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German Pages 670 Year 2014
Martin G. Becker Welten in Sprache
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie
Herausgegeben von Claudia Polzin-Haumann und Wolfgang Schweickard
Band 386
Martin G. Becker
Welten in Sprache
Zur Entwicklung der Kategorie «Modus» in romanischen Sprachen
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
ISBN 978-3-11-034216-1 e-ISBN [PDF] 978-3-11-034283-3 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-039494-8 ISSN 0084-5396 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhaltsverzeichnis Vorwort
VII
0 Einleitung
1
5 1 Modus in der Forschungsdiskussion 1.1 Modus in der romanistischen Forschung 5 1.1.1 Ansätze und Grundmotive der traditionellen romanistischen Modusforschung 5 1.1.2 Modus in einem syntaktischen Rahmenmodell (der Ansatz Lalaires) 25 1.1.3 Pragmatische Überlegungen in der hispanistischen und galloromanistischen Forschung 32 1.1.3.1 Diskurspragmatische Ansätze in der hispanistischen Forschung 32 1.1.3.2 Der Polyphonie-Ansatz und seine Anwendung in der (gallo-)romanistischen Modusforschung 35 1.1.4 Ansätze zu einem kognitionslinguistischen Modell 41 1.1.4.1 Gilles Fauconniers Theorie der mental spaces/espaces mentaux 41 1.1.4.2 Kognitivistische Überlegungen im Rahmen der Cognitive Grammar 48 1.2 Modalität und Modus: Modalsemantische Ansätze und formalsemantische Modellbildung 51 1.2.1 Einleitung und Überblick 51 1.2.2 Der Modalitätsbegriff: Von Aristoteles bis zur zeitgenössisischen Modalsemantik 54 1.2.3 Modus und Modalität 73 1.2.4 Pioniere einer Modusanalyse unter formalsemantischen Vorzeichen 79 1.2.4.1 Der wahrheitsrelationale Ansatz Robert Martins 79 1.2.4.2 Der Ansatz Donka Farkas’: Intensionale Beschreibungen 87 1.2.5 Modalsemantische Beschreibungsmodelle (von Kratzer bis Portner und Lohnstein) 95 1.2.5.1 Das modalsemantische Modell Angelika Kratzers und seine Weiterentwicklung 95 1.2.5.2 Die Analyse der Kategorie Modus im Rahmen des Kratzer’schen Ansatzes: Giorgi/Pianesi 103 1.2.5.3 Die Modustheorie A. Giannakidous and J. Quers 111
VI
Inhaltsverzeichnis
1.2.5.4 1.2.6 1.3 2
Ein kurzer Seitenblick auf die Situationssemantik 130 Bausteine für ein analytisches Beschreibungsmodell von intensionalen Kontexten und Aspekte der Formalisierung Ein kurzer Rückblick 148
136
Die Entwicklung des Modussystems im Lateinischen, Französischen und Italienischen in der Domäne der Epistemizität 150 2.1 Epistemizität und Evidentialität 150 2.2 Pragmatische und syntaktische Aspekte von epistemischen Verben 165 2.3 Pragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten 171 2.4 Die Kristallisation eines neuen Systems: Epistemische Verben im Spät- bzw. Vulgärlatein 177 2.4.1 Grundaspekte des klassisch-lateinischen Komplementsatz systems 177 2.4.2 Die spätlateinische Reorganisation des Komplementsatz systems 180 2.5 Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben 187 2.5.1 credere 187 2.5.2 putare 193 2.5.3 cogitare und opinari 196 2.5.4 Modusselektion bei epistemischem scire und bei evidentiellem audire – Versuch eines Fazits 201 2.5.5 Exkurs: Eine Fußnote zur spätantiken Grammatikographie 204 Die Entwicklung des Modussystems bei den epistemischen 2.6 Prädikaten des Altfranzösischen 207 cuidier 2.6.1 207 Quantitative Verteilungen 2.6.1.1 207 Die Moduswahl bei je cuit 2.6.1.2 212 Der Modus in Kontexten der 3. Person (discours rapporté) 2.6.1.3 218 Negation, Negationsanhebung und Kontrafaktizität bei 2.6.2 epistemischen Verben (am Beispiel von cuidier) 223 Die Entwicklung der Modusselektion von cuidier im 2.6.3 Mittelfranzösischen und dem vorklassischen Französisch 236 2.6.4 Die Entwicklung der Modusselektion bei croire 244 2.6.5 Die Semantik und das Selektionsverhalten von penser 257 2.6.6 Ein kurzer Blick auf andere epistemische Prädikate 267 2.6.7 Das Verb savoir und seine Kontexte (si- und wh-Komplementsätze im späteren Latein und im Alt- und Mittelfranzösischen) 271
Inhaltsverzeichnis
VII
2.7
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen 285 2.7.1 Das Prädikat credere 285 2.7.2 Das Prädikat pensare 298 2.7.3 Das Verb sapere und seine Kontexte (wh- und si-Komplement sätze) 304 2.7.4 Ein kurzes Fazit 308 310 3 Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate) 3.1 Zur semantischen Analyse evaluativer Prädikate 310 3.2 Evaluation im späteren Latein/Vulgärlatein 320 3.3 Evaluation im Altfranzösischen 326 3.4 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen 340 3.5 Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert 347 3.6 Modusentwicklung in der Domäne der Evaluation – ein Fazit 3.7 Exkurs: Notwendigkeit und Möglichkeit 373 3.7.1 Notwendigkeit und Möglichkeit im Lateinischen 375 3.7.2 Notwendigkeit und Möglichkeit im Altfranzösischen 378 3.7.3 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen 380 3.7.4 Der Abschluss der Entwicklungen bis zum Klassischen Französisch 385
368
390 4 Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv 4.1 Zur Theorie des Bedingungssatzes 390 4.1.1 Linguistische Ansätze zur Analyse von Bedingungssätzen 390 4.1.2 Bedingungssatztypen und ihre linguistischen Charakteristika 396 Zur Morphologie von Bedingungssätzen und ihrer Funktion/ 4.1.3 Semantik 409 Die Kategorien Imparfait und Conditionnel im französischen 4.1.4 Bedingungssatz 417 Anmerkungen zur lateinischen Ausgangssituation 4.2 432 Das altfranzösische System 4.3 437 Die Entwicklung des Bedingungssatzsystems im Mittelfranzösischen 4.4 (1350–1500) 453 Das Konditionalsatzgefüge auf dem Wege zum modernen 4.5 Französisch (ab dem 16. Jahrhundert) 460 4.6 Fazit 468 472 5 Vergleichs- und Bezugswelten 5.1 Komparativsätze 473 5.1.1 Analyseansätze zur Semantik von Komparativsätzen
473
VIII
Inhaltsverzeichnis
Negative Implikatur, non/ne espletivo/explétif und Modus im heutigen Französisch und Italienisch 487 5.1.3 Entwicklung der Kategorie Modus im französischen Komparativsatz 499 5.1.3.1 Der Vergleichssatz der Ungleichheit im Altfranzösischen 499 5.1.3.2 Der Vergleichssatz der Ungleichheit im Mittelfranzösischen und im frühen Neufranzösisch 511 5.1.4 Die Geschichte des Modus im italienischen Vergleichssatz 517 5.2 Superlativische Relativsätze 536 5.2.1 Analyseansätze zum Modus im superlativischen Relativsatz 536 5.2.2 Modus im superlativischen Relativsatz des Altfranzösischen 540 5.2.3 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen und frühen Neufranzösisch 550 5.2.4 Zur Entwicklung anderer Salienzkonstruktionen 555 5.2.5 Der Modus im superlativischen Relativsatz des Italienischen 559 5.3 Unbestimmte Relativsätze und free choice-Lesart 563 5.3.1 Modalsemantische Überlegungen zu freien Relativsätzen und zur sogenannten free choice-Lesart 563 5.3.2 Eine Vorgeschichte: quicumque im späteren Latein 572 5.3.3 Quiconque und quanque im Altfranzösischen 576 5.3.4 Qui que 585 5.3.5 Celui qui/ceux qui 589 5.3.6 Italienische Indefinitkonstruktionen mit dem free choice-Marker -unque: chiunque, quantunque, qualunque und dovunque 592 5.3.7 Ein Resümee 597 5.4 Modus und Modusentwicklung im Kontext von Vergleichs- und Bezugswelten 597 5.1.2
6
Entwicklungsprinzipien und Identität der Kategorie Modus
7 7.1 7.2 7.3
621 Literaturverzeichnis Sekundärliteratur 621 Primärquellen 644 Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
601
645
Vorwort Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Habilitationsschrift, die 2006 von der Philosophischen Fakultät der Universität Stuttgart als Habilitationsleistung angenommen wurde. Die Entstehung eines Buches ist immer auch an glückliche Umstände und Kontexte geknüpft. So möchte ich zunächst Herrn Prof. Dr. Achim Stein danken, der an seinem Lehrstuhl stets eine sehr offene und anregende Atmosphäre geschaffen hat, die es mir ermöglichte, mein Thema frei zu entwickeln und das Habilitationsprojekt dank der stets wohlwollenden und großzügigen Unterstützung – nicht zuletzt auch mit Forschungsressourcen – bis zum Ende zu führen. Gerne denke ich an die Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Linguistik/Romanistik der Universität Stuttgart zurück, die ein in jeder Hinsicht – menschlich und fachlich – ideales Umfeld für das Gedeihen der Arbeit schufen. Mein besonderer Dank gilt Karoline Jäckh, Sarah Dessì Schmid, Björn Rothstein, Beatrice-Barbara Bischof, Judith Yacar, Valérie Kervio-Berthou, Asencion Bailen, Steffen Heidinger, Rembert Eufe und Benjamin Massot. Ebenfalls danken möchte ich den Fachgutachtern, Prof. Dr. Achim Stein, Prof. Dr. Jürgen Pafel sowie Prof. Dr. Peter Blumenthal für die freundliche Begutachtung der Arbeit, für konstruktive Kritik und weiterführende Anregungen. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Frau Prof. Dr. Claudia Polzin-Haumann und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schweickard für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Des Weiteren möchte ich Frau Dr. Ulrike Krauß, Frau Dr. Christine Henschel und Herrn Kevin Göthling für die ausgezeichnete Betreuung des Publikationsprojekts in all seinen Etappen danken. Ein ganz besonderes Dankeschön möchte ich aber Frau Carina Cals und Jens Schieck für die große Hilfe bei der Formatierung sowie der gründlichen Korrekturlektüre des Manuskripts aussprechen. Ebenfalls zu Dank verpflichtet bin ich Frau Sarah Schwellenbeck und Herrn Jakob Egetenmeyer für die gewissenhafte Lektüre und Korrektur der Druckfahnen. Schließlich geht mein herzlicher Dank an die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, die den Druck dieses Buches mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Möge der Funke der Begeisterung für das Thema Modus und Modalität auf den Leser überspringen. Köln, im Mai 2014
Martin Becker
0 Einleitung In der vorliegenden Studie soll die Entwicklung der Kategorie Modus in romanischen Sprachen untersucht werden. Dabei soll insbesondere die Geschichte des französischen Modussystems im Vordergrund stehen, da hier die sprachliche Entwicklung durch besonders komplexe und tiefgreifende Wandelprozesse gekennzeichnet ist und zudem – im Gegensatz zu romanischen Sprachen mit einer vergleichbaren Entwicklung wie etwa das Rumänische – die sprachhistorische Dynamik im Längsschnitt, von den ersten schriftlichen Manifestationen der Volkssprache bis zum gegenwärtigen Sprachzustand, in fast idealer Weise dokumentiert ist. Die systematische Auswertung neuer maschinenlesbarer Korpora (wie vor allem das Nouveau Corpus d’Amsterdam sowie die am Atilf installierten Korpora zu Epochen der französischen Sprachgeschichte) erlaubt nicht nur eine wesentlich detailliertere Beschreibung und Analyse der sprachhistorischen Entwicklungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht, sondern sie lässt pragmasemantische Mechanismen des Wandels in markanten, aussagekräftigen sprachlichen Kontexten erkennbar werden. Mit der Verbindung von Korpusauswertung und -analyse einerseits und der Anwendung modal- sowie pragma-semantischer Ansätze andererseits, strebt die Arbeit eine Synthese aus romanistisch-philologischer Forschung und moderner linguistischer Theoriebildung an. Neben dieser diachron-dynamischen Untersuchungsperspektive wird jedoch eine zweite – komparatistische – Dimension berücksichtigt: Die besonderen Charakteristika der französischen Modusentwicklung treten um so deutlicher vor dem Hintergrund des – gleichsam als Folie dienenden – italienischen Modussystems hervor, das sich durch ein hohes Maß an Kontinuität im Verhältnis zum spätlateinischen Ausgangszustand auszeichnet und zudem, wie wir im Weiteren noch sehen werden, stärkere Gemeinsamkeiten mit dem altfranzösischen Modussystem aufweist als etwa die iberoromanischen Sprachen. Im Rahmen unserer Untersuchungsperspektive sollen schließlich auch die sich im Spätlatein vollziehenden Erneuerungs- bzw. Umstrukturierungsprozesse des Komplementsatzsystems in dem Maße berücksichtigt werden, wie sie für das Verständnis und die Motivation der älteren romanischen Sprachstufen sowie der weiteren Entwicklungen unerlässlich sind. Da wir die großen Entwicklungstendenzen und vor allem die zugrunde liegenden Entwicklungsprinzipien und -mechanismen des französischen Modussystems herausarbeiten wollen, begrenzen wir den Untersuchungsradius unserer Studie auf die Wandelprozesse vom Altfranzösischen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, da bis zu diesem Zeitpunkt die Makroentwicklungen im Bereich des Modussystems im Wesentlichen als abgeschlossen angesehen werden können.
2
Einleitung
Wie wir deutlich herausgestellt haben, soll im Rahmen unseres thematischen Schwerpunktes eine diachron-dynamische Perspektive eingenommen werden, die durch komparatistische Ausblicke vertieft werden soll. Eine solche Untersuchungsperspektive macht einen einheitlichen Beschreibungs- und Analyseansatz erforderlich, der eine Abstraktion von den einzelnen konkreten Vorkommenskontexten des Modus (vor allem etwa in Verbindung mit bestimmten lexikalischen Einheiten) erlaubt, um zu allgemeinen Entwicklungsprinzipien und -mechanismen vordringen zu können und damit zugleich die Voraussetzung für eine sinnvolle Vergleichbarkeit der einzelsprachlichen Daten schafft. So besteht ein wesentliches – methodisches – Ziel dieser Arbeit darin, aufzuweisen, dass die in den letzten Jahren im Rahmen einer modalsemantischen Theoriebildung angestellten Überlegungen nicht nur im Hinblick auf im Zusammenhang mit der Kategorie Modus stehende Phänomene beschreibungsadäquat sind, sondern auch in besonderer Weise dazu geeignet sind, neuartige Einsichten über und Zugänge zur diachronen Entwicklung und ihren Prinzipien zutage zu fördern sowie interessante Generalisierungen in einer komparativen bzw. typologischen Perspektive zu ermöglichen. Damit beabsichtigt unsere diachron-komparatistisch akzentuierte Untersuchung letztlich die Fortschreibung einer Theorie des Modus im Rahmen der romanistischen Forschung. Aus dieser Grundkonzeption der Studie ergeben sich auch Aufbau und Anlage unserer Darstellung: Im ersten Kapitel soll zunächst ein Überblick über die Erklärungs- bzw. Interpretationsansätze der traditionellen Modusforschung gegeben werden, wobei auch grundlegende Phänomene und Fragestellungen im Zusammenhang mit der Kategorie Modus in den romanischen Sprachen herausgestellt werden sollen. Zugleich werden aber auch Probleme und Grenzen der Explikationsfähigkeit traditioneller Ansätze in der romanistischen Forschung deutlich. Wir stellen deshalb im zweiten Teil dieses Theoriekapitels die in den letzten Jahren entwickelten Überlegungen zu einer Modalsemantik vor, die eine kohärente und vor allem einheitliche Beschreibung von Modussystemen und ihren Entwicklungen erlaubt. Zudem leisten sie einen wesentlichen Beitrag zu einer einheitlichen deskriptiv-analytischen Modellbildung, die ganz neue Perspektiven für die Erforschung verbaler Kategorien eröffnet. Vor diesem Hintergrund bietet es sich auch an, Modussysteme im Rahmen von modalitätsspezifischen Domänen zu untersuchen. Wir werden im Verlauf der Arbeit aufzeigen, dass sich das Modussystem der romanischen Sprachen domänenspezifisch konfiguriert, d.h. die Ebene zwischen der lexikalischen Klassenbildung und einem postulierten abstrakten sowie einheitlichen Grundwert der angemessene Bezugsrahmen bzw. das geeignete Abstraktionsniveau für eine Theorie des Modus und seiner «Semantik» ist.
Einleitung
3
Der Schwerpunkt des zweiten Kapitels liegt auf den Besonderheiten und Entwicklungstendenzen des Modussystems in der Domäne der Epistemizität im weiteren Sinne: Ausgehend von der – sich seit der Spätantike vollziehenden – Ausbildung eines neuen, protoromanischen Komplementsatzsystems zeigen wir die Funktionsweise des Modussystems in der Domäne der Epistemizität (genauer: der doxastischen und epistemischen Prädikate) in den älteren Sprachstufen des Französischen und Italienischen auf. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhältnis zur modalsemantischen Domäne der Evidentialität profiliert werden. Neben dem Wechselspiel zwischen den epistemischen Prädikaten und den unterschiedlichen Verbalkategorien soll ihr Selektionsverhalten in Verbindung mit verschiedenen Operatoren sowie in besonderen Kontexten wie etwa indirekten Fragesätzen oder im Rahmen der consecutio temporum umfassend analysiert werden. Das dritte Kapitel nimmt die Domäne der Evaluation bzw. evaluative Einstellungsprädikate in den Blick. Hier sind nun die Verhältnisse in den romanischen Sprachen besonders uneinheitlich und zudem in der diachronen (aber auch variationellen) Perspektive besonders instabil. Ausgehend von den Verhältnissen im Lateinischen wird versucht, die besonderen Entwicklungen im Französischen differenziert – zwischen prinzipiengeleiteter Entwicklungsdynamik und lexikalisch-subkategorieller Fixierung – darzustellen und zugleich angemessen zu interpretieren. Im Zentrum des vierten Kapitels steht die Domäne der Konditionalität, wobei das Augenmerk auf die Entwicklung der für diese Domäne prototypischen Struktur, den Bedingungssatz vom späteren Latein bis zum heutigen Französisch, gelegt wird. Dabei soll insbesondere auf den Prozess der Umstrukturierung des sogenannten «problematischen» bzw. des «kontrafaktischen» Bedingungssatzsystems sowie die diesem zugrunde liegenden Mechanismen des Wandels fokussiert werden. Hieran schließt sich ein umfassendes Kapitel zur Entwicklung der Kategorie Modus in Vergleichs- und Bezugswelten an (Kapitel 5). Uns interessieren dabei drei wesentliche Kontexte, die in gesonderten Unterkapiteln behandelt werden: So zunächst der Vergleichssatz im Französischen und Italienischen (Kapitel 5.1), im Weiteren die superlativischen Relativsatzkonstruktionen (Kapitel 5.2) und schließlich die freien Relativsatzkonstruktionen (Kapitel 5.3), wobei wir dem Selektionsverhalten verschiedener free choice-Elemente im Französischen und Italienischen besondere Aufmerksamkeit schenken wollen. Dabei soll vor allem der Prozess der Reorganisation des free choice-Systems vom spätlateinischen Ausgangszustand (den wir insbesondere am Beispiel von quicumque rekonstruieren wollen) bis zu den Verhältnissen im klassischen Französisch herausgearbeitet werden.
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Einleitung
Unsere Untersuchung schließen wir im sechsten Kapitel mit einer Einordnung der betrachteten Entwicklungen im Französischen und Italienischen in eine gesamtromanische Perspektive ab und versuchen aus den Untersuchungsergebnissen, die wir in den Einzeldomänen gewonnen haben, allgemeine Prinzipien für die Entwicklung der Kategorie Modus in der Romania abzuleiten. Die im Rahmen der diachronen und komparatistischen Untersuchungsperspektive gewonnenen Einsichten vermitteln schließlich auch ganz wesentliche Erkenntnisse über die Funktionsweise der Kategorie Modus in der Synchronie (oder besser Panchronie) der romanischen Sprachgeschichte. Wir werden also am Ende unserer Studie noch einmal auf die klassische Preisfrage nach dem Grundwert des Konjunktivs eingehen und dabei neue Einsichten aus einem anderen, deutlich differenten, Blickwinkel beisteuern können. Hierin mag der Leser einen weiteren Nachweis für die Attraktivität einer Synthese aus deskriptiver Philologie und moderner modalsemantischer Theoriebildung sehen.
1 T heoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion 1.1 Modus in der romanistischen Forschung 1.1.1 A nsätze und Grundmotive der traditionellen romanistischen Modusforschung Keine romanistische Studie, in deren Zentrum die Kategorie Modus in den romanischen Sprachen steht, kann von dem reichen Schatz an Erklärungsansätzen und -topoi, von Systematisierungs- und Typologisierungsversuchen zum Konjunktiv absehen, der in den letzten Jahrzehnten von der romanistischen Forschung zusammengetragen wurde: Ganz abgesehen von seiner wissenschaftshistorischen Dimension – etwa als Spiegel der verschiedenen methodisch-paradigmatischen Entwicklungen, Wendungen und Schichtungen der Fachdisziplin – bleibt er teils Inspirationsquelle für aggiornamenti von traditionellen Beschreibungsund Deutungsansätzen, teils Negativfolie für methodische Ansätze, die sich um einen neuen perspektivischen Zugriff sowie um ein adäquateres Beschreibungsund Analyseinstrumentarium bemühen. In jedem Falle hat die bisherige romanistische Forschung wesentliche synchrone Daten und Phänomene in der Modusdomäne zusammengetragen und damit einen Explikationsstandard gesetzt, der durch keinen neuen theoretischen und methodischen Zugriff auf die Modusproblematik unterboten werden darf. Blickt man unter einem strikt modustheoretischen Blickwinkel auf die ältere Forschung zurück, so ist die Frage nach dem Grundcharakter der Konjunktivtheorien – ob sie nun monistisch, dualistisch oder pluralistisch orientiert sind – an sich zweitrangig. Dies gilt in noch größerem Maße für die Etikettierungen der jeweils herausgelesenen Grundfunktionen des Subjunktivs.1 Gerade in diesem
1 Eine ausgezeichnete und zudem konzise Übersicht über romanistische Modustheorien bis in die 60er Jahre vermittelt Schifko (1967, 141–182). Einen exzellenten Überblick bis in die jüngere Zeit gibt Hummel (2004, 25–79). Ausführlich auch Moignet (1959, 15–84). Schifko und Moignet rechnen den «Dualisten» bzw. «Pluralisten» die folgenden Forscher zu: Bello (1981 [1847]), Lenz (1944), Hanssen (1945), Meyer-Lübke (1972 [1899]), Ettmayer (1930/1936) (Opposition «volitiv» versus «suppositiv»), den frühen Lerch («Konjunktiv des Begehrens»/ «Konjunktiv des psychologischen Subjekts», cf. v.a. Lerch 1919), Regula (1925, 1936) («subjonctif dynamique/ modal»/ «subjonctif adynamique/amodal»), de Boer (1947) (Hauptsatz- («psychologiquement indépendant»)/Nebensatzfunktion («dépendance, la subordination psychologique du verbe en question à l’idée exprimée dans la principale»), Wartburg/Zumthor (1947) («mode de l’én-
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Zusammenhang hat die neuere Forschung völlig zu Recht die Hypostasierung von im Grunde gemeinsprachlichen Termini (wie etwa «Begehren», «Unsicherheit», «Gemütsbewegung») insbesondere bei den in der Tradition des Idealismus stehenden Modustheorien moniert.2 Von Interesse sind hingegen die über die jeweiligen Einzelfragestellungen im historischen Forschungskontext hinausgehenden, mithin gleichsam «klassisch» gewordenen Grundmotive und Forschungspositionen der Konjunktivforschung mitsamt ihren nachwirkenden theoretischen bzw. terminologischen Grundmomenten. Bleibt die Fragestellung danach, ob dem Konjunktiv eine – wie auch immer geartete – Bedeutung zukommt und mehr noch: Ob sich die verschiedenen Teilverwendungen des Konjunktivs letztlich unter eine Grundbedeutung bzw. einen Grundwert subsumieren lassen, grundsätzlich aktuell, so gewinnt sie noch konkretere Gestalt im Rahmen einer historisch-komparatistischen Studie der Modusentwicklung in den romanischen Sprachen: Auf die indogermanistischen Forschungen des Junggrammatikers Delbrück geht die – dann durch Meyer-Lübke kanonisierte – Auffassung von der doppelten Wurzel des lateinischen Konjunktivs zurück, der zufolge der indoeuropäische Optativ und der Konjunktiv zu einer Form verschmolzen seien.3 Die genetische Perspektive rechtfertigte es dann auch, von einem Dualismus zweier gleichwertiger, nicht ineinander überführbarer Konjunktivwerte zu sprechen – einem Konjunktiv des Wollens und einem Konjunktiv der Unsicherheit, Irrealität etc. Aber abgesehen davon, dass von genetischen Zusammenhängen nicht auf synchron-systematische Funktionalität geschlossen
ergie psychique», Hauptsatzfunktion vs. «subjonctif de l’existenciel»/«subjonctif du postulé» im Nebensatz), Gamillscheg (1957), Gili Gaya (151985) («potencial»/«optativo»), Spaulding («desire»/«uncertainty»). Die monistischen Theorien klassifiziert Schifko zunächst nach der über geordneten Opposition modal versus amodal, um im Weiteren eine Feindifferenzierung nach dem jeweils herausdestillierten Grundwert vorzunehmen. Bei den modalen Theorien lassen sich die folgenden Grundmotive herauslesen: Zweifel und Unsicherheit (Soltmann 1914; Foulet 31930), Wollen (Philp 1895, der späte Lerch; cf. Lerch 1931), Subjektivität (van der Molen 1923; Le Bidois/Le Bidois 21968); als Grundmomente amodaler Theorien sind zu nennen: Objektive Nichtrealität (Tanase 1943), Fokussierung auf den mentalen Charakter der Aussage als «Vorstellungsinhalt» («Das nur geistig oder vorstellungsmäßig Erfasste»: Clédat 1932; Kalepky 1928; Damourette/Pichon 1970 [1911–1950]; Togeby 1953 u.a.), Konjunktiv als Modus der Unterordnung (Bassols de Climent 1948; Ricken 1900), die chronogenetische Etappe der «temps in posse» in der psycho-systematischen Theorie Guillaumes. Auch Schifko selber entwickelt einen eigenen Ansatz im monistischen Rahmen. Dazu weiter unten. 2 Cf. hierzu Blumenthal (1998, 73). 3 Delbrück (1871); Brugman/Delbrück (1897, vol. IV,2, 384ss.); Meyer-Lübke (1972 [1899], 142– 146); Schifko (1967, 142).
Modus in der romanistischen Forschung
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werden kann – wie etwa Schifko4 zu Recht anmerkte – relativierten auch latinistische Arbeiten – etwa die Studien von Handford,5 Smith und jüngst von Sabanééva6 – die dualistische Genese des lateinischen Konjunktivs und versuchten vielmehr den volitiven Konjunktiv als primären Wert der frühen Latinität herauszustellen und den Konjunktiv der Potentialität als sekundäre, also abgeleitete Größe zu begründen. Einen ähnlichen Weg beschritt – für die romanischen Sprachen – dann auch Lerch in der großen Revision seiner Konjunktivtheorien von 1931 (Hauptprobleme der französischen Sprache). In diesem Zusammenhang etablierte der Romanist eine neue Konjunktivkategorie, den sogenannten «Konjunktiv des psychologischen Subjekts», der dann im Weiteren von der Forschung als «thematischer Konjunktiv» festgeschrieben wurde. Es handelt sich dabei um eine Okkurrenz des Konjunktivs, die immer dann auftritt, «wenn die Aussage des untergeordneten Satzes vom Gesprächspartner als bekannt vorausgesetzt wird und daher das Thema oder Subjekt darstellt, worauf sich die Aussage des übergeordneten Satzes bezieht, die dann das ‹psychologische Prädikat› ist».7 Charakteristische Verwendungskontexte für diesen, die «Thematizität einer Aussage signalisierenden»8 Konjunktivgebrauch werden durch affektive Matrixsatzverben («Je regrette qu’il soit venu») sowie Konstruktionen mit satzeröffnendem le fait que bzw. initialem que («Que Jean soit gentil, cela me semble impossible») geschaffen. Ein weiterer – ganz grundlegender – Traditionsstrang reicht zurück zur psycho-mechanischen Theorie Gustave Guillaumes. Auch hier sind nicht so sehr der theoretische, teilweise – so muss man wohl kritisch anmerken – doktrinäre «Überbau» des Schule begründenden Linguisten von zentraler Bedeutung, sondern das vielfache Echo bzw. der Nachhall dieses Theorieansatzes in zahlreichen romanistischen Beiträgen zur Geschichte des romanischen Konjunktivs: So sind zum einen insbesondere in Frankreich zahlreiche Studien von Schülern und Adepten, ganz im Geiste des Guillaume’schen Paradigmas, zu verschiedenen Aspekten des Tempus- und Modussystems entstanden – zu nennen sind hier beispielsweise die Arbeiten von Moignet zum Lateinischen und zur Geschichte des altfranzösischen Modussystems (Moignet 1959), Luquets Arbeit zur Entwicklung des Tempus- und Modussystems im Spanischen (Luquet 1988), Molhos synchrone Beschreibung der spanischen Verbalmorphologie (Molho 1975), Soutets Studien
4 Schifko (1967, 155). 5 Handford (1947, 15–22). 6 Cf. Smith (1999) sowie Sabanééva (1996, 36–38), mit kurzem Forschungsüberblick. 7 So die treffende Definition von Blumenthal (1998, 143). 8 Blumenthal (1998, 72).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
zur Geschichte der Konzession (Soutet 1990; 1992) sowie sein Überblickswerk zum französischen Subjonctif (2000),9 aber auch Buridants große altfranzösische Grammatik (Buridant 2000) – ja selbst ein Autor wie Robert Martin (1983; 1987; 21992), der erstmals systematisch auf formallogische bzw. wahrheitssemantische Modelle zur Analyse und Beschreibung spezifischer Phänomene im Bereich der Verbalkategorien rekurriert, zieht subsidiär Konzepte und Überlegungen der Guillaume’schen Theorie etwa zu Charakterisierung bzw. Delimitierung der Konjunktivdomäne10 oder auch bei der Analyse des sogenannten ne explétif heran.11 Das Augenmerk sollte jedoch weniger auf die terminologischen Anleihen an Guillaumes zentralen Werken – im Rahmen der Modusforschung sind dies vor allem die drei Werke: Temps et verbe (1993 [=1923]), L’Architectonique du temps dans les langues classiques (1945), La représentation du temps dans la langue française (1951)12 – als vielmehr auf die Ausformulierung, Exegese und Vertiefung Guillaume’scher Grundkonzepte am konkreten Untersuchungsgegenstand gerichtet werden. Hier sind in den genannten Studien bisweilen sehr richtungsweisende Interpretationen des Modusgebrauchs an konkreten Einzelphänomenen und damit verbundenen Fragestellungen erarbeitet worden, die dann in späteren Studien wieder aufgegriffen und gegebenenfalls modifiziert wurden. Zum anderen sind aber auch Neuakzentuierungen, Reformulierungen, zudem indirekte Übernahmen und Umdeutungen des Guillaume’schen Ansatzes von großer Bedeutung für die romanistische Modusforschung: So bemüht sich etwa der Autor John Hewson (1997) in seiner Lehre des französischen Verbsystems um eine Art «neoguillaumistische Synthese» auf kognitivistischer Basis, indem er den ursprünglich individualpsychologisch-spekulativen Ansatz des Meisters durch das Prisma moderner kognitivistischer Vorstellungen reinterpretiert. Auch eine zeitgenössische Studie wie die von Martin Hummel, der den Grundwert des Subjuntivo auf den eines «Inzidenzmodus» zurückführt, deutet einen guillaumistischen Kerngedanken um, indem er ihn seines temporalen Moments entkleidet.13 Aber auch die Charakterisierung des Konjunktivs als Modus der «Teilaktualisierung» – wie er sich etwa in der Studie Wunderlis zum Mittelfranzösischen (Wunderli 1970) sowie seinem theoretischen Werk Modus und Tempus (Wunderli 1976b) manifestiert – knüpft an das Guillaume’sche Konzept der «temps in posse» an.
9 Cf. auch Soutet/Badiou-Monferran (2005). 10 Cf. etwa die Übernahme von Konzepten wie «subordination critique» (Martin 1983, 114) oder «l’incidence précoce ou tardive de l’élément négatif» (Martin 1983, 122s.). 11 Cf. Martin (1983, 76–79). 12 Guillaume (1993 [=1923]; 1945; 1951). 13 So explizit Hummel (2004, 120–122).
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Die hier zunächst nur panoramaartig genannten Aspekte sollen nun weiter entfaltet werden. Guillaumes Theorie nimmt ihren Ausgang bei der individualpsychologisch gewendeten Simulation eines elementaren Konstruktionsprozesses, einer mentalen «opération constructrice», die auf die Repräsentation der Zeit gerichtet ist. Dieser Vorgang der Konstituierung einer Zeitstruktur, die Chronogenese («chronogenèse»), bedient sich spatialer Denkkonzepte und entfaltet sich dabei in zweifacher räumlicher Dimension:14 Auf einer Längsachse schreitet die telische Dynamik von einer amorphen zu einer vollkommen ausgebildeten Zeitstruktur voran; Querachsen («axes de recoupement transversaux») erlauben den Zugriff («saisie») auf die einzelnen Etappen des Konstruktionsprozesses (die «chrono thèse»). Dabei ist die Tatsache entscheidend, dass erst der systematische Zugriff auf den mentalen Konstruktionsprozess die relevanten linguistischen Kategorien zutage fördert, also den jeweiligen Modus und die ihm inhärente Zeitstruktur. Jeder Modus besitzt also ein eigenes «contenu de temps, lesqueles portent tous la marque du mode auquel ils appartiennent. Ce contenu temporel est la transposition sous forme de résultat de ce qui a été produit en longitude quand intervient la latitude transversale.»15 Im Einzelnen entsprechen den drei fundamentalen Zugriffsachsen der quasi-nominale Modus («temps in fieri» wie der Infinitiv und die Partizipialformen), der konjunktivische Modus («temps in posse») sowie der indikativische Modus («temps in esse»).16 Was die Ausgestaltung der Zeitstruktur im Allgemeinen und beim konjunktivischen Modus – mit seinen beiden grundlegenden Formen Subjonctif Présent (qu’il puisse) und dem Subjonctif Imparfait (qu’il pût) – im Besonderen anbelangt, so ist die perspektivische Opposition der beiden möglichen «visualisations cinétiques du temps»17 von zentraler Bedeutung: Bei der aszendenten Perspektive ist der Blick auf die Zukunft – als einer subjektbezogenen volitiv-agentivischen Handlungsdomäne – gerichtet, um mit Guillaume zu sprechen: «[U]ne direction selon laquelle le temps est senti être le champ ouvert, devant la personne humaine, afin qu’elle y porte et développe sa propre activité».18 Dem steht antithetisch die deszendente Betrachtungsrichtung gegenüber, die den Zeitfluss als unpersönliche, aufhebende und annullierende Kraft wahrnimmt («la puissance
14 So heißt es bei Guillaume (1969, 185): «L’architecture du temps, en tout idiome où elle existe, est une représentation systématisée obtenue par des moyens spatiaux». 15 Guillaume (1969, 186). 16 Guillaume (1945, 9s.). 17 Guillaume (1969, 195). 18 Guillaume (1969, 193).
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qui emporte toute chose, et la personne humaine, à la destruction»)19 und mithin auf das akkumulierte Quantum schon abgelaufener bzw. vergangener Zeit («temps accompli») fokussiert. Diese Opposition zwischen aszendenter und deszendenter Perspektive spiegelt sich nach Auffassung Guillaumes auch in dem Kontrast zwischen dem Subjonctif Présent und Subjonctif Imparfait wider: Ersterer lenkt den Blick in Richtung auf den Bereich offener Möglichkeiten, letzterer hingegen zurück auf das nicht mehr Realisierbare.20 Erst mit der Einführung des Präsens (der «finitude étroite») als dem Ankerpunkt einer dreigliedrigen Zeitstruktur eines Vorher (Vergangenheit) und eines Nachher (Zukunft) ist der Prozess der Repräsentation der Zeit als «image-temps» vollkommen abgeschlossen. Für die Analyse der Moduswahl in Komplementsätzen erlangt die Semantik des Matrixverbs eine zentrale Bedeutung als sogenannte «idée regardante»:21 Sie wird als eine Art Medium oder optisches Prisma interpretiert, das die telische Dynamik («la visée») der Chronogenese entweder auf ihre volle Realisierung zustreben lässt (sie ist dann eine «idée transparente») oder diese gleichsam «bricht», also nur zu einer Teilrealisierung («visée interceptée») gelangen lässt. Nach der veranschaulichenden Charakterisierung der Chronogenese durch eine Spatialmetaphorik sowie der Ableitung der Modi aus dem Verlaufsmodell eines gerichteten, dynamischen Prozesses, stellen die Anleihen aus dem Bildreservoir der Optik die dritte Konzeptualisierungsquelle der Guillaume’schen Modustheorie dar. So charakterisiert er die Matrixverben als «milieux», die entweder «non interceptif» wie croire oder «interceptif» wie regretter seien und charakterisiert die gesamte Modusproblematik unter dem Gesichtspunkt einer «dioptrique de la visée».22 Die Frage, ob ein Matrixsatzverb nun eine «idée regardante» einschließt, die auf eine Aktualisierung oder lediglich Teilrealisierung der im Komplementsatz enthaltenen «idée regardée» hinausläuft, entscheidet sich an einem als Normalsystem dienenden Orientierungsraster («expressions-étalons»), das von den vier Aktualisierungswahrscheinlichkeiten «possible», «probable», «certain» und «réel» konstituiert wird. An ihm lassen sich die von den Matrixsatzverben ausgedrückten «idées regardantes» lokalisieren bzw. messen: Beispielsweise orientiert sich je crois an il est certain, je vois wird zu il est vrai in Beziehung gesetzt
19 Guillaume (1969, 196). 20 So auch Moignet (1959, 121): «Le subjonctif présent marque que l’action considérée possède un avenir dans l’esprit du locuteur; l’imparfait, que l’avenir lui est fermé par le sentiment que le locuteur possède de sa propre actualité». 21 Für das Folgende cf. Guillaume (1945, 30). 22 Cf. Guillaume (1945, 30).
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und je prévois steht im Verhältnis zu il est probable.23 Die Scheidelinie zwischen Aktualität und Nichtaktualität stellt für Guillaume dabei die Opposition von il est probable («capacité d’actualité différente de zéro mais aussi petite que l’on voudra») und il est possible («capacité d’actualité zéro») dar.24 In anderen Kontexten, die sich durch eine typische Modusvariation auszeichnen, wird das um die Aktualitätsopposition kreisende Deutungsgrundmuster weiter ausgebaut, wobei einerseits der Gedanke der «Nichtaktualität» an analytischer Schärfe und interpretativer Überzeugungskraft gewinnt, andererseits sich aber das Modell der Chronogenese doch als recht abstrakt und eher spekulativ erweist. Die Modusalternation im Relativsatz wird ebenfalls mit der schon bekannten Aktualitätsopposition erklärt. Im Gegensatz zu einem Kontext, in dem auf ein aktuelles Objekt referiert wird – so in «je cherche un ami qui vit près de moi» – wird in dem Beispielsatz «je cherche un chemin qui conduise à la vérité» ein noch nicht aktueller Gegenstand anvisiert («objet qu’elle vise à atteindre, qui ne figure pas encore sur la figure d’actualité»).25 In den Adverbialsätzen (Konjunktionalsätze) erscheint die genannte Grundopposition als «aktualisierend» versus «virtualisierend», ein Gegensatz, der dann im Weiteren konsequent ausgedeutet wird: Besteht jeder Prozess aus zwei Phasen, einer Eröffnung («phase incidentielle») und einer Konsequenz («phase conséquentielle»), so lässt sich eine Konjunktion als aktualisierend charakterisieren, wenn sie ein Phasenschema festlegt, bei dem nach dem Abschluss der inzidentiellen Phase sogleich die Folgephase eröffnet wird – so etwa bei pendant que, en même temps que, après que, dès que, lorsque, parce que, puisque. Ihr kommt hingegen ein virtualisierender Charakter zu, wenn entweder die inzidentielle Phase keinen Abschluss findet – so bei Hypothesen (à condition que, pourvu que etc.), bei Wünschen oder Erwartungen (afin que, pour que, de manière que, jusqu’à ce que), bei einer Antizipation oder einem Ausschluss (avant que, sans que) sowie der Rücknahme eines Urteils (loin que, ce n’est pas que) – oder die konsequentielle Phase suspendiert wird (so die Erklärung für den Subjonctif bei konzessiven Ausdrücken wie bien que, quoique, malgré que, encore que).26 Guillaume deutet bei seiner Erklärung des Konjunktivgebrauchs in Superlativsätzen (le plus x que, le meilleur x que) und solchen Sätzen, die eine exponierte oder saliente Rangposition in einer Ordnungsskala fokussieren (le
23 Cf. etwa die «mathematische» Bestimmung der Position von Verben durch Bildung der Differenz von als Nullpunkte dienenden Orientierungsmarken und dem interzeptiven Quantum q in Guillaume (1945, 36ss.). 24 Guillaume (1945, 32). 25 Guillaume (1945, 41). 26 Guillaume (1945, 43s.).
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seul, le dernier, le premier), den Gedanken der Nichtaktualität am weitesten aus: In diesen Kontexten wird ein «champ de comparaison» geschaffen, aus dem ein Element isoliert wird, um seinen exzeptionellen Status in den Fokus zu rücken («dont elle détache un objet qu’elle isole de tous ceux qui y restent en mettant sur lui la marque du superlatif»). Seine Argumentation zuspitzend, fährt Guillaume fort: «Il se forme ainsi entre ce champ de comparaison et l’object qu’on retranche et sur lequel la pensée s’arrête finalement un intervalle q essentiellement subjectif et aussi petit que l’on voudra, mais qui n’en suffit pas moins – (...) – à provoquer l’emploi du mode subjonctif.»27
In dieser Charakterisierung erfährt der Gedanke der Inaktualität seine weiteste Ausformulierung: Die Fokussierung auf ein Element vor dem Hintergrund eines Vergleichsraums wird als ein subjektiver mentaler Konstruktionsprozess (die Schaffung eines «intervalle q essentiellement subjectif») gekennzeichnet, der den mit der Chronogenese verbundenen Ideationsprozess vor der «objektivierenden» Vollaktualisierung abbrechen lässt («la pensée s’arrête finalement»). Der inaktuelle Charakter des Subjonctif wird mithin für eine abstrakte Schematisierung gleichsam «instrumentiert». In diesem Grundgedanken liegt dann auch der Keim für spätere Konjunktivinterpretationen, die – in Anküpfung an H. Weinrichs Tempusmetapher – mit dem Konzept der «Modusmetapher» operieren (cf. etwa Hunnius 1976). Moignet bewegt sich in seiner Studie zum Modussystem im Lateinischen und Altfranzösischen in theoretischer Hinsicht sowie in der terminologischen Diktion ganz im Fahrwasser seines Lehrers.28 Dabei stellt er die Opposition zwischen der mit dem Indikativ korrelierenden «subordination acritique» (mit der besonderen Rolle der eine «idée thétique» ausdrückenden assertorischen Verben) und ihrem den Konjunktiv «auslösenden» Gegenpart der «subordination critique» in den Vordergrund.29 Den gerade skizzierten Grundgedanken von Konjunktivverwendungen im Rahmen besonderer Schematisierungen greift auch Moignet wieder auf und deutet ihn für den Bereich der Konjunktionen, insbesondere zweier spezifischer Erscheinungen im Französischen und Lateinischen aus: So gilt es zum einen die Moduswahl bei temporal-kausalem cum, zum anderen das Umsichgreifen des Subjonctif bei Temporalsätzen mit après que adäquat zu erklären: Im Zusammenhang mit diesen Konjunktionen gewinnt der Grundaspekt der Nicht-
27 Guillaume (1945, 40). 28 Cf. Moignet (1959, 84–132). 29 Moignet (1959, 101, 105 und 113ss.).
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aktualität eine weitere Facette hinzu: Indikativisches cum bzw. après que verweisen auf reale Zeitverhältnisse, ihre konjunktivischen Pendants auf eine logische Beziehung zwischen den verbundenen Satzteilen: Hier wird nun wiederum der referentielle Status des Teilsatzes annulliert und auf seinen logisch-abstrakten Charakter fokussiert. So schreibt Moignet zur Differenzierungsleistung des Subjonctif: «Le subjonctif, antérieur en chronogénèse à l’indicatif, est apte à suggérer une antériorité, non temporelle, mais de raison».30 Und führt den Gedanken dann explizit weiter: «On a ainsi, en discours, l’expression de l’antériorité chronologique, assumée par l’aspect transcendant, et en plus, opérée par le mode subjonctif, la suggestion d’une relation logique existant entre la subordonnée et la principale. Cette relation n’est pas celle de cause à effet, mais se réduit le plus souvent à la considération d’un lien étroit unissant les deux propositions.»31
Auch eine in jüngerer Zeit erschienene neoguillaumistische Darstellung The cognitive system of the French verb von John Hewson bewegt sich im konzeptuellen und terminologischen Bannkreis des französischen Linguisten, schreibt den Ansatz jedoch in einer kognitivistischen Perspektive fort und trägt dabei auch zur Präzisierung mancher Konzepte bei. Zunächst wird die Chronogenese etwas glücklicher gefasst: So erscheinen die Modi nicht mehr als Etappen («saisies») einer individualpsychologischen Operation der Chronogenese, sondern werden als «stages of cognitive processing of the verbal time image» reformuliert.32 In unserem Zusammenhang sind nun Hewsons durchaus originelle Rekonzeptualisierungen des quasi-nominalen Modus von geringerer Bedeutung: Die drei Ausprägungen des quasi-nominalen Modus entsprechen drei möglichen Konzeptualisierungsweisen von Ereignissen – als holistische Gestalt in Form eines «static container» (→ Infinitiv), als unvollständiger Inhalt («incomplete content») in der Innenansicht (→ Partizip Präsens) und als vollständiger Inhalt («complete content») in der Außenbetrachtung (→ Partizip Perfekt). Wichtiger hingegen sind die Einlassungen zum Konjunktiv, dessen virtuellen Charakter Hewson deutlich konturiert: Im Modus des Subjonctif besitzen Ereignisse zwar die ihnen inhärente Ereigniszeit, aber sie werden in keine in der Sprecher-Origo verankerte Universumszeit («Universe Time») eingeschrieben. Hewson:
30 Moignet (1959, 116). 31 Moignet (1959, 117). 32 Hewson (1997, 124).
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«In the case of the subjunctive, there is a representation of Event Time, of movement between an initial moment and a final moment, but the event so represented is never allocated to a contrastive position in Universe Time.»33
Im Konjunktiv stehende Ereignisse besitzen also keinerlei Bezug zur «realen» bzw. empirischen Zeit (Hewson spricht in diesem Zusammenhang von der «experiential time»). Daraus ergibt sich nun, dass der Konjunktiv nur ein «purely formal, potential event, and not a material (or realized) event»34 darstellen kann. Hewson fasst den Kontrast zwischen Subjonctif und Indicatif in folgender Weise zusammen: «The subjunctive, in other words, represents an event that is unrelated to the speaker’s immediate experience of time; the indicative, on the other hand, represents an event that is placed in relationship to the speaker’s immediate experience of time.»35
Auch die guillaumistische Vorstellung von dem besonderen konzeptuellen Status eines im konjunktivischen Modus stehenden Ereignisprädikats findet ein vielfaches Echo in dem Aktualisierungsversuch Hewsons: So wird der Subjonctif in Komplementsätzen damit erklärt, dass hier nicht das Ereignis selber in seiner empirischen Faktizität zur Debatte steht, sondern die «nature of the event» bzw. «the idea that lies behind the event». Wiederum erscheint das Ereignis nicht unter seinem referentiellen Aspekt, sondern als das Resultat einer mentalen Elaboration. Am Beispiel der Urteilsverben (etwa «il est bon que Pierre soit venu») bringt Hewson diesen Gedanken noch einmal prägnant auf den Punkt: «The use of the subjunctive in value judgements makes possible a much more generalized type of criticism: in explicitly critizing the nature of the event rather than its occurrence one is implicitly criticizing all other possible occurrences, of such an event by criticizing the underlying notion or principle of the event.»36
Man könnte diesen Gedanken Hewsons noch weiter treiben (was wir im weiteren Verlauf der Arbeit, an anderer Stelle, auch noch tun werden) und den Weg in Richtung einer konsequent quantifizierenden Sichtweise der Modusverhältnisse einschlagen: Der Subjonctif referiert nicht auf ein Einzelereignis oder besser: auf eine spezifische referentielle Okkurrenz, sondern auf eine ganze Klasse ihrem
33 Hewson (1997, 113). 34 Hewson (1997, 24s.). 35 Hewson (1997, 37). 36 Hewson (1997, 121).
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Wesen nach gleichartiger Ereignisse, mithin auf einen bestimmten Ereignistyp. Die gleiche Interpretation reproduziert Hewson auch bei den Konjunktivverwendungen, die wir schon als «thematisch» gekennzeichnet haben, so etwa bei le fait que («Le fait que Napoléon ait vaincu les Prusses à Iéna»): Wiederum wird das Ereignis nicht als eine unmittelbare Erfahrung der empirischen Wirklichkeit konzeptualisiert, sondern als eine mentale Abstraktion («Idee»), auf die sich die Prädikation des Matrixsatzes richtet. Noch einmal Hewson: «the notion of historical abstraction, fact as an abstract entity in an historical scheme, fact removed from the immediate world of immediate experience, fact as ‹idea›. In such a context, it is perfectly permissible for the noun ‹fait›, as an antecedent, to be considered not as an empirical event but as an abstraction, causing the use of the subjunctive in the subordinate relative clause.»37
Wenn sich Hewson auch nicht grundsätzlich von dem problematischen Konzept der Chronogenese als einem einheitlichen Konstruktionsprozess der Zeitstruktur bzw. einer zeitlichen Schematisierung losgesagt hat, so hat er dennoch mit der Opposition von «Event Time» (als dem Ereignis inhärente Zeitstruktur) und «Universe Time» (als in der Sprecherorigo verankerte empirische Zeit) den grundsätzlich verschiedenartigen Charakter zeitlicher Repräsentationen im konjunktivischen und im indikativischen Modus herausgestellt. Besonders attraktiv ist der in das Zentrum der Modusbetrachtung gerückte Gegensatz von empirischer Okkurrenz einerseits und konzeptueller Abstraktion andererseits, ein Gedanke, der sich noch zur Antithese von Einzelokkurrenz mit aktuell-referentiellem Status einerseits und Ereignisklasse bzw. Ereignistyp andererseits, zuspitzen ließe. Auf den letzten Aspekt werden wir im Zusammenhang mit formal-semantischen Ansätzen wieder zurückkommen. Stark vom Guillaumismus beeinflusst ist – aller Dementis des Autors zum Trotz – auch Peter Wunderlis Analyse des Konjunktivs als Modus der Teilaktualsierung. Sicherlich distanziert sich der Romanist in seinem Beitrag Modus und Tempus sowie auch an anderer Stelle38 von dem Gedanken der Chronogenese als einem «bei jedem Sprechakt ab ovo ablaufenden Prozeß, der je nachdem an verschiedenen Orten unterbrochen werden kann und entsprechend diesen Unterbrechungen die verschiedenen Modi ‹ausstößt›». Demgegenüber stellt er klar, dass es sich bei dem Verbalsystem um ein «innerhalb der langue gegebenes System von hierarchisch geordneten Morphemtypen», genauer um ein «sich in zunehmenden Maße verfeinernde[s] Raster zur sprachlichen Fixierung der konkreten,
37 Hewson (1997, 123). 38 Wunderli (1976b, 12); Wunderli (1970, 386ss., sowie 1973, 19ss.).
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aktuellen Verbalaussage» handelt.39 Unterhalb der spekulativ-theoretischen Ebene aber entspricht die entwickelte Modushierarchie in ihren Grundzügen dem Guillaume’schen Entwurf: Sie beginnt mit der Stufe der Nullaktualisierung durch den Infinitiv (Semantem + Angabe ‘Verb’), geht über die Minimalaktualisierung durch die Partizipialformen (Semantem + Angabe ‘Verb’ + Scheidung accompli/accomplissement), über die Teilaktualisierung, die durch den Konjunktiv (Semantem + Angabe ‘Verb’ + Scheidung accompli/accomplissement + Personalgliederung) geleistet wird, bis hin zum Indikativ (Semantem + Angabe ‘Verb’ + Scheidung accompli/accomplissement + Personalgliederung + Tempusgliederung), dessen wesentliche Leistung eben in der Markierung der «temporaldeiktischen Beziehung zur Sprecherorigo im betreffenden Verb»40 besteht und damit in der Vollaktualisierung des entsprechenden Prädikatsinhaltes. Zwei weitere – durchaus nachwirkende – Gedanken Wunderlis müssen in diesem Kontext ebenfalls genannt werden: Zum einen handelt es sich um das sogenannte «Inzidenzprinzip» oder auch die «temporaldeiktische Inzidenz». Damit wird das besondere, zwischem dem Matrixsatzverb und dem Nebensatzverb bestehende temporaldeiktische Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet, durch das die nicht vollaktualisierte Form von einem vollaktualisierten Element die ihm fehlenden Merkmalskomponenten erhält (etwa in «Il veut que tu viennes»).41 In diesem Sinne sind die Konjunktivformen als gebundene Formen zu betrachten, wobei dem Komplementierer que die Funktion einer Inzidenzpartikel zukommt. Diese Überlegungen decken sich mit der schon 1953 von Paul Imbs verfochtenen These von dem «korrelativen» Charakter des Konjunktivs,42 ein Gedanke, der später von Klaus Hunnius wieder aufgegriffen und ausgearbeitet wurde (dazu siehe weiter unten). Ein zweiter Aspekt ist m.E. aber von noch größerer Bedeutung: Die Entwicklung einer Systematik von Verwendungsweisen des Konjunktivs, und zwar vor dem Hintergrund eines drei Ebenen umspannenden Sprachbegriffs wie er von Eugenio Coseriu vertreten wurde (Coseriu 1952; 1975): Demnach ist der Konjunktiv als Modus der Teilaktualisierung als Grundwert auf der langue-Ebene anzusiedeln. Verschiedene konkrete Verwendungsweisungen sind als «effets de sens» (oder Nutzwerte) im Diskurs zu verorten. Aus der Vielzahl solcher «effets de sens» lassen sich jedoch drei Haupttypen der Konjunktivsetzung herausfil-
39 Wunderli (1976b, 12). 40 Wunderli (1976b, 11). 41 Wunderli (1976b, 16s.). 42 Imbs (1953, 47): «Sous la diversité des constructions du subjonctif se cache donc l’unité de sa condition la plus générale d’emploi: le subjonctif est toujours un terme corrélatif».
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tern, die der Abstraktionsebene der Norm zugewiesen werden können.43 So lässt sich als erster Setzungstyp die Instrumentierung der Teilaktualisierung zur Einschränkung der Gültigkeit einer Verbalaussage individuieren: Konkret sind dies die Konjunktivverwendungen im Kontext von Willens-, Wunsch-, Befehlsäußerungen sowie von Annahmen (sogenannte «volitive», «optative» und «suppositive Kontexte»).44 Die zweite Gruppe umfasst jene – im Neufranzösischen stark eingeschränkten – Verwendungsfälle des Konjunktivs zur Signalisierung der Divergenz zwischen dem Sprecher und dem Protagonisten der Äußerung (etwa die mittelfranzösische Modussetzung in «Je crois qu’il soit venu»). In der französischen Forschung wurde diesem zweiten Typ unter dem Stichwort der Polyphonie ausführlich Rechnung getragen (siehe weiter unten). Wunderli spricht selber von einer «lokutorialen Einschränkung» (im Gegensatz zur «lokutorial-protagonistischen Einschränkung» im ersten Fall).45 Unter den dritten Typ schließlich sind all’ jene Verwendungsweisen des Modus zu subsumieren, bei denen die Konjunktivsetzung der sogenannten «Reliefgebung» dient, d.h. den Nebensatz als Hintergrund für die besonders herauszustellende Hauptsatzaussage markiert. Es sind dies die schon oben zur Sprache gekommenen Kontexte des Typs «Qu’il soit venu, j’en suis sûr».46 Ein letzter Aspekt scheint mir in diesem Zusammenhang von großer Relevanz für den weiteren Forschungsdiskurs: So interpretiert Wunderli sowohl den ersten Setzungstyp als auch den dritten als Resultat einer metaphorischen Nutzung des konjunktivischen Grundwertes der Teilaktualisierung. Auch wenn er den Terminus nicht explizit verwendet, so tritt hier doch klar der Gedanke der Modusmetapher hervor: Es lässt sich mithilfe des die Teilaktualisierung kennzeichnenden Inzidenzprinzips sehr klar die intentionale oder suppositive «Spannung», die zwischen dem volitiven, optativen oder suppositiven Hauptsatz- und dem abhängigen Nebensatzprädikat besteht, herausstellen. Gleiches gilt für die Teilaktualisierung in den reliefgebenden Kontexten: Hier veranschaulicht die Konjunktivsetzung den «Satellitencharakter»47 der Nebensatzaussage. Schifkos Ansatz deckt sich lediglich in einem – allerdings zentralen – Punkt mit den Überlegungen der Guillaume’schen Denkschule: Auch er geht von einem Grundwert des Konjunktivs aus und bestimmt ihn als «das nicht in seiner Konkret-
43 Wunderli (1976b, 22s.). 44 Wunderli (1976b, 26). 45 Wunderli (1976b, 25), mit einer zusammenfassenden Übersicht. 46 Wunderli (1976b, 24). 47 Wunderli (1976b, 24).
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heit Erfasste».48 Dieses definitorische Kondensat entwickelt er dann anhand von charakteristischen Verwendungsfällen und rekurriert bei seinen jeweils beispielbezogenen Paraphrasierungsversuchen des Grundwertes auf typische Formulierungen aus dem guillaumistischen Deutungsfundus: Das Objekt einer Äußerung (etwa einer Willens- oder Verstehensäußerung), die im konjunktivischen Modus steht, wird nicht «in seiner Konkretheit, sondern als virtuelles, angestrebtes Ziel dargestellt» bzw. es wird «nicht konkret, anschaulich, sondern nur am Rande, als Konzept betrachtet».49 Schließlich: Im konjunktivischen Kontext wird eine «Fixierung des Akzents der Aussage und der Aufmerksamkeit auf den übergeordneten Satz» geleistet, «wodurch sozusagen der Vordergrund scharf aufgenommen, der Hintergrund jedoch durch die auf den Vordergrund eingestellte Bildschärfe verschwimmt und daher nicht in seiner Klarheit und Konkretheit erfasst wird».50 Zugespitzt werden diese Umschreibungsversuche des Grundwertes noch in der folgenden zusammenfassenden Formulierung: «Mit anderen Worten, der Konjunktiv bezieht sich sehr wohl auf eine gegebene Realität oder Nichtrealität, betrachtet sie jedoch auf eine besondere Weise, nämlich nicht in ihrer Konkretheit, sondern nur als Konzept, das fallweise den Charakter einer völligen Allgemeinheit oder Virtualität annehmen kann.»51
In diesem Syntheseversuch klingen noch einmal grundlegende Motive der guillaumistisch inspirierten Konjunktivbeschreibung an: Die grundsätzliche Problematik der Betrachtungsweise (→ «visée», «subordination critique»/«subordination acritique»), die Opposition von Referenz- (→ «Konkretheit») und Konzeptcharakter (→ «idée») des Nebensatzprädikats, von Realität und Virtualität, schließlich die Problematik des Ereignischarakters – einmal als Einzelokkurrenz, ein anderes Mal als Ereignistyp oder –klasse («Allgemeinheit»). Auch eine neuere Studie zum spanischen Konjunktiv – Martin Hummels Monographie Der Grundwert des spanischen Subjonctifs (Hummel 2001, spanische Version 2004) – schreibt sich explizit in die Guillaume’sche Tradition ein,52 modifiziert jedoch den Ansatz in einem Punkt grundlegend. Für Hummel sind
48 Schifko (1967, 174). 49 Schifko (1967, 176s.). 50 Schifko (1967, 177). 51 Schifko (1967, 178). 52 Besonders prägnant formuliert Hummel seine theoretische Nähe zu Guillaume in der spanischen Version seiner Modustheorie (cf. Hummel 2004, 120): «La teoría de los tiempos y modos de Gustave Guillaume es la que mejor se corresponde con mi hipótesis. El lingüista francés distingue tres fases de la realización temporal de un evento: ‹en puissance, en devenir, en réalité (p. 10)›, para las que elige los términos de ‹temps in posse›, ‹temps in fieri› y ‹temps in esse› (p. 9)».
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die Modi «spezifische Präsentationsformen von Ereignissen [Herv. i. O.], die sich durch die Perspektive der Erfassung unterscheiden bzw. verschiedene Aspekte aus der Merkmalstruktur des Denotatstyps ‹Ereignis› herausgreifen (fokussieren)».53 Der Indikativ wird dabei als der Modus der «Präsentation von Ereignissen im Existenzmodus» – «so wie [die Dinge] nach erfolgtem Eintreten sind» – gekennzeichnet, wohingegen der Konjunktiv Ereignisse im Inzidenzmodus präsentiert, d.h. ein Ereignis «unter dem Aspekt seines (vorgestellten) Eintretens [Herv. i. O.]» fokussiert.54 In der Akzentuierung des ontischen Charakters der Modi setzt sich Hummel nun dezidiert von Guillaume ab: Die durch die Modi ausgedrückte Präsentation von Ereignissen, bezieht sich «nicht direkt auf die ontische Kategorie ‹Zeit›, sondern» – so schreibt Hummel weiter – «auf die ontische Kategorie ‹Wirklichkeit›».55 Man mag den Eindruck gewinnen, Hummel schieße mit der Auffassung, der Konjunktiv spiegele «die ontische Grunderfahrung der Ohnmacht gegenüber dem Eintreten von Ereignissen»,56 ein wenig über das Ziel hinaus, nichtsdestotrotz illustriert sie besonders eindringlich die Grundvorstellung, die auf der «Wirklichkeitsachse» anzusiedelnde Kategorie Modus spiegele eine «noch grundsätzlichere menschliche Erfahrung» wider, als dies der Fall der Tempora ist.57 Mit der Bestimmung des Konjunktivs/Subjuntivos als Inzidenzmodus ist nach Hummel auch sein Grundwert bestimmt. Er stellt eine mögliche Präsentationsform von Ereignissen dar, bei der auf das «Eintreten als solches, d.h. das Eintreten losgelöst von seiner faktischen Aktualisierung» fokussiert wird.58 Wird also von der Frage nach dem tatsächlichen Eingetretensein oder einem Eintretenwerden abgesehen, so impliziere der konjunktivische Modus «die Existenz von Eintretensalternativen».59 Hummel paraphrasiert im Verlauf seiner Arbeit dieses Grundmotiv in vielfacher Weise. Er nähert sich bei den Reformulierungsversuchen seiner Hauptthese immer weiter der Guillaume’schen Position bzw. Diktion an: In seinem letzten, dem 12., Hauptkapitel versucht er schließlich, den Modus als Aspekt zu profilieren, Aspekt verstanden in einem weiteren Sinne als Perspektivierungsweise von Ereignissen. So schreibt Hummel:
53 Hummel (2001, 74). 54 Hummel (2001, 76). 55 Hummel (2001, 90s.). 56 Hummel (2001, 84). 57 Hummel (2001, 76). 58 Hummel (2001, 76). 59 Hummel (2001, 76).
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«Die Modi perspektivieren (fokussieren, präsentieren oder thematisieren) unterschiedliche Aspekte von Ereignissen [Herv. i. O.]. Man mag daher zwar einen anderen Terminus als Aspekt vorziehen, am Sachverhalt selber ändert sich dadurch jedoch nichts. Auch der Modus ist ein Aspekt, wenn man diesen Terminus auf lat. aspicere ‚erblicken, ansehen, betrachten’ bezieht. (...). Ich will diese Überlegungen zum Anlass nehmen, das Verhältnis von Sprache und beschriebener Wirklichkeit generell als aspektuell zu charakterisieren und den herkömmlichen Aspektbegriff dementsprechend erweitern.»60
Der erweiterte Aspektbegriff umfasst nun jede Verbalkategorie, da sie alle einen bestimmten Aspekt eines Ereignisses herausgreifen, ganz gleichgültig, ob es sich um temporale, modale oder im engeren Sinne «aspektuelle» Merkmale handelt.61 Bei der Herausstellung des aspektuellen Charakters des Konjunktivs findet die Guillaume’sche Konzeption ihren deutlichsten Wiederhall: «Der Subjunktiv zielt auf eine in der Dimension der Ereigniswirklichkeit zu situierende Perfektion (Vollendung) des Ereignisses ab, wird aber gewissermaßen vor der tatsächlichen Realisierung geistig angehalten. Es geht um ein Ereignis in fieri [Herv. i. O.], bei dem vom faktischen Eintreten und der Präsentation seines Verlaufs abgesehen wird. Anders ausgedrückt, der Subjunktiv präsentiert ein Ereignis nicht einfach als virtuell, sondern als in einer Realisierungsdynamik begriffenes und insofern telisches, aber gewissermaßen vor der Realisierung geistig angehaltenes und insofern imperfektives Ereignis. Der Subjunktiv erfasst die Verwirklichung eines Ereignisses in ihrer telischen Dimension (Inzidenzmodus), bleibt dabei aber ‹imperfektiv›, was die Verwirklichung (Perfektion) der Telik betrifft.»62
Hummels Argumentation mündet also letztlich in einen Guillaumismus reinster Form ein – die Postulierung eines Ereignisrealisierungsschemas, das drei charakteristische Etappen («in posse», «in fieri» und «in esse») umfasst sowie durch eine telische Realisierungsdynamik charakterisiert ist. Auf der Grundlage dieser Guillaume’schen Grundkonzeption63 leitet Hummel nun auch seinen Definitions-
60 Hummel (2001, 254). 61 Hummel (2001, 256). 62 Hummel (2001, 265). Ähnlich auch pp. 267 und 269 mit einer Wiederholung der terminologischen Trias von «in posse», «in fieri» und «in esse». 63 Die Grundierung seines Ansatzes in der Guillaume’schen Moduskonzeption deutet Hummel schon in dem 4. Kapitel seiner Monographie an: dort deutet er Guillaumes Subjunktivvorstellung aus und fährt fort: «Für ihn [Gustave Guillaume, d. Verf.] ist also der Subjunktiv nicht gleichzusetzen mit der reinen Möglichkeit eines Ereignisses, sondern mit dem sich ereignenden Ereignis, das aber noch nicht die Realität in esse erreicht hat. Wenn wir hinzufügen, dass diese Perspektivierung von Ereignissen auch rein geistig erfolgen kann, etwa wenn der Sprecher bei faktisch eingetretenen Ereignissen diese nochmals unter dem Aspekt ihrer Inzidenz betrachtet, dann ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung mit meinem Ansatz.» (Hummel 2001, 86). Noch dezidierter Hummel (2004, 122): «En conclusión, constatamos que la idea fundamental de
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versuch des romanischen Subjunktivs als «telisch-imperfektive[n] Aspekt der Verwirklichung von Ereignissen»64 ab. Die Kategorie Subjunktiv ist danach auf der Dimension der Verwirklichung angesiedelt und drückt den imperfektiven Aspekt, die nicht vollendete Telik einer Realisierungsdynamik aus.65 Hummel diskutiert in seiner Monographie einen weiteren grundlegenden Aspekt – das Verhältnis von Modus und Modalität. Allerdings wird das Verhältnis zwischen der sehr abstrakten – zumal ontisch gewendeten – Moduskonzeption und den in semantischer Hinsicht durchaus deutlich konturierten Einzelmodalitäten bei Hummel – trotz aller Bekenntnisse des Autors zu deren Verwandtschaft – nicht so recht deutlich. Auf diesen Aspekt werden wir in dem Abschnitt «Modus und Modalität» noch einmal kurz zurückkommen. Klaus Hunnius Konjunktivtheorie steht dem Guillaumismus insgesamt eher reserviert gegenüber, nicht zuletzt deshalb, weil dieser von den syntaktischen Momenten des Konjunktivgebrauchs absieht. Hunnius vertritt mithin die Auffassung, dass der Modusgebrauch nicht alleine mit semantischen Kriterien erklärbar sei, sondern vielmehr auch Form und Funktion des Satzes in Anschlag gebracht werden müsse. Als eine Art Leitmotiv zieht sich deshalb der schon erwähnte Gedanke Imbs von dem korrelativen Charakter des Konjunktivs durch seine – verschiedenen Konjunktivphänomenen gewidmeten – Studien.66 In seiner Habilitationsschrift von 1976 bringt er diese Überzeugung programmatisch auf den Punkt: «Es sollte zu denken geben, dass das Phänomen der ‹servitude grammaticale› gerade in der Syntax der Modi auftritt. Dass hier ein sogenannter mécanisme grammaticale auftaucht, liegt im Wesen des Konjunktivs, der Glied einer Korrelation ist und dem immer mehr oder minder eng ein zweites sprachliches Zeichen zugeordnet ist.»67
Hunnius greift bei seinen Ausführungen auch den nicht unumstrittenen Terminus der «servitude grammaticale» wieder auf, grenzt sich aber gegen die seiner Auffassung nach gängige Fehldeutung, die auf einer inadäquaten Konzeption des Konjunktivs beruhe,68 mit Nachdruck ab: Die «servitude grammaticale» dürfe nicht als eine Dekadenzerscheinung, als eine rein mechanische Modussetzung
Guillaume, según la cual el subjuntivo se emplea cuando un evento se prepara sin llegar hasta su realización, coincide con mi idea del enfoque de la incidencia de eventos, de manera que podemos considerarla como una corroboración intersubjetiva importante». 64 Hummel (2001, 269). 65 Hummel (2001, 268). 66 Cf. Hunnius (1971; 1976; 1987; 1999a; 1999b). 67 Hunnius (1976, 23). 68 Hunnius (1976, 146).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
missdeutet werden, sondern müsse als das verstanden werden, was den Konjunktiv eigentlich ausmacht, nämlich als Reflex seiner «Korrelativität» – der Tatsache also, dass der Konjunktiv «zu allen Zeiten die Tendenz zeigt, mit bestimmten grammatischen und lexikalischen Formen eine feste Bindung einzugehen».69 Im Zentrum des Interesses muss deshalb die «detaillierte Beschreibung der Konjunktivkombinatorik»70 stehen. Einen zweiten wichtigen Aspekt etabliert Hunnius in der romanistischen Konjunktivforschung, das offenbar in Analogie zu Harald Weinrichs «Tempusmetapher»,71 geprägte Konzept der «Modusmetapher». Dieser Terminus soll nun all’ jenen Vorkommenskontexten besser Rechnung tragen, die bislang von der Forschung unter dem Stichwort der Thematizität («thematischer Konjunktiv») bzw. der Präsupposition – die schon zitierten appreziativen Kontexte: «il est dommage qu’il soit venu» bzw. die Fälle mit satzeinleitendem que bzw. le fait que («que tu sois gentil, c’est certain») – abgehandelt wurden. In Antithese zu einer Sichtweise, die den Konjunktiv in diesen Kontexten als Hintergrundmarkierung ansieht, formuliert er im Rahmen seiner sprachhistorisch fundierten Argumentation: «Der Mangel an Expressivität, den der Verzicht der verschiedenen Ausdrucksmittel und die vorwiegende Beschränkung auf die Konjunktion que mit sich bringt, verlangt nach einem Ausgleich. Die bis dahin [bis zum 16. Jahrhundert, Anm. d. Verf.] wenig genutzte Möglichkeit der Konjunktivverwendung erfährt nun eine Belebung, da sie die erforderliche Kompensation bietet. Der Konjunktiv ist für diese Aufgabe geeignet, weil er nicht, wie so häufig in Anlehnung an die Theorie des psychologischen Subjekts behauptet wird, die Aussage des Nebensatzes abschwächt, sondern gerade das Gegenteil bezweckt und bewirkt. Er dient in der vorliegenden Verwendung zur Steigerung der Expressivität und Intensität der Äußerung und erzielt diese Wirkung durch ein ‹rhetorisches› Mittel. Indem der Konjunktiv zur Darstellung unbestrittener Fakten verwendet wird, stellt er sie zum Schein in Frage, degradiert sie zu bloßen Hypothesen, mit keinem anderen Ziel als dem der Verstärkung und Hervorhebung. Man ist geneigt, von einem metaphorischen Gebrauch zu sprechen und damit ein Phänomen, das hauptsächlich im Bereich der Tempora geläufig ist, auf die Modalsyntax auszudehnen.»72
Der Konjunktiv, so resümiert der Autor am Ende seiner historischen Studie über den Modusgebrauch nach den Verben der Gemütsbewegung im Französischen, ist eben kein Mittel «zur Abschwächung der Aussage», sondern besitzt vielmehr
69 Hunnius (1976, 146). 70 Hunnius (1976, 29). 71 Weinrich (1982, 62001 (11964)). 72 Hunnius (1976, 113).
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die Funktion einer «expressiven und emphatischen Sprachform», «da er in ‹rhetorischer› Manier unbestreitbare Tatsachen zum Schein in Frage stellte».73 Hunnius’ Position verbindet zwei grundlegende Aspekte auf gelungene Weise miteinander: Einmal «hallen» in seiner Analyse die guillaumistisch geprägten Überlegungen Moignets nach, die ihres doktrinären und terminologischen Ballasts entledigt und auf linguistische Begriffe gebracht werden: So hatte schon Moignet den erstmaligen Subjonctif-Gebrauch bei «faits acquis» im 12. Jahrhundert (beispielsweise bei est droiz que, est savoir que, chier ai que) auf eine Denkfigur zurückgeführt – und zwar das gedankliche Absehen («die Abstraktion») von der Faktivität der Nebensatzaussage, um diese zum Gegenstand eines mentalen Aktes – eines Bewertungsaktes – zu machen. In Moignets Diktion lautet die Überlegung: «Nous croyons avoir là les tout premiers exemples de l’usage moderne qui, par un regard critique, maintient dans la visée ce qui est l’objet de l’appréciation, en vertu du fait que la critique porte plus efficacement sur la virtualité que sur le fait admis comme acquis. Le regard critique ne veut point considérer comme acquis ce qui l’est pourtant en fait; il le désactualise, ou refuse de l’actualiser, pour en considérer l’idée comme une pure abstraction à mettre en débat [Herv. d. Verf.].»74
Und er schließt mit einer sprachhistorischen Einordnung dieser – «faits acquis» auf neuartige Weise perspektivierenden – Konjunktivverwendung: «On sent se développer dans les oeuvres littéraires de la seconde moitié du XIIe siècle surtout, un sentiment fin de l’appréciation intellectuelle, morale et affective, qui se reflète dans un usage subtil du mode subjonctif.»75
Hunnius schreibt nun – und dies ist das zweite grundlegende Moment seines Ansatzes – diese metaphorische Konjunktivverwendung in einen syntaktischen Kontext ein: Der Konjunktiv leistet einen wesentlichen Beitrag im syntaktischen Verfahren der mise en relief und seine Fähigkeit «unbestrittene Tatbestände zum Schein in Frage zu stellen», so schreibt Hunnius abschließend in seiner Monographie von 1976, «stimmt [...], aufs beste mit der Funktion des invertierten Satztyps überein, der häufig zum Zweck der Hervorhebung dient und darauf abzielt, einen antithetischen Bezug zum voraufgehenden oder folgenden Kontext herzustellen».76
73 Hunnius (1976, 145). 74 Moignet (1959, 395). 75 Moignet (1959, 397). 76 Hunnius (1976, 146).
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Diese Grundposition hat Hunnius bis in die jüngste Zeit durchgehalten: In einem neueren Beitrag von 1999 mit dem Titel Modus und kognitive Semantik warnt er erneut davor, den sogenannten «thematischen Konjunktiv» alleine mit dem formelhaften Hinweis auf «Präsupposition» oder «Thematizität» zu erklären. Er plädiert vielmehr für einen «Konjunktiv der Topik», «der an den Rezipienten appelliert und Kontrastierung und Emphase als wesentliche Elemente enthält».77 Eine dezidiert kritische Position gegenüber dem Guillaumismus, insbesondere der «esoterisch psychologisierenden Ausdrucksweise»78 seiner orthodoxen Vertreter nehmen Gsell und Wandruszka ein. Anstatt von einer allumfassenden Gesamtvision auszugehen, plädieren sie für eine empirisch überprüfbare – erweiterungs- und verfeinerungsfähige, aber eben und vor allem auch falsifizierbare – Theorie, die auch «unabhängig von der jeweils erfolgten Moduswahl» erkennen lässt, «ob die von der Theorie formulierten Bedingungen für diese Wahl erfüllt sind oder nicht».79 So ist eine Argumentationsweise, die – fallweise – einmal eine bestimmte «Schau» (oder «visée critique») mit der Verwendung der Form begründet, ein anderes Mal eben diese «Schau» oder «Vorstellung» zur Rechtfertigung ihres Vorkommens anruft, zirkulär, macht sie doch nicht deutlich, was Explicans und was Explicandum sein soll.80 Gsell und Wandruszkas eigene Diskussion über Funktionalität des Konjunktivs sowie die Gretchenfrage nach seinem Grundwert endet offen,81 jedoch nicht, ohne einige grundlegende Orientierungen für die weiterführende Konjunktivforschung aufzuweisen: Lässt sich der Konjunktiv nach Auffassung der Autoren nicht positiv bestimmen, so ist wenigstens eine negative Bestimmung in der Kontrastierung zum Indikativ aufgrund dreier – gleichsam als definitorische Minima fungierender – Basismerkmale möglich: die Kombination der Merkmale «faktisch», «definit referierend» und «rhematisch» kennzeichnet den prototypischen Indikativkontext bzw. dessen kommunikativen Rahmen: Der indikativische Teilsatz besitzt den Charakter einer Mitteilung bzw. einer Assertion. Er teilt einen Sachverhalt mit bzw. assertiert ihn. Die Domäne der Assertion ist seine
77 Hunnius (1999b, 179s.). 78 Gsell/Wandruszka (1986, 27). 79 Gsell/Wandruszka (1986, 16). 80 Cf. Gsell/Wandruszka (1986, 16). 81 Gsell/Wandruszka (1986, 98): «So führt also auch die Prüfung der Funktionalität des Konjunktivs zu einem offenen Ende. Ebenso wie die zuvor geprüfte inhaltliche Einheit dieses Modus lässt sie sich mit linguistischen Argumenten aufgrund der sprachlichen Daten weder ausschließlich noch zwingend beweisen, wie etwa im Fall des Imperativs. Aber wen interessiert schon der Imperativ?».
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exklusive Domäne.82 Der Konjunktiv figuriert in Sätzen nicht-mitteilenden Charakters. Aber auch hier ist der Indikativ präsent – wie sich besonders im Falle der indirekten Fragesätze, nimmt man einmal die Konjunktion que aus – zeigt. Der Indikativ kann demnach – zumindest für das heutige Französisch – als der extensive unmarkierte Term der Modusopposition gekennzeichnet werden. Aus dieser Relation ergibt sich – so Gsell und Wandruszka – auch zwingend die Unmöglichkeit einer positiven Gesamtformel.83 Als zukunftsträchtig sehen die beiden Autoren demgegenüber die Weiterführung eines Ansatzes an, der seinen Ausgang bei einem «logisch fundierten Assertionsbegriff»84 nimmt. Auch wird der Weg einer Einschreibung der Modusproblematik in eine Modalsemantik gewiesen – das «Ausbuchstabieren» des Abstraktums Modus in modalen Kategorien, die sich für eine viel differenziertere und zugleich prägnantere Deskription der sprachlichen Fakten eignen. Sie bestimmen allerdings nicht das Verhältnis zwischen Modus und Modalität in exhaustiver Weise: Entscheidend ist aber, dass Modalitäten auf vielfältige Weise ausgedrückt werden können – neben den Modi leisten dies ebenso die Tempora (cf. etwa epistemisches Futur oder Imperfekt zum Ausdruck der Irrealität) wie explizite lexikalische Mittel (modalisierende Satzadverbien oder Modalverben) oder auch syntaktische Strukturen (Fragesatztypen).85 Die hier für die romanistische Modusforschung angedeutete Perspektive wird in dieser Arbeit konsequent beschritten werden. In den Kapiteln (1.2.2) bis (1.2.3) wird deshalb auch der fundamentale Modalitätsbegriff sowie das Verhältnis von Modus und Modalität ausführlich behandelt bzw. diskutiert. 1.1.2 Modus in einem syntaktischen Rahmenmodell (der Ansatz Lalaires)86 In seiner Monographie La variation modale dans les subordonnées à temps fini du français moderne von 1998 versucht Lalaire das französische Modussystem mithilfe eines syntaktischen Rahmenmodells zu beschreiben. Dabei greift er auf
82 Gsell/Wandruszka (1986, 22s.). 83 Gsell/Wandruszka (1986, 23). 84 Gsell/Wandruszka (1986, 27). 85 Gsell/Wandruszka (1986, 3). 86 Kempchinsky (1986) legte die wohl erste ausführliche generativistische Studie zum Modussystem in den romanischen Sprachen vor. Sie versuchte insbesondere das unterschiedliche Obviationsverhalten koreferenter Matrix- und Komplementsätze im Rumänischen einerseits und im Französischen und Spanischen andererseits im Rahmen der Bindungstheorie zu erklären (Kempchinsky 1986, 102ss., sowie zusammenfassend 166s. und 196s.). In diesem Zusammenhang behandelt sie auch die für das Rumänische charakteristischen infinitivwertigen Konjunk-
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ein (aus didaktischen Gründen elementarisiertes) generativistisches Beschreibungsmodell auf der Grundlage der Government and Binding Theory zurück. So geht der Linguist – im Rahmen einer homogenen X-bar-Struktur phrasaler Konstituenten – von einer einheitlichen funktionalen Kategorie INFL aus, lokalisiert also auch die Kategorie Modus – neben Tempus (T) und Agreement (AGR) – in I. Für ein Absehen von der Split-INFL-Hypothese spricht nach Auffassung Lalaires, neben dem Argument deskriptiver Ökonomie, insbesondere die funktionale Überlappung der Kategorien Tempus und Modus, die sich etwa im Französischen an der vielfältigen Wahrnehmung modaler Funktionen durch die Kategorie Tempus zeigt. In diesem Zusammenhang ließe sich etwa das epistemische Futur («Il sonne. Ça sera Pierre»), evidentielles Konditional («Selon ce journaliste, le président serait malade») oder das Imparfait de l’irréalité («si j’étais un oiseau», «il s’en fallait de bien peu et il tombait») anführen.87 Als relevanten Mechanismus für die Instantiierung des Modus stellt Lalaire die strukturelle Relation bzw. Konfiguration des Regierens («gouvernement»), die zwischen dem Kopf X – dem Regens – und dem von ihm regierten – eine Argumentposition saturierenden – Element besteht, heraus. In einer einfachen Version formuliert, kann die Relation des government charakterisiert werden als: Government: gegeben sei die Konfiguration [β...γ...α...γ...], mit (I) α=X (Kopf) (II) φ sei eine maximale Projektion, wenn φ γ dominiert und φ α dominiert, (III) α γ c-kommandiert dann regiert α γ.
tivsätze des Typs «Am început în bucătărie să gătesc cina» (‘Ich habe angefangen, das Essen in der Küche zu bereiten’). 87 Giannakidou (1998, 46), plädiert vom griechischen Modussystem ausgehend (im Anschluss an Philippaki-Warburton 1984; 1993) für eine komplexe INFL mit einer MoodP als der höchsten Projektion von INFL. Sie kann dabei auf die explizite griechische Moduspartikel na verweisen. Ganz analog sind die Verhältnisse im Rumänischen – hier leistet die Moduspartikel să (etwa in «Eu vreau să plec la mare») angesichts eines heute stark homonymen Präsensparadigmas von Indikativ und Konjunktiv im Wesentlichen die Modusmarkierung (eine Ausnahme stellt die 3. Person Präsens dar, beispielsweise: el merge (gehen: Präsens:Indikativ:3.Singular) – să meărgă (gehen:Präsens:Konjunktiv:3.Singular)). Eine Darstellung findet sich am Ende dieses Kapitels.
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In der Definition spielt eine weitere Konfiguration, die zwischen zwei Schwesterknoten besteht, das sogenannte c-Kommando (c-command), eine zentrale Rolle und kann definiert werden als: c-command: «A c-kommandiert B dann und nur dann, wenn A nicht B dominiert und jedes X, das A dominiert auch B dominiert.»88
Eine Beziehung der beschriebenen Art besteht zwischen dem Matrixverb oder einem anderen nebensatzeinleitenden Element (Operator) und dem von ihm regierten abhängigen Neben- bzw. Komplementsatz S’, wie das folgende Schema deutlich macht: X" c-command Spec, X'
X'
X° (etwa V°)
C" (= S')
Spec, C'
C'
C°
I"
Spec, I'
I'
I
V"
Wie Lalaire nun schreibt, entscheidet sich die Frage nach der Moduswahl am referentiellen Status des Komplementsatzinhaltes (bzw. seines propositionalen Gehalts). Lalaire charakterisiert den Indikativ als den Modus der Assertion, der seiner Auffassung nach einen Wahrheitswert instantiiert. Demgegenüber wird beim Konjunktiv, dem Modus der Virtualität, der Wahrheitswert gleichsam «suspendiert». Lalaire identifiziert drei Faktoren, die bei der Festlegung des referentiellen Status des Komplementsatzes mitwirken:
88 Cf. Haegeman (21999, 137).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
–– die Art des Komplementierers in COMP –– die semantischen Merkmale der lexikalischen Einheit (des «Operators»), die den Nebensatz/Komplementsatz S’ regiert –– der assertive Status (= die Modalität) des Matrixsatzes.89 Die Relevanz des ersten der genannten Faktoren wird unmittelbar einsichtig anhand der folgenden Beispielpaare:90 (1) «Luc demande que Léa *revient/revienne» (2) «Luc demande si Léa reviendra/*revienne» (3) «Luc vérifie que le gaz est/soit bien fermé» (4) «Luc vérifie qui est/*soit là»
Lalaire charakterisiert die Komplementiererposition COMP mit der französischen Metapher sas (etwa: ‘Schleusenkammer’), um ihre Funktion anschaulich zu machen: Wird die Position von einem Komplementierer mit eigenem semantischen Status besetzt, so bildet sie eine eigene opake semantische Domäne aus (die ‘Schleusenkammer’ ist gleichsam verschlossen). Wird die Position hingegen von que «gesättigt», so öffnet sie sich dem semantischen Einfluss des regierenden Operators sowie – sekundär – der Satzmodalität des übergeordneten Matrixsatzes S’, denn der Komplementierer que besitzt keine eigene Bedeutung («un complémenteur vide de sens») und kann aus diesem Grunde auch keinen referentiellen Status festlegen. Deshalb wird nun – im Rahmen einer erweiterten semantischen Domäne – die Semstruktur des regierenden Operators und inbesondere die Merkmalsopposition [+ real] / [+ virtuell] für die Instantiierung des korrespondierenden Modus relevant, wie dies die folgenden Beispiele91 illustrieren: (5) «Luc constate que Léa est là» (6) «Luc veut que Léa soit là»
Lalaire schlägt im Weiteren auch eine recht exhaustive Taxinomie für die verschiedenen, den Komplementsatz einleitenden Operatoren vor. Er unterscheidet dabei die folgenden Hauptgruppen, denen sich semantisch weiter spezifizierte Untergruppen zuordnen lassen:92
89 Lalaire (1998, 9). 90 Beispiele zitiert nach Lalaire (1998, 10). 91 Beispiele zitiert nach Lalaire (1998, 11). 92 Lalaire (1998, 84ss.).
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–– Epistemische Prädikate (Perzeptionsverben, Wissens- und Vergessensverben) –– Informationsverben/Kommunikationsverben («les termes de la fonction informative») –– Alethische Verben: unter diese Kategorie subsumiert er a. die Meinungsverben und b. die ontischen Verben («les ontiques»): die ontischen Verben bewerten einen Sachverhalt vor dem Hintergrund einer relevanten Domäne – etwa a) der Wirklichkeit (c’est une réalité que), b) der Gewissheit (il est certain, exact, sûr, vrai), c) einer Glaubenswelt (croire), d) der Wahrscheinlichkeit (il est probable), e) des Anscheins (sembler), f) des Zufalls (il arrive que, il est aléatoire), g) der Möglichkeit (il est possible que, il se peut), des h) Zweifels (douter), i) der Unmöglichkeit (il est impossible que) –– volitive Verben («volitifs»): Wille, Erwartung, Furcht, affektive Ausdrücke (admirer, détester etc.) –– deontische Verben: a. nomimologische Verben («les nomimologiques»), die einen Sachverhalt im Hinblick auf eine implizite Norm/Maßstab bewerten (il est normal, étrange, rare), b. axiologische Verben: Bewertung eines Sachverhalts im Hinblick auf ein Wertkriterium (il est bon, il est tragique, il est juste, il est illégal, il est malhonnête etc.) –– psychologische Verben (content, satisfait, ravi) –– performative Verben (ordonner, arrêter) Anhand der genannten Aspekte – der besondere Status des Komplementierers que sowie die daraus resultierende Relevanz eines regierenden Operators (Prädikats) des übergeordneten Matrixsatzes – lässt sich nun auch im Rahmen einer syntaktisch akzentuierten Analyse der schon mehrfach erwähnte «thematische Konjunktiv» vom Typ «Que Luc soit paresseux, tout le monde le sait» charakterisieren.93 Bei diesem Strukturtyp – genauer: der Linksversetzung (dislocation à gauche) eines Komplementsatzes – wird die Konstituente S’ (also die CP) nicht durch einen Operator (ein Prädikat) regiert. Da der Komplementierer que selber keinen referentiellen Status besitzt und ein geeignetes regierendes Prädikat fehlt, das diese Rolle übernehmen könnte, bleibt der Wahrheitswert des Komplementsatzes (bzw. seines propositionalen Gehalts) unbestimmt bzw. wird «suspen-
93 Lalaire (1998, 23ss.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
diert». Dies ist aber genau der Kontext, der den konjunktivischen Modus auslöst («lizensiert»). Neben der semantischen Qualität des Komplementierers und inbesondere des den Komplementsatz regierenden Prädikats (bzw. Operators) besitzt noch ein dritter Parameter Relevanz für die Modusinstantiierung – und zwar der referentielle Status des Matrixsatzes: So kommt jedem (bejahten oder verneinten) Deklarativsatz – seiner Satzmodalität gemäß: automatisch – ein Wahrheitswert zu. Interrogativ-, Aufforderungs- und Bedingungssätze besitzen hingegen keinen solchen. Die Setzung des Wahrheitswertes auf den negativen Wert sowie die Aussetzung des Wahrheitswertes eröffnen die Möglichkeit eines Konjunktivgebrauchs. Man betrachte die Exempla:94 (7) «Luc croit que Léa dort/*dorme» (8) «Luc ne croit pas que Léa dort/dorme» (9) «Luc est si fatigué qu’il dort/*dorme debout» (10) «Luc est si fatigué qu’il dorme debout?» (11) «Luc achète une propriété qui a/*ait un parc» (12) «Achète une propriété qui a/ait un parc»
Schließlich ist auch die s-Selektion, die semantische Qualität der von dem Prädikat selegierten Argumente von Bedeutung für die Modusproblematik: Nur eine CP, die von dem regierenden Operator als Thema theta-markiert wurde, ist überhaupt für die Merkmalsopposition [+ real/ + virtuell] sensitiv, was sich besonders deutlich am Beispiel von – in die Argument-NP eingeschriebenen – Relativsätzen zeigt: (13) «Je demande un café qui soit bien chaud à une dame qui sert/* serve au bar» (zitiert nach Lalaire 1998, 12).
Lalaires syntaktisch akzentuierter Ansatz macht deutlich, dass – ist erst einmal der Lizensierungsrahmen für den Modus abgesteckt – in erster Linie die Semantik der lexikalischen Operatoren und darüber hinaus der semantische Charakter des Komplementierers sowie die Satzmodalität des Hauptsatzes die ausschlaggebenden Kriterien des Modussystems sind. Dies gilt insbesondere auch für die Erklärung des Modusgebrauchs in Relativsätzen und negierten Hauptsätzen, wie die
94 Beispiele zitiert nach Lalaire (1998, 12).
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entsprechenden Analysen Lalaires zeigen.95 Seine Interpretation des Konjunktivs als Modus des «suspendierten Wahrheitswertes» vereinfacht die Dinge nicht nur ungebührlich, sondern lässt sich, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, mit keiner satzsemantischen Theorie vereinbaren. So macht Lalaires durchaus exhaustive Beschreibung des französischen Modussystems ein Dilemma deutlich: Sein syntaktischer Rahmen bedarf einer komplexen semantischen Theorie, um die vielfältigen sprachlichen Erscheinungen in umfassender und differenzierter Weise beschreiben zu können. Aber eine solche Semantiktheorie hat im Rahmen eines überwiegend syntaktisch orientierten Modusverständnisses keinen angemessenen Platz. Am Ende dieses Kapitels wird zu Illustrationszwecken die Struktur einer komplexen IP für Sprachen wie das Griechische und das Rumänische dargestellt, in denen die Kategorie Modus zusätzlich zur oder anstelle der Verbalflexion durch eine Moduspartikel signalisiert wird. Darstellung einer komplexen INFL unter Integration der MoodP nach Giannakidou am Beispiel des Griechischen: (14) «Na to ixes pi» (Giannakidou 1998, 46) Subj. it had.2sg said (‘You should have said it’) MoodP
Mood’
Mood°
na
T/AgrP
DP
T/AgrP
T/Agr’
tol
95 Cf. Lalaire (1998, 182ss.).
T/Agr0
ixesv
VP
tv pi tl
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Ganz analog sind die Verhältnisse im rumänischen Komplementsatz: (15) Tu trebuia să – l fi văzut pe Lucian interpretând rolul principal. (‘Du hättest Lucian in der Hauptrolle (wie er die Hauptrolle gespielt hat) sehen müssen’) MoodP
Mood’
Mood°
să
T/AgrP
DP
îll
T/AgrP
T/Agr’
T/Agr0
fiv
VP
tv văzut tl
1.1.3 P ragmatische Überlegungen in der hispanistischen und galloromanistischen Forschung 1.1.3.1 Diskurspragmatische Ansätze in der hispanistischen Forschung In der hispanistischen Modusforschung hat sich eine pragmatische Forschungstradition herausgebildet, welche die Modusverteilung jenseits der traditionellen semantischen Analyse von Prädikatsklassen auf der Grundlage von informationellen Kategorien erklären möchte. Sie richtet dabei ihr besonderes Augenmerk darauf, den Gebrauch des konjunktivischen Modus bei den sog. faktiven Verben (wie in «lamento que Juan esté enfermo») sowie bei bestimmten syntaktischen Konstruktionen (insbesondere des Typs «el hecho de que no haya venido me parece bien») zu motivieren.96 Den Ausgangspunkt dieser Richtung bildet der einflussreiche, noch klar semantisch akzentuierte, Beitrag A semantically based
96 Cf. etwa Haverkate (2002, 95–98).
Modus in der romanistischen Forschung
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analysis of mood in Spanish von Terrell und Hooper aus dem Jahre 1974, in dem der indikativische Modus mit Assertivität («assertion») und der konjunktivische Modus mit Nicht-Assertivität («non-assertion») in Verbindung gebracht wird.97 Nicht-Assertivität umfasst nach dieser Analyse nicht nur die Kategorie der Irrealität (also die Tatsache, dass ¬p), sondern schließt auch präsupponierte Information («presupposed») mit ein. Präsupponierte Information ist kennzeichnend für die Komplementsätze sog. faktiver Verben: Verben wie beispielsweise lamentar präsupponieren die Wahrheit ihres Komplements, das sie einer Wertung unterziehen.98 Eine pragmatische Wendung nahm dieser Erklärungsansatz mit seiner Verankerung in der Grice’schen Konversationstheorie. Dabei wird das Relevanzprinzip der Grice’schen Theorie,99 insbesondere in seiner Reformulierung bei Sperber und Wilson,100 in den Rang eines allumfassenden Erklärungsprinzips für die Funktionsweise des Modussystems erhoben. Insbesondere Lunn hat in mehreren Arbeiten101 diese Position ausformuliert und in ihren Studien zum spanischen Modussystem konsequent angewendet. In dem folgenden Zitat wird der Grundgedanke dieses Erklärungsansatzes prägnant zusammengefasst: «For example, the Principle of Relevance invites the prediction – which Sperber and Wilson do not make – that utterances that do not meet the presumption of optimal relevance should be marked for this derivation from the norm. This paper argues that subjunctive morphology serves to mark less-than-optimally relevant information in Spanish. The ‹optimal› in the Principle of Relevance defines one end of a continuum between maximum relevance and total irrelevance […]. Semantically, less-than-optimally relevant information falls between the extremes of relevance and irrelevance.»102
Auch Haverkate übernimmt in seiner exhaustiven Beschreibung des heutigen Modussystems im Spanischen (Haverkate 2002) vollständig die Sichtweise Lunns, wenn er in seinen Beispielanalysen zur Modusvariation feststellt: «[...] we must assume that the indicative variants correspond to a higher point on the scale of relevance than the subjunctive ones, or to put it more generally, other things being equal, speakers will prefer to provide truthful and reliable information to information with indeterminate or negative truth value. As we will see in the remaining chapters of this book,
97 Terrell/Hooper (1974, 487). 98 Cf. auch Kiparsky/Kiparsky (1970). 99 Cf. Grice (1989). 100 Sperber/Wilson (1986). 101 Cf. etwa Lunn (1989a; 1989b; 1995). 102 Lunn (1989b, 251).
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specification of degrees of information value is a powerful pragmatic parameter for analyzing indicative and subjunctive variation in subordinate clauses.»103
Das informationstheoretische Relevanzprinzip hat allgemein einen großen Widerhall in der hispanistischen Modusforschung und darüber hinaus gefunden, wie die synchronen und diachronen Studien von Mejías-Bikandi (1998), Korzen (2003), Lindschouw (2002; 2004; 2005), Klein-Andreu (1991), aber auch die Rezeption durch Bybee/Perkins/Pagliuca (1994) im Rahmen ihrer Grammatikalisierungstheorie zeigen. Der auf den ersten Blick recht suggestive Ansatz birgt aber eine Reihe von grundlegenden Problemen: Die weitreichenden Generalisierungen der Vertreter dieses Ansatzes beruhen auf nur wenigen empirischen Belegbeispielen, die zudem in der Regel ohne größeren Kontext präsentiert werden. Dies wirft das Problem einer petitio principii auf: So wird postuliert, dass der Konjunktiv Indikator bzw. Marker für einen geringen Grad an Informativität ist. Umgekehrt wird aber jeder Kontext, in dem der Konjunktiv auftritt (vor allem die el hecho de que-Sätze), automatisch als weniger relevante Hintergrundinformation (backgrounded information) interpretiert. Diese Interpretation hält aber vielfach den empirischen Fakten nicht stand: So müssten vorangestellte el hecho de que-Sätze aufgrund ihres inhärent thematischen Status grundsätzlich den konjunktivischen Modus selegieren.104 Dies ist allerdings eindeutig nicht der Fall.105 Außerdem operieren die Vertreter dieses Ansatzes ausschließlich mit diskurspragmatischen Kategorien wie Thematizität, pragmatische Präsupposition, backgrounding und foregrounding, die bestimmte Diskurskonstellationen bzw. den informationellen Status von Diskurseinheiten kennzeichnen. Allerdings geben all diese analytischen Begriffe keinerlei Aufschluss über die Semantik des Konjunktivs bzw. der Kategorie Modus überhaupt. Es ergibt sich bei diesem Ansatz also die Crux, dass die semantische Ebene – die Ebene explizit kodierter sprachlicher Information – und die pragmatische Ebene, auf der weitere Informationen auf der Grundlage von Kontextwissen und Weltwissen generiert werden, nicht klar voneinander getrennt werden. Mit anderen Worten: Die abstrakte Seman-
103 Haverkate (2002, 57). 104 Diese Analyse findet sich zum Beispiel bei Guitart (1984, 165): «In pre-matrix position, an el hecho (de) que clause normally refers to information already known (i.e. shared) and takes the subjunctive as in: Pero el hecho de que no la llamaran la afectó muchísimo (...). In contrast, in post-matrix position, this type of clause normally introduces new information into discourse and takes the indicative as in: Una cosa que la afectó muchísimo fue el hecho de que no la llamaron». 105 Cf. dazu Becker (2014).
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tik (oder der «funktionale» Wert) einer Verbalkategorie, die aus ihrer Stellung im Sprachsystem resultiert, sollte von den pragmatischen Effekten unterschieden werden, die sich aus ihrem Vorkommen in spezifischen Kontexten (dem sprachlichen Kotext und dem situativen Kontext) ergibt.106
1.1.3.2 D er Polyphonie-Ansatz und seine Anwendung in der (gallo-) romanistischen Modusforschung Neben dem Relevanzprinzip wird in der romanistischen Literatur auch das diskurstheoretische Prinzip der Polyphonie – vielfach subsidiär – zur Erklärung von Modusvariation insbesondere in spezifischen epistemischen Kontexten herangezogen. Die Theorie der Polyphonie geht auf O. Ducrot und J.-C. Anscombre (Ducrot 1980; 1984; Anscombre/Ducrot 1983) zurück107 und beruht auf einer fundamentalen Scheidung der Instanzen («instances») eines Äußerungsaktes («énonciation») und gibt damit die Fiktion einer «unicité du sujet parlant» auf:108 Die Theorie wurzelt in der Frage nach dem Sinn («sens») einer Äußerung («énoncé»). Ducrots und Anscombres Antwort hierauf besitzt heuristischen Charakter, d.h. sie stellt mithin lediglich eine Arbeitshypothese dar. Der Sinn einer Äußerung (eines énoncé) ist die charakterisierende Kennzeichnung («une qualification») des Äußerungsaktes (énonciation): «Elle (la conception du sens) revient à considérer le sens comme une description de l’énonciation».109 Pragmatisch – unter Berücksichtigung der vollständigen Äußerungssituation – ausformuliert, entspricht der Sinn genau dem, was dem Gesprächspartner über den Äußerungsakt vermittelt wird: Das sprechende Subjekt vollzieht illokutionäre Akte – es vollzieht diese aber so, dass es dem Gesprächspartner ein Wissen über seinen Äußerungsakt vermittelt. Umgekehrt bedeutet eine sprachliche Äußerung zu verstehen, dass der Gesprächspartner in ihr bestimmte Akte erkennt, so dass er der Äußerung (énoncé) einen Sinn zuweisen kann, welcher den in dem Äußerungsakt (énonciation) enthaltenen Kennzeichnungen entspricht.110
106 Cf. dazu auch Becker (2014). 107 Ducrot (1980; 1984); Anscombre/Ducrot (1983). 108 Ducrot (1984, 189). 109 Ducrot (1984, 182). 110 Cf. Ducrot (1984, 184) : «On voit par là pourquoi j’appelle ‹pragmatique› mes descriptions du sens tout en disant que le sens est quelque chose que l’on communique à l’interlocuteur: ces descriptions sont pragmatiques dans la mesure où elles prennent en compte le fait que le
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Eine solche Kennzeichnung stellt auch der Verweis («indication») auf eine Vielfalt der Stimmen bzw. der Äußerungsinstanzen – die Polyphonie – dar: «(...) car c’est l’objet propre d’une conception polyphonique du sens que de montrer comment l’énoncé signale, dans son énonciation, la superposition de plusieurs voix».111 Als Instanzen sind nun zum einen der oder die Locuteurs, zum anderen der oder die Énonciateurs zu unterscheiden: Übersetzungen wie ‘Sprecher’ und ‘Äußerungsquelle’ würde der Konzeption unterschiedlicher Äußerungssubjekte nicht gerecht werden. Vielmehr veranschaulicht der mehrfache Rückgriff auf eine theatralische Metaphorik (explizit: «métaphore théatrale»)112 den «stratifikatorischen» Charakter der Konzeption, also die Tatsache, dass im Hinblick auf die Äußerungssubjekte von einer Schichtung hinsichtlich ihrer Urheberschaft und Verantwortlichkeit auszugehen ist. Sie alle aber sind Größen bzw. Instanzen des discours, nicht empirische Entitäten.113 So sind zu unterscheiden: –– der Locuteur oder die Locuteurs: dem Autor eines Theaterstückes vergleichbar ist er (sind sie) der (die) Urheber und Verantwortliche(n) einer Äußerung (énoncé), ihr(e) «Arrangeur(e)». «Par définition, j’entends par locuteur un être qui, dans le sens même de l’énoncé, est présenté comme son responsable, c’est-à-dire comme quelqu’un à qui l’on doit imputer la responsabilité de cet énoncé.»114 Der verantwortliche Arrangeur (Locuteur) mag in zweifacher Weise in Erscheinung treten bzw. im Diskurs profiliert werden: a. zum einen als Urheber und Verantwortlicher des Äußerungsaktes (énonciation) und hierin erschöpft sich seine Repräsentanz (L: locuteur en tant que tel, «le locuteur vu dans son engagement énonciatif»);115
sujet parlant accomplit des actes, mais il accomplit ces actes en transmettant à l’interlocuteur un savoir – qui est un savoir sur sa propre énonciation. Pour fixer la terminologie, je dirai qu’interpréter une production linguistique consiste, entre autres choses, à y reconnaître des actes, et que cette reconnaissance se fait en attachant à l’énoncé un sens, qui est un ensemble d’indications sur l’énonciation». 111 Ducrot (1984, 183). 112 Ducrot (1984, 225): «Revenons à la métaphore théâtrale du § 13. Pour s’adresser à son public, l’auteur (qui correspond, dans cette métaphore, au locuteur) met en scène des personnages (correspondants des énonciateurs)». 113 Ducrot (1984, 200). 114 Ducrot (1984, 193). 115 Ducrot (1984, 200).
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b. zum anderen als «vollständige» Person mit autonomer Existenz in der Welt («l’être du monde») und dementsprechend einem Glaubensuniversum («univers de croyance») (λ: «locuteur en tant qu’être du monde»); –– die Énonciateurs: der Locuteur kann in seinem Äußerungsakt – neben seiner eigenen – auch fremde Stimmen anklingen lassen: In Analogie zur Theatermetaphorik kann man auch hier davon sprechen, dass der Locuteur den Auftritt («mise en scène») bzw. Beitrag seiner Enonciateurs arrangiert – so wie dies der Autor mit seinen Schauspielern tut: Die Einstellungen und Haltungen der Enonciateurs kommen dabei nur als gebrochenes Echo zur Sprache – sinngemäß, nicht in wörtlicher Diktion. «J’appelle ‹énonciateurs› ces êtres qui sont censés s’exprimer à travers l’énonciation, sans que pour autant on leur attribue des mots précis; s’ils ‹parlent›, c’est seulement en ce sens que l’énonciation est vue comme exprimant leur point de vue, leur position, leur attitude, mais non pas, au sens matériel du terme, leurs paroles.»116 «D’une manière analogue (à la mise en scène des personnages par l’auteur, d. Verf.), le locuteur, responsable de l’énoncé, donne existence, au moyen de celui-ci, à des énonciateurs dont il organise les points de vue et les attitudes.»117
Die Relevanz der getroffenen Unterscheidungen leuchtet unmittelbar bei typischen Polyphonie-Phänomenen wie der Ironie oder der indirekten Rede (le discours rapporté) ein: Im Falle der Ironie weist der Locuteur L in seinem Äußerungsakt die absurde Position eines Enonciateurs E aus, für die er keine Verantwortung übernimmt.118 Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Identifikation des Locteurs mit den von ihm «in Szene gesetzten» Enonciateurs: Beim einfachen Akt («acte primitif») spricht der Locuteur durch einen Enonciateur – letzterer wird mit ersterem in Verbindung gebracht: «D’abord, il peut s’agir des actes qu’une personne, identifiée au locuteur, accomplit par le fait que ce même locuteur est assimilé à tel ou tel énonciateur: de tels actes seront appelés ‹primitifs›».119 Wenn der Locuteur nicht mit einem Enonciateur identifiziert werden kann, dennoch aber bewusst – als Verantwortlicher der Äußerung – bestimmte Enonciateurs in Erscheinung treten lässt, dann lässt sich von einem abgeleiteten Akt («acte dérivé») sprechen:
116 Ducrot (1984, 204). 117 Ducrot (1984, 205). 118 Ducrot (1984, 211). 119 Ducrot (1984, 226).
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«Puis j’appellerai ‹dérivé› un acte accompli par la personne identifiée au locuteur, si cet acte est lié au fait que le locuteur, en tant que responsable de l’énoncé, choisit de mettre en scène tel ou tel énonciateur – même s’il n’est assimilé à aucun d’eux».120
Bedient sich also der Locuteur im ersten Fall eines seiner Enonciateurs als Sprachrohr, so wirkt er im zweiten Fall gleichsam «im Hintergrund»: Seine Intervention beschränkt sich darauf, «seine» Enonciateurs in einer bestimmten Weise zu «arrangieren» bzw. sie «auftreten» zu lassen. Dies lässt sich am Beispiel des Phänomens der Präsupposition, etwa «Pierre a cessé de fumer» illustrieren: Der Locuteur lässt zwei Enonciateurs E1 und E2 sprechen, die jeweils für den assertierten Teil der Äußerung (das «posé») bzw. für den präsupponierten (das «présupposé») verantwortlich sind: E2 kann dem Locuteur zugewiesen werden, der somit einen Affirmationsakt vollzieht. E1 («Pierre fumait autrefois») gründet jedoch in einer kollektiven Quelle, einem anonymen On (Man), zu der auch der Locuteur als locuteur-en-tant-qu’individu – als Individuum und kraft seiner Überzeugungen – gehört. Der Locuteur hat die Äußerung so gestaltet, dass sich mit ihr ein Präsuppositionsakt vollziehen lässt: Diesen arrangiert er als «acte dérivé», in dem er eine kollektive Stimme (E2) die vergangenen Verfehlungen Pierres denunzieren lässt.121 Die Theorie der Polyphonie wurde erstmals von Henning Nølke (1985) auch auf die Modusproblematik angewandt. Seiner Auffassung nach eignet sich die Theorie in besonderer Weise für die Interpretation der schon erwähnten sog. «thematischen» Kontexte. Dem Konjunktiv schreibt er dabei die Rolle eines syntaktischen Markers der sogenannten internen Polyphonie («un marqueur syntaxique de polyphonie interne») zu: Die hier angedeutete Divergenz-Konstellation charakterisiert er in folgender Weise: «L’énonciateur de la subordonnée est associé à L, alors que l’énonciateur de la principale est associé à l0».122 Die kryptisch anmutende Formel lässt sich durch die Berücksichtigung der Informationsstruktur des Haupt-Nebensatz-Gefüges – etwa am Beispiel des Satzes: «Qu’un ambassadeur devienne industriel, la chose n’est pas non plus très commune.» (Le Monde, To76)123 – expliziter machen: Die im Hauptsatz präsentierte neue Information, das Rhema, wird vom Sprecher (Locuteur) erst im Moment der Äußerung (im hic et nunc des Sprechaktes) verbürgt – genau dies gibt der Äußerung ihren rhematischen Charakter, macht sie zu einer Assertion (einem
120 Ducrot (1984, 226). 121 Ducrot (1984, 231). Ähnlich lässt sich auch die Konzession analysieren, cf. Ducrot (1984, 230). 122 Nølke (1985, 59). 123 Zitiert nach Nølke (1985, 59).
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«posé»). Die thematische Information des Nebensatzes weist auf eine kollektive und anonyme «ON-communauté» als den Énonciateur hin. Mit ihr identifiziert sich auch der Sprecher – aber als Locuteur-en-tant-qu’individu: Die Nebensatzproposition gehört zu seinen Überzeugungen bzw. seinem Glaubensuniversum. Eine andere Wendung nimmt Nølkes Argumentation bei der Deutung der Modusopposition in nachgestellten Nebensätzen wie etwa: «De là vient que Daudet n’a pas fait école: de là vient aussi qu’il plaise à tant de lecteurs différents» (Bernecque, To77).124 Hier führt Nølke mit dem Gesprächspartner (dem allocutaire) eine weitere Instanz zur Charakterisierung einer divergenten Konstellation ein: In der konjunktivischen Variante des – von «de là vient que» abhängigen – Nebensatzes bürgt seiner Auffassung nach nur der locuteur-en-tant-qu’individu (L) für den Nebensatzinhalt, während im Falle des indikativischen Pendants auch der Gesprächspartner (allocutaire) als Mitbürge ausgewiesen wird (oder zumindest als jemand, der dem Enonciateur des Nebensatzes beipflichtet). Auch bei zwei weiteren thematischen Kontexten geht seine Deutung in eine ähnliche Richtung, so zum einen bei comprendre:125 (16) «Je comprends que tu sois embêtée.» (Beauvoir, To122) versus: (17) «[...] mais je comprends que l’heure est venue» (Sarrazin, To122).
Hier verweist der Subjonctif nach Nølke auf den thematischen Charakter des Nebensatzinhaltes von (16), auf den sich der Verstehensakt richtet. Im indikativischen Beispielsatz wird hingegen auf den Lernprozess sowie dessen Inhalt (als rhematische Information) fokussiert. Zum anderen bei Fragesätzen, die von epistemischen Verben abhängig sind:126 (18) «Savez-vous que Stéphane peut s’en sortir?» (19) «Pensez-vous que Stéphane puisse s’en sortir?»
Der Indikativ in (18) zeigt an, dass der Sprecher (Locuteur) dem Nebensatzinhalt beipflichtet, es sich mithin um eine in eine Frageform gekleidete Assertion der Komplementsatzproposition handelt («dérivation illocutoire»). In (19) handelt es sich tatsächlich um eine Frage, bei der sich der locuteur-en-tant que tel (l0) nicht mit dem «Äußerer» (Énonciateur) des Nebensatzinhaltes identifiziert. Über den
124 Zitiert nach Nølke (1985, 61). 125 Beispiele zitiert nach Nølke (1985, 62). 126 Beispiele zitiert nach Nølke (1985, 63).
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locuteur-en-tant-qu’individu glaubt Nølke keine sicheren Aussagen machen zu können.127 Der Linguist versucht seinen Polyphonie-Ansatz im Verhältnis zu anderen theoretischen Zugriffsweisen auf die Modusproblematik zu situieren: So sieht er die Stärke des Polyphonie-Konzepts in erster Linie in der Explikationsfähigkeit modaler Variation in thematischen Kontexten, unterstreicht aber auch die Widerspruchsfreiheit zu logisch-semantischen Ansätzen, wie insbesondere dem Robert Martins, die für komplementäre Kontexte hinreichend explikationsfähig sind. Zu kritisieren bleibt allerdings die Tatsache, dass die Anwendung des Polyphoniekonzeptes durch Nølke ein wenig verschwommen und auch sein heuristischer Nutzen ein wenig zweifelhaft erscheint: So lassen sich ja im Grunde die angeführten Fälle der Modusvariation (nimmt man einmal die Fragesätze mit epistemischen Verben hiervon aus) durch das Begriffspaar thematisch/rhematisch angemessen beschreiben – was Nølke im übrigen ja auch tut. Zum anderen wird auch nicht deutlich, welche Divergenzkonstellation für das Konzept der internen Polyphonie letztlich relevant ist: Diejenige, welche zwischen dem Enonciateur und dem Locuteur, dem Sprecher (Locuteur) und dem Gesprächspartner (allocutaire) oder dem locuteur-en-tant-qu’individu bzw. dem locuteur-en-tantque-tel besteht? Schließlich ist die Identifikation der relevanten «Stimmen» (verschiedene Enonciateurs, L und l0) im Einzelfall schwierig und die Aussagen hierüber spekulativ (so etwa die Rolle von L in den Fragesätzen (18) und (19)), was auch Nølke keineswegs verschweigt.128 So erweist sich bis auf Weiteres der eher grobmaschige Analysevorschlag den etwa Soutet in seinem Überblickswerk über den französischen Konjunktiv entwickelt (Soutet 2000) als eine gangbare und, wie sich im Einzelfall auch zeigt, aussagekräftige Alternative: Soutet unterscheidet nämlich nur einen Sprecher – Locuteur – sowie mehrere Enonciateurs: die Divergenz zwischen dem Sprecher und wenigstens einem Enonciateur kann in der simplifizierten Version der Polyphonieanalyse dann als Auslöser interpretiert werden. Den folgenden drei Beispielsätzen, die der Linguist in diesem Zusammenhang anführt,129 liegt nun jeweils eine polyphone Konstellation zugrunde:
127 Cf. Nølke (1985, 63). Analog auch die Deutung der Modusverhältnisse bei Fragesätzen mit dem Verb croire. 128 Cf. Nølke (1985, 63) : «Il est difficile de dire si celui-ci [le contenu de la complétive, d. Verf.] est associé à L; mais que tel soit le cas me semble probable. L’état actuel de mes recherches ne me permet pourtant pas de conclure sur ce point». 129 Cf. Soutet (2000, 139).
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(20) «Croyez-vous que Dieu soit Père, Fils et Esprit ?» (im Gegensatz zu: que Dieu est Père etc.). (21) «Bien que Pierre soit malade, il travaille.» (22) «Qu’il soit malade, c’est certain/c’est faux.»
In allen drei Fällen identifiziert sich zwar der Sprecher (Locuteur) mit dem Énonciateur des Hauptsatzes (bzw. ist identisch damit), sein Verhältnis zum Äußerer (Énonciateur) des Nebensatzes bleibt hingegen offen: In (20) bürgt er nicht für den Inhalt des Konjunktivsatzes («Dieu est Père, Fils et Esprit»), sondern lässt vielmehr eine von ihm verschiedene Stimme (bzw. ein Kollektiv von Stimmen) durchklingen. In dem Konzessivsatz lässt er ebenfalls einen kollektiven Énonciateur hörbar werden, der in Opposition zu den in (21) geäußerten Verhältnissen die Implikationsbeziehung si p, q («si on est malade, on ne travaille pas») – gleichsam als Stimme des gesunden common sense – hoch hält. In (22) bürgt zunächst niemand für den Inhalt des einleitenden que-Satzes (=E0). Erst ex post (also retroaktiv) erweist sich dann, ob der Sprecher (Locuteur) sich mit dem Äußerer (Énonciateur (= E1) identifiziert oder nicht. In dem letzten Fall liegt also kein «enunziativer Konflikt» («conflit énonciatif»), sondern lediglich ein Aufschub (ein «suspens énonciatif») vor. Diese Ausführungen mögen zum Polyphonieansatz genügen. Sie zeigen, welche Teilaspekte der Polyphoniebegriff erklären kann, machen aber auch deutlich, dass es sich bei dem Konzept um ein weiteres Erklärungsprinzip für Modusvariation handelt, das wiederum einige weitere Fälle motivieren kann, jedoch wenig zur Einlösung des Postulats der Einheitlichkeit des Beschreibungsansatzes beizutragen vermag.
1.1.4 Ansätze im Rahmen eines kognitionslinguistischen Modells 1.1.4.1 Gilles Fauconniers Theorie der mental spaces/espaces mentaux Eine durchaus attraktive Repräsentationsmöglichkeit von Einstellungen oder anderen mentalen Zuständen stellt die Theorie der «mentalen Räume» (espaces mentaux bzw. mental spaces) von Gilles Fauconnier (Fauconnier 1984; 1985; 1997)130 bereit. Attraktiv deshalb, weil die Theorie – wie auch Haspelmath angemerkt hat – anders als eine Theorie über mögliche Welten keine ontologischen
130 Unsere Ausführungen beruhen überwiegend auf der ursprünglich in französischer Sprache abgefassten Darstellung von 1984, die erst in der englischen Übersetzung eine Breitenwirkung entfalten konnte.
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Implikationen nach sich zieht (also keinen philosophischen bzw. erkenntnistheoretischen Überbau erfordert), den Fokus auf einen kleinen Realitätsausschnitt (einen «Raum», keine «Welt») und dessen Konzeptualisierung legt und der psychologisch plausiblen Annahme mentaler Konstrukte ein hohes heuristisches Potential abgewinnen kann.131 Die Theorie mentaler Räume geht davon aus, dass jeglicher Kommunikationsprozess mit der permanenten Ausbildung von relativ abstrakten mentalen Räumen, von Individuen und Objekten, deren Rollen und Relationen innerhalb solcher Räume, von Korrespondenzstrukturen und Äquivalenzrelationen zwischen diesen Räumen und schließlich von Strategien zu ihrer Konstituierung mithilfe grammatischer und pragmatischer Indikatoren verbunden ist.132 Mentale Räume sind ebenso wie semantische Frames (und damit konzeptuelle Schemata, idealisierte kognitive Modelle (ICMs), Szenarios, Skripte und stereotype Rollen) grundlegende «Organisationsprinzipien» («organizing principles» nach Croft/Cruse)133 des mit der sprachlichen Aktivität einhergehenden Konzeptualisierungsprozesses und tragen damit grundlegend zur Ausbildung sogenannter «construals» (wie etwa den «image schemas») bei.134 Fauconniers Ansatz trägt aber auch einem weiteren grundlegenden Aspekt Rechnung, der mit dem Charakter sprachlicher Kodierung zusammenhängt: Sprachliche Strukturen sind oftmals unterdeterminiert, d.h. bestimmte grammatikalische Indikatoren sind häufig mit mehreren Repräsentationen kompatibel, also etwa auch mit unterschiedlichen Konstrukten mentaler Räume. Der Ansatz Fauconniers stellt folglich ein recht einfaches Instrumentarium zur Disambiguierung und Explizitmachung der verschiedenen «Lesarten» im Rahmen von mentalen Räumen zur Verfügung. Eine Klarstellung ist allerdings von vorneherein anzubringen: Mentale Räume spiegeln – wie Fauconnier schreibt – «façons de parler fondamentales» wider, stellen aber eben keine «représentations du monde» dar.135 Anders gewendet: Sie geben sprachliche Schematisierungen von Sachverhalten wieder, hegen aber nicht die geringste epistemologische Prätention.
131 Cf. Haspelmath (1997, 106s.). 132 Im Original schreibt Fauconnier (1984, 9): «A cette vision ferroviaire, j’en substituierai une autre tout au long de cette étude: celle d’une construction mentale permanente, relativement abstraite, d’espaces, d’éléments, de rôles et de relations à l’intérieur de ces espaces, de correspondances entre eux et de stratégies pour les construire à partir d’indices tantôt grammaticaux et tantôt pragmatiques». 133 Croft/Cruse (2004, 32). 134 Cf. Croft/Cruse (2004, Kap. 3); Lee (2001). 135 Fauconnier (1984, 12s.).
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Ein wesentlicher Grundbegriff der Theorie ist der des Konnektors (connecteurs). Er beschreibt eine pragmatische Funktion, die in der Herstellung einer bestimmten Relation zwischen verschiedenartigen Objekten besteht. Solche Relationen können psychologischer, kultureller oder auch pragmatischer Natur sein – in jedem Falle ermöglichen sie eine Bezugnahme auf das Zielobjekt (im Französischen «cible») mithilfe eines Ursprungsobjekts («déclencheur»).136 Solche pragmatischen Funktionen (= «connecteurs F») sind beispielsweise das Prinzip der (metonymischen) Identifikation (etwa: Autor-Werk), der Abbildhaftigkeit («images»: Verhältnis zwischen einem Modell und seinem Abbild), der Wirklichkeit («realité»: Verhältnis zwischen einem Bild und seiner Entsprechung in der Realität) oder des Dramas (Verhältnis zwischen Schauspielern und Figuren). Die hier genannten pragmatischen Funktionen können aber auch auf einer höheren Abstraktionsstufe zur Geltung kommen: Das Prinzip der Abbildhaftigkeit («image») stellt sich auf der mentalen Ebene als ein Verhältnis zwischen der Realität des Sprechers («monde») und seinem epistemischen Modell («esprit») – («réalité du locuteur» und «croyances de x rapportées par le locuteur») – dar («connecteur image mentale»).137 Kernkonzept des Fauconnierschen Systems ist jedoch der Terminus des Introduktors («introducteur I M»), mit dem das einen neuen mentalen Raum eröffnende sprachliche Element bezeichnet wird (im Englischen «space builder»). Dieser neu konstituierte mentale Raum wird immer innerhalb eines anderen – als äußerer Bezugsraum schon bestehender – Raums (dem «espace parent») eingeschrieben, wobei das Verhältnis zwischen den beiden Räumen durch einen geeigneten Connector explizit gemacht werden muss. Ein anschauliches Beispiel ist etwa der folgende intensionale Kontext, bei dem durch den Introduktor espérer ein mentaler Raum M’ (désirs) in den äußeren Raum M (réalité) eingeschrieben wird, wobei der Connector F die Beziehung zwischen den beiden mentalen Räumen herstellt: (23) «Jean-Paul II espère qu’un ancien boxeur adoptera des enfants malheureux.» (Fauconnier 1984, 41) F w
w’
boxeur M («réalité du locuteur»)
136 Cf. Fauconnier (1984, 15ss.). 137 Fauconnier (1984, 28 und 34).
M’ («Jean-Paul espère_»)
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Die Illustration stellt die spezifische Lesart dar, bei der wenigstens der Sprecher schon einen geeigneten Kandidaten in Aussicht hat (∃x[boxeur’(x) ∧ espérer’ (JP, ∧[adopter’(x, enfants)])]) – folglich ist das Individuum w in M, dem Realitätsraum des Sprechers, abgebildet. Bei der Darstellung der nicht-spezifischen Lesart von (23) wäre das Nebensatzsubjekt «un ancien boxeur» nur in M’ zu verzeichnen – als ein Element der Wunschwelt von Jean-Paul II (espérer (JP, ∧[∃x [boxeur’(x) ∧ adopter’(x, enfants)]]. Auch das bekannte Beispiel der Modusalternation im Relativsatz («Marie veut que Gudule mette une robe qui soit jolie/qui est jolie») lässt sich trefflich im Rahmen des mental spaces-Ansatzes beschreiben: Die Beschreibung der «robe» ist einmal dem mentalen Raum Realität zuzurechnen (dR), das andere mal gehört sie dem Wunschraum W (als dW) an. Modus- sind ebenso wie Tempusmorpheme keine Introduktoren eines neuen mentalen Raums, sondern sie zeigen als grammatische Indikatoren an, welchem Raum jeweils das Element bzw. eine bestimmte Beschreibung (Prädikation) zuzuordnen ist bzw. im Hinblick auf welchen mentalen Raum sie angemessen zu interpretieren sind. Charakteristische Räume sind zum Beispiel:138 –– der «espace temps»: eingeleitet etwa durch eine Zeitangabe und «wiederauffindbar» durch eine entsprechende Tempusmarkierung: «En 1929, la dame aux cheveux blancs était blonde.» –– der «espace spatial»: «En Moldavie, le président est un tyran.» –– die «espaces domaines»: zum Beispiel eingeleitet durch Angaben wie dans le football californien, dans la nouvelle théorie de Rubik, dans cette nouvelle religion; –– die «espaces hypothétiques» (‘si p, alors q’) – eingeleitet durch si: Die Konjunktion fungiert als Introductor, der einen Raum schafft, in dem p und q Gültigkeit besitzen: si p, alors q. –– «espaces contrefactuels»: hier signalisieren entsprechende Konditionalformen (aurait pu, prêterais) die Situierung von Elementen und Relationen innerhalb eines kontrafaktischen Raums. Bestimmte Räume, die sogenannten «espaces sœur» (Schwesterräume), stehen in einem besonders engen Zusammenhang zueinander: zum Beispiel hängen unsere Hoffnungen oder Wünsche von unseren Überzeugungen ab oder wie Fauconnier treffend illustriert: «on peut souhaiter que Dupont démissionne, dans la mesure où on croit que Dupont est en fonction».139
138 Cf. die Beispiele in Fauconnier (1984, 47–52). 139 Fauconnier (1984, 120).
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Von besonderer Relevanz ist die Frage nach der Struktur bzw. Beschaffenheit solcher verwandter Räume: Fauconnier versucht, grundlegende strategische Prinzipien für die Konstruktion solcher Räume zu formulieren: für jeden Raum gilt als oberstes Gebot das Prinzip der Widerspruchsfreiheit (SP1: «Eviter la contradiction dans un espace»); von verwandten Räumen nimmt man vernünftigerweise an, dass zwischen ihnen das Ähnlichkeitsprinzip besteht. Die Strategie besteht hier darin, die strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem inkludierten Raum M und dem übergeordneten Raum R zu maximieren – eine Optimierungsstrategie («optimisation des espaces»), die Fauconnier in der Regel «SP2: Structurer l’espace M et son espace parent R de manière aussi semblable que possible, en ce qui concerne les présuppositions implicites, et d’une façon générale les autres suppositions contextuelles»140 zusammenfasst. Wie die Regel deutlich macht, geht es hierbei insbesondere auch um die Frage nach der Vererbung von Präsuppositionen, und zwar von den untergeordneten mentalen Räumen in Richtung auf den umfassendsten Raum, die Wirklichkeit (aus der Sicht des Sprechers).141 Anhand eines Beispiels wie (24) «Luc croit qu’il pleut, et souhaite qu’il s’arrête de pleuvoir» (Fauconnier 1984, 121)
lassen sich die hier skizzierten Aspekte zusammenführen: Die Prädikate croire und souhaiter schaffen jeweils einen eigenen mentalen Raum (eine Überzeugung und einen Wunsch Lucs), wobei der Wunsch von dem abhängt, was Luc glaubt – mithin als entsprechende Räume miteinander verwandt sind. Der Komplementsatz des Glaubens-Prädikats (p= il pleut) ist zugleich Präsupposition des durch das Wunsch-Prädikat eingeleiteten Nebensatzes. Die Präsupposition aus H vererbt sich aber nicht «nach oben»: p (il pleut) ist keine Präsuppostion in B und mithin ist auch kein Transfer nach R, dem übergeordneten Wirklichkeitsraum, möglich – schematisch dargestellt:142
140 Fauconnier (1984, 113). 141 Auf die als Korollare formulierten Strategien zur Ableitung von Präsuppositionen gehen wir hier nicht weiter ein. Cf. dazu ausführlich die Diskussion und Demonstration in Fauconnier (1984, 115–139). 142 Fouconnier (1984, 121).
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Luc croit qu’ il pleut, et souhaite qu’il s’arrête de pleuvoir S
P = S = il pleut
B
H
espace soeur B
S (=il pleut)
espace H
P (=S)
S ist Präsupposition in H B (‚croit’)
H (‚souhaite’)
R (Espace Realité)
Nicht nur die durch intensionale Prädikate geschaffenen Kontexte lassen sich als mentale Räume, die durch Prinzipien wie Ähnlichkeit, Abhängigkeit und Verwandtschaft gekennzeichnet sind, darstellen. Auch kontrafaktische Kontexte, Komparativa und Quantifizierungen lassen sich als entsprechende mentale Schematisierungen repräsentieren: Kontrafaktizität wird typischerweise durch charakteristische Introducteurs angezeigt – zum einen lexikalisch durch Verben wie empêcher, durch Partikel wie ne ... pas, durch die hypothetische Konjunktion si, durch Modalverben (im Imperfekt oder Konditional), zum anderen durch spezifische Flexionsmorpheme, neben konjunktivischen Formen auch durch Vergangenheitsmorphologie (Langackers distal past bzw. Iatridous fake past).143 Kontrafaktizität ist ein relatives Konzept: ein mentaler Raum H ist kontrafaktisch im Verhältnis zum realen Raum R, was bedeutet, dass eine für H spezifizierte Relation in R keine strukturelle Entsprechung findet. Der kontrafaktische Raum H kann durch einen space builder (Introducteur) der Form si p eingeführt werden: In diesem Raum gelten nun gleichermaßen das Antezedens p und sein Consequens q (si p, q). Zugleich setzt Kontrafaktizität voraus, dass in R ¬ p gilt und folglich auch ¬q («il est naturel pour ~ P d’être présupposé et pour ~ Q d’être implicité.»)144
143 Cf. Langacker (2004); Iatriou (2000). 144 Fauconnier (1984, 148).
Modus in der romanistischen Forschung
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Diese Zusammenhänge können folgendermaßen dargestellt werden:
espace parent R introducteur: si p propriété dans H: Q
espace hypothétique H
Auch komparative Konstruktionen lassen sich als mentale Schematisierungen analysieren: Vergleiche setzen zwei Zustände oder Ereignisse E und E’ vor dem Hintergrund einer als tertium comparationis dienenden Skala (Sc) in Beziehung. Die Verhältnisse oder Situationen in E und E’ können als verschiedene mentale Räume M und M’, die von impliziten oder expliziten Introduktoren IM und IM’ eingeführt werden, konzeptualisiert werden. Vergleiche zwischen Räumen («comparatifs interspatiaux») besitzen folglich die allgemeine Form:145 E/M
plus que
E’/M’
/ Sc
Auf ein konkretes Beispiel146 angewendet, lassen sich folgende Zuweisungen machen: (25) «Dans ‹Chariots de feu›, Pierre marche plus vite que toi, tu (ne) cours en réalité»
IM’
E
Sc
E’
IM
Ein schönes – für die Modusproblematik – relevantes Beispiel stellt der Satz «Son mal de tête a empêché que Rosa traite de questions plus que elle n’en a traitées» dar. Das Verb empêcher (IM’) führt eine kontrafaktische Situation (einen kontrafaktischen Raum M’ im Gegensatz zur Realität M), in dem Rosa x’ Aufgaben gelöst hat (kontrafaktisches Ereignis E/M’: «Rosa traite x’ questions»). In Wirklichkeit (und dem ihr entsprechenden mentalen Raum M) hat Rosa aber nur x Aufgaben gelöst. Der Vergleichsoperator zeigt an, dass x’ > x ist. Nochmals in der Darstellung:147
145 Fauconnier (1984, 170). 146 Fauconnier (1984, 169). 147 Fauconnier (1984, 172).
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(26) «Son mal de tête a empêché que Rosa traite de questions plus que elle n’en a traitées» ----------------IM’------------------
E/M’
E/M
Wie die exemplarischen Beispiele zeigen, erlaubt der Ansatz Fauconniers die Repräsentation und Analyse einer Reihe semantischer Phänomene (Kontrast- und Vergleichsräume zur realen Welt w0, Abhängigkeit zwischen mentalen Räumen bestimmter Prädikate etc.), die auch die Kategorie Modus involvieren können. Aber eben nur involvieren können. Hierin – in der Tatsache, dass die Kategorie Modus auf die Struktur spezifischer mentaler Räume fokussieren kann, sie aber nicht grundsätzlich die Funktion eines Markers der Konstituierung solcher Räume besitzt – liegt aber auch die Grenze des Ansatzes mentaler Welten bzw. Räume. Es besteht zwischen der Kategorie Modus und verschiedenen mentalen Räumen nur teilweise eine direkte Beziehung, weil offenbar die Signalisierungsleistung des Modussystems spezifischer ist. Wenngleich der mental spaces-Ansatz auch eine Teilmenge der für die Modusselektion relevanten Konstellationen erfassen kann, so benötigen wir doch einen Beschreibungsansatz, der in der Lage ist, die Beschaffenheit der durch den Modus charakterisierten mentalen Räume (oder Welten) präziser zu charakterisieren.
1.1.4.2 Kognitivistische Überlegungen im Rahmen der Cognitive Grammar Fanden die Verbalkategorien Tempus, Aspekt und Modus lange Zeit wenig Beachtung in der kognitionslinguistischen Forschung, allen voran der Cognitive Grammar, so sind jüngst eine Reihe von wichtigen Arbeiten und Beiträgen erschienen.148 Für die Modusproblematik von besonderem Interesse ist vor allem die jüngst erschiene hispanistische Studie von Vesterinen und Bylund.149 Die Autoren versuchen, eine einheitliche kognitionssemantische Beschreibung für alle Vorkommenskontexte des konjunktivischen Modus im Spanischen zu formulieren. Sie knüpfen dabei an Überlegungen Maldonados an,150 welche sich schon im Rahmen der Cognitive Grammar bewegten. Maldonado selber wendete das zunächst für Possessivrelationen – der Beziehung zwischen einem possessor und einem possessed – entwickelte Konzept Langackers der «kognitiven Verfügbarkeit» (dominion) auf die Ereignis-Domäne an. Er prägte in diesem Zusammenhang den zentralen Begriff der conceptualizer’s epistemic domain, der es ihm erlau-
148 Cf. etwa Dessi-Schmid (2012a; 2012b). 149 Vesterinen/Bylund (2013). 150 Maldonado (1995).
Modus in der romanistischen Forschung
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ben sollte, die Modusunterschiede auf einer kognitionssemantischen Grundlage angemessen zu erfassen. Als entscheidendes Kriterium für die Moduswahl erscheint dabei die Frage, ob ein beschriebenes Ereignis dem Konzeptualisierer (also dem Matrixsatzsubjekt) epistemisch verfügbar (innerhalb seiner «epistemischen Verfügungsgewalt») ist (Wahl des indikativischen Modus) oder nicht (Wahl des konjunktivischen Modus). «Epistemische Verfügungsgewalt» (epistemic dominion) stellt – wie in der kognitivistischen Schule Langackers üblich – eine metaphorische Konzeptualisierung dar, die die Inkorporierung eines Sachverhalts in das mentale Realitätsmodell eines Individuums als den Erwerb «kognitiver Verfügungsgewalt über konzeptuelle Inhalte» veranschaulicht. Das «epistemische» Moment dieses Aneignungsprozesses besteht darin, dass er in einem Wissenskonstrukt resultiert, in das all‘ diejenigen Sachverhalte eingehen, die das Individuum, der «Konzeptualisierer», als wahr anerkannt und sich deshalb mental angeeignet hat. Ein solches mentales Wissenskonstrukt (oder individuelles kognitiv verankertes Wirklichkeitsmodell) ist auf die Zukunft hin offen, d.h. erlaubt die Inkorporierung auch zukünftiger Ereignisse in das Modell bzw. Wissenskonstrukt.151 Vesterinen und Bylund führen allerdings – über Maldonados Analyse hinausgehend – noch ein weiteres Kriterium für die Moduswahl ein, das vor allem die Opposition zwischen konjunktivischen Komplementsätzen und Infinitivsätzen in bestimmten Kontexten erklären kann. Neben der «epistemischen Verfügungsgewalt» über Ereignisse stellt die effektive Kontrolle des Konzeptualisierers (the conceptualizer’s effective control) ein zweites, ebenso ausschlaggebendes Moment für die Moduswahl dar. Bei diesem zweiten zentralen Konzept geht es um die Möglichkeit bzw. den Versuch des «Konzeptualisierers», auf die Ereignisse einzuwirken bzw. sie möglichst herbeizuführen.152 Die Wahl des konjunktivischen Modus im Spanischen lässt sich also aufgrund von zwei kognitiven Konstellationen erklären: Ein Ereignis liegt entweder außerhalb der epistemischen Verfügungsgewalt des Konzeptualisierers (epistemic dominion of the conceptualizer) oder sie liegt außerhalb seiner effektiven Kontrolle. Die Erklärungsmächtigkeit dieses Ansatzes wird im Weiteren anhand der Moduswahl in den typischen Komplement-, Adverbial- und Relativsatz-Kontexten des Spanischen nachgewiesen. Vier besonders grundlegende Kontexte sollen hier zu Illustrationszwecken exemplarisch herausgegriffen werden: –– Volitionale Verben: In volitionalen Kontexten alternieren Komplementsätze im konjunktivischen Modus und Infinitivkonstruktionen, und zwar in
151 Cf. Langacker (1991, 227); Maldonado (1995, 406); Vesterinen/Bylund (2013, 185). 152 Cf. Langacker (2009, 153); Vesterinen/Bylund (2013, 186).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Abhängigkeit davon, ob der «Konzeptualisierer» effektive Kontrolle über das jeweils beschriebene Ereignis besitzt oder nicht – man vergleiche: (27) «Cárdenas desea que el PRI pierda las elecciones» (zitiert nach Vesterinen/Bylund 2013, Beispiel 19, 186) (28) «Jorge Aravena desea continuar como actor en México» (zitiert nach Vesterinen/ Bylund 2013, Beispiel 24, 187)
–– Epistemische Verben: In epistemischen Kontexten (hier gleichgesetzt mit Kontexten, die von Verben des Meinens und Glaubens geprägt werden) tritt der Indikativ auf, wenn der «Konzeptualisierer» sich einen Sachverhalt mental aneignet, d.h. diesen Sachverhalt in sein kognitives Modell über die Wirklichkeit inkorporiert (metaphorisch: «in seine epistemische Verfügungsgewalt bringt»). Der Konjunktiv tritt entsprechend auf, wenn der «Konzeptualiserer» eine solche Einschreibung in sein epistemisches Modell (sein Wissens- bzw. Wirklichkeitskonstrukt) verweigert (so dass der Sachverhalt nicht «in seine epistemische Verfügungsgewalt übergeht»). Man beachte den Kontrast: (29) Es cierto que a todos les gusta el presidente (30) «Niego que el sistema encubra delitos graves» (zitiert nach Vesterinen/Bylund 2013, Beispiel 31, 188)
–– Faktive Verben: Bei den faktiven Verben, die die Wahrheit ihres Komplements präsupponieren, hat der Konzeptualisierer nach dem Erklärungsmuster praktisch keine Kontrolle über den Komplementsatz-Sachverhalt («the conceptualiser’s limited degree of control over the complement event»), sondern das Subjekt des Komplementsatzes («It is the subject of the complement clause who is in control. Therefore, the conceptualiser may try to manipulate and influence the complement event, but the event is located outside his/her dominion of effective control»).153 Folgendes Kontrastpaar illustriert den unterschiedlichen Grad effektiver Kontrolle: Im ersten Fall kann der «Konzeptualisierer» keinerlei Einfluss auf den Komplementsatz-Sachverhalt ausüben, im zweiten Fall hat er sehr wohl einen originären Einfluss: (31) «Es absurdo que los enfermos mentales acaben encarcelados» (zitiert nach Vesterinen/Bylund 2013, Beispiel 41, 190) (32) «El piloto lamentó no haber participado en la fiesta del bicentenario de Venezuela» (zitiert nach Vesterinen/Bylund, Beispiel 42, 26)
153 Vesterinen/Bylund (2013, 185).
Modalität und Modus
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–– Kausativität: In kausativen Kontexten alternieren konjunktivische Komplementsätze und Infinitivsätze. Man vergleiche: (33) «Odio a mi madre porque me hace estudiar sin parar» (zitiert nach Vesterinen/Bylund, Beispiel 45, 191) (34) «El buen maestro hace que el mal estudiante se convierta en bueno y el buen estudiante en superior» (zitiert nach Vesterinen/Bylund, Beispiel 46, 191)
Im erstgenannten Beispiel (33) hat der Verursacher eine direkte effektive Kontrolle über das in den verursachten Sachverhalt involvierte Subjekt, wohingegen in dem letztzitierten Beispiel (34) der Verursacher zwar einen ermöglichenden Einfluss hat, letztlich aber die in den Verursachungsprozess involvierten Subjekte des Nebensatzes die effektive Kontrolle über den Gang der Dinge behalten (sie können den ermöglichenden Einfluss wirksam werden lassen oder aber annullieren). Ähnlich werden auch noch andere Kontexte, zum Beispiel Relativsätze und verschiedene Adverbialsatztypen interpretiert, ohne dass sich hier aber neue Einsichten auftun würden. Der kognitionslinguistische Ansatz veranschaulicht mithilfe metaphorischer Konzeptualisierungen kognitive Konstellationen im Rahmen modaler Kontexte. Er bietet allerdings kein analytisches Instrumentarium für eine präzise semantische Beschreibung des semantischen Wertes der Verbalkategorien oder – darüber noch hinausgehend – ihres satzsemantischen Beitrags. Auch ist der Ansatz zu grobmaschig, um diachrone Entwicklungen angemessen zu beschreiben oder Unterschiede im Modussystem typologisch eng verwandter Sprachen zu modellieren.
1.2 M odalität und Modus: Modalsemantische Ansätze und formalsemantische Modellbildung 1.2.1 Einleitung und Überblick Seit den ausgehenden 70er Jahren zeichnet sich mit der Erweiterung des Modalitätsbegriffs und im Weiteren dann seiner Anwendung auf die Kategorie Modus insbesondere in der angelsächsischen Linguistik eine formalsemantische Wende ab, die durch eine Rezeption von Konzepten und Formalisierungsansätzen der Sprachphilosophie für die linguistische Theorie- bzw. Modellbildung gekennzeichnet ist. Ohne die einzelnen Entwicklungsstränge wissenschaftsgeschichtlich hier genauer aufschlüsseln zu können, lassen sich doch drei für unsere Thematik wesentliche, zunehmend aufeinander hinkonvergierende Grundlinien erkennen, die im Folgenden ausführlicher dargestellt werden sollen.154
154 Einen allgemeinen Überblick über die verschiedenen Ansätze vermittelt Portner (2003,
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
So sind zunächst die Pionierarbeiten von R. Martin155 und von D. Farkas156 zu nennen, die grundlegende Entwürfe einer an der Beschreibung linguistischer Phänomene orientierten Modalsemantik präsentieren. Martin entwickelt einen wahrheitsrelationen Ansatz, der das Konzept möglicher Welten mit der Tradition der aristotelischen Modalitätenlehre verbindet. Farkas analysiert am Beispiel der Modusproblematik rumänischer Relativsätze erstmals systematisch intensionale Kontexte mithilfe eines formalsemantischen Beschreibungsapparats. In diesem Zusammenhang führt sie mit Blick auf intensionale Verben (insbesondere Einstellungsverben) die schon bei McCawley157 angelegte Scheidung in sogenannte «schwache» und «starke» intensionale Verben ein, die auch in ihren weiteren Schriften ein wesentliches Grundmoment ihrer Modustheorie geblieben ist. Der zweite, eigentliche Hauptstrang der Forschungsentwicklung nimmt seinen Anfang bei A. Kratzers einschneidender Arbeit Semantik der Rede: Kontexttheorie, Modalwörter, Konditionalsätze von 1978, die – auf der Grundlage der «klassischen» logisch-formalen Semantik (wie sie etwa von Frege, von Wright, Donnellan, Cresswell und Lewis entwickelt wurde)158 – eigentlich eine systematische Grundlegung zu einer linguistischen Modalsemantik ist. Im Zentrum der Modalsemantik steht die Annahme, dass Operatoren (wie must □, may: ◊, IF, aber auch Verben wie believe, want, sogenannte «propositionale Operatoren»), über mögliche Welten (possible worlds) quantifizieren. Von grundlegender Bedeutung ist nun, dass die Menge der Welten (bzw. der entsprechenden Indizes), über die diese Operatoren quantifizieren, jeweils von einer charakteristischen Zugänglichkeitsrelation (accessibility relation») bestimmt werden. Die weiterführende Überlegung, dass der Kategorie Modus eine zentrale Rolle bei der Kennzeichnung der Eigenschaften einer Zugänglichkeitsrelation zukommt,159 führte zu einem Ausbau des modalsemantischen Ansatzes zu einer kohärenten Modustheorie, wie sie insbesondere von Quer (1998) und von Giorgi/Pianesi (1997) ausformuliert worden ist. Versuche einer systematisierenden Synthese, die sich auch um eine explizite
57ss.). Die im Rahmen unserer Thematik weniger ergiebigen temporalsemantischen Ansätze (Picallo 1985; Progovac 1993; von Stechow 1995) berücksichtigen wir in unserer Arbeit nur am Rande. 155 Martin (1983; 1987; 21992). 156 Farkas (1982; 1983; 1985; 1992a; 1992b). 157 Cf. McCawley (1978; 1981). 158 Cf. Lalaire (1998, 182ss.). 159 Relevant sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Beiträge von Frege (1966 [1932]); von Wright (1957); Donnellan (1970); Cresswell (1973; 1977); Lewis (1969; 1973; 1975).
Modalität und Modus
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Beschreibungssprache bemüht, finden sich bei Lohnstein,160 Chierchia,161 und Portner.162 Mit Gosselins modalsemantischer Synthese liegt nun auch ein origineller Ansatz der französischen Modalitätsforschung vor.163 Eine Variante zu dieser «Semantik möglicher Welten» stellt die sogenannte «Situationssemantik» dar, die zunächst von Barwise/Perry theoretisch ausformuliert wurde,164 um dann in einem programmatischen Aufsatz A. Kratzers – An investigation on the lumps of thought165 – in den formalen Beschreibungsapparat integriert zu werden. Insbesondere Portners Monographie von 1992 (Situation Theory and the Semantics of Propositional Expressions)166 wendet systematisch einen situationssemantischen Ansatz zur semantischen Interpretation des Selektionsverhaltens von propositionalen Operatoren (vor allem believe, want und hope) an. Ein dritter Ansatz interpretiert die Kategorie Modus vor dem Hintergrund unterschiedlicher, individuell verankerter Evaluationsmodelle – so vor allem Quer,167 aber auch Fabricius-Hansen,168 die etwa drei modellrelevante Parameter (Personenperspektive, Weltparameter und Zeitparameter) einführen. A. Giannakidou entwickelt darüber hinaus eine Theorie der (Non)Veridikalität, die geeignet ist, den spezifischen Charakter modellsetzender Operatoren näher zu kennzeichnen.169 Die Originalität (aber auch Problematik) ihres Ansatzes liegt in der Subsumierung der Kategorie Konjunktiv unter das allgemeine Phänomen der «negativen Polarität». Mit anderen Worten: Auch der Konjunktiv ist wie beispielsweise das Indefinitpronomen any ein Polaritätselement bzw. -merkmal, das im Rahmen einer allgemeinen Theorie negativer bzw. affektiver Polaritätselemente (so Giannakidou in ihrem Beitrag von 1999) behandelt werden kann. Mit diesem kurzen panoramaartigen Überblick haben wir das theoretische Plateau einer neuen Modustheorie, die sich im Rahmen eines modalsemantischen Grundmodells herausbildet und weiterentwickelt, abgesteckt. In den folgenden Kapiteln sollen die hier nur schlaglichtartig angedeuteten Ansätze und
160 Lohnstein (1996; 2000; 22011). 161 Chierchia (1997; 2008); Chierchia/McConnell-Ginet (1990; 22000). 162 Portner (2009). 163 Cf. Gosselin (2010). 164 Barwise/Perry (1983). 165 Kratzer (1989). 166 Portner (1992). 167 Quer (1998). 168 Cf. Fabricius-Hansen (1999, 122s.). 169 Giannakidou (1994; 1997; 1998; 1999).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Grundbausteine der Theoriebildung ausführlicher dargestellt werden. Sie sollen als theoretische Grundlage unseres empirischen Untersuchungsteils dienen.
er Modalitätsbegriff: Von Aristoteles bis zur zeitgenössisischen 1.2.2 D Modalsemantik Ein einheitliches Verständnis von Modalität gibt es nicht. Vielmehr entspringt der Modalitätsbegriff verschiedlichen linguistischen und philosophischen Traditionen, die zu seiner unterschiedlichen Akzentuierung in der Linguistik geführt haben. Eine vor allem in der französischen Forschung bis heute einflussreiche Traditionslinie führt zu Charles Ballys Modalitätsbegriff zurück, die er in seiner Linguistique générale et linguistique française entfaltet.170 Bally führt dort die fundamentale Unterscheidung zwischen dem dictum und dem modus ein, wobei letzterer aus dem verbe modal und dem sujet modal besteht. So schreibt er: «La modalité a pour expression logique et analytique un verbe modal (p.ex. croire, se réjouir, souhaiter), et son sujet, le sujet modal; tous les deux constituent le modus, complémentaire du dictum.»171
Der Modus, die sprachliche Konkretisierung der Modalität durch das verbe modal und das sujet modal stellt die subjektive Wertung bzw. Stellungnahme des Matrixsatzsubjekts in Bezug zu einer, wie Bally es nennt, zugrunde liegenden Repräsentation («représentation») dar. Der Modus macht aus der reinen Repräsentation eine an eine subjektive Instanz (= modales Subjekt) gebundene Behauptung, Wertung oder Willensäußerung. Bally spricht in diesem Zusammenhang übergreifend auch von «réaction»: «La phrase est la forme la plus simple possible de la communication d‘une pensée. Penser, c‘est réagir à une représentation en la constatant, en l‘appréciant ou en la désirant. C‘est donc juger qu‘une chose est ou n‘est pas, ou estimer qu‘elle est désirable ou indésirable, ou enfin désirer qu‘elle soit ou ne soit pas. On croit qu‘il pleut ou on ne le croit pas, ou on en doute, on se réjouit qu‘il pleuve ou on le regrette, on souhaite qu‘il pleuve ou qu‘il ne pleuve pas. Dans le premier cas, on énonce un jugement de fait, dans le second un jugement de valeur, dans le troisième une volition.»172
170 Bally (1932). 171 Bally (1932, 36). 172 Bally (1932, 35). Cf. auch Bally (1932, 216): «La fonction logique de la modalité est d’exprimer la réaction du sujet pensant à sa représentation».
Modalität und Modus
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In einem Beispielsatz wie (35) «Je crois que cet accusé est innocent» (Beispiel aus Bally 1932, 38)
kommt dem Sprecher (moi) die Rolle des «modalen Subjekts» zu und das «modale Verb» (croire) beschreibt den Denkakt («acte de pensée»), der auf der zugrunde liegenden Repräsentation («l’innocence de l’accusé») operiert. In einer aktuelleren Diktion könnte man diesen Gedanken auch dahingehend paraphrasieren, dass man sagt: Der Sprecher äußert eine Einstellung in Bezug auf eine Sachverhaltsbeschreibung bzw. die ihr entsprechende Proposition. Ballys Grundunterscheidung in dictum und modus wirkt auch heute noch in verschiedenen Ansätzen der französischen Modalsemantik nach. So definiert beispielsweise Le Querler den Modalitätsbegriff in ganz analoger Weise, wenn sie die «attitude du locuteur» dem «contenu propositionnel» gegenüberstellt: «Je proposerai comme définition de la modalité: expression de l’attitude du locuteur par rapport au contenu propositionnel de son énoncé».173 Anders als Bally allerdings schließt sie die Assertion von vorneherein als Erscheinungsform der Modalität aus: «Cette définition exclut l’assertion simple, qui ne contient aucun marqueur de l’attitude du locuteur: le contenu propositionnel est posé, l’attitude du locuteur est constative ou informative, sans aucun marqueur explicite de modalisation».174
Nach Le Querler gehört zum Modalitätsbegriff stets eine Instanz, die eine Einstellung zu einem Sachverhalt besitzt und erst der explizite Hinweis auf eine solche Einstellungsinstanz stellt eine Modalisierung des propositionalen Äußerungsgehaltes dar. Sie entwickelt zudem eine eigene Modalitäten-Typologie auf der Grundlage des Bühlerschen Organonmodells.175 Dabei unterscheidet sie drei grundsätzliche modale Dimensionen, die sich aus den Beziehungen der Proposition zu verschiedenen Aspekten des Kommunikationsaktes ergeben: –– Die sogenannte «modalité subjective» bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Sprecher (Träger der Aussage) und dem propositionalen Gehalt der Aussage. Hierzu gehören die «modalités épistémiques», die den Grad der Gewissheit, die der Sprecher hinsichtlich seines Äußerungsaktes besitzt, anzeigen sowie die «modalités appréciatives», die seine Einstellung zum propositionalen Gehalt deutlich machen.
173 Le Querler (1996, 61). 174 Le Querler (1996, 61). 175 Bühler (1934).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
–– Die «modalité intersubjective» erwächst aus dem Verhältnis zwischen dem Subjekt der Äußerung (dem «sujet énonciateur») und dem Adressaten (Empfänger) im Hinblick auf den propositionalen Gehalt; hieraus erwächst die Domäne der «modalités déontiques» (wie Erlaubnis, Befehl, Ratschlag etc.). –– Die «objektive Modalität» ergibt sich aus der Beziehung der Proposition zu einer anderen Proposition, von der sie abhängig ist; Le Querler spricht hier nun von den «modalités implicatives» – nicht im engen logischen Sinne, sondern im weiteren Sinne: «Les modalités objectives ne dépendent ni de la volonté ni du jugement du locuteur. Le sujet énonciateur asserte que p implique q, et nous appellerons donc ce type de modalités implicatives. Mais on ne se limitera pas à une définition logique et restrictive de la modalisation implicative: les rapports de condition, de conséquence, de but, d’opposition seront considérés comme des implications au sens large.»176
Ebenfalls ihren Ausgang bei Ballys Modalitätsbegriff nimmt die jüngste französische Arbeit zur Modalität – Gosselins beeindruckender Syntheseversuch eines Stranges der modalsemantischen Theoriebildung. Gosselin177 bemüht sich um ein aggiornamento des Bally’schen Ansatzes, bei dem er eine kognitive von einer sprachlichen Ebene trennt und zudem Ballys Grundunterscheidungen auf zeitgemäße Termini bringt: Das Bally’sche dictum – konzeptuell eine «représentation prédiquée sur des entités» – wird in der Aussage (l’énoncé) durch eine Instanz in einer charakteristischen Weise «validiert» («présentée comme valide») – der Begriff der «Validierung» entspricht dabei Ballys modus. Genauerhin subsumiert Gosselin unten den Begriff der Validierung («validation») die verschiedenen Möglichkeiten bzw. Arten der Modalisierung, wie sie auch bei Bally und anderen genannt werden, etwa die «positive oder negative Validierung» (Feststellung, Bestreiten), die «subjektive Validierung» (persönliche Einstellung), die «wertende Validierung» usw. Die sprachliche Realisierung dieser – auf der konzeptuellen Ebene statt findenden – Validierung entspricht der Modalität (modalité). Die Validierung schließlich einer Repräsentation stellt ein Urteil dar. In Gosselins Worten: «Et c’est cette représentation prédiquée (gemeint ist eine Repräsentation der Form: ‹un x tel que ‹gendarme››) qui est validée (présentée comme valide) d’une certaine façon par l’énoncé: validation positive prise en charge comme en (1), ou refus de prise en charge (‹un soi-disant / prétendu gendarme›), invalidation (‹ce n’est pas un gendarme qui ...›), validation subjective (‹c’est sûrement / peut-être un gendarme qui ...›), appréciative (‹dommage
176 Le Querler (1996, 66). 177 Cf. Gosselin (2010, 50–53).
Modalität und Modus
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que ce soit un gendarme qui ...›), etc. Dans tous les cas, c’est une même représentation prédiquée qui fait l’objet d’un certain type de validation donnant ainsi lieu à divers jugements.»178
Der Übergang von der mentalen Repräsentation zum Urteil über die Validierung erinnert an Freges Unterscheidung von Denken (als dem Fassen des Gedankens, also der Schaffung einer mentalen Repräsentation) und Urteilen (als der Anerkennung der Wahrheit des Gedankens, hier: die Validierung des Gedankens).179 Hierauf werden wir noch an anderer Stelle zurückkommen. Wichtig ist an dieser Stelle zunächst der Hinweis darauf, dass auch in Gosselins eigenem zeitgenössischen Ansatz die Bally’sche Dichotomie von dictum (hier «représentation prédiquée») und modus («validation») grundlegend bleibt. Gosselin entwickelt im Weiteren allerdings eine eigene Modalitäten-Typologie, die – und hierin liegt die Originalität seiner Synthese – einem ganz anderen Traditionsstrang verpflichtet ist, und zwar dem philosophischen Modalitätsbegriff wie er von Aristoteles initiiert und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der angelsächsischen Sprachphilosophie weiterentwickelt und für die Modalsemantik handhabbar gemacht wurde. Dazu aber weiter unten. Zunächst soll auch noch kurz auf einen weiteren die linguistische Diskussion prägenden Modalitätsbegriff eingegangen werden, nämlich auf Palmers Konzeption, die er in seiner einflußreichen Monographie Modality and mood ausführlich entfaltet hat. Palmer versteht unter Modalität eine übergeordnete bzw. umfassende grammatikalische Kategorie, die den Status einer Proposition anzeigt. So definiert er: «Modality differs from tense and aspect in that it does not refer directly to any characteristic of the event, but simply to the status of the proposition». Dieser Status lässt sich durch die grundlegende Dichotomie «realis» versus «irrealis» beschreiben, wobei die beiden Werte im Sinne von Mithun verstanden werden: «The realis portrays situations as actualized, as having occurred or actually occurring, knowable through direct perception. The irrealis portrays situations as purely within the realm of thought, knowable only through imagination.»180
Ein äquivalentes Gegensatzpaar stellt nach Palmer die Scheidung in «assertion» und «non-assertion» dar. Letztere kann in dreierlei Form erscheinen: Sie kann Zweifel an dem Wahrheitscharakter («veracity») der Aussage anzeigen, Nichtrea-
178 Gosselin (2010, 54). 179 Cf. Lohnstein (22011, 341) in Anlehnung an Frege (1966 [1923], 35). 180 Mithun (1999, 173), zitiert nach Palmer (22001, 1).
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lisierung ihres propositionalen Inhaltes und schließlich ihren präsuppositionellen Charakter. Die Faktizititätsopposition erfasst folglich nicht erschöpfend die Differenz der beiden Statusausprägungen.181 Im Rahmen seines Versuchs einer Feindifferenzierung der einzelnen Modalitäten unterscheidet Palmer einmal einen übergeordenten Modalitätstyp, der auf die Sprechereinstellung fokussiert («concerned with the speaker’s attitude to the truth-value or factual status of the proposition»), die sog. propositional modality sowie einen zweiten, der alleine die zeitlich-weltliche Verankerung eines bestimmten Ereignisses – bei «virtuellen bzw. hypothetischen» Ereignissen in «möglichen Welten» – kennzeichnet (event modality). Die Opposition zwischen diesen beiden Grundmodalitäten ist also auf zwei unterschiedlichen Dimensionen angesiedelt – die propositional modality betrifft das (semantisch-pragmatische) Verhältnis zwischen dem Sprecher und dem propositionalen Gehalt seiner Aussage, die event modality hingegen den semantischen oder genauer: modalsemantischen Status der Proposition. Die beiden ihrem Status nach verschiedenen Hauptmodalitäten lassen sich nach Palmer noch feiner ausdifferenzieren: Der propositionalen Modalität («propositional modality») sind die epistemische und die evidentielle («evidential») Modalität zuzuordnen. Erstere bestimmt den faktischen Status einer Proposition – und zwar in Wahrscheinlichkeitsgraden –, letztere nennt die Beweismittel (bzw. -quellen) ihres Status. «The essentiel difference between these two types is [...] that with epistemic modality speakers express their judgements about the factual status of the proposition, whereas with evidential modality they indicate the evidence they have for its factual status.»182
Als epistemische Ausprägungsgrade der Faktizität schlägt Palmer die terminologische Trias speculative (Angabe von Unsicherheit), deductive (Inferenz auf der Basis beobachtbarer Tatsachen) und assumptive («Inferenz auf der Grundlage von allgemeinem Wissen») vor,183 für die jeweils ein Beispiel angeführt wird: (36) Spekulativ: Span.: Quizá venga. (37) Deduktiv: Ital.: La luce è accesa al secondo piano. Luigi dev’ essere nel suo ufficio. (38) Assumptiv: Span.: Pedro vuelve a casa. Serán las cinco.
Feinunterscheidungen zwischen verschiedenen Arten und Graden der Evidentialität werden in den europäischen Sprachen in der Regel nicht systematisch durch
181 Palmer (22001, 3). 182 Palmer (22001, 8). 183 Palmer (22001, 8).
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morphologische Markierungen explizit gemacht, in afrikanischen Sprachen kann hingegen zwischen Aspekten wie «Allgemeinwissen», «persönliche (visuelle) Erfahrung» = «Wissen aus erster Hand», «auditives Wissen» («Wissen aufgrund einer Hörerfahrung»/ «auditory evidence»), «Hörensagen» und «Inferenz» differenziert werden. Wir werden allerdings im 2. Kapitel sehen, dass Evidenzsysteme durchaus eine wesentliche Rolle für die Ausgestaltung des Modussystems in der epistemischen Domäne spielen können. Die Ereignismodalität umfasst die deontische sowie die dynamische Modalität – das unterscheidende Kriterium ist hier die Motivationsquelle, die intrinsischer (im Individuum liegender) oder extrinsischer (von Außen kommender) Natur sein kann. «Thus deontic modality relates to obligation or permission, emanating from an external source, whereas dynamic modality relates to ability or willingness, which comes from the individual concerned.»184
Die weiteren Unterteilungen sind selbstredend: –– deontisch: permissiv, obligativ, kommissiv («You shall have it tomorrow»). –– dynamisch: abilitiv (eine Fähigkeit anzeigend) und volitiv. Diese verschiedenen Arten von Modalität füllen jedoch keineswegs die als für die Kategorie Modalität fundamental angesehene Makro-Opposition «realis» versus «irrealis»185 vollständig aus. Wichtige Irrealis-Kriterien und Merkmale wie «präsupponiert» («presupposed»), interrogativ, negativ, futurisch («Futurizität»), imperativ-iussiv, konditional, timitiv, indefinit («Indefinitheit»), kontrafaktisch («Kontrafaktizität»), habituell («habitual past»)186 etc. haben innerhalb der komplexen Systematik keinen Platz. Sie sind aber wesentliche Etiketten zur deskriptiven Erfassung, zum Teil auch zur Analyse und Erklärung von Modusverhältnissen in europäischen Sprachen.187 Soweit zu Palmer.
184 Palmer (22001, 9s.). 185 Palmer verwendet die terminologische Opposition – nicht unproblematisch – in dreifachem Sinne: 1. zur Bezeichnung einer typologischen Universalie, 2. als notionale Makro-Kategorien und 3. zur kontrastiven typologischen Kennzeichnung nicht-flexivischer Alternativsysteme zu Modussystemen, wie sie für zahlreiche europäische Sprachen charakteristisch sind. Cf. dazu Palmer (22001, 3ss., und v.a. Kap. 7 («Subjunctive and Irrealis»), besonders p. 185ss.). 186 Siehe dazu vor allem das 8. Kapitel «Past tense as a modal», (Palmer 22001, 205ss.). 187 Cf. Palmer (22001, 22 sowie v.a. 113ss.).
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Wie oben schon angedeutet, stellt die aristotelische Tradition der Modalitätslehre einen weiteren, sowohl für die Sprachphilosphie als auch die zeitgenössische formale Semantik, grundlegenden Bezugspunkt im Rahmen der modalsemantischen Theorebildung dar. Gosselin hat in seiner schon zitierten Monographie erstmals diese Traditionslinien klar herausgearbeitet und damit wesentlich zum Verständis der konzeptuellen Grundlagen der heutigen Modalsemantik beigetragen.188 Aristoteles (384 v.Chr.–324 v.Chr.) hatte in seiner ersten Analytik, der Grundlagenschrift seiner Wissenschaftsphilosophie, die vier alethischen Modalitäten vorgestellt, die den ontischen Status von Sachverhalten und hierauf basierend die logische Geltung von Aussagen charakterisieren. Dabei geht es um die Gegebenheit der Dinge bzw. die Beschaffenheit (die «Seinsstruktur» oder «Seinsordnung») der Welt. Aristoteles unterscheidet, ob bestimmte Sachverhalte –– notwendigerweise der Fall sein müssen (also gar nicht anders als wahr sein können) (der Wert der Notwendigkeit) –– unmöglich der Fall sein können, also nie wahr sind (Ausprägung der Unmöglichkeit) –– eintreten (der Fall werden) können, weil das Potential (dynamis/potentia) zu ihrer Realisierung in den Dingen oder Umständen liegt oder, so die 4. Ausprägung der alethischen bzw. ontischen Modalität, –– der Fall (real) sind, aber auch nicht hätten eintreten können, weil es nämlich keine Notwendigkeit für sie gibt, d.h. die Dinge zwar so sind, wie sie sind, aber auch anders hätten sein können (kontingente Möglichkeit).189 Zu jeder dieser vier Wertausprägungen der logischen bzw. ontischen Modalität lässt sich jeweils ein Beispielsatz formulieren: Notwendigkeit (□p): 2 + 2 = 4 Unmöglichkeit (□¬p): Ein Mann ist eine Frau. Reine Möglichkeit (◊p): Feuer bringt Wasser zum Kochen. Kontingente Möglichkeit (◊¬p): Die Autos sind rot. Wendet man die alethischen Modalitäten auf Aussagen an, so kommt man zu folgenden modalisierten Aussagetypen:
188 Hierzu Gosselin (2010, 27–49). 189 Cf. Blanché (1970); Le Querler (1996, 37); Gosselin (2010, 29); Aristoteles (1999, de Interpretatione, Kap. 12 und 13).
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–– Bei einer notwendigen Aussage ist der in der Aussage prädizierte Sachverhalt immer (absolut) wahr; –– Im Falle der Unmöglichkeit, trifft eine Aussage nie zu, d.h. sie ist (absolut) falsch; –– Eine Aussage im Modus der reinen Möglichkeit ist weder wahr noch falsch, sondern unentschieden: Die reine Möglichkeit lässt offen, ob der prädizierte Sachverhalt (zum Beispiel, dass Feuer Wasser tatsächlich in einer bestimmten Situation zum Kochen bringt) eintritt; –– Im Falle der kontingenten Möglichkeit ist die Aussage sowohl wahr als auch falsch: So mag es zwar (in einer bestimmten Situation) eine Reihe von roten Autos geben. Hierfür besteht aber keine Notwendigkeit und auch Autos mit einer ganz anderen Farbe wären möglich. Die Beziehungen zwischen den vier alethischen Modalitäten werden durch das sog. logische Quadrat veranschaulicht:190
□ p, ¬ ◊ ¬ p notwendig
subaltern
konträr
kontradiktorisch
◊ p, ¬ □ ¬ p subkonträr möglich (Darstellung nach Martin 1983, 111)
190 Zur Geschichte cf. Thiel (2004, 423).
□ ¬ p, ¬ ◊ p unmöglich
subaltern
◊ ¬ p, ¬ □ p fakultativ
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Kommentieren wir kurz die einzelnen Relationen und beginnen dabei mit dem Wert der «reinen Möglichkeit» («le possible»). Wie wir sehen, können alle Werte durch äquivalente Relationen mithilfe des Möglichkeits- bzw. des Notwendigkeitsoperators dargestellt werden. Die reine Möglichkeit, dass ein Sachverhalt p der Fall ist, steht in kontradiktorischer Opposition zur Unmöglichkeit, dass p. Es gibt also nur die eine oder die andere Möglichkeit: Entweder ist die Welt so beschaffen, dass p möglich ist oder nicht – tertium non datur. Gleiches gilt auch für die kontingente Möglichkeit: Auch hier ist kein Tertium zwischen dem akzidentellen und dem notwendigen Bestehen eines Sachverhalts p denkbar: Entweder ist etwas kontingent der Fall (und könnte deshalb auch nicht der Fall sein) oder es ist notwendigerweise der Fall. Das Verhältnis zwischen dem notwendigen und dem unmöglichen Bestehen eines Sachverhalts p gründet auf einer konträren Opposition, denn hier sind jeweils Alternativen denkbar («reine Möglichkeit» sowie «kontingente Möglichkeit»). Mit anderen Worten: Ein Sachverhalt, der weder notwendigerweise der Fall sein muss noch unmöglich ist, kann eintreten («reine Möglichkeit») oder auch nicht («kontingente Möglichkeit»). Das Verhältnis zwischen der reinen Möglichkeit und der Notwendigkeit, dass p (bzw. der kontingenten Möglichkeit und der Unmöglichkeit, dass p) wird als subalterne Relation charakterisiert: Aus der Tatsache, dass ein Sachverhalt p notwendigerweise der Fall ist, lässt sich ableiten, dass p auch möglich sein muss (d.h. die hinreichenden Voraussetzungen für p gegeben sind). Ebenso lässt sich aus der Unmöglichkeit, dass p der Fall wird, ableiten, dass p auch akzidentell nicht auftreten kann. Die «reine Möglichkeit» und die «kontingente Möglichkeit» stehen in subkonträrer Opposition zueinander. Hierbei können beide Möglichkeiten, dass p der Fall sein kann und dass p auch nicht der Fall sein kann, auftreten: Die Möglichkeit, dass p ist auch mit der kontingenten Möglichkeit, dass nicht-p vereinbar, da die Existenz oder Nicht-Existenz von p ja nicht notwendig ist. Gosselin zeigt aber auch auf, dass sich v.a. in der Rhetorik des Aristoteles auch schon andere Modalitäten, die sich auf weitere – nicht strikt wissenschaftlich-logische – Bereiche menschlicher Rationalität beziehen, andeuten. Dort nehmen die sog. subjektiven Modalitäten einen zentralen Platz ein. An erster Stelle stehen die Doxa, Überzeugungen von Individuen und ihren Bezugsgemeinschaften (heute würden wir hierbei von «kollektiven Repräsentationen» sprechen). Aus ihnen erwachsen vor allem die doxastischen (auf Überzeugung beruhenden), aber auch die epistemischen (auf dem Wissen und seiner Evidenz beruhenden), die axiologischen (auf Wertnormen bzw. einer Einteilung in gut und schlecht beruhenden) und schließlich die evaluativen (auf persönlicher Bewertung beruhenden) Modalitäten.
Modalität und Modus
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Die Nikomachische Ethik Aristoteles’, seine «praktische Philosophie», behandelt Urteile, die weder objektiv noch subjektiv sind, sondern auf moralisch Gebotenes (deontische Modalität) oder Wünschenswertes (buletische Modalität) verweisen. Erst im 20. Jahrhundert beschäftigen sich Sprachphilosophen wie Georg Henrik von Wright (An Essay in Modal Logic) und Hintikka (Knowledge and Belief)191 wieder systematisch mit den Modalitäten und etablieren endgültig die deontische und die epistemische Modalität als zentrale Konzepte der modernen sprachphilosophischen Diskussion.192 Für die Weiterentwicklung des Modalitätsbegriffes spielte die Einführung des Konzepts der «möglichen Welten», das wir weiter unten etwas genauer behandeln werden, eine wichtige Rolle. An dieser Stelle genügt es fürs Erste «mögliche Welten» als Alternativen zur realen Welt, also unserer Bezugswelt, zu verstehen. Das Konzept der möglichen Welten erlaubt nun eine Beschreibung der verschiedenen Modalitätswerte in Form einer Quantifizierung über mögliche Welten. Wir können also sagen:193 –– Eine Proposition ist dann und nur dann notwendig, wenn sie in allen Welten wahr ist. Wir beschreiben also Notwendigkeit als Allquantifikation über Welten (für alle Welten gilt: p oder ∀w: p(w) = 1). –– Eine Proposition ist dann und nur dann möglich, wenn sie in mindestens einer Welt wahr ist (für mindestens eine Welt gilt: p oder ∃w: p(w) = 1). –– Ein Proposition ist dann und nur dann unmöglich, wenn sie in allen Welten falsch ist: ∀w: ¬p (bzw. ∀w: p(w) = 0). –– Eine Proposition ist dann und nur dann kontingent, wenn sie in der realen Welt wahr ist, aber in mindestens einer möglichen Welt falsch: p(w0) = 1 ∧ ∃w: p(w) = 0. Vor dem Hintergrund dieser Grundüberlegungen – die aristotelische Tradition der Modalitäten sowie ihre Weiterentwicklung durch einen Ansatz der Quantifizierung über mögliche Welten – wird auch die tentative Modalitätsdefinition Portners, die das angelsächsische Modalitätsverständnis wiedergibt, deutlicher: «I am not too comfortable trying to define modality, but a definition provides a useful place to start: modality is the linguistic phenomenon whereby grammar allows one to say
191 Von Wright (1951); Hintikka (1962). 192 Von Wright (1951) unterscheidet schon vier Modalitäten: die epistemische, die alethische, die deontische und schließlich die existentielle. 193 Cf. Gosselin (2010, 45); Lohnstein (22011, 284s.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
things about, or on the basis of, situations which need not be real. Let‘s take an example: I say ‹You should see a doctor.› I am saying something about situations in which you see a doctor; in particular, I am saying that some of them are better than comparable situations in which you don‘t see a doctor. Thus, what I say concerns situations which need not be real.»194
Modalität lässt sich nach Portner als eine linguistische Grund-Kategorie (in Analogie zu Temporalität und Aspektualität) verstehen, die Alternativen (alternative Situationen bzw. mögliche Welten) im Verhältnis zu unserer Bezugswelt, der «realen Welt», eröffnet und den Sprechern erlaubt, über solche Alternativen (alternative Situationen bzw. mögliche Welten) zu sprechen. Die Dimension der Modalität im Übrigen hängt auf das Engste mit der unserer Spezies eigenen Fähigkeit zusammen, über Dinge nachzudenken, die nicht real sind bzw. auf der Grundlage nicht realer Annahmen zu argumentieren («counterfactual reasoning»). Im Gegensatz zum Modalitätsbegriff in der Tradition Ballys und Benvenistes steht nicht die Subjektivität des Sprechers, seine Einstellung zum dictum, im Vordergrund, sondern die Thematisierung von Alternativen (alternativen Situationen bzw. Welten) zur realen Welt und den in ihr geltenden Sachverhalten. In Analogie zur Fundamentalkategorie der Temporalität, die eine Zeitvariable t einführt, führt die Grundkategorie der Modalität eine Weltvariable w ein. Eine zentrale Aufgabe der Modalsemantik besteht nun darin, die thematisierten Alternativen zur realen Welt zu beschreiben sowie Verfahren zu ihrer Versprachlichung zu charakterisieren. Die Modalsemantik richtet ihre Aufmerksamkeit also darauf, genauer aufzuzeigen, welche modalen Informationen bestimmte grammatische und/oder lexikalische Ausdrücke bzw. Ausdrucksstrukturen kodieren (semasiologische Perspektive) bzw. – umgekehrt – wie ein bestimmtes modales Konzept durch grammatische und/oder lexikalische Ausdrücke bzw. Ausdrucksstrukturen sprachlich realisiert wird (onomasiologische Perspektive). In den letzten Jahren ist das Inventar der Modalitäten erweitert und für die linguistische Beschreibung verfeinert worden.195 Es stellt sich also die Frage: Welche für die linguistische Beschreibung modaler Ausdrücke relevanten Modalitäten lassen sich sinnvollerweise unterscheiden? Wir beginnen mit der deontischen Modalität: Die deontische Modalität bezieht sich auf die Domäne dessen, was auf Grund einer Norm schaffenden
194 Portner (2009, 1). 195 Synthesen im Rahmen ihrer Wissenschaftstraditionen versuchen Gosselin (2010); Portner (2009); Lohnstein (22011).
Modalität und Modus
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Quelle (etwa einem Gesetz, Geboten, Moral, sozialen Konventionen usw.) notwendig, geboten oder erlaubt ist. Die deontische Domäne hat also mit Regeln, Pflichten oder sonstigen für das Handeln verpflichtenden Stipulationen sozialer, rechtlicher, moralischer und sonstwie normsetzender Instanzen zu tun.196 Auch die grundlegenden Werte der deontischen Modalität lassen sich im Rahmen des logischen Quadrats anordnen bzw. darstellen:
□p, ¬ ◊ ¬ p obligatorisch
subaltern
konträr
kontradiktorisch
◊ p, ¬ □ ¬ p subkonträr erlaubt
□¬ p, ¬ ◊ p verboten
subaltern
◊ ¬ p, ¬ □ p fakultativ
(Darstellung nach Martin 1983, 111)
Beispiele für die zentralen Ausprägungen der deontischen Modalität sind: (39) Du musst bei Rot anhalten. (40) Du darfst nicht mit Alkohol am Steuer fahren. (41) Du darfst die Bibliothek benutzen. (42) Du kannst auch Sprachwissenschaft statt Kulturwissenschaft im Aufbaumodul studieren.
196 Cf. Kratzer (1978, 111); Palmer (1986, 96s.); (22001, 70–76); Gosselin (2010, 45); Lohnstein (22011, 284s.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Während (39) und (40) Beispiele für die Notwendigkeit, dass p bzw. nicht-p sind, verdeutlichen die beiden letzten Beispiele noch einmal den Gegensatz zwischen «reiner Möglichkeit» und «kontingenter Möglichkeit»: Während im ersten Fall eine positive Berechtigung («potentia») besteht, p zu tun (Erlaubnis: dürfen), ist in letzterem Fall die Möglichkeit gegeben, auch nicht-p (also keine Kulturwissenschaften) zu wählen (Fakultativität: etwas auch lassen dürfen). Die buletische Modalität bezieht sich auf die Wünsche von Personen und führt mithin in ein Universum von Wunschwelten ein, zum Beispiel: (43) Susana veut que Pierre la visite. / Susana vuole che Pietro la lasci in pace.
Die teleologische Modalität weist auf angestrebte Zielwelten, die den Intentionen der planenden Individuen entsprechen. Welten, in denen die Ziele (beschreibbar als Menge von Propositionen) realisiert werden, sind – ähnlich wie Welten, in denen Wünsche realisiert werden – ideale Welten. (44) Pierre court pour rattraper le bus/Pedro corre per arrivare al treno in tempo.
Die drei genannten Modalitäten ähneln sich dahingehend, dass sie jeweils bessere oder schlechtere Alternativen herausstellen, also eine Skala voraussetzen, die mögliche Welten daran misst bzw. danach ordnet, inwieweit sie den Stipulationen einer Norm schaffenden Quelle, einem intendierten Idealzustand oder einem Wunsch nahekommen. Unter Berücksichtigung dieser Gemeinsamkeit hat Portner den umfassenden Begriff der priority eingeführt.197 Dieser Terminus verdeutlicht, dass es bei allen drei Modalitätstypen um eine Gegenüberstellung und Gewichtung von Alternativen geht, wobei bestimmte Alternativen im Einklang mit einem impliziten Maßstab bzw. einer «Metrik» (so Lohnstein)198 als besonders präferiert herausgestellt werden. Die doxastische Modalität eröffnet die Domäne der Glaubenswelten von Individuen oder Gemeinschaften. Sie ist eng mit zwei grundlegenden Dimensionen verbunden: Zum einen mit der Dimension der Subjektivität/Intersubjektivität sowie, zum anderen, mit der Problematik der Evidenz für Überzeugungen, also ihren Beweisgrundlagen bzw. Beweismitteln. Die Dimension der Subjektivität/ Intersubjektivität definiert Nuyts folgendermaßen: «An evaluation is subjective if the issuer presents it as being strictly his/her own responsability; it is intersubjective if (s)he indicates that (s)he shares it with a wider group of people,
197 Portner (2009, 135). 198 Lohnstein (2 2011, 350).
Modalität und Modus
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possibly including the hearer (not to be confused with a descriptive use of modal forms). In other words, it might be a matter of whether the modal judgment is common ground between the speaker and the hearer or others.»199
Die zweite Dimension betrifft die Problematik, welche Wissensquelle der Sprecher für seine Überzeugung, dass p hat. Weiter oben hatten wir schon im Zusammenhang mit Palmers Modalitätsbegriff solche Quellen angeführt (Wissen aus erster Hand als Augenzeuge, Wissen aufgrund einer Hörerfahrung, Hörensagen, Inferenz auf Grundlage von allgemeinem Wissen, Inferenz auf der Basis beobachtbarer Fakten etc.). Mit beiden Dimensionen werden wir uns noch ausführlicher in dem nächsten Kapitel auseinandersetzen. Die zweite Dimension – die evidentielle Seite – spielt auch in der Domäne der epistemischen Modalität eine wichtige Rolle. Die epistemische Modalität betrifft das Wissen bzw. die Wissensinhalte, über die Individuen verfügen. Dieses Wissen umfasst alle nur erdenklichen Wissensaspekte, etwa solche über die Natur und ihre Gesetze (Gesetze der Physik, der Chemie, der Biologie etc.), enzyklopädisches Wissen, Beobachtungen, der Alltagsverstand. In den Bereich der epistemischen Modalität gehören aber auch Formen der Informationsgewinnung durch Inferenzziehungsprozesse. Auf dieser Grundlage – vollständiger, unvollständiger und erschließbarer Informationen – formulieren die Gesprächspartner Aussagen über das Vorliegen von Sachverhalten bzw. entwickeln Erwartungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Bestehens bzw. Eintretens eines Sachverhalts. Mit anderen Worten: Dort, wo kein vollständiges Wissen verfügbar ist, schätzen Sprecher die Wahrscheinlichkeit ein, dass p der Fall ist bzw. bestimmen den Gewissheitsgrad von p sowie von möglichen Alternativen p’, p’’ etc. auf einer Probabilitätsskala. Eine konsensfähige Definition gibt Nuyts: «The core definition of this category is relatively noncontroversal: it concerns an indication of the estimation, typically, but not necessarily, by the speaker, of the chances that the state of affairs expressed in the clause applies in the world.» 200
Die Trennung von doxastischer Modalität und epistemischer Modalität rechtfertigt sich nicht nur konzeptuell – hier der Verweis auf subjektive oder intersubjektive Glaubenswelten, dort die Einschätzung und Generierung von Wissen. Sie findet ihren Niederschlag auch in der unterschiedlichen sprachlichen Organisation beider Modalitäten: So spielen Modalverben (devoir/devere, pouvoir/
199 Nuyts (2006, 14). 200 Nuyts (2006, 6).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
potere) und unpersönliche Ausdrucke (il est probable que/é vero che) für die Versprachlichung der epistemischen Modalität eine wichtige Rolle, wohingegen für die doxastische Domäne schwach intensionale Verben wie croire/credere und die von ihnen selegierten Komplementsatzstrukturen kennzeichnend sind. Wie wir in Kap. 2 und 3 sehen werden, ist auch das modalitätsspezifische Teilmodussystem jeweils unterschiedlich strukturiert und divergiert auch in diachroner Hinsicht erheblich. Die axiologische und die evaluative Modalität sind Modalitäten, die Sachverhalte bewerten. Die evaluative Modalität schließt jede Form von subjektiver Wertung von Sachverhalten ein, wobei diese Wertung in der Regel emotiv verankert ist. Prädikate wie bedauern, dass p oder zufrieden sein, dass p beschreiben subjektive Einstellungen von Individuen, die mit negativen oder positiven Emotionen verbunden sind. Diese Modalität wird in der angelsächsischen Literatur bisweilen auch als «boulomaic modality» bezeichnet201 und zeigt den Grad des «liking or disliking of the state of affairs» an. Allerdings ist hierbei die Grenzziehung zur buletischen Modalität nicht völlig deutlich. Die axiologische Modalität präsupponiert eine Werteskala (gut-schlecht, gerecht-ungerecht) und nähert sich in diesem Aspekt der deontischen Modalität an. Allerdings präsupponiert sie eine Werteskala, statuiert aber keine Normen. Mit anderen Worten: Während im Fall der deontischen Prädikate eine normgebende Quelle (zum Beispiel der Gesetzgeber oder eine soziale Instanz) einem Adressaten eine Pflicht auferlegt oder ein Recht gewährt, bewerten axiologische Prädikate lediglich einen Sachverhalt auf der Grundlage eines präsupponierten, aber nicht explizit gemachten Wertekanons. Man vergleiche: (45) Du sollst nicht töten! (46) Es ist untragbar, dass Zivilisten bei den Kriegshandlungen getötet wurden.
In Kapitel 3 werden wir sehen, dass die gewisse Nähe zwischen deontischer und axiologischer Modalität auch für die diachrone Entwicklung des französischen Modussystems von Relevanz gewesen ist. Die disponentielle (oder auch physische) Modalität betrifft die Notwendigkeit oder Möglichkeit (Fähigkeit), die in den natürlichen bzw. strukturellen Gegebenheiten der Realität (bzw. ihren jeweiligen konkreten Umständen) oder aber auch in den Eigenschaften (Dispositionen) von Dingen und Personen angelegt sind. Portner subsumiert die verschiedenen Arten von «Anlagen und Vermögen»
201 Cf. Nuyts (2006, 12).
Modalität und Modus
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unter den Terminus der dynamischen Modalität und ordnet ihm drei Ausprägungen zu: –– abilitiv: das, wozu ein Individuum von seinen Anlagen her fähig ist; –– disponentiell: das, wozu ein Ding gemäß seiner Beschaffenheit geeignet ist; –– zirkumstantiell: das, was von den natürlichen (physischen bzw. physikalischen) Umständen her gegeben ist. Führen wir ein Beispiel für jeden dieser Untertypen der Kategorie «Anlage und Vermögen» an: (47) Peter spricht Latein (= kann Latein sprechen). (48) Mit der Leiter kann man bis aufs Dach hinaufklettern. (49) Hier kann Wein angebaut werden.
Allerdings verwenden wir, um den terminologischen Bestand an Modalitäten möglichst überschaubar zu halten, im Folgenden ausschließlich den etablierten Terminus disponentielle Modalität, wenn wir uns auf Anlagen, Fähigkeiten und Umstände beziehen. Die alethische Modalität schließlich, die am Anfang des Modalitätsbegriffs stand, ist ein wenig «aus der Mode gekommen». Sie spielt entweder keine Rolle mehr (so bei Portner) oder wird verundeutlicht und als Restkategorie für alles verwendet, was nicht epistemische oder deontische Modalität ist. So bezieht sich Kronning etwa mit diesem Terminus auf jede Art von Beziehungen zwischen den «Dingen» oder genauer: auf alle Gesetze, Prinzipien und Kräfte, die den Dingen inhärieren und Ursache-Folge- oder Bedingung-Folge-Beziehungen determinieren.202 Gosselin bestimmt die alethische Modalität hingegen als die «objektive Wahrheit» («vérité objective») und betont, «qu’il s’agit de caractériser des jugements fondamentaux descriptifs (au sens où ils supposent que des faits leur préexistent, et où ils ont à en rendre compte), qui renvoient à une réalité existant en soi, indépendamment des jugements qui sont portés sur elle.»203
In diesem Verständnis bezieht sich die alethische Modalität auf das, was tatsächlich in der Welt der Fall ist. Alethische Modalität liegt also nach Gosselin vor, wenn wir eine Aussage wie «La neige est blanche» machen.204
202 Kronning (1996, 27, 115–118). 203 Gosselin (2010, 314). 204 Das Beispiel stammt aus Gosselin (2010, 314).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Nur wird hier m.E. keine Modalität realisiert, sondern eine analytische Aussage gemacht, die eine dem Subjekt-Lexem innewohnende definitorische Eigenschaft explizit macht. Die alethische Modalität spielt heute in den meisten linguistischen Analysen von Modalität keine Rolle. Dies hat verschiedene Gründe: –– Wird alethische Modalität im Sinne der «objektiven Wahrheit», also als Beschreibung, wie die Welt tatsächlich beschaffen ist, verstanden, so wird ein metaphysischer Objektivismus postuliert, der philosophisch problematisch und vor allem – was uns mehr interessiert – linguistisch nicht von Belang ist: Versprachlichungen beruhen auf individuellen Konzeptualisierungen der Sprecher und spiegeln nicht einfach objektive außersprachliche Sachverhalte wider. Ein «objektivistisches» Verständnis von sprachlichen Aussagen sieht von den Konzeptualisierungen und den ihnen entsprechenden Versprachlichungen mit den Mitteln der jeweiligen Einzelsprache ab. –– Es wird auch darauf hingewiesen, dass die alethische Modalität in einem «objektivistischen» Verständnis kein eigenes sprachliches Korrelat besitzt, d.h. es keine spezialisierten bzw. exklusiven grammatischen Mittel gibt, um alethische Modalität auszudrücken. So merkt Palmer an: «[T]here is no distinction between [...] what is logically true and what the speaker believes, as a matter of fact, to be true». Und er führt weiter aus: «[T]here is no formal grammatical distinction in English, and, perhaps, in no other language either, between alethic and epistemic modality.»205 –– Versteht man alethische Modalität in einem weiten Sinne – als Modalität, die sich auf die Beschaffenheit der Welt (mit ihren Beziehungen zwischen den Dingen, den geltenden Naturgesetzen, Ursache-Folge-Relationen, Entwicklungstendenzen usw.) bezieht, so stößt man unweigerlich auf eine Abgrenzungsproblematik: Insbesondere lässt sich keine klare Trennungslinie zwischen der alethischen und der disponentiellen Modalität ziehen. In jüngeren linguistischen Studien wird deshalb anstelle des traditionsschweren Begiffs der alethischen Modalität der von S. Kripke in Name and Necessity206 eingeführte Begriff der metaphysischen Modalität verwendet. Kripke erläutert hierzu: «Doch der Begriff, um den es hier geht, ist nicht ein Begriff der Erkenntnistheorie, sondern der Metaphysik in einem bestimmten (hoffe ich) nicht-herabsetzenden Sinn. Wir fragen, ob etwas hätte wahr sein können oder falsch sein können. Wenn etwas falsch ist, so ist es offensichtlich nicht notwendigerweise wahr. Wenn es wahr ist, hätte es anders sein können? Ist es möglich, dass die Welt in dieser Hinsicht hätte anders sein können, als sie
205 Palmer (1986, 11). 206 Kripke (1980; 1981).
Modalität und Modus
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wirklich ist? Wenn die Antwort ‹nein› lautet, dann ist diese Tatsache über die Welt eine notwendige Tatsache. Ist die Antwort ‹ja›, dann ist diese Tatsache über die Welt eine kontingente Tatsache.»207
Das Konzept der metaphysischen Modalität haben vor allem Condoravdi – in Anlehnung an Thomason –, Ippolito und Copley in ihren Untersuchungen fruchtbar gemacht und auf seiner Grundlage modalsemantische Fragestellungen wie die Interaktion von Temporalität und Modalität, kontrafaktische Bedingungssätze, aber auch spezifische Lesarten des englischen Modalverbs should analysiert.208 Das Konzept der metaphysischen Modalität wird nun weder im Sinne rein logischer Relationen verstanden noch im Sinne einer «objektivistischen» Ontologie als verschiedene «Seinsweisen» im Rahmen einer «Seinsordnung» der Welt. Vielmehr bezieht sich die metaphysische Modalität rein deskriptiv auf das, was zu einem betrachteten Zeitpunkt t der Fall ist – auf alle Sachverhalte eines Weltausschnitts, die man, wenn man denn wollte, in einer exhaustiven Liste (in Form von Propositionen) auflisten könnte.209 Im Rahmen der metaphysischen Modalität richtet sich der Blick des Betrachters von t aus auch nach vorne (prospektive Perspektive) sowie zurück (retrospektive Perspektive). In einer prospektiven Perspektive schließt die metaphysische Modalität auch das mit ein, was angesichts der gegebenen Tatsachen zum Zeitpunkt t in einer zukünftigen Fortschreibung des betrachteten Weltausschnitts möglich ist. In einer retrospektiven Perspektive beinhaltet sie das, was vor dem Hintergrund einer bestimmten Sachverhaltskonstellation zu einem vor t liegenden Zeitpunkt (t–n) hätte der Fall sein können.210 «Counterfactual reasoning», das Argumentieren auf der Grundlage einer kontrafaktischen Annahme, wie dies bei irrealen Bedingungssätzen der Fall ist, bewegt sich ebenso auf dem Territorium der metaphysischen Modalität wie die «metaphysische Inferenz» («metaphysical inference»):211 In beiden Fällen gehen wir von den bestehenden Tatsachen in der realen Welt aus (also davon, was zu einem Zeitpunkt t der Fall ist) und leiten hieraus mögliche bzw. notwendige Fortset-
207 Krikpe (1980, 45s.). 208 Cf. Condoravdi (2002); Thomason (1970); Ippolito (2003); Copley (2006). 209 «We might call it instead a ‹metaphysical› modality: it takes all the facts that are actually the case at a particular time into consideration» (Copley 2006, 12). 210 Cf. etwa Condoravdi (2002, 61): «Metaphysical modality has to do with how the world may turn out, or might have turned out, to be». 211 Cf. Copley (2006, 12): «Metaphysical causation, the garden-variety causation of one event causing another, requires that the causing event begin earlier than the caused event. So metaphysical inference is as follows: We infer, given the causing event, that the caused event happened».
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
zungen des weiteren «Weltverlaufs» ab. Im Falle der «metaphysischen Inferenz» können wir von einer hinreichenden Ursache (zum Beispiel Regen) auf eine notwendige Folge (zum Beispiel Nässe) schließen. Beim «counterfactual reasoning» leiten wir mögliche Alternativen zur realen Welt ab, indem wir etwa einen Sachverhalt der realen Welt in einem logischen Kalkül außer Kraft setzen (d.h. eine Proposition unserer beschreibenden Propositionenliste mit dem Wert «falsch» belegen) bzw. einen nicht wahren Sachverhalt als zusätzliche Annahme hinzufügen (d.h. eine zusätzliche Proposition im Rahmen eines Kalküls als «wahr» in die Liste aufnehmen. In dem letzten Fall setzen wir also die Antezedens-Bedingung nicht-p, obwohl in der realen Welt eigentlich p der Fall ist). Der Unterschied zur epistemischen Inferenzziehung liegt auf der Hand: Epistemische Inferenzziehung gründet auf (unvollständigem) Wissen von Individuen, wohingegen metaphysische Inferenzziehung davon ausgeht, was tatsächlich der Fall ist und was vor diesem Hintergrund der Fall sein oder werden könnte bzw. hätte gewesen sein können. Die Wertausprägungen der Notwendigkeit, Unmöglichkeit, reinen Möglichkeit und Kontingenz sind auch im Rahmen eines faktenbasierten Kalküls relevant. Bei kausalen Beziehungen ist zum Beispiel die Ursache-Folge-Relation zwischen zwei Propositionen p und q notwendig. Kontingente Fakten hingegen eignen sich für ein «counterfactual reasoning», denn es macht ja Sinn, solche Fakten im Kalkül außer Kraft zu setzen, die auch nicht der Fall hätten sein können. Auch die reine Möglichkeit, dass ein Sachverhalt p der Fall werden könnte, eröffnet ein sinnvolles argumentatives Szenario, da immerhin in mindestens einer zukünftigen Fortschreibung der aktuellen Welt (bzw. in einer zukünftigen Welt-Alternative) die Wahrheit von p als Tatsache angenommen werden kann. Die metaphysische Modalität wird im 4. Kapitel, in dem wir die Entwicklung von Bedingungssatzkonstruktionen behandeln, eine wichtige Rolle spielen. An dieser Stelle sollte vor allem deutlich werden, wie das Konzept der metaphysischen Modalität verstanden werden soll: Im Rahmen der metaphysischen Modalität werden Alternativen berücksichtigt, die auf dem beruhen, was in der realen Welt zu einem Zeitpunkt t tatsächlich der Fall ist, wobei zu den Tatsachen in w0 (zu t) alle Arten von Sachverhalten (notwendige, mögliche, kontingente und unmögliche) zählen. Es ist klar, dass zu den Tatsachen in w0 auch Gesetze der Logik, der Physik, der Mathematik etc. gehören, die für den «Verlauf der Welt» bzw. den «Gang der Dinge» relevant sind bzw. auch den Status von Sachverhalten (kontingent, notwendig, möglich oder unmöglich) bestimmen. Allerdings wollen wir diese Bedingungen für w0 nicht weiter ausspezifizieren, denn schließlich wollen wir hier nicht zur aristotelischen Metaphysik zurückkehren.
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1.2.3 Modus und Modalität Zum Verhältnis von Modus und Modalität haben sich in der Forschungsdiskussion zwei Positionen herauskristallisiert. Die Vertreter der einen Position sehen in der Kategorie Modus ein grammatikalisiertes flexionsmorphologisches Verfahren zum Ausdruck bzw. zur Kodierung von Modalität. Diese Auffassung kommt etwa in der folgenden definitorischen Bestimmung der Kategorie Modus zum Ausdruck, die zudem eine idealtypische Zuordnung zwischen der Kategorie Modus und der Dimension der Modalität einerseits sowie der Kategorie Tempus und der Dimension der Temporalität andererseits vornimmt: «The category of mood is here defined as a morphological verbal category which expresses the modal value of the sentence. Mood is therefore the grammaticalized expression of modality, just as, say, tense is the grammaticalized expession of time. Mood is therefore an obligatory category in those languages that have it.» 212
Auch Palmer sieht Modus als eine Realisierungsweise von Modalität, stellt diese Kategorie aber noch deutlicher anderen Verfahren zur Kennzeichnung von Modalität, die er als «modal system» bezeichnet, gegenüber: «Basically, there are two ways in which languages deal grammtically with the overall category of modality. These are to be distinguished in terms of (i) modal system and (ii) mood. Both may occur within a single language, e.g. in German [...].»213
Gemäß dieser ersten der beiden Sichtweisen steht Modus folglich auf einer Stufe mit einer Reihe anderer Verfahren, die ebenfalls die Dimension der Modalität sprachlich realisieren. Hierzu gehören insbesondere die Modalverben (müssen, sollen, dürfen), Modaladverbien (vielleicht, sicherlich, eventuell), Modaladjektive (möglich, sicher, notwendig), aber auch Tempus/Aspekt-Formen. Zum Beispiel besitzt das Futur ebenso wie das Imperfekt modale Lesarten in den romanischen Sprachen. So drückt das Futur neben einer temporalen Relation der Nachzeitigkeit im Verhältnis zum Sprechzeitpunkt auch eine Vermutung und damit epistemische Modalität aus. Ein Beispiel: (50a) Charles aura 20 ans. (50b) Carlo avrà vent’anni.
212 De Haan (2006, 33). 213 Palmer (22001, 4).
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Auch lexikalische Einheiten, vor allem die schon genannten intensionalen Verben, aber auch bestimmte Konjunktionen – etwa Bedingungssatz einleitende Konjunktionen wie si/se, konzessive Konjunktionen oder finale Konjunktionen – kodieren modale Information. Die zweite Position hebt den besonderen Charakter der Kategorie Modus gegenüber der Modalität hervor. Ein besonders dezidierter Vertreter dieser Richtung ist M. Hummel. Zwar schließt er sich grundsätzlich auch der Auffassung an, der zufolge Modi ein «auf besondere Weise kategoriell fixiertes» (konkret: in der Flexionsmorphologie von Sprachen kodiertes) «sprachliches Instrument zum Ausdruck dessen, was man semantisch im weiten Sinne als Modalität bezeichnen kann»,214 sind. Allerdings sieht er – im Rahmen seiner Moduskonzeption – Modus auf einer höheren Abstraktionsstufe angesiedelt als «die vielfach durch lexikalische Bedeutung explizit ausgedrückten Modalitäten». Sind die Modi «eine Art ‹modale Grundpräsentationsform›», die einen Aspekt festlegen, «unter welchem der Sprecher die Existenz von Ereignissen fokussiert»,215 so wird mit den Modalitäten «der durch die Moduswahl vorgegebene Zugriff weiter spezifiziert».216 Der jeweilige Grundwert eines bestimmten Modus (etwa des Konjunktivs) ist eine autonome Größe des Sprachsystems, der «langue», und existiert völlig unabhängig von konkreten Modalitäten. Erst auf der Ebene der «parole», so Hummel weiter, kann jeder Modus «eine kontextuell bestimmte Modalität aktualisieren». In Anlehnung an Schifko217 kann also Modalität «als eine in einem bestimmten Satz aktualisierte Nuance eines Modus» bestimmt werden.218 Damit ist aber das Verhältnis von Modus und Modalität noch nicht erschöpfend beschrieben: Die beiden Erscheinungen stehen nämlich nur in einem semantischen Verhältnis der Teilredundanz zueinander: Aufgrund des spezifischeren Charakters der Modalität besteht ein Substitutionsverhältnis zum Modus. Damit weist Hummel auf einen Umstand hin, den auch schon Gsell/Wandruszka herausgestellt haben: Lexikalische Information ist aufgrund ihres höheren Grades an Explizit- und Eindeutigkeit gegenüber abstrakten grammatisch-morphologischen Markierungen dominant.219 Mit diesem Vorrangprinzip von expliziter lexikalischer gegenüber morphologischer Information erklärt Hummel etwa die Modusvariation bei Adverbien
214 Hummel (2001, 144). 215 Hummel (2001, 145). 216 Hummel (2001, 145). 217 Schifko (1967, 6). 218 Hummel (2001, 146). 219 Cf. Gsell/Wandruszka (1986, 3).
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wie tal vez: «Der Modus kann also durch eine spezifische Modalität substitutiert werden, wenn eine spezifische Modalität explizit ausgewiesen ist».220 Im Falle des Indikativgebrauchs im Konditionalsatz mit si kann er sich auf eine vergleichbare Argumentation bei Hunnius berufen: In seinem Beitrag Modus und kognitive Semantik verweist dieser auf das komplementäre Verhältnis zwischen der «modalen» Konjunktion si und dem konjunktivischen Modus, welcher im Falle der mit der (nicht-modalen) Konjunktion que eingeleiteten Komplementsätze eben diese modalisierende Funktion wahrnimmt: «Einleuchtender erscheint die Annahme eines Komplementärverhältnisses zwischen der Konjunktion si einerseits und dem Konjunktiv andererseits. Dieser Argumentation zufolge erfüllen der Konjunktiv und die hypothetische Konjunktion jeweils analoge Aufgaben: si enthält ein modales Element, das die Konjunktion que nicht besitzt und das nötigenfalls durch den Verbalmodus kompensiert werden muss.»221
Wie immer man auch Hummels Modusverständnis (aus dem ja die Verhältnisbestimmung zur Modalität resultiert) bewertet, so scheinen mir doch die grundlegenden Beobachtungen wichtig und weiterführend: –– Modus besitzt eine – im Verhältnis zur Modalität – wesentlich abstraktere Semantik und kodiert deshalb nicht einfach eine der klar konturierten Modalitäten; –– Der Modus realisiert vielmehr zusammen mit modalen Elementen im Kontext eine bestimmte Modalität; –– Hummel verweist zudem auf das «okkasionell redundante[n] und deshalb potentiell substitutive[n] Verhältnis von Modus und Modalität».222 Noch deutlicher sollte man von dem potentiell substitutiven Verhältnis von Modus und expliziteren Verfahren der Kennzeichnung von Modalität sprechen. Gerade der letzte Aspekt erklärt zutreffend einen Teil der sprachlichen Variation, vor allem aber der diachronen Entwicklung, wie wir im Verlauf der Arbeit sehen werden. Die Einbeziehung sowohl der komparativen Dimension (das Modussystem der verschiedenen romanischen Sprachen) als auch der diachronen Dimension lässt das unterschiedliche Verhältnis von Modus und expliziteren Verfahren
220 Hummel (2001, 150). 221 Hunnius (1999b, 172). Cf. in diesem Zusammenhang Hunnius’ Verweis auf Überlegungen G. Guillaumes: «Die Idee bildet einen wichtigen Baustein im Argumentationsgebäude von G. Guillaumes Temps et verbe. Der Grundsatz ‹alors que le mot si, en soi, est un mot qui suppose, le mot que, en soi, est un mot qui pose› (1929, 50) ist von Guillaumes Schülern häufig wiederaufgenommen und weiterentwickelt worden [Herv. i. O.]» (cf. u.a. Moignet 1981, 255s.). 222 Hummel (2001, 158).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
der Markierung von Modalität in den einzelnen romanischen Sprachen sowie dessen Verschiebung im Laufe der Geschichte der romanischen Sprachen erkennbar werden. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt einige Aspekte zum Verhältnis von Modalität und Modus: Zunächst diachron: Im Lateinischen besaß der konjunktivische Modus insbesondere in Deklarativ- und Interrogativsätzen eine wesentliche modalisierende Funktion. Er zeigte an, dass der entsprechende Satz modal zu interpretieren ist, wobei die spezifische Modalität aus dem Kontext (dem sprachlichen und dem außersprachlich-enzyklopädischen) abzuleiten ist. So kennzeichnete die Konjunktivform im Deklarativsatz metaphysische Modalität, thematisierte also mögliche Alternativen zur aktuellen Welt w0. Dabei bestimmte die Modusform die Distanz zur aktuellen Welt: Der Konjunktiv Präsens zeigte eine mögliche Alternative zur aktuellen Welt an (Beispiel (51)), der Konjunktiv Imperfekt hingegen eine kontrafaktische Alternative – p ist gerade nicht der Fall in w0 (siehe (52)). (51) «Iam apsolutos censeas quom incedunt infectores» (Pl. Aul. 520, in Palmer 22001, 109) (‘You may think they are already paid off, when in come the dyers’, Übers. Palmers) (‘Du denkst möglicherweise, dass sie schon ausbezahlt wurden, wenn sie hereinkommen, die Färber’) (52) «sine duce errares» (Rubenbauer 101977, 248) (‘ohne Führer würdest Du irren’)
In Fragesatzkontexten (also in Verbindung mit einer interrogativen Satzmodalität) ist die modale Lesart hingegen deontischer Natur. Dies zeigt das folgende Beispiel: (53) «Quid igitur faciam? Non eam?» (Ter., Eun. 4 6, Moignet 1959, 161) (‘Was soll ich also machen? Soll ich nicht gehen?’)
Allerdings besteht selbst im klassischen Latein schon eine Konkurrenzbeziehung zu den Modalverben, die anstelle des konjunktivischen Modus in diesen Kontexten auftreten können. In den romanischen Sprachen werden sie im Lauf der Entwicklung exklusiv die Funktion der Modalisierung in Fragesatzkontexten übernehmen: (54) «Quid enim, pontifices, debeo dicere?» (Cicero, pr. dom., 95, Moignet 1959, 179) (‘Was, Priester, soll ich denn sagen?’)
Vergleiche demgegenüber Französisch bzw. Italienisch: (55) Qu’est-ce que je dois dire? / Cosa devo dire?
Modalität und Modus
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In exklamativen Kontexten schließlich realisiert der Konjunktiv die buletische Modalität (es handelt sich, in traditioneller Terminologie, mithin um einen Optativ). Typisch für Exklamativsatzkonstruktionen ist die Besetzung der Komplementiererposition (C0) mit einem exklamativen Element (hier der Konjunktion ut): (56) «Ut illum di ... perduint» (Pl. Aul. 785, in Palmer 22001, 109) (‘May the gods destroy him!’, Übers. Palmers)
Im Lateinischen markiert der Konjunktiv mithin, dass eine modale Lesart vorliegt. Die Art der Modalität muss jedoch aus anderen sprachlichen (wie der Satzmodalität und anderen, zum Beispiel lexikalischen Indikatoren) bzw. kontextuellen Faktoren erschlossen werden. Hier wird der unterspezifische Charakter der Kategorie Modus deutlich, die mit verschiedenen modalen Ausprägungen (d.h. Modalitäten) kompatibel ist. In den romanischen Sprachen tritt Modus in den heutigen Sprachstufen praktisch immer zusammen mit modalitätsspezifizierenden lexikalischen Elementen auf. Hier sind nun aber zwei Fälle zu unterscheiden: –– Bestimmte lexikalische Elemente (Prädikate und Konjunktionen) selegieren ausschließlich einen bestimmten Modus. Dies ist beispielsweise der Fall bei den sog. volitionalen Verben, die zu den stark intensionalen Verben223 gehören und praktisch immer den konjunktivischen Modus wählen – cf. die folgenden Beispiele: (57) Carla vuole che Gianni la sposi. (58) Je veux que tu viennes.
–– In anderen Kontexten (etwa bei schwach intensionalen Verben224 im Skopus der Negation sowie bei Relativ- und Bedingungssätzen) können die Modi alternieren, d.h. der Indikativ und der Konjunktiv leisten einen unterschiedlichen modalsemantischen Beitrag. Allerdings markieren die beiden Modi nicht unterschiedliche Modalitäten (!). Sie differenzieren vielmehr die relevanten Welten, auf die der Sprecher jeweils Bezug nehmen möchte. Mit anderen Worten: Im Rahmen ein und derselben Modalität quantifizieren der Indikativ und der Konjunktiv über unterschiedliche mögliche Welten. Wir führen je ein Beispiel für Glaubensverben (doxastische Verben) in Negations-
223 Stark intensionale Verben wie wollen führen in ein System von alternativen Welten zur aktuellen Welt w0 ein. 224 Schwach intensionale Verben wie glauben führen in das Wissens- bzw. Glaubensmodell von Individuen ein.
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
kontexten sowie für Bedingungssatzkontexte an. Beide Kontexte sollen in den jeweiligen Kapiteln ausführlich diskutiert werden. (59) Pierre ne croit pas que Jésus est le fils de Dieu. (60) Pierre ne croit pas que Jésus soit le fils de Dieu. (61) Se vieni domani sarò molto contento. (62) Se venissi domani sarei molto contento.
Auch heute noch kann die Kategorie Modus in unterschiedlichem Maße in Verbindung mit einer bestimmten Satzmodalität auftreten. So drückt beispielsweise im Italienischen der Konjunktiv im Rahmen eines Exklamativsatzes buletische Modalität (einen Optativ) aus: (63) «Avessimo una casa più grande!» (Grammatica italiana per tutti, 38).
Im heutigen Französischen muss hingegen in dem gleichen Kontext die C0-Position durch die Konjunktion que besetzt werden: (64) Qu’il(s) vienne(nt)!
Welche Schlussfolgerungen können wir nun aus dem Verhältnis zwischen Modalität und Modus ziehen? Modus ist eine abstrakte grammatische, semantisch unterspezifizierte Kategorie, die in engster Beziehung zur Modalität steht. Sie kodiert modale Information, nicht aber eine spezifische Modalität. Die spezifische Modalität ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Modus und dem sprachlichen Kontext, der weitere explizite Informationen (Satzmodus, lexikalische Elemente wie Prädikate oder Konjunktionen) zur Festlegung der Modalität enthält. Dort, wo Modusalternation auftritt wie bei Relativsätzen, bestimmten (etwa Bedingungssätze oder Konzessivsätze einleitenden) Konjunktionen oder (schwach intensionalen) Prädikaten im Skopus eines Operators (z.B. der Negation oder des Fragesatzoperators), legen die Modi jeweils die Domäne fest, für die eine bestimmte Prädikation gelten soll, d.h. sie quantifizieren über mögliche Welten. Den Umstand, dass die Kategorie Modus (insbesondere der konjunktivische Modus) in modalen Kontexten auftritt, die durch bestimmte Operatoren (intensionale Prädikate, Konjunktionen oder Satzmodusoperatoren) geschaffen werden und zusammen mit diesen eine spezifische Modalität realisieren, möchte ich als Modalitätssensitivität bezeichnen. Mit anderen Worten: Die Modi (vor allem der konjunktivische Modus) sind modalitätssensitiv, da sie in Verbindung mit bestimmten Operatoren eine spezifische Modalität realisieren. Wir werden im Weiteren sehen, dass sich in der diachronen Entwicklung der romanischen Spra-
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chen in unterschiedlicher Weise zum einen das Verhältnis zwischen den Modi im Bezug auf die Modalitätsmarkierung wandelt, zum anderen sich auch die Quantifizierungsleistung der Modi über mögliche Welten verändert. So wandelt sich in der Geschichte der romanischen Sprachen also die konkrete Ausgestaltung des Prinzips der Modalitätssensitivität – ganz im Einklang mit der Struktur des jeweiligen einzelsprachlichen Modussystems. Diesen Entwicklungsprozess und seine Prinzipien wollen wir im empirischen Teil der Arbeit genauer untersuchen. Nachdem wir in diesem Kapitel die zentrale Relevanz des Modalitätsbegriffs für die Kategorie Modus herausgearbeitet haben, wollen wir in den folgenden Kapiteln, neuere Ansätze und ihre theoretischen Grundlagen vorstellen, die Modus vor dem Hintergrund des Modalitäts-Konzepts behandeln. Zunächst wenden wir uns den frühen, ja avantgardistischen Ansätzen einer modalsemantischen Modusinterpretation zu.
1.2.4 Pioniere einer Modusanalyse unter formalsemantischen Vorzeichen 1.2.4.1 Der wahrheitsrelationale Ansatz Robert Martins Der französische Linguist Robert Martin entstammte ursprünglich ebenfalls der guillaumistischen Schule. In seiner Monographie Pour une logique du sens225 vollzog er jedoch eine Wendung zu einer, wie er es nannte, wahrheitsrelationalen Semantik («une sémantique véri-relationnelle»), die sich darauf beschränken will, die logischen Beziehungen zwischen Sätzen zu beschreiben. In seiner theoretischen Standortbestimmung stellt er heraus, dass: «[I]l ne s’agit pas de dire quel est le sens d’une phrase quelconque p, mais quelles relations de vérité unissent p à d’autres phrases concevables. Cette démarche n’est pas sans rappeler l’optique saussurienne d’une linguistique immanente et purement relationelle, d’où les problèmes de dénotation sont au moins transitoirement évacués.»226
Martin führt im Rahmen dieser Neubestimmung der Semantik erstmals den Begriff der «möglichen Welten» in die semantische Analyse ein, die er als ein vom gegenwärtigen Zeitpunkt t0 aus verzweigendes Zeit-Möglichkeitssystem in Form einer arboreszenten Struktur, einem Entscheidungsbaum in der Wahrscheinlichkeitsrechnung vergleichbar, konzeptualisiert. Dies zeigt die Darstellung von Beispiel (65):
225 Martin (1983). 226 Martin (1983, 12).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
(65) Peut-être, Pierre rentrera.
● p (Pierre rentre) ● ● t
●
● ˥p (Pierre ne rentre pas) ● ● t+1
● t+2
t+3
(Abbildung: die Konzeptualisierung des Möglichen nach Martin 1983, 30)
«Mögliche Welten» lassen sich nun ihrerseits in verschiedener Weise bestimmen: Als ein autonomes Gesamtsystem widerspruchsfreier Tatsachen (gewissermaßen als «Monaden der Widerspruchsfreiheit»), wobei – so betrachtet – die reale Welt («le monde effectif») auch nichts weiter als eine Welt unter anderen möglichen Welten wäre. Die restriktivere und – wie wir in den nächsten Kapiteln sehen werden – konsensfähigere – Konzeption sieht in der realen Welt m0 die Normal- bzw. Bezugswelt des Systems möglicher Welten, wobei letztere ihrerseits lediglich im Hinblick auf die eine oder andere Proposition bzw. ein System von Propositionen von den Verhältnissen in m0 abweichen. Die alternativen Welten sind folglich strukturell ähnlich – isomorph –, sie partizipieren zusammen mit der realen Welt insbesondere an der gleichen zeitlichen Ordnung.227 In dieser restriktiven Konzeption lässt sich auch die Zukunft von der gegenwärtigen Welt m0 zum Zeitpunkt t0 aus charakterisieren, und zwar: –– Zum einen probabilistisch: Als ein sich an Knotenpunkten, die Ereignisalternativen markieren, verzweigender Zeit-Ereignis-Baum, an dem sich eine prinzipiell unendliche Anzahl möglicher Welten m abtragen lassen. Allerdings tritt im Rahmen dieser arboreszenten Struktur ein – wie wir sehen werden bisweilen auch sprachlich-kategoriell relevanter – Zweig besonders hervor, der die Welt bzw. Welten der realistischen Erwartungen (m*) repräsentiert:
227 Cf. Martin (1983, 31s.).
Modalität und Modus
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System möglicher Welten t0 m0 m
sich von t0 aus verzweigende Erwartungswelten m*
Neben dieser probabilistischen Konzeption der Zukunft mit einer besonders gewichteten Option m* ist natürlich auch eine lineare denkbar: Es ist zwar von der Gegenwart aus betrachtet nicht möglich, vorauszusagen, welche der denkbaren zukünftigen Alternativen eintreten wird – jedoch wird sich lediglich eine einzige der Möglichkeiten am Ende auch tatsächlich realisieren: So lässt sich durch einen mentalen Antizipationsakt eine zeitliche Kontinuitätslinie in Richtung Gegenwart zurückprojizieren, wie die folgende Skizze zeigt: | t0 Die Relativierung des Wahrheitsbegriffes, wie er etwa in der Konzeption einer Semantik möglicher Welten zum Ausdruck kommt, manifestiert sich auch im Hinblick auf den Urheber bzw. Verantwortlichen einer Aussage, den Locuteur. Die linguistische Wahrheit ist nur insofern eine Wahrheit, als ein Locuteur für sie bürgt («une vérité prise en charge»). Sie ist also nur in einem relativen Sinne wahr, nämlich im Hinblick auf das Glaubensuniversum («univers de croyance») des sich äußernden Subjekts (Locuteur). Ein solches «univers de croyance» wird aus allen expliziten und latenten Propositionen konstituiert, die das sich äußernde Subjekt (der Locuteur) für wahr hält bzw. als wahr statuieren möchte – in Martins Diktion: «On appellera ‹univers de croyance› ou ‹univers› l’ensemble indéfini des propositions que le locuteur, au moment où il s’exprime, tient pour vraies ou qu’il veut accréditer comme telles. Cet ensemble est ‹indéfini› en ce sens que les propositions qui le constituent ne sont pas, et de loin, toutes explicitées.»228
Im Zusammenhang mit dem «univers de croyance» müssen auch zwei weitere zentrale Termini seines Beschreibungsansatzes geklärt werden:
228 Martin (1983, 36s.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
–– Das Hetero-Universum («hétéro-univers») stellt ein Konzept dar, mit dem etwa bekannte Polyphonie-Effekte beschrieben werden können: Hierbei geht es um das Glaubensuniversum einer anderen Instanz als der des für die Äußerung verantwortlichen Locuteur: «L’hétéro-univers est l’univers d’un énonciateur tel qu’il est vu par le locuteur.»229 Ein solches Hetero-Universum klingt etwa in der indirekten Rede, aber auch bei Einstellungsverben – mit Ausnahme eines präsentischen je («Pierre croit que Sophie est malade»/«Je croyais que Sophie est malade») – oder bei bestimmten Tempusmarkern (etwa Conditionnel: «Le Président aurait l’intention de se rendre au Japon» (= «Selon l’AFP») an. Hetero-Universen werden symbolisiert als: U’ und U’’. –– Für eine Modustheorie von entscheidender Bedeutung ist der Begriff des Antiuniversums («antiunivers»), das alle diejenigen Propositionen umfasst, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt t0 falsch sind, jedoch zu einem bestimmten vorgängigen Zeitpunkt oder Zeitintervall hätten wahr werden können. Diese Propositionen gehören idealen kontrafaktischen Welten an – Welten, in denen sie wahr sind und die sie entsprechend charakterisieren.230 Diese Zusammenhänge lassen sich am Beispiel der Proposition «Si Pierre avait réussi» nun folgendermaßen notieren: ~ p ∈U p ∈U’ (U’ als Antiuniversum). Wie verhalten sich nun die Konzepte mögliche Welten und Antiuniversum zu einander? Das Antiuniversum lässt sich unter diesem Aspekt als die Gesamtheit all’ derjenigen möglichen Welten beschreiben, die bis zum Zeitpunkt t0 annulliert worden sind, mithin ins Reich der Irrealität übergegangen sind. Nach der Klärung der Grundbegriffe können wir nun zur eigentlichen Konjunktivbeschreibung im Rahmen des wahrheitsrelationalen Ansatzes, wie ihn Robert Martin vorschlägt, kommen: Notwendige Voraussetzung für die Instantiierung des Modussystems ist die Konjunktion que, die den Wahrheitswert der Proposition, die sie einleitet, außer Kraft setzt («suspendiert») und ihn vom vorangehenden verbalen oder «konjunktionalen» Element abhängen lässt.231
229 Martin (1983, 38). 230 Martin (1983, 38). 231 Martin (1983, 107).
Modalität und Modus
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Die notwendigen Bedingungen für die Konjunktivverwendung im heutigen Französisch lassen sich nun unter Zuhilfenahme der beiden zentralen Konzepte, der möglichen Welten m im Gegensatz zur realen Welt m0 sowie das Antiuniversums U’, explizit formulieren. Dabei können zwei umfassende, den Modalitätsdomänen teilweise entsprechende, diese teilweise überschreitende, Manifestationsklassen des Konjunktivs unterschieden werden: Zum einen erscheint der Konjunktiv als Marker der Nicht-Zugehörigkeit einer Proposition p zur Welt m0, p gehört dabei den möglichen Welten m an. Hierunter fallen nun alle Fälle der Konjunktivsetzung im Rahmen der alethischen und – in Analogie hierzu – der deontischen Modalität (hinreichende Bedingung). Die alethische Modalität umfasst – wie weiter oben schon erwähnt – das Notwendige («le nécessaire») und das Mögliche («le possible») sowie deren Negation – die Relationen zwischen den Modalitätswerten veranschaulicht noch einmal das logische Quadrat: □p
nécessaire ⇔ ~ ◊ ~ p
◊p
possible ⇔ ~ □ ~ p
□~p impossible ⇔ ~ ◊ p
~□p contingent ⇔ ◊ ~ p
(nach Martin 1983, 111)
Wie das Quadrat veranschaulicht, lassen sich alle vier Wertausprägungen jeweils durch die beiden Grundkategorien «möglich» und «notwendig» ausdrücken. Die beiden Operatoren (nec: ˥ und pos: ◊) situieren eine in ihrem Skopus befindliche Proposition im Hinblick auf mögliche Welten m: –– eine Proposition p ist möglich, wenn sie wenigstens in einer der möglichen Welt m wahr ist; –– eine Proposition p ist notwendig, wenn sie in allen möglichen Welten m wahr ist. In allen vier Fällen des logischen Quadrates wird eine Proposition in ein System möglicher Welten eingeschrieben und nicht der realen Welt m0 zugewiesen – deshalb wird der Subjonctif ausgelöst: (66) Il est possible/impossible/nécessaire/possible que Pierre (ne) soit pas là.
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Die alethische Modalität (als notionaler bzw. konzeptueller Oberbegriff) konkretisiert sich einzelsprachlich in einer Reihe lexikalischer Einheiten, die –– eine hypothetische Situation – also die Verhältnisse in einer oder mehreren möglichen Welten – kennzeichnen (à condition que, à supposer que, Wiederaufnahme von si durch que, alternative Hypothese que x que y etc.) oder die –– auf einen Anschein (apparence: il semble que, il apparaît que) referieren.232 Die deontische Modalität lässt sich nun in einem ganz analogen Quadrat darstellen: obligatoire
interdit
permis
facultatif
Martin ordnet der deontischen Modalität auch Ausdrücke des Wunsches und des Willens («subjektive Obligation»: vouloir, souhaiter, désirer) sowie Finalsätze (afin que, pour que, en sorte que) zu. Schließlich fallen auch die konjunktivischen Relativsätze – als Affirmation einer «existence voulue» («Je cherche quelqu’un qui soit capable de») oder einer «existence supposée» («si je connaissais un moyen qui soit efficace») – unter diese Klasse der Subjonctif-Gebräuche: Auch hier werden mögliche Welten evoziert, in denen das im Relativsatz ausgedrückte p wahr ist. In einer zweiten umfassenden Verwendungsweise ist der Konjunktiv ein Marker der Zugehörigkeit einer Proposition p zum Antiuniversum U’: p ist falsch in der Welt m0 (zum Zeitpunkt t0) – hätte aber wahr sein können und ist vor t0 aus dem idealen Reich möglicher Welten in das annullierende Antiuniversum übergegangen. Aus Martins Zuordnung der für diesen Typ kennzeichnenden Konjunktivkontexte wird jedoch deutlich, dass man kaum davon sprechen kann, dass ein Konjunktiv p in das Antiuniversum einschreibt. Vielmehr beschränkt sich der Wert des Konjunktivs häufig lediglich auf die Evokation einer möglichen Zugehörigkeit zum Antiuniversum – so etwa im Falle a) des sogenannten Subjonctif der «kritischen Unterordnung» und b) des Subjonctif im Konzessivsatz: Wie schon erwähnt, fassten die guillaumistischen Autoren den Konjunktivgebrauch bei den «Gefühls»- (wie regretter: «Je regrette que Pierre soit parti») bzw. den «Urteilsverben» (il est bon que p, je me réjouis que p, je déplore que p) in der Kategorie der «kritischen Subordination» zusammen. Hierbei lässt sich nun kei-
232 Cf. die ausführliche Zusammenstellung bei Martin (1983, 111s.).
Modalität und Modus
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neswegs behaupten, p gehöre zum Antiuniversum, vielmehr – so die Erklärung Martins – wird dieses durch die Konstruktion zumindest evoziert. Am Beispiel «Je regrette que Pierre soit parti» führt er aus: «Tout jugement critique sur une proposition quelconque p suppose non seulement la vérité de p (c’est-à-dire son appartenance à U), mais encore, sous peine de perdre toute pertinence, sa fausseté au moins possible (c’est-à-dire son appartenance à U’). Le regret suppose que les choses pouvaient être autres qu’elles ne sont.»233
Ähnlich argumentiert er auch im Falle der Konzessivsätze («Bien que Pierre soit parti, Sophie reste chez moi»): Der Sinn der Konzession ergibt sich aus der Spannung zwischen einer Implikationsbeziehung (si p, q), die im allgemeinen für wahr gehalten wird, und der Tatsache, dass diese im konkreten Falle annulliert wurde – q trotz der Wahrheit von p nicht eingetroffen (= falsch) ist. Wieder wird – so seine Interpretation – auf das Antiuniversum U’ verwiesen: «Cela revient à dire que la relation si p, q est vraie, non pas dans U comme la relation hypothétique ordinaire, mais dans U’. Comme précédemment, le subjonctif signifie, en corrélation avec la conjonction concessive, l’inscription dans l’antiunivers.»234
Weitere Unterfälle dieses Konjunktivtyps sind: Der Subjonctif der Irrealität (pour peu que), der Nichtexistenz (sans que, non que, non pas que) und schließlich der temporalen Antezedens. Leuchten die ersten beiden Unterfälle unmittelbar ein – Irrealität und Nichtexistenz verweisen direkt auf das Antiuniversum –, so verlangt die Subjonctifverwendung im Falle des Antezedens wieder eine etwas ausführlichere Begründung: In Beispielsätzen des Typs «Je ferai x – avant que Pierre s’en aille/jusqu’à ce qu’il s’en aille» wird wiederum nur das Antiuniversum U’ angedeutet: Der Nebensatz ist mit einem geringeren Realitätspotential als der Hauptsatz ausgestattet: Wenn der erste Prozess («je ferai x») bereits abgeschlossen ist, ist der zweite zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetroffen, d.h. p ist nicht der Fall (p = falsch): «Au moment où l’un a lieu, le second est envisageable comme faux par le biais de U’. Cela suffit pour entraîner le choix modal que l’on sait.»235 In gleicher Weise argumentiert Robert Martin auch für einen weiteren typischen Kontext des Subjonctifgebrauchs, den mit le fait que eingeleiteten faktiven
233 Martin (1983, 114s.). 234 Martin (1983, 115). 235 Martin (1983, 116).
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Sätzen: «Rien ne permet de dire si le jugement véhiculé ne sera pas ‹critique›, induisant la fausseté de la proposition sujet dans l’anti-univers U’.»236 Die Wendung le fait que erscheint hier als Operator, der zugleich mit der Statuierung der Wahrheit der folgenden p auch das Antiuniversum evoziert. Bei den epistemischen Kontexten – deren Behandlung wir nicht ausführlich nachzeichnen wollen – wirken schließlich mehrere Faktoren zusammen: –– Die Semantik der epistemischen Verben: Robert Martin unterscheidet vier semantische Klassen – zwei Klassen, die sich um die «idée de certitude» bzw. die «idée de probabilité» konstituieren, des weiteren die «verbes d’opinion positifs» sowie die «verbes d’opinion négatifs». –– der Skopus der Negation: Weiter Skopus korreliert in der Regel mit dem Indikativ (hier wird die Proposition als ganze negiert, etwa: NÉG[CERT (p)]), bei engem Skopus wird meist der Subjonctif ausgelöst (Negation des Prädikats, etwa: [NÉG(CERT)]p = INCERTITUDE(p) ). –– Die Evokation eines hétéro-univers (so etwa bei croire: «Pierre croit que p»), das auf das Universum des Énonciateur (in dem Beispiel «Pierre») verweist, der für die Wahrheit von p bürgt, schlägt sich nicht in einem Moduswechsel nieder: Die Tatsache, dass jemand für die Wahrheit von p bürgt, ist hinreichendes Kriterium für die Setzung des Indikativs. Bei den «verbes d’opinion négatifs» spielen neben der Frage ihrer inhärenten Fähigkeit zur Einschreibung von Propositionen in das Antiuniversum U’, Aspekte wie der Skopus einer Negation sowie die Problematik der «prise en charge» von p («bürgen» der Locuteur und/oder Énonciateur für p?) eine zentrale Rolle bei der Festlegung des Modus. Der wahrheitsrelationale Modusansatz R. Martins, der auch diskurstheoretische Aspekte wie das Polyphoniekonzept integriert, leistet eine äußerst kohärente und systematische Beschreibung und Analyse des französischen Modussystems. Er stößt jedoch auch auf seine Grenzen: Das Beschreibungsinstrumentarium ist noch nicht ausgefeilt genug, um insbesondere den Vorkommensfällen gerecht zu werden, die mit der bloßen Evokation eines Antiuniversums «zurechtgedeutet» werden müssen. Martins Modustheorie leitet eine wesentliche Wende (eine Wende, die wir im nächsten Kapitel als «modalsemantische Wende» charakterisieren wollen) bei der Analyse und Interpretation des Modus- bzw. überhaupt des Kategoriensystems ein, greift dabei jedoch auf ein noch recht bescheidenes Konzeptarsenal zurück. Für einen wesentlichen Aspekt wird man allerdings Martins Modusansatz nicht haftbar machen können, da dieser gleichsam in der Natur des
236 Martin (1983, 119).
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untersuchten Phänomens begründet liegt: Das französische Modussystem der Gegenwart und insbesondere die Funktion des Konjunktivs lassen sich vor allem deshalb nur schwerlich in einheitlicher Weise beschreiben, weil es sich um ein stark desintegriertes System handelt, um – wie diese Arbeit zeigen wird – das Residuum eines seit dem Altfranzösischen fortschreitenden Abbauprozesses.
1.2.4.2 Der Ansatz Donka Farkas’: Intensionale Beschreibungen Donka Farkas entwickelte, unabhängig von A. Kratzers Modalsemantik (dazu siehe weiter unten), eine eigene – insbesondere auf den romanischen Konjunktiv fokussierende Modustheorie, die sie in ihrer Dissertation mit dem Titel Intensionality and Romance Subjunctive Relatives (Farkas 1982) entfaltet.237 In ihrer in methodischer Hinsicht bahnbrechenden Arbeit, die erstmals die Erträge der sprachphilosophischen bzw. formalsemantischen Diskussion auf einen konkreten sprachlichen Fragekomplex, die Modusselektion in Relativsätzen, anwendet, stellt Farkas auf zwei zentrale Aspekte der Modusproblematik ab: –– Erstens behandelt bzw. charakterisiert sie ausführlich das Phänomen der Intensionalität. Dabei rückt sie zum einen den dichotomischen Charakter der sogenannten intensionalen Verben, zum anderen den Aspekt der Attributivität ins Zentrum ihrer Untersuchung. –– Zweitens arbeitet Farkas die – ihrer Auffassung nach – zentrale Bedeutung des Zusammenspiels von Operatoren und ihren Skopusrelationen für die Modusvariation heraus, führt mithin den Beweis für die Richtigkeit ihrer Ausgangshypothese, die sie ihrer Arbeit voranstellt: «Generally speaking, indicative relatives can be used independently of the scope of the NP in which they occur whereas subjunctive relatives are appropriate in case the relative is within the scope of certain operators.»238
Zunächst zu dem ersten der beiden Grundmomente, dem Phänomen der Intensionalität, das Farkas in ihren weiteren Arbeiten nach 1982 am stärksten entwickeln bzw. ausbauen wird.239 Intensionale Kontexte sind bekanntlich Kontexte, die in Bezug auf mehrere mögliche Welten und nicht im Hinblick auf die reale Welt wr (= w0) interpretiert werden.240 Auch sogenannte intensionale Verben schaffen solche Kontexte. Ihre Komplemente sind in einer Menge möglicher Welten wahr,
237 Farkas (1982). 238 Farkas (1982, 16). 239 Cf. Farkas (1992a; 1992b; 2003). 240 Farkas (1982, 16).
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nicht in einer spezifischen.241 Im Anschluss an McCawley242 unterteilt Farkas diese Verbgruppe in zwei Klassen, und zwar in die sogenannten «weak intensionals» (etwa believe, dream) sowie die «strong intensionals» (Desiderativa wie want und wish oder die Iussiva («commissives»), zum Beispiel: order). Die schwachen intensionalen Verben führen in eine bestimmte Welt ein, in der ihr Komplement wahr ist. Diese partikuläre Welt kann eine Version der aktuellen Welt aus Sicht eines Individuums – des individuellen Ankers («individual anchor») – sein. Dies ist der Fall bei den epistemischen Verben (etwa think, believe) oder den verba dicendi (say oder imagine), deren propositionales Komplement im Verhältnis zu eben dieser spezifischen Bezugswelt interpretiert wird. Auch im Falle von dream wird eine spezifische Welt – eine Traumwelt – zum Evalutationshintergrund der Aussage und ihres Wahrheitsgehalts gemacht. Im Falle von know (etwa in «Paul knows that Peter drinks beer») schließlich bürgt nicht nur der individuelle Anker für die Wahrheit der Proposition, sondern – dank des präsuppositionalen Bedeutungsanteils von know – auch der Sprecher: die Proposition des Komplementsatzes muss also sowohl in der aktuellen Welt, so wie sie der individuelle Anker sieht, wahr sein, als auch in der aktuellen Welt (des Sprechers und der übrigen Gesprächsteilnehmer), in der Paul knows x wahr ist. Im Gegensatz dazu führen stark intensionale Verben wie want oder wish eine ganze Menge von Welten ein, in denen ein bestimmter Wunsch oder Wille realisiert wird. Die Konzeptualisierung in Form einer Wunschwelt («want-world») entspricht nicht dem Wesen von Wünschen: Diese können nämlich durchaus widersprüchlich sein, ihre Realisierung kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten verfügt werden, in verschiedenen Kombinationen und Konstellationen, möglicherweise auch nach Maßgabe bestimmter Realisierungsbedingungen («if a, b», «if ¬a, c» etc.). So kann sich also ein individueller Anker b eine Menge alternativer möglicher Welten von seinem aktuellen Standpunkt (– seiner aktuellen Welt wa(b) –) ausdenken, die ihrerseits in Teilmengen zerfällt: Eine dieser Teilmengen enthält jene möglichen zukünftigen Alternativen wwant(b), die der individuelle Anker realisiert sehen möchte. Ein stark intensionales Verb wie want führt also eine Menge von möglichen Welten ein, die hinsichtlich dreier Parameter variieren können: Dem Subjekt des Wunsches (dem individuellen Anker b), dem Zeitpunkt, zu dem «b wünscht, dass p» wahr ist sowie den Welten, in denen das, was b wünscht,
241 Cf. Farkas (1982, 78): «their complements are true in a set of possible worlds rather than in one specific world». 242 McCawley (1978; 1981, 326–340).
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auch realisiert wird.243 Diese Aspekte lassen sich durch Zeit-Welt-Indizes (t/w) darstellen, die an einen individuellen Anker gebunden werden. Attributivität ist ein weiteres zentrales Phänomen im Rahmen der Intensionalität und ihr Wesen wird leicht am Beispiel NP-modifizierender Relativsätze einsichtig: So sind grundsätzlich drei Arten von Beschreibungen zu unterscheiden: –– identifizierende Beschreibungen legen einen bestimmten Referenten in einer Welt (meist der aktuellen Welt) fest: (67) The man who sits near John is Mary’s friend.
Der Relativsatz greift aus einer Klasse von Individuen genau dasjenige heraus, das Marys Freund ist. –– Wird dagegen lediglich der Wertebereich einer Variablen in einer Welt, also ihre relevante Domäne, eingeschränkt, so handelt es sich um eine prädikative Beschreibung. In einem Satz wie (68) A man who was carrying an umbrella came in.
wird der Wertebereich der Variablen x (x muss ein Element aus der Menge der Männer sein) in der relevanten Bezugswelt auf die «Schirmträger» begrenzt (also nur die x aus der Menge der Männer, die zugleich einen Schirm tragen, kommen als Kandidaten der Denotatsmenge in Frage). –– Von entscheidender Bedeutung für die Schaffung intensionaler Kontexte sind aber attributive Beschreibungen. Der Relativsatz verankert hier die Domäne einer Variablen in einer Menge möglicher Welten. Dabei beschreibt der Relativsatz die notwendigen bzw. hinreichenden Eigenschaften, die ein bestimmtes Denotat in der relevanten Menge möglicher Welten erfüllen muss. Beispielsweise gibt der Relativsatz (69) Mary wants to buy a house which has at least 15 rooms.
diejenigen Eigenschaften an, die ein Haus mindestens erfüllen muss (notwendige Bedingung), damit es überhaupt als Kandidat für die Menge buletischer Alternativen (also der Welten, in denen Marys Wunsch erfüllt wird), in Betracht kommen kann. Anders ausgedrückt: In jeder möglichen Welt, in der der Satz wahr ist, besitzt das Haus mindestens die Eigenschaft, über 15 Zimmer zu verfügen.244
243 Farkas (1982, 91). 244 Farkas (1982, 71s.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Relativsätze besitzen immer dann den Charakter attributiver Beschreibungen, wenn sie im Skopus starker intensionaler Verben stehen. Ja, es lässt sich überhaupt die Aussage treffen, dass Relativsatze attributiven Charakter besitzen, wenn sie im Skopus eines Operators stehen, der einen intensionalen Kontext schafft. Mit dieser generellen Formel zur Kennzeichnung konjunktivischer Relativsätze kehren wir zum erstgenannten Aspekt, dem Verhältnis von Operatoren und Skopus, zurück. Zunächst lässt sich der Gegensatz zwischen weitem und engem Skopus an dem folgenden Beispiel veranschaulichen: Der ambige Satz (70) John wants to marry a Norwegian.
besitzt – je nach Setzung des Skopus – eine zweifache Lesart: –– In einer engen Skopusinterpretation möchte John eine ihm bekannte Norwegerin heiraten – der Existenzquantor steht ausserhalb des Skopus des stark intensionalen Verbs want. Diese Interpretation lässt sich formalisieren als: (∃x: Norwegian (x)) (wants (J, [marry (J, x)])) Lies: Es gibt ein x, das eine Norwegerin ist und John möchte dieses x heiraten. –– In der weiten Interpretation steht der Existenzquantor im Skopus des intensionalen Verbs: John wünscht sich die Existenz eines bestimmten x, das nämlich Norwegerin sein soll (die notwendige, vielleicht auch hinreichende Bedingung) und das er heiraten möchte. Diese Interpretation kann in folgender Notation wiedergegeben werden: wants (J, [∃x: Norwegian (x)) (marry (J,x))]))
Lies: J wünscht sich, dass es ein x gibt, das Norwegerin ist und dieses x möchte er heiraten.
Der Effekt dieser Skopusrelation zwischen dem intensionalen Verb und dem Existenzquantor besteht darin, die Variable x nicht über Individuen der aktuellen Welt w0 reichen zu lassen, sondern über Individuen der Menge möglicher Welten (w1–wn). Existenzquantor und Beschreibung werden also im Hinblick auf eine Menge möglicher Welten interpretiert, die die aktuelle Welt nicht mit einschließt. Diese beiden durch Skopusopposition hervorgerufenen Lesarten – einmal die Prädikation über einen realen Referenten, ein anderes Mal über ein «Idealkonstrukt» – können durch das Gegensatzpaar de re- und de dicto-Lesart bezeichnet werden.245 Wir kommen auf diesen Aspekt später noch einmal zurück.
245 Dazu auch Lohnstein (1996, 281).
Modalität und Modus
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Farkas stellt in ihrer Arbeit von 1982 alle relevanten Operatoren zusammen, in deren Skopus Relativsätze den Charakter attributiver Beschreibungen annehmen, also für die Konstituierung eines intensionalen Kontexts verantwortlich sind. Sie sollen hier kurz summarisch genannt und an einem Beispiel exemplifiziert werden: –– stark intensionale Verben als Operatoren wie in (71): (71) Je cherche une fille qui sache l’anglais/Caut o fată care să ştie englezeşte.
–– die Operatoren Nec (¬) und Pos (◊): (72) Il est nécessaire que Pierre trouve une femme qui soit plus riche que lui.
–– koverte Operatoren, die Intentionalität (Int) bzw. Finalität (Fin) ausdrücken: Diese werden in intensionalen Relativsätzen des Rumänischen «mitverstanden», müssten aber in anderen romanischen Sprachen wie dem Französischen explizit gemacht werden: (73) Am angajat o femeie care să aiba grijă de copil.
Vergleiche hingegen die französische Entsprechung: (74) J’ai embauché une femme pour qu’elle s’occupe de l’enfant.
–– ein im Rumänischen koverter deontischer Operator (Necdeont, must); im Französischen müssen hier die modalen Verhältnisse lexikalisch (durch Modalverb) ausgedrückt werden: (75) Acesta e un aparat pe care să-l manevrezi cu grijă.
aber : (76) Voilà un appareil que tu dois utiliser avec beaucoup d’attention.
–– auch Konjunktionen schaffen intensionale Kontexte, so etwa die finale Konjunktion pentru că (pour que, afin que). Relativsätze, die sich im Skopus solcher Finalsätze (Fin) befinden, verhalten sich wie solche, die von einem vergleichbaren starken intensionalen Verb «semantisch gebunden» werden: (77) S-a dus la Bucureşti ca să se mărite cu cineva care să lucreze în cinematografie.
Analog im Französischen:
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
(78) Il s’est rendu à B. pour se marier avec quelqu’un qui travaille dans le monde du cinéma.
–– Imperative (Operator Imp) verhalten sich ebenfalls wie stark intensionale Prädikate: (79) Cumpără-mi o carte care să aibă multe poze.
In der französischen Übersetzung: (80) Achète-moi un livre qui contienne beaucoup de photos.
Weitere wichtige Operatoren wirken in Abhängigkeit von Skopuseinstellungen an der Modusinstanziierung bzw. -differenzierung mit: –– Konditionalsätze (If-Operator) (81) Dacă Ion vorbeşte cu un membru al comisiei care să aibă relaţii va fi iertat.
In der französischen Übersetzung : (82) Si Jean parle avec un membre du comité qui possède de l’influence, on le pardonnera.
–– der Negationsoperator Neg, der ebenfalls konjunktivische Relativsätze lizensiert, sofern sich der Existenzoperator in seinem Skopus befindet: (83) Nu am văzut pe nimeni care să-i semene. / Je n’ai vu personne qui lui ressemble. (84) Nu am văzut nimic care să-mi placă. / Je n’ai vu rien qui me plaise.
Formal lassen sich die Skopusverhältnisse also folgendermaßen darstellen: ¬ [(∃x0)(x0Ryk) (placă(x, mi))] lies: Es ist nicht der Fall, dass es ein x0 (eine Einzelokkurrenz) gibt, das die «Gattung» yk (oder «Vorkommensklasse») der Leute, die mir gefallen, realisiert. –– der Frageoperator Q, der im Verbindung mit dem Konjunktiv eine negative Antwort (bzw. Erwartungshaltung) impliziert: (85) Ai văzut pe cineva care să-i semene? / Tu as vu quelqu’un qui lui ressemble?
–– ein Salienzoperator (Except), der eine exzeptionelle Okkurrenz in quantitativer (etwa der Quantifizierer Unic: singur(ă), le/la seule), qualitativer (Superlativ: Super) oder ordinaler Hinsicht (primul/ultimul, le premier/le dernier) herausstellt.
Modalität und Modus
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(86) Singurul oraş care să-mi placă e Chicago. / La seule ville qui me plaise est Chicago. (87) Cel mai frumos tabloul pe care să-l/l-am văzut vreodată e la Paris. / Le plus joli tableau que j’aie jamais vu se trouve a Paris. (88) Eu sînt primul/ultimul care să o recunosc. / Je suis le premier/le dernier qui le reconnaisse.
Farkas hebt in ihrer eigenen Interpretation allerdings weniger auf den salienten bzw. exzeptionellen Charakter der jeweils in den Fokus gerückten Okkurrenzen ab, als vielmehr auf eine im Hintergrund wirkende implizite negative Existenzaussage, die den Konjunktivgebrauch erklärt. Ein Satz wie «La seule ville qui me plaise est Chicago» würde nach dieser Interpretation implizieren, dass es kein weiteres x gibt, das die Eigenschaft besitzt, eine Stadt zu sein und mir zu gefallen: Existenzoperator und Relativsatz befinden sich also im Skopus des Negationsoperators, was man vielleicht so darstellen könnte: (x+1: ein weiteres x): (¬ [(∃x+1: ville (x+1)) (plaire (x+1, me))]). Zuletzt verweist Farkas auch auf die besonderen Modusverhältnisse im Italienischen, wo auch der Allquantor (∀) sowie ein quantifizierendes Adverb (Q) relevante Operatoren für die Schaffung eines intensionalen Kontextes sein können. Man vergleiche:246 (89) Ogni volta che è malato, Carlo chiama un medico che lavori in quell’ospedale. (90) Un cane che abbia gli occhi blu è intelligente.
Der Quantifikator des ersten Beispielsatzes wird explizit genannt – ogni volta –, der des zweiten kann als implizites «GEN» (generally, generalmente/in genere) interpretiert werden, da der Satz eine allgemeine Regel statuiert. Der Satz kann dabei in folgender Weise notiert werden: Gen [(intelligente(x0:(x0Rck)) (occhi blu (x0))] Lies: Es ist im allgemeinen/generell der Fall: Gehört eine Einzelokkurrenz x0 der Gattung/Klasse der Hunde (ck) an (=«realisiert sie diese») und hat sie blaue Augen, so ist sie intelligent. In beiden Beispielsätzen werden wiederum (Eigenschafts-)Beschreibungen von potentiellen Referenten formuliert oder anders gewendet: es werden die Eigenschaften festgelegt, die x mindestens erfüllen muss, um ein Kandidat in der Menge der möglichen Welten zu werden (x = muss etwa zum Zeitpunkt von
246 Cf. Farkas (1982, 146–148).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
Carlos Erkrankung im Krankenhaus arbeiten bzw. blaue Augen besitzen). Auf die intensionale Kontexte schaffenden Operatoren und vor allem ihre einzelsprachliche Relevanz für die Modusdifferenzierung in einer Sprache werden wir in dem Untersuchungsteil unserer Arbeit mehrfach zurückkommen. Aus diesem Grunde hatte die Darstellung des wichtigen Forschungsbeitrages D. Farkas von 1982 auch detaillierter auszufallen. Farkas wegweisende Arbeit zeigte erstmalig auf, dass sich Modusoppositionen in einem größeren kohärenten Kontextbereich mit einer bislang unerreichten Präzision auf Grundlage eines formalsemantischen Beschreibungsansatzes analysieren lassen. Die Grenze des Ansatzes liegt jedoch darin, dass er nicht auf alle modalen Kontexte anwendbar ist, weil er (noch) nicht elaboriert genug ist. Vor allem die von Farkas vorgeschlagene kontrastive Analyse schwacher im Gegensatz zu starken intensionalen Verben wurde von der Forschung nicht weiterverfolgt. Linguisten wie Chierchia plädierten zudem überzeugend dafür, dass auch schwach intensionale Verben wie zum Beispiel glauben in eine Menge von möglichen Welten einführen (und nicht in eine einzige im Gegensatz etwa zu volitionalen Verben),247 mithin die Differenz zwischen schwachen und starken intensionalen Verben nicht anhand eines quantitativen Kriteriums (Einführung in eine vs. mehrere Welten) festgemacht werden kann. Hier erweisen sich nun andere, qualitative Aspekte betonende Ansätze als erklärungsadäquater – allen voran die Modalitätstheorie A. Kratzers, die ein sehr differenziertes und ausgefeiltes Beschreibungssystem entwickelt. Ihr Ansatz sowie die Weiterentwicklung dieses Ansatzes in jüngerer Zeit soll Gegenstand des nächsten Kapitels sein.
247 Zum Beispiel kann jemand die Überzeugung besitzen, dass Rio de Janeiro in Brasilien liegt, Brasilia die Hauptstadt Brasiliens ist und die Landessprache Spanisch. In diesem Fall gehören die ersten beiden Sachverhalte der realen Welt w0 an, letzterer Sachverhalt ist in w0 natürlich falsch und gehört einer kontrafaktischen Welt wcounterfactual an. Das betreffende Individuum hat also Überzeugungen, die mit dem, was in w0 der Fall ist, kompatibel sind und solche, die es nicht sind. Ihm sind – neben w0 – auch andere Welten «doxastisch zugänglich», in denen Sachverhalte gelten, die in w0 keine Gültigkeit besitzen. Der Irrtum stellt – gewissermaßen «im Auge des Horus» – eine Quelle für die Pluralität von Glaubenswelten dar. Chierchia (2008, 462) führt ein ähnliches Beispiel an, bei dem Glaubenswelten von dem individuellen Anker nicht miteinander abgeglichen werden, so dass dieser de facto kontradiktorische Überzeugungen hinsichtlich w0 besitzt. Weitere Gründe für die Pluralität von Glaubenswelten sind abweichende Überzeugungen zwischen Individuen (zwei einander widersprechende Überzeugungen können nicht beide wahr sein in w0 und möglicherweise sind sie beide falsch. In jedem Fall sind den Individuen unterschiedliche Glaubenswelten «doxastisch zugänglich»). Auch unvollständiges Wissen (p1 oder p2 oder weitere Alternativen können der Fall sein) oder Wissen über unterschiedliche Domänen (es sind jeweils unterschiedliche Glaubenswelten «doxastisch zugänglich») führen zu einer Pluralität von Glaubenswelten.
Modalität und Modus
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1.2.5 M odalsemantische Beschreibungsmodelle (von Kratzer bis Portner und Lohnstein) as modalsemantische Modell Angelika Kratzers und 1.2.5.1 D seine Weiterentwicklung Angelika Kratzer hat in verschiedenen Beiträgen seit 1977248 ein umfassendes, sich über drei Beschreibungsdimensionen aufspannendes Modell zur Analyse von Modalität – zunächst am Beispiel deutscher und englischer Modalverben – formuliert. Praktisch alle in der Folge entwickelten modalsemantischen Ansätze rezipierten mehr oder minder explizit die grundlegenden Konzepte des Kratzer’schen Ansatzes,249 der deshalb an dieser Stelle in seinen Grundzügen skizziert werden soll. Ihren Ausgang nimmt Kratzers Theorie bei dem Begriff der Proposition, wie ihn Stalnaker auf der Grundlage des Basiskonzepts «möglicher Welten» – den «primitive elements in a theory of propositions and propositional attitudes»250 – mustergültig formuliert hat. Das ursprünglich von Leibniz im Rahmen der Theodizee-Problematik in die Philosophie eingeführte Konzept der «möglichen Welten» spielt eine zentrale Rolle in der Sprachphilosophie und Metaphysik David Lewis’. Der amerikanische Philosoph verlieh dem Begriff in seiner einflussreichen Monographie Counterfactuals (Lewis 1973) eine besondere Prominenz und Schärfe und versah ihn dadurch mit einer Reihe durchaus heikler metaphysischer Implikationen: «It is uncontroversally true that things might have been otherwise than they are. I believe, and so do you, that things could have been different in countless ways. But what does this mean? Ordinary language permits the paraphrase: there are many ways things could have been besides the way they really are. On the face of it, this sentence is an existential quantification. It says that there exist many entities of a certain description, to wit, ‹ways things could have been.› I believe permissible paraphrases of what I believe; taking the paraphrase at its face value, I therefore believe in the existence of entities [Herv. d. Verf.] which might be called ‹ways things could have been.› I prefer to call them ‹possible worlds›.»251
Aus diesem Grunde fasst Stalnaker in seiner originär linguistischen Zielsetzung dieses Konzept ganz pragmatisch als «alternative ways that things might be, or
248 Cf. unter anderem Kratzer (1977; 1981; 1991a; 1993). 249 Cf. etwa Giorgi/Pianesi (1997); Quer (1998, 2001a); Giannakidou (1995ss.); Farkas (2003); Portner (2009); Lohnstein (2000; 22011). 250 Stalnaker (1978, 316). 251 Lewis (1973, 84).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
might have been»252 und bindet es «immanentistisch» an die Handlungspraxis rationaler Subjekte. «Mögliche Welten» sind demnach «not concrete objects or situations, but abstract objects whose existence is inferred or abstracted from the activities of rational agents. It is thus not implausible to suppose that their existence is in some sense dependent on, and that their natures must be explained in terms of, those activities.»253
Auch Kripke stellte den konventionellen Charakter des «Mögliche-Welten»-Konzepts heraus, mit dem Hinweis, «‹possible worlds› are stipulated, not discovered by powerful telescopes».254 Vor diesem Hintergrund definiert Stalnaker nun den Propositionsbegriff wie folgt: «A proposition – the content of an assertion or belief – is a representation of the world as being a certain way. But for any given representation of the world as being a certain way, there will be a set of all the possible states of the world which accord with the representation – which are that way [Herv. i. O.]. So any proposition determines a set of possible worlds.»255
Die Definition hebt auf mehrere Aspekte ab: –– Propositionen sind die den Äußerungen oder Überzeugungen von Individuen zugrundeliegenden logisch-semantischen Tiefenstrukturen –– Sie charakterisieren jeweils einen bestimmten Weltzustand, d.h. eine «Zustandsmodalität der Welt» –– Jeder Proposition lassen sich eine Menge von möglichen Zuständen bzw. Welten zuordnen, in denen die von der Proposition charakterisierten Verhältnisse gelten, in denen mithin die Proposition wahr ist –– So lässt sich eine Proposition als eine Teilmenge der Menge W aller möglichen Welten verstehen, in der alle diejenigen Welten enthalten sind, in denen die Proposition wahr ist. Diese verschiedenen Einzelaspekte des Propositionsbegriffs fasst Lohnstein in seiner Arbeit zur Modusphrase im Deutschen treffend zusammen: «Ein Satz beschreibt Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte in der Welt. Eine Proposition charakterisiert immer eine ganze Klasse solcher Zustände, Ereignisse oder Sachverhalte, denn sie erfasst nicht nur eine spezifische Sachlage, sondern stets die Menge aller Sachlagen, die sie zutreffend beschreibt. In der Mögliche-Welten-Semantik wird eine Proposition
252 Stalnaker (1978, 316). 253 Stalnaker (1984, 50). 254 Kripke (1980, 267). 255 Stalnaker (1978, 316).
Modalität und Modus
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als Funktion aufgefasst, die all diejenigen Welten auf das Wahre abbildet, in denen der durch die Proposition ausgedrückte Zustand (das Ereignis oder der Sachverhalt) besteht; alle anderen Welten werden auf das Falsche abgebildet. Eine Proposition teilt damit die Menge der möglichen Welten in zwei disjunkte Teilklassen: In die Menge derjenigen Welten, in denen sie wahr ist, und in die Menge derjenigen Welten, in denen sie falsch ist.»256
Propositionen lassen sich deshalb auch als Funktionen von möglichen Welten in Wahrheitswerte bestimmen.257 Umgekehrt kann die Wahrheit einer Proposition im Hinblick auf eine bestimmte Welt w folgendermaßen bestimmt werden: «A proposition p is true in a world w ∈ W iff w ∈ p. Otherwise, p is false in w.»258
Das Verhältnis einer Proposition p zu einer bestimmten Menge von Propositionen wird durch die Termini Konsistenz, logische Kompatibilität und logische Konsequenz beschrieben. –– das Konzept der Konsistenz ist zu verstehen als eine Anforderung an eine Menge von Propositionen P: –– Konsistenz: «Wenn der Durchschnitt über die in einer Menge P enthaltenen Propositionen nicht leer ist, so ist P konsistent, d.h. es gibt Welten, in denen alle Propositionen in P wahr sind.»259 –– das Konzept der logischen Kompatibilität zwischen einer Proposition p und einer Menge von Propositionen P lässt sich mithilfe des Konsistenzkriteriums bestimmen: Kompatibilität: «Eine Proposition p ist mit einer Menge P von Propositionen kompatibel, wenn die Proposition p in einigen Welten dieser Menge wahr ist.» p ist kompatibel mit P gdw. P ∪ {p} konsistent ist.260 –– Das Konzept der logischen Konsequenz könnte als ein zwingend notwendiges Kompatibilitätsverhältnis zwischen einer Proposition p und einer Menge von Propositionen charakterisiert werden: p muss in allen Welten wahr sein, in denen auch die Menge der Propositionen wahr ist:
256 Lohnstein (2000, 35). 257 Auch Lohnstein (1996, 270) spricht im Hinblick auf die Proposition richtig von einer Funktion von (Welt-Zeit-)Indizes (den Etikettierungen möglicher Welten) in Wahrheitswerte. 258 Kratzer (1991a, 640). 259 Lohnstein (2000, 36), auf der Basis von Kratzer (1991a, 641): «A set of propositions A is consistent iff there is a world in W where all propositions of A are true». 260 Lohnstein (2000, 36), nach Kratzer (1991a, 641): «A proposition p is compatible with a set of propositions A iff A ∪ |p| is consistent».
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–– Das Konzept der Folgerung: Eine Proposition q kann aus einer Menge P von Propositionen gefolgert werden, wenn q in allen Welten dieser Menge wahr ist.261 Ausgehend von dem Propositionenbegriff schlägt A. Kratzer ein dreidimensionales Interpretationsmodell für modale Ausdrücke vor, das als relativierender bzw. einbettender Hintergrund für die Deutung von Propositionen fungiert. –– Die erste Dimension entfaltet sich auf der Skala der modalen Stärke («modal force»), die von dem maximalen Grad der «Notwendigkeit» bis zu ihrem geringsten Ausprägungsgrad der «Möglichkeit» reicht. Die modale Stärke entspricht den unterschiedlichen Werten bzw. Ausprägungen modaler (logischer, deontischer, epistemischer etc.) Quadrate. –– Die zweite und dritte Dimension werden durch verschiedene Klassen von Redehintergründen («conversational background») bestimmt: Diese stellen – meist durch explizite Formeln wie «in view of x» signalisiert – spezifische Bereiche der Welt (überhaupt von Welten) heraus und bilden damit den Interpretationshintergrund, vor dem eine Proposition gedeutet bzw. bewertet werden muss. Redehintergründe geben – mit anderen Worten – die Quantifikationsdomäne (d.h. die Menge der möglichen Welten) an, die für die Proposition bzw. die in ihr enthaltene Prädikation Geltung besitzen soll. So definiert Kratzer: «Quite generally, conversational backgrounds are functions which assign to every member of W a subset of the power set of W.»262 Kratzer individuiert einige besonders charakteristische Typen von konversationellen Hintergründen («conversational background»), gelangt mithin zu dem folgenden (provisorischen) Klassifikationsversuch:263 –– Realistische Redehintergründe («realistic conversational backgrounds») weisen jeder möglichen Welt eine Menge von Propositionen zu, die in dieser Welt wahr sind: «f assigns to every possible world a set of propositions which are true in it.» –– Die Bewertung (Evaluation) einer Proposition findet vor dem Hintergrund der für die einzelnen möglichen Welten angeführten Fakten («in view of facts of such and such kind …») statt.
261 Cf. Kratzer (1991a, 641): «A proposition p follows from a set of propositions A iff p is true in all worlds of W in which all propositions of A are true». 262 Kratzer (1991a, 641). 263 Cf. Kratzer (1981, 44s.); Kratzer (1991a, 646).
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–– Total realistische Redehintergründe («totally realistic conversational backgrounds») weisen im Gegensatz dazu jeder Welt eine Menge von Propositionen zu, die diese jeweils in einzigartiger («unique») und vollständiger («complete») Weise charakterisieren: «f assigns to any world a set of propositions which characterize it in a unique way.»264 In diesem Falle wird die Proposition im Hinblick auf die in jeder Welt vorherrschenden Verhältnisse bewertet («in view of what is the case …»). –– Epistemische Redehintergründe weisen jeder Welt diejenige Menge von Propositionen zu, die das Wissen einer Gruppe, Gemeinschaft etc. über diese Welt repräsentiert: «f(w) contains all those propositions which are established knowledge in w – for a group of people, a community etc.» In diesem Fall ist mithin das verfügbare und etablierte Wissen einer Gemeinschaft in w der Bewertungsrahmen einer Proposition. –– Stereotype Redehintergründe («stereotypical conversational backgrounds»): Sie enthalten alle Propositionen p, die den normalen Lauf der Dinge in einer Welt w (für eine Gruppe oder eine Gemeinschaft etc.) beschreiben: «f(w) contains all those propositions which are established knowledge in w – for a group of people, a community etc.» –– Deontische Redehintergründe («deontic conversational backgrounds») beinhalten alle die Propositionen, die das, was in w verbindlich ist (als Gesetz, als Vorschrift, als Befehl etc.), statuieren: «f(w) contains all those propositions p such that it is commanded in w that p – by someone, by the Law etc.» –– teleologische sowie buletische Redehintergründe («teleological/buletic conversational backgrounds») umfassen ziel- und wunschstipulierende Propositionen für w. –– leerer Redehintergrund («empty conversational background»): Hierbei handelt es sich um eine Funktion, die jedem w aus W die leere Menge zuweist. –– zirkumstantielle (disponentielle) Redehintergründe («circumstantial backgrounds»): beziehen sich auf Propositionen, die in w geltende äußere Umstände – physischer oder psychischer – Art festschreiben. Die hier aufgeführten Redehintergründe («conversational backgrounds») tragen nun in jeweils spezifischer Weise zur Konstituierung der beiden anderen Dimensionen des dreidimensionalen Deutungssystems von Propositionen im modalen Kontext bei: So fungieren sie zum einen als modale Basis (zweite Dimension:
264 Cf. Kratzer (1981, 44); Kratzer (1991a, 649: «if it assigns to every world a set of facts which characterize it completely ...»).
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«modal base»), zum anderen jedoch als sogenannte ordnende Quelle (oder Ordnungsprinzip) (dritte Dimension: ordering source). Die modale Basis («modal base») bestimmt für jede Welt w die Menge derjenigen Welten W, die von w aus zugänglich sind – mithin eine Zugänglichkeitsrelation («accessibility relation»). Die ordnende Quelle (ordering source) stellt demgegenüber ein Ordnungsprinzip dar, das die Menge W der von w aus zugänglichen Welten hinsichtlich eines bestimmten Ideals A «ordnet». Wie Lohnstein treffend formuliert, erlaubt eine solche Ordnung «eine Metrik der Abweichung einer Welt w’ von einer Welt w hinsichtlich eines Ideals A zu formulieren. Ein Ideal ist eine Menge von Propositionen. Wenn die Propositionen aus A konsistent sind, dann gibt es eine Welt w, die das Ideal erfüllt. Eine Welt w’, die nicht für alle Propositionen aus A wahr ist, erfüllt weniger Propositionen aus A als w. Es lässt sich also vorstellen, dass eine Welt w für mehr Propositionen aus A wahr ist als eine Welt w’. Die Welt w entspricht dem Ideal A daher mehr als die Welt w’, und entsprechend ist w hinsichtlich A vor w’ geordnet.»265
Die Ordnung von Welten bezüglich eines Ideals A (also bezüglich einer Menge A von Propositionen) lässt sich auch formalisieren:266 Ordnung auf einer Weltmenge ∀w, w’ ∈ W und für jede Teilmenge A ⊆℘(W) gilt: w≤A w’ gdw. {p/p ∈ A und w’ ∈p }⊆ {p/p ∈ A und w ∈ p }. (Eine beliebige Welt w ist einer anderen beliebigen Welt w’ im Hinblick auf das Ideal A vorgeordnet, wenn in w’ weniger Propositionen aus der (das Ideal statuierenden) Propositionenmenge A wahr sind als in w (= Teilmengenbeziehung)). Um besonders charakteristische modale Basen («modal bases») handelt es sich beispielsweise bei den zirkumstantiellen oder epistemischen modalen Basen: Diese beiden auch als realistische modale Basen bezeichneten Typen geben an, was zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Welt an Wissen verfügbar bzw. als äußere Gegebenheiten in Anschlag zu bringen ist. Sie begrenzen den Zugang von einer bestimmten Welt (beispielsweise der Äußerungswelt w0) zu anderen, möglichen, Welten im Hinblick darauf, welches Wissen jemand (ein Sprecher oder ein Matrixsatzsubjekt) zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer
265 Lohnstein (2000, 37). 266 Cf. Lohnstein (2000, 38).
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bestimmten Welt über eine Menge möglicher Welten verfügt (welche Welten ihm mithin «epistemisch zugänglich» sind) bzw. welche dispositionellen Bedingungen in einer Menge möglicher Welten jeweils in Anschlag zu bringen sind (zirkumstantielle bzw. disponentielle Zugänglichkeitsrelation). Normative Redehintergründe (wie das Gesetz oder ein anderes Normsystem) stellen den prototypischen Fall einer ordnenden Quelle dar: Sie geben ein Ordnungsprinzip vor, nach dem sich die Propositionen der modalen Basis jeweils hierarchisieren bzw. im Hinblick auf ein Ideal(modell) anordnen lassen. Anhand von zwei Beispielen sollen die hier entwickelten Konzepte kurz veranschaulicht werden: Zum einen lässt sich die Bedeutungsopposition von den beiden englischen Modalverben can und might sehr schön anhand der beiden folgenden Sätze beschreiben: (91) Hydrangeas can grow here. (92) There might be hydrangeas growing here.
Can, das mit einer eher schwachen «modal force» ausgestattet ist, wird a) durch eine zirkumstantielle modale Basis (den in w obwaltenden äußeren Umständen) sowie b) eine leere ordnende Menge (ordering source) gekennzeichnet. Might – ebenfalls mit einer schwachen «modal force» versehen – hingegen durch a) eine epistemische modale Basis (das in w verfügbare Wissen über mögliche Welten) und b) eine ebenfalls leere ordering source charakterisiert (es wird durch die Modalverben jeweils kein Ideal eingeführt). Im ersten Fall wird also Mögliches und Notwendiges vor dem Hintergrund bestimmter objektiver Gegebenheiten charakterisiert (zirkumstantielle/disponentielle modale Basis), während im zweiten Fall das, was nach unseren Kenntnissen über mögliche Welten sonst noch der Fall sein kann oder muss, in den Fokus gerückt wird.267 Auch am Beispiel modalen Argumentierens (modal reasoning) lässt sich das Gesagte noch einmal in concreto veranschaulichen: Das Modalverb would evoziert in «given your state of health you’d be better off going to Davos than to Amsterdam»268 eine «bessere Möglichkeit» angesichts einer bestimmten, sich aus zirkumstantieller modaler Basis (hier die Tatsachen bezüglich des Gesundheitszustandes von x) und am Kalkül maximalen persön-
267 Cf. auch das Beispiel einer Gesamtbeschreibung des Systems deutscher Modalverben in Kratzer (1991a, 650). 268 Beispiel aus Kratzer (1991a, 646).
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lichen Wohlergehens orientierten Ordnungsprinzip ergebenden Konstellation (Bewertungshintergrund von p). Auf der Basis einer die relevanten Fakten beschreibenden Propositionenmenge (circumstantial modal base) ließe sich im Zusammenwirken mit einer als Ordnungsmenge (ordering source) fungierender Propositionenmenge hierarchisierter Wünsche (bouletic ordering source) ein ganzes System geordneter möglicher Welten (Alternativwelten) entwickeln, das einem Individuum als Entscheidungsgrundlage dienen könnte: das aus modaler Basis und Ordnungsmenge resultierende Kalkül stellt ein Beispiel für sogenannte praktische Inferenzen (practical inferences) dar. Auf einen weiteren Aspekt ist hier noch hinzuweisen: Redehintergründe (bzw. modale Basen) können durch Restriktoren (dazu ausführlicher weiter unten) wie etwa durch den konditionalen Operator IF/SI begrenzt werden. Die Protasis eines Konditionalgefüges schränkt für jede Welt w die von ihr aus zugänglichen Welten ein: In einem Satz wie «If a murder occurs, the jurors must convene (in view of what the law provides)» schränkt der Vordersatz die Menge zugänglicher Welten auf genau jene Welten ein, in denen ein Mord statt findet. Die Proposition p ist nur in den Welten wahr, in denen ein Mord geschieht, die Geschworenen zusammenkommen und ein Urteil fällen, das dem, was das Gesetz vorschreibt (also den durch das Gesetz determinierten Idealwelten), möglichst nahe kommt. Bedingungssätze – und hierauf wird noch später mehrfach zurückzukommen sein – lassen sich demnach im Rahmen einer Semantik möglicher Welten als eine ternäre Struktur interpretieren, bei der der Vordersatz als Restriktor der modalen Basis eines Satzes fungiert und der Hauptsatz im Skopus eines nicht-overten Notwendigkeitsoperators must steht: Ein Satz wie (93) If she has seen the place, she loves it.
wäre also als «implizit modalisiert» zu interpretieren – als eine im Skopus von must stehende Proposition ß, deren modale Basis durch α beschränkt wird.269 (Dazu ausführlicher in Kap. 4 unserer Arbeit.)
269 Kratzer (1991a, 649).
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1.2.5.2 D ie Analyse der Kategorie Modus im Rahmen des Kratzer’schen Ansatzes: Giorgi/Pianesi Den modalsemantischen Ansatz Kratzers wenden Giorgi/Pianesi (1997) in ihrer wegweisenden Monographie Tense and aspect: from semantics to morphosyntax erstmals auf die Beschreibung des italienischen Modussystems im Rahmen von Komplementsätzen an. Sie knüpfen dabei an das schon erwähnte Stalnaker’sche Assertionsmodell an, auf das wir in diesem Zusammenhang noch einmal etwas vertiefter eingehen wollen. Das Modell geht von der Grundidee aus, dass die Äußerungen (Assertionen) der Gesprächsteilnehmer in einer bestimmten Diskurssituation vor dem Hintergrund der gegenseitig akzeptierten Überzeugungen evaluiert werden. Ein Diskurs lässt sich danach als «eine Sequenz bestimmter Informationszustände» verstehen, «die durch neue Äußerungen der Gesprächspartner verändert werden können».270 Jede von einem Diskursteilnehmer neu eingeführte Äußerung (Assertion) bedarf mithin der positiven Sanktionierung durch die Diskursgemeinschaft, die dadurch die neue Äußerung dem Bestand («der Menge») der gegenseitig akzeptierten Überzeugungen hinzufügt. Der aktuelle Gesprächskontext k wird so zum Kontext k’ aktualisiert. Damit einher geht auch die Aktualisierung der epistemischen Systeme (bzw. – als Oberbegriff – des «epistemischen Modells») der einzelnen Gesprächsteilnehmer einher. Wie wir oben schon erwähnt hatten, ist Stalnakers Theorie dynamisch, d.h. als zentrales Moment der Satzbedeutung wird nicht primär ein bestimmter Wahrheitswert angesehen, sondern ihr Informationsveränderungspotential.271 Der Kontext kann, wie schon erwähnt, als ein n-Tupel dargestellt werden, und zwar in der Form: K = Stalnaker charakterisiert den gemeinsamen Redehintergrund cg (common ground) als eine Propositionenmenge von Sprecherpräsuppositionen über das mit den anderen Gesprächsteilnehmern geteilte gemeinschaftliche Wissen.272 Lohnstein modifiziert diesen Grundgedanken ein wenig, wenn er den common ground nicht von der Sprecherperspektive her definiert, sondern als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses reformuliert: «cg(k) ist die Menge derjenigen Propositionen, auf die sich die Gesprächspartner hinsichtlich ihrer Wahrheit geeinigt haben. cg(k) ist damit die im Diskurs etablierte Menge der von den Gesprächspartnern
270 Lohnstein (2000, 39). 271 Cf. die gelungene Darstellung in Lohnstein (2000, 39). 272 Cf. Lohnstein (2000).
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akzeptierten Überzeugungen».273 Diesem common ground entspricht eine Kontextmenge (context set), also eine Menge möglicher Welten, die der Sprecher (bzw. die Gesprächspartner) als ernsthaft relevante live options der Konversation ansieht (ansehen).274 Den Zusammenhang zwischen dem gemeinsamen Redehintergrund und der Kontextmenge erläutert Lohnstein: «Deutet man eine Proposition als die Menge derjenigen Indizes, in denen sie wahr ist, so ist I(k) gerade der Durchschnitt über alle in cg(k) enthaltenen Propositionen. (....). In I(k) sind damit all diejenigen Indizes enthalten, die mit den Überzeugungen der Gesprächspartner kompatibel sind.»275
Es kennzeichnet Stalnakers dynamische Sicht des Konversationsprozesses, dass er dessen Grundmovens als «to distinguish among alternative possible ways that things may be» beschreibt.276 Die Menge der «alternative possibilities among which speakers intend their expressions of propositions to distinguish» wird durch das Präsuppositionenset des common ground bzw. durch die Kontextmenge (context set) der entsprechenden möglichen Welten limitiert. Jede neue Äußerung (Assertion) reduziert nun die Elemente der Kontextmenge (bzw. die entsprechenden Indizes möglicher Alternativen), sofern die übrigen Gesprächspartner keine Einwände erheben: Einen Sachverhalt zu assertieren bedeutet also, den Redehintergrund (common ground) so zu erweitern, dass der propositionale Gehalt dessen, was assertiert wird, dem zugeschlagen wird, was präsupponiert wird.277 Der Assertionsvorgang erweitert also die Präsuppositionenmenge durch die Hinzufügung von p und reduziert zugleich die Menge alternativer Möglichkeiten (möglicher Welten), die in der «abgeleiteten Kontextmenge» (derived context set) enthalten sind. Jede Assertion, die Teil eines gemeinsamen Wissensbestandes wird, trägt also dazu bei, mögliche Alternativen, wie die Welt sein könnte, auszuschließen, so dass sich die Gesprächspartner im Fortgang ihrer kommunikativen Interaktion immer weiter darauf verständigen, wie die Welt – ihre reale Welt w0 – tatsächlich ist bzw. was in ihr genau der Fall ist. Der charakterisierte Vorgang einer Kontextveränderung (context change) durch Integration einer neuen Proposition in den common ground lässt sich formalisieren als:
273 Lohnstein (2000, 40). 274 Stalnaker (1978, 321s.). 275 Lohnstein (2000, 40). 276 Stalnaker (1978, 322). 277 Stalnaker (1978, 323).
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Aktualisierung des Kontexts: cg(k) + p = cg(k) ∪ {p} = cg(k’) Aktualisierung der Kontextmenge: I(k) ∩ {i/i ∈ I: p(i) = w} = I(k’) In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Angemessenheit einer Proposition p im Bezug auf den Kontext k bestimmen: Eine Proposition p ist dann im Bezug auf den Kontext k angemessen, wenn sie mit I(k) verträglich ist – also die Schnittmenge keine leere Menge ist (Prinzip der Widerspruchsfreiheit) – und wenn sie bezüglich k informativ ist, d.h. sie auch tatsächlich die Kontextmenge als die Menge möglicher Alternativen, was denn der Fall ist, dank neuer relevanter Information reduziert. Angemessenheit einer Proposition p bzgl. einer Kontextmenge I(k)278 (i) Verträglichkeit: I(k) ∩ p ≠∅ (ii) Informativität: I(k) ∩ p ≠ I(k) Die oben zitierte Kontextformel (I) geht insofern über Stalnakers Modell hinaus, als sie schon Kratzers Überlegungen zu verschiedenen Redehintergründen bzw. modalen Basen integriert. So steht mb(k) für «eine Familie von Funktionen, die im Kontext k jedem Index i aus I(k) eine modale Basis (bzw. einen Redehintergrund) zuweisen».279 Beispielsweise weist: –– mbdox (k,i) im Kontext k dem Index i eine doxastische modale Basis zu. –– mbepi (k,i): weist im Kontext k dem Index i eine epistemische modale Basis zu. So lässt sich etwa mbepi (k,i) als eine Funktion definieren, die «jedem Index i aus I(k) die Menge derjenigen Propositionen zuweist, die in i gewusst werden».280 Giorgi/Pianesi bestimmen in ihrer modalsemantischen Ausgestaltung des dynamischen Ansatzes die Termini modale Basis (modal base) und Ordnungsprinzip (ordering source) in enger Anlehnung an Kratzer als Funktionen f und g über Welten w, deren Werte f(w) und g(w) Propositionenmengen (A und B) sind. Von besonderer Bedeutung für die weitere Interpretation von Modusverhältnissen sind die Konzepte «realistische» und «total realistische modale Basis»: Im ersten Falle bildet die modale Basis eine Teilmenge des common ground, im zweiten Fall deckt sie sich mit ihm.281
278 Lohnstein (2000, 43). 279 Lohnstein (2000, 41). 280 Lohnstein (2000, 41). 281 Diese Zusammenhänge zwischen common ground und modal base formalisieren Giorgi/ Pianesi wie folgt (1997, 208s.):
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Giorgi/Pianesi lassen sich bei der Anwendung dieses Grundmodells auf die Modusproblematik nun von den folgenden Grundgedanken leiten: Die Modusdifferenz zwischen dem Indikativ und dem Subjunktiv stellt ein reduktionistisches, lediglich binäres Klassifikationssystem von Propositionen auf der Grundlage von Auswertungskontexten (contexts of evaluation) dar. Als Normalsystem bzw. Standard dienen total realistische modale Basen, also der common ground, der den konversationellen Hintergrund (conversational background) der normalen Assertion als dem grundlegendsten Sprechakt, bildet. Auswertungskontexte (contexts of evaluation), die als dem Standard nahe kommend eingestuft werden, verlangen den Indikativ. Auswertungskontexte, die im Verhältnis zum Standard als deviant klassifiziert werden, werden durch den Konjunktiv markiert. Die Auswertungskontexte – also die Kontexte, im Hinblick auf die eine Proposition p ausgewertet wird – lassen sich im Hinblick auf die zwei zentralen Parameter des Kratzer’schen Ansatzes charakterisieren, und zwar zum einen hinsichtlich der Eigenschaften der modalen Basis (modal base), zum anderen bezüglich des wirkenden Ordnungsprinzips, der ordering source.282 Die aus diesem Zusammenspiel der Parameter resultierenden Auswertungskontexte lassen sich als ein umfassendes Auswertungssystem verstehen und entsprechen dem sogenannten notionalen Modus. Der notionale Modus klassifiziert also Äußerungen vor dem Hintergrund der als Standard verstandenen Assertion: «The rationale of this idea is that notional mood is a way for classifying clauses, or, better, utterances and parts of utterances, with respect to the standard constituted by assertion».283 Auf der Ebene der Grammatik wird dieses Klassifikationssystem dann in ein binäres morphosyntaktisches Modussystem überführt, also auf ein dichotomisches System im Rahmen der morphologischen Kodierung «heruntergebrochen». Das Verhältnis zwischen den beiden Modusbegriffen – notional versus grammatisch – ist ein interpretatives: Ein bestimmter Modus, etwa der Konjunktiv,
a) Realistische modale Basis: «Given a common ground P and its context set C, a modal base f is realistic iff f(w) ⊆P, for every world w in C». b) Total realistische modale Basis: «Given a common ground P and its context set C, a modal base f is totally realistic iff f(w) = P, for every world w in C». 282 Giorgi/Pianesi (1997) definieren die beiden Termini ganz im Sinne von Kratzer in der folgenden Weise: «( ...) a modal base specifies the worlds in which the proposition in the scope of the modal is to be evaluated. Ordering sources, on the other hand, capture the observation that the understanding of a modalised sentence often implies the use of idealised states of affairs describing the way the world should be – (...)». 283 Giorgi/Pianesi (1997, 210).
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stellt eine Art Leseanweisung für Sätze dar: «a given grammatical mood, such as the subjunctive, is interpreted as signaling that the clause it appears in must be evaluated in a semantic environment having certain properties.»284 In konsequenter Anwendung dieses Ansatzes auf finite Komplementsätze des Italienischen lassen sich 6 zentrale Evaluationskontexte, die einer charakteristischen Konstellation aus modaler Basis und Ordnungsprinzip entsprechen, herausstellen. Dabei wirkt das Modell der Assertion stets als Standard- bzw. Normalmodell im Hintergrund: 1. Fall: Lässt sich unter Portners Terminus der priority subsumieren: –– Volitionale und desiderative Kontexte: volere, desiderare: Diese besitzen einen nicht-realistischen, weil buletischen konversationellen Hintergrund, der mit einem Ordnungsprinzip (einer ordering source) verbunden ist. Die modale Basis hängt von der Bedeutung des Prädikats ab: So setzt volere eine nicht-leere (genauer: doxastische) modale Basis voraus, da Willensäußerungen – wie auch Farkas richtig herausgestellt hat – an das Glaubenssystem des jeweiligen Subjekts gebunden sind. Desiderare ist mit einer leeren modalen Basis vereinbar, zumal Wünsche kontrafaktischer Natur sein können. –– Iussive/kommissive Verben beruhen auf einem deontischen Ordnungssystem (ordering source), da Welten höher eingestuft werden, die dem, was befohlen wird, maximal nahe kommen, als solche, in denen dies nicht der Fall ist. Die modale Basis ist hingegen leer. 2. Fall: Doxastische Kontexte: credere Es ist bezeichnend, dass die italienischen Autoren – anders als ihre anglophonen oder rumanophonen Fachkollegen – epistemische (sapere) von doxastischen (credere) Kontexten unterscheiden, da das Standarditalienische gerade im Hinblick auf diese Kontexte durch eine besonders prägnante Modusdifferenzierung gekennzeichnet ist. Giorgi/Pianesi führen diese Besonderheit auf einen spezifischen Parameter des italienischen Sprachsystems zurück, worauf weiter unten noch einzugehen sein wird. Epistemische Verben im engeren Sinne (also sapere-Prädikate) führen eine realistische modale Basis ein: Das dem Subjekt verfügbare Wissen stellt eine Teilmenge des im gemeinsamen Redehintergrund zusammengefassten Gemeinschaftswissens dar.
284 Giorgi/Pianesi (1997, 221).
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Bei den durch doxastische Prädikate eingeleiteten credere-Kontexten ist es hingegen in extremis möglich, dass sich die Überzeugungen des Subjekts in keiner Weise mit den im common ground repräsentierten Verhältnissen decken. Sprachen können diese mögliche Divergenz nun in entgegengesetzter Weise im binären morphosyntaktischen Modussystem abbilden: in dem einen Fall fokussieren sie auf die (vermutlich relativ große) Ähnlichkeit zwischen doxastischen Kontexten und dem common ground (subjektive Überzeugungen stimmen weitgehend mit gemeinschaftlichen Repräsentationen überein), in dem anderen Fall kategorisieren sie diese Kontexte als (potentiell) deviant. Das Italienische entspricht dem zweiten Fall und optiert generell für den Konjunktiv: (94) «Mario crede che Andrea abbia mangiato» (Giorgi/Pianesi 1997, 214)
Giorgi/Pianesi gehen im Falle des Italienischen von einem Parameter aus, der offenbar im Sinne einer Markierung möglicher Abweichungen zwischen doxastischen Kontexten und dem common ground wirkt. Wir werden im Rahmen unserer Untersuchung eine differenzierte Interpretation der Modusproblematik bei doxastischen Prädikaten vorschlagen. 3. Fall: verba dicendi Die Klasse der dicere-Prädikate schafft einen Wertungskontext auf der Grundlage einer schwach realistischen modalen Basis (weakly realistic modal base), d.h. einen Kontext, der wenigstens einige Präsuppositionen des common ground übernimmt: Man darf von dem Gesprächspartner, dessen Äußerung zitiert wird, annehmen, dass er seine Rolle ernsthaft (nach den Grice’schen Maximen, insbesondere der Maxime der Qualität) wahrgenommen hat und sich mithin wenigstens teilweise im Rahmen des gemeinschaftlichen common ground bewegt hat. Diese – in den Konversationsmaximen zusammengefassten – erhöhten kommunikativen Anforderungen entfallen bei typischen doxastischen Kontexten. 4. Fall: Faktive Prädikate –– Wertende faktive Prädikate («evaluative true factive predicates») –– Emotiv-faktive Prädikate («emotional true factive predicates») Die abgeleiteten Kontexte bzw. die Auswertungskontexte der beiden Unterklassen faktiver Prädikate weisen ganz ähnliche Eigenschaften auf, die etwa am Beispiel (95) É strano che Giovanni abbia scritto una lettera affettuosa a Maria
verdeutlicht werden können:
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Die modale Basis führt in Welten ein, in denen Dinge seltsam sind, d.h. aus der Kontextmenge werden alle diejenigen Welten ausgeschlossen, in denen «normale» Verhältnisse vorherrschen. Da nun aber davon ausgegangen wird, dass p wahr ist (so die Präsupposition des Prädikats), kommt dem common ground (als dem vollkommen realistischen Hintergrund) die Funktion eines Ordnungsprinzips (ordering source) zu: Am höchsten «gerankt» werden nämlich die Welten aus der Weltenmenge, in denen seltsame Dinge geschehen, die aber den realen Verhältnissen, dem common ground, am meisten entsprechen: denn p ist wahr in P. Auch bei einem emotionalen Prädikat wie spiacere/rincrescere werden entsprechende Welten nach dem Grade ihrer Übereinstimmung mit der realen Welt (dem gemeinsamen Redehintergrund) angeordnet: Das Ordnungsprinzip (ordering source) entspricht wiederum nicht der leeren Menge. (Auch für diesen Fall werden wir unter Berücksichtigung diachroner Daten eine alternative Interpretation vorschlagen). Die romanischen Sprachen bilden den hier beschriebenen Evaluationskontext unterschiedlich im Rahmen des morpho-syntaktischen Modussystems ab: Das Rumänische kategorisiert die Komplementsatzproposition unter dem Gesichtspunkt seiner Nähe zum common ground (Indikativ-Option), die anderen romanischen Sprachen im Hinblick auf die nicht-leere Ordnungsfunktion (ordering source) und präferieren in diesen Kontexten die Konjunktiv-Option. 5. Fall: Fiktionale Kontexte (dream) Fiktionale Kontexte und assertive Kontexte verhalten sich gleich, denn sie schaffen persistente Kontexte: Einmal eingeführt, bleiben diese Kontexte auch für die nachfolgenden Sätze der Bezugsrahmen, bis sie durch die Einführung eines neuen Kontextes annulliert werden. Diesen Zusammenhang lassen die anaphorischen Beziehungen zwischen den Pronomen und ihren Antezedenten deutlich werden. Man vergleiche: (96) Mario ha sognato che Carlo comprava una casa. [pro] Era bella e spaziosa. (97) Mario ha detto che Gianni ha comperato una casa. [pro] È bella e spaziosa.
Doxastische Kontexte verlangen hingegen eine explizite Modalisierung, mit deren Hilfe die Geltung des Evaluationskontexts (des abgeleiteten Kontextsets) fortgeschrieben wird. Zum Beispiel: (98) Mario pensa che Giuseppe abbia comperato una casa. (Secondo lui), sarebbe bella e spaziosa.
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Um den Indikativgebrauch des Italienischen in fiktionalen Kontexten, die ja ebenso wenig real sind wie doxastische Kontexte, zu erklären, schlagen Giorgi/ Pianesi einen sprachspezifischen Parameter vor, der sensibel auf den Persistenzgrad eines konversationellen Kontexts reagiert und deshalb als Maß für dessen Nähe zum common ground angesehen werden kann. Man könnte allerdings auf einen solchen Parameter verzichten, wenn man fiktionale Kontexte als Erweiterungen (Extensionen) realer Kontexte (also des common ground) ansieht. 6. Fall: Dislozierte Komplementsätze: Che x sia Hier ist eine Modusalternation nur bei topikalisierten Sätzen denkbar, fokussierte Sätze – also Sätze, die rhematische Information präsentieren – verlangen stets den Indikativ: (99) Che Giuseppe *sia/è partito, Mario mi ha detto.
In topikalisierten Sätzen hingegen ist der Indikativ (neben dem stets möglichen Konjunktiv) nur erlaubt, wenn die Proposition p zum common ground (als ihrem Auswertungskontext) gehört. Konjunktivische Komplementsätze können auch vor dem Hintergrund einer anderen modalen Basis (etwa einem believe-Kontext) bewertet werden. Man vergleiche den Kontrast bei den Beispielpaaren (100) und (101):285 (100) «Mario è sciocco (=common ground). Che Mario sia/è sciocco ce lo ha già detto ieri Carlo.» (101) «Andrea pensa che Mario sia sciocco. Che Mario sia/# è sciocco ce lo ha detto ieri Andrea.»
Die Proposition p wird in Beispiel (100) im Hinblick auf den common ground bewertet. In Beispiel (101) hingegen steht Andreas doxastische Welt im Vordergrund und nicht common ground-Wissen – daher ist der Indikativ ausgeschlossen. Überblickt man die einzelnen Evaluationskontexte (bzw. die ihnen zugrundeliegenden Kombinationen aus modal base und ordering source), so wird deutlich, dass sie zum einen eine graduelle Stufenfolge von total realistischen (= common ground) bis zu nicht-leeren (d.h. normativen) Wertungskontexten bilden und, zum anderen, dass für die einzelnen (romanischen) Sprachen jeweils unterschiedliche Übergangsstufen als modale Scheidelinie für den Indikativ-Konjunktiv-Kontrast relevant sind. Anders ausgedrückt: Die im Rahmen eines binären
285 Beispiele zitiert nach Giorgi/Pianesi (1997, 221).
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morphosyntaktischen Systems erfolgende Kategorisierung von Auswertungskontexten nimmt je nach Sprache jeweils einen unterschiedlichen Übergangspunkt der Stufenskala als Kriterium für die Einteilung in common-ground-nahe (und damit indikativische) und common-ground-ferne (entsprechend konjunktivische) Kontexte. Die sprachspezifisch relevante Stufenskala lässt sich nach Giorgi/Pianesi wie folgt darstellen: non-null > non-realistic > weakly realistic > realistic > totally realistic (nicht-leere (doxastische Kontexte) (dicere-Kontexte) (sapere-Kontexte) (Assertion) ordering source: deontische/buletische Kontexte)
French and Romanian
Italian
Germanic
(Skala der Auswertungskontexte: Darstellung nach Giorgi/Pianesi 1997, 217)
1.2.5.3 Die Modustheorie A. Giannakidous and J. Quers Die umfassendste aktuelle Behandlung des Gesamtpanoramas modusspezifischer Frage- und Problemstellungen verdanken wir dem katalanischen Linguisten Josep Quer. Dieser bettet seine Analyse der charakteristischen – zentralen, aber auch der besonderen – Vorkommenskontexte in einen modellsemantischen Ansatz ein, und zwar in der Version, wie sie von Giannakidou286 in Erweiterung bestehender Modelle für die Interpretation von Polaritätsmarkern im Griechischen (polarity Items) formuliert wurde.287 Polaritätsmarker (sogenannte polarity items) sind kontextsensitiv – sie sind an eine bestimmte semantische Eigenschaft ihres Vorkommenskontexts gebunden. Dieser Zusammenhang findet Eingang in Giannakidous Definition der polarity items:
286 Giannakidou (1997; 1998; 1999). 287 Giannakidou stellt vier unterschiedliche Typen von Polaritätsmarkern (polarity items) heraus: Die NPIs (negative polarity items: «items sensitive to negation», «averidical», Bsp.: frz.: jamais), NVIs (nonveridical items, «sensitive to nonveridicality», Bsp.: die Konjunktivpartikel să im Rumänischen), FCIs (free choice items): freie Relativsätze, die durch –ever (whoever, whenever etc.) eingeleitet werden und IPIs (intensional items) wie beispielsweise konjunktivische Relativ sätze im Skopus eines intensionalen Operators. Cf. die Übersicht in Giannakidou (1997, 69).
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«Definition 1 (Polarity Item) (i) A polarity item α is an expression whose distribution is limited by sensitivity to some semantic property β of the context of appearance. (ii) β is (non)veridical.»288
Das ausschlaggebende semantische Kriterium für die Lizensierung bestimmter Polaritätsmarker ist die Veridikalität. Die sogenannten APIs, die affective polarity items, sind sensitiv für Nicht-Veridikalität. Eine Teilmenge hiervon stellen die NPIs, die negative polarity items, dar, die einem besonderen Subtypus von NichtVeridikalität entsprechen – sie sind antiveridisch (antiveridical).289 Grundlegend für ihren Ansatz ist die Reformulierung des Veridikalitätsbegriffes im Sinne einer Theorie der relativierten Veridikalität, die Interpretationsmodelle von Propositionen an individuelle Anker bindet. Dabei ist ein Modell M(x) ∈ M eine Menge von Welten, die mit einem individuellen x, dem individuellen Anker, verbunden sind: «Definition 6 (Models of individuals) Let c= be a context. A model M(x) ∈ E is a set of worlds associated with an individual x. x is the individual anchor.»290
Giannakidou überwindet mit ihrem einheitlichen Zugriff zum einen Farkas Dichotomie von extensionaler versus intensionaler Verankerung. Zum anderen knüpft sie mit ihrem Ansatz an die – weiter oben schon behandelte – dynamische Bedeutungskonzeption von Stalnaker und Heim (File Change Semantics)291 sowie der Dynamic Montague Grammar an.292 Wie im vorangegangenen Kapitel erwähnt, werden in dieser Konzeption Sätze vor dem Hintergrund eines bestimmten Kontextes, dem allen Gesprächsteilnehmern gemeinsamen common ground oder – bei modalen Kontexten – der relevanten modalen Basis, interpretiert, wobei bei einer geglückten (unwidersprochenen) Äußerung der Bezugskontext durch Hinzufügung der jeweiligen Proposition aktualisiert wird (updating). Jedem Kontext entspricht eine sogenannte Kontextmenge (context set) der mit ihm vereinbaren Welten W(c). Die an einen individuellen Anker gebundenen Modelle der Form M(x) umfassen jeweils Teilmengen des Kontextsets:
288 Giannakidou (1999, 367). 289 Giannakidou (1999, 369). 290 Giannakidou (1999, 386). 291 Heim (1982). 292 Groenendijk/Stokhof (1991); Chierchia (1995).
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W’ ⊆ W(c). Besonders saliente Interpretationsmodelle sind das epistemische (i.e. Wissensbzw. Welt-)Modell ME(x) des individuellen Ankers x, die Traumwelten MD(x) des Individuums sowie schließlich das Modell MRC(x), welches alles enthält, was x für berichtete Information (reported conversation) hält. Das grundlegende Moment des Ansatzes Giannakidous ist die Relativierung des Wahrheitsbegriffs durch seine Bindung an ein individuell-verankertes Modell M(x). Eine Proposition p ist danach in einem Kontext c wahr, dann und nur dann, wenn sie in einem an ein Individuum gebundenden Modell wahr ist.293 In einem Satz wie (102) Luciette aime Paul.
ist das epistemische Modell des Sprechers ME(s) das Referenzmodell für die Wahrheit des Satzes (||p|| = 1 in ME(s)). Dieses stellt üblicherweise das Default-Modell der Interpretation dar, so dass ||p||ME(S) und ||p||c als äquivalent anzusehen sind. In einem Satz wie (103) Jean croit que Lucy aime Paul.
bildet Jeans Weltsicht das entsprechende Bezugsmodell für die Wahrheit des Satzes (||p|| = 1 in ME(J)). Das Kriterium für die Lizensierung der unterschiedlichen Klassen polarer Elemente stellt die (A-, Non-)Veridikalität dar. Gleiches gilt auch für die Kategorie Modus, wobei diese selber ein zentrales Kontextmerkmal ist und zusammen mit den kontextsensitiven Polaritätselementen in charakteristischen (non-/a-)veridischen Kontexten kookkurriert (siehe weiter unten).294 Giannakidou definiert die drei Ausprägungsformen von Veridikalität – veri disch, nicht-veridisch und averidisch – in folgender Weise:
293 Dies lässt sich in folgender Weise formalisieren (Giannakidou 1997, 109): (i) ||p||c = 1 iff there is a model M(x) such that ∀w ∈ M(x), ||p|| = 1 in w. (ii) ||p||c = 0 iff there is a model M(x) such that ∀w ∈ M(x), ||p|| = 0 in w. 294 NVIs (nonveridische polare Elemente) beispielsweise treten charakteristischerweise in konjunktivischen Kontexten – und zwar in Abhängigkeit von bestimmten Prädikaten bzw. Operatoren (etwa starken intensionalen Verben im Rahmen von Komplement- oder Relativsätzen) – auf. Cf. Giannakidou (1997, 97ss. und 129–140).
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«Context-dependent (non)veridicality In a context c, (i) A propositional operator Op is veridical iff the truth of Op p in c requires p be true in some model M(x) in c. (ii) An operator Op is nonveridical iff the truth of Op p in c does not require that p be true in any model M(x) in c. (iii)´ A nonveridical operator Op is averdicial (in Giannakidou 1999, 388: antiveridical) iff the truth of Op p in c requires that p be false in any model M(x) in c.»295
Die Definitionen machen deutlich, dass die Veridikalität von Operatoren als en tailment-Relation (i.e. als logische Konsequenz) formuliert wird: So ist ein Operator folglich dann und nur dann veridisch, wenn aus der Wahrheit von Op p im Kontext c auch die Wahrheit der in seinem Skopus stehenden Proposition p (im Rahmen irgendeines individuell-verankerten Modells M(x) im Kontext c) folgen muss. Ein Operator ist dann und nur dann nicht-veridisch, wenn aus der Wahrheit von Op p im Kontext c nicht die Wahrheit der entsprechenden Proposition p (im Rahmen irgendeines individuell-verankerten Modells im Kontext c) folgen muss. Schließlich: Ein Operator ist dann und nur dann a-(bzw. anti-)veridisch, wenn aus der Wahrheit von Op p in c die Falschheit der in seinem Skopus stehenden Proposition p (im Rahmen irgendeines Modells in c) folgen muss. A- (bzw. anti-)veridische Operatoren stellen eine echte Teilmenge («a proper subset») nicht-veridischer Operatoren dar – es gilt mithin: antiveridical ⊂ nonveri dical. Im Hinblick auf die mehrfach diskutierten intensionalen Prädikate (= Operatoren) lassen sich anhand des entailment-Kriteriums (i.e. des Kriteriums der logischen Konsequenz) die folgenden Unterscheidungen machen: Für die epistemischen Verben believe (credere) und know (sapere) gilt: ||believe (x, p)||c,g = 1 -> ||p||ME(su),g = 1 (i.e. ME(su) ⊆ Wp). ||know(x, p)||c,g = 1 -> ||p||ME(su),g = 1 (i.e. ME(su) ⊆ Wp). 295 Giannakidou (1997, 110). In ihrem Beitrag von 1999 (cf. Giannakidou 1999, 388) präzisiert Giannakidou ihre Definition noch weiter, indem sie die relevanten Bezugsmodelle ausschließlich auf epistemische Modelle eingrenzt. So lautet die Definition (Giannakidou 1999, 388): «Let c= be a context. (i) A propositional operator Op is veridical iff it holds that [[Op p]]c = 1 in some epistemic model M(x)∈c: otherwise Op is nonveridical. (ii) A nonveridical operator Op is antiveridical iff it holds that: [[Op p]]=1 -> [[p]]=0 in some epistemic model M(x)∈c. (iii) Epistemic models are: belief models MB(x), dream models MD(x), models of reported conversation MRC(x), and nothing else.»
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Interpretation der Beispiele: Bei dem Prädikat believe handelt es sich also deshalb um einen veridischen Operator, weil aus der Wahrheit von x believes p folgt, dass p auch in dem epistemischen Modell des Subjekts (=ME(su)) wahr ist. Das gleiche gilt für das Prädikat know. Die epistemische Welt des Subjekts – also die Welten, die mit dem vereinbar sind, was das Subjekt glaubt oder weiß – stellt eine Teilmenge der Welten dar, in denen die Proposition p wahr ist. Betrachten wir nun die Verhältnisse für das Prädikat want (volere): ||want (x, p)||c, g = 1 -/-> ||p||MEfut,g = 1 Bei einem starken intensionalen Prädikat wie want folgt aus der Wahrheit von x wants p nicht, dass auch p wahr ist – zwischen Op p und p existiert keine entailment-Relation. Das relevante Rahmenmodell ist das epistemische Modell – die Weltsicht des Subjekts hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der aktuellen Welt (= MEfut(su)). MEfut(su) umfasst eine Menge von Welten, die mit dieser Zukunftssicht vereinbar sind und die in zwei Teilmengen von Welten W1 und W2 zerfallen: W1 entspricht den zukünftigen Welten, in denen p tatsächlich wahr ist (i.e. der Wille in Erfüllung geht) – mithin gilt hier: ||p||=1. Dies gilt jedoch nicht für die Komplementärmenge W2 (hier geht der Wille nicht in Erfüllung), d.h.: ||p||= 0 in w’.296 Die Negation schließlich ist ein averidischer Operator: Damit ein verneinter Satz wahr ist, muss die im Skopus der Negation stehende Proposition p falsch sein. Dabei wird p eingeschrieben in das Default-Modell ME(s). ||not p||c = 1 -> ||p||ME(s) = 0 in M(s). Wie an diesen Beispielen intensionaler Operatoren deutlich wird, verhält sich das Kriterium der Veridikalität orthogonal zu dem der Intensionalität. Intensionalität
296 Giannakidou (1999, 391) rezipiert auch die Überlegungen bei Heim (1992, 193), die α wants that φ’ interpretiert als: «α wants that φ’ is true in w0 iff for every w ∈ Doxα(w0): every φ-world maximally similar to w is more desirable to α in w0 than any non-φ-world maximally similar to w.» Doxα(w0) stellt eine Zugänglichkeitsrelation dar, die – von den Verhältnissen in w0 ausgehend – zukünftige epistemische Alternativen für α bestimmt. Diese Alternativen werden von einer Präferenzfunktion danach geordnet («gerankt»), wie nahe sie dem Ideal einer φ-Welt kommen.
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und Nonveridikalität (unter Einschluss der Averidikalität)297 weisen zwar Überlappungszonen auf, sie decken sich aber nicht. Dieses Verhältnis findet seine Entsprechung in den jeweiligen Modusverhältnissen: Intensionalität ist kein hinreichendes Kriterium für die Auslösung des konjunktivischen Modus. Wohl aber – zumindest im Rumänischen und Griechischen – die Nichtveridikalität. Die für die beiden genannten Sprachen charakteristische Korrelation zwischen dem konjunktivischen Modus, nicht-veridischen (a-/antiveridische mit eingeschlossen) Kontexten sowie der Gruppe der NVI (nonveridical polarity items) stellt die Linguistin schon in einem Beitrag von 1995 explizit heraus: «We see that the subjunctive is sensitive to non-veridicality in the same way NPIs are. If we take the licensing condition put forth in Giannakidou (1994) as valid, we have to conclude that the selection of subjunctive in Greek and in Rumanian is nothing but an instance of NPI-licensing and that, in these languages, the subjunctive is triggered by a suitable non-veridical trigger in much the same fashion NPIs are triggered.»298
In ihrem Beitrag von 1999 bekräftigt Giannakidou erneut den Zusammenhang zwischen nicht-veridischen Kontexten und dem Konjunktiv, klassifiziert aber die relevante Gruppe der Polaritätsmarker nun treffender als «affective polarity items» (APIs).299 Wie wir gesehen haben, können schwach intensionale Verben (epistemische Verben) als veridische Operatoren, stark intensionale Verben als nicht-veridische Operatoren charakterisiert werden. Zu den nicht-veridischen Operatoren zählen – wie Giannakidou aufzeigt300 – nicht nur stark intensionale Verben, sondern auch Fragepronomina, die Protasis von Bedingungssätzen, Imperative, Futurpartikel, nicht-universale Habituale, negative Verben (wie verhindern), Disjunktionen, das Adverb vielleicht etc. Zu den anti-veridischen Operatoren gehört neben der Negation auch die Präposition ohne. Temporales vor besitzt je nach Kontext eine veridische und eine nicht-veridische Lesart.301 Nun werden aber bestimmte Polaritätselemente (konkret: NPIs und NVIs) – und die mit ihnen korrelierenden konjunktivischen Kontexte – nicht nur direkt
297 In Giannakidou (1997, 144) charakterisiert sie das Verhältnis von Averidikalität zu Non veridikalität als ein inklusives. 298 Giannakidou (1995, 101). 299 Giannakidou (1999, 391s.). 300 Cf. die Übersichtstabelle in Giannakidou (1999, 380). 301 Cf. ausführlich Giannakidou (1999, 394s.).
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– etwa durch negative oder intensionale Operatoren – lizensiert, sondern sie können auch indirekt lizensiert werden. Der Mechanismus der indirekten Lizensierung beruht dabei auf – gleichsam kognitiv im Hintergrund wirkenden – Inferenzziehungsprozessen. Solche aufgrund der lexikalischen Information bestimmter (als Implikaturträger bezeichneter) sprachlicher Zeichen induzierten Prozesse werden von der pragma-semantischen Forschung teilweise als konventionelle Implikatur bezeichnet.302 Rekurriert auch Giannakidou in ihrer Monographie von 1997 auf diesen Terminus, so ersetzt sie ihn in neueren Beiträgen durch die neutralere Bezeichnung «negative Implikatur»,303 die weniger theoretische Probleme aufwirft als der zunehmend in die Kritik geratene ursprüngliche Terminus.304 Die Relevanz negativer Implikaturen wird besonders im Falle a) komparativer und b) superlativischer Konstruktionen deutlich. Die von ihnen geschaffenen Kontexte geben den Hintergrund für die (indirekte) Lizensierung nichtveridischer Elemente (NVIs: nonveridical items) und damit auch des konjunktivischen Modus ab. Der Mechanismus der indirekten Lizensierung eines NVIs (hier anyone) soll am Beispiel des Komparativsatzes (104) Roxanne run faster than anyone had expected
kurz aufgezeigt werden, der sich in folgende Teilaussagen zergliedern lässt:305 i. Roxane run g fast. ii. People expected Roxane to run k fast. iii. ¬ [people expected Roxane to run g fast]. So zerfällt die übergeordnete Gesamtaussage in a) eine Aussage über die tatsächliche Schnelligkeit Roxanes, b) einen Verweis auf eine Standarderwartung bzw.
302 So ausgehend von Grice (1989) etwa Karttunen/Peters (1979) sowie Moeschler/Auchlin (22000, 169s.). 303 Giannakidou (1999, 408). 304 Cf. die Fundamentalkritik bei Bach (1999). Auch Chierchia/McConnell-Ginet (22000) behandeln in ihrer Semantiklehre unter dem Stichwort «implicature» lediglich die auf den Grice’schen Konversationsmaximen beruhende («pragmatische») «konversationelle Implikatur». So stellen sie in ihrem Einführungskapitel klar: «And, critically, if A implicates B, there is a kind of explanatory account of that relation, one that invokes general principles of conversation, as well as (perhaps) certain specific assumptions about the particular context in which A happens to have been uttered» (Chierchia/McConnell-Ginet 22000, 25). Cf. auch die Abgrenzung von «entailment» und «implication» in Chierchia/McConnell-Ginet (22000, 179). 305 Giannakidou (1997, 125).
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den Erwartungshintergrund und c) die aus a) und b) ableitbare negative Implikatur (das Implicatum). In den romanischen Sprachen korrelieren auch teilweise wieder die Lizensierung nichtveridischer Elemente und die Okkurrenz des konjunktivischen Modus (dazu ausführlich Kap. 5). Geben wir ein italienisches Beispiel: (105) Rosana é corsa più velocemente di quanto che nessuno avesse creduto.
Eine analoge Analyse ließe sich auch für superlativische Aussagen anstellen (cf. dazu das 5. Kap.).306 Neben dem um den Veridikalitätsbegriff konstituierten Interpretationsmodell polarer sowie konjunktivischer Kontexte und seiner Erweiterung durch die Einführung des Konzepts der negativen Implikatur berücksichtigen Giannakidou und Quer noch ein weiteres grundlegendes Modell der Analyse sprachlicher Äußerungen, nämlich das von I. Heim und B. Partee307 ausformulierte einheitliche Beschreibungsmodell sprachlicher Quantifikation. Dieses führt unterschiedliche quantifizierende sprachliche Strukturen bzw. Konstruktionen auf eine zugrunde liegende dreigliedrige Struktur zurück, die in folgender Weise dargestellt werden kann: Q[x] (φ(x))[ψ(x)] Bei Q handelt es sich um einen nominalen oder adverbialen Quantifizierer, bei φ um einen Restriktor (restrictor) und bei ψ um den sogenannten nuklearen Skopus (nuclear scope). X stellt hierbei eine Variable über Individuen oder Situationen dar. Q[x] quantifiziert nun das Vorkommen von x, während der Restriktor φ(x) die Vorkommensbedingung bzw. –bedingungen, also die Domäne von x, angibt. ψ(x) stellt eine Formel (eine Prädikation) über x dar. Eine Zusammenfassung möglicher dreigliedriger quantifizierender Satzkonstruktionen stellt die folgende Übersicht B. Partees dar, die hier zu Illustrationszwecken wiedergegeben werden soll:
306 Giannakidou (1997, 126). 307 Cf. Partee (1991; 1995, 541ss.).
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S
Operator
Restrictor
Nuclear Scope
∀
«cases»
main clause
must
if-clause
assertion
not
subordinate clauses
focus
common noun phrase
consequent
almost every always
topic
mostly
presuppositions
Generic
domain
main predication
antecedent context (Darstellung nach Partee 1995, 546)
Besonders gut lassen sich etwa Konditionalsatzgefüge nach diesem Modell beschreiben. Ein Satz wie «if it rains we will stay home» stellt eine Aussage über eine Situationsvariable w dar («we will stay home at w»), die jedoch auf den Wertebereich der «Regentage» – als Gültigkeitsbedingung der Aussage – beschränkt wird («if it rains»), in diesem Falle jedoch für alle in den Wertebereich fallenden Werte w (∀w) gilt. Dies lässt sich zusammenfassen als: ∀w (if it rains at w) [we will stay home at w]. Die Protasis des Bedingungssatzes stellt also den Restriktor eines Konditionalsatzgefüges dar, wobei – wie wir noch sehen werden – der quantifizierende Operator unterschiedliche Werte annehmen kann (cf. Kap. 4). Ähnlich lassen sich auch freie Relativsätze («free relatives») des Typs «Whoever knows anything about the case, should speak now» analysieren: Die Aussage gilt für alle x, wobei die Domäne (der Wertebereich) der Variablen auf die in dem Fall kundigen Vertreter beschränkt ist, also: ∀x (person’(x) ∧ knows-about-the-case’ (x)) [should [speak-now’(x)]].308 Auf die Bedeutung des Veridikalitätsbegriffs sowohl für die Lizensierung polarer Elemente als auch des (ebenfalls als NVI-Element interpretierbaren) Konjunktivs wurde mehrfach hingewiesen. Auch Quer rekurriert in seiner umfassenden
308 Giannakidou (1997, 131).
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Untersuchung zum Modus mehrfach auf das Veridikalitätsmodell. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass mit dem Begriff der (Nicht-)Veridikalität keineswegs die Modusproblematik in toto erfasst werden kann: Giannakidous Ansatz gilt im Wesentlichen nur für das Griechische und für das Rumänische. So präsupponieren die emotiv-faktiven Prädikate zwar die Wahrheit ihrer Komplemente, schwanken aber einzelsprachlich hinsichtlich des Modusgebrauchs (Indikativ im Rumänischen, Konjunktiv im Italienischen und den westromanischen Sprachen). Auch doxastische Prädikate wie believe sind eigentlich – im Rahmen eines Bezugsmodells (des epistemischen Modells des individuellen Ankers) – veridisch und verhalten sich doch in den romanischen Sprachen nicht einheitlich (im Standarditalienischen ist, wie wir schon sahen, der Konjunktiv üblich). Klärungsbedürftig sind schließlich auch Dislokationskonstruktionen vom Typ Che sia x («Che Franca sia intelligente, è certo»), auf deren Behandlung im Rahmen des Ansatzes von Giorgi/Pianesi wir schon weiter oben eingegangen sind. Josep Quer bemüht sich in seiner Monographie Mood at the Interface aus dem Jahr 1998 um eine weitgehend vollständige Analyse der Modusproblematik im Katalanischen und ansatzweise auch im Kastilischen und zwar auf der Basis einer methodischen Synthese der im Rahmen der modalsemantischen Forschung zusammengetragenen theoretischen Grundkonzepte und Ansätze. So verbindet er den am Veridikalitätsbegriff orientierten modelltheoretischen Ansatz Giannakidous mit Heims dreigliedrigem Strukturschema der Quantifizierung auf der Satzebene. Innerhalb dieses Schemas lässt sich auch das für die Modusproblematik so zentrale konzeptuelle Gegensatzpaar Referentialität versus Attributivität verorten: Diese Opposition verleiht dem Restriktor jeweils seinen spezifischen, für die Instanziierung des entsprechenden Modus relevanten Charakter. Quer versucht im Verlaufe seiner Untersuchung – anhand der charakteristischen Vorkommenskontexte des Konjunktivs bzw. markanter Modusoppositionen – seine Grundthese zu erweisen, der zufolge der Modus jeweils anzeigt, im Rahmen welches Auswertungsmodells der jeweilige Satz (bzw. die jeweils zugrundeliegende Proposition) zu interpretieren ist. «The ultimate contribution of mood, though» – so fasst Quer seine Kernüberlegung zusammen – «is an interpretative one, since it will have an effect in identifying the type of model of evaluation [Herv. d. Verf.] of a specific proposition».309 Mit dieser Modelltheorie wendet sich Quer sowohl gegen Ansätze, die dem Modus oder seinen Erscheinungsweisen bestimmte Bedeutungen zuschreiben wollen als auch gegen monofaktorielle Erklärungsmuster, die jeweils einem systemlinguistischen Aspekt (sei dieser nun lexikalischer, syntaktischer, semantischer oder pragmatischer Natur) die ganze
309 Quer (1998, 21).
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Erklärungslast aufbürden wollen. Vor allem aber wird er dem unterspezifischen Charakter der Kategorie Modus, die wir mehrfach hervorgehoben haben, gerecht. Der modelltheoretische Ansatz stellt einen umfassenden analytischen Rahmen bereit, der es ermöglicht, die beiden Grundvorkommenstypen des Konjunktivs in einheitlicher Weise zu beschreiben und zu analysieren. So lassen sich je nach Vorkommens- bzw. Lizensierungskontext der intensionale Konjunktivtyp («intensional subjunctive»), der ein Teilmoment der lexikalischen Selektion des übergeordneten Matrixverbs darstellt, von dem polaren Konjunktiv («polarity subjunctive») unterscheiden, der das Ergebnis einer Operator-Lizensierung («operator licensing»)310 – etwa durch NEG oder Q – ist. Dass diese Differenzierung in zwei Untertypen von grundsätzlicher Relevanz ist, zeigt sich anhand von vier strukturellen Unterscheidungsmerkmalen, die auf unterschiedliche Auslösekontexte hinweisen: Die Kombination von Tempora, die in unterschiedlichen Origo-Systemen verankert sind – etwa Präsens und Vergangenheit (Imperfekt) – ist bei den intensionalen Konjunktiven undenkbar, bei den polaren jedoch akzeptabel. Zum Beispiel: (106) *Vull que acabés la tesi. (wörtl. *‘Ich will, dass er/sie die Dissertation abschloss’)
aber: (107) No recorda que en Miquel treballés. (‘Er/sie erinnert sich nicht daran, dass Miquel arbeitete’)
Eine Modusalternation ist bei den intensionalen Konjunktiven nicht möglich (*Vull que acaba/va acabar/acabava/acabarà la tesi), wohl aber bei den «polarity subjunctives»: (108) No recorda que en Miquel treballa/va treballar. (‘Er/sie erinnert sich nicht daran, dass Miquel arbeitet/arbeiten wird’)
–– die Modusauslösung ist bei den intensionalen Konjunktiven lokal («local triggering»), bei den polaren Konjunktiven ist auch eine sukzessive Lizensierung über den ersten eingebetteten Komplementsatz hinaus möglich («succesive licensing»): (109) No creuen [que pensi [que li convé/convingui]]. (‘Sie glauben nicht, dass er/sie meint, dass es ihm gelegen ist’)
310 Quer (1998, 59).
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–– Bei intensionalem Konjunktiv ist keine Koreferenz zwischen Matrixsatzsubjekt und Nebensatzsubjekt möglich – hier liegt ein sogenannter Obviationseffekt («obviation effect») vor: 311 (110) «*proi vull [que proi la convidi].» (wörtl.: ‘Ich will, dass ich sie einlade’)
aber: (111) «proi no crec [que proi la convidi].» (‘Ich glaube nicht, dass ich sie einlade’)
Allerdings treffen nicht alle von Quer genannten Aspekte gleichermaßen zu, denn beispielsweise sind im Rumänischen sehr wohl koreferente Subjekte in stark intensionalen konjunktivischen Kontexten möglich, wie etwa das folgende Beispiel zeigt: (112) Vreau să eu câstig un premiu. (wörtl. ‘Ich möchte, dass ich einen Preis gewinne’)
Quer entwickelt seine Hauptthese im Weiteren am Beispiel besonders kennzeichnender Modusoppositionen im Katalanischen. Wir wollen die in diesem Zusammenhang diskutierten vielfältigen Einzelaspekte natürlich nicht im Rahmen dieses methodischen Teils der Arbeit diskutieren (wir werden auf die relevanten Aspekte in den Einzelkapiteln näher eingehen), sondern den Grundansatz anhand der von ihm als Schlaglichter der Modusproblematik herausgestellten Kontexte noch etwas schärfer profilieren und dabei die Erklärungsrelevanz der vorgeschlagenen konzeptuellen Unterscheidungen verdeutlichen. Ein erster grundlegender Anwendungsfall ist die Modusopposition bei negierten epistemischen Verben vom Typ credere wie in dem folgenden Beispiel: (113) El degà no creu [que els estudiants es mereixin un premi]. (‘Der Dekan glaubt nicht, dass die Studenten einen Preis verdienen’) (mit Konjunktiv) (114) El degà no creu [que els estudiants es mereixen un premi]. (‘Der Dekan glaubt nicht, dass die Studenten einen Preis verdienen’) (mit Indikativ)
Quer bestreitet, dass die Modusopposition durch eine vermeintliche Skopusopposition – Indikativ bei weitem Skopus und Konjunktiv bei engem Skopus der Negation – angemessen erklärt werden könne. Vielmehr handelt es sich bei der Indikativ-Variante um eine präsuppositionelle Lesart in einem abweichenden
311 Beispiele zitiert nach Quer (1998, 33–39).
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Interpretationsmodell («a presuppositional reading in a different model»),312 also um eine Aussage, bei der die Auffassung des Sprechers, dass der Komplementsatz wahr ist, sprachlich markiert wird. Der Indikativ zeigt mithin ein Zweifaches an: Einmal macht er deutlich, dass hier eine Instanz der quantifizierenden Negation vorliegt, die mithin als dreigliedriges Strukturschema gemäss dem oben skizzierten Quantifizierungsmodell repräsentiert werden kann: S
NOT
[p is true]
[the dean believes that p]
Es wird also über eine Domäne quantifiziert – hier einen epistemischen Akt –, dessen affirmativer Charakter durch den NEG-Operator in Abrede gestellt wird und von dem zugleich gesagt wird, dass der Sprecher selber glaubt, dass p – also der Inhalt des Glaubensaktes – wahr ist. Die Präsupposition des Sprechers, dass p wahr ist, wird also in den Restriktor projiziert und damit aus dem Skopus des Operators herausgelöst. Dieses grundlegende Phänomen wird als scoping out bezeichnet.313 Zum anderen signalisiert der Indikativ, dass hier offenbar Modellkonkurrenz vorliegt, wobei das Sprechermodell die Oberhand behält. Das Prädikat creure führt als Teilkomponente seiner Bedeutung in die Menge der Welten ein, die mit dem epistemischen Zustand des Subjekts, in dem konkreten Fall: des Dekans, vereinbar sind. Die Proposition p wird nun innerhalb dieses epistemischen, in dem genannten Individuum verankerten Modell bewertet: Die Negation behauptet die Falschheit von p innerhalb des Rahmenmodells – deshalb der Gebrauch des Konjunktivs. Wird nun aber der Indikativ verwendet, so wird die Informationsstruktur um einen wesentlichen Aspekt angereichert: Es mag zwar sein, dass p im epistemischen Modell des Subjekts als falsch angesehen wird (f = 0 in ME(dean)), aber diesem wird ein anderes epistemisches Modell – das des Sprechers ME(sp) – entgegengesetzt, in dem p als wahr herausgestellt wird (f = 1 in ME(sp)). Moduswechsel – dies die zentrale Aussage von Quer – ist nichts anderes als die offene Markierung eines Modellwechsels für die Bewertung der jeweils eingebetteten Proposition p. Quer kondensiert seinen Grundgedanken in den folgenden Worten:
312 So explizit Quer (1998, 81). 313 Quer (1998, 71).
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«Further, I have motivated the claim that mood shifts are nothing else than overt marking of model shift, a hypothesis that will be extensively shown to make the right predictions and to represent the varying interpretations in the whole domain of subordination.»314
Die gleiche Interpretation – Moduswechsel als Markierung eines Wechsels des für die Bewertung relevanten Bezugsmodells – schlägt Quer auch für die Erklärung der Modusverhältnisse bei Relativsätzen in intensionaler Umgebung (Kap. 3) sowie bei den unbestimmten (oder «freien») Relativsätzen (Kap 4) vor. Bei der Analyse der Modusverhältnisse bei Relativsätzen in intensionalen Kontexten knüpft Quer an das schon weiter oben ausführlich charakterisierte Phänomen der Attributivität an: Attributive Beschreibungen determinieren die Domäne ihrer Bezugs-NP (i.e. der Variablen, über die im intensionalen Kontext quantifiziert wird), in dem sie hinreichende oder notwendige Merkmale in Form einer deskriptiven Bedingung (DC = «descriptive condition») statuieren. Das entscheidende Moment für die Moduswahl stellt aber wiederum das Rahmenmodell (also die Indexierung des Modells) dar, in dem die deskriptive Bedingung (DC) bewertet wird. Der Indikativ signalisiert, dass das relevante Bezugsmodell dem epistemischen Modell des Sprechers oder des Referenten des Matrixsubjekts entspricht. Der Konjunktiv steht hingegen bei intensionalen Verben oder Operatoren, die in einen anderen – abweichenden – Modelltyp einführen. So schreibt Quer in Antithese zur gängigen Skopusinterpretation der Modusalternation: «the well established account of the interpretation of indicative and subjunctive relatives in terms of wide and narrow scope respectively should be better understood as a reflection of the indexation of the descriptive condition represented by the relative to models of evaluation. When such models are explicitly introduced by linguistic expressions such as intensional predicates or operators, the indexation to such models, which is overtly marked with subjunctive mood, creates the effect of narrow scope. If indexed to the model of the speaker or to the epistemic model of the referent of the matrix subject, indicative mood surfaces and a wide scope effect arises.»315
Das hier prägnant Verdichtete kann anhand des folgenden charakteristischen Beispielpaares noch einmal veranschaulicht werden:316 (115) «L’Anastasia necessita un argument [que sigui convincent].» (116) «L’Elena necessita un argument [que és convincent].»
314 Quer (1998, 91). 315 Quer (1998, 162). 316 Beispiele zitiert nach (Quer 1998, 129s.).
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In (115) wird die deskriptive Bedingung in Anastasias Erwartungsmodell zukünftiger Entwicklungen der aktuellen Welt (= MEfut(Anastasia)), das von einem starken intensionalen Prädikat, necessitar (= ‘brauchen’), eingeführt wird, evaluiert. Der Beispielsatz (116) lässt die Bedingung vor dem Wirklichkeitsmodell des Sprechers (ME(sp)) oder des individuellen Ankers (ME(Elena)) erscheinen und in diesem Rahmenmodell wird die Bedingung als schon erfüllt angesehen – deshalb der indikativische Modus. Ein weiteres schönes Beispiel stellt der vieldiskutierte Fall eines tatsächlichen oder vermeintlichen Konjunktivs in Relativsätzen des folgenden Typs dar: (117) Quieren nombrar presidente al que fuera ministro de Información y Turismo durante la dictadura franquista.
Lassen wir die heftig geführte Grundsatzproblematik – dass es sich bei der Form fuera nicht um eine Konjunktivform handeln könnte, sondern möglicherweise um ein archaisches Relikt des «alten» indikativischen Plusquamperfekts in einem residualen Kontext – beiseite,317 so können wir die Verbform als die Signalisierung eines Modellwechsels interpretieren: Die Aussage «que era ministro de Información y Turismo durante la dictadura franquista» muss hier im Rahmen eines gegenüber dem Sprechermodell abweichenden Alternativmodells interpretiert werden. Im konkreten Kontext handelt es sich bei dem Evaluationsmodell um ein Modell der indirekten Rede (MRC), das sich dadurch auszeichnet, dass der relevante Anker nicht individuiert wird, p mithin als eine kollektive Wahrheit («on-vérité») gelesen werden muss. Analog verläuft auch Quers Interpretation im Hinblick auf die Modusverhältnisse bei den sogenannten freien, d.h. unbestimmten, Relativsätzen (cf. Kap. 4), wobei hier allerdings zwei grundlegende Kontexte zu unterscheiden sind.318 Auf diesen Komplex werden wir in unserem 5. Kapitel ausführlich zu sprechen kommen. Dennoch wollen wir hier zur Illustration einige Grundzüge der Quer’schen Argumentation im Folgenden skizzieren: So können in generischen bzw. bedingungssatzartigen Umgebungen sowohl indikativische als auch konjunktivische freie Relativsätze als Restriktoren im Rahmen einer dreigliedrigen quantifikatorischen Struktur fungieren – Attributivität ist mithin also keine hinreichende Bedingung für die Wahl des konjunktivischen Modus. Ausschlaggebend ist in diesen Kontexten das Evaluationsmodell, in das der als Restriktor dienende freie Relativsatz eingebettet ist.
317 Cf. etwa Hermerén (1992); Veiga (1996). 318 Cf. zusammenfassend Quer (1998, 222).
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Dies soll an einem Kontrastbeispiel illustriert werden: (118) Qui perd la feina és indemnitzat. (‘Wer seine Arbeit verliert‚ bekommt eine Entschädigung’) (119) Qui perdi la feina és indemnitzat. (‘Wer immer auch seine Arbeit verliert‚ bekommt eine Entschädigung’).
Beide Sätze (118) und (119) sind generische Sätze, d.h. sie enthalten einen koverten Operator GEN (generally), der über x quantifiziert, dessen Domäne durch den attributiven freien Relativsatz festgeschrieben wird. Der als Restriktor fungierende freie Relativsatz verhält sich ähnlich wie ein Bedingungssatz: Wenn x einen Wert aus dem angegebenen Wertebereich annimmt, dann gilt im Allgemeinen p (p = x és indemnitzat). Die allgemeine Form der beiden freien Relativsätze lautet also: GEN [x] (x is a ‘job-loser’ & x gets a compensation). Die Modusproblematik stellt sich erst im Zusammenhang mit der Frage nach dem für den freien Relativsatz dienenden Bewertungsmodell.319 Als modale Basis kann jeweils die Menge der epistemisch zugänglichen Welten betrachtet werden (also die Welten, die mit dem, was wir wissen, vereinbar sind); als Ordnungsprinzip (die ordering source) das, was gemeinhin als der «normale Gang der Dinge» betrachtet wird (stereotyper konversationeller Hintergrund). Die unterschiedliche Konfiguration der beiden Determinanten – modal base und ordering source – verleiht den aus ihnen resultierenden Auswertungsmodellen unterschiedliche Gestalt: im Falle des Indikativs kann von einem Modell ausgegangen werden, das nur die Welten berücksichtigt, die mit den im freien Relativsatz beschriebenen Verhältnissen kompatibel sind und zugleich dem Ideal des Ordnungsprinzips am nächsten kommen: Es sind also Welten, die der realen Welt ähneln und dabei dem «Normalitätsideal» am stärksten entsprechen (informell formuliert: wir sprechen über einen Standardfall, d.h. über typische Welten, in denen Menschen normale Arbeitnehmer sind und ihre Arbeit verlieren können). Der Konjunktiv hingegen zeigt an, dass die in dem zugehörigen Modell berücksichtigten Welten sehr viel umfassender sind und insbesondere auch Welten mit einschließen, die dem «Normalitätsideal» weniger oder gar nicht entsprechen: Es werden also auch besondere Fälle mit eingeschlossen, d.h. Welten, in denen jemand zum Beispiel kein normaler Arbeitnehmer ist oder in denen es eigentlich unüblich ist, seine Arbeit zu verlieren.
319 Für das Folgende cf. Quer (1998, 199ss., insbesondere p. 202).
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In nicht-generischen Umgebungen müssen indikativische und konjunktivische freie Relativsätze völlig unterschiedlich interpretiert werden. Das verdeutlicht das folgende Beispielpaar: (120) Donaran un premi a qui reculli les escombraries. (‘Sie werden demjenigen (= irgendeinem x) einen Preis geben, der den Müll aufhebt’) (121) Donaran un premi a qui recull les escombraries. (‘Sie werden demjenigen (= einem bestimmten x) einen Preis geben, der den Müll aufhebt’)
Der freie Relativsatz in (120) stellt wiederum eine als Restriktor dienende attributive Beschreibung im Rahmen einer quantifizierten Struktur bereit. Auch hier ist eine konditionale Lesart möglich: Für alle x gilt nämlich: wenn x ein «garbagecollector» ist, dann erhält es einen Preis, oder formalisiert: FUT (∀x: gather’(x, garbage)) ->∃y: [price’(y) ∧ give-to’(they, y, x)]320 Das für die Evaluation relevante Rahmenmodell ist hier das Modell der zukünftigen Erwartungen des Sprechers oder des individuellen Ankers (MEfut(x/sp)), das alle Welten beinhaltet, deren zukünftige Realisierung als möglich erachtet wird (Welten, mit vielen, wenigen, einem oder gar keinem «garbage-collector»). Bei dem indikativischen Relativsatz handelt es sich lediglich um die definite Beschreibung eines x (ein bestimmter «garbage-collector»), mithin kann die Interpretation nur referentiell sein. Der zugehörige Bewertungsrahmen kann nur das Realitätsmodell des Sprechers sein (zu dem auch das Wissen des Sprechers über die Existenz eines spezifischen Individuums, dem «garbage-collector», gehört).321 In dem letzten Untersuchungskapitel seiner Arbeit (Kap. 5) untersucht Quer einen spezifischen Adverbialsatztyp, die konditionalen Konzessiva, und versucht ihr Modusverhalten im Gegensatz zu dem der reinen Konzessivsätze zu erklären. Wie König322 aufgezeigt hat, enthalten Konzessivsätze als Teil ihrer Bedeutung eine konventionelle Implikatur (bzw. lexikalische Präsupposition)323 – dass nämlich, immer wenn das Antezedens p eintritt, normalerweise ¬q gilt: If p, then normally ¬q.
320 Quer (1998, 205). 321 Cf. Quer (1998, 206). 322 Cf. König (1986; 1988). 323 Cf. etwa Levinson (32000, 197ss., sowie unsere Anmerkungen zu dem Problemkomplex in Kapitel 3).
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Wird ein Satz wie (122) Even though Ken is a linguist, he only speaks English
geäußert, so implikatiert er, dass normalerweise jemand, der Linguist ist (= p), mehrere Sprachen spricht (= ¬q: NOT (speak_only_English’(x)) ). Der spezifische Charakter konzessiver Konditionalsätze tritt nun am besten in der Abgrenzung zu den einfachen Konzessivsätzen einerseits und den reinen Konditionalsätzen andererseits hervor: Beim konzessiven Konditionalsatzgefüge tritt die Konsequenz (das Consequens) immer ein, ganz gleichgültig, wie die Antezedenzbedingung beschaffen ist: Es existiert also eine entailment-Beziehung zwischen dem konzessiven Konditionalsatzgefüge und ihrem Consequens: even if p, q -> q. Im Gegensatz dazu kann aus einem normalen Konditionalsatzgefüge (if p, q) weder p noch q abgeleitet werden (aus dem Satz «wenn Katzen singen, geschieht ein Unglück» folgt weder, dass Katzen singen noch, dass ein Unglück geschieht). Wie Konzessivsätze stellen die konzessiven Konditionalsätze die normalerweise bestehende Inkompatibilität zwischen zwei Sachverhalten p und q heraus. Konzessive Konditionalsatzgefüge spitzen das zwischen Antecendens und Consequens bestehende Spannungsverhältnis noch zu, indem sie darauf abheben, dass selbst eine maximale («beste», «schlechteste» etc.) Instanz von p keinerlei (restringierenden) Einfluss auf das Consequens besitzt. Diese Zuspitzung durch eine Fokussierung auf die Irrelevanz einer «best-» oder «worst-case»Instanziierung von p kann in dreierlei Form erscheinen:324 –– jede – auch die qualitativ beste – Ausprägung von x ist irrelevant (sog. parametric concessive conditional): (123) Dinguin el que dinguin, continuarem amb la nostra protesta. (‘Was immer sie auch sagen, wir werden unseren Protest fortsetzen’)
–– jeder Wert x im Rahmen einer Disjunktion ist irrelevant (alternative concessive conditionals): (124) Faci fred o faci calor, hi anirem. (‘Mag es kalt oder warm sein, wir werden gehen’)
–– auch die extremste Wertausprägung von x auf einer impliziten Skala ist irrelevant (polar concessive conditionals mit fokussierendem skalaren/fokalen Adverb even, aún, même, fins it tot etc.): (125) Ni que el matin, no dirà res. (‘Nicht einmal wenn sie ihn töten, wird er etwas sagen’)
324 Quer (1998, 236). Die Beispiele stammen aus Quer (1998, 237, 247, 252).
Modalität und Modus
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Den im Katalanischen (und auch Kastilischen) bestehenden Modusgegensatz zwischen den indikativischen Konzessivsätzen und den konjunktivischen konzessiven Konditionalsätzen erklärt Quer wieder aus der Verschiedenheit der den beiden Nebensatztypen zugrundeliegenden Auswertungsmodellen:325 Die gewöhnlichen Konzessivsätze müssen vor dem Hintergrund des epistemischen Modell des Sprechers (ME(sp)) bzw. auf der Grundlage einer stereotypen modalen Basis interpretiert werden. Im Gegensatz dazu zeigt der Konjunktiv bei konzessiven Konditionalsätzen an, dass die Interpretation von p auf der Grundlage einer erweiterten modalen Basis sowie in einem entsprechend modifizierten Modell erfolgen muss. Der einfache Konzessivsatz wird im Verhältnis zu einem Standardmodell interpretiert, das die Verhältnisse in der aktuellen Welt und den ihr verwandten Welten abbildet. Die Dinge, die sich in diesen «stereotypen» Welten abspielen, sind völlig üblich und entsprechen unseren Standardannahmen und –erwartungen. Sie sind mit dem epistemischen Modell des Sprechers, also seinem Realitätsmodell (= seiner Weltsicht), völlig kompatibel. Der konzessive Konditionalsatz erzielt seinen besonderen Effekt nun aber dadurch, dass er ein Rahmenmodell voraussetzt, in dem (auch) Dinge geschehen, die ungewöhnlich sind, mithin umfasst das erweiterte Modell auch Welten, die von den Standard- oder Normalwelten entfernt sind. Die Zuspitzung der Inkompatibilitätsspannung zwischen p und q bis hin zur vollständigen Annullierung von p (selbst bei optimaler Instanziierung von p) wird hier nun unter maximaler Ausschöpfung des Differenzierungspotentials der Modi «inszeniert»: der Konjunktiv in der Antezedensbedingung signalisiert, dass auch wenn die unwahrscheinlichsten Welten – Welten, die jenseits von dem liegen, was man im Rahmen eines realistischen Wirklichkeitsmodells ernsthaft in Erwägung ziehen würde – berücksichtigt werden, diese (bzw. die in ihnen obwaltenden Bedingungen) keinen Einfluss auf q haben. Selbst wenn man die für eine Normalwelt absurde Annahme zulassen würde (p: «der Kaiser von China ruft an»), könnte dies doch nicht die Realisierung von q («ich gehe nicht ans Telefon») beeinflussen. Abschließend zu bemerken ist jedoch, dass die Instrumentierung der Modus opposition zur Kontrastierung von Inkompatibilität (mit einer «realistischen» Antezedensbedingung p) und Irrelevanz (mit der Fokussierung auf die Unerheblichkeit auch exzeptioneller Antezendensbedingungen) keineswegs eine gesamtromanische Erscheinung ist. Im Französischen und Italienischen müssen etwa lexikalische Mittel augeschöpft werden (cf. im Italienischen: sebbene/benchè + Congiuntivo, anche se + Indicativo, ebenso im Französischen: quoique/ bien
325 Cf. Quer (1998, 259s.).
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Theoriekapitel: Modus in der Forschungsdiskussion
que + Subjonctif, même si + Indicatif). Hier deuten sich wiederum Grenzen der Quer’schen modellorienten Modustheorie an.
1.2.5.4 Ein kurzer Seitenblick auf die Situationssemantik Die verschiedenen Ansätze zur Situationssemantik (cf. die Arbeiten von Barwise und Perry,326 Landman327 sowie der programmatische Beitrag Kratzers An Investigation on the lumps of thought)328 begreifen Propositionen nicht mehr als Mengen möglicher Welten, sondern als Mengen möglicher Situationen, die als «spatiotemporal parts of possible worlds»,329 d.h. in Form einer Teil-von-Relation beschreibbar sind und sich mithin als «primitive objects which are intuitively ways that part of the world could be» darstellen.330 Paul Portner arbeitet diesen Ansatz in seiner Monographie von 1992 systematisch aus und wendet ihn auf eine interessante Erscheinung syntaktischer Distribution im amerikanischen Englisch an. Dabei geht es dem Linguisten darum, die besondere – mit jedem einzelnen Einstellungsverb – verbundene syntaktische Kombinatorik semantisch zu motivieren, indem er die besondere situationssemantische Lesart der verschiedenen Komplementierungsmöglichkeiten herausarbeitet.331 Für uns ist aber weniger die Komplementsatzselektion im amerikanischen Englisch von Interesse als die Art und Weise, wie Portner das Selektionsverhalten bestimmter intensionaler Verben analysiert. Vorab führt Portner einige Grundbegriffe ein und legt ein Interpretationsmodell fest: –– Modus: unter Modus versteht er die spezifische Einstellung/Haltung des Sprechers gegenüber Situationen in der Denotation von Propositionen.332 –– Persistente Proposition: Eine persistente Proposition ist eine Proposition, die nicht nur für eine Situation, sondern auch ihre übergeordnete «Supersituation» gilt, sofern beide in einer Teil-von-Relation zueinander stehen: «A pro-
326 Barwise/Perry (1983). 327 Landman (1986). 328 Kratzer (1989). 329 Portner (1997, 170). 330 Portner (1992, 6). 331 Portner formuliert seine Grundthese folgendermaßen: «While I would not deny that the choice of infinitive, subjunctive, or indicative is grammaticalized in certain cases, in many of those considered below I think that the choice of form can be seen as following from semantic considerations» (Portner 1992, 150). 332 Portner (1992, 8).
Modalität und Modus
131
position p is persistent iff, for all situations s and s’, if s ∈ p and s is a part of s’, then s’ ∈ p.»333 Beispiel: Alles was an einem bestimmten Tag in Amherst geschieht, ist die Situation s, alles was an demselben Tag in Massachusetts geschieht, ist die Situation s’: s ist Teil von s’.
Portners semantisches Modell enthält die folgenden Elemente: Individuen (I), Situationen (S), ‚ Hörer > weder Sprecher noch Hörer («third party») –– perzeptuelle Hierarchie («sensory/source hierarchy»): visuell > auditiv > sonstige Sinne > Fühlen –– Direktheitshierarchie: Sinneserfahrung > Inferenz –– Proximitätshierarchie: proximal («near the scene») > distal («away from the scene») Willet und Frawley operieren mit ähnlichen Kategorien, gewichten teilweise aber die Aspekte anders: So nimmt Willets37 Klassifikation ihren Ausgang bei der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Evidenz und unterscheidet im Hinblick auf letztere zwischen den Kategorien «reported» (Evidenzgewinnung durch Informationsaustausch) und «inferring» (Evidenzgenerierung durch kognitive Aktivität). Frawley38 geht demgegenüber von der dichotomischen Grundunterscheidung zwischen «Self» und «Other» als Quelle des Wissens aus. Diesen beiden Sphären ordnet er vier qualitativ verschiedene Skalen von Wissensquellen mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden («strength of knowledge») zu – –– die Inferenzskala («Scaled Category of Inference»), die von notwendig bis möglich reicht, –– die Sinnesskala («Scaled Category of Sensation») mit den Werten: visuell > auditiv > andere Sinneseindrücke, –– die Skala externer Informationsquellen («Scaled Category of External Information»): «quote» (Zitat) > «report» (Bericht) > «hearsay» (Hörensagen) > «other» (Sonstiges) und
35 Givón (1982, 44). 36 Givón (1982, 44). 37 Willet (1988, 57): Direkte Evidenz ist an die Sinneswahrnehmung («visual», «auditory», «sensual») gebunden. Indirekte Evidenz beruht entweder auf Informationsaustausch («reported») oder auf kognitive Aktivität («inferring»). 38 Frawley (1992, 413).
Epistemizität und Evidentialität
163
–– die Teilnehmerskala («Scaled Category of Participants»): ein anderer («other») > alle anderen («all else»). c) Propositionen, die Zweifel oder eine Hypothese ausdrücken («Irrealis») und für deren Status niemand bürgen möchte: («propositions that are asserted with doubt, as hypotheses, and are thus beneath both challenge and evidentiary substantiation»). Solche («lowest certainty») Propositionen fallen aus dem Evidenzerfordernis heraus – sie sind gleichsam «not worth the trouble».39 Anderson (1986) entwickelt ein eigenes Schema, das alle Evidenzformen und ihren Ausdruck im Englischen zu einer synoptischen Darstellung vereint.40 Die vertikale Achse ordnet die Evidenzformen nach ihrer Stärke: sie reicht von notwendigerweise p (must, have) – auf dem Hintergrund unterschiedlicher modaler Basen – über Formen der sozialen Konvention (x is supposed to) bis zur reinen Möglichkeit (möglicherweise p: can, may p). Auf der horizontalen Achse – und hier liegt die zentrale Unterscheidung zu Givóns Ansatz – werden verschiedene Evidenzbereiche angeordnet, wobei ihre Reihenfolge wenig motiviert erscheint. –– Der erste Bereich von Evidentialen richtet sich ganz auf den Bereich, der durch die vollkommen realistische modale Basis beschrieben wird, das heißt auf die faktischen Verhältnisse und dispositionellen Gegebenheiten (root modality) in einer spezifischen kontingenten Welt – per default «unserer» aktuellen Welt w0. Im Besonderen geht es um das Phänomen der Verursachung (bzw. Kausalität), also um die Tatsache, dass q die Folge von p ist, weil die aktuelle Welt und die in ihr befindlichen Dinge nun einmal so und nicht anders beschaffen sind. –– Die zweite Domäne deckt den Bereich der prediction – der Voraussage – ab: In diese Evidenzzone schreibt Anderson die epistemische Möglichkeit (can, may), die Erwartung (should be, ought to be), die Voraussage (Regelhaftigkeit) und die starke Wahrscheinlichkeit/ Sicherheit ein. Prädikationen über die Zukunft setzen eine geeignete (zum Beispiel eine metaphysische oder stereotype) modale Basis voraus. –– Dies gilt auch für die Domäne der Inferenz, die wir weiter oben schon genügend charakterisiert haben: In Andersons Schema werden evidentielle Ausdrücke aufgeführt, die stark logisch inferentiell («strong logical inferential» wie must have V-ed), zirkumstantiell inferentiell («circumstantial inferential», z.B. seems to have V-ed) oder schwach inferentiell («weak inferential») sind.
39 Givón (1982, 45). 40 Cf. die Abbildung in Anderson (1986, 284).
164
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
–– Einen eigenen Bereich weist der Autor Evidentialen zu, die auf eine verbale Quelle («quotative») verweisen – etwa: «general reputation» (it is said, they say), «myth», «history», «hearsay» (I hear tell). –– Schließlich unterscheidet er gegenüber der inferentiellen Zone im engeren Sinne einen Bereich der «experiential inference» («both inference and evidence»), wozu er Intuitionen (it seems to me, I feel) rechnet und –– einen Bereich direkter Erfahrung, der auf den schon genannten sinnesvermittelten Anschauungsformen beruht («experience: visual, auditive, other sensory»). An Evidenzmodellen fehlt es nicht, wie die verschiedensten Ansätze zum Evidenzbegriff zeigen. Überblickt man die vorgeschlagenen Klassifikationen von Typen der Evidentialität, so wird jedoch deutlich, dass die Kriterien für die Bewertung von Evidentalität ausschlaggebend sind. Aus den verschiedenen Überlegungen kristallisieren sich im Wesentlichen fünf grundlegende Aspekte heraus: –– die drei Statusstufen von Propositionen: (a) als präsupponierte, (b) als evidenzbedürftige und (c) als von jeder Evidenzpflicht von vorneherein entbundene Propositionen; –– Die Stärke der Evidenz, die von der Faktizität bzw. logischen Notwendigkeit von p bis zur bloßen Möglichkeit von p reicht. Jenseits der Möglichkeitsstufe kehrt sich die Skala gewissermaßen um: Ist p unwahrscheinlich, so gilt mit großer Wahrscheinlichkeit: ¬p; –– Die Opposition zwischen Erfahrungswissen (Empirie, Faktizität) und inferentiellem Wissen (Rückgriff auf logische oder pragmatische Schlussverfahren bzw. auf apriorisches Wissen); –– Die Opposition der Wissensquelle: Selbst (direktes Wissen) – andere Quellen (mittelbares Wissen), individuelles Wissen – kollektive Wissensbestände; –– Die für Inferenzprozesse jeweils relevante modale Basis, beispielsweise: a. Inferenzen aufgrund der Beschaffenheit der Dinge (Fakten, Kausalität) in einer bestimmten (kontingenten) Welt: vollkommen realistische modale Basis/faktische modale Basis; b. Inferenzen aufgrund von Wissensbeständen: epistemische modale Basis; c. Inferenzen aufgrund sozialer Normen und Konventionen: deontische modale Basis; d. Inferenzen auf der Basis von Kenntnissen über die typische Ausprägung von Dingen: stereotype modale Basis; e. und andere mehr, wie etwa geschaffene modale Horizonte.41
41 Cf. von Fintel (2001, 137ss.); Lohnstein (2000, 99).
Pragmatische und syntaktische Aspekte von epistemischen Verben
165
Diese Kriterien stellen ein umfassendes Klassifikationspotential für die Einordnung und Bewertung von Propositionen im Rahmen eines epistemischen Systems – und zwar im Hinblick auf ihre de re-haftigkeit – dar. Daraus ergibt sich ein differenziertes Beschreibungsinventar, um die Modusentwicklung im Bereich der Epistemizität (im weiteren Sinne) anhand des Prüfsteins der Evidentalität zu untersuchen und dabei herauszuarbeiten, wie sich die Kategorie Modus zum Kriterium der de re-haftigkeit einer propositionalen Einstellung verhält.
2.2 P ragmatische und syntaktische Aspekte von epistemischen Verben Die romanistische Forschungsliteratur räumt traditionell der funktionalen Seite epistemischer Prädikate im Diskurs einen besonderen Stellenwert ein. Dabei wird für die Analyse der Modalisierungsleistung von epistemischen Verben gerne auf das von John Lyons (1983) ausgearbeitete dreischichtige Äußerungsmodell42 rekurriert, das auf R. M. Hares (1970) terminologisch-konzeptueller Differenzierung verschiedener Äußerungsschichten gründet:43 So lässt sich jede Äußerung in eine phrastische – den propositionalen Gehalt beinhaltende –, eine neustische – also modalisierende, den Verpflichtungsgrad anzeigende – sowie eine tropische – illokutionäre – Komponente analytisch aufgliedern. Diese Dreiteilung fand ihren direkten Niederschlag in Lyons Äußerungsmodell, das die folgende Form besitzt: π1 π2 p, wobei: π1 die Art des Illokutionsaktes (etwa Assertion, Frage, Befehl etc.) angibt (die «I-say-so»-Komponente) und π2 die Stärke des Sprecherengagements für p (die «it-is-so»-Komponente). Mithilfe dieses geschichteten Äußerungsmodells können etwa unterschiedliche Aussagetypen – wie a) die kategorische Assertion und b) die durch epistemisches Futur modalisierte Assertion – anschaulich dargestellt werden:44 Beispiel (4): «assertion catégorique»: (4) «Pierre est divorcé.»
DECLL(p) [VRAIL(p) [p: PRÉSENT être divorcé (Pierre)]]
42 Lyons (1983, vol. 2, 352ss.). 43 Hare (1970, 20s.). 44 Beispiele nach Vet (1994, 61 und 62).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Beispiel (5): «assertion modalisée»: (5) «Il aura manqué son train.»
DECLL (p2) [-raL-INFÉRENCE (VRAIL (p2)) (p1) [p2:PASSÉ-COMPOSÉ manquer (il) (son train)]] Epistemische Prädikate, die als Modalisatoren fungieren können, lassen sich nach Borillo in drei Gruppen unterteilen:45 –– Die erste – uns hier am meisten interessierende – Gruppe umfasst die Verben epistemischer Modalität, die den Glauben an den Wahrheitsgehalt einer Proposition ausdrücken wie croire oder penser. Ihr wichtigstes syntaktisch-semantisches Merkmal ist wohl, dass sie ein NEG-climbing zulassen, ohne dass der Sinn des komplexen Satzes verändert wird: Die Bedeutung eines Satzes wie Je crois qu’il ne viendra pas ändert sich nicht, wenn die Negation aus dem Komplementsatz in den Matrixsatz ‚aufsteigt’: Je ne crois pas qu’il viendra (dazu später ausführlicher). Vergleiche im Gegensatz dazu ein Beispielpaar mit dem Verb noter: 46 (6) «Je n’ai pas noté qu’on me suivait.»
und (7) «J’ai noté qu’on ne me suivait pas.»
–– Die zweite Gruppe stellt die ausgedrückte Überzeugung als das Resultat eines Inferenzprozesses dar, so bei supposer oder c’est probable. Auch espérer und craindre können als modalisierende Prädikate verstanden werden, denn sie setzen rationale Erwartungen voraus, die jedoch von einer affektiven Komponente überlagert werden. Diese zweite Gruppe unterscheidet sich von der ersten Gruppe durch ihr syntaktisches Verhalten in Frage-Antwortmustern, zum Beispiel: mit croire: (8) Est-ce qu’il est rentré ? Je crois./ Je ne crois pas.
mit supposer:
45 Borillo (1982, 45). 46 Die folgenden Beispiele stammen aus Borillo (1982, 43).
Pragmatische und syntaktische Aspekte von epistemischen Verben
167
(9) Est-ce qu’il est rentré ? Je suppose. * Je ne suppose pas.
–– Die dritte Gruppe besteht aus Prädikaten, die eine sichere Überzeugung ausdrücken (assertifs forts wie savoir, être sûr/certain) sowie einer semifaktiven Untergruppe (voir, noter, sentir, remarquer, se souvenir), deren Okkurrenzen in zweifacher Weise interpretiert werden können: 47 (10) «Est-ce qu’il ya beaucoup de bruit ? Je n’ai pas noté.»
Die Antwort kann zum einen als Negation von p verstanden werden (es ist nicht so, dass p) oder als eine Inkompetenzerklärung des Sprechers, der p nicht entscheiden kann (ich kann nicht sagen, ob p). Die Möglichkeit einer zweifachen Lesart von Verben wie noter findet ihre Auflösung in zwei unterschiedlichen syntaktischen Konstruktionen: a. die Negations-Lesart tritt hervor in: (11) «Je n’ai pas noté que les prix aient baissé.»
b. die Lesart der Unentscheidbarkeit wird deutlich in: (12) «Je n’ai pas noté si les prix ont baissé (ou pas).»
Grundsätzlich unterscheiden sich die Prädikate der dritten Gruppe von den anderen beiden Gruppen durch ihr semantisches Verhalten bei Frage-AntwortSequenzen: Auf die Standardfrage: Est-ce qu’il est rentré? kann lediglich mit je ne sais pas, nicht aber mit je sais geantwortet werden. Dieses Verhalten erklärt sich aus dem besonderen Charakter des Prädikats savoir, das nämlich die Wahrheit von p präsupponiert und deshalb für einen Fragekontext, der ja gerade den Wahrheitswert von p erfragt, gänzlich ungeeignet ist.48
47 Die Beispiele (10) – (12) stammen aus Borillo (1982, 50). 48 Co Vet (1994, 65ss.) schreibt denn auch savoir einen anderen Status zu als den anderen epistemischen Verben: Mit je sais que p klärt der Sprecher seinen Gesprächspartner darüber auf, dass – entgegen dessen Annahme – p schon zu seinem Wissensbestand bzw. zu der Menge der wahren Propositionen gehört. Er stellt deshalb die Annahmen seines Gegenübers als unvollständig heraus und korrigiert auf diese Weise (Vet spricht hier von «ajuster les présupposés dont partait l’interlocuteur»). Savoir ist demnach nicht ein Operator, durch den eine Proposition p modalisiert wird (also hinsichtlich ihres Grades an Vertrauenswürdigkeit für den Sprecher markiert wird), sondern der einen metakommunikationellen Akt vollzieht, in dem er die Annahmen des Sprechers, dessen présupposés, korrigiert. Aus diesem Grunde ist savoir auch der Position p1 (i.e. der illokutionären Schicht) zuzuordnen und nicht der p modalisierenden Ebene p2. Dies spiegelt sich allerdings nicht syntaktisch wider: in Vets Beispielsatz «je crois savoir que Pierre
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Treten epistemische Prädikate in der 1. Person Singular auf, so fungieren sie als Operatoren, die eine vom Sprecher geäußerte Proposition auf einer Reliabilitäts- bzw. Verpflichtungsskala lokalisieren – also angeben, in welchem Maße der Sprecher sich für den Wahrheitsgehalt von p verbürgen möchte. Erscheinen epistemische Prädikate jedoch in der 3. Person, so geben sie keine Auskunft darüber, zu welchem Grade sich der Sprecher auf den Wahrheitsgehalt einer Proposition verpflichtet, sondern sie markieren p als die modalisierte Aussage eines Dritten – als statement-cum-signal so Urmson (1952). Es wird also markiert, dass p auf eine Fremdquelle zurückgeht («discours rapporté», «subjectivité rapportée»),49 die hinsichtlich der Verbürgung von p ganz unterschiedliche Art und Qualität (Evidenzialität) besitzen kann.50 Da credo, penso, direi andere pragma-diskursive Funktionen erfüllen als credono oder pensavo – erstere markieren den Grad der Sprecherverpflichtung auf p, letztere kennzeichnen den evidentiellen Status von p als ein p, das einem hétéro-univers (nach Martin 1983 und 1987)51 angehört – ordnet sie Schneider (1999) auch unterschiedlichen pragma-semantischen Verbklassen zu: io credo/ mi pare, io penso etc. subsumiert er unter die Bezeichnung verbi dubitativi modalizzanti, während er credono, pensavo als verbi dubitativi assertivi etikettiert. Diese beiden epistemischen Untergruppen zeichnen sich durch eine Reihe von syntaktischen Gemeinsamkeiten, aber auch durch charakteristische Unterschiede aus:52 –– Die verbi dubitativi modalizzanti können prinzipiell in parenthetischer Position erscheinen («la potenziale parenteticità»): Sie verhalten sich syntaktisch wie Modaladverbien und besitzen die gleiche semantische Funktion: (13) «[...] però il problema dell’amnistia va posto invece credo fortemente anche nei termini di un’amnistia rispetto a quella che è stata la sovversione di destra […].» (Schneider 1999, 70)
est divorcé» besetzt croire die erste Position und modalisiert zudem das Prädikat savoir, dessen Gültigkeitsradius ja gerade durch Einschreibung in das epistemische Modell des Sprechers ME(LOC) begrenzt wird. Kritisch aber auch Schneider (1999, 158) «A rigore il verbo non appartiene ai ‹predicati epistemici con i quali si prende esplicitamente posizione riguardo alla certezza del contenuto della frase dipendente› (Wandruszka, 1991, 474)». 49 Cf. Iaquinta (2003, 113s.); Schneider (1999, 55). 50 Siehe oben. Iaquinta (2003, 116) nennt ihrerseits folgende Evidenzquellen: «preuve par ouïdire, sur la base d’un rêve (prévue par révélation), d’une conjecture (preuve par présomption) ou de sa propre expérience antérieure (‹preuve par mémoire›)». 51 Martin (1987, 19). 52 Schneider (1999, 58–81). Cf. auch Iaquinta (2003, 104).
Pragmatische und syntaktische Aspekte von epistemischen Verben
169
–– Sie sind durch ihre «rhematische Schwäche» charakterisiert, d.h. können selber nicht rhematischer Kern eines einfachen oder komplexen Satzes sein: (14) Che Emma sia caduta, *lo credo/lo credo anch’io.
Linksverschobene Komplementsätze des Typs Che p, lo q besitzen thematischen Charakter. Hier ist der Matrixsatz Träger des Rhemas, was aber nicht alleine vom Prädikat credo geleistet werden kann. Die Verstärkung durch ein autonomes rhematisches Element (anch’io) macht den Satz akzeptabel. –– Sie sind für die Negation sowie für Satzadverbien transparent: (15) «Fortunatamente, credo che Emma abbia sposato l’orologiaio.» (Schneider 1999, 59) (16) Non credo che Paolo sia intelligente. Credo che Paolo non sia intelligente.
–– Modalisierende Verben können keine NP-Komplemente regieren (nur PPKomplemente): (17) «*Credo/penso la sua bravura.» (Schneider 1999, 72)
–– Die Kombinierbarkeit mit einer Prophrase zu einer Antwort auf eine Entscheidungsfrage: (18) «Emma è stata accettata all’asilo. Credo di sì.» (Schneider 1999, 61)
–– Credo che erlaubt die Tilgung des Komplementierers che (che-Deletion): (19) «[...] neppure quella coerenza che gli viene attribuita io credo ipocritamente anche da alcuni avversari [...].» (Schneider 1999, 83)
Die verbi dubitativi assertivi (credono, pensavo) erlauben demgegenüber kein Vorkommen im Rahmen einer Prophrase, aber auch sie sind durch ihre rhematische Schwäche sowie ihre Unfähigkeit, Nominalphrasen zu regieren, gekennzeichnet.53 Schneider deutet diese Eigenschaften des Komplementsatzes von modalisierenden epistemischen Prädikaten des Typs credo (che) als Hinweis auf dessen quasi-autonomen Satzstatus. Modalisierende epistemische Prädikate sind demnach auch in syntaktischer Hinsicht schwache Prädikate, insofern nämlich, als sie nicht wirklich als subordinierende Matrixprädikate fungieren. Vielmehr besitzen sie aufgrund der oben genannten Eigenschaften – ihre semantische
53 Schneider (1999, 121–124).
170
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Transparenz, ihr mangelnder rhematischer Charakter und schließlich die Tilgbarkeit des Subordinators che – eher (wie auch die Modaladverbien) die Funktion von Modalisatoren, die im Wesentlichen die Satzwertigkeit von p unangetastet lassen.54 Diese relative Autonomie von Komplementsätzen modalisierender epistemischer Prädikate kontrastiert mit der deutlichen Abhängigkeit von Komplementsätzen, die von Matrixsatzprädikaten mit den folgenden Eigenschaften selegiert werden: –– Die Matrixsatzprädikate sind nicht durch Verschiebung in eine parenthetische Position adverbialisierbar. –– Sie sind semantisch opak, stellen also eine semantische Barriere für die Interpretation des komplexen Satzes dar. –– Sie besitzen in der Regel rhematischen Charakter. –– Sie können Nominalsyntagmen regieren.55 Zur Gruppe dieser Matrixsatzprädikate gehören die Klasse der epistemischen Adjektive (aggettivi epistemici wie certo, chiaro, convinto, difficile, facile, possibile, probabile etc.)56 sowie die Klasse der wertenden Prädikate (predicati valutativi wie essere contento, rammaricarsi, è importante, è bello).57 Die verschiedenen Prädikatsgruppen lassen sich auf einer Skala lokalisieren, die den Grad der syntaktischen Integration bzw. Subordination von Komplementsätzen anzeigt: So stehen auf der einen Seite die modalisierenden Matrixverben wie credo und spero, deren Komplementsätze einen quasi-autonomen, satzwertigen Charakter behalten. Eine stärkere Integrationsleistung von Komplementsätzen leisten die epistemischen Adjektive wie certo, facile, possibile, probabile, die weder im Rahmen einer Prophrase noch in parenthetischer Position fungieren können, rhematischen Charakter besitzen und Nominalsyntagmen regieren können.58 Noch weiter in Richtung auf eine syntaktische Integration von Komplementsätzen in der Funktion notwendiger Konstituenten wirken die wertenden Prädikate (predicati valutativi) wie etwa: dispiacere, meravigliarsi, rammaricarsi oder disturbare. Sie besitzen eindeutig rhematischen Charakter, können Nominalsyntagmen regieren und prägen ihren Komplementsätzen Konstituentencharakter (Schneider spricht hier von «nominalità») auf.59
54 Schneider (1999, 188s.). 55 Schneider (1999, 189). 56 Schneider (1999, 139ss.). 57 Cf. Schneider (1999, 168ss.). 58 Schneider (1999, 140s.). 59 Schneider (1999, 189 sowie 170).
Pragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten
171
Aus dem Gesagten ergibt sich (in Anlehnung an Schneider)60 die folgende Skala: FRASE ←---------------------------------------------CLAUSOLA-------------------------------------------------→ NOME FRASALITÀ credo
spero
credevano
penso (modalizzanti)
è possibile
NOMINALITÀ
mi dispiace, rammaricarsi
è difficile
è buono, bello, necessario
(dubitativi assertivi) (aggettivi
(predicati valutativi)
(volitivi / fattivi valutativi)
(mod.deboli)(mod.forti)
epistemici)
Skala: «Grado di frasalità/nominalità»
In theoretischer Hinsicht von Bedeutung ist die Grundthese, die Schneider aus der Analyse des syntaktischen Verhaltens der zur pragmatischen Signalisierung verwendeten epistemischen Prädikate ableitet: Hiernach ist der Konjunktiv kein Signal syntaktischer Subordination, da gerade die nur schwach syntaktisch integrierende Gruppe der modalisierenden epistemischen Prädikate (predicati dubitativi modalizzanti) am häufigsten mit dem konjunktivischen Modus auftritt. Dieses empirische Faktum erlaubt die Schlussfolgerung, dass der Konjunktiv offenbar in erster Linie «un segno di subordinazione verbale e non, a differenza di che, un segno di subordinazione frasale»61 ist. Diesen Grundgedanken werden wir im weiteren Verlauf dieses Großkapitels vertiefen und dabei aufzeigen, wie der Hinweis auf die subordinazione verbale sinnvoll zu interpretieren ist.
2.3 P ragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten Auf einen weiteren – der Pragmatik zuzuordnenden Aspekt – soll in diesem Einführungsteil noch eingegangen werden, und zwar auf pragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten. Wie wir im Zusammenhang mit der modalisierenden Funktion von epistemischen Prädikaten gesehen haben, stellt die linguistische Literatur bei epistemischen Verben vom credere-Typ gerne die Äquivalenz von croire que (¬p) und ¬ [croire (que p)] heraus. Das entspricht aber nicht den logischen Verhältnissen, die
60 Schneider (1999, 189). 61 Schneider (1999, 193).
172
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
sich im Rahmen des logischen Quadrats in der Tradition des Boethius darstellen lassen:62 Bxp Belief subalternae ¬Bx(¬p) Not disbelief
contrariae contradictoriae subcontrariae
Bx(¬p) Disbelief subalternae ¬Bxp Not belief
(Darstellung: Erweiterung des «Circle of belief», Alexandrescu 1983, 19, durch Relationen im logischen Quadrat nach Boethius, Blanché 1970, 126)
Danach verhalten sich Bxp und Bx(¬p) als konträres Oppositionspaar, denn ein Tertium (i.e. die Negation beider Glieder – von belief und disbelief –) ist grundsätzlich denkbar: Zwischen dem Glauben an p und der Überzeugung, dass p (sehr wahrscheinlich) falsch ist, lassen sich genügend Abstufungen denken. Kontradiktorisch sind hingegen die Relationen zwischen den Elementen der folgenden Paare: Bxp / ¬Bxp sowie ¬Bx(¬p) / Bx(¬p): Die Negation des einen Elements impliziert automatisch das andere Element (belief vs. not belief, tertium non datur).63 Ein subkonträres (Gegensatz)verhältnis besteht zwischen not disbelief [¬Bx(¬p)] und not belief [¬Bxp]: Bei dieser Relation können beide Glieder koexistieren (den Wahrheitswert w besitzen): Es ist möglich, sich hinsichtlich der Wahrheit von p unsicher zu sein und deshalb p nicht wirklich zu glauben, ohne p notwendigerweise für falsch zu halten (der Sprecher besitzt hinsichtlich p eben keine Gewissheit). Von Interesse ist nun das Implikationsverhältnis der Glieder in der vertikalen Leserichtung: Bxp ⊃ ¬Bx(¬p); Bx(¬p) ⊃ ¬Bxp64 Insbesondere interessiert die Tatsache, dass ein Unglaube hinsichtlich der Wahrheit von p den Nichtglauben an p mit einschließt. Das Verhältnis zwischen not
62 Das logische Quadrat verdankt die klassische Logik Boethius Weiterung des ursprünglichen Ansatzes von Apuleius, cf. Blanché (1970, 126). 63 Ein illustratives Beispiel für die Relevanz der Opposition zwischen disbelief [Ba¬p] und not belief [¬Bap] ist das Beispiel: «He doesn’t believe that God exists» (cf. Horn 1989, 309). Die disbelief-Lesart kennzeichnet den Atheisten, die not belief-Lesart den Agnostiker. 64 Alexandrescu (1983, 20).
Pragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten
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belief und disbelief hat die Aufmerksamkeit der Logik (Jespersen 1917; Hintikka 1962), der (formalen) Semantik (Partee 1973) und neuerdings auch der (formalen) Pragmatik (Levinson 2000) geweckt: Während believe ¬p – sprachlich: credere non-p – eine eindeutige disbeliefLesart besitzt (der Glaube, dass p (höchstwahrscheinlich) falsch ist), lässt sich ¬ believe p – sprachlich: non credere que p – einmal als not belief, zugleich aber auch als durch Negationsanhebung (NEG-raising) entstandene Entsprechung zu credere non-p (disbelief) interpretieren.65 Das Verhältnis der beiden Konstruktionen (croire que ¬p und ¬ croire que p) lässt sich also als eine privative Opposition charakterisieren,66 bei der die Lesart x ne croit pas que p logisch folgt aus x croit que non-p, der Umkehrschluss hingegen nicht gilt.67 Man könnte auch argumentieren, dass das Subjekt x (der individuelle Anker) im Falle von croire que ¬p p in den Bereich seines Glaubensuniversums einschreibt, in dem alle Propositionen enthalten sind, die x entschieden und mit einem Wahrheitswert von {0} oder {1} belegt hat. Im Falle von ¬ croire que p wird p einem Komplementärbereich zu seinen festen Glaubensüberzeugungen zugewiesen. In diesem Komplementärbereich sind alle Propositionen enthalten, die hinsichtlich ihres Wahrheitswertes (noch) unentschieden sind. In pragmatischer Hinsicht ist nun die Tatsache bedeutsam, dass die Negationsanhebung (NEG-raising) dazu dient, die starke Überzeugung, dass ¬p (p also falsch ist) in einer attenuierenden Ausdrucksvariante (nicht glauben, dass p) zu kommunizieren und dass diese Substitutionsbeziehung offenbar systematischer Natur ist.68 Levinson (2000) sieht denn auch in diesem Phänomen einen typischen Beispielfall für das Phänomen der generalisierten konversationellen Implikatur (GCI: Generalized Conversational Implicature), die auf systematischen Schlussregeln pragmatischer Natur beruht. Er knüpft dabei an Horns Charakterisierung des Phänomens an, der den pragmatisch-inferentiellen Charakter des Phänomens herausstellt, ohne jedoch schon den generischen Charakter des zugrundeliegenden Mechanismus terminologisch auf den Punkt zu bringen:
65 Unterscheidung nach Deutscher (1965, 55), zitiert nach Horn (1978, 129). 66 Horn (1978, 134). 67 Partee (1973). 68 Horn (1978, 132) merkt über die Matrixsatznegation an «that a higher clause negation is weaker than a lower clause negation, whether the difference is correlated with greater uncertainty on the speaker’s part (as the belief-verb examples Bolinger discusses) or some other indicator of negative strength [...].»
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
«The NR [NEG-raising, Anm. d. Verf.] understanding is always stronger than the contradictory (outer) negation, in that it applies to a proper subset of the situations to which the contradictory applies (is true in a proper subset of the worlds in which the contradictory is true). As with (other) indirect speech acts, the literal interpretation of the outer negation is true but too weak, and the addressee applies a (short-circuited) conversational implicature to ‘fill in’ the stronger proposition.»69
Levinson stellt diese pragmatische Standardinferenz (GCI) von ¬believe p zu believe ¬p, also den Übergang von einer kontradiktorischen zu einer konträren Interpretation von p, anschaulich im Rahmen des folgenden epistemischen Quadrats (mit know als Maximalwert 1,0 auf einer epistemischen Skala und not believe als mittleren Wert (= - 0,5)) dar: know
believe
1,0
contrary
0,5
-1,0
contradictory - 0,5
know not
believe not
NR (NEG-raising-inferences) not believe
(Figure 2.7 Restricted locale for NEG-raising within the square, Levinson 2000, 133)
Levinson klassifiziert NR-Inferenzen (NEG-raising-inferences) als I-Implikaturen, also als pragmatische Resultanten des Informativitäts-Prinzips (Informativeness Principle), das er direkt aus Grices zweiter Quantitätsmaxime ableitet: «Do not make your contribution more informative than is required.»70 Dies beinhaltet die Aufforderung an den Hörer, das volle Informationspotential der Äußerung vor dem Hintergrund der Kommunikationssituation auszuschöpfen – vom Gesagten zum Gemeinten vorzudringen – und den bei non credere que p (möglicherweise) mitschwingenden euphemistischen Beiklang in eine verstärkende Interpretation («stronger interpretation») einmünden zu lassen.71 Allerdings stellen NR (= NEG-raising)-Interpretationen besondere Anforderungen an die zugrundeliegenden Prädikate und ihre Verwendungen:
69 Horn (1989, 328s.). 70 Grice (1989, 26), zitiert nach (Levinson 2000, 27). 71 Cf. Levinson (2000, 133s.).
Pragmatische Effekte der Negation bei epistemischen Prädikaten
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–– das «smallest functional load»-Prinzip, demzufolge die semantische Differenz zwischen der assertierten kontradiktorischen Lesart und der implikatierten konträren Lesart nur minimaler Natur sein darf –– die Tendenz zur Konventionalisierung bzw. Teilkonventionalisierung ihrer Gebräuche in der NR-Lesart (eine vollständige Konventionalisierung liegt beispielsweise bei not likely vor, das als unlikely lexikalisiert wurde) und –– die – ebenfalls Züge einer Teilkonventionalisierung tragende – Tendenz zur Signalisierung der NR-Interpretation durch negative Polaritätselemente im Komplementsatz (Beispiel: «I don’t think he knows anything at all [Herv. d. Verf.]»).72 Anküpfend an das im ersten Punkt herausgestellte Prinzip der «smallest functional load» stellt sich die Frage nach den spezifischen semantischen Eigenschaften epistemischer Prädikate (aber auch vergleichbarer Prädikate, die Volition, Wahrnehmung, Wahrscheinlichkeit, Intentionalität und schwache Verpflichtung ausdrücken), die für die Induzierung von NR-Effekten verantwortlich sind. Horn führt zur Beantwortung dieser Frage seine «skalare Hypothese» ins Feld: Epistemische und deontische Prädikate lassen sich in einem Zwei-Skalen-Modell situieren – und zwar als (positive) Elemente auf einer Skala mit wachsendem Ausprägungsgrad der jeweils relevanten Eigenschaft (wobei P1 das Element mit der schwächsten Merkmalsausprägung und Pa das maximale Element am Endpunkt ist) oder als negierte Elemente einer komplementären negativen Skala. Für jedes Element auf der Skala gilt, dass aus ihm die weiter links von ihm situierten Elemente logisch folgen (entailment). Für alle i gilt also: Pa (x) ⊃ Pi (x) und Na (x) ⊃ Ni (x). Ein Beispiel: Wenn für x gilt: certain (x), dann gilt auch: possible (x). Man betrachte die folgende Darstellung Horns:73
P1 .... P2 ...
... Pa
N1 ... N2...
... Na
72 Cf. Levinson (2000, 134). 73 Horn (1978, 193s.).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Beispiel für epistemische Skalen: possible
not certain
likely believe, suppose, think
certain know, realize
unlikely
impossible
Es ergeben sich nun zwischen den auf den komplementären skalaren Achsen angesiedelten epistemischen Prädikaten die folgenden Beziehungen: –– Die kontradiktorische Negation eines schwachen skalaren Wertes (etwa possible) entspricht einem starken Wert auf der entsprechenden negativen Skala (impossible) –– Die Negation eines starken skalaren Wertes (certain) entspricht einem schwachen Wert auf der entsprechenden negativen Skala (not certain) –– Die kontradiktorische Opposition eines mittleren Wertes auf der Skala (likely) entspricht ebenfalls einem mittleren Wert auf der korrespondierenden negativen Skala (not likely). Das, was hier als Tendenz formuliert ist, lässt sich noch präziser quantifizieren: Der Wert eines Elements auf einer der beiden Skalen entspricht dem zu 1 (positive Skala) oder –1 (negative Skala) komplementären Gegenwert auf der jeweils anderen Skala. Was nun epistemische Prädikate vom Typ believe (credere) oder think (pensare) für eine Negationsanhebung prädisponiert, ist genau ihre mittlere Position auf der relevanten Bezugsskala («mid-scalar condition»).74 Genau diese Eigenschaft geht andererseits Prädikaten wie know (sapere) und ignore (ignorare) ab und führt zu inkompatiblen Lesarten: (20) Je sais que la terre n’est pas un cylindre / Je ne sais pas que le monde soit un cylindre.
Die Sprecher instrumentieren folglich die mittlere Position skalarer epistemischer Prädikate im Dienste einer pragmatischen Strategie, die auf die schwächere – auf der komplementären Skala angesiedelte – Variante rekurriert, aber die stärkere Variante meint (implikatiert).75
74 Horn (1978, 204); Horn (1989, 324ss., insbesondere 327). 75 Horn (1978) begründet den Effekt des NEG-raising auch mit einer Art kognitivem Distanzprin-
Epistemische Verben im Spät- bzw. Vulgärlatein
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Auf die Interpretation negierter epistemischer Prädikate und die damit verbundene Modusproblematik werden wir im Laufe dieses Großkapitels zurückkehren.
2.4 D ie Kristallisation eines neuen Systems: Epistemische Verben im Spät- bzw. Vulgärlatein 2.4.1 Grundaspekte des klassisch-lateinischen Komplementsatzsystems Die allmähliche Herausbildung eines neuen Komplementsatzsystems im Spätbzw. Vulgärlatein manifestiert sich unter anderem im Bereich der epistemischen und evaluativen Verben. Wir können an dieser Stelle das lateinische Komplementsatzsystem nicht im Detail darstellen, wollen aber kurz einige grundlegende Charakteristika herausstellen, die den tiefgreifenden Wandel vom klassischen Latein zu den romanischen Sprachen verdeutlichen und dabei auch die «Ratio» der sich abzeichnenden Refunktionalisierung des Modussystems erkennbar werden lassen. Wir hatten im vorangegangenen Kapitel schon herausgestellt, dass der konjunktivische Modus im lateinischen Deklarativ-, Interrogativ- und Exklamativsatz eine wesentliche modalisierende Funktion besaß, d.h. im Zusammenspiel mit den Satzmodi verschiedene Modalitäten (v.a. deontische, epistemische und buletische) realisieren konnte. Dem starken Gewicht des lateinischen Konjunktivs im Hauptsatz entsprach eine – im Vergleich zu den romanischen Sprachen – noch deutlich schwächere Funktionalität im Komplementsatzbereich. Hier trat der Konjunktiv in erster Linie (bzw. allgemein die Kategorie Modus) als Modus par excellence der priority modalities hervor. Wie im 1. Kapitel erwähnt, umfasst der Oberbegriff priority modalities alle diejenigen Modalitäten, die mit einer ordnenden Quelle verbunden sind, durch die mögliche Welten im Einklang mit einem bestimmten Ideal oder Prinzip auf einer Skala «gerankt» werden. Unter die priority modalities fallen im Einzelnen die folgenden Modalitäten und ihnen zugeordnete Verbklassen: –– Deontische Modalität: Verben, die Konzepte wie Erlaubnis, Verbot, Verpflichtung ausdrücken, z.B. permittere, concedere; auch Verben des Befehlens wie imperare gehören hierzu, sofern das Matrixsatzsubjekt eine Instanz ist, die den Status besitzt, eine bestimmte Ordnung zu setzen;
zip: «the negative force weakens with the distance of the negative element from the constituent with which it is logically associated» (Horn 1978, 132s.).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
–– Buletische Modalität: Wunsch- und Willensverben wie z.B. optare (‘wünschen’), rogare, orare (‘bitten’); Verben des Bittens (rogare, orare, petere) sind zweifellos mit einer buletischen Ordnungsquelle verbunden (Reihung von Welten nach den Präferenzen bzw. Dispräferenzen des Individuums). Je nach Grundlage der Bitte (Anrufung eines deontischen Prinzips bzw. einer Quelle) kann noch eine zweite, deontische, modale Basis hinzukommen. Die Verknüpfung von Ordnungsfunktionen haben jüngst erstmals von Fintel und Iatridou diskutiert.76 –– Teleologische Modalität: Verben, die Veranlassung bewirken sowie eine Absicht ausdrücken, z.B.: efficere (‘bewirken’), assequi (‘erreichen’), id studere (‘danach streben’), contendere (‘sich bemühen’), curare (‘Sorge tragen’); Ein wichtiges Merkmal des klassisch-lateinischen Systems finiter Komplementsätze ist die Tatsache, dass die Verbklassen, die den jeweiligen Modalitätstyp konkretisieren, keinen Universalkomplementierer (wie später die romanischen Sprachen, etwa quod oder quia) selegieren, sondern die beiden spezialisierten Komplentierer ut in affirmativen sowie ne in negativ-polaren Kontexten. Beispiele der lateinischen Schulgrammatik illustrieren dies:77 (21) «Verres Siciliae civitates hortatur et rogat, ut arent, ut serant.» (‘Verres ermahnte und bat die sizilianischen Gemeinden, zu pflügen und zu säen.’) (22) «Caesar tertiae aciei imperavit, ne iniussu suo concurreret.» (‘Caesar verbot der dritten Einheit, ohne seinen Befehl gegen die Feinde vorzugehen.’)
Die Konjunktion ut (bzw. in den negativ-polaren Kontexten die Konjunktion ne) hebt die präferierten bzw. dispräferierten Alternativen (bzw. möglichen Welten) dadurch hervor, dass es die finale Komponente («um p-Welten zu realisieren») prominent macht. Sie führt also in priority-Welten ein, die im folgenden Komplementsatz charakterisiert werden. Es ist nun kennzeichnend für das klassisch-lateinische System, dass alle anderen Verbklassen, die Komplementsätze selegieren, ihr direktes Objekt-Komplement als nicht-finite ACI-Konstruktionen realisieren. Bei den accusativus cum infinitivo-Konstruktionen wird das Subjekt des Infinitivsatzes mit dem Akkusativkasus markiert – das infinite Verb kann keinen Nominativkasus vergeben und
76 Cf. von Fintel/Iatridou (2008). 77 Cf. die Beispiele aus Rubenbauer/Hofmann (101977, 276).
Epistemische Verben im Spät- bzw. Vulgärlatein
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daher vergibt das Matrixsatzverb Akkusativkasus an das Subjekt des Infinitivsatzes nach dem Mechanismus des exceptional case marking (ECM).78 Eine weitere Besonderheit ist die Existenz verschiedener Infinitivformen (amare, amari, amavisse, amatum/-am/-os/-as esse, amaturum/-am/-os/-as esse, amatum iri), welche die relative Beziehung zwischen der durch das Matrixsatzverb gesetzten Origo und der Topikzeit des Ereignisses (Relation der Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit oder Nachzeitigkeit) anzeigen. Die folgende Übersicht stellt die Verbklassen zusammen, die ihr direktes Objekt als ACI-Konstruktion realisieren: –– Perzeptionsverben: audire (‘hören’), videre (‘sehen’), animadvertere (‘bemerken’); –– Kognitionsverben: a. Epistemische Verben und Ausdrücke: scire, nescire (‘nicht wissen’), intellegere (‘einsehen’, ‘verstehen’), cognoscere (‘kennen’, ‘wissen’, ‘erkennen’), verisimile est (‘es ist wahrscheinlich’); b. Doxastische Verben: credere (‘glauben’), opinari, putare (‘meinen’); –– Sprechaktverben (verba dicendi à oratio obliqua): dicere (‘sagen’), negare (‘verneinen’), declarare (‘verkünden’), affirmare (‘behaupten’), contendere (‘behaupten’), profiteri (‘öffentlich erklären’), scribere (‘schreiben’), tradere (‘berichten’, ‘überliefern’), polliceri (‘versprechen’), promittere (‘versprechen’); –– Faktiv-emotive Verben (verba affectus): laetari (‘sich freuen’), gaudere (‘sich freuen’), delectari (‘sich freuen’), mirari (‘sich wundern’), admirari (‘sich wundern’, ‘erstaunt sein’), indignari (‘empört sein’), gratias agere (‘danken’); –– Axiologische Ausdrücke: bonum est (‘es ist gut’), melior est (‘es ist besser’), aequum est (‘es ist recht und billig’). Die Entwicklung vom spätantiken Latein zu den romanischen Sprachen war nun dadurch gekennzeichnet, dass die genannten Verbklassen zunehmend auch finite Komplementsätze selegieren konnten und sich auf diese Weise das Komplementsatzsystem grundlegend restrukturierte. Mit dem Ausbau des Komplementsatzbereichs wurde es notwendig, auch das Modussystem in den einzelnen modalen
78 Es sind zwei Szenarien für die Modellierung des exceptional case marking denkbar: So kann angenommen werden, dass das Matrixsatzverb als zweites Argument keine CP, sondern lediglich eine IP selegiert – die CP entfällt folglich als Barriere für die Kasuszuweisung durch das Matrixsatzverb (IP ist keine Barriere). Dies entspricht der Lösung, die Haegeman (21999, 169ss. und 269s.), für die englische believe-Konstruktion vorschlägt. Man kann aber auch dafür plädieren, dass die CP für bestimmte Verben – wie zum Beispiel credere – eine durchlässige Barriere ist (oder anders gewendet: diese Verben besitzen die Fähigkeit, die CP-Barriere zu überwinden). Cf. Laenzlinger (2003, 160 s.), am Beispiel französischer Perzeptionsverben.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Domänen auszubauen und dabei die Prinzipien der Modusselektion überhaupt neu zu justieren. Dieser Prozess begann in der Spätantike, beschleunigte sich ab dem 4. nachchristlichen Jahrhundert (dazu weiter unten) und dauerte bis zur normativen Fixierung des modernen Sprachzustandes in den einzelnen romanischen Sprachen an. In den weiteren Kapiteln dieser Studie wird dieser Prozess der Reorganisation des Komplementsatzsystems sowie die Neujustierung des Modussystems im Zuge der Erschließung neuer modaler Domänen ausführlich untersucht werden, wobei insbesondere die zugrundeliegenden Prinzipien und Mechanismen herausgearbeitet und systematisch beschrieben werden sollen.
2.4.2 Die spätlateinische Reorganisation des Komplementsatzsystems Die Domäne der epistemischen Verben (im weiten Sinne) gehörte zu den Bereichen, die am stärksten von der spätlateinischen Umstrukturierung des lateinischen Verbsystems betroffen waren. Wie wir weiter oben angedeutet haben, traten doxastische Verben wie credere, putare und cogitare in klassischer Zeit in Verbindung mit der accusativus cum infinitivo-Konstruktion auf. Ein repräsentatives Beispiel für das Selektionsverhalten dieser Verben ist das folgende, aus den Annalen des Tacitus stammende Beispiel: (23) «[...] credite, patres conscripti, me quoque non esse offensionum avidum.» (Tacitus, Annales, III, 54) (‘[...] so glaubt mir, versammelte Väter, dass auch ich nicht auf Anfeindungen erpicht bin.’)
In den spätlateinischen Texten, etwa den Confessiones des Kirchenlehrers Augustinus, den Etymologien des Isidor von Sevilla und der Historia Francorum des Gregor von Tours finden wir eine Reihe von Belegen für den Übergang von ACI- zu Komplementsatzstrukturen, die durch – sich zunehmend als Universalkonjunktion profilierendes – quod sowie durch quia und quoniam eingeleitet werden. Bezeichnenderweise wird aber in einem ganz anderen Text und im Rahmen einer ganz anderen Texttradition das neue syntaktische Modell systematisch eingeführt und am konsequentesten durchgehalten – die Rede ist von der Vulgata, der im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstandenen lateinischen Bibelübersetzung des Hieronymus. In ihr manifestiert sich überhaupt am deutlichsten der Übergang zu Komplementsatzstrukturen bei verschiedenen semantischen Verbgruppen, und zwar insbesondere den Perzeptionsverben (verba sentendi),
Epistemische Verben im Spät- bzw. Vulgärlatein
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den Äußerungsverben (verba dicendi, verbes énonciatifs) und den epistemischen Verben (verba cogitandi).79 (24) «Audio quod tradita est septem viris.» (Vulg., Tob. 6, 14) (25) «Scimus quia hic est filius noster.» (Vulg., Johannes 9, 20)
Mit der Frage nach dem Grund für die Tatsache, dass in der Vulgata in viel stärkerem Maße als in (anderen) spätlateinischen Quellen – gerade auch im Verhältnis zu der in diesem Zusammenhang so gerne zitierten Peregrinatio Aetheriae – romanische Strukturen vorgeformt sind, hat sich die Forschung meines Wissens bislang kaum befasst. Dabei handelt es sich um eine zentrale Fragestellung, zumal die Präsenz besonders markanter protoromanischer Strukturen insbesondere im Bereich der Morphosyntax des Verbs (wie im Falle der periphrastischen Konstruktionen sowie beim systematischen Ausbau von Komplementsatzstrukturen mit Modusvariation) unübersehbar ist. Zweifellos muss die Textvorlage in griechischer Sprache eine – wie hoch auch immer zu veranschlagende – Rolle gespielt haben. Eine große Bedeutung schreiben ihr unter anderem Plater/White und Thomas/Ernout für den Bereich der Komplementsatzstrukturen (Einfluss des Griechischen legw oti bei Strukturen wie «scimus quia hic est filius noster» (Vulg, Joh. 9, 20)80 sowie für den Komplex der indirekten Fragesatzkonstruktionen (si / ei) als einleitende Konjunktion anstelle von klassisch-lateinischem num oder utrum (zum Beispiel: «interrogo vos si licet», Vulg., Lucas 6,9)) zu.81 Auch Coseriu verteidigte die Gräzismusthese, allerdings mit Blick auf die Entstehung aspektueller Verbalperiphrasen.82 Demgegenüber hat Pierluigi Cuzzolin in einer grundlegenden Studie über den Ausbau von Komplementsatzstrukturen (mit einer komplementären, teilweise drastischen Reduktion von ACI-Konstruktionen) auf der Grundlage vielschichtiger, sowohl sprachstruktureller als auch typologischer, Argumente für eine autonome Entwicklung im Rahmen des lateinischen Sprachsystems plädiert: Im Anschluss an Lehmanns Typologie der Subordination83 stuft Cuzzolin den ACI
79 Cf. Plater/White (1997 [1926], 120ss.). 80 Thomas/Ernout (1953, 299). 81 Plater/White (1997 [1926], 122). 82 Coseriu (1971). 83 Lehmann (1989, 153ss.), nennt insgesamt fünf semantisch-syntaktische Parameter zur Charakterisierung von Arten der Subordination bzw. der Satzverknüpfung: a) der Integrationsgrad des Nebensatzes in den Matrixsatz (Parataxe, Einbettung) sowie die Integrationstiefe des subordinierten Syntagmas in dessen syntaktische Struktur, b) Verlust der Satzwertigkeit (des «phrastischen» Charakters) des Nebensatzes: Verlust der Satzmodalität («illokutionäre Kraft»), Modusrestriktionen, Verlust der Flexionsmerkmale, Abstufung der Subjekt-NP in der Kasushier-
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
als eine im Vergleich zur expliziten Subordination «nicht sehr stabile» Konstruktion ein,84 eine Behauptung, die mangels genauerer Beweise einer petitio principii gleichkommt. Überzeugender nimmt sich im Gegensatz dazu der typologische Hinweis auf den Wandel der lateinischen Satzstruktur von einer SOV- zu einer SVO-Syntax aus, die eine weitaus größere strukturelle Affinität zu nachgestellten Komplementsätzen aufweist (SV + quod/quia + CP), aus.85 Das zentrale Moment der Studie stellt jedoch die Untersuchung und Dokumentation der Entwicklung des Selektionsverhaltens der vier grundlegenden Prädikatenklassen dar, die aufschlussreiche Einblicke in Verlauf, aber auch Wechselwirkungen der Übergangsprozesse vom klassischen ACI-Modell zum protoromanischen Komplementsatzmodell gewähren. Als grundlegende klassenbildende Merkmale werden zum einen «Faktivität» (Kiparsky/Kiparsky 1970) – die mit bestimmten Prädikaten verbundene (teils annullierbare, teils nicht annullierbare) Wahrheitspräsupposition (etwa bei Verben wie dispiacere/regretter bzw. sapere/savoir) –, zum anderen «Assertivität» (Hooper 1975), also die Eigenschaft des Prädikats, einen im Verhältnis zum gemeinsamen Redehintergrund neuen Sachverhalt zu assertieren (etwa affermare/affirmer), identifiziert. Aus ihrer Kombinatorik lassen sich die folgenden vier zentralen Prädikatenklassen ableiten: –– die starken assertiven Verben (assertivi forti) vom Typ affermare, dire, dichiarare, die Aussagen wiedergeben (= verba dicendi, Sprechaktverben) –– die schwachen assertiven Verben (assertivi deboli), die Auffassungen und Meinungen vermitteln wie credere, pensare und ähnliche (= doxastische Verben) –– die semifaktiven assertiven Verben (assertivi semifattivi), welche wie sapere, apprendere, trovare, ricordare etc. eine Aussage wiedergeben und zugleich die Wahrheit der Nebensatzproposition präsupponieren, die, weil vom Spre-
archie (Akkusativ (ACI) oder obliquer Kasus) oder völliger Verlust, Übergang zur Nominalität, c) Grammatikalisierung des Matrixsatzverbs (von lexikalischem Verb zu grammatischem Affix), d) Verfugungsgrad («interlacing», «interweaving»), der sich etwa in der consecutio temporum oder der Subjektkontrolle zeigt, e) Explizitheit der Verbindung: syndetische und asyndetische Verknüpfung. 84 Cuzzolin (1994, 33 und 292ss.). Cuzzolin hebt hierbei in erster Linie auf die mangelnde syntaktische Autonomie des ACI-Satzes sowie die sich aus dem Fehlen von Flexionsmerkmalen (Personen-, Tempus-, Aspekt- und Modusmarkierung) ergebende höhere Wahrscheinlichkeit von Ambiguitäten. Diese Aspekte teilt der ACI aber auch mit anderen infiniten Nebensätzen, ohne dass dies die Stabilität der Konstruktionen gefährden würde. 85 Cuzzolin (1994, 48).
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cher verbürgt, nicht annullierbar ist (= epistemische (im engeren Sinne) Verben) –– die faktiven Verben (fattivi), die zwar die Wahrheit der Nebensatzproposition p präsupponieren, diese aber nicht gegenüber einer möglichen Infragestellung und Annullierung durch den Sprecher abschirmen können. Beispiele: dolersi, rammaricarsi, stupirsi, meravigliarsi etc.86 (= faktiv-emotive Verben) Cuzzolin rekonstruiert auf der Grundlage eines breit angelegten Korpus lateinischer Texte, das von Plautus bis zu den christlichen Autoren (unter anderen Hieronymus) reicht, einen Entwicklungspfad des Ausbaus der Subordination mittels Komplementsatzstrukturen auf Kosten der traditionellen ACI-Konstruktion.87 Wie sich im diachronen Längsschnitt zeigt, verläuft die Entwicklung von faktiven Verben – zunächst den Semifaktiva (epistemischen Verben) – über die starken Assertiva (assertivi forti = Sprechaktverben) zu den schwachen Assertiva (assertivi deboli = doxastische Verben). Schon bei Plautus (im 3. vorchristlichen Jahrhundert) lassen sich verschiedene Komplementsatzkon struktionen bei semifaktiven Verben wie den verba addendi (addere), den verba praetereundi (omittere, tacere), den Erinnerungsverben (verbi di memoria: commemorare, in mentem venire, recordari, ocurrere), Denk- und Wahrnehmungsverben wie scire, cognoscere, novisse, manifestare, considerare, videre, spectare, audire, considerare und animadvertere nachweisen.88 Erste Beispiele für die Selektion von Komplementsätzen durch starke assertive Prädikate (assertivi forti) wie dicere, probare, profiteri, respondere finden sich im bellum Hispaniense des Pseudo-Caesar (ca. 46 v.Chr.). Die späteste Gruppe, die einen quod-Satz subkategorisiert, die verbi assertivi deboli (aestimare, putare, sentire, credere), treten erst bei Petron im 1. nachchristlichen Jahrhundert auf. Einen quantitativen Sprung stellt man schließlich bei den christlichen Autoren fest: Während der ACI bei assertiven Prädikaten noch in Tertullians Schriften den Status einer unmarkierten Konstruktion besitzt, lässt sich zugleich ein starker Substitutionsprozess bei den semi-faktiven und faktiven Prädikaten
86 Cuzzolin (1994, 66). Levinson (32000, 219) führt ein typisches Beispiel für die Möglichkeit der Annullierung der mit faktiven Verben verbundenen Wahrheitspräsupposition an: «Peter bedauert nicht, durchgefallen zu sein, weil er bestanden hat». Man mag darüber streiten, ob der geschaffene Beispielkontext nicht ein wenig forciert erscheint. 87 Cf. zusammenfassend Cuzzolin (1994, 294ss.). 88 Cf. Cuzzolin (1994, 131ss.) für eine Zusammenfassung. Wir zitieren ein Beispiel aus der Privatkorrespondenz des Celio Rufo mit Cicero (Cic. fam. VIII 6,1, zitiert nach Cuzzolin 1994, 103): «illud mihi occurrit, quod inter postulationem et nominis delationem uxor a Dolabella discessit».
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
feststellen.89 Bei Augustinus90 und vor allem bei Hieronymus (Briefe, ca. 405–ca. 419), Höhepunkt – aber noch nicht endgültiger Wendepunkt (!) – der spätantiken Entwicklung, kehrt sich das Verhältnis bei den starken Assertiva (assertivi forti) auch zugunsten des mit quod eingeleiteten Nebensatzes um – ganz im Gegensatz zu den schwachen Assertiva (den doxastischen Prädikaten credere und putare), die – wie wir auch noch an späteren Texten sehen werden – überwiegend noch die ACI-Konstruktion selegieren. Cuzzolins Übersicht,91 die wir hier tabellarisch wiedergeben, vermittelt eine aufschlussreiche Momentaufnahme der Umbruchsituation an der Schwelle zum 5. Jahrhundert, die noch längst nicht in einen protoromanischen Zustand umgeschlagen ist: Tabelle 1: Prädikatenklassen und Komplementsatzselektion (ACI / quod) Prädikatenklassen Fattivi (dolere, gaudere, mirari, delectari)
Relation (ACI / quod-Komplementsatz) 15 : 16
Semifattivi (cognoscere, scire, videre)
88 : 43
Assertivi forti (dicere, narrare, scribere)
133 : 27
Assertivi deboli (credere, putare)
296 : 89
Auf die Verhältnisse in der Vulgata (ca. 391–406), die Cuzzolin aus mir unerklärlichen Gründen nicht behandelt – zumal sie dem protoromanischen Zustand am nächsten kommen –, werden wir ausführlicher in den einzelnen Untersuchungskapiteln eingehen. Aus Cuzzolins Untersuchung des Entwicklungspfades kristallisiert sich eine Entwicklung in drei Phasen heraus: Eine deutliche Expansion der Komplementsatzstrukturen bei den faktiven Prädikaten seit dem 2. nachchristlichen Jahrhundert (Aulus Gellius, Noctes Atticae), der Ausbau bei den faktiven Prädikaten und das Übergreifen auf die starken assertiven Verben am Ende des 4. Jahrhunderts (Augustinus und Hieronymus), Kulmination und Abschluss des Substitutionsprozesses erst mit der Herausbildung der romanischen Volkssprachen.92
89 Cuzzolin (1994, 209). 90 Cuzzolin (1994, 245ss. und 284ss.) widerlegt auch die «klassische» These Dokkums von der Revolutionierung der augustinischen Sprache nach dessen Konversion. Eine grundlegende Annäherung an die gesprochene Sprache aus didaktischen Gründen lässt sich bei genauerer Analyse der Nebensatzstrukturen in den Confessiones nicht feststellen. 91 Cuzzolin (1994, 283s.). 92 Cf. Cuzzolin (1994, 300).
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Cuzzolin arbeitet auch einige Faktoren heraus, die die hier skizzierte Entwicklung begünstigt haben und sie teilweise auch motivieren: Für die Entwicklung dürfte zunächst das Merkmal der Faktivität von zentraler Bedeutung gewesen sein. Diese Tatsache wird im Sinne eines syntaktischen Ikonismus («iconicismo sintattico») gedeutet: Haupt- und Nebensatzproposition sind in faktiven Kontexten deutlich voneinander getrennt, mithin die Referenzdomäne auf Sachverhalte in der realen Welt und die Wertungsdomäne des Matrixsatzsubjekts klar geschieden. Diese relative Unabhängigkeit der beiden Domänen spiegelt sich in einer stärkeren Autonomie von Haupt- und subordiniertem Nebensatz wider. Bei den assertiven, insbesondere den schwach-assertiven Prädikaten, ist die Nebensatzdomäne in die doxastische Domäne des Matrixsatzsubjekts eingeschrieben, was sich auf der syntaktischen Ebene in einer stärkeren Integration und Abhängigkeit des subordinierten Satzes (dem ACI-Satz) ausdrückt.93 Als weitere Einflussfaktoren für die Variation zwischen ACI und Komplementsatz mit quod weisen Cuzzolin und andere Autoren wie Herman (1989) und Bolkestein (1989) auf die Bedeutung folgender Aspekte hin: –– Die Rolle der Koreferenz, die im Sinne einer Stabilisierung der ACI-Konstruktion wirkte und schließlich zur Residualdomäne dieser Konstruktion wurde, da sie den besonderen Abhängigkeitsgrad des Nebensatzes vom Hauptsatz (insbesondere die Abhängigkeit des Nebensatzsubjekts vom Hauptsatzsubjekt über die Kontrollrelation) markieren konnte; –– Der als Reflex auf den typologischen Wandel des Lateinischen zu einer SVOSprache anzusehende quantitative Ausbau der Nachstellung (Postposition) des Objektkomplements begünstigt die Subordination mit quod oder quia, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – niemals in der Anteposition – dies die natürliche Domäne des ACI – erfolgte.94 –– Die Prolepse – also die Signalisierung der Subordination durch ein anaphorisches bzw. kataphorisches Element – begünstigt die Subordination mit quod, verliert aber in der langfristigen Entwicklung an Relevanz;95
93 Diesen Aspekt fasst Cuzzolin folgendermaßen zusammen (cf. Cuzzolin 1994, 133): «un legame molto stretto tra il contenuto dell’enunciato della reggente e quello della subordinata» und weiter: «il contenuto della reggente acquista valore solo in funzione dell’atteggiamento proposizionale espresso da questi verbi. Per questa ragione il legame tra reggente e subordinata si rompe con maggior difficoltà con questi predicati: […]». 94 Cf. die Frequenzangaben zu kirchen- und vulgärlateinischen Texten (Cyprian, Peregrinatio, Lucifer de Cagliari bei Herman 1989, 137). Für die klassische Epoche weist eine ähnliche Tendenz – ebenfalls mit statistischer Dokumentation – Bolkestein (1989, 24s.) nach. 95 Zur Illustration zitieren wir ein Beispiel aus Cuzzolin (1994, 91): «Equidem etiam illud animadverto, quod, qui proprio nomine perduellis esset, is hostis vocaretur.» (Cicero, De officiis, I 12,
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
–– Die Art der Konjunktion: Ausbau von quod zum Universalkomplementierer auf Kosten von quia. Der Ausbau der Komplementsatzstrukturen geht schließlich mit dem Ausbau des lateinischen Modussystems einher, so dass der Modus zum Indikator für die «kommunikative Regresspflicht» («communicative responsibility» [Raible])96 des Sprechers wurde. In der Zuspitzung charakterisiert Cuzzolin diesen Vorgang als einen Grammatikalisierungsprozess der Sprecherhaltung im Rahmen des Modussystems – zusammenfassend hält er fest: «Insomma, credo che la storia dello sviluppo della subordinata esplicita latina a danno dell’ACI possa anche essere interpretata come un lungo processo di grammaticalizzazione, all’interno della subordinata dell’atteggiamento proposizionale del parlante, un’informazione semantica che l’ACI per sua natura neutralizzava.»97
In dieses Bild fügt sich auch die zunehmende Ausweitung des Konjunktivgebrauchs im lateinischen Komplementsatz vom 2. zum 5. nachchristlichen Jahrhundert, wie die folgende zusammenfassende Tabelle anschaulich zeigt:98 Tabelle 2: Konjunktivgebrauch im Komplementsatz (2. bis 5. Jh. n.Chr.) Autore
Fattivi (faktiv-emotiv) (CONG/IND)
Semifattivi (epistemisch) (CONG/IND)
Assertivi forti Assertivi deboli (verba dicendi) (doxastisch) (CONG/IND) (CONG/IND)
Tertullian
2/3
1/1
0
1/1
Hieronymus (fase 1a)
2/4
6/11
3/4
2/3
Hieronymus (fase 2a)
4/8
12/15
27/34
3/4
Augustinus (fase 1a)
1/9
0/1
4/5
0
Augustinus (fase 2a)
14/19
12/43
8/27
3/3
37). Zur Rolle des proleptischen Elements bei der Genese der quod-Konstruktion cf. auch Adams (2005, 196). 96 Cf. Raible (1983, 282). Den Konjunktiv charakterisiert der Autor als «mode of reduced communicative responsibility». 97 Cuzzolin (1994, 74). 98 Cf. Cuzzolin (1994, 288).
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
187
2.5 D ie Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben 2.5.1 credere Noch bei Isidor von Sevilla und Gregor von Tours ist der accusativus cum infinitivo die vom epistemischen Verb credere subkategorisierte Standardkonstruktion. Wir führen jeweils ein exemplarisches Beispiel an: (26) «Hunc librum edidisse creditur Samuel.» (Isidor de Sevilla, Etymologiae VI, 1, 9) (‘Es wird geglaubt, dass Samuel dieses Buch herausgegeben habe.’) (27) «credo, eum tertia die resurrexisse, hominem perditum liberasse, ascendisse caelos, sedere a dexteram Patris [...].» (Gregor von Tours, Buch I: Einleitung) (‘Ich glaube, dass er am dritten Tage auferstanden ist, den verlorenen Menschen befreit hat, in den Himmel aufgestiegen ist, zur Rechten des Vaters sitzt …’)
In der Vulgata des Hieronymus hat sich im Gegensatz hierzu schon weitestgehend die Komplementsatzkonstruktion mit quod, quia und quoniam generalisiert. Mit diesem generellen Übergang zur Komplementsatzstruktur stellte sich allerdings die Modusproblematik – nach welchen linguistischen Kriterien sollten die Komplementsätze von epistemischen Matrixverben im Rahmen der binären Kategorisierungslogik des morphologischen Modus klassifiziert werden? In den genannten untersuchten spätlateinischen Texten wird deutlich, dass teilweise unterschiedliche Kriterien bzw. Prinzipien eine Rolle bei der Moduszuweisung spielten und von Anfang an zu konkurrierenden Kategorisierungsmodellen führten. In der Vulgata weisen credere-Kontexte überwiegend den indikativischen Modus auf. Es versteht sich dabei von selbst, dass dem Verb credere als prototypisch doxastischem Prädikat im Rahmen der Texttradition «heilige Schrift» eine zentrale Bedeutung zukommt. Das Verb führt dabei Propositionen p in den Diskurs ein, die den Charakter von apriorischen, nicht weiter evidenzbedürftigen Glaubenswahrheiten besitzen und in evidentieller Hinsicht (für den Adressatenkreis) zum Offenbarungswissen («given by relevation»/«mysticallyrevealed knowledge») gehören. In diesem Rahmen besitzen die Sprecher bzw. ihre Sprechakte unterschiedliche Funktionen: Sie aktivieren mit ihrem Sprechakt entweder Propositionen des gemeinsamen Redehintergrundes (common ground) der Kommunikationsgemeinschaft oder, sofern die Sprecher selber mit hinreichender auctoritas bzw. ethos99 ausgestattet sind, erweitern den gemein-
99 Zum Begriff des ethos als Diskurskomponente cf. Adam (1999, 110ss.).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
samen Redehintergrund durch die Einschreibung neuer verbindlicher Propositionen. Mit dem Prädikat credere wird im Kontext der spezifischen Textgattung «heilige Schrift» mithin präsupponiertes Wissen aus einem Schatz kollektiver Glaubenswahrheiten aktualisiert bzw. ein solches Wissen neu geschaffen. Betrachten wir zur Illustration einige Beispielkontexte aus der Vulgata (Neues Testament): In dem ersten Beispiel ruft der Sprecher (hier der Apostel Paulus) Propositionen aus der Menge der gemeinsamen Glaubensüberzeugungen in Erinnerung, die zum gemeinsamen Redehintergrund der Gemeinschaft geworden sind: (28) «si enim credimus quod Jesus mortuus est et resurrexit ita et Deus eos qui dormierunt per Jesum adducet cum eo [...].» (Vulg., 1. Paulusbrief an die Thessaloniker, 4,14) (‘So gewiss wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so gewiss glauben wir auch, dass Gott die Entschlafenen durch Jesus mit ihm führen wird.’)
Auch in dem zweiten Beispiel – in diesem Fall mit der einleitenden Konjunktion quia – tun die Sprecher ihre Überzeugung von der Wahrheit der Proposition p kund und vollziehen mithilfe des Prädikats credere den Sprechakt des Bekenntnisses: (29) «[...] et nos credidimus et cognovimus quia tu es Christus Filius Dei.» (Vulg., Johannes, 6, 70) (‘Wir haben Vertrauen gefasst und wir haben erkannt, dass Du Christus, der Sohn Gottes, bist.’)
In dem dritten – nun durch den Komplementierer quoniam eingeführten – Komplementsatz weist der Sprecher den Status von p durch die Modusmarkierung aus: p ist Präsuppositionswissen, und zwar, wie die Argumentation des Sprechers zeigt, kein exklusives. Dem angesprochenen Hörer (TU) erwächst daraus kein besonderer Verdienst. (30) «Tu credis quoniam unus est Deus bene facis et daemones credunt et conremescunt.» (Vulg., Jakobus, 2,19) (‘Du glaubst, dass es nur einen Gott gibt. Sehr schön! Das glauben die Dämonen auch, aber sie zittern dabei.’)
In Verbindung mit der Negation stellt sich die Moduswahl differenzierter dar: So markiert der Übersetzer in dem ersten Beispielfall das Verb mit dem Indikativ, in dem zweiten – im gleichen Text – hingegen mit dem Konjunktiv. Dabei fungiert quia in beiden Fällen als Komplementierer – man vergleiche: (31) «Dixi ergo vobis quia moriemini in peccatis vestris si enim non credideritis quia ego sum moriemini in peccato vestro.» (Vulg., Johannes 8, 24)
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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(‘Deshalb habe ich euch gesagt, dass Ihr in Eueren Sünden sterben werdet, wenn ihr nicht glaubt, dass ich (der Christus) bin, werdet ihr in Euerer Sünde sterben.’) (32) «Adducunt eum ad Pharisæos qui cæcus fuerat. [...]. Iterum ergo interrogabant eum Pharisæi quomodo vidisset [...]. Non crediderunt ergo Judaei de illo quia caecus fuisset et vidisset […].» (Vulg., Johannes 9,18) (‘Sie brachten ihn, der zuvor blind gewesen war, zu den Pharisäern. [...]. Da fragten ihn die Pharisäer abermals, auf welche Weise er sehend geworden wäre. [...]. Die Juden wollten aber nicht glauben, dass er blind gewesen war und jetzt sehend geworden sei.’)
In Beispiel (31) hat der Negationsoperator offenbar keinen Skopus über die Proposition p (scoping out): p ist, wofür der Sprecher (als Religionsstifter) sich verbürgt, a priori wahr, sodass lediglich auf die negative Einstellung des Matrixsatzsubjekts zur Wahrheit von p fokussiert wird. In Beispiel (32) hingegen interveniert der Sprecher nicht – im Gegenteil gehört es zur Dramaturgie des ironisch-metaphorischen Spiels mit dem Konzept der Blindheit, dass die Fehleinschätzung der Matrixsatzsubjekte deutlich hervortritt. Es erscheint in diesem Zusammenhang auch durchaus möglich, im Sinne einer NR-Implikatur (NEG-raising-Implikatur), die Hieronymus dann meisterhaft zu diskursiven Zwecken instrumentiert hätte, zu argumentieren. Die Negation non credere que p ist im Kontext eines typischen disbelief-Gleichnisses konträr und nicht kontradiktorisch zu interpretieren: Die Subjekte glauben ¬p, obwohl p doch eigentlich wahr ist. Der Konjunktiv würde nach dieser Interpretation die implizite Negation des Sachverhalts (p = 0) in der mentalen Repräsentation der Matrixsatzsubjekte signalisieren. Ein scoping out ist aber auch beim Imperativoperator möglich. In dem folgenden Beispiel verbürgt sich der Sprecher – im Rahmen eines Sprechaktes der Verheißung – für das Eintreten von p: (33) «dicit ei Jesus mulier crede mihi quia veniet hora quando neque in monte hoc neque in Hierosolymis adorabitis Patrem.» (Vulg., Johannes, 4,21) (‘Jesus erwiderte ihr: Glaube mir, Frau, dass die Stunde kommen wird, wo ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.’)
Auf einen letzten interessanten Umstand soll im Zusammenhang mit dem Gebrauch von credere in der Vulgata hingewiesen werden: Bei der Modalisierung von p durch den Möglichkeitsoperator (◊p: es ist möglich, dass p) rekurriert der Übersetzer nicht auf den konjunktivischen Modus, sondern auf das Modalverb posse, wie etwa in dem folgenden Zitat: (34) «[...] cum autem venisset domum accesserunt ad eum caeci et dicit eis Jesus creditis quia possum hoc facere vobis dicunt ei utique Domine.» (Vulg., Mathäus, 9,28s.)
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(‘Als er nach Hause kam, traten die Blinden zu ihm. Jesus sagte ihnen: Glaubt Ihr, dass ich das tun kann? Und sie sprachen zu ihm: Sicher, Herr!’)
Erscheint credere in der Vulgata als ein stark affirmatives, den common ground der Bezugsgemeinschaft aktivierendes oder autoritativ erweiterndes Prädikat, so zeichnet sich bei Isidor von Sevilla und Gregor von Tours schon ein differenzierteres Verwendungsmodell ab: Bei Gregor von Tours finden wir zum einen Belege, in denen credo als Modalisator verwendet wird, um der Assertion, dass p ihren kategorischen Status zu nehmen. Zwar markiert Gregor p als Einschätzung, zu der er selber gelangt ist – dieser Umstand berührt aber die Wahrheit von p in ihrer Substanz nicht: Weil p eine wahre Einschätzung ist, wird konsequent der Indikativ verwendet. Interessanterweise signalisiert Gregor auch das lockere Subordinationsverhältnis zwischen dem Matrixprädikat und dem Komplementsatz p, der seinen autonomen Status weitgehend behält, durch Tilgung des Subordinators quod. Wir führen zwei Beispiele an: (35) «Et credo, haec causa obstitit, ut non optineret, quia non per Deum, sed per homines adipisci voluit hos honores.» (Gregor von Tours, Historia Francorum IV, 35, 36ss.) (‘Und das, glaube ich, hinderte ihn daran, sein Ziel zu erreichen, dass er nicht durch Gott, sondern durch Menschen diese Würde (= gemeint ist die Bischofswürde) erhalten wollte.’) (36) «Sed credo, infilici ea res maximum fuit inpedimentum, quod nullam reverentiam sancto praestabat antestiti.» (Gregor von Tours, VII, 22, 4s.) (‘Das aber, glaube ich, brachte jenen Unglücklichen besonders zu Fall, dass er dem hl. Bischof keine Ehrfurcht erwies.’)
Dennoch ist es auch möglich, den Verpflichtungsgrad auf p deutlich abzumildern. Das folgende Konjunktiv-Beispiel (pronuntiasset) ist besonders instruktiv: (37) «Cum autem apud Parisius moraremur, signa in caelo apparuerunt, [...]. Credo, interitum Merovechi pronuntiasset.» (Gregor V, 18, 21s.) (‘Als wir aber vor Paris verweilten, erschienen Zeichen am Himmel [...]. Ich glaube, dass dies (i.e. die Zeichen, Anm. d. Verf.) das Ende des Merovechs vorher ankündigte.’)
Es geht Gregor – wie der vorangehende Kotext andeutet – nicht einfach um eine Herleitung von p auf der Grundlage dessen, was er zum Zeitpunkt der Äußerung weiß (also die Menge der gewussten wahren Propositionen der epistemischen modalen Basis). Auch kann Gregor keine Beweise und Indizien vorbringen, die seine Überzeugung, dass p als de re-Glauben erhärten – im Gegenteil, hierin liegt die eigentliche Pointe des Beispielzitats: Der Autor der Historia Francorum beruft sich auf signa in caelo, die in keinerlei kausalem Verhältnis zum Sachverhalt p stehen, auf den sie angeblich verweisen. Es gilt nicht: weil q (signo in caelo),
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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p, sondern q verweist zeichenhaft – als symbolon – auf p. Gregor argumentiert also gar nicht –seine Proposition soll weder evidenzfähig noch evidenzbedürftig sein, sondern sie verweist auf eine andere Ebene, die Ebene deutungsbedürftiger Zeichen, die schon per se doxastisch nicht allgemein zugänglich ist. Zu dem epistemischen (Argumentation auf der Basis von Wissen) kommt also ein doxastisches Moment, eine Überzeugungswahrheit auf subjektiver Grundlage, hinzu. Die Wahrheitsbedingung für credere in der doxastischen Lesart, die bei Gregor durch den Konjunktiv markiert wird, lässt sich folgendermaßen in Anlehnung an Lohnstein formulieren:100 Der Komplementsatz (interitum Merovechi pronuntiasset) ist genau dann an einem Index i wahr, wenn an jedem Index i’, der für den Autor Gregor doxastisch zugänglich ist, die Zeichen es waren, die das Ende des Merovechs ankündigten. Oder anders ausgedrückt: Die Proposition interitum Merovechi pronuntiasset muss an allen Indizes, die durch Gregors doxastisches System determiniert sind, zutreffen. Sie muss mithin Teil der doxastischen Komponente seines umfassenden epistemischen Gesamtsystems sein. Die Scheidung zwischen durch Evidenz erweisbarem oder – wenigstens – argumentationsfähigem epistemischem Wissen und doxastisch nicht allgemein zugänglichen Glaubenswahrheiten tritt in der folgenden Textpassage, in der credere wieder als Glaubensprädikat und nicht als Modalisator fungiert, sehr deutlich hervor: (38) «Nos credimus, quia, quamlibet in pulvere redigatur homo et acquis ac terrae venti violenti inpetu dispergatur, non sit difficile Deo haec ad vitam resuscitari.» (Gregor von Tours, Historia Francorum X, 13, 350/352) (‘Wir glauben, dass, obwohl der Mensch zu Staub zerfällt und von dem Brausen des Sturmwindes zerstreut wird, es Gott nicht schwer fällt, seine Gebeine zum Leben zu erwecken.’)101
Gregor gibt in dieser Textpassage eine christliche Glaubenswahrheit wieder. Aber anders als in der Vulgata, wird der propositionale Gehalt nicht als ein geteiltes, gemeinschaftliches Wissen vor einem gemeinsamen Hintergrund (Glaubensuniversum) gekennzeichnet, sondern als eine spezifische Überzeugung, die über die epistemische Sphäre, die stets die Evidenzproblematik – das Argumentationsgebot zur Beibringung von Beweismitteln – nach sich zieht, hinausgeht. Die
100 Cf. Lohnstein (2000, 70). 101 Übersetzung zitiert nach: Buchner, Rudolf (ed.), Zehn Bücher Geschichten (Historia Francorum), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2 vol. (Freiherr-von-Stein-Gedächtnisausgabe).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Textstelle ist insofern bemerkenswert, als sie zeigt, dass die christliche Doxa in der Zeit Gregors nicht ipso facto als Grundbestand des gemeinsamen Redehintergrundes angesehen wurde, sondern offenbar als eine besondere doxastische Quelle, die nicht allen bzw. nicht generell zugänglich ist (und deshalb auch nicht als präsupponiertes Wissen zugrunde gelegt werden kann). Die Überzeugung non sit difficile Deo haec ad vitam resuscitari ist mithin nur im Rahmen subjektiver doxastischer Modelle (und hier an den durch das Modell festgelegten Indizes i‘) wahr und sie ist deshalb auch nicht beweisfähig: Es wäre sinnlos, dafür plädieren zu wollen, dass dem prädizierten Sachverhalt als res etwas Objektives in der Wirklichkeit entspricht. Genauso absurd wäre es auch, eine objektive Bekanntschaftsrelation mit dieser res argumentativ erweisen zu wollen. Eine Reihe weiterer Beispiele aus der Historia Francorum könnten angefügt werden. Ein Kontrastpaar soll hier noch einmal zur Verdeutlichung vorgestellt werden: (39) «[...] et credo, haec causa ei, si quid superbiae habuit, medicamentum fuit.» (Gregor von Tours, IV, 31, 238) (‘[...] und ich glaube, dies war für ihn, wenn etwa in ihm Hochmut war, ein Heilmittel.’) (40) «Quod, credo, providentia Dei fecisset.» (Gregor von Tours, VIII, 20, 188). (‘Dies, glaube ich, hatte die Vorsehung Gottes getan.’)
Die erste Aussage kann zumindest grundsätzlich Gegenstand eines argumentativen Beweisverfahrens werden – deshalb der indikativische Modus. Die zweite Aussage hingegen gilt wieder nur in Welten, die nicht ausschließlich auf unserem epistemischen Wissen und den hierfür geeigneten Evidenzverfahren beruhen. p gilt nur in solchen (nicht allgemein zugänglichen) Welten, die mit dem kompatibel sind, was Gregor glaubt: dass Gott providentiell in die Weltgeschichte eingreift. Die Verwendung von credere in einer doxastischen Lesart wird auch bei Isidor von Sevilla mithilfe des konjunktivischen Modus angezeigt. In dem folgenden – sehr anschaulichen – Beispiel referiert er in seinen Etymologiae zwei konkurrierende Auffassungen zur Sprachursprungsfrage: (41) «ubi a quibusdam creditur illa lingua una et sola, quae fuit antequam esset linguarum diversitas. In diversis quippe gentibus creditur quod eadem lingua illis Deus loquatur quam ipsi homines utuntur, ut ab eis intellegatur.» (Isidor de Sevilla, Etymologiae, Buch IX, I, 11) (‘Von einigen wird diese Sprache, die es vor der Sprachvielfalt gab, für eine einzige gehalten. Andere hingegen glauben, dass Gott in derselben Sprache zu ihnen gesprochen habe, die die Menschen selber verwendeten, damit er von ihnen verstanden würde.’)
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Isidor kann und will auch nicht zwischen den Positionen entscheiden. Der Modusgebrauch macht aber deutlich, dass die beiden Positionen jeweils epistemisch nicht allgemein zugänglich sind (via Beweisverfahren) und dass sich hinter jeder von ihnen ein partikuläres doxastisches System verbirgt. Die beiden «Denkschulen» (die «Universalisten» und die «Partikularisten») besitzen verschiedene Überzeugungen hinsichtlich des linguistischen Urzustandes. Ein Fazit zu credere wäre an dieser Stelle noch verfrüht – es muss die Modusselektion auch noch anderer epistemischer Prädikate (im weiteren Sinne) untersucht werden. Gleichwohl kann hier schon auf eine interessante Entwicklung hingewiesen werden – auf den Ausbau der Funktionalisierung der Modusalternation von credere von Hieronymus zu Isidor von Sevilla, der dann auch in den frühromanischen Modussystemen greifbar wird.
2.5.2 putare Das neue – protoromanische – Selektionsmuster hatte sich im Spätlatein bei dem epistemischen Verb putare noch weit weniger durchgesetzt als bei seinem Konkurrenten credere. Auch in diesem Fall finden sich wiederum die meisten Belege für die neue Komplementkonstruktion in der Vulgata. Gregor von Tours rekurriert fast 200 Jahre später – freilich im Rahmen einer anderen Diskurstradition – noch ausschließlich auf die in klassischer Zeit generell übliche ACI-Fügung. Ein typisches Beispiel findet sich im Einleitungstext der Historia Francorum und soll hier exemplarisch zitiert werden: (42) «Non enim inrationabiliter accipi puto, se filicem beatorum vitam inter miserorum memoremus excidia […].» (Gregor von Tours, Historia Francorum, II, Einleitung, 56) (‘Und ich denke, man wird es nicht unvernünftig finden, wenn wir von dem glückseligen Leben der Heiligen und den unseligen Schicksalen der Gottlosen hier zusammen berichten […].’)
Die ACI-Konstruktion wird grundsätzlich bei Koreferenz von Matrixsatz- und Nebensatzsubjekt verwendet – so auch in der Vulgata: (43) «Si quis autem putat se religiosum esse non refrenans linguam suam sed seducens cor suum hujus vana est religio.» (Vulg., Brief des Jakobus, 1,26) (‘Wenn jemand aber glaubt, er sei gottesfürchtig und er aber seine Zunge nicht zügeln kann, so betrügt er sein eigenes Herz; seine Frömmigkeit ist wertlos.’)
Aber auch bei der Verbindung von erster Person (puto) und unpersönlichem Nebensatzausdruck ist der accusativus cum infinitivo allgemein üblich: Als Beleg soll ein Textzitat aus den Etymologiae Isidors dienen, die in der Entwicklung vom
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klassischen syntaktischen Modell zum modernen, protoromanischen eine Mittlerstellung einnehmen: (44) «II. DE RELIGIONE ET FIDE. [1] Dogma a putando philosophi nominaverunt, id est, ‹hoc puto esse bonum›, ‹hoc puto esse verum›.» (Etymologiae, VIII, II, 1) (‘Über die Religion und den Glauben. Die Gelehrten haben dies Glaubenslehre genannt, d.h. ‹Ich glaube, dass dies gut ist›, ‹Ich glaube, dass dies wahr ist›.’)
Im Gegensatz zu Isidor rekurriert Hieronymus in Fällen von Subjektverschiedenheit in Matrix- und Nebensatz generell auf eine Komplementsatzkonstruktion: (45) «Puto enim Deus nos apostolos novissimos ostendit tamquam morti destinatos quia spectaculum facti sumus mundo et angelis et hominibus.» (Vulg., 1. Brief an die Korinther, 4,9) (‘Ich glaube aber, Gott hat uns Aposteln den letzten Platz angewiesen, gleich wie den Todgeweihten, denn wir sind ein Schauspiel geworden für die Welt, die Engel und die Menschen.’)
Das zitierte Beispiel ist in dreifacher Hinsicht interessant: a) puto wird hier in modalisierender Funktion verwendet – der Sprecher relativiert seine Aussage leicht, b) die relative Autonomie des Komplementsatzes p wird durch die Tilgung des Subordinators quod bzw. quia angezeigt und c) die Einschreibung von p in das doxastische Modell des Sprechers (p gilt für alle w’ ∈ W in ME(LOC)) korrespondiert mit dem indikativischen Modus. Ebenfalls mit dem Indikativ markiert wird in der Vulgata eine vom Sprecher lediglich rapportierte Einstellung des Matrixsatzsubjekts. Für die Vulgata gilt mithin, dass die Einschreibung einer Überzeugung in das epistemische Modell des Matrixsatzsubjekts (für alle w ∈ HGdox(w, vos) gilt: p(w) = 1) kein hinreichender Grund für die Auslösung des Konjunktivs ist. (46) «[...] et respondens dixit illis putatis quod hii Galilaei prae omnibus Galilaeis peccatores fuerunt quia talia passi sunt.» (Vulg., Lucas, 13,2) (‘[...] und er antwortete ihnen: Ihr meint, dass diese Galiläer schlimmere Sünder gewesen sind als alle anderen Galiläer, weil sie solches zu erleiden hatten?’)
Der Indikativgebrauch ist in diesen Kontexten der Wiedergabe einer fremden Überzeugung offenbar systematisch, wie auch das nächste Beispiel deutlich macht: (47) «sicut illi decem et octo supra quos cecidit turris in Siloam et occidit eos putatis quia et ipsi debitores fuerunt praeter omnes homines habitantes in Hierusalem.» (Vulg., Lucas, 13,4) (‘Ihr meint, dass jene achtzehn Leute, auf die der Turm von Siloah fiel und sie erschlug, eine schwerere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner Jerusalems.’)
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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Anders hingegen liegen die Modusverhältnisse, wenn der Sprecher selber interveniert und seinen Dissens gegenüber der Haltung des Matrixsatzsubjekts offenkundig machen möchte. Er nimmt dann seine Funktion eines Garanten des Wahrheitsstatus von Propositionen wahr und kennzeichnet in dem konkreten Einzelfall die Unangemessenheit von p durch den konjunktivischen Modus. (48) «Dixerat autem Jesus de morte ejus illi autem putaverunt quia de dormitione somni diceret.» (Vulg., Johannes, 11,13). (‘Jesus hat aber von seinem Tod gesprochen; sie aber glaubten, dass er von des Schlafes Ruhe spreche.’) (49) «Olim putatis quod escusemus nos apud vos coram Deo in Christo loquimur omnia autem carissimi propter vestram aedificationem.» (Vulg., 2. Brief des Paulus an die Korinther, 12,19) (‘Seit langem meint ihr, dass wir uns vor Euch rechtfertigen wollen. Wir reden vielmehr vor Gott in der Gemeinschaft mit Christus, und alles soll euch, den Geliebten, zum Besten und zur Erbauung dienen.’)
In beiden Textpassagen wird durch die Modusmarkierung die antithetische Argumentationsstruktur besonders deutlich: die Matrixsatzsubjekte glauben irrtümlicherweise p, der Sprecher bürgt aber für die Wahrheit von q. Dabei ist das Wahrheitsmodell des Sprechers höherrangig als das der Matrixsatzsubjekte: Mepistemisch(LOC) Mdox(x), wobei Mdoxastisch(x) < Mepistemisch(LOC), Mepistemisch(LOC) der Wahrheit näherkommt als Mdox(x).
weil
Zudem signalisieren auch eine Reihe weiterer sprachlicher Elemente des Kotexts die kontrastierenden Wahrheitsüberzeugungen: adversatives autem, die betonte Pronominalform illi ist kontrastives Topik (illi autem putant ..), lexikalisch-semantische Oppositionen (de morte – de dormitione somni, apud vos – coram Deo in Christo). Darüber hinaus wird der Konjunktiv selegiert, wenn das Matrixsatzprädikat selber im Skopus eines modalisierenden Operators steht: –– etwa des Frageoperators Q: (50) «Quaerebant ergo Jesum et conloquebantur ad invicem in templo stantes quid putatis quia non veniat ad diem festum.» (Vulg., Johannes, 11,56) (‘Sie suchten auch dort Jesus und, während sie im Tempel herumstanden, fragten sie sich gegenseitig: Was meint ihr? Kommt er nicht zum Fest?‘ (wörtl: ‘was meint ihr, dass er nicht zum Festtag kommt?’))
–– bei rhetorischen Fragen, die auf der Präsupposition, dass ¬p gilt, gründen – zum Beispiel: ¬ [inaniter scriptura dicit] in (51):
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(51) «Aut putatis quia inaniter scriptura dicat ad invidiam concupiscit Spiritus qui inhabitat in nobis.» (Vulg., Brief des Jakobus, 4,5) (‘Oder meint ihr, dass die Schrift leere Worte macht? Eifersüchtig begehrt der Heilige Geist euer ganzes Herz.’)
Es ist allerdings stets ein scoping out der Proposition aus dem Wirkungsradius des Frageoperators möglich: In dem folgenden Beispiel präsupponiert die Frage die Wahrheit von p (p: [possum rogare Patrem meum et exhibebit mihi]). (52) «An putas quia non possum rogare Patrem meum et exhibebit mihi modo plus quam duodecim legiones angelorum.» (Vulg., Mathäus, 26,53) (‘Oder glaubst Du nicht, dass ich meinen Vater bitten könnte, er möchte mir mehr als zwölf Legionen Engel senden?’)
–– p steht im Skopus des negierten Imperativoperators (¬ IMP): In dem Belegbeispiel wird zudem die periphrastische Konstruktion Partizip Futur (-urus) + esse verwendet und damit eine analytische Form zum Audruck des Futur Konjunktivs geschaffen.102 (53) «Nolite putare quia ego accusaturus sim vos apud Patrem [...].» (Vulg., Johannes, 5,45) (‘Glaubt nicht, dass ich euch bei dem Vater verklagen werde [...].’)
–– im Skopus eines modalen Operators, beispielsweise des Notwendigkeitsoperators (hier in deontischer Lesart): Es ist notwendig, dass p bzw. □p(deont): (54) «cum clamem, quare putas quod taceam?» (Isidor, Etymologiae: Buch I, IX: De verbo, 4) (‘Wenn ich aber doch schreie, weshalb meinst Du, dass ich schweigen soll?’)
2.5.3 cogitare und opinari Bei zwei weiteren epistemischen Konkurrenten kann die Charakterisierung kurz ausfallen: Das lateinische Etymon von altfranzösisch cuidier, cogitare, ist in spätlateinischer Zeit noch kaum als epistemisches Matrixprädikat profiliert. Es drückt einen Denkakt aus, dessen verschiedene Teilaspekte mittels unterschiedlicher Argumentstrukturen fokussiert werden können:
102 Thomas/Ernout (1953, 395) sprechen hier von einer Ersatzform für fehlendes Konjunktiv Futur.
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–– c-selegiert cogitare eine direkte Objekt-NP, so steht das Thema des Denkaktes im Vordergrund, den man kognitionslinguistisch als ein ‘Anfüllen’ eines Behältnisses (effiziertes Objekt: ‘Container’) mit Inhalt (Gedanken) konzeptualisieren könnte: (55) «Non est ambitiosa non quaerit quae sua sunt non inritatur non cogitat malum.» (Vulg., 1. Brief an die Korinther, 13, 5) (‘Sie (= die Liebe) verletzt nicht den Takt, sie ist frei von Selbstsucht. Sie kennt keine Bitterkeit, sie trägt nichts Böses nach [wörtl.: ‘sie denkt nichts Böses aus’].’) (56) «Et mulier innupta et virgo cogitat quae Domini sunt [...].» (Vulg., 1. Brief an die Korinther, 7,34) (‘Die unverheiratete Frau oder das ledige Mädchen denkt (Dinge: Ellipse von ‹res›), die des Herrn sind [...].’)
–– subkategorisiert cogitare eine durch die Präposition de eingeleitete PP (Obliquus-Komplement), so liegt der Akzent auf der Zielkomponente, wobei der Denkakt einen intentionalen Charakter erhält (intent -> goal): (57) «[...] ac pronae mentis studio cogitans etiam de aliarum profectibus.» (Gregor von Tours, IX, 42) (‘[...] und ich mit allem Eifer und ganzer Seele auch auf das Wohl anderer meine Gedanken gerichtet habe.’)
–– wird ein Infinitivsatz oder ein Nebensatz mit ut selegiert, so liegt der Schwerpunkt ganz auf der Intention eines Denkaktes (intent p). Diese intentionale Lesart von cogitare im Rahmen einer Infinitivkonstruktion vererbt sich in dem altfranzösischen Pendant cuidier faire (= beabsichtigen, etwas zu tun). (58) «Non cogitat aedificare, plantare, agrum excolere; non cogitat congregare aurum, argentum vel reliquas divitias mundi.» (Gregor von Tours X, 13, 354) (‘Er denkt nicht mehr daran (=er beabsichtigt nicht), zu bauen, zu pflanzen, den Acker zu bestellen. Er denkt nicht mehr daran, Gold, Silber oder andere Schätze dieser Welt zu scheffeln.’) (59) «Ab illo ergo die cogitaverunt ut interficerent eum.» (Vulg., Johannes 11,53) (‘Von diesem Tage an waren sie entschlossen (= hatten sie den Gedanken gefasst), ihn zu töten.’)
–– cogitare selegiert auch indirekte (wh-)Fragesätze, wobei der konjunktivische Modus signalisiert, dass Gedanken eines Dritten wiedergegebenen werden (discours rapporté bzw. statement-cum-signal). Mit dieser Art von Komplementsätzen werden wir uns noch ausführlicher befassen (siehe unten) und dabei auch die Frage klären, ob der Konjunktiv hier als Kennzeichnung einer distanten Quelle (Evidenzmarkierung) anzusehen oder allgemeiner auf die spezifische logische Struktur von wh-Komplementen zurückzuführen ist.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(60) «In quo ille evigilans, dum cogitat, quid hoc esset, ficta in loco illo defigitur ac dolore maximo cruciatur.» (Gregor von Tours, V, 5, 20ss). (‘Jener erwachte davon, und da er noch darüber nachdachte, was es sei, fühlte er einen bohrenden Stich an jener Stelle und wurde von heftigen Schmerzen gepeinigt.’)
In dem historiographischen Werk Gregors begegnet uns jedoch nur ein einziger Beleg, bei dem das Prädikat cogitare einen finiten Komplementsatz selegiert: (61) «Tamen cogitans, quod pro malitia aliqua ei haec pararetur insidia, ait: ‹[...]›.» (Gregor von Tours, Historia Francorum, VII, 31, 130) (‘Da er aber dachte, dies sei eine Falle, die ihm aus irgendeiner boshaften Absicht gestellt worden sei, sagte er: ‹[...]›.’)
Gregor optiert in diesem Kontext für den Konjunktiv, d.h. er weist p wiederum dem Glaubensuniversum bzw. dem doxastischen Modell des Matrixsatzsubjekts zu: Das Subjekt x spekuliert über Motive allgemein-stereotyper Art (insidia impliziert üblicherweise pro malitia aliqua), für die es aber keine, dem aktuellen Kontext angemessene, spezifische Evidenz anführen kann (etwa: kausale Herleitung aufgrund von bekannten Fakten oder Indizien). Bemerkenswert ist also die Tatsache, dass Gregor von Tours bei dem Verb cogitare mit den gleichen Kriterien für die Moduswahl operiert wie auch im Falle von credere. Ein weiteres konkurrierendes epistemisches Prädikat, das Verb opinari, hat keine Spuren in der Vulgata hinterlassen, findet sich aber bei Gregor von Tours. Bei ihm erscheint opinari aber ausschließlich in parenthetischer Position, und zwar in der Funktion eines Modalisators: (62) «Quae octuaginsimo (sic!), ut opinor, anno vitae obiit, sepulta est septimo Idus mensis primi.» (Gregor von Tours, Historia Francorum, Buch X, 12, 348) (‘Sie verstarb, so glaube ich, im achtzigsten Lebensjahr und wurde am 9. März beerdigt.’)
Im Gegensatz dazu stellen wir bei Isidor von Sevilla eine deutlich größere syntaktische Variationsbreite im Hinblick auf die Selektionsmuster von opinari fest. Neben der parenthetischen Konstruktion sind ACI-Nebensätze sowie Ansätze zu einer Entwicklung hin zu prädikativen Strukturen, die durch Infinitiv-Ellipse entstehen (small clause, constructions attributives), zu beobachten. Man vergleiche: –– mit Accusativus cum Infinitivo: (63) «Falso autem opinantur quidam inperiti de Scripturis sanctis praevaricatores angelos cum filiabus hominum ante diluvium concubuisse, et exinde natos Gigantes, id est nimium grandes et fortes viros, de quibus terra conpleta est.» (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch XI, II, 14)
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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(‘Einige Unkundige der heiligen Schriften glauben irrtümlicherweise, dass die gefallenen Engel vor der Sintflut mit den Töchtern der Menschen Beischlaf gehalten haben und dass daraus die Riesen entstanden, Menschen von enormer Größe und Kraft, die die Erde bevölkern.’)
–– prädikative Struktur: opinari carmen primum compositum (64) «Bucolicum, id est pastorale carmen, plerique Syracusis primum conpositum a pastoribus opinantur, nonnulli Lacedaemone.» (Isidor von Sevilla, Etymologiae, Buch I, XXXIX, 16) (‘Viele glauben, die im bukolischen Stile abgefasste, also Schäferdichtung, sei erstmals von Schäfern in Syrakus verfasst worden, einige hingegen meinen (von Schäfern) in Lacedaemon. Vgl. auch: Viele halten die Schäferdichtung für abgefasst von Schäfern etc.’)
Aber auch bei Isidor ließen sich keinerlei Beispiele für die Selektion finiter Komplementsätze in Verbindung mit dem Verb opinari nachweisen. Vergleicht man abschließend die Verwendungen von credere, putare, cogitare und opinari, so sind mehrere Aspekte festzuhalten: Prädikate wie credere, putare oder cogitare drücken eine subjektive Einstellung zu einer Proposition p aus: sofern credere nicht als Modalisator, der eine Behauptung pragmatisch abmildert, verwendet wird, fokussiert das Verb auf die Inhalte eines individuell verankerten doxastischen Systems bzw. eine zugrundeliegende doxastische Quelle, die ein Glaubensuniversum aufspannt und speist. Es macht das Spezifikum von credere aus, dass sich das Prädikat im Rahmen einer ganz bestimmten Texttradition, der «heiligen Schrift», entwickelte und in diesem Kontext eine prototypische Funktion wahrnahm. So führte credere in das gemeinsame Glaubensuniversum einer im gleichen Sinnhorizont stehenden Sprechergemeinschaft ein bzw. aktualisierte Elemente des den gemeinsamen Redehintergrund konstituierenden Propositionenbestandes. Damit war der mit credere verbundene Komplementsatzmodus in einem – in kultureller und zugleich sprachlicher Hinsicht – zentralen Kontext frühzeitig auf den Indikativ fixiert. Hierin mag auch der Keim für die Aufsplitterung des Modussystems in der epistemischen Domäne liegen – zwischen der Randromania einerseits, wo sich der Indikativgebrauch (wie im Spanischen, Katalanischen, Rumänischen, teilweise im Portugiesischen) auf alle (affirmativen) Kontexte ausweitete und der Kernromania (Italienisch und Alt-/Mittelfranzösisch) andererseits, die das differenzierte Modussystem aus der Zeit der Spätantike fortsetzte. In diesem differenzierten System spielte, wie wir anhand von Gregor und Isidors Schriften gezeigt haben, das Prinzip der doxastischen Zugänglichkeit die zentrale Rolle für die Moduswahl, also die Frage nach dem Vorliegen von Evidenz, mittels der für die Wahrheit von p argumentiert werden
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
konnte.103 Die Betonung liegt dabei auf dem Aspekt der Argumentation – es ging den Autoren, wie wir anhand zahlreicher Beispiele sahen, keineswegs nur darum, Überzeugungen als unsicher oder bloß subjektiv zu kennzeichnen; vielmehr machten sie mittels der Moduswahl deutlich, dass p gar nicht Gegenstand eines Beweisverfahrens sein konnte oder sollte, – p mithin zur Klasse der nicht evidenzfähigen Propositionen gehörte (cf. unsere Ausführungen zu Givóns Klassifikation von Propositionen). Gegenüber credere profilieren putare und opinari in erster Linie eine subjektive Meinung. Cogitare bezeichnete in der Vulgata, wie unsere Analyse gezeigt hat, den Denkakt selbst unter Herausstellung unterschiedlicher Aspekte bzw. Komponenten (Inhalt/Thema-Komponente, Ziel/Absicht-Komponente etc., je nach Subkategorisierungsrahmen). Erst bei Gregor kommt – dank des Ausbaus der Komplementsatzstruktur und dem neu erschlossenen Potential der Modusmarkierung – auch ein doxastisches Moment hinzu, das – neben der intentionalen Lesart – bis zum Altfranzösischen ausgebaut werden sollte. Hinsichtlich des Modusverhaltens orientiert sich cogitare aber schon in Gregors Historia Francorum am Modell von credere. Das Meinungsverb putare hingegen verhält sich schon im (Spät)lateinischen etwas anders, wobei wir die Tatsache, dass wir das Prädikat überwiegend in der Vulgata nachweisen können, in Rechnung stellen müssen: im Falle von putare nämlich ist die Einschreibung von p in ein subjektives epistemisches Modell keine hinreichende Bedingung für eine Kennzeichnung durch den konjunktivischen Modus. Es ist vielmehr notwendig, dass die epistemischen Modelle von Matrixsatzsubjekt und Sprecher voneinander abweichen bzw. im Widerspruch zueinander stehen – mithin gilt: ME(x) ME(LOC). Das Modell des Sprechers ist dabei höherrangig als das Modell des Matrixsatzsubjekts, weil es in einem höheren Maße einem – präsupponierten – idealen Wahrheitsmodell entspricht. In diesem idealen Wahrheitsmodell fungiert der Sprecher gleichsam als Garant der Wahrheit. Damit ist, wie schon im Falle der doxastischen Lesart, die Annahme einer ordnenden Funktion – hier der Wahrheitsfunktion – für den konjunktivischen Modus relevant. Opinari, das letzte Prädikat schließlich, konnte – wenn überhaupt – nur im Rahmen traditioneller ACI-Konstruktionen oder als einfacher Modalisator in
103 Dass dieses Kriterium nicht auf Gregor oder Isidor beschränkt ist, zeigt auch das folgende Beispiel aus den Confessiones des Augustinus: «credo etiam graecis pueris Vergilius ita sit, cum eum sic discere coguntur ut ego illum.» (Augustinus, Confessiones, 1.14.23) (‘Ich glaube, dass es den griechischen Kindern mit Vergil genauso geht, wenn sie gezwungen werden, ihn zu lernen wie mir mit ihm (gemeint ist Homer, Anm. d. Verf.).’).
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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parenthetischer Stellung nachgewiesen werden. Seine Rolle bleibt auch in den romanischen Sprachen – zunächst – marginal.
odusselektion bei epistemischem scire und bei evidentiellem audire – 2.5.4 M Versuch eines Fazits Die am Beispiel doxastischer Verben herausgearbeiteten Tendenzen der Umstrukturierung des Komplementsatzsystems und vor allem der Herauskristallisierung eines erweiterten Modussystems im Bereich finiter Komplementsätze sollen noch etwas deutlicher konturiert werden anhand der Untersuchung der Modusselektionsmuster des prototypischen epistemischen Verbs scire sowie einem Vertreter des evidentiellen Subtyps audire. Wie schon erwähnt, thematisiert das Prädikat scire eine epistemische Konstellation, bei der das Wissensmodell des (oder der) Matrixsatzsubjekte(s) mit dem common ground-Wissen, das durch den Sprecher garantiert wird, übereinstimmt. Es wäre deshalb konsequent, wenn in allen affirmativen bzw. nicht-modalisierten Kontexten der von scire selegierte finite Komplementsatz im Indikativ stehen würde, da von vornherein die Wahrheit von p (p = 1) präsupponiert wird. Nun finden sich allerdings in der Vulgata erstaunlicherweise auch Beispiele wie das folgende: (65) «sciebat enim quod per invidiam tradidissent eum summi sacerdotes.» (Vulg., Markus 15,10) (‘er wusste nämlich, dass ihn die Hohepriester aus Neid übergeben hatten’) (66) «scitote quod in proximo sit in ostiis.» (Vulg., Markus 13,29) (‘Wisset, dass es nahe vor der Tür ist.’)
Wie die Beispiele zeigen, kann der Wahrheitsstatus von p (p = 1) in diesen Kontexten nicht das relevante Kriterium für die Modusselektion sein. Dass die Wahrheit von p in Hieronymus’ Übersetzung nicht per se ausreichend ist, um den Indikativ auszulösen, zeigt sich auch bei dem verwandten epistemischen Verb cognoscere. Das Verb charakterisiert eine epistemische Konstellation, bei der das Matrixsatzsubjekt eine Wissensproposition, die vom Sprecher als wahr bzw. als Teil des common ground verbürgt wird, in sein eigenes epistemisches Modell aufnimmt und es damit aktualisiert. Wiederum erstaunt aber die Moduswahl des Sprechers in Hieronymus’ Übersetzung: (67) «cum iam ramus eius tener fuerit et nata fuerint folia cognoscitis quia in proximo sit aestas» (Vulg., Markus, 13:28)
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(‘wenn jetzt sein Zweig treibt und die Blätter kommen, so wisst Ihr, dass der Sommer nahe ist’) (68) «[...] cognoverunt enim quoniam ad eos parabolam hanc dixerit.» (Vulg., Markus, 12,12) (‘denn sie verstanden nämlich, dass er dieses Gleichnis zu ihnen gesprochen hatte’)
Ist das ausschlaggebende Kriterium nicht der Wahrheitsstatus der Proposition p, so kann die Moduswahl nur damit motiviert werden, dass der Sprecher in allen Beispielzitaten auf den intensionalen Charakter der Komplementsatzproposition abhebt. Mit anderen Worten: Der Sprecher zeigt durch die Moduswahl an, dass es sich bei den Propositionen um Gedanken bzw. Vorstellungen der Ma trixsatzsubjekte handelt. Es steht mithin nicht der verikonditionelle Status der Sachverhaltsbeschreibungen im Vordergrund, sondern ihr Charakter als individuelle Repräsentationen (bzw. Konzeptualisierungen) von Situationstypen. Nicht minder interessant ist nun aber die Tatsache, dass wir bei Isidor und Gregor von Tours in diesen Kontexten keinen konjunktivischen Modus mehr vorfinden. Zum Beispiel wählt Gregor von Tours in den folgenden Textpassagen konsequent den Indikativ: (69) «Scit enim, quod te vivente haec non potest adimplere, et nisi tu cadas, ille non surgat.» (Gregor, Buch III, Kap. 5) (‘Er weiß nämlich, dass solange Du lebst, er dies nicht erfüllen kann, und wenn Du nicht fällst, er nicht aufsteigen wird.’) (70) «Scitote, quia, quocumque me fecerint dividi agones, mecum est palma: [...].» (Gregor, Buch II, Kap.3) (‘Wisset, dass wohin die Glaubenskämpfe mich auch verschlagen, mir der siegreiche Palmenzweig ist.’)
Wenn wir diese Ergebnisse zu einzelnen, allerdings zentralen, epistemischen Verben generalisieren dürfen, so zeichnet sich eine interessante Entwicklungstendenz von der Vulgata zu Gregors Historia Francorum hinsichtlich der Fixierung der Prinzipien der Modusselektion in Komplementsätzen ab: So scheint es in der Vulgata noch eine generelle Tendenz zum konjunktivischen Modus im finiten Komplementsatz zu geben, sofern das Wissens- und Glaubensmodell des Ma trixsatzsubjekts im Vordergrund steht, d.h. der Komplementsatz den Gedanken, die Vorstellung bzw. die mentale Repräsentation eines Individuums wiedergibt. Mit anderen Worten: der konjunktivische Modus ist in dieser frühen Phase ganz wesentlich ein Marker für Intensionalität. Wie wir in Kapitel 2.5.1 gesehen haben, ist es aber jederzeit möglich, dass der Sprecher den propositionalen Gehalt eines Komplementsatzes als common ground-Wissen ausweist und für den Wahrheitsgehalt der zugrundeliegenden Proposition p bürgt. Bei Gregor von Tours ist der konjunktivische Modus dann schon nicht mehr der Default-Modus für intensio-
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nale Kontexte. Vielmehr tritt bei ihm schon der verikonditionelle Status der Komplementsatzproposition als wesentliches Kriterium der Modusselektion hervor: Der Indikativ zeigt an, dass p wahr ist. Der Konjunktiv markiert hingegen die subjektive Überzeugung eines Individuums, stellt mithin den doxastischen Charakter der entsprechenden Proposition p heraus. Abschließend sollen auch noch einige kurze Bemerkungen zum Perzeptionsverb audire, seinem Wesen nach ein evidentielles Prädikat, gemacht werden. Bei diesem Verb fällt auf, dass es stets den konjunktivischen Modus selegiert, wenn es sich auf Wissen aus zweiter oder dritter Hand bezieht (Hörensagen als Evidenz). Diese Moduswahl ist sowohl systematisch in der Vulgata als auch in der Historia Francorum, wie die folgenden beiden (exemplarischen) Zitate zeigen, die beliebig vermehrt werden könnten: (71) «Quod audiens Chlodovechus, quod scilicet interfectus esset Sygibertus vel filius eius, in eodem loco adveniens, convocavit omnem populum illum, dicens: [...].» (Gregor, Buch II, Kap. 40) (‘Da Chlodwig gehört hatte, dass Sigibert oder dessen Sohn getötet worden war, rief er an eben diesen Ort ankommend, alle Untertanen zusammen und sprach: [...].’) (72) «[...] autem Moabitae audientes quod ascendissent reges ut pugnarent adversum eos» (2. Buch der Könige, 3,21) (‘als die Moabiter aber hörten, dass die Könige heraufzogen, um gegen sie zu kämpfen’)
Es zeigt sich, dass in allen konjunktivischen Beispielfällen die Komplementsatzproposition kein durch direktes (etwa durch visuelle Evidenz) abgesichertes Wissen darstellt, sondern auf den Informationen einer nicht genannten Fremdquelle, d.h. auf Wissen aus dritter Hand, beruht. Wir schließen das Kapitel mit dem Hinweis darauf, dass dieses Moment des spätlateinischen Modussystems, also die Grammatikalisierung von Evidenz typen, nicht in die romanischen Sprachen tradiert wurde. Aspekte der Evidenzialität bleiben in den romanischen Sprachen an andere Verbalkategorien, insbesondere das Futur (Inferenzmarkierung) und das Konditional (Evidenz aus zweiter und dritter Hand), gebunden. Hier gehen die romanischen Sprachen übereinstimmend andere Wege. Wie wir aber im Weiteren sehen werden, spielen die hier herausgearbeiteten Oppositionen im Bereich der Epistemizität (im weiteren Sinne) auch eine herausragende Rolle in den frühromanischen Modussystemen. An diesen Entwicklungsstrang werden wir nach einem kleinen Exkurs im übernächsten Kapitel wieder anknüpfen.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
2.5.5 Exkurs: Eine Fußnote zur spätantiken Grammatikographie Die Ausführungen spätantiker Grammatiker zur Modusproblematik gewähren einen kleinen Einblick in deren Sichtweise auf die kategorielle Opposition zwischen dem indikativischen und dem konjunktivischen Modus. Sehen sie es im Rahmen der alexandrinischen Tradition immer noch als ihre Hauptaufgabe an, Verbparadigmen zusammenzustellen, so charakterisieren sie doch den Konjunktiv ganz explizit als einen Modus der semantischen Incompletudo. Beispielsweise bemerkt Diomedis in seiner Artis Grammaticae libri III über den Subjunctivus:104 «Subjunctivus sive adiuntivus ideo dictus, quod per se non exprimat sensum, nisi insuper alius addatur sermo quo superior patefiat. subiungit enim sibi vel subiungitur necessario alii sermoni hoc modo, cum dixero audies, cum fecero aspicies, et similia»105 (‘Der Subjunktiv oder Adjunktiv wird deshalb so genannt, weil er nicht von sich aus den (vollen) Sinn auszudrücken vermag, es sei denn ihm wird ein anderer Ausdruck – gleichsam obendrauf – hinzugefügt, durch den das vorherige offenkundig wird. Er (der Subjunktiv) verbindet sich also bzw. wird notwendigerweise mit einem anderen Ausdruck verbunden – und zwar in folgender Weise: wenn ich es sage, wirst du es hören; wenn ich es mache, wirst du sehen und Ähnliches.’)
Auf die mangelnde semantische Autonomie des konjunktivischen Nebensatzes bzw. seine Abhängigkeit von einem Matrixsatzprädikat richten auch Servius in seinem Commentarius in artem Donati und Pompeius in dem Commentum ihr Augenmerk: «sed ideo dictus est coniunctivus, quia in loquendo, cum solus locutionem inplere non poterit, coniugit sibi indicativum.»106 (‘aber deswegen wird er Konjunktiv genannt, da er sich im Sprechakt mit dem Indikativ verbindet, weil er alleine nicht imstande ist, eine vollständige Aussage zu machen (die Aussage zu ‹sättigen›.’) «ergo ideo dictus est coniunctivus, quod coniugit sibi indicatuvm modum ad exprimendum sensum suum. et unde scimus quoniam coniungit sibi alium, unde exprimat sensum suum? quoniam alii modi per se intelleguntur, per se pleni sunt.»107
104 Die Entstehung der Artis Grammaticae libri III von Diomedis wird auf die 2. Hälfte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts datiert. 105 Diomedes, Artis Grammaticae libri III., Buch I, in Keil (1857), Grammatici Latini, Bd. I, 340. 106 Marii Servii Honorati: Commentarius in artem Donati, De Verbo, in Keil (1864), Grammatici Latini, Bd. IV, 151. 107 Pompeii Commentum artis Donati (2. Hälfte des 5. Jhds.) in Keil (1868), Grammatici Latini, Bd. V, 215.
Die Modusproblematik bei ausgewählten lateinischen epistemischen Verben
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(‘Deshalb wird er Konjunktiv genannt, weil er sich mit dem indikativischen Modus verbindet, um seinen Sinn auszudrücken. Und woher wissen wir, dass er sich mit einem anderen (Modus) verbindet und woher, dass er seinen Sinn ausdrücken kann? Weil die anderen Modi aus sich selber heraus verständlich sind, sie sich selber genügen (wörtl. für sich selber voll sind).’)
Schließlich darf auch der Kommentar des Isidor († 636 n. Chr) nicht fehlen, der in seinen Etymologien einmal mehr das stereotype Wissen seiner Zeit festhält, wenn er anmerkt: «Coniunctivus, quia ei coniungitur aliquid, ut locutio plena sit. Nam quando dicis ‹cum clamem› pendet sensus; quod si dicam ‹cum clamem, quare putas quod taceam?› plenus est sensus.»108 (‘Konjunktiv, weil ihm etwas hinzugefügt wird, damit der Sinn vollständig sei. Denn wenn ich sage ‹wenn ich spreche›, so ist der Sinn unbestimmt (so wird der Sinn suspendiert); wenn ich aber sage ‹wenn ich spreche, glaubst Du, dass ich schweigen werde?›, so ist der Sinn vollständig.’)
Isidors Kommentar bestätigt aber nicht nur die opinio communis der Sprachgelehrten über den Konjunktiv, sondern er enthält auch einen wertvollen, gleichsam «stillen», Hinweis auf die sprachlichen Entwicklungen von der Spätantike bis in seine Zeit (6./7. Jhd. n.Chr.): Hatten die spätantiken Grammatiker noch vor allem adverbiale Nebensätze (cum dixero, cum fecero etc.) als Beweis für die incompletudo eines mit dem Konjunktiv markierten subordinierten Satzes angeführt, so nennt Isidor erstmals auch einen echten – durch ein epistemisches Verb selegierten – Komplementsatz (quare putas quod taceam?). Dieser Beleg beweist aber, dass neben der traditionellen prototypischen Vorkommensdomäne, dem adverbialen Nebensatz, nun auch der Komplementsatz zu einer ebenbürtigen Stellung aufgestiegen sein muss und zu einer gleichwertigen Domäne im Rahmen des Modussystems geworden ist. Was die bescheidenen Kommentare der Grammatiker immerhin deutlich werden lassen, ist eine Konjunktivkonzeption, die durchaus modern, wenngleich auch übergeneralisierend ist: –– ihre Konzeption ist durchaus schon eine semantische, keine syntaktische: Der Konjunktiv wird nicht als Zeichen der syntaktischen Subordination, sondern der semantischen incompletudo interpretiert; –– das Konzept der semantischen incompletudo umfasst in der Substanz genau das, was die moderne semantische Modustheorie (etwa Chierchia) in den Begriff der Intensionalität eingeschlossen hat: Der Konjunktiv zeigt an, dass
108 Isidor, Etymologiae: Buch I, IX: De verbo, 4.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
die Nebensatzproposition p von dem aktuellen Weltindex i0 abstrahiert, ja vielmehr eine Funktion der Indexvariablen i darstellt, die für jedes i (also jede Welt-Zeit-Weltkoordinate) angibt, ob der durch p charakterisierte Sachverhalt wahr ist oder nicht. Die Proposition p (z.B. quod taceam) ist mithin eine Funktion von Indizes in Wahrheitswerte – formal: p: λi [tacere’(Ego) (i)]. –– Der Gedanke der incompletudo verweist aber nicht nur auf den hier charakterisierten Abstraktionsprozess von i0, sondern auch auf den impliziten Verweis, eine über die Nebensätzdomäne hinausgehende semantische Domäne zu suchen, die die nötige Information enthält, um p interpretieren bzw. angemessen evaluieren zu können – p muss an bestimmten, durch die Semantik des Matrixverbs vorgegebenen Indizes instanziiert und damit die Variable i der li-Funktion «gesättigt» sein. Dies ist aber – ausgedrückt in einer ab strakt-formalen Version – der Mechanismus, der die von Isidor anschaulich als pendet sensum beschriebene Konstellation aufhebt. Der konjunktivische Modus verweist mithin auf das Matrixsatzprädikat (bzw. die gesamte Matrix satzdomäne), weil eben dieses die relevanten Auswertungsindizes im Einklang mit seiner Semantik determiniert. –– Schließlich muss aber auch gesagt werden, dass die antiken Grammatiker lediglich die notwendigen Bedingungen für den konjunktivischen Modus – also das Merkmal der Intensionalität – angeben, und mit dieser Übergeneralisierung (wie im Übrigen auch Chierchia) ein wenig über das Ziel «hinausschießen». In unserer Untersuchung der spätlateinischen Verhältnisse in der Vulgata, bei Gregor von Tours und bei Isidor von Sevilla hatten wir zwei zusätzliche, für die Wahl des Konjunktivs notwendige Kriterien herausgearbeitet: –– zum einen die durch den Sprecher verbürgte Wahrheit (gewissermaßen die dem Sprecher verfügbare alethische Funktion, die als Ordnungsprinzip dient); der Sprecher kann als Garant der Wahrheit jederzeit den Wahrheitsstatus der Proposition kennzeichnen, d.h. sein epistemisches Modell rangiert höher als das des/der Matrixsatzsubjekts/e; –– zum anderen die Relevanz einer subjektiven doxastischen Quelle, die ein Glaubenssystem aufspannt, das individuell verankert ist und, weil es nicht allgemein zugänglich ist, auch nicht Gegenstand eines evidentiellen Beweisverfahrens werden kann. Damit haben wir für den epistemischen Bereich das Phänomen der Intensionalität (im Einklang mit den spätlateinischen Grammatikern) als notwendiges sowie weitere Prinzipien – die mit dem Sprecher assoziierte alethische Funktion sowie die nur dem Matrixsatzsubjekt zugängliche doxastische Quelle – als hinreichende Kriterien für die Modusselektion identifizieren können.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
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2.6 D ie Entwicklung des Modussystems bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen 2.6.1 cuidier 2.6.1.1 Quantitative Verteilungen Wie die im Eingangskapitel zitierte Studie Schneiders (1999) zum Konjunktiv gezeigt hat, spielt die Personenopposition zwischen der 1. Person Singular und der 3. Person (Sg. und Pl.) für die Modusalternation bei epistemischen Verben im Italienischen eine wichtige Rolle. Vor allem war hier die Unterscheidung zwischen parenthetischen Gebräuchen einerseits und oratio obliqua-Kontexten andererseits zentral. Auch für das Modussystem des Altfranzösischen stellt sich die Frage, ob die unterschiedlichen funktionalen Verwendungstypen ein relevanter Faktor für die Modusdifferenzerung bei epistemischen Prädikaten war. Hierzu wurde zunächst quantitativ die Modusverteilung nach Personen sowie Tempusstufen (Gegenwart vs. Vergangenheit) auf der Datenbasis des Nouveau Corpus d’Amsterdam ermittelt. Die ausgezählten Daten für das Prädikat cuid(i)er ergeben das folgende Bild (Tabelle 3): Tabelle 3: cuid(i)er que im Altfranzösischen in Verbindung mit que, qu’, qe, q’, ke, k’, c’ Je/ge/jou quit (cuit) 1 .p. sg.
Il/elle cuide/ quide 3. p. sg.
Ils/elles cuident/ quident 3. p. pl.
Je/ge/ie cuidoie 1. sg. Past
Ils/elles Cuidoi(en)t 3 pl. past
Total
134
42
23
28
42
FUT
12 (9%)
COND
11 (8,2%)
1 (2,4%)
IND – PAST
29 (21,6%) 15
3 (7,1%) 2
SUBPRES – NEGATION – NEGimplic – Restriktion
55 (41,0%) 40
35 (83,3%) 5
SUBIMP – Negation
24 (17,9%) 17
2 (4,8%) 1
Total IND Total SUBJ HOMONYM
52 (38,8%) 79 (59,0%) 3 (2,2%)
4 (9,5%) 37 (88,1%) 1 (2,4%)
22 (95,7%) 3
0 (0%) 22 (95,7%) 1 (4,3%)
1 (2,4%)
28 (100%) 5
41 (97,6%) 5
0 (0%) 28 (%)
0 (0%) 42 (100%)
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Die synoptische Übersicht der Modusverteilung bei cuid(i)er vermittelt gleich mehrere interessante Einsichten: Das Verb cuidier erscheint am weitaus häufigsten in der ersten Person Singular. Betrachtet man die einzelnen Vorkommenskontexte, so sieht man zudem, dass je/jou quid/cuit in erster Linie in modalisierender, den Wahrheitsgehalt von p relativierender Form vorkommt. Dabei ist das Spektrum der im Nebensatz selegierten Verbalkategorien sehr breit. Das Verhältnis zwischen konjunktivischen und indikativischen Kategorien beträgt für die erste Person Singular ca. 3:2 (Subj.: 59%, Ind.: 38,8%, homonyme Formen: 2,2%).109 Auffällig ist hierbei die bestehende starke Korrelation zwischen den konjunktivischen Gebräuchen und der Negation – sei diese nun durch ein explizites Negationselement oder über eine Implikatur (etwa a poinnes ~ à peine) ausgelöst: a poinnes implikatiert im Verbund mit einem epistemischen Verb wie cuidier eine Intensitätsskala, auf der es das Prädikat ganz Nahe dem Nullpunkt (also der Negation: ne cuidier que) lokalisiert. Das Adverb besitzt eine euphemistische Funktion, d.h. a poinnes gibt die vorletzte Gradausprägung an, meint aber die minimalste, die Negation: ne pas cuid(i)er que p. Das Adverb a poinnes ist mit einer generalisierten konversationellen Implikatur verbunden, bei der von der schwächeren Gradausprägung regelhaft auf die stärkere geschlossen wird: (73) «[...] mais zz pont passer li couint si foible qu’ainzqu’ a porte uaingne / a poinnes cuit que le soutaingne / li cheualiers sor le pont monte» (perq, 1324–1327)
Insgesamt sind fast 71 % (56/79: 70, 9%) der Konjunktiv-Okkurrenzen auf negative Polarität zurückzuführen. Umgekehrt müssen 29 % der Konjunktivverwendungen in Abgrenzung zu den indikativischen Fällen in einem vergleichbaren Kontext erklärt werden (dazu ausführlich weiter unten). Darüber hinaus springt die starke Präferenz für den Indikativ in Vergangenheitskontexten besonders ins Auge. Diese Grundtendenzen machen vor allem den modalisierenden Charakter von je cuit deutlich: Der Sprecher referiert in dem – seinem Charakter nach stark autonomen – Komplementsatz auf bestehende Sachverhalte, die zu seinem epistemischen Kenntnissystem gehören und prinzipiell auch der Überprüfung durch andere offen stehen. Der Sprecher nimmt dem Assertionsakt ein wenig von seinem kategorischen Charakter und relativiert seinen eigenen Status im Hin-
109 Dabei wurden die Okkurrenzen des Konditionals dem Indikativ zugerechnet – eine Vorentscheidung, die in der Forschung alles andere als konsensual ist. Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion wird in Kap. 4 ausführlich behandelt.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
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blick auf den Prozess der «Akkreditierung» von Sachverhalten. Wie der Modusgebrauch aber zeigt, tangiert dies nicht den de re-Status seiner Überzeugung. Ein charakteristisches Beispiel ist das folgende: (74) «[...] ou il ot mainte bele tour dedens ot mainte bele sale je quit que dusques en tesale n’avoit chastel mius compassé [...]» (conperc, 331–334)
Der Sprecher weist hier p (dusques en tesale n’avoit chastel mius compassé) als seine eigene Einschätzung aus, führt hierfür aber Kriterien bzw. Argumente (mainte bele tour, mainte bele sale) an. Die Kategorie des Konditionals erscheint überwiegend in Bedingungssatzkontexten, in deren Rahmen der Sprecher den epistemischen Charakter des Consequens kennzeichnet. Nehmen wir das folgende Fallspiel: (75) «se ge voloie conter mon aaige de cele oure que ge nasqui de maniere, je cuit bien que je avroie bien entor yy et yy ans.» (barlaam, 590)
Hier hängt die Taxierung des Alters davon ab, ob der Sprecher eine rechte Kenntnis der Dinge hat (also sein epistemisches Modell adäquat ist) und nicht von der Wahrheit des Antezedens (also von seinen Zählkünsten). Mithilfe des Antezedens dramatisiert der Sprecher lediglich die Kerninformation des Hauptsatzes, dass er nämlich schon yy et yy ans alt ist. Die Modifikation von je cuit durch das die Überzeugungskraft intensivierende Adverb bien ist – wie in dem aktuellen Beispiel – für die Moduswahl relevant und determiniert die Selektion einer indikativischen Verbalkategorie. Ganz anders ist das Selektionsverhalten des Prädikats, wenn es selber im Imperfekt steht: so verbindet sich je cuidoie que ausnahmslos mit einer Konjunktiv-II-Form im Komplementsatz. Auf den damit verbundenen Problemkomplex, die Moduswahl sowie die Problematik der consecutio temporum, wollen wir im Verlauf dieses Kapitels noch ausführlicher eingehen. Mit diesen Grundtendenzen der Moduswahl im Zusammenhang mit der ersten Person (je cuit/je cuidoie) kontrastiert deutlich die Verteilung der Kategorien nach einer cuid(i)er-Form in der 3. Person (Singular und Plural). Wie die Tabelle zeigt, wird – bis auf ganz wenige Ausnahmen – selbst in affirmativen Kontexten in der Regel der Konjunktiv (Präsens) selegiert – im Singular (il/elle cuide) in fast 90% der Fälle (88,1%), im Plural (ils/elles cuident) in allen Fällen (100%). Auch die Modifikation des epistemischen Prädikats durch das Adverb bien spielt – anders als bei je cuit – keine wesentliche Rolle: es vermag nicht, grundsätzlich einen Indikativ zu präjudizieren. Stehen die Formen der 3. Person in einer Vergangenheitszeit (in der Regel im Imparfait), so treten sie stets zusammen
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
mit einem Subjonctif Imparfait im Komplementsatz auf. Diese Konstellation stellt die einzige Gemeinsamkeit dar, die die Formen der dritten Person mit der ersten teilen: Wir werden erklären müssen, wie das Vergangenheitsmerkmal – der pastOperator – mit dem Konjunktiv Imperfekt im untergeordneten Nebensatz zusammenhängt. Bevor wir ausführlicher auf die Prinzipien der Modusverwendung von cuidier eingehen, sollen noch einige Bemerkungen zu den Formen der 2. Person Singular und Plural (cuides und cuid(i)ez) gemacht werden. Die Anfrage an das Amsterdamer Korpus zeigt, dass cuides bzw. cuid(i)ez fast ausschließlich in einigen wenigen festen Verwendungen vorkommen und dabei ganz bestimmte pragmatische Funktionen realisieren. Vielfach sind die Wendungen formelhaft-stereotyp, ja sind Teil einer ritualisierten sprachlichen Routine: –– Steht cuid(i)ez/cuides im Skopus des Negationsoperators (NEG), der seinerseits von dem Befehlsoperator IMP gebunden wird, so fordert der Sprecher den Gesprächspartner auf, p für falsch zu halten bzw. nicht als wahre Proposition in sein epistemisches Modell einzuschreiben: Der Sprecher thematisiert also das epistemische Modell des Adressaten und möchte in der direkten Ansprache eine gegenteilige Überzeugung (dass nämlich ¬p gilt) einschärfen: IMP[¬p]: ne cuidier pas (76) «[...] ne quidez pas que je vos mente» (best, 2848) (77) «[...] ne cuides pas que ge me saigne» (contre, 1636)
–– Befindet sich cuid(i)ez/cuides im Skopus des Frageoperators (Q), so simuliert der Sprecher eine Fragesituation, die scheinbar den Wahrheitswert von p erfragt: Der Gesprächspartner soll aber – qua konversationeller Implikatur – darauf schließen, dass ¬p gemeint ist. Die Nebensatzproposition p verstößt in der Regel gegen stereotypes Welt- bzw. Erfahrungswissen, so dass der Frageakt einen fingierten bzw. rein rhetorischen Charakter besitzt. Der Sprecher verstößt gegen das Relevanzprinzip (die Maxime der Pertinenz), da er nach Einstellungsalternativen [croire que p] ∨ [croire que ¬p] fragt, die gar nicht ernsthaft zur Disposition stehen. Seine Frage ist also deshalb nicht pertinent, weil die zugrundeliegende Proposition gar nicht zum Gegenstand einer Entscheidungsfrage gemacht werden kann. Dieses Muster ist besonders kennzeichnend für die sog. rhetorische Frage: Q [p]: (78) «Cuides tu que hons qui ait cent ans en sa viellesse ait enfent [...]?» (malk, 182–183)
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
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(79) «[...] li barun de la terre parlerent al rei si li distrent ‹quides tu que david pur l’amur e l’onur tun pere e pur tei cunforter ait einveiéd cha ses messages ne l’ad pas pur co fait mais pur espier e aprendre l’estre e (....)›» (reis, 2506–2509)
–– Im Skopus von IMP (Imperativoperator) wird der Gesprächspartner auf die unbedingte Wahrheit von p verpflichtet. Auch hierbei verlagert der Sprecher den perspektivischen Fokus von seiner Rolle als kategorisch assertierender Origo hin zur epistemischen Sphäre seines Gesprächspartners: Der Gesprächspartner wird aufgefordert, sein epistemisches Modell zu aktualisieren und damit die Voraussetzung für eine glückende Kommunikation zu schaffen. IMP [p]: (80) «[...] quant vendra al daerein jor quidez que deu ne li demant qu’il avra fet de son besant oil jeo l sai veraiement» (best, 3549–3552) (81) «quidez que ci seie venuz senz la volentet vostre seignur» (reis, 7208)
Wie die Modusverteilung in den beiden Tabellen zu cuidiez und cuides verdeutlicht, wird in allen Fällen, in denen sich das Matrixsatzverb im Skopus eines Operators befindet, im Nebensatz der konjunktivische Modus selegiert. Zugleich wird deutlich, dass vor allem die imperativischen Verwendungen von cuidiez (ne cuidiez pas sowie cuidiez que) einen hohen Anteil der Verwendungen des Verbs cuidier ausmachen (vgl. dazu die Häufigkeit von il/elle cuide und ils/elles cuident) – das Verb mithin von vorneherein an eine gewisse Anzahl pragmatischer Kontexte gebunden ist bzw. bestimmte Verbformen hinsichtlich ihrer Gebräuche stark fixiert sind. Diese Kontexte und Verwendungsweisen sind es auch, die die Korrelation zwischen dem Verb cuidier und dem konjunktivischen Modus stärken.110 Tabelle 4: Typische Verwendungskontexte von cuidiez Cuidiez
NEG: ne cuidiez pas
Q: cuidiez que ?
IMP: cuidiez que !
Gesamt
19
10
34
SUBPRES
17
5
18
SUBIMP
2
5
15
IND FUT COND
110 Cf. zu den «constructions interrogatives» auch Shirt (1975, 380).
1
212
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 5: Typische Verwendungskontexte von cuides Cuides
NEG: ne cuides pas
Q: cuides que ?
IMP: cuides que !
Gesamt
2
14
2
SUBPRES
1
12
1
SUBIMP
1
IND Unbestimmt
1
1
1
Wenden wir uns nun der Frage zu, nach welchen Prinzipien die Modusopposition zwischen dem Indikativ und dem Konjunktiv bei je cuit sowie bei der 3. Person (il/ elle cuide bzw. ils/elles cuident) funktioniert.
2.6.1.2 Die Moduswahl bei je cuit Betrachtet man die Modusvariation bei je cuit, so gewinnt man den Eindruck, dass die Entscheidung für den Indikativ (Indicatif Présent) bzw. den Konjunktiv (Subjonctif Présent) stark subjektiv geprägt ist. Der Sprecher drückt durch die Modusalternation den Grad seiner eigenen Überzeugung hinsichtlich der Wahrheit der Proposition p aus. Dennoch lassen sich anhand der konkreten Verwendungsfälle grundlegendere Tendenzen bei der Moduswahl nach je cuit que im Altfranzösischen erkennen: Glaubt der Sprecher, über Evidenz zu verfügen, auf deren Grundlage er für die Wahrheit von p argumentieren kann – p mithin epistemisch zugänglich machen zu können –, so zeigt er dies mit der Wahl des indikativischen Modus an. Er macht damit deutlich, dass er die Komplementsatzproposition im Rahmen seines epistemischen Modells für wahr hält und zudem glaubt, für seine Überzeugung auch valide Argumente anführen zu können, die p zu einem Kandidaten für die Aufnahme in den gemeinsamen Redehintergrund der Gesprächspartner, den common ground, machen. Natürlich muss der Sprecher seine Argumente – je nach Kontext – nicht ausbreiten, aber wenn er p behauptet, so ist mit dem Indikativ doch die Fiktion verbunden, er könne notfalls, sollte dies erforderlich sein, – in einer Art Beweismittelverfahren – plausible bzw. «argumentfähige» Gründe für die Geltung von p vorbringen. Wenn wir die in den Eingangskapiteln gemachten begrifflichen Unterscheidungen wieder aufgreifen, so können wir sagen, dass der Sprecher, wenn er auf den Indikativ rekurriert, eine de re-Überzeugung hinsichtlich p besitzt und zudem glaubt, diese de re-Überzeugung auch allgemein epistemisch zugänglich machen zu können. Mit anderen Worten: Der Sprecher glaubt, mit dem Sachverhalt p in einer Bekanntschaftsrelation zu stehen und den
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objektiven Charakter dieser Bekanntschaftsrelation – dass ihr «etwas Objektives» in der Realität entspricht – glaubhaft machen zu können. Betrachten wir zur Illustration des hier zunächst thesenartig Formulierten einige charakteristische indikativische Kontexte: In Beispiel (82) kann der Sprecher für seine de re-Überzeugung cist cheua liers est morz die bestmögliche Evidenz (nach den verschiedenen EvidenzHierarchien) für p anführen: Er selber ist Augenzeuge (Sprecherevidenz, direkte visuelle Sinneserfahrung, Proximität) und die wahrgenommene Person verhält sich symptomatisch (n’ot ne entent): (82) «entendez moi biaus sire chiers, or cuit ie que cist cheualiers est morz qu’il n’ot mais ne entent.» (percevalb, 6847–6849)
Auch für die folgende causa kann der Sprecher überzeugend plädieren, da er selber Experiencer der – schmerzlichen – Erfahrung ist: (83) «[…] et dit li prestes ‹las dolans ci a dolante penitance je cuit que i ai brisiee›.» (fabb, 683–685)
Auch der sensus communis stellt zusammen mit dem enzyklopädischen Wissen über die typischen Vorkommensfälle (defaults) von Sachverhaltsklassen eine gute Argumentationsquelle für die Rechtfertigung von p dar: Der Sprecher kann in dem nachfolgenden Beispiel mit gutem Grund behaupten: (84) «‹Sire›, fet il, ‹je l vos dirai j’ai non (=nom) biax filz biax filz as ores›. ‹Je cuit bien que tu as ancores un autre non sire, par foi›.» (chret2, 1342–1345)
Ein Beispiel für verbale Evidenz – hier ist das Komplementsatzsubjekt die verbale Quelle – stellt das folgende Zitat (85) dar: (85) «Je cuit que vos avés bien entendu que ma dame se plaint de vos com de celui qui deuissiés estre ses loials espous» (lanc, 281)
In dem folgenden Fall (einem Beispiel aus der Diskurstradition der Moralistik) argumentiert der Sprecher vor dem Hintergrund der christlichen Doxa (Offenbarungswissen im weiteren Sinne wie es von der Kirche verkündigt und verbürgt wird), welche zumindest im Allgemeinen statuieren: GENERALLY [p]: (86) «[...] ge cuit que deus li fait des ses pechiez pardon / mais ne doit pas atendre nuz hom si longement» (moral 842–843)
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Sprecher können aber auch stereotypes Wissen als Evidenzquelle anführen – fast sprichworthaft mutet die folgende Aussage an: (87) «Je cuid qu’il fait pechiet qui des moinnes mal dist car tes est cui la riegle qui bon est abelist» (moral, 1176–1177)
Den Status von Präsuppositionswissen besitzen die folgenden beiden Aussagen: Im ersten Zitat nennt der Sprecher eine biographische und im zweiten macht ein anderer Sprecher (der biblische Jakob) eine – p exemplifizierende – Tatsache zum Ausgangspunkt für seine weitere Argumentation: (88) «biaus filz je cuit que fortune a assis et tes freres et lor berbis / pour coi n’osent sa revenir / va t’an biaus filz et tant enquier» (malk, 2117–2121) (89) «[…] ie uos dirai de mon pere tant con i en sai / ie cuit qu’il est de gares nez / et si est milon apelez / fille a roi riche ama / celeement m’ i engendra» (milonS, 440–446)
In einigen Kontexten stellt p lediglich eine Paraphrase zu einer schon assertierten Behauptung dar: Der Sprecher unterstellt zunächst p (p: tot par vostre mauvestie), um genau diesen Sachverhalt noch einmal in abgewandelter Form hervorzuheben (p: cuers vos est failliz): (90) «[...] c’est tot par vostre mauvestie / qu’en vos n’a mes point d’engrestie / je cuit que cuers vos est failliz / mes vos en seroiz mal bailliz» (rose, 3721–3724)
Ein weiteres «Evidenzierungsverfahren» ist die Anknüpfung an einen gewussten Sachverhalt, um daran eine weiterführende Überzeugung anzuschließen: Aus dem Wissen, dass ¬p leitet der Sprecher seine starke Überzeugung von der Geltung des Gegenteils ab: (91) «‹sire›, fait ele ‹i o sai bien que vos n’auez hui perdu rien / ainz cuit que guaaignié auez assez plus que vos ne sauez […]›» (percevalb, 5149–5152)
Anhand einiger besonders illustrativer Beispiele zeigt sich sehr deutlich die Scheidelinie zwischen der indikativischen und der konjunktivischen Domäne: In dem folgenden Textausschnitt wird die Konsequenz und Systematik, mit der die Modusdifferenzierung im Altfranzösischen durchgeführt wird, sogleich greifbar: Der Sprecher findet ein Indiz q (Pferdespuren, die einen kleinen Trampelpfad bilden) – er schließt daraus (il soient alé cil que je querant uois), markiert mit dem Subjonctif die Tatsache, dass es sich bei den Spuren eben nur um ein Indiz und um keinen zwingenden Beweis für die Annahme, dass p (p: die Pferdespuren stammen von den Gesuchten) handelt. Aus der angeführten Evidenz q folgt nicht notwendigerweise p. Oder anders gewendet: p ist zwar mit q kompati-
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bel (wenn q, dann möglicherweise p), es ist aber keine logische Konsequenz von q. (92) «ensin uers la foret s’aquiaut si antre en zz santier et xxx ov il ot une estroite uoie de chauaus qui alé estoient; fait il: ‹par ci cuit que il soient alé cil que je querant uois›.» (percevalb, 3366–3371)
Der Sprecher macht mit seiner Moduswahl also deutlich, dass das Indiz q die Schlussfolgerung p durchaus plausibel erscheinen lässt, er aber nicht ausschließen kann, dass in mindestens einer Welt w‘ auch ¬p der Fall sein kann. Diese Überlegungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: für alle w’ ∈ HDdox(LOCje, w) gilt: p, wobei w0 ∈ p ∨ w0 ∉ p. (Interpretation: Die Proposition p gilt für alle Welten, die dem Matrixsatzsubjekt (= dem Sprecher) doxastisch zugänglich sind und die aktuelle Welt w0 kann eine p-Welt sein (sie ist dann auch eine der w’-Welten), sie kann aber auch keine p-Welt sein.111 Diese Konstellation (w0 ∈ p ∨ w0 ∉ p) lässt sich auch für rhetorisch-pragmatische Zwecke ausschöpfen: Einen Höflichkeitstopos stellt beispielsweise die Verwendung des Subjonctif in solchen Kontexten dar, in denen der Sprecher eine Wertung über einen, den Gesprächspartner betreffenden Sachverhalt äußert. Der Sprecher schafft auf diese Weise die Fiktion eines Systems von Alternativen, das mindestens auch eine Welt (möglicherweise die seines Gesprächspartners) enthält, in der seine Einschätzung p nicht wahr sein könnte. In Textbeispiel (93) will der Sprecher seinem Gesprächspartner eine Wahrheit entlocken, von der er weiß, dass dieser sie ganz sicher kennt. Trotzdem markiert er eine respektvolle Distanz, indem er diesem symbolisch eine doxastische Alternativwelt eröffnet, zu der nur der Gesprächspartner Zugang hat: (93) «Sire, por Dieu dites moi ce que je vos demanderai: car je cuit bien que vos en sachiez la verité.» (qgraalcb, 83.005–83.009)
Aber selbst in Fällen, in denen der Sprecher volle Übereinstimmung mit seinem Gesprächspartner hinsichtlich der Einschätzung von p signalisiert, verzichtet der
111 Eine ähnliche Analyse auf Grundlage einer etwas anderen Formalisierung schlägt Alexandrescu (1983, 22) vor: «L’énonciation dans notre monde d’une proposition modalisée par croire pose donc l’existence d’un autre monde où elle serait vraie (ce deuxième monde peut être aussi le nôtre: il est possible, mais non pas certain que p soit vraie dans m (= w0, Anm. d. Verf.)».
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Sprecher nicht auf das Mittel der Relativierung durch den Subjonctif: p bleibt – trotz der Konsenserklärung des Sprechers – eine subjektive Einschätzung und stellt nichts weiter dar als eine Proposition, die in einem weiteren doxastischen Modell als wahr angesehen wird. Die letztendliche Wahrheit von p muss sich erst noch in der Empirie erweisen. (94) «Et la reïne respont a l’abeesse: ‹Dame, ge cuit que cist conseuz soit bons et loiaus et ge le ferai issi com vos m’avez loé›.» (artucb, 104.010–104.012)
Das noch ausstehende Erfordernis an p, sich anhand von Evidenz – im Idealfall an der Empirie – erweisen zu müssen, zeigt sich insbesondere auch bei dem folgenden, durchaus amüsanten Beispiel: Ein junger Mann ist im Begriff, sein Elternhaus zu verlassen und bekommt zum Abschied eine günstige «Entwicklungsprognose» mit auf den Weg: (95) «‹ja, se deu plaist, ne m’ocirront ne ia par aus pris n’i seraj.› ‹non›, fet ele, ‹que i en ferai auolc uous ma puissance tote. N’est mie prodom qui trop dote: pour ce quit que prodom soiés que n’estes pas trop esmoiés›.» (chret1, 297–299)
Der Protagonist ist in dem Moment der Äußerung von p (p: prodom soiés) noch kein prodom («ein gestandener Mann»), da er sich noch nicht als solcher erweisen konnte. Aber seine Voraussetzungen sind doch sehr günstig, wie die Begründung für die Einschätzung p – eine Inferenz auf Grundlage einer allgemeinen Regel – beweist: Aus der allgemeinen Regel (dem Obersatz: n’est mie prodom qui trop dote) und dem Untersatz (n’est pas trop esmoiés) folgt als Konklusion die Prognose: que prodom soiés – d.h. die vermutlich realistischere Alternative, dass aus dem Protagonist tatsächlich auch ein prodom wird. Bei dem letzten Beispiel – einer Prognose – kommen wir in einen Bereich, in dem die Grenzen zum Futur schon fließend sind, wie auch die häufige Okkurrenz dieser Kategorie im Verbund mit cuidier zeigt. Die Kategorie Futur tritt im Rahmen von Komplementsätzen vor allem dann in Erscheinung, wenn p nicht lediglich als Möglichkeit, sondern als wahrscheinliches Faktum der zukünftigen Welt vorausgesagt wird. Versuchen wir den hier umgangssprachlich beschriebenen Sachverhalt etwas präziser zu fassen: Die Markierung einer Sachverhaltsbeschreibung durch das Futur präsupponiert ein System (Modell) von zukünftigen Alternativen zur aktuellen Welt w0. Dabei sind die Realisierungswahrscheinlichkeiten der verschiedenen denkbaren Alternativen unterschiedlich gewichtet und eine besonders realistische Erwartung – die sogenannte Standarderwartung e* – wird gegenüber den anderen Erwartungen besonders herausgestellt. Robert Martin charakterisiert die dieser Standarderwartung entsprechenden Welt als m* – «monde des attentes symé-
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triques du monde m0.»112 Es bedürfte einer genaueren Untersuchung futurischer Kontexte, um genau die Konzeptualisierung dieser Erwartungswelt in der Sprache bzw. einer bestimmten Einzelsprache zu charakterisieren. Idealtypischerweise schreibt eine solche Erwartungswelt vom Sprecherstandpunkt (t0/w0) aus betrachtet die aktuelle Welt w0 – gleichsam auf der Zeit-(t)-Achse – fort. Das entscheidende Moment des Futurs – die Fokussierung einer w0 fortsetzenden, der Standarderwartung entsprechenden Alternative w* in einem System von Zukunftsalternativen – manifestiert sich in den folgenden Vorkommenskontexten: –– Der Sprecher stellt eine realistische – hier im Rahmen seiner Argumentation düstere –Prognose (nous perirons de fain) auf, die auf den Verhältnissen, wie sie nun einmal in w0 sind (faktische bzw. vollkommen realistische modale Basis), beruht: (96) «biaus sire je quit que nous perirons de fain et certes je vaudroie maintenant estre morte» (pen, 40–42)
–– Der Sprecher hält p für realistisch, da das zeitlich mit p verbundene Ereignis nur kurz nach dem Sprechzeitpunkt t0 liegt (cf. tout maintenant): (97) «[...] mais je vois querant chi aval un oisel a une sonnete alés selonc ceste haiete je cuit que vous l i trouverés tout maintenant i est volés [...]» (robin, 275–279)
–– Der Sprecher ist in der Lage, das Ereignis p bzw. dessen Eintreten zu kontrollieren. In dem folgenden Belegzitat wird der pragmatische Wert des Futurs in einem solchem Kontext deutlich: (98) «gregoires entent la menace: ie cuit que uos repentirez / qu’auez laisé le noblier / les chambres por le torneier / gregoires entent la menace» (pap, 1454–1457)
Hinsichtlich der Modussetzung bei den Modalverben schwanken die Sprecher. Das Modalverb zum Ausdruck deontischer Notwendigkeit estoveir (von lat. est opus) steht, wie die Abfragen zeigen, offenbar stets im Indikativ (estoveit): (99) «jeo quit que mei l’estuet amer e si io l’aim ieo ferai mal» (equiH, 70s.)
Bei dem synonymen Verb devoir wird hingegen in der Regel der Subjonctif selegiert.
112 Martin (1983, 134), mit einer Darstellung.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(100) «Je cuit que molt amer le doive, c’onques de si boen ne gosta, ne nus boivres tant ne costa.» (cligescb, 3244–3246)
Vor allem in Vergangenheitskontexten wird praktisch ausnahmslos für die Subjonctif Imparfait Formen peust und deust optiert, wie die folgenden Belege zeigen: (101) «[...] cil quida que joseph ne le peust oir trestuit plorent et crient que il quident morir» (herm, 1690s.) (102) «[…] ou pour ce que il cuidoit que les autres le deussent suivre» (joinv, 2599s.)
In Verbindung mit dem Negationsoperator ist ebenfalls eine deutliche Tendenz zugunsten des Subjonctif Imparfait erkennbar : (103) «Je cuit que nus ne li seüst feire rien qui li peüst pleire» (lorriscb, 306s.)
Das Gesagte gilt auch für das den Möglichkeitsoperator lexikalisierende Modalverb pouvoir. Interessant ist zudem die Tatsache, dass immerhin eine der fünf Fassungen des Mystere d’Adam (narc) den Indikativ anstelle des sonst üblichen Subjonctif präferiert: (104) «je ne cuit pas que ce puis estre que je en sache tout sanz mestre» (narcA, 717s.) (105) «ge ne cuit pas que ce puist estre que tu en saiges tant sanz mestre» (narcB, 701s.)
Insgesamt fällt eine starke Affinität der Modalverben im Komplementsatz zum Subjonctif auf und damit die Tendenz, modale Prädikationen über mögliche Welten gleichsam doppelt – lexikalisch und morphologisch – zu markieren. In selteneren Fällen wurde, wie dies die Belegbeispiele zeigen, auch die Markierungsleistung des Modalverbs als ausreichend angesehen. Hiervon weicht allerdings der unpersönliche deontische Ausdruck estuet ab, der offenbar sowieso eher als lexikalisierter Modaloperator denn als Flexionsform eines Verbalparadigmas verstanden wurde. Hierin mag auch die Ursache für zunehmende Abnutzung und rasches Verschwinden des Verbs estoveir gegen Ende der altfranzösischen Epoche gelegen haben.
2.6.1.3 Der Modus in Kontexten der 3. Person (discours rapporté) Wie die Behandlung der Modusverteilung nach je cuit deutlich gemacht haben sollte, ließ sich die Modusproblematik nicht auf die Frage nach der Sprecherpräsupposition, dass p falsch ist – mithin eine Diskrepanz zwischen dem epistemischen Modell des individuellen Ankers und dem des Sprechers besteht – reduzieren.
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Vielmehr scheint die Problematik der doxastischen Zugänglichkeit von Überzeugungen und insbesondere die Frage nach Art und Qualität der Evidenz für ihre argumentative Rechtfertigung im Zentrum des altfranzösischen Modussystems in der Domäne der Epistemizität (im weiten Sinne) zu stehen. Dies gilt insbesondere auch für Kontexte, die von der traditionellen Forschung gerne als eine eigene linguistische Umgebung, als discours rapporté, ausgewiesen wurden. Dass auch hier das Kriterium der doxastischen Zugänglichkeit bzw. das Bestehen einer – wie Lewis 1979 treffend formuliert hat – acquaintance relation113 und nicht einfach die Sprecherpräsupposition, dass p falsch ist, im Vordergrund steht, illustriert das folgende, besonders aussagekräftige Beispiel: (106) «Et il cuide bien que ce soit fame a qui il parole, mes non est, ainz est li anemis qui le bee a decevoir et a metre en tel point que s’ame soit perdue a toz jors mes.» (qgraalcb, 91.038–91.40)
Die Überzeugung des Sprechers, dass p nicht zutrifft, kann nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Selektion des Subjonctif sein. Es ist vielmehr so, dass der Sprecher seinen Dissens explizit – durch geeignete lexikalische Mittel: in diesem Fall sogar durch einen ausdrücklichen Widerspruch – herausstellen muss. Die morphologische Markierung besitzt in diesem Kontext offenbar lediglich die Funktion, eine Überzeugung des Matrixsatzsubjekts zu kennzeichnen, die jedoch auf keiner hinreichenden Bekanntschaftsrelation zu einer res in der Referenzwelt, auf die sie sich richtet, beruht. Das explizite Kennzeichnungserfordernis von Sprecherdissens durch lexikalische Mittel belegen auch die folgenden Beispiele: In dem ersten Beispiel (107) stellt der Sprecher wieder explizit die Antithese ¬p auf und in dem zweiten Beispiel (108) rekurriert der Sprecher auf das Modaladverb erranment: (107) «[...] s’ainsi n’est que cist qui doit faire le don cuide que necesaire li soit et elle ne l’est mie» (vache, 2224–2226) (108) «Et quant il le voient armé, si pensent erranment qu’il soit des compaignons de la Queste» (qgraal, 182.034–182.036)
Besonders gerne verwenden Sprecher das Modaladverb veraiement als ein ironisch-kommentierendes Element, mit dem sie die Diskrepanz zwischen dem doxastischen Modell des Subjekts und ihrem eigenen Modell im Hinblick auf eine Proposition p zuspitzen. Dabei streicht der Subjonctif die Unvereinbarkeit der Überzeugungen bezüglich der Geltung von p heraus. Der pragmatische Effekt
113 Cf. Lewis (1979): «I and the one of whom I have beliefs de re are so related that there is an extensive causal dependence of my state upon him».
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
lässt sich nun folgendermaßen rekonstruieren: Eine Überzeugung ist per default ernsthaft. Wenn der Sprecher diese Tatsache betont und zugleich p als epistemisch nicht zugänglich markiert, so legt er damit nahe (implikatiert er), dass p eigentlich gar nicht Gegenstand einer Überzeugung, die diesen Namen verdient, sein kann. (109) «Et il les esgarde et cuide veraiement que ce soient gentils fames et hautes dames» (qgraalcb, 181.038–181.039).
Vergleichbar ist auch das nächste Beispiel: Die Fehleinschätzung der Protagonistin wird durch ein antithetisches Argumentationsmuster, das durch einen syntaktischen Parallelismus untermalt wird (vgl. mes nen pot ce croire – einz cuide veraiement), deutlich herausgestellt: (110) «Mes la reïne nen pot ce croire, qu’il ait esté si longuement deshetiez, einz cuide veraiement que la damoisele que messire Gauvins li a tant loee soit achoison de sa demorance» (artucb, 44.010ss.)
Charakteristisch sind in den altfranzösischen Texten auch Konjunktivverwendungen nach il oder elle cuide, wenn übernatürliche Sachverhalte Gegenstand einer Prädikation sind. Damit wird die Aussage, dass p vom Sprecher nicht unbedingt als falsch markiert – sie ist ihm einfach entweder selber nicht zugänglich (er besitzt sozusagen keine Bekanntschaftsrelation zu der in Rede stehenden res) oder sie besitzt – wie man es für übernatürliche Dinge auch erwarten darf – nun einmal keine Geltung in der aktuellen Welt w0. Zur Illustration führen wir drei typische Beispiele aus den altfranzösischen Texten an, wobei sich im ersten Beispiel p ex post tatsächlich als falsch erweist: (111) «La voiz entant, apeler s’ot, mes qui l’apele il ne le sot: fantosme cuide que ce soit [...]. Quant sa veue a mise fors, si com il puet esgarde, lors vit celi qui huchié l’avoit» (charetcb, 6545–6547 sowie 6563–6565) (112) «[...] l’ombre qui estoit d’autre part avis li est que le regart cuide que soit fee de mer» (narcA, 617–619) (113) «[...] cuide que soit diuesse u fee» (narcC, 454)
In vielen Fällen allerdings wird durch den Subjonctif Présent keineswegs angezeigt, dass der Sprecher p für falsch hält: In den folgenden Beispielen werden – ohne irgendwelche Kommentierung durch den Sprecher oder sonstige kontextuelle Hinweise auf den Wahrheitswert von p – jeweils die Überlegungen der Subjekte des Matrixsatzes wiedergegeben, um jeweils ihre Handlung psychologisch zu motivieren:
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
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(114) «Et Hestors, qui cuide que li rois ait dite ceste parole par mal de Boort, saut avant toz courrouciez et pleins de mautalent, et dist au roi: ‹[...]›.» (bfm: La Mort le roi Artu, 24.038) (115) «Si li poise plus de ce qu’il cuide que Diex se soit a lui corrociez que de qu’il est navrez [...]» (qgraalcb, 111.009s.) (116) «[...] des meillors que eslire sot si les a pris de sa maisnee tot cel qu’el cuide que li siee lor fist et dist et tant lor done que chascuns por lui s’abandone» (jouf, 701–705)
Im ersten Beispiel (114) wird die Interpretation der königlichen Worte durch Hektor (Hestor) wiedergegeben, im zweiten die Überzeugung des Protagonisten hinsichtlich der Ursachen seines Scheiterns, der dritte Beleg thematisiert die Überlegungen des Subjekts zur Rekrutierung geeigneter Begleiter für seine Expedition. In allen drei Fällen wird das Sprechermodell einfach ausgeblendet – der Fokus liegt alleine auf dem epistemischen Modell des Matrixsatzsubjekts. Es ist nicht entscheidend, wie der Sprecher (Loc) p einschätzt, sondern dass p ausschließlich der Menge derjenigen Propositionen zugewiesen werden kann, die der individuelle Anker x im Rahmen seines doxastischen Modells für wahr hält. Mehr noch: der Sprecher weist dem Subjekt x die volle Verantwortung für die Wahrheit von p zu, da p zu den Propositionen von x gehört, die ihm weder zugänglich sind noch dem gemeinsamen Redehintergrund der Kommunikationsgemeinschaft angehören. Ob man den Subjonctif im Rahmen des altfranzösischen Modussystems als Modus der «Subjektivität» charakterisieren darf, muss sich noch anhand der Modusverhältnisse bei anderen Verbgruppen (Einstellungsverben, Sprechaktverben, unpersönliche Ausdrücke) zeigen: unbestreitbar jedoch ist die Tatsache, dass der Subjonctif im Falle von cuide die Funktion besitzt, nicht nur (und keineswegs hauptsächlich) die Falschheit von p im epistemischen Modell des Sprechers zu signalisieren, sondern vor allem auf ein spezifisches bzw. individuelles doxastisches Modell zu fokussieren, für dessen Propositionen er sich nicht verbürgen kann. Der Subjonctif in Verbindung mit cuide stellt also ein besonderes, partikuläres Modell gegenüber dem Sprechermodell bzw. dem gemeinsamen Redehintergrund der Kommunikationsgemeinschaft heraus. Vergleichbare Beispiele lassen sich auch für cuident finden: Die folgende Textpassage gibt etwa die – aus Sicht der Gruppe – realistische Einschätzung der Siegeschancen wieder (car bien trois tans de gent avoient que tout li espaignol n’estoient). Der Sprecher lässt auch hier wieder durch die Moduswahl den subjektiven Charakter der Überzeugung, dass p (que ce lor vaille) hervortreten: dieses – aus der Sicht des Sprechers – «Suspendieren» des Wahrheitswertes von p stellt ein ganz wesentliches Spannungsmoment in altfranzösischen Texten dar und ist so Teil ihrer Dramaturgie:
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(117) «[...] et que riens ne li forferont dusques atantque il venront tout droit au jour de la bataille car bien cuident que ce lor vaille car bien trois tans de gent avoient que tout li espaignol n’estoient» (cleom, 406–410)
Der Subjonctif steht allerdings wiederum in jedem Fall, wenn cuide/cuident sich im Skopus eines Restriktors (etwa des Bedingungsoperators IF, altfrz. se) befindet: in diesem Falle gilt die Überzeugung, dass p nicht in der aktuellen Welt w0 zu einem bestimmten Zeitpunkt t, sondern nur in möglichen, nicht weiter spezifizierten Welten. Dieser Fall liegt etwa in dem folgenden Beispiel vor, in dem es heißt: (118) «les autres mout sont fol quant il cuident que nostre sire qui tot set ne saiche ces euvres» (lin, 225–229)
Der Nebensatz quant il cuident que p restringiert die Domäne der Aussage les autres mout sont fol auf diejenigen Fälle (Situationen bzw. «Welten»), für die gilt: x cuident que p. Kommen durch den Bedingungscharakter von quant il cuident que p von vornherein nur bestimmte (mögliche) Welten in Betracht, so «vererbt» sich dies auf die Proposition p und ihren Verifikationsprozess: p wird dann auch nur in diesen (möglichen) Bedingungswelten überprüft und mag hier fallweise wahr oder falsch sein. Die Wahrheit von p nicht in der aktuellen Welt w0, sondern in anderen möglichen Welten, wird aber stets mit dem Subjonctif markiert. Das Ausgeführte gilt auch für das folgende Beispiel, in dem die Restriktionsbedingung in Form eines Relativsatzes (mit unbestimmtem Relativpronomen qui) erscheint: qui cuide que p greift also diejenigen Welten heraus, in denen es jemanden gibt, der glaubt, dass p. Nur in diesen Welten wird p dann auch verifiziert: (119) «[...] et estoit sentence entitulee‚ qui cuide que diex soit de ceste puissance que il ait engendré soy mesmes il plus car il n’est pas dieux qui n’ait ceste puissance [...]» (abe, 1524–1526)
Zudem fällt die Tendenz auf, dass Modalverben üblicherweise im Subjonctif stehen, also die Tatsache, dass p modalisiert wird, gleich zweifach – lexikalisch und morphologisch –angezeigt wird: (120) «Et quant li preudons l’ot, si li enjoint tel penitance com il cuide que il puisse fere, et l’asoult et beneist et li prie que il remaigne hui mes o lui.» (qgraalcb, 71.015ss.)
In dem zweiten Beispiel (121) «[...] si vient a la porte, et troeve les ii lions, si cuide bien que il n’en puist partir sanz meslee» (graalcb, 253.022ss.)
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
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mag auch noch eine skalare Implikatur hinzukommen, die auf dem Zusammenhang von x cuide que ¬p und ihrer schwächeren Variante ne cuide que p gründet, wobei in letzterem Falle cuidier im Skopus des Negationsoperators steht, der als negativ-polares Element stets mit dem Subjonctif verbunden ist.
2.6.2 N egation, Negationsanhebung und Kontrafaktizität bei epistemischen Verben (am Beispiel von cuidier) Ein interessantes Phänomen in der Domäne der epistemischen Prädikate ist – wie wir schon in unseren Anmerkungen zum Phänomen der Negationsanhebung (NEG-raising) angedeutet haben – das Zusammenspiel des Negationsoperators mit dem konjunktivischen Modus in negativ-polaren Kontexten. Eine besondere Rolle spielen in diesen epistemischen Kontexten besonders die sog. negative polarity items (NPIs), die in nicht-veridischen, vor allem durch den Negationsoperator ne lizensierten Kontexten auftreten. Für das Altfranzösische sind in erster Linie die negativen Polaritätselemente mais, jamais, oncques (‘jemals’) sowie nus (‘jemand’) zu nennen, die teilweise mit unterschiedlichen Konjunktiv-Kategorien (Konjunktiv I und Konjunktiv II) korrelieren. Wertet man die Korpusbelege aus dem Nouveau Corpus d’Amsterdam zu dem Muster ne cuidier que p aus, so stellt man fest, dass in praktisch allen Fällen das Phänomen der Negationsanhebung vorliegt. Mit anderen Worten: Die Sprecher drücken die stärkere disbelief-Lesart (credere ¬p) durch die schwächere non-belief Syntax (non credere que p) aus: Horn und Levinson hatten diesen Sachverhalt – der durch unsere Korpusrecherche für das Altfranzösische erhärtet wird – als typischen Fall einer generalisierten konversationellen Implikatur charakterisiert.114 Mehr noch: die NEG-raising-Lesart wird dadurch noch verstärkt, dass – bis auf ganz wenige Ausnahmen – die ursprüngliche Negation gleichsam eine «Spur» im Komplementsatz hinterlassen hat, nämlich typischerweise ein negatives Polaritätselement. Somit befindet sich die gesamte Proposition im Skopus der Negation und nicht nur das Matrixsatzprädikat: Die Sprecher wollen also stets die starke Assertion machen, dass sie der sicheren Überzeugung sind, dass jeweils ¬p der Fall ist. Sätze wie die folgenden sind mithin in den altfranzösischen Texten Legion: (122) «[…] et tuit et tuit firent grant joie / ne cuit que james si grant voie» (songe, 212–214) (123) «[…] q’ ainc mais n’oj si bele ioie / ne mais ne quit que nus hom l’oie» (yvf, 466–470)
114 Cf. Horn (1989, 308ss. und 330ss.); Levinson (2000, 129–132).
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(124) «ne quit ke ai si fort hume / des escoce desik en rume» (ipo 9662–9666)
In allen drei Beispielen äußert der Sprecher seine starke Überzeugung, dass jeweils ¬p gilt: Er ist sich ganz sicher (cuit que), dass jeweils an allen (Zeit)indizes (t), für alle Individuen x, an jedem Ort (Loc) auf der Welt gilt: ¬p. Anders ausgedrückt: Das Denotat ist in all den angeführten Beispielfällen jeweils die leere Menge. Betrachten wir die Beispiele: –– Im ersten Fall gibt es keinen Zeitpunkt (t) bzw. keinen Index (i), an dem die ‚je_voie_si_grant_joie’-Funktion (λt[voir_joie’(t)(JE)]) wahr ist: es gilt mithin für alle ∀t: [[je voie si grant joie]]M,g,t = { }, d.h. das Denotat der Proposition, also die Zeitpunkte t, an denen p zutrifft, ist die leere Menge. –– In Beispiel (123) gibt es kein x für das die ‚quelqu’un-oir-bele-joie’-Funktion (= λx [oir_bel_joie’(i0*)(x)] ) gilt: Das Denotat, in diesem Falle die Menge der Individuen, auf die das Prädikat (hier am Index i0) zutrifft, ist wiederum die leere Menge: [[λx(oir_bel_joie’(x)]]M,g,i0 = { }.115 –– Ähnlich lässt sich auch für den letztzitierten Kontext argumentieren, in dem eine Ortsvariable eingeführt wird, über die ausgesagt wird, dass es hier nun keinen Ort (Loc) gibt, an dem die Proposition wahr ist. Es fällt auf, dass im Altfranzösischen eine Reihe von negativen Polaritätsausdrücken für die Ortsvariable existieren, wobei mit den Ausdrücken jeweils eine Allquantifikation über die Ortsvariable im Skopus des Negationsoperators vorgenommen wird: ∀loc gilt: ¬p. Charakteristische allquantifizierende Loc-Ausdrücke sind zum Beispiel: el mont (nfrz. dans le monde), soz ciel (sous le ciel), al munt (au monde), en tout le monde, des escoce desik en rume (de l’Ecosse à Rome ~ partout), en chrestiente etc. Wie sieht nun die Kombinatorik zwischen dem das epistemische Modell des Sprechers herausstellenden Operator je cuit, den negativen Polaritätselementen sowie den konjunktivischen Kategorien aus? Nus, das zumeist in dem Syntagma nus hom auftritt, kookkurriert in der Regel mit dem Konjunktiv Präsens, das gewissermaßen als Default-Kategorie figuriert: Hierbei steht die Individuenvariable im Vordergrund, deren Belegung zum Sprechzeitpunkt bzw. im Hinblick auf das aktuelle epistemische Modell des Sprechers evaluiert wird (und deshalb weiter oben als Konstante i0 dargestellt wurde).
115 Wir sehen hier von der Indexvariablen i ab. Wie üblich werden Denotate in Abhängigkeit von einem Modell M, einer Variablenbelegung g und einem Index (eigentlich einer Zeit-WeltKoordinate) bestimmt.
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Wir zitieren zwei Beispiele, bei denen ¬p einen allgemeineren Status im epistemischen System des Sprechers besitzt: (125) «je ne cuit mie que nus clergies vos puisse dire chose qui est a avenir si fera bien» (lanc, 85s.) (126) «[...] que meillor n’ot faite en thesaile e lenceus blans deugiez de seie ne quit que nus hom meillors veie» (maur, 846–848)
Im Gegensatz dazu treten mais und jamais (teilweise orthographisch ja mais) mit beiden konjunktivischen Kategorien auf. Wir kommentieren zunächst einige Beispielsätze, deren Komplementsatzverben im Subjonctif Présent stehen: (127) «lors eut li chevaliers tel joie que je ne cuit que ja mais voie faire tel joie a un seul home et tous jours pleure c’est la soume» (bar, 909–912) (128) «la mere li cort et l’embrace si li font andui si grant joie que je ne cuit que jamais oye nule si grant [...]» (martin1, 330–333) (129) «le seruise trestout a trait que mes n’oi si bele joie ne mes ne cuit que nus hom oie se il ne ua el leu celui» (yvg, 464–467)
Das Adverb jamais eröffnet unter dem Subjonctif Présent ein Geltungsintervall für die Prädikation, dass ¬p, welches vom Sprechzeitpunkt bis in eine unbestimmte Zukunft reicht. In den ersten beiden Beispielen fokussiert der Sprecher auf seine eigene Lebenszeit bzw. sein epistemisches Modell: er glaubt jeweils nicht, zu seinen Lebzeiten direkte Evidenz (voir / oir) für eine zweite Okkurrenz von p zu erhalten. Der Kontext in (129) beschreibt einen parallelen Fall, in dem über alle Individuen vom Sprechzeitpunkt an quantifiziert und ausgesagt wird, dass auch diese zu ihren Lebzeiten keiner zweiten Okkurrenz des Sachverhaltstyps p gewahr werden, wobei die Behauptung, dass ¬p an eine Bedingung q geknüpft wird: ¬p gilt nur in den Welten, die keine q-Welten sind (dabei sind q-Welten Welten, für die gilt: x ua en leu celui). Einen sehr guten Übergang zu den Kontexten, in denen der Subjonctif Imparfait verwendet wird, stellt das folgende Beispiel dar: (130) «si m’aist dex mervoilles oi les graignors que j’oisse mes ne ne cuit que j’oie james» (chret2, 1354–1356)
Der Sprecher teilt mithilfe der Adverbien mes und james sowie der Verbalkategorien die Geltungsdomäne für seine Prädikation in zwei Domänen, wobei der Sprechzeitpunkt t0 bzw. das Einstellungssystem des Sprechers zu diesem Zeitpunkt die Scheidelinie bildet: Die Flexionsform j’oisse markiert alle Zeitpunkte bis zum Sprechzeitpunkt t0, die Verbmarkierung j’oie alle Indizes nach t0. Vergleichbar ist auch die folgende Textpassage, die ebenfalls ein bis zum Sprech-
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zeitpunkt reichendes Betrachtungsintervall hinsichtlich der Wahrheit von ¬p profiliert: (131) «je ne cuit que mes hom oist deable mener si estroit qu’il le tenoit en tel destroit» (martin1, 754–756)
Einen besonderen Fall stellt das negativ polare Element oncques (> lat. umquam) dar, das oftmals durch mais verstärkt, im Gegensatz zu jamais immer in Verbindung mit einem Subjonctif Imparfait auftritt. Betrachten wir folgendes Beispiel: (132) «si sont venu veoir la feste bruiant se ja diex me garisse ne cuit que onques mais veisse une feste mout miex aree ne gent qui fust mains effraee [...]» (chauvency, 374–378)
Auch in diesem Kontext ist die Aussage niemals p im Erfahrungszeitraum des Sprechers verankert, der von nicht weiter bestimmten vergangenen Indizes bis zum aktuellen Sprechzeitpunkt reicht. Diese Verwendung einer Kategorie wie des Subjonctif Imparfait im Rahmen eines Geltungsintervalls, das bis zum Sprechzeitpunkt reicht, mag ein wenig erstaunen. Aber vergleichbare Kontexte, in denen das Verb nicht im Skopus des Negationsoperators steht, zeigen, dass Vergangenheitskategorien durchaus mit einem, den Sprechzeitpunkt inkludierenden Intervall kompatibel sind: So markiert der Sprecher in dem folgenden Hauptsatzbeispiel die Geltung von ¬p mit dem Passé Simple (und nicht etwa, wie heute üblich, mit dem Passé Composé): (133) «Si vous serai loiaus amie a tous les jours mais de ma vie / par tel convent vous doins m’amour; c’onques n’amai jusqu’a cest jour, ne m’amerai jamais nul houme autre que vous, ce est la soume.» (amad, 426–428)
Auch in dem letzten Illustrationsbeispiel macht der Sprecher eine absolute Allquantifikation über alle nur denkbaren Fälle (nule x fust en terre vive qui p), die dem Sprecher bis zum Sprechzeitpunkt bekannt sind – so dass für alle Individuen x an allen Indizes von i0 aus betrachtet gilt: ¬p, für ∀x und ∀i. Wiederum ist die Inklusion von i0 mit dem Subjonctif Imparfait vereinbar: (134) «quar molt par sui maleuree quar onques mais nule chaitiue ne cuit que fust en terre uiue qui tant ourast contre nature e plus n’eust de s’arme cure» (pap, 240–244)
Die Analyse der verschiedenen Vorkommenskontexte von ne cuidier que p zeigt also, dass wir es praktisch immer mit Fällen von Negationsanhebung (NEG-raising) zu tun haben, mithin die epistemischen Prädikationen stets einen disbelief Bx(¬p), die starke Überzeugung, dass p falsch ist, ausdrücken. Dies wird um so deutlicher als bei einer großen Zahl von Komplementsätzen negative Polaritätselemente diese als Domäne der Negation ausweisen und vor allem herausstellen,
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im Hinblick auf welchen Parameter bzw. welche Variable die Negation des Sachverhalts p zu interpretieren ist: Eine solche Variable kann die Individuenvariable eines ein- oder mehrstelligen Prädikats sein, die Ortsvariable für die Lokalisierung von p oder gar die Indexvariable i, die p an geeigneten Welt-Zeit-Koordinaten verankert. In diesem letzten Kontext manifestiert sich eine deutliche Spezialisierungstendenz von jamais und seinen Varianten (ja mes, mes, mais) einerseits und dem Adverb oncques andererseits. Insbesondere letzteres fokussierte im Altfranzösischen ausschließlich auf Intervalle, die vom Sprechzeitpunkt t0 in eine unbestimmte Vergangenheit reichen, wobei durch oncques ein maximal distanter Index in der Denotatsmenge eingeschlossen ist – sei es im Rahmen des epistemischen Modells des Sprechers (der letzte Index, der ihm prinzipiell noch doxastisch zugänglich ist) oder – wie im Falle einer absoluten Aussage – sub specie aeternitatis. Wir werden die Semantik von oncques noch unter einer anderen Perspektive im 5. Kapitel diskutieren. In diesem Zusammenhang ist das (logisch-semantische) Zusammenwirken des Negationsoperators mit verschiedenen möglichen Polaritätselementen in der Nebensatzdomäne von Bedeutung: in all diesen Fällen wird die Kontrafaktizität von p prädiziert, und zwar im Hinblick auf alle möglichen Werte eines durch das jeweilige Polaritätselement herausgestellten Parameters (Zeit-Welt-Indizes, Individuen der Diskursmenge etc.). Für alle Instantiierungen der jeweils relevanten Variablen wird mithin festgelegt, dass die Proposition p nicht zutrifft bzw. falsch ist. In diesen besonderen Negationskontexten zeigt sich die Funktion des Subjonctif, Kontrafaktizität zu markieren, am deutlichsten. Der Sachverhalt p wird durch geeignete Flexionsmorphologie als in w0 gerade nicht zutreffend markiert und dadurch in Robert Martins Antiuniversum verwiesen: –– im Falle des Subjonctif Présent in Welten, die zum Sprechzeitpunkt von w0 aus nicht zugänglich sind und hinsichtlich p genau entgegengesetzt beschaffen sind wie w0 (in denen also p gilt, obwohl eigentlich ¬p in Wirklichkeit der Fall ist); –– im Falle des Subjonctif Imparfait in Welten, die so beschaffen sind, dass in ihnen p gilt, obwohl an den sie verankernden Zeitindizes in der realen Welt jeweils gerade ¬p der Fall war. Für eine originäre, also nicht abgeleitete starke Negation (die disbelief-Lesart ohne NEG-raising) lassen sich nur ganz wenige Beispiele nachweisen – die generalisierte konversationelle Implikatur, mit deren Hilfe im geeigneten Kontext von ¬credere que p auf credere que¬p geschlossen wird, besaß folglich im Altfranzösischen jenen Konventionalisierungsgrad, den ihr die Apologeten idealerweise zuschreiben (siehe oben). In den nicht abgeleiteten starken Negationskontexten besitzt der Komplementsatz ebenfalls ausnahmslos kontrafaktischen Charakter,
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was mit einer systematischen Markierung durch den Subjonctif (Présent oder Imparfait, je nach Kontext) einhergeht. Wir führen je ein Beispiel an: (135) «[...] quant il sunt angoissiés de froidure asprement / tormenteis de gresil de noif de trenchant vent / dont cuident que ne puissent soffrir plus grant torment» (moral2, 1320–1322) (136) «je cuit que nus ne li seust feire rien qui li peust pleire» (rose, 306s.)
Von diesen kontrafaktischen Kontexten ausgehend, wollen wir noch etwas genauer die Funktion bzw. Markierungsleistung des Subjonctif Imparfait beleuchten. Ein Charakteristikum epistemischer Prädikate ist ihre Fähigkeit, auch als Matrixsatzprädikate im Präsens, ein Nebensatzverb im Subjonctif Imparfait zu selegieren. Diese Kombinatorik ist hingegen bei buletischen Prädikaten wie vouloir völlig undenkbar («*Je veux que tu partisses plus tôt»). Nun lässt sich die Verbindung von Präsens und dem Subjonctif Imparfait aus der logischen Struktur von epistemischen Verben ableiten: das aktuelle epistemische Modell (bzw. seine doxastische Subkomponente) kann natürlich auch Propositionen über Sachverhalte in der Vergangenheit enthalten, wohingegen die Realisierung von aktuellen Wünschen – also das Eintreten von p – nur in zukünftigen möglichen Welten denkbar ist. Und dennoch liegen die Verhältnisse auch bei den epistemischen Prädikaten nicht ganz so einfach. Es fällt nämlich auf, dass der Subjonctif Imparfait nach epistemischen Matrixsatzprädikaten im Präsens ausschließlich kontrafaktisch zu interpretieren ist bzw. ausnahmslos in kontrafaktischen Kontexten auftritt. Dies sind zum einen die eben ausführlicher behandelten Fälle von Negationsanhebung, in denen das Matrixsatzsubjekt mithilfe von negativen polaren Elementen (i.e. domänenkonstituierenden Parametern) eine doxastische Domäne profiliert, in der gerade ¬p gilt, wie in den folgenden Beispielen: –– für alle i: (li[(voir’(i)(ON’)(une feste_miex_aree’))]) = 0: (137) «Ne cuit onques mais veisse une feste mout miex aree» (chauvency, 376s.)
–– für alle y (syntaktisch: direktes Objekt): (ly[(perdre’(vous’)(y))]) = 0: (138) «ne cuit que rienz i perdissiez par saint nichais jaquet g’irai» (chauvency, 238)
–– für alle x (x: Subjekt, human): (lx[(oir’(x’)(deable_mener_estroit))]) = 0: (139) «je ne cuit que mes hom oist deable mener si estroit» (martin1, 754s.)
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Zum anderen handelt es sich um Irrealis-Kontexte, die vorher schon von einem geeigneten Operator als solche gekennzeichnet wurden. Dies kann – so in (140) – der Bedingungsoperator IF/SI sein oder – wie in (141) – selber schon der Subjonctif Imparfait, der zusammen mit dem Prädikat plaire einen optativen Horizont aufspannt, welcher dann in einen Bedingungssatzkontext überführt wird (eigentlich: «se je fusse por vous sous vo targe florie, la bataille fust assez tost faillie»): (140) «s’uns riches hom ci uous trouast / je cuit que d’or vous enorast» (fablesT, 54s.) (141) «pleust au roi des ciex e sa mere marie / que je fusse por vous sous vo targe florie! je cuit que la bataille fust assez tost faillie.» (aye, 491–493)
Bei epistemischen Matrixsatzprädikaten, die sich selber schon in einer Vergangenheitszeit, also im Skopus des Vergangenheitsoperators (P), befinden, ist das im Subjonctif Imparfait stehende Nebensatzverb jedoch keineswegs stets kon trafaktisch zu verstehen. Beispielsweise glaubt Galehout in dem folgenden Beispiel, dass der Protagonist Lancelot eingeschlafen sei – eine Überzeugung, die der Erzähler etwas später als zutreffend bestätigt: (142) «[...] et gant galehout fu cochés et il cuida que lancelos fust endormis, si commence son duel a faire […]. Tote nuit demena galehout ceste dolor desi au jor; et se il ot auques duel, et lancelos fu auques a aise, kar tote nuit dormi.» (lanc, 167ss.)
Galehouts Überzeugung, dass p wird also durch den Subjonctif Imparfait nicht als kontrafaktisch und damit falsch herausgestellt, sondern die Proposition p wird lediglich als Komponente seines doxastischen Systems an einem bestimmten Index in der Vergangenheit gekennzeichnet. p besitzt mithin zunächst nur den Status einer wahren Proposition in den Welten, die dem Matrixsatzsubjekt doxastisch zugänglich sind bzw. in denen sich die Dinge nach dessen Überzeugungen verhalten. Das bedeutet aber nicht, dass sie kontrafaktischen Charakter besitzen müssen, denn sie können sich – wie in diesem Beispiel – ex post als durchaus wahr auch in w0 erweisen. Auch in dem folgenden Beispiel fokussiert die Form des Komplementsatzprädikats auf die Zugänglichkeitsproblematik, zumal p auch durch den Sprecher nicht entschieden werden kann und dementsprechend nicht als kontrafaktisch zu identifizieren ist: (143) «a nul ne s’ouse descouvrir / car por honte de gent n’a cure / a dire a nullui s’aventure / qu’el cuidoit que dieu y ovrast / einsint que sante recouvrast» (ndchar, 4657–4661)
Ein weiteres Beispiel aus den altfranzösischen Texten zeigt, dass das Komplementsatzverb im Subjonctif Imparfait sogar prospektiv interpretiert werden kann, also auf dem Subjekt zugängliche doxastische Auswertungswelten referiert, die – vom Subjekt aus betrachtet – in der Zukunft liegen: in dem angeführten Beispiel
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erweist sich im Übrigen die Erwartung des Subjekts ebenfalls wieder als berechtigt: (144) «[...] si vit un grant feu alumé / cele part est son pas alé / car il quida que il trovast / aucun home qui l’avoiast / ou boscheron ou charbonier / […] / il est desci au feu alez / si vit un chevalier seant […]» (epee, 73ss.)
Ein weiterer Kontext, in dem das Subjonctif Imparfait regelmäßig nach einem epistemischen Prädikat in der Vergangeneheit auftritt, sind modale Kontexte, in denen der Möglichkeits- bzw. der Notwendigkeitsoperator (◊ bzw. □) durch die entsprechenden Modalverben lexikalisch ausgedrückt werden: (145) «[…] mist sus seus piez car ele cuidoit que ele se peust sostenir et aler si com ele avoit acoustumé, mes ele chei tantost a terre.» (loys, 6734s.) (146) «[...] pour ce que il ne pot son cheval tenir ou pour ce que il cuidoit que les autes le deussent suivre» (joinv, 2598–2600)
Eine Kombination aus epistemischem Prädikat im Skopus des Vergangenheitsoperators und einem präsentischen Komplementsatz lässt sich für das Altfranzösische im Übrigen nicht nachweisen. Eine solche sog. double-access-Lesart ist ausschließlich für dire belegt, wie das folgende Beispiel zeigt: (147) «voir me dist ma mere ma dame qui me dist que deable sont plus esfrée (sic!) que rien del mont» (chret2, 1112–1114)
Wie lassen sich die hier skizzierten Beobachtungen zur Kombinatorik epistemischer Verben mit dem Subjonctif Imparfait interpretieren? Das Subjonctif Imparfait besitzt offenbar im Altfranzösischen noch einen autonomen semantischen Wert als ‘Zeichen’ (bzw. grammatisches Morphem) der Kontrafaktizität. Es kennzeichnet einen Sachverhalt p als jeweils nicht zutreffend, weil in der aktuellen Welt w0 gerade ¬p gilt. Für welchen Index bzw. welches Indexintervall jeweils die kontrafaktische Prädikation gilt, muss dabei aus dem jeweiligen Kontext abgeleitet werden: Wie wir an den Beispielen gesehen haben, handelt es sich teilweise um echte Vergangenheitskontexte, bei denen der Index bzw. das Indexintervall vor dem Sprechzeitpunkt i0 (t0/w0) liegt – so zum Beispiel in (148) (148) «mout me merveill se rois l’ocist / ne cuit que autres le feist» (thebe, 415s.)
Hierzu zählen auch optative und Bedingungssatz-Kontexte, in denen sich der Sprecher wünscht, dass ¬p eingetroffen wäre – erinnert sei an das folgende Beispiel: (149) «pleust au roi des ciex e sa mere marie / que je fusse por vous sous vo targe florie! Je cuit que la bataille fust assez tost faillie.» (aye, 491–493)
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Des Weiteren haben wir ausführlich Kontexte untersucht, in denen negative Polaritätselemente auftraten: Hierbei erschien der Subjonctif Imparfait unter anderem im Rahmen eines Indexintervalls, das – etwa bei oncques – von einem unbestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit bis zum Sprechzeitpunkt reichte. Schließlich kann im Rahmen von Bedingungssatzstrukturen sogar der Fall auftreten, dass die Kontrafaktizität von p zum Sprechzeitpunkt, ja sogar über den Sprechzeitpunkt hinaus statuiert werden kann, wie in dem – ebenfalls schon zitierten – Beispiel (150): (150) «s’uns riches hom ci uous trouast / je cuit que d’or vous enorast» (fablesT, 54s.)
Mit der Rolle des Subjonctif Imparfait im Rahmen von Bedingungssatzstrukturen, die nicht nur Alternativwelten an vergangenen Indizes konstituieren, werden wir uns im 4. Kapitel noch ausführlicher befassen. Soweit zum Subjonctif Imparfait als Marker von Kontrafaktizität. Der Form kommt aber zugleich auch eine reine Kennzeichnungsfunktion im Rahmen der sogenannten consecutio temporum zu. Wie wir gesehen haben, sind in diesem Kontext die Nebensatzpropositionen keineswegs notwendigerweise kontrafaktisch zu interpretieren, sondern sie können im Rahmen einer doxastischen Zugänglichkeitsrelation interpretiert werden und beschreiben dann eine Überzeugung – Glaubenswelten bzw. ein «univers de croyance» (R. Martin) – an einem bestimmten Zeitindex bzw. in einem Indexintervall in der Vergangenheit. Der Subjonctif erlaubt dabei sogar, dass solche durch p festgeschriebenen Überzeugungen sich auch auf die – vom Matrixsatzsubjekt aus gesehen – Zukunft beziehen können, mithin also prospektiver Natur sind, wie das oben zitierte Beispiel car il quida que il trovast / aucun home qui l’avoiast gezeigt hat. Wir müssen also eine de re- von einer de dicto-Verwendung des Subjonctif Imparfait unterschieden. Diese im ersten Kapitel erläuterte Opposition zwischen einer referentiellen und einer intensionalen Lesart in bestimmten ambigen Kontexten (wie sie etwa von stark intensionalen Prädikaten wie vouloir im Rahmen von Relativsätzen erzeugt werden) lässt sich auch auf temporale Verhältnisse, insbesondere die Tempusverhältnisse in der Domäne des discours rapporté anwenden. In diesem Zusammenhang bedeutet eine de reLesart verbaler Kategorien, dass diese im Verhältnis zu der als absolutem Referenzpunkt dienenden Sprecherorigo (t0/w 0) – also gleichsam objektiv-referentiell – zu interpretieren sind. Die Verbalkategorien de dicto zu verstehen, heißt, sie in einer consecutio-temporum-Logik zu interpretieren. Was aber meint das genau? R. Martin unterscheidet zwischen der Äußerungszeit (temps de l’énonciation) und der temps de prise en charge de l’énoncé, also derjenigen Zeit, für die der
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Urheber der Aussage die volle Verantwortung übernimmt.116 In einem grundsätzlichen Beitrag hat sich – neben Ogihara (1995b) und von Stechow (1995)117 – Dorit Abusch (1994) um eine formalsemantische Theorie der Zeitenfolge bemüht. Die Linguistin versucht dabei aufzuzeigen, dass die Tempusverhältnisse in von intensionalen Prädikaten abhängigen Komplementsätzen in Vergangenheitskontexten nicht de re, sondern im Rahmen einer geeigneten consecutio-temporum-Theorie analysiert werden müssen. Den zentralen Anker einer Glaubensproposition charakterisiert sie als the believer’s now, also denjenigen Zeitpunkt, an dem das doxastische Modell des Subjekts in seinem Bewusstsein zu voller Aktualität gelangt. Es handelt sich dabei um einen Zeitindex in der Vergangenheit, an dem das doxastische Modell des Individuums mit seinem hierdurch determinierten System doxastischer Welten (Abusch spricht hier auch anschaulich von einem System bzw. «set of centered worlds»)118 welt-zeitlich verankert ist. Diese Auffassung korrespondiert auch mit Überlegungen Vandelanottes (2005), denen zufolge Einstellungsverben grundsätzlich ein sekundäres deiktisches Zentrum («a secondary deictic center») einführen, welches um den individuellen Anker (das epistemische Subjekt, den «believer») kreist.119 Die für die Verifizierung von p relevanten Indizes sind folglich an den Urheber des Glaubensaktes und sein doxastisches System gebunden, das im believer’s now als dem sekundären zeitlichen Zentrum verankert ist. Wir können also festhalten: Eine Glaubensproposition p, die von einem Einstellungsverb, das in einem Vergangenheitstempus steht, eingeführt wird, muss an den Indizes i wahr sein, die dem Individuum zu einem Zeitpunkt (oder in einem Zeitintervall) in der Vergangenheit im Rahmen seines seinerzeit gültigen Modells doxastisch zugänglich waren. Diese Zusammenhänge versucht Abusch mithilfe einer formalen Analyse am Beispiel des Satzes (151) «Mary believed that it was raining.»120
116 Cf. Martin (1987, 134). Robert Martin wendet diesen Grundgedanken äußerst fruchtbar im Hinblick auf die Deutung modaler Tempusgebräuche (etwa epistemisches Futur oder evidentielles Konditional) an. Die modale Verschiebung der Interpretation der Temporalkategorien ergibt sich jeweils aus der Diskrepanz zwischen dem Äußerungszeitpunkt (Sprecherperspektive (Énonciateur), temps de l’énonciation) und dem Zeitpunkt, zu dem der Urheber (Locuteur) der Äußerung, für die Wahrheit seiner Äußerung bürgt (prise en charge de l’énoncé). Bei Martin (1987, 111–134) werden modallogische Tradition und die Theorie der Polyphonie, wie sie im Rahmen der analyse du discours entwickelt wurde, zusammengeführt. 117 Cf. von Stechow (1995, 362ss.). 118 Abusch (1994, 124). 119 Cf. Vandelanotte (2005, 74). 120 Abusch (1994, 117).
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
233
zu erfassen. Ihre Analyse wollen wir hier kurz vorstellen: Das Matrixsatzverb ist an einem Zeitindex t1 verankert, der – wie die Verbmorphologie von believed zeigt – vor dem Sprechzeitpunkt (U) liegt. Das epistemische Verb führt einen Operator, den Intensor – formalisiert als: λw2λt2 – ein, der den intensionalen Charakter des als Objektargument fungierenden Komplementsatzes deutlich machen soll: Wie wir schon mehrfach herausgestellt haben, führt das Glaubensprädikat in ein System von doxastischen Welten (ausgedrückt durch die Welten- sowie die Zeitfunktion) ein, das im believers’ now verankert ist und näher hinsichtlich der Belegung der konkreten Welt- bzw. Zeitvariable spezifiziert werden muss. Beispielsatz: (152) «Mary believed that it Pst2 was raining.»121 S Marie Pst1 [ constraint Rbelieved (t1 ,U) [ relations {R
believed
]
}
]
[ tense-constraint R believed= < ] VP
believed
λw2 λt2 S
it [constraint R was (t2, t2) [relations {R
was
,R
believed
] Pst 2 }
]
[tense-constraint R believed= < or R was = cuidoit (il, [λw2 λt2 fustw2,t2(lancelos_endormis)] Dass diese Interpretation auch tatsächlich zutreffen muss, zeigt auch unser schon zitiertes Beispiel, bei dem das Subjonctif Imparfait in einem prospektiven Kontext verwendet wird: (153) «[...] si vit un grant feu alumé / cele part est son pas alé / car il quida que il trovast / aucun home qui l’avoiast» (epee, 73–76)
Dem komplexen Satz muss eine Glaubensproposition im Subjonctif Présent («il cuide que il truisse aucun home qui l’avoie»), das in zahlreichen Kontexten prospektiv (also im Hinblick auf zukünftige mögliche Welten/Alternativen) zu interpretieren ist (cf. etwa auch: «je veux que tu viennes demain»), zugrunde liegen. Die Wirkung des Vergangenheitsoperators – bzw. näher an Abusch formuliert:
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
die Vererbung des die Vorzeitigkeitsrelation zwischen lokaler Auswertungszeit des Matrixsatzprädikats und dem Sprechzeitpunkt anzeigenden Vergangenheitsmerkmals auf die Nebensatzdomäne bzw. ihr Prädikat – schlägt sich im Rahmen des consecutio-temporum-Mechanismus als Transformation der Verbform truisse zu trovast nieder.125 Wir können also abschließend festhalten, dass der Subjonctif Imparfait im Kontext von epistemischen Prädikaten zwei Lesarten besitzt: eine de re-Lesart, in der das Morphem als Zeichen von Kontrafaktizität zu interpretieren ist und eine Proposition p in das Antiuniversum einschreibt, in dem sich die Dinge hinsichtlich p gerade entgegengesetzt zu den Verhältnissen in w0 verhalten. In der de dicto-Lesart ist der Subjonctif Imparfait der morphologische Reflex einer Vorzeitigkeitsrelation zwischen dem Auswertungsindex des Matrixsatzverbs und dem Sprechzeitpunkt U sowie einer anaphorischen Verweisbeziehung zwischen Komplementsatzproposition und sekundärem deiktischen Zentrum (believer’s now). Dass die Nebensatzproposition im Skopus des Vergangenheitsoperators P (PAST) stehen muss, zeigt sich daran, dass hier auch – wie allgemein beim Subjonctif Présent – prospektive Lesarten möglich sind, die p an Indizes w2,t 2 lokalisieren, welche jenseits des Auswertungsindexes t1 des Matrixsatzprädikats liegen.
2.6.3 D ie Entwicklung der Modusselektion von cuidier im Mittelfranzösischen und dem vorklassischen Französisch Wir wollen in diesem Kapitel die weiteren Entwicklungen bezüglich der Modusselektion von cuidier von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des 16. Jahrhunderts untersuchen. Dabei beginnen wir wiederum zunächst mit einer Analyse der quantitativen Verhältnisse. Die folgende Tabelle gibt einen zusammenfassenden Eindruck von der Häufigkeit verschiedener Formen von cuidier im 14. und 15. Jahrhundert sowie der Distribution der unterschiedlichen Verbalkategorien im Komplementsatz:
125 Cf. hingegen von Stechows abweichende Argumentation (etwa von Stechow 1995, 375). Der Semantiker geht davon aus, dass Konjunktivmorphologie finite Verbformen ihres semantischen Tempus «beraubt» («deprives finite forms of their semantic tense») und bringt dies auf die Formel: «The subjunctive morpheme (SUBJ) selects Ø-tense.»
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
237
Tabelle 6: Die Modusselektion von cuidier im Mittelfranzösischen, 14. und 15. Jh. Je cuide 1. p. sg.
Il/elle cuide 3. p. sg.
Ils/elles cuident 3. p. pl.
Je cuidoie 1. sg. past
Total
35
49
52
8
FUT
3 (8,6%)
1 (2,0%)
2 (3,8%)
COND
2 (5,7%)
IND – PAST – NEG
15 (42,9%) 2 2
1 (2,0%)
9 (17,3%)
SUBPRES – NEGATION – NEGimplic – Restriktion
9 (25,7%) 2 3
41 (83,7%) 7
35 (67,3%) 2 1 4
SUBIMP – Negation
1 (2,9%)
1 (2,0%) 1
2 (3,8%)
8 (100%) 3 (38%)
Total IND Total SUBJ HOMONYM
20 (57,2%) 10 (28,6%) 5126 (14,3%)
2 (4,1%) 42 (85,7%) 5 (10,2%)
12 (23,1%) 37 (71,1%) 3 (5,8%)
0 (0%) 8 (100%)
1 (1,9%)
126 Das Verb cuidier bleibt zunächst noch das am häufigsten verwendete epistemische Verb, wenngleich sein Anteil an der Gesamtvorkommensfrequenz der drei wichtigsten epistemischen Verben schon abnimmt: Von ca. 77,2% im Altfranzösischen fällt der Anteil auf 61,6% ab, wobei insbesondere das Prädikat penser (von 7,9% auf 23,9%) deutlich an Gewicht gewinnt. Der Vergleich mit den Modusverhältnissen im Altfranzösischen (siehe die obige Tabelle zu cuidier que im Altfranzösischen) zeigt andererseits, dass die Distribution der Verbalkategorien im Komplementsatz praktisch gleich geblieben ist, was als ein erstes Indiz für die Stabilität der semantischen Interpretation von cuidier angesehen werden kann.127 Ebenso bestätigt sich weiterhin die klare Tendenz zum Indikativ bei je cuide. Die
126 Unbestimmbar sind homonyme Formen wie voulez, gabez, demoure sowie vuide etc., die auch im Mittelfranzösischen noch sowohl Subjonctif als auch Indikativ anzeigen können. 127 Damit widersprechen unsere exhaustiven Daten der Behauptung Shirts, schon im 13. Jahrhundert habe eine funktionale Spezialisierung von cuidier auf Kontexte, die ¬p präsupponieren, stattgefunden, die im Zusammenhang mit einem grundsätzlichen Niedergang des Prädikats in
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
bei weitem minoritären Subjonctif-Okkurrenzen sind überwiegend auf eine explizite Negation, eine negative Implikatur oder eine Form der Restriktion zurückzuführen. Andererseits behauptet sich die starke Affinität zum Subjonctif bei il/elle cuide sowie bei den Vergangenheitsformen je cuidoie und il/elle cuidoit. Bei ils/ elles cuident ist die Präferenz für den Subjonctif etwas schwächer ausgeprägt – auf mögliche Gründe gehen wir weiter unten ein. Für die grundsätzlich gleichbleibende Verteilung des Subjonctif kann auf die ausführliche Charakterisierung des Modusgebrauchs im Altfranzösischen verwiesen werden: Konjunktivische cuidier-Sätze werden in einem vom epistemischen Modell des Sprechers distanten, ihm doxastisch nicht zugänglichen Modell evaluiert: Der Sprecher macht deutlich, dass das Modell des Matrixsatzsubjekts nicht sein eigenes ist – was nicht unbedingt bedeutet, dass er dieses notwendigerweise als falsch erachtet. Er kann nur eben nicht für die thematisierten Propositionen dieses Modells bürgen, da er keine argumentationsfähige Evidenz für das Bestehen einer Bekanntschaftsrelation zwischen p und der res, also dem Gegenstand der subjektiven Überzeugung in der Referenzwelt, anführen kann. Wird cuidier in Verbindung mit Vergangenheitsmorphologie verwendet, so verweist der Sprecher insbesondere bei der Form je cuidoie darauf, dass sein eigenes epistemisches Modell, das die Proposition p enthielt, nicht mehr aktuell ist, um im Weiteren eine Art informationelles up-dating vorzunehmen. War der Sprecher also zum Zeitpunkt t1 überzeugt davon, dass p, so gilt dies am aktuellen Auswertungsindex t0 nicht mehr. Auch die besonderen pragmalinguistischen Verwendungen sind – sieht man einmal von ne cuides pas que p ab – auch im Mittelfranzösischen noch durchaus geläufig: Besonders charakteristisch ist die schon oben herausgestellte Instrumentierung des doxastischen Verbs im Rahmen von rhetorischen Fragen (cuidez vous que p? und cuides tu que p?), die (fast)128 immer im konjunktivischen Modus stehen: Die Aussage, dass ¬p ergibt sich – wie oben schon dargestellt – aus dem Zusammenspiel des konjunktivischen Modus und einer (generalisierten) konversationellen Implikatur: Der Sprecher stellt p zur Debatte, obwohl er keinen Zweifel daran lässt, dass p eigentlich gar nicht argumentationsfähig ist. Die Sprecherpräsupposition, dass ¬p signalisiert dem Gesprächspartner, dass er lediglich aufgefordert ist, seine Zustimmung zu bekunden bzw. ¬p als Tatsache des gemeinsamen Redehintergrunds zu akzeptieren bzw. zu bekräftigen.
der Konkurrenz zu croire und penser stehe. Unsere Daten zum Alt- und Mittelfranzösischen belegen diese These in keinster Weise. Cf. Shirt (1975, 353ss.). 128 Bei den mit dem Indikativ homonymen Formen dürfte es sich in allen Fällen um konjunktivische Flexionsformen handeln.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
239
Tabelle 7: Pragmalinguistische Verwendungen und Verbalkategorien
Total Subpres
IMP: ne cuidez pas que p !
Q: Cuidez vous que p ?
IMP: ne cuides pas que p !
Q: cuides tu que p ?
15
6
1
24
9
4
10
Subimp
12
Indikativ
1
Conditionnel Homonyme
1 6
2
1
Wenden wir uns nun aber der qualitativen Dimension zu und betrachten einige markante Beispiele der Modusvariation im konkreten Diskurs der Sprecher: Den Schriften des wissenschaftlichen Autors und Aristoteles-Übersetzers Nicole Oresme verdanken wir einige interessante Einsichten in die Ausgestaltung und Entwicklung des Modussystems in der epistemischen Domäne gegen Ende des 14. Jahrhunderts. So lassen die folgenden Textbeispiele die Ratio der Kategorienauswahl bei je cuide deutlich werden, wenn er sein aktuelles epistemisches Modell thematisiert: (154) «Et de ce que les estoilles semblent sintiller ou ouilleter, je cuide que avecques ce que elles sont loing, que le mouvement d’aucunes exalacions ou vapeurs parmi lesquelles nous les voions, soient cause de telle apparence.» (Nicole Oresme, Le Livre du ciel et du monde, 1370, 450)
Der Sprecher versucht in dieser Textpassage eine Erklärung für ein Naturphänomen (le sintillement des étoiles) zu liefern. Er kann diese jedoch lediglich auf eine causa concomitans, einen der Beobachtung zugänglichen Begleitumstand (aucunes exalacions ou les vapeurs parmi lesquelles nous les voions), stützen. Für den Beweis der Wahrheit von p (le mouvement (...) est cause de telle apparence) und damit der direkten kausalen Relation zwischen p und q, reicht diese Beobachtung jedoch nicht aus. Die Anforderung an eine Legitimation von p sind im wissenschaftlichen Diskurs höher, sodass der Sprecher p nur als Teil seiner subjektiven doxastischen Überzeugungen markieren kann. Ganz anders im nächsten Beispiel: hier scheint die Legitimationsquelle von p, wie der Indikativ anzeigt, den Zeitgenossen völlig hinreichend zu sein: (155) «Tiercement, ont esté mises raisons au contraire et que il n’est pas ainsi meu, et nientmoins touz tiennent et je cuide que il est ainsi meu et la terre non: Deus enim firmavit
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
orbem tre, qui non commovebitur, nonobstans les raisons au contraire, car ce sont persuasions qui ne concludent pas evidanmant.» (Nicole Oresme, Le livre du ciel et du monde, 1370, 536)
Obwohl in der Diskussion auch Gründe für ¬p angeführt werden, salviert sich Oresme dadurch, dass er biblisches Offenbarungswissen (Psalmen 92, 1–2), zudem in der autoritativen Sprache Latein, zitiert: Es gilt p: la terre non est meue, denn: Deus enim firmavit orbem tre, qui non commovebitur. Damit erhält die Proposition den Status von unhinterfragbarem Präsuppositionswissen, für das die Evidenzierungspflicht entfällt. In dem dritten Beispiel ist die Wahrheit von p an eine Bedingung (Restriktion) gekoppelt: p gilt nur in einer bestimmten Domäne bzw. nur in solchen möglichen Welten, die den gemachten Annahmen auch entsprechen (se le cas estoit tel comme il est devant mis): (156) «Et quant est d’une chose qui est dicte ou premier cas, c’est a savoir que une porcion de feu seroit ou centre du monde sanz soy mouvoir, je cuide que ce soit vray se le cas estoit tel comme il est devant mis.» (Nicole Oresme, Le livre du ciel et du monde, 1370, 136)
Einen weiteren charakteristischen konjunktivischen Kontext zeigt das folgende – um il cuide kreisende – Beispiel: (157) «Car en amistié vertueuse, celui qui est meilleur cuide et repute que il doie avoir plus de bien pour ce que au meilleur est deü plus de bien.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 449s.)
Das freie Relativpronomen celui qui (Riegel et al. klassifizieren es als relative périphrastique)129 verhält sich ähnlich wie der Bedingungsoperator IF/SI: beide wirken als Restriktoren, die die Domäne (den Definitionsbereich) der Variablen x eingrenzen: Der durch celui qui eingeleitete Relativsatz legt eine Bedingung (bzw. einen Definitionsbereich) fest, die (der) angibt, wie ein Individuum x beschaffen sein muss, damit man über dieses prädizieren kann: x cuide. Dieser semantische Gehalt lässt sich nach Partees Analyse notieren als: HABITUELLEMENT x [personne’ (x) ∧ être_le_meilleur’ (x)] [cuider_que_p’ (x)]
129 Cf. Riegel et al. (1994, 487s.).
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
241
Die generelle Verwendung des Subjonctif in diesen restriktiven Kontexten ist unmittelbar einsichtig: Grundsätzlich wird durch Restriktion eine Menge von Individuen herausgestellt, für die ein spezifisches epistemisches Modell gilt – sie und nur sie glauben p. Präsupponiert wird also eine komplementäre Menge von Individuen, die ein anderes epistemisches Modell besitzen, also gerade ¬p glauben. Wir haben es hierbei folglich mit einer Kontrastierung unterschiedlicher epistemischer Modelle bzw. der Fokussierung auf ein spezifisches, oftmals einem präsupponierten Standard (common ground) gegenüber gestelltes Modell zu tun. Zusätzlich kommt hinzu, dass die Menge der Individuen, auf die das partikuläre epistemische Modell zutrifft, unbestimmt ist. Es gilt grundsätzlich für alle Individuen, die die genannte Bedingung erfüllen (attributive Lesart) (cf. ausführlich Kap. 5). Die bisher kommentierten charakteristischen Textbeispiele fügen sich problemlos in das entwickelte Idealbild des altfranzösischen Modussystems bei epistemischem cuidier ein. Nun zeigt sich aber in Oresmes Aristoteles-Übersetzung erstmals eine Reihe von Abweichungen von der Idealverteilung der verbalen Kategorien, die durchaus als erste Anzeichen einer Erosion des Modussystems bei cuidier angesehen werden können: So markiert Oresme in den folgenden Textpassagen, in denen jeweils partikulare epistemische Modelle einander gegenübergestellt werden, diese nur noch teilweise mit dem Subjonctif. Problematischer noch: bei der Kontrastierung von unterschiedlichen Modellen rekurriert er ohne erkennbaren Grund auf den Indikativ: (158) «[…] et les sages excellens dient que c’est felicité, et cuident que bien vivre et bien ouvrer soit estre bieneuré ou avoir felicité et que ce est une meïsme chose.» (Kommentar: «Ou quart chapitre il commence son traictié et recite en general les opinions anciens de felicité humaine.») (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 108) (159) «Semblablement cuident aucuns que cognoistre les choses justes et injustes n’est pas moult grant sagesce; » (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 321) (160) «Car les uns par aventure sont enformés et cuident certainnement que delectacion est tres mauvaise chose, et les autres cuident que non est et que c’est bonne chose» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 485s.)
In dem ersten Zitat wechselt der Autor im Rahmen einer komplexen Aussage (dem Konjunkt aus zwei Propositionen) die Moduskategorien, obwohl es sich um ein und dasselbe epistemische Bezugsmodell handelt: der Indikativ erscheint in diesem Kontext nun als freie Variante zum Subjonctif. In den beiden nachfolgenden Beispielen werden spezifische Evaluationsmodelle eingeführt und im zweiten Falle sogar miteinander kontrastiert, ohne dass der Autor dies durch den Subjonctif kennzeichnet.
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Bei Oresme tritt der Konjunktiv also offenbar nur noch dann regelmäßig nach cuidier auf, wenn der Sprecher herausstellen will, dass das Matrixsatzsubjekt an die Wahrheit von p glaubt, obwohl der Sprecher verbürgen kann, dass ¬p der Fall ist, mithin autoritatives Sprechermodell und spezifisches Matrixsatzmodell divergieren. Zur Erhärtung dieser These zitieren wir zwei weitere Belege aus Oresmes Aristoteles-Übersetzung: (161) «Et par imprudence, il cuide que les choses qui sont bonnes qui il soient mauvaises et que il ne les conviengne pas faire.» (Nicole Oresme, Le livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 369) (162) «Car quant il cuident que la verge soit dehors la courroie, elle est dedenz.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 384)
Im Mittelfranzösischen deutet sich also bei der 3. Person (il/elle cuide, ils/elles cuident) eine Verschiebung des Modussystems ab: der Subjonctif dient zunehmend nur noch als explizite Markierung für ein vom Standardmodell, so wie es vom Sprecher verbürgt wird, abweichendes und ipso facto nicht zutreffendes epistemisches Modell. Epistemische Subjektivität oder doxastischer Exklusivismus seitens des Matrixsatzsubjekts wird nicht mehr – oder besser: nicht mehr systematisch – durch den konjunktivischen Modus angezeigt. Im 15. Jahrhundert setzt sich der Erosionsprozess weiter fort und führt im Laufe des 16. Jahrhunderts schließlich zum Erlöschen von cuidier als epistemischem Verb. Die folgende Tabelle zeigt den dramatischen Niedergang des Prädikats, das nur noch als archaisches Relikt in einigen Texten des 16. Jahrhunderts zu finden ist. Tabelle 8: Modusselektion von cuidier im 16. Jh. (vorklassisches Französisch) Je cuide
Il/elle cuide
Ils/elles cuident
Je cuidoie
Il/elle cuidoit
Gesamt
6
3
1
0
9
Subimp
1
Subpres
9 1
Indikativ
2
Futur
1
Cond
1
Unbest
1
1
1
1
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
243
Wie die Tabelle deutlich macht, wird bei je cuide – abgesehen von dem besonderen Fall sprechermarkierter Kontrafaktizität – nur noch der Indikativ verwendet. Hier gleicht sich cuidier (wie wir weiter unten noch sehen werden) offenbar den Modusverhältnissen von croire und penser an. Die Okkurrenzen von il/elle cuide que sind nicht nennenswert, lediglich bei il cuidoit wird von den Sprechern noch systematisch der Subjonctif Imparfait gewählt. Dies verdeutlicht, dass cuidier noch relikthaft die irrige Überzeugung eines Subjekts, dass p wahr sei, anzeigt, mithin cuidier que p stets ¬p präsupponiert. Dies ist auch die Verwendung in dem einzigen Belegbeispiel bei Calvin, der in vergleichbaren Kontexten stets croire in Verbindung mit dem Subjonctif verwendet: (163) «(…) que les hommes se trompent malheureusement quand ils cuident que ce soit quelque saincteté et service de Dieu de ne point manger chair.» (Jean Calvin, Des scandales, 1550, 201, III).
Die archaisierend schreibenden Autoren François de Sales und Béroalde de Verville (Le Moyen de parvenir, 1610, p. 164) sind die letzten, die das Verb cuidier zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch mit einer gewissen Häufigkeit verwenden: (164) «(…) plus sotz en cela que les papillons, d’autant que ceux-ci ont quelque occasion de cuider que le feu soit delicieux puisqu’il est si beau, ou ceux-la sçachans que ce qu’ilz recherchent est extrement deshonnest ne laissent pas pour cela d’en surestimer la folle et brutale delectation.» (François de Sales saint, Introduction à la vie dévote, 1619, 179, troisième partie, chapitre XII).
Von dem Tragöden Théodore Agrippa d’Aubigné stammt das überhaupt letzte Zitat. Es datiert auf das Jahr 1623: (165) «Deux filles, qui cuidoyent que le noeu de la race/Au sein de leurs parents trouveroit quelque place,/Se vont jetter aux bras de ceux de qui le sang/De la tendre pitié devoit brusler le flanc.» (Les Tragiques 3/1623, 70, livre IV, les feux)
Die Entwicklungen seit dem Mittelfranzösischen deuten darauf hin, dass der Subjonctif in Verbindung mit dem Verb cuidier aufgrund seiner typischen Vorkommenskontexte, die eine kontrafaktische Implikatur nahelegten, reinterpretiert wurde, sich mithin von einem Marker subjektiver doxastischer Zugänglichkeit zu einem Marker der Kontrafaktizität wandelte. Diese typischen Konjunktiv-Kontexte waren, wie wir gesehen haben, Propositionen im Skopus der Negation, im Rahmen rhetorischer Fragen und negativer Formeln, in Verbindung mit einer Domänen-Restriktion (für eine Teilmenge von Referenten gilt: ¬p) oder in eindeutig kontrafaktischen Kontexten. So scheinen sich zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert die besonders zentralen Verwendungen, die mit einer negativen Implikatur verbunden waren, generalisiert zu haben, so dass man von einer
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Quasi-Konventionalisierung der kontrafaktischen Lesart sprechen kann. Parallel hierzu verlor cuidier seine zentrale Stellung als doxastisches Prädikat an croire und penser (in dieser Teillesart) und verringerte zudem auch seine Subkategorisierungsoptionen (cf. dazu auch Becker 2011a). Warum aber letztlich cuidier «aus der Mode» geriet und vor allem croire die Oberhand gewann, ist eine Frage, die sich nicht anhand der reinen Korpusdaten beantworten lässt. Hier müssten metasprachliche Kommentare der Sprecher sowie sprachpflegerische und normstiftende Werke zu Rate gezogen werden, da diese lexikalischen Substitutionsprozesse wohl eher Entwicklungen im Bereich der Norm als innerhalb des Sprachsystems widerzuspiegeln scheinen.
2.6.4 Die Entwicklung der Modusselektion bei croire In mittelalterlichen Texten – Urkundentexten, aber auch literarischen Texten – erfreuen sich synonymische Doppelungen großer Beliebtheit. Sie sind zudem ein Beleg für den quasi-synonymischen Charakter von Lexemen, so auch in dem folgenden Beispiel, in dem gleich drei bedeutungsähnliche epistemische Ausdrücke – croire, cuidier und li est vis – auftreten: (166) «que li autres senz demorance en alast prendre la venjance mis sire en a puis conseil pris si creit e quide e li est vis que ce li seit honors e biens desque tu cest ovre maintiens et que par ta main sera faite» (Chronique des ducs de Normandie, Tome 1, v.8791–9592, 11449–12788 C. Fahlin, 2 vol., Uppsala 1951, 1954 (B) BrM, Harl.1717 1ere m. 13e s., 1708–1714)
Auch der tabellarische Überblick, der die Ergebnisse der Abfrage des Amsterdamer Korpus zusammenfasst, vermittelt einen ähnlichen Eindruck von der semantischen Nähe von cuidier und croire.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
245
Tabelle 9: Modusselektion bei croire im Altfranzösischen nach dem Amsterdamer Korpus Je croi/croie (crois/crei)
Il/elle croit/ croie (creit/creie) (3. Person)
Croient/ creient
Je croioie (und Varianten)
Il/elle croioit (und Varianten)
Ils/elles croioient (und Varianten)
Total
59
17
5
1
0
2
FUT
7 (11,9%)
COND
6130 (10,2%)
IND – PAST
15 (25,9%) 6
6 (35,3%) 3
2 (40%)
SUBPRES – NEG – NEGimplic – Restriktion
23 (39,7%) 7 1
7 (41,2%) 1
3 (60%)
SUBIMP – NEG – NEGimplic – Restriktion
7 (12,1%) 1 1 4
4131 (23,5%)
Total IND Total SUB HOMONYM
28 (47,5%) 30 (50,8%) 1 (1,7%)
6 (35,3%) 11 (64,7%)
130 131
1 (50%)
1 1 (100%)
1 (50%)
0 (0%) 1 (100%)
1 (50%) 1 (50%)
1 2 (40%) 3 (60%)
Grundsätzlich fällt auf, dass croire sehr viel seltener im Komplementsatz verwendet wird als cuidier (cf. 84 gegenüber 438 Belegen, 14,8% vs. 77,2% aller Belege der drei wichtigsten epistemischen Verben). In den Vergangenheitszeiten spielt croire praktisch keine Rolle. Wie cuidier erscheint croire am häufigsten in der 1. Person Singular (croi, crois, crei), gefolgt von der 3. Person (croit, croie, creit etc.). Referieren die Sprecher auf ihr eigenes epistemisches Modell, so treten indikativische und konjunktivische Kategorien in etwa gleich häufig auf, wobei sich allerdings die konjunktivischen Komplementsätze oftmals im Skopus des Negationsoperators oder eines Domänenrestriktors befinden. Im Gegensatz dazu korreliert Dritte-Person-Morphologie
130 Okkurrenz des Konditionals im Rahmen einer Bedingungssatzstruktur. 131 Davon drei gleiche Belegbeispiele aus unterschiedlichen Manuskripten des gleichen Textes.
246
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(il/elle croit, ils/elles croient) deutlich mit dem Subjonctif, jedoch in etwas schwächerem Maße als bei cuidier, eine Beobachtung, die noch zu erklären ist. Croire besitzt im Altfranzösischen auch keine spezifisch stilistisch-pragmatischen Gebräuche, tritt also anders als cuidier nicht formelhaft auf. Man vergleiche: Tabelle 10: Formelhafte Gebräuche von croire im Altfranzösischen Q: Crois-tu Q: Croyez-vous que p ? que ? Subimp Subpres
0
0
IMP: ne crois pas
IMP: ne croyez pas
IMP: croiez que p
0
1
0
1
Beginnen wir mit einem Beispiel für die idealtypische Verwendung des Subjonctif bei je crois: (167) «Sire, savés vous qui chis cevaliers est a qui vous vous devés combatre ? Je nel sai mie tres bien, fait Lanselos. Et nonpourquant je croi que soit li sires du chastel. Vous dites, verité, fait li vallés» (trisprcb, 37.006–37.010)
Der Sprecher grenzt in diesem Belegbeispiel seinen epistemischen Wissensschatz gegenüber seinen Überzeugungen (der doxastischen Teilkomponente des epistemischen Modells) ab: Lancelos gibt zu, dass seine epistemische Basis nicht ausreichend ist (je nel sai mie tres bien), um seine Überzeugung, dass p (x est li sires du chastel) als eine wahre Aussage zu assertieren. Ganz ähnlich sind die in Verbindung mit dem Subjonctif auftretenden modalisierenden Verwendungen von je cuide que, durch die – in einer Art Höflichkeitstopos – die Verbindlichkeit, die illokutionäre Kraft, der Aussage relativiert werden soll. Obwohl die Argumente für die Wahrheit von p hinreichend sind, wird dennoch gegenüber dem Gesprächspartner die Fiktion geschaffen, dass p in mindestens einer Welt (etwa der des Gesprächspartners) falsch sein könnte. Wir führen drei repräsentative Beispielkontexte an: (168) «‹je ne creroie james riens se ce n’est galaad qui fu engendrez en la bele fille au riche roi pescheor car il retret a celui lignage et au nostre trop merveilleusement par foi› fet lyoniaus ‹je croi bien que ce soit il car il resemble molt bien mon seignor›» (queste, 175–177) (169) «‹ha saint jorge aidiez aidiez›, la fu saint jorge souhaidiez, et je croi bien que il i fust car autrement tournee fust la jouste a trop grant damaige.» (chauvency, 929–933) (170) «cheualiers, jo croi que mal soiés uenus: se uous estes caians tenus vous i serois tous depeciés, car mes sire est a mort bleciés et bien sai que uous l’aués mort.» (chret1, 294)
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
247
In allen drei Beispielen führen die Sprecher jeweils gute Argumente für ihre Überzeugung, dass p wahr ist, an: Im ersten Beispiel (168) visuelle Evidenz (die sichtbare Ähnlichkeit der Protagonisten); im zweiten inferiert der Sprecher die Proposition p aufgrund einer Abduktion132 und im letzten Beispiel (170) argumentiert er auf der Grundlage dessen, was er über seinen Herren weiß (also im Rahmen seines epistemischen Modells, zu dem auch eine Wissensrepräsentationskomponente über seinen Herren gehört). Und dennoch verwenden die Sprecher jeweils den Subjonctif im Komplementsatz, um ihre Aussage p zu relativieren – etwa weil sie einen Restzweifel hegen (wie im ersten Fall), keine Kontrolle über den beschriebenen Sachverhalt haben (wie im zweiten Fall) oder p gar nicht Gegenstand eines allgemeinen Wissensbestands werden kann (wie im letzten Fall). Das erste Beispiel stellt zudem einen weiteren Beleg für die Bedeutungsnähe von cuidier und croire dar: genau das gleiche Zitat hatten wir oben schon als Beleg für cuidier angeführt – in der hier zitierten Fassung des Chevalier au lion wurde das Lexem cuidier schlicht durch synonymes croire ersetzt. Es lassen sich aber auch einige interessante Unterschiede im Selektionsverhalten von cuidier und croire feststellen, die Abweichungen in der Verteilung der Verbalkategorien im Komplementsatz erklären können: So fällt nicht nur der proportional häufigere Anteil an Futurverwendungen, sondern auch die – anders als bei je cuid bien que – generelle Indikativverwendung bei adverbial modifiziertem je crois auf (je/ge croi bien que): –– mit Futur: (171) «(…), mes ge ai si grant fiance en la merci nostre segnor que ge croi bien que tu seras riches de richesces don tu es ores povres.» (barlaam: L’histoire de Barlaam et Josaphat, 697)
–– mit Indikativ Präsens: (172) «Sire por Dieu dites moi ce que je vos demanderai, car je croi bien que vos en savez la verité.» (qgracmcb, 83.008–83.009)
Die Futurform verleiht der Aussage den Charakter einer Prognose (bzw. in dem religiösen Kontext einer Verheißung): Wie schon oben bei cuidier näher ausgeführt, verortet das Futur die Proposition p an einem zukünftigen Index, an dem Verhältnisse herrschen, die unseren Standarderwartungen über die Beschaffen-
132 Die zugrundeliegende Deduktion nach dem modus ponens lautet eigentlich: wenn P (p: saint jorge aide), Q (jouste sanz grant damaige). Aus P (saint jorge aide) am Index i, folgt Q (jouste sanz grant damaige) am Index i. Der Sprecher abduziert hier aus dem empirischen Faktum Q (jouste sanz grant damaige) an i die Überzeugung (als propositio minor) P (saint jorge i fust).
248
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
heit unserer zukünftigen Welt entsprechen, wobei unsere Default-Annahmen über die zukünftige Beschaffenheit von w 0 auf dem gründen, was wir über die aktuelle Welt wissen (realistische modale Basis). Darüber hinaus fällt das Bemühen der Sprecher um eine deutliche skalare Differenzierung bei je croi (im Gegensatz zu je cuide) auf, was mit einer entsprechenden Modusmarkierung korrespondiert. Neben dem auf der Gewissheitsskala weit oben angesiedelten je croi bien erscheinen eine Reihe weiterer quantitativer Abstufungen, so croire fermement, croire en partie, croire mieuz und mal croire, das – wie a poinnes – als euphemistische Abschwächung für ¬croire que p zu interpretieren ist, was ja auch durch die Verwendung des kontrafaktisch zu interpretierenden Subjonctif Imparfait signalisiert wird: Das Matrixsatzsubjekt (JE) glaubt, dass gerade ¬p (ne pas daigner estre en si povre ostel) in dem aktuellen Gesprächskontext gilt. –– fermement (mit il croit): (173) «[…] et li diz guillaume croit fermement que li enfes fu gueriz de si grant maladie et de si horrible par les proieres et par les merites du benoiet saint loys» (loys, 1288)
–– en partie: (174) «[…] je vous dirai le premier point si croi en partie que vous le sachiez se il est uns chevaliers qui par amours aime dame» (helc, 486–488)
–– mieuz: (175) «(…) et ge le croi ores mieuz, que il vos aint par amors, que ge ne fis onques mes, car autrement n’eust il mie portee tele enseigne.» (mortartu, 408)
–– mal: (176) «Mal croi que feme de vostre estre daignast en si povre ostel estre Comme est li ma mere et li miens […]» (escoufcb, 4923–4925)
Neben der Tendenz einer stärkeren skalaren Differenzierung zeigt sich bei je crois ein weiteres besonderes Moment, das das Prädikat von seinen Konkurrenten unterscheidet: croire hat einen wesentlichen Teilbereich der lateinischen credere-Kontexte geerbt und in bestimmten (vor allem religiösen) Diskurstraditionen konserviert. Anders als cuidier aktualisiert croire die christlichen Glaubenswahrheiten und damit ein Propositionensystem, das qua Offenbarung, Autorität und Tradition, zum unhinterfragbaren und damit nicht evidenzbedürftigen Präsuppositionswissen gehört. In diesen Kontexten steht deshalb stets der Indikativ, wie auch die folgenden Beispiele illustrieren:
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
249
(177) «[…] qui por nos fustes mis en croiz bien croi que tu es le fix de [diex]133 et par ta mort sommes sauvé mes or te pri mont humbelement ke […]» (eustache, 590–593) (178) «[…] bien croi que li sainz esperites en vos sainz flanz le roi concut qui mort en crois por nous recut» (mir, 1164–1666)
Ein charakteristisches Kennzeichen ist in diesem Zusammenhang auch das Phänomen des scoping out aus der Einflussdomäne eines Operators – beispielsweise des Frageoperators Q. Die Wahrheit der einen Glaubenssatz wiedergebenden Proposition wird hier präsupponiert: (179) «[…] enne crois tu sanz nul obstacle que cil qui fist son habitacle en mes costez et en mes flanz fu diex et est et iert touz tanz enne crois tu bien fermement que cil qui fist le firmament et de nient le mont cria por home tant s’umelia et tant douz et tant humainz […]» (mir, 2091)
Kommen wir nun zu den wenigen Kontexten, in denen croire in einer Form der 3. Person auftritt. Hier verhält sich das Verb genauso wie sein Konkurrent cuidier: Der Subjonctif wird im Altfranzösischen nicht nur gewählt, wenn der Sprecher von der Falschheit der Proposition p überzeugt ist, sondern auch, wenn er ein individuelles doxastisches Modell herausstellen möchte. Dies gilt für die folgenden Belegbeispiele: (180) «[…] li rois artus qui entent ceste parole ne puet pas cuidier que ce soit voirs, einz croit veraiement que ce soit menconge, si respont : ‹[…]›.» (mortartu, 54) (181) «et touz les tesmoinz de cest miracle requis tesmoignent que il croioient que la dite mabilete fu guerie de la maladie et de l empeechement devant diz par les merites du benoiet saint loys, et croient que le benoiet saint loys soit saint» (loys, 1156)
Im ersten Fall wird auf das doxastische Modell des Königs fokussiert, wobei auch der quasi-synonymische Status von croire und cuidier, die alternierend im gleichen Kontext verwendet werden, noch einmal deutlich wird. Das zweite Beispiel ist noch prägnanter: Es zeigt in einer einzigen Textpassage das Widerspiel der Moduskategorien sowie die sich in diesem Rahmen entfaltende Logik des Konjunktivs auf. Dass St. Loys ein Heiliger ist, gehört eigentlich zum konsensfähigen Gemeinschaftswissen, zum Präsuppositionswissen, wie schon der Name verdeutlicht. Die Textstelle thematisiert aber das Zustandekommen dieser Überzeugung und in diesem Kontext kommt dem Wechsel der Verbalkategorien eine zentrale Funktion zu. Die Zeugen (als Träger visueller Evidenz) glauben, was sie sehen, sodass die Aussagen über das Heilungswunder konsequenterweise mit dem Indi-
133 Unsere Einfügung. Wurde offenbar im Manuskript ausgelassen.
250
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
kativ markiert werden (que la dite mabilete fu guerie). Die Inferenz aber, dass der Wundertäter auch heilig sein muss, stellt gleichsam ein nicht beweisbares doxastisches Mehr dar, für das sich keine Evidenz produzieren lässt. Der Sprecher verortet mithin die gesamte Szene an einem vergangenen Index und sieht damit von dem präsuppositionellen Status der Proposition zum Sprechzeitpunkt ab. Weitere Erscheinungen im Kontext von il/elle croit kennen wir schon von der Charakterisierung von cuidier. Sie sollen hier nur aufgezählt werden: –– Die Markierung von kontrafaktischen Kontexten, die durch Polaritätselemente – etwa durch nus, das eine leere Individuenmenge für alle x festlegt – noch verstärkt werden können: (182) «[…] qui par menace et par felon croit que nus l’osast contreter dez qu’il oient en haut parler» (fablesL, 1460–1462)
–– Fälle von NEG-raising (Lesart: croire que ¬p): (183) «[…] je ne croi que en li fausist rien qui par droit aferesist a damoisele noble et gente» (cleom, 301–303)
–– Konjunktivverwendung in domänenbeschränkenden Kontexten, so beispielsweise in Verbindung mit einem Bedingungssatz oder einem freien Relativsatz: (184) «Mout est chetis et fols naïs qui croit que ci soit ses païs: n’est pas vostre païs en terre, ce peut l’en bien des clers enquerre» (Meugl1cb, 5003–5006)
Beispiele für eine consecutio temporum in Vergangenheitskontexten finden sich fast überhaupt nicht – eine Ausnahme ist hingegen recht aufschlussreich: Die verschiedenen Handschriften von La chastelaine de Vergi rekurrieren in eindeutigem Präteritumskontext auf die Form croit (aus dramaturgischem Effekt?): Drei der vier Handschriften drücken die Vorzeitigkeitsrelation der Glaubensproposition p zum believer’s now mithilfe des Subjonctif Plus-que-parfait aus, eine Handschrift rekurriert aber auf den Subjonctif Parfait: (185) «a malaise fu cele nuit li dus onques dormir ne pot pour le ceualier qu il amot qu i croit que il eust mesfait par droit que s amour perdue ait et pour ce toute nuit villa l endemain par matin leua (…)» (vergia,c,e, 145–150) (186) «en maleise fu cele nuit li dus n onques dormir ne pot le cheualier que il amot qu i croit que ait tant vers lui meffet que par droit s amor perdue ait et por ce toute nuit veilla l andemain mout matin leua» (vergig, 150–156)
Die Variante a (= 185) orientiert sich an den tatsächlichen temporalen Verhältnissen, markiert das Komplementsatzverb also dem Präteritumskontext entsprechend (de re-Lösung). Die Variante b (= 186) orientiert sich strikt an der tempo-
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
251
ralen Markierung des Matrixsatzverbs (Präsensmorphologie) und verrät zudem einen Vorbehalt gegen die Kombination von Präsens und Subjonctif II-Morphologie in nicht-kontrafaktischen Kontexten. Eine letzte Anmerkung zu croire ist zu machen: Es lassen sich – wenngleich auch nur sehr wenige – Belege für das Phänomen der Tilgung (Deletion) des Subordinators que finden, worauf vor allem beim Vergleich mit dem Italienischen noch zurückzukommen sein wird. Wir zitieren eines der seltenen Beispiele: (187) «[...] je sai tant dire de raison et bel parler por devichoir ke chascuns croit je die voir» (verite, 110ss.)
Die weitere Entwicklung von croire ab dem Mittelfranzösischen soll zunächst anhand der qualitativen Verhältnisse nachgezeichnet werden: Es fällt auf, dass der Anteil von croire an den Okkurrenzen der drei wichtigsten epistemischen Verben gleich niedrig bleibt – im Mittelfranzösischen mit 14,4% bei den untersuchten Formen im Vergleich zu 61,6% für cuidier und 23,9% für penser, das gegenüber cuidier schon deutlich an Terrain gewinnt. Im 16. Jahrhundert setzt sich penser klar – vor allem auf Kosten von cuidier – durch, wobei das Gewicht von croire auch weiterhin eher bescheiden bleibt. Die Entwicklungstendenzen von croire seit dem 14. Jahrhundert lassen sich sehr schön anhand der beiden folgenden Tabellen dokumentieren: Tabelle 11: croire und Verbalkategorien im Mittelfranzösischen (14./15. Jh.) je croi(s)
il/elle croit
ils/elles croient
je croioi
ils/elles croioit
ils/elles croyoient
Total
16
15
6
0
3
4
FUT
3 (18,8%)
1 (6,7%)
1 (16,7%)
COND
2 (12,5%)
1 (6,7%)
1 (33,3%)
1 (25%)
IND - Past
7 (43,8%) 4
6 (40%)
3 (50%)
SUBPRES - NEG
1 (6,3%)
4 (26,7%) 1
1 (16,7%)
SUBIMP - NEG - Restriktor
2 (12,5%)
2 (13,3%) 2
2 (66,7%) 1 1
3 (75%) 3
Total IND Total SUB HOMONYM
12 (75%) 3 (18,8%) 1 (6,3%)
8 (53,3%) 6 (40%) 1 (6,7%)
1 (33,3%) 2 (67,7%)
1 (25%) 3 (75%)
4 (66,7%) 1 (16,7%) 1 (16,7%)
252
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 12: croire und Verbalkategorien im vorklassischen Französisch (16. Jh.)
Total
je crois
il/elle croit
ils/elles croyent
je croyois
il/elle croyoit134
ils/elles croyoient
4
9
3
1
5
1
FUT COND
2 (50%)
IND – Past
1 (25%)
5 (55,6%)
1 (33,3%)
SUBPRES – NEG
1 (25%)
2 (22,2%) 1
2 (66,7%) 1
SUBIMP – NEG – Restriktor
0
0
0
1 (100%)
3 (60%) 1
1 (100%) 1
Total IND Total SUB HOMONYM
3 (75%) 1 (25%)
5 (55,6%) 2 (22,2%) 2 (22,2%)
1 (33,3%) 2 (66,7%)
0 (0%) 1 (100%)
2 (40%) 3 (60%)
0 (0%) 1 (100%)
2 (40%) 2
Auch im Hinblick auf die Modusverteilung zeichnen sich deutliche Entwicklungslinien vom 14. bis zum 17. Jahrhundert ab: Sieht man einmal von den Vergangenheitskontexten, bei denen der Subjonctif (Imparfait) eindeutig dominiert, ab, so manifestiert sich in präsentischen Umgebungen eine deutliche Tendenz zum Indikativ. Zugleich bewahrt der Subjonctif auch in affirmativen Kontexten eine stabile Restfunktion, die er bis zum 16. Jahrhundert behaupten kann. Die folgenden Beispiele stellen jeweils einen Beleg für die Verwendung des Subjonctif zur Abschwächung der eigenen Aussage (Beispiel (188)) sowie zur Markierung eines fremden epistemischen Modells (einer subjektiven Überzeugung) (Beispiel (189)) dar. Sie sind allerdings selten: 134 (188) «Mais il ne dist mie qu’il en saillist; dont, se ainssy est, je crois que ce soit le chevalier dessusdit.» (Antoine de la Sale, La Salade, 1442, 112s., partie 14) (189) «Donques la hautesce et noblesce principale du chief est eslevee et embelie de tant de privileges et si grans graces comme elle croit que il li soient neccessaires.» (Denis Foulechat, Le Policraticus livre IV, 1372, 50, livre IV, chap. I)
134 Es fand sich auch noch ein Beispiel mit der älteren Graphie croiot.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
253
Ab dem 16. Jahrhundert gerät das traditionelle System der Modussetzung endgültig in die Krise: vielfältige Belege zeigen, dass offenbar ein Teil der Sprecher die traditionellen Prinzipien der Modussetzung bei epistemischen Verben nicht mehr befolgt: So verwendet Guy de Brués in dem folgenden Zitat keinen Subjonctif, obwohl die Behauptung, dass p (Dieu n’est point) – was ja gerade den Schwerpunkt seiner Aussage ausmacht – seiner Auffassung nach falsch ist: (190) «Le fol maling en son coeur dit et croit, Que Dieu n’est point, et corrompt et renverse Ses moeurs, sa vie, horribles faitz exerce.» (Guy de Brués, Les Dialogues de Guy de Brués contre les nouveaux académiciens, 1557, 122, premier dialogue de Guy de Brués)
Ein ähnliches Beispiel ist auch das folgende, das jedoch schon aus dem 17. Jahrhundert stammt: (191) «Il n’y a sorte de mauvais soupçons qu’il n’ayt conçeu contre le pauvre Guillaume, parce qu’il le voit affectionné à mon service; si je tousse, il croit que c’est un signal amoureux» (Gougenot, La Comédie des comédiens, 1633, 32, acte troisième, scène seconde)
Der bereits genannte Guy de Brués rekurriert – ähnlich wie Marguerite de Navarre in ihrem L’Heptaméron von 1550135 – auf den Indikativ bei rhetorischen Fragen, obwohl hier p im Skopus des Frageoperators Q steht und der Sprecher zugleich von der Präsupposition, dass p falsch ist, ausgeht: (192) «Et si maintenant quelqu’un te disoit que tu es un arbre, et que tu n’as aucun sentiment, et quelques autres que tu es un fantosme, croirois tu pourtant que tu n’as point de sentiment ou que tu n’es rien?» (Guy de Brués, Les Dialogues de Guy de Brués contre les nouveaux académiciens, 1557, 210, le second dialogue de Guy de Brués)
Auch in den folgenden Zitaten, die schon aus dem 17. Jahrhundert stammen, wird jeweils eine Indikativform selegiert, obwohl der Sprecher im ersten Beleg eine problematische subjektive Überzeugung und im zweiten gerade die Falschheit von p herausstellen möchte: (193) «Amphidamas qui se porte violemment contre tout ce qui luy resiste, et qui croit que toutes choses luy sont deuës, si tost qu’il témoigne de les desirer» (Jean de Gombaud, L’Endimion, 1624, 216, livre 4) (194) «Et cependant il croit que je luy suis traitresse, Et que son ennemy luy ravit sa maitresse […]» (Isaac de Benserade, La Cléopatre, 1636, 8, acte premier, scène quatriesme)
135 Cf. Marguerite de Navarre, L’Heptaméron (1550, 828).
254
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Dennoch finden sich im 16. und 17. Jahrhundert auch zahlreiche Gegenbeispiele, die zeigen, dass sich offenbar noch eine Reihe von Autoren an dem traditionellen System orientieren: Bonaventure des Périers verwendet etwa den Subjonctif sowohl bei rhetorischen Fragen als auch zur Kennzeichnung einer irrigen Auffassung seitens des Matrixsatzsubjekts hinsichtlich der Wahrheit von p: (195) «Mais qui pourroit croire que ce ne fust un miracle ou chose feinte, qu’un enfant ensevely bien avant dans la terre, et tout couvert d’icelle, responde neantmoins distinctement à ce qu’on luy demande?» (Bonaventure Des Périers, Les nouvelles récréations et joyeux devis de feu Bonaventure des Périers, 1, 1558) (196) «Mais, pour parler au pape, je t’apprendray troiz motz de latin si bien assiz, que quand tu les auras dicts devant luy il croira que tu sois le plus grand clerc du monde.» (Bonaventure Des Périers, Les Nouvelles récréations et joyeux devis de feu Bonaventure des Périers, 1, 1558)
Insbesondere in Vergangenheitskontexten lässt sich auch im 17. Jahrhundert noch eine bedeutende Anzahl von Konjunktivverwendungen selbst dort nachweisen, wo der subjektive Charakter eines individuell verankerten epistemischen Modells («centered belief worlds») besonders herausgestellt wird: Die zitierten Beispiele stammen von Autoren wie Honoré d’Urfé, dem Abbé Michel de Pure sowie Vital d’Audiguier (der croire und penser hier synonymisch und jeweils in Verbindung mit dem Subjonctif verwendet). (197) «(…) luy conseillant de laisser sa femme pour quelque temps avec nous, afin que nostre amitié fust cause que l’alliance s’en fist avec moins de difficulté, et qu’elle croyoit que toutes choses y fussent bien disposées.» (Honoré d’Urfé, L’Astrée: t.1, 1ère partie: livres 1 à 12/1612, 352, livre 9) (198) «Il croyoit que ce fust un second crime d’élever la voix, et d’oser se plaindre» (Pure Abbé Michel de Pure, La Prétieuse ou le Mystère des ruelles: parties 3–4/1658, 293s.) (199) «(…): tantost il pensoit que ce fust Lidian, qui ne se voulust point découvrir à cause de l’accord qui avoit esté faict entr’eux, et tantost il croyoit que ce fust Lysandre mesme, qui voulust prevenir le terme qui luy avoit esté donné, et faire un duel particulier d’un combat qui devoit estre public.» (Vital d’Audiguier, Histoire trage-comique de nostre temps, sous les noms de Lysandre et de Caliste, 1624, 387, livre 9)
Die Liste der Autoren, die – wenigstens teilweise – noch der traditionellen Gebrauchsnorm verhaftet sind, ließe sich beliebig erweitern: Aufzunehmen wären etwa Autoren wie Jean-Luiz Guez de Balzac (Dissertations chrestiennes et morales, 1654, 319, dissertation 8), Père François de Garasse (La Doctrine curieuse des beaux-esprits de ce temps, 1623, 23, livre 1, section 3), François de Sales (Introduction à la vie dévote, 1619, 14: première partie) und auch der junge Corneille (Pierre Corneille, Mélite ou les Fausses lettres, 1633, 58s., scène première).
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
255
Der letztgenannte soll hier zitiert werden, da in dem Beleg noch ein letztes Mal die vorklassische Gebrauchsnorm erkennbar wird, mit der Corneille wenig später brechen sollte: (200) «Ce n’est pas son humeur de souffrir ce partage, Il croit que mes regards soient son propre héritage, Et prend ceux que je donne à tout autre qu’à lui Pour autant de larcins faits sur le bien d’autrui» (Pierre Corneille, Mélite ou les Fausses lettres, 1633, 58s., scène première).
Ein weiterer Aspekt muss noch zur Charakterisierung von croire angeführt werden: Es kennzeichnet den semantischen Charakter von croire im 16. Jahrhundert, dass Jean Calvin in seiner Institution de la religion chrestienne, auf das konkurrierende penser + Subjonctif zurückgreift, wenn er die irrigen Überzeugungen seiner theologischen Gegner ausführlich ausbreitet. Ein einziges Mal findet sich in genau diesem Kontext das reliktartige Beispiel einer cuidier-Verwendung: cuidier stellt praktisch einen Archaismus dar, kann aber noch ausnahmsweise zu Variationszwecken verwendet werden. Dies macht das Substitutionsverhältnis zwischen penser + Subjonctif und cuidier deutlich. Das Prädikat croire hingegen wird stets mit indikativischem Modus verwendet, um Glaubenswahrheiten – und das heißt: die theologischen Überzeugungen Calvins – den Hörern/ Lesern zu vermitteln. Diese sind stets wahr, entgehen mithin dem Einfluss verschiedener Operatoren (scoping out) – so beispielsweise in dem zweiten Textausschnitt, in dem das Prädikat gleich zwei Operatoren (IF/SI und NON) gegenüber resistent ist: (201) «Ainsi la foy croit que Dieu est véritable» (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre troisième, 1560, 62, livre III, chap II). (202) «Mais on fait une injure trop énorme au S. Esprit, si on ne croit que c’est par sa vertu incompréhensible que nous communiquons au corps et au sang de Jesus Christ.» (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre quatrième, 1560, 421, livre IV, chap. XVII)
Abschließend noch eine Anmerkung zu den formelhaft-rhetorischen Gebräuchen von croire im Mittelfranzösischen sowie im 16. Jahrhundert. Wie die beiden unten stehenden Tabellen zeigen, wird croire vor allem in affirmativen Imperativsätzen (und dann fast immer im Indikativ) verwendet. Selten ist seine Verwendung hingegen bei negativen Imperativen. Im 16. Jahrhundert kommen erstmals auch einige wenige Gebräuche im Rahmen von rhetorischen Fragen (Crois-tu que p?) hinzu.
256
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 13: Typische Verwendungen von croire im Mittelfranzösischen Q: Crois-tu que p ?
Q: Croyezvous que ?
IMP: ne crois IMP: ne croyez pas pas
Insgesamt
0
Subimp Subpres
1
1
IMP: croyez que
7
51
3
2
4
Indikativ
34
Cond
2
Fut
12
unbest.
1
Tabelle 14: Typische Verwendungen von croire im 16. Jh.
insgesamt
Q: Crois-tu que p ?
Q: Croyezvous que ?
3
0
Subimp Subpres Indikativ
IMP: ne crois IMP: ne croyez pas pas 1
2
1 3
IMP: croyez que 36 4
2 24
Cond
1
Fut
7
unbest.
1
Wie wir gesehen haben, unterliegt croire dem gleichen allgemeinen Subsystem der Modussetzung wie cuidier. Der höhere Indikativanteil erklärt sich einerseits aus seinen Teilfunktionen in bestimmten ererbten Verwendungskontexten, in denen es als Prädikat zur Aktualisierung von propositionsartig formulierten Überzeugungen eines traditierten, autoritativen doxastischen Systems dient (Präsuppositionswissen). Anders als cuidier wird croire praktisch nie formelhaft in Kontexten verwendet, die von vorneherein die Negation von p (also: ¬p) präsupponieren. Andererseits scheint bei croire die Vorstellung von einer differenzierten Überzeugungsskala konzeptuell relevant zu sein: Dies
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
257
manifestierte sich nicht nur in einem ausgefeilteren Modifikationssystem, sondern auch in einem abgestufteren und zugleich individuell stärker variierenden System der Moduswahl. Der seit dem Mittelfranzösischen einsetzende Abbauprozess des differenzierten Modussystems ebnete anders als bei cuidier den Unterschied zwischen den verschiedenen Personalformen (insbesondere die Opposition von Sprecher vs. Nichtsprecher) hinsichtlich ihres Modusverhaltens ein, konnte aber der Stabilität des Systems im Bereich der Vergangenheitsformen wenig anhaben. Es fiel zudem auf, dass das System der Moduswahl weniger durch Verschiebungen im Gebrauch erodierte, als vielmehr durch das unterschiedliche Verhalten der Sprecher: Diese entschieden sich entweder konsequent für das traditionelle Markierungssystem oder konsequent dagegen. Dies bedeutete für die Autoren der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dass sie sich dafür oder dagegen entscheiden mussten, den Charakter eines epistemischen Modells bzw. doxastischer Propositionen mithilfe der Kategorie Modus herauszustellen und zu bewerten. Die meisten Sprecher optierten dafür, modusbasierte Differenzierungsmöglichkeiten in der Domäne der Epistemizität aufzugeben. Sie folgten dabei unter anderem auch den Empfehlungen, die normbildende Autoritäten wie Thomas Corneille und Andry de Bois-Regard ausgaben. Sie sprachen sich dabei ganz deutlich für die ausschließliche Wahl des Indikativs in affirmativen Glaubenssätzen aus.136 Im Ergebnis wurden durch die Entwicklungen vom Ende der altfranzösischen Periode bis zum klassischen Französisch bestimmte im Rahmen des Modussystems existierende Optionsmöglichkeiten (bzw. «Virtualitäten») der «langue» aufgegeben.
2.6.5 Die Semantik und das Selektionsverhalten von penser Bei der Behandlung der beiden anderen zentralen epistemischen Prädikate haben wir schon auf eine Besonderheit von penser hingewiesen: Mit einem Frequenzanteil von gerade einmal 9,2% der epistemischen Kontexte (cf. die tabellarische Übersicht) ist penser das am wenigsten stark repräsentierte Prädikat im Altfranzösischen. Anhand der Synopse lassen sich wiederum einige Grundtendenzen hinsichtlich Gebrauch und Modusverhalten herauslesen:
136 Cf. Brunot (1966, vol. 4, 1000s.).
258
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 15: penser im Altfranzösischen (nach dem Amsterdamer Korpus)
137
Je pens(e)
Il/elle pense
Ils/elles pensent
Je pensoie
Il/elle pensoit
Ils/elles pensoient
Total
10
37
2
7
4
4
FUT
1 (10%)
11 (29,7%)
1 (50%) 1 (14,3%)
2 (50%)
2 (50%)
COND
3 (8,1%)
IND
7 (18,9%)
SUBPRES – NEG
8137 (80%) 8
SUBIMP – NEG Total IND Total SUB HOMONYM
1 (50%)
13 (35,1%) 1
21 (56,8%) 15 (40,5%) 1 (2,7%)
2 (50%) 2 (50%) 1
2 (5,4%) 1 (10%) 8 (80%) 1 (10%)
3 (42,9%)
3 (42,9%) 1 2 (100%) 0
4 (57,1%) 3 (42,9%)
2 (50%) 2 (50%)
4 (100%)
Das Verb wird am häufigsten in der 3. Person Singular Präsens verwendet. Aufgrund der geringen Anzahl der Belegbeispiele lassen sich keine zuverlässigen Aussagen über die Verwendung von je pens machen. Bei allen anderen Formen fällt das deutliche Übergewicht indikativischer Verbalkategorien im Komplementsatz auf, und zwar selbst in den Vergangenheitstempora. Hinsichtlich der 3. Person Singular und Plural Präsens sowie des Imperfekts unterscheidet sich penser deutlich von croire und cuidier, die in den entsprechenden Kontexten eine deutliche Affinität zum Subjonctif erkennen ließen. Trotzdem bleibt ein Kernbereich konjunktivischer Verwendungen erkennbar, die nicht einfach auf typisch konjunktivische Kontexte wie die Negation, eine Form der Restriktion oder eine (rhetorische) Frage zurückgeführt werden können. Im Gegenteil: Eine Vielzahl altfranzösischer Textbeispiele zeigt, dass die Sprecher mit dem Konjunktiv nicht nur einen epistemischen Dissens, sondern auch ein spezifisches bzw. subjektives epistemisches Modell hervortreten lassen wollen. Ein sehr illustratives Beispiel hierfür ist die folgende – sehr plastische – Textpassage, in der die Auffassung des Matrixsatzsubjektes über die Rolle von nature and nurture für die Genese der eigenen Identität wiedergegeben wird:
137 Ein einziges Beispiel, das in mehreren Handschriften figuriert.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
259
(203) «[…] cele pensee felenesse fait hair dieu et sa messe et escarnir par le diable dont il heit dieu l esperitable pense que cele mesestanche li soit venue de naissanche et que coupes i ait sa mere qui onques ne fu vers lui chiere» (robert, 377–384)
Auch die oben schon als Beleg für die Selektion eines konjunktivischen Komplementsatzes durch croire zitierte Überzeugung von der äußerlichen Ähnlichkeit Galaads mit Lancelot wird an anderer Stelle wieder aufgegriffen und nunmehr mithilfe von penser – ebenfalls wieder mit konjunktivischem Nebensatz – reformuliert: (204) «[…] lors le desirre la roine a veoir assez plus qu’ ele ne fesoit devant car par ce que ele a oi parler de la semblance pense ele bien que ce soit galaad que lancelot avoit engendré en la fille au riche roi pescheor […]» (queste, 570–577)
Einige wenige Beispiele lassen sich ebenfalls für einen Höflichkeitstopos mit je pense que + Subjonctif finden: (205) «Je pense que ores Lesignien le herault soit la. Et par aventure pour moy delivrer je le trouveray sur le chemin.» (saintrcb, 90.032–90.034)
In manchen Textpassagen alterniert der Modus auch innerhalb ein und desselben Komplementsatzes – möglicherweise lassen sich diese als Beispiele für eine Modusvariation mit skalarer Abstufung interpretieren, wobei die temporale Distanz im folgenden Fallbeispiel ebenfalls eine Rolle spielt: (206) «celz de pie furent esbahis quant arriers en les escria. chascun pense que mal i a et que d une autre part venuz fussent flamanz qui retenuz eussent nos genz et mis a mort […]» (gepa, 404s.)
Eine weitere Besonderheit der Modusverwendung bei penser im Altfranzösischen stellt die starke Autoren- und Werkabhängigkeit dar. Besonders augenfällig ist die ungewöhnlich häufige Verwendung von penser + Subjonctif in Chrétien de Troyes Roman Queste del Saint Graal. Eine nähere Textuntersuchung liegt außerhalb des Untersuchungsradius unserer Studie, aber immerhin kann soviel gesagt werden: penser + Subjonctif tritt vor allem an Schlüsselstellen des Romans auf und markiert hier offenbar Überzeugungen der Protagonisten über metaphysische – das Wesen des Graals betreffende – Eigenschaften und Zusammenhänge als einem eigenen mentalen Raum, der nicht allgemein doxastisch zugänglich ist, also eine von w0 verschiedene Welt darstellt. Dies zeigen die drei folgenden Textpassagen, die von der Wirkkraft des Hl. Graal (Saint Graal), des magischen Schwertes (l’Espee) und – als Höhepunkt – der Entdeckung des Heiligtums (la chambre) handeln: (207) «comence granz par laienz si font honor au chevalier et li un et li autre car bien pensent que ce soit cil par cui les merveilles dou saint graal doivent faillir et bien lou conoissent par l esprueve» (queste, 162)
260
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(208) «Et se vos onques ne veistes l’Espee, veez la ci. Et quant Lancelot la resgarde, si pense bien que ce soit ele; si la prent par le heut et comence a besier le pont et le fuerre et le branc. Lors requiert a Galaad qu’il li die coment il la trova et en quel leu.» (qgraalcb, 251.013–251.018) (209) «Quant Lancelot ot ce que la voiz disoit si li atendroie li cuers, si s’agenouille devant la chambre, car bien piense que li sainz Graax i soit.» (qgracmcb, 254.036–254.038).
Wenn sich aber im Altfranzösischen bei penser einerseits die gleichen Konzeptualisierungsmuster in konjunktivischen Kontexten feststellen lassen wie bei cuidier und croire, andererseits jedoch die indikativischen Gebräuche überwiegen, so muss es bei penser doch ein besonderes semantisches Moment geben, das es herauszuarbeiten gilt. In einer ersten indikativischen Kontextklasse wird mit penser die Absicht des Matrixsatzsubjekts ausgedrückt, den durch p beschriebenen Sachverhalt zu einem zukünftigen Zeitpunkt t0+i herzustellen. Dem Subjekt obliegt (zumindest in seiner Einschätzung) die Kontrolle für die Realisierung von p (bzw. seines außersprachlichen Korrelats). Kennzeichnend für diese intentionale Lesart von penser ist die Verwendung des Futurs: das Subjekt besitzt die Überzeugung, eine bestimmte Situation vor dem Hintergrund der bestehenden und zugleich bekannten Verhältnisse (= realistischer Redehintergrund) in einer – der Standarderwartung entsprechenden – zukünftigen Version der aktuellen Welt w0 herstellen zu können. (210) «comme hardie e corageuse / mes ce n’est mie por oiseuse / ainz se panse que ele ira / a son oste e si li dira / de son afaire une partie» (perl, 1934–1937) (211) «un lion vint a lui tot droit / l enfant vist molt le convoita / lors pense qu il l en portera / a ses lioneaus por mengier» (Octavian, 558ss.) (212) «li juif pensent qu il ferunt / joseph nychodemus penrunt» (graal, 649s.)
Eine weitere Lesart stellt sich oftmals bei penser im Verbund mit einer Vergangenheitszeit ein: Hierbei ruft sich das Subjekt einen schon als sicheres Wissen konstituierten Sachverhalt (wieder) in Erinnerung, greift auf fest verankerte Propositionen seines epistemischen Modells – also auf Präsuppositionswissen – zurück: (213) «et pense qu il avoit oi / dire et conter en plusors leus [...]» (perpraag, 172) (214) «[...] et me sire yvain qui molt estoit / gentilx et debonaire / voit bien et pense que aucune mescheance a il veue / es letres qui est tornee sor le roi» (lanc, 1074)
In einer dritten Lesart wird – ähnlich wie bei den doxastischen Konjunktivkontexten – eine Überzeugung ausgedrückt, für deren de re-Charakter der Sprecher bzw. das Matrixsatzsubjekt gute Gründe anführen zu können glaubt. Nach seiner Auffassung kann das Individuum also für seine Bekanntschaftsrelation mit der
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
261
res, die Gegenstand seiner Einstellung ist, genügend Evidenz vorweisen. So wird in dem folgenden Beispiel die Überzeugung, dass p, sogleich mit einem plausiblen Argument (– hier in Form einer Kausalproposition: car cel jor l’orent veu –) gerechtfertigt. (215) «[…] si se metent meintenant en unes broces, car il pensoit bien que aucuns de l ostel le roi le sivroit por lui connoistre; car cel jor l orent veu maint chevalier a l assemblee, et cil de la table reonde et autre.» (mortartu, 258s.)
Neben explizit angeführten Argumenten kann eine Auffassung auch selbst-evident sein: In diesem Fall appellieren die Sprecher/Subjekte an den common sense oder an kollektives stereotypes Wissen, das zum gemeinsamen Redehintergrund gehört (und damit wieder präsupponiertes Wissen ist). In den nachfolgenden Zitaten wird beispielsweise an den Grundsatz der Wahl des kleineren Übels erinnert (216) bzw. eine Hypothese auf der Grundlage einer allgemeinen Regel aus dem gesellschaftlichen Leben abgeleitet (217): (216) «ele crient assez avoir honte et dolor si se pense que miauz li viaut prandre de deus maus lo mainz mauvais» (Lancelot do Lac, p. 1.1–20.13, ms. Ao) (217) «et pense ke boin nés seroit / cil ki si biele fame aroit» (desp, 1390)
Das Gemeinsame der drei indikativischen Lesarten ist zweifellos die Tatsache, dass das Matrixsatzsubjekt etwas behauptet, das entweder zu den gemeinsamen Überzeugungen bzw. zum gemeinsamen Wissensbestand (common ground mit realistischer modaler Basis mbepi(k,i)) zum Zeitpunkt der Äußerung gehört oder für das es glaubt, ausgehend von dieser Grundlage mithilfe von Evidenz und im Rahmen allgemeiner Schlussregeln (Deduktionsprinzipien) plädieren zu können.138 Letzteres gilt insbesondere dann, wenn – wie in den futurischen Kontexten – das Subjekt die Kontrolle über das Zustandekommen des beschriebenen Sachverhalts p besitzt. Die Proposition gehört dann zur Menge derjenigen Propositionen, die das beschreiben, was am Index i0 sowie – bei realistischen Annahmen über den weiteren Verlauf der Ereignisse in w0 – an einem späteren Index der Fall sein wird (dies entspricht der faktischen modalen Basis (mbfakt(k,i) nach Lohnstein).139 Anders ausgedrückt: Das Matrixsatzsubjekt ist der Überzeugung, mit p eine wahre Aussage über die Beschaffenheit der realen Welt w0 (zum Sprechzeitpunkt oder – nach Prinzipien der Erwartungswahrscheinlichkeit – zu
138 Cf. hierzu Sperber/Wilsons Ausführungen zu the deductive device (Sperber/Wilson 21995, 93ss.). 139 Lohnstein (2000, 41).
262
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
einem späteren Zeitpunkt) beizusteuern und damit ein konsensfähiges Wirklichkeitsmodell fortzuschreiben. Eine durch den Indikativ markierte Aussage verpflichtet gleichsam auf das Ideal der adaequatio rei et intellectus – der Übereinstimmung von Verhältnissen in der Referenzwelt (res) und ihrer mentalen Repräsentation (intellectus). Völlig anders liegen die Dinge hingegen bei den konjunktivischen Kontexten von penser: Hier genügt der verfügbare Propositionenbestand der epistemischen modalen Basis nicht, um p zu motivieren, weil nämlich ein spezifisch doxastisches Moment hinzukommt, das eine subjektive Teilkomponente des epistemischen Modells des Matrixsatzsubjekts darstellt. Die Proposition p ist folglich zunächst nur dem individuellen Anker zugänglich bzw. p ist nur in den Welten (i.e. an den Indizes) wahr, die dem Matrixsatzsubjekt zum Sprechzeitpunkt auch doxastisch zugänglich sind. Ein solches p ist damit auch kein Kandidat für ein Wirklichkeitsmodell – nicht etwa, weil p falsch wäre, sondern weil es seiner Natur nach nicht den Anspruch erhebt, zu einem Wirklichkeitsmodell beizutragen. p ist also gar nicht evidenzfähig («not worth the trouble»), weil es einen Sachverhalt sui generis charakterisiert, der einer eigenen, individuell-doxastischen, Teilkomponente des epistemischen Systems angehört. Am Beispiel von croire haben wir gesehen, dass ein solches doxastisches System ausnahmsweise auch zu einer generellen bzw. allgemeinverbindlichen Überzeugungsgrundlage werden kann, mithin zu einem gemeinsamen Redehintergrund (common ground) einer Sprecher- bzw. Kulturgemeinschaft. Dies erklärt die Verwendung des Indikativs in zahlreichen Kontexten, die auf den Grundüberzeugungen bzw. –lehren der christlichen Doxa beruhen und das besondere Profil von croire prägten. Das Spezifikum von penser war demgegenüber die Entfaltung eines Bedeutungspotentials, das zwischen dem doxastischen Pol einerseits und dem epistemisch-evidentiellen Pol andererseits mäandriert. Diese im Hintergrund von penser wirkende bipolare Skala motiviert auch die starke Modusdifferenzierung in den verschiedenen Komplementsätzen, die von dem Prädikat selegiert werden. Die weiteren Entwicklungen der Modusverhältnisse bei penser sollen nun abschließend nur kurz referiert werden: Schon im Mittelfranzösischen löst sich das altfranzösische bipolare System vollständig auf: Wie die Tabelle der Verbalkategorien im Komplementsatz eindrucksvoll belegt, wird präsentisches penser bis auf einige Ausnahmen fast nur noch in spezifischen Kontexten (Negation, Restriktion) mit dem Subjonctif verwendet (gerade einmal je 2 Beispiele für affirmatives je pense/ils, elles pensent + Subjonctif). Bei den Vergangenheitszeiten behauptet sich der Subjonctif Imparfait – wie auch bei croire – noch ein wenig stärker.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
263
Tabelle 16: penser im Mittelfranzösischen, 14. und 15. Jh. Je pense
Il/elle pense
Ils/elles pensent
Je pensois
Il/elle pensoit
Ils/elles pensoient
Total
31
9
5
0
19
9
FUT
8 (25,8%)
1 (11,1%)
2 (40%)
COND
2 (6,5%)
1 (11,1%)
IND – Past
8 (25,8%)
2 (22,2%)
1 (20%)
SUBPRES – NEG/Q – Restriktion
7 (22,6%) 4 1
3 (33,3%) 2 1
2 (40%)
SUBIMP – NEG
4 (12,9%) 4
Total IND Total SUB HOMONYM
18 (58,1%) 4 (44,4%) 11 (35,5%) 3 (33,3%) 2 (6,5%) 2 (22,2%)
4140 (21,1%) 3141(33,3%)
3 (60%) 2 (40%)
9 (47,4%) 8
2 (22,2%) 2
6 (31,6%)
4 (44,4%) 2
13 (68,4%) 6 (31,6%)
5 (55,6%) 4 (44,4%)
140 141 Im Laufe des 16. Jahrhunderts verschwindet der Subjonctif praktisch gänzlich nach je pense142, tritt aber immerhin noch sporadisch nach il/elle pense und ils/ elles pensent – auch außerhalb von Frage- und Restriktionsoperator – auf. Wiederum ist die Resistenz des Subjonctif Imparfait in Vergangenheitskontexten bemerkenswert. Man vergleiche die nachfolgende Tabelle 17. Von den Vorkommenskontexten des Subjonctif im 16. Jahrhundert ausgehend, lässt sich sagen, dass der konjunktivische Modus nicht mehr verwendet werden kann, um ein besonderes epistemisches bzw. doxastisches Modell zu kennzeichnen. Der Subjonctif steht nur noch in den Fällen, in denen der Sprecher ausdrücklich herausstellen möchte, dass die Aussage p keineswegs zutrifft. Mehr noch: Die Verwendungsbeispiele bei einem Autor wie Jean Calvin zeigen,
140 Davon eine Bedingungssatzstruktur. 141 Wie die vorangehende Fußnote. 142 Wir zitieren das einzige Beispiel, das wir für je pense + Subjonctif im 16. Jahrhundert gefunden haben. Bezeichnenderweise stammt es von der teilweise archaisierend schreibenden Marguerite de Navarre: «Sans faulte, monsieur, je pense que ce soit ung des grandz pechez qui se facent en mariage, et ne fusse que l’exemple de la benoiste vierge Marie […].» (Marguerite de Navarre, L’Heptaméron, 1550, 881, La troisième journée, vingt troisiesme nouvelle).
264
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 17: penser im vorklassischen Französisch, 16. Jh. Je pense
Il/elle pense
Ils/elles pensent
Je pensois
Il/elle pensoit
Ils/elles pensoient
Total
61
40
59
14
38
12
FUT
9 (17%)
3 (8,3%)
COND
6 (11,3%)
1 (2,8%)
1 (1,7%)
3 (21,4%)
3 (8%)
IND – NEG – Past
36 (67,9%) 13 (36,1%) 16 (27,1%) 1
SUBPRES – NEG/Q – Restriktion
1 (1,9%)
18 (50%) 8 5
30 (50,8%) 14 3
SUBIMP – NEG – Restriktion
1 (1,9%)
1 (2,8%)
1 (1,7%)
Total IND Total SUB HOMONYM
51 (96,2%) 17 (47,2%) 17 (28,8%) 3 (21,4%) 14 (36,8%) 2 (3,8%) 19 (52,8%) 31 (52,5%) 11 (78,6%) 18 (47,4%) 8 4 11 (18,8%) 6143 (15,8%)
11 (28,9%)
3 (25%)
10
3
11 (78,6%) 18 (47,4%) 5 3 2
7 (70%) 2 (16,7%) 3 (25%) 7 (58,3%) 2 (16,7%)
dass es dem Sprecher auch in diesen Kontexten völlig frei steht, auf eine Markierung zu verzichten. So stellt der Subjonctif im 16. Jahrhundert selbst für den Fall, dass der Sprecher die Falschheit von p präsupponiert, lediglich eine fakultative Option dar – oder umgekehrt formuliert: Der Subjonctif ist in diesen Kontexten mittlerweile selbst zu einer besonders markierten Form geworden, die den erratischen Charakter von p sprachlich besonders salient machen soll (cf. dazu auch Becker 2011a). Diese besondere Signalisierungsfunktion soll abschließend anhand einiger Belege aus Jean Calvins Institution de la religion chrestienne belegt werden: 143 Calvin referiert in den folgenden Textpassagen auf doktrinäre Positionen, die er ausdrücklich für falsch hält – im ersten Beispiel etwa auf die thomistische, im zweiten Beispiel auf die pelagianische Gnadenlehre. In beiden Fällen rekurriert der Autor aber auf den Indikativ:
143 Die Form fut lässt sich oftmals nicht eindeutig zuordnen, da manche Autoren (etwa Philippe de Vigneulles und Marguerite de Navarre) fut sowohl als Subjonctif Imparfait als auch als Passé Simple-Form verwenden.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
265
(218) «Il y a une question à expédier pour la fin, c’est qu’aucuns esprits volages s’égarans en leur subtilité, combien qu’ils confessent que nous obtenons salut par Jesus Christ, toutesfois ne peuvent porter le nom de Mérite, pource qu’ils pensent que la grâce de Dieu en est obscurcie.» (Calvin, livre second/1560, 303, livre II, chap. XVII) (219) «Comme donc ainsi soit que la liberté convienne proprement à la volonté, Thomas d’Aquin pense que ceste définition seroit bonne, de dire que le Franc-arbitre est une vertu élective, laquelle estant moyenne entre intelligence et volonté, encline toutesfois plus à volonté.» (Calvin, livre second/1560, 28, livre II, chap. II)
Besonders markant herausgestellt wird hingegen der erratische Charakter der Lehren, die die Gegner des Reformators an der Sorbonne («les théologiens Sorboniques») verteidigen, aber auch der Ideenlehre Platons. In beiden Fällen rekurriert der Autor auf den Subjonctif: (220) «En laquelle chose les théologiens Sorboniques faillent trop lourdement, qui pensent que la foy soit un simple consentement à la parolle de Dieu, lequel consiste en intelligence, laissans derrière la fiance et certitude du coeur.» (Calvin, livre troisième/1560, 53, livre III, chap. II) (221) «En quoy, combien que Platon se soit abusé, pensant que telle appréhension ne fust qu’une souvenance de ce que l’âme savoit devant qu’estre mise dedans le corps, toutesfois la raison nous contraint de confesser qu’il y a quelque principe de ces choses imprimé en l’entendement de l’homme.» (Calvin, livre second/1560, 39, livre II, chap. II)
Auch den Wandel seiner eigenen Anschauungen – den Kontrast zwischen zurückliegenden und aktuellen Überzeugungen – streicht der Theologe mittels der Moduswahl deutlich heraus: (222) «Mais je pensoye que tout ce qui appartient à l Chrestienté fust comprins et déclaré aux Escritures; et maintenant, comme je voy, il faut chercher la vraye reigle de religion hors d’icelles.» (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre quatrième, 1560, 485, livre IV, chap. XIX)
Bis zum 17. Jahrhundert entfällt der Subjonctif zumindest in Assertionskontexten als Modusoption fast gänzlich. Eine Ausnahme bilden archaisierende Autoren wie Nicolas de Peiresc (Lettres), die auch noch im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts den Subjonctif nach dem alten Modell verwenden. Ein einziges Beispiel soll hier genügen: (223) «Monsieur, je pense que ledict original soit encores entre les mains dudict Sr Du Liz qui en faisoit grand cas […].» (Nicolas de Peiresc, Lettres: t.1: Lettres aux frères Dupuy: 1617–1627/1627)
266
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Als resistenter erweisen sich Reste des Subjonctif in kontrafaktischen Kontexten, was auf die – zumindest bis zum 17. Jahrhundert noch – stabile Funktion des Subjonctif Imparfait als Irrealis-Markierung (Irrealis II) zurückzuführen ist, wie wir in dem übernächsten Kapitel noch etwas ausführlicher sehen werden. (224) «Je pense que messieurs les areopagites eussent esté bien estonnez de voir de tels solliciteurs dans la sale de l’audiance […].» (Le Père François Garasse, La Doctrine curieuse des beaux-esprits de ce temps, 1623, 285s., livre 3, section 13)
Zum Abschluss ist noch kurz auf die formelhaft-stilistischen Gebräuche von penser einzugehen, die in besonders geraffter Form noch einmal einen Teil der Entwicklungen bzw. des Umstrukturierungsprozesses vom Altfranzösischen zum Neufranzösischen schlaglichtartig reflektieren: Im Altfranzösischen finden sich noch keinerlei stereotype Wendungen mit penser + Komplementsatz. Tabelle 18: Typische Verbindungen im Altfranzösischen Q: pensez-vous que ?
Q: penses-tu que p ?
IMP: ne pense que p
IMP: ne pensez pas
IMP: pensez que p
0
0
0
0
1
Insgesamt Indikativ
1
Im Mittelfranzösischen wird das Verb immerhin schon bei zahlreichen rhetorischen Fragen (also in Kontexten, die ¬p präsupponieren) sowie in negativen Imperativsätzen verwendet. Im Hinblick auf die erste Kontextklasse konkurriert penser mit dem bis dahin dominanten Verb cuidier, hinsichtlich der zweiten mit dem Verb croire. Es ist bezeichnend, dass croire im Mittelfranzösischen praktisch die gesamte Domäne affirmativer Imperativsätze für sich beansprucht (siehe oben). Während also penser und cuidier in negativen Kontexten konkurrieren, spezialisiert sich croire auf positive imperativische Funktionen. Tabelle 19: Pragmalinguistische Muster im Mittelfranzösischen Q: pensezvous que ? Insgesamt Subimp
Q: penses-tu que p ?
IMP: ne pense pas
IMP: ne pensez pas
IMP: pense que p
12
4
6
8
2
2
1
Subpres
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
Q: pensezvous que ?
Q: penses-tu que p ?
IMP: ne pense pas
IMP: ne pensez pas
9
2
2
4
267
IMP: pense que p
Indikativ
3
Cond
1
Fut
1
2
unbest.
1
2
Im 16. Jahrhundert ist die Vitalität von cuidier praktisch vollkommen erloschen und penser und croire teilen sich das Feld der pragma-stilistischen Funktionen auf, wobei es immer noch bestimmte Überlappungszonen gibt: Croire dominiert bei den positiven imperativischen Gebräuchen (die Aufforderung, p zu realisieren), die dementsprechend im Indikativ stehen, wohingegen pensez bei den rhetorischen Fragen und den negativen Imperativen (Präsupposition: ¬p mit Subjonctifmarkierung) bei weitem überwiegt. In diesen Kontexten scheint sich croire dann in den folgenden Jahrhunderten weiter emanzipiert zu haben. Tabelle 20: Pragmalinguistische Muster von penser Q: pensezvous que ?
Q: penses-tu que p ?
IMP: ne pense pas
IMP: ne pensez pas
IMP: pense que p
11
15
4
7
4
Subimp
1
1
1
1
Subpres
8
9
5
1
Indikativ
1
insgesamt
2
2
Cond Fut unbest.
1 1
4
2
1
2.6.6 Ein kurzer Blick auf andere epistemische Prädikate Um die Darstellung abzurunden, soll auch ein kleiner Seitenblick auf zwei weitere epistemische Prädikate, die häufig in der altfranzösischen Literatur figurieren, geworfen werden – auf das Verb pourpenser sowie den unpersönlichen Ausdruck est vis/avis/advis que.
268
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Das Verb pourpenser wird eher seltener verwendet und selegiert stets einen indikativischen Komplementsatz. Das Verb drückt das Resultat eines Reflexionsaktes aus und deckt genau diejenigen Zonen ab, die wir zur Charakterisierung des epistemisch-evidentiellen Pols bei penser herausgearbeitet haben: –– zunächst die auf epistemisch-modaler Grundlage gut begründbare, plausible Auffassung, dass p, sodann –– der Zugriff auf eine Proposition aus dem epistemischen Wissensbestand des Matrixsatzsubjekts und –– die Absicht einer – der Kontrolle von x unterliegenden – Realisierung von p zu einem späteren Zeitpunkt (faktische modale Basis). Für jede dieser Lesarten lässt sich ein Beispiel aus den mittelalterlichen Texten anführen: (225) «[...] elle a veu le vengement/ que dex a fet tot en apert/ lors se porpensse que elle pert son tens s el se cele forment/ lors se lieve isnelement» (calex, 1529–1533) (226) «[…] mes cil qui en baldach maneit/se porpensa que il ireit/en marchaandise en egipte/la ou cel soen ami habite» (chastoi, 351–354) (227) «[…] lors me porpensai que j avoie un compaignon que je savoie a mout loial amis a non onques n oi meillor compaignon» (rose, 3105–3108)
Das Prädikat pourpenser wird auch noch sporadisch im 14. und 15. Jahrhundert verwendet, wie das folgende Belegbeispiel aus den Cent Nouvelles nouvelles zeigt: (228) «Puis se ravisoit et pourpensoit qu’il n’en feroit rien […]» (Vigneulles, Philippe de/Les Cent Nouvelles nouvelles/1515, 94, nouvelle 15)
Der letzte Beleg des Frantext-Korpus datiert aus dem Jahr 1604 und stammt von Antoine de Montchrestien (Aman): (229) «Je sçay bien qu’un Seigneur doit prevenir l’offence, Dès qu’une ame indiscrette en secret la pourpense» (Antoine de Montchrestien, Aman, 1604, 61, acte I)
Das epistemische Prädikat (il) me/li est/fut/estoit avis/advis/vis que verhält sich interessanterweise wie die anderen, ausführlich untersuchten Prädikate. So figuriert es in allen Kontexten und Konstellationen, die wir im Einzelnen näher untersucht haben: Wiederum tritt der Subjonctif als Mittel der Relativierung der Sprechermeinung (Höflichkeitstopos) sowie der Abgrenzung eines subjektiven espace mental des Matrixsatzsubjekts gegenüber dem epistemisch allgemein zugänglichen espace commun der Kommunikationsgemeinschaft auf: (230) «Encore m est il avis que j oie symons de monclin qui chanta dont vient li maus qui m ocirra morel li gentis bachelers chanta estenes d oiselers» (chauvency, 1360–1364)
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
269
(231) «[...] por regarder aucun malade/lors ai le cuer si mort et fade/qu il m est avis que point n en sente/cil qui fet bien si me tormente» (the, 276–279) (232) «il avoit si grant doleur en son dos entrou les reins il li estoit avis que il mourust pour l angoisse ne se pooit aidier ne lever du lit par soi ne aller» (loys, 2011–2016)
Auch für eine Klarstellung des Sprechers, dass das Matrixsatzsubjekt eine Proposition p irrtümlicherweise für wahr hält (obwohl ¬p der Fall ist), lassen sich Beispiele anführen: (233) «Maintenant ot entor lui si grant noise et si grant cri qu’il li est avis que tuit li anemi d’enfer soient entor lui.» (qgracmcb, 182.005–182.007)
Ebenso lassen sich charakteristische Indikativkontexte gut belegen: –– die Argumentation für die Wahrheit von p (mithilfe von Plausibilitätsargumenten bzw. guter Evidenz): (234) «[...] et ele li semble si bone et si bele qu’il li est avis que trop seroit grant domage, s’il la gitoit en cel lac, si com li rois li avoit commandé, car einsi seroit ele perdue» (artucb, 165.018–165.022) (235) «Or ai veüe sa maniere, Or m’est avis que je sai bien Dont est» (narciscb, 745–746)
–– der Abruf von Propositionen aus der epistemischen modalen Basis: (236) «Quant a la fois repreng a lire Cialz qu’arriere ai entrelaissiez, Lors m’est avis que j’ai laissiez Et les milleurs et les plus bialz.» (Gcoin4cb, 190.007–190.008)
–– die Realisierungsabsicht von p, zu der man sich in der Lage sieht angesichts der eigenen Möglichkeiten (disponentielle modale Basis) sowie der realistischen Erwartungen hinsichtlich des weiteren Fortganges der Ereignisse (faktische modale Basis): (237) «Par m’ame, fait il, je ne vouldroie rien blasmer, mes il m’est avis que je suy auxi bien a la vallue de vous faire service et plaisir comme est celui dont j’ay ouy parler.» (qjmcb, 88.007–88.01)
Wie diese kurze semantische Analyse zeigt, entsprechen die Lesarten sowie die damit korrelierenden Verbalkategorien genau denen von penser (und stehen im Gegensatz zu croire und cuidier). Die weitgehende Übereinstimmung mit penser bestätigt sich auch in der weiteren Entwicklungsgeschichte des epistemischen Ausdrucks. Im Mittelfranzösischen finden sich praktisch kaum mehr Belege für die Verwendung von il m’est advis in Verbindung mit dem Subjonctif – hier akzentuiert sich die Entwicklung noch stärker als bei penser. Lediglich in negativen oder restriktiven Kontexten lässt sich der Subjonctif noch festmachen, so etwa in den folgenden beiden Beispielen:
270
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(238) «[...]: c’est car je demande qu’est celle chose doulce que nous touche en sa recordacion et que suavement nous actrait tellement que aucunement m’est advis que je soye alegiee de mon vivre et m’est advis que je commance estre abstraite et eslevee» (Pierre Crapillet, Cur Deus homo de arrha animae, 1450, 290, livre III) (239) «Il m’est advis que piech’a fusse venue se ton mouvement feist son devoir naturel et ordinaire» (Le Roman du comte d’Artois, 1453, 130s.)
Ab der mittelfranzösischen Epoche werden indikativische Verbalkategorien (neben dem Präsens auch das Conditionnel) zum Regelfall: (240) «[...], car il m’est advis que vous estes homes de grant valeur et venu de bon lieu.» (T. Berinus, 1/1350, 261) (241) «[...] et il m’est advis que, en tout le monde, l’en n’en trouveroit mie autant qu’il en convient, par quoy il convient que vous mettez ceste convenance au neant, car rien vous n’y pouez conquester.» (Berinus, T.1, 1350, 96s.)
Der epistemische Ausdruck wird im 16. Jahrhundert allmählich auch in der indikativischen Verwendungsweise aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verdrängt. Einzelbelege lassen sich jeweils noch bei Rabelais (François Rabelais, Pantagruel, 1542, 103, chap. VIII) und du Bellay (Les Regrets, 1558, 162/89) nachweisen. Einer der letzten Belege findet sich in Michel de Montaignes Essais: (242) «Mais il m’est advis que c’est bien le bout, non pourtant le but de la vie» (Michel de Montaigne, Essais: t.2 (livre 3)/1592, 1051, livre troisiesme, chap. XII, de la phisionomie)
Was der – an sich eher marginale Ausdruck – il m’est avis zeigt, ist die Tatsache, dass die Modusverwendung nicht an ein bestimmtes Verb – als dessen im Lexikon kodierte Subkategorisierungsinformation – gebunden ist. Wie schon am Beispiel der anderen und durchaus gewichtigeren epistemischen Verben deutlich geworden ist, stand vielmehr ein abstraktes bzw. hinsichtlich seiner Funktionsprinzipien allgemeines Modussystem im Hintergrund, das für die Domäne der Epistemizität in einer spezifischen Weise ausdifferenziert und in seinen Verwendungskontexten konventionalisiert war. Dieses Sub- oder besser Teilsystem geriet im Mittelfranzösischen in unterschiedlicher Weise und Intensität in eine Krise: In manchen Bereichen verlor es an Komplexität, in anderen konnte es sich bis zum 16. Jahrhundert behaupten. Im Französisch der Renaissance allerdings erlag das alte, sehr facettenreiche Modussystem endgültig dem langwierigen Erosionsprozess und mündete im 17. Jahrhundert schließlich in den uns heute bekannten – deutlich vereinfachten – Sprachzustand ein. Wie wir oben schon festgestellt haben, verzichteten die Sprecher offenbar auf die im Modussystem angelegten Differenzierungsmöglichkeiten für einen gesamten konzeptuellen Bereich, die Domäne der Epistemizität. Leider wissen wir nur wenig darüber, welche Rolle
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in diesem Prozess Fragen der Norm bzw. überhaupt normgebende Autoritäten spielten.
as Verb savoir und seine Kontexte (si- und wh-Komplementsätze 2.6.7 D im späteren Latein und im Alt- und Mittelfranzösischen) Das epistemische Verb savoir selegierte in affirmativen Kontexten auch im Altfranzösischen stets einen indikativischen Komplementsatz. In einem komplexen Satz wie (243) «[…] en cel tens avoit messagiers de France a rome lentulus qui savoit bien que francois estoient bateillerous par nature» (fetrom, 1348–1351)
wird prädiziert, dass das Matrixsatzsubjekt mit p eine Proposition aus der Propositionenmenge des gemeinsamen Redehintergrunds aufruft, die als wahr anerkannte Sachverhalte charakterisiert. Zu Beginn dieses Großkapitels haben wir die Kriterien nach Kratzer herausgestellt, die ein Individuum dazu berechtigen, die Behauptung aufzustellen, es wisse, dass p. Dies waren: –– eine de re-Überzeugung in Bezug auf den durch die Proposition p beschriebenen Sachverhalt –– Ein «objektives» Korrelat in der Referenzwelt in Form eines Sachverhalts, der die Proposition p «exemplifiziert» und –– eine reliable Methode der Erkenntnisgewinnung. In dem aktuellen Beispielsatz verbürgt sich der Sprecher dafür, dass die genannten Kriterien im Hinblick auf p auch erfüllt sind und dass das Subjekt selber auch eine geeignete Bekanntschaftsrelation mit dem exemplifizierenden Sachverhalt besitzt. Einen spezifischen pragmalinguistischen Wert besitzt hingegen die Form je sais, wie wir in der Einleitung zu diesem Kapitel schon herausgestellt haben. In einer Äußerung wie (244) «Je sçay bien qu’un Seigneur doit prevenir l’offence, Dès qu’une ame indiscrette en secret la pourpense.» (Antoine de Montchrestien, Aman, 1604, 61, acte I)
macht der Sprecher seinem Gesprächspartner deutlich, dass dieser sich bezüglich seiner Annahmen über den epistemischen Informationsstand seines Gegenübers irrt. Mithilfe des Operators korrigiert er die falsche Präsupposition seines Dialogpartners – oder anders formuliert: Der Sprecher stellt klar, dass auch er an dem durch p beschriebenen gemeinschaftlichen Wissen teilhat und sich sein
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eigenes epistemisches Modell zumindest in Bezug auf p mit dem gemeinsamen Redehintergrund überlappt. Besonders interessant ist nun die Frage nach der Moduswahl, wenn das Prädikat savoir im Skopus des Negationsoperators steht: In diesem Zusammenhang muss sowohl die Globalnegation (négation totale) von p (ne pas savoir que p) als auch die Teilnegation (négation partielle) von p (ne pas savoir qui/où/quand/ pourquoi etc.) untersucht werden. Die Globalnegation korrespondiert (als eine mögliche Antwortalternative) mit der Entscheidungsfrage (interrogation totale: sais-tu/sait-il que p?), die Teilnegation mit der wh-Frage (interrogation partielle: sais-tu/sait-il qui/où/quand/pourquoi etc.?). Wir wollen uns die Verhältnisse nun etwas genauer anschauen und dabei auch einen Blick auf die (vulgär-)lateinischen Verhältnisse werfen: In der Vulgata finden sich immerhin einige Belege für nescire + quia. In den Verwendungskontexten werden die Hörer jeweils direkt angesprochen (nescis, nescitis) und mit ihrer Unwissenheit bezüglich der Wahrheit von p konfrontiert. Die Sprecherpräsupposition ist stets, dass p wahr ist. Es handelt sich dabei aber nicht um Wissen, das dem gemeinsamen Redehintergrund der Kommunikationsteilnehmer zuzurechnen ist. Vielmehr gehört die Proposition p zur Menge der Propositionen, die das doxastische System des christlichen Glaubensuniversums konstituieren. p ist also ein Wissenselement, das ipso facto immer wahr ist, was dementsprechend durch den Indikativ angezeigt wird. Wie das erste der folgenden Beispiele zeigt, charakterisiert p einen spezifischen Typ von Präsuppositionswissen, dem, wie auch der Texttitel verrät, Offenbarungswissen. (245) «Quia dicis quod dives sum et locupletatus et nullius egeo et nescis quia tu es miser et miserabilis et pauper et cæcus et nudus.» (Vulg., Offenbarung des Johannes, 3,17) (‘Du sagst, ich bin reich und habe gar satt und bedarf nicht und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.’) (246) «Adulteri nescitis quia amicitia hujus mundi inimica est Dei quicumque ergo voluerit amicus esse sæculi hujus inimicus [...].» (Vulg., Brief des Jakobus, 4,4) (‘Ihr Abtrünnigen, wisset ihr nicht, dass der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein.’)
Traten in der Vulgata keine konjunktivischen Beispiele auf, so stellt sich die Situation im Altfranzösischen wesentlich uneinheitlicher dar: In den negierten savoir-Kontexten treten gleichermaßen konjunktivische und indikativische Komplementsätze auf, ohne dass man einen semantischen Unterschied zu erkennen vermag. So gibt zum Beispiel der Kontext in den folgenden drei konjunktivischen Belegen eindeutige Hinweise auf den Wahrheitswert von p, der dem Sprecher sowie anderen, an dem gemeinsamen Wissensschatz Teilhabenden, bekannt ist.
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(247) «[…] esteit tute la druerie par amur en lur cumpainie/ceo fu s entente e sun espeir/ ele le quidot del tut aveir/e retenir si ele peust/ ne saveit pas que femme eust» (elid, 579–584) (248) «judas entra a lei et dist ‹laisse moi jesir avec ti›/ne savoit pas que fust sa brus.» (malk, 2576–2578) (249) «et aygalanz ne savoit pas que ce fust charles qui parlet a lui et charle le coignut molt bien» (pseuturp, 257s.)
Mit etwa der gleichen Häufigkeit erscheinen in den altfranzösischen Texten aber auch indikativische Beispiele, man vergleiche: (250) «ice dist xf et prophetiza d icel fruit et si ne savoit que chou ere» (pen, 1280–1282) (251) «[…], ce bon gentil homme, qui estoit orphelin de pere et de mere, jeune, et a marier, et ne savoit que c’estoit de mesnage, s’accointa d’un voisin qu’il avoit» (cnncb, 331.009– 331.012) (252) «Et de mon seignor Robert ferez conte de Dreues, qui bien s’en tint a paiet, quar il ne savoit que ce montoyt.» (reimsc, 1.111–1.113)
Die sich hier manifestierende Modusalternation kann womöglich als Reflex auf zwei widerstreitende Tendenzen bei der semantischen Interpretation solcher negierten savoir-Kontexte angesehen werden, d.h. die Sprecher besaßen offenbar die Möglichkeit, ein und denselben Sachverhalt auf zweierlei Weise zu konzeptualisieren: Ein Sprecher konnte einerseits als Garant für das gemeinschaftliche Wissen auftreten und die Wahrheit von p als eine Komponente des gemeinsamen Redehintergrundes herausstellen. Diese Intervention des Sprechers in seiner Rolle als Garant für den gemeinschaftlichen Wissensbestand kommt einem scoping out von p aus der Domäne des Negationsoperators (NEG) gleich. Andererseits konnte sich ein Sprecher aber auch als bürgende Instanz völlig ausblenden und auf das subjektive und vor allem diskrepante epistemische Modell des Matrixsatzsubjektes fokussieren: Die Proposition p gehört gerade nicht zur Propositionenmenge, die das epistemische Modell des Matrixsatzsubjekts determiniert. Die Tatsache, dass das Subjekt eben nicht weiß, dass p wahr ist, impliziert, dass es die kontrafaktische Überzeugung besitzt, es gälte ¬p: x ne sait que p -> x croit que ¬p. Der Subjonctif würde in dieser Deutung eine falsche Überzeugung des Matrixsatzsubjekts bezüglich der Wahrheit von p markieren.144 Im Mittel- und Neufranzösi-
144 Alexandrescu (1983, 21) interpretiert nicht wissen, dass p als Disjunktion (wobei K für den Operator know und B für believe steht): ¬Kxp: Bxp ∨ Bx(¬p). Aus den Beispielkontexten ergibt sich, dass das erste Disjunkt als mögliche Lesart entfällt, also nicht auf eine schwächere epistemische Einstellung zu p fokussiert wird, sondern auf eine falsche.
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schen setzte sich offenbar die erste der beiden Interpretationen durch – es findet also ein generelles scoping out von p aus dem Negationsoperator statt, wenn p einen dem gemeinsamen Redehintergrund zugehörigen Sachverhalt beschreibt. Komplexer sind die Verhältnisse im Falle der Teilnegation, bei der nur eine Konstituente verneint wird (ne pas savoir qui/que/quand/pourquoi etc.). In diesen Kontexten zeichnet sich der Text der Vulgata durch starke Modusalternation aus, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst zu werden scheint.145 Schauen wir uns zunächst einige Fälle an: Es gibt – zum einen – Kontexte, in denen der Konjunktiv offenbar deshalb verwendet wird, weil die Zusammensetzung der Denotatsmenge, auf die das jeweilige Prädikat zutrifft, dem Sprecher sowie dem Ma trixsatzsubjekt unbekannt ist: –– nescire unde/quo: Konstituente: Umstandsangabe des Ortes: (253) «Nos scimus quia Mosi locutus est Deus hunc autem nescimus unde sit. (Vulg., Johannes, 9,29s.) (‘Wir wissen, dass Gott mit Moses geredet hat; woher aber dieser ist, wissen wir nicht.’) (254) «[…] et qui ambulat in tenebris nescit quo vadat.» (Vulg., Johannes, 12,35) (‘[…] und wer in der Dunkelheit wandelt, weiß nicht wohin er geht.’)
–– nescire quando: Konstituente: Umstandsangabe der Zeit: (255) «Videte vigilate et orate nescitis enim quando tempus sit.» (Vulg., Lucas 13,33) (‘Sehet Euch vor und wachet: Ich wisset nicht, wann die Zeit da ist.’)
–– nescire quid: Konstituente: direktes Objekt: (256) «[…] nesciens quid diceret.» (Vulg., Lucas, 9,33) (‘[…] und er wußte nicht, was er redete.’)
Zahlreiche Beispiele begegnen uns auch in der Historia Francorum Gregor von Tours und in den Etymologien des Isidor von Sevilla:
145 Zur Entwicklung indirekter Fragesätze im Lateinischen cf. Calboli (1968, 413); Hofmann/ Szantyr (1965, 536ss.); Wanner (1990, 261ss.). In der vorklassischen Periode dominierte noch allgemein der Indikativ in indirekten Fragesätzen. Mit der klassischen Zeit dringt der Konjunktiv zunächst in stark dubitative und deontische Kontexte vor, um von hier aus auf alle übrigen Kontexte überzugreifen. Aber selbst in der klassischen und imperialen Phase wird der Indikativ nie völlig aus dem indirekten Komplementsatz (insbesondere dem si-Komplementsatz) verdrängt. Im postklassischen Latein gewinnt der Indikativ vor allem wieder in den schlichteren sprachlichen Registern an Terrain, wobei die Rolle des griechischen Einflusses auf die christlichen Autoren (und insbesondere auch auf die Vulgata), wie wir oben schon angemerkt haben, umstritten bleibt (cf. etwa auch Wanner 1990, 263).
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(257) «Scimus enim, regis esse Gunthchramnum ac nepotem eius; hunc autem nescimus unde sit.» (Gregor, Buch VII, 218) (‘Wir wissen nämlich, dass Gunthram und sein Neffe des Königs (= Königskinder, Anm. d. Verf.) sind; wir wissen aber nicht, von woher er ist’) (258) «Nam nescis quid sit declinatio, nisi prius dediceris quid sit sensus.» (Isidor, Etymologiae, Buch I, IX, 3) (‘Du weißt nämlich nicht, was die Deklinationsform ist, wenn du nicht vorher bestimmst, was der Sinn ist.’)
Der Indikativ – zum anderen – figuriert in Kontexten, in denen der Sprecher offenbar über die Zusammensetzung der Denotatsmenge – also das extensionale Denotat des jeweiligen Prädikats – Bescheid weiß und er die Präsupposition, dass er das zur Rede stehende Denotat kennt, durch Indikativmorphologie markiert: (259) «verum est testimonium meum quia scio unde veni et quo vado vos autem nescitis unde venio aut quo vado.» (Vulg., Johannes, 8,14) (‘So ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisset nicht, woher ich komme und wohin ich gehe […].’) (260) «Non reppulit Deus plebem suam quam præsciit an nescitis in Helia quid dicit scriptura quemadmodum interpellat Deum adversus Israhel» (Vulg., 1. Paulusbrief an die Römer, 11,2) (‘Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches er sich zuvor ersehen hat. Oder wisset ihr nicht, was die Schrift sagt von Elia, wie er tritt vor Gott wider Israel?’)
Indikativmorphologie scheint aber auch möglich zu sein, wenn der Sprecher zwar das Denotat des in Rede stehenden Prädikats nicht kennt, aber davon ausgeht, dass dies seinem Gesprächspartner bekannt ist – so in dem folgenden Beispielfall: (261) «Dicit ei Thomas Domine nescimus quo vadis et quomodo possumus viam scire.» (Vulg., Johannes, 14,5) (‘Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; und wie können wir den Weg wissen?’)
Es gibt aber auch nicht so eindeutige Fälle, die nun im Folgenden kurz kommentiert werden sollen: Die folgende Textpassage lässt zwar keinen Zweifel daran, dass dem Sprecher das Denotat bekannt ist, er aber ganz den epistemischen Zustand des Subjekts hervortreten lässt: (262) «Is autem qui sanus fuerat effectus nesciebat quis esset Jesus enim declinavit turba constituta in loco.» (Vulg., Evangelium nach Johannes 5,13) (‘Der aber gesund geworden ist, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volks an dem Ort war.’)
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Aber nicht bei allen indikativischen Textpassagen lässt sich mit präsupponiertem Sprecherwissen (oder seltener auch: Hörerwissen) argumentieren: In den folgenden Kontexten stellen die Sprecher selber ihre Unkenntnis hinsichtlich der Beschaffenheit der Denotatsmenge heraus und verwenden trotzdem den Indikativ. In diesen Fällen scheint die syntaktische Integration des Komplementsatzes weitgehend aufgehoben zu sein, d.h. der wh-Komplementsatz erscheint als autonomer Fragesatz und folgt den Regeln der direkten Rede. Dies erklärt den durchgängigen Indikativgebrauch. Der Text der Vulgata weist eine ganze Reihe von Beispielen auf, die zeigen, dass – vermutlich aus expressiven Gründen – vielfach Elemente der direkten Rede in die oratio obliqua einfließen: (263) «Dicunt ei illi mulier quid ploras dicit eis quia tulerunt Dominum meum et nescio ubi posuerunt eum.» (Vulg., Johannes, 20,13) (‘Und dieselben sprachen zu ihr: Weib, was weinest du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.’) (264) «[…] et ait Petrus homo nescio quod dicis.» (Vulg., Lucas, 22,60) (‘[...] und Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst.’)
Bevor wir nun die Verhältnisse im Französischen charakterisieren, wollen wir den analytischen Rahmen noch etwas erweitern, indem wir formalsemantische Überlegungen zum indirekten Komplementsatz – den indirekten Fragesätzen sowie den wh-Komplementsätzen – integrieren. Einen überzeugenden Beschreibungsansatz schlagen Groenendijk/Stokhof (1982; 1997) vor, der zudem von Lohnstein (2000) in ein gut zugängliches formales Beschreibungssystem übertragen wurde.146 Eingebettete Fragesätze werden nicht wie bei Karttunen als Propositionsmengen – zumal als Mengen ausschließlich wahrer Propositionen – konzeptualisiert,147 sondern als einfache (spezielle) Propositionen. Ausgangspunkt der Argumentation von Groenendijk und Stokhof ist die Herleitung der Beziehung zwischen ob- (bzw. [+wh]-) und dass-Komplementsätzen: Um im Zuge eines Deduktionsverfahrens von einem ob- bzw. wh-Kompementsatz zu dem entsprechenden dass-Komplementsatz zu gelangen, müssen die in der Auswertungswelt am relevanten Index a vorherrschenden Verhältnisse bekannt sein. Man betrachte das folgende Beispiel:148
146 Groenendijk und Stokhof (1982) operieren mit der formalen Sprache Ty2 und lehnen sich dabei an Montagues intensionaler Semantik (Montague 1974) an. 147 Cf. hierzu Karttunen (1977, 10 und 13ss.); Hamblin (1976, 247ss.). 148 Cf. Groenendijk/Stokhof (1982, 176ss.); Lohnstein (2000, 51).
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–– indirekter Fragesatz : Peter weiß, ob Clara lacht Clara lacht ------------------------------------- Peter weiß, dass Clara lacht
Peter weiß, ob Clara lacht Clara lacht nicht ---------------------------------------------Peter weiß, dass Clara nicht lacht
–– wh-Komplementsatz : Peter weiß, wer lacht Clara lacht -------------------------------------Peter weiß, dass Clara lacht
Peter weiß, wer lacht Susanne lacht ---------------------------------------------Peter weiß, dass Susanne lacht
Wie die Beispiele zeigen, führt der Weg von der ersten Prämisse zur Konklusion über eine zweite Prämisse, die die Verhältnisse in der Auswertungswelt (an einem Index a) in Form eines Deklarativsatzes beschreibt. Je nachdem, wie die jeweilige Auswertungwelt am Index a beschaffen ist, bedeutet der mit ob (bzw. wer) eingeleitete Komplementsatz das gleiche wie der mit dass eingeleitete Komplementsatz.149 Konkretisieren wir das Gesagte an unserem ersten Beispiel, so lässt sich der Zusammenhang zwischen dem ob- und dem dass-Komplementsatz folgendermaßen charakterisieren: Ist es in der Welt an dem relevanten Auswertungsindex a der Fall, dass Clara lacht, und ist der Satz Peter weiß, ob Clara lacht wahr, dann ist auch der Satz Peter weiß, dass Clara lacht wahr. Ist es in der Welt nicht der Fall, dass Clara lacht und ist der Satz Peter weiß, ob Clara lacht wahr, so ist auch der Satz Peter weiß, dass Clara nicht lacht wahr. Das Verhältnis zwischen dem ob-Komplementsatz und dem dass-Komplementsatz lässt sich also nur bestimmen, wenn die Beschaffenheit der Welt – an dem für den ob-Satz jeweils relevanten Index a – bekannt ist: Dieses Wissen ist die Voraussetzung dafür, die Frage nach der Identität der Denotate von dass-Komplementsatz und ob- (bzw. überhaupt indirektem) Komplementsatz zu beantworten. Wir können festhalten, dass indirekte Fragesätze indexabhängige Propositionen sind, also Propositionen, deren Wert an einem Index i von ihrem Wert an einem anderen Index a abhängt.150 Dass-Komplementsätze werden im Gegensatz dazu indexunabhängig evaluiert, d.h. sie besitzen an jedem Index a das gleiche
149 Wir folgen im Weiteren der Argumentation Lohnsteins (cf. Lohnstein 2000, 52ss.). 150 Cf. die Definition bei Lohnstein (2000, 38).
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Denotat, das folglich einer konstanten Funktion entspricht. So denotiert ein Komplementsatz wie dass Clara lacht an jedem Index a die Proposition Clara lacht:151 p: λi [lachen’(i)(Clara’)]. Demgegenüber sind bei dem abhängigen Fragesatz ob Clara lacht zwei Alternativen denkbar: –– Clara kann am Index a tatsächlich lachen, das Denotat des abhängigen Fragesatzes ist dann die Proposition [[dass Clara lacht]]i (oder alternativ: p: λi [(lachen’(i)(Clara’)]. –– Clara kann am Index a aber auch nicht lachen, so dass das Denotat des abhängigen Fragesatzes der Proposition [[dass Clara nicht lacht]]i entspricht (p: λi [¬(lachen’(i)(Clara’)]. Fokussiert man auf das Verhältnis der Indizes a und i, so kann das Gesagte auch noch etwas anders akzentuiert werden: Dazu gehen wir von der Propositionendefinition aus, der zufolge eine Proposition als eine Funktion von Indizes i in Wahrheitswerte bestimmt werden kann. Diese gibt also für jeden Welt-Zeit-Index an, ob der durch den Satz beschriebene Sachverhalt an diesem Index der Fall ist oder nicht – alternativ formuliert: Indem eine Proposition jeden Index i auf das Wahre abbildet, denotiert sie die Menge der Indizes, an denen die Proposition wahr ist. Handelt es sich nun um eine indexabhängige Proposition (wie etwa im Falle des indirekten Fragesatzes ob Clara lacht), deren Denotat von den Gegebenheiten am Auswertungsindex a abhängt, so gilt für die – den Verhältnissen am Index a – entsprechende Denotatsfunktion: Sie bildet jeden Index i auf das Wahre ab, an dem der Wahrheitswert des Satzes Clara lacht identisch ist mit dem Wahrheitswert dieses Satzes am Index a. Die Denotatsfunktion des indirekten Fragesatzes am Index a lässt sich notieren als: λi[lachen’(a)(Clara’) = lachen’(i)(Clara’)] (Denotatsfunktion am Index a)152 Nun interessieren uns nicht nur die Verhältnisse an einem bestimmten Index a, sondern an allen Indizes. Deshalb nehmen wir eine λ-Abstraktion der Indexvariablen a vor und gelangen so zum Sinn (dem propositionalen Konzept) der dargestellten Proposition: λa λi[lachen’(a)(Clara’) = lachen’(i)(Clara’)] (Denotatsfunktion an jedem Index)
151 Cf. die Argumentation bei Lohnstein (2000, 53). 152 Cf. Lohnstein (2000, 38 und 47).
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Die Funktion weist nun jedem Index a die geeignete Proposition zu. Beispielsweise denotiert die angegebene Funktion an einem spezifischen Index a1 diejenige Proposition, die an allen Indizes i denselben Wert hat wie an diesem Index a1. Bei den wh-Fragesätzen (wer, was, wann, wo etc.) steht kein einen Wahrheitswert denotierender Ausdruck a (also eine Proposition) zur Rede, sondern ein Prädikatsausdruck wie etwa λx[lachen’(x)]). Wie oben deutlich geworden ist, wird auch dieser Typ unabhängiger Fragesätze indexabhängig interpretiert. Indexabhängigkeit verlangt bei den wh-Sätzen allerdings nicht die Identität von α, sondern die Identität des Denotats des Prädikatsausdrucks. Gegeben sei die indirekte Frage qui rit?, wobei wir annehmen, dass das Denotat des Prädikats rire am Index a durch die Individuenmenge {Clara, Pierre, Carlo} gegeben sei: Prädikatsfunktion (mit l-Abstraktion des Subjekt-Arguments): λx[rire’(x)(a)] = [[rire]]a = {Clara, Pierre, Carlo}. Zu dieser lässt sich nun die indexabhängige rire-Proposition (unter λ-Abstraktion der Indexvariablen i) formulieren: λi[λx[rire’(x)(a)] = [λx[rire’(x)(i)] ]. Ihr Denotat entspricht der Menge aller Indizes i, an denen das Denotat von lachen’ am Index i identisch ist mit dem Denotat von lachen’ am Index a, welches durch die Individuenmenge {Clara, Pierre, Carlo} gegeben ist, die das Denotat von rire’ am Index a bildet.153 Relevant sind im Rahmen der Proposition also nur die Indizes i, an denen das jeweilige Denotat von rire’ den gleichen Wert besitzt (i.e. die gleiche Individuenmenge denotiert) wie das Denotat von rire’ am Index a. Wir können nun den komplexen Satz Pierre sait qui rit formalisieren als savoir’(a) (Pierre, λa λi[lx[rire’(a)(x)] = λx[rire’(i)(x)]] und in folgender Weise interpretieren: Der Sprecher muss an dem jeweiligen Auswertungsindex a (a1, a2, a3, etc.) die Beschaffenheit der Auswertungswelt, also das Denotat von rire’, welches durch eine bestimmte Individuenmenge gegeben ist, kennen. Die entsprechende den Sachverhalt am Auswertungsindex charakterisierende Proposition bildet nun lediglich diejenigen Indizes i auf das Wahre ab, an denen das Denotat von rire’ den gleichen Wert besitzt wie das Denotat von rire’ am Index a.
153 In Analogie zu Lohnstein (2000, 56).
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Kehren wir nun zu den Modusverhältnissen bei indirekten Fragesätzen (obKomplementsätzen und wh-Komplementsätzen) im Lateinischen und vor allem Altfranzösischen zurück. Wir haben im Zusammenhang mit nescire + Fragesatz ganz unterschiedliche, für die Moduswahl relevante Konstellationen kennengelernt: –– So wurde im Lateinischen der Konjunktiv verwendet, wenn am Index a weder dem Sprecher noch dem oder den Gesprächspartner(n) die Denotatsmenge bekannt war: Folglich bleibt auch die Menge der Indizes i unbestimmt, an denen das jeweilige Prädikat das gleiche Denotat besitzt wie am Index a. Unbestimmtheit der Denotatsmengen wird folglich im Lateinischen regelmäßig mit dem Konjunktiv markiert. –– Daneben gab es aber auch den Fall, dass der jeweilige Sprecher über das Denotat des in Rede stehenden Prädikatsausdrucks zwar Bescheid weiß, nicht jedoch sein Gesprächspartner. In diesem Falle wurde durch den Indikativ signalisiert, dass dem Sprecher die Verhältnisse am Index a bekannt sind und er zudem die Menge derjenigen Indizes i der zugehörigen Proposition kennt, an denen die Denotatsmenge des Prädikatsausdrucks mit derjenigen am Index a identisch ist. Damit wird die zugrundeliegende, die Verhältnisse am Index a charakterisierende Proposition als fester Bestandteil des epistemischen Modells des Sprechers herausgestellt. –– Bisweilen ist es auch möglich, dass der Sprecher nicht die Verhältnisse am Index a kennt, er jedoch präsupponiert, dass seinem Gesprächspartner die Gegebenheiten dort bekannt sind. Hier markiert nun der Sprecher durch die Verwendung des Indikativs, dass die den entsprechenden Sachverhalt an a kennzeichnende Proposition bekannt bzw. Teil von seinem epistemischen System ist, auf das in diesen Kontexten besonders fokussiert wird. (Im Kontext der Vulgata mag es zudem eine Bewertung und Gewichtung unterschiedlicher epistemischer Modelle geben.) –– In den Vordergrund gerückt werden kann schließlich auch das Nichtwissen des individuellen Ankers, insbesondere dann, wenn sein im Hinblick auf die Verhältnisse am Index a defizientes epistemisches Modell im Kontrast zu den Modellen anderer Mitglieder der Diskursgemeinschaft steht: Dieser Kontrast epistemischer Modelle wird durch den Konjunktiv markiert. Ein letzter Fall soll kurz erwähnt werden: in der Vulgata fand sich sogar ein Beispiel für die indirekte Fragesatz-Struktur nescio si, bei der zudem ein konjunktivischer Nebensatz selegiert wird, wie dies in einigen romanischen Sprachen (etwa im Italienischen) geläufig werden sollte:
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(265) «Baptizavi autem et Stephanæ domum ceterum nescio si quem alium baptizaverim.» (Vulg., 1. Brief des Paulus an die Korinther, 1,16) (‘Ich habe aber auch getauft des Stephanas Haus; weiter weiß ich nicht, ob ich etliche andere getauft habe.’)
Auch hier ist die Nichtbestimmtheit des Denotats am Index a ausschlaggebend: Der Sprecher ist nicht in der Lage, die geeignete Proposition am Auswertungsindex a anzugeben (entweder quem alium baptizaverim oder quem alium non baptizaverin oder allgemein (für einen bestimmten Index a): λi[baptizare’(a) (ego’, alium’)] = [baptizare’(i) (ego’, alium’)]), welches die Proposition ist, die alle Indizes i auf das Wahre abbildet, die den gleichen Wahrheitswert haben wie die Proposition am Index a. Betrachten wir nun abschließend die Verhältnisse im Altfranzösischen etwas genauer: Bei den indirekten wh-Komplementsätzen, die durch den Komplementierer où eingeleitet werden, tritt im Altfranzösischen durchgängig der Subjonctif in Erscheinung – in diesen Kontexten wird jeweils die Unbestimmtheit des Denotats durch den konjunktivischen Modus gekennzeichnet: (266) «ne sai ou ge la puisse querre» (enas, 226) (267) «ne sai ou elle soit trouee» (guigS, 294)
Während indirekte où-Fragesätze mit dem Subjonctif korrelieren, stehen solche mit qui, quant und pour quoi im Altfranzösischen grundsätzlich im Indikativ. Die Unbestimmtheit der Denotatsmenge am Index a und damit der die Verhältnisse an diesem Index charakterisierenden Proposition ist offenbar keine hinreichende Bedingung mehr für eine Selektion des konjunktivischen Modus. Dies illustrieren die folgenden Beispiele: –– qui: (268) «ne sai qui est cil escuiers» (percevalb, 6925)
–– quant: (269) «car ge ne sai quant il vendra» (besant, 5)
–– pour quoi: (270) «je ne sai pour quoi vous le dites» (vergil, 127)
Noch etwas anders verhalten sich wh-Komplementsätze mit que (im heutigen Französisch: ce que), bei denen jedoch nicht nach einem direkten Objekt-Argu-
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
ment gefragt wird, sondern nach einem ganzen Satz. Auch in diesem Falle können wir wieder mit dem Wissen um die Verhältnisse am Index a argumentieren: 1. Prämisse: Peter weiß, was Robert tut. 2. Prämisse: Robert kocht Spinat. Konklusion: Peter weiß, dass Robert Spinat kocht. An jedem Index a denotiert also der Satz Peter weiß, was Robert tut eine andere Denotatsmenge sowie eine den jeweiligen Sachverhalt am Index a charakterisierende Proposition. In dem Ausdruck ne savoir que kennt der Sprecher/das Matrixsatzsubjekt allerdings die Verhältnisse am Index a wiederum nicht. Aber auch bei que in Komplementiererfunktion ist die Negation des Prädikats nicht ausreichend, um den konjunktivischen Modus auszulösen: (271) «Le fol maling en son coeur dit et croit, Que Dieu n’est point, et corrompt et renverse Ses moeurs, sa vie, horribles faitz exerce.» (Guy de Brués, Les Dialogues de Guy de Brués contre les nouveaux académiciens, 1557, 122, premier dialogue de Guy de Brués) (272) «[…] et puisque il ot entendement car adonques il ne savoit que len fesoit ne ne vint pas la pour saint loys» (loys, 2720–2723) (273) «Et je ne sai que m’avenra, Se essoines me detanra De malage ne de prison (yvcb, 2591–2593)
Dort jedoch, wo der Subjonctif verwendet wird, besitzen die indirekten Fragesätze stets eine modale – und zwar deontische – Lesart: In diesen Kontexten geht es also nicht mehr um die Verhältnisse an einem aktuellen Index, sondern an Indizes, die möglichen Welten entsprechen. Dabei werden diese möglichen Welten (bzw. die entsprechende Menge von Indizes) nach einer Norm (einer ordering source) geordnet, und zwar danach, wie sehr sie der statuierten Norm bzw. dem Ideal nahe kommen (also Welten sind, in denen Dinge auch tatsächlich geschehen, die vom Sprechzeitpunkt (w0/t0) aus betrachtet geschehen sollen oder müssen). Da nun nicht mehr die tatsächlichen Verhältnisse an einem Index a relevant sind, sondern Verhältnisse in möglichen – im Verhältnis zu einem Ideal priorisierten – Welten charakterisiert werden, ist die Verwendung des Konjunktivs konsequent: (274) «Si grant honte a ne seit que face» (Gcoin2cb, 192.012) (275) «Seingnors, fet il, ne sai que die!» (thebdecb, 9818) (276) «ne sai que plus die sans doute humaine aide y failli toute» (ndchar, 6122–6123)
Allerdings scheint die Markierung des Nichtwissens von Sprecher oder Matrixsatzsubjekt in Bezug auf mögliche (nach einer Präferenzfunktion geordnete) Welten durch den Subjonctif als nicht stark genug empfunden worden zu sein.
Die Entwicklung bei den epistemischen Prädikaten des Altfranzösischen
283
Vielfach wird deshalb auf ein explizites Modalverb rekurriert, das nun aber zusätzlich auch noch morphologisch markiert wird. So findet gleichsam eine doppelte Kennzeichnung statt, wobei die Wahl des Modalverbs eine Präzisierung der modalen Stärke (der modal force) erlaubt – cf. deust/doie, puisse/puist in den folgenden Beispielen: (277) «[…] car trop li vendist durement si maintenant ne se meust ne saveit que faire deust» (martin2, 826–828) (278) «ne sai que on em puist encouper» (vcou, 320) (279) «je ne sai que je doie dire ne que je puisse devenir» (vergycb, 323–325) (280) «Je ne sai que doie faire, Ou de l’ocire ou du retraire» (beroulcb, 2001ss.)
Eine weitere Abstufung ermöglicht die Verwendung des Subjonctif Imparfait in präsentischen Kontexten (ne sai que + Subjonctif II): (281) «De ses jornees ne sai que vos contasse; Montjeu trespasse qui durement le lasse» (louiscb, 269s.) (282) «Par mei vos mande, ne sai que vos celasse, N’as dreit en Rome ne en tot l’eritage.» (louiscb, 2390s.)
In den angeführten Zitaten betonen die Sprecher jeweils, dass die Denotatsmenge an allen Indizes die leere Menge ist: Selbst an den entferntesten (welt-zeitlichen) Indizes existiert keine Proposition, die einen geeigneten Sachverhalt darstellen könnte. Mit anderen Worten: Der Sprecher verwendet in diesen Kontexten den Subjonctif Imparfait in einer besonders expressiven Weise: Selbst wenn er über jede erdenkliche Möglichkeit nachdenkt, so fällt ihm nicht ein y ein, das er erzählen (1. Beispiel) oder verheimlichen (2. Beispiel) könnte. Schließlich gibt es auch in altfranzösischer Zeit schon Autoren, die Modalverben als völlig ausreichend für die Kennzeichnung modaler Verhältnisse erachten, zumal diese ein in semantischer Hinsicht spezifischeres Auszeichnungsverfahren darstellen als die Modusmorphologie. Es lassen sich also durchaus schon eine Reihe von Belegen für die ausschließliche Verwendung eines Modalverbs in einem der beschriebenen Kontexte finden: (283) «Ele ne seit que ceo pout estre» (yoneccb, 108) (284) «M’ad en autre tere laissiee. Trahie m’ad, ne sai que deit.» (elid, ms. H, 1082s.) (285) «[…] partie nulz sans esprouver savoir ne le pourroit ne il ne savoit que il deubt (= Passé Simple, Anm. d. Verf.) fere de moy» (abe: J. de Meun, Traduction de la premiere epitre de P. Abelard, 841–843)
284
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Im Mittelfranzösischen generalisiert sich die Verwendung des indikativischen Modus bei indirekten Fragesätzen: Ganz gleich, ob es sich um einen se-Komplementsatz oder um einen wh-Komplementsatz handelt, in allen Fällen wird der Indikativ verwendet. Die sich im Mittelfranzösisch herauskristallisierende Lösung wird auch im 16. Jahrhundert fortgeführt, wie die Beispiele zeigen: –– ne savoir se: (286) «Et aussi ne sai ge pas bien se L. Cornelius, dictateur, aveuques L. Papirius le coureeur, mestre des chevaucheurs, fu cilz qui fist les choses dessus dites a Caudie et puis a Lucerie.» (Pierre Bersuire, les decades de Titus Livius I, 9/1354).
–– ne savoir quant: (287) «Je ne sai mais qant je retournerai.» (Jean Froissart, Chroniques, 1400, 807, chap. CCXLVI)
–– ne savoit que: (288) «[...] ne l’un ne savoit que l’autre estoit devenu, et furent si menez que chascun d’eulx cuidoit bien estre asseür de mourir, [...].» (Berinus T. 1/1350, 37s.) (289) «Il ne sçait que tel monnoye vault.» (Anonyme, La Farce des théologastres, 1528, 89) (290) «Si c’est un enfant qui juge, il ne sçait que c’est.» (Michel de Montaigne, Essais: t.1 (livres 1 et 2)/1592, 504, livre second, chap. XII, apologie de Raimond Sebond)
Lediglich in der modalen Lesart finden sich im Mittelfranzösischen noch Sätze mit geeignetem Modalverb, das zugleich im konjunktivischen Modus steht, wie auch das folgende Beispiel zeigt: (291) «Ne il savoit que il peüst faire ne dire (...).» (T. Berinus, 1/1350, 405s.)
Wie wir gesehen haben, verschwindet der Konjunktiv bis zum Mittelfranzösischen selbst im verneinten indirekten Fragesatz. Das Nichtwissen über das Denotat an einem Index a ist also kein hinreichender Grund mehr für eine Markierung durch den Konjunktiv. Einzige Ausnahme bleiben solche indirekten Fragesätze (insbesondere mit que), die modal – also an einem nicht-aktuellen Auswertungsindex – zu interpretieren sind. Allerdings zeichnet sich auch hier eine Entwicklung von der Markierung durch den Modus zu einer lexikalischen Explizitmachung durch die semantisch spezifischeren Modalverben ab. Jedoch gibt es eine lange Übergangsphase der zweifachen Markierung, die vor allem charakteristisch für die mittelfranzösische Epoche ist. Insgesamt aber deutet sich eine endgültige Verdrängung konjunktivischer Morphologie aus dem indirekten Fragesatz, so wie er aus dem Lateinischen vererbt worden war, an: Dieser Prozess vollzieht sich in den in diesem Kapitel skizzierten Etappen.
285
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
2.7 D ie Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen 2.7.1 Das Prädikat credere In diesem vergleichenden Unterkapitel soll das Augenmerk auf die Verhältnisse im Italienischen gerichtet werden, die sich grundlegend in zweierlei Hinsicht vom Französischen unterscheiden: Zum einen teilten sich von Anfang an lediglich zwei Hauptprädikate, credere und pensare, die epistemische Domäne auf. Zum anderen erhielt sich hier weitgehend das differenzierte Modussystem im Bereich der Epistemizität, während es im Französischen – wie wir gesehen haben – schrittweise abgebaut wurde. Auch für das Italienische sollen zunächst die allgemeinen Tendenzen und Entwicklungslinien der Modusverteilung aufgezeigt werden, so wie sie sich aus einer Längsschnittanalyse von Texten des LIZ-Korpus herauskristallisieren. Nach dieser zunächst quantitativen Annäherung an die Distribution der Verbalkategorien in Komplementsätzen werden dann im Weiteren grundlegende semantische Aspekte und Faktoren in einer qualitativen Analyse freigelegt. Wenden wir uns aber zunächst den quantitativen Aspekten zu: Die auf Grundlage des LIZ-Korpus erarbeitete Synopse über das Vorkommen der unterschiedlichen Verbalkategorien nach credo und crede von der Wende zum Trecento (Dante, Convivio) bis hin zum 20. Jahrhundert (Pirandello) birgt einige interessante Einsichten: Tabelle 21: Die Verteilung der Verbalkategorien nach credo che 1300
1400
1500
1600
1700
1800
1900
Gesamt
SUBI
17
16
6
18
5
4
10
76 (13,6%)
SUBP
38
36
57
76
47
13
54
321 (57,3%)
IND
6
9
3
0
4
4
11
37 (6,6%)
FUT
8
8
5
17
7
5
9
59 (10,5%)
COND
7
1
5
22
6
6
10
57 (10,2%)
homonym
4
2
1
1
1
1
10 (1,8%)
286
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 22: Die Verteilung der Verbalkategorien nach crede che 1300
1400
1500
1600
SUBI
2
4
2
3
SUBP
6
5
6
5
1700
1800 1
9
11
COND
1 1
Gesamt 12 (13,5%)
20
62 (69,7%)
2
2 (2,2%)
1
6
8 (9%)
1
3
5 (5,6%)
IND FUT
1900
Im intertemporalen Durchschnitt erzielt der Subjonctif einen Anteil von ca. 71% (davon der Congiuntivo Presente 57,3% und der Congiuntivo Imperfetto 13,6%). Dieser hohe Anteil hält sich bis zum 20. Jahrhundert – auch hier beläuft sich der Prozentsatz konjunktivischer Verbalformen auf 67,36%. Lediglich der Indikativ – ohne das Condizionale und das Futuro, das wir gesondert betrachten wollen – gewinnt seit dem 18. Jahrhundert offenbar leicht an Terrain. Das Futur sowie das Konditional halten sich etwa auf einem konstanten Niveau von jeweils etwas über 10%. Die Modusverteilung hätte sich also – abgesehen von einem geringfügigen Indikativzuwachs – praktisch in dem literarischen Korpus seit dem ausgehenden Duecento stabil gehalten. (Und selbst die leichte Verschiebung zugunsten des Indikativs ließe sich gut mit dem stärker an der Mündlichkeit orientierten Charakter der Texte aus dem 20. Jahrhundert – besonders den weit überrepräsentierten Theaterwerken von Italo Svevo und Luigi Pirandello – erklären). Mit einem Verhältnis von mehr als 1:2 (= 70,4%) zugunsten des Congiuntivo ist der konjunktivische Charakter der Komplementsätze in Verbindung mit credo noch deutlich ausgeprägter als bei dem hinsichtlich seines Modusprofils am nächsten kommenden quit/cuit des altfranzösischen epistemischen Systems (mit ca. 59% konjunktivischen Formen, etwas schwächer hingegen bei croi mit ca. 51,8%). Im Altfranzösischen sind zudem indikativische Kontexte wesentlich häufiger – mit ca. 38,8% (21,6% ohne Futur und Konditional) bei quit/cuit und 47,5% (bzw. 25,9%) bei croi – als bei credo (lediglich 6,6% im intertemporalen Durchschnitt). Die Verwendung des Futurs sowie des Konditionals ist etwas ausgeprägter bei credo (10,5% bzw. 10,2%) als bei quit (9%
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
287
bzw. 8,2%), jedoch vergleichbar mit der Verteilung bei croi (mit 11,9% bzw. 10,2%). Diese Unterschiede im kategorialen Profil der epistemischen Prädikate zeigen, dass die Verhältnisse im Altfranzösischen – selbst bei cuidier – keineswegs mit denen im Italienischen gleichzusetzen sind oder anders ausgedrückt: dass selbst im Altfranzösischen die Korrelation von cuidier mit dem Konjunktiv schwächer ausgebildet war als die von credere innerhalb des italienischen Sprachsystems. Dieser Befund bedeutet aber nichts anderes als dass das Modussystem in der Domäne der Epistemizität im Italienischen anderen Prinzipien folgen muss als im Altfranzösischen. Ein ganz eigenes Profil weist auch die Kategorienverteilung bei crede auf: Von marginalen Abweichungen einmal abgesehen, scheint hier bis zum 20. Jahrhundert der Congiuntivo praktisch «automatisch» verwendet worden zu sein. Diese Verteilung ähnelt – anders als die bei credo – dem Kategorienpanorama, das für die dritte Person cuide/cuident und weitgehend auch für croit/croie im Altfranzösischen kennzeichnend war. Seit dem Novecento dringen jedoch das Futur sowie das Konditional vor, die scheinbar eine Vorreiterfunktion für die Erschließung der Indikativdomäne besitzen. Allerdings dürfte auch hier wieder der stärker mündliche Charakter einer Vielzahl literarischer Texte des LIZ- Korpus, die das 20. Jahrhundert repräsentieren, ausschlaggebend sein. Die angedeutete Grundtendenz wird auch im Bereich der Vergangenheitstempora von credere (1. Person: credevo/credeva, 3. Person: credeva sowie 3. Person des Passato Remoto: credette) bestätigt: Bis zum Novecento kann – sieht man von der besonderen Verwendung des Condizionale bei Manzoni einmal ab – ebenfalls von einer faktischen «Automatik» des Konjunktivgebrauchs gesprochen werden. Daran ändert sich auch nur wenig im 20. Jahrhundert. Bezeichnenderweise erscheint das Condizionale als die Kategorie, die am ehesten dazu bestimmt ist, das Prinzip einer «Modusautomatik» zu durchbrechen. Wir werden bei der qualitativen Analyse des Kategoriensystems auf diese besondere Funktion des Konditionals zurückkommen.
288
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Tabelle 23: Die Modusverteilung bei credevo/crede(v)a/credette che
SUBI
1300
1400
1500
1600
1700
5/19/6
3/3/2
3/13/6
3/5/0
2/14/2
1800
1900
Gesamt
8/18/13 8/28/11
172 (84,3%)
0/0/1
1 (0,5%)
1/1/0
1/2/1
8 (3,9%)
3/8154/0
4/1/2
SUBP IND
0/1/0
0/0/1
FUT
(0,0%)
COND
0/1/0
0/0/1
0/1/2
23 (11,3%)
154 Betrachtet man die diachronen Belege für die Verwendung von credo mit dem Konjunktiv Präsens, so fällt auf, dass normbildende Autoren wie der sich stark an der lateinischen Syntax orientierende Boccaccio sowie sein Apologet Bembo, aber auch der – wie wir sehen werden – einem «logischen» Modusmodell verpflichtete Galilei ausschließlich auf ein System rekurrieren, das zwischen den Congiuntivo-Formen (Präsens und Imperfekt Konjunktiv) und dem Condizionale/ Futuro differenziert, den einfachen Indikativ (Präsens und indikativische Vergangenheitsformen) jedoch systematisch ausspart. Wir wollen im Folgenden nun dieses – idealtypische – Grundsystem charakterisieren und beginnen mit der ersten und quantitativ bedeutendsten Komplementsatzkategorie, dem Congiuntivo Presente: So verwenden die Sprecher selbst in Kontexten, in denen sie gute – ja sogar direkte visuelle – Evidenz für ihre Überzeugung anbringen können, den Konjunktiv. In dem ersten Beispiel kann jeder, der die Überzeugung, dass p vertritt, auf einen sichtbaren Beweis («l’elmo per mezo era partito»), ja sogar auf eine direkte Bekanntschaftsrelation mit der res («ciascadun che l’ha nel viso scorto») verweisen – und trotzdem selegiert credere einen konjunktivischen Komplementsatz: (292) «Ogni om crede di certo che ’l sia morto, Perché l’elmo per mezo era partito, E ciascadun che l’ha nel viso scorto, Giura che il spirto al tutto se n’è gito.» (Boiardo, Orlando, Libro primo, 62)
154 Cf. v.a. die Konditionalverwendungen bei Manzoni.
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
289
Aussagekräftig ist auch der nächste Textausschnitt aus Galileis Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze, weil der Autor eine These p aufstellt, deren Richtigkeit er im Weiteren auf der Grundlage deduktiv hergeleiteten Wissens erweist: (293) «[...] continuar la divisione e col multiplicar la moltitudine delle parti, di avvicinarsi alla infinità, credo che sempre più se n’allontani: e la mia ragione è questa. Nel discorso avuto poco fa concludemmo, che [...].» (Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze)
Auch die Stärke einer Überzeugung spielt – anders als bei den skalar angeordneten epistemischen Verben und ihren Modifikationsmöglichkeiten im Altfranzösischen – keine Rolle für die Moduswahl. So kann trotz adverbialer Bekräftigung (fermamente) in dem Boccaccio-Beispiel (Decameron) offenbar kein Kategorienwechsel zugunsten des Indikativs herbeigeführt werden: (294) «Io credo fermamente che ciò che egli v’ha detto gli sia intervenuto e abbial fatto.» (Boccaccio, Decameron, Giornata VII, novella 8)
Die zitierten Beispiele machen deutlich, dass – im idealtypischen Modell – credere stets als ein doxastisches Prädikat erscheint, dessen zentrale Funktion darin besteht, in das doxastische Modell eines Individuums einzuführen, in sogenannte centered worlds, d.h. in Welten, die zunächst einmal nur dem Matrixsatzsubjekt selbst zugänglich sind. Dabei ist die Tatsache zweitrangig, dass für eine bestimmte de re-Überzeugung sogar gute Evidenz vorgebracht werden kann. In den zitierten Textpassagen wird interessanterweise gerade auf den spezifischen (sui generis)-Status doxastischer Modelle im Verhältnis und sogar im Gegensatz zu epistemisch qualifizierteren Informationszuständen abgehoben: Beispielsweise wird in dem ersten Beispiel das Indiz («l’elmo per mezo partito») gegenüber der direkten Inaugenscheinnahme der res («scorgere nel viso») abgestuft, in dem Galilei-Beispiel der Behauptungsteil, in dem die These formuliert wird (credo che p), gegenüber dem Beweisteil (Deduktionsverfahren) abgesetzt. Einige Autoren weichen jedoch punktuell von diesem idealtypischen Modell ab: Dante, der grundsätzlich einem noch weniger fixierten Modusmodell anhängt, verwendet beispielsweise den Indikativ in den folgenden, ganz parallelen Kontexten: (295) «Allor surse a la vista scoperchiata un’ombra, lungo questa, infino al mento: credo che s’era in ginocchie levata. Dintorno mi guardò, come talento avesse di veder s’altri era meco» (Dante, La divina commedia, canto X) (296) «E io: Ciò n’appar qua sù diverso credo che fanno i corpi rari e densi» (Dante, Divina commedia, Paradiso, canto II)
290
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
In beiden Fällen fungiert die Aussage p als plausible Erklärung für einen empirisch zugänglichen Sachverhalt. Damit wird zwar p selber nicht bewiesen, erlangt jedoch einen völlig anderen Status: p ist kein demonstrandum in einem Evidenzierungsverfahren, sondern selber explicans für einen sichtbaren Sachverhalt. Es gilt also nicht: p (x glaubt p), weil q, sondern umgekehrt: q (q manifestiert sich), weil p. So widerspricht die Verwendung des Indikativs überhaupt nicht dem idealtypischen Modusmodell: p wird hier nämlich gar nicht als Komponente des doxastischen Systems profiliert, sondern es ist einfach explicans in einem kausalen System – ganz unabhängig übrigens von seiner wissenschaftlichen Qualität. Auch Pulci gehört zu den wenigen Autoren vor dem 20. Jahrhundert, die in bestimmten Kontexten entgegen dem Standardmodell auf eine indikativische Kategorie – jenseits von Futur und Konditional – zurückgreifen. Schaut man sich die verschiedenen Verwendungsbeispiele an, so gewinnt man den Eindruck, dass Pulci in diesen Kontexten credo che ausschließlich als Höflichkeitstopos zur Abmilderung eines Assertionsaktes verwendet, d.h. die Funktion des epistemischen Prädikats rein stilistisch-modalisierender Natur ist. Wir zitieren zwei repräsentative Beispiele (in dem ersten Beispiel enthält p sehr präzise Angaben zur Person, im zweiten wird p in eine Ereignissequenz eingeordnet): (297) «credo che ‘l terzo anco era cavalieri, Dodon chiamato, figliuol del Danese.» (Pulci, Morgante, Cantare settimo) (298) «parve rimaner sì solo che non poté mai più dimenticarlo: credo che questo fu l’ultimo duolo; e non voleva sentir ricordarlo, come fa il padre che perde il figliuolo [...].» (Pulci, Morgante, Cantare ventesimottavo)
Abgesehen von wenigen Einzelbelegen hier und da, lassen sich erst wieder ab dem 20. Jahrhundert systematische Indikativverwendungen nach credo che nachweisen. Hier sind insbesondere die Komödien von Italo Svevo sowie (mit einer sehr viel geringen Frequenz) die Stücke Luigi Pirandellos zu nennen, die – wie schon erwähnt – der konzeptionellen Mündlichkeit verpflichtet sind, was sich unter anderem auch an der pragmatischen Funktion von credo che zeigt. Dieses fungiert hier als reiner Modalisator von Assertionen, um deren kategorischen Charakter im Rahmen einer kooperativen Sprecher-Hörer-Beziehung etwas abzumildern. Beispielsweise relativiert der formelhafte Gebrauch von io credo che den Widerspruchscharakter von p ein wenig: (299) «LORENZO. Per forza? ELVIRA. Io credo che in un solo mese con questo metodo è arrivato a sconvolgerle la testa. Era inutile che io le dicessi [...].» (Svevo, Commedie: Le teorie del conte Alberto, 1. Akt, 3. Szene)
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
291
Kommen wir zum Congiuntivo Imperfetto in der Geschichte des Italienischen und seinem Funktionsspektrum: Der Congiuntivo Imperfetto tritt in unterschiedlichen Kontexten auf und verhält sich, wie wir im Verlauf des Kapitels zeigen wollen, funktional – zumindest teilweise – deutlich anders als der Subjonctif Imparfait im Alt- und Mittelfranzösischen. Ein erster Vorkommenskontext bringt schon eine entscheidende Differenz ans Licht: In Abhängigkeit von einer Präsensform des doxastischen credere impliziert der Congiuntivo Imperfetto nicht – wie im Alt- und Mittelfranzösischen – grundsätzlich Kontrafaktizität. Vielmehr kann durch die Form auch ein vergangener Sachverhalt p im doxastischen Modell des Matrixsatzsubjekts verankert werden, wodurch noch nicht entschieden ist, ob p nicht auch an einem vergangenen Index vor dem Sprechzeitpunkt t0 in der aktuellen Welt verortet werden kann, d.h. die dem Individuum doxastisch zugänglichen Welten sich möglicherweise mit den Welten des gemeinsamen Redehintergrundes überlappen (bzw. die Schnittmenge der jeweiligen Auswertungsindizes nicht die leere Menge ist). Kennzeichnend hierfür ist beispielsweise ein Beleg aus Boccaccios Decameron – in (300) berichtet der Erzähler über eine Folge von Ereignissen, die er unter einen doxastischen Vorbehalt stellt: (300) «[...] io le diedi in prima di molte pugna, poscia, presala di peso, credo che io la portassi presso ad una balestrata, e pur convenne, sì feci, che ella ne venisse con noi.» (Boccaccio, Decameron, Giornata ottava – Novella nona)
Dante äußert in seiner Schrift Convivio eine Vermutung, die er entsprechend kennzeichnet: (301) «[...] però che la sua sentenza non si truova cotale ne l’una translazione come ne l’altra. E credo che fosse lo errore de li translatori.» (Dante, Convivio, Trattato secondo, cap. XIV)
Diese Kombinatorik von credo und dem Congiuntivo Imperfetto ist nicht auf die älteren Texte beschränkt. Es lassen sich bis zum 20. Jahrhundert immer wieder einzelne Belege finden, so beispielsweise bei Volpi: (302) «credo che dipendesse l’intento dal modo ch’ei tenea nell’usarla.» (Volpi, del furore d’aver libri, Stichwort: rappezzare)
Parallel zum Alt- und Mittelfranzösischen tritt auch der Congiuntivo Imperfetto vielfach in kontrafaktischen Kontexten auf, bei denen credo im Skopus des Negationsoperators steht (non credo che). Wie auch im Französischen sind diese Strukturen das Resultat einer Negationsanhebung (NEG-raising), durch die der Sprecher seiner festen Überzeugung, dass ¬p der Fall ist, ihre Schärfe nehmen möchte. Gerne verstärken die Autoren den kontrafaktischen Charakter von p
292
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
durch die oben schon behandelten negativen Polaritätselemente (etwa durch mai, giammai, nessuno). (303) «[...] dove io non credo che mai fosse alcuna di voi, e chiamavisi la Valle delle donne, né ancora vidi tempo da potervi quivi menare, se non oggi, [...]» (Boccaccio, Decameron, Giornata sesta, Conclusione) (304) «Simil non credo che Iason portasse al vello onde oggi ogni uom vestir si vòle, né ‘l pastor di ch’anchor Troia si dole; de’ qua’ duo tal romor al mondo fasse.» (Petrarca, Canzoniere, 225)
In den älteren Texten behält der Congiuntivo Imperfetto aber insofern ein temporales Moment, als er ausschließlich das Nichtzutreffen von p in einem Vergangenheitskontext, d.h. an einem – wie auch immer beschaffenen – Auswertungsindex (bzw. einer Menge von Indizes) vor dem Sprechzeitpunkt i0, anzeigt. Interessanterweise entfällt bei Galilei eine Verankerung der durch den Congiuntivo Imperfetto markierten Propositionen in einer präteritalen Tempusstruktur. So stellt der Physiker die Hypothese auf, dass vom Sprechzeitpunkt t0 ausgehend gerade ¬p der Fall ist – dass sich also nicht einmal vier Prozent der Laien nicht von einer optischen Täuschung leiten lassen: (305) «Ma nel proposito toccato adesso, veramente non credo che tra quelli che mancano di qualche cognizione di geometria se ne trovassero quattro per cento che non restassero a prima giunta ingannati, che quei corpi che da superficie eguali son contenuti, non fussero ancora in tutto eguali» (Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze)
In dem folgenden Beispielkontext realisiert sich die durch die Modusform gekennzeichnete Kontrafaktizität im Rahmen eines impliziten Bedingungssatzgefüges – und zwar in der Apodosis, wenn man von folgender Form ausgeht: [(cercare_paralogismi’(siimp’))] -> [¬(potere_trovare’(siimp’))]. (306) «SALV. Io non credo che a cercar tutti i paralogismi del mondo si potesse trovare il piú accomodato di questo per dare un esempio della piú solenne fallacia che sia tra tutte le fallacie, cioè di quella che prova ignotum per ignotius.» (Dialogo sopra i due massimi sistemi tolemaico e copernicano)
Das Consequens ¬p bezieht sich auf eine kontrafaktische Situation, die zum Sprechzeitpunkt und darüber hinausreichend besteht. Anders als die traditionellen Autoren profiliert Galilei den Congiuntivo Imperfetto in Negationskontexten ausschließlich als eine modale Form zur Signalisierung von Kontrafaktizität, die am Sprechzeitpunkt verankert ist und nicht an einem vergangenen Index. In letzterem Fall rekurriert er auf Perfektmorphologie wie in der folgenden Textpassage:
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
293
(307) «SIMP: […] che quando questo non fusse bastato, io non credo che Aristotele avesse pretermesso di insegnarci tutto quello che fusse mancato.» (Dialogo sopra i due massimi sistemi tolemaico e copernicano)
Die sich bei Galilei andeutende Entwicklungstendenz hin zu einer atemporal kontrafaktischen Interpretation des Congiuntivo Imperfetto in Negationskontexten, also die Einschreibung von p in von w0 aus nicht zugängliche Welten des «Antiuniversums», sollte sich nicht durchsetzen. Die temporale Verankerung an Vergangenheitsindizes bleibt auch in den darauf folgenden Jahrhunderten das Kennzeichen des Congiuntivo Imperfetto. Damit bleibt im Italienischen – ganz anders als im Alt- und Mittelfranzösischen – stets ein temporales Moment selbst in kontrafaktischen Kontexten im Congiuntivo Imperfetto präsent. Wie sieht nun das Zusammenspiel zwischen credo che und den Verbalkategorien Futur und Konditional aus? Die Kategorie Futur tritt bei praktisch allen Autoren auf und besitzt dabei stets die gleiche Grundfunktion. Man betrachte die nachstehenden Beispiele: (308) «Lo fren vuol esser del contrario suono; credo che l’udirai, per mio avviso, prima che giunghi al passo del perdono.» (Dante, Divina commedia, Purgatorio, canto XIII) (309) «ma io credo che egli se n’andrà tosto; e per questo non è ella potuta venire a te, ma tosto verrà oggimai» (Boccaccio, Decameron, Giornata ottava – Novella settima) (310) «Inteso sin qui, non credo che voi porrete difficoltà in ammettere che i due prismi AD, DB facciano l’equilibrio dal punto C, perché la metà di tutto ‘l solido AB è alla destra della sospensione C, [...].» (Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze)
Die Assertion von p besitzt in den Beispielen den Charakter einer Prognose bzw. einer Antizipation. Die Geltung von p wird für einen nach der Sprecherorigo liegenden Auswertungsindex i0+i statuiert, an dem die Verhältnisse – nach allem, was von t0 aus realistischerweise vorausgesagt werden kann – denjenigen zum Sprechzeitpunkt sehr ähnlich sind. In diesen futurischen Kontexten fokussiert credo also nicht auf die spezifische Zugänglichkeitsrelation zwischen internem Anker und den durch p determinierten Welten. Es wird vielmehr die Tatsache salient, dass der Sprecher glaubt, für die Wahrheit von p bürgen zu können – etwa, weil er Einfluss auf die Realisierung von p hat oder weil p in w0 schon angelegt ist: Im GalileiBeispiel etwa ergibt sich p als Resultat eines einsichtigen Deduktionsverfahrens. Der Sprecher muss sich in diesen Kontexten mithin zwischen zwei Konzeptualisierungsalternativen entscheiden: Wählt er das Futur, so ist die Proposition p vor dem Hintergrund einer realistischen modalen Basis zu interpretieren – d.h. p lässt sich, nach allem, was der Sprecher zum Sprechzeitpunkt über die Verhältnisse in seiner Bezugswelt weiß, aufgrund eines geeigneten Inferenzverfahrens (zum Beispiel eines Induktionsschlusses oder eines Deduktionsverfahrens) voraussagen.
294
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Wählt er hingegen den Congiuntivo, so wird p vor einer doxastischen modalen Basis ausgewertet, d.h. zu dem Wissen des Sprechers kommt als besonderes Moment die exklusive Zugänglichkeitsrelation des internen Ankers zu den p-Welten hinzu. Das Condizionale wird im Rahmen von expliziten oder auch impliziten Bedingungssatzstrukturen verwendet. Im letzteren Falle lassen sich sogenannte Bedingungen der sinnvollen Behauptbarkeit formulieren, die am Index i0 gerade nicht gelten, mithin die Differenz zwischen der Welt am Äußerungsindex i0 und einer distanten Welt am Index i’ ausmachen. Auf Konditionalsatzstrukturen bzw. das Konditional als Verbalkategorie werden wir in Kapitel 4 ausführlich zu sprechen kommen. An dieser Stelle soll nur auf den Umstand hingewiesen werden, dass die Proposition p an Zeit-Welt-Indizes verankert wird, an denen eine oder mehrere an i0 nicht geltende Bedingung(en) vorherrschen – p folglich mit Welten assoziiert ist, die anders als dies beim Congiuntivo Imperfetto der Fall ist, mögliche, also von w0 aus (metaphysisch) zugängliche Welten sind, d.h. Welten mit Indizes im 1. (Condizionale I) und 2. Quadranten (Condizionale II) des Zeit-Welt-Koordinatensystems. Wenn also auch am Index i0 ¬p gilt, so ist die Realisierung von p nicht grundsätzlich ausgeschlossen, obwohl – dies der skalare Hintergrund der Bedingungssatzstruktur – die Wahrscheinlichkeit von p (anders als bei indikativischen Bedingungssätzen) nicht besonders hoch ist. Mit anderen Worten: die Indizes weisen w0-distante Ordinaten-Werte für die Weltvariable auf. Wir führen je einen Beleg für eine explizite bzw. eine implizite Bedingungssatzstruktur an: –– Explizite Bedingungssatzstruktur: SI p (se giammai il saprà), dann sollte auch q (mio padre vorrebbe il simigliante) eintreten: (311) «– Io vorrei bene che così fosse stato più tosto che avere avuta la vita la quale avuta ho, e credo che mio padre vorrebbe il simigliante, se giammai il saprà –» (Boccaccio, Decameron, Giornata seconda – Novella settima)
–– Implizite Bedingungssatzstruktur: implizite Bedingung: volendo insegnare Carlo […] (312) «E credo che sarebbe utile ancora che si mettessi per Parigi un bando, che chi sapessi ove Carlo dimora, o vivo o morto, lo venga insegnando» (Pulci, Morgante, Cantare decimoprimo)
Kurz ist auch auf die für das Prädikat credere charakteristische Tilgung des Komplementierers, die sogenannte che-Deletion, einzugehen. Wanner (1981) hat in einem immer noch aktuellen Beitrag die Komplementtilgung als ein syntaktisches Oberflächenphänomen charakterisiert,155 das im Trecento und Quat-
155 Wanner (1981, 76) resümiert: «The deletion of che clearly is a superficial phenomenon,
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
295
trocento keineswegs auf epistemische Prädikate beschränkt war, sondern auch sonstige Komplementsatz- und sogar Relativ- und Vergleichssatzstrukturen erfassen konnte, seit dem Cinquecento aber im Zuge eines Standardisierungsprozesses stark an Relevanz einbüßte. Mithilfe einer Recherche im LIZ-Korpus haben wir versucht, das Phänomen der che-Tilgung statistisch zu erfassen. Zunächst zeigt sich bei der Auswertung der elliptischen Kontexte, dass die che-Tilgung überwiegend bei credo, seltener bei si crede sowie den Vergangenheitsformen credevo und si credeva zu beobachten ist. Von besonderem Interesse scheinen uns die diachrone Verteilung des Phänomens sowie die Korrelation zwischen che-Tilgung und bestimmten Verbalkategorien zu sein. Man vergleiche die beiden folgenden Übersichtstabellen: Tabelle 24: Che-Deletion bei credere-Formen (credo, credevo, si crede, si crede(v)a) vom 14.–20. Jh. 1300
1400
1500
2
7
5
SUBP
33
8
1
10
22
IND
10
2
1
1
1
19
3
15
1
84
19
SUBI
FUT
1
COND
1600
1700
1800
1900
3
3
8
1
1 3
homonym gesamt
3
2
15
4
34
1700
1800
1900
3
1
2
Tabelle 25: Diachrone Verteilung der che-Deletion bei credo + ∅ 1400
1500
SUBI
1300
6
2
SUBP
33
8
1
10
22
IND
10
2
1
1
1
19
3
15
1
83
16
FUT
1
COND
1600
1
1 3
Homonym Gesamt
1
2
15
2
28
guided by a number of heterogeneous conditions on string constituency, sequence of elements, ease of perception, individual and conventional choice of style level, and thus controlled, among other forces, by external inference and prescription within the speech community».
296
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Der diachrone Längsschnitt zeigt deutlich, dass die Tilgung von che insbesondere eine stilistische Erscheinung des Quattrocento war. Vor allem in den Schriften Albertis und in Pulcis Morgante wimmelt es nur so von elliptischen Konstruktionen. Aber auch bei anderen Autoren (wie etwa Cosimo Medici und Sannazaro) finden sich genügend Belege. Im Cinquecento nimmt dagegen die Häufigkeit des Phänomens wieder deutlich ab (immerhin finden sich eine Reihe von Beispielen bei Machiavelli und Castiglione), um bei Goldoni im Settecento – wohl im Rahmen seiner stärker an der Mündlichkeit orientierten Komödien – wieder etwas häufiger aufzutreten. Besonders in den Bühnenwerken Svevos und Pirandellos findet sich im 20. Jahrhundert eine Vielzahl von Belegen. Berücksichtigen wir zusätzlich die Kombinatorik mit den verschiedenen Verbalkategorien, so können wir bei aller Vorsicht gegenüber vorschnellen Verallgemeinerungen (zumal in Anbetracht des sehr heterogenen Charakters der Texte des LIZ-Korpus) immerhin so viel sagen: Abgesehen vom Quattrocento verteilen sich die Kategorien bei che-Tilgung nicht anders als bei credo che. Allerdings fällt doch für das 15. Jahrhundert (dem Höhepunkt der Erscheinung) ein deutlich geringerer Anteil an Konjunktivformen sowie eine Überrepräsentation der Kategorien Futur und Konditional auf (22,6% bzw. 17,86% gegenüber 11,1% und 1,4% bei credo che). In diesen Beispielkontexten befindet sich credo + ø überwiegend in parenthetischer Stellung und dient vor allem der Modalisierung einer Assertion, die entweder eine Prognose (Kategorie: Futur) oder eine Hypothese (mit dem Konditional) aufstellt. (313) «ora, perché la masserizia si dice essere utilissima a ben godere le ricchezze, in questo terzo libro troverrai descritto un padre di famiglia, el quale credo ti sarà non fastidioso leggere» (Alberti, I libri della famiglia: Proemio del Libro terzo) (314) «Se già a voi, il quale vi dilettate abitare in Vinegia, quella una terra non vi paresse in tutte queste meno che l‘altre viziosa; certo credo sarebbe difficile trovarla.» (Alberti, I libri della famiglia: Libro tertius familie: economicus)
Die Modusverhältnisse bei crede che und credevo che brauchen nicht mehr eigens charakterisiert zu werden: Bis zum Novecento dominiert die modale Interpretation vor dem Hintergrund eines doxastischen Modells, was den quasi-automatischen Gebrauch des Konjunktivs erklärt. In dem folgenden – typischen – Beispiel richtet sich die Überzeugung des kollektiven internen Ankers (si crede) auf die Verhältnisse zu einem Zeitpunkt (bzw. in einem Zeitintervall) in der Vergangenheit: (315) «[...] e avendo prospero vento, tosto in Cicilia pervennero, dove con tanta festa da Arrighetto tutti parimente, è figliuoli e le donne, furono in Palermo ricevuti, che dire non si potrebbe giammai: dove poi molto tempo si crede che essi tutti felicemente vivessero, e, come conoscenti del ricevuto beneficio, amici di Messe Domeneddio.» (Boccaccio, Decameron, Giornata seconda – Novella sesta)
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
297
Im 20. Jahrhundert verbinden sich crede sowie die Vergangenheitsformen von credere bisweilen mit dem Futur bzw. dem Konditional. Die Auswahl der Kategorien sowie ihre Alternation lässt sich jedoch nicht mit dem Wahrheitswert von p erklären. So ist in den beiden folgenden Textpassagen der von p beschriebene Sachverhalt einmal – wie im ersten Beispiel – eingetreten (p = 1 zum Sprechzeitpunkt t0), im zweiten Beispiel jedoch nicht. In beiden Kontexten wird aber unterschiedslos das Condizionale verwendet: (316) «Se io fossi medico, lo ammazzerei! Per carità di prossimo... Gli fanno fare il tornio nel cortile... e lui crede che guarirà!» (Pirandello, La toccatina, 1) (317) «SILVIO. Sei tu ? (Con slancio). Ah! Sei tu! Sei venuta finalmente! Non ti aspettavo piú. Dopo quanto m’aveva detto Alfonso non credevo che saresti venuta. Avevo dato ordine a Luigi di fare i miei bagagli.» (Svevo, Commedie, La verità) (318) «Io credevo che Ada sarebbe ritornata a casa dopo qualche mese come la prima volta. Ma essa, senza passare per Trieste, si recò invece a soggiornare in una villetta sul Lago Maggiore ove poco dopo Guido le portò i bambini.» (Svevo, La coscienza di Zeno)
Entscheidend scheint in beiden Kontexten die prospektive Lokalisierung von p im Rahmen einer temporalen Ordnungsstruktur zu sein, so wie wir dies weiter oben für die Form credo + Futur beschrieben haben. Das Condizionale ist in diesem Zusammenhang die adäquate Markierung für eine Proposition, die im Skopus des Vergangenheitsoperators P steht: hier «vererbt» sich das P-Merkmal auf den Komplementsatz im Rahmen der consecutio temporum: P[F(ritornare_a_casa’ (Ada’))]. Insgesamt hat sich die starke Korrelation zwischen dem Konjunktiv und dem besonderen Hintergrund einer doxastischen modalen Basis auch im 20. Jahrhundert sprachgeschichtlich fortgeschrieben. Zwar mag Schneiders Studie zum gesprochenen Italienisch ein wenig den Eindruck eines tiefgreifenden Erosionsprozesses in der Gebrauchsnorm erwecken, jedoch zeigt eine neuere empirische Studie Loengarovs (2003) nicht nur die Vitalität des Congiuntivo in doxastischen Kontexten,156 sondern die Funktionstüchtigkeit eines zugrundeliegenden modalen Differenzierungssystems, das letztlich auf der von uns ausführlich beschriebenen Zugänglichkeitsproblematik beruht, also die kategoriale Selektion davon abhängig macht, ob das Individuum glaubt, den de re-Charakter seiner Überzeugung durch geeignete Evidenz bzw. Evidenzierungsverfahren auch glaubhaft machen zu können.157
156 Cf. die zusammenfassende Übersichtstabelle über die empirischen Ergebnisse in Loengarov (2003, 187). 157 Cf. die Hauptthese Loengarovs (2003, 195): «Se il locutore basa il suo giudizio su argomenti che considera come validi o che sono comunemente accettati, utilizzerà più facilmente l’indica-
298
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
2.7.2 Das Prädikat pensare Auch dem Prädikat pensare wollen wir uns zunächst über eine quantitative Interpretation der Kategorienselektion nähern: Zunächst fällt auch im Italienischen der deutlich geringere Anteil von pensare an der Vorkommensgesamtheit epistemischer Verben auf. Aufgrund seiner – im Verhältnis zu credere – deutlich geringeren Frequenz sollte man bei Generalisierungen auf statistischer Grundlage Vorsicht walten lassen. Versucht man eine Tendenz aufgrund der Verteilung der Verbalkategorien im diachronen Längsschnitt herauszufiltern, so fällt auf, dass bei pensa che offenbar immer schon indikativische Kategorien überwogen und sich diese Tendenz im 20. Jahrhundert noch verstärkt hat. Bei penso che hingegen ist die Tendenz zum Indikativ weniger stark ausgeprägt, bis zum Settecento scheint hier sogar der Konjunktiv deutlich dominanter gewesen zu sein. Offenbar hat sich seit dem 19. Jahrhundert eine Wendung hin zum Indikativ angebahnt. In den Vergangenheitstempora scheint bis zum Seicento fast ausschließlich der Congiuntivo Imperfetto verwendet worden zu sein. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert setzt sich aber auch hier der Indikativ immer mehr durch, wobei sich die Stabilisierung eines ternären Systems mit den Kategorien Congiuntivo Imperfetto-Indicativo-Condizionale abzeichnet. Tabelle 26: Die Verteilung der Verbalkategorien nach penso che 1300
1400
1500
1600
SUBI
2
7
6
SUBP
6
15
9
IND FUT COND Homonym
3
2
4
3
1
1700
1800
1900
gesamt
5
20 (18%)
3
1
9
43 (38,7%)
2
6
14
22 (19,8%)
4
2
2
17 (15,3%)
4
8 (7,2%)
1
1 (0,9%)
tivo, mentre l’espressione di un’idea personale senza giustificazione esplicita o implicita si farà piuttosto al congiuntivo».
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
299
Tabelle 27: Die Verteilung der Verbalkategorien nach pensa che 1300 SUBI
1400
1500
1600
1700
1800
1900
2
SUBP
2
4
IND
3
5
FUT
gesamt 2 (4,3%)
2
1 2
1
3
13 (27,7%)
3
11
24 (51,1%)
4
5 (10,6%)
1
3 (6,4%)
1
COND
2
Tabelle 28: Die Verteilung der Verbalkategorien nach pensavo/pensava/pensò che
SUBI
1300
1400
0/2/3
1/3/11
SUBP IND
1500 1600 1700 0/8/14
1800
1900
Gesamt
1/5/3
5/6/10
72 (34,1%)
0/0/3 0/0/1
3 (1,4%)
0/0/1
0/0/2
0/1/0
0/1/0
1/18158/22 2/6159/22
FUT COND
75 (35,5%) (0,0%)
0/18/16
7/8/10
61 (28,9%)
158 159 Versuchen wir nun eine Charakterisierung der verschiedenen Korrelationen: Die bis zum 19. Jahrhundert weitgehend parallele Kategorienverteilung bei credo und penso deutet darauf hin, dass auch penso che überwiegend als ein doxastisches Prädikat interpretiert wurde. Wie bei credo che wird (wie in dem Zitat von Boiardo erkennbar) auch dann der Congiuntivo Presente verwendet, wenn sich plausible Argumente für die Überzeugung, dass p beibringen lassen: p (meglio sia tornare a dietro), da q (la rivera non si può passare), wobei q auf einer allgemeinen, auf
158 Davon 17 im Imperfetto. 159 Davon 5 im Imperfetto.
300
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
empirischer Beobachtung gegründeten Regel beruht (perché ciascuna ripa ha uno alto monte): (319) «Onde io mi penso che assai meglio sia Tornare a dietro e lasciar questa via; Ché la rivera non si può passare; Perché ciascuna ripa ha uno alto monte» (Boiardo, Orlando, Canto nono, 65)
Auch bei der Einschätzung eines vor dem Sprechzeitpunkt situierten Sachverhaltes p, die sich auf der Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen gründet (deduktiver Schluss) – cf. propositio maior: tutte le cose presso agli antichi sono di suprema eccellenzia, propositio minor: la pittura è cosa presso agli antichi, conclusio: anche la pittura è di suprema eccellenzia –, wird auf die entsprechende Congiuntivo-Form rekurriert: (320) «Per questo parmi la pittura più nobile e più capace d’artificio che la marmoraria, e penso che presso agli antichi fosse di suprema eccellenzia come l’altre cose» (Castiglione, Cortegiano, LII)
Ein ähnliches Beispiel finden wir bei Galilei, der in dem zitierten Beispielfall das Problem des Autoritätsarguments thematisiert. Der umfassendere Kontext verdeutlicht, dass penso che als synonymische Variante für credo che im Rahmen einer komplexeren Argumentation verwendet wird: (321) «Anzi, s’io devo liberamente dire il mio parere, credo assolutamente che nessun di costoro, né anco Ticone stesso, tanto accurato nel maneggiare strumenti astronomici, e che tanto grandi ed esatti, senza risparmio di spese grandissime, ne fabbricò, si sieno messi mai a voler prendere e misurare l‘apparente diametro d’alcuna stella, trattone il Sole e la Luna; ma penso che arbitrariamente, e come si dice a occhio, uno di loro de i più antichi pronunziasse la cosa esser cosí, e che i seguaci poi senza altro riscontro se ne sieno stati al primo detto: [...].» (Galilei, Dialogo sopra i due massimi sistemi tolemaico e copernicano)
Die verschiedenen Beispiele zeigen also, dass pensare im Verbund mit dem Congiuntivo (Presente oder Imperfetto) als doxastisches Prädikat interpretiert wird, das eine Proposition p in ein Glaubensmodell einschreibt, welches mithilfe des konjunktivischen Modus als a priori nur dem internen Anker zugänglich herausgestellt wird. In konditionalen Kontexten wird penso che hingegen gerne als parenthetisches Element in modalisierender Funktion verwendet: Es integriert sich dabei besonders problemlos in eine hypothetische (sogenannte «problematische») Bedingungssatzstruktur (cf. dazu Kap. 5): (322) «Questi adunque se vivuti fossero, penso che sariano giunti a grado [...].» (Castiglione, Cortegiano, Quarto libro, II)
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
301
Hinsichtlich der Futurgebräuche gilt das auch schon im Zusammenhang mit credo che Gesagte: ein bestimmter Sachverhalt wird jeweils im Rahmen einer zugrunde liegenden Zeitstruktur konzeptualisiert, wobei die zur Bewertung von p relevante modale Basis epistemischer Natur ist (das, was zum Sprechzeitpunkt bekannt ist) und nicht doxastischer (siehe oben): (323) «E penso che non sarà stato fastidioso a’ miei artifici l’aver udite queste lor vite e considerato le lor maniere e lor modi: [...].» (Cosimo Medici, Le vite, proemio della seconda parte delle vite) (324) «(...); nel qual caso, penso che, la grandine e l’acqua restassero come insensate e stolide tra le nugole, senza saper che farsi di loro» (Galilei, Dialogo sopra i due massimi sistemi, Giornata seconda)
Die starke Zunahme des Indikativs (neben dem Futur und dem Konditional) seit dem 19. Jahrhundert kann wohl nicht erschöpfend erklärt werden. Hier mag ein Wandel der Norm – insbesondere bei den stärker an der Mündlichkeit orientierten Textgattungen – ebenso eine Rolle gespielt haben wie eine stärker pragmastilistische Funktionalisierung von penso. Beispielsweise verwendet der Sprecher in Italo Svevos Roman La coscienza di Zeno penso che zur Modalisierung von Aussagen und nicht dazu, um eine Proposition p als Teil seiner Doxa auszuweisen: (325) «Ha lavorato e lavora per me, ma io non l’amo perché penso che mi ha impedito il lavoro che fa lui.» (Svevo, coscienza di Zeno, 3. Il fumo) (326) «Io penso che allora la sua ira fu aumentata al trovarsi – sebbene per un momento solo – impedito nei movimenti.» (Svevo, coscienza di Zeno, 4. Morte del padre)
Des Weiteren zeigt sich – parallel zum Französischen penser – ein erweiterter Gebrauch von pensare che zur Aktualisierung einer schon in das epistemische Modell inkorporierten Proposition. Dabei wird auf den etablierten Wissensbestand eines Subjekts referiert und insbesondere auf eine bestimmte Proposition Bezug genommen. Die Wahrheit von p wird in diesen Kontexten also präsupponiert: (327) «[...] tanti ragazzi che tornan dal lavoro, in mezzo a gruppi d’operai tutti stanchi ma allegri, che allungano il passo, impazienti di arrivar a casa a mangiare, e parlando forte, ridendo, e battendosi sulle spalle le mani nere di carbone o bianche di calce, e penso che hanno lavorato dallo spuntar dell’alba fino a quell’ora» (De Amicis, Cuore, Buoni propositi, 5 domenica) (328) «[...], e il povero vecchio pensava sempre che adesso suo nipote era dei soldati.» (Verga, I Malavoglia, cap. XIV)
302
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Auch hinsichtlich der Verteilung des Condizionale und des Congiuntivo Imperfetto lässt sich in Verbindung mit pensavo eine deutliche Verschiebung der Verwendungsregeln feststellen. So korreliert das Congiuntivo Imperfetto – anders als in den vorangehenden Jahrhunderten – mit der Präsupposition, dass p nicht wahr ist (Kontrafaktizität), wohingegen das Condizionale prinzipiell dann gewählt wird, wenn sich p vom Standpunkt des Sprechers aus (also an t0) als wahr erwiesen hat. Dies untermauern die folgenden Verwendungsbeispiele: –– pensavo che p (Präsupposition: p = falsch): Congiuntivo Imperfetto (329) «Ma non ceniamo ogni sera a quest‘ora! EMILA. Non c’era nessuno a casa ed io pensavo che avessero a cenare fuori. CARLA. Ah, sciocca! Quando non dico nulla, vuol dire che facciamo come ogni sera!» (Svevo, Il ladro in casa – Scene della vita borghese, II.1) (330) «Ragazzina, io pensavo che la vita avesse ad essere ben diversa per me.» (Svevo, Una commedia inedita – Scherzo drammatico in un atto, scena V) (331) «Non ch’io credessi dovesse finire cosí. Ero tanto buono io che pensavo che un po’ di bontà per me ci dovesse essere anche nel suo cuore. Non mi amava però» (Svevo, Con la penna d’oro, atto I, scena 9)
–– (Non) pensavo che p (Präsupposition: p = wahr): Condizionale (332) «Non mi spaventerò sai! Già in fondo la vera nostra riconciliazione sarà la morte! Allora tu comprenderai delle cose che finora non puoi capire! Io non pensavo mai che la stessa malattia che mi colse in tale modo m’ avrebbe anche rubata l’infermiera di cui avrò tanto, tanto bisogno.» (Svevo, La parola, scena settima) (333) «E nella mia disperazione quando pregavo Dio vi facesse assolvere, non immaginavo, non pensavo che Clara sarebbe rinata ma veramente qualche cosa di simile.» (Svevo, Un marito, atto I, scena ottava)
Womöglich deutet sich hier eine allmähliche Spezialisierung des Congiuntivo Imperfetto auf kontrafaktische Lesarten an – eine Hypothese, die allerdings anhand einer umfassenderen Detailstudie empirisch abgesichert werden müsste. Auffällig ist des Weiteren die starke Korrelation zwischen der Passato Remoto-Form pensò che und dem indikativischen Modus seit dem 19. Jahrhundert. Besonders bei Manzoni hat diese Verbindung geradezu systematischen Charakter. Betrachtet man die charakteristischen Verwendungskontexte, so bemerkt man, wie stark der aspektuelle – perfektivische – Wert der Form hierfür verantwortlich ist: Die Form pensò fokussiert auf den Moment der Bewusstwerdung von p durch das Matrixsatzsubjekt – entweder als Resultat eines Deduktionsprozesses auf der Basis seines epistemischen Modells oder als «Wiederauffinden» von p als präsupponiertes Wissen innerhalb dieses Modells. Cf. die verschiedenen Beispiele:
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
303
(334) «Ma risoluto alla vendetta, pensò che l’unico modo di eseguirla era aspettare un momento in cui per caso Don Rodrigo uscisse scompagnato dai suoi bravi, di aspettarlo dietro una macchia o un muricciuolo.» (Manzoni, Fermo e Lucia, cap II: Fermo)
In (334) wird p durch q (ma risoluto alla vendetta) motiviert und basiert auf dem Wissen des Matrixsatzsubjekts hinsichtlich der Lebensgewohnheiten von Don Rodrigo. Auch in dem folgenden Beispiel rekurriert das Matrixsatzsubjekt auf in seinem epistemischen Modell verankertes Wissen in Form der Proposition p (p: la folla poteva essere incomoda): (335) «La badessa, alla quale non era spiaciuto di aver molti uditori, pensò allora che la folla poteva essere incomoda, si rivolse ad una suora, e disse: [...].» (Manzoni, Fermo e Lucia)
Nach dem bisher Gesagten braucht nur noch wenig zu pensa che angemerkt zu werden. Die zahlreichen Indikativgebräuche nach pensa che, die sich auch schon in den älteren Texten finden, erklären sich aus der memento-Lesart: p wird als etabliertes Wissen vorausgesetzt (Präsuppositionswissen) und der Gesprächspartner wird lediglich daran erinnert, dass die entsprechende Proposition Teil des gemeinsamen Redehintergrunds ist: (336) «Tu, perché non ti facci maraviglia, pensa che in terra non è chi governa.» (Dante, divina commedia, Paradiso, XXVI) (337) «Ma tu che sol per cancellare scrivi, pensa che Pietro e Paulo, che moriro per la vigna che guasti, ancor son vivi.» (Dante, divina commedia, Paradiso, Canto XXVIIII) (338) «[...] e pensa tuttavia che larga inconincianza sì vuol perseveranza.» (Latini, Il Tesoretto, XVI)
Im 20. Jahrhundert ist die Modusselektion nach pensa che äußerst unübersichtlich. So lassen sich in den Theaterstücken Pirandellos ausschließlich indikativische Formen nach pensa che finden, während bei Svevo zumindest dort der Konjunktiv bestimmend ist, wo die Falschheit von p präsupponiert wird, wie in den folgenden beiden Belegzitaten: (339) «Lei pensa che io abbia confessato di partire per una semiconfessione da civetta. Oh! via! lei mi fa torto! Abbiamo detto di parlare francamente» (Svevo, Una commedia inedita, Scherzo drammatico in un atto, scena V) (340) «La mia buona sorte m’impedi di venir rovinato da Guido, ma la stessa buona sorte m’impedí pure di prendere una parte troppo attiva nei suoi affari. Lo dico ad alta voce perché altri a Triste pensa che non sia stato così: durante il tempo che passai con lui, non intervenni mai con un’ispirazione qualunque, del genere di quelle della frutta secca.» (Svevo, La coscienza di Zeno, cap. 7: un’associazione)
304
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Die hier gemachten Ausführungen zu pensa che mögen bisweilen etwas impressionistisch wirken. Sie spiegeln aber die Tatsache wider, dass offenbar widerstreitende Tendenzen zu der disparaten Verteilung der Verbalkategorien geführt haben und immer noch führen: Verschiedene Lesarten und Verwendungsweisen – von einer doxastischen, über eine modalisierend-epistemische zu einer präsuppositionellen, die das Wissen des gemeinsamen Redehintergrundes aktualisiert – gehören ebenso zu den modusselegierenden Faktoren wie die Präsupposition, dass p zum Sprechzeitpunkt als wahr oder falsch angesehen wird sowie schließlich auch die Textgattung und in diesem Rahmen insbesondere die Nähe zur konzeptionellen Mündlichkeit. Je nachdem, welche der hier genannten Aspekte im Vordergrund stehen oder vom Sprecher bewusst herausgestellt werden, fällt die Wahl auf eine konjunktivische oder eine indikativische Kategorie.160 Für eine che-Deletion finden sich übrigens nach pensare kaum Beispiele – zur Dokumentation zitieren wir ein Beispiel bei Pulci aus dem Quattrocento sowie ein weiteres aus Svevos Roman La coscienza di Zeno: (341) «[...]: però le ragion tue son qui di vetro, sendo per me regina coronata, dond’io pensai tu mi fussi obligata.» (Pulci, Morgante, cantare ventesimoquarto) (342) «[...], ma poi non volli seccarmi con discussioni e pensai sarebbe meglio mi riservassi di convincere Augusta nel momento in cui la regolazione di quegli affari sarebbe stata decisa da tutti.» (Svevo, coscienza di Zeno, 7. Un’associazione)
2.7.3 Das Verb sapere und seine Kontexte (wh- und si-Komplementsätze) Auch im Italienischen kann bei non sapere che p auf unterschiedliche Aspekte fokussiert werden: Der Congiuntivo signalisiert, dass p außerhalb des epistemischen Modells des Matrixsatzsubjekts liegt, mithin p in Mepi(x) nicht definiert ist (keinen Wahrheitswert besitzt). (Cf. Beispiel (343)). In Verbindung mit Vergangenheitsmorphologie kann der Sprecher zum Zeitpunkt t0 auch kritisch auf den defizienten Charakter seines eigenen epistemischen Modells zum Zeitpunkt t’ (t’ < t0) abheben (Beispiel (344)). Schließlich besitzt der Sprecher die Möglichkeit, sein eigenes adäquateres epistemisches Modell gegenüber dem des Matrixsatzsubjekts in den Vordergrund zu stellen und mittels des Indikativs für die Wahrheit von p zu bürgen (Beispiel (345)):
160 Cf. auch die Analyse Iaquintas, der die Problematik der Modusalternation im Rahmen eines pragmatischen Ansatzes thematisiert und dabei die Modalisierung durch den Sprecher (als dem «acte méta-énonciatif») in den Vordergrund stellt (Iaquinta 2003, 120s.).
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
305
(343) «Disse il monaco: – Perché tu fosti geloso, avendo la miglior donna che fosse nelle tue contrade per moglie. – Ohimè, – disse Ferondo – tu di‘vero, e la più dolce; ella era più melata che ’l confetto, ma io non sapeva che Domeneddio avesse per male che l’uomo fosse geloso, ché io non sarei stato.» (Boccaccio, Decameron, Giornata terza – Novella ottava) (344) «Di’ loro che io non sapevo quello che volessero da me quando io mi feci monaca, che non sapevo che dovessi star sempre prigioniera (...).» (Verga, storia) (345) «– Poi si rivolse a quella damigella, ch’avea le guance ancor palide e gialle, però che in dubbio e sospesa era quella, ché non sapeva che morto è Sperante; se non che presto gliel dicea Morgante: Non dubitar, non ti doler più omai, rallégrati, fanciulla, e datti pace: con le mie mani il gigante spacciai; rimaso è morto alle fiere rapace» (Pulci, Morgante, Cantare decimonono)
Bei den indirekten Komplementsätzen des Typs non sapere chi/che/quale etc. (wh-Komplementsätze) lässt sich im Italienischen keine einheitliche Tendenz hinsichtlich der Modusselektion erkennen. Die Sprecher markieren aber überwiegend ihre Unwissenheit darüber, welche Verhältnisse am Index a vorherrschen, d.h. wie die entsprechende Denotatsmenge beschaffen ist, mit dem Konjunktiv. Wir führen im Folgenden Beispiele für ganz unterschiedliche wh-Komplementsätze an, bei denen jeweils die Zusammensetzung unterschiedlicher Typen von Denotatsmengen zur Diskussion steht: –– Frage nach dem Subjekt – chi (lx P(x)): (346) «Colui che vien dinanzi è Galliano; quell’altro c’ha si magro il suo destrieri non so chi sia.» (Pulci, Morgante, cantare ventesimosecondo) (347) «[...], e gli dice: – Forse non sa chi sono ... Ma Sandrina, con gli occhi bassi, risponde: – La zia.» (Pirandello, Pena di vivere cosí, VI)
In dem zweiten Beispiel (347) ist dem Sprecher natürlich die eigene Identität (und damit die Zusammensetzung der Denotatsmenge) bekannt, was zur Verwendung des Indikativs führt. In den übrigen Fällen wird aber konsequent der Congiuntivo verwendet. –– Frage nach dem direkten Objekt – che (ly P(x,y)): (348) «– Ma quale è il motivo principale che la induce a farsi monaca? Il buon prete non sapeva che terribile tasto toccasse» (Manzoni, I promessi sposi, cap. X)
–– Quale: Frage nach einem Element aus einer Bezugsmenge (Auswahl des geeigneten Denotats) (349) «[...] io non so quale republica, o moderna o antica, le fusse stata superiore: [...].» (Machiavelli, Istorie fiorentine, Proemio)
306
Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
(350) «Pretore, i miei fati mi traggono a dover solvere la dura quistion di costoro, e non so quale iddio dentro mi stimola e infesta a doverti il mio peccato manifestare» (Boccaccio, Decameron, Giornata decima – Novella ottava)
In Beispiel (350) ist die Frage nach iddio rein rhetorischer Natur; der Fokus liegt auf der wahren Aussage, dass p (qualcosa mi stimola e infesta a doverti il mio peccato manifestare). Auch bei come ist offenbar ein scoping out der zugrundeliegenden Proposition p leicht möglich: In den indikativischen Sätzen liegt der Fokus nicht wirklich auf der Umstandsbestimmung, sondern auf der Tatsache selber, dass der durch p beschriebene Sachverhalt eingetreten ist. –– Come: Frage nach der adverbialen Bestimmung zum Prädikatsausdruck: (351) «Gli pareva d’essere innanzi innanzi nella chiesa, cirondato e stretto da una gran folla; non sapeva come gli fosse venuto il pensiero di portarsi in quel luogo, e si rodeva contra se stesso.» (Manzoni, Fermo e Lucia, t. 4, cap. 5) (352) «Ricciardo, io non so come Domeneddio mi si concederà che io possa comportare la ’ngiuria e lo ’nganno che fatto m’hai.» (Boccaccio, Decameron, Giornata terza – Novella sesta) (353) «Per certo, – disse Calandrino – egli è così, di che io son diserto e non so come io mi torni a casa: (...).» (Boccaccio, Decameron, giornata ottava – Novella sesta)
In modalen Kontexten (das sind in der Regel deontische Kontexte) tritt stets der Congiuntivo in Erscheinung – so etwa in: (354) «Ond’ei si batte l’anca, ritorna in casa, e qua e là si lagna, come ’l tapin che non sa che si faccia» (Dante, La divina commedia, canto XXIV) (355) «Senza più guida, senza più nulla di consistente attorno, non sapeva che cosa dovesse fare della vita, qual via prendere.» (Pirandello, La veste lunga)
Aus diesen verschiedenen Beispielfällen lässt sich als Ergebnis ableiten, dass grundsätzlich in solchen Kontexten, in denen das extensionale Denotat an dem jeweiligen Auswertungsindex a unbestimmt ist, der Congiuntivo selegiert wird. Ausnahmen von dieser Grundregel sind: –– präsupponiertes Sprecherwissen um die Beschaffenheit der zur Diskussion stehenden Denotatsmenge und –– es wird gar nicht auf die jeweilige wh-Konstituente fokussiert, – die syntaktische Form des indirekten Fragesatzes ist mithin lediglich rhetorischer bzw. pragmalinguistischer Natur –, sondern auf den zugrundeliegenden Sachverhalt p. Ist die Funktionsweise des Modussystems bei den wh-Komplementsätzen äußerst einsichtig bzw. systematisch, so kann dies von indirekten Fragesätzen nicht behauptet werden:
Die Entwicklung des Modus bei epistemischen Verben im Italienischen
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Nach non so se tritt zwar überwiegend der Indikativ auf, es lassen sich aber über die Jahrhunderte immer wieder konjunktivische Beispiele finden, für die schwerlich eine exhaustive Erklärung angeführt werden kann. Man vergleiche etwa die folgende Beispielopposition: (356) «[...] e rispondendo in brieve, vi dico così: egli è vero che io ho una giovane in casa, la qual non so se vostra moglie o d’altrui si sia, per ciò che voi io non conosco, [...].» (Boccaccio, Decameron, Giornata seconda – Novella decima) (357) «E, se alle nostre case torniamo, non so se a voi così come a me adiviene: io, di molta famiglia, niuna altra persona in quella se non la mia fante trovando.» (Boccaccio, Decameron, Giornata prima: Introduzione)
In beiden Belegen hängt das Denotat des indirekten Fragesatzes – also die jeweils zutreffende Proposition p1: La giovane è la moglie di x oder p2: La giovane non è la moglie di x – von den Verhältnissen am Auswertungsindex a ab und kann nun weder vom Sprecher noch vom Matrixsatzsubjekt entschieden werden. Die Nichtentscheidbarkeit des Denotats – ob also p1 ∨ p2 am Index a gilt – geht in dem ersten Beispiel mit der Verwendung des Konjunktivs einher. Auch im zweiten Beispiel bleibt die zweifache Option unentschieden (p1: x adiviene ∨ p2: non_adiviene): In diesem Kontext lässt sich der Indikativ allenfalls damit rechtfertigen, dass hier ein Vergleich der Gleichheit vorliegt, bei dem der Standard eine Proposition ist, die einen dem Sprecher bekannten Sachverhalt beschreibt (come a me adiviene). Ganz ähnlich gestaltet sich auch die Modusverteilung bei non sa che, wobei hier der Indikativgebrauch noch ausgeprägter zu sein scheint. Während beim ersten Beispiel die Modi alternieren, rekurriert der Autor im zweiten Fall auf den Indikativ: (358) «Ed aveva tal doglia nel pensiero, Che non sa dir se egli è morto, né vivo, Se questa dama chiedesse il cimiero, O domandasse come ne fo privo.» (Boiardo, Orlando, Canto ventesimosettimo, 38) (359) «E, proferendo queste parole, non sapeva nemmen lui se faceva una promessa, o un complimento» (Manzoni, promessi sposi, cap. 1)
Das Italienische nimmt also gewissermaßen eine Mittelposition zwischen den Verhältnissen im Lateinischen einerseits und dem Französischen andererseits ein. Wie im Lateinischen und im Altfranzösischen kann bei non sapere che auf ein bestimmtes Modell fokussiert werden: –– auf dasjenige des nichtwissenden Matrixsatzsubjekts (der prototypische Fall) –– auf das des wissenden, für die Wahrheit von p bürgenden Sprechers (der scoping out-Fall) und schließlich –– auf ein älteres epistemisches Modell des Sprechers, von dem sich dieser mittlerweile distanziert hat (Kontrast epistemischer Sprecher-Modelle an unterschiedlichen Indizes, etwa t‘ und t0).
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Die Entwicklung des Modussystems in der Domäne der Epistemizität
Des Weiteren markiert das Italienische wie auch schon das Lateinische das Nichtwissen über die Beschaffenheit bzw. Zusammensetzung von Denotatsmengen bei wh-Komplementsätzen durch den Konjunktiv. Bei den ob-Komplementsätzen hingegen verhält sich das Italienische von Anfang an wie seine Schwestersprache: Im Gegensatz zum Lateinischen wird auch schon im Altitalienischen in der Regel nicht mehr die Unentschiedenheit darüber, welches der beiden möglichen Disjunkte am Index a, p oder ¬p, zutrifft, durch Konjunktivmorphologie gekennzeichnet. Das mag daran liegen, dass sich die Entscheidung darüber, welchen Wert der indirekte Komplementsatz am Index a besitzt, lediglich auf zwei mögliche Werte (i.e. Propositionen p ∨¬p) zuspitzt, mithin eine dual-option-Situation vorliegt. Bezieht man auch die Entwicklung des Altfranzösischen mit ein, so kann man die Hypothese aufstellen, dass der Abbau des Congiuntivo in indirekten Fragesätzen (wh-Komplementsätze und ob-Komplementsätze) zunächst die dual-option-Kontexte erfasste, um dann im Weiteren auch auf die komplexeren, hinsichtlich ihrer Zusammensetzung unbestimmten Denotatsmengen überzugreifen. Am Ende stehen dann die modalen Kontexte, in denen lexikalische Elemente, die Modalverben, die Funktion des Modus übernehmen.
2.7.4 Ein kurzes Fazit Wie unsere Untersuchungen zum Italienischen gezeigt haben, konnte sich hier – ganz anders als im Französischen – ein eigenständiges doxastisches Subsystem im Rahmen des allgemeinen Modussystems bis in die Gegenwart behaupten. Das Prädikat credere erwies sich dabei als das doxastische Prädikat par excellence, was sich in den älteren Texten an einer generellen Selektion des Congiuntivo zeigte. Dabei fokussierte credere charakteristischerweise auf das spezifische Glaubenssystem eines Individuums, das a priori nur ihm selber zugänglich ist. In der weiteren sprachhistorischen Entwicklung scheint dann aber eine Verschiebung und Ausdifferenzierung stattgefunden zu haben, dank der die Möglichkeiten der Modusalternation im Rahmen eines Evidenzsystems ausgeschöpft wurden: Überzeugungen des Individuums können mit dem Indikativ markiert werden, wenn dieses der Auffassung ist, über hinreichend Evidenz dafür zu verfügen, seine Bekanntschaftsrelation mit der res, die Gegenstand seiner Überzeugung ist, glaubhaft machen und diese res als externen Anker einer gemeinsamen Diskursrepräsentation etablieren zu können. Damit hätte das moderne Italienisch ein Stadium erreicht, das durchaus mit den Verhältnissen, die wir bei dem altfranzösischen Prädikat cuidier dokumentieren konnten, vergleichbar ist. Für das Verb pensare ließ sich lediglich ein weniger eindeutiges Bild gewinnen: So dominierte in den älteren Texten überwiegend eine doxastische Lesart,
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die pensare den Charakter eines Quasi-Synonyms von credere aufprägte. In der weiteren sprachlichen Entwicklung schwächte sich dieses Moment allerdings deutlich ab und das epistemische Profil von pensare wurde stärker elaboriert: Das Verb aktualisierte nun entweder propositional repräsentierte Wissensinhalte des Sprechers oder stellte auf die Wissensgewinnung durch Inferenzziehungsverfahren auf der Grundlage eines epistemischen Modells ab. Daneben wurde die modalisierende Funktion von penso che ausgebaut. Diese Entwicklungen begünstigten das Vordringen des Indikativs in den von pensare abhängigen Komplementsätzen. In Vergangenheitskontexten selegierten credere fast ausschließlich und pensare neben anderen Kategorien den Congiuntivo Imperfetto, der sich anders als im Französischen nicht zu einem Marker der Kontrafaktizität spezialisiert hat, sondern seine temporalen Merkmale bewahren konnte (Lokalisierung von p im Rahmen eines doxastischen Modells, das sich auf vergangene Sachverhalte bezieht). Vor allem in Verbindung mit pensare gewann das Condizionale – neben dem Imperfetto – jedoch seit dem 18. Jahrhundert deutlich an Gewicht und spezialisierte sich (wie auch das Imperfetto) auf Kontexte, in denen die Wahrheitspräsupposition für p gilt. So wird sich in Zukunft bei pensare – viel mehr als bei dem doxastischem credere – , die Frage nach der Funktionalität des Congiuntivo stellen und damit auch nach der Zukunft des Modussystem in der Domäne der Epistemizität.
3 Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate) 3.1 Zur semantischen Analyse evaluativer Prädikate Als ein weiterer Parameter, der für die Ausprägung des Modussystems in den romanischen Sprachen von großer Relevanz ist, erweist sich der Aspekt der Wertung bzw. Evaluation. Wir wollen in diesem Kapitel «Wertung» bzw. «Evaluation» in einem weiten Sinne verstehen, d.h. als eine – wie auch immer geartete – Stellungnahme zu einer Proposition p. Sowohl im innerromanischen Vergleich als auch im diachronen Längsschnitt ist in dieser Domäne die Modusvariation wohl am stärksten ausgeprägt.1 So hat sich im heutigen Französisch der Konjunktiv generalisiert, wohingegen zum Beispiel im Rumänischen der Indikativ üblich ist, wie das Kontrastpaar zeigt: (1) Eu regret că copiii n-au venit ieri. (2) Je regrette que les enfants ne soient pas venus hier.
Mit der diachronen Entwicklung der Kategorienselektion in der Domäne der Evaluation vom Vulgärlatein bis zur Epoche des klassischen Französisch beschäftigt sich das weitere Kapitel. Nun ist die hier zu behandelnde Domäne der Evaluation ein recht weites und unübersichtliches Feld, das die traditionelle romanistische Forschung aufgrund historischer, bis auf das Lateinische zurückreichender Kontinuitäten, gerne in zwei Unterbereiche, die Ausdrücke der «Gemütsbewegung» und die Ausdrücke der «Beurteilung» aufgliedern möchte. So selegieren unpersönliche Ausdrücke der Bewertung «hauptsächlich die Konjunktion ‹ut› und zeigen wie die altfranzösischen Nachfolgeformen eine größere Konjunktivneigung als die Verben der Gemütsbewegung».2 Klaus Hunnius grundlegende Studie zur Geschichte der «Gemütsverben» vom Lateinischen bis zum Neufranzösischen plädiert – so die Kernthese seiner Untersuchung – für die Korrelativität des Konjunktivs, der «gleichsam als bound form einem zweiten Element zugeordnet ist»3 und deshalb eine inhärente Tendenz zur Fixierung oder «Automatisierung» aufweise. Den – mit Ausnahme des Rumänischen – für die romanischen Sprachen charakteristischen Ausbau des Konjunktivs bei den «Verben der Gemütsbewegung» führt Hunnius letztlich auf eine pragma-stilistische Motivation zurück, den Wunsch
1 Cf. etwa Portner (2003, 69s.). 2 Cf. Hunnius (1976, 144). 3 So die Formulierung von Hunnius (1976, 110).
Zur semantischen Analyse evaluativer Prädikate
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nämlich, mithilfe einer «expressiven und emphatischen Sprachform» «in ‹rhetorischer Manier› unbestreitbare Tatsachen zum Schein in Frage [zu stellen]».4 Gewissermaßen liegt hier kein «eigentlicher», dem postulierten Grundwert des Konjunktivs entsprechender Gebrauch vor, sondern die – zunächst bewusste – stilistisch-rhetorische Instrumentierung seines Ausdruckspotentials in einem fremden Gebrauchskontext, und zwar zur Erzielung einer besonderen Expressivität. Insofern hält es Hunnius auch für gerechtfertigt, den Begriff der «Metapher» – ganz in Analogie zu Harald Weinrichs Translation in die temporale Domäne – auf die Sphäre des Modus zu übertragen und das Konzept der «Modusmetapher» zu prägen.5 Dieses pragma-semantische Grundkalkül in Verbindung mit einer angenommenen grundsätzlichen «Neigung» zum Ausbau von Komplementsatzstrukturen im 16. Jahrhundert habe schließlich zur Durchsetzung und Festigung des konjunktivischen Komplementsatzes bei (insbesondere den «moderneren») Gemütsverben geführt.6 Wir wollen nun im Verlauf dieses Kapitels zeigen, dass es möglich ist, die Entwicklung der Modusverhältnisse im Bereich der affektiven und wertenden Verben unter Abstraktion von idiosynkratischen Besonderheiten in der Entwicklung einzelner Lexeme im Rahmen eines einheitlichen modalsemantischen Ansatzes zu beschreiben (ohne damit freilich exhaustiven Einzellexemuntersuchungen ihre Relevanz absprechen zu wollen). In diesem Zusammenhang erscheint es uns auch nicht notwendig, eine abschließende Klassifikation möglicher semantischer Untergruppen vorzuschlagen, obwohl sich, wie wir im Verlauf dieses Kapitels sehen werden, sehr deutlich Teilklassen mithilfe konzeptuell-semantischer Merkmale konturieren lassen. So subsumieren Kiparsky/Kiparsky etwa zwei zentrale in unsere Untersuchungsdomäne fallende Prädikatgruppen – Evaluativa (evaluatives) wie it is important/sad, odd etc. und Emotiva (emotives) wie regret oder resent – unter den kreuzklassifikatorischen Oberbegriff factive-emotive predicates.7 Auch Korzen wählt die Sammelbezeichnung factifs de sentiment (bzw. genauer: non-assertifs-déontiques-fac-
4 Cf. Hunnius (1976, 147). 5 Cf. Hunnius (1976, 113): «Er [der Konjunktiv, d. Verf.] dient in der vorliegenden Verwendung zur Steigerung der Expressivität und Intensität der Äußerung und erzielt diese Wirkung durch ein ‹rhetorisches› Mittel. Indem der Konjunktiv zur Darstellung unbestrittener Fakten verwendet wird, stellt er sie zum Schein in Frage, degradiert sie zu bloßen Hypothesen, mit keinem anderen Ziel als dem der Verstärkung und Hervorhebung. Man ist geneigt, von einem metaphorischen Gebrauch zu sprechen und damit ein Phänomen, das hauptsächlich im Bereich der Tempora geläufig ist, auf die Modalsyntax auszudehnen». 6 Cf. Hunnius (1976, 109s.). 7 Kiparsky/Kiparsky (1970, 363).
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
tifs de sentiment).8 Mit dem Parameter der Evaluation sehen wir zum einen von der Evaluationsquelle – so der Unterscheidung von Affektivität (→ Gefühls- oder Gemütsverben) und Vernunft (→ Beurteilungsverben), sowieso einer vorkognitivistischen, auf der traditionellen dualistischen Denktradition beruhenden Kategorisierung – ab. Zum anderen lässt sich das Moment der «Faktivität» als ein wesentliches Merkmal der logisch-konzeptuellen Bedeutungsstruktur von evaluativen Prädikaten in die semantische Analyse integrieren, die wir noch ein wenig genauer charakterisieren wollen. Wie wir oben schon gesagt haben, können wir für die Behandlung der Modus problematik in der evaluativen Domäne von den differentiae specificae, die beispielsweise ein Verb wie s’étonner von s’émerveiller unterscheiden, absehen. Hierbei geht es nämlich – wie auch bei anderen Kontrastpaaren, so etwa être content/être heureux, se réjouir/s’enthousiasmer/s’exalter – in erster Linie um die Intensität der Einstellung. Für das kategorielle Selektionsverhalten der verschiedenen Prädikate ist jedoch die ihnen inhärierende logisch-konzeptuelle Struktur von zentraler Bedeutung. So charakterisieren evaluative Verben zum einen eine – je nach Prädikat stärker kognitiv oder affektiv akzentuierte – positive, neutrale oder negative Einstellung wie Freude, Verwunderung oder Hoffnung, zum anderen einen in der Struktur der Verbsemantik angelegten Einstellungsinhalt, der durch den Komplementsatz näher bestimmt wird. Dieser Einstellungsinhalt ist in einer jeweils spezifischen welt-zeitlichen Struktur verankert, entfaltet sich also in Einstellungswelten, in denen die in den Betrachtungsfokus genommenen Sachverhalte wahr sind bzw. als wahr behauptet werden. Im Hinblick auf die Struktur und Beschaffenheit der Einstellungswelten sind, wie wir anhand unserer Beispielanalysen sehen werden, jeweils unterschiedliche Eigenschaften bzw. Dimensionen relevant: –– zunächst die temporale Dimension: Bei den Einstellungswelten kann es sich um vergangene, die aktuelle oder um zukünftige Welten handeln; hier ist jeweils das Verhältnis zum Sprechzeitpunkt t0 (der Sprecherorigo) ausschlaggebend. –– die modale Dimension: Einstellungswelten können reale, mögliche oder kontrafaktische Welten sein und beruhen auf dem epistemischen Modell des Sprechers und/oder des Matrixsatzsubjekts. So glaubt der Sprecher eines Satzes wie «Ich habe gehofft, er würde uns ein wenig helfen», dass es ein Zeitintervall gegeben habe, in dem p durchaus zu den möglichen Welten gehörte, und dass es zudem einen Zeitpunkt gegeben haben muss, an dem p in Kontrafaktizität umgeschlagen ist.
8 Korzen (2003, 126 (Appendice 2a)).
Zur semantischen Analyse evaluativer Prädikate
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–– Die Einstellungswelten lassen sich auf einer Probabilitätsskala danach ordnen, wie hoch ihre Erwartungswahrscheinlichkeit ist. Sie mögen realistisch, wahrscheinlich, eher unwahrscheinlich oder gänzlich ausgeschlossen sein. Eine wesentliche Rolle spielt oftmals die Orientierung der Sprecher/ Matrixsatzsubjekte an sogenannten Defaultwelten. Diese stellen gewissermaßen eine Fortschreibung der aktuellen Welt vor dem Hintergrund unseres Wissens über den «normalen Lauf der Dinge» dar und entsprechen unseren Standarderwartungen. –– Einstellungswelten werden vielfach auch auf einer Präferenzskala angeordnet: Dabei werden die Einstellungswelten danach geordnet, wie sehr sie einem statuierten Ideal des Sprechers bzw. des Matrixsatzsubjekts nahe kommen bzw. – im negativen Falle – von ihm abweichen. An den Skalenenden befinden sich jeweils die favorisiertesten («most desirable worlds») bzw. die am wenigsten präferierten («less desirable worlds») Welten. Wie wir im Kapitel über den Bedingungssatz sehen werden, lässt sich ein Ideal als eine Propositionenmenge A formulieren, die eine Ordnung auf eine Menge von (Zeit-Welt-) Indizes I induziert.9 Diese geordnete Menge von Indizes lässt sich auf einer Präferenzskala abtragen. Nun legen die jeweiligen Prädikate nicht nur eine in ihren Komplementsätzen explizit gemachte logisch-konzeptuelle Struktur von Einstellungswelten fest – mit ihnen sind auch in ihrer semantischen Struktur verankerte lexikalische Präsuppositionen verbunden. Der Präsuppositionsbegriff wirft zwar, nach wie vor, eine Reihe theoretischer Probleme auf. An seinem heuristischen Wert kann aber wohl kaum ein Zweifel bestehen, wie dies die nunmehr klassischen lexikalisch-semantischen Analysen faktiver Verben10 sowie der sogenannten implikativen Verben11 beweisen.12 Beispielsweise präsupponieren faktiv-emotive Verben (bzw. die auf ihnen beruhenden komplexen Propositionen) die Wahrheit ihres eingebetteten Komplementsatzes («Pierre regrette que Suzanne soit venue» → TRUE: Suzanne est venue).
9 Cf. die Definition bei Lohnstein (2000, 97: «Jede Propositionenmenge A induziert eine Ordnung ≤A auf I: ∀i,j ∈ I: i ≤A j gdw. {p/p ∈ A und j ∈ p} ⊆ {p/p ∈ A und i ∈ p}. Eine Welt mit dem Index i ist einer anderen Welt mit dem Index j genau dann vorgeordnet, wenn in ihr mehr Propositionen aus A wahr sind als in der konkurrierenden Welt (ausgedrückt als Teilmengenverhältnis der jeweils wahren Propositionen aus A)»). 10 Cf. insbesondere Kiparski/Kiparski (1970, 348ss.). 11 Cf. zusammenfassend Karttunen (1971a, 55ss.); Karttunen (1971b, 350ss.). 12 Eine zusammenfassende Übersicht lexikalischer Präsuppositionsauslöser gibt Levinson (32000, 197–203).
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Für implikative Verben wie geschehen, gelingen etc. gilt, dass die Argumentproposition aus der Affirmation der komplexen Proposition mit dem jeweiligen Verb und die Negation der Argumentproposition entsprechend aus der Negation des propositionalen Gesamtkomplexes folgen. Präsuppositionen können aber auch aus emotiven Ausdrücken des Typs erstaunt sein, dass p (s’étonner que p), sich wundern, dass p (s’émerveiller que p) resultieren. Hierbei impliziert der Komplementsatz p, dass der Sprecher im Rahmen seines epistemischen Modells eigentlich ¬p erwartet hätte, mithin ¬p als Defaulterwartung auf der Probabilitätsskala abzutragen ist, wohingegen p im unteren Minimum der Erwartungsskala anzusiedeln ist. Auf Probleme, die der Präsuppositionsbegriff mit sich bringt, können wir hier nicht detailliert eingehen. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass Präsuppositionen unter bestimmten Bedingungen im Diskurs auch aufhebbar sind, mithin zu der lexikalisch-semantischen Dimension auch eine pragmatische hinzukommen kann (sofern man nicht überhaupt von einem pragmatischen Präsuppositionsbegriff ausgeht).13 Als Beispiel für eine explizite Negation der Wahrheitspräsupposition von bedauern kann etwa der folgende Kontext angeführt werden: (3) «Peter bedauert nicht, durchgefallen zu sein, weil er bestanden hat.» (Levinson 32000, 219)
Neben der Negation ist in Verbindung mit einem geeigneten wenn-Satz auch eine Aussetzung der Präsupposition möglich: (4) «Harald bedauert es bestimmt nicht, ein Stasi-Spitzel gewesen zu sein, wenn er überhaupt jemals einer war.» (Levinson 32000, 213)
Sieht man einmal davon ab, dass die Negation des Prädikats bedauern im Verbund mit der nachfolgenden Begründung im weil-Satz die – in Bezug auf seine Bedeutungsstruktur – unangemessene Verwendung des Verbs in dem konkreten Kontext herausstellt14 und dass der Sprecher im zweiten Beispielsatz eine reine
13 Cf. Pragmatische Präsuppositionstheorien in Levinson (32000, 223ss.). Sehr kritisch gegenüber einem pragmatischen Ansatz positioniert sich Seuren (1991, 295ss, insbesondere 301). Levinson schließt sich demgegenüber einer Interaktionstheorie (Präsuppositionen als Ergebnis «komplexer Interaktionen zwischen Semantik und Pragmatik») an (cf. Levinson 32000, 245). 14 Gewissermaßen wird bedauern durch die Negation metasprachlich als für diesen Kontext nicht geeignetes Prädikat gekennzeichnet. Dem wenn-Satz, der eine Ausschlussbedingung für die sinnvolle Anwendung des Prädikats bedauern vorbringt, kommt hier die Rolle des Beweisteils zu: bedauern verlangt seiner semantischen Natur nach das Vorliegen eines «bedauerungswürdigen» Sachverhalts, der jedoch in dem konkreten Fall nicht gegeben ist.
Zur semantischen Analyse evaluativer Prädikate
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Hypothese aufstellt,15 so verdeutlichen beide Exempla die Wirkung der Präsuppositionen als Hintergrundstrukturen: Gerade weil die Präsuppositionen in der Semantik der Prädikate verankert sind, müssen sie erst durch ein besonderes kontextuelles «Arrangement» invalidiert werden. Die in der Bedeutungsstruktur der Prädikate angelegten Präsuppositionen werden dabei Gegenstand einer expliziten Kommentierung auf der metasprachlichen Ebene. Im ersten Beispiel lässt der Kausalsatz den metasprachlichen Charakter der Negation deutlich hervortreten, der sich auf die Geltung der Verwendungsbedingungen des Prädikats bezieht: Gerade weil das Verb regretter aufgrund der ihm inhärenten Bedeutungsstruktur einen Sachverhalt präsupponiert, der seiner Natur nach dazu geeignet ist, auch bedauert zu werden, ist seine Verwendung im Zusammenhang mit einem Ereignis, das diese Voraussetzungen eben nicht erfüllt, unangemessen. Diese Unangemessenheit der Lexemverwendung hebt der Sprecher durch die Negation hervor und stellt dieser eine explizite Begründung – gewissermaßen als Beweisteil – in Form eines Kausalsatzes zur Seite. Der Bedingungssatz des zweiten Beispielkontexts leistet ebenfalls eine metasprachliche Kommentierung der Anwendungsbedingungen des Prädikats – diesmal jedoch in einer modalisierten Form. Er beschreibt nämlich die Geltungsdomäne bzw. –welten, für die das Prädikat keinesfalls sinnvoll angewendet werden kann. Dies sind nämlich p-Welten, in denen Harald gar nicht als StasiSpitzel in Erscheinung getreten ist (für die übrigen Welten wird eine Prognose aufgestellt). Zugleich lassen die Beispiele auch deutlich erkennen, worin der Unterschied zwischen (lexikalischen) Präsuppositionen einerseits und logischen Folgerungen (i.e. semantischen Folgerungen bzw. entailments) andererseits liegt: Bei der logischen Folge (oder semantischen Folgerung), muss in allen Welten, in denen A wahr ist, auch B wahr sein; aus A folgt also notwendigerweise B. Wenn Pedro also eine Rose gekauft hat, so hat er notwendigerweise auch eine Blume gekauft. Im Falle der Präsupposition folgt hingegen sowohl aus A (regretter que p) als auch aus ¬A (ne pas regretter que p), B, allerdings nicht mit logischer Notwendigkeit, sondern nur als Standard- (bzw. Default-) annahme, sofern nämlich das Prädikat im Rahmen seiner üblichen Verwendungsbedingungen angemessen verwendet worden ist. Diese Default-Annahme kann aber durch einen geeigneten Kontext, in dem spezifische pragmatische Aspekte und Prinzipien zur Geltung
15 Der Sprecher stellt lediglich eine Prognose für eine bestimmte Klasse möglicher Welten auf (p-Welten, in denen Harald tatsächlich ein Stasi-Spitzel gewesen ist), ohne jedoch die komplementären ¬p-Welten ausschließen zu wollen oder zu können (dass Harald nämlich kein StasiSpitzel gewesen ist).
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kommen, außer Kraft gesetzt werden. So präsupponiert bedauern, dass üblicherweise ein geeigneter Sachverhalt p vorliegt, der es auch wert ist – seiner Natur nach (qualitativ) geeignet und seiner Bedeutung nach (quantitativ) gewichtig – bedauert zu werden. Der Kontext kann nun aber besondere Bedingungen spezifizieren – etwa, dass sich das Matrixsatzsubjekt über Art und Ausmaß des Sachverhalts irrt –, die explizit und erst ex post die Standardannahme(n) relativieren oder gänzlich aufheben. Präsuppositionen gelten mithin für die typischen Instanzen (also die charakteristischen Vorkommenskontexte) des Matrixsatzverbs, für marginale Fälle hingegen muss diskursiv festgeschrieben werden, in welchem Umfang (oder Sinne) und unter welchen besonderen Bedingungen, ein Sachverhalt doch noch unter das Prädikat fallen kann. Die emotiv-wertenden Einstellungsprädikate lassen sich, wie wir in diesem Kapitel herausgestellt haben, anhand von drei Aspekten beschreiben: a) die Einstellungsart, b) die logisch-konzeptuelle Struktur der in den Betrachtungsfokus gerückten Einstellungswelten und c) die sich aus der Bedeutungsstruktur ergebenden Präsuppositionen (unter Berücksichtigung der erwähnten Besonderheiten). Für die Beschreibung und Analyse der Modusentwicklung bei den in diesem Kapitel ins Visier genommenen Prädikaten sind dabei vor allem die konzeptuell-semantische Struktur sowie die aus ihr resultierenden Präsuppositionen von entscheidendem Interesse. Auf der Grundlage der herausgestellten konzeptuellen Grundmomente lässt sich auch eine Makroklassifikation der evaluativ-emotiven Prädikate vornehmen: Diese Großgruppe konstituiert eine eigene Domäne im Bereich der Einstellungsverben, die klar gegenüber den epistemischen (bzw. doxastischen) Einstellungsverben, die wir im 2. Kapitel behandelt haben, sowie den buletischen Einstellungsprädikaten abgegrenzt ist. Die erstgenannte Gruppe gravitiert um die Problematik der epistemischen bzw. doxastischen Zugänglichkeit und berührt damit, wie wir gesehen haben, auch die Frage des evidentiellen Status von Propositionen sowie die de-dicto/de-re-Problematik. Die letztgenannte Gruppe fokussiert hingegen auf Idealwelten und impliziert die Existenz individueller Präferenzsysteme. Die evaluative Domäne lässt sich mithilfe der genannten grundlegenden konzeptuell-semantischen Merkmale in drei Teilgruppen (bzw. Prädikatenklassen) aufgliedern: –– Die Gruppe der sogenannten faktiv-emotiven Verben, die in der Standardlesart die Wahrheit ihres Komplements präsupponieren. Die generelle Wahrheitspräsupposition ist, wie wir weiter oben schon erwähnt hatten, in der konzeptuell-semantischen Struktur dieser Prädikate angelegt. Charakteristische Ausdrücke wie etwa regretter oder se plaindre sind auch schon genannt worden. Wir werden allerdings im Weiteren sehen, dass diese Prädikate aber auch in intensionalen Kontexten bzw. in einer intensionalen Lesart verwendet werden können. Diese Verwendungsmöglichkeit sollte ein wesentliches
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Charakteristikum dieser Prädikate in der mittelfranzösischen Epoche werden und eine grundlegende Voraussetzung für den späteren Moduswandel bei dieser Prädikatgruppe. –– Eine weitere Gruppe bilden die axiologischen Prädikate des Typs être bon que, être dommage que, être logique que, die ein bestimmtes Evaluationsprinzip oder eine Wertnorm einführen, das bzw. die in unterschiedlichem Grade erfüllt sein kann. Mit anderen Worten: Axiologische Ausdrücke führen ein ordnendes Prinzip ein und implizieren damit eine Skala, die Sachverhalte (bzw. die ihnen entsprechenden Welten) danach ordnet, in welchem Maße bzw. zu welchem Grade sie das statuierte Ideal bzw. das gesetzte Prinzip erfüllen. Die Prädikate dieser Gruppe besitzen in der Regel keinen veridischen Charakter, denn sie verweisen auf Idealzustände bzw. mögliche Welten, in denen besondere Anforderungen gelten – etwa das Güteprinzip oder die Gesetze der Logik. –– Die dritte semantische Gruppe schließt Einstellungsprädikate wie espérer und craindre ein. Diese Verben besitzen ebenfalls eine evaluative Komponente, da auch sie bestimmte Sachverhalte als erwünscht oder unerwünscht klassifizieren und damit ebenfalls eine Skala, und zwar eine Präferenzskala, implizieren. Diese Prädikate nehmen aber nicht aktuelle Sachverhalte in der Basiswelt in den Blick, sondern mögliche Sachverhalte in möglichen Welten. Sie führen damit eine Probabilitätsskala ein, die bestimmte Sachverhaltstypen (und die ihnen entsprechenden Indizes) nach ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit ordnet. Verben wie espérer und craindre sind also insofern evaluative Prädikate, als die jeweils betrachteten Welten als präferierte bzw. dispräferierte Alternativen erscheinen. Zugleich eröffnen sie aber die Perspektive auf Alternativen zur aktuellen Welt, die nach ihrem vom Sprechzeitpunkt aus geschätzten Erwartungswert hierarchisiert (gerankt) werden können. Da das zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitskalkül auf dem Wissen der Sprecher über Sachverhalte in der realen Welt und ihren Entstehungsbedingungen beruht, kommt bei den beiden Prädikaten ein epistemisches Moment hinzu. Wir werden sehen, dass in der Diachronie des Französischen die Probabilitätsskala durchaus eine wichtige Rolle bei der Modusfixierung im Komplementsatz dieser Prädikatenklasse gespielt hat. Da sich das evaluative Moment dieser Prädikate nicht auf die Basiswelt, sondern auf mögliche Welten (Erwartungswelten) bezieht, gehören sie ebenfalls zur Untergruppe der nicht-veridischen Einstellungsverben. Einige der hier entwickelten Charakteristika evaluativer Einstellungsprädikate wurden von Heim (1992), Giorgi/Pianesi (1997) sowie Villalta (2005) aufgegriffen und zu einem einheitlichen formalsemantischen Ansatz entwickelt. In dessen
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Rahmen interpretieren sie evaluative Einstellungsprädikate als skalare bzw. komparative Ausdrücke. So arbeitet Heim am Beispielsatz (5) «John is glad [that] he will teach on Tuesdays.» (Heim 1992, 203)
die folgenden beiden grundlegenden Aspekte heraus: –– Johns Haltung muss vor dem Hintergrund seiner eigenen Überzeugungen, also seines doxastischen Systems, interpretiert werden. Die doxastische modale Basis soll dabei nicht nur Welten einschließen, die sich aus den tatsächlichen Verhältnissen zum Sprechzeitpunkt ableiten lassen oder hiermit kompatibel sind, sondern auch solche Welten, die sich aus kontrafaktischen Alternativen zu den Verhältnissen am Sprechzeitpunkt ergeben. Man spricht hierbei von einer revidierten doxastischen Basis («revised doxastic base»), weil diese um doxastisch zugängliche Welten (Glaubenswelten) erweitert wird, die auf kontrafaktischen Annahmen beruhen – beispielsweise, dass John an Donnerstagen und nicht an Dienstagen unterrichten muss. –– Die evaluative Komponente des Prädikats (glad) impliziert eine skalare Gewichtung bzw. Einordnung der verschiedenen Alternativen (möglichen Welten) der doxastischen Basis nach dem durch das evaluative Prädikat statuierten Prinzip bzw. Kriterium, im konkreten Falle dem Präferenzprinzip bzw. dem Prinzip der Wünschbarkeit («principle of desirability»). Der Komplementsatz fokussiert mithin auf eine besondere Alternative, die einen maximalen Wert auf der Skala einnimmt. Wir können also sagen: Unter Berücksichtigung aller doxastischen Alternativen, die John aufgrund seiner Überzeugungen besitzt, ist die im Komplementsatz beschriebene Alternative die am meisten präferierte. Welten, an denen John dienstags unterrichtet, sind vor dem Hintergrund seines doxastischen Systems realistische Alternativen und sie sind präferierte Alternativen, so dass sie als glücklich oder günstig klassifiziert werden können. Diese Analyse lässt sich auch formalisieren:16 [[be glad]](p)(a)(w)=1 iff ∀ w’∈ revised Doxa(w): Simw’(p) lat. est opus) – und der evaluativen Domäne und geht unter Profilierung seiner deontischen Bedeutungskomponente in den konjunktivschen Bereich über. In diesem Zusammenhang ist das indikativische Kontrastbeispiel (64) von ganz besonderem Interesse. Hierbei wird nämlich das deontische Moment durch den Kontext ausgeblendet bzw. neutralisiert. Der Autor hat in seinem Vorwort lediglich die Absicht, sein Prozedere bei der Abhandlung der rechtlichen Problemfälle darzulegen. Die Tatsache, dass er in der Weise p vorgeht, wird von ihm völlig in den Vordergrund gestellt, sodass normative Implikationen gänzlich ausgeblendet werden. Konsequent ist dem-
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
entsprechend auch die Modusselektion bei dem Prädikat il est laid/lait que. Das Prädikat laid selegiert generell den Indikativ, denn es statuiert im Gegensatz zum Prädikat bon keine deontische Norm. Vielmehr ist es eine rein deskriptive Kategorie, die lediglich einen bestimmten Punkt auf der Güteskala aktiviert bzw. einen – als wahr präsupponierten – Sachverhalt p an dem entsprechenden, niedrigen, Rangindex abträgt. Ein wahres Fundstück stellt vor diesem Hintergrund das Kontrastpaar (66) und (67) dar, das in zwei Manuskriptversionen ganz offensichtlich unterschiedliche Sprecherintuitionen wiedergibt. Der Schreiber von Beispiel (67) interpretiert den Komplementsatz p auf der Grundlage der Wahrheitspräsupposition: p wird als – in verikonditionaler Hinsicht – wahrer Sachverhalt zugrunde gelegt, dem die deskriptiv-evaluative Kategorie laid zugesprochen wird. Demgegenüber schöpft der Schreiber von (66) das intensionale Potential des Prädikats aus und elaboriert es systematisch mithilfe des konjunktivischen Modus. Das Prädikat laid referiert gar nicht auf einen Sachverhalt der aktuellen Welt, sondern es charakterisiert in abstracto eine bestimmte Klasse von Situationen, die ihrem Wesen nach dazu geeignet sind, als misslich klassifiziert zu werden. Der konjunktivische Komplementsatz legt dabei fest, wie Welten auszusehen haben, damit ihnen der Klassifikator laid zugewiesen wird. Damit fungiert er – ganz ähnlich wie die Protasis eines Bedingungssatzes – als Domänenrestriktor, der die für die Auswertung des Hauptsatzes relevanten Welten festlegt und charakterisiert. Der Schreiber von (66) (re-)interpretiert also die gesamte Komplementsatzkonstruktion folgendermaßen: Welten fallen unter die Kategorie laid (sind also notwendigerweise missliche (oder schlechte) Welten), wenn in ihnen Feindschaft, Rivalität und deren Konsequenzen regieren. In dieser intensionalen Lesart wird das evaluative Prädikat mithin zu einem Klassifikator von Situationstypen, die bestimmte – attributiv zu bestimmende – Eigenschaften aufweisen. Diese Überlegung können wir im Einklang mit Partees31 dreigliedrigem Prädikationsschema, wie folgt, formalisieren: für alle w: if w ∈ p [p: λw [être_ennemies’(w)] → w ∈ {W: MONDES_LAIDS}, dabei sind die Welten w aus W mögliche Welten, die auf der Präferenzskala niedrig gerankt sind. In gleicher Weise verhält sich die Modusselektion bei dem Prädikat il est droiz/ drois que. Ähnlich wie bon etabliert das Prädikat in seiner Standardlesart eine deontische Norm bzw. fixiert eine Recht- und Billigkeitsskala. Wiederum werden die Welten der Kontextmenge danach geordnet, wie nahe sie der Rechts- und
31 Partee (1995, 546).
Evaluation im Altfranzösoschen
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Billigkeitsnorm kommen. Die Komplementsatzproposition muss nun in allen Welten, die dem Ideal des Rechts und der Billigkeit maximal nahe kommen, wahr sein. Dies sind die semantischen Bedingungen für die Selektion des Konjunktivs. In den indikativischen Kontexten wird das deontische Moment des Ausdrucks il est droiz/droit dagegen ausgeblendet und eine epistemische Lesart tritt in den Vordergrund. Hierbei bedeutet das Prädikat nun so etwas wie ‘angesichts unseres Kenntnisstandes können bzw. dürfen wir mit gutem Recht behaupten, dass p’ – es leistet also eine Tatsachenfeststellung. Damit nähert sich das Prädikat in Verbindung mit dem Indikativ dem Ausdruck il est vrai an und stellt die unbedingte Berechtigung, p für wahr zu halten, heraus. Der Komplementsatz p fokussiert also im Skopus des Ausdrucks il est droiz/droit in indikativischen Kontexten auf realistische p-Welten, die mit dem, was die Sprecher über die aktuelle Welt wissen, kompatibel sind (oder anders ausgedrückt: p drückt wahre Sachverhalte im Hinblick auf die aktuelle Welt w0 aus). Am Beispiel der Modusalternation von droiz wird wiederum deutlich, dass im Altfranzösischen stets noch ein deontisches Moment bedeutungsmäßig hinzukommen musste, um die Verwendung des Konjunktivs zu lizensieren. Waren Prädikate hingegen auf dem Hintergrund einer epistemischen modalen Basis zu interpretieren, so wurde stets der Indikativ selegiert. Dementsprechend konsequent ist auch die Moduswahl in Verbindung mit dem unpersönlichen Ausdruck il est mervoille que (oder alternativ: merveille est que und c’est merveille que), bei dem ebenfalls eine Skala (eine Erwartungsskala) vorausgesetzt wird, auf der Sachverhalte nach ihrem Erwartungsgrad angeordnet werden. Als Extremwerte kann man sich jeweils wundersame Sachverhalte (grant merveille est) auf der einen und völlig übliche (bzw. stereotype) Sachverhalte auf der anderen Seite vorstellen. Entscheidend ist, dass jeweils eine Sachverhaltsklasse (bzw. die ihr entsprechenden p-Welten) im Hinblick auf diese Erwartungsskala situiert wird (werden). Wie laid setzt aber auch merveille keine deontische Norm, sondern ist rein deskriptiv-kategorisierend zu verstehen. Es ist deshalb konsequent, dass der deskriptive Klassifikator merveille stets einen indikativischen Komplementsatz selegiert: (73) «[...] merveille est qu’il a tant duré tant a souffert et enduré.» (bar, 697s.) (74) «[...] comment porrai tant mal soffrir merveille est que ne puis morir.» (eustache, 874s.)
Alternativ sind im Übrigen, wie auch schon im Lateinischen, Komplementsätze möglich, die durch die Konjunktion si eingeleitet werden: (75) «[...] o no fu pas merveille s’il ot cuer troblé.» (alia, 1093) (76) «n’est pas merveille se je sui pris.» (amou, 1574)
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
3.4 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen Die mittelfranzösische Epoche stellt eine Phase des Umbruchs und Übergangs hinsichtlich der Modusordnung im Bereich der wertenden Ausdrücke dar. Entsprechend uneinheitlich ist das Bild, das wir im folgenden – wieder geschieden nach unseren drei Untergruppen, den emotiv-faktiven, den axiologischen und den nicht-veridischen Einstellungsprädikaten – in den Hauptlinien nachzeichnen wollen. Der Autor Berinus ist hinsichtlich der Modusselektion bei wertend-faktiven Prädikaten des Typs être ADJ que p noch ganz dem altfranzösischen System verhaftet, wie die Verwendung des Indikativs in dem folgenden Beispiel in Verbindung mit dem Prädikat courroucié zeigt: (77) «More, comme je suis courroucié que tu n’es conroiez et aisiez comme tu deüsses et ainsi comme il appartenist a toy.» (Berinus, t. 1/1350, 256)
Seit 1450 lassen sich im mittelfranzösischen Korpus des Atilf hingegen Beispiele für die Kombination des Ausdrucks être contens que mit einem konjunktivischen Komplementsatz aufweisen. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Tatsache, dass p keinen realen Sachverhalt (an t0/w0) charakterisiert, sondern p-Welten lediglich als wünschenswerte mögliche Welten, i.e. als content-Welten, profiliert werden. Mit dem Prädikat ist also wieder die Einführung einer Norm bzw. eines Ideals verbunden, das als Ordnungsfunktion auf die Menge der – vom Sprechzeitpunkt aus betrachtet – möglichen Welten der Kontextmenge (als jenen Welten, die mit gemeinsamen Überzeugungen (epistemischen Zuständen) der Gesprächspartner kompatibel sind), wirkt: Diese Welten werden danach geordnet, in welchem Grade sie das durch das Matrixsatzprädikat vorgegebene Ideal realisieren. Die Komplementsatzproposition p muss nun in allen Welten wahr sein, die dem durch das Matrixsatzprädikat vorgegebenen Ideal am nächsten kommen. Nur solche idealen p-Welten sind auch content-Welten. Ein Beispiel: (78) «Touteffois, je suis content que tu t’en aille, et ce sera pour toy le meilleur, avant que tu congnoisse ma force plus a plain.» (Jehan Bagnyon, L’Histoire de Charlemagne, 1465, 50, Second Livre, Premiere partie, chap. X)
Wir können den Komplementsatz p wiederum als Domänenrestriktor im Rahmen einer dreigliedrigen Prädikationsstruktur interpretieren, in deren Zentrum (als nuklearer Skopus) ein Klassifikationsakt steht: p-Welten sind präferierte Welten (content-Welten), wenn die durch die Sachverhaltsbeschreibung p festgelegten Bedingungen gelten. Die logisch-semantische Form unseres Beispiels lautet: Für alle w ∈ p [p: λw [s’en_aller’(tu)(w)] ] → w ∈ {W: CONTENT-worlds}, wobei die
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Welten von W nach dem content-Ideal auf der Präferenzskala ganz weit oben angesiedelt sind. Von den Ausdrücken des Typs (il) me + VERB que kann sich auch in mittelfranzösischer Zeit die Wendung il me poise que p behaupten. In den älteren, zumal den konservativeren Textgattungen wie den Miracles, wird die Indikativlösung fortgeschrieben: (79) «Il me poise que j’en say tant, Sire, mais il ne peut autre estre.» (Le Miracle de l’Enfant Ressuscité, 1353, 36, scène IV)
Bei Christine de Pizan (Le Livre de la Mutacion de Fortune, 1400) hingegen findet sich jedoch auch schon der Konjunktivgebrauch: (80) «Ancore moult me poise Que la chose si tres mal voise Que justice y soit maugardee; Car moult souvent est retardee Par faveur ou par grans dons prendre, Plusieurs ne l’ont pas a apprendre!» (Christine de Pizan, Le Livre de la Mutacion de Fortune, T. 2, 1400, 26s., T. 2, partie 3, VI)
Der Komplementsatz bezieht sich nicht auf einen aktuellen Sachverhalt, sondern auf einen abstrakten, der Möglichkeit nach gegebenen Sachverhalts- oder Situationstyp, wie auch der nachfolgende Kausalsatz deutlich macht. Dieser erklärt nämlich, aufgrund welcher Tatsachen der Sprecher zu seiner Einschätzung über die im Komplementsatz beschriebenen Fälle gelangt. Das – aus mehreren Konjunkten bestehende – Komplement p rückt eine Klasse von Situationen bzw. die ihr entsprechende Menge möglicher Welten in den Betrachtungsfokus: Welten, in denen das Recht missachtet wird, sind als Defizitwelten (dispräferierte Welten) zu klassifizieren. Unter diesen mag sich auch die aktuelle Welt befinden – davon sieht jedoch der konjunktivische Komplementsatz ab. Mit anderen Worten: p gibt an, wie Welten beschaffen sein müssen, damit eine Wertungskategorie auf sie zutrifft. Sie üben damit die Funktion von Domänenrestriktoren aus. Diese Domänenrestriktoren geben an, welche Bedingungen in abstracto erfüllt sein müssen, damit eine Welt unter eine ganz bestimmte Wertungskategorie fällt. Wir sehen also, dass die Sprecher in der mittelfranzösischen Epoche das definitorische und damit intensionale Potential evaluativer Prädikate erschließen. So kommen zu den schon in altfranzösischer Zeit dem Konjunktiv erschlossenen axiologischen Prädikaten, die die größte konzeptuelle Nähe zu den deontischen Prädikaten aufweisen, im Mittelfranzösischen auch rein evaluative Ausdrücke hinzu, die wie il est content oder il me poise bis dahin ausschließlich in faktiven Kontexten verwendet wurden. Solche Verwendungen sind natürlich auch weiterhin üblich, wie das nachfolgende Indikativbeispiel zeigt, bei dem p am Index verankert ist.
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
(81) «M’amye, je ne vous puis celer ma folie, dont beaucop (sic!) / il me poise que jamais l’entreprins» (Les Cent Nouvelles Nouvelles, 1456, 77)
Die weiteren Vertreter der emotiv-faktiven Gruppe, die wir auch schon von der altfranzösischen Epoche her kennen, können im Weiteren recht summarisch behandelt werden: Beginnen wir wieder mit dem Verb s’(es)merveiller, das wir in folgender Weise charakterisiert haben: –– s’(es)merveiller: att(x): da p, obwohl exp: ¬p Die Verhältnisse bei diesem Verb decken sich vollkommen mit denen bei il me poise que p. Wird die dem Komplementsatz zugrundeliegende Proposition in w0 an einem t-Wert vor t0 instantiiert, so schlägt sich das konsequent in einer indikativischen Verbalmorphologie nieder. (82) «Item, s’esmerveille que on ne lui a communiqué les choses advenues à Paris depuis qu’il fu à Provins.» (Clement de Fauquembergue, Journal, T. 1, 1421, 257)
In dem folgenden Beispiel allerdings, wiederum aus Christine de Pizans Le livre de la mutacion de fortune, wird der Subjonctif im Sinne einer rhetorisch-diskursiven Strategie verwendet. p repräsentiert eigentlich einen in der Basiswelt w0 verifizierten Sachverhalt. Die Modusverwendung gibt diesen jedoch aus der Perspektive der Matrixsatzsubjekte wieder: Sie haben eigentlich – im Rahmen ihres doxastischen Modells – ¬p erwartet. Trotzdem ist p eingetreten. Das gesamte semantische Potential des Prädikats s‘esmerveiller wird in diesem Kontext ausgespielt und die Einstellung des Erstaunens als maximale Spannung zwischen der Erwartungshaltung von Subjekten gemäß ihres doxastischen Modells und den tatsächlichen Verhältissen «inszeniert»: (83) «[...], ja bien savoient Que ces dames venir devoient, Mais trop s’esmerveillent que femmes Soient de tel proece en armes» (Christine de Pizan, Le livre de la mutacion de fortune, T. 3, 1400, 147, T. 3, partie 6, XXXI)
Nach dem bisher Gesagten ist es konsequent, dass auch noch im Mittelfranzösischen der Indikativ Standardmodus bei regretter ist. Die Haltung bzw. Einstellung des Bedauerns richtet sich auf einen Sachverhalt p, der in der aktuellen Welt w0 für wahr gehalten wird. Wir erinnern an die Bedeutungsbeschreibung des Prädikats: –– regretter: attneg(x,p), Präsupposition: p = 1 als Defaultannahme; die entsprechenden p-Welten werden auf der Präferenzskala des Matrixsatzsubjekts (im Rahmen seines epistemischen Modells) niedrig eingestuft: (84) «Et quant je pense à ce quartier d’Angleterre où par droit vous vous devez appoyer et soustenir en voz affaires, je regrette que je n’ay l’entendement de ces grans et notables
Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen
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acteurs pour vous declarer que c’est [...].» (Olivier de la Marche, Mémoires T. 1/1470, 118, Introduction, chap. XXIII)
Ähnliches gilt auch für se plaindre: beschreibt p Tatsachen in der aktuellen Welt, so steht der Indikativ, beschreibt p Ereignisfälle (und damit bestimmte mögliche Welten, in denen p wahr ist), so wird der Subjonctif verwendet: (85) «La mer se plaint que pleuve, neige ou vente, Elle ne se peult tant des humains deffendre.» (La Cène des Dieux, 1492, 110)
aber: (86) «La terre, l’eau, l’air et le feu font plainte Que chair humaine est de vice enflammee.» (La Cène des Dieux, 1492, 114)
Werfen wir auch noch einen Blick auf die mittelfranzösischen Modusverhältnisse bei den nicht-veridischen Prädikaten espérer und craindre: –– Auch bei espérer dominieren indikativische Kategorien. Der Standardfall ist die Kombination von espérer und der Kategorie Futur (in Vergangenheitskontexten mit dem Conditionnel). Es bleibt also auch in mittelfranzösischer Epoche gültiges Bedeutungspostulat, dass der Komplementsatz zu espérer que grundsätzlich eine realistische Erwartung bzw. eine Default-Erwartung (exp*) charakterisiert, was in der Verbalkategorie Futur seinen Niederschlag findet. Indikativ (mit dem Passé composé): (87) «[...] mais j’espère que les ames n’ont point esté perdues.» (Philippe de Commynes, Mémoires T. 3, 1489, 82, livre VII, chap. XIV)
Futur: (88) «Pour vous parer, prince de hault affaire, Prudence suis, que Dieu à vous envoye, En esperant que ferez, pour luy plaire, Et entendrez pour le plus necessaire, à secourir l’église qui larmoye.» (Olivier de la Marche, Mémoires T. 2, 1470, 375, livre premier, chap. XXIX)
Propositionen, die Erwartungen enthalten, die hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit unterhalb der Standarderwartung liegen und damit aus dem w0-nahen Indexbereich herausfallen, werden – wie auch schon im Altfranzösischen – durch die Kategorie Subjonctif markiert. Das Modusspiel mit Erwartungswerten wird natürlich auch stilistisch – etwa in Form eines Höflichkeits- oder Devotheitstopos – instrumentiert, wie die folgenden Beispiele zeigen:
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
(89) «En esperant que de moy vous souveingne, S’Amours le vuet et vos gentilz cuers deingne» (Guillaume de Machaut, La louange des dames, 1377, 85, LXXIV. – Balade) (90) «[...] Esperant que brief vous concede Guerison et que le deuil saille De vostre corps.» (André de la Vigne, Le Mystère de Saint Martin, 1496, 467, Tierce Journée)
–– Auch im Falle von craindre wird das altfranzösische Modell in die mittelfranzösische Epoche tradiert. Wir hatten im vorangehenden Kapitel die logischsemantische Verwandtschaft zu espérer que p herausgestellt, die auch den Schluss von craindre que p auf espérer que ¬p erlaubte (nicht jedoch notwendigerweise den Umkehrschluss, da sich die beiden Prädikate hinsichtlich ihrer Default-Erwartungswerte bzw. Schwellenerwartungswerte für p nicht komplementär verhalten). Mit der Tatsache, dass der Sprecher/das Matrixsatzsubjekt zum Sprechzeitpunkt nicht weiß, ob p zu einem späteren Zeitpunkt eintreffen wird (¬p an t0 sowie ◊p an t’ (t’ > t0)) oder möglicherweise schon eingetroffen ist (◊p ∨ ◊¬p an t0) sowie der Präsupposition, dass der Sprecher/das Matrixsatzsubjekt sich eigentlich ¬p wünscht, ließ sich der ausnahmslose Subjonctif-Gebrauch nach craindre erklären. (91) «Il determine de fais ou operacions de vices opposites a fortitude car il craint que il ne li mespreigne en toutes choses.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 209, livre III)
Wie hier deutlich geworden ist, schreiben sich die Modusverhältnisse der altfranzösischen Epoche bei Ausdrücken der persönlichen Einstellung/Haltung weitgehend ins Mittelfranzösische fort. Der Subjonctif dringt überall da weiter in den Komplementsatz vor, wo die Nebensatzproposition keinen Sachverhalt in der aktuellen Welt oder einer w0-nahen Version zukünftiger Welten kennzeichnet, sondern Verhältnisse in möglichen oder idealen Welten beschreibt. Entscheidendes Kriterium für den Konjunktivgebrauch bleibt also entweder die mit dem Matrixsatzprädikat verbundene Einführung einer Norm oder eines Ideals oder aber eines Systems von Welten, die a priori nicht die aktuelle Welt mit einschließen. Entscheidende Neuerung der mittelfranzösischen Epoche ist die Ausschöpfung des intensionalen Potentials der evaluativen Prädikate, die in nicht-veridischen Kontexten auftreten, in denen sie an der Festlegung von Bedingungen mitwirken, unter denen die in Rede stehenden Welten einer bestimmten Wertungskategorie zugewiesen werden. Kommen wir zu den Modusverhältnissen bei den unpersönlich-axiologischen Ausdrücken: Ausdrücke, die eine Norm bzw. ein ordnendes Prinzip statuieren oder zumindest voraussetzen, selegieren grundsätzlich einen konjunktivischen Komplementsatz. In der folgenden Tabelle haben wir einmal alle wesentlichen Ausdrücke, die im mittelfranzösischen Korpus des Atilf figurieren, zusammengestellt: Wie man sehen kann, spezifizieren die Adjektive bzw. Prädikatsnomina des
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Matrixsatzes jeweils unterschiedliche Wertungsprinzipien bzw. -normen («Rechtmäßigkeit» (droit, juste), «der rechte Moment/Zeitpunkt» (temps, saison), «die Vernunft» (raison), «soziale Zweckmäßigkeit»/«sozialer Nutzen» (convenable), «Zweckmäßigkeit» (expedient) und so fort). Die Einführung eines axiologischen Prinzips ist mit dem Notwendigkeitsoperator verbunden: p ist notwendig, weil das axiologische Prinzip als Ordnungsprinzip gilt. Die axiologischen Ausdrücke lassen sich deshalb mithilfe des Notwendigkeitsoperators und einer spezifizierenden Angabe hinsichtlich des relevanten axiologischen Prinzips analysieren, zum Beispiel: il est convenable que p: □ p, axiologisches Prinzip: soziale Übereinkunft; il est saison que p: □ p, axiologisches Prinzip: die rechte/angemessene Zeit; il est raison que p: □ p, axiologisches Prinzip: Logik, Vernunft; Das Zusammenspiel axiologischer Prädikate mit dem Notwendigkeitsoperator erklärt auch die konsequente Selektion des konjunktivischen Modus. Das Gesagte gilt auch für die Ausdrücke bon und mieulx, die ebenfalls die Geltung einer Ordnungsquelle bzw. eines Ideals (ordering source) voraussetzen, die – zumindest implizit – im Sinne eines Notwendigkeitsoperators wirkt.32 Tabelle 29 : Il est + PRÄDIKAT (Modusselektion bei axiologischen Prädikaten) Il est ADJ/NOM
Subjonctif
Force
X
Droit
X
Juste
X
Temps
X
Saison
X
Raison/raisonnable
X
Convenable
X
Expedient
X
Indicatif
sowie Bon
X
Mieulx
X
32 Die Beziehung zwischen dem «Guten» und deontischer Notwendigkeit (etwa: est bonum p → □p) ist ein Schlüsselmotiv der abendländichen Philosophie. Wir können auf diesen Zusammenhang hier selbstverständlich nicht näher eingehen. Verwiesen sei aber auf die Ideenlehre Platons, die Metaphysik des Aristoteles und Thomas von Aquin sowie den kategorischen Imperativ.
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Zur sprachhistorischen Dokumentation führen wir je einen Beispielsatz aus dem mittelfranzösischen Korpus des Atilf an: –– Force/forcé: (92) «Il est forcé que du monde m’exente Pour contempler de Dieu la passion, Dont, en effet, j’ay grant devocion En quelque lieu d’estre religïeux» (Andre de la Vigne, Le Mystere de Saint Martin, 1496, 358, seconde journée) (93) «[...] il est force que je le sache» (Les cent nouvelles nouvelles, 1456, 317, la XLIIe nouvelle, Monsieur de la Roche)
–– Temps: (94) «Zebel, il est temps que je doie Faire m’offrande, ce m’est vis.» (Miracle de la Natavite nostre Seigneur Jhesu Crist, 1343, 222)
–– Droit: (95) «‹Sire›, dist Marcus, ‹puis qu’il vous plaist, il est droit que je vous die verité, quoy qu’il en doie avenir›.» (T. Berinus, 2/1350, 129)
–– Eure: (96) «Il est l’eure que la mort du roy Clarion, que tu as occis, sera vengee!» (Jehan Bagnyon, L’histoire de Charlemagne, 1465, 196, tiers livre, premiere partie, chap. XII)
–– Expedient: (97) «Qui veult que ses enfans ne soient paoureux, il est expedient que incontinent aprés le baptesme de l’enfant, le pere lui face empoingnier de la main droite son espee ou son glaive, et il sera toute sa vie hardis.» (Les Evangiles des Quenouilles 1, 1466, 100)
–– Raison: (98) «Il est bien raison que, ou nombre et procès de la vie et bonnes meurs des nobles freres du roy Charles, [...], soit ramenteu et mis en memoire les biens fais et condicions dignes de louenge du tres noble et en toutes choses bon, Loys, duc de Bourbon, filz jadis du bon du Pierre […]» (Christine de Pizan, le livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, 1404, 153, seconde partie, chap. XIIII)
–– Raisonnable: (99) «Et se il est nul autre don fait des dieux as hommes, il est raisonnable que felicité soit don de Dieu, mesmement, en tant comme c’est le plus grant et le meilleur de tous les biens humains.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 128s., livre I)
–– Saision: (100) «Aussi, par semblable moyen, il est saison que je m’en voise.» (Sotie des sots Gardonnez ou des trois ..., 1488, 111)
–– Convenable: (101) «[...] il est bien convenable que ilz soient mis en accusacions pour la superhabon-
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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dance de leurs promesses» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 453, livre IX)
–– Juste: (102) «Aprés je di que selon raison naturel et selon droit qui est naturel et convenable a toute bonne policie, il est juste que un seul ait par mariage une seule.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370 (commentaire), 1370, 444, livre VIII, chap. 17)
Axiologische Prädikate selegieren also grundsätzlich den Subjonctif in mittelfranzösischer Zeit. Bei dieser Gruppe sind zwei konzeptuelle Merkmale salient, die auch die Moduswahl determinieren: Zum einen die Tatsache, dass sie ein Prinzip bzw. ein Ideal einführen und zum anderen, dass sie mit dem Notwendigkeitsoperator assoziiert sind: Die Komplementproposition p muss in allen Welten wahr sein, die dem statuierten Ideal maximal nahe kommen. Die Bilanz für die Modusselektion im Bereich der evaluativen Einstellungsprädikate kann kurz ausfallen: Der konjunktivische Modus hat sich in der Domäne der axiologischen Prädikate generalisiert, wohingegen bei den deskriptiven Prädikaten die Modusalternation charakteristisch bleibt. In Kontexten, in denen die Wahrheit von p präsupponiert wird, bleibt der Indikativ die Regel. In intensionalen Kontexten hingegen ist der Subjonctif obligatorisch. In der mittelfranzösischen Epoche findet also keine Umstrukturierung des Modussystems statt, sondern das Charakteristische liegt vielmehr in einer Umakzentuierung des bestehenden Systems: So wird das Inventar der axiologischen Prädikate deutlich ausgebaut und damit auch die mit dem Konjunktiv assoziierten Bereiche der evaluativen Domäne. Die nun sehr präsente Gruppe der axiologischen Prädikate stellt gewissermaßen eine Zwischengruppe zwischen den deontischen und den deskriptiven evaluativen Prädikaten dar. Darüber hinaus wurde die Verwendung der deskriptiven Prädikate (wie content oder peser) in intensionalen Kontexten ebenfalls deutlich ausgebaut, d.h. auch sie traten vielfach in Verbindung mit dem konjunktivischen Modus auf. Der Rubikon allerdings, die Überschreibung der Wahrheitspräsupposition in veridischen Kontexten, wurde aber in der mittelfranzösischen Epoche noch nicht überschritten.
3.5 Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert Noch im 16. Jahrhundert selegieren evaluative Prädikate, deren Komplemente durch die Wahrheitspräsupposition charakterisiert sind, grundsätzlich den indikativischen Modus. Dies ändert sich jedoch im 17. Jahrhundert, wobei sich vor allem ab den 1620er Jahren eine deutliche Wendung abzeichnet. Insbeson-
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
dere das sehr frequente Prädikat content vermittelt einen Einblick in die Art des Wandels bzw. lässt dessen «Logik» deutlich werden. Im Frantext-Korpus lässt sich auch schon für das 16. Jahrhundert eine Vielzahl von Beispielen für eine konjunktivische Verwendung von content feststellen. Dabei machen diese Beispiele aber deutlich, dass die Verwendung des Subjonctif noch immer ausschließlich an intensionale Kontexte gebunden ist, – das Französische des 16. Jahrhunderts mithin die Verhältnisse des Mittelfranzösischen fortschreibt. Das Besondere der Modusselektion besteht nun vor allem darin, dass das intensionale Potential des jeweiligen Prädikats auf Kosten seiner faktiven Lesart profiliert wird. Aus der Vielzahl der Beispiele greifen wir drei heraus, die wir noch einmal ein wenig genauer kommentieren wollen. Zunächst können wir den Ausdruck je suis content que p oftmals als Teilkomponente eines bedingungssatzähnlichen Kontextgefüges dokumentieren, so auch in dem ersten Illustrationsbeispiel: (103) «Que si d’aventure cela arrive, je suis content que lors on ne me permette plus de vivre, mais me soit la teste trenchee tout sur l’heure, comme à un menteur que j’auray esté.» (Blaise de Vigenère, L’Histoire de la décadence de l’Empire grec, et establissement de celuy des Turcs, comprise en dix livres par Nicolas Chalcondyle [trad.], 1577, 152, livre III, chap. III)
In dem Beispiel gilt die Apodosis je suis content que p lediglich für die durch den Restriktor (die Protasis) festgelegte Domäne (si d’aventure cela arrive). Durch die Protasis wird von vorneherein eine bestimmte Teilmenge von Welten – mögliche Welten, in denen ein bestimmtes Ereignis eintritt – herausgegriffen und nur im Hinblick auf diese Welten ist der Hauptsatz überhaupt relevant. Nun gibt das Hauptsatzprädikat content ein Ideal vor, an dem die möglichen Welten der Kontextmenge gemessen werden. Am höchsten gewichtet werden die Welten, die dem Ideal am nächsten kommen (content-Welten) und diese idealen Welten zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen die Proposition p (ne_pas_permettre_plus_de_ vivre’(x)) erfüllt ist. Anders ausgedrückt: p-Welten gehören zu den Welten, in denen das content-Ideal erfüllt ist. Alle anderen Welten sind für die Auswertung der Nebensatzproposition irrelevant. In dem folgenden Beispiel präsupponiert der Komplementsatz p ebenfalls keinen wahren Sachverhalt, sondern statuiert eine Bedingung bzw. Bedingungen, die gelten muss (bzw. müssen), damit die entsprechende(n) Welt(en) überhaupt Kandidaten für die Menge der content-Welten sind, also das Ideal realisieren. Typischerweise sind es die Verbalkategorien Konditional und Futur, die intensionale Kontexte schaffen, da sie ein System alternativer möglicher (hypothetischer bzw. zukünftiger) Welten einführen. In dem folgenden Beispiel markiert der Sprecher durch Konditionalmorpho-
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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logie die content-Welten ganz explizit als hypothetische Welten, die er dann im Weiteren näher charakterisiert: (104) «Bref, il ne songe à autre chose qu’à l’avarice, et seroit content que chacun le resemblast.» (Pierre de Larivey, Les Esprits, 1579, 7, acte I, scène première)
In Beispiel (105) ergibt sich diese Bedingungs-Lesart aus dem Kontext: Der Sprecher soll sich eine bestimmte – durch p beschriebene Vorstellung – machen, damit er das relevante Illustrationsbeispiel besser verstehen kann. In diesem Kontext sind der Bedingungscharakter von p und der sich aus seiner Pragmatik ergebende Aufforderungscharakter untrennbar miteinander verbunden. Der sich anschließende Finalsatz (afin que q) sichert die intensionale Lesart der Textpassage gewissermaßen rückwirkend ab. (105) «[...] Or ce n’est pas le soleil qui se change, car il est en mesme lieu, auquel je suis content que vous l’imaginiez arresté avec les coperniceens, afin que vous entendiez mieux l’exemple. C’est donc le changement de la lune, qui est en cause.» (Le Père Marin Mersenne, L’Impiété des déistes, athées et libertins de ce temps, 1624)
In den intensionalen Kontexten wird das Prädikat content als ein abstraktes Prinzip bzw. Ideal profiliert, dem der konjunktivische Komplementsatz als Definiens der allgemeinen Erfüllungsbedingungen, zugeordnet ist. Die Nebensatzproposition nimmt von den aus der Kontextmenge erwachsenden möglichen zukünftigen Welten jene besonderen Welten in den Fokus, die das content-Ideal in der von ihr statuierten Weise erfüllen. Gerade in den analysierten intensionalen Kontexten tritt das klassifikatorische Potential deskriptiv-evaluativer Prädikate besonders deutlich hervor. Diese fungieren als Klassifikatoren von Sachverhaltstypen und ihre konjunktivischen Komplementsätze als mögliche Realisierungsbedingungen. Der Übergang zu einer generellen Verwendung des Subjonctif nach il est content que p lässt sich schwierig bestimmen, da es einerseits nicht viele Belegbeispiele für die Komplementsatzkonstruktion gibt und zum anderen die vielfältigen Homonymien im indikativischem und konjunktivischen Präsensparadigma oftmals keine eindeutige kategorielle Zuordnung erlauben. Noch in dem folgenden Beispiel – von 1631 – wird das Prädikat content in einem intensionalen Kontext verwendet (Formulierung eines Ideals) und im Komplementsatz nicht auf einen veridischen Sachverhalt referiert: (106) «[...] qu’il court par tout où l’appelle la necessité publique: et d’autant qu’il sçait bien que les roys et les royaumes ne peuvent jouïr d’un mesme repos, il est content que les peines et les dangers soient pour luy, et que la paix et la seureté soient à la *France.» (Jean-Louis Guez de Balzac, Le Prince, 1631, 160)
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
So lässt sich für das 17. Jahrhundert, mit dem wir den Untersuchungsradius unserer Studie abgesteckt haben, kein eindeutiger Fall für einen systematischen Gebrauch des Subjonctif bei präsupponiertem p feststellen. Charakteristisch sind vielmehr homonyme Fälle und ambige Lesarten (p als wahrer Sachverhalt und als Erfüllungsbedingung für die content-Norm) sowie grundsätzlich die Tatsache, dass Komplementsatzstrukturen des Typs il est content que p wenig frequent sind. Diese Situation (Homonymie, Lesartenambiguitäten und geringe Gebrauchsfrequenz) kann aber auch als eine ideale Voraussetzung für einen Wandelsprozess angesehen werden. So verfügten die Sprecher einerseits nur über geringe sprachliche Evidenz, andererseits ließen die semantischen Kontexte oftmals auch zwei Lesarten zu: Die Komplementsatzproposition konnte in diesen Fällen als ein mit der Wahrheitspräsupposition versehenes p interpretiert werden (es referierte dann auf reale Welten) oder als ein Bedingungs-p für die Erfüllung des contentIdeals (hier verwies es auf virtuelle Idealwelten). Dieses bis ins 17. Jahrhundert funktionierende Modussystem muss dann auch unter dem Einfluss der Modusentwicklung anderer Prädikate zunehmend brüchig geworden sein. Betrachten wir nun im Vergleich zu content die Entwicklung der Modusselektion bei weiteren evaluativen Prädikaten. Zunächst fällt auf, dass sich bei vielen Prädikaten keine deutlich greifbare Übergangsetappe auf dem Weg zur Generalisierung des Subjonctif festmachen lässt. Zudem gibt es zu einer Reihe von Prädikaten nur wenige Okkurrenzen in den Korpora. Zum Beispiel begegnen uns lediglich zwei Belege für joyeux/joyeuse für die Zeit um 1530 – in beiden Fällen selegiert das Prädikat einen indikativischen Komplementsatz. Erst rund 100 Jahre später findet sich ein vergleichbarer Beleg, jetzt aber mit dem konjunktivischen Modus. Man vergleiche die Beispiele: (107) «Wybeke, la mere de Ulespiegle, estoit fort joyeuse que son filz estoit si coy et luy dist qu’il voulsist laisser les maulvaises conditions et meurs, car par icelles l’on ne peult gaigner argent, et qu‘il apprendist ung mestier.» (Anonyme, Ulenspiegel, 1530, 154, Histoire 5) (108) «Dit-elle au fin berger, que je suis joyeuse que cette affaire soit si bien reussie et que personne n’ait veu ces lettres!» (Honoré d’Urfé, L’Astrée: T. 4: 4ème partie: livres 1 à 12, 1627, 309, livre 6)
Gleiches – geringe Gebrauchsfrequenz und starke Diskontinuität der Belege – gilt auch für das Prädikat aise: Die Frantext-Recherche erbringt einen frühen indikativischen Beleg von 1550, einen weiteren, späteren, immer noch indikativischen Beleg aus dem Jahre 1610. Erst in den Briefen der Mme de Sévigné tritt das Prädikat dann wieder in der Zeit um 1675 (!) in Erscheinung, jetzt aber unter den Vorzeichnen des neuen Modussystems.
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(109) «Saffredent luy respondist: ‹En quelque sorte que ce soit, je suis bien ayse que vous estes de mon opinion›.» (Marguerite de Navarre, L’Heptaméron, 1550, 1107) (110) «Soeur Jeanne en fut si aise qu’elle en rit encore, et nous dit: que je suis aise que ce gros coquebin-là est hors de ceans!» (Béroalde de Verville, Le Moyen de parvenir, 1610, 79) (111) «Je suis aise que vous ayez des comédiens» (Mme de Sévigné, Correspondance: T. 1: 1646–1675, 1675, 222, 1671)
Bei anderen Wertungsprädikaten lassen sich anhand der Korpusbelege aus Frantext die folgenden Zeitpunkte als Wendemarken für eine Generalisierung des Subjonctif-Gebrauchs – auch in jenen Kontexten, in denen die Wahrheit der Komplementsatzproposition p präsupponiert wird – ermitteln: –– être ravi que p ab 1648 (Beleg bei Vincent Voiture, Lettres) (112) «Sans mentir, monseigneur, de tous les beaux esprits, de tous ceux qui artem tractant musicam, il n’y en a point qui l’entende si bien que vous, je suis ravy que mes vers ne vous ayent pas dépleu» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 592s., lettre 198 à MGR d’Avaux)
–– être honteux que p seit 1638 (Beleg in den Lettres Guy Patins) (113) «Je suis honteux que vous nous faciez tant de présens, veu que je n’ay aucune occasion de deçà pour m’en revancher» (Guy Patin, Lettres t. 1: 1630–1649/1649, 128, 1638)
–– être heureux que p: Während im 16. Jahrhundert, wie auch bei anderen Prädikaten, der Indikativ noch üblich ist, generalisiert sich der Konjunktivgebrauch nach 1634: (114) «Au pis aller, je suis heureuse / Que ceste estincelle amoureuse / A touché sa perfection.» (Jacques Grévin, La Trésorière, 1562, 36, acte second, scène II) (115) «Trop heureux que mon sang puisse te satisfaire / Je veux tout donner au seul bien de te plaire, Toujours pour les duels on m’a vu sans effroi / Mais je n’ai point de lame à trancher contre toi.» (Pierre Corneille, La Veuve ou Le Traître trahi, 1634, 256, acte troisième, scène III)
–– être malheureux que p (+ Subjonctif): Einer der raren Belege stammt aus den Lettres Guy Patins von 1641: (116) «Je suis malheureux que je n’aye pas esté céans, quand m. [...].» (Guy Patin, Lettres: t. 1: 1630–1649/1649, 210, 1641)
–– être étonné que: Belege für einen exklusiven Subjonctif-Gebrauch seit den 1660er Jahren: Der folgende Beleg ist der erste in einer Serie von nachfolgenden konjunktivischen Komplementsatzkonstruktionen: (117) «Le soleil baisse fort, et je suis étonné Que mon valet encor ne soit point retourné.» (Molière, Les Fâcheux, 1662, 57, acte II, scène première)
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
In der Correspondance der Mme de Sévigné werden die genannten faktiv-emotiven Konstruktionen nun regelmäßig und systematisch im Subjonctif verwendet. (cf. Mme de Sévigné, Correspondance: t. 1: 1646–1675/1675). –– être fâché que p: Erst in den Briefen der Mme de Sévigné lässt sich der allgemeine Konjunktivgebrauch im Verbindung mit dem Prädikat fâché nachweisen. Noch in den Briefen Vincent Voitures aus den 30er und 40er Jahren des Jahrhunderts ist der Indikativ üblich, wie die folgenden Belege zeigen: (118) «Cela me doit estre en quelque sorte avantageux et mesme agreable: mais je suis fasché que cela m’ostera quelque temps le moyen de voir de vos lettres, et de vous voir vous mesme, car je crois que vous serez à Paris devant que je sois de retour.» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 305s., lettre 90 à M. Costart, 1639) (119) «Je suis fasché que je ne pris garde à vous, quand vous mangiez ce biscuit de canelle à *Gentilly, car sans doute les oreilles vous alloient.» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 309, lettre 91 à M. Costart)
–– Bei dem gut belegten Prädikat marry/marrie, das jedoch bis zur Mitte der 1630er Jahre außer Gebrauch gerät, wird zu den bisher genannten Aspekten zudem eine besondere autorenspezifische Präferenz für die eine oder andere Moduslösung deutlich. In den Belegen von 1548 (Philibert de Vienne) bis 1610 wird stets ein indikativischer Komplementsatz selegiert, sofern die Wahrheit von p präsupponiert wird – ein Beispiel: (120) «je suis marry que n‘estes venu en manger vostre part.» (Bonaventure Des Périers, Les Nouvelles récréations et joyeux devis de feu Bonaventure des Périers, 1. (1558), 1558, 510, première partie, nouvelle LXXII)
Der Subjonctif findet sich natürlich in Komplementsätzen, die im Skopus des Negationsoperators stehen oder – wie im Falle von content que + Subjonctif – eine Bedingungslesart besitzen, wie etwa in dem nachfolgenden Beispiel: (121) «Je serois marry que cela vous advinst.» (Béroalde de Verville, Le Moyen de parvenir, 1610, 53, 19 Métaphrase)
Der Autor der Astrée, Honoré d’Urfé, verwendet erstmals systematisch in allen Kontexten das Prädikat marry/marrie in Verbindung mit einem konjunktivischen Komplementsatz. (122) «Et suis bien marrie que vous m’ayez trouvée en estat que je ne puisse disposer de ma volonté» (Honoré d’Urfé, L’Astrée: T. 2, 2ème partie: livres 1 à 12/1610, 361, livre 9)
Genauso konsequent für eine konjunktivische Systematik optiert der Zeitgenosse Nicolas Peiresc in seiner Privatkorrespondenz (Lettres, 1617–1627):
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(123) «Je suis marry que les notes de Mr Rigault sur le Tertullian ne soient en estat d’estre veües aussytost que je le desirois.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, T. 1: Lettres aux frères Dupuy: 1617–1627, 1627, 163)
Demgegenüber vertreten Mersenne, Georges de Scudéry und der junge Pierre Corneille in den ausgehenden 20er und in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts noch die traditionelle Lösung einer Markierung mit dem Indikativ, sofern die Wahrheit der Proposition p präsupponiert wird. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren: (124) «Car je ne sçay ce que vous voulez dire que j’ay fait une grande playe à l’un de vos amis et aux miens, si ce n’est que j’ay dit quelques paroles de compassion à cet honneste homme liegois d’un de ses amis et des miens, de ce qu’il a quelques opinions que je desirerois qu’il quittast et que j’estois marry que quelqu’un les fomentoit.» (Le Père Marin Mersenne, Correspondance: t. 5: 1635/1635, 302) (125) «GERASTE C’est moy qui suis marry que pour cet Hymenée / Je ne puis revoquer la parole donnée, / L’avantageux party que vous me presentez / Me verroit sans cela prest à ses volontez.» (Pierre Corneille, La Suivante, 1637, 112, acte V, scène cinquiesme)
Die Recherche in Frantext ergab keine weiteren Belege nach 1638. Das Beispiel marry/marrie ist insofern interessant, als es anders als die übrigen Prädikate (sieht man einmal von dem Fall content ab) die Entwicklungsperiode zwischen 1550 und 1640 aufgrund seiner relativ hohen Vorkommensdichte gut abdeckt. So zeigt sich, dass bis 1610 die aus dem Mittelfranzösischen ererbte Modus-Systematik noch ihre volle Gültigkeit besitzt. Erst danach beginnt eine Übergangsphase, während der eine autorenspezifische Variation zwischen der traditionellen Norm einerseits und einem Übergang zu einem neuen, den konjunktivischen Modus bei der lexikalischen Klasse der wertenden Prädikate generalisierenden Modell beobachtet werden kann. Die Übergangsphase ist nach 1640 noch nicht abgeschlossen, jedoch existieren keine späteren Belege mehr für das untersuchte Prädikat. Die übrigen genannten Wertungsausdrücke fâché, étonné, malheureux, honnteux, aise und ravi zeigen, dass sich der Generalisierungsprozess – je nach Prädikat – bis nach 1660 hinziehen konnte. Dies macht nun einerseits deutlich, dass sich seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zwar eine grundsätzliche Tendenz zur Generalisierung des Subjonctif nach Wertungsprädikaten (i.e. evaluativen Einstellungsprädikaten) abzeichnete. Andererseits wird aber erkennbar, dass sich dieser Prozess höchst ungleichzeitig vollzog und offenbar stark an die einzelnen lexikalischen Einheiten gekoppelt war, bevor er schließlich die gesamte Prädikatenklasse erfasste. Die Belege für die einzelnen lexikalischen Einheiten sind, wie wir gesehen haben, recht spärlich gesät, sodass sich eine allgemeine Chronologie des Übergangs zum Subjonctif nicht rekonstruieren lässt. Es fällt aber auf, dass Prädikate, die einen als Ordnungsprinzip wirkenden Wertbegriff, etwa bonheur (être heureux) oder honneur (honteux) präsupponieren, früher
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(meist in den 1630er Jahren) zu einer Generalisierung des Subjonctif tendierten, als solche, die einfach nur eine bestimmte Befindlichkeit bzw. emotionalen Zustand (être fâché, être marry, être ravi) denotieren (erst bis 1660). Um aber ein generelles Fazit ziehen zu können, sollten wir noch weitere charakteristische Prädikate untersuchen. Wir wenden uns deshalb wieder der Gruppe der wertenden Verben zu: a) Verben des Typs: att(x,p)pos wie s’esjoïr (‘sich freuen‘) (→ siehe oben unter gaudere): Präsupposition: p = 1, zugleich besitzen p-Welten auf einer Präferenzskala eine hohe Rangzahl: Das Verb se réjouir (se resjouyr) usualisiert sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts und selegiert stets einen konjunktivischen Komplementsatz. Wir führen einen frühen Beleg an: (126) «Je suis tout réjouy que vous ayez distribué vos thèses avec contentement.» (Guy Patin, Lettres, T. 1: 1630–1649/1649, 519/1646)
b) Verben des Typs: s’esmerveiller/s‘étonner: att(x,p): da p, obwohl exp: ¬p. Präsuppositionen: default-exp: ¬p; in Mepi(x): Exp(x,p) < Exp(x,¬p); ¬p ist im Rahmen des epistemischen Modells des Sprechers oder Matrixsatzsubjekts auf einer Erwartungskala weit oben angesiedelt, wohingegen p einen geringen Erwartungswert besitzt. Für das 16. Jahrhundert lassen sich nur wenige Verwendungen für étonner que p nachweisen. Die Konstruktion tritt erst seit den 1570iger Jahren in Erscheinung und selegiert stets noch den Indikativ. (127) «[...] mais chacun, avec moi, se doit bien étonner que cette monarchie romaine, s’étant vaincue soi-même par divisions et partialités, et, comme la tête d’une hydre, démembrée en tant de pièces, chacune d’icelles néanmoins se maintient si heureusement, que [...].» (Jacques Yver, Le Printemps (extraits), 1572, 1143, seconde histoire)
Bis 1620 ist der Indikativ allgemein üblich (cf. Béroalde de Verville, Le Moyen de parvenir, 1610, 358, 98 [Demonstration]), seit dem zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts sind jedoch autorenspezifische Schwankungen zu beobachten. Besonders interessant ist diese Tendenz bei Schriftstellern wie d’Urfé oder Mersenne, die, wie wir gesehen haben, im Hinblick auf das Prädikat marry für ein konsequentes Modusreglement optiert haben (allerdings unter jeweils umgekehrtem Vorzeichen), im Falle von étonner jedoch eine komplexe, modusdifferenzierende Lösung favorisieren: Mersenne favorisiert – ähnlich wie d’Urfé – grundsätzlich schon den Subjonctif, wählt aber den Indikativ in jenen Fällen, in denen an der Wahrheit von p nicht der geringste Zweifel bestehen kann: So kann der Sprecher als Subjekt des
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Komplementsatzes für die Wahrheit desselben und im nachfolgenden Beispiel für die rechte Einschätzung seiner Interaktion mit dem Gesprächspartner bürgen (der Sprecher charakterisiert dessen Verhalten anhand der Komplementsatzproposition p). (128) «[...], car au lieu de m’epouvanter de la peine que j’ay aprez les imprimeurs, vous vous estonnez que je n’en ay point encore davantage.» (Le Père Marin Mersenne, Correspondance, T. 5: 1635/ 1635, 208) (129) «Je m’estonne que vous ne me mandez point s’il est allé en Italie.» (Le Père Marin Mersenne, Correspondance, T. 3:1631–1633/1633, 357, 1633)
In den konjunktivischen Beispielen jedoch liegt der Fokus eindeutig auf dem Erstaunen des Sprechers über den durch p charakterisierten Sachverhalt, zumal dieser gute Gründe für die Default-Annahme ¬p anführen kann. Wie der Kontext des nachfolgenden Beispiels zeigt, führt der Sprecher zunächst explizit die Argumente an, die seine eigene Erwartung, dass nämlich eigentlich ¬p der Fall sein müsste, rechtfertigen. Im Gegensatz dazu wird p als die im Rahmen seines Erwartungskalküls weniger wahrscheinliche Alternative gekennzeichnet, obwohl sie in der Basiswelt w0 wahr ist. Das Beispiel ist insofern besonders interessant, als es erstmals die pragma-linguistische Funktionalisierung des konjunktivischen Modus in veridischen Kontexten (also vor dem Hintergrund der Präsupposition, dass p wahr ist) aus Gründen der Expressivität manifestiert: In dem Beispielkontext wird die geringere Erwartungswahrscheinlichkeit von p (und damit die Konter-Erwartung, dass ¬p) gegenüber dem Wahrheitsstatus von p herausgestellt. Die mit dem Prädikat assoziierte Erwartungsskala erlangt damit eine prominentere Stellung als die reine Frage nach dem Wahrheitswert der Proposition. Die hier charakterisierte Konstellation ist im Übrigen keineswegs unüblich, wie die Dominanz der «Erwartungsskala» als salientes Kriterium für die Festschreibung der Modusverhältnisse im einfachen Konzessivsatz des Französischen (und auch des Italienischen (benchè + SUBJ) und des Portugiesischen (embora + SUBJ)) beweist.33 (130) «Et je m’estonne que vous ayant envoyé les deux livres du son et des mouvements où j’examine si particulierement et si peniblement les observations du Sr Galilee, vous ne m’en escriviez pas un seul mot, puisque je m’estois souzmis à y changer ce que vous jugeriez à propos.» (Le Père Marin Mersenne, Correspondance, T. 5:1635, 478)
33 Cf. Fr/It/Ptg. «Pierre se promène bien qu’il pleuve»/«Pietro fà una passeggiata benchè piova»/«O Pedro dá um passeio embora chova». Cf. aber im Spanischen: «Pedro da un paseo aunque llueve» (+ Indikativ).
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In Honoré d‘Urfés L‘Astrée ist die Übergangsphase von einem veridischen zu einem generalisierten konjunktivischen Modell in fast idealtypischer Weise greifbar: In den indikativischen Komplementsätzen stellt der Autor die Faktizität eines episodischen Ereignisses in den Vordergrund, sodass die kommentierte Einstellung (in der Regel des Sprechers) als akzidentelles Moment hinzukommt. Typisch sind dabei insbesondere indikativische Vergangenheitstempora, die den episodischen Charakter der in den Fokus genommenen Ereignisse kennzeichnen (in erster Linie also das Passé Simple) und diese eindeutig auf der temporalen Achse verorten. (131) «[...], je fus tout estonné que luy et toute la trouppe, frappant des mains tout à coup dans l’eau, ils la firent rejaillir si haut, que je les perdis de veue, [...].» (Honoré d’Urfé, L’Astrée, T. 3, 3ème partie: livres 1 à 12, 1631, 135, livre 3)34
In den konjunktivischen Beispielen lässt sich nun eine interessante Übergangssituation feststellen: D’Urfé elaboriert in seinem Text in systematischer Weise die klassifikatorische Komponente der evaluativen Prädikate durch modalisierende Verfahren. Entscheidend ist dabei die Tatsache, dass durch die Modalisierung des Matrixsatzprädikats die Wahrheitspräsupposition der Komplemente praktisch «überschrieben» wird. Ein typisches Verfahren ist die Integration des Verbs étonner in einen Bedingungssatzkontext. So wird in dem folgenden Beispiel der Matrixsatz vor dem Hintergrund der durch die Protasis determinierten möglichen Welten evaluiert. Diese besonderen, durch Konditionalmorphologie ausgewiesenen Auswertungswelten werden zudem noch weiter durch das modalisierende Adverb peut-être eingegrenzt. Vor dem Hintergrund der Modalisierung der evaluativen Komponente des Matrixsatzes tritt die Wahrheitspräsupposition des Komplementsatzes p vollständig zurück. Mehr noch: Im Verhältnis zum nicht-veridischen Status der profilierten Wertungskategorie kann der Komplementsatz p keinen autonomen Status mehr beanspruchen. (132) «Que s’il estoit autrement, et que vous eussiez volonté que je vous en disse des particularitez, peut-estre seriez-vous estonnée que j‘ en aye tant sceu, et que j‘ en aye fait paroistre si peu [...].» (Honoré d‘ Urfé, L‘Astrée, T. 2 : 2ème partie: livres 1 à 12, 1610, 459, livre 11)
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse auch in dem nächsten Sprachwandelkontext: Hier elaborieren der Negations- sowie der Notwendigkeitsoperator den
34 Ähnlich Honoré d’Urfé, L’Astrée, T. 2: 2ème partie: livres 1 à 12, 1610, 424, livre 10.
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welt-zeitlichen Status der Wertungskategorie. Wiederum ist ihr verikonditionaler Status für die Modusselektion ausschlaggebend und nicht mehr die Wahrheitspräsupposition des Komplementsatzes p. (133) «[...] il ne faut pas s’estonner que je n’en aye pu rien descouvrir [...].» (Honoré d’Urfé, L’Astrée: T. 4: 4ème partie: livres 1 à 12, 1627, 634, livre 10)
Diese beiden und noch zahlreiche andere Vorkommenskontexte des Subjonctif nach étonner machen deutlich, dass der Komplementsatz p in vollkommener Abhängigkeit vom Matrixsatz (und seiner indexalen Verankerung) interpretiert wird und folglich die Wahrheitspräsupposition von p, wenn auch nicht aufgehoben, so doch «überschrieben» wird. Die Konjunktivverwendung in den modalisierten Kontexten lässt erkennen, in welcher Weise die evaluative Komponente reinterpretiert wird: Diese fungiert nämlich nun als Klassifikator, der Klassen von Situationen (bzw. Ereignissen) gleichen Typs zusammenfasst bzw. subsumiert. Das Matrixsatzprädikat wird mithin als eine evaluative Kategorie verstanden, die auf Situationen, die bestimmte charakteristische Bedingungen aufweisen, angewendet werden kann. Im Verhältnis dazu erscheint der Komplementsatz p als Instanziierung des unter die Kategorie fallenden Situationstyps, ganz gleich, ob p nun veridischen Status besitzt (also in w0 wahr ist) oder nicht. Hierin liegt nun auch der Unterschied zur Funktion des Komplementsatzes in den intensionalen Kontexten, die für die mittelfranzösische Epoche kennzeichnend waren: Fungierte er dort stets als Domänenrestriktor, der in abstrakter Weise die Bedingungen statuierte, die erfüllt sein mussten, damit eine Situation bzw. ein Sachverhalt unter die Wertungskategorie fiel, so wird p nun als eine Instanz interpretiert, die aufgrund ihrer Charakteristika zur Klasse der Situationen gehört, die der Wertungskategorie zugeordnet werden können. Der wahrheitsfunktionale Status der durch p ausgedrückten Instanz tritt gegenüber dem klassifikatorischen Potential der Wertungskategorie vollständig zurück. Der entscheidende Schritt zu dieser Reinterpretation führte über die Stärkung des Wertungsprädikats durch modalisierende Verfahren. Dank dieser modalisierenden Verfahren wurde das klassifikatorische Potential des Wertungsprädikats besonders elaboriert (durch Festlegung seiner Geltungsdomäne), wohingegen p als instanziierter Situationstyp gänzlich aus dem Fokus trat. Die letzte Entwicklungsetappe hin zu einer Generalisierung des konjunktivischen Modus nach étonner kann rasch resümiert werden: Ein Autor wie Jean-François Senault verwendet den Indikativ lediglich noch als stilistische Variante zum ansonsten üblichen Konjunktiv (vielleicht noch in einer gewissen abstufenden Funktion).
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(134) «Je m’estonne que les Stoïciens n’ont en cet endroit tous les hommes pour leurs partisans, et que leur opinion ne soit passée en une loy parmy tous les peuples du Monde: [...].» (Jean-François Senault, De l’usage des passions, 1641, 186, premier traité, De l’Amour et de la Haine, I. Discours)
Ein für sprachliche Innovationen aufgeschlossener Autor wie Nicolas de Peiresc verwendet den Subjonctif nach s’étonner que schon auf der Schwelle zu den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts praktisch ausnahmslos. Ein Zitat mag beispielhaft für eine Vielzahl von Okkurrenzen stehen:35 (135) «Je n’estonne que la figure de ce canal du Rhin ne soit desja imprimée veu l’inclination des gens du païs ou l’on y travaille de faire incontinant voir au jour les images de tout ce qui s’y faict en public, [...].» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 1: Lettres aux frères Dupuy: 1617–1627, 1627, 160, Lettres aux Frères Dupuy, 1627)
Nach 1630 scheint sich der Gebrauch des Subjonctif nach s’étonner que allgemein durchzusetzen. Wieder sind es die Voiture-Briefe, die den entscheidenden Wendepunkt markieren: (136) «Je vous avouë que je me suis estonné que la renommée ne m’aye point appris de vos nouvelles [...].» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 167, lettre 46 Marq. Montausier, 1633)
Die Dissertations chrestiennes et morales (1654) Jean-Louis de Balzacs, das Werk Les Estats et empires du soleil (1655) von Cyrano de Bergerac sowie Robert Arnauld d’Andillys Übersetzung Le Chemin de la perfection bezeugen den praktisch generalisierten Subjonctif-Gebrauch in Verbindung mit dem untersuchten Prädikat.36 Ein paar kurze Bemerkungen zu dem älteren Konkurrenten s’émerveiller sollen noch ergänzt werden. Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts bleibt der Indi-
35 Cf. zahlreiche weitere Beispiele: Nicolas de Peiresc, Lettres, T. 2: Lettres aux frères Dupuy: 1629–1631/1631, 12/Lettres aux frères Dupuy, 1629 («m’estonnant que quelqu’un de voz libraires n’aye prins le soing d’en faire venir de ces lieux-là»), ebenso: ibid, 13); auch T. 4: Lettres à Borilly, à Bouchard, et à Gassendi: 1610–1637/1637, 5 (Lettres à Borrilly, 1630), 130 (Lettres à Bouchard, 1635), auch: T. 7: Lettres à divers: 1602–1637/1637, 120s., Lettres à Thomas d’Arcos, 1634 («Je me suis estonné que dans vostre relation affricaine, vous ne vous y soyez un peu plus estendu, puisque [...]»). 36 Cf. Jean-Louis Guez de Balzac, Dissertations chrestiennes et morales, 1654, 317, dissertation 7 sowie: Dissertations critiques, 1653, 531, dissertation 3 sowie: Cyrano de Bergerac, Les Estats et empires du soleil, 1655, 133, 166 – Ausnahme jedoch: Cyrano de Bergerac, Les Estats et empires du soleil, 1655, 198: («[…] pendant cet entretien, l’oiseau avançoit toujours païs, comme je fus tout étonné que j’entendis Campanelle, d’un visage plein de joye et de transport, s’écrier: (...)»). Ebenso: Robert Arnauld d’Andilly, Le Chemin de la perfection [trad.], 1659, 493, chap. 4, 539, chap. 19, 614, chap. 39, 623 etc.
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kativ uneingeschränkter Modus des p präsupponierenden Komplementsatzes. Der uns schon von s’étonner her als Innovator bekannte Peiresc optiert auch bei dem quasi-synonymen Pendant systematisch für den Subjonctif, wie zum Beispiel auch in dem folgenden Zitat: (137) «Du despuis j’ay reçeu une recharge du Xxme laquelle m’a donné encor beaucoup plus d’occasion de m’esmerveiller que vous ayiés faict un si solide fundement sur ses discours, quoyque vous m’eussiés escript vous mesmes que tout le monde croyoit à Aix que nous fussions allés reconduire Monsr De Fonvives.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, T. 6: Lettres à sa famille: 1602/1625, 5s., lettres à sa familie, 1602)
Aber auch noch der in sprachlicher Hinsicht konservative Vital d’Audiguier führt das traditionelle Modell in seiner Histoire trage-comique fort: (138) «Ce que luy estant accordé, et ayant / baillé pour son nom, le Chevalier De Lysandre, on le mit dans le casque / avec les autres, où apres les avoir meslez assez longuement ensemble, chacun / attendant en grande inquietude le jugement de la fortune, on fut tout esmerveillé / que l’enfant qui avoit esté destiné pour tirer les noms, tira celuy du Chevalier De / Lysandre, au grand regret et extreme desplaisir des autres, qui maudissoient sa / venuë, et detestoient la fortune qui leur estoit si contraire.» (Vital d’Audiguier, Histoire trage-comique de nostre temps, sous les noms de Lysandre et de Caliste, 1624, 406s., livre 9)
Der Indikativ erscheint allerdings nur, sofern p ein verifizierbares Faktum assertiert bzw. präsupponiert. In dem nächsten Beispiel etwa rekurriert der Autor auf den Subjonctif, da die Wahrheit von p letztlich unentschieden bleibt. Für p gibt es nämlich keine verlässliche Evidenz aus erster Hand, sondern es handelt sich um ein kollektives on-dit, ein Fall von «Hörensagen», dessen Urheber nicht bekannt ist und für dessen Inhalt der Sprecher auch nicht bürgen kann (oder will). (139) «Tout le monde s’esmerveilloit que Lysandre eust soüillé la gloire de tant de beaux faicts par une action si deshonnorable: il n‘ y avoit que les amis de Cloridan, qui croyans qu’il l’eust mal tué, se resjouïssoient qu’il eust commis ceste derniere lascheté pour preuve de la premiere.» (Vital d‘Audigier, Histoire trage-comique de nostre temps, sous les noms de Lysandre et de Caliste, 1624, 226, livre 7)
Für den nachfolgenden Zeitraum finden sich keine Beispiele mehr für einen indikativischen Komplementsatz – allerdings: Alle Textbelege lassen s’émerveiller im Skopus eines Operators (Notwendigkeits- und Negationsoperators) erscheinen.37
37 Cf. etwa Jean-Louis Guez de Balzac, Dissertations critiques, 1654, 533, dissertation 3 sowie Charles Perrault, Les Contes des fées, 1697, 75, peau d’asne.
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
c) se plaindre: SAY (x, p) ∩ attneg(x, p), Defaultannahme p = 1. p-Welten besitzen auf der Präferenzskala (im Rahmen des epistemischen Modells) einen niedrigen Wert Die Sprecher wählen sowohl im 16. als auch im 17. Jahrhundert grundsätzlich einen indikativischen Komplementsatz im Verbund mit se plaindre.38 Der Subjonctif erscheint lediglich, wenn das Matrixsatzprädikat im Skopus eines Operators (Bedingungs-, Modal- und Negationsoperators) steht. Wir führen ein Beispiel an, bei dem se plaindre sich im Skopus des Möglichkeitsoperators (es ist möglich, dass p) befindet: (140) «Mais vous pouvez avec plus de raison vous plaindre (et c’est, ce me semble, la seule plainte que vous devez faire) que vous soyez venu vers moy trop tost [...].» (Honoré d’Urfé, L’Astrée, t. 2 : 2ème partie: livres 1 à 12/1610, 375, livre 9)
Lediglich das folgende – aus den Briefen Vincent Voitures entnommene – Beispiel weicht von diesem Gesamtbild ab: Hier ist die Matrixsatz-NP unbestimmt: (141) «[...] tous ceux qui estoient revoltez contre vous, et qui se plaignoient que vous-vous mocquiez tousjours, avouent que pour cette fois-cy, vous ne vous est pas mocqué [...].» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 441, liettre 141 à Duc d’Anguien)
Sofern es sich nicht überhaupt um einen ersten Beleg für den systematischen Übergang zum Subjonctif nach se plaindre que handelt, wird p hier vom Sprecher einem abweichenden bzw. distanten doxastischen Modell zugewiesen. p drückt eine Überzeugung nicht weiter spezifizierter Subjekte aus, deren Wahrheitswert für den Sprecher nicht zur Debatte steht. Diskurstheoretiker in der Tradition von Ducrot würden an dieser Stelle von einem Polyphonie-Effekt (Locuteur ≠ Enonciateur) sprechen. d) regretter:attneg(x,p), Präsupposition: p = 1 als Defaultannahme; die entsprechenden p-Welten werden auf der Präferenzskala des Matrixsatzsubjekts (im Rahmen seines epistemischen Modells) niedrig eingestuft.
38 Als Belege für den Indikativgebrauch, cf. Le Père Marin Mersenne, L’Impiété des déistes, athées et libertins de ce temps, 1624, 523, chapitre 18; François de Malherbe, Les Poésies, 1627, 13, livre premier («Apres cela voyant qu’il y en avoit encore plusieurs qui se plaignoient que les viandes estoient trop chaudes»); Charles Sorel, Le Berger extravagant, 1627, 115, livre 3; François de Malherbe, Les Poésies, 1627, 13, livre premier; Théodore Agrippa d’Aubigné, Sa vie à ses enfants, 1629, 211; Jean-François Senault, De l’usage des passions, 1641, 215, second traité, Du Desir, et de la Fuite, I. Discours; Guy Patin, Lettres: t. 1: 1630–1649/1649, 362, 1644.
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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Anders als se plaindre que p ist mit regretter que p kein Äußerungsakt verbunden. X muss aber von der Wahrheit von p überzeugt sein, um den entsprechenden Sachverhalt bedauern zu können. Im Gegensatz zu se plaindre, das auch im 17. Jahrhundert noch weitgehend einen indikativischen Komplementsatz selegiert, lässt sich im Falle von regretter ein generalisierter Gebrauch des Subjonctif schon zum Ende des 16. Jahrhunderts feststellen: Michel de Montaigne ist der erste Autor, der in seinen Essais systematisch auf den Subjonctif rekurriert und damit offenbar das Modell für die nachfolgenden Autoren vorgibt. Den noch üblichen Indikativgebrauch in der Mitte des 16. Jahrhunderts attestiert ein Beleg aus dem Werk Rabelais: regretter + Indikativ (François Rabelais, 1552) (142) «[...] le pere mauldissant le jour et heure de ses nopces, la mere regrettant que n’estoit avortée en tel tant triste et malheureux enfantement, et en pleurs et lamentations finent leur vie, laquelle estoit de raison finir en joye et bon tractement [...].» (François Rabelais, Tiers livre, 1552, 334, chapitre XLVIII)
Erste Belege für einen systematischen Subjonctifgebrauch finden sich, wie erwähnt, in den Essais Montaignes (1592): (143) «J’ay mille fois regretté que nous ayons perdu le livre que Brutus avoit escrit de la vertu: [...].» (Michel de Montaigne, Essais, t. 1 (livres 1 et 2)/1592, 415, livre second, chapitre X, des livres) (144) «[...] combien je regrette que vous ne viviez en plaine intelligence selon mes premiers souhaicts.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 4: Lettres à Borilly, à Bouchard, et à Gassendi: 1610–1637/1637, 143, lettres à Bouchard, 1635)
Der im Vergleich zu se plaindre wesentlich frühere Übergang von regretter in die Domäne des Konjunktivs mag auch mit dem stärker assertiven Charakter von se plaindre zu erklären sein – regretter zielt in semantischer Hinsicht ganz auf den Aspekt der Evaluation ab. Er zeigt aber vor allem den nunmehr stark idiosynkratischen Charakter des Modusverhaltens (bzw. der Modusfestschreibung) im Bereich der Wertungsverben. Ähnlich wie wir dies bei étonner sahen, findet auch bei regretter offenbar eine semantische Reinterpretation des Prädikats statt: Wiederum entfällt die in der logisch-semantischen Struktur des Prädikats verankerte Wahrheitspräsupposition als Kriterium für die Modusfixierung. Prominent wird vielmehr die in der Semantik des Prädikats eingeschriebene Präferenzskala, die als ordnende Funktion im Sinne einer Hierarchisierung der Komplementsatzwelten (p-Welten) wirkt. p-Welten gehören zu den auf der Skala besonders niedrig gerankten Welten.
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
e) Betrachten wir auch noch das Prädikat fâcher (se fâcher que p), das dem Verb regretter darin ähnelt, dass es eine negative Einstellung/Haltung des Matrixsatzsubjekts beschreibt und wiederum mit der Defaultannahme des Experiencers verbunden ist, dass p wahr ist. Der Unterschied – die differentia specifica – der beiden Prädikate liegt darin, dass sie sich hinsichtlich der Qualität der psychologischen Einstellung graduell unterscheiden (regretter impliziert stärker als se fâcher den Wunsch, dass ¬p hätte eintreten sollen). Das Prädikat (se) fâcher tritt erst gegen Ende der 1550er Jahre in den schriftlichen Quellen in Erscheinung. Einer der ersten Belege von 1558 zeigt, dass üblicherweise der Indikativ – wie auch bei regretter – selegiert wurde: (145) «Mais à la fin monsieur le juge, qui vouloit tousjours avoir du bon, se faschoit que ce bon marchand tint ainsi fort contre luy, auquel il va dire: ‹Vous ne sçavez de quoy vous parlez›.» (Bonaventure des Périers, Les Nouvelles récréations et joyeux devis de feu Bonaventure des Périers 1. 1558, 503, première partie, nouvelle LXVI)
Auch in d’Urfés Schäferroman L’Astrée ist der Indikativ noch üblich, sofern sich das Prädikat nicht im Skopus der Negation oder des Bedingungsoperators (Bedingungslesart für p) befindet. (146) «Je vous veux dire à ceste heure, pourquoy je luy dis que ce fust à la pleine lune, car vous vous estes fasché que je luy ay donné si long terme» (Honoré d’Urfé, L‘Astrée, t. 1: 1ère partie: livres 1 à 12/1612, 173, livre 5)
Zwischen den 1620 und den 1660er Jahren usualisiert sich jedoch der generelle Subjonctif-Gebrauch im Komplementsatz. Die Umbruchsituation spiegelt sich sehr schön in der Chronologie der Beispiele wider: So verwendet Guez de Balzac den Subjonctif schon in einem negativen Sachverhaltskontext – d.h. p selber beschreibt nicht-effektive Weltzustände (p: ne_ pas_pouvoir_faire‘(x)), wohingegen Nicolas de Peiresc noch für den Indikativ im gleichen Kontext optiert: (147) «Estant pressé de passer la Mer, je suis bien fasché que je ne puisse m’aller descharger entre vos mains de beaucoup de choses que j’ay sur le coeur, et vous faire depositaire des dernieres pensées que je laisse en Chypre.» (Jean-Louis Guez de Balzac, Les Premières lettres, t. 2, 1627, 48, livre quatriesme, lettre X) (148) «Je suis bien fasché que l’homme qu’il m’envoyoit ne peult passer, car il m’eust osté d’une grande peine où j’ay esté jusques à present, et mes lettres eussent peu arriver plus à temps pour ce qui est de la cour, dont je crains bien l’esloignement de Paris plustost qu’il ne fauldroit pour luy.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 2: Lettres aux frères Dupuy: 1629–1631, 1631, 220, lettres aux frères du Puy, 1630)
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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Vergangenheitskontexte stärken (wie wir dies auch bei étonner sahen) den Indikativgebrauch und sind die letzten Wertungskontexte, in denen noch eine indikativische Kategorie auftritt: Die Verankerung auf der temporalen Achse hebt den episodischen Charakter des durch die Proposition p charakterisierten Komplementsatzgehalts hervor. Ein in der Vergangenheit situiertes, abgeschlossenes Ereignis erscheint als unumstößliche Tatsache und damit als Teil des fest etablierten Hintergrundwissens (common ground) der Gesprächspartner: (149) «Ce grand conquesteur de l‘Asie / Alexandre, l‘honneur des Roys, Qui jadis regit sous ses loix / La plus grande part de la terre, Invincible foudre de guerre / Qui se faschoit que les combats Duroient si peu devant ses bras, / Quelle continence exemplaire Monstra t‘il aux filles de Daire?» (Jean Auvray, Le Banquet des muses, ou les Divers satires..., 1636, 296s., Satyres, amoureuse poursuite ou la chasteté victorieuse)
Vergleichbare Beispiele finden wir auch bei Vincent Voiture (1648)39 und – als absolut letzten Beleg für eine Indikativverwendung – bei dem Autor Gabriel Naudé (Apologie pour tous les grands hommes qui ont esté accusez de magie, 1669). (150) «que ce fut luy qui fit faire les bains de [...], avec de belles inscriptions en lettres d’or, lesquelles furent depuis rompuës et gastées par les medecins de Salerne, qui estoient faschez que l’on connut par icelles à qu’elle maladie chacun bain pouvoit remedier» (Gabriel Naudé, Apologie pour tous les grands hommes qui ont esté accusez de magie, 1669, 444s., chapitre 21)
Allerdings belegt ein weiteres Voiture-Beispiel, dass die Entscheidung für den Indikativ grundsätzlicher Natur sein konnte, wenn man sieht, wie selbstverständlich der Autor auch auf das Futur als Verbalkategorie des Komplementsatzes rekurriert. (151) «Cela me doit estre en quelque sorte avantageux et mesme agreable: mais je suis fasché que cela m’ostera quelque temps le moyen de voir de vos lettres, et de vous voir vous mesme, car je crois que vous serez à Paris devant que je sois de retour.» (Vincent Voiture, Lettres 1648, 305s., lettre 90 à M. Costart, 1639)
Mit Jean-Louis Guez de Balzac und Cyrano de Bergerac generalisiert sich der Subjonctif schließlich für alle Kontexte, und zwar auch solche, in denen p einen als wahr präsupponierten Sachverhalt in der Vergangenheit wiedergibt. (152) «Il fut fasché que Ciceron fust si bien vestu, et dit qu’il estoit dommage que ce ne fust Lipse.» (Jean-Louis Guez de Balzac, Dissertations critiques, 1654, 594, dissertation 7)
39 Vincent Voiture, Lettres, 1648, 309, lettre 91 à M. Costart.
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Wie sich auch am Beispiel dieses Prädikats zeigt, weist die allgemeine Entwicklungstendenz auf eine Generalisierung des Subjonctif. Die Sprecher/Autoren des 17. Jahrhunderts verhalten sich höchst unterschiedlich – mal mit einer grundsätzlichen Positionierung für oder wider den konjunktivischen Modus, mal im Rahmen einer kontextuell differenzierten, komplexen Systematik – zu dieser Entwicklungsdynamik. Interessant ist zudem, dass Autoren wie Peiresc, die bei anderen Prädikaten sehr innovativ sind, sich beispielsweise bei se fâcher eher konservativ verhalten. Dies macht wiederum deutlich, dass der Übergang bei den Wertungsverben keineswegs einheitlich verlief, sondern «idiosynkratischlexikalistisch». So erfolgte die Modusfixierung in der langen Übergangsphase, die sich teilweise bis in die 1660er Jahre hinzog, nicht über eine einheitliche und alle Lexeme der ohnehin heterogenen Klasse der evaluativen Prädikate umfassende allgemeine Regel, sondern fallweise, Lexem für Lexem, im Einklang mit dessen jeweils charakteristischer Bedeutungsstruktur, was – je nach Sprecher – zu höchst unterschiedlichen (vereinheitlichenden oder differenzierenden) Lösungen führen konnte. Diese Grundtendenz zeigt sich auch bei der Modusentwicklung im Komplementsatz von espérer und craindre, die wir nun noch ausführlicher kommentieren wollen. f) espérer Im 16. Jahrhundert treten Indikativ Futur und der Subjonctif noch weitgehend gleichwertig auf. Wie schon für das Mittelfranzösische herausgestellt, markiert das Futur die realistische Standarderwartung, dass p. Die Verwendungsdomäne des Subjonctifs scheint demgegenüber etwas eingeschränkter zu sein: Die Belegbeispiele machen deutlich, dass der Subjonctif auftritt, wenn die Falschheit von p präsupponiert wird. Dies ist der Fall bei rhetorischen Fragen, aber auch, wenn – wie in dem dritten, weiter unten zitierten Beispiel (155) – der Sprecher darauf abheben möchte, dass sich das Matrixsatzsubjekt offensichtlich irrt: espérer + Futur: (153) «J’espere que par ce que j’ay traitté toutes gens craignans Dieu cognoistront que toutes les fausses gloses et astuces de Satan, par lesquelles il s’est efforcé de pervertir et obscurcir la pureté de nostre foy, sont suffisamment abatues.» (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre premier/1560, 182, livre I, chap. XIII)
Der Autor (Calvin) glaubt, dass mit seinen Ausführungen (wie er explizit sagt: ce que j’ay traitté) hinreichende Gründe für die realistische Erwartung vorliegen, dass p zu einem oder mehreren Zeitpunkten nach t0 wahr ist. espérer + Subjonctif: –– Im Rahmen einer rhetorischen Frage:
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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(154) «Esperez vous que la posterité Doive (mes vers) pour tout jamais vous lire? Esperez vous que l’oeuvre d’une lyre Puisse acquerir telle immortalité?» (Joachim Du Bellay, Les Antiquitez de Rome, 1558, 306/32)
Das Matrixsatzsubjekt x irrt offenbar hinsichtlich p: (155) «Il se glorifie désja le pendu, esperant que je sois icy venue pour le rechercher.» (Jacques de Lavardin, La Celestine [adapt.], 1578, 231, acte XVIII)
Im 17. Jahrhundert wird der durch das Futur gekennzeichnete Komplementsatz zum Standardmodell für espérer que p. Dies gilt selbst für den Fall, dass sich espérer im Skopus eines Operators befindet – wie mehrere Textstellen in den Briefen des Nicolas de Peiresc (1629–1631) zeigen: (156) «Nous esperons que dezhorsmais il nous sera plus loisible de respirer et de nous en acquitter, le monde commenceant à se dessiller les ieulx et à recognoistre la verité des motifs [...].» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 2: Lettres aux frère Dupuy: 1629–1631/1631, 267, Lettres aux frères Dupuy, 1631)
Sogar in Verbindung mit dem modalen Ausdruck il faut (mit zahlreichen Belegen) wird die Kategorie Futur selegiert: (157) «[...]: mais il faut esperer que ce puissant et beau naturel, produira quelque jour de bons fruicts, lors que le temps et l’art auront corrigé ses deffaux.» (Georges de Scudéry, L’Apologie du théâtre, 1639, 10s.)
Reste des Subjonctif lassen sich nur nach Negation (¬p), im Rahmen einer indirekten Frage (Q p) sowie bei rhetorischen Fragen, die ¬p präsupponieren, finden, wie die folgenden Beispiele aus dem Frantext-Korpus belegen: (158) «D’esperer que nous puissions guérir nous-mesme, cela ne se peut.» (Antoine de Montchrestien, Traicté de l’oeconomie politique, 1615, 311, du commerce) (159) «[…] et vouldrois bien sçavoir à peu prez en quel temps se peut esperer que soient achevées l’une et l’autre desdictes impressions et si elles sont si bien avancées ou non.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 1: Lettres aux frères Dupuy: 1617–1627/1627, 224, Lettres aux frères Dupuy, 1627) (160) «Mais esperer que les Dieux facent grace à qui ne l’a point faicte à son sang, à sa race?» (Jean Mairet, La Sylvie, 1630, 137, acte cinquiesme, scène II)
Auch das Beispiel espérer verdeutlicht – hier spiegelbildlich in der Gegenentwicklung hin zum Futur – den lexikalischen und zugleich normativen Charakter der Modusregelung in der Domäne der «Einstellung und Wertung»: Der in der logisch-semantischen Struktur der Prädikate wurzelnde Moduspluralismus wird im Laufe des 17. Jahrhunderts aufgegeben und durch eine einheitliche konventio-
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
nalisierte Modusoption ersetzt. Diese wird dann als Subkategorisierungseigenschaft des jeweiligen Prädikats im Lexikon festgeschrieben. g) craindre Den regelhaften Konjunktivgebrauch nach dem Prädikat craindre hatten wir zum einem mit der Unentschiedenheit von p zum Sprechzeitpunkt (◊p ∨ ◊¬p), zum anderen mit dem Einfluss der Präsupposition, dass der Sprecher bzw. das Matrixsatzsubjekt sich eigentlich ¬p wünscht, zu begründen versucht. Der Konjunktiv ist auch weiterhin völlig üblich und mit diesem Hinweis hätte es sein Bewenden haben können, wenn das Prädikat im 16. und 17. Jahrhundert nicht vielfach auch im Rahmen von indikativischen Komplementsätzen in Erscheinung treten würde. In diesen Vorkommenskontexten kristallisiert sich eine neue, zusätzliche Lesart heraus, wie die folgenden Beispiele illustrieren: –– craindre + Subjonctif (Standardbeispiel) (161) «[...], je croignois que Calidon ne retombast en l’estat d’où il ne faisoit que sortir, (...).» (Honoré d’Urfé, L’Astrée, t. 2, 2ème partie: livres 1 à 12/1610, 42s., livre 1)
–– craindre + Indicatif Présent (162) «Je crains que c’est un traistre: il s’est si estroittement affreré au corps qu’il m’abandonne à tous coups pour le suyvre en sa necessité.» (Michel de Montaigne, Essais, t. 2 (livre 3)/1592, 844, livre troisiesme, chapitre V)
–– craindre + Futur: (163) «Je crains que cette saison, Robin, me sera funeste: la gueule du chien celeste vomit feu sur l’horison.» (François Maynard, recueil de 1646 et choix de divers autres recueils, 1646, 104, épigrammes)
–– craindre + Konditional: (164) «D’esperer de ce costé la plus grand fame de vostre part, je crains que ce seroit errer.» (Estienne Pasquier, Lettres familières, 1613, 117, Lettres inédites à Loisel, 1582)
Der Sprecher formuliert in diesen – jeweils durch je crains que – eingeleiteten und mit indikativischer Morphologie markierten Sätzen, –– die realistische Überzeugung, dass p zum Sprechzeitpunkt wahr ist (1. Fall: plausible Vermutung im Indikativ Präsens), –– p – vom Sprechzeitpunkt aus betrachtet – eine realistische Erwartung hinsichtlich der zukünftigen Beschaffenheit der aktuellen Welt darstellt (2. Fall: Futur) oder –– p eine notwendige Konsequenz im Rahmen eines hypothetischen Bedingungssatzgefüges ist (3. Fall: Conditionnel). Das Prädikat craindre ließe sich in diesen Fällen paraphrasieren als: CROIRE (xLoc, p) ∩ attendreneg(xLoc, p).
Die weitere Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert
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Die Verwendung von craindre in der «Überzeugungslesart» stellt eine expressivere Variante zu modalisierendem croire dar, dessen illokutionäre Stärke als epistemisches Prädikat es durch das Wertungsmoment (also den Verweis auf die Präferenz von ¬p) abmildert. Der Sprecher stellt mithin seine Überzeugung, dass die Wahrheitsannahme für p plausibel bzw. realistisch ist, als subjektive Befürchtung dar, p könne der Fall sein. Das Prädikat craindre eignet sich für diese pragmatische Verwendung, da es – wie wir oben dargestellt haben – auch mit hohen Erwartungswerten kompatibel ist (im Gegensatz zu espérer). Die Überzeugungslesart eines «timetiven» Verbs ist auch in anderen romanischen Sprachen nicht unbekannt – wir verweisen auf das spanische Beispiel (mit indikativischer Komplementsatzmorphologie): (165) Me temo que Pedro no comprende nada. (‘Ich befürchte, Pedro versteht gar nichts.’)
Das Beispiel craindre zeigt, dass sich trotz der Normierungstendenzen des 17. Jahrhunderts, die insbesondere in der Domäne der evaluativen Prädikate auf eine Fixierung des Modus im Lexikon hinausliefen, auch noch besondere Lesarten mit eigenem Modusprofil herausbilden konnten, die das in der logisch-semantischen Struktur des Lexems schlummernde Potential für besondere Kontexte ausschöpften. So war es in Analogie zu dem verwandten Prädikat espérer durchaus naheliegend, eine besondere Vorkommensklasse von craindre, und zwar in Kontexten mit einem sehr hohen Erwartungswert für p, mithilfe der Indikativmarkierung auf die pragma-semantische Funktion einer Modalisierung von Aussagen (je crains que p + IND) zu spezialisieren. Diese Entwicklung vollzog sich bezeichnenderweise zu einem Zeitpunkt, als sich der Indikativ als einzige Modusoption im von espérer selegierten Komplementsatz usualisierte. Die zunehmend marginalere Verwendungsweise in Verbindung mit dem Indikativ konnte sich allerdings nicht über das 17. Jahrhundert hinaus behaupten. Die weiteren Entwicklungen bei den abstrakt-axiologischen Ausdrücken des Typs il est PRÄD que p können sehr kurz referiert werden. Die schon für das Mittelfranzösische herausgestellte Grundtendenz verfestigt sich noch im 16. und 17. Jahrhundert: Nach normativen Prädikaten – also Prädikaten, die eine bestimmte deontische Norm bzw. ein Ideal voraussetzen – ist der Subjonctif obligatorisch; bei evidentiellen Prädikaten, die auf Art und Qualität der Evidenzquelle referieren, der Indikativ. Typische Prädikate der ersten Gruppe sind besoin (il est besoin), saison (il est saison), nécessaire, expédient, bon/meilleur, juste‚ requis, mestier, force, temps. Einige Illustrationsbeispiele mögen als Beleg genügen:
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
–– il est saison que: (166) «Il est saison que l’on desloge / Avec torches et luminaire» (Anonyme, Voiage et pélérinage de sainte Caquette, 1518, 88s., VII)
–– il est expedient que: (167) «Parquoy il est expedient que nous ayons comme un recueil digeré en nostre esprit de tous les temps anciens, à fin qu‘au besoing les exemples qui seront propres à nous consoler en noz miseres, nous vienent devant les yeulx.» (Jean Calvin, Des scandales, 1550, 89)
–– il est requis: (168) «Comme si Dieu prononçoit qu’il est requis que nous mourions, et soyons anéantis en tout ce que nous avons, devant que luy nous reçoyve ou accepte pour ses enfans.» (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre troisième, 1560, 73, livre III, chap. III)
–– il est force que: (169) «Il est force que ceux qui voyent clair apperçoivent des choses qui pourroyent faire sortir les pierres des murailles, de grand despit et ennuy qu‘elles donnent aux personnes.» (Charles Estienne, Paradoxes, 1561, 97, Pour l’aveugle, Declamation IV, Qu’il vault mieulx estre aveugle que clair voyant.)
3.6 M odusentwicklung in der Domäne der Evaluation – ein Fazit Wie lässt sich nun die Gesamtentwicklung in der heterogenen Domäne der Evaluation bis zum 17. Jahrhundert interpretieren? Unsere feinrastige Längsschnittuntersuchung konnte eine schon seit dem Altfranzösischen einsetzende Entwicklungsdynamik vom Indikativ zum Subjonctif in der evaluativen Domäne aufzeigen und in ihren verschiedenen Etappen nachzeichnen. Wie wir sahen, wurden zunächst solche unpersönlichen, axiologisch-wertenden Ausdrücke wie bon von dieser Tendenz erfasst, die, den Notwendigkeitsoperator implizierend, die stärkste deontische Kraft aufwiesen. Im Mittelfranzösischen gelangten dann auch deskriptive Prädikate, Adjektive wie beispielsweise content sowie Verbalausdrücke vom Typ il me poise bzw. s’esmerveiller in den Einflussbereich des Subjonctif. Dabei war entscheidend, dass die Prädikate in Kontexten verwendet wurden, in denen ihre Wahrheitspräsupposition annuliert wurde. In den jeweiligen Verwendungskontexten kam ihnen nämlich stets die Funktion zu, Idealwelten zu bestimmen (so im Falle von
Modusentwicklung in der Domäne der Evaluation – ein Fazit
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content) oder aber Bedingungen für die Geltung des Matrixsatzprädikats zu statuieren, also festzulegen, wie p-Welten beschaffen sein mussten, damit das Wertungsprädikat zutrifft. Die im Komplementsatz determinierten p-Welten waren mithin stets mögliche Welten, die entweder ein als Ordnungsfunktion wirkendes Ideal implizierten (wie content) oder sie waren mit einer Präferenz- (il me poise) bzw. Erwartungsskala (s’esmerveiller) verbunden. Dabei war das ausschlaggebende Kriterium für die Selektion des Konjunktivs, wie die indikativischen Komplementsätze nach s’esmerveiller offenbarten, der nicht-veridische Charakter der p-Welten und noch nicht der Umstand, dass die mit den Matrixsatzprädikaten assoziierten Skalen (die Präferenz- bzw. Erwartungsskala) Prominenz erlangten. Entscheidend für die mittelfranzösische Periode war mithin die Tatsache, dass die Sprecher systematisch das intensionale Potential der evaluativen Prädikate erschlossen und dabei insbesondere deren klassifikatorisches Moment in geeigneten Kontexten hervortreten ließen. Das Moduspanorama blieb im 16. Jahrhundert auffällig stabil, wobei teilweise auch lexikalische Diskontinuitäten und eine geringe Belegdichte für bestimmte evaluative Prädikate berücksichtigt werden müssen. Insgesamt kann für die Domäne der evaluativen Einstellungsprädikate von einer Fortschreibung der mittelfranzösischen Modusverhältnisse gesprochen werden. Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts beginnt eine neue Übergangsetappe, die nun die Kerngruppe der typischen evaluativen, durch die Wahrheitspräsupposition gekennzeichneten Prädikate – die sogenannten «nicht-assertiven Faktiva» –40 in die konjunktivische Sphäre überführt. Diese mit einer Generalisierung des Subjonctif verbundene Entwicklung weist mehrere Charakteristika auf: Sie erfasst nicht gleichzeitig und einheitlich alle Prädikate der Hauptgruppe, sondern die einzelnen Lexeme, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mit verschiedenen Übergangsphasen und -modalitäten, – was sich nicht nur anhand von Modusdivergenzen bei den Sprachbenutzern/Autoren zeigt, sondern insbesondere auch daran, dass ein und derselbe Sprecher je nach Lexem für unterschiedliche Moduslösungen optiert. So dauert die Übergangsphase vom Ende des 16. Jahrhunderts – mit dem frühen Fall regretter, das Montaigne schon 1592 in seinen Essais in Verbindung mit dem Subjonctif verwendet – bis ca. 1660, dem Zeitpunkt, als sich der Subjonctif nach se fâcher und être étonné generalisiert. Ist der Übergangsprozess auch an die einzelnen Lexeme und deren logisch-semantische Struktur gekoppelt, so lässt sich immerhin eine Grundtendenz erkennen, die eine sich seit dem späten Altfranzösisch herauskristallisierende Tendenz fortschreibt: Prädikate, die wie heureux, honteux in stärkerem Maße eine Norm oder ein Ideal (bonheur, honneur)
40 Cf. Hooper (1975); Korzen (2003, 119 und 126).
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implizieren, selegieren, ähnlich wie vor ihnen schon bon oder content, deutlich früher den konjunktivischen Modus. Gleiches gilt auch für Verben wie regretter oder s’émerveiller, die nicht nur polare Werte auf einer Skala (Präferenz- bzw. Erwartungsskala) implizieren, sondern zudem die kontrafaktische Alternative ¬p (als Wunsch, dass ¬p oder als Erwartung, dass ¬p) evozieren. Prädikate hingegen wie être ravi und être fâché sowie se plaindre und se réjouir, bei denen eine Deontik fehlt und keine Gegenwelten impliziert werden, treten deutlich später in die Domäne des Konjunktivs ein. Der in der Übergangszeit oftmals – häufig auch bei einem Sprachbenutzer/Autor – festzustellende Moduspluralismus zeigt zudem, dass die Sprecher die Prädikate (etwa être heureux, être marry, s’étonner) tatsächlich reanalysierten und jeweils unterschiedliche Aspekte der logisch-semantischen Struktur der Prädikte salient machten: Fokussiert werden konnten je nach Kontext die Wahrheitspräsupposition, durch das Prädikat implizierte alternative (mögliche oder kontrafaktische) Welten oder eine zugrundeliegende Präferenz- bzw. Erwartungsskala. Am Ende setzte sich aber die Präferenz- bzw. Erwartungsskala als entscheidendes Kriterium für die Modusfixierung durch. Eine wesentliche Übergangsetappe stellte dabei die Stärkung der evaluativen Komponente der Wertungsprädikate durch ihre Modalisierung in geeigneten Kontexten dar. Hierbei trat ihr klassifikatorisches Potential besonders hervor und sie profilierten sich als Wertungskategorien, denen Ereignisse als Instanziierungen von Ereignistypen zugeordnet sind. Der veridische Status der entsprechenden, das Ereignis charakterisierenden Komplementsätze, trat demgegenüber gänzlich in den Hintergrund. Die Reinterpretation der faktiven evaluativen Prädikate lief am Ende darauf hinaus, dass der Komplementsatz seine in der Wahrheitspräsupposition wurzelnde semantische Autonomie verlor und nun in Abhängigkeit vom Matrixsatzprädikat, d.h. vor dem Hintergrund der mit ihm implizierten Präferenz- und/oder Erwartungsskala, interpretiert wurde. Die jeweilige Bezugsskala der evaluativen Prädikate wird als ein System angesehen, das Welten – ganz unabhängig davon, ob sie reale, mögliche oder kontrafaktische Welten sind – im Einklang mit einem Ordnungsprinzip (ordering source) danach anordnet (hierarchisiert, eine Rangzahl zuweist etc.), in welchem Maße bzw. zu welchem Grade sie dem statuierten Prinzip nahe kommen. Das den evaluativen Prädikaten eigene klassifikatorische Potential erlangt also auch in veridischen Kontexten gegenüber der zugrundeliegenden Wahrheitspräsupposition Prominenz. Das im Komplementsatz charakterisierte Einzelereignis p erscheint nunmehr als Okkurrenz oder Instanziierung eines Situationstyps, der unter eine bestimmte Wertungskategorie fällt – p gehört einer Menge von Welten an, die unter die Wertungskategorie bon, fâcheux, heureux, regrettable etc. fallen und entsprechend auf einer Skala angesiedelt sind.
Modusentwicklung in der Domäne der Evaluation – ein Fazit
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Mit unserem Aufweis der Reinterpretation von Präferenz- und Erwartungsskala als neuem Ordnungsprinzip im Rahmen des Konjunktivsystems haben wir jedoch die Entwicklungsdynamik im 17. Jahrhundert nicht vollständig beschrieben. Wir haben in diesem Kapitel – exemplarisch – auch einige Vertreter aus der Klasse nicht-faktiver Prädikate charakterisiert, die nicht zum Zentralbereich der evaluativen Domäne gehören: So handelt es sich bei den Verben espérer und craindre um nicht-veridische Prädikate, die aber ebenfalls eine Präferenzund Erwartungsskala implizieren und damit über die charakteristischen Eigenschaften verfügen, die ihre Behandlung im Zusammenhang mit dem Oberbegriff «evaluative Einstellungsprädikate» rechtfertigen, obwohl bei ihnen auch epistemische Aspekte (die Prädikate implizieren realistische Erwartungen auf der Grundlage des Wissens der Matrixsatzsubjekte) mitspielen. Die Modusselektion im Hinblick auf ihre Komplementsätze ließ sich ganz aus der mit ihnen assoziierten logisch-semantischen Struktur ableiten. Auf dieser Grundlage kann craindre in einer Übergangszeit vom Ende des 16. Jahrhunderts bis fast in die Mitte des 17. Jahrhunderts sogar eine besondere indikativische Lesart (als modalisierendes je crains que) ausbilden. Aber ebenso wie bei espérer findet bis spätestens zur Jahrhundertmitte eine Modusfixierung statt, die bei espérer zugunsten des auch schon im 16. Jahrhundert dominanten Indikativs ausfällt. Dieses Faktum ist insofern von Interesse, als es zeigt, dass die im Sinne einer Vereinheitlichung wirkende – sich seit den 1630er Jahren immer weiter verstärkende – Normierungstendenz ebenfalls als ein autonomer Faktor in Anschlag zu bringen ist. So wird die, wie wir gezeigt haben, bis zum 17. Jahrhundert für die Modusselektion von espérer relevante Erwartungsskala im Zuge der Normsetzung, die im Sinne einer einheitlichen Modusfixierung wirkt, schlicht außer Kraft gesetzt. Immerhin haben wir einige wenige Hinweise auf den direkten Einfluss normgebender Autoritäten und Institutionen auf diesen Prozess der einheitlichen Modusfixierung. So kritisierte Andry de Bois-Regard seinen – an sich stilsicheren – Zeitgenossen, den Père Bouhours, weil dieser immer noch den indikativischen Modus in Verbindung mit dem Verb s’étonner verwendete.41 Auch gibt es Hinweise darauf, dass die Académie Française auf einen generellen Konjunktivgebrauch bei se plaindre hinwirkte.42 Diese exemplarischen Beispielfälle machen mithin deutlich, dass die Vereinheitlichungs- bzw. Normierungstendenz mindestens ebenso grundlegend für die Entwicklung in dieser Domäne war wie die semantische Reinterpretation der faktiven evaluativen Prädikate.
41 Cf. Brunot (1966, vol. 4, 1004). 42 Cf. die Hinweise bei Brunot (1966, vol. 3, 570).
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Wir können also zusammenfassend am Ende dieses Kapitels festhalten, dass bei der Kerngruppe der emotiven Faktiva die durch die Prädikate implizierten Skalen, in erster Linie die Präferenzskala, nachrangig auch die Erwartungsskala, im Sinne eines Ordnungsprinzips – i.e. als deontische und epistemische Ordnungsskala – reinterpretiert wurden und gegenüber der Wahrheitspräsupposition als prominentes Kriterium profiliert wurden. Diese semantische Reanalyse der Prädikate ging konsequent mit der Selektion des konjunktivischen Modus in den abhängigen Komplementsätzen einher. Dennoch zeigte die Modusfixierung bei nicht-faktiven Prädikaten wie espérer, dass die grundlegende Entwicklungsdynamik letztlich auf die Festschreibung einer einzigen Modusoption für die verschiedenen lexikalischen Einheiten (der evaluativen Domäne und nicht nur hier) hinauslief. Wenngleich auch die Modusfixierung bei der Zentralgruppe der emotiv-faktiven Prädikate einer «Logik» folgte, so bedeutete die verbindliche Festschreibung des Modus letztlich, dass die Modusinformation zu einem Bestandteil der Subkategorisierungsinformation der einzelnen Lexeme wurde. So ist zwar für das 17. Jahrhundert die Modusfixierung, wie dies die Übergangszeit zeigte, noch motiviert und folgt für die Kerngruppe der evaluativen Prädikte einem Grundprinzip; dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Modusinformation zu einer Komponente des lexikalischen Eintrags dieser Prädikate wird und sich dieser lexikalische Charakter der Modusfixierung mit seinem zunehmenden Motivationsverlust verstärkt. Wir haben in diesem Kapitel mithin einen besonders komplexen Fall für eine Desintegration des Modussystems herausgearbeitet: Obwohl scheinbar der konjunktivische Modus auf eine weitere Domäne, die wir unter den weiten Begriff der Evaluation (mit den ihr eigenen Einstellungsprädikaten) gefasst haben, expandierte, handelt es sich doch nur um eine Scheinkonsolidierung des Systems. Wenngleich auch mit der Präferenz- und der Erwartungsskala (als deontische und epistemische Skala) ein neues Ordnungsprinzip profiliert wird, verliert das Modussystem letztlich die Vitalität seines abstrakten modalsemantischen Differenzierungspotentials, das sich noch einmal in der Übergangsphase manifestierte und im weiteren Verlauf zu einem fixierten und konventionalisierten Subkategorisierungsmerkmal im Lexikon der einzelnen Prädikate erstarrte. Damit verlagert sich die Relevanz der Kategorie Modus in der spezifischen Domäne der Evaluation von der Grammatik ins Lexikon. Die normative Festschreibung der Modusselektion im Lexikon bestimmter Prädikatsklassen stellte also eine weitere Form des Abbaus und der Sklerotisierung des Modussystems dar – neben dem in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen funktionalen Rückzug aus wesentlichen konzeptuellen Basisdomänen.43
43 Eine lohnende Frage wäre die nach den normierenden Kräften und Instanzen im Bereich der
Exkurs: Notwendigkeit und Möglichkeit
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3.7 Exkurs: Notwendigkeit und Möglichkeit Wie im 1. Kapitel schon dargelegt wurde, sind der Notwendigkeits- und der Möglichkeitsoperator Basisprädikate bzw. Primitiva, die quer zu den einzelnen modalen Domänen liegen, da ihre semantische Funktion darin besteht, grundsätzlich über Welten zu quantifizieren. Der Notwendigkeitsoperator quantifiziert über alle Welten einer bestimmten Domäne (für ∀w gilt: p), der Möglichkeitsoperator über (mindestens) eine Welt (für ∃w gilt: p). Da nun die beiden grundlegenden modalen Operatoren orthogonale Kategorien sind und zugleich im weitesten Sinne eine Einschätzung oder Wertung leisten (notwendigerweise p bzw. möglicherweise p) sollen sie hier – als Annex – zur Domäne evaluativer Prädikate behandelt werden. Die Lesarten der beiden grundlegenden Operatoren konkretisieren sich erst im Zusammenspiel mit verschiedenen konversationellen Redehintergründen bzw. mit einer bestimmten modalen Basis. Beispielsweise bildet der Möglichkeitsoperator in Verbindung mit je einer spezifischen modalen Basis die folgenden Lesarten aus: –– mit einer epistemischen modalen Basis epistemische Möglichkeit: (170) Es klingelt. Das kann der Briefträger sein.
–– mit einer deontischen modalen Basis eine Erlaubnis: (171) Du darfst den Film sehen.
–– mit einer metaphysischen modalen Basis eine kontingente Möglichkeit: (172) Es kann morgen regnen oder schneien.
–– mit einer disponentiellen modalen Basis eine Fähigkeit: (173) Susanne läuft sehr schnell/kann sehr schnell laufen.
Diese Liste ließe sich für weitere modale Basen erweitern. Vor allem aber lassen sich zu jeder modalen Basis ganz unterschiedliche Versprachlichungsmöglichkeiten des Möglichkeitsoperators aufzählen. Eine zentrale Versprachlichungsmöglichkeit stellt das Modalverb können dar. Der Möglichkeitsoperator kann aber auch als Basisprädikat in der Bedeutung von Lexemen enthalten sein und auch
Modusfixierung seit den 1620er Jahren. Vaugelas etwa äußert sich in seinen Remarques von 1647 nur äußerst spärlich zur Modusproblematik. Cf. seine Anmerkungen zur sog. attraction modale (Vaugelas 1647, 381s.).
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Wortbildungselemente wie etwa -bar oder -lich stellen Versprachlichungsformen des Möglichkeitsoperator dar. Ein Prädikat wie verständlich, etwa in (174) Der Text ist verständlich.
charakterisiert die Beschaffenheit eines Textes (disponentielle modale Basis) und sagt über ihn aus, dass er verstanden werden kann (Modalität der Möglichkeit). Die logisch-semantische Bedeutung dieses Satzes könnte etwa folgendermaßen dargestellt werden: ∃w ∃x[w ∈ HGdisponentiell(w0) ∧ verstehen’(w)(x, Text’)] (Es gibt (mindestens) eine von w0 aus zugängliche Welt und (mindestens) eine Person für die gilt: die Person versteht den Text). In einem Satz wie (175) Es ist denkbar, dass John der Mörder von Smith ist.
versprachlicht das Adjektiv denkbar eine epistemische Möglichkeit – wenigstens in einer von w0 aus epistemisch zugänglichen Welt ist es möglich, dass John der Mörder von Smith ist. Dies lässt sich in logisch-semantischer Notation formalisieren als: ∃w[w ∈ HGepistemisch(w0) ∧ Mörder_von_Smith_sein’ (w)(John’)]. Der Notwendigkeitsoperator kommt – wie wir in den vorangehenden Kapiteln schon gesehen haben – vor allem bei axiologischen Prädikaten zur Geltung, weil diese ein Ideal bzw. ein Prinzip vorgeben, das als Maßstab für die Güte von Handlungen dient und implizit ein normatives Potential enthält, das mit dem Imperativ verbunden ist, p zu tun oder zu unterlassen (notwendigerweise p oder ¬p). Nehmen wir den Beispielsatz (176) Es ist lobenswert, dass du Hans geholfen hast.
Hierbei werden, wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, Welten, in denen der Gesprächspartner Hans geholfen hat, auf einer Werteskala maximal hoch bewertet. Welten, in denen der Gesprächspartner Hans geholfen hat, müssen eine positive Wertung (hier die Kategorie «Lob») nach sich ziehen. Der Komplementsatz ist zudem mit der Präsupposition verbunden, dass die aktuelle Welt w0 zu diesen positiv bewerteten Welten gehört. Diese Überlegungen könnte man folgendermaßen zusammenfassen:
Exkurs: Notwendigkeit und Möglichkeit
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Für ∀w [if w ∈ p, p: Du hast Hans geholfen] -> [w ∈ {W}, W: sind Ideal-Welten, die dem axiologischen Prinzip der Lobenswürdigkeit entsprechen], dabei ist w0 ∈ p; Wir wollen nun in den folgenden Unterkapiteln vor allem die Geschichte der Modusselektion im Zusammenhang mit dem Notwendigkeits-, vor allem aber dem Möglichkeitsoperator und seiner Versprachlichung untersuchen. Zunächst soll der Blick zurück gerichtet werden auf die Verhältnisse im Lateinischen.
3.7.1 Notwendigkeit und Möglichkeit im Lateinischen Im Lateinischen wurde der Notwendigkeitsoperator sprachlich durch die unpersönliche Konstruktion necesse est realisiert, der in der Regel deontische Notwendigkeit ausdrückte. In diesen deontischen Kontexten selegierte der Ausdruck stets den konjunktivischen Modus, da ganz ähnlich wie bei der Gruppe der buletischen (optativen) und volitionalen Verben semantisch ein ordnendes Prinzip eine zentrale Rolle spielt: Die jeweilige Proposition p wird vor dem Hintergrund einer deontischen modalen Basis evaluiert, die das, was die relevante Norm bzw. das ordnende Prinzip festlegt, in Form einer Propositionenmenge expliziert. Die Auswertungsdomäne von p lässt sich nun folgendermaßen bestimmen: –– realistischerweise werden insbesondere solche möglichen alternativen Welten berücksichtigt, die mit dem, was die Sprecher zum Sprechzeitpunkt über die aktuelle Welt wissen, kompatibel sind (Kontextmenge auf dem Hintergrund einer epistemischen modalen Basis) oder was typischerweise die aktuelle Welt und ihren weiteren Verlauf bestimmt (stereotype modale Basis); –– ein deontischer Regelkanon lässt sich als Norm bzw. Ideal (ordering source) in Form einer Propositionenmenge formulieren. Die möglichen Welten der Kontextmenge werden nun danach geordnet (gerankt), wie nahe sie dem durch die ordnende Quelle vorgegebenen Ideal kommen. –– Die modale Stärke der Notwendigkeit verlangt, dass p in allen Welten wahr sein muss, die dem Ideal am nächsten kommen. Zusammenfassend: Die Proposition p gilt mithin an solchen Welt-Zeitindizes i, an denen Verhältnisse vorherrschen, die mit dem, was zum Sprechzeitpunkt gewusst wird oder dem typischen Lauf der realen Welt entsprechen, kompatibel sind und die zugleich die durch das Ideal (ordnende Quelle) gesetzten Bedingungen erfüllen. Die Modalität der Notwendigkeit statuiert insbesondere, dass p an allen Indizes, an denen die durch die Norm festgelegten Verhältnisse gelten, der
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Fall sein muss. Betrachten wir unsere deontisch zu interpretierenden Beispiele aus der Vulgata: (177) «Translato enim sacerdotio necesse est ut et legis translatio fiat.» (Vulg., Paulus, Brief an die Hebräer, 7,12) (‘Denn wo das Priestertum verändert wird, da muss auch das Gesetz verändert werden.’) (178) «Ubi enim testamentum mors necesse est intercedat testatoris.» (Vulg., Paulus, Brief an die Hebräer 9,16) (‘Denn wo ein Testament ist, da muss der Tod desjenigen eintreten, der das Testament gemacht hat.’)
Wie wir sehen, tritt der Notwendigkeitsoperator gerne in (oftmals implizit bleibenden) Bedingungssatzkontexten des Typs if p, q auf. In dem ersten Beispiel, muss q (q: das Gesetz wird verändert) nur in solchen Welten gelten, in denen auch das Priestertum verändert wird (also p = 1 ist). Vom Sprecherstandpunkt aus betrachtet sind nun auf der Grundlage des allgemeinen Wissens zum Sprechzeitpunkt Welten denkbar, in denen alles beim Alten bleibt und solche, in denen sich eine Veränderung des Priestertums vollzieht (◊¬p ∨ ◊p). Nur letztere Welten sind relevant für die Auswertung von p, denn es sind solche Welten, die in den Anwendungs- bzw. Geltungsbereich des deontischen Kodex fallen. Sofern q nun unter der modalen Stärke der Notwendigkeit steht, muss q (q: das Gesetz wird verändert) in allen Welten der Fall sein, die den durch das Ideal gesetzten Verhältnissen am nächsten kommen (i.e. Welten, in denen gilt: das Priestertum wird verändert ∩ das Gesetz wird verändert). Kommen wir nun zur Modalität der Möglichkeit im Lateinischen, die üblicherweise durch die Form fieri potest ausgedrückt wird. In den spätlateinischen Texten selegiert der Ausdruck zumeist den Komplementierer ut, seltener auch die später stark expandierende Konjunktion quod. Im Gegensatz zu necesse est sind Belege zu fieri potest rar gesät und das Modusverhalten ist nicht ganz so eindeutig wie bei der Modalität der Notwendigkeit. Mehrere Beispiele für die Versprachlichung des Möglichkeitsoperators als fieri potest ut finden sich in den Confessiones des Kirchenlehrers Augustinus (gest. 430 n.Chr.). Das Komplementsatzverb steht in den Beispielsätzen stets im konjunktivischen Modus. Im ersten Beispiel ist dies unmittelbar einsichtig, da der Nebensatz im Skopus des Negationsoperators steht (¬◊[p]), im Rahmen des logischen Quadrats eine Entsprechung durch einen Ausdruck mit dem Notwendigkeitsoperator besitzt und damit ‘Unmöglichkeit’ ausdrückt (= □ ¬p) und schließlich vor dem Hintergrund einer deontischen modalen Basis interpretiert werden muss (es darf, nach ethisch-moralischen Gesichtspunkten betrachtet, nicht sein, dass p):
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(179) «ita vivas: fieri non potest, ut filius istarum lacrimarum pereat.» (Augustinus, Confessiones, 3.12.21) (‘Es kann nicht sein, dass ein Sohn so vieler Tränen verloren geht.’)
Aber auch bei dem affirmierten Satzbeispiel selegiert der Ausdruck fieri potest ut einen konjunktivischen Komplementsatz: (180) «sed neque ita comprehenditur certa mensura temporis, quandoquidem fieri potest ut ampliore spatio temporis personet versus brevior, si productius pronuntietur, quam longior, si correptius.» (Augustinus, 11.26.33) (‘Aber auch so erfassen wir nicht das genaue Maß der Zeit, da es zuweilen vorkommen kann, dass ein langsam vorgetragener kurzer Vers für eine längere Dauer zu hören ist als ein langer, der schnell vorgetragen wird.’)
In diesem Beispiel geht es um die kontingente Modalität im Rahmen von natürlichen Gesetzmäßigkeiten der Welt, so dass hier eine metaphysische modale Basis vorliegt. Die Selektion des Konjunktivs lässt sich wieder über äquivalente Ausdrücke auf der Basis des Notwendigkeitsoperators motivieren. Nach dem sogenannten Dualitäts-Diagramm44 besteht eine Relation zwischen dem Möglichkeits- und dem Notwendigkeitsoperator über die duale Negation (◊p ¬ □ ¬p), also: es ist möglich, dass p ist äquivalent zu es ist nicht notwendig, dass ¬p gelten muss (es kann also durchaus p gelten!).
◊
duale Negation
äußere Negation
innere
□
Negation ¬◊ duale Negation
äußere Negation
¬□
Auch eine im Skopus des negierten Möglichkeitsoperators stehende Proposition (¬◊p) lässt sich durch eine Äquivalenzrelation mit dem Notwendigkeitsoperator darstellen. In diesem Falle führt der Weg über die innere Negation, d.h. (¬◊p) (□¬p). Wie wir sehen, lässt sich ein im Skopus des Möglichkeitsoperators stehender Ausdruck stets in einen äquivalenten Notwendigkeitsausdruck überführen, wobei p in diesem Fall immer im Skopus (mindestens) einer Negation steht. Jedes
44 Cf. Lohnstein (1996, 249).
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dieser beiden Elemente – der Notwendigkeitsoperator und die Negation – rechtfertigen den konjunktivischen Modus.
3.7.2 Notwendigkeit und Möglichkeit im Altfranzösischen Der Notwendigkeitsoperator wird im Altfranzösischen durch das Verb estoveir (von lateinisch est opus) versprachlicht, das nach den bekannten Prinzipien der Modusselektion stets in Verbindung mit dem Konjunktiv auftritt. Hierfür ist wiederum ausschlaggebend, dass der Ausdruck eine ordnende Quelle impliziert, die Welten danach ordnet, wie sehr sie dem statuierten Ideal bzw. der anvisierten Norm nahe kommen. Der sich ab dem Mittelfranzösischen etablierende unpersönliche Ausdruck il est nécessaire ließ sich noch nicht in den altfranzösischen Korpora nachweisen. Ein exemplarisches Beispiel: (181) «de ceo m’estuet que cunseil preigne» (laustH, 132)
Der im Altfranzösischen durch den unpersönlichen Ausdruck puet estre que versprachlichte Möglichkeitsoperator verbindet sich hingegen mit ganz unterschiedlichen verbalen Kategorien. Interessanterweise kristallisiert sich gerade eine besondere Korrelation mit dem Futur, das als Standardkategorie in den altfranzösischen Texten erscheint, heraus. Gut dokumentieren lässt sich auch die Verbindung mit dem Passé composé. –– (il) puet (cel) estre que + Futur: (182) «[...] neis iluec la twe main deduirad mei e tendrad mei ta destre se je dirrai puet cel estre teniebres me cuverrunt la nuiz naes clartez iert encuntre mei ne teniebres ne unt teniebres od tei (...).» (psautier, 5246–5250) (183) «[...] mais eslisun hommes o nos si l’alun quere puet cel estre nos le troverun et si prierent elyseu k’il alast o els et a la o els treis jors [...].» (nicoa, 894–898)
–– (il) puet (cel) estre que + Passé composé: (184) «bien as dit, ja de ce ne seras desdit bien puet estre que m’a servi mais malement le m’a meri c’ert verte que mendai renart [...].» (romb, 147ss.) (185) «[...] et ore me creez les fiz israel quere et puet cel estre que alcun esperit a ravi jesu si l troverun et puis pernun nos penitences de ceo que ne l vousismes [...].» (nicoa, 900–905)
Eine geringe Vorkommensfrequenz weisen im Allgemeinen Komplementsätze im Konditional sowie im Subjonctif auf. Befindet sich der Ausdruck jedoch im Skopus des Negationsoperators, so erscheint obligatorisch der Subjonctif.
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–– (il) puet (cel) estre + Conditionnel (186) «[...] marie ai non si sui de france puet cel estre li cler plusor prendroient sor aus le labor ne uuel que nus sor lui le die cil ore mal qui si oblie por amor le conte guilliaume.» (fablesC, 3339)
–– (il) puet (cel) estre + Subjonctif (187) «[...] tu fundas la terre e ele estait par tun jugement estunt se pur ceo nun la tue lei le mien delit est puet cel estre perisse en la meie en siecle nen ublierai tes mandemenz kar par icels vivifias mei [...].» (psautier, 4899–4904)
–– NEG [(il) puet (cel) estre] + Subjonctif (188) «[…]; et a cel jour seroient esleuz li yy et ne puet estre que, a si grant chose conme est l’empire de costentinoble, n’eust moult d’abeanz et d’envieus.» (vilhar, 1031s.)
Die Kategorienwahl bei puet estre lässt sich aufgrund von mehreren Faktoren motivieren: In den indikativischen Kontexten, vor allem im Falle des Futurs, ist puet estre (que) grundsätzlich mit keiner Ordnungsquelle assoziiert. Vielmehr tritt der Ausdruck im Rahmen von «non-priority» Redehintergründen auf: Dabei kann es sich um Redehintergründe epistemischer (gemäss dem, was zu einem Zeitpunkt t gewusst wird), dispositioneller bzw. zirkumstantieller (dank der inhärenten Disposition bzw. aufgrund der faktischen Gegebenheiten fähig zu) oder metaphysischer (nach dem, was in der Welt der Fall ist oder der Fall sein bzw. werden kann) Natur handeln. Entscheidend für die indikativischen Lesarten ist also die Tatsache, dass keine implizite (deontische oder axiologische) Norm oder eine teleologische Dynamik ordnend auf die Kontextmenge einwirkt. Die Anforderungen an die Wahrheit von p sind zudem gering: Es reicht, dass p in (mindestens) einer möglichen Welt zutrifft. Entsprechen die p-Welten einer Standarderwartung (exp*) – handelt es sich also bei den p-Welten um Welten, die hinsichtlich ihres Erwartungswertes am wahrscheinlichsten und damit die besten Kandidaten für eine zukünftige Version (Fortschreibung) der realen Welt sind –, so wird dies, wie wir schon in mehreren Domänen gesehen haben, durch die Kategorie Futur gekennzeichnet. Sind die Indexwerte für die p-Welten weiter von i0 (= t0/w0) entfernt, besitzen also die p-Welten einen geringeren oder geringen Erwartungswert, so optieren die Sprecher für den konjunktivischen Modus. Schließlich muss ein weiterer, autonomer Faktor, berücksichtigt werden: Die Konstruktion puet estre que beginnt schon im Altfranzösischen, sich progressiv von einer freien syntaktischen Konstruktion zu einem Modaladverb zu entwickeln (zu grammatikalisieren), eine Entwicklung, die sich anhand mehrerer Kennzeichen festmachen lässt:
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Der Komplementierer que ist – wie auch einige der zitierten Beispiele zeigen – nicht mehr obligatorisch (Verlust der formalen Kennzeichnung der Komplementsatzstruktur), die Signalisierung des nachfolgenden Komplementsatzes durch kataphorisches cel ist fakultativ und – in unserem Rahmen das wichtigste Merkmal – die Kategorienwahl im Hinblick auf den zunehmend seinen Komplementsatzstatus verlierenden Teilsatz erfolgt so, als ob es sich um einen autonomen Hauptsatz handeln würde. Dies zeigt sich sowohl bei den Passé composéBeispielen als auch bei dem zitierten Conditionnel-Beispiel. Die Selektion von Kategorien, die im Komplementsatz unpersönlicher Ausdrücke eigentlich unüblich sind (etwa das Passé composé oder das Conditionnel) stellt einen Reflex auf den offenbar zugrundeliegenden Reanalyseprozess dar. Der um den Ausdruck peut (cel) estre que konstituierte Teilsatz wird nicht mehr als der eigentliche Matrixsatz gedeutet, sondern der Fokus verlagert sich hin zu dem nun als eigentlichen Hauptsatz interpretierten ursprünglichen Komplementsatz. Der zugrundeliegende Reanalyseprozess lässt sich somit folgendermaßen zusammenfassend darstellen: [peut (cel) estre [que p]CP]IP Matrixsatz Komplement(IP) satz (CP)
→
[[peut (cel) estre] [p]IP]IP Modaladverb Satz (IP) (adjungiert an IP)
Die genannten Merkmale des Grammatikalisierungsprozesses von peut (cel) estre que kombinieren sich in den Beispielen in ganz unterschiedlicher Weise: Deletion von que, Fehlen einer Komplementsatz-Signalisierung durch cel und hauptsatzwertige Kategorienselektion für das Verb. Der hier charakterisierte Prozess setzt sich – wie wir noch sehen werden – im Mittelfranzösischen fort.
3.7.3 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen Im Mittelfranzösischen diversifizieren sich die Versprachlichungsmöglichkeiten für den Notwendigkeitsoperator. Neben einer Reihe von Ausdrücken des Typs il est NOM/ADJ que erscheint nun schon regelmäßig (il) faut (oftmals mit overtem pro, das aber im Mittelfranzösischen noch nicht vollkommen obligatorisch ist). In den Texten des mittelfranzösischen Atilf-Korpus erscheinen die folgenden Notwendigkeitsausdrücke mit einer hohen Frequenz. Wir geben jeweils ein Beispiel an: –– il est neccessité: (189) «[...] et il est neccessité que il les tiengne en amour en telle maniere que de celle amour viengne crainte plus que par rigueur, ou autrement sa seigneurie est en balance.» (Christine de Pizan, Le livre des trois vertus, 1405, 70, livre I, chap. 17)
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–– il est neccessaire: (190) «Il est neccessaire que la reparacion se face pour estre l’omme saulvé, qui se fera par Jhesu Crist ou par aultre – [...].» (Pierre Crapillet, Cur Deus Homo de Arrha animae, 1450, 196, livre I, chap. XX)
–– il est forcé: (191) «Il est forcé que du monde m’exente Pour contempler de Dieu la passion, Dont, en effet, j’ay grant devocion En quelque lieu d’estre religïeux» (Andre de la Vigne, Le Mystere de Saint Martin, 1496, 358, seconde journée)
–– il est force: (192) «[...] il est force que je le sache» (Les cent nouvelles nouvelles, 1456, 317, la XLIIe nouvelle, Monsieur de la Roche)
–– il est mestiers: (193) «Sire, il est mestiers que vous chevauchiez par ceste forest, tous armez, vous et voz gens, par ordonnance, par le lignaige de Josselin que vous avez destruit, ne vous aiment pas.» (Jean d’Arras, Melusine, 1392, 70s.)
–– il faut: (194) «C’est la leçon qu’il faut que je retieigne.» (Alain Chartier, La complainte, 1425, 325)
Die beiden Möglichkeitsausdrücke il est possible und il est impossible treten wie im Altfranzösischen sowohl mit dem Indikativ als auch mit dem Konjunktiv auf. Die Modusdistribution in Kontexten, die vom Prädikat possible determiniert werden, folgt der gleichen Logik wie wir sie schon bei dem äquivalenten – im Altfranzösischen noch exklusiven – Ausdruck peut (cel) estre que p kennengelernt haben: Relevant sind die geringe Anforderung an die Wahrheit von p (p muss in mindestens einer möglichen Welt wahr sein) sowie die Frage nach dem Erwartungswert von p – danach also, ob die wahrscheinlichste Fortschreibung der aktuellen Welt in den Blick genommen wird oder vielmehr weitere mögliche, aber nicht saliente Alternativen. Wie die folgenden Beispiele, die die Bandbreite der Kategorienvariation bei possible illustrieren, zeigen, spielt sowohl die Art der modalen Basis eine wichtige Rolle für die Modusselektion als auch die Position auf der mit dem Operator verbundenen, impliziten Wahrscheinlichkeitsskala. Betrachten wir hierzu einige interessante Beispiele: In dem ersten Beleg prädiziert der Sprecher über einen Sachverhalt p, der an einem vergangenen Zeitindex (te < t0) verankert ist und damit tatsächlich eine
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Ereignisokkurrenz der realen Welt w0 ist. Deshalb ist die Selektion des indikativischen Modus selbstverständlich: (195) «Aprés je di que il est bien possible que aucuns ont bien gouverné senz avoir veüz telx bien publique que ceste science estoit en leur cuer naturelment entee, nee et plantee.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 99, Prologue)
Auch in dem folgenden Beispiel – einem Beweis – wählt der Sprecher den Indikativ. Hierbei folgt p aus den Annahmen (der faktischen modalen Basis, die neben den Fakten in w0 auch provisorische Annahmen umfasst), wobei p auf mathematischen Regeln beruht (logische modale Basis) und keine rein kontingente Möglichkeit, wie die Dinge in der Welt sein oder werden könnten (metaphysische Modalität), darstellt: (196) «[...] si comme posé que ces ZZZIII superfices, ..a.. et ..b.. et ..c.., soient equales et que ..a.. soit circulaire et les autres quadrangles plus longue que lees, je di que il est possible que la ligne qui contient ..b.. est double à la ligne qui contient ..a.. pour ce que ..b.. est de figure plus estroite que plus longue.» (Nicole Oresme, Le livre du ciel et du monde, 1370, 392, livre II, chap. 10)
In dem nächsten Beispiel hingegen markiert der Konjunktiv die Irrelevanz von p: p mag zwar wahr sein, macht aber den Folgesatz nicht deshalb wahr (p: faire_ choses_justes’(x) –|→ q: être_juste‘(x)). Mit anderen Worten: p greift lediglich kontingente Welten (◊p ∨ ◊¬p) heraus, die aber für q in w0 nicht relevant sind. (197) «Car il fu dit ou quint chapitre du secont livre que il est posible que un homme face choses justes et ne est pas pour ce juste.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote (commentaire), 1370, 301, livre V, chap. 14)
In Beispiel (198) ergeht sich der Sprecher in metaphysischen Spekulationen darüber, wie eine espèce spirituelle et immatérielle beschaffen sein könnte. Die konjunktivische Moduswahl erklärt sich dementsprechend daraus, dass er keine hinreichende Evidenz für seine These anführen kann und sie somit auch nicht in den gemeinsamen Redehintergrund überführen kann. p bleibt mithin ein Überzeugungsinhalt seines eigenen doxastischen Systems, vor dessen Hintergrund p evaluiert wird. (198) «Et pour ce, selonc la verité, il est posible que d’une espesce esperituelle et inmaterielle soient plusseurs supposts, si comme sont plusseurs ames humaines et plusseurs angelz.» (Nicole Oresme, Le livre du ciel et du monde/1370, 148, livre I, chap. 20)
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Die Futur-Kookkurrenzen im Komplementsatz verlangen – nach dem für das Altfranzösische Gesagten – keine ausführliche Begründung mehr: Hier entsprechen die p-Welten jeweils der Standarderwartung des Sprechers darüber, wie die bzw. eine zukünftige Version der aktuellen Welt realistischerweise aussehen wird. Für den Sprecher korrespondieren p-Welten mit dem, was zum Sprechzeitpunkt über zukünftige Fortschreibungen der aktuellen Welt (auf der Basis eines realistischen Redehintergrunds) extrapoliert werden kann. (199) «Il est possible que vaine gloire et presumption le mettra en servitude de peché, et lors triumphera sur lui orgueil qui par l’aveuglement d’arrogance le fera trebuchier soubz toy quant au monde, et soubz Dieu en damnation pardurable.» (Alain Chartier, Le livre de l’esperance, 1429, 154, la consolation d’esperance) (200) «[...] car il est bien possible que ung homme, qui a des biens en ce monde, en aura aussi en l’autre, et aussi ceulx qui y ont des adversitez pareillement.» (Jean de Bueil, Le Jouvencel, t. 2, 1461, 118, seconde partie, chap. XXIII)
Das im Mittelfranzösischen aufkommende Prädikat il est possible weist ein breites Kategorienspektrum auf, das sich aus dem Zusammenspiel von modaler Basis und Erwartungswerten auf einer Probabilitätsskala motivieren lässt. Kontingente Möglichkeit, die mit einer Irrelevanzinterpretation verbunden ist, besitzt einen anderen Status als logische (oder physische) Möglichkeit. Vor allem aber werden realistische Erwartungen im Mittelfranzösischen noch systematisch durch das Futur Indikativ gekennzeichnet, das die wahrscheinlichste Fortschreibung der aktuellen Welt w0 gegenüber kontingenten Alternativen salient macht. Sein quantitatives Gewicht ist aber auch in mittelfranzösischer Zeit noch deutlich geringer als das des konkurrierenden Ausdrucks puet (cel) estre que, den wir zum Abschluss dieses Unterkapitels noch einmal kurz behandeln wollen. Der Ausdruck cel puet estre que stellte in altfranzösischer Zeit, wie schon erwähnt, die exklusive Versprachlichungsform des Möglichkeitsoperators dar. Die Entwicklung verlief aber schon in jener Zeit in Richtung auf eine Reanalyse der syntaktisch freien Fügung, die als modaler adverbialer Ausdruck (als Modaladverb) reinterpretiert wurde. Der hiermit verbundene Umstrukturierungsprozess setzt sich im Mittelfranzösischen zwar fort, stabilisierte sich allerdings in einem Zwischenstadium, so dass die endgültige Zielstruktur – der adverbiale Ausdruck – in jener Epoche noch nicht erreicht wurde. Charakteristisch für das Zwischenstadium sind nun die folgenden kennzeichnenden Merkmale, die in dem mittelfranzösischen Korpus hervortreten: Zunächst entfällt das kataphorische Element cel endgültig. Auch lassen sich nur äußerst wenige Beispiele für ein expletives il in Verbindung mit puet estre que nachweisen. Letzte Beispiele treten in den 1370–1380er Jahren auf, wie auch das nachfolgende Zitat deutlich macht:
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
(201) «Autrui grievent et autrui blessent, / Et au fort, se mariez sont, / Il puet estre que ja n’aront / Du mariaige aucuns enfans.» (Eustache Deschamps, Le miroir de mariage, 1385, 275, LXXVI.)
Es fällt zudem auf, dass in diesen Kontexten nur noch vereinzelt eine konjunktivische Form im Nebensatz selegiert wird – die Wahl des Konjunktivs war im Altfranzösischen weitaus üblicher (siehe oben): (202) «Mais il puet estre que un homme ait vertuz et se dorme et que il ne oeuvre jamais en sa vie selon celles vertuz.» (Nicole Oresme, Le Livre de Ethiques d’Aristote, 1370, 111s., livre I)
Bis spätestens 1370 kristallisiert sich puet estre que als fixierter und verbindlicher Ausdruck heraus, wobei nicht nur die pro-Form entfällt, sondern – was im Rahmen unserer Untersuchung noch wichtiger ist – der Indikativ als alleiniger Modus festgeschrieben wird. Diese Fixierung des Modus ist das stärkste Indiz für den erfolgten Reanalyseprozess: Es wird – modalsemantisch gesprochen – nicht mehr die Beschaffenheit bestimmter möglicher Welten des Komplementsatzes charakterisiert, also die Komplementsatzproposition an den relevanten Auswertungsindizes verankert, sondern der propositionale Gehalt des nunmehr als Deklarativsatz reinterpretierten ehemaligen Komplementsatzes wird durch den feststehenden Ausdruck modalisiert. Der Ausdruck puest estre que verhält sich also wie ein adverbialer Ausdruck, der den Aussageradius eines autonomen Aussagesatzes im Hinblick auf eine Dimension – hier die epistemische Dimension der Wahrscheinlichkeit – determiniert bzw. eingrenzt. Man könnte auch sagen, dass der Sprecher mithilfe des Modaladverbs den Deklarativsatz auf einer Wahrscheinlichkeitsskala situiert und dadurch bestimmt, zu welchem Grad er bereit ist, für dessen Wahrheitsgehalt zu bürgen. Zur Illustration führen wir zwei typische Beispiele aus dem mittelfranzösischen Korpus des Atilf an: (203) «Et a ce que l’en dist que les estoilles ont plus grant influence en orient, je di que peut estre que une estoille ou planete, quant elle a aucune prerogative et elle est en l’orient d’une region, elle est plus vertueuse que se elle estoit a midi ou au vespre pour ce qui elle demeure plus sus celle region, mais [...].» (Nicole Oresme, Le livre du ciel et du monde, 1370, 334, livre II, chap. 6) (204) «Et peut estre que elle a ung amy, mais il n’est pas riche pour la donner, quar a l’aventure est ung pouvre galant a qui elle tient son estat.» (Les Quinze joies de mariage, 1390, 41, La Quinte Joye)
Befindet sich puet estre que im Skopus der Negation (was nach wie vor möglich ist), so drängt sich eine analytisch-kompositionale Interpretation des Ausdrucks auf und der Matrixsatz selegiert einen konjunktivischen Komplementsatz:
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(205) «Bonne-Lance, biau sire, vous chevaulchiez souvent sus les champs, et ne peut estre que vous ne voiez à le foiz de vostres ennemis et que vous n’aiez aulcuns rencontres.» (Jean Froissart, Chroniques III, 1390, 198s.)
Während die Semantik (und in Widerspiegelung hierzu die Morphosyntax) für eine Umdeutung von puet estre que in einem modaladverbialen Sinne sprechen, erscheint der regelmäßig auftretende Komplementierer que als ein syntaktisches Relikt. Immerhin tauchen seit ca. 1400 immer wieder Beispiele für eine Tilgung der Konjunktion, so bei Christine de Pizan sowie in den Cent nouvelles nouvelles, auf: (206) «Et d’autres marchans, vous plevi, / Faulx et mauvais assez y vi, Par couvoitise si menez / Que l’avarice, ou sont donnez, Peut estre les fera ancors / Perdre, se Dieu n’en a recors, Tant sont fort ahers a mal gaing» (Christine de Pizan, Le livre de la mutacion de fortune, t. 2, 1400, 72, t. 2, partie 3, XIIII) (207) «Peut estre, dit elle,/retourneray je au disner, ainsi que le temps nous/aprendra.» (Les cent nouvelles nouvelles, 1456, 526, la quatre vingts XIIIe nouvelle)
Zu jener Zeit ist also der Grammatikalisierungsprozess von puest estre que noch nicht abgeschlossen.
3.7.4 Der Abschluss der Entwicklungen bis zum Klassischen Französisch Im 16. Jahrhundert leben die mittelfranzösischen Verhältnisse bei possible noch weitgehend fort. Allerdings überwiegt nun doch eindeutig der konjunktivische Modus. Der Indikativ nach il est possible que p weist den propositionalen Gehalt einer Aussage als realistische Annahme aus. In dem folgenden Fall besitzt der Ausdruck einen euphemistischen Charakter – er schwächt die Aussage bzw. Behauptung, dass p ab – und nimmt dabei eine modalisierende Funktion (im Sinne von je crois que) wahr: (208) «Il est possible que tu le sçais encore moins que moy. (Guy de Brués, Les Dialogues de Guy de Brués contre les nouveaux académiciens, 1557, 99, premier dialogue de Guy de Brués, contre les nouveaux Accademiciens)
Vor allem aber, wenn p als realistische Annahme angesehen wird und zudem auf einen vergangenen Sachverhalt referiert, ist der indikativische Modus noch durchaus üblich: (209) «Il est possible que la bonté divine se voulut servir de ce vain instrument pour ma conservation.» (Michel de Montaigne, Essais, t. 2, livre 3, 1592, 1062)
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
Im 17. Jahrhundert generalisiert sich jedoch der Subjonctif-Gebrauch nach il est possible que. Vermutlich dürfte hier der vereinheitlichende Einfluss normativer Instanzen eine sich im 16. Jahrhundert schon abzeichnende Tendenz zum definitiven Abschluss gebracht haben. Eines der wenigen von der allgemeinen Konjunktiv-Regel abweichenden Textbelege ist der folgende Ausschnitt aus Garasses La Doctrine curieuse des beaux-esprits de ce temps von 1623: (210) «Or je demande maintenant comment il est possible que la fortune de cet homme qui a remply six ou sept royaumes, qui a faict de si estranges changemens, et en sa personne et en celle de tant de princes pouvoit estre escrite sur le point indivisible de sa naissance, comment la vie d’Alexandre qui a remply dix ou douze gros volumes d’histoires pouvoit renger sur un point?» (Le Père François Garasse, La Doctrine curieuse des beaux-esprits de ce temps, 1623, 380, livre 4, section 7)
Der in dem Textfragment vorkommende Ausdruck comment il est possible que p ist disponentiell bzw. zirkumstantiell zu interpretieren: Charakterisiert wird hier nämlich ein bestimmter Umstand p, der in der realen Welt w0 gilt. Daher ist der Indikativ unmittelbar einleuchtend. In allen anderen Kontexten setzte sich bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts eine verbindliche Norm, die grundsätzliche Verwendung des konjunktivischen Modus, durch. Wir führen einen der frühen Belege von 1607 an, bei dem p-Welten und ¬p-Welten als komplementäre und zugleich kontingente Alternativen betrachtet werden: (211) «Il est possible que l’homme soit heureux: Il est possible que l’homme ne soit point heureux.» (Scipion Dupleix, La Logique ou l’Art de discourir et raisonner, 1607, 192, livre IV, chapitre 13).
Kommen wir nun noch einmal zu unserem Ausdruck il peut estre que und seinem Grammatikalisierungsprozess zurück. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erscheint ausnahmslos der indikativische Modus, der mit dem adverbialen Status der Fügung korreliert und den hauptsatzwertigen Charakter des ehemaligen Komplementsatzes unterstreicht. Die nachfolgenden Beispiele illustrieren diese Überlegungen: (212) «[...] il peut estre que j’y avois cette propension, mais je l’ay appuyée et fortifiée par les discours qui m’en ont estably l’opinion que j’en ay.» (Michel de Montaigne, Essais, t. 1 (livres 1 et 2), 1592, 765, livre second, chap. XXX) (213) «Et peut estre que celluy homme estoit ange, c‘est à dire messagier de Dieu envoyé, comme feut Raphael à Thobie.» (François Rabelais, Tiers livre, 1552, 130, chap. XVI)
Der Grammatikalisierungsprozess manifestiert sich im 16. Jahrhundert auch noch deutlicher in den ausdrucksseitigen Strukturen, zumal er zur Ausbildung einer ganzen Reihe von syntaktischen Varianten führt:
Exkurs: Notwendigkeit und Möglichkeit
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So verstärkt sich grundsätzlich die Tendenz einer que-Tilgung, was mit einer zunehmenden positionellen Flexibilität von peut estre einhergeht. Stand der Ausdruck, solange er noch einen reliktartigen Komplementierer mit sich führte, grundsätzlich satzinitial, so erscheint er im 16. Jahrhundert nun auch parenthetisch, in mittlerer oder finaler Position. Führen wir Belege für diese Beobachtungen an: –– que-Tilgung: (214) «Mais possible en vain je me colere, Et peut estre en cela ne me voudroit desplaire Non plus qu‘en autre chose, elle a le naturel Trop bon pour emouvoir le courroux paternel.» (Robert Garnier, Bradamante, 1585, 134, acte II, scène II)
–– Epenthetische Verwendung von peut estre a. satzinitial: (215) «Peut estre, ce n‘est pas *Emee Mais une autre qui luy resemble.» (Jean-Antoine Baïf, Le Brave, 1573, 101, acte II, scène III)
b. in Mittelposition (postverbal): (216) «ains tout gentil oiseau qui va cherchant sa proye par les flots poissonneux, bien-heureux te convoye, pour seurement venir avecq’ ta charge au port, où Marion voirra, peut estre, sur le bort un orme des longs bras d’une vigne enlassée [...]» (Pierre de Ronsard, Le Second livre des amours, 1578, 78/Perrot)
c. in finaler Position: (217) «Celuy qui ores est ton maistre, et qui te tient comme veinqueur, te laissera demain, peut estre.» (Pierre de Ronsard, Le Second livre des amours, 1578, 17, première partie, IV chanson)
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts schlägt sich das Resultat der Grammatikalisierung von peut estre zu einem Modaladverb auch in der Graphie nieder: Erste Belege für die Signalisierung des lexikalischen Status von peut estre durch einen Bindestrich finden sich in Marguerite de Navarres Roman L’Heptaméron von 1550. Interessanterweise tritt aber bisweilen auch diese graphisch integrierte Variante zusammen mit dem Komplementierer que auf, was immer noch auf seine syntaktische Restfunktion, jetzt allerdings im Verbund mit einer eindeutig lexikalisch zu interpretierenden Einheit, verweist. Man vergleiche die Beispiele aus Frantext:
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Evaluation (evaluative Einstellungsprädikate)
(218) «Et peut-estre tirons les cueurs des dames si avant que, pensans aller droict à la vertu, quand elles congnoissent le vice, elles n’ont le moyen ne le loisir de retirer leurs pieds.» (Marguerite de Navarre, L’Heptaméron, 1550, 793, la deuxiesme journée, douziesme nouvelle) (219) «Pour n’en mentir, si j’estois à recommancer, peut-estre que j’y penserois deux fois.» (Pierre de Larivey, Le Laquais, 1579, 187, acte V, scène II)
Auch im 17. Jahrhundert bleibt zunächst ein großes Maß an Variation bestehen. Im Verlauf der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gewinnen aber schließlich bestimmte Haupttendenzen die Oberhand. Seit 1632 tritt peut-être als konkurrierende graphische Variante zu peut-estre in Erscheinung. Ein erstes Beispiel findet sich in Pierre Corneilles Theaterstück Clitandre ou l’Innocence délivrée: (220) «Il m’en est redevable, et peut-être qu’un jour / Cette obligation produira quelque amour.» (Pierre Corneille, Clitandre ou l’Innocence délivrée, 1632, 129, acte second, scène V)
Diese Variante breitet sich allerdings erst seit den 1660iger Jahren in großem Maße aus: Von den 265 Beispielen (peut-être ohne Komplementierer) stammen 21 aus der Zeit von 1632 bis 1650 (peut-estre: 59), 43 aus der Zeit von 1651 bis 1670 (peut-estre: 60), 35 weitere kommen bis 1680 (peut-estre: 12), 81 bis 1690 (bei peut-estre: 2) und die restlichen 86 bis 1700 (peut-estre: 18) hinzu. Demgegenüber nimmt der Anteil von peut-estre (wie die Angaben in Klammern zeigen) deutlich seit 1660 ab,45 so dass diese graphische Variante gegen Ende des Jahrhunderts einen zunehmend marginaleren Status erlangt. Die Frequenz der graphischen Varianten ohne trait d’union (peut estre, peut être) nimmt zudem rapide ab (für das ganze Jahrhundert existieren nur 108 Beispiele für peut estre), wobei diese – bis auf wenige Ausnahmen zu Beginn des Jahrhunderts – ausschließlich als unpersönliche Prädikativkonstruktionen zu interpretieren sind (und damit das Modalverb gegenüber dem freien Ausdruck graphisch differenzieren). Auf der anderen Seite bleiben die Konstruktionen mit dem Komplementierer que im gesamten 17. Jahrhundert auch weiterhin völlig geläufig. So stehen – nach Bereinigung der Daten (vor allem unter Berücksichtigung von qu’) – 222 Okkurrenzen der Konstruktion peut-être que 252 Okkurrenzen der Fügung peut-être + ∅ gegenüber (bei peut-estre entsprechend 75 Fälle mit Komplementierer versus 167 Fälle ohne Komplementierer). Folglich bleibt beispielsweise auch der folgende
45 Für die Zeit zwischen 1651–1660 sowie zwischen 1661–1670 ergibt sich aus den Anfragen bei Frantext das folgende Verhältnis: 4 (peut-être): 33 (peut-estre) sowie – für das darauffolgende Jahrzehnt – 39 (peut-être): 27 (peut-estre).
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Beleg aus Racines Tragödie Athalie noch zum Ende des 17. Jahrhunderts durchaus repräsentativ für die Modalisierung von Deklarativsätzen durch peut-être que: (221) «Né ministre du Dieu qu’en ce temple on adore, / Peut-être que Mathan le serviroit encore, /Si l’amour des grandeurs, la soif de commander / Avec son joug étroit pouvoient s’accomoder.» (Jean Racine, Athalie: tragédie tirée de l’Écriture sainte, 1697, 657, acte III, scène III).
Wie die heutige Grammatik von Riegel et al. allerdings deutlich macht, ist auch heute noch bei Modaladverbien die Verbindung initiales Adverb + que syntaktisch keineswegs ungewöhnlich (cf. etwa auch heureusement que p).46 Unser Fazit kann sehr knapp ausfallen: Die Modusverteilung bei Notwendigkeits- und Möglichkeitsoperator resultierte seit lateinischer Zeit aus klaren modalsemantischen Prinzipien: Der Notwendigkeitsoperator selegierte schon im Lateinischen stets den konjunktivischen Modus, da ihm ein ordnendes Prinzip inhärent ist, das Welten danach hierarchisiert, in welchen Maße sie einem bestimmten Prinzip oder Ideal nahekommen. Die Modusverhältnisse unter dem Einfluss des Möglichkeitsoperators hingegen zeichneten sich von Anfang an durch eine klare Alternation zwischen dem Indikativ und dem Konjunktiv aus: Der Modus hing von der Art des kontextuell gegebenen Redehintergrundes (etwa epistemisch, physikalisch, zirkumstantiell vs. metaphysisch, deontisch) sowie von den Erwartungswahrscheinlichkeiten der betrachteten möglichen Welten (realistische modale Basis vs. metaphysische modale Basis) ab. Wie auch bei den evaluativen Prädikaten wurden diese modalsemantischen Prinzipien durch eine normative Fixierung des Modus überschrieben, so dass es zu einer Vereinheitlichung der Modusselektion (mit der Folge einer Generalisierung des konjunktivischen Modus) kam. Die Modusinformation der unterschiedlichen, den Möglichkeitsoperator versprachlichenden Prädikate erstarrte auf diese Weise zu einem lexikalisch determinierten Subkategorisierungsmerkmal. So schreiben auch diese sich in die allgemeine Tendenz einer Desintegration des ursprünglich modalsemantisch motivierten Modussystems ein, die sich unter anderem darin manifestiert, dass die Kategorie Modus ihre grammatische Funktionalität verliert und zu einem Subkategorisierungsmerkmal innerhalb des Lexikons wird. Schließlich haben wir auch den Grammatikalisierungsprozess des Ausdrucks (il) puet (cel) estre que zu dem Modaladverb peut-être vom Altfranzösischen bis ins 17. Jahrhundert nachverfolgt und dabei den Wandel hinsichtlich der Eigenschaften der Modusselektion sowie der syntaktischen Merkmale dokumentiert.
46 Riegel et al. (51999, 376), zitieren etwa das folgende Beispiel mit dem Satzadverb heureusement: «Heureusement (que) Jean n’en sait rien.».
4 Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv 4.1 Zur Theorie des Bedingungssatzes 4.1.1 Linguistische Ansätze zur Analyse von Bedingungssätzen In der sprachphilosophischen Literatur sowie in modalsemantischen Ansätzen werden zwei grundsätzliche Bedingungssatztypen unterschieden – der indikativische und der kontrafaktische (in der sprachphilosophischen Tradition auch: «konjunktivische») Bedingungssatz. Beispiele (1) und (2) verdeutlichen den Gegensatz: (1) Si Pierre est allé à Paris, il a visité le Louvre. (2)
Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre.
Ihr Status als konzeptuelle Grundeinheiten wird auch von kognitionssemantischer Seite hervorgehoben, so bei Wierzbicka, die zum einen von einer Art «Bedingungsprimitiv» IF sowie, zum anderen, von dem konzeptuellen Primitiv «Kontrafaktizität» (if ...(pluperfect) would) ausgeht. Die verschiedenen Einzelsprachen können nun ganz unterschiedliche Punkte auf einer «Hypothetizitätsskala» («a continuum of hypotheticality») realisieren.1 Vielfach üblich ist etwa ein morphologisch realisiertes, dreistufiges System. Das Bedingungssatzsystem im Altspanischen und auch heute noch im Portugiesischen ist vierstufig, im Lateinischen waren die Verhältnisse sogar noch komplexer (dazu weiter unten). Einen weiteren besonders wichtigen Bedingungssatztyp stellt der sog. «problematische» Bedingungssatz dar. «Problematische» Bedingungssätze, die in der angelsächsischen Literatur auch als «future less vivid conditionals» (Iatridou 2000) bezeichnet werden, beschreiben einen regelhaften Zusammenhang, dessen Vorkommen in der Realität als eher unwahrscheinlich, jedoch nicht als ausgeschlossen angesehen wird. Ein Beispiel hierfür ist (3): (3) Si Pierre allait à Paris, il visiterait le Louvre.
Mit der Frage, wie Bedingungssätze angemessen interpretiert und linguistisch beschrieben werden, hat sich die formalsemantische Forschung in den letzten Jahren wieder intensiver beschäftigt (cf. u.a. von Fintel 2001; 2011; Arregui 2005; Ippolito 2002a; 2002b; 2008).
1 Wierzbicka (1997, 52).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
391
Schon Stalnaker (1968) und Lewis (1973) gaben dem bis dahin vor allem logisch-mathematischen Verständnis von Bedingungssätzen eine linguistische Wendung: So interpretierten sie das Verhältnis zwischen dem Vordersatz (Protasis, Antezedenzsatz, Antecedens) p und dem Nachsatz (Apodosis, Konsequenzsatz, Consequens) q nicht mehr als eine materiale, sondern als eine strikte Implikation, die von einer Ähnlichkeitsfunktion bestimmt wird. Im Rahmen des logisch-mathematischen Verständnisses des Bedingungssatzes (if p, q) als einer materialen Implikation darf aus einem wahren Antecedens kein falsches Consequens folgen, aus einem falschen Antezedenzsatz kann hingegen alles Mögliche folgen. So ist auch ein Bedingungssatz wie (4) (4) Wenn die Erde jetzt gerade explodiert, dann ist 2 + 2 = 5,
in dem eine – vom Standpunkt der Realität aus – absurde Implikationsbeziehung zwischen einem apokalyptischen Szenario und offensichtlichem arithmetischem Nonsense aufgestellt wird, in formaler Hinsicht wahr. Nun verwenden aber die Sprecher in ihrer sprachlichen Praxis Bedingungssatzstrukturen in der Regel2 nicht auf diese Weise. Daher bemühten sich Stalnaker (1968) und Lewis (1973) – in unabhängigen Beiträgen voneinander – um ein Verständnis von Bedingungssätzen, das der natürlichen Sprache näherkommt und die folgenden Überlegungen beinhaltet: –– Bedingungssätze stellen eine strikte Implikation dar, d.h. zwischen p und q besteht ein notwendiger Zusammenhang – immer wenn p der Fall ist, ist auch q notwendigerweise der Fall; –– Sie hängen von einer Ähnlichkeitsfunktion (Similaritätsfunktion) ab, sodass q aus p nur dann notwendigerweise folgen sollte, wenn die p entsprechenden möglichen Welten (sog. p-Welten) maximale Ähnlichkeit mit der aktuellen Welt besitzen. Mit anderen Worten: Es folgt nur aus den ähnlichsten («maximally similar») p-Welten, q, ein Umstand, der, wie von Fintel herausgestellt hat, Fälle wie die Stärkung des Antezedens («strenghthening of the antecedent») ausschließt. Wie das folgende berühmt gewordene Känguru-Beispiel zeigt, folgt aus if p, q nicht unbedingt, dass auch if p & r, q:3
2 Allerdings liegen diese formalsemantischen Bedingungen der pragmatischen Strategie zugrunde, die in einer Äußerung wie «Wenn Du intelligent bist, bin ich der Kaiser von China» zum Zuge kommt. Der Sprecher hat hier nämlich dann eine wahre Aussage gemacht, wenn unterstellt wird, dass neben dem offensichtlich falschen Consequens auch das Antecedens falsch ist. 3 Cf. von Fintel (2001; 2011).
392
Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
(5) «p: If kangaroos had no tails, q: they would topple over; es folgt nicht: p&r, q: p: If kangaroos had no tails r: but used crutches, q: they would topple over.» (von Fintel 2011, 1521)
Die Ähnlichkeitsbeziehung von möglichen Welten (etwa den p-Welten) zu einer Auswertungswelt (meist die Sprecherwelt w0) hat Lewis in einem Sphärenmodell dargestellt: 4
w Sw1 Sw2
•
Sw3
Sphärenmodell nach Lewis
Dieses Modell macht deutlich, warum aus der Stärkung des Antezendenten p durch r nicht notwendigerweise q folgt: Nehmen wir an, dass p-Welten (Welten, in denen Kängurus sich nicht durch ihren Schwanz im Gleichgewicht halten können) schon einigermaßen weit von unserer Realität entfernt sind, so sind solche p-Welten, in denen sie sich auch noch einer Krücke als Gehhilfe bedienen, noch absurder (und damit noch weiter von w0 entfernt). Für w0-ferne p-Welten erwarten wir mithin nicht, dass q zutrifft. Wenngleich die Interpretation von Bedingungssätzen als strikte Implikation und – in diesem Rahmen – auch die Ähnlichkeitsfunktion als ihr zentrales Element heute aufgegeben wurde, so spielt der Aspekt der Ähnlichkeit, wie wir sehen werden, auch in neueren Ansätzen zur Analyse der Semantik von Bedingungssätzen eine wichtige Rolle.
4 Lewis (1973) nach Kratzer (1978, 282).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
393
Mit ihren Überlegungen zum Bedingungssatz leistete Angelika Kratzer in ihrer bahnbrechenden Dissertation von 1978 einen grundlegenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Theorie des Bedingungssatzes.5 Sie versteht den Bedingungssatz nicht mehr als ein zweigliedriges Gefüge – wenn p, (dann) q ist lediglich die oberflächenstrukturelle Erscheinung – sondern als ein dreigliedriges Schema, das ebenso wie andere quantifizierende Prädikationen dem gleichen Grundmuster entspricht.6 So fasst Kratzer ihre Einsicht noch einmal prägnant in einem Beitrag von 1986 zu Bedingungssätzen zusammen:7 «The history of the conditional is the story of a syntactic mistake. There is no two-place if ... then connective in the logical forms for natural languages. If-clauses are devices for restricting the domains of various operators. Whenever there is no explicit operator, we have to posit one.»8
B. Partee verallgemeinert das logisch-semantische Grundschema quantifizierender Prädikationsformen, zu denen auch der Bedingungssatz gehört, in der folgenden schematischen Darstellung:9
S
Operator
Restrictor «cases»
Nuclear Scope
∀
if-clause
main clause
must
subordinate clauses
assertion
not
common noun phrase
focus
almost every
topic
consequent
always
presuppositions
main predication
mostly domain Generic
antecedent
context
Der Bedingungssatz als Unterfall des allgemeinen Grundschemas quantifizierender Prädikation kann nun folgendermaßen charakterisiert werden:
5 Kratzer (1982). 6 Cf. Kratzer (1978; 1991a; 1991b). 7 Cf. auch von Fintel (2011). 8 Kratzer (1986, 656). 9 Partee (1991; 1995, 546).
394
Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
immer, manchmal, wahrscheinlich, notwendigerweise, muss, kann # wenn a # b.10 Das quantifizierende Adverb ist in der Regel nur implizit vorhanden (implizite Modalisierung). Modale Operatoren fungieren als Quantifikatoren über mögliche Welten. Der Bedingungssatz fungiert seinerseits als Restriktor, der nur bestimmte mögliche Welten der Domäne, über die quantifiziert wird, zulässt.11 Anders ausgedrückt: Die Protasis des Bedingungssatzgefüges legt die Welten fest, die für die Auswertung (Evaluation) der Apodosis überhaupt relevant sind. Das quantifizierende Element bestimmt dabei die «Stärke» der Beziehung, die zwischen dem Vorder- und dem Hauptsatz besteht. Konkretisieren wir diese Überlegungen anhand eines Beispiels: (5) Si Jean arrive, la boom sera finie.
MÜSSEN (Jean arrive dans w)[la boom est finie dans w] ES IST NOTWENDIG [∀w ∈ {arriver’ (Jean’, w)}] [être_finie [(la boom)]’, w] Quantor Restriktion Skopus Angenommen wird hier als koverter Operator der Notwendigkeitsoperator, so dass für alle möglichen Welten w gilt: In diesen Welten ist die Party beendet, wenn Jean ankommt. Nun lassen sich aber die Antezedens-Welten nach den für die Auswertung jeweils relevanten Redehintergründen (cf. Kap. 1 und 2) noch genauer bestimmen. Zum einen muss die modale Basis, also die Art der Zugänglichkeitsrelation zwischen der aktuellen Welt (der Welt der Äußerung) und den Welten, über die quantifiziert wird, bestimmt werden. Dieser erste Redehintergrund kann zum Beispiel epistemischer oder metaphysischer Natur sein. Wenn zum Beispiel ein Ermittler in einem Mordfall mit der folgenden regelhaften Beziehung zwischen p und q argumentiert (Beispiel 7), dann wird eine epistemische modale Basis eingeführt: (7) Ermittler: Wenn Hans um 5 Uhr zu Hause war (wofür es genügend Beweise gibt), ist er der Mörder.
10 Kratzer (1978, 207). 11 Kratzer (1991, 32).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
395
In diesem Beispiel werden epistemische Welten zugänglich gemacht, d.h. über diejenigen Welten wird quantifiziert, die dem entsprechen, was der Ermittler (zum Sprechzeitpunkt) weiß. Der Ermittler argumentiert mithin auf der Grundlage von Welten, die ihm zum Sprechzeitpunkt epistemisch zugänglich sind (also den Fakten bzw. Beweisen, die er besitzt) und auf dieser Grundlage zieht er die Schlussfolgerung, dass Hans nach allem, was wir (bzw. der Ermittler) wissen (weiß), der Mörder sein muss. Thematisieren wir hingegen mögliche Alternativen, wie sich die Welt nach dem, was wir über die Verhältnisse zu einem Zeitpunkt t wissen, weiterentwickeln kann, so wird eine metaphysische modale Basis im Kontext prominent. Ein Beispiel: (8) Gestern um 5 Uhr hätte Hans Marianne treffen können, weil sie zuhause war.
Zu der modalen Basis kommt als zweiter Parameter noch eine ordnende Quelle bzw. ein Ideal (ordering source) hinzu. Dies illustriert sehr schön das folgende Beispiel: (9) Ermittler: Wenn Hans um 5 Uhr den Bus genommen hat, dann war er zur Tatzeit, um 6 Uhr, zu Hause.
Der Ermittler unseres Beispiels kann nur die regelhafte Beziehung zwischen Vorder- und Nachsatz postulieren, wenn er davon ausgeht, dass an dem Tattag alles seinen üblichen Lauf genommen hat, also etwa der Bus, von dem er spricht, pünktlich ankam, in keinen Unfall verwickelt war und auch keine Panne hatte. Der Ermittler geht also von einem «normalen» Weltverlauf aus, d.h. er argumentiert auf der Grundlage einer stereotypen modalen Basis. Eine stereotype modale Basis enthält nur solche Welten, die dem «normalen» Gang der Dinge entsprechen. Für weniger «normale» Welten kann die aufgestellte Implikation nicht gelten – in solchen p-Welten (wenn etwa ein Streik an dem Tattag den Busverkehr zum Erliegen gebracht hat), muss q nicht gelten (Hans war also vermutlich um 6 Uhr, zur Tatzeit, gar nicht zuhause). Eine weitere typische ordnende Quelle kennen wir schon: Es ist die Ähnlichkeitsfunktion, die in den Ansätzen Stalnakers und Lewis eine grundlegende Rolle einnimmt. Wenn wir Alternativen zur aktuellen Welt betrachten, so schränken wir unsere Auswertung auf solche Welten ein, die unserer Welt maximal ähnlich sind. Wir werden sehen, dass der Ähnlichkeitsfunktion vor allem für die Interpretation von sog. kontrafaktischen Bedingungssätzen wie «Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre» eine zentrale Bedeutung zukommt (dazu weiter unten).
396
Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
Es lässt sich also festhalten, dass die Protasis (das Antecedens) eines Bedingungssatzes als Restriktor interpretiert wird, der die Auswertungsdomäne für die Apodosis (das Consequens) bestimmt. Dabei wird die Auswertungsdomäne –– durch den propostionalen Gehalt des Antecedens, –– die modale Basis und die damit verbundene Zugänglichkeitsrelation (zumeist von der Sprecherwelt) sowie –– eine ordnende Quelle oder Ideal, das die Auswertungswelten noch weiter auf bestimmte Welten (etwa besonders stereotype oder maximal w0-ähnliche) beschränkt, festgelegt. Im Weiteren wollen wir die einzelnen Haupt-Bedingungssatztypen noch genauer beschreiben und analysieren (Kap. 4.2) und hinsichtlich ihrer grundlegenden morphologischen Charakteristika, also ihren Kodierungsprinzipien, bestimmen (Kap. 4.3 und 4.4).
4.1.2 Bedingungssatztypen und ihre linguistischen Charakteristika Wir können die verschiedenen Bedingungssatztypen im Rahmen eines dynamischen, kontextorientierten, modalsemantischen Modells (Stalnaker 1978)12 charakterisieren, wobei insbesondere die für die Festlegung der Auswertungswelten relevante Zugänglichkeitsrelation von besonderer Bedeutung ist. Grundsätzlich wird durch den Vordersatz des Bedingungssatzgefüges die Proposition a (der propositionale Gehalt der Protasis) in die modale Basis eingeschrieben. Der Folgesatz b wird vor dem Hintergrund der durch a modifizierten modalen Basis sowie eines als Abweichungsmetrik (cf. Lohnstein 2000) dienenden Ordnungsprizips (der ordering source siehe oben) bewertet: [[if a (then) b]]f,g = [[must b]]f’,g, wobei für jede Welt w, f’(w) = f(w) ∪{[[a]]f,g}.13 In Hinblick auf die Zugänglichkeitsrelation ist vor allem die Frage relevant, von wo (von welchem Zeitpunkt) aus der Sprecher auf die Zugänglichkeitsrelation zugreift und welche Auswertungswelten er damit in den Blick nimmt. Beginnen wir unsere Betrachtung der unterschiedlichen Bedingungssatztypen mit den indikativischen Bedingungssätzen.
12 Cf. Kapitel 1, das auch die Ausformulierung des Modells bei Giannakidou (1997ss.) und Quer (1998) referiert. 13 Giorgi/Pianesi (1997, 257).
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Indikativische Bedingungssätze Die indikativischen Bedingungssätze sind grundsätzlich auch durch ihre indikativische Morphologie gekennzeichnet, zum Beispiel: (10) Si Pierre est allé à Paris, il a visité le Louvre. (11) Si tu viens demain, je serai là.
Ein indikativischer Konditionalsatz mit dem Antecedens q, dem Consequens r sowie dem Redehintergrund H (= common ground (cg)) ist in einer Welt w genau dann wahr, wenn r aus H(w) ∪ {q} logisch folgt («muß-Konditionale») bzw. mit H(w) ∪ {q} logisch verträglich ist («kann-Konditionale»). Beim indikativischen Bedingungssatz muss die Menge der Propositionen, die der Redehintergrund der Äußerungswelt zuordnet, mit dem Antecedens verträglich (kompatibel) sein.14 Wird zum Beispiel eine Äußerung der Form (12) Si Pierre est allé à Paris, il a visité le Louvre
getan, so wird der Bedingungssatz a dem Redehintergrund (also den Propositionen des common ground) hinzugefügt und der Folgesatz b wird vor diesem Hintergrund bewertet. Indikativische Konditionale wie (12) besitzen eine total realistische modale Basis – ihr gehören alle Propositionen des gemeinsamen Redehintergrunds (common ground) bzw. alle hiermit kompatiblen Welten der Kontextmenge (context set) an. Zugleich wirkt kein ordnendes Prinzip (ordering source): Alle möglichen Welten der modalen Basis werden als gleichwertig betrachtet.15 Wenn P also der gemeinsame Redehintergrund zum Zeitpunkt der Äußerung des indikativischen Konditionalsatzes und C die entsprechende Kontextmenge (i.e. die Menge der mit dem gemeinsamen Redehintergrund vereinbaren möglichen Welten) ist, so folgt daraus als modale Basis f(w) = P für jede Welt in C sowie als abgeleitete modale Basis f’(w)= P ∪{[[Pierre est allé à Paris]]f }. Die Apodosis (Pierre a visité le Louvre) wird im Hinblick auf f’ bewertet. Der Satz ist in einer Welt w∈C wahr, wenn il a visité le Louvre in jeder Welt der abgeleiteten Kontextmenge C’ = ∩(P∪[[Pierre est allé à Paris]]f ) wahr ist.16 Ähnlich lassen sich auch indikativische Bedingungssätze wie (13) Si tu viens demain, je serai là
14 Kratzer (1978, 207). 15 Giorgi/Pianesi (1997, 257). 16 Giorgi/Pianesi (1997, 257s.).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
analysieren. Hier wird ebenfalls dem gemeinsamen Redehintergrund die Proposition p [[tu viens demain]] hinzugefügt und der Folgesatz b vor diesem Hintergrund ausgewertet. Auch in diesem Beispiel muss das Antecedens mit den Propositionen des gemeinsamen Redehintergrundes (und der daraus resultierenden Kontextmenge möglicher Welten) kompatibel sein. Allerdings kommt bei den auf die Zukunft gerichteten Bedingungssätzen noch eine stereotype Ordnungsfunktion hinzu, denn wir wollen ja in erster Linie solche Welten in den Blick nehmen, die dem «normalen Lauf der Dinge» am ehesten entsprechen. Mit anderen Worten: Es sollen solche p-Welten berücksichtigt werden, die die wahrscheinlichsten bzw. die realistischsten Versionen der aktuellen Welt in der Zukunft sind. Ippolito (2002, 44) spricht in diesem Zusammenhang von epistemisch zugänglichen Welten – epistemisch in einem weiten Sinne verstanden, d.h. als Welten der Kontextmenge, die dem entsprechen, was wir über die aktuelle Welt und ihre möglichen Entwicklungsbedingungen in der Zukunft wissen (etwa auch, dass p sicher oder zumindest gut möglich ist).17 Kontrafaktische Bedingungssätze Bei den kontrafaktischen Bedingungssätzen verhalten sich die Dinge gänzlich anders: Wenn hier das Antecedens zur Menge der Propositionen des gemeinsamen Redehintergrundes (common ground) hinzugefügt wird, so kommt es in der Regel zu einem Widerspruch. Das entsprechende Konditional ist in der Äußerungswelt genau dann wahr, wenn alle Möglichkeiten, das Antecedens mit möglichst vielen Propositionen aus dieser Menge zu einer konsistenten Menge zu vereinen, zur Annahme des Consequens zwingen (beziehungsweise mit ihm verträglich sind, wie im Falle der «kann-Konditionale»).18 Zur Ratio des konjunktivischen Bedingungssatzes führt Kratzer weiter aus: «In diesem Sinn können wir sagen, dass uns konjunktivische Bedingungssätze die Möglichkeit geben, aus dem Redehintergrund auszubrechen. Wir haben ein vorrangiges Interesse daran, das Antecedens q festzuhalten, selbst wenn wir dabei in Konflikt mit dem Redehintergrund A geraten. Wir lösen den Konflikt so, dass wir alle Möglichkeiten betrachten, das Antecedens q mit – wenn schon nicht mit allen – so doch mit möglichst vielen Propositionen aus A zu konsistenten Mengen zu vereinen. Wir brechen dabei nicht mehr als nötig aus dem Redehintergrund aus. Wir geben nur so viel preis, wie uns die Annahme von q abverlangt.»19
17 Ippolito (2002a, 44). 18 Kratzer (1978, 208). 19 Kratzer (1978, 268).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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Der grundlegende Unterschied zwischen indikativischen und konjunktivischen Bedingungssätzen liegt also darin, dass bei ersteren die a-Welten vom Äußerungszeitpunkt aus betrachtet, epistemisch mögliche Welten sind, die eventuell sogar den Verhältnissen in der aktuellen Welt entsprechen.20 Bei den kontrafaktischen Bedingungssätzen wird in der Regel die Falschheit des Antecedens präsupponiert, denn a gehört gerade nicht zum gemeinsamen Redehintergrund – hier gilt gerade: ¬ a (cf. dazu auch weiter unten).21 Auch ist in der Regel bei der Äußerung eines konjunktivischen Konditionalsatzes das Consequens in der Äußerungswelt falsch.22 So sind bei kontrafaktischen Bedingungssätzen die Welten der Kontextmenge – also die Welten, die den Propositionen des gemeinsamen Redehintergrundes entsprechen – nicht vereinbar mit den Welten der Protasis (den p-Welten). Wir berücksichtigen bei unserem Kalkül nun auch p-Welten, obwohl diese nicht mit den Welten der Kontextmenge vereinbar sind, d.h. auch nicht epistemisch zugänglich sind (= dem entsprechen, was wir zum Sprechzeitpunkt wissen). Allerdings sollen die Welten, in denen auch p gilt, unserer aktuellen Welt maximal ähnlich sein, denn wir wollen ja so wenig wie möglich – wie Kratzer anschaulich formuliert hat – aus dem gemeinsamen Redehintergrund «ausbrechen» – nur so weit, wie dies die Annahme der Antezedensbedingung notwendig macht. Dazu vereinen wir das Antecedens p mit so vielen Propositionen wie möglich aus dem gemeinsamen Redehintergrund zu konsistenten Mengen, denn die Funktion kontrafaktischer Argumentation besteht letztendlich darin, eine im Verhältnis zu unserer aktuellen Welt weitgehend isomorphe Parallelwelt (bzw. ein ganzes System solcher Welten) zu evozieren, und zwar unter kontrollierter Einführung einer oder weniger kontrafaktischer Zusatzannahmen. Dieser letzte Aspekt macht deutlich, dass mit dem kontrafaktischen Bedingungssatz eine «Metrik der Abweichung» verbunden ist und wir deshalb eine Ordnungsfunktion einführen müssen, die uns angibt, wie weit eine bestimmte Welt von unserer aktuellen Bezugswelt w0 entfernt ist. So wird die weiter oben schon erwähnte Ähnlichkeitsfunktion zur ordnenden Quelle von kontrafaktischen Bedingungssätzen. Kratzer hatte in ihrer Monographie von 1978 schon versucht, mögliche Ordnungskriterien für die Ähnlichkeit der a-Welten mit dem Ideal zu formulieren
20 Cf. auch McCawley (1981, 326). 21 Cf. Kratzer (1978, 278), die genau darauf abhebt, dass das Antecedens «mit der Menge von Propositionen, die der Redehintergrund der Äußerungswelt zuordnet, nicht verträglich» ist. 22 Kratzer (1978, 279).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
bzw. eine Prinzipienhierarchie für die Abweichung vom gemeinsamen Redehintergrund zu entwickeln. Sie schlägt dabei im Einzelnen folgende – gewichtete – Prinzipien vor: –– die Vermeidung einer Verletzung von Naturgesetzen –– möglichst große zeitliche und räumliche Übereinstimmung –– Vermeidung einfacher Verletzungen von Naturgesetzen –– die in Frage kommenden Welten sollten wenigstens annäherungsweise in den Einzeltatsachen übereinstimmen.23 Eine weitere Ausformulierung der Kratzerschen Grundüberlegungen finden wir bei Giorgi und Pianesi (1997) sowie bei Lohnstein (2000), die wir im Weiteren referieren wollen. So ist beim kontrafaktischen Bedingungssatz die modale Basis, vor der a bewertet wird, zunächst vollkommen leer. Wird das Antecedens nun in die modale Basis eingefügt, so ist die abgeleitete modale Basis: f’(w)= [[a]] für jede Welt der Kontextmenge (wir konstituieren also zunächst ein System von a-Welten). Konjunktivische Konditionalsätze implizieren nun eine total realistische ordnende Quelle: Das Ideal (die ordnende Quelle g) wird durch die Verhältnisse, wie sie im aktuellen gemeinsamen Redehintergrund charakterisiert werden, bestimmt. Anders ausgedrückt: die a-Welten, in denen das Antecedens gilt, sind danach geordnet, wie nahe sie den tatsächlichen Verhältnissen, so wie sie durch die Propositionen des common ground beschrieben werden, kommen. Wie wir gesagt hatten, interessieren uns ja die Welten am meisten, die der aktuellen Welt am ähnlichsten sind. So können wir also sagen, dass der Konditionalsatz in einer Welt w wahr ist, wenn für jede Welt w’∈ [[a]] b (das Consequens) in den Welten wahr ist, die dem Ideal näher stehen als w’’, w’’’ etc. Mit anderen Worten: Das Consequens muss in den a-Welten wahr sein, die der realen Welt w0 am nächsten bzw. besonders nahe stehen. Lohnstein (2000) analysiert, auf Lewis, Kratzer sowie Giorgi/Pianesi aufbauend, deutsche Hauptsätze im Konjunktiv II als kontrafaktische Konditionalsätze, denen zwar ein explizites Antecedens fehlt, die jedoch eine den Verhältnissen am aktuellen Index i0 widersprechende Menge abweichender Bedingungen implizieren. Sätze im Konjunktiv II sind mithin unter Bedingungen wahr, die gerade nicht den Verhältnissen am aktuellen Auswertungsindex entsprechen. In einer prägnanten Zuspitzung bisheriger Analysen interpretiert Lohnstein den Konjunktiv II im Weiteren als einen Marker der modalen Verschiebung. Die Form zeigt also die Verschiebung des Auswertungsindexes vom aktuellen Index i0 nach i’
23 Cf. Kratzer (1978, 297ss.).
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an.24 Die Wahrheit von Sätzen im Konjunktiv II wird somit vor dem Hintergrund der Bedingungen, wie sie an dem distanten Index i’ vorherrschen, bestimmt. Die Verhältnisse an den Indizes i0 und i’ stimmen weitgehend überein – bis auf eine kontextuell bestimmte Menge von Propositionen (oder Bedingungen), die an i0 gerade nicht erfüllt sind. So sind zum Beispiel in einem Satz wie (14) Hans wäre reich
die Propositionen der Bedingungsmenge B = {Hans erbt eine Millionen. Hans Onkel vermacht ihm sein Vermögen. Hans Onkel ist Millionär} am aktuellen Index i0 falsch. Dies zeigt die Konjunktiv-II-Morphologie an. Wären sie am aktuellen Äußerungsindex hingegen erfüllt, so müsste stattdessen der Indikativ stehen. Der Konjunktiv II signalisiert mithin, dass der Satz an einem verschobenen Auswertungsindex i’ bewertet wird – einem Index i’ nämlich, an dem die Propositionen der Bedingungsmenge B auch tatsächlich wahr sind. Die Überlegungen zu den unterschiedlichen Auswertungsindizes beim Indikativ und dem Konjunktiv II lassen sich mithilfe einer durch l-Abstraktion geschaffenen Indexfunktion zusammenfassen: ans ist reich: die Proposition p – dargestellt als Indexfunktion li – ist wahr H am aktuellen Äußerungsindex i0: li reich(i, Hans) (i0) ans wäre reich: die Proposition p ist an einem distanten Index, an dem die H Propositionen der Bedingungsmenge wahr sind, ebenfalls zutreffend: li reich(i, Hans) (i’) erhältnisse am Index i’: B = {Hans Onkel ist steinreich, Hans Onkel ist V gestorben, Hans Onkel hat Hans ein beträchtliches Erbe vermacht.} Nun ist beim Konjunktiv II das Moment der modalen Verschiebung alleine nicht hinreichend. Zusätzlich muss die Bedingung der minimalen Verschiebung erfüllt sein, d.h. i’ muss aus der kleinstmöglichen Verschiebung hervorgehen, die sich genau dann ergibt, wenn die Verhältnisse an i’ nur hinsichtlich der Bedingungsmenge B, der Menge kontextuell spezifizierter Bedingungen, abweichen. Die Indizes, die mögliche Alternativen zu den an i0 vorherrschenden Verhältnissen repräsentieren (etwa i’, i’’, i’’’ etc.), lassen sich relativ zu einem Ideal A (einer ordering source, i.e. einer Menge von Propositionen, die das Ideal explizit ausformulieren) ordnen, und zwar danach, wie viele Propositionen aus A sie erfüllen.
24 Cf. für das folgende Lohnstein (2000, 96ss.).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
(Dies entspricht der obigen Argumentation bei Giorgi/Pianesi 1997). Hier kehren wir nun auch zum Gedanken eines Sphärensystems zurück, das bei Lohnstein allerdings leicht modifiziert wird: Die Indizes werden nun im Rahmen eines konzentrischen Systems danach angeordnet, wie viele Propositionen aus A, der Menge der Propositionen, die das Ideal beschreiben, an ihnen wahr sind:25 Menge der Indizes, für die alle Propositionen aus A wahr sind
i’’’
i’’
i’
i‘, i‘‘ etc.: Indizes, an denen immer weniger Propositionen aus A wahr sind
In Anlehnung an die Interpretation von Kratzer sowie Giorgi/Pianesi bestimmt Lohnstein den faktischen Hintergrund am aktuellen Index, mbfakt(i0), als ordnendes Ideal: Maßstab der Abweichungsmetrik soll ja, wie wir oben ausführlicher dargestellt haben, die aktuelle Welt mit den in ihr vorherrschenden Verhältnissen sein. Uns interessiert mithin jener Abweichungsindex i’, an dem die Verhältnisse – unter Berücksichtigung der durch die Bedingungsmenge statuierten besonderen Annahmen – denen der realen Welt (unserer aktuellen Welt) am nächsten sind. Damit ist zugleich gesagt, dass i0 das Zentrum des Sphärensystems bildet. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass durch den Konjunktiv II im Deutschen ein Zweifaches angezeigt wird: –– einmal muss die Proposition p in einer modal verschobenen Welt bewertet werden
25 Abgewandelte Darstellung in Anlehnung an Lohnstein (2000, 97).
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–– zum zweiten präsupponiert sie eine Menge B von Propositionen, die die minimale Distanz der modalen Verschiebung festlegen und mithin diejenigen Sachverhalte beschreiben, die am Äußerungsindex i0 gerade nicht zutreffen. Dieser – bislang auf das Differentielle zugespitzte – Unterschied zwischen dem Indikativ- und dem Konjunktiv II-Satz lässt sich auch positiv, d.h. im Hinblick auf die jeweils relevanten Auswertungsdomänen formulieren: Der Indikativ zeigt an, dass die Proposition p im Hinblick auf den gesamten epistemischen Hintergrund mbepi, also hinsichtlich dessen, was die Sprecher an i0 über vergangene und gegenwärtige Weltzustände wissen, ausgewertet (evaluiert) wird. (Beim indikativischen Bedingungssatz wird die Protasis der Wissensbasis bzw. dem gemeinsamen Redehintergrund hinzugefügt). Der Konjunktiv II hingegen signalisiert, dass die Proposition p relativ zum epistemischen Hintergrund, jedoch ohne den realistischen Hintergrund, also mbepi(i) – mbreal(i), ausgewertet wird: Die tatsächlichen Verhältnisse in der aktuellen Welt, also das, was an i0 der Fall ist, wird systematisch ausgeklammert. Somit unterscheiden sich Indikativund Konjunktiv II-Sätze in Bezug auf ihre Auswertungsdomänen, wobei deren Differenz als minimale Distanz unter modaler Verschiebung spezifiziert werden kann.26 Subjunktivische Konditionalsätze der Gegenwart und der Vergangenheit Bislang hatten wir grundsätzlich indikativische und kontrafaktische Bedingungssätze hinsichtlich ihrer Charakteristika beschrieben. Worin unterscheiden sich aber nun subjunktivische Konditionalsätze der Gegenwart wie (15) Si Pierre Pierre allait à Paris, il visiterait le Louvre
und subjunktivische Konditionalsätze der Vergangenheit, zum Beispiel (16) Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre ?
Wie vor allem Ippolito (2002; 2003; 2008) und Arregui (2005) aufgezeigt haben, unterscheiden sich diese beiden Arten subjunktivischer Bedingungssätze hin-
26 Lohnstein (2000, 99). Eine dynamische Semantik für kontrafaktische Sätze formuliert von Fintel (2001, 137ss.). In seinem Ansatz «expandieren» kontrafaktische Sätze den sogenannten «modalen Horizont» («modal horizon»), d.h. sie fügen ihm neue, bislang noch nicht berücksichtigte Welten hinzu. Damit verhalten sie sich entgegengesetzt zu gewöhnlichen Äußerungen, durch die die Kontextmenge der möglicherweise relevanten Welten um die Welten reduziert wird, die nicht mit der Äußerung kompatibel sind.
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sichtlich des Zugangs auf die jeweils relevante Zugänglichkeitsfunktion. Wenngleich ich die Details der Interpretation Ippolitos nicht teile (dazu weiter unten), so ist doch die Beobachtung grundlegend, dass der Zugriff auf die Auswertungswelten w’ der Protasis von unterschiedlichen Zugangspunkten aus erfolgt. Ausgangspunkt der Überlegungen sind branching-models wie sie u.a. von Condoravdi (2002) in Anlehnung an Kaufmann entwickelt wurden.27 Solche «indie-Zukunft-verzweigenden-Modelle» gehen davon aus, dass sich die Zukunft von einem bestimmten Zeitpunkt ausgehend als Menge sich verzweigender alternativer Welten konfiguriert. Ziehen wir dieses Modell nun für die Konzeptualisierung von kontrafaktischen Bedingungssätzen der Vergangenheit heran, so ergibt sich die folgende Interpretation: Bei einem Satz wie (17) Si Pierre allait à Paris, il visiterait le Louvre.
erfolgt der Zugang zu den Protasis-Welten von der aktuellen Welt w0 am Sprechzeitpunkt t0 aus. Im Gegensatz dazu erfolgt er bei den subjunktivischen Bedingungssätzen der Vergangenheit zu einem Zeitpunkt t1 vor dem Sprechzeitpunkt U (t1 < t0). Nehmen wir den Beispielsatz, den wir um ein kontextuelles Moment erweitern: (18) Hier Pierre est resté à Nantes. Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre.
Eine Darstellung könnte folgendermaßen aussehen: w’’ w’ w0
r: Pierre est resté à Nantes t1
t0, w0 ¬ p: ne pas aller à P. U
w’: aller à Reims w’’: aller à Paris
Bis zum Umschlagpunkt t1 sind die möglichen Welten w0 (die aktuelle Welt, in der Pierre nicht nach Paris gefahren ist), w’ (Welten, in denen Pierre stattdessen nach Reims vereist ist) und w’’ (Welten, in denen Pierre tatsächlich nach Paris gereist
27 Cf. auch schon Dudmann (1983; 1984; 1988; 1989); von Fintel (2012).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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ist) sognenannte historische Alternativen, d.h. bis zum Umschlagpunkt t1 haben sie die «gleiche Geschichte» («same histories»), besitzen aber ein Potential für unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten nach t1. Mit dem Ereignis (e: Pierre est resté à Nantes) an t1 ist entschieden, welche der möglichen Alternativen zur aktuellen Welt (w0) wird. Zugleich gehen die historischen Alternativen, die bis t1 mögliche Alternativen zu w0 waren, in die Domäne der Kontrafaktizität (dargestellt als Welten mit negativen Weltindizes) über. Wollen wir nun die Auswertungswelten der Protasis p von subjunktivischen Bedingungssätzen der Vergangenheit bestimmen, so müssen wir zwei Bedingungen formulieren: –– Wir betrachten die Welten der Protasis (p-Welten), die einer metaphysischen modalen Basis entsprechen (also dem, was zu einem bestimmten Zeitpunkt des Weltverlaufs notwendig, eine mögliche oder eine unmögliche Alternative war) und von einem bestimmten Zeitpunkt t1 an zugänglich gemacht werden. Zugänglichkeitsrelation: MBmetaphysisch (w0,t’) (p) = {w’: w’ ∈ p und w’ ist eine metaphysische Alternative zu w0 ab dem Zeitpunkt t’, wobei t’ < t0} (w’-Welten gehören zu den p-Welten und sind metaphysische Alternativen zu w0, die ab dem Zeitpunkt t’ (dem Punkt, an dem p entschieden ist und der vor dem Sprechzeitpunkt liegt), zugänglich gemacht werden); Bestimmung der Auswertungsindizes: Für alle w’ ∈ p UND w’ ∈ MBmetaphysisch(w0, t’), mit t’ < t0 gilt: aller_à_ Paris’(Pierre’, w’). –– Nun werden noch die Überlegungen zur ordnenden Quelle integriert, d.h. wir betrachten nur solche w’-Welten, die der aktuellen Welt am ähnlichsten sind. In diesen w’-Welten gilt zwar p, aber ansonsten stimmen sie möglichst maximal (also in allem) mit den Verhältnissen der aktuellen Welt überein. Es lässt sich eine Funktion maximaler Ähnlichkeit (= SIM) formulieren: SIM-MAX≤,w0 (A) = {w’: w’ ∈ A und ¬$w’’: w’’ ∈ A und w’’ ≤ w’}
(Die Funktion maximaler Ähnlichkeit legt fest, dass die w’-Welten maximal mit der aktuellen Welt übereinstimmen sollen und es deshalb keine w’’-Welten geben darf, die w0 mindestens so ähnlich sind wie w’)
So können wir zusammenfassend als Wahrheitsbedingungen für p formulieren: ür alle w’ ∈ p UND w’ ∈ MBmetaphysisch(w0, t’) SOWIE w’ ∈ A (= SIM-MAX≤,w0) F gilt: Pierre va_ à_Paris (w’).
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Und für den Bedingungssatz insgesamt gilt: [ [Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre]]w0 ist wahr, wenn für alle Welten w’ ∈ MBmetaphysisch(w0, t’) UND w’ ∈ A (=SIM-MAX≤,w0), in denen p (p: Pierre va à Paris in w’) gilt, auch q (q: Pierre visite le Louvre) gilt. Auf zwei besondere Aspekte von subjunktivischen Bedingungssätzen der Gegenwart und der Vergangenheit muss noch hingewiesen werden. Zunächst: Die beiden Typen subjunktivischer Bedingungssätze unterscheiden sich hinsichtlich ihres Präsuppositionsverhaltens. So ist zwar das Antecedens eines subjunktivischen Bedingungssatzes der Gegenwart nicht vereinbar mit dem gemeinsamen Redehintergrund, aber seine Präsuppositionen (sofern er welche enthält), müssen aus dem Kontext (dem gemeinsamen Redehintergrund) logisch folgen. Nehmen wir das folgende Beispiel: (19) «Jack smokes. If he quit smoking tomorrow, which he won’t, he would run the marathon.» (Ippolito 2002b, 7)
Aus dem Antezedens-Satz p If he quit smoking folgt die Präsupposition he smokes, welche vollkommen mit der Information des gemeinsamen Redehintergrunds (Proposition r: Jack smokes) übereinstimmt. Pragmatisch nicht angemessen hingegen ist der folgende Bedingungssatz mit entsprechendem Kontext (20) «Jack quit smoking last year. #If he quit smoking tomorrow, he would not run the marathon.» (Ippolito 2002b, 7)
Die Präsupposition des Antecedens (p’: Jack smokes) widerspricht in diesem Fall der dem gemeinsamen Redehintergrund zugehörigen Aussage Jack quit smoking last year. Im Gegensatz zum Präsuppositionsverhalten der subjunktivischen Bedingungssätze der Gegenwart gibt es bei ihrem Pendant in der Vergangenheit ein solches Erfordernis – die Präsupposition p’ muss aus dem gemeinsamen Redehintergrund folgen – nicht. Vielmehr ist der folgende Bedingungssatz im Kontext pragmatisch völlig geglückt: (21) «Jack quit smoking last year. If he had quit smoking tomorrow, he would not run the marathon.» (cf. Ippolito 2002b, 21)
Der Bedingungssatz betrachtet Alternativen w’ zur aktuellen Welt w0, die von dem Moment an kontrafaktischen Status besitzen, als der in Rede stehende Sachverhalt irgendwann im letzten Jahr zum Zeitpunkt t in w0 entschieden wurde. Ein weiterer die Pragmatik von Bedingungssätzen berührender Aspekt ist die Frage, ob die kontrafaktische Interpretation von subjunktivischen Bedingungs-
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sätzen der Gegenwart und vor allem der Vergangenheit sich semantisch aus der morphologischen Kodierung dieser Bedingungssatztypen oder pragmatisch als Implikatur erklären lässt. Bei den subjunktivischen Bedingungssätzen der Gegenwart scheinen sowohl Weltwissen als auch Kontextwissen jeweils eine entscheidende Rolle zu spielen. Dies wird anhand der folgenden Beispielsätze deutlich: (22) Wenn ich Flügel hätte, würde ich jeden Tag zu Mai-Long nach Shanghai fliegen. (23) Wenn er gesund wäre, würde ich mich freuen. (24a) Pedro ist krank. Wenn er gesund wäre, würde ich mich freuen. (24b) Neuigkeiten von Pedro? Ist er wieder gesund? Wenn er gesund wäre, würde ich mich freuen.
Satz (22) zeigt, dass unser Weltwissen – etwa das Wissen, dass Menschen keine Flügel besitzen – entscheidend dafür sein kann, dass wir ein Antecedens als kontrafaktisch interpretieren. Das zweite – unterspezifizierte – Beispiel (23) macht deutlich, dass Kontextinformationen (Wissen über den gemeinsamen Redehintergrund) ebenfalls relevant sind für die Interpretation eines konjunktivischen Bedingungssatzes der Gegenwart: In der Ausspezifizierung (24 a) ist deutlich, dass p kontrafaktisch zu interpretieren ist. Im Fall von (24 b) besitzt der Sprecher einfach nicht genügend Information über den Sachverhalt p (epistemische Ungewissheit). Der Antezedenssatz kann als hinsichtlich seines Wahrheitsgehaltes unbestimmt charakterisiert werden, denn es ist sowohl p als auch ¬p in diesem Fall möglich. Problematischer sind die Verhältnisse bei subjunktivischen Bedingungssätzen der Vergangenheit. Gegen die Auffassung, Kontrafaktizität sei ein semantisches Charakteristikum (bzw. eine semantische Präsupposition) dieses Bedingungssatztyps (cf. Adams 1970, von Fintel 2011), zitieren die Vertreter einer pragmatischen Analyse (Kontrafaktizität als Implikatur) Andersons (1951) berühmt-berüchtigtes Arsen-Beispiel:28 (25) «If Jones had taken arsenic, he would have shown just exactly those symptoms which he does in fact show.»
Die Frage, ob die kontrafaktische Interpretation nicht-p aus der Semantik des subjunktivischen Bedingungssatzes der Vergangenheit folgt oder auf einer Implikatur beruht, kann m. E. nicht entschieden werden, ohne die Kodierungsleistung der Verbalmorphologie zu berücksichtigen.
28 Cf. z.B. Ippolito (2002a, 29); Arregui (2005, 8); von Fintel (2011).
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Für die Anhänger der pragmatischen Interpretation stellt das eben zitierte Beispiel einen Beweis für die Aufhebbarkeit der Standardinterpretation, dass nicht-p der Fall ist, dar. Das Kriterium der Aufhebbarkeit einer bestimmten Lesart, in diesem Falle der kontrafaktischen Lesart, ist aber gerade der Lackmustest für die Annahme einer Implikatur. Eine auf einen Prozess pragmatischer Inferenzziehung abhebende Interpretation kontrafaktischer Bedingungssätze der Vergangenheit führt die folgenden Aspekte an: –– Die morphologische Kodierung besitzt unterspezifischen Charakter, sie ist – je nach Kontext – für kontrafaktische Lesarten, aber auch für ihre Aufhebung offen. –– Die Implikatur der Kontrafaktizität lässt sich unter anderem als skalare Implikatur analysieren.29 Die skalare Implikatur genügt dem Prinzip Q (nach Levinson),30 das auf der Quantitätsmaxime von Grice (1975) – Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig! – beruht: Gehen wir davon aus, dass der Sprecher sich an diese Maxime hält, so wird er die in informationeller Hinsicht stärkste Ausdrucksvariante, die mit dem zu thematisierenden Sachverhalt vereinbar ist, aus dem zur Verfügung stehenden sprachlichen Paradigma auswählen. Auf die Bedingungssätze bezogen heißt das: Wenn der Sprecher einen subjunktivischen Bedingungssatz der Vergangenheit als Ausdrucksvariante wählt, so kann der Hörer daraus ableiten, dass der Sprecher die stärkste den Tatsachen entsprechende Möglichkeit gewählt hat. Hätte er p als wenigstens möglich darstellen wollen, so hätte der Sprecher indikativische oder eine schwächere subjunktivische (= die präsentische) Bedingungssatzkonstruktion gewählt. Da er dies nicht getan hat, wollte er nicht-p implikatieren. Die kontrafaktische Interpretation ist also eine skalare Implikatur, die auf den Ausprägungsgraden Indikativ – Subjunktiv I – und Subjunktiv II (mit entsprechenden morphologischen Realisierungen in den einzelnen Sprachen) beruht. Die skalare Implikatur stellt im Übrigen eine generalisierte konventionelle Implikatur dar, d.h. eine Standard- bzw. Default-Interpretation, die die Sprecher üblicherweise vornehmen. Wie jede Implikatur kann auch eine generalisierte konventionelle Implikatur annulliert werden.
29 Cf. etwa Ippolito (2002a, 117–121). 30 Cf. Levinson (2000, 76).
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Wie schon angedeutet, hängt die Frage, ob die kontrafaktische Interpretation eine Implikatur ist oder nicht, letztlich von der Kodierungsleistung der Verbalmorphologie ab, also davon, welche semantische Information die Verbalkategorien jeweils beisteuern. Mit dieser Fragestellung werden wir uns im Laufe dieses Kapitels noch ausführlicher beschäftigen. Allerdings muss auch die Frage aufgeworden werden, ob der Arsen-Fall wirklich ein Beispiel für die Annullierung einer konversationellen Implikatur darstellt. Mir scheint das Beispiel vielmehr die Argumentationsstrategie des sog. counterfactual reasonings, also die Argumentation auf Grundlage eines kontrafaktischen Kalküls, zu illustrieren. Dabei wird völlig von den Verhältnissen in w0 abstrahiert und provisorisch p gesetzt, um nach bestimmten Schlussregeln mögliche bzw. notwendige Konsequenzen q abzuleiten. Der Clou der Argumentation besteht darin, die reale Welt w0 ex post als eine p-Welt zu identifizieren. Mit anderen Worten: Die Aussage des Typs «Wenn Jones Arsen genommen hätte, dann ...» ist äquivalent zur Aussage «Angenommen, Jones hätte Arsen genommen ...» und entspricht einem argumentativen Verfahren, bei dem es darum geht, die Folgen von p-Fällen zu betrachten, und zwar unabhängig von ihrem Geltungsstatus in der aktuellen Welt. Immerhin zeigt die Möglichkeit einer Einbettung von subjunktivischen Bedingungssätzen in einem besonderen Kontext – also ihre Verwendung im Rahmen eines speziellen Argumentationsverfahrens –, dass das Antecedens p lediglich als Annahme fungieren kann, von der nicht von vorneherein ausgesagt werden kann, dass sie notwendigerweise falsch ist. Dennoch gilt dies nicht für alle beliebigen subjunktivischen Bedingungssätze der Vergangenheit. In einem Kontext wie (26) Jones starb gestern an Arsen. Hätte er morgen Arsen genommen, hätte er die gleichen Symptome gezeigt, die er gestern gezeigt hat.
ist es unmöglich, die kontrafaktische Lesart zu annullieren – hier besteht kein Zweifel, dass nur nicht-p der Fall sein kann.
4.1.3 Zur Morphologie von Bedingungssätzen und ihrer Funktion/Semantik Der Vergleich von Bedingungssatzkonstruktionen in verschiedenen Sprachen lässt eine Reihe von charakteristischen morphologischen Oppositionen erkennbar werden: –– Die Opposition von Vergangenheit (+ Past-Feature) und Nicht-Vergangenheit (– Past-Feature). Indikativische Bedingungssätze weisen keine Vergangenheitsmorphologie auf und konjunktivische Bedingungssätze sind durch Vergangenheitsmorphologie gekennzeichnet – man vergleiche:
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
(27a) If Susan comes to London, he will give her a warm welcome. (27b) Si Pierre va à Paris, il visitera le Louvre. (27c) Si Pedro llega tarde, estaré ya en casa. (2a) If Susan came tomorrow, he would be glad. (28b) Si Pierre venait à Paris, il visiterait le Louvre. (28c) Si Pedro llegara/llegase tarde, estaría ya en casa.
Wie die Beispiele zeigen, tritt auch in Sprachen wie dem Spanischen, die über eine reiche Konjunktivmorphologie verfügen, das Merkmal Konjunktiv zusammen mit Vergangenheitsmorphologie in der Protasis von kontrafaktischen Bedingungssätzen der Gegenwart auf. Auf die Frage nach der besonderen Kodierungsleistung der Konjunktivmorphologie werden wir im Laufe dieses Kapitels im Zusammenhang mit der Entwicklung des französischen Bedingungssatzsystems noch näher eingehen. Wichtig ist an dieser Stelle zunächst die Feststellung, dass Vergangenheitsmorphologie – unabhängig von der Verfügbarkeit einer reichen Konjunktivmorphologie – ein zentrales Moment von konjunktivischen Bedingungssätzen ist. –– Eine weitere Opposition stellt die Merkmalsopposition +/– Perfekt dar, durch die konjunktivische Bedingungssätze der Gegenwart von solchen der Vergangenheit geschieden werden. Auch bei dieser Opposition ist es irrelevant, ob in einer Sprache auf Konjunktivmorphologie bei der Kodierung von Bedingungssatztypen rekurriert wird. (29a) If Susan had come to London, he would have been glad. (29b) Si Pierre était venu à Paris, il aurait visité le Louvre. (29c) Si Pedro hubiera/hubiese llegado tarde, habría/hubiera estado ya en casa.
Betrachten wir die beiden typischen Merkmalsoppositionen +/– Vergangenheitsmorphologie und +/– Perfektmorphologie etwas näher, bevor wir genauer auf die spezifischen morphologischen Oppositionen im Französischen eingehen. Einen grundlegenden Beitrag zur Charakterisierung der Semantik der Vergangenheitsmorphologie im Rahmen von Bedingungssatzkonstruktionen stellt Iatridous (Iatridou 2000) viel zitierter Artikel The Grammatical Ingredients of Counterfactuality dar. Danach besitzt das morphologische Merkmal Past eine abstrakte Bedeutung s, die in bestimmten Umgebungen E1 eine temporale, in anderen Umgebungen E2 eine nicht-temporale Bedeutung annimmt.31 Als kennzeichnendes Grundmerkmal der Kategorie Past identifiziert Iatridou das Ausschluss-Merkmal (Exclusion Feature: ExclF), das sich in Abhängigkeit von den
31 Iatridou (2000, 243).
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beiden möglichen Instanziierungsvariablen – der Tempusvariable t und der Weltvariable w – in zwei unterschiedlichen Ausprägungen manifestiert. Damit legt die Linguistin ein Zweiparametermodell für die Interpretation des Bedeutungspotentials der Vergangenheits-/(Past)-Morphologie zugrunde: –– Im Hinblick auf die Tempusvariable (t) stehen sich die Äußerungszeit C(t) und die Topikzeit T(t) dichotomisch gegenüber: Erstere stellt die Bezugszeit des aktuellen Sprechers dar, letztere den zeitlichen Rahmen bzw. das zeitliche Intervall dessen, worüber gesprochen wird. Es geht bei der Topikzeit also nicht um das Verhältnis der Ereigniszeit zur Äußerungszeit, sondern um einen im Verhältnis zur Sprechzeit eigenen ontischen Bereich, den Bezugsbereich all dessen, was Gegenstand der Rede ist. Past referiert unter dieser Variableninstanziierung auf die Topikzeit, sein ExclF schließt kategorisch die Äußerungszeit C(t) aus.32 –– Wird hingegen die Weltvariable fixiert, so wird durch ExclF die aktuelle Welt des Sprechers ausgeschlossen und auf die Topik-Welten («the worlds that we are talking about») verwiesen.33 Die Topik-Welten stellen Alternativen zur aktuellen Welt (der Welt der Äußerungssituation sowie ihrer Gesprächsteilnehmer) dar und werden als solche durch das Ausschlussmerkmal (ExclF) prominent gemacht. Zusammenfassend lässt sich Past als ein Distanzmarker interpretieren, der in zweierlei Gestalt erscheint – das Feature ExclF schließt unter temporalem Vorzeichen die Aktualität, das nunc des Sprechers aus; in seiner modalen Gegebenheit hingegen dessen eigene Welt, das hic des Sprechers. Iatridou entwickelt ihr Past-Modell in erster Linie deshalb, weil sie den Past-Verwendungen in Konditionalgefügen – und zwar vor allem in ihrer kontrafaktischen Ausprägung – gerecht werden möchte. In diesem spezifischen Verwendungskontext wirkt das dem Past inhärierende Ausschluss-Feature im Sinne einer Instanziierung von Topik-Welten (topic worlds), die die Bezugswelt des Sprechers ausschließen: «The speaker aims to discuss p,q, and their relationship, and while doing so marks his or her utterance as being about a set of worlds (the set of worlds) to which the actual world does not belong.»34
32 Zum Terminus Topikzeit cf. Klein (1994, 37ss.), und insbesondere die nachfolgende Definition: «It (the topic time, d. Verf.) is this time span, the topic time TT, which is linked to TU, on the one hand, and to TSit, on the other. It is via TT that the lexical content of an utterance is embedded in time» (Klein 1994, 37). 33 Iatridou (2000, 247). 34 Iatridou (2000, 248).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
Bei den Past Counterfactuals, die sich gewissermaßen als «doppelte Vergangenheit» analysieren lassen, wirken entsprechend zwei Exclusion Features gleichzeitig: Das erste richtet sich auf die Weltvariable (Verweis auf nicht aktuelle Welten), das zweite auf die Zeitvariable (Ausschluss der Äußerungszeit des Sprechers): «In other words, the second ExclF reaches back into the history of the topic worlds, not into the history of the world of the speaker (the actual world). This permits us to talk about CF situations in the past.»35
Iatridou stellt schließlich auch den Zusammenhang zum Konjunktiv Imperfekt her: Konjunktivmorphologie an sich stellt keine Kontrafaktizität her, sondern es stellt eine «well-formedness condition» dar, die in dieser Eigenschaft die Tatsache widerspiegelt, «that this proposition is not in the world according to the subject.»36 Notwendig ist deshalb eine konjunktivische Vergangenheits-Morphologie, die das entscheidende Ausschlussmerkmal (ExclF) enthält. Dies erklärt ihrer Auffassung nach auch, warum Sprachen, deren konjunktivisches Vergangenheitsparadigma erloschen ist, nicht auf eine präsentische Konjunktivform rekurrieren, sondern auf indikativische Ersatzformen der Vergangenheit (d.h. auf indikativische Vergangenheits-Morphologie). Iatridous Ansatz erklärt in sehr eleganter Weise die spezifisch einzelsprachliche Verteilung der Modusmorphologie im Kontext des Bedingungssatzes. Dennoch muss die umfassende Kategorie Past im Rahmen des romanischen Tempussystems noch präziser bestimmt werden. Im französischen Konditionalsatz des Typs «Si j’étais à Paris, je ferais [...]» sind zwar Kombinationen aus den Merkmalen Futur, ExclF und Imperfekt relevant, das Verhältnis zwischen ExclF (bzw. past-Morphologie) und Imparfait wird hingegen nicht deutlich.37 Dahl (1997) kritisiert «past-as-unreal»-Ansätze noch weitergehender: Vergangenheits-Morphologie alleine leistet keine Markierung des Irrealis/Potentialis, sondern es ist stets auf die Kombination mit einem weiteren Element angewiesen: Dies kann ein – in der Fauconnier‘schen Terminologie – «space»-Marker wie die Konjunktion IF/SI/SE sein, denkbar ist aber auch eine syntaktische Markierung, etwa die Subjektinversion («Had Peter not come to the dinner, the evening would have been aweful»). Auch weist Dahl zu Recht auf den Verlust der üblichen
35 Iatridou (2000, 252). 36 Iatridou (2000, 266). 37 Iatridou (2000, 266).
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aspektuellen Bedeutung des Imparfait im Rahmen von Konditionalsätzen hin: So sind punktuell-telische Verben (achievement verbs wie venir oder mourir) im Rahmen des Bedingungssatzes ausnahmsweise auch mit dem Imparfait kompatibel («s’il venait avec nous [...]»).38 Gar nicht nachvollziehbar ist schließlich der Übergang von einem modusbasierten zu einem anderen, ausschließlich mit Indikativmorphologie operierenden Konditionalsatzsystem. Diesem Problem werden wir uns in dem nachfolgenden empirischen Untersuchungsteil zuwenden. Im Weiteren werden wir auch noch auf den besonderen Umstand einzugehen haben, dass in den romanischen Sprachen ja nicht nur allgemein Vergangenheitsmorphologie (past-Morphologie) in subjunktivischen Bedingungssätzen vorliegt, sondern – sehr viel spezifischer – Imperfektmorphologie (cf. dazu das nächste Unterkapitel über Imperfekt und Konditional). Kommen wir aber noch einmal zur Vergangenheitsmorphologie zurück: Hier ist sich die Forschung einig, dass dank der Vergangenheitsmorphologie auf mögliche Welten, die Alternativen zur Basiswelt w0 sind, referiert wird. Allerdings gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche semantische Information genau durch die Vergangenheitsmorphologie kodiert wird. Arregui (2005) geht in ihrer Dissertation über Bedingungssatzkonstruktionen davon aus, dass die Vergangenheitsmorphologie ihren temporalen Charakter auch nicht in modalen Kontexten verliert. Vielmehr verweist sie auf GegenpartRelationen («counterpart relations») zwischen der realen Welt in der Vergangenheit und ihren möglichen Alternativen – Arregui schreibt: «the modal (would in subjunktivischen Bedingungssätzen, d. Verf.) quantifies over worlds that include a counterpart of the actual world past».39 Das Konzept der Gegenpart-Relationen (counterpart-relations) geht auf Lewis zurück.40 Gegenpart-Relationen stellen sich zwischen den Entitäten der aktuellen Welt und ihren möglichen Alternativen ein. Dabei wird von einer Entsprechung zwischen Individuen und Gegenständen der aktuellen Welt und ihrem Gegenpart in möglichen alternativen Welten ausgegangen, jedoch nicht von einer Identität! Gegenpart-Welten werden von maximal gleichen Entitäten (Individuen, Gegenständen, Ereignissen etc.) «bevölkert», die ein paralleles «Dasein» fristen, ohne jemals mit den Entitäten der realen Welt in eine Identität zusammenzufallen. Nach Arreguis Interpretation stehen Bedingungssätze mit Vergangenheitsmorphologie im Skopus eines Vergangenheitsoperators, wobei das Tempus des Antezedens-Satzes (in der Funktion eines Domänenrestriktors) als ein Zeiten-
38 Dahl (1997, 100). 39 Arregui (2005, 38). 40 Cf. Lewis (1971).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
folge-Phänomen («sequence of tense») zu erklären ist. In Anlehnung an Arregui (2005, 25) kann die logische Form eines Bedingungssatzes mithin in der folgenden Weise dargestellt werden:
past
modal [if-clause]
consequent clause
woll- simple past/past perfect morphology
Die Wahrheitsbedingungen eines subjunktivischen Bedingungssatzes wie (30) If she loved him, she wouldn’t marry him.
paraphrasiert Arregui entsprechend, wie folgt: Der Satz (30) «is true iff all possible worlds in which the proposition that she loves him is true that contain a countpart of the actual world past (past0), are also worlds in which the proposition that she does not marry him is true.»41 Arregui veranschaulicht diese Konzeptualisierung der Funktion der Vergangenheitsmorphologie zur Kodierung von Gegenpart-Beziehungen in einem Schaubild:42 Actual world
Another possible world
---------------------------------//--------------------
--------------------------------//--------------------
the past
the past’
s*
she doesn’t love him
s*
she loves him, she hasn’t married him
counterpart-of
Formalisierte Wahrheitsbedingungen von «If she loved him, she wouldn’t marry him» nach Arregui:43
41 Arregui (2005, 41). 42 Arregui (2005, 38). 43 Arregui (2005, 41).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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Preliminary [[if she loved him]] = λtλw[she-loved-him at t in w] Where t is a non-past time, [[if she loved him, she wouldn’t marry him]]w0 = 1 iff ∀w [ [past0 < w & she-loved-him at t in w]→ [not she-marries-him at t in w] ] Arregui geht davon aus, dass der Zusammenhang zwischen den Propositionen she loves him und she doesn’t marry him in alternativen Welten zum Sprechzeitpunkt (s*) gilt und diese möglichen Welten einen Gegenpart zur aktuellen Welt in der Vergangenheit enthalten. Diese Gegenpart-Relation zwischen der aktuellen Welt und möglichen Welten in einem Vergangenheitsintervall wird auch in der Illustration deutlich hervorgehoben. Das Problem dieses Ansatzes ist, dass er mit einer Reihe ontologischer bzw. metaphysischer Annahmen verbunden ist, die sich nicht beweisen lassen. Zwar versucht Arregui modale und temporale Aspekte gleichermaßen bei den subjunktivischen Bedingungssätzen zu berücksichtigen, aber die Annahme von Gegenpart-Relationen zwischen der aktuellen Welt und möglichen Welten vor dem Sprechzeitpunkt stellt eine petitio principii dar, für die sich keine überzeugende Evidenz anführen lässt. Ippolito stellt die m. E. zentrale Überlegung an, dass der Kategorie Tempus die Funktion zukommt, den Zeitpunkt bzw. das Zeitintervall für den Zugang zur Zugänglichkeitsrelation von w0 aus zu bestimmen.44 Allerdings stellt die Hypothese, nach der es sich bei dem Vergangenheitstempus in Wirklichkeit um ein Perfekt handelt («what looks like past is perfect»)45, – ähnlich wie Arreguis «counterpart»-Annahme – eine kaum beweisbare petitio principii dar. Ippolito geht in ihrer Argumentation von einem Perfektverständnis nach McCoard (1978) aus, dem zufolge das Perfekt ein «Perfektintervall» eröffnet, das von einem Punkt in der Vergangenheit (der linken Grenze, «left boundary») bis zum Sprechzeitpunkt (rechte Grenze, «right boundary») reicht.46 (Ippolito 2002a, 64ss.; 2002b, 13–18). Nach dieser Interpretation würde der morphologisch als Vergangenheitsform realisierte Perfekt-Operator die temporalen Zugangsindizes zur Zugänglichkeitsrelation bestimmen: So wird in einem den Sprechzeitpunkt mit einschließenden Subintervall auf w0 maximal ähnelnde mögliche Welten zugegriffen, die
44 Ippolito (2002b, 9ss.). 45 Cf. Ipppolito (2002a, 57ss.; 2002b, 12). 46 Ippolito (2002a, 64ss.; 2002b, 13–18).
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
relevant für die Auswertung des Consequens sind. Wenngleich das Grundpostulat «what looks like past is perfect» als eine reine Setzung problematisch ist, ist die zugrunde liegende Intuition jedoch zutreffend: Je mehr sich der Sprecher im Perfekt-Intervall dem Sprechzeitpunkt t0 nähert, desto mehr Alternativen entscheiden sich – werden unmöglich (Kontrafaktizität) oder unwahrscheinlicher («future less vivid»). Dies würde den geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad von subjunktivischen Gegenwartskonditionalen im Gegensatz zu indikativischen Konditionalen gut konzeptualisieren. Gut nachvollziehbar ist in Ippolitos Ansatz zudem die Analyse des Perfekts (etwa s’il était venu, if he had come etc.). Das Perfekt verschiebt das Zugänglichkeitsintervall mit dem Sprechzeitpunkt als rechtem Randpunkt in die Vergangenheit, sodass der Zugang zu alternativen Welten vor dem Sprechzeitpunkt erfolgt. Die Zugänglichkeitsrelation wird also an Zeitpunkten im Perfekt-Intervall instanziiert, dessen rechter Randpunkt immer noch vor t0 liegt. Im Rahmen eines branching-models lässt sich m. E. das Zusammenspiel von Vergangenheitsmorphologie (past-Merkmal) und Perfektmorphologie (perfectMerkmal) besonders gut modellieren. Die erste Opposition +/– Vergangenheit stellt eine Distanzopposition dar: Mit Nicht-Perfekt-Morphologie werden mögliche Welten vom Sprechzeitpunkt aus zugänglich gemacht, wobei Vergangenheitsmorphologie (im Gegensatz zu Präsensmorphologie) distantere mögliche Welten salient macht. Vergangenheitsmorphologie referiert mithin auf ferne und damit unwahrscheinlichere mögliche Welten, wobei in extremis auch nicht mehr zugängliche Welten (kontrafaktische Welten) mit eingeschlossen sein können. LEAST PROBRABLE w
LESS PROBABLE w’’: Si Pierre venait à Paris
w’: Si Pierre vient à Paris w0
t0 w’’’: Si j’avais des ailes
IMPOSSIBLE
MOST PROBABLE t
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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Bei der zweiten Oppostion +/– Perfekt handelt es sich um eine Zugänglichkeitsopposition: Ohne das Perfekt-Merkmal werden mögliche Welten vom Sprechzeitpunkt t0 aus zugänglich gemacht, mit dem Perfekt-Merkmal mögliche Welten von einem Zugangspunkt t’ aus, der vor dem Sprechzeitpunkt liegt. Wie wir weiter oben schon am Beispiel des Bedingungsgefüges «Hier Pierre est resté à Nantes. Si Pierre était allé à Paris, il aurait visité le Louvre» (Beispiel (18) oben) angedeutet haben, ist der Zugangspunkt t’ zugleich Umschlagpunkt, an dem p entschieden wird. Die Frage, ob die kontrafaktische Interpretation alleine aus der Konstruktion – dem Bedingungsoperator in Verbindung mit dem Vergangenheits- und dem Perfektmerkmal – resultiert oder erst durch hinzukommende Aspekte (etwa durch explizite sprachliche Kodierung mittels spezieller Konjunktivmorphologie oder auf pragmatischem Wege via Implikatur) ausgelöst wird, muss an dieser Stelle noch offen bleiben. Der Zugang zu den möglichen (kontrafaktischen) Welten am Zugangs- (und zugleich Umschlagpunkt t1) wird in der folgenden Darstellung ersichtlich. Aus dem Kontext folgt, dass die alternativen Welten w’ und w’’ kontrafaktische Welten sind, da die Entwicklung an t1 zugunsten von ¬ p entschieden ist.
w’’ w’ w0
r: Pierre est resté à Nantes t1
t0, w0 ¬ p : ne pas aller à P. w’: aller à Reims w’’ : aller à Paris
4.1.4 D ie Kategorien Imparfait und Conditionnel im französischen Bedingungssatz Im Rahmen des französischen Bedingungssatzsystems kommt den beiden Kategorien Imparfait und Conditionnel eine zentrale Stellung zu. Die Kategorie des Imparfait soll hier aber nur kurz behandelt werden (für eine ausführliche Behandlung cf. Becker 2010). Sehr viel mehr Aufmerksamkeit soll dem Conditionnel als einer Kategorie, die sich in der Geschichte des französischen Bedingungssatzes gegenüber konkurrierender Konjunktivmorphologie (konkret: dem Subjonctif Imparfait sowie dem Subjonctif Plus-que-parfait) durchgesetzt hat, zuteil werden.
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
Zunächst aber zum Imparfait: Auf die Debatte, ob das Imperfekt in den romanischen Sprachen aspektuell (d.h. als imperfektive Kategorie) gekennzeichnet ist, können wir hier nicht ausführlich eingehen. Grundsätzlich stehen sich Anhänger einer Analyse des Imperfekts als – in aspektueller Hinsicht – imperfektiver Kategorie (etwa Bertinetto 1986, Smith 1991, Bres 2005) und Vertreter seiner aspektuellen Neutralität gegenüber (Laca 2010b, 199), sofern man – wie etwa Coseriu 1976 – den Aspektbegriff auf der Ebene der «einfachen» Tempora in den romanischen Sprachen nicht überhaupt für grundsätzlich unangemessen hält. Aspektuelle Eigenschaften spielen in Vergangenheitskontexten eine wichtige Rolle für die Grammatikalität von Sätzen – ein punktueller telischer Ereignistyp (etwa ein Ankommensereignis) ist inkompatibel mit dem Imparfait, wie etwa das folgende Beispiel zeigt: (31) *Il arrivait hier à cinq heures
In Bedingungssatzkontexten lässt sich derselbe Ereignistyp hingegen problemlos mit Imperfektmorphologie verbinden: (32) S’il arrivait demain à cinq heures.
Daher gehen die meisten Ansätze davon aus, dass die Frage der Aspektualität des Imparfait für die Beschreibung seiner Semantik im Rahmen von Bedingungssatzkonstruktionen irrelevant ist. Es gibt allerdings Ansätze, welche die postulierten temporalen und aspektuellen Eigenschaften des Imperfekts auch in seinen modalen Verwendungen glauben festmachen zu können. Dabei erscheint aber das Imparfait als ein modaler Metaoperator, der in besonderer Weise zu charakterisieren ist (cf. dazu Gosselins (1999) Überlegungen, die wir weiter unten kurz vorstellen wollen). Konsens besteht aber allgemein darüber, dass Imperfektmorphologie – wie wir weiter oben im Hinblick auf die Rolle der Vergangenheitsmorphologie in Bedingungssätzen überhaupt herausgestellt haben – die Funktion der modalen Distanzmarkierung wahrnimmt, d.h. wenig wahrscheinliche bzw. vollkommen unwahrscheinliche mögliche Welten (Alternativen) im Verhältnis zur aktuellen Welt prominent macht. Eine weitere grundlegende Eigenschaft des Imparfait, die es für Bedingungssatzkontexte besonders prädestiniert, ist sein anaphorischer Charakter, der auf seiner fehlenden referentiellen Autonomie beruht.47 Aus diesem Grunde bedarf
47 Cf. vor allem Kamp (1985); Berthonneau/Kleiber (1993); Delfitto/Bertinetto (1995); Bonomi/ Zucchi (2001); Leonetti (2004).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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das Imperfekt zu seiner Interpretation eines kontextuellen Ankers, der die notwendigen Informationen zu seiner semantischen Spezifizierung bereitstellt. Im Kontext des Bedingungssatzes nimmt der Bedingungsoperator genau diese Funktion wahr und sorgt für eine semantische Spezifizierung der Form im Sinne einer modalen Interpretation. Als Träger des Vergangenheitsmerkmals (past-feature) fungiert das Imparfait als Distanzmarker, der w0-ferne mögliche Welten bzw. Alternativen im Rahmen der im Bedingungssatz postulierten Implikationsbeziehung zwischen p und q zugänglich macht. Weitere Überlegungen zum Imparfait, besonders hinsichtlich seines Verhältnisses zum Conditionnel im Französischen, werden weiter unten etwas ausführlicher referiert. Kommen wir nach diesen Überlegungen zum Imparfait nun zum Conditionnel und seinem sprachhistorischen Konkurrenten, dem Subjonctif Imparfait (Plus-que-parfait). In diesem Kontext sollen ihre Semantik sowie die Problematik ihres Verhältnisses zueinander in den Vordergrund gestellt werden. In unserem Untersuchungskapitel zum Phänomenbereich der Epistemizität erwies sich der Subjonctif Imparfait – von Ausnahmen im Kontext der consecutio temporum einmal abgesehen – als der Marker für Kontrafaktizität. Im Verhältnis dazu steht das Conditionnel, wie wir im Verlauf dieses Kapitels noch sehen werden, in einem teils oppositiven, teils – insbesondere im diachronen Längsschnitt – substitutiven Verhältnis. Die Hauptetappen dieser Entwicklung, aus der wir den Kernbereich des Konditionalgefüges herausgegriffen haben, resümiert M. Wilmet in einem skizzenhaften Aperçu: «1º rétrécissement initial de la rivalité au SUBJ 2 simple [...] 2º installation, vers le XIIIe siècle, d’un COND composé, entraînant dans le circuit le subjonctif plus- que-parfait (c’est-à-dire le SUBJ 2 composé) [...] 3º développement, sur les traces du futur périphrastique, p. ex. Je vais boire, d’un futur périphrastique du passé, p. ex. j’allais boire (signalé par Flydal 1943 dans l’édition de 1546 du Nouveau Testament), qui supplante le SUBJ 2 simple de faillissement ou ‹d’imminence contrecarrée› (Henry 1960) [...] 4º disparition derrière si ‹conditionnel› du SUBJ2 simple (toujours familier à Rabelais: ‹Si je montasse aussi bien que j’avale, pieça fussé-je en l’air...› ‹si je montais›) au profit de l’IMP ou du plus-que-parfait de l’indicatif (désormais IMP composé) [...] 5º condamnation par Vaugelas (1647) du SUBJ 2 simple en phrase matrice conditionnée: p.ex. le fussé-je ‹je serais› de Rabelais ci-dessus, 4º, ou ‹Si j’avais des enfants masles, je leur desirasse volontiers ma fortune›, ‹je leur abondonnerais› (Montaigne) [...] 6º cantonnement moderne du SUBJ 2 simple à une poignée de formules: dussé-je, dussions-nous, dussiez-vous, fût-ce, plût au Ciel [...], et aux manifestations de la conjecture extrême: l’avouât-il que je n’en croirais rien = ‹même s’il avouait› [...]
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Konditionalität – Hypothetischer Konjunktiv
7º depuis le XVIIe siècle, progressive réduction à la portion congrue du SUBJ 2 composé des phrases hypothétiques, longtemps taxé de ‹conditionnel passé deuxième forme› (p. ex. Si Pierre eût su, il eût joué coeur prend de nos jours un petit air obsolète) [...] 8º concurrence accrue du COND en sous-phrase pronominale (p. ex. Je cherche une secrétaire qui connaisse/connaîtrait le hongrois) [...] 9º débordements familiers ou populaires du COND sur le terrain propre du subjonctif en sous-phrase conjonctionnelle : p.ex. Pierre craignait que Marie (ne) partirait (français soutenu : partît, français usuel: parte) et même Pierre craint que Marie partirait (français normé: parte).»48
Vor dem Hintergrund dieses Substitutionsprozesses stellt sich unweigerlich die Frage nach den semantisch-konzeptuellen Charakteristika des Conditionnel, die diese Kategorie dazu prädisponieren, in die funktionalen Bereiche des Subjonctif Imparfait ein- bzw. vorzudringen und die doch zugleich eine offenbar unaufhebbare Restkomplementarität im Verhältnis zur konkurrierenden Kategorie festschreiben. Im Rahmen unserer Untersuchungsperspektive kann es nicht darum gehen, eine Theorie des Conditionnel zu entwickeln und noch weniger für einen bestimmten theoretischen Ansatz Partei zu ergreifen. Dies ist m. E. auch gar nicht notwendig, da bei allen Unterschieden des Referenzmodells der einzelnen Autoren doch ein beachtlicher Grundkonsens hinsichtlich des semantischen bzw. funktionellen Charakters der Kategorie Conditionnel besteht, der im Weiteren in dem für unsere Argumentation notwendigen Umfang herausgearbeitet werden soll. Zunächst: Die Autoren gehen grundsätzlich von einer Grundbedeutung («signifié global et abstrait», Abouda 1998, 608) bzw. einem abstrakten (kognitiven) Grundschema aus,49 aus der bzw. dem sich die konkreten Gebrauchsweisen (konventionelle Lesarten, «effets de sens») ableiten lassen. Grundsätzlich lassen sich dabei temporale von modalen Lesarten unterscheiden (dazu weiter unten). Als die charakteristischen Gebrauchskontexte der Konditionalform im heutigen Französisch kristallisieren sich die folgenden heraus (wir zitieren dabei Illustra tionsbeispiele aus Abouda 1998):50 «(1) emploi temporel: Il déclara qu’il ne se battrait pas. (2) emploi de non-prise en charge: selon ces témoignages, le nombre des victimes se situerait entre cinq mille et sept mille personnes [...]. (MO1)
48 Wilmet (2001, 24). 49 Gosselin (1999; 2001, 60ss.). 50 Abouda (1998, 563–565). Cf. auch Robert Martins Klassifikation (Martin 1983, 133ss.), die nach den charakteristischen Verwendungskontexten ein «conditionnel temporel», ein «conditionnel de non-prise en charge» und ein «conditionnel de l’interrogation rhétorique» unterscheidet.
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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(3) emploi hypothétique: ‹Si notre concurrent se retirait, tout le monde comprendrait qu’il préfère l’abandon à la défaite [...].› (MO1) (4) emploi atténuatif: J’aimerais que l’on honore un peu plus les enseignants plutôt que toujours les morigéner. (M04) (5) emploi polémique: [Il] existe dans le dossier un témoignage mensonger d’un monsieur qui prétend que je lui aurais garanti que M. Michel Droit nous obtiendrait une autorisation d’émettre. (MO9). (6) emploi ludique: Ce serait une petite fille. Je serais une dame. Je viendrais te voir et tu la regarderais. Peu à peu tu verrais ses moustaches, et cela t’étonnerait. Et je te dirais: ‹Oui, madame, c’est une petite fille que j’ai comme ça.› (7) emploi onirique: C’est un cher Rêve... Ce serait admirable. Et si simple! Elle m’aimerait! Je l’aimerais! Elle guérirait. Nous vivrions tous les deux. (8) conditionnel de l’illusion: On dirait mon grand-père. (9) conditionnel de l’interrogation rhétorique: Serait-il à Paris? (10) conditionnel de demande ou de mise en garde: Tu pourrais être poli! Tu pourrais te faire mal!»
Ausgehend von diesen typischen Verwendungsweisen des Conditionnel wird die Grundbedeutung (bzw. die zugrundeliegende abstrakte Schematisierung) allgemein kompositional, also aus der der Konditionalform (-rais, -rais, -rait etc.) (historisch) zugrundeliegenden Imperfektmarkierung (-ais, -ais, -ait) und der Prospektivitätsmarkierung (-r) abgeleitet. Auch Autoren, die, wie etwa Abouda, die (historische) Morphogenese für ein untaugliches Argument halten, um den Indikativcharakter der Verbalform zu erweisen, führen in ihrer semantischen Analyse gleichwohl den kompositionalen Charakter der Form an.51 Eine solche kompositionale Interpretation setzt zum einen eine geeignete Imperfekttheorie voraus, zum anderen einen geeigneten theoretischen Rahmen zur Modellierung vor allem der modalen Leistungen des Prospektivitätsmarkers. In der französischen Temporalsemantik sind hierfür Ansätze entwickelt worden, die zum einen in der Tradition der linguistischen Diskurstheorie Ducrots und Anscombres stehen, zum anderen an logisch-semantische Überlegungen zu den univers de croyance, wie sie insbesondere von Robert Martin (Martin 1983) entwickelt worden sind (cf. Kap. 1), anknüpfen. Neuere Interpretationsvorschläge L. Gosselins weichen allerdings wiederum deutlich von dieser Argumentationslinie ab, wie wir weiter unten noch sehen werden.
51 Cf. insbesondere Abouda (1998, 606ss.), im Gegensatz zu den Ausführungen auf p. 268ss.
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Überlegungen bzw. Theorieansatze zum Konditional werden vorzugsweise an dem prototypischen Vorkommensfall – dem hypothetischen Konditionalsatz – entwickelt und erprobt. Damit ergeben sich vielfältige Überschneidungen zu den verschiedenen Aspekten, die wir in den vorangegangenen Kapiteln auf einem generellen Abstraktionsniveau behandelt haben. Schließlich: das Conditionnel wird (zumindest überwiegend) als Indikativform kategorisiert,52 wenngleich auch modale Lesarten – anders als im Falle der übrigen indikativischen Tempusformen – zu den typischen und nicht zu den peripheren Verwendungsweisen gehören. Dieser Umstand liegt wiederum in der kompositionalen Grundstruktur des Conditionnel begründet, die das Morphem für «une prolifération de modalités et la tentation consécutive d’ériger le COND en mode [Herv. d. Verf.] [...]»53 prädestiniert.54
52 Die Frage nach dem «Wesen» des Konjunktivs wurde von Grammatikographen und Linguisten unterschiedlich beantwortet: Für einen Modus plädierten Grevisse/Sabanééva (1993), für ein Tempus Damourette/Pichon (1911–1927), Wagner/Pichon (1962) sowie Martin (1983). Als eine hybride Form – Modus und Tempus zugleich – interpretierten sie Wartburg/Zumthor (21958), de Boer (21954) sowie Korzen/Nølke (1981), eine dualistische Sichtweise (teils Modus, teils Tempus) vertraten Imbs (1960), Chevalier et al. (1964), Arrivé/Gadet/Galmache (1986). Cf. den ausführ lichen Forschungsbericht bei Abouda (1998, 260s.). 53 Wilmet (2001, 33.) 54 Eine von historisch-morphogenetischen Aspekten sowie einer semantisch-kompositionellen, transparenten Interpretation unabhängige Begründung für diese Kategorienzuordnung des Konditionals/Conditionnel versucht Abouda in seiner exhaustiven, den bisherigen Forschungsstand zusammenfassenden Monographie, zu entwickeln: Nach seiner Auffassung handelt es sich bei Modus um eine Kategorie, die syntaktisch sichtbar ist («visibilité syntaxique», cf. p. 162s.). Mithin versteht er unter Modus «un groupement de formes verbales ayant au moins une structure syntaxique exclusive» (ibid). Das Konditional/Conditionnel besitzt folglich nur dann den Status eines Modus, wenn es mindestens eine exklusive syntaktische Struktur (Umgebung) gibt, in der die Form in obligatorischer Weise figuriert. Abouda weist im einzelnen nach, dass in allen relevanten Gebrauchskontexten (CP-, IP-Sätze) das Conditionnel durch eine indikativische Tempusform ersetzt werden kann (identische Verteilung, Variation) bzw. dass in den wenigen verbleibenden obligatorischen Kontexten (vor allem in hypothetischen Sätzen) die Verwendungen semantischer, d.h. nicht-syntaktischer Natur, sind. Vor diesem Hintergrund schlussfolgert Abouda: «Pourtant, plus que les données diachroniques, morphologiques ou analogiques, c’est bien cette identité syntaxique entre structures de l’indicatif et structures du conditionnel qui nous semble apporter l’argument décisif en faveur de la thèse de l’appartenance du conditionnel au mode Indicatif. Qui plus est, puisque le conditionnel n’est jamais syntaxiquement obligatoire, n’a aucune structure syntaxique exclusive, il est nécessaire, suite à nos hypothèses concernant la localisation syntaxique des modes qu’il soit considéré comme un temps appartenant à l’indicatif.» In der Zusammenfassung: «Soit I l’ensemble des structures syntaxiques qui admettent l’indicatif (IND) et C l’ensemble des structures syntaxiques qui admettent le conditionnel (COND) C ⊂ I ⇒ COND ∈ IND» (Abouda 1998, 344).
Zur Theorie des Bedingungssatzes
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Im Weiteren sollen nun verschiedene, für eine Theorie des Conditionnel relevante Überlegungen vorgestellt werden, wobei in erster Linie solche Aspekte von Interesse sind, die zu einem besseren Verständnis der Semantik der Form im Rahmen von Bedingungssatzstrukturen beitragen. Ein einheitliches Beschreibungsmodell, das die verschiedenen, im vorangegangenen Abschnitt erwähnten Teilaspekte integriert, formulieren Korzen und Nølke in einem jüngeren Beitrag (Korzen/Nølke 2001). Die Autoren deuten das Conditionnel im Rahmen eines drei Parameter umfassenden Verankerungsmodells von Propositionen als eine Distanzmodalität («modalité distale»). So ist jede Proposition Pj im Hinblick auf ein Tripel – nämlich den verantwortlichen Sprecher li, den als temporaler Anker dienende Sprechzeitpunkt ti sowie die relevante Bezugswelt mi – zu interpretieren:55 R= {li, mi, ti }[Ri={«être discursif», «monde», «temps»} Hierbei entspricht der Index i0 der Sprecherorigo (moi-ici-maintenant) und stellt damit gewissermaßen den archimedischen Nullpunkt des Koordinatensystems der Kommunikation dar. Die verschiedenen Konditionalgebräuche lassen sich nun dadurch ableiten, dass jeweils mindestens einer der Parameter auf einen Indexwert i ≠ 0, also einen Distanzwert eingestellt ist. Aus den verschiedenen Indexkombinationen der Parameter leiten Korzen/Nølke die möglichen konditionalen Lesarten ab: –– «Valeur subjective»: (33) Il a annoncé/il annonça qu’il arriverait bientôt.
Bei dieser Lesart fallen der aktuelle Sprecher und der Urheber der Aussage auseinander (li ≠ l0). Zugleich ist der Ankerpunkt des Bezugssystems, das hic et nunc der Sprecherorigo, verschoben (Korzen spricht zusammenfassend von einem «déplacement vers un repère temporel antérieur lié à un changement de locuteur»)56. Das Gesagte lässt sich formalisieren als: à Ri, Pj, où: ti -eit, -oit, span. > -ía und ital. > -ebbe) zu einer neuen indikativischen Flexionsform (Conditionnel, Potencial). Zu den lateinischen Frühbelegen merkt Moignet an, dass «la valeur modale d’auxilaire persiste dans le cas d’infinitif + habebam,
92 Zitiert nach Sabanééva (1996, 140). Weitere Beispiele bei Thomas/Ernout (1953, 381) und Moignet (1959, 190s.). 93 Zitiert nach Thomas/Ernout (1953, 383). 94 Cf. Becker (2008).
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qui n’est jamais l’équivalent de notre forme en -rais».95 Eine Textpassage aus Ovids Tristia ist wohl der erste Beleg für die Verwendung der periphrastischen Konstruktion: (47) «plura quidem mandare tibi, si quaeris, habebam, sed vereor tardae causa fuisse viae.» (Ovid, Tristia, I, 1, 123) (‘Je te communiquerais davantage, si tu demandes, mais j’ai peur que cela ne devienne la cause de ton départ retardé’)96
Ein weiterer oft zitierter Beleg stammt aus Augustinus Sermones (Aug. Sermo CCLIII, 4): (48) «Sanare te habebat Deus per indulgentiam si confitereris.» (‘Dieu te guérirait dans son indulgence si tu te confessais’)97
Während Moignet erstmals die reine Konditionalbedeutung in einem Zitat aus dem 8. Jahrhundert zu erkennen vermag,98 führt Sabanééva einen wesentlich früheren Beleg des Kirchenlehrers Tertullian ins Feld, in dem die neue Konstruktion rein temporal als prospektive Form im Verhältnis zu einem Zeitindex t’ in der Vergangenheit verwendet wird, also in der klassischen Grundfunktion des romanischen Konditionals: (49) «Daniel praedicavit [...] quoniam post passionem Christi ista civitas exterminari haberet.» (Tert. Adv. Jud. 8) (‘Daniel a prédit [...] qu’après la mort du Christ cette ville serait exterminée‘)99
Nach dieser Übersicht über die Ausgangssituation sowie die grundlegenden Entwicklungstendenzen im Vulgär- bzw. Spätlatein, soll in dem folgenden Kapitel das Verhältnis der verschiedenen Verbalkategorien im altfranzösischen Bedingungssatz sowie ihre sprachhistorische Entfaltung ausführlich untersucht werden.
95 Moignet (1959, 189). 96 Zitiert mit frz. Übersetzung nach Sabanééva (1996, 148). 97 Zitiert mit frz. Übersetzung nach Moignet (1959, 189). 98 Die Rede ist von dem Liber Papiensis Liutprandi, cap. 134 (Mon. Germ. Histo., Leg. T. IV, 466, zitiert nach Moignet 1959, 190): «ideo hoc dicimus, quia si invenisset enim frater [...], scandalum cum eo statim committerent (committere habuit 4) et qui superare potuisset, unus alterum interficere habuit (interficeret 5, 6)». 99 Zitiert mit frz. Übersetzung nach Sabanééva (1996, 164).
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4.3 Das altfranzösische System In den älteren Texten wie dem Alexiuslied (11. Jahrhundert), aber auch noch im Rolandslied, immerhin schon auf der Schwelle zum 12. Jahrhundert, begegnen uns neben dem einfachen indikativischen Bedingungssatz nur kontrafaktische Konditionalsätze, die durch die Kategorien Subjonctif Imparfait und Subjonctif Plus-que-parfait markiert sind. In dem ersten Fallbeispiel figuriert die Struktur in der Totenrede, die Alexius Vater auf seinen Sohn hält: Die Indexwelten sind jeweils deontische Welten (ideale Versionen einer Gegenrealität), die ihre Relevanz mit dem Ableben des Protagonisten verloren haben (past counterfactual): (50) «Que n’am perneies en ta povre herberge? Se Deu ploüst, sire en doüsses estra (sic!).» (St. Alexis, 419–420). (51) «Un algier tint ki d’or fut espenét / ferir l’en volt se n’en fust desturnét» (rolandox, 439–440)
Erst mit dem Artusroman (La mort le Roi Artu) tritt dann auch mit relativer Regelmäßigkeit der «problematische» Bedingungssatztyp Si + Imparfait, Conditionnel in Erscheinung. (52) «Sire, ge vos diroie une chose a conseill, se ge ne cuidoie que il vos en pesast.» (La Mort le Artu, 6.008–6.009).
Immerhin lassen noch einzelne Verwendungen des Subjonctif Imparfait im kontrafaktischen Bedingungssatz (etwa bis zum Ende des 12. Jahrhunderts) seine etymologische Herkunft aus dem lateinischen Konjunktiv Plusquamperfekt erahnen (lat. cantavisset > afrz. chantast). In den folgenden Beispielen enthält die Verbform (wie auch in dem Alexius-Beispiel) noch das ursprüngliche PerfektMerkmal (Perfekt + Vergangenheit): (53) «[...] et cil qui o ses oilz les vit/parmi les lices les meissent/ja anceis mais ne departissent se n’i venist polidamas.» (troifr: Fragments du Roman de Troie, Ende 12. Jh., 550–553) (54) «[...] estrange coup li a doné/quant d’autre part s’en ist li fers/ unc ne s’i pout tenir l’ousbers/se achilles ne se baissast/jamais sa boche ne manjast/cil l’a hurté cum vassal [...].» (troifr: Fragments du Roman de Troie, Ende 12. Jh., 624–629)
Die Perfekt-Lesart in den Vergangenheitskontexten steht in engem Zusammenhang mit dem telisch/non-durativen Charakter der Verben baisser und venir (beides sind sogenannte achievement verbs): Gerade weil der jeweils charakterisierte Sachverhalt ¬q an dem jeweiligen Vergangenheitsindex i’ eingetreten ist, lässt sich über die Verhältnisse in einem Antiuniversum (an einem distanten Indexwerten i*) spekulieren. Seit dem 13. Jahrhundert generalisiert sich im Fran-
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zösischen – wie im Übrigen auch in anderen romanischen Sprachen, beispielsweise auch im Spanischen100 – die analytische Form mit dem habere–Auxiliar zum Ausdruck des Perfektmerkmals und damit des Resultatszustandes eines Ereignisses. Für die Zeit seit dem frühen 13. Jahrhundert lässt sich nun ein idealtypisches Konditionalsystem rekonstruieren, das im Weiteren ausführlicher dargestellt werden soll: Das indikativische Realis-Modell (Modell 1: si + Präsens, Futur) lässt sich nach dem im ersten Unterkapitel Ausgeführten folgendermaßen charakterisieren: Die der Protasis zugrundeliegende Proposition p wird der Menge der den Gemeinsamen Redehintergrund beschreibenden Propositionen hinzugefügt. Das Consequens q wird dann vor dem Hintergrund dieser modifizierten modalen Basis daraufhin bewertet, ob es in den entsprechenden Auswertungswelten der Kontextmenge zutrifft. Die modale Basis ist total realistisch (i.e. alle Propositionen des Gemeinsamen Redehintergrundes sind in ihr enthalten). Zudem können wir eine stereotype Ordnungsfunktion postulieren: Wir wollen ja solche Welten für die Auswertung berücksichtigen, die dem «normalen Lauf der Dinge» bei der Fortschreibung der aktuellen Welt w0 in die Zukunft am nächsten kommen. Der Indikativgebrauch in der Protasis lässt sich gut im Rahmen des modalsemantischen Ansatzes von Lewis, Kratzer und Giorgi/Pianesi begründen: p wird dem common ground (der Menge der von den Gesprächsteilnehmern als wahr betrachteten Propositionen) provisorisch hinzugefügt, um q abzuleiten. Hinsichtlich der hieraus erwachsenden Welten der zugehörigen Kontextmenge wirkt eine stereotype Ordnungsfunktion, die solche zukünftigen möglichen Alternativen herausgreift, die besonders wahrscheinlich und damit dem «normalen» Verlauf der aktuellen Welt am ehesten entsprechen. Ganz wesentlich ist dabei die Tatsache, dass p mit allen Propositionen des common ground kompatibel ist, also p-Welten mithin von w0 aus problemlos epistemisch zugänglich sind. So betrachtet, lässt sich der indikativische Konditionalsatz auch als ein spezifisches Konstrukt charakterisieren: Das die reale Welt w0 beschreibende Wirklichkeitsmodell wird um einen provisorisch als wahr gesetzten bzw. in das Modell eingeschriebenen Sachverhalt erweitert, um vor vollkommen realistischem Hintergrund eine Konsequenz abzuleiten. Entscheidend ist die Tatsache, dass auf das die Wirklichkeit beschreibende Standardmodell M0 gedanklich zugegriffen wird und der mentale
100 Cf. etwa einen typischen Beleg aus Gonzalo de Berceos Milagros de Nuestra Señora (1. Hälfte des 13. Jahrhunderts): Milagro I, 70: «Si non fuesse Sïagrio tan adelante ido, si oviesse su lengua un poco retenido, non serié enna ira del Críador caído, ond dubdamos que es – ¡mal pecado! – perdido.»
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Konstruktionsprozess ausschließlich auf dessen Bedingungen und Sachverhalten (Propositionen des gemeinsamen Redehintergrundes) operiert. Wir zitieren ein beliebiges Standardbeispiel aus dem Amsterdamer Korpus: (55) «[...] se il vos plest voz le ferez vos le lerez» (Le conte dou barril, par Jouham de la Chapele de Blois, ms. P, 99s.)
Nun gibt es aber in den älteren Texten noch äußerst interessante Ausnahmen von dieser Kombination der Verbalkategorien: So finden sich immer wieder Beispiele für eine durch den Konjunktiv Präsens markierte Protasis. Die Forschung wollte darin ein Phänomen des normannisch-anglonormannischen Raums sehen, in dem sich, so speziell Wunderli, die indikativische «Aktualitätsmetapher» nicht habe durchsetzen können.101 Anders als Moignet ist Wunderli aber vorsichtiger: Immerhin glaubt er eine «latente Bereitschaft zur Verwendung des Konjunktiv Präsens nach se/si» erkennen zu können, die «ganz allgemein immer bestanden haben (muß)».102 Eine Begründung für diese Einschätzung führt der Autor allerdings nicht an. Ich glaube, dass es sich in den Fällen, bei denen die Protasis durch den Konjunktiv Präsens markiert wird, um eine archaisierende Fortsetzung des ursprünglichen lateinischen Bedingungssatzmodells handelt, also um residuale Verwendungen eines älteren, schlecht belegten Bedingungssatzmodells für die Zone der realistischen Möglichkeit, dass p (als wahrscheinliche Fortsetzung der aktuellen Welt w0). Dafür sprechen zumindest eine Reihe von Argumenten: –– Aus den Abfragen des die Dialektzonen vollständig repräsentierenden Amsterdamer Korpus zeigt sich, dass die Belege für einen Subjonctif Présent in der Protasis relativ breit im d’oil-Gebiet gestreut sind und es deshalb nicht gerechtfertigt ist, von einer Konzentration des Phänomens im nördlichen Raum (normannischer und anglonormannischer Bereich) zu sprechen. So stammen die Beispiele etwa aus den Departments Haute-Marne, Oise, Aube, Nièvre/Allier, Aisne, Somme/Pas-de-Calais, Wallonie, Normandie, Région Parisienne, Franche-Comté, Yonne, Ardennes, Hainault Bourgogne, Nièvre.103
101 Cf. Moignet (1959, 477); Wunderli (1970, 552). 102 Wunderli (1970, 552). 103 Cf. beispielsweise: se dex me voie (Amile, 297, Haute-Marne), se diex me voie (amou, 322, Oise), se dex bien me doint (perl, 1369, Aube), se dex me beneie (guib, 144, Nièvre), se dex me doint amendement (vache, 1026, Aisne), se diex me beneie (nimc, 930, Somme), sire se dex me face bien (eustache, 449, Normandie), se diex me saut (ailea, 165, Yonne), se diex m’ait (cambrai, 1193, Ardennes), se dex bien me doinst (perp, 1273, Hainault)
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–– Zudem fällt auf, dass die Verbindung si/se + Subjonctif Présent überwiegend in stereotypen bzw. versatzstückhaften religiösen Wunsch- und Eidesformeln vorkommt, wobei diese fixierten Gebräuche den tradierten Charakter der Strukturen, denen vermutlich auch lateinische Vorlagen zugrunde liegen, verraten. Geläufig sind in erster Linie pragma-linguistische Versatzstücke wie in der folgenden Zusammenstellung typischer Devotionsformeln: se deus me saut/se diex me salt (z.B. ailed, 165, Aube), se d(i)ex me gart (z.B. chret1, 301), se dex voz beneie (z.B. amil, 297, Haute-Marne), se damedieus me beneie (athi, 1590, Aisne), se mahons te beneie (nimb1, 1301), se ia dex me sekeure (z.B. amo, 1519, Nord), se dex t’ait/se dieus m’aist (z.B. athi, 1586, Aisne), se dex m’amant (z.B. chret2, 1214, Haute-Marne), se d(i)ex me voie (z.B. conperc, 658, Somme), se jhesus me doint (gar, 23, Aisne), se diex me doint (z.B. chret1, 651), se diex me saut/salt (z.B. contro, 851, Aube), se dex me face bien (eustache, 449, Normandie), se diex me puist aidier (gar, 119, Aisne), se dieu plaise (helc, 372, Région Parisienne) Darüber hinaus existieren aber durchaus – vereinzelte – Beispiele für den freien Gebrauch des Subjonctif Présent in der Protasis, wie die folgenden Textpassagen illustrieren: (56) «n’est hom que vus en face aie / par cui soiez vus ja rescos / se moi n’en prenge pite de vus / gardez moi bien le paradis / que mais n’i entre icist faudis» (mystère d’Adam, 509ss., o. O.) (57) «[...] ke durement ne seient liez se par els seient enginnez» (fablesB, 192s., o. O.) (58) «mes se cil s’en puist venger / dunc le vodreit suplier» (Fables E1, 449s., Nièvre-Allier) (59) «come l’eschale purra ourir / se ele del peissun puist partir» (Fables E1, 509s., NièvreAllier)
–– Aber nicht nur die breite diatopische Verteilung und die starke Präsenz der konjunktivischen Protasis vor allem in traditieren, stark fixierten religiösen Formeln sprechen für ein rudimentäres Fortleben des lateinischen Konditionalsatzmusters im Bereich der Zone «realistischer Möglichkeiten», sondern auch die im vorangegangenen Kapitel aufgezeigte Bedeutung des konjunktivischen Bedingungssatztyps als Standardmodell des Vulgärlateins, und zwar in besonderem Maße auch der Vulgata als dem – in jeder Hinsicht – Referenztext des lateinischen Mittelalters. –– Schließlich lassen sich für die nachhaltige Wirkung des (vulgär-)lateinischen Modells auch allgemein-theoretische Gründe anführen: So rechtfertigt der schon erwähnte Hybridcharakter der realistischen Möglichkeitszone ein fortdauerndes Schwanken zwischen den beiden logisch möglichen, alternativen Konzeptualisierungsweisen: Im ersten – indikativischen – Fall wird die Protasis im Rahmen eines logischen Kalküls so behandelt, als ob die ihr
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zugrunde liegende Proposition wahr sei. Dabei wird sie – gleichsam provisorisch – dem gemeinsamen Redehintergrund zugeschlagen, um das logische Kalkül auf einer vollkommen realistischen modalen Basis durchzuführen. Im zweiten – konjunktivischen – Fall wird die Protasis als ein Domänenfixierer möglicher alternativer Welten angesehen, wobei der Konjunktiv Präsens die Nähe zur aktuellen Welt (und damit einen hohen Grad an Realisierungswahrscheinlichkeit) anzeigt. Es ist in diesem Zusammenhang auffällig, dass die noch frequenten erstarrten Konjunktivverwendungen vor allem die religiöse Domäne betreffen: Hier ist die vollkommen realistische modale Basis, wie sie der indikativischen Protasis eigen ist, nicht der geeignete konversationelle Hintergrund. –– Als letztes Argument lässt sich anführen, dass wir auch im Altspanischen noch Reste des Konjunktiv Präsens in der Protasis (meist als Variante des Futuro de Subjuntivo) finden, was dafür spricht, dass das spätlateinische Modell, wie es sich in der Vulgata greifen lässt, in weiten Teilen der Romania nachgewirkt hat. Wir zitieren einige Beispiele: (60) «Si Dios me legare al Cid e lo vea con el alma desto que avedes fecho / vos non perderedes nada» (Cid I, 1529s.) (61) «Pero que aquéstos tales devédesles mandar que si, antes que mueran, si podieren fablar e puedan aver su cura para se confesar, que lo fagan e cunplan para mejor estar.» (Juan Ruiz, Libro de buen amor, Strophe 1158, 288) (62) «que, si dineros, joyas preciosas e otros arreos intervengan o dados les sean, es dubda que a la más fuerte non derruequen [...].» (Alberto Martínez de Toledo, II, Kap. I, 146)
Diese unterschiedlichen Argumente dürften deutlich gemacht haben, dass es wenig Sinn macht, die verbliebenen Konjunktiv Präsens Formen in der Protasis als dialektales Sondermerkmal einer bestimmten Region bzw. eines regionalen Raums anzusehen – dagegen sprechen sowohl empirische als auch theoretische Gründe. Vielmehr dürfte es sich hierbei um einen weit verbreiteten Archaismus handeln, den Nachhall einer älteren Sprachstufe in der Romania, die den (spät) lateinischen Bedingungssatztyp in der Domäne der realistischen Wahrscheinlichkeit zunächst noch fortsetzte. Noch vielschichtiger sind die Modusverhältnisse bei den hypothetischen und kontrafaktischen Bedingungssätzen, mit deren Entwicklung wir uns im Folgenden eingehender befassen wollen. Für die Epoche des Altfranzösischen fällt ganz besonders die Konkurrenz zwischen zwei grundlegenden Modellen – nennen wir sie der Einfachheit halber 2a und 2b – auf: So zum einen die homogene Verwendung des Subjonctif Imparfait sowohl in der Protasis als auch in der Apodosis (Typ 2a: si fist, dist), zum anderen die Verbindung von Imparfait als
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Kategorie des Antecedens und dem Conditionnel im Folgesatz (Typ 2b: si faisoit, diroit). Daneben existieren aber auch, wie wir sehen werden, eine Reihe von Mischmodellen. Diese – aus synchroner Sicht – Momentaufnahme einer strukturellen Opposition birgt zugleich auch die verschiedenen Entwicklungslinien einer diachronen Dynamik in sich: So wird sich das Modell 2b zunehmend als das moderne Zielmodell des historischen Wandels herauskristallisieren, wohingegen 2a das ursprüngliche Ausgangsmodell einer aus dem Lateinischen hervorgegangenen Entwicklung darstellt, wie beispielsweise das folgende Zitat aus der Vulgata zeigt (Vulgata, Evangelium nach Johannes 11:21): (63) «Dixit ergo Martha ad Jesum Domine si fuisses hic frater meus non fuisset mortuus.» (Vulg., Johannes, 11,21) (‘So sprach Martha zu Jesus: Herr, wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben’)
Diese angedeutete Entwicklung hin zum modernen Modell 2b vollzieht sich über die Herausbildung und phasenweise Stabilisierung intermediärer Mischmodelle. Nun repräsentieren die beiden Modelle aber nicht nur zwei unterschiedliche Entwicklungsstufen, die in einer längeren Übergangsphase koexistieren bzw. miteinander konkurrieren, sondern sie treten durchaus auch – ganz systematisch – in ein und demselben Text im Kontrast zueinander auf. Sie bilden also während einer Etappe des Altfranzösischen eine funktionale Opposition in der «langue» aus: Wenn man die Beispiele, die dem älteren Modell 2a folgen, betrachtet, so ergibt sich stets das gleiche Bild: Die dem Antecedens zugrundeliegende Proposition ist ausnahmslos kontrafaktisch zu interpretieren, die Kategorie des Subjonctif Imparfait repräsentiert eine präsentische Irrealisform. Betrachten wir einige typische Beispiele aus den altfranzösischen Korpora: (64) «[...] se cil fust prophetes il sceut de quel maniere est ceste femme qui touche a lui» (abe, 2293–2294). (65) «Par ma foy, sauf vostre grace, madame, dit il, se je le sceusse je ne le demandasse pas.» (cnncb, 280.019–280.02) (66) «[...] se je en deusse orendroit morir, si le feisse je por la volenté mon seignor acomplir.» (qgraalcb, 6.025–6.027)
Im ersten Beispiel trifft etwa das Prädikat être_prophète nicht auf das Subjekt zu – die Protasis beschreibt einen kontrafaktischen Sachverhalt und es gilt eigentlich: ¬p. Genauso verhalten sich auch die übrigen Beispielsätze: Im Vordersatz wird jeweils eine – den realen Verhältnissen in w0 – entgegengesetzte Annahme p gemacht. In (65) kann der Sprecher die Situation nicht einschätzen, deshalb fragt er nach. Das Gesagte gilt auch für das darauffolgende Beispiel (im Hinblick auf den angegebenen Referenzzeitpunkt orendroit ist p falsch), wobei zudem in
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diesem Beispiel die häufig zu beobachtende Tendenz einer doppelten Markierung (lexikalisch durch Modalverb, morphologisch durch den Konjunktiv) von modalen, vor allem deontischen Kontexten hervorzuheben ist. Die Interpretation dieser Beispielfälle ist systematisch: Die Protasis q kann nicht dem gemeinsamen Redehintergrund hinzugefügt werden, denn sie ist mit der Menge der in ihr enthaltenen Propositionen schlicht unvereinbar. Die Protasis behauptet p, obwohl in w0 eigentlich ¬p der Fall ist: Die p-Welten (also die Welten der Kontextmenge, in der p gilt bzw. wahr ist) sind von der realen Welt aus epistemisch nicht zugänglich. Mithin sind kontrafaktische Bedingungssätze unter Bedingungen wahr, die nicht unter den aktuellen Verhältnissen gelten. Lohnstein hatte diese Besonderheit kontrafaktischer Sätze (bzw. Bedingungsgefüge) als Verschiebung des Auswertungsindexes von i0 nach i‘ charakterisiert. In Anlehnung an Lohnstein können wir etwa die Protasis in Beispiel (64) formalisiert darstellen als: –– Cil est prophetes: li être_prophetes (i, cil) (i0): Präsens: Proposition am Index i0. Hier wird nun in dem gegebenen Beispiel der Wahrheitswert ermittelt: Er ist falsch, denn der Eigenschaftsträger cil ist ja kein Prophet. –– Cil fust prophete: li être_prophetes (i, cil) (i’): Subjonctif Imparfait: Proposition am Index i’. Hier ist der Wahrheitswert 1 (wahr), denn an i’ liegen genau die Verhältnisse vor, die gerade nicht an i0 vorherrschen. Nun sind völlig beliebige p-Welten (bzw. unterschiedliche Alternativen zu i0 etwa: i‘, i‘‘, i‘‘‘ etc.) denkbar. Hier interveniert nun eine Norm bzw. ein ordnendes Prinzip (ordering source), das Lohnstein, wie wir erwähnt haben, als «Prinzip der minimalen Verschiebung» kennzeichnet.104 Giorgi/Pianesi (1997) klassifizieren das Ordnungsprinzip als «total realistische ordnende Quelle», d.h. die relevanten p-Welten werden danach geordnet, wie ähnlich sie der aktuellen Welt w0 sind, und zwar so, wie diese durch den gemeinsamen Redehintergrund der Kommunikationsteilnehmer determiniert wird. Dieses Ordnungsprinzip lässt sich auch, wie wir gesehen haben, als Similaritätsfunktion charakterisieren. In jedem Fall muss in diesen w0 maximal ähnlichen (und dennoch unzugänglichen) p-Welten das Consequens q wahr sein. Dies lässt sich auch anschaulich in einem cartesianischen Koordinatensystem darstellen: Die an den Indizes i‘, i‘‘ etc. instantiierten Propositionen repräsentieren einen zum Sprechzeitpunkt kontrafaktischen Sachverhalt (subjunktivischer Bedingungssatz der Gegenwart/Irrealis I): Die entsprechenden Indizes verorten zwar den Sachverhalt am Sprechzeitpunkt t0, jedoch in Welten, in denen genau
104 Lohnstein (2000, 96).
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das Gegenteil der Fall ist (p = 1) wie in der aktuellen Welt (t0/w0), in der gerade ¬p (p = 0) gilt (dargestellt durch negative Indexwerte für w). w
Sprecherorigo
t Ordnung der Indizes
X (t0/w0) – i‘ (t0/w-1)
(Welten) nach ihrer Nähe – i‘‘ (t0/w-2) zu i0 (w0) – i‘‘‘ (t0/w-3)
Das Consequens q soll in jenen p-Welten gelten, die w0 möglichst nahe sind (also an den i0-nahen Indizes wahr sein). Wie die Verhältnisse im kontrafaktischen Bedingungssatz des Altfranzösischen zeigen, scheint die Kernfunktion des Subjonctif Imparfait in der morphologischen Kodierung von Kontrafaktizität zu bestehen. Dies zeigt auch der comme si-Test, den man gut als Prüfstein für das jeweilige morpho-syntaktische Entwicklungsstadium in der Irrealis-Domäne ansehen kann: Das Eigentümliche der Konjunktion comme si besteht gerade darin, dass p als Vergleichsterm (also in adverbialer Funktion) für die Charakterisierung eines anderen Sachverhalts q in w0 herangezogen wird, obwohl in w0 gerade ¬p gilt. Der comme si-Satz präsupponiert zwar die Falschheit von p in w0, statuiert aber dennoch die deskriptive Relevanz von p für die Charakterisierung eines Sachverhalts q in w0. Das heißt: Die Proposition p ist insofern relevant, als sie einen Vergleichssachverhalt konstituiert, nicht jedoch als aktuelle Sachverhaltsbeschreibung für w0 fungiert. Die comme-si-Konstruktion schöpft damit aus dem Vergleichspotential, das in der Ähnlichkeitsrelation zwischen der aktuellen Welt und einer w0-nahen kontrafaktischen Welt (einer Welt, in der die Dinge so sind, wie sie realistischerweise in w0 hätten sein können) schlummert. Im Altfranzösischen selegiert die Konjunktion comme si typischerweise die Verbalkategorie Subjonctif Imparfait. Wie die folgenden repräsentativen Beispielfälle zeigen, werden in den Texten üblicherweise stereotype Vergleichssachverhalte konstituiert. Im ersten Fall wird ideale Fürsorge durch den Vergleich mit einer Mutter-Tochter-Beziehung charakterisiert, im zweiten Beispiel starke Trauer mit der Reaktion auf den Verlust aller Freunde.
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(67) «[...] et me flatoiez et norrissoiez de ton plus naturel lait comme se je fusse ta seulle fille et toute tienne.» (artoicb, 99.02–99.023) (68) «[...] et souvent ploroit bien tendrement comme si tous ses amys fussent mors.» (cnncb, 470.017–470.018)
Eine übliche Kombinatorik in der Domäne der Kontrafaktizität ist auch die Abfolge si + Subjonctif Plus-que-parfait, Subjonctif Imparfait: Das Antecedens beschreibt ein abgeschlossenes Ereignis (Perfekt-Merkmal) an einem Index t‘, aus dem die Apodosis die daraus resultierende Konsequenz ableitet: (69) «Sire, fet ele, je sui damoisele deseritee qui fusse la plus riche fame dou monde se je ne fusse chaciee de mon heritage deseritee.» (qgracmcb, 107.022–107.024)
Bei stativischen Verben ist auch die umgekehrte Konstellation möglich: Der durch Subjonctif Imparfait markierte Vordersatz enthält eine Hintergrundbedingung, die Apodosis eine durch den Subjonctif Plus-que-parfait gekennzeichnete abgeschlossene Handlung an einem Index i‘. (70) «[...] se il fust vif yo l’ousse amenét del rei paien.» (rolandox, 691–692)
enden wir uns den Kontexten zu, in denen die Verbalformen nach dem zweiten, W modernen Modell 2b (si + Imparfait, Conditionnel I) markiert sind. Wir zitieren zunächst einige Illustrationsbeispiele aus der altfranzösischen Literatur: (71) «[...] et se li serjans l’amendoit li quix ne seroit pas gentix hons» (beauv 1077–1078) (72) «Damoisele, fet Lancelos, se il avoit si son cuer en sa baillie qu’il en poïst fere a sa volenté del tout, il seroit trop vilains s’il vos en escondisoit» (artucb, 38.056–38.059) (73) «[...] dites a la roine qui chi vous envoie, que elle me face viseter par bons fusesiiens et medecins, car se je moroie a nuit, les Escoçois feroient demain un roi en Escoce.» (froisacb, 785.027–785.031) (74) «Li auqun supposoient assés que Ainmeris, pour tant que il estoit lombars, prenderoit les deniers et renderoit le chastiel de Calais, et se il avoient le chastiel, il averoient la ville.» (froisacb, 865.025–865.028)
Alle Beispiel lassen sich in der gleichen Weise charakterisieren: Die Protasis drückt eine Proposition p aus, die zum Sprechzeitpunkt (t0/w0) nicht zum gemeinsamen Redehintergrund gehört, jedoch diesem provisorisch hinzugefügt werden kann. Die Apodosis wird dann im Hinblick auf den modifizierten Redehintergrund bewertet. Anders als bei kontrafaktischen Sätzen entsteht durch die Einschreibung von p kein Widerspruch zu den anderen Propositionen des gemeinsamen Redehintergrunds (common ground), zumal die (nicht sehr wahrscheinliche) Möglichkeit besteht, dass p zu einem unbestimmten späteren Zeit-
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punkt noch eintreten kann. Dies macht etwa der vorletzte Textausschnitt aus der Chronik Froissarts deutlich, in dem verschiedene Referenzpunkte x‘ und x‘‘ (x0 t0) betrachtet werden können. Auffällig ist aber auch die Tatsache, dass offenbar der Bedingungsoperator si in subjunktivischen Bedingungssatzgefügen besonders eng mit konjunktivischer Irrealismorphologie verbunden ist. Aber in den Texten des späteren Altfranzösisch manifestiert sich bisweilen noch eine weitere Form der Auflösung des traditionellen Bedingungssatzmodells: So treten häufiger die beiden Kategorien – das traditionelle Subjonctif Imparfait und das moderne Imparfait gemeinsam als stilistische Varianten in der Protasis auf. In diesen Vorkommenskontexten besitzen die Verbformen identische Funktionen, d.h. der Sprecher ist an der Ausschöpfung der sich ihm in der Synchronie des Sprachsystems bietenden Variationsmöglichkeiten interessiert. Eine solche Kookkurrenz von älterer und neuerer morphologischer Markierung zeigt sich in den folgenden Beispielen: (83) «‹a! sire›, fait elle, ‹se vostre contes estoit roiaumes et a moi deust tous venir, si me tenroie jo a molt bien mariee en lui›.» (pon1, 13)
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(84) «[...] car il tenoient a tres grant gloire ce que je m’estoie tourné a eulx en ma conversacion aussi comme se je eusse toutes autres abbayes en despit et disoient que tres grant reprouche leur en vendroit se je les avoye retez et guerpiz et alasse aux autres.» (abe, 1792–1796) (85) «[...] et sachiez que ge sui vostre chevaliers en quelque leu que ge soie, ne il n est si estranges leus, se g i estoie et vos me mandissiez a vostre besoing, que ge n i venisse a mon pooir.» (mortartu, 394s.)
In ganz seltenen Fällen tritt auch die Kombination aus Imparfait (in der Protasis) und Subjonctif Imparfait (in der Apodosis) in den Texten des späteren Altfranzösisch auf. Das folgende Beispiel lässt sich aber auch gut erklären: Das Antecedens (die willentliche Entscheidung) kann prinzipiell vom Sprecher kontrolliert werden und ist – wenn auch an t0 kontrafaktisch – zumindest grundsätzlich zu einem späteren Zeitpunkt noch modifizierbar. Das Consequens jedoch ist dem Matrixsatzsubjekt durch eine unpersönliche ordnende Quelle (eine deontische Norm: pouvoir/ne pouvoir faire x) vorgegeben. Sie ist also der Sprecherkontrolle entzogen und somit ist die Annahme eines kontrafaktischen q in diesem Kontext angemessen. (86) «[...] car il meismes dist a pylate quides tu dist il se ie voloie ie ne poisse rover mon pere qu’il m’envoiast plus de legions d’angles» (carem, 907–910)
Im Altfranzösischen bleibt das Bedingungssatzmodell zum Ausdruck von Kontrafaktizität in der Vergangenheit (Modell 3: s’il eust fait p, il eust fait q) über die gesamte Epoche stabil und braucht deshalb nur kurz charakterisiert zu werden: Auch in diesem Kontext wird der Auswertungsindex von i0 nach i‘ verschoben. Allerdings befinden sich auch die relevanten x-Werte für t (die Topik-Zeit) vor t0, sie repräsentieren also Indizes in der Vergangenheit. Für einen Index t‘ (t‘ d1 > d2] (b) (∀d1,d2)[Peter is tall to degree d1 & Otto is tall to degree d2 => d1 > d2] Aus (a) lässt sich (b) ableiten (entailment). Also ist taller monoton fallend (down ward-entailing) im Hinblick auf die than-Phrase. Forscher wie Giannakidou sehen im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Monotoniekriteriums als Lizensierungsbedingung von negativen Polaritätselementen neben empirischen insbesondere auch theoretische Probleme.18 Zepter bringt das Unbehagen über die Aussagefähigkeit des Monotoniekriteriums in dem folgenden Einwand auf den Punkt:
16 Cf. von Stechow (1984, 29); Hoeksema (1983, 425). Auch Gawron (1995, 348–350) operiert mit Mengen möglicher Gradausprägungen, schlägt allerdings einen modifizierten Ansatz vor: Vergleichskonstruktionen führen einen Quantifizierer für Größen ein, der durch die Nebensatzproposition (auch Referenz genannt) restringiert wird. Ein typischer Vergleichssatz wie x runs faster than y (runs) kann auf das Grundschema λP∃m[∀s[φ(s), >(m,s)], P(m)] zurückgeführt werden, d.h. im Hauptsatz (Standard) wird ein Maß für x hinsichtlich irgendeiner Größendimension P (z.B. schnelligkeit oder grösse) festgelegt und für dieses Maß m gilt, dass alle möglichen Ausprägungen s von y auf der gleichen Größendimension geringer sind als m. Der Nebensatz (Referenz) restringiert m nach unten hin (bei einer Komparation vom Typ x runs less fast than y erfolgt die Begrenzung entsprechend nach oben hin). 17 Cf. Cresswell (1976) zitiert nach von Stechow (1984, 29). Einen Gradansatz vertreten auch Hellan (1981, 205ss.), und – daran anknüpfend – von Stechow, der in dem zitierten Beitrag die folgende Bedeutungsregel für den Komparativsatz formuliert (von Stechow 1984, 17): «Meaning rule for the comparative: |er| takes a property of degrees and gives us a nominal (in the sense of Montague) that applies to properties of degrees again. Let P, Q be any properties of degrees. Then |more|(P)(Q) is true iff (∃d1, d2, d3)[P(d2)&Q(d1)&d1 = d2+d3&d3 > 0].» 18 Cf. etwa Giannakidou (1998, 12ss.).
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Vergleichs- und Bezugswelten
«the licensing condition should be directly related to the meaning. A downward entailing function will be a licenser, because it creates an environment that satisfies the licensing condition, but it is not itself ‹the› condition (in the spirit of Kadmon & Landman 1993, Krifka 1994, 1995; Lahiri 1998).»19
Es soll also nicht bei einer Symptomatik, wie es das Kriterium der fallenden Monotonie darstellt, Halt gemacht werden, sondern vielmehr gilt es, die spezifischen semantischen Charakteristika der die NPI-Elemente (negative polarity items) lizensierenden Kontexte explizit zu machen. Verfeinert Zepter jedoch lediglich die Lizenzierungstypologie weiter, so entwickelt Giannakidou eine vollständige Theorie der (Nicht-)veridikalität ((non-) veridicality). Zepter plädiert im Falle von Komparativ- (sowie auch den Superlativsätzen) für eine Lizensierung von negativen Polaritätselementen nach dem Mechanismus des licensing along the scale. Demnach referieren NPIs auf skalare Endpunkte einer pragmatischen Skala (erinnert sei an Ausdrücke für minimale Einheiten wie a red cent, lift a finger, die den kleinsten Grad einer ontologischen Klasse («ontological sort») angeben). Entailment along a scale kann nun in der folgenden Weise bestimmt werden: «Assume the elements of a set X are all ordered relative to a scale S such that for all x, y ∈ X, either x ≥s y or y ≥s x. Assume further that some predicate φ is true of an element a, a ∈ X, where a is ordered above all other elements in X; that is, for all x ∈ X: a ≥s x. If the truth of φ (a) entails that φ is true for all elements X, then we want to call this entailment along a scale.»20
Entscheidend für das entailment along a scale ist also, dass die Wahrheit einer Formel φ (a) für ein Element a, das am höchsten auf der Bezugsskala angeordnet ist, notwendigerweise auch die Wahrheit dieser Formel für alle anderen, unterhalb angeordneten Elemente – along the scale – nach sich ziehen muss. Genau dieses leistet in der Interpretation Zepters nun ein negatives Polaritätselement wie any im Kontext des folgenden Komparativsatzes:21 (7) «The gardener is taller than any servant is.» (Zepter 2003, 200)
Das NPI besitzt nun die Funktion, im Rahmen eines skalaren Kontexts eine Untermenge δ(P) aus der Menge aller Diener (P = {servants}) herauszugreifen (oder wie der Linguist anschaulich formuliert: «to zoom in on a subset of P»). Die zentrale
19 Zepter (2003, 197). 20 Cf. Zepter (2003, 224). 21 Wir folgen der Argumentation Zepters (2003, 224s.).
Komparativsätze
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Leistung des negativen Polaritätselements ist also die Domänenrestriktion einer Grundmenge P. In δ(P) befinden sich nun die Kandidaten bzw. der Kandidat, die auf der Skala am höchsten im Vergleich zu den anderen Mitgliedern von P angesiedelt sind – δ (P) enthält also den tallest servant (oder die tallest servants, sofern mehrere Diener die gleiche Größe haben). –– δ(SERVANT) = TALLEST-SERVANT –– The gardener is taller than ∃x[[δ(Servant)](x) ∧ x is K-tall] Wenn nun aber der Gärtner größer ist als der größte der Diener (also das Element bzw. die Elemente der Teilmenge tallest-servant), dann muss der Gärtner auch größer als die anderen Diener aus der Grundmenge P sein. Es gilt also auch die folgende Allquantifikation: ∀x[SERVANT(x)} -> the gardener is taller than x is K-tall. Damit erweist sich die Ableitbarkeit einer universellen Aussage («entailment of a universal statement») als die eigentliche Lizensierungsbedingung für negative Polaritätselemente. Die logische Äquivalenz zu einer universellen Aussage ergibt sich – wie wir sahen – aus der existentiellen Quantifizierung über einen höchsten Punkt auf einer Skala. Gerade die existentielle Quantifizierung über den Maximalpunkt auf der Bezugsskala löst die universelle Interpretation im Hinblick auf alle anderen Punkte – entlang der Skala – aus.22 Giannakidou plädiert im Rahmen ihres eigenen semantischen Ansatzes für eine andere Lösung der Lizenzierungsproblematik als Zepter. Ihre Analyse von Polaritätselementen ist deshalb von großer Bedeutung, weil sie diese in Abhängigkeit von den globalen semantischen Eigenschaften des Vorkommenskontexts bestimmt und zudem ein Lizensierungsprinzip formuliert, dass weitgehend (aber wie wir sehen werden nicht völlig) auch der Modusdifferenzierung gerecht wird. Polaritätselemente sind kontextsensitiv, wobei Kontextsensitivität als eine Form der semantischen Abhängigkeit zwischen Polaritätselementen und semantischen Merkmalen des Kontexts verstanden werden kann – Giannakidou führt hierzu aus: «sensitivity is a form of semantic dependency, to be understood as a relation between PIs and context, which can be positive (licensing), or negative (anti-licensing). […]. The source of dependency is the lexical semantics of PIs, i.e. their sensitivity features, which in many cases are realized as morphological features.»23
22 Cf. zusammenfassend Zepter (2003, 226), mit einem weiterem, der Sache nach analogen Illustrationsbeispiel. 23 Giannakidou (1998, 23).
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Vergleichs- und Bezugswelten
So lassen sich Polaritätselemente anhand des Kriteriums der Kontextsensitivität folgendermaßen definieren: «Definition: Polarity item i. A polarity item α is an expression whose distribution is limited by sensitivity to some semantic property β of the context of appearance. ii. β is (non)veridicality.»24
Polaritätselemente werden durch bestimmte Ausdrücke des relevanten Vorkommenskontextes, sogenannte Trigger, lizensiert. Die Lizensierung eines Polaritätselements lässt sich allgemein definieren als: «Definition 9 (licensing, general format) (i) A polarity item α is licensed iff the context provides some expression γ which supplies the semantic property β which the proper interpretation of α depends on. (ii) γ is the trigger of α.»25
Das entscheidende semantische Merkmal, das durch einen lizensierenden Ausdruck (Trigger γ) bereit gestellt wird, ist die Eigenschaft der (Nicht-)Veridikalität. Wie wir im ersten Kapitel näher erläutert haben, ist (Nicht-)Veridikalität als relativierte (Nicht-)Veridikalität zu verstehen, also als (Nicht-)Veridikalität im Rahmen des epistemischen Modells eines Individuums (= individuellen Ankers). Die drei Ausprägungen des Veridikalitätskriteriums (veridisch, nicht-veridisch und antiveridisch) lassen sich zusammenfassend, wie folgt, bestimmen: «a propositional operator is veridical iff the truth of Op p in c requires that p be true in some individual’s model M(x) in c. An operator Op is nonveridical iff the truth of Op p in c does not require that p be true in some such model in c. Finally, a nonveridical operator Op is antiveridical iff the truth of Op p in c requires that p be false in some model M(x) in c. Antiveridical operators form a proper subset of the nonveridical (antiveridical ⊂ nonveridical) […].»26
So ist beispielsweise das Verb believe ein veridischer Operator, da aus «Frank believes that Peter is cute» im epistemischen Modell von Frank folgt: Peter is cute. Relativierte Veridikalität: believe: [[believe(Frank, p]]c = 1 -> [[p]]MB(Frank) =1
24 Giannakidou (1998, 17). 25 Giannakidou (1998, 22). 26 Giannakidou (1998, 112).
Komparativsätze
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Demgegenüber ist want ein nicht-veridischer Operator, denn aus «Frank wants Peter to be cute» folgt auch in Franks epistemischen Modell nicht, dass gilt: Peter is cute. want: [[want (Frank, p]]c = 1 -|-> [[p]]MB(Frank) = 1 Giannakidou differenziert in ihrem Ansatz zwischen den Polaritätselementen, die in der Fachliteratur üblicherweise als NPIs (negative polarity items) klassifiziert werden: Negative Polaritätselemente im eigentlichen Sinne treten in antiveridischen Kontexten auf, werden also von antiveridischen Operatoren wie etwa without oder before (in entsprechender Lesart) lizensiert. Sie lassen sich definieren als: Let c = be a context. A nonveridical operator Op is antiveridical iff it holds that: [Op p]]c = 1 -> [[p]] = 0 in some epistemic model M(x)∈c.27 Stark intensionale Verben (wie want oder wish), Superlative, Komparative, Modalverben, Imperative, negative Verben, Bedingungssätze, wh-Fragen und polare Fragen sind in Giannakidous verfeinerter Typologie charakteristische Operatoren bzw. Trigger(-kontexte) für affektive Polaritätselemente (APIs: affective polarity markers).28 Auch der Konjunktiv, der im Griechischen durch die Konjunktivpartikel na markiert wird, kann als ein Polaritätsmerkmal interpretiert werden, das für die Eigenschaft der Nichtveridikalität, die bestimmten Operatoren bzw. Triggerkontexten eigen ist, sensitiv ist. Zum Status des Konjunktivs als Polaritätselement merkt Giannakidou an: «veridicality appears to be the regulating factor in mood choice: subjunctive na is licensed only by nonveridical verbs […]. The subjunctive na itself can be thus regarded as a PI sensitive to nonveridicality (recall that na follows nonveridical connectives such as xoris ‹without›, and prin ‹before›)»29
Jedoch werden nicht alle affektiven Polaritätsmerkmale direkt, d.h. durch einen entsprechenden nicht-veridischen Operator lizensiert. Für die uns hier interessierenden Kontexte wie den Komparativ- oder den Superlativsätzen nimmt die Linguistin (wie im übrigen auch beim kontrafaktischen Konditionalsatz) einen
27 Giannakidou (1998, 112). 28 Cf. Giannakidous Typologie für das Griechische, in Giannakidou (1998, 163). 29 Giannakidou (1998, 116).
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indirekten Mechanismus der Lizensierung an, der auf einer negativen Implikatur beruht. «In certain cases, alpha may be licensed indirectly in S iff S gives rise to a negative implicature φ, and alpha is in the scope of negation in φ.»30
So analysiert sie den komparativen Beispielsatz mit dem API-Element anyone folgendermaßen: (8) «I Roxani etrekse telika grigorotera apoti perimene kanenas.» (Giannakidou 1998, 149) (ʽThe Roxane ran.3sg finally faster than expected.3sg anyoneʼ) (‘Finally Roxane ran faster than anyone expected’)
In dem Satz werden zwei Gradangaben – hier Schnelligkeitsgrade – zueinander ins Verhältnis gesetzt: Dabei assertiert der Satz, dass Roxane beim Laufen den Schnelligkeitsgrad g erreicht hat: a. Roxane ran g fast Er präsupponiert zugleich, dass es eine maximale Gradangabe k gegeben hat, die man im Allgemeinen höchstens der Roxane zugetraut hätte: b. k is the greatest degree that people expected Roxanne to run k fast. Der Satz implikatiert (so Giannakidous Deutung) schließlich, dass im Bezug auf die Erwartungen an Roxanes Schnelligkeit nicht gilt: Man traute Roxane den Schnelligkeitsgrad g zu: c. ¬[people expected Roxane to run g fast] Die Implikatur (c.) wird von Giannakidou als konventionell charakterisiert, weil sie anders als konversationelle Implikaturen nicht annulliert werden kann («not cancellable»), ohne einen Widerspruch zu erzeugen: (9) # Roxanne run faster than anyone had expected; in fact, everyone expected her to run as fast as she did.
Der konventionelle Charakter der Implikatur ergibt sich daraus, dass das Gemeinte (das zum wörtlich Gesagten Hinzukommende) seinen Ausgang bei der wörtlichen Bedeutung (also der Semantik) des Implikaturträgers nimmt (in diesem Falle der Komparativsatzkonstruktion) und sich im Zusammenspiel mit
30 Giannakidou (1998, 149).
Komparativsätze
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den übrigen Elementen des Satzes entfaltet.31 Deshalb kann eine konventionelle Implikatur nicht annulliert werden, ohne dass auch die wörtliche Bedeutung des Satzes tangiert wird. (Konversationelle Implikaturen ergeben sich aus den aussersprachlichen Kommunikationsbedingungen bzw. dem Redekontext im Einklang mit den Grice’schen Konversationsmaximen und können annulliert werden).32 more/-er ADJ than expected k-ADJ -> ¬[expect g-ADJ], wobei g > k Giannakidou stellt (unter anderem in Bezugnahme auf Seuren) nun auch die explizite Verbindung zwischen Polaritätselementen, der expletiven Negation und der für die Komparativ- und Superlativkonstruktion als kennzeichnend angesehenen konventionellen Implikatur her: «In many languages (expletive) negation actually appears in the than-clause (e.g. French and Italian […]). I argue that it is by virtue of this implicature that the clausal comparative allows for APIs.» 33
Mit diesem Hinweis sind wir bei den besonderen Verhältnissen im Französischen und Italienischen angelangt und wollen die Beziehung zwischen negativer Implikatur, expletiver Negation und – als eigentlicher Schwerpunkt des Gesamtkapitels – der Kategorie Modus in synchroner Perspektive genauer beleuchten.
5.1.2 Negative Implikatur, non/ne espletivo/explétif und Modus im heutigen Französisch und Italienisch Interessanterweise bringen auch die einschlägigen linguistischen Grammatiken des Französischen und Italienischen die expletive Negation mit einer impliziten Negation in Verbindung, die nicht weit von dem Gedanken einer negativen (konventionellen) Implikatur entfernt ist.
31 Cf. Kemmerling (1991, 321ss., insbesondere 325). Kemmerling verwendet den Terminus «konventionale» Implikatur. 32 Cf. Kemmerling (1991, 325s.). Es stellt sich die – im vorangegangenen Kapitel schon angedeutete – Frage, ob sich solche Inferenzen nicht besser unter einem weit gefassten lexikalischen Präsuppositionsbegriff subsumieren lassen, zumal der theoretische Status der sogenannten konventionellen Implikatur äußerst problematisch ist (cf. dazu Bach 1994; 1999). Auch lässt sich der Defaultschluss im Diskurs durch einen Widerspruch annullieren, etwa: «But I expected her to run as fast as she did!». 33 Giannakidou (1998, 152), cf. darüber hinaus auch Belletti in Renzi et al. (1991, vol. 2, 848).
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Vergleichs- und Bezugswelten
In der Grammaire méthodique du français (Riegel et al. 1994, 420) lesen wir unter dem Stichwort «Comparaisons d‘inégalité»: «Il est moins fort que tu ne le crois. Elle est plus intelligente qu’elle ne paraît. Dans ce cas, l’opinion ou l’état de choses exprimés dans la subordonnée introduite par que se trouvent négativisés par rapport à la vérité affirmée dans la principale, comme peut le montrer une paraphrase: Elle est plus grande que je ne le pensais équivaut à ‹Je ne pensais pas qu’elle fût aussi grande› [Herv. i. O.].»34
Die Grande grammatica di consultazione deutet das Expletiv als Indikator für die Kopräsenz zweier Propositionen – man könnte sagen: einer Oberflächenproposition, die der wörtlichen Bedeutung des Komparativsatzes entspricht und einer koverten Proposition, die der negativen Implikatur entspricht. In Wandruszkas Beitrag zur Subordination heißt es: «Il non espletivo indica che siamo in presenza dell’incrocio di due diverse costruzioni, ossia di due differenti prospettive. Una frase come A è più intelligente che (non) sia B può essere messa in relazione con: a) A è più intelligente di B e b) B non è così intelligente come A; corrispondentemente: É più intelligente che io (non) credessi va ricondotta a: Io non credevo che fosse così intelligente [Herv. d. Verf.].»35
Im Italienischen fällt nun zusätzlich die Korrelation zwischen dem non espletivo in Komparativsätzen und dem konjunktivischen Modus besonders auf. In dem entsprechenden Kapitel der Grande Grammatica wird diese Korrelation in einer Art Faustregel festgehalten «Se il secondo termine di paragone in una comparazione di disugualianza è rappresentato da un’intera frase, il verbo di questa appare di regola al congiuntivo ed è accompagnato il più delle volte da un non espletivo: [...].»36
Jedoch ist auch der Indikativ «in uno stile meno formale» nicht grundsätzlich ausgeschlossen.37 Über das grundsätzliche Verhältnis zwischen dem non espletivo und den Modi Congiuntivo und Indicativo merkt Belletti in der Grande Grammatica an:
34 Riegel et al. (1994, 420). 35 Wandruszka in Renzi et al. (1991, vol. 2, 459). Ganz explizit von einer implicitazione pragmatica negativa sprechen Manzotti/Rigamonti in ihrem Beitrag zur Negation im Italienischen, cf. Manzotti/Rigamonti in Renzi (1991, vol. 2, 298). 36 Wandruszka in Renzi et al. (1991, vol. 2, 459). 37 Wandruszka in Renzi et al. (1991, vol. 2, 459).
Komparativsätze
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«La negazione espletiva è sempre possibile nelle comparative che possano essere al modo congiuntivo (independentemente che lo siano nel caso specifico (cfr. (54)), mentre è sempre impossibile nelle comparative che non possono essere al congiuntivo.»38
Nach dieser etwas sybillinisch anmutenden Formulierung sind potentielle konjunktivische Kontexte auch Vorkommenskontexte des non espletivo, woraus sich ableiten lässt, dass potentielle und tatsächliche konjunktivische Kontexte offenbar ein semantisches Merkmal bzw. eine semantische Eigenschaft enthalten, das/ die auch für die expletive Negation relevant ist. Nun weisen die im heutigen Italienisch verfügbaren Komparativausdrücke der Ungleichheit eine Reihe interessanter Unterschiede auf, die uns in einem eigenen Unterkapitel auch in diachroner Hinsicht beschäftigen sollen. Im Gegensatz zu den übrigen Komparativkonstruktionen ist der Indikativ bei di quello che allgemein üblich. Begründet wird dies damit, dass die «frase comparativa ... che p dipende da un pronome dimostrativo che definisce un quantum [Herv. d. Verf.] determinato»39 – wie in dem Beispiel: (10) «Gianni si è mostrato più adatto a questo incarico di quello che speravamo.» (Belletti in Renzi 1991, vol. 2, 838)
Bei di quanto hingegen ist der Congiuntivo üblich, wobei der Indikativ «in uno stile dimesso» als durchaus zulässig charakterisiert wird. Anders als bei di quello che gilt hier die Verwendung des non espletivo als üblich («comune»). Das Element quanto wird als «forma pronominale aggettivale» «identica a quella usata nelle frasi interrogative dirette o indirette [...] e nelle frasi relative con pronomi indipendenti» charakterisiert.40 Belletti kennzeichnet den durch die Konjunktion di quanto eingeleiteten Nebensatz als eine subordinata avverbiale.41 Wir führen ebenfalls ein Beispiel aus der Grande Grammatica an: «(Quanto): ‹Come già il SN, anche la frase è introdotta dalla preposizione di obbligatoriamente seguita da quanto; la frase è al modo congiuntivo o, in uno stile dimesso, all’indicativo (v. VIII.3.3).›»42
Beispiele: (11) «Gianni si è mostrato più adatto a questo incarico di quanto sperassimo/speravamo.» (Belletti in Renzi 1991, vol. 2, 838)
38 Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 845s.). 39 Wandruszka in Renzi (1991, vol. 2, 459); ähnlich Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 838). 40 Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 838). 41 Cf. Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 849). 42 Cf. Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 838).
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Vergleichs- und Bezugswelten
(12) «Gianni ha scritto più articoli di quanti/? quanto tu (non) creda.» (Belletti in Renzi 1991, vol. 2, 839)
Bei der Vergleichskonstruktion der Ungleichheit mit che ist die Verwendung des non espletivo (ähnlich wie bei di quanto) in der Regel möglich, wenn auch nicht immer empfehlenswert.43 Gleiches gilt für den Gebrauch des Congiuntivo, obwohl auch hier «in uno stile meno formale» der Indikativ (dann aber stets in Verbindung mit dem non espletivo) zumindest nicht ausgeschlossen ist. Ein Beispiel: (13) «Antonio è più intelligente che io non credessi/che non credevo.» (Wandruszka in Renzi 1991, vol. 2, 459)
Im Italienischen scheinen sich die Komparativsatz einleitenden Ausdrücke che, di quanto und di quello che offenbar aus strukturellen Gründen hinsichtlich ihrer Fähigkeit zu unterscheiden, ein non espletivo bzw. eine konjunktivische Kon struktion zuzulassen, wobei der Analyse des Status von quanto und quello/quel eine zentrale Rolle zukommt. Außerdem zeichnet sich eine offenbar starke Korrelation zwischen dem Congiuntivo und dem non espletivo ab, ohne dass damit aber eine Obligatorik für eines der beiden Elemente oder gar ihrer Kopräsenz verbunden wäre. So gilt die Verwendung des Congiuntivo in Verbindung mit di quanto und che zweifellos als normkonform, hängt de facto aber wohl auch von registerspezifischen Gesichtspunkten ab. Ebenso scheint die Verwendung des non espletivo üblich zu sein, wobei sich die Autoren der relevanten Kapitel in der Grande Grammatica (Wandruszka und Belletti) um keine genauere Spezifizierung der Vorkommensregeln bemühen. Demgegenüber weisen Manzotti/Rigamonti in ihrem Beitrag zur Negation dem non espletivo die Funktion zu, «di segnalare una implicitazione pragmatica negativa»44 und auch Ramat (2002) hebt in einem jüngeren Beitrag hervor, dass Vergleichssätze mit einem Expletivelement «contengono implicitamente una negazione del secondo termine di paragone (o meglio della sua proprietà P)».45 In den unterschiedlichen Beiträgen zu den Vergleichssatzkonstruktionen deutet sich lediglich eine normative Hierarchie an: Die normativ am höchsten bewertete, empirisch allerdings nicht unbedingt häufigste Lösung, ist die doppelte Markierung durch den Congiuntivo und das
43 Belletti präzisiert jedoch diese Einschätzung nicht weiter, cf. Belletti in Renzi (1991, vol. 2, 848). 44 Manzotti/Rigamonti in Renzi et al. (1991, vol. 2, 298). Die Autoren bleiben aber eine Erklärung für ihre Charakterisierung der «implicitazione negativa» als pragmatisch schuldig. 45 Ramat (2002, 228).
Komparativsätze
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non espletivo. Es folgt die Verwendung des Congiuntivo ohne das non espletivo. Hinsichtlich der Akzeptabilität als problematisch eingestuft, aber doch nicht als ungrammatisch angesehen, wird die Verwendung von non espletivo ohne den Congiuntivo. Die normative Skala im heutigen Italienisch sieht also folgendermaßen aus: Non espletivo + Congiuntivo > nur Congiuntivo > non espletivo + Indicativo.46 Nun wird in allen Beiträgen zu den Vergleichskonstruktionen immer wieder auf die bestehende Kookkurrenz von non espletivo und konjunktivischem Modus, insbesondere bei den Komparativkonstruktionen mit che und di quanto im heutigen Italienisch, hingewiesen, ohne dass sich die Autoren um eine Erklärung bemühen. Leisten beide Elemente das gleiche, stellen sie also auf unterschiedliche Weise, lexikalisch bzw. morphologisch, die dem Vergleichssatz jeweils zugrundeliegende negative Implikatur (bzw. Inferenz) heraus? Oder elaborieren die beiden Verfahren gemeinsam, aber in komplementärer Akzentuierung der Funktionen, das disparate Vergleichsschema sprachlich? Dieser Frage werden wir in diesem Kapitel unter einer synchronen und diachronen Perspektive im Weiteren nachgehen. Zunächst lohnt sich ein Blick auf andere charakteristische Vorkommenskontexte, in denen die beiden Elemente, die expletive Negation und der konjunktivische Modus, gemeinsam vorkommen. In dem nun schon klassischen Beitrag E. Manzottis zur Negazione espletiva in italiano von 1980 werden verschiedene solcher Kontexte behandelt. Wir greifen nur einen besonders aufschlussreichen exemplarisch heraus, nämlich Temporalsätze, die durch die Konjunktion fino che eingeleitet werden:47
46 Zu einem gleichen Ergebnis hinsichtlich der normativen Rangigkeit der Varianten gelangen auch Napoli/Nespor (1976, 831s.). 47 Cf. die Übersicht bei Manzotti (1980, 277s.), der insbesondere die folgenden Vorkommenskontexte näher charakterisiert: a) Direkte und indirekte Exklamativsätze (vor allem mit quanto: «Quante preoccupazioni non ci ha dato!») b) Schwache Optativsätze vom Typ: «Chissà che Angela non arrivi domani!» c) Indirekte Fragesätze mit positiver Erwartungshaltung hinsichtlich der Antwort: Mi domando se Angela non sia già partita. d) Nicht realisierte Imminenz: per poco non ci investiva. e) Temporale Nebensätze, die durch finché und fino a che etc. eingeleitet werden («Ha battuto a macchina fino a che non è venuta Angela a prenderla»). f) Weitere Nebensätze wie etwa des Typs a meno che, tranne che, senza che, appena und prima che in abwertender Lesart («Avvertilo subito, prima che non ne combini qualcuna delle sue»).
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Vergleichs- und Bezugswelten
Nebensätze mit durativen Verben – wie etwa telefonare (- telisch, + durativ) – besitzen ohne spezifizierenden Kontext grundsätzlich zwei Lesarten, wie das Beispiel (14) «Rimaniamo qui fin che lui telefona.»48
illustriert – und zwar: –– eine egressive Lesart, die paraphrasiert werden kann als: (15) «Rimaniamo qui fin che lui smette di telefonare.»
–– eine ingressive Lesart: (16) «Rimaniamo qui fin che lui comincia a telefonare.»
Den beiden Lesarten entsprechen die Inzidenzschemata a) und b)49 a) egressiv: p q
b) ingressiv: p
... .
... .
Rt
Rt
Das Besondere an diesem Beispielfall ist nun aber die charakteristische Korrelation zwischen den verschiedenen Elementen: Sobald nämlich entweder ein non espletivo oder ein Congiuntivo oder eine Kombination aus beiden verwendet wird, ist nur noch die zweite, also ingressive Lesart möglich: Es gilt also:50
48 Für die Beispiele 14–16 cf. Manzotti (1980, 299s.). 49 Cf. Manzotti (1980, 303s.). 50 Cf. Manzotti (1980, 303 sowie zusammenfassend 305).
Komparativsätze
493
a) Rimaniamo qui fin che lui non telefona. b) Rimaniamo qui fin che lui telefoni. fin che lui comincia a telefonare => c) Rimaniamo qui fin che lui non telefoni. (Schema) Im egressiven Fall gilt für das gesamte Zeitintervall T (als Menge von Zeitpunkten {t1, t2, ..., tn}, in dem p wahr ist, dass auch q wahr ist. Oder mit anderen Worten: In dem vom Sprechzeitpunkt absehbaren Zeitraum T gilt sowohl p als auch q. Bei der ingressiven Interpretation hingegen gilt: p hat nur Geltung, solange q nicht gilt. p und q verhalten sich im zweiten Falle also komplementär: p ist mithin in einem – vom Sprechzeitpunkt aus absehbaren – Zeitintervall wahr, in dem q falsch ist. Die der Lesart b zugrundeliegende negative Implikatur ließe sich etwa folgendermaßen paraphrasieren: Solange p, ¬q: mentre lui non telefona, rimaniamo qui. Besonders komplex stellen sich die Verhältnisse bei Verben des Typs arrivare, die punktuelle Ereignisse (+ telisch, – durativ) kennzeichnen, dar. Bei ihnen besteht nämlich die Möglichkeiten einer doppelten Interpretation der Negationspartikel non: in dem Beispielsatz (17) «Non andiamocene di qui finché lei non sia arrivata.»
kann non sowohl als Expletivum als auch als volle Negation gelesen werden: Im ersten Falle liegt das folgende Inzidenzschema, bei dem q (essere arrivata) den Wahrheitswert 0 besitzt, solange der Wahrheitswert von p wahr ist, zugrunde. Es gilt also wiederum: mentre p, ¬q. (18) «Non andiamocene di qui finché lei non sia arrivata.»
p q
... . Rt
Die volle Negation, die genau der negativen Implikatur entspricht, markiert den komplementären Bereich im Inzidenzschema, d.h. solange p wahr ist, ist auch ¬q wahr: (19) «Non andiamocene di qui finché lei non sia arrivata.»51
51 Cf. Manzotti (1980, 308).
494 p ¬q
Vergleichs- und Bezugswelten
... . Rt
Lediglich die Kombinatorik mit Polaritätselementen löst die doppelte Interpretationsmöglichkeit auf: Mit positiven Polaritätselementen kann non nur expletiv interpretiert werden – was im Übrigen zeigt, dass die negazione espletiva – je nach Kontext – prinzipiell sowohl mit positiven (wie im folgenden Beispiel) als auch mit negativen (etwa im Falle des Vergleichs der Ungleichheit) elementi a polarità kombinierbar ist. Ein Beispiel: (20) «Hanno continuato con lo scherzo fino a che Angela non si è accorta di qualcosa (mit non espletivo).»52
Auch in dem letzten Beispiel – wieder mit der Verbindung aus non espletivo und dem Congiuntivo – wird in Manzottis Interpretation auf das Eintreten von q nach p (also wieder die Gültigkeit ¬q, solange p) fokussiert:53 (21) «Non andiamocene di qui finché lei non sia arrivata.»
Die von Manzotti detailliert beschriebene Verteilung der Phänomene zeigt sehr deutlich, dass die expletive Negation stets in Kontexten auftritt, die eine negative Implikatur auslösen. Dabei profiliert das non espletivo jeweils den zur Geltungszone eines Prädikats komplementären Negativbereich, in dem das Prädikat (noch) nicht zutrifft. In ambigen Kontexten – wie etwa in Verbindung mit der Konjunktion finché – leistet es auch einen maßgeblichen Beitrag zur Lesartendisambiguierung, wobei die Auflösung jeweils im Sinne einer Profilierung des negativen Komplementärbereichs (also im Sinne einer negativen Implikatur) erfolgt.54 Der konjunktivische Modus mag aufgrund der bestehenden Kookkurrenz zunehmend mit der expletiven Negation identifiziert werden. Allerdings lässt sich die Verwendung des Congiuntivo in den angeführten Kontexten aber auch völlig autonom im Rahmen des bestehenden Modussystems motivieren. Der Congiuntivo markiert in den temporalen Beispielsätzen jeweils die Unbestimmtheit des Eintretens von q. Mit anderen Worten: Er zeigt an, dass der Index bzw. die Menge der Indizes, an denen q wahr ist, zum Sprechzeitpunkt noch nicht bestimmt ist.
52 Cf. Manzotti (1980, 310). 53 Cf. Manzotti (1980, 310). 54 Nicht wesentlich abweichend ist die Analyse bei Nocentini (2003, 85ss.). Zur historischen Entwicklung des non espletivo im Kontext von finché cf. den Aufsatz von Ageno 1955.
Komparativsätze
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Eine pragmatische Interpretation der Kookkurrenz von expletivem Element und konjunktivischem Modus, also im Sinne einer Sprecherstrategie, haben Napoli/Nespor (1976) am Beispiel der Komparativkonstruktion mittels di quello che und später Nocentini (2003) in einer umfassenden Perspektive versucht.55 Napoli und Nespor versuchten etwa nachzuweisen, dass non + Congiuntivo an die Vermutung des Sprechers gebunden ist, möglicherweise mit seiner Äußerung einer im Raum stehenden Auffassung (meist des Gesprächspartners, aber nicht notwendigerweise) zu widersprechen.56 Diese als Einschränkungsbedingung fungierende Sprecherannahme beruht auf den Inferenzen, die der Sprecher aufgrund des Redekontexts gewonnen hat. In diesem Zusammenhang sprechen Napoli/Nespor auch von einer «pragmatischen Präsupposition» (und meinen damit eine kontextuell gewonnene Annahme seitens des Sprechers). Mit dieser pragmatischen Bedingung entfallen konsequenterweise die folgenden Kontexte als möglicher Rahmen für eine expletive Negation (im Verbund mit dem Con giuntivo):57 Kontexte, in denen der Gesprächspartner seine adverse Auffassung unmissverständlich (also explizit) artikuliert und damit jegliche pragmatische Inferenzziehung unnötig macht – Beispiel: (22) Dario: Maria ha continuato a dire sciocchezze. É proprio cretina, sai? Paolo: Ma ti sbagli! Conosco Maria molto bene ed è più intelligente di quanto tu credi/?? non creda.
Kontexte, in denen der Sprecher die Auffassung seines Gesprächspartners teilt sowie Kontexte, in denen der Sprecher seine Auffassung äußert, ohne dass schon ein anderes doxastisches Modell (etwa des Gesprächspartners) in das Gespräch eingeführt wurde: (23) Dario: Dimmi cosa pensi di Maria e Carlo. Paolo: Maria è più intelligente di quanto è (?? non sia) Carlo, ma lui è molto più simpático.
Fragekontexte, da hier ebenfalls kein auf dem Wege (pragmatischer) Inferenzziehung abgeleitetes doxastisches Modell zur Debatte steht:
55 Auch Ramat (2002, 228) erwähnt diese Korrelation als selbstverständliches Faktum: «L’impiego della marca negativa comporta di norma l’uso del congiuntivo» und führt das als problematisch markierte Beispiel («*? Gianna è più grande di quello che non pensavo [Herv. i. O.]») an. 56 Cf. Napoli/Nespor (1976, 812: «Non2 appears when the speaker is assuming, but has not been told explicitly (and therefore is not entirely sure), that the assertion of the comparative is contradictory to some previously held belief (most often the belief of the listener, but not always)»). 57 Für das Folgende cf. Napoli/Nespor (1976, 812–815).
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(24) Non è più intelligente di quanto è Carlo? (*di quanto non sia Carlo?)
Anders stellt sich der folgende Kontext dar, in dem Paolo die Einstellung Darios zu Maria erst aus dessen Äußerung inferiert – es handelt sich um eine «pragmatische Präsupposition», da Dario ja nicht explizit sagt, dass er Maria für dümmlich hält: (25) Dario: Non ho capito per niente quest’ultima lezione, comunque non credo che valga la pena di chiedere aiuto a Maria. Paolo: Secondo me fai male, dovresti chiederglielo. Maria è più intelligente di quanto tu non creda ((?) credi).
Neben dem Präsuppositionserfordernis ist jedoch noch auf eine weitere Bedingung für die Lizensierung des non espletivo (wieder in Verbindung mit dem Konjunktiv) hinzuweisen: Der Grad der Ungleichheit zwischen den beiden Vergleichstermen muss unbestimmt sein. Dies ist beispielsweise nicht der Fall in dem Illustrationsbeispiel (26) – hier wird sogar genauestens quantifiziert –, aber auch nicht im Beispielsatz (27), bei dem der Abstand der verglichenen Grade d1 und d2 (bzw. ihrer Intervalle) als molto taxiert wird:58 (26) «Maria è due metri più alta * di quanto non sia Carlo.» (27) «Maria è molto più intelligente * di quanto non sia Carlo.»
Napoli/Nespor sehen in dem non espletivo (und dem hiermit kookkurierenden konjunktivischen Modus) ein «bona-fide negative»,59 das auf einer Widerspruchsvermutung des Sprechers beruht. Der Sprecher inferiert also aus dem Gesprächskontext, dass sein Gesprächspartner eine gegenteilige Auffassung zu einem Sachverhalt p besitzt. Er möchte aber seinem Gesprächspartner nicht ausdrücklich eine Einstellung unterschieben, die dieser gar nicht explizit geäußert hat. (Der Sprecher hält sich gewissermaßen an die Grice’sche Qualitätsmaxime, d.h. er behauptet nichts, wofür er letztlich nicht bürgen kann). So überlässt er es dem Hörer, die negative Implikatur im Rahmen seines eigenen doxastischen Modells zu behandeln, und zwar in qualitativer wie quantitativer Hinsicht (Beurteilung des Grades der Abweichung). Um das Beispiel zu Marias Intelligenz noch einmal aufzugreifen: In Beispielsatz (28) wird also einfach die Sprechervermutung lanciert, dass der Gesprächspartner nicht an den gleichen Intelligenzgrad d glaubt wie der
58 Beispiele zitiert aus Napoli/Nespor (1976, 819). 59 Napoli/Nespor (1976, 836).
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Sprecher. Der Abweichungsgrad bleibt aber unbestimmt und es liegt nun am Sprecher, sich hierzu zu äußern (oder auch nicht): (28) Assertion des Sprechers: Maria è più intelligente di quanto non creda.
Präsupposition des Sprechers: ¬[credere (INTERLOC, Maria è d1-intelligente)], dabei bleibt das Differential d1-d2 unbestimmt. Nocentini (2003) versucht den pragmatischen Status des non espletivo (und damit zugleich auch des Congiuntivo) noch allgemeiner, zugleich aber auch differenzierter zu etablieren. So unterscheidet er zunächst zwischen einem semantischen und einem pragmatischen Gebrauch der Negation: Diese lässt sich seiner Auffassung nach nicht lediglich als Anwendung des Negationsoperators auf eine Proposition verstehen, sondern ist als die Zurückweisung einer Proposition, die direkt, also ausdrücklich, aber auch indirekt erfolgen kann, zu interpretieren. Im zweiten – pragmatischen – Falle weist die Negation auf eine implizite, als presupposto dem Zurückweisungsakt zugrundeliegende, Proposition. Ein anschauliches Beispiel für den Fall einer expliziten Zurückweisung stellt etwa die Verwendung von (eigentlich nicht expletivem)60 non in rhetorischen Fragen dar: (29) non vorrai mica uscire con questo freddo?
Hier wird die zugrundeliegende Proposition x vuole uscire con questo freddo zurückgewiesen – dabei markiert das non der rhetorischen Frage die sogenannte «polarità ricusativa».61 Als typische Vorkommensdomäne für eine indirekte (in seiner Diktion «pragmatische») Zurückweisung stellt Nocentini den Komparativsatz heraus. So erklärt er die Modusopposition in dem Beispielsatzpaar (30) «la strada è più pericolosa di quel che tu non creda.» (31) «la strada è più pericolosa di quel che tu credi.»
in Analogie zu Fragesätzen der italienischen Umgangssprache mithilfe einer «pragmatischen Präsupposition»: So wie sich bei dem Fragesatzpaar (a) «ce l’hai una penna da prestarmi?» / (b) «non hai/avresti mica una penna da prestarmi? Existenz- (a) und Nichtexistenzpräsupposition (b) gegenüberstehen, so »unterscheidet sich auch die Kombination aus non + Congiuntivo von ihrer Indikativ-
60 Cf. Nocentini (2003, 88). 61 Cf. Nocentini (2003, 73s.).
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variante durch die in ihr enthaltene «presupposizione negativa», deren Funktion es ist, die illokutionäre Kraft des Komparativsatzes abzumildern. Diese Schwächung des Behauptungscharakters («il valore assertivo») des Vergleichssatzes durch Evokation einer «presupposizione negativa» soll im Sinne einer Höflichkeitsstrategie wirken.62 Unklar bleibt allerdings, wie genau die «presupposizione negativa» lautet. Entspricht sie der obigen Formel ¬ [credere’ (TU, p)], so haben wir es hier lediglich mit einer terminologischen Frage zu tun: ob nämlich der zugrundeliegende Mechanismus als negative Präsupposition oder als negative Implikatur charakterisiert werden sollte. Wie unsere Übersicht über die Forschungsdiskussion zum non espletivo gezeigt hat, plädieren alle Autoren für die Interpretation des Negationselementes im Sinne einer negativen Implikatur. Allerdings sind sie sich uneins über ihren Status: Während Manzotti (1980) und Ramat (2002) für den semantischen Charakter der negativen Implikatur im Kontext des Vergleichssatzes plädieren, stellen Napoli/Nespor (1978) und Nocentini (2003) auf ihren pragmatischen Stellenwert ab. Vor allem aber ist die Forschung wenig explizit, was den Status und die Funktion des konjunktivischen Modus in diesen Kontexten anbelangt. Sowohl bei Manzotti (etwa in der Analyse von finchè) als auch bei Ramat (2002) erscheint er als absolut selbstverständliches, konkomitantes Element im Kontext der negativen Implikatur (cf. etwa nochmals Ramat (2002, 228): «L’impiego della marca negativa comporta di norma l’uso del congiuntivo»). Aber auch bei Napoli/ Nespor (1978) und Nocentini (2003) erscheint die als Oppositionspaar herausgestellte Kombinatorik ∅ + Indicativo sowie non espletivo + Congiuntivo als derart selbstredend, dass sie gar nicht erst zum Untersuchungsgegenstand gemacht wird. Wir können im Rahmen dieser Arbeit die Problematik der engen Korrelation von non espletivo und Congiuntivo nicht abschließend diskutieren. Wir werden aber im diachronen Untersuchungsteil zum Italienischen aufzeigen, nach welchen Prinzipien sich die Modusselektion in den Vergleichssatzkonstruktionen im historischen Längsschnitt entwickelte und wie sich – zumindest in den Grundzügen – das heutige Modussystem in dieser Domäne herausbildete. Dabei soll deutlich werden, wie sich der konjunktivische Modus zwischen autonomem Eigenwert und zunehmender Identifikation mit den typischen Vorkommenskontexten des non espletivo entfaltet hat. In den folgenden Kapiteln wollen wir uns also mit der Entwicklung des Modus im französischen und italienischen Komparativsatz ausführlicher beschäftigen und werden dabei sehen, dass die Verhältnisse in den älteren Sprachstufen
62 Nocentini (2003, 81).
Komparativsätze
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zunächst deutlich anders akzentuiert waren als im heutigen Italienisch und Französisch.
5.1.3 Entwicklung der Kategorie Modus im französischen Komparativsatz 5.1.3.1 Der Vergleichssatz der Ungleichheit im Altfranzösischen Sieht man von den sporadischen Hinweisen bei Moignet und Wunderli ab, so hat sich vor allem Ponchon (1998) mit dem Problem der Modusvariation im altfranzösischen Komparativsatz der Ungleichheit befasst.63 In seinem – hinsichtlich der analytischen Diktion stark guillaumistisch gefärbten – Beitrag stellt er sprachliche Symptomatik einerseits und intentional-pragmatische Motivation andererseits nebeneinander, wobei ein einheitlicher Zusammenhang – jenseits des guillaumistischen «Überbaus» – nicht so recht deutlich wird. Auf der sprachlichsymptomalen Ebene scheinen sich fünf grundlegende Korrelationen zwischen charakteristischen sprachlichen Kontexten des Disparitätsvergleichs und dem konjunktivischen Modus feststellen zu lassen: –– Die Abwesenheit des Komplementierers begünstigt offenbar das Auftreten des Subjonctif, wie das folgende, dem Beitrag Ponchons entnommene Beispiel zeigen soll:64 (32) «Mais ele cort entre deux grans rochiers / Qui plus sont dur ne soit fer ne achier: […].» (Ogier 8132, zitiert nach Ponchon 1998, 23)
–– Der Konjunktiv tritt signifikant häufiger im Falle einer Modifikation des Adjektivs durch ein hyperbolisches und/oder subjektivierendes Adverb auf: (33) «Si aroit Dex qui est molt plus / Que ne soit rois ne quens ne dus.» (Ille, 3527 P, zitiert nach Ponchon 1998, 24)
–– Eine «Hypercharakterisierung» («surcaractérisation») durch einen originellen Vergleich begünstigt den Subjonctif. Wie wir im Weiteren noch sehen werden, bewegen sich Vergleiche im Altfranzösischen zumeist im Rahmen fester Stereotype («clichés»), die einen fast idiomatischen Status besitzen. Dabei wird dem jeweiligen Adjektiv eine charakteristische, oftmals prototypische Vorkommens- oder Manifestations-Entität zugeordnet. Während der
63 Ponchon (1998, 17ss.). 64 Die folgenden Beispiele entstammen, soweit nicht anders gekennzeichnet, aus Ponchons Beitrag.
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Vergleich im modellhaften Kontext im indikativischen Modus erscheint, wird der exzeptionelle Vergleich durch den Konjunktiv ausgewiesen. In dem folgenden Beispiel macht das Epitheton esmeré aus dem Bezugsnomen einen «überoptimalen» Vertreter der Vergleichskategorie «cristal»: (34) «Enmi avoit .I. fontainne, / Dont li ruissaus estoit plus clers / Que ne soit cristaus esmerés.» (Rigomer 17268, zitiert nach Ponchon 1998, 26)
Besonders anschaulich ist auch das folgende Beispiel, bei dem der stereotype Vergleichsfall (plus blanche que laine) noch durch einen hyperrealen Vergleichsterm (blanche laine) übertroffen wird: (35) «La char avoit plus blanche que ne soit blanche laine / Et les cheveus plus blons que onques n’ot Elaine.» (Berte 1277, zitiert nach Ponchon 1998, 27)
–– Der Nullartikel weist eine klare Affinität zum Subjonctif auf. Der Vergleichsterm wird in diesem Falle generalisiert bzw. hinsichtlich seiner Geltungsdomäne als universell gekennzeichnet – man vergleiche das folgende Kontrastpaar: (36) «Garin II, 89, 6: Moult ot saigné, si fu descouloris, / Il fu plus blans que ne soit fleur de lis.» (37) «Garin I, 297, 12: Li palefrois sor quoi la dame siet / Estoit plus blans que n’est la flor de lis […]» (zitiert nach Ponchon 1998, 27)
–– Die Modifikation des Vergleichsterms durch eine Umstandsangabe (zumeist in Form einer Präpositionalphrase) korreliert stark mit dem Indikativ. Hierbei wird die Domäne des Vergleichs durch Restriktion eingegrenzt. In dem nachfolgenden Beleg etwa reduziert sich die Vergleichsdomäne auf Exemplare der Vergleichskategorie zu determinierten Zeitpunkten: (38) «A grant paine puet croire que ce puist estre cele / Qui en l’ardant fornase a tant esté enclose, / Car plus est clere et bele qu’en mai n’est fresche rose.» (Coinci Christine 3138, zitiert nach Ponchon 1998, 28)
Weitere Okkurrenzen des Subjonctif im Vergleichssatz der Ungleichheit leitet Ponchon aus der Realisierung sprecherspezifischer Intentionen ab. Die angeführten pragmatischen Strategien laufen allerdings darauf hinaus, dass der Sprecher dem Vergleichsterm ein schwaches, verschwommenes bzw. wenig prominentes Profil verleihen möchte. So kann er – erstens – auf den Subjonctif rekurrieren, um den Vergleichsterm als weniger effektiv bzw. real zu kennzeichnen (das Motiv der «atténuation»):
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(39) «‹– A ! fait ele, je ne quit mie que vous m’amé tant con vos dites; mais je vos aim plus que vos ne faciés mi›.» (Aucassin XIV, 16, zitiert nach Ponchon 1998, 29)
Desweiteren kann der Sprecher durch den Moduswechsel einen Kontrast elaborieren und dabei den Vergleichsterm als Antithese erscheinen lassen (Effekt der «contradiction»): (40) «Adonc estoient li boschage / Dedenz Champaingne plus sauvage / Et li païs, que or ne soit.» (Vair 79, zitiert nach Ponchon 1998, 31)
Der Vergleichsterm kann – drittens – innerhalb eines Vergleichs der radikalen Ungleichheit bis zu seiner faktischen Annulierung abgeschwächt werden («annihilation»). In dem angeführten Beispiel verschwindet das zum Gegenstand des Vergleichs gemachte Individuum gleichsam vor dem Absoluten: (41) «Bien sai l’espee est fors et roide, / mais Dius qui mist vertus en pieres, / qui precïeuses sont et cieres, / est molt plus fors que il ne soit; / il dit molt bien que dire doit.» (Éracle 1215, zitiert nach Ponchon 1998, 21).
Schließlich erscheint der Subjonctif bei dem Verb dire in Kontexten der diskursiven Aussparung («prétérition»), mit anderen Worten: Der Sprecher weist darauf hin, dass er darauf verzichtet, einen Vergleichsterm im discours zu elaborieren. Der Vergleichsterm bleibt auf diese Weise letztlich inhaltlich unbestimmt. (42) «Et assés plus le laidenga que je ne vous die ore.» (Ernoul, 452, zitiert nach Ponchon 1998, 32)
Die von Ponchon nach unterschiedlichen Klassen und Ebenen angeordneten Vorkommensfälle des Subjonctif in alt- und mittelfranzösischen Texten lassen sich einheitlicher mit unserem Instrumentarium beschreiben. Auch lässt die Untersuchung der uns verfügbaren Korpora des Alt- und Mittelfranzösischen ein etwas realistischeres Bild hinsichtlich des Subjonctifgebrauchs entstehen. So sind Vergleichskontexte, in denen der Subjonctif verwendet wird, äußerst selten und – vor allem im Mittelfranzösischen – auf bestimmte Autoren beschränkt. Auch ist der Verweis auf eine zugrundeliegende negative Implikatur, wie sich zeigen wird, keine hinreichende Erklärung für den Konjunktiv im alt- und mittelfranzösischen Vergleichssatz. Diese Erklärungshypothese besitzt hingegen große Plausibilität im Hinblick auf die expletive Partikel ne, die gleichsam als overter Marker der zugrundeliegenden negativen Implikatur fungiert. Der Schlüssel zum Verständnis der Modusalternation im Alt- und Mittelfranzösischen liegt hingegen in der Konzeption und Charakterisierung der Vergleichswelten. Dabei ist ihre Struktur und Verankerung in einem Welt-Zeit-System für die Wahl des Modus ausschlaggebend.
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Der Indikativ Präsens ist in diesem System nicht nur die charakteristische Verbalmarkierung für die Verankerung einer Sachverhaltsbeschreibung in der aktuellen Welt w0, sondern auch für alle Welten, in denen die Dinge ihren «normalen» Lauf nehmen bzw. so sind, wie sie typischerweise zu sein haben. Kratzer und andere haben solche Welten – in anderem Zusammenhang – durchaus treffend als stereotypen Redehintergrund charakterisiert. Nehmen wir zum Beispiel einen charakteristischen Vergleichsterm wie er in (43) «les denz plus blanches que n’est nois» (narB, 77)
auftritt: Die Vergleichsentität Schnee mag zum Sprechzeitpunkt in der aktuellen Welt nicht unbedingt weiß sein – etwa, weil er gerade taut und sich mit Straßenschmutz vermischt. Aber in seiner typischen («stereotypen») Form kommt ihm das Attribut der «Weißheit» zu. Die weiße Farbe ist also kein kontingentes Merkmal des Schnees, sondern sie ist ihm substantiell inhärent. Der Vergleichssatz que nois n’est blanches beschreibt also einen Sachverhalt, der in allen Welten wahr ist, in denen Dinge sich idealtypisch ihrem Wesen nach verhalten bzw. ihren prototypischen Eigenschaften entsprechen. Der Vergleichssatz setzt mithin eine stereotype Ordnungsfunktion (stereotypical ordering source) – voraus, die die Vergleichswelten danach ordnet, wie nahe sie dem Ideal der Typizität kommen: Welten, in denen die Dinge typischer sind (der Schnee weißer, die Nacht dunkler, der Vogel schneller, das Weinblatt grüner, die Rosen frischer etc.) erhalten einen höheren Ordnungsindex als Welten, die dem Ideal weniger nahe kommen. Entscheidend für den Modusgebrauch ist die Tatsache, dass lediglich typische Welten berücksichtigt werden, in denen die Dinge sich so verhalten, wie man es von ihnen normalerweise (also nach der Typizitätsnorm) erwartet. Wie oben schon erwähnt, weisen sich die Vergleiche in den altfranzösischen Texten durch ihren ausgeprägt stereotypen Charakter aus. Einer Vielzahl von Adjektiven ist ein typischer Vergleichsterm zugewiesen, der typischerweise – als Stereotyp – für die Eigenschaft steht. Ponchon stellt in seinem Beitrag eine Tabelle der typischen Termini comparandi zusammen, die wir zu Illustrationszwecken im Folgenden wiedergeben wollen:65
65 Ponchon (1998, 25).
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Tabelle 30: Übersicht der «principaux clichés» (nach Ponchon 1998, 25) Adjectifs du comparé
Comparants
Bel/beau
fée, fleur, Hélène, rose
Blanc
argent, cristal, fleur, hermine, ivoire, laine, lait, lis, noif (neige)
Chaud
feu
Cler (clair)
argent, cristal, gemme, glace, soleil
Couard
lièvre
Dur
pierre
Fier
léopard, lion, sanglier
Fol/fou
bête
Frais
rose
Froid
glace, marbre
Grand
géant
Hardi
léopard, lion, sanglier
Isnel (rapide)
faucon, oiseau
Jaune
cire
Léger
oiseau
Noir
arement (encre), charbon, maure, poix
Rouge
charbon, feu, sang
Sain
poisson, pomme
Simple
agneau
Vair
faucon
Vermeil
cerise, rose, sang
Vert
herbe
Wir wollen die hier angefügte Übersicht durch Belegbeispiele aus dem Amsterdamer Korpus ergänzen, die auch einige weitere stereotype Vergleichstermini erkennen lassen: ardans (→ brese): (44) «[…] plus ardans que n’est brese» (yvp, 818)
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bele (→ fee): (45) «[…] xm l’esgarde plus bele que n’est fee» (alia, 2812)
blanches (→ nois, laine, nois negiee): (46) «[…] les denz plus blanches que n’est nois» (narcB, 77) (47) «[…] qui plus ert blance que n’est laine» (neele, 468) (48) «[…] plus blanc que n’est la nois negiee» (bfm, cligescb, 837)
cler (→ chanter sereine): (49) «[…] quant il fu sus un saut fist per l’areine/plus esnist cler que ne chanta sereine» (alia, 688s.)
char blanche (→ flor en este, poison): (50) «[…] qu’el ot la char plus blanche que n’est flor en este» (flo, 59) (51) «[…] que ot la char plus blanche que n’est poison» (flo, 226)
dors (→ emfers): (52) «[…] il est plus dors que n’est emfers» (myst, 223)
fol (→ beste an pasture): (53) «[…] plus fol que n’est beste an pasture» (perl, 246)
fresche (→ rose): (54) «[…] e es plus fresche que n’est rose» (myst, 228)
goule granz (→ oule): (55) «[…] toz jors a la goule qui plus est granz que n’est une oule» (gerv, 285s.)
isnel (→ falcuns, oisel ki volet): (56) «[…] plus est isnels que nen est uns falcuns» (rolandox, 1572) (57) «[…] plus est isnels que n’est oisel ki volet» (rolandox, 1616)
jaunes (→ cire): (58) «[…] plus jaunes que n’est cire» (Gcoin4cb, 271.015)
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neirs (→ arrement, haire): (59) «[…] plus sunt neirs que nen est arrement» (rolandox, 1933) (60) «[…] serra plus nair que no l’e haire» (myst, 1052)
oscurs (→ nuiz): (61) «[…] plus oscurs que n’est la nuiz» (bfm, charetcb, 1490)
orgueilles (→ tors): (62) «[…] plus orgueilles que n’est uns tors» (bfm, charetcb, 2568)
purs (→ verres): (63) «[…] qui ies plus purs que verres n’est» (malk, 2426)
reluisans (→ ors fins): (64) «[…] plus reluisans que n’est ors fins» (amad, 134)
riche (→ li aumacor): (65) «[…] il est plus riches que n’est li aumacor» (cordres, 505)
simples (→ uns bugles): (66) «[…]. Senblant doit fere d’estre avugles ou plus simples que n’est uns bugles» (Mehgl1cb, 9669s.)
vert (→ erbe de pré, fuelle de vingne): (67) «[…] plus vert que n’est erbe de pré» (cligescb, 4714) (68) «[…] plus vert que n’est fuelle de vingne» (bfm, ereccb, 5280)
Wie lässt sich nun der Gebrauch des Subjonctif im Vergleichssatz erklären, will man ihn nicht als rein marginales Variationsphänomen abtun? Ponchons sprachliche Symptome kranken daran, dass sie keine allgemeine Geltung besitzen: Zu jedem der genannten Kriterien (Modifikation durch hyperbolisches Adverb, epithetische Verstärkung des Vergleichsnomens, Artikelgebrauch) lassen sich beliebige Gegenbeispiele finden, das erste Kriterium (Deletion des Komplementierers) ist zudem ein syntaktisches Merkmal. Wie die stereotypen Vergleiche im Indikativ zeigen, kann auch die Opposition zwischen Generizität – die durch Artikellosigkeit angezeigte Geltung für den typischen Ver-
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treter der Vergleichskategorie – und einer stärkeren Spezifizität (Determinierung durch den bestimmten Artikel, Modifizierung durch epithetische Adjektivphrase) nicht relevant für den Moduswechsel sein. Betrachtet man die oben zitierten Beispiele Ponchons, so scheint auch nicht die von dem Linguisten herausgestellte sprachliche Symptomatik ausschlaggebend für den jeweiligen Modusgebrauch zu sein. In wenigstens drei der vier Beispiele wird die Vergleichskategorie in einer besonderen Weise sprachlich elaboriert: Die Eigenschaft der «Härte» in Beispiel (32) wird nicht – wie üblicherweise – mit einem stereotypen Vergleichsterm, sondern mit einer Kumulation stereotyper Vertreter – im aktuellen Beispiel mithilfe zweier besonders charakteristischer Vertreter der Eigenschaft «Härte», fer et acier – veranschaulicht. In dem zweiten Beispiel (= 33) wird die Kategorie dex der Summe aller charakteristischen Vertreter (ne rois ne quens ne dus) der zum Vergleich stehenden Eigenschaft («puissance») entgegengesetzt. In dem dritten Beispiel (= 34) übertrifft die Klarheit der Wasserrinnsale (ruissaus) nicht nur die typische Substanz, die diese Eigenschaft realisiert, sondern auch den gleichsam bestmöglichen (den «prototypischen») Vertreter der herausgestellten Kategorie (cristaus esmerés). Die zur Illustration pragmatischer Effekte angeführten Beispiele sind zwar anderer Natur, sie fallen aber unter das gleiche semantische Phänomen. In allen angeführten Beispielen trifft der Vergleichssachverhalt eigentlich gar nicht zu oder wird als praktisch ineffektiv profiliert. In letzterem Fall ist die Ausprägung des ersten Terms auf der Dimensionsskala maximal und die des Vergleichsterms derart gering (bzw. minimal), dass dieser im Verhältnis zum Differential praktisch annulliert wird. Der Vergleich von Extremwerten ist ein fingierter Vergleich bzw. ein Scheinvergleich, dessen Ziel es ist, die Maximalität der herausgestellten Entität im Hinblick auf eine Dimension zu erweisen. Für einen «wahren» Vergleich fehlt gewissermaßen eine wesentliche pragmatische Voraussetzung – die sinnvolle Vergleichbarkeit der Entitäten. Im Rahmen dieser pragmatischen Strategie kommt dem konjunktivischen Modus des Vergleichssatzes die Funktion zu, den Ausprägungsgrad d der Vergleichsentität als minimal zu markieren. Dieses pragmatische Kalkül zeigt sich sehr schön an den oben zitierten Beispielen: Im ersten Beispiel (= 39) will Nicolette etwa ihre Zuneigung zu Aucassin als absolut herausstellen: In ihrem Vergleich der «Zuneigungsgrade» markiert sie das Differential der Gradausprägungen als maximal, indem sie den Vergleichsterm mit der stärksten Negationsform ne...mie versieht (mais je vos aim plus que vos ne faciés mi). In dem darauffolgenden Beispiel (40) gilt ähnliches: Die Champaigne mag damals (adonc) barbarisch gewesen sein, heute (or) gilt das nicht mehr (d.h. heute ist gerade ¬p wahr); Dius est fors (Beispiel (41)) – was will man demgegenüber über eine Vergleichsentität aussagen? Schließlich: der Sprecher macht in dem letzten Beispiel (= 42) vage Andeutungen über beleidigende Äußerungen
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(laidengier), um dann diskret zu schweigen (que je ne vous die ore, d.h. über die ich jetzt nicht spreche, ¬p.) Fasst man die Ergebnisse zusammen, so wird deutlich, dass der Subjonctif für Fälle (bzw. Welten) am oberen und unteren Rand der Ordnungsskala nach dem Prinzip der Typizität steht. Der erste Beispielblock umfasst alle diejenigen Situationen oder Welten, die über den stereotpyen Bereich hinausgehen. In ihnen werden mithin nicht Welten berücksichtigt, in denen Dinge geschehen, die «normal», typisch oder stereotyp sind. Vielmehr sind die Vergleichswelten idealtypisch und hyperreal, ja sie stellen eine maximale Realisierung der zur Diskussion stehenden Eigenschaft dar. Diese Maximalwelten entsprechen damit praktisch der superlativischen Realisierung auf einer Dimensionsskala. Wenn also der Ausprägungsgrad einer Eigenschaft an einer Entität x bestimmt wird, so wird – im Falle des konjunktivischen Vergleichs – auf den maximal denkbaren Ausprägungsgrad, den ein Idealvertreter realisieren kann, fokussiert. So betrachtet sind die Vergleiche li ruissaus plus clers / Que ne soit cristaus esmerés oder Dex qui est molt plus / Que ne soit rois ne quens ne dus in folgender Weise zu interpretieren: Eine Entität x (hier die Quelle) besitzt einen Grad an Klarheit, der größer ist als die Klarheit selbst des besten denkbaren Idealvertreters (also der superlativischen Realisierung der Eigenschaft): d: clarté, ∃d1d2[(Li ruisseaus est d1-clairs)] ∧ [∀x [(x est un cristaus) ∧ (max (λd(x est d-clairs))(= d2)] -> d1 > d2 , d2 ist der Maximalwert für die Klarheit von cristaus Die Formel lässt sich folgendermaßen paraphrasieren: Dem spezifischen Vergleichsobjekt (ruisseaus), von dem hier die Rede ist, wird auf der reinheitsSkala (s-«clarté») genau ein Wert d1 zugeordnet. Des Weiteren führen wir eine Funktion für die Messung von Reinheitsgraden ein (λd) und bestimmen mithilfe dieser Funktion die verschiedenen Reinheitsgrade von Kristallen. Im Rahmen des Vergleichs interessiert uns aber nur ein maximaler Reinheitsgrad, wie er von einem cristaus esmerés realisiert wird. Auf diesen maximalen Wert d2 greifen wir mit dem Maximalitätsoperator max zu. Unser Vergleich sagt nun aus, dass selbst diese Kristallgruppe mit maximalem Reinheitsgrad nicht so rein ist wie der im Betrachtungsfokus stehende Bach. Mit anderen Worten: Der Wert für d1 ist immer noch größer als der maximale Reinheitswert d2 von Kristallen. Die Funktion des Subjonctif im altfranzösischen Vergleichssatz besteht also darin, genau diese d2Welten als exzeptionelle Maximalwelten herauszustellen. Ähnlich könnte man auch im Hinblick auf das zweite Beispiel argumentieren: Dex besitzt mehr Macht als alle erdenklichen Machthaber – rois, quens und
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dus – zusammen aufbringen können. Selbst in einer Maximalwelt d*, in der die Macht aller weltlichen Herrscher kumuliert wird, ist der Ausprägungsgrad doch geringer als der Wert d der «puissance divine». Der Subjonctifgebrauch in der zweiten Fallgruppe (Typ: Dius est molt plus fors que il ne soit) bezieht sich auf den entgegen gesetzten Bereich der Skala, also den der minimalen Ausprägung einer bestimmten Eigenschaft. Auch in diesem Falle werden nicht übliche oder charakteristische Welten als Vergleichswelten herangezogen, sondern Minimalwelten, in denen ein bestimmter Sachverhalt praktisch keine Geltung besitzt bzw. schlichtweg irrelevant ist. Gegenüber der maximalen oder gar absoluten Ausprägung der Eigenschaft d im ersten Term (= d1) erscheint der Realisierungsgrad der Eigenschaft im zweiten Term (= d2) als minimal bzw. entspricht quasi einem Nullwert. Es gilt mithin für irgendeine Eigenschaft P: λP [min (λd (x ist d-P))(d2) ≈ 0], wobei d2 die minimale Ausprägung dieser Eigenschaft P ist. Wie die Beispiele zeigen, kann der Nullwert lexikalisch markiert sein – wie in Beispiel (38) anhand der starken Negation ne ... mie – oder er muss pragmatisch anhand des Kontexts oder aufgrund von enzyklopädischem Wissen erschlossen werden. Dies gilt etwa für das Dius-Beispiel (40) (Dius […] est molt plus fors que il ne soit) sowie für das Schweigebeispiel (41) (que je ne vous die ore). Auf die pragmatische Funktion dieser Konstruktion – die Herausstellung der Maximalität des 1. Terms durch einen Pseudovergleich – ist schon hingewiesen worden. Damit erfüllen die beiden Untertypen konjunktivischer Vergleichssätze im Altfranzösischen dieselbe Funktion in ihren jeweils komplementären Bereichen: Im ersten Falle wird der superlativische Charakter des 2. Terms herausgestellt, im letzten Falle der des 1. Terms. Die Interpretation des Subjonctifgebrauchs in Komparativsätzen als Fokussierung auf den minimalen und maximalen Bereich der Dimensionsskala bzw. auf idealtypische Maximalwelten und faktische Negativwelten wird durch eine ganze Palette weiterer Beispiele aus unseren Korpusrecherchen untermauert. Wir zitieren im Folgenden einige weitere Beispiele, die als Dokumentationsmaterial für den insgesamt sehr schlecht belegten SubjonctifGebrauch in Vergleichssätzen der Ungleichheit dienen mögen. So wird auch in den folgenden Beispielen (69ss.) jeweils wieder eine besondere, nämlich maximale Vergleichswelt evoziert: In Beispiel (69) steht nicht die generische Kategorie fluss für die Eigenschaft «Stromhaftigkeit», sondern gleichsam der beste denkbare Einzelvertreter, der konkrete Fluss Loire. Auch im darauffolgenden Beleg (= 70) ist die Referenzgröße nicht irgendeine blaue Standardentität, sondern die maximale Realisierung der Eigenschaft «blau» (azur). Ebenso kann man für das – zugegebenermaßen etwas seltsame – pie-Beispiel (= 71) argumentieren.
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(69) «[…] mais en l’eue n’entra il mie qu’il le uit mout parfonde et noire et plus corant que ne soit loire […].» (chret1, 2182–2184) (70) «molt fu li lius delitables / ains que fuissent mises les tables / vit perchevaus qui fu a aise / la flambe d’une grant fornaise / bleue plus que ne soit azur / qui naissoit tres parmi un mur / par le treu d’une cheminee.» (perc, 528–534) (71) «Toz tanz ses cuers sautele et vole. Legiere est plus que palevole / Et plus Tornans que ne soit pie.» (gcoin3cb, 199.005–199.007)
Sehr schön ist auch folgendes Beispiel: Ponchons Übersicht zeigt, dass die Standardvergleichskategorie für die Dimension wärme die Entität feu ist. In dem Beispiel (72) wird dem Standard die optimale Ausprägung brese entgegengestellt. Auch der Vergleich in (73) ist kein stereotpyer Vergleich (cf. Ponchons Übersicht zu blanc), sondern ein spezifischer, ad-hoc konstituierter Vergleich. (72) «[…] il s’en esprent tant et embrese / Que plus caus est que ne soit brese.» (Bcond. 35 310, 1213, zitiert nach Tober-Lommatzsch, vol. 3) (73) «Le cief avoit plus blanc que ne soit glous de lait.» (RAlix, 35, 2, zitiert nach ToblerLommatzsch, vol. 4)
Ebenfalls um einen nicht konventionellen Vergleich handelt es sich bei der Komparation (74) «Cuers ont plus durs que ne soit fers.» (Gcoin4cb, 315.010)
Wie die Abfragen in den altfranzösischen Korpora zeigen, ist pierre und nicht fers die Standardkategorie für die Dimension dureté. Die Entität fers stellt demgegenüber wieder eine besondere Maximalrealisierung der Eigenschaft dar und wird dementsprechend durch den Subjonctif gekennzeichnet. Bei den beiden folgenden Beispielen wird nicht der beste bzw. idealtypische Vergleichsfall herausgegriffen, sondern indirekt mithilfe der Allquantifikation auf alle relevanten Vergleichsfälle unter Einschluss des äußersten bzw. maximalen Vertreters der Vergleichskategorie fokussiert. In (75) ist auch der denkbar schlechteste Fall einer retrenchiers mesfais mit eingeschlossen und in (76) der Älteste aller Anwesenden: (75) «Or me covient parler del menbre / dont li juis trenche la pel / a cest sens dire vos apel / por coi fu de cel menbre fais / li retrenchiers est sil mesfais / plus que tuit li altre soient / il non mais cil qu nos porvoient / et qui tos les biens nos ensegnent / ne welent que par elz remegnent / li bien ne li bon sens a dire / si dient que deus nostre sire.» (evrat1, 4395–4405) (76) «con vous estes plains d’anemis / en vos cuers n’a que fanfeluez / ne veés vous ches bestes mues / plus sages sont en lor endroit / que li plus viel de vous ne soit / car chascune connoist son mestre / tout son corage et tout son estre.» (enf., 1803–1806)
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Ein zweiter Typ von konjunktivischen Vergleichssätzen stellt, wie wir gesagt hatten, das andere Ende der Skala, den (Quasi)-Nullwert der Realisierung, heraus. Die damit verbundene Negation kann expliziten Charakter besitzen, indirekter Natur sein oder aus dem Kontext zu erschließen sein. Explizit angezeigt durch ne...nus wird die Negation in: (77) «Mais Eva plus est aigres que ne soit nus aysius.» (gcoin4cb, 545.016–545.017)
Ableitbar ist sie in dem folgenden Beispiel mit negativem Polaritätselement riens. (78) «Il voit celi clere et vermeille/Et plus bele que riens qui soit;» (escoufcb, 3066s.)
Aus dem Beispiel lässt sich ableiten, dass es kein x gibt für das gilt: x ist mindestens genauso hübsch wie die genannte Dame: d1d2[(la dame est d1-bele) ∧ ¬[∃x [(x est une entité) ∧ (max (λd(x est d-bele)) ∃ (d2) ∧ (d2 ≥ d1)]], dabei ist d2 die maximale beauté-Ausprägung aller Vergleichsentitäten. In dem letzten Beispiel (79) besitzt der charakterisierte Protagonist ebenfalls den Attraktivitätsgrad d (er ist d-schön) und der Sprecher findet nicht die sprachlichen Mittel, um ihn in angemessenem Grade d zu beschreiben: (79) «Il est plus bel que je li die» (atrpercb, 1036)
∃d1[(Il est d1-bel) ∧ ¬[◊ dire (LOC, (^être bel (IL, d1))]] Einige wenige Belege lassen sich sogar für die Verwendung des Subjonctif Imparfait in Komparativkonstruktion nachweisen. In den Beispielen (80) bis (82) referieren die Vergleiche jeweils auf ein Geltungsintervall in der Vergangenheit. In allen Fällen lässt sich der Modusgebrauch in den Vergleichstermen als Markierung einer direkten oder indirekten Negation interpretieren. –– mit direkter Negation ne … nul: (80) «[…] e dedenz partut jesque a cel aitre ki plus fud larges e plus amples que ne fust nul des altres/les fundemenz furent faiz partut de riches pierres de dis piez» (reis, 4464–4466 )
–– negative Implikatur: es ist nicht der Fall, dass x die Größe d besaß: der Schatz in (81) war zunächst nicht d-gefüllt und die Eltern in (82) waren auch nicht d-groß:
(81) «sire mes songes est espiaus/car li tresors est revenus/plus grans que il ne fust emblés» (nic, 1391–1393) (82) «[…] se il te plaist li plus tres petiz de mes deiz plus est gros que mis peres nen ust le dos» (reis, 4732–4734)
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Ähnlich auch die Beispiele (83) und (84) – in letzterem kennt der Gesprächspartner kein x, das die Qualität der «beauté» und der «plaisance» in der Gradausprägung d besitzt: (83) «[…] et ses ceuaus ce sa gie bien fu mout plus fors que ne fust li miens» (yva, 527s.) (84) «[…] Et se disoiez que cent tans Ere plus bele et plus plaisanz Que pucele que tu süesses.» (Gcoin2cb, 201.015–201.016)
Im Sinne der Maximalität ließe sich aber durchaus das Beispiel (85) interpretieren: x liebt den Herzog (li duc) mehr als jeden seiner Barone. Die generische Angabe der Kategorie (Nullartikel im Altfranzösischen) erlaubt die Interpretation, dass alle Vertreter – einschließlich der beste – bei dem Vergleich in den Blick genommen werden: (85) «[…] qui tenoit du duc chastiaux, et l’avoit plus chier que baron que il eust.» (moreecb, 898.005).
Im Altfranzösischen figuriert durchaus auch die Kategorie Conditionnel im Vergleichssatz der Ungleichheit. Dieser tritt aber in der Regel in Verbindung mit dem hyperonymischen Sprechaktverb dire (teilweise als savoir dire) auf. (86) «[…], car j’en sueffre la penitance plus grant que nus ne poroit dire.» (lorriscb, 4009) (87) «[…], le conte d’Artois monta en sale, la contesse, sa femme, conduisant par la main, adestrez du conte de Boulongne et de sa femme avecque toute la noblesse et se seirent a table ou le disner fu plus riche que je ne sçavroie dire, lequel finy, tournois et joustez commencerent jusquez a la nuit que les dansez revindrent […].» (artoicb, 152.018– 152.025)
Auch in (86) und (87) liegt jeweils eine Negation vor (der Sprecher oder niemand ist in der Lage, p auszudrücken). Anders jedoch als bei den Subjonctifverwendungen gilt die Negation nicht nur für den aktuellen Sprechzeitpunkt, sondern der Sprecher nimmt auch weitere Situationen und mögliche Sprecher in den Blick. So gilt nicht nur im Hinblick auf die aktuelle Welt w0 des Sprechers ¬p, sondern auch für darüber hinausgehende Welten bzw. für ganz unterschiedliche Sprecherwelten, an die man denken könnte, wenn man sich geeignete Kandidaten für die Realisierung des Sprechakts p vorstellt.
5.1.3.2 D er Vergleichssatz der Ungleichheit im Mittelfranzösischen und im frühen Neufranzösisch Auch im Mittelfranzösischen ist der Konjunktiv im Vergleichssatz der Ungleichheit möglich, bleibt aber eine eher seltene Option. Zudem fällt auf, dass bestimmte
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Autoren systematischer auf diese Option rekurrieren als andere. Als Standardmodell des Disparitätsvergleichs festigt sich im Mittelfranzösischen die Verbindung ne explétif + Indikativ, wie die folgenden, charakteristischen Beispiele zeigen: (88) «Et s’avoit la plume plus blanche / Que n’est la noif dessus la branche» (Guillaume de Machaut, La prise d’Alexandrie, 1369, 46) (89) »Et l’eaue n’est pas tele et toutevoies elle est plus pesante que n’est l’aer et est pesante aucunement et non pas simplment ou absoluement.» (Nicole Oresme, Le livre ciel et du monde, 1370, 592, livre III, cap. 3) (90) «Et certes encore y ot il plus eu que il furent plus merveilleux que ne fu Alixandres ou quelzconques autres roys, car a faire leurs fais merveilleux il orent moult d’empeschemens!» (Pierre Bersuire, Les decades de Titus Livius, I, 9/1354, 34)
Ganz marginal sind Fälle, in denen das expletive ne fehlt, wie in folgendem Ausnahmebeispiel: (91) «Si devise du bouc sauvaige et de toute sa nature. Des autres boucs ysarus sont leurs corps et leurs testes de la fourme qui est yci figuree, et sont trop plus petiz, quar ilz ne sont gueres plus granz que est un bouc privé.» (Gaston Phebus, Livre de chasse, 1387, 71s., cap. 4)
Der Subjonctif findet sich häufiger in Komparativsatzkonstruktionen, die sich auf die negative Formel: Es gibt kein (zweites) x, das die Eigenschaft in gleicher Weise (zum Grade d) verkörpert, zurückführen lassen. Wir zitieren zwei Beispiele aus dem mittelfranzösischen Korpus des Atilf: –– mit dem negativen Polaritätselement nul(le) – nulle créature: (92) «Et quant je voy qu’elle est de tel nature Qu’en li ne truis ne foy ne verité, Et si l’aim plus que nulle creature Qui soit vivant, n’elle n’en ha pité, Bien voy qu’Amours à cuer desesperé Vuet que je muire et je humblement l’endure.» (Guillaume Machaut, La loange des dames, 1377, 175, CXCIII. Balade)
–– mit der logischen Formel : ¬[∃x ∧ vivre_longuement (x, d)] (93) «Si devise du cerf et de toute sa nature. Un cerf vit plus longuement que beste qui soit, quar il puet bien vivre cent anz, et tant plus est vieill, et tant est plus biau et de corps et de teste et plus luxurieux, mes il n‘est mie si viste, si legier ne si puissant.» (Gaston Phebus, Livre de chasse, 1387, 64, cap. 1)
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In Beispiel (94) ist der Vergleich in einen kontrafaktischen Bedingungszusammenhang eingebettet, befindet sich also im Skopus des Bedingungsoperators. Der Subjonctif zeigt in dem Beispiel sehr schön den fiktiven Charakter des Vergleichs an: Die Vergleichswelt hat nicht an den stereotypen Welten teil, sondern sie wird ad hoc konstituiert und stellt in diesem Sinne lediglich eine mögliche Welt dar (eine «Konstruktwelt», in der es zwei Raben gibt, die als Vergleichsentitäten dienen): (94) «Qui penroit le plus vaillant homme / Qui soit de Nantes jusqu’a Romme, Voire jusques a Cambelec, / Ou dela jusqu’a l’Aubre Sec, S’eüst une robe entaillie / D’or, d’argent et de perrerie, La plus tres riche et la plus belle / Qui fust en France n’en Castelle, Et puis prenist un païsant / De son grant, quoy qu’on voist disant, Leurs umbres seroient pareilles / Plus que ne soient deus corneilles, Et fust vestus de camelin / Ou d’un sac ou de drap de lin.» (Guillaume Machaut, Le confort d’ami, 1357, 132)
Der nächste Beispielfall setzt eine Vorkommensklasse des Altfranzösisch fort: Dabei werden evesque et archevesque den seculers hinsichtlich der Eigenschaften «tyramps» und «particuliers» gegenübergestellt. Der Subjonctif zeigt in dem zitierten Kontext nun an, dass der maximale («beste») weltliche Vertreter (seculiers) der in Rede stehenden Eigenschaft diese immer noch weniger verkörpert als der typische Geistliche (evesque et archevesque). (95) «Mais j’ay trop fort mal en ma teste / De ce qu’evesque et archevesque, Qui ont si nobles benefices, / Atrapent les mondains offices, Car, pour le couvoiteus pechié / D’avoir gaiges, leur eveschié Laissent, et sont entre les princes, / Gouvernens l’argent des provinces, Plus tyramps, plus particulers / Que ne soient les seculers.» (Eustache Deschamps, Le Miroir de Mariage, 1385, 154/XLVIII)
Die mit Abstand häufigste Verwendung des Subjonctif im Disparitätsvergleich findet sich bei dem Chronisten Jean Froissart und stellt offenbar ein besonderes Charakteristikum seines Schreibstils dar. Anders als in allen bislang untersuchten Belegstellen hebt der Autor aber nicht überwiegend auf maximale Vergleichswelten ab bzw. auf den jeweils besten bzw. idealtypischen Vertreter im Rahmen einer Allquantifikation, sondern überhaupt auf den geringeren Ausprägungsgrad einer Eigenschaft bei der jeweiligen Vergleichsentität. Mithin wird bei Froissart systematisch die sich im Rahmen des Disparitätsvergleichs einstellende negative Implikatur morphologisch durch den konjunktivischen Modus markiert. Froissarts Instrumentierung des konjunktivischen Modus im Kontext des Vergleichs stellt gewissermaßen den Höhe- und zugleich Wendepunkt der Funktionalisierung des Konjunktivs für den Bereich der Komparation dar. Froissarts Gebrauchs-
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regeln konvergieren auf eine Generalisierung des Subjonctif zur Fokussierung einer zugrundeliegenden negativen Implikatur. Diese diskursiv eingeführte Generalisierungstendenz sollte sich im Weiteren nicht durchsetzen, vielmehr regredierte der Gebrauch des Subjonctif, wie wir noch sehen werden, auf wenige marginale Gebrauchsfälle. Stellen wir einige typische Vorkommenskontexte bei Froissart zusammen: Selektion des Subjonctif Plus-que-parfait: Die Befestigungsverhältnisse zu einem vor dem Sprechzeitpunkt gelegenen Zeitintervall (die Befestigungshandlung zwischen t‘‘ und t‘, wobei t‘ < t0) werden denen zu einem vorgängigen, nach hinten unbestimmten Zeitintervall (en devant t‘‘) entgegengesetzt und es gilt für alle Zeitpunkte vor t‘‘: Es gibt keine Stadt, die so stark befestigt ist (bis zum Grade d1 befestigt (= d1-befestigt) ist) wie nach dem Zeitpunkt t‘‘: für alle t (t‘‘‘ etc.) vor t‘‘ gilt: ¬[∃x ∧ ville(x) ∧ fortifiée (x,d1)] (96) «[…] car les villes se fortefieroient et garniroient aultrement et plus fort que il n’euissent esté en devant.» (froisacb, 672.011–672.013)
In dem folgenden Beispiel lässt sich eine zunehmende Polarisierung zwischen den Vergleichswerten auf der jeweiligen Dimensionsskala feststellen: In Beispiel (96) gilt für die Stadt Clermont im Verhältnis zu Montferrant hinsichtlich der Eigenschaft der Einnehmbarkeit («prendabilité»): d1 (d1: Das Einnehmbarkeitsmaß für Clermont) ≥ d2 (d2: Einnehmbarkeitsmaß für Montferant). Für das zweite Disjunkt, also den Vergleich der Ungleichheit, lässt sich die negative Lesart ableiten: (prendable (Clermont, d1) ∧ ¬(prendable (Montferant, d1). Möglicherweise schwingt aber auch das in dem Semem des Adjektivsuffixes enthaltene Virtualitäts-Merkmal (es ist möglich, dass Montferrant eingenommen wird – ◊ [prendre (x, Montferant)] – bei der Modusselektion mit. (97) «[…] car les troix Gascons qui là estoient, les quelx avoient porté et rapporté les traittiez de la delivrance de Geronnet de Mandurant, les esmeut et leur dist, aux cappitaines qui se tenoient tout ensamble: ‹Vechy la cité de Clermont qui est bonne et riche et aussy prendable, ou plus, que ne soit Montferant›.» (Jean Froissart, Chroniques III, 1390, 211)
Deutlich polarisiert wird die Distanz zwischen d1 und d2 durch das Adverb trop: (98) «Vous savés que archier de l’arc a main sont trop plus isniel que ne soient arbalestrier.» (Jean Froissart, Chroniques, 1400, 405, cap. CXI)
In dem folgenden Beispiel spitzt sich der (im Übrigen weniger charmante) Ver gleich von Engländern und Portugiesen (hier: Portingalois) zur Antithese zu: Froissart stellt hier nicht nur heraus, dass die Portugiesen nicht in gleichem
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Grade wie die Engländer mol et moiste sind, sondern dass sie diese Eigenschaft überhaupt nicht besitzen (cf. car il zont dur et sech). (99) «Ainsi estoient-ilz menez que je vous dy et especiaulment en l’ost du duc de Lancastre, car Anglois sont plus mol et plus moiste que ne soient Portingalois, car ceulx de Portingal portoient encoires assez bien celle painne, car ilz zont dur et sech et fait de l’air de Castille.» (Jean Froissart, Chroniques III, 1390, 93)
Eine ad hoc konstituierte Vergleichswelt stellt der Vergleichsterm in dem folgenden Textbeleg heraus: (100) «Regarde comment je sui forte / En une seule main plus porte Que ne fachent quatorse nes.» (Jean Froissart, Le Paradis d’Amour, 1361, 57)
Anders als bei Froissart lassen sich bei Commynes praktisch keine Belege mehr für den konjunktivischen Vergleichssatz nachweisen. Selbst in Kombination mit dem besonderen negativen Polaritätselement jamais, das für alle Zeitpunkte t (Allquantifikation) statuiert, dass die in Rede stehende Eigenschaft nicht zum Grad d realisiert wurde, optiert der Chronist ausschließlich für das Passé Simple. Wir führen lediglich eines der vielen Belegbeispiele an: (101) «Quant vous me vouldrez croire, je vous aideray à faire plus grant que ne fut jamais Charlemaigne, et chasserons ce Turc hors de ceste empire de Constantinoble aiséement, quant vous aurez ce royaulme de Naples.» (Philippe de Commynes, Memoires, t. 3, 1489, 45, livre VII, cap. VII)
Einer der wenigen Autoren, die noch im 16. Jahrhundert auf die Kategorie Konjunktiv im Vergleichskontext rekurrieren, ist François Rabelais. Es handelt sich in diesen Fällen jedoch um ganz besondere Vorkommenskontexte: Die implikatierte Negation steht dabei stets im Skopus des Allquantors. Dabei beinhaltet die erste typische Vorkommensklasse Vergleichssätze des Typs plus x que chose que soit, d.h. es wird über alle Dinge, die potentiell Gegenstand des Vergleichs werden können, prädiziert, dass sie die jeweilige Eigenschaft nicht im Grade d besitzen: (102) «De ce qu’est signifié par les couleurs blanc et bleu. Elle est blanche plus que chose que soit.» (François Rabelais, Gargantua, 1542, 105, cap. X)
Der zweite Vorkommensfall betrifft die erwähnten Polaritätsvergleiche mit jamais: Hier wird für alle nur erdenklichen Zeitpunkte t ausgesagt, dass die Eigenschaft, über die prädiziert wird, nicht den Grad d erreicht hat:
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(103) «Ce que me le faict penser est que celluy lieu est en ce nom diffamé, qu’il abonde en sorcieres plus que ne feist oncques *Thessalie.» (François Rabelais, Tiers livre, 1552, 128, cap. XVI)
Die letzten Konjunktivverwendungen im Komparativsatz erscheinen in Michel de Montaignes Essais. Wiederum unterstreicht der Modusgebrauch die antithetische Grundstruktur des Vergleichs zwischen dem Protagonisten und einer großen Anzahl von Vergleichsfällen (mille femmelettes): (104) «Et, quant à l’effect, mille femmelettes ont vescu au village une vie plus equable, plus douce et plus constante que ne fust la sienne.» (Michel de Montaigne, Essais, t. 1 (livres 1 et 2), 1592, 489)
Etwas häufiger und weniger stereotyp als im Altfranzösischen wird das Conditionnel in den mittelfranzösischen Texten verwendet. Anders als im Falle des Subjonctif bezieht sich die jeweils zugrundeliegende Negation nicht auf einen vergangenen oder aktuellen Index t0, t‘, t‘‘ etc., sondern auf unbestimmte mögliche Welten w‘, w‘‘ usw. Man vergleiche die folgenden Beispiele: (105) «Peu de temps après, le bon *Pantagruel tomba malade et feut tant prins de l’estomach qu’il ne pouvoit boire ny manger, et, parce q’un malheur ne vient jamais seul, luy print une pisse chaulde qui le tormenta plus que ne penseriez» (François Rabelais, Pantagruel, 1542, 337, cap. XXXIII) (106) «Pourquoy est dicte Pantagruelion,, et des admirables vertus d’icelle. , de *Iphis, *Auctolia, *Licambe, *Arachne, *Phaeda, *Leda, *Acheus, roy de *Lydie, et aultres, de ce seulement indignez que, sans estre aultrement mallades, par le Pantagruelion on leurs oppiloit les conduitz par les quelz sortent les bons motz et entrent les bons morseaux, plus villainement que ne feroit la male angine et mortelle squinanche.» (François Rabelais, Tiers livre, 1552, 361ss., cap. LI)
Als Fazit können wir also festhalten, dass der Konjunktiv im alt- und mittelfranzösischen Komparativsatz auf Maximal- und Minimalwelten zur Elaborierung des superlativischen Status einer der beiden Vergleichsterme abzielte. Eine bei Froissart angelegte Generalisierung in Richtung auf eine Markierung der mit dem Vergleichssatz verbundenen negativen Implikatur konnte sich im weiteren Verlauf der französischen Sprachgeschichte allerdings nicht durchsetzen. Vielmehr verschwand das Mittel der Markierung besonders salienter Vergleichswelten durch den Konjunktiv bis zum Ende des 16. Jahrhunderts gänzlich aus dem Sprachgebrauch, was zu einer Generalisierung der indikativischen Kategorien im neufranzösischen Vergleichssatz führte. Hier kam und kommt nun der expletiven Negation (ne explétif) eine Monopolfunktion im Bezug auf die Evokation einer negativen Implikatur zu. Über den Status dieser Implikatur (semantisch? pragmatisch?) müssten weitergehende Studien Auskunft geben.
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5.1.4 Die Geschichte des Modus im italienischen Vergleichssatz Wie wir im vorigen Kapitel zu zeigen versucht haben, konnte auch der Vergleichsterm des Disparitätskomparativs im Alt- und Mittelfranzösischen die Funktion haben, ein System von Vergleichswelten zu etablieren. Dabei waren jedoch die Anforderungen an diese Welten besonders streng: Entweder musste die Vergleichswelt – wie im Falle der Negationsinterpretation – kontrafaktisch sein (direkte oder indirekte Negation bzw. Geltung von ¬p) oder die Vergleichswelten mussten alle – insbesondere auch die letzten noch denkbaren – Fälle mit einschließen. Bisweilen stellten Vergleichswelten auch ad-hoc-Konstrukte dar, d.h. sie fungierten als (fiktive) Vergleichswelten, die die Gradrelationen zwischen Entitäten veranschaulichen sollten. Im Italienischen sind die Prinzipien der Konzeptualisierung von Vergleichswelten großzügiger gefasst und decken dadurch eine Vielzahl von Fällen ab, die dem italienischen Vergleichssatz bis zum heutigen Tage seinen – im Verhältnis zu anderen romanischen Sprachen – besonderen Charakter verleihen. Die Frage nach der Etymologie des durch den Komplementierer che (non) eingeleiteten Disparitätsvergleichs hat in jüngerer Zeit wieder das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Schon in der älteren Diskussion standen sich Anhänger einer Substitutionslösung, der zufolge das klassisch-lateinische quam in der Modellkonstruktion ego altior sum quam tu es durch alternative Konjunktionen – quod bei Rohlfs (Rohlfs 1949, § 405) und Herman (1989, 145), und zwar in Analogie zu postquam/antequam > postquod/antequod bzw. quid bei Meyer-Lübke (Meyer-Lübke 1972 [1899], § 282) und Lerch (Lerch 1925–1934, vol. I, 235) – ersetzt wurde, und Vertreter einer phonologischen Entwicklungshypothese gegenüber. Im Rahmen letzterer Hypothese wird, wie etwa von Corominas Pascual, die Überzeugung vertreten, quam sei zunächst zu ca apokopiert worden und anschließend mit den Resultaten des Kontaminationsprozesses aus quia und quod verwechselt worden.66 Ulleland hatte in einem Beitrag von 1965 besonders vehement für die erste Erklärungsvariante argumentiert, in deren Rahmen er die Genese des non espletivo motivieren zu können glaubte. Danach sei klassisch-lateinisches quam durch – zunächst noch als demonstratives Relativpronomen fungierendes – quid ersetzt worden, was zu der unangemessenen Interpretation von ego altior sum quid tu es als «io sono più alto, il che tu sei» geführt und deshalb die Einfügung eines negativen Elements erforderlich gemacht habe.67 Allmählich habe sich quid
66 Cf. auch die Übersicht bei (Stefanelli 1990, 318s.). 67 Ulleland (1965, 73). Ulleland fasst die raison d’être des Negationselements folgendermaßen zusammen:
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dann zu einem echten Komparativkomplementierer entwickelt und damit die Negationspartikel überflüssig werden lassen.68 Stefanelli (1990) kritisiert in einem jüngeren Beitrag – ganz ähnlich wie Nocentini (2003) – die Auffassung Ullelands und schlägt einen neuen Erklärungsansatz vor: Es sei nicht besonders überzeugend, wie Ulleland davon auszugehen, dass die Sprache ein vergleichbares «pasticcio» veranstaltet habe, als sie eine Konjunktion, die noch nicht abgenutzt war, durch eine andere, die sich noch nicht zu einem «passepartout» entwickelt hatte, ersetzte.69 Vielmehr sei die Konjunktion quam wie zahlreiche andere Konjunktionen im späteren Latein durch die Partikel et verstärkt und durch die Einfügung des Negationspartikels zu einem polaren Schema70 ausgebaut worden, und zwar nach dem Muster: *ego plus altus sum quam et tu non es («io sono più alto che tu non sei»). Aus der Verbindung quam et sei – durch phonologischen Wandel – komparatives che hervorgegangen.71 Als Beleg für ihre These führt Stefanelli eine Reihe dokumentierter Beispiele für spätlateinische Verstärkungskonstruktionen mithilfe von et und ac an – so beispielweise zu tot ... quot et, sicut ... ita et, totiens ... quotiens et, sicut et ... ita et, in tantum et ... in quantum et, magis (minus) quam et (Belege bei Tertullian, cf. auch Hofmann/Szantyr 1965, 483).72 Nur die phonetisch-phonologische Erklärung, die
«La lingua ha ‘sentito’ il bisogno di negare che il secondo membro del paragone possegga il grado maggiore (eventualmente minore) della qualità, ma non di negare che lo possegga del tutto; questo prova che la lingua ha ‘voluto’ con l’introduzione della negazione evitare che lo stesso grado della ‘qualità’, fosse attribuito al secondo membro del paragone.» (Ulleland 1965, 74). 68 Zum Grammatikalisierungsprozess schreibt Ulleland (1965, 85s.): «L’italiano antico usa ancora la negazione sì, ma la giustificazione originaria dell’uso non esiste più, in quanto che il pronome quid è diventato a sua volta particella comparativa al pari del quam latino; è perciò comprensibile che la sensibilità per l’uso ‹corretto› della negazione sia andato perduto a poco a poco, di modo che la negazione si può usare anche col congiuntivo […], e che l’indicativo comincia ad usarsi senza negazione». 69 Stefanelli (1990, 320). 70 Das zweigliedrige und seiner Natur nach parataktische polare Schema charakterisiert Stefanelli (1990) in folgender Weise: «presuppone ed enuncia un confronto, ma non realizza una vera e propria comparazione poiché i due elementi A e B vengono semplicemente contrapposti. La diversità riscontrata tra A e B può essere enunciata o con l’impiego di elementi lessicali antonimici o con l’inserimento della negazione in uno dei due membri dello schema». 71 Cf. Stefanellis (1990, 323) Hauptthese: «ma ci piace sottolineare il fatto che l’ipotesi da noi proposta consente di vedere nel che comparativo un continuatore diretto di quam e che la sua fusione con la congiunzione romanza che è giustificata anche su base fonetica.» 72 Als weitere Beispiele für die Verstärkung des jeweiligen Adverbs (bzw. der jeweiligen Konjunktion) durch et und ac führt Stefanelli (1990, 322) an: come < * como et < * quomodo et (Rohlfs
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eine Entwicklungslinie von quam et zu che ziehen möchte, kann nach Stefanellis Auffassung allen Verwendungsfällen, die an die Stelle von quam getreten sind, Rechnung tragen.73 Ohne für die eine oder andere Hypothese Stellung zu beziehen, lassen sich jedoch die Konsequenzen für den Status des non espletivo erkennen: Bei Ulleland besitzt das non espletivo ursprünglich den Status einer echten Negation, den es aber im Laufe der Zeit verliert, weil es funktionslos wird. Bei Stefanelli gehört der Negationspartikel zu einem polar konzipierten Vergleichsschema, stellt aber selber kein «korrektives» Negationselement zur Vereindeutigung des ambiguen Komplementierers dar. Im Folgenden soll nun die Entwicklung der Funktion des Negationselements im Vergleichssatz sowie der Rolle des Modus in der diachronen Perspektive untersucht werden. Ausführliche Untersuchungen zum Komparativsatz im Altitalienischen verdanken wir Ulleland (1965) und Stefanelli (1990). In beiden Studien werden drei unterschiedliche Konstruktionen unterschieden, die wir – weil sie für die Modus problematik beim Vergleich der Ungleichheit von großer Bedeutung sind – kurz charakterisieren wollen. –– Der erste Falltyp, den die Autoren individuieren, umfasst einen affirmativen Hauptsatz und den korrelativen Vergleichssatz der Ungleichheit (paffirm più che q). Bei diesem Typ fällt die perfekte komplementäre Verteilung zwischen a) dem Untertyp che + Congiuntivo einerseits und b) che + non espletivo + Indicativo auf.74 Mit anderen Worten: Nachweisen lässt sich entweder ein indikativischer Disparitätsvergleich, der obligatorisch die expletive Negation erfordert oder aber ein konjunktivischer Vergleichsnebensatz, der stets ohne die Partikel non auftritt. Man vergleiche die folgenden Belegbeispiele, die teilweise der Sekundärliteratur entstammen: a. Che + non espletivo + Indicativo: (107) «io veggio che io sto meglio che non stai tu» (Decameron, III, 10, 15, zitiert nach Stefanelli 1990, 305). (108) «Alcuna paroletta più liberale che forse a spigolistra donna non si conviene» (Decameron, X, Conclusione)
1949, § 945, Wagner DES I, 354), come < * como ac < * quomodo ac sowie quantu et, * quantu ac (cf. Rohlfs 1949, §945, AIS, carte 53, 54); in diesen Kontext gehört nun auch che < * quam et und vielleicht ca < * quam ac; diatopisch differenzieren sich: im Süden: * quam ac, * como ac, * quantum ac und im Zentrum: *quam et, *como et, *quantum et. 73 Cf. dazu Stefanelli (1990, 323). 74 Cf. Ulleland (1965, 68ss. und insbesondere 71).
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b. Che + Congiuntivo: (109) «O crediam la nostra vita con più forte catena esser legata al nostro corpo che quella degli altri sia» (Decameron, I, Introduzione, 17) (110) «il quale il re avea in ogni suo ben rimesso, e maggior fattolo che fosse giammai» (Decameron, II, 8, 162)
–– Der zweite Falltyp konstituiert sich aus dem verneinten Hauptsatz, der niemals mit einem non espletivo im korrelativen Vergleichssatz auftritt. Der übliche Modus ist hier nun der Congiuntivo. Bisweilen tritt auch das Condizionale in Erscheinung: (111) «era questo laghetto non più profondo che sia una statura d’uomo infino al petto lunga» (Decameron, IV, Conclusione, 27) (112) «[…] sentendosi non meno ricco che Natan fosse» (Decameron, X, 3, 7) (113) «[…] non altramenti li lor corpi candidi nascondeva che farebbe una vermiglia rosa un sottil vetro.» (Decameron, VI, Conclusione, 30, zitiert nach Stefanelli 1990, 332)
–– Der dritte Falltyp bezieht sich auf den Vergleich der Gleichheit mit der Korrelativstruktur tanto ... quanto und interessiert nur im Rahmen unserer Argumentation. Der Indikativ ist grundsätzlich der Standardmodus. In besonderen Kontexten allerdings wird aber der Congiuntivo verwendet. a. Standardfall: (tanto) ... quanto + Indicativo: (114) «il quale tanto più viene lor piacevole, quanto maggiore è stata ... la gravezza» (Decameron, Introduzione, p. 6, r.13)
b. besondere Congiuntivo-Kontexte: (115) «[…] se io avessi così bella cotta com’ella, io sarei altresì sguardata come elle, perch’io sono altresì bella come sia ella.» (Novellino, novella 26, 76ss. C. Alvaro, ed Garzanti, 1945, zitiert nach Ulleland 1965, 82) (116) «[…] è tanto piacevole e costumato, quanto alcuno altro gentile uomo il più esser potesse» (Decameron, II, 8, p.147) (117) «Era costei bellissima del corpo e del viso quanto alcun’altra femina fosse mai» (Decameron, IV, 1, p. 283)
Ulleland und Stefanelli versuchen leider nicht, die komplementäre Verteilung der Konstruktionen des ersten Falltyps (Vergleich der Ungleichheit) angemessen zu motivieren. Wir werden deshalb im Weiteren darauf einzugehen haben. Aus den beiden übrigen Falltypen (dem Disparitätsvergleich bei negiertem Matrixsatz sowie dem Vergleich der Gleichheit) ergibt sich jedoch ein Grundsätzliches: Der konjunktivische Modus lässt sich in den einzelnen Beispielsätzen
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wohl kaum auf die Hypothese, eine zugrundeliegende Negation bzw. negative Implikatur solle jeweils hervorgehoben bzw. gekennzeichnet werden, reduzieren. Bei Falltyp (2) wird die Dimensionsausprägung einer Entität mit derjenigen einer zweiten Entität abgeglichen (x non più profondo che sia y), beim dritten Falltyp wird sogar die Gleichheit der Dimensionsausprägung statuiert – Ullelands Behauptung,75 der Gleichheitsvergleich bei più bella che sia ella sei kontextuell als litotischer Ausdruck für einen Vergleich der Ungleichheit zu verstehen, ist nicht besonders überzeugend. Die Betrachtung der Beispielsätze unter Falltyp (2) und (3) ergibt vielmehr ein anderes Bild: In dem Beipielsatz «ed era questo laghetto non più profondo che sia una statura d’uomo infino al petto lunga» (= 111) wird im Vergleichssatz eine Referenzgröße konstituiert. Es wird also nicht auf eine aktuelle statura d’uomo referiert, sondern auf ein mentales Konstrukt bzw. ein abstraktes Vergleichsschema: Für die Vergleichswelt (Fauconnier würde hier von «Vergleichsraum» sprechen) wird von einer typischen statura d’uomo als idealem Maßkonstrukt ausgegangen (nicht von einer über oder unter dem Standardwert liegenden Statur) und eine bestimmte Größendimension abgetragen (aktiviert). Das Maßkonstrukt wird also auf der Grundlage von stereotypem Wissen über die normale Beschaffenheit von Entitäten konstituiert. Folglich werden in der Vergleichsprädikation nur die Größenwerte d2 in Betracht gezogen, zu der die Eigenschaft von der genannten Kategorie uomo üblicherweise realisiert wird. Das ad hoc geschaffene – mentale – Vergleichsschema basiert auf Standardwissen über typische Ausprägungen einer Kategorie. Diesen entsprechen stereotype Welten, die in soweit Idealwelten sind, als sich die Dinge in ihnen in ihrer typischen Weise manifestieren. Die Modusalternation im italienischen Vergleichssatz genügt also einem besonders feinnervigen Prinzip: Unterschieden werden, einerseits, der Akt des Referierens auf bestimmte, in w0 vorfindbare Sachverhalte und, andererseits, der mentale Konstruktionsprozess, der aus stereotypem Wissen geeignete Vergleichsschemata schafft. Unsere Analyse könnte in folgender Weise formalisiert werden: d: profondo, ∃d1∀d2[(il larghetto è d1-profondo)]in w0 ∧ [∀x,d2 [(x è una statura) ∧ (λd(x è d-lunga_fino_al_petto))(d2)]in w-stereotype ∧ [d1 ≤ d2] Eine kurze Erläuterung: Wir vergleichen wieder einen Wert für die Tiefe (d-profondo) eines bestimmten larghetto d1 (d1 = konstant) mit Größen-Werten d 2 für Statuen (Messfunktion λd mit Werten für d 2: λd(d 2)). Das zentrale Moment
75 Cf. Ulleland (1965, 82).
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dieser konjunktivischen Vergleichsbeispiele besteht nun in der Tatsache, dass ein Sachverhalt in w 0 (referentieller Sachverhalt) mit typischen bzw. stereotypen Fällen in möglichen Welten (unsere abstrakten Konstrukt- bzw. Vergleichswelten) verglichen wird. Aus allen möglichen Welten (Funktion λw) greifen wir also stereotype Welten heraus, in denen die Vergleichsentitäten typische Werte im Hinblick auf die Größendimension besitzen. Dies zeigen die Subskripte an. Auch in dem Beispielssatz «il quale, sentendosi non meno ricco che Natan fosse» (Beispiel (112) wird nicht auf Natans objektiven Reichtum fokussiert (Referenz auf x in w0), sondern auf die Vorstellung, die sich das Matrixsatzsubjekt von Natans Reichtum macht – mithin auf sein doxastisches Modell im Hinblick auf den Reichtum des Nathan. Geben wir auch hier eine Formalisierung: d:ricco, ∃d1 d2[(lui è d1-ricco)]in w0∧[(Natan è d2-ricco)]in sente ≥ d2-ricco]in w0
w(dox)[LUI]
∧ [lui si
Der entscheidende modusrelevante Aspekt wird wieder durch die Subskripte dargestellt: Die Einschätzung von Nathans Reichtum ist in den Welten wahr, die mit dem, was das Matrixsatzsubjekt (= LUI) an einem Index i glaubt (d.h. den doxastischen Welten des Matrixsatzsubjekts), vereinbar sind. In dem berühmten Novellino-Beispiel «perch’io sono altresì bella come sia ella» (Beispiel (115)) behauptet die Sprecherin nicht wie Ulleland meint, dass die Vergleichsentität in Wirklichkeit nicht so attraktiv (d1-bella) wie sie selber sei. Sie stellt vielmehr in Abrede, dass man der d2-belleza ihrer Konkurrentin einen referentiellen Status zusprechen kann; ihre d2-belleza ist eine abstrakte Vergleichsgröße, die Behauptungscharakter bzw. einen kollektiven (on-dit-) Informationsstatus besitzt. d:bella ∃d1d2[(sono d1-bella)]in w0 ∧ [(ella è d2-bella)]in w(dox) [coletivo] ∧[io sono ≥ d2-bella]in w0 ( die d2-belleza des konjunktivischen Paritätsvergleichs entspricht dem doxastischen Modell des anonymen Kollektivs (das on-dit). Referentiellen Status besitzt hingegen der Vergleichssatz (118) «niun figliuolo avendo né altro amico o parente di cui più si fidasse che di Giacomin facea» (Decameron, V, 5, 5, zitiert nach Stefanelli 1998, 331).
Der Sprecher stellt in diesem Kontext den Sachverhalt heraus, dass das Matrixsatzsubjekt tatsächlich zu Giacomin ein Vertrauen vom Grade d1 (d1-fiducia) zu einem Zeitpunkt (bzw. in einem entsprechenden Zeitintervall) besaß.
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Aber nicht nur in den altitalienischen Texten, sondern auch in späteren Texten wie dem Orlando Furioso Ariosts wird – wie die Studie Medicis (1977) aufzeigt – zwischen einem referentiell zu lesenden Vergleichsterm und einer mental geschaffenen Vergleichswelt (einem Vergleichskonstrukt bzw. einem Vergleichsschema) unterschieden. Diese sich im Modus widerspiegelnde Differenzierung lässt sich in mehreren Kontexttypen nachweisen, so –– dem vergleichenden Relativsatz (119) «Come nave, che vento da la riva o qualch’altro accidente abbia disciolta, va di nochiero o di governo priva ove la porti o meni il fiume in volta» (Orlando Furioso, XXXII, 62, 1–4, zitiert in Medici, 14)
–– dem Vergleich der Gleichheit (la comparazione d’eguaglianza) mit tanto ... quanto: (120) «Di ch’apparecchio fa tanto solenne, quanto a pompa real possibil sia» (Orlando Furioso, XVIII, 96, 1s., zitiert nach Medici, 41)
–– dem Vergleich der Gleichheit mit cosí ... come: (121) «Di marmo così bianco è quello speco, come esser soglia ancor non scritto foglio» (Orlando Furioso, XVII, 33, 2–4, zitiert nach Medici, 42)
–– dem Vergleich der Ungleichheit (la comparazione di disuguaglianza): (122) «Cogliendo il fior del spirto su le labbia, che più suave non esce di seme, ch’India nutrisca in l’odorata sabbia;» (Orlando Furioso, VII, 29, 4–6, zitiert nach Medici, 44)
Alle Beispiele zeigen wiederum, dass nicht auf die Verhältnisse der aktuellen Welt referiert wird, sondern dass eine oder mehrere Vergleichswelten, in denen grundsätzlich mögliche oder charakteristische Situationen bestehen, evoziert werden (die Situation, dass ein Schiff abtreibt, typische Repräsentationsereignisse des Königtums, Fälle, in denen Papier unbeschrieben ist usw.). Ein weiteres auffälliges Charakteristikum der Beispielsätze zum Vergleichssatz im Altitalienischen ist die Verwendung des Congiuntivo Imperfetto in Verbindung mit negativen Polaritätselementen wie alcun und vor allem mai. In diesen Fällen spielt offenbar die zugrundeliegende negative Implikatur eine entscheidende Rolle für die Kategorienselektion. Dabei befindet sich der implizite Negationsoperator im Skopus des Allquantors. So wird – egal um welchen Typus von Vergleichssatz es sich handelt – in allen Beispielsätzen statuiert, dass entweder für alle denkbaren Individuen x oder zu allen nur denkbaren Zeitpunkten t der prädizierte Sachverhalt keine Geltung besitzt. Man vergleiche:
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Vergleichs- und Bezugswelten
(123) «Dall’una parte mi trae l’amore il quale io t’ho sempre più portato che alcun padre portasse a figliuola» (Decameron, IV, 1, 29, zitiert nach Stefanelli 1998, 325) (124) «[…] ed è più amata che mai fosse re o reina» (Milione, 171, 3, zitiert nach Stefanelli 1998, 326) (125) «Era costei bellissima del corpo e del viso quanto alcun’altra femina fosse mai» (Decameron, IV, 1, 283) (126) «[…] e da migliore speranza aiutata, in pochi giorni guerita, più bella diventò che fosse mai» (Decameron X, 7, 709)
In (123) gilt für alle (selbst für den denkbar besten Vertreter der Kategorie) Väter, dass es nicht der Fall ist, dass es einen Vater gibt, der seine Tochter (ebenfalls) zum Grade d liebt: [∃d1 ∧ amare_figliuola (IO, d1) ∧ ∀x [padre (x) ∧ ¬[amare_figliuola (x, d1)]]] In (126) gilt für alle nur denkbaren Zeitpunkte der Vergangenheit t (auch für den günstigsten), dass die zur Rede stehende Frau (noch) nicht bis zum Grade d attraktiv war: ∀t: [ ¬[bella (donna, d, in t)]] Eine kurze Anmerkung soll auch zum Condizionale im Vergleichssatz gemacht werden. Wie auch im Französischen visiert die Kategorie weiter von w0 entfernt liegende mögliche Welten an. Wie das Belegbeispiel zeigt, ist – komplementär zu den Fällen im Congiuntivo Imperfetto – der im Matrixsatz prädizierte Sachverhalt für jedes andere x negiert (niuna che più volentieri + Congiuntivo), für den Sprecher jedoch ist p grundsätzlich möglich (wenn auch nicht allzu wahrscheinlich). (127) «niuna ce n’è che più volentieri gli abbia fatta festa o faccia, che fare io» (Decameron, III, 7, 92)
Die Längsschnittanalyse auf der Grundlage des LIZ-Korpus zeigt, dass sich die komplementäre Verteilung von Indikativ und expletivem Negationselement einerseits und dem konjunktivischen Modus andererseits bis zum Ottocento durchzieht. Ein typisches Beispiel aus Francesco Algarottis Dialoghi sopra l’ottica neutoniana (1752) verdeutlicht nochmals die grundlegende Funktion der Variante che non + Indikativ: (128) «Onde i raggi si spezzano maggiormente, o mutano maggiormente direzione nel passar dall’aria nel cristallo che non fanno dall’aria nell’acqua, per essere il cristallo più denso che non è l’acqua.» (Algarotti, Dialoghi, Dialogo secondo)
Die Nebensatzproposition ist referentiell zu verstehen und nicht als geschaffene Vergleichswelt (oder mentales Konstrukt). Zwei Entitäten cristallo und acqua
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werden hinsichtlich der Dimension dichte verglichen, wobei dem Disparitätsvergleich eine implizite Negation zugrunde liegt, – dass nämlich Wasser nicht den Dichtegrad d des Kristallglases besitzt. Anders ausgedrückt: Es gibt einen Grad d1 auf der Dimensionsskala dichte (λd) und Kristallglas besitzt die Eigenschaft «d1dicht» zu sein; Wasser ist jedoch im Gegensatz dazu nicht «d1-dicht». Seit dem 19. Jahrhundert ist nun offenbar auch die bislang unübliche Kombination aus einem expletiven non (non espetivo) und dem konjunktivischen Modus im Vergleichssatz möglich, wie Belege bei Manzoni – auch schon im Frühwerk Fermo e Lucia von 1823 –, Verga (Tutte le novelle von 1877) und Collodi (Racconti delle fate) zeigen. Auch ohne genaue quantitative Erhebungen anzustellen, lässt sich doch sagen, dass die Indikativ-Variante (non espletivo + Indikativ) im Verhältnis zu den älteren Texten sehr deutlich abnimmt und im Gegenzug die neue Kombination che non + Congiuntivo rasch an Gewicht gewinnt. Die Analyse charakteristischer Textbeispiele seit dem 19. Jahrhundert zeigt, dass die Verwendung von expletiver Negation und Congiuntivo nunmehr vor allem dazu dient, den zwischen dem Referenz- und dem Vergleichswert bestehenden Kontrast in maximaler Weise zu profilieren. Dabei liegt der Fokus nun auf dem Differenzintervall Diff(d1-d2), das alle Gradzahlen mit einschließt, zu denen der Vergleichssachverhalt p gerade nicht gilt. Vor allem Grad- und Fokuspartikel wie molto oder pure erweitern das Differenzintervall um ein unbestimmtes Vielfaches und lassen die Ausprägung des Vergleichswertes d2 als im Verhältnis zum Referenzwert d1 völlig irrelevant erscheinen. Dies gilt im Übrigen auch für Vergangenheitskontexte, in denen der Congiuntivo Imperfetto nun nicht mehr in erster Linie im Verbund mit negativen Polaritätselementen wie mai oder alcuno in Erscheinung tritt. In den folgenden beiden Beispielen (mit Vergangenheitsmorphologie) wird jeweils das negative Differenzintervall um einen vielfachen unbestimmten Wert dimensioniert, so dass p dahinter zurücktritt. Die Modusopposition wird zusammen mit der expletiven Negation folglich im Sinne einer Markierung und Gewichtung von Präsenz- bzw. Relevanzgraden im Hinblick auf die aktuelle Welt w0 instrumentiert. Es gilt also im Rahmen dieser Kombination von non espletivo und konjunktivischem Modus: Das überdimensionierte Differential Diff(d1-d2) steht im Fokus und ist zugleich die Domäne, für die der Vergleichssachverhalt nicht zutrifft und letzterer tritt angesichts seiner geringen Relevanz («realen Präsenz») in den Hintergrund. Wir zitieren zwei charakteristische Beispiele aus Manzonis Romanwerk: (129) «[…] e si condusse fin presso al suo paese, dove giunse il terzo dì, molle, affaticato, sciupato, ma pure più lieto che non fosse stato da un gran pezzo.» (Fermo e Lucia, vol. 4, cap. 1) (130) «Oh che degnazione! – disse questo; e montò molto più lesto che non avesse fatto la prima volta. La comitiva si mosse quando l‘innominato fu anche lui a cavallo.» (Manzoni, Promessi sposi, cap. 24)
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Zugleich fällt eine zweite Tendenz auf – die Usualisierung der Kombination aus expletiver Negation und konjunktivischem Modus in Verbindung mit doxastischen Prädikaten wie pensare, credere und immaginare. Diese schreiben den Vergleichswert d2 in ein subjektives epistemisches Modell ein. Aber auch Verben des Anscheins wie apparire oder sembrare schaffen modale Kontexte. Sie verweisen auf Sachverhalte in Scheinwelten, in denen sich die Dinge gerade kontradiktorisch zu den Verhältnissen in der Basiswelt verhalten. Zur Illustration des Gesagten führen wir das folgende Beispiel an: (131) «[…] due personaggi, il nome dei quali fa nascere tosto idee disparatissime, e che pure ebbero più punti di rassomiglianza che non appaja a prima vista.» (Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 3, cap. 6)
Vergleicht man demgegenüber Kontexte, in denen der Congiuntivo ohne ein non espletivo steht, so wird deutlich, dass in diesen Fällen die Sprecher wieder mit einer konstruierten möglichen Vergleichswelt operieren: (132) «Intanto che s’incammina, noi racconteremo, più brevemente che sia possibile, le cagioni e il principio di quello sconvolgimento.» (Manzoni, Promessi sposi, cap. XI)
Der zitierte Vergleich operiert mit zwei Welten: der unmittelbar zukünftigen Welt des Erzählers und einer Idealwelt, in der die Dinge in angemessener Weise realisiert werden (hier das Erzählen in einer adäquaten Ausführlichkeit). Auch die ganz wenigen Indikativbeispiele, die sich in den neueren Texten nachweisen lassen, besitzen ein klares Profil: Die Nebensatzproposition referiert auf einen realen Sachverhalt, nur dass dieser nicht zum Grade d1, sondern nur zum Grade d2 besteht: das zur Rede stehende Subjekt in der folgenden ersten Textpassage ist mächtig, aber eben nur d2-mächtig; und dem Matrixsatzsubjekt erscheint auch schon beim ersten Mal die Stadt Mailand recht traurig und befremdlich, aber eben nicht bis zum Grade d1. (133) «Ma il mondo poi non finisce qui: costui fa il tiranno spaventa questi poveri foresi che lo credono più potente che non è!» (Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 1, cap. V) (134) «[…] e fece la sua seconda entrata in Milano, che gli comparve in un aspetto più tristo e più strano d‘assai che non era stato la prima volta.» (Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 4, cap. V)
Vor dem Hintergrund der nur rar gesäten Indikativkonstruktionen sowie der Konjunktivkonstruktionen ohne expletive Negationspartikel konturiert sich die Funktionsweise der neueren Mischkombination aus Congiuntivo und non espletivo: Negationselement und Modus teilen sich die Funktionen in den Kontexten, in denen sie gemeinsam auftreten: Sie polarisieren und maximieren zusammen mit weiteren obligatorischen kotextuellen Elementen, insbesondere Gradparti-
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kel oder modalisierenden Prädikaten, die zwischen den beiden Größengraden d1 und d2 bestehende Differenzrelation (das Differential). Dabei stellt das non espletivo die negative Implikatur heraus, wonach der Vergleichssachverhalt eine Eigenschaft gerade nicht zu den Graden des Differenzintervalls I(d1-d2) erfüllt. Dem Modus kommt seinerseits die Funktion zu, die Irrelevanz der Gradausprägung des Vergleichssachverhalts für die aktuelle Welt w0 herauszustellen. Diese besondere Kennzeichnung ist zum einen für Kontexte üblich, in denen das Differential durch Grad- oder Fokuspartikel als ein nicht determiniertes Vielfaches dimensioniert wird, dem gegenüber der Vergleichssachverhalt gänzlich in den Hintergrund tritt. Die Modusopposition wird in diesem Kontext dazu funktionalisiert, Realisierungsgrade von Eigenschaften zu polarisieren und zwar so, dass einer der beiden Realisierungsgrade einen salienten Status erlangt und der andere hinsichtlich seines referentiellen Status relativiert wird. Zusätzlich tritt die Konjunktivmarkierung in modalisierten Kontexten auf, in denen die Größenausprägung der Vergleichsentität als nicht der realen Welt angehörig gekennzeichnet wird. Die Vergleichsgröße existiert mithin lediglich in einem subjektiven epistemischen Modell, beruht auf Irrtum (Scheinwelten) oder ist nur der Möglichkeit nach gegeben (Modalverben). Der deutliche Rückgang der Indikativverwendungen und insbesondere das Eindringen seines exklusiven Kennzeichens, des non espletivo, in den konjunktivischen Vergleichssatz deutet eine Tendenz zur Generalisierung bzw. Konventionalisierung der Verbindung von Congiuntivo und der expletiven Negation in charakteristischen Vorkommenskontexten an, in denen sich die beiden Elemente gegenseitig unterstützen. In diesen usuell gewordenen Gebrauchskontexten tragen beide Elemente zur maximalen Polarisierung des zwischen den beiden Vergleichsgrößen bestehenden Differentials bei. Die Spezialisierung der Kon struktion auf solche zuspitzenden Kontexte hat ihr Echo, wie wir im ersten Unterkapitel gesehen haben, insbesondere auch in der Grammatikographie gefunden. Es ist darüber hinaus allerdings darauf hinzuweisen, dass der Anteil von che non + Congiuntivo an den Vergleichssatzkonstruktionen insgesamt in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Meine exemplarische Korpusrecherche zu einem ganzen Jahrgang des Corriere della Sera von 1997 brachte (anders als für die übrigen Vergleichskonjunktionen) praktisch keine satzwertigen Belege für che non + Congiuntivo ans Licht. Hier müssen nun weitere synchrone Untersuchungen Aufschluss über den Status von che non + Congiuntivo im heutigen Italienisch geben. Ein Seitenblick auf konkurrierende Disparitätskonstruktionen mit alternativen Komplementierern soll dieses Unterkapitel abschließen. Beginnen wir unsere Ausführungen zu Alternativkonstruktionen im Bereich des Disparitätsvergleichs mit dem Ausdruck di quanto. Anfragen an das LIZ-Kor-
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pus zeigen, dass die Konstruktion erst sehr spät in den Texten auftritt und dabei den Congiuntivo präferiert (cf. dazu Schmitt-Jensen 1970, 625). Diese Tendenz weist darauf hin, dass die Fügung für die Sprecher zunächst noch transparent war und diese sich der Semantik des Kernelements quanto durchaus bewusst waren: Pronominales quanto kann entweder in der Funktion eines Interrogativpronomens oder aber eines freien Relativpronomens auftreten. In beiden Fällen weist die Semantik des Pronomens bestimmte Eigenschaften auf, die für die Modusselektion relevant sind: Zum einen präsupponiert quanto eine Quantifizierungsskala sowie eine damit verbundene Gradvariable, die in einer bestimmten Weise zu instantiieren ist. Zum anderen jedoch bleibt die Gradvariable hinsichtlich ihres Wertes unbestimmt, d.h. das Denotat von quanto-Sätzen ist nicht auf einen spezifischen Wert festgelegt. In seiner Funktion als freies Relativpronomen – etwa in dem Beispiel (135) «É contrario a tutto quanto abbia a che fare con la religione.» (Renzi, I, 489)
signalisiert quanto, dass die Menge der relevanten Fälle prinzipiell offen ist. Für das angeführte Beispiel gilt mithin:
lx [abbiamo a fare x con la religione], x ∈ M, wobei M: Menge möglicher Optionen.
Als Fragepronomen erfragt es die Beschaffenheit der Denotatsmenge (die Anzahl von x), zum Beispiel: (136) Quanti ne abbiamo oggi?
Vereinfacht dargestellt entspricht dies: lx [oggi abbiamo x], x ∈ Kardinalzahl. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts – so beispielsweise in den Dramen Pirandellos – scheint auch der Indikativ im Vergleichssatz zu einer möglichen und sogar häufigeren Variante zu werden. Einige Belege sollen die Entwicklung dokumentieren: (137) «alcuni gridavano evviva, altri imprecavano e minacciavano Pietro più seriamente al certo di quanto fosse stato minacciato sino allora, poiché nella mezza luce si vedevano luccicare lame di coltelli affilati.» (Verga, Una peccatrice, V) (138) «Anche quella giubba e quel bottone in realtà potevano essere più duri di quanto egli sognasse.» (Svevo, corto viaggio sentimentale, III. Verona-Padova) (139) «‹Troppa furia ... troppa furia, signor marchese! Lei ha ragione d’averne, a quanto sembra; ma appunto per questo badi che il caso è molto più grave di quanto lei s’immagina›.» (Pirandello, Il piacere dell’onestà, scena undecima)
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Komparativsätze
Es wurde auch versucht, einen Eindruck von der quantitativen Verteilung der möglichen Merkmalskombinationen (Indicativo/Congiuntivo, +/– non espletivo) im Kontext der Fügung di quanto che zu gewinnen. Die exemplarische Abfrage eines Jahrganges des Corriere della Sera von 1997 ergibt das folgende, tabellarische Bild: Tabelle 31: Verteilung von expletiver Negation und Modus im Vergleichssatz mit di quanto che Kombination
Non + Congiuntivo
Congiuntivo
Indicativo
Non + Indicativo
Häufigkeit
46
108
35
2
Anteil in %
24,08%
56,54%
18,32%
1,05%
Es fällt auf, dass bei weitem der konjunktivische Modus überwiegt (über 80% der Fälle) und immerhin in einem Drittel der Fälle der Congiuntivo zusammen mit der expletiven Negation auftritt. Wir können an dieser Stelle keine exhaustive semantische Analyse der unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten von Modus und expletiver Negation im heutigen Italienisch leisten. Der interessierte Leser sei auf eine weiterführende Untersuchung (Becker 2010, 35ss.) verwiesen. Immerhin sollen aber kurz Grundtendenzen im Hinblick auf die drei Hauptkombinationen skizziert werden: –– Indikativischer Modus ohne non espletivo: In den indikativischen Vergleichssätzen wird der Positivwert des Standards d2, zu dem die in Rede stehende Eigenschaft effektiv realisiert wird, durch den sprachlichen Kontext elaboriert. Typische Verfahren, den Positivwert herauszustellen sind zum Beispiel die temporale Verankerung des Vergleichswertes in der Basiswelt (cf. (140)) sowie die explizite Verortung mithilfe von «Weltgeltungsmarkern» wie in effetti, effettivamente, in realtà etc. in der aktuellen Welt w0 (Beispiel (141)): (140) «[…] una sintesi della politica estera italiana ben più esplicita di quanto fino a ieri era già comprensibile.» (Corriere 09.04.97, 4) (141) «[…] ci siamo sentito più forti di quanto in realtà siamo.» (Corriere 12.03.97, 43)
–– Der Congiuntivo fokussiert hingegen auf das zwischen den Gradausprägungen bestehende Differential (Diff(d1-d2)), das sprachlich auf unterschiedliche Weise salient gemacht wird: Mithilfe von Grad- bzw. Fokuspartikeln (wie molto und ancora) lässt sich das Differenzintervall so dimensionieren, dass die Ausprägung des Vergleichswertes d 2 im Verhältnis hierzu irrelevant erscheint. Die Amplifizierung des Differenzintervalls ist dabei vielfach hyperbolisch. Oftmals wird der Vergleichsswert d2 auch mithilfe von episte-
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Vergleichs- und Bezugswelten
mischen Prädikaten in einem subjektiven Modell verortet (modale, insbesondere doxastische, Lesart). Man vergleiche: (142) «[…] è un talento ancora più precoce di quanto lo sia stato io.» (Corriere 17.02.97, 45) (143) «[…] realizzare una rivoluzione tattica più complessa di quanto si creda» (Corriere 24.01.97, 43)
–– Die Kombination aus Congiuntivo und der expletiven Negation spitzt die zwischen dem Vergleichswert d2 und dem Referenzwert d1 bestehende Spannung noch weiter zu. Sie tritt generell im Rahmen antithetisch angelegter Argumentationsmuster auf und hat sich insbesondere im Rahmen von Pressetexten diskursiv usualisiert. Wir wollen ein exemplarisches Textbeispiel kurz kommentieren: (144) «Qualche ruga c’è, e si sapeva. Guardandosi allo specchio, tuttavia, l’industria brianzola scopre di essere più presentabile di quanto non si potesse sospettare, vista la chiusura a raffica delle aziende storiche. Tra il ‘96 e il ‘97, infatti, il numero dei lavoratori non dovrebbe calare: alla fine dell’anno, anzi, le imprese della zona contano di assumere 3.480 persone. Nello stesso periodo se ne saranno andati 3.093 dipendenti.» (Corriere della Sera, 25.02.97, 47)
Die Textpassage richtet das Augenmerk des Lesers zunächst auf scheinbar allgemein bekannte Fakten zu den industriellen Problemen der Brianza. Der Komparativsatz antizipiert die auf topischem Wissen beruhende Standarderwartung der Leser: non si poteva aspettare p. Der konjunktivische Modus weist die Standarderwartung einem subjektiven epistemischen Modell zu, markiert die Proposition als Bestandteil des Meinungswissens der «vox populi». Der Matrixsatz formuliert seinerseits die im Weiteren zu beweisende Antithese: tuttavia q (q: l’industria è più presentabile). Es folgt der Beweisteil, der die Proposition q mithilfe von statistischen Daten argumentativ untermauert (cf. ausführlich Becker 2010, 13s.).
Die zweite Alternativkonstruktion um den Ausdruck di quel che lässt sich hingegen deutlich früher, nämlich schon seit Galilei, belegen. Die sehr spärlichen Vorkommensfälle variieren zunächst zwischen dem Condizionale und dem Congiuntivo als korrelierender Verbalkategorie. Während das Condizionale Alternativwelten herausstellt – in dem Galilei-Zitat verankert die Verbform dovrebbe die Proposition in allen Welten (an allen Indizes), in denen sich Dinge verhalten, wie man es von ihnen üblicherweise (per consueto) erwartet –, fokussiert der Congiuntivo auf den Normcharakter der Vergleichsgröße: Es ist gleichsam unmöglich, irgendeinen Kandidaten zu bestimmen, der dem Idealmaß d (essere d-versato come il padre Lodoli) entspricht. Wiederum ist die Vergleichskategorie
Komparativsätze
531
offenbar nicht referentiell zu verstehen, jedoch auch nicht als dem Ideal nachgeordnete Welt. Sie statuiert vielmehr selber die Norm und steht als solche (als Idealkonstrukt) jenseits der aktuellen Welt w0 und ihren Instanziierungen an verschiedenen Zeitindizes t. (145) «Conosco talora i marinari esperti il vento che da qualche parte del mare dopo non molto intervallo è per sopragiunger loro, e di questo dicono esser argomento sicuro il veder l’aria, verso quella parte, più chiara di quel che per consueto dovrebbe essere.» (Galilei, Il Saggiatore) (146) «Non poteva Vostra Signoria illustrissima ritrovare un corrispondente più versato in ogni genere di studi e più autorevole co’librari di quel che sia il reverendissimo padre Lodoli, che le offre di far stampare il libro dei Princìpi di una Scienza nuova.» (Vico, Vita di Giambattista Vico, Aggiunta)
Seit dem 19. Jahrhundert sind auch indikativische Satzkonstruktionen durchaus geläufig. In diesen Kontexten sind die Propositionen referentiell zu interpretieren – im ersten Beispiel dreht sich die Konversation etwa um zwei aktuelle Realisierungsgrade d1 und d2 einer Eigenschaft, im zweiten Beispiel werden Aktualitätsund Realisierungsgrade kontrastiert (parere versus essere): (147) «Senti, Renzo: Egli ti vuol più bene di quel che te ne vuoi tu: tu hai potuto macchinar la vendetta;» (Manzoni, promessi sposi, cap. XXXV) (148) «Quando si fu stirato, tanto che gli parve di essere molto più alto di quel che era, disse: […].» (Tozzi, Tre Croci, cap. IX)
Betrachten wir nun demgegenüber Beispiele, in denen der Congiuntivo verwendet wird, um das Differenzierungskriterium herauszufiltern: (149) «La prima, che, quando Lucia tornò a parlare alla vedova delle sue avventure, più in particolare, e più ordinatamente di quel che avesse potuto in quell‘agitazione della prima confidenza, e fece menzione più espressa della signora che l’aveva ricoverata nel monastero di Monza […].» (Manzoni, Promessi sposi, cap. XXXVII) (150) «Va a guardarsi allo specchio; si vede anche più brutto di quel che non sia: ingiallito dai patimenti e dalla miseria, squallido, calvo, quasi cieco.» (Pirandello, Va bene)
Während der Indikativ aktuelle Realisierungsgrade vergleicht und dabei den positiven Charakter der auf der Skala niedriger angesiedelten Maßzahl d1 herausstellt – auch d1 stellt eine Realisierung der Eigenschaft auf der Dimensionsskala dar! –, fokussiert der Konjunktiv im Zusammenspiel mit dem non espletivo auf das Differential (d2-d1), zu dem gerade nicht die in Rede stehende Eigenschaft P realisiert wird. Für I(d2-d1) und irgendeine Eigenschaft P (lP)(P*) gilt mithin: (¬[P*(x)]) in I(d2-d1)). Hierbei profiliert die expletive Negation das Differential als ein negatives Intervall, wohingegen die Fokuspartikel anche im Matrixsatz im Zusammenspiel mit dem konjunktivischen Modus den Kontrast zwischen dem Referenzwert
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Vergleichs- und Bezugswelten
und dem Vergleichswert zuspitzt. Das Differential ist mithin so groß, dass der Vergleichswert d2 als irrelevant dahinter zurücktritt. Auf das Zitat-Beispiel «si vede anche più brutto di quel non sia» angewendet können wir sagen: Der «bruttezza»-Grad d1 in der Selbstwahrnehmung (und damit das Differential) ist derart groß, dass der eigentliche «bruttezza»-Grad d2 im Verhältnis dazu als geradezu unerheblich erscheint. Die Beziehung zwischen salientem Referenzsachverhalt und dem in den Hintergrund tretenden Vergleichssachverhalt wird durch eine Oppositionsbeziehung relativer Präsenz- bzw. Aktualitätsgrade gekennzeichnet: So ergänzen sich die relationale Gewichtung mithilfe des konjunktivischen Modus und die Herausstellung des Differentials als ein Negativintervall durch die expletive Negation in ihrer maximierenden Zuspitzung der Vergleichsdifferenz. Das Gesagte lässt sich auch sehr gut graphisch darstellen: (151) Si vede anche più brutto di quel che non sia Eigenschaftsskala Dimension: BRUTTEZZA auto percezione: d2-brutto (in w0) stato reale: d1-brutto ¬(d2 -brutto) -> für alle d aus I(d1, d2) gilt: ¬ (X è d-brutto) oder äquivalent: X è d-brutto (in w counterfactual)
d2
d1
1. Term: Referenzwert (vedersi_d2-brutto)
2. Term: Vergleichswert/Standard (essere_d1-brutto)
Aktivierte Zone: Intervall (d1, d2) Salienzopposition: mit Modusmarkierung d1 vs. I(d1, d2)
Nullpunkt
Die dritte der möglichen Alternativkonstruktionen, die Fügung di quello che, begegnet uns schon im Cinquecento (etwa bei Bembo, Gli Asolani). Der pronominale Charakter von quello ist in den früheren Belegbeispielen mehr oder weniger deutlich präsent – in der zitierten Textpassage aus Galileis Discorsi besitzt quello sogar den Status eines bestimmten Relativpronomens (es bezieht sich hier auf moto). Ein weiteres Zitat aus den Schriften des Naturwissenschaftlers zeigt, dass neben dem Condizionale auch das einfache Präsens – ganz anders als bei den anderen Konstruktionen – durchaus in älteren Texten möglich war. Dieser Umstand macht deutlich, dass den Sprechern zunächst offenbar noch die Teilkomponenten der Fügung präsent waren. Ausschlaggebend war dabei, dass
Komparativsätze
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demonstratives quello auf ein ko- oder kontextuell vorab determiniertes Quantum Bezug nimmt und damit einen spezifischen Wert für die Gradvariable d2 impliziert. Im Gegensatz zu quanto sind also die Denotate bei quello – dies sind im Rahmen der Vergleichskonstruktionen die Gradangaben – bestimmt, eine Differenz, die sich in älterer Zeit in einer systematischen Modusopposition niederschlug. (152) «[…] cercando dove io queste tormentate membra abandoni ciascun die, le quali, più durevoli di quello che io vorrei, ancora tenendomi in vita, vogliono che io pianga bene infinitamente le mie sciagure.» (Bembo, Gli Asolani, 1.XXXV) (153) «[…] se il mobile continuasse il suo moto secondo il grado o momento di velocità acquistato nella prima frazione di tempo e lo proseguisse uniformemente con tale grado, questo moto sarebbe due volte più lento di quello che il mobile otterrebbe secondo il grado di velocità acquistato in due frazioni di tempo.» (Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze, Giornata Terza: Del moto naturalmente accelerato) (154) «Ora, se noi applicheremo questo, che si è dimostrato, al nostro proposito, […], troveremo, la sua superficie esser cresciuta dugento volte più di quello che era;» (Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche intorno a due nuove scienze, Giornata prima)
Dennoch wird die Konstruktion von einigen Autoren, wie etwa Galilei, auch schon frühzeitig als eigenständige Komparativsatzstruktur interpretiert, wie die autonome Modussetzung in den folgenden Beispielen zeigt: (155) «Ma qui però si deve avvertire che, se bene il mobile E averà passata tutta la linea AC nel tempo medesimo che l’altro grave F si sarà per eguale intervallo abbassato, niente di meno il grave E non si sarà discostato dal centro comune delle cose gravi più di quello che sia la perpendicolare CB» (Galilei, Le Mecaniche: Della vite) (156) «ELEONORA Questo capo di compagnia, mi ha dato più avvertimenti di quello, che faccia un maestro di collegio il primo giorno, che riceve un nuovo scolare.» (Goldoni, Teatro comico, 3. Akt, 3. Szene)
Die konjunktivischen Vergleichssätze nehmen nicht aktuelle Sachverhalte in den Blick, sondern hypothetische. Das schöne Galilei-Beispiel markiert die Vergleichssatzproposition als Teil eines Gedankenexperiments – p ist wahr im Rahmen eines epistemischen Modells, in dem die Prämissen des Gedankenexperiments gelten, die allgemeinen Regeln der Vernunft sowie alle bekannten Sätze der Geometrie. Der Vergleichssatz des Goldoni-Beispiels nimmt hingegen auf einer stereotypen modalen Basis beruhende Welten in den Blick – Welten also, in denen sich Individuen idealtypisch verhalten und, beispielsweise, Lehrer das tun, was man am ersten Tag von ihnen erwartet: fare avvertimenti il primo giorno. Rein referentiell zu interpretierende Beispiele sind hingegen die folgenden:
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Vergleichs- und Bezugswelten
(157) «[…]: e questa parola applicata ad un uomo di quei tempi ha un senso molto più forte di quello che generalmente vi s‘intende nei nostri» (Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 2, cap. V) (158) «Tu baci questa sera un fanciullo più onesto e più degno di quello che baciasti ieri.» (De Amicis, Cuore, Speranza, 29, domenica)
Kontexte, in denen das Congiuntivo Imperfetto in Erscheinung tritt, sind uns auch schon von der Konkurrenzkonstruktion più X di quanto her bekannt. In Verbindung mit dem negativen Polaritätselement mai wird die Vergleichsdomäne des Komparativsatzes auf alle nur denkbaren – also auch die hypothetischen – Fälle erweitert. Es wird also prädiziert: Für alle – auch die letzten denkbaren Zeitindizes t gilt: ¬p, p: il re é stato più bello e più amabile. (159) «Il Re arrivò il primo, più bello e più amabile di quello che fosse stato mai in tutta la vita.» (Collodi, Racconti, delle fate, l’uccello turchino)
Ein weiterer charakteristischer Beispielfall ist das Auftreten einer Negation mit weitem Skopus im Matrixsatz. In diesem Fall wird die Disparitätsrelation schlichtweg annulliert: Die Frage nach dem Wahrheitsstatus der Vergleichsproposition p (insbesondere auch im Hinblick auf die Basiswelt w0) wird als irrelevant markiert: (160) «I contadini sparsi pei campi non rallegravano più la scena di quello che facessero i poverelli.» (Manzoni, Fermo e Lucia, vol. 1, cap. IV)
Unsere Korpusabfrage zu di quello che bzw. di quel che hat für den Corriere della Sera-Jahrgang von 1997 insgesamt 32 Belege für di quello che (mit 30 indikativischen (ohne non espletivo) und 2 konjunktivischen Fällen) sowie 13 Belege für di quel che (11 indikativische (ohne non espletivo) und 2 konjunktivische Belege (einer davon mit non espletivo) erbracht. Auch hier tritt der Indikativ in der Regel nicht zusammen mit der expletiven Negation auf. Anders als bei di quanto dominiert bei diesen beiden Fügungen der Indikativ, was darauf hindeutet, dass die Konstituenten der beiden Fügungen für die Sprecher noch durchsichtig, also semantisch motiviert sind. Wir können nun abschließend mit Blick auf unseren Untersuchungsschwerpunkt festhalten, dass die Kategorie Modus in der Geschichte des italienischen Komparativsatzes einen Funktionswandel erfahren hat. Wie sich zeigte, verteilten sich bis zum 19. Jahrhundert die Kombination Indikativ + non espletivo einerseits und der Congiuntivo (ohne non espletivo) andererseits, vollkommen komplementär. Dabei kam dem Indikativ mit obligatorischem non espletivo die Funktion zu, auf der Grundlage eines referentiell zu interpretierenden Vergleichssachverhalts eine zugrundeliegende negative Implikatur herauszustellen. Der Konjunktiv besaß hingegen die Funktion, nicht-aktuelle, also rein abstrakte Vergleichswelten (und damit mentale Konstrukte) zu profilieren.
Komparativsätze
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Seit dem 19. Jahrhundert treten nun der Congiuntivo und das non espletivo gemeinsam auf und bilden eine starke Korrelation zwischen ihnen aus. Im Gegenzug wurde die Kombination aus expletiver Negation und indikativischem Modus in praktisch allen Vergleichsfügungen marginalisiert. Die Verbindung aus Con giuntivo und expletiver Negation usualisierte sich insbesondere in einer zentralen Gebrauchsfunktion, nämlich der Polarisierung des zwischen den Vergleichsgrößen bestehenden Differentials. Das non espletivo profilierte das zwischen dem Referenzwert d1 und dem Vergleichswert d2 bestehende Differenzintervall als ein negatives Intervall, zu dem die Vergleichsentität die in Rede stehende Eigenschaft gerade nicht erfüllte. Der konjunktivische Modus hingegen stellte im Zusammenwirken mit Fokus- und Gradpartikeln im Matrixsatz auf den Hintergrundcharakter der Größenausprägung der Vergleichsentität ab. Es ist möglich, dass der Congiuntivo in seiner – offenbar noch weiter zunehmenden – Kookkurrenz mit dem non espletivo in vielen typischen Kontexten als ein Element reanalysiert wird, das die Differenzlesart noch weiter verstärkt bzw. zuspitzt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die statistisch signifikante Kookkurrenz weiter konventionalisiert und die Verbindung von konjunktivischem Modus und dem non espletivo einen usuellen Charakter erlangt. Im heutigen Standarditalienisch zeichnen sich drei grundlegende Tendenzen hinsichtlich der Kombinatorik von Modusselektion und expletiver Negation in Vergleichssatzkonstruktionen ab: –– Ein autonomes System der Modusselektion, das sich aus der Funktion von expletiver Negation (Kennzeichnung der zugrundeliegenden negativen Implikatur) und den Moduskategorien ergibt, wobei der Indikativ auf den referentiellen Status der Vergleichswertausprägung abhebt (eine Eigenschaft besteht tatsächlich zum Grade d2) und der Konjunktiv entweder auf den modalen Status von d2 (d2 existiert lediglich in möglichen bzw. subjektiven epistemischen Welten) oder auf die – relational betrachtet – komparative Irrelevanz von d2 fokussiert. Dieses «freie grammatische» Kombinationsmodell ist am weitesten bei di quanto ausgebildet, mag aber durch die Tendenz zur Konventionalisierung der Kombination aus expletiver Negation und konjunktivischem Modus langfristig außer Kraft gesetzt werden. –– Die Usualisierung des Indikativs bei gleichzeitigem Abbau des non espletivo – also ein Verzicht auf die Kennzeichnung der zugrundeliegenden negativen Implikatur. Am ausgeprägtesten findet sich diese Tendenz bei den Komparativfügungen di quel/quello che, bei denen offenbar immer noch die Semantik des Kernelements bei der Modusselektion zum Tragen kommt, weil sie für die Sprecher weiterhin motiviert bleibt. –– Die Generalisierung des konjunktivischen Modus bei dem Komparativjunktor che (+ non), wobei dieser jedoch deutlich an Bedeutung im heutigen Standarditalienisch eingebüßt hat.
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Vergleichs- und Bezugswelten
Abschließend können wir festhalten, dass der konjunktivische Modus im Laufe der Sprachgeschichte des italienischen und französischen Komparativsatzes völlig unterschiedliche Funktionen annahm: Er konnte wie im Altfranzösischen Maximal- und Minimalwelten kennzeichnen, im älteren Italienisch abstrakte und ideale Welten ausweisen und trägt heute zusammen mit der expletiven Negation zur Zuspitzung und Maximierung der Differenz zwischen einem Referenz- und einem Vergleichswert bei. Wir haben darüber hinaus im Laufe des Kapitels eine Reihe von Übergangszonen (etwa Ansätze zur Kennzeichnung einer negativen Implikatur im Französischen des 15. Jahrhunderts) kennengelernt, die sich jedoch nicht in der sprachhistorischen Dynamik behaupten konnten.
5.2 Superlativische Relativsätze 5.2.1 Analyseansätze zum Modus im superlativischen Relativsatz Die Modusdifferenzierung im Relativsatz nach dem Unterscheidungskriterium Referentialität versus Attributivität gehört zu den stabilen Komponenten des romanischen Modussystems und soll deshalb hier nicht erneut behandelt werden (cf. Farkas 1982; 1985; Kleiber 1983; Kampers-Manhe 1991; Quer 1998; Giannakidou 1998 u.a.m.). Sehr viel interessanter ist hingegen die Modusentwicklung im superlativischen Relativsatz bzw. überhaupt in den Relativsatzkonstruktionen, die man als Salienzkonstruktionen kennzeichnen könnte. Es handelt sich dabei um Relativsätze, bei denen jeweils ein besonderes Element aus einer geordneten Bezugsmenge (le premier, le dernier, le seul) oder einer unbestimmten Teilmenge (un des rares, un(e) des plus) herausgegriffen und charakterisiert wird. Wie sind nun aber die Modusverhältnisse in solchen Salienzkonstruktionen zu interpretieren? Die ausführlichste Studie zu den diesem Themenkomplex aus synchroner Sicht legte Kampers-Manhe (1991) vor. Sie kritisiert in ihrer Studie die bis dahin vorherrschende traditionelle Auffassung in normativer Grammatik (Grevisse 1980) und deskriptiver Linguistik (Le Bidois/Le Bidois 1935–1938), dass es sich bei dem Subjonctif in superlativischen Relativsätzen um ein Mittel der Dämpfung handelt «un tempérament à la valeur absolue de la principale»76 oder wie es bei Le Bidois/Le Bidois noch pointierter heißt: «une mise en sourdine à ce que la déclaration pourrait avoir de trop absolu».77
76 Grevisse 1980 zitiert nach Kampers Manhe (1991, 72). 77 Le Bidois/Le Bidois 1935–1938 zitiert nach Kampers-Manhe (1991, 72).
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Demgegenüber vertritt Kampers-Manhe die Auffassung, der Gebrauch des Konjunktivs in superlativischen Relativsätzen sei vielmehr ein Mittel, den Superlativ dadurch noch weiter zuzuspitzen, dass ein maximales Vergleichsfeld (oder Vergleichsparadigma) geschaffen wird. Dies erklärt auch die hohe Korrelation, die zwischen dem Konjunktiv und bestimmten negativen Polaritätselementen wie de ma vie, jamais oder au monde, die einen maximalen oder absoluten Vergleichsraum konstituieren, besteht. Kampers-Manhe merkt diesbezüglich an: «Autrement dit, la relative ne sert qu’à accentuer le superlatif. Elle établit le champ de comparaison le plus vaste possible. Cette idée est confirmée par l’emploi possible des locutions généralisantes de ma vie, jamais, au monde, dans les relatives au subjonctif, nous l’avons signalé: (159) Vous me vendez le plus beau livre que vous ayez jamais eu/que vous ayez eu de votre vie.»78
Bei den – höchst seltenen – indikativischen Relativsätzen nach einem superlativischen Ausdruck wie beispielsweise in (161) «Vous m’avez vendu hier le plus beau livre que vous aviez» (Kampers-Manhe 1991, 73)
wird nicht der Superlativ verstärkt, sondern die Antezedens-NP (le plus beau livre) näher charakterisiert. Dabei macht der Relativsatz die spezifische Bezugsmenge des jeweiligen Referenten explizit. Dies erklärt auch, warum der indikativische Relativsatz nach superlativischen Ausdrücken mit aktualisierenden und spezifizierenden adverbialen Wendungen wie alors, à ce moment, hier, ce jour-là etc. korreliert. Der indikativische Relativsatz delimitiert also das Bezugs- bzw. Vergleichsfeld der Antezendens-NP und verleiht diesem einen spezifischen Charakter. Der zuvor angegebene Beispielsatz muss also in der Form «vous m’avez vendu hier le plus beau parmi les livres que vous aviez» interpretiert werden, d.h. der Akzent wird auf die Tatsache gelegt, dass sich die Bezugs- bzw. Vergleichsmenge aus einer spezifischen Menge von Büchern konstituiert, die im Bedarfsfalle auch genau quantifiziert werden könnte.79 Kampers-Manhe nimmt in ihrer weiteren Analyse an, dass superlativische Relativsätze im Indikativ und Konjunktiv auch eine unterschiedliche syntaktische Struktur besitzen. Wir wollen diesen Argumentationsstrang hier jedoch nicht weiter verfolgen (cf. Kampers-Manhe 1991, 123ss.), da letztlich nicht einsichtig ist, worin der strukturelle Unterschied zwischen den beiden Relativsatztypen bestehen soll. Der indikativische Relativsatz unterscheidet sich vom kon-
78 Kampers-Manhe (1991, 72). 79 Kampers-Manhe (1991, 73).
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Vergleichs- und Bezugswelten
junktivischen Relativsatz weder hinsichtlich seiner syntaktischen Realisierung noch im Hinblick auf seine Funktion. Vielmehr legt dieser genauso wie sein konjunktivischer Gegenpart die jeweils relevante Vergleichs- bzw. Bezugsdomäne (also die Grundgesamtheit) fest, bestimmt also den 2. Term. Ihre Differenz besteht ausschließlich in ihrer unterschiedlichen Determinierungsleistung im Verhältnis zur Vergleichsdomäne, deren Zusammensetzung sie festlegen. Dabei spielen Merkmale wie «Abgeschlossenheit», «Bestimmtheit» und «Spezifizität» die ausschlaggebende Rolle. Diese «interpretativen» Aspekte haben jedoch ihren Platz auf der Ebene der Satzsemantik (bzw. der logischen Form (LF)). Daher sollte die Modusopposition zwischen superlativischen Relativsätzen – so wie auch die anderen Relativsatztypen – auf dieser Ebene behandelt werden. Kampers-Manhe vergleicht denn auch den superlativischen Relativsatz im Konjunktiv mit den anderen Typen konjunktivischer Relativsätze. Wie sie – ganz im Einklang mit Farkas 1982 und 1985 – zeigen kann, befinden sich solche Relativsätze stets im Skopus eines besonderen Operators wie der Negation (NEG), des Frageoperators (Q), des Bedingungsoperators (SI) oder eines intensionalen Operators (WANT, IMP), deren gemeinsames Merkmal es ist, nicht-veridische Kontexte zu schaffen. Kampers-Manhe versucht nun auch den Superlativ ebenfalls als einen solchen Operator zu profilieren. So wendet sie sich am Ende ihrer Analyse der verschiedenen modalen Operatoren noch einmal dem superlativischen Relativsatz im Subjonctif zu und stellt zusammenfassend fest: «Pour l’interprétation sémantique, nous dirons que la phrase au subjonctif est dans le champ du superlatif, par l’intermédiaire de sa trace. En effet, si la phrase est le complément du superlatif, il est nécessaire de penser que, comme les verbes virtuels par exemple, ce dernier porte sur son complément. C’est parce que la relative est dans le champ du superlatif qu’elle ne fait qu’appuyer la modalité qu’il exprime: son emploi vise à établier le plus vaste champ de comparaison possible.»80
Diese abschließende Formulierung verdeutlicht noch einmal die Vermischung von syntaktischer und logischer Ebene in Kampers-Manhes Analyse und wirft zudem die Frage auf, ob die Modusalternation bei superlativischen Relativsätzen tatsächlich in Analogie zu den übrigen Skopus-Phänomenen im Kontext nicht-veridischer Operatoren erklärt werden kann. Schon die Existenz der indikativischen Relativsatzvariante spricht gegen den nicht-veridischen Charakter des Superlativs. Auch besitzt der Superlativ nicht die semantischen Eigenschaften der bekannten nicht-veridischen Operatoren: Sein Skopus reicht nicht über sein Bezugsadjektiv hinaus, mit dem er zusammen das jeweilige Nomen
80 Kampers-Manhe (1991, 215).
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determiniert – ganz im Gegensatz zu nicht-veridischen Operatoren, die ganze Sätze (Adverbial-, Komplementsätze oder Relativsätze) in ihren Skopus nehmen können. In syntaktischer Hinsicht befinden sich diese Operatoren in einer Kopfposition und regieren ihre jeweiligen Komplemente in der Konfiguration des c-Kommandos. Eine solche Interpretation ist aber für superlativische Relativsätze nicht überzeugend. A. Giannakidou behandelt den superlativischen Relativsatz im Rahmen der Polaritätsthematik ganz in Analogie zum Komparativsatz.81 Auch der superlativische Relativsatz stellt eine geeignete Lizensierungsumgebung für negative bzw. affektive Polaritätselemente dar, da auch er einen nicht-veridischen Kontext schafft. Die Lizensierung von NPIs bzw. APIs erfolgt wiederum über einen indirekten Mechanismus, nämlich qua negativer (konventioneller) Implikatur. Giannakidous Argumentation greift also Überlegungen zum Komparativsatz wieder auf, wie das folgende Illustrationsbeispiel zeigt:82 (162) «Ine o pjo omorfos andras pu exo dhi pote sti zoi mu.» be.3sg the most handsome man who have.1sg seen ever in life my (ʽHe is the most handsome man I have ever seen in my lifeʼ)
i. He is g handsome ii. The men I have seen before were at most k handsome iii ¬[I have seen a man g handsome in my life] Giannakidou charakterisiert die Implikatur in (iii.) wieder als konventionelle Implikatur, da sie nicht annulliert werden kann, ohne einen Widerspruch zu erzeugen (# He is the most handsome man I have ever seen in my life. I have seen another man who was as handsome as him). Allerdings sprechen einige gewichtige Gründe dagegen, eine zugrundeliegende negative Implikatur als Auslöser für den konjunktivischen Modus (der dann, wie dies Giannakidou vorschlägt, als affective polarity item interpretiert wird) anzusehen: –– Insbesondere im Altfranzösischen findet sich eine signifikante Anzahl von indikativischen Belegen in charakteristischen Subjonctif-Kontexten wie beispielsweise in solchen, die sich durch negative Polaritätselemente wie jamais und vor allem on(c)ques auszeichnen. Man vergleiche etwa das folgende Kontrastpaar:
81 «Superlatives can be handled on a par with clausal comparatives. They also give rise to a negative implicature, and this implicature is, again, conventional» (Giannakidou 1998, 153). 82 Giannakidou (1998, 153).
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Vergleichs- und Bezugswelten
(163) «c’est le filz d’ung bourgeois de Paris, qui maine le plus beau et haultain train que oncques homme mena, pour tant de gens qu’il maine.» (jehparcb, 29.013–29.015) (164) «[…] qui sont avec le roy dient que ce soit cloistre, et je leur diz que c’est le plus large que je veisse onques» (jehparcb, 657.006)
–– Der Subjonctif figuriert auch im Altfranzösischen schon in Salienzkonstruktionen, die keine negative Implikatur zulassen. Beispielsweise lässt der Ausdruck un des plus auch weitere Elemente x aus der Teilmenge der plus ADJ x zu: (165) «[…] et fu endroit costantinople d’autre part del braz devers la turchie cil palais fu uns des plus biax et des plus delitables que onques oel peussent esgarder de toz» (vilea, 2033–2038)
–– Die breite Streuung von Kategorien in den Salienzkonstruktionen – und zwar sowohl von indikativischen als auch konjunktivischen – macht deutlich, dass es weniger darum geht, eine implizite Negation zu kennzeichnen (was auch durch negative Polaritätselemente oder ein Negationselement wie im Vergleichssatz mindestens ebenso gut geleistet werden könnte), als vielmehr die Bezugsdomäne hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und modalsemantischen Eigenschaften zu charakterisieren. So kommt dem Relativsatz im Rahmen einer Salienzkonstruktion die Aufgabe zu, den Referenzhintergrund, vor dem ein spezifisches Element als besonders salient profiliert wird, in einer jeweils charakteristischen Weise zu konzeptualisieren. Die Verbalkategorien besitzen – neben bestimmten adverbialen Elementen – eine zentrale Funktion bei der Elaboration der Struktur (Komposition) und des semantischen Charakters der jeweils relevanten Bezugsmenge, aus der das besonders ausgezeichnete Element herausgegriffen wird. Dieser Grundgedanke – der zentrale Beitrag der Verbalkategorien sowie spezifischer adverbialer Ausdrücke an der Konfigurierung der spezifischen Struktur und Beschaffenheit der Bezugsdomäne – soll im Verlauf der weiteren Analyse unterschiedlicher Kontexte präzisiert und weiterentwickelt werden.
5.2.2 Modus im superlativischen Relativsatz des Altfranzösischen Die Relevanz der grundlegenden Scheidung zwischen indikativischen und konjunktivischen Verbalkategorien braucht nach dem letzten Unterkapitel an und für sich nicht mehr genauer ausgeführt zu werden. Von Bedeutung ist aber die Tatsache, dass sich innerhalb der konjunktivischen Domäne im Altfranzösischen eine deutliche Oppositionsbeziehung zwischen dem Subjonctif Présent und dem
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Subjonctif Imparfait mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen für die Konzeptualisierung der Bezugs- bzw. Vergleichsdomäne abzeichnet. Es fällt grundsätzlich auf, dass der Subjonctif Imparfait (im Folgenden auch Subjonctif II) typischerweise in Verbindung mit den Polaritätselementen on(c)ques (cf. lat umquam) sowie – jedoch mit bezeichnenden Ausnahmen – jamais verwendet wird. So ist letzteres – wie wir auch schon in Kapitel 2 im Zusammenhang mit der Domäne der Epistemizität gesehen haben – mit dem Subjonctif I kompatibel, mithin in seiner Prädikationsleistung offenbar nicht so absolut wie on(c)ques, das bisweilen sogar noch durch die Partikel mais verstärkt wird. Betrachten wir typische Subjonctif-II-Beispiele in Verbindung mit oncques und jamais: (166) «[…] tant estoit assoté de sa maison, voire au mains du regard de sa femme, qui miserablement son temps passoit avecques son tresmaudit mary, le plus supessonneux hoignard que jamais femme accoinstast.» (cnncb, 85.012–85.016) (167) «car vos m’avez ci tolue la plus bele compaignie et la plus loial que je onques trovasse et ce est la compaignie de la table reonde.» (queste, 982–987) (168) «[…] car vos en recevroiz hui le plus haut loier que onques chevalier receussent.» (qgracmcb, 269.039–269.04)
Besonders beliebt in den älteren Texten ist zudem die stereotyp-formelhafte Kombination von oncques mit dem als Evidential fungierenden Perzeptionsverb voir, vor allem in der Fügung que je veisse onques: (169) «I rois li respondi il me semble que la lor vie soit la plus maleuree que ge omques mais veisse.» (barlaam, 2531–2533) (170) «[…] et la sus avoit trouvé grant nombre de gens, les plus beles gens que que il eust onques veues, les miex vestus, les miex parés.» (jehparcb, 480.009–480.010)
Was ist nun die besondere Leistung des polaren Elements oncques hinsichtlich der Elaborierung der Bezugsdomäne? Das Adverb on(c)ques weitet den Auswertungsbereich für die Propositionen auf alle nur denkbaren Indizes aus, die vor t0 liegen. Obwohl für alle Indizes i gilt, dass x1 die Eigenschaft maximal realisiert (oder auch, dass kein anderes x diese Eigenschaft zum Grade d1 besitzt), so bleibt doch der letzte bzw. äußerste Betrachtungsindex und damit das Denotat, also die Zusammensetzung der Menge der Auswertungsindizes, unbestimmt. Der Subjonctif Imparfait instrumentiert nun gleichsam diese Unbestimmtheit: Es sind beliebige letzte Indizes und damit auch unterschiedlich zusammengesetzte Denotatsmengen (Mengen von Indizes) denkbar, die für den Verifikationsprozess zum Sprechzeitpunkt in den Blick genommen werden. In jedem Falle muss gelten, dass ganz gleich, welchen Auswertungsindex der Sprecher auch betrachtet, das saliente Indivi-
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duum die Eigenschaft in der maximalen Ausprägung d* erfüllt (wobei die Exklusivität des Individuums den Schluß zulässt, dass jedes andere denkbare x die relevante Dimension nicht zum Grade d* realisiert). Der unbestimmte Charakter des Adverbs oncques, das eigentlich auf eine maximale Menge von Zeitindizes referiert, stellt die Voraussetzung für eine Art «world-multiplying-effect» dar: Obwohl die Menge der Indizes, für die die Proposition p gelten soll, nur Zeitindizes t umfasst, führt die Ausweitung der Evaluationsdomäne in Richtung auf eine Maximalität zu einer prinzipiellen Unbestimmbarkeit sowie Beliebigkeit der sich aus den Auswertungsindizes zusammensetzenden Denotatsmenge. Es sind nun, je nachdem, welche Indizes der Sprecher als letzte, maximale Indizes ansieht, völlig unterschiedliche Denotatsmengen und damit auch verschiedene Auswertungsalternativen (≈ Welten) denkbar. Man kann noch weiter gehen und sagen, dass das Adverb oncques im Verbund mit dem Konjunktiv eine absolute Quantifizierung über Sachverhalte leistet, der Sprecher also bereit ist, für die Wahrheit von p an Indizes zu bürgen, die er gar nicht bewusst in den Evaluationsprozess einbezogen hat, weil sie ihm beispielsweise nicht mehr im einzelnen präsent sind oder er sie als nicht gerade naheliegend angesehen hat. Mit anderen Worten: Mit der absoluten Quantifizierung hält sich der Sprecher die Option offen, die Menge letzter Auswertungsindizes notfalls noch zu erweitern. Er verpflichtet sich also ex ante auf die Wahrheit von p auch an diesen letzten denkbaren und möglicherweise noch relevanten Indizes. Völlig anders konzipiert wird offenbar die Bezugsdomäne in solchen Kontexten, in denen die Polaritätsadverbien oncques und jamais zusammen mit dem Passé Simple auftreten. (171) «c’est le filz d’ung bourgeois de Paris, qui maine le plus beau et haultain train que oncques homme mena, pour tant de gens qu’il maine.» (jehparcb, 29.013–29.015) (172) «s’il est vostre plaisir, de quel estat estez vous qui telle compaignie menez, car c’est la plus belle que je vis oncques.» (jehparcb, 21.024–21.026) (173) «Venez veoir la plus belle compaignie que oncques fut veue sus terre.» (jehparcb, 36.057–36.058)
In den indikativischen Fällen (die im Übrigen auch ihre konjunktivischen Pendants besitzen, d.h. keine autorenspezifischen Modusgebräuche wiedergeben) quantifiziert oncques natürlich auch über alle Zeitindizes. Anders aber als bei der Konzeptualisierung mittels des Subjonctifs erscheint die Menge der Auswertungsindizes als abgeschlossen und kann folglich als ein klar delimitiertes Intervall auf der Zeitachse t dargestellt werden. In den Beispielkontexten wird zwar der jeweilige linke Randpunkt (der erste in den Blick genommene Index) nicht explizit bestimmt, er wird jedoch als prinzipiell bestimmbar konzeptualisiert (so entspricht etwa der erste Index in Beispiel (172) dem Zeitpunkt, an dem
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der Sprecher die erste schöne Frau in seinem Leben gesehen hat) – die Menge der Auswertungsindizes erweist sich also als grundsätzlich bestimmbar und somit abgeschlossen. Es lassen sich im Falle von oncques folglich zwei Lesarten identifizieren, die mit zwei unterschiedlichen – jeweils durch differenten Modus angezeigten – Konzeptualisierungen der Referenzdomäne verbunden sind: –– Die Menge der Auswertungsindizes kann als prinzipiell abgeschlossen und hinsichtlich ihrer Zusammensetzung bestimmbar charakterisiert werden, sodass sich die Referenzdomäne als ein abgeschlossenes Intervall von Zeitindizes, für das p gilt, erfassen lässt (= Indikativoption). –– Die Menge der Auswertungsindizes wird als unbestimmt und prinzipiell beliebig erweiterbar interpretiert, sodass je nach berücksichtigten letzten Indizes unterschiedliche Auswertungsmengen, d.h. verschiedene Auswertungsalternativen denkbar sind (und durchaus auch antizipiert werden). Für die Wahrheit von p an allen diesen denkbaren Auswertungsalternativen bürgt der Sprecher ex ante (absolute Quantifizierung über p) (= Konjunktivoption). Die für die Adverbien oncques bzw. jamais in Verbindung mit dem Subjonctif kennzeichnende Ausweitung der Evaluationsdomäne auf letzte noch denkbare Indizes lässt sich auch sehr gut an einem Testfall belegen: So wird der quantifizierende Ausdruck touz/toutes lez foiz que, der über alle Fälle der gleichen Sachverhaltsklasse prädiziert, stets in Verbindung mit dem Indikativ verwendet. Im folgenden Beispiel soll für eine Menge von Zeitindizes gelten: venir_a_court’(ils): (174) «[…] et quant il furent descendu en l ostel le roi, ou il avoient leur giste et leur repaire toutes les foiz que il venoient a court, hestors commenca a […].» (mortartu, 463)
In einem der wenigen Beispiele, in denen sich tatsächlich toutes les foiz que in Verbindung mit dem konjunktivischen Modus nachweisen lässt, erweitet das Adverb jamais wiederum die Menge der betrachteten Indizes auf letzte noch denkbare Indizes: (175) «Et oultre plus, treshumblement vous requier, pour tous les services que jamais vous feis, qui ne sont pas telz que j’en eusse eu la volunté […].» (cnncb, 94.031–94.033)
In beiden Satzbeispielen wird die Indexmenge, für die p gelten soll, nicht näher bestimmt. Im ersten Fall (Beispiel (172)) jedoch wird sie als prinzipiell bestimmbar dargestellt (man könnte beispielsweise die Hofbesuche der Protagonisten nachzählen). Im Konjunktivbeispiel (= 173) wird die Denotatsmenge letztlich unbestimmt bzw. offen gelassen: Der Sprecher möchte sich, in eigener Sache argumentierend, nicht auf den letzten (Zeit-)Index t festlegen lassen, an dem galt:
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[[je feis un service]]t = 1. Nun sind aber die Kontexte mit den Zeitadverbien oncques und jamais nicht die einzigen, wenn auch die kennzeichnendsten Vorkommenskontexte des Subjonctif Imparfait. In den folgenden Beispielen dienen Ortsangaben (en la Morée, en ceste pais), bevorzugt auch in Verbindung mit dem negativen Polaritätselement nul (cf. formelhaftes en nule terre), als Bezugswelt(en) konstituierende Elemente. Der Subjonctif-Imparfait-Gebrauch in Verbindung mit der adverbialen Bestimmung en nule terre ist fast selbstredend: Als Auswertungswelten werden eine unbestimmte Menge von möglichen Bezugswelten (die jeweils unterschiedlich zusammengesetzt sein können) angeboten. –– mit Polaritätselement nul + Ortsangabe: en nule terre (176) «[…] et une pucele niece le roi qui ert la plus religieuse que len seust alors en nule terre.» (qgracmcb, 267.024–267.025) (177) «[…] qui ert la plus sainte chose et la plus religieuse que len seust alors en nule terre.» (qgraalcb, 268.024–268.026)
Im Falle der präzisen räumlichen Umgrenzung (en la Morée, en ceste pais) bleibt aber offen, welche Individuen in den Vergleich mit einbezogen werden, d.h. wie an dem Ort, zum gegebenen Zeitpunkt die Individuendomäne genau beschaffen ist. Wir sehen: Welten können auch dadurch zustande kommen, dass die an einem Ort zu einer Zeit zu berücksichtigenden Individuen der Diskursdomäne unbestimmt sind. –– Ortsadverbial: en la Morée, en cest païs: (178) «[…] pour faire plaisir a Jaque, son frere, qui estoit adonc le plus vaillant homme d’armes que li empereur eust en la Morée […].» (moreecb, 671.007–671.01) (179) «[…] et une fille la plus bele que len seust en cest païs» (qgracmcb, 232.011)
Aufschlußreich ist auch der folgende Kontext, in dem die Proposition immerhin im Hinblick auf ein zusammenhängendes Zeitintervall prädiziert wird: –– depuis la loi de Mahommet: (180) «De la partie des Sarrasins estoient la plus grant armee que depuis la loy de Mahommet ilz eussent faite, […].» (saintrcb, 212.034–213.001)
Es handelt sich offenbar um einen Fall von Ahnungslosigkeit: Der christliche Sprecher ist nicht über die Verhältnisse in der muslimischen Welt informiert. Er scheint weder in der Lage zu sein, das Intervall der loi de Mahommet richtig zu bestimmen, noch die Anzahl und Zusammensetzung seither gebildeter Armeen angeben zu können. Die Bezugswelt(en) der Aussage bleiben mithin völlig offen.
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Wenden wir uns nun der in der Konjunktivdomäne bestehenden Opposition zwischen Bezugswelten, die durch den Subjonctif Présent sowie solchen, die durch den Subjonctif Imparfait gekennzeichnet werden, zu. Vorauszuschicken ist der Hinweis, dass der Subjonctif I im Gegensatz zum Subjonctif II im altfranzösischen superlativischen Relativsatz recht selten anzutreffen ist und auf besondere Kontexte beschränkt bleibt. In dem folgenden Vorkommenskontext erklärt sich die Wahl des Subjonctif I unmittelbar, da dort die relevante Proposition im Hinblick auf die Verhältnisse zum Sprechzeitpunkt verifiziert werden soll: (181) «‹Seigneurs, le plus fort ennemi que nous aions, c’est Prestre Jehan›.» (jehparcb, 478.003)
Einen häufigen Bezugskontext im Subjonctif Présent schafft das Verb savoir. Es schreibt die superlativische Aussage in das aktuelle epistemische Modell des Sprechers ein: (182) «[…] ke ieo puisse amer e dreit seruir sa trace de dampnedeu seruir sui le plus lent que io sace» (sergbH, 1419–1420) (183) «[…] je vos respont que ge sui morte por le plus preudome del monde et por le plus vilain: ce est Lancelos del Lac, qui est li plus vilains que ge sache.» (artucb, 71.017– 71.020)
Durch Ausdrücke wie en paienie, en crestiente oder la loy paiennime (sic!) werden kulturelle Bezugsräume geschaffen, die als Hintergrunddomäne für eine auf der Dimensionsskala im Maximum lokalisierte Entität dienen. –– en paienie/crestiente: (184) «[…] et li rois murgalez le roi tiebaut i doit len coroner prise a orable la seror l’amire c’est la plus bele que len puisse trover en paienie n’en la crestiente.» (nima1, 521–524)
–– la loi paiennime (185) «[…] et encore ferons nos pis se nous ne tuons le roy, quelque asseurement que nous li aions donné, car c’est le plus fort ennemi que la loy paiennime ait.» (jehparcb, 372.009–372.011)
Durch die Ortsbestimmung el monde konstituiert der Sprecher das Weltkonzept in seiner geographisch-extensionalen Profilierung – als Bezugsdomäne des superlativischen Vergleichs. Ausgesagt wird also, dass die herausgestellte Entität x* die in Rede stehende Eigenschaft im höchsten Grade im Verhältnis zu den Elementen der Vergleichsmenge (mit den Elementen x1, x2, etc.), die durch die Bezugsdomäne el monde determiniert wird, realisiert. (186) «[…] se ge n’en estoie plus liez que qui me donroit la meilleur cité qui soit el monde.» (artucb, 147.026–147.027)
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Auch der eigene Erfahrungszeitraum kann zur Bezugsdomäne eines durch die Maximalität hinsichtlich einer seiner Eigenschaften besonders ausgezeichneten Elements werden – so im Falle der Angabe de mon temps, die in dem folgenden Belegbeispiel mit dem Subjonctif Passé Composé korreliert: –– de mon temps: (187) «Je vins à luy et le trouvay armé de toutes pièces et monté sur le plus beau cheval que j’aye veü de mon temps, appellé Savoye.» (comm8cb, 41.011–41.012)
Interessant ist auch die Tatsache, dass das Adverb jamais – anders als on(c) ques – offenbar auch problemlos mit dem Präsens vereinbar ist, wie das letzte Beispiel illustriert: (188) «[…] il est de touz biens entechiez et vez dela le signor d’aixe le plus cortois que jaimais naixe» (chauvency, 321s.)
Überblickt man die verschiedenen Vorkommenskontexte des Subjonctif Présent, so stellt sich zum einen die Frage nach dem Unterschied zum Subjonctif Imparfait sowie zum anderen nach der Funktion des konjunktivischen Modus in den Beispielsätzen. Wie die kommentierten Beispiele deutlich gemacht haben, besteht das Kennzeichnende des Subjonctif I offenbar darin, dass die Relativsatzproposition die für den Vergleich bzw. die Bestimmung der Vergleichsmenge relevante Bezugsdomäne in einen bis zum Sprechzeitpunkt t0 reichenden Erfahrungszeitraum einschreibt. Besonders deutlich machen diesen Sachverhalt die Beispiele mit dem Verb savoir, das gleichsam auf das epistemische Modell des Sprechers zum Sprechzeitpunkt verweist. Sein epistemisches Modell an t0 enthält das bis zum Sprechzeitpunkt erworbene (Erfahrungs-)Wissen. Durch die Zeitangabe de mon temps wird dabei auf den Erfahrungszeitraum für die Konstituierung des zum Sprechzeitpunkt gültigen epistemischen Modells referiert. Kulturelle Bezugsdomänen en paienie, en crestiente, la loi paiennime stellen die Grundkoordinaten bzw. Ordnungsmatrixen für die Kategorisierung und Bewertung des aktuellen epistemischen Wissens dar. Die Ortsangabe el monde evoziert den maximalen geographischen Raum der Lokalisierung von Sachverhalten an unterschiedlichsten Ortsindizes und präsupponiert eine spezifische, zum Sprechzeitpunkt gültige Binnenstrukturierung. Wenn wir uns nun noch einmal den Beispielen im Subjonctif II zuwenden, so kristallisieren sich die folgenden kategoriellen Besonderheiten heraus: Bei einer Fallklasse werden die eingrenzenden, für die Bestimmung der Vergleichsmenge relevanten Bezugsdomänen durch Zeitadverbien wie alors (cf. la plus religieuse que len seust alors en nule tere) oder adonc (qui estoit adonc le plus vaillant homme d’armes que […]) an Zeitpunkten oder Zeitintervallen in der Ver-
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gangenheit verankert – d.h. das Geltungsintervall der superlativischen Assertion liegt deutlich vor dem Sprechzeitpunkt. Bei der zweiten Fallklasse scheinen die Dinge nicht so eindeutig zu liegen: Bei superlativischen Aussagen wie le plus supessonneux hoignard que jamais femme accointast (cf. Beispiel (166)) mag man noch die Auffassung vertreten, dass das Geltungsintervall für die Charakterisierung der Bezugsdomäne nicht bis zum Sprechzeitpunkt reicht: Diese geht nicht über die für den Gesamtkontext relevante Topikzeit hinaus – den, wie das Imparfait anzeigt, unbestimmten Zeitraum, in dem eine Frau ein unglückliches Dasein mit ihrem Ehemann fristete (qui miserablement son temps passoit avecques son tresmaudit mary). Eine solche Interpretation kann aber nicht die folgenden Gegenbeispiele angemessen erklären: (189) «Or voi je bien apertement que chis païs est li plus aventureus que je veïsse onques mais.» (trisprcb, 131.008–131.010) (190) «C’est a savoir mon seigneur Pierre le Chamberlain, qui fu le plus loial homme et le plus droiturier que je veisse onques en hostel de roy.» (jehparcb, 437.011–437.013) (191) «car vos m’avez ci tolue la plus bele compaignie et la plus loial que je onques trovasse et ce est la compaignie de la table reonde» (queste, 982–987) (192) «Voire, font li autre, c’est li plus biaus que meshui i fust fez par la main d’un seul chevalier, ne il recouverra meshui a fere autretel.» (artucb, 18.018–18.02)
In den Beispielsätzen mit oncques schreibt der Sprecher die bewertungsrelevante Hintergrunddomäne in seinen eigenen Erfahrungsraum ein. In dem letzten Beispiel wird das nunc (meshui < magis hodie) zum Dreh- und Angelpunkt der Äußerung – und dennoch verwenden die Autoren nicht nur in diesen Beispielen den Subjonctif Imparfait! Das entscheidende Kriterium für die Selektion der Kategorie Subjonctif II ist offenbar der linksseitig unbestimmte, weit in die Vergangenheit des Sprechers reichende Abschnitt des Auswertungsintervalls. Während der Subjonctif Présent auf die Verhältnisse – also auf die gültigen kulturellen Bezugsdomänen, die epistemischen Modelle der Sprecher oder der Matrixsatzsubjekte sowie die geographischen Gegebenheiten – zum Sprechzeitpunkt t0 fokussiert, stellt der Subjonctif Imparfait eine unbestimmte Menge beliebiger Zeitindizes in der Vergangenheit heraus, an denen die behauptete Maximalausprägung der Eigenschaft der charakterisierten Entität im Bezug auf ihre domänenspezifisch eingegrenzte Vergleichsmenge gelten soll. Die Proposition muss mithin auch noch an dem letzten denkbaren Index i in der Vergangenheit wahr sein. Betrachten wir nun auch noch das eigene Profil der adverbialen Ausdrücke de mon temps und jamais. Ersterer referiert auf ein noch zum Sprechzeitpunkt relevantes Zeitintervall – de mon temps beginnt mit der Geburt des Sprechers (bzw. seiner bewussten Erinnerung) und dauert am Sprechzeitpunkt noch an.
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Letzterer (jamais) ist sowohl mit dem Subjonctif I als auch mit dem Subjonctif II kompatibel. Das Adverb ist also offenbar in der Lage, auf unterschiedliche Zonen des temporalen Geltungsintervalls zu fokussieren: In dem Beispiel que jamais naixe unterstreicht der Sprecher die Aktualität der Aussage zum Sprechzeitpunkt. Auch wenn man die Proposition am Index t0 überprüft, ist sie wahr. Das Auswertungsintervall wird also insbesondere im Bereich um t0 aktiviert. In dem Gegenpart le plus supessonneux hoignard que jamais femme accoinstast wird demgegenüber der undeutlich bleibende linke Bereich des Intervalls aktiviert: So wird der Akzent auf die Tatsache gelegt, dass man noch so weit in die Vergangenheit, zu irgendeinem möglichen Index, zurückgehen kann und doch stets die Wahrheit der Prädikation (x est le plus supessonneux hoignard) bestätigt finden wird. Kommen wir nun zur Frage nach der spezifischen Leistung der Modusmarkierung in den Präsensbeispielen. Wie wir herausgestellt haben, enthält die durch die Bezugsdomäne determinierte Gesamtmenge an Vergleichselementen nur aktuelle Vertreter der Kategorie. So wird in dem Beispiel «ce est Lancelos del Lac, qui est li plus vilains que ge sache» die Gesamtmenge der in den superlativischen Vergleich eingehenden Elemente auf diejenigen begrenzt, die zur Wissensdomäne des Sprechers gehören – also durch sein epistemisches Modell bestimmt sind. Im Rahmen dieses Modells bleibt die Zusammensetzung der Gesamtmenge der vilains jedoch unbestimmt. Man kann zwar – im Einklang mit der im Einleitungskapitel referierten Analyse des Subjonctif – von einer maximalen Interpretation ausgehen: In den Evaluationsvorgang sollen alle nur denkbaren Vertreter der Kategorie vilains einbezogen werden, also neben den typischen auch die marginaleren oder ganz randständigen Fälle. Entscheidend bleibt aber die Tatsache, dass die Menge der Bezugselemente als nicht abschließend bestimmt bzw. als flexibel bestimmbar erscheint. So sind – je nachdem, welche weniger typischen Vertreter berücksichtigt werden – unterschiedlich zusammengesetzte Denotatsmengen denkbar. Die Fälle des Zentralbereichs werden in jeder Kombination stets identisch sein, die Fälle der peripheren Zone hingegen werden variieren können. Die Unschärfe im Randbereich führt mithin zu dem, was wir oben schon als «world-multiplying-effect» bezeichnet haben: Es sind dank der Unbestimmtheit bzw. Verschwommenheit der Randbereiche unterschiedliche Bezugsmengen und mit ihnen verbundene «Vergleichswelten» denkbar. Genau dieses Moment wird durch den konjunktivischen Modus hervorgehoben. Solche Unschärfe-Effekte werden durch die üblichen Bezugsdomänen begünstigt: Dies gilt im allgemeinen für die Begrenztheit und Unvollständigkeit des epistemischen Wissens des Sprechers (formelhaft angezeigt durch que je sache), aber auch für sehr generische Domänen wie le monde (maximales geographisches Bezugssystem), paiennie und crestiente (maximale kulturelle Bezugssysteme), de mon temps (maximaler lebenszeitlicher Horizont des Sprechers). Durch den Verweis auf die loy paien-
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nime referiert der Sprecher auf einen Bereich, der ihm selber – wie der Subjonctif deutlich werden lässt – nur begrenzt bekannt ist (über welche Feindeskategorien verfügt das loy paiennime?). Im Vergleich zum Subjonctif Imparfait werden allerdings – wie wir gesehen haben – stets aktuelle Bezugsdomänen evoziert. Letzteres fokussiert im Gegensatz dazu auf die – allerdings unbestimmte – Komposition von Vergleichsmengen zu Zeitpunkten oder Zeitintervallen in der Vergangenheit (wie etwa bei adonc oder alors). Im Falle des Adverbs oncques sahen wir, dass sich die Fokussierung auf unbestimmte Zeitindizes in der Vergangenheit richtet, wobei sich das Geltungsintervall der zu verifizierenden Proposition durchaus bis zum Sprechzeitpunkt hinziehen kann. Die wenigen indikativischen Belege des Altfranzösischen verdeutlichen die Bedeutung des Modusunterschiedes. So legt die Präsensform in dem folgenden Beispiel die Schlussfolgerung nahe, dass das lokativische Pronomen i (> lat. ibi) auf einen klar umrissenen Bezugsraum referiert, der durch eine definite Anzahl von palais und abeïes charakterisiert ist. Die einzelnen Elemente der Vergleichsmenge lassen sich also offenbar vollständig aufzählen: (193) «[…] et li autre haut homme, si comme li conte, fisent prendre les plus rikes palais et les plus rikes abeïes que on i peut trouver […].» (charetcb, 79.017–79.019)
In der Anweisung der Sprechers fetes cent floretes cuillir les plus beles que vous savez (Beispiel 192) werden die relevanten Exemplare sehr präzise bestimmt – es geht um eine definierte Anzahl bester Exemplare aus der Kenntnisdomäne des Angesprochenen. Mithilfe des indikativischen Modus signalisiert der Sprecher, dass in dem pragmatischen Kontext, in dem der Satz geäußert wird, Standardkenntnisse völlig ausreichend sind. Der Gesprächspartner wird gleichsam davon entbunden, bei seiner Auswahl auch noch mögliche Sonder- oder Randexemplare in Betracht zu ziehen. (194) «Rose est la plus cortoise flors que cortois puisse recueillir/fetes cent floretes cueillir les plus beles que vous savez.» (ailea, 592–595)
Ganz selten und auch nur in Verbindung mit dem Modalverb pouvoir treten das Futur und das Konditional im superlativischen Relativsatz in Erscheinung. Das den Möglichkeitsoperator versprachlichende Verb ist disponentiell – also vor einer zirkumstantiellen modalen Basis (circumstantial modal base) – zu interpretieren, die angibt, ob die jeweils in Augenschein genommene Welt überhaupt hinsichtlich ihrer strukturellen Voraussetzungen so verfasst ist, dass p sich in ihr realisieren kann (cf. das Beispiel: Hier kann man Getreide anbauen). Auf solche – allerdings zukünftigen – Ermöglichungsbedingungen hebt die Kategorie des Futurs ab. Damit wird auch der Unterschied zu den bisher charakterisierten Rela-
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tivsätzen deutlich: Die im Hintergrund des Salienzvergleichs stehende Bezugsmenge wird nicht wie im Falle des Indikativs als bestimmt bzw. stereotyp oder – wie beim Subjonctif – als unbestimmt bzw. maximal, den letzten noch denkbaren Vertreter einbeziehend, ausgewiesen. Vielmehr enthält sie die unter den zukünftigen Bedingungen nach Maßgabe ihrer Beschaffenheit potentiell als Kandidaten des Vergleichs in Frage kommenden Elemente. Anders ausgedrückt: pourra (etwa in le fust le plus durable que len porra trover) enthält die Menge all’ derjenigen fust, die nach der Standarderwartung darüber, wie eine zukünftige Version der aktuellen Welt und ihrer strukturellen (= disponentiellen) Bedingungen aussieht, so beschaffen sind, dass sie eine Chance besitzen, aufgefunden zu werden. Man vergleiche die Beispielsätze: (195) «[…], et oultre ce je vous donroye un bon mantel de la plus fine escallacte que l’en pourra finer.» (saintrcb, 242.003–242.004) (196) «[…] Fetes fere une nef dou meillor fust et del plus durable que len porra trover, et de tel qui ne puisse porrir ne por eve ne por autre chose.» (qgraalcb, 222.025–222.027)
Das Conditionnel erfüllt eine vergleichbare Funktion in Vergangenheitskontexten (wie in Beispiel 197) oder – sofern es auf den Sprechzeitpunkt bezogen ist – referiert auf eine nicht weiter charakterisierte distantere mögliche Welt (Beispiel 198): (197) «Le roy retourna a Vincennes, et dit audict duc d’Orleans qu’il fist la plus grant diligence que faire ce pourroit.» (jehparcb, 17.08–17.082) (198) «Or est heure, tantdiz que ce souper s’appreste, que ces devises se font, et que l’on souppe le plus joyeusement que l’on pourroit.» (cnncb, 478.031–478.033)
Mit dieser Charakterisierung haben wir die Verhältnisse im Altfranzösischen ausführlich beschrieben und wenden uns nun noch kurz der weiteren Entwicklungen im Mittel- und frühen Neufranzösisch zu.
5.2.3 Die Entwicklungen im Mittelfranzösischen und frühen Neufranzösisch Auch im Bereich der superlativischen Relativsatzkonstruktionen erweist sich die mittelfranzösische Periode als eine Übergangsphase. Besonders aufschlussreich sind die Abfrage-Ergebnisse des mittelfranzösischen Korpus zu dem schon ausführlich kommentierten negativen Polaritätselement oncques. Insgesamt fällt im Verlauf der mittelfranzösischen Epoche – insbesondere seit der Mitte des 15. Jahrhunderts – in bestimmten Kontexten eine Verschiebung vom Subjonctif Imparfait zu indikativischen Vergangenheitsformen einerseits sowie zum Subjonctif Passé Composé andererseits auf.
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Ein früher Vertreter der indikativischen Lösung ist der Autor Berinus, der auf verschiedene indikativische Vergangenheitszeiten rekurriert, um das vor dem Sprechzeitpunkt lokalisierte Geltungsintervall von oncques zu kennzeichnen: (199) «[…] et je vous bailleray le plus bel coustel et le plus riche que onques fu fait.» (Berinus, t. 1, 1350, 53) (200) «Donc lui parla Aigres d’un Gieffroy que son pere lui avoit maintes foiz parlé, et lui avoit dit que c’estoit le plus sage homme que il avoit oncques veü […].» (Berinus, t. 1, 1350, p. 363)
Bisweilen kombiniert der Autor das Passé Simple auch mit der konjunktivischen Imperfektform sceüst, die wohl aber modal bzw. kontrafaktisch zu interpretieren ist (Aigres waren keine anderen p-Welten, die w0 noch übertroffen hätten, bekannt): (201) «Aigres, […], monta sur son destrier et prinst lance et escu, et s’en yssi de son hostel, le plus richement appareillié que il pot oncques ne sceüst.» (Berinus, t. 2, 1350, 2s.)
Besonders auffällig ist das Bemühen um eine möglichst kohärente Lösung bei Aussagen mit dem Adverb oncques, deren Bezugsdomäne der – immerhin bis zum Sprechzeitpunkt – reichende Erfahrungshorizont des Sprechers ist. Wie wir gesehen haben, wurde im Altfranzösischen in diesem Fall stets der Subjonctif Imparfait gewählt und damit vom Gegenwartsbezug des Geltungsintervalls abstrahiert. In den mittelfranzösischen Texten wird nun entweder konsequent das Passé Composé im konjunktivischen Modus oder einfaches Passé Simple gewählt. Im ersten – wesentlich häufigeren – Fall wird der Gegenwartsbezug des Geltungsintervalls deutlich, aber zugleich auch sein unbestimmter Charakter: (202) «[…] et cheli que je vous envoie a present, voelliés le prendre en gré, car je l’ai fet a mon pooir de la plus nouvelle matere que j’aie trouvé entre les anchiiennes hystores dont je soie tant qu’a ores aisiés.» (Jean Froissart, La prison amoureuse, 1372, 103s., lettre VI)
Konsequenterweise tritt die gleiche Kategorie auch in Kookkurrenz mit dem quasi-synonymen de mon temps (d.h. im Rahmen des Erfahrungszeitraums des Sprechers) auf: (203) «Je vins à luy et le trouvay armé de toutes pièces et monté sur le plus beau cheval que j’aye veü de mon temps, appellé Savoye.» (Philippe de Commynes, Mémoires, t. 3, 1489, 174, livre VIII, cap. X)
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Das Passé Simple ist demgegenüber eine seltenere Option, die einerseits den definiten Charakter des Auswertungsintervalls herausstellt – was auch insofern realistisch ist, als der Sprecher sich selber natürlich die volle Souveränität über sein eigenes epistemisches Modell zuspricht –, andererseits wiederum ausschließlich den Vergangenheitsbereich des Intervalls aktiviert und damit von der Kontinuität bis zum Sprechzeitpunkt absieht. (204) «Dont, entre les aultres, y est le polliot le plus bel que oncques je vis et le mieulx odorant.» (Antoine de la Sale, La Salade, 1442, 73, partie 4) (205) «Elle a fait les plus nouveaulx tours Que vis onc en dance faire.» (La Passon d’Auvergne, 1477, 91, Fragment A)
Schließlich bleibt der Subjonctif Imparfait im Rahmen des epistemischen Sprechermodells eine durchaus gängige Option, die jedoch zunehmend den jeweiligen Text in einer besonderen diasystematischen Weise – etwa als archaisierend – markiert. Autoren bzw. Texte, die für das ältere Modell optieren, sind – um nur einige Beispiele zu nennen – Les Quinze Joies de Mariage (1390), Melusine von Jean d’Arras (1392), Narcissus (1426), Jean de Bueils Le Jouvencel (1461) und Les Cent Nouvelles Nouvelles (1456). (206) «Pource, dit elle, que vous estes le plus desloyal que jamais / femme accointast, et n’estes pas digne de vous trouver / avecques gens de bien.» (Les Cent Nouvelles Nouvelles, 1456, 211s., La XXXIe Nouvelle)
In den Vergangenheitskontexten, in denen auch die determinierende Bezugsdomäne (etwa ein epistemisches Modell im Falle von savoir) eindeutig vor dem Sprechzeitpunkt liegt, erscheint der Konjunktiv II auch noch am Ende des 15. Jahrhunderts als durchaus geläufige Kategorie: (207) «Cricien des parties des Gaulle de Marseille, en ce temps fut le plus excellent homme que l’on sceust tant en astrologie que en medecine.» (Simon de Phares, Recueil des plus célèbres astrologues, 1494, 95)
Weitere Grundtendenzen können summarisch zusammengefasst werden: Der lexikalisierte Möglichkeitsoperator pouvoir wird im Mittelfranzösischen – wie wir auch schon in anderen Kontexten gesehen haben – gerne mit Subjonctifmarkierung versehen. Der Effekt ist dabei eine Ausweitung der Möglichkeitszone (also strukturell-disponentiell möglicher Situationen) auf den äußersten Bereich – also auf letzte Fälle/Situationen, in denen p noch möglich erscheint: (208) «Et la plus grant beatitude et la plus excellente felicité que homme puisse avoir en ceste vie.» (Nicole Oresme, Le livre de éthiques d’Aristote (commentaire), 1370, 527, livre X, cap. 15)
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(209) «La char du chevrel est la plus sainne que on puisse mengier de beste sauvage.» (Gaston Phebus, Livre de chasse, 1387, 75, cap. 5)
Alternativ hierzu wird – teilweise stark formelhaft – auch pourra verwendet, wenn zukünftige Situationen im Rahmen eines Modells von Standarderwartungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen von w0 antizipiert werden. Stereotypen Charakter besitzt dabei die Formel le plus x que faire se pourra: (210) «Et avec ce soient faictes defenses les plus grans que l’en pourra et publiées solennelment par tout le royaume, […].» (Nicolas de Baye, Journal, t. 2, 1411, 157s.) (211) «[…] et soient seellées, expédiées, publiées et executées le plus tost que bonnement faire se pourra, sans autre delay prendre pour quelconques occasions.» (Clement de Fauquembergue, Journal, t. 1, 1421).
Im 16. Jahrhundert lässt sich ein weiterer deutlicher Rückgang des Subjonctif Imparfait feststellen und insbesondere in polaren Kontexten mit oncques oder jamais eine generelle Tendenz zum Passé Simple, wie die folgenden repräsentativen Beispiele zeigen: (212) «[…] la pauvre chamberiere se vint gecter à deux genoulx devant sa maistresse, luy disant que son mary luy avoit faict le plus grand tort que jamais on feit à chamberiere.» (Marguerite de Navarre, L’Heptaméron, 1550, 996) (213) «Voilà le plus grand coup, la plus adroite main / Que jamais homme vid (sic!).» (Louis des Masures, David combattant, 1566, 89)
In Kontexten hingegen, in denen eine superlativische Aussage in die epistemische Domäne des Sprechers als Bezugsdomäne eingeschrieben wird, festigt sich die schon im Mittelfranzösischen zu beobachtende Tendenz zum Passé Composé du Subjonctif, das gleichsam das Geltungsintervalls bis zur Sprecherorigo verlängert. Eine typische Zeitangabe ist etwa en ma vie: (214) «[…] me semble que vous devez en vostre cueur avoir joye d’avoir veu que le plus beau et le plus honneste gentil homme que j’aye veu en ma vie, n’a sceu, par amour ne par force, vous mectre hors du chemyn de vraye honnesteté.» (Marguerite de Navarre, L’Heptaméron, 1550, 731)
Kompensatorisch zu den Entwicklungen – dem Übergang zum Passé Simple in Vergangenheitskontexten und zum Passé Composé du Subjonctif bei Sprecherbezug – lässt sich der Ausbau der konditionalen Verwendungen des Modalverbs pouvoir (pourroit) erkennen. Hatte – wie wir mehrfach illustriert haben – der Subjonctif Imparfait auch maximale Bereiche – d.h. alle nur denkbaren Vergangenheitsindizes eines unbestimmten Geltungsintervalls – als für die Auswertung der Proposition relevant
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markiert, so aktiviert das Passé Simple nur einen definiten Bereich. Mithilfe des im Konditional stehenden Modalverbs pourroit lassen sich die komplementären noch-denkmöglichen, also maximalen, Fälle evozieren: (215) «[…] lesquels m’ont voulu faire pendre, pour leur avoir pourchassé le plus grand bien que jamais leur pourroit advenir: qui est, pour les avoir voulu inciter à paistre leurs troupeaux suivant le commandement de Dieu.» (Bernard Palissy, Recepte veritable, 1563) (216) «[…] Oreilles les plus detestables, / Que jamais homme pourroit voir.» (Marguerite de Navarre, Trop, prou, peu, moins, 1544, 159s., scène II)
Eine ähnliche Funktion lässt sich auch der ebenfalls stark formelhaft verwendeten Form sçauroit zuschreiben, die ebenfalls maximale Fälle – im Lichte einer disponentiellen modalen Basis – herausgreift. Während also traditionelles que jamais bouche d’homme mangeast ny goustast auf alle Fälle – auch die maximal denkbaren – abzielte, fokussiert scauroit manger in erster Linie auf die außergewöhnlichen und eben nicht die typischen Fälle: (217) «[…] portant bateau comme la rivière de seine, le plus doulx et le plus gras que jamais bouche d’homme scauroit manger ny gouster.» (Anonyme, Le Disciple de Pantagruel, Les Navigations de Panurge, 1538, 48, cap. XVIII)
Das hier entwickelte Bild für das 16. Jahrhundert wäre nicht vollständig, wenn nicht auch darauf hingewiesen würde, dass in archaisierenden Texten durchaus auch noch die traditionelle Variante – der Subjonctif Imparfait – auftritt. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist das anonyme Werk Le Disciple de Pantagruel (1538) mit den wohl meisten Belegen für die traditionelle Lösung, bei der der Subjonctif Imparfait zusammen mit dem Adverb jamais auftritt: (218) «[…] ung rocher de pierre grise, de la couleur de moustarde la plus forte que jamais homme goustast.» (Anonyme, Le Disciple de Pantagruel, Les Navigations de Panurge, 1538, 26s., cap. XII)
Im 17. Jahrhundert verstärken sich die hier skizzierten Tendenzen noch und münden am Ende des Jahrhunderts in ein neues, modernes Mikrosystem ein. Das Passé Simple wird zusammen mit – nunmehr exklusiv auftretendem – jamais zur üblichen Tempusform in einem superlativischen Relativsatz, der rein temporal zu interpretieren ist, d.h. seine Bezugsdomäne in ein als beidseitig abgeschlossen konzeptualisiertes Zeitintervall einschreibt. (219) «Je le voy, ce grand Roy, ce Heros nompareil, / Le plus grand que jamais esclaira le Soleil, / Ce fils de Jupiter, ce prodige en courage.» (Jean Desmarets de Saint-Sorlin, Les Visionnaires, 1637, 98, acte quatriesme, scène II)
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Zugleich wird das Passé Composé du Subjonctif in jenem Jahrhundert zur Standardkategorie in all denjenigen superlativischen Relativsätzen, deren Bezugsdomäne durch das epistemische Modell des Sprechers konstituiert wird. Damit wird dieser Typ der mit Abstand frequenteste Relativsatztyp des Grand Siècle: (220) «Ce président avait avec lui un fils de sa femme, qui a vingt ans, et que je trouvai, sans exception, la plus agréable et la plus jolie figure que j’aie jamais vue.» (Mme de Sévigné, Correspondance, t. 2 : 1675–1680, 1680, 165, 1675)
Der Subjonctif II tritt – abgesehen von marginalen Ausnahmen – nur noch in stereotypen Verbindungen mit dem Verb pouvoir auf und wird hierbei auf eine kontrafaktische Restfunktion zurückgedrängt: So wird besonders gerne mithilfe der Plus-que-parfait-Form (etwa j’eusse pu faire) ein bloß irrealer fiktiver Bereich als Bezugsdomäne konstituiert, der sich aus Welten zusammensetzt, in denen p eigentlich nicht vorgesehen war (¬p-Welten). Der Clou der Konstruktionen besteht nun darin, dass p tatsächlich eintritt, obwohl es eigentlich dem Antiuniversum zugedacht war. Ein anschauliches Beispiel: (221) «[…] où j’ay trouvé tout le plus agreable entretien que j’eusse peu desirer, et tout le plus grand soulagement qu’il se pouvoit avoir en cette solitude champestre.» (Nicolas de Peiresc, Lettres, t. 2: Lettres aux frères Dupuy: 1629–1631, 1631)
Auch im 17. Jahrhundert bleiben superlativische Konstruktionen mit der modalen Form puisse, mit futurischen pourra und konditionalem scaurait geläufig, die wir oben hinsichtlich ihrer Funktion analysiert und anhand von Beispielen dokumentiert haben. Entscheidend für das 17. Jahrhundert ist mithin der praktische Funktionsverlust des Subjonctif Imparfait im superlativischen Relativsatz, der sich – wie wir auch am Beispiel des kontrafaktischen Bedingungssatzes sahen – in eine Gesamttendenz des Sprachsystems einschreibt, das die traditionelle Kategorie Subjonctif II auf formale Restfunktionen, insbesondere im Rahmen der consecutio temporum, zurückdrängt und im Gegenzug das Funktionsspektrum anderer Kategorien (in diesem Fall: des Passé Composé du Subjonctif) weiter ausbaut.
5.2.4 Zur Entwicklung anderer Salienzkonstruktionen Schon im Altfranzösischen lässt sich die Konstruktion un des plus x que mit konjunktivischem Modus nachweisen. Der Ausdruck profiliert ein Element aus einer unbestimmten Teilmenge bester Vertreter aus der die Kategorie repräsentierenden Gesamtmenge. Die hiermit einhergehende Konzeptualisierung der Verhältnisse ist denen der reinen Superlative also ganz ähnlich, nur dass zusätzlich noch
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eine vollkommen unbestimmt bleibende Zwischenmenge ähnlicher Vertreter hinzukommt. Dies dürfte auch die in der Sprachgeschichte parallelen kategorialen Verhältnisse zwischen un des plus x que und dem reinen Superlativ erklären. Ein typisches altfranzösisches Beispiel, in dem zudem ein Synonym zu jamais, negativ polares piecha mais, figuriert, sei hier zitiert: (222) «Sire, fait Kex, si voirement m’aït Diex, ce est une des meilleurs batailles et des plus aspres que je veïsse piecha mais, et bien puis vraiement dire k’il sont ambedoi boin cevalier et de grant pooir.» (trisprcb, 11.022–11.025)
Die Verwendungsbedingungen des Subjonctif Imparfait sind aus dem vorangegangenen Unterkapitel schon bekannt und müssen deshalb nicht mehr ausführlich kommentiert werden: Das negativ polare Element legt eine maximale Interpretation nahe, bei der alle nur erdenklichen Vergangenheitsindizes in den Verifikationsprozess der Proposition mit einbezogen werden. Dabei bleibt die Auswertungsmenge letztlich – aufgrund der Unschärfe im maximalen Randbereich – unbestimmt. In der mittelfranzösischen Epoche finden sich ähnliche Beispiele wie wir sie auch für die einfache Superlativkonstruktion haben nachweisen können: –– Die noch häufige Verbindung von Subjonctif Imparfait in Sätzen mit dem Polaritätselement oncques, auch wenn die Bezugsdomäne mit dem epistemischen Modell des Sprechers koinzidiert: (223) «[…], et sachiez, quoy que on vous die, que c’est un des plus plaisans homs que je veisse oncques.» (Jean d’Arras, Melusine, 1392, 104)
–– Die seltene Variante einer Verwendung des Passé Simple: (224) «[…] que fust une des plus belles choses que jamaiz je veis.» (Antoine de la Sale, La Salade, 1442, 192, partie 6, cap. 4)
–– Erste Beispiele für den Übergang von sprecherbezogenen Kontexten zum Passé Composé du Subjonctif: (225) «[…] l’un des plus grans secrez que j’aye onques apris en Savoie.» (Les Evangiles des Quenouilles, 1, 1466, 96)
–– Schließlich das Auftreten des Modalverbs pouvoir in verschiedenen Formen und Funktionen – puisse zur Markierung maximal möglicher Welten zum Sprechzeitpunkt («une des meilleures choses que gens d’armes puissent faire»)83 sowie pourroit zur Auslotung des dispositionellen Maximalbereichs im Verhältnis zu einer Topikzeit.
83 Jean de Bueil, Le Jouvencel, t. 2, 1461, 245, troisième partie, cap. III.
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Auch die Entwicklungen im 15. und 16. Jahrhundert verlaufen geradezu spiegelbildlich, sodass auf das im vorangegangenen Kapitel Gesagte verwiesen werden kann. Der Subjonctif Imparfait wird bis zum Ende des 17. Jahrhunderts praktisch völlig aus dem Relativsatz verdrängt und dabei überwiegend vom Passé Composé du Subjonctif ersetzt («est une des plus arduës questions que j’aye jamais oüi faire en quelque science que ce soit»)84, seltener vom Passé Simple («un des meilleurs portraicts que jamais fit Porbus»).85 Die Konstruktion le premier x que konzeptualisiert die Eröffnung einer Elementenmenge durch Einschreibung des ersten Elements. Anders als in den bisherigen Kontexten ist die Bezugsmenge zunächst durch den Konstituierungsakt bestimmbar. Dementsprechend ist der Indikativ ausschließlicher Modus im Altfranzösischen, wie zwei repräsentative Beispiele zeigen: (226) «Veez la le premier jugement que fist (= fit) le bon seigneur Talebot» (cnncb, 58.012) (227) «Quant vos partistes de l’abeïe ou vos fustes chevaliers, la premiere encontre que vos trovastes ce fu li signes de la veraie croiz.» (qgracmcb, 45.008–45.010)
Einige wenige Beispiele für die Möglichkeit einer konjunktivischen Interpretation weist das mittelfranzösische Korpus auf: In einem der ersten Subjonctif-Beispiele wird wiederum durch das Adverb oncques eine maximale Bezugsdomäne von Zeitindizes evoziert: (228) «Et disoit par son serement que c’estoit le premier mordant que il eust oncques copé, en requerant sur ce grace et misericorde audit maistres Jeham Truquam.» (Registre Criminel du Chatelet, t. 1, 1389, 185)
Ein – soweit es sich bei der Verbform eust um kein Passé Simple handelt – weiteres Beispiel steuern die Memoiren von Philippe de Commynes bei. Möglicherweise wird hier die Geltung der Bezugsdomäne relativiert (eventuell eröffnet das Ereignis noch gar nicht die Elementenmenge). (229) «Et fut la première foiz que il eust baillé chef ausdictz pensionnaires;» (Philippe de Commynes, Mémoires, t. 2, 1489, 267, livre VI, cap. III)
Auch im 16. Jahrhundert ist die Zahl der Subjonctif-Beispiele äußerst spärlich. In der folgenden Textpassage erscheint wiederum das Modalverb pouvoir im Subjonctif: Der unbestimmte Plural und die Semantik des Möglichkeitsoperators rechtfertigen in diesem Kontext die Modusselektion.
84 Vincent Voiture, Lettres, 1648, 201 (à Mlle de Rambouillet). 85 Jacques du Lorens, Satires, 1646, 47, Satire 5.
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(230) «Et puis que toutes les choses naturelles sont simples, comme les quatres elemens: ou composées, comme toutes les autres que nous voions, et que les elemens sont les premiers corps que nous puissions voir.» (Guy de Brués, Les Dialogues de Guy de Brués, contre les nouveaux académiciens, 1557, 127s.)
Auch im 17. Jahrhundert stellt der Subjonctif nach le premier x que nur eine marginale Option dar. In beiden Beispielen wird die Bezugsdomäne hinsichtlich ihrer Geltung relativiert. Besonders im zweiten Beispiel macht der Evidentialitätshinweis après l’écriture deutlich, dass die tatsächliche Genese und Zusammensetzung der Bezugsmenge vom Sprecher nicht vollständig verbürgt werden können: (231) «La reine-mère, […], me fit l’honneur de m’envoyer, […], un brevet de la première pension que j’aie eue du roi.» (Robert d’Andilly, Mémoires, t. 1, 1667, 368) (232) «Les premiers monumens que nous ayons après l’ecriture, sont la lettre de S. Clement à l’eglise de Corinthe […].» (Le Père Jean Mabillon, Traité des études monastiques, divisé en trois parties, 1691, 357, partie 2, cap. 20)
So lässt sich bis zum Abschluss des 17. Jahrhunderts feststellen, dass die Konstruktion le premier x que nur in Ausnahmefällen mit dem Subjonctif kompatibel ist und zwar dann, wenn durch Pluralisierung die charakterisierte Menge unbestimmt bleibt bzw. die Geltung der Bezugsdomäne relativiert wird, weil ihre genaue Genese und Konstituenz dem Sprecher nicht sicher bekannt sind. In Verbindung mit der Konstruktion le seul x que tritt uns der Subjonctif erstmals in einem Beleg Montaignes von 1592 entgegen: (233) «C’est le seul esvanouissement que j’aye senty jusques à cette heure.» (Michel de Montaigne, Essais : t. 1, 1592, 373, livre second, cap. VI)
Eine erstmalige systematische Verwendung des Subjonctifs manifestiert sich in der brieflichen Korrespondenz von Vincent Voiture, aus der wir hier nur eines der zahlreichen Beispiele zitieren wollen: (234) «Elles seroient bien rigoureuses, si elles vouloient m’oster la liberté des souhaits, et m’empescher de faire des chasteaux en Espagne, puis-que c’est le seul contentement que j’y aye.» (Vincent Voiture, Lettres, 1648, 128, lettre 37 à M. Chaude-Bonne, 1633)
Der Subjonctif wird im Rahmen eines von dem Ausdruck le seul x abhängigen Relativsatzes im 17. Jahrhundert ebenfalls nur in besonderen Fällen verwendet. Dabei scheint durch den Modus gewissermaßen eine unabhängige, nicht weiter bestimmte (wenn man so will «fiktive») Bezugsdomäne konstituiert zu werden, in die dann lediglich ein einziges konkretes Element eingeschrieben wird. Damit wird die den superlativischen Relativsatz kennzeichnende Konzeptualisierungsweise imitiert, d.h. ganz analog eine autonome Hintergrunddomäne konzipiert,
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vor der ein oder mehrere saliente Einzelemente profiliert werden. Dieser Prozess hat aber, wie die Auswertung der Korpora gezeigt hat, im 17. Jahrhundert noch kaum das embryonale Stadium überschritten. Dies zeigt sich insbesondere auch bei der letzten Salienzkonstruktion, le dernier x que, für die sich während des gesamten 17. Jahrhunderts kein einziger Beleg für eine Kookkurrenz mit einem konjunktivischen Relativsatz nachweisen lässt. Das erste Beispiel überhaupt stammt aus dem Jahre 1699 und soll als Erstbeleg zitiert werden: (235) «[…] on mande d’Italie que le Cardinal Cavallerini, qui est le dernier nonce que nous ayons vu ici, est mort;» (Philippe de Dangeau, Journal, t. 7: 1699–1700, 1700, 44, 1699)
Über die Rolle der – zunächst singulär bleibenden – Konjunktivmarkierung kann nur spekuliert werden: Möglicherweise wirkt hier die negative Implikatur, dass es kein weiteres x mehr gibt, für das p gilt, folglich die Denotatsmenge nach dem Eingehen des letzten Elements unwiderruflich abgeschlossen ist.
5.2.5 Der Modus im superlativischen Relativsatz des Italienischen Schon seit Boccaccio erscheint der Congiuntivo als Standardmodus des superlativischen Relativsatzes. Er wird in praktisch allen Fällen verwendet, in denen auf das saliente Element einer vorher explizit genannten definiten Bezugsmenge zugegriffen wird. Selten sind hingegen Fälle wie das folgende Beispiel, in dem Vico in einer Abhandlung über die Geschichte literarischer Gattungen auf eine bestimmte Menge erster römischer Gedichte (salii) referiert: (236) «Siccome tra’ latini i primi poeti furono gli autori de’ versi saliari, ch’erano inni che si cantavano nelle feste degli déi da’ sacerdoti chiamati ‹salii› […], i frantumi de’ quali versi sono le più antiche memorie che ci son giunte della lingua latina […].» (Vico, Principi di scienza nuova, Libro terzo, XXVI, 3. Istoria de’ poeti dramatici e lirici ragionata)
Abgesehen von solchen besonderen Fällen sind jedoch die schon bekannten Congiuntivo-Kontexte üblich. Charakteristischerweise – so insbesondere in Boccaccios Decameron – verbindet sich das Congiuntivo Imperfetto mit den negativen Polaritätselementen mai und giammai. In späteren Texten (etwa bei Verri im Settecento) ist auch konjunktivisches Perfekt, in einigen Kontexten auch der Con giuntivo Presente (cf. Collodis Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert) möglich, wie die Belege aus dem LIZ-Korpus zeigen:
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(237) «Gualtieri, il quale diligentemente aveva i figliuoli fatti allevare in Bologna alla sua parente, che maritata era in casa de’ conti da Panago, essendo già la fanciulla d’età di dodici anni la più bella cosa che mai fosse stata veduta per alcuno […].» (Boccaccio, Decameron, Giornata decima, novella decima). (238) «E torno a dire che questo è falso, ed è la più grande impostura che ad uomo sia mai stata fatta.» (Verri, Osservazioni sulla tortura, cap. V) (239) «ed è per l’appunto oggi, che mi trovo ridotta a subire la più trista avventura che possa mai toccare a un’innocente Principessa come me, per capriccio e colpa delle fate ?» (Collodi, Racconti delle fate, La Cervia nel bosco)
Das Boccaccio-Beispiel macht sehr schön die maximale Lesart solcher superlativischen Relativsätze deutlich – p gilt, auch unter Berücksichtigung des letzten noch denkbaren Zeitindex. Bei dem Verri-Zitat wird explizit die Sprecherzeit in das Intervall der auszuwertenden Indizes einbezogen und in dem letzten Beispiel wird auf die Domäne gleichartiger Vergleichskandidaten abgehoben. Bisweilen ist in einem hypothetischen Kontext – wie auch im Französischen – das Condizionale eine mögliche Kategorie. Der markanteste Unterschied zum Französischen besteht aber, wie schon erwähnt, in der praktischen Automatisierung des Konjunktivgebrauchs in Kontexten, in denen die Vergleichsdomäne nicht explizit hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Abschließung bestimmt wird. Genauso wie für die Superlativkonstruktionen des Typs il/la più x che sind die Verhältnisse bei dem schwächeren Ausdruck uno/una dei/delle più x che, die wir nur kurz dokumentieren wollen. Auch im Französischen verhielten sich die beiden Ausdrücke völlig parallel: (240) «[…] fu ad una figliuola del re di Tunesi, la qual, […], era una delle più belle creature che mai dalla natura fosse stata formata.» (Boccaccio, Decameron, Giornata quarta, Novella quarta) (241) «[…] perché questa è una delle più importanti materie che abbia uno principe.» (Machiavelli, Principe, cap. 19)
Betrachten wir noch kurz einige weitere Salienzkonstruktionen des Italienischen: Der Ausdruck la prima x che wird bei Boccaccio noch ausschließlich mit dem Indikativ – allerdings überwiegend in Vergangenheitskontexten – verwendet. Cosimo Medici scheint der erste Autor zu sein, der systematisch auf das Congiuntivo Imperfetto zurückgreift, und zwar gerade auch in Vergangenheitskontexten, wie das folgende Beispiel deutlich macht: (242) «e la prima opera che egli facesse fu una tavola non molto grande a Messer Bartolomeo Felisini.» (Cosimo Medici, Le vite, Francesco Francia, Bolognese Pittore)
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Die konjunktivische Variante bleibt aber offenbar eine absolut marginale Lösung, denn sie findet sich lediglich sporadisch, so bei Machiavelli oder Svevo, wie die beiden nachfolgenden Zitate belegen: (243) «Onde che fu il primo principe che cominciasse a sentire di quale importanza fussero le spirituali ferite […].» (Machiavelli, Istorie Fiorentine, 1. Buch, 15) (244) «[…], e invece alle sette e tre quarti mi trovavo ancora a letto fumando rabbiosamente e guardando la mia finestra su cui brillava, irridendo, il primo sole che durante quell’inverno fosse apparso.» (Svevo, La coscienza di Zeno)
Die synonymen Salienzkonstruktionen l’unico x che/il solo x che treten beide erstmals im 18. Jahrhundert mit konjunktivischem Modus in Erscheinung. Der erste Beleg mit solo + Congiuntivo findet sich bei Cesarotti, das Pendant mit unico erstmals bei Goldoni: (245) «Fingal sceso dal monte […] spedisce Gaulo, Dermid, e Carilo alla valle di Cluna perché scortino al campo dei Caldoni Feradartho, la sola persona che rimanesse della famiglia di Conar.» (Cesarotti, Poesie di Ossian, Canto VIII, Argomento) (246) «Anselmo: Questo posso dir che è una gioia, perché è l’unica copia che vi sia al mondo.» (Goldoni, La famiglia dell’antiquario, Atto secondo, scena nona)
Seit dem 19. Jahrhundert wird der konjunktivische Modus, wie die Belege bei Collodi, Verga, Manzoni, Svevo, Pirandello und anderen zeigen, eine durchaus geläufige Alternative zum Indikativ, der allerdings in einer Vielzahl von Fällen präsent bleibt. Jeweils ein Kontrastbeispiel zu jeder Konstruktion soll die Modus opposition illustrieren: –– l’unico/l’unica x che (247) «Enrico: ‹Sto dunque per perdere l’unica amica che potevo conquistarmi ?›» (Svevo, Commedie, personaggi, atto primo, scena quinta) (248) «Alberta: ‹Sapete anche il suo nome?› Clelia: ‹È l’unica cosa che sia finita su quel quadro. Guardi.›» (Svevo, Commedie, con la penna d’oro, atto primo, scena undicesima)
–– il solo/la sola x che (249) «Fu perciò quella la sola volta che andai da Carla senza ricordare Augusta.» (Svevo, Coscienza) (250) «‹Ah, sì, ecco, – disse. – Bene, bene … E fu la sola approvazione che le uscisse dalle labbra quella sera.›» (Pirandello, Suo marito, La crisalide e il bruco, 1)
Auch das antonyme Pendant l’ultimo/l’ultima x che erlaubt erst spät – nämlich im 19. Jahrhundert – konjunktivische Kategorien im Relativsatz. Der Ausdruck verhält sich hinsichtlich der Modusselektion völlig parallel zu il primo/l’unico x che. Ein Kontrastbeispiel soll die Funktion der Modusvariation beleuchten:
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(251) «[O]ggi nella dispesa non c’è più nulla, e questa candela, che vedi accesa, è l’ultima candela che mi sia rimasta […].» (Collodi, Pinocchio) (252) «Zia, oggi è l’ultima passeggiata che andrò a fare alla sorgente […].» (Verga, Mastro Don Gesualdo, Terza parte, 3)
Betrachtet man die zitierten Kontrastbeispiele, so wird eine Funktionalisierung der Modusopposition im Sinne einer unterschiedlichen Konzeptualisierung der jeweiligen Bezugsdomäne deutlich. In den indikativischen Beispielfällen kann kein Zweifel daran bestehen, dass jeweils das einzige, erste oder letzte Element aus einer klar konturierten Bezugsmenge herausgestellt wird: Die Denotatsmenge der Eroberungen Enricos (conquistare (Enrico, y)) besteht tatsächlich aus genau einer Eroberung, mit der er gerade die weitere Szene verhandelt. Auch verspricht der Sprecher in dem letzten Beispiel, dass es keine weiteren Spaziergänge mehr geben wird – die Gesamtmenge der passeggiate wird mit dem letzten Element abgeschlossen sein. Bei den konjunktivischen Erst- und Letztsätzen erscheint die Bezugsmenge als nur schwach konturiert, ihre Zusammensetzung und Stabilität wird in Frage gestellt. So kann Struktur und Zusammensetzung dieser Gesamtmenge als Sprecherhypothese erscheinen: In dem obigen Beispiel (248), weiß Clelia nicht wirklich, welche Elemente zur Menge der vollendeten Bildaspekte gehören, ja sie bemerkt, dass nicht einmal das von ihr herausgestellte Einzelelement wirklich zu dieser Menge gehört. In dem Pirandello-Beispiel (la sola approvazione che uscisse (= (250)) ist das einzige Mengenelement auch nicht wirklich ein idealer Beleg für eine zustimmende Einstellung – hier fungiert die relativierende Modusverwendung als Ironiesignal. Ähnlich verfährt der Sprecher auch in dem Kerzenbeispiel (l’ultima candela che mi sia rimasta (= (251)): In diesem Fall spielt der Sprecher darauf an, dass das letzte Element der Menge ein sich selbst auflösendes Objekt ist, das auch die Bezugsmenge hinfällig werden lässt. Der Congiuntivo markiert also im Wesentlichen den hypothetischen Charakter einer Aussage zur Beschaffenheit der Gesamtmenge sowie überhaupt Aussagen, die die Mengenqualität der Bezugsgröße in Frage stellen. Diese Funktionalisierung der Modusopposition bei den Salienzkonstruktionen scheint – anders als die Verhältnisse bei den superlativischen Relativsätzen – eine Entwicklung jüngeren Datums (vor allem seit dem 19. Jahrhundert) zu sein. Von der Tendenz einer Generalisierung und Konventionalisierung des Modusgebrauchs in den zuletzt behandelten Konstruktionen kann jedoch im Italienischen in keiner Weise die Rede sein. Wie wir im Verlauf des Unterkapitels gesehen haben, besaß der Modus eine zentrale Funktion bei der Charakterisierung der für den superlativischen Vergleich jeweils relevanten Bezugsdomäne. Die Bezugsdomäne konnte dabei einen delimitierten und hinsichtlich ihrer Zusammensetzung prinzipiell determinier-
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baren Charakter besitzen oder aber – vor allem in Verbindung mit Polaritätselementen – als absolut und damit letztlich unbestimmbar profiliert werden. Wir haben mit Blick auf den Superlativsatz eine Vielzahl unterschiedlicher Bezugsräume mit variierender Sprechernähe aufgewiesen. Bei der Untersuchung weiterer Salienzkonstruktionen, die auf den besonderen ordinalen Status eines Elements abheben, wurde deutlich, dass sich eine Modusalternation erst allmählich ausbildete, wobei der Konjunktiv zunächst den virtuellen bzw. fiktiven Status einer Bezugsdomäne auswies. Eine Konventionalisierung des Modusgebrauchs nach Salienzkonstruktionen muss im Französischen und Italienischen erst nach dem 17. Jahrhundert bzw. 19. Jahrhundert erfolgt sein. Wenngleich auch der Indikativ nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so hat sich doch der Konjunktiv Präsens als Standardkategorie im heutigen Französisch usualisiert.86
5.3 Unbestimmte Relativsätze und free choice-Lesart 5.3.1 M odalsemantische Überlegungen zu freien Relativsätzen und zur sogenannten free choice-Lesart Konjunktivische Relativsatze im Skopus eines intensionalen Operators wollen wir nicht untersuchen – sie gehören genauso wie die volitionale Domäne zur intertemporal stabilen Kernzone des Konjunktivs im Lateinischen und in den romanischen Sprachen. Ausführlicher eingegangen werden soll hingegen auf die Entwicklung der Verbalkategorien in den unbestimmten Relativsätzen ohne Antezedens, die in der englischsprachigen Literatur als free relatives bezeichnet werden. Dabei wollen wir die Aufmerksamkeit in erster Linie auf unbestimmte Relativsätze mit sogenannter free choice-Lesart richten, die sich in spezifischen Kontexten einstellen. In diesen Kontexten werden unbestimmte Pronomina wie etwa qui, celui qui bzw. chi, colui/quello che wie free choice-Elemente interpretiert. Die Kerngruppe dieser free choice-Elemente – die indefiniten Pronomina chiunque, quiconque sowie die englische ever-Serie (z.B. whoever) – weisen den Kontext eindeutig aus. Giannakidou (1997, 59) bestimmt free choice items als eine Untergruppe von unbestimmten Pronomina, die mit dem besonderen Merkmal («sensitivity feature») der «Weiterung» (widening) ausgestattet sind, das heißt sie erweitern die Interpretationsdomäne des zugrundeliegenden Elements (etwa von chi- in
86 Cf. Riegel et al. (1994, 327).
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chiunque) mit dem Effekt einer «Stärkung» (strengthening) der Aussage.87 Solche Ausdrücke sind mit Kontexten kompatibel, die Variation hinsichtlich der Individuendomäne, die für die Denotation relevant ist, zulassen. Giannakidou geht von einer Anti-Lizensierungsbeziehung zwischen free choice items und dem Merkmal der Episodizität aus. Dabei ist Episodizität definiert als: «Episodicity A sentence S is episodic iff the logical representation S‘ of S involves an event variable e, and e is existentially closed in S‘.»88
Mit anderen Worten: Bei der logischen Repräsentation eines episodischen Sachverhalts wird die Ereignisvariable e vom Existenzquantor gebunden. Es handelt sich bei diesem Aussagetyp im Grunde um den Normalfall, bei dem ein bestimmtes Ereignis mit seinen Mitspielern und Requisiten charakterisiert wird (cf. Parsons 1990) – wie etwa in dem folgenden Beispiel: (253) Luigi sta mangiando nella sala da pranzo. ∃e [mangiando (e) & Agente (e, Luigi) & sala-da-pranzo (e)]
Komplementär zu dieser negativen Bestimmung von free choice-Elementen mit der Herausstellung ihrer Anti-Lizensierungsbeziehung zur Episodizität versucht Giannakidou in Anknüpfung an Dayal (1997) auch eine umfassende positive Charakterisierung zu geben: Demnach lassen sich free choice-Elemente als attributive existentielle Quantifikatoren charakterisieren. Das zentrale Merkmal der Attributivität verlangt dabei, dass ihre Referenten von Welt zu Welt variieren.89 So wird etwa durch die Endung -quiera im Spanischen, -dhipote im Griechischen, -unque (cf. chiunque, dovunque) im Italienischen und -conque (quiconque) im Französischen das Merkmal der Attributivität morphologisch kodiert und dieses Merkmal macht es nun zur Auflage, dass free choice- Elemente in Bezug auf eine Menge zur Auswertungswelt w0 alternativer Welten interpretiert werden.90 Diese Welten können nun im Anschluss an Dayal als I(dentitäts-)Alternativen (i(dentity)-alternatives) charakterisiert werden, d.h. sie sind vollkommen identisch bis auf den Wert von α, dem in jeder Welt ein anderes Denotat zugewiesen wird.
87 Cf. Kadmon/Landman (1993); Dayal (1997, 101). 88 Giannakidou (1997, 60). 89 Cf. Quer (1998, cap. 3.2.2.1). 90 Cf. Giannakidou (1998, 81).
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Das Gesagte fasst Giannakidou (in Anlehnung an Dayals ausführliche Version)91 in der folgenden Definition zusammen: «Sensitivity in FCIs: i. ii. iii.
A free choice item α ia an attributive existential quantifier. Attributive existential quantifiers must be evaluated with respect to a set of i-alternatives. A world w’ ∈ M(x) is an i-alternative with respect to α iff there exists some w’’ ∈ M(x) such that [[α]]w’ ≠ [[α]]w’’.
Two i-alternatives w’ and w’’ are worlds agreeing on everything but the value assigned to the FCI α.»»92
Ein konkretes Beispiel soll diese Bestimmung von free choice-Elementen veranschaulichen. Nehmen wir das italienische Beispiel: (254) Mi dia un libro qualunque.
Der NP-Ausdruck libro qualunque denotiert – je nach i-Alternative – ein anderes Buch. Dabei sind nun solche i-Alternativen zugelassen, die nach dem epistemischen Modell des Sprechers überhaupt in Frage kommen können (z.B. weiß der Sprecher, dass er von seinem Hörer keine japanischen Bücher erwarten kann, da dieser z.B. solche gar nicht besitzt). Das Denotat des NP-Ausdrucks kann wie folgt (unter λ-Abstraktion des N-Ausdrucks livro) dargestellt werden: [[un libro qualunque]]w0 = λP [∀i-alt. ∈ ME(s) ∃xi livro (xi) ∧ P (xi)]93 Möglich wären danach Denotate wie etwa: i-alt1: libro (x1) = libro1 (= Marx) IMP [dare (LEI, libro1)] i-alt2: libro (x2) = libro2 (= La Bibbia) IMP [dare (LEI, libro2)] i-alt3: libro (x3) = libro3 (= Pinocchio)
91 Cf. Dayal (1997, 108), mit Anwendungsbeispiel. Dayal bestimmt in ihrer Darstellung die Menge der als Identitäts-Alternativen in Frage kommenden Welten. Plausiblerweise sind dies die dem Sprecher zugänglichen epistemischen Welten, d.h. solche Welten, die mit seinem epistemischen Modell kompatibel sind. 92 Giannakidou (1998, 91). 93 Wird hingegen mi dia un libro in einer Situation geäußert, bei der der Sprecher zwischen einem Buch, einem Comic und einer Tageszeitung wählen konnte, so erhalten wie die folgende Formalisierung des NP-Ausdrucks: [[ un livro]]wo = λP [∃x livro (x) ∧ P (x)].
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IMP [dare (LEI, libro3)] i-alt4: etc. Free choice-Elemente markieren ihre Vorkommenskontexte eindeutig als Kontexte, die i-Alternativen zum aktuellen Auswertungsindex w0 in sich bergen. Sie stellen dabei modale Elemente dar, die Attributivität morphologisch kodieren.94 Weniger eindeutig sind demgegenüber die Verhältnisse bei den freien Relativsätzen, die – je nach kontextueller Spezifizierung – ganz unterschiedliche Lesarten zulassen. Grundsätzlich lassen sich freie Relativsätze danach unterscheiden, ob sie in generischen oder nicht-generischen Kontexten auftreten. Wie Quer (1998) überzeugend zeigt, lassen sich freie Relativsätze in generischen Kontexten als Domänenrestriktoren interpretieren und verhalten sich damit analog zum Vordersatz (Protasis) eines Bedingungssatzgefüges. Wir erinnern uns: Bedingungssätze lassen sich als triadische Struktur darstellen, bei denen die Apodosis sich im Skopus eines quantifizierenden Operators befindet. Die Geltungsdomäne der Apodosis wird dabei von der Protasis festgelegt (restringiert).95 S
quantifizierender Operator MUST GENERALLY MAY (◊)
Restriktor
[IF p ]
(nuklearer) Fokus
q
ALWAYS (∀x)
Ein freier Relativsatz wie (255) Chi cerca trova.
lässt sich in Form eines Konditionalsatzes paraphrasieren: (256) Se qualcuno cerca, (egli/lui) trova.
Die logische Form beider Sätze lässt sich nach dem triadischen Modell folgendermaßen darstellen:
94 Cf. Quer (1998, 173), der den Zusammenhang etwas unklarer formuliert. 95 Cf. Kratzer (1977); Heim (1982); Partee (1991; 1995).
Unbestimmte Relativsätze und free choice-Lesart
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USUALLYx [persona‘ (x) ∧ cercare‘ (x)] [trovare‘(x)] USUALLY/GENx,s [persona‘ (x, in s) ∧ cercare‘ (x, in s)] [trovare‘(x, in s)] Wie die Analyse zeigt, unterscheiden sich beide Sätze dahingehend, dass in dem freien Relativsatz lediglich über Individuen, in dem Bedingungssatz über Paare von Individuen und Situationen quantifiziert wird.96 Freie Relativsätze weisen, wie Quer in seiner Monographie aufgezeigt hat, eine Reihe von Parallelen zu den Bedingungssätzen auf, die ihren Restriktorcharakter belegen. Unter anderem sind freie Relativsätze mit kontrafaktischer Bedingungssatzmorphologie kompatibel und lassen sich jeweils auch in die analogen Konditionalkonstruktionen überführen. Zur Illustration geben wir Quers katalanische Beispiele wieder:97 (257) «Qui els escoltés, entendria el problema.» (ʽWhoever listened to them would understand the problemʼ) (257’) «Si algú els escoltés, entendria el problema.» (ʽIf someone listened to them, he would understand the problemʼ) (258) «Qui els hagués escoltat, hauria entès el problema.» (ʽWhoever had listened to them would have understood the problemʼ) (258’) «Si algú els hagués escoltat, hauria entès el problema.» (ʽIf someone had listened to them, he would have understood the problemʼ)
Von besonderem Interesse im Rahmen unserer Thematik ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Bedingungslesart freier Relativsätze in generischen Kontexten und der Modusvariation. Worin unterscheidet sich etwa die Semantik der beiden folgenden, ein Kontrastpaar bildenden, freien Relativsätze?98 (259) «Qui perd la feina és indemnitzat.» (ʽWho loses his job gets a compensationʼ) (260) «Qui perdi la feina és indemnitzat.» (ʽWhoever loses his job gets a compensationʼ)
Bei beiden Sätzen handelt es sich um generische Sätze, die – wie wir oben sahen – in Analogie zu Bedingungssätzen auf eine triadische Struktur zurückgeführt werden können. Hierbei kommt den freien Relativsätzen die Funktion eines Domänenrestriktors zu, der den Definitionsbereich der für die Prädikation in Frage kommenden Individuen festlegt. Es ist nun das Wesen der Generizität, dass die im Matrixsatz prädizierte Eigenschaft nicht für jedes Individuum, über
96 Cf. Quer (1998, 191). 97 Cf. Quer (1998, 195). 98 Cf. Quer (1998, 195 und 198).
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das GEN quantifiziert, gelten muss. Vielmehr ist eine Welt, in der die durch den Matrixsatz prädizierte Eigenschaft für ein in die Restriktordomäne fallendes Individuum zutrifft, normaler als eine Welt, in der Gegenteiliges gilt. Sehr schön lässt sich an dieser Stelle wieder mit dem konzeptuellen Grundinventar des modalsemantischen Modells argumentieren: Die modale Basis Bw gibt an, welche Welten überhaupt in Betracht gezogen werden sollen – üblicherweise bieten sich Welten an, die mit dem, was wir wissen, vereinbar sind. Auf diese Menge von Welten in der modalen Basis wird eine Ordnungsfunktion (stereotyper Redehintergrund) appliziert, die die Welten der modalen Basis danach ordnet, wie nahe sie dem Ideal der Normalität kommen. Generische Welten (generally-worlds) sind mithin Welten, in denen die Eigenschaft auf das Individuum, über das prädiziert wird, zutrifft. Quer versucht in Anlehnung an Krifka et al. (1995) eine Illustration mit Formalisierung anhand des folgenden Beispiels: (261) «A lion has a bushy tail. (= if something is a lion, it has a bushy tail)»99
GEN[x,y] (x is a lion; y is a bushy tail & x has y) is true in w relative (to a « model base, M.B.) Bw and (an ordering source, M.B.) ≤w iff: For every x and every w‘ ∈ Bw such that ‚x is a lion‘ is true in w‘, there is a world w‘‘ in Bw such that w‘‘ ≤w w‘, and for every world w‘‘‘ ≤w w‘‘, ∃y[y is a bushy tail & x has y] is true in w‘‘‘.»100 Die formalisierte Darstellung drückt aus, dass in allen Welten der modalen Basis, die dem Ideal der Normalität am nächsten kommen (und das sind hier die geordneten Welten w‘‘‘ ≤w w‘‘ ≤w w‘) eine Entität, die ein Löwe ist, auch einen buschigen Schwanz hat. Auf dieser Grundlage lässt sich nun auch die Modusopposition in freien Relativsätzen modellieren:101 Wie wir gesehen haben, lassen sich freie Relativsätze in generischen Kontexten als Restriktoren im Rahmen einer triadischen Prädikationsstruktur interpretieren. Der Restriktor legt die Auswertungswelten fest, hinsichtlich derer die generische Prädikation bewertet wird. Diese Welten zeichnen sich nun durch unterschiedliche Parameter aus:
99 Quer (1998, 201). 100 Quer (1998, 201). 101 Im Folgenden lehne ich mich an Quers Argumentation an (Quer 1998, 201s.).
Unbestimmte Relativsätze und free choice-Lesart
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–– In jedem Fall müssen es Welten sein, in denen das Individuum, über das prädiziert wird, bestimmte, im freien Relativsatz festgeschriebene Eigenschaften besitzt. In dem Beispielpaar muss x seine Arbeit verloren haben (perder_la_ feina‘ (x)). –– Die für die Auswertung der generischen Prädikation relevante modale Basis ist typischerweise epistemischer Natur: Betrachtet werden nur Welten, die dem Sprecher epistemisch zugänglich sind (das Wissen des Sprechers über die Verhältnisse in verschiedenen Welten). –– Ferner benötigen wir eine Ordnungsfunktion, die die epistemisch zugänglichen Welten nach ihrer Nähe zum Ideal der Normalität (also ihrem Normalitätsgrad) ordnet. Als eine solche Ordnungsfunktion, die Welten danach ordnet, wie sehr die Dinge, die in ihnen geschehen, dem normalen Gang der Ereignisse folgen («the normal course of events»), erweist sich der stereotype Redehintergrund (stereotypical conversational background). Quer sieht nun den entscheidenden Unterschied zwischen dem indikativischen und dem konjunktivischen freien Relativsatz in der Art der Ordnungsfunktion und damit der modifizierten modalen Basis, vor deren Hintergrund der Matrixsatz bewertet wird. –– Beim indikativischen freien Relativsatz werden nur die Welten berücksichtigt, die einem eng definierten stereotypen Redehintergrund (als Ordnungsfunktion) entsprechen. Bei der Auswertung werden mithin nur Welten in Betracht gezogen, in denen – nach unserem Wissen – völlig normale Dinge geschehen. –– Im Falle des konjunktivischen freien Relativsatzes wirkt ein weniger streng gefasster stereotyper Redehintergrund als Ordnungsfunktion. Hier werden auch Welten bei der Auswertung des Matrixsatzes mit einbezogen, in denen die Verhältnisse weniger normal sind. Der Konjunktiv zeigt demnach also an, dass die für die Auswertung des Matrixsatzes relevante modifizierte modale Basis gegenüber dem indikativischen Modell deutlich ausgeweitet wurde. In den Betrachtungsfokus werden folglich neben Standardwelten (man könnte sich in dem Beispielsatz typische Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitgeber und Länder vorstellen) auch weniger typische Welten gerückt. Quer charakterisiert den Moduswechsel im Rahmen seines Ansatzes (cf. dazu Kap. 1) als Modellwechsel, da sich die modellkonstituierenden Determinanten bzw. Parameter – die jeweils relevante modale Basis sowie die applizierte Ordnungsfunktion – grundlegend voneinander unterscheiden.102 Das
102 Quer (1998, 202).
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für den Matrixsatz relevante Auswertungsmodell umfasst im indikativischen Fall Standardwelten, beim Konjunktiv integriert es auch deviante Welten. Dies erklärt auch die free choice-Lesart freier Relativsätze im konjunktivischen Modus: Gewissermaßen werden hier weitaus mehr Fälle berücksichtigt, als dies beim indikativischen Modus, der lediglich auf Standardfälle fokussiert, der Fall ist. Dies entspricht Kadmon und Landmans Konzept der «Weiterung» (widening), das ebenfalls auf die Erweiterung der für die Interpretation angemessenen bzw. relevanten Domäne abhebt und im konkreten Kontext auf die Zulassung einer größeren Anzahl von Ausnahmefällen hinausläuft. So verstanden sind der Begriff der «Weiterung» und Quers Deutung des Konjunktivs als Kennzeichnung eines erweiterten Interpretationsmodells («extended model») kongenial. Kurz ist noch auf die Modusvariation bei freien Relativsätzen in nicht-generischen Kontexten einzugehen. Quer zeigt hier, dass konjunktivische freie Relativsätze stets als Restriktoren des Allquantors im Skopus eines modalen Operators wie IMP, FUT oder INTEND anzusehen sind. Betrachten wir einen Beispielsatz wie: (262) «Donaran un premi a qui reculli les escombraries.»103 (ʽThey will give a prize to whoever picks up the garbageʼ)
Der gesamte Satz steht im Skopus des Futuroperators (FUT). Der freie Relativsatz fungiert, wie gehabt, als Domänenrestriktor. Die prädizierte Konsequenz (give_a_ price) soll für alle gelten, die die Bedingung (pick_up_the_garbage) erfüllen: FUT[∀x gather‘(x, garbage) → ∃y: price‘(y) ∧ give-to‘(they, y, x)] Auch hier ist die free choice-Lesart wieder unmittelbar einsichtig: Durch den FUTOperator wird ein Modell zukünftiger alternativer Welten eingeführt (MEfut(x,sp)), d.h. Welten, die mit dem vereinbar sind, was vor dem Hintergrund des epistemischen Modells des Sprechers (oder eines individuellen Ankers) zum Sprechzeitpunkt als möglich erscheint. In all diesen möglichen Zukunftswelten soll die behauptete Implikation zwischen pick-up-garbage und give-a-price gelten. Dabei stellt jede der Welten eine i-Alternative mit jeweils unterschiedlicher Denotatsmenge (bzw. konkreten Referenten) dar: In Zukunftswelt w1 mag niemand den Müll aufsammeln, in w2 sind es immerhin fünf Personen und in w3 jeder, der in dieser Welt lebt. Im Gegensatz zur free choice-Interpretation des konjunktivischen freien Relativsatzes steht sein indikativisches Pendant:
103 Quer (1998, 204).
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(263) «Donaran un premi a qui recull les escombraries.»104 (ʽThey give a prize to the one who picks up the garbageʼ)
Dieser lässt sich nur referentiell lesen, d.h. der freie Relativsatz bezieht sich auf ein spezifisches, zum Sprechzeitpunkt schon bekanntes Individuum. Die Juroren verleihen mithin den Preis einem schon individuierten Referenten, der zudem auch noch der einzige ist. Die Verbindung von Existenz und Einzigartigkeit (also: «es gibt genau ein») wird durch den iota-Operator angezeigt. In formalisierter Schreibung muss der indikativische Beispielsatz also lauten: [ιx: gather‘ (x, the garbage) ∧ FUT [∃y: price‘ (y) ∧ give-to‘ (they, y, x)]] Wir haben Quers Analyse freier Relativsätze hier ausführlich dargestellt, da sie nicht nur die umfassendste ist, sondern – anders als etwa Haspelmaths wichtige Grundüberlegungen zu free choice-Elementen (Haspelmath 1997)105 – insbesondere die Modusproblematik im Rahmen eines kohärenten Interpretationsmodells
104 Quer (1998, 204). 105 Haspelmath (1997) behandelt free choice-Elemente im Rahmen der Fauconnier’schen Theorie der pragmatischen Skala. Dabei versucht er, dem Problem der doppelten Natur des englischen Indefinitpronomens any (als free choice-Element und als negatives Polaritätselement) in einem einheitlichen Erklärungsansatz gerecht zu werden. Der Terminus pragmatische Skala erschließt sich am einfachsten am Beispiel von Fokuspartikeln wie sogar (even). Wenn man sagt, dass Peter sogar Rumänisch spricht, so wird die Existenz einer (partiell) geordneten Skala von Sprachen präsupponiert, auf der Rumänisch (hinsichtlich seiner Relevanz als Fremdsprache) relativ weit unten steht (z.B. hinter Englisch, Spanisch, Französisch etc.). Auch superlativische Sätze wie «The weakest cow can swim through this river» implizieren eine skalare Skala. Nun lässt der Satz aber zwei Interpretationen, eine spezifische und eine nicht-spezifische, zu: a) A certain cow, who is weaker than all others, can swim through the river (spezifisch) b) Any cow can swim through this river (nicht-spezifisch) In der zweiten Lesart tritt any nun in der Funktion eines free choice-Elements auf, so dass der Superlativsatz einen quantifizierenden Charakter erhält. Diese – einer universellen Quantifizierung ähnelnde – Interpretation (any cow ~ every cow/all cows) beruht jedoch auf einer skalaren Implikatur: Durch den Superlativ the weakest cow wird der auf der stärke-Skala am untersten Ende angesiedelte Vertreter herausgegriffen und die pragmatische Implikatur ausgelöst, dass, wenn der schlechteste Vertreter der in Rede stehenden Eigenschaft in der Lage ist, p zu tun, auch alle anderen, auf der Skala weiter oben angesiedelten, Kandidaten ebenfalls in der Lage sein müssten, p zu realisieren. Das Schließen von dem schwächsten auf alle Elemente der Skala folgt nicht logischen Gesetzmäßigkeiten, sondern stellt eine pragmatische Implikatur dar: Die Assertion «The weakest cow can swim through this river» sagt ja nichts darüber aus, welche Kriterien für die Realisierung von p relevant sind bzw. dass mit der Eigenschaft der Stärke schon die notwendige und hinreichende Bedingung angegeben ist. Möglicherweise erweist sich die schwächste Kuh beim Schwimmen als recht geschickt und stärkere Exemplare legen eine fatale Dümmlichkeit an den Tag.
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behandelt. Quers und Giannakidous Gedanken zur free choice-Problematik sollen deshalb auch den Hintergrund für die Analyse und Beschreibung der diachronen Verhältnisse im Französischen und Italienischen abgeben.
5.3.2 Eine Vorgeschichte: quicumque im späteren Latein Wie wir in dem vorangegangenen Kapitel gesehen haben, tragen die verschiedenen Verbalkategorien auch in freien Relativsatzkonstruktionen maßgeblich zur Profilierung bzw. Konzeptualisierung von Auswertungswelten bei, in Bezug auf die der Wahrheitswert der den Assertionen zugrundeliegenden Propositionen ermittelt wird. Insbesondere signalisieren sie, wie die oftmals ambigen Indefinitpronomina, die den Relativsatz einleiten, zu interpretieren sind. Das spanische Indefinitpronomen quienquiera bzw. sein katalanisches Pendant qualsevol erscheinen in Quers Analyse freier Relativsatzkonstruktionen als charakteristische free choice items, die typischerweise mit dem konjunktivischen Modus korrelieren. Zum Beispiel: (264) «Sale con quienquiera que se lo proponga.»106
Nicht so eindeutig liegen die Verhältnisse hingegen bei quiconque und seinem lateinischen Pendant quicumque (ʽwer auch immerʼ).107 Auch letzteres weist
Für die Interpretation von free choice-Elementen im Allgemeinen ist der Gedanke der pragmatischen Skala bzw. der skalaren Implikatur in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: 1) free choice-Elemente präsupponieren ein System von Alternativen, die eine (partiell) geordnete Skala ausbilden 2) free choice-Elemente fokussieren auf den untersten Extrempunkt einer Skala (den sogenannten «low point on a scale», d.h. sie greifen den jeweils letzten («marginalsten») Vertreter der Eigenschaftsskala x1 heraus und lösen dadurch 3) eine skalare Implikatur aus, die in einer universellen Lesart einmündet. Aus der Geltung von p für den schlechtesten Vertreter x1 wird auf alle Vertreter entlang der Skala geschlossen, d.h. von Element x2 bis zum höchsten Element xn (bei n-Elementen). Diese drei zentralen Aspekte werden, wie wir gezeigt haben, in Quers Interpretationsmodell berücksichtigt. 106 Quer (1998, 259). 107 Wie die einschlägigen etymologischen Wörterbücher (Godefroy 1880–1902, vol. 6, 511; Bloch/Wartburg 1975, 525; Gamillscheg 1969, 737; Greimas 1998, 489; Tobler-Lommatzsch 1925– 2002, vol. 8, 91) herausstellen, geht das Indefinitpronomen quiconque auf die Verbindung qui que + onques zurück, die aber von dem lateinischen quicumque beeinflusst wurde. Die Semantik beider Pronomina ist zunächst identisch. Cf. zusammenfassend Bloch/Wartburg (1975, 525), die in ihrem Dictionnaire étymologique de la langue française zu quiconque anmerken: «d’un anc. qui
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schon ein sehr eigenes kombinatorisches Profil auf, wie die Modusselektion in den Texten der Vulgata zeigt. So verbindet sich das Indefinitpronomen hier – anders als noch in klassischer Zeit – ausschließlich mit zwei Kategorien, dem sogenannten Futurum Exactum (cantaverit) sowie dem Präsens Indikativ. Auf die Problematik des konjunktivischen Charakters des Futurum Exactum, dem späteren Futuro de Subjuntivo im Spanischen und Portugiesischen, wollen wir an dieser Stelle nicht eingehen, sondern lediglich seine Funktion gegenüber dem Indikativ Präsens in Kontexten mit dem Pronomen quicumque aufzeigen: (265) «[…] et beatus est quicumque non fuerit scandalizatus in me» (Vulg., Lucas, 7,23) (ʽ... und selig ist, wer (immer) keinen Anstoß an mir nimmtʼ) (266) «Dictum est autem quicumque dimiserit uxorem suam det illi libellum repudii» (Vulg., Matthäus, 5,31) (ʽEs ist auch gesagt: Wer (immer) sich von seiner Frau scheidet, soll ihr einen Scheidebrief gebenʼ)
In beiden Textpassagen wird offenbar mit einer Kombination aus Identitäts-Alternativen und einer weitmöglichst gefassten epistemischen modalen Basis operiert: In beiden Fällen sind eine Vielzahl von Welten denkbar, in denen jeweils unterschiedliche Individuen entweder Anstoß nehmen, wie im ersten Beispiel, oder sich von ihrer Frau trennen (wie im zweiten). Die besondere Leistung der Kategorie Futurum Exactum scheint nun darin zu bestehen, dass jeder nur denkbare Kandidat zum Gegenstand der Prädikation gemacht wird. Die Domäne der in Frage kommenden Individuen wird also auf alle erdenklichen Fälle erweitert. Quer hatte, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, die free choice-Lesart mit einer besonderen epistemischen modalen Basis («expanded modal base») in Verbindung gebracht. Die Auswertungswelten des Restriktors sind also nicht lediglich auf stereotype Welten begrenzt, in denen übliche Dinge geschehen, sondern werden auf periphere bzw. exzeptionelle Welten erweitert. Betrachtet man aber die Vorkommenskontexte, so lässt sich allerdings keine Fokussierung auf besondere Auswertungswelten erkennen. Bezeichnenderweise übersetzt Luther auch die entsprechenden Passagen (allerdings aus dem Griechischen) als einfache freie Relativsätze (ohne die free choice-Markierung «x-auch immer»). In den Beispielen (265) und (266) werden m.E. zwei wesentliche Aussagen gemacht: Zum einen wird betont, dass die Hauptsatzproposition für jedes Individuum – und zwar ausnahmslos – gelten soll. Die durch quicumque eingeleitete Restriktorproposition gilt für alle x, d.h. sie steht im Skopus eines Allquantors. Zum
qu’onques, ‹qui jamais›, influencé par le lat. quicumque, de même sens, d’où la graphie en un seul mot et sans s adverbial».
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anderen wird der Geltungsgrad der Hauptsatzproposition besonders bekräftigt: q gilt unbedingt, d.h. der Notwendigkeitsoperator fungiert in den Beispielen als Quantifikator des Hauptsatzes. In Beispiel (266) wird der Notwendigkeitsoperator vor deontischem Redehintergrund sogar explizit gemacht, während er in (265) kovert ist. Aus dem Verheißungskontext ergibt sich aber deutlich, dass für alle x, für die p gilt, notwendigerweise auch q gilt: [∀x (non_scandalizatus (x))] [beatus (x)] Quantifikator Restriktor Fokus/Matrixsatz oder: [∀x (non_scandalizatus (x) -> [(beatus (x))]]. In dem folgenden – indikativischen – Beispiel liegt keine free choice-Konstellation vor. Der freie Relativsatz besitzt attributiven Charakter, denn er legt durch seine definitorische Beschreibung die Individuendomäne fest, für die die Prädikation gelten soll. Aber auch hier leistet das Indefinitpronomen eine Allquantifikation, was im weiteren Kontext noch deutlicher wird, weil quicumque durch das synonym verwendete omnis (‘ein jeder’) wieder aufgegriffen wird. (267) «Quicumque enim ex operibus legis sunt sub maledicto sunt scriptum est enim maledictus omnis qui non permanserit in omnibus quæ scripta sunt in libro legis ut faciat ea.» (Vulg., Brief des Paulus an die Galater, 3,10) (ʽDie nämlich mit Gesetzeswerken umgehen, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: Verflucht sei jedermann, der sich nicht in allem daran hält, was in dem Gesetzesbuch steht, dass er es tun soll!ʼ)
Der grundlegende Unterschied zwischen den Beispielen im Futurum Exactum und im Indikativ Präsens besteht also darin, dass bei ersteren alternative Welten, Identitäts-Alternativen, ins Spiel gebracht werden: In quicumque non scandalizatus fuerit wird ein ganzes System möglicher Welten profiliert, denen jeweils völlig unterschiedliche Denotatsmengen zugeordnet sind – in w1 kann zum Beispiel die Denotatsmenge zum Prädikat «non_scandalizatus» aus Johannes und Paulus bestehen, in w2 hingegen aus Ralf und Susanne, in w3 wiederum aus anderen Individuen und so fort. Entscheidend ist aber die Tatsache, dass nicht nur an jedem Index i verschiedene Denotatsmengen vorliegen, sondern dass die möglichen Denotatsmengen bei der free choice-Lesart auch nicht abschließend festgelegt werden, sondern die Möglichkeit eröffnet wird, gegebenenfalls noch weitere, äußerste i-Alternativen hinzuzufügen. Ganz anders die Konstellation bei dem Indikativbeispiel: Hier mag sich zwar die Denotatsmenge an verschiedenen Indizes auch unterschiedlich konfigurieren
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– an i1 sind zum Beispiel nur Robert und Petra, an i2 Hedwig und Isetta Rechtsgelehrte, aber an jedem Index sind die Denotatsmengen durch die notwendigen und hinreichenden Konstituierungsbedingungen der Domäne bestimmt. Wie immer die jeweilige Denotatsmenge auch an einem Index aussehen mag, stets werden nur die Kandidaten Eingang finden, die – wie etwa in dem Beispiel (265) – die konstitutive Eigenschaft besitzen, ex operibus legis est, d.h. Rechtskundige, zu sein. Der attributive Charakter des freien Relativsatzes lässt zwar die konkrete Zusammensetzung der Denotatsmenge an jedem Index offen, determiniert diese aber zumindest in generischer Weise, da an jedem Index nur diejenigen Individuen zur Denotatsmenge gehören werden, die die notwendigen und hinreichenden Bedingungen, so wie sie die Prädikation festlegt, erfüllen. Die Denotatsmenge ist damit also in abstracto – durch attributive Charakterisierung – determiniert. Was die Stärke der Beziehung zwischen Restriktor und dem Matrixsatz anbelangt, so lässt sich jedoch kein Unterschied zwischen den Beispielen feststellen: Auch die Aussage über die Rechtsgelehrten ist kategorisch zu interpretieren: Rechtskundige sind notwendigerweise – kraft dieser Eigenschaft – sub maledicto. So manifestiert sich der Unterschied zwischen dem Indikativ und dem konjunktivischen Futurum Exactum nicht in der triadischen Grundstruktur, sondern in der Bestimmung der relevanten Bezugs- bzw. Auswertungswelten: –– Futurum Exactum: für ∀i-alt ∈ ME(s) gilt: □[∀xi (non_scandalizatus (xi))] [beatus (xi)] –– Indikativ: □ [∀x (ex_operibus_legis_esse (x))] [sub_maledicto (x)] Das hier Dargestellte kann – vom Sprechzeitpunkt aus betrachtet und unter Berücksichtigung zukünftiger Alternativen – auch noch ein wenig anders akzentuiert werden: Wir können im Falle der indikativisch-attributiven Lesart postulieren, dass an jedem Zeitindex t genau eine Denotatsmenge mit denjenigen Elementen vorliegt, die die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der Prädikation erfüllen (gleiches würde natürlich auch für einen Ortsindex gelten). Beispielsweise kann man davon ausgehen, dass sich die Gruppe der Rechtsgelehrten an jedem Zeitindex (sowie Ortsindex) zumindest prinzipiell stets abschließend bestimmen läßt. Bei der free choice-Lesart hingegen eröffnet der Sprecher die Möglichkeit, dass die Zusammensetzung der Denotationsmenge (vom Sprechzeitpunkt aus betrachtet) noch gar nicht abzusehen ist und an jedem Zeitindex t ganz unterschiedliche mögliche Alternativen und damit verbundene divergente Denotatsmengen denkbar sind. Free choice-Sätze sind also an jedem Zeitindex t durch variable Werte für die Weltkoordinate w (verschiedene mögliche Alternativen) und entsprechend unterschiedliche Denotate charakterisiert.
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Das Indefinitpronomen quicumque kann auch in Kontexten auftreten, die eine gewisse referentielle Note besitzen. So wendet sich der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer ganz speziell an seinen Hörerkreis, die Gemeinde von Rom, wobei der Relativsatz quicumque baptizati sumus enger – also eher referentiell (mit Blick auf den konkreten Hörerkreis) – oder weiter (attributiv: grundsätzlich alle baptizati) – verstanden werden kann: (268) «An ignoratis quia quicumque baptizati sumus in Christo Jesu in morte ipsius baptizati sumus.» (Vulg., Paulus, 1. Brief an die Römer, 6,3) (ʽOder wisst Ihr nicht, dass alle, die wir in Christus getauft, in seinem Tode getauft sind.ʼ)
Der kleine Seitenblick auf das Lateinische macht deutlich, dass Kontexte, in denen das Etymon von quiconque, quicumque, figuriert – offenbar anders als spanisches quienquiera – nicht automatisch nach der free choice-Lesart zu interpretieren sind. Vielmehr kann quicumque zusammen mit der geeigneten Verbalkategorie sowohl ein Mehrweltensystem aus Identitätsalternativen (Futurum Exactum) als auch eine einfache abstrakte Domänenbeschreibung (Indikativ) konstituieren. Im ersten Fall wird ein weites Feld möglicher Situationen/Welten und der ihnen zugeordneten Denotatsmengen eröffnet, im zweiten Fall wird für jeden Zeitpunkt das notwendige und hinreichende Kriterium statuiert, das zur Mitgliedschaft in der Denotatsmenge berechtigt. Das Gemeinsame beider Lesarten, mithin die Grundsemantik von quicumque, besteht darin, dass grundsätzlich die prädizierte Implikation wenn p, q für alle x, die p erfüllen, gilt. Die zumindest in der Vulgata sich abzeichnende Herausbildung zweier unterschiedlicher Lesarten – einer free choice-Lesart und einer rein attributiven, domänenfixierenden Lesart – macht deutlich, dass sich der free choice-Charakter von quicumque im Laufe der lateinischen Sprachgeschichte abgeschwächt haben muss.
5.3.3 Quiconque und quanque im Altfranzösischen Die Behandlung des Etymons quicumque hat gezeigt, dass seine Verwendung als free choice-Element schon im späteren Latein mit einer weiteren Verwendungsweise als rein attributiv zu deutendes freies Relativpronomen konkurrierte. Diese – keineswegs anekdotische – Vorgeschichte ist insofern von großer Bedeutung, als sich im Altfranzösischen die skizzierten Tendenzen noch deutlich verstärkten. Ein sehr guter Indikator hierfür ist die Modusvariation: Im BFM sind kaum mehr, im Amsterdamer Korpus, das in viel stärkerem Maße die varietätenlinguistische Vielfalt der altfranzösischen Sprachwirklichkeit abbildet, sind immerhin
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einige Belege im konjunktivischen Modus nachweisbar. In den 28 Beispielen des Amsterdamer Korpus verteilen sich die Verbalkategorien in folgender Weise: Tabelle 32: Die Verteilung der Verbalkategorien bei altfranzösischem quiconques Gesamt belege
Subjonctif
Futur
Conditionnel
Sonstige IND (Imp, Präs, PS)
homonym (IND=SUBJ)
28
6
7
3
8
4
Den Indikativ Präsens finden wir in allgemeinen Aussagen, wie sie in Fallbeschreibungen von Gesetzestexten (Quelle: beauv) oder in Sinnsprüchen (Quelle: nouvel) üblich sind. In diesen Kontexten wird ausnahmslos für jedes x, das in die durch p konstituierte Domäne fällt, eine notwendige Konsequenz q prädiziert. In dem ersten Beispiel wird der Notwendigkeitsoperator, der im Rahmen der Textgattung Gesetzestext vor deontischem Redehintergrund zu interpretieren ist, durch das entsprechende Modalverb (doit) explizit gemacht. Auch in dem zweiten Beispiel (aus Renart le Nouvel) ist das Zusammenspiel von Indefinitpronomen und dem pragmatischen Rahmenkontext (didaktische Literatur) für den kategorischen Charakter der Aussage verantwortlich. Mithilfe von quiconques wird also herausgestellt, dass tatsächlich alle Fälle, ohne irgendeine Ausnahme, für die Implikationsbeziehung berücksichtigt werden, sofern sie die im Relativsatz festgelegten (notwendigen und hinreichenden) Bedingungen erfüllen. Dem Indikativ kommt dabei die Funktion zu, den definitorischen Charakter des freien Relativsatzes zu kennzeichnen. (269) «quiconques est pris en cas de crieme et atains du cas si comme de murdre ou de traison d’omicide ou de feme efforcier il doit estre trainés et pendus.» (bfm: beauv, 1529–1531) (270) «quiconques fait de serf segneur / lui et sen regne en grant doleur met.» (nouvel, 2005s.)
Ganz ähnlich scheint auch die Funktionsweise des im Kontext von quiconque recht häufigen Futurs zu sein. Auch dieses zeichnet sich durch seine – für indikativische Kategorien – typische Konzeptualisierungsleistung aus: Der Fokus liegt jeweils auf der Charakterisierung der für eine Implikationsrelation relevanten Restriktionsdomäne. Dabei ist klar, dass an verschiedenen zukünftigen Indizes auch die Denotatsmengen der Individuen, die die statuierten Bedingungen erfüllen, unterschiedlich sein werden. Aber diese Denotatsmengen sind insofern bestimmt, als nur die Individuen an den verschiedenen Indizes in sie Eingang
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finden werden, die genau den Anforderungen der Restriktorprädikation entsprechen. So mögen die Inhaber der Schöffengewalt (li maieur de l’eschevinage) zum Sprechzeitpunkt noch unbekannt sein – bestimmt ist aber schon zum Sprechzeitpunkt, dass es sich um eine bestimmte Gruppe von Personen nach den Regeln der Stadt handeln wird: (271) «eschevins de tournay et li maieur de l’eschevinage de tournay quiconques pour le temps le seront demoura et heritiers sera […].» (fierens, 2443–2446)
Auch in dem nächsten Beispiel ist die Denotatsmenge zum Sprechzeitpunkt noch unbestimmt. Der Sprecher wendet sich aber in seiner Äußerung an den – zum jeweiligen Index i aktuellen – Leser, der das Werk zur Kenntnis nimmt. Gewissermaßen erlaubt die attributive Charakterisierung des Lesers (quiconques verra seste ouvraingne) die permanente Aktualisierung der direkten Autorenansprache an jeden potentiellen Leser. Der indikativische Modus wirkt an der Konstruktion der Fiktion mit, der Autor spreche nicht irgendeinen beliebigen Leser an, wie dies bei der free choice-Option der Falle wäre (egal, ob x1 oder x2 oder xn,), sondern genau den spezifischen Leser bzw. die spezifische Gruppe von Lesern, der/die an den jeweiligen Indizes das Werk zur Hand nimmt. (272) «[…] qui vous tieng tout de mon pooir / quiconques verra seste ouvraingne / raison n’est ce mie je croy / recouvrier il puet il avoir.» (amou, 2223–2226)
Die Verwendung des Imparfait in Verbindung mit quiconques bedarf keiner ausführlichen Kommentierung: Der freie Relativsatz charakterisiert die Konstituierungsbedingungen der für die verschiedenen Indizes in der Vergangenheit jeweils relevanten Denotatsmengen. Die Eigenschaften aller Mitglieder der Denotatsmengen werden abschließend bestimmt, sodass eine exhaustive Charakterisierung der Zusammensetzung der Denotatsmenge für jeden Zeitpunkt möglich ist (zumindest dann, wenn die Verhältnisse an dem jeweiligen Index hinreichend bekannt sind). (273) «[…] mes quiconques voloit adont servir nostre seignor ententivement / si se metoit adonc fors de la vile /dont il hert et la manoit.» (anth, 137–140)
Auch zum Conditionnel ist nur das Übliche zu sagen: Es greift mögliche, allerdings weniger wahrscheinliche (und damit w0 fernstehende) Welten heraus. Der domänenfixierende freie Relativsatz verhält sich wie die Protasis eines hypothetischen Bedingungssatzes: Er legt p-Welten fest, in denen die Implikationsbeziehung mit q gelten soll.
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(274) «Et se nus hom, por moi confondre, voloit opposer ou respondre que les bontez des choses bones vont bien es estranges persones et que biau guernement font beles les dames et les damoiseles, certes, quiconques ce diroit je diroie qu‘ il mentiroit […].» (Mehgl1cb, 8859–8867)
Vergleichen wir nach unserer Analyse der Satzbeispiele mit den verschiedenen indikativischen Kategorien die besondere Prädikations- bzw. Konzeptualisierungsleistung des Subjonctif: In Beispiel (= 275) spielen weder spezifische Merkmale noch die konkrete Identität des jeweiligen x eine Rolle für die Festlegung der Domäne: Jedes beliebige x ist mithin geeignet zum Kandidaten der im weiteren relevanten Implikationsbeziehung zu werden – für jedes beliebige x gilt: if p, q: (275) «sinagoge resamble celle orde beste tu crestiens quiconques tu soies se tu as avarice en toi services d’avarice est racine de touz maus.» (merm, 1046–1051)
Betrachten wir die nächsten beiden Beispiele (276) und (277): (276) «[…] et toute l’autre gent grifaigne / seurs soit quiconques remaigne que li roys le fera tuer» (nic, 235–237) (277) «le segnor dont tos biens est fais que il nos pardoinst nos mesfais et otroit droite penitance si con cil qu’est de tel poissance et quiconques escrite l’ait foi et plente de tos biens ait […].» (bodo, 863– 868)
Auch hier geht es nicht darum eine bestimmte Denotatsmenge zu definieren oder ihre Zusammensetzung bzw. die Identität ihrer Mitglieder herauszustellen – etwa die Menge der in der Stadt Zurückgebliebenen (quiconques remaigne) oder den Schreiber (quiconques escrite l’ait) – auch wenn beides natürlich grundsätzlich denkbar wäre. Der Subjonctif elaboriert aber ein anderes Konstrukt: Die Zusammensetzung der Denotatsmenge bzw. die Identität ihrer Mitglieder ist vollkommen gleichgültig – dies die grausame Lesart des ersten Beispiels: Jedes beliebige x, mag es x1, x2, x3 oder eine Kombination aus den Variablen sein, wird die Konsequenz q zu gewärtigen haben. In gleicher Weise ist auch die Identität des Schreibers in dem zweiten Beispiel völlig gleichgültig: Wer immer es auch ist, x1, x2 oder xn, für ihn gilt die Matrixsatzprädikation. Wir können nun auch auf ein zunächst nicht ganz einsichtiges Beispiel wieder aus den Coutumes de Beauvoisis zurückkommen: (278) «Li quars cas de quoi la juridicions apartient a sainte Eglise, si est de clers: c’est assavoir de tous les contens qui pueent mouvoir entre clers de muebles, et de chateus, et d’actions personeus, et des biens qu’il ont de sainte Eglise, essieutés les eritages qu’il tienent en fief lai ou a cens ou a rentes de seigneur, car quiconques tiegne teus eritages, la juridicions en apartient au seigneur de qui l’eritages est tenus, […] si comme il est dit en ce chapitre meisme.» (bfm: beaumacb, 156.016–156.025)
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Wie oben schon angedeutet, ist der Indikativgebrauch im Rahmen der Textgattung Rechtssammlung durchaus üblich: In Rechtssätzen werden Rechtssubjekte, Rechtsgegenstände oder spezifische Tatbestände durch notwendige und hinreichende Merkmale bestimmt – so in dem zitierten Beispiel die rechtsrelevanten Personen-Kategorien des Diebes, des Mörders oder des Vergewaltigers (cf. quiconques est pris en cas de crieme et atains du cas si comme de murdre ou de traison d’omicide ou de feme efforcier). In dem konjunktivischen Relativsatz quiconques tiegne teus eritages wird aber offenbar auf keine Rechtskategorie (hier etwa ‘der Besitzer von zu Lehen gegebenem Land’) referiert, noch eine solche durch Prädikation konstituiert. Vielmehr wird p zu einem beliebigen Sachverhalt (mit beliebigen Referenten) relativiert, um den eigentlichen Rechtsgrundsatz q (la juridicions en apartient au seigneur) hervortreten zu lassen. Mit anderen Worten: q gilt immer, ganz gleichgültig, wie die Denotatsmenge an den verschiedenen Indizes auch zusammengesetzt sein mag – mit x1, x2 oder irgendeinem xn oder einer Kombination aus verschiedenen Variablenwerten. Eines der ganz seltenen Beispiele für das Vorkommen einer Subjonctif Imparfait Form in Verbindung mit dem Indefinitpronomen quiconque ist die folgende Textpassage aus Froissarts Geschichtswerk: (279) «[…] et pour tant que il fu plus vaillans que nuls aultres quiconques s‘ armast de la partie des Englois, j‘en fac enarration.» (froisacb, 334.03–334.032)
Die starke Ausschöpfung der Subjonctif-Funktion durch Froissart hatten wir unter anderem auch schon im Zusammenhang mit den Komparativkonstruktionen feststellen können. Auch das aktuelle Beispiel weist stark idiosynkratische Züge auf: Die für den Subjonctif kennzeichnende Beliebigkeitslesart kann hier nicht vorliegen, da Froissart eine genauere Beschreibung der Mobilisierung auf englischer Seite verspricht (j’en fac enarration). Vielmehr ist der freie Relativsatz als Versprechen zu verstehen, seine Berichterstattung derart präzise zu gestalten, dass auch noch das letzte sich bewaffnende x gebührend berücksichtigt wird. So handelt es sich bei diesem Beleg – einem der letzten für die Korrelation von quiconque mit dem Subjonctif Imparfait – um eine besondere Verwendung der Form, und zwar zur Kennzeichnung einer maximalen Domänenbestimmung (samt der sie konstituierenden Individuen). Wie wir gesehen haben, beschränkt sich die Verwendung des Subjonctif in freien Relativsätzen, die durch quiconque eingeleitet werden, schon im Altfranzösischen im Wesentlichen auf Kontexte mit Beliebigkeitslesart. Der Subjonctif stellt mithin heraus, dass die Zusammensetzung der Denotatsmenge bzw. die Identität ihrer Mitglieder völlig unerheblich ist. Gewissermaßen findet eine Zuspitzung der free choice-Lesart statt: Es wird nicht mehr nur auf die Möglichkeit von Identitätsalternativen wie noch bei quicumque + Futurum Exactum abgezielt, sondern auf
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deren Beliebigkeit und damit letztlich auf die Irrelevanz der die Denotatsmengen konstituierenden Individuen. Hier generalisierte sich gewissermaßen eine konversationelle Implikatur, die darin bestand, von den Auswertungsalternativen auf die Qualität der Denotatsmengen zu schließen: Wenn bei der Bestimmung der Denotatsmengen auch äußerste bzw. marginalste Fälle Berücksichtigung finden, dann kann es mit der Qualität der Denotatsmengen und der sie konstituierenden Mitglieder nicht weit her sein. Es wurde also von letzten i-Alternativen auf die übrigen i-Alternativen geschlossen und dabei ihr Status bzw. der ihrer Konstituenten devaluiert. So ist es auch konsequent, dass sich der konjunktivische Modus nach quiconque auch nur noch in dieser pejorisierenden Lesart über das Altfranzösische hinaus erhalten hat – wie etwa in dem folgenden Zitat, einem der seltenen Beispiele aus mittelfranzösischer Zeit: (280) «A quiconque plaise ou desplaise, Quant Vieillesse vient les gens prendre, Il couvient a elle se rendre Et endurer tout son malaise.» (Charles d’Orléans, Rondeaux, 1443, 355, CXIV. De Monseigneur d’Orléans)
Das Vorkommen von quiconque mit dem Subjonctif reduziert sich bis zum 16. Jahrhundert auf ganz wenige formelhaft-stereotype Verbindungen, und zwar fast ausschließlich mit dem Verb être (quiconque il soit, soit-il quiconque il soit, quiconque en soit x). Die Funktion dieser Ausdrücke ist es, die Irrelevanz der Belegung der Individuenvariable, also der Identität von x, herauszustellen. (281) «Quiconque il soit, j’ay troublé sa cervelle.» (Louis Des Masures, David combattant, 1566, 43, personnages)
Wie Anfragen an Frantext für das 16. Jahrhundert zeigen, wird das Futur zur eigentlichen Standardkategorie von quiconque-Sätzen in solchen Kontexten, in denen die Geltungsdomäne p eines prognostizierten Sachverhalts q im Rahmen einer Implikationsrelation konstituiert wird. (282) «‹Quiconque mangera ma chair ne mourra point éternellement›» (Jean 6, 49s.) (Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne: livre second, 1560, 199, livre II, cap. X)
Eine aktuelle Implikationsrelation wird hingegen mit dem Indikativ Präsens begründet: (283) «De nostre part, nous leur pourrions hardiment dire avec sainct Paul: ‹Quiconque veult ignorer, qu’il ignore.›» (Jean Calvin, Des scandales, 1550, 186s., III)
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Auf die Möglichkeit, eine hypothetische Implikationsrelation mithilfe des Conditionnel auszudrücken, hatten wir oben schon hingewiesen. Sie bleibt auch im Weiteren eine beliebte Option: (284) «Il seroit bien fol, Dieu mercy, Quiconque feroit autrement.» (Nicolas de La Chesnaye, La Condamnation de Banquet, 1508, 103s.)
Die auf unbelebte Dinge referierende Indefinitform quanque (Varianten: quanques, canque, canques, cant que) ähnelt dem Indefinitpronomen quiconque in gewisser Hinsicht. Sie setzt eine – allerdings deutlich seltener gebrauchte – lateinische Form quantumque fort und weist ebenfalls Anzeichen einer semantischen Abschwächung auf. Die Form schwankt zwischen einer – auf das Etymon zurückverweisenden – quantifizierenden Lesart (quantumque: ‘wie viel (auch immer)‘) und der Funktion eines mit dem Unbelebtheitsmerkmal ausgestatteten Indefinitpronomens (im Sinne von ‘was auch immer’). Ganz ähnlich wie bei quiconque ist auch die Modusverteilung: quanque wird in den altfranzösischen Korpora überwiegend in Verbindung mit dem Indikativ Präsens oder – besonders gerne auch – mit dem Futur verwendet. Die futurischen Vorkommenskontexte zeigen sehr deutlich, dass quanque-Sätze wiederum auf der Basis einer universellen Quantifizierung interpretiert werden können: Es gilt für alle x, dass der Sprecher bereit ist, q zu tun, sofern die Bedingung p erfüllt ist. Für das erste Beispiel gilt also: für ∀x [(vouloir (VOUS, x) -> (sui_a_faire (JE, x)] (285) «Aparilliez et otroians Sui a faire quanque vorrez.» (gcoin3cb, 204.014–204.015) (286) «Et nedequedent je en weil faire quant que li autre vouront, et avieigne quanque avenir en porra.» (reimsc, 20.116–20.117)
Auch bei quanque wird ähnlich wie bei dem Indefinitpronomen quiconque die Domäne festgelegt, für die die Allquantifikation gelten soll. Das gilt auch für die Verwendung des Präsens und der Vergangenheitstempora: (287) «Je vos creant, fet messires Gauvains, seur quanque ge tieng de Dieu, que nos sonmes li home del monde qui plus l’ainment de bon cuer et qui plus feroient por lui;» (artucb, 44.085–44.088) (288) «La mors, qui abat et aterre Et enterre quanque en terre a, Touz les ocist et enterra.» (gcoin3cb, 92.015–92.016) (289) «En lui fu Nature si large que trestot mist en une charge, si li dona quanque ele ot.» (cligescb, 2743–2745)
Anders als bei den Futur-Kontexten ist hingegen die Zusammensetzung der Denotatsmengen bekannt: Auch wenn Gauvain in Beispiel (287) dem Gesprächspartner nicht eine detaillierte Aufzählung aller Dinge präsentiert, so stehen sie ihm selbst
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– zumindest prinzipiell – vor Augen. Im zweiten Beispiel wird die Denotatsmenge auch nicht spezifiziert, aber ein eifriger Zeitgenosse könnte sich dennoch daran machen, die Elemente exhaustiv zu bestimmen. Auch im letzten Beispiel könnte notfalls ein vollständiges Inventar angefertigt werden. Die Interpretation der indikativischen Beispiele in Verbindung mit quanque wird noch deutlicher, wenn wir die wenigen Subjonctif-Kontexte des Altfranzösischen genauer untersuchen. Schauen wir uns zwei Beispielzitate etwas genauer an: (290) «Sire, il[sic!] ont dit que c’est baras et maus engiens quanque je fas (=fasse, d. Verf.);» (eraclecb, 1085) (291) «[…] tu as ueu si com ie croi les angles dont li gent se plagnent qui ocient quanqu’il atagnent non ai uoir dame non ai non cheualier dient qu’il ont non.» (chret1, 1297– 1301)
Auch bei quanque erhalten wir – analog zu quiconque – in Subjonctif-Kontexten eine Irrelevanzlesart innerhalb eines Systems von Identitäts-Alternativen. So sind an einem beliebigen Zeitindex t wiederum verschiedene gleichwertige Alternativen denkbar. Aber genauso wie quiconque erscheint auch quanque in Verbindung mit dem Subjonctif nur noch in pejorativen Kontexten, was die neutrale free choice-Lesart in eine Irrelevanzlesart umschlagen lässt. Die i-Alternativen und die ihnen entsprechenden Denotatsmengen sind nun nicht mehr nur gleichwertig, sondern sie sind hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und der Identität ihrer Mitglieder unerheblich. Jedes Element der Denotatsmenge wird als in gleichem Maße wertlos herausgestellt. Die beiden charakteristischen Beispiele belegen dies: Im ersten Beispiel (= 290) wird die Minderwertigkeit des Handels von x herausgestellt – jede Handlungsalternative ist gleich gering einzustufen. Gleiches gilt in dem zweiten Beispiel (= 291) für die Identität der Opfer. Die Bedeutung des Indikativs und des Futurs können wir ebenfalls in Analogie zu quiconque beschreiben: Zwar ist beim Futur – anders als im Falle des Präsens oder von Vergangenheitsformen – die Zusammensetzung der Denotatsmenge noch unbekannt, an jedem zukünftigen Index i jedoch (i > i0) wird sich genau eine Denotatsmenge konstituieren, die sich dann – zumindest prinzipiell – bestimmen lässt. Die Funktion des mit quanque eingeleiteten indikativischen Relativsatzes ist die eines Domänenfixierers, der festlegt, welche (notwendigen und hinreichenden) Bedingungen erfüllt sein müssen, damit der jeweilige Folgesachverhalt q gilt (siehe oben sui a fere quanques vorrez: Dort determinieren die Wünsche von y am Index i das Handeln von x). Unabhängig von dieser Systematik verhalten sich Modalverben in quanqueSätzen, die stets mit dem Subjonctif markiert werden. Offenbar soll auf diese Weise der modale Charakter der Aussage unterstrichen werden: Vorausgesetzt wird jeweils ein System von alternativen Welten (zur aktuellen Welt w0), die je
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nach modaler Basis beispielsweise deontischer (1. Beispiel), disponentieller (2. Beispiel) oder etwa epistemischer Natur sind. Der Notwendigkeitsoperator stellt dabei eine implizite Allquantifikation dar (in allen Welten, in denen sich die Dinge nach der Norm, also dem was man tun und lassen soll, fügen, ist p wahr), der Möglichkeitsoperator eine implizite Existenzquantifikation (es gibt mindestens eine mögliche Welt, die so beschaffen ist, dass p gilt). Die Präsupposition eines ganzen Systems alternativer (deontischer, epistemischer, disponentieller etc.) Welten rechtfertigt den Subjonctif im freien Relativsatz. Zur Illustration führen wir zwei der Vorkommenskontexte an: (292) «‹sire quens car ostés nicolete, vostre filole que la tere soit maleoite dont ele fu amenee en cest pais c’or par li pert jou aucassin qu’il ne veut estre cevaliers ne faire point de quanque faire doie et saciés bien que, se je le puis avoir, que je l’arderai en un fu […].›» (auc, 44–48) (293) «‹sire, or m’estuet il faire ice ke uous me commandastes quant uous de uie trespassastes car ie n’en doi rien trespasser de quanque me puisse amender.›» (desp, 768–772)
Auch in Vergangenheitskontexten findet sich stets die doppelte Markierung von Modalverben mit dem Subjonctif Imparfait. Wie die Belegbeispiele zeigen, besaß auch das heute rein epistemisch interpretierte lexikalische Verb savoir noch eine stärkere modale Färbung (disponentielle Lesart für mentale Aktivitäten): (294) «Mes il le dit por essaier S’il la porroit tant esmaier Qu’ele randist a sa seror Son heritage, par peor, Qu’il s’est aparceüz mout bien Que ele ne l’en randist rien Por quanque dire li seüst Se force ou crieme n’i eüst.» (yvcb, 6424–6430) (295) «[…] qu’il ne voloit estre cevalers ne les armes prendre n’aler au tornoi ne fare point de quanque il deust ses pere et se mere li disoient: fix car pren tes armes si monte el ceval si deffent le terre.» (auc, 16–19)
Ein interessantes Vergangenheitsbeispiel soll abschließend noch zitiert werden, um das Bild von quanque im Altfranzösischen zu kompletieren: (296) «‹Quant ce ot dit tideus mal soit de chivalier de quanqu’il eust en la sale que respondist ne un ne el a ceste parole […].›» (hista, 2435–2437 )
Das Auftreten des Subjonctif Imparfait erstaunt zunächst, da der Sachverhalt p in der Vergangenheit liegt und mithin die Zusammensetzung der Denotatsmenge der zum Zeitpunkt t anwesenden Ritter zumindest prinzipiell bestimmbar sein müsste (z.B. hätte man einen anwesenden Ritter fragen können bzw. die Ritter durchzählen können). Der Sprecher scheint aber auf den unbestimmten Charakter der Denotatsmenge abheben zu wollen: Ganz gleichgültig, wie viele Ritter auch der Rede des Tideus gelauscht haben, für sie alle gilt: ¬q (wobei q: un chevalier respondist a ceste parole).
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Der Subjonctif I in freien Relativsätzen mit quanque lässt sich zusammenfassend als ein Irrelevanzmarker in pejorativem Kontext charakterisieren («gleichgültig welches x, da x wertlos ist»), der Subjonctif II dagegen als ein Unbestimmheitsmarker in Vergangenheitskontexten («wie viele x auch immer»), in denen Anzahl und Identität der Elemente x der Denotatsmenge dem Sprecher unbekannt oder für seine Aussage p unerheblich sind. Wie wir gesehen haben, weisen Geschichte und semantische Entwicklungen von quiconque(s) und quanque(s) vielfache Gemeinsamkeiten auf. Im Mittelfranzösischen spitzt sich der Abschwächungsprozess von quanque noch deutlicher zu: So finden sich praktisch keine Belege mehr für eine Kookkurrenz mit konjunktivischen Verbalkategorien. Selbst in Verbindung mit Modalverben selegieren die Sprecher stets den Indikativ. In beiden der folgenden Beispiele hätte man im Altfranzösischen einen Subjonctif erwartet: (297) «Père, mais que viengne en mon lieu, Je vous promets je destruiray, Quanque en maison en trouveray, Soiez en fis.» (Miracle de Saint Panthaleon, 1364, 332s., XXII – Miracle de Saint Panthaleon) (298) «Et si te faitz assavoir / Qu’armez, engin ou avoir, / Et quanque homme peult savoir, N’esmouver / Est sans lui force impotente.» (Alain Chartier, Le livre de l’esperance, 1429, 84, la consolation de foi)
Anders als quiconque hat quanque seine Vitalität vollkommen im Mittelfranzösischen eingebüßt. Das letzte in Frantext nachweisbare Beispiel stammt von 1470 aus der La Passion d’Autun und macht im Übrigen einmal mehr den archaischen Charakter dieser Textgattung deutlich: (299) «Quanque j’ay est a vostre bailly, / Quar bien l’avés vous deservir / Par le service et le bien fait / Et par aultre plaisir que m’avés fait.» (La Passion d’Autun, 1470, 123s., La Passion de Biard)
5.3.4 Qui que Wie wir gesehen haben, spezialisierte sich quiconque im Altfranzösischen zu einem charakteristischen Domänenrestriktor, was mit einer zunehmenden Zurückweisung des Subjonctifs auf marginale Verwendungen im Rahmen von stereotypen Ausdrücken (in der Regel zu einer Art personalem Irrelevanztopos) einherging. Komplementär hierzu entwickelte sich der konkurrierende Ausdruck qui que, der sich im Altfranzösischen schon überwiegend, aber noch keineswegs ausschließlich, mit dem Subjonctif verband, wie die Auswertung von Anfragen an das Amsterdamer Korpus zeigt: Von den 41 Beispielen okkurrieren 38 mit einer konjunktivischen Kategorie (Subj I, Subj II), lediglich 3 mit dem Indikativ und
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zwar 2 mit dem Präsens und 1 mit dem Imparfait. Die konjunktivischen Satzbeispiele besitzen alle eine free choice-Lesart. So leisten das Indefinitpronomen und der konjunktivische Modus gemeinsam die Konstituierung eines Systems möglicher Welten (d.h. von Identitätsalternativen), in denen die Individuenvariable x jeweils völlig unterschiedliche Werte annehmen kann. Dabei wird speziell durch qui que darauf abgehoben, dass der propositionale Gehalt der Aussage für alle i-Alternativen – ohne Ausnahme – gelten soll (Allquantifikation). Damit nimmt qui que + Subjonctif die Funktion wahr, die in der Vulgata von der Verbindung quicumque + Futurum Exactum realisiert wurde. Anders als die wenig zahlreichen altfranzösischen Fälle von quiconque + Subjonctif ist die reine free choice-Lesart keine negativ konnotierte – weil auf bestimmte pragmatische Kontexte reduzierte – Irrelevanzlesart: Bei der free choice-Lesart wird auf die Gleichwertigkeit der Denotatsalternativen fokussiert – jedes x bzw. jede entsprechende Identitätsalternative ist gewissermaßen gleich gut –, bei der Irrelevanzlesart liegt der Akzent demgegenüber darauf, dass den Sprecher weder die Zusammensetzung der Denotatsmenge noch die Identität ihrer Elemente interessieren. Wir zitieren nur drei der zahlreichen Beispiele für qui que + Subjonctif. Alle drei Kontexte verdeutlichen im Übrigen, dass die i-Alternativen gleichwertig bzw. sogar «gleich gut» sind: (300) «‹Ilz le seront bien, beaulx amis›, fait le conte, ‹qui que le soit et bien soient ilz venus.›» (artoicb, 146.003–146.004)
Beispiel für eine formalisierte Darstellung: für ∀i-alt ∈ ME(s) gilt: [∀xi [visiteur(xi) -> bienvenu(xi)] ] i-alt1: visiteurs (x1) = {Roland, Lancelot, Chrétien} i-alt2: visiteurs (x2) = {Peter, Johannes} i-alt3: visiteurs (x3) = { } i-alt4: etc. (301) «Mais qui que les loast et eust bien en grace, les femmes estoient du tout données a eulx, tant les avoient trouvés sainctes gens de grand charité et de profunde devotion.» (cnncb, 216.008–216.011) (302) «gel vos vandrai, qui que l’ait fait.» (eneascb, 5219)
In den wenigen Indikativbeispielen wird qui que – wie dies in der prototypischen Lesart von quiconque der Fall ist – als Domänenrestriktor verwendet. Der entsprechende freie Relativsatz hat mithin domänenkonstituierende Funktion und legt im Rahmen einer Implikationsrelation diejenigen notwendige(n) und hinreichende(n) Bedingung(en) fest (und damit die entsprechenden p-Welten), die gelten müssen, damit zugleich auch q gilt. So legt der freie Relativsatz in dem folgenden Beispiel die Bedingungen für die Entfesselung der Mordslust des Herzogs von Burgund fest:
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(303) «[…] roine en France, mere dou roi Jehan et qui fille avoit esté dou duch de Bourgongne, trop crueuse fenme, car qui que elle encargoit en haine, il estoit mors sans merchi.» (froisacb, 594.008–594.010)
Immerhin einen der randständigen Vorkommensfälle wollen wir kommentieren: (304) «[…] et il resgardent el bort de la nef et voient letres escrites en caldieu qui disoient une mout espantable parole et douteuse a toz cels qui i voulsissent entrer, et fu dite en tel maniere: ‹Oz tu hons qui dedenz moi doiz entrer qui que tu es bien resgarde que tu soies pleins de foi, car je ne sui se foi non.›» (qgracmcb, 201.009–201.014)
Das interessante Beispiel (302) lässt sich folgendermaßen aufschlüsseln: Durch das Medium der letres escrites en caldieu wendet sich ein fiktiver Sprecher (der Autor, die Quelle der Inschrift) mit dem free choice-Element qui que an jeden beliebigen Leser x der Botschaft. Durch die Präsensmarkierung wird die allgemeine Anweisung an jedermann (für alle möglichen x an jedem Index i) in eine fiktive aktualisierte Kommunikationssituation überführt, in der das Verhältnis zum jeweiligen Leser/Gesprächspartner individualisiert und letzterer als ein konkretes tu (cf. Zitat) adressiert wird. Aus der free choice-Lesart, also der Prädizierung von p im Hinblick auf jedes beliebige x, wird eine identifizierende bzw. referentielle Lesart vor dem Hintergrund der geschaffenen Fiktion einer aktualisierten Gesprächssituation. Eine morphologische Anmerkung ist noch zur Form qui que zu machen – diese generalisiert sich offenbar in altfranzösischer Zeit. Bisweilen finden sich rar gesäte Beispiele für die Variante qui qui, die ebenfalls mit dem Subjonctif korreliert: (305) «[…] de lui ganchir li rest viltance, mes qui qui l’en tiengne a coart, ganchira lui, mes ore a tart! Ne se vout pas lessier ocire […].» (thebdecb, 8702–8706)
Wie wir gesehen haben, verblich die free choice-Lesart des ererbten Indefinitpronomens quiconque bis zum Mittelfranzösischen vollkommen, mit der Folge, dass das Indefinitpronomen nur noch als Domänenrestriktor in Verbindung mit indikativischen Kategorien fungieren konnte und dabei zudem die diasystematische Markierung [+ gelehrt] annahm. Im Gegensatz dazu spezialisierte sich qui que bzw. seine Variante qui qui auf eben diese free choice-Funktion. Mit dieser Entwicklung folgte das Französische den anderen westromanischen Sprachen, die ebenfalls autochthone volkssprachliche free choice-Ausdrücke schufen und als personale Indefinitpronomina grammatikalisierten. Neben dem «it-may-be-type» – in Haspelmaths Typologie – den das französische Pronomen qui que repräsentiert, ist in der Westromania vor allem der «want/
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pleases-type» üblich, wie etwa im Spanischen (quienquiera (que) bzw. qualquer um).108 Später sollte im Französischen auch ein Vertreter des «no-matter-type» (n’importe qui) hinzukommen, der jedoch erstmals in einem Zitat des Père Marin Mersenne von 1628 auftritt.109 (306) «Je vous cotteray icy les livres que j’ay de luy, affin que Msrs les Elzevirs ou Msr Le Maire, à qui j’en parlé aussy et qui me promit de me les envoyer, me les envoyent, n’importe qui, pourveu qu’ilz ne les envoyent deux fois, à quoy vous prendrez, s’il vous plaist, garde.» (Le Père Marin Mersenne, Correspondance, t. 2:1628–1630, 1630, 155/1628)
Gerade einmal vier weitere Belege, die alle aus Corneilles Tragikomödie Mélites ou les Fausses lettres (1633) stammen, lassen sich im 17. Jahrhundert für den Ausdruck n’importe qui nachweisen. Weitere free choice-Konstruktionen sollen nur summarisch behandelt werden, da sie sich hinsichtlich der Moduskombinatorik wie qui que verhalten. An erster Stelle ist hier das indefinite Objektpronomen que que zu nennen, das ausnahmslos mit einer konjunktivischen Kategorie auftritt. Die folgenden beiden Belegbeispiele stellen eindeutige free choice-Fälle dar: (307) «que que ge faz (=fasse, d. Verf.) ge cuit qu’el face» (narcB, 661) (308) «[…] commans ai forfais trespassé ai ta loi mais que que j’aie fait me creance est en toi jhesu li glorious li fiels sainte marie» (vcou, 335s.)
Eine besonders beliebte Komponente für die Ausbildung zahlreicher free choiceAusdrücke stellte die adjektivische Indefinitform quelque (oftmals auch in der Graphie quel que) in altfranzösischer Zeit dar. Man findet sie vor allem in Angaben des Ortes (en quelque leu/terre que) und der Art und Weise (en quelque maniere), aber auch, um auf unbestimmte Objekte (quelque chose que) zu referieren. Die durch sie geschaffenen free choice-Kontexte lizensieren den Subjonctif, wobei in Vergangenheitskontexten der Subjonctif Imparfait selegiert wird. –– en quelque maniere: (309) «mes en quelque maniere que cil fief viegnent de main en autre soit en descendement ou d’esqueance ou par escange ou par don ou par lais il y a racat» (bfm: beauv, 672–674)
–– en quelque lieu: (310) «an quelque leu que vos ailliez» (chret2, 1615)
108 Zur Klassifikation von Indefinitpronomina cf. Haspelmath (1997, 130–141). 109 Haspelmath (1997, 141).
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(311) «ma mere m’anseigna et dist que les puceles saluasse an quelque leu que les trovasse» (chret2, 1680–1682)
–– de quelque terre: (312) «[…] tuit li baron qui estoient hebergié dedenz costentinoble de quelque terre que il fussent n’i oserent plus demorer» (vilhar, 4424–4429)
–– quelque chose: (313) «quelque chose que il li die» (contre, 2694)
5.3.5 Celui qui/ceux qui Auch auf die Konstruktionen des Typs celui qui p, die von Riegel/Pellat/Rioul als «relative périphrastique»110 charakterisiert wird, soll kurz eingegangen werden. In den altfranzösischen Texten wird sie überwiegend identifizierend verwendet, d.h. sie referiert auf ein bestimmtes x, das durch den semantischen Gehalt des Relativsatzes individuiert wird. Aus der Vielzahl paralleler Beispiele soll hier nur eines exemplarisch herausgegriffen werden, das zudem für die vielfältigen soteriologischen Wendungen steht, die mit dem Relativsatztyp in mittelalterlichen Texten verbunden sind:111 (314) «[…] si li avez tolue tote l’esperance qu’il avoit de sa terre recovrer mais a autresin boen gré em puissiez vos venir en la fin com fist judas qui trai celui qui en terre estoit venuz por sauver lui et les autres pecheors (…).» (lac, 332s.)
[ιx: estre_venuz_en_terre‘ (x) ∧ INTEND[∀y: pecheors’ (y) ∧ sauver‘ (x, y)]] In den weitaus selteneren Fällen besitzt celui qui domänenkonstituierende Funktion. Im Gegensatz zu den Indefinitpronomina quiconque und qui que quantifiziert der Ausdruck nicht über alle, auch das letzte x noch mit einschließenden Fälle, sondern über die typischen Fälle, in denen die Variable x Standardwerte annimmt. Wenn der Ausdruck celui qui im Rahmen einer Implikationsrelation verwendet wird und dabei die Rolle eines Restriktors ausübt, so lässt sich seine Funktion modalsemantisch wieder im Rahmen einer triadischen Struktur beschreiben: celui qui-Sätze greifen stereotype Fälle (Welten) aus dem epistemischen Modell des Sprechers (stereotype modale Basis) als Geltungsdomäne der
110 Cf. Riegel/Pellat/Rioul (51999, 487s.). 111 Weitere typische Beispiele sind etwa «celui qui ciel et terre fist» (perm, 554) oder «celui qui resuscita lazarum» (nicoa, 1277s.).
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Implikationsrelation heraus, wobei letztere nicht für jeden Fall gilt, sondern nur im Allgemeinen, d.h. im Skopus des GEN-Operators steht. Damit ähnelt diese Klasse von Relativsätzen den Konditionalsätzen – jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass erstere nur über Individuen, letztere über Paare von Individuen und Situationen quantifizieren (siehe oben). Nehmen wir zur Illustration noch einmal ein typisches Beispiel, in dem die Moral eines Exemplums (Fabeldichtung) resümiert wird: (315) «cest exemple puet on sauoir / et par maint preudome ueoir qui par bontei de son corage / est chachiés de son iretage celui qui fellon home aquet / ne s en part mie quant il uuet.» (fablesM, 369s.)
Der Sinnspruch (etwa: Wer einen Verräter beherbergt, wird ihn nicht mehr los, solange er lebt) ist als eine Aussage über einen typischen Fall (GEN-Operator) zu interpretieren: Er gilt für alle typischen Fälle in w0, nicht für die exzeptionellen Fälle, in denen tatsächlich einmal für einen felon gilt: x s’en part. Die Rahmenprädikation selber besitzt den Charakter einer Implikationsrelation, die sich im Rahmen des triadischen Modells interpretieren lässt – generell gilt: wenn p, q, wobei nur über die stereotypen p-Welten quantifiziert wird. Es lässt sich also ein wenig formaler schreiben: GENxy [personne’(x) ∧ fellon’(y) ∧ accueillir_fellon’ (x,y)] [ne_part_mie’ (y)] oder: GENxy [accueillir_felon’ (x,y) -> ne_part_mie’ (y)] Zur Illustration des Gesagten zitieren wir noch ein weiteres, ganz paralleles Beispiel, in dem ebenfalls durch die Fokussierung auf typische Vertreter der konstituierten Kategorie (hier: celui qui chiet en ce point, Kategorie: le malchanceux) die stereotypen p-Welten evoziert werden, die für die Wahrheit von q (x n’a rien affere sinon prier) relevant sind. (316) «Celui qui chiet en ce point n’a rien affere, sinon prier Dieu qu’il lui doint bonne pacience a endurer et souffrir tout.» (gco, 100.022–11.024)
Die durch celui qui ausgedrückte konzeptuelle Struktur liegt natürlich auch vielen Rechtsdokumenten zugrunde, sofern sie Grundsatzaussagen (im Allgemeinen gilt: wenn p, q) machen. Wir finden deshalb auch zahlreiche Beispiele für die Konstruktion in den Coutumes von Beauvoisis. Für kategorische Aussagen jedoch, die eine Allquantifikation implizieren (es gilt immer/es muss gelten: für alle p, q), eignet sich, wie wir weiter oben sahen, ausschließlich die Struktur quiconque p, q. Wir geben zwei Beispiele aus der genannten Kodifikation des Gewohnheitsrechts: (317) «Il loit bien as oirs de celui qui fet testament qu’il demandent conte as executeurs des biens qu’il eurent pour le testament acomplir pour.» (bfm: beaumacb, 187.015–187.017)
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(318) «[…] et selonc ce que li cas est grans, l’en doit punir celui qui est atains de la tricherie et fere rendre les damages qui par la tricherie furent fet. (bfm: beaumacb, 502.011– 502.013)
Der Subjonctif tritt, was nach dem Gesagten wenig erstaunt, nur dann auf, wenn die Relativsatzkonstruktion im Skopus des Negationsoperators steht: (319) «Quant il aprouchierent li uns de l’autre, il laissierent coure ensamble, lor glaives alongiés, tant come li cheval porent aler, et s’entrefierent si durement qu’arme nes garantist […] qu’il n’i a celui qui ait pooir de soi relever;» (artucb, 115.061–115.066)
Wie wir gesagt hatten, tritt die attributive Lesart von celui qui im Altfranzösischen noch deutlich gegenüber ihrer referentiell-identifizierenden Verwendung zurück. Das ändert sich jedoch bis zum 16. Jahrhundert deutlich. Die vielfältigen Belegbeispiele dokumentieren eindrucksvoll die Verschiebung bzw. den Übergang der Relativsatzkonstruktion zu einer überwiegend attributiv gebrauchten Struktur. Dabei dient sie den Autoren als charakteristisches Vertextungsmuster – sei es in argumentativer Funktion wie in Jean Calvins theologischem Werk, der die Kategorien seiner Kasuistik der Verdamnis in seinen manichäistischen Prädikationen gestochen scharf konturiert oder aber zur Erzielung ästhetischer Effekte wie in den Regrets Du Bellays, in denen die Konstruktion zur Schaffung lautlicher und semantischer Symmetrien (Anaphern, Schaffung der Prädikationsdomäne (ad-hoc Konstituierung sozialer Kategorien)) im ersten Hemistichium funktionalisiert wird. (320) «Et n’y a doubte que Dieu n’ait appresté une horrible vengeance à tous ceulx qui sont cause par leur meschanceté que la doctrine de son Evangile soit diffamée et son sainct nom exposé à vitupere.» (Jean Calvin, Des scandales, 1550, 155, II) (321) «Ils sentiront, dy-je, une fois quel crime c’est d’avoir profané un thresor si sacré comme l’Evangile, et qu’il n’est point dict en vain que ceulx qui auront abusé du nom de Dieu ne demeureront point impuniz.» (Jean Calvin, Des scandales, 1550, 155, II) (322) «Ceulx qui sont amoureux, leurs amours chanteront, Ceulx qui ayment l’honneur, chanteront de la gloire, Ceulx qui sont pres du Roy, publiront sa victoire, Ceulx qui sont courtisans, leurs faveurs vanteront, Ceulx qui ayment les arts, les sciences diront, Ceulx qui sont vertueux, pour tels se feront croire, Ceulx qui ayment le vin, deviseront de boire Ceulx qui sont de loisir, de fables escriront, Ceulx qui sont mesdisans, se plairont à mesdire, Ceulx qui sont moins facheux, diront des mots pour rire» […]. (Joachim Du Bellay, Les Regrets, 1558, 61–62/5)
Wir haben ausführlich die Spezialisierungs- und Abgrenzungstendenzen der Indefinitpronomina, die sich im Bereich von Domänenfixierung, free choice-
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sowie pejorativer Irrelevanzlesart entwickelten, untersucht und dabei vor allem die besondere Zwischenstellung von ererbtem quiconque(s) für das Merkmal [+ menschlich] und quanque(s) [– menschlich] herausgearbeitet. Ein letzter Seitenblick auf das Italienische soll die Besonderheiten und Unterschiede des italienischen Sprachsystems deutlich machen, in dem chiunque und quantunque nicht nur das lateinische Erbe fortgesetzt haben, sondern auch ihren zentralen Status zu behaupten vermochten.
5.3.6 I talienische Indefinitkonstruktionen mit dem free choice-Marker -unque: chiunque, quantunque, qualunque und dovunque Das italienische Indefinitpronomen chiunque musste sich nicht wie quiconque gegenüber konkurrierenden Formen innerhalb eines gemeinsamen Paradigmas neu positionnieren. Seine semantische Leistung bleibt im Wesentlichen stabil im Verlauf der italienischen Sprachgeschichte. Wie schon im Lateinischen, besitzt der indikativische freie Relativsatz die Funktion der Domänenrestriktion bzw. der Kategorienkonstituierung. In dem folgenden Beispiel gilt der Matrixsatz q (x fuggiva) für alle x, die in einer Relation des Gesehenwerdens zu dem Subjekt des Satzes namens Ferondo stehen: (323) «Ferondo tornò nella sua villa, dove chiunque il vedeva fuggiva, come far si suole delle orribili cose […].» (Boccaccio, Decameron, Giornata terza, novella ottava)
In dem folgenden Zitat aus Algarottis Saggio sopra la necessità di scrivere nella propria lingua wird die Geltungsdomäne der Aussage q auf die Kategorie der literaturkundigen Latinisten (chiunque è versato nella latina poesia) festgelegt: (324) «Assai facilmente le riconosce chiunque è versato nella latina poesia.» (Algarotti, Saggio)
Das Beispiel verdeutlicht noch einmal, dass chiunque ausnahmslos über alle Vertreter der Kategorie (nicht nur über die typischen) quantifiziert und dass diese implizite universelle Quantifikation jedoch noch kein hinreichendes Merkmal für den konjunktivischen Modus ist. Die im freien Relativsatz gemachte Aussage denotiert insofern eine bestimmte Menge von Individuen, als sich prinzipiell an jedem Index i die Gruppe der literaturkundigen Latinisten ermitteln ließe – mindestens ein absoluter Betrachter (in der Fiktion des «Auge des Horus») wäre hierzu in der Lage. In Verbindung mit dem Congiuntivo Presente erhalten wir im Italienischen im Gegensatz dazu die typische free choice-Lesart. Hier wird der Fokus nun wiederum auf die Möglichkeit gleichwertiger i-Alternativen gerichtet:
Unbestimmte Relativsätze und free choice-Lesart
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(325) «‹Non tu, chiunque sia, di questa morte vincitor lieto avrai gran tempo il vanto; pari destin t’aspetta, e da più forte destra a giacer mi sarai steso a canto.›» (Gerusalemme liberata, Canto Nono, 80)
Der Sprecher, ein Krieger, spricht einen ihm unbekannten Gegner an: Die Identität von x ist zu dem Sprechzeitpunkt t0 also unbestimmt und kann alle nur erdenklichen Werte annehmen (i-alt1: tu (x1) = {Saladin}, i-alt2: tu (x2) = {Aldiazíl}, i-alt3: tu (x3) = {Agricalte} etc.). Eine dritte – ebenfalls sehr frequente – Konstellation ist das Vorkommen des Congiuntivo Imperfetto im Rahmen einer hypothetischen Bedingungssatzstruktur. In diesem Zusammenhang verhält sich der chiunque-Satz wie die Protasis eines Bedingungssatzes, was durch die Verbform noch unterstrichen wird. Führen wir ein Beispiel an: (326) «Ove, se io non mi inganno, son forse dodici o quindici alberi, di tanto strana et eccessiva bellezza, che chiunque li vedesse, giudicarebbe che la maestra natura vi si fusse con sommo diletto studiata in formarli.» (Sannazaro, Arcadia, Prosa 1)
Der zugrundeliegende Bedingungssatzkomplex kann folgendermaßen paraphrasiert werden: für alle x (ohne Ausnahme) gilt die Implikation: [vedere (x, gli_alberi) -> giudicare (x, p)]. Den Unterschied zwischen der Quantifikation über Individuen durch chiunque und über Paare von Individuen und Situationen in der durch se eingeleiteten Protasis haben wir weiter oben schon herausgestellt. Identisch ist aber die – kategoriell deshalb auch in gleicher Weise markierte – Grundfunktion der Restriktorkonstruktionen: Sie profilieren ein System – im Verhältnis zu w0 – distanter, epistemisch aber nicht unzugänglicher p-Welten, in denen gilt vedere (x, gli_alberi) und das die Verifikationsdomäne für die Wahrheit des Folgesatzes q bildet. Die Wahrheit von q ist also nur innerhalb der p-Welten zu suchen. Die kategoriale Markierung der Restriktordomäne ist damit völlig analog zu den gewöhnlichen Bedingungssatzkonstruktionen (realis: Indikativkategorien, problematischer/ hypothetischer Bedingungssatz: Konjunktiv Imperfekt und kontrafaktischer Bedingungssatz: Konjunktiv Plusquamperfekt). In unserem Zusammenhang muss die Behandlung von quantunque knapp ausfallen, obwohl eine detaillierte Analyse äußerst lohnenswert wäre: quantunque wird im älteren Italienisch noch gelegentlich in Verbindung mit indikativischen Kategorien verwendet (vor allem bei Dante). Auch noch in Bembos Prose della volgar lingua finden sich vereinzelt indikativische Belegbeispiele. (327a) «Chi vuol veder quantunque può natura. (Bembo, Prose della volgar lingua, III.25) (327b) Dentro a l’ampiezza di questo reame casüal punto non puote aver sito, se non come tristizia o sete o fame: ché per etterna legge è stabilito quantunque vedi, sì che giustamente ci si risponde da l’anello al dito» (Dante, La divina commedia, XXXII)
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Vergleichs- und Bezugswelten
In den Beispielen ist die Zusammensetzung der jeweiligen Denotatsmengen (z.B. die Menge der Dinge, die die Natur tun kann) nicht spezifiziert, aber sie könnte grundsätzlich bestimmt werden (sie dürfte etwa «dem Auge des Horus» bekannt sein), ist mithin nicht beliebig. Aber schon in Boccaccios Decameron erscheint quantunque ausschließlich mit konjunktivischen Kategorien. (328) «Ma quantunque cessata sia la pena, non per ciò è la memoria fuggita de’ benefici già ricevuti, datimi da coloro à quali per benivolenza da loro a me portata erano gravi le mie fatiche: ne passerà mai, sì come io credo, se non per morte.» (Boccaccio, Decameron, Introduzione) (329) «E venuto il giorno a ciò determinato, quantunque Beltramo mal volentieri il facesse, nella presenzia del re la damigella sposò, che più che sé l’amava.» (Boccaccio, Decameron, Giornata terza, novella nona)
Wie die Beispiele zeigen, muss sich die ursprüngliche free choice-Lesart des quantifizierenden Indefinitpronomens quantumque in einer Weise verstärkt haben, dass sie in eine konzessive umgeschlagen ist, quantunque sich mithin zu einer Konzessivkonjunktion (in der Bedeutung ‘selbst wenn’, ‘obwohl’) entwickelt hat («grammatikalisiert»). Ohne an dieser Stelle im Einzelnen auf den Prozess eingehen zu wollen, zeichnet sich doch ein Entwicklungspfad in Umrissen ab: Das quantifizierende quantumque impliziert eine Messskala, auf der die Ausprägung eines Parameters (einer Eigenschaft) angezeigt wird. Die free choice-Lesart fokussiert – wie wir gesehen haben – auf alle denkbaren Ausprägungsgrade – und zwar ohne Ausnahme: Damit ist aber auch der letzte denkbare Ausprägungsgrad der Skala anvisiert und wir erhalten via skalarer Implikatur eine universelle Lesart: Für alle Ausprägungsgrade von x gilt p: (∀x) p; in einem geeigneten Kontext quantunque p, q wird also ausgesagt, dass für alle x – unter Einschluss des stärksten Ausprägungsgrades von x auf der Skala – gilt: quantunque p, q. Es stellt sich folglich bei dem freien Relativpronomen quantunque im Verbund mit dem Congiuntivo eine Irrelevanzlesart ein, wie sie für die sogenannten parametrischen konzessiven Konditionale charakteristisch ist.112 Diese parametrischen konzessiven Konditionale zeichnen sich eben dadurch aus, dass für alle Ausprägungen von x auf einer Skala gilt: (∀x) [if p] (q), obwohl man eigentlich bei x erwarten würde: if x, then normally ¬q.113 (Cf. etwa auch im Englischen: «However much advice you give him, he does exactly what he wants to do»).114
112 Cf. König (1986); Haspelmath (1997); Quer (1998, 2001b). 113 Cf. König (1986, 234). König charakterisiert die Beziehung (if x, then normally ¬q) als eine (konventionelle) Implikatur. 114 Cf. König (1986, 231).
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Ganz ähnlich ist auch das obige Beispiel (329): quantunque Beltramo mal volentieri il facesse, nella presenzia del re la damigella sposò – der äußerste Ausprägungsgrad des Missfallens ist nicht ausreichend, um die Konsequenz q zu verhindern. p ist bei allen Werten, den die Variable x annehmen könnte – selbst dem äußersten (!) – völlig irrelevant. Die maximal quantifizierende freie Form quantunque muss irgendwann als reine Konzessivkonjunktion reanalysiert worden sein, sodass quantunque p auch durchschnittliche und nicht mehr nur maximal adverse Fälle herausstellen konnte. Auf den Entwicklungsprozess einer Abschwächung der ursprünglichen konzessiv-konditionalen Lesart können wir hier nicht eingehen. Deutlich ist aber, dass sich das quantitativ-skalare Moment bei quantunque abgeschwächt haben und die Form zudem zunehmend seltener in nicht-konzessiven Kontexten aufgetreten sein muss. In dieses Bild passt die frühe Fixierung des konjunktivischen Modus bei quantunque sowie die damit einhergehende Spezialisierung des einstmaligen Indefinitpronomens auf implikative Kontexte des Typs quantunque p, q.115 Auch qualunque tritt – neben seiner stetigen Funktion als indefinites Adjektiv (etwa in: qualunque uomo, qualunque cosa) – vor allem in den älteren Texten als personales Indefinitpronomen in Erscheinung. Es verhält sich in semantischer und kategorieller Hinsicht wie chiunque: Indikativische Kategorien implizieren eine zwar hinsichtlich ihrer Komposition und der Identität ihrer Mitglieder nicht näher bestimmte, wohl aber abgeschlossene Denotatsmenge an dem jeweiligen Index. In konjunktivischen Kontexten wird auf eine unbestimmte Anzahl (ein «Bündel») möglicher Denotatsmengen mit unterschiedlicher Zusammensetzung verwiesen (Identitätsalternativen an einem Index). Das verdeutlichen auch die folgenden Beispiele: Bei dem ersten könnte ein externer Beobachter («das Auge des Horus») die Menge der Fliehenden abschließend bestimmen, im zweiten Fall hingegen liegt der Schwerpunkt auf der beliebigen Struktur möglicher Denotatsmengen, d.h. Anzahl, Art und Qualität der Denotate spielen keine Rolle (die Fiktion eines externen Betrachters wird hierbei nicht evoziert). (330) «Filippo di Macedonia, intendendo come i suoi temevano de‘ soldati sciti, pose dietro al suo esercito alcuni de‘ suoi cavagli fidatissimi, e commisse loro ammazzassono qualunque fuggiva;» (Machiavelli, Dell’arte della Guerra, Libro quarto) (331) «[…] e qualunque credesse di potere con machine di qual si voglia sorte cavare, con l’istessa forza, nel medesimo tempo, maggior quantità di acqua, costui è in grandissimo errore;» (Galilei, Le mecaniche, cap. Delle utilità che si traggono dalla scienza mecanica)
115 Cf. hierzu König (1985, 263ss.).
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Vergleichs- und Bezugswelten
Während in den Texten von Dante bis Machiavelli zwar nicht allzu häufig, aber doch immer wieder personales und unbestimmtes qualunque vorkommt, nehmen die Belege seit Galilei spürbar ab. Seither wird qualunque – sieht man von Ausnahmen ab (cf. Mazzini, Doveri dell’uomo, cap. XI: Questione economica, §1) – überwiegend als indefinitives Adjektiv oder als unbestimmtes Indefinitpronomen mit Bezugnahme auf Dinge (also mit dem Merkmal [– human] verwendet, wie in dem Beispielzitat: (332) «Dichiarai che qualunque fosse stata la sua ultima volontà io mi vi sarei adattato.» (Svevo, La coscienza die Zeno, cap. 4: Morte del padre)
In gleicher Weise, also bei gleicher Konfiguration von Denotatsmengen, funktioniert auch das lokale Indefinitelement dovunque (‘wo auch immer’): Für den externen Betrachter sind die Denotatsmengen in Beispiel (333) bestimmt (und für ein Individuum am jeweiligen Index i ist die Denotatsmenge zumindest prinzipiell bestimmbar). Im zweiten Zitat (= 334) sind viele Alternativen denkbar und der Sprecher möchte auch keine abschließende Menge von Denotatsmengen evozieren: Das Gebot soll an jedem möglichen Ort, also gewissermaßen an jedem denkbaren (und möglicherweise noch gar nicht in Erwägung gezogenen) Ortsindex gelten. (333) «[…] e rende essemplo del cielo, dicendo che dovunque è vertude, quivi è nobilitade.» (Dante, convivio, Trattato primo, cap. XIX, 1) (334) «E non mangerete affatto sangue, né di uccelli né di animali domestici, dovunque abitiate.» (Bibbia, Levitico, 7:26)
Wie wir gesehen haben, weist die Semantik von chiunque und dovunque eine erstaunliche sprachhistorische Kontinuität auf. Dabei kommt der Modusopposition eine konstante, Lesarten differenzierende Bedeutung zu, was sich auch in der Stabilität des zugrundeliegenden Paradigmas niederschlägt. Hierin unterscheidet sich das Italienische ganz wesentlich vom französischen Sprachsystem, in dem sich die verschiedenen Konkurrenten auf Lesarten und damit auch auf ein kategorielles Spektrum dies- und jenseits der Scheidelinie von indikativischem und konjunktivischem Modus spezialisierten. Im Falle von quantunque und qualunque liegen die Dinge allerdings anders: Während sich quantunque schon früh zu einer reinen Konzessivkonjunktion grammatikalisierte (quantunque = ‘benchè, sebbene’), verliert qualunque seine – stets sekundäre – Funktion eines personalen Indefinitpronomens und profiliert sich als indefinites Adjektiv (qualunque offerta) bzw. als indefinites Pronomen mit der Selektionseigenschaft [– human] (qualunque sia il tuo parere).
Modus und Modusentwicklung im Kontext von Vergleichs- und Bezugswelten
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5.3.7 Ein Resümee Am Beispiel der freien Relativsätze und inbesondere der sie einleitenden unterschiedlichen Indefinitelemente hat sich einmal mehr die grundlegende Rolle der Modusdifferenzierung für die Elaborierung und Charakterisierung spezifischer auswertungsrelevanter Bezugswelten erwiesen. Das sich grundlegend verändernde Selektionsverhalten bei einigen Indefinitpronomina wie quiconque und quanque war zudem ursächlich mit einem Sprachwandelsprozess verbunden, bei dem etwa quiconque seinen free choice-Charakter einbüßte, wohingegen sich in einem komplementären Prozess qui que (erst wesentlich später auch n’importe qui) auf eine solche free choice-Lesart spezialisierte. Der indikativische Modus wurde üblicherweise im Rahmen einer domänenfixierenden Restriktion, die sich ihrerseits in eine übergeordnete Implikationsrelation einschrieb, selegiert. Für die konjunktivischen Kontexte war hingegen eine free choice-Lesart kennzeichnend, die alle nur denkbaren Zusammensetzungen der Denotatsmenge und damit maximale alternative Auswertungswelten (i-Alternativen) berücksichtigte. Im Hinblick auf quiconque haben wir en détail den Abwertungsprozess der ursprünglichen konjunktivischen free choice-Lesart zu einer pejorativen Irrelevanzlesart verfolgen können und ihn im Sinne einer generalisierten konversationellen Implikatur gedeutet: Von den marginalen Auswertungswelten ausgehend schlossen die Sprecher auf die Beliebigkeit der Mitglieder der Denotatsmengen sowie deren Qualität. Das italienische Teilsystem im Bereich des freien Relativsatzes war wiederum durch ein hohes Maß an Kontinuität im Verhältnis zur lateinischen Ausgangssituation gekennzeichnet. Während sich im Französischen die Indefinitpronomina jeweils auf eine Lesart bei entsprechender Modusselektion spezialisierten, schöpften ihre italienischen Pendants – wie auch schon das spätere Latein – die modusspezifischen Differenzierungsmöglichkeiten in vollem Umfange aus. Lediglich das free choice-Element quantunque entwickelte auch eine – zunächst – konzessiv-konditionale Lesart, wandelte sich dann in der weiteren Entwicklung aber zu einer einfachen Konzessivkonjunktion.
5.4 M odus und Modusentwicklung im Kontext von Vergleichsund Bezugswelten In diesem Kapitel haben wir anhand von unterschiedlichen Konstruktionen – Vergleichs-, Salienz- und freien Relativsatzkonstruktionen – gezeigt, welchen Beitrag die Kategorie Modus bzw. konkreter: Modusalternationen bei der Festlegung der relevanten Auswertungswelten bzw. damit in Verbindung stehender Denotatsmengen spielt.
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Vergleichs- und Bezugswelten
Dabei zeigt sich sowohl im Sprachvergleich als auch in der diachronen Entwicklung, dass sich die Prinzipien der Modusselektion sprachspezifisch sowie im Rahmen von temporär stabilen, nach Modusdomänen organisierten Subsystemen konfigurieren. Auch bei den Vergleichs- und Bezugswelten wird einmal mehr deutlich, dass durch die Modusalternation jeweils domänenspezifisch besonders saliente Welten gegenüber Standardwelten profiliert werden. Im Sprachvergleich konnten wir zunächst feststellen, dass insbesondere der konjunktivische Modus im Laufe der Geschichte des italienischen und französischen Komparativsatzes deutlich unterschiedliche Funktionen besaß: Er konnte wie im Altfranzösischen Maximal- und Minimalwelten kennzeichnen, in denen sich die Dinge gerade nicht nach den Sprechererwartungen verhielten. Diese Welten grenzte er dann gegenüber stereotypen Welten ab, die durch Indikativmorphologie gekennzeichnet wurden. Im älteren Italienisch konnte der Congiuntivo demgegenüber abstrakte bzw. ideale Vergleichswelten ausweisen und damit den Kontrast zwischen einer Bezugnahme auf Konzepte (genauer: Eigenschaftsund Ereigniskonzepte) und direkter Referenz auf die außersprachlichen Verhältnisse elaborieren. Die Funktion des Congiuntivo hat sich allerdings in der Sprachgeschichte deutlich verschoben: Heute trägt er zur a) Herausstellung, ja oftmals – im Zusammenspiel mit Grad- oder Fokuspartikeln – zur Amplifizierung des Differenzintervalls zwischen dem Referenz- und dem Vergleichswert bei, wobei diese Differenz durch eine expletive Negation noch zugespitzt bzw. im Rahmen antithetischer Argumentationsstrukturen polarisiert werden kann. Der Konjunktiv fungiert in diesen Verwendungskontexten (gewissermaßen nach dem Muster einer figure-ground-Konstellation) relational, da er die Irrelevanz der Vergleichsgradausprägung gegenüber dem Referenzwert herausstellt. Durch den konjunktivischen Modus wird aber auch b) die Verortung des Vergleichswertes in einem subjektiven, also doxastischen, Modell markiert. Im Laufe des Kapitels haben wir darüber hinaus eine Reihe von Übergangsphänomenen (etwa Ansätze zur Kennzeichnung einer negativen Implikatur durch konjunktivischen Modus im Französischen des 15. Jahrhunderts) kennengelernt, die sich jedoch nicht in der sprachhistorischen Dynamik behaupten sollten. Das Französische verzichtete bis zum 17. Jahrhundert überhaupt auf eine Ausschöpfung der Kategorie Modus zur Differenzierung unterschiedlicher Vergleichswelten. Auch im Falle der superlativischen Relativsätze leistet die Kategorie Modus eine Abgrenzung der jeweils relevanten Bezugsdomäne und der ihr entsprechenden Auswertungsindizes. Diese Bezugsdomäne kann mithilfe indikativischer Kategorien als delimitiert und hinsichtlich ihrer Zusammensetzung (Auswertungsindizes) prinzipiell bestimmbar profiliert werden. Mit dem Konjunktiv, der
Modus und Modusentwicklung im Kontext von Vergleichs- und Bezugswelten
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meist durch Polaritätselemente verstärkt wurde, wird sie hingegen als maximal und damit prinzipiell offen und letztlich unbestimmt ausgewiesen. Unterschiedliche Kategorien markieren zudem die Distanz unterschiedlicher Bezugsräume und der ihnen entsprechenden Denotatsmengen vom Sprechzeitpunkt. In der sprachlichen Entwicklung dieses Teilsystems kristallisieren sich zudem bis zum modernen Französisch zwei grundlegende Tendenzen heraus: a) Seit dem 16. Jahrhundert wird der Subjonctif Imparfait immer stärker aus dem superlativischen Relativsatz verdrängt und b) setzt sich das Passé Simple als indikativische Vergangenheitskategorie vor allem in Verbindung mit Polaritätselementen (oncques und jamais) durch. Bei den übrigen Salienzkonstruktionen, vor allem solchen, die auf den besonderen ordinalen Status eines Elements abheben, ließ sich eine erst allmähliche Ausbildung der Modusalternation feststellen, wobei der Konjunktiv zunächst den virtuellen bzw. fiktiven Status von Bezugsdomänen signalisierte. Eine Konventionalisierung des Modusgebrauchs nach Salienzkonstruktionen muss im Französischen und Italienischen allerdings erst im 17. Jahrhundert bzw. 19. Jahrhundert erfolgt sein. Wenngleich auch der Indikativ nicht gänzlich ausgeschlossen ist, so hat sich doch der Konjunktiv Präsens als usuelle Kategorie im heutigen Standardfranzösisch durchgesetzt.116 Auch die freien Relativsätze und insbesondere die sie einleitenden Indefinitelemente legen Auswertungswelten und die ihnen entsprechenden Denotatsmengen fest. In diesem Teilbereich der Elaborierung und Charakterisierung auswertungsrelevanter Bezugswelten kommt der Opposition zwischen prinzipieller Bestimmbarkeit von Denotatsmengen (ihrer Zusammensetzung und ihrem Adressatenkreis) und ihrer Variabilität bzw. nicht abschließenden Bestimmbarkeit ebenfalls eine grundlegende Bedeutung für die Modusselektion zu. Im Rahmen unserer diachronen Betrachtung haben zudem festgestellt, dass bei einigen Indefinitpronomina wie quiconque und quanque der Wandel des Selektionsverhaltens ursächlich mit einem Bedeutungswandel verbunden war, bei dem etwa quiconque seinen free choice-Charakter abstreifte, wohingegen sich in einem komplementären Prozess qui que und – wesentlich später dann – auch n’importe qui auf eben diese free choice-Lesart spezialisierten. Wie wir gezeigt haben, wurde generell in Kontexten der domänenfixierenden Restriktion, die sich ihrerseits in eine übergeordnete Implikationsrelation einschrieb, grundsätzlich der Indikativ in Verbindung mit den genannten Indefinitpronomina selegiert. Für die konjunktivischen Kontexte war dagegen eine free choice-Lesart maßgeblich, die alle nur denkbaren Zusammensetzungen der Denotatsmenge und damit maximale alternative Auswertungswelten (i-Alternati-
116 Cf. Riegel et al. (1994, 327).
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Vergleichs- und Bezugswelten
ven) fokussierte. Mit Blick auf quiconque haben wir detailliert den Abwertungsprozess der konjunktivischen free choice-Lesart zu einer pejorativen Irrelevanzlesart nachgezeichnet und ihn im Sinne einer generalisierten konversationellen Implikatur gedeutet: Die Sprecher schlossen dabei ausgehend von den marginalen Auswertungswelten auf die Beliebigkeit der Mitglieder der Denotatsmengen und damit auf deren niedere Qualität. Das italienische Teilsystem im Bereich des freien Relativsatzes zeichnete sich wiederum durch ein hohes Maß an Kontinuität im Verhältnis zur lateinischen Ausgangssituation aus. Vor allem die italienischen Indefinitpronomina unterschieden sich hierin deutlich von ihren französischen Entsprechungen: Spezialisierten sich die letztere jeweils auf eine Lesart, die mit einem bestimmten Modus korrespondierte, so schöpften erstere – wie auch schon das spätere Latein – die modusspezifischen Differenzierungsmöglichkeiten in vollem Umfange aus. Lediglich das free choice-Element quantunque ging ganz eigene Wege, denn es bildete zunächst eine konzessiv-konditionale Lesart aus, die sich in der weiteren Entwicklung dann zu einer einfachen Konzessivlesart abschwächen sollte.
6 E ntwicklungsprinzipien und Identität der Kategorie Modus Aus unserer umfassenden Untersuchung der Modusentwicklung in romanischen Sprachen, insbesondere im Französischen und Italienischen, dürfte die Attraktivität eines modalsemantischen Ansatzes deutlich geworden sein: Dieser erlaubte es, von einer deskriptiven Beschreibung einzelner Verwendungskontexte abzusehen und die Entwicklung der Kategorie Modus in übergeordneten Domänen zu behandeln. Dabei wurde zum einen die spezifische Funktionsweise des Modus in jeder der modalsemantischen Domänen deutlich, zugleich ließen sich aber dank des einheitlichen Beschreibungsansatzes auch domänenübergreifende Merkmale der Verbalkategorien herausarbeiten. Es wurde mithin möglich, einem zentralen Desiderat der Modusforschung Rechnung zu tragen, nämlich einerseits eine Art Grundfunktion bzw. abstrakt-grammatische Grundbedeutung der Kategorie Konjunktiv herauszufiltern, andererseits zugleich dem breiten und differenzierten Funktionsspektrum des Konjunktivs in ganz unterschiedlichen Kontexten bzw. Domänen Rechnung zu tragen. Die hier skizzierte Grundproblematik gewinnt noch an Komplexität, wenn man die im Sprachvergleich zutage tretende unterschiedliche Organisation des jeweiligen einzelsprachlichen Modussystems berücksichtigt sowie seine teilweise einschneidenden Veränderungen im diachronen Längsschnitt. Wir haben in unserer Arbeit insbesondere die Funktionsweise und Entwicklung des französischen Modussystems in den Vordergrund gestellt, weil sich an ihm ein besonders durchgreifender Wandel-, ja Desintegrationsprozess in der domänenbasierten Mikroanalyse nachzeichnen und analysieren ließ. Dabei zeigten wir auch auf, wie die Entwicklungen durch die Ausgangsverhältnisse im Vulgärlatein bzw. postklassischen Latein in ihrer Dynamik motiviert wurden und kontrastierten sie anhand von exemplarischen Vergleichen mit dem Standarditalienischen – der romanischen Sprache, die in weiten Bereichen (vielleicht mit Ausnahme des Systems der Temporalkonjunktionen) die größte Kontinuität zum spät(bzw. vulgär-)lateinischen Sprachzustand aufwies bzw. immer noch aufweist und damit über ein besonders ausgebautes sowie feinnerviges Modussystem verfügt. Aus der sowohl sprachvergleichenden als auch diachronen Perspektive ließen sich wichtige Einsichten über den «abstrakten Wert» des konjunktivischen Modus und seine funktionale Entfaltung in den unterschiedlichen Domänen gewinnen. Bevor wir nun eine synthetisierende Interpretation des romanischen Modussystems und seiner Entwicklung versuchen, wollen wir zunächst wesentliche Ergebnisse aus unseren Einzelanalysen zu den grundlegenden modussensitiven Domänen zusammenfassen.
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Entwicklungsprinzipien und Identität der Kategorie Modus
Hatten wir im 1. Kapitel versucht, ein möglichst umfassendes Forschungstableau zur Behandlung des Modus in romanischen Sprachen zu entwerfen, so stand im 2. Kapitel unserer Arbeit die Entwicklung des Modussystems in der epistemischen sowie doxastischen Domäne im Vordergrund. Im Altfranzösischen war die Modusdifferenzierung in dieser Domäne auf das engste mit der Problematik der doxastischen Zugänglichkeit verbunden und betraf damit zugleich die Frage nach einem zugrundeliegenden, die Modusselektion motivierenden Evidenzsystem. Mithilfe des Modus konnte der Sprecher signalisieren, ob einer Überzeugung vor dem Hintergrund eines gestuften Evidenzsystems tatsächlich de re-Status zugesprochen werden konnte oder nicht. (Zur Erinnerung: einer Überzeugung lässt sich dann de re-Status bescheinigen, wenn für ihr (materielles) Korrelat in der Referenzwelt auch überzeugende Evidenz beigebracht werden kann). Im Rahmen des altfranzösischen Systems, das – wie wir sahen – das sich im Spätlatein herausbildende Komplementsatzmodell systematisch fortsetzte, spielte vor allem der Subjonctif Imparfait eine zentrale Rolle. Er besaß die Kernfunktion, Sachverhalte (bzw. die zugrundeliegenden Propositionen) als kontrafaktisch zu markieren und damit im Antiuniversum zu verorten – in der Domäne also, in der sich die Dinge jeweils entgegengesetzt zur aktuellen Welt verhalten. Der Negationsoperator, der in den altfranzösischen Texten häufig in Verbindung mit negativen Polaritätselementen auftrat, schuf jeweils typische Lizensierungskontexte. Wir hatten darüber hinaus gesehen, dass epistemische Prädikate wie (alt)frz. cuidier, croire und penser eine Reihe von Besonderheiten aufwiesen, die sich aus ihrem spezifischen semantischen Profil ergaben – so die Ausbildung unterschiedlicher Lesarten vor dem Hintergrund des gemeinsamen Redehintergrundes, einer epistemischen oder einer doxastischen modalen Basis –, aber auch aus der sie prägenden Verwendungs- bzw. Vorkommensgeschichte, die sich teilweise bis ins Spätlatein zurückverfolgen ließ. Insgesamt konnten wir zeigen, dass nicht idiosynkratische Besonderheiten der einzelnen epistemischen Prädikate, sondern ein allgemeines und abstraktes Modusmodell für die Selektion der jeweiligen Verbalkategorie ausschlaggebend war. Was die Entwicklungsdynamik in der Domäne der Epistemizität anbelangte, so haben wir gesehen, dass sich diese stufenweise vom 14. bis zum 16. Jahrhundert vollzog und dabei eng mit dem rasanten Niedergang des zentralen doxastischen Prädikats cuidier sowie dem gleichzeitigen Aufstieg von penser verbunden war. Wurde zunächst (in mittelfranzösischer Zeit) das differenzierte System der Evidenzmarkierung durch ein System vereinfacht, bei dem nur noch Kontrafaktizität durch den konjunktivischen Modus gekennzeichnet wurde (Generalisierung einer kontrafaktischen Implikatur), so deutete sich seit dem 16. Jahrhundert ein Verlust der obligatorischen Konjunktiv-Markierung in diesen kontrafaktischen Kontexten an. Der konjunktivische Modus wurde nunmehr zu einer freien Variante, die sich
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bei Bedarf noch stilistisch instrumentieren ließ oder eine archaisierende Option darstellte, zu der sich die einzelnen Sprecher im Einklang mit ihrem Sprachmodell unterschiedlich positionieren konnten. Wurde die Modusopposition im Französischen im Bereich der Epistemizität (zumindest im Rahmen von affirmativen Deklarativsätzen) obsolet, so konnte sie sich im Italienischen behaupten. Hier wurde nun der Congiuntivo (insbesondere bei credere, im Falle von pensare nur in der doxastischen Lesart) praktisch generell selegiert – ein Umstand, der deutlich macht, dass im Italienischen jenseits aller Evidenzproblematik grundsätzlich der doxastische Charakter der jeweiligen Komplementsatzproposition herausgestellt wird, also die Tatsache, dass die mit p verbundenen Welten partikuläre Welten sind, die zunächst einmal nur einem Individuum (dem individuellen Anker) zugänglich sind. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass sich in der weiteren Sprachgeschichte des Italienischen das Modussystem in Richtung auf eine Markierung des de re-Charakters von Glaubenspropositionen entwickelte und in dieser Ausdifferenzierung im heutigen Sprachzustand gewissermaßen den «altfranzösischen Verhältnissen» recht nahe kommt. In der Domäne der Epistemizität werden durch das Modussystem individuell zugängliche von epistemisch allgemein zugänglichen Welten geschieden. Dabei fungiert die Doxa, das Überzeugungssystem eines individuellen Ankers, als ein eigenständiges ordnendes Prinzip, das mögliche Welten danach bewertet, ob diese nur diesem Anker oder ganz allgemein zugänglich sind. Wie wir im Verlauf der Untersuchung sahen, kann sich der Status solcher Glaubenspropositionen im Rahmen kollektiver Doxa im Laufe der sprach- und kulturhistorischen Entwicklung verändern (cf. unsere Ausführungen zum spätlateinischen und mittelfranzösischen System, Kap. 2.5.1, 2.6.1 sowie 2.6.4). Insbesondere der letztgenannte Aspekt verdiente es, noch weiter vertieft zu werden. Das Merkmal der Unbestimmtheit von Denotatsmengen (und damit auch der relevanten Auswertungswelten) war schließlich ausschlaggebend für die Modusdifferenzierung im Bereich der indirekten Fragesätze des Typs non sapere se (seKomplementsätze) und non sapere chi/che/come/dove (wh-Komplementsätze). Während die Unbestimmtheit der Denotatsmengen (bzw. der Beschaffenheit der entsprechenden Auswertungswelten) im Lateinischen noch für alle indirekten Fragesatztypen (im Skopus des Negationsoperators) modusrelevant war, griff das Merkmal im Italienischen im wesentlichen nur noch für die wh-Komplementsätze und im Altfranzösischen beschränkte es sich auf lokativische wh-Komplementsätze sowie auf modalisierte indirekte Fragesätze. Die Unbestimmtheit von Auswertungswelten im Bereich der indirekten Fragesätze erwies sich folglich als ein eher peripherer Aspekt des Modussystems, der im Laufe der sprachlichen Entwicklungen zumeist gänzlich an Bedeutung verlor.
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Entwicklungsprinzipien und Identität der Kategorie Modus
Im 3. Kapitel stand der Aspekt der «Evaluation» im Vordergrund, die – wie auch immer geartete – Bewertung bzw. Positionierung des Sprechers oder eines Matrixsatzsubjekts zu einer Komplementsatzproposition. War dieser Bereich und die ihn charakterisierenden evaluativen Einstellungsprädikate – sowohl was die Charakterisierung der Einstellung als auch die syntaktische Realisierung (etwa im Rahmen einer unpersönlichen prädikativen Struktur oder als persönliche Konstruktion) anbelangt – auch recht heterogen, so ließen sich die Prädikate doch einheitlich mithilfe zweier zugrundeliegender Skalen, einer Probabilitäts- sowie einer Präferenzskala, charakterisieren. Wie wir sahen, konnten die Modusverhältnisse anhand der den Prädikaten jeweils inhärenten logischsemantischen Grundstruktur motiviert werden, wobei sich vom Lateinischen bis zum Französischen des 17. Jahrhunderts eine stringente Entwicklungslinie ablesen ließ. Im Lateinischen spielten zwei Parameter eine gleichwertige Rolle: So führte zum einen die Wahrheitspräsupposition faktiver Prädikate dazu, dass der Indikativ zur Standardkategorie ihrer Komplementsätze wurde (da p = 1 in w0). Überschreiben konnte dieses Kriterium jedoch die Einschreibung der Komplementsatzproposition in ein vom Sprecher unabhängiges epistemisches bzw. doxastisches Modell des Matrixsatzsubjekts. Mit anderen Worten: anders als später in den romanischen Sprachen trat der Konjunktiv dann in Erscheinung, wenn die Nebensatzproposition ausdrücklich als Element eines nicht sprecherbezogenen Wertungsmodells herausgestellt werden sollte. Im Altfranzösischen war jedoch, wie wir sahen, alleine der veridische Charakter der Komplementsatzproposition faktiver Prädikate für die Modusselektion entscheidend. Lediglich axiologische Prädikate wie bon und droiz, die in der Regel den Konjunktiv nach sich zogen, bildeten eine Ausnahme. Im Falle von espérer schließlich, das sich durch eine starke Variation der selegierten Verbalkategorien auszeichnete, war die jeweils mit dem Prädikat assoziierte Erwartungsfunktion für die Moduswahl ausschlaggebend. Dass sich deontische Prädikate genauso verhielten wie die typischen stark intensionalen Wunsch- und Willensverben, ist nicht weiter verwunderlich: Auch bei ihnen steht ein Ideal (bzw. ein ordnendes Prinzip) im Vordergrund, nach dem mögliche Welten eines epistemischen Systems geordnet bzw. hierarchisiert werden. So werden jene Welten dem Auswertungsprozess unterworfen, die den von einer bestimmten Norm statuierten Verhältnissen am nächsten kommen. (Eine solche Norm lässt sich dabei als eine Menge idealer Propositionen, wie sie etwa für einen deontischen Kodex der Form Du sollst p/Du sollst nicht p kennzeichnend sind, beschreiben). Für das Mittelfranzösische konnten wir eine Ausweitung des «Idealweltenprinzips» auf andere Prädikate, so beispielsweise auf content, nachweisen. Entscheidend war dabei die Verwendung des Subjonctif zunächst in Kontexten, in denen die Bedingungen festgelegt wurden, nach denen Welten als
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Idealwelten der Kategorie content zugewiesen werden konnten. Erst allmählich, im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts, generalisierte sich der Subjonctif-Gebrauch auch in veridischen Kontexten, in denen mithin die Wahrheitspräsupposition für p galt und sich die aktuelle Welt w0 selber als eine dieser idealen content-Welten erwies. Eine ähnliche Entwicklung konnte auch bei anderen Prädikaten wie beispielsweise regretter oder étonner nachgezeichnet werden. Hier gewann nun die jeweils zugrundeliegende Präferenz- bzw. Erwartungsskala gegenüber der Wahrheitspräsupposition an Prominenz. Von dem axiologischen Prädikat bon ausgehend, wurden schließlich alle Prädikate, die in irgendeiner Weise ein Ideal statuierten (also axiologischen Charakter besaßen) genauso wie content und später dann auch heureux und honteux von der Tendenz einer Generalisierung des konjunktivischen Modus erfasst. Damit fand eine Verschiebung der Merkmalsgewichtung weg von der Wahrheitspräsupposition hin zu der mit den Prädikaten verbundenen Präferenz- bzw. Erwartungsskala statt – oder anders ausgedrückt: relevant für die Modusselektion wurde das mit den Prädikaten verbundene klassifikatorische Potential, ja ihr Charakter als Wertungskategorien, gegenüber dem die zugrundeliegende Wahrheitspräsupposition zurücktreten musste. Zugleich fiel aber auch auf, dass der Übergang von einer durch starke Variation geprägten Mischsituation zu einer Vereinheitlichung der Modusselektion ungleichzeitig erfolgte und folglich insofern idiosynkratischen Charakter besaß, als der Prozess gleichsam lexemweise voranschritt. Der Konventionalisierungsprozess des Modus mündete bei dominant hervortretender Präferenzskala in eine Generalisierung des Subjonctif ein; bei salient werdender Probabilitätsskala konnte er – wie im Falle von espérer – auch auf den Indikativ hinauslaufen. So fand im Bereich der Evaluation kein Ausbau des Modussystems zugunsten des Subjonctif statt und erst recht keine «Regrammatisierung» des Subjonctif zur Markierung von Thematizität, wie dies die Anhänger der pragmatisch-relevanztheoretischen Schule (Lunn, Haverkate, Korzen) behaupten:1 Wenngleich die Modusentwicklung im Bereich der Evaluation zunächst maßgeblich von der Prominentwerdung der Präferenzfunktion determiniert wurde, so fand die Modusfixierung jedoch auf der Ebene der einzelnen lexikalischen Einheiten statt. Mit dieser Konventionalisierung der Modusselektion, die an die einzelnen Lexeme gebunden war, wurde das Modusmerkmal zu einem bloßen Subkategorisierungsmerkmal im Lexikon. Dieser Motivationsverlust der Modusselektion kann – trotz eines, oberflächlich betrachtet, Vordringens des Subjonctif in die Domäne der Evaluation bzw. der evaluativen Einstellungsprädikate – kaum als ein Ausbau interpretiert werden.
1 Zum Begriff der «regrammation», hier als «Regrammatisierung» wiedergegeben (cf. Andersen 2006, 11).
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Er ist vielmehr Indiz für eine weitere Desintegration des Modussystems, da die Kategorie Modus zu einem rein idiosynkratischen Subkategorisierungsmerkmal lexikalischer Einheiten erstarrte und eben keine funktionale Differenzierungsleistung mehr erfüllte. Damit wurde die Kategorie Modus auch in dieser Domäne zu einem vollkommen konventionalisierten und im Lexikon fixierten Merkmal syntaktischer Wohlgeformtheit. Im 4. Kapitel behandelten wir die Entwicklung des Modussystems in Bedingungssatzkonstruktionen. Wir konnten dabei unter anderem auch erstmals systematisch Überreste des alten lateinischen Bedingungssatzsystems bei hypothetischen Bedingungssätzen (mit dem Konjunktiv Präsens) nachweisen, die in altfranzösischer Epoche zumeist nur noch stereotyp-formelhaften Charakter besaßen. Auch setzte sich im Altfranzösischen die grundsätzliche kategorielle Scheidung zwischen problematischen Bedingungssätzen einerseits und kontrafaktischen Bedingungssätzen im Präsens (Irrealis I) sowie im Präteritum (Irrealis II) andererseits durch. Während im ersten Falle Imperfektmorphologie (Imparfait in der Protasis und Conditionnel in der Apodosis) kennzeichnend wurde, schöpften die Sprecher im zweiten Fall den kontrafaktischen Wert des Subjonctif Imparfait aus. Bezeichnenderweise sind kontrafaktische Bedingungssätze wiederum durch die Anwendung einer besonderen Ordnungsfunktion auf die zugrundeliegende modale Basis charakterisiert: Kontrafaktische Welten sind von der aktuellen Welt aus epistemisch nicht zugängliche Welten, die nach Maßgabe ihrer Similarität mit der Basiswelt w0 geordnet werden (vollkommen realistische modale Basis bzw. Geltung einer Ähnlichkeitsfunktion). Das heißt: Auswertungswelten, in denen Protasis und Apodosis gleichermaßen zutreffen, sollen sich zusätzlich nur minimal von der aktuellen Welt w0 unterscheiden (Lohnsteins «Prinzip der minimalen Verschiebung»). Wir haben die Etappen des Konjunktivabbaus (Subjonctif Imparfait und Subjonctif Plus-que-parfait) bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, als sich das heutige System auch im kontrafaktischen Bedingungssatz der Vergangenheit etablierte (zum Beispiel: «Si j’avais trouvé la solution, j’aurais publié un article»), ausführlich untersucht. Dabei wurde deutlich, dass während der langen Übergangsphase, die durch besondere Mischmodelle gekennzeichnet war, mindestens einer der beiden Teilsätze, und zwar in der Regel die durch si eingeleitete Protasis, durch den Subjonctif Imparfait (bzw. Plus-que-parfait) markiert wurde – mithin lange Zeit noch der Protasis die Einführung in ein System von w0 aus epistemisch nicht zugänglichen kontrafaktischen Welten oblag. Wir haben dies auch als Indiz dafür gewertet, dass dem Subjonctif Imparfait tatsächlich ein Ausschlussmerkmal (Ausschluss von w0, mindestens am Sprechzeitindex t0) eigen ist, welche die indikativische Markierung nicht besaß. Des weiteren haben wir versucht zu zeigen, dass sich erst allmählich eine differente Konzeptualisierung auf der Grundlage abgegrenzter Domänen möglicher Welten herausbildete, die
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auf einer (sich zunehmend generalisierenden) konversationellen Implikatur, also auf einem subsidiären pragmatischen Mechanismus, beruhte. Fokussiert wurde dabei auf eine Möglichkeitszone, von der die Sprecher jedoch aufgrund kontextueller bzw. enzyklopädischer Informationen wussten, dass sie vom Sprechzeitpunkt aus nicht mehr zugänglich war, – mithin die relevanten möglichen Welten schon in kontrafaktische Welten umgeschlagen waren. Van der Auwera hatte diese Konstellation auf die treffende Formel «what is false is represented as possible, without being any less false»2 gebracht. Die gemischten Übergangsmodelle spielten folglich eine wesentliche Rolle bei der Konsolidierung kontrafaktischer Lesarten in Verbindung mit indikativischer Imperfektmorphologie (Imparfait, Plus-que-parfait, Conditionnel), die wir als indexal nicht determinierende Distanzmorphologie charakterisiert haben. Im Bereich der Bedingungssatzkontexte zeigte sich am deutlichsten, dass die Zurückdrängung des Subjonctif Imparfait mit einem echten trade-off verbunden war: Das Sprachsystem wurde einerseits ökonomischer, da es seine grundlegenden Ausdrucksfunktionen mit einem reduzierten Inventar morphologischer Kategorien wahrnehmen konnte, die von konkurrierenden indikativischen Kategorien übernommen wurden, welche ihr modales Potential systematisch ausbauten. Es ‚bezahlte’ aber diese Reorganisation mit einem Verlust an Explizitheit: Das Merkmal der Kontrafaktizität war nun nicht mehr im Sprachsystem morphologisch kodiert, sondern musste gleichsam indirekt – über eine Implikatur auf der Basis von kontextuellem und enzyklopädischem Wissen sowie geeignete Inferenzregeln – erschlossen werden. Im Mittelpunkt des 5. Kapitels standen verschiedene Vergleichs- bzw. Bezugswelten, auf die jeweils im Rahmen spezifischer Konstruktionen fokussiert wurde. Ein deutlicher Unterschied der Modusdifferenzierung trat wiederum bei den Vergleichssätzen im Alt- und Mittelfranzösischen einerseits sowie im älteren Italienisch andererseits hervor: Während der Konjunktiv im Alt- und Mittelfranzösischen ausschließlich auf exzeptionelle bzw. besonders saliente Maximal- (bzw. Minimal-)welten zur Elaborierung einer der beiden Vergleichsterme zur Erzielung eines superlativischen Effekts abzielte, konnte er im älteren Italienisch auch stereotype Welten profilieren – entscheidend war hier lediglich die Tatsache, dass die Vergleichswelten nicht referentiellen, sondern abstrakt-konzeptuellen Charakter besaßen, also Resultat eines mentalen Konstruktionsprozesses waren. Die weitere Entwicklung beseitigte jedoch die Komplementarität zwischen dem eine negative Implikatur markierenden non espletivo im Verbund mit dem Indikativ sowie dem abstrakt-konstruktionellen Congiuntivo und führte vielmehr zu einer Kopräsenz sowie einer zunehmenden funktionalen Identifikation und Verstär-
2 van der Auwera (1983, 306).
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kung der beiden Elemente. Im heutigen Italienisch stellen beide Elemente – konjunktivischer Modus und non espletivo – gemeinsam die dem Disparitätsvergleich innewohnende negative Implikatur heraus und profilieren dabei das Differenzintervall zwischen Referenz- und Vergleichswert in maximaler Weise. So hat sich gewissermaßen eine Korrelation zwischen dem non espletivo und dem Congiuntivo herausgebildet, die aber keineswegs obligatorischen Charakter besitzt. Diese Korrelation ist zudem nur charakteristisch für die Komplementierer che (non) und di quanto. Demgegenüber weisen di quel che bzw. di quello che idiosynkratische Besonderheiten auf, die aus ihrer historischen Genese heraus zu erklären sind. Im Französischen verschwand – trotz einer Tendenz zu einer Generalisierung des Konjunktivs zur Stärkung der negativen Implikatur im Mittelfranzösischen (insbesondere bei Froissart sowie bei einigen Autoren des 16. Jahrhunderts) – der Konjunktiv gänzlich aus dem Vergleichssatz, zumal eine Markierungsfunktion durch das ne explétif in hinreichender Weise geleistet werden konnte. Konjunktivische Morphologie in superlativischen Relativsätzen (Kap. 5.2) wurde im Alt- und Mittelfranzösischen in der Regel explizit durch negative Polaritätselemente motiviert und verdeutlichte, dass nicht etwa das Vorliegen einer Allquantifikation, sondern vielmehr die indexale Unbestimmtheit, die aus der «Weiterung» der Evaluationswelten auf letzte noch denkbare Fälle (bzw. Welten) resultierte, für die Modusselektion ausschlaggebend war. Das zentrale Moment bestand also nicht darin, dass die durch den superlativischen Relativsatz konstituierte Vergleichsdomäne alle Zeitindizes eines Betrachtungszeitraums abschließend erfasste, sondern dass die Indexmenge der für die Auswertung der Proposition zu berücksichtigenden Welten gar nicht abschließend bestimmt werden sollte, weil der letzte noch denkbare Index i variabel und damit die Auswertungsmenge als zumindest prinzipiell noch erweiterbar erschien. Die Berücksichtigung letzter, möglicherweise ganz ungewöhnlicher oder marginaler Fälle (oder Welten), entspricht einer Verschiebung der für die Auswertung relevanten modalen Basis von einer stereotypen, alle Standardfälle berücksichtigenden, zu einer erweiterten modalen Basis (Quers expanded modal base). Im Altfranzösischen wurden die erweiterten Auswertungswelten durch die kategorielle Variation zwischen Subjonctif Présent und Subjonctif Imparfait noch weiter ausdifferenziert: Der Subjonctif Présent verankerte die Auswertungsdomäne im epistemischen Modell des Sprechers (gewissermaßen in seinem «Erfahrungshorizont»), wohingegen der Subjonctif Imparfait auf eine Auswertungsdomäne, die bis in eine unbestimmte Vergangenheit zurückreicht, fokussierte. Folgenreich ist der sich seit der mittelfranzösischen Epoche abzeichnende schrittweise Übergangsprozess vom Subjonctif Imparfait zum Subjonctif Passé Composé einerseits sowie zum einfachen Passé Simple andererseits, der bis zum 17. Jahrhundert gänzlich abgeschlossen war. So kristallisiert sich neben dem epistemisch-kontra-
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faktischen und dem konditional-kontrafaktischen ein weiterer Kontext heraus, in dem der Subjonctif Imparfait eine angestammte Funktion verlor, die entweder durch konjunktivische Präsens- (bzw. Perfekt-) oder durch indikativische Morphologie substituiert wurde. Es charakterisiert demgegenüber die italienische sprachhistorische Entwicklung, dass sich der Congiuntivo Imperfetto auch in diesen Kontexten bis heute behaupten konnte. Bei den sonstigen Salienzkonstruktionen, die ein besonderes ordinales bzw. unikales Element (l’unico, il solo, l’ultimo) herausstellen, drang der Konjunktiv hingegen erst äußerst spät – im Französischen im 17. Jahrhundert, im Italienischen wohl erst im 19. Jahrhundert – und zudem relativ langsam vor. Auch zeigten die zunächst sehr marginalen Vorkommenskontexte, dass sich die Entwicklung nicht mit dem Hinweis auf einen Prozess der Analogie motivieren lässt. Die Untersuchung hat vielmehr gezeigt, dass der Konjunktiv zunächst nur im Rahmen solcher Salienzkonstruktionen selegiert wurde, bei denen die Bezugsdomäne entweder rein virtuellen Status besaß oder undeutlich und als hinsichtlich ihrer Konstituenz unbestimmt konturiert wurde. Erst später konventionalisierte sich – zumindest im Französischen – der Konjunktiv in allen Salienzkontexten. Die letzte mit der Konstituierung von Bezugswelten verbundene Domäne stellte die der freien Relativsätze dar, die ihr jeweils besonderes Profil durch die einleitende pronominale Form erhielten (Kap. 5.3). Am Beispiel der wichtigsten – im Hinblick auf ihre Genese und Entwicklung deutlich voneinander unterschiedenen Indefinitelemente (unter anderem das die free choice-Tradition von quicumque fortsetzende quiconque/chiunque) – manifestierte sich die zentrale Rolle der Modusdifferenzierung für die Elaborierung und Kennzeichnung der jeweiligen Bezugswelten. Die untersuchten Entwicklungen ließen aber auch tiefgreifende Wandelprozesse insbesondere im französischen Sprachsystem erkennbar werden, wo sich etwa quiconque auf eine domänenfixierende Lesart spezialisierte und dabei weitgehend seinen free choice-Charakter in Verbindung mit seiner Modusvariabilität verlor, was von einer komplementären Entwicklung des sich ebenfalls spezialisierenden qui que (später dann n’importe qui) begleitet wurde. Der indikativische Modus wurde in der Regel in der domänenfixierenden Restriktion, die sich in eine übergeordnete Implikationsrelation einschrieb, selegiert. In diesem Rahmen determinierte p also die notwendigen und hinreichenden Bedingungen der jeweils relevanten Geltungsdomäne. Für die konjunktivischen Kontexte war hingegen eine free choice-Lesart kennzeichnend, die alle nur denkbaren Zusammensetzungen der Denotatsmenge in den Blick nahm. Quer (1998) verortete die Modusopposition im Kontrast zwischen einer stereotypen modalen Basis, die nur Standardfälle für die verifizierende Auswertung berücksichtigt, und einer erweiterten modalen Basis (expanded model base), die auch exzeptionelle bzw. marginale Fälle mit einbezieht. Wir hatten demgegenüber stärker auf die funktio-
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nale Opposition zwischen Domänenfixierung im Rahmen einer Implikationsbeziehung (mit Allquantifikation) und einer maximalen Berücksichtigung alternativer Auswertungswelten (maximale i-Alternativen) sowie den jeweils mit ihnen verbundenen möglichen Denotatsmengen abgehoben. Diese Interpretationsnuance scheint uns deshalb von Bedeutung, weil die free choice-Lesart von quiconque im Französischen zu einer pejorativen Irrelevanzlesart degenerierte, d.h. die maximale Berücksichtigung von Alternativen – auch der unwahrscheinlichsten und marginalsten – mit der Generalisierung einer konversationellen Implikatur verbunden war, die man wie folgt paraphrasieren könnte: Wenn auch die letzte Alternative hinsichtlich der Zusammensetzung der Denotatsmenge berücksichtigt wird, dann sind die Elemente/Mitglieder der beliebigen Denotatsmengen in qualitativer Hinsicht irrelevant. Die free choice-Lesart führte also zu einer pejorativen Irrelevanzlesart, weil aus der Berücksichtigung auch marginaler Fälle auf die geringe Relevanz aller übrigen Fälle geschlossen wurde. Das italienische Teilsystem im Bereich des freien Relativsatzes war wiederum durch ein hohes Maß an Kontinuität gekennzeichnet. Lediglich das free choiceElement quantunque entwickelte eine – zunächst – konzessiv-konditionale Lesart, wurde dann aber im Weiteren zu einer einfachen Konzessivkonjunktion grammatikalisiert. Dieser Entwicklungspfad indefiniter Relativpronomina von ihrer Verwendung im Rahmen parametrisch konzessiv-konditionaler Kontexte zu ihrer Refunktionalisierung als reine Konzessivkonjunktionen ist – wie auch die Entwicklung in anderen romanischen Sprachen belegt – keineswegs ungewöhnlich.3 Wenden wir uns nun nach dieser Zusammenfassung der Ergebnisse abschließend der Frage nach allgemeinen bzw. verallgemeinerbaren Tendenzen der Modusentwicklung, wie wir sie in den verschiedenen Domänen untersucht und ausführlich dokumentiert haben, zu. Welche Generalisierungen im Hinblick auf die Kategorie Modus und ihre Entwicklung sind möglich? Im Rückblick auf die Entwicklungen im Französischen sowie im Vergleich zum Italienischen können mehrere Besonderheiten herausgestellt werden: Zunächst: Das französische Modussystem war auch schon in altfranzösischer Epoche weniger stark «ausgelastet» als das des älteren Italienisch:
3 Cf. König (1985, 262ss.; 1986, 229ss.); Haspelmath/König (1998, 563ss.). Vergleichbar sind Entwicklungen im Spanischen und Portugiesischen, etwa die Ausbildung der älteren Konzessivkonjunktion comoquier(a) que bzw. (em) como quer que. Cf. dazu Algeo (1973); Rivarola (1976); Rivas (1990).
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So wurden im Italienischen im Bereich der Epistemizität grundsätzlich zugrundeliegende doxastische Systeme des Sprechers bzw. eines anderen Matrixsatzsubjekts salient gemacht, wohingegen im Altfranzösischen, wie wir sahen, vor allem die Evidenzproblematik im Vordergrund stand. Im Bereich der Evaluation lag im Italienischen von Anfang an der Fokus auf der Herausstellung einer als ordnende Quelle wirkenden axiologischen Skala bzw. Präferenzskala, was sich an der Generalisierung des konjunktivischen Modus in dieser Domäne zeigte. Hinsichtlich der Vergleichs- und Bezugswelten sahen wir, dass im älteren Italienisch auch stereotype Vergleichswelten durch den Konjunktiv markiert wurden, mithin alleine die Tatsache ausreichend war, dass die entsprechenden Welten nicht referentiell zu interpretieren waren, d.h. sich unter ihnen nicht die aktuelle Welt w0 befand. Im Alt- und Mittelfranzösischen waren die Anforderungen für eine Selektion des Subjonctif demgegenüber sehr restriktiv: Der Konjunktiv stellte Vergleichswelten heraus, die einen besonders prominenten Rang auf einer Skala besaßen, weil es sich bei ihnen um Welten maximaler (oder minimaler) Ausprägung von Eigenschaftsgraden handelte. Auch die zweite konjunktivische Kategorie, der Subjonctif Imparfait, zeigte sich funktional deutlich eingeschränkter als ihr italienisches Pendant: Erwies sich die Form im Französischen in erster Linie als ein Marker der Kontrafaktizität, nachrangig auch als ein Kongruenzmerkmal im Rahmen der consecutio temporum, so schloss sie im Italienischen auch noch ein temporales Moment mit ein, das es ermöglichte, Propositionen über vergangene Sachverhalte in ein aktuelles doxastisches Modell einzuschreiben. Von grundlegender Bedeutung ist nun die Tatsache, dass der Funktionsverlust des Subjonctif Imparfait und der Abbau des Modussystems im Französischen auf das engste miteinander verknüpft waren: So wurde der Subjonctif Imparfait bis zum Ende des Mittelfranzösischen in Komparativsätzen obsolet, bis zum 16. Jahrhundert in der epistemischen Domäne, erst schleichend, dann erodierend auch bei den kontrafaktischen Bedingungssätzen (bis zum Ende des 17. Jahrhunderts), schließlich bei den superlativischen Relativsätzen sowie den free choiceRelativsätzen, welche jeweils Bezugsdomänen festschrieben. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verblieb dem Subjonctif Imparfait im Wesentlichen noch die Funktion der Kongruenzmarkierung im Rahmen der consecutio temporum, die sich dann ebenfalls in den nachfolgenden Jahrhunderten abbauen sollte. Hier übernahm Perfektmorphologie die entsprechenden Funktionen. Mit dieser skizzierten Marginalisierung des Subjonctif Imparfait entfielen ganz grundlegende Funktionsbereiche, die für ein ausgebautes Modussystem (wie auch heute noch im Italienischen oder Spanischen) kennzeichnend sind. Selbst die scheinbare Ausweitung des konjunktivischen Modus auf den evaluativen Bereich (bzw. evaluative Einstellungsprädikate) war nicht Zeichen der Konsolidierung, sondern
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vielmehr ein weiteres wichtiges Indiz des Modusabbaus: Wenngleich auch der Fixierungsprozess des Modus in der Domäne der Evaluation einem deutlich identifizierbaren Entwicklungspfad folgte, so verlor sich doch im Weiteren die ursprüngliche Motivation für die Modusselektion. Diese basierte nämlich nicht mehr auf einem System autonomer und abstrakter Prinzipien, sondern entsprach der lexikalischen Subkategorisierungsinformation des jeweiligen Lexems, die in einem Konventionalisierungsprozess fixiert wurde. So sind also der Verlust des aus dem späteren Latein ererbten Evidenzsystems im epistemischen Bereich, der Funktionsabbau und die Marginalisierung des Subjonctif Imparfait sowie die Fixierung der Modusselektion im Lexikon die drei grundlegenden Prozesse, die den Abbau des französischen Modussystems kennzeichnen. Aber auch für das Italienische haben wir vereinzelt Abbauprozesse nachweisen können (so im epistemischen Bereich und im Bereich des Komparativs der Disparität) – insgesamt aber bewahrte das italienische System seinen abstraktgrammatischen Charakter in weiten Bereichen des Sprachsystems, was nicht zuletzt auch auf die Funktionstüchtigkeit des Congiuntivo Imperfetto zurückzuführen sein dürfte. Das Gesagte gilt im Übrigen auch für andere romanische Sprachen wie das Katalanische, das Spanische und das Portugiesische, die ebenfalls über vitale konjunktivische Vergangenheitsmorphologie verfügen. Interessanterweise ist auch das rumänische Modussystem, das mit einer einzigen – morphologisch zudem reduzierten, jedoch kompensatorisch durch die Moduspartikel să verstärkten – Konjunktivform auskommen muss,4 durch vergleichbare bzw. noch tiefergreifende Abbauprozesse wie wir sie für das Französische nachzeichnen konnten, charakterisiert: so operiert es nicht mit konjunktivischer Morphologie zur Kennzeichnung von Kontrafaktizität, im Rahmen des Disparitätsvergleichs, bei prospektiven Temporalsätzen oder in freien Relativsätzen mit free choice-Lesart und es rekurriert, im Gegensatz zum modernen Französisch, auch in der Domäne der Evaluation ausschließlich auf Indikativmorphologie (für eine genauere Charakterisierung cf. Becker 2010c).
4 Das schließt natürlich nicht aus, dass sich die konjunktivische Präsensform mit Perfektmorphologie verbinden kann, etwa: «E posibil ca Lescarbault să fi văzut un mic asteroid trecând aproape de Pământ» (http://www. astrotm. home.ro/Cele%20noua%20planete/earth.htm) (‘Es ist möglich, dass Lescarbault einen kleinen Asteroiden gesehen hat, der an der Erde vorbeigezogen ist’). In begrenzten Verwendungskontexten kann die Form auch die Funktion eines Kontrafaktizitätsmarkers übernehmen, so in dem folgenden Beispiel: «Eu să fi fost acolo, aş fi la fel de emoţionată» (‘Wäre ich dort gewesen [Konjunktiv Perfekt], so wäre ich genauso so gerührt gewesen’ [Konditional]).
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Wir können nun abschließend auf die Frage nach Entwicklungsprinzipien im Bereich des Modus (insbesondere seines Abbaus) eingehen und werden dabei noch einmal die Grundwertproblematik im Hinblick auf den Konjunktiv thematisieren. Wir wollen unsere Überlegungen dabei in einen größeren Rahmen stellen. Das Modussystem hatte sich schon in der Geschichte des Lateinischen bis zur Spätantike (dem christlichen Latein der Vulgata und der Kirchenlehrer) in zweifacher Hinsicht gewandelt: Zum einen gingen seine modalisierenden Funktionen in Deklarativ-, Interrogativ- und Exklamativsatzkontexten zurück, die zunehmend von Modalverben und dann, in der weiteren Entwicklung, von neuen periphrastischen Konstruktionen (z.B. habebam/habui + Infinitiv) übernommen wurden. Zum anderen wurde das Modussystem in der zunächst nur auf einen Kernbereich beschränkten Komplementsatzdomäne systematisch bis zu einem protoromanischen Zustand ausgebaut. Im Komplementsatzbereich spielte der Konjunktiv zunächst eine zentrale Rolle als Modus par excellence der Prioritätsmodalitäten (priority modalities). Wie im 1. Kapitel erwähnt, fallen unter diesen Oberbegriff all’ diejenigen Modalitäten, die mit einer ordnenden Quelle verbunden sind, durch die mögliche Welten im Einklang mit einem bestimmten Ideal oder Prinzip auf einer Skala «gerankt» werden. Es ist in diesem Zusammenhang ein bezeichnender Umstand und gewiss kein Zufall, dass die lateinische Konjunktivmorphologie ursprünglich auf ältere Optativmorphologie zurückgeht,5 die im Kern besonders präferierte Welten herausstellt. Zur umfassenden Domäne der Prioritätsmodalität gehören im Einzelnen folgende Modalitäten mit den ihnen zugehörigen Verbklassen: –– Die deontische Modalität: ist verbunden mit Konzepten wie Erlaubnis (permittere), Verbot, Verpflichtung und Befehlen (imperare); –– Die buletische Modalität, die durch Wunsch- und Willensverben wie optare (‘wünschen’) oder orare (‘bitten’) lexikalisch realisiert werden kann; –– Die teleologische Modalität, die bei Verben der Veranlassung (efficere ‘bewirken’), des Bewirkens sowie der Absicht (contendere ‘sich bemühen’, curare ‘Sorge tragen’), aber auch bei Finalsätzen zum Ausdruck kommt. Die umfassende Domäne der Prioritätsmodalitäten stellt gewissermaßen den inneren Bereich und in historisch-genetischer Hinsicht den letzten Funktionsbereich eines sich abbauenden Modussystems spätlateinisch-romanischen Typs dar. Im Rumänischen etwa, dem im Hinblick auf die Kategorie Modus am stärksten zurückgebildeten romanischen Sprachsystem, konnte sich der Konjunktiv
5 Cf. zur Geschichte des Lateinischen etwa – die Forschungsdiskussion resümierend – Handford (1947, 19ss.); Thomas/Ernout (1953, 292ss.); Sabanééva (1996, 19ss.).
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in erster Linie in dieser Kerndomäne behaupten (sieht man einmal von einigen Besonderheiten des rumänischen Modussystems, insbesondere in der Konkurrenz zum Infinitiv, ab).6 Man vergleiche die typischen Vorkommenskontexte: –– Deontisch: «Trebuie să plec devreme» (‘Ich muss früh weggehen/es ist notwendig, dass [...].’) –– Buletisch: «Eu vreau să (eu) câstig un premiu.» (‘Ich will, dass ich einen Preis gewinne.’) «Caut o fată care să ştie englezeşte.» (‘Ich suche ein Mädchen, das Englisch kann.’) –– Teleologisch: «S-a dus la Bucureşti ca să se mărite cu cineva care să lucreze în cinematografie.» (‘Er ist nach Bukarest gegangen, um jemanden aus dem Kinobusiness zu heiraten.’) Der Expansionsprozess des lateinischen konjunktivischen Modus griff in der weiteren Entwicklung dann auf neue Domänen aus, insbesondere auf die Domäne der Konditionalität (Bedingungssatzsystem),7 auf den Bereich der indirekten Rede (oratio obliqua),8 im späteren Latein, wie ausführlich behandelt, auf den Bereich der doxastischen, der epistemischen sowie der evaluativen (= verba affectum) Einstellungsprädikate.9 Diese – nur exemplarisch herausgegriffenen – Bereiche machen deutlich, dass die Ausweitung der konjunktivischen Funktionen mit einer Funktionalisierung weiterer Ordnungsfunktionen verbunden war: So wurde etwa in kontrafaktischen Konjunktivgebräuchen, auf die sich zunächst der Konjunktiv Imperfekt, in der weiteren Entwicklung dann der Konjunktiv Plusquamperfekt spezialisierte, eine vollkommen realistische modale Basis (bzw. eine Similaritätsfunktion) als Ordnungsquelle grammatisch-kategoriell (im Rahmen des Modussystems) relevant. In der indirekten Rede und dann vor allem beim Ausbau der Komplementsatzstrukturen im Bereich doxastischer, epistemischer und evaluativer Prädikate wurde die Beschaffenheit des epistemischen (im weiteren Sinne) Modells des Matrixsatzsubjekts für die Modusselektion ausschlaggebend, wobei die im Subjekt verankerte, nur diesem zugängliche doxastische Komponente wie ein weiteres Ordnungsprinzip wirkte, das mögliche Welten nach einem spezifischen Prinzip hierarchisierte. Dieses Ordnungsprinzip entwickelte sich aber, wie wir gesehen haben, erst in der späten Latinität (vor allem ab dem
6 Beispielsweise übernimmt im Rumänischen Konjunktivmorphologie bestimmte Funktionen des Indikativs, vor allem in Verbindung mit aspektuellen Verben, etwa: «Am început să gătesc cina în bucătărie» (‘Ich habe angefangen, das Essen in der Küche zuzubereiten’). 7 Cf. Thomas/Ernout (1953, 378); zusammenfassend Sabanééva (1996, 50). 8 Cf. etwa Handford (1947, 152s.). 9 Moignet (1959, 234); Thomas/Ernout (1953, 298).
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4. Jahrhundert nach Christus) heraus und etablierte sich in der Kernromania, und zwar vor allem in Italien, wesentlich schwächer allerdings in der Galloromania und in der Randromania (cf. die Verhältnisse im Bereich der Epistemizität auf der iberischen Halbinsel sowie in der Dacia). So bildete sich also eine zweite funktionale Zone des konjunktivischen Modus heraus, die aufgrund sprachhistorischer Voraussetzungen und Entwicklungen relativ uneinheitlich ist und nur in höchst unterschiedlichem Maße für die einzelnen romanischen Sprachen relevant wurde. Wesentliches Kennzeichen dieser zweiten Zone ist die Tatsache, dass die Modusexpansion mit einem grammatischen Prozess verbunden war, der spezifische Ordnungsprinzipien für die Modusselektion (bzw. die Selektion des Konjunktivs) salient machte. Als solche Ordnungsprinzipien haben wir im Rahmen unserer Untersuchung doxastische Systeme, Präferenz- und Probabilitätsskalen, maximale und stereotype Vergleichs- und Bezugswelten kennengelernt. Innerhalb dieser zweiten Zone lässt sich keine Hierarchie im Sinne einer implicational map (cf. Haspelmath 1997) formulieren.10 Wie schon gesagt, spielte das doxastische Prinzip aus historischen Gründen nur in der Kernromania eine entscheidende Rolle, die Präferenzskala jedoch in weiten Teilen der Romania (allerdings in der Galloromania zunächst nur sehr eingeschränkt, für die Dacia sind die Verhältnisse schlecht dokumentiert). Schwach war der Konjunktiv hingegen wieder im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Vergleichswelten ausgeprägt, – im Französischen konnten damit lediglich exzeptionelle (maximale oder minimale) Vergleichswelten im Rahmen einer superlativischen Lesart ausgezeichnet werden, im Italienischen hingegen sogar stereotype Vergleichswelten. Im modernen Standarditalienisch wurde der Konjunktivgebrauch in einigen Vergleichssatzkonstruktionen (più x di quanto, più x che non) noch ausgebaut und er profiliert hier, zusammen mit dem non espletivo und der aus ihm erwachsenen negativen Implikatur, das zwischen dem Standard- und dem Vergleichswert bestehende Differential in maximaler Weise. Die Kennzeichnung letzter denkbarer Bezugswelten (erweiterte modale Basis), wie sie für superlativische Relativsätze mit Konjunktivselektion und freie Relativsätze mit free choice- Lesart charakteristisch ist, erweist sich jedoch wieder als ein fest verankertes Moment des romanischen Modussystems, sieht man wieder einmal vom Rumänischen ab. Dieser Vorkommensbereich des Konjunktivs weist aber schon auf eine dritte funktionale Zone, die im Wesentlichen durch das Merkmal der Unbestimmtheit der Auswertungswelten bzw.
10 Zur implicational map als Darstellungs- und Interpretationstechnik der typologischen Forschung cf. Haspelmath (1997, 62s.).
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-indizes charakterisiert ist. In diesem dritten Bereich spielen Ordnungsfunktionen keine Rolle mehr, sondern im Mittelpunkt stehen Propositionen, deren Denotat, also die Menge der Indizes, an denen sie wahr sind, unbestimmt ist. Dies ist der Fall bei indirekten si/se- bzw. wh-Fragesätzen, aber auch bei prospektiven Temporalsätzen. Auch in diese Bereiche – indirekte Fragesätze11 und Temporalsätze12 – expandierte der Konjunktiv erst im klassischen bzw. im späteren Latein. In dieser vom Merkmal der Unbestimmtheit gekennzeichneten Zone sind die Modusverhältnisse wenig stabil und weisen eine große Variation auf: Wie wir sahen, ist der konjunktivische Modus in indirekten Fragesätzen (bzw. si-/se- sowie wh-Fragesätzen) selbst im Skopus des Negationsoperators sehr schwach ausgeprägt und der Modusabbau erfolgt hier relativ rasch. Im Hinblick auf prospektive Temporalsätze verhalten sich die romanischen Sprachen ebenfalls höchst unterschiedlich: grosso modo lässt sich nur für die Iberoromania von einer stabilen Funktion des Konjunktivs in Temporalsätzen sprechen;13 im Französischen bzw. Italienischen ist diese Funktion weniger stark, im Rumänischen überhaupt nicht, ausgebildet und zudem an die jeweiligen lexikalischen Einheiten gebunden. So selegiert etwa avant que/prima che, wie schon im Lateinischen antequam, den Konjunktiv,14 après que/dopo che jedoch den Indikativ (zumindest in der Standardsprache).15 Schließlich gehören auch linksversetzte Komplementsätze (Dislokationen des Typs Que ce livre soit/est perdu, je ne le sais que trop,16
11 Im Altlateinischen wurde der Konjunktiv nur selegiert, wenn die Fragen modalisiert waren, d.h. ein deontisches Moment enthielten (etwa: «loquere quid scribam»; Plautus, Bac., 745: ‘Sage mir, was ich schreiben soll’), cf. Handford (1947, 82); Thomas/Ernout (1953, 314); Sabanééva (1996, 82). 12 Der Konjunktiv erschien in temporalen Sätzen zunächst nur, wenn im Hauptsatz q ein Ereignis antizipiert wurde, um die Nebensatzproposition p zu verhindern. Es ließ sich also zunächst aus dem Kontext kontrafaktisches ¬p inferieren, cf. Livius 25.18.14: «priusquam opprimeretur […] ad suos aufugit.» (‘Bevor er bedrängt werden konnte, floh er zu seinen Leuten.’ Zitiert nach Handford 1947, 162.) 13 Hier dominiert im älteren Spanisch sowie im Portugiesischen sogar die residuale Futuro de Subjuntivo-Form, vergleiche: a) ein Beispiel des älteren Spanisch (Ende 15. Jh.): «Procuremos provecho mientra pendiere la contienda.» (Fernando de Rojas, Celestina, 283) (etwa: ‘Wir werden die Gunst der Stunde nutzen, solange die Angelegenheit in der Schwebe ist’); b) ein portugiesisches Beispiel: «Depois que você chegar, eu vou sair» (zitiert nach Comrie/Holmback 1984, 218) (‘Nachdem Du gekommen sein wirst, werde ich fortgehen’). 14 Cf. Thomas/Ernout (1953, 370). 15 Die Verhältnisse bei lateinisch priusquam mit Futurum Exactum sind komplexer und werden an anderer Stelle von mir behandelt. Cf. erneut Thomas/Ernout (1953, 370). 16 Siehe Riegel et al. (51999, 430).
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que Pierre soit/est intélligent, c’est évident) in diese dritte Zone, da – zumindest bei den konjunktivischen Fällen – ebenfalls die Menge der für die Auswertung des Satzes relevanten Indizes (zunächst noch) unbestimmt ist. So wird in der Gesamtbetrachtung deutlich, dass der Konjunktiv eine funktionale Kernzone besitzt, die durch eine objektive (deontische modale Basis) bzw. subjektive (buletische modale Basis) Ordnungsfunktion determiniert wird, über die auf ein System möglicher Welten zugegriffen wird. Diese Zone ist in der historisch-genetischen Perspektive die älteste Zone im Lateinischen und sie bleibt auch beim Abbau des Modussystems die letzte Residualzone in den romanischen Sprachen. In einer ersten Expansionszone werden auch andere Ordnungsprinzipien, die mögliche Welten hierarchisieren und diese dann profilieren, ausgebildet, wobei sich für diese Zone keine logisch-implikationale Hierarchie mehr formulieren lässt. Wie wir sahen, sind doxastische Prinzipien schwächer ausgeprägt als etwa Präferenzskalen, das Prinzip der Kennzeichnung maximaler Welten (die Ordnung nach Salienz/Exzeptionalität) wiederum stärker als das der Herausstellung stereotyper Welten (also das Ordnungsprinzip der Typizität). In der zweiten Expansionszone löst sich die Relevanz von Ordnungsquellen (ordering sources) für die Konjunktivselektion auf und der Aspekt der Unbestimmtheit von Denotatsmengen (vor allem der Auswertungsindizes) wird zentral. In dieser Zone ist konjunktivische Morphologie am schwächsten ausgeprägt. Aber auch hier lässt sich wiederum keine logisch-implikationale Hierarchie formulieren. Historisch und im innerromanischen Vergleich betrachtet, ist das Merkmal der Unbestimmtheit von Denotatsmengen in indirekten Fragesatzkontexten am schwächsten ausgeprägt, stärker hingegen bei den prospektiven Temporalsätzen – dies gilt vor allem für das Spanische und Portugiesische, im Italienischen und vor allem im Französischen ist der Modus weitgehend lexikalisch fixiert. Das Prinzip der indexalen Unbestimmtheit stellt auch ein generelles Kriterium für die Modusselektion bei linksversetzten Komplementsatzpropositionen dar. Wir können unsere Ausführungen in dem folgenden Modell zusammenfassen:
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DOMÄNE 2. Expansionszone: indexale Unbestimmtheit Ordnungsfunktionen verlieren ihre Relevanz
MÖGLICHER
ReUnbestimmtheit 1. Expansionszone: weitere modale Basen und Ordnungsprinzipien werden «grammatikalisiert»: Deontischbuletische doxastische, stereotype, Kernzone erweiterte modale Basis Präferenz-, Probabilitäts-, Typizitätsskala
WELTEN
w i ≤ A w j, mit A als Ordnungsprinzip λ w = unbestimmt f(w) = λ w (INTENSIONALITÄT)
Abbildung: Modusexpansion
In der Darstellung werden die genannte Kerndomäne (Prioritätsmodalitäten = deontisch-buletische Kernzone) sowie die erweiterten Domänen (1. und 2. Expansionszone) berücksichtigt. Die Domäne der Intensionalität umschließt alle spezifischeren Domänen, da sie alle möglichen Welten, in denen eine Proposition gilt, erfasst und damit Sachverhaltskonzepten entspricht. Wie wir gesehen haben, ist das Italienische die Sprache, in der (zum Beispiel bei Relativ- und Vergleichssätzen) auch einfache Intensionalität durch den Congiuntivo gekennzeichnet werden kann. Das Italienische ist damit die romanische Sprache, in der die Funktionen des Konjunktivs am umfassendsten sind. Wie könnte nun abschließend aus modalsemantischer Sicht zu der Frage nach dem Grundwert des Konjunktivs Stellung bezogen werden? Unsere Untersuchung hat deutlich gemacht, dass sich die Funktion des Konjunktivs nur in einer sehr abstrakten Weise charakterisieren lässt. Der Konjunktiv erweist sich dabei als eine Kategorie, die domänenspezifisch mögliche Welten differenziert, diskriminiert, salient macht und kontrastiert. Dabei stellt die Kategorie Konjunktiv eine ganz besondere domänenspezifische Teilmenge möglicher Welten gegenüber den typischen bzw. charakteristischen möglichen Welten der betreffenden Domäne heraus. Ein wesentliches Grundprinzip der Modusorganisation ist es, dass die Salientmachung ganz bestimmter Welten stets vor dem Hintergrund zentraler Domänen erfolgt, die gewissermaßen den konzeptuellen Bezugsrahmen für die Herausstellung partikulärer Welten gegenüber den Standardwelten der jeweiligen Domäne bilden. Das dem Konjunktiv eigene domänen-
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basierte Kontrastierungsprinzip entfaltet sich einzelsprachenspezifisch. Innerhalb eines Sprachsystems kann das Kontrastierungsprinzip in einer bestimmten Domäne ausgeschöpft werden, in anderen Domänen hingegen gar nicht zur Geltung kommen. Wie wir in der diachronen Längsschnittanalyse gesehen haben, kann die domänenspezifische Modusorganisation über die Jahrhunderte hinweg stabil bleiben, sie kann aber auch neu justiert bzw. restrukturiert werden oder einem allmählichen Abbau- und Desintegrationsprozess unterworfen sein. Mit Blick auf die romanischen Sprachen lassen sich die folgenden grundlegenden Verallgemeinerungen machen: –– Der Konjunktiv entfaltet sich in den romanischen Sprachen panchron zwischen zwei Polen: In seiner maximalen Entfaltung repräsentiert er das Prinzip der Intensionalität, d.h. er kontrastiert nicht-referentielle Welten (als saliente Welten) gegenüber der Referenzwelt, also der Basiswelt des Sprechers. Dieses intensionale Prinzip ist am weitesten, wie wir gesehen haben, im Italienischen verwirklicht (cf. unter anderem die Ausführungen zum italienischen Vergleichssatz). Am entgegensetzen Pol der minimalen Entfaltung, grenzt der Konjunktiv den Typ der notwendigen Welten gegenüber allen anderen Welten ab. Auf diesen Pol entwickelt sich das Modussystem all jener romanischen Sprachen zu, die die Kategorie Modus stark abgebaut haben oder abbauen und am Ende nur noch den deontisch-buletischen Kernbereich (die Prioritätsmodalitäten) systematisch mit dem Konjunktiv markieren. Diese Entwicklungstendenz lässt sich für das Rumänische sowie das Französische feststellen. –– In der Romania lassen sich insgesamt vier unterschiedliche und hinsichtlich ihrer Zentralität differenzierte Zonen der Modusentfaltung festmachen: So existiert in allen Sprachen ein stabiler deontisch-buletischer Kernbereich, der stets durch den Konjunktiv gekennzeichnet wird. Dieser Kernbereich zeichnet sich dadurch aus, dass zu ihm die möglichen Welten gehören, die einem deontischen oder buletischen Ideal am nächsten kommen (Gebots- und Wunschwelten). Innerhalb dieses Kernbereichs werden buletisch-deontische Idealwelten im Verhältnis zu sonstigen möglichen Welten salient gemacht. Dieser Kernbereich ist durch die «Grammatikalisierung» weiterer Ordnungsfunktionen ausgeweitet worden: Hierzu gehört in erster Linie, wie sich an der französischen Sprachentwicklung zeigte, der Bereich der evaluativen Einstellungsprädikate, deren intensionales Potential als Klassifikatoren unter Profilierung des Prinzips der Skalarität erst allmählich erschlossen wurde. Hinzu kam in einigen romanischen Sprachen das doxastische Ordnungsprinzip, das spezifische, nur individuell zugängliche (d.h. auf einer besonderen Doxa beruhende) Welten gegenüber epistemisch allgemein zugänglichen Welten diskriminiert.
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Auch die Ausgestaltung der Domäne der Vergleichswelten durch die Kon trastierung von Minimal- bzw. Maximalwelten (Ausweis von Exzeptionalität) einerseits und stereotypen Welten andererseits gehört in diese zweite Zone. Das Prinzip der indexalen Unbestimmtheit stellt einen dritten, schwächer ausgeprägten Parameter der Modusentfaltung dar. Dieses Prinzip besaß und besitzt in verschiedenen Kontexten ein ganz unterschiedliches Gewicht. Es ist schwach konturiert im Bereich der indirekten Fragesätze (si- und wh-Fragesätze), sehr viel deutlicher profiliert hingegen bei den prospektiven Temporalsätzen. Der – idealtypisch gesprochen – weiteste Entfaltungsbereich umfasst die Gesamtdomäne aller möglichen Welten im Gegensatz zur realen Bezugswelt (der Basiswelt des Sprechers) und spiegelt das Prinzip der Intensionalität (gegenüber dem der Referentialität) wider. –– Die diachrone Untersuchung hat schließlich gezeigt, dass die Einzelsprachen die Organisation der einzelnen Domänen in je eigener Weise ausgestalten, fixieren, neu justieren und umgestalten. In Sprachen, die wie insbesondere das Französische und Rumänische die Kategorie Konjunktiv deutlich abgebaut haben, wurde kompensatorisch das modale Potential anderer verbaler Kategorien (insbesondere des Imperfekts Indikativ sowie des Konditionals) erschlossen. So zeigt sich vor dem Hintergrund der genetisch bedingten strukturellen Gemeinsamkeiten des Modussystems der romanischen Sprachen, dass sich gerade in diesem Bereich die Differenzierungsdynamik der romanischen Sprachen mit am deutlichsten entfaltet hat. Dabei hat jede der Sprachen das in dem System der Verbalkategorien angelegte modale Potential in je eigener Weise und nach der ihr eigenen Entwicklungsdynamik exploriert. Die Modalsemantik, so lässt sich abschließend festhalten, gibt ein durchaus kohärentes Beschreibungswerkzeug an die Hand, das eine stringente und verallgemeinerungsfähige Analyse des Modus und seiner Entwicklung in der Einzelsprache, aber auch im Sprachvergleich erlaubt. Auch zu der Grundwertfrage lässt sich vorsichtig und differenziert Stellung beziehen, ohne dass von einer abgeschlossenen Menge von Vorkommenskontexten ausgegangen und die Problematik der diachronen und innerromanischen Variabilität gänzlich ausgeblendet werden muss.
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7.3 Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
1
Le roman de Rou, appendice
Normandie
2
Li livres des estoires Rogier
Haute-Marne
3
abe
4
abreja
5
ailea
J. de Meun
Raoul de Houdenc
Traduction de la première epître de P. Abélard
1325
Région parisienne
Li abrejance de l’ordre de chevalerie
1290
Franche-Comté
Le roman des ailes, ms. A
Yonne
646
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
Titel
6
aileb
Raoul de Houdenc
Le roman des ailes, ms. B
Nièvre, Allier
7
ailed
Raoul de Houdenc
Le roman des ailes, ms. D
Aube
8
aileg
Raoul de Houdenc
Le roman des ailes, ms. G
Angleterre
9
aileo
Raol von Houdan
Bruchstueck des romanz des eles
10
ailet
Raoul de Houdenc
Le roman des ailes, ms. T
11
aiol
Aiol
1250
Somme, Pasde-Calais
12
alexo
The Oxford Version of the Vie de saint Alexis, ms. O
1250
Wallonie
13
alia
The medieval French Roman d’Alexandre, ms. A
1225
Vendee, DeuxSevres
14
amad
Amadas et Ydoine, ms. P
1288
Aisne
15
amile
Ami et Amile
1275
Haute-Marne
16
amo
L’art d’amors und li remedes d’Amors
1300
Nord
17
amou
Le bestiaire d’amour rimé
1300
18
anth
La vie de saint Antoine
19
anti
20
arr
Jacques d’Amiens
Huon de Meri
Le torneiment Anticrist
approx. Datum
1310
L’art de chevalerie
Nord Wallonie
Oise Haute-Marne
1275
La vie de saint Hylaire Jean de Meun
Region
Somme, Pasde-Calais
21
artch
22
athi
Li romanz d’Athis et Prophilias
23
atre
L’atre perilleux
1290
24
auc
Aucassin et Nicolette
1290
Somme, Pasde-Calais
25
aucchants
Aucassin et Nicolete: les chants
1290
Somme, Pasde-Calais
26
avu
1290
Normandie
27
aye
Aye d’Avignon
1300
28
baisieux
Baisieux
1300
Compiègne de Les trois aveugles Cortebarbe
1340
Marne Aisne
Wallonie
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
Nr.
id
29
Autor
647
Titel
approx. Datum
Region
bar
Le chevalier au barisel
1310
Somme, Pasde-Calais
30
barlaam
L’histoire de Barlaam et Josaphat
1290
Haute-Marne
31
barril
Le conte dou barril, ms. P
1310
Nièvre, Allier
32
beati
Dialogus anime conquerentis et rationis consolantis
1150
Vosges
33
beaub
Ph. de Beaumanoir
Les coutumes du Beauvoisis
1250
Oise
34
bel
Renaut de Beaujeu
Le bel inconnu
1275
35
benoit
Benoit
Chronique des ducs de Normandie, ms. T
1190
36
bern2
37
besant
Guillaume le Clerc de Normandie
Le besant de Dieu
1400
Angleterre
38
best
Guillaume le Clerc
Le Bestiaire de Guillaume le Clerc
1250
Angleterre
39
bodo
La vie de saint Jean Bouche d’or
40
boevb
Der anglonormannische Boeve de Haumtone
41
boevd
Der anglonormannische Boeve de Haumtone
42
bourg
Des poignes d’enfer, les deux chevaliers, enseignement moral
43
calen
Calendre und seine Kaiserchronik
Haute-Marne
44
calex
La vie de sainte Catherine d’Alexandrie
Région parisienne
45
cambrai
Raoul de Cambrai
Jouham de la Chapele de Blois
Predigten des Hl. Bernhard
Vendee, DeuxSevres Moselle, Meurthe-etMoselle
Somme, Pasde-Calais
1310
1262/63
Franche-Comté
Ardennes
648
Literaturverzeichnis
Nr.
id
46
Autor
Titel
approx. Datum
Region
carem
Sermons de Carême en dialecte wallon
1225
Wallonie
47
carp
La vie de saint Hylaire
48
cass
Le roman de Cassidorus
49
chaitH
50
chastoi
Nièvre, Allier 1290
Marne
Le chastoiement d’un pere 1250 a son fils
51
chauvency Jacques Bretel Le tournoi de Chauvency
52
chevreH
53
chevreS
54
chret1
Chrétien de Troyes
Le Chevalier au lion et Perceval, ms. BN fr. 1450
1210
55
chret2
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion et Perceval, ms. BN fr. 794
1250
56
chro
Chronique des ducs de Normandie
1225
57
clari2
La conquête de Constantinople
1300
58
clef
Robert de Clari
1310
La clef d’amors
Haute-Marne
Haute-Marne
Somme, Pasde-Calais Normandie
59
cleom
Adenet le Roi
Les œuvres d’Adenet le Roi
60
coinci
Gautier de Coinci
Les miracles de Nostre Dame
1350
Marne
Oise
61
compoit
Le roman du comte de Poitiers
1310
Somme, Pasde-Calais
62
conperc
La continuation de Perceval
1210
Somme, Pasde-Calais
63
contre
Le roman de Renart le contrefait
1310
Aube
64
contro
The continuations Perceval 1250
Aube
65
cordres
La prise de Cordres et de Sebille
1275
Meuse
66
cou
Courtois d’Arras
1275
Hainaut
67
darm
Médicinaire liégeois du XIIIe siècle
1275
Wallonie
68
desp
Li chevaliers as deus espees
1300
Somme, Pasde-Calais
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
649
Nr.
id
Autor
Titel
69
deusamH
Marie de France
Les Deus Amanz, ms. H
70
deusamS
Marie de France
Les Deus Amanz, ms. S
71
dole
Le roman de la rose ou de Guillaume de Dole
72
durm
Durmart le Galois
73
edmond
74
edmund
75
egip
Rutebeuf
76
elid
Marie de France
77
elie
Elie de Saint Gille
78
eneas
Éneas
79
enf
The Old French Evangile de 1350 l’Enfance, ms. G
Normandie
80
epee
Le chevalier a l’épée
1300
Nièvre, Allier
81
equiH
Marie de France
Chievrefueil, ms. H
82
equiS
Marie de France
Chievrefueil, ms. S
83
eustache
La vie de Saint Eustache
1250
Normandie
84
evrat1
Evrat
La Genese, v. 1–4796
1200
85
evratC2
Evrat
La Genese, v. 4796–6352
1200
86
fab4c
Fabliau nr. 4, ms. C
Normandie
87
fab4e
Fabliau nr. 4, ms. E
Nièvre, Allier
88
fab4f
Fabliau nr. 4, ms. F
Somme, Pasde-Calais
89
faba
Fabliaux nrs. 1, 2 ,4 , 23 et 29, ms. A
Normandie
90
fabb
Fabliaux nrs. 2 et 4, ms. B
Haute-Marne
91
fabd
Fabliaux nrs. 2 et 4, ms. D
Haute-Marne
92
fabj
Fabliaux nrs. 2 et 4, ms. J
Somme, Pasde-Calais
93
fablesA
Marie de France
approx. Datum
Region
1290
Haute-Marne
Sainte Marie l’Egyptienne
1283/84
Aisne
Eliduc, ms. H
1250
Angleterre
Fables, ms. A
Somme, Pasde-Calais 1200
Haute-Marne
650
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
Titel
94
fablesB
Marie de France
Fables, ms. B
95
fablesC
Marie de France
Fables, ms. C
96
fablesE1
Marie de France
Fables, ms. E
97
fablesK
Marie de France
Fables, ms. K
98
fablesL
Marie de France
Fables, ms. L
99
fablesM
Marie de France
Fables, ms. M
100
fablesT
Marie de France
Fables, ms. T
101
fablesY
Marie de France
Fables, ms. Y
102
fablesZ
Marie de France
Fables, ms. Z
103
faucon
Li dis du faucon
Somme, Pasde-Calais
104
fetrom
Li fet des Romains
Yonne
105
feu
106
fierens
107
flo
Florence de Rome
1300
Nièvre, Allier
108
floov
Floovant, Chanson de Geste du XIIIe siècle
1350
Bourgogne
109
gar
Le garçon et l’aveugle
1275
Aisne
110
gepa
Attribuée à Geffroy de Paris
Chronique métrique
1317
Normandie
111
gerv
Le bestiaire de Gervaise
1275
Bourgogne
112
gibv
Guillaume de Berneville
La vie de Saint Gilles
1250
Angleterre
113
gir
Bertrand de Bar-sur-Aube
Girart de Vienne
1250
Nièvre, Allier
114
gorm
Gormont et Isembart
1250
Angleterre
Adam le Bossu
Le jeu de la feuillée
approx. Datum
1300
Region
Somme, Pasde-Calais
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
651
Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
115
graal
Robert de Boron
Le roman de l’estoire dou graal
1290
Aisne
116
greg2
Jean le Diacre
La vie de Saint Gregoire le Grand
1212/14
117
guib
Guibert d’Andrenas
1250
Nièvre, Allier
118
guigH
Marie de France
Le Lai de Guigemar, ms. H
119
guigP
Marie de France
Le Lai de Guigemar, ms. P
120
guigS
Marie de France
Le Lai de Guigemar, ms. S
121
guil
L’Histoire de Guillaume le Marechal, Comte de Striguil et de Pembroke
122
hard
Li Sermon Saint Bernart
1200
Moselle, Meurther-etMoselle
123
helc
Le roman de Helcanus
1290
Région parisienne
124
herm
Herman de Valenciennes
Li romanz de Dieu et de sa mere
1250
Haute-Marne
125
hista
Wauchier de Denain
Histoire ancienne interrompue au milieu de la Guerre des Gaules
126
hue
Hue Archevesque
Les dits
Normandie
127
hyla
Wauchier de Denain
La vie de saint Hylaire
Somme, Pasde-Calais
128
ipo
Hue de Rotelande
Ipomedon
129
jaco
Pierre de Beauvais
The Liber Sancti Jacobi
1300
130
jean
Henri de Valenciennes
La vie de saint Jean l’Evangeliste
13. Jh.
131
joinv
J. de Joinville
La vie de saint Louis
1350
Région parisienne
132
jongl
D’après Geufroi de Paris
La Passion des Jongleurs
1250
Région parisienne
Aube
652
Literaturverzeichnis
Nr.
id
133
Autor
Titel
approx. Datum
Region
jouf
Joufroi de Poitiers
1310
Haute-Marne
134
juda
La chevalerie de Judas Macabé
1250
Somme, Pasde-Calais
135
juise2
Li ver del Juise
1210
Wallonie
136
kathe
La passion saynte Katherine
1350
Franche-Comté
137
lac
Lancelot do Lac
1237/38
Haute-Marne
138
lanc
Lancelot, ms. A
1275
Somme, Pasde-Calais
139
lancpr
Lancelot, ms. S
1310
140
lanvalC
Marie de France
Le lai de Lanval, ms. C
141
lanvalH
Marie de France
Le lai de Lanval, ms. H
142
lanvalP
Marie de France
Le lai de Lanval, ms. P
143
lanvalS
Marie de France
Le lai de Lanval, ms. S
144
laustH
Marie de France
Le lai du Laustic, ms. H
145
lechS
146
lin
147
livre
148
loth
149
loys
Guillaume de Saint- Pathus
Les miracles de saint Louis 1310
Normandie
150
mace
Macé de la Charité
La Bible
1343
Nièvre, Allier
151
malk
Jehan Malkaraume
La Bible
1300
Marne
152
marga
Wace de Bayeux
La vie de Sainte Marguerite
1267
Haute-Marne
153
martin1
Péan Gâtineau La vie et les miracles de saint Martin, v. 1–2000
1285
Nièvre, Allier
154
martin2
Péan Gâtineau La vie et les miracles de saint Martin, v. 2001– 4091
1275/90
Vendee, DeuxSevres
Le Lai du Lecheor, ms. S
1300
Robert de Boron
Merlin
1250
Yonne
Etienne de Fougeres
Le livre des manieres
1217
Ouest
Lothringischer Psalter
1350
Meuse
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
Nr.
id
Autor
155
martin3
156
maur
157
mede
158
merlin
159
Titel
653
approx. Datum
Region
Péan Gâtineau La vie et les miracles de saint Martin, v. 8100– 10295
1275/90
Indre, Cher
Benoît de Le roman de Troie Sainte- Maure
1190
Remèdes populaires du moyen âge
1250
Somme, Pasde-Calais
Robert de Boron
Merlin
1290
Somme, Pasde-Calais
merm
Pierre de Beauvais
Le bestiaire
1250
Marne
160
meun
Jean de Meun
Le Roman de la Rose
1290
Région parisienne
161
michel
Guillaume de Saint-Pair
Le roman du Mont SaintMichel
1275
Normandie
162
milonS
Marie de France
Lai de Milon, ms. S
1275
163
milunH
Marie de France
Lai de Milon, ms. H
1275
164
mir
Gautier de Coinci
Les miracles de Notre Dame de Soissons
1310
165
miro
R. de l’Omme
Le miroir de vie et de mort, 1250 ms. G
Somme, Pasde-Calais
166
modw
Sainte Modwenna
1250
Angleterre
167
moral
Le poème moral, traité de la Vie Chrétienne
1210
Wallonie
168
moral2
Le poème moral, traité de la Vie Chrétienne
169
mortartu
La mort le roi Artu
1250
Région parisienne
170
mous
Philippe Mouskes
Chronique rimée
1250
Hainaut
171
mrgri
Wace
La vie de Sainte Marguerite
1275
172
mule
La mule sans frein
1300
173
myst
Le mystere d’Adam
1237/38
174
narcA
Narcisus, ms. A
175
narcB
Narcisus, ms. B
Aisne
Wallonie
Nièvre, Allier
654
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
176
narcC
Narcisus, ms. C
177
narcD
Narcisus, ms. D
178
narcE
179
ndchar
Jean le Marchant
Miracles de Notre Dame de 1250 Chartres
Orleanais
180
neele
Perrot de Nesle
Peros von Neele’s gereimte 1288 Inhaltsangabe
Somme, Pasde-Calais
181
nic
Jehan Bodel
Le jeu de Saint Nicolas
1310
Somme, Pasde-Calais
182
nicb
L’évangile de Nicodème, ms. B
1280
Marne
183
nicoa
L’evangile de Nicodeme, ms. A
1250
184
nima1
Le charroi de Nimes, ms. A1
1250
Haute-Marne
185
mina2
Le charroi de Nimes, ms. A2
1250
Nièvre, Allier
186
nima3
Le charroi de Nimes, ms. A3
1325
Nièvre, Allier
187
nima4
Le charroi de Nimes, ms. A4
1280
Nièvre, Allier
188
nimafrag
Le charroi de Nimes, ms. Afragment
189
nimb1
Le charroi de Nimes, ms. B1
1310
Aisne
190
nimb2
Le charroi de Nimes, ms. B2
1350
Normandie
191
nimc
Le charroi de Nimes, ms. C 1295
192
nimd
193
nouvel
194
oakbook
Ancient ordinances of the gild merchant of the town of Southampton
195
oct
196
ombre
Narcisus, ms. E
Jacquemart Gielee
Haute-Marne
Somme, Pasde-Calais
Le charroi de Nimes, ms. D 1275
Meuse
Renart le Nouvel
1275
Somme, Pasde-Calais
Octavian
1300
Oise
Le Lai de l’Ombre
13. Jh.
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
655
Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
197
or
Renaut
La vie de saint Jehan Bouche d’Or
1290
Somme, Pasde-Calais
198
orso
Orson de Beauvais
1290
Marne
199
pap
La vie du pape Saint Gregoire
1250
200
papgreg2
Li dialoge Gregoire lo Pape 1210
Wallonie
201
pen
Andrius
La penitance d’Adam
1290
Somme, Pasde-Calais
202
pera
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. A
1235
203
perb
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. B
1275
204
perc
Gerbert de Montreuil
Continuation de Perceval, ms. A
1290
205
percevalb
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. B
1350
206
perf
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. F
1300
207
perh
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. H
1375
208
perl
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. L
1275
Aube
209
perm
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. M
1290
Nièvre, Allier
210
perp
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. P
1250
Hainaut
211
perpraag
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. Prague
212
perq
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. Q
1275
Haute-Marne
213
perr
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. R
214
pers
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. S
1350
Normandie
215
pert
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. T
1210
216
peru
Chrétien de Troyes
Perceval, ms. U
1350
Haute-Marne
Région parisienne
656
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
approx. Datum
Region
217
plainte
La plainte d’amour
218
poit
Der sogenannte poitevinische PseudoTurpin
1250
Vendee, DeuxSevres
219
pon1
La fille du comte de Pontieu, v. 1–367
1290
Somme, Pasde-Calais
220
pon2
La fille du comte de Pontieu, v. 367–621
1290
Somme, Pasde-Calais
221
Pritheo
Li prière Theophilus
1300
Somme, Pasde-Calais
222
prologueH Marie de France
Prologue, ms. H
1275
223
psautier
Le libre des psaumes
1150
224
pseuturp
The burgundian translation of the PseudoTurpin Chronicle
1250
Franche-Comté
225
queste
La queste del saint Graal
1250
Nièvre, Allier
226
raou
Raoul de Cambrai
1250
Ardennes
227
reis
Les quatre livres des Rois
1190
228
remi
La vie de saint Remi
1300
229
ren
Le roman de Renart, v. 1–3256
230
ren2
Le roman de Renart, v. 3257–5550
1290
Aube
231
robert
Robert le diable
1275
Somme, Pasde-Calais
232
robin
Li Gieus de Robin et Marion
1275
Somme, Pasde-Calais
233
rolandox
La chanson de Roland, ms. O
234
roma
Le Roman de Renart, branche VI, ms. A
1250
235
romb
Le roman de Renart, branche VI, ms. B
1300
236
rombriv
Le Roman de Renart, branche IV, ms. H
237
rombriva
Le Roman de Renart, branche IV, ms. ?
Richier
Adam de la Halle
Titel
Ardennes Aube
Haute-Marne
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
Nr.
id
238
Autor
657
Titel
approx. Datum
Region
romc
Le roman de Renart, branche VI, ms. C
1260
Nièvre, Allier
239
romd
Le roman de Renart, branche VI, ms. D
1339
Région parisienne
240
rome
Le roman de Renart, branche VI, ms. E
1350
Région parisienne
241
romh
Le roman de Renart, branche VI, ms. H
1290
Ardennes
242
romi
Le roman de Renart, branche VI, ?
243
romk
Le roman de Renart, branche VI, ms. K
1300
244
roml
Le roman de Renart, branche VI, ms. L
1350
Haute-Marne
245
romm
Le roman de Renart, branche VI, ms. M
1350
Nièvre, Allier
246
romo
Le roman de Renart, branche VI, ms. O
1310
Aube
247
rose
Guillaume de Lorris
Le roman de la rose
1290
Nièvre, Allier
248
rou1
Wace
Le roman de Rou, tome I
249
rou2
Wace
Le roman de Rou, tome I, 2ème partie
250
rou3a
Wace
Le roman de Rou, tome I, 3ème partie/1
1210
Angleterre
251
rou3b
Wace
Le roman de Rou, tome I, 3ème partie/2
1210
252
sage
Les sept sages de Rome
Région parisienne
253
sapient
Sermo de sapientia, dans 1210 Li dialoge Gregoire lo pape
Wallonie
254
sept
Le roman des sept sages
1284
Somme, Pasde-Calais
255
sergbH
Guischart de Beauliu
Sermon, ms. H
1250
256
sergbO
Guischart de Beauliu
Sermon, ms. O
658
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
257
songe
Raoul de Houdenc
Le songe d’enfer
258
songe14
Philippe de Mézières
Le songe du vieil pelerin
1400
259
stsilv
La vie de Saint-Silvestre
1210
Indre-et-Loire
260
sully2
Maurice de Sully
Sermons
1250
Charente maritime
261
teo2
Adgar
Le dit de Theophile
262
thA
263
the
264
Yonne
Le roman de Thebes
1190
Le miracle de Théophile
1250
Région parisienne
thebe
Le roman de Thèbes
1250
Région parisienne
265
thebefrag
Le roman de Thèbes, fragments d’Angers
1200
Vendee, DeuxSevres
266
thibo
Guillaume d’Oye
La vie de saint Thibaut
1290
Haute-Marne
267
trib
Béroul
Le roman de Tristan
1275
268
troi
269
troifr
Benoît de Sainte-Maure
Fragments du Roman de Troie
1190
270
turp
Chronique dite Saintongeaise
1250
271
vache
272
vcou
Li ver de Couloigne
1290
Somme, Pasde-Calais
273
vergia
La chastelaine de Vergi, ms. A
1300
Oise
274
vergib
La chastelaine de Vergi, ms. B
1290
Normandie
275
vergic
La chastelaine de Vergi, ms. C
1290
Yonne
276
vergie
La chastelaine de Vergi, ms. E
1310
Aube
277
vergif
La chastelaine de Vergi, ms. F
1310
Normandie
Rutebeuf
Le roman de Troie en prose 1287/88
Drouart La Vache
Li livres d’amours
Marne
Aisne
Bibliographie der Texte des Nouveau Corpus d’Amsterdam
Nr.
id
278
Autor
659
Titel
approx. Datum
Region
vergig
La chastelaine de Vergi, ms. G
1290
Aisne
279
vergih
La chastelaine de Vergi, ms. H
1350
Haute-Marne
280
vergii
La chastelaine de Vergi, ms. I
1300
Normandie
281
vergik
La chastelaine de Vergi, ms. K
1350
Aisne
282
vergil
La chastelaine de Vergi, ms. L
1325
Région parisienne
283
verite
Le roman de Verite et de Faussete
1450
284
verson
Estout de Gox
Le conte des vilains de Verson
285
vilea
Villehardouin
La conquête de Constantinople, ms. O
286
vilhar
Josfroi de Viieharduyn
La conqueste de 1290 Costentinoble de Josfroi de Viieharduyn, ms. B
Aisne
Omont
Li volucraires
Ardennes
Normandie 1375
Bourgogne
287
volu
288
wallo
Gloses wallonnes
1290
Wallonie
289
wita
Li romans de Witasse le moine
1250
Somme, Pasde-Calais
290
yonecH
Marie de France
Lai de Yonec, ms. H
291
yonecP
Marie de France
Lai de Yonec, ms. P
292
yonecQ
Marie de France
Lai de Yonec, ms. Q
293
yonecS
Marie de France
Lai de Yonec, ms. S
294
yva
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. A
295
yvf
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. F
296
yvg
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. G
297
yvh
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. H
1290
1250
Aube
660
Literaturverzeichnis
Nr.
id
Autor
Titel
approx. Datum
Region
298
yvp
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. P
1250
Somme, Pasde-Calais
299
yvs
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. S
1310
Somme, Pasde-Calais
300
yvv
Chrétien de Troyes
Le chevalier au lion, ms. V
1275
Nièvre, Allier
301
yzop
Lyoner Yzopet
1300
Franche-Comté