweisverfahren streng zwischen den Parteien und Dritten, also all denjenigen, die keine Parteistellung innehaben, unterscheidet,236 könnte sich die Parteirollenverschiebung auch hier auswirken. Hierzu soll nachfolgend zunächst auf die Substantiierungslast eingegangen werden, bevor sich anschließend der Blick auf das Beweisverfahren richtet.
232 Vgl. BT-Drs. 19/2741, S. 25; einschränkend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 14. 233 Siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13). Vgl. auch zum ZPO-RG von 2001: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 86 f.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 1: § 139 ZPO „etabliert [. . .] den aktiven Richter“; zum Ermessen bei der Hinweiserteilung selbst: Piekenbrock, NJW 1999, 1360 (1361). Vgl. zur Annahme einer gesteigerten Befugnis richterlicher Hinweise in Folge des ZPO-RG von 2001: Prütting, Die materielle Prozessleitung, in: Festschrift Musielak, S. 397 (400 f., 403 f.). 234 Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663); Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 23. Der VDuG-E beinhaltet insoweit keine Neuerungen. § 6 VDuG-E sieht lediglich eine Bußgeldbewehrung vor. Die aufzuzeigenden Defizite bleiben damit bestehen. 235 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 68, 73. 236 Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (802).
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a) Auswirkungen auf die Darlegungslast der qualifizierten Einrichtung Grundsätzlich muss sich die qualifizierte Einrichtung substantiiert, wahrheitsgemäß und vollständig äußern.237 Eine Ausnahme von dieser Substantiierungsverpflichtung bei solchen Tatsachen, für die die Partei die Darlegungs- und Beweislast nicht trägt,238 bildet allerdings § 138 Abs. 4 ZPO. aa) Erweiterung des Anwendungsbereichs des Bestreitens mit Nichtwissen Der Anwendungsbereich des § 138 Abs. 4 ZPO könnte infolge der Parteirollenverschiebung eine Erweiterung erfahren haben. (1) Problemstellung als Folge der Parteirollenverschiebung Die Substantiierungslast der Parteien findet ihre gesetzliche Grundlage in § 138 Abs. 2 ZPO.239 Der Maßstab für die Substantiierung ist aber nicht gleichbleibend,240 wodurch die meist fehlende Beteiligung der qualifizierten Einrichtung am Geschehen bei nicht modifizierter Anwendung des Gesetzes eine Absenkung der Anforderungen an die Substantiierung des Tatsachenvortrags zur Folge hat. Die einer Musterfeststellungsklage zugrunde liegenden Vorgänge sind in aller Regel weder Handlungen der qualifizierten Einrichtung, noch sind sie Gegenstand ihrer Wahrnehmung gewesen.241 In entsprechenden Konstellationen ermöglicht dies der qualifizierten Einrichtung ein Erklären mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO,242 und zwar für all diejenigen Fälle, in denen sie nicht die Darlegungs- und Beweislast trägt.243 Ein zulässiges Bestreiten mit Nichtwissen führt zu einem zulässigen Bestreiten des Vortrags der anderen Partei, ohne dass hierfür eine nähere Substantiierung gefordert wird.244 Zwar läge die Substantiie237 Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 16, 18. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 23 weist darauf hin, dass die allg. Regeln zu Darlegungs- und Beweislast für die Musterfeststellungsklage unabhängig von der Parteirolle gelten. 238 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 138, Rn. 19; Lange, NJW 1990, 3233 (3233). Siehe zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 18 ff. m.w. N. 239 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 11, Rn. 9. Siehe auch: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 21 ff. 240 Vgl. Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 11, Rn. 15 ff. 241 Vgl. Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 54. Siehe allg. zur Problematik unter Geltung des formellen Parteibegriffs: Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 123 f., für die gew. Prozessstandschaft: ebenda, S. 131. 242 Vgl. für die gew. Prozessstandschaft: Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 131. Zumeist ist von einem Bestreiten mit Nichtwissen die Rede, ausführlich: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 33. 243 BGH, Urteil vom 02.07.2009, Az. III ZR 333/08 NJW-RR 2009, 1666 (1667); v. Selle, in: BeckOKZPO, § 138, Rn. 23. 244 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 11, Rn. 19.
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rungslast bezüglich der Behauptung des Nichtwissens bei der sich hierauf berufenden Partei,245 doch dürfte dies der qualifizierten Einrichtung unter Verweis auf fehlende Kenntnisse und Wahrnehmungen als Folge der Parteirollenverschiebung möglich sein. Für den Beklagten hingegen wäre eine Berufung auf § 138 Abs. 4 ZPO vielfach unzulässig, da sich aus seiner Beteiligung am Geschehen eine Erforderlichkeit substantiierten Bestreitens ergibt.246 Dies würde außerhalb der Musterfeststellungsklage gleichermaßen für den Anmelder als eigentlichem Rechtsinhaber gelten. Die Frage kann folglich eine prozessentscheidende Bedeutung haben,247 weshalb eine Auslegungslösung zu erörtern ist.248 (2) Lösungsansätze zur Vermeidung der aufgezeigten Problematik Man könnte in diesen Fällen überlegen, ein Bestreiten mit Nichtwissen durch die qualifizierte Einrichtung dann einzuschränken, wenn es um eine Handlung oder einen Gegenstand geht, der der Wahrnehmung des Anmelders als am Sachverhalt Beteiligtem unterlag.249 Dieses Abstellen auf den materiellen Parteibegriff kann aber unter Berücksichtigung der wesentlichen Änderungen des § 138 ZPO durch die Einführung der Wahrheitspflicht zu einer Zeit, in der der formelle Parteibegriff bereits anerkannt worden war, nicht überzeugen.250 Überlegenswert wäre ein additives Abstellen auf die qualifizierte Einrichtung und die Anmelder, welches sich, unter Berücksichtigung der Wahrheitspflicht der Parteien, auf den Gedanken der prozessualen Arbeitsteilung stützen könnte.251 Diese Verdopplung der Wissensträger dürfte aber § 138 Abs. 4 ZPO überdehnen, da es diesem nur auf eigenes Wissen der Partei ankommt.252 Demnach verbietet es sich gleicher245
Ausführlich: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 54 f. Vgl. zum Bestreiten mit Nichtwissen und dem Zusammenhang mit der Substantiierung des Tatsachenvortrags: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 32 f.; vgl. zu den Anforderungen an die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO: BGH, Urteil vom 10.10.1994, Az. II ZR 95/93, NJW 1995, 130 (131). 247 Darauf weist Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 95 hin. 248 Eine ausführliche Darstellung zur Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO bei Klagen Dritter findet sich bei Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 123 ff. 249 So für die gewillkürte Prozessstandschaft: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (480); so wohl auch: OLG Köln, Urteil vom 12.06.1995, Az. 18 U 1/95, NJW-RR 1995, 1407 (1408); Lange, NJW 1990, 3233 (3237 f.); Greger, in: Zöller, ZPO, § 138, Rn. 16. Überblick zu den Möglichkeiten der Behandlung der Parteirollenverschiebung bei: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 80 ff. m.w. N. 250 Zur Novelle von 1933: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 1; siehe auch: Meyer, JR 2004, 1 (2 f.); Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 96. 251 So für die gewillkürte Prozessstandschaft: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 96, die vom Standschafter eine Informierung beim Rechtsinhaber fordert, was eher eine Erkundigungspflicht als eine Auslegung des Parteibegriffs ist. Ähnlich: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (425). Vgl. zu Auswirkungen außerprozessualer Arbeitsteilung: Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 144 f. 252 Vgl. Fritsche, in: MüKoZPO, § 138, Rn. 34. 246
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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maßen auf zwei Rechtssubjekte abzustellen. Einen Ausweg aus dieser für den Beklagten nachteiligen Situation könnte die Statuierung einer Pflicht (genauer: Obliegenheit) zur Erkundigung253 für die qualifizierte Einrichtung bei den Anmeldern bieten. Eine Berufung auf Nichtwissen würde demnach ausscheiden, wenn die Tatsache Gegenstand der Wahrnehmung des Anmelders war.254 Allerdings ist zu beachten, dass in den insoweit vergleichbaren Fällen der Prozessführung kraft Amtes, da keine Vertretung für den Rechtsinhaber vorliegt, auch keine Wissenszurechnung stattfindet. In der Folge ist ein Bestreiten mit Nichtwissen grundsätzlich zulässig. Allerdings muss die Partei kraft Amtes die Unterlagen auswerten und sich beim Rechtsinhaber erkundigen.255 Erkundigungspflichten werden auch im Verhältnis des Zessionars zum Zedenten und bei der gewillkürten Prozessstandschaft angenommen.256 Entsprechend könnte somit für die qualifizierte Einrichtung eine Erkundigungspflicht statuiert werden. Im Hinblick auf den begrenzten Informationsgehalt der Registereintragung257 und die praktischen Schwierigkeiten einer Kommunikation zwischen der qualifizierten Einrichtung und den einzelnen Anmeldern dürfte damit aber dem Bestreiten mit Nichtwissen im Rahmen der Musterfeststellungsklage ein nur sehr eingeschränkter Anwendungsbereich verbleiben. Allerdings tendiert der BGH in anderen Fällen dazu, die Anforderungen an die Erkundigungspflicht der Partei nicht zu sehr auszudehnen.258 Berücksichtigt werden müsse die Zumutbarkeit, dementsprechend wird
253 Die Rechtsprechung des BGH ist uneinheitlich, kritisch: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 35. Exemplarisch: BGH, Urteil vom 10.07.1986, Az. III ZR 19/85, NJW 1986, 3199 (3201); BGH, Urteil vom 10.10.1994, Az. II ZR 95/ 93, NJW 1995, 130 (131) zu Fällen einer Erkundigungspflicht des Rechtsinhabers. Zur Zurechnung fremden Wissens: Fritsche, in: MüKoZPO, § 138, Rn. 34 f. Zur Auslegung des § 138 Abs. 4 ZPO bei nahestehenden Dritten: Nicoli, JuS 2000, 584 (587 ff.) und daher für Erkundigungspflicht. 254 So für die gewillkürte Prozessstandschaft: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (480); OLG Köln, Urteil vom 12.06.1995, Az. 18 U 1/95, NJW-RR 1995, 1407 (1408); Lange, NJW 1990, 3233 (3235 ff.); Greger, in: Zöller, ZPO, § 138, Rn. 16; a. A. wohl: Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 131 f. 255 Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 60. Siehe auch: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (480) m.w. N. 256 Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 61; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 138, Rn. 20; Greger, in: Zöller, ZPO, § 138, Rn. 16. Für die Zession unter Verweis auf: OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2002, Az. 24 U 129/01, MDR 2002, 1148 (1149); OLG Köln, Urteil vom 12.06.1995, Az. 18 U 1/95, NJW-RR 1995, 1407 (1408). Auch: v. Selle, in: BeckOKZPO, § 138, Rn. 26. Ambs, Bestreiten mit Nichtwissen, S. 131 f.: Wissenszurechnung sei mangels Repräsentation nicht anwendbar, dafür soll eine Informationspflicht zur Wissenserlangung bestehen. 257 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 86; kritisch auch: Balke/ Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1326). Die Parteien haben nach § 609 Abs. 6 ZPO lediglich ein Auskunftsrecht zu den erfassten Anmeldungen, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 609, Rn. 4. 258 Wöstmann, in: Hk-ZPO, § 138, Rn. 9 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung. Siehe auch: BGH, Urteil vom 23.07.2019, Az. VI ZR 337/18, NJW 2019, 3788
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eine Erforschung der Wahrheit durch die Partei als nicht notwendig erachtet.259 Für die qualifizierte Einrichtung hätte dies einen erheblichen Aufwand zur Folge, da sie im Rahmen der Musterfeststellungsklage keine normierte Möglichkeit einer Kommunikation mit den Anmeldern besitzt. Außerdem würde dies gegebenenfalls zu einer Verdopplung der erforderlichen Beweiserhebungen führen. Sofern der beklagte Unternehmer die Ausführungen zur erfolgten Erkundigung bestreitet, wäre – neben der eigentlichen Beweiserhebung über die mit Nichtwissen bestrittene Tatsache – zusätzlich eine Beweiserhebung über die erfolgte Erkundigung notwendig.260 (3) Zwischenergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO Die Parteirollenverschiebung führt im Hinblick auf die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO zu einem erheblichen prozessualen Vorteil des klagenden Rechtsfremden, also der qualifizierten Einrichtung, da diese zu einer Verlagerung des Verfahrens auf einen Kläger führt, der am zugrundeliegenden Sachverhalt in aller Regel keinen Anteil genommen hat. Jeder der aufgezeigten Lösungswege ist allerdings mit Problemen behaftet, denn entweder kommt ein Bestreiten mit Nichtwissen durch die qualifizierte Einrichtung regelmäßig oder de facto nie in Betracht. Die ZPO ist daher de lege lata in diesem Punkt für die Parteirollenverschiebung – noch dazu in einem Massenverfahren mit erheblicher personaler Reichweite und entsprechendem Ermittlungsumfang – nicht ausgelegt. Eine praktikable Lösung wäre die Zulassung eines einfachen Bestreitens mit anschließender Beweiserhebung über den Sachverhalt, vorausgesetzt, dass sich die qualifizierte Einrichtung nicht auf § 138 Abs. 4 ZPO beruft und keine weitergehenden Substantiierungsanforderungen verlangt werden.261 bb) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die sekundäre Darlegungslast Die Parteirollenverschiebung könnte auch zu einer erweiterten Anwendung der sekundären Darlegungslast (Pflicht zu substantiiertem Bestreiten) führen. Denn auch hier kann es Auswirkungen haben, dass die qualifizierte Einrichtung zumeist nicht am tatsächlichen Geschehen beteiligt ist. (3788 f.); BGH, Urteil vom 12.11.2015, Az. I ZR 167/14, GRUR 2016, 836 (848); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 43 zur Informationspflicht. 259 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 124; siehe auch: BGH, Urteil vom 15.11. 1989, Az. VIII ZR 46/89, NJW 1990, 453 (454) zu praktischen Grenzen der Erkundigungspflicht. Die qual. Einrichtung besitzt keine Ermittlungsmöglichkeiten, vgl. auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 77. 260 Siehe hierzu: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 35. 261 Vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 35.
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(1) Problemstellung als Folge der Parteirollenverschiebung Die sekundäre Darlegungslast soll demjenigen, der eigentlich darlegungsbelastet wäre, jedoch außerhalb des relevanten Geschehensablaufs steht und daher keine ausreichende Tatsachenkenntnis besitzen kann, eine Abhilfemöglichkeit verschaffen. Sofern die nicht darlegungsbelastete Partei über entsprechende Kenntnisse verfügt und den Sachverhalt dadurch aufklären kann, obliegt es ihr substantiiert hierzu vorzutragen.262 Kommt die nicht darlegungsbelastete Partei – in den Grenzen der Zumutbarkeit263 – ihrer Darlegungslast nicht nach, gelten die Behauptungen zugunsten der Gegenpartei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.264 Im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage könnte die sekundäre Darlegungslast einen erheblichen Anwendungsbereich erhalten.265 Die klagende qualifizierte Einrichtung steht zumeist außerhalb des relevanten Sachverhalts, wohingegen der Beklagte in der Regel Kenntnisse des Sachverhalts besitzt oder sich diese zumindest verschaffen kann. Für die qualifizierte Einrichtung dürfte es, wegen der fehlenden Kommunikationsmöglichkeit mit den Anmeldern, außerdem vielfach nicht möglich sein,266 ausreichende Kenntnisse über den Sachverhalt zu erlangen, was für den Beklagten deutlich einfacher wäre. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast läge somit nahe. Auch praktisch wurde diese Problematik bereits aktuell: Da die qualifizierte Einrichtung in einem Musterfeststellungsverfahren gegen den Insolvenzverwalter eines Energieversorgers keine Kenntnis von den Verträgen der Anmelder hatte, ging das OLG München von einer Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast gegenüber dem Beklagten aus. Dieser müsste also, mangels entsprechender Kenntnisse des Klägers bei behaupteter fehlender Individualisierung der Ansprüche/Rechtsverhältnisse der Anmelder im Rahmen der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 262 Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kap. 11, Rn. 22 f. m.w. N.; Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 40; Bacher, in: BeckOKZPO, § 284, Rn. 85 m.w. N.; Stürner, ZZP 104 (1991), 208 (208). Jüngst im Dieselabgasskandal: BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 (2805 f.); BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az. VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 (1671); zum Arzthaftungsrecht: BGH, Beschluss vom 18.02.2020, Az. VI ZR 280/19, NJW-RR 2020, 720 (721). Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 286 Teil A, Rn. 45 f., eine gesetzliche Grundlage findet sich in § 138 Abs. 2 ZPO. Siehe auch: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 31; Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 147 ff. 263 Bacher, in: BeckOKZPO, § 284, Rn. 84; unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 17.01.2008, Az. III ZR 239/06, NJW 2008, 982 (984) m.w. N. 264 Siehe nur: Fritsche, in: MüKoZPO, § 138, Rn. 24; Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 284, Rn. 34c. 265 Die sekundäre Darlegungslast wird für die Musterfeststellungsklage bei de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 74 f. thematisiert, allerdings rein abstrakt und ohne Bezug zur Parteirollenverschiebung. 266 Vgl. zur fehlenden Möglichkeit als Voraussetzung nur: Bacher, in: BeckOKZPO, § 284, Rn. 85.
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Nr. 3 ZPO zu den einzelnen Verträgen vortragen, da ihm dies als Vertragspartei möglich und auch zumutbar sei.267 In einem ähnlichen Sinne dürfte die Annahme einer Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast gegenüber einer beklagten Sparkasse bezüglich der Frage einer Einbeziehung bzw. Nichteinbeziehung von AGBs zu verstehen sein, zu welcher der Beklagte nach Ansicht des OLG Dresden wegen der Grundsätze der sekundären Darlegungslast verpflichtet wäre,268 wobei es sich bei der Frage nach der Einbeziehung von AGBs in der Regel nicht um eine Frage handelt, welche nur im Kenntnisbereich des Beklagten liegt und somit die Anwendung der sekundären Darlegungslast in der streitigen Konstellation nicht zwingend naheliegend ist, sondern in der Parteirollenverschiebung begründet liegen dürfte.269 Allerdings wurden die Grundsätze der sekundären Darlegungslast entwickelt, um die für eine Partei infolge ihrer sachverhaltsferne entstehenden Beweisnachteile abzumildern.270 Vorliegend kommt jedoch eine Anwendung dieser Grundsätze auch in solchen Fällen in Betracht, in welchen die Anmelder, sofern sie selbst klagen würden, sich auf die sekundäre Darlegungslast nicht berufen könnten. Sobald nämlich eine Partei über die notwendigen Informationen verfügt oder sich diese beschaffen kann, scheidet eine Berufung auf die sekundäre Darlegungslast aus.271 Die Klage durch die sachverhaltsferne qualifizierte Einrichtung bewirkt damit eine deutliche Erweiterung des Anwendungsbereichs und führt zu erheblichen „prozessualen Vorteilen“ für Kläger und Anmelder, wohingegen für den Beklagten eine Berufung auf die sekundäre Darlegungslast tendenziell sogar ausgeschlossen sein dürfte, da die qualifizierte Einrichtung – mangels einer entsprechenden Kommunikationsmöglichkeit mit den Anmeldern – gegebenenfalls nicht in der Lage272 sein dürfte, Erkundigungen anzustellen, die ihr infolge der sekundären Darlegungslast eigentlich oblägen.273 267 OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 74 („zumindest“), unter Verweis auf BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/ 19, NJW 2020, 1962 (1966); BGH, Beschluss vom 18.02.2020, Az. VI ZR 280/19, NJW-RR 2020, 720 (721); BGH, Urteil vom 18.12.2019, Az. XII ZR 13/19, NJW 2020, 755 (757); so auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 5. 268 OLG Dresden, Urteil vom 09.09.2020, Az. 5 MK 2/19, unter: B. II. 5. („jedenfalls“). Urteil abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Verbraucher rechte/Musterfeststellungsklagen/Klageregister/Klagen/201904/Verfahren/Verfahrens stand.html?nn=76222#doc77906bodyText4 (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). 269 Siehe allg. zur Beweislast bzgl. der Anwendbarkeit von AGBs: Fornasier, in: MüKoBGB, § 305, Rn. 51 ff., 102. 270 Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 284, Rn. 34 m.w. N. 271 Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 286 Teil A, Rn. 47, dazu: BGH, Urteil vom 08.07.2009, Az. VIII ZR 314/07, NJW 2009, 2894 (2895). 272 Vgl. nur: Bacher, in: BeckOKZPO, § 284, Rn. 85. Der Besitz von Informationen oder die Möglichkeit zur Beschaffung ist jedoch eine Voraussetzung der sekundären Darlegungslast, Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 284, Rn. 18a m.w. N.; Laumen, MDR 2019, 193 (196). 273 Siehe dazu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 138, Rn. 17.
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(2) Zwischenergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung Die Parteirollenverschiebung bewirkt bei der Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast einen erheblichen prozessualen Vorteil für Kläger und Anmelder. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen der Musterfeststellungsklage nur deshalb außerhalb des tatsächlichen Geschehensablaufs steht, weil er nicht Rechtsinhaber ist, sollte es nur dann zu einer Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast kommen, wenn deren Voraussetzungen auch bei den Anmeldern vorliegen. Die Parteirollenverschiebung sollte nicht mit einer außerhalb des Geschehens stehenden Partei im Rahmen der richterrechtlich entwickelten sekundären Darlegungslast gleichgesetzt werden.274 Andernfalls könnte die Klage einer qualifizierten Einrichtung, mit Bindungswirkung nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO zugunsten der Anmelder, die grundsätzliche Darlegungslast empfindlich umkehren. Sollte sich die (implizite) Ansicht des OLG München und des OLG Dresden durchsetzen, würde dies zu einer erheblichen Erweiterung der sekundären Darlegungslast führen und würde dem Beklagten eine deutlich erweiterte Substantiierungsverpflichtung auferlegt. Gleichzeitig liefe die Berufung auf die sekundäre Darlegungslast im Interesse des Beklagten vielfach ins Leere. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass es auch in diesem Fall eines entsprechend erweiterten Anwendungsbereichs noch zu nachteiligen Konsequenzen der Parteirollenverschiebung kommt, denn das Informationsdefizit der qualifizierten Einrichtung als Konsequenz ihrer Sachverhaltsferne wäre dadurch noch nicht beseitigt. b) Mögliche weitergehende Konsequenzen im Hinblick auf die Darlegungslast Anhand der Problematik des Bestreitens mit Nichtwissen und der sekundären Darlegungslast zeigt sich ein sehr viel allgemeineres Problem der klägerischen Sachverhaltsferne infolge der Parteirollenverschiebung. Die Erklärungspflicht einer Partei infolge eines substantiierten gegnerischen Vortrags kann uneingeschränkt nur für solche Tatsachen gelten, die sich in ihrer eigenen Wahrnehmungssphäre ereignet haben, denn nur hinsichtlich dieser kann die prozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) Geltung beanspruchen.275 Wenn jedoch ein substantiierter Vortrag deshalb nicht möglich ist, weil der Gegenstand bereits 274 Die Rechtsprechung lehnt eine generelle Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei ab, vgl. nur: Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 286 Teil A, Rn. 50. Ein erweiterter Anwendungsbereich durch die Parteirollenverschiebung würde dies partiell konterkarieren. 275 Es handelt sich um eine „Verpflichtung [. . .] zu subjektiver Wahrheit“: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 138, Rn. 2. Ausführlich zum Inhalt der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 5 ff. Zur Wahrheitspflicht und Verhandlungsmaxime vgl. Becker-Eberhard, Grundlagen und Grenzen des Verhandlungsgrundsatzes, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 15 (22 ff.).
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nicht dieser Sphäre entstammt, dann stellt sich die Frage, wie eine Partei zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können soll.276 Von Relevanz ist hierbei auch, inwieweit die Partei Informationen erlangen kann und zum präzisen Vortrag in der Lage ist.277 Zumindest bei Detailfragen kann eine Absenkung der Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung, also den Kläger, – mangels Informationsmöglichkeiten bei den Anmeldern – hinsichtlich der Substantiierungslast erforderlich sein. Es ergibt sich eine Reduktion ihrer „Mitwirkungspflicht“,278 verstanden als eine Verpflichtung zur „wahrhaftigen Erklärung“.279 Außerdem setzt auch die Wahrheitspflicht, die nur eine Verpflichtung zur formellen Wahrheit beinhaltet,280 der Vollständigkeitspflicht einer Partei Grenzen.281 Diese weist somit infolge der Parteirollenverschiebung ebenso einen tendenziell abgeschwächten Pflichtenmaßstab auf, da für die sachverhaltsferne qualifizierte Einrichtung, unter Berücksichtigung fehlender gesetzlicher Ermittlungsmöglichkeiten gegenüber den Anmeldern,282 kaum eine identische Wahrheitspflicht und damit Vollständigkeitspflicht statuiert werden kann – wie dies gegenüber Anmel-
276 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 127; siehe auch: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 16. Vgl. zum Substantiierungsmaßstab: BGH, Urteil vom 13.07.1998, Az. II ZR 131/97, NJW-RR 1998, 1409 (1409); BGH, Urteil vom 20.09.2002, Az. V ZR 170/01, NJW-RR 2003, 69 (70) dort auch zu Fällen fehlender näherer Kenntnis; siehe auch zur Notwendigkeit einer entsprechenden Beweisaufnahme bei Fehlen näherer Einzelheiten: BGH, Urteil vom 22.11.1996, Az. V ZR 196/95, NJW-RR 1997, 270 (270). Hierdurch kann auch die Vollständigkeitspflicht berührt werden, zu dieser: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 14. Die Pflicht zur Vollständigkeit (§ 138 Abs. 1 ZPO) wird teilweise dem Substantiierungserfordernis zugeordnet, vgl. die Nachweise bei: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 23. 277 Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 16. Die Situation ähnelt für die qualifizierte Einrichtung derjenigen, in der sich Tatsachen im Verantwortungsbereich der Gegenpartei abgespielt haben, dazu: ebenda, S. 17. 278 Vgl. zur Mitwirkungsverantwortung: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 265, 352; zum Meinungsstand einer prozessualen Aufklärungspflicht: ebenda, S. 255 ff. 279 Zu diesem Begriff: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 127. Der davon ausgeht, dass der Verhandlungsgrundsatz durch die Erklärungs- und Wahrheitspflicht einer „inneren Einschränkung“ unterliegt. Zusammenfassend zu Mitwirkungspflichten in der Rspr. des BGH: ebenda, S. 177 f. Vgl. zum Zusammenhang zwischen formeller Wahrheit und Verhandlungsgrundsatz: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 33 f. Es bedarf einer „subjektive[n] Überzeugung von der Richtigkeit“: Gerken, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 138, Rn. 8. 280 Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 55 ff., mit vertiefenden Nachweisen; zur subjektiven Wahrheit: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 4. Becker-Eberhard, Grundlagen und Grenzen des Verhandlungsgrundsatzes, in: Zivilprozessrecht im Lichte der Maximen, S. 15 (23). Kritisch zum Begriff der „formellen Wahrheit“: Kern, in: Stein/ Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 181. 281 Vgl. Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 4, 7; zum Zusammenhang zwischen Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 48 ff.; dazu auch: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 138, Rn. 14 ff. 282 Siehe allg. zu fehlenden Informationsmöglichkeiten der qualifizierten Einrichtung: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 77.
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dern als Partei möglich wäre. Was gleichwohl nicht stringent erscheint, da die qualifizierte Einrichtung anstelle der Rechtsinhaber in deren prozessuale Situation eintreten sollte. Demnach kommt es auch zu Auswirkungen der Parteirollenverschiebung bei der Bestimmung der Substantiierungsanforderungen sowie der Vollständigkeits- und Wahrheitspflicht. 5. Beweisaufnahme: Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Beweismittel Im Anschluss an die soeben erörterte Darlegungslast, sollen nun die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung im Hinblick auf den Nachweis strittiger Tatsachen untersucht werden. Dass sich die Musterfeststellungsklage auch auf die Beweismittel auswirkt, könnte sich hinsichtlich der qualifizierten Einrichtung und der Anmelder bereits daraus ergeben, dass die ZPO, zwischen der Zeugenund der Parteivernehmung unterscheidet.283 Im Folgenden sind daher die Auswirkungen auf die einzelnen Beweismittel zu analysieren. a) Zeugenbeweis durch den Anmelder Die Anmelder erlangen im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO eine Zeugenstellung.284 Die bisweilen im Hinblick auf die gewillkürte Prozessstandschaft geführte Diskussion, ob für die Bestimmung der Anwendbarkeit der §§ 373 ff. oder §§ 445 ff. ZPO auf den materiellen oder den formellen Parteibegriff abzustellen ist, muss für den vorliegenden Kontext nicht geführt werden.285 Die Gesetzesbegründung bringt eindeutig zum Ausdruck, dass eine Zeugenstellung des Anmelders zuzulassen ist.286 Allerdings bedürfen die Konsequenzen nachfolgend einer näheren Untersuchung.
283
Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 373, Rn. 6 f. BT-Drs. 19/2507, S. 16; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 78; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (30); so für die gewillkürte Prozessstandschaft: Scheuch, in: BeckOKZPO, § 373, Rn. 12. Unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 30.05. 1972, Az. I ZR 75/71, NJW 1972, 1580 (1580). 285 Siehe nur: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 96 ff.; Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (543 ff.). Durch Auslegung zum materiellen Parteibegriff und damit zu einer Parteivernehmung zu gelangen, dürfte durch die Einführung der §§ 445 ff. ZPO infolge der Novellengesetzgebung 1933, als der formelle Parteibegriff bereits etabliert war, kaum durchgreifen. I. E. anders: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (544); ebenfalls für Parteivernehmung: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (481). Siehe auch Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (424 f.). Ausführlich zu den Schwierigkeiten des Parteibegriffs im Rahmen der §§ 445 ff. ZPO: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 48 ff. 286 BT-Drs. 19/2507, S. 16; de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 78. 284
256 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
aa) Erlangung der Zeugenstellung Die ZPO unterscheidet zwischen einer Parteivernehmung und einer Zeugenvernehmung. Eine Vernehmung als Zeuge scheidet bei einer Möglichkeit der Vernehmung als Partei grundsätzlich aus.287 Dieser Unterscheidung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass ein Parteivortrag zumeist eine subjektive Prägung aufweist.288 Die Parteivernehmung ist lediglich ein subsidiäres Beweismittel,289 entsprechend hoch sind die Voraussetzungen für den Erlass eines Beweisbeschlusses zur Parteivernehmung (§ 450 Abs. 1 S. 1 ZPO).290 In praxi stellt der Zeugenbeweis das häufigste, aber auch das als am unzuverlässigsten bewertete Beweismittel dar.291 Trotzdem wird, wie der Rechtsinhaber bei der gewillkürten Prozessstandschaft,292 auch der Anmelder bei der Musterfeststellungsklage nicht als Partei, sondern als Zeuge vernommen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass hiermit kein Nachteil für den Beklagten verbunden sei.293 Allerdings begründet bereits die Zulässigkeit dieser Art der Beweiserhebung per se einen Vorteil. Deutlich wird dies an den hohen Hürden für eine Parteivernehmung nach §§ 445, 447 f. ZPO, für welche der Grundsatz der Subsidiarität gilt.294 Die Parteirollenverschiebung bei der Musterfeststellungsklage setzt diese hohen Anforderungen an die Zulässigkeit der Parteivernehmung außer Kraft. Zu denken wäre nur an die Situation des non liquet, wenn es also einer beweisbelasteten Partei, trotz Ausschöpfung aller anderen Beweismöglichkeiten, nicht gelungen ist, den Beweis zu führen.295 Wenn die qualifi287 Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 112; Seiler, in: Thomas/ Putzo, ZPO, Vor § 373, Rn. 6 f.; Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 373, Rn. 1; Wagner, ZEuP 2001, 441 (485) m.w. N. zu den historischen Grundlagen. 288 Vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 285 f.; Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (47). 289 Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 109. 290 Ausführlich: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 288 ff. 291 Foerste, NJW 2001, 321 (321); vgl. die Nachweise bei: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 59. Zu möglichen rechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht: ebenda, Rn. 60. 292 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 373, Rn. 5. Frank, ZZP 92 (1979), 321 (325 f.); Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (542 ff.). Siehe allg. zu möglichen Konstellationen: Foerste, NJW 2001, 321 (324); Wagner, ZEuP 2001, 441 (486 f.) weist ebenfalls auf die Konsequenzen des formalen Zeugenbegriffs hin. Siehe zu Möglichkeiten der prozessualen Vorteilserlangung: Lange, NJW 2002, 476 (477). 293 Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 119: Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung. Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 99: Lösung durch die „Urteilskraft des Richters“. 294 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 445, Rn. 1. Für § 445: Huber, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 445, Rn. 8. Für § 448: Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 448, Rn. 2 f. Ausführlich zu den beschränkenden Wirkungen: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 35. 295 Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 286 Teil A, Rn. 1; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, S. 102 f. Siehe das Beispiel bei: Rüßmann, AcP 172
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zierte Einrichtung beweispflichtig ist, dann sind Fälle denkbar, in denen der Beklagte ihrer Vernehmung nicht nach § 447 ZPO zustimmen müsste, sondern alternativ einen Zeugen benennen könnte. Umgekehrt könnte der Beklagte, sofern ihn die Beweislast trifft, eine eigene Parteivernehmung nur durch Zustimmung der qualifizierten Einrichtung (§ 447 ZPO)296 oder gerichtliche Anordnung (§ 448 ZPO)297 erreichen, was im letzteren Fall allerdings eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für die Wahrheit der zu beweisenden Tatsache erfordert.298 Kurz gefasst kann die Frage, ob eine Partei- oder eine Zeugenvernehmung erfolgt, unter Beachtung der Bedeutung der Beweislast signifikante Folgewirkungen auf die Frage des prozessualen Obsiegens oder Unterliegens haben.299 Daneben kann der Zeuge durch eine entsprechende persönliche Vorbereitung auch zu seinen Gunsten die Zeugenvernehmung nutzen. § 378 Abs. 1 S. 1 ZPO gestattet es ihm, Unterlagen und andere Aufzeichnungen mitzubringen, die ihm die Aussage erleichtern könnten.300 Zumindest eine Unterstützung der Prozessführung der qualifizierten Einrichtung ist vorstellbar, sofern sich der Anmelder in seine eher passive Zeugenrolle einfügt und sich dieser entsprechend verhält. Gemäß § 397 Abs. 1 ZPO könnte die qualifizierte Einrichtung gegenüber dem Anmelder vom parteilichen Fragerecht Gebrauch machen301 und auf diese Weise im Interesse des Rechtsinhabers dessen Vortrag durch gezielte Fragenstellung juristisch unterstützen. bb) Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts zugunsten des Anmelders Neben der durch die Musterfeststellungsklage geschaffenen Möglichkeit einer Zeugen- anstelle einer Parteivernehmung besteht außerdem die Möglichkeit der (1972), 520 (543). Siehe auch: Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (480 f.). Hierbei sei auch an Vier-Augen-Gespräche zu denken, in welchen Art. 6 Abs. 1 EMRK Anforderungen an die Berücksichtigung des Vorbringens beider Parteien stellt. Siehe: EGMR, Urteil vom 27.10.1993, Az. 37/1992/382/460, NJW 1995, 1413 (1414 f.); Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 40, Rn. 33 ff.; Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 298. 296 Hierzu: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 40, Rn. 7. 297 Hierzu: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 40, Rn. 6. § 445 ZPO sieht nur ein Antragsrecht der beweisbelasteten Partei ggü. dem Gegner vor, vgl. Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 40, Rn. 3 f. 298 Ausführlich: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 41, Rn. 21 ff. Zur gew. Prozessstandschaft: Frank, ZZP 92 (1979), 321 (326). 299 So auch: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (543). Hingegen geht Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 119 wohl von keiner großen Belastung aus. Bock, Gewillkürte Prozessstandschaft, S. 29 f.: Eine für den Beklagten ungünstige Aussage des Ermächtigenden sei nicht zwingend, die Rechtskrafterstreckung schütze die Interessen des Prozessgegners. 300 Ausführlich: Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 378, Rn. 2 f. Den Zeugen trifft eine Vorbereitungspflicht: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 33, Rn. 58 ff. 301 Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 397, Rn. 1.
258 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Ausübung eines Aussageverweigerungsrechtes durch den Zeugen.302 Infolge der Parteirollenverschiebung können die Fälle des § 383 Abs. 1 Nr. 1–3 ZPO (Zeugnisverweigerungsrecht) und des § 384 Nr. 1 ZPO (Auskunftsverweigerungsrecht) für die Durchbrechung des Zeugniszwangs bedeutsam sein.303 Allerdings dürfte ein Zeugnisverweigerungsrecht aus Gründen einer persönlichen Beziehung (§ 383 ZPO) des Anmelders zur qualifizierten Einrichtung praktisch ausscheiden.304 Eine größere Signifikanz dürfte § 384 Nr. 1 ZPO erlangen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO305 hat grundsätzlich enge Anwendungsvoraussetzungen. Der vermögensrechtliche Schaden darf nicht nur bloß mittelbare Folge der Aussage sein, sondern die Antwort auf die Frage muss die für den Anspruch tatsächlichen Voraussetzungen entweder schaffen oder die Geltendmachung des Anspruchs erleichtern.306 Dies ist aber nach neuerer Rechtsprechung des BGH307 gerade dann der Fall, wenn die Beantwortung der Frage die Geltendmachung einer Forderung gegen den Zeugen erleichtert.308 Umgekehrt wäre dann auch bei Verlust einer Forderung als kontradiktorischer Situation ein unmittelbarer Vermögensschaden anzunehmen, was der Konstellation eines Anmelders als Zeuge im Rahmen der Musterfeststellungsklage entsprechen könnte. Ebenso wird bei einer Zeugenaussage, die einen Prozessverlust und damit eine Gewinnminderung einer Personenhandelsgesellschaft, an welcher der Zeuge be-
302 Vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 116. Die ZPO räumt dem Geheimnisschutz des Dritten einen hohen Stellenwert ein: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 196 f. Siehe auch: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 80 ff. Zu den nicht kodifizierten parteilichen Weigerungsrechten: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 130 f. 303 Vgl. allg.: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 83, 86. Die Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 385 ZPO dürften kaum Bedeutung erlangen, vgl. ebenda, 87. 304 Siehe für juristische Personen und Personengesellschaften: Scheuch, in: BeckOKZPO, § 383, Rn. 13. Zu § 383 ZPO bei der gew. Prozessstandschaft: Heintzmann, Prozeßführungsbefugnis, S. 80 ff.; siehe auch: Stathopoulos, Einziehungsermächtigung, S. 117. 305 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 127. Zu § 384 Nr. 1 ZPO und der Zeugenstellung bei gewillkürter Prozessstandschaft: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (425). 306 Scheuch, in: BeckOKZPO, § 384, Rn. 4. Ausführlich: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 35, Rn. 25 ff. 307 Anders insoweit noch: RG, Beschluss vom 13.11.1893, Az. VI 153/93, RGZ 32, 381 (382 f.). Das RG nahm an, dass die Vereitelung von Ansprüchen gegen den Zeugen kein schützenswertes Interesse desselben begründe. Zu diesem Rechtsprechungswandel: Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (807 ff.) dort auch Nachweise zur zustimmenden instanzgerichtlichen Rechtsprechung. 308 Damrau/Weinland, in: MüKoZPO, § 384, Rn. 7. Unter Verweis auf: BGH, Beschluss vom 26.10.2006, Az. III ZB 2/06, NJW 2007, 155 (156) m.w. N. Der Fall betraf die Urkundenedition durch Dritte, auf welche noch einzugehen sein wird, vgl. hierzu auch: Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (807 ff.).
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teiligt ist, zur Folge hat, eine Verwirklichung des § 384 Nr. 1 ZPO angenommen.309 In Betracht kommt hier lediglich noch eine teleologische Reduktion. Dies wäre möglich, wenn sich dem Gesetz eine inhärente Teleologie entnehmen ließe und die daraus entwickelte Wortlauteinschränkung den entgegen dem Telos zu weiten Wortlaut korrigieren könnte.310 Dafür bedürfte es aber eines klar ermittelbaren Gesetzeszwecks zu dessen Wertungen ein schwerer Widerspruch oder eine offensichtliche Ungerechtigkeit entstünde.311 Der angestrebte Schutz vor persönlichen Konfliktlagen,312 der Persönlichkeitsschutz des Zeugen, aber auch die bezweckte Wahrheitsfindung313 sind jedoch gleichfalls geeignet bei der Parteirollenverschiebung Geltung zu beanspruchen. Entsprechend wird auch für die Prozessstandschaft bei der Frage nach der Zeugnisverweigerung allgemein auf den materiellen Parteibegriff verwiesen.314 Ebenso verweist der Gesetzgeber für den Anmelder ausdrücklich auf dessen mögliche Zeugenvernehmung.315 Das Zeugnisverweigerungsrecht begründet somit keinen eklatanten Wertungswiderspruch, sondern ist nur wenig sachgerecht, was aber eine teleologische Reduktion nicht zu begründen vermag.316 Anhand dieses Zeugnisverweigerungsrechts zeigt sich erneut die Problematik der Parteirollenverschiebung. § 446 ZPO definiert mit der Möglichkeit der Beweiswürdigung einen Mittelweg zwischen der Unterstellung als wahr und einem konsequenzenlos zulässigen Schweigen der vernommenen Partei.317 Außerdem besteht die Möglichkeit der Beweiswürdigung über die Verweigerung selbst, wobei der Maßstab hinsichtlich einer berechtigten Weigerung streng sein dürfte318 Demgegenüber wird vom Gesetz an die Zeugnisverweigerung – eigentlich richti-
309 Damrau/Weinland, in: MüKoZPO, § 384, Rn. 7; Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 384, Rn. 4. Unerheblich ist die Geltung des § 138 Abs. 1 ZPO, Folgeprozess gegenüber dem Zeugen als Partei: BAG, Beschluss vom 02.08.2017, Az. 9 AZB 39/17, NZA 2017, 1631 (1632). Das beträfe die Konstellation des Folgeverfahrens. 310 Larenz, Methodenlehre, S. 391. Siehe zum Konflikt des Rechts auf Beweis mit den Zeugnisverweigerungsrechten: Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (36 ff., insb. 39). 311 Larenz, Methodenlehre, S. 400. 312 Damrau/Weinland, in: MüKoZPO, § 383, Rn. 1. 313 Letzteres ist strittig, so aber: Damrau/Weinland, in: MüKoZPO, § 384, Rn. 1. 314 Siehe nur: Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 383, Rn. 10; Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (425) m.w. N. 315 BT-Drs. 19/2507, S. 16. 316 Ausführlich: Larenz, Methodenlehre, S. 391 ff. 317 Hierzu: Schreiber, in: MüKoZPO, § 446, Rn. 1. 318 Schreiber, in: MüKoZPO, § 446, Rn. 3. Instruktiv: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 293. Vgl. auch die Ausführungen zu widersprüchlichem Verhalten bei: Peters, Prozeßförderungspflicht der Parteien?, in: Festschrift Schwab, S. 399 (402).
260 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
gerweise zum Schutz des Zeugen319 – keine Möglichkeit der Beweiswürdigung geknüpft.320 Bleibt der Anmelder aus oder verweigert er die Aussage, ohne dass er hierzu berechtigt ist, dann sieht das Gesetz nur Ordnungsmaßnahmen nach §§ 380, 390 ZPO vor.321 Auch hier greift keine dem § 446 ZPO vergleichbare Regelung ein. Dem Anmelder steht somit ein Aussageverweigerungsrecht zur Verfügung, an welches die ZPO keine expliziten Beweiswürdigungsmöglichkeiten knüpft. cc) Lösungsmöglichkeit: Entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung Eine Abhilfe könnte nur durch eine gerichtliche Beweiswürdigung erzielt werden. Auch für die Zeugenvernehmung des Anmelders gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO.322 Nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgt die Beweiswürdigung auf der Grundlage der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme.323 Bei deren Würdigung ist das Gericht grundsätzlich frei, es bleibt ihm unbenommen, entgegen den Zeugenaussagen den Ausführungen der Partei den höheren Überzeugungswert beizumessen.324 Zwar dürfte auch dem Anmelder allgemein nicht abgesprochen werden, eine richtige Aussage abzugeben. Doch sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass gerade subjektive Interessen die Zeugniswilligkeit und -fähigkeit beeinflussen können. Der Rechtsinhaber als Zeuge hat ein ganz erhebliches Interesse am Verfahrensausgang, was (unbewusste) Auswirkungen auf seine Aussage haben kann.325 319
Scheuch, in: BeckOKZPO, § 384, Rn. 1. Keine Schlüsse zum Nachteil der Partei: Damrau/Weinland, MüKoZPO, § 383, Rn. 21. Siehe auch zur Zeugnisverweigerung bei Zeugen: Wieser, Rechtsschutzinteresse, S. 127, der auf den materiellen Parteibegriff abstellen will. Siehe auch: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 99 f. Da aber die Gesetzesbegründung ausdrücklich von der Möglichkeit einer Zeugenstellung ausgeht, dürfte auch die Anwendung der Regelungen über das Zeugnisverweigerungsrecht beabsichtigt sein. 321 Für § 380 ZPO: Siebert, in: Hk-ZPO, § 380, Rn. 3, 6. Für § 390: Siebert, in: Hk-ZPO, § 390, Rn. 3. 322 Vgl. Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 373, Rn. 13; Bacher, in: BeckOKZPO, § 286, Rn. 12 f. Zu Schwierigkeiten der Beweiswürdigung bei Zeugenaussagen: Kirchhoff, MDR 2010, 791 (791 ff.). Auf eine Beweiswürdigung bei der Zeugenvernehmung des Anmelders i.R. d. Musterfeststellungsklage weist Berger, ZZP 133 (2020), 3 (30) hin. Zur Beweiswürdigung im Falle einer gew. Prozessstandschaft: BGH, Urteil vom 12.10.1987, Az. II ZR 21/87, NJW 1988, 1585 (1587); BGH, Urteil vom 21.03.1985, Az. VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117 (123 f.). 323 Bacher, in: BeckOKZPO, § 286, Rn. 5 f., 8. 324 Bacher, in: BeckOKZPO, § 286, Rn. 13. Unter Verweis auf BGH, Beschluss vom 24.06.2003, Az. VI ZR 327/02, NJW 2003, 2527 (2528). Ausführlich zur Würdigung von (Zeugen-)Aussagen: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 323 ff.; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 31, Rn. 68 ff. 325 Vgl. allg.: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 68, 153. Zur Problematik der Suggestion: ebenda, Rn. 4 f. m.w. N. Zu den Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung: ebenda, Rn. 44. Dass bei Partei- verglichen mit der Zeugenverneh320
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Ein wichtiger Anhaltspunkt im Rahmen der allgemeinen Beweiswürdigung kann auch die Zeugnisverweigerung sein.326 Neben den Vorteilen die sich für den Rechtsinhaber aus der möglichen Vernehmung als Zeuge ergeben, sollte aber nicht übersehen werden, dass die Zeugnispflicht eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung darstellt und der Zeuge der einzige Beteiligte eines Zivilprozesses ist, den eine Erscheinens-, Aussage- und Beeidigungspflicht treffen kann, ohne dass er sich hiergegen verwehren könnte.327 Trotzdem resultiert aus der Parteirollenverschiebung allein durch die Möglichkeit, über eine behauptete Tatsache den Zeugenbeweis zu führen, ein Vorteil für die qualifizierte Einrichtung. Zwar muss diese Tatsache dann nach § 286 ZPO entsprechend gewürdigt werden, denn Bezugspunkt des § 286 ZPO ist der Tatsachenvortrag der Partei.328 Wenn aber die Partei ihrer Beweislast nicht hätte nachkommen können, dann ginge die Beweislastentscheidung ohnehin zum Nachteil dieser Partei aus.329 dd) Ergebnis zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Zeugenbeweis Zunächst kann festgehalten werden, dass bereits die infolge der Parteirollenverschiebung erlangte Zeugenstellung einen Vorteil für die Anmelder begründet. Außerdem besteht für die Anmelder die wenig sachgerechte Möglichkeit eines Zeugnisverweigerungsrechts, die nur durch eine entsprechende richterliche Beweiswürdigung entschärft werden kann. Darüberhinausgehend folgen aus der Auflösung der Spannungslage durch die richterliche Beweiswürdigung Implikationen für das Verhältnis zwischen Partei- und Richtermacht. Während die Einführung von Tatsachen und deren Bestätigung durch Beweis grundsätzlich den Parteien obliegt,330 kann die Beweiswürdigung nur Aufgabe des Gerichts sein. Anders als die Parteihoheit im Rahmen der Verhandlungsmaxime, gilt hier die gerichtliche Hoheit.331 Somit kann nicht nur eine fehlende Abstimmung der Parteirollenverschiebung mit dem Zeugenbeweis festgestellt werden, sondern auch eine Verschiebung im Verhältnis der Parteien zum Gericht. Die Parteirollenvermung größere Zweifel angebracht seien (vgl. ebenda, Rn. 155), kann hier nicht gelten. Siehe zur Schwierigkeit der Beweiswürdigung bei „parteiische[n] Zeugen“: Foerste, NJW 2001, 321 (322 f.). Weber, Prozeßführungsbefugnis, S. 36 zur Anwendung des § 286 ZPO, wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses des Rechtsinhabers. 326 Prütting, in: MüKoZPO, § 286, Rn. 7. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 318. Dies ist nicht unstrittig, ablehnend: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 35, Rn. 20 f.: Hier liege kein Ergebnis der Beweisaufnahme vor. 327 Ausführlich: Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 373, Rn. 18, 20 ff. 328 Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 286, Rn. 4. 329 Zur objektiven Beweislast: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 286, Rn. 32. Zu den Schwierigkeiten der Praxis Zeugenaussagen angemessen zu beurteilen: Foerste, NJW 2001, 321 (321 f.). 330 Siehe nur: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 1, 3. 331 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 38.
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schiebung hat daher eine gesteigerte Bedeutung der richterlichen Beweiswürdigung und damit der richterlichen Stellung im Allgemeinen zur Folge. b) Auswirkungen auf die Führung des Urkundenund des Augenscheinsbeweises Auch bei den Beweismitteln des Augenscheins und der Urkunde könnte sich die in Folge der Musterfeststellungsklage eintretende Parteirollenverschiebung auswirken. Aufgrund der parallelen Problematik behandeln die nachfolgenden Ausführungen den Augenscheins- und den Urkundenbeweis unmittelbar nacheinander. aa) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Urkundenbeweis Der Ablauf des Verfahrens beim Urkundenbeweis ist abhängig davon, wer den Besitz an der Urkunde innehat.332 Folglich kann es sich auswirken, wenn anstelle des Rechtsinhabers ein Dritter klagt. (1) Nachteile des Beklagten bei der Führung des Urkundenbeweises Die Verschiebung der Prozessrechtsverhältnisse infolge der Musterfeststellungsklage wirkt sich auf den Beweis mittels öffentlicher Urkunden (§ 415 Abs. 1 ZPO)333 und Privaturkunden (§ 416 ZPO) aus.334 Ohne zwischen öffentlichen Urkunden oder Privaturkunden zu unterscheiden, ordnet § 420 ZPO die Vorlage der Urkunde durch den Beweisführer an.335 Befindet sich die Urkunde nicht im Besitz des Beweisführers (§ 421 ZPO), muss unterschieden werden: Für den Fall, dass sich die Urkunde – nach dem Vortrag des Beweisführers – im Besitz des Prozessgegners befindet, erfolgt der Beweisantritt durch die Aufforderung zur Vorlage durch den Gegner.336 Hierfür bedarf es entweder eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf Herausgabe oder Vorlegung der Urkunde (§ 422 ZPO)337 oder einer Bezugnahme des Prozessgegners auf die Urkunde im Prozess zu Beweiszwecken (§ 423 ZPO).338 Eine Bezugnahme durch den Prozessgegner dürfte eine praktisch eher selten zur Anwendung kommende Konstellation darstellen. Problematisch wäre jedoch der zumeist fehlende materiell332
Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 2. Siehe auch: §§ 416a, 417, 418 ZPO. 334 Hierauf weisen Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (481 f.) und Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 101 für die Prozessstandschaft hin. 335 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 256 f. 336 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 258. Zu den Voraussetzungen der §§ 421 ff. ZPO: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 22 ff. 337 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 32, 35 ff. Eine gesonderte Klage ist nicht erforderlich: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 151. 338 Schreiber, in: MüKoZPO, § 423, Rn. 1; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3129). 333
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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rechtliche Anspruch (i. S. d. § 422 ZPO), da zwischen den Parteien der Musterfeststellungsklage in der Regel keine materiell-rechtliche Beziehung besteht.339 Zu überlegen wäre allerdings, ob nicht die tatsächliche Verfügungsgewalt340 des Anmelders der qualifizierten Einrichtung zuzurechnen ist; dies wird für die bisherigen Fälle der Prozessstandschaft vielfach angenommen.341 Für eine Übertragung auf die Musterfeststellungsklage könnte auf deren Charakter als funktionale Prozessstandschaft verwiesen werden. Dagegen spräche aber – wie bereits beim Zeugenbeweis – die vom Gesetz bewusst angestrebte passive Rolle der Anmelder.342 Insbesondere hat die qualifizierte Einrichtung nach der gesetzlichen Regelung keine Möglichkeit mit den Anmeldern – über deren Adressdaten nach § 608 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO hinausgehend – in Kontakt zu treten.343 Es dürfte der qualifizierten Einrichtung in einem Massenverfahren wie der Musterfeststellungsklage – ohne adäquate Kommunikationsmöglichkeiten – schlicht nicht möglich sein, derartigen Vorlegungspflichten zu genügen. Der gesetzlichen Konzeption entspricht somit eine Behandlung des Anmelders als Drittem im Sinne der §§ 428 ff. ZPO, auch wenn dies nicht durchweg sachgerecht erscheint. Für den Fall, dass sich die Urkunde im Besitz eines Dritten – zu denken ist für die Musterfeststellungsklage insbesondere an den Anmelder als Rechtsinhaber – befindet, bestimmt sich der Beweisantritt nach § 428 ZPO. Der Dritte ist zur Vorlage unter denselben Voraussetzungen wie der Gegner verpflichtet (vgl. § 429 S. 1 ZPO). Sofern sich der Dritte weigert, die Urkunde vorzulegen, verbleibt für den Beweisführer nur die Möglichkeit einer Klageerhebung gerichtet auf Herausgabe der Urkunde (vgl. § 429 S. 1 ZPO).344 Für ein Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes dürfte ein Vorgehen mittels separater Klagen jedoch 339
Vgl. nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 71. Hierzu: Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 421, Rn. 1 m.w. N.; Ahrens, in: Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 13. 341 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 11, sofern die Prozessführung auch dem Interesse des Rechtsinhabers dient. Dann könnte sich allerdings die Folgefrage nach dem Anmelderinteresse am einzelnen Feststellungsziel stellen. Siehe zu Durchgriff und Zurechnung auch: Kurzweil, Entbehrlichkeit des rechtlichen Interesses, S. 101; Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (482); für einen Durchgriff auf den Rechtsinhaber i. R. d. § 423 ZPO: Hoffmann, ZZP 130 (2017), 403 (425). 342 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 26. Anders als sonst bei gewillkürter Prozessstandschaft wäre eine Nebenintervention (Schultes, in: MüKoZPO, § 66, Rn. 18) durch den Anmelder nach § 610 Abs. 6 Nr. 1 ZPO ausgeschlossen. Auch Streithelfer, die nicht unter § 69 ZPO fallen, werden als Dritte angesehen, vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 421, Rn. 1; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 8. 343 Die qualifizierte Einrichtung ist als Informationsquelle auf diejenigen angewiesen, die ihr selbst zugänglich sind. Es existieren keine besonderen Regelungen wie § 33g GWB oder zur Urkundenherausgabe, vgl. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 77, 79 f. 344 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 262; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 23; Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (482). 340
264 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
kaum eine effektive Vorgehensweise darstellen. Dies kann sich nicht nur für den Beweisführer, sondern auch für die anderen Anmelder negativ auswirken, weil deren Rechtsschutz ebenfalls verzögert wird.345 Liegt die Beweisführerschaft beim Beklagten, könnte der Anmelder durchaus geneigt sein, sich der Herausgabe zu verschließen. Die prozessualen Konsequenzen hätte allein der Beklagte zu tragen. Wenn der Anmelder selbst Partei wäre, käme die Anwendung des § 427 S. 2 ZPO in Betracht, wenn das Gericht davon ausgeht, der Gegner habe über den Verbleib der Urkunde nicht sorgfältig nachgeforscht. Das Gericht könnte somit die Ausführungen des Beweisführers über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde als bewiesen annehmen (§ 427 S. 1 i.V. m. § 426 ZPO).346 Diese Gegenüberstellung macht erneut deutlich, dass die ZPO für die Prozessführung durch einen Rechtsfremden nicht ausgelegt ist. Hierdurch können insbesondere für den Beklagten Nachteile bei der Führung des Urkundenbeweises entstehen. (2) Abhilfemöglichkeit des Gerichts Zur weitergehenden Einordnung der konstatierten Schwierigkeiten muss nachfolgend geklärt werden, inwiefern der bei der Urkundenvorlage bestehende Nachteil ausgeglichen werden kann. Seit der 2001 erfolgten Neufassung des § 142 ZPO347 besteht auch gegenüber einem am Prozess nicht Beteiligten für das Gericht die Möglichkeit, die Urkundenherausgabe anzuordnen.348 Die Norm ermöglicht in Fällen des zwischen den Parteien streitigen Sachverhalts die amtswegige Beschaffung von Beweismitteln.349 Eine Partei kann deshalb auch, zur Vermeidung der skizzierten Problematik einer Herausgabeklage gegen einen Dritten, ei345 Allg. kritisch zur separaten Klage ggü. Dritten: Gottwald, Gutachten A zum 61. Deutschen Juristentag, S. 20. 346 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 260; Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (481 f.). Eine parallele Regelung findet sich in § 444 ZPO für Fälle der Beweisvereitelung einer Partei: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 284. 347 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses, (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27.07.2001, BGBl. I Nr. 40, vom 02.08.2001, S. 1887 (1890). Siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 160 ff.; Wolf, ZZP 116 (2003), 521 (525); Gruber/ Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (319). 348 Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (801); Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 112 ff.; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3131). Ausführlich: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 10 ff. Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 96 f. Der Dritte kann auch als Zeuge zum Inhalt der Urkunde vernommen werden, ebenda, S. 125. Zum Begriff des Dritten: Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (321 f.). 349 Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 98 f. Zur notwendigen Parteibehauptung: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 107 f., 113. A. A. Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (314 f.), die §§ 142, 144 ZPO könnten nur für unklaren/unvollständigen Vortrag zur Anwendung kommen; dagegen überzeugend: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 155 f., 158 f.; Binder, ZZP 122 (2009), 187 (216).
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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nen Antrag an das Gericht nach §§ 428 Alt. 2, 142 Abs. 1, 2 ZPO – gerichtet auf Anordnung der Urkundenvorlegung – stellen.350 Nach überwiegender Ansicht hat das Gericht für diesen Fall kein Ermessen,351 wofür im Hinblick auf die hier diskutierte Problematik gerade die Vermeidung von Nachteilen durch die Parteirollenverschiebung sprechen dürfte. Von den Beschränkungen der §§ 428, 429 ZPO, die für das Herausgabeverlangen einer Partei gegenüber einem Dritten gelten, ist das Gericht bei einer Anordnung nach § 142 ZPO befreit.352 Auch müssen die Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO bei einer amtswegigen Vorlageanordnung nicht erfüllt sein.353 Die teilweise befürwortete Reduzierung der Substantiierungsanforderungen bei Anträgen auf Vorlageanordnung im Verhältnis zu Dritten, unter Rekurs auf die Schutzrichtung des Ausforschungsbeweises nur gegenüber der Partei,354 kann aber gerade wegen der Parteirollenverschiebung an dieser Stelle nicht überzeugen. Dies würde unter umgekehrten Vorzeichen den Beklagten begünstigen. Ein Fall der Unzumutbarkeit (§ 142 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 ZPO)355 sollte, aufgrund der Rechtsbesorgung durch einen Dritten, im eigenen Interesse nicht allzu schnell anerkannt werden. Insbesondere in solchen Fällen, in denen sonst § 429 S. 1 ZPO eingreift, sollte es nicht zu einer Verneinung kommen.356 Speziell Sachgründe, 350 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 7. Den Aspekt der Verfahrensbeschleunigung betont: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 142, Rn. 9; Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (803), ausführlich zu den Voraussetzungen, ebenda (804 ff.). 351 Siehe die Nachweise bei: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 142, Rn. 8; Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (803 f.); Wolf, ZZP 116 (2003), 521 (526 f.); Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (324); Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 142, Rn. 8. Allerdings muss das Gericht davon überzeugt sein, dass die Urkunde im Besitz des Dritten ist und beweiserheblich sowie beweisgeeignet ist, vgl. Schreiber, in: MüKoZPO, § 428, Rn. 3. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 162. Allg. zum Ermessen bei gerichtlicher Sachverhaltsermittlung: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 102 ff. m.w. N. 352 Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 100 f., 126. Ein Ausforschungsbeweis ist hiermit aber nicht zugelassen, ebenda, S. 102. 353 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 16. Es bedarf keines materiellrechtlichen Herausgabeanspruchs: Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 428, Rn. 5. Ebenso: Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (804), mit Nachweisen zur abweichenden Ansicht. Die Substantiierungsanforderungen werden hierdurch nicht berührt: Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 103 f.; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 22 f. 354 Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (805 f.) unter Verweis auf BGH, Urteil vom 01.08.2006, Az. X ZR 114/03, BGHZ 169, 30 (39 ff.), aus dem Bereich des Immaterialgüterrechts. 355 Instruktiv: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 142, Rn. 28, 31. Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (812 f.) spricht sich für einen nur begrenzten Anwendungsbereich neben den §§ 383 f. ZPO aus. 356 Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 142, Rn. 27 m.w. N. Ähnlich: Fritsche, in: MüKoZPO, §§ 142–144, Rn. 14.
266 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
wie etwa ein gewisser Zeit- und Kostenaufwand,357 sollten nicht zu schnell als prohibitives Argument angeführt werden, auch wenn es Ziel der Musterfeststellungsklage ist, den Anmeldern eine kostengünstige Rechtsverfolgung zu ermöglichen.358 Es sollte trotzdem im Rahmen der Unzumutbarkeit des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Abwägung der Vorteile des Prozesses erfolgen,359 die hier auch den Dritten selbst treffen können. Die teilweise geforderte strenge Interessenabwägung bei Herausgabeverpflichtungen Dritter360 kann wegen der dargestellten Problematik gegenüber Anmeldern keine Geltung beanspruchen, sofern es sich um eine Konsequenz der Parteirollenverschiebung handelt. Als problematisch kann sich allerdings erneut das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 Nr. 1 ZPO erweisen, auf welches § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO verweist.361 Der Anwendungsbereich dürfte sogar größer sein als bei der Zeugenvernehmung, denn die Regelung des § 384 ZPO gewährt nur ein beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht und bezieht sich somit nur auf einzelne Fragen.362 Allerdings dürfte eine entsprechende Trennung bei einer Urkunde praktisch nicht möglich sein.363 Eine Einschränkung des Vorlageverweigerungsrechts folgt auch nicht daraus, dass der Dritte im nachfolgenden Prozess (Folgeverfahren) selbst eine Parteistellung innehätte und dort der prozessualen Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO unterläge.364 Im Falle einer (unberechtigten) Weigerung des Dritten der Vorlageanordnung nachzukommen, gilt § 390 ZPO entsprechend (§ 142 Abs. 2 S. 2 ZPO).365 Eine 357 Dazu: Fritsche, in: MüKoZPO, §§ 142–144, Rn. 15; v. Selle, in: BeckOKZPO, § 142, Rn. 14; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (326 f.). 358 BT-Drs. 19/2507, S. 15. 359 Fritsche, in: MüKoZPO, §§ 142–144, Rn. 14. 360 Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (185); gegen eine zu restriktive Anwendung: Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3132). 361 Hierzu: Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 133; Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3132); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 142, Rn. 29; ausführlich zum Zeugnisverweigerungsrecht: Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (325 f.). Siehe auch: BGH, Beschluss vom 26.10.2006, Az. III ZB 2/06, BGH NJW 2007, 155 (156). Eine entsprechende Anwendung der §§ 383 f. ZPO bei § 422 ZPO ist umstritten, vgl. die Nachweise bei: Schreiber, in: MüKoZPO, § 422, Rn. 5. 362 Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 384, Rn. 1. 363 Besonders deutlich wird die Problematik im schon erwähnten Fall: BGH, Beschluss vom 26.10.2006, Az. III ZB 2/06, NJW 2007, 155 (156); vgl. Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (807 ff.). 364 Vgl. allg.: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 142, Rn. 8. Unter Verweis auf: BAG, Beschluss vom 02.08.2017, Az. 9 AZB 39/17, NZA 2017, 1631 (1632). Die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht bzgl. der Sachverhaltsdarstellung ist heute allg. anerkennt, vgl. nur: Peters, Prozeßförderungspflicht der Parteien?, in: Festschrift Schwab, S. 399 (400). Die Zeugnisverweigerungsrechte wären ggü. der Partei nicht anwendbar: Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3130). 365 Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (814). Zum Verfahren bei Zeugnisverweigerung: ebenda (813). Dies ist für ein Massenverfahren
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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dem § 427 S. 1, 2 ZPO für die Beweiswürdigung entsprechende Regelung ist für die Weigerung des prozessualen Dritten jedoch nicht vorgesehen. Eine solche soll allerdings dann möglich sein, wenn die Weigerung Folge der Einflussnahme einer Partei ist oder der Dritte in ihrem Lager steht.366 Letzteres könnte zwar auf die Anmelder Anwendung finden. Dennoch muss beachtet werden, dass – aufgrund der Abstraktheit der Feststellungsziele367 – auch die Vorlage von Urkunden anderer Anmelder abhelfen könnte und daher eine schematische Anwendung des § 427 ZPO nicht zwingend immer überzeugt. Außerdem kann eine entsprechende Würdigung sich auch nachteilig für redliche Anmelder auswirken.368 Aufgrund dieser Schwierigkeiten bleibt somit eine prozessuale Unwägbarkeit und damit ein Nachteil beim Urkundenbeweis bestehen. bb) Auswirkungen der Parteirollenverschiebung beim Augenscheinsbeweis Infolge der parallelen Ausgestaltung des Urkunden- und Augenscheinsbeweises könnten bei Letzterem vergleichbare Schwierigkeiten zu erwarten sein. (1) Nachteile des Beklagten bei der Führung des Augenscheinsbeweises Auch an dieser Stelle sollen die Überlegungen wieder aus der Perspektive des beweisbelasteten Beklagten entwickelt werden. Ist der Beweisführer im Besitz des Augenscheinsobjekts, dann genügt die Bezeichnung der zu beweisenden Tatsache und des Augenscheinsobjekts (§ 371 Abs. 1 S. 1 ZPO) zur Beweisführung.369 Befindet sich das Augenscheinsobjekt im Besitz des Prozessgegners, dann kann der Beweisführer einen Antrag nach § 371 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 ZPO gerichtet auf Fristsetzung zur Vorlage des Augenscheinsobjekts stellen. In diesem mitunter unpraktisch, da es die Verfahrensdauer weiter verzögern kann. Siehe auch: Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3133) zu §§ 386 ff. und einem eventuell erforderlichen Zwischenstreit. 366 Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 144 m.w. N. Andeutungsweise: Schneider, MDR 2004, 1 (3). Zu den Sanktionen bei Weigerung der Parteien: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 174 f. m.w. N. Zur Verweigerung durch den Dritten: Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (332 f.), ggf. Annahme einer Rechtsmissbräuchlichkeit bei materiell-rechtlichem Vorlageanspruch. Für eine weitergehende Berücksichtigung wohl: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 142, Rn. 41 f. 367 Siehe nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. 368 Es dürfen in der Regel bereits keine für die Partei nachteiligen Schlüsse gezogen werden: Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 383, Rn. 10. Aus einer berechtigten Zeugnisverweigerung selbst können keine nachteiligen Schlüsse bei der Beweiswürdigung gezogen werden, allerdings aus den Umständen, die zum Zeugnisverweigerungsrecht führen: Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 384, Rn. 2 m.w. N. 369 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 2. Bach, in: BeckOKZPO, § 371, Rn. 6. Die Ausführungen gelten weitgehend sinngemäß auch für elektronische Dokumente im Sinne des § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO, siehe: Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 26; hierzu: Binder, ZZP 122 (2009), 187 (194 f.).
268 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Fall gelten nach § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO die §§ 422 ff. ZPO entsprechend.370 Alternativ kann der Beweisführer nach § 371 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 ZPO um einen Antrag gerichtet auf Erlass einer Anordnung gemäß § 144 ZPO bitten.371 Ein Augenscheinsobjekt, welches sich nicht im Besitz des Beweisführers und auch nicht im Besitz des Prozessgegners befindet, kann nur nach § 371 Abs. 2 ZPO herausverlangt werden. Diese Situation betrifft das Verhältnis des Beklagten gegenüber den Anmeldern im Rahmen der Musterfeststellungsklage. Die Aufforderung durch den Beweisführer an den Dritten richtet sich nach § 371 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 ZPO.372 Die Fristsetzung verschafft dem Beweisführer die notwendige Zeit, um die Augenscheinseinnahme beim Dritten zu erwirken.373 Hierfür kommt es zu einer entsprechenden Anwendung der §§ 428–432 ZPO. Wenn sich der Dritte weigert, dann bedarf es zur Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruchs und gegebenenfalls einer selbstständigen Klage auf Herausgabe oder Vorlage des Augenscheinsobjekts gemäß § 429 S. 1 ZPO.374 Die Situation des beweisbelasteten Beklagten kann sich somit infolge der Parteirollenverschiebung genauso nachteilig darstellen wie beim Urkundenbeweis. Auch hier kommt nur eine amtswegige Abhilfe in Betracht. (2) Abhilfemöglichkeit des Gerichts Abhelfen kann dem Beweisführer in diesem Fall nur das Gericht durch eine Anordnung nach § 144 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, S. 3 ZPO. Denn seit 2001 besteht beim Augenscheinsbeweis eine Pflicht Dritter zur Vorlegung des Augenscheinsobjekts oder Duldung der Inaugenscheinnahme nach gerichtlicher Anordnung.375 Im Falle eines Antrags einer Partei nach § 144 ZPO kommt dem Gericht kein Ermessen zu.376 370 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 15. Bach, in: BeckOKZPO, § 371, Rn. 8. 371 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 4 ff. Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 16, der darauf hinweist, dass die §§ 422 ff. ZPO nach § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO bei § 144 ZPO nicht vollständig entsprechend anwendbar sind. Bach, in: BeckOKZPO, § 371, Rn. 8.1. f. 372 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 18. 373 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 12. 374 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 18; Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 184; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 371, Rn. 6. 375 Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (319); Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 10; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 144, Rn. 16, 20. Die Regelung des § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht insofern § 142 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 162; Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 117 f. Zur alten Rechtslage: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 125. 376 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 22, Rn. 55; Binder, ZZP 122 (2009), 187 (198).
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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Der Beweisführer kann sich allerdings erneut der Problematik der Parteirollenverschiebung in Bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht ausgesetzt sehen. Zugunsten des Dritten gelten die Regelungen zur Zeugnisverweigerung nach § 144 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 i.V. m. §§ 383–385 ZPO und zur Unzumutbarkeit nach § 144 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 ZPO.377 Die Problematik des § 384 Nr. 1 ZPO kann daher erneut virulent werden. Außerdem wird teilweise der Standpunkt eingenommen, dass eine Anordnung nach § 144 ZPO nicht möglich sein soll, wenn der Dritte dem Beweisführer materiell-rechtlich zur Vorlage oder Duldung verpflichtet sei. Denn der Dritte solle seinen Anspruch auf Rechtsschutz – welcher sich in einem eigenständigen Verfahren verwirkliche – nicht verlieren. Der Beweisführer würde auf den Weg einer Antragsstellung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 ZPO verwiesen und müsste eventuell den Dritten auf Herausgabe verklagen.378 Überzeugender erscheint es aber § 429 ZPO nicht entsprechend anzuwenden, da die Anordnung nach § 144 ZPO auch dann möglich ist, wenn gegenüber dem Dritten kein materiell-rechtlicher Anspruch besteht.379 Zumindest im Rahmen der Musterfeststellungsklage überzeugt die zuerst genannte Ansicht nicht. Würde der Rechtsinhaber, welcher infolge der Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren die (teilweise) Anspruchsdurchsetzung auf die qualifizierte Einrichtung überträgt, seinen Anspruch selbst verfolgen, dann wäre die Anwendung des § 144 ZPO auch in diesen Fällen unproblematisch.380 Allein aus der Parteirollenverschiebung, die in der Macht des Anmelders liegt, einen Anspruch auf umfassenden Rechtsschutz mittels einer separaten Klage gegenüber dem Herausgabeverlangen abzuleiten, kann nicht überzeugen. Zwar kann gegenüber dem Anmelder als Drittem zur Durchsetzung der Herausgabe ein Zwangsmittel nach § 390 ZPO (Ordnungsgeld oder -haft) verhängt werden, was im Verhältnis zum Prozessgegner nicht möglich wäre.381 Eine Auswirkung auf die Beweisführung hat die Weigerung der Herausgabe aber nicht. Die zu §§ 427 und 444 ZPO vergleichbare und neben der freien Beweiswürdi-
377 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 14; Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 187 f. 378 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 15. 379 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 19. So auch: Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 371, Rn. 14; Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 184; wohl auch: Trautwein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 371, Rn. 10. Siehe auch: Binder, ZZP 122 (2009), 187 (197, 217) m.w. N. 380 Vgl. zu den unterschiedlichen Anforderungen bei Parteien und Dritten: Fritsche, in: MüKoZPO, §§ 142–144, Rn. 11, 14. Für eine Bejahung der Zumutbarkeit bei Bestehen eines entsprechenden materiellen Anspruchs: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 144, Rn. 24. 381 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 22, Rn. 56. Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 18.
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gung nach § 286 ZPO stehende Regelung des § 371 Abs. 3 ZPO382 greift nur im Verhältnis zur Partei,383 also der qualifizierten Einrichtung. Sofern eine Partei den Augenschein vereitelt, können nach § 371 Abs. 3 ZPO die gegnerischen Behauptungen, die die Beschaffenheit des Gegenstandes betreffen, als nachgewiesen angesehen werden.384 Dies erfasst jedoch nicht die durch den Anmelder verweigerte Augenscheinseinnahme. Fälle der Zurechnung werden nur bei Handeln auf Weisung oder einem Zusammenwirken zwischen Dritten und Prozessgegner angenommen.385 Dies dürfte bei der Musterfeststellungsklage nur in seltenen Ausnahmefällen eintreten. Eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Dritten einen Augenschein zu dulden, ist nicht existent.386 Außerdem kann dies aufgrund des abstrahierenden Verfahrensgegenstandes387 wiederum einen Nachteil für die anderen redlichen Anmelder darstellen, da ein solches Verhalten auch zu ihren Lasten wirken würde und Augenscheinsobjekte eventuell bei ihnen ebenfalls verfügbar wären. cc) Ergebnis zu den Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf den Augenscheins- und Urkundenbeweis Der Anmelder ist infolge der Parteirollenverschiebung wie ein Dritter zu behandeln. Für den beweisbelasteten Beklagten führt dies jedoch zu erheblichen Nachteilen. Zur Vermeidung der Beweisfälligkeit des Beklagten bedarf er daher der gerichtlichen Unterstützung.388 Allerdings kann auch das Gericht die Nachteile nur teilweise kompensieren. Denn dem Anmelder können Zeugnisverweigerungsrechte zustehen und ihm gegenüber besteht keine explizite Befugnis zur nachteiligen – gegebenenfalls auch nur individuell wirkenden – Beweiswürdigung (§ 427 S. 2 ZPO), obwohl dies die häufig prozessual einschneidendere und
382 Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 188: Fälle, die (noch) keine Beweisvereitelung darstellen, können auch auf diesem Wege gewürdigt werden. 383 Vgl. Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 34 f. § 371 Abs. 3 ZPO könnte nur eingreifen, wenn der Beweisführer sich die Weigerung des Dritten zurechnen lassen müsste, vgl. ebenda, Rn. 37. Wenn der Beklagte nicht Beweisführer ist, hilft dies nicht. Außerdem kann aus der Anmeldung kaum eine Zurechnung abgeleitet werden, sinnvoller wäre eine Beweislastumkehr, wie sie vor Einführung des § 371 Abs. 3 ZPO diskutiert wurde, vgl. ebenda, Rn. 36. § 371 Abs. 3 ZPO ist ggü. § 427 ZPO spezieller: Bach, in: BeckOKZPO, § 371, Rn. 12. 384 Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 102. Anwendung des § 286 ZPO: Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 27. 385 Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 371, Rn. 37; Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 29; Trautwein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 371, Rn. 16; Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 189. Weitergehend wohl: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 144, Rn. 32. 386 Zimmermann, in: MüKoZPO, § 371, Rn. 29. 387 Siehe nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. 388 Vgl. Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (167 ff., 185) zum „Recht auf Beweis“ als Folge des Justizgewährungsanspruchs und des rechtlichen Gehörs.
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effizientere Maßnahme verglichen mit einer zwangsweisen Durchsetzung darstellt.389 Durch die fehlende Abstimmung der ZPO auf die Parteirollenverschiebung wird die Stellung des Gerichts im Verhältnis zur Partei gestärkt, weil der Beklagte mangels eigener prozessualer Mittel auf gerichtliches Handeln angewiesen ist.390 Da die Grundlage der gerichtlichen Handlung immer noch der Parteivortrag ist, resultiert hieraus zwar keine Aufhebung des Verhandlungsgrundsatzes,391 nichtsdestotrotz stärkt dies die gerichtliche Stellung im Bereich der Beweiserhebung. Die Regelungen der §§ 142, 144 ZPO betreffen, neben der Beweisfunktion,392 auch die materielle gerichtliche Prozessleitungsbefugnis.393 Zweck der Norm ist dementsprechend die Stärkung richterlicher Aufklärungsbefugnisse.394 Speziell dieser Normzweck kommt hier durch die Schwächung der Parteistellung infolge der Parteirollenverschiebung deutlich zum Tragen.395 Die dargestellte Problematik hat zudem mittelbare Auswirkungen auf die subjektive Beweisführungslast, also die Frage, welche der Parteien den Beweis antreten muss, um nicht beweisfällig zu werden.396 Denn zu einem Abweichen von der eigentlich vorgesehenen Verteilung der subjektiven Beweislast kommt es im Falle der amtswegigen Tatsachenermittlung.397 Die Anwendung der §§ 142, 144 ZPO 389 Vgl. zur Wirksamkeit: Stürner, Aufklärungspflicht, S. 82; ebenso zur Gleichwertigkeit von Zwangsmitteln und prozessualen Nachteilen: Stadler, Auskunftspflichten und Geheimnisschutz im Zivilprozess, in: Festschrift Leipold, S. 201 (209 Fn. 41). Differenzierend: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 253 f. 390 Vgl. für § 142 ZPO: Wolf, ZZP 116 (2003), 521 (526). 391 Für § 142 ZPO: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 176; zum Bezugnahmeerfordernis: Zekoll/Bolt, NJW 2002, 3129 (3130); für § 144 ZPO: Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 169 ff.; Binder, ZZP 122 (2009), 187 (220). Siehe zum Zusammenhang der Normen mit der Verhandlungsmaxime auch: Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (27 f.). 392 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 156 m.w. N. Ausführlich zu Beweiszweck und Prozessleitung: Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (803) m.w. N. Beim Ausgleich der Konsequenzen der Parteirollenverschiebung kommt auch der verfassungsrechtliche Gehalt des „Rechts auf Beweis“ zum Tragen, vgl. Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (170). 393 Greger, in: Zöller, ZPO, § 142, Rn. 1; Stein, Richterliche Prozessleitung, S. 97 f.; Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 155 f.; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), 305 (314 f.) nur für Verortung bei materieller Prozessleitungsbefugnis. 394 Greger, in: Zöller, ZPO, § 142, Rn. 2. 395 Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (168 f.): Auch die Anforderungen an das Beweisrecht müssen praxistauglich sein und berühren insofern das „Recht auf Beweis“. Aus dem „Recht auf Beweis“ folgt eine Verpflichtung des Gerichts zum Tätigwerden, vgl. ebenda (179). 396 Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, Rn. 14 m.w. N. 397 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 35 f. Grundsätzlich stimmen subjektive und objektive Beweislast überein, ebenda, S. 35; Greger, in: Zöller, ZPO, Vor § 284, Rn. 18; Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 16 f. Vgl. auch: Peters, in: Prozeßförderungspflicht der Parteien?, in: Festschrift Schwab, S. 399 (408): Verweigerte Mitwir-
272 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
hebt die subjektive Beweisführungslast zwar nicht auf, sie verringert allerdings deren Bedeutung.398 Da die subjektive Beweislast aber nur in Verfahren unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes existiert,399 verdeutlicht dies sogleich den Zusammenhang und damit die Auswirkungen auf eine der Maximen des Prozessrechts. Durch die gerichtliche Beweiserhebung wird außerdem die Beweisführungslast (zugunsten einer Partei) abgeschwächt.400 c) Vermeidung prozessualer Nachteile durch die Anwendung der Grundsätze über die Beweisvereitelung Zur Vermeidung der dargestellten Nachteile bei der Beweisführung infolge der Parteirollenverschiebung käme eine Anwendung der Grundsätze zur Beweisvereitelung in Betracht, welche ein entsprechendes beweisvereitelndes Verhalten eines Anmelders einer Berücksichtigung im Wege der richterlichen Beweiswürdigung zuführen könnte.401 Eine gesetzliche Definition oder einheitliche Normierung der Beweisvereitelung ist im Gesetz nicht vorhanden.402 Allgemein wird hierunter ein Tun oder Unterlassen einer Partei verstanden, ohne welches die Sachverhaltsaufklärung möglich gewesen wäre.403 Allerdings handelt es sich beim Anmelder bereits um keine Partei. Gegen eine Möglichkeit der Anwendung der Beweisvereitelung gegenüber dem Anmelder unter Geltung der aktuellen Rechtslage spricht, dass der Dritte nur die ihm prozessual gegebenen Möglichkeiten nutzt. Grundlage nachteiliger Wirkungen seines passiven Verhaltens oder kung des Prozessgegners (sofern eine Mitwirkungspflicht der Parteien angenommen würde) befreie den Beweisbelasteten von der subjektiven Beweislast. 398 Vgl. Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 169 f. 399 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 35; Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht; Rn. 15; Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 14. 400 Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 14. 401 Die Rechtsfolgenseite ist umstritten. Lutz, Beweisvereitelung, S. 83 ff.; Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 314 ff. Die Rechtsprechung (z. B.: BGH, Urteil vom 16.05. 1972, Az. VI ZR 7/71, NJW 1972, 1520 (1520)) verwendet vielfach die Formulierung: „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“, nimmt hiervon aber mittlerweile Abstand: BGH, Urteil vom 27.04.2004, Az. VI ZR 34/03, NJW 2004, 2011 (2012 f.); dazu: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 292. Für die Beweiswürdigung spricht deren Flexibilität, vgl. Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 189; Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (220 f.). 402 Gesetzliche Normierungen finden sich in: §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO, siehe: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 53; Lutz, Beweisvereitelung, S. 26. Siehe auch zum Rechtsgedanken aus § 444 ZPO: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 284. 403 BGH, Urteil vom 14.07.1960, Az. II ZR 220/58, VersR 1960, 844 (846); BGH, Urteil vom 15.11.1984, Az. IX ZR 157/83, NJW 1986, 59 (60); Baumgärtel, Beweisvereitelung im Zivilprozeß, in: Festschrift Kralik, S. 63 (63); ausführlich: Laumen, MDR 2009, 177 (177) m.w. N.; ausführlich und mit weiteren Nachweisen: Lutz, Beweisvereitelung, S. 26 f., zu den umstrittenen Tatbestandsvoraussetzungen: ebenda, S. 57 ff.; Baumgärtel, Beweisvereitelung im Zivilprozeß, in: Festschrift Kralik, S. 63 (68 ff.); Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 313.
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seiner rechtlich zulässigen Verweigerung kann allerdings nur eine Verpflichtung zu einem entsprechenden Handeln sein. Mangels einer korrespondierenden Mitwirkungsverpflichtung des Anmelders, kann eine nachteilige Folge jedoch kaum begründet werden.404 Auch im Hinblick auf die dogmatische Herleitung überzeugt ein solches Vorgehen nicht. Zwar ist die Rechtsgrundlage der allgemein anerkannten405 Beweisvereitelung umstritten.406 Aufgrund der fehlenden Einheitlichkeit bei einer Ableitung aus dem materiellen Recht407 erscheint die Annahme einer prozessualen Grundlage der Beweisvereitelung freilich überzeugender.408 Da jedoch die Rolle des Anmelders im Beweisverfahren gesetzlich als die eines unbeteiligten Dritten konstruiert ist, vermag es nicht zu überzeugen entsprechende prozessuale Institute auf ihn anzuwenden. Letztlich wäre die Annahme einer Beweisvereitelung, mit den Folgen einer entsprechenden Beweiswürdigung im Rahmen der Musterfeststellungsklage, da die Verweigerung auch nachteilig für andere (redliche) Anmelder sein kann, nicht unbedingt sachgerecht. Dabei ist zu beachten, dass der Rückgriff auf andere Anmelder bereits die Beweisschwierigkeiten beseitigen könnte.409 Mit der Einführung einer – individuelle Leistungen anstrebenden – Abhilfeklage, also eines Verfahrens ohne abstrahierende Feststellungsziele, wird sich dies allerdings grundlegend ändern,410 denn in dessen Rahmen dürfte die vollständige Ausblendung individueller Beweisfragen nicht möglich sein. d) Perpetuierung auch für das Folgeverfahren Man könnte den soeben erlangten Erkenntnissen entgegenhalten, dass über diejenigen Fälle, in denen sich die Parteirollenverschiebung nachteilig auswirkt, auch im Folgeverfahren zwischen den Rechtsinhabern noch Beweis erhoben werden könnte. Dies übersieht aber, dass die mit Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 404 Vgl. hierzu allg.: Peters, Prozeßförderungspflicht der Parteien?, in: Festschrift Schwab, S. 399 (403 f., 406 f.). 405 Siehe nur: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 284; BGH, Urteil vom 17.06.1997, Az. X ZR 119/94, NJW 1998, 79 (81); BGH, Urteil vom 23.11.2005, Az. VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 (436). 406 Siehe zum Meinungsstand: Lutz, Beweisvereitelung, S. 33 ff., insb. S. 36 ff.; Baumgärtel, Beweisvereitelung im Zivilprozeß, in: Festschrift Kralik, S. 63 (64 ff.); Thole, JR 2011, 327 (329). Die dogmatische Herleitung in der Rechtsprechung ist nicht einheitlich: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 53 m.w. N. zur Rechtsprechung. 407 Es wäre außerhalb vertraglicher Beziehungen schon schwierig, eine entsprechende Pflicht anzunehmen: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 318 f., 320 m.w. N. 408 Dies sind der prozessrechtliche Grundsatz von Treu und Glauben, prozessrechtliche Mitwirkungspflichten, Analogie zu bzw. Rechtsgedanke der Normierungen einer Beweisvereitelung in der ZPO. Zu den Ansätzen: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 319 ff.; Lutz, Beweisvereitelung, S. 36 ff. 409 Die Beweisvereitelung liegt nicht vor, wenn auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden kann: BGH, Urteil vom 10.01.1984, Az. VI ZR 122/82, NJW 1984, 1408 (1409); Lutz, Beweisvereitelung, S. 67. 410 Siehe zur Abhilfeklage die Ausführungen unter Kap. 3 B., dort insb. I.
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ZPO) entschiedenen Feststellungsziele nicht erneut ausgeurteilt werden dürfen. Insoweit ist auch eine erneute Beweiserhebung über die dem Feststellungsziel zugrunde liegenden Tatsachen unzulässig.411 Diese Perpetuierung erfährt eine zusätzliche Erweiterung durch die Möglichkeit, Tatsachen selbst zum Gegenstand eines Feststellungszieles zu machen.412 e) Schwierigkeiten der Beweiserhebung aufseiten der qualifizierten Einrichtung Die obige Herausstellung der nachteiligen Parteirollenverschiebung speziell aus der Beklagtenperspektive übersieht nicht, dass die Beweisproblematiken auch die qualifizierte Einrichtung treffen können. Insbesondere enthalten die §§ 606 ff. ZPO keine Regelungen darüber, wie mit den materiell-rechtlichen Herausgabeund Vorlageansprüchen (insb. § 422 ZPO)413 umzugehen ist.414 Da der Kläger der Musterfeststellungsklage im Verhältnis zum Beklagten infolge der Parteirollenverschiebung zumeist in keinem materiell-rechtlichen Verhältnis steht, dürfte die Anwendung der materiellen Herausgabe- und Vorlageansprüche regelmäßig ausscheiden.415 Eine Ermächtigung durch die Anmelder zur Ausübung der materiellen Rechte aus der Anmeldung, mithin aus § 608 ZPO abzuleiten, dürfte deren Regelungsinhalt überdehnen und findet im Gesetz und in der Gesetzesbegründung keine Stütze.416 Die qualifizierte Einrichtung kann allerdings infolge ihrer Dispositionsbefugnis über den Verfahrensgegenstand die Schwierigkeiten zumindest abmildern, indem sie die Beweisbarkeit der den Feststellungszielen zugrunde liegenden Tatsachenbehauptungen vorab sondiert. Außerdem strebt sie die Parteirollenverschiebung bewusst an, während sich der Beklagte mit dieser ohne seine Einwilligung konfrontiert sieht. Außerdem wird die qualifizierte Einrichtung die Beweisbarkeit der Feststellungsziele aufgrund der Bekanntmachungsvoraussetzung des § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO und der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bereits frühzeitig klären müssen, da hierbei auch die Betroffenheit von jeweils mindestens zehn Verbrauchern glaubhaft gemacht wer411 Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (29) m.w.N zur Rechtskraft; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 (310). 412 Siehe nur: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 9. 413 Ahrens, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 422, Rn. 3 zum Erfordernis eines materiellen Anspruchs. Ausführlich: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 29, Rn. 35 ff. 414 Vgl. auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 79. 415 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 80 geht wohl von einer Anwendbarkeit aus. 416 Vgl. insoweit: Röß, NJW 2020, 2068 (2073) zum Bindungswillen (Ermächtigung, Vollmacht) der Verbraucher zum Anmeldezeitpunkt im Hinblick auf einen Vergleichsschluss.
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den muss.417 Dadurch dürfte die Klägerin ohnehin in Kontakt mit betroffenen Verbrauchern stehen, um überhaupt die Klage vorbereiten und erheben zu können. Somit bietet es sich für sie an, auf diesem Wege Beweismittel zu erlangen418 und sich gegebenenfalls eine Ermächtigung zur Geltendmachung materieller Vorlage- und Herausgabeansprüche erteilen zu lassen. Auf diesem Wege dürfte zumindest die qualifizierte Einrichtung in der Lage sein, ihrerseits Beweisnachteile zu reduzieren. Die situativen – vom Prozessverlauf abhängigen – für den Beklagten eintretenden Nachteile, die vorstehend benannt wurden, sind auf diesem Wege hingegen nicht effektiv lösbar. Außerdem dürfte es für das Gericht gegenüber den mindestens zehn benannten Verbrauchern bereits deutlich einfacher sein, Anordnungen gemäß §§ 142, 144 ZPO zu treffen, da diese in der Regel namentlich benannt wurden und Ausführungen zu ihren Ansprüchen und Rechtsverhältnissen bereits getätigt werden mussten.419 Somit können sich auch aufseiten des Klägers durch die Parteirollenverschiebung Beweisschwierigkeiten ergeben, die allerdings in Relation zum Beklagten weniger gravierend sein dürften.420 Zur Abgrenzung sei angemerkt, dass die aufgeworfenen Schwierigkeiten infolge der Parteirollenverschiebung nicht mit den allgemeinen Schwierigkeiten einer Partei vermengt werden sollten, Sachverhalte im Herrschaftsbereich des Prozessgegners zu rekonstruieren, wie dies exemplarisch für den Dieselskandal häufig hervorgehoben wurde.421 Zum einen ist dies ein allgemeines prozessuales Problem und kein Spezifikum der Parteirollenverschiebung, zum anderen nimmt hierbei die Kritik häufig die Herabsetzung der Darlegungslast und die Grundsätze der sekundären Darlegungslast nicht ausreichend in den Blick.422 6. Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens Abschließend sollen noch die Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Beendigung des Verfahrens untersucht werden.423 Da es sich bei der Verfah417 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 15. Siehe zu möglichen Beweismitteln für die Glaubhaftmachung (Urkunden, Belege etc.): Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 78. 418 Bei Urkunden erfolgt die Vorlage dann nach § 420 ZPO: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 30, Rn. 2. 419 Zur Anwendung des § 142 ZPO gegenüber diesen zehn Verbrauchern: Lutz in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 23. 420 Für die Verbraucher: Tatsachenfeststellung wird durch Sachverständigengutachten erschwert, wenn keine generalisierende Feststellung möglich ist: Beck, ZIP 2018, 1915 (1918 f.). 421 Exemplarisch: Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204); siehe auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 96. 422 Vgl. dazu im Dieselskandal: Heese, NJW 2021, 887 (889 f.). Andeutungsweise: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 97. 423 Ausgeklammert wird die Anwendbarkeit des Versäumnisurteils, welches für die Verbraucher bei nachlässiger Prozessführung problematisch sein kann (vgl. de Lind
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rensbeendigung um eine Disposition über den Streitgegenstand handelt,424 sind auch in diesem Punkt Auswirkungen der Klage durch einen Rechtsfremden zu erwarten. a) Verzicht und Anerkenntnis Die Möglichkeit eines Verzichts der qualifizierten Einrichtung nach § 306 ZPO besteht gemäß § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO im Musterfeststellungsverfahren ausdrücklich nicht,425 die parteiliche Dispositionsbefugnis ist insoweit eingeschränkt.426 Dieser Ausschluss sichert die Anmelder vor einer Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition.427 Eine solche Absicherung ist bei einem Anerkenntnis nicht notwendig, denn dieses kann immer nur vom Beklagten abgegeben werden.428 Folgerichtig schließt § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO auch § 307 ZPO nicht aus.429 Sofern teilweise Stimmen für einen Ausschluss plädieren, erfolgt dies auf der Grundlage einer abzulehnenden Widerklagebefugnis.430 Einschränkungen der Dispositionsbefugnis sind auf Beklagtenseite daher insoweit nicht vorhanden,431 weshalb ein Anerkenntnis im Rahmen der Dispositionsbefugnis der Parteien möglich ist.432 Eine Grenze ergibt sich allerdings für den Fall eines auf Entscheidung einer reinen Rechtsfrage gerichteten Feststellungsziels.433 Infolge mangelnder Dispositionsbefugnis über reine Rechtsfragen kann ein Anerkenntnis insoweit nicht zugelassen werden.434 van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 102 ff.). Mangels abweichender Anhaltspunkte ist von der Anwendbarkeit auszugehen. Dafür auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12). 424 Vgl. Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 76, Rn. 3, 8. 425 BT-Drs. 19/2507, S. 26; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 63. Eine Ausdehnung auf die Klagerücknahme scheidet aus: Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (244). 426 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12). 427 Siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 25; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 16. Missbrauchsschutz gegenüber Einflussnahme des Beklagten: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 65. 428 Elzer, in: BeckOKZPO, § 307, Rn. 4; Huber, JuS 2008, 313 (313). 429 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 16; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 173; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 69. Windau, jM 2019, 404 (409) möchte den Zeitpunkt des Anerkenntnisses verschieben, damit dieses nicht vor den Anmeldungen erfolgt. So auch Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 69. Allerdings beträfe eine Analogie zu § 555 Abs. 3 ZPO nicht den zeitlichen Aspekt. 430 Vgl. de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 107 ff. Ein Anerkenntnis ist durch den Beklagten und den Widerbeklagten möglich: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 307, Rn. 1. 431 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 12. 432 Vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, Vor § 306, 307, Rn. 5; Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 307, Rn. 5. 433 Ausführlich zur Zulässigkeit: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 107 f. 434 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 110. Vgl. auch für das KapMuG: Kotschy, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 11, Rn. 26. Zur Dispositions-
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b) Klagerücknahme und Erledigungserklärung Auch für Klagerücknahmen und (beiderseitige) Erledigungserklärungen finden sich in den §§ 606 ff. ZPO weder spezielle Sonderregelungen, noch ordnet § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO einen Ausschluss an.435 Da keine den § 13 Abs. 4, 5 und § 15 KapMuG entsprechenden Regelungen existieren,436 kommt § 269 ZPO zur Anwendung,437 ebenso ist eine Erledigungserklärung (vgl. § 91a ZPO) nicht ausgeschlossen. Für die Anwendung der allgemeinen Regelungen spricht zudem die Existenz des § 610 Abs. 1 S. 2 ZPO, der den Wegfall der Rechtshängigkeitssperre der Musterfeststellungsklage in solchen Fällen normiert, in denen keine Entscheidung ergeht.438 Diese Norm setzt mithin voraus, dass die Klage ebenfalls durch Rücknahme oder Erledigungserklärung beendet werden kann.439 Nicht zu überzeugen vermag es daher, aus der Struktur der §§ 606 ff. ZPO einen Ausschluss der Dispositionsbefugnis des Klägers abzuleiten.440 Der Verzicht im Sinne des § 306 ZPO hat gänzlich andere Wirkungen als eine Klagerücknahme.441 Überzeugender ist somit die Annahme einer Zulässigkeit der Klagerücknahme. Für die Verbraucher bleibt eine eigene Rechtsverfolgung trotzdem möglich442 und sie profitieren – infolge des § 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 S. 1 BGB – von der Verjährungshemmung der Musterfeststellungsklage.443
freiheit als Grenze des Anerkenntnisses: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 307, Rn. 37. 435 Die Gesetzesbegründung erwähnt die Möglichkeit einer Rücknahme und übereinstimmenden Erledigung ausdrücklich: BT-Drs. 19/2507, S. 26. Siehe auch zu den bekanntzumachenden Vorgängen: BT-Drs. 19/2741, S. 25. Für die Anwendbarkeit der Klagerücknahme: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8. 436 Ausführlich zu diesen: Kruis, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 13, Rn. 23 ff. 437 Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 15; Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (244). Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 15: Eine Anwendung der Regelungen des KapMuG kommt nicht in Betracht, da sich das Vorlageverfahren von der Musterfeststellungsklage unterscheidet; so auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13). Siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 8; siehe auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148. 438 So auch das Verständnis der Gesetzesbegründung: BT-Drs. 19/2507, S. 26. 439 Hierauf weist de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 50 hin. Vgl. auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148, die auf die Möglichkeit einer neuen Musterfeststellungsklage verweist. Siehe auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 3; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 19. 440 Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (244). Zu dieser Ansicht hingegen: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 18, unter Verweis auf das KapMuG. 441 Siehe nur: Fölsch, DAR-Extra 2018, 736 (737). 442 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12); Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 64 weist entsprechend auf § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO hin. 443 Hierauf weist auch Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 15 hin. Ebenso: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 51.
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Teilweise wird vertreten, dass eine „Teilrücknahme“ – gemeint ist damit die Rücknahme nur einzelner Feststellungsziele – nur nach einer gerichtlichen Sachdienlichkeitsprüfung (§ 263 Alt. 2 ZPO) möglich sein soll.444 Auch diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen.445 In aller Regel handelt es sich hierbei um eine Klagerücknahme, da bei mehreren Feststellungszielen zusammen mit dem Lebenssachverhalt jeweils einzelne Streitgegenstände und damit eine objektive Klagehäufung vorliegen.446 Zum einen trifft das Gesetz – insoweit genügt es auf die Ausführungen zur Klageänderung zu verweisen447 – keine entsprechende Regelung zur Einführung eines Sachdienlichkeitskriteriums, zum anderen erscheint es nicht überzeugend, eine Rücknahme des gesamten Musterfeststellungsverfahrens für zulässig zu erachten und gleichzeitig unter Berufung auf die Schutzwürdigkeit der Anmelder die Rücknahme einzelner Feststellungsziele zu beschränken.448 Da die Wirkungen einer vollständigen Klagerücknahme für die Rechtsverfolgung der Verbraucher zumeist deutlich einschneidender wären und für diese bei einer Teilrücknahme, durch die weitreichende Verjährungshemmung, ein ausreichender Schutz bestünde.449 Auch ergibt sich aus § 610 Abs. 4 ZPO keine Grundlage für eine gerichtliche Sachdienlichkeitsprüfung bei Klagerücknahmen.450 Weder enthält der Wortlaut hierfür einen Anhaltspunkt, noch lässt sich aus der Gesetzesbegründung eine derartige Zweckbestimmung ableiten.451 Entsprechend den soeben getätigten Ausführungen sprechen die besseren Argumente dafür eine übereinstimmende Klagerücknahme ebenfalls zuzulassen.452 Soweit für die übereinstimmende Erledigungserklärung ebenso eine gerichtliche Sachdienlichkeitsprüfung als zwingend angesehen wird,453 kann dies, da es auch hierfür keine gesetzliche Grundlage gibt, nicht überzeugen.454 Ebenso wenig ent-
444 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148 f., dies geht weiter als die von der h. M. vertretene „Kumulationstheorie“, zu dieser: Greger, in: Zöller, ZPO, § 264, Rn. 4a. 445 Für die Zulässigkeit einer „teilweisen“ Klagerücknahme auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 12. 446 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148. 447 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 2. a), dort insb. bb). 448 So aber: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148. 449 Erforderlich ist für die Verjährungshemmung nur, dass den Feststellungszielen und dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt, vgl. Grothe, in: MüKoBGB, § 204, Rn. 32. 450 So aber bei Rücknahme nur einzelner Anträge: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 18. 451 BT-Drs. 19/2507, S. 26; BT-Drs. 19/2741, S. 25. 452 de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 50 f.; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13). 453 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 149 f., für Fälle einer teilweise Erledigungserklärung. 454 Siehe auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 12.
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hält das Gesetz eine Grundlage für die Forderung nach dem tatsächlichen Eintritt eines erledigenden Ereignisses.455 Ferner wäre ein Ausschluss der einseitigen Erledigungserklärung nicht überzeugend, da es für diese, gerade unter Beachtung von Kostenfragen und dem Anspruch des Beklagten auf eine Entscheidung, ein sachliches Bedürfnis gibt.456 Speziell für die Musterfeststellungsklage ergeben sich aus der einseitigen Erledigungserklärung, über die allgemeinen Risiken der Prozessführung hinaus, keine gesteigerten Nachteile für die Anmelder. Eine Fehleinschätzung des Klägers bezüglich der Erledigung ist ein Risiko, welches bei einer Prozessführung durch Dritte akzeptiert werden muss. Selbst für den Fall eines tatsächlich fehlenden erledigenden Ereignisses ohne hilfsweise Aufrechterhaltung des ursprünglichen Klageantrags kommt es nur zur Abweisung der geänderten Klage.457 Eine Bindungswirkung nach § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO im Hinblick auf die Feststellungsziele zum Nachteil der Anmelder tritt in diesem Fall nicht ein.458 Sie verlieren lediglich die Möglichkeit einer kostengünstigen Klärung von Vorfragen ihrer angenommenen Ansprüche. c) Ergebnis zur Verfahrensbeendigung bei der Musterfeststellungsklage Am Ausschluss des Verzichts zeigt sich die Parteirollenverschiebung in Form des Anmelderschutzes. In den anderen Fällen der Verfahrensbeendigung wird die Dispositionsfreiheit nach der hier vertretenen Auslegung aufrechterhalten und werden damit die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung begrenzt. Die abweichenden Ansichten würden, über die Prüfung der Sachdienlichkeit oder einen Ausschluss prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten, zu einer Stärkung des Gerichts459 respektive des Verfahrenszwecks führen, welcher in einer unbedingten Fortführung des Verfahrens zur Erzielung eines Urteils und damit letztlich einer vom Willen der Partei unabhängigen Rechtsdurchsetzung bestünde.460 In diesem 455 Anders aber: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 18. Ablehnend auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 149 f. bei vollständiger Erledigungserklärung. 456 Siehe nur: Schulz, in: MüKoZPO, § 91a, Rn. 76. 457 Schulz, in: MüKoZPO, § 91a, Rn. 85; OLG Nürnberg, Urteil vom 09.11.1988, Az. 9 U 1682/88, NJW-RR 1989, 444 (444 f.). 458 Bei Fehlen des erledigenden Ereignisses muss anhand der Entscheidungsgründe ermittelt werden, ob Grund der Klageabweisung, die Unzulässigkeit, Unbegründetheit oder eine fehlende Erledigung der Klage war, vgl. Jaspersen, in: BeckOKZPO, § 91a, Rn. 81 m.w. N. 459 Vgl. Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (388). 460 Vgl. die Debatte um die Geltung tradierter Verfahrensgrundsätze bei Verbandsklagen nach AGBG und UWG: Leipold, Verbandsklage zum Schutz allgemeiner und breitgestreuter Interessen, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 57 (70 f.); siehe auch die Hinweise bei: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 173, 211, 215; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, § 306, Rn. 12. Vgl. auch für den kollektiven Rechtsschutz: Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (50).
280 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Fall würde das Interesse des prozessualen Dritten als schutzwürdiger gewichtet461 verglichen mit den Parteiinteressen, wodurch es zu einer Verschiebung zulasten der geltenden Dispositionsmaxime käme.
II. Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen der Parteirollenverschiebung Im Folgenden sollen die Erkenntnisse zur Parteirollenverschiebung unter den bereits angedeuteten Gesichtspunkten der Materialisierung und des Verhältnisses von Parteiherrschaft und Richtermacht in einen erweiterten Zusammenhang gestellt werden. 1. Fehlende Einfügung der prozessualen Materialisierung infolge der Musterfeststellungsklage in die Zivilprozessordnung Um eine Bewertung der Anpassung an das Gefüge der Zivilprozessordnung vornehmen zu können, soll untersucht werden, inwiefern die Parteirollenverschiebung und deren Konsequenzen Folge einer Materialisierung des Prozessrechts sind und inwiefern sich hieraus Folgewirkungen für die Waffengleichheit zwischen den Parteien ergeben. a) Materialisierung des Zivilprozessrechts durch die Musterfeststellungsklage Die Materialisierung des Prozessrechts wird vielfach als eine Entwicklung beschrieben, die zu einer Übertragung von Wertungen des materiellen Rechts in das Prozessrecht führt, mit der Folge der Begünstigung einer Partei.462 Das Prozessrecht soll also nicht mehr nur neutrales Verfahrensrecht sein, sondern zur Verwirklichung der Wertentscheidungen des materiellen Rechts beitragen.463 Weitergefasst und insbesondere gelöst von einer Fokussierung auf materiell-rechtliche Wertungen bietet es sich an, Materialisierung als einen Vorgang zu charakterisieren, der außerprozessrechtliche Aspekte und Bewertungen in das Prozessrecht überträgt, wodurch sich eine Abwendung von einem rein formalen Prozessver461
Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 148. So: Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (283). Dort auch ausführlich zu den Arten der Materialisierung (287 ff.). Hierzu auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 309 f. Kritisch: Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (70 ff.). Siehe zu möglichen Definitionsansätzen des Begriffes der Materialisierung: Kehrberger, Materialisierung, S. 19 ff. m.w. N. Zu möglichen prozessstrategischen Überlegungen der Verbraucher hinsichtlich Individualklagen: Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412 ff.). 463 Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (70). Siehe zum Begriff der Materialisierung im materiellen Recht: Canaris, AcP 200 (2000), 273 (276 ff.). 462
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ständnis vollzieht.464 Bislang war die Materialisierung speziell im Bereich des Verbraucherrechts in der ZPO legistisch nicht stark ausgeprägt.465 Hingegen zeigt sich die Materialisierung infolge der Musterfeststellungsklage bereits sehr deutlich in der grundsätzlichen Verfahrensarchitektur. Die Verfahrenseinleitung und die Prozessführung auf der Aktivseite liegen allein bei der qualifizierten Einrichtung.466 Anmeldebefugt sind nur Verbraucher im Sinne des prozessualen Verbraucherbegriffs nach § 29c Abs. 2 ZPO.467 Demnach erfolgt nur eine Interessenvertretung solcher Individuen, die sich in der Verbraucherrolle befinden. Nur deren subjektive Rechtsdurchsetzung kann mit diesem Instrument erleichtert werden, wodurch deren prozessrechtliche Handlungsoptionen erhöht werden.468 Für einen Unternehmer verbleibt nur die Möglichkeit einer Aussetzung nach § 148 Abs. 2 ZPO.469 Genau genommen, tritt keine Bevorzugung einer Partei ein, sondern eines außerhalb des Verfahrens stehenden Dritten. Hierdurch ist die Materialisierung auch unmittelbar mit der Parteirollenverschiebung verknüpft, da diese nur im Interesse von Verbrauchern erfolgen kann und hierin zugleich ihr Zweck begründet liegt.470 Der primäre Prozesszweck im Sinne einer subjektiven Rechtsdurchsetzung,471 erfährt eine Reduzierung allein auf Verbraucher. Insofern könnte auch von „Erwägungen eines materiellen Verständnisses von Waffengleichheit“ 472 gesprochen werden. Denn infolge einer angenommenen typisierten Schwäche der Verbraucher wird (nur) diesen die Möglichkeit gegeben, im Wege des kollektiven Rechtsschutzes ihre Interessen zur (erleichterten) Durchsetzung 464 So Kehrberger, Materialisierung, S. 40 ff., insb. S. 53 („policy implementing type des Prozessrechts“). Vgl. auch: Wagner, ZEuP 2008, 6 (13). 465 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 359, ablehnend dazu: ebenda, S. 409. Allg.: Wagner, ZEuP 2008, 6 (13, 17). Einen Überblick zu Ansätzen der Materialisierung des Zivilprozesses bietet: Kehrberger, Materialisierung, S. 80 ff. Für eine Materialisierung des Prozessrechts im Interesse des Verbraucherschutzes: Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, S. 89 f., 107, 119. 466 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 26. Schon die Bekanntmachung im Klageregister nach § 607 Abs. 2 S. 1 ZPO erfordert Nachweise über die Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 4, Rn. 19. 467 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (26). Der prozessuale Verbraucherbegriff ist gesondert vom materiell-rechtlichen Verbraucherbegriff (§ 13 BGB) und tritt neben diesen; ausführlich zu Ersterem: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 29c ZPO, Rn. 2 ff. Üblicherweise ist das subjektive Recht im Zivilprozess relevant, nicht aber die betreffenden Personen. Diese sind nur in Bezug auf das subjektive Recht relevant: Costede, Parteilehre, in: Liber Amicorum Henckel, S. 33 (33). Vgl. auch Kehrberger, Materialisierung, S. 135 f., der ebenfalls in der Verbraucherprivilegierung einen Ausdruck der Materialisierung erblickt. 468 Vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 70 ff.: „Verbraucherwahlrecht“. 469 Siehe nur: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 47. 470 So bereits die Zwecksetzung des Verfahrens, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 1, 15. 471 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. III. 472 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 309.
282 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
mittels eines Intermediärs zu bündeln.473 Dies widerspricht der tradierten Auffassung, dass im Rahmen der ZPO die Durchsetzung aller subjektiven Rechte ermöglicht werden soll.474 Ferner ergibt sich eine Abweichung zur Grundkonzeption der ZPO als einheitliches Prozessrecht für alle Arten von Verfahrensgegenständen.475 Insoweit kommt es zu einer personalen „Fragmentierung“ 476 des Prozessrechts. Weshalb es sich anbietet von einer Materialisierung im Sinne eines Abweichens von prozessualen Grundsätzen als Konsequenz materiellen Einflusses zu sprechen,477 da auf der Aktivseite eine exklusive Interessenvertretung anhand einer Rollenzuschreibung erfolgt. Konsequenter zum Schutz des Verbraucherrechts und folgerichtiger, wenn man die Wertungen des materiellen Rechts auf das Prozessrecht übertragen wollte, wäre jedoch eine Bezugnahme auf die Verbraucherschutzgesetze, also eine sektorale Begrenzung gewesen.478 Eine abstrakte Schwäche von Personen in der durch § 29c Abs. 2 ZPO definierten Verbraucherrolle für das gesamte Zivilrecht lässt sich aber aus dem materiellen Recht nicht ableiten. Die dortigen Verbraucherschutzvorschriften knüpfen zumindest an einen Vertragstyp oder eine Abschlusssituation an.479 Somit dürfte die
473 Vgl. hierzu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 316, 340 ff.: Die schwächere Partei solle privilegiert werden und auf diesem Wege auf Augenhöhe der anderen Partei begegnen können. Vgl. zur negativen Ausschlussfunktion des Verbraucherbegriffs: Canaris, AcP 200 (2000), 273 (360). 474 Vgl. hierzu: Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (284 f.). 475 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 403, 407. Eine Differenzierung anhand des Verbraucherrechts führt zu einer „Zweispurigkeit der Prozessordnung“ und gefährdet damit die Rechtssicherheit, die ein Aspekt des Rechtsstaatsprinzips ist: ebenda, S. 401, insb. hinsichtlich der Verhandlungsmaxime. 476 Hierauf weist Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (283) hin. Ausdrücklich unter Bezugnahme auf Verbrauchergerichtsstände: ebenda, (290 f.) Für eine Transposition der Begrenzungen der Vertragsfreiheit in das Zivilprozessrecht verwendet Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 339 den Ausdruck „prozessuale[r] Sektoralisierung“. Auch Balke/ Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328) m.w. N. weisen darauf hin, dass das Gesetz allein die Geschädigtenperspektive aufgreift. 477 Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (285). In den Verbandsunterlassungsklagen erblickt er, auch aufgrund des Standortes in Sondergesetzen, nur einen „Funktionszuwachs des Zivilprozesses“ (ebenda (289)). In der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen sieht er aber ein Sonderprozessrecht (ebenda (289 f.)). Vgl. zur Ausrichtung des Prozessrechts am materiellen Recht infolge Materialisierung: Wagner, ZEuP 2008, 6 (18). 478 Eine entsprechende Begrenzung findet sich in § 2 Abs. 2 UKlaG. Hierauf weist Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (75) hin. 479 Vgl. Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (76); siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 315 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273 (343 ff., insb. 346, 348 f., 352). Auf die Unterschiede zu § 29c Abs. 2 ZPO weisen Koch/Friebel, GPR 2019, 280 (282 f.) hin; vgl. zum Unterschied zwischen der Verbraucherrolle bei Vertragsschluss und einem allgemeinen Rollenver-
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Orientierung an der Verbraucherrolle Ergebnis einer politischen Wertungsentscheidung sein,480 bei welcher der Gesetzgeber von einem Rechtsdurchsetzungsdefizit bei Personen, die die Rollenbeschreibung des § 29c Abs. 2 ZPO erfüllen, ausgeht und diesen eine „strukturelle Unterlegenheit“ 481 zuschreibt. Eine konkrete Abstimmung mit dem materiellen Recht zur Erzielung einer Wertungskohärenz, wie sie einer konsequenten Materialisierung im Sinne des ersten obigen Begründungsansatzes entspräche, ist aber nicht erfolgt. Anders kann der Hinweis auf die verbesserte Durchsetzung bei Streuschäden in der Gesetzesbegründung unter diesem Gesichtspunkt kaum verstanden werden.482 Die oben erfolgte Betrachtung der prozessualen Defizite bei Streu- und Massenschäden483 hat aber gezeigt, dass es sich bei deren prozessual zu bewältigenden Problemstellungen entweder um Folgewirkungen einer niedrigen Schadenshöhe (Streuschäden) oder einer großen Klageaktivität (Massenschäden) handelt. Eine tendenzielle Korrelation mit der Verbraucherrolle kann zwar bei niedrigen Schäden angenommen werden, ein Zusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non bedeutet das aber nicht, noch weniger kann dies für Massenschäden Geltung beanspruchen.484 Eine überzeugende Begründung – insbesondere im Hinblick auf die Typisierung der Schutzwürdigkeit485 – für die subjektive Beschränkung des Rechtsinstruments und des damit verbundenen Eingriffs in die ZPO ergibt sich somit nicht.486
ständnis: Mohr, AcP 204 (2004), 660 (674, 676 f.). Vgl. für die ZPO die Anknüpfung an Haustürgeschäfte in § 29c Abs. 1 ZPO. 480 Der Verbraucherbegriff sei für die typische Gefährdung nur von verminderter Bedeutung: Canaris, AcP 200 (2000), 273 (359). Kritisch zur Beschränkung auf Verbraucher: Augenhofer, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 4; Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 6. DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 9. 481 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 310 zum Schutz des Schwächeren, die eine Linie zu den sozialen Prozessauffassungen zieht. Kritisch zum Rekurs auf wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse für die Bewertung des Rechtsschutzanliegens: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (8). 482 Vgl. die Ausführungen des Gesetzgebers in: BT-Drs. 19/2507, S. 13 f. 483 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. Diese Schadensarten können nicht nur Verbraucher betreffen, vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1327). 484 Meller-Hannich, NJW-Beilage 2018, 29 (30): Streu- und Massenschäden betreffen nicht nur Verbraucher. Siehe auch: Koch, MDR 2018, 1409 (1415). Auf den fehlenden Zusammenhang zwischen Massenschäden und der Verbrauchereigenschaft weist auch DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 7 hin. Kritisch auch: Scholl, ZfPW 2019, 317 (338 f.). 485 Die Typisierung kann die tatsächliche Schutzwürdigkeit nicht sachgerecht erfassen: Mohr, AcP 204 (2004), 660 (680). Vgl. zur Musterfeststellungsklage nur die Beispiele bei: Halfmeier, ZRP 2017, 201 (202). 486 Kritisch zu einem „rollentypischen Verbraucherschutzprozessrecht“: Althammer, Mindeststandards und zentrale Verfahrensgrundsätze, in: Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, S. 3 (22). Dazu auch: Roth, JZ 2014, 801 (807) sowie Roth, ZfPW 2017, 129 (147).
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Die Materialisierung zeigt sich spiegelbildlich auch auf der Beklagtenseite. Auf dieser kann nur ein Unternehmer im Sinne des § 14 BGB stehen,487 was eine erhebliche Anzahl von möglichen Beklagten ausschließt, obwohl bei diesen ebenfalls weitreichende Schadensereignisse eintreten können. Zu denken wäre nur an zivilrechtliche Klagen gegen die öffentliche Hand.488 Auch hier dürfte das materiell-rechtliche Gegenpaar Verbraucher-Unternehmer Vorbild gewesen sein. Eine wesentlich andere Wertung wäre auch dann nicht angezeigt, wenn mit dem OLG München davon ausgegangen würde, dass die Klage auch gegen einen Nichtunternehmer gerichtet werden kann, denn dann müssen zumindest die Feststellungsziele nach dem Wortlaut des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO gegenüber einem Unternehmer bestehen.489 Die in subjektiver Hinsicht nur selektiv gewährte Möglichkeit zur erleichterten Rechtsdurchsetzung ist somit ein, im Hinblick auf die durch die ZPO üblicherweise universell gewährte Rechtsdurchsetzung, erheblicher Materialisierungsschritt. Zugleich begrenzt dies die Reichweite der möglichen Parteirollenverschiebung. Von anderer Seite wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Materialisierung des Prozessrechts in einem tendenziell schwierigen Verhältnis zur prozessualen Waffengleichheit steht.490 Bevor hierauf näher eingegangen wird, sei jedoch angemerkt, dass die (vermeintliche) Wertungskohärenz zum materiellen Recht nicht auf die Neutralität des Verfahrensrechts durchschlagen sollte, da dies die Fairness des Verfahrens gefährdet,491 weitergehend steht die prozessuale Fragmentierung im Widerspruch zu den dem Prozessrecht eigenen Wertungssphären sowie der durch ein einheitliches Prozessrecht gewährleisteten Rechtssicherheit.492
487
Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 3. Vgl. Schneider, BB 2018, 1986 (1989). 489 Nach OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 35 ff. bestimmt § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO nur den Verfahrensgegenstand, nicht aber die Parteien; der Unternehmerbezug folge erst aus der Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO). Bei fehlendem Unternehmerbezug mangele es am Rechtsschutzbedürfnis. Beklagter war jedoch der Insolvenzverwalter des Unternehmensvermögens, sodass es sich um eine Sonderkonstellation handeln dürfte, vgl. ebenda, Rn. 58 ff. Zur Unternehmereigenschaft des Beklagten auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (21). Weitergehend zu Sonderkonstellationen hingegen: Röthemeyer, BKR 2021, 191 (194). 490 Vgl. nur: Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (283, 285, 291, 296); Heinze, JZ 2011, 709 (716). Siehe auch die Nachweise bei: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 407. 491 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 397, 403. Materielle Ungleichgewichtslagen sollten im materiellen Recht ausgeglichen werden: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 178; dazu auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 424. 492 Vgl. zum Sonderprozessrecht: Roth, JZ 2014, 801 (807). 488
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b) Rückwirkungen der Parteirollenverschiebung auf das materielle Recht Neben der oben erwähnten „Fragmentierung“ des Prozessrechts ergibt sich aus der fehlenden Parteistellung des Anmelders im Verfahren eine Bruchlinie zum materiellen Recht, sofern die prozessuale Parteistellung des Individuums als Folge der im materiellen Recht omnipräsenten „Subjektstellung des Individuums“ 493 begriffen wird. Zur erleichterten Durchsetzung des Individualrechts verzichtet der Anmelder somit auf die Parteistellung zugunsten einer Interessenbündelung in den Händen eines Intermediärs, wodurch sich seine materiell-rechtliche Subjektstellung im Prozess nicht mehr offensichtlich widerspiegelt. Die Parteirollenverschiebung kann sich aber daneben auch auf die Ermittlung des materiellen Rechts auswirken. Gerade die herausgearbeiteten Schwierigkeiten infolge der Sachverhaltsferne der qualifizierten Einrichtung als Folgen der Parteirollenverschiebung führen zu Problemen im Rahmen der Tatsachenermittlung und der Beweisführung.494 Zur Erreichung der Zwecke des materiellen Rechts bedarf es jedoch prozessualer Mittel, um eine tatsächliche Rechtsdurchsetzung zu erreichen.495 Das Prozessrecht wird in seinem Verhältnis zum materiellen Recht als dienendes Recht qualifiziert, es bietet den Rahmen der Durchsetzung des materiellen Rechts.496 Hier entsteht aber ein gewisser Zielkonflikt. Einerseits soll der kollektive Rechtsschutz dem materiellen Recht zur Durchsetzung verhelfen. Dadurch aber, dass die Parteirollenverschiebung mit ihren Auswirkungen auf die Substantiierungs- und Darlegungslast sowie die Beweiserhebung die Ermittlung und den Beweis der Tatsachengrundlage berührt, wirkt sie wiederum auf das materielle Recht zurück.497 Das materielle Recht kann sich nur dann durchsetzen, wenn der Sachverhalt auch korrekt ermittelt wurde; ein unzureichend ermittelter Sachverhalt hingegen bewirkt eine Entscheidung, die mit der materiellen Rechts-
493 Stürner, Verfahrensrecht und materielle Gerechtigkeit, in: Liber Amicorum Henckel, S. 359 (372). Zum allgemeinen Verhältnis von Prozessrecht und materiellem Recht: Prütting, Prozessrecht und materielles Recht, in: Liber Amicorum Henckel, S. 261 (261 ff.) m.w. N. 494 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 4. und 5. 495 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 13; Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (26 f.) m.w. N.: Effektiver Rechtsschutz erfordere gerade auch die Ermittlung der tatsächlichen Rechtsgrundlagen. 496 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 11; Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (476, 481); siehe auch: Wagner, ZEuP 2008, 6 (13); speziell für das europäisch vereinheitliche Privatrecht: Wagner, ZEuP 2001, 441 (443). 497 Auf den erheblichen Eingriff der sich als Folgewirkung des kollektiven Rechtsschutzes für das materielle Recht ergeben kann, weist Stürner, Verfahrensrecht und materielle Gerechtigkeit, in: Liber Amicorum Henckel, S. 359 (370 f.) hin. Zu Massenschäden und deren Schwierigkeiten bei Bewältigung im Zivilprozess: Zöllner, AcP 190 (1990), 471 (494 f.).
286 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
lage nicht kongruent ist.498 Eine Verbesserung der Durchsetzung des materiellen Rechts erscheint damit zumindest fraglich. Sachverhaltsentfremdungen sind schließlich zur tatsächlichen Verwirklichung des materiellen Rechts weitestgehend zu vermeiden. Die aus dem kollektiven Rechtsschutz in Gestalt der Musterfeststellungsklage resultierende Parteirollenverschiebung, welche zusätzlich potenziert wird durch die personale Breitenwirkung des Verfahrens mit den Konsequenzen einer erschwerten Sachverhaltsermittlung, sind somit geeignet, die Durchsetzung subjektiver Rechte sowie die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung nachteilig zu beeinflussen.499 Aufgrund des Abstraktionsgrades der Feststellungsziele dürfte sich diese Problematik abhängig vom Gegenstand und dem zugrunde liegenden Sachverhalt zwar nicht immer allzu deutlich auswirken. Die Schwierigkeiten der umfassenden Sachverhaltsermittlung sollten trotzdem nicht ignoriert werden und dürften speziell bei einer zukünftigen kollektiven Leistungsklage virulent werden. Infolge der Parteirollenverschiebung können sich somit Rückwirkungen auf die Verwirklichung des materiellen Rechts ergeben. An dieser Stelle erscheint auch die nochmalige Betonung, einer im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nur für materielle Rechte von Verbrauchern im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO gewährten Rechtsdurchsetzung angezeigt. c) Folgewirkungen für die Waffengleichheit der Parteien Wie gezeigt werden konnte, ergibt sich infolge der Parteirollenverschiebung und der ausschließlichen Rollenzuweisung auf der Passivseite eine formell ungünstigere Position des Beklagten. Dies beinhaltet Implikationen für die grundrechtlich abgesicherte,500 jedenfalls aber allgemein anerkannte501 Waffengleich498
Wagner, ZEuP 2001, 441 (470). Zu dieser Problematik anhand des Beweisrechts: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 13 f. 499 Die Durchsetzung subjektiver Rechte dient zugleich der Bewehrung der objektiven Rechtsordnung: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1, Rn. 16. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Justizgewährung, effektiven Rechtsschutz und der Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen: Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 (307 f.). Anders die Bewertung bei: Voit, Sammelklagen, S. 85. 500 Vgl. die möglichen Begründungsansätze bei: Schack, ZZP 129 (2016), 393 (395 ff.), der diese als Prozessmaxime und bei Überschneidung mit Art. 103 Abs. 1 GG als Prozessgrundrecht ansieht, Schack, ZZP 129 (2016), 393 (415). Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (504, 508) leitet sie aus Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ab. Im Hinblick auf die formellen Parteistellungen geht er von der Geltung als Prozessmaxime aus, vgl. ebenda (519). Außerdem kommt Art. 6 Abs. 1 EMRK als Rechtsgrundlage in Betracht, vgl. Kwaschik, Parteivernehmung, S. 112, 115. Für eine Ableitung aus Art. 3 Abs. 1 GG: Jung, Grundsatz der Waffengleichheit, S. 81 ff., insb. S. 87; zum Sozialstaatsprinzip als Grundlage: ebenda, S. 87 ff., insb. S. 89. Die Judikatur des BVerfG bezieht sich auf Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 GG (und Art. 103 Abs. 1 GG): BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 (156); BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980, Az. 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79; BVerfGE 55, 72 (94); BVerfG, Beschluss vom 30.01.1985, Az. 1 BvR 99/84, BVerfGE 69, 126 (140).
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heit im Zivilprozess, welche die Gewährleistung gleichwertiger Stellungen der Parteien, mit der Möglichkeit Entscheidungserhebliches vorzutragen und selbstständig Verteidigungsmittel vorzubringen, umfasst.502 Eine herausgehobene Bedeutung nimmt hierbei die Möglichkeit zur Einführung von Beweismitteln und die Stoffsammlung ein.503 Das Recht auf Beweis ist außerdem vom Justizgewährleistungsanspruch umfasst.504 Auch bislang war die Beweisführung einer der wichtigsten Bereiche der prozessualen Waffengleichheit, was sich in der Judikatur zum Arzthaftungsrecht deutlich zeigt.505 Außerdem ergibt sich für die ZPO unter dem Einfluss des EGMR auch für das Verhältnis zwischen Zeugenbeweis und nur subsidiärer Parteivernehmung (Konstellation der „Vieraugengespräche“), dass es allein aus formalen Gründen einer Partei nicht verwehrt sein darf, ihr einziges Beweismittel zu nutzen.506 Formell nachteilige Aspekte, wie die Parteirollenverschiebung, müssen also unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit
501 Vgl. nur die Übersicht zur Rspr. des BGH bei: Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (508 ff.). Zu Nachweisen im Schrifttum, siehe: ebenda (515 ff.) Ausführlich: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 87 ff. 502 Ausführliche Definition bei: BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/ 74, BVerfGE 52, 131 (156); Schack, ZZP 129 (2016), 393 (405); Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (508, 515); vgl. auch: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 178 f., 181 zur Anwendung der „neuen Formel“ des BVerfG. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328) weisen im Hinblick auf die Ausgestaltung allein aus Verbrauchersicht auf die Waffengleichheit hin. Nach Kwaschik, Parteivernehmung, S. 93, 110 ist die formell gleiche Mitwirkungsmöglichkeit der Parteien ein Grundkonsens in Literatur und Rechtsprechung. 503 Stürner, Grundsatz der Gleichheit der Parteien, in: Festschrift Gottwald, S. 631 (637 f.). Zwar sollen aus der Waffengleichheit keine über das geltende Beweisrecht hinausgehenden verfassungsrechtlichen Verpflichtungen folgen (Benda/Weber, Einfluß der Verfassung im Prozeßrecht, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 1 (20) m.w. N. zur Rspr.). Hier handelt es sich aber um verfahrensimmanente Konsequenzen und eine dadurch veränderte Risikoverteilung, insbesondere werden auch die Regelungen der ZPO beibehalten und es muss die „Rechtsanwendungsgleichheit“ (BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 (147)) berücksichtigt werden. 504 Kwaschik, Parteivernehmung, S. 33 f. m.w. N.; Habscheid, ZZP 96 (1983), 306 (308). 505 Typischerweise ergeben sich für den Patienten erhebliche Beweisschwierigkeiten. Siehe nur: BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/74, NJW 1979, 1925 (1927); ausführlich: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 378 ff., insb. S. 379 f.; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 270 f., 345 ff. 506 Schack, ZZP 129 (2016), 393 (406 f.) dort auch zu möglichen Lösungsansätzen. Zur Beweisfälligkeit einer Partei bei fehlender Zeugeneigenschaft und nur subsidiärer Parteivernehmung: EGMR, Urteil vom 27.10.1993, Az. 37/1992/382/460, NJW 1995, 1413 (1414 f.); BGH, Urteil vom 16.07.1998, Az. I ZR 32/96, NJW 1999, 363 (364); BGH, Urteil vom 09.10.1997, Az. IX ZR 269/96, NJW 1998, 306 (306 f.). Siehe auch: Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (181); Stürner, Grundsatz der Gleichheit der Parteien, in: Festschrift Gottwald, S. 631 (638).
288 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
ausgeglichen werden.507 Als entscheidend für den Ausgleich der Folgen der Parteirollenverschiebung haben sich im Rahmen der bisherigen Betrachtungen zum einen die richterlichen Befugnisse der §§ 142 und 144 ZPO508 und zum anderen die Möglichkeiten der richterlichen Beweiswürdigung herauskristallisiert. Da die Parteirollenverschiebung bereits die gleichwertige Stellung der Parteien vor dem Gericht betrifft, bedarf es keiner näheren Thematisierung der Frage, inwiefern das Gericht weitergehend angehalten ist, auch faktische, externe Nachteile einer Partei auszugleichen.509 Das Gericht muss daher bei der Anwendung der Prozessnormen und seiner Verfahrensführung die formelle Ungleichheit der Parteien infolge der Parteirollenverschiebung berücksichtigen.510 Zwar können auch die Parteien zur Erreichung der prozessualen Waffengleichheit herangezogen werden, was sich insbesondere aus der Einführung der §§ 141 ff. ZPO ergibt,511 sie sind aber nicht Verpflichtete.512 Prinzipien wie der Grundsatz der Waffengleichheit verpflichten das Gericht und bewirken dadurch eine Ermessenslenkung bei Ermessenstatbeständen. Auch können Konkretisierungsmaßstäbe bei Wertungsund Beurteilungsspielräumen aus dem Grundsatz der Waffengleichheit abgeleitet und durch diesen bedingt werden. Nur so kann abgesichert werden, dass die Parteien auch die gleiche Möglichkeit einer Ausübung ihrer prozessualen Rechte haben.513 Dies kann schon daher Geltung beanspruchen, weil die Gewährleistung
507 Die Rechtsprechung des EGMR verlangt einen „substanziellen Nachteil“, dazu: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 222 f. Vgl. dazu auch: Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 39 ff. 508 Völzmann-Stickelbrock, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 26.06.2007, Az. XI ZR 277/05, ZZP 120 (2007), 512 (524) für eine Anwendung des § 142 ZPO insbesondere zur Herstellung der Waffengleichheit. Vgl. auch: Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (170): §§ 142, 144 ZPO sie seien eine Abhilfemöglichkeit für ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Beweis bei substantiiert bezeichneten Beweismitteln. Siehe auch: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 186 f., zu § 142 ZPO im Verhältnis zur richterlichen Neutralität. 509 Vgl. zur formellen Gleichheit als „Kernbereich“ und Fragen externer Ungleichgewichtslagen: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 269 ff. m.w. N. Hier folgen die Fragestellungen aus der verfahrensimmanenten Parteirollenverschiebung und damit aus der Prozessstellung. Nach Kwaschik, Parteivernehmung, S. 190 könnte insofern von den Ausgangsbedingungen und damit einer materiellen Ungleichgewichtslage ausgegangen werden, allerdings handelt es sich um eine rein prozessuale Ausgangsbedingung, weshalb nur die formelle Gleichheit betroffen ist. Allg. zum Meinungsstand: Jung, Grundsatz der Waffengleichheit, S. 101 ff. 510 Zum Richter als Adressat: Schack, ZZP 129 (2016), 393 (400 f.). 511 Vgl. Schack, ZZP 129 (2016), 393 (401 f.). Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (181): Die Erleichterung des Beibringungsgrundsatzes zugunsten einer Partei kann auch die Waffengleichheit verletzen. 512 Kwaschik, Parteivernehmung, S. 200, grundrechtliche Herleitung führt zur Anwendung von Art. 1 Abs. 3 GG. 513 Vgl. hierzu: Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (517 f.); Kwaschik, Parteivernehmung, S. 166 ff.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 125 f. Ausführlich zur richterlichen Aktivität zur Herstellung von Waffen-
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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gleicher Stellungen der Parteien im Zivilprozess als Mindestgehalt der Waffengleichheit weitgehende Anerkennung erfährt.514 Die Absicherung der prozessualen Waffengleichheit muss dementsprechend durch die Befugnisse des Gerichts im Rahmen der materiellen Prozessleitung erfolgen,515 also im Rahmen der Musterfeststellungsklage insbesondere durch die §§ 142, 144 und 610 Abs. 4 ZPO. Soweit das Gericht auf diesem Wege die prozessuale Waffengleichheit herstellt, kann ihm auch nicht der Vorwurf fehlender Neutralität entgegengehalten werden, da sein Handeln erst die Grundlage der gleichwertigen formellen Parteistellungen schafft.516 Die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die prozessuale Waffengleichheit bewirken somit im Rahmen der Musterfeststellungsklage eine verstärkte Anwendung der gerichtlichen materiellen Prozessleitungsbefugnisse. Die prozessuale Waffengleichheit sichert auch die Erhebung einer Widerklage ab.517 Den Nachteil des Beklagten, der infolge der Unzulässigkeit der Widerklage nicht zum selbstständigen Gegenangriff übergehen kann und insoweit in der Waffengleichheit betroffen ist,518 kann das Gericht allerdings nicht ausgleichen. § 610 Abs. 4 ZPO soll zwar eine aktive Verfahrensgestaltung, auch durch Anregung von Sachanträgen, ermöglichen, eine konkrete Befugnis ist hiermit aber nicht verknüpft.519 Insbesondere hat der Unternehmer keine Möglichkeit, Feststellungsziele einzuführen, er kann nur eine passive Verfahrensrolle einnehmen. Für die Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen mit Breitenwirkung im Sinne des § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO bleibt er auf das Folgeverfahren
gleichheit: Jung, Grundsatz der Waffengleichheit, S. 144 ff., insb. S. 177 ff. zur Anwendung der §§ 139 ff. ZPO 514 Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (516 f.). Bei der Musterfeststellungsklage handelt es sich nicht um eine Situation außerprozessualer materieller Ungleichheit, sondern eine Ungleichheit der verfahrensimmanenten Stellungen. 515 Darauf weist schon Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (512 f.) hin. Siehe auch: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 198 f. 516 Vgl. hierzu: Vollkommer, Grundsatz der Waffengleichheit, in: Festschrift Schwab, S. 503 (520). An der Aufrechterhaltung von Ungleichgewichtslagen habe die andere Partei kein schutzwürdiges Interesse. Siehe auch: Kwaschik, Parteivernehmung, S. 191 f., 206 f.; Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 19 ff. 517 Vgl. für die isolierte Widerklage: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 130 m.w. N. Außerdem gilt dies zumindest, wenn mit der Klage des Klägers (Widerbeklagten) nur eine Teilforderung geltend gemacht wird, vgl. Stürner, Grundsatz der Gleichheit der Parteien, in: Festschrift Gottwald, S. 631 (637); Kwaschik, Parteivernehmung, S. 103; BGH, Urteil vom 13.05.1996, Az. II ZR 275/94, BGHZ 132, 390 (399). Die Erhebung nur eines Teils der möglichen Feststellungsziele ist mit dieser Situation vergleichbar. 518 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 226 f. Vgl. zum Zusammenhang von Waffengleichheit und Widerklage: Schack, ZZP 129 (2016), 393 (410 f.). Schneider, BB 2018, 1986 (1990) sieht die Waffengleichheit durch die fehlende Möglichkeit Feststellungsziele einzuführen als beeinträchtigt an. 519 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 3., dort insb. b).
290 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
verwiesen.520 Die Klärung solcher Aspekte in Einzelverfahren widerspricht jedoch dem postulierten Effizienzgedanken.521 Im Ergebnis ist somit punktuelle gerichtliche Abhilfe zur Wahrung der Waffengleichheit möglich und sogar geboten, sie wird aber aufgrund der fehlenden Einbeziehung des Anmelders in das Musterfeststellungsverfahren einen vollständigen Nachteilsausgleich nur schwer erreichen können. Umfassende Abhilfe kann hier nur eine gesetzliche Lösung bewirken.522 2. Fehlende Anpassung an die Parteirollenverschiebung als Grundlage gesteigerter Richtermacht Die fehlende Abstimmung der ZPO im Hinblick auf die Parteirollenverschiebung der Musterfeststellungsklage hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis der Parteien zum Gericht, da die gerichtlichen Befugnisse bisweilen eine deutliche Aufwertung in der Notwendigkeit ihrer Anwendung erfahren. a) Auswirkungen auf das Verhältnis von Richtermacht und Verhandlungsgrundsatz Die Verhandlungsmaxime (Beibringungsgrundsatz) fordert von den Parteien die Beibringung der Tatsachen und Beweismittel für das Verfahren.523 Neben der Problematik um die Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO wirkt auf die Verhandlungsmaxime vor allem die herausgearbeitete situative Notwendigkeit gerichtlicher Beweisvorlageanordnungen ein.524 Eine Tangierung der Verhandlungsmaxime ergibt sich somit aus der herausgestellten gesteigerten Bedeutung der richterlichen Aktivität unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit. Denn diese erfordert gerade gerichtliches Handeln und führt dadurch zu einem Eingriff 520 Damit verdoppelt sich sein Prozesskostenrisiko, vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 227 f. 521 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 228. Vgl. auch: Hettenbach, WM 2019, 577 (581). 522 Vgl. Lang, Urkundenvorlagepflicht, S. 75; Kwaschik, Parteivernehmung, S. 171. Der Gesetzgeber ist Adressat der verfassungsrechtlichen Waffengleichheit: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 226. Allg. zur tendenziell geringeren Gewichtung von Beklagteninteressen im kollektiven Rechtsschutz: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (8). 523 Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 175; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 1, 3; Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (58 f.). Anschaulich auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 215. Zu Begründungsansätzen für die Geltung der Verhandlungsmaxime als Folge der Parteiautonomie oder aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vgl. die Nachweise bei: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 36 f. Siehe auch: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 163 ff. m.w. N. 524 Vgl. zum Verhandlungsgrundsatz und der amtswegigen Beweiserhebung: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 29 ff. m.w. N. Durch § 142 ZPO wird die Verhandlungsmaxime hinsichtlich der Beweise, nicht aber der Tatsachen durchbrochen, so: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 108 m.w. N.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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in die Verhandlungsmaxime. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die richterliche Handlung der Partei bisweilen erst die umfassende Prozessführung ermöglicht.525 Bereits im Status quo ante vor Einführung der Musterfeststellungsklage galt der Verhandlungsgrundsatz im Rahmen der ZPO nicht mehr uneingeschränkt. Schon in der ursprünglichen Fassung der CPO waren Elemente einer Beweiserhebung von Amts wegen vorgesehen, welche im Laufe der Jahre einer deutlichen Erweiterung unterlagen. Der Verhandlungsgrundsatz war in dieser Hinsicht somit bereits von Beginn an mit amtswegigen Tätigkeiten durchsetzt.526 Die §§ 606 ff. ZPO haben in dieser Hinsicht zu keinen Erweiterungen geführt.527 Allerdings hat sich gezeigt, dass die Parteirollenverschiebungen zu einer stärkeren gerichtlichen Aktivität unter Anwendung der §§ 142, 144 ZPO führen kann.528 Die aus diesen folgenden Befugnisse zugunsten des Gerichts waren bereits bislang weniger begrenzt als diejenigen der Parteien (vgl. §§ 422 f., 371 Abs. 2 S. 2 ZPO).529 Relevanz für die Verhandlungsmaxime hat dies insofern, als nach dieser auch die Beschaffung der Beweismittel der Partei obliegt.530 Die dargestellte notwendige Anwendung der §§ 142, 144 ZPO stellt jedoch keine Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes dar. Im Hinblick auf § 142 ZPO bedarf es auch weiterhin einer Bezugnahme der Partei und es muss sich um in den Prozess eingeführte und bestrittene Tatsachen handeln.531 Grundlage des gerichtlichen Handelns ist also der Parteivortrag.532 Auch § 144 ZPO bezieht sich nur auf die bereits eingeführten Tatsachen und erlaubt keine Ermittlung weiterer Tatsachen.533 Jedoch kann das 525 Vgl. Kwaschik, Parteivernehmung, S. 205. Stärkere Richterstellung bei der Verwirklichung des „Rechts auf Beweis“: Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (186). 526 Siehe nur: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 182 ff. Siehe auch die Bewertung bei: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 105, 349 f. 527 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 216. 528 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 5. b) aa) (1) (a), (2) (b). 529 Vgl. Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 116 f. m.w. N. 530 Vgl. Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 174 f. m.w. N.; Sticken, Materielle Prozeßleitung und die Unparteilichkeit, S. 56. Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (172 f., 179) geht davon aus, dass die gerichtliche Prozessleitung den Beibringungsgrundsatz nicht berührt. Zum Spannungsverhältnis zwischen § 142 ZPO und der Verhandlungsmaxime ausführlich: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 170 ff. 531 Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (175 f.) Zum Bezugnahmeerfordernis: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 101 f.; BGH, Beschluss vom 15.06.2010, Az. XI ZR 318/09, WM 2010, 1448 (1451); siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 186 m.w. N. 532 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 184. 533 Bünnigmann, in: Anders/Gehle, ZPO, § 144, Rn. 2; BGH, Urteil vom 16.03.2017, Az. I ZR 205/15, MDR 2017, 1142 (1144). Speziell zur Verhandlungsmaxime bei der Ermessensausübung: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 144, Rn. 10 ff. Zum fehlenden Bezugnahmeerfordernis: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 133; siehe auch: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 144, Rn. 1; BGH, Urteil vom 07.12.1994, Az. VIII ZR 153/93, WM 1995, 341 (344).
292 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Gericht Maßnahmen nach §§ 142, 144 ZPO dennoch auf seine eigene Initiative hin erlassen und sich insoweit vom Beibringungsgrundsatz lösen, allerdings begrenzt durch die Tatsachenbeibringung der Parteien.534 Entsprechend stellt die gesteigerte Notwendigkeit einer richterlichen Anordnung eine Stärkung der gerichtlichen Stellung speziell im Verhältnis zu derjenigen Partei dar, die sich in der prozessual nachteiligen Situation als Folge der Parteirollenverschiebung befindet.535 Die §§ 142, 144 ZPO gehören schließlich nicht nur zu den Normen des Beweisrechts,536 sondern stellen auch eine Ausprägung der gerichtlichen Prozessleitungsbefugnis dar.537 Die materielle Prozessleitung des Gerichts und insbesondere gerichtliche Verpflichtungen berühren das Verhältnis zwischen den Parteien und dem Gericht und nehmen damit Einfluss auf die Verhandlungsmaxime.538 Entsprechend der Charakterisierung Stürners für das Verhältnis zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht geht mit den dargestellten Konsequenzen der Musterfeststellungsklage bei der Beweiserhebung allerdings keinerlei Abkehr von der Verhandlungsmaxime einher, da die subsidiäre und ergänzende Funktion der richterlichen Handlungsmöglichkeiten bestehen bleibt.539 Allerdings wird die Ausübung dieser Funktion in gewissen Konstellationen als Folgewirkung der Parteirollenverschiebung für eine Partei mit einer deutlich gesteigerten Relevanz behaftet sein. Ein weiterer Aspekt der sich auf die Richtermacht auswirkt ist die Tatsache, dass im Rahmen der Auswirkungen der Parteirollenverschiebung vielfach nur ein Ausgleich im Wege der richterlichen Beweiswürdigung möglich sein dürfte.540 Die freie Beweiswürdigung nach § 286 ZPO gehört offensichtlich zu den allein dem Gericht obliegenden Aufgaben.541 Weshalb sich aus den Schwierigkeiten bei der Ausübung der parteilichen Beweisführungsbefugnisse, die sich auf die
534 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 186 m.w. N., die von einer Aufhebung des Beibringungsgrundsatzes in Bezug auf die Beibringung der Beweismittel ausgeht. Insofern dürfte sie zwischen der Einführung der zu beweisenden Tatsachen und dem Beweismittel unterscheiden. 535 Vgl. auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 185 f. m.w. N. Insoweit obliegt dem Gericht die Aufgabe, die Partei zu unterstützen, vgl.: Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 11, 13. 536 So die heute h. M., ausführlich: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 109 f. m.w. N. 537 V. Selle, in: BeckOKZPO, § 142, Rn. 3; Greger, in: Zöller, ZPO, § 142, Rn. 1; Fritsche, in: MüKoZPO, § 142–144, Rn. 1. 538 Vgl. Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 12. Speziell zum Spannungsverhältnis zwischen Beibringungsgrundsatz und richterlicher Sachverhaltsermittlung im Rahmen des § 142 ZPO: Kuhn/Löhr, JR 2011, 369 (369). 539 Stürner, JZ 1986, 1089 (1093); siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 35. 540 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 5. a) cc) (3), b) aa) (1) (b), (2) (b). 541 Prütting, in: MüKoZPO, § 286, Rn. 10.
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Verhandlungsmaxime gründen,542 und der erweiterten Möglichkeit eines Zeugenbeweises durch die Anmelder die Notwendigkeit ergibt, prozessuale Nachteile auszugleichen, was zugleich eine Stärkung der gerichtlichen Stellung durch die Anwendung des § 286 ZPO bedeutet. Die materielle Prozessleitung hat im Zivilprozess durch die Novellen- und Reformgesetzgebung gegenüber der CPO von 1877 eine erhebliche Ausdehnung und Stärkung erfahren.543 Die Einführung des § 610 Abs. 4 ZPO dürfte diese Tendenz verdeutlichen, aber in seinen Auswirkungen kein signifikantes Gewicht entfalten. Im Hinblick auf die materielle Prozessleitungsbefugnis des Gerichts nach § 139 ZPO, die im Musterfeststellungsverfahren durch § 610 Abs. 4 ZPO ergänzt wurde, konnte bereits oben die weiterhin als deren Grenze zu definierende richterliche Neutralität und Unparteilichkeit herausgearbeitet werden.544 Dennoch wirkt sich § 610 Abs. 4 ZPO auf das Verhältnis von Verhandlungsmaxime und Richterstellung aus. Zur materiellen Prozessleitungsbefugnis gehören Hinweise auf Lücken im Tatsachenvortrag genauso wie Beweisanregungen, was die der Partei obliegende Tatsachen- und Beweisführung direkt betrifft.545 Der Verhandlungsgrundsatz wird durch § 610 Abs. 4 ZPO nicht durchbrochen, denn Grundlage der materiellen Prozessleitung bleibt weiterhin der Vortrag der Parteien.546 Allerdings hält die Norm das Gericht an möglichst früh auf sachdienliche Anträge hinzuwirken. Diese Aufforderung zu stärkerer richterlicher Aktivität betrifft, mit der Bezugnahme auf sachdienliche Anträge, gerade auch den Tatsachenvortrag und die Beweisführung. Mit der Anregung zur Einführung weiterer Feststellungsziele wird es sich außerdem de facto kaum vermeiden lassen, auch über den bisherigen Parteivortrag hinaus, indirekt eine Anregung zu weiterem – bislang nicht beabsichtigtem – Vortrag zu diesem erweiterten Streitgegenstand zu tätigen. Die Musterfeststellungsklage fordert das Gericht für diese Fälle somit zu einer aktiveren Verfahrensgestaltung auf. Speziell auch der zeitlich frühere Ansatzpunkt des § 610 Abs. 4 ZPO ermöglicht eine Steuerung des Parteivortrags in einem frühen Verfahrensstadium. In dieser Hinsicht dürfte die Einführung des § 610 Abs. 4 ZPO – wie dies bereits für die Reform des § 139 ZPO im Jahre 542 Vgl. zum Zusammenhang von parteilicher Beweisführung und Verhandlungsgrundsatz: Prütting, in: MüKoZPO, § 284, Rn. 89; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 3. 543 Siehe nur: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 170 ff. 544 Vgl. für § 139 ZPO: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 39 f.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 4, 20 f.; BVerfG, Beschluss vom 08.02.1967, Az. 2 BvR 235/64, BverfGE 21, 139 (145 f.); BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/ 74, NJW 1979, 1925 (1928). 545 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 40 m.w. N. 546 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 3. b) und c). Siehe auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 216 f. Zu § 139 ZPO: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 39; Leipold, Verfahrensbeschleunigung und Prozeßmaximen, in: Festschrift Fasching, S. 329 (339, 341 f.); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 41.
294 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
2001 zum Ausdruck gebracht wurde547 – das Gericht zur Aktivität motivieren und den Dialog mit den Parteien fördern. Daneben sollte aber nicht übersehen werden, dass einer Betonung der richterlichen Hinwirkung auf sachdienliche Anträge eine Tendenz zur Hinwirkung auf weiteren Vortrag inhärent sein dürfte.548 In Verbindung mit einer aktiven Prozessführung dürfte dies eine Stärkung der Richtermacht begründen oder zumindest für das Gericht begründbar machen. Als Ursache der tendenziellen Stärkung der Richterstellung konnte die bisherige Untersuchung primär die Parteirollenverschiebung identifizieren. Wobei die Schwierigkeiten u. a. bei der Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO unmittelbar auch mit der personalen Breitenwirkung eines Massenverfahrens in Zusammenhang stehen. Ergänzend sei hier nur darauf hingewiesen, dass die Musterfeststellungsklage auf die gesamte Zivilrechtsordnung Anwendung findet,549 und folglich eine weitergehende Schwächung der Verhandlungsmaxime nicht durch ein gesteigertes öffentliches Interesse an der Durchsetzung eines speziellen Rechtsgebiets legitimiert werden kann.550 b) Fortgeltung der Dispositionsmaxime und Steigerung der Richtermacht Die in der ZPO geltende Dispositionsmaxime gewährt den Parteien die Verfügungsbefugnis über den Prozess als solchen („ob“) und über dessen Inhalt, mithin den Verfahrensgegenstand („worüber“).551 Zunächst einmal bedarf es im Hinblick auf die Klägerpartei des Musterfeststellungsverfahrens – also der qualifizierten Einrichtung – der Feststellung, dass deren Parteistellung bzw. -macht infolge der Begrenzungen durch die Anmeldung eingeschränkt ist.552 Der Umfang der angemeldeten Ansprüche/Rechtsverhält547 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 173 m.w. N.; unter Verweis auf: Stürner, ZZP 123 (2010), 147 (153 f.). 548 So auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 174; Herr, DRiZ 1988, 57 (58). 549 Siehe nur: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 27. 550 Vgl. zu diesem Zusammenhang die Ausführungen und Nachweise bei: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 98 ff. Siehe auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 216. Kritisch zur Legitimierung einer Schwächung der Verhandlungsmaxime durch kollektiven Rechtsschutz: Althammer, Mindeststandards und zentrale Verfahrensgrundsätze, in: Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, S. 3 (23). 551 Siehe nur: Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (56) m.w. N.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 76, Rn. 1, 3 f.; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18; Stürner, Verfahrensgrundsätze, in: Festschrift Baur, S. 647 (650); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 10; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 211 f. m.w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 161 f.; Ventsch, Materielle Prozessleitung, S. 85 f. 552 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 2. a) bb). Vgl. für den kollektiven Rechtsschutz allgemein: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 245.
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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nisse und der Lebenssachverhalt (§§ 607 Abs. 1 Nr. 4, 6, 608 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO) begrenzen somit den möglichen Verfahrensgegenstand. Ein Zusammenhang zwischen der materiellen Prozessleitung und dem Dispositionsgrundsatz besteht insofern, als die gerichtlichen Hinweise auf die Antragsstellung der Partei Einfluss nehmen können.553 Dies würde insbesondere dann gelten, wenn § 610 Abs. 4 ZPO geeignet wäre eine Verschiebung der gerichtlichen Neutralitätspflichten zu begründen.554 Dies kann zwar nicht überzeugen,555 wie allerdings bereits mit der Einführung weiterer Feststellungsziele im vorherigen Abschnitt angedeutet wurde, wirkt sich die Regelung der materiellen Prozessleitungsbefugnis des § 610 Abs. 4 ZPO dennoch auf die Dispositionsmaxime aus. Zwar sind mit § 610 Abs. 4 ZPO keine inhaltlichen Erweiterungen der gerichtlichen Befugnisse verknüpft. Die Betonung des temporalen Aspekts und die gesonderte Kodifizierung im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO gegenüber den üblichen Vorschriften des ersten Buches ist dennoch geeignet und dazu gedacht, das Gericht zu einer aktiven Verfahrensführung anzuhalten. Dementsprechend kann die Anregung sachdienlicher Anträge Rückwirkungen auf die Vornahme parteilicher Dispositionsakte haben.556 Es bleibt allerdings auch in diesem Zusammenhang beim Grundsatz des § 308 Abs. 1 ZPO,557 wonach das Gericht nur über die gestellten Parteianträge zu befinden hat. Dadurch, dass die Parteien mit den Feststellungszielen sogar einzelne tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen zum Verfahrensgegenstand machen können, ist in dieser Hinsicht sogar der Parteieinfluss auf das gerichtliche Entscheidungsprogramm gesteigert. Denn eigentlich würden die Parteien nur die Entscheidung über einen prozessualen Anspruch begehren, das diesem zugrunde liegende Entscheidungsprogramm würde vom Gericht bestimmt.558 Die erweiterten Antragsmöglichkeiten stärken insofern die Reichweite, genauer gesagt den Detailierungsgrad der Dispositionsbefugnis.
553 Zu diesem Zusammenhang: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 37 ff., insb. S. 42 f. 554 So die Ansicht von: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 10. In diese Richtung wohl auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 213. 555 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 3. b). 556 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 42 f. m.w. N. Eine Grenze für die gerichtlichen Anregungen liegt im klägerischen Rechtsschutzbegehren: Piekenbrock, NJW 1999, 1360 (1361) m.w. N. Die Entscheidung über den Verfahrensgegenstand obliegt weiterhin den Parteien, vgl. für § 139 ZPO: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 139, Rn. 11 f. 557 Dieser ist Ausprägung der Dispositionsmaxime, siehe nur: Althammer, Mindeststandards und zentrale Verfahrensgrundsätze, in: Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, S. 3 (17); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 165. 558 Vgl. dazu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 19; Stürner, Verfahrensgrundsätze, in: Festschrift Baur, S. 647 (654).
296 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Die obigen Ansichten, die in Fällen (z. B. Klageänderung, Widerklage), in welchen sich Konsequenzen der Parteirollenverschiebungen, insbesondere unter dem Blickwinkel des Anmelderschutzes, zeigen, auf einen Vorbehalt gerichtlicher Sachdienlichkeitserwägungen abstellen wollen,559 würden die gerichtliche Stellung zulasten der Dispositionsbefugnisse der Parteien einschränken.560 Dies ist zwar in Ermangelung einer Rechtsgrundlage abzulehnen. Abhängig von der zukünftigen Beurteilung in der Judikatur kann es aber dadurch infolge der Parteirollenverschiebung zu einer erheblichen Beschneidung der Dispositionsmaxime kommen. Eine kodifizierte Auswirkung der Parteirollenverschiebung liegt in dem zum Schutz der Anmelder erfolgenden Ausschluss der Parteidisposition im Wege des Verzichts (§ 306 ZPO).561 Auswirkungen auf die gerichtliche Stellung hat dies allerdings nicht. Ein Anerkenntnis nach § 307 ZPO bleibt weiterhin möglich. Durch die Ablehnung einer gerichtlichen Kompetenzerweiterung in Bezug auf die Verfahrensbeendigung mangels einer gesetzlichen Grundlage bleibt es auch insofern bei der Geltung der Dispositionsmaxime.562 Das Verhältnis der parteilichen Dispositionsbefugnis zur gerichtlichen Stellung bleibt somit, abgesehen vom zeitlichen Ansatzpunkt der materiellen Prozessleitung und der aktiveren gerichtlichen Verfahrensgestaltung (§ 610 Abs. 4 ZPO) sowie einer Erweiterung der parteilichen Einwirkungsmöglichkeiten auf das gerichtliche Entscheidungsprogramm durch die Feststellungsziele, weitgehend gewahrt. Dezidiert anders würde diese Evaluation ausfallen, wenn denjenigen Ansichten gefolgt werden sollte, die eine gerichtliche Sachdienlichkeitsprüfung für viele Fragen der Parteidisposition fordern.563 Einschränkungen nach der hier vertretenen Ansicht ergeben sich nur aus dem Charakter als Klage im Drittinteresse,564 als einer funktionalen Prozessstandschaft durch die Begrenzungen der Prozessführungsbefugnis. Jedoch darf in diesem Zusammenhang nicht außer Betracht bleiben, dass die Dispositionsbefugnis über den Verfahrensgegenstand, mit Ausnahme der Einflussmöglichkeiten durch Anerkenntnis und Zustimmung zur Verfahrensbeendigung, nur aufseiten der qualifizierten Einrichtung liegt. Der Be-
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Siehe hierzu u. a. die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 1. a) bb) (2), 2. a) aa), 6. b). Die Klageänderung und Widerklage sind Ausdruck der Dispositionsmaxime, siehe nur: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 20 f. Siehe auch: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 165. 561 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 213. § 306 ZPO ist Ausdruck der Dispositionsmaxime: Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (56); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 20; Kern, in: Stein/ Jonas, ZPO, Vor § 128, Rn. 161. 562 Anerkenntnis und Verfahrensbeendigung sind Ausfluss der Dispositionsmaxime, siehe nur: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 20. 563 Vgl. dazu das entsprechende Ergebnis von: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 213. 564 Zu diesem Begriff: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2921). 560
A. Eingliederung des Musterfeststellungsverfahrens in das Zivilverfahren
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klagte kann auf den Gegenstand des Verfahrens darüber hinaus keinen Einfluss nehmen.565 Insofern kommt es zu einer erheblichen Einschränkung der Dispositionsmaxime durch die fehlende Möglichkeit zur Erhebung einer Widerklage.566 c) Zusammenfassung zu den Auswirkungen auf die Maximen und die Richterstellung Die Parteirollenverschiebung hat somit erkennbare Auswirkungen auf die für die ZPO bedeutsamen Prozessmaximen,567 jedoch sind diese nach den hier entwickelten Ansätzen gradueller und nicht fundamentaler Natur. Die festgestellte gestärkte Rolle des Richters korreliert mit der tendenziell stärkeren Rolle des Richters im kollektiven Rechtsschutz.568 Allerdings gründet sich die Stellung primär auf die Parteirollenverschiebung und weniger auf den Charakter als kollektives Rechtsschutzinstrument. Jedoch wirkt sich zumindest mittelbar, kodifiziert insbesondere durch § 610 Abs. 4 ZPO, die Schwierigkeit einer angemessenen Interessenbewertung und -berücksichtigung in einem kollektiven Rechtsschutzinstrument mit personaler Breitenwirkung aus.569 Ergänzend sei angemerkt, dass auch dem Gericht eine Möglichkeit zur Sachverhaltsaufklärung infolge der Parteirollenverschiebung zumindest faktisch erschwert wird. Die Parteianhörung nach § 141 ZPO kann nur zu einem persönlichen Erscheinen der Partei, mithin der qualifizierten Einrichtung führen.570 Damit kann aber der Normzweck, nämlich eine verbesserte Aufklärung des Sachverhalts aufgrund der Sachverhaltsnähe und persönlichen Beteiligung der Partei,571 durch die zumeist sachverhaltsferne Klägerin nicht erreicht werden. Die Zeugenvernehmung eines Anmelders kann das Gericht nicht veranlassen.572
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Hierauf weist auch Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 213 f. hin. Vgl. zur Einführung eines Streitgegenstandes durch Widerklage: Saenger, in: Hk-ZPO, Einf., Rn. 99; Leipold, Verfahrensbeschleunigung und Prozeßmaximen, in: Festschrift Fasching, S. 329 (336). 567 Zur Bedeutung der Prozessmaximen siehe nur: Bruns, Maximendenken im Zivilprozess, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (55 f.); dazu auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 15; sowie: Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 11. 568 Eichholtz, Class Action, S. 154 f.; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 257; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 245 f. 569 Vgl. zur gestärkten Richterrolle infolge der Wechselbeziehungen zwischen den Parteien und den verfahrensrechtlich unbeteiligten weiteren Rechtsinhabern: Eichholtz, Class Action, S. 154. 570 Vgl. Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 141, Rn. 15. 571 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 141, Rn. 1; ausführlich: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 97 f. m.w. N. Siehe auch: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 141, Rn. 1; Lange, NJW 2002, 476 (477 f.). 572 Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 12. 566
298 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
III. Bewertung der gefundenen Ergebnisse im Hinblick auf die Eingliederung in die Zivilprozessordnung und Ausblick auf die Abhilfeklage Die Parteirollenverschiebung durch die Musterfeststellungsklage hat nicht unerhebliche Auswirkungen auf das Verfahrensrecht, da sich für diese, anders als dies im Laufe der Zeit für die gewillkürte Prozessstandschaft der Fall war, noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Parteirollenverschiebung Anpassungsbedarf erfordert.573 Insofern kann eine ausreichende Abstimmung des neuen Rechtsinstruments mit der Zivilprozessordnung und damit eine problemfreie Eingliederung nicht uneingeschränkt festgestellt werden. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis der Parteien untereinander. Jedoch wird auch die Stellung des Gerichts, speziell in seiner Rolle als ausgleichendes Korrektiv, gestärkt. Die Musterfeststellungsklage ist Ausdruck einer beginnenden Materialisierung des Prozessrechts, durch welche Verbraucheransprüche erleichtert durchgesetzt werden sollen. Die Parteirollenverschiebung stärkt die Stellung des Gerichts und führt durch die Sachverhaltsferne des Klägers zu Schwierigkeiten bei der Substantiierung des Vortrags und der Beweisführung. Der kollektive Rechtsschutz mittels der Musterfeststellungsklage ist ein Mittel die (typisierte) prozessuale Schwäche des Verbrauchers gegenüber einem professionellen unternehmerischen Beklagten durch Herstellung von Waffengleichheit auszugleichen.574 Hierbei bedarf es jedoch einer Austarierung der Stellung des prozessunbeteiligten Verbrauchers, da diese auch auf die Stellung der Parteien und die Waffengleichheit zurückwirkt. In diesen Punkten weist die Eingliederung der §§ 606 ff. ZPO in das Verfahren nach der ZPO Defizite auf. Dies dürfte perspektivisch insbesondere für eine Abhilfeklage durch die EU-Verbandsklagenrichtlinie virulent werden575 und wird daher im nächsten Abschnitt zu thematisieren sein. Nicht übersehen werden sollte auch, dass die Rechtsdurchsetzung mittels qualifizierter Einrichtungen und die Beschränkungen bei Widerklage und Klageänderung, die Verfahrensflexibilität reduzieren. Die Prozessökonomie hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen dürfte allerdings – zumindest nach der gesetzgeberischen Wertung einer weitreichenden Vorabentscheidung576 – dennoch eher gefördert als reduziert werden. Die bereits in den Kapiteln 1 und 2 aufgeworfene Frage nach dem Prozesszweck der Durchsetzung subjektiver Rechte bedarf nach dem bislang Gesagten einer weiteren Präzisierung. Die Materialisierung hat deutlich gemacht, dass mit 573 Vgl. zur gewillkürten Prozessstandschaft: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 79. 574 Hierzu: Stürner, Grundsatz der Gleichheit der Parteien, in: Festschrift Gottwald, S. 631 (640 f.). 575 In diese Richtung: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (364). 576 BT-Drs. 19/2507, S. 15 f.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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der Musterfeststellungsklage zwar die verbesserte Durchsetzung subjektiver Rechte angestrebt wird, dass dies allerdings nur zugunsten von Verbrauchern im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO Platz greift. Es kommt daher zu einer personalen „Fragmentierung“.577 Insofern lässt sich mit Blick auf den allgemeinen Prozesszweck und denjenigen der Musterfeststellungsklage allerdings nur eine teilweise erfolgte Eingliederung feststellen.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von durch qualifizierte Einrichtungen geführten kollektiven Abhilfeklagen auf die Verfahrensgestaltung der Zivilprozessordnung Nachdem soeben die Konsequenzen der Parteirollenverschiebung im Rahmen der Musterfeststellungsklage betrachtet und bewertet wurden, soll nun ein Blick in die nähere Zukunft erfolgen. Dazu bedarf im Anschluss an einen kurzen Überblick über die verfahrensrechtlichen Vorgaben der Richtlinie für Abhilfeklagen eine mögliche Umsetzung in das nationale Verfahrensrecht einer Erörterung. Hierbei wird, wie auch in § 610 Abs. 5 S. 1 ZPO, von der grundsätzlichen Anwendung der ZPO ausgegangen.578 Das Ziel der Ausführungen besteht darin, ein Verfahren vorzuschlagen, welches sich an die Grundstrukturen der ZPO und des deutschen Rechtssystems579 anlehnt und gleichzeitig die effektive Bewältigung eines Massenverfahrens ermöglicht. Hierzu wird es erforderlich sein, über den Kerngegenstand der Arbeit in Gestalt der Parteirollenverschiebung ein wenig hinauszugreifen. Dennoch bleibt der Fokus auf die Parteirollenverschiebung, insbesondere auf der Stellung der Verbraucher und die Auswirkungen auf die Verfahrensführung im Rahmen eines Zweiparteienprozesses, gerichtet.580 Im Rahmen der Vorschläge soll außerdem auf die bereits für die Musterfeststellungsklage aufgeworfenen Fragen des Verhältnisses zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht, die Auswirkungen auf die Dispositions- und Verhandlungsmaxime sowie die Materialisierung und Waffengleichheit eingegangen werden.
I. Mindestvorgaben der Richtlinie für die Abhilfeklagen – Umsetzungsrahmen Bevor die Umsetzung erörtert werden kann, ist es zunächst erforderlich, die Eckpunkte der Richtlinie hinsichtlich des Abhilfeklageverfahrens herauszuarbei577 Roth, Veränderung des Zivilprozessrechts durch Materialisierung?, in: Liber Amicorum Henckel, S. 283 (283, 290 f.). 578 Siehe auch: § 13 Abs. 1 VDuG-E. 579 Die rechtspolitischen Implikationen durch die Ausgestaltung des kollektiven Rechtsschutzes betont Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (416). 580 Zur Zweiparteienstruktur: Woopen, JZ 2021, 601 (602).
300 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
ten.581 Die Richtlinie beschränkt sich – entsprechend ihrer Zielsetzung einer Wahrung mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie582 – auf die Festlegung der Grundzüge einzuführender Abhilfeklagen, sie hebt allerdings gleichzeitig die Wahrung des Effektivitäts- und des Äquivalenzgrundsatzes hervor.583 Neben der Erhebung von Unterlassungsklagen nach Art. 8 RL soll es qualifizierten Einrichtungen möglich sein, Abhilfeklagen zu erheben (Art. 7 Abs. 1, 4 RL).584 Mit der Abhilfeentscheidung585 sollen für die betroffenen Verbraucher Leistungen „in Form von Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“ eingeklagt werden (Art. 9 Abs. 1 RL).586 Voraussetzung hierfür ist, dass das nationale Recht oder das Unionsrecht entsprechende Ansprüche vorsieht.587 Anders als Unterlassungsentscheidungen, die rechtswidriges Verhalten unabhängig von einem bei den Verbrauchern eingetretenen Schaden unterbinden,588 soll die Abhilfeklage den betroffenen Verbrauchern eine entsprechende Leistung ohne weitere eigene Klageerhebung verschaffen (vgl. Art. 9 Abs. 6, 7 S. 1 RL).589 Gegenstand der Verbandsklage sollen jedenfalls Verstöße gegen die in Anhang I zur Richtlinie aufgeführten Rechtsakte sein (Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL). Die Parteistellung kann nur der qualifizierten Einrichtung zustehen.590 Verbrauchern darf diese nicht eingeräumt werden,591 ebenso wenig ist es zulässig ihnen verfahrensrechtliche Verpflichtungen aufzuerlegen.592 Es ist allerdings möglich ihnen gewisse Verfahrensrechte einzuräumen.593 Ob ihre Beteiligung entweder durch einen Opt-in, einen Opt-out oder eine Verbindung beider Mecha-
581
Siehe hierzu auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 7 ff. ErwGr. 12 S. 1 RL. Vgl. auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (65). 583 ErwGr. 12 S. 4, 5 RL. Zu diesen Grundsätzen im Bereich des Verfahrensrechts: Heinze, JZ 2011, 709 (713); Augenhofer, NJW 2021, 113 (114) weist für das Verhältnis von grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Verbandsklagen auf den Äquivalenzgrundsatz hin. Vgl. auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 211 f. 584 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116). Siehe zur qualifizierten Einrichtung die Ausführungen unter Kap. 2 B. II. 585 Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 RL. 586 ErwGr. 37 S. 1, 2 RL; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). 587 ErwGr. 42 S. 2 RL. 588 ErwGr. 33 S. 1 RL. Siehe auch Art. 8 Abs. 3 S. 2 lit. a) RL. 589 Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674). Damit wird das zweistufige Verfahren der Musterfeststellungsklage überwunden, Augenhofer, NJW 2021, 113 (116). 590 ErwGr. 36 S. 2 RL; siehe nur: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (675 f.). 591 ErwGr. 36 S. 3 RL spricht zwar nur von „sollten“, mit Blick auf ErwGr. 36 S. 4 RL soll die Parteirolle aber unzweifelhaft ausgeschlossen werden. 592 ErwGr. 36 S. 5 RL. 593 ErwGr. 36 S. 2 RL; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678). 582
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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nismen realisiert wird, stellt die Richtlinie den Mitgliedstaaten frei594 und wurde bereits zugunsten eines zwingenden Opt-in entschieden.595 Die grundsätzliche Verfahrensarchitektur führt also auch im Rahmen der Abhilfeklage zu einer Parteirollenverschiebung. Zentral für die konkrete Verfahrensausgestaltung gerade im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes ist die Frage nach dem Gegenstand des Verfahrens, insbesondere welche Art von Schadensphänomen liquidiert werden soll.596 Eine Unterscheidung und Festlegung zwischen Streu- und Massenschäden lässt sich der Richtlinie jedoch nicht entnehmen.597 Ihr erklärtes Ziel ist ein hohes Verbraucherschutzniveau und ein Funktionieren des Binnenmarktes. Zu diesem Zweck soll der Zugang der Verbraucher zur Justiz verbessert werden (Art. 1 Abs. 1 S. 2, 3 RL), andernfalls würde einerseits deren Vertrauen im grenzüberschreitenden Handel limitiert und andererseits das Verbraucherschutzrecht nicht ausreichend durchgesetzt.598 Die Abhilfeklage soll hierfür Hemmnisse bei Individualklagen abbauen. Exemplarisch nennt die Richtlinie Unsicherheiten über die Rechtslage sowie psychologische Hemmnisse und eine negative Kosten-Nutzen-Bewertung.599 Letzteres kann als Hinweis auf die Liquidation von Streuschäden gesehen werden. Ein solches Verständnis läge außerdem für die neben dem Verbraucherschutz hervorgehobene Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen nahe.600 Gesicherte Rückschlüsse auf die in den Blick genommenen Schadensphänomene lassen sich hieraus jedoch nicht ziehen, auch wenn für Streuschäden sprechen könnte, dass zugleich Aspekte der unternehmerischen Verhaltenssteuerung angesprochen werden.601 Allerdings ist bereits dem durch die Richtlinie zugelassenen Opt-in-Verfahren die Tendenz immanent, das rationale Desinteresse bei Streu-
594 Art. 9 Abs. 2, ErwGr. 43 S. 2 RL; Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1150). Für Verbraucher mit gew. Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem Gerichtsstaat würde ein Opt-in-Mechanismus zwingend greifen (Art. 9 Abs. 3 RL), der hier gemachte Vorschlag besitzt somit den Vorzug der Einheitlichkeit. 595 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. II. 2. und 4. 596 Vgl. Wagner, Kollektiver Rechtsschutz – Regelungsbedarf bei Massen- und Streuschäden, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 (50). Augenhofer, NJW 2021, 113 (116) sieht die Einführung eines Opt-out-Verfahrens in Kombination mit Art. 9 Abs. 7 S. 2 RL als eine Möglichkeit, Bagatellschäden zu begegnen. 597 Vom sachlichen Anwendungsbereich sind sowohl streu- als auch massenschadensanfällige Rechtsgebiete umfasst: Rentsch, EuZW 2021, 524 (528). 598 ErwGr. 6 f. RL. Die Verbraucher sollten darin bestärkt werden, ihre Rechte wahrzunehmen. 599 ErwGr. 9 S. 2 RL. 600 ErwGr. 2 RL. Siehe auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (824). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. 1. 601 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. 1. Kritisch im Hinblick auf die tradierte Funktion des Zivilprozesses: Bruns, Rechtsgutachten, S. 2.
302 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
schäden nur unzureichend zu überwinden.602 Gegen eine Klageart, die primär die Verhaltenssteuerung adressiert, spricht auch, dass in Art. 9 Abs. 7 RL zum Ausdruck kommende vorrangige Ziel einer Verbraucherkompensation.603 Der ursprüngliche Kommissionsentwurf, welcher ein Verfahren ohne Auskehrung des Klageerlöses an die Verbraucher vorsah,604 fand keinen Eingang in die finale Fassung.605 Gegen die Annahme, dass die Abhilfeklage primär ein Instrument zur Liquidation im Bereich der Streuschäden sein soll, spricht außerdem die nach Art. 20 Abs. 3 RL zulässige Möglichkeit der Festlegung von Beitrittsgebühren durch die qualifizierte Einrichtung. Selbst eine moderate Gebühr dürfte bei Streuschäden dazu führen, dass eine große Anzahl an Verbrauchern auf eine Beteiligung verzichtet.606 Im Ergebnis sollte die Umsetzung der Abhilfeklage daher im Wege eines Instruments erfolgen, welches die Rechtsdurchsetzungskosten für die Verbraucher und die Parteien deutlich absenkt, und damit die nummerische Grenze des rationalen Desinteresses reduziert, ohne allerdings einen zwingenden Anreiz für die Liquidation sehr niedriger Individualschäden zu gewährleisten.607 Darüber hinaus sollte das Verfahren zur Schonung der Justizressourcen auch für typische Massenschäden eine effektive Verfahrensführung ermöglichen. Ein Verfahren, welches hinsichtlich individueller Elemente einen stark nivellierenden Ansatz verfolgt, wie er speziell bei Streuschäden nötig wäre, sollte daher vermieden werden. Dies würde die Richtigkeit des Urteiles im Hinblick auf das materielle Recht dem Verfahren als solchem unterordnen und Letzteres zum Selbstzweck erheben.608 Um bestehenden rechtspolitischen Bedürfnissen im Streu-
602 Siehe nur Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (550). Da die RL die Wahl zwischen beiden Gestaltungsmöglichkeiten lässt, dürfte eine Verringerung des Durchsetzungspotenzials bei Streuschäden durch Einführung eines Opt-in-Verfahrens kein Verstoß gegen das Effektivitätsgebot darstellen. Siehe auch: Meller-Hannich, DRiZ 2018, 298 (299). 603 ErwGr. 51 hält sich mit bloßer Schadensabschöpfung zurück, Vorrang der Individualkompensation. 604 Art. 6 Abs. 3 lit. b), ErwGr. 21, in COM(2018) 184 final, S. 25, 33. Ursprünglicher Entwurf hatte Ähnlichkeit mit Folgenbeseitigungsanspruch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (43). 605 Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (184); vgl. die Regelung des Art. 9 Abs. 7 RL. 606 Siehe auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (78). Diese Möglichkeit sollte genutzt werden, da so ein Teil der Kosten gedeckt werden kann und der finanzielle Nutzen für die Verbraucher, bei nur anteiligen Gebühren, vielfach deutlich größer sein dürfte als bei einer Individualklage mit Kostenrisiko. Ebenfalls für eine Gebühr: Augenhofer, NJW 2021, 113 (118). 607 Auch Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 5 gehen von einem Verfahren für Streu- und Massenschäden aus. Domej, ZEuP 2019, 446 (448): Kleine bis mittlere Schäden. 608 Vgl. Lang. Urkundenvorlagepflichten, S. 54 m.w. N. Kritisch zu den Auswirkungen auf den Individualrechtsschutz und die Einzelfallgerechtigkeit: Bruns, NJW 2018, 2753 (2755); Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (406, 416). Vgl. auch: Stürner, Grundsatz der Gleichheit der Parteien, in: Festschrift Gottwald, S. 631 (641). Kritisch zu negativen
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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schadensbereich nachzukommen, könnte man Folgenbeseitigungsansprüche und Gewinnabschöpfungen ausbauen, die hier aber ausgeklammert werden sollen.609 Zur Erreichung einer kohärenten und systemwahrenden Umsetzung der Abhilfeklagen in die Zivilprozessordnung soll daher ein Modell skizziert werden, welches auf der Grundlage einer gewillkürten Prozessstandschaft, begründet durch einen Opt-in-Mechanismus, eine weitestgehend die individuellen Aspekte lösende und nicht bloß pauschalierende Leistungsklage ermöglicht.
II. Einleitung der Abhilfeklage Die Vorstellung einer möglichen Verfahrensausgestaltung beginnt nachfolgend bei der Verfahrenseinleitung. Gerade die Ermittlung der internationalen Zuständigkeit, aber auch die Gewissheit über die grundsätzliche Verfahrenszulassung haben für die betroffenen Dritten und die Parteien eine offenkundige Bedeutung. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Abhilfeklage bestimmen sich dabei weitgehend nach nationalem Recht.610 1. Zuständigkeit für Abhilfeklagen Bevor die mögliche Ausgestaltung der Abhilfeklage vorgestellt wird, die sich vor einem deutschen Gericht – entsprechend dem lex fori-Grundsatz – nach nationalem Verfahrensrecht bestimmt,611 soll zuerst die gerichtliche Zuständigkeit geklärt werden. Da die Richtlinie gerade auch die Beseitigung grenzüberschreitender Verbraucherrechtsverstöße erleichtern möchte,612 bedarf es in der gebotenen Kürze eines Blicks auf die internationale Zuständigkeit.
Folgen einer Vereinfachung für die Richtigkeit des Urteils: Bettermann, ZZP 91 (1978), 365 (379 f.). Den Zusammenhang zwischen dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes und der richtigen Sachverhaltsermittlung als Voraussetzung einer Rechtsgewährung betont: Habscheid, Recht auf Beweis, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung, S. 25 (26 f.) m.w. N. Woopen, JZ 2021, 601 (609) plädiert für eine Wahl zwischen nivellierender, kostengünstiger und präziser individueller Rechtsverfolgung. Zur möglichst optimalen Durchsetzung materiellen Rechts: Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 26 m.w. N. 609 Meller-Hannich, DRiZ 2018, 298 (299 f.). Bei Streuschäden wird eine Verbraucherkompensation an faktische Grenzen stoßen: Stadler, VuR 2018, 83 (85). Für den Ausbau von Gewinnabschöpfungsklagen plädieren auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbvGutachten, S. 6 f., 16 f. Zu den aktuellen Hemmnissen für Gewinnabschöpfungsklagen: Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (412 f.), diese seien jedoch „rechtspolitisch unbedingt wünschenswert“: ebenda (429). Zu Unterschieden zwischen Folgenbeseitigung/Gewinnabschöpfung und Schadensersatz: Lühmann, ZIP 2021, 824, (827 f.). 610 Siehe nur: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678). 611 Ausführlich: Brinkmann, ZZP 129 (2016), 461 (461 ff.) m.w. N. 612 Siehe nur: ErwGr. 20 S. 1 RL.
304 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
a) Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte Vorrangig vor nationalen Zuständigkeitsregeln ist bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug613 im Rahmen ihres Anwendungsbereichs die EuGVVO.614 Da die Richtlinie keine Regelungen zur internationalen Zuständigkeit enthält, verweist der Richtliniengeber ausdrücklich auf die Anwendbarkeit der EuGVVO (Art. 2 Abs. 3 RL),615 womit zugleich die vereinzelte Annahme einer Unanwendbarkeit der EuGVVO für den kollektiven Rechtsschutz keiner näheren Vertiefung bedarf.616 Die nationale Umsetzung muss somit den Einklang mit der EuGVVO wahren. Diesem Zweck dürfte auch der zwingende Opt-in-Mechanismus gemäß Art. 9 Abs. 3 RL für Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthaltsort außerhalb des Gerichtsstaates geschuldet sein.617 In konsequenter Fortsetzung des vorgeschlagenen Ansatzes der Rechtshängigkeit der Individualansprüche läge es, zur Bestimmung der Zuständigkeit auf die Verbraucher und deren Ansprüche abzustellen.618 Ein solcher Durchgriff auf die hinter der qualifizierten Einrichtung stehenden Verbraucheransprüche steht explizit im Einklang mit der Richtlinie. Denn schon bei Erhebung einer Verbandsklage muss der Kläger „hinreichende Angaben zu den von der Verbandsklage betroffenen Verbrauchern machen“; diese sollen das Gericht in die Lage versetzen, seine Zuständigkeit zu prüfen.619 Andernfalls droht eine Umgehung des europäi613 Ein Bezug zu einem Mitgliedstaat ist nicht notwendig: Nordmeier, in: Thomas/ Putzo, ZPO, Vorb. Art. 1 EuGVVO, Rn. 20 f.; EuGH, Urteil vom 17.03.2016, Rs. C-175/ 15 – Taser International/SC Gate 4 Business u. a., EuZW 2016, 558 (559). 614 Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vorb. Art. 1 EuGVVO, Rn. 13. Siehe auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 236 ff. Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Luganer Übereinkommen) wird hier ausgeklammert. 615 ErwGr. 21 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (130); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (66 f.); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (675); Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (275). Rein deklaratorisch daher § 3 Abs. 2 VDuG-E (VRUG-E, S. 79). 616 So auch die Bewertung bei: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (553 f.). Woopen, IWRZ 2018, 160 (163) sieht in Kollektivklagen „ähnliche Verfahren“ nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) EuGVVO, vergleichbar mit dem Insolvenzverfahren. Die Parallelität zum Insolvenzverfahren aus der Insolvenzgefahr abzuleiten, erscheint aber fernliegend. Dazu auch: Woopen, JZ 2021, 601 (603). Ausführlich zur Anwendbarkeit der EuGVVO bei Kollektivklagen: Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (317 ff.); siehe auch: Stadler, JZ 2009, 121 (124 f.). 617 Vgl. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (67, 72); Domej, ZEuP 2019, 446 (452 f.). 618 So wohl auch: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (554). Siehe auch: Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (323). 619 ErwGr. 34 S. 1, 2 RL. Bei unerlaubten Handlungen müsste der Schadensort mitgeteilt werden (ErwGr. 34 S. 3 RL). Diese Angaben sollen auch zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts dienen, was für einen Durchgriff auf die materiellen Verbraucheransprüche spricht. Die Angaben können je nach Klageziel und Opt-in- oder Opt-out-Verfahren variieren (ErwGr. 34 S. 5 RL). Siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47).
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
305
schen Zuständigkeitsrechts.620 Hierfür wäre es unerheblich, ob dem klagenden Verband ein eigener Anspruch zugebilligt wird, welcher parallel zu den Verbraucheransprüchen ausgestaltet ist, oder von einer Prozessstandschaft ausgegangen wird. Denn Umgehungsgefahr besteht immer dann, wenn nicht für jeden einzelnen Verbraucheranspruch (im Falle eines eigenen Verbandsanspruchs als hypothetische Vergleichserwägung) die Zuständigkeit ermittelt wird, wodurch die Richtlinie, entgegen ihrer ausdrücklichen Intention (vgl. Art. 2 Abs. 3 RL), die Zuständigkeitsregelung der EuGVVO gerade nicht unberührt lassen würde. Da die Abhilfeklage für den sich beteiligenden Verbraucher unmittelbare Abhilfe schaffen soll, ist sie letztlich Funktionsäquivalent zur eigenen Klageerhebung und damit muss die internationale Zuständigkeit für die jeweiligen Ansprüche gegeben sein.621 Die Art der gerichtlichen Geltendmachung kann, wie dies u. a. für die Abtretung durch den EuGH entschieden wurde,622 keinen Einfluss auf die internationale Zuständigkeit haben.623 Für die Annahme aus der Regelung des Art. 9 Abs. 3 RL folge die Möglichkeit für Verbraucher aus jedem Mitgliedstaat, einem Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat beizutreten,624 kann der Genese der Richtlinie625 keine Grundlage entnommen werden. Aus den genannten Gründen der Umgehung der vereinheitlichten Zuständigkeitsbestimmungen sollte dem auch nicht gefolgt werden. Ein solches Verständnis würde, durch die gezielte Auswahl einer gewissen Verbrauchergruppe,626 anderen Verbrauchern, für die dieser Gerichtsstand nicht eröffnet wäre, die Möglichkeit einer Rechtsverfolgung in eben jenem forum bieten.627 Diese faktische Zuständigkeitsumgehung stünde nicht im Einklang mit der geforderten Geltung der EuGVVO.628 Letztlich muss die Parteirollenverschiebung somit auch im Rahmen der für Zweiparteienpro620
Vgl. Domej, ZEuP 2019, 446 (453). Vgl. Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (326) m.w. N. zur Musterfeststellungsklage und „echten“ Sammelklagen. 622 EuGH, Urteil vom 18.07.2013, Rs. C-147/12 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB/Frank Koot u. a., EuZW 2013, 703 (707); EuGH, Urteil vom 21.05.2015, Rs. C-352/13 – CDC Hydrogen Peroxide/Akzo Nobel u. a., GRUR Int. 2015, 1176 (1180). 623 Vgl. für Abtretung und Prozessstandschaft: Fiedler, Class Actions, S. 185. Allg.: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (284). 624 So wohl: Röthemeyer VuR 2021, 43 (47), dessen Hinweis auf ErwGr. 34 S. 1–3 RL aber eher das Gegenteil belegt; zur Problematik auch: Fiedler, Class Actions, S. 184 f. 625 Art. 9 Abs. 3, ErwGr. 45 RL bestimmen nur einen zwingenden Opt-in-Mechanismus, enthalten aber keine Aussage über die Zuständigkeit oder darüber, dass ein Opt-in immer, also ohne Berücksichtigung der Zuständigkeit, möglich sein muss. ErwGr. 23 S. 3 RL definiert nur die grenzüberschreitende Verbandsklage, deren Definition auf die Benennung der Einrichtung und nicht auf die Verbraucher abstellt. 626 Quasi als eine Art „Ankerkläger“. 627 Vgl. für Abtretungen beim Verbrauchergerichtsstand der EuGVVO: Schmidt, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 25.01.2018, Rs. C-498/16 – Schrems/Facebook Ireland Limited, EuZW 2018, 197 (200). 628 Vgl. ErwGr. 21 S. 1, 2 RL. Dazu: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (289 f.). 621
306 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
zesse geschaffenen629 EuGVVO berücksichtigt werden, weshalb nachfolgend die Gerichtsstände auf ihre Anwendbarkeit untersucht werden. Unter den ausschließlichen Gerichtsständen der EuGVVO dürfte insbesondere Art. 24 Nr. 1 EuGVVO von Relevanz sein,630 sofern die Richtlinienumsetzung sich auf das gesamte Zivilrecht erstreckt. Entscheidend für die internationale Zuständigkeit wäre demnach die Belegenheit der unbeweglichen Sache,631 wodurch unproblematisch eine weitgehende Zuständigkeitskonzentration erreicht würde. Aufgrund des vorgeschlagenen Opt-in-Modells bedarf es an dieser Stelle keiner Erörterung, inwiefern Art. 18 Abs. 2 EuGVVO einem Opt-out-Mechanismus entgegenstehen könnte.632 Hingegen besteht für die Klage der qualifizierten Einrichtung kein Verbrauchergerichtsstand nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO, da die Verbrauchereigenschaft bei der Partei persönlich vorliegen muss.633 Nach Ansicht des EuGHs kann im Verbrauchergerichtsstand auch ein Verbraucher nur seine eigenen Ansprüche geltend machen. In Anbetracht der Schutzrichtung der Norm, den wirtschaftlich und rechtlich unterlegenen Vertragsteil zu schützen, kommt es somit auf ein Vorliegen der Verbrauchereigenschaft und eine Klage aus eigenem Recht an.634 Aufgrund der auch bei den Art. 10 ff. EuGVVO erforderlichen per629
Allg. Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (558). Hierzu: Haumer, in: BeckOKMietrecht, Klageverfahren, Stand: 01.11.2022, Rn. 63 ff. Die Norm ist eng auszulegen: BGH, Urteil vom 16.12.2009, Az. VIII ZR 119/08, NJW-RR 2010, 712 (713); EuGH, Urteil vom 09.06.1994, Rs. C-292/93, NJW 1995, 37 (37). Zu abweichenden Fallgestaltungen: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 319 f. 631 Zum sachlichen Anwendungsbereich: Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 24 EuGVVO, Rn. 3 ff. 632 Siehe hierzu: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (555 f.); Rentsch EuZW 2021, 524 (531). Allerdings gilt bei grenzüberschreitender Verbraucherbeteiligung Art. 9 Abs. 3 RL, vgl. dazu: Domej, ZEuP 2019, 446 (462 f.). 633 EuGH, Urteil vom 19.01.1993, Rs. C 89/91 – Shearson Lehman Hutton Inc./TVB Treuhandgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH, NJW 1993, 1251 (1251 f.), dazu: Koch, IPRax 1995, 71 (71 f.); Vollkommer, MDR 2021, 129 (130); Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 17 EuGVVO, Rn. 36, 41, speziell für den kollektiven Rechtsschutz in Rn. 57, 71. Für die Musterfeststellungsklage ablehnend: Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (322 f.). Verbandsklagen sind ausgeschlossen: EuGH, Urteil vom 01.10.2002, Rs. C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation/ Karl Heinz Henkel, EuZW 2002, 657 (658); Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 17 EuGVVO, Rn. 2 m.w. N.; kritisch hierzu: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (557 f.). 634 Meller-Hannich, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 25.01.2018, Rs. C-498/16 – Schrems/Facebook Ireland Limited, ZEuP 2019, 202 (209 f.). In der Rs. Schrems II ging es zwar um Abtretungen, die Begründung ist aber auf die Prozessstandschaft oder ein abstraktes Klagerecht übertragbar. Siehe zur Rechtsprechung auch: Rentsch, EuZW 2021, 524 (532) m.w. N.; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 17 EuGVVO, Rn. 55 f.; Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 237; Stadler, JZ 2009, 121 (129); Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 17 EuGVVO, Rn. 1b. A. A. Gottwald, in: MüKoZPO, EuGVVO, Art. 17, Rn. 3 möchte die Art. 17 ff. auf Verbraucherverbände in Prozessstandschaft anwenden. 630
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
307
sönlichen Eigenschaften der Parteien635 und dem Schutzzweck zugunsten des Versicherungsnehmers636 können diese ebenfalls nicht zur Anwendung kommen.637 Dies gilt auch für die Art. 20 ff. EuGVVO.638 Grundsätzlich unproblematisch sind demgegenüber Klagen nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO im Beklagtengerichtsstand. In diesem können, vorausgesetzt ein zwingender Opt-in nach Art. 9 Abs. 3 RL ist erfolgt, zuständigkeitsrechtlich alle Ansprüche verfolgt werden.639 Dies gilt auch, wenn ein für alle Einzelfälle einheitlicher Handlungsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gegeben ist.640 Liegt demnach der Beklagtenwohnsitz oder der Handlungsort in Deutschland, dann kann eine qualifizierte Einrichtung ein Verfahren für Verbraucher aus allen Mitgliedstaaten anstreben. In anderen Fällen der besonderen Gerichtsstände dürfte die Bestimmung der Zuständigkeit aufwendiger ausfallen und gewährleistet nicht für alle betroffenen Verbraucher einen einheitlichen Gerichtsstand. Die praktisch relevanten Gerichtsstände nach Art. 7 Nr. 1, 2 und 5 EuGVVO knüpfen nicht daran an, dass der Kläger auch Anspruchsinhaber ist. Somit stehen sie Klagen durch Dritte grundsätzlich offen.641 Zur Zuständigkeitsbestimmung stellen diese auf den geltend gemachten Anspruch ab.642 Für Art. 7 Nr. 1 EuGVVO müsste der Erfüllungsort in Deutschland liegen.643 Der Deliktsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 635 Vgl. für die Musterfeststellungsklage: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 16; Kreuzer/Wagner/Reder, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Q. II. Internationale Zuständigkeit, Rn. 91, 94. 636 Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vorb. Art. 10–16 EuGVVO, Rn. 1 m.w. N. 637 Zu Abtretung und Prozessstandschaft: Fendt, VersR 2012, 34 (35 f.). 638 Diese dienen wie die Art. 10 ff. EuGVVO dem Schutz der schwächeren Partei (vgl. Spohnheimer, in: BeckOKZPO, Art. 20 EuGVVO, Rn. 2; Geimer, in: Geimer/ Schütze, EuZivilVerfR, Art. 17 EuGVVO, Rn. 1), was aber im Hinblick auf die qualifizierte Einrichtung keine Geltung beanspruchen kann. 639 Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (561); vgl. Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (156 f.) für ein Opt-in-/Opt-out-Modell, welches die Rechtshängigkeit herbeiführt; Stadler, JZ 2009, 121 (126). Siehe auch: Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 233 f. 640 Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (561); vgl. Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (157 f.) für Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a. F. und Stadler, JZ 2009, 121 (130); Fiedler, Class Actions, S. 185. 641 Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (321); Thode, in: BeckOKZPO; Art. 7 EuGVVO, Rn. 19; Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 7 EUGVVO, Rn. 11, der Gerichtsstand kann auch bei Zessionen bestehen; Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (287 f.). 642 Vgl. auch: Horn, ZVglRWIss 118 (2019), 314 (320); Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 238, 241. 643 Vgl. zum Gerichtsstand am Erfüllungsort: Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO, Rn. 1. Dieser gilt nicht für Verbraucherverbände bei Klagen nach dem UKlaG (EuGH, Urteil vom 01.10.2002, Rs. C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel, EuZW 2002, 657 (658). Zum Unterschied zwischen Abhilfeklage und Unterlassungsklage: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (559).
308 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
EuGVVO) erfordert entweder einen Handlungsort oder – und dies trifft nicht zwingend auf alle Verbraucher zu – einen Schadenseintrittsort in Deutschland.644 Für die Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 5 EuGVVO müsste es sich um eine Streitigkeit aus dem Betrieb einer Niederlassung in Deutschland handeln.645 Diese Gerichtsstände zeigen, dass eine Wahrung der europäischen Zuständigkeitsordnung nur durch ein Abstellen auf die Ansprüche der Verbraucher gewährleistet werden kann. Die Erzielung eines einheitlichen Gerichtsstandes erweist sich damit durch die pauschale Anwendung der EuGVVO als deutlich erschwert. Auch der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO betrifft als Ausnahmevorschrift nur die Beklagtensituation, nicht aber die Zusammenfassung auf Klägerseite.646 Abhilfe könnte nur eine Prorogation oder rügelose Einlassung schaffen.647 Der hier präferierte Ansatz einer Prozessstandschaft ermöglicht somit die Wahrung des europäischen Zuständigkeitssystems und vermeidet einen Konflikt mit der EuGVVO. Gleichzeitig bedarf es zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten648 einer frühzeitigen Beitritts-649 und Überprüfungsmöglichkeit. Dies ist aber kein Kritikpunkt an der hiesigen Lösung, sondern Folge der fehlenden Bündelungsmöglichkeiten im Zuständigkeitsrecht.650 Der Vorschlag eines Ausschlus-
644 Vgl. allg. zum Deliktsgerichtsstand: Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO, Rn. 16. Zur Unzulänglichkeit des Erfolgsortes für kollektive Klagen: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 239 f. Für Verbandsklagen gegen AGB-Verstöße nach österreichischem Recht ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anwendbar: EuGH, Urteil vom 01.10.2002, Rs. C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel, EuZW 2002, 657 (659 f.), zu Art. 5 EuGVVO a. F.; vgl. Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 7 EuGVVO, Rn. 17, 22a f. 645 Vgl. Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO, Rn. 26. 646 Vgl. Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (158) und Stadler, JZ 2009, 121 (130), die auf den Ausnahmecharakter des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO a. F. verweist. Ebenso: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 240; Fiedler, Class Actions, S. 185. Differenzierend: Rentsch, EuZW 2021, 524 (532 f.). 647 Zur Gerichtsstandsvereinbarung: Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (158 f.); zu den Voraussetzungen: Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 25 EuGVVO, Rn. 3 ff. Eine Ermächtigung der Verbraucher zum Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung könnte in der Zustimmung zum Verfahren erblickt werden. Zu den Voraussetzungen der rügelosen Einlassung: Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 26 EuGVVO, Rn. 2 f. 648 Siehe hierzu auch die Ausführungen unter Kap. 5 B. III., dort insb. 1. Der VDuG-E schlägt diesbezüglich keine Lösungsmöglichkeiten vor, siehe nur: VRUG-E, S. 79. 649 Nach Art. 9 Abs. 3 RL ist diese für Verbraucher mit gew. Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zwingend. 650 Zum Fehlen von Zuständigkeitskonzentrationen: Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (159 f.). Siehe auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 240 f.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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ses im Ausland domizilierter Verbraucher651 ist mit dem Regelungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 RL nicht zu vereinbaren.652 Das damit verbundene praktische Problem,653 einer durch die qualifizierte Einrichtung zu gewährleistenden Rechtsverfolgung auch für Verbraucher aus dem EU-Ausland, dürfte in Anbetracht der angestrebten grenzüberschreitenden Verbraucherbeteiligung 654 zu erheblichen Problemen führen. Die qualifizierte Einrichtung wird den sie gegebenenfalls überfordernden Konsequenzen einer Verfahrensführung betreffend eine Vielzahl von Rechtsordnungen655 nur durch eine Antragsbeschränkung vorbeugen können,656 was allerdings im Widerspruch zur Richtlinienintention steht und zumindest eine frühzeitige Information der Anmelder und eine Zurückweisung entsprechender Anmeldungen erfordert. b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit Für die örtliche Zuständigkeit sollte entsprechend § 32c ZPO ein ausschließlicher Gerichtsstand vorgesehen werden.657 Dennoch können die teilweise in der EuGVVO vorgesehenen örtlichen Gerichtsstände658 die angestrebte Zuständigkeitskonzentration umgehen.659 Eine nähere Prüfung der gerichtlichen Zuständigkeit lässt sich demnach bei Anmeldung von Verbrauchern mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, sofern nicht im Beklagten- (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO) oder Handlungsortsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 EUGVVO) geklagt wird, nicht vermeiden.
651 Woopen, JZ 2021, 601 (611) begründet die Zulässigkeit damit, dass Art. 9 Abs. 3 RL „nur“ einen Opt-in zulasse. Einschränkend: Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (287, 290). 652 Vgl. zum Richtlinienentwurf in der Fassung des Parlamentsstandpunktes: Domej, ZEuP 2019, 446 (453). Diese Regelung zählt zu den zwingenden Normen der RL: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674). 653 Zu denken ist hierbei an die Vielzahl anwendbarer Rechtsordnungen. Vgl. zum Kollisionsrecht: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (563 ff.). 654 Vgl. Art. 6, ErwGr. 20 S. 1, ErwGr. 23 S. 4 RL. Andernfalls hätte der Regelungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 RL auf Opt-out-Verfahren beschränkt werden können. 655 Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (563 ff.). 656 Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (290). Vgl. zum Musterfeststellungsverfahren: Stadler, NJW 2020, 265 (266 f.); für den kollektiven Rechtsschutz allg.: Stadler, JZ 2009, 121 (126 f.). Auf Schwierigkeiten für Verbraucherverbände weisen Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 235 und Stadler, JZ 2009, 121 (123) hin. 657 Für eine entsprechende Zuständigkeitskonzentration: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 93. 658 Siehe nur: Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO: Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 7 EuGVVO, Rn. 9. 659 Patzina, in: MüKoZPO, § 32c ZPO, Rn. 6 m.w. N.
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Erstinstanzlich sollte für die Abhilfeklage das OLG zuständig sein (§ 119 Abs. 3 GVG),660 damit frühzeitig eine höchstrichterliche Klärung erfolgen kann.661 2. Zulassungsverfahren für die Abhilfeklage Zu Beginn der Abhilfeklage sollte in einem Zulassungsverfahren die Eignung der Klage für ein Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes geprüft werden.662 Die Initiativbefugnis hierfür kann entsprechend der Richtlinienkonzeption nur bei der qualifizierten Einrichtung liegen.663 Beklagter kann wiederum nur ein Unternehmer im Sinne des Art. 3 Nr. 2 RL sein.664 a) Anforderungen an die Klageschrift Der § 253 Abs. 2 ZPO sollte für die Abhilfeklageerhebung modifiziert werden. Die qualifizierte Einrichtung muss über die Benennung der Parteien, den Antrag und Lebenssachverhalt665 hinausgehende Angaben zu ihrer Klageberechtigung, den betroffenen Personenkreis (vgl. Art. 7 Abs. 2 RL) und der hinreichenden Ähnlichkeit der Individualansprüche tätigen.666
660 Dieser gilt bislang nur für die Musterfeststellungsklage, dazu: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 119 GVG, Rn. 14. 661 So auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 50; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 92 f.; Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 19; ausführlich: Bruns, Rechtsgutachten, S. 38 f.; Vollkommer, MDR 2021, 129 (137) spricht sich für eine Zuständigkeit des LG aus. Siehe zur Konzentration der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit: § 3 Abs. 1, 3 VDuG-E. 662 Vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 210 ff. m.w. N.; Fiedler, Class Actions, S. 55 f., 220 ff.; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 94. Siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (135); Woopen, JZ 2021, 601 (607); zivilprozessuale Neuerung: Mekat, RAW 2021, 93 (94). Vgl. dazu auch: Rule 212 Model European Rules of Civil Procedure, abrufbar unter: https://www.europeanlawinstitute.eu/file admin/user_upload/p_eli/Publications/200925-eli-unidroit-rules-e.pdf (zuletzt abgerufen am 17.05.2023). Siehe auch die Vorschläge bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 30, 44 ff. 663 Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). Dies ergibt sich bereits aus der entsprechenden Formulierung zur Legaldefinition der „Verbandsklage“ in Art. 3 Nr. 5 RL. Eine vorherige Konsultation, wie sie ErwGr. 41 S. 4 RL ermöglicht, sollte nicht vorgeschrieben werden. 664 Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL; Lühmann, ZIP 2021, 824 (824). 665 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 253, Rn. 7, 10 f. 666 ErwGr. 49 S. 1, 2 RL: Die qual. Einrichtung muss Informationen (insb. eine Beschreibung der betroffenen Verbraucher, allerdings ohne einzelne Identifizierung, sowie der verfahrensrelevanten Sach- und Rechtsfragen) vorlegen. Siehe auch: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (184); Woopen, JZ 2021, 601 (607). Vgl. zur entsprechenden Ausgestaltung auch: Rule 210 Model European Rules of Civil Procedure, abrufbar unter: https://www.europeanlawinstitute.eu/fileadmin/user_upload/p_eli/Publications/200925eli-unidroit-rules-e.pdf (zuletzt abgerufen am 17.05.2023), allg. zu den MERCP: Wilke, EuZW 2021, 187 (187 ff.). Zur beabsichtigten Umsetzung: § 15 Abs. 2 VDuG-E.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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Bereits in der Klageschrift sollte die qualifizierte Einrichtung die Betroffenheit einer hinreichend großen Gruppe belegen und Angaben über die betroffenen Verbraucher, vor allem für eine erste Prüfung der Zuständigkeit, tätigen.667 Ein maßvoller Nachweis der Betroffenheit einer Verbrauchergruppe für die Zulassung der Abhilfeklage dürfte mit der Glaubhaftmachung von zehn betroffenen Verbrauchern erreicht sein (vgl. § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO).668 Außerdem sollte der Kläger über § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinausgehend darlegen, dass die (noch anzumeldenden) Verbraucheransprüche eine für eine kollektive Abhilfeklage hinreichende Ähnlichkeit aufweisen [dazu sogleich].669 Sofern der Klageantrag auf eine Geldleistung gerichtet ist, sollte jedoch anstelle einer konkreten Bezifferung eine ungefähre Angabe ausreichen.670 Da in diesem Stadium noch kein Verbraucherbeitritt erfolgt ist, sollte hinsichtlich des Antrags (prozessuales Begehren) ausnahmsweise eine Art Rahmenantrag zulässig sein.671 Zudem sollten Nachweise zur Glaubhaftmachung der Erfüllung der Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung und der Finanzierung in der Klageschrift angeführt werden.672 Dies ist notwendig, da die Erfüllung der Anforderungen einer möglichst frühzeitigen Prüfung unterliegen sollte, denn gerade die jüngere Entwicklung in Deutschland belegt, dass die Erfüllung der Anforderungen vielfach strittig ist.673 b) Gerichtliche Zulassung der Abhilfeklage Zu Beginn des Abhilfeklageverfahrens sollten die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens in einer gerichtlichen Vorprüfung festgestellt werden.674 Mit den Regelungen zur Bekanntmachung nach § 607 Abs. 2 667 Vgl. ErwGr. 34 S. 1, 2 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73); Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (184). In Einklang mit ErwGr. 49 S. 2 RL sollte für die Erhebung keine Identifizierung erforderlich sein. 668 So auch: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (183). 669 Vgl. auch die Vorschläge bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 35 ff. 670 Ausführlich: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 253, Rn. 37, 45 f. Insoweit dürfte die Bezifferung dem Kläger (noch) nicht möglich sein. 671 Dies wäre üblicherweise unzulässig, vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 253, Rn. 26. Der Lebenssachverhalt dürfte durch die Benennung der Praktik i. S. d. Art. 3 Nr. 8 RL i.V. m. der Klägergruppe ausreichend identifiziert sein, vgl. BGH, Urteil vom 17.03. 2016, Az. III ZR 200/15, NJW 2016, 2747 (2748); ausführlich: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 253, Rn. 52 m.w. N. Siehe zum VDuG-E: Dittmann/Gollnast, VuR 2023, 135 (139). 672 Vgl. § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Zu den Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen und die gerichtliche Prüfung siehe die Ausführungen unter Kap. 2 B. II. 1.–3. 673 Siehe nur: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (184) m.w. N. Siehe auch: ErwGr. 25 S. 6 RL zur öffentlichen Zugänglichkeit von Informationen über die qualifizierte Einrichtung. 674 Einen (rechtsvergleichenden) Überblick über Klagezulassungsverfahren im kollektiven Rechtsschutz bietet Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 210 f.; siehe auch: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (21); Koch, ZZP 113 (2000), 413 (425).
312 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
ZPO existiert bereits ein ähnliches, aber abgeschwächtes Erfordernis.675 Bevor die Eintragung der Klage in das Klageregister erfolgt, sollte das Gericht die Zulassung des Verfahrens zumindest summarisch prüfen und durch Beschluss entscheiden.676 Sofern erhebliche Zweifel an der Eignung des Klägers und insbesondere Anhaltspunkte für eine fehlende Ähnlichkeit der Ansprüche bestehen, sollte die Zulassung verweigert werden.677 Zur Klärung eventueller Zweifelsfragen und zum Schutz des Beklagten sowie der Anmelder sollte das Gericht den Beklagten zur schriftsätzlichen Erwiderung auffordern und eine Art Zulassungs- mit anschließendem Erörterungstermin678 festsetzen. Zweiterer sollte zur Klärung des weiteren Verfahrensablaufs im Falle der Zulassung dienen.679 3. Hinreichende Ähnlichkeit der Ansprüche Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten zu definieren, wie weitreichend die Ähnlichkeit der Einzelansprüche sein muss. Die Mitgliedstaaten sollen in einem frühen Verfahrensstadium die Überprüfung der Eignung des Falles unter Berücksichtigung des Verstoßes und der Schadensmerkmale für eine Abhilfeklage ermöglichen.680 Zur Vermeidung ineffizienter und langwieriger Verfahren sollten nur solche Fallgestaltungen einer Bewältigung im Rahmen einer Abhilfeklage zugänglich gemacht werden, bei denen individuelle Aspekte keine zu großen Differenzen aufweisen. Die im Rahmen der Abhilfeklage anmeldbaren Ansprüche sollten also eine hinreichende Ähnlichkeit erfordern.681 Die Filterung solcher Klagen mit vielen individuellen Streitpunkten dient nicht nur der Verfahrenseffizienz, sondern sichert auch die betroffenen Verbraucher gegenüber einer 675
Hierzu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 607, Rn. 6 ff. Für einen Eröffnungsbeschluss: Lutz, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 4, 7 f. Siehe auch: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 12. 677 ErwGr. 49 S. 3 RL sieht eine frühestmögliche Prüfung dahingehend vor, ob sich die Art des Verstoßes und der Schäden für eine Verbandsklage eignen. Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (831). 678 Dies sollten allerdings trotzdem formal getrennte Termine sein. Gegen eine Anhörung bei der Musterfeststellungsklage: Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (330); anders: Schneider, BB 2018, 1986 (1991). 679 Vgl. zum Vorschlag einer Case Management Conference bei der Musterfeststellungsklage: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 21. 680 ErwGr. 12 S. 3 und ErwGr. 49 S. 3 RL; vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (831); Woopen, JZ 2021, 601 (607). 681 Siehe auch: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (185). Deren Ausführungen beziehen sich auf eine Verbindung von Abhilfeansprüchen, wodurch von einer Einbeziehung der Ansprüche der Verbraucher ausgegangen werden dürfte. Rechtsvergleichend werden zumeist ähnliche Tatsachen- und Rechtsfragen als notwendig angesehen, vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 208; zur commonality bei der US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 31, 84 f.; Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (18); Fiedler, Class Actions, S. 57 f. 676
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ungenauen oder unrichtigen Ermittlung des Sachverhalts, der durch die „Mediatisierung“ des Verfahrens Vorschub geleistet zu werden droht, ab.682 Außerdem ermöglicht dies eine Eingrenzung sowie Feststellung der betroffenen Verbrauchergruppe und bietet eine Überprüfungsgrundlage für die Teilnahmeberechtigung des einzelnen Verbrauchers.683 Eine entsprechende Ähnlichkeit der Individualansprüche sollte bereits in der Klageschrift dargelegt werden und eine Zulässigkeitsvoraussetzung im Rahmen der Statthaftigkeit bilden. Anders als in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sollte daher nicht nur das prozessuale Begehren und der Lebensvorgang benannt werden,684 sondern es sollte auch erforderlich sein die hinreichende Ähnlichkeit in Bezug auf die zu erwartenden Individualansprüche schlüssig darzulegen. Entscheidend dürfte hierfür sein, dass die Tatsachen- und Rechtsfragen gleich oder doch zumindest sehr ähnlich sind.685 Die einheitlich entscheidbaren Punkte müssten die individuellen Aspekte klar überwiegen.686 Der gemeinsame tatsächliche Ausgangspunkte sollte in der Praktik (Art. 3 Nr. 8 RL) des Unternehmers liegen. Diese sollte ein im Wesentlichen gleichartiges sowie sachlich und zeitlich einheitliches Geschehen bilden, aus welchem Ansprüche resultieren, die sich hinsichtlich ihrer Entstehensgründe, möglichen Einwendungen und Anspruchshöhen vereinheitlichen lassen.687
682 Vgl. Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (406). Vgl. zu dieser Gefahr der Sachverhaltsferne bei anwaltlicher Vertretung: Stürner, JZ 1986, 1089 (1090). 683 Vgl. zur Gruppenbildung bei der US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 77 ff. 684 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 253, Rn. 23, 25. 685 Vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 208. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag schlägt eine Orientierung an §§ 59, 60 ZPO vor. § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VDuG-E ist insoweit deutlich restriktiver, demnach sollen bereits unterschiedliche Rechtsfragen bzw. abweichende entscheidungserhebliche Tatsachen einer Gleichartigkeit entgegenstehen, so: VRUG-E, S. 87. Für niedrigere Hürden plädierend: Meller-Hannich, DB 2023, 628 (630); siehe auch den Änderungsvorschlag des Bundesrates: BR-Drs. 145/23, S. 2 f. 686 Vgl. für die US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 106. Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 9, 44. § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VDuG ist verglichen mit der class action enger, da weitgehende „Deckungsgleichheit“ der Ansprüche gefordert wird: Dittmann/Gollnast, VuR 2023, 135 (137). 687 Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (185) schlagen einen gemeinsamen Entstehungsgrund und eine Möglichkeit der Vereinheitlichung der Schadenshöhen vor. Auch insoweit reduziert § 15 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VDuG-E den Anwendungsbereich deutlich (vgl. VRUG-E, S. 87). Die Konkretisierung dürfte weitere Fragen aufwerfen, so auch: Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 69; der Rechtsprechung überlassen: Egler, DB 2023, 4 (5); exemplarisch zum beschränkten Anwendungsbereich: Schultze-Moderow/Steinle/Muchow, BB 2023, 72 (74, 76); einen ersten Auslegungsansatz unternehmen: Dittmann/Gollnast, VuR 2023, 135 (136 ff.). Der hier vorgeschlagene weitergehende und flexiblere Ansatz wird durch den VDuG-E ausgeschlossen. Unklar bleibt, ob die im VRUG-E, S. 87 angesprochene Verbindung und der Hinweis auf eine objektive Klagehäufung eine Möglichkeit zur Zusammenfassung nicht absolut
314 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Die Richtlinie lässt es ausdrücklich zu, dass die Mitgliedstaaten für einen Optin-Mechanismus die Zustimmung einiger Verbraucher bereits vor der Erhebung der Abhilfeklage einfordern.688 Dies sollte genutzt werden, um dem Gericht eine Entscheidungs- und Bewertungsgrundlage zu verschaffen und die tatsächliche Relevanz des Verfahrens zu belegen. Entsprechend sollte die qualifizierte Einrichtung in Anlehnung an § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO durch die Vorlage von mindestens zehn Prozessführungsermächtigungen glaubhaft machen, dass aus dem einheitlichen Lebenssachverhalt Ansprüche mit im Wesentlichen ähnlichen Tatsachen- und Rechtsfragen von mindestens zehn Verbrauchern resultieren.689 Die endgültige Entscheidung über die Erfüllung des Ähnlichkeitskriteriums sollte im Ermessen des Gerichts liegen, da dieses die Fähigkeit zur Verfahrensbewältigung am besten evaluieren kann. Die Ermessensentscheidung sollte jedoch an intendierende Kriterien gebunden werden. Beachtung bei der gerichtlichen Ermessensentscheidung sollte insbesondere die prognostizierte Gruppengröße erlangen. Einerseits spricht eine große Gruppe – solange die individuellen Aspekte überschaubar bleiben – für die Notwendigkeit einer solchen Klage und damit für deren Zulassung.690 Andererseits könnte bei einer kleineren Gruppengröße die Bewältigung individueller Tatsachen- und Rechtsfragen die Verfahrensdurchführung deutlich weniger beeinträchtigen. Entsprechend sollte auch die Möglichkeit der Untergruppenbildungen für die Feststellung der hinreichenden Ähnlichkeit relevant sein. Wenn eine Reduzierung der Unterschiedlichkeiten durch Untergruppen erfolgen kann, sollte dies nicht zur Ablehnung berechtigen.691
gleichartiger Ansprüche, vergleichbar dem Ergebnis einer Untergruppenbildung, im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens, ermöglichen soll. Mit Blick auf die Komplexität des Verfahrens und die Enge des Gleichartigkeitsbegriffs scheint dessen Mehrwert gegenüber bestehenden Modellen jedoch fragwürdig, hierzu: Scherer, VuR 2022, 443 (448); Dittmann/Gollnast, VuR 2023, 135 (137 f.). 688 ErwGr. 44 RL. 689 Auf eine Ausgestaltung vergleichbar zu § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO weisen Grewe/ Stegemann, ZD 2021, 183 (183) hin. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 23 fordern die Beschreibung einer Gruppengröße von mind. zehn Verbrauchern. Vertiefend zu Mindestzahlen die Übersicht bei Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 208 f. § 5 Abs. 1 Nr. 2 VDuG-E fordert eine Glaubhaftmachung der Betroffenheit/Abhängigkeit von mind. 50 Verbrauchern bzw. ihren Ansprüchen. 690 Vgl. speziell aus Gründen der Prozessökonomie und des Justizzugangs das „Überlegenheitserfordernis“ als Zulässigkeitsvoraussetzung des kollektiven Rechtsschutzes: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 209 f. 691 Die Untergruppenbildung ist bei der US-Sammelklage ein Mittel zur Bewältigung individueller Konstellationen, siehe nur: Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (408); Bruns, Rechtsgutachten, S. 20; Eichholtz, Class Action, S. 51. Dies ermöglicht die Berücksichtigung von Ansprüchen, die verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen, vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (831) und Thönissen, ZZP 134 (2021), 273 (299). Ablehnend zur Übertragung in dt. Zivilverfahrensrecht: Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190).
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4. Ablauf der Anmeldung durch die Verbraucher und Prüfung der Zulässigkeit Einer näheren Erörterung im Rahmen dieser Arbeit bedarf die Anmeldung, da diese der Ausgangspunkt der Parteirollenverschiebung ist. Die Erteilung der Ermächtigung zur Prozessführung sollten die Anmeldeberechtigten, wie bei der Musterfeststellungsklage, über ein beim BfJ anzusiedelndes Klageregister vornehmen. Entsprechende elektronische Datenbanken zur Information über Verbandsklagen sind in der RL ausdrücklich vorgesehen und können hierfür die Grundlage bilden.692 a) Anmeldebefugnis Zunächst sollte geklärt werden, wer zur Anmeldung befugt ist. Die Richtlinie beschränkt sich auf eine Rechtsschutzgewähr zugunsten von Verbrauchern im Sinne des Art. 3 Nr. 1 RL.693 Die Richtlinie ist dementsprechend durchgehend auf den Dualismus der Verbraucher- und Unternehmerrolle ausgerichtet, was sich schon am Schutzgut der Verbandsklage nach Art. 3 Nr. 5 RL, nämlich der Kollektivinteressen bzw. Gruppeninteressen der Verbraucher zeigt. Es könnte allerdings erwogen werden, im Rahmen der nationalen Umsetzung den personellen Anwendungsbereich auch auf Unternehmer auszudehnen. Eine solche überschießende Umsetzung von Richtlinien ist im Grundsatz zulässig.694 Allerdings gilt dies nur, wenn sich dadurch kein Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie ergibt.695 Entsprechend wird teilweise unter Verweis auf ErwGr. 18 RL eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs gefordert, um möglichst umfassend Rechtsschutzdefiziten begegnen zu können.696 Der Verweis auf ErwGr. 18 RL begegnet allerdings Bedenken, da dieser sich systematisch vor allem auf den zuvor erörterten sachlichen Anwendungsbereich beziehen dürfte, wofür die exemplarische Nennung in S. 2 spricht. Ein Widerspruch zur Richtlinie könnte sich aus der ausdrücklichen Beschränkung des Interessenschutzes auf Verbraucher ergeben. So bestimmt die Richtlinie explizit, dass „Verstöße, die natürliche Personen, die (. . .) als Unternehmer anzusehen sind, schädigen, (. . .) nicht unter diese Richtlinie fallen“.697 Eine nationale weitergehende Umsetzung würde sich zumindest insoweit 692
Vgl. Art. 14 Abs. 1 und ErwGr. 63 RL. Siehe auch: ErwGr. 14 S. 1 RL. Hierfür dürften kompetenzrechtliche Gründe ausschlaggebend gewesen sein: Woopen, JZ 2021, 601 (602). Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (547) geht von einer Verbandsklageberechtigung von Unternehmern aus, dies übersieht aber ErwGr. 14 S. 2 RL. 694 Siehe nur: Leidenmühler, EuR 2019, 383 (386 f.). 695 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV, Rn. 131. 696 So wohl: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 697 ErwGr. 14 S. 3 RL. Bereits S. 2 normiert, dass nur die Interessen von Verbrauchern von der Richtlinie geschützt werden sollen. Auch ErwGr. 16 S. 2 RL will ausdrücklich eine Verweisung nur auf verbraucherschützende Bestimmungen sicherstellen. 693
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der Gefahr eines Widerspruchs zur Richtlinie aussetzen. Allerdings wurde das Verhältnis zwischen Nichtverbrauchern und Unternehmern im Rahmen der Richtlinie gerade nicht geregelt, zumal aus einer Erweiterung des Berechtigtenkreises noch kein Widerspruch zur Regelungsintention mit Blick auf den Verbraucherschutz folgt, da dieser hierdurch nicht nachteilig betroffen wird. Die Richtlinie dürfte daher einer Erweiterung nicht entgegenstehen.698 Insbesondere im Hinblick auf die Zivilprozessordnung wäre ein umfassender Anwendungsbereich zur Vermeidung einer übermäßigen und systemfremden Materialisierung des Prozessrechts begrüßenswert.699 Eine Ausdehnung sollte daher nachdrücklich verfolgt werden.700 Aufgrund der durch die Musterfeststellungsklage vorgegebenen bisherigen gesetzgeberischen Präferenz einer Beschränkung auf Verbraucher wird diese dennoch den nachfolgenden Ausführungen zugrunde gelegt.701 Die Ausgestaltungsvorschläge der Arbeit ließen sich bei einem umfassenden Anwendungsbereich sogar leichter verwirklichen, da dies reduzierte Prüfungs- und Nachweiserfordernisse zur Folge hätte. Auf die Vorteile einer umfassenden Anwendung wird demgegenüber bei der Bewertung der Eingliederung in die Zivilprozessordnung zurückzukommen sein.702 Die Definition des § 29c Abs. 2 ZPO sollte dementsprechend – sofern keine umfassende Umsetzung erfolgt – weiterhin maßgeblich für den personellen Anwendungsbereich sein,703 da diese Definitionen einen sachlich umfassenden Anwendungsbereich sichern.704 Dies dürfte im Einklang mit Art. 3 Nr. 1 RL stehen; zwar äußert sich dieser nicht zu gemischten Geschäften, sondern spricht nur von Zwecken „außerhalb“ entsprechender Tätigkeiten, was auch für rein private Geschäfte sprechen könnte. Allerdings bezieht sich die Richtlinie zugleich auf die Verbraucherrechterichtlinie,705 was im Sinne einer einheitlichen Anwendung und damit für eine Einbe-
698 Vgl. auch: Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (41); Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 86 f. 699 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 1. a). 700 Zu den Vorteilen eines umfassenden Anwendungsbereichs: Meller-Hannich, DRiZ 2018, 298 (298, 300). Siehe für eine Ausdehnung nur: Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (201). 701 Die Bundesregierung für die 20. Legislaturperiode plant lediglich eine Ausweitung auf kleine Unternehmen: Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP, S. 106. § 1 Abs. 2 VDuG-E stellt kleine Unternehmen den Verbrauchern gleich. Dies ist zwar weitergehend als bislang und damit zu begrüßen, ein umfassender Anwendungsbereich wird hiermit jedoch nicht erreicht, vielmehr erhöht sich der Prüfungs- und Abgrenzungsaufwand. 702 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 C. 703 Siehe auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 22 f. 704 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 29c, Rn. 2. 705 Anhang I Nr. 37 zur RL.
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ziehung solcher Ansprüche, die nicht überwiegend gewerblich/beruflich begründet sind, den Ausschlag geben sollte.706 b) Ablauf der Anmeldung Die möglichst weitreichende Benachrichtigung der potenziell betroffenen Verbraucher ist für die Erzielung einer großen Breitenwirkung der Abhilfeklage von entscheidender Bedeutung.707 Neben der Verpflichtung der qualifizierten Einrichtung nach Art. 13 Abs. 1 RL über Verbandsklagen zu informieren,708 müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Abs. 2 RL eine Information der Verbraucher zur Ermöglichung einer Entscheidung über die Beteiligung sicherstellen.709 Die Anmeldung sollte über ein elektronisches Register beim BfJ erfolgen.710 Zur Entlastung des Gerichts sollte die Administration der Verbraucherinformation ebenfalls dem BfJ obliegen.711 Auch sollte es möglich sein, den Beklagten zur Herausgabe von Informationen (z. B. Kundendaten) unter Wahrung der Vertraulichkeit und seiner Geschäftsgeheimnisse gegenüber dem BfJ zu verpflichten.712 Mit diesen könnte zugleich eine Verifikation der Anmeldeberechtigung erfolgen.713 aa) Zeitpunkt der Anmeldung Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten den Zeitpunkt festzulegen, zu welchem die Verbraucher über ihre Beteiligung an der Abhilfeklage entscheiden müssen (Art. 9 Abs. 2 RL);714 auch dieser Punkt bedarf unter dem Blickwinkel der Parteirollenverschiebung einer näheren Erörterung. Grundsätzlich wäre es denkbar, entweder zu einem frühen Zeitpunkt, erst gegen Ende oder gar am Ende eines Abhilfeklageverfahrens eine Anmeldung vorzusehen.715 Um ein möglichst 706 Vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (675): Art. 3 Nr. 1 RL entspreche der üblichen Verbraucherdefinition. 707 Siehe nur: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 216 ff. 708 Ausführlich: ErwGr. 58 RL. Siehe auch zu den Informationspflichten: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (48 f.); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73). 709 ErwGr. 59 RL. 710 Damit könnte auch die Verpflichtung des Art. 14 Abs. 1 RL umgesetzt werden. So auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (132). 711 Die Informationen sollten durch Zeitungsbeiträge, in sozialen Medien, dem Register und auf Onlinemarktplätzen erfolgen, ggf. auch durch eine elektronische oder briefliche Benachrichtigung. Vgl. ErwGr. 61 S. 1–3 RL. 712 Vgl. zum Geheimnisschutz: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 234 f. m.w. N. 713 Vgl. auch: Fiedler, Class Actions, S. 167 ff. 714 ErwGr. 43 S. 5 RL; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50) nimmt an, dass dem Verbraucher eine frühzeitige Bindung nicht abverlangt werden kann. ErwGr. 47 RL enthält jedoch nur eine Ausgestaltungsmöglichkeit/Empfehlung. Gemäß Art. 9 Abs. 2 RL obliegt die Entscheidung den Mitgliedstaaten. 715 Hierauf weisen Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 10 hin, die von einer Entscheidung zwischen einer Anlehnung an die Verbandsunterlassungsklagen (mandats-
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unkompliziertes sowie Art. 103 Abs. 1 GG wahrendes Verfahren zu entwickeln schlagen Gsell und Meller-Hannich ein nach Erlass des Abhilfeurteils ansetzendes Opt-in-Verfahren vor.716 Hierdurch soll in Anlehnung an die Verbandsunterlassungsklagen ein einfaches Verfahren mit Schadenstitulierung geschaffen werden, bei welchem der Nachweis der Leistungsberechtigung und Anspruchshöhe erst in einem nachfolgenden Vollzugsverfahren durch einen Treuhänder erfolgt.717 Die Wahl einer solche Ausgestaltung könnte allerdings keine zufriedenstellenden Ergebnisse herbeiführen. Bereits die Annahme, im Rahmen der Klage auf Abhilfe sei eine Kenntnis von den betroffenen Verbrauchern nicht notwendig,718 kann nicht vollständig überzeugen.719 Die Feststellung individueller Besonderheiten und eine dafür relevante Sachverhaltsaufklärung sowie Beweiserhebung werden dann entweder gänzlich unterbleiben720 oder – und das stellt letztlich eine reine Problemverlagerung dar – auf das Verfahren nach Urteilserlass verschoben.721 Ein entsprechend leistungsfähiges Register722 wäre auch nach diesem Konzept nicht entbehrlich, sondern würde nur zeitlich später eingreifen, ohne der Informationsbeschaffung für das Verfahren selbst dienlich sein zu können, wobei Streitigkeiten im Abwicklungsstadium wiederum vom Gericht entschieden werden müssten.723 Jedoch dürfte gerade diese Art der Ausgestaltung im Hinblick auf Art. 9 Abs. 6 RL zweifelhaft sein. Der Richtlinie liegt die Vorstellung zugrunde, dass bereits mit Erlass der Abhilfeentscheidung die Leistungsberechtigung geklärt sein muss und weitere Klagen gerade nicht notwendig sind. Dies gewährleistet das vorgeschlagene Konzept nicht, da es zweifelhaft sein unabhängig) oder die Musterfeststellungsklage (mandatsabhängig) sprechen. Siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). 716 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 20 f. 717 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 20 f., 26 f. argumentieren mit den Vorzügen eines leicht handhabbaren Verfahrens wie der Unterlassungsklage, bei der es keines Verbrauchermandats bedarf. Dies dürfte aber dem abweichenden Charakter einer Leistungsklage, gerichtet auf individuelle Abhilfe, kaum gerecht werden. Die Vollstreckungslast obläge dem Verbraucher, ebenda, S. 31. Siehe auch: Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (41); Gsell, BKR 2021, 521 (528 f.). Ein ähnliches zweistufiges Modell schlägt Vollkommer, MDR 2021, 129 (134, 138) vor; siehe auch: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677, 679). Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (199 f.) schlagen eine Art Grundurteil mit anschließendem Beitritt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vor. 718 So Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 22. 719 Auf Probleme weist Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 86 hin. Siehe auch die Kritik bei: Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (199). 720 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 20. Vgl. allg. die Kritik bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 16 „unterkomplex ausgestaltet“ und ebenda, S. 27, 47 f. 721 So auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 16; Bruns, WM 2022, 549 (552). 722 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 28. Zweifelnd an einer derartigen Ausgestaltung auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). 723 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 27, die aber von einer Steigerung der einvernehmlichen Beilegung ausgehen.
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dürfte, inwiefern es dem Gericht gelingt, eine generell-abstrakte Vorabfestlegung von Fragen, die gerichtlich und solchen, die nach Urteilserlass außergerichtlich zu klären sind, zu treffen.724 Ferner dürfte die bloße Kenntnis der betroffenen Verbrauchergruppe infolge von Marktanalysen und -beobachtungen kaum ausreichen, eine umfassende Kenntnis über die möglichen Sachverhaltsgestaltungen zu erlangen, zumal damit deren Nachweis noch nicht gesichert wäre.725 Auch droht der Ausschluss einzelner Verbraucher in der Kompensationsphase,726 trotz objektiv vorhandener Ansprüche, wenn deren Sachverhaltsgestaltung im Abhilfeverfahren unberücksichtigt blieb oder wenn diese nicht zur umfassten Gruppe gehören, obwohl sie im Vertrauen auf das Verfahren von einer Individualklage abgesehen haben. Außerdem dürfte Verbrauchern im Allgemeinen durch den zeitlichen Ablauf der Nachweis ihrer Berechtigung erschwert werden.727 Auch könnten Verbraucher das Verfahren, bei bestehender Verjährungshemmung728 abwarten, um anschließend im Falle der Unzufriedenheit mit dem Ergebnis trotzdem eine Individualklage zu erheben, wodurch die Befriedungsfunktion ausbliebe.729 Gegen eine solche Ausgestaltung spricht außerdem, dass dies – entgegen der Konzeption der RL730 – die Teilnahme von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten faktisch ausschließt. Die Verbraucheransprüche werden in diesem Fall sehr häufig nicht dem deutschen Recht unterliegen.731 Das Gericht müsste, um eine Teilnahme von Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, antizipierend zu allen in Betracht kommenden Rechtsordnungen ein Ab724 So auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830). Siehe auch zur Detailierung der Abhilfeentscheidung ErwGr. 50 RL. Eine Unterscheidung nach gerichtlichem und administrativem Verfahren kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Richtlinie (vgl. ErwGr. 19 RL) sowohl Gerichts- als auch Verwaltungsverfahren als Durchsetzungsverfahren gleichsetzt. Siehe zur Kritik auch: Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (199). 725 So aber: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 21. 726 Hier prüft der Treuhänder die Erfüllung der entsprechenden Gruppenmerkmale, Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 26. 727 Die von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 5 angestrebte Streuschadensliquidation würde damit deutlich erschwert. 728 Auch die Verjährungshemmung solle mandatsunabhängig ausgestaltet werden: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 37. 729 Hierzu: Bruns, Rechtsgutachten, S. 15 f.; Bruns, WM 2022, 549 (552 ff.). 730 Siehe insb.: Art. 6, ErwGr. 20 S. 1, 23 S. 4 RL. Zwar möchte das Gutachten grenzüberschreitende Rechtsverstöße und Verbandsklagen weitgehend ausklammern (Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten S. 6), das entspricht aber nicht der Richtlinienkonzeption, die ein Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten offenstehendes Verfahren anstrebt. 731 Vgl. zum Kollisionsrecht: Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (160 ff.); Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (324 f., 327 f.); Basedow, EuZW 2018, 609 (613). Die Frage ist auch nicht theoretischer Natur, haben sich doch zum Verfahren gegen VW auch Ausländer angemeldet.
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hilfeurteil erlassen.732 Eine frühe Anmeldung hingegen könnte eine Berücksichtigung durch eine Untergruppenbildung gewährleisten. Eine „verhaltene Prozessstandschaft“ 733 würde zudem einen Bruch mit dem individuellen Rechtsschutzsystem der ZPO darstellen,734 da die Ermittlung des Schadensbetrages lediglich abstrakt erfolgen könnte.735 Woraus sich die Gefahr einer entweder zu hohen736 oder zu niedrigen Schadensbemessung ergibt, was die Ausgleichsfunktion des Schadensrechts entwertet.737 Letztlich birgt eine völlige Nichtberücksichtigung von individuellen Aspekten im Wege einer abstrakten Schadensermittlung die Gefahr einer Loslösung von der tatsächlichen materiellen Rechtslage.738 732 Bei einem europaweit tätigen Unternehmen würde dies wegen Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zur möglichen Berücksichtigung aller Rechtsordnungen führen. Gsell/MellerHannich, vzbv-Gutachten, S. 26 gehen von der Anwendbarkeit ihres Verfahrens, ohne vertiefende Ausführungen, aus. 733 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 25. Ähnlich jedoch das Konzept der §§ 14 ff. VDuG-E, wobei dieses sich– vergleichbar der funktionalen Prozessstandschaft – in seiner ersten Stufe bereits auf die Ansprüche bezieht, gleichzeitig verlagert sich das weitere Verfahren, sofern kein Vergleich nach § 17 VDuG-E geschlossen wird, aber aus der gerichtlichen Sphäre hinaus. Die Erfassung der Rechtsnatur wird dabei durch eine mögliche Unterscheidung zwischen Verfahren für konkret benannte und unbenannte Verbraucher (VRUG-E, S. 86) erschwert. Jedenfalls im ersten Fall käme eine Orientierung an einer Prozessstandschaft in Betracht, insbesondere würde der Leistungsausspruch sich konkret auf diese beziehen (vgl. VRUG-E, S. 86). Aufgrund der (wohl) nicht vorgesehenen Rechtshängigkeit (weitergehend in der Ablehnung: Scherer, VuR 2022, 443 (445)), bei gleichzeitiger Adressierung der Individualansprüche (vgl. § 46 Abs. 1 S. 1 VDuG-E) und einer Bindungswirkung (§ 11 Abs. 3 S. 1 VDuG-E) sowie der gesetzgeberischen Annahme einer Betroffenheit von individuellen Ansprüchen, welche jedenfalls durch eine Glaubhaftmachung nach § 4 Abs. 1 VDuG-E belegt werden muss, bietet sich auch insoweit die Einordnung als gesetzlich typisierte (funktionale) Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage an. Eine einheitliche Erfassung der Rechtsnatur bietet sich zudem – auch wenn dies keinen Begründungsansatz ersetzen kann – mit Blick auf die angestrebte Verzahnung der Verbandsklagearten nach dem VDuG-E an (vgl. VRUG-E, S. 77). I. Ü. vermeidet dies eine konstruktive Zusammenfassung der im weiteren Verlauf getrennt zu behandelnden Ansprüche auf der ersten Stufe, was durch die individuelle Bindungswirkung des Abhilfegrundurteil, trotz seines generalisierenden Charakters, gerechtfertigt würde und im Betragsverfahren wieder aufzulösen wäre. 734 Vgl. Lange, Gruppenverfahren, S. 32 f. In diese Richtung auch: Bruns, WM 2022, 549 (552). 735 Es soll entsprechend durch Gruppenbildung und pauschalierende Schätzung nach § 287 ZPO eine „Komplexitätsreduzierung“ erreicht werden, Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 32. 736 Vgl. zu Vermögensschäden: Schäfer, Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (93 ff.). Eine Überkompensation soll durch eine Schätzung dergestalt erfolgen, dass die Einzelschäden den durch Schätzung ermittelten Höchstschaden nicht übersteigen: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 32 f. 737 Lühmann, ZIP 2021, 824 (830 f.). 738 Zu diesem Eingriff in das materielle Recht durch Verfahrensrecht vgl. Stürner, Verfahrensrecht und materielle Gerechtigkeit, in: Liber Amicorum Henckel, S. 359 (371).
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Demgegenüber hätte ein früher zeitlicher Ansatzpunkt für die Anmeldung, verbunden mit einer Prüfung der Anmeldung, für den Verbraucher und die Parteien den erheblichen Vorteil einer gesteigerten Rechtssicherheit.739 Auch ist eine frühe Entscheidung über die Beteiligung dem Verbraucher wegen der kostengünstigen Rechtsverfolgungsmöglichkeit durchaus zumutbar.740 Auch dogmatisch würde sich eine frühzeitige Prozessstandschaftslösung besser in die ZPO einfügen.741 Aus den genannten Gründen sollten auch die in der Richtlinie optional zugelassene Verbraucherabhilfe und die Nutzenziehung nach Urteilserlass ohne einen zuvor erfolgten Beitritt nicht umgesetzt werden.742 bb) Ausgestaltung der Anmeldung zum Abhilfeverfahren Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, die Art und Weise der Zustimmung respektive Ablehnung auszugestalten,743 wobei die Notwendigkeit einer Ausgestaltung als Opt-in-Verfahren bereits dargelegt wurde.744 Zu klären sind noch der genaue Zeitpunkt der Anmeldung und deren Modalitäten. Zur Verwirklichung des intendierten Beklagten- und Verbraucherschutzes sollte eine Anmeldung erst nach Abschluss des Zulassungsverfahrens möglich sein. Um den Verfahrensgegenstand möglichst in einem frühen Verfahrensstadium zu konkretisieren, sollte die Anmeldung nur bis zum Tag vor dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung (vgl. § 608 Abs. 1 ZPO) zugelassen werden. Die Möglichkeit einer Rücknahme der Anmeldung745 sollte beschränkt werden auf das Ende des Tages des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung. Zwar wurde diese Regelung des § 608 Abs. 3 ZPO vielfach kritisiert,746 dennoch ermöglicht dieser Zeitpunkt eine Überprüfung der Anmeldeberechtigungen zu Beginn des Verfahrens und bewirkt eine Festlegung der im Verfahren zu beurteilenden Ansprüche. Ein späterer Zeitpunkt hätte einen deutlich erhöhten gerichtlichen Prüfungsaufwand zur Folge und erschwert den Parteien die Prozessfüh739 Im Wege der Anmeldeüberprüfung wäre die Kritik von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 19 an der Unzulänglichkeit des Registers zu berücksichtigen. Für einen frühzeitigen Opt-in: Bruns, Rechtsgutachten, S. 22, 29 f. § 46 Abs. 1 S. 1 VDuG-E wählt in zeitlicher Hinsicht einen Mittelweg. 740 Dem Haftungsrisiko (Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 19) könnte der Gesetzgeber mit einem Haftungsausschluss begegnen. 741 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. III., dort insb. 2. und Kap. 3 B. II. 3. b) aa). 742 So die Möglichkeit nach ErwGr. 47 RL, hierzu: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (196). Dagegen auch Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 86. 743 ErwGr. 43, Art. 9 Abs. 2 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (72). 744 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. II. 2. und 4. 745 ErwGr. 46 S. 2 RL geht von der Möglichkeit einer Anmelderücknahme aus. 746 Siehe nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608, Rn. 9. Ähnlicher Ansatz wie hier bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 47.
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rung, da mitunter deutliche Veränderungen im Verfahrensgegenstand zu erwarten wären.747 Die Richtlinie enthält keine Mindestzahl an betroffenen Verbrauchern für die Zulässigkeit einer Abhilfeklage, sondern überlässt es den Mitgliedstaaten eine solche festzusetzen.748 In Anlehnung an die Musterfeststellungsklage dürfte die Zahl von 50 wirksamen Anmeldungen eine durchaus vernünftige Größenordnung darstellen.749 Teilweise wird zwar für eine reduzierte Größe der betroffenen Verbrauchergruppe vorgebracht, dass dies die Kosten für die qualifizierte Einrichtung reduziere und ein frühzeitiges Eingreifen ermögliche.750 Sinnvollerweise sollte kollektiver Rechtsschutz aber erst dann eingreifen, wenn eine größere Gruppe möglicherweise einen Schaden erlitten hat.751 Ohnehin dürfte erst bei zwei oder drei Verbrauchern von einer Gruppe im Sinne der Legaldefinition der „Kollektivinteressen der Verbraucher“ nach Art. 3 Nr. 3 HS. 2 RL auszugehen sein.752 Bei einer zu geringen Gruppengröße würden Justizressourcen unökonomisch eingesetzt und die qualifizierte Einrichtung müsste Klagen mit großem Aufwand, aber begrenzter personaler Wirkung führen: Die Erzielung von Skaleneffekten würde verhindert.753 Die Tatsache, dass die Abhilfeklage bei einer größeren Zahl von Verbrauchern administrative und finanzielle Schwierigkeiten für die qualifizierte Einrichtung hervorruft,754 ist kein Argument gegen eine Mindestgröße, sondern für eine ausreichende Finanzierung.755 747 Die Kritik einer fehlenden Reaktionsmöglichkeit auf eine mangelhafte Prozessführung übersieht, dass bei einer Individualklage mit Anwaltsmandatierung für den Verbraucher in der Regel die sachkundige Überwachung kaum möglich sein dürfte. Demgegenüber besteht die Möglichkeit einer kostengünstigen Rechtsverfolgung, die ggf. fehlende Regressmöglichkeiten zumindest abmildert. Für Einschränkungen der Registrierungsrücknahme auch: Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 87. 748 ErwGr. 12 S. 3 RL; Augenhofer, NJW 2021, 113 (114); Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (183); siehe auch: Gsell, BKR 2021, 521 (524), allerdings unter begrenzendem Hinweis auf den effet utile. 749 So auch: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (183); siehe auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). A. A. Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678). Anders auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 55: 500–1000. 750 Augenhofer, NJW 2021, 113 (114) geht davon aus, dass mindestens zwei bis drei Verbraucher betroffen sein müssen. Sieht hierin jedoch ein Hindernis, da dies Fälle ausschließt, in denen zukünftig Verstöße begangen werden, aber aktuell erst ein bis zwei Verstöße vorliegen. 751 Die US-Sammelklage enthält dementsprechend ein sog. numerosity-Kriterium, Eichholtz, Class Action, S. 31, 81 ff.; Fiedler, Class Actions, S. 57. 752 Siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Kap. 2 D. III. 2. a). ErwGr. 1 S. 1 RL bezieht sich auf eine „große Zahl von Verbrauchern“. 753 Vgl. für Massenschadensereignisse die Ausführungen unter Kap. 1 A. I. 2. 754 Vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (114). 755 Vgl. zur geplanten Stärkung der Finanzierung des vzbv: Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, S. 112.
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Die Ausgestaltung des Onlineanmeldeformulars sollte verglichen mit § 608 Abs. 2 ZPO deutlich stärker an die jeweilige Abhilfeklage angepasst werden. Zu diesem Zweck müsste die Eingabemaske bereits auf den konkreten Fall zugeschnitten sein. Die Angaben sollten keinen zu niedrigen Detailierungsgrad aufweisen, aber durch eine entsprechende Strukturierung, durch Fragen und eine Ausfüllanleitung für den Laien handhabbar sein.756 Hierfür wäre eine Orientierung an bereits existierenden Legal-Tech-Modellen sinnvoll.757 Für die Ausgestaltung sollten die Parteien dem Gericht Vorschläge unterbreiten können. Die Anmelder müssten sich verpflichten, den Anspruch vollständig anzumelden, damit eine umfassende Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung begründet und eine umfassende Streitbeilegung erreicht werden kann. Neben Angaben zum Sachverhalt und zu den möglichen Ansprüchen könnten die Parteien die Abgabe von eventuell erforderlichen Gestaltungserklärungen für den Registereintrag anregen.758 Zur Vermeidung fehlerhafter Anmeldungen sollte das Gericht die Beifügung von Nachweisen anordnen können.759 Derartigen Nachweiserfordernissen ist zwar die Tendenz inhärent, die Anmeldebereitschaft bei niedrigen Streitwerten zu senken, allerdings stellen sie einen sachgerechten Kompromiss zwischen einer niedrigschwelligen Anmeldung und dem notwendigen Nachweis der Betroffenheit dar.760 Auch lässt die Richtlinie die Notwendigkeit von Beweisen zur Teilhabe an der Abhilfe zu.761 Die variable Gestaltung der Anmeldung und die Überprüfung der Berechtigung im gerichtlichen Verfahren sollen die Ab-
756 Siehe auch Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 86, die auf die Ansätze der ODR-Plattform verweist. Zu Ansätzen bei der Musterfeststellungsklage: Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88) m.w. N. § 46 Abs. 2 VDuG-E sieht demgegenüber eine Beibehaltung des bisherigen Konzepts vor (vgl. VRUG-E, S. 116 f.), wodurch auch die implizit thematisierten Schwächen übernommen und in das Verfahren vor dem Sachwalter verlagert werden. Siehe auch: Meller-Hannich, DB 2023, 628 (631). 757 Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190). Vgl. hierzu die Vorschläge zur Registerausgestaltung bei: Woopen, NJW 2018, 133 (135 f.). 758 Vgl. Röthemeyer, VuR 2019, 87 (91), der für eine Weiterentwicklung der Musterfeststellungsklage auf eine Informationsabfrage bei der Anmeldung hinweist. Dies sollte auf Parteianregung geschehen, da sonst das Gericht erst die Rechtsverfolgung ermöglichen würde, dazu ausführlich: Fritsche, in: MüKoZPO, § 139, Rn. 36 f.; kritisch hierzu auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 368. Dieses standardisierte Vorgehen würde Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Abgabe von Gestaltungserklärungen vermeiden. 759 Z. B. Kaufvertrag, Bilder des Gegenstandes, Kundennummern. 760 Ähnlich: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 25, deren Anmeldung erst nach dem Verfahren erfolgen soll. Wodurch aber offensichtlich wird, dass die Konzeption eines ex post erfolgenden Opt-in nur den Aufwand zeitlich verschiebt. Für eine Glaubhaftmachung bei Kartellschäden: Fiedler, Class Actions, S. 176 ff. 761 Vgl. ErwGr. 58 S. 3 RL, wonach die qualifizierte Einrichtung die Verbraucher über Beweissicherungen zur Teilhabe am Nutzen der Abhilfeentscheidung unterrichten soll.
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hilfeklage für eine Vielzahl denkbarer Konstellationen öffnen.762 Außerdem verschafft sie den Parteien zusammen mit den Informationen über die Anmeldung eine Grundlage für ihre Prozessführung. Anders als unter Geltung des § 608 Abs. 2 S. 3 ZPO763 sollte bei der Abhilfeklage auch eine inhaltliche Überprüfung der Eintragung stattfinden.764 Andernfalls würde das Verfahren mit vermeidbarem Arbeitsaufwand durch mangelhafte oder fehlerhafte Anmeldungen belastet.765 Außerdem sieht die Richtlinie – anders als die Musterfeststellungsklage – kein zweistufiges Rechtsdurchsetzungsverfahren vor,766 wodurch keine Überprüfung in einem nachfolgenden Verfahren erfolgt. Auch hier könnten für die Filterung offensichtlich unberechtigter Anmeldungen Legal-Tech-Modelle genutzt werden.767 Allgemein sollte das Register eine deutliche Evolution erfahren. Es sollte auch der Arbeit des Gerichts dienen, Suchfunktionen enthalten, Bezugnahmen der Parteien auf Eintragungen, Kommunikation mit den Anmeldern768 und auch die Beibringung von Beweisen769 ermöglichen. Über die zaghaften Ansätze der elektronischen Prozessführung hinaus770 muss eine weitergehende Digitalisierung zur Bewältigung umfangreicher Verfahren angegangen werden. Das Register sollte eher eine „digitale Akte“ mit Zugriffsmöglichkeiten für Parteien und Gericht darstellen.771 Eine entsprechende Gruppierung der Anmeldung bereits im Register nach einer erfolgten Untergruppenbildung [dazu sogleich] wäre in diesem Sinne eine mögliche Arbeitserleichterung. 762 Das Konzept von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 27 bewirkt durch den notwendigen einfachen Nachweis im Verfahren vor dem Treuhänder hingegen eine Verengung des Anwendungsbereichs. Für eine Prüfung des individuellen Beitritts im gerichtlichen Verfahren: Bruns, WM 2022, 549 (554). 763 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 608, Rn. 15. 764 Dies vermeidet die von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 19 benannten Probleme. Das BfJ müsste jedoch personell aufgestockt werden. 765 Zu dieser Problematik: Stadler, VuR 2020, 163 (165); siehe auch: Windau, jM 2019, 404 (405); vgl. zu aktuellen Problemen des Registers: Prütting, ZIP 2020, 197 (200 f.). 766 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116). 767 Vgl. zu solchen Modellen für einfach gelagerte Sachverhalte: Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190 f.). Siehe zu Modellen im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage und dem Abgasskandal: Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88). Anschaulich zu Pilotprojekten in der Justiz: Lerch/Valdini, NJW 2023, 420 (423). 768 Beispielsweise über ein elektronisches Postfach. 769 Zu der beweisrechtlichen Relevanz der Anmelder, siehe die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 5. und 6. 770 §§ 130a–130c ZPO. 771 Auf die Notwendigkeit einer elektronische Prozessführung zur Nutzung von Effizienzgewinnen: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 65. Vgl. zu möglichen Ansätzen die Vorschläge der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ bei: Dickert, DRiZ 2020, 296 (297 ff.). Zur effektiven Anwendung der Relationstechnik durch elektronische Vortragszuordnung: Gaier, ZRP 2015, 101 (104).
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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c) Prüfung der Zulässigkeit der Abhilfeklage Zur Prüfung der Eignung der Klage für ein Abhilfeverfahren772 sollte gemäß § 280 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nach Abschluss der Anmeldephase die Zulässigkeit der Abhilfeklage amtswegig geprüft und abgesondert durch Zwischenurteil nach § 280 Abs. 2 S. 1 ZPO oder Endurteil entschieden werden.773 Aufgrund der hier vorgeschlagenen Rechtshängigkeit der Individualansprüche kommt es zu einer objektiven Klagehäufung. Somit muss die Zulässigkeit auch im Hinblick auf die einzelnen Ansprüche geprüft werden. Besonders relevant sind hierbei: die Prüfung der Verbrauchereigenschaft als doppelrelevante Tatsache,774 da nur Verbraucheranmeldungen die Prozessführungsbefugnis des Klägers begründen können, und die Zuständigkeit für die einzelnen Ansprüche als allgemeine Prozessvoraussetzungen775 sowie die hinreichende Ähnlichkeit der Ansprüche für die verfahrensmäßige Bewältigung als besondere Prozessvoraussetzung der Abhilfeklage.776 Außerdem müssen, da diese Grundlage für die Übertragung der Prozessführungsbefugnis ist, auch die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung und die Zulässigkeit einer eventuellen Finanzierung777 kontrolliert werden. Bei offensichtlich unbegründeten Klagen sollte es zu einer frühzeitigen Abweisung kommen (Art. 7 Abs. 7 RL);778 die rechtliche Grundlage hierfür kann sich auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für eine kollektive Abhilfeklage gründen.779 Da nach deutschem Prozessrecht die Unberührtheit der materiellen Verbraucheransprüche bei einer Klageabweisung als unzulässig unproblematisch ist,780 würde dies im Einklang mit der Richtlinie die Verbraucher schützen.781 772
Vgl. die Anforderung in: ErwGr. 49 S. 3 RL. Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 280, Rn. 4 f.; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 280, Rn. 6 f. Siehe auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 21 f. 774 Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (82 f.); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 1, Rn. 24 und ebenda, § 29c, Rn. 14; vgl. zum Verbraucherbegriff in der EuGVVO: BGH, Urteil vom 29.11.2011, Az. XI ZR 172/11, IPRax 2013, 164 (166). 775 Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 253, Rn. 15, 18, 22. 776 Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 253, Rn. 32. 777 Vgl. ErwGr. 52 UAbs. 2 S. 2 RL; Woopen, JZ 2021, 601 (607). 778 ErwGr. 39 S. 1 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (132); Lühmann, ZIP 2021, 824 (834); ausführlich: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (69). Nach dt. Prozessrecht wäre dies unproblematisch, vgl. auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (45). Siehe auch die Vorschläge bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 59 ff. Unzutreffend wohl die Einschätzung zum dt. Recht bei Schuschnigg, EuZW 2022, 1043 (1046). 779 Kritisch zur Verlagerung von Fragen der Begründetheit in die Zulässigkeit: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 140. 780 Gruber, in: BeckOKZPO, § 322, Rn. 35. 781 ErwGr. 12 S. 6 RL; ErwGr. 52 UAbs. 2 S. 3 RL. 773
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III. Ausgestaltung der Klageart Nachfolgend soll in der gebotenen Kürze die Ausgestaltung der Klageart erörtert werden. Diese steht zwar in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung, ihre Erörterung erscheint aber unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit und der generellen Eingliederung des Rechtsinstruments in die ZPO geboten. 1. Schaffung einer kasuistischen Klageart oder einer allgemeinen Leistungsklage Gemäß Art. 9 Abs. 1 RL und der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 RL soll „Abhilfe in Form von Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“ begehrt werden können.782 Eine derartige kasuistische Klageart ist der ZPO mit ihrer allgemeinen Leistungsklage, mit welcher allgemein ein auf Tun, Dulden oder Unterlassen gerichteter Anspruch durchgesetzt werden kann, bislang fremd.783 Der Inhalt des materiellen Anspruchs ist für die Leistungsklage insofern unerheblich,784 was mit einer kasuistischen Umsetzung aufgehoben würde, da dann die Klageart an den Vorstellungen des materiellen Rechts ausgerichtet würde.785 Eine Art Numerus clausus kennt die ZPO allerdings nur bei Gestaltungsurteilen.786 Um eine möglichst weitreichende Anspruchsdurchsetzung und Flexibilität bei der Wahl der Klageziele zu gewährleisten, sollte daher eine umfassende Umsetzung durch eine allgemeine Leistungsklage realisiert werden. Zwar äußert sich die Richtlinie nicht ausdrücklich zu einer weitergehenden Umsetzung der Klageziele, in Anbetracht des Mindestharmonisierungsansatzes dürfte aber eine überschießende Um782
ErwGr. 37 S. 2 RL. Siehe nur allg. zur Leistungsklage: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 253, Rn. 3. Zu den Handlungsbegehren: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 253, Rn. 7. Die Eigenschaft als Leistungsklage bleibt von der Verfahrensart unberührt, Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 85. In romanischen Rechtsordnungen hingegen existieren z. B. Einschränkungen bzgl. der Anspruchsgrundlagen, auf welche ein Anspruch gestützt werden kann: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 19 m.w. N. 784 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 75. 785 Dies kann zu Problemen führen, da gewisse Abhilfeziele nicht mit einem Anspruch im (nationalen) materiellen Recht identisch sind. So ist die Minderung ein Gestaltungsrecht, erst aus ihrer Ausübung folgen Ansprüche. Entsprechend enthielte eine Leistungsklage gerichtet auf „Preisminderung“ keinen Leistungsbefehl, denn ein Leistungsurteil umfasst eine Feststellung der Schuld und einen Leistungsbefehl (Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, Vor § 253, Rn. 8; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 74). Hier wäre lediglich eine Feststellung (Preisminderung) gegeben. Eine Leistung läge vor, wenn der Kläger z. B. zur Erstattung des Mehrbetrags verurteilt wird, was einen anderen Antrag erfordern würde. 786 Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Vor § 253, Rn. 15. In Richtung einer gestaltenden Wirkung bei der Abhilfeklage: Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 37. 783
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setzung in diesem Bereich zulässig sein.787 Aufgrund des lex fori-Grundsatzes788 wäre für die Anwendung auf Ansprüche, die einer anderen Rechtsordnung unterliegen, eine allgemeine und damit neutrale, vom materiellen Recht gelöste Umsetzung ebenfalls vorzugswürdig.789 2. Umfassender Anwendungsbereich anstelle einer Beschränkung auf den Richtlinienanhang Nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL sind nur solche Rechtsakte zwingend von der Abhilfeklage umfasst, die in Anhang I zur Richtlinie aufgelistet werden,790 teilweise ist nur die Anwendung einzelner Bestimmungen vorgesehen.791 Die Richtlinie stellt es den Mitgliedstaaten jedoch frei, die Abhilfeklage auf weitere Rechtsgrundlagen auszudehnen und somit überschießend umzusetzen.792 Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber sollte aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes und der Einfachheit die Abhilfeklage auf das gesamte Zivilrecht ausdehnen.793 Dies vermeidet einerseits Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Reichweite von Anhang I. Weitergehend ermöglicht dies die Begründung des Klagebegehrens unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, insbesondere auch die Einbeziehung einer umfassenden außervertraglichen Haftung.794 Da für diese prozessuale Frage der lex fori-Grundsatz gilt, wird außerdem eine diffizile 787 Vgl. hierzu: ErwGr. 42 S. 1 RL, dort ist von Klagezielen „wie etwa“ die Rede, was nur auf eine Mindestgewährleistung abzielen dürfte. So wohl auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (71); Lühmann, ZIP 2021, 824 (827). Vollkommer, MDR 2021, 129 (133) geht von einer abschließenden Aufzählung aus. § 14 VDuG-E sieht einen entsprechend umfassenden Anwendungsbereich vor. Zugelassen werden soll insbesondere die Zahlung eines Betrages an konkret benannte Verbraucher sowie die Zahlung eines Gesamtbetrages zur nachfolgenden Verteilung, VRUG-E, S. 86; ausführlich: MellerHannich, DB 2023, 628 (629 f.). 788 Ausführlich: Brinkmann, ZZP 129 (2016), 461 (461 ff.). 789 Vgl. auch: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 116. 790 Kritisch hierzu: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (66). 791 ErwGr. 16 RL. Vgl. auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 792 ErwGr. 18 S. 1 RL; Gsell/Meller/Hannich, vzbv-Gutachten, S. 9; Vollkommer, MDR 2021, 129 (131 f.); Lühmann, ZIP 2021, 824 (824). 793 Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (679). So wohl auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). Für eine Ausdehnung: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (183). Ebenfalls für eine Ausdehnung, bezogen auf das Verbraucherrecht: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44); Vollkommer, MDR 2021, 129 (136 f.) ebenfalls für Verbraucherrecht, mit einer Ausdehnung auf weitere Rechtsgebiete im Einzelfall. Vgl. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 15, die aufgrund rechtsvergleichender Erkenntnisse einen beschränkten Anwendungsbereich als hemmend bewerten. Siehe auch: Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (43). Die RL bezieht sich zudem auf Materien, die nicht dem Zivilrecht zuzurechnen sind, diese dürfen nicht ausgeschlossen werden, vgl. Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 288 f. Siehe ferner: § 1 Abs. 1 VDuG-E; positiv hierzu: BRAK, Stellungnahme, S. 4. 794 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 22 f. Art. 2 Abs. 2 und ErwGr. 42 S. 1 RL wollen ebenfalls außervertragliche Ansprüche einbeziehen.
328 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Ermittlung der konkreten Umsetzung im fremden Recht vermieden. Ohnehin hängt das Bedürfnis für eine effektive Verfahrensbewältigung nicht davon ab, ob die materiellen Ansprüche im europäischen oder aber im nationalen Recht begründet liegen. 3. Abhilfeklage durch mehrere qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Sofern die mutmaßliche Verletzung von Unionsrecht im Sinne des Art. 2 Abs. 1 RL die Rechte von Verbrauchern in mehreren Mitgliedstaaten gefährdet, soll es möglich sein, dass mehrere qualifizierte Einrichtungen – vorbehaltlich der Zuständigkeitsregelungen – zusammen mittels einer gemeinsamen Klageerhebung vor demselben Gericht tätig werden (Art. 6 Abs. 2 RL).795 Mit der gemeinsamen Klageerhebung dürfte eine Parteistellung jeder qualifizierten Einrichtung verbunden sein, weshalb eine Ausgestaltung anhand der Regelungen zur Nebenintervention oder Streithilfe ausscheidet.796 Auch dürfte es nicht zulässig sein, getrennte Abhilfeklagen mit einer wechselseitigen Nebenintervention vorzusehen.797 Es sollte daher für diese Konstellation zur Bildung einer Streitgenossenschaft kommen.798 Die qualifizierte Einrichtung sollte hierbei aus Gründen der Sachnähe zur adäquaten Prozessführung jeweils als Prozessstandschafter für die Ansprüche der Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in ihrem Benennungsstaat auftreten. Für solche Verbraucher, für die keine Einrichtung aus dem Staat ihres gewöhnlichen Aufenthalts als Streitgenosse auftritt, sollte die qualifizierte Einrichtung aus dem Benennungsstaat als Prozessstandschafter fungieren. Sollte eine qualifizierte Einrichtung erst nachträglich eine Verbindung der Abhilfeklagen anstreben, würde es zu einer Parteierweiterung kommen.799 Hier sollte das Gericht prüfen, ob eine Streitgenossenschaft in Anbetracht der konkreten Abhilfeklage sachgerecht ist.800 795 Vgl. ErwGr. 31 S. 2, 3 RL. Ausführlich: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (196 f.). Zum Informationsaustausch siehe: ErwGr. 71 RL. Zur geplanten Umsetzung: § 7 VDuG-E. 796 Der Nebenintervenient wird nicht Partei, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 66, Rn. 1; BGH, Beschluss vom 23.08.2016, Az. VIII ZB 96/15, WM 2016, 1955 (1956 f.). Der Streitverkündungsempfänger wird im Wege des Beitritts nur Nebenintervenient, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 74, Rn. 1. 797 ErwGr. 31 S. 2, Art. 6 Abs. 2 RL sprechen von „einer einzigen Verbandsklage“. 798 Dazu auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 45 ff. Die Streitgenossenschaft führt zu einem Verfahren, wie von der Richtlinie gefordert; lediglich die Prozessrechtsverhältnisse bleiben getrennt, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 59, Rn. 1. Eine Verbindung zu gemeinsamer Verhandlung, Beweisaufnahme sowie Entscheidung führt zu selbstständigen Verfahren und dürfte daher der RL nicht genügen, vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 59, Rn. 1. 799 Vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 59, Rn. 1. 800 Vgl. ErwGr. 31 S. 3 RL.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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IV. Gestaltung des Verfahrensablaufs Die Richtlinie überlässt die Ausgestaltung des Verfahrensablaufs weitgehend der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten.801 Die Verfahrensausgestaltung ist jedoch mit Blick auf die bereits beleuchteten Konsequenzen der Parteirollenverschiebung von zentraler Bedeutung. Außerdem müssen Möglichkeiten einer effektiven Verfahrensführung in der durch die Richtlinie vorgegebenen Zweiparteienstruktur bei Leistungsklagen mit erheblicher personaler Breitenwirkung gefunden werden. 1. Verfahren als weitgehend gerichtliches Verfahren Vorrangig zu klären ist, inwiefern das Abhilfeverfahren als gerichtliches Verfahren ausgestaltet werden sollte. Entgegen dem Vorschlag von Gsell und MellerHannich sollte die Umsetzung ein weitgehend gerichtliches Verfahren vorsehen.802 Demgegenüber schlagen sie eine Trennung des gerichtlichen Verfahrens zur Schadensermittlung und einer anschließenden Schadensersatzverteilung durch einen Dritten vor.803 Dies wurde bereits im Hinblick auf den nachträglichen Beitritt abgelehnt. Zudem bietet § 287 ZPO de lege lata nur eine Grundlage zur Absenkung des Beweismaßes,804 nicht hingegen zur Schadenspauschalierung,805 wobei außerdem offenbleibt, worauf sich die Schadensermittlung stützen sollte. Ohne konkrete Kenntnis der Betroffenen dürfte weder die Ermittlung eines Gesamtschadens, als Summe der typisierten Einzelschäden, zur anschließenden Distribution, noch die Ermittlung von Einzelschäden anhand typisierter Merkmale möglich sein, speziell Letztere erfordert für die Typisierung zumindest Kenntnis der individuellen Anspruchsbesonderheiten.806 Außerdem stünde diese Ausgestaltung nicht mehr im Einklang mit der konkreten Schadensberechnung nach den §§ 249 ff. BGB807 und könnte damit über die Ausgestaltung des Pro801
ErwGr. 12 S. 1 RL. Zu deren Vorschlag: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 21 ff., insb. S. 26 ff. Zweifelnd dazu: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830). Zur Delegation auf Dritte bei der US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, 159 ff. Demgegenüber sehen die §§ 22 ff. VDuG-E für das Umsetzungsverfahren ein außergerichtliches Verfahren vor. 803 Eine solche Aufteilung ist typisch für die US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 182 f. Ähnlich die §§ 16 ff. und 22 ff. des VDuG-E, allerdings nach § 46 Abs. 1 S. 1 VDuG-E mit einem zeitlich früheren Beitritt. 804 Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 287, Rn. 46; vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 58. 805 Möglich ist eine allgemeine Schätzung und die Bestimmung eines Mindestschadens: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 287, Rn. 43 m.w. N. Siehe auch: Katzenmeier, Arzthaftung, S. 425 m.w. N. 806 So aber die Vorstellung bei: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 32. Zur Kritik auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830 f.); Vollkommer, MDR 2021, 129 (134) geht davon aus, dass ein solches Vorgehen nur für Mindestschäden möglich sein dürfte. 807 Lühmann, ZIP 2021, 824 (830 f.). Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten, S. 43 f. betonen insoweit konsequent den neuartigen Charakter. 802
330 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
zessrechts eine Änderung des materiellen Rechts bewirken.808 Ferner dürfte vielfach bereits die Haftungsbegründung streitig sein, hier schafft § 287 ZPO aber bislang keine Abhilfe.809 Auch übersieht die Fokussierung auf Schadensersatz, dass auch andere Klageziele angestrebt werden können und die Verfahrensausgestaltung insofern einen umfassenderen Ansatz erfordert. Abhängig von der Präzisierung der judizierten Schäden dürfte auch die Wahrscheinlichkeit von Folgeprozessen über weitere Schäden, speziell wenn diese erst später sichtbar werden, sein. Eine umfassende und dauerhafte Rechtsbefriedung würde hierdurch nicht erleichtert.810 Da ein frühzeitiger Opt-in-Mechanismus eine hinreichende Konkretisierung sichert, kann offenbleiben, ob aus der in Art. 9 Abs. 5 RL vorgesehenen Option, im Urteil entweder die einzelnen Verbraucher oder die betroffene Gruppe zu benennen, eine Ausgestaltung als ein- oder zweistufiges Verfahren abgeleitet werden könnte.811 Zuzustimmen ist dem aber insofern, als auf der Ebene der Urteilsabwicklung allein wegen des erwartbar großen Umfangs des Abhilfeverfahrens eine Administrierung gewährleistet werden muss. Die Umsetzungsansätze dürfen nicht nur auf die Fähigkeit der Parteien zur Führung des Verfahrens, die maßgeblich von deren finanzieller Potenz abhängig sein dürfte,812 und die Verfügbarkeit von Justizressourcen813 als Eckstein eines erfolgreichen Gerichtsverfahrens abstellen, sondern müssen auch berücksichti808 Dies ist keine Zielsetzung der RL, vgl. zur Unberührtheit des materiellen Rechts: ErwGr. 42 S. 2 RL. Die RL enthält keine Verpflichtung zur Änderung des materiellen Rechts und setzt die Prüfung des tatsächlichen Bestehens von Ansprüchen voraus: Lühmann, ZIP 2021, 824 (829). Tendenziell kritisch zu Schadensrechtsänderungen nur für den kollektiven Rechtsschutz, aus Gründen mangelnder Kohärenz: Röthemeyer, VuR 2019, 87 (92). Zur Problematik der Veränderung des materiellen Rechts durch das Verfahrensrecht: Stürner, Verfahrensrecht und materielle Gerechtigkeit, in: Liber Amicorum Henckel, S. 359 (371). 809 Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 287, Rn. 12 f. m.w. N. 810 Dies will Art. 9 Abs. 4 RL aber gerade ausschließen, dazu: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73). Diese Verfahrensgestaltung ist zwar vordergründig weniger aufwendig, ein Blick in die USA zeigt aber – trotz vergleichbarer Verfahrensgestaltung mit Schadensverteilung durch einen Dritten – im Bereich niedriger Schadensbeträge (Streuschäden) weiterhin Verteilungsdefizite. Ausführlich: Eichholtz, Class Action, S. 189 m.w. N.; siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 9 f. 811 So aber: Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). Dagegen spricht, dass ErwGr. 50 S. 1 RL die Mitteilung möglicher Berechnungsmethoden, die nur auf einer Kompensationsebene relevant wird, auf beide Fälle erstreckt. Differenzierend: Lühmann, ZIP 2021, 824 (829 f.). Art. 9 Abs. 5 RL dürfte vor allem die Opt-out-Verfahren betreffen: Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 812 Auf die Notwendigkeit der Finanzierung weist ErwGr. 70 RL hin. Siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (52); zur Finanzierungsproblematik bei der Musterfeststellungsklage: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, Einl., Rn. 109. 813 Zur Knappheit der Justizressourcen: Gaier, NJW 2013, 2871 (2872 f.). Dieser hebt als Lösungsansatz auch kollektiven Rechtsschutz hervor, betont aber dessen zusätzliche Belastungen (ebenda (2874 f.)).
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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gen, dass der Justizgewährungsanspruch eine Sicherung gesetzeskonformer und insoweit richtiger Urteile durch die Ausgestaltung des Prozessrechts fordert.814 Der zentrale Einsatz eines Dritten, wie ihn Gsell und Meller-Hannich vorschlagen, dürfte außerdem im Hinblick auf die Effizienz fragwürdig sein, weil dadurch keine eigentlich dem Gericht obliegende Tätigkeit vermindert, sondern diese nur an einen gerichtsfremden Dritten ausgelagert wird.815 In der Konsequenz würde damit eine Abkehr von der Prozessmaxime der Unmittelbarkeit eingeläutet.816 Eine zu starke Stellung des Dritten auf der Abwicklungsebene stünde außerdem in einem Spannungsverhältnis mit dem staatlichen Rechtsprechungsmonopol (Art. 92 GG).817 Welches aber, wegen der vorgesehenen Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle nicht verletzt wäre.818 Sinnvollerweise sollte trotzdem eine möglichst weitreichende Umsetzung in ein gerichtliches Verfahren angestrebt werden. 2. Strukturierung des Verfahrens Die Reduzierung des Massenverfahrens auf eine Zweiparteienstruktur macht eine Strukturierung des Verfahrens unerlässlich. Sofern nicht bereits im Rahmen der Beschlussfassung über die Zulassung der Abhilfeklage ein Erörterungstermin stattgefunden hat, sollte das Gericht dies am Beginn des eigentlichen Verfahrens im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung nachholen, damit Gericht und Parteien das prozessuale Vorgehen, eventuelle Streitpunkte und Unklarheiten frühzeitig klären können.819 Die §§ 272 Abs. 2 und 275 ZPO sollten entsprechend für die Abhilfeklage umgestaltet werden.820 814 BVerfG, Beschluss vom 30.01.1985, Az. 1 BvR 99/84, BVerfGE 69, 126 (139 f.); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 8. Ein Anspruch auf ein der „wahren Rechtslage“ entsprechendes Urteil gibt es aber nicht. Siehe auch: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 205 f. Zur Bedeutung der Sachverhaltsermittlung für das Rechtsstaatsprinzip in der Judikatur des BVerfG: Graßhof, in: Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerfG, Art. 20 Abs. 3 GG, Nr. 134. Ein Übergehen des differenzierten Privatrechts würde die Rechtsschutzgewährleistung nachteilig betreffen: Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (416). 815 Vgl. zum Einsatz Dritter: Hirtz, NJW 2014, 2529 (2531); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 438. Letztlich verbliebe nach deren Modell ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830). 816 Zu dieser: Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 53 (63 f.) m.w. N. Siehe auch die Kritik an den Vorschlägen für die Beweisaufnahme von: Gaier, NJW 2013, 2871 (2875 f.) bei Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 438 f.; kritisch auch: Hirtz, NJW 2014, 2529, (2531). 817 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 439 f.; siehe zur Problematik für Schlichtungsverfahren: Stadler, NJW 1998, 2479 (2485). 818 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 29 f. 819 Ähnlich der Vorschlag eines informellen Erörterungstermins von: Greger, NJW 2014, 2554 (2556). Eine solche Vorgehensweise würde auch die Gefahr richterlicher Überaktivität zur Ermittlung des Sachverhalts vor der Möglichkeit des Beklagtenvortrags bannen. Vgl. zu dieser Problematik: Birk, NJW 1985, 1489 (1490, 1492). Der Entwurf des VDuG trifft hierzu keine Regelungen, was (auch) dem beschränkten Anwen-
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Da erst nach dem Abschluss der Anmeldephase eine Präzisierung der Klage, beispielsweise im Hinblick auf die geltend gemachte(n) Schadenshöhe(n) möglich ist, sollte dem Kläger nach der Schließung des Registers die Möglichkeit gegeben werden, seine(n) Klageantrag bzw. Klageanträge zu präzisieren.821 Zur Erleichterung des Vortrags sollte es den Parteien möglich sein, auf die Klageregistereintragungen zu rekurrieren. Hierfür sollte § 137 Abs. 3 S. 1 ZPO entsprechend erweitert werden.822 Vergleichbar mit der Regelung des § 272 Abs. 2 ZPO sollte es dem Gericht obliegen die Verfahrensweise festzulegen, wofür Anmelderzahl und Signifikanz individueller Streitfragen entscheidend sein sollten. Es sollte dem Gericht möglich sein, entweder eine Begutachtung jedes einzelnen angemeldeten Falles oder eine Bildung von Untergruppen zur verfahrensmäßigen Abschichtung des Prozessstoffs zu wählen.823 Die Entscheidungsmöglichkeit sollte es nicht nur im Hinblick auf das gesamte Verfahren en bloc, sondern auch für einzelne Verfahrensabschnitte (z. B. Zulässigkeit, Haftung dem Grund und der Höhe nach) geben.824 Durch die Rechtshängigkeit der Einzelansprüche mit der Konsequenz einer objektiven Klagehäufung825 ließe sich die Gruppenbildung anhand der Ansprüche auch dogmatisch überzeugend in die ZPO einfügen. Die Regelung der Terminvorbereitung nach § 273 ZPO826 sollte explizit um eine Prozessleitungsbefugnis zur Vorbereitung der einzelnen Verfahrensabschnitte ergänzt werden, um dem Gericht die Strukturierung und effiziente Bewältigung der Verfahrensabschnitte zu erleichtern.827
dungsbereich und der Verlagerung von Einzelfallentscheidungen auf einen gerichtsfernen Dritten geschuldet sein dürfte. Siehe auch die Kritik bei: Vollkommer, MDR 2022, 325 (326). 820 § 273 Abs. 2 ZPO kann entgegen Greger, NJW 2014, 2554 (2556 f.) hier keine Grundlage sein, weil kein informeller Erörterungstermin, sondern ein Termin zur mündlichen Verhandlung vorgesehen werden soll. 821 Zur Funktion des Antrags: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO § 253, Rn. 26. Da die Streitigkeiten zwischen der Individualisierungs- und die Substantiierungstheorie als überholt angesehen werden dürfen (hierzu: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 24 f. m.w. N.) und die Parteien ihren Vortrag auch de lege lata entsprechend ergänzen können (siehe nur § 264 Nr. 1 ZPO), fügt sich dies ohne Systembruch in die ZPO ein. 822 Vgl. zur Bezugnahme: Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, § 137, Rn. 28 f. Hieran zeigt sich erneut die Nützlichkeit und Notwendigkeit eines Ausbaus des Registers in technischer Hinsicht. 823 Vgl. Eichholtz, Class Action, S. 161. 824 Vgl. zur Musterfeststellungsklage: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 22. 825 Die §§ 272, 275 sind Ausprägung der Konzentrationsmaxime, vgl. Hunke, in: Anders/Gehle, ZPO, § 273, Rn. 1. 826 Zum Hintergrund der Norm: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 135 ff. 827 Siehe zum entsprechenden Regelungszweck des § 273 ZPO: Hunke, in: Anders/ Gehle, ZPO, § 273, Rn. 1 f. m.w. N.
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Die Bildung von Untergruppen würde es ermöglichen,828 insbesondere bei partiell unterschiedlichen Sachverhalten, die individuellen Fragen zu kategorisieren, und dadurch für die jeweilige Untergruppe eine einheitliche Entscheidung unter Reduzierung individueller Aspekte erlauben. Zur Bildung und Vorstrukturierung der Untergruppen anhand der Einzelansprüche der Anmelder sollten die technischen Voraussetzungen durch die Nutzung von Legal Tech829 geschaffen werden, sodass sich anhand der vorgegebenen zu tätigenden Angaben im Klageregister durch Filterfunktionen eine Zuordnung der Einzelansprüche zur Untergruppe erzielen lässt. Es sollte hierbei wiederum im Wege einer Regelung vergleichbar § 272 Abs. 2 ZPO dem Gericht die Auswahl zweier möglicher Vorgehensweisen obliegen. Neben einem Prozessieren mittels vollständiger Betrachtung aller Untergruppenansprüche sollte die Option bestehen, einen exemplarischen Fall830 (ggf. auch nur für einzelne Fragen) aus dem Klageregister auszuwählen und diesen zu entscheiden. Zur Vermeidung eines reinen Musterurteils sollte es den Parteien anschließend möglich sein, auf individuelle Abweichungen bei den anderen Gruppenmitgliedern hinzuweisen und hierüber eine Entscheidung herbeizuführen.831 Dieses Vorgehen würde die Beweisanforderungen reduzieren, weil ausgehend vom exemplarisch beurteilten Fall Schlussfolgerungen auf die anderen Fälle der Untergruppe gezogen werden könnten.832 Der entschiedene Fall wäre damit die „Anscheinsbasis“,833 von der aus, wegen der Ähnlichkeit der 828 Vgl. auch Eichholtz, Class Action, S. 162 f. Auf die Notwendigkeit weist zudem Bruns, NJW 2018, 2753 (2756 f.) kritisch hin. Zur Richtlinienumsetzung: Bruns, Rechtsgutachten, S. 59. Vgl. auch den Ansatz bei Voit, Sammelklage, S. 361 f. 829 Zur Notwendigkeit elektronischer Vorstrukturierungen: Woopen, JZ 2021, 601 (609). Vgl. Röthemeyer, VuR 2019, 87 (89 f.), der auf die Möglichkeiten einer algorithmusgestützten Bearbeitung nach erfolgten Vorklärungen hinweist. 830 Bei der US-Sammelklage wird der Gruppenkläger anhand der „typicality“ seines Anspruchs ausgewählt, siehe hierzu: Eichholtz, Class Action, S. 31, 85 ff. 831 Anders als im Fall bei Eichholtz, Class Action, S. 164 würde so gerade kein Musterprozess entschieden, sondern die Verhandlungsmaxime und die Parteiaktivität zur weiteren Differenzierung genutzt. Der BGH lehnt es bislang z. B. ab, die Schadenshöhe und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden als musterverfahrensfähig anzusehen, vgl. Woopen, NJW 2018, 133 (136); dazu: BGH, Beschluss vom 03.12.2007, Az. II ZB 15/07, NZG 2008, 103 (103). 832 Vgl. zu diesen Überlegungen betreffend den Anscheinsbeweis: Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (199, 201); Foerste, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 286, Rn. 24; ausführlich zum Meinungsstand: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 286, Rn. 214 ff. Wobei hier der typische Geschehensablauf nur auf Grundlage des Exempels vermutet würde, somit kein eigentlicher Anscheinsbeweis vorläge. Zu Schwierigkeiten beim Kausalitätsnachweis vgl.: Eichholtz, Class Action, S. 177 ff. 833 Für den Anscheinsbeweis vgl.: BGH, Urteil vom 05.04.2006, Az. VIII ZR 283/ 05, NJW 2006, 2262 (2263); Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 296. Bereits bisher kann mittels Anscheinsbeweises nicht nur auf den Zusammenhang von Handlung und Erfolg geschlossen werden, sondern auch vom Erfolg auf das ursächliche Verhalten (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1956, Az. VI ZR 199/55, NJW 1956, 1638 (1638)). Dies ähnelt einer Haftung bei typischem Verhalten, vgl. Stadler/Bensching, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.03.2000, Az. 19 U 93/99, JZ 2000, 790 (791) („typi-
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Ansprüche, auf die anderen Fälle geschlossen wird und mittels dessen auch die Klärung individueller Fragen gewährleistet wäre.834 Durch die Gelegenheit auf abweichende Aspekte bei anderen Ansprüchen hinzuweisen, vermeidet dieses Vorgehen aber gleichzeitig eine pauschale Nivellierung und Übertragung. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Bildung möglichst homogener Anspruchsgruppen.835 Ein Mittel zur zeitnahen Beendigung des Verfahrens anhand der Untergruppen besteht in der Möglichkeit des Erlassens eines Teilurteils (§ 301 Abs. 1 S. 1 ZPO) bedingt durch die Rechtshängigkeit der Einzelansprüche, mit der Folge einer objektiven kumulativen Klagehäufung.836 Eine Abschichtung des Streitstoffes kann auch durch ein Zwischenurteil über den Grund gemäß § 304 Abs. 1 ZPO für solche Fälle, in denen speziell die Bestimmung der Schadenshöhe Probleme bereitet, erreicht werden.837 Zur Entscheidung über den Grund könnte dann einheitlich verhandelt werden,838 während für die Bestimmung der Höhe Untergruppen gebildet werden. Zur möglichst flexiblen Untergruppenbildung sollte § 304 ZPO um eine Befugnis zum Urteilserlass über einzelne Aspekte der Begründetheit erweitert werden.839 Dies würde die notwendige Bindungswirkung für die weitere Verhandlung, auch wenn es im weiteren Verfahrensverlauf zur Bildung anderer Untergruppen käme, gewährleisten.840 sches Verhalten“); zu diesen Nachweisen auch: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 296. Nach der vorgeschlagenen Lösung würde von einem „Erfolgsfall“ auf die anderen Fälle geschlossen, was einer Beweismaßreduzierung nahekäme. Zu einem ähnlichen Ansatz jetzt auch: Voit, Sammelklage, S. 354 ff. 834 Dies ist beim Anscheinsbeweis nicht möglich, siehe nur: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 295; dazu: BGH, Urteil vom 05.03.2002, Az. VI ZR 398/00, NJW 2002, 1643 (1645) m.w. N.; BGH, Urteil vom 18.03.1998, Az. IVa ZR 205/85, NJW 1987, 1944 (1944 f.). 835 Es wird aus einem exemplarischen Fall ein „Erfahrungssatz“ abgeleitet und auf die gleichartige Anspruchsgruppe übertragen, vgl. für den Anscheinsbeweis: Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (204) m.w. N. 836 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor § 300, Rn. 7 und ebenda, § 301, Rn. 2, dass die Ansprüche ggf. von derselben Rechtsfrage abhängig sind, ist hierfür unerheblich, vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2003, Az. V ZR 123/03, NJW 2004, 1662 (1664 f.). 837 Lühmann, ZIP 2021, 824 (831); zu den Voraussetzungen: Seiler, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 304, Rn. 1 f. 838 Vgl. zur Zulässigkeit eines gemeinsamen Grundurteils bei kumulativer Klagehäufung: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 304, Rn. 18; BGH, Urteil vom 24.01.1984, Az. VI ZR 37/82, BGHZ 89, 383 (387 f.); BGH, Beschluss vom 17.09.2015, Az. IX ZR 263/13, NJW 2015, 3453 (3455). 839 Bislang nicht möglich, siehe nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 304, Rn. 19; BGH, Urteil vom 12.07.1989, Az. VIII ZR 286/88, NJW 1989, 2745 (2745). Eine Erweiterung des Zwischenstreits nach § 303 ZPO bietet sich nicht an, da dieser nur prozessuale Fragen betrifft, Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 303, Rn. 1. 840 Da das Urteil nach § 304 ZPO nur Bindungswirkung (§ 318 ZPO), aber keine materielle Rechtskraft entfaltet (Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO; § 304, Rn. 20; BGH, Urteil vom 14.04.1987, Az. IX ZR 149/86, VersR 1987, 939 (939)), würde die Feststel-
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3. Strukturierung und Kanalisierung des Parteivortrags Eine für das Gericht enorme Hürde dürfte die Bewältigung des zu erwartenden extensiven Parteiverkehrs und -vorbringens, der Protokollierungen und der Registereintragungen darstellen. Ein erster Schritt auf diesem Weg wäre es, die infolge der Eingangsinstanz gegebene anwaltliche Prozessvertretung841 entsprechend zu nutzen und für das Abhilfeklageverfahren den Grundsatz „da mihi factum, dabo tibi jus“ bzw. „jura novit curia“ abzuschwächen.842 Für die Zwecke des Abhilfeklageverfahren sollte § 130 ZPO modifiziert und so die vielfach kritisierte fehlende Struktur anwaltlicher Schriftsätze verbessert werden.843 So schlägt Gaier vor, dass der Kläger, orientiert an der Anspruchsgrundlage, die Tatsachenbehauptung mit entsprechendem Beweisangebot vortragen soll und der Beklagte dann parallel dazu seine Behauptungen und Gegenbeweise darlegen muss. Der Beklagte kann anschließend die Einreden entsprechend aufbauen und der Kläger hieran anknüpfen.844 Es bietet sich an diesen Ansatz für die Abhilfeklagen aufzugreifen, weil andernfalls eine zielführende Anwendung der Relationstechnik bei einer großen Zahl rechtshängiger Individualansprüche nicht gewährleistet werden kann. § 130 ZPO sollte somit für die Abhilfeklage um eine gerichtliche Befugnis ergänzt werden, den Aufbau des Schriftsatzverkehrs zwingend vorzugeben. Diese Vorgaben sollten sich auf die Inhalte nach §§ 130 Nr. 3–5, 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beziehen. Zur Vermeidung eines starren, dem Prozessverlauf unangemessenen Schematismus, mit der Folge der Sachverhaltsverkürzung,845 sollte dem Gericht eine gewisse Flexibilität eingeräumt werden, wodurch es möglich sein sollte, für die verschiedenen Verfahrensabschnitte unterschiedliche Strukturierungen vorzugeben.846 So wäre es denkbar, für ein Grundurteil (§ 304 Abs. 1 ZPO) bei der Grundregel des § 130 ZPO zu verbleiben oder einen Schriftsatzaufbau nach Anlung von Tatsachen- und Rechtsfragen auch keine Erweiterung der Rechtskraftwirkungen bedeuten. Technisch sollte der Verfahrensstand bei der Klageregistereintragung vermerkt werden. 841 § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO. 842 Kritisch hierzu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 430 ff. Der Aufbau nach Anspruchsgrundlagen erfordere ein juristisches Durchdenken. Allerdings weicht der BGH bei der Anwaltshaftung zunehmend von der bloßen Tatsachenbeibringung ab: ebenda, S. 431 ff., unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 10.12.2015, Az. IX ZR 272/14, NJW 2016, 957 (957 ff.). 843 Zur Kritik: Hirtz, NJW 2014, 2529 (2531); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 417 m.w. N.; siehe auch: Roth, JZ 2014, 801 (808); Gaier, ZRP 2015, 101 (103). 844 Ausführlich: Gaier, NJW 2013, 2871 (2874). Siehe auch die Vorschläge der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“: Dickert, DRiZ 2020, 296 (298). 845 So die Kritik bei: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 429. Der Vorschlag folgt hier nur aus dem Bedürfnis, den Schriftverkehr in einem Massenverfahren einzugrenzen. 846 Vgl. Gaier, ZRP 2015, 101 (101 f.), welcher zwischen horizontaler und vertikaler Strukturierung unterscheidet.
336 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
spruchsgrundlagenschema anzuordnen.847 Bei einzelnen divergierenden Rechtsund Tatsachenfragen (z. B. Kausalität, Schadenshöhe) könnte der Vortrag anhand der angemeldeten Ansprüche strukturiert werden. Eine effektive Durchsetzung ließe sich mit der Einführung einer Präklusion erzielen.848 Um eine zielgerichtete Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen und die vielfach als zu weitgreifend kritisierte richterliche Sachverhaltsaufklärung849 nicht weiter auszudehnen, sollte diese besondere Ausgestaltung der Schriftsätze aber nur mit Bezug auf solche Tatsachen und Rechtsfragen zulässig sein, die bereits im Parteivortrag eine Grundlage finden.850 Für die Vorgaben zur Strukturierung der Schriftsätze sollte daher eine Grenze dort gezogen werden, wo diese Strukturierung Tatsachen überhaupt erst in den Prozess einführt. Andernfalls überschreitet die Strukturierung die Grenze zur Untersuchungsmaxime. Dies hätte eine richterliche Sachverhaltsaufklärung mit der Folge eines erheblichen Machtzuwachses des Gerichts zur Konsequenz.851 Solange aber die Einführung des Prozessstoffs bei den Parteien verbleibt und sich die richterliche Aufklärungspflicht auf eine Vervollständigung und Aufklärung dieses Vorbringens bezieht, kann auch noch von einer Wahrung des Beibringungsgrundsatzes ausgegangen werden.852 Denn die bloße Ergänzungsfunktion steht im Einklang mit der Verhandlungsmaxime und grenzt das Verfahren gegenüber der Untersuchungsmaxime ab.853 4. Materielle Prozessleitungsbefugnis und Parteistellung Für die Musterfeststellungsklage hat sich gezeigt, dass infolge der Parteirollenverschiebung eine ausgleichende Rolle des Richters notwendig wird und der Gesetzgeber durch die Regelung des § 610 Abs. 4 ZPO eine aktivere richterliche Rolle im Hinblick auf die Verfahrensgestaltung intendiert.854 Im Rahmen der Abhilfeklage dürften sich die Konsequenzen der Parteirollenverschiebung noch verstärken, da anders als bei der abstrahierenden Musterfeststellungsklage mit dieser ein auf individuelle Leistungen ausgerichtetes Verfahren eingeführt wird und da847
Ausführlich dazu: Gaier, ZRP 2015, 101 (103). Gaier, ZRP 2015, 101 (104). 849 Vgl. Stürner, JZ 1986, 1089 (1094) m.w. N. Zu negativen Sachverhaltsschilderungen aus der Praxis siehe: Birk, NJW 1985, 1489 (1490). Für Kritik an anwaltlichen Schriftsätzen vgl.: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 417 m.w. N. 850 Gaier, NJW 2013, 2871 (2874) spricht von einem „Weiterdenken des Beibringungsgrundsatzes“, dessen Vorschläge (vgl. Gaier, ZRP 2015, 101 (104)) aber die gerichtliche Aktivität weiter stimulieren könnten. 851 Vgl. zum Zusammenhang zwischen gerichtlicher Sachverhaltsermittlung und Machtzuwachs: Birk, NJW 1985, 1489 (1492). 852 Vgl. auch: Birk, NJW 1985, 1489 (1491 f.); Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 139, Rn. 15; vgl. Ventsch, Materielle Prozessleitung, S. 112 f., 131. 853 Vgl. Stürner, JZ 1986, 1089 (1093). 854 Siehe zu den Folgerungen die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 2. 848
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mit ein verstärkter Fokus auf der Berücksichtigung der nichtbeteiligten Rechtsinhaber liegen muss.855 Die im kollektiven Rechtsschutz häufig gestärkte Richtermacht zum Schutz der nichtbeteiligten Anspruchsinhaber856 sollte allerdings nicht zu einer weiteren Stärkung gerichtlicher Befugnisse motivieren. Zum einen wird die Stellung des Rechtsinhabers gesondert zu regeln sein, da eine richterliche Intervention ohnehin nur eine begrenzte Abhilfe schaffen kann. Zum anderen würde es dem Ansatz der Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf altruistische Kläger widersprechen, wenn deren Prozessführung sogleich mit Misstrauen begegnet wird. a) Auswirkungen auf die Verhandlungsmaxime Ein prozessökonomischer Ansatz zur Ermittlung des umfangreichen Sachverhalts unter Wahrung der Parteiautonomie dürfte die Beibehaltung der Verhandlungsmaxime darstellen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Rekurs auf die Effizienz einen wesentlichen Legitimationsaspekt der Verhandlungsmaxime zum Ausdruck bringt. Die Parteien, insbesondere sofern ein leistungsfähiges Register besteht,857 sind – zumindest verglichen mit dem Gericht – näher am Sachverhalt angesiedelt und werden in der Regel aus eigenem Antrieb für eine Beibringung des Tatsachenstoffes Sorge tragen.858 Durch die Beibehaltung des Zweiparteienprozesses bleibt auch die praktische Handhabbarkeit der Verhandlungsmaxime gewahrt.859 Die Professionalisierung der parteilichen Vertretung infolge eines Anwaltszwangs vor dem OLG dürfte diese Annahme bestärken.860 Mit der Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung verbindet sich die Vermutung einer sachgerechten Prozessführung und einer ausreichenden Fä855 Diese Erwartung bestätigt ein rechtsvergleichender Blick in Rechtsordnungen mit weiterreichendem kollektivem Rechtsschutz. Hier kommt dem Richter in der Regel eine zentrale Rolle zu, vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 110 f, 219 f. m.w. N. Kritisch zur behaupteten „Überforderung“ des Richters: Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (23 f.). Für eine stärkere Fürsorge: Fiedler, Class Actions, S. 226 f. 856 Siehe nur: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (20). 857 Daher bedarf es einer Erweiterung des § 137 ZPO zur Bezugnahme auf Registereintragungen. 858 Vgl. zu dieser Vorstellung bereits den historischen Gesetzgeber: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 62 f. m.w. N. Die Bedeutung des Beibringungsgrundsatzes unter diesen Gesichtspunkten betonen Gaier/Freudenberg, ZRP 2013, 27 (29). Siehe auch: Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (193). Kritisch gegenüber einer Ausdehnung richterlicher Befugnisse: Birk, NJW 1985, 1489 (1494 f.). Für die Parteifreiheit als Wertentscheidung: Leipold, JZ 1982, 441 (448). 859 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 388 f. Anders: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (365 f.) für die Offizialmaxime, allerdings dürfte Art. 18 RL hierzu keinen Hinweis enthalten. 860 Zum Zusammenhang zwischen Parteiherrschaft und anwaltlicher Vertretung vgl. Stürner, JZ 1986, 1089 (1091). Zum Zweck des Anwaltszwangs: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 445 ff. sowie Vollkommer, Stellung des Anwalts, S. 17 ff., 45 jeweils m.w. N.
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higkeit zur Überwachung des Anwalts.861 Dies gilt gleichsam für den Unternehmer als Beklagten, sodass zwei Parteien im Prozess stehen, bei denen eine gewisse Professionalisierung gegeben sein dürfte. Die fehlende Grundlage einer materielle Stärkung der Richterstellung dürfte damit ausreichend belegt sein.862 Die zu erwartende Professionalisierung der Parteien unter Berücksichtigung ihrer anwaltlichen Vertretung sollte Anlass genug sein, weitere richterliche Aktivitäten zu begrenzen.863 Dieser Ansatz steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zum Erfordernis höherer Anforderungen für die Notwendigkeit richterlicher Hinweispflichten bei anwaltlicher Vertretung einer Partei864 und bedeutet letztlich deren konsequente Fortsetzung unter Berücksichtigung einer prozessualen Interessenvertretung durch qualifizierte Einrichtungen. Die hauptsächliche Schwierigkeit der Abhilfeverfahren dürfte in ihrem erheblichen Prozessumfang infolge einer großen personalen Breitenwirkung und der daraus folgenden hohen Arbeitsbelastung liegen. Hier gilt es anzumerken, dass richterliche Aktivität unweigerlich mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden ist.865 Eine Ausdehnung materieller Prozessleitungsbefugnisse geht mit einer zusätzlichen Belastung des Gerichts einher und dürfte daher die Verfahrenseffizienz gerade nicht steigern.866 § 139 ZPO drückt bereits de lege lata ein Hinwirken des Gerichts auf 861 Kritisch zu anwaltlichen Defiziten als Grundlage richterlicher Aktivität: Birk, NJW 1985, 1489 (1495). Siehe auch: Leipold, JZ 1982, 441 (447); Stürner, JZ 1986, 1089 (1094); kritisch zu fehlender anwaltlicher Vorbereitung: Gottwald, Gutachten A zum 61. Deutschen Juristentag, S. 11. 862 Vgl. Arens, ZZP 96 (1983), 1 (20). Die Lösung sozialer Ungleichgewichtslagen sollte durch die materielle Prozessleitungsbefugnis nicht angestrebt werden (vgl. Birk, NJW 1985, 1489 (1493 f.), für den Anwaltsprozess), weil diese Ungleichgewichtslagen durch die Kollektivierung der Ansprüche und Verfahrensführung durch die qual. Einrichtung ausgeglichen wird. Siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 462 f. 863 Zu Ursachen gesteigerter richterlicher Aktivität: Stürner, JZ 1986, 1089 (1094). Insbesondere die Rechtsunkenntnis der Parteien sollte hier unproblematisch sein, eine soziale Rolle sollte der Richter schon deshalb nicht einnehmen, weil diese der qual. Einrichtung zufällt. Zumindest gegen eine Ausdehnung richterlicher Befugnisse ggü. anwaltlicher Streitstoffeinführung: Vollkommer, Stellung des Anwalts, S. 48. 864 Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 17 f.; Stürner, JZ 1986, 1089 (1095), unter Verweis u. a. auf: BVerfG, Beschluss vom 25.07.1979, Az. 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131 (161); BGH, Urteil vom 29.06.1957, Az. IV ZR 88/57, BGHZ 25, 66 (72); BGH Urteil vom 02.10.1979, Az. VI ZR 245/78, NJW 1980, 223 (224); BGH, Urteil vom 09.11.1983, Az. VIII ZR 349/82, NJW 1984, 310 (310 f.); a. A. Schneider, MDR 1977, 881 (882); Schneider, MDR 1977, 969 (970 f.). Siehe Reiter, JA 2004, 226 (227) zur abgestuften Intensität des Hinweises. Zur Berücksichtigung in Einzelfällen: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 26 m.w. N. Kritisch: Jung, Grundsatz der Waffengleichheit, S. 190 ff. Ablehnend: Vollkommer, Stellung des Anwalts, S. 51 f. Anders auch: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 82 f. 865 Vgl. Gaier, NJW 2013, 2871 (2873). Nach Stürner, JZ 1986, 1089 (1094) können neben den Parteien auch Richter Irrtümern unterliegen. 866 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 410; Brehm, AnwBl 1983, 193 (196).
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ausreichenden Sachverhaltsvortrag, ausreichende Substantiierung und Beschränkung unnötiger und irrelevanter Informationen aus.867 Unter Ausnutzung dieser Möglichkeiten bleibt das Gericht eine neutrale Instanz, kann aber zugleich das Verfahren angemessen leiten.868 Der kontradiktorische Parteivortrag als Ausfluss der Verhandlungsmaxime und die gerichtlichen Erörterungs- und Hinweispflichten als Anregung zur Ergänzung bieten eine ausreichende Grundlage zur Ermittlung der Entscheidungsgrundlage.869 Eine stärkere richterliche Aktivität dürfte eher dazu angetan sein, die Parteien und deren Bevollmächtigte zur ökonomisch motivierten Vortrags- und Vorbereitungsreduktion anzuhalten.870 Der Nachteil einer weiteren Stärkung der Richterstellung für die zügige Bewältigung eines Massenverfahrens dürfte somit in einer geringen anwaltlichen (aber auch parteilichen) Aktivität liegen,871 die jedoch bei umfangreichem Streitstoff gerade notwendig wäre. Umfassende richterliche Aufklärung und Ermittlung würde die arbeitsteilige und gerichtsentlastende Sachverhaltsrekonstruktion mittels Parteivortrag empfindlich stören.872 Zentraler erscheint demgegenüber, dass das Gericht einen „kooperativen Prozessstil“ praktiziert, was bereits zur Zielsetzung des ZPO-Reformgesetzes von 2001 gehörte.873 Die Bedeutung des Richters für den Zivilprozess sollte daher auch weiterhin anhand „formaler Leitungskompetenz und subsidiärer materieller Mitwirkung“ 874 charakterisiert werden.875 Die aufge867 Siehe nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 139, Rn. 3 ff. m.w. N.; dazu auch: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 3, unter Verweis auf: Greger, in: Zöller, ZPO, § 139, Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 139, Rn. 7; Gehrlein, MDR 2003, 421 (422 f.). § 139 Abs. 1 ZPO ist Ausdruck der Konzentrationsmaxime, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 139, Rn. 18. Kritisch zur Eigenständigkeit des Grundsatzes der Verfahrenskonzentration/Beschleunigungsmaxime: Althammer, Mindeststandards und zentrale Verfahrensgrundsätze, in: Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, S. 3 (25). 868 Zu § 139 ZPO als „ideale[s] Kommunikationsmittel“: Birk, NJW 1985, 1489 (1491). Siehe auch Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 30, der auf die in § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO vorgesehene Strukturierung und Abschichtung hinweist. 869 Vgl. Birk, NJW 1985, 1489 (1496), der von einer „Arbeitsteilung“ spricht. 870 Arens, ZZP 96 (1983), 1 (20); siehe auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 418 f.; Brehm, AnwBl 1983, 193 (196). 871 Anschaulich: Stürner, JZ 1986, 1089 (1094); Stürner, Richterliche Aufklärung, Rn. 16. 872 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 413; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 63 f. 873 Dazu: Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 100. Für eine Abgrenzung zur sog. Kooperationsmaxime vgl. die Ausführungen von: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 351. Ein kooperatives Verhalten, welches sich insb. in der frühen Absprache zum Verfahrensablauf mit den Parteien zeigt, kennzeichnet das richterliche Verhalten, statuiert aber keine Kooperationspflichten für die Parteien, speziell nicht untereinander. Vgl. dazu auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 407 ff. Siehe zum „dialogischen Prozess“: Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in: Festschrift Frisch, S. 187 (203). 874 Stürner, JZ 1986, 1089 (1092). Zu den Reformen des Parteibetriebs: Leipold, JZ 1982, 441 (442 f.) m.w. N.
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zeigten Möglichkeiten der Verfahrensabschichtung bieten eine Grundlage, individuelle Fragen gruppenspezifisch zu kanalisieren. Die Konzentrierung des Parteivortrags mittels Schriftsatzstrukturierung ermöglicht es, die Relationstechnik unter gezielter Anwendung der richterlichen Frage- und Hinweispflicht als Mittel der Sachverhaltsklärung zu nutzen und Redundanzen zu vermeiden.876 Wichtig dürfte es jedoch sein, um eine möglichst zeitnahe Erledigung des Verfahrens zu erzielen, den zeitlich früheren Ansatz des § 610 Abs. 4 ZPO zu übernehmen.877 Entsprechend sollte der Gesetzgeber eine eigenständige Normierung des Regelungsinhalts des § 139 ZPO für den kollektiven Rechtsschutz mit zeitlich früherem Ansatzpunkt sowie einer Regelung der Schriftsatzvorgaben vorsehen. b) Auswirkungen auf die Dispositionsmaxime Einer Erörterung bedarf außerdem die Dispositionsmaxime, da sich gezeigt hat, dass diese durch die Klage einer rechtsfremden qualifizierten Einrichtung für die Rechtsinhaber von der Parteirollenverschiebung ebenfalls berührt wird. Dennoch sollte auch im Rahmen der Abhilfeklage die Dispositionsmaxime gewahrt werden. Die Verfügung über den Inhalt (Streitgegenstand) des Verfahrens sollte der Parteiherrschaft unterliegen.878 Es wäre zwar überlegenswert, aus einem im kollektiven Rechtsschutz anzunehmenden Allgemeininteresse eine umfassendere Streitbereinigung anzustreben. Dies stünde allerdings im Widerspruch zum zivilprozessualen Ziel einer Rechtsschutzgewährung für die Parteien879 und dürfte schon allein deshalb problematisch sein, weil dann das Gericht mögliche Streitgegenstände ermitteln müsste. Im Hinblick auf den prozessstandschaftlichen Charakter des Klageinstruments für die Anmelder bleibt die Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt schon durch den Opt-in-Mechanismus gewahrt.880 Durch die möglichst weitreichenden Angaben im Klageregister sollte die qualifizierte Einrichtung den Klageantrag bzw. die Klageanträge formulieren und dadurch den Verfahrensgegenstand definieren.
875 Nach den hier gemachten Vorschlägen kommt es zu einer Stärkung der formellen Prozessleitungsbefugnis und des Prozessbetriebs. Es bleibt aber für die materielle Prozessleitungsbefugnis bei „Subsidiarität und Ergänzungsfunktion“, so Stürner, JZ 1986, 1089 (1093). 876 Vgl. zu diesem Vorteil kontradiktorischer Vortragsweise: Birk, NJW 1985, 1489 (1493). 877 § 139 ZPO ist systematisch im Bereich der mündlichen Verhandlung angesiedelt (siehe nur: Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139, Rn. 7 f., 10), § 610 Abs. 4 ZPO hingegen nicht. Vgl. auch Bruns, Rechtsgutachten, S. 57. 878 Siehe zur allgemeinen Geltung in der ZPO nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Einl. I, Rn. 5. 879 Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 308, Rn. 1. Der Prozessstandschafter vertritt als Partei die Interessen der Anmelder, vgl. die Legaldefinitionen des Art. 3 Nr. 4, 5 RL. 880 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 388.
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Um auf den Prozessverlauf angemessen reagieren zu können, sollte auch bei einer Abhilfeklage eine Klageänderung und -erweiterung zulässig sein. Dies dürfte bereits notwendig erscheinen, um für die einzelnen Verfahrensabschnitte oder Untergruppen sich ergebende Differenzierungen im Prozess entsprechend konkretisieren zu können (z. B. die Höhe des geforderten Schadensersatzes). Die Grenze der Zulässigkeit sollte auch hier in der – die Prozessführungsbefugnis begründenden – Anmeldung liegen. Aus Gründen der Waffengleichheit dürfte für den Beklagten die Erhebung einer Widerklage relevant sein.881 Gerade bei einem Massenverfahren mit großer Breitenwirkung wäre es für den Beklagten von erheblichem Interesse die Ansprüche umfassend klären zu können, um sich nicht im Nachgang mit weiteren Prozessen konfrontiert zu sehen, in denen beispielsweise höhere Schadensersatzsummen gefordert werden.882 Zur Erzielung einer möglichst weitreichenden Befriedungsfunktion883 könnte jedoch eine gesetzliche Fiktion der vollständigen Entscheidung über die Ansprüche aus dem Anspruchskomplex eingeführt werden. Dies allerdings würde die Anmelder sehr stark von einer umfassenden Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung abhängig machen und im Gegenzug deren Aufwand bei angestrebter sorgfältiger Prozessführung erheblich erhöhen.884 Dagegen spricht außerdem – wie bei einer weiten Rechtskraftwirkung – die Erkenntnis, dass gewisse Entwicklungen und mögliche Ansprüche erst nachfolgend erkennbar werden (z. B. Spätfolgen), diese dann aber nicht berücksichtigt werden könnten.885 Sinnvoller wäre es daher – unter Berücksichtigung des immanenten Verzögerungspotenzials und Aufwands – eine beschränkte Widerklagebefugnis zu schaffen. Hierfür könnte sich am Regelungsgehalt der quantitativen und qualitativen Erweiterung des § 264 Nr. 2 ZPO orientiert und dementsprechend eine Feststellungswiderklage in diesem Umfang zugelassen werden.886 Diese könnte, aufgrund der entsprechenden Ermächtigung infolge der umfassenden Anspruchsanmeldung durch die Anmelder gegen die 881 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 10. Vgl. zu Fallgestaltungen bei Zession: Wagner, JA 2014, 655 (658). Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (200) wollen Drittwiderklagen ausschließen. 882 Vgl. zur materiellen Rechtskraft bei Nachforderungen: Althammer, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 322, Rn. 145 ff. Die materielle Rechtskraft würde maßgeblich vom klägerischen Antrag abhängen, vgl. ebenda, Rn. 88 ff., insb. Rn. 91. 883 Vgl. den Hinweis auf „umfassende Rechtskraftwirkung“ bei Althammer, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 322, Rn. 67. 884 Vgl. dazu bei weiter Rechtskraftwirkung: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 68. 885 Vgl. zur weiten Rechtskraftwirkung: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 69. 886 Hiermit könnte der Beklagte mögliche zukünftige Konfliktfälle klären lassen, insb. Nebenforderungen, Änderungen der Schadensberechnung oder -bemessung (z. B. andere Bemessungszeiträume, Berücksichtigung von Erwerbsausfällen) und Teilklagen, vgl. zu diesen Fällen: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 264, Rn. 52 f., 55 m.w. N. Hierdurch würden die Beklagtenrisiken bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 22 vermieden.
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(passiv) prozessführungsbefugte qualifizierte Einrichtung gerichtet werden und würde gleichzeitig eine weiterreichende Befriedungsfunktion erzielen, ohne den Streitgegenstand signifikant zu erweitern. Auch die Beendigung des Verfahrens sollte weiterhin der Parteidisposition unterliegen, insoweit kann auf die Ausführungen bei der Musterfeststellungsklage verwiesen werden.887 Klageerledigungen und -rücknahmen sollten genauso möglich sein wie ein Anerkenntnis des Beklagten. Sachgerecht zum Schutz der Anmelder dürfte aber, wie in § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO, ein Ausschluss des Verzichts sein.888 Mit diesen Vorschlägen besteht die Möglichkeit die Dispositionsbefugnis weitgehend beizubehalten und die Problematik der fehlenden Widerklagemöglichkeit infolge der Parteirollenverschiebung und der Reduzierung auf einen Zweiparteienprozess zu vermeiden. 5. Besondere Ausgestaltung der Stellung der angemeldeten Verbraucher Bei der Berücksichtigung der Parteirollenverschiebung ist die Frage der Anmelderstellung für die Eingliederung in die ZPO von eminenter Wichtigkeit, weil die Richtlinie eine Parteistellung der Verbraucher ausschließt.889 Zwar werden Antragsrechte der Verbraucher nicht gänzlich ausgeschlossen,890 die Konzeption der Richtlinie sieht aber eine grundsätzlich passive Verfahrensrolle vor.891 Die eigenständige Verbraucherbeteiligung soll dementsprechend aus Gründen der prozessualen Effizienz auf ein Minimum reduziert werden.892 Die Richtlinie lässt es allerdings zu, den Verbrauchern gewisse Rechte im Verfahren zuzuerkennen, sofern hiermit keine zur Antragstellung berechtigende Parteistellung verbunden ist.893 In Betracht käme daher zum teilweisen Ausgleich der Parteirollenver887 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 6., dort insb. a) und b). Siehe auch die Vorschläge bei: Bruns, Rechtsgutachten, S. 61 ff. 888 Siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 65. 889 Dies folgt bereits aus der Legaldefinition der Verbandsklage in Art. 3 Nr. 5 RL sowie aus Art. 7 Abs. 6 S. 1 RL. Siehe auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (114); Grewe/ Stegemann, ZD 2021, 183 (185); Hornkohl, EuCML 2021, 189 (194 f.). 890 Die Mitgliedstaaten können „Verbrauchern bestimmte Rechte im Rahmen der Verbandsklage zuerkennen“, ErwGr. 36 S. 3 RL. Möglich wäre auch ein Umkehrschluss aus Art. 12 Abs. 3 RL. 891 Vgl. ErwGr. 36 S. 3, 4 RL; Lühmann, ZIP 2021, 824 (827). Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50 f.) geht hingegen davon aus, dass Parteistellungen und Nebenintervention nicht ausgeschlossen seien. 892 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 20. Siehe zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit infolge des Opt-in-Mechanismus die Ausführungen unter Kap. 2 D. II. 3. Die Beteiligungsmöglichkeiten bei der US-Sammelklage wären weitergehend: Eichholtz, Class Action, S. 150 ff. 893 ErwGr. 36 S. 3 RL. Siehe Lühmann, ZIP 2021, 824 (826 f.).
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schiebung die Zulassung einer Nebenintervention, bei der – wie auch bei der Richtlinie – keine Handlungen im Widerspruch zur Partei getätigt werden dürfen.894 Allerdings dürfte die Stellung des Nebenintervenienten zu weitreichende Befugnisse mit sich bringen, da dieser – anders als von der Richtlinie vorgesehen – Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen und Rechtsmittel einlegen kann.895 Bei der Nebenintervention kann die Partei die Prozessführung im Ergebnis dem Nebenintervenienten überlassen,896 was allerdings die Richtlinienkonzeption so nicht vorsieht. Ein besonderes Augenmerk sollte auf den für die Musterfeststellungsklage herausgearbeiteten Konsequenzen der Parteirollenverschiebung liegen.897 Um die Vorteile einer Tatsachenbeibringung durch die sachverhaltsnäheren Parteien auch tatsächlich zu verwirklichen, bedarf es einer Berücksichtigung der Parteirollenverschiebung. Die Sachverhaltsnähe, die durch den Beibringungsgrundsatz nutzbar gemacht wird,898 kann sich nur dann positiv auswirken, wenn die Verfahrensgestaltung auch die Anmelder ausreichend berücksichtigt. Zur Vermeidung einer ausgedehnten Anwendung des Bestreitens mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) und einer Ausdehnung der sekundären Darlegungslast muss das Klageregister hinreichende Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für die Parteien im Verhältnis zu den Anmeldern vorhalten.899 Außerdem sollten die Anmelder hinsichtlich der Beweiserhebung den für die Parteien geltenden Regelungen unterworfen werden, da eine Behandlung als prozessualer Dritter, insbesondere bei einer auf Leistung gerichteten Klage, nicht sachgerecht ist, schließlich kann das Anmelderinteresse von einem Parteieninteresse nicht unterschieden werden. Da den Anmeldern die Parteistellung verwehrt ist und gleichzeitig jedoch ihr Vortrag im Verfahren für den Erkenntnisgewinn über den Sachverhalt bedeutsam sein kann, dürfte die Beibehaltung einer Zeugenstellung dennoch sinnvoll sein.900 Allerdings sollte der Anmelder, da er faktisch ein „parteiische[r] Zeuge[. . .]“ 901 ist, kein Zeugnisverweigerungsrecht besitzen und außerdem der prozessualen 894 ErwGr. 36 S. 4 RL. Der Nebenintervenient ist nicht Partei und kann keine Handlungen im Widerspruch zur Partei ausüben: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 67, Rn. 1, 13, 16. 895 ErwGr. 36 S. 4 RL; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 67, Rn. 4, 6. 896 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 67, Rn. 1. 897 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I., dort insb. 2.–5. 898 Siehe nur: Gaier/Freudenberg, ZRP 2013, 27 (29); darauf Bezug nehmend: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 15. 899 Insbesondere bei sich für eine Vielzahl von Anmeldern stellenden, nicht allzu komplexen Fragen käme eine Anwendung der schriftlichen Zeugenaussage nach § 377 Abs. 3 ZPO, bestenfalls unter Nutzung des Registers, in Betracht, vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 192 ff. Dieses gezielte frageweise Vorgehen birgt allerdings eine Suggestionsgefahr: vgl. ebenda, Rn. 142 f. 900 Allg. Wagner, ZEuP 2001, 441 (493). 901 Vgl. Foerste, NJW 2001, 321 (321): „Parteiische Zeugen“.
344 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO unterliegen.902 Auch im Hinblick auf die Herausgabe von Urkunden und Augenscheinsobjekten sollte eine Gleichstellung mit den Parteipflichten erfolgen.903 Die bislang notwendige gesonderte Klageerhebung, bestehende Zeugnisverweigerungsrechte und eine fehlende Anwendbarkeit spezieller Beweiswürdigungsvorschriften sollten daher im Wege einer gesonderten Normierung mit Blick auf die Anmelder berücksichtigt werden. Eine solche Ausgestaltung dürfte auch nicht im Widerspruch zur Richtlinie stehen. Diese schließt zwar grundsätzlich verfahrensrechtliche Verpflichtungen der Verbraucher aus,904 lässt allerdings gleichzeitig finanzielle Sanktionierungen bei schuldhaften Verfahrensverzögerungen zu905 und fordert die qualifizierte Einrichtung auf, die Verbraucher über die „Sicherung der erforderlichen Beweismittel“ 906 zu informieren, damit diese aus einer Abhilfeentscheidung Leistungen erlangen können.907 Dementsprechend dürfte eine Einbeziehung bereits im Rahmen des Beweisrechts die intendierte passive Rolle nicht verletzen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Vorlage von Beweisen im Original für die Anmelder mit einem erheblichen Aufwand einhergeht. Zur Gewährleistung einer niederschwelligen Beteiligung sollte die ZPO eine Regelung vergleichbar § 131 ZPO,908 allerdings mit Bezug auf alle Beweismittel, für die Registereintragung vorsehen.909 Einwendungen gegen die Echtheit der so vorgelegten Beweise sollten nur dann Originale erforderlich machen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für deren Unechtheit bestehen.910 Die dargestellte Vorgehensweise dürfte die Nachteile der Parteirollenverschiebung für die Substantiierungs- und Darlegungslast sowie die Beweiserhebung an902 Anders wohl: Wagner, ZEuP 2001, 441 (495 f.) für Aussageverweigerungen durch Parteien. 903 Vgl. dazu bereits: Gottwald, Gutachten A zum 61. Deutschen Juristentag, S. 20, 104 für Gleichstellung bei Augenscheins- und Urkundenbeweis mit Zeugenpflichten. Siehe zum Beweisrecht nach Art. 18 RL die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 6. b) und c). 904 ErwGr. 36 S. 5 RL. 905 Art. 12 Abs. 2, 3 und ErwGr. 38 S. 3, 4 RL. 906 ErwGr. 58 S. 3 RL. 907 ErwGr. 58 S. 3 RL. 908 Die Norm dient der Vorbereitung des Prozesses durch Ergänzung des § 130 ZPO und kann ggf. zur Erbringung des Urkundenbeweises führen, so: Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 131, Rn. 1 f. 909 So könnten Möglichkeiten zur Abgabe schriftlicher Aussagen, Fotografien von Augenscheinsobjekten (z. B. defekte Waren) und Scandateien bei Urkunden (z. B. Kaufvertrag) zur Verfügung stehen. 910 Aktuell verpflichtet § 134 ZPO zur Niederlegung und kann zur Beweisfälligkeit führen, Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 134, Rn. 2. Vgl. zur Notwendigkeit der Vorlage des Urkundenoriginals bei Bestreiten der Gegenpartei: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 257.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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gemessen ausgleichen und gleichzeitig die Anmelder nicht unangemessen belasten. 6. Änderungen im Beweisrecht durch die Umsetzung des Artikels 18 RL zum Beweisrecht Art. 18 RL verpflichtet die Mitgliedstaaten Regelungen über die Offenlegung von Beweismitteln sowohl zugunsten der qualifizierten Einrichtung (S. 1) als auch zugunsten des Beklagten zu schaffen (S. 2). Die Offenlegungsverpflichtung erstreckt sich außerdem auf Dritte, weshalb sie im Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung erörterungsbedürftig erscheint. Nachfolgend soll daher eine mögliche Umsetzung von Art. 18 RL in nationales Recht erörtert werden.911 a) Anforderungen des Art. 18 RL an die Offenlegung von Beweismitteln Die Regelung des Art. 18 RL beruht auf der Erkenntnis, dass für die Feststellung der Begründetheit einer Klage den Beweismitteln eine wesentliche Bedeutung zukommt.912 Außerdem geht die Richtlinie davon aus, dass der Unternehmer im Verhältnis zu den Verbrauchern zumeist über Beweismittel verfügt, welche den Verbrauchern nicht zur Verfügung stehen und daher ein Ausgleich dieser Informationsasymmetrie geboten sei.913 Art. 18 S. 1 RL verpflichtet die „qualifizierte Einrichtung alle unter zumutbarem Aufwand zugänglichen Beweismittel“ vorzulegen. Sofern diese Beweismittel ausreichen, um die Klage zu stützen und die qualifizierte Einrichtung auf die Existenz weiterer Beweismittel hingewiesen hat, kann das Gericht auf Antrag die Offenlegung zusätzlicher Beweismittel anordnen. Die Anordnung erfolgt „nach Maßgabe der nationalen Verfahrensvorschriften“ und steht unter dem Vorbehalt einer Einhaltung der nationalen und unionalen Regelungen über „Vertraulichkeit und Verhältnismäßigkeit“. Hierbei sollen auch die „berechtigten Interessen Dritter geprüft werden“.914 Die Offenlegungsanordnung kann sich sowohl gegen den 911 Auf eine im Wege der Umsetzung zu optimierende Beweiserhebung weist Heese, NJW 2021, 887 (892) hin. Ablehnend zum Umsetzungsbedarf: Bruns, Rechtsgutachten, S. 61. 912 ErwGr. 68 S. 1 RL. 913 ErwGr. 68 S. 2 RL; siehe auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74); Scherber, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, RL (EU) 2020/1828, Rn. 51. 914 ErwGr. 68 S. 5 RL. Der Wortlaut des Art. 18 S. 1 RL ist erkennbar an Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 195/16, vom 02.06.2004) sowie an Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. L 349/1, vom 05.12.2014) angelehnt. Zur Umsetzung der Enforcement-Richtlinie vgl.: Hoffmann, in: BeckOGK, Stand: 01.03.2023, § 809 BGB, Rn. 31; sowie Althammer, in: Stein/Jonas,
346 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Beklagten als auch gegen einen Dritten richten. Nach Art. 18 S. 2 RL ist aus Gründen der Waffengleichheit915 auch der Unternehmer berechtigt, die Offenlegung zu verlangen.916 Zusätzlich fordert die Richtlinie von den Mitgliedstaaten, bei Verweigerung der Beweismitteloffenlegung die Einführung von Sanktionen (Art. 19 Abs. 1 S. 1 lit. b) RL), welche „wirksam verhältnismäßig und abschreckend sein“ müssen (Art. 19 Abs. 1 S. 2 RL). Die Sanktionen können unter anderem in Geldbußen (Art. 19 Abs. 2 RL), aber auch verfahrensmäßigen Sanktionierungen bestehen.917 b) Ausgestaltung einer systemwahrenden Umsetzung in das nationale Recht Die Vorgaben der Richtlinie sind somit weit gefasst und lassen einen Umsetzungsspielraum, welcher sich insbesondere aus dem Rekurs auf die Anordnung im Einklang mit dem nationalen Recht ergibt,918 dessen Begrenzung auch hier wieder im effektiven Funktionieren des Rechtsinstruments liegt.919 Allerdings sollte die Umsetzung des Art. 18 RL auch berücksichtigen, dass die Zuweisung beweisrechtlicher Risikoverteilungen einen Schutz der Prozesspartei vor einer Indienstnahme für die fremde Rechtsverfolgung darstellt.920 Dies gilt im Besonderen für die vorgesehene Beweisherausgabe durch Dritte, welche bei Abhilfeklagen infolge der Parteirollenverschiebung speziell die Verbraucher belasten und somit das Rechtsinstrument für diese unattraktiv machen kann. Von der Einführung einer allgemeinen Aufklärungspflicht, wie sie insbesondere von Stürner921 entwickelt wurde, sollte daher abgesehen werden.922 Gegen eine weite Aufklärungspflicht923 sprechen – neben ihrer Nähe zur Inquisitionsmaxime924 – bereits Praktikabilitätserwägungen. Beim zu erwartenden Umfang eines MassenverfahZPO, § 142, Rn. 5; zur Ähnlichkeit mit der Kartellschadensersatzrichtlinie: Lühmann, ZIP 2021, 824 (834). Ablehnend ggü. einem „Recht“ auf Beweis: Lühmann, NJW 2019, 570 (574). 915 ErwGr. 68 S. 4 RL. 916 Vollkommer, MDR 2021, 129 (132) geht davon aus, dass dies beklagtenseits insb. für die Klagebefugnis und die Prozessfinanzierung Bedeutung erlangen dürfte. 917 Explizit für die Beweismitteloffenlegung: ErwGr. 69 S. 4 RL. 918 So auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74); Mekat, RAW 2021, 93 (95). 919 Vgl. ErwGr. 12 S. 4 RL. Auf diesen weist auch Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74) hin. 920 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, S. 380; Henckel, ZZP 92 (1979), 100 (104); zum Schutz vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme des Gerichts durch die Substantiierungslast: Stürner, Aufklärungspflicht, S. 113 ff. 921 Stürner, Aufklärungspflicht, dazu: Arens, ZZP 96 (1983), 1 (6 ff.) und Stürner, ZZP 98 (1985), 237 (242 f.) m.w. N. 922 Zur Kritik: Arens, ZZP 96 (1983), 1 (10 ff.); Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 266 m.w. N. zur fehlenden Grundlage einer Rechtsanalogie. 923 Vgl. zum Inhalt der Aufklärungspflicht: Stürner, Aufklärungspflicht, S. 134 ff.; Arens, ZZP 96 (1983), 1 (14).
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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rens dürften die Parteien durch die Befassung und Auswertung mit der extensiven Aufklärung stark belastet werden. Dies gilt analog auch für Möglichkeiten eines Ausforschungsbeweises.925 Gerade weitreichende prozessuale Vorlageverpflichtungen sind ein wesentlicher Grund für die Missbrauchsgefahren des kollektiven Rechtsschutzes,926 welche die Richtlinie gerade vermeiden möchte.927 Außerdem würden sie für die qualifizierte Einrichtung zusätzliche Kosten bewirken, was die Klageaktivität nachteilig beeinflussen dürfte. Gegen die Zulassung zu weitreichenderer Informationspflichten spricht bereits die erste Voraussetzung des Art. 18 S. 1 RL, wonach die qualifizierte Einrichtung, die zur ausreichenden Stützung ihrer Klage ausreichenden Beweismittel vorgelegt haben muss. Dies verhindert gerade die Substantiierung der Klage erst infolge der Beweisermittlung.928 Die Regelung dürfte somit auch einen Ausschluss von Ausforschungen auf Grundlage unsubstantiierten Vorbringens beinhalten.929 Da Art. 18 RL ganz allgemein von Beweismitteln spricht, sollte die Offenlegungsverpflichtung grundsätzlich auf alle Beweismittel der ZPO ausgedehnt werden. Zwar kann ein Zeuge als Beweismittel nicht „vorgelegt“ werden, es besteht jedoch die Möglichkeit dessen Identität zu klären (Zeugenermittlung). Hier dürfte allerdings die im Rahmen des § 373 ZPO schon bislang genügende hinreichende Individualisierbarkeit zur Umsetzung der Richtlinie ausreichen.930 Wichtiger für die Fähigkeit einer Partei Beweis zu erbringen wäre es, im Rahmen der Umsetzung des Art. 18 RL ihre Befugnisse an diejenigen des Gerichts im Rahmen der §§ 142, 144 ZPO931 anzugleichen. Hierzu sollte eine entsprechende Regelung im Rahmen einer gesonderten Beweisnorm für die Abhilfeklage geschaffen werden.932 Da das Bezugnahmeerfordernis von den Parteien die Einhaltung
924 Arens, ZZP 96 (1983), 1 (18); Lüke, JuS 1986, S. 2 (3); ablehnend auch: BGH, Urteil vom 22.01.1957, Az. VI ZR 334/55, NJW 1957, 669 (669); BGH, Urteil vom 08.04.1981, Az. VIII ZR 98/80, NJW 1981, 1733 (1733). 925 Siehe zum Aufwand im Rahmen der US-Sammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 61 f. Vgl. zum Begriff des Ausforschungsbeweises: Peters, Ausforschungsbeweis, S. 11 ff., 120; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 31; Benedicter, Sachverhaltsermittlung, S. 43 ff. 926 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 A. 927 Vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1, ErwGr. 10 RL. 928 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74). Zu dieser Praxis im US-amerikanischen Recht: Witte/Wetzig, WM 2019, 52 (55), sog. notice pleading. 929 So auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49). VRUG-E, S. 82 weist ausdrücklich darauf hin, dass § 138 ZPO unberührt bleibt. 930 Vgl. Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49). Siehe zum Vorgehen in der Praxis: Gehle, in: Anders/Gehle, ZPO, § 373, Rn. 5 f. 931 Vgl. auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (834) zur Frage, ob sich aus der Richtlinie die Verpflichtung zur Einführung neuer prozessualer oder materieller Rechte ergibt. Wonach eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 142 ff. ZPO genügen soll. 932 Siehe auch Fries, ZZP 134 (2021), 433 (440), zugleich offener hinsichtlich einer Aufklärungspflicht.
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der Darlegungs- und Substantiierungslast erfordert,933 werden übermäßige Beweiserhebungen eingegrenzt und gleichzeitig eine weitgehende Möglichkeit zur Erlangung von Beweismitteln in Händen der Parteien geschaffen. Da Art. 18 S. 1 RL von der Partei verlangt, dass diese auf die weiteren Beweismittel hinweist, wird von der Richtlinie eine gewisse Identifizierung und Bezeichnung der offenzulegenden Beweismittel gefordert.934 Dem dürfte die bislang praktizierte Abstufung des Parteivortrags, dahingehend, dass Anhaltspunkte ausreichen, die eine gewisse Wahrscheinlichkeitsgewähr für das Bestehen der Tatsache bieten, nicht entgegenstehen.935 Trotzdem sollten die Anforderungen an die Substantiierung des Tatsachenvortrags und die Identifizierung der Beweismittel zur effektiven Umsetzung des Art. 18 RL nicht überspannt werden.936 Als entsprechendes Missbrauchskorrektiv verwies der Gesetzgeber bei Einführung des § 142 ZPO auf die Ermessensausübung durch das Gericht.937 Durch die Normierung einer parteilichen Befugnis würde diese Möglichkeit allerdings entfallen. Um eine übermäßige Belastung speziell der Anmelder938 und eine Verletzung der Geheimnisinteressen der Parteien und weiterer Dritter zu vermeiden, sollte für die parteiliche Befugnis das Kriterium der Zumutbarkeit,939 als eine 933 Zu § 142 ZPO: BGH, Urteil vom 26.06.2007, Az. XI ZR 277/05, NJW 2007 2989 (2991); BGH, Beschluss vom 15.06.2010, Az. XI ZR 318/09, BeckRS 2010, 17011, Rn. 25; dazu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 479. Zur Geltung bei § 144 ZPO: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 22, Rn. 55. Zu den Voraussetzungen des § 142 ZPO: Zekoll/Haas, JZ 2017, 1140 (1140 f., 1144 f.) und Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 159 ff. m.w. N. 934 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74), der sich gegen eine zu restriktive Handhabung ausspricht, um ein Leerlaufen zu vermeiden; zu Art. 13 RL-Entw.: Chaprehari/ Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 26. 935 Ausführlich: Arens, ZZP 96 (1983), 1 (4, 8) m.w. N. 936 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49) geht davon aus, dass § 142 ZPO der Richtlinie genügen dürfte. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 21, Fn. 108 verweisen auf eine richtlinienkonforme Auslegung. Siehe auch: Langheid, VersR 2020, 789 (795) zum Kommissionsentwurf geht dieser von einer „äußerst flache[n] Hürde“ aus. Der Wortlaut wurde aber durch den Rechtsausschuss enger gefasst, vgl. Lühmann, NJW 2019, 570 (574). 937 BT-Drs. 14/6036, S. 120; Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 155; siehe auch: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 142, Rn. 22. Nach Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 21, Fn. 108 kommt dem Gericht auch bei Art. 18 RL ein Ermessen zu („anordnen kann“). 938 Zu denken ist hier an den Kosten- und Zeitaufwand. Auch werden die Anmelder bei geringwertigeren Produkten keine vollständigen Kaufdokumentationen vorhalten (vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (29)), hier könnte das Instrument genutzt werden, um vom Unternehmer z. B. die Vorlage von Kaufverträgen zu verlangen (vgl. Hornkohl, EuCML 2021, 189 (195); eine vollständige Verlagerung der Beweiserhebung sollte dadurch aber nicht erfolgen. 939 Diese ist bislang nur ggü. Dritten in § 142 Abs. 2 S. 1, § 144 Abs. 2 S. 1 ZPO vorgesehen. Siehe aber die Vorschläge bei: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 142, Rn. 22 m.w. N. Vgl. auch den Formulierungsvorschlag bei: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 494 zum Geheimnisschutz.
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wesentliche Voraussetzung zur Vermeidung überbordender und verfahrensverzögernder Anträge, normiert werden. Im Rahmen dieser Tatbestandsvoraussetzung könnte der von der Richtlinie „im Einklang mit dem nationalen Verfahrensrecht“ 940 geforderten Prüfung der Offenlegung hinsichtlich ihrer Notwendigkeit, dem Umfang, der Verhältnismäßigkeit, der Vertraulichkeit und den Interessen Dritter Rechnung getragen werden.941 Der in Art. 18 RL vorgesehenen gerichtlichen Anordnung dürfte unter Berücksichtigung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten durch den Erlass eines Beweisbeschlusses, wie ihn § 358 ZPO vorsieht, Genüge getan werden.942 c) Dogmatische Grundlage der Umsetzung im deutschen Recht Die Grundlage für die Vorlageverpflichtung sollte nicht im materiellen Recht, sondern im Prozessrecht begründet liegen.943 Zwar widerspricht dies der bisherigen Ausgestaltung des deutschen Rechts.944 Jedoch wurde bereits mit den §§ 142, 144 ZPO eine prozessuale Verpflichtung zur Beibringung von Beweismitteln statuiert, wodurch eine Abkehr von einer rein privatrechtlichen Editionspflicht eingeleitet wurde.945 Die bei materiellen Ansprüchen aber gegebenenfalls notwendige zusätzliche Klage verzögert ein Abhilfeverfahren.946 Außerdem besteht zwischen den Pro-
940 Zu dieser Anforderung: ErwGr. 68 S. 5 RL. Auf Vertraulichkeit und Verhältnismäßigkeit weist auch Art. 18 S. 1 RL hin. 941 Vgl. zum Kriterium der Zumutbarkeit in § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO und dem Geheimnisschutz: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 492 f. m.w. N.; siehe auch: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 244 ff.; siehe zum Geheimnisschutz im deutschen Prozessrecht auch: Wagner, ZEuP 2001, 441 (473 ff.). 942 Zu den Voraussetzungen: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 358, Rn. 1 ff. 943 So auch Fries, ZZP 134 (2021), 433 (440); anders: Arens, ZZP 96 (1983), 1 (23). 944 Siehe nur: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 129, siehe dazu nur: BGH, Urteil vom 11.06.1990, Az. II ZR 159/89, NJW 1990, 3151 (3151); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 477; Wagner, ZEuP 2001, 441 (467) m.w. N.; McGuire, GRUR Int. 2005, 15 (15); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 49. 945 Ausführlich zu § 142 ZPO: Ahrens, Beweis im Zivilprozess, Kap. 28, Rn. 10 ff.; zu § 144 ZPO: ebenda, Kap. 22, Rn. 52 ff. § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO begründet eine Vorlagepflicht kraft Prozessrechts, ohne materielle Verpflichtung, siehe nur: Wagner, Urkundenedition durch Dritte, in: Festschrift Leipold, S. 801 (805) m.w. N. Vgl. zu dieser Entwicklung: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 5 f., einen Überblick über die materiellen Ansprüche bietet: ebenda, S. 27 f.; siehe auch: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 130 ff. Zum Standort von Informationsansprüchen im materiellen oder Prozessrecht: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 157 ff., die Orientierung am materiellen Recht entspricht demnach nicht mehr der Eigenständigkeit des Prozessrechts. 946 Vgl. insofern die Kritik an der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 485 f.
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zessparteien bei der Abhilfeklage gerade keine materielle Beziehung,947 sodass lediglich auf eine Ermächtigung durch die Anmeldung zur Geltendmachung durch die qualifizierte Einrichtung abgestellt werden könnte.948 Dies gilt auch für das Verhältnis der qualifizierten Einrichtung zu den Anmeldern, die gegebenenfalls selbst Beweismittel von deren Seite erlangen muss.949 Konstruktiv einfacher wäre die Annahme einer prozessualen Verpflichtung. Eine Umsetzung im Prozessrecht hat gegenüber dem materiellen Recht den Vorteil, eine umfassende und nicht rein kasuistische Lösung zu ermöglichen und vermeidet auf diesem Wege eine Fragmentierung der Auskunfts- und Informationsmöglichkeiten.950 Dieser Aspekt bedarf unter Berücksichtigung der hier vorgeschlagenen, nicht rein sektoriellen Umsetzung besonderer Aufmerksamkeit. Außerdem ermöglicht eine allgemeine prozessuale Regelung eine flexible Handhabung im Einzelfall,951 was im Hinblick auf die vielschichtigen Interessen eines Instruments des kollektiven Rechtsschutzes angezeigt erscheint. Darüber hinaus spricht auch der Grundsatz der lex fori für eine prozessuale Verankerung.952 Der mit der Richtlinie intendierte grenzüberschreitende Rechtsschutz und die Möglichkeit der Einbeziehung auch ausländischer Verbraucher (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL) würde kollisionsrechtlich zur Anwendbarkeit verschiedener materieller Rechtsordnungen führen.953 Außerdem sind in vielen ausländischen Rechtsordnungen die Auskunfts- und Informationspflichten im Prozessrecht geregelt, weshalb es in der Folge einer kollisionsrechtlichen Anpassung bedürfte.954 Eine einheitliche Verankerung im Prozessrecht gewährleistet gegenüber Parteien und Dritten,955 unab947 Nach Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (221) sei gerade das Fehlen einer materiellen Verpflichtung ein Grund für das Fehlen weitergehender Aufklärungspflichten im Zivilprozess. 948 Vgl. zu Vor- und Nachteilen einer materiell-rechtlichen Umsetzung am Beispiel der Enforcement-Richtlinienumsetzung: Stadler, Auskunftspflichten und Geheimnisschutz im Zivilprozess, in: Festschrift Leipold, S. 201 (207 f.); McGuire, GRUR Int 2005, 15 (16). Für eine Informationspflicht würde sich die Frage nach der Qualität der Rechtsbeziehung stellen, vgl. Lüke, JuS 1986, 2 (2). 949 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. I. 5. e). 950 Vgl. Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 164; Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 181 f. unter diesem Aspekt kritisch zur Umsetzung der Enforcement-Richtlinie. 951 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 181 m.w. N. 952 Vgl. zu diesem: Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 2, Rn. 44 ff. Vgl. zur Geltung der lex fori bei der Beweisführung: BGH, Urteil vom 08.09.2016, Az. III ZR 7/15, ZEV 2017, 224 (225). Siehe auch: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 164 f.; Coester-Waltjen, Beschaffung von Beweisurkunden aus dem Ausland, in: Festschrift Schlosser, S. 147 (153). 953 Vgl. zur Abhilfeklage: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 544 (563 ff.). 954 Coester-Waltjen, Beschaffung von Beweisurkunden aus dem Ausland, in: Festschrift Schlosser, S. 147 (149 f.); dazu auch: Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 164 f.; anschaulich: McGuire, GRUR Int 2005, 15 (17); zu Beispielen: Thole, JR 2011, 327 (330 f.). 955 Aufgrund der besonderen Stellung des Anmelders wäre auch das Fehlen eines Prozessrechtsverhältnisses für eine verstärkte Pflichtenstellung bei ggf. fehlender mate-
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hängig von der anwendbaren Rechtsordnung, eine einheitliche Rechtsanwendung und verhindert, dass sich die Komplexität des Massenverfahrens weiter erhöht.956 d) Sanktionen bei Nichtbefolgung einer zulässigen Forderung nach Beweismitteloffenlegung Nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 lit. b) RL müssen die Mitgliedstaaten für den Fall einer Verletzung der Offenlegungsverpflichtung Sanktionen vorsehen. Für eine Umsetzung in nationales Recht bietet sich eine Einordnung als eine Art beweisvereitelndes Verhalten an.957 Somit sollte es möglich sein die nicht erfolgte Beweismittelherausgabe bei der Beweiswürdigung entsprechend zu berücksichtigen.958 Dies entspricht auch dem Regelungsgehalt der gesetzlich normierten Tatbestände der Beweisvereitelung in der ZPO.959 In Anlehnung an die §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3, 444, 446 ZPO sollten die behaupteten Tatsachen als erwiesen angesehen werden können,960 wobei diese Lösung zur Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles nicht zu schematisch herangezogen werden sollte.961 Zwar stärkt dieser Ansatz die Richterstellung zusätzlich, allerdings bie-
rieller Grundlage (vgl. Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 138, Rn. 51) kein wesentlicher Einwand. 956 Zur Zulässigkeit: Coester-Waltjen, Beschaffung von Beweisurkunden aus dem Ausland, in: Festschrift Schlosser, S. 147 (154 ff., insb. S. 156 f.) m.w. N., hier zeigt sich die Bedeutung der Wahrung des Zuständigkeitssystems. 957 Dies entspräche einer umfassenden Anerkennung der gesetzlich normierten Fälle in der ZPO, vgl. Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 284; unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 17.06.1997, Az. X ZR 119/94, NJW 1998, 79 (81); BGH, Urteil vom 23. 11. 2005, Az. VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 (436). Ein allgemeines Rechtsinstitut der Beweisvereitelung ist der ZPO aber nicht immanent: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 286, Rn. 201. Siehe zu möglichen Fallbeispielen: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 183 f. m.w. N. 958 ErwGr. 69 S. 4 RL lässt „Verfahrensmaßnahmen“ zu, worunter auch eine entsprechende verfahrensmäßige Würdigung fallen dürfte. Für eine prozessrechtliche Normierung spräche auch hier die einheitliche Anwendung der lex fori, hierzu: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 318, Fn. 281. 959 Lutz, Beweisvereitelung, S. 85, 111 m.w. N.; Schneider, MDR 1969, 4 (8). Vgl. für die prozessuale Berücksichtigung der nicht erfolgten Beweisaufbewahrung: Lutz, Beweisvereitelung, S. 61 f. 960 Zu den Regelungen im Einzelnen: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 371, Rn. 7; ebenda, § 427, Rn. 2; ebenda, § 446, Rn. 1. Vgl. insoweit: Peters, Ausforschungsbeweis, S. 111. Vgl. für die Annahme parteilicher Aufklärungspflichten den Ansatz bei Stürner, Aufklärungspflicht, S. 242 ff., insb. S. 249, der eine Beweisfiktion annimmt; Henckel, ZZP 92 (1979), 100 (102 f.). Kritisch: Arens, ZZP 96 (1983), 1 (16 ff.) §§ 427, 444 ZPO stellen Regelungen der Beweisvereitelung dar: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 312. Siehe zusätzlich die Normnennungen bei: Musielak, Hilfen bei Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (221). 961 Auf die Starrheit einer Regelung verweisen Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, Rn. 188. Allerdings erfordert die richterliche Beweiswürdigung eine umfassende Würdigung, der eine Flexibilität durchaus inhärent ist: Musielak, Hilfen bei
352 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
tet er gegenüber Maßnahmen zur Erzwingung von Beweismittelherausgaben eine Möglichkeit zur schnelleren Verfahrensbewältigung. Verglichen mit Zwangsmaßnahmen dürfte die Motivation der Parteien oder Anmelder zur Beweisherausgabe wegen der nachteiligen Würdigung gesteigert werden.962 Der Beweiswürdigung steht bei der Abhilfeklage in vielen Fällen auch nicht – anders als bei der Musterfeststellungsklage – die Schwierigkeit einer nachteiligen Berücksichtigung des Verhaltens einzelner Anmelder im Rahmen abstrahierender Feststellungsziele zum Nachteil anderer redlicher Anmelder entgegen. Der Weigerung kann im Hinblick auf die individuellen Ansprüche der einzelnen Anmelder konkret Rechnung getragen werden. Da die Richtlinie die Sanktionen jedoch auch dahingehend präformiert, dass die Verhängung von Geldbußen (vgl. Art. 19 Abs. 2 RL) möglich sein soll, muss auch dies bei der Umsetzung Berücksichtigung finden. Geldbußen gegenüber einer Partei zur Durchsetzung einer Beweismittelherausgabe sind dem deutschen Zivilprozessrecht bislang fremd.963 Eine solche Regelung könnte das Gesetz jedoch im Rahmen einer zwangsweisen Durchsetzung von Offenlegungsverpflichtungen für solche Fälle vorsehen, in denen die Beweisführung einer Partei maßgeblich von dem Beweismittel abhängt, denn speziell in solchen Fällen dürfte die Berücksichtigung im Wege der Beweiswürdigung für die andere Partei keine adäquate Abhilfe schaffen.964 e) Zwischenergebnis zur Umsetzung in das nationale Recht Die Ausdehnung der Normen auch auf parteiliches Verlangen stärkt die Stellung der Parteien im Verhältnis zum Gericht965 und schafft die bisherige Disparität zwischen den gerichtlichen Befugnissen der §§ 142, 144 ZPO und den parteilichen Möglichkeiten im Rahmen der §§ 371, 422 f. ZPO ab. Dies steht mit dem Verhandlungsgrundsatz zudem deutlich besser im Einklang als die aktuelle Aus-
Beweisschwierigkeiten, in: Festgabe BGH, S. 193 (221). Dazu auch: Thole, JR 2011, 327 (333). 962 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 182, 253; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 82; siehe zur Effektivität: Stadler, Auskunftspflichten und Geheimnisschutz im Zivilprozess, in: Festschrift Leipold, S. 201 (209, Fn. 41). Peters, Prozeßförderungspflicht der Parteien?, in: Festschrift Schwab, S. 399 (403, 406). 963 Lühmann, ZIP 2021, 824 (834); Vollkommer, MDR 2021, 129 (132); Wagner, ZEuP 2001, 441 (497) allg. zu Zwangsmitteln. 964 Vgl. den Vorschlag von: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 182. Siehe auch: Wagner, ZEuP 2001, 441 (500 f.); Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (200). Siehe zur zwangsweisen Durchsetzung auch: McGuire, GRUR Int 2005, 15 (17). 965 Für eine Ausdehnung des § 142 ZPO auf parteiliches Vorlageverlangen: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 350. Von einer Durchbrechung der Verhandlungsmaxime durch die amtswegigen gerichtlichen Befugnisse geht Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 188 aus.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
353
gestaltung.966 Außerdem existiert hierdurch für die Parteien eine weitreichende prozessuale Möglichkeit zur Erlangung von Beweismitteln, die nicht durch kasuistische materielle Ansprüche begrenzt ist, zum Schutz der Parteien und Dritter aber durch das Kriterium der Zumutbarkeit flexibel begrenzt werden kann. Die Lösung überwindet zudem die Nachteile der Parteirollenverschiebung, da die Parteien, durch die angestrebte Ausgestaltung unter Berücksichtigung der gesondert normierten Anmelderstellung, prozessuale Möglichkeiten zum Ausgleich der im Rahmen der Musterfeststellungsklage beleuchteten Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung erhalten.967 7. Bestimmung von Schadensersatz und weiterer summenmäßiger Beträge Aufgrund des erheblichen Verfahrensumfangs und der Schwierigkeiten der Tatsachenrekonstruktion dürfte im Rahmen der Abhilfeklage die Bestimmung von Einzelbeträgen, insbesondere im Falle von Schadensersatz, aber auch anderer summenmäßiger Beträge (z. B. Minderungsbetrag) Schwierigkeiten bereiten.968 Speziell die Festsetzung von Schadensersatzleistungen kann nur gelingen, wenn die betroffenen Personen individualisiert werden können und deren Einzelpositionen hinreichend substantiiert dargelegt wurden.969 Durch das Anmeldeverfahren und die Überprüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Individualansprüche dem Grunde nach, je nach Verfahrensablauf auch nach erfolgter Untergruppenbildung kann diese Individualisierung, und sei es anhand einer Untergruppenzugehörigkeit, ausreichend gewährleistet werden. Bereits oben wurde auf die 966 Vgl. Lang, Urkundenvorlagepflichten, S. 191 f.; für eine Anpassung auch: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 190 f., den Aspekt des Verhandlungsgrundsatzes hervorhebend: ebenda, S. 350. Vgl. zur Disparität: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 472 ff., insb. S. 475 f. und 493 f. Vgl. den Vorschlag von Stadler, Auskunftspflichten und Geheimnisschutz im Zivilprozess, in: Festschrift Leipold, S. 201 (208 f.) für die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie. 967 § 6 VDuG-E löst die hier aufgeworfenen Fragen nicht, sondern sieht lediglich eine Ergänzung der §§ 142–144 ZPO um ein Ordnungsgeld vor, vgl. VRUG-E, S. 73; siehe auch: Schultze-Moderow/Steinle/Muchow, BB 2023, 72 (74). Damit werden lediglich die richterlichen Befugnisse gestärkt, nicht aber diejenigen der Parteien. Die Darlegungslast nach § 138 ZPO soll jedoch dadurch nicht berührt werden, vgl. VRUG-E, S. 82. 968 Laut Eichholtz, Class Action, S. 173 hängen nahezu alle Probleme der Sammelklagen mit dem Schadensersatz zusammen; zu den Berechnungsschwierigkeiten: ebenda, S. 182 ff. Vgl. zu den Schwierigkeiten der Schadensberechnung im Bereich des Kartellrechts: Fiedler, Class Actions, S. 190 ff.; siehe auch: Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (27 ff.). 969 Vgl. Schäfer, in: Anreizwirkungen bei der Class Action und der Verbandsklage, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 67 (90), der darauf hinweist, dass dies die Ermittlung von Streuschadensbeträgen deutlich erschwert. Eine theoretische Ermittlung des Gesamtschadens würde dem Verfahren einen verwaltungsrechtlichen Charakter verleihen: ebenda (91).
354 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
Möglichkeit eines Zwischenurteils gemäß § 304 ZPO hingewiesen, durch welches der Anspruch dem Grunde nach geklärt werden kann.970 Die anschließende exakte Betragsbestimmung droht jedoch in vielen Abhilfeverfahren die Kapazitäten des Gerichts zu überschreiten.971 Unter Berücksichtigung der auch bislang anerkannten Verfahrenswirtschaftlichkeit sollte der Gesetzgeber daher unter Beachtung des Bezifferungsaufwands der Individualbeträge im Verhältnis zur jeweiligen Anspruchshöhe und der Gruppengröße Verfahrens- und Beweiserleichterungen einführen.972 Zur Lösung sollten die §§ 606 ff. ZPO um eine an § 287 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO angelehnte Befugnis des Gerichts ergänzt werden, um den Anspruchsbetrag für die jeweilige Untergruppe einheitlich zu bestimmen.973 Die Regelung des § 287 ZPO sollte sich daher auf jeden summenmäßig feststellbaren Betrag erstrecken.974 Daneben sollte es möglich sein, speziell für die Bestimmung der Anspruchshöhe Untergruppen anhand typischer Merkmale zu bilden (Anspruchscluster).975 Auf diese Weise könnte zumindest eine Annäherung an den exakten Betrag erreicht werden und würde eine bloße Pauschalierung vermieden. Auch sollte die Abhilfeklage eine Möglichkeit vorsehen einen exemplarischen Fall zu entscheiden und den Parteien die Gelegenheit einräumen Einwendungen gegen die Übertragung auf andere Anmelder zu erheben. Eine weitere von der Richtlinie selbst angesprochene Möglichkeit wäre die Darlegung der Berechnungsmethode für die Anspruchshöhe im Urteil.976 Diese verfahrensmäßige Abschichtung977 dürfte in Kombination mit der Absenkung des Beweismaßes
970 Vgl. auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (831); Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (28); Koch, Prozeßführung, S. 303. 971 Weiss, NJW 2021, 1047 (1047) geht von einer gesteigerten Bedeutung der abstrakten und fiktiven Schadensberechnung infolge der Verbandsklagenrichtlinienumsetzung aus. 972 Vgl. Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 289 f. speziell für Bagatellbeträge unter Hinweis auf § 495a ZPO. Siehe auch zu § 287 Abs. 2 ZPO: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 287, Rn. 7 f. 973 Eine Erweiterung des § 287 ZPO stellt auch Röthemeyer, VuR 2019, 87 (93) zur Debatte. Ähnlich auch der Ansatz von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 32, die allerdings einen stark pauschalierenden Ansatz verfolgen, der so de lege lata in § 287 ZPO keine Grundlage finden dürfte; zur Kritik: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830 f.). Siehe auch zu § 287 ZPO: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung und Reform des deutschen Rechts, in: Bündelung gleichgerichteter Interessen, S. 11 (46). Siehe auch: § 19 VDuG-E; dazu: Schultze-Moderow/Steinle/Muchow, BB 2023, 72 (77 f.). 974 § 287 Abs. 1 ZPO bezieht sich bislang nur auf Schäden, vgl. Prütting, in: MüKoZPO, § 287, Rn. 6. § 287 Abs. 2 ZPO ermöglicht auch eine Reduzierung der Beweislast bei der Forderungshöhe vermögensrechtlicher Streitigkeiten: Foerste, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 287, Rn. 11; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 287, Rn. 7. 975 Röthemeyer, VuR 2019, 87 (91); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51) spricht vom „clusterorientierten Leistungsausspruch“; siehe auch: Woopen, JZ 2021, 601 (609). 976 ErwGr. 50 S. 1 RL sieht dies für die Schadenshöhe vor. Siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133); Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1151). 977 Lühmann, ZIP 2021, 824 (829 f.).
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
355
verglichen zu § 286 ZPO978 eine ausreichende Reduzierung der Verfahrenskomplexität bewirken und gleichzeitig das Instrument des § 287 ZPO angemessen weiterentwickeln. 8. Ausgestaltung der Abhilfeentscheidung Abschließend bedarf es noch einiger kurzer Anmerkungen zur Abhilfeentscheidung, aus welcher die Verbraucher eine Leistung erhalten sollen.979 Im Hinblick auf das Urteil fordert die Richtlinie in Art. 9 Abs. 5 RL für den Fall einer nicht erfolgenden einzelnen Nennung der Verbraucher zumindest die Festlegung der Gruppe, die einen Anspruch auf die Leistung erhält.980 Entsprechend den gemachten Vorschlägen einer Untergruppenbildung und der Schaffung eines leistungsfähigen Registers wäre dies durch entsprechende Bezugnahmen gewährleistet.981 Im Hinblick auf das Urteil sind somit je nach Fallgestaltung sowohl die Benennung konkreter Leistungen als auch deren Beschreibung zulässig.982 Für Fälle, in denen die Schäden einheitlich und verhältnismäßig einfach berechnet werden können, also ohne die Notwendigkeit einer Beantwortung weiterer Rechtsfragen, in denen aber gleichzeitig die Schadenshöhen deutlich differieren, sollte das Gesetz ein entsprechendes Vorgehen zulassen. Für die Bestimmung im Einzelfall bietet es sich an, eine entsprechende Stelle – wie auch für die Abwicklung im Allgemeinen – beim BfJ anzusiedeln.983 Die entsprechende Stelle benö978 Das Beweismaß ist hierbei fallabhängig: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 286, Rn. 46; dem Gericht kommt ein großer Beurteilungsspielraum zu, vgl. nur: BGH, Beschluss vom 04.02.2021, Az. I ZR 169/20, BeckRS 2021, 5587, Rn. 17; siehe auch: Balzer/Walther, Beweisaufnahme und Beweiswürdigung, Rn. 58; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 425 m.w. N.; ausführlich zur Beweiserleichterung: Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 273 ff. 979 ErwGr. 37 S. 1, ErwGr. 50 S. 1, 2, Art. 9 Abs. 6 RL. Siehe Art. 9 Abs. 7, ErwGr. 51 RL zu Fristen und weitergehenden Zweckbestimmungen. 980 Nach Ansicht von Augenhofer, NJW 2021, 113 (115) soll dies vor allem die Optout-Konstellationen erfassen. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73) geht wohl davon aus, dass dies Fälle erfasst, in denen die Betroffenen nicht klar ermittelt werden können. Nach dem hiesigen Ansatz wird dies vermieden. 981 Ähnlich: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830). 982 Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). Der Entwurf des VDuG (ausführlich: VRUG-E, S. 89 f.) schreibt demgegenüber die Benennung der Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung und die erforderlichen Berechtigungsnachweise als Inhalt der Urteilsformel des Abhilfegrundurteils vor (§ 16 Abs. 2 S. 1 VDuG-E). Ferner muss der den Verbrauchern zustehende (einheitliche) Betrag oder der kumulierte Gesamtbetrag der Abhilfeleistung angegeben werden (§ 16 Abs. 2 S. 2 VDuG-E). Im zweiten Fall sollen erst nachfolgend individuelle Leistungen für die Anspruchsinhaber festgelegt werden. 983 Allg. für die Übertragung auf eine öffentliche Stelle: Woopen, JZ 2021, 601 (608). Vorschläge für ein situationsabhängig differenzierendes Leistungsverfahren im Nachgang zu einem Musterfeststellungsverfahren bei: Röthemeyer, jM 2022, 178 (182 f.); Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 91 ff. Voit, Sammelklage, S. 363 schlägt ein an die Insolvenztabelle angelehntes Verfahren vor. §§ 23, 27 f. VDuG-E sehen demgegenüber eine weitreichende Zuständigkeit eines Dritten, des sog. Sachwalters, vor.
356 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
tigt zu diesem Zwecke vollen Zugriff auf die Eintragungen im Klageregister. Sofern die Berechnung einzelner Ansprüche notwendig wäre, müsste außerdem die hierfür notwendige Legal-Tech-Infrastruktur geschaffen werden. Die Aufgabe des BfJ sollte sich allerdings auf eine ausschließlich exekutierende Rolle beschränken.984 Hierfür muss das Urteil den Fall so umfassend entscheiden und die zu tätigenden Schritte durch das BfJ beschreiben, dass dieses lediglich noch die konkreten Berechnungen erbringt.985 Andernfalls wären Folgestreitigkeiten erwartbar.986
V. Zusammenfassende Stellungnahme zur möglichen Integration des Abhilfeverfahrens in die Zivilprozessordnung Trotz des unternommenen Versuchs einen Vorschlag eines sich möglichst behutsam in die Zivilprozessordnung einfügenden kollektiven Rechtsschutzinstruments zu unterbreiten, ist der Anpassungsbedarf der ZPO an die Abhilfeklage offensichtlich. Das vorgeschlagene strikte Zulassungsverfahren, mit einer Über984 Weitergehend Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51), der in Art. 9 Abs. 5–7 RL einen Ansatz einer stufenweisen Abhilfeerlangung erblickt. So auch die Vorschläge von Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). Nach Lühmann, ZIP 2021, 824 (830) dürfte dies vor allem Opt-out-Mechanismen betreffen. Anders die Ausgestaltung des Umsetzungsverfahrens nach §§ 22 ff. VDuG-E. Kommt es nach dem Abhilfegrundurteil zu keinem Vergleichsschluss (§ 17 VDuG-E), so schließt sich ein Verfahren zur Prüfung der individuellen Berechtigung und des Anspruchsumfanges an (VRUG-E, S. 68, 95 ff.; Vollkommer, MDR 2022, 325 (325); Egler, DB 2023, 4 (5)). Das Gericht trifft hier selbst keine Entscheidungen mehr über die Verbraucheransprüche (vgl. VRUG-E, S. 107), dies obliegt dem Sachwalter anhand der Vorgaben im Abhilfegrundurteil (vgl. § 27 Nr. 3 VDuG-E). Anders als die in dieser Arbeit gemachten Vorschläge erfolgt eine individuelle Prüfung erst auf dieser Stufe. Anstelle eines gerichtlichen Verfahrens sieht der VDuG-E einen Einsatz von Online-Portalen, Legal-Tech etc. (VRUG-E, S. 99; kritisch auch: Vollkommer, MDR 2022, 325 (326)) nur durch den Sachwalter vor. Der Effizienzgewinn bleibt fraglich, reduziert dies doch den Anwendungsbereich des Verfahrens (Gleichartigkeit i. S. d. § 15 Abs. 1 VDuG-E) und verlagert den unvermeidlichen Aufwand nur in das Umsetzungsverfahren, ohne insoweit nähere Vorgaben zur Erlangung der Abhilfe zu normieren (dazu: Scherer, VuR 2022, 443 (445). In dessen Rahmen überdies einem Gerichtsfremden eine im Hinblick auf § 28 Abs. 3 S. 2 VDuG-E (dazu: VRUG-E, S. 102) nicht unerhebliche Entscheidungskompetenz eingeräumt wird. Dies erfordert zugleich, bedingt außerdem durch die fehlende Bindungswirkung der Entscheidung, die Möglichkeit einer Korrektur durch Individualverfahren nach §§ 39 f. VDuG-E (dazu: VRUG-E, S. 111 f.). Speziell die i.R. d. §§ 39 f. VDuG-E zugelassene Geltendmachung individueller Einwendungen (dazu: VRUG-E, S. 111 f.; ablehnend: BRAK, Stellungnahme, S. 6) verdeutlicht die Risiken fehlender Bindungswirkungen für Verbraucher und Unternehmer und streitet für eine Stärkung des gerichtlichen Verfahrens und einen Ausbau des Anmeldeverfahrens (anders: Scherer, VuR 2022, 443 (447 f.)). 985 So auch das Verständnis des Art. 9 Abs. 6 RL bei: Lühmann, ZIP 2021, 824 (830). 986 Zweifelnd an einem zweistufigen Abhilfeverfahren mit Anspruchsbestimmung nach Urteilserlass daher: Vollkommer, MDR 2021, 129, (134). Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 72 ff. und 84 ff., dessen Vorschlag einen zweiten Opt-in, eine aktive Verbraucherbeteiligung und ein weiteres Verfahren vor dem AG erfordert.
B. Mögliche Auswirkungen der Einführung von kollektiven Abhilfeklagen
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prüfung der Kollektivklagefähigkeit der Ansprüche und einer inhaltlichen Anmeldeüberprüfung, stellt, von der Musterfeststellungsklage abgesehen, eine Neuheit für den Zivilprozess dar.987 Diese Beschränkung ermöglicht es jedoch, das anschließende Verfahren weitgehend an die Zivilprozessordnung anzulehnen, wenn auch einzelne Vorschriften angepasst werden müssten. Die Grundsätze der Dispositions- und Verhandlungsmaxime bleiben weitgehend unberührt.988 Allerdings kommt es zu einer Stärkung der formellen Prozessleitungsbefugnis.989 Speziell die angestrebte, und im Hinblick auf ein Massenverfahren auch unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes notwendige Effektivierung durch Stärkung der formellen Prozessleitungsbefugnis, führt zu einer Stärkung der richterlichen Stellung.990 Diese ist zwar mit den ZPO-Novellen über die Jahre bereits erheblich gestärkt worden, dennoch greift sie nicht unerheblich in das prozessuale Gefüge ein.991 Die vorgelegten Vorschläge vermeiden jedoch eine zu starke Stellung des Richters gerade unter dem vermeintlich legitimierenden Gesichtspunkt einer Wahrnehmung der Interessen verfahrensfremder Dritter.992 Wobei trotzdem nicht übersehen werden kann, dass die Stellung des Richters im Verhältnis zu den Parteien den Charakter eines Verfahrens wesentlich prägt.993 Ein weiteres wesentliches Element des Verfahrensvorschlages dürften die Verfahrensstrukturierung mittels Untergruppenbildung und die Möglichkeit einer Judizierung exemplarischer Fallgestaltungen sein. Während Ersteres vor allem eine Abschichtungsmöglichkeit im Hinblick auf den Verfahrensstoff darstellt, bewirkt Zweiteres eine Verringerung des Individualisierungsgrades. Dies wäre auch das Ergebnis einer Ausdehnung der Schätzungsmöglichkeiten (§ 287 ZPO). Im Sinne einer möglichst weitreichenden Verwirklichung des materiellen Rechts und einer inhaltlich korrekten sowie umfassenden Urteilsfindung ist dies zwar ein Kontrast zu den Zielsetzungen der ZPO,994 die-
987
Vgl. Mekat, RAW 2021, 93 (94). Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 388 f. zum Verhandlungsgrundsatz und dessen Zusammenhang mit der Parteifreiheit und -verantwortung, dies kann auf die Charakterisierung des gemachten Vorschlags übertragen werden. 989 Allg. zur Richterrolle im kollektiven Rechtsschutz: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 219 f. Zur Vereinbarkeit mit Prozesszweck und -maximen vgl. auch: ebenda, S. 245 ff. Siehe dazu auch: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 245. Siehe speziell zur gestärkten Richterstellung infolge der Verfahrensorganisation bei der USSammelklage: Eichholtz, Class Action, S. 154 f. 990 Vgl. zu diesem Zusammenhang: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 264 f. 991 Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 168 ff. m.w. N. Siehe auch zum Einfluss der Verfahrensgestaltungsmacht auf das Verfahren selbst: Baur, Parteirechte und Richterpflichten, in: Festschrift Kralik, S. 75 (80). 992 Vgl. Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (23). Dies könnte die Neutralität des Richters in Zweifel ziehen: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 245 m.w. N. 993 Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in: Festschrift Frisch, S. 187 (198). 994 Siehe hierzu allg.: Gottwald, ZZP 91 (1978), 1 (28 f., 31). 988
358 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
ser ist allerdings durch die Notwendigkeit eines zur Verwirklichung effektiven Rechtsschutzes erforderlichen praktisch handhabbaren Verfahrens bedingt und letztlich kaum vermeidbar. Der prozessuale Zusammenschluss führt somit einerseits zur Durchsetzung individueller Interessen, andererseits wird deren Relevanz im Rahmen der Kollektivierung reduziert.995 Allerdings bietet die skizzierte Verfahrensflexibilität in geeigneten Fällen auch die Möglichkeit eines deutlich näher am Individualanspruch ausgerichteten Verfahrens, was insbesondere mit dem primären Prozesszweck der subjektiven Rechtsdurchsetzung im Einklang steht.996 Die Weiterentwicklungen im Bereich des Beweisrechts führen zu einer Angleichung parteilicher und gerichtlicher Befugnisse und sind somit Ausdruck einer Stärkung der Verhandlungsmaxime verglichen mit den bisherigen §§ 142, 144 ZPO.997 Die Zuweisung einer gesonderten Beweisstellung der Anmelder ist zwar in der ZPO bislang nicht vorgesehen. Da diese Stellung aber den Rechtsinhaber als eigentlichem Dritten beweisrechtlich der Parteistellung annähert, berücksichtigt diese Lösung die Grundkonzeption der ZPO, welche von einer Klage durch den Rechtsinhaber als Partei ausgeht.998 Im Zusammenspiel mit den Änderungen des Beweisrechts im Zuge der Umsetzung des Art. 18 RL sind die Parteien – und speziell die qualifizierte Einrichtung als rechtsfremde Dritte – in der Lage ihre fehlende Sachverhaltskenntnis auszugleichen. Außerdem sind die unterbreiteten Vorschläge zu einer Angleichung der Stellung des angemeldeten Verbrauchers insbesondere im Rahmen des Beweisrechts der ZPO sowie die behutsame Stärkung der parteilichen Befugnisse zur Erlangung von Beweisen geeignet, die parteiliche Stellung in Relation zu derjenigen des Gerichts zu stärken, jedenfalls aber eine weitere Verschiebung der Gewichte zu vermeiden.999 Diese Regelungen streben außerdem ein formelles Gleichgewicht zwischen den Parteien an,1000 welches durch die Möglichkeit einer beschränkten Widerklage1001 die Waffengleichheit der Parteien verwirklicht. Die Rolle des Rechtsinhabers ist trotz allem
995 Vgl. zu diesem Spannungsverhältnis: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 243 m.w. N. Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 3 f. Zu möglichen Auswirkungen der Kollektivierung auf das Schadensrecht: Thönissen, JZ 2022, 430 (438 f.). 996 Vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 245 f. 997 Vgl. nur Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 184 f. 998 Schumann, Prozessermächtigung, in: Festschrift Musielak, S. 457 (491); Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (351 f.). 999 Vgl. Stürner, ZZP 98 (1985), 237 (254 f.); Scherpe, ZZP 129 (2016), 153 (185). 1000 Hierdurch wird möglichen Materialisierungstendenzen bei der gerichtlichen Anwendung des Ermessens im Rahmen der §§ 142, 144 ZPO vorgebeugt, dazu: Kehrberger, Materialisierung, S. 285 ff. 1001 Jedenfalls eine Drittwiderklage des Beklagten gegen die Anmelder sowie eine Anwendung der §§ 66 ff. ZPO ist in deren Verhältnis ausgeschlossen, vgl. VRUG-E, S. 85 f. Nicht klar wird damit, ob eine Widerklage damit allgemein ausgeschlossen sein soll. Die Festlegung der Parteirollen in § 1 Abs. 1 VDuG-E, dürfte für einen Ausschluss sprechen.
C. Abschließende Anmerkungen zur Musterfeststellungs- und Abhilfeklage
359
weiterhin eine passive,1002 sodass die Parteirollenverschiebung als wesentliches Charakteristikum erhalten bleibt und nur in ihren nachteiligen verfahrensrechtlichen Folgewirkungen einen Ausgleich erfährt. Die Abhilfeklage lässt sich somit, unter Berücksichtigung einer notwendigen Effektivität, nur unter deutlichen Anpassungen in die ZPO einfügen. Der gemachte Vorschlag schont allerdings die Systematik und die dogmatischen Grundlagen der ZPO durch das Konzept eines primär auf subjektiven Rechtsschutz ausgerichteten Zweiparteienprozesses unter Beibehaltung der Dispositions- und Verhandlungsmaxime bei gleichzeitiger Stärkung der formellen Prozessleitungsbefugnis.1003 Mit den gemachten Vorschlägen wird ein an individuellen Leistungen ausgerichtetes und sich im Rahmen eines Zweiparteienprozess verwirklichendes Rechtsschutzinstrument angestrebt.1004 Die Parteirollenverschiebung wird auch von der Richtlinie vorgegeben und kann daher nur in ihren Wirkungen ausgeglichen werden, wobei hierfür auf eine übermäßige Stärkung der Richterstellung verzichtet wird.
C. Abschließende Anmerkungen zur Eingliederung der Musterfeststellungs- und der Abhilfeklage in die Verfahrensausgestaltung der Zivilprozessordnung Die Abhilfeklage erfährt in ihrem Anwendungsbereich eine unweigerliche Limitierung infolge der Unterschiedlichkeit gewisser Sachverhalte. In solchen Fällen kann die Beibehaltung der Musterfeststellungsklage eine sinnvolle Ergänzung zur verbesserten Rechtsdurchsetzung darstellen.1005 Aus diesem Grund sollten in Zukunft beide Instrumente in der ZPO ihren Platz erhalten.1006 Dadurch würde die Zivilprozessordnung sowohl ein auf einer Parteirollenverschiebung aufbauen1002 Allg. zum kollektiven Rechtsschutz: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 245. 1003 Demgegenüber dürfte die grundsätzliche Tendenz europäischer Rechtsvereinheitlichungsmodelle im Bereich des private enforcement stehen, dazu: Stadler, JZ 2017, 693 (695 f.). 1004 Vgl. Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 102, zum Modell einer Gruppenklage. 1005 Nach Art. 1 Abs. 2 S. 1 RL können bestehende Rechtsinstrumente beibehalten werden; siehe auch: Schneider, BB 2018, 1986 (1996). Weitergehend insofern der Ansatz von Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 40 ff. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung für die 20. Legislaturperiode bietet hierfür Spielraum: Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, S. 106. Vgl. entsprechend § 1 Abs. 1 VDuG-E, die Musterfeststellungsklage soll zukünftig in § 41 f. VDuG-E verortet werden; dazu: VRUG-E, S: 112 f. 1006 Dafür auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 23; differenzierend: Bruns, WM 2022, 549 (552). Anders: Synatschke/Wölber/Nicolai, ZRP 2021, 197 (201), für allgemeines Verbandsklagengesetz.
360 Kap. 3: Auswirkungen der Verbandsklage auf die Führung des Zivilprozesses
des Verfahren mit Feststellungs- als auch ein solches mit Leistungscharakter beheimaten. Positiver Nebeneffekt wäre, dass mit der Musterfeststellungsklage weiterhin ein Instrument für Fallgestaltungen verfügbar wäre, in denen ein kollektives Leistungsverfahren aufgrund der Sachverhaltsdivergenzen nur unter Negierung unterschiedlicher Aspekte geführt werden könnte, bei denen aber einzelne Streitfragen trotzdem in einer Vielzahl von Fällen auftreten, die eine gleichartige Behandlung angezeigt erscheinen lassen. Dies wäre auch im Interesse einer Aufrechterhaltung des tradierten Charakters der ZPO1007 sinnvoll. Demgegenüber sollte die Unterlassungsklage, insbesondere unter Berücksichtigung ihres besonderen Prozesszwecks eines vorrangigen Schutzes von Allgemeininteressen,1008 in einem Sondergesetz verortet werden. Im Hinblick auf diese Grundarchitektur konnte aufgezeigt werden, dass die Problematiken bei Musterfeststellungsklage und Abhilfeklage letztlich gleich gelagert sind. Dieser Befund ist, im Hinblick auf die Rechtsnatur als funktionale Prozessstandschaft und die für die Abhilfeklage empfohlene Umsetzung als gewillkürte Prozessstandschaft, keine besondere Überraschung, da jeweils ein rechtsfremder Dritter die Stellung der Partei einnimmt. Zur Lösung der Problematik empfiehlt es sich daher, die gemachten Vorschläge im Rahmen des sechsten Buchs der ZPO in Form eines allgemeinen Teils den besonderen Regelungen zur Musterfeststellungsklage und zur Abhilfeklage im Wege der Ausklammerung voranzustellen.1009 Ergänzend käme für die Widerklage im Rahmen der Musterfeststellungsklage eine Beschränkung auf den Umfang der durch die angemeldeten Ansprüche/Rechtsverhältnisse begründeten passiven Prozessführungsbefugnis in Betracht. Mit Blick auf die wünschenswerte umfassende Anwendung der Abhilfeklage sollte auch die Beschränkung der Musterfeststellungsklage auf Verbraucher im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO überdacht und zugunsten eines umfassenden Anwendungsbereichs reformiert werden.1010 Dies reduziert durch den Wegfall der 1007 Herbeiführung eines der materiellen Rechtslage entsprechenden Urteils: Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 8. Umfassende Prüfung jedes einzelnen Anspruchs, siehe nur: Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (185). 1008 Vgl. die Legaldefinition der „Kollektivinteressen der Verbraucher“ in Art. 3 Nr. 3 RL, diese spricht speziell für Abhilfeklagen von einer „Gruppe von Verbrauchern“, im Umkehrschluss betrifft die Unterlassungsklage, die nach Art. 8 Abs. 3 RL zwingend verbrauchermandatsunabhängig ist (vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (115)), primär ein überindividuelles Interesse (siehe auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (43)). 1009 §§ 1–13 VDuG-E bilden zwar einen allgemeinen Teil, enthalten aber nur geringfügige Abänderungen, die sich weitgehend auf Anpassungen an die Abhilfeklage beschränken. Aspekte der Parteirollenverschiebung werden nicht adressiert. Der Gesetzgeber betont hierzu selbst die Beschränkung auf die Richtlinienumsetzung (VRUG-E, S. 71). 1010 Die Ausdehnung auf kleine Unternehmen würde dies nicht umfassend verwirklichen, so aber: Mehr Fortschritt wagen, Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
C. Abschließende Anmerkungen zur Musterfeststellungs- und Abhilfeklage
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Sektorisierung die personale Fragmentierung und damit die dem neutralen und formellen Verfahrensrecht widersprechende Materialisierung auf ein Minimum, nämlich auf die reine Existenz eines kollektiven Rechtsschutzinstruments zur gebündelten Anspruchsdurchsetzung.1011 Hierdurch und durch die gemachten Vorschläge einer Angleichung der Anmelderstellung an die Parteistellungen würde zwar keine Kohärenz, aber doch eine deutlich bessere Integration in die auf allgemeinen subjektiven Rechtsschutz1012 im Rahmen einer Zweiparteienstruktur1013 zwischen den Rechtsinhabern ausgerichtete ZPO erreicht. In diesem Sinne wird das Prozessrecht weiterhin seinem Zweck gerecht, ein Verfahren zu bieten, welches die Rechtsausübung gewährleistet, sie aber zugleich auch ordnet und ihr Schranken setzt, die durch die verfahrensrechtliche Ausgestaltung auch zur Abweisung eigentlich bestehender Ansprüche bei mangelnder oder mangelhafter Verfahrensführung führen können.1014 Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Parteirollenverschiebung die Beibehaltung der Zweiparteienstruktur und damit des tradierten Prozesssystems ermöglicht.1015 Sie führt aber gleichzeitig zu einem Anpassungsbedarf in der Verfahrensgestaltung an die Parteirollenverschiebung. Diese Entwicklung mit ihren verfahrensmäßigen Auswirkungen potenziert sich zusätzlich durch die erhebliche personale Breitenwirkung der kollektiven Rechtsschutzinstrumente.
und FDP, S. 106. Hierzu: § 1 Abs. 2 VDuG-E, sofern KMU gleichermaßen betroffen sind wie Verbraucher, vgl. VRUG-E, S. 77; Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 66 f.; siehe ferner: BRAK, Stellungnahme, S. 4 f.; Meller-Hannich, DB 2023, 628 (629). 1011 Dies entspräche dem offenen Prozesszweck der ZPO, dazu: Roth, Sonderprozessrecht für Verbraucher?, in: Zukunft des Zivilprozesses, S. 69 (85); Roth, ZfPW 2017, 129 (137). Außerdem reduziert dies die Komplexität und hat den Vorzug der Einheitlichkeit: Prütting, AnwBl 2013, 401 (402). Anders die Tendenz zu einem Sonderprozessrecht für Verbraucher im europäischen Recht, hierzu: Stadler, JZ 2017, 693 (695 f.); zu den nachteiligen Materialisierungstendenzen dieser Rechtspolitik: Heinze, JZ 2011, 709 (716). 1012 Vgl. Schilken, Zweck des Zivilprozesses, in: Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 21 (24). 1013 Vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 246 m.w. N. 1014 Vgl. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 62 f. 1015 Vgl. für die Beibehaltung der Verhandlungsmaxime: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 389.
Kapitel 4
Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich Die Regelung des § 611 ZPO, welche den Vergleichsabschluss gesondert regelt, soll eine gütliche Streitbeilegung mit Wirkung für und gegen die Anmelder ermöglichen.1 Speziell im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes kommt der gütlichen Streitbeilegung rechtsvergleichend eine große praktische Bedeutung zu.2 Im Rahmen der Musterfeststellungsklage schließen die Parteien den Vergleich, dieser wirkt aber gemäß § 611 Abs. 1 ZPO auch für und gegen die Anmelder. An die Stelle des Rechtsinhabers als Vergleichsschließendem tritt hier erneut die qualifizierte Einrichtung, während der Rechtsinhaber nur Dritter ist. Fraglich ist daher, inwiefern sich die auch an dieser Stelle zu beobachtende Parteirollenverschiebung auf den Vergleich, insbesondere auf dessen Rechtsnatur und damit auf die Vergleichsbindung auswirkt. Dementsprechend sind die Bindungswirkungen gegenüber den Anmeldern und die Folgerungen aus dem Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung für die Stellung des Gerichts im Verhältnis zu den Parteien erörterungsbedürftig. Zu diesem Zweck werden zunächst die Regelungen des § 611 ZPO vorgestellt und anschließend dessen Rechtsnatur und die Auswirkung für das Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht thematisiert. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die Umsetzung der Richtlinie.
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO Neben der Möglichkeit das Verfahren durch Klagerücknahme, Erledigungserklärung und Musterfeststellungsurteil zu beenden können die Parteien nach § 611 ZPO einen Vergleich schließen.3 Nach dessen Abs. 1 entfaltet der Vergleich auch Wirkungen für die Anmelder und kann daneben – im Unterschied zu 1
Siehe nur: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 1. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 1, unter Berufung auf rechtsvergleichende Erkenntnisse; Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (369). Zu den Parteiinteressen: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 2 f.; kritisch zur Regelung: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 28. 3 § 611 ZPO ist eine Sonderregelung für den gerichtlichen Vergleich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 1. Die Regelung ist angelehnt an die §§ 17 ff., 23 KapMuG, vgl. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 2 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 9; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 1; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (664) zum Entwurf. 2
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO
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einem Musterfeststellungsurteil – außerdem eine Leistung für die Anmelder vorsehen.4
I. Verfahren zum Abschluss eines Vergleichs nach § 611 ZPO Das Gericht hat auch im Musterfeststellungsverfahren jederzeit auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken (§ 278 Abs. 1 ZPO).5 Ein Vergleichsschluss im Rahmen einer obligatorischen Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2–5 ZPO) ist aber wegen deren Ausschluss in § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO nicht möglich.6 1. Einigung zwischen den Parteien Nach § 611 Abs. 6 ZPO besteht die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleiches frühestens im ersten Termin, um mit Blick auf § 608 Abs. 1 ZPO einen möglichst weiten Anwendungsbereich sicherzustellen.7 Ein vorheriger gerichtlicher Vergleichsschluss ist nicht vorgesehen, ein außergerichtlicher Vergleichsschluss ist allerdings jederzeit möglich.8 Für den Vergleichsschluss gilt auch im Musterfeststellungsverfahren die Regelung des § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, sodass der Vergleich in der mündlichen Verhandlung geschlossen werden kann und anschließend protokolliert werden muss.9 Der Vergleichsschluss in der mündlichen Verhandlung dürfte wegen des Umfangs und der komplexen Problemstellungen allerdings eine geringe Bedeutung haben.10 Ebenso ist im Umkehrschluss zu § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO die Norm des § 278 Abs. 6 ZPO anwendbar,11 wobei allerdings gegenüber § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO die Regelungen des § 611 Abs. 3–5 4 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 2. Die Konzeption des § 611 ZPO bezieht sich nur auf Anmelder, die ihre Anmeldung nicht zurückgenommen haben, Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 5. 5 Musterfeststellungsvergleich auch in der Revisionsinstanz: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 2; Vergleich im Rechtsmittelverfahren: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 167. Ausführlich zum Vergleichsvorschlag durch das Gericht: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 70 ff. 6 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 7. 7 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 5; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 165; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 611, Rn. 6; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 5; Menges in: MüKoZPO, § 611, Rn. 3; BT-Drs. 19/2507, S. 27. 8 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 166; zweifelnd wohl: Schneider, BB 2018, 1986 (1995). Anders Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 4, der auf den Wortlaut („gerichtlichen Vergleichs“) verweist, was aber gegen eine Einbeziehung des außergerichtlichen Vergleichs spricht. 9 Hartmann, VersR 2019, 528 (529); Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 11; zu den Abschlussarten: Schreiber, JURA 2012, 23 (24). 10 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 3. 11 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 168; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 1.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
ZPO spezieller sind.12 Um zu einem Vergleichsabschluss zu kommen, besteht für die Parteien daher die Möglichkeit, dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten (§ 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 1 ZPO). Auch kann das Gericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag vorlegen, den diese entweder schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll annehmen können (§ 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 2 ZPO).13 Die Annahme durch eine Partei stellt hierbei ein Angebot an die andere Partei auf Abschluss eines Vergleichs dar.14 2. Angemessenheitsprüfung durch das Gericht Sofern die Parteien sich auf einen Vergleich geeinigt haben, bedarf es zu dessen Wirksamwerden noch einer von Amts wegen zu prüfenden15 gerichtlichen Genehmigung (§ 611 Abs. 3 S. 1 ZPO), welche vor allem dem Schutz der Anmelder dient.16 Diese setzt eine gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit des Vergleichs voraus.17 Dementsprechend erteilt das Gericht die Genehmigung nur, wenn es den Vergleich für eine „angemessene gütliche Beilegung des Streits oder der Ungewissheit über die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse“ (§ 611 Abs. 3 S. 2 ZPO) hält. Hierdurch soll verhindert werden, dass zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen wird, der im Hinblick auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher unangemessen wäre.18 Dem Begriff der Angemessenheit dürfte ein gewisser Beurteilungsspielraum des Gerichts immanent sein.19 Allerdings sollte das Gericht die Anforderungen nicht über12 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 3; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 1. 13 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 25; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 21. Die Annahme ist auch durch Protokollierung gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO möglich, hierzu: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 278, Rn. 15; die ablehnende Ansicht von Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 71 dürfte sich auf die a. F. beziehen. 14 Ausführlich: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 71 f. 15 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 27, siehe außerdem: ebenda, Rn. 28 ff. zum Verfahren. 16 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 6; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (91); Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (664) deuten Beklagtenschutz an; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8 m.w. N. Ausführlich: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 61 f. 17 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 173. Zum Prüfungsverfahren: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 27 ff.; ausführlich zur Angemessenheit: Kähler, ZIP 2020, 293 (294 ff.) sowie Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 237 ff. 18 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 36 f. betont die Berücksichtigung der Anmelderinteressen als Angemessenheitsmaßstab, zu weiteren Kriterien: ebenda, Rn. 43 ff. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 34, möchte weitgehend nur die Anmelderinteressen auf diese Weise schützen. Nicht gefolgt werden sollte der Berücksichtigung von Interessen der Nichtanmelder (so aber: ebenda, Rn. 36). 19 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 174: Ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag dürfte in aller Regel vom Gericht als angemessen bewertet werden, es darf aber nicht seine eigenen Vorstellungen zum Maßstab machen. Dazu auch: Gluding, Kollektiver
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO
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spannen und unter Berücksichtigung der Privat- und Parteiautonomie von einer im Regelfall gegebenen Angemessenheit des Vergleichs ausgehen.20 Der Grad der Ungewissheit kann das Verhältnis zwischen Parteiautonomie und gerichtlichem Eingriff wesentlich beeinflussen, wobei mit zunehmender Unklarheit den Parteien mehr Spielraum zustehen dürfte.21 Berücksichtigungsfähig sollten insoweit auch Unklarheiten für nachfolgende Individualverfahren sein, welche durch einen Vergleich im Interesse der Verbraucher vermieden werden können.22 Außerdem sollten Interessenkollisionen, zum Beispiel zwischen den Anmeldern und der qualifizierten Einrichtung, zu den Prozessvertretern oder zwischen verschiedenen Anmeldergruppen, benannt und aufgelöst werden. Sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen von Verbrauchergruppen dürften einer Genehmigung entgegenstehen.23 Beurteilungsgrundlage für die Angemessenheit ist der bisherige Sach- und Streitstand. Je nach Prozessfortschritt dürften daher feststehende Tatsachen und die Erfolgsaussichten zu berücksichtigen sein.24 Gleichzeitig liegt darin eine Beschränkung für das Gericht, denn eine weitergehende Tatsachenfeststellung und Klärung des Sach- und Streitstandes ist demnach ausgeschlossen.25 Das Gericht ist insofern für die Überprüfung der Angemessenheit auf die Anwendung der §§ 139, 141 ff. ZPO beschränkt.26 Die Überprüfung des und überindividueller Rechtsschutz, S. 238 f. Zum Prüfungsinhalt: Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (664). 20 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8a; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 39, der Unangemessenheit verneint, solange der „Vergleich in seiner Gesamtheit nicht offensichtlich unbillig ist“; ablehnend dazu: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 239. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 7: Maßstab sollte sein, was Verbraucher nach dem Verfahrensablauf erwarten dürfen und nach § 611 Abs. 2 enthalten sein sollte. Da eine Ausrichtung an Abs. 2 aber nicht immer dem Verfahrensablauf entspricht (nach BT-Drs. 19/2507, S. 26 soll dies die Angemessenheitsprüfung ermöglichen) und ein Vergleich durch gegenseitiges Nachgeben geprägt ist, sollte dem nicht strikt gefolgt werden. Hierzu: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 5. Ebenda, Rn. 23: Vergleich zu § 315 Abs. 3 S. 2 HS. 1 BGB. 21 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 33. Allg. zur Angemessenheitsprüfung Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 9: Für einen Ausschluss einzelner Verbraucher müssen vernünftige Gründe gegeben sein. 22 Hierzu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 9, allerdings sollte nicht jeder Vergleich genehmigt werden, nur weil er irgendeine Leistung ermöglicht. Vgl. auch BT-Drs. 19/2507, S. 26: „typischerweise zu erwartenden Streitigkeiten“, dazu auch: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 236 f. 23 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 46. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 9; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 175; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (37). 24 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 42, der außerdem betont, dass entsprechend der Legaldefinition des § 779 Abs. 1 BGB die Unsicherheit über tatsächliche und rechtliche Fragen und das erforderliche gegenseitige Nachgeben berücksichtigt werden sollten. 25 Vgl. auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (37). 26 Ausführlich: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 4; Magnus, NJW 2019, 3177 (3179); siehe auch: Augenhofer, in:
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Gerichts dürfte speziell in solchen Fällen erschwert sein, in denen es auf die potenziellen Einzelansprüche der Verbraucher ankommt, weshalb insofern die Parteien eine notwendige Informationsbasis schaffen sollten.27 Eine gerichtliche Anhörung der Anmelder ist nicht normiert worden und somit auch nicht zulässig.28 Ferner ist das Gericht lediglich zu einer Überprüfung des Vergleichs berechtigt. Inhaltliche Änderungen sowie beschränkte Genehmigungen sind unzulässig.29 Erachtet das Gericht den Vergleich als einen angemessenen Ausgleich zur Streitbeilegung, ergeht gemäß § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO die Genehmigung mittels unanfechtbaren Beschlusses.30 Nicht ausdrücklich geregelt sind die Folgen einer Genehmigungsversagung. Da dies der klare Wortlaut des § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO nicht erfasst, gelten hier die allgemeinen Regeln. Demnach ist bei Zulassung durch das OLG die Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 3. Fall ZPO) zulässig.31 Sowohl die Genehmigung als auch die Ablehnung sollten im Klageregister öffentlich bekannt gemacht werden.32 3. Erreichung des Verbraucherquorums Nach der erfolgten gerichtlichen Genehmigung steht die Wirksamkeit des Vergleichs zusätzlich noch unter der aufschiebenden Bedingung einer Erfüllung des Wirksamkeitsquorums nach § 611 Abs. 5 S. 1 ZPO.33 Es bedarf daher der impliBeckOKZPO, § 611, Rn. 8c. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 26 tendiert wohl dazu, keinerlei Beweiserhebungen zuzulassen. 27 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 9; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (91). Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8b f., die darauf hinweist, dass das Gesetz zwar keine Verpflichtung vorsieht, dem Gericht aber ansonsten eventuell keinerlei Beurteilungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. 28 Magnus, NJW 2019, 3177 (3178); zur Kritik: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 10. A. A. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 10. 29 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 40 f.; ausführlich: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 21. 30 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 12; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 22. 31 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 176; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 10; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 30. Zum weiteren Verfahren auch: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 51. Ausführlich zum Meinungsstreit die Nachweise bei: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 8, wonach der Vergleich zu § 18 Abs. 1 KapMuG für die Anfechtbarkeit, die Gesetzesbegründung („Entscheidung“, BT-Drs. 19/2507, S. 26) jedoch dagegenspricht. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 40, dem Hinweis auf die sofortige Beschwerde (Rn. 41) kann nicht gefolgt werden. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 11 geht von einem gerichtlichen Hinweis an die Parteien zur Nachbesserung aus. 32 Ausführlich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 38. 33 Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 16; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 18; Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (370); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 239. A. A. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (38), dies sei Tatbestandsmerkmal.
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO
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ziten Zustimmung der Anmelder zum Vergleich. Zu diesem Zweck muss der genehmigte Vergleich, allen im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung angemeldeten Verbrauchern zugestellt werden.34 Dies gilt auch bei einem Teilvergleich, da der Wortlaut insofern keine Differenzierungen trifft und sich andernfalls unlösbare Schwierigkeiten bei der konkreten Bestimmung der Betroffenen ergeben dürften.35 Außerdem muss eine Belehrung über die Wirkungen des Vergleichs und des Austrittsrechts der Anmelder enthalten sein sowie die zu wahrende Form und Frist mitgeteilt werden (§ 611 Abs. 4 S. 1 ZPO).36 Einer auf den einzelnen Anmelder individuell bezogenen Belehrung bedarf es hingegen nicht.37 Mit der Zustellung des Vergleichs an den einzelnen Verbraucher beginnt für diesen ein individueller Fristlauf von einem Monat, in dem er seinen Austritt erklären kann (§ 611 Abs. 4 S. 2 ZPO).38 Für die Erklärung, die schriftlich (§ 126 BGB) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 129a ZPO) abgegeben werden kann (§ 611 Abs. 4 S. 3 ZPO), besteht kein Anwaltszwang (vgl. § 78 Abs. 3 ZPO).39 Diese ist nicht widerruflich40 und eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen.41 Mit dem Austritt aus dem Vergleich kann der Anmelder eine eigene Bindung an den Vergleich verhindern, zugleich wird seine Anmeldung nach § 611 Abs. 4
34 Die Zustellung erfolgt durch das Gericht, vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 611, Rn. 4. Ausführlich zur Zustellung: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 42 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 13 zu Schwierigkeiten und der öffentlichen Zustellung als letztes Mittel, die nicht durch eine Bekanntmachung im Klageregister ersetzt werden kann. Weitergehend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 6. ebenda, Rn. 5: Zum Zustellungszeitpunkt sollte das Register von „offensichtlichen Falscheintragungen bereinigt sein“. 35 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 5, 13. 36 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 52 f.; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 177 möchte nur an die Anmelder nach Ablauf des § 608 Abs. 3 ZPO zustellen. Siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 45, der in Rn. 46 f. von einer analogen Anwendung der §§ 233 ff. ZPO bei unrichtiger Belehrung ausgeht, anders: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 14. 37 Ausführlich Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 178. Zum Meinungsstand bei unwirksamer Belehrung: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 12. 38 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 179 f.: Die Frist berechnet sich nach § 222 ZPO, §§ 187 ff. BGB. Zu Zustellungsproblemen vgl. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 11 m.w. N. 39 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 10; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 611, Rn. 3; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 13. Ausführlich zum Austritt: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 60, 63 f. Die Erklärung ist nicht widerruflich, ebenda, Rn. 65. § 126b BGB ist nicht anwendbar, anders aber: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 49. Nicht überzeugen kann eine Anwendung der §§ 130, 130a ZPO, so aber: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 7. 40 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 11; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 65. 41 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 15. Ausführlich: Röß, NJW 2020, 2068 (2069 f.).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
S. 4 ZPO davon nicht berührt.42 Zusätzlich ist die Wirksamkeit des Vergleichs davon abhängig, dass weniger als 30 Prozent der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt erklären (§ 611 Abs. 5 S. 1 ZPO). Andernfalls wird der Vergleich insgesamt nicht wirksam.43 In diesem Fall kommt es zu einer Fortsetzung des Musterfeststellungsverfahrens. Tritt hingegen die Wirksamkeit des Vergleichs ein, wird das Verfahren auch für die Austretenden beendet.44 4. Abschließender Beschluss des Gerichts Nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO stellt das Gericht Inhalt und Wirksamkeit des genehmigten Vergleichs mittels unanfechtbaren Beschlusses fest.45 Da der Inhalt bereits mit der Genehmigung nach Abs. 3 geprüft wurde, wirkt nur die Feststellung der Wirksamkeit konstitutiv.46 Mit der öffentlichen Bekanntmachung im Klageregister nach § 611 Abs. 5 S. 3 ZPO47 entfaltet der Vergleich seine Wirkungen gegenüber den Anmeldern (§ 611 Abs. 5 S. 4 ZPO).48 Sofern der wirksame Vergleich zu einer umfassenden Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens führen soll, kommt es zu einer Verfahrensbeendigung. Dementsprechend wird auch das Verfahren gegenüber dem Anmelder beendet. Dessen Anmeldung bleibt zwar unberührt (§ 611 Abs. 4 S. 4 ZPO), dies hat jedoch nur für den Fall der Unwirksamkeit des Vergleichs oder eines Zwischen- bzw. Teilvergleichs Bedeutung.49 Die teilweise angenommene Verpflichtung der qualifizierten Einrichtung zur Fortsetzung der Musterfeststellungsklage für die ausgetretenen Verbrau42 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 240. Sofern das Quorum verfehlt wird, ist der Anmelder an ein späteres Musterfeststellungsurteil gebunden (Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 14; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (91)); auch die Sperrwirkung nach § 610 Abs. 3 ZPO fällt erst nach der Wirksamkeitsfeststellung weg, vgl. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 11. 43 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 55 f., 66; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 181; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 7, 15 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 55; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 8 ff. 44 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 54; ausführlich: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 241 f. A. A. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 15 f., nimmt eine Verpflichtung zur Fortsetzung an, lehnt aber einen Anspruch der Austretenden auf Fortsetzung ab (ebenda, Rn. 17). 45 Strittig ist, ob der ablehnende Beschluss anfechtbar ist. Dagegen: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 59; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 15; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 57; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 13, 8. 46 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 58, 60. Siehe auch: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 25. 47 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 18. Eine Zustellung an die Verbraucher ist im Gesetz nicht vorgesehen, Rathmann, in: Hk-ZPO, § 611, Rn. 4. 48 Vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 68; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 9; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 18. 49 Vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 61; siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 62; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 14.
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO
369
cher kann, mangels einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage für eine solche Verpflichtung, nicht überzeugen. Vielmehr steht es dem Kläger zu, wie bei Klageänderung und -rücknahme, über die Verfahrensbeendigung zu disponieren.50
II. Inhalt und Vollstreckung des Vergleichs Als Folge der Partei- bzw. Privatautonomie können die qualifizierte Einrichtung und der Beklagte einen Vergleich über beliebige Inhalte schließen. Die Vergleichsinhalte des § 611 Abs. 2 ZPO haben keinen zwingenden Charakter, sondern sind rein fakultativer Natur („soll“).51 Vorgesehen werden können dementsprechend in einem Vergleichsabschluss zum Beispiel konkrete Leistungen für die angemeldeten Verbraucher (Nr. 1).52 Gerade auch für diesen Fall können die Parteien außerdem, als Konsequenz der fehlenden Prüfung einer Leistungsberechtigung im Zuge der Anmeldung, von den Anmeldern zu erbringende Nachweise für die Feststellung der Leistungsberechtigung festlegen (Nr. 2).53 Zu den Soll-Inhalten zählen außerdem Vereinbarungen über die Fälligkeit der Leistungen (Nr. 3).54 Zusätzlich sollten die Parteien eine Vereinbarung über die Kostenaufteilung treffen (Nr. 4).55 Neben der Möglichkeit Leistungen für die Anmelder zu vereinbaren, können die Parteien auch nur einen Vergleich über die Feststellungsziele abschließen,56 folglich ist demnach ein Feststellungsvergleich zulässig.57 Da es vielfach Unklar50 So auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 61, der aber auf eine zulässige freiwillige Fortführung hinweist. Siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 17; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 9; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (665). Für eine Verpflichtung hingegen: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 19. 51 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 12; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 4. Die Annahme von Mindestinhalten bei Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 611, Rn. 2 kann somit nicht überzeugen. 52 Eine Individualisierung ist nicht notwendig, Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 14. Ausführlich: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 14 ff. Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (370) geht davon aus, dass § 611 ZPO nur Leistungsvergleiche erfasse. 53 Ausführlich: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 18 ff.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 15. 54 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 22; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 17. 55 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 24 f. Ausführlich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 18 ff.; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 20; die Ableitung eines Kostenbeteiligungsverbots der Verbraucher aus der Regelung dürfte den Regelungszweck überdehnen, so aber: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (90). 56 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 13, 21; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 6. 57 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 7; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 3; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35); ausführlich: Oehmig, Rechtsstellung des
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
heiten hinsichtlich der möglichen Einzelansprüche der Anmelder geben dürfte, besteht auch die Option Vereinbarungen über die Errichtung eines Abwicklungsfonds, einen Vergleich über den Entschädigungsrahmen (Eckpunktevergleich) sowie Regelungen für die Abwicklungsphase zu treffen.58 Außerdem können die Parteien die Folgen einer Nichterfüllung regeln und Abgeltungsklauseln einführen.59 Aufgrund der insoweit fehlenden Dispositionsbefugnis der Parteien ist ein Vergleich über reine Rechtsfragen ausgeschlossen.60 Der üblicherweise zulässigen Vereinbarung von Bedingungen, Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalten durch die Parteien, könnte die notwendige rechtssichere Bindung an das Verfahren entgegenstehen. Zum Schutz der Anmelder sollten solche Vereinbarungen daher nur zulässig sein, wenn deren Ausübungsfristen vor der gerichtlichen Genehmigung nach § 611 Abs. 3 ZPO ablaufen.61 Da § 611 ZPO nicht zu entnehmen ist, dass dieser nur einen Gesamtvergleich zulässt, besteht auch die Möglichkeit Zwischen- oder Teilvergleiche zu schließen. Ein Zwischenvergleich führt nur für eine oder mehrere Zwischenfragen zu einer Einigung und erfordert eine anschließende Fortsetzung des Verfahrens.62 Bei einem Teilvergleich wird nur ein Teil der Streitgegenstände, ein Teil eines Streitgegenstandes oder auch nur das Verhältnis zu einem Teil der Anmelder verglichen und das Verfahren insofern beendet,63 darüber hinaus wird das Verfahren grundsätzlich fortgesetzt.64 Zwar handelt es sich dogmatisch bei einem Vergleich, der nur einen Teil der Anmelder betrifft, gerade nicht um einen Teilvergleich, weil
angemeldeten Verbrauchers, S. 46 f.; Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 45 f. 58 Hierzu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 6. 59 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 27 f. 60 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 11 m.w. N. zum KapMuG. Siehe dazu nur: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 26. Zur Verfügungsbefugnis als Voraussetzung eines Prozessvergleichs: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 13. 61 So Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 7. Ähnlich: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 21; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 3 in Analogie zu § 18 Abs. 2 KapMuG. Für die Zulassung von Bedingungen: Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (665); Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 611, Rn. 50. Für die Zulässigkeit eines erhöhten Quorums: ebenda, Rn. 30, 50; siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 16. 62 Ein Zwischenvergleich erfasst nicht den Streitgegenstand, sondern prozessuale oder materielle Aspekte und führt daher nicht zu einer teilweisen Beendigung, Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 5, 26. Der Gegenstand muss allerdings den Streitgegenstand betreffen (vgl. ebenda, Rn. 14a) und unterliegt daher § 611 ZPO. So auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 22. 63 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 5. A. A. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 2. 64 Für die Zulässigkeit: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 23; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 9; siehe auch: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 31 f.
A. Überblick über die Regelung des § 611 ZPO
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nicht zwingend der Streitgegenstand betroffen ist. Praktische Bedürfnisse können aber die Zulassung erfordern, sodass dieser als Teilgruppenvergleich zulässig sein sollte.65 Der Vergleich nach § 611 ZPO stellt, sofern er einen vollstreckungsfähigen Inhalt besitzt, grundsätzlich nur für die Parteien einen Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar. Dritte können aus einem Vergleich nur vollstrecken, wenn ein formeller Beitritt vorliegt und die Nennung des Dritten im Vergleich den Anforderungen des § 750 ZPO genügt.66 Zwar könnte aus der Regelung des § 611 Abs. 1, Abs. 5 S. 4 ZPO ein Titel zugunsten der Anmelder abgeleitet werden.67 Eine Beitrittswirkung liegt hierin aber nicht,68 da es letztlich an der hinreichend konkreten Nennung der Anmelder und der Bestimmbarkeit ihrer Leistung im Vergleich fehlt.69
III. Vergleichskonstellationen außerhalb des § 611 ZPO Aus Vollständigkeitsgründen soll noch kurz auf Vergleichskonstellationen außerhalb der Regelung des § 611 ZPO eingegangen werden. Auf eine weitergehende Erörterung verzichtet die vorliegende Arbeit allerdings. Den Parteien steht es frei, auch Leistungen für Nichtanmelder vorzusehen. Eine Bindung von Nichtanmeldern ist aber im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 611 Abs. 1 ZPO) und es wäre ein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter, wenn die Parteien über ein Leistungsangebot hinausgehend eine Bindung vereinbaren würden.70 Der Wortlaut von § 611 Abs. 1, 5 ZPO erfasst und regelt nur den gerichtlichen Vergleich. Ein außergerichtlicher Vergleichsabschluss ist den Parteien dadurch
65 So auch: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 4; dies ermöglicht die Bildung von Untergruppen: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 10. 66 Vgl. die Nachweise bei: Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 52. Siehe auch: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 16.01.1980, Az. IV ZR 115/78, FamRZ 1980, 342 (342 f.). 67 In diese Richtung wohl: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 8; ähnlich: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 63; für Vollstreckung durch Anmelder auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 21 f. 68 Siehe auch: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 17; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 8. 69 Ablehnend auch: Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 187 f.; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 87; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92). Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 3, der meist notwendige Nachweis der Leistungsberechtigung kann nicht im Zwangsvollstreckungsverfahren erfolgen. 70 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 29; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 171; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 12; siehe auch: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 5a.1, 17; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 5; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 4; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
aber nicht verwehrt, schon der klare Wortlaut steht einer entsprechenden Beschneidung der Dispositionsfreiheit entgegen.71 Ebenfalls nicht von § 611 ZPO erfasst sind solche Vergleiche, die nur die Parteien betreffen und keine rechtlichen Wirkungen im Verhältnis zu den Verbrauchern entfalten (vgl. „auch“ in § 611 Abs. 1 ZPO), da hier mangels einer Einwirkung auf ihre Rechtsphäre keinerlei Schutzbedürfnis der angemeldeten Verbraucher vorliegt.72
B. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Rechtsnatur des Vergleichs Ähnlich wie beim Prozessvergleich außerhalb der §§ 606 ff. ZPO ist auch die Rechtsnatur des Vergleichs nach § 611 ZPO strittig.73 Fraglich ist insofern unter anderem, ob auch dieser Vergleich eine doppelte Rechtsnatur als materielles Rechtsgeschäft nach § 779 BGB sowie als Prozesshandlung aufweist.74 Außerdem wirkt ein Prozessvergleich üblicherweise nur zwischen den Parteien eines Verfahrens75 und solchen Dritten, die dem Vergleich formell beigetreten sind.76 Die Regelung in § 611 Abs. 1 ZPO erweitert insofern die personale Reichweite erheblich,77 wodurch sich auch hier die Parteirollenverschiebung auswirkt und somit eine Behandlung im Rahmen dieser Arbeit angezeigt erscheint. 71 Vgl. Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 190; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 11; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 2; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (90); Waclawik, NJW 2018, 2921 (2924); Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (244 f.); ausführlich: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 52 ff. Differenzierend: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 1, 1.3, 21; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 4 möchte § 611 Abs. 6 ZPO auf den außergerichtlichen Vergleich anwenden, der Wortlaut lässt dies aber nicht zu. Zum außergerichtlichen Vergleichsschluss zwischen Anmeldern und Beklagtem: Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 611, Rn. 2a. 72 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 4, 35 (teleologische Reduktion), 44; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 2; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2924); diese sind nicht genehmigungsbedürftig: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36). A. A. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (90), deren Argumentation aber nicht zum Ausschluss der Parteidisposition zwingt. 73 Siehe nur: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 5a; Scholl, ZfPW 2019, 317 (350). Vgl. zur Entwicklung der Rechtsnatur des Prozessvergleichs als Konsequenz eigenständiger Prozessualistik: Esser, Lehre vom Prozessvergleich, in: Festschrift Lehmann, S. 713 (713 ff.). Zum Meinungsstand: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (517 f.) m.w. N. 74 Vgl. Magnus, NJW 2019, 3177 (3179); Röß, NJW 2020, 2068 (2071). Zur Doppelnatur des Prozessvergleichs: Kindl, in: Hk-ZPO, § 794, Rn. 2; BGH, Urteil vom 14.09. 2018, Az. V ZR 267/17, NJW 2019, 310 (311). 75 Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 32. 76 Siehe nur: Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 33, 52; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 12. 77 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 4.
B. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung
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I. Prozessuale und materielle Wirkungen des Vergleichs nach § 611 ZPO Bevor die Arbeit auf die nähere Ausgestaltung der Rechtsnatur eingehen kann, muss zunächst eruiert werden, inwiefern dem Vergleich überhaupt prozessuale und materielle Wirkungen zukommen. 1. Vorliegen von prozessualen Wirkungen Nach allgemeiner Meinung kommt dem Vergleich im Musterfeststellungsverfahren eine prozessuale Wirkung zu.78 Dies gilt schon deshalb, weil der Prozessvertrag den Prozess (teilweise) beendet79 und hiervon für die Musterfeststellungsklage abzuweichen nicht geboten erscheint. Selbst unter der Annahme einer Fortführung für die ausgetretenen Anmelder würde das Verfahren zumindest teilweise beendet. Dementsprechend müssen, da die Beendigung eines Prozesses eine Prozesshandlung ist,80 die Prozesshandlungsvoraussetzungen bei den Parteien gegeben sein. Deutlich entscheidender ist die Frage, ob dem Vergleich nur eine prozessuale Wirkung zukommt. Diese Annahme dürfte den Ausführungen von Röß zugrunde liegen.81 Dieser geht zumindest davon aus, dass eine materiell-rechtliche Bindung der Anmelder an den Vergleich nicht notwendig sei.82 Es kann jedoch nicht überzeugen davon auszugehen, dass die Notwendigkeit einer materiell-rechtlichen Bindungswirkung die umfassende Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung einschränken würde.83 Zum einen übersieht dies, dass die prozessrechtliche Regelung des § 611 Abs. 1 ZPO nur unter den Bedingungen des Verbraucherquorums zur Anwendung gelangen kann, somit bereits eine 78
Vgl. zur prozessualen Wirkung allg.: BGH, Urteil vom 09.12.1958, Az. VIII ZR 181/57, NJW 1959, 532 (532 f.); Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (519); Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 4, 44. 79 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4, das Verfahren wird nicht für die Austretenden fortgesetzt: ebenda, Rn. 17; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 76. A. A. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 15 f. 80 Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 794, Rn. 11. 81 Aus seiner Annahme, dass eine materielle Wirkung im Verhältnis zu den Anmeldern nicht notwendig sei, dürfte eine Ablehnung der Doppelnatur insgesamt folgen. Vgl. Röß, NJW 2020, 2068 (2070 f., 2073). Die von Röß angenommene Bindungswirkung der Anmelder spricht gegen einen isolierten Prozessbeendigungsvertrag, ausführlich zu diesem: Wagner, Prozeßverträge, S. 520 ff. m.w. N. 82 Vgl. Röß, NJW 2020, 2068 (2071), unter Verweis auf eine fehlende Thematisierung in den Gesetzesmaterialien und unter Vergleich zur Rechtsnachfolge. 83 So aber: Röß, NJW 2020, 2068 (2071): Die materielle Bindung sei keine Notwendigkeit des prozessrechtlichen Entstehens des Vergleichs. Eine ähnliche Ansicht findet sich bei: Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (499 f.), unter Verweis auf die Befugnisse der §§ 306, 307 ZPO. Im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO ist aber die Anwendung des § 306 ZPO ausgeschlossen (§ 610 Abs. 5 S. 2 ZPO).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
grundsätzliche Einschränkung vorliegt. Zum anderen geht die Überlegung unrichtigerweise von einer Korrelation von Prozessführungsbefugnis und Vergleichsabschlussmacht aus,84 wobei es sich hierbei primär um eine Frage der Dispositionsbefugnis handelt.85 Außerdem wird dies beim Vergleich nach § 611 ZPO bereits dadurch widerlegt, dass dieser konkrete Leistungen vorsehen kann, die Musterfeststellungsklage solche jedoch nicht zum Gegenstand hat, insofern also auch keine Prozessführungsbefugnis bestehen muss.86 Aus diesem Grund überzeugt auch der Verweis auf die Rechtsprechung des BGH zur Rechtsnachfolge (§ 265 ZPO) nicht, da der BGH gerade dort von einer materiell-rechtlichen Verfügungsberechtigung durch Prozessvergleich ausgeht, wo auch ein entsprechendes Urteil möglich wäre.87 Ferner rückt der BGH auch in diesem Zusammenhang nicht von der Doppelnatur ab und hebt eine fehlende Einschränkung des § 265 Abs. 2 ZPO hervor,88 welche hier aber wegen des Regelungsgehalts des § 611 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht gegeben wäre. Es muss daher weiterhin unterschieden werden zwischen den prozessualen Handlungen des Klägers und der Bindung des Dritten an diese.89 Hier zeigt sich gerade ein wesentlicher Unterschied zwischen der prozessualen Kompetenz der qualifizierten Einrichtung und der im Falle des Vergleichsschlusses darüberhinausgehenden Befugnisse. Des Weiteren können die Ausführungen auch deshalb nicht zwingend überzeugen, weil sie vom Ausgangspunkt einer vorausgesetzten Doppelnatur erfol84 Vgl. Röß, NJW 2020, 2068 (2069), der wohl die prozessuale Bindungswirkung aus der Prozessführungsbefugnis, die wiederum die wirksame Anmeldung voraussetze, ableiten will. 85 Vgl. zu deren Erforderlichkeit: Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 35. 86 Auch eine fehlende Verfügungsbefugnis der qual. Einrichtung steht dem nicht entgegen, da der Vergleich dann als Verpflichtungsvertrag auszulegen wäre, hierzu bei Prozessstandschaft: Klinck, WM 2006, 417 (421 f.); Althammer, JZ 2019, 286 (291); zur Bindung allg.: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 80; Althammer, JZ 2019, 286 (287) m.w. N. Der Vergleich kann über eine Verpflichtung hinausgehen: Habersack, in: MüKoBGB, § 778, Rn. 40, 43; vgl. Fischer, in: BeckOKBGB, § 779, Rn. 20 f.; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 794, Rn. 12. Zu einer über den Verfahrensgegenstand hinausgehenden Vergleichslösung außerhalb der §§ 606 ff. ZPO: Schreiber, JURA 2012, 23 (23); BGH, Urteil vom 18.06.1999, Az. V ZR 40/98, NJW 1999, 2806 (2807) m.w. N. 87 Die Parallele zieht: Röß, NJW 2020, 2068 (2071). Zur Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 14.09.2018, Az. V ZR 267/17, BGHZ 219, 314 (321 ff.); Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 265, Rn. 9 m.w. N.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 43. Ablehnend: Althammer, JZ 2019, 286 (289 f.); Althammer, in: Zöller, ZPO, Vor § 50, Rn. 29. 88 BGH, Urteil vom 14.09.2018, Az. V ZR 267/17, BGHZ 219, 314 (321). Siehe auch: Berger, Zur Bindung des Rechtsnachfolgers, in: Festschrift Roth, S. 173 (180 f.); Schilken, Bindung des Rechtsnachfolgers, in: ebenda, S. 515 (519), aber ablehnend zum Begründungsansatz, ebenda (521). 89 Vgl. Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (502), insbesondere zur Rechtsnachfolge, bei der er eine Bindung durch Analogie zu § 325 Abs. 1 ZPO herstellen will. Siehe auch: Althammer, JZ 2019, 286 (290).
B. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung
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gen,90 wobei deren noch zu thematisierenden Nachteile auch durch eine Trennung der Wirkungen gelöst werden könnten. Die Frage des Zusammenhangs der unterschiedlichen Wirkungen kann aber erst beantwortet werden, wenn überhaupt geklärt wurde, welche Wirkungen bestehen. Die Problematik einer Doppelnatur des Vergleichs für den kollektiven Rechtsschutz aufzuzeigen,91 begründet noch nicht, warum allein prozessuale Wirkungen vorliegen.92 Als prozessual zu qualifizieren sind in erster Linie solche Verträge, die die Prozessrechtslage beeinflussen.93 Maßgeblich für die Frage nach der prozessualen oder materiell-rechtlichen Einordnung ist das anerkannte Wirkungskriterium,94 womit es auf den Vertragsinhalt ankommt.95 Dieses führt hier zu einer prozessualen Einordnung der die prozessualen Befugnisse der Parteien betreffenden Prozessbeendigungsvereinbarung.96 Da die Anmelder nicht in das Prozessrechtsverhältnis einbezogen sind,97 wäre eine solche prozessuale Wirkung im Verhältnis zu ihnen jedoch nur schwer begründbar. Gleichzeitig treten aber die Wirkungen gegenüber den Anmeldern auf materiell-rechtlichem Gebiet ein und sind somit materiell-rechtlich zu qualifizieren,98 denn für eine einheitliche prozessuale Qualifikation, und damit die Inkaufnahme von Inkonsistenz,99 lassen sich keine zwingenden Aspekte anführen.100 Außerdem kann es auch nicht überzeugen, einen Rechtsbindungswillen aufgrund von Bestandsrisiken für den Vergleich durch materiell-rechtliche Unwirksamkeitsgründe abzulehnen.101 Zum einen ist dies eine Frage der konkreten Ausgestaltung des materiellen Verhältnisses, zum anderen folgt aus dem Aufzeigen der Schwierigkeiten einer materiellen Verbindung noch nicht, dass zwingend nur prozessuale Wirkungen vorliegen oder ausreichen. Ein Angebot des Beklagten 90 So die Prämisse von Röß, NJW 2020, 2068 (2071). Die thematisierten Vertragsgestaltungen lägen nicht im Parteiinteresse, weil die Gefahr fehlender Rechtsbeständigkeit droht (ebenda (2071 f.)). Das spräche aber nur für eine Trennung der materiellen und prozessualen Wirkungen. 91 Vgl. Röß, NJW 2020, 2068 (2070 f.). 92 Vgl. dazu die Kritik bei: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (522), wonach sich die Lehre von der Doppelnatur auf das Verhältnis der Wirkungen festlegt und damit abstrakt bindet. 93 Vgl. Wagner, Prozeßverträge, S. 36. 94 Wagner, Prozeßverträge, S. 37. 95 Wagner, Prozeßverträge, S. 46. 96 Vgl. hierzu: Wagner, Prozeßverträge, S. 38. 97 Keine Parteistellung: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 2, 68. 98 Klassischer Fall eines gemischten Vertrages ist der Prozessvertrag: Wagner, Prozeßverträge, S. 39 f., da dieser Wirkungen auf beiden Gebieten entfaltet. 99 Wagner, Prozeßverträge, S. 41 m.w. N. 100 Vgl. Wagner, Prozeßverträge, S. 43, eine einheitliche Qualifikation wäre nur im Bereich von synallagmatischen Verträgen geboten, andernfalls bleibt es bei einer getrennten Qualifikation. 101 Vgl. aber: Röß, NJW 2020, 2068 (2071 f.).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
abzulehnen unter Berufung auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen gegenüber unwirksam Angemeldeten102 ist kein zwingendes Argument für eine fehlende materielle Verbindung zu den Anmeldern. Sofern der Beklagte sich nur unter gewissen Voraussetzungen den Anmeldern gegenüber binden möchte, kann dies auch als eine schlichte Voraussetzung für das Angebot bewertet werden. Allerdings dürfte gerade hinsichtlich der vergleichsweisen Abänderung der streitigen materiellen Rechtsverhältnisse und der prozessualen Beendigung ein entsprechender Geschäftswille der Parteien bestehen, um zu einer umfassenden Streitbeilegung zu gelangen.103 Da in der Regelung des § 611 Abs. 4 ZPO auch eine normierte Zustimmung durch Schweigen liegen kann, erscheint außerdem die Supposition einer fehlenden Angebotsannahme nicht zwingend.104 Gerade mit Blick auf diese Regelung erscheint es wenig überzeugend, von einer fehlenden Normierung der Möglichkeit durch Schweigen zuzustimmen, mithin einer fehlenden Erkennbarkeit des gesetzgeberischen Willens, auszugehen.105 Konsequenterweise nimmt Röß an, dass die Bindungswirkung nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO nur wirksam angemeldete Verbraucher treffen könne, er zieht hier eine Linie zu den §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO.106 Ausgehend von einer rein prozessualen Bindungswirkung durch § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO, erscheint dieser Gedanke zwingend, weil nicht auf die materiellen Regelungen abgestellt werden könnte, um die Vergleichsbetroffenheit im Verhältnis zu den Anmeldern zu bestimmen. Allerdings ist die Wirksamkeit der Anmeldung, die unter anderem auf der Konnexität zwischen den Ansprüchen/Rechtsverhältnissen und den Feststellungszielen beruht,107 für den Vergleich nicht passend. Der Vergleich muss nämlich nicht derartig mit dem Streitgegenstand verbunden sein,108 denn Inhalt und Umfang des Vergleichs werden von den Parteien bestimmt.109 Eine entsprechende Auslegung lässt sich auch dem Wortlaut nicht entnehmen.110 Es kann bei einem Vergleich den Parteiinteressen entsprechen, zur 102
Röß, NJW 2020, 2068 (2072). Vgl. Lindacher, Prozeßvergleich, in: Festgabe BGH, S. 253 (254 f.) m.w. N.: Nach dem anerkannten Wirkungsprinzip scheidet damit eine rein prozessuale Einordnung aus. Siehe auch: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 34, 37. 104 Ablehnend: Röß, NJW 2020, 2068 (2072 f.). 105 So aber: Röß, NJW 2020, 2068 (2073). 106 Röß, NJW 2020, 2068 (2069), möchte differenzieren zwischen „organisationsbezogenen Vorschriften“ und den Normen, die die Wirksamkeit grundsätzlich voraussetzen. I. E. wie hier, trotz terminologischer Unterschiede: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 5 f. 107 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 3. b) aa). 108 Vgl. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35). 109 Ablehnend auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 5. 110 Anders als die §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO, die die Konnexität normieren, sowie § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, der eine „wirksame Anmeldung“ erfordert. Zusätzlich würde eine solche Auslegung § 611 Abs. 2 Nr. 2 ZPO seines wesentlichen Zwecks berauben. 103
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Erzielung einer umfassenden Streitbeilegung auch solchen Anmeldern Vergleichswirkungen zuzusprechen, die eine (nur) formell wirksame Anmeldung getätigt haben, aber die Konnexitätserfordernisse für den konkreten Streitgegenstand nicht erfüllen. Gleichzeitig können die Parteien je nach Prozessverlauf ein Interesse haben, durch die nähere Ausgestaltung des Vergleichs nicht umfassend alle Anmelder einzubeziehen; zu denken sei nur an die Möglichkeit eines Teilvergleichs. Die Frage einer Erfassung des Anmelders kann sich daher im Einzelfall erst aus dem Vergleichsinhalt ergeben.111 Die Annahme einer rein prozessualen Bindungswirkung aus § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO ließe keinen Raum für eine nähere Bestimmung durch materielle Vereinbarungen, zur näheren Bestimmung der Leistungsberechtigung wäre ein Rückgriff auf diese aber wohl unerlässlich. Darüber hinaus bezieht sich die Bindung nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO gerade auf den Vergleich, eine Bindungswirkung durch die Regelung würde demnach nicht zwingend etwas über die Rechtsnatur des Vergleichsinhalts aussagen, zumal die h. M. im Rahmen des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO aus dem dort verwendeten Wortlaut „Vergleich“ eine Bezugnahme auf die materiell-rechtliche Regelung des § 779 BGB ableitet.112 Gegen eine rein prozessuale Rechtsnatur spricht außerdem, dass diese nur schwer begründen könnte, auf welcher Grundlage der Anmelder eine eigene Leistungsklage gerichtet auf Leistung aus dem Vergleich gegen den Beklagten erheben könnte.113 Gerade für solche Fälle wäre aber eine materiell-rechtliche Wirkung des Vergleichs im Interesse der Verbraucher notwendig.114 Eine Lösung vom materiellen Rechtsverhältnis könnte beim Vergleich nur angenommen werden, wenn für diesen, wie beim Streitgegenstand, ein vom materiellen Recht unabhängiger prozessualer Anspruchsbegriff anerkannt werden würde.115 Dem 111 Siehe auch: Stadler, NJW 2020, 265 (266 f.): § 611 ZPO spricht zwar von „Verbraucher“, was eine Einbeziehung nur solcher Anmelder, die dieses Kriterium erfüllen, impliziert, zugleich verzichtet die Norm aber auf das Konnexitätserfordernis; dazu auch: Stadler, NJW 2020, 265 (266 f.). Vgl. auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 56, zum Austritt und der Betroffenheit. 112 Vgl. Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 7 f. m.w. N.; vgl. auch Lüke, JuS 1965, 482 (482). 113 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4, Fn. 8. Dazu: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 90 ff. Siehe auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 23. Vgl. für bereits anhängige Individualverfahren: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 19: Umstellung des Klageantrags „auf Leistung entsprechend dem Vertragsinhalt“. Die Annahme, der Vergleich mache Individualklagen überflüssig (vgl. Rathmann, in: Hk-ZPO, § 611, Rn. 1), ist so nicht zutreffend. 114 Siehe auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 7. Materiell-rechtlich könnte auch eine Beendigung der Individualverfahren vereinbart werden, vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 10. Zu weiteren Wirkungen einer materiellen Bindung: Stadler, NJW 2020, 265 (268). 115 Dafür Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (509 f.), zur gewillkürten Prozessstandschaft, ebenda, S. 521 ff. Kritisch zur Aufhebung der Grenzen zwischen Rechtskraft und Vergleich: Althammer, JZ 2019, 286 (290).
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steht aber entgegen, dass der prozessuale Anspruchsbegriff nur für denjenigen Vergleich anwendbar wäre, der sich auf den prozessualen Anspruch bezieht. Der Vergleich wäre daher notwendigerweise auf den Streitgegenstand begrenzt.116 Ein rein prozessuales Verständnis könnte folglich nicht begründen, wie ein Vergleich Wirkungen entfalten kann, die über die Feststellungsziele hinausgehen. Einen solchen prozessualen Anspruch könnte die qualifizierte Einrichtung gar nicht in das Verfahren einführen.117 Ganz allgemein kann eine rein prozessuale Wirkung nicht überzeugend erklären, wie mit ihr die von den Beteiligten angestrebte Neuregelung in den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen, wie sie für den Vergleich üblich ist,118 eintreten sollte. Letztlich dürfte es im Interesse der Parteien, insbesondere des Beklagten, liegen, eine materielle Wirkung gegenüber den Anmeldern zu vereinbaren, denn die materielle Regelung erlaubt es – im Gegensatz zur pauschalen Bindung aller faktisch Angemeldeten nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO – weitere Kriterien aufzunehmen und dadurch die Anspruchsberechtigung zu konkretisieren. Es müssen somit neben den prozessualen Wirkungen auch materiell-rechtliche Wirkungen vorliegen. Die prozessuale Wirkung besteht in der Prozessbeendigung, die nur für die Parteien der Musterfeststellungsklage wirkt.119 Anhängige Individualprozesse werden hierdurch nicht automatisch beendet.120 Dies ist auch praktisch sinnvoll,
116 Dazu: Althammer, JZ 2019, 286 (286, 291); so auch der BGH bei § 265 Abs. 2 ZPO: BGH, Urteil vom 14.09.2018, Az. V ZR 267/17, BGHZ 219, 314 (325). § 794 Nr. 1 ZPO bezieht sich nicht nur auf den Streitgegenstand, sondern auf den „Rechtsstreit“, also das dem Prozess zugrunde liegende Rechtsverhältnis, Bezugspunkt des Vergleichs muss nicht der prozessuale Anspruch sein, vgl. Esser, Lehre vom Prozessvergleich, in: Festschrift Lehmann, S. 713 (722 ff.); Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 794, Rn. 18; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 794, Rn. 14; Gottwald, in: Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 15. 117 Bei einem Vergleich, der über den Streitgegenstand hinausgeht, nimmt Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (524, 526) eine insgesamt fehlende Drittwirkung gegenüber dem Rechtsinhaber an. Die Begrenzung durch den Streitgegenstand betont auch: Würdinger, Anmerkung zu BGH, Urteil vom 14.09.2018, Az. V ZR 267/17, NJW 2019, 310 (313). 118 Vgl. Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (520). Siehe auch: Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (254 f.) m.w. N. gegen die monistischen Theorien zur Rechtsnatur unter Verweis auf das Wirkungsprinzip. Diese werden heute kaum mehr vertreten: Wagner, Prozeßverträge, S. 514 m.w. N.; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 9. 119 Davon geht wohl auch Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 19 aus. Vgl. für die Prozessstandschaft: Klinck, WM 2006, 417 (422). Siehe zur früheren Streitfrage: Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 193 f. m.w. N. 120 Anders der Vergleich nach dem KapMuG, welcher auch die Ausgangsverfahren beenden muss (§ 17 Abs. 1 S. 1 KapMuG), dazu: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 4 f. Vgl. zur Prozessstandschaft: Klinck, WM 2006, 417 (422), der Standschafter kann nur in dem Prozess prozessuale Wirkungen herbeiführen, in dem er die Parteirolle innehat.
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wenn beispielsweise nur ein Feststellungsvergleich getroffen wird oder eine Leistungsklage zur Durchsetzung notwendig sein sollte.121 2. Vorliegen und Entstehen der materiellen Wirkungen Bezugspunkt des materiell-rechtlichen Vertrages sind die Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse der angemeldeten Verbraucher.122 Aus der prozessualen Dispositionsbefugnis der qualifizierten Einrichtung, die überdies darauf beschränkt ist Feststellungsziele geltend zu machen, kann nicht auf eine materielle Verfügungsbefugnis geschlossen werden.123 Die Anmeldung nach § 608 ZPO hat zwar Bedeutung für die Prozessführungsbefugnis, aus ihr aber auch eine Übertragung der materiellen Verfügungsbefugnis abzuleiten, dürfte ihren Regelungsgehalt überdehnen. Dies dürfte auch nicht der Vorstellung des Gesetzgebers entsprechen, da dieser die ansonsten weitgehend unbeschränkte Parteistellung des Klägers durch das Zustimmungserfordernis des § 611 Abs. 4 ZPO in diesem Punkt deutlich beschränkt hat.124 Dementsprechend scheidet auch die Annahme einer materiell-rechtlichen Dispositionsbefugnis der qualifizierten Einrichtung, die sich aus § 611 Abs. 1 ZPO ableiten soll und so eine gesetzliche Verfügungsermächtigung begründet, aus.125 Eine so weitreichende Ermächtigung lässt sich mit der Regelungssystematik nicht vereinbaren. Da der Vergleich im Regelfall zugunsten der Anmelder Leistungen zum Gegenstand haben soll, geht die Literatur vielfach von einer Einordnung als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) aus. Diese Ansicht blendet nicht aus, dass der Vergleich durch ein gegenseitiges Nachgeben geprägt wird und damit zugleich auch belastende Wirkung besitzt.126 Die erforderliche gesetzliche Grundlage für einen solchen Vertrag, der auch zulasten der Dritten wirkt, wird dabei aus § 611 Abs. 1 ZPO abgeleitet.127 Die Legitimation durch Annahme einer Zustimmung 121 Vgl. zu den möglichen Konstellationen des Folgeverfahrens: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 48 ff. 122 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 2. Nichtanmeldern können zwar Leistungen zugesprochen werden, das Verbot eines Vertrages zulasten Dritter wird hier aber nicht durch § 611 ZPO überwunden, vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 29. 123 Dazu Klinck, WM 2006, 417 (418 f.) für die Prozessstandschaft. 124 Außerdem ist der Verzicht (§ 306 ZPO) nach § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO ausgeschlossen. 125 So aber: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36), unter Verweis auf Hoffmann, in: BeckOKZPO, § 794, Rn. 21. Wobei diese Ansicht die Möglichkeit der Begründung von Pflichten für die Anmelder verneint, was in Anbetracht der Dispositionsbefugnis inkonsequent erscheint. 126 Ein Vertrag zulasten Dritter ist unwirksam, siehe nur: Gottwald, in: MüKoBGB, § 328, Rn. 263; BGH, Urteil vom 14.07.1995, Az. V ZR 31/94, NJW 1995, 3183 (3184). 127 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 5a; Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 17, 49; ähnlich auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 3; Half-
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mittels Schweigens würde andernfalls nicht ausreichen, da eine Verpflichtungsermächtigung dem geltenden Recht fremd ist.128 Sofern man allerdings dem Vertrag zugunsten Dritter im Rahmen des § 611 ZPO nicht einen erweiterten Vertragsgegenstand einräumen möchte, kann dieser nicht alle möglichen Vergleichsinhalte umfassen. Gegenstand eines Vertrages zugunsten Dritter im Sinne des § 328 BGB kann jede zulässige Leistung im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB sein. Es bedarf daher eines selbstständig einklagbaren Anspruchs,129 was bei einem Feststellungsvergleich nicht immer gegeben sein dürfte. Ein weiterer Nachteil einer Ausgestaltung als Vertrag zugunsten Dritter wäre das dadurch entstehende dreiseitige Verhältnis,130 wodurch insbesondere die Ausübung von Gestaltungsrechten bei den Parteien des Synallagmas, also bei der qualifizierten Einrichtung und dem Beklagten läge.131 Für die Anmelder hätte dies eine Einbeziehung der qualifizierten Einrichtung in ihre Rechtsbeziehung zum Beklagten zur Folge. Daneben wird der Vergleich teilweise als Verfügung eines Nichtberechtigten charakterisiert, welche der Genehmigung durch den Berechtigten bedarf (vgl. § 185 BGB), die in der gesetzlich zugelassenen Genehmigung mittels Schweigens gesehen werden könnte. Voraussetzung dieser Einordnung ist allerdings, dass der Vergleich auch einen Forderungsverzicht zum Gegenstand hat.132 In der Folge kann diese rechtliche Einordnung ebenfalls nicht alle möglichen Gestaltungen erfassen.133 Aufgrund des umfassenden Anwendungsbereichs134 böte sich die Einordnung als Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB) an.135 In der Anmeldung allerdings eine entmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 23 (Vertrag zugunsten Dritter); Scholl, ZfPW 2019, 317 (349, 351). Siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36), was bei Annahme einer Dispositionsbefugnis (s. o.) aber nicht zwingend konsequent erscheint. Teilweise anders wohl: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 2. 128 Habersack, in: MüKoBGB, § 779, Rn. 30; Bayreuther, in: MüKoBGB, § 185, Rn. 31. Ablehnend zum Musterfeststellungsvergleich: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36). 129 Gottwald, in: MüKoBGB, § 328, Rn. 21 m.w. N.; Klumpp, in: Staudinger, BGB, § 328, Rn. 38 f.; siehe auch: Stadler, in: Jauernig, BGB, § 328, Rn. 1, zur Unterscheidung echter und unechter Verträge zugunsten Dritter, siehe: ebenda, Rn. 2 ff. 130 Siehe nur: Stadler, in: Jauernig, BGB, § 328, Rn. 8 f. 131 Ausführlich zur Problematik: Magnus, NJW 2019, 3177 (3180). 132 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4, es handele sich um einen „(verfügenden) Vertrag zulasten der Anmelder“, ebenda, Rn. 6; zu Verzichtswirkungen: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (36). Vgl. die Ausgestaltung im KapMuG: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 7. Zu Verfügungsgegenständen i. R. d. § 185 BGB: Dörner, in: Schulze, BGB, § 185, Rn. 1; Bayreuther, in: MüKoBGB, § 185, Rn. 4 ff. Ausführlich zur Frage, ob ein Vergleich nach § 779 BGB ein Verfügungs- oder ein Verpflichtungsgeschäft ist: Klinck, WM 2006, 417 (420 f.) m.w. N. 133 Eine analoge Anwendung des § 185 BGB ist nur für solche Handlungen anerkannt, die vergleichbar mit einer Verfügung sind, vgl. Dörner, in: Schulze, BGB, § 185, Rn. 4. 134 Zum Anwendungsbereich: Schubert, in: MüKoBGB, § 164, Rn. 99, zum Ausschluss der Stellvertretung, ebenda, Rn. 100 ff., jeweils m.w. N.
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sprechende Vollmachtserteilung zu erblicken dürfte deren Regelungsinhalt überdehnen.136 Eine denkbare Ausgestaltung wäre die Annahme einer der qualifizierten Einrichtung durch § 611 Abs. 1 ZPO zustehenden gesetzlichen Vertretungsmacht unter der auflösenden Bedingung des Austritts.137 Dies würde aber einer gesetzlichen Vertretungsmacht gleichkommen, welcher die Stellung der qualifizierten Einrichtung nicht entsprechen dürfte.138 Wird aber mit der überzeugenden h. M. dem Schweigen im Rahmen des nicht erfolgten Austritts aus dem Vergleich ein gesetzlich eingeräumter Erklärungscharakter beigemessen,139 dann bietet es sich an die Rolle der qualifizierten Einrichtung beim Vergleichsschluss mit der eines Vertreters ohne Vertretungsmacht zu vergleichen. Durch Zustimmung mittels Schweigens würde der Anmelder seine Genehmigung erteilen (§ 177 Abs. 1 BGB).140 Die genaue Konstruktion der materiellen Wirkungen dürfte von den Vereinbarungen der Parteien im Einzelfall abhängen, welche sich insbesondere auch an der angestrebten Abwicklung orientieren werden.141 Dies gilt auch für die Frage, ob die Parteien auf der materiellen Seite unter Einbeziehung der Anmelder eine Vielzahl von Einzelverträgen oder einen Gesamtvertrag schließen.142 Die durch die Parteirollenverschiebung eingetretene Dreiecksbeziehung führt zu einer Vielzahl möglicher Ausgestaltungsoptionen für die materielle Seite des Prozessvergleichs. Für die hier interessierende Frage nach der Rechtsnatur des Vergleichs gilt es festzuhalten, dass dieser sowohl materielle als auch prozessuale Wirkungen entfaltet; allerdings fällt die jeweilige Verfügungsbefugnis über diese Wirkungen auseinander.143 Im Hinblick auf die materielle Seite liegt diese durch den Opt-out-Mechanismus maßgeblich bei den Rechtsinhabern und dem Beklagten und bezieht sich auf deren Rechtsbeziehung, während die prozessuale Seite Wirkungen nur zwischen den Parteien entfaltet. Entsprechend zeigt sich bei diesem Auseinanderfallen der Wirkungen die Parteirollenverschiebung sehr deutlich. 135 In Betracht käme eine Stellvertretung beim Vergleichsabschluss. Der Vergleich umfasst Rechtsgeschäfte aller Art (vgl. Habersack, in: MüKoBGB, § 779, Rn. 3 m.w. N.; siehe aber: BGH, Urteil vom 28.05.1979, Az. III ZR 89/78, NJW 1980, 889 (890) und ist ein schuldrechtlicher Vertrag, der aber abhängig von seinen Wirkungen Verfügungen enthalten kann (vgl. Fischer, in: BeckOKBGB, § 779, Rn. 20). 136 Stadler, NJW 2020, 265 (269 f.). 137 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 2, aber auch Einordnung als Vertrag zugunsten Dritter möglich. Siehe auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 46. 138 Zweifelnd auch: Stadler, NJW 2020, 265 (270). 139 Vgl. dazu: Stadler, NJW 2020, 265 (270). Siehe bereits zum KapMuG: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 7. 140 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 46. 141 Zu Abwicklungsmöglichkeiten: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 17. 142 Röß, NJW 2020, 2068 (2071). 143 Vgl. zur Prozessstandschaft: Klinck, WM 2006, 417 (419). Diese Parallelität belegt die Richtigkeit der Einordnung als funktionale Prozessstandschaft.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
3. Verhältnis der prozessualen und der materiellen Wirkungen Als klärungsbedürftig muss das Verhältnis zwischen der prozessualen und der materiellen Wirkung bewertet werden. Diese Frage hat hier allein schon wegen der Parteirollenverschiebung erhebliche Bedeutung. Die prozessuale Wirkung betrifft maßgeblich die Parteien, die materielle Wirkung bezieht sich hingegen auch auf die Anmelder. Teilweise wird aus der Regelung des § 611 Abs. 1 ZPO abgeleitet, dass dieser die Doppelnatur des Vergleichs zum Ausdruck bringe, weil er eine Prozesshandlung der Parteien und zusätzlich ein materiell-rechtlicher Vertrag sei.144 Die Doppelnaturlehre beruht auf dem Gedanken eines, trotz prozessualer und materieller Ausprägungen, einheitlichen Vertrages.145 Die durch die Doppeltatbestandslehre verkörperte Gegenauffassung geht demgegenüber von zwei Verträgen, einem materiellen Vertrag und einem Prozessvertrag aus, welche zusammen den Prozessvergleich bilden.146 Zuzugestehen ist der Doppelnaturlehre, dass nur diese eine dogmatisch überzeugende Lösung für Fälle des vollständigen materiellen Nachgebens einer Partei bietet, da dann der prozessuale Verzicht auf einen Urteilsspruch durch die andere Partei deren notwendiges Nachgeben für einen Vergleich darstellt.147 Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass dies für einen Vergleich in einem Massenverfahren praktisch eine kaum relevante Situation darstellen dürfte.148 Die Doppelnatur bereitet allerdings konstruktive Schwierigkeiten für den Fall, dass die materielle Seite im Wege von Einzelvergleichen mit den Anmeldern ausgestaltet ist. Die prozessbeendigende Wirkung tritt nur zwischen den Parteien ein und wirkt sich nur mittelbar auf die Anmelder aus. Die materielle Seite, die sich in diesem Fall aus einer Vielzahl von Einzelverträgen zusammensetzt, könnte da-
144 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 2; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 1. Eine Doppelnatur nimmt wohl auch Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 31 an, der aber die allgemeinen Regeln des BGB ausschließen möchte. Für eine Doppelnatur: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 50, 75; Scholl, ZfPW 2019, 317 (349); Kähler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 611 ZPO, Rn. 14 145 Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (255), dort auch m.w. N. zur Ansicht; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 9 f. Kritisch zur Doppelnatur: Wagner, Prozeßverträge, S. 516 ff. m.w. N. Siehe auch: ebenda, S. 44 m.w. N.: Ziel sei eine „möglichst enge Abhängigkeit“ der Wirkungen. Zum Meinungsstreit auch: Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 12. 146 Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (255), dort auch m.w. N. zur Ansicht; Wagner. Prozeßverträge, S. 43 f., 517 m.w. N.; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 10. 147 Ausführlich: Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (256) m.w. N. Zum Nachgebenserfordernis: Schreiber, JURA 2012, 23 (24). 148 Ein vollständiges Nachgeben der qualifizierten Einrichtung würde mit dem Ausschluss des § 306 ZPO (§ 610 Abs. 5 S. 2 ZPO) kollidieren, wobei noch eine Austrittsmöglichkeit besteht.
B. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung
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gegen (je nach Ausgestaltung) nur den Beklagten und die Anmelder einbeziehen.149 Hier wäre es konstruktiv schwierig zu erklären, wie aus einer Vielzahl materieller Einzelverträge zwischen einer (oder beiden) Partei(en) und Dritten ein einheitlicher Vertrag unter Einbeziehung beider Parteien resultiert,150 in den aber hinsichtlich der prozessbeendigenden Wirkungen die Anmelder gerade nicht einbezogen werden können, da diesen gegenüber solche Wirkungen nicht bestehen.151 Insbesondere würde die prozessbeendigende Wirkung mittelbar auch gegenüber denjenigen Anmeldern eintreten, die ihren Austritt erklären oder von den materiellen Wirkungen des Vergleichs nicht betroffen wären.152 Der Doppeltatbestand wäre, da er keinen einheitlichen Vertrag annimmt, besser geeignet die Vielzahl materieller Vertragskonstellationen zu vereinen. Die Doppelnatur hätte zur Folge, dass Unwirksamkeitsgründe prozessualer und materieller Art jeweils den Vergleich insgesamt betreffen würden, damit erhöht sich auch die Fehleranfälligkeit des Vergleichs.153 Anders als für den Vergleich außerhalb des § 611 ZPO erscheint auch nicht die Annahme zwingend, dass die Parteien einen prozessbeendigenden Vertrag nur schließen wollten, wenn dieser auch wirksame materielle Regelungen enthalte.154 Da die Parteien nicht überblicken und einschätzen können, inwiefern Unwirksamkeitsgründe bei den zustimmenden Anmeldern vorliegen, dürfte es auch fernliegen anzunehmen, dass sie hierfür das Risiko tragen wollten. Für die Parteien dürfte es tendenziell sogar von Interesse sein, eine Auswirkung einzelner Unwirksamkeitsgründe im materiellen Verhältnis auf die prozessualen Wirkungen oder gar auf die anderen materiellen
149 Zwischen den Parteien läge keine Einigung über eine materielle Beziehung vor, vgl. zu dieser, dem abstrakten Prozessbeendigungsvertrag ähnlichen Situation: Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 196 f. 150 Für einen zusammengesetzten Vertrag: Wagner, Prozeßverträge, S. 515. 151 Vgl. auch Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 197 m.w. N., die Willensrichtungen hinsichtlich der materiellen Streitschlichtung und der prozessualen Beendigung können wesensmäßig unterschiedlich sein. 152 Vgl. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 19, austretende Verbraucher können mit Eintritt der prozessbeendigenden Wirkung eine Individualklage verfolgen. Ausführlich: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 17. Weitergehend könnte materiell-rechtlich eine Verpflichtung zur Individualverfahrensbeendigung vereinbart werden, Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 10. 153 Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (257) m.w. N.; Lüke, JuS 1965, 482 (483); daher für einen Doppeltatbestand: Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 200 f., sofern sowohl materielle als auch prozessuale Fragen verglichen werden, liege ein Doppeltatbestand vor (ebenda, S. 203). Nach Esser, Lehre vom Prozessvergleich, in: Festschrift Lehmann, S. 713 (731 f.) läge bei Teilnahme Dritter ein untrennbarer (materieller) Vertrag vor. Ausführlich zu möglichen Unwirksamkeitsgründen: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (524 ff.). 154 Vgl. Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 202. So aber für den „normalen“ Prozessvergleich: Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (257).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Verhältnisse auszuschließen.155 Dies dürfte auch für die Gesamtheit der Anmelder bei schweigend erteilter Zustimmung gelten. Gleichsam dürfte für den Fall prozessualer Mängel – sofern Beklagter und Anmelder trotzdem mit dem Vergleich zufrieden sind – in der Regel kein Interesse bestehen die Musterfeststellungsklage fortzuführen, weil die Befriedigungsfunktion dadurch gefährdet würde.156 Außerdem könnte die Fortsetzung des alten Verfahrens bei materiellen Mängeln157 zu Friktionen bei der Musterfeststellungsklage führen. Der Vergleich nach § 611 ZPO kann auch einen Gegenstand haben, welcher über den Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage hinausgeht. Es entspricht aber nicht der Konzeption der §§ 606 ff. ZPO über einen Gegenstand ein Verfahren zu führen, welcher kein Feststellungsziel nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO bilden kann.158 Dies wird besonders offensichtlich bei individuellen Fragestellungen wie der Anfechtung, da diese zumeist der Musterverfahrensfähigkeit entbehren dürfte.159 Solche Fragen müssten dann in einem Musterfeststellungsverfahren geklärt werden, damit bestimmt werden kann, ob das Altverfahren infolge einer materiellen Unwirksamkeit fortgesetzt werden muss, obwohl diese eigentlich nicht Verfahrensgegenstand sein könnten.160 Generell kann der für die Fortsetzung des Altverfahrens häufig bemühte Aspekt der Prozessökonomie161 bei einem Massenverfahren 155 Siehe zur Separierung der Unwirksamkeitsgründe: Wagner, Prozeßverträge, S. 46. Vgl. zum Parteiwillen hinsichtlich einer Fortführung des Altverfahrens: Wagner, Prozeßverträge, S. 517 ff. 156 Dies entspricht auch der Rechtsprechung, vgl. nur: BGH, Urteil vom 24.10.1984, Az. IVb ZR 35/83, NJW 1985, 1962 (1963); dazu: Lindacher, Prozeßvergleich in: Festgabe BGH, S. 253 (259) mit einem Überblick über die Rspr., der eine Vermutungsregel für einen Parteiwillen zur Aufrechterhaltung materieller Wirkungen bei prozessualer Unwirksamkeit ablehnt, aber für eine grundsätzliche Unwirksamkeit der materiellen Regelung plädiert. 157 Genauer: bei anfänglicher materieller Unwirksamkeit. So die Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.09.1958, Az. VII ZR 198/57, BGHZ 28, 171 (174); BGH, Urteil vom 12.07.1965, Az. II ZR 118/63, BGHZ 44, 158 (159); eine solche Konstellation liegt auch BGH, Urteil vom 24.10.1968, Az. II ZR 214/66, BGHZ 51, 141 zugrunde; BGH, Urteil vom 03.12.1980, Az. VIII ZR 274/79, NJW 1981, 823 (823); zu diesen Nachweisen: Lindacher, Prozeßvergleich, in: Festgabe BGH, S. 253 (260 f.) dort auch zu Rücktritt und Aufhebung (nachträgliche Entfalltatbestände); Siehe auch: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (533) m.w. N. Die Annahme eines Doppeltatbestandes würde dazu führen, dass materielle Mängel nur die materiellen Wirkungen betreffen, Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 200. 158 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 63 f.; Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 30; vgl. auch Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 1. 159 Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 16. Zu deren Prüfung im Vergleichsfall: Lüke, JuS 1965, 482 (486). 160 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 14 zu Einwendungen und Einreden. Siehe auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 17. 161 BGH, Urteil vom 29.09.1958, Az. VII ZR 198/57, BGHZ 28, 171 (172) m.w. N.; hierauf weist Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Fest-
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wie der Musterfeststellungsklage, in Anbetracht der Vielzahl der dadurch – trotz möglicher Zufriedenheit mit dem Vergleich – Betroffenen, keine Überzeugungskraft entfalten.162 Außerdem wird, sofern der Prozessvergleich nicht rechtshängige Ansprüche umfasst – was bei der Musterfeststellungsklage der Regelfall sein dürfte – nicht von einer Fortsetzung des Altverfahrens ausgegangen.163 Die Unwirksamkeitsgründen in einem neuen Verfahren geltend zu machen164 ermöglicht hingegen eine Respektierung des Partei- und Anmelderwillens im jeweiligen Einzelfall. Gerade bei der Musterfeststellungsklage kann nicht angenommen werden, dass die Parteien und die Anmelder grundsätzlich daran interessiert sind das Altverfahren fortzusetzen.165 Andernfalls könnten einzelne Anmelder beispielsweise durch die Ausübung von Gestaltungsrechten die Parteien zu einer Fortsetzung des Verfahrens zwingen, wodurch Auswirkungen auf andere Anmelder nicht ausgeschlossen werden könnten.166 Insgesamt fraglich wäre dann auch die Bindung der Anmelder an Verfahrensergebnisse bei Unwirksamkeitsgründen aus dem Verhältnis der Parteien zueinander.167 Außerdem müsste geklärt werden, welche Kriterien, wie zum Beispiel ein nachträgliches Entfallen des Quorums infolge von Anfechtungen oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage, erfüllt sein müssten, damit das Verfahren fortgesetzt wird.168 Denjenigen Anmeldern, die am Vergleich festhalten wollen oder bei denen keine Unwirksamkeitsgründe vorlägen, wäre damit ohnehin nicht geholfen. Das Bedürfnis für eine klare Prozesslage nach erfolgter Verfahrensbeendigung spricht somit maßgeblich für die Annahme eines Doppeltatbestandes.169 Die Doppeltatbestandslehre, die abhängig vom Parteiwillen und der (prozessualen) Norm ermittelt, inwiefern prozessuale Unwirksamkeitsgründe auf das
schrift Schiedermair, S. 517 (534) hin; Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 201 m.w. N.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 54. 162 Insofern läge hier ein Sonderfall vor, vgl. dazu: Wagner, Prozeßverträge, S. 518. Anders die Bewertung bei Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 243 f., die aber als Alternative nur die Einleitung eines neuen Verfahrens heranzieht. 163 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 58. 164 So die Doppeltatbestandslehre, siehe nur die Nachweise bei: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (534, kritisch 535 f.). 165 Vgl. allg.: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (535 f.): Ein Neuverfahren wahre die für das Prozessrecht wesentliche Rechtssicherheit. 166 Ablehnend für „Dritte“: Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (541). 167 Vgl. Magnus, NJW 2019, 3177 (3180). Beim Doppeltatbestand würden nur prozessuale Mängel auch zur Aufhebung der Prozessbeendigung führen, Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 200 f. 168 Vgl. exemplarisch: Magnus, NJW 2019, 3177 (3181 f.). 169 Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 202 m.w. N.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
materielle Verhältnis Auswirkungen haben,170 dürfte daher für den Vergleich nach § 611 ZPO vorzugswürdig sein. Der Parteiwille respektive der Anmelderwille dürfte in der Regel dafür sprechen die Wirkungen zu trennen.171 4. Zwischenergebnis zur Rechtsnatur des Vergleichs Aus der Problematik der Parteirollenverschiebung folgt die geringe Überzeugungskraft monistischer Theorien, die nur prozessuale oder nur materielle Wirkungen annehmen. Es bedarf einer Berücksichtigung sowohl der prozessualen Wirkungen aus dem Verhältnis der Parteien als auch der materiellen Wirkungen, die primär zwischen Beklagtem und Anmelder relevant werden. Allerdings kann auch die Annahme einer Doppelnatur des Prozessvergleichs im Rahmen der Musterfeststellungsklage nicht vollständig überzeugen. Die Doppeltatbestandslehre würde demgegenüber die Rechtssicherheit und die Bindung an das Vergleichsergebnis erhöhen. Dies wäre für den Vergleich nach § 611 ZPO infolge der Parteirollenverschiebung und der erheblichen personalen Breitenwirkung geboten. Allerdings schließt auch die Doppeltatbestandslehre Auswirkungen von Unwirksamkeitsgründen zum Beispiel aus dem Bereich der Parteien, die Auswirkungen auf die Leistungsansprüche der Verbraucher haben könnten, nicht aus. Von der Beurteilung des Vergleichsabschlusses und der Rechtsnatur des Vergleichs zu trennen ist daher weitergehend die Frage, ob dem Vergleich eine erhöhte Bestandskraft zukommen könnte. Ansatzpunkt hierfür ist der Beschluss des Gerichts über diesen Vergleich (§ 611 Abs. 5 S. 2, 4 ZPO) und die Frage, ob dieser spezielle Wirkungen entfaltet.172
II. Gesteigerte Bindungswirkung von Vergleichen im Musterfeststellungsverfahren Die uneingeschränkte Anwendung der Normen des materiellen Rechts auf den Vergleich nach § 611 ZPO kann zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten und Problemen führen. Exemplarisch genannt sei nur die Möglichkeit der Anfech170 Vgl. Tempel, Prozessvergleich – Die Bedeutung seiner Rechtsnatur, in: Festschrift Schiedermair, S. 517 (524, 535) m.w. N. Siehe auch Wagner, Prozeßverträge, S. 518. Prozessuale Mängel dürften praktisch selten vorkommen (Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 201), was die Bestandssicherheit erhöht. 171 Auch beim Prozessvergleich außerhalb der §§ 606 ff. ZPO kann der Parteiwille sowohl für ein einheitliches als auch für ein getrenntes Rechtsgeschäft sprechen: Baumgärtel, Prozeßhandlung, S. 202. Anders: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 35. 172 So wohl auch die Differenzierung bei: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4. Siehe auch für § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 278, Rn. 95 m.w. N.; gegen Auswirkungen auf die Rechtsnatur implizit: BGH, Urteil vom 30.09.2005, Az. V ZR 275/04, BGHZ 164, 190 (195).
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tung. Je nachdem, wer genau einem Irrtum oder einer Täuschung unterlag, stellt sich die Frage nach dem Anfechtungsberechtigten und den Auswirkungen auf die Anmelder. Bei einer Anfechtungsberechtigung einzelner Anmelder stellt sich die Folgefrage nach den Auswirkungen auf den gesamten Vergleich, weil damit eventuell das Quorum des § 611 Abs. 5 S. 1 ZPO unterschritten werden könnte.173 Zusätzlich stellt sich die Frage einer Auswirkung eines Irrtums über den zugrunde gelegten Sachverhalt (§ 779 Abs. 1 BGB).174 Die Steigerung der Risikosphären durch die Parteirollenverschiebung sowie die personale Breitenwirkung eines Massenverfahrens könnten so zu erheblichen Unsicherheitsfaktoren führen.175 Denn durch die Annahme eines Doppeltatbestandes wird lediglich die Trennung der prozessualen und materiellen Rechtsnaturen erreicht.176 1. Rechtskraft des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO Ein Weg zur Erzielung einer gesteigerten Bestandssicherheit wäre die Annahme einer Rechtskraftwirkung des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO, welche daher nachfolgend untersucht werden soll.177 a) Stellungnahmen der Literatur Üblicherweise besteht Einigkeit dahingehend die Rechtskraft von Prozessvergleichen zu verneinen, da keine gerichtliche Entscheidung ergeht.178 Der Vergleich nach § 611 ZPO unterliegt jedoch einer gerichtlichen Angemessenheitsprüfung und muss vom Gericht durch unanfechtbaren Beschluss genehmigt wer173 Ausführlich zur Anfechtung: Magnus, NJW 2019, 3177 (3180 f.). Auf diese Probleme sowie § 779 Abs. 1 BGB und § 313 BGB weist auch Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 67 hin, ohne allerdings Schlussfolgerungen zu ziehen. Siehe auch: Prütting, ZIP 2020, 197 (201). Zur Prozessstandschaft: Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (525). 174 Magnus, NJW 2019, 3177 (3181). 175 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 242 ff.: Anwendung der anerkannten Grundsätze zu unwirksamen Prozessvergleichen, aber Bekanntmachung im Klageregister. 176 Für einen Ausschluss der allgemeinen Regelungen des BGB daher: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 31. 177 Einen vergleichbaren abschließenden Beschluss sehen die §§ 9, 10 VDuG-E nicht vor, so dass sich insoweit erneut Fragen der Bindungswirkung stellen. Eine gesteigerte Bestandskraft infolge einer gerichtlichen Entscheidung dürfte aber daran scheitern, dass die letzte Handlung zur Herbeiführung der Bindungswirkung die Austrittserklärung bzw. deren Unterlassen ist (vgl. § 10 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 VDuG-E). 178 Saenger, in: Hk-ZPO, § 322, Rn. 7; vgl. auch BGH, Urteil vom 29.09.1958, Az. VII ZR 198/57, NJW 1958, 1970 (1971); BGH, Urteil vom 22.12.1982, Az. V ZR 89/ 80, BGHZ 86, 184 (186); Völzmann-Stickelbrock, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 322, Rn. 13; Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 794, Rn. 45; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 13; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 30. Vgl. zu den Unterschieden zwischen Urteil und Vergleich: Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (506).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
den. Demnach handele sich danach nicht mehr nur um eine rein privatautonome Einigung der Parteien. Schließlich bildet nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO der Vergleichsinhalt einen Teil des gerichtlichen Beschlusses. Aufgrund dieser Besonderheiten gegenüber dem üblichen Prozessvergleich gehen Teile der Literatur – je nach Inhalt des Vergleichs – von einer materiellen Rechtskraftfähigkeit aus.179 Teilweise dient auch die Breitenwirkung des Verfahrens und die positive Folge einer erhöhten Bestandskraft für die Anmelder als Begründungsansatz, welche die oben angedeuteten Nachteile vermeiden würde.180 b) Vergleich mit dem Regelungsgehalt bereits bestehender Vergleichsregelungen Der Wortlaut des § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO ist demjenigen des § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO sehr ähnlich.181 Bei Letzterem soll die gerichtliche Feststellung verweigert werden, wenn dieser gegen die §§ 134, 138 BGB oder die öffentliche Ordnung verstößt.182 Für den Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO wurde bereits vereinzelt die materielle Rechtskraftfähigkeit angenommen. Die Feststellung von Zustandekommen und Inhalt des Vergleichs durch das Gericht, deute auf eine über die reine Protokollierung hinausgehende Funktion hin.183 Diese Ansicht leitet aus der Feststellung des Zustandekommens eine Überprüfung des Zustandekommens mit den verfügbaren Instrumentarien ab.184 Aus der Verwendung des Wortes „Inhalt“ anstelle von „Wortlaut“ wird die Schlussfolgerung gezogen, dass das Gericht genau überprüfen müsse, worauf sich die Parteien geeinigt haben, und nicht bloß die Parteitexte übernehmen dürfe.185 Außerdem würden auch Aner-
179 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4. Zustimmend: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 5b. Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2189), sprechen zum Vergleich im Referentenentwurf von Rechtskraft. Rapp, ZZP 132 (2019), 495 (526, Fn. 137), spricht von „urteilsgleichen Wirkungen“. 180 Dazu: Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). 181 § 611 Abs. 3–5 ZPO ist gegenüber § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO lex specialis: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 3; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 1. 182 BT-Drs. 15/3482, S. 17; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 278, Rn. 18; Saenger, in: Hk-ZPO, § 278, Rn. 23; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 101 m.w. N. Nur Prüfung der formell ordnungsgemäßen Abgabe der Erklärungen und einer Einigung: Bacher, in: BeckOKZPO, § 278, Rn. 37. Zum Meinungsstreit: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 35 f. m.w. N. Siehe auch: Müller-Teckhof, MDR 2014, 249 (250 f.). 183 Schlosser, Urteil mit vereinbartem Inhalt?, in: Festschrift Schumann, S. 389 (392); zu dieser Ansicht: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 14 f. 184 Schlosser, Urteil mit vereinbartem Inhalt?, in: Festschrift Schumann, S. 389 (394). 185 Schlosser, Urteil mit vereinbartem Inhalt?, in: Festschrift Schumann, S. 389 (395).
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kenntnis- und Verzichtsurteile in materielle Rechtskraft erwachsen und das, obwohl sie letztlich auch einen Inhalt haben, der vom privatautonomen Parteiverhalten abhängig ist.186 Dem steht aber entgegen, dass § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO lediglich eine Feststellung trifft.187 Der Vergleich selbst muss bereits zuvor wirksam zustande gekommen sein, was der Beschluss nur deklaratorisch feststellt.188 Der Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO verfolgt vor allem den Zweck, die Protokollierung des Vergleichs in der mündlichen Verhandlung zu ersetzen.189 Aufgrund dieser Parallelität zur Protokollierung kann der Beschluss somit nicht in materielle Rechtskraft erwachsen.190 Im Hinblick auf § 611 Abs. 3, 5 ZPO ergibt sich demgegenüber jedoch eine deutlich gesteigerte gerichtliche Prüfungsintensität,191 sodass aus dem Vergleich mit § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO keine zwingende Antwort resultiert. Eine erhebliche Ähnlichkeit weist die Regelung des § 611 Abs. 5 ZPO mit § 23 KapMuG auf. Auch die Wirksamkeit eines Vergleichs im Rahmen des KapMuG setzt nach § 23 Abs. 1 S. 1 KapMuG voraus, dass das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss dessen Wirksamkeit feststellt, was die Geltendmachung prozessualer und inhaltlicher Mängel weitgehend ausschließt.192 Auch diesem Vergleich kommt mit seiner erfolgten Bekanntmachung eine gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für die Beteiligten nach § 23 Abs. 1 S. 4 KapMuG zu.193 Teilweise wird auch hier von materieller Rechtskraft ausgegangen, wobei die Argumentation mit „Sinn und Zweck“ 194 kein zwingendes Argument begründet. Der Vergleich mit den bisherigen Regelungen lässt daher keine unmittelbaren Rückschlüsse auf eine Rechtskraftfähigkeit zu, am ehesten ist eine Vergleichbarkeit mit der Bindungswirkung im KapMuG konstatierbar.
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Vgl. Schlosser, Urteil mit vereinbartem Inhalt?, in: Festschrift Schumann, S. 389
(399). 187 Vgl. Saenger, in: Hk-ZPO, § 278, Rn. 23, unter Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 13.12.2010, Az. 31 U 99/07, NJW 2011, 1373 (1373). 188 So teilweise: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 101. 189 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 103; ausführlich: Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 278, Rn. 95; Wolfsteiner, in: MüKoZPO, § 794, Rn. 43; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 8. 190 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 105; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 14 und 15 f.; Knauer/Wolf, NJW 2004, 2857 (2859). 191 Vgl. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 23; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (90). 192 Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 6, 10 ff. 193 Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 16; Wigand, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 23, Rn. 2. 194 Zeising, WM 2011, 774 (775): Gleiche Bindungswirkungen wie beim Musterentscheid.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
c) Ansichten zur Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen Zur weiteren Erörterung der Rechtskraftfrage sollen nachfolgend diejenigen Aspekte, auf denen die Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen vielfach gründet, im Hinblick auf § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO untersucht werden, wobei die Ausführungen auf die für die Beurteilung des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO maßgeblichen Gesichtspunkte beschränkt bleiben. Als allgemein anerkannte Voraussetzungen der materiellen Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen können die Notwendigkeit einer eingetretenen formellen Rechtskraft und die innerprozessuale Bindungswirkung für das Gericht gelten.195 Da der positive Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO unanfechtbar ist, tritt die formelle Rechtskraft mit dessen Erlass ein.196 Aus der fehlenden Möglichkeit den Beschluss anzufechten, resultiert kein zwingendes Argument gegen die formelle Rechtskraft, da die Entscheidung über den Vergleich auf der Einigung der Parteien beruht und damit bei einem positiven Beschluss bereits kein Bedürfnis für eine Anfechtung durch die sich einigenden Parteien besteht.197 Die Angemessenheitsprüfung und das Quorum bestehen vor allem im Interesse der Anmelder, weniger im Interesse der Parteien. Allerdings kann nicht aus der formellen Rechtskraft unmittelbar die Unabänderbarkeit der Entscheidung im Sinne einer eintretenden Innenbindung gefolgert werden,198 vielmehr wird bei Beschlüssen im Grundsatz199 und bei Unanfechtbarkeit im Besonderen die freie Abänderbar-
195 Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 170 m.w. N., zur formellen Rechtskraft, S. 16; Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 75; Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 86 f. m.w. N. Formelle Rechtskraft und rechtskraftfähiger Inhalt: Bach, in: BeckOKZPO, § 329, Rn. 42. Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 329, Rn. 17 fordert zusätzlich rechtskraftfähigen Inhalt. Zum Unterschied zwischen Innenbindung und formeller Rechtskraft: Schmidt, Gegenvorstellung, S. 47 f.; für materielle Rechtskraft bei Vorliegen von formeller Rechtskraft und Innenbindung: ebenda, S. 68 f. 196 Zur formellen Rechtskraft unanfechtbarer Beschlüsse: Musielak, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 329, Rn. 17; dazu: OLG München, Beschluss vom 19.11.1954, Az. 4 W 383/53, MDR 1954, 237 (237); OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.04.1957, Az. 2 W 18/57, JZ 1959, 445 (445). Siehe auch: Saenger, in: Hk-ZPO, § 329, Rn. 22. Siehe zur formellen Rechtskraft von Beschlüssen: Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 16 ff.; Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 35 f. 197 Vgl. Schlosser, Urteil mit vereinbartem Inhalt?, in: Festschrift Schumann, S. 389 (396). Für formelle Rechtskraft bei Ausschluss der Beschwerde: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 51. 198 Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 62 f., 66 f. Anders: VölzmannStickelbrock, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 329, Rn. 16; BAG, Urteil vom 28.04.1983, Az. 2 AZR 438/81, MDR 1984, 83 (83). 199 Vgl. Saenger, in: Hk-ZPO, § 329, Rn. 22 m.w. N. Siehe überblickartig zum Meinungsstreit um die Anwendung des § 318 ZPO: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 52 ff.
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keit angenommen.200 Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn ein zwingender Grund gegen die Abänderbarkeit spricht.201 Für den Beschluss nach Abs. 5 S. 2 bestehen solche zwingenden Gründe, denn die Bindungswirkung gegenüber den Anmeldern nach S. 4 ist unmittelbar an den Beschluss geknüpft. Welcher damit einen erheblichen Vertrauenstatbestand auch über den Kreis der Parteien des anhängigen Verfahrens hinaus entfaltet, denn die Wirksamkeit des Vergleichs kann insbesondere auch mit Blick auf die Individualprozesse Bedeutung erlangen. Als weitere Voraussetzung für den Eintritt der Rechtskraft wird teilweise das Vorliegen eines rechtskraftfähigen Entscheidungsinhalts gefordert.202 Nicht überzeugen kann es hierfür, auf eine Entscheidung über Parteiansprüche, also eine Sachentscheidung zu rekurrieren, da dies bereits Prozessurteile von der materiellen Rechtskraft ausschließen würde. Auch erscheint es nicht zwingend, auf den prozessualen Anspruch des § 322 Abs. 1 ZPO abzustellen, da dieser nur Gegenstand, nicht aber Ursache der materiellen Rechtskraft sein kann.203 Ein rechtskraftfähiger Entscheidungsinhalt wäre daher anzunehmen, wenn der Beschluss Wirkungen über das Verfahren hinaus entfalten kann.204 Der Beschluss darf sich also nicht nur auf dasjenige Verfahren beziehen, in welchem er ergeht, sondern es muss die Möglichkeit bestehen, dass die Streitigkeit nochmals verfahrensgegenständlich werden kann.205 Im Hinblick auf die Frage nach der Wirksamkeit und dem Inhalt des Vergleichs wäre eine erneute Verfahrensgegenständlichkeit durch200 Zur grundsätzlichen Abänderbarkeit unanfechtbarer Beschlüsse: Bach, in: BeckOKZPO, § 329, Rn. 39; vgl. auch: Musielak, in: MüKoZPO, § 329, Rn. 12. Differenzierend: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 67. 201 Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 67 202 Gottwald, in: MüKoZPO, § 322, Rn. 30; Musielak, in: MüKoZPO, § 329, Rn. 13; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 329, Rn. 21; Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 53; vgl. auch: Peters, Bestandskraft von Beschlüssen, in: Festschrift Geimer, S. 811 (814 f., 817); für Urteilsähnlichkeit: Saenger, in: Hk-ZPO, § 322, Rn. 6; Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 329, Rn. 50. Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 77 ff., auch zu den vertretenen Kriterien für die Annahme eines rechtskraftfähigen Inhalts. Kritisch hierzu: Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 171 f.: Innenbindung hänge ab von einer Urteilsähnlichkeit, die gleichbedeutend mit dem rechtskraftfähigen Inhalt verwendet wird (vgl. Baumgärtel, MDR 1968, 970 (971 f.)), was zu einer Gleichsetzung von Innenbindung und materieller Rechtskraft führt. Dazu: Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 175 f. m.w. N. Kritsch auch: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 88. 203 Ausführlich hierzu: Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 78 f. m.w. N. Siehe auch: Schmidt, Gegenvorstellung, S. 95 f. 204 Bach, in: BeckOKZPO, § 329, Rn. 42; BGH, Beschluss vom 03.03.2004, Az. IV ZB 43/03, NJW 2004, 1805 (1806); BGH, Urteil vom 17.10.1985, Az. III ZR 105/84, NJW-RR 1986, 412 (414); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 329, Rn. 17. 205 Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 80; Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 92 ff., insb. S. 96: „Wirkungsraum“; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 153, Rn. 2 („Maßgeblichkeit“); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 329, Rn. 17; siehe auch: Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 173. Kritisch: ebenda, S. 174 f.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
aus denkbar. Insofern könnte aus der konstitutiven Wirksamkeitsfeststellung des § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO,206 insbesondere auch wegen der Wirkung gegenüber den nicht ausgetretenen Anmeldern nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO, die materielle Rechtskraft folgen. Dagegen spricht im Hinblick auf eine Rechtskraftfähigkeit des Vergleichs selbst aber, dass der Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO nur eine Entscheidung über die Erreichung des Quorums beinhaltet.207 Der Vergleichsinhalt steht mit dem Abschluss der Angemessenheitsprüfung und damit dem Beschluss nach § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO fest.208 Außerdem folgt die Bindungswirkung für die nicht ausgetretenen Anmelder nicht aus dem Beschluss selbst, sondern wird gesondert durch § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO statuiert.209 Von anderer Seite wird auf das zugrunde liegende Verfahren abgestellt: Nur wenn dieses eine Richtigkeitsgewähr biete, also eine vollständige Sachverhaltsaufklärung stattfinde, sei materielle Rechtskraft anzunehmen.210 Für einen Vergleichsschluss, auch mit Blick auf die begrenzte gerichtliche Aufklärung beim Genehmigungsbeschluss, hätte dies eine Ablehnung der Rechtskraft zur Folge. Der Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO trifft außerdem nur eine Feststellung über die Erreichung des Quorums, enthält also keine weitergehende Sachaufklärung zum zugrunde liegenden Sachverhalt. Allerdings lässt sich aus der Art des Verfahrensablaufs abstrakt noch keine Richtigkeitsgewähr ableiten. Daher sollte dies auch kein Kriterium für die materielle Rechtskraftfähigkeit konstituieren.211 Nach Blomeyer soll materielle Rechtskraft dort eintreten, wo eine endgültige Entscheidung notwendig ist, um Begehrenswiederholungen und widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden.212 Diese Argumentation, die letztlich auf die Schaffung von Rechtssicherheit und -frieden abzielt,213 kann auf den Beschluss über einen Kollektivvergleich übertragen werden. Die Tatsache, dass es in Ein-
206 Zur konstitutiven Wirkung: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 68; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 60. 207 Siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 58. 208 Bindung des Gerichts an Beschluss nach § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 19. 209 Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 611, Rn. 3. Ähnlich auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (38 f.). So auch für verfahrensbeendende Wirkung: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 77. 210 Siehe auch: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 77 f. im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG; Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 76; Schmidt, Gegenvorstellung, S. 94 m.w. N. 211 Siehe dazu: Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 76 f. m.w. N.; Blomeyer, Erinnerungsbefugnis Dritter, S. 143 f. 212 Blomeyer, Erinnerungsbefugnis Dritter, S. 136 ff. Dazu: Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 172 f. und Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 88 f. jeweils m.w. N. 213 Schmidt, Gegenvorstellung, S. 97 f. Dazu: Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 79 f. m.w. N.
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zelfällen durch die Annahme einer erhöhten Bestandskraft infolge materieller Rechtskraft zu „Ungerechtigkeiten“ kommen kann, ist ein allgemeingültiger Einwand, der aber die Bedeutung der materiellen Rechtskraft nicht anzufechten vermag.214 Problematischer dürfte hingegen die Schwierigkeit sein, festzustellen, wann genau anzunehmen ist, dass das Bestandsinteresse überwiegt, da ein solches Interesse bei den meisten gerichtlichen Handlungen zumindest in irgendeiner Weise bestehen dürfte.215 Für den hier interessierenden Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO sprechen aber unter Berücksichtigung der oben angedeuteten Problematiken hinsichtlich der Wirksamkeit gute Gründe für ein starkes Bestandsinteresse. Eine neuere Ansicht möchte unter Rekurs auf die ZPO-Reform von 2001 allen formell rechtskräftigen, grundsätzlich beschwerdefähigen Beschlüssen, die innerprozessuale Bindungswirkung entfalten, die materielle Rechtskraft zusprechen.216 Demnach wäre die Rechtskraftfähigkeit des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO nicht gesichert, da dieser unanfechtbar ist. Diese Ansicht dürfte jedoch zu weit gehen, da dann auch der Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO in materielle Rechtskraft erwachsen könnte, was aus guten Gründen verneint wird.217 Ebenso prozessleitende Beschlüsse, bei denen nicht immer ein der materiellen Rechtskraft zugänglicher Entscheidungsinhalt gegeben wäre.218 d) Übertragbarkeit auf den Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO und Auswirkungen auf die Rechtsnatur des Vergleichs Zwingende Einwände gegen eine materielle Rechtskraftfähigkeit des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO gehen aus den wiedergegebenen Ansichten nicht hervor. Sowohl die formelle Rechtskraft als auch die Innenbindung des Beschlusses können angenommen werden. Aufgrund des gesteigerten Bestandsinteresses und eines rechtskraftfähigen Inhalts könnte außerdem die materielle Rechtskraft vorliegen.219
214 Siehe nur: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 152, Rn. 2. Siehe aber: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 16, zur Parteivorstellung einer nur „materiellen Neuordnung ihrer Rechtsbeziehungen“. 215 Vgl. zur Kritik: Fraga Novelle, Wirkungen der Beschlüsse, S. 79 f. Siehe auch: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 89 f. 216 Schindler, Rechtskraft und Innenbindung von Beschlüssen, S. 177, 189, 211, 287 f. Ähnlich bereits: Schmidt, Gegenvorstellung, S. 68 f. 217 Siehe die obigen Ausführungen sowie: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 15 f. 218 Vgl. zu dieser Kritik bereits: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 87. 219 Siehe auch: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 57: Infolge des Beschlusses kann die Unwirksamkeit nicht mehr gerügt werden; siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 60.
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Allerdings trifft der Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO nur eine Feststellung über die Erreichung des Quorums.220 Somit verbietet es sich genau genommen vom Vorliegen einer streitbeendenden Entscheidung auszugehen,221 zumindest liegt keine sachliche Entscheidung eines kontradiktorischen Parteienstreits vor.222 Die Erreichung des Quorums betrifft nur das verfahrensmäßige Zustandekommen des Vergleichs. Der Beschluss nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO enthält keinerlei Entscheidung in Bezug auf den Vergleichsinhalt. Entscheidungsgegenstand ist nur die Feststellung des Quorums, der Vergleichstext steht bereits durch die Angemessenheitsprüfung fest und wird lediglich wiedergegeben.223 Die Wiedergabe des Vergleichsinhalts geht insoweit aber nicht weiter als die Regelung zum Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO, bei welchem eine materielle Rechtskraft nicht eintritt.224 Wobei dies noch kein zwingendes Argument sein kann, da dem Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO nur deklaratorische Bedeutung über den bereits erfolgten Vergleichsabschluss zukommt.225 Allerdings dürfte sowohl im Rahmen des § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO als auch im Rahmen des § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO die Wiedergabe des Inhalts vor allem der Rechtsklarheit dienen.226 Schließlich wurden die Anmelder bereits durch die Zustellung (§ 611 Abs. 4 S. 1 ZPO) über den Vergleichsinhalt informiert.227 Außerdem belegt § 322 Abs. 1 ZPO, dass gerade nicht der gesamte Inhalt einer Entscheidung in Rechtskraft erwachsen muss, was bei Annahme einer Rechtskraft des Vergleichs eine quantitative Erweiterung erführe.228 Zwar ist es zutreffend, dass der Vergleich im Rahmen des § 611 ZPO einer gerichtlichen Angemessenheitsprüfung unterliegt und damit eine gerichtliche Entscheidung ergeht, auf welche die materielle Rechtskraft folgen könnte. Zudem stellt dieser Vergleich auch einen Teil des Beschlussinhaltes nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO dar.229 Dennoch wird der Vergleichsinhalt nicht im Rahmen des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO, sondern nach § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO 220
Vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 25. Vgl. Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 329, Rn. 50. 222 Vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Vor § 322, Rn. 8. 223 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 58; Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 25. 224 Vgl. dazu: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 15: Auch nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO sind Vergleiche im Protokoll „festzustellen“. 225 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 101. Siehe auch: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 6. Siehe auch: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 27. 226 Vgl. Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 278, Rn. 102. 227 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 52 f.; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 45. 228 Vgl. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (39). 229 So die Argumentation von: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4. 221
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überprüft. Bereits zu diesem Zeitpunkt steht der Vergleichsinhalt fest und das Gericht ist an diesen gebunden;230 der zeitlich spätere Beschluss nimmt diesen Inhalt nur in sich auf. Die Genehmigung selbst ist nach der Gesetzeskonzeption nur eine Voraussetzung für die Einleitung des Zustimmungsverfahrens.231 Außerdem beruht der Vergleichsinhalt weitgehend auf einer Einigung der Parteien. Es fehlt somit an einem für die Rechtskraft üblichen streitigen prozessualen Anspruch (Streitgegenstand) zwischen den Parteien, welcher in Rechtskraft erwachsen könnte.232 Für die Beantwortung der Frage nach der Rechtskraftfähigkeit des Vergleichs – als Teil des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO – sollte sich der Zweck der materiellen Rechtskraft vergegenwärtigt werden. Diese soll den kontradiktorischen Parteienstreit hinsichtlich des Streitgegenstandes einer dauerhaften und abschließenden Befriedung zuführen.233 Dieser Charakter fehlt jedoch einem Verfahren, welches auf dem Konsens der Parteien und durch den Opt-out auch auf den der Anmelder setzt.234 Entsprechend weist auch der BGH für das Verfahren der Prozesskostenhilfe auf den fehlenden Charakter eines streitigen Verfahrens hin.235 Die Ordnung eines zwischen den Parteien streitigen Rechtsverhältnisses236 ist nicht mehr notwendig, wenn bereits eine Einigung stattgefunden hat. Darin liegt auch der Unterschied zu Anerkenntnis- und Verzichtsurteil,237 da diesen kein Konsens der Beteiligten zugrunde liegen muss. Diese Überlegung gilt sinngemäß auch für die Genehmigung nach § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO, sofern hier nicht ein streitiger Interessengegensatz zwischen den Parteien und den Anmeldern angenommen werden soll, welcher einem kontradiktorischen 230 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 19 zur Bindung an § 611 Abs. 3 S. 3 ZPO. Siehe auch: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 33, wonach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO nur noch das Quorum anfügt. 231 Es handelt sich um zwei Schritte: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 33. 232 Vgl. Saenger, in: Hk-ZPO, § 322, Rn. 22 f. Eine Entscheidung „nur“ über prozessuale Fragen steht dem nicht entgegen: Werner, Rechtskraft und Innenbindung zivilprozessualer Beschlüsse, S. 94. 233 BGH, Beschluss vom 03.03.2004, Az. IV ZB 43/03, NJW 2004, 1805 (1806); siehe auch: BGH, Urteil vom 18.01.1985, Az. V ZR 233/83, BGHZ 93, 287 (289); BGH, Beschluss vom 16.06.1993, Az. I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 (34); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 329, Rn. 17; vgl. auch: Baumgärtel, MDR 1968, 970 (971 f.). Siehe auch: Schmidt, Gegenvorstellung, S. 92 m.w. N.: „urteilsähnliche Funktion“, der er allerdings kritisch gegenübersteht. 234 Vgl. zu diesem Unterschied: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 113 f. 235 BGH, Beschluss vom 03.03.2004, Az. IV ZB 43/03, NJW 2004, 1805 (1806). Zur Rechtskraft im Prozesskostenhilfeverfahren: Kratz, in: BeckOKZPO, § 127, Rn. 10 f. 236 Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 29; vgl. auch: Baumgärtel, MDR 1968, 970 (971 f.). Kritisch: Schmidt, Gegenvorstellung, S. 93. 237 Der Antrag des § 306 ZPO kann nicht mit einem Konsens gleichgesetzt werden und ist auf den Streitgegenstand beschränkt: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 113.
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Verfahren vergleichbar wäre.238 Davon wird allerdings kaum in dieser Deutlichkeit ausgegangen werden können. Es muss daher dabeibleiben, dass ein Vergleich, da er nicht auf einer gerichtlichen Entscheidung, sondern einer Einigung der Parteien beruht, keine materielle Rechtskraft besitzt.239 Außerdem lässt sich keine gesetzgeberische Intention zugunsten der materiellen Rechtskraftfähigkeit erkennen.240 Eine solche ist für den Vergleich in der ZPO241 bislang nicht anerkannt, bei einer solche Neuerung hätte es daher zumindest eines gesetzgeberischen Hinweises bedurft.242 Im Gegenteil, während das Gesetz die Rechtskraft des Musterfeststellungsurteils erwähnt (vgl. § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO), fehlt dies für den Beschluss und den in diesem enthaltenen Vergleich nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO. Sowohl dieser Beschluss als auch das Musterfeststellungsurteil sind im Klageregister bekanntzumachen.243 Aber nur für das Musterfeststellungsurteil ist der Eintritt der Rechtskraft bekannt zu machen (§ 612 Abs. 2 S. 2 ZPO).244 Hingegen statuiert § 611 Abs. 5 S. 3 und 4 ZPO nur die Bekanntmachung des Beschlusses und die Bindung an den Vergleich. Dem Gesetz liegt somit eine Unterscheidung zwischen dem rechtskraftfähigen Urteil und dem Vergleich zugrunde. Gegen die Annahme einer materiellen Rechtskraft des Vergleichs spricht außerdem ein Konflikt mit der prozessualen Rechtskrafttheorie. Nach dieser hat die Rechtskraft keinen ändernden Einfluss auf das materielle Recht, sondern beinhaltet nur eine Entscheidung über dieses.245 Die Rechtskraftfähigkeit eines Beschlusses, welcher den Inhalt eines Vergleichs mit (auch) materiellen Wirkungen wiedergibt, würde aber eine rechtskräftige Entscheidung über die im Vergleich enthaltene Änderung der materiellen Rechtslage enthalten. Zwar würde die Änderung der materiellen Rechtslage auf dem Vergleich beruhen und nicht auf der Entscheidung, aber die Wirkungen würden erst mit dem Beschluss nach § 611
238 Zum fehlenden kontradiktorischen Verfahren: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 10. Siehe auch: Magnus, NJW 2019, 3177 (3179), welcher eine Annäherung an ein streitiges Urteil annimmt. 239 Vgl. Gruber, in: BeckOKZPO, § 322, Rn. 7; BGH, Urteil vom 22.12.1982, V ZR 89/80, BGHZ 86, 184 (186). Allg. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 112 f. 240 BT-Drs. 19/2507, S. 16, 27 spricht bei Urteil und Vergleich nur von „Bindungswirkung“ ggü. Anmeldern. Zur Bindungswirkung beim Musterfeststellungsurteil siehe die Ausführungen unter Kap. 5 A. III. 2. 241 Siehe zu Unterschieden europäischer und US-amerikanischer Rechtsordnungen: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 3. 242 Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). 243 BT-Drs. 19/2507, S. 27. 244 BT-Drs. 19/2507, S. 27. 245 Vgl. nur Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 18. Siehe auch: Saenger, in: Hk-ZPO, § 322, Rn. 10, eine Ausnahme hiervon sind Gestaltungsurteile.
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Abs. 5 S. 2 ZPO eintreten, womit dieser zumindest in seinen Wirkungen der materiellen Rechtskrafttheorie gleichstünde.246 Der konstitutive Beschluss über die Erfüllung des Quorums nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO247 ist somit Wirksamkeitsvoraussetzung des Vergleichs,248 definiert aber nicht zugleich dessen Wirkungen. Der Vergleich erwächst nicht in materielle Rechtskraft.249 2. Einordnung der gesteigerten Bindungswirkung des Vergleichs Auch wenn daher nicht von einer materiellen Rechtskraft im Hinblick auf den Vergleich auszugehen ist, bedarf es doch einer entsprechenden Berücksichtigung, dass aus dem Zusammenspiel zwischen der gerichtlichen Angemessenheitsprüfung nach § 611 Abs. 3 S. 1, 3 ZPO und dem Beschluss samt Bindungswirkung gegenüber den nicht ausgetretenen Anmeldern nach § 611 Abs. 5 S. 2 i.V. m. S. 4 ZPO eine Annäherung der Bestandskraft des Vergleichs an die materielle Rechtskraft stattgefunden hat.250 Außerdem deutet schon der Wortlaut des § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO auf eine besondere Bindungswirkung hin.251 Durch die gerichtliche Angemessenheitsprüfung kommt dem Vergleich eine gesteigerte Richtigkeitsgewähr und Verbindlichkeit zu. Daneben bedarf es, zur Vermeidung erheblicher Rechtsunsicherheit infolge der personalen Breitenwirkung des Massenverfahrens sowie der Vervielfachung von Unwirksamkeitsgründen durch die Parteirollenverschiebung, einer gesteigerten Bestandskraft.252 In diesem Zusammenhang sei an die obigen Theorien zur Rechtskraftfähigkeit von Beschlüssen erinnert, mit denen unter diesen Gesichtspunkten Schnittstellen festgestellt werden konnten.253
246 Zur materiellen Rechtskrafttheorie: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 21. Siehe auch: Althammer, JZ 2019, 286 (290) zur fehlenden Vergleichbarkeit von Vergleichswirkung und Rechtskraft. 247 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 68; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 60. 248 Wie bei § 23 Abs. 1 S. 2 KapMuG wird Rechtssicherheit geschaffen, dazu: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 6. 249 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (39); Kähler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 611 ZPO, Rn. 178. Siehe auch: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 86 f., der sich nicht auf eine Rechtskraftwirkung festlegt. 250 Auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 4 stellt zur Begründung der Bindungswirkung auf das Zusammenspiel der Normen ab. 251 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. 252 Siehe auch: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 86 f., wonach ein genehmigter Vergleich nicht in einem Folgeprozess inzident verworfen werden können soll. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 113 zur Endgültigkeit (Rechtssicherheit und -frieden) der Entscheidung. 253 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 4 B. II. 1. c).
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Der Gesetzgeber hat sich bei der Ausgestaltung an die Regelungen des KapMuG angelehnt.254 In beiden Fällen prüft das Gericht die Angemessenheit des Vergleichs und muss diesen genehmigen (§§ 17 Abs. 1 S. 3, 18 Abs. 1 KapMuG).255 Anschließend haben die Beigeladenen des KapMuG die Möglichkeit zum Austritt aus dem Vergleich (§ 19 Abs. 2 S. 1 KapMuG),256 dessen Wirksamkeit nur eintritt, wenn weniger als 30 Prozent der Beigeladenen austreten (§ 17 Abs. 1 S. 4 KapMuG).257 Die Wirksamkeit des Vergleichs wird vom Gericht durch unanfechtbaren Beschluss festgestellt (§ 23 Abs. 1 S. 1 KapMuG) und wirkt nach der Bekanntmachung für und gegen alle nicht ausgetretenen Beteiligten (§ 23 Abs. 1 S. 4 KapMuG).258 Aufgrund der Parallelität bietet es sich daher an, die Bindungswirkung beim Vergleich nach § 611 ZPO ähnlich zu beurteilen. Daher sollten auch im Rahmen des Musterverfahrensvergleichs prozessuale Mängel und solche, die das Zustandekommen des Vergleichsschlusses betreffen, nicht mehr die Wirksamkeit des Vergleichs beeinträchtigen.259 Mit der Bekanntmachung des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO tritt die prozessuale und materielle Bindungswirkung im Verhältnis zu den nicht ausgetretenen Anmeldern ein,260 folglich entfaltet der Vergleich dann auch seine materiell-rechtlichen Wirkungen für die Rechtsbeziehungen zwischen Anmelder und Beklagtem.261 Dem Vergleich kommt somit zwar keine materielle Rechtskraft zu, dennoch besteht eine der Rechtskraft vergleichbare Unanfechtbarkeit und Maßgeblichkeit262 des durch Beschluss festgestellten Zustandekommens eines Vergleichs und seines Inhalts.263 Somit bietet es sich an, von einer „kollektiven Bindungswir-
254 Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 23; Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 32, 48. 255 Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 33; ausführlich zur Genehmigung: ebenda, § 18 KapMuG, Rn. 3 ff. 256 Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 19, Rn. 1, 4. 257 Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 17, Rn. 16. Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 23. 258 Wigand, in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, § 23, Rn. 1. 259 Vgl. zum KapMuG: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 10 ff. 260 Vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 83; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92). 261 Vgl. zum KapMuG: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 23, Rn. 16. Siehe zu Konstellationen im Folgeverfahren: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 47 ff. 262 Zur formellen und materiellen Rechtskraft: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 1. 263 Auf die Ähnlichkeit, aber nicht Identität von Urteil und Vergleich weist auch: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 26 f. hin, siehe insb. Fn. 1162. Die vorgeschlagene Lösung kommt der Forderung nach einer Bindungswirkung bei Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 86 f. nahe.
C. Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht
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kung“ 264 des Vergleichs zu sprechen. § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO führt daher zur Anordnung einer gesteigerten Bindungswirkung, die über die üblichen prozessualen und materiellen Wirkungen eines Vergleichs hinausgeht.265
III. Ergebnis zur Rechtsnatur des Vergleichs Der Vergleich hat sowohl prozessuale als auch materiell-rechtliche Wirkungen. Als Folge der Parteirollenverschiebung dürfte es zur Trennung der Wirkungssphären und der Steigerung der Rechts- und Bestandssicherheit vorzugswürdig sein, von einem Doppeltatbestand auszugehen. Zwar erwächst der Vergleich nicht in materielle Rechtskraft, ihm kommt jedoch durch die Regelung des § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO eine gesteigerte Bindungswirkung zu. Durch diese kann dem gesteigerten Bestandsinteresse im Rahmen eines Massenverfahrens, dessen Fehleranfälligkeit durch die Zwischenschaltung eines rechtfremden Dritten und durch eine erhebliche personale Breitenwirkung potenziert wird, Rechnung getragen werden.
C. Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht beim Musterverfahrensvergleich Anders als beim Vergleichsschluss im Zivilprozess üblich, fordert § 611 Abs. 3 ZPO eine gerichtliche Angemessenheitsprüfung, deren Erforderlichkeit aus der fehlenden Beteiligung der Anmelder abgeleitet werden kann.266 Somit ist die Angemessenheitsprüfung auch eine Konsequenz der Parteirollenverschiebung und bedarf in diesem Zusammenhang einer Erörterung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen den Parteien und dem Gericht. Denn das Gericht erhält durch die Angemessenheitsprüfung eine zusätzliche „Aufgabenzuweisung“ 267 im Interesse der Anmelder. Dementsprechend reicht schon die Genehmigungsprüfung nach § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO deutlich weiter als die im Rahmen des
264 Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 17. Vgl. zur Bindungswirkung auch: BT-Drs. 19/2507, S. 16. 265 Eines materiell-rechtlichen Mechanismus (Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 87) bedarf es daher nicht. Vgl. zur Bindung i. S. d. § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO aufgrund des Vergleichs, nicht aber des Beschlusses: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (38 f.). Der VDuG-E setzt sich mit dem Erfordernis einer gesteigerten Bestandskraft – mit Ausnahme eines kurzen Hinweises auf die Bindungswirkung infolge Nichtaustritts (§ 10 Abs. 2 S. 1 VDuG-E, VRUG-E, S. 83) – nicht auseinander. Allein aus dem Wort Bindungswirkung dürfte mangels weiterer Anhaltspunkte keine gesteigerte Bindung ableitbar sein. 266 Kähler, ZIP 2020, 293 (293); Magnus, NJW 2019, 3177 (3179); Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 33, 36 f. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 34: Besondere Berücksichtigung der Anmelderinteressen. 267 Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 81.
400
Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
§ 278 Abs. 6 S. 2 ZPO erforderliche Prüfung.268 Die Verantwortung des Gerichts für den Vergleichsinhalt wird zulasten der Gestaltungsfreiheit der Parteien gesteigert.269 Die Parteien stehen sich nicht, wie im kontradiktorischen Verfahren sonst üblich, gegenüber und erbitten eine gerichtliche Klärung, sondern haben eine Einigung getroffen, die nun „gegenüber“ dem Gericht Bestand haben muss.270
I. Einfluss des Gerichts auf den Vergleichsinhalt Die Disposition über den Vergleichsinhalt – vorbehaltlich der gerichtlichen Genehmigung und der Zustimmung der Anmelder – liegt im Ausgangspunkt ausschließlich bei den Parteien,271 eine Einwirkung des Gerichts auf den Inhalt ist nicht unmittelbar vorgesehen. Insbesondere sind weder Teilgenehmigungen noch eine Verweigerung nur einzelner Bestimmungen möglich,272 wodurch das Gericht direkt Einfluss auf den Inhalt nehmen könnte.273 Eine Begrenzung der Dispositionsfreiheit der Parteien folgt jedoch aus der Angemessenheitsprüfung und dem erforderlichen Zustimmungsquorum,274 wobei das Gericht durch die ihm obliegende Verfahrensleitung und das von den Parteien zu antizipierende Genehmigungserfordernis zumindest mittelbar Einfluss auf den Inhalt erlangt.275 Das Gericht wird im Rahmen der Vergleichsverhandlungen bei einer Vermittlung zwischen den Parteipositionen und auch bei eigenen Vergleichsinitiativen immer die eigene Genehmigungsverantwortung bedenken müssen. Es ist nicht möglich, nur die Interessen der Parteien in einen Ausgleich zu bringen, sondern der Genehmigungsvorbehalt und damit die Angemessenheit müssen durchgängig antizipiert werden. Eintreten dürfte damit eine wahrscheinliche Folgewirkung auf das richterliche Selbstverständnis im Vergleichsverfahren, welches nicht mit dem eines 268
Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 23. Vgl. auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 49 und Thiery/Schlingmann, DB 2018, 2550 (2554) in Bezug auf die Kontrollfunktion des Gerichts. Siehe auch: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 54; Scholl, ZfPW 2019, 317 (349). 270 Vgl. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 10; Kähler, ZIP 2020, 293 (293); siehe aber: Kähler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 611 ZPO, Rn. 98: weitgehende Parteiherrschaft, das Gericht habe keinen Beurteilungsspielraum. 271 Dies betont Berger, ZZP 133 (2020), 3 (37), der von einer „Einschätzungsprärogative der Parteien“ ausgeht. 272 Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 21. 273 Vgl. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 82. 274 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 214; Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 54, 56. Dies sind zugleich die Instrumente zum Anmelderschutz, vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 33; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611, Rn. 1; ausführlich zur Angemessenheitsprüfung: Kähler, in: Asmus/Waßmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 611 ZPO, Rn. 98 ff. 275 Vgl. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 82 f. 269
C. Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht
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vollständig neutralen Dritten vergleichbar sein kann.276 Durch die materielle Prozessleitungsbefugnis (§ 139 Abs. 1 ZPO) kann das Gericht somit auf den Vergleichsinhalt Einfluss gewinnen.277 Denn sofern das Gericht im Rahmen der Vergleichsverhandlungen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Angemessenheitsprüfung identifiziert, liegt es nahe, diese den Parteien mitzuteilen,278 womit eine Berücksichtigung durch die Parteien wahrscheinlich wäre. Damit sind Folgewirkungen auf den Inhalt erwartbar, wodurch das Gericht durch Hinweise auf vorzunehmende Änderungen, unter welchen eine Genehmigung möglich wäre, Einfluss auf den Inhalt nehmen kann.279 Auch dürfte dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag, da für diesen vielfach die Angemessenheit aus Sicht des Gerichts gegeben sein wird,280 eine gesteigerte Bedeutung zukommen.281 Außerdem dürften die Parteien auch bei eigenen Vergleichsinitiativen die gerichtliche Haltung antizipierend berücksichtigen. Die Ausrichtung des Vergleichsinhalts an der gerichtlichen Angemessenheitsprüfung bedeutet daher zumindest eine graduelle, bisweilen aber auch signifikante Stärkung des gerichtlichen Einflusses auf den Vergleichsinhalt zulasten der Parteiautonomie. In diesem Zusammenhang nicht übersehen werden sollte außerdem die Annahme einer Notwendigkeit des Vergleichsschlusses zur Bewältigung von Massenverfahren, welche den häufig beklagten richterlichen Vergleichsdruck282 verstärken könnte.
II. Ausweitung gerichtlicher Sachverhaltsermittlungsbefugnisse Speziell für einen von den Parteien ausgehenden Vergleichsvorschlag stellt sich die Frage, inwiefern dem Gericht Möglichkeiten zur Erlangung einer Beurteilungsgrundlage hinsichtlich der Angemessenheit im Sinne des § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO zur Verfügung stehen. Dies würde zu einer Stärkung der gerichtlichen Ermittlungskompetenz führen und wäre hier wegen der Rückwirkungen auf die Verhandlungsmaxime relevant.283
276
Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 24. Vgl. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 84, 337 f. Siehe auch: Stürner, Liberalismus und der Zivilprozess, in Festschrift Frisch, S. 187 (194): Einflussnahme durch Andeutungen zur eigenen Position. 278 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 23, 26; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8a.2 m.w. N. Siehe auch: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 331. 279 Ausführlich: Menges, in: MüKoZPO, § 611, Rn. 21. 280 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 7, Rn. 35; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 174. 281 „Aufgabe des Gerichts“: Mekat, in: Musterfeststellungklage, § 7, Rn. 74. 282 Siehe nur: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 116 m.w. N. 283 Siehe hierzu u. a. die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 2. a). 277
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Die teilweise befürwortete Möglichkeit, die Anmelder anzuhören,284 ist im Gesetz jedoch nicht vorgesehen und dürfte – unter Berücksichtigung der nicht in die §§ 606 ff. ZPO übernommenen Regelung des § 17 Abs. 1 S. 2 KapMuG und der fehlenden Möglichkeit einer Zeugenbenennung durch das Gericht in der ZPO285 – auch nicht auf gerichtliche Initiative hin zulässig sein.286 Insoweit führt das Gesetz nicht zu einer expliziten Stärkung der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung, da keinerlei zusätzliche Ermittlungsmöglichkeiten normiert wurden.287 Allerdings stehen die Parteien dem Gericht hier nicht mehr als streitende Parteien gegenüber, sodass der dem Verhandlungsgrundsatz zugrunde liegende Gedanke einer parteilichen Beibringung als Ausfluss der eigenen Interessenverfolgung für den weiteren Erkenntnisgewinn über die Angemessenheit des Vergleichs ein abgeschwächtes Gewicht haben dürfte.288 Dennoch wird teilweise angenommen, einer weiteren gerichtlichen Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung stünde die im Vergleich zu § 91a ZPO fehlende Wendung eines billigen Ermessens entgegen.289 Dies übersieht aber, dass durch die Angemessenheitsprüfung im Interesse der Anmelder eine gerichtliche Überprüfung vorgesehen wird, die mit der parteiautonomen Erledigungserklärung insoweit nicht vergleichbar ist, weil sie die Dispositionsbefugnis gerade einschränkt. Auch muss die Angemessenheit zwar im Hinblick auf den bisherigen Sach- und Streitstand gegeben sein, die Prüfung der Angemessenheit bezieht sich aber nicht nur auf den Sach- und Streitstand.290 Zur Informationsgewinnung kann das Gericht daher den Parteien Fragen stellen und sie zur Erklärung über Tatsachen und zu deren Vervollständigung auffordern (§ 139 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO), sowie die gerichtlichen Befugnisse der §§ 141 ff. ZPO nutzen.291 Dadurch kann es zu einer prozessualen Situation kommen, in der das Gericht seine Befugnisse im Interesse der Angemessenheitsprüfung für die außenstehenden Anmelder ausschöpfen muss, weil die Parteien sich situativ nicht in einer kontradiktorischen Verfahrensstellung befinden und daher die Gewährleistung der Sachverhaltsbeibringung durch die Parteien im Wege des Verhandlungsgrundsatzes nicht ausreichend ist. Die Einführung einer Dar-
284 Für eine Anhörung der Anmelder: Kähler, ZIP 2020, 293 (298) allerdings ohne gesetzliche Grundlage. So auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 10. 285 Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). 286 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 10; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 4. 287 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 10; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8c; Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). 288 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 11. 289 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 611, Rn. 26. 290 Auf den Aspekt der weiteren Aufklärung zur Klärung speziell der Angemessenheit hebt auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 11 ab. Restriktiver wohl: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (37). 291 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611, Rn. 11; Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). Zur Anwendung der §§ 141, 144 ZPO auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611, Rn. 4.
C. Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht
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legungs- und Begründungspflicht der Angemessenheit durch die Parteien wäre zwar sinnvoll,292 findet aber im Gesetz keine Stütze. Außerdem dürfte dies zwar helfen, wenn die Parteien auskunftsbereit sind. Im Falle weitergehender Ermittlung, gerade in Ermangelung eines ausreichenden Parteivortrags,293 bewirkt dies für die Angemessenheitsprüfung jedoch keine wesentliche Verbesserung. Sofern die Parteien dies nicht im Interesse eines Zustandekommens der gütlichen Einigung ohnehin tun, muss das Gericht seine gesetzlichen Befugnisse umfassend nutzen, was die Bedeutung der gerichtlichen Befugnisse für die Überprüfung der Angemessenheit verdeutlicht. Gleichzeitig wird hierdurch infolge der Angemessenheitsprüfung als Konsequenz der Parteirollenverschiebung die gerichtliche Stellung gestärkt und das bereits thematisierte294 Spannungsverhältnis der gerichtlichen Befugnisse (§§ 139, 141 ff. ZPO) zum Verhandlungsgrundsatz erneut aktuell.295
III. Ergebnis zum Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht Durch die Einführung eines Instruments des kollektiven Rechtsschutzes wurde folglich im Bereich des Vergleichsschlusses die Richterstellung gegenüber den Parteien gestärkt. Da die Angemessenheitsprüfung speziell auch dem Schutz der Anmelder als verfahrensrechtlich Drittem dient, ist dies zugleich ein konkreter Ausfluss der Parteirollenverschiebung. Die besonders rechtsvergleichend häufig betonte Bedeutung einvernehmlicher Konfliktlösung im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes,296 hat somit einen Bereich gestärkter Richtermacht zur Folge.297 Diese Erkenntnis wurde bereits für das Güteverfahren hervorgehoben.298 Allerdings folgt die Stärke der richterlichen Stellung hier nicht aus der verfahrensrechtlich freieren Stellung des Güterichters gegenüber dem zur Entscheidung be-
292
So die Ansicht von: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 8b f. Z. B. bei versteckten Interessenkonflikten. Siehe zur Situation fehlender gerichtlicher Sachverhaltskenntnisse allg.: Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 330 f. 294 Siehe hierzu u. a. die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 2. a). 295 Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 338 kritisiert die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes und schlägt eine Anlehnung an die Amtsprüfung des § 56 Abs. 1 ZPO vor. De lege lata gibt es hierfür keine Grundlage, sie ist auch nicht geboten, da dem Gericht mit der (Androhung der) Genehmigungsversagung eine Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung steht. 296 Siehe nur: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 611, Rn. 1. 297 Eichholtz, Class Action, S. 157 f. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 332 ff., zur Richterstellung bei der class action, verallgemeinernd: ebenda, S. 337; siehe auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 224 für das Modell einer Gruppenklage. 298 Ausführlich: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 188 ff. 293
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
rufenen Richter,299 sondern aus der antizipativ zu berücksichtigenden gerichtlichen Angemessenheitsprüfung beim Vergleichsschluss und der folglich damit einhergehenden nicht unerheblichen Einschränkung der Partei- bzw. Privatautonomie. In diesem Sinne dürfte hierin auch eine mittelbare Konsequenz der bereits thematisierten Materialisierung zu sehen sein.300
D. Umsetzung der Richtlinienvorgaben zum Vergleich Abschließend soll noch ein Blick auf die Umsetzung der Abhilfeklage geworfen werden. Art. 11 RL sieht die Möglichkeit von Abhilfevergleichen vor, welche die Richtlinie bewusst fördern möchte.301 Da der Anpassungsbedarf im Zuge der Umsetzung nicht allzu gravierend ausfallen dürfte, können sich die Ausführungen hierzu auf einige zentrale Aspekte beschränken. Damit ein Vergleich vom Gericht bestätigt werden kann, können entweder die Parteien, also die qualifizierte Einrichtung und der Unternehmer, dem Gericht einen Vergleich über die Abhilfe zugunsten der Verbraucher unterbreiten (Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL), oder das Gericht kann die Parteien auffordern, einen Vergleich binnen angemessener Frist zu vereinbaren (Art. 11 Abs. 1 lit. b) RL).302 Aufgrund des Wortlauts („auffordern“) dürfte die gerichtliche Aktivität in ihrer Vehemenz gegenüber § 278 Abs. 1 ZPO gesteigert sein.303 Ein Vergleich kann gleichwohl nicht erzwungen werden.304 Von der Richtlinie vorgegeben ist außerdem die gerichtliche Prüfung des Vergleichs (Art. 11 Abs. 2 S. 1 RL). Der Vergleich bedarf demnach einer Prüfung, wenn er im Widerspruch zu zwingendem nationalen Recht305 steht oder nicht vollstreckbare Bedingungen enthält. Hierbei müssen die Interessen der Parteien und der betroffenen Verbraucher berücksichtigt werden (Art. 11 Abs. 2 S. 2 RL).306 Weitergehend können die Mitgliedstaaten auch eine Überprüfung der Fairness des Vergleichs mit einer korrespon299 Dazu: Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 190 f.; zur Rechtsstellung des Güterichters: Prütting, in: MüKoZPO, § 278, Rn. 33 ff. Allg. zur Richterstellung bei Vergleichsvermittlung: Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 116. 300 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 1. a). 301 ErwGr. 53 RL; Lühmann, ZIP 2021, 824 (835). 302 Jetzinger, wbl 2021, 197 (202) geht davon, dass es sich um Alternativen handelt. Der Wortlaut („Folgendes gegeben ist“) spricht aber dagegen. 303 Zu § 278 Abs. 1 ZPO: Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 131, Rn. 21. Vgl. auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50); Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 611, Rn. 1.2. 304 Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (835); Domej, ZEuP 2019, 446 (450). 305 Kritisch hierzu: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50), dem zuzustimmen ist, da das zwingende Recht hier eine Verhandlungslösung erschweren würde und auch keine Situation struktureller Unterlegenheit vorliegt. 306 ErwGr. 55 RL; Gsell, BKR 2021, 521 (526).
D. Umsetzung der Richtlinienvorgaben zum Vergleich
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dierenden Versagungsmöglichkeit vorsehen (Art. 11 Abs. 2 S. 3 RL).307 Die Fairnessprüfung dürfte sich hierbei primär auf die Interessen der betroffenen Verbraucher beziehen308 und eine Ausgestaltung vergleichbar mit § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO intendieren.309 Wird die gerichtliche Bestätigung versagt, ist das Abhilfeverfahren fortzusetzen (Art. 11 Abs. 3 RL). Fraglich ist an dieser Stelle, ob der deutsche Umsetzungsgesetzgeber eine Fairnessprüfung, also ein Verfahren vergleichbar mit § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO für Abhilfevergleiche einführen sollte. Da die Gefahren von Interessenkonflikten, einer fehlenden Berücksichtigung bestimmter Verbrauchergruppen oder Folgen mangelhaften Vergleichsmanagements auch bei einem Abhilfevergleich eintreten können, ist dies positiv zu beantworten.310 Um das Gericht in die Lage zu versetzen eine umfassende Angemessenheitsprüfung durchzuführen, könnte die oben angedeutete Kritik aufgegriffen und eine begrenzte Möglichkeit zur Verbraucheranhörung eingeführt werden.311 Diese ließe sich in die im dritten Kapitel skizzierte Anmelderstellung integrieren.312 Verbesserte Voraussetzungen für die Erzielung sachgerechter Vergleichsergebnisse könnten durch die Bildung von Untergruppen geschaffen werden.313 Ein gerichtlich bestätigter Vergleich ist für die Parteien und betroffenen Verbraucher bindend (Art. 11 Abs. 4 RL). Allerdings können die Mitgliedstaaten den betroffenen Verbrauchern die Möglichkeit geben, den Vergleich anzunehmen oder abzulehnen (Art. 11 Abs. 4 UAbs. 1 RL).314 Um einen Ausgleich für eine fehlende Beteiligung der Verbraucher am Verfahren zu schaffen und den Eingriff in deren Dispositionsbefugnis zu reduzieren, sollte von dieser Option Gebrauch gemacht werden.315 Zwar äußert sich die RL nicht zur Einführung eines Zustimmungsquorums, dennoch dürfte der offene Wortlaut ein solches nicht ausschließen. Dies wäre zur Absicherung der Breitenwirkung des Vergleichs und einer zumindest ausreichenden Kongruenz des Vergleichsinhalts mit den Interessen eines repräsentativen Verbraucheranteils zu begrüßen.316 Die Regelung des § 611 307
ErwGr. 56 RL; Gsell, BKR 2021, 521 (526). So auch: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (78). 309 Vgl. Lühmann, ZIP 2021, 824 (835). 310 So auch: Augenhofer, NJW 2021, 113 (117); Chaprehari/Saam/Wendt, Kollektiver Rechtsschutz, S. 22. 311 Dazu: Jetzinger, wbl 2021, 197 (203). Zurückhaltend: Bruns, Rechtsgutachten, S. 67. 312 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 5. und 6. 313 Siehe hierzu insb. die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 2. 314 ErwGr. 57 RL. Beachte außerdem die Unterrichtungspflichten über Vergleiche nach Art. 13 Abs. 3 RL, dazu auch: Jetzinger, wbl 2021, 197 (202). 315 Augenhofer, NJW 2021, 113 (117). Abwägend: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (78). A. A. Bruns, Rechtsgutachten, S. 66. 316 Augenhofer, NJW 2021, 113 (117). Kritisch: Jetzinger, wbl 2021, 197 (204), für Parteivereinbarung. Für eine parteiautonome Festlegung auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 33 f., offenbleibt, wie ein Quorum bestimmt werden soll, wenn das 308
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Kap. 4: Die konsensuale Verfahrensbeendigung durch Vergleich
Abs. 5 S. 1 ZPO sollte daher übernommen werden. Weitere Ansprüche der Verbraucher, die nicht Gegenstand des Vergleichs waren, sollen vom Vergleich unberührt bleiben (Art. 11 Abs. 5 RL).317 Abhilfevergleiche erfordern allerdings ein leistungsfähiges Register und eine verbesserte Infrastruktur des BfJ,318 um eine zeitnahe Benachrichtigung der Anmelder – entweder über das Register oder vorzugwürdig per Zustellung – zu gewährleisten.319 Die Regelung des § 611 ZPO kann somit – unter dem Vorbehalt verbesserter Registerführung und unter Ergänzung um Vergleiche für einzelne Untergruppen – für den Abhilfevergleich weitgehend beibehalten bzw. ausgedehnt werden.320 Lediglich die Versagungsgründe der Genehmigung bedürfen einer Ergänzung,321 wobei die Einhaltung zwingenden Rechts an dieser Stelle erneut Materialisierungstendenzen impliziert.322 Auch hier bietet ein umfassender personaler Anwendungsbereich eine Möglichkeit die Materialisierung auszugleichen.323 Aufgrund der Ähnlichkeiten bietet sich auch die Übernahme der vorgeschlagenen Dogmatik des Vergleichs an. Für das Verhältnis der Parteien zum Gericht ergibt sich eine gestärkte richterliche Stellung analog zu den obigen Ausführungen. Die Parteistellung im Rahmen des Vergleichsschlusses wird durch die Erschwerung einer Abweichung von zwingendem Recht zusätzlich beschnitten324 und ein weiterer Aspekt der Materialisierung in den Zivilprozess eingeführt.
E. Zusammenfassung Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass sich die Parteirollenverschiebung an vielen Stellen der Musterfeststellungsklage und perspektivisch Opt-in-Verfahren erst nachfolgend stattfindet. Ablehnend: Bruns, WM 2022, 549 (554 f.). 317 Jetzinger, wbl 2021, 197 (202). Dies ist nicht so zu verstehen, als würden die Individualansprüche nicht berührt, Abgeltungsklauseln dürften ebenso zulässig sein („die nicht Gegenstand dieses Vergleichs“), so auch: Lühmann, ZIP 2021, 824 (836); zur Problematik auch: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (246). Kritisch: Domej, ZEuP 2019, 446 (451). 318 Auf die Probleme weist Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51 f.) nachdrücklich hin; ebenso: Röthemeyer, BKR 2021, 191 (195); Prütting, ZIP 2020, 197 (200 f.). 319 Siehe nur zu den praktischen Schwierigkeiten im Verfahren des vzbv gegen VW im Rahmen des „Dieselskandals“: Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (246). Zum Verteilungsverfahren: Langheid, VersR 2020, 789 (792 f.). 320 Siehe dazu §§ 9, 10 VDuG-E. Einen Überblick auf die Regelungen der §§ 9, 10, 17 im RefE bietet: Meller-Hannich, DB 2023, 628 (631 f.), dort insbesondere auch differenzierend nach den Klagezielen. 321 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51); siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (135). 322 Vgl. Kehrberger, Materialisierung, S. 53. 323 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 1. b) und C. 324 Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1151): Der freien Parteidisposition entzogen.
E. Zusammenfassung
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auch bei der Abhilfeklage zeigt bzw. zeigen wird. Dabei geht es zum einen um die mit dem Quorum verbundenen Anforderungen und die Notwendigkeit einer Angemessenheitsprüfung. Dazu gehören aber auch die Auswirkungen auf die Rechtsnatur des Vergleichs und die Folgewirkungen auf das Verhältnis zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht. Diese Konsequenzen potenzieren sich zusätzlich durch die personale Breitenwirkung des kollektiven Rechtsschutzes, da eine größere Verbrauchergruppe u. a. die Bedeutung der Bindungswirkung aber auch die der gerichtlichen Angemessenheitserwägungen intensiviert.325
325 Die beabsichtigte Umsetzung (§§ 9, 10 VDuG-E) lehnt sich inhaltlich deutlich an § 611 Abs. 1, 3, 4 und 6 ZPO an (vgl. auch VRUG-E, S. 83), wobei der Beachtung der Verbraucherinteressen in § 9 Abs. 2 S. 2 nach dem hier Gesagten bereits bislang eine gewisse Geltung beanspruchen kann. Dementsprechend sind die dazu getroffenen Feststellungen auch zukünftig von Relevanz. Soweit jedoch auf die Festlegung eines Quorums verzichtet wird, gefährdet dies die Breitenwirkung des Vergleichs (kritisch auch: BRAK, Stellungnahme, S. 5). Durch den Wegfall des § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO erscheint zudem die Begründbarkeit einer gesteigerten Bindungswirkung zweifelhaft. Der Entwurf (VRUG-E, S. 83) spricht nur von einer Bindungswirkung, ohne dass deren Herleitung oder Gehalt näher bestimmt würde. Demgegenüber wird die Bindungswirkung des Urteils inhaltlich näher bestimmt: VRUG-E, S. 84.
Kapitel 5
Auswirkungen der Verbandsklagen auf den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Bindung an das Urteil Abschließend soll untersucht werden, wie sich die Parteirollenverschiebung im Rahmen der Musterfeststellungsklage auf den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Urteilbindung auswirkt. Im Anschluss daran wird eine mögliche Umsetzung der Abhilfeklage vorgestellt.
A. Betrachtung der Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage Zunächst bedarf es nachfolgend jeweils eines Überblicks über die entsprechenden Regelungen des Musterfeststellungsverfahrens.1 Woraufhin die Ergebnisse im Hinblick auf die Auswirkungen der Parteirollenverschiebungen untersucht werden.
I. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf den Streitgegenstand Den Beginn bildet ein Überblick über den Streitgegenstand bei der Musterfeststellungsklage. 1. Streitgegenstandsbegriff der Musterfeststellungsklage Dem Gesetz und auch der Gesetzesbegründung2 liegt ein zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff zugrunde, was daran deutlich wird, dass die Rechtshängigkeitssperre nach § 610 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 ZPO kumulativ auf den Lebenssachverhalt und die Feststellungsziele zur Bestimmung ihrer Reichweite gegenüber dem Streitgegenstand weiterer Musterfeststellungs- und Individualklagen
1 Für vertiefende Ausführungen wird auf Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 90 ff. (Streitgegenstand), S. 124 ff. (Rechtshängigkeit), S. 172 ff. (Musterfeststellungsurteil) verwiesen. Siehe außerdem: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 59 ff. 2 BT-Drs. 19/2507, S. 21.
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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abstellt.3 Die Annahme, der Lebenssachverhalt gehöre nur dann zum Streitgegenstand, wenn aus diesem die Feststellungsziele unmittelbar ableitbar seien,4 kann nicht überzeugen, da § 610 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO keine Abstufung erkennen lässt. Jedes Feststellungsziel bildet zusammen mit dem Lebenssachverhalt einen eigenen Streitgegenstand.5 a) Feststellungsziele der Musterfeststellungsklage Das in § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO legaldefinierte6 Feststellungsziel bildet den Klageantrag.7 Festgestellt werden können demnach einzelne Tatbestandsmerkmale, aber auch tatsächliche Umstände,8 also auch bloße Tatsachen.9 Die Feststellungsziele können sowohl anspruchsbegründende als auch anspruchsausschließende Tatbestandsmerkmale umfassen.10 Feststellungsfähig sind somit ebenso bloße Vorfragen für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Anspruchsgrundlage und rechtliche oder tatsächliche Voraussetzungen für ein Rechtsverhältnis.11 Daher ist auch die Klärung reiner Rechtsfragen zulässig.12 Ausgenommen sind hiervon 3 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 98; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 15; Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1329); Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 2; wohl auch: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 1 und Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 64. Siehe auch: Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 38; Rohls, in: ebenda, § 3, Rn. 63, 68; § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO wurde auf Anregung des Bundesrates und des Rechtsausschusses entsprechend gefasst, vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 8, 25 und BT-Drs. 19/2701, S. 6, 9 und BT-Drs. 19/2741, S. 13, 25. Zur Sperre von Individualverfahren: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (28). Ausführlich zum Streitstand um den Streitgegenstandsbegriff: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 10 ff. 4 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 4. Für eine Abstufung auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 83 f. 5 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 10. Siehe auch: BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984), dazu: Halfmeier, Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, EWiR 2019, 737 (738). 6 Siehe nur: Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 3. 7 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 100, 110; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 15; siehe auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 45. 8 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 100 f.; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 46, 48; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 22. 9 Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 41; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (14). 10 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 23; siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. 11 BT-Drs. 19/2507, S. 21; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 9; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 16; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 66; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 11; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922); Beckmann/ Waßmuth, WM 2019, 45 (48). 12 BT-Drs. 19/2507, S. 21; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 44; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 17; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 66; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (14 f.); siehe auch: Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 30. Zur Zulässigkeit der Klärung bereits judizierter Rechtsfragen: Röthemeyer, in:
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
solche Rechtsfragen, die nur das Musterfeststellungsverfahren selbst betreffen.13 Nicht feststellungsfähig sind aufgrund des Wortlauts des § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO außerdem erst zukünftig entstehende Rechtsverhältnisse.14 Für die Zulässigkeit eines Feststellungszieles ist erforderlich, dass die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von diesem abhängen.15 Sie müssen daher für das Bestehen oder Nichtbestehen des materiell-rechtlichen 16 Anspruchs oder Rechtsverhältnisses erheblich sein.17 Feststellungsfähig sind jedoch nur solche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die zwischen einem Verbraucher im Sinne des § 29c Abs. 2 ZPO und einem Unternehmer bestehen, wobei der Unternehmerbegriff des § 14 BGB erweiternd auszulegen ist, damit auch außervertragliche Ansprüche oder Rechtsverhältnisse erfasst werden können.18 Gegenstand eines Feststellungszieles können nicht solche Fragen sein, welche einer individuellen Entscheidung bedürfen, also eine Betrachtung des konkreten Einzelfalls erfordern.19 Dies folgt – auch ohne ausdrückliche Normierung – aus dem Charakter als Musterfeststellungsklage.20 Außerdem muss, um die Breitenwirkung des Verfahrens abzusichern, die Betroffenheit von mindestens zehn Verbrauchern, und zwar von jedem einzelnen Feststellungsziel, bereits in der Klageschrift dargelegt (§ 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO)21 und für die Zulässigkeit des Verfahrens darüber hinaus auch glaubhaft gemacht werden (§ 606 Abs. 3 Nr. 2
Hk-MFKG, § 606, Rn. 12. Anders: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 20 lässt aber Anträge gerichtet auf Auslegung von Anspruchsvoraussetzungen zu. 13 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 49. Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 19 schließt verfahrensrechtliche Fragstellungen allgemein aus; dazu auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 17; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (15). 14 Menges, in: MüKoZPO, § 606, Rn. 30; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 11; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 109 f.; BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984). 15 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 17. 16 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 102. 17 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 103; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 15; siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. 18 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 104; vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 12 f.; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606, Rn. 2; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 3; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 14; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 3; BT-Drs. 19/2507, S. 20; anders: Schneider, BB 2018, 1986 (1989). 19 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 16. Siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (15 f.). 20 Siehe nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12; Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 45 ff. Zu § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (49). 21 Siehe nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1983); OLG Braunschweig, Beschluss vom 23.11.2018, Az. 4 MK 1/18, VuR 2019, 106 (107 f.). Zu diesen Normen auch: Heigl/Normann, in: Musterfeststellungsklage, § 2, Rn. 45 für den Ausschluss individueller Voraussetzungen. A. A. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (15): Relevanz für 50 Verbraucher.
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
411
ZPO).22 Nicht ausgeschlossen sind solche tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, die zwar grundsätzlich einen individuellen Charakter aufweisen, die jedoch generalisierbar mindestens zehn Verbraucher betreffen.23 Folglich sind Ansprüche als solche nicht feststellungsfähig,24 was sich bereits aus der Ausrichtung des Klageantrags auf Feststellungsziele sowie dem Ausschluss individueller Anspruchs- und Tatbestandsvoraussetzungen ergibt, weil die Prüfung eines Anspruchs immer die Klärung individueller Voraussetzungen erfordert.25 Teilweise wird zwar die Feststellung von Ansprüchen dem Grunde nach durch die Erhebung umfassender Feststellungsziele als musterverfahrensfähig angesehen.26 Dies kann jedoch nicht überzeugen, sofern dies auch die Feststellung individueller Anspruchsvoraussetzungen bedingt.27 Im Ergebnis kann daher die Feststellung eines Anspruchs dem Grunde nach nur insoweit zugelassen werden, als individuelle Fragen von der Feststellung ausgenommen und nur generalisierbare tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen geklärt werden.28 b) Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses für das Feststellungsziel Für die Zulässigkeit der Feststellungsziele muss ein Sachentscheidungsinteresses vorliegen.29 Dieses umfasst sowohl das Erfordernis der Abhängigkeit der Ansprüche und Rechtsverhältnisse von dem Feststellungsziel als auch die „Entscheidungsnotwendigkeit“ des Feststellungsziels für die Ansprüche und Rechtsverhältnisse.30 Die erforderliche Vorgreiflichkeit ergibt sich zum einen bereits 22 BT-Drs. 19/2507, S. 23; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 76 ff. Exemplarisch: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 63 ff. Dazu auch: Langheid, VersR 2020, 789 (791). 23 Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 106 m.w. N. Siehe auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 16; hingegen Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 47: 50 Verbraucher. 24 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 105. A. A. OLG Dresden, Urteil vom 22.04. 2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 35, unter Bezugnahme auf § 256 Abs. 1 ZPO, aber Einzelfallprüfungen in Rn. 41 ausschließend; Tiffe, Anmerkung zu OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, VuR 2020, 306 (307). 25 Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 17; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 17. 26 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606, Rn. 12. Vgl. zum Meinungsstand: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 13. 27 Ablehnend daher: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 17 m.w. N. 28 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 8, 14; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606, Rn. 17. 29 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606, Rn. 26; Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 51; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 68. Ausführlich zu diesem: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 111 ff. m.w. N. Anders: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 23: Bei fehlender Konnexität in der Regel Abweisung als unbegründet. 30 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 111. Vgl. zur Vorgreiflichkeit: BGH, Beschluss vom 30.07.2019, Az. VI ZB 59/18, ZIP 2019, 1982 (1984). Zum Entfall des Rechtsschutzbedürfnisses bei fehlender Entscheidungserheblichkeit für das Individual-
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
implizit aus § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO, da nach diesem Voraussetzungen für Ansprüche oder Rechtsverhältnisse festgestellt werden können.31 Zum anderen muss die Abhängigkeit von mindestens zehn Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen vom jeweiligen Feststellungsziel im Rahmen des § 606 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO dargelegt respektive glaubhaft gemacht werden.32 Die „Entscheidungsnotwendigkeit“ ist zwar nicht ausdrücklich normiert,33 allerdings kann es speziell bei solchen Feststellungszielen, die in einem Stufenverhältnis stehen (z. B. Tatbestandsmerkmale) zu Fällen kommen, bei denen eine Entscheidung über Feststellungsziele auf nachfolgenden Stufen durch die Entscheidung einer vorrangigen Stufe obsolet wird und somit zwar die Konnexität gegeben,34 die Entscheidung sich aber als prozessunökonomisch erweist.35 Die Entscheidung über das Feststellungsziel muss daher notwendig für die Existenz oder Nichtexistenz der Ansprüche/Rechtsverhältnisse sein.36 Das Sachentscheidungsinteresse umfasst somit die Vorgreiflichkeit und die Entscheidungsnotwendigkeit der Feststellungsziele für die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher.37 c) Zugrunde liegender Lebenssachverhalt Neben dem Feststellungsziel bedarf es zur Bestimmung des Streitgegenstandes noch des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes. Dieser wird allgemein für die ZPO definiert als „das dem Klageantrag zugrunde liegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher, vom Standpunkt der Parteien ausgehender, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassender Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört oder gehört hätte“.38 Ein Rückgriff auf diesen historischen, durch individuelle Umstände geverfahren: OLG München, Urteil vom 21.07.2020, Az. MK 2/19, BeckRS 2020, 19794, Rn. 37. Ähnlich wohl: OLG Dresden, Urteil vom 22.04.2020, Az. 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640, Rn. 47 „Musterfeststellungsklagefeststellungsinteresse“. Zum Sachentscheidungsinteresse im KapMuG: Kruis, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 11, Rn. 6; Reuschle, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 16, Rn. 4. 31 Dem Wortlaut ist nicht zu entnehmen, dass dies zwingend ist, vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 606, Rn. 22. 32 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 111. Zur Prüfung im Wege einer modifizierten Schlüssigkeitsprüfung: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 51. 33 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 112 f. unter Verweis auf die Prüfbitte des Bundesrates: BT-Drs. 19/2701, S. 3, 8. 34 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 112; siehe dazu auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 606, Rn. 52, die aber von einem Fehlen der Konnexität ausgeht. 35 Vgl. Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 69. 36 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 111. 37 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 111, 116. 38 So: Elzer, in: BeckOKZPO, § 300, Rn. 26; unter Verweis auf: BGH, Urteil vom 20.02.2020, Az. I ZR 5/19, GRUR-RS 2020, 3164, Rn. 14; BGH, Urteil vom 24.05. 2012, Az. IX ZR 168/11, NJW 2012, 2180 (2182); BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az. XI ZR 66/08, NJW-RR 2009, 790 (790); BGH, Beschluss vom 16.09.2008, Az. IX ZR
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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prägten Lebensvorgang ist jedoch wegen der Abstraktion durch die Musterfeststellungsklage nicht ohne Weiteres möglich.39 Amrhein bestimmt den Lebenssachverhalt daher – in Anlehnung an das KapMuG40 – wie folgt: „Zur Bestimmung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes werden alle Tatsachen, die auf Grund Kollektivierbarkeit Eingang in das MFV finden und die bei natürlicher, vom Standpunkt der Beteiligten ausgehender Betrachtungsweise zu dem durch die Erhebung der MFK sowie den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören oder bei lückenhaftem Vortrag zur Substantiierung gehört hätten, herangezogen.“ 41 Einen maßgeblichen Orientierungspunkt für die Bestimmung des Lebenssachverhaltes stellt demnach der Unternehmer dar, gegen ihn richtet sich nach § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO die Klage, wodurch dieser für das Verfahren einen wesentlichen und gleichbleibenden Bezugspunkt bildet.42 Den Kläger zur Bestimmung des Lebenssachverhaltes heranzuziehen, muss allerdings ausscheiden, da er zu diesem – von Ausnahmefällen abgesehen – in keinerlei tatsächlichem Bezug steht. Einen weiteren Orientierungspunkt bilden die den Feststellungszielen zugrunde liegenden, verallgemeinerten bzw. verallgemeinerbaren Handlungen oder Unterlassungen. Nicht abgestellt werden kann zwar auf die individuellen Sachverhalte der Beziehungen der Anmelder zu dem Beklagten. Allerdings können die entindividualisierten und verallgemeinerbaren Elemente dieser Sachverhalte zur Bestimmung der den Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zugrunde liegenden Beziehungen und damit des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes genutzt werden.43 Inwieweit bei einem sehr weitreichenden und vielschichtigen Sachverhalt ein oder mehrere Lebenssachverhalte im rechtlichen Sinne gegeben sind, wird jedoch nur im Einzelfall bestimmbar sein,44 wobei die Annahme eines sehr weitreichenden Lebenssachverhaltes mit dem Charakter als breitenwirksames kollektives Rechtsschutzinstrument korreliert.45
172/07, NJW 2008, 3750 (3751); BGH, Urteil vom 08.05.2007, Az. XI ZR 278/06, NJW 2007, 2560 (2561); BGH, Urteil vom 19.12.1991, Az. IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 (6). 39 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 121. Auf diese Definition abstellend: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 59. 40 Vgl. zum Lebenssachverhalt im KapMuG: Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, KapMuG, § 4, Rn. 38 ff. Auf die Unterschiede zwischen dem Lebenssachverhalt des KapMuG und der Musterfeststellungsklage weist Schneider, BB 2018, 1986 (1992) hin. Vgl. dazu auch: Lange, Gruppenverfahren, S. 233 zum Gruppenklagemodell. 41 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 118 unter Bezugnahme auf Definitionsansätze zum KapMuG. 42 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 119 f.; siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34). Verschiedene Streitgegenstände gegenüber verschiedenen Unternehmern: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606, Rn. 13. 43 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 120 f. 44 Vgl. Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 73 unter Verweis auf die vielgestaltigen Fälle des sog. Dieselabgasskandals; dazu bereits: Schneider, BB 2018, 1986 (1992). 45 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 135 f.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
2. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf den Streitgegenstandsbegriff Nach dem Gesagten ergeben sich somit keine gravierenden Auswirkungen der Parteirollenverschiebung im Bereich des Streitgegenstandes, denn diese sind lediglich mittelbarer Natur. Im Hinblick auf die Feststellungsziele kann nur insofern eine mittelbare Auswirkung der Parteirollenverschiebung, genauer gesagt des zweistufigen Rechtsdurchsetzungsmechanismus konstatiert werden, als die Klärung grundsätzlicher Fragen mit Breitenwirkung speziell auch für die individuellen Folgeverfahren erstrebt wird.46 Das notwendige Sachentscheidungsinteresse verkörpert mit den Erfordernissen der Vorgreiflichkeit und der Entscheidungsnotwendigkeit,47 die letztlich auf die Ansprüche und Rechtsverhältnisse der Verbraucher abzielen, zumindest auch eine maßgebliche Konsequenz der Parteirollenverschiebung. Speziell das Kriterium der Vorgreiflichkeit (Konnexität) ist als Folge der Parteirollenverschiebung notwendig, da nur mithilfe dieser Voraussetzung eine Verbindung des Musterfeststellungsverfahren mit den Ansprüchen und Rechtsverhältnissen hergestellt wird.48 Die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Bestimmung des Lebenssachverhalts zeigen sich insbesondere im verstärkten Fokus auf den Beklagten als Verfahrenspartei und Beteiligten des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes.49 Eine Bezugnahme auf den Kläger muss demgegenüber in der Regel ausscheiden, da die qualifizierte Einrichtung am Lebenssachverhalt nicht beteiligt ist. Auch die Tatsache, dass dem Musterfeststellungsverfahren häufig ein standardisierter Vorgang zugrunde liegt, der in der Beklagtensphäre seinen Ausgangspunkt nimmt,50 führt zu einer weiteren Fokussierung auf den Beklagten zur Bestimmung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes. Auf die Verbraucher – als die eigentlichen Rechtsinhaber und Beteiligten des Lebenssachverhaltes – kann es insofern ankommen, als Aspekte des Lebenssachverhaltes aus ihrer Sphäre generalisierbar sind, also keine individuellen Umstände vorliegen.51 Für die Bestimmung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes bedarf es damit auch des Rückgriffs auf die entindividualisierten Gemeinsamkeiten der (potenziellen) Kla-
46 Vgl. zum Zweck der Feststellungsziele: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 99 f.; BT-Drs. 19/2507, S. 21. 47 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 116. 48 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 103, zur Vorabklärung: Waclawik, NJW 2018, 2921 (2921). 49 Vgl. zur Bedeutung des Beklagten für die Bestimmung des Lebenssachverhaltes: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 119 f. 50 Vgl. die Beispiele bei: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 120 f. 51 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 121.
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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gegründe der Verbraucher.52 Nicht übersehen werden darf aber, dass diese Besonderheiten im Hinblick auf die Ermittlung des Lebenssachverhaltes zugleich mit der Abstraktion des Verfahrensgegenstandes korrelieren und nicht immer von diesem unterscheidbar sein dürften. Gleichzeitig dürfte aber der Lebenssachverhalt als Teil des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs gerade auch aufgrund der Auswirkungen des Verfahrens für die Anmelder relevant sein. Andernfalls wäre eine rechtssichere Bestimmung der Sperr- (§ 610 Abs. 3, § 613 Abs. 2 ZPO) und Bindungswirkungen (§ 613 Abs. 1 S. 1 ZPO) nicht gewährleistet, da die Feststellungsziele hierfür in vielen Fällen zu abstrakt gefasst sein dürften. Aufgrund des notwendigen Rückgriffs auf den Lebenssachverhalt ist es folgerichtig diesem eine gleichwertige Stellung neben dem Antrag zur Bestimmung des Streitgegenstandes zuzusprechen.53 Die Bedeutung des Verfahrens für außenstehende Dritte macht somit eine Einbeziehung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes in den Streitgegenstand erforderlich.
II. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Regelungen zur Rechtshängigkeit Als Nächstes schließt sich eine Untersuchung der Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Reichweite der Rechtshängigkeit an. Die an die Rechtshängigkeit anknüpfenden Wirkungen bleiben hierbei außer Betracht.54 1. Rechtshängigkeitssperre zwischen den Parteien Die Verhinderung einer doppelten Rechtshängigkeit verfolgt den Zweck, eine unökonomische doppelte Prozessführung und das Risiko divergierender Entscheidungen respektive eines temporalen Wettbewerbs, um das frühere Urteil zu verhindern.55 Der Einwand der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) führt hinsichtlich desselben Streitgegenstandes zur Unzulässigkeit der zeitlich nachfolgenden Klage zwischen denselben Parteien und zwar unabhängig von deren Parteirolle.56 Entsprechend ist auch im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO eine zeitlich nachfolgende weitere Klage der qualifizierten Einrichtung gegen denselben Unternehmer bezüglich desselben Streitgegenstandes ausgeschlossen.57 52
Siehe dazu: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 123. Vgl. zu diesem Argument allgemein nur: Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Einl. II, Rn. 24 f. 54 Siehe hierzu die Ausführungen bei: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 146 ff. 55 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 1 m.w. N.; Assmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 261, Rn. 4. 56 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 20, 22. 57 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 131 dort auch zu § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 2; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (33); zur Anwendung der allg. Vorschriften: BT-Drs. 19/2507, S. 25. 53
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
2. Erweiterung der Rechtshängigkeitssperre durch § 610 Abs. 1, 2 ZPO Die Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage weist jedoch gegenüber einer Individualklage eine deutlich gesteigerte Reichweite auf.58 Die Anwendung des Parteiidentität erfordernden § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO könnte die Rechtshängigkeit mehrerer Musterfeststellungsklagen durch verschiedene qualifizierte Einrichtungen mit gleichem Verfahrensgegenstand nicht verhindern.59 Daher kommt es infolge einer rechtshängigen Musterfeststellungsklage zu einem Rechtshängigkeitseinwand gegenüber einer nachfolgenden Musterfeststellungsklage, soweit deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft (§ 610 Abs. 1 S. 1 ZPO).60 Somit kann es auch zu einer nur teilweisen Unzulässigkeit kommen („soweit“).61 Die Klagen müssen aber gegen denselben Beklagten gerichtet sein.62 Dabei kommt es für die Bestimmung der zeitlichen Priorität auf den Eintritt der Rechtshängigkeit und nicht auf den der Anhängigkeit an.63 Das Abstellen auf die Betroffenheit des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes und die erhobenen Feststellungsziele vermeidet eine zu weitreichende Sperrwirkung.64 Deshalb bleiben weitere Musterfeststellungsklagen hinsichtlich desselben Lebenssachverhaltes, jedoch mit anderen Feststel-
58 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 63. Zur Umsetzung vgl. § 8 VDuG-E, der an die Regelung des § 610 Abs. 1 ZPO anknüpft, so: VRUG-E, S. 82 f. 59 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 2; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 133; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 1; siehe auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 30. 60 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 65; Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 31. Ausführlich zu § 610 Abs. 1 ZPO: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 132 ff. Kritisch zur fehlenden Auswahlmöglichkeit eines Klägers: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1327) sowie vzbv, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 11; zur Kritik ebenfalls: Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (371). Siehe zur weiterreichenden Sperrwirkung im ursprünglichen Entwurf: BT-Drs. 19/2507, S. 25; zur Eingrenzung: BT-Drs. 19/2701, S. 6 (Stellungnahme Bundesrat) sowie BT-Drs. 19/2741, S. 13, 25 (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz). 61 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 72; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 4; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 5. Kritisch: Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1329). 62 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 134. Kritisch zur Notwendigkeit mehrerer Klagen bei verschiedenen Unternehmern, aber gleichem Lebenssachverhalt: DAV, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 12. 63 Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 3, 5; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 132; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 8 f. mehrere anhängige Klagen werden mit Rechtshängigkeit (§§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO) der ersten Klage unzulässig. Dazu auch: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 32; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 11. A. A. Schneider, BB 2018, 1986 (1992). Exemplarisch zu zeitlichen Zufälligkeiten infolge unterschiedlicher Zustellungen: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 10 f. 64 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 70; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 136.
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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lungszielen, zulässig.65 Maßgeblich ist daher, wie das Kriterium der Betroffenheit im Sinne des § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO zu bestimmen ist. Für die Identität der Feststellungsziele sollte es nicht auf einen identischen Wortlaut ankommen, sondern vielmehr ermittelt werden, ob das Ziel, also das ihnen zugrunde liegende Begehren, gleichgerichtet ist.66 Trotzdem kann daher speziell im Fall zu eng gefasster Feststellungsziele eine weitere Musterfeststellungsklage zulässig sein.67 Für die Bestimmung des Lebenssachverhaltes kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, wobei es aufgrund des gesteigerten Abstraktionsgrades zu einem relativ gegenüber dem Lebenssachverhalt eines Individualverfahrens erweiterten Umfang kommen dürfte.68 Eine Identität ist abzulehnen, wenn es sich um wesensmäßig unterschiedliche Sachverhalte handelt.69 Allerdings greift die Sperrwirkung des § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht nur während der Rechtshängigkeit ein, sondern wirkt auch bei einer Beendigung durch eine Sachentscheidung über das Verfahren hinaus fort.70 Der Beklagte sieht sich dadurch nur mit einer Musterfeststellungsklage im Hinblick auf denselben Streitgegenstand konfrontiert, was gleichzeitig divergierende Urteile vermeidet.71 Gemäß § 610 Abs. 1 S. 2 ZPO entfällt die Sperrwirkung allerdings, wenn das Musterfeststellungsverfahren beendet wird, ohne dass es zu einer Entscheidung in der Sache gekommen ist.72 Dies ist der Fall bei Abweisung durch Prozessurteil, Klagerücknahme und übereinstimmender Erledigungserklärung.73 Außerdem ergeht beim Vergleichsschluss keine Entscheidung in der Sache, wie sie § 610 Abs. 1 S. 2 ZPO voraussetzt, sodass auch hier die Rechtshängigkeitssperre entfällt.74 65
Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 2. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 134. Vgl. Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 72. Auf die Problematik weist auch Scholl, ZfPW 2019, 317 (343) hin. Zwischen „demselben“ und dem „gleichen“ Lebenssachverhalt besteht kein sachlicher Unterschied: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 4 m.w. N. 67 Vgl. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 3. Dazu auch: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 134. 68 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 135 f. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 A. I. 1. c). 69 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 69 m.w. N. Siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34), welcher auch auf den Beklagten zur Bestimmung des Lebenssachverhalts abstellt. 70 BT-Drs. 19/2507, S. 25 f. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 133; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 70; Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 17; siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 4. 71 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 17; vgl. auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (33 f.), dessen Einwand allenfalls bei identischen Streitgegenständen und Anmeldern durchgreifen könnte. 72 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 4; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 3; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (95). Siehe auch: § 8 Abs. 2 VDuG-E. 73 Siehe nur: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 18. 74 Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 34; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 9. Str. bei Vergleich wegen der Angemessenheitsprüfung, dazu: Röthemeyer, 66
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Eine Abweichung vom auf den Eintritt der Rechtshängigkeit bezogenen Prioritätsprinzip schreibt § 610 Abs. 2 ZPO vor.75 Danach ist eine Klageverbindung (§ 147 ZPO) möglich, wenn bei demselben Gericht am selben Tag mehrere Musterfeststellungsklagen anhängig gemacht werden und die Streitgegenstände dieselben Feststellungsziele sowie denselben zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen.76 Eine umfassende Identität sollte diesbezüglich dennoch nicht gefordert werden,77 unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung dürften auch „sehr ähnliche Klagen“ 78 ausreichen. Teilweise geht die Literatur von der Möglichkeit einer Teilverbindung der einzelnen Streitgegenstände bei in objektiver Klagehäufung erhobenen Musterfeststellungsklagen aus.79 Sofern eine Verbindung jedoch nicht erfolgt, kann es zur Zulässigkeit mehrerer Musterfeststellungsklagen mit ähnlichem Klageziel kommen.80 Unter dem Gesichtspunkt einer Vermeidung widersprechender Urteile und doppelter Verfahrensführung dürfte jedoch in der Regel eine Verbindung angezeigt sein.81 Im Falle einer erfolgten Verbindung sollte es nicht zu einer einfachen (§ 59 ZPO),82 sondern zu einer notwendigen Streitgenossenschaft sui generis kommen.83 Andernfalls droht weiterhin das Risiko widersprechender Verfahrensergebnisse, was speziell bei Doppelanmeldungen exemplarisch zu unauflösbaren Schwierigkeiten im Hinblick auf Urteils- und Vergleichswirkungen führen würde.84
in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 19 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 4; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 17 f. 75 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 138 dort auch Nachweise zur Entstehungsgeschichte. 76 BT-Drs. 19/2741, S. 13, 25; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 75; siehe zur Anhängigkeit beim selben Gericht: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610, Rn. 7. 77 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 78. 78 BT-Drs. 19/2741, S. 25 („Fälle, in denen beinahe identische oder sehr ähnliche Klagen“); Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 25. 79 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 139. 80 Siehe hierzu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 28. Siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 3; sowie Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 141, der von einer i. d. R. erfolgenden Verbindung ausgeht. 81 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 32; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 5; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 139. Siehe zur Anwendung des § 147 ZPO und der Ermessensausübung unter Beachtung der Prozessökonomie: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 37. 82 Diese läge bei strikter Gesetzesanwendung vor, so auch: Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 74. 83 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 29 f. Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 140 ff. Dafür auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 4. 84 Dazu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 29, 31. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 141.
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3. Auswirkungen der Rechtshängigkeitssperre im Verhältnis zu den Anmeldern Da die Bindungswirkung gemäß § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO weiter reicht als die subjektive Rechtskraft gemäß § 325 Abs. 1 ZPO, bedarf es auch eines weitergehenden Rechtshängigkeitseinwandes.85 Ein Verbraucher, welcher sich wirksam86 zu einer rechtshängigen Musterfeststellungsklage angemeldet hat, kann – für die Dauer ihrer Rechtshängigkeit – keine Individualklage gegen den Beklagten erheben, wenn deren Streitgegenstand dieselben Feststellungsziele und denselben Lebenssachverhalt betrifft.87 Dies ist der Fall, wenn die Feststellungsziele der Musterfeststellungsklage für den Gegenstand des Individualverfahrens Relevanz besitzen oder besitzen könnten,88 womit es einer Vorgreiflichkeit bedarf.89 Es muss also mindestens ein Feststellungsziel für das Individualverfahren präjudiziell sein, auf eine Identität der Streitgegenstandstände kommt es nicht an.90 Zur Absicherung der Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO bedarf es einer Anwendung des § 610 Abs. 3 ZPO auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Anmelders, da andernfalls die Sperr- und spätere Bindungswirkung umgangen werden könnte.91 Dies muss auch für die vergleichbare Situation des § 613 Abs. 2 ZPO gelten.92 Mit der Rücknahme der Anmeldung entfällt die Wirkung des § 610 Abs. 3 ZPO aber wieder,93 außerdem durch jede Art der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens.94 Die Wirkung des § 610 Abs. 3 ZPO ist von Amts wegen zu berücksichtigen.95
85
Anschaulich: Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 13. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) aa) (2). 87 BT-Drs. 19/2507, S. 8, 26 dort noch § 610 Abs. 2 ZPO. Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 143; Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 83. Für Rechtshängigkeit auch bei inhaltlich unzutreffender Anmeldung: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 45; siehe auch: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 5. Zum überzeugenden Erfordernis einer wirksamen Anmeldung hingegen: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 143. 88 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 34. 89 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 144. 90 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 5; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 145 f.; Scholl, ZfPW 2019, 317 (342). 91 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 12; Müller, GWR 2019, 399 (400); Röß, NJW 2020, 953 (957). 92 Müller, GWR 2019, 399 (400). 93 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 75; Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 7. Wegfall eines Zulässigkeitshindernisses: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 44. 94 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 38; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 8. 95 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 145 m.w. N. 86
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Eine weitere Regelung zum Verhältnis von Individual- und Musterfeststellungsverfahren trifft § 613 Abs. 2 ZPO, welcher systematisch mit § 610 Abs. 3 ZPO im Zusammenhang steht.96 Sofern ein Verbraucher eine Individualklage vor der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage, also vor der Möglichkeit zur Anmeldung, erhoben hat, kommt es zur zwingenden Aussetzung nach § 613 Abs. 2 ZPO.97 Somit wird an dieser Stelle das sonst für die Rechtshängigkeit geltende Prioritätsprinzip auf die Aussetzung aus Gründen der Präjudizialität übertragen.98 Zur Vermeidung zeitlicher Zufälligkeiten außerhalb des Beherrschungsbereichs des Verbrauchers empfiehlt es sich die Norm außerdem auf die bloße Anhängigkeit auszudehnen.99 Die Aussetzung ist von Amts wegen vorzunehmen, wenn die Individualklage von den Feststellungszielen und dem Lebenssachverhalt betroffen ist.100 Erforderlich ist hierfür eine Vorgreiflichkeit der Musterfeststellungsklage,101 die wie im Rahmen des § 610 Abs. 3 ZPO zu bestimmen ist.102 Die Aussetzung nach § 613 Abs. 2 ZPO endet mit der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens103 oder mit der Rücknahme der Anmeldung.104 Daneben kann es im Fall eines für den Anmelder wirkenden Vergleichsschlusses – abhängig von dessen Inhalt – zu einer nachträglichen Unzulässigkeit der Individualklage kommen.105 Nicht geregelt ist, wie mit einer Individualklage zu verfahren ist, die ein Verbraucher nach der Bekanntmachung im Klageregister erhebt, der sich aber an96 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 6; dazu auch: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 9; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 1. 97 BT-Drs. 19/2507, S. 27. 98 Kritisch zur dogmatischen Unstimmigkeit: Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8. 99 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 67; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 167; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 7. Für Anwendung des § 613 Abs. 2 ZPO bei Rechtshängigkeit ohne Bekanntmachung: Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 613, Rn. 6. 100 Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 65; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 153; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610, Rn. 11; Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 5; BGH, Urteil vom 12.03.2020, Az. VII ZR 55/19, BeckRS 2020, 5987, Rn. 15, 17 f. Die Musterfeststellungsklage kann bereits rechtshängig sein: Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 41. 101 Vgl. Boese/Bleckwenn, in: Musterfestststellungsklage, § 5, Rn. 69. Einer Gegenstandsidentität bedarf es nicht, insoweit missverständlich: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 9. 102 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 21; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 168. Ausführlich zur Prüfung des Gerichts hinsichtlich der Aussetzung: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 10 f. m.w. N. 103 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 11. Ausführlich zu möglichen Konstellationen: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613 Abs. 27 ff. 104 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 15; Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 44. 105 Siehe hierzu: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 8; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 168 f.; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (28).
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schließend zur Musterfeststellungsklage anmeldet. In dieser Konstellation könnte entweder § 610 Abs. 3 ZPO oder § 613 Abs. 2 ZPO zur Anwendung gelangen. In konsequenter Umsetzung der Abgrenzung zwischen § 610 Abs. 3 ZPO und § 613 Abs. 2 ZPO anhand der Individualklageerhebung vor oder nach der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage dürfte allerdings die Anwendung des § 610 Abs. 3 ZPO angezeigt sein. Diesem fällt folglich die Aufgabe zu, eine Parallelität von Individualklageerhebung nach Bekanntmachung und Anmeldung auszuschließen.106 4. Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Rechtshängigkeit Die Rechtshängigkeitssperre im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO weist eine gegenüber § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO subjektiv erweiterte Reichweite auf und wird um eine zwingende Aussetzung ergänzt. § 610 Abs. 1 ZPO sperrt nachfolgende Musterfeststellungsverfahren ab dem Zeitpunkt der zuerst rechtshängigen Klage und wirkt darüber hinaus auch zeitlich über das rechtshängige Verfahren hinaus. Die Prozessführung wird dadurch auf einen Kläger konzentriert.107 § 610 Abs. 1 S. 1 ZPO bildet somit vor allem eine Folge des Verfahrens als kollektives Rechtsschutzinstrument,108 da er eine Erweiterung der Rechtshängigkeit in subjektiver und zeitlicher Hinsicht gegenüber allen klageberechtigten qualifizierten Einrichtungen bewirkt. Ein wesentlicher Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung kann hier nicht festgestellt werden. Die Norm bewirkt lediglich eine subjektive Begrenzung desjenigen, der für die Anmelder den Prozess führt und verhindert damit eine doppelte Verfahrensführung.109 Die Norm erscheint daher nicht gänzlich vereinbar mit dem Konzept einer Interessenvertretung der Anmelder – im Gegensatz zu einer delegierten Wahrnehmung öffentlicher Interessen –, da sie eine Kanalisierung der Prozessführung auf einen Musterverfahrenskläger zur Folge hat.110 Gleichzeitig 106 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 36; Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412 f.); Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610, Rn. 7; Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 42; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610, Rn. 5; Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 68, die auf widersprüchliches Verhalten hinweisen, dazu auch: de Lind van Wijngaarden, in: Musterfeststellungsklage, § 6, Rn. 94. Beckmann/ Waßmuth, WM 2019, 89 (95 f.) wollen die Anmeldung ausschließen, dies würde die Konzentrationswirkung beeinträchtigen. Eine Ausdehnung des § 610 Abs. 3 ZPO auf eine Individualklageerhebung während Rechtshängigkeit aber vor Bekanntmachung würde diese Systematik durchbrechen, dafür aber: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 143. 107 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 2. 108 Vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 43 m.w. N. 109 Rohls, in: Musterfeststellungsklage, § 3, Rn. 65, 71. 110 Vgl. dazu: Schmidt-Kessel, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 9 f. Siehe auch: Scholl, ZfPW 2019, 317 (344).
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
beinhaltet sie jedoch eine einfache Möglichkeit zur Vermeidung von mehrfachen Anmeldungen. Demgegenüber sind die Wirkungen der Rechtshängigkeit einer Musterfeststellungsklage im Verhältnis zum angemeldeten Verbraucher eine Konsequenz der Parteirollenverschiebung. Die Rechtshängigkeit gegenüber Individualklagen wird demnach im Rahmen des § 610 Abs. 3 ZPO gegenüber § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erweitert.111 Zum einen in subjektiver Hinsicht mangels Parteiidentität und zum anderen im Hinblick auf die Reichweite, da erforderlich ist, dass der Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage für die Individualklage nicht identisch, aber vorgreiflich ist.112 Anders als in der ZPO für Feststellungsklagen üblich, kommt es hier bei einem Verfahren mit einem präjudiziellen Streitgegenstand zu einer Rechtshängigkeitssperre.113 Diese subjektive Erweiterung formt ein notwendiges Korrelat der Parteirollenverschiebung, da andernfalls der Rechtsinhaber parallel zur Rechtverfolgung durch den rechtsfremden Dritten einen eigenen Prozess führen könnte. Dies würde das Regelungskonzept einer gebündelten Klärung vorgreiflicher Streitfragen durch die qualifizierte Einrichtung unterlaufen.114 Gleichzeitig schützt die Regelung auch den Beklagten vor einer doppelten Inanspruchnahme.115 Die Aussetzung nach § 613 Abs. 2 ZPO vermeidet ebenfalls sich widersprechende Entscheidungen,116 die durch eine parallele Rechtsverfolgung von Rechtsinhaber und Dritten andernfalls eintreten könnten. Die durch die Möglichkeit zur Anmeldung auch bei einer bereits erfolgten Individualklageerhebung bewirkte nachträgliche Parteirollenverschiebung bietet für den Anmelder die Option, sich bei einem ungünstigen Fortgang seines Individualverfahrens zum Klageregister anzumelden, um auf diesem Wege einen ungünstigen Prozessausgang – abhängig vom Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens – zu verhindern. Er kann dem Ausgangsgericht die Entscheidungsbefugnis (teilweise) entziehen, ist dann allerdings auch an die Ergebnisse des Musterfeststellungsverfahrens gebunden.117 Auch insoweit zeigt sich die legislative Fokussierung auf den Verbraucher:118 Die Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf einen Dritten ermöglicht es eine Bindung an bereits erzielte Prozessergebnisse zu vermeiden.119 111
Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 146. Vgl. Lutz, in: BeckOKZPO, § 610, Rn. 49 ff. 113 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (28). 114 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 142 f., 145. 115 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 145 f. 116 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 20; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 7. 117 Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412). Flucht in die Anmeldung: Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 6; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 168; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (44). 118 Zum Verbraucherwahlrecht: Boese/Bleckwenn, in: Musterfeststellungsklage, § 5, Rn. 70 ff., insb. Rn. 72. 119 Vgl. Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412). 112
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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Die Fokussierung auf die Belange des Verbrauchers zeigt sich auch in einem weiteren Aspekt: § 610 Abs. 3 ZPO und § 613 Abs. 2 ZPO regeln ihrem Wortlaut nach nur die Situation einer Individualklage durch den Anmelder. Die Möglichkeit einer Klage durch den Unternehmer wird von § 610 Abs. 3 ZPO120 und § 613 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt.121 Anhaltspunkte dafür, dass die Regelungen bewusst „unvollständig“ gefasst wurden, lassen sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Vielmehr dürfte es sich bei dieser Regelungslücke um eine implizite Konsequenz der Materialisierung des Zivilprozessrechts, die sich in der Grundarchitektur der §§ 606 ff. ZPO als einer Rechtsdurchsetzung zugunsten von Verbrauchern widerspiegelt, handeln, wodurch der gesetzgeberische Fokus allein auf Verbraucher ausgerichtet ist.122 Die Zulassung einer Klagemöglichkeit durch den Beklagten respektive das Fehlen einer zwingenden Aussetzung unterläuft jedoch die intendierte Konzentrationswirkung von § 610 Abs. 3 ZPO123 und § 613 Abs. 2 ZPO,124 wodurch in beiden Konstellationen die einheitliche Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mehr gewährleistet wäre.125 Daher ist – neben der vorhandenen planwidrigen Regelungslücke – auch die Interessenlage vergleichbar.126 Für eine analoge Anwendung der §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 2 ZPO auf Klageerhebungen durch den Musterfeststellungsbeklagten spricht außerdem die in § 610 Abs. 6 ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Intention, eine Verbraucherbeteiligung schon bei der Klärung der vorgreiflichen Feststellungsziele auszuschließen.127
III. Auswirkungen der Musterfeststellungsklage auf die Bindung an das Urteil Im Musterfeststellungsverfahren können alle in der ZPO vorgesehenen Urteilsarten ergehen. Eine Ausnahme hiervon gilt nach § 610 Abs. 5 S. 2 ZPO lediglich 120 Vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 8, der die Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage durch den Unternehmer hervorhebt; siehe auch: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 40; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (30). 121 Vgl. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 44 und ebenda, § 613, Rn. 19. 122 Siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Kap. 3 A. II. 1. a). 123 Menges, in: MüKoZPO, § 610, Rn. 8. Windau, jM 2019, 404 (409) weist auf die Möglichkeit des Unternehmers hin, (potenzielle) Anmelder durch die Androhung von Individualklagen abzuschrecken. 124 Zur Regelungslücke des § 613 Abs. 2 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 19. 125 Müller, GWR 2019, 399 (400). Zum Normzweck einer einheitlichen Bindungswirkung bei § 613 Abs. 2 ZPO: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 20. 126 Vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie: Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff. 127 Müller, GWR 2019, 399 (400 f.); BT-Drs. 19/2507, S. 26 A. A. Windau, jM 2019, 404 (409 f.), für eine verpflichtende Aussetzung. Für eine Anwendbarkeit des § 610 Abs. 3 ZPO bei Individualklagen des Unternehmers: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (30 f.). Für die kasuistische Vorgehensweise von Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 610, Rn. 44 fehlt die gesetzliche Grundlage.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
für das Verzichtsurteil (§ 306 ZPO).128 Auf die Urteile finden grundsätzlich die allgemeinen Regelungen der ZPO Anwendung.129 Verkündete Urteile sind außerdem im Klageregister bekannt zu machen (§ 612 Abs. 1 ZPO), Gleiches gilt für die Einlegung von Rechtsmitteln (§ 612 Abs. 2 S. 1 ZPO) und den Eintritt der Rechtskraft (§ 612 Abs. 2 S. 2 ZPO).130 Nachfolgend soll zunächst die Rechtskraft zwischen den Parteien untersucht werden, bevor auf die Bindung der Anmelder an das Urteil eingegangen wird. Insbesondere Letztere wird anschließend im Hinblick auf die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung einer kurzen Bewertung unterzogen. 1. Rechtskraft zwischen den Parteien Von der Spezialregelung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO unberührt bleibt die formelle (§ 705 ZPO) und materielle Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) im Verhältnis der Parteien untereinander. Da eine abweichende Normierung im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nicht erfolgt ist, kann von der Anwendung der allgemeinen Grundsätze der ZPO zur Rechtskraft ausgegangen werden.131 Folglich ergibt sich auch für diese der objektive Umfang der Rechtskraft aus dem Tenor. Soweit über den Streitgegenstand rechtskräftig entschieden wird, erwächst diese Entscheidung in Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO). Aufgrund des erweiterten Streitgegenstandes können auf diesem Wege auch tatsächliche und rechtliche Feststellungen in Rechtskraft erwachsen,132 was zwar kein Novum bedeutet, aber durch die gezielte Entscheidung präjudizieller Fragen eine deutliche Erweiterung gegenüber dem in der ZPO üblicherweise in Rechtskraft erwachsenden reinen Subsumtionsschluss darstellt.133 In den Tenor sind somit die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen in Form der Feststellungsziele aufzunehmen. Zur Auslegung kann auf die Entscheidungsgründe, den Tatbestand und das Parteivorbringen zurückgegriffen werden.134
128
Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 172 f.; BT-Drs. 19/2507, S. 26. BT-Drs. 19/2507, S. 27; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 191; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 1. 130 BT-Drs. 19/2507, S. 27; Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 193; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 19; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92). 131 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 39; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 1. Siehe auch: Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92); Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40). 132 Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 175 ff., insb. S. 177. Siehe auch: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 1. 133 Ausführlich zum Gegenstand der materiellen Rechtskraft und den nichtkraftfähigen Urteilselementen, also präjudiziellen Rechtsverhältnissen und rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 204 ff.; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 268; Lange, Gruppenverfahren, S. 57 f. m.w. N. 134 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 8, 40 m.w. N. 129
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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Die subjektive Rechtskraft im Rahmen der Musterfeststellungsklage wirkt grundsätzlich nur zwischen den Parteien des Verfahrens.135 Sofern allerdings zwischen den Parteien eine Sachentscheidung ergeht, sperrt diese bereits die Zulässigkeit einer weiteren Musterfeststellungsklage gegen denselben Beklagten im Hinblick auf denselben Streitgegenstand unabhängig von der Person des Klägers (§ 610 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diese Rechtskraftfolge ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 610 Abs. 1 S. 2 ZPO.136 2. Bindung der Anmelder an das Musterfeststellungsurteil Da zwischen den Parteien des Musterfeststellungsverfahrens in der Regel keinerlei Rechtsbeziehungen bestehen, ist die praktische Bedeutung der Rechtskraft zwischen diesen von untergeordneter Relevanz. Im Gegensatz dazu ist die Bindung des Musterfeststellungsurteils im Verhältnis zu den Anmeldern von zentraler Bedeutung.137 a) Gegenstand, Inhalt und Reichweite der Bindungswirkung Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil entfaltet eine von Amts wegen zu beachtende138 Bindungswirkung gegenüber den angemeldeten Verbrauchern.139 Aus teleologischen Gründen ist hiervon allerdings nicht jedes, im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens ergehende Urteil umfasst, da eine Bindung nur bestehen kann, wenn das Urteil überhaupt vorgreifliche Aussagen trifft.140 Die Wirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO tritt folglich nicht bei Prozessurteilen ein, sondern nur bei klagestattgebenden und -abweisenden Sachentscheidungen unabhängig von der Urteilsart.141 Das Musterfeststellungsurteil wirkt insoweit sowohl zugunsten als auch zulasten des Anmelders und des Unternehmers.142 135 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 42; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 175. Nicht gegenüber den Mitgliedern der qualifizierten Einrichtung, so aber: Hartmann, VersR 2019, 528 (530). 136 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 17; Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 43, 45; siehe auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40). 137 Vgl. hierzu: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40), dort auch zu praktischen Anwendungsfällen der Rechtskraft zwischen den Parteien, insbesondere Inkassozession und Einziehungsermächtigung zugunsten der qualifizierten Einrichtung (vgl. § 79 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO). 138 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 180. Allg. zur materiellen Rechtskraft: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 211. 139 Siehe nur: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 2 f. 140 Ausführlich: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 178 m.w. N. Anders wohl: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 2. 141 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 2; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 4; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 5. Ausgenommen Zwischenurteile über die Zulässigkeit: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 178. BT-Drs. 19/2507, S. 27 spricht allg. von Abweisung, aber nur die Sachentscheidung hat abschließende Streitbeilegungsfunktion.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Um an den Bindungswirkungen zu partizipieren, bedarf es einer wirksamen Anmeldung des Verbrauchers,143 welche nicht zurückgenommen worden sein darf (§ 613 Abs. 1 S. 2 ZPO).144 Außerdem muss die Entscheidung des Individualverfahrens von den Feststellungszielen und dem Lebenssachverhalt des Musterfeststellungsurteils145 betroffen sein. Eine sachliche Differenzierung zwischen dem Terminus „betrifft“ in §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 S. 1 ZPO und „abhängen“ in § 608 Abs. 1 ZPO wird zu Recht überwiegend verneint,146 da zwischen den Anforderungen an die Anmeldung und der Bindungswirkung als deren erstrebter Folge kein Unterschied bestehen sollte.147 Erforderlich ist somit die Abhängigkeit der Ansprüche/Rechtsverhältnisse der Anmelder von den Feststellungszielen.148 Der Inhalt der Feststellungsziele bewirkt daher – vergleichbar mit präjudiziellen Vorfragen – ein Abweichungsverbot.149 Aufgrund des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs muss die Entscheidung des Individualverfahrens außerdem vom Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betroffen sein.150 Es kann sich hierbei aber gerade nicht um denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele sowohl im Musterfeststellungsurteil als auch im Individualverfahren handeln.151 Erforderlich ist lediglich eine teilweise Kongruenz 142 Vgl. Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 10 ff.; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 4 m.w. N. zur Kritik an der beidseitigen Bindungswirkung. 143 Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 2; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 3. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 1a: Auf die inhaltliche Richtigkeit der Angaben komme es nicht an, dann scheitert die Bindungswirkung aber i. d. R. an der fehlenden Verbrauchereigenschaft oder Abhängigkeit. Diese soll im Hinblick auf die Anmeldung inhaltlich geprüft werden: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 2. Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (665) wollen nach der Schwere des Fehlers differenzieren. Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 6: Aus der Anmeldung müsse sich keine Konnexität ergeben. Siehe hierzu allerdings die Ausführungen unter Kap. 2 C. II. 1. b) aa) (2) (b) und 2. b). 144 Siehe nur: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 1a. 145 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 15, das Urteil bündele den Verfahrensstoff und enthält – anders als die Klageschrift – auch etwaige Klageerweiterungen und -änderungen. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 7 will zur Bestimmung der Feststellungsziele und des Lebenssachverhaltes auf die Klageschrift abstellen; zu Recht ablehnend: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 190 f. 146 Siehe nur die Nachweise bei: Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 6. Siehe auch: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 7. A. A. Schneider, BB 2018, 1986 (1993); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 213. 147 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 179. Vgl. auch: Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 5. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (93) erörtern, inwiefern der Wortlaut die abstrakte Prüfung im Musterfeststellungsverfahren und die erst im Folgeverfahren individuelle Prüfung widerspiegelt. 148 Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 6. 149 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 3. Bei Tatsachenfeststellungen entfällt die Beweisaufnahme und rechtliche Feststellungen binden das Gericht: Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 8; so auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40). 150 Vgl. Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 51. 151 So aber die Formulierung bei: Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 1.
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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zwischen den Feststellungen und den im Individualverfahren relevanten tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen,152 wobei die Abhängigkeit der Entscheidung des Folgeverfahrens von einem Feststellungsziel genügt.153 Dem Wortlaut des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO („betrifft“) wird teilweise eine über den Tenor hinausgehende Bindungswirkung entnommen, welche auch diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Begründungen, die den Entscheidungstenor tragen, umfasse.154 Dies kann allerdings bereits deshalb nicht überzeugen, weil die Bindungswirkung lediglich Bezug auf die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt des rechtskräftigen Musterfeststellungsurteils nimmt, also nur auf dessen Streitgegenstand. Außerdem schafft § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO umfassende Feststellungsmöglichkeiten, die einen weitreichenderen Rückgriff auf die Entscheidungsgründe nicht erfordern. Für die präzise Abfassung der Feststellungsziele trägt, nach dem Konzept einer Klageberechtigung qualifizierter Einrichtungen und dem geltenden Dispositionsgrundsatz, der Kläger die Verantwortung. Die Bindungswirkung beschränkt sich somit weiterhin auf den Tenor.155 Nicht überzeugen kann daher, wenn eine Beschränkung der Bindungswirkung auf solche Feststellungsziele angenommen wird, die tatsächlich musterverfahrensfähig sind,156 denn die Entscheidungskompetenz des Gerichts des Folgeverfahrens wird durch § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO gerade begrenzt.157 Andernfalls würde die Bindungswirkung des Urteils unterlaufen158 und das Folgeverfahren mit entsprechenden Einwendungen belastet.159 Im Falle einer Rechtsnachfolge aufseiten des Anmelders sollte, um eine Umgehungsgefahr der Bindungswirkung und ein Unterlaufen der zeitlichen Abmelderestriktionen zu vermeiden, auch der Nachfolger analog zu § 325 Abs. 1 ZPO
152 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 179. Die Forderung einer „Kongruenz von Muster- und Individualverfahren“ (Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 61) ist somit unpräzise. 153 So ausdrücklich: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 1a, ausführlich zum „Betreffen“: ebenda, Rn. 2. Siehe auch: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 74. 154 Weinland, Musterfeststellungsklage, Rn. 196. Ähnlich: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 60; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 213. 155 Ausführlich zu diesen Argumenten: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 186 ff. So auch: Berger, ZZP 133 (2020), 3 (41 f.); Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 5. Siehe auch: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 13. 156 So aber: Mekat, in Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 64, 76. 157 Vgl. dazu: Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 6. 158 Vgl. Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 262 zur Rechtskraft bei unrichtigen Urteilen. 159 Siehe hierzu: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 200; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 68.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
an das Urteil gebunden sein.160 Von diesem Ausnahmefall abgesehen, müssen die Parteien des Individualverfahrens ein Verbraucher und ein beklagter Unternehmer der vorgängigen Musterfeststellungsklage oder dessen Rechtsnachfolger sein,161 wobei deren Parteirollen unerheblich sind.162 Außer der Begrenzung der Bindungswirkung auf Sachentscheidungen bestehen somit keine wesentlichen Abweichungen zur Reichweite der objektiven Rechtskraft.163 Daneben entspricht die zeitliche Reichweite der Bindungswirkung den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft.164 b) Dogmatische Einordnung der Bindungswirkung Nicht gänzlich geklärt ist die dogmatische Einordnung der Bindungswirkung, insbesondere hat der Gesetzgeber hierzu keinerlei Anhaltspunkte gegeben.165 Die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO ähnelt einer Rechtskrafterstreckung, durch welche die Rechtskraft eines Urteils auch gegenüber einem Dritten wirkt. Insofern konstituiert § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO eine lex specialis zu § 325 Abs. 1 ZPO.166 Sowohl die Rechtskraft als auch die Bindungswirkung führen zu einer einheitlichen und bindenden Beurteilung entschiedener Streitfragen und erfahren in objektiver Hinsicht eine Begrenzung auf den Tenor.167 Dementsprechend wird auch teilweise davon ausgegangen, dass es sich bei § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO um eine „subjektiv erweiterte Rechtskrafterstreckung“ 168 handelt, mithin also um eine Rechtskrafterstreckung, die auf der Prozessstandschaft beruht.169 160 Siehe hierzu: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 7 ff., insb. Rn. 10; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, S. 61; Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 8a; Stadler, in: Musielak/Voit ZPO, § 613, Rn. 1a (zur Zession); Halfmeier, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 613, Rn. 10; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (43); Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 181; Müller, GWR 2019, 399 (400); Röß, NJW 2020, 953 (957). Ablehnend: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 4, nur ggü. Erben. 161 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 1a. Für Ausdehnung auf Rechtsnachfolger des Unternehmers: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 5. Anders wohl: Röthemeyer, in: Hk-MFKG, § 613, Rn. 14. 162 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 3a. 163 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 191. 164 Ausführlich: Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 79 ff.; Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 206. 165 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 192. Ausführliche Erörterung der Dogmatik: ebenda, S. 192 ff. 166 Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 4; Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 9. A. A. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 111. 167 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 199, 201. Bindungswirkung ist identisch mit objektiver Rechtskraft: Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613, Rn. 2. 168 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40). 169 Vgl. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40 f.).
A. Einfügung der Rechtsinstitute im Rahmen der Musterfeststellungsklage
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Eine Ablehnung der Rechtskraft und die Annahme einer Bindungswirkung sui generis170 unter Berufung auf den Charakter der Musterfeststellungsklage als Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes mit einer entsprechend intendierten Breitenwirkung und dem Ziel einer effektiven Rechtsdurchsetzung kann nicht zwingend überzeugen, da es sich hierbei erst um die Folgen der Bindungswirkung handelt, welche somit unter Beachtung der objektiven Identität beider Institute und deren identischer Wirkung die Charakterisierung nicht entscheidend prägt.171 Auch die Tatsache, dass die Rechtskrafterstreckung eine Ausnahmeerscheinung darstellt, während die Bindungswirkung gerade der Zielsetzung der Musterfeststellungsklage entspricht, vermag keine zwingende Opposition zu begründen.172 Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass die inter partes Rechtskraft Spiegelbild der materiellen Beziehung der Parteien ist und das Urteil kein neues Recht schafft, sondern nur dessen Bestehen feststellt oder verneint.173 Die materielle Beziehung besteht beim Musterfeststellungsverfahren aber nur zwischen dem Beklagten und den Anmeldern. Die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO ist, entsprechend der Rechtsnatur als funktionale Prozessstandschaft, Korrektiv der Prozessführung durch einen rechtsfremden Dritten.174 Daher hätte auch die Anordnung einer Rechtskrafterstreckung zu einer konsequenten Lösung geführt. Dennoch gilt zu beachten, dass das Gesetz klar trennt einerseits zwischen dem rechtskräftigen Musterfeststellungsurteil und andererseits der durch § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Bezugnahme auf dieses und damit auf dessen Feststellungen angeordneten Bindungswirkung.175 Eine Anordnung der Rechtskrafterstreckung für das Verhältnis zwischen Anmelder und Unternehmer enthält das Gesetz somit nicht.176 Insofern dürfte die Bezeichnung als Bindungswirkung (sui generis)177 dem Wortlaut des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO
170 Mekat, in: Musterfeststellungsklage, § 8, Rn. 72; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613, Rn. 2. Siehe auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 90. 171 Anders: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 201 f.; siehe auch: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 93 f., 108 ff. Die Entscheidung mit Breitenwirkung ist bereits im Streitgegenstand (Feststellungsziel) angelegt, vgl. BT-Drs. 19/ 2507, S. 15. 172 So aber: Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 201. Siehe zur einheitlichen verbindlichen Klärung: BT-Drs. 19/2507, S. 16. 173 Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 210 m.w. N. 174 Vgl. dazu auch die Rechtskrafterstreckung bei Prozessführung für fremdes Interesse: Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 210, 212. 175 Vgl. BT-Drs. 19/2507, S. 15, 27. Von Bindungswirkung spricht die Gesetzesbegründung auch beim Vergleich: BT-Drs. 19/2507, S. 16. Die grundsätzliche Nähe von Bindungswirkung und Rechtskraft zeigt sich an der teilweise synonymen Verwendung: Lange, Gruppenverfahren, S. 236 m.w. N. 176 Vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 613, Rn. 3. 177 Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 202 spricht von „Musterfeststellungswirkung“.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
(„bindet“) im Ergebnis trotzdem entsprechen. Insbesondere spricht das Gesetz – anders als in §§ 325 Abs. 1, 326 Abs. 1, 2, 327 Abs. 1 ZPO178 – ausdrücklich nicht davon, dass das Urteil für die Anmelder wirkt. In der Sache besteht aber kein erkennbarer Unterschied zwischen der Bindungswirkung und der Anordnung einer Rechtskrafterstreckung. Die ausdrückliche Normierung einer Rechtskrafterstreckung hätte sich überdies besser in die sonst übliche Systematik der ZPO bei der Bindung des Rechtsinhabers an Urteile, die in Prozessstandschaft erstritten wurden, eingefügt.179 3. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Parteirollenverschiebung Die subjektiv über die übliche inter partes Rechtskraftwirkung des Zweiparteienprozesses hinausgehende Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils stellt das zentrale Element des Musterfeststellungsverfahrens dar, durch welches der Zweck des Verfahrens erreicht werden soll, für die Anmelder im Folgeverfahren eine effiziente Anspruchsdurchsetzung zu gewährleisten.180 Die Bindungswirkung schafft somit eine Verbindung zwischen der kollektiven Rechtsdurchsetzung und dem Individualverfahren.181 Ähnlich wie bereits bei der Bestimmung der Rechtsnatur als funktionale Prozessstandschaft schafft die Musterfeststellungsklage im Rahmen der Urteilswirkungen mit § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO ein Institut, welches eine „funktionale Kongruenz“ 182 mit der Rechtskrafterstreckung aufweist. Allerdings kommt es durch diese, da nur Vorfragen betroffen sind, nicht zu einer klassischen Rechtskraftsperre, da die anschließende Individualklage zur Rechtsdurchsetzung notwendig ist.183 Gleichzeitig wahrt die beidseitige, also auch zum Nachteil des Anmelders gereichende Bindungswirkung die Interessen des Beklagten.184 Letztlich schafft diese Bindungswirkung einen notwendigen Ausgleich für die Ermächtigung der qualifizierten Einrichtung zur Prozessfüh178 Dies sind Fälle der ausdrücklichen Rechtskrafterstreckung in der ZPO, § 325a ZPO verweist nur auf das KapMuG (speziell § 22 KapMuG), vgl. Althammer, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 325, Rn. 4. 179 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 40 m.w. N.; Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (532 f.) zur gewillkürten Prozessstandschaft; Schack, NJW 1988, 865 (869). Ausführlich: Sinaniotis, ZZP 79 (1966), 78 (79 ff.). § 11 Abs. 3 S. 1 VDuG-E lehnt sich weitgehend an § 613 Abs. 1 ZPO an, so dass von einer Beibehaltung der dogmatischen Ausgestaltung auszugehen ist; siehe auch: VRUG-E, S. 84 f. 180 Vgl. Augenhofer, in: BeckOKZPO, § 613, Rn. 1; Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 613, Rn. 2. 181 Vgl. Schroeder, in: Musterfeststellungsklage, § 11, Rn. 7. 182 Müller, GWR 2019, 399 (400). 183 Vgl. Meller-Hannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 8. 184 Vgl. zu den diskutierten Ausgestaltungsmöglichkeiten: Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 215 f. m.w. N. Zum Interesse des Beklagten: MellerHannich, Stellungnahme Gesetzgebungsverfahren, S. 7, allerdings kritisch zum rechtlichen Gehör.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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rung.185 Die Anmelder müssen damit auch die Nachteile einer qualitativ unzureichenden Prozessführung durch die qualifizierte Einrichtung tragen. Dies erscheint aber im Ergebnis konsequent, da eine Unterscheidung zwischen der Prozessführung durch den Rechtsinhaber oder einen Dritten nicht gerechtfertigt ist.186 Im Hinblick auf die Urteilsbindung gleicht die Regelung des § 613 Abs. 1 S. 1 ZPO somit die Konsequenzen der Parteirollenverschiebung umfassend aus.
IV. Ergebnis zur Einfügung der Musterfeststellungsklage Es kann somit festgehalten werden, dass sich im Bereich von Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung die Auswirkungen des abstrahierenden Charakters des Musterfeststellungsverfahrens und seiner Breitenwirkung mit den Folgen der Parteirollenverschiebung überschneiden. Das Gesetz gleicht allerdings die Folgen der Parteirollenverschiebung, abgesehen von einigen Ungenauigkeiten im Anwendungsbereich der Rechtshängigkeitsregelungen, weitgehend aus. Der Lösungsansatz kommt hierbei im Ausgangspunkt dem Ansatz einer Wirkungserstreckung bei der gewillkürten Prozessstandschaft nahe.187 Auffällig ist daneben die Fokussierung der Regelungen, und zwar speziell für die Reichweite der Rechtshängigkeit, auf die Verbraucherperspektive, worin sich die Materialisierungstendenzen des Prozessrechts im Zuge der Musterfeststellungsklage ausdrückt. Demgegenüber ist die beiderseitige Bindungswirkung erkennbar ein Interessenausgleich zwischen Anmeldern und Beklagtem.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen im Hinblick auf den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Rechtskraft Im Folgenden soll die Abhilfeklage eine nähere Betrachtung erfahren. Unter Zugrundelegung des im Rahmen dieser Arbeit bereits entworfenen Vorschlags einer Umsetzung im Wege einer Prozessstandschaft188 wird nachfolgend die 185 Vgl. hierzu bei der gew. Prozessstandschaft: Rüßmann, AcP 172 (1972), 520 (532 f.). 186 Vgl. Amrhein, Musterfeststellungsklage, S. 188. Ausführlich zur Debatte um eine „hinkende Bindungswirkung“: Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 112 ff. 187 Siehe zur entsprechenden Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO bei der gew. Prozessstandschaft: Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51, Rn. 40 m.w. N.; siehe auch: Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 261, Rn. 51. Zur Rechtskrafterstreckung bei gew. Prozessstandschaft: Gottwald, in: MüKoZPO, § 325, Rn. 61. Allg.: Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vor § 50, Rn. 80. Vgl. Müller, GWR 2019, 399 (399): „Wirkungen [. . .] werden nachgebildet “. Die hiesigen Erkenntnisse können mit Blick auf die inhaltliche Kontinuität durch § 11 VDuG-E übertragen werden, die Begründung hebt die Kontinuität ausdrücklich hervor, vgl. VRUG-E, S. 83 ff. 188 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. III., dort insb. 2. b).
432
Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Richtlinienumsetzung im Hinblick auf den Streitgegenstandsbegriff, die Rechtshängigkeit und die Urteilsbindung erörtert. Hierzu werden zuerst die Vorgaben der Richtlinie dargestellt und anschließend ein möglicher Umsetzungsvorschlag gegeben, sowie die Abstimmung mit der EuGVVO näher untersucht.
I. Vorgaben der Richtlinie Die Richtlinie folgt im Bereich des Streitgegenstands, der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft dem Postulat einer Wahrung der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie.189 In der Konsequenz sind die Vorgaben der Richtlinie in diesem Bereich stark limitiert.190 Einem Verbraucher, der im Wege eines Opt-in- oder Opt-out-Mechanismus seine Zustimmung zur Rechtsverfolgung mittels einer Abhilfeklage erklärt hat, soll verwehrt sein, sich an einer Verbands- oder Individualklage „aus demselben Klagegrund gegen denselben Unternehmer“ 191 zu beteiligen (Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL).192 Ausgenommen hiervon ist die Situation eines zeitlich nachfolgenden Ausscheidens aus der Verbandsklage, sofern dies im nationalen Recht vorgesehen ist.193 Außerdem darf es keine doppelte Entschädigung geben (Art. 9 Abs. 4 S. 2 RL).194 Mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung erklärt der Verbraucher sein Einverständnis nicht nur zur Rechtsdurchsetzung durch die qualifizierte Einrichtung, sondern auch zu seiner Bindung an die Abhilfeentscheidung (Art. 9 Abs. 2 RL).195 Diese Bindung schließt jedoch eine weitergehende Abhilfe, welche nicht Gegenstand der Abhilfeklage war, nicht aus (Art. 9 Abs. 9 RL). Umgekehrt verpflichtet eine für die qualifizierte Einrichtung obsiegende Entscheidung den Unternehmer zur Leistung von Abhilfe im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL.196 In der Abhilfeentscheidung sollen entweder die abhilfeberechtigten Verbraucher individuell aufgeführt oder soll die Gruppe der betroffenen Verbrau189 Vgl. ErwGr. 12 S. 1 RL. ErwGr. 11 S. 1 RL betont die Wahrung der mitgliedstaatlichen Rechtstradition. Siehe allg.: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (65 f.). 190 Vgl. Rentsch, EuZW 2021, 524 (529). Eine Zusammenstellung der Regelungen findet sich bei: Woopen, JZ 2021, 601 (604 f.). 191 ErwGr. 46 S. 1 RL. 192 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (72 f.); Grewe/Stegemann, ZD 2021, 183 (185); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). 193 ErwGr. 46 S. 2 RL; Woopen, JZ 2021, 601 (604 f.); soweit Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (367) eine Abmeldemöglichkeit nach Urteilserlass als von der RL zugelassen ansieht, überdehnt dies Art. 9 Abs. 2 RL deutlich. 194 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73). Siehe hierzu allgemein: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133); vgl. zu den Ergänzungen durch den Rechtsausschuss: Lühmann, NJW 2019, 570 (574). 195 Vgl. Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). 196 Siehe nur: Vollkommer, MDR 2021, 129 (132 f.); vgl. zur Fassung des Art. 9 Abs. 9 RL (Art. 6 Abs. 4 RL-Entw. a. F.) durch den Rechtsausschuss: Lühmann, NJW 2019, 570 (574).
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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cher benannt werden (Art. 9 Abs. 5 RL). Außerdem soll das Urteil eine gegebenenfalls angewendete Schadensberechnungsmethode bestimmen und zudem erläutern, auf welchem Wege die Abhilfe erlangt werden kann.197 Zur Abhilfeerlangung soll kein gesondertes Verfahren erforderlich sein (Art. 9 Abs. 6 RL), wobei aber die Meldung bei einer entsprechenden Stelle eine zulässige Anforderung darstellt.198 Speziell durch den intendierten Schutz des Binnenmarktes199 und eine verbesserte Rechtsdurchsetzung für Verbraucher bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Rechtsverletzungen200 bedarf es einer Abstimmung mit den Regelungen der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen. Allerdings trifft die Richtlinie auf diesem Gebiet keinerlei Regelungen, sondern lässt die bestehenden Rechtsinstrumente unberührt (Art. 2 Abs. 3 RL)201 und geht von deren Anwendung aus.202 Um widersprüchliche Entscheidungen und Urteilsbindungen zu vermeiden, ist für Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb des Gerichtsstaates eine zwingende Anwendung des Opt-in-Mechanismus (Art. 9 Abs. 3 RL) vorgesehen.203 Die Verbraucher müssen daher ausdrücklich zustimmen, um an das Urteil gebunden zu sein.204 Hierdurch wird die grenzüberschreitende Wirkung des Verfahrens auf Fälle ausdrücklicher Zustimmung beschränkt.205 Weitergehend verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu, Vorschriften einzuführen, die die Abstimmung von Verbandsklagen, Individualklagen und weiteren Klagen, welche individuelle oder kollektive Interessen verfolgen, gewährleisten, und zwar unabhängig davon, ob diese auf nationalem oder unionalem Recht beruhen.206 Diese Regelung dürfte allerdings, da die Vorgaben der EuGVVO unberührt bleiben und die Richtlinie von deren Anwendbarkeit ausgeht,207 nur entsprechende 197
ErwGr. 50 S. 1 RL; hierzu auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). ErwGr. 50 S. 2, 4 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (133) zum Urteilsinhalt. 199 Siehe nur: ErwGr. 1 ff., Art. 1 Abs. 1 S. 2 RL. 200 Vgl. ErwGr. 20 S. 1 RL. 201 Ausdrücklich: ErwGr. 21 S. 1 RL; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47). 202 ErwGr. 21 S. 2, 3 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (66 f.). 203 ErwGr. 45 S. 1 RL; Vollkommer, MDR 2021, 129 (130); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (72). Siehe zu Schwierigkeiten bei Opt-out-Mechanismen im grenzüberschreitenden Kontext: Stadler, JZ 2009, 121 (128 f.). Zur Eingrenzung von Opt-out-Mechanismen auf im Gerichtsstaat domizilierte Verbraucher im Kontext der EuGVVO: Domej, ZEuP 2019, 446 (461 ff.). 204 ErwGr. 45 S. 2 RL. 205 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (67). 206 ErwGr. 48 S. 1 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76); Lühmann, ZIP 2021, 824 (834). Unterlassungsentscheidungen sollten individuelle Verbraucherklagen nicht ausschließen, vgl. ErwGr. 48 S. 2 RL. 207 Hierzu: ErwGr. 21 RL. Dies ist ein Umkehrschluss zu ErwGr. 22 RL. Eine Regelung i. S. d. Art. 67 EuGVVO (hierzu: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 46) dürfte nicht anzunehmen sein. 198
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Regelungen im autonomen nationalen Recht betreffen. Gänzlich eindeutig sind die Vorgaben der Richtlinie in diesem Punkt jedoch nicht.208 Den Wirkungen des Urteils ist ebenfalls die Regelung des Art. 15 RL zuzurechnen, wonach der rechtskräftigen Entscheidung einer Verbandsklage in gewissen Verfahren die Wirkung eines Beweismittels zukommen muss.209 Die nachfolgenden Ausführungen klammern diese Regelung allerdings aus, da sie in keinem näheren Zusammenhang mit der Parteirollenverschiebung steht.
II. Eingliederung in das nationale Verfahrensrecht Der folgende Abschnitt erörtert die Umsetzung der Richtlinienvorgaben in das nationale Zivilverfahrensrecht. Hierbei ist auf eine systemschonende Umsetzung und einen Ausgleich möglicher Folgen der Parteirollenverschiebung zu achten. 1. Auswirkungen auf den Streitgegenstandsbegriff Wie sich den obigen Ausführungen entnehmen lässt, enthält die Richtlinie keine konkreten Vorgaben zum Streitgegenstandsbegriff. Nachfolgend soll zunächst untersucht werden, ob die Übertragung der vom EuGH zu Art. 29 EuGVVO entwickelten Kernpunkttheorie einen sinnvollen Umsetzungsansatz bietet. Anschließend soll betrachtet werden, inwieweit die Beibehaltung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs geeignet ist, die Zielsetzungen der Richtlinie zu erreichen. Die Kernpunkttheorie begründet einen weiten Streitgegenstandsbegriff, welcher auf den Kernpunkt des Streits zwischen den Parteien abstellt, auch wenn die Anträge nicht identisch sind.210 Beide Verfahren müssen sich daher mit dem im Kern gleichen Streit über Rechtsfolgen aus einem weit verstandenen Lebenssachverhalt befassen.211 Maßgeblich für die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes der Abhilfeklage dürfte Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL („aus demselben Klagegrund und gegen denselben Unternehmer“) sein. Zumindest in den jeweiligen englischen 208 Anders wohl das Verständnis bei: Woopen, JZ 2021, 601 (604). Siehe auch: Rentsch, RabelsZ 85 (2021), 579 (562). 209 ErwGr. 64 RL; siehe hierzu: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 34 f.; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (52); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (74 f.); Augenhofer, NJW 2021, 113 (117). Die Regelung ist von der Urteilsanerkennung (Art. 36 EuGVVO) zu trennen, vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 141. 210 Ausführlich: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 44 m.w. N.; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 55; zur EuGH-Rspr.: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 126 ff.; EuGH, Urteil vom 08.12.1987, Rs. 144/86 – Gubisch Maschinenfabrik KG gegen Giulio Palumbo, Slg. 1987, 4861, Rn. 16 f.; EuGH, Urteil vom 06.12.1994, Rs. C-406/92 – Tatry, Slg. 1994, I-5439, Rn. 30, 38 f., 45. 211 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 93, Rn. 21.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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Sprachfassungen erweist sich dessen Wortlaut als mit Art. 29 Abs. 1 EuGVVO („cause of action“) identisch, beim Blick auf die gleichberechtigte deutsche Sprachfassung müsste dieses Urteil jedoch wiederum revidiert werden. Diese Unterschiedlichkeit nimmt dem Wortlautargument jedenfalls seinen zwingenden Charakter. Maßgeblich gegen eine Übertragung der Kernpunkttheorie spricht, dass diese vor allem den Zweck verfolgt, parallele Klagen in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und damit Anerkennungshindernissen vorzubeugen.212 Diese Klagekonzentration entspricht dabei bereits nicht zwingend der Konzeption der Richtlinie, welche mehrfach erkennen lässt, dass sie von der parallelen Zulässigkeit mehrerer Verbandsklagen ausgeht,213 zumal der genaue Umfang der Kernpunkttheorie bislang nicht abschließend ermittelt ist.214 Außerdem konstituiert der Streitgegenstand – nach deutschem prozessualen Verständnis – den späteren Urteilsgegenstand,215 welcher daher nicht zu weit greifen sollte. Ein weites Streitgegenstandsverständnis würde die in Art. 9 Abs. 9 RL vorgesehene Möglichkeit der Verbraucher, weitergehende Ansprüche zu verfolgen, beeinträchtigen.216 Da zu erwarten ist, dass der überwiegende Anteil der Anmelder seinen Wohnsitz in Deutschland haben wird, dürfte eine Eingliederung des Streitgegenstandsbegriffs in die ZPO dem praktischen Bedürfnis einer einheitlichen Bestimmung des Verfahrensgegenstandes und einer Abgrenzung gegenüber Individualklagen zudem angemessen Rechnung tragen.217 Aufgrund der hier vorgeschlagenen Prozessstandschaft für die angemeldeten Verbraucher und der damit verbundenen Streitgegenständlichkeit der Individual212 Vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 44 m.w. N.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 93, Rn. 21; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 72a; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 2, 55; Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 (406 f.); Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 131 f., 160 f., 626 ff. 213 Art. 9 Abs. 4 S. 1, Art. 15, ErwGr. 46 S. 1, ErwGr. 64 S. 1 RL. Vgl. zum fehlenden Bedürfnis einer Erweiterung der Rechtshängigkeit durch die Kernpunkttheorie: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 261, Rn. 10. 214 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 2 dort auch m.w. N. 215 Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 154, Rn. 1 f.; vgl. auch: ebenda, § 93, Rn. 27; Gruber, in: BeckOKZPO, § 322, Rn. 20. Zur Lösung von Rechtshängigkeit und Rechtskraft: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 183 f. m.w. N. Streitgegenstand und Rechtskraft müssen im europäischen Zivilprozessrecht nicht parallel verlaufen: Schack, Europäische Rechtskraft?, in: Festschrift Geimer, S. 611 (615). 216 Vgl. insoweit auch die Kritik an der Kernpunkttheorie bei: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 44 m.w. N.; Gottwald, in: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 93, Rn. 27; Einschränkung der Justizgewährung: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 56 m.w. N. Vgl. speziell zu den Nachteilen bei Teilklagen: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 69. Sofern die Abhilfeklage keine umfassende Streitbereinigung erzielen kann, wäre eine Individualklage zeitweise gesperrt. Ausführlich mit Blick auf die Streitgegenstands- und Rechtskraftreichweite: Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 (421 ff.). 217 Vgl. allg. zur Übertragung der Kernpunktheorie: Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl., Rn. 72a.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
ansprüche bietet sich die Beibehaltung des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs für die Abhilfeklage an. Infolgedessen käme es bei der Anmeldung mehrerer Verbraucher zu einer objektiven Klagehäufung.218 Gegen einen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff spräche zwar, dass Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL, welcher durch den Ausschluss doppelter Verfahrensbeteiligungen den Verfahrensgegenstand abgrenzt, nur auf den Klagegrund Bezug nimmt. Hierunter könnte man nur den der Klage zugrunde liegenden Lebenssachverhalt verstehen.219 Dies überzeugt allerdings bereits deshalb nicht, weil sich eine Gleichsetzung von Klagegrund und Lebenssachverhalt indirekt an die Regelung des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO anlehnt.220 Diese Gleichsetzung ist allerdings bei europäisch autonomer Auslegung gerade nicht geboten.221 Außerdem kann der Begriff „Klagegrund“ auch die rechtliche Formulierung im Sinne eines aus dem Sachverhalt folgenden Begehrens umfassen.222 Eine zu weitreichende Ausdehnung des Streitgegenstandes, wie sie ein Abstellen nur auf den Lebenssachverhalt zur Folge hätte, erwiese sich außerdem als nicht geeignet, die Vorgabe des Art. 9 Abs. 9 RL umzusetzen. Hiernach soll eine solche Abhilfe, welche nicht Gegenstand des Verfahrens war, unberührt bleiben. Eine Bestimmung der Reichweite des Verfahrensgegenstands erfordert jedoch die Einbeziehung des Klageziels, also der begehrten Abhilfe. Die Abgrenzung nur anhand des Lebenssachverhaltes wäre hierfür zu weitgehend.223 Dafür spricht auch die in Art. 3 Nr. 10, Art. 9 Abs. 1 RL erfolgte Gleichsetzung von Klageziel beziehungsweise Abhilfeentscheidung und der konkret gewährten Abhilfe. Daraus folgt die Sinnhaftigkeit, den Klageantrag, welcher gegebenenfalls bei verschiedenen Untergruppen divergiert, in den Streitgegenstand einzubeziehen.224 Für einen prozessualen Anspruchsbegriff spricht der hier angestrebte Ausschluss einer Beschränkung auf gewisse Rechtsakte und Anspruchsgrundlagen,225 der sich aus dem im Vergleich zur Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL) vorgeschlagenen erweiterten Anwendungsbereich ergibt. Außer218 Siehe nur Greger, in: Zöller, ZPO, § 260, Rn. 1; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 260, Rn. 1. Zum VDuG-E aber: Scherer, VuR 2022, 443 (445). 219 So wohl: Augenhofer, NJW 2021, 113 (116) und Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). 220 Dazu: Anders, in: Anders/Gehle, ZPO, § 253, Rn. 26, 28; Bacher, in: BeckOKZPO, § 253, Rn. 53; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Einl., Rn. 83. 221 Vgl. zur autonomen Auslegung i.R. d. EuGVVO: Stadler/Krüger, in: Musielak/ Voit, ZPO, Vorb. Europäisches Zivilprozessrecht, Rn. 9. 222 Siehe auch: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133), welcher vom aus dem „klagebegründenden Sachverhalt [. . .] vom (Verbands-)Kläger abgeleiteten Rechtsschutzziel“ spricht. 223 Anders die Kernpunkttheorie: Rüßmann, ZZP 111 (1998), 399 (401); Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 150 f. 224 Die Bedeutung betont auch Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Vor § 253, Rn. 52. 225 Vgl. zur Unzulässigkeit einer entsprechenden Beschränkung: Gottwald, in: MüKoZPO, § 322, Rn. 113 m.w. N.; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 253, Rn. 75 ff.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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dem gelingt es auf diese Weise, im Interesse der Anmelder, das Klageziel unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen umfassend zu klären.226 Nicht beantwortet ist damit, ob auch eine Einbeziehung des zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes geboten ist. Die Bezugnahme auf den Klagegrund in Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL spricht, wie bereits dargelegt wurde, für eine Einbeziehung der tatsächlichen Grundlagen der Klage. Außerdem betont die Richtlinie sehr häufig die dem Verfahren zugrunde liegende „Praktik“ des Unternehmers,227 welche bereits in der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 8 RL als „jede Handlung oder Unterlassung eines Unternehmers“ umschrieben wird. Zwar ist diese Praktik primär Gegenstand der Unterlassungsklage,228 dennoch geht die Richtlinie davon aus, dass aus diesem Sachverhalt heraus die möglichen Ansprüche der Verbraucher folgen.229 Somit steht die Richtlinie der Einbeziehung des Lebenssachverhalts als Ursache des Abhilfebegehrens nicht entgegen. Für die Einbeziehung spricht auch die fehlende Beteiligung des Klägers am tatsächlichen Geschehen, sodass ein Abstellen auf die tatsächlichen Umstände, welche sich zwischen Anmelder und Beklagtem ereignet haben, zur Abgrenzung erforderlich ist.230 Verallgemeinert gesprochen hat die Einbeziehung des Lebenssachverhalts den Vorteil, dass sie die Individualisierung des Streitgegenstandes erleichtert.231 Da die Abhilfeklage verglichen mit der Musterfeststellungsklage durch ihre Ausrichtung auf ein Leistungsbegehren einen deutlich geringeren Abstraktionsgrad aufweist, ist es möglich den zugrunde liegende Lebenssachverhalt anhand der individuellen Beziehung zwischen Anmelder und Beklagtem zu bestimmen. Da dem Sachverhalt jedoch häufig ein gleichartiges Verhalten des Unternehmers zugrunde liegen dürfte,232 kann es sich vielfach zur Vermeidung langwieriger und aufwendiger Prüfungen der individuellen Sachverhalte anbieten, die unternehmerische Praktik als maßgeblichen Ausgangspunkt zur Bestimmung des Lebenssachverhaltes heranzuziehen. 226 Siehe zum prozessualen Anspruchsbegriff: Gottwald, in: MüKoZPO, § 322, Rn. 117. 227 ErwGr. 1, ErwGr. 5 S. 3, ErwGr. 20 S. 2, ErwGr. 33 S. 3, ErwGr. 37 S. 3, ErwGr. 40, ErwGr. 48 S. 2, ErwGr. 64 S. 1, Art. 3 Nr. 8, Art. 8 Abs. 1 lit. a) und b), Abs. 2 lit. a), Art. 15 RL. 228 Vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 lit. a), ErwGr. 48 S. 2 RL. 229 Vgl. ErwGr. 48 S. 2 RL; siehe auch: ErwGr. 49 S. 1 RL zu den vom Verstoß betroffenen Verbrauchern. In diese Richtung wohl: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). Zu beachten ist auch, dass der Lebenssachverhalt üblicherweise vom Standpunkt der Parteien aus bestimmt wird (Gruber, in: BeckOKZPO, § 322, Rn. 20), was bei der Parteirollenverschiebung eine Ergänzung (Standpunkt der Anmelder) erforderlich macht. 230 Siehe dazu auch: Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL und ErwGr. 46 S. 1 RL, welche nur auf den betroffenen Verbraucher und den beklagten Unternehmer abstellen. 231 Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Einl. II, Rn. 24 f. Der eingliedrige Streitgegenstandsbegriff bedarf daher häufig eines Rückgriffs auf den Lebenssachverhalt: Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl., Rn. 17. 232 Vgl. ErwGr. 1 S. 1 RL.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
Die durch den Opt-in-Mechanismus der Richtlinie zugelassene Individualisierung der einzelnen Verbraucher und dadurch auch deren Individualansprüche im Verhältnis zum Beklagten ermöglichen233 somit die Beibehaltung des tradierten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs der ZPO und grenzen den Verfahrensgegenstand hinreichend präzise und im Einklang mit der Richtlinie ab.234 2. Ausgestaltung des Rechtshängigkeitseinwandes bei der Abhilfeklage Durch die Richtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Regelungen zur Koordination der Verbands- und Individualklagen zu erlassen.235 Die Rechtshängigkeit im Rahmen der Abhilfeklage betrifft, wie bereits bei der Musterfeststellungsklage, nicht nur das Verhältnis der Parteien, sondern auch das Verhältnis mehrerer klagender qualifizierter Einrichtungen und das Verhältnis zwischen dem Beklagtem und den Anmeldern. Die Richtlinie geht an mehreren Stellen von der parallelen Zulässigkeit mehrerer Verbandsklagen für denselben oder einen ähnlichen Verfahrensgegenstand aus, zumindest aber schließt sie dies nicht aus.236 Für diesen Fall regelt Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL, dass eine Beteiligung der Verbraucher an zwei Abhilfeklagen mit demselben Gegenstand gegenüber demselben Beklagten ausgeschlossen werden muss.237 Für das Verhältnis der klagenden qualifizierten Einrichtung zum Beklagten sollte § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zur Anwendung kommen.238 Durch das hier vor233 Zur Konkretisierung: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 253, Rn. 26 f. Aufgrund des beschränkten Anwendungsbereichs des VDuG-E (vgl. § 15 Abs. 1 VDuG-E) bedürfte es in dessen Rahmen zur ausreichenden Individualisierung nicht zwingend eines Rückgriffs auf die individuelle Beteiligung der Verbraucher am Lebenssachverhalt. Auch durch die möglichen Klageziele (individuelle Bezifferung oder Bestimmung der Ansprüche nach gleichartigen Kriterien) können sich Abweichungen vom hier vorgeschlagenen Ansatz ergeben; vgl. zum Ref-E: Meller-Hannich, DB 2023, 628 (629). Allerdings geht der Gesetzentwurf wohl von einer möglichen Einbeziehung aus, wenn ein gleicher Streitgegenstand im Verhältnis zu Individualverfahren thematisiert (VRUG-E, S. 83 f.) und ein individualisiertes Abhilfeurteil (§ 16 Abs. 1 S. 2 VDuG-E, VRUG-E, S. 89 f.) zugelassen wird. 234 Vgl. ErwGr. 43 S. 2 RL zur Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen durch die verschiedenen Beitrittsmodi. 235 ErwGr. 48 S. 1 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76). 236 Siehe nur: Art. 9 Abs. 4 S. 1, Art. 15, ErwGr. 46 S. 1, ErwGr. 64 S. 1 RL. Darauf weisen auch Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 40, insb. Fn. 173 und S. 51 hin; ebenso Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47); Lühmann, ZIP 2021, 824 (834). Allgemein zum Verhältnis von Kollektiv- und Individualverfahren: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (75 f.); vgl. bereits zum Kommissionsentwurf: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (248). 237 Siehe auch: ErwGr. 46 S. 1 RL; Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (72 f.); Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1150); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Augenhofer, NJW 2021, 113 (116), wobei das Abstellen auf einen identischen Sachverhalt zu weitgehend sein dürfte. 238 Vgl. nur zu § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 261, Rn. 70 m.w. N.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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geschlagene Modell einer Prozessstandschaft wäre es grundsätzlich denkbar, mehrere parallele Abhilfeklagen bei personenverschiedenen Anmeldern zuzulassen.239 Allerdings ist eine parallele Verfahrensführung durch mehrere qualifizierte Einrichtungen hinsichtlich desselben Streitgegenstandes240 gegenüber demselben Beklagten nicht geeignet, eine einheitliche Entscheidung herbeizuführen, außerdem würde dadurch die Notwendigkeit entstehen, Doppelanmeldungen vorzubeugen, was erheblichen administrativen Aufwand begründen dürfte.241 Somit sollte das Gesetz in diesem Fall eine Monopolisierung der Prozessführung nach Prioritätsgesichtspunkten, mithin einen Rechtshängigkeitseinwand vorsehen.242 Eine solche Regelung schränkt zwar die durch Art. 6 Abs. 1 RL den qualifizierten Einrichtungen grundsätzlich zustehende Berechtigung zur Erhebung von Verbandsklagen ein,243 sie würde allerdings gleichzeitig die doppelte Verbraucherbeteiligung, wie sie von Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL ausgeschlossen wird, verhindern. Eine Ausnahme hiervon muss allerdings gemacht werden, damit die gemeinsame Klageerhebung durch mehrere qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Verstößen (Art. 6 Abs. 2 RL)244 möglich bleibt. Da die qualifizierte Einrichtung hierbei Prozessstandschafter für die Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in ihrem Benennungsstaat ist,245 kann zur Abgrenzung der Verfahren auf die den Klägern zugeordneten Streitgegenstände abgestellt werden. Neben der Verbandsklage sind weiterhin individuelle Klagen der Verbraucher möglich,246 so dass Regelungen zur Rechtshängigkeit erforderlich sind, um eine doppelte Rechtsverfolgung zu verhindern.247 Im Hinblick auf den durch die Richtlinie nicht intendierten Ausschluss weitergehender Rechtsverfolgungsmöglichkeiten,248 sollte der Rechtshängigkeitseinwand jedoch nicht zu weit gefasst werden. Aus Gründen der gesteigerten Konzentrationswirkung sollte eine Indi-
239 Hier wäre weder Partei- noch Streitgegenstandsidentität gegeben, was aber § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erfordert: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 261, Rn. 70; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 261, Rn. 11. 240 Für weitergehende Rechtshängigkeitssperre: Bruns, Rechtsgutachten, S. 52. 241 Vgl. zur Problematik: Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76). 242 So auch der Vorschlag von: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 41; siehe ferner § 8 VDuG-E. Eine andere Möglichkeit wäre die Auswahl des Klägers: Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (248 f.). 243 Vgl. ErwGr. 31 S. 1 RL. 244 Vgl. ErwGr. 31 S. 2 RL. Dazu auch: Woopen, JZ 2021, 601 (604). 245 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. III. 3. 246 Siehe nur: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133); § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO greift mangels Parteiidentität nicht ein, vgl. nur: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 261, Rn. 10a. 247 Siehe zu deren Ausschluss nur: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677). Vgl. zum entsprechenden Normzweck des § 261 ZPO: Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 35. 248 Vgl. Art. 9 Abs. 9 RL.
440
Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
vidualklageerhebung zeitlich vor der Möglichkeit zur Anmeldung nicht von der Beteiligung an der Abhilfeklage präkludieren. Zu diesem Zweck sollte es infolge der Anmeldung zunächst zu einer zwingenden Aussetzung kommen,249 damit nach der Beendigung des Abhilfeverfahrens im Umfang der materiellen Rechtskraft eine automatische Verfahrensbeendigung wegen Erledigung eintreten kann. Zu diesem Zweck muss § 269 ZPO für das Abhilfeverfahren entsprechend erweitert werden.250 Zur Umsetzung des Art. 9 Abs. 4 S. 1 RL sollte es bei Anmeldung zu einer Abhilfeklage, sofern der Anmelder noch keine Individualklage erhoben hat, zu einer Rechtskraftsperre für eine Einzelklage oder eine Anmeldung zu einer weiteren Abhilfeklage kommen, soweit der Streitgegenstand mit dem Verfahren der ersten Anmeldung übereinstimmt.251 § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO muss zu diesem Zweck in subjektiver Hinsicht erweitert werden.252 Für solche Fälle, in denen ein Anmelder eine Individualklage erhebt, die nicht mit dem Streitgegenstand – und sei es auch nur teilweise – übereinstimmt, aber trotzdem in Zusammenhang mit dem Gegenstand der Abhilfeklage steht, sollte die Gelegenheit zur Verfahrensaussetzung nach § 148 ZPO253 erweitert werden. Hierdurch könnten Erkenntnisse des Abhilfeverfahrens einbezogen werden. Zusammenfassend sollte der Rechtshängigkeitseinwand des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO angewandt und in subjektiver Hinsicht auf die Anmelder ausgedehnt werden. Die Rechtshängigkeitssperre entspricht damit der Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in Fällen der gewillkürten Prozessstandschaft.254 Das erste rechtshängige Abhilfeverfahren sperrt nachfolgende Klagen, sofern nicht mehrere qualifizierte Einrichtungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zusammen klagen. Daneben wird § 148 ZPO erweitert, um eine einheitliche Streitentscheidung zu gewährleisten. Im Ergebnis wird damit dem kollektiven Verfahren gegenüber einem individuellen Verfahren der Vorrang eingeräumt.255
249
Vgl. Augenhofer, NJW 2021, 113 (116) zu einer Regelung wie § 613 Abs. 2
ZPO. 250
Ähnlich: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 40. Vgl. zum Ausschluss paralleler Individualklagen nur: Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1150). Siehe auch: Bruns, Rechtsgutachten, S. 50. 252 Die Norm wird bereits bislang erweiternd angewendet in Fällen der Rechtskrafterstreckung: Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 261, Rn. 10a; Assmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 261, Rn. 75. Den praktischen Schwierigkeiten bei Opt-out-Verfahren (vgl. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76)) wird durch den Opt-in-Mechanismus vorgebeugt. 253 § 148 ZPO erfordert de lege lata Präjudizialität: Smid/Hartmann, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 148, Rn. 26 ff. 254 Dazu: Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 261, Rn. 75 m.w. N.; BGH, Urteil vom 05.10.1989, Az. IX ZR 233/87, BGH NJW-RR 1990, 45 (47) m.w. N. Vgl. auch die Vorschläge von Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 98. 255 Vgl. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76). 251
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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3. Rechtskraft bei der Abhilfeklage Wie bereits der Einwand der Rechtshängigkeit verhindert auch die materielle Rechtskraft eine doppelte Prozessführung.256 Dass Entscheidungen im Rahmen der Verbandsklage, gegen die kein zulässiger Rechtsbehelf mehr existiert, in Rechtskraft erwachsen, setzt die Richtlinie im Rahmen der Legaldefinition der rechtskräftigen Entscheidung in Art. 3 Nr. 9 RL voraus.257 Die Parteien sind somit an die Entscheidung über den Streitgegenstand gebunden.258 Für den Fall eines für die Verbraucher günstigen Urteils ordnet Art. 9 Abs. 4 S. 2 RL einen Ausschluss der Doppelkompensation an.259 Das teilweise hervorgehobene Fehlen einer Regelung über eine mögliche Bindungswirkung einer Klageabweisung gegenüber den betroffenen Verbrauchern260 stellt nur auf den ersten Blick eine Unvollständigkeit im Hinblick auf die Urteilsbindung dar. Aus Art. 9 Abs. 2 und 3 RL ergibt sich, dass die Zustimmung zum Verfahren nicht nur eine Zustimmung zur Repräsentation261 beinhaltet, sondern auch eine Zustimmung zur Bindung an das Verfahrensergebnis. Dabei unterscheidet der Wortlaut erkennbar nicht hinsichtlich der Art des Ergebnisses.262 Für eine Bindung an das Urteil spricht bereits die Erkenntnis, dass andernfalls die Prozessökonomie und die Erzielung von Rechtssicherheit und -einheit verfehlt würden.263 Für die Abhilfeentscheidung sollte daher hinsichtlich der Wirkungen gegenüber den Anmeldern
256
Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 1 m.w. N. Vgl. Bruns, Rechtsgutachten, S. 71, allerdings wird die Rechtskraft nicht von Art. 15 RL getrennt. 258 Vgl. Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 322, Rn. 17. § 11 Abs. 3 S. 1 VDuG-E führt zu einer weitgehenden Beibehaltung der bisherigen Ausgestaltung der Bindungswirkung. Nicht von dieser umfasst ist allerdings das Abhilfeendurteil (vgl. § 11 Abs. 3 S. 2 VDuG-E, ggü. den Anmeldern) sowie die Leistungsauskehr durch den Sachwalter. 259 Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (73). Siehe auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbvGutachten, S. 9; Lühmann, ZIP 2021, 824 (835). 260 Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 8, 34. Dass die Mandatierung nur zu einer Bindungswirkung führen kann, aber nicht muss (vgl. ebenda, S. 9), deckt sich nicht mit dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 RL, siehe dazu: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); siehe auch: Meller-Hannich, VbR 2021, 40 (44). Vgl. zur Entwicklung der Entscheidungswirkung im legislativen Prozess: Domej, ZEuP 2019, 446 (458 ff.). 261 Vgl. Art. 7 Abs. 6, ErwGr. 36 RL; „Repräsentationsprinzip“: Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674 f.); ähnlich auch: Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47). 262 Siehe dazu auch: ErwGr. 45 S. 2 RL. ErwGr. 43 S. 1 RL spricht zwar davon, dass die Verbraucher darüber entscheiden können sollen, ob sie die Ergebnisse annehmen, dass muss aber nicht zwingend nur für sie positive Ergebnisse betreffen. Allgemeine Bindung: Vollkommer, MDR 2021, 129 (133); Wambach/Dressel, ZIP 2021, 1149 (1150); Lühmann, ZIP 2021, 824 (835). 263 Diese Prozesszwecke sind auch Ziele der materiellen Rechtskraft: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 28; für die Einmaligkeit der Entscheidung sprechen außerdem öffentliche Interessen: ebenda, Rn. 29. Vgl. zur class action: Eichholtz, Class Action, S. 215. 257
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
auf die Rechtskraftwirkung bei der Prozessstandschaft zurückgegriffen werden,264 wodurch es zu einer subjektiven Rechtskrafterstreckung käme.265 Dies ist bereits deshalb überzeugend, weil die Rechtsdurchsetzung durch den Dritten auf einem Willensentschluss des Verbrauchers beruht.266 Die Reduzierung der Rechtskrafterstreckung auf den Streitgegenstand ermöglicht es zudem, der begrenzenden Wirkung des Art. 9 Abs. 9 RL gerecht zu werden.267 Welche außerdem – neben kompetenzrechtlichen Fragen – gegen einen hier nicht näher vertiefbaren weiten europäischen Rechtskraftbegriff sprechen.268 Sofern die Anmelder nicht im Urteil individuell aufgeführt werden, muss dieses wenigstens zu erkennen geben, welche objektiven Rechtskraftwirkungen gegenüber welchen Verbrauchergruppen eintreten.269 Ein Bedürfnis, dass auch die in das Urteil aufzunehmenden verfahrensbezogenen Angaben zur Umsetzung der Abhilfeerlangung270 in Rechtskraft erwachsen, ist nicht ersichtlich. Daher sollte sich die Rechtskraft in objektiver Hinsicht auf den Streitgegenstand beschränken und subjektiv die Parteien und angemeldeten Verbraucher binden.
III. Integration der Verbandsabhilfeklage in das System der EuGVVO Aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 RL anvisierten, aber durch den Opt-in-Modus gleichzeitig auch beschränkten271 Möglichkeit grenzüberschreitender Rechtsverfolgung, muss sich die Abhilfeklage zusätzlich in das europäische Zivilverfahrensrecht einfügen. Aus Platzgründen und wegen des starken Binnenmarktbezu264 So auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 35. Die materielle Rechtskraft soll das Verhältnis der Parteien endgültig ordnen und dient damit deren Interessen: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 29. 265 Siehe auch: Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 36, 41; Meller-Hannich, Gutachten A zum 72. Deutschen Juristentag, S. 99. Teilweise ablehnend wohl: Voigt, ZZP 134 (2021), 343 (367 f.). 266 Vgl. zur gew. Prozessstandschaft: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 325, Rn. 63 f. 267 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 36, Fn. 156. Siehe zu den Gründen einer entsprechenden Begrenzung der Rechtskraft bei § 322 Abs. 1 ZPO: Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 322, Rn. 69. 268 Vgl. Schack, Europäische Rechtskraft?, in: Festschrift Geimer, S. 611 (616 f.); a. A. Bach, EuZW 2013, 56 (58). Zum unionsrechtlichen Rechtskraftbegriff: EuGH, Urteil vom 15.11.2012, Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG, ERGO Versicherung AG, Versicherungskammer Bayern-Versicherungsanstalt des öffentlichen Rechts, Nürnberger Allgemeine Versicherungs-AG, Krones AG gegen Samskip GmbH, RIW 2013, 151 (155) m.w. N. Kritisch zum Urteil: Klöpfer, GPR 2015, 210 (211 ff.). 269 Vgl. Art. 9 Abs. 5, ErwGr. 50 S. 1 RL. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. IV. 8. 270 ErwGr. 50 S. 1 RL. 271 Vgl. Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (67). Vgl. zu den Schwierigkeiten grenzüberschreitender Opt-out-Verfahren: Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 236; Stadler, JZ 2009, 121 (129).
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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ges der Richtlinie wird nachfolgend nur die Abstimmung mit der grundsätzlich anwendbaren272 EuGVVO im Hinblick auf die Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit und die Urteilsanerkennung analysiert. Das Verhältnis zu Drittstaaten wird ausgeklammert.273 1. Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit a) Anwendbarkeit des Art. 29 EuGVVO Im sachlichen Anwendungsbereich der EuGVVO kommt Art. 29 die Aufgabe zu, anhand des Prioritätsprinzips die mehrfache Rechtshängigkeit von zwei oder mehr Verfahren mit gleichem Gegenstand zu verhindern.274 Art. 29 EuGVVO umfasst alle möglichen Verfahrensarten,275 sodass die Anwendbarkeit auf ein Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes grundsätzlich gegeben ist. Auch steht das Fehlen einer klassischen Individualklage nicht entgegen, da der Begriff der Klage bei autonomer Auslegung keine Klage im förmlichen Sinne erfordert.276 Die Norm führt zu einer Aussetzung des Verfahrens beim zeitlich später angerufenen Gericht (Art. 29 Abs. 1 EuGVVO), wodurch für das zuerst angerufene Gericht die Möglichkeit besteht, seine Zuständigkeit zu prüfen. Im Falle einer Bejahung seiner Zuständigkeit hat das Zweitgericht sich dann für unzuständig zu erklären (Art. 29 Abs. 3 EuGVVO).277 Erforderlich ist, dass es sich um zwei Verfahren bezüglich desselben Anspruchs handelt, diesen bestimmt der EuGH nach der Kernpunkttheorie.278 Die Rechtshängigkeit des Individualanspruchs279 hat dementsprechend den Vorteil, 272 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. II. 1. a). Siehe außerdem: Gsell/ Meller-Hannich, vzbv-Gutachten, S. 50; Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (156). 273 Die Art. 29 ff. EuGVVO regeln die doppelte Rechtshängigkeit in Mitgliedstaaten und im Verhältnis zu Drittstaaten, siehe nur: Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Vor Art. 29–34 EuGVVO, Rn. 1. 274 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 2, 27. Die Besonderheiten bei ausschließlichen und prorogierten Gerichtsständen werden ausgeklammert, dazu: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 34. Woopen, JZ 2021, 601 (611) geht demgegenüber wohl von einer unbeschränkten Beteiligungsmöglichkeit in mehreren Mitgliedstaaten aus. 275 Vgl. Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 8. 276 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 22, 35. Errichtung eines seerechtlichen Haftungsbegrenzungsfonds: EuGH, Urteil vom 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S gegen Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, I-9657, Rn. 43 ff. 277 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 95. 278 Siehe nur: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 55; Geimer, in: Zöller, ZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 25. Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 5 B. II. 1. 279 Vgl. auch: Stadler, JZ 2009, 121 (130).
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
dass diese die Anwendbarkeit des Art. 29 EuGVVO zur Folge hat und somit parallele Rechtsverfolgung auch grenzüberschreitend verhindert werden kann.280 Außerdem erfordert Art. 29 Abs. 1 EuGVVO, dass das Verfahren zwischen denselben Parteien anhängig ist.281 Problematisch hieran könnte der Ausschluss der Anmelder von der Parteistellung und die ausschließliche Zuweisung der Parteirolle an die qualifizierte Einrichtung sein.282 Aufgrund der fehlenden Parteiidentität bei einer gesonderten Klage unter Beteiligung eines angemeldeten Verbrauchers könnte das Prioritätsprinzip und damit der Schutz vor doppelter Rechtshängigkeit unterlaufen werden. Dies kann nur vermieden werden, wenn die Norm durch ein Abweichen von einem formellen Verständnis der Parteiidentität entsprechend extensiv ausgelegt wird, wofür der Normzweck einer Vermeidung widersprechender Urteile infolge doppelter Rechtshängigkeit spricht.283 Entsprechend fasst der EuGH die subjektiven Grenzen der Norm gegenüber dem Wortlaut extensiver. Sofern die Interessen zweier Parteien in verschiedenen Verfahren voneinander nicht trennbar und identisch sind und daher ein Urteil Rechtskraft gegenüber der Partei des anderen Verfahrens entfalten würde, kommt es zur Anwendung von Art. 29 EuGVVO.284 Dies muss für die Abhilfeklage angenommen werden, da die qualifizierte Einrichtung „im Interesse und im Auftrag der (. . .) betroffenen Verbraucher“ 285 handelt, mithin eine Interessenkongruenz anzunehmen ist und das Urteil die Verbraucher bindet (Art. 9 Abs. 2, 3 RL). Entsprechend verfährt auch die Rechtsprechung im Falle von Zessionen und Prozessstandschaften.286 Die Ablehnung dieses Ergebnisses unter Berufung auf die ge-
280 Zum Zweck des Art. 29 EuGVVO: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 20 EuGVVO, Rn. 2. Vgl. zur abweichenden Ausgestaltung bei der Musterfeststellungsklage: Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (328 f.). 281 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 24. 282 Art. 7 Abs. 6 S. 1, ErwGr. 36 S. 2, 3 RL. Siehe zur Problematik auch: Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 244 f. 283 Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 245. Exemplarisch: EuGH, Urteil vom 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S gegen Firma M. de Haan en W. de Boer, Slg. 2004, I-9657, Rn. 31 f. 284 EuGH, Urteil vom 19.05.1998, Rs. C-351/96 – Drouot assurances SA gegen Consolidated metallurgical industries (CMI industrial sites), Protea assurance und Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne, Slg. 1998, I-3075, Rn. 19 f., 25; BGH, Urteil vom 19.02.2013, Az. VI ZR 45/12, NZV 2013, 336 (338); dazu auch: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 25 f. m.w. N.; Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 18; kritisch: Geimer, in: Zöller, ZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 17. Siehe auch: Althammer, Streitgegenstand und Interesse, S. 132 ff. m.w. N. 285 ErwGr. 36 S. 1 RL. 286 Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 245; Peiffer/Peiffer, in: Geimer/ Schütze, IntRechtsV, EuGVVO, Art. 29, B Vor I 7, Rn. 14; zu Prozessstandschaft: LG Düsseldorf, 27.02.1998, Az. 4 O 127/97, GRUR Int 1998, 804 (805); zur Abtretung: OLG Köln, Beschluss vom 08.09.2003, Az. 16 U 110/02, IPRax 2004, 521 (524). Tolkmitt, in: Ruhl/Tolkmitt, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art. 79, Rn. 44 m.w. N. aus
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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steigerte Rechtssicherheit bei Anwendung der formalen Parteiidentität überzeugt nicht, da dies den Normzweck vielfach vereiteln würde.287 Die Frage, wann ein Gericht im Sinne des Art. 29 Abs. 1 EuGVVO als angerufen gilt, bestimmt sich nach Art. 32 Abs. 1 EuGVVO.288 Für das Abhilfeverfahren kann dabei nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 RL durch die qualifizierte Einrichtung abgestellt werden. Diese führt schließlich nicht zur Rechtshängigkeit der Ansprüche, welche (nach nationalem Verständnis) erst durch die Anmeldung eintritt. Um eine autonome Bestimmung der Anrufung des Gerichts zur Vermeidung von Unterschieden und damit Zufälligkeiten durch die nationalen Verfahrensrechte zu verwirklichen, bietet es sich an, als einheitliches Kriterium auf die von Art. 9 Abs. 2, 3 RL geforderte Zustimmung abzustellen. Andernfalls könnte beispielsweise ein Opt-out-Mechanismus, mit einer in einem späten Verfahrensstadium vorgesehenen Austrittsmöglichkeit, allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit des Verbrauchers nur infolge der Abhilfeklageeinreichung bereits eine Sperrwirkung begründen. Hierdurch drohen nicht nur unpraktikable Ergebnisse, sondern auch die Verweigerung der Justizgewährung. Das hier entwickelte Modell einer Anmeldung beim BfJ entspricht allerdings bei wortlautgetreuer Anwendung weder Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a) noch lit. b) EuGVVO, da keine Einreichung bei Gericht erfolgt und auch das BfJ keine für die Zustellung verantwortliche Stelle ist.289 Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a) EuGVVO ist jedoch nicht eng auszulegen und erfasst auch die Einleitung eines obligatorischen Güteverfahrens, wenn dieses dem Hauptsacheverfahren zwingend vorausgeht.290 Dementsprechend sollte auch eine das Verfahren hinsichtlich des Anspruchs einleitende Registeranmeldung, die damit äquivalent zur Klageerhebung ist („gleichwertiges Schriftstück“), als Anrufung des Gerichts im Sinne des Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a) EuGVVO qualifiziert werden. b) Praktikabilität der Anwendung auf ein Massenverfahren Trotz der Anwendbarkeit des Art. 29 EuGVVO dürfte dessen Aussetzungsmechanismus für ein kollektives Verfahren Schwierigkeiten bereiten: Besonders relevant für ein deutsches Gericht, welches mit einer Abhilfeklage befasst ist, wäre der Rspr. außerdem zu Fällen fehlender Parteiidentität: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 323. 287 So aber: Stadler/Krüger, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 4; ebenso: Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten, S. 37 f. 288 Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 50. 289 Siehe hierzu: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 32 EuGVVO, Rn. 6 f., 9 f. 290 EuGH, Urteil vom 20.12.2017, Rs. C-467/16 (Curia) – Brigitte Schlömp gegen Landratsamt Schwäbisch Hall, Rn. 53 ff., insb. Rn. 55; Geimer, in: Zöller, ZPO, Art. 32 EuGVVO, Rn. 1; Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 32 EuGVVO, Rn. 3. Bei § 15a EGZPO wird eine Gütestelle angerufen: Heßler, in: Zöller, ZPO, § 15a EGZPO, Rn. 19.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
die Konstellation einer erfolgten Anrufung eines mitgliedstaatlichen Gerichts und einer Zustimmung durch einen Verbraucher im Sinne des Art. 9 Abs. 2 RL, welcher sich gemäß Art. 9 Abs. 3 RL anschließend außerdem zum Abhilfeverfahren in Deutschland anmeldet. Das deutsche Gericht wäre verpflichtet, das Verfahren auszusetzen, bis das mitgliedstaatliche Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hat.291 Sofern im anderen Mitgliedstaat ein Opt-out-Mechanismus Anwendung findet, bietet es sich an, vom Anmelder den Nachweis seines Austritts aus diesem Verfahren als Anmeldungsvoraussetzung zu fordern.292 Hierin läge eine Regelung, die die Ausgestaltung des Opt-in betrifft und somit in die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten fällt.293 Eine Abgrenzung anhand der durch die Klage betroffenen Gruppe294 dürfte demgegenüber – speziell unter Berücksichtigung der Austrittsmöglichkeit – nicht praktikabel sein. Für einen Opt-in-Mechanismus wäre ein derartiges Vorgehen bereits deshalb nicht geeignet, weil ein Nachweis über die Anmeldung zu erbringen wäre, was bei Doppelanmeldungen die Kooperation entweder des Verbrauchers, der Parteien oder einen zeitnahen Informationsfluss zwischen den Gerichten voraussetzen würde. Aufgrund des durch jeden angemeldeten Anspruch begründeten eigenständigen Streitgegenstandes wäre es in solchen Fällen allerdings dem deutschen Gericht möglich, das Verfahren nur teilweise auszusetzen und somit bei zeitaufwendiger Prüfung nach Art. 29 Abs. 1, 3 EuGVVO295 das Verfahren nicht vollständig zu unterbrechen.296 Da es sich letztlich um eine Bündelung von Individualverfahren handelt, dürfte dem auch nicht der weite Streitgegenstand der Kernpunkttheorie entgegenstehen.297 Deutlich weniger problematisch aus Sicht des deutschen Gerichts stellt sich die Situation einer zeitlich nachfolgenden Anrufung eines anderen mitgliedstaat291 Siehe nur: Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 24. Das Risiko von „Torpedoklagen“ wird hier ausgeklammert, dazu: Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 245 f. Zu den Schwierigkeiten des Prioritätsprinzips im Zusammenhang mit der RL: Hornkohl, EuCML 2021, 189 (197). 292 ErwGr. 43 S. 4 RL fordert eine ausdrückliche Willensäußerung. 293 Abzulehnen sind die Vorschläge bei Woopen, JZ 2021, 601 (611), die von einem Verbraucher verlangen würden, vorrangig die Rechtsverfolgung in seinem „Wohnsitzland“ (bereits Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt sind nicht zwingend identisch) zu nutzen und dies nachzuweisen. Dies wäre administrativ aufwendig und würde die Intention einer grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL) unterminieren. Vgl. zur Berechtigung an Verbandsklagen in anderen Mitgliedstaaten teilzunehmen: Domej, ZEuP 2019, 446 (453). Zur Geltung der lex fori bei der Prozessführungsbefugnis: Brinkmann, ZZP 129 (2016), 461 (477 f.). 294 Die Gruppe muss von der qualifizierten Einrichtung bezeichnet werden: ErwGr. 49 S. 1 RL. 295 Vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 95; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 261, Rn. 50. 296 Das Aussetzungsverfahren können die Mitgliedstaaten regeln: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 12. 297 Die Interessen der einzelnen Anmelder wären nicht untrennbar und auch nicht identisch, vgl. hierzu: Geimer, in: Zöller, ZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 25 m.w. N.
B. Umsetzung der Abhilfeklagen
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lichen Gerichts aufgrund des frühen Opt-in dar.298 Denn dann müsste das andere mitgliedstaatliche Gericht die zeitlich frühere Rechtshängigkeit von Amts wegen beachten.299 Da keine förmliche Zuständigkeitsfeststellung erforderlich ist,300 genügt hierfür die vorgeschlagene Zuständigkeitsfeststellung in einer frühen Phase des Abhilfeverfahrens.301 Allein die personale Breitenwirkung und die vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten für den Zustimmungszeitpunkt führen zu einer deutlich erschwerten Vermeidung doppelter Rechtshängigkeit, zumal einzelne Anmelder eventuell nicht einmal Kenntnis von ihrer Betroffenheit durch eine Opt-out-Klage haben. In solchen Fällen kann nur noch nachfolgend gemäß Art. 45 Abs. 4 EuGVVO die eigentlich stets gegebene Anerkennung versagt werden.302 Es käme eine Teilanerkennung bzw. -versagung für die Streitgegenstände einzelner Anmelder in Betracht.303 Diese Möglichkeit bestünde für die Parteien und den Anmelder als einem Dritten mit eigenem Rechtsschutzinteresse.304 Allerdings kann dies kaum effektive Abhilfe schaffen, sobald die Vollstreckung vorgenommen und Leistungen ausgekehrt werden; eine nach Art. 9 Abs. 4 S. 2 RL unerwünschte Doppelkompensation wäre dann schwerlich zu vermeiden. 2. Anerkennung und Vollstreckung Aufgrund der Anwendbarkeit der EuGVVO sind Abhilfeentscheidungen, welche unter den Entscheidungsbegriff des Art. 2 lit. a) EuGVVO fallen,305 in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen (Art. 36 EuGVVO) und nach den Art. 39 ff. EuGVVO auch zu vollstrecken.306 Die Anerkennung führt zu einer Wirkungs298 Vgl. zur abweichenden Regelung bei der Musterfeststellungsklage: Horn, ZVglRWiss 118 (2019), 314 (329). 299 Vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 50 f., 107. Dies erfordert zwar keine inquisitorische Untersuchung, bei einer vergleichbaren Abhilfeklage in zwei Mitgliedstaaten dürften jedoch die Umstände auf die Möglichkeit einer anderweitigen Rechtshängigkeit hindeuten. 300 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 99. Das Aussetzungsverfahren unterliegt dem nationalen Recht: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 12. 301 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. II. 4. c). 302 Vgl. Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 29 EuGVVO, Rn. 7, 80. 303 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 142 f. 304 Nordmeier, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 45 EuGVVO, Rn. 35. Dies gilt für Art. 36 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 4 EuGVVO: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 197. 305 Vgl. Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 38. 306 Rentsch, EuZW 2021, 524 (533); siehe auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 242 f.; Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (162); Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 241.
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Kap. 5: Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung
erstreckung der ausländischen Entscheidung, das Urteil entfaltet somit im Anerkennungsstaat diejenigen Wirkungen, die ihm auch im Urteilsstaat zukommen.307 Die Frage, inwiefern gegenüber einem Opt-out-Verfahren der Anerkennungsversagungsgrund einer ordre public-Widrigkeit nach Art. 45 Abs. 1 lit. a) EuGVVO besteht,308 stellt sich für die Anerkennung einer nach deutschem Zivilprozessrecht zustande gekommenen Abhilfeentscheidung nicht, da diese auf einem Optin-Mechanismus beruht.309 Überdies dürfte die Anwendung des Anerkennungsversagungsgrundes unter Berücksichtigung der von der Richtlinie ausdrücklich ermöglichten Ausgestaltung als Opt-out-Verfahren zumindest für Abhilfeentscheidungen auf Grundlage der Richtlinie nicht überzeugen,310 jedenfalls aber deutlich erschwert sein. 3. Zwischenergebnis Für Fragen grenzüberschreitender Rechtshängigkeit, zu Anerkennung und Vollstreckung muss demnach auf die EuGVVO zurückgegriffen werden. Auch wenn das hier vorgeschlagene Modell einer Streitgegenständlichkeit der Individualansprüche und einer frühzeitigen Anmeldung mit Zuständigkeitsprüfung in einem frühen Verfahrensstadium geeignet ist die Summe der Anwendungsschwierigkeiten zu reduzieren, verbleiben dennoch erhebliche Defizite. Deren Ursprung liegt in einer fehlenden Zuständigkeitskonzentration311 des kollektiven Rechtsschutzes, weiter verschärft durch die Vielzahl möglicher Ausgestaltungsoptionen. Außerdem ermöglicht die Parteirollenverschiebung die personale Breitenwirkung innerhalb eines Verfahrens und verdeckt sogleich die eigentlichen Rechtsinhaber. Erforderlich ist demnach eine umfassende Kommunikation zwischen den mit Kollektiv- und Individualklagen befassten Gerichten in der EU.312
307 EuGH, Urteil vom 04.02.1988, Rs. C-145/86 – Hoffmann gegen Krieg, Slg. 1988, 645, Rn. 10 f.; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZivilVerfR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 71, 81 ff. m.w. N. 308 Vgl. zur Problematik: Stadler, JZ 2009, 121 (131 ff.); Stadler, in: Anerkennung von Urteilen und Vergleichen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes, in: Festschrift Schütze, S. 561 (566 ff.); Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 241 ff., dort auch zum Streitstand bei der Anerkennung der class action. 309 Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 2 D. II. 2. und 4. Siehe zum ordre public und dem Opt-in-Mechanismus auch: Geiger, Kollektiver Rechtsschutz, S. 242; siehe zum Meinungsstand: Stadler, Grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von Sammelklagen, in: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 149 (165 ff.) m.w. N. 310 Rentsch, EuZW 2021, 524 (533) m.w. N.; Gsell/Meller-Hannich, Folgegutachten, S. 36 f. Siehe zum Einfluss der europäischen Integration auf den ordre public: Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 329 f. 311 Vgl. bereits: Stadler/Klöpfer, ZEuP 2015, 732 (768). Siehe hierzu die Ausführungen unter Kap. 3 B. II. 1. a). 312 Hierzu dürfte insbesondere ein Online-Register notwendig sein: Stadler, GRP 2013, 281 (290); Gascón Inchausti, GPR 2021, 61 (76); Woopen, JZ 2021, 601 (609); Stadler/Klöpfer, ZEuP 2015, 732 (768).
C. Gesamtergebnis
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Dennoch dürfte es zu nicht unerheblichen praktischen Problemen bei grenzüberschreitender Verbraucherbeteiligung kommen.
C. Gesamtergebnis Es kann somit festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung im Hinblick auf Streitgegenstand, Rechtshängigkeit und Urteilsbindung im nationalen Kontext beherrschbar bleiben. Schon bislang gleichen die Regelungen der Musterfeststellungsklage die Parteirollenverschiebung weitgehend aus. Hierzu werden für die Rechtshängigkeit und die Bindungswirkung die bestehenden Rechtsinstrumente der Rechtshängigkeit und der Rechtskrafterstreckung – bedingt durch die fehlende Rechtshängigkeit der Individualansprüche – nachgebildet und durch funktional entsprechende Regelungen in ihrer subjektiven Reichweite angepasst und erweitert. Die Eingliederung der Richtlinie kann bei gleichbleibender Konstruktion, aber dogmatisch umgesetzt mittels einer Rechtshängigkeit der Individualansprüche, noch deutlich einfacher und systemschonender verwirklicht werden.313 Die Breitenwirkung spiegelt sich bei diesem Konzept lediglich in der Klagehäufung wider. Ergänzend ist anzumerken, dass die umfassende Bindung der Anmelder an das Verfahrensergebnis, mit der in dieser Arbeit mehrfach inzident erörterten Bedeutung und Geltung des subjektiven Rechtsschutzes als primärem Prozesszweck im Rahmen des kollektiven Rechtsschutzes, eine entscheidende Verwirklichung findet. Subjektiver Rechtsschutz kann erst dann durchgreifen, wenn die Entscheidung auch Verbindlichkeit erlangt.314 Dies muss unabhängig von der Parteirollenverschiebung gelten und erfordert bei einer erweiterten Anmeldeberechtigung für Nichtverbraucher eine entsprechende Anpassung.
313 Auch wenn § 11 VDuG-E sich an die Regelungen der §§ 610 Abs. 3, § 613 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO anlehnt (vgl. VRUG-E, S. 74 ff.), führt die lediglich auf das Abhilfegrundurteil bezogene Bindungswirkung zu einem neuartigen und für ein Zivilverfahren systemfremden Ansatz. Der Entfall der Befriedungsfunktion durch eine rechtskräftige Entscheidung hinsichtlich der Individualansprüche begründet das immanente Risiko nachfolgender Individualklagen (§§ 39 f. VDuG-E) und offenbart die Schwäche des gewählten Ansatzes. 314 Jacobs, Gegenstand des Feststellungsverfahrens, S. 195 f. m.w. N. Absicherung des Prozesszwecks durch materielle Rechtskraft: ebenda, S. 213.
Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Die Parteirollenverschiebung wirkt auf weite Teile des Erkenntnisverfahrens der Zivilprozessordnung ein. Auswirkungen sind erkennbar sowohl bei tendenziell theoretischen und grundlegenden Fragen, wie etwa der Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis, als auch beim Verfahrensablauf sowie der konsensualen und streitigen Verfahrensbeendigung. Entsprechend differenziert müssen jedoch auch die Ergebnisse im Hinblick auf die Eingliederung der Parteirollenverschiebung ausfallen. Die Verbandsklagen zur Durchsetzung von Individualinteressen sind, gerade weil sie eine Klage für die Rechtsinhaber darstellen, grundsätzlich geeignet, den primären Prozesszweck einer Durchsetzung subjektiver Rechte, unter Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, zu stärken, auch wenn es zu gewissen Abschlägen bei der Berücksichtigung individueller Aspekte kommen wird. Entsprechend folgerichtig ist daher eine Verortung im Rahmen der Zivilprozessordnung. Der prozessuale Zusammenschluss führt somit einerseits zur Durchsetzung individueller Interessen, andererseits wird deren Relevanz im Rahmen der Kollektivierung reduziert. Diese Kollektivierung ist unmittelbar mit der Parteirollenverschiebung verknüpft, da sie eine Folge der Konzentration der Prozessführung auf nur einen Kläger ist, die zwar eine systemschonende Beibehaltung des Zweiparteiengrundsatzes ermöglicht, zugleich jedoch wiederum die Parteirollenverschiebung bedingt. Gleichwohl resultiert aus der Beschränkung auf Verbraucherinteressen eine Materialisierung des Prozessrechts die zur Grundkonzeption der ZPO als neutralem Verfahrensrecht im Widerspruch steht. Die Musterfeststellungsklage und – abhängig von der konkreten Umsetzung – auch die Abhilfeklage weisen somit eine eminente Materialisierungstendenz auf. Daneben führen die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Rechtsnatur der Musterfeststellungsklage und die mögliche Ausgestaltung bei der Abhilfeklage nicht zwingend zu systematischen Verwerfungen innerhalb der ZPO. Gerade im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis, aber auch den Streitgegenstand, die Rechtshängigkeit und die Rechtskraft wurden im Rahmen der Musterfeststellungsklage funktional identische Rechtsinstitute geschaffen, die bedingt durch den abstrahierenden Charakter der Musterfeststellungsklage anstelle einer Rechtshängigkeit der Individualansprüche, die Wirkungsweise dieser Institute nachbilden, zu diesen aber nicht absolut identisch sind. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte eine anzustrebende Rechtshängigkeit der Individualansprüche
Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
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im Rahmen der Abhilfeklage systemkohärentere Lösungen ermöglichen. Hier zeigt sich für die Umsetzung der Parteirollenverschiebung ein dogmatischer Unterschied im Hinblick auf die Ausgestaltung der beiden Instrumente untereinander. Demgegenüber bei beiden Rechtsinstrumenten im Ausgangspunkt ähnlich gelagert sind die Auswirkungen der Parteirollenverschiebung im Hinblick auf den Verfahrensablauf: Während die Parteirollenverschiebung die Beibehaltung der Zweiparteienstruktur und damit des tradierten Prozesssystems ermöglicht, ist die ZPO auf die Parteirollenverschiebung, insbesondere unter Beachtung der personalen Breitenwirkung, nicht ausgelegt und es bedarf bei der Verfahrensführung einer besonderen Berücksichtigung der Anmelderstellung und eines Bewusstseins für die Problematik. Besonders deutlich treten die Implikationen der Parteirollenverschiebung auch im Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht und damit verbundenen Rückwirkungen auf die Prozessmaximen zum Vorschein, außerdem im Verhältnis der Parteien zueinander und bei der praktischen Schwierigkeit der Sachverhaltsrekonstruktion. Allerdings dürften diesbezüglich die Folgewirkungen bei der Abhilfeklage, aufgrund ihres weitergehenden Klagegegenstandes, deutlich gravierender ausfallen als dies für die abstrahierende Musterfeststellungsklage der Fall ist. Verglichen mit den theoretischen und grundlegenden Fragen zeigt sich somit ein umgekehrtes Bild bei den Klagearten. Während die Musterfeststellungsklage einen deutlicheren dogmatischen Anpassungsbedarf hervorruft, führt die Abhilfeklage bei der Verfahrensausgestaltung unter Effizienzgesichtspunkten zu Abweichungen vom klassischen Zivilprozess. Im Ergebnis bedarf es allerdings für beide Rechtsinstrumente einer gesetzgeberischen Lösung für die aus der Parteirollenverschiebung resultierenden Konsequenzen. Viele der gefundenen Ergebnisse zur Parteirollenverschiebung überschneiden sich mit den Schwierigkeiten eines Massenverfahrens und werden daher durch die personale Breitenwirkung des kollektiven Rechtsschutzes noch gesteigert, da die Vielzahl der betroffenen Rechtssubjekte simple Lösungen, wie zum Beispiel die Anwendung des materiellen anstelle des formellen Parteibegriffs bei der Anwendung einzelner Normen der Zivilprozessordnung, ausschließt. Die Auswirkungen der Interessenbündelung speziell auf der Klägerseite konnten exemplarisch an der Rechtsnatur des Vergleichs aufgezeigt werden. Die bisweilen erhebliche subjektive Reichweite eines Vergleichsschlusses in kollektiven Massenverfahren muss durch eine gesteigerte Bindungswirkung flankiert werden, sofern Unwirksamkeitsgründe nicht potenziert werden sollen. Zugleich zeigt die Bündelung einer Vielzahl von Ansprüchen und Rechtsverhältnissen, dass der Parteirollenverschiebung, durch die dadurch vermittelte Beibehaltung der Zweiparteienstruktur, eine wesentliche Bedeutung für die Eingliederung des kollektiven Rechtsschutzes in die tradierte Prozessstruktur der ZPO zukommt. Die Parteirollenverschiebung wirft somit einerseits die Frage nach ihrer Integration in die ZPO auf, andererseits ist sie selbst ein Instrument zur Eingliederung in die ZPO.
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Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Durch diese Janusköpfigkeit bietet sie eine Möglichkeit, die ZPO um den erforderlichen kollektiven Rechtsschutz zu ergänzen, ohne zwingend einen Fremdkörper in ihrer Struktur und Systematik zu begründen. Der Erfolg hängt dabei allerdings maßgeblich von der gesetzgeberischen Ausgestaltung ab. Zum Abschluss soll nachfolgend ein kurzer Überblick über ausgewählte zentrale Ergebnisse der Arbeit in kondensierter Thesenform gegeben werden. Thesen zum zweiten Kapitel: Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung: – Die Grundstruktur der Musterfeststellungs- und der Abhilfeklage zielt auf die Gewährleistung eines Missbrauchsschutzes durch die Reduzierung und Regulierung des Klägerkreises ab. Dabei weist das Anforderungsprofil beider Rechtsinstrumente deutliche Parallelen auf. Allerdings unterscheidet die Richtlinie zwischen grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Klagen und enthält nur für grenzüberschreitende Verbandsklagen zwingende Vorgaben, die verglichen mit der Musterfeststellungsklage weniger restriktiv ausfallen. Im Ergebnis sind sowohl die Anforderungen an die qualifizierte Einrichtung im Rahmen der Musterfeststellungsklage als auch jene für grenzüberschreitende Verbandsklagen nach der Richtlinie geeignet, Klagemissbrauch zu verhindern. Die Unterschiede sind weitestgehend gradueller Natur. Negativ fällt allerdings ins Auge, dass Vorgaben für eine fachlich und sachlich angemessene Prozessführung nicht vorgesehen sind. – Die Einhaltung der Kriterien muss vom Kläger des Musterfeststellungsverfahrens in der Klageschrift dargelegt und vom Gericht von Amts wegen geprüft werden. Demgegenüber weicht die weitreichende Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung durch ein Anerkennungsprinzip bei Abhilfeklagen vom Grundsatz des § 56 Abs. 1 ZPO ab. Die Verhinderung eines Klagemissbrauchs im konkreten Einzelfall wäre durch das sachnähere Gericht besser gewährleistet. – Mit der Umsetzung in nationales Recht sollten die Anforderungen der Musterfeststellungsklage an Art. 4 Abs. 3 RL angeglichen werden. Eine Benennung sollte für nachweislich seit zwölf Monaten satzungsgemäß im Interesse des Verbraucherschutzes tätige Idealvereine, die nicht insolvent sind, möglich sein. Diese müssten zusätzlich durch ihre Personalstruktur und ihre Finanzquellen einen Ausschluss der Einflussnahme wirtschaftlich interessierter Dritter belegen. Eine behördliche Überprüfung sollte jährlich erfolgen. Restriktionen der Drittfinanzierung sollten nicht über Art. 10 RL hinausgehen. Für Musterfeststellungsklagen und innerstaatliche Abhilfeklagen wäre eine Ausdehnung des Klägerkreises auf qualifizierte Wirtschaftsverbände sinnvoll. Die amtswegige gerichtliche Prüfung sollte für die Musterfeststellungsklage und innerstaatliche Abhilfeklage beibehalten werden.
Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
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Prozessführungsbefugnis und Rechtsnatur bei der Musterfeststellungsklage: – Die Prozessführungsbefugnis wird auf qualifizierte Einrichtungen beschränkt. Es kommt zu einer „Mediatisierung“ der Rechtsdurchsetzung. Die Beschränkung auf qualifizierte Einrichtungen führt zu einer Klage durch einen Rechtsfremden, wodurch die grundsätzliche Beibehaltung der Zweiparteienstruktur der ZPO ermöglicht wird. – Die tatsächlich wirksame Anmeldung ist zu unterscheiden von der formal wirksamen Eintragung in das Klageregister. Für eine wirksame Anmeldung ist die vollständige und zutreffende Tätigung der Angaben nach § 608 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einen Verbraucher (§ 29c Abs. 2 ZPO) erforderlich. Die Konnexität zwischen angemeldeten Ansprüchen/Rechtsverhältnissen und den Feststellungszielen (vgl. § 608 Abs. 1 ZPO) ist eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Nur die tatsächlich wirksame Anmeldung entfaltet Rechtswirkungen und bewirkt eine Partizipation an den Verfahrensergebnissen. Die Wirkungen der wirksamen Anmeldung sind für die Verbraucher mit denjenigen einer Prozessermächtigung im Rahmen der gewillkürten Prozessstandschaft weitgehend vergleichbar. Dass angemeldete Ansprüche/Rechtsverhältnisse tatsächlich nicht bestehen ist für die Zulässigkeit unerheblich, da es in diesem Rahmen nur auf die Anspruchsbehauptung ankommt. – § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ist eine besondere Ausprägung der Prozessführungsbefugnis. Das Gericht unternimmt eine amtswegige Überprüfung der Anmeldungen, dies beinhaltet eine Überprüfung der Verbrauchereigenschaft und der Konnexität. Allerdings ist die Richtigkeitsprüfung – sofern keine weitergehenden Zweifel an den Registerangaben bestehen – auf die Angaben selbst beschränkt. Den Parteien steht es infolge der Verhandlungsmaxime zu, Einwände gegen die Registereintragungen vorzubringen. Diese Vorgehensweise entspricht weitgehend der amtswegigen Überprüfung von Prozessvoraussetzungen in der ZPO. Das Musterfeststellungsverfahren ist nur dann zulässig, wenn zum Stichtag 50 wirksame Anmeldungen vorliegen. Diese zeitliche Einschränkung führt nicht zu einem möglichen Entfall aller wirksamen Anmeldungen, da ein nachträgliches Absinken der Anmelderzahl zur Unzulässigkeit der Musterfeststellungsklage führt, wenn weniger als zehn wirksame Anmeldungen verbleiben. – Die Ansprüche der Anmelder werden nicht Gegenstand des Verfahrens, weshalb die qualifizierte Einrichtung ihre Prozessführungsbefugnis nicht unmittelbar aus diesen Ansprüchen ableiten kann. Die Bindung des Musterfeststellungsverfahrens an die Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse ist daher deutlich gelockert. Sie leitet sich aber aufgrund der erforderlichen Konnexität und des Konzepts einer Klage mit Bindungswirkung für die Anmelder trotzdem aus deren Ansprüchen/Rechtsverhältnissen ab. – Die Anforderungen nach § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO sind isoliert nicht geeignet, die Prozessführungsbefugnis zu begründen. Die Norm stellt keinerlei Verbin-
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Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
dung zur Prozessführung über ein eigenes oder fremdes Recht her. Die Eigenschaft als qualifizierte Einrichtung ist somit eine Voraussetzung der Prozessführungsbefugnis, kann diese aber allein noch nicht begründen. Hierfür bedarf es der wirksamen Anmeldung von Ansprüchen/Rechtsverhältnissen, da nur auf diesem Wege eine Verbindung zu materiellen Rechtspositionen hergestellt werden kann; insbesondere das Erfordernis der Konnexität verbindet den Verfahrensgegenstand mit den subjektiven Rechtspositionen der Anmelder. Aus der Anmeldung der Ansprüche/Rechtsverhältnisse folgt für die qualifizierte Einrichtung die Befugnis, mit Wirkung für und gegen diese zu prozessieren. Diese Prozessführungsbefugnis ist – in den Grenzen der Klageart – umfassend, da die Ansprüche/Rechtsverhältnisse als Ganzes angemeldet werden müssen. – Der bisherige Meinungsstand zu den Verbandsklagen kann nicht auf die Musterfeststellungsklage übertragen werden. Insbesondere ist die qualifizierte Einrichtung im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO nicht Inhaber eines eigenen materiellen Anspruchs. Anders als die bisherigen Verbandsklagen ist die Musterfeststellungsklage primär kein Instrument zur Bewehrung überindividueller Interessen oder Allgemeininteressen, sondern dient der verbesserten Durchsetzung von Individualansprüchen bzw. -interessen. Da die Zwecksetzung und die Konzeption der Musterfeststellungsklage als zweistufiges Rechtsverfolgungsinstrument auf Individualschutz abzielt, widerspricht es ihrem Charakter die unter Berücksichtigung einer Loslösung von Individualansprüchen konzipierten Theorien zu übertragen. Weitergehende Wirkungen im Hinblick auf die Bewehrung der objektiven Rechtsordnung sind erwünschte Folgewirkungen, die aber nicht die Rechtsnatur bestimmen. – Die Musterfeststellungsklage kann deskriptiv als repräsentative Klage verstanden werden, zur näheren Charakterisierung ist der Begriff der Repräsentation jedoch ungeeignet. – Die Annahme einer gesetzlich verliehenen Prozessführungskompetenz negiert die Bedeutung des Anmeldeverfahrens und den Bezug auf die Verbraucheransprüche. – Die Einordnung als Prozessstandschaft im Kollektivinteresse übersieht den begrenzten und abgrenzbaren Wirkungskreis im Hinblick auf die Anmelder und könnte keinen Rechtsträger individualisieren. Die rein faktische Präjudizwirkung kann das Verfahren nicht maßgeblich charakterisieren. Die indirekte Einbeziehung von Nichtanmeldern ignoriert das Faktum der Nichtanmeldung und findet im Gesetz keinen Anhaltspunkt. – Gegen eine Prozessstandschaft spricht die fehlende Rechtshängigkeit der Individualansprüche, diese ist aber in der bloßen Möglichkeit zur Geltendmachung von Feststellungszielen angelegt. Die Lösung von der materiellen Rechtsbeziehung liegt somit im Charakter der Feststellungsklage als ein rein prozessuales Rechtsinstitut begründet. Die Musterfeststellungsklage wahrt den Charakter ei-
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ner Prozessführung im eigenen Namen für ein fremdes Rechtsverhältnis, was insbesondere an der Konnexität deutlich wird. Abgesehen von der Rechtshängigkeit der Individualansprüche, ist die Prozessführungsbefugnis der qualifizierten Einrichtung somit funktional gleichbedeutend mit der tradierten Prozessstandschaft. Folglich sollte die Musterfeststellungsklage als gesetzlich typisierte funktionale Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage verstanden werden. Sie beruht auf einer rein prozessual begründeten und wirkenden Ermächtigung (prozessuales Institut). Das eigene rechtliche Interesse des Standschafters besitzt im Rahmen der §§ 606 ff. ZPO keine eigenständige Bedeutung. Ausgestaltung der Prozessführungsbefugnis und der Rechtsnatur bei der Abhilfeklage: – Die Richtlinie macht keine weitreichenden Vorgaben zur Rechtsnatur der Prozessführungsbefugnis und berücksichtigt die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie. Normiert sind lediglich die Anforderung an die qualifizierte Einrichtung sowie deren Parteistellung. Den Verbrauchern soll eine passive Rolle zukommen. – Die Richtlinie lässt für die Beteiligung von Verbrauchern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland sowohl einen Opt-in- als auch einen Opt-out-Mechanismus zu. Ein Opt-out-Verfahren stünde in einem Spannungsverhältnis zum für die ZPO prägenden Individualrechtsschutz. Aufgrund des inhärenten Risikos einer fehlenden Benachrichtigung einzelner Betroffener, mit der Folge einer verfassungsrechtlich problematischen Tendenz zur Verletzung grundrechtlich geschützter Rechte (Dispositionsmaxime, rechtliches Gehör und Justizgewährleistungsanspruch), sollte auf ein Opt-out-Verfahren verzichtet werden. – Die Abhilfeklage kann dogmatisch mittels einer Rechtshängigkeit der Individualansprüche umgesetzt werden. Die Annahme eines zwingenden Kollektivklagerechts, also eines eigenen Anspruchs der qualifizierten Einrichtung findet in der Richtlinie keine Grundlage. Folglich sollte die Rechtsnatur der Abhilfeklage als eine Prozessstandschaft im Individualinteresse ausgestaltet werden. Der Opt-in-Mechanismus sollte mittels einer Online-Registereintragung umgesetzt und zu einer gesetzlich ausgestalteten Prozessstandschaft auf gewillkürter Grundlage führen. Thesen zum dritten Kapitel: Auswirkungen der Parteirollenverschiebung auf die Verfahrensgestaltung der Musterfeststellungsklage: – Die Parteirollenverschiebung führt zu keinen wesentlichen Auswirkungen bei der gesetzlichen Parteiänderung. Allerdings können bei der Insolvenz von Anmeldern Unstimmigkeiten auftreten. In analoger Anwendung des § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO bleibt die Anmeldung durch eine Rechtsnachfolge unberührt.
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Schluss und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
– Die Berücksichtigung des Anmelderwillens führt zu einer Unzulässigkeit von nachträglichen gewillkürten Parteiänderungen und damit zu einer Einschränkung der Parteidisposition. Eine Sachdienlichkeitsprüfung, welche als Korrektiv der Parteirollenverschiebung die gerichtliche Stellung gegenüber Parteien und Anmeldern stärken würde, ist nicht angezeigt. – Klageänderungen und -erweiterungen sind grundsätzlich möglich, allerdings sind die Befugnisse der qualifizierten Einrichtung auf den Umfang der Anmeldung, also des angemeldeten Anspruchs/Rechtsverhältnisses begrenzt. Die Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten ist durch die fehlende Möglichkeit zur (Dritt-)Widerklage eingeschränkt. Auf der Aktivseite kann bei einer Musterfeststellungsklage nur eine qualifizierte Einrichtung stehen. Entsprechend führt die Definition der Parteirollen durch § 606 Abs. 1 S. 1 ZPO zu einer Abkehr von der ansonsten personal neutralen Formulierungsweise der ZPO. – Die gerichtliche Prozessleitungsbefugnis des § 610 Abs. 4 ZPO findet dort eine Grenze, wo sie Aspekte einführt, die im Parteivortrag bislang keine Grundlage haben. Der temporale Ansatzpunkt soll zu einer Steigerung der Verfahrenseffizienz durch aktives gerichtliches Verfahrensmanagement im Anmelderinteresse führen. Weitergehende Ansätze sind abzulehnen und würden in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Neutralität stehen. – Der fehlende persönliche Bezug der qualifizierten Einrichtung zum Sachverhalt führt zu Auswirkungen im Bereich der Substantiierungs- und Darlegungslast. Der Anwendungsbereich des § 138 Abs. 4 ZPO wäre entweder erheblich erweitert oder deutlich eingeschränkt. Eine Bezugnahme auf Anmelderwissen durch Zurechnung oder eine Ermittlungsobliegenheit scheitert an fehlenden Informationsmöglichkeiten. Die erkennbare Tendenz einer starren Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast infolge der Parteirollenverschiebung bewirkt erhebliche prozessuale Vorteile für die Klägerseite. Generell stellt sich im Hinblick auf die qualifizierte Einrichtung die Problematik einer möglichen Reduzierung der Substantiierungsanforderungen und der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht durch ihren fehlenden Sachverhaltsbezug. – Das Beweisrecht der ZPO ist nicht auf die Parteirollenverschiebung abgestimmt, da der Rechtsinhaber wie ein Dritter zu behandeln ist. Dies führt zu einer Zeugenstellung der Rechtsinhaber – entgegen den Einschränkungen der subsidiären Parteivernehmung – unter Beibehaltung von Zeugnisverweigerungsrechten. Auch beim Urkunden- und Augenscheinbeweis kommt es durch die Stellung des Anmelders als Drittem zu Schwierigkeiten, die sich in der Notwendigkeit separater Klagen zur Durchsetzung von Herausgabeverlangen, Zeugnisverweigerungsrechten und der Unanwendbarkeit gesetzlicher Beweiswürdigungsvorschriften zeigen. Fehlende Kommunikations- und Zurechnungsmöglichkeiten der qualifizierten Einrichtung erschweren die Abhilfe. Es ver-
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bleibt nur eine entsprechende gerichtliche Beweiswürdigung und die Anwendung der §§ 142, 144 ZPO, was die Stellung des Gerichts im Verhältnis zu den Parteien, insbesondere dem Beklagten, stärkt. Die Anwendung der Grundsätze über die Beweisvereitelung ist nicht möglich und auch nicht sachgerecht. – Bei der Verfahrensbeendigung sollten, mit Ausnahme des Verzichts, die allgemeinen Regeln angewendet werden. Eine Einschränkung der Dispositionsbefugnis oder die Einführung einer zwingenden Sachdienlichkeitsprüfung im Anmelderinteresse findet keine gesetzliche Grundlage und würde die Dispositionsmaxime zum Schutz Dritter einschränken. – Die vielfach geforderte gerichtliche Sachdienlichkeitsprüfung würde ohne gesetzlichen Anhaltspunkt die gerichtliche Stellung als Folge der Parteirollenverschiebung zulasten der Dispositionsmaxime stärken, dies kann gleichermaßen auch auf die angenommene Ausdehnung der materiellen Prozessleitungsbefugnis durch § 610 Abs. 4 ZPO übertragen werden. Die Dispositionsbefugnis ist bereits durch die Reichweite der Anmeldung beschränkt und besteht in diesem Rahmen umfassend nur zugunsten der qualifizierten Einrichtung. – Die ausschließliche Parteirollenverschiebung zugunsten von Verbrauchern und die grundsätzliche Verfahrensarchitektur der Musterfeststellungsklage, als gebündelte Klage eines Intermediärs gegen einen Unternehmer, bewirkt eine verstärkte Materialisierung des Zivilprozessrechts. Die subjektive Rechtsdurchsetzung, steht – anstelle einer durch die ZPO gewährleisteten universellen Rechtsdurchsetzung – nur Verbrauchern zur Verfügung. – Die Sachverhaltsermittlungsdefizite infolge der Parteirollenverschiebung und der personalen Breitenwirkung haben negative Rückwirkungen auf das materielle Recht, da dieses nur bei korrekter und vollständiger Sachverhaltsermittlung durchgesetzt werden kann. – Als Folge der Parteirollenverschiebung und der grundsätzlichen Verfahrensarchitektur einer reinen Passivstellung befindet sich der Beklagte in einer formell ungünstigeren Stellung und ist dadurch in seiner prozessualen Waffengleichheit betroffen. Dies zeigt sich speziell im Beweisrecht und macht ein gerichtliches Tätigwerden erforderlich. – Die Notwendigkeit und Relevanz amtswegigen Handelns als Folge der Parteirollenverschiebung kann zu einer graduellen Stärkung der Richtermacht zum Nachteil der Verhandlungsmaxime, plastischer des Beibringungsgrundsatzes führen. Eine weitere Stärkung ergibt sich aus der erhöhten Bedeutung der Beweiswürdigung. Diese Tendenz wird durch § 610 Abs. 4 ZPO auch normativ verankert. In Verbindung mit einer aktiven Prozessführung dürfte dies eine Stärkung der Richtermacht begründen bzw. begründbar machen.
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Umsetzung des Abhilfeklageverfahrens: – Die Abhilfeklage sollte als allgemeine Leistungsklage mit umfassendem sachlichen Anwendungsbereich ausgestaltet werden. Zur Reduzierung der Materialisierungstendenz sollte der kollektive Rechtsschutz in der ZPO auf Nichtverbraucher ausgedehnt werden. – Nach der Verfahrenseinleitung sollte ein Zulassungsverfahren durchgeführt werden, in welchem die Eignung des Klägers und die zu prognostizierende hinreichende Ähnlichkeit der Ansprüche geprüft wird. Anschließend sollte die Anmeldephase erfolgen und zu Beginn des gerichtlichen Verfahrens die Zulässigkeit der Abhilfeklage geprüft werden. Problematisch dürfte die Zuständigkeitsbestimmung für die angemeldeten Individualansprüche sein, diese ist zur Wahrung der EuGVVO unabdingbar, da die gerichtliche Geltendmachung durch einen Dritten nicht die internationale Zuständigkeit unterlaufen darf. – Eine späte Anmeldung würde Probleme nur zeitlich verschieben, Betroffene ausschließen oder in ihrem Vertrauen enttäuschen und das Verfahren vor einen Treuhänder auslagern. Eine Berücksichtigung der Parteirollenverschiebung und eine umfassende Streitentscheidung ist nur bei frühzeitiger Anmeldung möglich. Diese Ausgestaltung lehnt sich an das Konzept des Individualrechtsschutzes an und gewährleistet die Eingliederung in die ZPO. – Dem Gericht sollten zur Verfahrensstrukturierung zusätzliche Möglichkeiten der formellen Prozessleitungsbefugnis gegeben werden (z. B. Erörterungstermin, Untergruppenbildungen, Schriftsatzstrukturierungen, Entscheidung exemplarischer Fälle aus den Untergruppen). Durch eine Stärkung der formellen Prozessleitungsbefugnis, zur Abschichtung des Prozessstoffs, sollte einer weiteren Stärkung der materiellen Prozessleitungsbefugnis – bedingt durch den Verfahrensumfang und die Drittbetroffenheit – vorgebeugt werden. – Die Abhilfeklage sollte nicht zu einer Einschränkung der Verhandlungs- und der Dispositionsmaxime führen, vielmehr sollte die intendierte Beibehaltung der Zweiparteienstruktur die Effektivität des kontradiktorischen Parteienstreits ausnutzen. Zur Wahrung der Waffengleichheit und der Dispositionsbefugnis des Beklagten sollte eine Widerklage zulässig sein, deren Reichweite in Anlehnung an § 264 Nr. 2 ZPO beschränkt werden sollte. Für die Musterfeststellungsklage sollte die Reichweite der Widerklage auf den Umfang der angemeldeten Ansprüche/Rechtsverhältnisse begrenzt werden. – Der Anmelder befindet sind auch nach der RL in einer passiven Verfahrensrolle, allerdings muss seine Stellung zum Ausgleich der Parteirollenverschiebung angepasst werden. Er sollte zwar weiterhin Zeuge sein können, allerdings im Beweisrecht den Parteipflichten gleichgestellt werden, insbesondere der prozessualen Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht unterliegen. Zeugnisverweigerungsrechte sollten ihm nicht zustehen. Die Nichtherausgabe von Be-
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weismitteln sollte im Rahmen der Beweiswürdigung sanktioniert werden können. Diese Ausgestaltung nähert den Rechtsinhaber als eigentlichen Dritten beweisrechtlich der Parteistellung an und berücksichtigt damit die Grundkonzeption der ZPO, welche von einer Klage durch den Rechtsinhaber ausgeht. Zur Vermeidung einer extensiven Anwendung des § 138 Abs. 4 ZPO und einer Ausdehnung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast sollte das Klageregister hinreichende Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für die Parteien gegenüber den Anmeldern bieten. – Die Umsetzung des Art. 18 RL sollte ebenfalls genutzt werden, um die Parteirollenverschiebung auszugleichen und die Informationsgewinnung und Beweisführung der Parteien zu verbessern. Es sollte die bisherige Disparität zwischen den gerichtlichen Befugnissen der §§ 142, 144 ZPO und der parteilichen Möglichkeiten im Rahmen der §§ 371, 422 f. ZPO durch die Erweiterung der Parteibefugnisse ausgeglichen werden. Da infolge der Parteirollenverschiebung materielle Beziehungen zwischen den Parteien nicht zwingend bestehen, sollte es sich hierbei um eine prozessuale Verpflichtung handeln. – Die Abhilfeklage lässt sich nur unter deutlichen Anpassungen in die ZPO einfügen. Der hier gemachte Vorschlag schont allerdings die Systematik und die dogmatischen Grundlagen der ZPO durch einen primär auf subjektiven Rechtsschutz ausgerichteten Zweiparteienprozess unter Beibehaltung der Dispositions- und Verhandlungsmaxime bei gleichzeitiger Stärkung (nur) der formellen Prozessleitungsbefugnis. – Die Vorschläge zur Abhilfeklage sollten, jedenfalls soweit sie die Parteirollenverschiebung betreffen, auf die Musterfeststellungsklage übertragen werden und könnten im sechsten Buch der ZPO als allgemeiner Teil vorangestellt werden. Thesen zum vierten Kapitel: – Dem Vergleich im Rahmen des § 611 ZPO kommt eine prozessuale und materielle Wirkung zu, jedoch fällt die Dispositionsbefugnis über diese Wirkungen infolge der Parteirollenverschiebung auseinander. Die Annahme einer rein prozessualen Wirkung, welche die Bindung der nicht ausgetretenen Anmelder umfassen soll, vermag nicht zu überzeugen. – Die materielle Dispositionsbefugnis verbleibt bei den Anmeldern, die durch die gesetzlich zugelassene Zustimmung mittels Schweigens, in Form der Nichtausübung ihres Austrittsrechts, zustimmen. Für die vertragliche Konstruktion sind eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar. – Dem Vergleich nach § 611 ZPO liegt ein Doppeltatbestand zugrunde. Dies dürfte insbesondere wegen der Fehleranfälligkeit dem Partei- und Anmelderinteresse an einer gesteigerten Rechtssicherheit gerecht werden. Daneben wird
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hierdurch die Schwierigkeit der Erfassung einer potenziellen Vielzahl von materiellen Einzelbeziehungen in einem Vertragsverhältnis vermieden. – Eine materielle Rechtskraftfähigkeit des Vergleichs als Folge des Beschlusses nach § 611 Abs. 5 S. 2 ZPO ist abzulehnen. Allerdings sollte dem Vergleich eine gesteigerte Bindungswirkung nach § 611 Abs. 5 S. 4 ZPO zuerkannt werden. Diese erhöhte Bestandskraft sichert den Vergleich gegen ein gesteigertes Unwirksamkeitsrisiko, infolge der Parteirollenverschiebung und der durch sie vermittelten subjektiven Reichweite, ab. – Die Angemessenheitsprüfung dient vor allem den Anmelderinteressen und spiegelt damit die Parteirollenverschiebung und die Materialisierung wider; durch sie kommt es zu einer Stärkung der gerichtlichen Stellung im Rahmen der konsensualen Verfahrensbeendigung. – Die Umsetzung der Richtlinie ließe sich in den Strukturen des § 611 ZPO verwirklichen und bietet auch Raum für eine Übernahme der entwickelten Dogmatik. Thesen zum fünften Kapitel: – Bei der Musterfeststellungsklage bilden die Regelungen zu Rechtshängigkeit und Urteilsbindung die Wirkungen der Rechtshängigkeit des Anspruchs im Wege einer subjektiven Erweiterung nach und sind somit ein Ausgleich zur Parteirollenverschiebung. Die Anmeldung trotz rechtshängiger Individualklage bildet insoweit eine Ausnahme. Nur zwischen den Parteien kann eine Rechtskraftwirkung eintreten, im Verhältnis zu den Anmeldern kommt es zu einer Bindungswirkung (sui generis), die der objektiven Rechtskraft inhaltlich entspricht. Dogmatisch wäre daher eine Rechtskrafterstreckung konsequenter gewesen. Im Rahmen des Antrags als Teil des Streitgegenstandes schafft das Konnexitätserfordernis die notwendige Verbindung zu den Ansprüchen/Rechtsverhältnissen der Anmelder. Zur Bestimmung des Lebenssachverhalts kann nicht auf den Kläger abgestellt werden, sondern nur auf den Beklagten und die Anmelder. – Für die Abhilfeklage bedarf es durch die Verfahrensgegenständlichkeit der Individualansprüche nur begrenzter Anpassungen. Der Streitgegenstandsbegriff der ZPO kann beibehalten werden, Rechtshängigkeit und Rechtskraft bedürfen einer subjektiven Erweiterung. – Für die grenzüberschreitende Verbraucherbeteiligung kann und soll zwar auf die EuGVVO zurückgegriffen werden, deren Mechanismen sind jedoch nicht auf den kollektiven Rechtsschutz ausgerichtet und erhöhen die praktischen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten grenzüberschreitenden Rechtsschutzes im Zusammenhang mit der Abhilfeklage.
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Stichwortverzeichnis Abhängigkeit 110 ff., 117 ff., 131, 162, 170, 411 f., 427 Abhilfeentscheidung 67, 69, 188, 190, 197, 206, 300, 318, 355, 432, 436, 447 f. Abhilfeklage 25 ff., 54, 62, 70 ff., 91, 95 f., 98 f., 185 ff., 194, 202 ff., 273, 298 ff., 305, 310 ff., 314, 317, 322 f., 325, 327 f., 331, 335, 340 f., 346 f., 350, 352 ff., 359 f., 404, 407 f., 431 f., 434, 436 ff., 444 f., 450 ff., 455, 458 ff. Abhilfeurteil 318, 320 Abhilfeverfahren 319, 321, 325, 329 f., 338 f., 354, 356, 440, 445 ff. Abwicklungsfonds 370 Ähnlichkeit (insb. hinreichende Ähnlichkeit) 37, 116, 139 f., 310 ff., 325, 333, 389, 406, 458 Aktivlegitimation (auch: aktivlegitimiert) 102, 143, 145 f., 152 Allgemeininteresse 54, 136 f., 140, 149 ff., 155, 199, 211, 340, 360, 454 Anerkenntnis 38, 276, 296, 342, 395 Anerkennungsprinzip 452 Angemessenheitsprüfung (insb. bei Vergleich) 165, 364, 392, 394, 397, 399 ff., 407, 460 Anmeldebefugnis (auch: anmeldebefugt) 104, 109, 281, 315 Anmelderinteresse 157, 229 f., 343, 457, 460 Anmelderstellung 218 f., 353, 361, 405, 451 Anspruchsbündelung 44, 76, 135 Aufenthalt (gewöhnlicher) 187, 304, 319, 328, 433, 439, 455 Ausforschungsbeweis 265, 347
Bagatellschaden 33 Beibringungsgrundsatz 290, 292, 336, 343, 457 Bestreiten mit Nichtwissen (auch: Nichtwissen) 247 ff., 253, 343 Beweisaufnahme 255, 260 Beweisführungslast 271 f. Beweislast 84, 247, 257, 261, 271 f. Beweisvereitelung 272 f., 351, 457 Beweiswürdigung 71, 259 ff., 267, 269 f., 272 f., 288, 292, 344, 351 f., 457, 459 Bindungswirkung (sui generis, Urteil, Vergleich) 61, 115, 124 f., 141, 156, 160, 164 f., 172, 174, 197, 210, 222 f., 227, 236, 240, 244, 253, 273, 334, 373, 376 f., 381, 389 ff., 393, 397 ff., 407, 415, 419, 423, 425 ff., 449, 451, 453, 460 Darlegungslast 84, 246 f., 250 ff., 255, 275, 285, 343 f., 348, 456, 459 Disposition(-sbefugnis, -sgrundsatz, -smaxime) 27 f., 148, 171, 178, 190 ff., 198, 221, 225, 231 f., 276 f., 280, 294 ff., 299, 340, 342, 357, 359, 370, 374, 379, 400, 402, 405, 427, 455 ff. Doppelnatur (von: Verbandsklage, Vergleich) 145 ff., 149, 154, 160, 374 f., 382 f., 386 Doppeltatbestand(-slehre) 382, 385 ff., 399, 459 Eintragung (in: Klageregister; Liste für qual. Einrichtungen) 77, 79 f., 89, 93, 97, 104, 106 ff., 111 f., 116 ff., 199, 210, 312, 324, 356, 453 Einzelanspruch 192, 205, 210, 312, 332 ff., 366, 370
Stichwortverzeichnis Erledigungserklärung (einseitig, übereinstimmend) 277 ff., 402, 417 Ermächtigung 53, 102, 116, 125 ff., 134 f., 174 ff., 185, 274 f., 315, 341, 350, 379, 430, 455 Erörterungstermin 312, 331, 458 Feststellungsanspruch 154 Feststellungsklage 95, 154, 167 f., 172 f., 183, 235, 422, 453 Feststellungsvergleich 370, 379 f. Feststellungsziel 46, 57, 61 f., 107, 110 ff., 118, 120, 125 ff., 130 f., 135, 141, 147 f., 150 f., 153 f., 156, 161, 164, 169 ff., 180, 202, 212, 221, 226 ff., 237 ff., 241 ff., 267, 274, 276, 278 f., 293, 295 f., 352, 369, 376, 378 f., 384, 408 ff., 415 ff., 423 f., 426 f., 454 Finanzierung (auch: Drittfinanzierung) 70 f., 77, 82, 88, 91, 95, 97 f., 186, 190, 311, 322, 325, 452 Folgeverfahren 122, 161, 240, 266, 273, 290, 414, 427, 430 Fremdprozessführung(-sbefugnis) 124, 137 Funktionale Prozessstandschaft 172 ff., 176, 179, 185, 211, 225, 263, 296, 360, 429 f., 455 Gesetzgebungsverfahren 55, 92, 219, 242 Gesetzliche Prozessstandschaft 135 f., 160, 166, 174 ff., 180, 185, 209 ff., 455 Gewillkürte Prozessstandschaft 24, 29, 114 ff., 126, 133 ff., 171, 174 ff., 184 f., 209 ff., 218, 239, 249, 255 f., 298, 303, 360, 431, 439, 453, 455 Grenzüberschreitende Verbandsklage 87, 89, 452, 460 Gruppenbildung (auch: Untergruppenbildung) 314, 320, 332, 334, 355, 357, 458 Gruppeninteresse 136, 150, 315 Güteverhandlung 59, 363, 403
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Individualanspruch 34 f., 40, 50 f., 53 f., 126, 136, 138, 151, 162, 166, 168, 170 ff., 176, 202 f., 205 f., 210, 212, 304, 310, 313, 325, 335, 353, 358, 438, 443, 449 f., 454 f., 458 Individualinteresse 27 f., 40, 51 f., 73, 135 f., 151 f., 161 f., 164, 166, 199, 207 f., 211, 450, 455 Innerstaatliche Verbandsklagen 68 Institutionenschutz 141, 155 Justizgewährung (auch: Justizgewährleistungsanspruch, Justizgewährungsanspruch) 52, 196, 200, 287, 331, 445, 455 Kernpunkttheorie 434 f., 443, 446 Klageänderung 220, 225 ff., 232, 278, 296, 298, 341, 369, 456 Klageantrag 178, 226, 239 f., 242 f., 279, 332, 340, 411 f., 436 Klagebefugnis 41, 64, 74, 76, 80, 82, 86, 92 f., 99 f., 122 f., 125, 141, 146, 148, 158, 160, 164, 186, 203, 209 Klageerweiterung 244 Klagegegenstand 169, 451 Klagegrund 70, 188, 204, 226, 231, 434, 436 f. Klagehäufung 48, 167, 227 f., 278, 325, 332, 334, 418, 436, 449 Klageregister 46, 57 f., 62, 84, 104, 106, 108, 117, 121, 130, 163, 199 f., 221, 227, 312, 315, 333, 340, 343, 356, 366, 368, 396, 420, 424, 453 Klagerücknahme 60, 220, 277 f., 342, 362, 369, 417 Klageschrift 57, 83 f., 310 f., 313, 452 Klagevehikel 88, 93 f. Kollektives Interesse (auch: Kollektivinteresse) 23, 40, 67, 137 f., 144, 150, 160 ff., 207 f., 235, 322, 454 Kollektivklagerecht 202, 205 f. Konnexität(-serfordernis) 107, 110 ff., 118 f., 122, 124 f., 132, 156, 172, 376 f., 412, 414, 453 ff., 460
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Stichwortverzeichnis
Lebenssachverhalt 61, 105, 111, 114 f., 120, 221 f., 226, 228, 231, 243, 278, 295, 310, 314, 409, 412 ff., 426 f., 434, 436 f., 460 Legal-Tech 323 f., 356 Leistungsklage 95, 169, 303, 326, 329, 377, 458 Massenschäden 27, 36, 38, 43, 48, 54, 192, 196, 283, 301 f. Materialisierung 29, 213, 240, 280 ff., 298 f., 316, 361, 404, 406, 423, 450, 457, 460 Materieller Anspruch 131, 141, 143, 153, 353 Mehrparteienprozess 92 Mitgliederinteresse 142 Musterklage 46, 65 Nebenintervention 48 f., 60, 218, 223 f., 238, 328, 343 Nichtanmelder 162, 164 f., 371, 454 Nichtverbraucher 109, 316, 449 Offenlegung(-sanordnung, -spflicht, -sverpflichtung) 75, 85, 89, 345, 349, 351 f. Öffentliches Interesse 143, 150, 232, 294 Opt-in(-Mechanismus, -Modell, -Modus, -Verfahren) 58, 65, 70, 72, 187 f., 192, 196, 201 f., 209 ff., 300 f., 303 f., 306 f., 314, 318, 321, 330, 340, 432 f., 438, 442, 445, 447 f., 455 Opt-out(-Mechanismus, -Modell, -Klage, -Regelung, -Verfahren) 61, 65, 70, 72, 115, 187 ff., 201, 300, 306, 381, 395, 432, 445 ff., 455 Parteiänderung 215 f., 219 f., 222 f., 225, 229, 455 f. Parteiautonomie 337, 365, 401 Parteibegriff (formeller, materieller) 100 f., 131, 214, 218, 248, 255, 259, 451 Parteibeitritt 220 ff. Parteierweiterung 220, 222, 328
Parteiherrschaft 27, 280, 299, 340, 362, 399, 403, 407, 451 Popularklage 102, 133, 157 f., 189 Präjudizialität 49, 420 Präzedenzwirkung 163, 165, 236 Privatautonomie 50, 225, 369 Prozesshandlung(-svoraussetzung) 131, 372 f., 382 Prozessleitung(-sbefugnis, -spflicht) 213, 228, 240 ff., 271, 289, 292 f., 295 f., 332, 336, 338, 357, 359, 401, 456 ff. Prozessökonomie 191, 229, 298, 384, 441 Prozessstandschaft sui generis 166, 169, 172 Prozessverbindung 148, 223 Prozessvertreter (auch: Prozessvertretung) 44, 76, 81, 94 f., 157 f., 335, 365 Prozesszweck (auch: Zweck des Zivilprozesses) 27, 51 ff., 68, 183, 211, 281, 358, 360, 449 f. Qualifizierter Wirtschaftsverband 78, 99, 452 Rationales Desinteresse (auch: rationale Apathie) 34 f., 38, 54, 73, 192, 301 f. Rechtshängigkeit(-seinwand, -ssperre) 30 f., 59, 114, 168, 171, 176, 202, 206, 210, 218, 222, 277, 304, 325, 332, 334, 408, 415 ff., 421 f., 431 f., 438 ff., 443 ff., 447 ff., 454 f., 460 Rechtsinhaber(-schaft) 24 f., 102, 104, 114 ff., 127 ff., 166, 170, 172 f., 175, 178, 180, 182, 188 f., 197, 212 f., 217 ff., 223 f., 235, 237, 246, 248 f., 253, 255 ff., 260 ff., 269, 273, 337, 340, 358, 361 f., 381, 414, 422, 430 f., 448, 450, 456, 459 Rechtskraft(-erstreckung) 50, 58, 115, 172, 387, 389 ff., 419, 424 f., 428 ff., 441 f., 444, 449 f., 460 Rechtsnachfolge 217 f., 374, 419, 428 f., 455 Rechtsträger 135, 137 f., 155, 161, 454
Stichwortverzeichnis Registereintragung 112, 118, 121, 210, 249, 323, 332, 453, 455 Repräsentation 25, 144, 156 f., 187, 206, 209 f., 441, 454 Richtermacht 27, 213, 242, 246, 261, 280, 290, 292, 294, 299, 337, 362, 399, 403, 407, 451 f., 457 Sachdienlichkeit(-skriterium, -sprüfung) 222, 228 ff., 232, 243, 278 f., 296, 456 f. Sachentscheidungsinteresse 411 f., 414 Sachlegitimation 102, 129, 219 Schadenshöhe 34 f., 38, 189, 283, 332, 334, 336, 355 Schadenspauschalierung 329 Schriftsatzstrukturierung 340, 458 Sondergesetz 53, 213, 360 Streitgegenstand(-sbegriff) 30 f., 46, 59, 61, 102, 113 f., 123, 148, 153, 164, 168 f., 172, 197, 210, 216, 225 ff., 232, 276, 278, 293, 340, 342, 370 f., 376 ff., 384, 395, 408 f., 412, 414 ff., 418 f., 422, 424 ff., 431 f., 434 ff., 446 f., 449, 460 Streitgenossenschaft 48 f., 328, 418 Streithelfer(-hilfe, -verkündung) 49, 60, 181, 223 f., 238, 328 Streuschäden 33, 35 ff., 45, 54, 65, 191, 195, 283, 301 f. Subjektives Recht 138, 143, 155 Substantiierung(-serfordernis, -slast) 105, 109 f., 246 f., 254, 285, 339, 344, 347 f., 456 Überindividuelle Interessen 23, 53, 136, 144, 155, 211, 454 Unparteilichkeit 244, 293 Untergruppen(-bildung) 161, 314 f., 332 ff., 341, 353 ff., 357, 405 f., 436, 458 Urteilsbindung 431 ff., 441, 460
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Verbraucheranspruch 95, 153, 170, 172, 204 f., 210, 298, 304 f., 311, 319 Verbraucherbegriff 56, 104 Verbrauchereigenschaft 108 f., 119 f., 122, 306, 325, 453 Verbrauchergruppe 305, 311, 319, 365, 405, 407, 442 Verbraucherinteresse 66 f., 80 f., 83, 87 f., 91, 94, 450 Verbraucherschutzverband (auch: Verbraucherverband) 41 ff., 142 Verfahrensautonomie (der Mitgliedstaaten) 188, 209, 300, 349 Verfahrensbeendigung 279, 296, 362, 368 f., 385, 440, 450, 457, 460 Verfahrenseinleitung 57, 281, 303, 458 Verfahrensgegenstand 110, 112, 123, 125, 127, 160, 164, 166, 226, 234, 239, 246, 270, 274, 282, 294 ff., 321 f., 340, 391, 415 f., 434 ff., 438, 454 Vergleich (auch: Prozessvergleich) 30, 50, 58, 60 f., 70, 115, 165, 208, 362 ff., 404 ff., 451, 459 f. Verhandlungsgrundsatz 271, 290 f., 293, 352, 402 f. Vorfrage 241, 279, 409, 426, 430 Vorgreiflichkeit 170, 411 f., 414, 419 f. Waffengleichheit 71, 232, 240, 242, 244, 280, 284, 286 ff., 298 f., 341, 346, 458 Wahrheitspflicht 248, 253 ff. Widerklage (auch: Drittwiderklage) 225, 232 ff., 276, 289, 296 ff., 341, 358, 360, 456, 458 Zuständigkeit (gerichtliche) 56, 60, 68, 187, 303 ff., 325, 433, 443, 446, 458 Zweiparteienprozess(-grundsatz, -struktur) 26 f., 37, 59, 92, 299, 305, 331, 337, 359, 361, 430, 450 f., 453, 458 f.