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German Pages 422 [424] Year 1989
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG HERAUSGEGEBEN VON KURT BALDINGER
Band 224
Otto Winkelmann
UNTERSUCHUNGEN ZUR SPRACHVARIATION DES GASKOGNISCHEN IM VAL D'ARAN (Zentralpyrenäen)
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1989
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Winkelmann, Otto: Untersuchungen zur Sprachvariation des Gaskognischen im Val d'Aran (Zentralpyrenäen) / Otto Winkelmann. - Tübingen : Niemeyer, 1989 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 224) NE: Zeitschrift für Romanische Philologie / Beihefte ISBN 3-484-52224-0
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1989 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und Satz: Laupp & Göbel, Nehren/Tübingen Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
IX
1. Einleitung 1.1. Problemstellung 1.2. Zielsetzung und Erhebungsmethode 1.3. Die untersuchten Ortschaften 1.4. Zur phonetischen Transkription benutzte Zeichen
1 1 4 6 8
2. Stand der sprachwissenschaftlichen Erforschung des Aranesischen 2.1. Übergreifende Darstellungen 2.2. Arbeiten zur Phonetik und Phonologie 2.3. Studien zur Morphologie und Syntax 2.4. Darstellungen des aranesischen Wortschatzes 2.4.1. Volkskundliche Abhandlungen 2.4.2. Dialektglossare, Wörterbücher, onomasiologische und etymologische Arbeiten 2.4.3. Sprachatlanten
12 12 21 25 28 29 30 36
3. Theoretische und methodologische Vorüberlegungen 3.1. Die Problematik der innersprachlichen Heterogenität und ihre Behandlung in älteren Arbeiten der Romanistik 3.2. Ein begriffliches Instrumentarium zur Beschreibung der Sprachvariation 3.2.1. Linguistische Varianten und linguistische Variablen 3.2.2. Linguistische Variationen 3.2.3. Variabilität 3.2.4. Sprachliche Varietäten 3.2.5. Sprach variation 3.3. Die Methode der Sprachdatenerhebung 3.3.1. Die Auswahl der Informanten 3.3.2. Die Durchführung der Befragung 3.3.3. Die Transkription 3.4. Die Kartierung der Sprachvariation
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46 46 49 51 53 55 57 58 59 64 65
4. Geographische und historische Rahmenbedingungen für die Entstehung der Sprachsituation des Val d'Aran 4.1. Die geographischen Verhältnisse 4.2. Zur aranesischen Siedlungsgeschichte 4.3. Die wechselnde politische Zugehörigkeit des Tales 4.4. Die administrative Organisation des Val d'Aran 4.5. Die Geschichte der kirchlichen Zugehörigkeit des Val d'Aran . . .
72 73 81 93 97 106
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V
4.6. Die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Aranesen und ihren Nachbarn 4.7. Das Schulwesen 5. Phonetische/phonologische Variationen im Aranesischen 5.1. Das aranesische Phonemsystem 5.2. Vokalismus 5.2.1. Die Resultate des lat. auslautenden -α: Γ-α/-ά/-ο~Ι 5.2.2. Die Weiterentwicklungen von klat. ί, ί, έ vor Velar zu r 'yd y^oi1 5.2.3. Sonderentwicklungen im Vokalismus der Bezeichnung für Ochsen' 5.2.4. Monophthong oder Diphthong in der Bezeichnung von'weit'. . 5.2.5. Vokaldifferenzierung in Hiatusposition 5.3. Konsonantismus 5.3.1. Die Resultate von lat. F: rh/0ip 5.3.2. Palatalisiertes vs. nicht-palatalisiertes auslautendes okzit. -t . . 5.3.3. Die Verbreitung des prothetischen r a- n 5.3.4. Erhaltung oder Schwund von Auslautkonsonanten 5.3.5. Das sogenannte η instable 5.3.6. Die Verbreitung von intervokalischem r-w-/-b-~> 5.3.7. Palatalisiertes vs. nicht-palatalisiertes anlautendes L5.3.8. Yeismo im Aranesischen? 5.3.9. Konsonantengemination vor inlautendem-/5.3.10. Die Verbreitung des prothetischen g5.4. Allgemeine phonetische Erscheinungen 5.4.1. Die Metathese des -r5.4.2. Variationen eines Sproßvokals 6. Variationen in der aranesischen Morphologie und Syntax 6.1. Die Form des bestimmten Artikels 6.2. Die Pluralendung -i bei maskulinen Substantiven, Pronomina und Adjektiven 6.3. Die aranesischen Personalpronomina 6.3.1. Die Form des Personalpronomens der 1. und 2. Person Dativ/ Akkusativ und des Reflexivpronomens 6.3.2. Die Form des Personalpronomens der 3. Person Dativ Mask. . . 6.3.3. Die Form des Personalpronomens der 3. Person Akkusativ Mask 6.3.4. Die Form des neutralen Pronomens im Akkusativ 6.3.5. Das Personalpronomen der höflichen Anrede 6.3.6. Die Stellung des Personal- bzw. Reflexivpronomens beim Infinitiv 6.4. Das neutrale Determinativpronomen 6.5. Die aranesischen Possessivadjektive VI
114 119 124 124 127 127 133 138 140 142 144 144 150 153 157 164 174 178 181 183 186 190 190 193 196 196 203 210 211 219 221 224 226 228 233 235
6.5.1. 6.5.2.
Ein Fall von Interferenz im Paradigma des Possessivadjektivs . Die feminine Reduktionsform bei Verwandtschaftsbezeichnungen 6.5.3. Genusneutralisierungen im Paradigma der aranesischen Possessivadjektive 6.5.4. Die Form des Possessivadjektivs der höflichen Anrede 6.6. Die aranesische Verbalflexion 6.6.1. Die Verbreitung des sog. Inchoativinfixes 6.6.2. Die Bildung des Präteritums 6.6.3. Die Bildung des Präsens Konjunktiv 6.6.4. Das Gerundium und seine Ersatzformen 6.7. Die Verbreitung des sog. ki enonciatif
237 239 241 243 245 248 251 261 264 266
7. Ergebnisse der Untersuchung 7.1. Die Verteilung der beobachteten sprachlichen Variationen auf den Ebenen und Teilbereichen der Grammatik 7.2. Die raumspezifische und generationsspezifische Verteilung der erhobenen Varianten 7.3. Die Verteilung der ermittelten Gesamtvariation nach Herkunftsschichten 7.4. Variationslinguistische Schlußfolgerungen
283 298
8. Die Dialektaufnahmen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn 8.1. Übersicht 8.2. Transkriptionen
307 307 313
. . .
9. Klassifikation der wohlunterscheidbaren Varianten nach Herkunftsschichten
270 272 275
380
10. Verteilung der Gesamtvariation nach Herkunftsschichten - gemessen in normierten Varianten -
382
11. Literaturverzeichnis
386
12. Bibliographische Abkürzungen
399
13. Verzeichnis der Abbildungen
400
14. Verzeichnis der Kartogramme
401
15. Aranesisches Glossar und Wortregister
404
VII
Vorwort
Die Sprache nur schon jedes Menschen, geschweige denn die Mundart einer ganzen, wenn auch nur kleinen Landschaft, ist ein unerschöpflicher Kosmos. Rudolf Trüb 1951, XIV
Die Anregung zu dieser Arbeit verdanke ich Prof. Günther Haensch (Augsburg), der im Februar 1980 während eines Vortrages an der Universität Gießen über Die spanischen Zentralpyrenäen als sprachliches Kontaktgebiet1 auf die noch wenig erforschte Sprachsituation des Val d'Aran hinwies. Zwischen 1980 und 1984 unternahm ich mehrere Reisen in dieses Pyrenäental und seine Umgebung, die zusammen genommen etwa sechs Monate dauerten. Während dieser Aufenthalte machte ich mich mit dem Aranesischen, der autochthonen Sprachform des Tales vertraut und führte in allen Ortschaften des Val d'Aran und in ausgewählten Orten der Nachbartäler Dialektaufnahmen durch. Prof. Sture Ureland weckte mein Interesse an den Phänomenen des Sprachkontaktes und der Sprachvariation; während eines vom DAAD geförderten Studienaufenthaltes an der Universität Salzburg hat Prof. Hans Goebl meinen Blick für theoretische und methodologische Probleme der Dialektgeographie und der Dialektometrie geschärft. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Lehrer Prof. Rupprecht Rohr, der die Arbeit betreute, in allen Phasen förderte und von Anfang an mit Nachdruck unterstützte. Für Hinweise und Verbesserungsvorschläge danke ich ferner Prof. Jacques Alleres (Toulouse), Prof. Kurt Baldinger (Heidelberg), Frau Prof. Ingrid Dörrer (Mannheim), Prof. Xavier Lamuela (Barcelona), Dr. Artur Quintana (Speyer) und Prof. Xavier Ravier (Toulouse), der mir Originalmaterial aus dem Nachlaß von Prof. Jean Seguy zur Auswertung überließ. Ein Stipendium des Service des Echanges Linguistiques des französischen Außenministeriums ermöglichte mir einen längeren Aufenthalt an der Bibliothique Municipale und der Bibliotheque des Etudes Miridionales in Toulouse. Frau Dr. Doris Diekmann-Sammet und Dr. Erwin Diekmann haben durch zahlreiche Ratschläge und ständige Gesprächsbereitschaft viel zum Gelingen der Untersuchung beigetragen. Ohne die Bereitwilligkeit und Kooperation meiner aranesischen Informanten hätte diese Studie nicht entstehen können. Stellvertretend für viele sei hier vor allem Jep Montoya y Parra (Les) gedankt. Melquiades Calzado (Barcelona) schulde ich Dank für die Bereitwilligkeit, mit der er mir seine Privatarchive
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Veröffentlicht in Caudmont 1982, 181-222.
IX
über das Val d'Aran in Les und in Cabrils öffnete. Nicht zuletzt habe ich auch meinen zeitweiligen Reisebegleitern Dr. Gheorghe Stanomir, Joachim Born und Gerald Bernhard sowie meiner Frau herzlich zu danken, die mich bei einem Teil der Sprachaufnahmen bzw. bei der Herstellung des Manuskriptes unterstützten. Herrn Prof. Kurt Baldinger danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der «Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie» und Herrn Robert Harsch-Niemeyer für die verlegerische Betreuung des Bandes. Mannheim, im Juli 1987
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Otto Winkelmann
1. Einleitung
1.1. Problemstellung In der Geschichte der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts zeichnen sich deutlich zwei Hauptströmungen ab: Auf der einen Seite wird Sprache unter Zugrundelegung eines von Ferdinand de Saussure eingeführten methodologischen Prinzips als homogenes Gebilde 1 betrachtet, auf der anderen Seite wird versucht, der beobachtbaren Heterogenität einzelsprachlicher Erscheinungen in der linguistischen Beschreibung Rechnung zu tragen. Die Verschärfung des Homogenitätspostulats durch Noam Chomskys Annahme eines idealen Sprecher-Hörers in einer völlig homogenen Sprachgemeinschaft 2 führt dazu, daß die empirische Inadäquatheit der Generativen Transformationsgrammatik nicht mehr durch ihre methodologische Qualität aufgewogen wird. Ende der 60er Jahre entsteht in den Vereinigten Staaten eine sprachsoziologische Gegenbewegung, die nach und nach eine deutliche Verschiebung des Erkenntnisinteresses der synchronisch ausgerichteten Sprachwissenschaft bewirkt. Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre schließlich steht die Heterogenität von Einzelsprachen in all ihren Aspekten wieder stärker im Vordergrund sprachwissenschaftlicher Forschungen. Diese Tendenz trifft sich mit der Zielsetzung der traditionellen Dialektologie und Sprachgeographie, die auf eine einhundertjährige Forschungstradition zurückblicken und die relativ unberührt von der innerhalb der Strukturellen Linguistik geführten Diskussion über Homogenität oder Heterogenität von Einzelsprachen ununterbrochen Fragen der Sprachvariation erörtern. Besonders in den letzten zwanzig Jahren hat die Herausgabe regionaler Sprachatlanten, die Anwendung vergleichender Verfahren und die Entwicklung der Dialektometrie zu erheblichen Fortschritten der sprachgeographischen Forschung geführt, ohne daß allerdings die Erscheinung der Sprachvariation vollständig ausgelotet worden wäre. In der Romania gibt es auch im Zeitalter der regionalen Sprachatlanten immer noch Gebiete, deren Ausdrucksformen bisher noch nicht auf der
Saussure 1967,142: «Tandis que le langage est heterogene, la langue ainsi delimitee est de nature homogene . . . » Chomsky 1965, 3: «Linguistic theory is concerned primarily with an ideal speakerlistener, in a completely homogeneous speech-community, . . . »
1
Grundlage einer Theorie der Sprachvariation 3 systematisch untersucht und beschrieben worden sind. Zu diesen Gebieten zählt auch das sog. Val d'Aran und die A r a n e s i s c h (aranqs) genannte Sprachform seiner einheimischen Bewohner. Das Val d'Aran 4 liegt am Nordhang der Zentralpyrenäen und bildet das Hochtal der Garonne (vgl. Abb. 1, S. 3). Es gehört territorial zu Spanien, administrativ zur Provinz Lerida/Lleida und damit zur autonomen Region Katalonien; hydrographisch betrachtet gehört es zu Frankreich und ethnographisch zur Gaskogne. Die Mundart des Tales ist ein Unterdialekt des Pyrenäengaskognischen und gilt als die einzige okzitanische Varietät, die heute noch als allgemein übliches, alltägliches Kommunikationsmittel von Sprechern jeden Alters verwendet wird. Art. 3, Abschn. 4 des Autonomiestatuts Kataloniens aus dem Jahre 1982 bestimmt, daß das Aranesische im Val d'Aran als Unterrichtsfach einzuführen ist und sein offizieller Gebrauch innerhalb des Tales gefördert werden soll5. Die entsprechenden Ausführungsbestimmungen wurden im Rahmen der Llei de normalitzacio lingüistica a Catalunya am 9.11.1982 vom katalanischen Parlament verabschiedet 6 . Die Einführung des Aranesischen in die Schulen und in das öffentliche Leben setzt natürlich eine Kodifizierung des Dialektes voraus, die mit Ausnahme der Orthographie 7 auf allen anderen sprachlichen Ebenen noch zu leisten ist. Unabdingbare Voraussetzung einer wissenschaftlich fundierten Kodifizierung ist eine bisher noch fehlende systematische Erfassung und linguistische Beschreibung der einzelnen Varianten des Taldialektes. Das Val d'Aran verdient nicht nur wegen der Bewahrung der autochthonen pyrenäengaskognischen Mundart besondere Beachtung, sondern auch weil das Tal im Schnittpunkt der Verbreitungsgebiete von nicht weniger als sechs romanischen Sprachen und Dialekten liegt und weil seine Bewohner mehrsprachig sind. Am Oberlauf der Garonne grenzen die beiden okzitanischen Dialekte Gaskognisch und Languedokisch aneinander, während in der südlichen Verlängerung des Tales die Sprachgrenze zwischen dem Aragonesischen und dem Westkatalanischen beginnt. Hinzu kommen die beiden Nationalsprachen Kastilisch und Französisch, die das gesamte Gebiet der Zentralpyrenäen entlang der Staatsgrenze fugenlos überdachen. Eine seit Jahrhunderten andauernde Sprachkontaktsituation führte dazu, daß die Talbewohner mehrsprachig sind. Der größte Teil der einheimischen 3
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5
6 7
Teilaspekte einer Theorie der Sprachvariation, auf die sich die vorliegende Arbeit stützt, werden in Kap. 3, insbes. S. 39-57, dargelegt. Die Aranesen selbst nennen ihr Tal era Val d'Aran oder kurz era Val. Daneben existieren die Bezeichnungen kast. el Valle de Arän, katal. la Vall d'Aran und frz. le Val d'Aran. Dort heißt es: «La parla aranesa serä objecte d'ensenyament i d'especial respecte i proteccio». Nähere Einzelheiten finden sich weiter unten in Kap.4.7., S. 122f. Vgl. dazu die Besprechung in Winkelmann 1983a.
2
Abb. 1: Die geographische Lage des Val d'Aran
Staatsgrenze
Provinzgrenze
Bezirksgrenze
Kartengrundlage: Hallwag Straßenkarte Spanien, Portugal. Ausgabe 1984, Maßstab
1:1000000
3
Bevölkerung - das Val d'Aran zählte 1981 insgesamt 5.923 Einwohner 8 beherrscht aktiv und/oder passiv bis zu vier Sprachen und Dialekte 9 : Aranesisch als Heim- und Umgangssprache, Katalanisch als offizielle Sprache der Region, Kastilisch als Nationalsprache und Französisch als Handels- und Verkehrssprache. Diese in Europa wohl einmalige Mehrsprachigkeitssituation ist bisher noch weitgehend unerforscht. 10 . Daß das Gaskognische des Val d'Aran dialektal nicht einheitlich ist, ist seit langem bekannt 11 . Die in der bisherigen Literatur zum Aranesischen angegebenen Isoglossen sind jedoch vielfach ungenau oder haben sich im Laufe der Zeit stark verschoben, und die Erklärung der internen Sprachgrenzen kann größtenteils nicht befriedigen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an: ihr Gegenstand ist, allgemein betrachtet, die Darstellung der sprachlichen Variation eines Dialektes mit fest umrissener geographischer Verbreitung. Im besonderen ist zu fragen: Wovon hängt die Verwendung der beobachtbaren Varianten ab, vom Wohnort der Sprecher(innen) innerhalb des Tales, von ihrem Alter, von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht oder von der Gesprächssituation? Wie sind die erhobenen Varianten sprachwissenschaftlich zu beurteilen? Handelt es sich um genetische Veränderungen, also um selbständige sprachliche Weiterentwicklungen des Dialekts, oder können die Varianten auf Sprachkontaktwirkung infolge von Mehrsprachigkeit zurückgeführt werden, und wenn letzteres der Fall ist, liegt historischer Sprachkontakt oder spontane Interferenz oder beides zugrunde?
1.2. Zielsetzung und Erhebungsmethode Von den oben erwähnten Fragestellungen ausgehend, besteht das Ziel der vorliegenden Untersuchung in einer am aktuellen Sprachzustand orientierten
8 9
10
11
Vgl. Lopez i Palomeque/Majoral i Moline 1982, 85. In der von Jules und Yvonne Ponsolle besorgten Ausgabe der Werke des aranesischen Schriftstellers Moussen Jousep Condo Sambeat, Era Isla des Diamants, St.Girons 1981, 33 heißt es etwas überschwenglich: «Au Val d'Aran on comprend tout, on repond ä tout et cela dans la langue de celui qui vous parle, qu'il soit Aranais, Commingeois, Catalan, Espagnol ou Frangais. Quelle inestimable richesse les Aranais n'ont-ils pas lä!» 1972 begann Bernhard Lechner (Nürnberg) unter der Leitung von Günther Haensch (Augsburg) eine Dissertation mit dem Titel: Die Viersprachigkeit im Val D'Aran. Nach Mitteilung B. Lechners ist die Arbeit unterbrochen, Teile der Untersuchung wurden meines Wissens bisher noch nicht veröffentlicht. Eine weitere soziolinguistische Dissertation mit dem Titel: Genese et pratique du plurilinguisme au Val d'Aran wird von Christian Lagarde (Font-Romeu) vorbereitet und von Jacques Allieres (Toulouse) betreut. Zur Entwicklung der Mehrsprachigkeit im Val d'Aran und zur aktuellen Sprachenkenntnis bzw. Sprachenverwendung der Aranesen vgl. auch weiter unten Kap. 4. «El aranes no es uniforme» heißt es bereits im Vorwort von Corominas 1931, IX.
4
Darstellung des Aranesischen unter besonderer Berücksichtigung seiner raumspezifischen und generationsspezifischen Variation 12 . Dabei wird auf der Basis einer sprachlichen Stichprobe versucht, die wichtigsten Variationen im Bereiche der Phonetik/Phonologie (Kap. 5) sowie der Morphologie und Syntax (Kap. 6) zu beschreiben und zu erklären. Die genaue Verortung der einzelnen phonetisch-phonologischen, morphologischen und syntaktischen Varianten wird durch eine Erklärung ihrer geolinguistischen Verteilung ergänzt, wobei stets auf die sprachliche Gesamtsituation des Val d'Aran und ihre geographischen und historischen Rahmenbedingungen Bezug genommen wird 13 . Die Deskription der aranesischen Sprachvariation auf den oben genannten Ebenen der Grammatik führt zur Erstellung isoglottisch strukturierter Sprachkarten, die sich in ihrer Gesamtheit zum geodialektalen Sprachmuster des heutigen Aranesischen zusammenfügen. Aus den Diagrammen und den synoptischen Karten (vgl. Kap. 7) geht schließlich hervor, in welchen Bereichen sich die pyrenäengaskognische Basis erhalten hat, wo sie sich selbständig weiterentwickelte und wo sie durch kastilische, katalanische oder languedokische Sprachkontaktwirkung abgetragen oder überschichtet wurde. Das Aranesische macht zur Zeit einen Veränderungsprozeß durch, der in mehr oder minder starkem Maße alle linguistischen Ebenen erfaßt und der in einer Nivellierung der traditionellen lokalen Unterschiede und in einer immer schneller voranschreitenden Kastilisierung und Katalanisierung besteht, die wohl nur schwer aufzuhalten sein dürfte. Die Arbeit verfolgt daher auch den Zweck, den heutigen Sprachzustand des Aranesischen einschließlich möglicher Interferenzen mit den Überdachungssprachen mittels der transkribierten Texte (Kap. 8) querschnittartig zu dokumentieren und für die anstehende weitere Kodifizierung sprachwissenschaftliche Entscheidungshilfen zu geben. Die vorliegende Untersuchung ruht auf einer breit gefächerten Materialgrundlage. In den Jahren 1981 und 1982 ließ ich eine kastilische Version des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn in allen 33 Ortschaften des Val d'Aran von durchschnittlich drei Personen verschiedener Altersgruppen mündlich und spontan in die jeweilige Ortsmundart übersetzen 14 . In den Nachbartälern des Val d'Aran führte ich jeweils eine weitere Sprachaufnahme durch. Die insgesamt 92 Dialektaufnahmen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn bilden den Kern des Dialektmaterials, das unter variationslinguistischen Gesichtspunkten kartiert wurde. Überall dort, wo die Dialektaufnahmen des Gleichnisses zur Interpretation bestimmter sprachlicher Phänomene nicht ausreichten oder wo die aufgenommenen Texte sprachliche Besonderheiten erkennen ließen, führte 12
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14
Die Erörterung schichtenspezifischer und anderer variationsstiftender Faktoren wurde aus der Untersuchung ausgeschlossen. Zur Begründung siehe weiter unten S.57f. D i e sprachliche Situation des Val d'Aran in Geschichte und Gegenwart wird ausführlich in Kap. 4, S. 72-123, behandelt. Einzelheiten zur Auswahl der Informanten, zur Durchführung der Befragung und zur Transkription sind Abschn. 3.3., S. 57-65, zu entnehmen.
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ich in einer zweiten Phase der Datengewinnung eine morphologische und/oder lexikalische Zusatzumfrage (enquete complementaire)
durch, um die aus der
Analyse der Dialektaufnahmen gewonnenen Ergebnisse überprüfen und verfeinern zu können. Als Ergänzung und Korrektiv der genannten Materialien werden ferner Tonbandaufnahmen freier Interviews und die Gesamtheit der bisher in Aranesisch veröffentlichten Texte 1 5 herangezogen.
1.3. Die untersuchten Ortschaften In der folgenden Übersicht erscheinen die Siedlungen des Val d'Aran mit einer fortlaufenden Nummer versehen, die den jeweiligen Aufnahmepunkt kennzeichnet. D e r N a m e der Ortschaft wird zuerst in der bisher üblichen kastilischen Schreibweise angegeben; in runden Klammern folgt der Ortsname in der neuen aranesischen Orthographie 1 6 , sofern diese von der kastilischen Schreibweise abweicht. Zwischen eckigen Klammern 1 7 steht die aranesische Bezeichnung des Ortes, wie sie von den Einwohnern verwendet wird. Einige knappe siedlungsgeographische Angaben ( H ö h e des Ortes, Einwohnerzahl im Jahre 1981, Entfernung zur Hauptstraße usw.) schließen sich an. 1 Canejän (Canejan) [kanej^n], 906 m, 137 Einw., terrassenartig hoch über der Garonne gelegen; zahlreiche Einwohner arbeiten als Pendler im Dept. Haute-Garonne. 2 Bausen (Bausen) [baruz^'n], 908 m, 78 Einw., in 2 km Entfernung zur Hauptstraße in einem Seitental gelegen. 3 Pontaut [prunt^ai], 600 m, 6 Einw., fast verlassener Weiler an der Garonne, wo die Abzweigung nach Canejan den Fluß überquert. 4 Les [les], 631 m, 559 Einw., direkt an der Garonne und an der Hauptstraße gelegen, Sitz des spanischen Zolls; ausgeprägte kulturelle Tradition, Sitz des Archivo Calzado, im Sommer starker Ausflugsverkehr aus Südfrankreich. 5 Bosost (Bossöst) [brusps], 710 m, 731 Einw., lange Zeit größter Ort des Tales, Hauptort des Bajo Arän, im Sommer von Franzosen stark besuchter Ausflugsort. 6 Arres Desus (Arres de Sus) [?res desys], 1267 m, 25 Einw. 7 Arres Dejus (Arres de Jos) [?fes dejnjs], 975 m, 28 Einw.; beide Siedlungen bilden zusammen den Ort Arres, 8 km von der Durchgangsstraße entfernt, sehr abgelegen auf einer Bergterrasse, überalterte Bevölkerung, alte landwirtschaftliche Sachkultur zum größten Teil noch erhalten und in Gebrauch. 8 La Bordeta (Era Bordeta) [?ra brurd^ta], 800 m, fast verlassener Weiler am linken Garonneufer. 9 A r m (Arro) [ar^i], 885 m, 35 Einw., an einem Berghang am rechten Ufer der Garonne gelegen. 10 Vilamos (Vilamös) [bilamps], 1255 m, 83 Einw., 6 km von der Durchgangsstraße entfernt auf einem Bergrücken liegend, Schafzucht, Weidewirtschaft, einigermaßen intaktes Dorfleben. 15
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Gegenwärtig sind dies nur rund 1.000 Buchseiten. Die einzelnen Texte sind in einer gesonderten Rubrik im Literaturverzeichnis aufgeführt. Gemäß der in den Normes ortogräfiques der Arams 1982, 23 vorgeschlagenen Schreibweise. Diese Schreibung wird im weiteren Verlauf verwendet. Zur Transkription vgl. weiter unten Abschnitt 1.4., S. 8-11. 6
11 Las Bordas (Es Bordes) [ez bgrdes], 852 m, 114 Einw., an einer Engstelle des Tales auf einem Felsplateau oberhalb der Garonne gelegen, Hauptort des Tergons Lairissa. 12 Benos [bennjs], 910 m, 34 Einw., oberhalb des gleichnamigen Wasserkraftwerks (La Central de Benos) liegender Weiler. 13 Begös [begnjs], 990 m, 22 Einw., verträumter Weiler an einer Gebirgsflanke, oberhalb von Benos. 14 Arrös (Arrös) [arps], 956 m, 84 Einw., oberhalb der Garonne und der Hauptstraße gelegener kleiner Ort, Weidewirtschaft; der Ortsteil Pont d'Arros liegt an der Mündung des Rio Varradös in die Garonne und besteht aus drei Hotels und Gaststätten. 15 Vila [bjla], 1096 m, 25 Einw., zu Arrös gehörender halb verlassener Weiler. 16 Aubert (Aubert) [arub^r], 912 m, 99 Einw., unmittelbar an der Hauptstraße gelegene Siedlung. 17 Betlän (Betlan) [bellen], 1041 m, 12 Einw., fast verlassener Weiler an einem Berghang hoch über der Garonne. 18 Montcorbau [mnuikrurbaru], 1222 m, 18 Einw., Geburtsort des aranesischen Heimatdichters Moussen Condö Sambeat. 19 Mont [mrun], 1237 m, 22 Einw., wie Montcorbau hoch an den sonnigen Berghängen des rechten Garonneufers gelegen, Weidewirtschaft, mehr und mehr entvölkert. 20 Vilach (Vilac) [bil^k], 1047 m, 75 Einw., unweit der Hauptstraße liegende kompakte Siedlung. 21 Gausach (Gausac) [garuz^k], 994 m, 118 Einw., direkt an Viella angrenzender Ort, in dem kaum noch Einheimische wohnen; entwickelt sich immer mehr zum Vorort von Viella. 22 Casau [kaz^ru], 1103 m, 72 Einw., oberhalb von Viella gelegene Siedlung, die ihren ländlichen Charakter und ihre Eigenständigkeit weitgehend bewahrt hat. 23 Viella (Vielha) [bi^la], 974 m, 2007 Einw., in einer weiten Talmulde an der Einmündung des Rio Nere in die Garonne liegender, aufstrebender Hauptort des Val d ' A r a n ; Garnison der spanischen Gebirgsjäger, Geschäftszentrum des Tales, zahlreiche neu erbaute Hotels und Appartementhäuser, starker Sommer- und Wintertourismus, durch Zuzug von Katalanen und Kastiliern teilweise überfremdet. 24 Betren (Betren) [betr^n], 1036 m, 101 Einw., oberhalb von Viella zwischen Hauptstraße und Garonne gelegene Siedlung, intaktes Dorfleben, teilweise noch Schafzucht. 25 Escunau (Escunhau) [eskun^ru], 1049 m, 112 Einw., am Fuß des Pic de Migdia gelegener idyllischer kleiner Ort. 26 Casariii (Casarilh) [kazarjl], 1050 m, 27 Einw., halb verlassener Weiler, liegt gegenüber von Escunau, zu dem es verwaltungsmäßig gehört. 27 Garös (Garös) [garps], 1115 m, 109 Einw., oberhalb der Garonne auf einem Vorsprung liegender Ort; dort beginnt der Bezirk Alto Arän; neu errichtete ChaletSiedlungen wurden dem Ort vorgebaut. 28 Arties [artjes], 1144 m, 242 Einw.; in einer Talmulde gelegene größere Ortschaft mit kleinem Thermalbadebetrieb; Standort eines Wasserkraftwerks, Werkssiedlung mit auswärtigen Arbeitskräften. 29 Gessa [dj^'sa], 1232 m, 109 Einw., auf einer kleinen Anhöhe oberhalb der Durchgangsstraße gelegen, angebaute Chalet-Siedlung. 30 Salardu [salardy], 1268 m, 208 Einw., Hauptort des Alto Arän, durch Niederlassung von Katalanen teilweise überfremdet. 31 Ufia (Unha) [yna], 1325 m, 48 Einw., auf einer Anhöhe über dem Garonnezufluß Rio Unyola liegender malerischer Ort. 32 Bagergue [bajerge], 1419 m, 48 Einw., im Tal des Rio Unyola liegender halb verlassener Weiler, etwa 3 km von der Hauptstraße entfernt, höchst gelegener und schneereichster Ort des Val d'Aran, im Winter zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten, leichte Belebung durch Skitourismus.
7
33 Tredös (Tredös) [tredös], 1348 m, 86 Einw., erste aranesische Siedlung nach Überquerung des Puerto de la Bonaigua, etwas abseits der Paßstraße im Tal der Garona de Ruda gelegen.
Nicht berücksichtigt wurden Viella-Mig Aran, eine Werkssiedlung des gleichnamigen Wasserkraftwerks, und Baqueira Beret, eine für den Wintersport erbaute, reine Touristensiedlung. Um das Aranesische mit seinen Nachbardialekten vergleichen zu können, habe ich in den Orten Bagneres-de-Luchon (A), Fos (B), Sentein (C), Benasque (D), Bono (Ε) und Alos de Isil (F) je eine weitere Dialektaufnahme des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn vorwiegend mit einem Vertreter der älteren Generation durchgeführt. In den Orten A - C wurde die französische, in den Orten D - F wurde die kastilische Textvorlage benutzt.
1.4. Zur phonetischen Transkription benutzte Zeichen Das Val d'Aran liegt im Überschneidungsbereich des Atlas linguistique et ethnographique de la Gascogne (ALG) und des Atlas Linguistic de Catalunya (ALC) 18 . Antoni Griera hat außerdem für das Val d'Aran einen besonderen Sprachatlas, den Atlas linguistic de la Vall d'Aran (ALVA), herausgegeben, der die Transkription des ALC benutzt. Da das Val d'Aran zum gaskognischen Sprachgebiet gehört, ist es meines Erachtens angebracht, die Transkription des A L G zugrundezulegen. Auf diese Weise können die im Val d'Aran erhobenen Sprachdaten direkt mit dem Material des ALG verglichen werden. In der folgenden Tabelle habe ich gegenüber der Notation des A L G nur geringfügige Änderungen vorgenommen. Alle Wortformen, die ich aus der Literatur über das Aranesische entnommen habe, sind nach den unten angegebenen Richtlinien transkribiert, sofern dem nicht zwingende Gründe entgegenstehen.
Vokale a ä e e e i i ό ο
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= = = = = = = = =
palatales α wie frz. patte velares α wie in frz. päte, gelegentlich bewegt sich die Klangfarbe gegen ö. geschlossenes e wie in frz. έίέ mittleres, halboffenes e, zwischen e und e offenes e wie in frz. fer wie in frz. finir offenes i wie in engl, bit, ζ. Β. als erster Bestandteil in μ (statt φϊ) 'ist' geschlossenes ο wie in frz. pot mittleres, halboffenes o, zwischen ό und ö wie in kast. pozo
Zur sprachgeographischen Erforschung des Aranesischen vgl. unten Abschnitt 2.4.3., S.36-38.
8
1
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Ε Οί) D (Λ b Ν C O iL) •Ο ηη J3 ^
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1/5
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.. λ diyaus (lies: dizaus) und NOVUM > nau erkennt Garcia de Diego nicht die normale Entwicklung von ö + ν (vgl. Rohlfs 31977, 121) sondern eine 'Übertreibung' eines Diphthongs (S.243: «Se exagera el diptongo»). Varianten werden immer ohne Lokalisierung angegeben und meist kommentarlos aneinandergereiht, oder es werden Lautentwicklungen, die nur für einen kleinen Teil des Tales Geltung haben, verallgemeinert: Auf S. 245 heißt es: «La t secundariamente final se hace ts: v e r i t a t e vertats». Diese Entwicklung gilt heute nur noch für Canejan und Bausen; auch zu Beginn dieses Jahrhunderts muß sie schon auf das Bajo Arän beschränkt gewesen sein. Der Grund dieser falschen Generalisierung ist in der Tatsache zu sehen, daß sich Garcia de Diego zum wiederholten Male auf Barnils 1913 stützt, der nur einen einzigen aus Canejan stammenden Informanten befragt hatte. Die auf S. 245 angegebene Regel, auslautendes «d se hace «» führt Garcia de Diego zu absurden Verwechslungen. Die angeführten Beispiele SEDE > seu 'silla' und PEDE > peu 'pie' treffen für das Katalanische zu, gelten im Aranesischen aber gerade nicht. Die Bezeichnung für 'Stuhl' lautet im Aranesischen kajpa < CATHEDRA, und PEDE 'Fuß' hat sich zu aran. pe weiterentwickelt. Aran, peu < PILU bedeutet 'Haar' und aran. seu < CAELU 'Himmel'.
Die Vielzahl der Fehler läßt nur den Schluß zu, daß der Autor die Sprachform, deren Beschreibung er sich vornahm, aus eigener Anschauung wohl kaum gekannt hat.
6
7
Ohne auf Einzelheiten einzugehen, bemerkt Bec 1968, 304, Anm. 1 zu Garcia de Diego 2 1959: «Information parfois incertaine; l'etude en outre, est menee d'un point de vue dialectologique , ce qui la vicie ä maintes reprises». Condö 1915 unterscheidet die beiden Phoneme als /j7 und Ις,Ι in jelä (S. 13) und ςüda (S.6). 15
2.1.3. Ademä Mora 21969: Estudio sobre el dialecto aranis. Nach einem einführenden Kapitel über die sprachliche Position des Aranesischen in der Romania, das nichts Neues bringt, wendet sich der Autor den charakteristischen Lautentwicklungen des Pyrenäendialektes zu. Kap. 3 behandelt die Grammatik, berücksichtigt alle Wortarten und vermerkt die wichtigsten Besonderheiten. Kap. 4 beschäftigt sich mit der Orthographie des Aranesischen und schlägt eine eigenständige Schreibung vor, die der Autor jedoch inzwischen zugunsten der von der Generalitat oktroyierten orthographischen Kodifizierung aufgegeben hat. Es folgt als Kap. 5 ein kurzgefaßtes Glossar von ca. 400 Wörtern. Ein Anhang mit Texten aus der aranesischen Volksdichtung schließt das Büchlein ab. Der Autor ist in Vielha geboren und aufgewachsen, arbeitet jedoch bereits seit Jahren als Rechtsanwalt in Barcelona. Er versteht sein Buch weniger als philologische Studie denn als «un testimonio vivo y directo de su habla peculiar» (S. 15). Man darf daher viele Erklärungen nicht auf die Goldwaage legen, etwa wenn er behauptet (S.33), das anlautende katalanische II- habe sich manchmal im Aranesischen in einfaches /- verwandelt oder (S. 32) im Aranesischen gebe es eine Tendenz, lat. /u/ zu bewahren, wo es sich im Katalanischen und fallweise im Kastilischen zu /o/ entwickelt habe. Auch Ademäs Versuch, den Diphthong au in praube durch Einfluß der französischen Schriftsprache («pronunciändolo tal como se escribe») erklären zu wollen (S. 70) ist abwegig. Als sprachwissenschaftlicher Laie kann er ohne Kenntnis der historischen Lautlehre nur nachträglich Parallelen zum Katalanischen, Kastilischen oder Französischen ziehen. Trotzdem ist dem Autor eine gute sprachliche Beobachtungsgabe und eine genaue Kenntnis seiner Mundart zuzubilligen. Das Buch, das man ohne weiteres als 'Kurzgefaßte Gesamtdarstellung des Aranesischen' bezeichnen könnte, richtet sich in erster Linie an interessierte Laien, dient jedoch auch dem Dialektologen als Einstieg in die Mundart und enthält wertvolles und durchweg zuverlässiges Material. Es liegt auf der Hand, daß Ademä bei der Beschreibung des Aranesischen von der Varietät des Medio Arän, bzw. der Mundart von Vielha ausging. Erfreulicherweise berücksichtigt er in den Bereichen Phonetik/Phonologie, Wortschatz und, wenn auch in geringerem Maße, Grammatik wichtige Variationen des Alto Arän und des Bajo Arän. Er war sich der diatopischen und der generationsspezifischen Differenzierungen des Aranesischen durchweg bewußt, wie aus der Einleitung zum lexikalischen Teil hervorgeht: «Finalmente, hemos de advertir, que algunas palabras han caido en desuso. No obstante, las hemos incluido, con mayor afän precisamente, por haberlas oido a personas ancianas, ο que viven en pueblos alejados del centro de la capitalidad . . . » . Auch der katalanische und der französische Einfluß auf das Aranesische werden von Ademä wenn auch sehr knapp so doch richtig beschrieben, und die Sprachkontaktphänomene, deren Wirkungen das Aranesische ausgesetzt ist, werden aus der Kenntnis der Sprachwirklichkeit heraus korrekt gedeutet. 16
2.1.4. Haensch 1975: Das Gaskonische. Der Vollständigkeit halber sei noch auf Haensch 1975, 67 hingewiesen. Im Rahmen eines Handbuchs über die Sprachen und Literaturen Spaniens (Haensch/Hartig 1975) wird auf einer Seite das Gaskognische des Val d'Aran erwähnt mit einer geographischen und sprachlichen Kurzcharakterisierung und einer kleinen Textprobe.
2.1.5. Rohlfs 31977: Le Gascon. In seiner nach wie vor unentbehrlichen Gesamtdarstellung des Gaskognischen (Rohlfs 4935, 2 1970, 3 1977) hat der bedeutende Romanist das Aranesische in den Hauptkapiteln über den Wortschatz, die historische Lautlehre und die Morphologie/Syntax in angemessener Weise berücksichtigt. Seit der Mitte der zwanziger Jahre hatte Rohlfs unermüdlich die Pyrenäen bereist und im Laufe der Zeit sowohl in den 12 gaskognischen Haupttälern als auch im aragonesischen Gebiet auf der Pyrenäensüdseite Sprachdaten gesammelt. Für denjenigen, der sich nur mit dem Gaskognischen des Val d'Aran beschäftigt, eröffnet Rohlfs 3 1977 eine weiträumige Perspektive, die es erlaubt, aranesische Sprachphänomene auf den gesamtgaskognischen Raum zu beziehen und einen Zusammenhang zu den Sprachformen der übrigen Pyrenäentäler herzustellen. Trotz dieses Vorzuges sind, was jedoch dem Verfasser dieser breit angelegten Monographie keineswegs anzulasten ist, aus aranesischer Sicht einige kleine Korrekturen angebracht: -
-
-
Das Val d'Aran erscheint in Rohlfs' Arbeit als Appendix der französischen Haute vallie de la Garonne. In Verlängerung der kurz vor der französisch-spanischen Grenze liegenden Orte Saint-Beat, Fos und Melles wird auch das aranesische Canejan in seine Beobachtungen miteinbezogen (Vgl. Rohlfs 3 1977, 12). Nun muß man wissen, daß in Canejan eine gaskognische Varietät gesprochen wird, die sich von den auf französischem Territorium gelegenen oben genannten Nachbarorten kaum unterscheidet, jedoch vom Aranesischen des Medio Aran und Alto Aran stärker abweicht. Wenn Rohlfs aranesische Belege anführt, stützt er sich überwiegend auf Corominas 1931 oder Coromines 1937. Dabei kommt es gelegentlich zu Verzerrungen der aranesischen Sprachwirklichkeit, wenn Rohlfs einzelne Formen herausgreift und sie allgemein durch den Zusatz Val d'Aran kennzeichnet (ζ. B. S. 142: «Pour le Val d'Aran, Corominas donne . . . » , oder S. 158 «dans la vallee d ' A r a n . . . » ) , obwohl diese Formen nur in einem Teil des Tales verwendet werden. Kurzum, die beobachtbare Sprachvariation des Aranesischen wurde in der Regel nicht berücksichtigt. Leider sind aranesische Formen nicht systematisch aufgenommen. Meist wird eine aranesische Form angeführt, wenn sie eine Besonderheit erkennen läßt. Dieses legitime Auswahlprinzip ist aber keineswegs durchgehalten. Stellenweise werden Wörter aus dem Val d'Aran erwähnt, die sich nicht von den Formen der Nachbartäler unterscheiden, dann wieder fehlen Belege dort, wo das Aranesische eigene Wege geht (ζ. B. Medio/Alto Arän wet/gwet gegenüber bouiyt, bouetch S. 121, obwohl Corominas 1931, 51 die entsprechende Form aufgeführt hat).
Einzelne Korrekturen und Ergänzungen, die die vorliegende Arbeit an Rohlfs 1977 anbringen wird, unterstreichen nur noch die Bedeutung dieses Werkes für die Erforschung des Gaskognischen. 3
17
2.1.6. Seguy 1954-1973: Atlas linguistique et ethnographique de la Gascogne (ALG). Zu den übergreifenden Darstellungen, die mehrere sprachliche Ebenen umfassen, ist, als ganzes betrachtet, auch der ALG zu zählen. Die Bände I-IV befassen sich überwiegend mit dem Wortschatz, der von Jacques Allieres verfaßte Band V (Allieres 1971)8 ist der Morphologie des gaskognischen Verbs gewidmet, und Band VI behandelt die historische Lautlehre (phonetique historique), die Phonologie, die Morphosyntax der Pronomina sowie weitere ausgewählte Probleme der gaskognischen Nominal- und Verbalsyntax. In den ersten drei Bänden ist das Aranesische nur mit einem einzigen Punkt vertreten, und zwar mit der Ortschaft Casau (Punkt 699 SE). Jean Seguy befragte dort im August 1948 den Dorfpfarrer und zwei bis drei weitere ortsansässige Personen. Über die Befragung notierte Seguy «Enquete faite en espagnol, et dans des conditions penibles» (ALG I, Vorwort, S. IV). Vermutlich fiel dem Autor des A L G sehr bald auf, daß er mit Casau einen sprachlich eher unauffälligen Ort des Medio Arän ausgewählt hatte. Für die enquete complementaire, die ihren Niederschlag in den Bänden IV-VI des ALG fand, wurde feiner differenziert: Xavier Ravier verzichtete auf den Punkt Casau und führte stattdessen seine Sprachaufnahmen im Juli und September 1963 in Aubert (Punkt 699E) und Tredos (neuer Punkt 699SE) durch. Auf diese Weise konnte die Varietät des Medio Arän und des Alto Arän hinreichend berücksichtigt werden. In Aubert, das allerdings viel Durchgangsverkehr aufweist, standen ihm zwei Informanten zur Verfügung, in Tredos befragte er insgesamt vier Personen. Gemäß der bereits im Titel des Werkes zum Ausdruck kommenden Zielsetzung des A L G sind die ersten drei Bände und das Suppliment lexical (Bd. IV) ganz auf den Wortschatz der bäuerlichen Lebenswelt der Gaskogne zugeschnitten. In das ethnographische Modell, das der erfahrene Feldforscher Seguy von seiner Region entworfen hat, ordnen sich die Abfragen nach Tier- und Pflanzenwelt, nach der bäuerlichen Sachkultur und den einzelnen Etappen des ländlichen Lebenszyklus ein. Band VI weicht in seiner Anlage erheblich von den traditionell ausgerichteten Bänden I-IV ab. Sein Ziel besteht darin, verschiedene Arten von Sprachvariationen (differences linguistiques de tout ordre, S. 1) herauszuarbeiten, die in den vorangehenden Bänden nur mehr oder weniger zufällig auftraten. Seguy faßte in Band VI ausgewählte Erscheinungen der diachronischen Phonetik 9 ,
Dieser Band des ALG wird weiter unten als Abschnitt 2.3.4. zusammen mit den übrigen Beiträgen zur gaskognischen/aranesischen Morphologie und Syntax behandelt. Dazu heißt es (ALG VI, notice explicative, S. 6): «II ne faut pas considerer ce chapitre de l'atlas comme un traite de la phonetique historique du gascon, puisque nous ne retenons que les faits differentiels, autrement dit dialectaux. On ne trouvera rien sur les phenomenes övolutifs communs ä tout le gascon, voire ä tout l'occitan...». Von
18
der Phonologie und der Morphosyntax auf synthetischen und kumulativen Karten zusammen, um dem Leser in dem Gewirr sprachlicher Formen, von Seguy trefflich la sylve du riel genannt, eine optimale Orientierung zu ermöglichen. Die am Ende dieses Bandes erscheinenden dialektometrischen Karten stellen eine Kondensierung vieler synthetischer Karten, sozusagen eine «synthese de toutes les syntheses» dar. Die Qualität der von Seguy und seinen Mitarbeitern angewandten Methoden und die Zuverlässigkeit des erhobenen Dialektmaterials sind bekannt und brauchen nicht nochmals hervorgehoben zu werden. Der Verfasser des ALG ist souverän genug, Fehler offen zuzugeben. So fügte er der Frage «Rentrer ä la maison» (ALG III, 909) die Anmerkung «Question mal posee: il aurait fallu demander . . . » hinzu, und im Kommentar der Karte ALG VI, 2393 heißt es: «Ces quatre cartes (seil. 2393-2396) ne sont pas entierement fiables». Es war auch unvermeidlich, daß Katalanismen aufgeschnappt wurden, die jedoch für das Aranesische keineswegs typisch sind wie z.B. tqnki bmstq statt barqts! bqre bnistς auf die Frage «Fermez» (ALG III, 908). In den dialektometrischen Karten, in denen die lexikalische Distanz zwischen den einzelnen Punkten des Atlasses gemessen wird (ALG VI 2518-2524), hat Seguy alle Daten des Aranesischen (699E Aubert und 699SE Casau bzw. Tredös) in einem Punkt 699SE zusammengeführt und begründet dies folgendermaßen: «Les differences entre ces trois localites du val d'Aran etaient assez faibles pour permettre cette reduction» (ALG VI, notice explicative, S. 23). Zu dieser Einschätzung kann man nur kommen, wenn man das gesamte gaskognische Sprachgebiet im Blick hat und - wie dies beim ALG der Fall ist - das Bajo Arän nicht mit einem besonderen Abfragepunkt berücksichtigt. Wegen der von Seguy vorgenommenen Vereinfachung liegen für das Val d'Aran selbst keine dialektometrischen Daten vor, die eine Differenzierung dieser Mundart in Untermundarten (Varietäten) veranschaulichen könnten. Es ist selbstverständlich, daß die Variabilität des Aranesischen mit einem oder auch mit zwei Aufnahmepunkten bei weitem nicht vollständig erfaßt werden konnte. Daß trotzdem wichtige Varianten auf den Atlaskarten verzeichnet sind, liegt sicher an der großen Erfahrung und Dialektkompetenz der Exploratoren Seguy, Ravier und Allieres. 2.1.7. Bec 1968: Les interferences linguistiques entre gascon et languedocien dans les parlers du Comminges et du Couserans. Das Ziel dieser Arbeit besteht in der dialektgeographischen Durchmusterung eines sprachlichen Interferenzgebietes, in dem gaskognische und languedokische Sprachcharakteristika aneinandergrenzen, sich überlagern und teilweise vermischen. Das untersuchte Gebiet bildet ein Dreieck mit Toulouse an der diesem Grundsatz habe ich mich bei der Beschreibung der aranesischen Sprachvariationen in den Kap. 5-6 leiten lassen. 19
Spitze, den östlichen Zentralpyrenäen als Basis und der Garonne und der Ariege als Seitenlinien. Auf diesem Boden, der historisch gesehen den ehemaligen Grafschaften Comminges und Couserans bzw. dem Siedlungsgebiet der Convenae und der Consoranni 10 entspricht, überschneiden sich gascon pyreneen (haut-gascon), gascon garonnais (bas-gascon) und languedocien. Verglichen mit der von Rohlfs ( 1 1935, 2 1970, 3 1977) und vom ALG eingenommenen makroskopischen Perspektive führt Bec 1968 eine mikroskopische Studie, «un travail de micro-cartographie» (S. 261) durch, indem er die diatopische Verzahnung von Gaskognisch und Languedokisch anhand ausgewählter phonetischer, morphologischer und syntaktischer Phänomene aufdeckt, in 31 Einzelkapiteln erörtert und mittels Isoglossen kartiert. Zwischen 1950 und 1955 hatte der Autor in zahllosen Orten des genannten Gebietes linguistische Feldforschung betrieben und in 27 über den Interferenzbereich verteilten Gemeinden das Gleichnis vom Verlorenen Sohn aus dem Französischen in den Ortsdialekt übersetzen lassen. Becs Arbeit, die in vieler Hinsicht als vorbildlich angesehen werden kann und die von Goebl 1973 ausführlich gewürdigt worden ist, diente mir sowohl in sachlicher als auch in methodologischer Hinsicht als Vorbild. Bec hat das Aranesische zumeist mitberücksichtigt und auch in die Kartierung einbezogen, er räumt jedoch selbst ein, im Tal nur bruchstückhafte Aufnahmen durchgeführt zu haben («L'enquete, assez fragmentaire, que nous avons faite dans le Val d'Aran . . . » S. 181). Mit den Aufnahmen des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn machte er an der französischen Staatsgrenze halt. Es erwies sich daher als unbedingt erforderlich, in dem von Bec 1968 mikrolinguistisch untersuchten Gebiet eine weitere Ausschnittsvergrößerung vorzunehmen und die Aufnahmen des Gleichnisses nach derselben Methode systematisch auf das Val d'Aran auszudehnen. Dabei stellte sich heraus, daß sowohl an Becs Karten als auch an seiner Beschreibung dialektaler Einzelphänomene des Aranesischen eine Reihe von Detailkorrekturen und Ergänzungen anzubringen waren. In Bezug auf die Sprachcharakteristika des Aranesischen stellt Bec 1968, 303 richtig fest: «Les traits generaux etaient dejä connus . . . mais leur repartition geograph. n'avait guere ete etudiee». Bei der Zusammenstellung der wichtigsten dialektalen Merkmale des Aranesischen berücksichtigt Bec 1968, 304-305 auch einige wesentliche Sprachvariationen im Bereich Phonetik/Phonologie, Morphologie und Syntax: -
Palatalisiertes/nichtpalatalisiertes auslautendes okzitanisches -1: -ίςΙ-t
(pratc/prat,
ak$'t(/ak$'t), -
Vorhandensein oder Fehlen des prothetischen a-: ar-tr- (arjru/fjai). Diphthongierung oder Nicht-Diphthongierung von i vor κ zu Γ\ηιΙίςπΡ·.
(h)ytfu, affiu/ (a)ryq'ru, istvulistyqw), -
Abtönung des auslautenden -a: r-a/-ä/-ö~\
10
Zur Siedlungsgeschichte des Val d'Aran siehe weiter unten Abschnitt 4.2.
20
((h)μι/
-
Vorhandensein oder Fehlen des sog. -n instable (panlpa, kan/ka, bih/bi)n,
-
Unterschiedliche Ausprägung der Endung der 2. Pers. Plur. der Verben: -i 0,
2.
Rest des Tales (einschließlich Bausen und Canejan) für das gilt: - lat. -B- und -v- > -w-, - lat. -N nach Haupttonvokal > -ή,
3.
Ortschaften Canejan und Bausen, für die charakteristisch ist: - lat. -ILIV-ELL, -T/-D > -Ις (Corominas 1931, IX notiert -£), im übrigen Teil des Tales > -f, - lat. F > h, das in den restlichen Ortschaften verstummt ist, - die Triphthonge γς'αι und wq'i werden zu den Diphthongen (ru und ryi reduziert, während sie im übrigen Tal erhalten bleiben, - der bestimmte Artikel masc. sing, lautet edj (Corominas 1931, IX notiert vor Vokal bzw. έίς (ec) vor mit h anlautenden Substantiven, während er in den restlichen Ortschaften in diesen Fällen als ir auftritt.
Corominas hat damit sieben wichtige Unterscheidungsmerkmale des Aranesischen herausgegriffen und ihre Grenzen innerhalb des Taldialektes richtig angegeben. Da das Ziel seiner Arbeit in der Erfassung des typischen Wortschatzes des Aranesischen bestand, kann man ihm natürlich nicht vorwerfen, nur einen kleinen Ausschnitt aus der tatsächlich beobachtbaren Sprachvariation des Aranesischen angeführt zu haben. 2.2.3. Coromines 1976b: Introduccio
α l'estudi de
l'aranes.
Dieser Beitrag zu dem Sammelband Entre dos llenguatges (Coromines 1976a) ist nichts anderes als eine leicht überarbeitete und erweiterte Fassung des kastilisch verfaßten Vorworts von Corominas 1931. Die Mundarten einzelner Orte werden gelegentlich hinsichtlich ihrer 'Reinheit' beurteilt (bezüglich Canejan heißt es S.25: «el seu llenguatge resta molt pur i original»). Befremdend erscheint, daß die Einwohnerzahlen der Ortschaften aus Corominas 1931 unverändert übernommen wurden, obwohl sich die Siedlungsstruktur des Val d'Aran in den letzten 50 Jahren tiefgreifend verändert hat16.
2.2.4. Campä Grane 1983: El aranis. Bei dieser Arbeit handelt es sich um eine Anfang der fünfziger Jahre bei Badia i Margarit eingereichte, zuvor unveröffentlichte Tesina. Die Verfasserin ist in Bossöst geboren und aufgewachsen und dort als Lehrerin tätig. Bei der Darstellung der historischen Lautlehre des Aranesischen, auf die sich die Publika16
Vgl. dazu die Ausführungen in Abschnitt 4.2., S. 89-93.
23
tion im Gegensatz zu dem umfassenderen Titel beschränkt, stützte sich Campä Grane auf Condö 1915, Corominas 1931, Rohlfs ! 1935 17 sowie auf ihre eigene Dialektkompetenz. In der Formulierung einzelner Regeln ist die Darstellung den beiden zuletzt genannten Werken sehr stark verpflichtet, bis hin zur teilweise wörtlichen Übernahme. Campä Grane 1983 gibt eine im wesentlichen vollständige Übersicht über die Entwicklung des aranesischen Vokalismus und Konsonantismus bezogen auf das Vulgärlateinische. Einige phonetische Variationen innerhalb des Tales werden von der Autorin erwähnt, meist jedoch ohne genaue Lokalisierung. Bezugspunkt der Darstellung bleibt aus naheliegenden Gründen die Ortsmundart von Bossöst. Die Arbeit bietet Anlaß zu mannigfaltiger Kritik: -
-
-
Auf S. 36 führt die Verfasserin PLENA > aran. plea an und grenzt diese Form ausdrücklich gegenüber den meisten anderen gaskognischen Dialekten ab, die PLENA > plia weiterentwickelt haben. Aus meiner Karte Nr. 9 (S. 143) geht hervor, daß die Orte 6 - 2 3 einen kompakten Block bilden, in dem die Form plia vorkommt (Bossöst gehört natürlich nicht dazu). Es ist tröstlich zu sehen, daß auch der vielgerühmte linguistisch gebildete Dialektsprecher irren kann, wenn ihm die übergreifende Perspektive fehlt. - Ähnliches läßt sich in Bezug auf das finale -a (S. 39) feststellen, wo das Vorhandensein der Abtönung zu -ö im Pujolo von der Autorin überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde. Auf S. 33 heißt es: «La V (labiodental sonora) no existe en aranes». Trotzdem wird ν mehrmals statt b in der Transkription der aufgeführten Wortbeispiele verwendet. Zahlreiche Fehler und Versehen sind sowohl in der Tesina als auch in der Fassung von 1983 unkorrigiert geblieben: S. 36 DROMIO lies DORMIRE > drumi'schlafen', S. 43 B A V A R I U (sie) lies BOVARIU > bwq Ochsenhirt', barq't 'beackert', (Feld) wird S. 35 richtig abgeleitet aus VERVACTU, S. 43 wird das Etymon als VARBACTUS angegeben; lat. EPISCOPUS ergibt nicht direkt aran. bizbe (S. 36), sondern dieses Wort ist aus dem Katalanischen entlehnt. D e r katalanische Drucker hat manche Verschlimmbesserungen vorgenommen. Statt kadena < C A D E N A und bena < VENA muß es, wie in der Tesina noch richtig, kadea und be'α heißen (S. 36).
Eine gründliche Überarbeitung der Tesina und vor allem eine bessere Überwachung des Druckes wären dringend geboten gewesen. 2.2.5. Griera 1914: La frontera
catalano-aragonesa.
Im Jahre 1914 erschien Grieras Dissertation, die von Louis Gauchat betreut und von der Universität Zürich angenommen worden war. In dieser Arbeit versuchte Griera, den Verlauf der katalanisch-aragonesischen und, was im Titel nicht zum Ausdruck kommt, der katalanisch-aranesischen Sprachgrenze zu bestimmen und die benachbarten Dialekte lautlich voneinander abzugrenzen. Die erforderlichen Sprachdaten erhob er im Sommer 1910 im Oberen Pallars, 17
Die bibliographischen Angaben sind mehr als dürftig. Sowohl in der Tesina als auch in der kaum veränderten Fassung von 1983 fehlen Verlagsort, Jahreszahl und Bandzahl der genannten Titel. Rohlfs '1935 wird in dem knappen bibliographischen Teil (S.31) als El Gascon, Gerhart Rohlf (sie) aufgeführt.
24
in der Ribagorza und im Val d'Aran. In der Monographie wird die Entwicklung des Vokalismus in 34 ausgewählten Ortschaften des katalanisch-aragonesischen Grenzgebietes und des Val d'Aran untersucht und in Tabellenform übersichtlich dargestellt. Das Aranesische ist mit vier Punkten vertreten: Canejan, Montcorbau, Salardü und Vielha. Jeder Tabelle folgt ein Kommentarteil, in dem die Lautentwicklung beschrieben wird und Besonderheiten einzelner Formen erklärt sind. D a der Vokalismus des Aranesischen von dem des Pallaresischen und Ribagorzanischen naturgemäß oft abweicht, wird er in den Kommentaren ausführlich berücksichtigt. In der Beschreibung des Aranesischen sind Griera etliche Fehler unterlaufen: -
In Tabelle 9 S. 4 9 gibt Griera an: ECCLESIA > araglqiza bzw. eraglqiza. Sollte er wirklich übersehen haben, daß 'Kirche' im Aranesischen gl&za und nichts anderes heißt? Era ξΐςίζα bedeutet 'die Kirche' und ara glqiza 'zur Kirche'. Solche Ungenauigkeiten, die "darauf beruhen, daß K o n t e x t e l e m e n t e nicht als solche erkannt und abgetrennt werden, treten mehrmals auf.
-
Gelegentlich entstehen Zweifel an der Zuverlässigkeit des dargebotenen Materials: D i e F o r m päre ' V a t e r ' statt zu erwartendem päi in Canejan ist ungewöhnlich (S. 5 1 ) ; das V o r k o m m e n von auslautendem velarem -ή in Salardu (pän, demäh) statt pä, demä, ( S . 5 3 ) halte ich für sehr unwahrscheinlich.
-
Völlig falsch ist LONGE > Iwen ( G r i e r a 1914, 6 6 ) . D a altokz. lonht luenh zugrundeliegt, kann nur das auslautende n, nicht jedoch das anlautende / palatal sein. Die korrekte F o r m muß Iwe'n bzw. in Canejan lain lauten. Vielleicht liegt auch eine Nachlässigkeit des Druckers o d e r ein naheliegender Hörfehler des katalanischen E x p l o r a t o r s vor.
-
D i e von Griera 1914, 7 2 notierte F o r m kave(a 'Keule' < COXA an allen vier aranesischen Abfragepunkten halte ich für ausgeschlossen. D e r labiodentale Reibelaut h l existiert im Aranesischen bekanntlich nicht; möglicherweise glaubte Griera zwischen k und w einen Übergangslaut zu hören. C o r o m i n a s 1931, 72 gibt richtig an: kwesa. Desgleichen gavasi 'Knochen (pi.)' ( S . 7 1 ) lies gwäsi < * o s s o s (in der Tabelle 17, S. 6 9 richtig angegeben).
Offensichtlich wurde das Sprachmaterial im Val d'Aran manchmal nur oberflächlich erhoben oder ließ Griera bei der Aufbereitung der Dialektbelege nicht immer die erforderliche Sorgfalt walten.
2 . 3 . S t u d i e n zur M o r p h o l o g i e und S y n t a x Verglichen mit den Untersuchungen zur Lexik und zur diachronischen Phonetik treten die Studien zur aranesischen Morphologie und Syntax stark in den Hintergrund. Rohlfs 3 1977 führt aranesische Besonderheiten im Bereich der Morphologie nur gelegentlich an, und B e c 1968 berücksichtigt morphologische Charakteristika des Taldialektes entsprechend der Zielsetzung seiner Monographie nur dann, wenn sie als Interferenzmerkmale relevant sind. Ademä Mora 2 1969 stellt einige Grundzüge der aranesischen Morphologie dar, beschränkt sich dabei jedoch auf Formen des Medio Arän. Ergiebiges Material hingegen liefern A L G V und V I , die sich mit der Morphologie des gaskognischen Verbs 25
bzw. des bestimmten Artikels und der Pronomina beschäftigen und in denen das an der südöstlichen Peripherie der Gaskogne liegende Val d'Aran mit zwei Aufnahmepunkten Berücksichtigung findet. D i e aranesische Syntax schließlich ist noch weitgehend unerforscht, obwohl sich durch die Einwirkung des Katalanischen und des Kastilischen teilweise erhebliche Veränderungen gegenüber den anderen gaskognischen Dialekten ergeben haben.
2 . 3 . 1 . A l l i e r e s 1 9 7 0 : Trois
traits morphologiques
originaux
du
gascon
aranais. A u s dem Dialektmaterial, das Xavier Ravier 1963 im Rahmen der enquete compMmentaire für die B ä n d e I V - V I des A L G im Val d'Aran erhoben hat, greift Allieres drei morphologische Besonderheiten heraus: 1. die Endung der 2. Pers. sing, des Präteritums -s/-res (Typus kantqs/kantqres), 2. das Paradigma des Verbs (h)e 'machen' im Indikativ Imperfekt (Typus qjalqba) und 3. die proparoxytonen Formen des Konjunktiv Präsens (Typus bqna). -
-
-
btfnega/
Das erste Element der morphologischen Variation kantqslkantqres interpretiert Allieres 1970, 139 als eine auf internem Strukturzwang beruhende Innovation. Die Durchsetzung des Typus kantqs im Bajo und Medio Aran versus im Alto Arän verwendetem kantqres ist seiner Meinung nach soziolinguistisch bedingt, denn sie gestattete der unteraranesischen Bevölkerung eine sprachliche Abgrenzung gegenüber den gaskognisch sprechen Einwohnern der Vallee de St. Βέαί und des Luchonnais, die zum Ausdruck der 2. Pers. sing, des Präteritums wie im Alto Arän die expandierte Form (Typus kantqres) benutzen. < Bezüglich der morphologischen Variation des Indikativ Imperfekts von (h)e weist Allieres 1970, 141 nach, daß die im Alto Arän auftretenden Formen des Typus $ba ihre Entsprechung in westkat. fy'ba finden. Den Typus ςja leitet er aus der südostgaskognischen Form had\a ab18. Im Alto Arän treten zur Bildung des Konjunktiv Präsens neben den zu erwartenden paroxytonen Verbformen Vielfach auch proparoxytone Formen auf, die keinesfalls in das gaskognische Betonungsschema passen und die im übrigen Teil des Tales als sprachliche Fremdkörper empfunden werden. Allieres zeigt, daß die im Westkatalanischen verbreitete proparoxytone Konjunktivbildung durch unmittelbare Sprachkontaktwirkung auf die Morphologie des aranesischen Verbalsystems übergegriffen hat.
Z u Beginn seines Beitrags räumt Allieres (S. 138) ein, daß die sechs
Tergons
des Val d'Aran durch die beiden Aufnahmepunkte Aubert und Tredös nur ungenügend berücksichtigt werden konnten; es könne in einem Atlas wie dem A L G aber keine Sonderbehandlung für Gebirgsregionen geben, so sehr dies 18
Die von Coromines 1976, 8 vorgebrachte Hypothese, wonach aran. f/α auf (ost)kat. feia zurückzuführen sei, ist meines Erachtens nicht überzeugend. Für die Form had\a gibt Allieres 1970 keinen aranesischen Beleg an; während meiner morphologischen Zusatzbefragung habe ich diese Form in Bausen aufgenommen. Das durch Rhotazismus entstandene har\a < had\a, das Allieres 1970, 141 nur in der Umgebung des Val d'Aran, insbesondere in Melles und Luchon, vorfand, konnte ich auch in Canejan nachweisen (Vgl. 1 CANEJAN 53/10: αφ). 26
vom wissenschaftlichen Standpunkt auch gerechtfertigt sei. Trotz dieser Einschränkung erscheint mir Allieres' Darstellung und Interpretation der drei genannten morphologischen Besonderheiten des Aranesischen vorbildlich.
2.3.2. Guiter 1978: Un trait morphosyntaxique
de l'aranais.
In diesem Beitrag macht Guiter auf eine morphosyntaktische Besonderheit des Aranesischen aufmerksam, die darin besteht, daß die finiten Formen des Verbs kqde 'kochen' im Präsens Indikativ und Konjunktiv periphrastisch gebildet werden. Er bezieht sich dabei auf die Karten Nr. 555-561 des ALVA 1 9 . Die dort verzeichneten Ausdrücke vom Typus fski α kqde 'ich koche (trans.)' deutet Guiter 1978, 89 als 'je sors ä cuire', indem er die Formen eski, ez, em, en etc. auf das Verb eishir 'hinausgehen' < EXIRE zurückführt. Diese Interpretation ist falsch. Der Begriff 'hinausgehen' wird in Bajo und Medio Arän durch (d)tfse < EXIRE, im Alto Arän durch surt\ bezeichnet. Die dem ALVA entnommenen Formen des Semiauxiliars stammen aus dem Paradigma (h)e 'machen', so daß die von Guiter als besonderes Merkmal hervorgehobene Periphrase qski α kqde im Französischen wörtlich mit je fais ä cuire wiederzugeben ware 20.
2.3.3. Bec 1956: Du pluriel en -i des adjectifs en gascon oriental.
pyrinien
In diesem Aufsatz 21 - es handelt sich um eine der seltenen, das Val d'Aran einschließenden,morphologischen Einzelstudien zum Pyrenäengaskognischenskizziert Pierre Bec eine sprachgeographische und sprachhistorische Erklärung des Pluralmorphems -i, das sich mit bestimmten Substantiven, Adjektiven und Pronomina verbindet. Im gebirgigen Kerngebiet des Haut-Comminges, d. h. im Luchonnais, im Val d'Aran, in der Vallee de St. Beat und im Castillonnais konkurrieren die Pluralkennzeichen -il-isl-es. Nach der Diskussion verschiedener Erklärungsvorschläge kommt Bec 1956, 28 zu dem Schluß, daß es neben dem durch Vokalisierung entstandenen Plural -i ('faux pluriel en -i': -es > -ey > -i) auch ein spezifisches Plural -i geben müsse, das als Überrest eines alten Flexionssystems mit phonetisch bedingter Alternanz -s/-i anzusehen sei. Abschließend stellt Bec 1956, 29 fest, «le probleme des plur. en -i est extrement obscur»: Neben der Lautentwicklung und den möglichen Resten alter Flexions19 20
21
S. weiter unten Abschnitt 2.4.3.1. Prof. Jacques Allieres, Toulouse, machte mich darauf aufmerksam, daß er bereits vor mir auf Guiters Fehlinterpretation hingewiesen hatte (vgl. Allieres 1979). Soweit ich sehe, ist die Präp. α in faktitiven Konstruktionen des Aranesischen der Normalfall. So wie dem frz. faire cuire aran. (h)e α kqde entspricht, wird frz. faire boire 'tränken' durch aran. (h)i a bewelbibe wiedergegeben. Er erscheint in überarbeiteter Form als Kap. VIII (Du pluriel en -i des adjectifs) des 2. Teils (Morphologie-Syntaxe) in Bec 1968, 213-219 wieder.
27
systeme sind ständig auch Analogiewirkungen zu berücksichtigen, die - wie meine Karten Nr. 39-41 (s. S. 206, 207,209) zeigen - phonetische und morphologische Regeln wieder durchkreuzen können, etwa dadurch, daß sich das Plural -i im Aranesischen nachträglich wieder mit dem allgemeiner verbreiteten Pluralkennzeichen -s zu -is verbindet.
2.3.4. Allieres 1971: Le verbe (ALG V). Der von Jacques Allieres erstellte Band V des ALG unterscheidet sich wesentlich von herkömmlichen Atlanten. Er ist der morphologischen Beschreibung des gaskognischen Verbalsystems gewidmet. Die während der Enquete complementaire von Xavier Ravier aufgenommenen und von Jean Seguy anschließend transkribierten Verbformen wurden von Allieres in ihre morphologischen Komponenten (Lexem, Infix, Tempusmorphem, Personalmorphem etc.) zerlegt, und die daraus gewonnenen Verbkonstituenten wurden einzeln kartiert. Es handelt sich also um analytische Karten, aus denen man die tatsächlich geäußerte Verbform erst entnehmen kann, wenn man die einzelnen Komponenten nach einem im Kommentarband angegebenen Schlüssel wieder zusammenfügt. Als guter Kenner der sprachlichen Verhältnisse des Val d'Aran berücksichtigt Allieres das Aranesische mehrfach besonders im Kommentarband. Als Ergänzung zu den analytischen Karten des 1. Faszikels hat der Autor 20 über die Gaskogne mehr oder weniger gleichmäßig verteilte Abfragepunkte, die sog. localitis-timoins ausgewählt, deren Verbalsystem er im Kommentarband synthetisch vorstellt. Für jeden der 20 Orte, zu denen auch das im Alto Arän gelegene Tredös zählt, wird eine strukturale Kurzbeschreibung und die vollständige Liste der vor Ort aufgenommenen Verbformen gegeben. Es versteht sich von selbst, daß zwei Abfragepunkte (Aubert und Tredös) nicht genügen, um die Komplexität des Verbalsystems zu erfassen; die von Allieres 1971 kartierten Materialien bilden jedoch eine hervorragende Grundlage für eine verfeinerte Analyse der diatopisch bedingten morphologischen Variation des aranesischen Verbs.
2.4. Darstellungen des aranesischen Wortschatzes Der aranesische Wortschatz ist weitgehend untersucht und beschrieben. Mehrere Dialektglossare, drei Sprachatlanten, der Atlas linguistique et ethnographique de la Gascogne (ALG), der Atlas lingüistic de Catalunya (ALC) und der Atlas lingüistic de la Vall d'Aran (ALVA), sowie verschiedene volkskundliche Abhandlungen über die Zentralpyrenäen liefern umfangreiches, wenn auch in seiner Qualität und Zuverlässigkeit unterschiedliches lexikalisches Material. Eine auf den neuesten Stand gebrachte Gesamtdarstellung des aranesischen Wortschatzes bleibt jedoch nach wie vor ein Desiderat. 28
2.4.1. Volkskundliche Abhandlungen 2.4.1.1. Heyns 1938: Wohnkultur, Alp- und Forstwirtschaft im Hochtal der Garonne. Im Sommer 1930 bereiste Karl Heyns, ein Schüler Fritz Krügers das Hochtal der Garonne, um Sprachformen, Lebensweise und Sachkultur der Bewohner dieses Talraumes zu erforschen. Das Untersuchungsgebiet wurde vom Verfasser bewußt grenzüberschreitend gewählt: Es umfaßt das untere Drittel des Val d'Aran, d . h . den historischen Tergon Quate Locs, sowie die zu Frankreich gehörenden Talabschnitte Vallee de St. Beat und Bassin de Marignac. Im Mittelpunkt der Darstellung steht das nahe der französisch-spanischen Grenze in östlicher Richtung abzweigende Tal des Rio Toran (Vgl. weiter unten S.77, Abb. 6). Außer den heute praktisch aufgegebenen Weilern Bordius, San Juan de Torän und Pradet, die an den schwer zugänglichen Berghängen dieses Seitentales der Garonne liegen, wurden die aranesischen Ortschaften Canejan, Bausen, Pontaut, Les und Bossöst berücksichtigt. Heyns' Arbeit reiht sich nicht nur unter thematischem Gesichtspunkt, sondern auch was die Anlage der Monographie betrifft, nahtlos in die Reihe der Hamburger Studien zu Volkstum und Kultur der Romanen ein. Sie beschreibt die materielle Kultur der Hirten und Bauern der Zentralpyrenäen von der Stallscheune bis zum Backofen, von der Feldmauer über die Holzgewinnung bis zur Käseherstellung. Die Studie ist überwiegend ethnographisch ausgerichtet. Die Bezeichnungen der beschriebenen Gegenstände sind entweder in den erläuternden Text eingestreut oder in Tabellenform zusammengefaßt. Auf eine sprachwissenschaftliche Ausdeutung verzichtete Heyns: «Die Auswertung des beigefügten Wortschatzes für die Sprachgeographie und Wortgeschichte bleibt weiteren Untersuchungen überlassen» (S. 1). Durch die genaue Lokalisierung, die exakte phonetische Wiedergabe der Belege und die ausführliche Beschreibung der bezeichneten Objekte ist Heyns Arbeit eine überaus wertvolle Quelle für den Wortschatz des Bajo Arän, so wie er im ersten Drittel dieses Jahrhunderts bestand. 2.4.1.2. Schmitt 1934: La terminologie pastorale dans les Pyrinies Centrales. Die Anregung zu dieser Tübinger Dissertation geht auf Gerhard Rohlfs zurück. Schmitt ließ sich bei seiner Untersuchung der Hirtenkultur und des Hirtenwortschatzes der Zentralpyrenäen von Rohlfs' Maxime «Aus dem Sprachlichen gewinnen wir Rückschlüsse auf das Sachliche, und das Sachliche hilft uns sprachliche Rätsel zu lösen (S. VII)» leiten und verband dialektologische und ethnographische Forschung, wobei das sprachwissenschaftliche Moment in der Darstellung überwiegt. Sowohl der zu Frankreich als auch in geringerem Umfang der zu Spanien gehörende Teil der Hochpyrenäen ist in der Arbeit berücksichtigt worden. Das Val d'Aran ist mit zwei unmittelbar benachbarten Ortschaften, Aubert und Betlan, vertreten. 29
Die aranesischen Belege sind zuverlässig und korrekt. Die charakteristischen spirantisierten intervokalischen Verschlußlaute sind allerdings nicht gekennzeichnet. Meist wird eine aranesische Wortform nach dem Hinweis Aran aufgeführt, und es ist nicht immer eindeutig auszumachen, ob das betreffende Wort im gesamten Tal verwendet wird oder nur im Medio Arän vorkommt, wo die beiden genannten Aufnahmepunkte liegen. Feminine Substantive des Aranesischen werden fast durchweg mit der Endung -o statt -a angegeben; dies hängt damit zusammen, daß sie meist mit den Belegen des Luchonnais und anderer französischer Nachbartäler (Versantfrangais) in einem Atemzug genannt werden.
2.4.1.3. Krüger 1935-1939: Die Hochpyrenäen. In einem breit angelegten, sechs Bände umfassenden Werk stellt Fritz Krüger Kultur und Sprache der Hochpyrenäen vor. Die Zielsetzung der Untersuchung besteht darin (Krüger 1935, B, 1-2), die einzelnen Kulturerscheinungen eines größeren Landschaftsraumes, so wie sie sich im häuslichen Leben und in verschiedenen Zweigen der Wirtschaft ausprägen, zu einem Gesamtbild zusammenzuschließen, die innere Verflochtenheit der verschiedenartigen Ausdrucksformen in den einzelnen räumlichen Teilbezirken, ihre landschaftsgebundene Wesenheit und ihre landschaftlichen Gegensätze herauszustellen und zu erklären und auf dem Grunde des sachgeographischen Befundes das Verhältnis zu der sprachlichen Gliederung des Raumes zu beleuchten.
Krügers Forschungs- und Darstellungsmethode ist schnell umrissen: Sachgeographische und wortgeographische Erklärung werden ständig aufeinander bezogen. Sein Untersuchungsgebiet erstreckt sich von Andorra über das Val d'Aran bis zur westlichen Grenze Hocharagons, wobei die französischen Hochtäler jeweils vergleichend miteinbezogen werden. Die Gliederung der einzelnen Bände richtet sich nach dem sachlichen Zusammenhang des untersuchten Wirklichkeitsausschnitts. Der detaillierten ethnographischen Bestandsaufnahme des jeweiligen Phänomens der Sachkultur folgt ein Abschnitt, in dem die zugehörige Terminologie aufgeführt und erklärt wird. Die angegebenen Belege sind allesamt lokalisiert, teilweise mit zusätzlichem Kommentar und, sofern bekannt, auch mit ihrer Etymologie versehen. Angesichts der oft stark divergierenden Bezeichnungen hat Krüger die etymologisch zusammengehörigen Ausdrücke in besonderen Abschnitten zusammengefaßt, so daß man auf einen Blick erkennen kann, ob ein Beleg aus dem Val d'Aran in den restlichen Pyrenäentälern eine Entsprechung findet. 2.4.2. Dialektglossare, Wörterbücher, onomasiologische und etymologische Arbeiten 2.4.2.1 Condö 1915: Vocabulari aranes. Der aus Montcorbau stammende aranesische Priester und Heimatdichter22 Josep Condö Sambeat (1867-1919) publizierte ein aranesisches Glossar, das 22
Zu Beginn der 70er Jahre haben Jules und Yvonne Ponsolle in mühevoller Kleinarbeit die aranesisch verfaßten Schriften Condös zusammengetragen und in dem von der Bibliouteco dera 'Scolo deras Pireneos herausgegebenen Sammelband Era isla des diamants (St. Girons, 1981) veröffentlicht.
30
knapp 1.500 Wörter der Alltagssprache umfaßt. Den aranesischen Stichwörtern stehen katalanische Bedeutungsangaben bzw. Erklärungen gegenüber. Als Beweggrund für die Veröffentlichung des Glossars nennt der Autor die Richtung, die das Gaskognische des Val d'Aran bei seiner Weiterentwicklung einschlagen wird. Condö ahnte den immer stärker werdenden Einfluß des Katalanischen voraus: «Aquesta influencia (seil, del catalä), ja d'ella prou eloqüent, es indubtable que augmentarä el dia que siguin una realitat les vies de comunicacio part engä del Pireneu, ara totjust en projecte» (Condö 1915, 1). Da Condö keine sprachwissenschaftliche Ausbildung besaß, müssen an dem Glossar einige Abstriche gemacht werden, die jedoch durch die Reichhaltigkeit und Authentizität des Materials wieder aufgewogen werden: -
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Die Tonstelle wird nicht konsequent angezeigt; stellenweise fehlt die Angabe der Vokalqualität des e; die frikativen Varianten der Explosiva /b/, /d/, Ig/ werden nicht verzeichnet; [h] wird, obwohl es weitgehend verstummt ist, trotzdem stets geschrieben. Condös Behauptung (S. 1), das Glossar spiegele hauptsächlich die Mundart von Salardü wider, hält einer genauen Prüfung nicht stand. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen (S. 7: demä/demän 'morgen', S. 3: are/af^n 'nichts') decken sich die Wortformen genau mit der Varietät des Tergons Marcatosa, aus dem der Autor stammt. Was die Auswahl des Wortschatzes betrifft, so sind Varianten des Bajo Arän, Medio Arän und Alto Arän meist gleichgewichtig, allerdings ohne Kennzeichnung, berücksichtigt23. So findet sich für 'Vater' pai (S. 20) neben pare (S. 21), für 'Fuchs' abup (S. 2) neben ginqu (S. 11), für 'Packsattel' arjes (S. 3) neben ardeges (ibid.).
Das 1915 publizierte Glossar soll nach Coromines 1976, 23 nur ein winziger Teil des ursprünglichen Fichiers sein, das nach dem Bürgerkrieg verloren ging, von Corominas zuvor jedoch vollständig abgeschrieben worden war und seitdem von ihm unter Verschluß gehalten wird. 2.4.2.2. Coromines 1925: Etimologies araneses. Im Zuge der Vorarbeiten zu seinem anschließend zu besprechenden Glossar veröffentlichte Corominas 1925 einen Beitrag mit 10 kurzgefaßten etymologischen Artikeln zu ausgewählten aranesischen Stichwörtern. Er versucht darin, dem R E W eigene, im Grunde vielversprechende Etymologievorschläge entgegenzusetzen. Vergleicht man Coromines 1925 mit Corominas 1931, so stellt man fest, daß der Autor 8 der 12 in dem Aufsatz vorgeschlagenen Etymologien im Glossar wieder zurückgenommen und durch andere ersetzt hat 24 . 23
24
Diese Tatsache erstaunt keineswegs. Condö Sambeat war ein hervorragender Kenner des Aranesischen (Coromines 1976, 23 sagt von ihm: « . . . demosträ encara mes talent i molta mes activitat com a col lector de llenguatge que com a poeta»); er war jeweils 5 Jahre lang Vikar bzw. Pfarrer in Gessa, Salardü und Bossöst. Er diente Griera 1916 in Bossöst als Informant für den ALC. - Bei den oben angeführten Wortpaaren stammt jeweils das erste aus dem Bajo Arän, das zweite wird im Alto Arän verwendet. Aus einem Wortartikel in Corominas 1931,31 geht hervor, daß Leo Spitzer im Anuari de l'Oficina Romänica I, 247-249 eine kritische Stellungnahme zu Coromines 1925 abgegeben und zahlreiche Korrekturen vorgenommen hatte.
31
2.4.2.3. Corominas 1931: Vocabulario aranis. Diese Arbeit verzeichnet auf 118 doppelspaltigen Seiten fast 1.200 Stichwörter, Ableitungen, Varianten und Verweise nicht mitgerechnet. Die unterschiedlich langen Wortartikel - ihr Umfang schwankt zwischen einer Zeile und zwei Spalten - umfassen außer dem aranesischen Stichwort eventuelle phonetische Varianten, die grammatischen Kategorien, die Ortschaften, an denen das Wort aufgenommen wurde bzw. an denen es in Gebrauch ist, die Bedeutungsangabe in Kastilisch, sowie fakultativ Beispiele oder feste Wendungen, die die Bedeutung oder die syntaktischen Eigenschaften des betreffenen Wortes illustrieren, Ableitungen und Komposita. Hinzu kommt gegebenenfalls ein etymologischer Kommentar mit zahlreichen Querverweisen auf Wortformen, die in den okzitanischen Nachbardialekten oder in anderen romanischen Sprachen belegt sind und fallweise eine ausführliche Würdigung anderer in der einschlägigen Literatur vorgeschlagener Etymologien. Wenn die Herkunft des aranesischen Wortes mit derjenigen des zur Bedeutungserklärung herangezogenen kastilischen Wortes identisch ist, wurde auf die Angabe der Etymologie verzichtet. Während meiner lexikalischen Zusatzbefragung im Val d'Aran hatte ich vielfach Gelegenheit, die Angaben aus Corominas 1931 an Ort und Stelle zu überprüfen: Die aufgeführten Wortformen samt ihren Lokalisierungen erwiesen sich dabei als unbedingt zuverlässig. Trotz der unbestrittenen Qualität dieser Arbeit sind einige kleinere kritische Anmerkungen angebracht: -
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-
Oft werden Ortschaften, an denen eine bestimmte Wortform belegt ist, nur auswahlweise genannt. Für die Feststellung der lexikalischen Variation wäre eine genauere Eingrenzung der Verbreitung wünschenswert gewesen. Der im Glossar wiedergegebene Wortschatz berücksichtigt im wesentlichen die bäuerliche Lebenswelt des Val d'Aran. Allerdings nahm sich Corominas die Freiheit, nur «palabras interesantes» (S. XV) aufzunehmen. Aranesische Wörter, die mit ihren katalanischen, kastilischen oder französischen Entsprechungen bedeutungsgleich und weitgehend formgleich sind, wurden ausgeschlossen, es sei denn ihre Nennung hätte besondere sprachgeographische Bedeutung. Corominas 1931 kann daher auch nicht als systematisch angelegte Gesamtdarstellung des aranesischen Wortschatzes angesehen werden. Es fehlen Hinweise auf die Methode und Durchführung der Sprachaufnahmen. Unklar bleibt, ob ein Fragebuch benutzt wurde und wenn dies der Fall gewesen sein sollte, ob dieses Fragebuch in allen der angegebenen 19 Ortschaften vollständig durchgearbeitet wurde. Während die Bedeutungserklärungen im Bereich der Sachkultur sehr genau sind, zeigen sich bei der Deutung der Pflanzennamen manchmal große Unsicherheiten, die durch die nur lückenhaften botanischen Kenntnisse der meisten Informanten teilweise wieder entschuldbar sind.
2.4.2.4. Seguy 1948: Noms populaires de plantes au Val d'Aran. Als Jean Seguy 1944 bis 1946 das Material für seine Habilitationsschrift Les noms populaires des plantes dans les Pyrenies Centrales (Seguy 1953)25 sam25
Diese umfangreiche Monographie versteht sich zunächst einmal als Bestandsaufnahme aller volkstümlichen Pflanzennamen des Pyrenäengaskognischen. Das Unter-
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melte, war es aus politischen Gründen nicht möglich, das Val d'Aran in die Enquete einzubeziehen. Es gelang ihm damals nur, in der Nähe der französischen Ortschaft Melles einen aus Canejan stammenden Hirten zu interviewen. Als Seguy im Sommer 1948 schließlich von den spanischen Behörden die Erlaubnis bekam, das Val d'Aran zu betreten, verband er die Sprachaufnahmen für die ersten drei Bände des ALG mit einer kleinen Zusatzenquete über die aranesischen Pflanzennamen. Er befragte insgesamt sieben Personen aus den Orten Es Bordes, Casau und Betren. Eine flächendeckende, systematische Enquete war aus Zeitmangel nicht möglich. Das Ergebnis der Befragung ist eine Liste mit über 220 aranesischen Bezeichnungen für zahlreiche Wild- und Kulturpflanzen und deren Früchte, sowie für Bäume und Sträucher. Ähnlich wie im ersten Teil der erwähnten Monographie gibt Seguy zuerst den wissenschaftlichen Namen der Pflanze an, der gelegentlich durch die volkstümliche französische Bezeichnung ergänzt wird. Stets ist auch der Informant und die Ortschaft, an der der betreffende Ausdruck erhoben wurde, angegeben. Der Kontrast zur Behandlung der Pflanzennamen in Corominas 1931 wird dadurch überdeutlich. Als Ergebnisse seines kurzen Beitrags hält Seguy (S. 95-98) fest: Die Pflanzennamen des Val d'Aran zeigen eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit den entsprechenden Bezeichnungen des Haut-Comminges im Bereich der Getreidepflanzen und der alpinen Flora. Darüberhinaus hat das Aranesische zahlreiche Anleihen beim Kastilischen und in noch stärkerem Maße beim Katalanischen gemacht, neben denen einige Entlehnungen aus dem Languedokischen und dem Französischen fortbestehen. 2.4.2.5. Griera 1969: Interpretation de quelques cartes de 1'Atlas linguistique du Val d'Aran. Kurz nach Abschluß der Sprachaufnahmen im Val d'Aran im Sommer 1968 und lange vor der Publikation des ALVA im Jahre 1973 analysiert Griera am Beispiel der Antworten auf 13 ausgewählte Fragen des Questionnaires, welche Wege das Aranesische zur Vermeidung von Homonymien eingeschlagen hat. Es werden keineswegs, wie der Titel vermuten läßt, sprachgeographische Karten vorgestellt und interpretiert. Vielmehr zeigt Griera 1969 ganz in der Tradition Gillierons, daß bei drohender Homonymie oder zu weit fortgeschrittener Reduktion des Signifikanten im Aranesischen Komposita (pqi/paisqne 'Großvater') oder Ableitungen (kaim/kaimqda 'Tränke') gebildet wurden, bzw. auf ein Lexem anderer Herkunft zurückgegriffen wurde. suchungsgebiet erstreckt sich von Arrens (Hautes-Pyrenees) im Westen über den gebirgigen Teil des Depts. Haute-Garonne bis nach Le Port (Ariege) im Osten der Zentralpyrenäen. Neben der Feststellung der Verbreitung der einzelnen Bezeichnungen versucht Seguy, die Pflanzennamen nach ihrer Herkunft (Substratsprache, lat. Erbwortschatz, verschiedene Entlehnungsschichten) zu klassifizieren. Außerdem deckt er allgemeine Regeln auf, nach denen volkstümliche Pflanzennamen gebildet werden.
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2.4.2.6. Griera 1917/1919: La Frontera del catalä occidental. Unter Grieras Forschungen nahm die Untersuchung der katalanisch-aragonesischen Sprachgrenze stets einen wichtigen Platz ein. In mehreren Exkursionen hatte er seit 1910 den dialektalen Wortschatz in Vielha, im Vall de Barraves und in Benasque untersucht, der in diesem Beitrag in Fofm einer ca. 600 Einträge umfassenden Wortliste veröffentlicht wird. Dem katalanischen Stichwort folgen die entsprechenden Wortformen aus Vielha, dem Vall de Β3ΓΓ3νέβ (Obere Ribagorza) und Benasque. Eine Auswertung der Wortliste fehlt, und die vom Autor angekündigten «criteris lexicogräfics» (S. 17), die eine Abgrenzung des Katalanischen gegenüber dem Aragonesischen und dem Gaskognischen erlauben würden, muß der Leser aus dem Material selbst erschließen. Obwohl auch in diesem Artikel nicht angegeben ist, wie die Sprachdaten gewonnen wurden und einige Ungenaugigkeiten auftreten, sind die Belege aus Vielha bei weitem zuverlässiger als die aranesischen Formen im ALC oder das im A L V A niedergelegte Material; die Qualität von Corominas 1931 wird jedoch nicht erreicht.
2.4.2.7. Rohlfs 1954: Petit vocabulaire oronymique des Pyrinies Centrales. Schon zu Beginn seiner Sprachforschungen in den Pyrenäen waren Rohlfs die zahlreichen Übereinstimmungen im gaskognischen, aragonesischen und katalanischen Wortschatz aufgefallen. Besonders ausgeprägt sind diese Übereinstimmungen im Bereich der Geländebezeichnungen aus dem Hochgebirge, deren Herkunft oft in vorromanische Sprachschichten zurückreicht. Mit der Zielsetzung «de reconstruire l'aire du lexique pyreneen en mettant en relief Ies affinites qui existent avec les parlers de l'Espagne (aragonais, Catalan, castillan)» (S. 19) stellte Rohlfs eine Auswahl der interessantesten Ausdrücke aus der Oronymie in einem kurzgefaßten Glossar mit rund 150 gaskognischen Stichwörtern zusammen. Das Val d'Aran ist nur mit einem Punkt (Canejan) vertreten. Bei der Angabe aranesischer Belege stützt sich Rohlfs 1954 zumeist auf Corominas 1931 und Corominas 1937, so daß das Glossar zum Aranesischen im wesentlichen nichts Neues bringt. Vielfach kommen jedoch Wörter, die Rohlfs in Fos (Punkt L 3) unweit nördlich der spanisch-französischen Grenze aufgenommen hat, in unveränderter oder fast identischer Form auch im Val d'Aran vor, so daß sein Material für das Studium des aranesischen Wortschatzes eine wertvolle Vergleichsbasis darstellt. 2.4.2.8. Fossat 1970: Lexique de la boucherie: Aran!Luchon. Als Ausschnitt einer übergreifenden Arbeit (Fossat 1971)26 stellt Fossat 1970 eine kurzgefaßte synchronische und diachronische Studie ausgewählter Fach26
In dieser Monographie mit dem Titel La formation du vocabulaire gascon de la boucherie et de la charcuterie gibt Fossat eine sprachgeographische und sprachhistorische Gesamtdarstellung des gaskognischen Wortschatzes aus dem Bereich des Fleischer- und Metzgerhandwerks. Das Hauptziel der Arbeit besteht in der Aufdeckung von Verbreitungszonen und Verbreitungswegen der entsprechenden dialektalen Fach termini. 34
termini des Fleischerhandwerks aus dem Val d'Aran und der benachbarten Vallee de Luchon dar. Der Autor untersucht sowohl die Verbreitung als auch die Herkunft von 33 Wörtern (und zusätzlichen Ableitungen und Varianten) aus dem genannten Bereich. Das Val d'Aran ist mit 5 Punkten (Canejan, Bossöst, Viehlha, Escunhau, Tredös) berücksichtigt, an denen jeweils eine mit dem Fleischerhandwerk bzw. mit dem Fleischverkauf vertraute Person befragt wurde. Die Sprachaufnahmen stammen aus den Jahren 1964 und 1965. Fossat erweist sich als hervorragender Kenner der Materie. Er zeigt, wie Fachwortschatz aus dem Raum Toulouse bis in das Pyrenäental ausstrahlt, wie sich Gallizismen im Val d'Aran festsetzen und wie umgekehrt spezielle katalanische, aragonesische oder auch aranesische Fachtermini vom Hochtal der Garonne aus auf den Sprachgebrauch in den französischen Pyrenäentälern übergreifen. Als Ursachen der engen lexikalischen Verzahnung des Val d'Aran und der Vallee de Luchon - Fossat 1970, 256 spricht von einer «communaute ou constellation lexicale Aran-Luchon» - führt der Autor völlig zurecht die alten Weidebeziehungen, die Transhumanz, den Austausch von Schlachtvieh, die Niederlassung aranesischer Metzger im Haut-Comminges, den grenzüberschreitenden Kleinverkauf (durch «colporteurs») sowie Mischehen zwischen der Bevölkerung beider Täler an. Anhand der Bezeichnungen für 'Speckseite' zeigt Fossat 1970, 260, daß die lexikalische Variation oft auf eine besondere Schichtung des Wortschatzes (stratigraphie de lexique) zurückgeführt werden kann, die den Sprechern teilweise durchaus bewußt ist und für die im genannten Fall eindeutig eine Sprachkontaktwirkung anzunehmen ist. Die Informantin aus Bossöst lieferte vier Ausdrücke für den oben genannten Begriff: 1. έτα έάα prima (die autochthone Form), 2. era brenteska (eine aus der Umgebung von Toulouse eingeführte Bezeichnung mit semantischer Adaptation), 3. ellarprim (Lehnübersetzung aus dem Französischen), 4. magrce (Lehnwort aus dem Kastilischen). Die erste Bezeichnung kommentierte sie mit den Worten «c'est le vrai nom aranais». Fossats Beobachtung kann ich aufgrund der nachträglichen Korrekturphase der Dialektversionen vollauf bestätigen. Zum Teil hörte ich genau denselben Kommentar, wenn Ausdrücke der zuerst aufgenommenen spontanen Übersetzung später durch «la palabra tipica aranesa» ersetzt wurden. 2.4.2.9. Carrascal Sanchez 1966: La penetracion de la lengua catalana en el dominio gascon. Die Zielsetzung dieser 1962 abgeschlossenen Dissertation besteht darin, die Beeinflussung des pyrenäengaskognischen Wortschatzes durch das Westkatalanische aufzuzeigen. In den drei Ortschaften Espot, Estern und Isil, die im Oberen Pallars liegen und in südöstlicher Richtung unmittelbar an das Val d'Aran angrenzen, fragte Carrascal Sanchez die im ALG, I-III enthaltenen Begriffe ab. Nach einem Vergleich der aus dem ALG exzerpierten gaskognischen Belege mit dem selbst erhobenen westkatalanischen Material kommt 35
der Autor zu dem Ergebnis, daß die pyrenäengaskognischen Bezeichnungen von 66 der insgesamt 1.902 im ALG, I—III erfaßten Begriffe aus dem (West) Katalanischen stammen bzw. phonetisch oder semantisch von (west)katalanischen Lexemen beeinflußt worden sind. Die hierbei in Frage kommenden Wörter sind nach Begriffsgruppen zusammengefaßt, und der katalanische Einfluß wird für jedes Lexem durch einen ausführlichen Wortartikel nachgewiesen und begründet. Es versteht sich von selbst, daß sich der katalanische Einfluß am stärksten auf den Wortschatz des Aranesischen ausgewirkt hat - «siendo Arän el lugar de paso mäs natural hacia Cataluna ο de Catalufia » (S. 9) - , während er sich im Vorland der Zentralpyrenäen allmählich verliert. 2.4.2.10. v. Wartburg 1922ff.: Französisches Etymologisches Wörterbuch (FEW) Zielsetzung und Aufbau des FEW sind allgemein bekannt und brauchen hier nicht nochmals erörtert zu werden. Aranesische Belege erscheinen im Materialteil der einzelnen Artikel im gaskognischen Bereich und zwar entsprechend der Strichrichtung nach den Formen aus dem Haut-Comminges (St. Gaudens, Bagneres - de - Luchon) und vor den Belegen aus den Hautes-Pyrenees. Sie sind dem jeweiligen Etymon zugeordnet; bei unbekannter Etymologie finden sie sich in den begrifflich gegliederten Bänden 21-23. Es wurden folgende Quellen ausgewertet: Condö 1915, Griera 1917/191927, der ALC I - V 1923-1939 mit den Aufnahmepunkten 3 und 4, Heyns 1938, Schmitt 1934 sowie ein unveröffentlichtes Manuskript von Bernard Sarrieu: Dictionnaire du parier de Bagneres-de-Luchon et de sa vallee, das gelegentlich Wortformen aus dem Val d'Aran vergleichend heranzieht 28 .
2.4.3.
Sprachatlanten 29
2.4.3.1. Griera 1973: Atlas lingüistic de la Vall d'Aran (ALVA). Der ALVA umfaßt 1260 kleinformatige Karten, je zwei auf einer Seite. Das Val d'Aran ist mit 10 Aufnahmepunkten erfaßt: Bausen, Canejan, Les, Bossöst, Es Bordes, Aubert, Vilac, Vielha, Arties und Gessa. Darüber hinaus sind vier Orte außerhalb des Tales berücksichtigt und zwar die südlich des Pyrenäenhauptkamms gelegenen Ortschaften Esterri d'Aneu, Durro, Vilaller und 27
28
29
Im Beiheft, 2. Aufl., 1950, 5 heißt es zu dieser Publikation ergänzend: «mit langer Wortliste von Villa d'Aran». Dieser Ort existiert nicht; wie aus der Besprechung von Griera 1917/1919 (S. oben S. 43) hervorgeht, kann damit nur Vielha gemeint sein. Aus der Zusammenstellung der Quellen ist zu ersehen, daß das FEW nur einen relativ kleinen Teil von Arbeiten zum Aranesischen verwertet hat. Bei Berücksichtigung der übrigen in diesem Kapitel vorgestellten Publikationen, aus denen ich alle aranesischen Wortformen exzerpiert und zu einem Fichier zusammengestellt habe, wären daher zahlreiche Ergänzungen zum FEW beizusteuern. Der Atlas linguistique et ethnographique de la Gascogne (ALG) wurde bereits in den Abschnitten 2.1.6. (S. 18f.) und 2.3.4. (S.28) besprochen.
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B e n a s q u e . D i e N a m e n der Orte sind auf der rot unterlegten Grundkarte ausges c h r i e b e n . D i e Karten sind nach d e m katalanischen Titelstichwort alphabetisch g e o r d n e t , ihre N u m e r i e r u n g folgt der des A L C . D i e Einleitung, die Kartentitel u n d das Kartenregister a m E n d e d e s B a n d e s sind dreisprachig (katalanisch/ kastilisch/französisch) angelegt. M a n k ö n n t e a n n e h m e n , daß sich nach der H e r a u s g a b e e i n e s Sprachatlasses für ein so kleines G e b i e t w i e das Val d ' A r a n weitere dialektgeographische S t u d i e n erübrigen. D i e s ist j e d o c h k e i n e s w e g s der Fall, d e n n dieser A t l a s ist mit vielerlei Fehlern b e h a f t e t . -
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In seiner minutiösen Besprechung des Atlasses gibt Guiter 1973 eine nicht enden wollende Liste von Fehlern, die Griera bei der Übersetzung des katalanischen Titelstichwortes ins Französische bzw. ins Kastilische unterlaufen sind. Es handelt sich dabei um Verstöße gegen die Genus- und Numeruskongruenz, orthographische Fehler und Übersetzungsmängel jedweder Art. Schwerwiegender sind die vielen sachlichen Fehler des Atlasses, die auf einer ungenauen Fragestellung bzw. auf Unkenntnis der erfragten Gegenstände und ethnographischer Einzelheiten seitens des Autors beruhen. In der Legende der Karten 344 (cabestre, ramal, longe), 1131 (ronsal, ronzal, licou) und 115 (antipares, cabestro, licou) werden bei der Übersetzung der erfragten Begriffe die Bezeichnungen für 'Halfter', 'Halfterstrick' und Scheuklappen' miteinander vermengt. Auf den Karten 766 (Testable, el establo, l'etable) und 888 (la gripia, el pesebre, la mangeoire) erscheinen durcheinander zwei Wortformen, von denen die eine 'Krippe' (Typus gripia), die andere 'Raufe' (Typus restili) bedeutet während das aranesische Wort, auf das sich das Titelstichwort der Karte 766 bezieht, nämlich bqrda, überhaupt nicht auftaucht. Obwohl der Typus des 'Sprach- und Sachatlasses' längst bekannt war, hielt sich Griera bei der Herstellung des A L V A an die völlig veraltete Konzeption des ALC 3 0 . D a der Fragenkatalog des A L C auch für die Aufnahmen im Val d A r a n zugrunde gelegt wurde und auf eine Anpassung an die aranesische Lebenswirklichkeit verzichtet wurde, enthält der A L V A auch vollständig leere Karten (Nr. 137, 138) bzw. Karten, die keine Sprachdaten aus dem Val d A r a n anführen (Nr. 146, 313, 648.787, 827, 836). Als weiterer methodischer Fehler ist Griera anzulasten, daß er auf den Karten Sprachdaten eingetragen hat, die aus zwei zeitlich weit auseinander liegenden Enqueten stammen. Für die Orte Bossöst und Vielha übernahm er, wie übrigens auch für drei der vier außerhalb des Tales liegenden Orte, unbesehen die Angaben des A L C , die von 1916 stammen, während die Sprachaufnahmen in den übrigen acht Orten des Tales 1968 durchgeführt wurden.
Erstaunlicherweise spielt Guiter 1973 g e g e n E n d e seiner B e s p r e c h u n g die Kritik an d e m A L V A w i e d e r herunter und meint beschwichtigend, seine A n m e r k u n g e n beträfen nur k n a p p 10% der Karten. A b e r was ist das für e i n e Fehlerq u o t e verglichen mit d e m A L G ! D a b e i hat Guiter e i n e b e d e u t s a m e Fehlerquelle d e s A t l a s s e s überhaupt nicht erwähnt, nämlich die Fehlinterpretationen, die Griera bei der D a r s t e l l u n g des aranesischen Sprachmaterials selbst unterlaufen sind. 30
Die von dem Maler Miquel Farre Albages beigesteuerten A L V A sind reine Schmuckblätter und stehen im Gegensatz Zeichnungen dem lexikographischen Zweck unterordnen, in den Atlaskarten, obwohl sie den Titel il-lustracio etnografica
Bilder im Anhang des zum A L G , wo sich die keinerlei Beziehung zu tragen. 37
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In vielen Fällen sind bei Ortschaften, in denen nur ein Informant befragt wurde, zwei oder mehr Formen als Antworten notiert. Da Griera selbst keinen Hinweis gibt, kann ein Benutzer des A L V A , der das Aranesische nicht aus eigener Erfahrung kennt, nicht entscheiden, ob es sich bei den angegebenen Formen um (fakultative) Varianten handelt wie ζ. B . bei Karte Nr. 436 'Stieltopf: