Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen: Ein Versuch zur Anwendung quantitativer Methoden in der historisch-vergleichenden Syntax [Reprint 2014 ed.] 9783110930306, 3484522879, 9783484522879

The study proceeds on the conviction that one of the characteristics of the syntax of a language is the relative frequen

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German Pages 616 [620] Year 1997

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Table of contents :
1. Einleitung
1.1. Historische Sprachwissenschaft und historisch-vergleichende Syntax
1.2. Die Norm als Gegenstand der historisch-vergleichenden Syntax
1.3. Überlegungen zu einem quantitativen Ansatz in der historisch-vergleichenden Syntaxforschung
1.4. Überlegungen zur quantitativen Auswertung der Daten
1.5. Quantitative Ansätze in der Syntaxforschung
1.6. Syntaktische Normveränderung versus stilistische Normabweichung
1.7. Die Verbalsyntax als Untersuchungsgegenstand
1.8. Übersetzungstexte als Arbeitsgrundlage
1.9. Textcorpus, Datenerfassung und Datenaufbereitung
1.10. Probleme und Entscheidungen bei der Datenerfassung
1.10.1. Die Differenzierung zwischen infiniten Verbformen und de verbalen Adjektiven und Substantiven
1.10.2. Definition und Abgrenzung der Hilfsverben und der periphrasieren-den Verben
1.10.3. Probleme der Abgrenzung und Zuordnung: zur Abgrenzung von actants und circonstants und verwandte Probleme
1.11. Methodische Vorüberlegungen zur Analyse und Auswertung der quantitativen Daten
2. Die Übersetzungen von Titus Livius’ Ab Urbe Condita in die romanischen Sprachen
2.1. Vorbemerkungen
2.2. Titus Livius, Ab Urbe Condita- Werk und Textüberlieferung
2.3. Französische Liviusübersetzungen
2.3.1. Anonym, bald nach 1300 (Text verloren)
2.3.2. Pierre Bersuire [Petrus Berchorius] (vor 1300 - ca. 1362)
2.3.3. Jacques Gohory (ca. 1520 - 1576)
2.3.4. Jean de (H)Amelin de Sarlac
2.3.5. Antoine de La Faye († 1616/18)
2.3.6. Blaise de Vigenère (1523-1596)
2.3.7. François Malherbe (1555-1628)
2.3.8. Pierre DuRyer (1605/06-1658)
2.3.9. François Guérin (1681-1751)
2.3.10. Joseph Brunet (f 1742/43)
2.3.11. Jean-Baptiste Joseph René Dureau de Lamalle (1742-1807)
2.3.12. A.A.J. Liez, N.A. Dubois, V. Verger
2.3.13. Philip Lebas (1794-1860), Charles Nisard (1808-1889)
2.3.14. Maxime Gaucher
2.3.15. Französische Übersetzungen im 20. Jahrhundert
2.3.16. Weitere französische Liviusübersetzungen
2.4. Italienische Liviusübersetzungen
2.4.1. Filippo da Santa Croce, notaio ad Andrea
2.4.2. Giovanni Boccaccio (1313-1375)
2.4.3. Iacopo Nardi (1476-1563)
2.4.4. Francesco Sansovino (1521-1586)
2.4.5. C. Luigi Mabil
2.4.6. Italienische Übersetzungen im 20. Jahrhundert
2.5. Spanische Liviusübersetzungen
2.5.1. Pero López de Ayala (1332-1406)
2.5.2. Rodrigo Alonso de Pimentel
2.5.3. Pedro de la Vega
2.5.4. Francisco de Enzinas (1520-1552)
2.5.5. D. Francisco Navarro y Calvo
2.5.6. Spanische Übersetzungen des 20. Jahrhunderts
2.6. Die anonyme katalanische Liviusübersetzung (vor 1438)
2.7. Portugiesische Liviusübersetzungen
2.8. Rumänische Liviusübersetzungen
2.8.1. Joane Antoneli
2.8.2. Nicolae Barbu
2.8.3. Rumänische Liviusübersetzungen im 20. Jahrhundert
2.9. Frühe Liviusübersetzungen in nichtromanische Sprachen
Hauptteil: Historisch-vergleichende Untersuchungen zur Frequenz der verbalen Formen und Funktionen in den romanischen Liviusüber-setzungengen: Verba finita vs. Verba infinita
3. Anzahl, Form und Funktion der Verben
3.1. Die Anzahl der Verben in den zwölf quantitativ erfaßten Texten
3.2. Form und Funktion der Verben
3.2.1. Die Frequenz der Verbformen in den zwölf Übersetzungen
3.2.2. Die Frequenz der Verben in den syntaktischen Funktionen
3.3. Exemplarische Analyse eines Satzes (Satz 07-05)
3.3.1. Übersicht
3.3.2. Die Frequenz der Haupsatzfunktion
3.3.3. Die Übersetzung der adverbialen Nebensätze des lateinischen Textes
3.3.4. Die Übersetzung der prädikativen Partizipien
3.3.5. Die Übersetzung der lateinischen Modalperiphrase
3.3.6. Verbalkonstruktionen ohne verbale Vorlage im lateinischen Text
3.3.7. Zusammenfassung: Form, Funktion und Frequenz der Verben in Satz 07-05
3.3.8. Bewertung der Ergebnisse der Satzanalyse
4. Die Verben in den abhängigen Satzfunktionen
4.1. Einleitung
4.2. Verben in Objektfunktion
4.2.1. Frequenz und Konkurrenz der Objektsätze und der Objektinfinitive
4.2.2. Der Einfluß der übergeordneten Verben
4.2.3. Der Einfluß der übergeordneten Verben - Die Verbtypes
4.2.4. Die verbalen Objekte in Kapitel 5, sowie in Satz 04-04 und 08-03
4.2.5. Verben mit AcI-Konstruktionen als Objektergänzung
4.2.6. Infinitivkonstruktionen mit identischem oder unausgedrücktem Subjekt
4.2.7. Direkter versus präpositionaler Anschluß der Infinitive in Objektfunktion
4.3. Die Verbalperiphrasen und ihre Frequenz
4.3.1. Quantitative Übersicht
4.3.2. Die Modalperiphrasen - Analyse ausgewählter Beispiele
4.3.3. Die Temporalperiphrasen mit aller und venir
4.3.4. Passivperiphrasen
4.4. Verbale Konstruktionen in Subjektfunktion
4.4.1. Einleitung
4.4.2. Infinitive in Subjektfunktion
4.4.3. Nebensatzkonstruktionen in Subjektfunktion
4.4.4. Der substantiverte Infinitiv in Subjektfunktion
4.5. Form und Frequenz der Adverbialkonstruktionen
4.5.1. Einleitung
4.5.2. Die formale Ausfüllung der Adverbialfunktionen
4.5.3. Finale Adverbialkonstruktionen: Infinitiv versus Finalsatz
4.5.4. Kausale Adverbialkonstruktionen
4.5.5. Temporale Adverbialkonstruktionen
4.5.6. Funktionsspezifische Charakteristika der infiniten Verbformen in den Adverbialfunktionen
4.6. Form und Frequenz der verbalen Attributkonstruktionen
5. Rückblick und Ausblick
5.1. Methodischer Rückblick
5.2. Ergebnisse
5.3. Der Einfluß der lateinischen Vorlage
5.4. Ausblick und Versuch einer (Selbst-)Kritik
Literaturverzeichnis
Synopse:
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
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Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen: Ein Versuch zur Anwendung quantitativer Methoden in der historisch-vergleichenden Syntax [Reprint 2014 ed.]
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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE

PHILOLOGIE

BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER

Band 287

PETER STEIN

Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen Ein Versuch zur Anwendung quantitativer Methoden in der historisch-vergleichenden Syntax

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1997

Matri, uxori et filiae

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. - Tübingen : Niemeyer Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für romanische Philologie NE: HST Bd. 287. Stein, Peter: Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen. - 1997 Stein, Peter: Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen : Ein Versuch zur Anwendung quantitativer Methoden in der historisch-vergleichenden Syntax / Peter Stein. - Tübingen : Niemeyer, 1997 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 287) ISBN 3-484-52287-9

ISSN 0084-5396

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Allgäuer Zeitungsverlag, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen

Vorwort

Ausgangspunkt fur die vorliegende Arbeit ist die Überlegung, daß zu den Charakteristika einer Sprache auch die Häufigkeit der syntaktischen Konstruktionen gehört und daß folglich syntaktischer Wandel sich weniger im Ersatz alter Konstruktionen durch neue äußert als vielmehr in einem Wandel der Vorkommenshäufigkeit der miteinander konkurrierenden Konstruktionsmöglichkeiten, d.h. syntaktischer Wandel erfolgt primär nicht auf der Ebene der langue, sondern auf der Ebene der Norm. Ziel der Arbeit ist es, diese Überlegungen zu überprüfen, zu vertiefen und an einem konkreten Beispiel zu illustrieren. Grundlage dafür ist ein Textcorpus von 40 Übersetzungen der ersten vierzehn Kapitel - das sind ± 1000 Verben pro Text - von Titus Livius' Ab Urbe condita in die romanischen Sprachen. Von diesen Übersetzungen wurden zwölf nach Sprachen und Entstehungszeit ausgewählt und hinsichtlich der Häufigkeit der finiten und infiniten Verbformen in den verschiedenen Satzfunktionen analysiert und beschrieben. Die quantitativen Ergebnisse wurden unter Heranziehung aller Übersetzungen durch die Analyse ausgewählter Sätze qualitativ vertieft, kritisch kommentiert und illustriert. Diesem Hauptteil der Arbeit gehen theoretisch-methodologische Überlegungen (Kapitel 1) und eine Vorstellung der Übersetzungen und ihrer Berücksichtigung in wissenschaftlichen Untersuchungen (Kapitel 2) voraus. Beigefugt ist der Arbeit eine Synopse der untersuchten Übersetzungen, so daß diese sowohl zur Überprüfung der Ergebnisse der Arbeit als auch für weitere Untersuchungen verfugbar sind. Angeregt wurde die Arbeit von der Frage, welche Möglichkeiten der historischvergleichenden Analyse in einem Textcorpus von Übersetzungen eines klassischen Autors, der häufig und über einen längeren Zeitraum hin in die romanischen Sprachen übersetzt wurde, enthalten sind. Am Anfang standen also Texte, keine vorkonzipierten Theorien oder gezielte, festumrissene Fragestellungen. Die Hinwendung zu quantitativen Fragestellungen ergab sich aus der Menge der Sprachdaten, die auf andere Art kaum zu erfassen gewesen wären. Die Arbeit ist während meiner Tätigkeit als Assistent am Institut fur Romanische Philologie der Universität Regensburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Gerhard Ernst) entstanden und wurde während einer einjährigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 321 Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit an der Universität Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Raible abgeschlossen. Sie wurde von der Philosophischen Fakultät IV der Universität Regensburg

VI

1990 als Habilitationsschrift angenommen. Die hier vorliegende Fassung wurde formal überarbeitet und inhaltlich ergänzt. Die Verzögerung der Publikation ergibt sich vor allem daraus, daß der Verfasser seit 1992 fast kontinuierlich als Lehrstuhlvertreter an Universitäten der neuen Bundesländer der Mitarbeit am Aufbau der romanischen Seminare in Jena, Potsdam und Erfurt mehr Bedeutung zugemessen hat als einer möglichst raschen Publikation seiner Arbeit. Daß dies im Blick auf die weitere berufliche Laufbahn möglicherweise eine falsche Entscheidung sein könnte, hatte er nicht bedacht. Hinzu kommt, daß sowohl die Synopse also auch die Tabellen und die Arbeit selbst zunächst mit Schreibmaschine geschrieben und damit nicht bzw. in nicht weiter bearbeitbarer Weise gespeichert waren - die Benutzung von Textverarbeitungsprogrammen war zu diesem Zeitpunkt noch keine Selbstverständlichkeit und bot bei weitem noch nicht die Möglichkeiten heutiger Programme. Entsprechend zeitaufwendig war auch die Aufbereitung der quantitativen Daten mit dem Datenbanksystem dBASE; Sortiervorgänge brauchen heute weniger als ein Zehntel der damaligen Zeit. Als die Arbeit zusammen mit der Synopse gescannt wurde, waren die entsprechenden Programme im Vergleich zum aktuellen Stand ebenfalls noch relativ fehlerträchtig, so daß auch hier das Korrigieren der gescannten Texte nicht wenig Zeit erforderte. Hätten zum Zeitpunkt der Erstellung der Synopse bereits die heutigen Scanmöglichkeiten bestanden, hätte dies eine Zeitersparnis von Monaten bedeutet. Dem Verfasser bleibt nach getaner Arbeit der Wunsch, daß seine Arbeit zur weiteren Anwendung quantitativer Ansätze in der historisch-vergleichenden Syntax fuhren möge. Mein Dank gilt all denjenigen, die mit ihrer Unterstützung in welcher Form auch immer - ideengebend, aufinunternd, mahnend oder einfach nur helfend - zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Den Damen und Herren der Fernleihstelle der UB Regensburg und der ausleihenden Bibliotheken danke ich für ihre Hilfe bei der Beschaffung der Übersetzungen. Herr Dieter Messner, Salzburg, hat mir seine Sammlung romanischer Liviusübersetzungen überlassen und damit den Einstieg in die Arbeit wesentlich erleichtert. Meiner Erfurter Mitarbeiterin, Frau Claudia Benneckenstein, danke ich für ihre kritische Lektüre der Arbeit und ihre zahlreichen Verbesserungsvorschläge. Herrn Wolfgang Raible danke ich nicht nur fiir die Möglichkeit zur Fertigstellung der Arbeit, sondern auch für viele wertvolle und kritische Hinweise in der Endphase der Textanalyse und der Redaktion. Herrn Max Pfister, der mich während seiner Zeit in Marburg auf den Weg zur romanischen Sprachwissenschaft gefuhrt hat, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift fiir Romanische Philologie und verbinde damit herzliche Glückwünsche zum 21. April 1997. Und zu guter Letzt sei mit dem Erscheinen dieser Arbeit auch ein Glückwunsch an Herrn Gerhard Ernst zum 7. Juli 1997 verbunden. Peter Stein

Regensburg, im Juni 1997

Inhaltsverzeichnis

1. 1.1. 1.2. 1.3.

Einleitung 1 Historische Sprachwissenschaft und historisch-vergleichende Syntax .. 1 Die Norm als Gegenstand der historisch-vergleichenden Syntax 7 Überlegungen zu einem quantitativen Ansatz in der historischvergleichenden Syntaxforschung 11 1.4. Überlegungen zur quantitativen Auswertung der Daten 13 1.5. Quantitative Ansätze in der Syntaxforschung 15 1.6. Syntaktische Normveränderung versus stilistische Normabweichung . 19 1.7. Die Verbalsyntax als Untersuchungsgegenstand 25 1.8. Übersetzungstexte als Arbeitsgrundlage 27 1.9. Textcorpus, Datenerfassung und Datenaufbereitung 31 1.10. Probleme und Entscheidungen bei der Datenerfassung 33 1.10.1. Die Differenzierung zwischen infiniten Verbformen und deverbalen Adjektiven und Substantiven 33 1.10.2. Definition und Abgrenzung der Hilfsverben und der periphrasierenden Verben 36 1.10.3. Probleme der Abgrenzung und Zuordnung: zur Abgrenzung von actants und circonstants und verwandte Probleme 38 1.11. Methodische Vorüberlegungen zur Analyse und Auswertung der quantitativen Daten 40 2.

Die Übersetzungen von Titus Livius' Ab Urbe Condita in die romanischen Sprachen 2.1. Vorbemerkungen 2.2. Titus Livius, Ab Urbe Condita - Werk und Textüberlieferung 2.3. Französische Liviusübersetzungen 2.3.1. Anonym, bald nach 1300 (Text verloren) 2.3.2. Pierre Bersuire [Petrus Berchorius] (vor 1300-ca. 1362) 2.3.2.1. Leben und Werk Pierre Bersuires 2.3.2.2. Bersuires Liviusübersetzung (ca. 1356) und ihre Verbreitung 2.3.3. Jacques Gohory (ca. 1520- 1576) 2.3.4. Jean de (H)Amelin de Sarlac 2.3.5. Antoine de La Faye(t 1616/18) 2.3.6. Blaise de Vigenere (1523-1596)

42 42 45 47 47 48 48 49 54 54 55 56

VIII 2.3.7. 2.3.8. 2.3.9. 2.3.10. 2.3.11. 2.3.12. 2.3.13. 2.3.14. 2.3.15. 2.3.16. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3. 2.4.4. 2.4.5. 2.4.6. 2.5. 2.5.1. 2.5.2. 2.5.3. 2.5.4. 2.5.5. 2.5.6. 2.6. 2.7. 2.8. 2.8.1. 2.8.2. 2.8.3. 2.9.

Francois Malherbe (1555-1628) Pierre DuRyer (1605/06-1658) Francois Guerin (1681-1751) Joseph B n m e t f t 1742/43) Jean-Baptiste Joseph Rene Dureau de Lamalle (1742-1807) A.A.J. Liez, N.A. Dubois, V. Verger Philip Lebas (1794-1860), Charles Nisard (1808-1889) Maxime Gaucher Französische Übersetzungen im 20. Jahrhundert Weitere französische Liviusübersetzungen Italienische Liviusübersetzungen Filippo da Santa Croce, notaio ad Andrea Giovanni Boccaccio (1313-1375) IacopoNardi (1476-1563) Francesco Sansovino (1521-1586) C. LuigiMabil Italienische Übersetzungen im 20. Jahrhundert Spanische Liviusübersetzungen Pero Lopez de Ayala (1332-1406) Rodrigo Alonso de Pimentel Pedro de la Vega Francisco de Enzinas (1520-1552) D. Francisco Navarro y Calvo Spanische Übersetzungen des 20. Jahrhunderts Die anonyme katalanische Liviusübersetzung (vor 1438) Portugiesische Liviusübersetzungen Rumänische Liviusübersetzungen Joane Antoneli Nicolae Barbu Rumänische Liviusübersetzungen im 20. Jahrhundert Frühe Liviusübersetzungen in nichtromanische Sprachen

Hauptteil: Historisch-vergleichende Untersuchungen zur Frequenz der verbalen Formen und Funktionen in den romanischen Liviusübersetzungengen: Verba finita vs. Verba infinita 3. Anzahl, Form und Funktion der Verben 3.1. Die Anzahl der Verben in den zwölf quantitativ erfaßten Texten . . . . 3.2. Form und Funktion der Verben 3.2.1. Die Frequenz der Verbformen in den zwölf Übersetzungen 3.2.2. Die Frequenz der Verben in den syntaktischen Funktionen 3.2.2.1. Form und Frequenz der Verben in den Satzfunktionen 3.2.2.2. Die Konkurrenz zwischen finiten und infiniten Verbformen in den abhängigen Satzfunktionen

57 57 58 59 59 60 61 61 61 62 63 63 64 65 66 66 66 68 68 70 70 71 72 72 73 74 75 75 76 76 77

79 81 81 83 83 87 90 93

IX 3.2.2.3. 3.2.2.4. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4. 3.3.5. 3.3.6. 3.3.7. 3.3.8. 4. 4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.2.5. 4.2.5.1. 4.2.5.2. 4.2.5.3. 4.2.6. 4.2.7. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.4. 4.4.1. 4.4.2. 4.4.3. 4.4.3.1. 4.4.3.2. 4.4.3.3. 4.4.3.4. 4.4.3.5.

Text- und zeitspezifische Charakteristika Sprachspezifische Charakteristika Exemplarische Analyse eines Satzes (Satz 07-05) Übersicht Die Frequenz der Haupsatzfunktion Die Übersetzung der adverbialen Nebensätze des lateinischen Textes Die Übersetzung der prädikativen Partizipien Die Übersetzung der lateinischen Modalperiphrase Verbalkonstruktionen ohne verbale Vorlage im lateinischen Text Zusammenfassung: Form, Funktion und Frequenz der Verben in Satz 07-05 Bewertung der Ergebnisse der Satzanalyse

95 102 104 104 107 108 110 113 113

Die Verben in den abhängigen Satzfunktionen Einleitung Verben in Objektfünktion Frequenz und Konkurrenz der Objektsätze und der Objektinfinitive . Der Einfluß der übergeordneten Verben Der Einfluß der übergeordneten Verben - Die Verbtypes Die verbalen Objekte in Kapitel 5, sowie in Satz 04-04 und 08-03 . . Verben mit Acl-Konstruktionen als Objektergänzung Acl-Konstruktionen nach Verba sentiendi Acl-Konstruktionen nach kausativem faire/fare/hacer/fazer/a face, Alternativen und Konkurrenzkonstruktionen Der Dativus cum infinitivo und verwandte Konstruktionen Infinitivkonstruktionen mit identischem oder unausgedrücktem Subjekt Direkter versus präpositionaler Anschluß der Infinitive in Objektfunktion Die Verbalperiphrasen und ihre Frequenz Quantitative Übersicht Die Modalperiphrasen - Analyse ausgewählter Beispiele Die Temporalperiphrasen mit aller und venir Passivperiphrasen Verbale Konstruktionen in Subjektfunktion Einleitung Infinitive in Subjektfunktion Nebensatzkonstruktionen in Subjektfunktion Übersicht Satzkonstruktionen als Subjekt reflexiver und passiver Verba dicendi Unpersönliche Konstruktionen wie il advient que usw. mit Satzsubjekt Subjektsatzkonstruktionen im Zusammehang mit der Kopula etre . . Französisch c'est que + Satz und verwandte Konstruktionen

120 120 121 126 128 133 137 145 147

116 118

152 159 162 166 169 169 173 182 192 192 192 194 197 197 198 200 202 203

χ 4.4.3.6. 4.4.4. 4.5. 4.5.1. 4.5.2. 4.5.3. 4.5.4. 4.5.5. 4.5.6.

Demonstrativum + Relativsatz-Konstruktionen als Subjekt Der substantiverte Infinitiv in Subjektfunktion Form und Frequenz der Adverbialkonstruktionen Einleitung Die formale Ausfüllung der Adverbialfunktionen Finale Adverbialkonstruktionen: Infinitiv versus Finalsatz Kausale Adverbialkonstruktionen Temporale Adverbialkonstruktionen Funktionsspezifische Charakteristika der infiniten Verbformen in den Adverbialfunktionen 4.5.6.1. Infinitive in Adverbialfunktion 4.5.6.2. Partizipialkonstruktionen in Adverbialfunktion 4.6. Form und Frequenz der verbalen Attributkonstruktionen

206 212 213 213 213 223 230 235

5. 5.1. 5.2. 5.3. 5.4.

246 246 247 249 251

Rückblick und Ausblick Methodischer Rückblick Ergebnisse Der Einfluß der lateinischen Vorlage Ausblick und Versuch einer (Selbst-)Kritik

238 239 242 243

Literaturverzeichnis

253

Synopse: 1. Kapitel 2. Kapitel 3. Kapitel 4. Kapitel 5. Kapitel 6. Kapitel 7. Kapitel 8. Kapitel 9. Kapitel 10. Kapitel 11. Kapitel 12. Kapitel 13. Kapitel 14. Kapitel

275 277 304 320 345 365 384 398 439 457 495 514 535 558 578

Tabellen

Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

1: 2: 2a: 3:

Die Zahl der Verben in Kapitel 1-14 des 1. Buchs der I. Dekade 81 Die Verbformen und ihre Häufigkeit 84 ... geordnet nach den x2-Werten 84 Die Verteilung der Verben auf die Satzfunktionen, differenziert nach finiten und infiniten Verbfomen 88 Tabelle 3a: Die Häufigkeit der Verben in den Satzfunktionen - Texte geordnet nach den x 2 -Werten 89 Tabelle 3b: Das Verhältnis der Verben in Hauptsatzfunktion zu den Verben in den abhängigen Funktionen 90 Tabelle 3c: Das Verhältnis von finiten und infiniten Verbformen in den abhängigen Funktionen 93 Tabellen 4: Die Verben in den Übersetzungen von Satz 07-05 106 106 Tabelle 4A: Die Form der Verben 106 Tabelle 4B: Die Funktion der Verben, differenziert nach ihrer Form Tabelle 5: Die Frequenz der Verben in den syntaktischen Funktionen, spezifiziert nach der Form der Verben 122/123 Tabelle 6: Die Frequenz der Verbformen, spezifiziert nach ihren syntaktischen Funktionen 124/125 Tabelle 7: Die Konkurrenz zwischen Infinitiv- und Nebensatzkonstruktionen in Objektfunktion 127 129 Tabelle 8: Die Frequenz verbaler Konstruktionen in Objektfunktion Tabelle 9: Das Verhältnis der Zahl der Verben mit Objektsatzergänzung zur Zahl der Verben mit Objektinfinitiv 132 Tabelle 10: Die Anzahl der Verben (Verbtypes) mit verbalem Objekt 134 Tabelle 11: Die Zahl der Vorkommen von dire/decir/a spune mit verbalem Objekt oder Subjekt 136 Tabelle 12: Verben (Types) mit Acl als Objektergänzung in den Übersetzungen und im lateinischen Text 146 Tabelle 13: Die Form der Objektkonstruktionen beim Verb faire/fare/hacer/ fazer/a face und ihre Frequenz 153 Tabelle 14: Die periphrasierenden Verben und ihre Frequenz 170 Tabelle 15: Frequenz und formale Ausfüllung der Adverbialfunktionen (semantisch nicht differenziert) 214 Tabelle 16: Frequenz und formale Ausfüllung der Modal-Adverbialfunktionen 215

XII Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20:

Frequenz und formale Ausfüllung der Temporal-Adverbialfunktionen 216 Die Zahl der verbalen Finalkonstruktionen (Finalsatz vs. Infinitiv)223 Die Zahl der verbalen Kausalkonstruktionen (Kausalsatz vs. Partizip vs. Infinitiv) 230 Die Zahl der verbalen Temporalkonstruktionen (Temporalsatz vs. Partizip vs. Infinitiv) 235

Es gibt in der Wissenschaft gewisse Termini, die zwar in aller Munde sind: wie: Lautgesetz, Analogie, Bedeutung, Satz, Syntax, Stil, und die meist sogar das Um und Auf ganzer wissenschaftlicher Disziplinen bilden, welche die große Menge für die festesten Grundpfeiler allen wissenschaftlichen Denkens hält, während sich aber von den eigentlichen Werkleuten fast jeder seine eigene Meinung darüber bildet und jeder sich, wie beim Turmbau von Babel, in diesen fundamentalen Wörtern nur mit Mühe (oder gar nicht) verständigen kann. So kommt es, daß von den vielen Lehrbüchern und Lehrgebäuden der Syntax keines dem anderen gleicht und auf die Frage: was ist Syntax, so oft sie gestellt wird, gerade von den kompetentesten Gelehrten die entgegengesetztesten Meinungen geäußert werden. [...] So kommt es, daß Tatsachen, welche dem einen für die Syntax grundlegend erscheinen, dem andern ein lästiger Annex sind oder überhaupt aus der Syntax in die Stilistik verwiesen werden, und daß andrerseits die Stilistik (über die ja ebensowenig Klarheit herrscht), sich als eine von grammatischer Methode emanzipierte Rivalin der Syntax in die Wissenschaft einführen möchte. Karl von Ettmayer: «Zu den Grundlinien der Entwicklungsgeschichte der Syntax», GRM 20 (1932), 208.

1.

Einleitung

1.1. Historische Sprachwissenschaft und historisch-vergleichende Syntax Während es der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft in den über 150 Jahren ihres Bestehens gelungen ist, die phonologischen und morphologischen Entwicklungen der wichtigsten indoeuropäischen, aber auch anderer Sprachen in einem großen Maß zu erforschen, trifft dies für den Bereich der Syntax weit weniger zu; hier sind die sprachlichen Gegebenheiten wesentlich komplexer und vielfältiger und deswegen oft nicht so eindeutig zu erfassen und zu systematisieren wie auf der phonetisch-phonologischen und morphologischen Ebene. Die Feststellung von Schleicher (1866, 2) Die iunction und den sazbau des indogermanischen sind wir zur zeit noch außer stände in der art wißenschaftlich zu behandeln, wie wir es bei den mer äußerlichen und leichter erfaßbaren seiten der spräche, bei den lauten und formen vermögen, hat hier ebenso noch eine gewisse Gültigkeit, wie diejenige von Delbrück (1893, 37) in der ersten zusammenfassenden Syntax der indoeuropäischen Sprachen: Die alte so viel behandelte Lehre von den Satztheilen ist von der vergleichenden Grammatik nicht ernstlich aufgenommen, und fur die Syntax ist etwas Zusammenfassendes noch nicht geleistet worden.

So konnte Pilch (1984, 383) seinen Aufsatz noch ganz ähnlich beginnen: Historical and comparative linguistics devotes so much effort to phonology and accidence (inflection), but so little, comparatively speaking, to syntax. We all know this and complain of it. Still, we have not done much to mend matters.

Diese Feststellungen gelten allgemein wie auch speziell fur die romanischen Sprachen, die vom Beginn der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft an zu ihren bevorzugten Forschungsgebieten gehören,1 denn sie bieten die Möglichkeit, von einer 1

Vgl. z.B. Harris (1978, V), der sein Buch mit der Feststellung beginnt: «The linguistic analyst who works in the Romance field is perhaps uniquely fortunate in the wealth of material at his disposal. Not only does he have at least five major standard languages and a wealth of dialects to examine from a synchronic point of view, but there is also ample evidence of the antecedent of these languages, Latin, a fact which makes the Romance languages a particularly fruitful area for historical study». Ahnlich äußert sich auch Bossong (1982, bes. p. 19-20) zur privilegierten Stellung der romanischen Sprachen für die (Sprach-)Universalienforschung und eine auf ihr beruhende Sprachtypologie, und Heger (1989, 269) stellt resümierend fest, «wenn es die Romanistik nicht schon längst gäbe, müßte sie schleunigst erfunden werden!»

1. Einleitung

2

Sprache, dem Lateinischen, ausgehend ihre unterschiedliche Entwicklung bis zur jeweiligen modernen Form hin zu erforschen und nachzuvollziehen. Sie verdanken diese privilegierte Stellung einerseits der reichen Dokumentation ihrer Ausgangssprache Latein, andererseits ihrer eigenen langen und umfangreichen schriftlichen Überlieferungstradition. Schon bald entstanden folglich eine Reihe von historischen Grammatiken, sowohl für die Einzelsprachen wie auch für die Gesamtheit der romanischen Sprachen, so daß die Lautlehre und die Formenlehre systematisch erforscht und die Ergebnisse in vielen Einzeluntersuchungen und einer Reihe von umfassenden Standardwerken dargestellt sind.2 Auch wenn diese Werke in der Regel (die Ausnahme ist Raynouard 1821) die Syntax in ihre Darstellung einschließen, so gilt doch auch hier wie schon in der Indogermanistik, daß noch entscheidende Arbeiten fehlen, sobald das Interesse über die Erfassung und Analyse der Elemente der phonologjsch-phonetischen und der morphologischen Ebene hinausgeht und der Kombination der morphologisch markierten Elemente im Satz, d.h. der Syntax gilt; vor allem aber fehlen noch adäquate Analyse- und Beschreibungsmethoden. Bis zu moderneren Arbeiten hin beschränkt sich der Syntaxteil der historischen Grammatiken weitgehend auf die Ansammlung einer großen Menge von Einzelfakten, die thematisch nach dem Vorbild der lateinischen Schulgrammatik angeordnet sind und eher den Eindruck einer Zusammenstellung von Sonderfallen und Regelabweichungen als den der Beschreibung des syntaktischen (Teil-) Systems einer Sprache machen. Es gelingt ihnen nicht, für die Syntax den Lautgesetzen vergleichbare (Entwicklungs-)Geieföe oder Regeln aufzustellen oder die syntaktischen Phänomene zu systematisieren und erklärend aus dem Lateinischen herzuleiten, wie dies fur die Morphologie unter Anwendung von Lautgesetzen und Analogieeinflüssen weitgehend erfolgt ist.3 Mounin (1968, 127-128) stellt resümierend fest: Certes, ceci ne signifie pas que les syntaxes traditionnelles n'aient rien ä nous apprendre, au contraire. Elles ont bien vu certains traits caracteristiques de la phrase, [...] mais ce n'etaient pas les traits syntaxiques pertinents. Elles ont accumule, pour les langues sur lesquelles elles ont travaille, des masses enormes de faits de syntaxe, decrits, analyses, puis classes minutieusement, mais c'est lä le hic, ce classement est toujours disparate par rapport ä la structure de la langue. Dies genügt für eine angemessene historische Syntaxforschung jedoch nicht, denn: ... dans l'etude historique, ce ne sont plus seulement les exceptions qui doivent etre expliquees, c'est tout le sens de 1'evolution que l'on veut degager (Gougenheim 1934, 39). 2

3

Genannt seien nur die klassischen gesamtromanischen Werke von Raynouard ( [ 1 8 1 6 - ] 1821), Diez (1836-1844), Meyer-Lübke (1890-1902) und Bourciez (1919, 5 1967). Zum aktuellen Forschungsstand siehe die Bände 11,1 (1996) und 11,2 (1995) des LRL. Vgl. auch W. Lehmann (1972, 240), der seinen Artikel zur Proto-Germanic

Syntax wie folgt

beginnt: «Most previous syntactic treatments of PGmc [Proto-Germanic] have been implicitly based on a general framework which corresponds to Lat. grammar. Grimm, Winkler, Behagel, Nygaard, Hirt and other authors of syntactic compendia give examples of selected sentences, discuss syntactic classes and describe their uses in sentences. But they have not made explicit formalized statements about the syntactic structure of PGmc.»

1.1. Historische Sprachwissenschaft..

3

Isolierte Feststellungen wie diejenigen, daß in temporalen Nebensätzen nach apres que der Subjonctif im Französischen weitgehend den Indicatif verdrängt hat oder daß sich die reflexive Konstruktion s'approcher de qch. gegenüber der aktiv-transitiven approcher qch. durchgesetzt hat, bleiben unbefriedigend und genügen nicht. Sie erhalten erst ihre volle Bedeutung, wenn sie aus der Entwicklung des Systems des Modusgebrauchs bzw. der Diathesen des Verbs im Französischen erklärt und in dieses eingeordnet werden, um so ihrerseits einen Beitrag zum Verständnis der betreffenden syntaktischen Erscheinung zu leisten. Für den relativen Rückstand der historisch-vergleichenden Syntaxforschung gegenüber der Laut- und der Formenlehre gibt es vor allem zwei Gründe: zum einen ist es die Ausrichtung sowohl der historisch orientierten Sprachwissenschaft als auch der neueren, synchronen Linguistik, die erst relativ spät die Syntax zu einem ihrer zentralen Forschungsgebiete gemacht hat - und dann auch zunächst vor allem mit synchronen Fragestellungen; zum anderen ist es der Gegenstand der Syntax, der um vieles umfangreicher und komplexer ist und sich wesentlich schwerer in ein geschlossenes Beschreibungs- und Analysesystem bringen läßt als die im Vergleich dazu leichter überschaubaren und systematisierbaren Bereiche der Phonetik/Phonologie und der Morphologie: Die Syntax beschäftigt sich über die Laut- und Formenlehre hinausgehend nicht nur mit der Inventarisierung, Klassifizierung und Erklärung der kleinsten bedeutungsunterscheidenden Elemente (Phoneme) bzw. der kleinsten bedeutungstragenden Elemente (Moneme oder Morpheme) eines Sprachsystems, sondern sie analysiert die Beziehungen, die zwischen den bedeutungstragenden Elementen hinsichtlich ihrer (syntaktischen) Funktionen) und Bedeutung(en) bestehen. 4 Gegenstand der Syntax sind das System und die Regeln, nach denen die morphologisch markierten Lexeme miteinander zum Satz als kleinster syntaktisch selbständiger, d.h. von keinem anderen Satz oder Satzteil abhängiger Einheit der Rede verbunden werden. 5 Morphologie und Syntax sind jedoch keine voneinander unabhängigen

4

Vgl. auch die Begründung, die Gougenheim (1934, 34) anfuhrt: «Cependant la syntaxe a ete moins favorisee que les autres parties de la grammaire lors du grand mouvement qui a abouti ä la Constitution d'une grammaire historique scientifique. A quoi tient ce delaissement? 1 ° L'ecole la plus active de ce mouvement, celle des neogrammairiens, s'attachait surtout a ce que les faits de la langue comportent de mecanique; la phonetique fut done son domaine de predilection; [...] La syntaxe echappait ä leur emprise: [...]. 2° La methode scientifique etait plus difficile ä appliquer en syntaxe qu'en phonetique et en morphologie. Dans ces deux derniers domaines, un fait, meme isole, a sa pleine valeur; un fait syntaxique doit etre etudie en fonetion de l'usage du temps. De plus, tandis que les etapes d'une evolution phonetique ou morphologique se laissent aisement reconnattre, revolution des faits de syntaxe est plus difficilement saisissable.»

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Wir wollen uns mit dieser Arbeitsdefinition nicht an der Diskussion um den Begriff des Satzes beteiligen; vgl. dazu Ries (21927). Dafür, daß ein Satz als selbständiger Teil aus der Rede isoliert werden kann, gibt es fur jede Sprache eigene Regeln. Vom syntaktisch selbständigen (Haupt-)Satz ist der Nebensatz zu unterscheiden, der, abgesehen von seiner Abhängigkeit und gewissen, daraus resultierenden speziellen Strukturen, den gleichen Regeln folgt.

J. Einleitung

4

und sich ausschließenden Bereiche, sondern sie stehen in enger Beziehung zueinander. Was beide unterscheidet, ist weniger ihr Gegenstand als der Blickwinkel, unter dem sie ihn analysieren und beschreiben.6 Während die Morphologie danach fragt, wie eine bestimmte Form (zu einem bestimmten Zeitpunkt) in einer bestimmten Sprache aussieht, gibt es fur die Syntax zwei mögliche Ansatzpunkte. Entweder fragt sie mit semasiologisch-fiinktionalem Ansatz, welche syntaktische Funktion(en) und/oder Bedeutung(en) diese Form (zu einem bestimmten Zeitpunkt) in einer bestimmten Sprache hat bzw. haben kann, welchen Platz sie also im System dieser Sprache einnimmt und unter welchen Bedingungen sie verwendet wird bzw. verwendet werden kann; oder sie fragt mit onomasiologischem Ansatz, welche Formen und/oder Konstruktionen verwendet werden können bzw. müssen, um eine bestimmte (syntaktische) Funktion oder Bedeutung zum Ausdruck zu bringen. Hinzu kommt, daß die Sprache auf der Ebene der Syntax weit häufiger die Möglichkeit der Wahl zwischen zwei oder auch mehr Alternativen bietet7 als auf der morphologischen oder phonologischen Ebene. Eine Syntaxanalyse und -beschreibung muß diese alternativen Möglichkeiten einbeziehen und unter anderem auch nach den Gründen fragen, die im konkreten Fall fur die Verwendung gerade dieser und keiner anderen Form oder Konstruktion ausschlaggebend sind. Die Verwendung einer bestimmten syntaktischen Form oder Konstruktion kann direkt von der Wahl des Sprechers abhängen, sie kann aber auch durch den Kontext bedingt und festgelegt sein, so daß der Sprecher nicht in jedem Fall unmittelbar die

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In der diachronen Entwicklung zeigt sich die enge Beziehung zwischen Syntax und Morphologie in Fällen der Grammatikalisierung, wenn ursprünglich syntaktische Konstruktionen zu Varianten fur morphologische Formen werden: «Today's morphology is yesterday's syntax» (Givon 1971, 413). Siehe auch Hopper/Traugott (1993), Ch. Lehmann (1995). Die neuen morphologischen Formen können bereits vorhandene verdrängen und ersetzen, oder sie können als Konkurrenten mit speziellen syntaktischen Funktionen neben sie treten und damit das Sprachsystem verändern. Beispiele aus den romanischen Sprachen sind die präpositionale Kasusmarkierung, die Futurbildungen, das Konditional oder die zusammengesetzten Tempora der Vergangenheit. Diese haben die lateinischen Formen verdrängt oder das System der im Lateinischen verfugbaren Formen erweitert und damit das System umgebaut. - Zur Problematik der Abgrenzung von Morphologie und Syntax vgl. auch Llorente Maldonado de Guevara (1955). Ihre enge Beziehung hat zur Herausbildung eines eigenen Bereichs der Morphosyntax geführt, der die Übergangszonen zwischen beiden Bereichen zum Gegenstand hat; vgl. Oesterreicher (1996a), (1996b). Einige Phänomene aus diesem Bereich (z.B. die Verbalperiphrasen) werden in der vorliegenden Arbeit als syntaktische Phänomene angesehen und berücksichtigt. Birnbaum (1984, 29) spricht von «syntactic synonymy» und definiert diese als «the occurence and virtual interchangeability of functionally identical or nearly identical formal means». Bally (41965, 178-185, § 297-298) spricht in diesem Zusammenhang von suppletion: «Les signes suppletifs ont exactement la meme signification, et des signifiants heterogenes dont le role est determine par un choix aAitraire» (Bally 1965, 178). Als Beispiele fur die suppletion syntaxique fuhrt er an (§ 289, p. 179): je veuxpartir vs je veux que tu partes; la maison se construit vs. la maison est construite par..., en se promenant vs. pendant sapromenade.

1.]. Historische Sprachwissenschaft.

5

Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen hat, sondern nur mittelbar, d.h. er kann bzw. muß im größeren Zusammenhang des Textes die Weichen fur die Verwendung bzw. das Vermeiden einer bestimmten Form oder Konstruktion stellen. Im ersten Fall kann man von freier Syntax8 sprechen, im zweiten von bedingter oder abhängiger Syntax. Der Sprecher kann auch in diesem Fall Einfluß auf die verwendete Form oder Konstruktion nehmen, aber eben nur mittelbar, d.h. durch die Verwendung einer anderen übergeordneten Konstruktion im weiteren Kontext. Wir haben es bei der bedingten oder abhängigen Syntax folglich mit einem Wenn-DannVerhältnis zu tun, d.h., wenn der Sprecher eine bestimmte Form oder Konstruktion A verwendet, folgt daraus zwangsläufig die Verwendung der Form oder Konstruktion B. Will er Β vermeiden, so muß er im größeren Kontext bereits eine Konstruktion wählen, die nicht notwendigerweise Β nach sich zieht.9 Eine historisch-vergleichende Syntaxforschung hat folglich nicht nur, wie die historisch-vergleichende Laut- und Formenlehre, die diachrone Abfolge der Formen, d.h. den Ersatz älterer Formen durch neue oder die Entsprechungen für eine bestimmte Form in verschiedenen Sprachen zum Gegenstand, sondern sie hat darüber hinaus zu berücksichtigen, daß auf der Ebene der Syntax oft mehrere Möglichkeiten nebeneinander existieren und miteinander konkurrieren.10 Dies bedeutet nicht, daß alle in Frage kommenden Möglichkeiten synonym und gleichwertig sind. Jede Form oder Konstruktion hat vielmehr ihren speziellen, nur ihr eigenen Bedeutungs- und Funktionsbereich, der aber nicht genau festgelegt ist, sondern sich verschieben und das heißt auch ausweiten oder verkleinem kann. Synonymie oder annähernde Synonymie und die daraus folgende Konkurrenz im engeren Sinn besteht nur in der Berührungszone zweier solcher Bereiche, und sie ist zumeist nur von vorübergehender Dauer, bis

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9

10

Diese Freiheit in der Wahl des syntaktischen Ausdrucks hat verschiedene Autoren dazu geführt, hier von Stilistik zu sprechen und nicht von Syntax, so Vinay-Darbelnet (1958, 32): «On peut dire que la grammaire est le domaine des servitudes, tandis que les options constituent en grande partie celui de la stylistique, ou tout au moins d'une certaine stylistique.» Diese Problematik wird noch zu diskutieren sein, um Kriterien zur Abgrenzung von stilistischer Variation und syntaktischer Veränderung zu bestimmen (s.u. p. 19ff ). Siehe auch Stein (1995b). Vgl. zu diesen Überlegungen Ulvestad (1956b). Zur gebundenen Syntax gehören der Modusgebrauch, die consecutio temporum, der Artikelgebrauch oder gewisse Festlegungen der Wortstellung. Überwiegend zur freien Syntax gehören dagegen der Gebrauch des Passivs, die Verwendung infiniter Verbformen oder nominaler Konstruktionen anstelle finiter Verbkonstruktionen, die Wahl der Zeitstufe (von der ausgehend die consecutio temporum die weitere Tempusverwendung bestimmt). Im Deutschen können wir gerade das immer stärkere Eindringen der Hauptsatzwortstellung in den mit weil eingeleiteten Nebensatz beobachten. Eine umfangreiche Zusammenstellung weiterer Beispiele für das Deutsche, die sich aber weitgehend auch auf die romanischen und andere Sprachen anwenden lassen, bietet Agricola (1957). Die von ihm als stilistische Varianten interpretierten Phänomene können im größeren Rahmen und mit anderer Fragestellung ebenso als Ausdruck syntaktischer Varianz und Entwicklung angesehen werden. Zum Begriff der Konkurrenz und seiner Problematik vgl. Lemhagen (1979, 41-50), der auch weitere Literaturhinweise gibt.

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1. Einleitung

sich einer der Konkurrenten durchsetzt. Dies bedeutet nicht ein Verschwinden des (in diesem Fall) unterlegenen Konkurrenten aus dem Sprachsystem, sondern nur eine Verschiebung der Funktionsbereiche. Die Verwendung einer bestimmten Form oder Konstruktion kann situationsbedingte, kontextuelle oder stilistische Gründe haben, sie kann den Eindruck des rein Zufalligen erwecken, wobei zufallig hier nur besagt, daß die Gründe fur uns nicht (mehr) ersichtlich sind, und sie kann schließlich Indiz und Ausdruck für Entwicklungen in der Sprache sein, daß nämlich bestimmte Möglichkeiten an Terrain verloren haben, ohne damit aber völlig außer Gebrauch zu kommen, und daß dafür eine andere, im Sprachsystem bereits angelegte Möglichkeit ihren Bereich ausgeweitet hat. Ein eindeutiger Fall für einen solchen syntaktischen Sprachwandel liegt vor, wenn zu den bereits vorhandenen Formen und Konstruktionen neue hinzutreten oder wenn vorhandene Möglichkeiten außer Gebrauch kommen und schwinden und es in der Folge zu einer Neuverteilung der syntaktischen Funktionen zwischen den in diesem Bereich konkurrierenden Formen und Konstruktionen kommt. Die Existenz konkurrierender Formen und Konstruktionen hat zur Folge, daß der Sprecher zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen kann bzw. wählen muß. In den meisten Fällen ist sich der Sprecher jedoch dieser Konkurrenzsituation im Sprachsystem gar nicht bewußt, sondern entscheidet sich unbewußt für die nach seiner Auffassung richtige und angemessene Form oder Konstruktion. Trotzdem trifft er eine Wahl, indem er bestimmte, in der Sprache vorgegebene Möglichkeiten verwendet bzw. indem er sie häufiger verwendet als andere. Durch dieses Verhalten, d.h. durch seine Entscheidung zugunsten bestimmter Möglichkeiten und die daraus folgende Häufigkeit, mit der er diese dann verwendet, kann er die Entwicklung der Sprache beeinflussen, und vice versa spiegeln sich Veränderungen der Sprache in seinen Äußerungen wider. Dies bedeutet dann aber, daß Veränderungen in der Sprache auch quantitativer Art sein und damit mit quantitativen Methoden analysiert und beschrieben werden können. Auf der phonetisch-phonologischen und auf der morphologischen Ebene ist eine solche, quantifizierbare Konkurrenzsituation zumeist nur von beschränkter Dauer und fuhrt bald zu eindeutigen Ergebnissen, die durchaus auch den Erhalt der ursprünglichen Form oder eine Spezialisierung der konkurrierenden Formen bedeuten können. Auf der syntaktischen Ebene ist sie dagegen aufgrund der Vielfalt der zur Verfügung stehenden syntaktischen Möglichkeiten und der speziellen Charakteristika der syntaktischen Phänomene ständig vorhanden, unabhängig vom Hinzukommen neuer oder dem Wegfall bereits bestehender Möglichkeiten, auch wenn diese ihrerseits zu einer vorübergehenden Verschärfung der Konkurrenzsituation führen. Sprachwandel bedeutet hier eine Verschiebung der Verwendungsbereiche und damit der Verwendungshäufigkeit der im System der langue angelegten syntaktischen Möglichkeiten. Was sich ändert, ist zunächst nicht das Inventar der im Sprachsystem vorhandenen Formen und Konstruktionsmöglichkeiten, sondern die Regeln oder besser: die Norm für ihre Verwendung im konkreten Sprechen und damit die Häufigkeit und die Bedingungen ihres Vorkommens, nicht aber ihre Existenz im System der Sprache. Das Hinzukom-

1.2. Die Norm als

Gegenstand.

7

men neuer und der Wegfall bereits vorhandener Möglichkeiten sind dabei nur zwei von zahlreichen weiteren Varianten der Sprachveränderung auf der Ebene der Syntax, die aber, wenn sie eintreten, weitreichende Folgen für das gesamte System der Sprache haben können: In den allermeisten Fällen findet Wandel nur auf der Ebene der Norm statt. Verschiedene Normen wechseln sich diachron ab, ohne daß das System davon berührt wird. Aber auch das System kann sich ändern, da das benutzte und realisierte System die Möglichkeiten seiner eigenen Überwindung schon in sich trägt (Eckert 1986, 77).

Im Gegensatz zur von außen an die Sprache herangetragenen, auf ein vielleicht nie erreichtes Ideal ausgerichteten präskriptiven Norm bezeichnet B. Müller (1975) diese Norm als «statistische Norm» und definiert sie als «eine überindividuelle Regelinstanz und eine überindividuelle sprachliche Wirklichkeit [...] Regularitäten und Realisierungen werden bestimmt von einer Gemeinschaft, und zwar allein vom Sprachgebrauch (daher Gebrauchsnorm), wie er ist (daher Ist-Norm)»(B. Müller 1975, 228).

1.2. Die Norm als Gegenstand der historisch-vergleichenden Syntax Eine Differenzierung zwischen Norm und System wurde zum ersten Mal von Coseriu (1952 [= 21967]) in Weiterentwicklung der Saussure'schen langue-parole-Dichotomie herausgearbeitet. Im Systembegriff, der weitgehend dem Begriff der langue von Saussure entspricht, ihn aber nicht voll abdeckt, sind alle realisierten und noch-nicht-odernicht-mehr-realisierten Möglichkeiten der Sprache vorgegeben; erst die Norm legt fest, welche dieser Möglichkeiten im aktuellen Sprechen, der parole, verwendet werden können (oder auch müssen) und unter welchen Bedingungen bzw. mit welchen Bedeutungs- und Funktionsnuancen: El sistema es sistema de posibilidades de coordenadas que indican caminos abiertos y caminos cerrados: puede considerarse como conjunto de 'imposiciones', pero tambien, y quiza mejor, como conjunto de libertades, puesto que admite infinitas realizaciones y solo exige que no se afecten las condiciones funcionales del instrumenta linguistico: mäs bien que 'imperative', su indole es consultativa. [...] Lo que, en realidad, se impone al individuo, limitando su libertad expresiva y comprimiendo las posibilidades ofrecidas por el sistema dentro del marco fijado por las realizaciones tradicionales, es la norma. La norma es, en efecto, un sistema de realizaciones obligadas, de imposiciones sociales y culturales, y varia segiin la comunidad (Coseriu 2 1967, 98).

Coseriu exemplifiziert seine Unterscheidung zwischen Norm und System" vor allem an lautlichen Phänomenen, und zwar an Phonemen, die im System der langue in Opposition stehen, deren Opposition aber in der parole unter bestimmten Bedingungen entsprechend der Norm neutralisiert wird. Der Sprecher muß dieser Norm folgen, wenn er die langue korrekt verwenden will. Gleiches gilt auch für die Bereiche der 11

Der Typus, um den Coseriu in der Folge sein Modell erweitert hat, kann hier vernachlässigt werden; vgl. dazu Coseriu (1968). Eckert (1986, 58ff.) stellt Coserius Modell vor und diskutiert es ausfuhrlich.

8

1. Einleitung

Morphologie und der Wortbildung sowie fur die gebundene Syntax,12 denn hier legt die Norm jeweils eindeutig fest, welche Möglichkeit die richtige ist. In Anwendung auf den Bereich der freien Syntax, und damit über die Exemplifizierungen Coserius hinausgehend, kann eine solche Festlegung dagegen nur in negativer Weise erfolgen, denn die Norm bestimmt hier nicht, was richtig ist, sondern sie legt fest, welche Möglichkeiten normgerecht nicht verwendet werden dürfen.13 Dem Sprecher bleibt dann die Freiheit, zwischen den von der Norm akzeptierten Möglichkeiten zu wählen, wobei aber offen bleibt, ob er wirklich die Wahl hat, oder ob er nicht doch gewissen, mit den Methoden der traditionellen Linguistik nicht faßbaren Beschränkungen unterworfen ist: When we consider style as a characteristic of the whole text, we thus find that what is usually regarded as the outcome of the deliberate activity on the part of the writer - his choice of particular words for expressing his ideas - is, to some extent at least, of the nature of a probability, and thus a chance event, or as we may say, what we regard as his choice of words, is subject to chance. In other words, the regularity or pattern, which we observe, is the effect, not of a law, but of chance.14 (Herdan 1956, 43 und 1966, 114). Unabhängig von Coseriu, dessen Arbeit er nicht zu kennen scheint, hat Ulvestad (1956a) ähnliche Überlegungen angestellt, allerdings ohne den Begriff der Norm zu verwenden. Ulvestad hat ebenfalls erkannt, daß es einen Bereich in der Sprache gibt, der von den Saussure'schen Begriffen langue und parole nicht adäquat erfaßt wird. Von Coseriu abweichend versucht er, diesen einem der beiden Bereiche zuzuordnen, und zwar nach quantitativen, statistischen Kriterien: 12 13

14

Beispiele, auch zur Morphologie und Wortbildung, bei Coseriu (21967, 71-79). Vgl. dazu die Aussage von Bossong (1982, 45) über die Universalien: «Die Universalien bestimmen nicht, nach dem Modell eines einfachen Kausalitätsbegriffs, die Partikularien, vielmehr begrenzen sie deren Möglichkeiten.» Zur Verwendung des Terminus Stil bei Herdan siehe p. 21, Anm. 34. Zu beachten ist, daß Herdan diese Aussage im Zusammenhang mit der Behandlung des Wortschatzes macht und sogar auf die Analyse des Wortschatzes überhaupt zu begrenzen scheint, wie aus der Definition hervorgeht, die er (Herdan 1960, 25) für stylostatistics gibt: «The basis for the quantitative characterisation of style is the frequency distribution of vocabulary according to frequency of occurence of individual vocabular items.» Eine analoge Übertragung auf die freie Syntax scheint uns jedoch weitgehend möglich. Verwiesen sei hier auch auf das Begriffspaar choice and chance im Titel der beiden Monographien von Herdan (1956) und (1966). Die Hervorhebungen im vorausgehenden Zitat sind von uns. - Zur Präzisierung dessen, was Herdan mit den beiden Begriffen choice und chance meint, sei hier noch ein weiteres Zitat angeführt: «That the use of words in speech and writing is primarily a matter of choice, nobody will deny. But this does not preclude certain linguistic characteristics of those words from being what we call (statistical or chance variables), [...] Speaking (writing) may be regarded as selecting a sample of word material according to speaker's (writer's) individual choice. Since the linguistic properties, such as phonemic structure, length, etc. are independent of the meaning of the words, and with it of their particular choice, it follows from a theorem of mathematical statistics that the masses of those linguistic characteristics in the sample will represent a random sample of the respective statistical populations of those linguistic properties. This represents the element of chance in the use of words» (Herdan 1960, 39-40).

1.2. Die Norm als

Gegenstand.

9

My suggestion is simply to define the langue as that portion of a given language which can be consistently described in a relatively low number of statements, each of which carries either absolute validity or high statistical validity, say 80-90 per cent or more. Everything outside of this system of linguistic regularities may then be regarded as belonging to the parole, by deliberate definition. (Ulvestad 1956a, 318-319).

Dieser Ansatz zieht die Möglichkeit eines Bindeglieds zwischen der langue und der parole nicht in Betracht, sondern behält die Saussure'sche Dichotomie bei, was dazu fuhren kann, daß je nach Stilebene bestimmte Phänomene einmal zur langue und einmal zur parole gerechnet werden müssen. Er stellt jedoch, ohne dies allerdings ausdrücklich zu sagen, einen Versuch dar, Kriterien zur Bestimmung der Norm im Sinne Coserius festzulegen. Mit der Verwendung quantitativer, statistischer Methoden und Kriterien schlägt Ulvestad dabei einen Weg ein, auf dem er im Gegensatz zu Coseriu mit seinem Normbegriff zunächst kaum Nachfolger gefunden hat. Allerdings hat dann in der Folge auch Coseriu die Bedeutung der relativen Frequenz für die Bestimmung der Norm erkannt: La frequence relative du choix entre les termes 'synonymes' (termes en opposition neutralisable) est aussi un fait de norme. Ainsi, allemand aufmachen - öffnen, zumachen - schließen sont interchangeables dans la plupart des contextes, mais aufmachen, zumachen sont preferes par la norme. (Coseriu 1966, 207).

Der von Ulvestad eingeschlagene Weg ist gerade auch für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit von Interesse, denn die Anwendung quantitativer und statistischer Methoden könnte einen neuen Ansatz für historisch-vergleichende Untersuchungen auf der syntaktischen Ebene bieten. Der Optimismus, den Ulvestad am Schluß seines Aufsatzes zum Ausdruck bringt, scheint durchaus berechtigt zu sein, vor allem auch, wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten der quantitativen Analyse auch großer Datenmengen durch die Entwicklung der Computertechnik in den 40 Jahren seit Erscheinen des Aufsatzes entstanden sind: The time has come for a realistic appraisal of the possible theoretical and practical value [...] of syntactical and stylistic construction counts. It seems to me that the conclusions that could be derived from such empirical frequency studies might be of considerable influence not only on the teaching of foreign languages, [. . .] but on the theory and description of syntax in general (Ulvestad 1956a, 325).

Heger (1969) und (1971) geht es ebenfalls um die Verbindung von den «empirisch beobachtbaren Daten der Parole» zum «virtuell-abstrakten System der langue», wobei er den Normbegriff Coserius zwar zurückweist, aber implizit doch von der Existenz einer Möglichkeit zur Verknüpfung der empirisch erfaßbaren Daten der parole mit dem abstrakten System der langue ausgeht, und zwar auf der Grundlage von quantitativen Kriterien; eine Überlegung, die in ähnlicher Weise ja auch Ulvestad anstellt. Für die von ihm postulierte quantitative Analyse geht Heger von der Gegenüberstellung v o n Typus (type) und Vorkommen (token) auf der E b e n e der parole aus, d.h.

von einer Analyse der Häufigkeit der Aktualisierung (dem Vorkommen) eines Typus. Eine solche quantitative Analyse kann entweder für eine begrenzte Textmenge exhau-

1. Einleitung

10

stiv sein, oder sie muß im Falle einer aufgrund ihres Umfangs nicht vollständig erfaßbaren Textmenge von exhaustiv erfaßten Textteilen ausgehen und mit Hilfe statistischer Methoden zu einer Aussage über den Gesamttext kommen. Eine solche unbegrenzte Textmenge kann theoretisch alle in einer Sprache möglichen Äußerungen umfassen. Sie fuhrt zur Aufstellung von Häufigkeitsklassen und legt damit fur die in der jeweiligen Klasse befindlichen Typen die Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) ihrer Vorkommen fest. Auf diese Weise kommt Heger, wie vorher Coseriu, zu einem dreigliedrigen Modell, in dem aber an die Stelle von Coserius Norm jetzt eine mit quantitativen Kriterien operierende, von Heger mit Zparole bezeichnete Ebene zwischen die Ebenen der langue und der parole tritt. Der Typus als Einheit dieser Ebene wird auf der Ebene der parole durch seine Vorkommen realisiert; auf der Ebene der langue entspricht ihm «eine solche durch ihre Systemstelle definierte Langue-Einheit», die Heger als Linguem bezeichnet. Er faßt sein Modell, zusammen mit den von ihm verwendeten Termini, im folgenden Schema zusammen (Heger 1969, 159 = 1971, 19): Ebene:

Parole

Eparole

Langue

Einheit:

Vorkommen

Typus

Linguem

Häufigkeitsklasse

Paradigma

paradigmatische Klasse:

-

syntagmatische Klasse:

Kontext

Definition der Ebenen:

Text

-

Häufigkeitsklassensystem

Katena Paradigmensystem

Dietrich (1988) kommt schließlich im Zusammenhang von Coserius Sprachmodell zu Überlegungen hinsichtlich der Veränderung von Sprache, die weitgehend mit unseren eigenen übereinstimmen: Wenn Sprache nun durch die Sprecher ständig neu entsteht, so beruht dies meistens auf im System vorhandenen, aber bisher nicht oder noch nicht in diesem Ausmaß genutzten Möglichkeiten (Regeln). Die Veränderung kann dann diachronisch in der Norm zu beobachten sein, während die Regeln des Systems selbst nur angewandt werden, so daß dort kein Wandel stattfindet, also Synchronie herrscht. [...] daß vermeintliche Veränderungen im System einzelner Sprachen häufig nur Gebrauchsausdehnungen oder -einschränkungen, also Wandel in der Norm sind. (p. 171-172).

Hinsichtlich des Futurs im Französischen stellt er so fest: Eine Frequenzsteigerung bei der a/Zer-Periphrase im Französischen ist sicherlich ein Normwandel, vielleicht bis hin zu einer häufigeren subjektiven Zuwendung zum Futur als in früheren Jahrhunderten, [...] Ein Bedeutungswandel ist hier aber keineswegs eingetreten; (p. 176) ... und entsprechend gilt fur die Zunahme der periphrastischen Tempora, daß nur ein Normwandel vorliegt, während das System synchron weiter ausgenutzt und der Typus weiter gefestigt wird (p. 179).

1.3. Überlegungen zu einem quantitativen

Ansatz.

11

1.3. Überlegungen zu einem quantitativen Ansatz in der historischvergleichenden Syntaxforschung Die angeführten Modelle und Überlegungen zur Überwindung oder zumindest Überbrückung der Dichotomie von langue und parole weisen auf eine in der bisherigen historisch-vergleichenden Syntaxforschung praktisch nicht genutzte Möglichkeit hin, die für das weitere Vorgehen unserer Untersuchung eine wichtige Grundlage darstellen kann und neue Erkenntnisse über die syntaktischen Systeme und ihre Entwicklung erwarten läßt. Eine historische und/oder vergleichende syntaktische Analyse, die sich auf ein Erfassen der im System vorhandenen Möglichkeiten beschränkt, kann nämlich, wie die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, über die bereits vorhandenen Bestandsaufnahmen hinaus kaum relevante neue Erkenntnisse über Entwicklungen und Unterschiede in den Sprachen liefern, sondern wird vielmehr für alle Sprachstufen und alle untersuchten Sprachen einer Sprachfamilie zu sehr ähnlichen Ergebnissen über die in ihrem System vorhandenen syntaktischen Strukturen und Möglichkeiten fuhren. Die festgestellten Unterschiede werden lediglich Einzelphänomene betreffen, vornehmlich aus dem Bereich der bedingten Syntax (Modus- und Tempusverwendung in bestimmten Konstruktionen, präpositionale Verknüpfung von Satzteilen usw.), die aber bereits weitgehend bekannt sind. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß Sprachen nur auf der phonologisch-phonetischen und der morphologischen, nicht aber auf der syntaktischen Ebene konkret faßbare und systematisierbare Entwicklungen bzw. Unterschiede zu anderen, ihnen verwandten Sprachen aufweisen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß es auch auf der syntaktischen Ebene zu wichtigen Veränderungen der Sprachen gekommen ist, daß diese aber weniger das im System einer Sprache angelegte Inventar an syntaktischen Möglichkeiten betreffen als vielmehr die Norm, nach der die Sprecher jeweils aus diesem Inventar eine Auswahl treffen (Coseriu, Dietrich), bzw. die Eparole-Ebene, d.h. die Häufigkeit des Vorkommens der Typen (Heger). Solche Veränderungen können sowohl Indiz für als auch Ausdruck von Entwicklungen im System sein, die zunächst mit einer Veränderung in der Frequenz der Verwendung der betreffenden Formen oder Konstruktionen beginnen, denn il y a un lien entre frequence et signification et [...] on ne peut comprendre revolution de la langue sans tenir compte des modifications dans la frequence des structures (Jolivet 1982, 11).

Im Fall einer Sprachfamilie - hier der romanischen Sprachen - kann dies zu Unterschieden zwischen den einzelnen Sprachen fuhren und zu Charakteristika, die einzelne oder mehrere der betroffenen Sprachen kennzeichnen, z.B. hinsichtlich einer größeren Affinität zueinander oder hinsichtlich der Nähe zu ihrer Ausgangssprache, hier dem Lateinischen. Für eine historisch-vergleichende Syntaxanalyse, die von der Verwendung der im System der langue gegebenen Möglichkeiten in der parole und den sie bestimmenden Faktoren ausgeht, eröffnet ein quantitativ-statistischer Ansatz, wie ihn zunächst Ulve-

12

1. Einleitung

stad (1956a) angeregt, und fur den Heger (1969) und (1971) die theoretischen Grundlagen geliefert hat, Möglichkeiten, die über die von der historisch-vergleichenden Phonologie, Morphologie und auch der traditionellen historischen Syntax her bekannten hinausgehen und den speziellen Gegebenheiten der Syntax angemessener Rechnung tragen. Über die Aufdeckung und klassifizierende Auflistung der im System einer Sprache angelegten Möglichkeiten hinaus gestattet dieser Ansatz, die Häufigkeit der Verwendung und damit die Wichtigkeit der im System vorgegebenen Möglichkeiten zu erfassen, um sowohl diesbezügliche Entwicklungen in den einzelnen Sprachen als auch die die Sprachen unterscheidenden Charakteristika herauszuarbeiten; zu diesen gehört eben auch die Frequenz der Verwendung der verschiedenen Formen und Konstruktionen. 15 Wenn dieser neue, quantitative Ansatz also nicht mehr primär auf die Aufdeckung, Zusammenstellung und Systematisierung möglichst aller im System angelegten (syntaktischen) Möglichkeiten (Types) ausgerichtet ist, sondern wenn es ihm stattdessen um die Veränderungen in der (Häufigkeit der) Verwendung und damit die Wichtigkeit bestimmter Formen und Konstruktionen im Verlauf der Geschichte einer oder mehrerer Sprachen und gleichzeitig um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Sprachen geht, gilt es jetzt nicht mehr, in einem möglichst großen Textcorpus nach allen dort vorhandenen einschlägigen Belegen von möglichen Types zu suchen. Die Untersuchung muß sich vielmehr auf ein Textcorpus konzentrieren, das sowohl für die Diachronie der Einzelsprachen als auch für den zwischensprachlichen Vergleich quantitativ wie qualitativ die erforderlichen Möglichkeiten bietet, indem es die entsprechenden Daten liefert. Dieses Corpus ist für ausgewählte Phänomene auf das Vorkommen der verschiedenen Möglichkeiten hin zu analysieren. Gegenstand der Untersuchung sind damit die Tokens und die fur ihre Verwendung im konkreten Einzelfall wie für ihre Frequenz im gesamten Text maßgebenden Gründe. An die Stelle einer auf das System der langue ausgerichteten Type-Syntax stellen wir deswegen in der vorliegenden Arbeit eine auf die Norm ausgerichtete, auf der parole 15

Erste Hinweise auf die Erkenntnis der Bedeutung der Vorkommenshäufigkeit und daraus folgender quantitativer Ansätze für die historisch-vergleichende Syntax findet man bei Foulet (1922) und Keniston (1930). Foulet verteidigt das methodische Vorgehen in seiner Petite syntaxe de l'ancienfranfais «II s'agit la d'un inventaire. [...] C'est un procede essentiellement statistique. II n'y en a pas d'autre pour etablir les faits de syntaxe. Toute recherche de syntaxe est une recherche de statistique» (Foulet 1922, 128). Im Blick auf eine historische Syntax des Spanischen setzt sich Keniston (1930, 168-169) zum Ziel «to study the different periods of Spanish in which these constructions occur and to establish their relative frequency in each». Als Beispiele fur die konsequente Anwendung dieses Ansatzes auf eine bestimmte Fragestellung und damit seine Gültigkeit können Arbeiten wie diejenigen von Dabbs (1948) oder Dekeyser (1984) gelten: Dabbs zeigt anhand der quantitativen Analyse einer Reihe von Texten die Entwicklung der Wortstellung im Französischen des 17. Jahrhunderts vom Typ je

le veux voir zum Typ je veux le voir, und Dekeyser untersucht die Entwicklung der Relativkonstruktion (Formen des Relativpronomens) im Verlauf der Geschichte der englischen Sprache. Diese und ähnliche Arbeiten zeigen die Bedeutung quantitativer Untersuchungen für die historische Spracherforschung und widerlegen Bedenken, wie sie z.B. Schmitz (1983) hinsichtlich des erforderlichen Zeit- und Arbeitsaufwandes vorbringt.

1.4. Überlegungen

zur quantitativen Auswertung der Daten

13

basierende und von quantitativen Fragestellungen ausgehende Token-Syntax, denn bei historisch-vergleichender Fragestellung kann die unterschiedliche Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Types zu den relevanten Charakteristika einer Sprache bzw. eines bestimmten Abschnitts in ihrer Geschichte gehören.16

1.4. Überlegungen zur quantitativen Auswertung der Daten Das Wissen von den quantitativen Eigenschaften der Sprache und der Zählbarkeit ihrer Bestandteile gibt es seit dem Altertum, denn das Zählen von Silben und ihre Differenzierung nach Längen und Kürzen mit dem Ziel, die Sprache in gebundenes Versmaß zu bringen, setzt bereits eine gewisse quantitative Sprachbetrachtung voraus. Vom bloßen Zählen, seien es Buchstaben, Silben oder Wörter, fuhrt dann ein kontinuierlicher Weg bis hin zur gezielten Anwendung statistischer Methoden auf die Sprache. Diese beginnt im 19. Jahrhundert mit Untersuchungen zur Stenographie und zur Kryptographie, mit Arbeiten also, die vor allem die praktische Anwendung der Ergebnisse zum Ziel haben17 und zu denen unter anderem auch die Entwicklung des MorseAlphabets gehört. Mehr theoretisch und auf neue Erkenntnisse über Sprache ausgerichtete Arbeiten gibt es, von einer Reihe von Vorläufern und Wegbereitern18 abgesehen, erst seit den 50er Jahren unseres Jahrhunderts. Das Problem ist jedoch, daß Linguisten, auch wenn sie sich quantitativen Fragestellungen zuwenden, selten mit statistischen Denkweisen und Methoden größere Erfahrungen haben - auch der Verfasser der vorliegenden Arbeit kann sich nicht völlig davon ausnehmen - und, vice versa, das Interesse der Statistiker bisher nur höchst selten auf linguistische Probleme gerichtet war. Den einen mangelt es zumeist an Kenntnis und Vertrautheit mit den fur die Fragestellung adäquaten Methoden, den anderen fehlt das Verständnis fur die Problemstellungen. Unter den wenigen, denen es in den 50er und 60er Jahren gelungen ist, beide Bereiche auch in der theoretischen Grundlegung miteinander zu vereinen, sind Gustav Herdan, von Hause aus Statistiker und Mathematiker, sowie Pierre Guiraud und Charles Muller, von Hause aus Linguisten, zu nennen. 16

Bei einem generativen Ansatz könnte man hier stattdessen von Kompetenz-Syntax Performanz-Syntax sprechen.

17

Genannt seien hier fur das Französische Dujardin, Estoup, Thierrymieg, Kerckhoffs und

und

Viaris (siehe Hug 1980, 371-372), fur das Deutsche Kaeding und Gabelsberger. 18

Vgl. die Zeittafel

in Meier ( 2 1967, 349-351), die - mit besonderer Berücksichtigung des

deutschen Sprachraums - die Zeit von 1823 bis 1963 umfaßt. Bailey (1969) gibt einen historischen Abriß über die Arbeiten aus dem englischen Sprachraum. Kurze Zusammenstellungen findet man in Herdan (1966, 1-2) und Hug (1980, 372-377). Weitere Informationen geben Guiraud (1954) und Bailey (1968) in ihren Bibliographien. Aus romanistischer Sicht von besonderem Interesse ist Mariotti (1880), der in seinen Tabellen zum Wortschatz der Divina Commedia

unter anderem nach Wortarten differenziert und bereits zwischen Types und

Tokens (Vocables und Mots in der Terminologie von Ch. Muller 1967) unterscheidet. Die Ausarbeitung des Franqais fundamental durch Gougenheim, Rivenc, Michea, Sauvageot u.a. ( 1 9 5 6 , 2 1 9 6 7 ) zeigt die Möglichkeiten fur die Sprachdidaktik (siehe Hug 1980, 377-383).

l.

14

Einleitung

Die Anwendung quantitativer und statistischer Verfahren auf linguistische Phänomene geschieht nicht zufallig, sondern sie findet ihre Begründung in der Natur des sprachlichen Zeichens. Herdan hat dies als einer der ersten seit 1956 in seinen zahlreichen Publikationen zur Sprachstatistik und zu quantitativen Aspekten der Sprache gezeigt: Zur Charakterisierung des sprachlichen Zeichens gehört neben der Ausdrucks- und der Inhaltsseite (signifiant und signifie) auch die Frequenz. 19 Herdan (1964,3) betrachtet «statistical linguistics as the quantification of Saussure's [langueparole-]dichotomy» und fuhrt dazu aus: The stability of the relative frequencies which we find attached to the various items of a given series of linguistic forms leads inevitably to the conclusion that what la langue comprises are not only engrams as lexical forms but these engrams plus their respective probabilities of occurence. This is what I have called the statistical view of Saussure's distinction. The basic law of linguistic communication is then tantamount to the statement that langage is the collective term for linguistic engrams (phonemes, word-engrams, metric form engrams) together with their particular probabilities of occurence (Herdan 1964, 4 und 1956, 79).

Voraussetzung hierfür sind drei Axiome, die Herdan in der Folge begründet: - Axiom I: «Independence of particular phonemes and meaning», entsprechend S a u s s u r e ' s arbitraire

du signe

linguistique.

- Axiom II:

«Independence of occurence probability and meaning», so z.B. die relative Frequenz der verschiedenen Wortarten in einem Text, unabhängig von der konkreten Bedeutung der betreffenden Wörter (diese hängt von der Thematik des jeweiligen Textes ab), oder die Beobachtung, daß in einer Frequenzliste mit fallender Frequenz die Zahl der jeweils betroffenen Wörter steigt. - Axiom III: «Independence of word order from content».20 Bei Guiraud (1959)21 findet man die Überlegungen Herdans in ganz ähnlicher Weise wieder: Une langue est un systeme de signes. [...] Enfin sur un troisieme plan il [le signe] est caracterise par sa frequence; [...] cette frequence constitue un des attribute du signe et [...] eile a une valeur fonctionnelle. [...] il y a done une fonetion statistique du langage, fonetion non moins importante, non moins objectivement reelle que la fonetion diacritique et que la fonetion semantique; non moins indispensable a une pleine et juste comprehension du fait linguistique (Guiraud 1959, 16). A l s B e i s p i e l e f ü r d i e frequence

als attribut

du signe [linguistique]

f u h r t G u i r a u d an:

- Die 1000 häufigsten Wörter eines beliebigen Textes machen, unabhängig von der jeweiligen Sprache, rund 85% der Gesamtwortzahl des Textes aus. 19

Verfolgt man diesen Gedanken konsequent weiter, dann sind auch die dialektalen, diastratische und diaphasische Markierungen Bestandteil des sprachlichen Zeichens.

20

Vgl. Herdan (1964, 5-9).

21

Trotz gewisser Schwächen, auf die z.B. Greimas (1962/63) und Heger (1964) in ihren Rezensionen hinweisen, hat Guirauds Buch doch, wie auch die Arbeiten Herdans, grundlegende Bedeutung und kann nicht nur vom Zeitpunkt seines Erscheinens her ebenso wie Herdans Arbeiten als Pionierwerk gelten.

1.5. Quantitative Ansätze in der Syntaxforschung

15

- Die Wörter mit der höchsten Frequenz zeichnen sich durch vier Eigenschaften aus: ihre Kürze, ihr Alter, ihre morphologische Einfachheit und ihre semantische Weite. - Die relative Häufigkeit der verschiedenen Wortarten und grammatischen Formen folgt in jeder Sprache festen Regeln. - Die relative Frequenz der Phoneme eines Sprachsystems ist konstant, sie ist unabhängig vom jeweiligen Text und damit ein charakterisierendes Merkmal der betreffenden Sprache. Auf der Existenz solcher Konstanten basiert als erste umfassende Untersuchung zum Werk eines bestimmten Autors die Arbeit von Ch. Muller (1967) zum Wortschatz von Corneille. In der Einführung stellt Muller fest: ... que, sur une grande etendue de texte, les types syntaxiques et les elements du lexique sont dotes d'une certaine probabilite d'emploi. Ce qui cree l'image seduisante d'apres laquelle la frequence d'emploi d'un element du langage est une bonne estimation de sa probabilite. La frequence, fait de discours, permettrait d'inferer la probabilite, fait de langue; comme un echantillon ou une Serie d'echantillons preleves sur l'urne conduisent ä des conclusions sur la composition de celle-ci (Ch. Muller 1967, 11-12).

Die Existenz dieser Konstanten bedeutet nun allerdings nicht, daß sich der Sprecher ihnen jeweils bewußt unterwirft.22 Jeder individuelle Sprechvorgang ist das Ergebnis einer freien Entscheidung des Sprechers und kann ohne weiteres von diesen Konstanten abweichen; die Gesamtheit aller Sprechakte spiegelt jedoch genau dieses statistische Zufallsgesetz wider: Le discours est bien le resultat d'un choix volontaire et conscient, cependant tout se passe numeriquement comme si les signes avaient ete tires au hasard; [...] ce qu'on constatera c'est que l'expression linguistique peut etre chaque fois le produit d'un libre choix, dans le sens ordinaire de ce mot, cependant que collectivement les signes se distribuent selon des schemas aleatoires (Guiraud 1959, 20).

1.5. Quantitative Ansätze in der Syntaxforschung In der Linguistik waren quantitative und statistische Untersuchungen bisher überwiegend Fragen der Lexikologie (man denke an die Frequenzwörterbücher, die es inzwischen fur zahlreiche Sprachen gibt, oder an Konkordanzen zum Werk einzelner Autoren) und der Phonetik und Phonologie (Untersuchungen zur Häufigkeit von Phonemen und Phonemkombinationen) gewidmet; morphologische und syntaktische Fragestellungen fanden dagegen nur relativ wenig Interesse. So gilt die Bemerkung 22

Selbst der Linguist hat intuitiv oft falsche Vorstellungen über die Häufigkeit sprachlicher Phänomene, wie Ureland (1973) bei seinen auch den quantitativen Aspekt berücksichtigenden Untersuchungen zu den Objektkonstruktionen nach bestimmten Verben im Schwedischen feststellen konnte: «On examining for instance the statistical distribution of the ACI-Construction in its relation to other types of embeddings after Swedish verba sentiendi [...], it was found that the linguist's intuition about the frequency of occurence of this surface structure does not at all correspond to the facts of distribution» (Ureland 1973, 164).

16

l. Einleitung

von Mahmoudian (1971, 127), daß es seines Wissens noch keine auf statistische Daten gestützte Arbeit zur französischen Grammatik gebe, der Tendenz nach wohl auch heute noch. 23 Entsprechend sind auch die Beispiele in den Einfuhrungen und allgemein ausgerichteten Werken zur Sprachstatistik weitgehend aus dem lexikalischen und phonetisch-phonologischen Bereich genommen. 24 In seiner vergleichenden Untersuchung zur Häufigkeit der verschiedenen Wortarten und Satzteile in ausgewählten modernen französischen, englischen und spanischen Romanen und ihren jeweiligen Übersetzungen wendet Barth (1961) als einer der ersten quantitativ-statistische Methoden in einer sprachvergleichenden, syntaktischen Untersuchung an.25 Unter den folgenden Arbeiten seien hier wegen ihres methodischen Interesses neben Mahmoudian (1970) und (1971) noch Martin (1971), Barrera-Vidal (1972) und Berschin (1976) genannt, die ihr Vorgehen jeweils ausfuhrlich begründen und erläutern. Während sich Mahmoudian mit der Häufigkeit und der Kompatibilität der Determinanten und Erweiterungen im Nominalbereich (modalites nominales) des modernen Französisch beschäftigt, haben die übrigen drei erwähnten Arbeiten die Häufigkeit und die Bedingungen der Verwendung der Tempora des Verbs zum Gegenstand: Martin für das Mittelfranzösische und Barrera-Vidal und Berschin für die Vergangenheitstempora im heutigen Spanisch. Von besonderem Interesse ist außerdem Dardano (1963a), denn er beschäftigt sich mit einer Thematik, der auch die Aufmerksamkeit der vorliegenden Arbeit gilt: Funktion und Häufigkeit der Infinitivkonstruktionen im Italienischen des 15. Jahrhunderts unter dem Einfluß der humanistischen Hinwendung zum Lateinischen. 26 Eine erste zusammenfassende Diskussion zu Möglichkeiten und Methoden quantitativer Syntaxanalysen anhand von Arbeiten zum Französischen, verbunden mit der Vorstellung wichtiger Untersuchungen, leistet Jolivet (1982). Die von ihm vorgestellten Arbeiten sind jedoch alle synchron ausgerichtet und bieten in ihrer Frage- und Problemstellung keine direkt verwertbaren Vorlagen für unsere eigene Untersuchung, aber sie liefern durch ihre theoretischen und methodologischen Überlegungen den Beweis für die Anwendbarkeit und den Wert quantitativ-statistischer Verfahren auch auf dem Gebiet der Syntax. So wie Herdan bei seiner Begründung der quantitativen 23

Daß er nicht völlig recht hat, zeigen die gleichzeitig erschienenen Arbeiten von Corbeil (1971) und Martin (1971), die Mahmoudian offensichtlich noch nicht bekannt waren.

24

So Guiraud (1959), Herdan (1956), (1964), (1966), Ch. Muller (1968, dt. 1972). Zu erwähnen ist hier u.a. auch Milewski (1970) mit seinen Überlegungen zur Anwendung quantitativer Verfahren in der Sprachtypologie. Aufgrund des weitgehenden Fehlens entsprechender Untersuchungen nehmen syntaktische Fragestellungen in diesen zusammenfassenden Arbeiten nur efnen sehr geringen Raum ein. Symptomatisch ist auch, daß in einem relativ neuen Sammelband mit dem Titel Statistics in historical linguistics

(Embleton, ed. 1986) alle Beiträge von

lexikalischen Fragestellungen handeln und die Syntax ausgeklammert wird 25

Herdan (1964, 186-199) hat die statistische Bearbeitung und Auswertung der Materialien von Barth (1961) weitergeführt und verfeinert, um die Möglichkeiten und den Wert der An-

26

wendung statistischer Methoden auf linguistische Fragestellungen aufzuzeigen. Siehe zur gleichen Thematik Kap. 4.2., p. 121fF. der vorliegenden Arbeit.

J. 5. Quantitative Ansätze in der Syntaxforschung

17

Linguistik Saussures langue-parole-Dichotomie als Grundlage diente, so stützt sich Jolivet auf Martinet und den von ihm begründeten Funktionalismus:27 ... cette importance accordee aux donnees quantitatives en linguistique fonctionnelle. [...] Importance justifiee par le fait que le linguiste analyse l'usage reel; parce qu'il y a un lien entre frequence et signification 28 et, evidemment, parce qu'on ne peut comprendre revolution de la langue sans tenir compte des modifications dans la frequence des structures. (Jolivet 1982, 111).

Jolivet sieht aber auch die Grenzen quantitativer Methoden in der Linguistik, die kein Selbstzweck in sich sind, sondern ein ergänzendes und die qualitativen Erkenntnisse vertiefendes und weiterführendes Werkzeug, ein Werkzeug allerdings, auf das die Linguistik nicht mehr verzichten kann: Ces reserves faites, il nous parait evident que les methodes statistiques sont l'outil le plus puissant, le plus souple et le plus sür qui soit ä la disposition du linguiste pour l'aider, dans tous les domaines de sa recherche. Et cela, non en lui permettant d'atteindre ä une 'precision' plus grande, ä laquelle nous ne croyons guere, mais en lui fournissant le moyen d'hierarchiser la valeur de ses hypotheses et le cas echeant, de les modifier ou d'en formuler de nouvelles, sur la base de phenomenes 'fins', mais reels, que la methode statistique est la seule ä permettre d'observer. En definitive done, les nombres, dont le statisticien fait apparemment une consommation importante, ne sont la que pour permettre une approche plus precise de phenomenes qualitatifs. Ce qui veut dire simplement que l'opposition du quantitatif au qualitatif n'a, en ce domaine, guere de sens. De toute fafon, il faut evidemment distinguer l'utilisation des methodes statistiques pour evaluer teile ou teile hypothese, de la mise en evidence des constantes et des variations de la structure quantitative des phenomenes linguistiques, qui ne requiert que l'utüisation d'une statistique descriptive. Cette derniere täche est partie integrante de la description linguistique et eile est, a ce titre, d'une importance primordiale. On peut legitimement s'etonner de ce qu'il existe aussi peu d'analyses quantifiees, meme pour les langues les plus etudiees. (Jolivet 1982, 43-44).

Von diesen Überlegungen ausgehend wird die vorliegende Arbeit versuchen, auf der Grundlage von quantitativ-statistischen Analysen einen Beitrag zur besseren Kenntnis eines Ausschnittes aus der historisch-vergleichenden Syntax der romanischen Sprachen zu leisten. Sie wird sich auf die Anwendung deskriptiver, nicht-inferierender statistischer Methoden beschränken, da es ihr um eine Bestandsaufnahme vergangener Entwicklungen geht, nicht dagegen um Überlegungen zur Wahrscheinlichkeit möglicher zukünftiger Entwicklungen. Neben dem Ziel konkreter, neuer Erkenntnisse zur historisch-vergleichenden Syntax der romanischen Sprachen geht es ihr dabei auch um die Anwendung und Erprobung eines neuen methodischen Vorgehens. Da sich der Wandel auf der syntaktischen Ebene weniger in einem Wandel der im System angelegten Möglichkeiten zeigt, als vielmehr in der Auswahl, die entsprechend 27

Literaturhinweise bei Jolivet (1982, 11-13); siehe auch besonders Martinet (1979), (1985).

28

Dies widerspricht nicht der zuvor (s.o. p. 14) zitierten Feststellung von Herdan (1964) zur «independence of occurence probability and meaning», da Jolivet und Herdan sich auf unterschiedliche Fakten beziehen. Während Herdan die semantische Ebene ausklammert und nur die Wortartzugehörigkeit berücksichtigt, schließt Jolivet in seine Überlegungen auch die Semantik - in einem allerdings sehr allgemeinen Sinn - ein.

18

I. Einleitung

der (gerade gültigen) Norm aus diesen Möglichkeiten getroffen wird, genügt es nicht mehr, die im System der Sprache vorhandenen Formen und Konstruktionen zu inventarisieren und zu klassifizieren. Die Auswahl aus den vom System vorgegebenen Möglichkeiten erfolgt nämlich nie ausnahmslos zugunsten einer bestimmten und auf Kosten aller anderen, sondern der Wandel in den Präferenzen geschieht allmählich und unter der weiteren Verwendung alternativer Möglichkeiten. Um ihn überhaupt feststellen zu können, muß man die Häufigkeit des Vorkommens der verschiedenen Möglichkeiten miteinander vergleichen, d.h. man muß quantitative und statistische Methoden, so einfach sie auch zunächst sein mögen, anwenden. Die auf diese Weise auf der Ebene der Norm beobachteten Entwicklungen in der Sprache können dann zu Erkenntnissen über Veränderungen im System der Sprache fuhren oder zumindest doch über Tendenzen möglicher Entwicklungen:29 Wenn wir auf Phänomene stoßen, deren Frequenz kontinuierlich steigt oder fällt, können wir auf einen entsprechenden Wandel zunächst in der Sprachnorm, und von da ausgehend auch im Sprachsystem schließen. 30 Wenn die betreffenden Phänomene dagegen nur sporadisch auftreten, liegt der Verdacht nahe, daß es sich um ein persönliches (Stil-)Element des Sprechers/ Schreibers handelt oder auch um eine vorübergehende (Mode-)Erscheinung in der Sprachnorm. Dies jeweils zu entscheiden und die durch bloßes Zählen, Rechnen oder mit Hilfe statistischer Methoden gewonnenen Daten angemessen zu interpretieren, ist Aufgabe der folgenden qualitativen Interpretation und Auswertung der Textbelege. Quantitative Analysen, so interessant sie auch erscheinen mögen, sind kein Selbstzweck, denn die Ermittlung und Kommentierung der Zahlen allein, ohne eine folgende, inhaltliche und textbezogene Interpretation hat keine oder zumindest keine ausreichende Aussagekraft. Aufgabe und Zweck der quantitativen Analyse ist es, auf relevante Unterschiede zwischen vergleichbaren Texten als Vertreter der Sprache ihrer Zeit hinzuweisen und damit zu den sprachlichen Phänomenen hinzufuhren, die fur die historisch-vergleichende Fragestellung von Interesse sind. Deren qualitative Analyse und Interpretation auf der Grundlage der quantitativen Daten ermöglicht es dann, neue

29

30

Eine andere Position vertritt hier Stempel (1964, 26), der in den Vorüberlegungen zu seiner Untersuchung feststellt: «Gewiß ist die Theorie der Satzverknüpfung im Bereich der Syntax zu behandeln; der Gebrauch der Konjunktionen jedoch, d.h. die jeweilige Aktualisierung oder Nichtaktualisierung der Verknüpfungen in den Texten und damit ihre Häufigkeit kann nur von der stilistischen Seite aus beurteilt werden.» Als Beispiele für solche Entwicklungen im Bereich der Syntax, die zu Veränderungen im System der Sprache gefuhrt haben, seien fur die romanischen Sprachen genannt: die Entstehung der analytischen Tempora der Vergangenheit und der neuen Futurbildung aus ursprünglich periphrastischen Konstruktionen; die obligatorische Verwendung des proklitischen Subjektpronomens im Französischen; die präpositionale Markierung der obliquen Kasus in den romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen, wo entsprechende Konstruktionen in der aktuellen Sprache aber auch immer mehr an Bedeutung gewinnen), darunter speziell die Entwicklung der präpositionalen Possessivkonstruktionen des Französischen; Entwicklungen in der Wortstellung, z.B. im Französischen die Entwicklung von je le veux voir zu je veux le voir (vgl. zu letzterem Dabbs 1948).

1.6. Syntaktische

Normveränderung...

19

Erkenntnisse zur historisch-vergleichenden Syntax der romanischen Sprachen zu gewinnen.

1.6. Syntaktische Normveränderung versus stilistische Normabweichung Jeder Text folgt den Regeln des Sprachsystems, zu dem er gehört: tout texte est un echantillon d'un etat de langue dont il reflete la structure numerique aussi bien que les possiblites de realisations semantiques (Guiraud 1959, 18).

Ändert sich das System oder die Norm einer Sprache, spiegelt sich diese Veränderung in den Texten wider. Die diachrone Linguistik hat so für eine Anzahl von Sprachen von den überlieferten Texten ausgehend die Entwicklung der Phonologie, Morphologie, Lexik, Semantik und der Syntax, soweit es sich um die Betrachtung von Einzelphänomenen («parts-of-speech-syntax», Pilch 1984, 384) handelt, weitgehend erforschen können. Sobald die syntaktische Fragestellung jedoch darüber hinausgeht und auf das Zusammenspiel der syntaktischen Strukturen im Text gerichtet ist - und dazu gehört auch die Konkurrenz verschiedener Konstruktionsmöglichkeiten - ist dies dagegen bisher erst in geringem Maße erfolgt, unter anderem deswegen, weil dabei auch quantitative Faktoren eine Rolle spielen und die hierfür erforderliche Analyse angemessen großer Textmengen ohne die Hilfe der Datenverarbeitung nur schwer oder gar nicht zu bewältigen war. Wenn ein Sprecher die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten hat, kann seine Entscheidung innerhalb der Norm erfolgen, sie kann aber auch zu einer bewußt gewählten, stilistischen oder durch andere Faktoren bestimmten Abweichung von der Norm führen, was bedeutet, daß eine konkrete Äußerung für sich alleine genommen noch nichts über Veränderungen im Sprachsystem oder in der Sprachnorm aussagt. Erst im Zusammenspiel mit weiteren, entsprechenden oder abweichenden Äußerungen läßt sich unter Heranziehung auch quantitativer Kriterien eine nähere Aussage machen. Veränderungen der (syntaktischen) Norm der Sprache und stilistische oder andere, mehr oder weniger einmalige Normabweichungen, die aber noch keine Normveränderung darstellen, sondern ihre Funktion und Aussagekraft gerade aus dem bewußten Abweichen von der Norm hernehmen,31 sind also nicht unbedingt unmittelbar voneinander zu unterscheiden. So findet man in der Literatur den Terminus Stilistik in vielen Fällen, bei denen es sich nach unserem Verständnis um syntaktische Phänomene bzw. die Diskussion syntaktischer Phänomene handelt. Letztendlich haben wir es dabei jedoch vor allem mit Unterschieden in der Definition und Terminologie zu tun, die für die Darstellung der sprachlichen Fakten ohne praktische Bedeutung sind. So äußert sich beispielsweise Ettmayer (1932, 217) zu Strohmeyers Der Stil der französischen Sprache (1910, 21924): [Strohmeyer] der freilich vom Standpunkt der psychologischen Syntax aus betrachtet zu 90% rein syntaktische Probleme erörtert, da fast alle Wendungen, die Strohmeyer erörtert, Ge-

31

Eroms (1986) spricht von Stilwert und Stileffekt,

die er der Stilneutralität

gegenüberstellt.

1. Einleitung

20

meingut aller Franzosen sind. Es handelt sich bei Strohmeyer nicht um Stilfeinheiten eines Lafontaine oder Victor Hugo oder Verlaine, sondern um sinngemäße, typische Ausdrucksmittel. Wenn Strohmeyers Buch äußerlich nicht den Eindruck einer modernen Syntax erweckt, so ist dies nur darin begründet, daß der Verfasser als Praktiker den Stoff nach Beobachtungen des aufmerksamen Sprachlehrers und nicht nach dem System eines psychologischen Theoretikers angeordnet hat.32

Guiraud (1959) liefert die Abgrenzungskriterien zwischen syntaktischer und stilistischer Zuordnung bestimmter Phänomene, denn ausgehend von seiner Definition von Stil als meßbarer Normabweichung läßt sich entsprechend eine Veränderung der Norm und damit der Syntax als Veränderung der Grundlage charakterisieren, an der die Abweichung gemessen wird: Le style d'un homme ou d'un texte est un ecart qui mesure l'originalite et la liberte de l'auteur et en meme temps son action et son pouvoir (p. 21), oder n o c h prägnanter: Un style est un ecart qui se definit quantitativement par rapport ä une norme (p. 19).

Antoine (1959/62, 6Iff.) hat dies unter Berücksichtigung des diachronen Aspekts näher analysiert und folgendes Schema aufgestellt (p. 64): resistance




dominance

fait actuelflement] syntaxique




emergence

fait nouvel[lement] syntaxique

Vgl. auch Bally ( 2 1921), der allerdings eine Abgrenzung der Bereiche der Stilistik («un systeme de valeurs expressives») und der Syntax («un systeme de moyens d'expression», p. 257) zumindest definitorisch vornimmt, und in seiner Folge Vinay/Darbelnet (1958 - s.o. p. 5, Anm. 8) und Malblanc (1961), die den Terminus stylistique (frangaise, bzw. comparee) bereits im Titel ihrer Arbeiten verwenden. - In Anlehnung an Bally unterscheidet Coseriu (1952 = 21967, 105) die «estilistica de la lengua» als eine «ciencia de la norma» von der «estilistica del hablar». Indem er die estilistica de la lengua definiert als «estudio de las variantes normales con valor expresivo-afectivo, estudio de la utilization estilistica normal de las posibilidades que ofiece un sistema de aquellos elementos que son normalmente, en la lengua de una comunidad, portadores de un particular valor expresivo», geht er davon aus, daß miteinander konkurrierende syntaktische Konstruktionen von vorneherein mit einer stilistischen Markierung versehen und folglich nicht mehr neutral sind. Nach unserer Auffassung geschieht die stilistische Markierung jedoch erst sekundär, u.a. aufgrund der quantitativen Verhältnisse, und die konkurrierenden Formen und Konstruktionen sind primär stilistisch gleichwertig und damit unmarkiert. - Stellvertretend für weitere, terminologisch auf diese Weise vorgehende Arbeiten sei Rothenberg (1979) genannt, die in ihrer Analyse der Konkurrenz der Konstruktionen II est la qui vous attend und II est la ä vous attendre von «de simples variations stylistiques» spricht (p. 376), obwohl es sich um konkurrierende syntaktische Konstruktionsmöglichkeiten handelt, die allerdings unter anderem aufgrund ihrer unterschiedlichen Frequenz mit unterschiedlichen stilistischen Werten verbunden sein können: Der zweite Satz ist der häufigere und damit als der normale stilistisch neutral, während an die Verwendung des ersten eine stilistische Intention geknüpft sein kann.

1.6. Syntaktische Normveränderung.

21

Die Norm entspricht der dominance, d.h. dem aktuell jeweils dominierenden fait syntaxique. Sie steht zwischen den nicht-mehr und den noch-nicht (und vielleicht auch niemals) dominierenden Möglichkeiten, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß mehrere syntaktische Möglichkeiten gleichzeitig dominieren und damit als Norm miteinander konkurrieren können. Sobald wir auf den oder einen der faits syntaxiques dominants stoßen, haben wir es mit einem syntaktischen Phänomen zu tun; sobald eines der unterlegenen Verwendung findet, mit einem fait stylistique:33 ... tant qu'on se trouve devant deux faits de langue absolument symmetriques [...] devant deux structures egalement dominantes, on reste dans la syntaxe pure; des qu'une dyssymetrie, si petite qu'elle soit, s'accuse entre les deux faits, Tun etant en situation dominante, l'autre en position plus faible, on entre dans le champ du style (Antoine 1959/62, 65-66).

Der Unterschied zwischen stilistischen Normabweichungen und Veränderungen in der Sprachnorm liegt darin, daß stilistische Normabweichungen bewußt erfolgen: «or tout fait de style tend ä un effet de style» (Antoine 1959/62, 54), «le trait essentiel de l'acte de style [...] qui est d'etre un acte volontaire» (Antoine 1959/62, 63, Anm. 1) oder, wenn sie unbewußt erfolgen, an bestimmte Personen gebunden sind und sich als solche nicht wiederholen lassen, während Veränderungen der Norm zunächst als solche unbewußt geschehen - als Stilelemente können sie durchaus bewußt verwendet werden - sich aber wiederholen und schließlich zu einer neuen Norm werden.34 Diese neue Norm schließt nicht unbedingt ein gleichzeitiges Verschwinden der alten ein, vielmehr ist eine Konkurrenz zwischen beiden gut möglich, über einen gewissen Zeitraum hin sogar wahrscheinlich, bis es zu Spezialisierungen oder zur Verdrängung einer der Möglichkeiten aus der Menge der von der Norm zugelassenen Möglichkeiten kommen kann. Es ist sogar zu fragen, ob nicht jeder Wandel (der Norm) einer Sprache zunächst als stilistische Variante zu bewerten ist, sei es, daß der Sprecher sie als solche bewußt verwendet, oder sei es, daß der Hörer sie als solche interpretiert.35 33

34

35

Ähnliche Überlegungen finden sich bereits bei Voßler (1904, 33): «So erhält man zwei typische Gruppen syntaktischer Ausdrucksmittel: die objektive Syntax regularis und die subjektive Syntax irregularis, die sich beide in der Rede fortwährend miteinander vermischen, in der Grammatik aber ziemlich genau auseinandergehalten werden können. Welches ist das Kriterium? 1. Der statistisch für die Zeit und den Ort, wo das Sprachdenkmal entstanden ist, festgestellte syntaktische Sprachgebrauch, 2. Ein Experiment. [...]». Herdan (1964, 185) macht diese Unterscheidung nicht, sondern verwendet nur den Begriff stylistics, der in etwa unserem Begriff der freien Syntax entspricht: «However, to a certain extent the individual has a choice of means for expressing his thoughts. It is precisely that choice which forms the subject matter of stylistics as the science of style» Die internal stylistics hat das stylistic system einer Sprache zum Gegenstand, die external stylistic vergleicht es mit demjenigen anderer Sprachen; die stylostatistics tut dies jeweils mit statistischen Mitteln. (Vgl. auch p. 8, Anm. 14). Auf die engen Beziehungen zwischen Syntax und Stilistik weist auch Iordan (1944, 20-21) hin: «De altfel nu-i greu de väzut ca stilistica, atät cea lingvisticä, [...] cat cea esteticä, se inrude§te foarte de aproape cu sintaxa, [...] Se poate spune cä stilistica, in sens larg, nu este decät un aspect al sintaxei, dupä cum sintaxa, la rändul ei, poate fi consideratä ca ο deriva^ie a stilisticii, [. ..] Stilistica este ο sintaxa afectivä, sintaxa ο stilistica intelectualä.»

1. Einleitung

22 Die Position von Ch. Muller (1975, 127),

[que] tout ce qui concerne les unites superieures au mot (syntagmes, propositions, phrases) est surtout d'ordre stylistique et foumit difficilement des constantes idiomatiques,

ist nach unserem Syntaxverständnis in dieser absoluten Form kaum haltbar, denn Stilistik ist eine falsche Bezeichnung für die Analyse der im System einer Sprache angelegten Möglichkeiten bzw. für den Vergleich der in verschiedenen Sprachsystemen vorhandenen Möglichkeiten. Eine Sprache hat von sich aus keinen Stil, sondern nur ein System und eine Norm.36 Erst bei individuellen Sprachäußerungen (Texten) ist es möglich, von deren stilistischen Charakteristika zu sprechen, die unter anderem in der Auswahl aus den vorhandenen und miteinander konkurrierenden syntaktischen Möglichkeiten zum Ausdruck kommen, und diese in Bezug auf die Norm zu analysieren und zu bestimmen.37 Dabei muß zunächst offen bleiben, inwieweit die sprachlichen Elemente, die den Personalstil eines Autors oder den Epochenstil

der Werke einer be-

stimmten Zeit charakterisieren, bewußte, stilistische Normabweichungen darstellen oder eher als personen- oder zeitgebundene Sprachnormen aufzufassen sind. Je nach Fragestellung sind in diesen Fällen beide Ansätze möglich: der syntaktische und der stilistische. Eine pauschale Entscheidung darüber, ob es sich in einem gegebenen Text um stilistische Normabweichungen oder um Veränderungen der Norm handelt, ist nicht möglich, sondern muß fur jeden Einzelfall gesondert getroffen werden. Wenn in einer Reihe von vergleichbaren Texten eine Erscheinung auf einen Text beschränkt bleibt, liegt der Verdacht einer (stilistischen) Nonnabweichung oder persönlichen Normvariante nahe; befindet sich diese Nonnabweichung dagegen in einer Reihe, d.h. 36

37

Anders Bally und in seiner Folge Vinay/Darbelnet und Malblanc (s.o. p. 5, Anm. 8), die davon ausgehen, daß sich Sprachen stilistisch unterscheiden: «eile [la stylistique] etudie la valeur affective des faits du langage organise, et Taction reciproque des faits expressifs qui concourent ä former le systeme des moyens d'expression d'une langue [...] Cependant les langues modernes du type europeen portent la marque d'une mentalite commune, qui permet de faire sans trop de danger une comparaison entre ces differentes langues au point de vue stylistique» (Bally 21921, 1). Die Problematik dieser Position liegt darin, daß beim Vergleich von Sprachsystemen der für die stilistische Bewertung erforderliche neutrale Bezugspunkt fehlt. Sprachen sind stilistisch gleichwertig und neutral. Die Stylistiquefsj comparee[s] von Malblanc (1961) und Vinay/Darbelnet (1958) sind frühe kontrastive Grammatiken, aber keine (Sprach-) Stilistiken. Vgl. auch Havränek (1976b, 155): «Der Sprachstil ist eine Erscheinung sui generis, die in der sprachlichen Äußerung vorhanden ist, jedoch in der Sprachstruktur potentiell nicht enthalten ist.» Deswegen ist es zunächst irreführend, von z.B. Nominalstil zu sprechen, der für bestimmte Textsorten charakteristisch ist. Richtiger wäre es, den Stil nach der Textsorte zu benennen (iWissenschaflsstil, Behördenstil usw.), der sich durch Nominalsyntax, d.h. die hohe Frequenz von Nominalkonstruktionen unterscheidet. Erst durch die (funktionale) Verbindung mit bestimmten Verwendungsbereichen erhält die Nominalsyntax auch eine stilistische Funktion und wird zum Nominalstil. Ein Beispiel fur eine stilistisch begründete, bewußte syntaktische Veränderung ist so die Überarbeitung ihrer Märchen durch die Brüder Grimm mit dem Ziel, diesen einen altertümlichen Charakter zu verleihen (vgl. Sandig 1986, 300ff.)

1.6. Syntaktische Normveränderung.

23

findet sie Bestätigung durch andere, entsprechende Abweichungen in weiteren Texten, ist an eine Entwicklung der Sprachnorm, vielleicht auch des Sprachsystems zu denken. 3 8 B e i m Vergleich von Texten aus verschiedenen Sprachen kann es sich erweisen, daß bestimmte Phänomene nur in einer der Sprachen möglich sind, so daß sich daraus nicht n u r ein Unterschied in der Norm dieser Sprachen ergibt, sondern auch im System. Gleichzeitig können in der Struktur dieser Sprache noch weitere, konkurrierende Möglichkeiten existieren, so daß der Verfasser eines Textes diese Möglichkeiten stilistisch nutzen kann, falls ihre Verwendung im konkreten Fall nicht bereits durch syntaktische N o n n e n geregelt ist. Normative (syntaktische) und stilistische Interpretationen bestimmter Tokens in einem Text können also parallel erfolgen und müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Die Interpretation kann im konkreten Fall sogar in verschiedenen Analysen unterschiedlich ausfallen, bedingt durch unterschiedliche Auffassungen und Grenzziehungen zwischen (freier) Syntax und Stilistik. 39 Wir wollen die Situation an einem Schema verdeutlichen und gehen davon aus, daß ein Text durch vier Faktoren sprachlich und stilistisch festgelegt ist, vergleichbar den vier Ebenen im Sinne von Coserius Architektur

der Sprache,

nämlich:

- diatopisch, durch die Sprache, in der er verfaßt ist; - diastratisch, durch die Person des Verfassers; - diachronisch, durch die Zeit, in der er entstanden ist; - diaphasisch, durch die Gattung (Textsorte), zu der er gehört. Dabei besteht eine Abhängigkeit zwischen der Person des Textverfassers, der Zeit der Textentstehung und der Sprache des Textes, im Normalfall die Muttersprache des Autors/Sprechers. Wir gehen weiterhin davon aus, daß ein Text stilistisch sowohl hinsichtlich seines Verfassers (Personalstil) wie seiner Textsorte (Gattungsstil bzw. -register) charakterisiert werden kann. Zeit- und sprachbedingte Unterschiede sehen wir dagegen nicht als stilistische Merkmale der Texte an, sondern als Ausdruck von Unterschieden bzw. Veränderungen im System oder der Norm der betreffenden Sprachen, d.h. Unterschie-

38

39

Vgl. zu diesen Überlegungen auch Voßler (1904, 15-16): «Stil ist der individuelle Sprachgebrauch im Unterschied vom allgemeinen. Der allgemeine aber dürfte im Grund nichts anderes sein als die ungefähre Summe womöglich aller, oder wenigstens der wichtigsten, individuellen Sprachgebräuche. Den Sprachgebrauch, insofern er Konvention, d.h. Regel, ist, beschreibt die Syntax. Den Sprachgebrauch, insofern er individuelle Schöpfung ist, betrachtet die Stilistik. [...] Jedes Ausdrucksmittel war, bevor es konventionell und syntaktisch wurde, schon oft und lange individuell und stilistisch; [...].» Havranek (1976b, 155) definiert entsprechend Stil als «individualisierende (spezifische) Organisation eines sprachlichen Strukturkomplexes, d.h. jeder gegebenen sprachlichen Äußerung.» Zur Problematik der Abgrenzung von Stilistik und Syntax bzw. Grammatik vgl. u.a. auch Lerch (1925-1934, Bd. 1, 8-10), Ries (1967 [=21927], 121-127). Rychner (1964, 190) spricht in Anwendung auf die Übersetzung Bersuires (s.u. p. 48ff.) von «... probleme, insoluble sans points de comparaison, du depart entre traits personnels ä Bersuire et dominantes syntaxiques de la langue litteraire du temps.»

1. Einleitung

24

de zwischen Sprachen gehören fur uns nicht zur stilistischen Ebene, sondern zu ihrem System oder zu ihrer Norm. Bei diachronen Unterschieden ist die Entscheidung nicht immer eindeutig möglich, vor allem wenn es sich um zeitlich nicht allzu weit auseinanderliegende Texte, eventuell sogar vom gleichen Verfasser, handelt.40 In der folgenden schematischen Darstellung ist für die vier beteiligten Faktoren angegeben, ob diese in den vergleichend zu analysierenden Texten jeweils identisch (=) oder unterschiedlich (-) sind; die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten werden kurz charakterisiert und der Stilistik oder der Syntax zugeordnet: Sprache

Person

Zeit Gattung

=

=

=

=

=

=

=

=

-

=

Möglichkeiten der Analyse Stilistik: Personalstil eines Autors in einem Werk Stilistik: Personalstil eines Autors und gattungsstilistische Unterschiede

=

Stilistik: diachrone Veränderungen im Stil eines Autors Stilistik: vergleichend zum Gattungs- und Personalstil Stilistik: vergleichend zum Gattungs- und Personalstil Syntax:

diachrone Entwicklung einer Sprache

Syntax:

synchron-sprachvergleichend

Es zeigt sich, daß einige Kombinationen fur eine stilistische oder syntaktische Auswertung nicht brauchbar sind. Sind mindestens zwei der vier Faktoren identisch, bieten sich (mit einer Ausnahme) die Texte für stilistische Untersuhungen an, vor allem hinsichtlich des Personalstils. Wenn verschiedene Autoren in einem als gleich anzusehenden Zeitraum Texte der gleichen Gattung verfassen, können diese gattungsstilistisch ausgewertet werden. In nur zwei Fällen eignen sich Texte fur syntaktische Analysen: - für einen synchronen Sprachvergleich, wenn verschiedene Autoren in verschiedenen Sprachen in einem bestimmten Zeitraum Texte der gleichen Textsorte produzieren; - für eine diachrone Analyse der Entwicklung der betreffenden Sprache, wenn verschiedene Autoren zu verschiedener Zeit die gleiche Textsorte in der gleichen Sprache produzieren. Für die weitere Arbeit gilt es folglich, Texte der gleichen Gattung zu finden, die sowohl fur den diachronen, intralingualen als auch für den synchronen, interlingualen Vergleich eine geeignete Grundlage bilden. 40

Vgl. auch Β ally ( 2 1921, Bd. 1, 21-22), der auf den synchronen Charakter der Stilistik ausdrücklich hinweist.

1.7. Die Verbalsyntax als Untersuchungsgegenstand

25

In seiner Untersuchung zum Infinitiv in einem italienischen Text des 15. Jahrhunderts ist Dardano (1963a) ähnlich wie wir hier wiederholt mit dem Problem der stilistischen oder syntaktischen Bewertung und Interpretation seiner Daten konfrontiert. Da er seine Zuordnung und Analyse der Daten kommentiert, können die folgenden Zitate die Problematik der gegenseitigen Abgrenzung der Bereiche der Syntax und der Stilistik nochmals illustrieren und zusammenfassen: ... il largo uso dell'infinito non costituisce, infatti, soltanto un aspetto dell'elaborazione stilistica, ma rappresenta un aspetto primario della struttura sintattica del testo (p. 88). Β largo uso dell'infinito nei Libri della Famiglia e un effetto del latinizzamento. Si premettera, tuttavia, che l'aspetto stilistico del fenomeno resenta un interesse solo marginale per i fini della nostra ricerca, [...] Sirientra,invece, nello studio dei rapporti sintattici quando si considerano le formalitä di impiego dell'infinito anche nei casi per i quali esistono possibili vananti costituite da altri element! del periodo: [...] Nei casi suddetti l'uso dell'infinito interessa la sintassi, perche la sua adozione comporta una diversa struttura del periodo (p. 86). ... l'altafrequenzadell'infinito complemento di verbo modale [...] si deve considerare anzitutto dal punto di vista stilistico, in quanto e referibile all'esuberanza retorica, alia ricerca di una prosa solenne, [...] Ε questo, pertanto, un caso da distinguere da quelli in cui l'uso dell'infinito ha un'importanza essenzialmente sintattica, perche comporta una struttura propria del periodo: ciö accade coH'infinito preposizionale e con la subordinazione infinitivale (p. 92).

1.7. D i e Verbalsyntax als Untersuchungsgegenstand Ausgangspunkt fur die Untersuchungen der vorliegenden Arbeit wird die Syntax des Verbs sein, denn das Verb nimmt im Satz die zentrale Position ein. Diese zentrale, dominierende Stellung des Verbs wurde zwar schon lange erkannt,41 zum ersten Mal explizit herausgearbeitet und zur Grundlage eines Grammatikmodells gemacht wurde sie aber erst von Tesniere (1959) in seiner posthum erschienenen Syntaxe structurale. In der Folge wurde das Modell der Dependenzgrammatik dann vor allem im deutschen Sprachraum weiterentwickelt, wofür Namen wie Heibig und Heringer stehen. Das Verb vereinigt in seiner morphologischen Form nicht nur mehr syntaktische Informationen als jeder andere, nominale oder adverbiale Satzteil, sondern es bestimmt auch aufgrund seiner Valenzeigenschaften weitgehend die Struktur und den

41

Sofindetman z.B. bei Meiner (1781, 127) bereits die folgende Aussage, die Koch (1981) als Motto seiner Arbeit übernimmt: «Das Prädikat ist der vornehmste Theil des Satzes; denn aus ihm entwickelt sich der ganze Satz. Es gleichet einer vollen Frühlingsknospe. Wie diese bey ihrer Entwickelung aus sich einen ganzen Zweig sammt Nebenzweigen und Blättern hervor treibet; also liegen auch in dem einzigen Prädikat nicht nur alle Haupttheile, sondern auch Nebentheile des Satzes verschlossen, die sich daraus herleiten lassen.» Vgl. auch die beiden kurzen Zitate von Fourquet und Hjelmslev in Martin (1980, 512). «le verbe est le porteur privilegie d'indices qui affectent le sens de la phrase entiere» (Fourquet 1950, 78), bzw. «les morphemes dits verbaux appartiennent ä la phrase prise dans son ensemble et non au verbe seul» (Hjelmslev, Essais linguistiques, p. 186).

1. Einleitung

26

Aufbau des Satzes: 42 Durch die (finite) Form des Verbs wird der Satz hinsichtlich Tempus, Modus und Diathese festgelegt, und von den Valenzeigenschaften des Verbs hängt es ab, welche weiteren Elemente im Satz obligatorisch oder fakultativ als Ergänzungen Angaben

(actants)

des Verbs stehen müssen oder können, und welche als freie

(circonstants)

mit relativer Unabhängigkeit vom Verb hinzutreten können.

Rothenberg ( 1 9 8 6 ) schlägt die Termini complements ments du verbe facultatifs

und compliments

du verbe obligatoires,

libres du point de vue syntaxique

complevor.

Bis auf wenige relativ autonome Teile 43 lassen sich alle Elemente des Satzes zum Verb in Beziehung setzen bzw. befinden sich in einer mehr oder weniger engen Abhängigkeit von ihm, sei es unmittelbar (Objekte, Adverbiale) oder sei es mittelbar (Attribute). Die Unterscheidung zwischen Ergänzungen und Angaben bereitet im konkreten Fall jedoch oft Schwierigkeiten: In spite of all endeavors by Heringer, Heibig and Schenkel, and others to make Tesniere's bipartition into complements and adjuncts more efficient nobody, to my knowledge, has succeeded so far in proposing criteria that can, in fact, be used to distinguish the class of complements (C) from the class of adjuncts (A). It is my intention to show that the tests proposed so far fail in yielding the desired bipartition in C vs. A. What they really do is subclassify C or subclassify A or crossclassify the set of C and A into a subset ( C n A ) , on the one hand and (C η A ) 2 on the other (Vater 1978, 23). Eroms (1985, 312) spricht hier von der «immer noch nicht voll befriedigende[n] Trennung der Ergänzungen von den Angaben». Es sei jedoch «ein eher empirisches Problem, wie sich Ε und Α gegeneinander abgrenzen lassen.» 44

42

Zur zentralen Stellung des Verbs im Satz vgl. neben Tesniere (1959) auch Korhonen (1977, 104-108), Helbig/Schenkel ('1980, 24-31), Koch (1981, 80-82, bes. Anm. 25, und 117118). Busse (1974, 58-63) gibt einen Überblick über frühere Arbeiten, die im Verb das Zentrum des Satzes sehen. Chomsky hat in der Government and Binding-Version der generativen Grammatik die zentrale Position des Verbs und die Bindung der übrigen Satzteile an das Verb von Tesniere übernommen, ohne allerdings Tesniere zu erwähnen. In den Arbeiten von Maurice Gross zur Lexiko-Grammatik steht das Verb im Mittelpunkt, und gleiches gilt für das Modell der Junktion, bei dessen Ausarbeitung Raible (1992) sich u.a. auf Tesniere beruft.

43

Vgl. dazu Eroms (1985, 309-310), der das traditionelle Dependenzmodell um drei Stellen oberhalb des zentralen Verbalknotens erweitert: eine Stelle zur Angabe parataktischer, koordinierender Satzverbindungen (deutsch: und, oder, denn, ...), darunter die Stelle S zur Angabe der Satzart (Aussage, Frage,Ausruf), und schließlich zwischen dieser und dem Verbalknoten eine Stelle für die Satzadverbien wie deutsch vermutlich, bedauerlicherweise, von Rothenberg (1986) complements de phrase genannt. Zu den Abgrenzungskriterien in der vorliegenden Arbeit s.u. 38ff. Die Abbildung in Askedal (1984, 75) und die zugehörige Diskussion zeigen, daß es sich bei der Verbaffinität der verschiedenen Satzteile um ein Kontinuum ohne feste Abgrenzungen handelt, das von den Adverbialbestimmungen mit der geringsten Affinität bis zu den Nominativsubjekten mit der größten Affinität reicht. Beim semantischen Eigenwert verläuft die Entwicklung entgegengesetzt. Biere (1976), Korhonen (1977, 129-177), Vater (1978), Eroms (1981, 27-58) geben einen kritischen Überblick über bestehende Theorien, Testverfahren und Zuordnungskriterien. Rothenberg (1986) und Welke (1988, 37ff ) weisen auf die Rolle der Semantik des Verbs für

44

1.8. Übersetzungstexte

als

27

Arbeitsgrundlage

Das Subjekt steht ebenfalls in einer Abhängigkeit zum Verb; diese ist jedoch verschieden von derjenigen der Objekte und eher reziproker Art, denn auch das Verb steht gleichzeitig in einer gewissen Abhängigkeit vom Subjekt des Satzes: Le sujet n'est pas un complement comme les autres car, s'il est exact que le sujet depend syntaxiquement du verbe, comme le font les autres complements [...] sa dependence du verbe n'est pas unilaterale, puisque le verbe depend de lui pour ses categories de personne, de nombre et eventuellement de genre. II y a done liens de solidarites. (Rothenberg 1986, 285).

Auf dieser «kommunikativen Sonderstellung') (Eroms 1985, 313)45 beruht die für die traditionelle Grammatik grundlegende Beziehung von Subjekt und Prädikat als dem Grundgerüst des Satzes, und auf ihr beruht auch die in der früheren generativen Grammatik im Gegensatz zur Dependenzgrammatik übliche erste Aufgliederung des Satzes in Nominalphrase (NP = Subjekt) und Verbalphrase (VP = das (finite) Verbum einschließlich der von ihm abhängigen Objekte und adverbialen Satzteile). Indem wir das Verb, seine Formen und Funktionen im Satz sowie die Beziehungen der übrigen Teile des Satzes zu ihm bzw. ihre Abhängigkeiten von ihm zum Gegenstand unserer Untersuchung machen, können wir von einer Wortart ausgehend annähernd alle Satzteile, den Aufbau der Sätze und damit praktisch den gesamten Text des Corpus in die Analyse einbeziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß wir im Rahmen dieser Arbeit zu einer vollständigen syntaktischen Analyse gelangen können. Vielmehr wird es uns kaum möglich sein, von den konkreten Texten ausgehend mehr als einen ersten Einstieg in den Gesamtbereich der historischen und vergleichenden Syntaxanalyse zu leisten, einen Einstieg allerdings, der an der zentralen Stelle des Satzes als der syntaktischen Grundeinheit erfolgt.

1.8. Übersetzungstexte als Arbeitsgrundlage Unsere Überlegungen hinsichtlich der Möglichkeiten eines neuen Ansatzes in der historisch-vergleichenden Syntax der romanischen Sprachen haben uns zur Anwendung quantitativer, statistischer Methoden auf ein konkretes, fest umgrenztes Textcorpus gefuhrt, d.h. zur Analyse von Texten, die unter der angestrebten quantitativen Fragestellung sowohl für einen diachronen intralingualen als auch für einen synchronen interlingualen Vergleich geeignet sind. Der Texttyp, der sich vor allem anbietet, sind Übersetzungen; denn trotz aller Einwände, die man gegen sie anführen kann: «[der Übersetzungsvergleich] eignet sich [...] hervorragend dazu, sich einen Gesamt-

die Art der Beziehung hin; Welke stützt sich dabei auf die Kriterien Subkategorisierung

(aus der generativen Grammatik übernommen) und

Sinnotwendigkeit, Determiniertheit.

Siehe auch Lambertz (1982, II, 310-379) und die Übersicht über die Ergänzungsklassen

in

Schumann (1986, 22ff). Als weitere Literatur sei verwiesen auf Emons (1974), Helbig/Schenkel (1980, 31-49), Tarvainen (1981) und Heibig (1992, 72-125). 45

Zur Sonderstellung des Subjekts innerhalb der Aktanten und zu seiner besonderen Beziehung zum Verb vgl. auch Koch (1981, 118-123).

28

J. Einleitung

überblick über verschiedene konkurrierende Verfahren in verschiedenen Sprachen auf einem bestimmten Gebiet der Bezeichnung zu verschaffen» (Albrecht 1973, 75). 46 Die Problematik des Texttyps Übersetzung liegt darin, daß es sich nicht um nur vom Übersetzer abhängige (Original-)Texte handelt, sondern um solche, die nach einer fremdsprachigen Vorlage in einer anderen Sprache nachgestaltet werden. Dabei sind Einflüsse der Vorlage, Mißverständnisse von Seiten des Übersetzers und andere, störende, Faktoren nie völlig zu vermeiden. Außerdem ist die Einstellung zu Original und Übersetzung einem ständigen Wandel unterworfen und hängt dazu von der persönlichen Einstellung des Übersetzers ab, schwankend zwischen möglichst originalgetreuer, wörtlicher Übersetzung und möglichst zielsprachenadäquater, dafür aber freier Übersetzung 4 7 Diesem problematischen und kritischen Aspekt der Verwendung von Übersetzungen steht in unserem konkreten Fall auf der positiven Seite entgegen, daß wir immer von der Übersetzung des gleichen Textes ausgehen können, daß es sich vom Inhalt und von der Textsorte her also immer um den gleichen Text handelt, den die Übersetzer in adäquater Weise und sprachlich korrekt in ihrer Muttersprache als Zielsprache wiederzugeben bemüht sind. Was sich dabei im Verlauf der Zeit (diachron) ändert bzw. was die verschiedenen Sprachen unterscheidet, ist einerseits das System der Sprache(n) und andererseits die Auffassung darüber, was sprachlich adäquat und korrekt ist, d.h. der Norm entspricht. Diese Veränderungen und Unterschiede aufzuzeigen, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, für die wir von eben dieser Prämisse ausgehen, daß die Übersetzer ihre Muttersprache korrekt und den Tendenzen ihrer Zeit entsprechend verwenden und daß sie eine möglichst gute Übersetzung anzufertigen bestrebt sind. Entsprechendes gilt auch, wenn sie frühere Übersetzungen als Vorlage mit verwenden oder direkt überarbeiten, denn sie tun dies j a aus dem Bewußtsein, daß der ältere Text nicht (mehr) der Sprache und den Erwartungen der Leser entspricht. Folglich können wir die Übersetzungen als gleichwertige Quellentexte fur die Sprache 46

47

Vgl. dazu Lefevre (1959, 220), der im Zusammenhang der Analyse altfranzösischer Übersetzungen lateinischer Autoren feststellt: «Si l'etude d'une traduction nous donne une juste idee de la langue d'un traducteur, celle de plusieurs traductions contemporaines doit permettre de determiner un certain etat de la langue ä un moment donne. L'etude comparative et historique des traductions sur une longue periode fera constater et evaluer les progres et les acquisitions de la langue, bref eile en fera observer exactement revolution.» Vgl. dazu z.B. Barrera-Vidal (1971,400): «En effet, ['expression dans la langue-cible n'est pas une expression spontanee trouvant sa cause directe dans les conditions memes du discours normal, mais une expression seconde, conditionnee par l'original. L'enonce de la langue de depart exerce toujours une influence non negligeable sur le choix que le traducteur opere parmi les moyens que lui offre la langue d'arrivee.» Eine Zusammenstellung der möglichen Störfaktoren mit Anwendung auf die französischen Plutarchübersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts bietet Ernst (1977, 17-40). Eine Diskussion der Problematik mittelalterlicher Übersetzungen findet man in Wittlin (1976), Buridant (1983), Albrecht (1995). Schiaffini (1932) analysiert den lateinischen Einfluß auf die Syntax, vor allem die Wortstellung der Volgarizzamenti des Duecento und des Trecento, mit besonderem Blick auf Boccaccios Übersetzung der III. und IV. Dekade des Livius.

1.8. Übersetzungstexte

als

Arbeitsgrundlage

29

der jeweiligen Zeit ansehen und sie zunächst einmal ohne Vorbehalte quantitativ wie qualitativ miteinander vergleichen. Dem widerspricht nicht, daß ein Text von zeitgenössischen Kritikern oder auch späteren Übersetzern mehr oder weniger negativ beurteilt wird, denn auch deren Urteil, soweit es sich nicht um den Nachweis effektiver Fehler handelt, ist ebenso subjektiv und zeitabhängig wie die vom Ubersetzer gewählte Fassung seiner Übersetzung. Die Analyse der Übersetzungen des ausgewählten Textes wird zeigen, ob unsere Prämisse gerechtfertigt ist. Die zugrundeliegenden Übersetzungstheorien können dabei unberücksichtigt bleiben, da wir die Texte jeweils als gleichwertige Originaltexte ansehen bzw. sie ihnen gleichstellen und keine Übersetzungskritik betreiben wollen.48 Ein weiteres Argument für die Verwendung von Übersetzungen ist, daß wir nur Übersetzungen mit Übersetzungen vergleichen, daß wir es also durchgehend mit dem gleichen Texttyp mit allen seinen Vor- und Nachteilen zu tun haben und daß wir damit unter den gegebenen Voraussetzungen über ein homogenes und, soweit möglich, optimales Textcorpus verfügen. Neben anderen haben vor allem Mario Wandruszka und seine Schüler überzeugend gezeigt, daß Übersetzungen eine gute und brauchbare Grundlage für vergleichende sprachwissenschaftliche Untersuchungen darstellen. Allerdings sind diese Arbeiten fast ausnahmslos synchron ausgerichtet und untersuchen moderne Texte und deren Übersetzungen, wobei das Deutsche, oft auch das Englische, mit einer oder mehreren romanischen Sprachen verglichen werden. 49 Zu nennen sind hier auch Vinay/Darbelnet (1958), Malblanc (1961, 4 1968) und Barth (1961), die unter Stylistique comparee weitgehend das gleiche verstehen, was nach unserer Auffassung in den Bereich der Syntax gehört.50 Diese Arbeiten können wertvolle Anregungen und Hinweise liefern, ihre Fragesstellung und Zielsetzung ist jedoch von der unseren deutlich verschieden. Aufgrund der diachronen Ausrichtung und der intendiert großen Zahl der beteiligten Sprachen müssen wir außerdem in unserer Arbeit auf die Möglichkeit verzichten, aus allen beteiligten Sprachen jeweils einen Originaltext mit seinen Übersetzungen in die jeweils anderen Sprachen als Materialgrundlage zu nehmen. Für uns ging es vielmehr darum, einen Basistext zu finden, der über einen möglichst langen Zeitraum hin in möglichst viele (romanische) Sprachen übersetzt wurde und der dazu stilistisch möglichst neutral und für eine Übersetzung relativ unproblematisch war, was bedeutete, daß Lyrik oder andere Textgattungen in gebundener Sprache als Möglichkeit ausscheiden und es sich auf jeden Fall um einen Prosatext handeln sollte. Die Bibel ist

48

Wo es angebracht erscheint, werden wir bei der Vorstellung der Übersetzungen (s.u. p. 42ff.) jedoch auch übersetzungstheoretische und -kritische Hinweise geben.

49

Zu nennen ist hier vor allem Wandruszka (1969). Die Arbeit kann von der Methode her als grundlegend gelten. Am Ende des Buches (p. 530) findet man eine Zusammenstellung von einschlägigen Dissertationen, die bis zu dieser Zeit unter der Leitung von Wandruszka entstanden waren. Hierher gehören außerdem auch einige unter der Anleitung von Pollack entstandene Frankfurter Dissertationen wie z.B Krenn (1966).

50

S.o. p. 19ff. sowie Stein (1995b).

30

1. Einleitung

ebenfalls ungeeignet, da sie zwar überwiegend in Prosa geschrieben ist, ihre Sprache aber, wie religiöse Sprache überhaupt, eigenen stilistischen Gesetzen folgt. Unter diesen Voraussetzungen boten sich die Ubersetzungen klassischer, griechischer oder lateinischer Autoren als beste Lösung an, wobei das Lateinische als Ausgangssprache der romanischen Sprachen dem Griechischen gegenüber gewisse, wenn auch nicht entscheidende Vorzüge hatte. Ausschlaggebendes Kriterium war, daß der ausgewählte Text über eine lange und umfangreiche Übersetzungstradition in möglichst vielen romanischen Schriftsprachen verfugen sollte. Die sprachwissenschaftliche Bedeutung der Übersetzungen antiker Autoren für historisch-vergleichende Untersuchungen hat Ernst (1973) und (1977) in seinen Untersuchungen zum Wortschatz der französischen Plutarchübersetzungen des 16. und 17. Jahrhunderts aufgezeigt. Auch wenn diese nur eine Sprache, das Französische, in einem bestimmten Zeitraum betreffen und wortgeschichtlich ausgerichtet sind, so zeigen sie doch, welche Möglichkeiten im Texttyp Übersetzungen antiker Autoren auch für andere Fragestellungen enthalten sind.51 Unsere Wahl fiel schließlich auf das Werk des Titus Livius, wobei die Arbeiten von Wittlin (1970) und Messner (1971a), (1971b), (1971Ms) den Ausschlag gaben,52 die in überzeugender Weise den Wert der (romanischen) Liviusübersetzungen fur historisch-vergleichende Untersuchungen zeigen. Die Fragestellung dieser Arbeiten unterscheidet sich jedoch von der unsrigen, so daß wir inhaltlich zunächst nicht weiter auf sie einzugehen brauchen.53

51

Ernst geht in seinen methodischen Überlegungen auch auf den Wert der Übersetzungen als sprachwissenschaftliche Quellentexte ein und stellt fest: «Sie [die Methode des Übersetzungsvergleichs] hat uns zunächst und vor allem deutlich auf Entwicklungen im Wortschatz hingewiesen, die bei einem Vergleich verschiedenartiger Texte nicht so ins Auge gefallen wären. Die dabei gewonnenen Belege eignen sich in hervorragender Weise zu einem Vergleich, der den abstrahierenden Übergang von der Betrachtung der parole zur Ebene der langue erlaubt: sie sind in etwa der gleichen stilistischen Ebene und jeweils dem gleichen situationeilen Kontext entnommen.» (1973, 195). Daß, wie Ernst dann weiter feststellt, die so gewonnenen Ergebnisse an weiteren, originalen Texten zu überprüfen sind, versteht sich von selbst und gilt auch fur die vorliegende Arbeit. 52 Messner (1971 Ms), eine Synopse von rund 30 Übersetzungen der Praefatio in romanische und auch nicht-romanische Sprachen, sollte als Band 3 der Reihe Romanische Paralleltexte erscheinen; die Reihe wurde jedoch noch vor Erscheinen dieses dritten Bandes eingestellt. 53 Während es sich bei Wittlin (1970) und Messner (1971Ms) um synoptische Texteditionen mit jeweils kurzen Einfuhrungen handelt, geht es Messner in seinen beiden Aufsätzen (1971a, 1971b) um einen Vergleich der französischen Übersetzungen, und zwar jeweils der Praefatio. In (1971a) geht es ihm um einen quantitativen Vergleich der Häufigkeit der Wortarten Substantiv, Adjektiv und Verb sowie um den Grad der Verwandtschaft der verschiedenen Übersetzungen hinsichtlich der Verwendung gleicher Lexeme. In (1971b) sucht er nach Übersetzungskonstanten, die sich bei bestimmten Sätzen in allen, auch nicht-französischen Übersetzungen wiederfinden. Diese sind jedoch recht selten. Vielmehr kann er feststellen: «La dissolution du modele latin en parties plus ou moins independantes existe depuis Bersuire jusqu'a la plus recente traduction» (p. 739). Hinsichtlich der diachronen Entwicklung stellt er außerdem fest: «tandis que les premiers traducteurs [...] se donnent grand-peine de conserver les

1.9. Textcorpus, Datenerfassung und

Datenauflereitung

31

1.9. Textcorpus, Datenerfassung und Datenaufbereitung Für die Textanalyse wurden die ersten 14 Kapitel des 1. Buchs der I. Dekade von Ab Urbe condita ausgewählt. Der Textumfang ergab sich aus der Anzahl der Verben, die in den 14 Kapiteln um 1000 herum liegt, zwischen 894 (S318)54 und 1182 (F^ 7 ). Entscheidend für die Analyse eines zusammenhängenden Textausschnittes anstelle mehrerer nach statistischen Zufallskriterien ausgewählter Textpassagen55 war die Absicht, eine möglichst vollständige Synopse des betreffenden Textes der romanischen Liviusübersetzungen zu erstellen. Die erste Dekade bot sich als der am häufigsten übersetzte Teil des Werkes an, und die Anfangskapitel als der gerade bei älteren Ausgaben am ehesten zugängliche Teil. Die Praefatio war nicht geeignet, da sie bei einigen, vor allem älteren Übersetzungen fehlt. Die Anordnung der Texte in der Synopse erfolgt nach Sprachen (Französisch, Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch, Rumänisch) und innerhalb jeder Sprache chronologisch. Die Gliederung der Texte folgt der heute für den lateinischen Text üblichen Satzzählung.56 Die Texte sind diplomatisch, originalgetreu wiedergegeben, auch die Zeichensetzung und der noch nicht funktionell differenzierte Gebrauch von und bzw. und wurden übernommen; lediglich die Kürzel der Handschriften und frühen Drucke sind aufgelöst. Offensichtliche Druck- oder Abschreibefehler wurden korrigiert; auf die Korrekturen wird nur in begründeten Fällen hingewiesen. Für die quantitative Analyse wurden zwölf Texte ausgewählt und die Daten und Informationen zu den Verben dieser Texte und ihrer Syntax mit dem relationalen Datenbanksystem dBASE in jeweils gleicher Weise erfaßt, aufbereitet und damit für die vergleichende Analyse zugänglich gemacht. Die Zahl von rund 1000 Verbtokens, die pro Text erfaßt wurden, erscheint angesichts der Zahl von zwölf bei der Erfassung periodes liviennes, [...] les plus modernes les decoupent en plusieurs phrases courtes» (p. 738). Vgl. zu diesem letzten Punkt speziell die Analyse von Satz 07-05, s.u. p. 104ff. 54

S.u. p. 44 die Auflistung der Übersetzungen mit ihren Siglen.

55

Zur Problematik und Methodik von Stichproben, Textauswahl usw. siehe z.B. Ch. Muller (1972, 17-29). Eine Auswahl nach Zufallskriterien findet man bei Hug (1971, 60-62).

56

Die Gliederung in Kapitel und Sätze geht auf die Ausgabe von Drakenborchius aus dem Jahr 1738 zurück (vgl. ConwayAValters, eds. 1914, IXf). Die früheste Übersetzung, die der Kapitelzählung (mit geringen Abweichungen) folgt, ist F 7 n (Brunet 1741), während *F6J7 (Guerin 1740) noch auf sie verzichtet. Mit den zweisprachigen Ausgaben It4 lg (Mabil 1804) und F8 l g (Dureau de Lamalle 1810) hat sich die heute gültige Gliederung endgültig durchgesetzt, auch wenn sie in It2'17, der Neuausgabe von Nardi aus dem Jahr 1799 noch fehlt. Eine Gliederung in sectiones oder tmemata in der Ausgabe von Gruter (1608) konnte sich nicht durchsetzen. In den Übersetzungen findet man Kapitelüberschriften bereits in den Handschriften *Itl 13 (Santa Croce 1323) und *F113 (Bersuire ca. 1355), eine zählende Gliederung zuerst in Italien im Druck Itl' 15 von Santa Croce (1511), nicht aber in *It215 (Nardi 2 1547); in Frankreich in F1'15 dem zweiten Druck von Bersuire ( 2 1514/15) und in F3, 5 (LaFaye 1582), nicht dagegen in *F215 (Gohory 1542), F415 (Vigenere 1583) und *F516 (DuRyer 1653); in Spanien in S 2 „ (Vega 1520) und *S2'15 (Enzinas 1552).

J. Einleitung

32

berücksichtigten Texten und damit einer Gesamtmenge von mehr als 12.000 erfaßten Verben angemessen, auch wenn sie nicht unbedingt zur Beantwortung aller auftretenden Fragen ausreichend sein kann. Für die Auswahl der zwölf Texte galt, daß für jede Sprache und jedes Jahrhundert, soweit vorhanden, eine Übersetzung berücksichtigt werden sollte, soweit möglich einsprachige Ausgaben. Die diachronen Schnitte durch die Sprachen sollten möglichst parallel verlaufen. Für das 16. Jh. und das 20. Jh. wurde entsprechend je eine französische, italienische und spanische57 Übersetzung etwa aus der Mitte des Jahrhunderts erfaßt. Aus dem 14. Jahrhundert wurden nur die italienische und französische Übersetzung berücksichtigt, da die spanische und katalanische von dieser französischen aus übersetzt wurden und damit von ihrer Entstehung her nicht vergleichbar sind. Für das Französische mit seiner kontinuierlichen Übersetzungstradition wurde weiterhin je ein Text aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert aufgenommen. Von den drei großen romanischen Sprachen ist damit das Französische mit sechs Übersetzungen vertreten, das Italienische mit drei und das Spanische mit zwei. Es sind dies: Französisch:

= F1B = F215

Italienisch:

Spanisch:

Santa Croce (1323) = Itl 13 Nardi (1548) = It215

Enzinas (1552) = S 2 ' l s

II Tl

Bersuire (1355) Gohory (1548) DuRyer (1653) Guerin (1740) Gaucher (1867) Walter (1968)

= F617 = F11„ = F1419

Navarro (1888) =S3 1 8 Scandola (1982)

= Ι«19

Für das Rumänische wurde nur *R419 (Villan 1959) berücksichtigt. Auf eine zunächst geplante Erfassung weiterer Texte wurde aus praktischen Gründen verzichtet, da bei einer Erweiterung die Tabellen aufgrund ihrer Breite nicht mehr auf eine Seite gepaßt hätten und da die Erweiterung eine Neuberechnung sämtlicher Daten erfordert hätte. Bei solch einer Erweiterung wären vor allem eine der beiden rumänischen Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert, R118 (Antoneli 1860) oderR2 18 (Barbu 1884), sowie eine der drei portugiesischen Übersetzungen zu berücksichtigen gewesen; außerdem weitere französische und italienische zur Überprüfung der Gültigkeit der Daten aus den bereits analysierten Texten. Da es sich bei der vorliegenden Untersuchung jedoch

57

Im Fall der modernen spanischen Übersetzung (*S3 l g ) war uns zunächst die Ausgabe von Montes de Oca (1986) zugänglich, in der kein Übersetzer genannt ist. Daß es sich um die Übersetzung von Navarro y Calvo (1888/89) handelt, stellte sich erst nach der Erfassung der quantitativen Daten des Textes heraus, als die Kopie der Ausgabe von 1888/89 aus Madrid eintraf. Da es sich um eine moderne Ausgabe handelt und ein Austausch des Textes die gesamte Analyse durch die erforderlichen Neuberechnungen beeinflußt hätte, stützen wir uns weiterhin auf diese Übersetzung als modernen spanischen Text. Die modernen Übersetzungen von Fontän (S5, 9 ) und Perez Gonzalez (S6,,) haben wir erst kurz vor Abschluß der Überarbeitung der Arbeit gefunden, so daß sie zwar noch in die Synopse aufgenommen werden konnten, bei der sprachlichen Analyse der Texte aber unberücksichtigt bleiben.

1.10. Probleme

und

33

Entscheidungen.

nur um einen ersten Versuch handelt, bei dem Vollständigkeit nicht zu erreichen war, schien der Verzicht auf diese Erweiterung vertretbar. Bei den Textanalysen werden alle Übersetzungen in die Diskussion einbezogen.

1.10.

Probleme und Entscheidungen bei der Datenerfassung

Die Verben (Verbtokens) der zwölf Texte wurden hinsichtlich ihrer Form, ihrer Funktion im Satz und der von ihnen abhängigen Satzteile erfaßt. Diese Daten bilden die Basis fur die quantitative Analyse. Hinsichtlich der Interpretation und Klassifikation der Daten waren dabei einige, auf den ersten Blick nicht unbedingt evidente Entscheidungen zu treffen: 1.10.1. Die Differenzierung zwischen infiniten Verbformen und deverbalen Adjektiven und Substantiven Bei den Partizipien und substantivierten Infinitiven war in einigen Fällen eine spontane Entscheidung darüber, ob es sich (noch) um infinite Verbformen oder um (bereits) lexikalisierte Adjektive bzw. Substantive handelt, nicht möglich. Folgende Kriterien gaben den Ausschlag, ob eine solche Form als Verbalform interpretiert und in das Verbcorpus aufgenommen oder als Nominalform ausgeschieden wurde. Der fließende Charakter der Grenze zwischen Verbform und lexikalisierter, deverbaler Adjektivoder Substantivform soll damit nicht geleugnet werden, aber für die quantative Analyse waren solche Entscheidungen nicht zu vermeiden.58 Partizipformen werden als Adjektive angesehen und folglich nicht als Verbeintrag berücksichtigt, wenn sie 1. eine von der Verbbedeutung abweichende, neue Bedeutung angenommen haben (Lexikalisierung); 2. nicht mit einer verbspezifischen Ergänzung versehen sind;59 3. an der betreffenden Textstelle keine verbspezifische Satzfunktion übernehmen.60 4. als eigenständiger Eintrag in einem neueren, einsprachigen, ein- oder zweibändigen Wörterbuch aufgeführt sind.61 58

Vgl. zu dieser Problematik Ch Muller (1967, 33-34): «Mais Pemploi adjective ou substantive des participes cree des problemes ä peu pres insolubles. L'adjectivation du participe present est bien, en fransais moderne, une creation lexicale; eile se determine aisement gräce au entere de la variabilite. Celle du participe passe, au contraire, echappe a tout contröle.»

59

Die Grenzen sind fließend, denn Adjektive können ebenfalls mit einer Ergänzung versehen sein wie content de,fier de, apte ä usw.; entsprechend departizipiale Adjektive wie dispose ä, couvert de usw.

60

Angeführt als Beispiel für verbale Interpretation sei das Participium absolutum in einer Konstruktion wie Leur läche accomplie,

ils partirenl.

Dagegen ist accompli in einem Aus-

druck wie aspect accompli als Adjektiv zu interpretieren. 61

Es sind dies der Petit Robert ( 2 1976), Devoto/Oly C 1980), Maria Moliner (1966) und Canarache/Breban (1974) sowie das Dicfionarul Limbii Romine Moderne,

DLRM (1959).

34

1. Einleitung

Für die Interpretation einer Partizipform als deverbales Adjektiv genügt es, wenn eins der Kriterien 1 bis 3 erfüllt ist, zwischen denen jedoch Widersprüche möglich sind. In Zweifelsfällen wird die betreffende Form als Partizipform des zugehörigen Verbs interpretiert und in die Verbliste aufgenommen. Bei Kriterium 4 ist im konkreten Fall die Problematik der Heranziehung eines modernen Wörterbuches zur Bewertung älterer Sprachstände zu bedenken. 62 Zur Illustration sind im Folgenden die einschlägigen Fälle aus *F215 zusammengestellt und kommentiert. Mit *F2 15 wurde bewußt eine älteren Text gewählt, um auf diese Weise auch überprüfen zu können, ob und inwieweit die Anwendung der Einträge moderner Wörterbücher auf ältere Texte möglich und vertretbar ist. Als Adjektive interpretiert und folglich nicht in das Corpus der Verben aufgenommen wurden die folgenden Partizipformen: 63 - ... que le sac de leur ville les rendait ainsi errants, pourchassants lieu de repos... (01-08) 64 - ... leur courage autant dispose ä la guerre qu'ä la paix... (01-08) - ... d'avoir trouve lieu de demeure certain, & arrete qui... (01-10) - ... eurent recours ά la puissance florissante des Etrusques... (02-03) - ... &lui donna le nom depuis tant renommepar le monde (03-08)65 - ... & les surprirent vaquants au plaisant mystere... (05-03)66 - ... en juste guerre ouverte ... (05-07) - ... ils n'ont jamais mange des tripes sacrees (07-13) - Alors qu'il se vit garni de force & puissance süffisante, ... (08-07) - ... lesperes & meres desfilles s'enfuient tristes & desoles, (09-13) - ... emouvaient fort les cites interessees... (10-01) - ... quand les dames Sabines... vinrent toutes dechevelees. leurs robes dechirees. La douleur desesperee que... (13-01). 67

62

63

64

66 67

Die Problematik dieses Vorgehens liegt einerseits darin, daß auch die Wörterbücher gerade unter diesem Aspekt nach subjektiven Überlegungen vorgehen, andererseits bleibt die Frage, inwieweit die Aussagen moderner Wörterbücher auch für frühere Epochen der Sprachen Gültigkeit haben. Hingewiesen sei als Beispiel auf Satz 11-04, wo ravi in *F113, *F213 und *F516 bzw. räpit in *R419, jeweils die Bedeutung 'entführt, geraubt' hat. Die Graphie der Belege ist - wie in der gesamten Arbeit - weitgehend den Regeln der modernen Orthographie angepaßt. In Klammern steht hinter dem Beispiel die Satznummer. Pourchassant ist trotz des Plural-s als Partizip des Verbs pourchasser berücksichtigt, da es über ein direktes Objekt verfügt. Par le monde wird hier als freie Ortsangabe interpretiert, nicht als Ergänzung zu renomme, in diesem Fall hätte renomme als Partizip interpretiert und renommer als Verb berücksichtigt werden müssen. Xaquants ist trotz seiner Pluralform als Partizip zum Verb vaquer (ä) berücksichtigt Desesperee wird als Adjektiv interpretiert, da von ihm keine verbtypische Ergänzung abhängt (Kriterium 2) und da es im Petit Robert als solches aufgeführt ist (Kriterium 4). Dechevele (bzw. echevele) und dechire sind im Petit Robert zwar ebenfalls als Adjektive aufgeführt, sie werden jedoch hier als absolute Partizipialkonstruktionen interpretiert, so daß beide als Verben berücksichtigt sind. Es handelt sich um einen der Grenzfälle, bei denen eine (subjektive) Entscheidung getroffen werden muß; solche Entscheidungen können - wir sind uns dessen bewußt - durchaus von Fall zu Fall variieren, widersprüchliche Entscheidungen sind jedoch nicht erfolgt, so daß die Problematik hier vernachlässigt werden kann.

1.10. Probleme und Entscheidungen

35

Als Partizipialformen wurden dagegen die folgenden Fälle interpretiert und in die Liste der Verben aufgenommen, auch wenn sie sich, abgesehen von ecartis und ipouvante, entsprechend den Kriterien 1 bis 3 wie Adjektive verhalten. Entscheidend war entweder ihre parallele Verwendung zu einem als solches interpretierten Partizip (um, rompu, ecarti) oder ihr Fehlen als eigener Eintrag im Petit Robert, der hier trotz

des zeitlichen Abstandes den Ausschlag gegeben hat: -

... ... ... ... ... ... ...

dont le tout assemble & uni, ... (06-03) la Togepretexte ou robe longue bordee ou passementee (08-03) seplaignant du droit d'hospitalite rompu & viole (09-13) & les surprenant ecartespar les champs & epandus sans ordonnance (11-01). avec gens ramasses... (05-07) lesperes, meres & parents des femmes ravies... (11-04 et passim) avec une rage & ardeur extreme de recouvrer la jorteresse perdue (12-01).

Aufgrund der syntaktischen Abhängigkeit weiterer Satzteile von ihnen werden die folgenden Partizipien als Verbformen angesehen: -

... qu'adonc epris d'admiration de la noblesse... (01-08) ... lequel regnant ä Cere... (02-03) ... lequel assure des volontes de ces deux nations i lui si affectionnees (02-05) ... voyant la ville de Lavinium par trop peuplee de gens (03-03) ... qu'ils savaient charges de butin (04-09) ... se sentant las & travaille du chemin ... (07-04) ... ä l'endroit qui est entre deuxforets sacres, appele Lucus, ceint et clos maintenant de buissons & haies epaisses (08-05) ... du temple le premier consacre ä Rome (10-07) ... l'ost des Romains vint range en bataille couvrir tout le champ (12-01) ... par son cheval effarouche & epouvante du bruit & clameur (12-10) ... les Fidenates etonnes et effrayes de se voir envahis de tous cötes (14-09).

-

In absoluten Konstruktionen wird das Partizip ebenfalls als Verbform aufgefaßt. Die Zuordnung zu den absoluten Partizipialkonstruktionen ist allerdings nicht in jedem Fall eindeutig möglich, so daß auch hier das subjektive Moment bei der Interpretation gewisser Formen wieder eine Rolle spielt: -

Lä les Troyens descendus... courent les champs (01-05) Cette priere finie, s'ecria comme s'il... (12-07) ... vinrent toutes dechevelees, leurs robes dechirees (13-01) Incontinent Romulus averti tire son armee aux champs... (14-06).

Der substantivierte Infinitiv ist in den romanischen Sprachen mit Ausnahme des Neufranzösischen eine lebendige Konstruktionsmöglichkeit, die im Prinzip auf jedes Verb angewendet werden kann. Im älteren Französisch war er dies ebenfalls, er hat seine Vitalität in dieser Sprache jedoch seit dem 17. Jahrhundert endgültig verloren. 68 Das Rumänische verfügt mit dem langen Infinitiv über eine eigene Form; er verhält sich - abweichend von den anderen romanischen Sprachen - in der Konstruktion der

68

Vgl. z.B. Woledge (1979, 143-159) für seine Verwendung bei Chretien de Troyes, George (1976) für den neufranzösischen Bestand an lexikalisierten Formen.

36

1. Einleitung

von ihm abhängigen Satzteile syntaktisch wie ein Substantiv, nicht wie ein Verb. Da er von allen Verben gleichermaßen gebildet werden kann, wird er hier trotzdem als Verbform interpretiert und nicht als deverbale Wortbildung. Vergleichbar den Partizipien sind auch eine Reihe substantivierter Infinitive lexikalisiert worden, und solche lexikalisierten Formen kennt auch das moderne Französisch: le pouvoir, le devoir, le savoir-faire usw. Sie sind nicht in die Liste der Verbformen aufgenommen, entsprechend den lexikalisierten, zu Adjektiven gewordenen Partizipien. Eine einheitliche Bestimmung der Abgrenzungskriterien ist hier jedoch noch weniger möglich. Wir haben deswegen, unabhängig von einem Eintrag in den Wörterbüchern, substantivierte Infinitive dann in unser Corpus aufgenommen, wenn sie im konkreten Fall als 'action de ...' oder in ähnlicher Weise definiert werden können. Wir begnügen uns mit der Auflistung einiger Beispiele aus *R4 19 , für die auch eine Interpretation als (lexikalisiertes) Substantiv ohne weiteres möglich wäre: - ... sub temeiul, cä-i aratäο deosebitä cinstire (03-11) - ... punindu-li-se totodatäintrebarea... (09-05) - ... dupädiferite mtimpläri μ necazuri... (01-02). 1.10.2. Definition und Abgrenzung der Hilfsverben und der periphrasierenden Verben 69 Für das Vorgehen bei der Datenerfassung gilt hinsichtlich der Hilfsverben und der periphrasierenden Verben: 1. Nicht als eigener Verbeintrag berücksichtigt sind diejenigen Hilfsverben, die zur Bildung von analytischen Verbformen dienen: - avoir und etre und ihre Entsprechungen in den anderen romanischen Sprachen, die zur Bildung der im morphologischen System der Sprachen fest verankerten analytischen Tempora der Vergangenheit dienen, - die rumänischen Hilfsverben zur Bildung des Futurs und des Konditionals, va bzw. ar (in der Form der 3. Pers. Sing.), - die Nachfolger von lat. esse und stare, mit deren Hilfe das Passiv gebildet wird. 70 2. Modale, temporale oder passivische Verbalperiphrasen im eigentlichen Sinn bestehen aus einem modal, temporal oder passivisch periphrasierenden Verb und dem periphrasierten Verb in der Form des Infinitivs, Partizips oder Gerundivs, im Rumänischen auch des Nebensatzes. Die periphrasierenden Verben bilden syntaktisch eine Einheit mit dem periphrasierten Verb, dessen Bedeutung sie hinsichtlich seines Tempus, Aspekts oder Modus über das in der eigentlichen Verbalmorphologie Mögli-

69

70

Vgl. zur Diskussion u.a. Gougenheim (1929), Roca Pons (1958), Pottier (1961), Brieer-Van Akerlaken (1967), Dietrich (1973, mit Forschungsbericht und reicher Bibliographie), Roy (1976), Werner (1980), Spang-Hanssen (1983), Gomez Torrego (1988), Dietrich (1996). Die meisten Anregungen haben wir von Pottier (1961) erfahren. Dietrich (1973, 1ff.)rechnet die Hilfsverben zu den Verbalperiphrasen, klammert sie aber aus seiner Untersuchung aus, «da sie [...] weitgehend grammatikalisiert sind» (p. 3, Anm. 6).

1.10. Probleme und

37

Entscheidungen

che bzw. Übliche hinaus modifizieren. Sie haben das gleiche Subjekt wie die von ihnen periphrasierten Verben; dies kommt aber morphologisch nur im Zusammenhang mit ihrer eigenen (finiten) Form zum Ausdruck. Die übrigen Satzteile werden dagegen auf das periphrasierte Verb bezogen. Hierher gehören: - die modalen Hilfsverben wie franz. pouvoir, vouloir, devoir, savoir + Infinitiv, - temporale Periphraseverben wie franz. aller, venir (aJde), etre en train de + Infinitiv

oder Partizipialform, - passivische Periphraseverben wie ital. venire, span, quedar, ital. rimanere, rum. a rämlne + Partizip.

Diese periphrasierenden Verben werden als eigenständiger Verbeintrag berücksichtigt und darüber hinaus auch als eigene Kategorie erfaßt, so daß sich die Häufigkeit dieser Konstruktionen separat dokumentieren läßt. Beide Verben haben das gleiche Subjekt, während die Ergänzungen und adverbialen Angaben auf das periphrasierte Verb bezogen sind, das selbst eine syntaktische Ergänzung des periphrasierenden Verbs ist.71 3. Als in einem weiteren Sinn periphrasierende Verben gelten diejenigen Verben, die sowohl periphrasierend mit folgendem Infinitiv als auch transitiv mit deverbalem nominalem Objekt konstruiert werden können und bei denen beide Konstruktionen miteinander konkurrieren. Außerdem können diese Verben Imperativisch gebraucht und intransitiv ohne folgende Objektergänzung konstruiert werden. Zu ihnen gehören V e r b e n w i e franz. commencer

ä, continuer

ä, oser, aimer

(ä/de),

s'habituer

ä, u s w .

und ihre Entsprechungen in den anderen Sprachen.72 4. Die kausativen Verbenfaire und laisser und ihre Entsprechungen in den anderen Sprachen unterscheiden sich von den periphrasierenden Verben dadurch, daß sie nicht das gleiche Subjekt haben wie der Infinitiv, mit dem zusammen sie die Kausativkonstruktion bilden. Sie zeigen vielmehr an, daß die Handlung durch einen anderen ausgeführt wird, ohne daß sich damit die Semantik des kausativierten Infinitivs ändert. Die Konstruktion mit nominalem Objekt ist außerdem semantisch verschieden von der Konstruktion mit folgendem Infinitiv.73 71

72

73

In zwei Fällen wurde in *It9 19 bei reflexiver Konstruktion des periphrasierenden Verbs das periphrasierte Verb als Subjekt zu diesem interpretiert:... comunque lo si voglia considerare, ... (02-06) und... coi mezzipiü grandiosi cui allora si sapeva ο sipoteva ricorrere. (09-07). Vgl. dazu II va/vient/peut/veut/doit/suele/... + travailler / *le travail / *0; "Imperativ (να// viens! sind selbständige Bewegungsverben, keine Periphrasen) gegenüber II commence/ continue/ose/aime/... + (ä) travailler /le travail/!} / Imperativ (aber: 'ose!/aime\ + travailler\). Seprendre ά, se mettre ä usw. werden als periphrasierende Verben interpretiert, da sie entweder keine Nominalergänzung zulassen (*il seprendau travail) oder ihre Semantik sie vom Gebrauch als Vollverb unterscheidet (il se met au travail). Dietrich (1973, 3 - 8 ) hat entsprechend Verben wie continuer und commencer in seine Zusammenstellung der aspektuellen Verbalperiphrasen aufgenommen. Ein nach unserer Auffassung zu weitreichendes Verständnis von Verbalperiphrase vertritt Roy (1976), der als coverbes alle Verbindungen aus finitem + infinitem Verb erfaßt. Vgl. il fait le travail vs. il fait travailler, il fait faire le travail.

38

1. Einleitung

1.10.3. Probleme der Abgrenzung und Zuordnung: zur Abgrenzung von actants und circonstants und verwandte Probleme Die Abgrenzung zwischen (präpositionalen) Objekten (actants) und Adverbialen (circonstants) bereitet gewisse Schwierigkeiten, da die Verben von ihrer Semantik und dem daraus folgenden syntaktischen Verhalten her keine einheitliche Gruppe bilden.74 Über Tesnieres enge Definition des Aktanten hinausgehend wurden hier eine Reihe von Konstruktionen als präpositional angeschlossenes Objekt klassifiziert, die in der traditionellen Grammatik als adverbiale Bestimmung und bei Tesniere als circonstants gelten. Als adverbiale Angaben wurden nur solche Satzteile interpretiert, «die vom syntaktischen Programm des Verbs nicht vorgesehen sind» (Wolf 1982, 45). 75 Entsprechend wurden die Zielangaben bei Verben der Bewegung als (präpositionale oder indirekte) Objekte und nicht als Adverbiale klassifiziert, da sie eine (obligatorische oder fakultative) Ergänzung des Verbs sind und nicht nur eine freie Angabe. Ebenso wurden die finalen Infinitivkonstruktionen zwar selbst als finale Adverbialkonstruktion klassifiziert, in ihrem syntaktischen Bezug in einer Reihe von Fällen aber als präpositionales Objekt interpretiert. Obwohl sie ohne Einschränkung bei fast allen Verben stehen können, was fur eine Klassifizierung als adverbiale Angabe spricht, überwog bei der Datenerfassung der Eindruck, daß es sich in diesen Fällen eher um eine fakultative Ergänzung handelte als um eine freie Angabe. Die finalen Nebensätze wurden dagegen alle als freie Angabe interpretiert.76 Auch der Grund bei Verben des 74

75

76

S.o. p. 25ff. Korhonen (1978) hat eine dependenzielle Klassifizierung für einen älteren deutschen Text (Luther) durchgeführt und sein Vorgehen erläutert und begründet. Da sich die vorliegende Arbeit von dieser im Sprachmaterial wie in der Zielsetzung deutlich unterscheidet, konnte sie nur begrenzt als Vorlage dienen. Vgl. dazu auch Helbig/Schenkel ( 5 1980, 33-34): «Sowohl die obligatorischen als auch die fakultativen Aktanten (beide sind notwendige Glieder) sind durch die Valenz an das Verb gebunden, sind im Stellenplan des Verbs verankert und deshalb nach Zahl und Art fixierbar. Die freien Angaben dagegen (als nicht-notwendige Glieder) sind nicht an das Verb gebunden, sind zahlenmäßig unbegrenzt und können deshalb nahezu in jedem Satz beliebig weggelassen und hinzugefugt werden.» Noch konkreter formuliert Hesse (1978, 70): «Alle diejenigen Phrasen heißen Freie Angaben, die bei jedem Verb stehen können; es gibt - anders formuliert - kein Verb, das mit diesen Phrasen nicht kompatibel ist.» Vgl. dazu Askedal (1984, 75), der die Finalangaben von den übrigen Modalangaben trennt und ihnen eine, wenn auch nur geringfügig größere Verbaffinität zubilligt als diesen. Für die Interpretation zumindest eines Teils der pour + Infinitiv-Konstruktionen als Ergänzungen bzw. präpositionale Objekte sprechen auch Fälle wie die parallelen Vorkommen von suffire ά + Infinitiv und suffire pour + Infinitiv in Satz 07-05 in F12 19 und F13 ]9 (s.u. p. 115). Als weiteres Beispiel sei auf die Übersetzungen von Remus ad supplicium deditur (Satz 05-04) verwiesen. Es ist dies der Grenzbereich zwischen Ergänzungen und freien Angaben, der in den einschlägigen Arbeiten immer wieder problematisiert wird. So weist z.B. Bat-Zeev Shyldkrot (1987) in ihrer Diskussion um die Abgrenzung von «complements circonstanciels» und «complements d'objet» daraufhin, daß Orts- und Zeitangaben in bestimmten Fällen im Französischen genauso wie direkte Objekte zum Subjekt des Satzes werden können: nous rentrerons ä la levee du jour vs. la levee du jour nous verra rentrer. Sie kommt zu dem Schluß:

1. JO. Probleme und Entscheidungen.

39

Gefuhlsausdrucks (maravigliarsi di/che, etre heureux/content de/que), den Adressaten oder den Zweck einer Tätigkeit (je fais cela pour mon pere oder je fais cela pour rendre service ä mon pere) und ähnliche Fälle wurden so als Verbergänzung und nicht als freie (Umstands-)Angabe interpretiert. Die Problematik ist hier, daß es (noch) keine generalisierbaren Kriterien zur Abgrenzung von Ergänzungen und Angaben gibt. Tesnieres Beschränkung der Ergänzungen auf das direkte und das indirekte Objekt der traditionellen Grammatik ist zu eng, da es außer ihnen noch eine Reihe weiterer obligatorischer Verbergänzungen gibt, wie die bereits erwähnte Zielangabe bei Verben der Bewegung. Die Versuche zur Herausarbeitung adäquaterer Kriterien haben noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gefuhrt, 77 was auch an der Natur des sprachlichen Zeichens liegt, das zumeist keine absoluten Abgrenzungen kennt, sondern nur graduelle Übergänge mit Bereichen, in denen eine eindeutige Klassifizierung nicht möglich ist. Das Problem quantitativer Analysen ist, daß man hier mit eindeutigen Zuordnungen arbeiten muß. Unter direkten Objekten verstehen wir - entsprechend der traditionellen Grammatik - alle ohne Präposition mit dem Verb verbundenen Verbergänzungen sowie die mit a bzw.pe eingeleiteten persönlichen Objekte im Spanischen und Rumänischen. Indirekte Objekten werden präpositional mit ä/a oder de/di eingeleitet - abweichend von der traditionellen Grammatik, die ursprünglich nur ä/a in dieser Funktion kennt. Alle anderen präpositional eingeleiteten Objekte gehören zu den Präpositionalobjekten. Konstruktionen aus Demonstrativum + folgendem Relativsatz (celui que tu as rencontri hier..., ce qu'il a fait, ce qui s'est passe usw.), die sogenannten «propositions relatives sans antecedent»78 oder «propositions relatives substantives»,79 werden als Einheit interpretiert, da die betreffenden Demonstrative nicht alleine, ohne Ergänzung durch ein Substantiv, ein Pronomen oder eben einen (Relativ-)Satz stehen können. Sie werden als Subjektsatz oder als Objektsatz klassifiziert, nicht als von einem Demonstrativum abhängiger Relativsatz. Bei unpersönlichen Konstruktionen wie ilarrive que... usw. gilt das unpersönliche Pronomen ebenso als Subjekt wie der que-Satz; entsprechendes gilt für die Sprachen, in denen das Subjektpronomen unausgedrückt bleibt. Der que-Satz wird als Subjekt(neben)satz interpretiert. «A notre sens, il est possible de former une categorie intermediate entre les COD [complements d'objet direct] et les CC [complements circonstanciels] de moyen, de cause etc. Celle-ci comportera tous les complements des verbes transitifs indirects facultatifs du type:

medire (sur, de), diverger (de, avecj; reparier (de, ά) et les CL [CC de lieu] et CT [CC de temps] etudies. Le passage entre ces categories se fait de maniere graduee et il est susceptible de varier constamment, les complements pouvant passer d'une categorie a l'autre selon les usages et les changements linguistiques qui ont lieu dans la langue» (p. 242). 77

Vgl. dazu p. 25ff.; dort auch weitere Literaturhinweise in Anm. 44. Siehe auch Bat-Zeev Shyldkrot (1987) und das Zitat in vorausgehenden Anmerkung.

78

So Wagner/Pinchon ( 2 1962, 568) oder Pierrard (1988), der in seiner Monographie eine ausfuhrliche Übersicht über die bisherige Diskussion gibt.

79

So Rothenberg (1972, 175).

1. Einleitung

40

Im Fall der Partizipien und Gerundiva in adverbialer Funktion war die Entscheidung zwischen temporal und modal (kausal) oft nicht eindeutig möglich, da beide Möglichkeiten in der Form angelegt sind und vom syntaktischen Zusammenhang her gegeben waren. Da für die quantitative Analyse eine Entscheidung nötig war, erfolgte diese jeweils entsprechend der subjektiven Interpretation.

1.11.

Methodische Vorüberlegungen zur Analyse und Auswertung der quantitativen Daten

Ausgangspunkt und Grundlage für die historisch-vergleichenden Untersuchungen zur Konkurrenz zwischen finiten und infiniten Verbalkonstruktionen werden die quantitativen Daten zum Vorkommen der betreffenden Formen und Konstruktionen in den zwölf quantitativ erfaßten Übersetzungen sein. Die Tabellen, in denen diese Daten zusammenfassend dargestellt sind, bilden den Ausgangspunkt für die Analyse und Interpretation. Neben den absoluten Zahlen enthalten die Tabellen auch die zugehörigen Prozentwerte sowie die Durchschnittswerte aus allen zwölf Texten. Zur Überprüfung der statistischen Relevanz und Signifikanz der Daten wird außerdem der Pearson- oder / 2 -Test herangezogen.80 Die Verwendung der χ 2 -Werte entspricht in der Folge nicht der üblichen Vorgehensweise, denn der x2-Test wird normalerweise angewendet, um die statistische Signifikanz der Verteilung der Häufigkeiten innerhalb einer Menge korrespondierender Daten aufgrund der Summe der Abweichungen der tatsächlichen Werte von einem theoretischen, aus dem Durchschnitt aller Werte errechneten Wert zu bestimmen (sog. Nullhypothese).81 Von den hier analysierten Texten weist jedoch in praktisch jedem Fall zumindest einer eine so große Abweichung von der Nullhypothese und damit einen entsprechend hohen χ 2 -Wert auf, daß schon allein aufgrund dieses einen oder weniger Texte und ihrer Werte die Summe der χ 2 -Werte auf eine von der Nullhypothese signifikante Abweichung hinweist; ihre Berechnung würde demnach einen überflüssigen, da keine neuen Erkenntnisse liefernden Arbeitsschritt darstellen. Diese extremen Einzelwerte, die für die hohe Summe der χ 2 -Werte verantwortlich sind und den Summenwerten damit die differenzierende Aussagekraft nehmen, sind es jedoch gerade, die für unsere Untersuchung von Interesse sind, denn sie weisen den 80

Für eine Darstellung, Bewertung und Diskussion der Anwendung des x 2 -Tests und anderer statistischer Verfahren auf linguistische Fragestellungen siehe: Guiraud (1959, 34ff), Herdan (1964), (1966), Hoffmann/Piotrowski (1979, 105ff), Ch. Muller (1968 [=1972]), (1973a), (1973b), Woods/Fletcher/Hughes (1986); Barrera-Vidal (1972), Berschin (1976) usw. Schmidely (1972) kommentiert seine Anwendung des x 2 -Tests; Hug (1971, 68-76) seine Anwendung des Varianztests.

81

Vgl. Ch. Muller (1975, 137):«... le test de χ 2 , qui porte sur la comparaison globale du groupe de frequences constituant une distribution observee et du groupe correspondant de frequences theoriques calculees a partir de l'hypothese qu'il s'agit de tester [l'hypothese nulle]; il permet de verifier si les ecarts entre les deux distributions sont significatifs.»

1.11. Methodische Vorüberlegungen zur Analyse und Auswertung

41

Weg zu den Texten, die aus dem Rahmen fallen, d.h. so weit vom (theoretischen) Normalfall, der Nullhypothese, abweichen, daß es sich bei diesen Abweichungen kaum mehr um bloße Zufallsvarianten handeln kann, sondern daß hier Faktoren wirksam sind, die es zu ergründen gilt. Als Signifikanzgrenze haben wir den χ 2 -Wert 4,0 angesetzt; das ist der Wert, der in der Tabelle der x 2 -Verteilungen für den Freiheitsgrad 1 eine Wahrscheinlichkeit von ca. 0,05 aufweist; dies entspricht einer Wahrscheinlichkeit des Eintreffens in 5 von 100 Fällen. Es ist dies die Wahrscheinlichkeit, die im allgemeinen als Grenze zwischen zufalligen und signifikanten Abweichungen (Ablehnungsschwelle der Nullhypothese) angenommen wird, mit dem Unterschied, daß sie sich hier auf Einzelwerte bezieht, nicht auf die Summe der Werte, und uns damit zu den Texten fuhrt, die fur die signifikante Höhe der Summe der x 2 -Werte jeweils verantwortlich sind. Diese Signifikanzgrenze entspricht einer vorläufigen Festlegung, von der im konkreten Fall jederzeit abgewichen werden kann. Bei der Interpretation der Abweichungen der Texte vom Nullwert wird außerdem unterschieden, was bei der üblichen Berechnung der Summe der x 2 -Werte keine Rolle spielt, ob es sich um eine Abweichung nach unten oder oben handelt, denn für die Interpretation und Bewertung der Fakten ist hier nicht nur die Größe des Unterschieds zur Nullhypothese wichtig, sondern auch die Richtung, d.h., ob die Frequenz eines bestimmten Phänomens über oder unter dem Durchschnitt liegt. Die Anwendung des x2-Tests scheint zunächst nicht unbedingt erforderlich zu sein, da ja die Prozentwerte bereits vergleichbare Daten liefern. Die χ 2 -Werte bieten jedoch zusätzlich die Möglichkeit, die Abweichungen der Werte vom Durchschnitt unter Berücksichtigung des Umfangs der Texte deutlicher sichtbar zu machen und damit die Signifikanz der Abweichungen genauer zu bestimmen, als dies bei einer bloßen Betrachtung der Prozentwerte der Fall ist. Da man in der Statistik davon ausgeht, daß sich eine Population (in unserem Fall die Menge der Verbvorkommen eines Textes) in ihrem Verhalten umso mehr dem Normalfall, d.h. der Nullhypothese annähert, je größer die Population ist, wird eine Abweichung vom Durchschnitt durch den %2-Test umso stärker bewertet, je größer die betreffende Population (in unserem Fall die Anzahl der Verbvorkommen oder -tokens in einem Text) ist. Es wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein, ob die Heranziehung der χ 2 -Werte angebracht ist oder ob eine Analyse der absoluten und der Prozentwerte allein ausreichend erscheint. Bei allen Schritten der quantitativen Analyse und Interpretation, so interessant diese auch erscheinen mögen, darf nicht vergessen werden, daß diese Berechnungen kein Selbstzweck sind und daß die konkreten Zahlen und absoluten Zahlenwerte allein, ohne den Vergleich und ohne inhaltliche, textbezogene Interpretation keine oder zumindest keine ausreichende Aussagekraft haben. Die quantitativen Daten weisen auf relevante Unterschiede zwischen den einzelnen Texten als Vertreter der Sprache ihrer Zeit hin und fuhren damit zu den sprachlichen Phänomenen, die für die historisch-vergleichende Fragestellung von Interesse sind. Diese müssen dann qualitativ anhand der Texte analysiert und interpretiert werden, damit sie neue Erkenntnisse über die historisch-vergleichende Syntax der romanischen Sprachen liefern können.

2.

Die Übersetzungen von Titus Livius' Ab Urbe Condita in die romanischen Sprachen

2.1. Vorbemerkungen Der linguistischen Analyse der Übersetzungen von Titus Livius1 Ab Urbe Condita in die romanischen Sprachen soll ein literatur- und übersetzungshistorischer Überblick zum besseren Verständnis ihrer Bedeutung und der Umstände und Hintergründe ihres Entstehens vorausgestellt werden. Weder in der Auflistung und Vorstellung der Übersetzungen noch in der Heranziehung aller Quellen der Sekundärliteratur kann dabei Vollständigkeit angestrebt werden - dies wäre Gegenstand einer eigenen, umfangreichen Arbeit. Hier geht es lediglich um eine kritische Vorstellung der Texte, Materialien und Quellen. Über die reinen Fakten hinaus werden dabei auch Äußerungen der Übersetzer über ihre eigene Arbeit oder zu den Arbeiten ihrer Vorgänger berücksichtigt, sowie entsprechende Kommentare und Urteile in übersetzungs- und literaturgeschichtlichen Arbeiten, soweit diese direkt zu den Liviusübersetzungen Stellung nehmen.1 Die Übersetzungen - Gesamtausgaben und Teilübersetzungen, die nur oder auch das 1. Buch der I. Dekade enthalten - dürften bis zum 19. Jahrhundert annähernd vollständig erfaßt sein. Für das 20. Jahrhundert sind dagegen Lücken möglich. Für die Arbeit am Text spielen diese Lücken jedoch keine Rolle, da die erfaßten Übersetzungen eine große und breit gestreute Quellendichte darstellen. In der folgenden Zusammenstellung wird das Interesse vor allem denjenigen Übersetzungen gelten, die das 1. Buch der I. Dekade enthalten, da dessen Kapitel 1-14 die Textgrundlage für die vorliegende Untersuchung bilden. Die Zusammenstellung ist nach Sprachen gegliedert und innerhalb der Sprachen sind die Übersetzungen chrono1

Für eine weitergehende Interpretation und Bewertung dieser Aussagen, vor allem derjenigen der Übersetzer selbst, und hier wiederum besonders derjenigen aus dem Mittelalter und der Zeit der Renaissance, sei auf die einschlägigen Untersuchungen verwiesen, die sich jeweils auf die gesamte Übersetzertätigkeit der betreffenden Epochen beziehen, wie Hennebert (1861), Bellanger (1891/92), Wolff (1923), Larwill (1934), Ladborough (1938), Kelly (1957, bes. p. 126-168, 415—451), Zuber (1963), (1968), Monfrin (1964a), (1964b), Buridant (1983); Maggjni (1952), Folena (1973); Beardsley (1961), Briesemeister (1980). Bemerkungen zu der einen oder anderen Liviusübersetzung findet man allerdings nur bei Hennebert (1861) und Bellanger (1891/92) für den französischen Bereich.

2.1. Vorbemerkungen

43

logisch angeordnet. Soweit es von Interesse ist, werden weitere Übersetzungen berücksichtigt, wobei hier die Möglichkeit von Lücken auch für die ältere Zeit größer ist. Am Anfang der romanischen Liviusübersetzungen steht eine italienische Übersetzung der I. Dekade aus dem Jahr 1323 (*Itl B ), die auf eine verlorene, ältere französische Übersetzung zurückgeht und um 1338/1346 von Boccaccio mit der III. und IV. Dekade vervollständigt wurde. Auf diese folgte um 1355 die französische Übersetzung Bersuires (*F1 13 ), die ihrerseits Vorlage für die um 1400 oder bald danach entstandene erste spanische (Sl 14 ) und erste katalanische (K 14 ) Übersetzung war. Das 16. Jahrhundert erweist sich als besonders fruchtbar, da auf den z.T. mehrfachen Druck der existierenden italienischen, französischen und spanischen Übersetzungen in allen drei Sprachen bald neue Übersetzungen folgten, in Frankreich sogar drei bis zum Ende des Jahrhunderts, in Italien zwei und in Spanien eine, die von einem zweiten Übersetzer deutlich überarbeitet in dieser Version nicht in Spanien, sondern in Antwerpen gedruckt wurde. In Frankreich gab es im 17. und 18. Jahrhundert eine bzw. zwei weitere Übersetzungen, während in den übrigen romanischen Sprachen in diesen beiden Jahrhunderten keine neuen folgten. Das 19. Jahrhundert kennt dann neben mehreren französischen die ersten portugiesischen und rumänischen Übersetzungen, dazu eine neue italienische zu Beginn und eine neue spanische gegen Ende des Jahrhunderts. Die ersten zweisprachigen Ausgaben erscheinen zu Jahrhundertbeginn in Italien und Frankreich, und ihrem Beispiel folgt auch die erste portugiesische Übersetzung von 1829. Für das 20. Jahrhundert verfügen wir dann - gerade auch für die letzten zwei Jahrzehnte - über eine ganze Reihe von neuen Übersetzungen oder Neuausgaben von bestehenden, wobei vor allem das Italienische herausragt. Dagegen stammt die jüngste, uns bekannte portugiesische Übersetzung aus dem Jahr 1902; zur Zeit ist fiir diese Sprache weder in Portugal noch in Brasilien eine Ausgabe im Buchhandel verfügbar. Die Gesamtzahl der uns zugänglichen romanischen Übersetzungen und ihrer Überarbeitungen des 1. Buchs der I. Dekade beläuft sich auf über 40. Diese sind in der folgenden Liste zusammengestellt. Bei den Siglen verweist der Buchstabe auf die Sprache (F, K, S, P, It, R), mit der folgenden Zahl werden die Übersetzungen in jeder Sprache chronologisch durchnummeriert, und die tiefgestellte Zahl gibt das Jahrhundert der Entstehung an. Dabei stehen nach italienischer Art die ersten beiden Ziffern des Entstehungsjahres, *It2 ls stammt aus dem Jahr 1547, d.h. dem 16. Jahrhundert, *F14 19 aus dem Jahr 1968, also dem 20. Jahrhundert. Der Asterisk (*) vor dem Buchstaben zeigt an, daß es sich um eine der zwölf quantitativ erfaßten und analysierten Übersetzungen handelt.

2. Die Übersetzungen...

44 L Bersuire ca. Bersuire Gohory La Faye Vigenere DuRyer Guerin Brunet Dureau de Lamalle Liez/DuboisA 7 erger Lebas/Nisard Gaucher Lasserre Bayet/Baillet Walter

1356 1514/15 1548 1582 1583 1653 1740 1741 1810 1830 1838 1867 1934 1940 1968

It«,9 *Wl9

Santa Croce Santa Croce Nardi Nardi Sansovino Mabil Vitali Malaboti [Soc. Dante] Taglieri Scandola

1323 1511 15472 1799 1567 1804 1952 1970 1984' 8 1972 1982

S1.4 S2 15 *S2'15 *S3 18 S4„ S5 19 S6 19

Lopez de Ayala ca. 1396/1401 de la Vega 1520 Enzinas 1552 Navarro y Calvo 1888/89 Miliares Carlo 1955 Fontan 1987 Perez Gonzalez 1989

Fl',5 *F215 F3 I 5 F4.5 *F516 *F6 17 F7 17 F8 18 F9 18 FIO 18 *FII 1 8 F12 l 9 F13 l 9 *F14 19 *Itl 1 3 Itl',5 •Μ,, It2' 17 It3„ It4„ M,9 It6 19 It7 19

K 14

anonym

vor 1438

pi..

P2 18 P3„

Barreto Feio Bernardes Branco Almeida Netto

1829 1861 1902

R1.8 R2 18 R3 19 *R4 19 R5 19

Antoneli Barbu et al. Richter Villan et al. Popescu Gäle§anu

1860 1884 1935 1959 1976

2.2. Titus Livius, Ab Urbe condita.

45

2.2. TITUS LIVIUS, Ab Urbe Condita - Werk und Textüberlieferung 2 Der Vorstellung der Übersetzungen seien einige Ausführungen zum lateinischen Text des Livius und seiner Überlieferung vorausgestellt: Titus Livius ist vermutlich 64 oder 59 v. Chr. in Padua geboren und 12 oder 17 n. Chr. gestorben. Sein Lebenswerk sind die 142 Bücher seiner Geschichte Roms und des römischen Reichs Ab Urbe condita, die die Zeit von der Ankunft des Äneas in Italien bis zur Schlacht von Actium 9 v. Chr. umfassen. Nach der Überlieferung soll er mit der Feder in der Hand gestorben sein. Aus verschiedenen Aussagen im Text läßt sich der Beginn der Abfassung des Werkes auf ca. 28/27 v. Chr. datieren. Von den 142 Büchern, von denen jeweils zehn zu einer Dekade zusammengefaßt sind, sind nur 35 erhalten: die I., III., IV. und die erste Hälfte der V. Dekade. Die zehn Bücher der I. Dekade umfassen die Zeit von der Ankunft des Äneas in Italien und der Gründung Roms bis zum 3. Samniterkrieg 293 v. Chr., die Bücher 21 bis 45 (III., IV. und erste Hälfte der V. Dekade) die Jahre 218 bis 167 v. Chr., d.h. die Zeit vom 2. Punischen Krieg bis zum Sieg über die Mazedonier. Außerdem entdeckte man 1722 in der Vatikanbibliothek einen Palimpsest mit einem längeren Abschnitt aus dem 91. Buch und in der Folge in verschiedenen Bibliotheken vereinzelte weitere Bruchstücke. Der Rest des Werkes ist vermutlich für immer verloren, wobei Zeit und Umstände der (bewußten oder unbewußten) Zerstörung sich wohl kaum mehr werden rekonstruieren lassen. Hinweise auf ihre Existenz und ihren Inhalt findet man bei lateinischen und griechischen Autoren, die Livius als Quelle benutzt und ihn z.T. auch direkt zitiert haben, wie Iulius Obsequens, Cassiodor, Sueton, Valerius Maximus, Frontinus, Priscian; Dionysos Cassius, Plutarch. Schon bald gab es auch Kurzfassungen, Kompilationen und Inhaltsübersichten, Epitomae oder Periochae genannt, so daß, wie Martial 14, 190 sagt Pellibus exiguis artatur Livius ingens quem mea non totum bibliotheca capit. Solche kurzen Zusammenfassungen des Inhalts sind für alle 142 Bücher - mit Ausnahme von Buch 136 und 137 - erhalten und geben einen Überblick über Umfang und Inhalt auch der verlorenen Bücher und Dekaden.3

2

Siehe Bayet ('1967), Billanovich (1951), (1964), (1981), Recio (1952a), Begbie (1967), Schmidt (1969), McDonald (1971), Ullman ( 2 1973), Kissel (1982), Aili (1982), Philipps (1982), Moreschini (1982), Wittlin ([1983]),

3

Vgl. dazu Begbie (1967), Bingham (1978), Bessone (1982) Dort weitere Literaturangaben und ein Überblick über die bisherige Forschung und Diskussion zu den Epitomae und Periochae sowie - vor allem bei Bingham - der Versuch zu einer neuen, weiterfuhrenden Analyse. Nicht hierher gehören die in diesem Zusammenhang häufig genannten Epitomae de Tito Livio des Lucius Annaeus Florus, entstanden um 160-180 η Chr., bei denen es sich es sich um ein relativ eigenständiges Werk handelt, für das Florus den Liviustext als eine neben anderen Vorlagen benutzt hat.

46

2. Die

Übersetzungen.

Die überlieferte Version der Dekaden des Livius geht geschlossen auf eine um 400 n. Chr. auf Veranlassung des Q. Aurelius Symmachus Eusebius von Tascius Victorianus durchgeführte Redigierung der damals bekannten Texte zurück (recensio Symmachiana), die um 430 noch einmal vom Schwiegersohn des Symmachus, Nicomachus Flavianus, überarbeitet wurde. Es gab noch weitere Handschriftentraditionen, die jedoch alle bis auf einen bruchstückhaften und fehlerhaften Text (Palimpsest von Verona aus dem 4. Jahrhundert.) verloren sind.4 Das Werk des Livius war im Mittelalter nur wenig bekannt, wenn auch nicht ganz vergessen. Es scheint nur in wenigen Bibliotheken vorhanden gewesen zu sein und hatte kaum Einfluß auf die Literatur in den Volkssprachen. 5 Für die bei weitem am besten überlieferte erste Dekade sind sieben vollständige Handschriften aus dem 8. bis 10. Jahrhundert erhalten; weitere sieben fur das 11. bis 14. Jahrhundert. Zwei weitere Handschriften, die den Humanisten noch bekannt waren und für ihre Ausgaben benutzt wurden, sind seitdem verloren. Nachdem vor allem Landolfo Colonna sich philologisch mit der von ihm in Chartres gefundenen Liviushandschrift beschäftigt hatte, war Petrarca der erste, der mit Erfolg versuchte, in den Besitz eines «vollständigen Livius» zu kommen, d.h. Handschriften der I., III. und IV. Dekade, ohne die noch nicht wieder aufgefundenen Bücher 33 und 41 bis 45. Seine philologische Bearbeitung der Texte ist fur die weitere Tradition von entscheidender Bedeutung. In Avignon könnte er Nicolas Trevet begegnet sein, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts den ersten mittelalterlichen Schulkommentar zum Werk des Livius verfaßte, 6 und hier gehörte auch Pierre Bersuire zu seinem Freundeskreis, für dessen Übersetzung des gesamten Werks ins Französische er den entscheidenden Anstoß geliefert haben könnte, auch wenn der eigentliche Auftraggeber der französische König war. 7 Wie aus einer Reihe von Quellen hervorgeht, gehörten die Liviushandschriften seitdem zu den begehrtesten lateinischen Texten. Die von Petrarca erstellte Textversion erfuhr erst im 16. Jahrhundert Verbesserungen und Erweiterungen. Außerdem veröffentlichte Johannes Freinsheim (16081660) 1649 seine Rekonstruktion der II. Dekade unter dem Titel Supplementorum Livianorum ..., der 1654 die Bücher 46 bis 95 und 1679 posthum die Bücher 96 bis 140 folgten.8 Freinsheims Liviussupplemente, wie auch seine zuvor erschienen Rufussupplemente, wurden sehr geschätzt und fanden sogar Eingang in einige Übersetzun4

Siehe dazu neben anderen vor allem die ausfuhrliche Darstellung und Auflistung der Handschriften bei Baillet/Bayet (Bd.I, 8 1967, LXXVII-CXI).

5

Vgl. dazu de Ghellinck

1955, 301): «Connu de quelques auteurs qui le citent, l'imitent ou le

nomment, [...] Tite-Live est peu mentionne, en dehors de quatre ou cinq bibliotheques en Allemagne, autant en France et une en Italie, anterieurement au XIIIe siecle [...] Les mentions deviennent nombreuses vers le milieu du XIV e siecle et surtout au siecle suivant.» 6

Zu Trevet s.u. p. 50.

7

Zu Bersuire s.u. p. 48ff.

8

Zu Freinsheim und seinen Liviussupplementen siehe Schmidt (1969, bes. p. 25-36), der auch Hinweise auf weitere Liviussupplemente gibt. Textproben p. 105-108. Siehe auch Allgemeine Deutsche Biographie (Bd .7, 1878, 348-349).

2.3. Französische Liviusübersetzungen

47

gen.9 Außerdem wurden sie im Verlauf des 18. Jahrhunderts als Quelle fur eine Reihe von Römischen Geschichten benutzt.10 Bereits vorher hatte Turchi (1575) in seiner Neuausgabe von Nardis Liviusübersetzung (*It215) ein italienisches Supplement der II. Dekade eingefugt, das auch in späteren Ausgaben noch enthalten ist." Die erste gedruckte Ausgabe (editio princeps) erschien 1469 in Rom, noch ohne Buch 33 und einen Teil von Buch 40, die in der Ausgabe von Mainz 1518 hinzugefugt wurden, sowie ohne die Bücher 41 bis 45, die, nachdem sie kurz vorher in Lorsch gefunden worden waren, in der Basler Ausgabe von 1531 zum ersten Mal gedruckt wurden. Die heute wichtigsten Ausgaben sind die Teubner-Ausgabe, die Oxforder Ausgabe und die zweisprachige lateinisch-französische Ausgabe von Baillet/Bayet in der Collection Bude.

2.3.

Französische Liviusübersetzungen

2.3.1. Anonym, bald nach 1300 (Text verloren)12 Für die Existenz dieser Übersetzung, der ersten in einer romanischen Sprache und in einer Volkssprache überhaupt, sind zwar keinerlei direkte Belege oder Hinweise in späteren französischen Übersetzungen vorhanden,13 und erhaltene Textbruchstücke fehlen; es gibt jedoch zwei überzeugende Indizienbelege für ihre Existenz: 1. Die französische Übersetzung diente als Vorlage für die erste italienische Übersetzung durch Santa Croce (1323 [*Itl 13]),14 denn in der Görlitzer Handschrift dieser ältesten italienischen Übersetzung der ersten Dekade kann man am Schluß lesen: Qui finisce il decimo libro di tito liuio de l'estorie romane a dio sia gracia. MCCCXXIII a di Π di mar?o, recato di francesco in latino per meser phylippo da Santa croce notaio ad andrea il quale suona in nostra lingua uirile cioe forte. [...]"

Die italienische Übersetzung fallt außerdem durch ihre zahlreichen Gallizismen bis hin zur Übernahme kurzer französischer Passagen auf. Diese wurden im Lauf der Zeit immer mehr korrigiert und durch italienische Formen und Wendungen ersetzt. 2. Im 1373 von Gilles Mallet erstellten Inventar der Bücher des französischen Königs Charles V ist von zwei Liviusübersetzungen die Rede: 9

10 11

Schmidt (1969, 32, Anm. 3) hat diejenigen zusammengestellt, die Freinsheims Supplemente teilweise oder ganz enthalten. Von den romanischen Liviusübersetzungen sind dies. DuRyer (1653 [*F516]), Guerin (*F617) in der Ausgabe von Cosson (1770), Brunet (1741 [F7 17 ]), die zweisprachigen Ausgaben von Mabil (1804 [It4 18 ]) und Barreto Feio (1829 [PI , 8 ]). Vgl. dazu Schmidt (1969, 35-36). So It2'17 von 1799, während *It215 von 1547 noch ohne das Supplement ist. Ob es auch in der Neuausgabe von 1964 enthalten ist, war aus dem 1. Band nicht zu ersehen.

12

Siehe Monfrin (1958), Samaran/Monfnn (1962, 363-366).

13

Bersuire stellt ca. 50 Jahre später in seiner Übersetzung fest, daß diese die erste französische sei (s.u. p. 49 den Schluß des Zitats). Die ältere war ihm folglich nicht bekannt. S.u. p. 63f.

14 13

Zitiert nach Struve (1836, 6-7). Vgl. dazu auch Samaran/Monfrin (1962, 364, Anm. 1.)

48

2. Die Übersetzungen... Titus Livius en frangois, [...] de la translacion du prieur de Saint Eloi [d.i. Bersuire],

und l'original de Titus Livius en franijois, la premiere translation qui en fut faite, escript de mauvaise lettre, mal enluminee et point historiee."

2.3.2.

Pierre BERSUIRE [Petrus BERCHORIUS] (vor 1300 - ca. 1362): Übersetzung der I., III. und IV. Dekade (ca. 1356)17

•Fl l3

Handschrift frangais 34 der Bibliotheque Nationale in Paris aus dem 15. Jahrhundert. 18

Fl'u

Lepremier volume des grans decades de titus liuius, Translatees de latin en francois nouuellement corrigees et amendees. Et ensuyuant les faictz dudit Titus liuius aucunes addicions de plusieurs grans historiographes sicomme Orose Saluste Suetone et Lucain, Paris (Guillaume Eustace) 1514/15.

2.3.2.1. Leben und Werk Pierre Bersuires Über Leben und Werk Pierre Bersuires, des frühesten namentlich bekannten französischen Liviusübersetzers, sind wir gut informiert, vor allem durch die umfassende Arbeit von Samaran/Monfrin (1962). Bersuire stammte aus einer verarmten adligen Familie aus der Vendee und verbrachte einen Teil seiner Jugend im Poitou. Er war zunächst Franziskaner, dann Benediktiner. Von ca. 1320/25 bis 1350 hielt er sich in Avignon auf, dem geistigen, geistlichen und kulturellen Zentrum der damaligen westlichen Welt, wo Kultur und Wissenschaft unter den Päpsten Johannes XXII. (1316-1334), Benedikt XII. (1334-1342) und Clemens VI. (1342-1352) eine große Blüte erlebten. Auch wenn ihm als Prior die Leitung verschiedener Klöster übertragen wurde, scheint er Avignon doch nie für längere Zeit verlassen zu haben. Protegiert und gefördert vom Kardinal Pierre des Pres verfaßte er dort seine vier lateinischen Werke: Reductorium morale, Repertorium morale, Breviarium (auch Breviatorium oder Ductorium genannt) morale und Cosmographia oder Descriptio mundi, von denen die letzten beiden verloren sind. Für seine Schriften konnte er nicht nur von der reich ausgestatteten päpstlichen Bibliothek profitieren, sondern auch von den Berichten der Besucher aus der gesamten damals bekannten Welt. Vor allem aber gehörte er zum Freundeskreis Petrarcas, durch den er vermutlich das Werk des Livius kennenlernte, wofür es in seinen Schriften allerdings keine direkten Hinweise gibt.

16 17

18

Zitiert nach Samaran/Monfrin (1962, 364-365). Siehe Pannier (1872), Sinclair (1961), Samaran/Monfrin (1962), Rychner (1964), Messner (1966), Arcaini (1967), Wittlin ([1983], 31-44). Der Text der Kapitel 1-9 der ältesten erhaltenen Handschrift, Ms. 777 der Bibliotheque Sainte-Genevieve in Paris, ist zusammen mit der ersten katalanischen, spanischen und italienischen Übersetzung in Wittlin (1970, 28-75) abgedruckt. Da es hier nicht darauf ankam, die älteste Handschrift zu verwenden, haben wir die uns zuerst zugängliche frangais 34 herangezogen. Gleiches gilt für den Druck von 1514/15 als zweitem Bersuiretext.

2.3. Französische

Liviusübersetzungen

49

Gegen 1350 kam Bersuire nach Paris und wurde dort Ende 1353 oder Anfang 1354 Prior des Klosters St. Eloi in der Nähe von Notre Dame. Hier erhielt er vom König Jean le Bon (1350-1364) den Auftrag zur Übersetzung der Dekaden des Titus Livius, die er vermutlich 1356, spätestens 1359 abschloß.19 Er kommt in seinem Vorwort auf diesen Auftrag und auf die Schwierigkeit des Unternehmens zu sprechen und läßt dabei auch erkennen, daß er die frühere Übersetzung nicht kannte: Ce fut doncques la cause, prince tres redoubte, que vous [...] considerastes que le peuple rommain, [...] qui au commencement furent une seule cite assez povre et petite sceurent tant faire par armes vertueuses, par senz et par labours, qu'ilz conquirent la rondesse du monde. Et pour ce a leurs fais merveilleux peuent tous princes prendre exemples notables es choses dessus dittes. Ainsi doncques, tres excellent seigneur, me commandastes vous que les trois decades de titus livius, esquelles sont contenues les histoires rommaines, je translatasse de latin en franfois. Et certes combien que la tres hauste maniere du parier et la profonde latinite que a ledit aucteur fort excedant mon sens et mon engin que les constructions dicellui soient si tranchiees et si briefves, si suspensives et de si estranges moz que ou temps de mainten[ant] pou de gens sont qui le sacent entendre ne par plus forte raison ramener en franfois Neantmoins ay je prins la labour de le translater pour obeyr a vous qui estes mon seigneur, et pour faire prouffit a tous ceulx qui par moy l'entenderont et l'oiront [...] cellui livre qui oncques mais n'avoit este touchez est venus en lumiere et tant de nobles fais descriptz et recitez. Ce sera doncques la quint de mes labours [ .. .]20

Bersuire starb 1362 in Paris. Neben seinen vier lateinischen Werken, in denen er das gesamte Wissen seiner Zeit verarbeitete, ist die Liviusübersetzung sein einziges Werk in der Volkssprache Französisch. 2.3.2.2. Bersuires Liviusübersetzung (ca. 1356) und ihre Verbreitung Bersuire übersetzte das gesamte damals bekannte Werk des Livius, d.h. die I., III. und IV. Dekade (ohne das erst später wiederaufgefundene Buch 33), zählte sie aber als I., II. und III. Dekade. Die frühere, verlorene Übersetzung, wie auch die italienische Übersetzung Santa Croces, hatte dagegen nur die erste Dekade umfaßt.21 Die Frage nach seiner konkreten lateinischen Vorlage ist noch zu klären, es kann ein Exemplar Petrarcas oder Landolfo Colonnas gewesen sein, aber auch eine von diesen beiden unabhängige Handschrift. Für die insgesamt nur wenig überlieferte IV. Dekade und die Bücher 25 bis 30 der III. Dekade, möglicherweise auch für den übrigen Text, stand ihm eine Handschrift, die Landolfo Colonna in Chartres gefunden hatte, zur Verfugung. Er hatte seine lateinische Vorlage vielleicht aus Avignon mit nach Paris ge19

20 21

Die Jahresangabe 1352 im Incipit der Handschrift frangais 34 der Bibliotheque Nationale vom Ende des 15. Jahrhunderts ist folglich nicht korrekt. Für weitere Überlegungen zur Datierung der Übersetzung siehe Samaran/Monfrin (1962, 362-363). Zitiert nach Handschrift frangais 34, Graphie leicht modernisiert. Die italienische Übersetzung der III. und IV. Dekade durch Boccaccio erfolgte zwar ebenfalls noch vor derjenigen Bersuires, aber unabhängig von der Übersetzung der I. Dekade durch Santa Croce, so daß Bersuires Übersetzung die erste vollständige in eine Volkssprache ist. Zu den italienischen Übersetzungen s.u. p. 63ff.

50

2. Die Übersetzungen.

bracht, vielleicht erhielt er sie auch erst in Paris. Es wäre interessant, durch einen Vergleich der Übersetzung mit den lateinischen Handschriften die mögliche(n) Vorlagein), vor allem aber den Einfluß Petrarcas genauer zu bestimmen. 22 Neben der bzw. den lateinischen Textvorlage(n) benutzte Bersuire noch ein weiteres Hilfsmittel: den um 1318 entstandenen lateinischen Schulkommentar des Nicolas Trevet. Nicolas Trevet 23 ist zwischen 1258 und 1268 in England geboren und nach 1334 gestorben. Er studierte und lehrte vor allem in Oxford, hielt sich aber auch in Italien (1302/03) und Paris (1307-1314) auf. In Avignon könnte er Bersuire begegnet sein. Neben einem reichen theologischen und historischen Werk hat er bedeutende Kommentare zu lateinischen Autoren verfaßt: Seneca, Boethius, Augustinus und eben die I. und III. Dekade des Livius. Diesen Kommentar verfaßte er in Avignon auf Anweisung des Papstes Johannes XXII., der ihm 1318 in einem Brief dafür Geld schickte. 24 Sein Liviuskommentar scheint nicht sehr verbreitet gewesen zu sein, denn es sind nur zwei vollständige Handschriften bekannt, die sich jetzt in den Nationalbibliotheken in Paris und Lissabon befinden; dazu ein im Lambeth Palace in London befindliches Fragment und ein 1895 von der Königlichen Bibliothek in Berlin erworbenes Manuskript der Kommentare zu den Bücher 1—4, das zum ersten Mal von McDonald (1976) vorgestellt wurde. Bis auf die Kapitel 1 bis 7,3 des ersten Buches der I. Dekade in Wittlin (1970) ist das Werk bisher nicht ediert worden. 25 Diesen Kommentar nun benutzte Bersuire für seine Übersetzung als Hilfsmittel, an einigen Stellen sogar so weitgehend, daß er Trevets Kommentare und Erläuterungen wörtlich übersetzte und in seinen Liviustext einbezog. Sein französischer Text enthält folglich einige Passagen, die nicht zum ursprünglichen lateinischen Text gehören. Daneben fügte Bersuire in seinen Text in Anlehnung an Trevet auch als solche gekennzeichnete Erklärungen, Verweise auf andere Autoren und Abschweifungen, Incidents genannt, ein, die aber offensichtlich nicht in allen Handschriften enthalten sind, so z.B. nicht infrangais 34 der Bibliotheque Nationale in Paris (*F1 13 ). Im Druck von 1514/15 ( F l ' u ) sind diese Stellen durch vorausgehendes «C» gekennzeichnet. 26 In einem weiteren Punkt geht Bersuire über das bloße Übersetzen hinaus: Neben dem Prologue und der Widmung an den französischen König Jean le Bon, seinen Auftraggeber, stellt er dem Übersetzungstext eine alphabetische Liste von ca.70 Wörtern 27 22 23

24

27

Siehe dazu. Samaran/Monfrin (1962, 366-371). Zu Nicolas Trevet siehe Ehrle (1923), Franceschini (1938), Dean (1945), (1948), (1976), van Acker (1962), Samaran/Monfrin (1962, 371-374), McDonald (1971, 340-342), Billanovich (1982, 36ff), Wittlin ([1983], 25-31). Dean (1945, 91) zitiert die entsprechende Stelle aus dem Brief Johannes' XXII. Die kritische Ausgabe durch Lieven van Acker, auf die Wittlin, (1970, X) hinweist, konnte ebensowenig bibliographisch nachgewiesen werden wie die von Wittlin (1970, IX) erwähnte Monographie von Ruth Dean. Da die Incidents ebenso wie die Trevet-Kommentare nur bei Bersuire und evtl. in direkt von ihm abhängigen Übersetzungen vorkommen, bleiben sie in der Synopse unberücksichtigt. Die Zahl variiert in den Handschriften geringfügig.

2.3. Französische

Liviusübersetzungen

51

mit Erklärungen voraus, die er in seiner Übersetzung verwendet hat, die aber dem französischen Leser seiner Zeit noch fremd waren. Nachdem er eine Begründung für diese Liste gegeben hat, gibt er ihr die folgende Uberschrift: Cest le chapitre de la declaration des mos qui n'ont point de propre f r a n ^ i s ou qui autrement ont mestier d'estre declairies en ceste translation 28

Der Erstdruck von 1486/1487 enthält die Wortliste, und die spanische und die katalanische Übersetzung haben sie ebenfalls übernommen und in die jeweiligen Sprachen übersetzt.29 Dagegen fehlt sie im Druck von 1514/15. Bersuires Übersetzung hatte großen Erfolg,30 wie die Zahl der erhaltenen Handschriften zeigt. Samaran/Monfrin (1962, 447^450) fuhren 29 vollständige Handschriften auf und 36, die sich auf eine oder zwei Dekaden beschränken, außerdem zwei Fragmente. 26 dieser Handschriften stammen aus der Zeit vor 1420; einige sind reich illustriert und luxuriös ausgestattet.31 Den Handschriften folgten schließlich 130 Jahre nach Entstehen der Übersetzung in einem Zeitraum von rund 50 Jahren in Paris drei Drucke: 1486/87 durch Jean Dupre, 1514/15 durch Guillaume Eustace und Francis Regnault (Fl' l s ) und 1530 durch Galliot du Pre.32 Bersuires Übersetzung der III. Dekade ist darüber hinaus in einem von Robert Gaguin zwischen 1492/93 und 1501 in Paris veröffentlichten Werk mit dem Titel Les Gestes Romaines, nouvellement imprimez ä Paris enthalten.33 Bersuires Übersetzung fand rasch den Weg über die Grenzen des französischen Sprachraums hinaus und wurde zur Vorlage oder auch nur zur Hilfe für weitere Übersetzungen: ins Spanische durch Pero Lopez de Ayala (ca. 1396/1401 [Sl 14 ]), ins Katalanische durch einen anonymen Übersetzer (vor 1438 [K14]) und ins Schottische durch John Bellenden (1533).34 Dagegen scheinen die ebenfalls im 16. Jahrhundert 28

Eine Zusammenstellung dieser Wortliste findet man bei Samaran/Monfrin (1962, 383-384), Arcaini (1967, 738-745) gibt den vollständigen Text zusammen mit dem des Prologs wieder. Solche Wortlisten finden sich auch in anderen frühen Übersetzungen, für die möglicherweise Bersuire Vorbild war. Vgl. dazu Samaran/Monfrin (1962, 382, Anm. 1)

29

Zu diesen Übersetzungen s.u. p. 68ff. und p. 73f.

30

Zur Verbreitung von Bersuires Übersetzung siehe auch Monfrin (1964b, 251-256).

31

So die Handschriften franfais 273 und frangais 274 der Bibliotheque Nationale (Bibliotheque Nationale 1922). Gagnebin (1959) beschreibt die Illustrationen der Handschrift Ms. fr. 77 der Bibliotheque de Geneve, Sinclair (1961, 52ff.) diejenigen der Melbourner Handschrift.

32

Die drei Drucke sind im Catalogue Generale (Band 190, Spalte 227-230) beschrieben. In der 2. und 3. Auflage fehlen das Vorwort Bersuires und die Wortliste.

33

Siehe Catalogue General (vol. 190, 227-228). Zu Gaguin und seinem Werk siehe Niceron (vol. XLIII, 1745, 1-30) und La Croix du Maine/Du Verdier ( 2 1772/73, II, 389-390). Bersuires Übersetzung wurde auch von anderen verwendet, so von Jean Mansel für seine Histoires Romaines (1454 - siehe Samaran/Monfrin 1962, 409) und von Henri Romain fur seinen Abregie et effect des trois decades de Thitus Livius (vor 1477 - siehe Samaran/Monfrin 1962, 409f ). Wittlin, (1970, 76-77) gibt die Kap. 1-5 des 1. Buchs der I. Dekade wieder. Diese nicht-romanische Übersetzung, die hier nur am Rande interessiert, wurde 1901 von W A. Craigie herausgegeben. Siehe auch Baumann (1905), der Bellendens Übersetzung mit

34

52

2. Die Übersetzungen...

entstandenen ersten deutschen, niederländischen und englischen Liviusübersetzungen unabhängig von Bersuire erfolgt zu sein.35 Die enge Anlehnung an Bersuires Text bzw. seine direkte Übersetzung ins Spanische und Katalanische ist offensichtlich; dazu haben beide Übersetzer die Wortliste Bersuires und die Widmung mit den einfuhrenden Bemerkungen zu seiner Übersetzung jeweils mit übersetzt. Bei der schottischen Übersetzung ist der Einfluß dagegen eher indirekt und nicht so leicht erkennbar. Lopez de Ayala und der anonyme katalanische Übersetzer haben als Vorlage allerdings verschiedene Handschriften benutzt, wie aus einer Reihe von Stellen deutlich wird. Als Beispiel sei hier nur aus Satz 14-01 die von der lateinischen Vorlage in ihrer heutigen Fassung abweichende Übersetzung der Passage cumque Laurentes iure gentium agerent, apud Tatium ... angeführt. Die beiden Versionen des Bersuire'schen Textes (*F113 und Fl' ] 5 ) weichen hier voneinander ab, d.h. spiegeln unterschiedliche Texttraditionen wider; die spanische und katalanische Übersetzung folgen ihrerseits dann je einer dieser beiden Texttraditionen: Bersuire (*F 113): pour laquelle chose les Laurentins demandaient justice audit roi Tatius, en disant que ... L. de Ayala (SI 14): por la cual cosa los Laurentines demandavan justicia al dicho rey Tatius, diciendo que ... Bersuire (Fl' l s ): pour laquelle chose advint que les Laurentins demanderent justice audit roi Tatius, pour la cause que ... katal., anon. (K14): per la qual cosa s'esdevench que los Laurentins demanaven Justicia al dit rey Tatius, alleguant que ... Die zwischen Fr 1 5 und K14 neben der Gemeinsamkeit advint - esdevench bestehenden Unterschiede können das Ergebnis unterschiedlicher Texttradition sein oder als Folge der Überarbeitung des Bersuire'schen Texts fur den Druck erklärt werden. 36 Samaran/Monfrin (1962, 374ff.) haben Bersuires Arbeitsweise, den literarischen Wert und die sprachliche Qualität der Übersetzung untersucht. Bei aller Anerkennung fur die Leistung Bersuires, der keinerlei Vorbild und kaum Hilfsmittel fur seine Arbeit hatte, zeigen sie auch die Schwächen seiner Übersetzung auf. Ihr Resümee ist: La lecture de l'oeuvre de Bersuire est aujourd'hui lassante: le mouvement du style n'est jamais rendu, l'intensite dramatique [...] n'est pas passee dans la version franfaise; nous nous trouvons devant un recit terne et monotone, oü rien ne transparait de l'art de l'historien latin. Ce defaut nousfrappeautant que les fautes de sens; mais personne, au XIVe siecle, ne considerait

35 36

derjenigen Bersuires vergleicht und zu dem Schluß kommt «daß Bell[enden] die französ. Übersetzung des Pierre Bersuire gekannt und benützt hat. [...] Bell, hat aus dem lat. übersetzt und daneben Bers. zu Rate gezogen. Er hat sich weder von Liv., noch von Bers. zu sehr beeinflussen lassen», (p. 93-94). Wittlin (1970, 81-82) gibt das 1. Kap. des 1. Buches der I. Dekade wieder. Für eine Zusammenstellung älterer Übersetzungen in nicht-romanische Sprachen, s.u. p. 77. Die Sonderstellung des Druckes (F1'15) zeigt sich z.B. auch in Satz 07-07: Reddiia inclusarum ex spelunca bourn vox ist in *F113 und K 14 identisch übersetzt: Et Celles de la caverne / Eaquelles de la caverna, in S114 entsprechend mit Relativsatz: e los bueyes que estavan en la cueva, in F1'15 dagegen abweichend nur mit les autres. Vgl. die Satzanalyse p. 209f.

2.3. Französische

Liviusübersetzungen

53

une traduction comme une oeuvre d'art. On ne souhaitait qu'acceder commodement aux renseignements contenus dans les Decades. De ce point de vue, l'oeuvre de Pierre Bersuire est tres importante. Malgre ses maladresses, ses contresens, eile permettait au lecteur fran9ais de suivre, pour l'essentiel, l'histoire des premiers siecles de Rome: le Iexique, les «incidens», les gloses expliquaient les mots qui pouvaient l'arreter; les phrases, bien qu'influencees par la syntaxe latine, n'etaient, ä quelques exceptions pres, jamais soumises ä leur modele au point de devenir insolites. L'Histoire romaine etait desormais ä la portee de ceux qui ignoraient le latin, [...] Les multiples copies qui en furent faites montrent la faveur avec laquelle cette oeuvre fut accueillie. (Samaran/ Monfrin 1962, 404). Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Sinclair (1961, 51), er weist aber gleichzeitig daraufhin, daß dieser Stil charakteristisch für die mittelalterlichen Übersetzer ist: His style is uneven, cumbrous, often nothing but verbiage, and as such, is characteristic of medieval translators who worked on Classical Latin authors. Sinclairs syntaktischer und stilistischer Vergleich zwischen der Ubersetzung und dem lateinischen Text belegt dies und zeigt das Nebeneinander von Selbständigkeit und Abhängigkeit von der lateinischen Vorlage in der Sprache Bersuires. Der einzige, der Bersuires Übersetzung gezielt auf syntaktische Phänomene hin untersucht (Hypotaxe vs. Parataxe, Modus vs. Periphrase, ...), ist Rychner (1964). Rychner zeigt die Schwächen der Übersetzung auf, vor allem aber zeigt er, daß sich Bersuire mit seiner Sprache im Rahmen des in der Zeit Üblichen bewegt. Die gleichen sprachlichen Tendenzen lassen sich auch bei anderen Übersetzern und Prosaautoren seiner Zeit beobachten, und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in Italien. Wichtig fur den Wert der Übersetzung ist, daß Bersuire in seiner Sprache den französischen Autoren seiner Zeit näher steht als der lateinischen Textvorlage, so daß seine Übersetzung als ein gleichwertiges, originales Sprachdokument gelten kann, das unter den Bedingungen und Voraussetzungen seiner Zeit entstanden ist und das, trotz Fehlern und Schwächen in der Übersetzung, die französische Sprache korrekt verwendet: un des premiers translateurs, Bersuire, au milieu du XlVe siecle, quand il traduit les parties narratives de Tite Live, ne cherche guere a modeler sa phrase sur le type latin et se rattache plutöt ä la tradition de la prose narrative en langue vulgaire, du moins sous le rapport de la coordination, qui y etait habituelle (p. 180). Au point de vue formelle cependant, Bersuire ne reussit pas encore ä donner l'equivalent de l'oeuvre antique dans une langue moderne. Sa traduction n'en est pas pour autant meprisable; eile marque un debut, a partir duquel I'habilete des traducteurs pourra progresser et les ressources stylistiques et syntaxiques se developper.37 (p. 187). 37

Eine erste Etappe dieses progres stellt die Überarbeitung von Bersuires Übersetzung durch Laurent de Premierfait zu Beginn des 15. Jahrhunderts dar. M.-H. Tesniere (1986, 251), kommt bei ihrem Vergleich der beiden Versionen zu dem Schluß: «Les cinquante annees qui au maximum separent les deux versions sont insuffisantes a expliquer un tel progres dans ('utilisation de la langue et du style. La question que posait Μ. Rychner trouve ici sa reponse. La traduction de Bersuire souffre davantage de la maladresse de l'ouvrier que de l'inaptitude de l'outil». Da die Überarbeitung im Gegensatz zu Bersuires Version nur in einem Manuskript überliefert ist, dürfte die Fassung Bersuires durchaus der Norm der Zeit entsprochen haben.

2. Die Übersetzungen.

54 2.3.3. *F2 15

Jacques GOHORY (ca. 1520-1576): 38 Le premier liure de la Premiere Decade de Tite Liue de Ρadoue, des histoires depuis la ville fondie, traduit de Latin en Francois, par Iaques Gohori Parisien, Paris (Arnould 1'Anglier) 1548

Gohory, der den Beinamen Le Solitaire trug und sich selbst auch Leo Suavius Solitarius nannte, war Lecteur ordinaire es Mathematiques ä Paris, Philosophe & grand Chimiste, &c. (La Croix du Maine/Du Verdier 2 1772/73,1, 412). Cioranesco (XVI e , 1959,343) fuhrt 19 Werke von ihm auf, neben lateinischen oder französischen naturwissenschaftlichen Schriften vor allem Übersetzungen aus dem Lateinischen, Italienischen und Spanischen ins Französische, darunter Machiavellis Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio (1544, 2 1571) und II Principe (1571). 39 Außerdem ist Gohory der Herausgeber der Pariser Liviusausgabe von 1573.40 Seine Liviusübersetzung, die nur das 1. Buch der I. Dekade umfaßt, 41 hat offensichtlich nur ein geringes Echo gefunden, denn sie wird in der zeitgenössischen oder späteren Literatur kaum erwähnt.

2.3.4.

Jean de (H)AMELIN de SARLAC: 42 - Les concions et harengues de Tite-Live, nouvellement traduictes en franfois (1554, 2 1567, 3 1568) - Le premier livre de la ΙΙΓ decade de T. Live, en laquelle il traicte de la seconde guerre punique. Nouvellement traduict en franqois par I. de Α. (1557) 43 - Τ. Live de la seconde guerre punique que les Carthaginois feirent avec les romains sous la conduite d'Annibal, nouvellement traduicte en franqois pari. deA. (1559) 44

Über die Person des Jean de (H)Amelin, Gentilhomme sarladois ist fast nichts bekannt. Weder Cioranesco (XVle, 1959, 83) noch Grente (XVI e , 1951, 372) geben weitere Informationen zu Person und Werk; Loviot (1913) nennt außer den Liviusübersetzungen als weiteres Werk eine Hymne ä la louange de Monseigneur le Due de Guyse (Paris 1558). Nach La Croix du Maine/Du Verdier ( 2 1772/73) ist er der Verfasser des Manuskripts einer Histoire de France.

38 39 40 41

42 43

44

Siehe La Croix du Maine/Du Verdier (21772/73,1, 411^114; IV, 280-281). Neu herausgegeben von P. Levy, Paris (1938, 21959). Siehe Catalogue General (vol. 190, 174-175: Livius n° 63). Für seine von La Croix du Maine/Du Verdier (21772/73,1, 412) und Lanson (21914) erwähnte Übersetzung des 2. Buches der I. Dekade haben wir keine weiteren Hinweise gefunden. Siehe La Croix du Maine/Du Verdier (21772/73,1, 438^39), Loviot (1913). Laut Catalogue Genirai (vol. 190, Livius n° 380) die Übersetzung des 1. und 2. Buches; als Erscheinungsjahr ist 1556 angegeben. Im Catalogue Genirai nicht erwähnt.

2.3. Französische

Liviusübersetzungen

55

2.3.5.

Antoine de LA FAYE (f 1616/18): 45

F3 1 5

Histoire

Romaine

de Tite Live Padovan.

restans de tout l'ceuure continue d'Auguste.

Nouuellement

Assavoir

des la fondation

traduits

en Francois

les trente-cinq

de Rome iusques par Antoine

liures, au

temps

de La

Faye,

Geneve (Iacob Star) 1582 ( 2 1597) La Faye war ein protestantischer Geistlicher, der in Genf Theologie und Philosophie lehrte. Cioranesco (XVI e , 1959, 391) fuhrt neun theologische Werke von ihm an, davon acht auf Lateinisch und eins auf Französisch, sowie einen französischen Traktat Traitte et remonstrance

contre l'yvrongnerie

et exces au boire, La Rochelle 1579.

La Faye ist der erste der Liviusübersetzer, der sich ausfuhrlicher zur Lesergruppe äußert, fur die seine Übersetzung bestimmt ist: Le premier a este de m'accommoder a ceux qui n'ont la langue Latine, & nonobstant ne laissent d'auoir vn bon naturel & desir de sijauoir & la France est pleine de tels gentils esprits. En second lieu i'ay voulu gratifier aux estrangers qui prennent plaisir & peine apres nostre langue. Finalement i'ay eu auis de complaire ä ceux qui s^auent tellement Latin, qu'ils ne refuseront de accepter quelque aide. Les premiers, ä mon auis, requierent vn parier intelligible & sain, non bouffi de nouueaute estrangere ä la moderne. Les deux derniers auront peut estre quelque soulagement de la conference de la traduction ä l'original. [...] Et ces considerations m'ont fait presque superstitieux en beaucoup d'endroits pour m'astreindre a rendre quasi mot pour mot. Car quoy qu'vn traducteur ne soit contraint de conter les paroles, mais ait assez de peser le sens de son auteur, si est-ce que i'estime que s'abbandonner ä la licence vsurpee par quelques vns depuis peu de temps, cela n'est pas traduire, mais paraphraser, ou bien bastir vn nouuel ceuure. (La Faye 1582,1, XXXVU-XXXVIII). In der Folge äußert sich La Faye auch zu seiner lateinischen Vorlage und zu seiner Arbeitsweise: Premierement ä cause que le texte Latin est mal correct en plusieurs passages, i'ay tasche d'auoir plusieurs exemplaires, pour tirer de l'vn ce que ie ne pouuoy de l'autre. I'en ay eu vn fort vieil de Milan, vn de Venise, vn de Basle, vn de Cologne, deux de Paris, vn de Lion, & vn de Francfort. Et mesme i'ay eu la premiere Decade escrite ä la main en parchemin, que m'a preste M. Germain Coladon docteur es Droits. Tellement que i'ay suyui tantost l'vn, tantost l'autre, selon qu'il m'a semble le meilleur. [...] Item pour soulager vostre memoire i'ay distingue chaque liure en chapitres, ou sections selon les matieres. Et d'autant qu'il y a plusieurs noms d'offices & autres appartenans ä l'antiquite: i'ay adiouste en marge de petites annotations, pour en donner quelque intelligence, ayant toutesfois esgard a la briefüete. (La Faye 1582,1, XL-XLI). Hennebert (1861, 83) beurteilt die Übersetzung 300 Jahre später recht negativ: Antoine de la Faye, aussi rampant, moins fidele [que Vigenere], est plus barbare dans sa version complete. [...] Ici il passe un membre de phrase; plus loin il se traTne dans un plat mot ä mot; toujours il est digne, par son mauvais style et ses expressions bizarres, de la compagnie de son contemporain Vigenere.

45

Siehe La Croix du Maine/Du Verdier ( 2 1772/1773,1, 36; III, 116-117), Haag ( 2 1886, VI, 186-188), Grente (XVI s , 1951, 413).

2. Die Übersetzungen.

56 2.3.6. F415

Blaise de VIGENERE (1523-1596):46 Les Decades, qui se trouuent, de Tite Live, mises en langue francoise: La premiere, par Blaise de Vigenere Bourbonnois: auec des Annotations & figures pour l'intelligence de l'antiquite Romaine: Plus vne description particuliere des lieux: & vne Chronologie generale des principaux Potentats de la terre. La tierce, tournee autrefois par lean Hamelin de Sarlac, & recentement recouriie & amendee presque tout de neuf Le reste, de la traduction d'Anthoine de La Faye, Paris (Iacques du Puys) 1583

Vigenere stand im Dienst des französischen Königs und unternahm zahlreiche Reisen als Diplomat, vor allem nach Italien, und war zeitweise Sekretär des Botschafters in Rom. 1570 gab er seine Ämter auf, um als Schriftsteller und Privatgelehrter zu einem der vielseitigsten und fruchtbarsten Autoren seiner Zeit zu werden. Während Metrai (1939) in ihrer Monographie den «Archeologue et critique d'art» in den Mittelpunkt stellt, bezeichnet Grente (XVle, 1951, 698) ihn als «traducteur». Neben Livius hat Vigenere weitere lateinische (Cäsar, Tacitus, Cicero), griechische (Piaton, Philostratos) und italienische (Torquato Tasso) Autoren übersetzt und eine sprachlich modernisierte Neuausgabe von Villehardouins Conquete de Constantinople erstellt.47 Daneben ist er der Verfasser einiger französischer Werke zu historischen, archäologischen und anderen wissenschaftlichen Themen, entsprechend den Interessen seiner Zeit.48 Vigeneres Liviusübersetzung, zumindest der Druck von 1583, fallt durch ihre luxuriöse Aufmachung und den umfangreichen Kommentarteil auf, der eine Einfuhrung in die gesamten zeitgenössischen Kenntnisse über das römische Altertum bietet. Zu Beginn der Annotations äußert Vigenere sich ebenfalls, aber wesentlich kürzer als La Faye, über das Publikum, an das sich seine Übersetzung richtet: que ie n'ay point entrepris ces traductions pour les hommes doctes; [...] sinon pour mes concitoyens; qui n'ayans pratique les langues Grecque & Latine, ny eu le moyen ou commodite de füeilleter tant de liures requis pour la cognoissance d'infinies choses. (Vigenere 1583, 464).

Lebegue (1940,270), der von einem «renomme durable» der Liviusübersetzung Vigeneres spricht, nennt Drucke fur die Jahre 1580,1583, 1597, 1606, 1615, 1616, 1617 49 Vigeneres Übersetzung war damit weitaus erfolgreicher als die gleichzeitig erschienene von La Faye, aus der er einen Teil übernahm. Baillet (21725) hat zeitgenössische Äußerungen zu beiden Übersetzungen zusammengestellt, die fast ausnahmslos positiv 46

47

48 49

Siehe Baillet (*\Ί25, II, 431—432), Niceron (vol. XVI, 1731, 26-37), La Croix du Maine/Du Verdier (21772/73, I, 86-88 und III, 250-251), Hennebert (1861, 76-88), Metrai (1939), Grente (XVIe, 1951, 698); Buridant (1980), (1982), Rickard (1981), (1993), Gorris (1992). L'Histoire de Geoffroy de Villehardouyn, mareschal de Champagne et de Romenie; de la conquete de Constantinople par les Barons Franqois associez aux Venitiens, l'an 1204, d'un cöte en son vieil langage; et de l'autre en un plus moderne et intelligible; par Blaise de Vigenere, gentil-homme de la Maison de Monseigneur le due de Nivernois et de Rethelois, Pair de France, Paris (Abel l'Angelier) 1585. Siehe Buridant (1980) und Rickard (1981). Siehe die vollständige Bibliographie in Metrai (1939, 249-259). Cioranesco (XVle, 1959, 683) nennt nur den Druck von 1617. Der Catalogue General (vol. 190, Livius n°185-191) enthält Angaben zu den Drucken von 1583, 1606, 1615 und 1616/17.

2.3. Französische Liviusübersetzungen

57

und anerkennend sind. 50 Sie werden bestätigt von Buridant (1980, 118, Anm. 58), der feststellt, daß Vigenere in seiner Liviusübersetzung «cherche [...] a conserver Γ allure oratoire de l'original.»51 Weniger positiv fallen im 19. Jahrhundert die Urteile von Hennebert (1861) und Beilanger (1891/92) aus: [Vigenere est] un traducteur qui infecte sa prose de toute la fureur du neologisme et de l'imitation antique. [...] un infatigable et docte traducteur, mais un bien barbare ecrivain (Hennebert 1861, 76-77). Vigenere est moins fidele au sens, moins exact ä suivre les mots, et se laisse aller, plus que les vieux translateurs, sur cette pente facile des synonymes. [...] La langue chez Vigenere semble avoir plutöt recule qu'avance. A part les autres incorrections, cette syntaxe plus latine que franipaise, qui admet les infinitifs absolus, qui supprime frequemment le pronom sujet, [...] (Hennbert 1861, 80). II traduisit successivement Tite-Live, Tacite, Ciceron et Cesar. [...] traduisit mal les trois premiers de ces auteurs et mediocrement le quatrieme. [...] On pourrait surnommer Blaise de Vigenere ('Alexandre Dumas des traducteurs de la Renaissance (Bellanger 1891/92, 255-256).

2.3.7.

Francois MALHERBE (1555-1628):' 2 LeXXXIII. Livre de Tite Live nouvellement treuvi ä Bamberg en Allemagne. Traduit par le Y Malherbe Gentilhomme ordinaire de la Chambre du Roy, Paris (Du Bray) 1621

Die vollständige Handschrift des 33. Buchs (3. Buch der IV. Dekade) - bis dahin fehlten die Kapitel 1 bis 16 - hatte man kurz vorher in Bamberg gefunden, der vollständige lateinische Text dieses Buches war in der Ausgabe von Rom 1616 zum ersten Mal gedruckt worden. Malherbe übersetzte zunächst diese Kapitel, die in einen Teil der Auflage von 1616 und die gesamte Auflage von 1617 von Vigeneres Übersetzung eingefügt wurden. Malherbes Übersetzung des gesamten Buchs mit einer Überarbeitung seiner Übersetzung der ersten 16 Kapitel von 1616 erschien dann separat 1621. 53

2.3.8.

Pierre D U RYER (1605/06-1658): 5 4

*F5 16

Les Decades

de Tite Live avec les supplemens

de I. Freinshemius

sur le

mesme Autheur, Paris (Antoine de Sommaville) 1653 50

1

52

53 54

Siehe Metrai (1939, 68-79) für eine zusammenfassende Übersicht der Bewertung und Kritik der Übersetzungen Vigeneres bis ins 20. Jahrhundert. Buridant regt einen Vergleich der Übersetzung Vigeneres mit derjenigen Bersuires an, um die Entwicklung in der Sprache und der Übersetzungstechnik deutlich werden zu lassen. Siehe Baillet (21725, Π, 433-434), Lebegue (1940), Grente (XVIIe, 1954, 656-660), Hagenberg (1994 - mit ausfuhrlichem Literaturverzeichnis). Hagenberg (1994) analysiert die Übersetzertätigkeit Malherbes und vergleicht beide Fassung. Siehe Baillet ( 2 1725, II, 436-437), Niceron (1733, II, 342-350), Lancaster (1912), Grente (XVIF, 1954, 373). Das genaue Geburtsjahr DuRyers ist nicht bekannt. Grente (XVIIe, 1954, 373) und Cioranesco (XVIIe, 1959, 817) geben 1605 bzw. 1606 an. Dagegen fuhrt Lancaster (1913, 4-5) einige Argumente für eine Vordatierung an und nennt selbst das Jahr 1600.

2. Die Übersetzungen.

58

DuRyer war zunächst Secretaire du Roy, mußte seine Stelle jedoch 1633 verkaufen. Er gehörte zu den bekanntesten und fleißigsten Dramatikern seiner Zeit und wurde 1646 gegen Corneille in die Academie gewählt. Die Mittelmäßigkeit seiner Stücke ließ ihn jedoch bald in Vergessenheit geraten, so daß er große Mühe hatte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Seine Übersetzungen waren Auftragsarbeiten gegen Bezahlung, bei denen er sehr schnell arbeiten mußte, um die geforderte Menge zu bewerkstelligen. Neben Anerkennung und Popularität trugen sie ihm wegen ihren aus der Eile resultierenden Schwächen und Fehlern auch viel Kritik ein. Neben neulateinischen Texten übersetzte er vor allem Cicero, Seneca, Ovid, Herodot und eben Livius. Seine Übersetzungen kannten zumeist mehrere Auflagen,55 so auch seine Liviusübersetzung: Paris 1653,1669; Amsterdam 1696,1700 und Rouen 1722. In den letzten Jahren hatte er den mit einer Pension verbundenen Titel eines «Historiographe de France». Niceron (1733, II, 344) urteilt über ihn: II avoit un Stile coulant & pur, & une egale facilite pour les vers & pour la prose; mais la necessite oü il se trouvoit ne lui permettoit pas de donner ä ses Ouvrages toute la perfection ä laquelle il etoit de les porter; & de prendre le temps necessaire pour cela. Seine Übersetzungen wurden laut Niceron bereits zu dieser Zeit nur noch wenig geschätzt. Der Vorwurf, sie seien weitgehend nur Überarbeitungen bereits existierender - «... ne sont que de vieilles traductions, qu'il a raccomodees ä sa fantaisie [...] sans s'etre voulu donner la peine de voir les Originaux» (Niceron 1733, II, 350) - wird durch Stichprobenvergleiche mit der Übersetzung Vigeneres bestätigt. Es handelt sich jedoch um eine eigenständige, modernisierende Überarbeitung. Eine detaillierte Untersuchung erscheint angebracht, kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen. Den Vorwurf des zu schnellen und nicht gewissenhaften Arbeitens und der Verwendung bereits bestehender Übersetzungen findet man auch bei Hennebert (1861, 173), der ihm unterstellt: Jeter les yeux sur les originaux lui parait trop de peine: il se borne ä racoutrer, a raflstoler, comme on disait jadis, de vieilles traductions dont il rajeunit le langage, ou meme ä faire ä ses contemporains des emprunts dont il se constitue le correcteur et l'editeur. 2.3.9. *F6 17

Frangois GUERIN (1681-1751): 56 Histoire Romaine de Tite Live, traduite enfranqois par Monsieur Guerin, Ancien Professeur d'Eloquence dans l'Universiti de Paris, La Haye (Jean Neaulme) 2 1740

Guerin hat neben Livius die Annalen des Tacitus übersetzt. Er kritisiert in seinem Vorwort seine Vorgänger Vigenere und DuRyer, [qui] donnent dans un latinisme qui ne convient nullement au genie de notre langue, & sont presque toujours etrangers, pour ainsi dire, dans leur propre pays (Guerin 1740,1, X). Seine Übersetzungsmaxime ist: 55 56

Siehe die Zusammenstellung bei Lancaster (1913, 173-175). Siehe anonymus (1743), Grente (XVI1P, 1960,1, 533).

2.3. Französische Liviusübersetzungen

59

II n'est jamais permis de s'eloigner de I'esprit de son auteur; mais on est souvent force de quitter ses tours pour en prendre qui soient plus conformes au Francois (Guerin 1740,1, XI). Car de toutes les regies, une des plus essentielles, ä mon avis, c'est d'ecrire sans affectation & sans contrainte, de fa^on qu'il paroisse au lecteur que l'ouvrage a ete compose originairement en Francois. Mais pour reussir dans ce travail, il faut encore connoitre ä fond les proprietes des deux langues. (Guerin 1740,1, XII).

Die Umsetzung dieser Überlegungen verleiht seiner Übersetzung eine große Eigenständigkeit und Freiheit gegenüber allen vorhergehenden. Die Ubersetzung erschien zuerst 1738—40 in Paris, die zweite, hier verwendete Auflage 1740/41 in Den Haag. Eine neue, von Cosson überarbeitete Ausgabe erschien 1769/70 wiederum in Paris. 2.3.10. Joseph BRUNET (f 1742/43):57 F7|7

Histoire Romaine de Tite-Live, traduite en Frangois. Avec les Supplements de Freinshemius. Dediee ä Monseigneur le Dauphin. ParM. l'Abbe Brunei,

Paris (Prault, Brocas, Quillau) 1741-42 Brunet war «Docteur en Theologie et Cure de Bernieres, au pays de Caux». Seine Übersetzung entstand etwa gleichzeitig mit derjenigen Guerins, erschien jedoch erst kurz nach ihr. Der anonymus (1743, 956-957) stellt Auszüge aus beiden Übersetzungen einander gegenüber, wobei er Brunet implizit den Vorzug gibt: Quant au style, rien n'est plus aise que d'en sentir tout d'un coup la difference, [...] toute la disproportion qu'il y a d'une Traduction ä l'autre, non-seulement dans le stile, mais encore plus dans le fond & dans ce qui fait l'ame & le beau de Tite-Live.

Cioranesco (XVIIP, 1969,411) fuhrt diese Übersetzung als einziges Werk Brunets an. 2.3.11. Jean-Baptiste Joseph Rene DUREAU DE LAMALLE (1742-1807): 58 F8 lg

Histoire Romaine de Tite-Live, traduction nouvelle par Dureau de Lamalle, de l'Academie Frangaise, traducteur de Tacite et de Salluste; revue parM.

Noel, Paris (Michaud & Nicolle) 1810-12, posthum Dureau de Lamalle war politisch tätig und gehörte 1802 dem Corps legislatif an. Er wurde 1804 in die Academie Franjaise gewählt. Nach dem positiven Echo auf seine Übersetzungen der Werke des Tacitus und des Sallust begann er seine Liviusübersetzung, die er aber nicht mehr vollenden konnte. Sie wurde von seinem Sohn und von Noel überarbeitet und fertiggestellt und erschien posthum 1810, die zweite Auflage 1824. Es ist dies die erste zweisprachige, lateinisch-französische Ausgabe. Bellanger (1891/92, 1-2) äußert sich lobend und gleichzeitig kritisch zu Dureau de Lamalles Übersetzertätigkeit: 57

Siehe anonymus (1743).

58

Siehe Grente (XVIII e , 1960,1, 410). Die erreichbaren Informationen zur Person der Übersetzer sind umso begrenzter, je jünger die Übersetzer und Übersetzungen sind. Entsprechend kürzer und lückenhafter muß hier ihre Vorstellung ausfallen.

60

2. Die Übersetzungen.. C'est que chez Dureau de la Malle il y a deux choses ä distinguer l'une de l'autre: le talent personnel et la methode. Le premier est au-dessus de tous les eloges; la seconde est defectueuse. Elle consiste surtout a remplacer la periphrase par l'equivalence, c'est-ä-dire que, au lieu d'amplifier, elle compense.

Konkret zur posthum erschienenen Liviusübersetzung sagt er (p. 133-134): On y avait bien applaudi une fois de plus le merveilleux Protee [...] tantöt, enfin, doux, abondant et harmonieux lorsqu'il reproduit les periodes nombreuses de Tite-Live. Mais ce travail de deux mains inegales en puissance, ne pouvait, malgre son interet, etre accepte comme definitif. Der von Noel verfaßte Discours preliminaire enthält einige Bemerkungen zu vorausgehenden Übersetzungen, die relativ neutral gehalten sind: II y a peu de choses ä dire des traductions de Tite-Live. Les Italiens estiment beaucoup celle deNardi, [... qui] se recommande par un style elegant, meme long-temps avant que Vigenere fit paraltre chez nous une version aussi lourde qu'infidele, quoiqu'il ne soit pas impossible de lui emprunter quelques tours heureux. Duryer qui la fit oublier, n'a pas tarde a etre oublie ä son tour; et peu de personnes savent que Malherbe a traduit le trente-troisieme livre. [...] La demiere traduction de Tite-Live est de M. Guerin, ancien professeur de l'Universite de Paris. Elle ajoui de quelque reputation. [...] Malgre l'eclat d'un pareil ouvrage, elle etait peu connue, lorsque M. Cosson, professeur de la meme Universite, entreprit de la rajeunir, et parvint ä lui rendre une sorte de vie. Cependant eile laissait encore ä desirer, et ne presentait pas une perfection assez complete pour desesperer ceux qui viendraient apres lui (Dureau de Lamalle 1810/12,1, XXXVI-XL). 2.3.12. A.A.J. LIEZ, N.A. DUBOIS, V. VERGER: F9 l g Histoire Romaine de Tite Live, traduction nouvelle par MM. A.A.J. Liez, Professeur de seconde au College Royale de Louis-le-Grand, N.A. Dubois, Professeur, V. Verger, Ancien professeur d'humaniti, Paris (C.L.F. Panckoucke, Bibliotheque Latine-Franfaise) 1830-33 Die Übersetzung erschien zunächst in der berühmten zweisprachigen Reihe Bibliotheque Latine-Frangaise des Verlegers Panckoucke.59 Der Catalogue General verzeichnet eine weitere Ausgabe fur 1840. 1860-61 erschien das Werk fast unverändert - zumindest soweit es den hier relevanten Textausschnitt betrifft - bei Garnier unter dem neuen Titel Oeuvres completes de Tite-Live avec la traduction frangaise de la collection Panckoucke par MM. Liez, Dubois, Verger et Corpet. Nouvelle edition tres-soigneusement revue parM. E. Pessonneaux, Professeur au Lycee Napoleon, par Μ. Blanchet, Docteur es lettres, Professeur de rhetorique au Lycee de Strasbourg, et M. Charpentier, lnspecteur honoraire de l'Academie de Paris, Agrege de la Faculte des Lettres, et precedie d'une Etude sur Tite-Live parM. Charpentier.

59

Zu seiner Person und seinem Werk siehe Grente (XIX", 1971/72, II, 232). Die Bibliotheque latine-franfaise, die seit 1828 erschien, umfaßt insgesamt 174 Bände. Panckoucke selbst übersetzte die Werke des Tacitus (7 Bde., 1830-1838).

2.3. Französische Liviusübersetzungen

61

2.3.13. Philip LEBAS (1794-1860), Charles NISARD (1808-1889):60 F10,g Oeuvres de Tite-Live (Histoire Romaine) avec la traduction en frangais, publiees sous la direction de Μ. Nisard, professeur d'eloquence latine au College de France, Paris (Dubochet, Le Chevalier / Garnier, Collection des auteurs latins avec la traduction en fran^ais, publies sous la direction de Μ. Nisard) 1838-39,..., 1850, 2 Bde. Die Collection des Auteurs Latins avec la traduction frangaise war ein Konkurrenzunternehmen zur Bibliotheque latine-frangaise von Panckoucke. Der Herausgeber der Reihe (27 Bände, 1838-1850) war Desire Nisard, der ältere Bruder von Charles. Beide, wie auch der jüngste der Brüder, Auguste Nisard, haben eine Reihe von literaturkritischen und literaturgeschichtlichen Werken verfaßt. Lebas gehörte dem Institut de France an. Er übersetzte aus dem Lateinischen, Griechischen und Deutschen (Lessing, Schiller). Zu seinen weiteren Werken gehören Voyage archeologique en Grece et en Asie Mineure, Cours de litterature allemande, Grammaire allemande, Dictionnaire encyclopidique de l'Histoire de France. Laut Bellanger (1891/92, 13) handelt es sich bei der Liviusübersetzung um «l'un des ouvrages les plus mediocres de la collection.» 2.3.14. Maxime GAUCHER: • F l l lg Histoire romaine de Tite Live. Traduction nouvelle, avec une introduction, des notes et une table historique et geographique, par Μ. Gaucher, Professeur de rhetorique au Lycie Bonaparte, Paris (Hachette) 1867 Der Catalogue General verzeichnet weitere Auflagen für 1877, 1894 und 1914. Es ist dies die erste (und einzige) einsprachige Ausgabe im 19. Jahrhundert in Frankreich. Beilanger (1891/92, 134) lobt die Übersetzung: Le Tite-Live de Maxime Gaucher l'emporte sur le precedent, non seulement par l'unite de sa composition et par son exactitude rigoureuse, mais par son style. II ecrit avec une dexterite, avec une elegance, avec une franchise d'allure qui lui donnent tout le charme d'un ouvrage original. [...] il est un des ouvrages les plus distingues de notre temps.

2.3.15. Französische Übersetzungen im 20. Jahrhundert Eugene LASSERRE: F1219

60

Tite-Live, Histoire Romaine. Traduction nouvelle avec une introduction et des notes, par Eugene Lasserre, Agrege des Lettres, Professeur au Lycie Louis-le-Grand, Paris (Garnier) 1934-1943

Neben Lebas und Nisard waren weitere Übersetzer beteiligt, die in der Table des Matieres im ersten Band genannt sind: «HISTOIRE ROMAINE. (La traduction de ce premier volume est de MM. Lebas, de l'Institut, Charles Nisard, Kermoisan, Theophile Baudement, Bouteville; de MM. Boistel, Magin, Paret, Le Prevost, Leudiere, Capelle, professeurs, et de M. Bellaguet, chef du bureau des travaux historiques au ministere de l'instruction publique)». Die Synopse gibt den Text der Ausgabe von 1850 wieder. Diese enthält keine Informationen zur Auflage usw. Siehe auch Grente (XIXe, 1971/72, II, 62 [LeBas], 204-205 [Nisard]).

2. Die Übersetzungen.

62

Es handelt sich um eine zweisprachige Ausgabe, für die der Catalogue General eine weitere Ausgabe für 1958 anfuhrt. Lasserre ist außerdem der Verfasser grammatischsprachdidaktischer Arbeiten. Jean BAYET, Gaston BAILLET: F13 19

Tite-Live, Histoire Romaine. Texte etabli par Jean Bayet, Membre de l'Institut, et traduit par Gaston Baillet. Appendice redige par M. Raymond Bloch, Directeur d'etudes ä l'Ecole pratique des Hautes Etudes, Paris (Les belles Lettres, Collection des Universites de France, publiee sous le patronage de l'Association Guillaume Bude) 1940ff„ '1967

Diese zweisprachige Ausgabe ist die moderne wissenschaftliche Standardausgabe im französischen Sprachraum, mit ausfuhrlicher, wissenschaftlich fundierter Einleitung und reicher Kommentierung. Der Text der Synopse ist derjenige der 9. Auflage von 1967. Gerard WALTER: *F14 19 Historiens remains - Historiens de la Republique I: Tite Live, Salluste. Edition etablie, presentee et annotee par Gärard Walter, Paris (Gallimard, Bibliotheque de la Pleiade) 1968 Die einsprachige Ausgabe enthält vom Werk des Livius die Bücher I bis V und XXI bis XXII sowie eine Zusammenfassung der übrigen. Walter hat u.a. auch eine moderne Ausgabe von Amyots Plutarchübersetzung besorgt (1937, 1951) und moderne linguistische Arbeiten ins Französische übersetzt. 2.3.16. Weitere französische Liviusübersetzungen Über die hier vorgestellten französischen Liviusübersetzungen hinaus gibt es noch weitere, fur deren Existenz wir Hinweise gefunden haben, die wir aber bisher nicht einsehen konnten: - Jacques Bouju, ca. 1550, «ä qui Lucien du Maine attribue une trad, manuscrite des six premiers livres» (Hennebert 1861, 81, Anm. 1). Dalmazzo (1846, II, LXI, Anm. 8) erwähnt ihn als «And. Boviv» oder «Bouiuz»);61 - H. Salenove: Livre I et II de la IV Decade, 1559 (Hennebert 1861, 81, Anm. 1); - J e a n Corbinelli: Les anciens historiens latins reduits en maximes, Paris 1694 (Catalogue General, vol. 190, 309: Tite-Live n° 655-656); - Laurent, Manuskript, nach 1700 (Niceron V, 1728, 181); - Clinchamp und De la Vairie (Dalmazzo 1846, II, LXI, Anm. 8); - M. Perrot, 1964: Titus Maccius Livius, Histoire romaine (livres I-X): De la dure naissance de Rome; les premiers siecles, extraits, Paris: Hatier {Index Translationum 13, 1962, n° 13352 und 19,1966, n° 14764). 61

Vgl. dagegen Monfrin (1964b, 254): «Jacques Bouju commenfa, pour Francois Ier et Henri II, vers 1547-48, une traduction qui en est restee au premier livre.»

2.4. Italienische Liviusübersetzungen

63

2.4.

Italienische Liviusübersetzungen

2.4.1.

Filippo da SANTA CROCE, notaio ad Andrea:62 Übersetzung der I. Dekade (1323)

•Itl 13 Itl'u

Handschrift Riccardiana 1554, Florenz (datiert 1352) Deche di Tito Liuio, vulgare hystoriate, Venezia (Bartholomeo de Zanni) 1511

Die älteste italienische Liviusübersetzung und wohl die älteste überlieferte Liviusübersetzung in einer Volkssprache überhaupt ist diejenige des Phylippo da Santa Croce, notaio ad Andrea, aus dem Jahr 1323. Name und Stand des Übersetzers wie auch das Jahr der Übersetzung gehen aus dem Explizit der Görlitzer Handschrift (jetzt in der Universitätsbibliothek Warschau) hervor.63 Dieser Text nennt nicht nur den Übersetzer, sondern er kann auch als Beleg dafür gelten, daß - was in der Literatur bisher nur vermutet wurde, aber noch nicht allgemein akzeptiert war - diese erste italienische Übersetzung eine vorausgehende, verlorene französische zur Vorlage hatte und nicht - zumindest nicht primär - den lateinischen Text.64 Der Text zeichnet sich dementsprechend durch eine relativ große Zahl von Gallizismen aus, die bis hin zur Übernahme kurzer französischer Passagen reichen.65 Diese wurden allerdings im Verlauf der zahlreichen Überarbeitungen des Textes immer mehr durch italienische Ausdrücke und Wendungen ersetzt.

62

63

64

65

Siehe Hain (1826-38, n° 10144-10149), Dalmazzo (1845/46), Maggini (1952 [= 1916]), Catalogue General (Bd. 190, 1964, 251-253: Livius n° 229-237), Lippi (1979, 139-144), Stein (1997). S.o. p. 47f. Dort ist der entsprechenden Abschnitt im Zusammenhang mit der Diskussion um die verlorene anonyme französische Übersetzung zitiert. Casella (1961, 77) zitiert einen weiteren Beleg für die Existenz der französischen Vorlage aus dem Kodex Canoniciano italiano 146 der Bodleian Library in Oxford: «Ii quali X. libri sono correcti per mano di colui che gli traslatoe di francescho in volgare fiorentino». Obwohl diese Textpassage bereits von Strove (1836) publiziert worden war (vgl. auch Samaran/Monfnn 1962, 364, Anm. 1), scheint sie in der Forschung, besonders in Italien, kaum beachtet worden zu sein. So kann man z.B. bei Billanovich (1953, 334) lesen: «Le condizioni in cui fii eseguito il volgarizzamento della Prima Decade sono ancora completamente oscure. nessunapropostaestataformulataperidentificarel'autorediquestaversione, ...».Erergänzt dazu in einer Anmerkung: «Si e solo accettato che, perche essa contiene alcuni termini francesi, sia stata eseguita, non dal testo latino, ma da una versione francese che sarebbe stata andata perduta senza lasciare altra traccia [...] Mi pare strano che non si siano immaginate e saggiate altre ipotesi piü facili: p. es. che la I Decade sia stata tradotta da un italiano vissuto in Francia.» Eine Zuordnung zu Vilani, wie sie z.B. Messner (1971Ms) versucht, ist sicher nicht haltbar, sowohl wegen der Nennung Santa Croces in der Görlitzer Handschrift als auch durch eine Reihe weiterer Gründe. Zu den Gallizismen in den Kapiteln 1-14 des ersten Buchs der ersten Dekade siehe Stein (1997). Weitere Beispiele aus dem gesamten Text in Dalmazzo (1846, II, LXV-LXX) und Maggini (1952, 60-62).

2. Die Übersetzungen.

64

Der Text war recht erfolgreich, wofür sowohl die Zahl der Handschriften als auch seit 1476 die Zahl der Drucke stehen. Casella (1961, 124-126) fuhrt 32 Handschriften an, wohingegen Dalmazzo (1845,1, XII, Anm. 6) nur 21 66 genannt hatte, die jedoch untereinander deutliche Unterschiede aufweisen. Dalmazzo (1846, II, LVIII) teilt diese in zwei Familien ein, eine ältere, aus zwei Handschriften bestehend, zu denen auch Riccardiana 1554 gehört, und eine jüngere, immer wieder überarbeitete und gereinigte, zu der die übrigen Handschriften gehören. Diese jüngeren Handschriften sind Grundlage für die 1476 beginnende Drucktradition. Dalmazzo (1845/46) hat eine von ihnen, die Turiner Handschrift, als Basisversion für seine kritische und reich kommentierte Ausgabe gewählt. 67 Die Drucktradition dieses italienischen Volgarizzamento beginnt nicht nur früher (1476) als die der französischen Übersetzung Bersuires (1485/86), sondern sie kennt auch deutlich mehr Ausgaben: Sechs Inkunablen aus der Zeit vor 1500: Rom 1476 («appresso al Palatio di San Marco»), Venedig 1478 (Antonio da Bologna), Venedig 1481 (Octavio Scoto), Venedig 1485 (Bartholomeo de Alexandria & Andrea de Asula), Venedig 1490 (Bartolomeo de Zanni), 68 Venedig 1493 (Zovane Vercellese), und drei weitere Drucke bald nach 1500: Venedig 1502 (Bartholameo de Zanni), Venedig 1511 (Bartholomeo de Zanni [Itl' 15 ]) und Venedig 1535 (Vettor di Ravani).Während sich die Handschriftentradition auf die I. Dekade beschränkt, vereinigen die Drucke von Beginn an die Übersetzung der I. Dekade mit der Übersetzung der III. und IV. Dekade durch Boccaccio.

2.4.2.

Giovanni BOCCACCIO (1313-1375): 69 Volgarizzamento der III. und IV. Dekade (ca. 1338/1346)

Die Übersetzerschaft Boccaccios für diese beiden anonym überlieferten Dekaden wurde trotz entsprechender Hinweise bereits im 16. Jahrhundert lange Zeit nur vermutet 70 und erst von Billanovich und Casella überzeugend nachgewiesen. 71 Der lateinische Text, nach dem Boccaccio übersetzte, war der von Petrarca überarbeitete. Die Anzahl 66

67

68 69

70

71

Zu etwas abweichenden Zahlen kommt man nach Dalmazzo (1846, II, LVIII) und Maggini (1952, 57-58 [=1916]). Kurz vor Dalmazzos Ausgabe der I. Dekade waren bereits die ersten Bände der sechsbändigen Ausgabe der I., III. und IV. Dekade (die letzten beiden in der Übersetzung Boccaccios) durch F. Pizzorno (1842-1849) erschienen. Im Catalogue General wie auch bei Lippi (1979) ist diese Ausgabe nicht erwähnt. Siehe Pizzorno (1846), Maggini (1952 [=1916]), Schiaffini (1932), Billanovich (1953), Casella (1961), Lippi (1977/78), (1979). Vgl. z.B. Maggini (1952) zur Übersetzung der III. Dekade: «Io non oserei affermare [...] che l'autore sia Boccaccio; ma fu sicuramente qualcuno con tendenze umanistiche, che, nel suo amore per l'antichitä, teme di commettere quasi una profanazione usando il solito volgare delle femminette» (78-79), und zur Übersetzung der IV. Dekade: «... ed io, pur non affermando recisamente l'identificazione, la credo molto probabile. Ε se non altro, quali argomenti sen si possono addurre in contrario?» (83). Siehe z.B. Billanovich (1953), (1981), Casella (1961).

65

2.4. Italienische Liviusübersetzungen

der überlieferten Handschriften ist geringer als fur die I. Dekade, mit der zusammen Boccaccios Text gedruckt wurde. Lippi (1977/78) und (1979) beschreibt 18 Handschriften der III. und 13 der IV. Dekade, während Casella (1961, 126-129) 16 und 10, dazu 7 wohl verlorene Handschriften anfuhrt. Nach der Neuausgabe der drei Dekaden durch Pizzorno (1842-1849) wurden die ersten vier Bücher der III. Dekade 1875-76 erneut in der Reihe Scelta di curiositä letterarie inedite ο rare dal secolo XIII al XVII

von C. Baudi di Vesme herausgegeben (Nachdruck 1968). 2.4.3.

Iacopo NARDI (1476—1563):72

*It2 15

Le Deche di T. Livio Padovano delle Historie Romane, Tradotte nella lingua Toscana, da Iacopo Nardi cittadino Fiorentino, & nuouamente dal medesimo riuedute & emendate, con le postille parimente accresciute nelle margini del libro, che dichiarano molti uocaboli delle cose uecchie, piu degne di cognitione: & molti nomi dipaesi, & citta.fiumi, monti, & luoghi, illustrati co nomi modemi. Et appresso, la ualuta delle monete Romane, ridotta al pregio di quelle de tempi nostri: insieme con la dichiaratione di tutte le misure, quanto e stato necessario aliapiena intelligenza dell'autore. Venetia

(Luc. Antonio Giunti, Heredi)21547 ('1540) It2' 17

Le Deche di Tito Livio Padovano delle Istorie Romane, Tradotte nella lingua Toscana da M. Jacopo Nardi cittadino Fiorentino Ε rivedute, corrette, ed accresciute da M. Francesco Turchi, Trevigiano, col Supplemente della seconda Deca, che manca alle Istorie medesime. Dippiü le Tavole de' Re, Consoli, Tribuni militari, Dittatori ec. Una dichiarazione di molti vocaboli Toscani, dal Traduttore in diversi luoghi usati, ed un indice copiosissimo,

Milano (Andrea Mainardi) 1799 Nardis Übersetzung kannte bereits kurz nach ihrem Erscheinen zahlreiche neue Drucke und überarbeitete Neuausgaben, denen bis in die neuere Zeit weitere folgten: 1540, 1547 (*It2 ls ), 1554, 1562, 1567, 1575, 1586, 1681, 1734, 1774, 1799 (It2' n ), 1824; 1925, 1964.73 Nach Nardis Tod erscheint ab der Ausgabe von 1575 Turchi als Überarbeiter mit im Titel. Nardi stammte aus einer adligen Florentiner Familie und hatte einige Staatsämter inne, bevor er nach dem Sturz der Medici 1527 wie diese verbannt wurde. Er ging nach Venedig, wo er 1563 starb. Zu seinen literarischen Werken zählen zwei Komödien, einige canti camascialeschi,

die Vita d'Antonio Giacomini und die Istorie

della

cittä di Firenze zwischen 1494 und 1532. Neben den Dekaden des Livius übersetzte er noch Ciceros Pro M. Marcello. In einem Vorwort A' Lettori äußert er sich zur Questione della lingua und stellt

fest, daß es ihm in seiner Übersetzung weniger um Anlehnung an den lateinischen Text als um eine Wiedergabe in der italienischen Sprache seiner Zeit geht: 72

Siehe Bianchi (1964).

73

Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

2. Die Übersetzungen.

66

Quanta alia lingua, non mi e paruto douer essere superstitioso osservatore di tutte le uoci, & modi di parlare de nostri antichi authori: ma mi sono astenuto da quelle cose, lequali sono hoggi interamente disusate: & cosi le meno usate, ho usato meno [...] Laquale deue piu tosto essere nostra intentione, oltra il conseruare in uso quei che ui sono buoni, di ampliare, & arricchire di nuoui uocaboli. [...] & percio habbiamo noi, senza differenza, usato le nuoue uoci, che hoggi si parlano: [...] & non habbiamo preposto ä quelle le antiche, come migliori.

Ein Vergleich der Ausgaben von 1547, 1799 und 1964 zeigt, daß diese sich lediglich durch Modernisierungen der Orthographie und einiger morphologischer und syntaktischer Formen unterscheiden. Ein mehr als 400 Jahre alter Text ist folglich für einen Italiener auch heute noch ohne größere Überarbeitung verständlich, eine Situation, die das Italienische von vielen anderen, nicht nur romanischen Sprachen unterscheidet.

2.4.4. It315

Francesco SANSOVINO (1521-1586): 74 Delle Historie de Romani dall'edificatione della cittä libri 35, tradotte da Francesco Sansovino, Venetia 1567

Sansovino stammte aus einer wohlhabenden und künstlerisch begabten Familie (sein Vater war ein bekannter Architekt und Bildhauer). Er ist der Verfasser zahlreicher literarischer, wissenschaftlicher und philologischer Werke, darunter Ausgaben und Kommentare der Werke Boccaccios, Dantes und Bembos, sowie einer Ortografia delle Voci della lingua Italiana, ο vero Dizionario volgare e Latino (Venezia 1568). Unter den 52 Werken, die Niceron (1733) von ihm anfuhrt, fehlt die Liviusübersetzung. Diese wird von Dalmazzo (1845,1, X, Anm. 1) wie folgt charakterisiert: ... nulla ha di buono, se non quanto rubö francamente al Nardi, e ben a ragione cadde in tanta dimenticanza che neppure il Gamba nella turba soverchiante de' suoi testi di lingua, si degnö di farne menzione.

2.4.5. It4 18

C. Luigi MABIL: La Storia romana di Tito Livio, coi supplementi del Freinsemio, tradotta dal C. Luigi Mabil, col testo α fronte, Brescia (Bettoni) 1804-1818

Es ist dies nach Meinung Mabils die erste italienische Übersetzung seit Nardi, von dem j a kurz vorher (1799) eine neue Ausgabe erschienen war; Sansovinos Übersetzung war Mabil folglich nicht bekannt. Es ist außerdem die erste zweisprachige italienische Ausgabe. Dalmazzo (1845,1, X, Anm.l) beurteilt sie ebenfalls negativ: «L'italogallo Mabil per gusto e per lingua e di tal rozzita, che t'offende.» 2.4.6.

Italienische Übersetzungen im 20. Jahrhundert

Für neue Übersetzungen von Titus Livius' Werk scheint nach Nardi (und Sansovino) im 17., 18. und 19. Jahrhundert in Italien kein Interesse bestanden zu haben. Erst 1886 erschien eine neue, anonyme Übersetzung mit dem Titel Storia Romana di Tito Livio 74

Siehe Niceron (Bd. XXII, 1733, 76-91).

2.4. Italienische Liviusübersetzungen

67

(Milano, Sonzogno).75 In unserem Jahrhundert kommt es zu einer deutlichen Steigerung des Interesses, die zu mehreren Übersetzungen in ein- und zweisprachigen Ausgaben gefuhrt hat. Fünf dieser Übersetzungen, die alle noch im Buchhandel verfugbar sind, wurden in die Synopse aufgenommen.76 Guido VIT ALI (geb. 1881): It5 19

Tito Livio, Storia di Roma. Testo latino e versione di Guido Vitali, Bologna

(Zanichelli) 1984 ('1952) Die vorliegende zweisprachige Ausgabe erschien zuerst 1952 und erfuhr seitdem eine Reihe von Neuauflagen, bis hin zu der von uns benutzten von 1984. Der Text der Ausgabe von 1984 scheint nach einem Stichprobenvergleich mit dem von Messner (1971Ms) abgedruckten Ausschnitt mit dem der Ausgabe von 1954 identisch zu sein. Remo MALABOTI: It6 19

Tito Livio, Storia romana, libro primo. Introduzione e traduzione di Remo

Malaboti, Milano (Signorelli, Biblioteca di letterature) 1970 Die einsprachige Ausgabe ist in einer kleinformatigen Taschenbuchausgabe erschienen. Es handelt sich um den unveränderten Nachdruck einer vorhergehenden Auflage. Weder das Jahr der Erstausgabe, noch die Zahl der Auflage sind angegeben; Hinweise auf die Existenz weiterer Liviusübersetzungen in der gleichen Reihe fehlen. [Anonym, Societä Editrice Dante Alighieri]: It7 19

Tito Livio, Storia di Roma, Libro I. Costruzione, versione letterale e argo-

menti, Roma (Societä Editrice Dante Alighieri) 181984 Weder der Übersetzer noch das Jahr der Ersterscheinung sind genannt. Die italienische Übersetzimg ist dem lateinischen Text als Interlinearversion beigefugt, wobei aber, mit Blick auf eine korrekte italienische Satzkonstruktion, die Wortstellung des lateinischen Textes teilweise verändert und dem Italienischen angepaßt ist. Antonio TAGLIERI: It8 19

Tito Livio, Ab Urbe condita, libro primo. Introduzione, costruzione diretta, traduzione interlineare, riassunti e note a cura del Prof. Antonio Taglieri,

Roma (Ciranna) 1972 Diese Ausgabe entspricht in ihrer Aufmachung und Methode der vorausgehenden. Auch sie hat die lateinische Wortstellung zum Teil zugunsten der italienischen geändert. Es ist nicht ersichtlich, ob es sich um eine Erstausgabe, einen Nachdruck oder eine Neuauflage handelt. 75

76

Diese Übersetzung war uns nicht zugänglich, ebenso wie einige weitere, die in der Folge zwar aufgeführt werden, in der Synopse aber nicht vertreten sind. Bei den benutzten Ausgaben handelt es sich zumeist um spätere Auflagen, in denen bibliographische Angaben zu Erstauflage und Erscheinungsjahr oft fehlen. Die Reihenfolge in der Synopse kann deswegen von der zeitlichen Abfolge ihrer Entstehung abweichen.

2. Die Übersetzungen.

68

*It9 19

Mario SCANDOLA: Tito Livio, Storia di Roma dalla suafondazione, con saggio di Ronald Dyme, introduzione e note di Claudio Moreschini, traduzione di Mario Scandola. Testo latino α fronte, Milano (Rizzoli, BUR, L 365) 1982

Es handelt sich um die «prima edizione con nuova introduzione e testo latino a fronte». Das Copyright bezieht sich demzufolge wohl auf eine ursprünglich einsprachige italienische Ausgabe aus dem Jahr 1963. Es handelt sich um die neben der Vitali-Übersetzung wissenschaftlich anspruchsvollste neuere italienische Liviusübersetzung. Es gibt weitere italienische Liviusübersetzungen im 20. Jahrhundert, die jedoch für eine Aufnahme in die Synopse nicht zur Verfügung standen. Die folgende Zusammenstellung enthält diejenigen des 1. Buchs der I. Dekade, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ob es sich jeweils um Neuübersetzungen, Überarbeitungen bereits vorhandener oder nur um Neuauflagen handelt, konnte nicht überprüft werden: - Emilio Bodrero: Tito Livio, Le Deche della storia Romana, (lat. e ital.), Milano 1928 - a n o n . : Titus Livius, Storia Romana. Con cenni sulVautore, Milano (Sonzogno) 1933-37, 5 Bde. 77 - Vittoria d'Agostino: Titus Livius, Storia Romana, libro I, Modena (Modense) 1935 - Raffaele Fimiani: Storia Romana, Milano (Signorelli) 1938 - Luciano Perelli: Titus Livius, La prima deca, Torino (UTET) 1953 - Gianfranco Maddoli: T. Livius: Livio e le origini di Roma, Torino (Loescher) 1972 - Luciano Perelli: T. Livius, Storie I, Libril-V, Torino (UTET) 1974. 78

2.5.

Spanische Liviusübersetzungen 79

2.5.1.

Pero LOPEZ de AYALA (1332-1406): 80 Las Decadas de Tito Livio (ca. 1396-1401 [Datum der Widmung])

S1 14

Text des manuscrito A, ms. g-I-I der Biblioteca de San Lorenzo de El Escorial nach der Ausgabe von Wittlin ([1983]): Pero Lopez de Ayala, Las Decadas de Tito Livio. Ediciön critica de los libros I α III con introduccion y notas por Curt J. Wittlin, Barcelona (Puvill, Biblioteca Universitaria Puvill III: Textos literarios, 6) 1982, 2 Bde. 81

77

79 80

81

Möglicherweise eine Neuauflage der anonymen Übersetzung von 1886 im gleichen Verlag. Quellen für die Angaben sind (in der Reihenfolge der Titel): National Union Catalogue (Bd. 336, 666 und 658), Index Translatiomim 26 (1938), n° 783; 18 (1936), n° 896; 26 (1938), n° 784; Nouv. Serie 6 (1954), n° 9964; 26 (1973), n° 26428; 28 (1975), n° ITA 1741. Zu Geschichte und Einfluß von Livius' Werk in Spanien siehe Recio (1952a). Siehe Floranes (1851/52), Menendez-Pelayo (1952, II, 345-359), Branciforti (1962), Suärez Fernandez (1962), Fornera (1970), Garcia (1983), Wittlin ([1983]), Gier (1986). Wittlin (1970, 28-75) gibt in der synoptischen Zusammenstellung der Kap. 1-9 des 1. Buchs der I. Dekade den Text des Ms. 10802 der Biblioteca Nacional in Madrid wieder.

2.5. Spanische Liviusübersetzungen

69

Pero Lopez de Ayala, el Gran Canciller, dessen Vorfahren in enger Beziehung zum spanischen Königshof standen, kam bald nach seiner Geburt nach Avignon, wo er in der Obhut seines Onkels, des Kardinals Don Pedro Gomez Barroso, aufwuchs und wo er neben Latein auch Französisch lernte. Vermutlich erhielt er hier erste Kenntnisse von den Schriften des Livius und begegnete vielleicht auch Petrarca und Bersuire. 1345 kehrte er nach Spanien zurück, wo er als Page und Diener am Königshof seine bewegte politische Laufbahn begann, die ihn als Diplomat und Botschafter auch mehrfach zurück nach Frankreich führte. 1398 wurde er von Enrique III zum «Canciller mayor del reino» ernannt. Neben seiner politischen Tätigkeit fand Pero Lopez de Ayala Zeit für ein umfangreiches literarisches Werk (Rimado del Palacio, Libro de la caza de las aves und vor allem die Crönicas), zu dem auch seine Liviusübersetzung gehört. Er begann mit der Übersetzung vermutlich 1396, nach Abschluß der Crönicas; die Widmung trägt das Datum von 23. März 1401. In dieser Widmung bringt er zum Ausdruck, daß er als erster das Werk des Livius nach Spanien gebracht und ins Spanische übersetzt hat: . . . el qual libro yazia ascondido e nuncajamäs fue traydo nin leydo en los vuestros regnos. (Wittlin [1983], 217). Lopez de Ayalas Liviusübersetzung steht in der Tradition Bersuires,82 er benutzte als Vorlage für seine Arbeit eine Handschrift von dessen französischer Übersetzung, die er wohl während einer seiner diplomatischen Reisen in Paris oder Avignon erwerben konnte. Ob ihm auch ein lateinischer Text zur Verfugung stand, ist unsicher, da bisher keine Dokumente bekannt sind, die auf die Existenz einer lateinischen Liviushandschrift in dieser Zeit im spanischen Sprachraum hinweisen.83 Wittlin ([1983], 91) vermutet jedoch, daß ihm auch eine lateinische Handschrift zur Verfugung stand: M e parece que Ayala leyö de vez en cuando el capitulo latino correspondiente al pasaje que estaba traduciendo del frances, no con la intencion de criticar a Bersuire, sino para procurarse un placer estetico y para perfeccionar sus conocimientos de la lengua original de Livio.

Von der Übersetzung Lopez de Ayalas sind 16 Handschriften überliefert, die jeweils eine Dekade enthalten: fünf Handschriften der I. Dekade, sieben der III. und vier der IV.84 Wittlin ([1983]) hat für seine Ausgabe der Bücher 1 bis 3 der I. Dekade als Basistext die älteste, aus dem Jahr 1401 stammende Handschrift Α verwendet, die sich jetzt in der Real Biblioteca de San Lorenzo del Escorial befindet, daneben vor allem 82

S.o. p. 48ff Es ist nicht die einzige spanische Übersetzung eines klassischen Autors aus zweiter Hand. Briesemeister (1980, 508, Anm. 26) fuhrt weitere Fälle aus dem 15. Jahrhundert an.

83

Vgl. Fomera (1970, 136-137). Hierzu paßt auch, daß alle von Menendez-Pelayo (1951, VII, 47-50) angeführten lateinischen Handschriften in spanischen Bibliotheken aus dem 15. Jahrhundert stammen. Nicht haltbar ist die Position, daß Ayala auch die anonyme katalanische Übersetzung neben dem französischen Text Bersuires benutzt habe, denn diese Übersetzung ist erst nach deijenigen Ayalas entstanden; vgl. dazu im Folgenden p. 73f.

84

Eine vollständige Zusammenstellung und Zuordnung der Handschriften findet man bei Wittlin ([1983], I, 183-203). Fornera (1970, 140-141) nennt dagegen nur die Zahl von 14 Handschriften, gestützt auf Branciforti (1962, 309-313).

2. Die

70

Übersetzungen..

Β aus dem Jahr 1458, jetzt in der Biblioteca Nacional de Madrid. Graphie und Zeichensetzung sind in der Ausgabe nach modernen Gesichtspunkten vereinheitlicht, ansonsten hat Wittlin sich bemüht, dem Text seinen ursprünglichen Charakter zu belassen.85 Es ist dies die erste moderne, kritische Ausgabe einer der frühen romanischen Liviusübersetzungen, die auch eine ausführliche Einleitung und Ausführungen zur gesamten Thematik umfaßt. 2.5.2.

Rodrigo Alonso de PIMENTEL: Resumen der Übersetzung Pero Lopez de Ayalas (1439)86

Das Resumen, das Rodrigo Alonso Pimentel, conte de Benavente y Almirante de Castilla von der Übersetzung Lopez de Ayalas angefertigt hat, ist in vier Handschriften und drei Drucken (Salamanca 1497, Burgos 1505 und Toledo 1516) anonym ohne Angabe des Übersetzers überliefert. Bis zur Präzisierung durch Wittlin ([1983])87 galten die Drucke als die Übersetzung Lopez de Ayalas,88 denn gerade zu Anfang ist der Text gegenüber dessen Übersetzung nur unwesentlich verändert bzw. gekürzt, so daß dieser Schluß nahelag. Die Eingriffe und Kürzungen Pimenteis nehmen allerdings im Verlauf des Textes immer mehr zu. 2.5.3. S2 15

Pedro de la VEGA: Las quatorze decadas de Tito Livio Hystoriador de los Romanos: transladadas agora nuevamente de latin en nuestra lengua Castellana. La primera, tercera y quarta enteras segun en latin se hallan: y las otras onze segun la abreviacion de Lucio floro, (^aragofa (George Coci) 152089

Pedro de la Vega war Prior von Santa Engracia in Zaragoza und General de la Orden de San Jerönimo. Er kannte die Übersetzung Lopez de Ayalas,90 hat sie aber nicht als direkte Vorlage benutzt.91 Die Einleitung seiner Übersetzung enthält eine Liste de los nombres de las dignidades & officios y lugares propios de que usaban los romanos 85

86

87

88

89

90 91

Neben der allgemeinen Einführung enthält Wittlins Ausgabe auch eine Untersuchung zur Sprache Lopez de Ayalas (I, 88-163) und umfangreiche Anmerkungen zum Text. Wittlin (1970, 78-80) gibt den Text der Kap. 1-4 des 1. Buchs der I. Dekade der Handschrift 10803 der Biblioteca Nacional in Madrid wieder. Schiff (1905, 98-99) beschreibt die dortige Handschrift KK-1S und zitiert deren Vorwort, in dem sich Pimentel als Bearbeiter selbst nennt und das Jahr 1439 angibt. Diese Angabe ist vielleicht ein Grund dafür, daß die spanische Übersetzung z.T. für jünger als die katalanische gehalten wurde. Siehe Wittlin ([1983], 168-172), der als erster die Arbeit Pimenteis von derjenigen Ayalas abgrenzt. So Hain (1826-38, Bd. 3, 273-274, n° 10150), Menendez Pelayo (1951, VII, 51-52; 1952, IV, 356-357). Menendez-Pelayo (1952, II, 27) nennt 1509 als Erscheinungsjahr einer früheren Auflage, wofür wir aber keine weiteren Hinweise gefunden haben. Vgl. im Titel der Übersetzung die Angabe «nuevamente transladadas». Vgl. Wittlin ([1983], 175).

2.5. Spanische Liviusübersetzungen

71

con sus declaraciones. Diese Liste erinnert an die Wortliste Bersuires, zeigt aber sowohl in der Auswahl der Begriffe als auch in den wesentlich kürzeren Definitionen kaum Übereinstimmungen mit ihr. Der Text selbst enthält gegenüber der Übersetzung Lopez de Ayalas wie auch gegenüber seiner Überarbeitung durch Francisco de Enzinas einige Lücken, die auf unterschiedliche Vorlagen schließen lassen. Für einige Adiciones, so z.B. am Ende von Kap. XVI und in Kap. XXI, liefert der lateinische Text keine Vorlage.

2.5.4. *S2'| 5

Francisco de ENZINAS (1520-1552): 92 Todas las Decadas de Tito Livio Paduano, que hasta alpresente se hallaron y fueron impressas en Latin, traduzidas en Romange Castellano, agora nueuamente reconosfidas y emendadas, y ahadidas de mas libros sobre la vieja traslagion, Anuers (Arnaldo Byrcman)93 1 5 5 2

Enzinas war ein spanischer Protestant und Humanist, der sich aus Angst vor Verfolgungen verschiedene Pseudonyme zulegte, von denen vor allem Dryander bekannt ist. Er studierte unter anderem in Löwen und Wittenberg, wo er im Haus Melanchthons wohnte. Auf dessen Anregung hin übersetzte er das Neue Testament ins Spanische. Dies wurde 1543 in Antwerpen gedruckt, versehen mit einer Widmung an Karl V., der es jedoch zurückwies. Enzinas wurde eingekerkert, konnte aber 1545 nach Wittenberg fliehen. Danach finden wir ihn in Straßburg, verschiedenen Orten der Schweiz sowie in Cambridge, wo er 1548 einen Lehrstuhl fur Griechisch erhielt, den er nach zwei Jahren wieder aufgab. Er starb Ende 1552 in Straßburg, nachdem er zuvor noch Calvin in Genf besucht hatte. Von Enzinas erschienen zwischen 1547 und 1551 in Straßburg mehrere spanische Übersetzungen aus den Vitae parallelae des Plutarch sowie 1550 das Compendium von Lucius Florus. Das Werk des Livius übersetzte Enzinas nicht neu, sondern er überarbeitete den Text Pedro de la Vegas, füllte die meisten Lücken in dessen Übersetzung auf und erweiterte sie um die erst 1531 neu aufgefundenen und in der Basler Ausgabe von 1531 zum ersten Mal gedruckten Bücher 41—45 (Buch 1-5 der V. Dekade). Er übernahm von de la Vega auch die Adiciones und die Wortliste, setzte sie aber ans Ende seiner Ausgabe. Wittlin ([1983], 179) erwähnt eine neue, vielleicht zweisprachige Ausgabe der I. Dekade (Brüssel 1765), sowie eine funfbändige Neuausgabe durch die Imprenta Nacional aus den Jahren 1793-96, die Enzinas' Text ohne Änderung wiedergebe.94

92

Siehe Boehmer (1874), Menendez-Pelayo (1951, VII, 52-54 und 1952, II, 16-28).

93

Die häufigere Schreibweise ist «Arnold(o) Birckmann(o)».

94

Wittlin ([1983], 181, Anm. 1) weist auf zwei weitere Übersetzungsprojekte hin, die bei Bover (1868) erwähnt sind, die aber seiner Kenntnis und Vermutung nach nicht bis zur Veröffentlichung einer Übersetzung gefuhrt haben. Nicolas Pignatelli, einer der beiden Übersetzer, wird auch bei Menendez-Pelayo (1951, VII, 54) mit der Jahresangabe 1782 und unter Berufung auf Bover genannt.

2. Die Übersetzungen..

72 2.5.5. *S3lg

D. Francisco NAVARRO y CALVO: Dicadas de la Historia Romana por Tito Livio, traducidas del Latin al Castellano por D. Francisco Navarro y Calvo, canönigo de la Metropolitana de Granada, Madrid (Libreria de la viuda de Hernando, Biblioteca cläsica CXI) 1888/89

D. Francisco Navarro y Calvo war Stiftsherr (canönigo) in Granada. Seine Übersetzung ist die erste moderne spanische Liviusübersetzung; sie erschien 1914-17 in zweiter Auflage, und dann erneut 1944 in Buenos Aires und 1976 ( 2 1982) in Mexico, herausgegeben, ohne Nennung des Übersetzers, von Francisco Montes de Oca.95 Neben dem lateinischen Text hat Navarro y Calvo fur seine Arbeit auch die französische Übersetzung von Le Bas, Nisard et al. aus dem Jahr 1838/39 (F1018) benutzt, zahlreiche Passagen der Übersetzung zeigen Ähnlichkeiten mit diesem französischen Text.96 2.5.6. S419

Spanische Übersetzungen des 20. Jahrhunderts Agustin MILLARES CARLO: Obras completas de Tito Livio: Desde la fundaciön de Roma / - / / . Version espanolay notas por Agustin Miliares Carlo, Mexico (Imprenta Universitaria) 1955

Von dieser zweisprachigen Gesamtausgabe der Werke des Livius ist offensichtlich bisher nur der erste Band erschienen. Die Übersetzung ist die erste, die in einem romanischsprachigen Land außerhalb Europas vorbereitet und herausgegeben wurde. Die folgenden beiden Übersetzungen haben wir erst nach Abschluß der Arbeit gefunden. Sie konnten zwar noch in die Synopse aufgenommen werden, ein nachträgliches Einbeziehen in die Textanalyse war jedoch nur in Ausnahmefällen möglich:

S5 je,

Antonio FONTÄN: Tito Livio, Historia de Roma desde la fundaciön de la Ciudad (Ab urbe condita), Libros Iy II. Texto revisado, traducciön, introducciön y notas por Antonio Fontän, catedrätico de filologia latina de la Univerdisad complutense, Madrid (Consejo Superior de Investigaciones Cientificas) 1987

Eine zweisprachige Ausgabe mit ausfuhrlicher wissenschaftlicher Einleitung zu Livius und seinem Werk, sowie zur Texttradition in Spanien. Die Einleitung wiederholt und resümiert das bereits Bekannte. Zum Sprache der Übersetzung heißt es (p. CXXIII):

95

96

Diese Ausgabe, Tito Livio. Historia Romana, Primera Decada. Estudio preliminar de Francisco Montes de Oca, Mexico (Pornla, Sepan cuantos ... 304) 21982 liegt dem Text der Synopse zugrunde. Der Index Translationum 23 (1970) fuhrt unter der n° 28817a eine Liviusübersetzung eines Francisco Navarro auf, bei der es sich vermutlich um die vorausgehende Auflage handelt.

2.6. Die anonyme katalanische Liviusüberselzung

73

He intentado ajustarme con rigurosa fidelidad al original, incluso hasta en el orden de las palabras, sintagmas y expresiones cuando he podido hacerlo en un castellano correcto. En numerosos pasajes he pretendido que la traduction espafiola refleje la alternancia entre las formas de preterito y los presentes historicos, comprendidos los infinitivos, que son tan caracteristicos del estilo del autor.

S6 19

Maurilio PEREZ GONZALEZ: Tito Livio, Los origenes de Roma. Ediciön de Maurilio Pirez Gonzalez, Profesor titular de LJniversidad de Lengua y Literatura Latinas, Madrid (Akal, Clasica 24) 1989

Eine einsprachige Taschenbuchausgabe der Bücher I-V mit ausführlicher Einleitung zu Livius und seinem Werk. Zu seiner Übersetzung stellt Perez Gonzalez fest (p. 62): Nosotros hemos procurado conservar en lo posible la estructura original, siempre que ello no forzase excesivamente la estructura de nuestra lengua. En realidad, tal objetivo lo hemos perseguido en todo momento. Es gibt weitere spanische Liviusübersetzungen im 20. Jahrhundert, die jedoch fur eine Aufnahme in die Synopse nicht zur Verfugung standen. Die folgenden enthalten das 1. Buch der I. Dekade:97 - J.M. Ruano: [Una ediciön bilingue de los libros 1 a 10], Barcelona 1931 - V.G. Herrero Llorente: La monarquia romana [1. Buch der I. Dekade], Madrid 1963, 2 1969 - Antonio Llerena: T. Livius, Ab urbe condita (libro I), Barcelona (Bosch) 1974. 98

2.6.

D i e anonyme katalanische Liviusübersetzung (vor 1 4 3 8 ) "

K 14

Handschrift Harley 4893 des British Museum, London

Ebenso wie das Spanische kennt auch das Katalanische in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine auf der französischen Übersetzung Bersuires basierende Liviusübersetzung. Sie umfaßt die Bücher 1 bis 7 der I. Dekade und ist anonym überliefert. Bisher ist nur eine Handschrift {Harley 4893 des British Museum in London) bekannt. Die Übersetzung wurde lange Guillem de Copons zugeschrieben, was aber Wittlin 97

98

99

Quelle fur die ersten drei Titel ist Wittlin ([1983], 182, Anm. 2-4), für den letzten der Index Translationum (N.S. 27, 1974, n° ESP 3639). Wittlin gibt an der genannten Stelle auch Hinweise auf weitere Übersetzungen aus dem 19. Jahrhundert, die jedoch alle nicht das 1. Buch der I. Dekade umfassen. T. de la A. Recio: Pasajes selectos... (Barcelona 1952) enthält aus dem 1. Buch der I. Dekade nur die Kapitel 55 bis 60. Es gibt eine ebenfalls 1974 erschienene kommentierte lateinische Ausgabe aus der Collecion BOSCH de textos cläsicos latinos, hgg. von Antonio Llerena Rodriguez und Maria Dolores Rodriguez Seijas. Da auf unsere Bestellung hin diese geliefert wurde, besteht die Möglichkeit, daß die Ausgabe des lateinischen Textes irrtümlicherweise als Übersetzung in den Index Translationum aufgenommen wurde. Siehe Wittlin (1963/68), (1970, Xlf), ([1983], 45-50).

2. Die

74

Übersetzungen.

(1963/68,285f.) nach einem Vergleich mit Copons Übersetzung von Brunetto Latinis Tresor zurückweist. Die Übersetzung folgt ihrer französischen Vorlage sehr eng. «La versiö catalana heretä totes les qualitats i tots els defectes de la traduccio de Bersuire, i en mostra integralment les particulatats» (Wittlin 1963/68, 279f.). Der Text ist bisher bis auf die Ausschnitte in Wittlin (1963/68, 310-313: 1. Buch, Kap. 11,5-13,5) und Wittlin (1970,28-74: 1. Buch, Kap. 1-9) noch nicht ediert. Eine genaue Datierung der Übersetzung war bisher nicht möglich; sie ist jedoch später anzusetzen als die spanische Übersetzung Lopez de Ayalas.100 Als Datum ante quem kann 1438 gelten. Paul Meyer hat die Handschrift in London entdeckt und berichtete in Meyer (1866,278) zum ersten Mal kurz über sie. Im Anhang seines Berichts ist der Anfang des Textes von Bersuires Widmung an den französischen König in der französischen und der katalanischen Version abgedruckt (Meyer 1866, 327f.). Ein Vergleich mit der spanischen Übersetzung Lopez de Ayalas sowie beider Übersetzungen mit ihrer Vorlage Bersuire wäre von großem Interesse, ist aber bisher noch nicht geleistet worden. Durch seine Beschäftigung mit den verschiedenen Texten hat Wittlin erste Schritte in Richtung auf eine solche Untersuchung geleistet und auch wiederholt auf ihr Interesse hingewiesen.

2.7.

Portugiesische Liviusübersetzungen

PI 18

Jose Victorino BARRETO FEIO (1782-1850):101 Historia romana de Tito Livio, com os supplementos de Freinshemio. Em portuguez por Jose Victorino Barreto Feio, tomo primeiro, Hamburg (Langhoff) 1829

Diese älteste portugiesische Liviusübersetzung102 erschien während des Exils von J. V. Barreto Feio 1829 in einer zweisprachigen Ausgabe in Hamburg. Barreto Feio sollte Mönch werden, er floh jedoch aus dem Kloster und schlug eine militärische Laufbahn ein. 1821 begann seine politische Laufbahn als Abgeordneter der liberalen Opposition; von 1828 bis 1834 war er im Exil in England, Brasilien und Hamburg. Neben einigen eigenen Werken sind vor allem seine Übersetzungen von Bedeutung: Sallust (Paris 1825), Livius (Hamburg 1829), Alflen (Paris 1832) und Vergil (Lissabon 1845). Außerdem war er in Hamburg als Mitarbeiter an der Herausgabe der Werke von Gil Vicente und Camöes beteiligt. 100

Die Vermutung von Riquer (1934, 94), der Branciforti (1962, 295) und Clare/Chevalier (1972, 164) folgen, daß Ayala für seine spanische Übersetzung nicht Bersuires französischen Text benutzt habe, sondern die katalanische Übersetzung, bzw. daß ihm diese zumindest auch zur Verfugung gestanden, ist damit wohl widerlegt.

101

Siehe Da Silva (Bd. 5, 1860, 154-156).

102

Das Werk des Livius war allerdings schon lange vorher in Portugal bekannt, denn bereits Joäo de Barros (ca. 1496-1570) hatte sein unvollendet gebliebenes Werk Asia. Dos feitos que os Portugueses fizeram no descobrimento e conquista dos mares & terras do Oriente (1552-1563) nach dem Vorbild des Livius in Dicadas gegliedert.

2.8. Rumänische Liviusübersetzungen

75

Bernardino Jose ESTELLA: [Titel unbekannt, vor 1861] In der Einleitung zu seiner Übersetzung erwähnt Bernardes Branco (1861, V) diesen Übersetzer neben Barreto Feto als seine einzigen portugiesischen Vorgänger: D e Tito Livio tambem ate agora ninguem se occupou, excepto Jose Victorino Barreto Feio e Bernardino Jose Estella. Do primeiro ha uma excellente traducf äo do primeiro livro apenas: do segundo existem os cinco primeiros traduzidos litteralmente, para auxilio dos estudantes das aulas de latim.

Weitere Hinweise auf diese Übersetzung haben wir nicht gefunden.

P2 18

Manoel BERNARDES BRANCO: 103 Tito Livio, Historia Romana. Traducfäo dos 5 primeiro livros por Manoel Bernardes Branco, profesorparticular de linguas, associado da Academia Real das Sciencias de Lisboa, etc. etc., Porto (Silva Teixeira) 1861

Bernardes Branco hatte einen Lehrstuhl für lateinische, griechische und portugiesische Sprache an der Universität Porto. Er ist der Verfasser zahlreicher vor allem literaturgeschichtlicher und historischer Werke.

P3 19

ALMEIDA NETTO: Historia Romana. Traducfäo litteral do Tito Livio, offerecida aos seus alumnospor um estudante da lingua latina, 1° et 2°, Lisboa (Pereira) 1902

Die einsprachige Ausgabe enthält für die Praefatio auch den lateinischen Text. Eine Einleitung oder andere Begleittexte sind nicht vorhanden. 104

2.8.

Rumänische Liviusübersetzungen

2.8.1.

Joane ANTONELI:

R1 18

Istori'a poporului romanu de T. Liviu Patavinu. Cartea I, tradusa si esplicata de Joane Antoneli, Blasiu (Tipariulu Seminariului Diecesanu) 1860

Es ist dies die erste rumänische Liviusübersetzung und eine der ersten Übersetzungen eines lateinischen Autors ins Rumänische überhaupt. Auf die Übersetzung des 1. Buchs der I. Dekade ließ Antoneli 1861 noch diejenige des 2. Buchs folgen. Das Diözesanseminar in Blaj, wo die Übersetzung gedruckt wurde und wo Antoneli vermutlich als Gymnasiallehrer tätig war, ist eines der kulturellen Zentren der §coala Ardeleanä. Die Übersetzung erschien in der Zeit des endgültigen Übergangs des Rumänischen vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet; ihre Orthographie weist große 103

Siehe Da Silva (Bd. 5, 1860, 376; Bd. 16, 1893, 138-139).

104

Weitere portugiesische Übersetzungen sind uns nicht bekannt. Die Suche nach aktuell im Buchhandel verfugbaren Übersetzungen hatte keinen Erfolg.

2. Die Übersetzungen.

76

Unterschiede zur modernen Norm auf und läßt das kyrillische Vorbild noch deutlich erkennen. Antoneli sieht sich mit seiner Übersetzung im Kreis der Wegbereiter des Rumänischen als National- und Literatursprache: Pornindu dein acestu punctu de vedere dictatu, de spiritulu natiunale, st de geniulu aparatoriu alu limbei ce ο vorbimu, feci si eu acestu micu sacrificiu in interesulu literaturiei nostre cu traducerea librului primu dein renumitulu istoricu latinu T. Liviu Patavinu [...] cä numai atunci se pote dice una natiune pornita pre calea progresului, deca are in limb'a sa tesaurulu clasiciloru latini sigreci. (Antoneli 1860, 4).

2.8.2. R2 19

Nicolae BARBU: Istoria Romana de TitüLiviü, tradusä de Nicolae Barbu. Publicatäde Academia Romänäsub privegherea DomnuluiG. Sion, Membru alüAcademiei, Bucuresci (Tipografia Academiei Romane) 1884-1915, 5 Bde.

Nur die Übersetzung des 1. Bandes dieser Akademieübersetzung ist vollständig von Barbu. Sie wurde in den folgenden Bänden von Nd. Locusteanu und I. S. Petrescu fortgesetzt. Die Orthographie verfugt über eine Reihe von Eigenheiten, nähert sich dem modernen Stand aber bereits an.

2.8.3.

Rumänische Liviusübersetzungen im 20. Jahrhundert Dr. Max RICHTER:

R3 19

Titus Livius, Ab Urbe Condita, Prima Decadä (Bucäfi alese din cartea I-a fi α 11-a dupämanualele intrebuinpte in licee). Traducere ad-litteram cu text latin cu toate explicapile gramaticale, de Dr. Max Richter, Bucure§ti (Tip. Finan{e §i Industrie) [1935]

Die für den Schulgebrauch bestimmte zweisprachige Ausgabe bietet den lateinischen Text und die rumänische Übersetzung in zwei Kolonnen nebeneinander. Vom 1. Buch der I. Dekade enthält sie die Kapitel 1 bis 9 vollständig sowie Kapitel 13. 2.8.4. *R4 19

Janina VILLAN, Florica DEMETRESCU & Paul H. POPESCU: Titus Livius, De lafundarea Romei I, Bucure§ti (Editura §tiin{ificä) 1959

Die einsprachige Ausgabe verfugt über eine ausfuhrliche wissenschaftliche Einfuhrung und zahlreiche Anmerkungen zum Text. Die ersten 14 Kapitel des 1. Buchs der I. Dekade wurden von Janina Villan übersetzt.

R5 19

Paul POPESCU GÄLE§ANU: Titus Livius, ab urbe condita (de lafundarea romei). Traducere, tabel cronologic $ note de Paul Popescu GMepanu, cuvlnt introductiv de A. Marinescu-Nour, Bucure§ti (Editura Minerva, Biblioteca pentru to{i) 1976, 2 Bde.

2.9. Frühe Liviusübersetzungen.

77

Die zweibändige Auswahl ist die bisher letzte rumänische Liviusübersetzung. Sie ist in einer Taschenbuchreihe erschienen und enthält die beiden ersten Bücher der I. Dekade vollständig.

2.9.

Frühe Liviusübersetzungen in nichtromanische Sprachen

Außer in die romanischen wurde Livius' Werk auch in die meisten anderen europäischen Sprachen übersetzt. Wie für die romanischen Sprachen beginnen diese Übersetzungen mit einem ersten Höhepunkt im 16. Jahrhundert in Deutschland, England und den Niederlanden, während die ost- und nordeuropäischen Sprachen erst später, zumeist seit dem 19. Jahrhundert, folgen. Die Kataloge der großen Bibliotheken geben einen Überblick über diese Übersetzungen, so daß es hier genügen soll, die jeweils frühesten Übersetzungen aufzulisten: Deutschlaad: SCHÖFFERUN-WlTTIG: Romische Historie aus Tito Livio gezogen, [...], Mainz 1505. Weitere Drucke 1514, 1523 (mit 33. Buch, übersetzt durch Carbach), 1530, 1551 (mit den Büchern 41-45, übersetzt von Moltzer), 1571, 1574 usw. Schottland: John BELLENDEN, 1533 (ed. W. Craigie, 1901).105 Niederlande: Jan GYMNICK: Titus Livius, dat is, de Roemsche historie of Gesten, door [...] Titum Livium bescreven [...] nu erstmael in onser Nederlantscher Spraken ghedruckt, Antwerpen 1541.106 England: Anthony COPE: The Historie of Two The Most Noble Capitaines of the World, Annibal and Scipio, London: Thomas Berthelet 1544 (nur Teile der III. Dekade). Philemon HOLLAND: The Romance Historie written by Τ. Livius of Padua, [...], London 1600.107 Schweden: E. SCHRODERUM: Then nampnkunnige Skribentes Titi Livij äff Padua Historia [...] Här [...] är ock infattat L. Flori Summarier öfwer alle the Titi Livij Böker [...] Samt en ordentligh ähtsräking. [...], Stockholm 1625. Dänemark: Rasmus M0LLER: Forsog til en Oversaettelse af T. Livius's Romerske historie [...], Kiebnhavn 1805-1818. Böhmen: J. PECHANEK: Tita Livia dejiny odzalozeni Rima, [...], 1 8 6 3 .

103 106 107

Siehe Baumann (1905). Siehe Vanderheyden (1959). Siehe Schäfer (1910), Cratty (1975, auch zu Cope).

Hauptteil: Historisch-vergleichende Untersuchungen zur Frequenz der verbalen Formen und Funktionen in den romanischen Liviusübersetzungen: Verba finita vs. Verba infinita

3.

Anzahl, Form und Funktion der Verben

3.1. Die Anzahl der Verben in den zwölf quantitativ erfaßten Texten

0

FL„

F2„

F5 i 6

F6 I 7

FLL„

F14„

1015

1105

1040

1092

1182

930

991

952

959

933

978

894

1124

834

Verb-Types

342

293

369

320

362

361

397

254

329

391

259

382

404

391

Tokens pro

2,959

3,771

2,818 3,413

3,265

2,576

2,496

3,748

2,915

2,386

3,776 2,340

2,782

2,133

Verb-Tokens

Itl,,

It2„

It9„

S2', S

S3,,

R4„

L

Type Verbtokens

Verbtypes

Tokens pro Type

F6„

1182

R4„:

404

S2'I5:

3,776

R4,9

1124

(1045)*

F14„:

397

Fl,3:

3,771

Fl»

1105

(1145)**

L:

391

Itl„:

3,748

F516

1092

391

F5,6:

3,413

F2,5

1040

S3,,:

382

F6„:

3,265

F14„:

991

F2,5:

369

112,5:

2,915

S2'15

978

F6„:

362

F2,s:

2,818

It2,5

959

FH,,:

361

R4„:

2,782

Itl13

952

It2, 5 :

329

FH,,:

2,576

It9,,

933

F5 1 6 :

320

F14„:

2,496

Fll,„:

930

Fl,,:

293

It9 1 9 :

2,386

S3,„

894

S2', 5 :

259

S3 1 8 :

2,340

L:

834

Itl„:

254

L:

2,133

(1050)**

(1001)**

Tabelle 1: Die Zahl der Verben in Kapitel 1-14 des 1 Buchs der I. Dekade (* ohne substantivierte Infinitive,

** hochgerechnet)

Die Zahl der Verbvorkommen (Tokens) ist in den modernen Übersetzungen mit Ausnahme der rumänischen deutlich geringer als in den älteren, und sie ist in den französischen größer als in den jeweils gleichzeitigen italienischen und spanischen. Für *F113, * It 113 und *S2' I5 muß diese Zahl sogar noch nach oben korrigiert werden, denn in diesen fehlen einige Sätze oder sind nur unvollständig übersetzt. Um zu besser vergleichbaren Zahlen zu kommen, die bei der Auswertung und Interpretation allerdings keine Beachtung finden können, da es sich um fiktive Zahlen handelt, wurde die Zahl der Verben hochgerechnet, indem fur die fehlenden Sätze jeweils die Anzahl der Verben in den modernen Übersetzungen eingesetzt wurde, gegebenenfalls unter Abzug der Zahl der in den älteren Übersetzungen vorhandenen Verben. Für *F1 13 ergibt

82

3. Anzahl, Form und Funktion der Verben

dies ein Plus von 40, fur *Itl 13 von 49 und fur *S2'15 von 72 Verben. Dies fuhrt zu 1145 Verbtokens in *F113, 1050 in *S2'15 und 1001 in *Itl13, womit die größere Zahl von Verben in den älteren Übersetzungen noch deutlicher hervortritt. Die drei Übersetzungen aus dem 16. Jahrhundert zeichnen sich durch jeweils eigene Besonderheiten aus: *S2'ls weist im Gegensatz zu *F2,5 und *It215, und selbst gegenüber der älteren S114, Lücken auf, was an die Möglichkeit einer unabhängigen, gegenüber den anderen Gebieten rückständigen lateinischen Texttradition in Spanien denken läßt; *It2ls fallt durch die fur die Zeit geringe Zahl an Verben auf und *F215 erweckt aufgrund ihrer Verbzahl einen moderneren Eindruck als *F516 und *F617. In der Abnahme der Zahl der Verbtokens zeigt sich möglicherweise eine diachron fortschreitende Tendenz zur Nominalisierung in den romanischen Sprachen,1 mit Ausnahme des Rumänischen, das dafür die Möglichkeit der Substantivierung des Infinitivs wesentlich weiter ausgebaut hat, und dieser wurde im Gegensatz zu den sonstigen Nominalisierungen als Verbform bei der Auswertung berücksichtigt.2 Hinsichtlich der Anzahl der verschiedenen, in den Texten verwendeten Verben (Types) ist die Tendenz entgegengesetzt: Je neuer die Übersetzungen sind, umso mehr verschiedene Verben finden Verwendung.3 Eine Ausnahme macht erneut *F21S, denn sie verfugt über eine größere Anzahl von Verbtypes als *F516, *F617 und selbst *F11,8 und macht damit im Vergleich zu diesen wiederum einen moderneren Eindruck. Daß *F6 π einige Verbtypes mehr hat als *F1118, erklärt sich daraus, daß es sich um die Übersetzung mit den meisten Verbtokens und dazu um die inhaltlich freieste der zwölf Übersetzungen handelt, während *F1118 zu den Übersetzungen mit den wenigsten Verbtokens gehört. Andererseits stehen die Zahlenwerte in *S2'15 denjenigen in *F113 und *Itl 13 näher als denjenigen in den gleichzeitigen *F215 und *It2ls. Dies bedeutet für die Häufigkeit der Verwendung der einzelnen Verbtypes, daß sie für die älteren Texte deutlich größer ist als für die modernen, wobei *It2ls und *F215 modemer erscheinen als *F516 und *F6n. *S2'ls steht wieder *F113 und *Itl 13 sehr na1

Zur Nominalisierung vgl. z.B. für das Französische Hachtmann (1912), Lombard (1930), Giry-Schneider (1978); für das Italienische Herczeg (1967). Diese Vermutung wird jedoch von den quantitativen Daten nicht bestätigt (s.u. p. 131 zum Objektbereich und kurz p. 217 zum Adverbialbereich speziell im Französischen). Allerdings sind unsere Daten in ihrer auf die Verben konzentrierten und den Nominalbereich vernachlässigenden Form für ein eine zuverlässige Antwort nicht ausreichend, so daß bei einer Weiterführung des vorliegenden Ansatzes auch der Nominalbereich, und hier vor allem die Nomina deverbalia, in die Analyse einbezogen werden sollten.

2

S.o. p. 35f. Ohne die substantivierten Infinitive steht die rumänische Übersetzung mit 1045 Verbtokens den modernen Ubersetzungen in den übrigen Sprachen wesentlich näher, bleibt aber doch diejenige mit den meisten Verben. Daß es sich hier, zumindest für das Französische, um kein zufälliges Ergebnis handelt, sondern um eine Entwicklung in (der Norm) der Sprache, wird von Ch. Muller (1975, 139-140) bestätigt, der aus den Materialien des Tresor de la Langue Frangaise literarische Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert hinsichtlich der Anzahl der in ihnen enthaltenen unterschiedlichen Wörter (vocables) miteinander verglichen hat und zu dem Ergebnis kommt: «Les textes du XXe siecle ont un vocabulaire significativement plus riche que ceux du XIXC siecle.»

3

3.2. Form und Funktion der Verben

83

he und weist sogar den höchsten Wert von allen auf, während andererseits *S318 den niedrigsten Wert hat. Den in dieser Hinsicht modernsten Eindruck erweckt allerdings der lateinische Text mit der niedrigsten Zahl an Verbtokens, einer der höchsten an Verbtypes und daraus folgend der geringsten Verwendungshäufigkeit der verschiedenen Types. Eine mögliche Folgerung daraus könnte sein, daß diese Zahlenverhältnisse nicht fur eine bestimmte Epoche (das 19. und 20. Jahrhundert) stehen, sondern für den literarischen Entwicklungsstand einer Sprache. 4 Als erstes Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß zwischen den zwölf analysierten Texten untereinander und noch mehr zwischen ihnen und dem lateinischen Ausgangstext schon alleine von der Verbzahl her deutliche Unterschiede bestehen. Das Ergebnis scheint kein zufalliges zu sein, sondern durchaus Eigenheiten der Sprachen widerzuspiegeln, denn es wird, mit gewissen Einschränkungen für das Rumänische und das Italienische, von Guiter (1971) in seinen Untersuchungen zur Verbfrequenz in den (modernen) romanischen Sprachen bestätigt. Guiter kommt zu dem Ergebnis: «L'espagnol a relativement peu de verbes et les emploie peu; le roumain en a peu qu'il emploie beaucoup; le fran^ais en a au contraire beaucoup et les emploie beaucoup, suivi en cela, bien qu'ä distance, par l'italien et le catalan» (p. 385).

3.2.

Form und Funktion der Verben

Jedes in einem Satz vorkommende Verb hat eine bestimmte Form und übernimmt mit dieser Form eine bestimmte Funktion. Texte können sich deswegen sowohl hinsichtlich der Häufigkeit der Verbformen unterscheiden als auch hinsichtlich der Funktionen, die die Verben sowohl global als auch in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Form übernehmen. Entsprechend gilt die Analyse zunächst der Häufigkeit der verschiedenen Verbformen, sodann den Funktionen, die die Verben im Satz übernehmen.

3.2.1.

Die Frequenz der Verbformen in den zwölf Übersetzungen 5

Die Verba finita Der Anteil der finiten Verbformen liegt im Durchschnitt aller zwölf Texte bei etwa 70% und zeigt in der Diachronie eine fallende Tendenz, zu der es zwar gewisse Gegenbewegungen gibt, die aber, wie die entsprechenden x 2 -Werte zeigen, nicht signifikant sind. Signifikante Abweichungen nach oben zeigen *F1 13 und *Itl 13 mit über 80% finiter Verbformen sowie *R419, bei der der Anteil der finiten Verbformen bei Nichtberücksichtigung der substantivierten Infinitive als Verbformen sogar bei über 82% liegt. Durch einen sehr niedrigen Anteil der finiten Formen zeichnen sich am anderen Ende der Liste *It215 und in geringerem Maß *F14 lg aus. 4

Ch. Muller (1967) spricht in seiner statistischen Untersuchung zum Wortschatz des Theaters von Corneille von «richesse de vocabulaire». Vergleichbare diachrone oder sprachvergleichende Untersuchungen sind uns nicht bekannt geworden.

5

Siehe Tab. 2 und 2a, p. 84.

84

3. Anzahl, Form und Funktion der Verben "

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