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German Pages [172] Year 1992
Arbeiten zur Archäologie
ad talos stola demissa et circumdata palla" (Horaz)
Untersuchungen zur Tracht der römischen matrona von
Birgit Ingrid Scholz
1992
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Archäologischen Instituts
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Scholz, Birgit Ingrid: Untersuchungen zur Tracht der römischen matrona / von Birgit Ingrid Scholz. - Köln ; Weimar; Wien: Böhlau, 1992 (Arbeiten zur Archäologie) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-412-01491-5
Abbildung auf Einband: Livilla, Rom, Museo Nazionale delle Terme, Inv. Nr. 121216 Copyright © 1992 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln und Weimar Alle Rechte vorbehalten Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes - auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vortrage, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss Offsetdruck GmbH, Hirschberg Printed in Germany ISBN 3-412-01491-5
VORWORT
Die vorliegende Arbeit ist die etwas gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Januar 1988 der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegen hat. Das Thema geht auf eine Anregung meines Doktorvaters H. Gabelmann zurück, dem ich für seine engagierte Betreuung und Unterstützung und seine stete, fördernde und anregende Diskussionsbereitschaft sehr herzlich danke. Für ihre besondere Förderung während meines Studiums gilt mein Dank auch meinen Lehrern in Christlicher Archäologie und Latein, J. Engemann und W. Schetter. N. Himmelmann danke ich für die Übernahme des Korreferates und dafür, daß ich in seinem Doktorandenkolloquium vortragen durfte. Beim Thesaurus Linguae Latinae in München konnte ich das Zettelarchiv und beim Deutschen Archäologischen Institut Rom die Photothek benutzen. Für Photos und Abbildungsgenehmigungen danke ich dem Deutschen Archäologischen Institut Madrid (St. F. Schröder); dem Deutschen Archäologischen Institut Rom (H. Jung); H. R. Goette, Athen; W. Klein, Bonn; dem Kunsthistorischen Museum, Wien (W. Oberleitner, K. Gschwandner); den Musees d'Art et d'Histoire, Nimes (D. Darde); den Musei Capitolini (E. La Rocca); der Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen (M. Fjeldhagen); der Reunion des Musees Nationaux, Paris (M. Wittwer); der Soprintendenza Archeologica della Prov. di Napoli e Caserta (St. De Caro, E. Pozzi); der Soprintendenza Archeologica di Pompeji (B. Conticello); den Staatlichen Antikensammlungen und der Glyptothek München (R. Wünsche) und den Staatlichen Museen zu Berlin (M. Kunze). Für seine Diskussionsbereitschaft in der Endphase dieser Arbeit gilt mein Dank St. Lehmann, Hinweise und Unterstützung verschiedenster Art verdanke ich außerdem M. Bergmann, A. Carduck, K. Fittschen, R. Fleischer, H. R. Goette, N. Himmelmann, K. Hitzl, T. Hoelscher, W. Klein, D. Mertens, R. Özgan, D. Stutzinger, W. Saal, V. Scholz, H. C. Schräder, U. Vedder, I. Vogt, H. Zarschitzky und E. ZwierleinDiehl. Vom 01.12.1984 bis 31.11.1987 wurde das Zustandekommen dieser Arbeit durch ein Promotionsstipendium des Instituts für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert.
INHALT
Forschungsgeschichte und Forschungsstand: Gegenstand und Vorgehensweise dieser Untersuchung:
7 10
Die schriftlichen Nachrichten über die stola: Bedeutung und Geschichte der stola nach den Quellen: Andere Bedeutungen von "stola' in der römischen Literatur: Das Aussehen der stola nach den Quellen: Der Nachweis der stola in der bildenden Kunst: Nochmals zur Benennung und Bedeutung der stola:
13 13 20 21 26 30
Chronologie, Stilentwicklung und Ikonographie ausgewählter Porträts mit der stola: Statuen: Büsten: Die Reliefs: Porträts mit der stola in der Glyptik: Münzbildnisse mit der stola:
33 33 50 62 67 72
Die zeitlichen Schwerpunkte bei der Darstellung der stola und ihre historische Begründung: Die späte Republik und die iulisch-claudische Zeit: Die Darstellungen der stola seit vespasianischer Zeit: Zusammenfassung:
75 75 79 82
Die einzelnen Kleidungsstücke der römischen matrona: Material, Herstellung und Tragweise der stola: Zur Formgeschichte der stola: Die Form der instita: Zusammenfassung: tunica und calasis: Die unterschiedliche Aussage von tunica und calasis: Zusammenfassung: Bedeutung, Form und Geschichte der palla: Die palla ohne darunter getragene stola: Das Fortleben der palla in der Spätantike: Veränderungen in der Form der palla: Zusammenfassung: Zwei fehlerhafte Darstellungen der Matronentracht:
84 84 86 88 92 93 96 100 100 103 105 106 106 107
Die Matronentracht in der etruskischen Kunst, ihr Ursprung und ihre Frühgeschichte: Zusammenfassung:
110 113
Ausblick:
115
Anmerkungen: Abkürzungsverzeichnis: Die Schriftquellen zur Tracht der römischen matrona: Abbildungsnachweis: Abbildungen
117 137 140 147
FORSCHUNGSGESCHICHTE UND FORSCHUNGSSTAND
1886 erschien "Das Privatleben der Römer, Teil 2" von J. Marquardt, in der 2. Auflage herausgegeben von A. Mau, wo auch ein kurzer Überblick über die Kleidung der Römerinnen gegeben wird, 1 Darin werden das Aussehen der Kleidung und die Art und Weise, wie sie getragen wurde, anhand der Schriftquellen dargestellt. Bereits Marquardt und Mau weisen dabei auf standesspezifische Trachten hin. W. Amelung war 1903 der Ansicht, die Gewandung der römischen Frauen habe "sich in historischer Zeit in nichts Wesentlichem von der Kleidung unterschieden, die von den Griechinnen getragen wurde".2 Der Abschnitt, den er den Gewändern der Römerinnen widmet, ist denn auch nur sehr kurz. 3 Amelung hatte dabei - gemäß dem Wunsche des Herausgebers - die Absicht, für die Bühne und die bildende Kunst seiner eigenen Zeit die antike Tracht zu erklären und so eine Anleitung für die moderne Verwendung der antiken Tracht zu liefern. 4 Dem Ansatz von Marquardt und Mau folgte H. Blümner,5 der noch ausführlicher als diese die Schriftquellen zusammenstellte; diesen entnahm er Namen, Art und Trägerin des jeweiligen Kleidungsstückes. Die Knappheit seiner Darstellung liegt sicher nicht zuletzt daran, daß er fast völlig darauf verzichtete, archäologische Denkmäler heranzuziehen. Vor dem Hintergrund solcher antiquarischer Forschungen, die sich überwiegend an den Schriftquellen orientierten und ζ. T. Vorlagen für die bildende Kunst liefern und einer antiquarisch getreuen Aufführung antiker Dramen dienen sollten, brachte J. Wilpert der römischen Tracht einiges Interesse entgegen. Als Theologe sah er in ihr die Tracht der ersten Christen und erkannte in einigen römischen Gewändern die Vorformen der modernen liturgischen Gewänder der katholischen Kirche. In "Un capitolo di storia del vestiario" 6 beschäftigte er sich auch mit der römischen Frauentracht; aber dabei verfolgte er vor allem das Ziel, über die "contabulierte palla" der römischen Frauen den Ursprung des streifenförmigen bischöflichen Palliums zu ermitteln. 7 Wilperts Buch "Die Gewandung der Christen in den ersten Jahrhunderten" bietet auch nur einen kurzen Überblick über die römische und spätantike Tracht, wobei besonderer Wert gelegt ist auf den antiken Ursprung der Paramente der katholischen Kirche. Daher sind hier der Frauentracht nur ganze vier Seiten gewidmet. 8 Im wesentlichen denselben Text druckte Wilpert wieder ab in seinem Tafelwerk über die Malereien der Katakomben Roms,9 wo er die in den Katakombenmalereien dargestellten Trachten in der Hoffnung erklärt, die Malereien anhand der Trachtform datieren zu können. 10 Bei der Behandlung der Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten beschäftigte Wilpert sich dann eingehend mit dem höfischen Ornat, wie er in dieser Denkmälergattung häufiger auftaucht. 11 Er erkannte, daß dieser auf Christus, Maria und die Heiligen übertragen wurde, !2 und unterzieht ihn daraufhin einer genaueren Untersuchung, in der er sich auch mit den weiblichen Prunktrachten der Spätantike auseinandersetzte, die ihm in den Mosaiken und Malereien begegneten. Doch bemühte er sich auch um eine Erklärung der Tracht sozial niedrig gestellter Frauen, etwa der einfachen Jüdinnen auf den Mosaiken von Sta. Maria Maggiore. 13 Den archäologischen Arbeiten Wilperts liegen zwar letztlich theologisch-kirchenhistorische Fragestellungen zugrunde, doch stellte Wilpert stärker als die meisten seiner Vorgänger und Zeitgenossen die archäologischen Monumente in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen zur Tracht, und von seinen weitgehend ikonographischen Interessen geleitet, untersuchte er bei der Bearbeitung der von ihm editierten Denkmälergattungen auch die Trachten der dort dargestellten Figuren; mit seinen Werken leistete er so die Pionierarbeit auf dem Gebiet der römischen Trachtgeschichte. An die Seite stellen läßt sich den Arbeiten Wilperts nur noch A. v. Premersteins Aufsatz "Anicia Iuliana im Wiener Dioscurides-Codex". Gegenstand dieser Arbeit ist die 512 entstandene Miniatur im Cod. med. gr. I (fol. 6v) der österreichischen Nationalbibliothek, welche Anicia Iuliana in ihrem Rangkostüm zeigt, v. Premerstein beschreibt dies Monument zunächst genau, deutet es mit Hilfe der Schriftquellen und erklärt 7
die Tracht der dargestellten Prinzessin. Diese Tracht erkannte er als eine Rangtracht und untersuchte sie daher im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Verhältnissen im Konstantinopel des frühen 6. Jahrhunderts. 14 Im wesentlichen auf Wilpert fußen dann M. van Berchem und E. Clouzot. Sie behandeln in der Einleitung ihres Werkes über die christlichen Mosaiken der Spätantike und des Frühmittelalters allgemeine Fragen, die alle darin aufgeführten Monumente betreffen, und betrachten dabei einzelne Bildelemente genauer, darunter auch die Trachten, die auf diesen Mosaiken erscheinen. Der Abschnitt über die Frauentrachten ist nur sehr kurz gehalten, doch bringen auch van Berchem und Clouzot einige Trachten mit bestimmten Personengruppen in Verbindung. 15 In zunächst ganz ähnlicher Weise ging 1928 R. Delbrueck bei der Edition der Consulardiptychen und der diesen verwandten Denkmäler vor. Auch er schickt der Behandlung der einzelnen Diptychen eine allgemeine Einleitung voraus, in der er sich dann allerdings - bedingt durch den besonderen Charakter dieser Denkmälergattung - wesentlich detaillierter mit den Rangkostümen und Insignien der dargestellten Personen auseinandersetzen konnte als Wilpert und van Berchem und Clouzot. Die Erklärung der Tracht dient ihm dazu, "das inhaltliche Verständnis der Darstellungen zu erleichtern". 16 Was die Frauentracht angeht, mit der auch er sich nur vier Seiten lang befaßt.i? so sprach Delbrueck im Gegensatz zu seinen Vorgängern aus, daß sie noch einer zusammenfassenden Arbeit bedürfe. 18 Die Arbeiten Wilperts, v. Premersteins, van Berchems und Clouzots und Delbruecks haben ihren thematischen Schwerpunkt in der späteren Kaiserzeit und in der Spätantike. Die römische Tracht der späten Republik, der frühen und mittleren Kaiserzeit findet bei ihnen daher wenig oder gar keine Beachtung. Doch auch bei dem klassischen Archäologen L. Heuzey sucht man vergeblich nach einem Kapitel über die römische Frauentracht; is er beschreibt und drapiert zwar alle griechischen Trachten, doch die einzige römische Tracht, die ihm einer näheren Betrachtung wert schien, war die toga des römischen Mannes. Zu sehr wirkte offenbar die u. a. von W. Amelung vertretene Ansicht nach, daß die römische Tracht sich mit Ausnahme der toga "in nichts Wesentlichem" von der Kleidung der Griechen unterschieden habe.20 Das römische Frauengewand, das nach den von Wilpert und anderen betrachteten Manteldrapierungen und spätantiken Gewändern zuerst Beachtung fand, war die stola. 1931 erschien M. Biebers Artikel "Stola" in der RE, 21 in welchem sie von den Schriftquellen ausgehend die Bedeutungen des Wortes "stola" zusammenstellt. Als Hauptbedeutung von "stola" sah Bieber das "Kleid der verheirateten ehrbaren Frauen der oberen Stände" an,22 welches das Äquivalent zur toga des römischen Mannes darstellt. Sie lieferte eine knappe Beschreibung dieses Kleidungsstückes anhand einiger Schriftquellen und stellt eine Reihe von Darstellungen zusammen, auf denen sie die stola wiedererkannte. In ihrer "Entwicklungsgeschichte der griechischen Tracht" charakterisierte Bieber dann die römische Kleidung im Gegensatz zur griechischen. 23 Wenn sie diese Unterschiede auch nur knapp und pointiert darlegte, so war sie doch die erste, die von seiten der klassischen Archäologie der römischen Tracht gegenüber der griechischen überhaupt einen eigenständigen Charakter zuerkannte. In ihren Augen manifestierte sich in der römischen Tracht "der hieratische und aristokratische" Charakter der Römer ebenso, "wie der bewegliche und persönliche der Griechen in der ihrigen".24 Die erste archäologische Arbeit, die der römischen Tracht gewidmet war, legte 1938 L. M. Wilson vor. Sie sah ihre Aufgabe vor allem darin, Realien festzustellen. Daher behandelte sie zunächst allgemeine Fragen der Textilherstellung, bevor sie an eine Beschreibung und Identifizierung der einzelnen Kleidungsstücke ging, die bei ihr jeweils in einer Anleitung zum Nachschneidern mündet, wie sie etwa für Zwecke des Schulunterrichts Verwendung finden sollte. 25 Unter diesem Gesichtspunkt behandelt sie auch die römischen Frauen trachten. Vollständig fehlt dabei eine Chronologie einzelner möglicherweise aufeinanderfolgender Trachten oder die Frage nach der Aussage über den sozialen Status des Trägers bzw. der Trägerin der einzelnen Kleidungsstücke. Lediglich bei der toga ging sie näher auf die verschiedenen Drapierungsformen 8
ein. 26 In den 30er Jahren schenkte A. Alföldi in zwei Arbeiten Problemen der Trachtentwicklung und der Bedeutung von Trachten seine Aufmerksamkeit; dies allerdings im Hinblick auf die Trachten der römischen Kaiser und deren Bedeutung. Die einzigen Frauentrachten, die hierbei - wenn auch nur am Rande - Beachtung finden konnten, waren die der kaiserlichen Damen.27 In dem darauf folgenden Zeitraum von 25 Jahren stießen Fragen der Trachtgeschichte kaum auf Interesse, bis 1960 - wiederum in einer Arbeit, die von der Spätantike ausgeht - C. Cecchelli einen zusammenfassenden Überblick über die spätantike Tracht bietet. Fragen, die speziell die Frauentracht betreffen, berührt auch er jedoch kaum.28 Ausgehend von den Mosaiken von Piazza Armerina versuchte M. L. Rinaldi die dort vorkommenden Trachten in eine allgemeine Trachtgeschichte einzuordnen; doch scheiterte dieser Versuch, weil sie letztlich nur von diesem Monumentenkomplex ausging und sich daher weitgehend in einer Beschreibung der dargestellten Trachten erschöpft.29 Dasselbe Manko weist auch eine wenig später von P. Angiolini Martineiii veröffentlichte Arbeit auf. so Es werden hier zwar die Frauentrachten in der chronologischen Reihenfolge der ravennatischen Monumente behandelt, aber Bezüge, die über Ravenna hinausführen, vermißt man. Während man also nach Bieber und Wilson von archäologischer Seite die Probleme der römischen Tracht mit Ausnahme einiger Arbeiten, die Fragen der spätantiken Kunst zum Inhalt hatten, völlig unbeachtet ließ, so wurden diese gegen Ende der 60er Jahre von einigen Althistorikern im Anschluß an die Arbeiten A. Alföldis wieder aufgegriffen. Das geschah vor allem im Zuge einer Erforschung der Rangklassen innerhalb der römischen Gesellschaft, bei der man immer wieder auf Rang- und Standestrachten gestoßen war. Hierbei war man nun vor allem bemüht, Aussehen und Benennung einzelner Trachten zu klären und anhand der Schriftquellen zu untersuchen, wann und von wem sie getragen wurden, jedoch war die einzige weibliche Tracht, die dabei Beachtung fand, die cyclasM Seit den 70er Jahren erwachte jedoch auch von seiten der klassischen Archäologie wieder das Interesse an trachtgeschichtlichen Fragen der römischen Republik und der frühen und mittleren Kaiserzeit mit den Untersuchungen H. Gabelmanns zur ritterlichen trabea?2 und zur Togatracht der römischen Kinder,33 wobei dieser in der letzteren Untersuchung auch die Togatracht der unverheirateten römischen Mädchen behandelte. In diesen Arbeiten ging H. Gabelmann über die rein antiquarische Frage nach dem Aussehen der Trachten hinaus und untersuchte die Denkmäler für diese Trachten im Hinblick auf den sozialgeschichtlichen Zusammenhang, in welchem sie entstanden, und in dem diese Trachten getragen und zur künstlerischen Darstellung gebracht wurden. Gleichzeitig stellte H. R. Goette in seiner Dissertation eine formgeschichtliche Untersuchung der römischen Togadarstellungen an, wobei er auch Darstellungen von togatae und von Frauen in "contabulierter palla" zusammenstellte.34
9
GEGENSTAND UND VORGEHENSWEISE DIESER UNTERSUCHUNG
Wie der Uberblick über die Forschungsgeschichte zeigt, sind bisher bis auf die stola kaum einzelne Kleidungsstücke römischer Frauen über antiquarische Fragen hinausgehend daraufhin untersucht worden, ob sie als Tracht35 die soziale und rechtliche Stellung ihrer Trägerin zum Ausdruck brachten; und bei den wenigen vorliegenden Untersuchungen liegt der Schwerpunkt meist in der Spätantike, während die römische Frauentracht der späten Republik und der frühen und mittleren Kaiserzeit bisher kaum Beachtung gefunden hat. Gegenstand dieser Arbeit ist nun die Tracht der römischen matrona. Diese Tracht ist von der späten Republik bis in die mittlere Kaiserzeit hinein über gut zwei Jahrhunderte hinweg in der Porträtkunst der Römer nachweisbar. Eine matrona war eine mit einem civis Romanus im matrimonium iustum lebende freie Frau, die das römische Bürgerrecht besaß. Nur die matrona konnte einem römischen Bürger legitime Erben gebären und so den Fortbestand seiner gens und Familie sicherstellen. In dieser Funktion war sie das weibliche Pendant zum civis Romanus, der ebenfalls durch eine besondere Tracht, seine toga, in der Öffentlichkeit gekennzeichnet war. Die Tracht der römischen matrona spielte im täglichen Leben der römischen Gesellschaft eine außerordentlich wichtige Rolle, denn jede Frau, die in Familie und Gesellschaft die Funktion der matrona hatte, war auch in der Öffentlichkeit durch ihre Tracht als solche gekennzeichnet. Diese Themenstellung schließt bereits einige weibliche Trachten aus: Die Togatracht der unverheirateten römischen Mädchen, die noch keine matronae sind, entfallt.36 Auch eine erneute Untersuchung der Tracht der virgines Vestales gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit, denn diese gehören als jungfräuliche Priesterinnen ebenfalls nicht dem Stand der Matronen an.37 Zwar haben sie tunica und palla mit den Matronen gemeinsam, doch unterscheiden sich tunica und palla der Vestalinnen durch ihre weiße Farbe von denen der römischen matronae.38 Entsprechend ihrem jungfräulichen, unvermählten Stande tragen die Vestalinnen in ihren bildlichen Darstellungen auch niemals die allein der matrona vorbehaltene stola.39 Die beiden wichtigsten Bestandteile der Matronentracht nennt uns Horaz, welcher sat. 1,2,99 das äußere Erscheinungsbild einer matrona in der Öffentlichkeit beschreibt: "ad talos stola demissa et circumdata palla"·, stola und palla sind demnach die Hauptbestandteile der Matronentracht. Dazu kommen noch die tunica oder die calasis, die beide unter der stola getragen werden können, und die calcei muliebres. Darstellungen von Kleidungsstücken, deren Aufgabe darin besteht, die soziale und rechtliche Stellung ihrer Trägerin nach außen hin kundzutun, sind in der Porträtkunst im weitesten Sinne zu erwarten. Das Material für diese Arbeit gehört den Gattungen der Porträtstatuen und -büsten, der Grabreliefs und der historischen Reliefs an. Hinzu treten Darstellungen der Kleinkunst auf Münzen und in der Glyptik. Die Frage, welche Informationen über eine römische matrona hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft durch ihre Tracht vermittelt werden sollen, läßt sich nur mit Hilfe der antiken Schriftquellen beantworten, wo die entscheidenden Hinweise auf die Aussage der einzelnen Kleider der matrona, auf ihre Benennung und ihr Aussehen zu finden sind. Bei der Untersuchung der römischen Matronentracht ist ein Vorgehen nach einzelnen Gewändern aus mehreren Gründen angeraten. Zunächst erwähnen auch die Schriftquellen meist nur einzelne ihrer Kleidungsstücke, wobei vor allem wieder die stola als das Standesabzeichen der Matronen schlechthin erwähnt wird. Deswegen und weil die stola in der bildenden Kunst leichter nachzuweisen ist als die palla, deren Unterscheidung vom pallium, einem ebenfalls rechteckigen, auch von Nichtrömern getragenen Mantel, dem heutigen Betrachter wegen des Fehlens der ursprünglichen Bemalung schwer fällt,40 wird diese Arbeit von der stola der römischen matrona ausgehen. Dies empfiehlt sich auch deshalb, weil uns für die stola die Vorarbeiten M. Biebers zur Verfügung stehen.41 10
Daher untersuchen wir das literarische Quellenmaterial und die archäologischen Denkmäler zunächst für die stola nach den folgenden Gesichtspunkten: Welche Aussagen über ihre Trägerin sind nach den Schriftquellen mit der stola verbunden, welche Frauen konnten sie tragen? Wann wurde sie den Quellen zufolge getragen? Wie hat die stola nach den Schriftquellen ausgesehen und mit welchen anderen Kleidern wurde sie zusammen getragen? In welchen Gattungen der bildenden Kunst wird sie dargestellt? Von wann bis wann wird dieses Gewand in den einzelnen Kunstgattungen wiedergegeben? Wann tritt es in welchen Gattungen besonders häufig auf? Wird es dabei von privatae oder von kaiserlichen Frauen getragen? Läßt sich im Laufe der Zeit ein Wandel in der Form der stola feststellen? Wann wird die stola mit welchen anderen Kleidungsstücken regelmäßig kombiniert? Bildet sie erst mit diesen zusammen eine Tracht? Am Anfang unserer Untersuchung steht die Befragung der Schriftquellen zu Bedeutung und Geschichte der stola. Die Analyse wird in der zeitlichen Reihenfolge der Autoren vorgenommen, denn Schriftstellern, die zu verschiedenen Zeiten gelebt und geschrieben haben, darf man nicht von vornherein dasselbe Verständnis eines Kleides als Tracht unterstellen. 42 Tatsächlich läßt sich anhand der Quellen ein zweifacher Bedeutungswandel der stola nachweisen: In republikanischer, augusteischer und tiberischer Zeit, wo sich bereits eine erste Änderung in den Trachtgewohnheiten der Matronen verzeichnen läßt, bis in claudische Zeit ist sie die Tracht aller mit einem civis Romanus in rechtmäßiger Ehe lebenden Frauen. Mit dem Beginn der Flavierherrschaft unter Vespasian wird die ehemals allen römischen matronae vorbehaltene stola zum Kennzeichen der mit einem römischen senator verheirateten Frau, und zu Ende des 2. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. geht ihr Name in den Ehrentitel der ritterlichen feminae honestae ein, ohne daß diese die stola noch tragen. Nachdem wir ihre Bedeutung geklärt haben, untersuchen wir mit Hilfe der Quellen das Aussehen der stola. Hieran schließt sich dann der Nachweis der stola in der bildenden Kunst an. Weil die stola verschiedentlich anders gedeutet wurde, müssen wir im Anschluß an ihre Identifizierung in der Porträtkunst noch einmal auf die anderen Deutungen eingehen. Anschließend soll eine möglichst repräsentative Auswahl aus Monumenten aller Porträtgattungen datiert werden, an der sich zum einen der zeitliche Rahmen zeigen läßt, innerhalb dessen die stola in der römischen Porträtkunst dargestellt wird, und die zum anderen Auskunft darüber geben kann, zu welchen Zeiten die stola in der römischen Kunst und ihren einzelnen Gattungen besonders häufig auftaucht. 43 Zu diesem Zweck werden die Frauenporträts nach Gattungen getrennt mit Hilfe ihrer Frisuren und ihres Zeitstils in chronologische Reihen gebracht, wobei sich auch einige Konsequenzen für die Frisurentypologie kaiserlicher Damen ergeben. Nachdem die Zeitstellung der einzelnen Monumente geklärt ist, untersuchen wir dann die Häufigkeit der stola in den verschiedenen Porträtgattungen, wobei es sich als besonders aufschlußreich erweist, das Auftreten privater und kaiserlicher Frauenporträts mit der stola parallel zu untersuchen, weil sich hier die kaiserliche Propaganda und das tatsächliche Trachtverhalten der römischen matronae als unterschiedlich erweisen. Insbesondere bei den Bildnissen von privatae in der stola läßt sich eine deutliche Abhängigkeit ihres Auftretens von den sich wandelnden historischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen zeigen. Danach befassen wir uns mit den Fragen von Herstellung, Tragweise und Form der stola und rekonstruieren dieses Gewand aus Stoff. Dann untersuchen wir die stola auf durch die Mode bedingte Wandlungen ihrer Form. Im Anschluß daran wird versucht - wiederum unter Heranziehung der Schriftquellen - Form und Herstellung von tunica und calasis zu klären, die in den bildlichen Darstellungen unter der stola getragen werden können. Für die calasis können wir dabei auch ihren lateinischen Namen sichern. Während für die tunica eine zeichnerische Rekonstruktion genügt, rekonstruieren wir die calasis auch aus Stoff. Anschließend gehen wir auf die unterschiedliche Aussage dieser beiden unter der stola getragenen Kleidungsstücke und ihre Geschichte ein. 11
Schließlich wenden wir uns der palla zu, dem von Horaz, sat. 1,2,99 zusammen mit der stola genannten Mantel der matrona. Zu Aussehen und Bedeutung der palla ziehen wir erneut die Schriftquellen heran und rekonstruieren auch dieses Gewand aus Stoff. Dabei erweist sich die palla als deijenige Bestandteil der römischen Matronentracht, der neben der stola ihr entscheidender Bedeutungsträger ist. Auch läßt sich zeigen, daß die palla demselben Bedeutungswandel wie die stola unterworfen war. Dabei stellt sich die palla als deijenige Teil der Matronentracht heraus, dem das längste Nachleben beschieden war, denn sie ist noch im späten 3. Jahrhundert archäologisch nachweisbar und wird von Nonius Marcellus noch unter Konstantin als Mantel der ritterlichen/em/na honesta** genannt. Endlich läßt sich zeigen, daß die ursprünglich aus tunica, stola und palla bestehende Matronentracht zwar Verbindungen zum etruskischen Bereich aufweist und in der Form der stola hochhellenistische Einflüsse aufgenommen hat, aber dennoch ein eigenständiger Ausdruck der besonderen Stellung der Frau in der römischen Gesellschaft gewesen ist. Abschließend gehen wir in einem kurzen Ausblick auf die kunstgeschichtliche Bedeutung der Darstellungen der römischen Matronentracht ein, die insbesondere durch die Form der palla die römischen Künstler zu einer schöpferischen Auseinandersetzung mit dem von der griechisch-hellenistischen Kunst erarbeiteten Formenrepertoire anregte, und würdigen die Tracht als ganz entscheidenden Bestandteil des römischen Frauenporträts, das neben der Wiedergabe der Gesichtszüge und der Frisur auch den Stand und die moralischen Qualitäten der Dargestellten als matrona zum Ausdruck brachte.
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D I E SCHRIFTLICHEN NACHRICHTEN ÜBER DIE STOLA
Bedeutung und Geschichte der stola nach den Quellen
Die Frage, von welchen Frauen die stola getragen werden konnte, und welche Aussagen über die soziale und rechtliche Stellung dieser Frauen mit der stola verbunden waren, läßt sich mit Hilfe einiger Stellen aus der antiken Literatur beantworten. Diese sollen nun möglichst in der Reihenfolge ihrer Entstehung auf ihre Aussagen zu Bedeutung und Geschichte der stola untersucht werden. Unser erster Gewährsmann ist Afranius, dessen Akme im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts v. Chr. liegt. In einem Fragment seiner in römischem Milieu spielenden Komödie "exceptus" ist von einer "vestis longa" die Rede, die offenbar gelegentlich von einer meretrix usurpiert wird: die meretrices pflegten dies an fremden Orten - wo man sie ja nicht persönlich kannte - zu tun, um sich damit zu schützen, obwohl dies Kleid ihnen eigentlich nicht zusteht.45 Diese "vestis longa" ist mit der stola der matrona identisch, wie aus einer Stelle bei Ovid h e r v o r g e h t . 4 6 Hier begegnen uns bereits zwei Aspekte der stola, die auch in späteren Quellen wieder auftauchen werden: Die stola steht meretrices und peregrinen Frauen nicht zu, sondern nur solchen Frauen, die das römische Bürgerrecht besitzen und die einen ehrbaren Lebenswandel führen. Dazu bot die stola ihrer Trägerin einen gewissen Schutz, der offenbar auch peregrinae und meretrices veranlaßte, die stola zu usurpieren. Der nächste Autor, der - nun auch unter diesem Namen - die stola erwähnt, ist Varro. In den Fragmenten seiner zwischen 80 und 60 v. Chr. geschriebenen Menippäen nennt er die stola insgesamt dreimal als Frauengewand.47 Auch in seinem 45/44 v. Chr. entstandenen Werk "de lingua Latina" gilt ihm die stola zunächst als spezifisch weibliches Kleidungsstück,48 doch spricht er hier weiter davon, daß Männer und Frauen ihre Tuniken "ex instituto" anlegen müssen; nur auf der Bühne kann es davon Abweichungen geben, dort kann auch ein männlicher Schauspieler die stola tragen.49 Hiernach ist wohl der Analogieschluß erlaubt, auch die stola sei "ex instituto" die Tracht der Frau. Zur gleichen Zeit ist für Cicero in seiner zweiten Philippika die stola das Kleid der moralisch anständigen verheirateten Frau, die im Gegensatz zur meretrix im "matrimonium stabile et certum" l e b t . s o Er unterstellt hier dem Antonius ein homosexuelles Verhältnis zu Curio, welcher Antonius, der - so Cicero - ehemals nicht nur politische Prostitution geübt hätte, nun in eine sichere Ehe geführt habe, gleichsam als ob er ihm die stola gegeben hätte. Bereits M. Bieber Schloß aus dieser Stelle, daß eine ehemalige Prostituierte aufgrund einer Heirat mit einem römischen Bürger tatsächlich berechtigt war, die stola zu tragen.51 Ciceros Formulierung "tamquam stolam dedisset" dient hier zwar nur der Beleidigung und Diffamierung seines politischen Gegners Antonius, dem damit auch noch die verächtlichere "Frauenrolle" in der ihm und Curio unterstellten Beziehung vorgeworfen werden soll. Doch scheint es bis zur eine Generation später erlassenen lex Iulia de maritandis ordinibus tatsächlich möglich gewesen zu sein, daß eine meretrix, der es gelang, von einem civis Romanus geheiratet zu werden - was gewiß selten genug vorkam -, deswegen als nun ehrbare matrona die stola tragen durfte, denn erst dieses 18 v. Chr. erlassene Gesetz verbot solche Ehen.52 Für Tibull stellt die stola ein Symbol weiblicher Wohlanständigkeit und castitas dar, zusammen mit einem von ihm "vitta" genannten Band, welches die Haare der ehrbaren römischen Matrone z u s a m m e n h i e l t . 5 3 Bei Horaz trägt Fausta, eine verheiratete Frau und Tochter eines Consuls, die stola.54 Wie bei Cicero ist 13
die stola hier einerseits wieder das Kleid der keuschen, sittsamen Matrone im Gegensatz zur Hure, doch daneben hebt der Dichter bei Fausta auch hervor, daß sie die Tochter eines Consuls ist. In der "ars Amatoria" legt Ovid besonderen Wert darauf, daß an seinem Werk nichts Gesetzwidriges sei, denn es komme darin ja keine "instita" vor.55 Die instita ist ein Teil der stola, und der Dichter benutzt das Wort hier als pars pro toto. Auch hier steht die stola wieder für die eheliche Keuschheit der Matronen. Daraus, daß er so einen besonderen Wert darauf legt, daß sein Werk nicht gegen die Gesetze verstößt, geht hervor, daß Ovid bei der Abfassung der "ars Amatoria" ein Gesetz fürchtete, das die Keuschheit der Matronen auch vor Anzüglichkeiten und Frivolitäten schützte; gemeint sein kann hier nur die damals seit bald 20 Jahren fest in der Rechtspraxis etablierte lex Iulia de adulteriis.s* Die schon bei Tibull vorgefundene Verbindung von "vitta" und stola taucht auch bei Ovid mehrfach als Abzeichen der matrona auf. 57 Noch in der Verbannung verwahrt dieser sich zweimal gegen die Anschuldigung, er habe mit der "ars Amatoria" die ehrbaren Matronen zu sexueller Freizügigkeit verleiten wollen: Das eine Mal sagt er, er habe dieses Werk nicht für die Frauen geschrieben, denen die vitta die keuschen Haare berühre und die lange stola die Füße. In den "tristia" beteuert er, in seinem Gedicht sei nichts Verbrecherisches, denn er habe ja alle jene Frauen davon abgehalten, es zu lesen, welche die stola trügen, und bei denen es die vitta verbiete; die "matrona" könne sich doch anderen Künsten zuwenden.58 Hier wird die stola also von Ovid ebenfalls deutlich als das Symbol weiblicher Keuschheit angesehen. Gleichzeitig ist die Frau, welche die stola trägt, die matrona. Dazu findet sich hier erneut ein Hinweis darauf, daß Ovid mit der "ars Amatoria" offenbar mit Gesetzen in Konflikt gekommen war, welche die Keuschheit der Matronen schützten. In den "fasti" schildert Ovid sodann die nach Ständen geordnete Teilnahme der Frauen Roms am Fortuna·Virilis-Kult, an dem Frauen aus zwei Ständen beteiligt sind.59 Die Angehörigen des von ihm zuerst genannten Standes bezeichnet Ovid als "Latiae matresque nurusque", die Frauen aus dem anderen Stand als solche, "quis vittae longaque vestis abest". Die "Latiae matresque nurusque" sind die römischen verheirateten Frauen, denn "Latius" wird in der Dichtersprache häufiger für "Romanus" gebraucht.60 Es sind hier also verheiratete Frauen gemeint, die das römische Bürgerrecht besitzen. Von diesen unterscheiden sich die Frauen aus dem anderen Stand dadurch, daß ihnen "vestis longa" und vittae fehlen. Umgekehrt ist daher zu schließen, daß "vestis longa" und vitta die Abzeichen der verheirateten Frau sind, die das römische Bürgerrecht besitzt. Daher steht "vestis longa" hier für "stola", denn Ovid nennt hier die "vestis longa" in derselben engen Verbindung mit der vitta wie an den zuvor angeführten Stellen die stola, die tatsächlich ein langes Kleid war. So geht aus dieser Stelle hervor, daß "vestis longa" und "stola" dasselbe Gewand bezeichnen. 61 Die stola bzw. vestis longa gehört hier also wie schon etwa 130 Jahre zuvor bei Afranius zur Standestracht der matrona, der verheirateten Frau, die das römische Bürgerrecht besitzt. Die Frauen, die stola und vittae nicht tragen dürfen, stehen denn auch offenkundig auf einer niedrigeren Rangstufe und gehören einem niedrigeren Stand an als die römischen Matronen, auch wenn sie im Fortuna-Virilis-Kult offenbar dieselben Funktionen ausüben.62 In ihrer wohl augusteischen Grabinschrift berichtet uns die Freigelassene Horaea, daß ihr ehemaliger Herr sie freiließ und mit der stola schmückte. Darauf führte sie ihm noch zwanzig Jahre den Haushalt, bis sie starb. Der patronus heiratet hier also seine Freigelassene und zeichnet sie dadurch mit der stola aus. Demnach durfte auch eine Freigelassene aufgrund einer Ehe mit einem civis Romanus die stola tragen und galt dann als ehrenhafte, anständige matrona, worauf Horaea stolz verweist mit der Wendung "me hic decoraat stola".6* Daß Horaea es als Freigelassene so besonders betont, daß sie durch die Ehe mit ihrem patronus die stola erlangt hat, hat seinen Grund darin, daß im allgemeinen libertae ebenso wie die peregrinen Frauen die stola nicht tragen durften, weil sie ja meist durch die Ehe mit ebenfalls freigelassenen Männern dem Libertinen14
Stande angehörten. Diese libertinae mußten die toga pulla tragen.64 Nur die liberta, welche die Gattin eines civis Romanus war, galt als matrona und besaß daher das Recht auf die stola.65 Damit wissen wir nun auch, wer die Frauen in Ovids "fasti" sind, "quis vittae longaque vestis abest": Freigelassene Frauen, die nicht mit einem römischen Bürger verheiratet waren, deswegen nicht als "Latiae" galten und auch nicht das uneingeschränkte Bürgerrecht besaßen.66 Valerius Maximus nennt dann in tiberischer Zeit die stola als ein typisch weibliches Kleidungsstück.67 Darüber hinaus betont er, daß die stola das äußere Abzeichen der moralischen Integrität ihrer Trägerin hinsichtlich solcher Werte wie pudor und verecundia darstellt.68 Diese Auffassung besaß offensichtlich nicht nur allgemeine Gültigkeit, sondern hatte, wie Valerius Maximus selbst berichtet, auch rechtliche Konsequenzen 6 ^ Eine matrona, die unter Anklage stand, blieb während des Prozesses vor Berührungen ihres Körpers durch den Ankläger geschützt, damit ihre stola und das, wofür diese stand, nämlich ihre sexuelle Unberührbarkeit, nicht von der Hand eines fremden Mannes verletzt würde. Damit war der römischen Matrone selbst in solch einer extremen Situation ein Recht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Wie Valerius Maximus mit der Wendung "ut inviolata manus alienae tactu stola relinqueretur" eigens betont, war dieses Rechtsprivileg an die stola gebunden; es beschränkte sich daher nur auf die Frauen, die ausweislich ihrer stola Matronen waren und das römische Bürgerrecht besaßen. 70 Dieser Schutz, der der Matrone durch die stola gewährt wurde, dürfte auch bereits zu Zeiten Afranius' der Grund dafür gewesen sein, weshalb peregrine Frauen und meretrices die stola usurpierten. Ferner berichtet Valerius Maximus,71 daß der Senat Ehrungen für Veturia und Volumnia beschloß, weil sie Coriolan zum Abzug von Rom bewegt hatten. Die Ehrung für die beiden Retterinnen Roms habe darin bestanden, daß ihnen eine "vestis purpurea" verliehen worden sei. Zusätzlich sei der ganze "ordo matronarum" vom Senat noch dadurch geehrt worden, daß die matronae als ein neues äußeres Erkennungszeichen die vittα bekommen hätten. Diese Nennung der vitta, die von den Dichtern so häufig zusammen mit der stola als Abzeichen der matrona genannt wird, 72 kann für diese frühe Zeit wohl noch nicht als Beleg dafür verstanden werden, die matronae hätten auch bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. die stola getragen. Die "vestis purpurea" war eine besondere Ehrung nur für Veturia und Volumnia. Daß damit eine ausnahmsweise purpurfarbene stola bzw. vestis longa gemeint wäre, läßt sich weder beweisen noch widerlegen, κ Zwar gebraucht Valerius Maximus die Wendung "plus salutis rei publicae in stola quam in armis fuisse", doch ist diese natürlich metonymisch gemeint und "stola" steht hier ebenso für die Frauen wie "armis" für die Männer. Doch zeigt diese metonymische Verwendung des Wortes "stola" immerhin, daß die Römer selbst dieses Kleid als eine seit Urzeiten überkommene Tracht ansahen. Für Seneca ist im Jahre 58/59 die stola wieder einfach nur ein so typisch weibliches Kleidungsstück, daß ein tapferer Mann darin undenkbar i s t . ? 4 Auch Petron sieht die stola als ein von Frauen getragenes Gewand an; ein Mann, der die stola anlegt, kann kein richtiger Mann sein.75 In seiner 77 n. Chr. dem späteren Kaiser Titus gewidmeten "naturalis historia" stellt Plinius d. Ä. die stola metonymisch der plebs gegenüber. 76 Er berichtet uns an dieser Stelle, daß zwischen den Frauen in der stola und den Plebejerinnen noch ein mittlerer, ritterlicher Frauenstand entstehe. In frühflavischer Zeit wird die stola also nicht mehr hauptsächlich als die Tracht der Sitte und Anstand wahrenden verheirateten Frau, die das römische Bürgerrecht besitzt, im Gegensatz zur Hure oder zur nicht mit einem civis Romanus verheirateten libertina oder zur peregrina angesehen wie in republikanischer und julisch-claudischer Zeit. Stattdessen begegnet uns bei Plinius d. Ä. die stola als die Tracht der Damen des Senatorenstandes. Diese unterscheiden sich jetzt durch die stola sowohl von Frauen aus der plebs als auch von ritterlichen Frauen. Zwar nannte auch Horaz seine Fausta die Tochter eines Consuls, 77 doch unter15
schied die stola in augusteischer Zeit noch die Gesamtheit der römischen matronae von den libertae, peregrinen Frauen und den meretrices, während sie 70-80 Jahre später nur noch eine sehr kleine Gruppe unter den Frauen Roms kennzeichnet, nämlich die gut 600 mit Angehörigen des Senatorenstandes verheirateten Frauen. 78 Dieselbe Bedeutung hat "stola" dann auch bei dem gut 20 Jahre jüngeren Statius. Dieser bezeichnet in den "silvae" die Angehörigen der Oberschicht einfach metonymisch mit ihren Trachten^: "praetexta" steht dort fur die senatorischen Inhaber von Ehrenämtern, die von ihren Liktoren begleitet an einem Hochzeitszug teilnehmen. Dabei geraten sie in das Gedränge der Plebejer. Dazu strömen noch Ritter und junge Leute, von denen Statius die "praetexta" abhebt. In diesem Tumult gerät auch die "stola" wie die "praetexta" in arge Bedrängnis. Die "stola" wird hier Rittern und plebs gegenüber als Tracht genauso hervorgehoben wie die "praetexta" und kann daher nur für die senatorischen Frauen stehen. In seiner "institutio oratoria" bezeichnet Quintilian Halsschmuck, Perlen und die stola, die er hier, um ihre besondere Würde hervorzuheben, altertümelnd "vestis longa" nennt, als "ornamenta feminarum", die einen Mann lächerlich machen würden, ebenso wie auch der habitus triumphalis den Frauen nicht gezieme.80 Die stola entspricht also dem habitus triumphalis der Männer, "quo nihil excogitare potest augustius", wie Quintilian eigens betont.81 Bereits unter Trajan, der noch zu Lebzeiten Quintilians an die Macht kam, während oder kurz nachdem dieser die "institutio" vollendete,82 war der habitus triumphalis tägliches Kleid der Consuln,83 das übrigens auch Quintilian selbst zustand, dem in den 90er Jahren, aber noch unter Domitian, die ornamenta triumphalia verliehen worden waren. 84 So haben wir also im Ubergang von der flavischen zur trajanischen Zeit einen weiteren Beleg für die stola als Tracht der Frauen des Senatorenstandes. In dieselbe Richtung weist es, wenn Statius' und Quintilians etwas jüngerer Zeitgenosse Martial "stola" und "purpura" gleichermaßen als Dinge bezeichnet, denen man Verehrung schuldig sei.es Hier wird die stola ganz offensichtlich der purpurbesetzten toga praetexta an die Seite gestellt; so bestätigt auch Martial, daß die stola nun die Tracht der Frau senatorischen Standes geworden ist.86 Doch ist die stola auch für ihn noch das Abzeichen des matronalenpudor geblieben, wie dieser der meretrix fremd ist.87 Es scheint also, daß man in spätflavisch-trajanischer Zeit von seiten der senatorischen Führungsschicht, für die diese Autoren ja vor allen Dingen schrieben, die mit der stola verbundenen moralischen Werte nun in besonderer Weise den Frauen des Senatorenstandes zugesprochen hat, während man sie denen aus dem Ritterstand oder der plebs nicht mehr in derselben Weise zubilligte.88 Mit dem Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. hört die Erwähnung der stola als Frauentracht durch die Schriftquellen schlagartig auf, und erst gegen Ende des 2. und zu Anfang des 3. Jahrhunderts befassen sich wieder einige Autoren mit ihr, unter diesen bemerkenswerterweise zwei Juristen. In einer Quintilian zugeschriebenen fingierten Gerichtsrede89 geht es darum, ob eine von ihrem Herrn anstelle seiner Tochter einem Piratenkapitän als Ehefrau überlassene Sklavin freigelassen worden war oder nicht. Ihr Verteidiger vertritt die Rechtsauffassung, allein schon dadurch, daß ihr Herr sie mit einer stola bekleidet und ihr befohlen habe, mit dieser angetan in der Öffentlichkeit aufzutreten, habe sie die Freiheit erlangt, auch ohne daß es im weiteren zu einer förmlichen Freilassung gekommen sei, weil ja nicht einmal allen freigelassenen Frauen dieses Glück - nämlich die stola tragen zu dürfen - zuteil werde. Die in der Öffentlichkeit - und nicht etwa auf der Bühne - getragene Tracht reiche aus, die Freiheit ihrer Trägerin zu bezeugen. Darüber hinaus habe diese auch noch die ingenuitas erworben und sei nun wie die Tochter ihres ehemaligen Herrn zu einer "honesta" geworden allein dadurch, daß dieser sie mit der stola ausstaffiert 16
habe. Der Herr bekleidet hier die Sklavin, die er für seine Tochter ausgeben will, schon vor der Hochzeit mit der stola, um sie als ingenua zu kennzeichnen. Es wird also in dieser Rede die Auffassung vertreten, daß allein schon die Verleihung der Tracht eines höheren Standes durch den Herrn für die betreffende Sklavin zur Folge hat, daß sie diesem höheren Stande nun auch tatsächlich angehört und auch dessen Privilegien beanspruchen kann: Das Recht der Freiheit und der ingenuitas sowie das Recht, als eine "honesta" zu gelten; Rechte, die offensichtlich mit der stola verbunden waren. Demnach wurde die stola gegen 200 n. Chr. als Abzeichen der ingenuitas und libertas einer Frau und als Abzeichen ihres Standes als "honesta" aufgefaßt.90 unabhängig davon, ob sie schon verheiratet war oder noch nicht. Damit ist die stola hier nicht mehr das Kleid speziell der verheirateten Frau, wie noch in spätflavisch-trajanischer Zeit, als sie das Kleid der Senatorengattin war, sondern nur noch reines Standesabzeichen der "honesta" ohne Rücksicht auf ihren Familienstand, so daß wir hier einen erneuten Bedeutungswandel der stola feststellen können. Das Argument des Redners, die stola dürfe nicht von allen freigelassenen Frauen getragen werden, greift dagegen noch auf die alte Rechtsvorstellung der Republik und der frühen Kaiserzeit zurück, wonach nicht alle libertae das Recht auf die stola besaßen, sondern nur diejenigen, welche mit römischen Vollbürgern verheiratet waren. In seiner nach seinem Übertritt zur Sekte der Montanisten verfaßten Schrift "de idolatria" erlaubt Tertullian den Christen, den Knaben die toga praetexta und den Mädchen die stola zu geben, falls das nötig werden sollte.9i Stola und praetexta sind für ihn beide Abzeichen der familiären und nationalen Herkunft sowie des Standes. Tertullian gesteht hier die stola schon den kleinen Mädchen, "puellis", als Standestracht zu. Es begegnet uns also bei ihm dieselbe Auffassung von der stola wie bei dem Verfasser der pseudoquintilianischen Rede: Auch ein noch unverheiratetes Mädchen darf die stola als Abzeichen ihrer Nationalität und ihres Standes, "ordinis", tragen. Doch müssen wir berücksichtigen, daß Tertullian hier im Potentialis spricht, d. h., es geht gar nicht um einen tatsächlichen, sondern nur um einen möglichen Zustand. Auch hierin entspricht er der wohl etwas älteren pseudoquintilianischen Rede, die ja für keinen wirklichen Prozeß bestimmt war und insofern auch nur einen "Potentialis" wiedergibt und keine Realität. Wir dürfen daher aus diesen beiden Quellen nicht darauf schließen, daß die stola zu dieser Zeit tatsächlich noch getragen wurde. An anderer Stelle berichtet Tertullian zunächst von einem auf Betreiben des Lentulus Augur erlassenen Gesetz, welches matronae, die sich ohne stola in der Öffentlichkeit zu zeigen gewagt hatten, dieselbe Strafe androhte wie für einen Ehebruch - im Extremfall also die Tötung durch den Ehemann.92 Anschließend geißelt er in sehr derber Weise den Verfall von Sitte und Sexualmoral bei seinen Zeitgenossinnen. Diesen Sittenverfall führt er darauf zurück, daß die "feminae" die stola nicht mehr tragen. Der Zeitraum, in dem das von Tertullian erwähnte Gesetz erlassen wurde, läßt sich näher bestimmen: Tertullian sagt, daß bereits Caecina Severus im Senat das öffentliche Auftreten von Matronen ohne stola kritisierte. Schließlich habe Lentulus Augur dieses Gesetz eingebracht.93 Caecina Severus äußerte seine Kritik an den matronae im Jahr 21. n. Chr.' 4 Diese Nachrichten und das hier von Tertullian gebrauchte "denique", mit dem dieser das von Lentulus veranlaßte Gesetz bald nach der Rede des Caecina Severus ansetzt und einen Zusammenhang zwischer dieser und dem Erlaß dieses Gesetzes herstellt, deuten darauf hin, daß es bald nach 21 n. Chr., also wohl um die Mitte der 20er Jahre oder kurz davor erlassen wurde. Daneben geht aus dieser Stelle hervor, daß die stola zu Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. keine tatsächlich getragene Tracht mehr ist, obgleich man sie in Gedankenspielereien dieser Zeit als Abzeichen der familiären Herkunft, der Nationalität und eines Standes betrachtet, den die pseudoquintilianische Rede uns als den einer "honesta" überlieferte. Auch steht in diesem lateinischen Text die stola nicht mehr in Verbindung mit den matronae, sondern mit einer Gruppe von Frauen, die Tertullian als "feminae" bezeichnet. Hieraus und daraus, daß die stola jetzt auch unverheirateten Mädchen zugeordnet werden kann, ergibt sich, daß die stola zu dieser Zeit nicht mehr an die matronae im alten Sinne gebunden war.
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Auch in den Digesten Ulpians wird die stola nur noch als ein weibliches Kleidungsstück unter anderen erwähntes Zwar wird auch in diesem Gesetzeswerk von den Frauen verlangt, daß sie sich "matronali habitu" in der Öffentlichkeit zu zeigen hätten,doch ist hier von der stola nicht mehr die Rede, was ebenfalls für ihr Verschwinden als Tracht spricht.97 Neben diese literarischen Zeugnisse vom Ende des 2./Anfang des 3. Jahrhunderts, aus denen eindeutig hervorgeht, daß die stola zu dieser Zeit nicht mehr getragen wurde, gleichwohl aber doch noch von besonderer Bedeutung war, treten seit dem Ende des 2. Jahrhunderts zahlreiche Inschriften, die den Ehrentitel "femina stolata" bzw. auf griechisch "ματρώνα στολατα" , überliefern.98 Β. Holtheide konnte nachweisen, daß es sich bei den so titulierten Damen ebenso wie bei den ebenfalls inschriftlich überlieferten "honestae feminae" um die Ehefrauen von römischen Rittern handelt, und zwar um solche, die mit viri egregii verheiratet waren." Daraus, daß in der pseudequintilianischen Rede die Sklavin durch die Verleihung der stola zur "honesta (femina)" wurde, wie nun mit Hilfe der Inschriften ergänzt werden kann, indem sie durch das Tragen der stola in der Öffentlichkeit im wörtlichen Sinne zu einer "femina stolata" geworden war, ergibt sich der Schluß, daß die feminae stolatae mit den feminae honestae identisch sind. So war also auch für den Verfasser dieser Rede die stola bereits den Frauen des Ritterstandes zugeordnet, denn er kannte offensichtlich schon den Titel "femina stolata", der solchen honestae feminae verliehen werden konnte. Auch in Tertullians "feminas", die "stolam ... eieravere",ioo haben wir eine Anspielung auf diese in den Inschriften genannten feminae stolatae aus dem Ritterstand zu sehen, die in Wirklichkeit die stola längst nicht mehr trugen. So hat man also etwa zu Ende des 2. oder zu Beginn des 3. Jahrhunderts eine ehemals von senatorischen Damen getragene Tracht in den Ehrentitel ritterlicher Frauen aufgenommen, nachdem sie als wirklich getragene Tracht längst außer Gebrauch gekommen war.ioi Die Erinnerung an sie blieb jedoch noch während des ganzen 3. Jahrhunderts in den Ehrentiteln "femina stolata" bzw. auf griechisch "ματρώνα στολατα" erhalten.
Die Stellen, in denen die stola seit dem Beginn des 3. Jahrhunderts noch weiterhin erwähnt wird, haben alle nur noch rückblickend-historischen Charakter. An erster Stelle steht hier eine Notiz des Lexikographen Festus,io2 der zufolge das Tragen der stola ein Vorrecht war, welches ehedem gewöhnlich die matronae besaßen. Dabei folgte die Benennung "matrona" aus dem Recht auf die stola. So war also die Bezeichnung "matrona" für eine Frau an die stola geknüpft. Da sich seit tiberischer Zeit, in der die matronae schon durch ein Gesetz zum Tragen der stola gezwungen werden mußten, bis in frühflavische Zeit die Bedeutung der stola von "Tracht der mit einem civis Romanus in rechtmäßiger Ehe lebenden Frau, die das römische Bürgerrecht besitzt" zu "Standestracht der mit einem Mann aus dem Senatorenstand im matrimonium iustum lebenden Frau" verengt hatte, müssen wir auch mit einer entsprechenden Verengung des Begriffs "matrona" auf die Frauen der Senatoren rechnen. i03 Nonius Marcellus schreibt in konstantinischer Zeit, daß die "veteres" auch dem weiblichen Geschlecht auctoritas inigestanden hätten. io* Zum Beweis zitiert er dann eine Enniusstelle, wo von einer mit einer Trauerstola angetanen Frau die Rede ist.i5 An anderer Stelle nennt er die stola eine "honesta vestis", womit er auf den seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert üblich gewordenen Titel "femina stolata" für die honestae feminae aus dem Ritterstand anspielen dürfte.106 Der letzte Autor, der sich über die stola als Frauentracht äußert, ist Macrobius. Er berichtet, daß es zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges freigelassene Frauen gab, "quae longa veste uterentur", die damals ge18
nauso wie die ingenuae zu den Kosten für ein Staatsopfer herangezogen werden sollten. 107 Damit ist die stola für die Zeit des Zweiten Punischen Krieges gesichert, denn "vestis longa" ist ein anderer Ausdruck für "stola". Diese Stelle bezieht sich wieder darauf, daß es libertae gab, die die stola tragen, und solche, die sie nicht tragen durften. Die libertae, welche die stola tragen durften, dürften wie Horaea die Gemahlin eines civis Romanus ingenuus gewesen sein und besaßen daher, anders als die nur mit Freigelassenen verheirateten libertinae, das Recht auf die stola ebenso wie die ingenuae. 108 Macrobius benutzt hier ganz offensichtlich ältere Quellen, wohl solche des 2. Jahrhunderts v. Chr., denn der früheste Autor, der die stola als zeitgenössisches Gewand überliefert, Afranius, bezeichnet sie zur Zeit der Gracchen ebenfalls noch als "vestis longa". So scheint "vestis longa" die ältere, lateinische Bezeichnung für die stola zu sein, während die aus dem Griechischen stammende Bezeichnung "stola" uns das erste Mal bei Varro begegnete.no Hierfür spricht auch, daß Ovid in den altrömische Traditionen wiedergebenden "fasti" diese zu seiner Zeit längst altertümlich gewordene Bezeichnung für die stola verwendet. 111
Zusammenfassung: Die stola galt den Römern selbst als eine seit Urzeiten überkommene Tracht, die bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurückprojiziert wurde. 112 Das erste Mal konnten wir sie für die Zeit des Zweiten Punischen Krieges nachweisen, wo sie außer den ingenuae auch bereits die mit römischen Bürgern verheirateten libertae trugen. 113 Ihr ursprünglicher, lateinischer Name, den sie im 2. Jahrhundert v. Chr. trug und der auch später nicht völlig verdrängt wurde, lautet "vestis longa". Unter diesem Namen war sie bei Afranius zum ersten Mal als eine zeitgenössische Tracht faßbar. 1 ^ Bei Varro heißt dieses Gewand dann das erste Mal "stola" Λ^ Für Afranius, Varro, Cicero und die nachfolgenden Autoren bis hin zu Seneca und Petron war sie die Tracht der ehrbaren, Keuschheit und eheliche Treue wahrenden matrona, die das römische Bürgerrecht besitzt und entweder als ingenua oder als liberta mit einem civis Romanus im matrimonium iustum lebt. Die Bezeichnung "matrona" war dabei an die stola gebunden. 116 Bei den lateinischen Autoren der augusteischen Zeit erfährt das Wort "stola" in diesem Sinne dann eine so häufige Verwendung wie zu keiner Zeit davor oder danach. Dieser statistische Höhepunkt in der Verwendung des Wortes "stola" kann nur damit erklärt werden, daß die stola in dieser Zeit offenbar eine sehr verbreitete oder propagierte Tracht war. 117 Bereits im letzten Drittel des 2. Jahrhunderts v. Chr. muß die stola ihrer Trägerin einen Schutz vor Ubergriffen geboten haben, denn das war der Grund dafür, daß schon zu dieser Zeit peregrine Frauen und meretrices sie usurpierten. 118 Tatsächlich wurden Frauen in der stola unter Augustus vor öffentlich vorgetragenen Frivolitäten geschützt, und Valerius Maximus zufolge bot die stola ihrer Trägerin auch das Rechtsprivileg der körperlichen Unversehrtheit: Wenn sie öffentlich angeklagt wurde, blieb sie vor dem Zugriff fremder Männer bewahrt, was wohl auch einen Schutz vor Folter bedeutete, ns Gegen Mitte der 20er Jahre n. Chr. oder kurz davor wurde dann ein Gesetz erlassen, mit dem die Matronen bei derselben Strafe wie für einen Ehebruch zum Anlegen der stola in der Öffentlichkeit gezwungen wurden. !20 Demnach sah man unter Tiberius in der stola verstärkt das Symbol für die moralischen Werte, die zu wahren der Römerin abverlangt wurde, doch daß man dieses Gesetz als notwendig empfand, zeigt zugleich, daß die matronae es im täglichen Leben mit dem Anlegen der stola in der Öffentlichkeit nicht mehr so genau nahmen. Hier wird eine ähnliche Entwicklung wie für die toga feststellbar, denn schon Augustus hatte sich bemüßigt gesehen, den cives Romani zu verbieten, das forum Romanum anders als in der toga zu betreten. 1 ? 1 In frühflavischer Zeit wird eine Bedeutungsveränderung der stola greifbar: Die stola ist nun die klassenspezifische Tracht der verheirateten Frau senatorischen Standes geworden, symbolisiert jedoch auch weiterhin den pudor ihrer T r ä g e r i n . 122 Gleichzeitig scheint sich auch die Bedeutung des Begriffs "matrona" auf die ca. 600 Frauen des Senatorenstandes verengt zu haben. 123 So liegt für die stola wiederum eine Entwicklung vor, wie sie sich im späten 1. Jahrhundert n. Chr. ähnlich auch für die toga beobachten läßt: 19
Auch diese verschwand allmählich und wurde vom einfachen römischen Bürger nur noch bei seiner eigenen Bestattung getragen, wie Juvenal s p o t t e t , 124 während die Senatoren an der toga praetexta festhielten. '25 Dann verstummten die Quellen bis gegen Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr., als sich erneut ein Wandel in der Bedeutung der stola feststellen läßt: Die stola ist jetzt Frauen aus dem Ritterstand, den honestae feminae, zugeordnet, die deswegen den Titel "femina stolata" führen, ohne indes die stola im wirklichen Leben noch zu tragen. Bereits bei Festus und dann im 4. Jahrhundert bei Nonius Marcellus und Macrobius läßt sich nur noch ein historisches Interesse an der stola feststellen. Nach dem, was uns die Quellen zur rechtlichen und gesellschaftlichen Einschätzung der stola gesagt haben, muß die von M. Bieber vertretene Ansicht, es habe für Mütter mehrerer Kinder eine besondere Form der stola gegeben,'26 zurückgewiesen werden. Denn die Quellen erwähnen die stola nie im Zusammenhang mit der Mutterschaft einer Frau, und auch mit dem ius liberorum der Frauen hat die stola nichts zu tun. 127
Andere Bedeutungen von "stola" in der römischen Literatur
Zu unterscheiden ist die stola in dem soeben ermittelten Sinne von einigen anderen Bedeutungen, die dieses Wort in der römischen Literatur haben kann. Bei den Griechen bedeutet "ή στολή" "Kleidung jeder Art" und "Ausrüstung", letzteres auch im militärischen Sinne. "στολή" in diesem Sinne kann dabei für ein ganzes Heer stehen. Im Sinne von Kleidung ist damit jede Art von Tracht und Ausstattung gemeint, etwa eines Königs, eines Schauspielers auf der Bühne, eines Priesters oder auch einer Frau. Dabei umfaßt "στολή" nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch Schmuck und S c h u h e . 1 2 8 Diese allgemeine Bedeutung des Wortes im Sinne von "Kleidung" übernahmen zunächst auch die Römer. In der lateinischen Literatur erscheint das Wort "stola" in dieser Bedeutung das erste Mal in den Tragödien des Ennius, also schon zur Zeit des Hochhellenismus; bei Ennius kann eine "stola" von einem Mann, einem Bettler und Frauen getragen werden.129 "stola" wurde auch das Gewand einer von Verres geraubten Dianastatue genannt,i30 ebenso die Kleidung eines Flötenspielers an den Quinquatrus minores131 und die eines für ein Symposion engagierten Hornbläsers, der als Orpheus auftritt. 132 Auch noch die Kleider eines Eingeweihten im Isiskult werden von Apuleius "stola" genannt.133 Die Anlässe, bei welchen hier eine "stola" getragen wird, besitzen alle einen mythisch-religiösen Hintergrund und haben ihre Wurzeln ζ. T. im griechisch-hellenistischen Bereich. Offenbar haben die Römer zusammen mit diesen Anlässen auch die dabei notwendige Tracht - eine "στολή" - übernommen und an diesem Namen auch dann noch für die entsprechenden Anlässe festgehalten, als sich das Wort schon längst für die "vestis longa" der matronae eingebürgert h a t t e . 134 Hier muß auf Plinius d. J. Schilderung der Hinrichtung der Vestalin Cornelia eingegangen werden: 135 Als diese - wie bei der ihr vorgeworfenen Unkeuschheit geboten - in das unterirdische Verlies geführt wird, in dem sie sterben soll, ist sie mit einer "stola" bekleidet. Es ist dies das einzige Mal, daß für eine Vestalin eine "stola" erwähnt wird. Da jedoch die Vestalinnen in ihren bildlichen Darstellungen niemals jenes Gewand tragen, das sich im Folgenden als die stola der römischen matrona erweisen wird, sollte man "stola" hier eher als allgemeinen Ausdruck für Cornelias Amtstracht als virgo Vestaiis verstehen; denn wie wir gesehen haben, werden solche Trachten aus dem mythisch-religiösen Bereich ja auch "stola" genannt. Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang allerdings V i t r u v , i 3 6 der sich bemüht z u erklären, warum die weiblichen Gewandfiguren, welche die Funktion von Säulen übernehmen können, Karyatiden 20
genannt werden: Die Griechen hätten nämlich die Stadt Karyai zerstört und die "matronae" versklavt. Dabei sei diesen zu ihrer besonderen Demütigung nicht erlaubt worden, ihre "stolae" und die übrigen "ornatus matronales" abzulegen, um sie nicht nur in einem einzigen, sondern in einem ewigen Triumphzug zur Schau zu stellen und sie so die Strafe für ihre Vaterstadt erleiden zu lassen. Diese ganze Erklärung ist durch und durch römisch: Eben weil ihr Gewand "stola" genannt wird, werden die Karyatiden für Vitruv zu matronae, weil für ihn und seine Zeitgenossen Frauen in der stola nun einmal Matronen sind. Um nun von der freien verheirateten Frau, welche die stola trägt, zu solch einer Dienerinnenfigur, wie eine Karyatide sie darstellt, zu gelangen, bietet ihm die Versklavung der Karyatiden durch die Griechen einen Ausweg. Weil sie als Sklavinnen in den Augen eines Römers natürlich keine stola mehr tragen dürfen, ihr Gewand aber - da ja aus dem griechischen Bereich stammend - ebenfalls 'stola' genannt wird, erklärt Vitruv das damit, daß diese Frauen dazu verurteilt wurden, nicht nur in einem einzigen Triumphzug in der "stola" aufzutreten, sondern in einem solchen von ewiger Dauer. Diese Erklärung Vitruvs erscheint doch recht fadenscheinig in der Sache, denn in Griechenland gab es die Sitte eines Triumphzugs nicht, wie sie dem Römer Vitruv aber durchaus vertraut war. So kann diese Stelle in unserem Zusammenhang eigentlich auch wiederum nur so gedeutet werden, daß die stola eben das Kleid der matrona ist. 137 Diese Vitruvstelle gibt nun Anlaß zu der Frage, ob etwa die stola der römischen matrona mit einem griechischen Frauengewand - einem Peplos oder Chiton etwa - identisch oder diesem ähnlich ist. Scharf getrennt werden muß die stola der römischen Matronen auch von deijenigen, welche die Kirchenväter erwähnen. In deren Schriften wird eine "stola" von vornehmen biblischen Männern getragen. In dieser Bedeutung taucht das Wort "stola" auch mehrfach in den Übersetzungen des Alten und Neuen Testamentes auf. 138 In keiner Weise schließlich steht das erst seit dem 8./9. Jahrhundert mit dem Wort "Stola" benannte liturgische Amtsinsigne der Westkirche mit der matronalen stola in Verbindung. Die liturgische Stola wurde vor dieser Zeit - wie heute noch in der Ostkirche üblich - "orarium" genannt. 139 Doch hat es bei der Übertragung der Bezeichnung "Stola" auf das orarium sicher eine Rolle gespielt, daß "stola" in der lateinischen Literatur durchgängig auch für Gewänder aus dem mythisch-religiösen Bereich verwendet werden kann, die mit der stola der matrona nichts zu tun haben. Aus diesem Bereich wurde das Wort dann auch von der neuen Religion in die Übersetzungen ihrer heiligen Schriften übernommen und schließlich im Frühmittelalter im Bereich des lateinischen Westens von dort auf das liturgische Amtsinsigne des christlichen Priesters übertragen.
Das Aussehen der stola nach den Quellen
Die Frage nach dem Aussehen der stola kann ebenfalls mit Hilfe der antiken Schriftsteller beantwortet werden. Horaz beschreibt die Tracht, welche die matrona in der Öffentlichkeit trug, so: "ad talos stola demissa et circumdata palla" M® Zur Tracht der römischen matrona gehörten also stola und palla. Die stola reichte ihr bis zu den Fersen herab, und über der stola trug sie die palla. In den Priapäen wird eine mannstolle alte Vettel aufgefordert, ihre Scham unter der tunica und der stola zu verbergen: "... scissa sub tunica // stolaque russa ... \ 1 4 1 Aus dieser Stelle geht hervor, daß die Alte sich offensichtlich zuerst unter der tunica und dann unter der stola verbergen soll. Demnach wurde unter der stola also die tunica getragen. Zusammen mit der stola wurden außerdem die calcei muliebres getragen, wie aus einer Stelle bei Varro 21
hervorgeht.142 Die stola war so lang, daß sie die Bewegungsfreiheit der Füße behinderte, wie Tibull schreibt: "quamvis non vitta ligatos/ impediat crines nec stola longa pedes" M* Fast dieselbe Formulierung wie bei Tibull finden wir bei Ovid. Auch dieser spricht von der "stola longa", welche die Füße berührt und zusammen mit der vitta das äußere Abzeichen der matrona ist;!*4 und die ältere, schon für das 2. Jahrhundert v. Chr. belegte Bezeichnung für die stola war "vestis longa" ^ Ein wenig früher in dem schon zitierten Gedicht spricht Horaz ebenfalls von einem Kleid, mit welchem die Fersen ehrbarer Frauen bedeckt sind: "sunt qui nolint tetigisse nisi illas/ quarum subsuta talos tegat instita veste'M* Daß diese "instita" - d. h. "Band" - ein Teil der stola war, den der Dichter als pars pro toto verwendet, geht aus einem Scholion des Porphyrio zu dieser Stelle hervor, der im 2.13. Jahrhundert n. Chr. lebte. 147 Dieser schreibt, damit seien Matronen gemeint; diese nämlich hätten eine bis zu den Fußsohlen herabgelassene stola benutzt; um den untersten Teil dieses Kleides sei ein angenähtes Band herumgelaufen. Diese Erklärung der Horazstelle wurde dann auch im wesentlichen in einem dem Acro zugeschriebenen Scholion und in einem Scholion des Commentator Cruquianus übernommen. 148 Doch machte Porphyrio bei der Interpretation dieser Horazstelle einen prosodischen Fehler: Das Wort "instita" fällt nämlich bei Horaz mit dem zweitletzten Metrum eines Hexameters zusammen, das im klassischen Hexameter immer von einem Daktylus ausgefüllt wird. Aus diesem Grunde muß die Endung kurz sein; "instita" ist ein Nominativ und damit Satzsubjekt, während bei "subsuta ... veste" ein Ablativus Instrumentalis vorliegt. Daher muß die Horazstelle folgendermaßen übersetzt werden: "Deren Fersen ein Band bedeckt mit dem daruntergenähten Kleid." Diese "vestis" - nach Auskunft Porphyrios also die stola - war demnach "unter ein Band genäht", bzw. ein solches war oben an der stola angebracht. 149 Daß die "instita" wirklich ein Teil der stola war und somit als pars pro toto für diese stehen kann, geht auch aus Ovids "tristia" hervor. 150 Ovid wehrt sich dort gegen die Anschuldigungen, die ihm wegen der "ars Amatoria" gemacht worden waren, indem er beteuert, die matronae, die stola und vitta trügen, habe er von diesem Werk fernhalten wollen. Zum Beweis zitiert er dann sich selbst: "este procul vittae tenues, insigne pudoris,/ quaeque tegis medios instita longa pedes."m Ovid nennt hier zusammen mit der vitta ein "insigne pudoris", das er sodann näher erklärt als "welche du, lange instita, die Füße bis zur Mitte bedeckst". Das insigne pudoris, welches so lang war, daß es die Füße der matrona zur Hälfte bedeckte, war eben die stola, die Ovid ja dann auch einige Zeilen später wieder mit der vitta zusammen als Abzeichen der ehrbaren Matrone nennt.152 Die stola muß ein sehr faltenreiches Gewand gewesen sein, denn Vitruv vergleicht die Kanneluren einer ionischen Säule mit den Falten der matronalen stola, iss und noch ein knappes Jahrhundert später wirft Martial einer häßlichen alten Frau vor, ihr Gesicht weise mehr Falten auf als ihre stolaA54 Für die Farbe der stola lassen sich nur zwei Hinweise in der römischen Literatur finden: Varro spricht in einem Fragment seiner Menippäen von einer Frau, die eine "stola holoporphyros", eine ganz purpurne stola, trägt.155 Angesichts dieser Quelle ist daran zu erinnern, daß Purpur in der Antike die Elitefarbe schlechthin gewesen ist. 156 Wenn Varro in diesem Menippäenfragment allerdings eigens betont, daß die stola dieser Frau ganz purpurn war, liegt darin sicher ein Hinweis darauf, daß die stola in der Regel nicht ganz, sondern nur zum Teil purpurfarben war. Die andere Quelle, die uns die Farbe der stola überliefert, ist das oben bereits angeführte Priapäenzitat, denn die alte Vettel wird aufgefordert, sich "unter der zerrissenen tunica und der roten stola" zu verbergen. 157 Die Farbe ihrer stola wird dabei einfach "russa" genannt, "russus" bedeutet einen warmen oder bräunlichen Rotton. iss 22
Vorerst können wir nur fiir diese beiden literarischen Fälle konstatieren, daß die stola rot bzw. purpurn war; denn in beiden Fällen geht aus der Quelle nicht hervor, ob die rote bzw. purpurne Farbe der stola als eines ihrer Merkmale festgelegt war, und ob in ihr eine Aussage über ihre Trägerin liegt. Daß dies der Fall gewesen sein könnte, läßt sich zumindest nicht ausschließen, denn in den beiden Quellen zu dieser Frage werden zwei verschiedene rote Farben genannt: "holoporphyros" und "russus", und es ist bemerkenswert, daß die doch vermutlich auf recht niedriger Rangstufe stehende schamlose Alte mit der zerrissenen tunica nur eine "stola russa" besitzt, während ein Autor aus derselben Zeit auch von einer "stola holoporphyros" weiß. Offensichtlich ohne Kenntnis dieser beiden Quellen schrieb M. Bieber, die Farben der Gewänder für ehrbare Frauen - auch der stola - seien matt gewesen "im Gegensatz zur grellen Buntheit der Kleider für ... Dirnen".159 Dabei berief sie sich auf Sen. nat. quaest. 7,31,2: "colores meretricios matronis ... no η induendos", obwohl Seneca gar nicht sagt, welche Farben der meretrix und welche der matrona zugeordnet waren, so daß Bieber für ihre Behauptung den Beweis schuldig bleibt. Kompliziert wird die Frage nach der Farbe der stola durch eine Nachricht, die der Commentator Cruquianus bietet. i60 Diesem zufolge hätte man matronae, die wegen Ehebruchs von ihren Männern verstoßen worden wären, ihre "stola alba" fortgenommen und sie gezwungen, zum Zeichen ihrer Schande eine "toga alba" zu tragen, um sie so von den meretrices in der "toga pulla" unterscheiden zu können. Doch gibt es gute Gründe, dem Commentator Cruquianus nicht zu trauen, dessen Text höchstwahrscheinlich eine von Cruquius selbst vorgenommene Kompilation der Scholien Porphyrios und Pseudacros ist, 161 ergänzt durch "mittelalterliche Scholien, ... die nicht auf antike Quellen zurückgehen". 162 Auch in unserem Falle hat Cruquius offensichtlich in seinen sonst mit dem pseudacronischen Scholion identischen Text das "stola" ergänzende Adjektiv "alba" eingefügt; und im weiteren behauptet er dann von der Behandlung der ehebrecherischen Matronen genau das Gegenteil dessen, was das pseudacronische Scholion überliefert, das ausdrücklich feststellt, daß die Ehebrecherinnen dieselbe toga pulla tragen mußten wie die meretrices.163 Wir sollten daher eher den gesichert antiken Textzeugeniw zur Farbe der stola Glauben schenken, die davon sprechen, daß die stola von rötlicher Farbe - rot und bzw. oder purpurn - gewesen ist, als dem höchstwahrscheinlich erst von Cruquius in den Text eingefügten Adjektiv "alba" Hierzu steht nicht im Widerspruch, daß die rote Farbe auch sonst im Trachtensystem der Römer eine wichtige Rolle gespielt hat: Die ritterliche trabea war purpurrot und besaß einen scharlachroten Rand. '66 Die chlamys des römischen Soldaten war ebenso von roter Farbe wie der calceus partricius .167 Die rote Farbe eines Kleidungsstückes weist offenbar allgemein auf eine besondere Stellung seines Trägers hin, wie auch daraus hervorgeht, daß der so sehr um Vornehmheit bemühte Trimalchio eine "tunica russea" trägt. 168 Auch im Leben der römischen Frauen spielte die rote Farbe eine sehr wichtige Rolle, denn das ßammeum, der römische Brautschleier, war ebenfalls rot. 169 Wenn Rot uns in allen diesen Fällen als Farbe von besonderer Aussagekraft begegnet, wobei es bei der trabea noch mit Purpur kombiniert war, liegt es angesichts der Zitate in den Priap. 12,11 und bei Varro. Men. 229 doch sehr nahe, auch für die stola als die Standestracht der matrona eine rote Farbe anzunehmen. An dieser Stelle müssen wir auch noch einmal auf die Scholien des Porphyrio, des Pseudacro und des Cruquius zu Hör. sat. 1,2,29 zurückkommen.171 Denn diese Scholien sprechen alle davon, daß an den untersten Teil der stola ein Band angenäht war. Die Scholiasten hielten dieses Band für die instita, weil sie bereits seit Porphyrio die von ihnen erklärte Horazstelle metrisch falsch auflösten. Das pseudacronische Scholion bietet über Prophyrio hinausgehend für diese unten an die stola angenähte "instita" noch die griechische Bezeichnung "περιπόδιον" . Dies peripodion sei unten an die togae der Matronen angenäht gewesen. Solch ein Kleid mit einem daruntergenähten peripodion werde praetexta genannt. Hier machte der Scholiast den Fehler, den Matronen die toga zuzusprechen, die diese ja auf gar kei23
nen Fall trugen. 172 Cruquius nun kompilierte für seinen Commentator diese beiden Scholien, wobei er die 'toga" der matronae des Pseudacro richtig zur "stola" machte, aber den von diesem überlieferten griechischen Terminus "περιπόδιον" in "περιπέδιλον" änderte und dieses dann, ausgehend von der Bedeutung des lateinischen Wortes "instita" (= Band) als "tenuissima fasciola" beschrieb, i?3 so daß wir für den griechischen Namen dieses unten an der stola angebrachten Streifens besser an der pseudacronischen Uberlieferung "περιπόδιον" festhalten.174 Da dies peripodion auch an die toga praetexta angenäht ist, wie Pseudacro weiter schreibt, dürfen wir für die Farbe dieses unten an die stola angenähten Streifens darauf schließen, daß sie purpurn war, denn von dem Besatzstreifen der toga praetexta wissen wir, daß er purpurfarben gewesen ist. Solche Besatzstreifen an der Kleidung wurden auf lateinisch "clavi" genannt, wie aus Ulpians Digesten h e r v o r g e h t . 175 Hier erhebt sich allerdings die Frage, wie es zu erklären ist, daß unten an der stola der römischen matrona derselbe Purpurstreifen angenäht war wie an der toga praetexta. Wie wir wissen, war die purpurgesäumte toga praetexta nicht nur das Gewand der curulischen Beamten, sondern wurde als das insigne ingenuitatis auch von allen freigeborenen römischen Knaben und Mädchen getragen. 176 Ahnlich wie bei diesen die purpurgesäumte toga praetexta kennzeichnete auch die stola ihre Trägerin als freigeborene Römerin; Ausnahmen davon sind nur libertae, die mit römischen Vollbürgern verheiratet waren. Vorgenommen wurde diese Kennzeichnung der matrona, um sie als freie Römerin erkennbar zu machen, die das volle römische Bürgerrecht besaß und mit einem civis Romanus im matrimonium iustum lebte und dadurch als einzige Frau dazu imstande war, ihm legitime und damit erbberechtigte Kinder - vor allem Söhnei77 - zu gebären, denn Kinder aus illegitimen Verbindungen des Mannes gehörten weder seiner gens und Familie an, noch waren sie ihm gegenüber erbberechtigt. 1?8 Aus dieser Hauptaufgabe der römischen matrona erwuchsen auch ihre beiden anderen Lebensaufgaben: Die Erziehung der Kinder des Mannes und diejenige, in seiner Abwesenheit Hausgut und Sklaven zu beaufsichtigen. 179 In der Erfüllung dieser sozialen Funktion war die römische matrona zweifellos genauso gesellschaftsund staatserhaltend wie die freigeborenen römischen Kinder oder die cives Romani als Amtsträger. 1 so Als wie ungeheuer wichtig diese Rolle der freien römischen Frau für den Bestand des römischen Herrschaftsund Gesellschaftsgefüges auch tatsächlich empfunden wurde, wird daran sichtbar, welche gesellschaftlichen Mechanismen darauf ausgerichtet waren, diese Funktion der römischen Frau sicherzustellen: So wurde sie als Jungfrau verheiratet, und man erwartete von ihr, daß sie dem Manne gegenüber eine absolute eheliche Treue wahrte. Hierher rühren solche sittlichen und rechtlich relevanten Werte wie pudor, castitas und das ««wra-Ideal und die überaus brutalen Sanktionen bei Verstößen dagegen, deren Schlimmste für die davon betroffene Frau neben der Tötung durch den Ehemann und Verlusten an ihrer Mitgift sicher diejenige war, bei jedem Auftreten in der Öffentlichkeit durch die toga pulla als eine den meretrices gleichgestellte Ehebrecherin stigmatisiert zu sein und so durch die genaue Kennzeichnung ihres besonderen Sittenverstoßes persönlichen Angriffen und persönlicher Achtung durch die Öffentlichkeit ausgeliefert zu sein. Dazu wurde mit der toga pulla außer den meretrices auch der Stand der libertinae bezeichnet, isi Daher bedeutete die Ausstaffierung einer matrona mit der toga pulla nicht nur eine moralische, sondern auch eine soziale Deklassierung. Dazu kam seit der lex lulia de adulteriis als Schlimmstes noch die rechtliche Deklassierung, die der Betroffenen ihre Lebensgrundlage vollends entzog: Ein Ehemann wurde bestraft, wenn er seiner Frau einen Fehltritt verzieh und sie nicht verstieß, und einer wegen eines Fehltritts verstoßenen matrona wurde das ius conubii mit einem civis Romanus entzogen; auch der Mann, der eine Ehebrecherin heiratete, wurde bestraft. 182 Die Frau wurde somit für einen Fehltritt auf die rechtliche und soziale Stufe einer aus einem Bordell freigelassenen ehemaligen Sklavin hinabgestoßen, die seit der lex lulia de ordinibus maritandis ebenfalls von keinem civis Romanus mehr geheiratet werden durfte. So spielte seit 18 v. Chr.i»3 auf Betreiben des 24
Augustus die toga pulla auch eine entscheidende Rolle bei der rechtlichen Deklassierung einer Ehebrecherin, denn außer dem Abzeichen ihrer sozialen und moralischen Entwürdigung wurde die toga pulla jetzt auch das Abzeichen ihrer rechtlichen Deklassierung, das öffentlich zu tragen die Ehebrecherin nun gezwungen war. ι»4 Diese ungemein harte Bestrafung von Frauen, die sich der ehelichen Untreue schuldig gemacht hatten, wird allerdings dann etwas verständlicher, wenn man bedenkt, daß die Antike ja keinen anderen Vaterschafts- und damit Erbberechtigungsnachweis kannte, als eben die Tatsache, daß die Mutter der Erben des Mannes - d. h. seiner ehelichen Kinder - bei der Eheschließung noch Jungfrau war und in der Ehe absolut keusch lebte. Erfüllte sie diese Anforderungen nicht, so bestand naturgemäß für den Ehemann und dessen Familie die Gefahr, daß das Familienvermögen schließlich an einen "Erben" fiel, der mit dem Mann und seiner Familie nicht blutsverwandt war. Welch wichtige Rolle in diesem Zusammenhang der stola als der Tracht der matrona zufiel, durch welche diese in der Öffentlichkeit eindeutig gekennzeichnet war, zeigt auch das um die Mitte der Regierungszeit des Tiberius erlassene Gesetz, das matronae, die sich ohne stola in der Öffentlichkeit zeigten, dieselbe Strafe androhte wie für einen Ehebruch. 185 Hinter diesem Gesetz steht ganz offensichtlich eine Auffassung von der Frau, die ihr unterstellt, daß sie grundsätzlich fremde Männer zum Ehebruch auffordern wolle, wenn sie nicht durch ihre Tracht klarstellt, daß sie eine ehrbare matrona ist. Doch nicht nur die matronae selbst sahen sich von Strafen bedroht, wenn dadurch, daß sie ohne stola erschienen, auch nur der Schatten eines Verdachtes auf sie fiel, sie könnten eine Untreue beabsichtigen, sondern auch ein Dichter wie Ovid mußte wegen seiner für römische Moralbegriffe offenbar zu frivolen ars Amatoria wegen des Vorwurfes, er habe die ehrsamen Matronen in der stola damit zum Ehebruch verleiten wollen, ernstlich eine Strafe fürchten. 186 Auch das Gesetz, das eine Angeklagte in der stola vor dem Zugriff fremder Männer schützte, dürfte nicht nur dem Schutze der jeweils betroffenen matrona gegolten haben, sondern vor allem auch dem Zweck, das "Eigentum" ihres Ehemannes an ihrer Keuschheit zu schützen. is? Ausdruck dieser besonderen, den matronae in ihrer gesellschaftlichen Rolle eigenen Romanitas, die Ovid in den fasti den libertinae gegenüber so besonders betonte, iss war also vor allem der ähnlich wie bei der praetexta der Kinder und der curulischen Beamten unten an der stola angebrachte Purpurstreifen. Daß hier tatsächlich eine auch den Römern selbst bewußte Analogie zur toga praetexta der freigeborenen römischen Kinder und der römischen Beamten besteht, zeigt der Bericht des bezeichnenderweise mit Augustus befreundeten Historikers T. Livius 1 ^ über eine Senatsdebatte des Jahres 195 v. Chr., die der Wiedereinführung des Purpurs für die römischen Frauen voranging, iso Livius läßt L. Valerius, den Fürsprecher der Frauen, damit argumentieren, daß die römischen Männer sich als praetextati bei der Ausübung aller möglichen Amter des Purpurs ebenso bedienten wie die römischen Kinder. Daher dürfte auch den "matres familiae" der Römer der Purpur nicht vorenthalten bleiben,i9i damit diese nicht schlechter gekleidet seien als die Frauen der Bundesgenossen. Außerdem seien Schmuck und Purpur der römischen Frauen auch das geignete Mittel, den Reichtum und die Herrschaft Roms darzustellen. 192 Damit wird auch erklärt, weshalb in der Regel freigelassene Frauen die stola nicht tragen durften: Diese waren ja meistens mit liberti verheiratet, die nicht das volle römische Bürgerrecht besaßen, und gehörten deswegen dem Libertinenstande an. Daher waren sie auch keine römischen Matronen im eigentlichen Sinne; von diesen hebt das pseudacronische Scholion die libertinae denn auch deutlich ab: Sie mußten die toga pulla tragen wie die meretrices und ehebrecherische Matronen. 193 Ausnahmen davon gab es nur für solche libertae, die mit römischen Vollbürgern verheiratet waren, weil der gesellschaftliche Rang der Frau sich nach demjenigen ihres Ehemannes richtete. Deswegen konnten diese libertae ihren Ehegatten ebenfalls Kinder gebären, die das volle römische Bürgerrecht besaßen, und waren somit auch römische matronae. Der Bericht des Livius über die Wiedereinführung des Purpurs für die matronae muß zusammen mit der schon zitierten Stelle bei Macrobius betrachtet werden. Dort konnten wir die stola für die Zeit des Zweiten 25
Punischen Krieges als Tracht der matronae ingenuae und der mit cives Romani verheirateten libertae nachweisen.'^ Wie wir weiter gesehen haben, wurde am unteren Rand der stola tatsächlich ein Purpurclavus getragen. 195 Es scheint also so zu sein, daß sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Punischen Krieges die Römer ihren matres familiae diesen Purpurclavus endgültig zugebilligt haben.
Zusammenfassung : Die stola war ein sehr faltenreiches Gewand, daß über der tunica, aber unter der palla getragen wurde. Sie war so lang, daß sie die Füße noch zur Hälfte bedeckte. An ihren oberen Rand war die instita angenäht. Für die Botschaft, die die stola als Tracht übermittelte, waren ihre Farben von entscheidender Bedeutung: So spricht einiges dafür, daß die stola im allgemeinen von roter Farbe, "russa", war. Die wichtigste Aussage der stola über ihre Trägerin lag jedoch in dem an ihrem unteren Saum angebrachten Purpurstreifen, der analog dem Purpurstreifen an der toga praetexta die in ihrer gesellschaftlichen Rolle als mater familias eines civis Romanus begründete Romanitas der matrona kundtat. Daneben ist in einem Falle auch von der ganz purpurnen stola einer Frau die Rede, die wir dieser Farbe ihrer Tracht wegen sicher der gesellschaftlichen Elite zuzuordnen haben.
Der Nachweis der stola in der bildenden Kunst
Anhand der soeben aus den Schriftquellen gewonnenen fünf bzw. sieben Kriterien - die Farbe ist bei den Darstellungen in der Plastik ja in der Regel verloren - läßt sich die stola nun auch mit Sicherheit in der bildenden Kunst der Römer nachweisen. Als Beispiel mag zunächst eine noch unter der Herrschaft Caligulas geschaffene Statue der Livia in München (St. 16) dienen, bei der wir die stola in der Umzeichnung durch ein Punkteraster kenntlich gemacht haben (Beil. la): Diese Figur führt nun tatsächlich ein Gewand vor, das über einer "calasis" genannten tunica mit geknöpften Ärmeln und unter der palla getragen wird. Auch ist dieses Kleidungsstück so lang, daß es die Füße zur Hälfte bedeckt. An den Schultern wird es jeweils von einem doppelten Band gehalten, das dort einen Träger bildet. Dieser Träger ist am oberen Rand des Gewandes befestigt und verbindet Vorder- und Rückseite miteinander. Dieses Trägerband ist die von den Dichtern beschriebene instita. Durch die außerordentliche Weite der stola und dadurch, daß sie an den institae von den Schultern herabhängt, entsteht zwischen den Brüsten ein V-Ausschnitt, während sich seitlich offene Armschlitze bilden, die bis zur Taille hinabreichen und aus denen der die Arme bedeckende Stoff der calasis hervorquillt. Schließlich ist dieses Kleidungsstück besonders faltenreich, was sich am Oberkörper ebenso zeigt wie zwischen den Beinen, unterhalb der palla und durch die palla hindurch. Wie von den Quellen beschrieben, ist dieses Kleid tatsächlich so lang, daß es nur die vordere Hälfte der Füße freiläßt. Diese stecken in geschlossenen, vom in eine gerundete Spitze auslaufenden Schuhen, deren Sohlen besonders abgesetzt sind. Diese Schuhe müssen die von Varro zusammen mit der stola genannten calcei muliebres sein. 196 Als ein Beispiel aus der ersten Hälfte der Regierungszeit des Tiberius steht die Statue der Livilla im Thermenmuseum vor uns, die durch ihre besondere Qualität eine genaue Beschreibung ihrer Tracht ermöglicht (St. 11, Beil. lb): Die nur im Halsausschnitt der stola sichtbare tunica besteht aus einem weich und in großzügigen Falten fallenden Stoff. 197 Von der tunica unterscheidet die stola sich durch ihren deutlich faltenreicheren Stoff, der 26
Beil. la-b
auch unterhalb der palla wieder zum Vorschein kommt und nur die Fußspitzen unbedeckt läßt. Gegenüber der tunica zeichnet sich die stola wiederum durch den spitzen, V-förmigen Halsausschnitt aus. Von der Spitze dieses V-Ausschnittes ausgehend, teilt sich der Stoff der stola zu den Schultern hin in zwei sehr faltenreiche Zipfel. Oberhalb der Brust werden die beiden nach oben führenden Zipfel der stola von j e einem breiten "Querriegel "198 überspannt, der deutlich aus einem anderen Material besteht als der Stoff des Gewandes. Dieser "Querriegel" bildet den Ansatz der instita, an welcher die stola über der Schulter hängt. Die instita selbst besteht hier aus drei in sich wieder zweigeteilten Bändern. Nach der Betrachtung dieser beiden Statuen von Damen in der stola können wir nun ein weiteres Merkmal dieses Gewandes feststellen, das uns von den Schriftquellen nicht überliefert wurde: nämlich den spitzen, V-förmigen Ausschnitt auf der Brust, in welchem ein Teil der darunter getragenen tunica zu sehen ist. Dieser V-Ausschnitt läßt sich bei allen Darstellungen der stola in der bildenden Kunst wiederfinden, wo die entsprechende Körperpartie erhalten und nicht von der palla verhüllt ist. Anhand dieses neugewonnenen Merkmals kann die stola nun auch dort erkannt werden, wo ihr anderes Hauptmerkmal, die instita, nicht erhalten oder von der darübergeworfenen palla verdeckt ist. Dies ist von besonderer Bedeutung bei den frühen Darstellungen der stola, weil die Damen der spätrepublikanischen und augusteischen Zeit mit Vorliebe capite velato und fast ganz in die palla eingewickelt erscheinen. 199 Dies ist auch der Fall bei einer bald nach der ara Pads entstandenen Liviastatue aus Pompeji (St. 9), die ebenfalls die stola trägt: Bei ihr sind die institae kaum zu erkennen, weil die palla die Schultern verdeckt. Doch liegt auch hier über der tunica ein zweites Gewand mit einem spitzen, V-förmigen Ausschnitt, in welchem wie bei den beiden zuvor besprochenen Statuen die tunica sichtbar wird. Verglichen mit den großzügigen, weichen Falten der tunica sind die Falten dieses Gewandes dünner und zahlreicher; wie dort fällt dies feingefältelte Kleid auch noch über die Füße, von denen nur die vordere Hälfte darunter sichtbar wird. So können wir auch dieses über der tunica und unter der palla getragene Kleid als stola ansprechen. Von besonderer Bedeutung ist diese Statue jedoch deswegen, weil an ihr bei ihrer Auffindung noch deutliche Farbspuren beobachtet werden konnten, die leider sofort verblaßten: Der ganze Rand der palla war von einem breiten, purpurroten Streifen eingefaßt. Ebenfalls ein purpurner Streifen befand sich am unteren Rand der stola, die auch "fasce laterali discendenti lungo il fianco della figura" aufwies;200 die Farbe dieser seitlichen Streifen verschweigt der Ausgräber uns leider. Als das von Maiuri publizierte Grabungsphoto angefertigt wurde, war von dem Purpurstreifen am unteren Saum der stola bereits nichts mehr erhalten. 201 Statt dessen wies der Marmor dort einen etwas helleren Streifen auf, wie auch aus anderen Photos Maiuris hervorgeht. 202 Die von Maiuri erwähnten senkrechten Farbstreifen waren nach seiner Aufnahme (Abb. 11) nur in den Faltentälern der stola unterhalb der palla erhalten, was leicht dadurch zu erklären ist, daß die Farbe auf den Faltengraten natürlich zuerst verloren ging. Anhand dieser Schwarzweißaufnahme läßt sich schwer entscheiden, ob in den Falten der stola unterhalb der palla sich noch Reste derselben Farbe befanden wie am Saum der palla. Allerdings scheinen diese Farbreste der Photographie zufolge (Abb. 11) ein wenig heller zu sein, was dafür sprechen würde, daß sie nicht purpurn waren. Hiergegen spricht auch, daß Maiuri bei der Auffindung der Statue den Purpurstreifen unten an der stola noch als einen solchen erkennen konnte. Wäre die stola ganz purpurn gewesen, was sich mit dem Menippäenzitat in Verbindung bringen ließe,2*» hätten die Purpurreste am Saum nicht die Form eines gerade umlaufenden Streifens besessen und nach ihrem Verblassen nicht einen hellen Streifen hinterlassen. Die Autopsie der Statue bestätigt diese Überlegungen: Von den Farben ist heute so gut wie nichts mehr vorhanden. Wenn man die Figur im Schatten betrachtet, sind jedoch an verschiedenen Stellen Streifen zu beobachten, an denen der Marmor heller verwittert ist. Am unteren Rand der palla ist ein solcher hellerer Streifen zu beobachten, der dem Verlauf der Stoffkante folgend umknickt und sich an der Seite und von der linken Hand nach hinten fortsetzt. Auch am Rand des um den Kopf gelegten Teils der palla und dem kleinen umbo unter der rechten Hand ist der Marmor heller verwittert, ebenso an den Pallafalten oberhalb der linken Brust. Am unteren Saum der stola befindet sich gleichfalls ein solcher Streifen. Der Randstreifen an 28
der palla ist ca. 5 cm, der an der stola etwa 5-6 cm breit. Ein etwas heller erscheinender Streifen erscheint auf dem Photo M a i u r i s 2 0 4 auch in den Stolafalten an der rechten Seite der Statue, doch davon war bei der Autopsie nichts zu beobachten, so daß es sich hier wohl nicht um Maiuris "fasce laterali discendenti" handelt, sondern um einen Beleuchtungseffekt, der beim Photographieren zustande kam. So beweist diese Statue trotz der Unklarheit, die über die Grundfarbe der stola in diesem Falle besteht, 205 daß dieses Gewand am Saum tatsächlich einen purpurnen clavus besaß, eben das in den Scholien erwähnte peripodion, dessen purpurne Farbe oben erschlossen werden konnte. Mit dieser Porträtstatue der Livia haben wir den Glücksfall, daß uns hier eine Frau begegnet, von der wir mit Sicherheit wissen, daß sie eine freigeborene römische matrona war, d. h. eine Frau, der die stola auch zustand. Auch dürfte gerade Livia wie keine andere uns die matronale stola der augusteischen Zeit vorführen, denn es ist bekannt, daß der princeps auf besonders schlichte, traditionelle und vorschriftsmäßige Kleidung nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei seinen nächsten Angehörigen achtete, um wenigstens nach außen hin den republikanischen Schein zu wahren. Gerade Livia spielte bei der Propaganda der von den matronae erwarteten Tugenden, deren äußeres Abzeichen die stola war, eine besonders wichtige Rolle. 206 Wenn daher die stola Livias den von den Scholaisten erwähnten purpurnen Besatz am unteren Saum aufweist, dürfte an dieser Statue ganz gewiß allgemeiner Usus sichtbar werden. In einer ebenfalls spätaugusteischen Grabstatue aus der Westnekropole von Aquileia tritt uns eine zweite Römerin entgegen, deren stola sehr wahrscheinlich unten ehemals mit einem Purpurclavus versehen war (St. 10 Abb. 15): Bei ihr liegt die nur schwach herausgemeißtelte instita der stola neben dem von der linken Seite der Brust zum Kopf führenden Saum der palla. Am unteren Saum der stola befindet sich ein plastisch hervorgehobener Streifen, der ganz offensichtlich aus einem anderen Stoff bestehend gemeint ist, denn er hat nicht an der Fältelung des Stolastoffes darüber teil. Dazu ist dieser Streifen in einer helleren Farbe verwittert als der Stein darüber. Es liegt hier also dieselbe Erscheinung vor wie bei der soeben betrachteten Livia aus der Mysterienvilla. Wir dürfen daher auch hier für die ehemals vorhandene Bemalung dieses Streifens Purpur annehmen. Damit ist auch an einer privaten, provinziellen Grabstatue eine stola mit einem unten angesetzten peripodion nachgewiesen, das auch hier ehemals purpurfarben bemalt gewesen sein wird. Daß wir diesen bei Pseudacro Schol. Hör. sat. 1,2,29 als peripodion bezeichneten Purpurclavus bisher nur zweimal an der Statue einer stolata nachweisen können, wobei, bedingt durch die besonderen Umstände in Pompeji, seine purpurne Farbe nur einmal erhalten blieb, liegt mit Sicherheit daran, daß er in den meisten Fällen nur aufgemalt war und mit der Bemalung der antiken Stücke verlorengegangen ist. Die genannten Statuen aus der Mysterienvilla und aus Aquileia haben deswegen für die Rekonstruktion der stola besonderes Gewicht.207 Auch die zu Beginn des 2. Jahrzehnts v. Chr. zusammen mit der Ehrenstatue einer anderen Frau aus derselben Familie auf dem Forum von Tusculum aufgestellte Ehrenstatue der regina sacrorum Rutilia L. f. ist hier heranzuziehen (St. 2 Abb 2.4): Hier ist die stola ebenfalls an ihrem V-förmigen Halsausschnitt und an der instita zu erkennen, auf welche der Blick des Betrachters dadurch noch besonders gelenkt wird, daß die Rechte die palla förmlich zur Seite hält. Wie bei den bisher gesehenen Beispielen besteht die stola aus einem besonders feinen, faltenreichen Stoff und wird über einer tunica und unter der palla getragen. Auch hier bedeckt sie die Füße noch halb. In den Falten der stola unterhalb der palla sind auch heute noch Spuren roter Farbe sichtbar.208 Dieser Befund deckt sich mit dem, was uns in den Priapaeen über die stola der schamlosen Alten gesagt wurde: nämlich, daß sie von roter Farbe, " r u s s a g e w e s e n sei. Eine Statue antoninischer Zeit aus Italica (St. 35 Abb. 38), bei welcher die stola wiederum an der instita 29
und dem V-Ausschnitt zu erkennen ist, überliefert Farbreste, welche Rot nicht nur für die stola, sondern auch für diepalla belegen: Auf dem Leib verläuft durch stola und palla ein Riß im grauweißen Marmor der Statue. Hier muß bei der Bemalung der Statue die rote Farbe eingedrungen sein, denn der Marmor beiderseits des Risses ist heute noch rötlich eingefärbt. Nach diesen Farbresten zu urteilen, waren die stola und die palla der Sevillaner Statue wohl ehemals karminrot. Damit wird unsere Überlegung, die stola der römischen matrona sei im allgemeinen von roter Farbe gewesen, auch durch zwei archäologische Denkmäler bestätigt.210
Zusammenfassung: Anhand ihrer von den Schriftquellen überlieferten Merkmale konnte die stola nun auch im Denkmälerbestand identifiziert und genauer beschrieben werden. So ist sie in der römischen Kunst vor allem an der instita und bzw. oder an ihrem V-Ausschnitt zu erkennen, in welchem die darunter getragene tunica sichtbar ist. Diese beiden für den heutigen Betrachter entscheidenden Merkmale bilden die Grundlage für die Identifizierung von weiteren sicheren Darstellungen der stola in der römischen Kunst. Außerdem zeigte sich, daß wir auch die schriftlichen Nachrichten über ihre Farbe ernst zu nehmen haben: Die stola war tatsächlich von roter Farbe und besaß einen Purpurstreifen am unteren Saum. 211
Nochmals zu Benennung und Bedeutung der stola
An dieser Stelle gilt es nun innezuhalten, denn dieses hier als die stola der römischen matrona nun auch im Denkmälerbestand nachgewiesene Kleid ist verschiedentlich anders benannt und gedeutet worden. Diese anderen Benennungen und Deutungen bedürfen einer Überprüfung. Ihrer Form nach muß die stola von der peronatris unterschieden werden,212 einem Frauenkleid des Hochhellenismus, das über dem chiton getragen wurde, keinen Überschlag besaß und auf den Schultern von "πέροναι"
, großen, runden Fibeln, gehalten wurde.2B
Die peronatris scheint zunächst durch ihre Form und Tragweise der stola ähnlich, denn sie wird ebenfalls, wie auch die stola, über einem zweiten Gewand getragen, das auf den Schultern und Armen mit einer Knöpfung versehen ist; und wie bei der stola, so werden auch bei der peronatris Vorder- und Rückenteil nur auf den Schultern zusammengehalten. Doch anders als diese wird die peronatris dabei auf den Schultern gefibelt, während Vorder- und Rückenteil der stola durch zwei auf den Schultern aufliegende Bänder, die institae, miteinander verbunden sind. Dadurch reicht der Halsausschnitt der stola tiefer auf die Brust herab als der der peronatris, so daß das darunter getragene Gewand auch auf der Brust sichtbar wird. Dazu geht aus den schriftlichen Nachrichten über die stola und aus ihren Darstellungen hervor, daß die stola seit augusteischer Zeit immer sehr stoff- und faltenreich war, während die peronatris weniger falten- und stoffreich war.214 Schließlich ist für die peronatris, anders als für die stola, auch keine besondere Bedeutung als Standesabzeichen ihrer Trägerin nachzuweisen, denn die beiden einzigen Stellen in der Literatur, die das Wort "περονατρίς"
überliefern, erwähnen dieses Kleid nur als ein weibliches Mode- und Luxusgewand,2is
so daß die Frage, ob die stola mit einem griechischen Frauengewand identisch ist, für die peronatris verneint werden muß: Diese besitzt zwar eine oberflächliche formale Ähnlichkeit mit der stola, unterscheidet sich aber nach Form und Bedeutung so grundsätzlich von ihr, daß von einer Ähnlichkeit oder gar Identität dieser beiden Gewänder nicht gesprochen werden kann. 30
Eine andere Deutung der stola nahm A. Maiuri vor, der dieses Gewand zwar richtig als die stola erkannte, ihm aber völlig unbegründet die Bedeutung eines "costume sacerdotale Romano" zuschrieb.216 Der jüngste Versuch in dieser Richtung wurde vor kurzem von E. Zwierlein-Diehl unternommen: Ausgehend von dem Wiener Livia-Kameo (Gl. 1) deutet sie den über den Kopf gezogenen Mantel "und das eigenartige Obergewand" als "priesterliche Attribute". Dieses "eigenartige Obergewand" beschreibt sie sodann als "eine Art Ependytes mit einem geflochtenem Träger auf der rechten, einem glatten Träger auf der linken Schulter".217 Diese Deutung der stola nahm sie im Anschluß an H. Möbius vor, der ohne jede Begründung das geflochtene Band des Obergewandes der Livia auf diesem Kameo als "Abzeichen einer Priesterin" hinstellt. 218 Dabei ging E. Zwierlein-Diehl so weit, die stola bzw. den "Ependytes", wie sie dieses Gewand nennt, mit einer bestimmten Gruppe von Priesterinnen in eine nähere Verbindung bringen zu wollen, nämlich den flaminicae der Kaiserkulte,219 obgleich sie selbst zugeben muß, dieses Gewand sei "nicht ausschließlich der flaminica Augustalis vorbehalten" gewesen, 220 sondern werde auch von anderen kaiserlichen Damen getragen, die keine kultische Funktion ausübten, 22 i womit ein besonderer Kultcharakter dieses Kleidungsstückes an sich schon ausgeschlossen ist. Trotz dieser in sich widersprüchlichen Argumentation will sie wegen des "Ependytes" in der Livia auf dem Wiener Kameo die "Priesterin des neuen Staatskultes", d. h. des Divus-Augustus-Kultes, wiedererkennen, denn "aus dem Ependytescharakter" gehe hervor, daß es sich um ein Kultgewand handle. 222 Die Benennung und Deutung dieses Gewandes als "Ependytes" nahm E. Zwierlein-Diehl wohl im Anschluß an Thierschs Untersuchung "Ependytes und Ephod" vor, in der dieser den Versuch unternahm, auf archäologischem Wege orientalische und alttestamentliche Priestergewänder nachzuweisen und zu r e k o n s t r u i e r e n . 223 Dagegen hat jedoch R. Fleischer gezeigt, daß das Wort "Ependytes" sich mit keinem antiken Kleidungsstück verbinden läßt.224 So läßt sich also ein Ependytes- oder sonstiger Kultcharakter für dieses Gewand auch auf dem Wege des Vergleichs mit orientalischen Kultgewändern nicht nachweisen, zumal das hier besprochene Gewand den von Thiersch als "Ependytes" bezeichneten Gewändern in keiner Weise ähnlich ist.225 Das gilt auch für das von Thiersch als Ependytes bezeichnete Kleid einer Frauenstatue des späten 3. Jahrhunderts v. Chr., in der dieser eine "Umstilisierung der alten samische Heratracht" sehen wollte, wie sie auf römischen Münzen überliefert ist.226 Die Tracht dieser Statue aus Samos hat jedoch weder etwas mit der Tracht des dortigen Herakultbildes zu tun, noch mit dem hier diskutierten Gewand. Die Statue aus Samos führt uns statt dessen einen langen und sehr weiten, auf den Armen genähten chiton aus sehr feinem Stoff vor, der so untergürtet ist, daß der kolpos bis in die Höhe der Waden herabhängt. Daß es sich hier tatsächlich um den sehr tief hängenden kolpos eines chiton handelt und nicht um ein zweites, nur bis zur Wade reichendes, über einem anderen getragenes Gewand, zeigt sich daran, daß die vom rechten Ellenbogen der Statue herabfallende Faltenpartie eindeutig unten in Höhe der rechten Wade in den kolpos übergeht. Das wäre nicht möglich, wenn es sich um zwei verschiedene Gewänder handelte, von denen das obere, bis zu den Waden reichende, seitlich Armschlitze besitzen müßte, aus denen der Stoff des unteren Gewandes hervorträte. 22 ? Daher läßt der chiton der Statue aus Samos sich auch nicht mit dem hier zur Debatte stehenden Kleid verbinden oder gar gleichsetzen, das ja immer über einem anderen Gewand getragen wird und auch nicht nur bis zu den Waden, sondern bis zum Boden reicht und die Füße noch halb bedeckt. Dennoch bleibt auch angesichts der Behauptung Maiuris, die stola gehöre zum "costume sacerdotale Romano", 228 die Frage, ob dieses Kleid die Tracht der flaminica Augustalis gewesen sein könnte und deswegen von Livia und anderen im Divuskult tätigen Frauen des Kaiserhauses getragen wurde. Um dies zu untermauern, sucht E. Zwierlein-Diehl nachzuweisen, daß Livia als sacerdos Divi Augusti den Titel flaminica Augustalis getragen habe, was aber wohl kaum der Fall gewesen sein kann. 2 2 ' Auch müßte dieses Kleidungsstück, wenn es tatsächlich zur Amtstracht der flaminica Augustalis gehört hätte, von der einzigen flaminica Augustalis getragen werden, von der wir ein Bildnis besitzen: von Licinia Flavilla aus Nemausus 31
(Abb. 65).230 Doch ist gerade dieses nicht der Fall: Licinia Flavilla, die nach der Aussage ihres in spätflavisch-frühtrajanische Zeit zu datierenden Grabstei23 nes ! die Gemahlin eines ritterlichen Offiziers war,232 trägt nur eine einfache tunica. Das von E. Zwierlein-Diehl "Ependytes" genannte Kleid fehlt ihr und kann darum gar nicht ihre Priesterinnentracht als flaminica Augustalis sein. Das priesterliche Amtsinsigne der Licinia Flavilla ist die von ihr im Haar getragene infula, von welcher ihr ebenso wie anderen Priesterinnen und Priestern die vittae auf die Schultern herabfallen233 und das auch von Livia getragen werden kann, wenn sie, wie auf dem Kameofragment in Rom (Gl. 4), als sacerdos Divi Augusti auftritt.234 Dagegen bestätigt Licinia Flavilla unsere aus den Schriftquellen gewonnene Feststellung, daß die stola in frühflavischer Zeit bereits die Tracht der senatorischen Damen geworden ist, die von Frauen aus dem Ritterstand, dem ja auch Licinia Flavilla durch ihre Ehe mit einem Ritter angehört, und von Frauen aus der plebs nicht mehr getragen wird. Gegen diese fälschliche Benennung der stola als "Ependytes" erhob auch W. Trillmich bereits zweimal Einspruch, wobei er auch darauf hinwies, daß die stola sich an zahlreichen privaten Statuen und Büsten nachweisen läßt.235 Mithin kann also auch der andere Vorschlag E. Zwierlein-Diehls, neben der Tracht der flaminicae Augustales sei dies Kleid die Tracht kaiserlicher Damen ohne priesterliches Amt gewesen,236 als hinfällig angesehen werden, und es bleibt bei der Identifizierung dieses Gewandes mit der stola.237 Nicht getragen wird die stola von der Frauengestalt, die auf den Hochzeitssarkophagen zwischen den im Handschlag miteinander verbundenen Eheleuten erscheint. M. Bieber hatte in ihr in Anlehnung an die damals übliche Deutung der Hochzeitssarkophage jene matrona sehen wollen, die bei einer römischen Hochzeit als pronuba fungierte. Dementsprechend setzte sie für diese Figuren voraus, daß bei ihnen die stola "äußerlich sicher bezeugt" sei,238 ohne diese Figuren indes einer näheren Prüfung zu unterziehen. Diese "pronuba" ist inzwischen als die Göttin Concordia gedeutet worden.239 Mit dieser Deutung stimmt überein, daß Concordia auf keinem der Sarkophage mit der stola bekleidet ist und gelgentlich sogar mit venushaft entblößter Brust dargestellt wird,240 wie dies für eine römische matrona angesichts ihrer Rolle in der Gesellschaft schlechterdings unmöglich ist.24i Auch im Obergewand der Dea Barberini wollte M. Bieber eine stola e r k e n n e n . 242 Das Gemälde stammt sehr wahrscheinlich aus der domus Faustae und dürfte etwa im 2. Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts n. Chr. geschaffen worden sein. Dargestellt ist eine mit Attributen der Dea Roma ausgestattete Venus.243 Gegen Biebers Deutung ihres Obergewandes als stola spricht neben der Entstehungszeit des Gemäldes gut anderthalb Jahrhunderte nach den letzten Darstellungen der stola in der bildenden Kunst und lange nach ihrem Verschwinden aus dem wirklichen L e b e n 2 4 4 von vornherein die Tatsache, daß keine andere Darstellung einer stolata sich auf eine Göttin beziehen läßt. Dazu hat die Form dieses Gewandes, das auf der Schulter von einer kleinen Fibel gehalten wird und auch noch den rechten Oberarm bedeckt, nichts mit der stola der matrona gemein, die ja nur auf den Schultern aufliegt, die Arme aber immer unbedeckt läßt. Das Obergewand der Dea Barberini greift statt dessen auf hellenistische Obergewänder zurück etwa von der Form der peronatris. Wie von M. Bieber und W. Trillmich bereits beobachtet, ist die stola nun tatsächlich an zahlreichen Porträtstatuen und -büsten n a c h w e i s b a r . 2 4 5 Dazu wird sie von Frauen auf Grabreliefs, auf Kameen, Gemmen und Münzen getragen. An einen Teil dieser Darstellungen werden wir nun mit der Frage nach ihrer kunsthistorischen Stellung innerhalb ihrer jeweiligen Gattung herantreten, ohne die wir keine Antwort über die zeitliche Verbreitung der stola als Tracht und über den Wandel ihrer Form gewinnen können.
32
CHRONOLOGIE,
STILENTWICKLUNG U N D IKONOGRAPHIE AUSGEWÄHLTER
PORTRÄTS
MIT
DER S T O L A 2 4 6
Statuen
St. 1 Mutter-Tochter-Gruppe, Rom, Palazzo dei Conservator! Inv. 2176. Helbig4 II Nr. 1607; W. Trillmich (1976) 38 mit Anm. 126. 47f. 81 mit Anm. 283. Taf. 10-11; Fittschen-Zanker III 39 Nr. 42 Taf. 54; H. Gabelmann, Jdl 100, 1985, 505 Abb. 4. 517ff.- Abb. 1. H: (der Frau) 1.85 m. FO: Rom. Der Frauenfigur liegt der pudicitia-Typus z u g r u n d e . 247 Die Gruppe wird allgemein in die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. datiert aufgrund der noch an hellenistischen Idealen orientierten Proportionen des Frauenkörpers mit dem kleinen Kopf, den langgestreckten Gliedmaßen und dem etwas ungelenkem Stand. Auch die Frisuren der Frau und des Mädchens finden um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Parallelen.248
St. 2 RUTILIA · L · F • MATER · TER • REGIN(a sacrorum), Vatikan, Mus. Chiaramonti Inv. 1699. Amelung, Vat. Kat. I 544f. Nr. 357 Taf. 57; CIL XIV Nr. 2741 u. ebenda 493; Schmidt Iff.; Polaschek 150 mit Anm. 32.- Abb. 2. 4. H: 1.88 m. FO: 1817 auf dem Forum von Tusculum zusammen mit St. 3 gefunden. Typologisch sind für diese Statue keine genauen Vorbilder zu fassen.249 Einen äußeren Hinweis auf die Datierung der Statue dieser regina sacrorum250 aus Tusculum bietet die Inschrift: "MATER · TER · REGIN", denn aus ihr geht hervor, daß Rutilia L. f. drei Kinder geboren hat. Daß dies in der Inschrift der Statue eigens betont wird, soll offenbar zum Ausdruck bringen, daß Rutilia L. f. das 18 v. Chr. von Augustus eingeführte ius trium liberorum besaß. So besitzen wir einen terminus post quem für die Figur. 251 Die Haare der regina sacrorum Rutilia sind an Stirn und Schläfen in lockeren, parallelen Wellen waagerecht nach hinten geführt und an den Seiten eingeschlagen. Die Ohren sind zur Hälfte bedeckt. Am Oberkopf verlaufen die leicht gewellten Haarsträhnen senkrecht. Diese Frisur einer Dame, die der plebeischen N o b i l i t ä t 2 5 2 und damit der Oberschicht entstammte, nimmt bereits auf die Ceresfrisur Livias Bezug, für die uns der Kopf in Berlin den frühesten erhaltenen Beleg liefert.253 Doch ist der stilistische Abstand zur ara Pacis noch erheblich: Die Figur der Rutilia ist insgesamt flacher und stärker auf die Front bezogen; der Stand wirkt zwar weniger ungelenk als bei St. 1, doch ist die Stufe der ara Pacis nicht erreicht. Die palla ist entschieden faltenreicher und läßt die Körperrundungen nicht in dem Maße hervortreten wie bei der Livia oder der Antonia m i n o r 2 5 4 ; die Falten wirken wie auf das Gewand gelegte Schnüre und sind noch nicht wie an der ara Pacis zum organischen Bestandteil eines sich 33
um den Körper spannenden Gewandes geworden. Auch die Anlage des Gesichtes entspricht noch nicht den betont weich gerundeten Frauengesichtern der ara Pads,255 sondern eher dem gespannteren, stärker auf das Knochengerüst darunter Bezug nehmenden Gesicht der stolata auf Rel. 1, während das Gesicht von Bü. 3 noch etwas schlanker und weniger starr gestaltet ist.
St. 3 RUTILIA P F · AVIA, Vatikan, Mus. Chiaramonti Inv. 1695. Amelung, Vat. Kat. I 543f. Nr. 355 Taf. 57; CIL XIV Nr. 2742; Schmidt Iff.; Polaschek 150 mit Anm. 32.- Abb. 3. 5. H: 1.93 m. FO: 1817 auf dem Forum von Tusculum gefunden zusammen mit St. 2. Eine vergleichbare Art der Manteldrapierung findet sich bei einer hellenistischen Statue in Izmir,256 doch liegt bei der Rutilia P. f. keine typologisch exakte Wiederholung vor. 257 Die Frisur der Rutilia P. f. ist ähnlich angelegt wie die ihrer Verwandten: Auch hier sind die Haare auf dem Oberkopf vom Mittelscheitel ausgehend in senkrechten, leicht gewellten Strähnen zu den Seiten geführt, während das Haar über Stirn und Schläfen in lockeren, parallel zum Gesichtskontur laufenden Wellen nach hinten geführt ist; auch die Anregung zu dieser Frisur dürfte von der Ceresfrisur Livias ausgegangen sein.258 Die Datierung ins beginnende vorletzte Jahrzehnt v. Chr., die durch den Hinweis auf das ius liberorum in der Inschrift der mit dieser Statue zusammen aufgestellten und in derselben Werkstatt gearbeiteten St. 2 gegeben ist, wird auch durch die Inschrift an der Basis dieser Statue gestützt: Rutilia P. f., die sich in ihrer Inschrift selbst "avia", also "Großmutter", nennt, muß eine Tochter des P. Rutilius Lupus gewesen sein, der 56 v. Chr. Volkstribun war und dann im Bürgerkrieg auf Seiten des Pompeius stand.259
St. 4 Rom, Mus. Capitolino Inv. 2294. NSc 1923, 380f. Abb. 2; Mustilli 188 Nr. 111 Taf. 109 Abb. 419; Schmidt 3 mit Anm. 13.- Abb. 6. H: 1.62 m. FO: Die Figur befand sich als Grabstatue an der Via Salaria. Diese Figur aus dem typologischen Umkreis der betenden Frauen260 steht den Rutiliae stilistisch sehr nahe. Ε. E. Schmidt vermutete, daß die Figur aus derselben Werkstatt stammt.261
St. 5 Rom, Via Barberini 97, im Besitz der KLM. Schmidt 5 mit Anm. 17.- Abb. 7. FO: Aus dem Kunsthandel. Die Statue gehört einem den Pudicitien nahestehenden Typus an. 262 34
Die Frisur dieser Frau orientiert sich ebenso wie die der Rutiliae (St. 2-3) am Cerestypus der Livia. Auch hier führen von Stirn und Schläfen fast waagerecht verlaufende, locker gewellte Strähnen zum Hinterkopf, wo sie in einem Knoten zusammengefaßt sind. Der Aufbau und die flache Anlage der Statue erinnern noch an die Rutiliae. Auch hier wirkt das Gewand wie vor den Körper gehängt. Die Falten erscheinen ähnlich schnurartig aufgelegt, doch anders als bei der motivisch verwandten Rutilia L. f. (St. 2) wölben sich einige Faltenbögen am linken Oberschenkel und an dem vorn herunterhängenden Mantelzipfel nach oben, wodurch das Gewand lebendiger wird. Auch die Anlage des Gesichtes geht schon etwas über die Rutiliae hinaus: Das Gesicht ist hier weniger starr und bereits stärker dem harmonischen Oval der Frauengesichter der ara Pacis a n g e n ä h e r t . 263 So dürfte diese Statue bereits etwas jünger sein als die Rutiliae.
St. 6 Rom, Mus. Capitolino Inv. 2295. Mustilli 188 Nr. 112 Taf. 109 Abb. 418; Schmidt 4 mit Anm. 14.- Abb. 8. H: 1.52 m (mit Plinthe). FO: unbekannt. Der statuarische Typus steht dem der palliata nahe, wie er von St. 9 repräsentiert wird,264 ohne ihm indes anzugehören. Gegenüber den Statuen 2-5 zeigt diese Figur eine deutlichere Ponderation, der Stand ist flüssiger, die Formen des Körpers treten stärker hervor, die Falten sind zahlreicher und straffer geworden, haben mehr Eigenleben bekommen und dienen nun zur Herausmodellierung der Körperformen.
St. 7 Valle di Pompeji. Abb. 9 FO: Valle di Pompeji? Die Figur wiederholt den Typus der F u n d i l i a . 2 6 5 Das Haar ist in der Mitte gescheitelt und war, soweit die Bestoßungen noch erkennen lassen, ähnlich wie bei St. 2, 3 und 5 über der Stirn in lockeren Wellen nach hinten geführt, wobei auch hier die Ohren halb bedeckt waren, wie bei Livia im C e r e s t y p u s . 2 6 6 Aufgrund der hängend um die rechte Hüfte und den rechten Oberschenkel herumgeführten Faltenzüge besteht noch eine gewisse Verwandtschaft zu den Statuen 2-5. Wie bei St. 6 wirkt auch hier der Stand besser ponderiert; doch übertrifft sie diese noch an Geschlossenheit. Der Mantel gewinnt an Schwere und wirkt lebendiger; die Falten haben den schnurartig aufgelegten Charakter ganz verloren und bilden sich organisch aus dem Gewand heraus, das nun den Körper noch deutlicher modelliert.
St. 8 Rom, Mus. Capitolino, Atrio 3 Inv. 38. Stuart Jones, Mus. Cap. 27 Nr. 8 Taf. 5; Schmidt 8 mit Anm. 33-35; Bieber, Copies 198 Abb. 808; 35
Fittschen-Zanker III If. Nr. 1 Taf. 1.- Abb. 10. H: 1.93 m. FO: unbekannt. Diese Figur gehört demselben Statuentypus wie die Livilla im Thermenmuseum an267 und steht zwischen den Rutiliae (St. 2-3) und der ara Pacis (Rel. 4): Der Stand ist jetzt gelöster und die Körperkonturen treten deutlicher hervor als bei den Rutiliae; doch ist auch hier die Stilstufe der ara Pacis noch nicht erreicht. Der Faltenfall bekommt deutlich mehr Spannung als bei St. 6 und 7, wie sich besonders an der rechten Körperseite unterhalb des Bausches der palla und am rechten Oberschenkel zeigt. Aber die Falten werden noch nicht in der Weise wie bei der ara Pacis dazu benutzt, ganze Körperpartien zu modellieren; sie sind hier noch deutlich zahlreicher als dort und verhüllen den Körper stärker. Die Zugehörigkeit des Kopfes ist umstritten; dagegen sprach sich zuletzt P. Zanker aus268 mit dem Argument, die nur an der Fuge zwischen Einsatzkopf und rechter Schulter der Figur erhaltenen originalen Mantelfalten stimmten nicht genau überein und seien überarbeitet worden, als der Kopf der Statue aufgesetzt wurde. Solche Unstimmigkeiten, wie hier von Zanker beobachtet, treten bei Statuen mit Einsatzköpfen jedoch häufiger auf und stellen kein sicheres Argument dagegen dar, daß der auf dieser Statue befindliche Einsatzkopf für die erste Aufstellung der Figur gearbeitet wurde, bei welcher man den Kopf auf die Figur setzte und versuchte, solche durch Meßungenauigkeiten entstandenen Fehler zu beheben, daher die nachträgliche Überarbeitung; Kopf und Figur entstammen jedenfalls derselben Zeit.269
St. 9 Livia, Pompeji, Antiquario. Maiuri, villa 223-32 Abb. 93-98; ders. BdA 10, 1930/31, 3-17; De Franciscis 55f. Abb. 56ff.; Gross 128f.; Schmidt 27f. mit Anm. 143-48; Bieber, Copies 136. 164 mit Anm. 6; Fittschen-Zanker III 3f. Anm. 5 zu Nr. 3.-Abb. 11-14. Η: 1.85 m (mit Plinthe 1.91m). FO: Die Figur war im Peristyl der Villa dei Misteri an die Wand gelehnt. Maiuri vermutete, daß sie zu dem Apsidialraum der Villa gehörte, der z. Zt. ihres Untergangs restauriert wurde. 270 Diese Statue der Livia27i gehört wie die Antonia minor von der ara Pacis dem Figurentypus der palliata an. 272
Der stilistische Befund weist die Statue in das letzte Jahrzehnt v. Chr.: Die Mantelfläche wirkt geschlossener als bei der Antonia minor auf der ara Pacis,273 die palla und auch die aufgesetzten Falten wirken blecherner, fester, und die Formen des Gesichts sind etwas schwerer und fülliger als bei der Livia der ara Pacis,274 doch ist die Oberfläche noch nicht so verfestigt wie bei der Iulia auf dem Florentiner Altar (Rel. 7). So geht diese Statue zeitlich sicher schon über die ara Pacis hinaus, doch ist die Stilstufe von Rel. 7 noch nicht erreicht. Kopf und Körper sind übrigens getrennt gearbeitet und von verschiedener Qualität. Der Kopf wurde für das Einsetzen in den dafür vorgesehenen Hohlraum noch extra bearbeitet und mit Mastix befestigt; er scheint mehr auf den Rumpf gestellt als in diesen eingefügt, was in der Wirkung zu einem ähnlich langen Hals führt wie bei St. 8.
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St. 10 Aquileia, Mus. Archeologico Inv. 51980. V. Scrinari, AquilNost 27, 1956, 73f. Abb. 1; dies, in: Arte e civilta romana nell' Italia settentrionale dalla repubblica alia tetrarchia, Catalogo (1964-65) I Taf. 63 Abb. 120, II 198 Nr. 287; Schmidt 12 mit Anm. 49; Scrinari 37 Nr. 101 Abb. 101; M. Borda, RM 80, 1973, 46 Taf. 14,2.- Abb. 15. H: 1.80 m. FO: Aquileia, Westnekropole. Diese Figur vom Typus der F u n d i l i a 2 7 5 gehört dem provinziellen Kunstkreis Norditaliens an. Sie zeigt uns, wenn auch wesentlich schematischer dargestellt, eine ähnliche Frisur wie die Livia aus der Mysterienvilla. Beide tragen das Haar in der Mitte gescheitelt und von der Stirn in einzelne, voneinander getrennte und nach unten hin leicht eingeschlagene Haarbüschel geordnet nach hinten gestrichen, so daß der Haaransatz über der Stirn einen leicht spitzen, halbrund geführten Bogen bildet. Doch auch stilistisch zeigt St. 9 von allen bisher besprochenen Statuen die meisten Ähnlichkeiten mit der Grabfigur aus Aquileia: Wie diese zeigt auch die Aquileienserin gegenüber St. 8 gedrungenere Proportionen und eine stärkere Betonung der Körperrundungen, die wie bei St. 9 durch wenige lange, die folienartig und sehr geschlossen um den Körper herumgeführte Mantelfläche gliedernde Falten erreicht wird. So läßt sich die Grabstatue aus Aquileia derselben Zeit zuweisen wie St. 9.276
St. 11 Livilla, Rom, Mus. Nazionale delle Terme Inv. 121216. Felleti Maj 56 Nr. 89 Abb. 89; Schmidt 39f. mit Anm. 213f.; Polaschek 170 mit Anm. 125; Museo Nazionale Romano, Le Sculture I 8,1 198ff. Nr. IV,8.- Titelabb. Abb. 16-17 Beil. Ib. H: 1.83 m. FO: 1931 auf der Tiberinsel in Rom in der Aufschüttung unter dem Hospital Benefratelli gefunden. Diese Figur gehört demselben Statuentypus an wie St. 8. Aufgrund der um eine einfache Löckchenreihe über der Stirn bereicherten Wellenfrisur wurde die Statue in tiberische Zeit datiert. 277 Tatsächlich läßt sich diese Frisur auf einem Kameo in London wiederfinden, den M. L. Vollenweider mit Livilla in Verbindung brachte und in die Jahre um 20 n. Chr. datierte.278 Auch auf Gl. 3 begegnet uns dieselbe Frisur. Die Deutung auf Livilla wird dadurch gesichert, daß sich die eingebrannten Haarwellen mit den kleinen Löckchen über Stirn und Schläfen auch auf dem Pietas-dupondius des Jahres 22/23 n. Chr. feststellen l a s s e n d Denn auf Livia ist der Pietas-dupondius aus drei Gründen nicht zu deuten: Das Profil des Münzbildnisses entspricht nicht dem auf dem gleichzeitigen Salus-augusta-dupondius (Mü. 1). Die Beischrift "augusta" als Hinweis auf Livia fehlt. Außerdem ist diese Münze für den damaligen Kronprinzen Drusus minor, Livillas Gemahl, geprägt worden.280 Daher kann die Pietas-Münze von 22/23 n. Chr. sich nur auf die damals zweite Dame am Hofe, Livilla, beziehen, die als Schwiegertochter des Tiberius 19 η. Chr. Zwillingsknaben geboren hatte. 281 Weiter sprechen für Livilla die offenbar gezielte Beschädigung dieser Statue am Kopf und ihr Fundort in einer Aufschüttung auf der Tiberinsel, denn diese Prinzessin verfiel 32 n. Chr., ein Jahr nach ihrem Sturz, der damnatio memoriae.282 Offenbar wurde die Statue zu diesem Zeitpunkt beseitigt. Damit besitzen wir für sie das Jahr 32 n. Chr. als terminus ante quem. Stilistisch geht diese Statue deutlich über die Livia aus der Mysterienvilla (St. 9) hinaus: Sie ist stärker gerundet, der Faltenfall der nun weicher gestalteten Gewänder ist großzügiger geworden und die Faltentäler tiefer. Die Kleider sind in ihrer stofflichen Qualität jetzt deutlich voneinander differenziert. Ikonographie 37
und Stil der Statue bestätigen also den allgemein akzeptierten Ansatz in die erste Hälfte der Regierungszeit des Tiberius.
St. 12 Parma, Mus. Nazionale d'Antichita Inv. 1870 n. 146, Inv. 1952 n. 831. Saletti 23ff. Nr. 1 Taf. If.; K.-P. Goethert, RM 79, 1972, 236. 238f. 246f.; C. Saletti, RM 83, 1976, 145-55; H. Jucker, Jdl 92, 1977, 205f.- Abb. 18. H: 1.75 m (mit Plinthe). FO: 11.6.1761 in der Basilica von Velleia gefunden. Diese einem Schulterbauschtypus angehörende F i g u r 2 8 3 ist die älteste unter den Frauenstatuen aus der Basilica von Velleia. Mit der straff und eng um den Leib geführten palla, unter der sich die Körperrundungen deutlich hervorwölben, läßt sie sich an eine Bronzestatue aus Herculaneum anschließen, die am Ubergang zu einer neuen Stilphase in der zweiten Hälfte der Regierungszeit des Tiberius steht.284 Mit dieser verbinden sie auch die von der linken Taille schräg nach außen wegführenden Faltenbahnen des vom linken Ellenbogen gehaltenen Zipfels der palla und die kleinteilige Wiedergabe der stola. Allerdings lösen sich die hier zahlreicheren Gewandfalten etwas stärker vom Grund als dort, so daß sie etwas jünger als diese sein wird. Das wird auch durch den Vergleich mit den anderen Frauenstatuen aus der Basilica von Velleia bestätigt: Gegenüber den Figuren Saletti Nr. 3285 und Saletti Nr. 4286 ist das Standmotiv flüssiger wiedergegeben. Der Mantel legt sich organischer, straffer und knapper um den Körper. Sie ist also früher anzusetzen als die Figuren Saletti Nr. 3 und 4, deren unsicheres Stehen und stoffreichere Gewänder an die Münchner Livia (St. 16) erinnern, aber auch früher als die Figur Saletti Nr. 2,287 die stilistisch ein wenig nach der Fundilia (St. 14) anzusetzen ist wegen der etwas größeren Stoffülle des Gewandes, des ein wenig ungelenken Standes, der bereits St. 15 entspricht, und schließlich wegen der fein ausgearbeiteten Gesichtszüge, die mit Bü. 15 und 16 vergleichbar sind.
St. 13 Livia, Vatikan, Sala dei Busti Inv. 637. Amelung, Vat. Kat. II 538ff. Nr. 352 Taf. 70; Heibig4 I Nr. 183; Schmidt 49f. mit Anm. 260f.; Fittschen-Zanker III lf. Anm. 6 Nr. ο zu Nr. 1.- Abb. 19. H: 2.11 m. FO: 1780/81 zusammen mit zwei Statuen des Augustus in der Basilica von Otricoli gefunden. Diese Statue im Typus einer B e t e n d e n 2 8 8 geht stilistisch noch etwas über St. 12 hinaus; die Körperrundungen werden ähnlich betont, die Gewandfalten jedoch sind weniger kleinteilig, sondern fallen großzügiger, wie besonders an stola und Knüpfärmel tunica sichtbar wird. Darin nähert diese Statue sich bereits der Fundilia (St. 14), doch ist die Stoffülle der Gewänder, wie sie diese zeigt, hier noch nicht erreicht, auch wenn die Falten am Oberkörper bereits recht frei und locker fallen, so daß man mit Schmidt auf eine Datierung in spättiberische Zeit kommt.289
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St. 14 FUNDILIA, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 708. Poulsen I 114 Nr. 78 Taf. 134. 136. 138f.; Schmidt 60 mit Anm. 312; Bieber, Copies 200 Abb. 830. H: 1.78 m (mit Plinthe). FO: 1887 in der ala des Μ. Servilius Quartus im Dianaheiligtum von Nemi gefunden.290 Die Fundilia wiederholt den Statuentypus, der auch St. 7 und 10 zugrunde liegt. Aufgrund der mitgefundenen Togastatue des C. Fundilius Doctus , 291 die wegen der Togaform claudisch datiert wird, setzte Schmidt auch die Fundilia in claudische Zeit.292 Das ist wegen des Stils jedoch nicht haltbar, denn stilistisch geht die Fundilia zwar mit ihrem etwas weniger geschwungenen Standmotiv über St. 13 hinaus, doch ist der breitbeinig-unsichere Stand der Münchner Livia (St. 16) noch nicht erreicht. Dazu ist das Gewand am Unterkörper und den Beinen deutlich faltenreicher und weniger scharfgratig aufgelegt als bei St. 13; doch sind die Falten noch nicht so zahlreich und fein wie bei St. 15. Auch die Art, wie das Gesicht gearbeitet ist mit der glatten, im Gegensatz zum Haar ein wenig polierten Oberfläche und den zu den Schläfen hin scharfgratig nach oben ausschwingenden Brauenbögen, deutet auf eine Entstehung der Statue am Ende der Regierungszeit des Tiberius hin; vergleichen läßt sich hier Bü. 13.
St. 15 Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6083. Guida Ruesch 16 Nr. 48.- Abb. 20. H: 1.86 m. FO: Im Fortunatempel von Pompeji gefunden. Die Statue erinnert mit ihrem Standmotiv und der Art ihrer Manteldrapierung an Frauenstatuen des 4. Jahrhunderts v. Chr., wie etwa die Artemisia.293 In der Stoffülle der Gewänder und in der Art, wie die Falten der tunica innerhalb des V-Ausschnitts der stola wiedergegeben sind, wird die stilistische Nähe zu St. 14 deutlich. Gegenüber dieser werden hier jedoch einige stilistische Fortschritte sichtbar: Das Standmotiv ist breitbeiniger und unsicherer geworden, die Falten ein wenig kleinteiliger und härter. Damit steht die Neapler Statue der Münchner Livia (St. 16) näher als die Fundilia (St. 14).
St. 16 Livia, München, Glyptothek Inv. 367. Furtwängler, Beschreibung 366 Nr. 367; Bieber, RE 61,14ff.; Schmidt 51 mit Anm. 265. 53; U. Krön, Jdl 92, 1977, 153f. mit Anm. 43. Abb. 14; K. Vierneisel-P. Zanker (Hrsgg.), Die Bildnisse des Augustus (1979) 97 Abb. 10,10.- Abb. 21 Beil. la. H: 1.91 m (mit Plinthe). FO: In Fallerone in Picenum gefunden. Die Drapierung des Mantels ist mit ähnlichen Darstellungen auf griechischen Grabreliefs verglichen 39
worden.
294 Daneben zeigt diese Statue in der Anordnung der palla Ähnlichkeit mit den Hüftbausch-
statuen.295
Aufgrund der Inschrift auf ihrer Plinthe "AUGUSTAE · IULIAE · DRUSI · F" ist diese Statue benennbar und in die Zeit zwischen 14 und 41 n. Chr. zu datieren, denn Iulia Augusta war der Name, den Livia seit ihrer testamentarischen Adoption durch Augustus führte, bis sie im Jahre 42 von Claudius zur Diva erhoben wurde. Daß die Figur der Regierungszeit des Claudius näher steht als der des Tiberius, zeigt der Stilvergleich mit St. 15. Verglichen mit dieser ist das Standmotiv noch etwas breitbeiniger und unsicherer geworden. Die Falten sind von feinerer und härterer Arbeit als bei St. 14 und 15. Auch tritt diesen gegenüber der Körper deutlicher unter den Gewändern hervor, wie es sich etwa an Brüsten und Oberschenkeln zeigt. Dazu ist die Oberfläche der Statue von einer durchscheinenden porzellanhaften Glätte, ein Zug, der sich bei Skulpturen der caliguläischen Zeit häufiger findet.296 So wird auch dieses Werk in caliguläischer Zeit entstanden sein.
St. 17 Torso einer Sitzstatue, Rom, Mus. Capitolino Inv. 3077. Stuart Jones, Mus. Cap. 86 Galleria Nr. 2 Taf. 23.- Abb. 22. H: 0.65 m. FO: Aus der Sammlung Albani. Kopf nicht zugehörig. Hier ist das Motiv des Hüftbausches auf eine Sitzstatue ü b e r t r a g e n . 2 9 7 Durch die Art, wie das füllige, stoffreiche Gewand sich vom Körper löst, stellt das Statuenfragment sich stilistisch neben St. 16, geht aber in der recht trockenen Arbeit etwas darüber hinaus. Eine stilistische Neuerung bilden hier die Falten, die halbmondförmig die Brüste überfangen. Der Leib tritt hier noch nicht ganz so deutlich unter dem Gewand in Erscheinung wie bei dem Fragment in Parma (St. 18). Doch wird auch dieses Stück bereits in claudischer Zeit entstanden sein.
St. 18 Statuenfragment, Parma, Mus. Nazionale d'Antichita F. Poulsen, Portraitstudien in norditalienischen Provinzmuseen (1928) 55f. Abb. 135; A. Frova-R. Scarani, Parma, Museo Nazionale di Antichita (1965) 157 Nr. 12 Taf. 96,2; Zanker, Augustus 169 Abb. 131.-Abb. 23. H:
1.20 m.
FO: Im römischen Theater von Parma gefunden. Die Zugehörigkeit des Kopfes ist nicht sicher.298 Das bei dieser den Hüftbauschstatuen verwandten F i g u r 2 9 9 gegebene Verhältnis zwischen Körper und Gewand geht in den lockeren reichen Falten, die sich vom Körper lösen, über St. 16 und 17 hinaus. Mit dem halbmondartig die Brüste umfahrenden Faltenmotiv nähert sich der Torso schon den Statuen aus Leptis Magna (St. 19-20), doch treten die Brüste hier noch nicht so betont hervor wie dort. Insgesamt ist die Arbeit hier etwas trocken; dazu verwendet der Künstler ausgiebig Ritzungen. 40
St. 19 Antonia minof, Tripolis, Mus. S. Aurigemma, Afrlt 8, 1941, 76f. Abb. 51f.; Schmidt 54f.; Polaschek, Studien 21 Taf. 3,2. 5,1; D. Hertel, MM 22, 1981, 256 Anm. 6. 257 Anm. 13.- Abb. 24. H: ca. 2.10 m. FO: Außerhalb des größeren Tempels des alten Forums in Leptis Magna gefunden. Dies ist wenigstens aus den knappen Angaben Aurigemmas zu schließen,3°° der unsere Figur zu einer Gruppe von Statuen gestellt hat, die sämtlich von außerhalb der Tempel des Foro Vecchio stammen. Zu dieser Gruppe stellte Aurigemma auch eine Statue der Agrippina maior (St. 20). Diese Fundsituation ist allerdings jüngst angezweifelt w o r d e n . 301 Bei dieser Statue der Antonia minor mischen sich verschiedene Typenvorbilder: In der Art, wie der Mantelwulst unter der rechten Brust hervorkommt, während die linke Brust von Mantelfalten umschlossen und der linke Arm von der palla bedeckt ist, mögen statuarische Vorbilder wie die Hygieia Hope30? Pate stehen. Die halbrund vor dem Standbein zur Spielbeinhüfte hin mit der Linken geraffte palla erinnert an Statuen vom Cerestyp 303 und andere hellenistische Manteldrapierungen. 304 Darüber hinaus ist die Antonia mit einer Statue aus Pergamon 305 auch hinsichtlich des Standmotivs und der Faltenführung an den Beinen verwandt, so daß auch hier von einer Neuschöpfung durch einen römischen Künstler gesprochen werden muß, der souverän mit den ihm zur Verfügung stehenden älteren Motiven umzugehen wußte.3°6 Aurigemma verband diese Antonia minor, die er noch auf Livia deutete, aus stilistischen Gründen mit einer auf dem Forum von Leptis Magna gefundenen Gruppe von fünf Inschriftbasen, die 45/46 n. Chr. datiert sind und von denen eine der Livia gewidmet war. 307 Antonia minor wird auf keiner der erhaltenen Basen erwähnt, doch wäre sie als Mutter des Claudius in einer dessen Familie geweihten Statuenstiftung durchaus zu erwarten. 308 Gegenüber St. 15 und 16 ist hier das Standmotiv weniger verhalten, sondern bewegter, schwungvoller und stärker ponderiert. Zugleich ist die Figur stärker auf die Vorderansicht hin komponiert. Die Falten lösen sich mehr vom Grund und sind stärker verschattet. Ahnlich wie bei St. 17 und 18 wird die Brust hier von einer sich über ihr bildenden halbrunden Staufalte überfangen, doch tritt sie hier deutlicher in ihrer gerundeten Form hervor. Der Stil der Statue spricht also keineswegs gegen, sondern eher für die Verbindung mit den Basen der Weihung von 45/46.
St. 20 Agrippina maior, Tripolis, Mus. S. Aurigemma, Afrlt 8, 1941, 79. Abb. 56; Schmidt 55 mit Anm. 285; W. Trillmich, Jdl 86, 1971, 195 Anm. 43; Polaschek, Porträttypen 12 mit Anm. 6 Nr. 6; W. Trillmich, MM 25, 1984, 137f. mit Anm. 8 Taf. 27a; Fittschen-Zanker III 5 Anm. 3k zu Nr. 4.- Abb. 25. FO: Außerhalb der Tempel des alten Forums in Leptis Magna gefunden. 309 Bei dieser Statue klingen in der Drapierung der palla Vorbilder aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. an, 3 i° deren Motive ähnlich schon im frühen Hellenismus miteinander verbunden worden waren, 3 n doch ist ein direktes statuarisches Vorbild nicht auszumachen, vielmehr haben wir hier wie bei St. 19 eine eigenständige Schöpfung der römischen Kunst vor uns. Auch wenn Aurigemma ausdrücklich auf eine definitive Aussage darüber verzichtete, ob die Funde vom Foro Vecchio z u s a m m e n g e h ö r e n , 3 ^ so ist doch sehr wahrscheinlich auch diese Statue mit der in das Jahr 41
45/46 η. Chr. datierten Statuenweihung zu verbinden, auch wenn sich keine Basis für eine Agrippina maior erhalten hat. Sehr wahrscheinlich kam sie erst nach der Heirat ihrer Tochter mit Claudius im Jahre 49 n. Chr. dazu.3i3 W. Trillmich verband diese Figur mit einer anderen Statuenweihung, die zwischen 23 und 32 n. Chr. zu datieren ist.314 Demnach müßte sie etwa St. 11-12 stilistisch nahestehen. Von diesen unterscheidet sie sich jedoch deutlich: Die Faltentäler zwischen den Beinen sind tief eingebohrt und stark verschattet in einer Weise, die St. 11-12 völlig fremd ist. Fremd sind diesen ebenfalls die Falten des Mantels, die nicht organisch durch den Zug des Stoffes entstehen, sondern wie eigenständige Gebilde vor den Leib gelegt bzw. gehängt sind. Völlig anders als dort ist auch die Bildimg der Brust, die hier tiefer ansetzt und deutlich als eine große, runde, gewölbte Form hervortritt, die nach oben hin von einer halbrunden Falte überfangen wird, die wir so bei keinem tiberischen Werk finden konnten, sondern erst bei St. 17-19. Mit der Antonia minor dagegen (St. 19) ist unsere Figur stilistisch eng verbunden; ihr Stand ist vielleicht noch etwas schwungvoller, das Gesicht etwas schmaler, und die Haare weisen jetzt Bohrungen auf, so daß sie noch ein wenig jünger sein mag als diese und vielleicht wirklich nach der Hochzeit des Claudius mit Agrippina minor der Gruppe hinzugefügt wurde.
St. 21 Statuenfragment Vatikan, Ambulacro Inv. 103. Lippold, Vat. Kat. III2, 4f. Nr. 5 Taf. 4; Schmidt 56f.; Polaschek, Studien 42 mit Anm. 68. 45 mit Anm. 82.- Abb. 26. H: ca. 0.66 m. FO: unbekannt. Wir dürften hier den Torso einer Hüftbauschstatue vor uns haben. 315 Der wohl zugehörige Kopf vom Bildnistypus Leptis-Malta wurde von K. Polaschek in claudische Zeit d a t i e r t . 3 Die Art, wie die Brüste fest und rund durch das Gewand stoßen, geht stilistisch über St. 19-20 hinaus. Dasselbe gilt für die Art, wie die Falten der stola sich an den Brustkorb schmiegen, den sie jedoch noch weitaus mehr verbergen als bei der motivisch vergleichbaren Agrippina minor in Petworth House (St. 23). Dazu war der Bildhauer hier noch bemüht, die Stoffqualität der stola von der der Knüpfärmeltunica abzuheben, so daß wir uns mit diesem Statuenfragment in der zweiten Hälfte der Regierungszeit des Claudius befinden.
St. 22 Vatikan, Galleria delle Statue Inv. 558. Bernoulli III 183 Nr. 9; Amelung, Vat. Kat. II 621 Nr. 408 Taf. 59; Fittschen-Zanker III 7 Anm. 4 zu Nr. 5; Typ II Nr. k. Beil. 3a-b. H:
1.89 m.
FO: An der Via Cassia unweit des sogenannten "Grabes Neros" gefunden. Die Zugehörigkeit des Kopfes ist ungeklärt. Der Statuentypus nimmt auf eine Tyche des 4. Jahrhunderts v. Chr. Bezügen ohne ihr indes genau zu folgen. In der Art, wie die Falten von der Brust ausgehend auf den Körper gelegt diesen modellieren, steht 42
St. 21 am nächsten. Der Bausch der palla zeigt noch mehr Substanz und ist nicht so zergliedert wie bei St. 23; und auch der Stand zeigt noch nicht eine so betonte Ponderierung wie dort. Eine Datierung in spätclaudische Zeit legt auch der Vergleich mit einer Reliefplatte aus dem inschriftlich dem Claudius geweihten Sebasteion von Aphrodisias nahe, auf welcher Agrippina minor in ihrem III. Bildnistypus und Nero bereits mit Panzer und Feldhermbinde erscheinen.318 Für eine Datierung noch in spätclaudische Zeit spricht auch, daß das Standmotiv noch nicht den starken S-förmigen Schwung aufweist wie bei St. 23. Auch ist diese Statue noch weniger auf die Vorderfläche hin orientiert als jene.
St. 23 Agrippina minor, Petworth House. Μ. Wyndham, Catalogue of the Collection of Greek and Roman Antiquities in the Possession of Lord Leconfield (1915) 4f. Nr. 3 Taf. 3; Fittschen-Zanker III 6f. Anm. 4 zu Nr. 5: Typ IV. 48 Anm. 1 zu Nr. 60. Beilage 6 a-d. H: 1.93 m. FO: unbekannt. Η. J. Kruse führte diese Statue unter den Hüftbauschstatuen auf.319 Der Statuentyp, der von St. 31 wiederholt wird und dem statuarischen Typus der Iulia auf Rel. 7 ähnlich ist, läßt sich nicht auf ein griechisches Vorbild zurückführen, sondern wir haben es mit einer eigenständigen römischen Schöpfung zu tun. 320 Das Porträt gehört dem Agrippina-minor-Typus IV an, den P. Zanker bereits neronischer Zeit zuordnete. 521 Für eine Datierung dieses Typs in die letzten Lebensjahre der Agrippina spricht auch ein 55 n. Chr. geprägter Denar, der zu ihren letzten Münzen gehört und sie ebenfalls mit über der Stirn durchlaufenden Löckchen zeigt. 322 Damit dürfte dieser Porträttypus Agrippina minor als Kaiserinmutter zeigen. Das engt die Datierung der Statue auf den Zeitraum 55-59 n. Chr. ein, denn 59 wurde Agrippina minor bereits ermordet. Auch stilistisch haben sich gegenüber St. 19-20 deutliche Veränderungen ergeben: Das Standmotiv ist schwungvoller, die Formen des Leibes treten durch tunica und stola hindurch wie nackt in Erscheinung, während die einzelnen Faltenpartien wie naß auf den Leib gelegt sind. 323 Hierin weist sie bereits auf die sog. Claudia Octavia in Olympia voraus.32"* Doch ist das Bemühen, die Figur in die Fläche zu breiten, bei der Agrippina Petworth noch weitaus verhaltener als dort, denn der vor den Beinen hängende Teil der palla und ihre an der linken Seite herabhängende lacinia sind noch nicht in dem Maße in die Vorderfläche gebreitet wie bei der Figur in Olympia. Statt dessen wirkt die Agrippina im Vergleich mit der Metroonfigur stärker in den Raum hinein gedreht. Auch sind die Körperformen, die unter dem Gewand zum Vorschein kommen, schlanker und zierlicher als bei der Figur aus dem Metroon. Angesichts des oben angestellten Münzvergleichs und des erheblichen stilistischen Abstands zu der Figur aus dem Metroon dürfte diese Statue wohl noch zu Lebzeiten der Agrippina entstanden sein, denn nach ihrer Ermordung ist unter Nero wohl nicht mehr mit Statuen für sie zu rechnen.
St. 24 Torso Frankfurt a. M., Liebighaus Inv. 80. Bildwerke aus dem Liebighaus (1967) Nr. 9; Kruse 439 Anm. 167 Nr. 5; F. Eckstein-Η. Beck, Antike Plastik im Liebighaus (1973) Nr. 14; Bieber, Copies 23 Abb. 19; P. C. Bol, Liebighaus, Führer durch die Sammlungen, Antike Kunst (1980) 60 Abb. 73.
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Η: 0.78 m. FO: 1908 aus dem römischen Kunsthandel erworben, angeblich aus Paestum. Von H. J. Kruse wurde das Stück unter den Hüftbauschstatuen aufgeführt.525 Die Kleider sind ähnlich wie bei der Agrippina Petworth am Rumpf in einzelne Falten aufgelöst. Der Körper darunter wirkt ähnlich schlank und zierlich. So schließt sich der Torso eng an St. 23 an.
St. 25 Berlin, Pergamonmus. Inv. Ol. 1. Olympia III 257f. Taf. 63,3; Schmidt 67f.; Sh. C. Stone, AM 100, 1985 , 385 Taf. 83,3; R. Bol, Jdl 101, 1986, 289-307 bes. 294 mit Anm. 15. 297 Abb. 14. 300 mit Anm. 29.- Abb. 27. 28. H: 1.82 m. FO: Als Teil einer Statuengruppe im Metroon von Olympia gefunden. Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung326 ist die Fundgruppe aus dem Metroon keine einheitliche S tatuenweihung .327 So wie die Gruppe jetzt vor uns steht, muß sie nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. aus ζ. T. schon vorhandenem Statuenmaterial zusammengestellt worden sein,328 denn der mitgefundenen, auf Vespasian zu deutenden Panzerstatue ist eine Iudaea capta beigegeben. 329 Daher muß die stilistische Datierung für jede der Statuen einzeln vorgenommen werden, zumal neuerdings die ganze Gruppe in frühneronische Zeit datiert wurde. Unter den Frauenstatuen aus dem Metroon nimmt diese Statue, für die der Bildhauer einen Schulterbauschtypus gewählt hat,331 eine Sonderstellung ein. Das geht aus ihrer besonderen technischen Zurichtung hervor. 332 Bei der Darstellung der Formen läßt sich gegenüber der Agrippina minor333 und der kopflosen Hüftbauschstatue aus dieser Fundgruppe eine gewisse Zurückhaltung beobachten. Auch besitzen die Gewänder noch mehr Substanz und können in ihrer Stoffqualität deutlicher unterschieden werden. Dagegen weist die Statue noch einige Gemeinsamkeiten mit der Agrippina Petworth (St. 23) auf: Vergleichbar sind die recht stumpfe, etwas trockene Art der Oberflächengestaltung, die feine, an den nassen Stil erinnernde Fältelung der stola über der rechten Brust und die klar und übersichtlich neben- bzw. übereinander angeordneten Falten der palla am rechten Bein. Trotzdem werden gegenüber der Agrippina Petworth einige stilistische Fortentwicklungen erkennbar: Die ganze Figur wirkt etwas gespannter. Der Bausch der palla ist stärker zerfurcht als dort, die Falten der palla zwischen den Beinen sind tiefer verschattet, und die stola weist zwischen den Füßen kleinere und zahlreichere Falten auf. Auch die Oberflächengestaltung ist nicht mehr ganz so trocken und stumpf wie bei St. 23. Andererseits ist aber die teigig-porzellanene Glätte der Priesterin aus dem Macellum von Pompeji (St. 27) noch weit entfernt. Demnach ist die Berliner Figur älter als die beiden anderen Frauenstatuen aus der Metroongruppe und entstammt der zweiten Hälfte der Regierungszeit Neros.334 Die Statue wurde offensichtlich recht bald nach ihrer ersten, neronischen, Aufstellung mit einem neuen Einsatzkopf versehen und in die vespasianische Gruppe integriert.
St. 26 Paris, Mus. du Louvre 1190. J. Charbonneaux, La scuplture Grecque et Romaine au Musee du Louvre (1963) 164 Nr. 1190; Schmidt 70 mit Anm. 379; Bieber, Copies 23 Abb. 18.- Abb. 29. 44
Η:
2 . 0 1 m.
FO: Aus Gabii, aus der Sammlung Borghese in den Louvre gelangt. Kopf nicht zugehörig. Die Figur wiederholt Motive derselben Tychestatue wie St. 22.335 in den Motiven der Manteldrapierung schließt sie sich an eine männliche Statue aus Pergamon aus dem dritten Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. an 336 ; hier ist also ein im Hellenismus an einer männlichen Statue entwickeltes Gewandmotiv auf eine weibliche Statue übertragen.337 Die Statue schließt sich stilistisch mit der ähnlich trockenen und glanzlosen Art der Oberflächengestaltung noch an die Agrippina Petworth (St. 23) und an St. 25 an.338 Vergleichen lassen sich insbesondere die kerbschnittartigen Falten, die von den Brüsten herabhängen. Stärker noch als bei St. 25 sind die Faltentäler der stola unterhalb der palla verschattet. Doch bekommt diesen beiden Statuen gegenüber der Frauenkörper ein neues, kräftigeres Volumen, das bereits auf spätflavische Körperformen vorausweist, wie sie St. 28-29 zeigen. Auch der Stand ist stärker gestrafft und sicherer als bei diesen beiden Statuen. Die palla ist gleichfalls voluminöser und zugleich etwas weicher und glatter gestaltet, eine Tendenz, die bei der Priesterin aus Pompeji (St. 27) ihre Fortsetzung finden wird. So dürfte diese Statue am Übergang von der Zeit Neros zur Zeit Vespasians entstanden sein.
St. 27 Statue einer Priesterin, Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6041. Guida Ruesch 241 Nr. 998; Maiuri, villa 247 Anm. 5; Bieber, RE 61,2ff.; Rumpf 22 Nr. 2. 25. Taf. 2c; De Franciscis 63 Abb. 72f.; Reuterswärd 190 mit Anm. 538; Schmidt 62 mit Anm. 322; W. Trillmich, MM 15, 1974, 186 Anm. 10; Bieber, Copies 23 Abb. 17; H. Döhl-P. Zanker in: F. Zevi (Hrsg.) Pompeji 79 (1979) 194; Fittschen-Zanker III 48 mit Anm. 2 zu Nr. 61; Zanker, Augustus 318 Abb. 253.- Abb. 30. 32. H: 1.87 m. FO: gefunden in der Nähe einer der Nischen in der Rückwand des Macellums von Pompeji, das dem Kaiserkult diente. Diese Statue einer P r i e s t e r i n 3 3 9 entstand in Anlehnung an einen Typus, dem auch eine Porträtstatue in London34*) und die Agrippina minor aus dem Metroon in O l y m p i a 3 « angehören. Der zugrundeliegende Statuentypus wurde von dem römischen Bildhauer allerdings leicht variiert. Gegenüber der Kaiserinmutterfrisur der Agrippina minor, wie sie uns St. 23 zeigt, ist der Mittelscheitel hier fast ganz aufgegeben, und die Locken sind nicht mehr sauber in drei Registern geordnet wie dort. Vergleichbar ist hier ein Frauenbildnis spätneronisch-frühflavischer Zeit auf dem Kapital. 3 « Von der Frisur der Domitia, wie sie in einem kurz nach dem Regierungsantritt Domitians entstandenen Porträt überliefert ist,343 ist die Frisur der Pompejanerin noch um einiges entfernt. Mit dem Untergang Pompejis 79 n. Chr. haben wir für diese Statue einen terminus ante quem·, wegen der guten Erhaltung der Figur wurde mehrfach eine Aufstellung nach dem Erdbeben von 63 n. Chr. vermutet. 344 Auf stilistischem Wege läßt die Datierung der Figur sich jedoch noch weiter auf die Zeit kurz vor dem Vesuvausbruch einengen; etwa ab der Mitte der 70er Jahre n. Chr. wird sie geschaffen worden sein: Von der Statue Louvre 1190 (St. 26) unterscheidet die Priesterin sich durch die sorgfältig geglättete, teigig-porzellanene Oberfläche, die auch nicht mehr die Weichheit besitzt wie bei der Pariser Figur. Gleichzeitig sind auch die Körperformen konzentrierter, knapper und fester dargeboten, so daß der Eindruck einer gewissen Härte entsteht. Auch der Kopf zeigt gegenüber dem spätneronisch-frühflavischen Porträt auf dem Kapitol eine Weiterentwicklung: Die Locken sind jetzt stärker aufgebohrt, und über den Schläfen bildet sich 45
ein Haarbausch. Doch ist die Stufe der zu Beginn der Regierung Domitians geschaffenen Domitia in St. Petersburg noch nicht erreicht. Auch die Gesichtsformen sind etwas voller, runder, gespannter und weniger trocken als bei dem kapitolinischen Porträt, gleichzeitig aber auch härter gearbeitet, ohne indes auch hier die Stufe der Domitia St. Petersburg zu erreichen.
St. 28 Vatikan, Galleria dei Candelabri Inv. 2737. Lippold, Vat. Kat. III2 404f. Nr. 46 Taf. 171.- Abb. 31. H: 1.85,5 m. FO: Die Statue wurde in der Nähe von Tusculum gefunden. Kopf nicht zugehörig. Diese Hüftbauschstatue345 steht stilistisch zwischen der Priesterin aus Pompeji (St. 27) und der Domitia aus Sabratha (St. 29). Gegenüber St. 27 ist eine weitere Steigerung des Körpervolumens mit pralleren und stärker verfestigten Körperformen festzustellen. Auch das Standmotiv der Figur ist gestraffter. Im V-Ausschnitt der stola finden wir eine ähnlich feine Fältelung wie bei St. 27, doch zeigt sich hier, an den von den Brüsten nach unten führenden Falten und an denen des Pallabausches, eine größere Teigigkeit und zugleich eine noch etwas weiter gehende Härte. Bei der Darstellung der stola über den Füßen ist ebenfalls eine Veränderung zu beobachten: War bei St. 27 und den vorhergehenden Statuen der untere Saum der stola noch sorgfältig auf die Plinthe gelegt und nach außen hin etwas aufgebogen, so trifft dies bei dieser Statue nur noch in weitaus geringerem Maße zu, während neben dem linken Bein die Stolafalten jetzt fast senkrecht auf die Plinthe stoßen. Hier deuten sich also Tendenzen an, die sich in deutlich stärkerem Maße bei St. 29 wiederholen, so daß wir mit dieser Statue in die 80er Jahre n. Chr. kommen dürften.
St. 29 Domitia, Sabratha, Mus. G. Caputo, QuadALibia 1, 1950, 19ff. Taf. 8a. 9; Die Flavier 120f.; Schmidt 69 mit Anm. 374; Kruse 119 mit Anm. 168; Fittschen-Zanker III 6f. Anm. 4 zu Nr. 5: Typus III Nr. 1.- Abb. 36. H: 2.11m. FO: 1941 in der Exedra des Forums von Sabratha gefunden zusammen mit einer Panzerstatue des Titus und einer Togastatue Trajans. Die Statue zeigt einen Hüftbauschtypus.346 P. Zanker sah in dem Porträt Agrippina minor im III. B i l d n i s t y p , 3 4 7 doch ist für diese kein Bildnistyp überliefert, der ihr Haar am Hinterkopf zu einem breiten, flachen Dutt zusammengefaßt zeigen würde wie bei dieser Dame, bei welcher vom Haaransatz geflochtene Zöpfe zum Hinterkopf führen, wo sie in dem Dutt zusammengefaßt sind. Dagegen sind flavisch-trajanische Frisuren eher mit derjenigen dieser Frau vergleichbar. 548 Mit M. Wegner ist wegen des hochgenommenen Nackenhaars eine Deutung dieser durch ihr Diadem als kaiserliche Dame ausgewiesene Frau auf Domitilla a b z u l e h n e n . 3 4 9 Die von ihm vorgeschlagene Deutung auf Marciana, die er im Vergleich mit der Physiognomie eines Porträts in Ostia vornahm,350 scheint gleichfalls nicht stichhaltig. Die Züge Marcianas sind schmaler und gestraffter, insbesondere bei der Wangenlinie im Profil. Auch ist Marcianas Doppelkinn nicht so ausgeprägt. Mit dem Porträtkopf der Figur aus Sabathra läßt sich dagegen die Frisur des Kopfes Mus. Naz. delle Terme 4219 verbinden^: Bei diesem 46
auch stilistisch nahestehenden und von M. Wegner ans Ende der domitianischen Zeit gesetzten Porträt der Kaiserin finden wir die nach hinten zu einem Dutt hochgeführten Zöpfe wieder. 352 Insbesondere jedoch erinnert die Gesichtsform an den Kopf in Rom: Das Gesicht ist über den Jochbeinen betont breit. Die von den inneren Augenwinkeln ausgehenden Falten, die Nasolabialfalten und die von den Mundwinkeln nach unten geführten Falten entsprechen sich, desgleichen die Anlage des Mundes, dessen Oberlippe etwas schmaler ist als bei Marciana. Daher dürfen wir auch dieses Porträt als eines der Domitia auffassen. Nachdem Domitia zumindest als Mitwisserin den Sturz ihres Gemahls mit vorbereitet und damit den Aufstieg der Adoptivkaiser ermöglicht hatte, und angesichts der Tatsache, daß sie noch bis weit in hadrianische Zeit hinein lebte,353 wurde ihr Bildnis offensichtlich auch aus einer unter Trajan erweiterten Porträtgalerie nicht entfernt. Das Diadem spricht allerdings dafür, daß Domitia noch Kaiserin war, als die Statue geschaffen wurde. Die auch schon durch die stilistische Ähnlichkeit mit dem Domitiakopf in Rom nahegelegte Datierung ans Ende der Regierungszeit Domitians bestätigt auch der Stilvergleich mit den Cancelleriareliefs, die bald nach 93 n. Chr. entstanden sind3*»: Für die nun gegenüber St. 28 feststellbare Längung der Figur lassen sich die stehenden Vestalinnen vom Fries Β der Cancelleriareliefs ebenso vergleichen 355 wie in den nun mit der Standfläche endenden Falten des Kleides zwischen den Beinen. Gegenüber St. 28 ist die Oberfläche deutlich glatter, fester und härter geworden, auch hierin den Cancelleriareliefs entsprechend. Zugleich haben die Falten der palla wie dort eine neue Teigigkeit gewonnen, die ihre Entsprechung in den Mantelfalten auf beiden Friesen35^ ebenso findet wie die zwischen den Beinen beginnenden und auf dem rechten Oberschenkel sich spaltenden Faltenzüge. 357
St. 30 Vatikan, Galleria dei Candelabri Inv. 2762. Lippold, Vat. Kat. III2, 388f. Nr. 23 Taf. 168f. H: 1.63 m. FO: unbekannt. Kopf nicht zugehörig. Der Statuentyp entspricht weitgehend dem der Agrippina Petworth (St. 23) und von St. 31, ohne allerdings mit diesem identisch zu sein. Kruse führte die Statue unter den Hüftbauschtypen mit Gürtung auf.358 Gegenüber St. 29 sind die Falten bedeutend teigiger geworden. Die Faltentäler bestehen aus tief eingekerbten Bohrungen, während sich die Höhen verbreitert und stärker gerundet haben. Darin kommt sie den Mädchengestalten auf dem Fries des N e r v a f o r u m s 3 5 9 S o deutlich nahe, daß diese Statue etwa in die Mitte der 90er Jahre n. Chr. datiert werden muß.
St. 31 Marciana Vatikan, ehem. Lateran Inv. 10784. EA 2245 Ser. VIII Sp. 14f.; Giuliano 45 Nr. 49 Taf. 31f. Abb. 49a-c; Helbig4 I Nr. 1152.; Ostia V 49 Nr. 68 Taf. 39; Schmidt 87 mit Anm. 427; Kruse 113f. 325f. D2 Taf. 42; Bieber, Copies 178 Abb. 775f. H: 2.17 m. FO: 1862 in Ostia in der Nähe des Tempels am Tiberufer in einem Gebäude gefunden, dessen Ziegelstempel 117-34 datiert sind.
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Die Statue wiederholt den Typus der Agrippina Petworth.360 H. v. Heintze erkannte in dem Porträt Marciana,361 und tatsächlich weist es im Profil und in der Frisur einige Gemeinsamkeiten mit dem der Schwester Trajans auf,362 wenn auch die Frisur dieser Statue sonst für Marciana nicht überliefert ist. Die Frisur der Lateranstatue zeigt über Stirn und Schläfen noch einen ähnlichen Löckchenkranz wie bei der Domitia in St. Petersburg.363 Dies konservative Element spricht für Calzas Datierung in frühtrajanische Zeit. Auch der Stil bestätigt Calzas Ansatz: Es setzt sich hier die schon bei St. 30 festgestellte Stilentwicklung zu harten, aber zugleich gesteigert teigig-gerundeten und jetzt etwas flacheren Falten fort, während die Faltentäler jetzt schmaler und stärker verschattet sind, so daß die Statue eher linear als plastisch gegliedert scheint. Hierin und in der Verfestigung der Oberfläche zu einer teigigen Starre entspricht die Statue aus Ostia nun genau den Mädchenfiguren vom Fries des Nervaforums.364 In der Behandlung des Gesichts lassen sich gegenüber der Domitia aus Sabratha (St. 29) dieselben Fortschritte feststellen: Auch hier ist die Oberfläche deutlich starrer und fester geworden, die Nasolabialfalten und die Einziehung zwischen Unterlippe und Kinn sind jetzt graphischer, weniger weich und organisch dargestellt. So wird diese Statue am Anfang der Regierungszeit Trajans, nicht allzulange nach St. 30, entstanden sein. Diesen Ansatz bestätigt auch der Vergleich mit der vorderen Tyche in der Alimentarszene des Beneventer Trajansbogens365; hier sind die Formen von Gewandfalten und Gesicht bereits von völlig anderem Charakter; sie wirken voluminös und aufgeblasen, wovon die Statue im Vatikan noch deutlich entfernt ist.
St. 32 Sabratha, Mus. Inv. 108. G. Caputo, QuadALibia 1, 1950, 21. Taf. 8b; Schmidt 96 mit Anm. 476; Kruse 119f. 333f. D19. H: 1.71 m. FO: In der Exedra der Basilica von Sabratha gefunden. H . J . K r u s e stellte die F i g u r zu den Hüftbauschstatuen.366
Die teigige Art der Falten der palla oberhalb des rechten Knöchels, die Art, wie sie um das rechte Bein nach hinten führen, und wie die Stolafalten am Oberkörper als nebeneinandergelegte, runde, feste Wülste auftreten, erinnert so deutlich an die Marciana Vatikan (St. 31), daß auch hier eine Datierung an den Beginn der trajanischen Zeit zutreffen wird.
St. 33 München, Glyptothek Inv. 427. Hundert Tafeln Taf. 75; Hekler 198; Furtwängler, Beschreibung 384f. Nr. 427.- Abb. 33-35. H: 1.75 m. FO: 1814 aus dem Palazzo Bevilacqua in Verona erworben. Das Standmotiv und die Art der Manteldrapierung erinnern an die Artemisia,367 doch nimmt die Statue in der Art, wie der Mantelbausch vor dem Leib geführt ist, Bezug auf die von Kruse zusammengestellten Hüftbauschstatuen. 368 Soweit die Frisur erhalten ist, legt sie eine Datierung in die Zeit der Faustina minor nahe, auch wenn bei unserer Dame die Ohren unbedeckt gelassen sind. Ihre Frisur läßt sich mit der eines Faustinakopfes in Cambridge vergleichen, der dem 6., wohl um 159 n. Chr. geschaffenen Porträttypus dieser Kaiserin zuzu48
ordnen ist369; "sie trägt einen ähnlich geformten Dutt unter dem Mantel und hinter dem Ohr ebenfalls eine einzelne Korkenzieherlocke. Auch die Frisur der Faustinaköpfe des 162 n. Chr. entstandenen 8. Typus läßt sich mit derjenigen unseres Porträts vergleichen. Die Wiedergabe von Haar und Inkarnat führt uns mit der von feinen, gleichmäßigen Strähnen durchzogenen Haaranlage und der mit einer verhältnismäßig flachen, im Bereich von Schläfe und Jochbeinen recht breiten Anlage des Gesichtes in unmittelbare stilistische Nähe zu dem Kopf dieses Typus im Thermenmuseum, 371 der in die 60er Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. gehören dürfte,372 wobei aber wohl eher an den Anfang der 60er Jahre zu denken ist, denn die durch einen mitgefundenen Marc Aurel erst nach 169 n. Chr. datierte Büste aus Istanbul373 zeigt bereits durch Bohrkanäle gegliedertes Haar. Auch der stilistische Befund der Statue selbst spricht für diese Datierung. Vergleichen läßt sich hier eine Statue der Faustina maior auf dem Kapitol, die aufgrund ihrer Haargestaltung wohl ebenfalls schon den 60er Jahren angehört. 374 Brüste und Oberkörper sind in ähnlicher Weise herausmodelliert. Vergleichbar ist die Art, wie die Falten über die Brüste nach unten geführt sind und dabei wie flachgedrückt am Leib kleben. Auch die artifiziell sich schlängelnden Faltenmotive, die sich dort bilden, wo Knüpfärmeltunica bzw. stola vom Mantelbausch überfangen werden, finden wir bei beiden Statuen. Ahnlich sind schließlich auch die Art, wie die Faltentäler im Mantelbausch enden, der etwas schwerfallig-weiche Fall der Mantelfalten und die zwischen den Füßen durch parallele Bohrungen angegebenen Falten. Dazu haben Inkarnat und Gewänder jetzt einen porzellanhaften Glanz bekommen, während das Haar stumpfer gelassen ist. 375
St. 34 Paris, Mus. du Louvre 1037. F. de Clarac, Musee de Sculpture antique et moderne (1832-34) Taf. 327 Abb. 692; Bernoulli 112 93. Nr. 6; Cat. Somm. (1896) 54 Nr. 1037.; Bieber, Copies 206 mit Anm. 193 Abb. 845ff.; 37 6 Photo Giraudon 1387.- Abb. 37. H: Wohl leicht überlebensgroß. 377 FO: Aus Gabii, ehemals in der Sammlung Borghese. Der Kopf ist modern. Diese Hüftbauschstatue37» steht auf derselben Stilstufe wie St. 33. Vergleichbar mit dieser und der Faustina maior auf dem Kapitol 379 sind die vollen Formen der Brüste und des Leibes. Insbesondere mit der letzteren verbindet sie die Art, wie der Nabel durch das Gewand hindurch dargestellt ist, und der abrupte, durch eine betonte Einziehung des Leibes an dieser Stelle angegebene Ubergang vom Oberkörper zur Standbeinhüfte. Auch die tief eingebohrten Faltentäler des Mantelbausches, die ebenfalls recht tief und breit angelegten Falten des Kleides zwischen den Füßen und schließlich die flach am Oberkörper klebenden, oberhalb des Mantelbausches ähnlich artifiziell sich schlängelnden Falten setzen diese Statue in unmittelbare zeitliche Nähe zu St. 33 und der Faustina maior. Mit der qualitätvolleren Münchner Statue ist die Faltenführung der palla an den Beinen und die porzellanhaft glatte Oberfläche zu verbinden.380
St. 35 Sevilla, Mus. Arqueologico Inv. 1.061. A. Garcia y Bellido, Esculturas Romanas de Espafia y Portugal (1949) 202 Nr. 244 Taf. 169; Kruse 439 Anm. 167 Nr. 14.- Abb. 38. H:
2.35 m. 49
FO: Aus Italica, wo die Statue zusammen mit einem Mercur gefunden wurde. Diese Statue wurde von H. J. Kruse den Hüftbauschstatuen zugeordnet;38i die Drapierung des Mantels ist ähnlich angelegt wie bei der soeben gesehenen Statue, nur ist vor dem Schoß ein kleiner Bausch aus dem Mantel herausgezogen. Stilistisch schließt sich die Statue aus Italica eng an St. 33-34 an: Sie zeigt einen ähnlich kräftigen Körperbau. Die Faltenmotive über der Brust erinnern an St. 34, und die artifiziellen Motive der Stauchfalten über dem Gürtel begegnen uns bei den beiden Statuen in München und Paris ebenso wieder wie die porzellanhaft flachgedrückte Oberfläche der Falten, wenngleich die Falten bei der spanischen Figur starrer wirken als bei den beiden italischen Statuen; hierin dürfte sich wohl der lokale Stil der Iberischen Halbinsel manifestieren. 3 82
Büsten
Bü. 1 Pompeia Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 736. Bieber, RE 61,30f.; Poulsen I 107f. Nr. 68 Taf. 115ff.; Trillmich (1976) 58 mit Anm. 195; Böschung 265 mit Anm. 49. 267. Abb. 6f. 285. H: 0.34 m. FO: Die Büste stammt wie Bü. 2 und 16 aus dem Liciniergrab. Die Frisur der Dame mit dem Stirnbausch und dem recht hoch am Hinterkopf sitzenden, verhältnismäßig kleinen Knoten ist vergleichbar mit derjenigen der Octavia auf einem Aureus des M. Antonius von 38/37 v. Chr.383 Aus stilistischen Gründen setzte auch Böschung das Porträt in die 30er Jahre v. Chr. im Anschluß an ein Frauenporträt auf dem Kapital.384 Diesem gegenüber sind die einzelnen Gesichtspartien präziser und zugleich weicher wiedergegeben. Wegen der physiognomischen Ähnlichkeit mit dem Triumvirn Pompeius und der verwandtschaftlichen Beziehungen der gens Licinia zu diesem ist die Büste auf seine Tochter Pompeia gedeutet worden.385
Bü. 2 Kopenhagen, Ny Carslberg Glyptotek Inv. 737. Bieber, RE 61,32f.; Poulsen I 109 Nr. 70 Taf. 120f.; Böschung 265 mit Anm. 49 Abb. lf. 267f. 285f. H: 0.44 m. FO: Die Büste stammt wie Bü. 1 und 16 aus dem Liciniergrab. Die Haartracht mit dem nun niedriger am Hinterkopf sitzenden Knoten datiert die Büste in die 30er Jahre v. Chr. Stilistisch schließt sie eng an Bü. 1 an, doch scheinen die Gesichtszüge und das Haar ein wenig weicher und weniger präzise gearbeitet zu sein, soweit die mit Säure vorgenommene Reinigung der Büste, bei welcher auch die Falten der stola nachgearbeitet wurden,586 hier noch ein Urteil gestattet. 50
Bü. 3 Octavia minor (?), Rom, Mus. Nazionale delle Terme Inv. 121221. Marella 31-82 Taf. Iff.; Trillmich (1976) 57 mit Anm. 191 Taf. 18,1-3; Museo Nazionale Romano, Le sculture II (1979) 340ff. Nr. 203; N. de Chaisemartin, AntAfr 19, 1983, 42-49 bes. 49 mit Anm. 74 Abb. 3,1-4; Kraus, Weltreich 252 Taf. 282.- Abb. 39. 40. H: 0.39 m. FO: 5 km von Velletri entfernt auf dem Gebiet einer römischen Villa gefunden. 387 Die Frisur stammt weitgehend mit deijenigen der Victoria auf dem kurz vor 40 v. Chr. geprägten Denar des L. Mussidius Longus ü b e r e i n . 3 8 8 Stilistisch ergibt sich jedoch keine Ubereinstimmung mit um 40 v. Chr. entstandenen Frauenporträts. Gegenüber einem Porträt auf dem K a p i t o l 3 8 9 erweist sich das Gesicht dieser Dame als feiner, weicher und mit mehr Rücksicht auf das Knochengerüst modelliert; die Augen liegen tiefer und sind stärker von den Brauenbögen verschattet. Auch die Ausarbeitung der Haare ist weicher und weniger präzise. Hierin geht diese Büste auch noch über Bü. 2 hinaus. Die Struktur des Gesichts erinnert an die Livia Kopenhagen Inv. 1444 (Bü. 7), deren Urbild sehr wahrscheinlich bereits Mitte der 30er Jahre v. Chr. entstand, und besitzt noch etwas mehr Spannung als die Köpfe der Rutiliae (St. 2-3) und der Kopf der jüngeren Frau auf Rel. 1, die bereits eine stärkere Erstarrung zeigen.
Bü. 4 Octavia minor (?) Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 1282. Poulsen I 76f. Nr. 41 Taf. 68f.; Fittschen-Zanker III 42f. mit Anm. 3 zu Nr. 49. H:
0.40 m.
FO: Angeblich in Cerveteri zusammen mit einem Porträt der Livia und einem Porträt des gefunden.
Claudius390
Da zu diesem Porträt eine Replik in Toulouse existiert und es in einer Fundgruppe mit einer Livia und einem Claudius auftauchte, schlug Poulsen die Deutung auf die 11 v. Chr. verstorbene Octavia minor vor. 391 Der Kopfumriß ist knapp, die Haare liegen eng am Schädel; auch das Gesicht zeigt knappe, etwas flache Formen, die das Knochengerüst darunter nicht so deutlich hervortreten lassen wie bei Bü. 3. Zugleich sind die Gesichtsformen hier etwas voller und fleischiger als dort, wo sich das Inkarnat straffer über den Knochen spannt. Die Augen liegen hier ähnlich tief wie bei dieser, doch ist das Orbital hier noch etwas flacher und zu den Schläfen hin stärker vorgewölbt als dort. Die Gewänder sind an dieser Büste deutlicher voneinander differenziert und haben an Stofflichkeit gewonnen. Die knappen Gesichtszüge mit dem etwas fülligen, auf die Knochenstruktur darunter wenig Bezug nehmenden Inkarnat finden sich bei den Rutiliae (St. 2-3) ebenso wieder wie die Art, in der die Augen und der Mund in das Gesicht eingefügt sind. Auch die unterschiedliche Charakterisierung von stola und tunica findet sich ähnlich bei den Rutiliae wieder, so daß die Büste wie diese dem 2. Jahrzehnt v. Chr. angehören wird.
Bü. 5 Livia Marbury Hall. EA 3109-11 Ser. XI 29; Gross 93f. Taf. 18; Fittschen-Zanker III lf. mit Anm. 7 zu Nr. 1. 51
Η: 0.42 m. FO: Herkunft vermutlich Rom. Gegenüber Bü. 4, der die Frisur der Liviabüste Marbury Hall sehr nahe steht, zeigt sich eine stilistische Weiterentwicklung: Das Gesicht und die Wangen sind etwas voller geworden, die Augen größer und die Lider schwerer. Auch liegen die Augen hier nicht mehr so tief unter den Brauenbögen; das Orbital tritt wieder stärker als Form in Erscheinung, und auch die Brauen bilden eine eigene Form. Vergleichen lassen sich hier sehr gut die Frauenköpfe von der ara Pacis: So der Kopf der Livia392 und die Köpfe der beiden Antoniae von der ara Pacis (Rel. 4a-b).
Bü. 6 Neapel, Mus. Nazionale. Abb. 41. H: ca. 0.30 m. FO: unbekannt. Die Frisur erinnert an die von K. P o l a s c h e k 3 9 3 zusammengestellten Scheitelzopffrisuren, die sie in spätaugusteischer Zeit lokalisieren konnte. Auch stilistisch geht das Porträt in der Art der Haarbehandlung über die ara Pacis hinaus: Die Haarwellen sind weicher wiedergegeben als etwa bei der Antonia minor dort (Rel. 4a). Auch das Gesicht ist etwas weicher als dort gestaltet und erinnert wie das Haar an die Livia aus der Mysterienvilla (St. 9).
Bü. 7 Livia Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 1444. Gross 87-91 Taf. 15f.; Poulsen I 65 Nr. 34 Taf. 52ff.; Hertel 17. 27f. 33f. 113f.; Fittschen-Zanker III Iff. mit Anm. 6 Nr. a. H: 0.34 m. FO: Mit einem Augustusporträt und einem Bildnis des Tiberius^ im Amphitheater von Arsinoe gefunden. Die Fundgruppe aus Arsinoe ist kein einheitlicher K o m p l e x . 3 9 5 Die Livia steht stilistisch dem Tiberius nahe und entstand wie dieser in spätaugusteischer Zeit.396 Bestätigt wird dies auch durch den Stilvergleich mit dem Liviaporträt aus der Mysterienvilla (St. 9) und der Neapler Büste (Bü. 6), denen gegenüber bei der Kopenhagener Büste das Inkarnat und die Einzelformen des Gesichtes deutlich glatter und härter gearbeitet sind und sich stärker verfestigt haben. Die Büste zeigt Livia im Nodustypus, der wohl schon in den 30er Jahren v. Chr. geschaffen wurde.397 Denn Livias erste öffentliche Bildnisse in Rom wurden bereits 35 v. Chr. errichtet.398 In dieser Zeit waren Nodusfrisuren bereits allgemeine Mode g e w o r d e n , 3 9 9 wie auch Bü. 1-3 zeigen. Für einen so frühen Ansatz des Nodustypus sprechen auch die strukturellen Ähnlichkeiten, die zwischen der Livia Kopenhagen Inv. 1444 und dem Augustus auf dem Kapitol im Octavians- bzw. Actiumtypus400 bestehen: Beide Bildnisse zeichnen sich durch nach unten spitz zulaufende Gesichtszüge, vorstehende Jochbeine und ein betont kleines Kinn aus.
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Bü. 8 Florenz, Uffizi Inv. 1914 n. 99. Mansuelli II 58 Nr. 45 Abb. 45a-b; Polaschek 170 mit Anm. 127. H: (des Antiken) 0.35 m. FO: Unbekannt. Die Nase, ein Teil der Ohren und der Nackenzopf sind modern; einige Beschädigungen im Gesicht sind mit Stuck ausgefüllt. Antik sind Kopf, Hals und Teile von Schultern und Brust mit dem oberen Teil der Gewänder. Verwandte Frisuren konnte K. Polaschek der Zeit des Tiberius zuordnen,4oi und auch der stilistische Befund deutet auf die Zeit des Tiberius hin: Die Form der Augen mit dem plastisch besonders herausgearbeiteten Unterlid und dem recht breiten, sich hart gegen die Stirn absetzenden Orbital erinnern noch sehr an die Kopenhagener Livia (Bü. 7), ebenso wie die feine, flache Art der Gewandbehandlung an den original erhaltenen Partien. Doch sind die Gesichtszüge härter und glatter wiedergegeben als dort und bei der Li villa von der Tiberinsel (St. 11). Aufgrund der nach unten sich verschmälernden Gesichtsform mit dem schweren Untergesicht und der recht niedrigen Stirn nähert sie sich bereits der Bronzestatue aus Herculaneum, 402 deren Stufe sie jedoch in der Art der Darstellung von Augen und Gewand noch nicht erreicht hat.
Bü. 9 Florenz, Uffizi Inv. 1914 n. 96. ABr. Taf. 717f.; Bieber, RE 61,25ff.; Mansuelli II 53 Nr. 42 Abb. 42 a-b. H: (des antiken Teils) 0.45 m. FO: Unbekannt. Ergänzt sind die Ohrmuscheln und einige Teile am Gewand. Die Onyxbüste ist modern. Das Gesicht wurde neuzeitlich übergangen und geglättet. Die Haartracht mit dem seitlich über den Ohren eingeschlagenen Haar, das am Hinterkopf in eine Zopfschlaufe geführt ist, erinnert an Frisuren, die von Polaschek in spätaugusteische Zeit datiert wurden. Vergleichbar ist eine Büste im Thermenmuseum.403 Die Struktur des Gesichts erinnert noch an Bü. 8 mit der länglichen, schmalen Gesichtsform, dem schweren Untergesicht, der recht flachen, dreieckigen Stirn und dem eng am Kopf anliegenden Haar. Doch ergeben sich gegenüber dieser einige stilistische Neuerungen: Die Wangen sind hier etwas flacher, und vor allem ist die Darstellung der Augen eine andere, denn diese sind hier mandelförmig und schmal und steigen zur Nasenwurzel hin leicht an. Die Tränenkarunkel ist deutlich als eine leicht hakenförmig nach unten führende Form ausgearbeitet. Anders als die Ober- sind die Unterlider hier nicht mehr als Form für sich wiedergegeben wie bei Bü. 8, sondern formen sich über einer leichten Einziehung unter den Augen flach aus den Wangen heraus ähnlich wie bei der Bronzestatue aus Herculaneum.404 Auch der Stil der Gewänder geht über Bü. 8 hinaus. Die Falten sind weniger fein wiedergegeben, und die Art, wie sich die Stolafalten unterhalb des Ansatzes der instita auffächern, ähnelt deijenigen der Falten der Knüpfärmeltunica bei der Bronzestatue, so daß mit dieser Büste die Mitte der Regierungszeit des Tiberius erreicht sein dürfte.
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Bü. 10 München, Glyptothek 351. Furtwängler, Beschreibung 359 Nr. 351.- Abb. 42. 43. H: 0.38 m. FO: Unbekannt. Vergleichbar sind hier die Frisuren eines Kopfes in C a g l i a r i t o s und eines Bildnisses im Museo Chiaramonti,406 die der Zeit des Tiberius zugeordnet wurden. Diesen gegenüber ist unser Bildnis jedoch noch durch eine schmale Löckchenreihe an Stirn und Schläfen bereichert. Mit Bü. 9 verbindet sie die schmale Kopfform mit den flach gebildeten Unterlidern und der dreieckigen Stirn. Doch sind hier die Formen des Gesichts voller und schwellender geworden als dort. Das Haar drängt aus dem Kopfumriß heraus. Die Art, wie die Gewänder wiedergegeben sind, geht über die Bronzestatue aus Herculaneum407 und Bü. 9 hinaus: Sie sind hier nuancierter, etwas weicher und weniger schematisch charakterisiert; ein Zug, der die Büste in die Nähe von St. 12 stellt, während das Gesicht mit den vollen, etwas schweren Wangen bereits an St. 13 erinnert.
Bü. 11 Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 743. Poulsen I 77ff. Nr. 42 Taf. 70f.; W. Trillmich, Jdl 86, 1971, 212f.; Polaschek, Studien 42f. mit Anm. 73; Inan-Rosenbaum (1979) 64f. Nr. 10 Taf. 7,2. 9; B. Freyer-Schauenburg, BJb 182, 1982, 220, Abb. 23f. H: 0.42,5 m. FO: Aus Tralles. Polascheks Argumenten gegen eine Identifizierung der Büste mit Antonia Minor ist zuzustimmen.408 Die Frisur der Dame mit den hinter dem Ohr eingeschlagenen Haar, den eingebrannten großen Haarwellen und dem nicht ausgearbeiteten Nackenzopf läßt sich in der späten Regierungszeit des Tiberius lokalisieren. Vergleichbar sind hier die Privatporträts Bü. 10 und im Museo Chiaramonti.409 Auch die Größe des Büstenausschnitts deutet auf die spättiberische Zeit hin. 410 Neben Frisur und Büstenform sprechen auch die ovale Kopfform und die nach außen hin etwas hochgezogenen Brauenbögen, die wir auch bei der Fundilia (St. 14) fanden, für die spätere Regierungszeit des Tiberius.
Bü. 12 Rom, Mus. Capitolino Inv. 393. Heibig4 II Nr. 1203; Polaschek 169 mit Anm. 116a Abb. 8,14; W. Trillmich, MM 15, 1974, 185 Anm. 7; D. Hertel, MM 22, 1981, 259 Nr. 7; Fittschen-Zanker III 46 Nr. 57 Taf. 73ff. H: 0.49 m. FO: Unbekannt. Der Nasenrücken und die linke Seite der Nase sind ergänzt. Gesicht und Haar sind stark übergangen. Die Frisur mit den eingebrannten großen Haarwellen, der hinter dem Ohr eingeschlagenen Haarpartie 54
und dem von einem Zopf umfangenen Nackenknoten ähnelt deijenigen Livias auf der Salus-Augusta-Münze (Mü. 1). Doch sind hier anders als dort die Nackenhaare hinter den Ohren mit eingeschlagen. Eine verwandte Frisur wird auch noch von dem Bildnistypus Leptis-Malta getragen. 411 Doch ist dieser unserem Porträt gegenüber noch um eine Reihe von Stirnlöckchen bereichert, von der P. Zanker allerdings vermutet, sie sei an dem kapitolinischen Porträt möglicherweise der modernen Überarbeitung zum Opfer gefallen.412 K. Polaschek verglich die Frisur mit deijenigen der in den 20er Jahren angesetzten Baibustöchter und wollte die Büste daher mit diesen zusammen datieren. 413 Doch scheint die Büste aus stilistischen Gründen in die 30er Jahre zu gehören: Gegenüber Bü. 8-11 sowie der Bronzestatue aus Herculaneum414 und St. 13 ist die Gesichtsform gedrungener geworden; von dem gestreckten Oval der Gesichter dort ist hier abgewichen. Das Kinn ist spitzer, und die Augen sind weiter geöffnet. Die Gewandteile auf der Bruch an Bruch passenden Büste sind anders gearbeitet als bei St. 12 und Bü. 10. Die Falten von tunica, stola und palla sind insgesamt großzügiger als dort und weniger kleinteilig wiedergegeben. Hierin geht die Büste auch noch ein wenig über St. 13 hinaus.
Bü. 13 Schweizer Privatbesitz. B. Freyer-Schauenburg-E. Simon, AA 1982, 317. 320-26. 332. 342f. Abb. 1. 3. 5. 7.; D. Kaspar in: Gesichter 90f. Nr. 35; W. Trillmich, HefteABern 9, 1983, 21f. 36f. H: 0.38,8 m. FO: Aus Italien. Die Büste gehört vermutlich zu derselben Fundgruppe wie Bü. 21. Während die Art der Zopfschlaufe mit den sich daraus lösenden seitlichen Locken und der schmale Scheitelzopf eher an spätaugusteische Frisuren erinnert415 und sich erstere auch bei den Damen der tiberischen Baibusgruppe nachweisen läßt,4i6 erinnert die Art, wie die Brennschere an Stirn und Schläfen benutzt ist, eher an Bü. 12. Ein modernes Element der Frisur stellen die am Mittelscheitel entspringenden gebündelten Stirnlöckchen dar. 417 In diesem Frisurdetail und den eingebrannten verhältnismäßig kleinen Haarwellen entspricht die Büste dem in mehreren Repliken überlieferten Typus Fasanerie-Formia, der zuletzt der Drusilla zugewiesen wurde.41» W. Trillmichs Zuweisung an den von ihm auf Agrippina minor bezogenen Typus Adolphseck 2241^ ist jedoch auch in der Umarbeitung nicht h a l t b a r , 4 2 0 denn bei diesem laufen die eingebrannten Lockenwellen bis zum Hinterkopf durch, während hier doch nur das Stirnhaar in ähnliche, aber keineswegs identische Wellen gebrannt ist. D. Kaspar identifizierte die Büste als ein Porträt der Livilla, 4 ? 1 ohne dies weiter durch Porträtvergleiche abzusichem.422 Ein Vergleich mit St. 11 zeigt jedoch, daß hier nicht die Frisur Livillas dargestellt ist. Stilistisch läßt diese Büste sich an Bü. 12 anschließen aufgrund der knappen, gedrungenen Gesichtsform und der Art, wie Brauenbögen, Orbital, Oberlid und Tränenkarunkel gestaltet sind. Ob der Kopf dieser Büste wesentlich fleischiger und rundlicher gestaltet ist als der von Bü. 12, muß bezweifelt werden angesichts deren starker moderner Überarbeitung, durch welche sie insgesamt härter erscheinen dürfte, als sie ursprünglich war. So rücken die beiden Büsten 12 und 13 zeitlich eng zusammen, was auch durch die Art der Gewandanlage bestätigt wird.
Bü. 14 Vatikan, Mus. Chiaramonti Inv. 1975. Heibig 4 I Nr. 372; Ostia V 39 Nr. 47 Taf. 28; Polaschek 170ff. mit Anm. 129 Abb. 9,2; D. Hertel, MM 22, 1981, 258 Nr. 2.- Abb. 44. 55
Η: 0.37 m. FO: In Ostia gefunden. Polaschek sah hier den Endpunkt in der Entwicklung der Wellenfrisur der tiberischen Zeit erreicht. 423 Auch stilistisch läßt sich Polascheks Datierung bestätigen: Der Kopf zeigt ähnlich kugelige, runde Formen wie Bü. 13; die Wangen sind ähnlich voll und rund. Doch weist dieses Stück insgesamt eine etwas härtere Arbeit auf. Die Unterlider sind hier wieder stärker vorgewölbt. Die Gewänder sind ebenfalls härter und detaillierter gearbeitet. An ihnen tritt als neues Element die Ritzung einiger Details hervor.
Bü. 15 Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6190. Guida Ruesch 244 Nr. 1003; B. Schweitzer, Antiken in ostpreußischem Privatbesitz (1929) 184f.; Polaschek 176 mit Anm. 154 Abb. 10,7; W. Trillmich, MM 25, 1984, 157f. mit Anm. 105 Taf. 35.- Abb. 45. 46. FO: Unbekannt. Da zu diesem Porträt eine Replik in Warschau existiert, wurde davon ausgegangen, daß hier eine Angehörige des Kaiserhauses dargestellt sei. Dabei dachte man an Agrippina minor. Doch wurden auch von Privatporträts Repliken angefertigt, wie der Fall der Fundilia zeigt.424 K. Polaschek datierte die Frisur caliguläisch bis friihclaudisch.425 Die Form des Büstenausschnitts ist mit Bü. 14 vergleichbar. Das Gesicht ist ähnlich füllig wie dort, doch ist die Kopfform stärker abgerundet. Die einzelnen Formen des Gesichts sind gedrängter und stärker gegeneinander abgesetzt, wie an den Lidern, der durch die geschwungenen Brauenbögen deutlich abgesetzten Stirn und den Wangen sichtbar wird. Dazu ist das Inkarnat von einer porzellanhaften Glätte, während das Haar etwas rauher gelassen ist.42« Stilistisch sehr verwandt ist hier ein Porträt im Thermenmuseum, das dem auf Drusilla gedeuteten Typus Formia angehört und daher aus caliguläischer Zeit stammen dürfte. 42 ? Bei den Gewändern ist weniger Ritzung verwendet als bei Bü. 14. Die recht voluminösen Falten der tunica im Ausschnitt der stola lassen in ihrer Art an die Münchner Livia denken (St. 16), so daß wir uns mit dieser Büste in der Zeit des Caligula befinden dürften.
Bü. 16 Claudia Antonia (?) Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 754. Poulsen I 111 Nr. 74 Taf. 128f.; Böschung 268ff. mit Anm. 56. 286. Abb. lOff. H: 0.36 m. FO: Das Porträt stammt wie Bü. 1 und 2 aus dem Liciniergrab. D. Böschung verglich mit dieser Büste die Agrippina maior in Dresden.42« Doch erinnert die Frisur mit dem in senkrechte Rippen zusammengefaßten Nackenhaar eher an diejenige der Minatia Polla (Bü. 17). Es liegt hier dieselbe Stilstufe vor wie bei Bü. 15. Die Komposition des Gesichts, die flachen Brauenbögen, der leichte Glanz, der dem Gesicht verliehen ist, und die Art der Darstellung von Haar und Gewand entsprechen genau der Büste Neapel Inv. 6190.
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Bü. 17 Sog. Minatia Polla, Rom, Mus. Nazionale Inv. 1043. Helbig4 III Nr. 2307; Polaschek 181 mit Anm. 181 Abb. 11,6; Museo Nazionale Romano, Le sculture II (1979) 287ff. Nr. 179 Abb. S. 288. H: 0.34 m. FO: Die Büste wurde zusammen mit der Urne der Minatia Polla im Platorinergrab gefunden. Die Haartracht der Minatia Polla wollte K. Polaschek der spätclaudischen Zeit zuordnen.429 Aus stilistischen Gründen steht die Büste aber eher am Anfang der Regierungszeit des Claudius: Die weiche Art, in der das Inkarnat wiedergegeben ist, steht deutlich Bü. 14-15 nahe, ebenso die Form des Gesichts mit den glatten, gespannten Wangen. Mit Bü 15 verbindet sie auch der merkwürdig asymetrisch geformte Büstenausschnitt. Ein wenig wird die Minatia Polla aber über letztere hinausgehen; dafür sprechen die gegenüber dieser noch etwas gesteigerte Weichheit in der Wiedergabe der zugleich auch ein wenig gestreifteren Gesichtsformen, die stärker dem Oval angenäherte Kopfform und die flachere Wiedergabe der Gewänder, die zusätzlich in einer Weise durch Ritzung unterstützt ist, wie sie sich ähnlich ausgeprägt bei dem Statuenfragment in Parma (St. 18) wiederfinden läßt.
Bü. 18 Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6192. Guida Ruesch 235 Nr. 974; Polaschek 180 mit Anm. 171 Nr. c Abb. 11,9; W. Trillmich, MM 15, 1974, 186 mit Anm. 13 Taf. 38a-d; Fittschen-Zanker III 57 Anm. 1 zu Nr. 75.- Abb. 47. 48. FO: Aus Herculaneum. K. Polaschek setzte die Frisur dieser Dame in spätclaudische Zeit;430 w . Trillmich verglich sie hinsichtlich der "Stilisierung des Bruststückes" 431 mit der Agrippina minor aus Milreu (Bü. 22), von der diese Büste aber stilistisch noch um einiges entfernt ist. Daß die Agrippina aus Milreu später entstand als die Büste aus Herculaneum, wird auch daran deutlich, daß der Büstenausschnitt bei dem Stück aus Milreu weiter auslädt als derjenige dieser Büste.432 Von Bü. 15-16 entfernt sich die Büste aus Herculaneum deutlich. In der länglichen, ovalen Gesichtsform geht sie auch über Bü. 17 hinaus. Die Formen des Gesichts sind härter geworden als dort. Die Brauenbögen sind gerundeter und nicht so flach geführt. Auch das Haar ist weniger fein und weich gegeben, statt dessen haben die einzelnen Strähnen, die vom Mittelscheitel ausgehen, mehr Substanz bekommen. Doch ist die Stufe der Antonia minor aus Leptis magna (St. 19) hier noch nicht ganz erreicht. Das Gleiche gilt für die Gewänder auf dem Büstenausschnitt, deren ebenfalls härtere Formen in ihrer Linearität auch bereits in die Nähe der Leptenser Statue führen, diese jedoch noch nicht ganz erreichen.
Bü. 19 Livia, Tunis, Mus. Bardo Inv. C 934. F. Poulsen, Roman Portraits in English Country Houses (1923) 53 Abb. 33; Fittschen-Zanker III lf. Anm. 6 Nr. r zu Nr. 1.- Abb. 51. FO: Im Odeion von Karthago gefunden. 57
Wegen der Größe des Büstenausschnittes läßt sich das Liviaporträt in Tunis an die Büste aus Herculaneum (Bü. 18) anschließen. Doch unterscheidet sie sich von dieser durch die feinere, zugleich aber auch etwas knappere Wiedergabe des Inkarnats, die deijenigen von Bü. 20 bereits nahekommt. Das Haar ist stärker mit Bohrungen versehen als bei Bü. 18 und ähnelt ebenfalls dem von Bü. 20. Die Falten der Gewänder auf dem Büstenausschnitt haben mehr Substanz bekommen, die Kleider heben sich deutlicher voneinander ab als bei der Herculanerin, doch haben sich die einzelnen Falten noch nicht so vom Grund gelöst wie bei Bü. 20.
Bü. 20 Livia, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 748. Gross 103 Taf. 21; Poulsen I 71 Nr. 35 Taf. 55f.; Inan-Rosenbaum (1979) 62 Nr. 7 Taf. 6; FittschenZanker III lf. Anm. 4a zu Nr. 1. H:
0.42 m.
FO: 1890 in Istanbul erworben. Gross erkannte durch den Vergleich mit pergamenischen Münzbildern Livia und datierte die Büste aufgrund ihrer Form mit den Armansätzen an den Schultern in die Zeit des Claudius.433 In Form und Größe geht der Büstenausschnitt über Bü. 18-19 hinaus und erinnert an den der Agrippina minor in Faro (Bü. 22). Auch auf stilistischem Wege wird Gross' zeitlicher Ansatz bestätigt: Die Gewandwiedergabe erinnert in ihrer flachen Art ein wenig an Bü. 19; die Gesichtsform mit den geschwungenen Augenbögen und die Haarwiedergabe lassen bereits an Bü. 21 denken.
Bü. 21 Antonia minor, Kurashiki/Japan, Ninagawa Mus. B. Freyer-Schauenburg-E. Simon, AA 1982, 321. 332. 335f. 342f. Abb. 15. 20-23; E. Simon, The Kurashiki Ninagawa Museum, Greek, Etruscan and Roman Antiquities (1982) 236-43 Nr. 167 Abb. S. 237 u. 24Iff. H: 0.49 m. FO: Aus Italien. Die Büste gehört vermutlich mit Bü. 13 zu einer Fundgruppe. Auch wenn das Porträt, wie von E. Simon vermutet,434 aus derselben Fundgruppe wie Bü. 13 stammt,435 so ist es doch von dieser stilistisch verschieden^ Das Gesicht ist straffer und gespannter, die Knochenstruktur tritt wesentlich deutlicher zutage als bei Bü. 13. Völlig anders als dort sind auch die Wiedergabe des Haars, der Brauenbögen und der Gewänder sowie auch die Form des Büstenausschnitts, der ähnlich dem von Bü. 18 gewesen sein muß. Uber diese und Bü. 19-20 geht die Antonia minor in Kurashiki jedoch deutlich hinaus: Das Gesicht ist knapper und knochiger, zugleich aber in den Übergängen weicher modelliert. Das Haar löst sich in ähnlich durch Bohrkanäle voneinander abgesetzte Strähnen auf wie bei der Antonia minor in Tripolis (St. 19). Einzelne Falten des Gewandes lösen sich deutlich stärker vom Grund als bei Bü. 19-20, so daß die Büste in Kurashiki später entstanden sein wird als diese. Sie entspricht zeitlich wohl etwa der insgesamt etwas gröber gearbeiteten Antonia minor (St. 19). 58
Bü. 22 Agrippina minor, Faro, Mus. da Cidade. W. Trillmich, MM 15, 1974, 184-202 Taf. 35ff.; D. Hertel, MM 22, 1981, 262; Fittschen-Zanker III 6f. Anm. 4 Typ II Nr. f zu Nr. 5. 57 Anm. 1 zu Nr. 75. H: 0.47,5 m. FO: Auf dem Gelände der römischen Villa in Milreu gefunden. Die Büste wurde von W. Trillmich dem Agrippina-minor-Typus Mailand-Florenz zugeordnet. 437 Hierin folgte ihm auch P. Zanker,438 der den Typus Mailand als den Agrippina-minor-Typus II aufführt und dazu bemerkt, die Köpfe der Typen III und IV schienen die spätesten zu sein, was bedeuten würde, daß Typus II Mailand früher beginnt als diese. Trillmich sah in der Büste aus Milreu die früheste bekannte großplastische Büstenreplik dieses Typus. 439 Diese Büste lädt weiter aus als die bisher betrachteten. Vergleichen wir sie mit der Antonia minor in Kurashiki (Bü. 21), so erscheinen die Züge der Agrippina minor in Faro zwar ähnlich bewegt und sensibel, aber doch rundlicher. Die Augen liegen nicht so tief, die Lider sind dicklicher, das Orbital höher. Das Bildnis aus Milreu ist insgesamt etwas weniger trocken als das der Antonia in Kurashiki und ein wenig fülliger und lebendiger, was sich auch bei der Darstellung der Gewänder feststellen läßt. Vergleicht man den Kopf der Agrippina Petworth (St. 23), so sind die Gesichtsformen deutlich zarter und sensibler gerundet, während bei der Statue Petworth glatter gestaltet wurde. Die Augen sind größer als dort; Haar und Kleidung sind organischer und weicher geformt, so daß zur Stufe der Agrippina Petworth hier noch ein recht erheblicher Abstand besteht. Die Büste der Agrippina minor in Faro wird also in mittelclaudischer Zeit entstanden sein.
Bü. 23 Bronzebüstchen der Agrippina minor, Chieti, Mus. Inv. 8605. F. de Ruyt, RendPontAcc 44, 1971-72, 151-65 Abb. 2-5; W. Trillmich, MM 15, 1974, 186 Anm. 11. 196 mit Anm. 62; F. de Ruyt, Alba Fucens III, Sculptures d'Alba Fucens (1982) 24-28 Nr. 8 Taf. 6; Fittschen-Zanker III 6f. Anm. 4 Typ II Nr. c zu Nr. 5. H: 0.12,5 m. FO: Bei der Freilegung der Basilica von Alba Fucens gefunden. Trotz der fehlenden Ringellöckchen auf der Stirn ist wohl gegen de Ruyt 44 '' an der Zuordnung des Porträts zum Agrippina-minor-Typus Mailand festzuhalten, die von W. Trillmich und P. Zanker vorgenommen wurde. 44 ! Das Büstchen schließt sich durch die Form seines Büstenausschnitts an die Agrippina minor aus Milreu (Bü. 22) an. Soweit die starke Korrodierung und die unterschiedliche Größe ein Urteil erlauben, steht es auch auf derselben Stilstufe.
Bü. 24 Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6193. Guida Ruesch 245f. Nr. 1014; A. Maiuri, BdA 10, 1930/31, 14 mit Anm. 30; Maiuri, villa 248 Anm. 30; S. Aurigemma, Afrlt 8, 1940, 55 Abb. 35; Rumpf 23 Nr. 8 Taf. 3d-e.- Abb. 49. 50. 59
FO: Die Büste stammt aus Gragnano, wo sie in einem Lararium zusammen mit der Inschrift eines Anteros gefunden wurde. Der Aufbau der Frisur erinnert an die Büste der Staia Quinta4«: Die Seiten des Kopfes sind völlig von Locken bedeckt, die bei der Neapler Büste allerdings den unteren Teil der Ohren freilassen. Im Nacken hängt wie bei der Staia Quinta eine Art Zopfschlaufe. Die Büste aus Gragnano unterscheidet sich von der Staia Quinta allerdings durch die freiere und bewegtere Anordnung der Haare, die hier nicht in so sauber und akkurat gebrannte Löckchen gelegt sind, sondern die einzelnden Haarsträhnen sind freier und recht wild gegeneinander bewegt. Auch ist der Mittelscheitel über der Stirn aufgegeben, statt dessen hängen hier Haarfransen in die Stirn. Der Büstenausschnitt ist größer als bei den bisher gesehenen Beispielen, auch größer als bei der Staia Quinta. Das Haar liegt stärker aufgelockert um den Kopf als bei dieser. Die einzelnen Haarfransen gliedern sich in recht voluminöse Strähnen, zwischen denen sich sehr tief gebohrte Löcher befinden, vor allem an den Seiten des Kopfes, worin diese Büste bereits an St. 28 und Bü. 25 erinnert. Auch das Gesicht ist von recht schweren, rundlichen, voluminösen Formen beherrscht, die deutlich über die feinen Züge der Agrippina Petworth hinausgehen (St. 23), und zeigt eine ähnliche Glätte in der Oberfläche, wie sie uns auch an St. 27 und Bü. 25 begegnet. So geht die Büste aus Gragnano deutlich über Bü. 22, St. 23 und die Staia Quinta hinaus. Damit dürfte sie bereits in frühvespasianischer Zeit entstanden sein.
Bü. 25 Terracina, Mus. Polaschek 183 Anm. 193a; Fittschen-Zanker III 48 Anm. 2 zu Nr. 61; M. R. Coppola, Terracina, il museo e le collezioni (1989) 44 Nr. 6 Taf. I.- Abb. 52. H: 0.55 m. FO: Aus einem Grab in der Nähe der Via Appia. K. Polaschek setzte die Büste in frühflavische Zeit.443 P. Zanker verglich sie mit der Statue aus dem Macellum von Pompeji.444 Der Büstenausschnitt der Terracinerin ist größer als bei Bü. 24 und sehr bewegt. Die Frisur ist ähnlich bewegt, doch deutlich kleinteiliger gestaltet. Die Einzelformen des Gesichts, insbesondere die Augen, sind hier kleiner und setzen die Agrippina Petworth (St. 23) und Bü. 24 voraus. Wegen der auch gegenüber Bü. 24 etwas feiner und glatter gestalteten Gesichtsformen und der Art, wie die Augenlider dargestellt sind, erinnert sie bereits an St. 27, wo die Formen jedoch ein wenig beruhigter wirken. Die Falten der Kleider sind zahlreicher und stärker bewegt als bei Bü. 24, während sie bei St. 27 wieder stärker beruhigt und geglättet sind. Desgleichen sind die Locken bei der Büste in Terracina noch nicht ganz so stark aufgebohrt wie dort, so daß diese wohl etwas vor der Priesterinnenstatue aus dem Macellum von Pompeji (St. 27) anzusetzen sein dürfte.
Bü. 26 Paris, Louvre Inv. MA 1269. EncPhotTel III 287 Abb. c-d; Fittschen-Zanker III 48 Anm. 2 zu Nr. 61; Musee du Louvre, Catalogue des portraits Romains I (1986) 218f.- Abb. 53. 54. H: 0.34 m. 60
FO: Unbekannt. In der Art, wie die eng gedrehten Löckchen ohne einen Scheitel über die Stirn geführt sind, steht diese Büste der Statue Neapel Mus. Nazionale Inv. 6041 nahe.445 Auch der Stil der Pariser Büste ist mit dem der Statue aus Pompeji vergleichbar: Das Gesicht zeigt ähnliche Formen, und soweit der Büstenausschnitt die Kleider zeigt, sind diese deutlich flacher und ruhiger als bei der Büste in Terracina (Bü. 25). Die Löckchen sind in ähnlicher Weise, wenngleich noch etwas stärker aufgebohrt wie bei der Statue in Neapel. Hierin erinnert die Büste in Paris auch bereits an Iulia Titi im T h e r m e n m u s e u m , S o daß ein Ansatz in frühflavische Zeit gerechtfertigt erscheint.
Bü. 27 Rom, Villa Albani Inv. 167. EA 3578 Ser. XII 80; Fittschen-Zanker III 49 Anm. 8 zu Nr. 62. FO: Unbekannt. Die Frisur entspricht recht genau derjenigen des Kopfes der Iulia Titi im T h e r m e n m u s e u m , 4 4 7 der wohl noch unter Titus geschaffen wurde. Diesem Kopf steht die Büste in der Villa Albani auch durch den Stil nahe: Die Gesichtsformen sind ähnlich glatt wiedergegeben; die Gestaltung der Brauenbögen ist dieselbe, ebenso wie die der Augen, bei denen das Oberlid in den äußeren Augenwinkeln deutlich das Unterlid überschneidet. Auch das Stirnhaartoupet ist in ähnlicher Weise mit Bohrungen versehen.
Bü. 28 Neapel, Mus. Nazionale Inv. 6062. Bernoulli 112, 41 Taf. 13; Guida Ruesch 239 Nr. 992; Bieber RE, 61,35; Bieber, Copies 23 mit Anm. 25 Abb. 20f.- Abb. 55. 56. FO: Aus der Sammlung Farnese. Die Frisur dieser Dame steht derjenigen einer Frauenstatue trajanischer Zeit auf dem Kapitol sehr nahe,448 zeigt sie doch einen ganz ähnlichen, zur Stirn hin ebenfalls durch einen flachen Haarwulst abgegrenzten Löckchenaufbau. Auch das Haamest am Hinterkopf ist dem der Napolitanerin vergleichbar, sitzt bei der Statue in Rom allerdings etwas niedriger. Durch den ähnlichen Sitz des Haarnestes und das mandorlaförmige Mittelmotiv des Haarwulstes über der Stirn stellt sieh der Neapler Büste auch das in spättrajanische Zeit datierte Stück Museo Capitolino Inv. 441449 an die Seite. Dies mandorlaförmige Mittelmotiv in dem das Lockentoupet zur Stirn hin abgrenzenden Haarwulst, der ähnlich spitzbogenartig geführt ist, zeigt auch ein eine kaiserliche Dame darstellender Kopf auf dem K a p i t o l , 4 5 0 von dem M. Wegner feststellte, daß er "stilistisch verhältnismäßig früh anzusetzen" s e i . 4 5 i Diesem letzteren Kopf steht die Neapler Büste auch stilistisch sehr nahe: Das zeigt sich an der sehr hart und metallisch gearbeiteten Oberfläche des Gesichts mit seinen etwas schlaffen Wangen, an der Art der Augendarstellung und an den aus ähnlich teigigen Haarsträhnen aufgerollten Löckchen. Ahnlich sind Gesichtsform und Augen auch bei St. 31 wiedergegeben, und auch die teigige Art, wie bei dieser die Gewandfalten wiedergegeben sind, verrät eine gewisse Nähe zu der Neapler Büste. Demnach wird diese ebenfalls in frühtrajanischer Zeit entstanden sein. 61
Bü. 29 Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek Inv. 798. F. Poulsen, Katalog over antike skulpturer (1940) 481 Nr. 712; Poulsen Cat. Sculpt. 497 Nr. 712; Billedtavler LIX; Poulsen II 126 Nr. 126 Taf. 195; H. R. Goette, BJb 184, 1984, 138f. Abb. 30-33.- Abb. 57. 58. H: 0.44 m. FO: 1889 in Istanbul erworben, soll aus Izmit stammen. F. Poulsen hielt die Büste für eine Fälschung mit antoninischer Frisur und flavischer B ü s t e n f o r m . 4 5 2 v . Poulsen spricht von einer Umarbeitung der oberen Partie der Büste.453 In der Tat ist die Büste in antoninischer Zeit umgearbeitet worden, wie an ihrer rechten Seite zu erkennen ist.454 In der Umarbeitung ist das Haar von einem etwas nach links versetzten Wirbel über der Stirn ausgehend in zwei um die Schläfen herum zum Hinterkopf führende Partien geteilt, während die Rückseite des Kopfes mangels Material nicht ausgearbeitet werden konnte. Die beiden Haarpartien sind in sehr feine, eng am Kopf liegende Lockenwellen gebrannt. Am Oberkopf ist das Haar glatt nach hinten gestrichen. Eine ähnliche Frisur trägt Faustina minor in ihrem 6. T y p . 4 5 5 Auch die Bildnisse dieser Kaiserin in ihrem 8. Typ zeigen eine Frisur, die sich gut mit deqenigen der Kopenhagenerin vergleichen läßt.456 Stilistisch ist der Kopf der Kopenhagener Büste gut mit einem Faustina-minor-Kopf in Athen zu vergleichen, welcher dem im Jahre 151 n. Chr. geschaffenen 4. Bildnistyp dieser Kaiserin angehört457; Neben der Form des Gesichts sind die engen, flach anliegenden Haarwellen vergleichbar, die sich kaum vom Umriß des Kopfes lösen und von feinen, halbrund eingekerbten, sich zu ihrer Mitte hin verbreiternden Bohrlinien durchzogen sind. Auch die Einzelformen des Gesichts stehen denen der Kopenhagener Büste sehr nahe: Bei beiden finden wir die recht flachen, nur wenig gewölbten Wangen, die tiefliegenden Augen mit den schmalen, in den äußeren Augenwinkeln die recht flach gearbeiteten Unterlider überschneidenden Oberlidern und dem recht flachen und schmalen Orbital. Auch die Formen des Mundes und die Art seiner Einbettung in das Gesicht entsprechen einander. Nach diesem Vergleich muß der Kopf der Büste in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. umgearbeitet worden sein, wohl in den 50er Jahren. Die Büste selbst ist ihrer Form nach vergleichbar mit Bü. 18-19. Mit diesen hat sie die nach unten leicht gerundete Büstenform gemeinsam, die noch etwa ein Drittel der Brüste mit einschließt. Stilistisch steht die Brustpartie der Büste der der Livia aus Karthago (Bü. 19) besonders nahe. Die recht flachen, am Körper klebenden Falten finden hier am ehesten eine Parallele. Demgegenüber ist sowohl wegen der breiteren, ausladenderen und unten abgeflachten Büstenform als auch stilistisch Bü. 20 in Kopenhagen bereits etwas weiter entwickelt, so daß diese Büste in ihrer ursprünglichen Fassung in der ersten Hälfte der Regierungszeit des Claudius gearbeitet wurde.
Die Reliefs
Rel. 1 Rom, Mus. Nuovo Inv. 2231. Mustilli, 179 Nr. 74 Abb. 461; Vessberg 196 Nr. 9. 200. 271. Taf. 40,2; P. Zanker, Jdl 90, 1975, 294 mit Anm. 101; Frenz 66. 72. 81. 100. 166f. Nr. G2.- Abb. 59.
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Η: 0.58 m. Β: 2.30 m. Τ: 0.16,5 m. FO: An der Via Flaminia, in der Nähe der Bastion Sixtus' IV. vor der Porta del Popolo gefunden. Dies Relief wird allgemein in die Anfangsjahre des Prinzipats gesetzt. Die beiden Frauenporträts dieses Reliefs erinnern zunächst an die zwei Büsten aus dem Liciniergrab, die in den 30er Jahren v. Chr. entstanden sind (Bü. 1-2). Doch ist gegenüber diesen das Inkarnat etwas straffer und gespannter zur Darstellung gebracht. Die Art, wie hier auf das Knochengerüst Bezug genommen wird, erinnert besonders bei der jüngeren der beiden Frauen an Bü. 3. Doch ist das Gesicht dieser gegenüber erstarrt und entspricht eher den Gesichtern von St. 2-3, während die Mäntel der Frauen noch nicht so faltenreich sind wie bei diesen. Daher wird das Relief in die zweite Hälfte der 20er Jahre v. Chr. zu datieren sein. Die Frisur des jungen Mannes links außen ist ganz offensichtlich an der des Augustus im Prima-PortaTyp orientiert. Hierdurch wird P. Zankers Ansatz dieses Augustustypus um 27 v. Chr. bestätigt.458
Rel. 2 Grabrelief der CORNELIA und das M. PONIUS, Teggiano, Dom. Abb. 60. FO: Im Dom von Teggiano eingemauert. Die Frisur der Frau zeigt einen recht flachen nodus, der aber nicht so tief in die Stirn hängt wie bei Bü. 4 und 5. Die Gewänder des Paares auf diesem Grabrelief erinnern in ihrer recht großflächigen Anlage an die der Familie auf dem Grabrelief im Museo Nuovo (Rel. 1). Besonders die in der Mitte der Brust befindliche einzelne Falte, von der allein die tunicae unseres Paares auf der Brust gegliedert werden, findet dort ihre Parallele; desgleichen findet sich bei dem Relief auf dem Kapital die Art wieder, wie die Falten bei der Figur des Mannes in der Togaschlaufe und an seinem rechten Arm geführt sind. Auch der Kopf der Frau erinnert in seinen zum Kinn hin sich veijüngenden Proportionen mit den recht stark hervortretenden Jochbeinen an die beiden Frauenköpfe auf dem Relief im Museo Nuovo. Demnach dürfte auch das Relief in Teggiano derselben Zeit entstammen wie dieses.
Rel. 3 Grabrelief, Pesaro, Ateneo. P. Zanker, Jdl 90, 1975, 302f. Abb. 41.- Abb. 62. FO: Unbekannt. Die Frau trägt eine Frisur, bei welcher zwei vom Hinterkopf kommende Zöpfe über der Stirn zu einem Heraklesknoten verschlungen sind. An den Schläfen ist das Haar nach oben und zur Seite gestrichen, über der Stirn teilt es sich. Vom Nacken her legt sich je eine lange gedrehte Locke auf die Schultern. Eine ähnliche Frisur, bei welcher allerdings der Heraklesknoten tiefer über der Stirn liegt, so daß zwischen beiden kein Haar sichtbar ist und wo die Locken im Nacken fehlen, trägt ein Porträt auf dem Kapital, das ins letzte Viertel des 1 . Jahrhunderts v. Chr. datiert w u r d e . 4 5 9 Eine vergleichbare Frisur trägt auch Rabiria Demaris auf ihrem Grabrelief, das in seiner ersten Fassung um 40 v. Chr. entstanden sein d ü r f t e ; 4 6 0 doch liegt bei der Rabiria der Zopfknoten höher als bei der Dame in Pesaro. Stilistisch steht der Kopf auf dem Relief in Pesaro dem Porträt auf dem Kapitol näher mit seiner eher 63
kubischen, gedrängteren Gesichtsform, die wenig mit dem schlanken, länglichen Oval des Gesichts der Rabiria zu tun hat. Vergleichbar sind auch die ein wenig kalligraphisch wiedergegebenen Haare und die Form der Augen. Die Art der Gewandwiedergabe mit den eng liegenden, schnurartig aufgelegten Falten erinnert an die beiden Rutiliae (St. 2-3), so daß man das Relief in Pesaro gegen Anfang des zweiten Jahrzehnts v. Chr. ansetzen darf.
Rel. 4 ara Pacis, Rom/Paris, Mus. du Louvre. Petersen bes. Taf. 5f.; Moretti; H. Kähler, Jdl 69, 1954, 67-100; Simon, Ara Pacis; Polaschek 146 mit Anm. 14; H. Gabelmann, Jdl 100, 1985, 522-26; M. Oppermann, Römische Kaiserreliefs (1985) 10-32. H: (Der Prozessionsfriese) 1.55 m. FO: Am Ostrand des Marsfeldes, an der Via Flaminia. Die ara Pacis wurde zwischen Frühjahr oder Herbst des Jahres 11 und Ende 10 v. Chr. errichtet.46i Der 30.1.9 v. Chr. war der Tag ihrer dedication Die stola ist bei drei Teilnehmerinnen des Prozessionszuges sicher erkennbar.463 Es sind dies: a) Antonia minor,464 b) Antonia maior465 und c) Octavia minor (?).466
Rel. 5 Grabrelief Rom, Galleria Borghese Inv. 188. Bieber, palliati 285. 416 Abb. 11; Schmidt 21 mit Anm. 112; P. Zanker, Jdl 90, 1975, 280 Anm. 53; Frenz 65 Anm. 242. 214 Anhang 1/29; D. Ε. E. Kleiner, Roman Group Portraiture, the Funerary Reliefs of the late Republic and early Empire (1977) 217 Nr. 37 Abb. 37. H: Etwa lebensgroß. FO: Rom. Die Frauenfigur des Reliefs ist typologisch den Pudicitien angenährt.467 Ε. Schmidt datierte das Relief in die Zeit der ara Pacis.468 Diese Datierung wird bestätigt durch den Vergleich des linken togatus auf dem Relief mit der Antonia minor von der ara Pacis (Rel. 4a), die ihm gewandmotivisch am ehesten entspricht: Gleichartig ist die halbrunde Falte über der linken Hüfte aufgefaßt, von welcher ausgehend sich mehrere Falten zum rechten Bein hin auffächern. Die weiche, etwas trockene Art der Falten findet sich an der ara Pacis wieder. Desgleichen finden die Falten der stola bei der Frau eine stilistische Parallele in den Falten des von der Livia der ara Pacis unter der palla getragenen G e w a n d e s . 4 6 9
Rel. 6 Grabrelief eines Ehepaares und seines Sohnes, Pesaro, Ateneo. A. Giuliano, RM 60/61, 1953/54, 179 Anm. 44 Taf. 78,2.- Abb. 61. FO: Unbekannt. Die toga des Mannes mit dem umbo und dem auf die Oberschenkel fallenden sinus setzt die togae der 64
ara Pacis voraus. Die Frau trägt eine in der Mitte gescheitelte Frisur. Vom Mittelscheitel ausgehend wurde das Haar über der Stirn in Wellen zu den Schläfen gestrichen. Dazu setzen am Mittelscheitel zwei Zöpfe an, die um den Kopf herum nach hinten geführt sind. Eine vergleichbare Frisur zeigt ein Frauenbildnis reifaugusteischer Zeit in Bonner Privatbesitz.470 Die volle, runde Gesichtsform läßt sich trotz aller Provinzialität des Reliefs in Pesaro bei der Livia aus der Mysterienvilla wiederfinden (St. 9), und auch die Falten der palla erinnern in ihrer Scharfgratigkeit an diese Statue, sind jedoch etwas beweglicher als dort und erinnern so bereits an die ara in Florenz (Rel. 7). So wird dieses Relief sicher schon nach der ara Pacis und etwas vor Rel. 7 anzusetzen sein.
Rel. 7 ara magistrorum vici Sandaliari, Florenz, Uffizi Inv. 972. CIL VI 448; L. Polacco, II volto di Tiberio (1955) 74-77 Taf. 9-11 bes. Taf. 11,1-2; W. Hennann, Römische Götteraltäre (1961) 24f. Nr. 15. 85-88; Gross 76-81 Taf. 14; Mansuelli I 203-06 Nr. 205 Abb. 198a-d; Schmidt 34f. mit Anm. 183f.; Bieber, Copies 191 mit Anm. 74 Abb. 789; Fittschen-Zanker I 7ff. Anm. 4. 7f. zu Nr. 8. H: 1.50 m. B: 0.90 m. T: 0.60 m. FO: Aus der Sammlung Capranica Valle. Die Datierung der ara magistrorum vici Sandaliari ergibt sich aus ihrer Inschrift. Es werden die Consuln des Jahres 2 v. Chr. genannt: Augustus, der sein 13. Konsulat bekleidete, und M. Plautius Silvanus. Damit ist die Entstehung der ara im Jahr 3/2 v. Chr. gesichert. In der links von Augustus stehenden Frau ist zumeist Livia gesehen worden. Indessen läßt sich die von P. Zanker vorgetragene Deutung auf Iulia, die Tochter des Augustus und der Scribonia,47i noch weiter erhärten. Die Frisur entspricht keinem der beiden Porträttypen mit Mittelscheitel, die für Livia gesichert sind.472 Doch hat der Bildhauer nicht nur bei der Wiedergabe des Prinzen- und des Augustusporträts sorgfältig gearbeitet, 473 sondern auch bei dem Frauenporträt: Wie die Iulia/Diana auf einer Münze des Jahres 13 v. Chr. zeigt,474 war die Nase Iulias bis auf eine kleine Einziehung an der Nasenwurzel gerade. Der für Livia charakteristische Höcker fehlt ihr; eher vergleichbar scheint dagegen die Stehende auf der ara in Florenz. Es ist also davon auszugehen, daß hier Augustus, Iulia und einer deren Söhne dargestellt sind.475 Der zeitliche Abstand zur ara Pacis sowie auch zu St. 9 zeigt sich an den deutlich beweglicheren Gewandfalten, die auch gegenüber Rel. 6 weicher und voluminöser gestaltet sind. Die Figur der Iulia ist als Statue gemeint. Das wird an der Basis sichtbar, auf welcher sie und die beiden togati stehen. Sie gibt einen statuarischen Typus wieder, wie ihn in ganz ähnlicher Weise auch St. 24 und 33 und, etwas abgewandelt, auch St. 32 zeigen. Von diesen drei Statuen unterscheidet sich die Figur Iulias auf dem Altar in zweierlei Hinsicht: Sie ist capite velato. Dadurch verkürzt sich der um die Hüfte nach vorn geführte Teil der palla, der hier nur eben unter das rechte Knie herabreicht, während er bei den drei genannten Statuen bis zu den Knöcheln reicht. Die dreiecksförmig vor dem Unterleib drapierte palla nimmt dabei auf Motive Bezug, die R. Horn über den Hellenismus bis in die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. zurückverfolgen konnte.476 Dennoch gibt diese Relieffigur Iulias keinen für uns faßbaren hellenistischen oder klassischen Statuentypus wieder, bietet uns aber trotzdem einen ganz offensichtlich dem Bildhauer bekannten Statuentypus, der eng mit den von H. J. Kruse zusammengestellten Hüftbauschstatuen verwandt ist477 und gegenüber den stark bewegten hellenistischen Figuren wesentlich beruhigter und "klassischer" ist. So hat die römische Kunst hier unter Verwendung einzelner älterer Motive etwas Eigenständiges und Neues hervorgebracht.
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Rel. 8 Grabstele Wien, Kunsthistorisches Mus. Inv. I 1138. Dütschke V 316f. Nr. 808; G. Mansuelli, MonPiot 53, 1963, 64 Abb. 31; I. Jost, Drie steenen voor een bibliotheek (1980) 26 Anm. 28 Taf. 2,4.- Abb. 63. H: 1.31 m. B: 0.75 m. T: 0.44 m. FO: Wahrscheinlich Altino. Bei der Dame im oberen Register ist das in der Mitte gescheitelte Haar in zum Hinterkopf führende, gebrannte Wellen gelegt. Die Ohren sind bedeckt. Die Frau im unteren Register hat ebenfalls ihr Haar in vom Mittelscheitel ausgehenden Wellen nach hinten geführt; diese sind allerdings etwas großzügiger angelegt als bei der Dame im oberen Register und bedecken die Ohren nicht völlig. Mit der Dame im oberen Register lassen sich besonders gut ein Frauenporträt in Leiden und eine Büste in der Bibliotheca Hertziana vergleichen, die in tiberische Zeit datiert wurden.478 Auch die Frau im unteren Register trägt eine tiberische Frisur: Parallelen bilden ein Kopf in Cagliari479 und zwei spätaugusteisch-frühtiberische Porträts auf dem Kapital.480 Auch die um einige Seitenlöckchen bereicherte Frisur von St. 11, die in der ersten Hälfte der Regierungszeit des Tiberius entstanden ist, läßt sich mit denen der Frauen auf diesem Relief vergleichen. Gegenüber Rel. 7 sind hier die Falten zwar ähnlich voluminös, aber doch starrer, gedrängter und weniger beweglich gestaltet. Auch hierin nähert sich das Relief bereits St. 11. Dieser entsprechen auch die ähnlich ovalen und langgestreckten Frauengesichter, die ein ähnlich kleines, spitz vorstoßendes Kinn aufweisen wie St. 11. So wird dieses Grabrelief in spätaugusteischer bis frühtiberischer Zeit entstanden sein.
Rel. 9 Grabrelief der OPTATA und der FADIA · Τ · F · STΑΤΙΑ, Aquileia, Mus. Archeologico Inv. 51459. G. Brusin, NSc 1933, 119ff. Abb. 2; B. Forlati Tamara, AquilNost 4-5, 1933/34, 22f. Nr. 36 Abb. 42; G. Chiesa, AquilNost 24/25, 1953/54, 77 mit Anm. 13; Scrinari 113 Nr. 330.- Abb. 64. H: 1.75 m. B: 0.77 m. T: 0.18 m. FO: Aus S. Canziano d'Isonzo, ca. 10 km von Aquileia. Aufgrund der Inschriftform datierte Brusin die Stele frühestens in augusteische Zeit.48i Die durch den Bruch im Relief beschädigte Frisur der Fadia T. f. Statia482 zeigte ehemals einen exiguus nodus in der Mitte. Von diesem ausgehend sind die Haare locker zur Seite gestrichen, wobei die Ohren unbedeckt bleiben. Vom Nacken her windet sich je eine einzelne Locke über die Schulter nach vorn. Ahnliche Frisuren finden wir bei spätaugusteischen Frauenporträts, ζ. B. bei Bü. 6 und einem Frauenporträt im Vatikan.483 Das in kleine, enge, parallel zum Mittelscheitel gebrannte Wellen frisierte Haar der Optata läßt die Ohren völlig frei. Vom Nacken her ringeln sich hier ebenfalls zwei einfache Haarlocken nach vorn. Am Mittelscheitel und an den Schläfen fallen einzelne kleine Löckchen in die Stirn. Dies ist eine Frisur tiberischer Zeit, wie der Vergleich mit einer jungen Frau aus der Baibusgruppe zeigt.484 Verglichen mit den bisher betrachteten Reliefs finden wir hier eine andere Reliefauffassung: Der Reliefgrund tritt hier kaum in Erscheinung, sondern wird fast völlig von den Figuren verdeckt. Bei der Wiedergabe der Gewänder fallen sofort die sehr zahlreichen, kleinteiligen und unruhig bewegten Falten auf, die sich deutlich von den Gewandfalten auf Rel. 8 unterscheiden. Ahnlich lassen sich auch die Gewandfalten bei der Baibustochter Neapel Mus. Nazionale 6248 beschreiben, die in reiftiberische Zeit datiert wurde. 485 Auch die etwas gedrungenere, rundlichere Gesichtsform Fadias und Optatas hat mehr mit den Zügen der Baibustochter gemeinsam als mit denen von St. 11, so daß man dieses Relief in die 20er Jahre n. Chr. wird datieren können. 66
Porträts mit der stola in der Glyptik
Gl. 1 Liviakameo, Wien, Kunsthistorisches Museum. Eichler-Kris 57 Nr. 9 Taf. 5; Bieber, RE 21,7ff.; W. Trillmich, MM 15, 1974, 185 Anm. 6; Möbius 64; Zwierlein-Diehl 14 mit Anm. 13. 42ff. Taf. 12,73; Fittschen-Zanker III 4 mit Anm. 9 zu Nr. 3; Zanker, Augustus 236 Abb. 184; Megow 254 Nr. Β 15 Taf. 9,1-3. H:
9 cm. B: 6,6 cm.
Allgemein anerkannt ist die Datierung des Kameo bei Eichler-Kris,486 wonach die Strahlenkrone der Augustusbüste auf den Münzen ein Attribut des Divus Augustus ist, so daß der Kameo in der Witwenzeit Livias entstanden sein muß. Zuletzt wurde aus stilistischen Gründen eine Datierung in frühtiberische Zeit ausgesprochen.487 Dieser Ansatz läßt sich bestätigen und präzisieren: Livia hält ähnlich wie der togatus Barberini488 eine Ahnenbüste in der Hand, und zwar die ihres vornehmsten Ahnen, ihres zum Divus gewordenen Vaters Augustus, der sie in seinem Testament adoptiert hatte. 489 Das auf dem Globus, auf dem ihre Linke ruht, dargestellte Geburtszeichen des Augustus, der capricornus, bezieht sich mit auf Livia, die nun als Iulia Augusta des Augustus Tochter geworden ist. Wie wichtig Livias Adoption durch Augustus genommen wurde, zeigt die Tatsache, daß der Senat nach ihrem Bekanntwerden der Göttin Adoptio einen Kult einrichten wollte, was Tiberius jedoch verhinderte.490 Attribute von Livias neuem Priesterinnentum im Dienste des Divus Augustus fehlen ihr; doch wird ihre stola sicher ein Hinweis darauf sein, daß sie dem Divus Augustus zu seinen Lebzeiten als Gemahlin verbunden war. Die Tochter und zugleich Witwe des Divus und Mutter des regierenden Herrschers ist mit den Attributen der Wachstums- und Fruchtbarkeitsgöttin Ceres, der Tyche und der Kybele ausgestattet. Nach ihrer Adoption wurde Livia im Osten des Reiches als Tyche verehrt,49i und Kybele ist die Gemahlin Saturns, der im goldenen Zeitalter Italien regierte - so wie Livia zu seinen Lebzeiten die Gemahlin des Divus Augustus gewesen war, der für sich in Anspruch nahm, der Welt eine neue aurea aetas beschert zu haben. So dürfte der Wiener Kameo die testamentarische Adoption Livias49? feiern. Daher wird er bald nach dem Tode des Augustus, vermutlich noch im Jahre 14 n. Chr., als Huldigung an Livia in Aultrag gegeben worden sein.
Gl. 2 Kameo der Livia, Paris, Bibliotheque Nationale 261. Babelon 119 Nr. 261. Taf. 26; Vollenweider 75 Anm. 61; Megow 294f. Nr. D 21 Taf. 7,17. H:
3,8 cm. B: 2,7 cm.
Das Frauenporträt auf diesem Kameo benennt W.-R. Megow "Livilla", weist jedoch selbst darauf hin, daß hier die von Livilla sonst getragenen eingerollten, von den Schläfen zur Stirnmitte laufenden Löckchen fehlen.493 Diese Deutung nahm er im Anschluß an einen Glaskameo in Wien vor. 494 Die Frisur unserer Dame entspricht aber keineswegs der des Porträts dort. Sie ist vielmehr diejenige Livias im Salustypus: Wir finden hier die vom Mittelscheitel ausgehenden, in fünf Wellen gebrannten Haarsträhnen wieder, die untereinander parallel über Stirn und Schläfen nach hinten geführt sind und das Ohr zur Hälfte bedecken. Vor und hinter dem linken Ohr der Dame auf dem Kameo werden auch die von Livia 67
auf dem Salus-augusta-dupondius (Mü. 1) dort getragenen einzelnen Korkenzieherlöckchen sichtbar. Vor dem Ohr wird eine kurze, dahinter eine längere Locke getragen. In der Art der Haargestaltung läßt dieser Kameo sich mit einem Livillas vergleichen, der zuletzt frühtiberisch datiert wurde,495 während die Wiedergabe der Gesichtszüge und die Art der Gewanddarstellung ihre beste Parallele bei dem Bostoner Kameofinden,"»96so daß wir mit diesem Stück gleichfalls in frühtiberische Zeit, wohl noch vor Ende des zweiten Jahrzehnts n. Chr. kommen, wie auch der Vergleich mit den ebenfalls recht weich und flach, aber qualitätvoller ausgeführten Falten auf Gl. 3 bestätigt.
Gl. 3 Livilla, Kameo des Saturnius, Paris, Cabinet des Medailles 260. Babelon 119 Nr. 260 Taf. 24; Furtwängler AG III 320. 358; Vollenweider 75 Taf. 85,1.2.4; Möbius 52 mit Anm. 122; Zwierlein-Diehl, 36f. mit Anm. 236; Megow 294 Nr. D 20 Taf. 7,18. H:
3,4 cm. B: 2,7 cm.
Mit den gesicherten Porträts der Antonia minor ist das Bildnis auf dem Kameo nicht zu verbinden.497 Den Bennennungsvorschlag auf Livilla konnten wir durch den Vergleich mit dem Pietas-dupondius von 22/23 n . Chr. und St. 11 bestätigen,498 so daß für diesen Stein der Sturz Livillas 31 bzw. ihre damnatio memoriae 32 η. Chr. als terminus ante quem gegeben ist. Der Kameo orientiert sich in seinen Maßen und in der Präsentation der Büste Livillas offensichtlich an Gl. 2. E. Zwierlein-Diehl erkannte stilistische Verbindungen zur Gemma Claudia, die sie derselben Werkstatt, allerdings nicht demselben Meister zurechnete.499 Die Falten der Gewänder sind recht weich wiedergegeben und wirken wie flachgedrückt. Das Inkarnat ist voll und in großzügigen, recht kompakten, aber ein wenig flachen Formen gestaltet, wie es sich auch in der Großplastik frühtiberischer Zeit zeigen ließ,500 so daß sich der stilistische Ansatz hierher bestätigt.5°i Gegenüber der 48 n. Chr. geschaffenen Gemma Claudia (Gl. 10) sind Gewänder, Inkarnat und Haar deutlich weicher und fülliger gearbeitet, und auch von der dort als eine Neuheit beobachteten wechselnden Farbigkeit502 ist der Saturninuskameo noch weit entfernt.
Gl. 4 Rom, Mus. Capitolino Nr. 121. R. Righetti, Gemme e cammei delle collezioni communali (1955) 46f. Nr. 121 Taf. 12,2; Vollenweider 68 mit Anm. 23 Taf. 73,7; Megow 255f. Nr. Β 18 Taf. 13,8. H: 4,8 cm. B: 4,6 cm. FO: 1872/73 auf dem Esquilin gefunden. Hier wird Livia mit der infula, ihrem Amtsinsigne als sacerdos Divi Augusti gezeigt. Daher muß der Kameo nach 14 n. Chr. entstanden sein, denn davor hat Livia kein Priesterinnenamt bekleidet. In der flachen Art der Gesichtsgestaltung, in der recht graphischen Art der Haarwiedergabe und darin, wie der Zickzacksaum auf Livias Schulter fällt, ist der Salus-augusta-dupondius von 22/23 n. Chr. (Mü. 1) vergleichbar, so daß auch der Kameo in den frühen 20er Jahren n. Chr. entstanden sein wird. 503 Neben Livia, die hier im Salustypus auftritt,504 sind noch die Reste eines wie sie capite velato dargestellten togatus erhalten, dem der umbo seiner toga vor die Brust fällt. Da der Kameo unter Tiberius geschaffen wurde, fallt der Divus Augustus für das Männerbildnis aus, denn für ihn wäre unter Tiberius entweder wie bei Gl. 1 und dem Bostoner Kameo505 eine Büste zu erwarten, oder er müßte größer als Livia 68
dargestellt sein. Daher wird man hier Tiberius zu ergänzen haben, der ähnlich wie auf Gl. 5 zusammen mit seiner Mutter erschienen sein dürfte. 506
Gl. 5 Kameo des Tiberius und der Livia, Florenz, Mus. Archeologico Nr. 177. H. Möbius, Alexandria und Rom (1964) 18 mit Anm. 13a Taf. 2,7; Vollenweider 69 mit Anm. 26 Taf. 76,3; H. Kyrieleis, BJb 171, 1971, 173 mit Anm. 39, 181. 179 Abb. 13; Möbius 59 mit Anm. 165; Zwierlein-Diehl 30 mit Anm. 181. 42f. Taf. 12,75; Megow 179f. Nr. A 49 Taf. 10,10. H:
4,8 cm.
Dargestellt sind die capita iugata des Tiberius und der Livia. Tiberius erscheint in dem anläßlich seines Regierungsantritts geschaffenen Typus, 507 wodurch der Kameo nach 14 n. Chr. datiert ist. Da Livia hier mit der Nodusfrisur dargestellt ist, wollte E. Zwierlein-Diehl den Kameo vor die Emission der Salus-Augusta-Münzen im Jahre 22/23 n. Chr. setzen, doch wurde Livia auch noch wesentlich später mit der Nodusfrisur dargestellt, wie Bü. 20 beweist. Indessen sprechen M. L. Vollenweiders stilistische Argumente sehr wohl für eine Entstehung unter Tiberius noch zu Livias Lebzeiten: Es besteht eine Stilverwandtschaft zu einem Kameo des 23 n. Chr. ermordeten Drusus m i n o r , s o daß dies Stück wohl der ersten Hälfte der Regierungszeit des Tiberius angehören wird.
Gl. 6 Kameo der Drusilla und des Caligula, Boston, Mus. of Fine Arts Inv. 98.754. W. Trillmich, HefteABern 9, 1983, 26 Anm. 39; Megow 187 zu Nr. A 64 Taf. 14,9. H: 4,3 cm. B: 4,8 cm. FO: Im Fayum in Ägypten gefunden. Da hier Caligula porträtiert ist,50« kommt für das Frauenbildnis neben ihm, das dem Typus FasanerieFormia angehört, 510 nur eine Frau aus der unmittelbaren Umgebung dieses Kaisers in Frage. W.-R. Megow schlug Drusilla vor, die 38 n. Chr. verstorbene und sogleich vergöttlichte Schwester Caligulas.sn Weil Caligula nach seinem Sturz der damnatio memoriae verfiel, ist der Stein in seine Regierungszeit zu datieren.512
Gl. 7 Kameo der Drusilla, Paris, Cabinet des Medailles 280. Babelon 147 Nr. 280 Taf. 31; M. L. Vollenweider, HelvA 2, 1971, 80 Abb. S. 82; W. Trillmich, HefteABern 9, 1983, 24f. mit Anm. 30 Taf. 4,1; Zwierlein-Diehl 43 mit Anm. 307; Megow 302 Nr. D 36 Taf. 16,3. H:
5,25 cm.
Dieser Kameo wurde bisher allgemein claudisch datiert.513 Doch da die dargestellte Dame Drusilla 69
ist ,514 ergibt sich ein Ansatz in die Regierungszeit Caligulas. Auch stilistisch ist das Stück noch um einiges von Gl. 10 entfernt: Die flimmernde Buntheit, auf die E. Zwierlei-Diehl dort als stilistische Neuheit hingewiesen hat,5i5 ist hier noch nicht erreicht. Statt dessen sind die Farbschichten so gewählt, daß Haar und Kleidung dunkel erscheinen, während die Haut und das Band, das ihren Lorbeerkranz hält, aus einer hellen Schicht geschnitten sind. In den flachen und trockenen, dünngratig und linear wirkenden Falten ist dieser Kameo an das Doppelbildnis Gl. 6 anzuschließen.
Gl. 8 Kameo der Drusilla, Paris, Cabinet des Mddailles 283. Babelon 148 Nr. 283 Taf. 31; Zwierlein-Diehl 43 Anm. 307; W. Trillmich, HefteABern 9, 1983, 24f. mit Anm. 31 Taf. 4,2; Megow 302f. Nr. D 38 Taf. 18,2. H: 4,5 cm. B: 4,0 cm. Der Kameo wiederholt den Bildnistypus Formia, der wohl auf Drusilla zu beziehen ist.516 Wegen ihres Bildnisses muß dieser Stein zur Zeit Caligulas geschnitten worden sein.517 Dem entspricht auch der Stil mit den fein ziselierten Haaren, der Art der Faltendarstellung, der Form der Augen und schließlich mit der Farbwahl des Künstlers, welcher demjenigen von Gl. 6 und insbesondere Gl. 7 so nahe steht, daß sich die Vermutung aufdrängt, beide Kameen könnten in derselben Werkstatt gefertigt sein. Zumindest aber sind sie zeitgleich.
Gl. 9 Privatporträt, Karneolkameo, Neapel, Mus. Nazionale Inv. 155864. Maiuri, Ercolano 344; U. Pannuti, Museo Nazionale di Napoli, Catalogo della Collezione Glittica I (1983) 128 Nr. 213 Abb. 213. 213a Farb-Abb. 18; Megow 292f. Nr. D 16 Taf. 20,2-3. H: 3,18 cm. B: 2,27 cm. FO: 1935 in einer verkohlten Holzkassette zusammen mit dem Siegel des M. PIL(I)US PRIMIGENIUS GRANIANUS in der casa della gemma in Herculaneum gefunden.518 Zuletzt wurde die Büste auf diesem Karneol auf Agrippina maior unter Berufung auf ein Porträt auf dem Kapital gedeutet. 519 Doch zeigen sich hier bei einer genauen Betrachtung deutliche Unterschiede, die diese Deutung nicht erlauben: Die Stirn der Agrippina maior ist höher als die der Frau auf dem Kameo, und bei ihr entspringen die seitlichen Locken über den Augenbrauen, während sie bei dem Neapler Karneol seitlich der Schläfen ansetzen. Statt dessen ähnelt die Frisur der Dame derjenigen der Minatia Polla (Bü. 17), deren Büste in frühclaudischer Zeit entstand, oder der ebenfalls in Herculaneum zutage getretenen Bü. 18, deren Locken wie hier von den Seiten des Kopfes nach vorn gestrichen sind; mit beiden Büsten stimmt auch die Gesichtsform überein.
Gl. 10 Gemma Claudia, Wien, Kunsthistorisches Mus. I 650. Eichler-Kris 61f. Nr. 19 Taf. 9; S. Fuchs, RM 51, 1936, 212-37; Vollenweider 79 Anm. 78; D. Kas70
par, SchwMBll 25, 1975, 67f. Abb. 11; Möbius 60; Zwierlein-Diehl 36f. mit Anm. 234 Taf. 11,66; Megow 200f. Nr. A 81 Taf. 31. 32,1.2.4. H:
12 cm. B: 15,2 cm.
Die Gemma Claudia wurde 49 η. Chr. aus Anlaß der Heirat des Claudius mit Agrippina minor geschaffen. 5 20 d . Kaspar konnte den Stein derselben Werkstatt zuweisen, in der wenig später auch der Grand Camee de France gefertigt wurde.521 An der Gemma Claudia wird zum ersten Mal an einem Kameo die bunte Farbigkeit des Steins für schillernde Oberflächeneffekte eingesetzt. 522 Agrippina minor erscheint hier im Typus III A n c o n a . 523 Es kann kein Zufall sein, daß uns die früheste datierte Darstellung dieser Kaiserin im Typus III Ancona das erste Mal in einem Werk der Hofkunst begegnet, das anläßlich ihrer Heirat mit Claudius geschaffen wurde. Man darf also wohl davon ausgehen, daß dieser Porträttypus im Zusammenhang mit dieser Hochzeit entworfen wurde. 524
Gl. 11 Grand Camee de France, Paris, Cabinet des Medailles 264. L. Curtius, RM 49, 1934, 119-56; K. Jeppesen, Neues zum Rätsel des Grand Camee de France (1974) = Acta Jutlandica XLIV: 1; H. Jucker, Jdl 91, 1976, 211-50; D. Kaspar, SchwMBll 25, 1975, 61-68; Megow 202-07 Nr. A 85 Taf. 32,5-10. 33. H:
31,0 cm. B: 26,5 cm.
FO: 1341 im Inventar der Ste. Chapelle in Paris verzeichnet. In dem als Imperator auftretenden Knaben konnte D. Kaspar den jugendlichen Nero n a c h w e i s e n . 5 2 5 Dazu erkannte sie in der neben dem ein Tropaion tragenden Claudius auf einem Sphingenthron sitzenden Frau Agrippina minor durch einen Vergleich mit der Gemma Claudia (Gl. 10) und mit M ü n z e n . 5 2 6 Ihre Benennung wird durch rundplastische Porträts vom Typus III Ancona bestätigt: Man vergleiche die Agrippina-minor-Köpfe in Mantua52"? und im Museo Chiaramonti.528 Die Köpfe zeigen beide die kurze Zopfschlaufe im Nacken und die nach einer kurzen, glatten Zone beiderseits des Mittelscheitels in drei bzw. vier Reihen eingerollten Löckchen. Dazu kann dieser Typus um zwei seitlich hinter den Ohren herabhängende Korkenzieherlocken bereichert werden, wie auch hier geschehen. Daß wir hier nur drei und nicht wie bei dem Kopf in Mantua vier Löckchenreihen vorfinden, wird seinen Grund darin haben, daß bei der Größe des Agrippinaköpfchens von nur 1,7 cm529 kein Platz mehr für die vierte Löckchenreihe war; analog dazu wurde j a auch bei dem Kopf im Museo Chiaramonti auf die vierte Löckchenreihe verzichtet, um für das Diadem Raum zu schaffen. Ahnlich wie dort sind auch auf dem Kameo die Locken der obersten Reihe besonders groß ausgeführt. Ebenfalls aus Platzmangel ist auf dem Kameo nur das Ohrläppchen, nicht das ganze Ohr dargestellt, und auch die oberhalb des Ohres zum Nacken hin eingeschlagene Haarrolle hat der Steinschneider verkürzt.530 So erscheint Agrippina minor hier im Typus III Ancona. Da dieser Porträttyp sich das erste Mal auf der Gemma Claudia nachweisen läßt, wird durch seine Verwendung die Datierung des Grand Camee de France anläßlich der Erhebung Neros zum princeps iuventutis und damit zum Thronfolger im Jahre 51 n. Chr. 531 unterstützt. Der Stil ist dem der Gemma Claudia auf das engste verwandt, wie sich an der recht schlaffen Art der Wangendarstellung beim Claudius in Wien und dem Augustus in Paris und der Augendarstellung bei der Agrippina minor auf den beiden Kameen zeigen läßt. Die beiden stolatae sind a) Livia und b) Agrippina minor. 532
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Gl. 12 Gemme der Iulia Titi, Paris, Cabinet des Medailles 2089. R. Delbrück, Antike Portraits (1912) LXI Nr. 36 Taf. 59,9 (nach Gips); H. Jucker, JbBernHistMus 39/40, 1959/60, 275f. Taf. 7,2; Die Flavier 57f. 117. Taf. 47a-b. H: ca. 7 cm. FO: Aus dem Besitz Karls d. Gr. Diese Aquamaringemme des Euodos gehört in die zeitliche Nähe dreier Münzserien mit dem Bildnis der Iulia Titi aus der zweiten Hälfte der 80er Jahre n. Chr., deren älteste im Jahre 84 herausgegeben wurde. Die untere Grenze für die Datierung des Steins muß bald nach dem Tode dieser Prinzessin im Jahre 89 angesetzt werden.533
Gl. 13 Kameo St. Petersburg, Ermitage Inv. >K 149 Neverov 94f. Nr. 104; ders., SchwMBll 24, 1974, 80f. Abb. 2; Möbius 60; Jucker, Jdl 91, 1976, 227 Anm. 58; Zwierlein-Diehl 44 mit Anm. 318 Taf. 13,76; W. Trillmich, HefteABern 9, 1983, 32f. Anm. 67; Megow 167f. Nr. A 22 Taf. 10,13. Dm: 8,3 cm. FO: Aus der Sammlung Jussupow. Der Kameo wurde im 3. Jahrhundert und in der Renaissance umgearbeitet. Bei der Umarbeitung im 3. Jahrhundert wurde das ursprüngliche Frauenporträt in eines der Salonina umgewandelt.534 Für die Frauenbüste, die zusammen mit der des Augustus eine frontale Büste des jugendlichen Nero rahmt, wurde ein ursprüngliches Porträt der L i v i a 5 3 5 oder der Agrippina minor postuliert,536 doch ist wegen des auch in der Umarbeitung erhalten gebliebenen Nasenhöckers bei dem Frauenbildnis in der Urfassung wohl Livia anzunehmen.537 Die Datierung der Urfassung ergibt sich aus dem Porträt des jugendlichen N e r o ; 5 3 8 seine Büste zwischen der des Augustus und einer weiblichen Angehörigen des julisch-claudischen Hauses legt eine Entstehung des Kameos anläßlich seiner Adoption durch Claudius 50 n. Chr. oder seiner Erhebung zum Kronprinzen im Jahre 51 n. Chr. nahe. Auch der Stil spricht für eine Entstehung im zeitlichen Umkreis von Gl. 10 und 11 mit der bunten Farbigkeit und den schillernden Effekten auf der Oberfläche und der flachen, recht harten Wiedergabe der Kleider.
Münzbildnisse mit der s t o l a ^
Mü. 1 Dupondius der Livia, Berlin, Staatliche Museen, Münzkabinett. Bernoulli III, 86 Taf. 32,12; Polaschek 145 Anm. 111. 169 mit Anm. 116; Kent u. a. 98 Nr. 158 Taf. IV.
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Der Dupondius wurde 22/23 n. Chr. in Rom geprägt, nachdem Livia 22 n. Chr. von einer schweren Krankheit genesen war. Das Frauenbildnis mit der Umschrift "SALUS AUGUSTA" wird allgemein als ihr Bildnis verstanden. 540
Mü. 2 Aureus für Agrippina maior, London, Britisches Museum. Kent u. a. 98 Nr. 167 Taf. 44; Trillmich (1978) lOf. Nr. 39. Der Aureus wurde 37/38 n. Chr. geprägt. Mü. 3 Dupondius für Antonia minor, London, Britisches Museum. Bernoulli III, 218 Taf. 33,11; BMCRE I 193 Nr. 213 Taf. 36,9; Trillmich (1978) 22 Nr. 58. 64f. Taf. 9.
Der Dupondius gehört der zwischen 50/51 und 52/53 n. Chr. geprägten Serie Y a n . w
Mü. 4 Aureus der Agrippina minor, London, Britisches Museum. Kent u. a. 100 Nr. 180 Taf. 47. Der Aureus wurde zwischen 51 und 54 n. Chr. geprägt. Mü. 5 Aureus des Nero und der Agrippina minor, Kunsthandel. L. v. Matt-Η. Kühner, Die Caesaren (1964) 172 Taf. 67a. Diese Münze aus dem Jahr 54 n. Chr. ist nach der Thronbesteigung Neros geprägt worden, denn in der Legende wird Claudius bereits als "Divus" bezeichnet.
Mü. 6 Aureus für Domitilla Augusta, Berlin, Staatliche Museen, Münzkabinett. BMCRE II 312,68 Taf. 61,11; H. Jucker, JbBernHistMus 39/40, 1959/60, 269. 274 Taf. 3,3; Die Flavier 55. 61 Nr. la Taf. 51a-b. Der Aureus trägt das Bildnis Domitillas, der schon vor dem Regierungsantritt ihres Vaters ca. zwanzigjährig verstorbenen Tochter V e s p a s i a n s . 5 4 2 Geprägt wurde die Münzserie, der dieser Aureus angehört, jedoch erst unter Domitian, vermutlich ca. 81/82 n. Chr. zusammen mit den Münzen für Titus und Iulia Titi.543
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Mü. 7 Aureus der Iulia Titi, London, Britisches Museum. BMCRE II 313,69 Taf. 61,12; Die Flavier Taf. 50 Abb. f. Die Münze wurde zwischen 81 und 84 n. Chr. geprägt. Mü. 8 Aureus der Domitia, London, Britisches Museum. Kent u. a. 108 Nr. 243 Taf. 62. Der Aureus wurde 82/83 n. Chr. im Rom geprägt im Gedenken an den frühverstorbenen und dann vergöttlichten Sohn der Domitia und des Domitian.
Mü. 9 Sesterz der Plotina, Berlin, Staatliche Museen, Münzkabinett. Kent u. a. 112 Nr. 273 Taf. 70. Da Plotina 113 n. Chr. zur Augusta erhoben wurde und sie auf diesem Sesterz so genannt wird, ist die Münze nach 113 geprägt worden, aber wohl noch unter der Regierung Trajans.
Mü. 10 Aureus für Marciana, London, Britisches Museum. Kent u. a. 112 Nr. 274 Taf. 70. Der Aureus feiert die Konsekration der 114 n. Chr. gestorbenen Trajansschwester Marciana. Dementsprechend dürfte die Münze zwischen 114 und 117, dem Todesjahr Trajans, geprägt worden sein.
Mü. 11 Aureus der Matidia, London, Britisches Museum. L. v. Matt-Η. Kühner, Die Caesaren (1964) 173 Abb. 79d. Der Aureus wurde 117 n. Chr. in Rom geprägt. Mü. 12 bronzemedaillon der Faustina minor, London, Britisches Museum. Gnecchi II 40 Nr. 14; Kent u. a. 121 Nr. 351 Taf. 83. Faustina minor erscheint hier in ihrem 7. Bildnistypus, der im Jahre 161 anläßlich der Geburt ihrer Zwillinge geschaffen wurde.s44 B. Oberbeck datierte das Medaillon zwischen 161 und 176 n. Chr.545 74
D I E ZEITLICHEN SCHWERPUNKTE IN DER DARSTELLUNG DER STOLA UND IHRE HISTORISCHE BEGRÜNDUNG
In unserer chronologischen Untersuchung einer Auswahl von Frauenbildnissen mit der stola konnten wir diese in der Porträtkunst der Römer seit der späten Republik bis in die Zeit Marc Aurels nachweisen. Anhand dieser Auswahl von Frauenbildnissen mit der stola aus allen Gattungen läßt sich nun zeigen, daß zwischen den Aussagen über die stola, die den Schriftquellen zu entnehmen sind, und der wechselnden Häufigkeit ihrer Darstellung in der bildenden Kunst einige Parallelen und Beziehungen bestehen. Aufschluß über das tatsächliche Trachtverhalten der römischen Matronen ist hierbei in erster Linie von den Privatporträts mit der stola zu erwarten, während die Porträts kaiserlicher Damen eher Aufschluß über die Rolle der stola in der kaiserlichen Propaganda versprechen. Hierbei stellen uns die oft nur kopflos überlieferten, ehemals für Einsatzköpfe gearbeiteten Statuen vor das Problem, ob sie kaiserliche oder private Bildnisse trugen; wo nicht eine deutliche Uberlebensgröße der Statue vorliegt oder ihr Fundort in einer Kaisergalerie bekannt ist, wird diese Frage grundsätzlich offen bleiben müssen.
Die späte Republik und die iulisch-claudische Zeit
An St. 1 begegnet uns die stola in der späten Republik bereits ganz am Anfang der Geschichte des Frauenporträts in der römischen Kunst überhaupt.546 Bei den Büsten taucht sie an den im letzten Jahrzehnt vor dem Prinzipat entstandenen Bü. 1-3 die ersten Male auf. Nach diesen noch recht vereinzelten Darstellungen in spätrepublikanischer Zeit wird die stola in augusteischer Zeit in allen Porträtgattungen so besonders häufig dargestellt, daß hier von einem ersten Höhepunkt in der Darstellung der stola gesprochen werden muß. Auf die gut vierzig Jahre der Alleinherrschaft des Augustus entfallen allein aus unseren chronologischen Reihen neun Statuen und damit gut ein Viertel der statuarischen Darstellungen von stolatae547 und vier Büsten. 548 Dazu ist die stola nun auch in einer neuen Gattung für uns faßbar, im Relief: Seit Mitte der 20er Jahre v. Chr. erscheint sie auch auf Grabreliefs; die ara Pacis (Rel. 4) und die ara magistrorum vici Sandaliari (Rel. 7) treten als die einzigen Reliefs hinzu, auf denen Frauen des Kaiserhauses in der stola dargestellt sind. Allein s i e b e n 5 4 9 von den insgesamt nur neun Reliefs, auf denen die stola nachweisbar ist, stammen dabei aus augusteischer Zeit, darunter die beiden einzigen Staatsreliefs, auf denen dieses Gewand erscheint. Diese gegenüber der spätrepublikanischen Zeit und den 30er Jahren v. Chr. auffallende Zunahme von Frauenbildnissen mit der stola in der Großplastik, aber auch bei den Büsten und schließlich auch das Erscheinen der stola im Relief als einer Gattung, wo sie bisher nicht anzutreffen war, hat sicherlich damit zu tun, daß sich erst als Folge der neuen politischen Bedeutung der Frauen aus der Oberschicht etwa seit den 30er Jahren v. Chr. das Frauenporträt als Gattung wirklich etabliert hat.55o Zum anderen ist in diesem Zusammenhang aber vor allem daran zu erinnern, daß die stola auch zu keiner Zeit so häufig von den Autoren erwähnt wird wie in augusteischer Zeit, was bereits daraufhindeutete, daß sie zu dieser Zeit besonders propagiert wurde. Tatsächlich hat bei den politischen Bestrebungen Octavians, eine konservativ-republikanische Gesinnung zu erwecken,552 seine besondere Aufmerksamkeit den matronae gegolten: Seine "Frauenpolitik", die sich vor allem in seinen Ehegesetzen niederschlug, war von Anfang an ein Kernstück seiner Innenpolitik. Bereits 28 v. Chr., noch bevor er sich "Augustus" nennen ließ, machte Octavian den ersten, vorerst noch gescheiterten Versuch, seine Ehegesetze durchzubringen, was ihm dann schließlich zehn Jahre später auch gelang. 553 Seit 18 v. Chr. wurden die römischen Matronen durch das ius liberorum für die Erfüllung der 75
ihnen zugewiesenen Aufgabe belohnt, möglichst viele Kinder zu gebären. Durch die gleichzeitig vorgenommene Verschärfung der Heirats- und Ehegesetze durch Augustus in der lex Iulia de ordinibus maritandis und der lex Iulia de adulteriis wurde die stola als Standestracht der untadeligen, freien römischen matrona von keuschem Lebenswandel in besonderer Weise aufgewertet und gewann für die Frau, welche die stola tragen durfte, eine sehr wichtige Bedeutung.554 Daß im Zusammenhang mit diesen innenpolitischen Bestrebungen im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts v. Chr. auch ein verstärktes Trachtbewußtsein entstanden sein muß, das offenbar besonders in den letzten beiden Jahrzehnten v. Chr., als die Ehegesetze des Augustus endgültig geltendes Recht geworden waren, weite Kreise der römischen Bevölkerung erfaßt hatte, bestätigt neben ihrer gegenüber der republikanischen Zeit deutlichen Zunahme auch der überwiegend private Charakter der Frauenbildnisse mit der stola aus augusteischer Zeit, die sich nun tatsächlich allen Schichten des populus Romanus zuweisen lassen. Von neun Statuen von stolatae sind sieben mit Sicherheit Privatbildnisse: Die inschriftlich bezeichneten Statuen der Rutiliae waren öffentliche Ehrenstatuen für zwei Damen aus der plebeischen Nobilität, die wir sicher der Oberschicht zurechnen müssen (St. 2-3). St. 4 und 10 dienten als Grabstatuen, und St. 5, 7 und 8 sind durch ihre erhaltenen Porträtköpfe als Privatbildnisse ausgewiesen.555 Die Liviastatue aus der Mysterienvilla (St. 9) ist in unserer chronologischen Reihe die einzige Stolastatue556 augusteischer Zeit, die mit Sicherheit eine kaiserliche Frau darstellt. Möglicherweise hat auch St. 6, deren Einsatzkopf heute verloren ist, eine Frau aus der domus augusta dargestellt. Die Fundumstände sind bei dieser Statue jedoch unbekannt, und die Höhe des Erhaltenen von 1.52 m mit der Plinthe war zu dieser Zeit auch bei Privatporträts möglich.557 Bei den Büsten der augusteischen Zeit stehen dagegen in unserer Reihe zwei Bildnisse der Livia (Bü. 5 und 7) und wohl eines der Octavia minor (Bü. 4) einem Privatporträt (Bü 6) gegenüber. Bei den Reliefs erscheint die stola schließlich auf zwei Staatsreliefs (Rel. 4 und 7) bei kaiserlichen Frauen und auf fünf Grabreliefs (Rel. 1-3, 5-6) bei privatae. Von diesen gehört Rel. 1 der Gattung der Kastenreliefs an, die P. Zanker den reichen Freigelassenen der späten Republik und der augusteischen Zeit zugeordnet hat. 558 Es handelt sich hier um das einzige Stück dieser Gattung, auf dem eine römische matrona dargestellt ist: Die jüngere der beiden Frauen trägt die an ihrem V-Ausschnitt erkennbare stola·, der älteren Frau fehlt die stola dagegen: demnach war sie keine römische matrona, sondern eine mit einem libertus verheiratete libertina. Offensichtlich ist nur der jüngeren der beiden Frauen aus dieser Freigelassenenfamilie wie Horaea der Aufstieg aus dem Libertinenstande durch die Heirat mit einem civis Romanus ingenuus geglückt. 559 Möglicherweise wurde die stola auch bereits in augusteischer Zeit in der Glyptik dargestellt, doch sind die der augusteischen Zeit zugewiesenen Kameen, auf denen stolatae erscheinen, in ihrer Echtheit umstritten.5«) Unangezweifelte glyptische Darstellungen der stola gibt es erst aus tiberischer Zeit, wo wir Livia bis zu ihrem Lebensende mehrfach als stolata dargestellt finden (Gl. 1-2, 4-5), während ihre Enkelin Livilla einmal in der stola auf einem Kameo erscheint (Gl. 3). Daneben erscheint auch unter Tiberius das erste Münzbildnis mit der stola auf Livias Salus-augusta-dupondius (Mü. 1). Trotz dieser in tiberischer Zeit erfolgten Erweiterung der Darstellungen von stolatae um zwei weitere, allerdings vornehmlich kaiserliche Bildnisse wiedergebende Porträtgattungen56i ist doch zu bemerken, daß etwa seit der Zeitenwende bis in mitteltiberische Zeit die stola in der bürgerlich-privaten Porträtkunst bereits wieder deutlich seltener zur Darstellung gebracht wird. Großplastische Zeugnisse für dieses Kleid fehlen in dieser Zeit bis auf die Statue der Prinzessin Livilla (St. 11) völlig, und nur zwei Büsten, von denen lediglich eine ein Privatporträt ist, während die andere Livia darstellt, führen uns im ersten Viertel des ersten Jahrhunderts n. Chr. die stola vor (Bü. 7-8). In diese Zeit gehören auch die beiden letzten Grabreliefs, auf denen die stola erscheint (Rel. 8-9). Danach verschwindet dies Gewand aus der Gattung Relief überhaupt. Nach St. 11 folgen in der Regierungszeit des Tiberius noch drei oder vier Statuen und fünf Büsten von Frauen in der stola.562 Bemerkenswerterweise konzentrieren diese Darstellungen von stolatae sich beson76
ders in der zweiten Hälfte der Regierungszeit dieses Kaisers, um dann bis in caliguläisch-frühclaudische Zeit wieder stärker in Erscheinung zu treten. Dabei erlebt die Darstellung der stola in der bildenden Kunst von mitteltiberischer bis in mittelclaudische Zeit einen erneuten Höhepunkt: Sieben Statuen, St. 12-18, sowie elf und damit ein gutes Drittel von insgesamt 29 Büsten von stolatae aus unserer Reihe wurden in dieser Zeit geschaffen. 563 Dazu entfallen noch vier oder fünf der hier behandelten Darstellungen der stola in der Glyptik auf diesen Zeitraum. 564 Unter Caligula wird auch Agrippina maior im Münzbildnis als stolata dargestellt (Mü. 2). Damit liegt die Dichte der Darstellungen der stola in dieser Zeit fast wieder so hoch wie in augusteischer Zeit bis etwa zur Zeitenwende. Bei diesem seit mitteltiberischer bis in frühclaudische Zeit zu verzeichnenden Wiederaufleben der Darstellungen von stolatae übersteigt nun die Zahl der Büsten deutlich diejenige der Statuen. Dabei stellen die Büsten mit vielleicht einer einzigen, möglicherweise auf Claudia Antonia zu beziehenden Ausnahme caliguläischer Zeit (Bü. 16) sämtlich Privatpersonen dar, denn auch bei der in ihrer ursprünglichen Fassung ebenfalls in früh- bis mittelclaudischer Zeit geschaffenen, unter Antoninus Pius umgearbeiteten Büste in Kopenhagen (Bü. 29) ist wegen ihrer späteren Umarbeitung in ein Privatporträt wohl auch für die erste Fassung ein solches zu vermuten. 565 Bei den im selben Zeitraum entstandenen Statuen läßt sich dagegen nur St. 14 mit Sicherheit einer Privatperson, nämlich der Fundilia, zuweisen. St. 13 und 16 stellen dagegen Livia dar, und St. 15 ist durch das antik erhaltene Diadem als kaiserliches Porträt ausgewiesen.566 Bei der ehemals mit einem Einsatzkopf versehenen Figur aus der in der Basilica von Velleia gefundenen Statuengalerie (St. 12) läßt der Fundort darauf schließen, daß diese Statue wohl ebenfalls das Porträt einer kaiserlichen Dame getragen hat. Auch die beiden zu Anfang der Regierung des Claudius geschaffenen Stolastatuen aus der Sammlung Albani und dem römischen Theater von Parma, St. 17-18, trugen ehemals Einsatzköpfe; in beiden Fällen sind die heute aufsitzenden Einsatzköpfe aber leider nicht zugehörig. Bei dem Torso aus Parma scheint es wegen seines Fundortes im römischen Theater der Stadt wohl wahrscheinlicher, daß er das Überbleibsel einer Kaiserinnen- oder Prinzessinnenstatue darstellt. Bei St. 17, deren Fundort unbekannt ist, haben wir den Torso einer Sitzstatue vor uns, was wohl ebenfalls eher auf ein kaiserliches als ein privates Bildnis hindeutet; dies zumal angesichts der für Privatleute seit Augustus gegebenen Schwierigkeiten, sich selbst öffentliche Statuen zu errichten. 567 Gegenüber der augusteischen Zeit hat sich das Verhältnis kaiserlicher und privater Stolastatuen in mitteltiberisch-frühclaudischer Zeit also völlig umgekehrt; es überwiegen jetzt deutlich die auf Kaiserinnen und Prinzessinnen zu beziehenden Statuen. Auch bei den Büsten hat dieses Verhältnis eine völlige Veränderung erfahren: Scheint in augusteischer Zeit noch ein leichtes Uberwiegen kaiserlicher Frauenbüsten mit der stola vorzuliegen, so finden wir nun bei den Büsten fast nur noch Privatpersonen als stolatae dargestellt. Dies gewandelte Zahlenverhältnis von privaten zu kaiserlichen Statuen und Büsten von Frauen in der stola ist sicher darauf zurückzuführen, daß es seit augusteischer Zeit für Privatleute immer schwieriger geworden war, öffentliche Bildnisse von sich aufstellen zu lassen,568 weshalb man jetzt bei der privaten Selbstdarstellung auf Porträtbüsten ausweichen mußte, was offenbar auch für das private Frauenporträt gegolten hat. 569 Dazu entstand in frühclaudischer Zeit auch das einzige Bildnis einer nicht zur domus augusta gehörenden stolata auf einem Kameo, Gl. 9, für dessen Deutung als Privatporträt neben seiner Frisur auch der Fundzusammenhang spricht: Dieser Kameolkameo wurde in einem Privathaus in Herculaneum in einer verkohlten Holzkassette zusammen mit dem Siegel des Hausherrn gefunden.570 So bezeugt er, daß es in frühclaudischer Zeit offenbar auch für Privatleute möglich war, sich in der Glyptik darstellen zu lassen. Dieses nach einem deutlichen Rückgang im ersten Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr. zu verzeichnende Wiederaufleben gerade auch privater Darstellungen von stolatae, das sich vor allem in den Büsten und der Statue der Fundilia (St. 14) manifestiert, das wir aber in einem Falle auch in der Glyptik nachweisen können (Gl. 9), hängt offensichtlich mit dem wohl etwa um die Mitte der 20er Jahre n. Chr. oder kurz vorher 77
erlassenen Gesetz zusammen, wonach matronae, die sich in der Öffentlichkeit ohne stola zu zeigen gewagt hatten, wie für einen Ehebruch bestraft wurden. Unsere Folgerung aus dem Erlaß dieses Gesetzes, daß die Matronen bereits unter Tiberius die stola wieder seltener anlegten,sn wird auch von der Denkmälerlage bestätigt: Etwa seit der Zeitenwende und damit bereits in spätaugusteischer Zeit konnten wir bis in mitteltiberische Zeit kaum noch Privatporträts mit der stola nachweisen;^ die matronae und ihre Umwelt betrachteten die sehr unbequeme und ihrer Trägerin beim Gehen hinderliche stola™ im täglichen Leben demnach also nicht mehr als so wichtig wie in den Jahrzehnten vor der Zeitenwende, weshalb die Matronen jetzt auch seltener mit der stola dargestellt wurden. Dies änderte sich aber offenbar schlagartig, nachdem der später von Seneca als recht unangenehmer und kleinlicher Charakter geschilderte Cn. Cornelius Lentulus Augur574 das Gesetz eingebracht hatte, wonach eine matrona für das Nichtanlegen der stola in der Öffentlichkeit wenn nicht gar mit der Tötung durch den eigenen Ehemann, so doch zumindest damit bestraft wurde, daß sie moralisch, sozial und rechtlich mit einer ehemaligen Bordellsklavin auf dieselbe Stufe gestellt wurde.575 Jetzt konnte es für eine matrona tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig sein, die stola im täglichen Leben auch wirklich zu tragen. Hierin ist der Grund dafür zu sehen, daß die römischen Matronen seit diesem um die Mitte der Regierungszeit des Tiberius oder kurz davor erlassenen Gesetz wieder in so deutlich stärkerem Maße mit der stola porträtiert wurden. Denn die stola war mit diesem Gesetz wieder - und diesmal auf deutlich rigidere Weise als in augusteischer Zeit - zur Tracht der moralisch und sozial achtbaren und mit dem römischen Bürgerrecht ausgezeichneten verheirateten Frau gemacht worden. Seit mittelclaudischer Zeit etwa bis in die Zeit Vespasians scheinen in allen Gattungen Privatporträts von Frauen in der stola zu fehlen. 45 n. Chr. schränkte Claudius die Vergabe von Ehrenstatuen weiter ein: Abgesehen von Stifterbildnissen bedurften öffentliche Privatbildnisse von nun an einer Senatsgenehmigung.576 Dennoch nehmen gerade in diesen Jahren die Stolastatuen gegenüber der tiberisch-frühclaudischen Zeit noch etwas zu. Dabei sind von den acht seit diesem Jahr bis zum Sturze Neros geschaffenen Frauenstatuen mit der stola in unserer Reihe St. 19-21 und 23 durch die erhalten gebliebenen Köpfe als Prinzessinnen- bzw. Kaiserinnenbildnisse erwiesen. Die in ihrer Zweitverwendung im Metroon von Olympia einer Kaisergalerie angehörende St. 25 dürfen wir wegen ihres deutlich überlebensgroßen Formates auch in ihrer ersten Verwendung als kaiserliche Porträtstatue ansehen. Das gleiche dürfte wegen ihrer überlebensgroßen Höhe von 1.89 m wohl auch dann fiir St. 22 gelten, wenn das Agrippina-minor-Porträt nicht ursprünglich dazugehört.$77 Auch St. 24 und 26 sind wegen ihres zum Teil deutlich überlebensgroßen Formates wohl gleichfalls als kaiserliche Porträtstatuen zu deuten. So scheint sich bei den im Zeitraum zwischen 45 n. Chr. und dem Ende Neros geschaffenen Stolastatuen aus unserer Reihe wohl zumindest ein deutliches Uberwiegen kaiserlicher Porträts sichern zu lassen, wie es sich bereits seit mitteltiberischer Zeit bei den Statuen von stolatae nachweisen ließ. Ob aber nun seit mittelclaudischer Zeit Stolastatuen ausschließlich für Kaiserinnen und Prinzessinnen errichtet wurden, muß offen bleiben. Bei den Büsten allerdings stellt sich heraus, daß wir seit mittelclaudischer Zeit bis zum Sturz Neros in dieser Gattung in unserer Reihe nur noch Kaiserinnen- bzw. Prinzessinnenbildnisse mit der stola vorfinden (Bü. 19-23). Dazu scheint offenbar unter Nero die Produktion von Porträtbüsten mit der stola ganz eingeschlafen zu sein. In der Glyptik begegnet uns die stola etwa seit der Hochzeit des Claudius und der Agrippina minor auf den jetzt in größerer Zahl geschaffenen Staatskameen (Gl. 10-11, 13); dazu ließ Claudius seine Mutter und Agrippina minor auch auf Münzen als stolatae darstellen (Mü. 3-4). Hierin folgte ihm auch Nero, der seine Mutter zu Anfang seiner Regierung noch auf Münzen erscheinen ließ (Mü. 5). So sind also etwa seit der Mitte der Regierungszeit des Claudius Darstellungen von Privatpersonen in der stola - offensichtlich durch die neue Gesetzgebung dieses Kaisers bedingt - in der Großplastik nicht mehr sicher n a c h w e i s b a r . ^ In der Gattung der Porträtbüsten können wir seit mittelclaudischer Zeit und unter Nero nun tatsächlich in unserer Reihe keine Privatpersonen in der stola mehr nachweisen, nachdem 78
sie gerade in dieser Gattung seit mitteltiberischer Zeit in ganz besonderem Maße vertreten sind. Die stola hat demnach ihre in mitteltiberischer Zeit wiedergewonnene Bedeutung bei der Selbstdarstellung von privatae erneut verloren. Dies kann seinen Grund nur darin haben, daß es eine knappe Generation nach dem Gesetz des Cn. Cornelius Lentulus Augur unter Claudius für die matronae wieder gefahrlos möglich geworden war, öffentlich ohne die unbequeme und beim Gehen hinderliche stola aufzutreten. Daß dies in claudisch-neronischer Zeit offensichtlich geduldet wurde, geht eben daraus hervor, daß die stola bei der privaten Selbstdarstellung im Bildnis jetzt fehlt. Gleichzeitig hat es den Anschein, als ob die stola in der bildenden Kunst nun vornehmlich ein kaiserlichen Frauen zugeordnetes Attribut darstellt, das· unter Nero auch offenbar vor allem in der vom Kaiser selbst kontrollierten Großplastik eine Rolle spielte. Tatsächlich kann es für privatae in neronischer Zeit auch kaum mehr opportun gewesen sein, öffentlich mit der stola aufzutreten, weil diese an ihrem unteren Saum einen Purpurclavus besaß: Nero hatte nämlich den Gebrauch der beiden besten Purpursorten durch Privatleute verboten, um diese Farbe dem Kaiserhof zu reservieren. Dabei ging er sogar soweit, eine römische matrona zur Strafe zu enteignen, weil sie mit Purpur von einer der verbotenen Sorten aufgetreten war. 579
Die Darstellungen der stola seit vespasianischer Zeit
Mit dem Beginn der Herrschaft Vespasians erscheinen nun plötzlich wieder in stärkerem Maße Frauenbildnisse mit der stola in der römischen Kunst, von denen allein eine Statue und drei Büsten noch in der Regierungszeit Vespasians entstanden sein dürften (St. 27, Bü. 24-26). Auffällig ist nun gerade bei den Darstellungen von stolatae in der Plastik, daß hier jetzt wieder in einem Maße, wie das seit frühclaudischer Zeit nicht mehr der Fall gewesen war, auch privatae porträtiert wurden. Die Frauenbüsten, welche in flavischer Zeit die stola zeigen, sind sämtlich Privatporträts, und auch von den Statuen stellt zumindest eine, die vor dem Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr. entstandene Figur St. 27, eine privata dar, denn ihre Haartracht läßt sich mit keiner Frisur einer Kaiserin oder Prinzessin verbinden. Auch bei dem für einen Einsatzkopf gearbeiteten Stück St. 30, deren Fundort wir freilich nicht kennen, könnte ihre geringe Höhe von 1.63 m möglicherweise ein Indiz für ein Privatbildnis sein, doch muß hier die Entscheidung besser offen bleiben. Hinzu treten noch die überlebensgroße und damit wohl auf eine kaiserliche Frau zu beziehende Statue aus der Gegend von Tusculum im Vatikan (St. 28) und die auf Domitia zu benennende und durch ihr Diadem als Kaiserinnenbildnis bezeichnete Statue aus der Exedra des Forums von Sabratha (St. 29). Auch auf Münzen werden die kaiserlichen Damen der flavischen Zeit weiterhin als stolatae dargestellt (Mü. 6-8), und eine von ihnen, Iulia Titi, trägt dieses Gewand auch auf ihrer wohl posthum geschaffenen Aquamaringemme von der Hand des Euodos (Gl. 12). Dies mit dem Beginn der flavischen Epoche so plötzlich wieder häufigere Auftauchen der stola in der bildenden Kunst und hier besonders im Privatporträt verebbt bereits wieder unter Domitian. Wenn auch Iulia Titi unter ihrem Oheim noch posthum in der Glyptik als stolata dargestellt wird, so läßt sich unter diesem Kaiser wohl nur noch zu Anfang seiner Herrschaft ein einziges Privatporträt mit der stola, Bü. 27, nachweisen, und nur noch drei Statuen, von denen wohl mindestens zwei kaiserliche Damen darstellen, zeigen unter Domitian die stola (St. 28-30). Diese seit vespasianischer Zeit bis in die Anfangsjahre Domitians zu verzeichnende Renaissance der stola muß damit zu tun haben, daß seit vespasianischer Zeit die stola die Standestracht der mit einem Angehörigen des Senatorenstandes verheirateten Frau ist, wie wir durch Plinius d. Ä. wissen. Dies ließ sich auch durch andere Autoren der flavisch-trajanischen Zeit belegen.sso So ist die in spätclaudisch-neronischer Zeit 79
allem Anschein nach zumindest hauptsächlich, möglicherweise aber sogar ausschließlich als Attribut kaiserlicher Frauen dargestellte stola jetzt die auch in der Bildniskunst dargestellte Standestracht senatorischer Damen geworden. Entsprechend häufig wird dieses Kleid jetzt auch wieder an den Porträts von privatae vorgeführt, die sich damit nun als Angehörige des Senatorenstandes darstellen. Zwischen dieser Umbewertung der stola, die seit spätclaudischer Zeit von privatae kaum noch oder gar nicht mehr getragaen wurde, ixnd der Senatspolitik Vespasians bestehen nun offensichtlich Zusammenhänge: Nach der Dezimierung der Senatoren unter Nero und den Wirren des Vierkaiseijahres war eine Neuordnung des Senatorenstandes nötig geworden, die Vespasian, der mit Titus zusammen 73 n. Chr. die Zensur bekleidete, denn auch alsbald in Angriff nahm. Dabei wurde insbesondere die adlectio in den Senat ein kaiserliches Vorrecht.5»ι Daneben nahm der princeps auch Verleihungen des latus clavus vor.582 Hierdurch wurde der Senatorenstand in neuer Weise an den Kaiser gebunden und gleichzeitig auch in neuer Weise sozial und rechtlich a u f g e w e r t e t . 583 l n dieser veränderten Stellung des Senats wird der Grund dafür zu sehen sein, daß die Frauen dieser kleinen, kaum mehr als 600 Männer umfassenden Elite,584 deren Ehemänner den latus clavus und die toga praetexta trugen, auch das seit jeher als das weibliche Pendant zur letzteren begriffene Frauengewand, die stola, anlegten. Mit Neros Tod war auch der für die stola notwendige Purpur wieder leichter z u g ä n g l i c h , 5 8 5 doch war nun die stola und mit ihr wohl auch der Purpur zumindest der besseren Sorten für nicht dem Kaiserhaus angehörende Frauen nun auf die Damen des Senatorenstandes beschränkt. Dieses in frühflavischer Zeit erfolgte Wiederaufleben von Darstellungen der stola, das schon unter Domitian wieder nachließ, hat seine letzten Ausläufer unter Trajan. Mit dessen Tode und dem Regierungsantritt Hadrians verschwindet die stola dann schlagartig bis in antoninische Zeit ganz aus der bildenden Kunst. Aus trajanischer Zeit haben wir nur noch eine Büste, zwei Statuen und drei Münzbildnisse mit der stola. Aus der Glyptik dagegen sind Bildnisse von stolatae nun bereits ganz verschwunden; die unter Domitian geschaffene Gemme der Iulia Titi (Gl. 12) bot uns damit die letzte Darstellung der stola in dieser Kunstgattung. Auch überwiegen in trajanischer Zeit unter den Bildnissen von stolatae nun wieder deutlich die Porträts kaiserlicher Frauen. Die in frühtrajanischer Zeit entstandene Bü. 28 stellt das vorerst letzte Beispiel einer privata dar, die in der stola porträtiert wurde. Von den beiden ebenfalls in frühtrajanischer Zeit geschaffenen Statuen stellt St. 31 Trajans Schwester Marciana dar. Auch die kopflose, aber deutlich überlebensgroße, auf dem Forum von Sabratha zutage gekommene Figur St. 32 wird auf eine kaiserliche Dame zu deuten sein. Nach Bü. 28 und diesen beiden wohl kaiserlichen Statuen verschwindet die stola dann bis in antoninische Zeit aus der Porträtplastik. Doch erscheint sie auf den Münzen noch bis ans Ende der trajanischen Zeit: Die 113 n. Chr. für Plotina, zwischen 114 und 117 n. Chr. für Marciana und im Jahre 117 n. Chr., dem Todesjahr Trajans, für Matidia geprägten Mü. 9-11 zeigen die stola noch. Danach bricht für über vierzig Jahre auch in der Münzprägung die Darstellung der stola ab, nachdem sie sich gerade hier seit tiberischer Zeit unter allen Kaisern lückenlos nachweisen ließ. Dies deutet darauf hin, daß die unter den ersten Flaviern noch einmal als Standestracht der Senatorengattinnen wieder zu Ehren gekommene und daher auch wieder häufiger dargestellte stola nach einem Rückgang ihrer Darstellungen bereits unter Domitian nun seit frühtrajanischer Zeit, wo wir sie das letzte Mal bei einer privata nachweisen können, auch von den senatorischen Damen nicht mehr getragen wurde. Dies muß im Zusammenhang mit dem schlagartigen Aussetzen der Schriftquellen zur stola zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. gesehen werden. Das Verstummen der Quellen und das Abbrechen von Darstellungen der stola sowohl in der privaten als auch in der kaiserlichen Porträtplastik in frühtrajanischer Zeit, dem mit dem Regierungsantritt Hadrians auch das Verschwinden der stola von den Münzen folgt, belegen gemeinsam, daß die stola bald nach dem Regierungsantritt Trajans auch ihre Bedeutung als Standestracht der Senatorenfrau eingebüßt hat, während sie als Attribut kaiserlicher Frauen in der Münzpropaganda noch einige Jahre länger Verwendung fand. 80
Diesen Beobachtungen entspricht es, daß bereits Domitian gegen die senatorische Opposition, die sich seinen Ansprüchen auf eine absolute Herrschaft widersetzte, mit aller Macht und Härte vorging. 586 Seine senatsfeindlichen Gesetze blieben unter Trajan weiterhin in Kraft. Ferner entzog Trajan dem Senat nach der Dezimierung unter Domitian endgültig das Recht auf Selbstergänzung, womit der Senat jetzt noch stärker unter der Kontrolle des Kaisers stand als unter Vespasian und seinen Nachfolgern. Auch die Aufsicht über die senatorischen Gemeindeverwaltungen entzog Trajan dem Senat. Hadrian schließlich begann dann mit einem planmäßigen Ausbau der ritterlichen A m t s h i e r a r c h i e . 587 Diese immer weiter fortschreitende Zurückdrängung des Senatorenstandes wurde für die Zeitgenossen sehr deutlich dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Hadrian Sabina auch auf ihren Münzen nicht mehr als stolata und somit als mit einem Mann aus dem Senatorenstand verheiratete Frau darstellen ließ. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wird es verständlich, wenn es nun von senatorischer Seite immer weniger opportun erschien, die eigene Gemahlin in dieser das letztlich immer noch an alten republikanischen Traditionen orientierte Selbstverständnis des Senatorenstandes so deutlich zum Ausdruck bringenden Tracht darstellen zu lassen. 588 Ein letztes Wiederaufleben von Darstellungen der stola in der römischen Kunst zeichnet sich nach einer Überlieferungslücke von ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Jahren etwa um die Zeit des Regierungswechsels von Antoninus Pius zu Marc Aurel ab. Dabei gruppieren sich noch einmal einige wenige Darstellungen der stola in der bildenden Kunst um ein zwischen 161 und 176 n. Chr. geprägtes Medaillon der Faustina minor, auf welchem diese als stolata erscheint (Mü. 12). Zwar steht diese Darstellung der stola in der Münz- und Medaillonprägung der Faustina minor völlig vereinzelt, doch ließen sich noch drei Statuen von stolatae in die frühen 60er Jahre des 2. Jahrhunderts n. Chr. datieren, von denen St. 33 aufgrund des erhaltenen Kopfes mit Sicherheit ein Privatbildnis darstellt, während die etwas überlebensgroße und für einen Einsatzkopf gearbeitete Figur St. 34 aus Gabii wohl ein kaiserliches Porträt getragen haben dürfte, ebenso wie die deutlich überlebensgroße St. 35. Ein wenig vorher - wohl in den 50er Jahren des 2. Jahrhunderts n. Chr. - wurde auch die ursprünglich in frühclaudischer Zeit geschaffene Stolabüste Bü. 29 in ein Privatporträt umgearbeitet. Daß für diese Umarbeitung eine bereits vorhandene Büste mit der stola gewählt wurde, darf man angesichts der wenig später sowohl im Privatporträt als auch in der kaiserlichen Medaillonpropaganda und wohl auch in der kaiserlichen Porträtplastik noch einmal dargestellten stola wohl kaum als bloßen Zufall bewerten; statt dessen hat es eher den Anschein, daß die Wahl dieser Büste für das neue Porträt sehr bewußt erfolgte. Da diese drei bzw. vier plastischen Darstellungen der stola aus dieser Zeit sich alle verhältnismäßig eng um den Regierungsantritt Marc Aurels gruppieren lassen, wird es auch für das Medaillon, auf welchem Faustina minor in ihrem 161 n. Chr. entworfenen 7. Bildnistypus dargestellt ist, wahrscheinlich, daß dieses innerhalb des durch die numismatische Forschung erkannten Entstehungszeitraumes zwischen 161 und 176 n. Chr.58® in dessen erster Hälfte und damit ebenfalls bereits in den 60er Jahren des 2. Jahrhunderts n. Chr. entstanden ist. Das Wiederauftauchen der stola im privaten Frauenbildnis läßt darauf schließen, daß sie zu dieser Zeit auch tatsächlich wieder getragen wurde. Nachdem die stola schon in flavisch-trajanischer Zeit nur noch die mit einem Angehörigen des Senatorenstandes verheiratete Frau kennzeichnete, werden wir daher diese Bedeutung der stola sicher auch bei den beiden Privatporträts von stolatae aus antoninischer Zeit, St. 33 und Bü. 29, voraussetzen können, denn eine erneute Bedeutungsänderung der stola hat sich vor dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. nicht mehr nachweisen lassen, weil die stola im 2. Jahrhundert n. Chr. in der Literatur nicht mehr erwähnt wird. Dieses letzte und nur sehr spärliche Wiederaufleben von Darstellungen der stola im Privatporträt und in der kaiserlichen Propaganda seit der zweiten Hälfte der Regierungszeit des Antoninus Pius wird mit dem Bemühen dieses Kaisers zu tun haben, altrömische Sitten wieder einzuführen. 5 ^ Es war Antoninus Pius, der für jedes frisch vermählte Paar in Rom die Verpflichtung einführte, im Tempel der Roma und der 81
Venus vor den Silberstatuen des Kaisers und seiner Gattin zu opfern. 591 Diese Verpflichtung bestand dann auch unter Marc Aurel fort. 592 Durch dieses Gesetz wurde die Ehe als Institution aufgewertet und zugleich auch in neuer Weise in den Dienst des Staates gestellt. Dazu schränkte Antoninus Pius das Recht des pater familias einer Frau ein, die Ehe seiner Gewaltunterworfenen nach Gutdünken wieder aufzulösen.593 In diesem Zusammenhang steht sicher auch das wahrscheinlich schon zu Beginn der Herrschaft Marc Aurels ausgegebene Bronzemedaillon Mü. 12, auf welchem Faustina minor die stola trägt. Im Rahmen dieser Maßnahmen des Antoninus Pius mag es dann gegen Ende seiner Herrschaft und zu Anfang der Regierung Marc Aurels in senatorischen Kreisen opportun erschienen sein, wenn die Frauen die stola wieder anlegten und sich auch damit porträtieren ließen. Denn außer als Standestracht der Senatorengemahlin hatte die stola auch in flavisch-trajanischer Zeit noch weiterhin als das Abzeichen der ehelichen Keuschheit ihrer Trägerin gegolten5^ und gilt als solches lange nach ihrem Verschwinden auch noch Tertullian.595 Nach diesem letzten Aufleben ihrer Darstellungen in antoninischer Zeit verschwindet die stola endgültig aus der bildenden Kunst der Römer und, wie Tertullian etwa zwei Generationen später feststellen wird, auch aus dem wirklichen Leben.596
Zusammenfassung Die Geschichte der stola in der bildenden Kunst zeigte sich zu allen Zeiten deutlich abhängig von den jeweiligen gesellschaftsgeschichtlichen Entwicklungen und gesetzgeberischen Eingriffen. Es ließen sich dabei vier Perioden ausmachen, in denen die stola besonders häufig zur Darstellung gebracht wurde. Die erste dieser vier Perioden umfaßt nach einem gelegentlichen Auftauchen der stola in der Kunst der späten und ausgehenden Republik die augusteische Zeit bis etwa zur Zeitenwende, während die zweite sich von mitteltiberischer bis in mittelclaudische Zeit nachweisen läßt. Diese beiden zeitlichen Schwerpunkte in der Darstellung der stola in iulisch-claudischer Zeit hängen beide Male mit der sehr konservativen Ehegesetzgebung des Augustus zusammen, die in bezug auf die eheliche Treue der römischen Matronen als dem für ihre gesellschaftliche Funktion entscheidenden Tatbestand besonders rigide war. Bei den Restaurationsbestrebungen des Augustus spielten von Anfang an Zucht und eheliche Keuschheit der Matronen eine wichtige Rolle. Zugleich wurde in besonderem Maße das römische Nationalbewußtsein gefördert. 597 Beides ließ sich mit der stola hervorragend zum Ausdruck bringen, galt diese doch spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. als die Tracht der mit einem civis Romanus rechtmäßig verheirateten Frau, die das römische Bürgerrecht besitzt und einen untadeligen Lebenswandel führt. So verwundert es nicht, daß diese Tracht in augusteischer Zeit so besonders propagiert wurde. Hierdurch wurden offenbar tatsächlich weite Kreise von einem neuen Trachtbewußtsein erfaßt, und dementsprechend häufig wurde die stola nun auch dargestellt, wobei sie sich bei Frauen aus allen Schichten des populus Romanus nachweisen ließ. In mitteltiberischer Zeit wurden dann die Ehegesetze des Augustus dazu benutzt, durch eine strafrechtliche Gleichsetzung des Nichtanlegens der stola mit einem Ehebruch der Frau die Matronen wieder zum Anlegen der äußerst unbequemen stola zu zwingen, die diese bereits seit spätaugusteischer Zeit immer seltener getragen hatten. Wie besonders die Privatporträts bestätigen, konnten seit mitteltiberischer Zeit die matronae durch die Androhung der rechtlichen und moralischen Deklassierung auf die Stufe einer ehemaligen Bordellsklavin oder gar der durch den eigenen Ehemann vollzogenen T o d e s s t r a f e 5 9 8 tatsächlich noch einmal für eine Generation zum Tragen der stola gezwungen werden. Seit mittelclaudischer Zeit wurde es dessenungeachtet aber offenbar wieder geduldet, daß zumindest die Ehefrauen der einfachen cives Romani die die körperliche Bewegungsfreiheit beträchtlich einschränkende stola wieder ablegten oder doch deutlich seltener trugen. Denn von nun an war diese Tracht bis in frühflavische Zeit nur noch in der kaiserlichen Bildnispropaganda sicher nachzuweisen. Unter Nero ließen sich 82
dann keine Privatbildnisse mit der stola mehr nachweisen, was mit den von diesem Kaiser verfügten Beschränkungen des für die stola notwendigen Purpurs zu erklären sein wird, die er auch gegenüber den matronae rigoros durchsetzte. Die beiden letzten Höhepunkte in der Darstellung der stola fallen in flavisch-trajanische und in antoninische Zeit. Seit vespasianischer Zeit war die stola die Tracht der Damen des Senatorenstandes. Dementsprechend erwies sich die Häufigkeit ihrer Darstellungen nun deutlich abhängig von der jeweiligen Senatspolitik, die von den Kaisern betrieben wurde. Bei ihrem Wiedererscheinen in antoninischer Zeit spielten dagegen noch einmal wie schon in tiberischer Zeit konservativ-restaurative Bestrebungen eine Rolle. Die dritte Periode, in welcher die stola besonders häufig dargestellt wurde, setzt mit dem Regierungsantritt Vespasians ein und hat nach einem ersten Höhepunkt unter diesem Kaiser und in den Anfangsjahren Domitians ihre letzten Ausläufer unter Trajan. Ihr Beginn muß im Zusammenhang mit der durch Vespasian vorgenommenen Neuordnung des Senatorenstandes stehen, der nun enger an den Kaiser gebunden war und auch eine rechtliche Aufwertung erfuhr, denn nach den Autoren der flavisch-trajanischen Zeit war die stola damals die Tracht der Senatorengemahlin. Der Ausklang dieser Epoche setzte bereits mit der Senatspolitik Domitians ein; ihr Ende deckt sich mit dem Abbrechen der Schriftquellen zu Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. und der weiteren Entmachtung des Senats unter Trajan. Lediglich in der Münzpropaganda, wo sie seit 22/23 n. Chr. durchgängig unter allen Kaisern nachweisbar war, wird die stola noch bis zum Tode Trajans weiterverwendet. Hadrian dagegen, der nun den Ritterstand besonders förderte, ließ die stola dann auch von den Prägungen seiner Gemahlin verschwinden. Seit der zweiten Hälfte der Regierungszeit des Antoninus Pius und zu Anfang der Herrschaft Marc Aurels läßt sich schließlich noch ein letztes, nur sehr spärliches Wiederaufleben von Darstellungen der stola feststellen, das auch in der Literatur der Römer keine Entsprechung mehr findet. Hier scheint ein Zusammenhang mit der unter Marc Aurel fortgeführten Ehepolitik des Antoninus Pius zu bestehen. Der letztere hatte die Ehe in gewissen Grenzen vor einer willkürlichen Auflösung durch den paterfamilias der Frau gesichert und gleichzeitig die Eheschließung eines jeden Paares in Rom auf den Kaiser und seine Gemahlin bezogen und in die sakrale Sphäre eingebunden. Daß das Wiedererscheinen der stola in der römischen Kunst und im täglichen Leben wenigstens der Frauen des Senatorenstandes tatsächlich ein freilich nur in gewissen Grenzen vom Kaiser geförderter Vorgang war, belegt das Bronzemedaillon der Faustina minor, Mü. 12. Denn dieses war nicht dazu bestimmt, als Zahlungsmittel zu kursieren, und es blieb die letzte Prägung, auf welcher die stola erscheint. So endet unter Marc Aurel die Geschichte der matronalen stola in der bildenden Kunst der Römer, nachdem sie sich dort über einen Zeitraum von gut zweihundert Jahren hatte nachweisen lassen. Daraus ist zu schließen, daß die stola nun auch endgültig aus dem wirklichen Leben verschwand, nachdem sie anhand der Schriftquellen spätestens seit dem Zweiten Punischen Krieg für die römischen Matronen zu belegen gewesen war. Das letzte Nachwirken dieser seit republikanischer Zeit nachweisbaren Standestracht ließ sich schließlich im 3. Jahrhundert n. Chr. mit dem Frauen des Ritterstandes verliehenen Titel "femina stolata" fassen.
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D I E EINZELNEN KLEIDUNGSSTÜCKE DER RÖMISCHEN MATRONA
Nachdem wir den Zeitraum, in welchem die stola in der römischen Kunst dargestellt wird, genauer bestimmen und gleichzeitig die Abhängigkeit dieser Darstellungen von den unterschiedlichen historischen Bedingungen zu ihrer jeweiligen Entstehungszeit zeigen konnten, muß nun für die einzelnen Gewänder der römischen Matrone ihre Form und die Art und Weise ihrer Herstellung geklärt werden. Auch müssen wir für jedes einzelne Kleidungsstück untersuchen, ob seine Form oder Tragweise sich im Laufe der Zeit geändert hat. Diese Fragen werden wir zunächst für die stola beantworten, um dann für die unter dieser getragenen Kleider tunica und calasis sowie für die über der stola getragene palla ihre Bedeutung als Bestandteile der Matronentracht, ihre Herstellung und Gestalt sowie ihre Formentwicklung zu untersuchen. Dabei müssen wir für die zusammen mit der stola getragenen Gewänder noch einmal die Schriftquellen heranziehen.
Material, Herstellung und Tragweise der stola
Aus welchem Stoff die stolae der römischen Matronen bestanden haben, und ob überhaupt einem bestimmten Stoff der Vorzug gegeben wurde, geht weder aus den Quellen hervor, noch ist dies aus den plastischen Darstellungen zu erschließen. Antike Stoffreste aber, die sich einer stola zuschreiben ließen, haben sich nicht erhalten und sind auch von spätrepublikanischer Zeit bis in die Zeit Marc Aurels, in der die stola im römischen Porträt nachweisbar ist, zumindest in Grabbefunden kaum zu erwarten, denn gerade in augusteischer und tiberischer Zeit, als die stola so besonders propagiert und auch in der bildenden Kunst so besonders häufig dargestellt wurde, übte man überwiegend die Sitte der Brandbestattung, die bis in hadrianische Zeit hinein vorherrschend blieb.599 Da aber auch die ohnehin nur etwa 600 Frauen des Senatorenstandes schon seit frühtrajanischer Zeit die stola nicht mehr trugen und angesichts ihres nur spärlichen Wiederauflebens unter Antoninus Pius und Marc Aurel ist auch bei den Körperbestattungen dieser Zeit nicht mehr mit Stoffresten einer antiken stola zu rechnen. Selbstverständlich kannten die Römer Wollstoffe, und Wollarbeit war die vornehmste häusliche Pflicht der römischen matronaß00 Desgleichen war Leinen bekannt, das aber offenbar wenig verwendet wurde.60i Baumwolle kannten die Römer seit 190 v. C h r . , 6 0 2 und bombyx, eine Art Seide, die man in Griechenland bereits seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. kannte,603 erfreute sich auch bei den Römern einiger Beliebtheit. Aus folgenden Gründen scheint es jedoch nahezuliegen, daß die stolae der römischen Matronen aus Wollstoff gefertigt wurden: Wie wir gesehen haben, war die stola von roter Farbe. Tatsächlich gab es Wollsorten, die wegen ihrer rötlich-braunen Farbe besonders beliebt waren, wie etwa die rote Wolle aus Canusium, die für besonders luxuriöse und repräsentative Zwecke Verwendung fand.604 Darüber hinaus hatte die rote Farbe für die Römer auch eine magisch-religiöse Bedeutung.δ°5 In magisch-kultischen Zusammenhängen verwendete man sehr häufig Wolle, insbesondere solche von roter Farbe. So bestanden ζ. B. auch die an der infula befestigten vittae, welche die Matronen bei bestimmten religiösen Feierlichkeiten anlegten, aus weißer und roter Wolle, der man besondere magische Kräfte zuschrieb.606 Ein weiteres Argument dafür, daß die stola wohl aus Wollstoff war, ist die Analogie zu der ebenfalls aus Wolle gefertigten toga des römischen Mannes, als deren weibliches Äquivalent man die stola ja betrachtete.607 Für die Herstellung einer stola wie sie die Münchner Livia (St. 16) trägt, wurde eine Bahn roten Stoffes benötigt, die so breit war, das sie der künftigen Trägerin von der Schulter bis zu den Fußsohlen reichte. Die Länge dieser Stoffbahn betrug zwei Klafter der Trägerin (Beil. 2a). An die untere Webkante wurde zuerst der Purpurclavus angenäht (Beil. 2b), dann wurde die stola unter dem linken Arm ihrer Trägerin mit 84
einer Seitennaht versehen, die die verwendete Stoffbahn in ihrer ganzen Breite zusammenhielt, so daß eine Stoffröhre entstand, deren Durchmesser einem Klafter der künftigen Trägerin entsprach, wenn man den Stoff flach aufeinanderlegte (Beil. 2c-d). Daß diese Naht später an der linken Körperseite getragen wurde, geht daraus hervor, daß sich bei den Hüftbauschstatuen an der rechten, von der palla unbedeckten Körperseite der Trägerin in keinem Falle eine Naht für die stola ausmachen läßt.608 So liegt es nahe, die Seitennaht der stola an der linken Körperseite unter dem linken Arm anzunehmen. Daß die stola an der linken Körperseite offen gewesen sein könnte, verbietet die Tatsache, daß sie am linken Bein unterhalb des Saums der palla immer als fortlaufend um die Figur herumgeführtes Gewand dargestellt wird, dessen feine Fältelung an der rechten Seite sich nicht von der an der linken Seite unterscheidet. Lag diese Stoffröhre dann flach auf dem Boden, wurde ihre obere Breite gedrittelt (Beil. 2d). Nach jeweils einem Drittel wurde eine instita am oberen Rand der stola befestigt, die Vorder- und Rückteil miteinander verband. So entstand zwischen den institae ein Loch für den Kopf, das, die Länge der institae mit eingerechnet, gut ein Drittel mal so breit war wie die flach auf dem Boden liegende Stoffröhre. Beiderseits dieses mittleren Loches für den Kopf bildete sich außerdem jeweils ein Armschlitz. Auch diese beiden Armschlitze waren, die Länge der sie oben jeweils abschließenden instita eingerechnet, jeweils gut ein Drittel mal so lang wie die flach auf den Boden gebreitete Stoffröhre breit war. Bei der uns hier als Beispiel dienenden Münchner Li via besteht die instita aus einer einfachen, gedrehten Kordel, die zu einem Ring geschlossen ist. Dieser Kordelring wurde auf die Innenseite der oberen Webkante der für die stola bestimmten Stoffröhre gelegt (Beil. 3a). Dann wurde ein Stück der oberen Webkante durch diesen Kordelring hindurch auf die Innenseite des Gewandes gezogen und dort festgenäht. (Beil. 3b). 609 Nachdem in dieser Weise die institae an allen vier Ansatzstellen befestigt waren, konnte die stola angelegt werden. Das geschah, indem die Trägerin in die stola hineinschlüpfte, die institae auf ihre Schultern legte und das Gewand einfach herabfallen ließ. Bedingt durch seine Weite und Länge fiel es ihr auf die Füße herab, die dann davon tatsächlich zur Hälfte bedeckt waren (Beil. 2e Abb. 21. 70. 74). An den vier Befestigungsstellen der institae bildeten sich naturgemäß zahlreiche Falten, die sich über den Brüsten auffächerten, weil ja an diesen Stellen die gerade obere Webkante zipfelartig nach innen gezogen und dort festgenäht war. Diese Faltenbildung wurde noch dadurch verstärkt, daß die Armschlitze nun seitlich bis zur Taille herabfielen und daß zwischen den jetzt auf den Schultern aufliegenden institae sich vorn, und wie Bü. 10, 13 und 15 beweisen, auch hinten jeweils der V-Ausschnitt bildete, der uns in den bildlichen Darstellungen der stola immer wieder als eines ihrer entscheidenden Kennzeichen begegnet. Die Tiefe dieses VAusschnitts war neben der Weite der zur Verfügung stehenden Stoffröhre vor allem von der Länge der institae abhängig sowie davon, wieviel von der oberen Webkante für die Befestigung der institae verbraucht wurde. So erweist sich die stola also auch in unserer Rekonstruktion als ein besonders langes, faltenreiches, durch einen V-Ausschnitt auf Brust und Rücken und seitliche Armschlitze gekennzeichnetes Gewand. Im V-Ausschnitt der stola wird die darunter getragene tunica oder calasis sichtbar, deren oberer Abschluß näher am Hals liegt als deijenige der stola. Aus den Armschlitzen werden dann die Pseudoärmel der tunica oder calasis herausgezogen. Daß die stola tatsächlich auf diese Weise hergestellt und angelegt wurde, zeigt ihre Rekonstruktion aus Stoff, bei der in den soeben vorgeführten Schritten verfahren wurde (Abb. 70-71. 73).6io Schließlich konnte die stola auch noch gegürtet werden. Eine Gürtung läßt sich durchgängig seit dem 2. Jahrzehnt v. Chr. bis in die Zeit Marc Aurels nachweisen an St. 4, 15, 17, 18, 24, 30, 32, 35, Rel. 7 sowie an Gl. IIa und IIb. Dabei besteht der Gürtel meist aus einer einfachen, gedrehten Kordel oder wie bei St. 15 aus einem geflochtenen Band. Er wird etwas unterhalb der Brüste oder in Taillenhöhe um den Leib gelegt und in der Leibesmitte geknotet wie bei St. 4, 30 und 35 sowie Rel. 7 oder zu einer Schleife zusammengebunden wie bei St. 15, 17, 18, 24 und 32.6U Wie unsere Rekonstruktion zeigt, bilden sich dabei auf dem Unterleib tatsächlich solche nach unten in einem Spitzbogen verlaufenden Faltenmotive, wie sie die Bildhauer an St. 17 und 18 dargestellt haben (Abb. 71).
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Zur Formgeschichte der stola
Obwohl die Grundform der stola - wie bei einem Kleid, das als Standestracht diente, nicht anders zu erwarten - zu allen Zeiten dieselbe blieb, lassen sich doch einige Veränderungen dieses Gewandes feststellen, die offensichtlich von der Mode abhängig waren. Eine sehr wichtige Änderung in der Form der stola vollzog sich offenbar schon bald, nachdem wir sie das erste Mal in der Kunst der Römer nachweisen konnten: Die stola muß zwischen der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. und den Jahren um 20 v. Chr. sehr stark an Stoffreichtum und damit an Weite zugenommen haben. Bei der Frau aus der um die Jahrhundertmitte entstandenen Mutter-Tochter-Gruppe