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German Pages 186 Year 2008
Linguistische Arbeiten
519
Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Mller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese
Oddleif Leirbukt
Untersuchungen zur temporalen Umfunktionierung des Konjunktivs II im heutigen Deutsch
Max Niemeyer Verlag Tbingen 2008
n
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-484-30519-9
ISSN 0344-6727
) Max Niemeyer Verlag, Tbingen 2008 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzul=ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielf=ltigungen, >bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbest=ndigem Papier. Druck und Einband: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Vorwort
Bei der Arbeit an der vorliegenden Studie habe ich von verschiedener Seite wichtige Unterstützung erfahren. Für Kommentare zum ganzen Manuskript bzw. ausgewählten Teilen desselben habe ich Heinz Vater bzw. Dieter Cherubim und Rainer Dietrich zu danken. Für die Diskussion ausgewählter Originalbelege für den temporal umfunktionierten Konjunktiv II und eine Reihe konstruierter Beispiele möchte ich Helmut Schumacher danken. Ein besonderer Dank geht an Michael Grote, DAAD-Lektor an der Universität Bergen, für die Bildung und Diskussion einer großen Anzahl konstruierter Beispiele sowie für Kommentare zu zahlreichen Originalbelegen. Für die Bereitstellung von Belegen für würde + Infinitiv Perfekt aus bestimmten am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim vorhandenen Korpora bin ich Franck Bodmer und für die Bereitstellung von daraus stammendem Material zu es sei denn-Bildungen Eva Breindl und Renate Pasch zu Dank verpflichtet. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst danke ich für ein zweimonatiges Stipendium, durch das ich im Jahre 2004 am Institut für deutsche Sprache und mittelalterliche Literatur der Universität Gießen ausgewählten Fragen nachgehen konnte. Für eine sehr freundliche Aufnahme und anregende Diskussionen möchte ich den Gießener Kolleginnen und Kollegen herzlich danken. Thomas Haraldsen, Odd Einar Haugen und Kevin McCafferty danke ich für Hilfestellungen bei der Formatierung des Manuskripts. Ein letzter Dank geht an die hier leider nicht namentlich zu nennenden Informantinnen und Informanten, deren Reaktionen auf eine Anzahl von Testsätzen für meinen Versuch einer Klärung des Konkurrenzverhältnisses von Konjunktiv Plusquamperfekt und würde + Infinitiv Perfekt von großer Bedeutung waren.
Bergen, im November 2007
Oddleif Leirbukt
Inhaltsverzeichnis
1 1.1 1.2 1.3
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Untersuchungsgebiet und Erkenntnisinteresse der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2 2.1 2.2 2.3
Zur empirischen Grundlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über die Korpustexte und daraus stammendes Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Belegquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückgriff auf die Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Allgemeines zur Art der in Sätzen mit temporal markiertem Konjunktiv II ausgedrückten Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Diathetische Variation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Variation hinsichtlich der Art des als Partizip II auftretenden Verbs . . . . . . . . . 19
3.1 3.2
4 4.1 4.2 4.3
5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8 5.2.9
Über Irrealität und Potentialität im Untersuchungsbereich und ihre sprachliche Signalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Näheres zur Bestimmung von Potentialität und Irrealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines zur sprachlichen Signalisierung von Potentialität und Irrealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Abstufung der Sicherheit der Äußerung – mit besonderer Berücksichtigung der konjunktivischen Konditionalgefüge . . . . . . . . . . . . . . . .
Verwendungsgebiet des temporal markierten Konjunktivs II . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in grammatisch bestimmbaren Konstruktionstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konditionalgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exzeptivkonstruktion und Verwandtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzessivkonditional . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzessivgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunschsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exklamativsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finalsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dass-Satz bei Hauptsatz mit Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relativsatz bei Hauptsatz mit Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 14 16
26 27 34 39
45 45 45 46 50 54 58 59 61 62 62 63
VIII 5.2.10 5.2.11 5.2.12 5.2.13 5.2.14 5.2.15 5.2.16 5.2.17 5.2.18 5.2.19 5.2.20 5.2.21 5.2.22 5.2.23 5.2.24 5.2.25 5.3 5.4. 5.5
6 6.1 6.2
7
Hypothetischer Konsekutivsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nebensatz mit ohne dass/kaum dass/(an)statt dass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hypothetischer Vergleichssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiteilige deontische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweiteilige epistemische Konstruktion mit Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . beinahe-Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Restriktivsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kausalsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentalsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Temporalsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relativsatz ohne Bezug zu einer Negation im Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . dass-Satz als Inhaltssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adversativsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichskonstruktion mit als oder wie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abhängiger Fragesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in formelhaften Bildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in freieren Bildungen grammatisch nicht genau bestimmbarer Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 65 66 67 69 70 71 72 73 74 74 74 75 75 76 76 76 79 81
Verwendung und Nicht-Verwendung des temporal markierten Konditionals II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Beobachtungen zur Verwendung des temporal markierten Konditionals II . . . . 83 Zur Nicht-Verwendung des temporal markierten Konditionals II . . . . . . . . . . . 91
Zeitliche Situierung in Bildungen mit temporal markiertem Konjunktiv II – auch im Vergleich mit indikativischen Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Situierung in der Gegenwart angesiedelter Ereignisse . . . . . . . . . . . . . Rein prospektive Sicht auf Zukünftiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prospektiv-retrospektive Sicht auf Zukünftiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit indikativischen Bildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitliche Analyse bestimmter komplexer Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . .
95 95 98 100 101 108 110
Zur Frage der Prognostizierbarkeit von Irrealität vs. Potentialität auf der Grundlage der zeitlichen Situierung des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Generalisierungen bei verschiedenen Verbtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Generalisierungen zu Bildungen mit Modalverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Generalisierungen zu Bildungen mit Kursiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Generalisierungen zu Bildungen mit Transformativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112 112 114 114 115 118
7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
8
IX 8.2.4 Generalisierungen zu Bildungen mit Intransformativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
9
Verhältnis des temporal markierten Konjunktivs II zu den temporal unmarkierten Formen: Distributionsbeschränkungen – Differenzierung hinsichtlich des Ausdrucks von Höflichkeit und zeitlicher Situierung – Konkurrenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Distributionsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Zeitreferenziell bedingte Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Beschränkungen bei höflichen Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Differenzierung in Hinsicht auf den Ausdruck von Höflichkeit u.Ä. . . . . . . . . . 9.3 Differenzierung in Hinsicht auf den Ausdruck zeitlicher Situierung . . . . . . . . . 9.4 Konkurrenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 10.1 10.2 10.3
11
Temporal markierter Konjunktiv II im Dienst modaler und interaktiver Distanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der temporal markierte Konjunktiv II als Ausdruck der modalen Distanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der temporal markierte Konjunktiv II als Ausdruck der interaktiven Distanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125 125 126 127 129 132 135
137 137 139 141
Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
1
Einleitung
1.1 Untersuchungsgebiet und Erkenntnisinteresse der Arbeit
Im heutigen Deutsch begegnen uns Abweichungen von temporalen Default-Lesarten sowohl beim Indikativ als auch beim Konjunktiv II. Ersteres liegt beispielsweise in wohlbekannten Fällen erlebter Rede wie Morgen war Weihnachten sowie in anders beschaffenen Bildungen mit einem Indikativ Präteritum vor, der sich auf etwas nach der Sprechzeit Angesiedeltes und zugleich retrospektiv Betrachtetes bezieht (vgl. Leirbukt 2004b): Wenn wir morgen gegen Bayer Leverkusen nicht gewinnen, dann heißt das ja für uns: Das war's mit der Bundesliga. Neben dem Konjunktiv Plusquamperfekt wird in dieser Arbeit auch das Syntagma würde + Infinitiv Perfekt (Infinitiv II) – traditionell als “Konditional II” bezeichnet – aufgrund seiner funktionalen Verwandtschaft mit der ersteren Form und der eindeutig konjunktivischen Natur seines finiten Verbs der morphologischen Kategorie Konjunktiv II zugeordnet. Dasselbe gilt mutatis mutandis für würde + Infinitiv Präsens in seinem Verhältnis zum Konjunktiv Präteritum. Zum umstrittenen Verhältnis dieser würde-Fügungen zu den formgleichen, etwa bei Jørgensen (1964) als indikativisch interpretierten Bildungen “futurum præteriti I” und “futurum præteriti II” braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Die beiden partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen haben bekanntlich im Default-Fall Vergangenheitsbezug wie in Wenn das passiert wäre, hätten sie Probleme bekommen/würden sie Probleme bekommen haben, erfahren aber in gewissem Maße eine bislang wenig untersuchte Deutung in Richtung Gegenwarts- oder Zukunftsbezug. Die vorliegende Arbeit möchte diese temporale Interpretation der Formen sowie deren Verwendung als Ausdruck von Vorgestelltem in verschiedenen Konstruktionstypen einer Klärung näher bringen. Das Untersuchungsgebiet lässt sich in erster Annäherung dahingehend bestimmen, dass es den Konjunktiv II als “Modus der hypothetischen Äußerung” (Heidolph et al. 1984: 532) aufweist. Hierher gehören nicht nur Konditionalgefüge, sondern auch Wunschsätze, Konzessivgefüge u.Ä. mit partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen. Bei deren Auftreten in indirekter Rede, erlebter Rede oder innerem Monolog ist die hypothetische Funktion bekanntlich von jener der Wiedergabe von Äußerungen, Gedanken etc. mitunter schwer zu unterscheiden. Daher sollen diese drei Verwendungsbereiche des Konjunktivs von vornherein aus der Untersuchung ausgeschlossen bleiben. Unter dem Ausdruck “hypothetisch” werden im Folgenden die herkömmlicherweise mit den Bezeichnungen “potential” und “irreal” belegten Arten der Einschätzung von Sachverhalten in ihrer Relation zur Wirklichkeit zusammengefasst, wie sie etwa bei Blatz (1896: 785) zu finden ist (vgl. auch die auf das Konditionalgefüge verschiedener Sprachen bezogene Annahme von “degrees of hypotheticality” – darunter auch “counterfactuality” – bei Comrie 1986: 88ff.). Die Irrealität wird hier im Sinne von Wahrscheinlichkeit null und die Potentialität als ein etwas näher an der Realität liegender Wahrscheinlichkeitsgrad verstanden. Die Potentialität ist auch als Ungewissheit über das Zutreffen oder Nicht-Zutreffen des
2 Vorgestellten charakterisierbar. Zur ersten Illustration seien ein Beleg für Gegenwartsbezug, ein konstruiertes Beispiel für Zukunftsbezug und ein damit temporal vergleichbares, aber hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrades kontrastierendes Beispiel für würde + Infinitiv Präsens angeführt: (1)
(2) (3)
[Ein zwischen Labour und Liberalen geschlossenes Abkommen bringt es mit sich, dass die Neuwahlen, die zu erwarten waren, entfallen.] Labour und Liberale hätten bei Neuwahlen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz gewiß schwere Verluste hinnehmen müssen. (Beleg bei Leirbukt 1991: 160) Ein Glück, dass du mir nächste Woche helfen kannst. Allein hätte ich die Arbeit nicht schnell genug erledigt. (irreal gedeutetes Erledigen) Ich hoffe, dass du mir nächste Woche helfen kannst. Allein würde ich die Arbeit nicht schnell genug erledigen. (potential gedeutetes Erledigen)
Im Folgenden werden nicht nur die potentiale und die irreale Sachverhaltsdeutung, sondern auch die Interpretation “real” (“Realis”) unter der Benennung “Realitätsbezug” subsumiert. Auf diese Einschätzung von Sachverhalten in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit aus der Sicht des Sprechers beziehen sich fortan, soweit nichts Gegenteiliges gesagt wird, die Bezeichnungen “modal” (beispielsweise in “modale Lesart”) und “Modalität”. Auch die Interpretation “Realis” wird also hier als eine modale Erscheinung aufgefasst. Diese Festlegungen sollen keine Stellungnahme zu der Frage implizieren, genau welche Phänomene als “modal” zu gelten haben. Eine allgemeine linguistische Bestimmung des vielschichtigen Begriffes Modalität kann nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein (für eine Übersicht über verschiedene Definitionsmöglichkeiten vgl. z.B. Dietrich 1992: 21ff.). Durch die temporale Umfunktionierung des Konjunktivs Plusquamperfekt (Konj. Plusq.) und des Konditionals II (Kond. II) – fortan auch “temporale Umdeutung” genannt – steht ein erweitertes Repertoire verbaler Ausdrucksmittel für hypothetische Bedeutung zur Verfügung, in dem diese Formen dem nicht-vergangenheitsbezogenen Konjunktiv Präteritum (Konj. Prät.) und der zeitreferenziell entsprechenden, traditionell als “Konditional I” (Kond. I) bezeichneten Fügung würde + Infinitiv Präsens gegenüberstehen. Im Folgenden werden “temporal umfunktioniert”, “temporal umgedeutet” und “temporal markiert” synonym gebraucht. Soweit nichts Gegenteiliges gesagt wird, bezieht sich der Ausdruck “markiert” fortan auf die zeitreferenzielle Besonderheit der umfunktionierten Bildungen, wobei er u.a. deren höheren Grad an Kontextsensitivität und geringere Frequenz gegenüber den temporal unmarkierten (d.h. Gegenwarts- oder Zukunftsbezug ausdrückenden) Formen Konj. Prät. und Kond. I betont. Über etwaige Unterschiede gegenüber diesen Formen hinsichtlich der Ausprägung der hypothetischen Bedeutung wird damit nichts ausgesagt. Zum Konj. Plusq. und Kond. II gesellen sich doppelt zusammengesetzte Bildungen wie hätte erledigt gehabt, denen unter sprachsystematischem Gesichtspunkt erhebliches Interesse zukommt, auch wenn sie schriftsprachlich nicht sonderlich häufig auftreten (Allgemeineres zur geringen Frequenz der “Doppelumschreibung” in der Schriftsprache bei Zifonun et al. 1997: 1687f.). Sie dienen bekanntlich im Allgemeinen dem Ausdruck von Vorvergangenheit, eine Umfunktionierung in Richtung Gegenwarts- oder Zukunftsbezug ist aber nicht ausgeschlossen. Eine Umdeutung dieser Art wird aber selten anzutreffen sein; in den von mir untersuchten Texten (vgl. Kapitel 2) ist sie nur einmal belegt, und zwar im nachstehend zitierten Textausschnitt mit szenischem Präsens. Hier geht es um ein (vom Kontext her als irreal zu verstehendes) Angelangt-Sein, das in einem relativ zum Sprecher-
3 Jetzt nachzeitigen Intervall angesiedelt wird (zum hier herangezogenen Text s. Quellenverzeichnis): (4)
Warum wollen Sie nicht allein sein, frage ich. Jeder Mensch ist allein, und was haben Sie von mir, ich gehe spazieren, ich bin eine Unke, ich bin ein kleiner räudiger Hund. [neuer Abs.] Aber die Frau, die mich angesprochen hat, will davon nichts wissen. Meine Hand läßt sie nicht los und zerrt mich ins Haus, das letzte Haus rechts an der Straße, beinahe wäre ich schon bei der Kirche angelangt gewesen, beinahe wäre ich entkommen. Ich versuche auch jetzt noch meine Hand frei zu machen, aber die Frau ist stark [...] (Kaschnitz 66)
Die doppelt zusammengesetzte Form des Konjunktivs II mit Nicht-Vergangenheitsbezug kann in der vorliegenden Arbeit nicht systematisch untersucht werden. An dieser Stelle sollen nur ein paar Bemerkungen zur eben berührten modalen Verwendung angefügt werden. Litvinov/Radcenko (1998: 126) zitieren u.a. den nachstehenden Beleg, in dem sie mit Recht Gegenwartsbezug von hätte verdient gehabt ansetzen. Das gilt unabhängig davon, ob die mit flüsterte verbundene Äußerung als direkte oder indirekte Rede zu deuten ist (auch im letzteren Fall würde sich hätte verdient gehabt auf die geschilderte Situation beziehen, d.h. figurale Gegenwart ausdrücken): (5)
Zwei polnische Arbeiter trugen ihn in einer Futterplane, so daß sein Körper fast den Boden streifte. Wenigstens einen Sarg hätte er wohl verdient gehabt, flüsterte Frau Grund.
Für diese Konjunktiv II-Form von verdienen lässt sich bei der temporalen Umdeutung mitunter eine Signalisierung von Irrealität feststellen, die einer in modaler Hinsicht offeneren Verwendung des zeitreferenziell korrespondierenden Konj. Plusq. hätte verdient gegenübersteht. In (5) liegt eine mit hätte verdient gehabt verknüpfte irreale Interpretation vor, die bei den eben genannten Autoren unkommentiert bleibt. Diese betrifft übrigens nicht das Verdienen (das im Redemoment für die Sprecherin real gegeben ist), sondern den dem Toten zustehenden Sarg, der situationsbedingt nicht verwendet wird. Hier haben wir es also mit einer Stellvertreterfunktion des Konjunktivs II zu tun: Die fragliche Form von verdienen bezieht sich nicht auf den Realitätsbezug des Verdienens, sondern auf jenen des deontisch qualifizierten Ereignisses (Grundsätzliches dazu etwa bei Leirbukt 1991 und 1995). In Konstruktionen mit dieser doppelt zusammengesetzten Form von verdienen kann auch (gestützt beispielsweise durch ein geeignetes Zeitadverbial) eine Lokalisierung des durch sie qualifizierten Ereignisses nach der Sprechzeit erfolgen, wobei sich (zumindest tendenziell) ein Unterschied gegenüber einem (in vergleichbarer sprachlicher Umgebung) entsprechend gebrauchten Konj. Plusq. ergibt: Die einfachere Form scheint in modaler Hinsicht offener zu sein, vgl. (6) gegenüber (7), wo der freie Tag als irreal zu gelten hätte. Man vergleiche auch die eindeutige Irrealität im Textbeleg (8). (6) (7) (8)
Frau Maier hat in letzter Zeit sehr sorgfältig gearbeitet. Sie hätte auch nächste Woche einen freien Tag verdient. Frau Maier hat in letzter Zeit sehr sorgfältig gearbeitet. Sie hätte auch nächste Woche einen freien Tag verdient gehabt. [SPIEGEL ONLINE v. 25.02.06, Kontext: Christian Wörms ist für ein bevorstehendes Länderspiel nicht nominiert worden.] [Michael] Zorc [Sportdirektor von Borussia Dortmund] sagte
4 weiter: “Für mich ist Christian in dieser Saison der stabilste deutsche Innenverteidiger und hätte es eigentlich verdient gehabt, dabei zu sein.” (www.spiegel.de/sport/fussball/ 0,1518,403209,00html) (06.03.06)
Zum Ausdruck von Gegenwarts- oder Zukunftsbezug in hypothetischen Konstruktionen dienen neben den fünf erwähnten Konjunktiv II-Formen auch distributionell restringierte Fügungen aus semantisch verblasstem, präteritalem sollen und wollen + Infinitiv, die hier der Vollständigkeit wegen kurz besprochen seien. Ich deute sollte und wollte in den nachstehenden Beispielen als Konj. Prät.: (9)
Sollte George Bush die Präsidentenwahl letztlich für sich entscheiden, hätte die Grand Old Party zum ersten Mal seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts alle drei Wahlen auf nationaler Ebene gewonnen. (Neue Zürcher Zeitung 09.11.2000, 2) (10) Auch wenn er mir eine Million Euro bieten sollte, ich würde das Haus nicht verkaufen. (11) Es sollte mich nicht wundern, wenn er die Prüfung bestünde/besteht. (12) Es würde zu weit führen, wenn wir uns hier mit Details der Spektralanalyse befassen wollten. (Beleg von Kaufmann 1975: 52)
Diese sollte- bzw. wollte-Bildungen mit infinitivischer Komponente sind insofern interessant, als sie regelhaft Potentialität ausdrücken. Mit Hilfe der im konditionalen Nebensatz auftretenden sollte-Fügung lässt sich nach Kaufmann (1975: 19) “eine Bedingung in expliziter Weise als möglicherweise erfüllbar charakterisieren”, vgl. (9). Entsprechendes gilt für sollte + Infinitiv im konzessiven Nebensatz, vgl. (10). Diese Verwendung der sollte-Fügung als Ausdruck von Eventualität ist weitestgehend an diese beiden (eng verwandten) Nebensatztypen gebunden.1 Ferner zeigt abgeblasstes sollte (+ Infinitiv) im Folgesatz eines Konditionalgefüges regelhaft Potentialität an, vgl. Beispiel (11). Im Vergleich zu dem sollte des konditionalen oder konzessiven Nebensatzes unterliegt es strikteren Vorkommensbedingungen, indem es anscheinend nicht nur auf den genannten Teil des Konditionalgefüges, sondern hier obendrein auch auf “psychologische” Verben (wundern, freuen u.Ä.) und semantisch verwandte Ausdrücke (etwa recht sein) beschränkt ist (vgl. Leirbukt 2000). Auch die wollte-Fügung in Beispiel (12) scheint ziemlich regelmäßig Potentialität anzuzeigen. Mit dem relativ großen Inventar konjunktivischer Mittel, die zur Kennzeichnung von Gegenwarts- oder Zukunftsbezug zur Verfügung stehen, sind interessante semantisch-pragmatische Differenzierungsmöglichkeiten verbunden, die sich allerdings in dieser Arbeit nicht exhaustiv untersuchen lassen. Der Ausdruck “semantisch-pragmatisch” ist hier als Verlegenheitsterminus zu verstehen; ich möchte zu der schwierigen Frage nicht Stellung
1
Außerhalb dieses Gebietes ist ein entsprechender Gebrauch vereinzelt anzutreffen, etwa in einem dass-Satz, der von einem Substantiv abhängt, das eine Eventualität ausdrückt: [...] so muß die Forschungsfreiheit gewährleistet sein auf eine Gefahr hin: nämlich auf die Gefahr hin, daß die Resultate der Forschung mit der Glaubenswahrheit in Widerspruch geraten sollten. Frankl, Viktor E. (1992): Der unbewußte Gott, 58. – München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv 35058).
5 nehmen, genau welche Erscheinungen in die Domäne der Semantik bzw. jene der Pragmatik gehören. Eine konsistente Grenzziehung setzt grammatiktheoretische Überlegungen voraus und kann nicht Aufgabe dieser Studie sein. In den zu untersuchenden Fragenkreis gehört nicht nur der eingangs veranschaulichte Beitrag des temporal markierten Konj. Plusq. zur Anzeige von Irrealität gegenüber der zumeist offeneren Deutung, die mit der Wahl einer zeitreferenziell unmarkierten Form einhergeht, sondern auch die etwa an (15) illustrierte Möglichkeit prospektiv-retrospektiver Darstellung. Dieses Beispiel kontrastiert mit (14), wo sich ein von der Sprechzeit ausgehender Blick auf einen im übergeordneten Satz ausgedrückten Vorgang richtet, der nicht zugleich Gegenstand eines Rückblicks ist. An derartigen Beispielen treten Differenzierungen zutage, die u.a. mit Aktionsartunterschieden zu tun haben und die uns später (vgl. Kapitel 7) beschäftigen werden. (13) Wenn die Leute Ende nächster Woche auch die Reparatur der Turbine hinter sich bringen würden, hätten sie ja die ganze Arbeit erledigt. (Akzent auf dem vorgestellten Erledigt-Haben als Zustand) (14) Wenn die Leute am kommenden Montag diese neue Maschine hätten benutzen können, hätten sie ja die ganze Arbeit in ein paar Stunden erledigt. (Akzent auf dem vorgestellten Prozess des Erledigens) (15) Sollte Petra Ende nächsten Jahres wieder nach Deutschland zurückkehren, würde sie sich etwa vier Jahre in den USA aufgehalten haben.
In (13) und (15) kann man für das im Folgesatz bezeichnete Ereignis, das über die temporalen Deiktika im konditionalen Nebensatz als nach der Sprechzeit liegend dargestellt wird, einen Orientierungspunkt ansetzen, von dem aus auf die gesamte Arbeit bzw. auf den gesamten Aufenthalt (der zum Teil vor der Sprechzeit liegt) zurückgeblickt wird. Die hier vorliegende Kombination von Vorausschau und Rückschau lässt sich in Anlehnung an Bühler (1934: 136) als ein “Wandern in der Vorstellung” oder “Versetzungen in der Vorstellung” charakteriseren. Zur Illustration verweist Bühler (1934: 138) auf die Deutung des “Präteritums und Futurums der indogermanischen Sprachen” von einem “Jetzt oder einem anderen Fixpunkt der phantasierten Zeitlinie aus”. Mit Bezug auf das Plusquamperfekt und das Futurum exactum des Lateinischen spricht er anschließend davon, dass der Sprecher und seine Hörer den Vorgang “vom Jetzt aus über eine Zwischenversetzung hinweg als vollendet erkennen” können. Dabei wird auch festgestellt (ebd.), dass “der zuvor oder nachträglich im Texte angegebene Versetzungspunkt” in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen kann.2 Eine derartige Perspektivierung von Sachverhalten würde ich gegen deren Lokalisierung auf der Zeitachse relativ zur Sprechzeit oder einem anderen Bezugspunkt prinzipiell absetzen. Diese Orientierungspunkte sind per se mit keinem “Wandern in der Vorstellung”
2
Im Rahmen einer Beschreibung englischer Verbformen spricht Talmy (2000) bei Rekurs auf unterschiedliche “perspective points” von “direction of viewing” (ohne auf Bühlers Beobachtungen zu verweisen).
6 (keinen “Versetzungen in der Vorstellung”) verbunden; sie bilden vielmehr so etwas wie Stationen für solches “Wandern“.3 Die Lokalisierung auf der Zeitachse, die prospektive bzw. prospektiv-retrospektive Blickrichtung sowie die in (13) vorliegende In-Bezug-Setzung eines Ereignisses (hier: eines Zustandes) zu etwas Vorgängigem (hier: einem Prozess) seien unter der Sammelbezeichnung “zeitliche Situierung” zusammengefasst. Davon abzuheben ist die semantische Beschaffenheit des als Partizip II in den markierten Konjunktiv II-Formen auftretenden Verbs, auch wenn sie etwa für die illustrierte Relationierung von Zustand und Prozess relevant ist oder das Moment der zeitlichen Erstreckung eines Sachverhalts z.B. bei zustandsbezeichnenden Verben wie sich aufhalten oder wohnen mit einbegreift. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit richtet sich vor allem auf den hypothetisch gebrauchten Konj. Plusq. und Kond. II mit Nicht-Vergangenheitsbezug sowie auf bestimmte Aspekte der diese Formen aufweisenden Bildungen: die Art der darin ausgedrückten Sachverhalte, die Variation ihres Realitätsbezugs, die Art der einzelnen Vorkommensbereiche (insbesondere auch in Hinsicht auf den Konstruktionstyp: Konditionalgefüge, Wunschsatz u.dgl.), die Verwendung des offenbar marginalen Kond. II im Vergleich mit dem Konj. Plusq., die genaue zeitliche Situierung der jeweiligen Sachverhalte und etwaige damit verbundene Möglichkeiten zur Prognostizierung von Irrealität bzw. Potentialität sowie den funktionalen Stellenwert der temporalen Umdeutung und des (mit dem Partizip II verknüpften) Abschlussmoments der fraglichen Formen. Zur Klärung dieser Problemkreise ist ein relativ aufwendiger Rückgriff auf Textbelege erforderlich (vgl. Kapitel 2), anders als bei den zeitreferenziell unmarkierten Formen. Deren funktionale Charakteristika und Vorkommensbereiche müssen in gewissem Umfang zum Vergleich herangezogen werden, um die Spezifik der Bildungen mit den zeitreferenziell markierten Formen zu beleuchten, können aber aufgrund der Ergebnisse der bisherigen Konjunktivforschung als weitgehend geklärt betrachtet werden.
1.2 Zum Stand der Forschung Die umrissene Problematik hat in der bisherigen Forschung relativ wenig Aufmerksamkeit gefunden. Die folgende Übersicht konzentriert sich auf ausgewählte Beiträge, erstrebt also keine Vollständigkeit. Für ein paar Ende der 1980er Jahre vorliegende, in diesem Kapitel nicht zitierte Arbeiten kann auf die Darstellung bei Leirbukt (1991) verwiesen werden. Weitere relevante Literatur soll bei der Erörterung von Einzelfragen (ab Kapitel 3) Berücksichtigung finden.
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Unter ähnlichem Gesichtspunkt spricht Bull (1968: 74f.) bei seiner Analyse spanischer Verbformen von “backward migrations” und “forward migrations” – ohne auf die Einsichten von Bühler einzugehen (dessen Arbeit aus dem Jahre 1934 wird in Bulls Studie nirgendwo erwähnt).
7 Auf den möglichen Gegenwartsbezug des Konj. Plusq. im Konditionalgefüge weist schon Jørgensen (1964: 70) hin, der (ohne auf die Frage nach der Art des satzexternen Kontextes einzugehen) Beispiel (16) anführt, das nach seiner Ansicht keinen wesentlichen Bedeutungsunterschied gegenüber einem parallel strukturierten mit Konj. Prät. aufweist. Ferner stellt er anhand von (17) fest, dass die erstere Form auch bei irrealen Wünschen Gegenwartsbezug haben kann (1964: 78): (16) Wenn die Sonne geschienen hätte, wäre Anna glücklich gewesen. (17) Hätte ich doch nicht so viel Arbeit gehabt!
Bei Moskalskaja (1975: 122) wird (ohne näheren Kommentar zur Art des Kontextes) ein Beleg für Zukunftsbezug des Konj. Plusq. angeführt, der nach ihrer Auffassung darauf hinweist, dass “die zeitliche Opposition zwischen dem Konjunktiv des Präteritums und dem des Plusquamperfekts nicht selten zugunsten der analytischen Konjunktivformen neutralisiert wird”: (18) Ich hörte schon, daß du hier seist. Morgen hätte ich dich unbedingt aufgesucht.
Unter Verweis auf diesen Beleg bemerkt Thieroff (1992: 271f.), dem Auftreten des Konj. Plusq. “auch in Gegenwarts- und Zukunftskontexten” komme großes Interesse zu; er geht aber dieser Erscheinung nicht genauer nach. Die temporale Umdeutung kommt bei Kaufmann (1975) ausführlicher zur Sprache, der speziell auf den Gebrauch des zukunftsbezogenen Konj. Plusq. im Konditionalgefüge eingeht und als Besonderheit der betreffenden Konstruktionen eine Betonung der Irrealität herausstellt. Dabei wird das Nichtzutreffen des vorgestellten Sachverhalts mit unterschiedlich signalisierter Negation in Verbindung gebracht: Die Negation komme in einem Beispiel wie (19) über kontrastierende temporale Bestimmungen (schon letztes Jahr gegenüber erst nächstes Jahr) zum Ausdruck (Kaufmann 1975: 32f.), in Fällen wie (20) dagegen (so Kaufmann 1975: 34) in der Weise, dass “der reale (indikativische) Sachverhalt in dem bedingenden konjunktivischen Gliedsatz syntaktisch negiert” werde (er kommt nicht noch mal – wenn der noch mal gekommen wäre): (19) Wir haben unsere Eigentumswohnung Gott sei Dank schon letztes Jahr gekauft. Wenn wir sie erst nächtes Jahr gekauft hätten, hätten wir mindestens 20.000,- Mark mehr zahlen müssen. (20) Seit Wochen versucht er, mich zum Verkauf eines Grundstücks zu bewegen. Heute schreibt er, daß die Sache für ihn erledigt ist und daß er nicht noch mal kommt. Wenn der noch mal gekommen wäre, hätte ich ihn rausgeschmissen.
Leirbukt (1991) greift Kaufmanns Beobachtungen auf und schließt sich im Prinzip seiner Annahme einer Irrealitätskennzeichnung durch den zukunftsbezogenen Konj. Plusq. an. Die Irrealität wird jedoch anders erklärt, nämlich als logische Kollision (Unverträglichkeit) zwischen dem gedachten Sachverhalt und einem “Blockierungsfaktor”, d.h. einem explizit ausgedrückten oder nur kontextuell erschließbaren Sachverhalt, der für den Sprecher als real gilt (Leirbukt 1991: 174f.). Die von Kaufmann erwähnten Negationserscheinungen, die bei Vorliegen von Irrealität keineswegs durchgehend auftreten, werden als Ausfluss des tiefer liegenden Kollisionsverhältnisses gedeutet. Etwa in (20) – einem der Paradebeispiele von Kaufmann für die syntaktisch etablierte Negation des vorgestellten zukünftigen Sach-
8 verhalts – beruht die Irrealität des wenn-Satzes darauf, dass der Sprecher dem Schreibenden glaubt und von daher dessen nochmaliges Kommen als ausgeschlossen betrachtet. Bei Zweifel an der wiedergegebenen Aussage kann bezeichnenderweise eine potentiale Interpretation eintreten (vgl. Leirbukt 1991: 175): Wenn der noch mal käme, würde ich ihn rausschmeißen. An derartigen Beispielen wird die Abhängigkeit der potentialen bzw. irrealen Sachverhaltsdeutung vom jeweiligen sprecherseitigen Ensemble an Wissensstücken und/oder Annahmen besonders deutlich. Die Bemerkungen bei Leirbukt (1991) zur Irrealitätskennzeichnung durch den zukunftsbezogenen Konj. Plusq. finden bei Zifonun et al. (1997) und in der Dudengrammatik (2005) Berücksichtigung, anders als die in der Arbeit befindlichen Hinweise auf einen möglichen zuständlich-potentialen Gebrauch des zukunftsbezogenen Konj. Plusq. transformativer Verben (Beispiel: Er wäre glücklich, wenn er das bis morgen geschafft hätte). Dieser erfährt allerdings bei Leirbukt (1991: 168ff.) keine genauere Untersuchung. Außerdem ist kritisch anzumerken, dass die bei solcher Zustandsfokussierung verwendeten Syntagmen aus konjunktivischem haben + Partizip II in die Nähe des Strukturtyps haben + Akkusativobjekt + Objektsprädikativ gerückt werden, wodurch über ihren morphologischen Status Unklarheit entsteht, d.h. darüber, ob sie noch als analytische Formen zu gelten haben. Die temporale Markiertheit des zukunftsbezogenen Konj. Plusq. wird bei Leirbukt (1991) in erheblichem Maße auch als modale Markiertheit im Sinne einer klaren IrrealisAnzeige aufgefasst, was angesichts der möglichen potentialen Verwendung zu überprüfen ist. Die in der eben erwähnten Arbeit nur andiskutierte Relevanz der Aktionsart des partizipial auftretenden Verbs für die Beschreibung der Modalitätsvariation erfährt bei Leirbukt (2004a) eine etwas nähere Untersuchung. Dabei wird für Konstruktionen mit gegenwartsbezogenem Konj. Plusq. bzw. Kond. II von Kursiva eine eindeutig irreale Lesart und für solche, in denen dieselben Formen (derselben Verbgruppe) Zukunftsbezug und zugleich eine retrospektive Sicht auf das betreffende Ereignis ausdrücken, eine Tendenz zu potentialer Deutung festgestellt. Ferner zeige der gegenwarts- oder zukunftsbezogene Konj. Plusq. von Modalverben regelhaft Irrealität an. Bei Leirbukt (2006) werden zukunftsbezogene Konstruktionen mit temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen von Verben verschiedener Aktionsart unter dem Gesichtspunkt einer zeitlichen Perspektivierung beschrieben, die sich stark an Sprech- und (nachfolgender) Referenzzeit orientiert. Dabei werden Bildungen mit Kursivum dahingehend charakterisiert, dass das Ereignis restlos der Referenzzeit vorausliegt, und zwar unabhängig davon, ob es teilweise vor der Sprechzeit angesiedelt ist oder nicht (Leirbukt 2006: 134 und 138f.): (21) Es ist denkbar, dass Thea diesen Herbst wieder nach Deutschland zurückkehrt. Sie würde dann etwa sechs Jahre in den USA tätig gewesen sein.
Bei Transformativa werden der zukünftige Nachzustand und der zugrunde liegende Prozess explizit auseinandergehalten und in unterschiedlicher Weise auf die Referenzzeit bezogen (Leirbukt 2006: 140). Das Intervall des Nachzustandes deckt sich in folgendem Beispiel mit der Referenzzeit; davor ist der Prozess angesiedelt:
9 (22) Peter ist seit einiger Zeit mit dem Ausbau des Speichers beschäftigt. Jetzt nimmt er sich mehr Zeit dafür, und wenn nichts dazwischenkommt, würde er Ende nächsten Monats die ganze Arbeit erledigt haben.
Für zukunftsbezogene Bildungen mit partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen von Intransformativa lässt sich nach Leirbukt (2006) bei Kooperation zwischen dem Abschlussmoment des Partizips II und einer im Satz klar etablierten Referenzzeit ein Endzustand ansetzen, der durch das lexematisch gegebene Bedeutungsmoment der Nicht-Veränderung impliziert wird und eine Akzentuierung erfährt, die mit jener des Nachzustandes bei Konstruktionen mit Transformativum verglichen werden kann. In folgendem Beispiel, wo der Subjektsreferent zur Referenzzeit noch in der Firma tätig ist, kann ein mit dem Treu-Bleiben verbundener Endzustand mit separater zeitlicher Fixierung (vgl. dann) angesetzt werden (Leirbukt 2006: 141): (23) Ende nächsten Monats jährt sich zum sechsten Mal Peters Eintritt in den Vorstand. Er würde dann etwa zwölf Jahre lang ein und derselben Firma treu geblieben sein.
Leirbukt geht (ebd.) auch auf Bildungen mit Intransformativa ein, in denen das zukünftige Ereignis in seiner Gesamtheit (d.h. ohne Einbezug eines Endzustandes) betrachtet wird und restlos der Referenzzeit vorausliegt. In den Beispielen (24) und (25) sei der Subjektsreferent zur Referenzzeit nicht mehr im Amt. Hier liege eine Parallele zur zeitlichen Perspektivierung bei Konstruktionen mit Kursiva wie der beispielsweise in (21) illustrierten vor: (24) Es ist denkbar, dass Herr Müller im nächsten Jahr zurücktritt. Er würde dann ein paar Jahre länger als seine Vorgänger im Amt geblieben sein. (25) Es ist denkbar, dass Herr Müller, der jetzt Ressortchef wird, schon in ein paar Jahren zurücktritt. Er würde dann viel kürzer als seine Vorgänger im Amt geblieben sein.
Zur Abrundung der Überlegungen zu der an (21)–(25) veranschaulichten prospektiv-retrospektiven Sicht in Konstruktionen mit temporal umfunktionierten Formen des Konjunktivs II nimmt Leirbukt (2006: 143) an, dass diese Darstellungsweise mit potentialer Sachverhaltsdeutung regelhaft einhergehe (ohne diese kausal zu determinieren) und von daher in Hinsicht auf die Differenzierung von Potentialität und Irrealität prognostische Relevanz besitze: Bei irrealer Ereignisdeutung scheide eine prospektiv-retrospektive Blickrichtung aus (2006: 144f.). Im Hinblick auf die Alternation von irrealer und potentialer Lesart bei der Verwendung des nicht-vergangenheitsbezogenen Konj. Plusq. bzw. Kond. II vermutet Leirbukt (2004a: 227), dass der funktionale Unterschied zwischen ihnen und dem Konj. Prät./Kond. I insgesamt weniger in der modalen Dimension anzusiedeln wäre als in der aspektähnlichen Dimension der Abgeschlossenheit/Nicht-Abgeschlossenheit des jeweiligen Ereignisses. Die letztgenannten Formen werden aber nur am Rande behandelt. So bleibt ungeklärt, welcher Stellenwert im Vorkommensbereich der temporal umgedeuteten Formen dem (mit dem Partizip II verbundenen) Moment der Abgeschlossenheit im Vergleich mit jenem der Irrealitätsanzeige zukommt. Für Formen wie Konj. Prät. und Konj. Plusq. werden in der Literatur übergreifende semantisch-pragmatische Angaben gemacht, wobei temporale Differenzen häufig unthemati-
10 siert bleiben. Als Beispiel diene die Darstellung bei Heidolph et al. (1984): Unter Ansatz einer grundsätzlich kontextunabhängigen (“paradigmatischen”), mit ‘(nur) vorgestellt, gedacht’ umschriebenen Grundbedeutung des Konjunktivs II bemerken die Autoren (1984: 532), diese Grundbedeutung erfahre in der “hypothetischen Äußerung” eine irreale Ausprägung, “wenn es der Kontext zuläßt oder erfordert”. Dementsprechend wird zu Wünschen, bei denen der Konjunktiv II zur Verwendung kommt, festgestellt, dass ihre Realisierbarkeit bzw. Nicht-Realisierbarkeit “von der Situation” abhängt (Heidolph et al. 1984: 534; dort auch Exemplifizierung von Wünschen, die sich auf Zukünftiges beziehen und mit Hilfe des Konj. Plusq. ausgedrückt werden). Ohne eine “paradigmatische” Grundbedeutung im Sinne von Heidolph et al. (1984) zu postulieren, nimmt Kaufmann (1975: 18f.) als einheitliche “Grundleistung” des im Konditionalgefüge auftretenden Konjunktivs II die Kennzeichnung einer “Gegenposition zur Realitätserfahrung” an (unter Einbezug auch der temporalen Umfunktionierung); die Formen würden je nach Kontext potential bzw. irreal verwendet, wobei Außersprachliches im Spiele sei. Eine etwas andere Auffassung wird von Thieroff (1992: 270f.) vertreten, wenn er von einer als “Gegenposition zur Realitätserfahrung” charakterisierten “Kontra-Faktivität” spricht, die bei in der Vergangenheit angesiedelten Sachverhalten stets irreal und ansonsten kontextbedingt unterschiedlich interpretiert werde (für eine Stellungnahme zu diesem Ansatz vgl. 4.1). Die Annahme einer Grundbedeutung des Konjunktivs II – sei es bei Bestimmung in Richtung Gegenposition zur Realitätserfahrung oder ‘(nur) vorgestellt, gedacht’ – sowie jene einer Ausprägung dieser Grundbedeutung in Richtung Potentialität vs. Irrealität ist für das Vorkommensgebiet der temporal umfunktionierten Formen mit einer generelleren Bemerkung bei Sütterlin (1907: 230) zu konfrontieren (der Autor nimmt auf derartige Formen nicht Bezug): Im Anschluss an die Charakterisierung von “Potentialis” und “Irrealis” als “besondere Gebrauchsweisen des Konjunktivs” verweist er auf “Zwischenstufen” und “Weiterbildungen” wie etwa in Da wären wir oder Das könntest du übernehmen. Hier haben wir es mit der höflich-zurückhaltenden Verwendung des Konjunktivs II zu tun, vgl. auch dessen Auftreten in einem Fall wie So, jetzt hätten wir die wichtigsten Probleme gelöst, wo die Frage nach der Gültigkeit der Dichotomie von Potentialität und Irrealität akut wird. Neben den referierten gibt es mehr oder weniger stark davon abweichende, konkurrierende Verallgemeinerungen zur Funktion des Konjunktivs II, von denen eine Auswahl hier nur ganz kurz Erwähnung finden soll. Es handelt sich um folgende Thesen: Durch die Wahl des Konjunktivs II wird der Sprecher auf Sicherheit der Aussage nicht festgelegt (Fritz 2000). Der Konjunktiv II verweist darauf, dass die Aussage nicht mit faktisch behauptender Kraft gemacht wird (Radtke 1998). Der Konjunktiv II verweist auf eine nicht erfüllte Bedingung der sinnvollen Behauptbarkeit (Kasper 1987). Der Konjunktiv II ist ein pragmatischer Operator; er blockiert die Implikatur, dass eine Äußerung auf die aktuelle, faktische Wirklichkeit bezogen wird (Lötscher 1991). Eine ausführliche Diskussion der empirischen Grundlage und theoretischen Validität dieser Generalisierungen muss Aufgabe einer größeren Konjunktivstudie sein. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es darauf an, ob und wieweit sie zur Erfassung der semantisch-pragmatischen Charakteristika des (in den zitierten Arbeiten nicht erwähnten) temporal umfunktionierten Konjunktivs II beitragen können. Ich neige zu der Auffassung, dass sie dafür weniger hergeben können als der Ansatz einer Grundbedeutung des Typs ‘(nur)
11 vorgestellt, gedacht’ (die nicht wie bei Heidolph et al. 1984 kontextunabhängig bestimmt werden sollte) und einer kontextbedingten Differenzierung in potentialer resp. irrealer Richtung. Diese Unterscheidung kann auf dem Vorkommensgebiet des hypothetischen Konjunktivs II in zahlreichen Fällen mit hinreichender Sicherheit getroffen werden. Man vergleiche etwa die (oben auf unterschiedliche kontextuelle Gegebenheiten zurückgeführte) Differenz zwischen dem irrealen Konditionalgefüge Wenn der noch mal gekommen wäre, hätte ich ihn rausgeschmissen in (20) und dem potentialen Wenn der noch mal käme, würde ich ihn rausschmeißen, die im Rahmen der herkömmlichen Dichotomie unschwer zu erfassen ist. Dasselbe gilt mutatis mutandis für die Sequenz mit irreal verwendetem hätten erledigt in (14) gegenüber jener mit potential verwendetem hätte gewonnen in (9). Derartigen Differenzierungen scheinen die zitierten neueren Ansätze aufgrund ihres Abstraktionsgrades nicht gerecht werden zu können. Im Hinblick darauf sollen sie im Weiteren ausgeklammert bleiben.
1.3 Zielsetzung der Arbeit In der bisherigen Forschung sind mehrere wichtige Beobachtungen zu verschiedenen formalen und semantisch-pragmatischen Eigenschaften von Konstruktionen mit temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen gemacht worden, eine zusammenfassende Darstellung liegt aber nicht vor und muss als ein wichtiges Desideratum gelten. Auf möglichst breiter empirischer Grundlage (vgl. Kapitel 2) soll eine Auswahl zentraler Fragenkreise untersucht werden: 1. Wie sind die Ereignisse, die in den Bildungen mit temporal umfunktioniertem Konj. Plusq. bzw. Kond. II Ausdruck finden, in Bezug auf Diathese, Aktionsart u.dgl. zu bestimmen? Beim letztgenannten Aspekt geht es natürlich um die Art des als Partizip II erscheinenden Verbs. 2. Welche Variation in Hinsicht auf das Verhältnis zur Realität weisen die Ereignisse auf, die in Konstruktionen mit den fraglichen Formen ausgedrückt werden? Wie kommt die irreale resp. potentiale Interpretation zustande, und wie wird sie sprachlich signalisiert? 3. In welchen grammatisch bestimmbaren Konstruktionstypen (Konditionalgefüge, Konzessivgefüge etc.) tritt der temporal markierte Konjunktiv II auf? Inwiefern sind formelhafte oder freiere, aber nur beschränkt oder nicht mehr in grammatische Regeln zu fassende Verwendungsweisen festzustellen? 4. Wie sieht die Verwendung des temporal umfunktionierten Kond. II im Vergleich mit jener des temporal korrespondierenden Konj. Plusq. aus? 5. Welche Typen zeitlicher Situierung sind auf dem Vorkommensgebiet des temporal markierten Konjunktivs II anzusetzen? 6. Inwiefern lässt sich auf der Grundlage der zeitlichen Situierung und der Art des partizipial auftretenden Verbs die irreale bzw. potentiale Ereignisdarstellung prognostizieren?
12 7. Worin liegen die funktionalen Differenzen zwischen den temporal markierten und den temporal unmarkierten Formen des Konjunktivs II? Inwiefern trägt die zeitreferenzielle Umdeutung zur Anzeige von Irrealität vs. Potentialität bei? Inwieweit deckt sich die temporale Markiertheit mit der modalen im Sinne einer klaren Irrealitätsanzeige? Welche funktionale Spezifik kann man dem in den fraglichen Formen auftretenden Partizip II zusprechen? 8. Wie steht es mit der Gültigkeit der Annahme von ‘nur vorgestellt’ als Grundbedeutung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II und der mit dieser Annahme verbundenen Zweiteilung von Potentialität und Irrealität? Wo sind eventuell Relativierungen notwendig?
2
Zur empirischen Grundlage der Untersuchung
Die empirische Orientierung der vorliegenden Studie lässt es notwendig erscheinen, auf ein Belegmaterial zurückzugreifen, das aus bezüglich der Verwendungsbreite des temporal umfunktionierten Konjunktivs II möglichst ergiebigen Quellen stammt. Es soll zunächst auf ein manuell auszuwertendes Korpus zurückgegriffen werden, das neben Texten geschriebener Sprache auch transkribiert vorliegende Texte gesprochener Sprache umfasst (s. Quellenverzeichnis). Diese Belegquellen, die im Folgenden als “Korpustexte” bezeichnet werden, seien zuerst kurz charakterisiert (2.1). Anschließend wird (in 2.2) auf nicht vollständig ausgewertete Texte eingegangen, aus denen eine Anzahl Zufallsbelege stammen. Zur Abrundung soll die Problematik des unerlässlichen Rückgriffs auf die Intuition von Informanten erörtert werden (2.3). Zumindest was den für diese Arbeit ausgewählten Phänomenbereich betrifft, müssen Übersetzungen als eine relativ unsichere Grundlage für empirische Forschung gelten; sie werden daher bei der Auswahl der Korpustexte nicht berücksichtigt. Das gilt für Bücher wie auch aus anderen Sprachen übersetzte Texte, die mitunter in den herangezogenen Quellen zu finden sind. Bei der Quellenwahl werden ferner auch die Mundarten ausgeklammert bleiben, was schon aus arbeitsökonomischen Gründen notwendig ist. Dagegen scheint es nicht möglich, die Umgangssprache(n) außer Acht zu lassen, u.a. deswegen, weil diese zwischen Mundart und Standardsprache anzusiedelnde, in gewissem Umfang landschaftliche Elemente aufweisende Erscheinungsform in manchen schriftsprachlichen Texten neben der Standardsprache vertreten und sich eine klare Unterscheidung dieser beiden Varietäten nicht durchführen lässt. Eine auch die Quellenwahl mit bestimmende Arbeitshypothese der vorliegenden Studie ist, dass die temporale Umfunktionierung des Konjunktivs II in ein grammatisches Regelwerk eingeht, das dessen Auftreten in verschiedenen Varietäten des Deutschen zugrunde liegt.
2.1 Über die Korpustexte und daraus stammendes Material
Für die Korpustexte muss eine gewisse Repräsentativität erstrebt werden, auch wenn nicht einwandfrei zu klären ist, wie man zu einer repräsentativen Auswahl kommt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Tatsache zu beachten, dass die Grundgesamtheit unbestimmbar bleibt. Bei der vorliegenden Untersuchung wird eine gewisse Variation der schriftsprachlichen Texte angestrebt, und zwar in Bezug auf 1. die landschaftliche Zugehörigkeit und die Staatsangehörigheit der Autoren (auch Österreich und die Schweiz sind zu berücksichtigen), 2. das Geschlecht der Autoren, 3. funktionale Stile und Textsorten.
14 In das Gesamtkorpus finden zunächst acht schriftsprachliche Textsammlungen verschiedener Art sowie 24 Einzeltexte Aufnahme. Bei den letzteren Quellen handelt es sich sowohl um epische als auch um dramatische Texte (darunter auch Hörspiele). Die Lyrik bleibt von vornherein ausgeklammert; hierher gehörende Quellen weisen meistens eine komprimierte sprachliche Ausdrucksweise auf, die es mit sich bringt, dass die für eine adäquate zeitreferenzielle und modale Analyse von Belegen für den zu untersuchenden Konjunktiv erforderliche kontextuelle Interpretationsbasis nur sehr beschränkt gegeben ist. Dramatische Texte werden insbesondere deswegen mit berücksichtigt, weil sie nicht selten Belege enthalten, die qualitativ solchen aus gesprochener Sprache nahe stehen und u.U. kontextuelle Regularitäten (etwa situativer Art) erkennen lassen, die in anderen Texten geschriebener Sprache schwerer zu belegen sind. Hinzu kommt eine Anzahl Texte aus dem Bereich der journalistischen Prosa. Allgemein ist davon auszugehen, dass solche Quellen für die Klärung der Verwendungsbreite des temporal umfunktionierten Konjunktivs II von erheblicher Relevanz sein können. Bei hinreichender thematischer Variation werden sie beispielsweise in Hinsicht auf die Art der partizipial auftretenden Verben die diesbezüglichen Befunde an den eben erwähnten Textsammlungen und Einzeltexten ergänzen können. Herangezogen werden ausgewählte Nummern von Zeitschriften und Zeitungen mit unterschiedlicher Verbreitung sowie ein ganzer Jahrgang (Nr. 17, 1999) der von Inter Nationes (Bonn) herausgegebenen “Kulturchronik” (insgesamt 6 Hefte), die Beiträge von Inter-Nationes-Mitarbeitern sowie schon anderswo erschienene Texte enthält, die zum größten Teil aus überregionalen Zeitungen stammen. Schließlich soll eine kleine Auswahl von Texten gesprochener Sprache herangezogen werden, nämlich in drei Bänden gedruckt vorliegende Texte aus dem Freiburger Korpus und die transkribierten Aufnahmen von Caroli (1977: 448–692). Beim Einbezug dieser Quellen geht es mir nicht darum, den Bereich der gesprochenen Sprache abzudecken, sondern primär darum, in ausgewählten Fällen qualitative Parallelen zur schriftsprachlichen Realisierung von Mustern für die temporale Umdeutung des Konjunktivs II aufzuzeigen. Für Belege aus den Korpustexten wird im Folgenden der Ausdruck “Korpusbeleg” verwendet. Diese Quellen müssen eine rein manuelle Auswertung erfahren, bei der mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass das relevante Material nicht lückenlos erfasst wird. Eventuell übersehene Belege werden aber das Gesamtbild, das sich aus der Untersuchung der Korpustexte ergibt, kaum tangieren können. Bei Rekurs auf Belege aus den im Quellenverzeichnis aufgeführten Textsammlungen und Einzeltexten werden nur Familiennamen von Herausgebern oder Autoren in Kombination mit Seitenverweisen (ohne “S.”) angegeben. Bei Belegen aus journalistischen Texten wird die Nummer der Zeitung bzw. Zeitschrift plus Seitenverweis (ohne “S.”) hinter dem jeweiligen Zitat eingeklammert angegeben.
2.2 Weitere Belegquellen
Bei der Untersuchung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II müssen im Hinblick auf die insgesamt spärliche Ausbeute der manuellen Sichtung meiner Korpustexte – nur
15 257 Korpusbelege (s. Anhang) – anderes authentisches Material, konstruierte Beispiele und Informanten-Urteile über Akzeptabilität/Inakzeptabilität bestimmter Bildungen herangezogen werden. In einigen Fällen erfolgt ein Rekurs auf Texte, die keine vollständige Auswertung erfahren. Hieraus stammt eine Anzahl von Belegen, für die der Ausdruck “Zufallsbeleg” gewählt sei. Bei Zeitungen und Zeitschriften wird die Belegstelle in derselben Weise wie bei entsprechenden Korpustexten (s.o.) angegeben, und für Belege aus nur einmal herangezogenen Büchern findet sich in einer Fußnote eine vollständige Quellenangabe. Über Google lässt sich ferner gezielt auf große Textmengen zurückgreifen. Daraus stammendes Material kann natürlich (wie auch die erwähnten Zufallsbelege) nur unter qualitativem Gesichtspunkt von Relevanz sein; es lässt z.B. keine Frequenzaussagen zu. Die fraglichen Belege werden mit Internetadresse und Abfragedatum versehen. Hinzu kommt die Möglichkeit, auf Korpora des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), Mannheim, zurückzugreifen. Dabei lassen sich über das System COSMAS II des IDS gezielte Recherchen an ausgewählten Texten durchführen. Eine breit angelegte Suche nach Belegen für den temporal markierten Konjunktiv II in den Mannheimer Korpora scheidet von vornherein aus, zumal weder die Zeitreferenz noch die modale Verwendungsweise über die existierenden Suchprogramme in den Griff zu bekommen ist. Als realistische Alternative bieten sich Recherchen an, die sich auf ganz bestimmte, formal abgrenzbare Phänomene beschränken. Dabei soll in erster Linie versucht werden, das Vorkommen des temporal umfunktionierten Kond. II, das in meinen Korpustexten sehr spärlich belegt ist, einer Klärung näher zu bringen, und zwar über die Eingabe von ausgewählten Syntagmen wie z.B. gewesen sein oder erreicht haben in Kombination mit würde/würden. Mit Hilfe von COSMAS II lassen sich Belege für das gemeinsame Auftreten von Infinitiv II und würde/würden innerhalb ein und desselben Satzes ermitteln. Dabei ergeben sich erfahrungsgemäß Treffer für nicht Relevantes, weshalb das durch derartige Recherchen zusammenzutragende Material manuell bearbeitet werden muss, um zu einschlägigen Daten zu kommen. Bei Rückgriff auf solches Material – auf das sich fortan der Ausdruck “COSMASBeleg” bezieht – wird die Fundstelle entsprechend der bei den IDS-Korpora geltenden Konventionen angegeben. Für diese gezielten Recherchen wird auf zwei – im Folgenden als “COSMAS-Texte” bezeichnete – Quellengruppen zurückgegriffen: die Jahrgänge 1994–2004 der Zeitschrift “Die Zeit” und nach 1945 entstandene Texte im “Archiv der geschriebenen Korpora” (Stand von März 2006) als Teil der “Datenbank der Textkorpora des IDS unter COSMAS II”. Das zeitliche Abgrenzungskriterium ist zugegebenermaßen willkürlicher Natur. Über die Recherchen zum Kond. II hinaus kann mit Hilfe von COSMAS II nach Belegen im Archiv der geschriebenen Korpora für bestimmte Konnektoren in Verbindung mit bestimmten Konjunktivformen gesucht werden. Bei Rekurs auf solche Belege bezieht sich der Vermerk “COSMAS II” auf das eben erwähnte Archiv und eine angefügte Sigle des Typs T87/FEB.02942 auf die Fundstelle. Die mit Hilfe von Google und COSMAS II ermittelten Belege weisen mitunter nicht nur Druckfehler, sondern auch grammatische Unebenheiten auf. In welchem Maße man in derartigen Fällen das traditionelle “sic” benutzen sollte, bleibt eine Ermessensfrage. Mit dieser Anmerkung soll hier spärlich umgegangen werden, zumal die betreffenden Auffälligkeiten die Aussagekraft der Belege hinsichtlich der jeweils zu untersuchenden grammatischen Fragen kaum oder gar nicht tangieren. Aus demselben Grund soll das “sic” bei den Recht-
16 schreibfehlern, die nicht selten in den bei Google-Recherchen ermittelten Belegen auftreten, keine Verwendung finden.
2.3 Rückgriff auf die Intuition
Das aus den erwähnten Quellen stammende Belegmaterial ist zwar für diese Studie essentiell, kann aber nicht allein deren empirische Grundlage bilden: Nicht zuletzt beim Versuch einer Klärung von Verwendungsbeschränkungen für den temporal umfunktionierten Kond. II muss man sich auf die Intuition von befragten Personen mit Deutsch als Muttersprache stützen (Näheres zur Befragung vgl. Kapitel 6). Ferner soll eine beträchtliche Anzahl konstruierter Beispiele (ohne Quellenangabe) zur Verwendung kommen. Diese stammen von mir oder von Personen mit Deutsch als Muttersprache und sind von mindestens zwei Informanten geprüft worden. Dieser Rückgriff auf die Intuition ist mit Risiken verbunden (etwa jenem der Suggestion), wird aber in Fällen relativ klarer Akzeptabilität der zeitaufwendigen Suche nach Textbelegen vorgezogen. An dieser Stelle muss der belastete, aber kaum verzichtbare Begriff der Akzeptabilität Erörterung finden. Er wird in dieser Arbeit in der einigermaßen praktikablen Richtung “möglich in der Sprache L” bestimmt. Dabei wäre eine durch die Fragen “Kann man das sagen?” vs. “Sagt man das?” fixierbare Unterscheidung zu berücksichtigen. Antworten auf die letztere Frage setzen eine sehr zeitraubende Beobachtung des tatsächlichen Sprachverhaltens voraus. Beim Versuch, etwa die Vorkommensmöglichkeit des temporal markierten Konjunktivs II in einer gegebenen Konstruktion zu klären, entscheide ich mich für die Frage “Kann man das sagen?“. Die Akzeptabilitätsbewertung der Befragten ist letzten Endes intuitiver Natur, da sie auf dem Gefühl für “normal” (o.Ä.) oder “abweichend” (o.Ä.) basiert. Die entsprechenden Entscheidungen sind natürlich nicht immer mit letzter Sicherheit zu treffen; es muss hier und da eine “Grauzone” in Rechnung gestellt werden. Der hier zugrunde gelegte Akzeptabilitätsbegriff hat Konsequenzen für die Wahl der zu konsultierenden Sprachteilhaber. Informanten, die zwischen präskriptiver und deskriptiver Sprachbetrachtung nicht zu unterscheiden vermögen, tendieren nicht selten dazu, die Frage: “Kann man das sagen?” unter Einfluss der präskriptiven Grammatik zu beantworten. Hinzu kommt die verfremdete Situation: Ein extrakommunikativ verwendeter sprachlicher Ausdruck soll auf sein mögliches Vorkommen hin geprüft werden – eine Aufgabe, bei der manche Ungeübten überfordert wären. Manchmal ist ein Beispiel nur in bestimmten Kontexten akzeptabel, und wenn einem ein solcher Kontext nicht einfällt, wird das betreffende Beispiel fälschlicherweise für inakzeptabel erklärt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für mich die praktische Konsequenz, dass in schwierigen Fällen der Akzeptabilitätsbestimmung auf die Reaktionen linguistisch geschulter Informanten rekurriert werden muss. Dabei empfiehlt sich eine informelle mündliche Befragung, bei der die Informanten auch zu grammatischen Aspekten, die der Untersuchende eventuell übersieht, relevante Kommentare abgeben können.
3
Allgemeines zur Art der in Sätzen mit temporal markiertem Konjunktiv II ausgedrückten Sachverhalte
Der Begriff des Sachverhalts umfasst in dieser Arbeit mehr als das, was in der Literatur als “Proposition” bezeichnet und über sein Konstantbleiben bei Negation bestimmt wird. Sachverhalte inkludieren u.U. eine Negation (als semantische Komponente). Sie lassen sich mit Zifonun et al. (1997: 601) als in Bezug auf Zeit, Ort und Umstände “spezifizierte Propositionen” charakterisieren und darüber hinaus (je nach Art des verbalen Prädikats) als Handlungen, Vorgänge oder Zustände bestimmen. Im Folgenden werden die Ausdrücke “Sachverhalt” und “Ereignis” synonym verwendet (für die Zusammenfassung von Handlungen, Vorgängen und Zuständen unter der letzteren Bezeichnung vgl. etwa Vater 1994: 46, mit Literatur). In diesem Kapitel geht es weder um die modale Interpretation der temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen noch um grammatische Konstruktionen vom Typ Konditionalgefüge, Konzessivgefüge u.dgl., sondern um die Charakteristik der Bildungen mit solchen Formen in Bezug auf Diathesen als Mittel zur variablen Darstellung (Perspektivierung) eines Sachverhalts und in Bezug auf die Art des partizipial auftretenden Verbs. Die nachfolgenden Bemerkungen über verschiedene diesen Bereichen angehörende Einzelaspekte konzentrieren sich auf den Konj. Plusq.; der Kond. II wird nur am Rande berücksichtigt.
3.1 Diathetische Variation
Der Begriff der Diathese bezieht sich hier (im Anschluss etwa an Heidolph et al. 1984) auf die Art der Zuordnung semantischer Rollen zu bestimmten syntaktischen Einheiten (Subjekt, Objekt usw.). Der temporal umgedeutete Konjunktiv II tritt grundsätzlich sowohl in aktivischen als auch in nicht-aktivischen Bildungen auf. Ersteres ist oben zur Genüge illustriert worden; im Folgenden geht es um Letzteres, wobei allerdings die mit Funktionsverbgefüge gebildeten Äquivalente des werden-Passivs und die modal gefärbten Passivbildungen nur beschränkt Berücksichtigung finden können. Die allgemein anerkannten Passivtypen werden-, sein- und bekommen-Passiv lassen alle die temporale Umdeutung des Konjunktivs II zu: (1)
Nach profil vorliegenden Informationen sah die [verhinderte] Holding-Konstruktion weit reichende Änderungen der derzeitigen Struktur vor: Die AUA hätte Niki Laudas Anteile an der Lauda Air übernommen. Die Lufthansa [...] hätte sich wie die AUA-Aktionäre ÖIAG, Swissair, Air France und österreichische institutionelle Investoren wie Bank Austria, Creditanstalt, Raiffeisen Zentralbank, Wiener Städtische und Austria Tabak an der Dachgesellschaft Austrian Airlines Holding beteiligt. [neuer Abs.] Von dort wären Streckenplanung, Flugzeugeinsatz, Crew-Management, Finanzen und Marketing für alle drei operativen Betriebsgesell-
18
(2)
(3)
schaften zentral gesteuert worden. Technik und Wartung wären in eine eigene Gesellschaft aus dem Unternehmen ausgegliedert worden. [neuer Abs.] Ein Plan, der nunmehr sein Dasein auf absehbare Zeit in einer Schublade fristen wird. (Profil 39/2000, 110) [Überschrift: “Gigabell-Insolvenzverfahren eröffnet”] Am Montag [06.11.2000] war die Übernahme durch die unter Jippii firmierende finnische Saunalahti Oy endgültig geplatzt. [...] Stattdessen hat Saunalahti nun Kundenadressen und Anlagen für rund zehn Millionen Mark erworben. [...] Über die Technik von Gigabell wollen die Finnen ihre Produkte vertreiben und dadurch neue Kunden gewinnen. Langfristig sei der Gang an den Neuen Markt vorstellbar. Das wollten die Chefs der Jippii-Gruppe eigentlich schneller haben: Mit der Übernahme von Gigabell wären die Finnen sofort am neuen Markt gelistet gewesen. Jetzt müssen sie einen Umweg gehen. (Die Welt 08.11.2000, Beilage “Webwelt”, 7) Würden wir Utopia erkennen, wenn wir es zu Gesicht bekämen? [...] Würden wir es erkennen, wenn es ein Gebäude oder nur eine Zeichnung eines Gebäudes wäre? Könnten wir seinen Charakter sofort erfassen oder erst, nachdem wir es erklärt bekommen hätten? Hätten wir es erkannt, würden wir es [...] freudig als Utopie umarmen oder würden wir es [...] von uns weisen? (http://www.thecrystalweb.com/DCSite/de%5CDCSearch%5Cdetail.asp?IP1=36212&IP2=EX HIBIT) (24.04.06)
Hinzu kommen nicht modal gefärbte Bildungen mit Funktionsverbgefüge. In (4) z.B. geht es um einen Prozess, in (5) dagegen zeigt Anerkennung gefunden hätte einen in der Gegenwart lokalisierten (vorgestellten) Zustand an (in Parallele zu einer im Kontext möglichen alternativen Form des sein-Passivs: anerkannt wäre). (4)
(5)
[FAZ v. 06.03.2001] Claus Leggewie stellt bei George W. Bush eine neue “religiöse Rück-Bindung des Politischen” fest: “Ohne Religion geht nichts mehr [...]. Doch Achtung vor falschen Reflexen: Bush ist kein Büttel des christlichen Fundamentalismus. Er nimmt vor allem eine [...] Strömung in der [...] Gesellschaft auf, die unter Al Gore [...] ebenso zum Ausdruck gekommen wäre.” (http://zeus.zeit.de/text/archiv/2001/10/200110_kulturbrief_0306.xml) (24.04.06) Es nimmt nicht Wunder, dass auf diese Weise kein einziges System der Menschenrassen aufgestellt worden ist, das innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft auch nur annähernd allgemeine Anerkennung gefunden hätte. In den Rassensystematiken werden vielmehr zwischen drei und dreihundert Menschenrassen mit ganz unterschiedlicher Einteilung und Zuordnung unterschieden. (http://www.shoa.de/rassenlehre.html) (28.03.06)
Hier Belege für das Vorkommen des temporal markierten Konj. Plusq. in Bildungen mit sein + zu-Infinitiv, sich lassen + Infinitiv und der bar-Ableitung: (6)
(7)
Wenn die Platte verreckt, freut sich der Mensch... überhaupt nicht. Denn eine Festplatte ist [...] das Gedächtnis eines Computers. Versagt sie, sind die Daten futsch, der elektronische Knecht leidet unter Amnesie. Das wäre halb so schlimm, wenn diese Daten nicht so verdammt wichtig wären. Und wenn es dann doch passiert, reagieren viele User falsch, versuchen zu retten und zerstören dabei, was noch zu retten gewesen wäre.(http://www.netzwelt.de/channel/54_14privacy-watch.html) (28.03.06) Wenn man sich die nötige Zeit nicht nimmt, dann werden oft die Ideen zur praktischen Durchführung daran scheitern, daß das Papier im Kopierer alle ist, daß der Overhead-Projektor ausgeliehen ist oder daß einem irgend etwas in die Quere kommt und verhindert, was sich mit etwas mehr Zeit gut hätte erledigen lassen.(http://hamburg-lokstedt.feg.de/Bibelarbeit.html) (28.03.06)
19 (8)
Durch Kopositionierung von Satelliten ergab sich ein Problem, da nun mehrere Satelliten auf einer Orbitposition getrennt voneinander Signale erhalten sollen. Im Fall vom ASTRA war bei einer Repeaterbandbreite von jeweils 250 MHz nach ASTRA 1A (Uplink: 14,25 bis 14,5 GHz) und ASTRA 1B (Uplink: 14,0 bis 14,25 GHz) das vorgesehene Frequenzspektrum belegt. ASTRA 1C und ASTRA 1D mußten demnach andere Uplink-Frequenzbereiche erhalten, da die selben Frequenzen nicht doppelt verwendet werden können. [neuer Abs.] Das bedeutet auch gleichzeitig, daß eine Gerüchten zu Folge geplante Kopositionierung eines DFS Kopernikus-Satelliten (Uplink: 14,25 bis 14,5 GHz für den 12,5 GHz Bereich beim Downlink) mit den Astra-Satelliten auf 19,2° Ost technisch nur mit erheblichen Problemen durchführbar gewesen wäre. Die Kopositionierung hätte eine schnelle Erweiterung des Satellitensystems der SES im 12,5 GHz-Bereich bedeuten können, uplinktechnisch wäre diese Maßnahme ohne eine komplette Abschaltung von ASTRA 1A aber nicht möglich gewesen, da dieser Satellit das gleiche Uplink-Frequenzband benutzt.(http://www.satellitentechnik.de/up-link.htm) (28.03.06)
3.2 Variation hinsichtlich der Art des als Partizip II auftretenden Verbs
Die Art des Ereignisses, das in Bildungen mit temporal markiertem Konjunktiv II zum Ausdruck kommt, ist auch von der Art des als Partizip II auftretenden Verbs her bestimmbar, wobei der Variation der Aktionsart besonderes Interesse zukommt. Für die diesbezügliche Analyse soll von der Trias “kursiv” – “transformativ” – “intransformativ” im Sinne von Fabricius-Hansen (1975) ausgegangen werden. Diese deckt zwar nicht alle in unserem Zusammenhang zu berücksichtigenden Verbtypen ab. So entziehen sich z.B. epistemisch gebrauchte Modalverben – offenbar wegen ihrer abstrakten Bedeutung – einer Zuordnung zu dieser Trias. Sie leistet aber (wie sich zeigen wird) auch bei der Beschreibung der zeitlichen Situierung und der modalen Differenzierung gute Dienste (vgl. Kapitel 7 und 8). An dieser Stelle sei an die bekannte Tatsache erinnert, dass die drei genannten Aktionsarten zwar ihre Basis in der lexikalischen Bedeutung des jeweiligen Verbs haben, manchmal aber erst von der Kombination Verb + zugehörige Elemente her zu bestimmen sind, vgl. etwa die Transformativität von einen Brief schreiben gegenüber der Kursivität von an einem Brief schreiben. Im Hinblick darauf sollen sich im Folgenden “Kursivum”, “Transformativum” und “Intransformativum” auf die einzelnen Verben oder diese in ihrer syntagmatischen Verknüpfung mit zugehörigen Elementen beziehen. Wenn bei der weiteren Diskussion von Ereignissen einfachheitshalber oft nur von “transformativen Verben” (etc.) die Rede ist, so ist damit u.U. die gesamte Verbalphrase gemeint. Ferner wird bequemlichkeitshalber von “transformativen“ (etc.) Sätzen, Konstruktionen oder Bildungen gesprochen, wenn hier ein Transformativum (etc.) Verwendung findet. In der Forschung ist längst erkannt worden, dass transformative Verben im Indikativ Perfekt einen Nachzustand ausdrücken können, der sich aus einem vorausgehenden Vorgang ergibt, wie in Jetzt ist Fritz eingetroffen gegenüber Fritz ist gestern um zwei Uhr eingetroffen (Prozess + Vergangenheitsbezug). Der Nachzustand ist bei intransitiven wie auch bei transitiven Transformativa ansetzbar (Belege schon bei Latzel 1977: 161f.), kann eine gewisse zeitliche Ausdehnung haben und eine entsprechende Bestimmung mit Hilfe von seit-Phrasen, schon lange u.dgl. erfahren, worin eine Parallele zu einer wohlbekannten Ei-
20 genschaft des mit Verben dieser Klasse gebildeten Zustandspassivs wie in (13) liegt (Allgemeines dazu etwa bei von Stechow 2002): (9) (10)
(11) (12)
(13)
Seit Mittwoch allerdings haben die Bauarbeiter die vier Fahrspuren auf drei verengt. (Beleg bei von Stechow 2002: 410) [...] ich küßte sie in der offenen Tür, so daß Schmidt und seine Frau drüben es sehen konnten. Sie glotzten herüber wie Fische, die plötzlich überrascht entdecken, daß sie den Angelhaken schon lange verschluckt haben. (Böll 55) [...] wie ich hinauskomme, kriecht schon die Dämmerung die steile Gasse hinauf, und ich gehe nicht mehr bergan, weil die Sonne ja doch schon lange untergegangen ist. (Kaschnitz 72) In die Keupstraße ist seit Jahrzehnten das Morgenland eingezogen. Hier herrschen türkische Sitten, die Gesetze einer in sich fast geschlossenen Gesellschaft. (Kölner Stadt-Anzeiger 15.11.2005, 28) Das Geschäft ist seit einer halben Stunde geöffnet/geschlossen.
Die Fokussierung des Nachzustandes bei Transformativa ist naturgemäß auch bei Konstruktionen mit temporal umgedeutetem Konjunktiv II zu beobachten, wobei eine Gegenüberstellung mit dem Prozess durch Bezug auf beide Bedeutungsmomente im selben Satz erfolgen kann: (14) In der Annahme, dass sich die Mitarbeiterzahl an Universität und Fachhochschule [...] prozentual zu den Studentenzahlen verringern wird, ergäbe sich folgendes Bild: In 50 Jahren würde die Zahl der Studierenden und Mitarbeiter an Universität und Fachhochschule um etwa 25 Prozent auf dann noch 22 500 gesunken sein. (Gießener Universitätsblätter 37 [2004], 59)
Hier bezieht sich die um-Phrase auf den sich über die angegebene Zeitspanne erstreckenden Prozess des Sinkens und die auf- Phrase – im Verein mit dann noch – auf den Nachzustand. An derartigen Belegen wird besonders deutlich, dass der Nachzustand und der zugrunde liegende Prozess beim zuständlichen Gebrauch von Transformativa als zeitlich geordnete Teilereignisse zu betrachten sind (zu solcher Analyse vgl. neuerdings Engelberg 2000). Bei der zuständlichen Verwendung von Transformativa hat man es also mit einem zusammengesetzten, als in sich gegliedert aufzufassenden Ereignis zu tun. Auf den mit ihr kontrastierenden prozessualen Gebrauch, bei dem das Ereignis als ein geschlossenes Ganzes, als nicht in sich gegliedert aufgefasst wird (Er hätte natürlich sofort mit der Zentrale Kontakt aufgenommen), bezieht sich fortan der Ausdruck “ganzheitlich” (der auch auf ein vergleichbares Verständnis von Intransformativa anwendbar ist, s.u.). In ein paar neueren Arbeiten wird der Begriff des Nachzustandes weit definiert: Bei seiner Perfekt-Analyse nimmt Klein (2000) an, dass die Form einen Nachzustand markiert, und zwar unabhängig von der Aktionsart des partizipial auftretenden Verbs (dieselbe Auffassung bei Eisenberg 2001). Ein enger gefasstes Nachzustands-Konzept scheint dagegen Hennig (2000: 27f.) zu favorisieren, wenn sie die beim Perfekt ausdrückbare Resultativität in erster Linie auf die entsprechende Aktionsart zurückführt. Andererseits stellt sie anhand des Beispiels (15) Warum ist Paul so dreckig? – Er hat gespielt.
21 fest, dass “auch nicht-resultative Verben in bestimmten Kontexten ein resultatives Perfekt bilden können”.1 Hennigs Hinweis auf das kontextuelle Moment lässt sich dahingehend präzisieren, dass man es mit einer kausalen Beziehung zwischen etwas Vorgängigem (hier: Spielen) und einem gegenwärtigen Zustand (hier: Dreckig-Sein) zu tun hat, wie sie bei Klein (2000: 358f.) für das Arbeiten und ein erschließbares Müde-Sein in Beispielen wie dem folgenden angenommen wird: (16) Peter hat gearbeitet und ist müde.
Hier ist nicht der Ort, die globale Annahme eines Nachzustandes beim Indikativ Perfekt auf ihre empirische Gültigkeit hin zu prüfen oder theoretische Implikationen einer etwaigen Relativierung zu verfolgen. Mir geht es bei besonderer Berücksichtigung von Konstruktionen mit temporal markiertem Konj. Plusq. oder Kond. II darum, ob und wieweit neben dem bei Transformativa lexikalisch determinierten und damit relativ leicht bestimmbaren Nachzustand auch bei andersartigen Verben Zustände angesetzt werden können, die in der Sprechzeit oder einem anderen Intervall angesiedelt sind. Was den Ansatz eines Zustandes bei Verben wie spielen betrifft, so muss er m.E. der Forderung genügen, dass dieser in eine kontextuell greifbare kausale Relation der an (15) und (16) illustrierten Art eingeht. Diese Forderung ist auch in folgendem Beleg für das nicht-transformative hören erfüllt; das Bestürzt-Sein ist mit dem vorgestellten Hören der Engelsstimme in Verbindung zu bringen: (17) HERZOG [...] Ich hab eine Art, den Rücken zu beugen, die Schultern zu heben, zu senken, die Finger zu spreizen, mit dem Kopf zu nicken, die Augen zu schließen und so bestürzt zu sein, als hätt ich eine Engelsstimme gehört. (Dorst 92)
Für diese spezielle, kontextuell induzierte Zuständlichkeit sei hier der Ausdruck “Resultativitätsmoment” reserviert. Dieses Bedeutungsmoment ist begrifflich nicht nur von dem bei Transformativa ansetzbaren Nachzustand zu unterscheiden, sondern auch von jenem bei Leirbukt (2006) berührten, noch genauer zu charakterisierenden Zustand, der sich bei Intransformativa aus der lexikalischen Bedeutung ergibt. Kursiva wie spielen oder schlafen – als Ausdruck von Handlung bzw. Vorgang – müsste man gegen statisches sein oder sich befinden (“Zustandsverben” im Sinne von Helbig/Buscha 2001: 59) absetzen. Eine solche Unterteilung entspräche der allgemeinen Bestimmung der kursiven Verben bei Helbig/Buscha (2001: 67): Für diese Klasse ist charakteristisch, dass “ein Zustand oder ein Geschehen (Vorgang, Tätigkeit) in seinem reinen Ablauf oder
1
Ein “Nachzustand von Ereignissen” liegt nach Löbner (1988: 177) sowohl beim “Erfahrungsperfekt” wie in Bist du schon einmal in einem U-Boot gefahren? als auch beim “resultativen Perfekt” vor: Die Straße ist verbreitert worden. Mit Bezug auf Fälle wie Bist du schon in Kanada gewesen? (“Perfekt von imperfektiven Sätzen”) spricht er vom “Vorliegen des Nachzustands eines zurückliegenden Ereignisses”, verzichtet aber auf eine genauere inhaltliche Charakterisierung dieses Zustandes (Löbner 1988: 180).
22 Verlauf bezeichnet wird” ohne Ausdruck von Veränderung, Begrenzung u.dgl. Bei der kontextuell bedingten zuständlichen Interpretation rückt der Konj. Plusq. etwa von spielen aktional und modal in die Nähe der korrespondierenden zuständlich gebrauchten Formen von Transformativa. Auf Konsequenzen von Bedeutungsdifferenzen zwischen den beiden Untertypen von Kursiva für Prognosen über die modale Interpretation der betreffenden Ereignisse wird in Kapitel 8 zurückzukommen sein. Eine zuständliche Deutung lassen u.U. (wie schon angedeutet) auch Intransformativa zu, was auf einer bekannten Verwandtschaft zu Transformativa in Bezug auf Implikationsregularitäten beruht, die bei Fabricius-Hansen (1975: 21ff.) beschrieben worden ist. Von besonderem Interesse ist in unserem Zusammenhang ihre Feststellung (1975: 32), dass ein intransformativer Satz mit einem Perfekt, das mit dem einfachen Präteritum nicht äquivalent ist, einen gegenwärtigen Zustand erkennen lässt: Ich habe das Buch behalten, obwohl es mir nicht gefällt impliziere den kursiven Satz Ich habe das Buch (jetzt). Die lexikalisch fundierte Nicht-Veränderung bei der Klasse der Intransformativa nähert sich m.E. dem Charakter eines Geschehens. Dafür spricht insbesondere auch die Tatsache, dass das Verb geschehen (vgl. Krause 1977) nicht nur bei Transformativa als Pro-Verb dienen kann, sondern (in hier nicht zu klärendem Umfang) auch bei Intransformativa (worauf Krause 1977 nicht eingeht). Zum folgenden Beleg (erhalten bleiben wird hier als ein komplexes Intransformativum aufgefasst) lassen sich leicht parallele Beispiele bilden: (18) Die wertgebenden Inhaltsstoffe [...] müssen beim Verarbeiten der Algen zu einer haltbaren Transportform wie Tabletten und Pulver möglichst vollständig erhalten bleiben. Das geschieht idealer Weise durch eine rasche Trocknung der abfiltrierten Algenpaste bei niedrigen Temperaturen, durch schonendes Pressen der Tabletten und durch sofortiges luftdichtes Verpacken. (http:/www.biothemen.de/Qualitaet/algen/spirulina.html) (09.10.05) (19) Es geschieht leider allzu oft, dass solche Leute zu lange im Amt bleiben.
Angesichts der erwähnten Verwandtschaft mit Transformativa überrascht die Zustandsfokussierung bei Intransformativa nicht. Bei deren Gebrauch in Formen mit Partizip II lässt sich das Nicht-Verändertsein eines Zustandes in einem bestimmten Zeitintervall in den Blickpunkt rücken, was mit dem Abschlussmoment des Partizips II (das auch die Fokussierung des Nachzustandes bei den Transformativa ermöglicht) im Zusammenhang stehen dürfte. Die Nicht-Veränderung impliziert in solchen Fällen ein Noch-da-Sein von etwas, d.h. einen Endzustand, der in der Sprechzeit oder in einem nachfolgenden Intervall angesiedelt ist und sich durch temporale Adverbiale wie bis heute, immer noch u.dgl. eingrenzen und herausheben lässt.2 Über eine Fortdauer des Endzustandes über die Sprechzeit oder ein anderes Intervall hinaus wird nichts ausgesagt.
2
Eine Lokalisierung in einem vor der Sprechzeit liegenden Intervall ist auch möglich: Durch die Weisheit eines seiner früheren Regenten bestand eine lichtvolle freisinnige Verfassung in Württemberg, deren wohltätige Spuren sich noch erhalten hatten, und mit denen selbst der gewaltige Herrschersinn des Herzogs Karl sich abfinden musste. (http://www.liber-scientia.de/ bio/wolzogen/01.htm) (24.04.06)
23 Hier ist noch anzumerken, dass das Partizip II nicht als Voraussetzung für den Ausdruck des Endzustandes bei Intransformativa gelten kann. Dieser ist nämlich auch in Konstruktionen mit Indikativ Präteritum erkennbar, wobei Elemente wie bis heute eine wichtige Rolle zu spielen scheinen: (20) Diesem Mann [Junípero Serra] und seinen Ordensbrüdern dankt man in Amerika die Gründung von 21 Missionsstationen in Kalifornien, die sich zu Städten entwickelten, von denen die meisten ihren damaligen spanischen Namen bis heute behielten (Los Angeles, Santa Barbara, San José u.a.). (http://www.mallorca.de/die_insel/staedte_regionen/petra.shtml) (17.10.06)
Das auf den Endzustand bezogene Adverbial kann auch wie in (21) mit einem Adverbial kontrastieren, das die gesamte Zeitspanne der Nicht-Veränderung bestimmt, vgl. immer noch gegenüber in den dreißig Jahren ihrer Karriere. Dadurch wird der Endzustand vom größeren Intervall, in das er eingeht, abgehoben. Die Darstellungsweise ist ikonischer Natur; in der Reihenfolge der Zeitbestimmungen reflektiert sich das logische Verhältnis von Nicht-Veränderung und Endzustand: (21) Eine ihrer bedeutendsten Rollen ist jene der Carmen, welche sie mehrmals sang, meist mit José Carreras als Konterpart. Trotzdem will sich Agnes Baltsa nicht als Carmen schlechthin sehen. Ihr größter Stolz ist es, dass sie sich ihre Neugier in den dreißig Jahren ihrer Karriere immer noch bewahrt hat. (http:/www.events.at/k!assik/id4458881/detail.html) (18.09.04)
Eine Gegenüberstellung von Nicht-Veränderung und Endzustand kann auch dadurch zustande kommen, dass Erstere im Satz mit dem Intransformativum zeitlich fixiert wird und Letzterer aus einem nachfolgenden Satz zu entnehmen ist. Auch in solchen Fällen handelt es sich um Ikonizität. Im folgenden Beleg verweist über die Jahrhunderte hinweg auf die Nicht-Veränderung; der Endzustand wird durch die anschließende erlebt-Sequenz angedeutet und durch den Indikativ Präsens in der Gegenwart angesiedelt: (22) Er [der orientalische Tanz] hat seine Faszination über die Jahrhunderte hinweg behalten und erlebt hier im Westen [...] eine Renaissance: Frauen entdecken darin einen [...] reichen Schatz ureigener Bewegungsformen. (http://www.marrakchia.ch/tanz.htm) (15.06.06)
Hier Belege für den temporal markierten Konj. Plusq.: (23) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die großen Handelshäuser der Geschichte, die große Ravensburger Handelsgesellschaft, die Fugger und Welser – was wüssten wir von ihrer Tätigkeit und ihrer Bedeutung heute noch, wenn sich nicht ihre Unterlagen erhalten hätten und wenn [...] nicht auch ihr soziales Engagement bis heute bewahrt geblieben wäre? (http:// www.wirtschaftsarchive.de/zeitschrift/m_strauch.htm) (13.06.06)
In Parallele zu den Transformativa kann man auch bei den Intransformativa die zuständliche Verwendung einer Verwendungsweise gegenüberstellen, die ein ganzheitliches Ereignisverständnis involviert: Die Nicht-Veränderung wird in ihrer Gesamtheit angeschaut; eine eigene Schlussphase ist nicht ansetzbar. In (24) ist das prospektiv-retrospektiv dargestellte Bleiben ganzheitlich gefasst – analog zum Eintreffen im obigen Beispiel Fritz ist
24 gestern um zwei Uhr eingetroffen. Es besteht auch – wie (25) zeigt – die Möglichkeit, das ganzheitlich gedeutete Ereignis ausschließlich prospektiv zu betrachten und dessen Weiterbestehen bis zu einem Endpunkt auszudrücken. (24) Es ist denkbar, dass Peter schon im übernächsten Jahr wieder nach Norwegen zurückkehrt. Er wäre dann ein paar Jahre kürzer als vorgesehen in den USA geblieben. (25) Sollte diese Praxis zur Regel werden, würde Herr Müller nicht mehr als ein paar Monate noch im Amt bleiben.
Durch die Möglichkeit seiner zeitlichen Absetzung gegen die Nicht-Veränderung unterscheidet sich der Endzustand bei Intransformativa (in Formen mit Partizip II) von dem Zustand, der bei Kursiva wie sein, wohnen, sich aufhalten (in korrespondierenden Formen) zum Ausdruck kommt. Dieser Zustand wird in seiner Totalität betrachtet (eine spezifizierbare Schlussphase scheidet aus): (26) Es ist denkbar, dass Petra im übernächsten Jahr wieder nach Deutschland zurückkehrt. Sie würde sich dann etwa vier Jahre in Japan aufgehalten haben.
Zur Abrundung sei noch auf die Art des Ereignisses in Konstruktionen mit dem markierten Konjunktiv II von Modalverben eingegangen. Hier unterliegen die Verben dieser Klasse (einschließlich brauchen) starken Verwendungsrestriktionen; so scheint die so genannte subjektive Lesart weitestgehend auszuscheiden, in Frage käme nur die bei Öhlschläger (1989) und Diewald (1999) als “objektiv-epistemisch” bezeichnete. Die deontische Interpretation ist insgesamt gesehen die dominante. Bei deontischer Lesart betrifft die durch den fraglichen Konjunktiv II angezeigte Irrealität teils wie etwa in (27) und (28) die durch das Modalverb bezeichnete Deontizität (Können, Müssen etc.), teils ein Ereignis, das durch den mit dem Modalverb verknüpften Infinitiv (Beispiel: Sie hätte ja jetzt hier sein müssen) ausgedrückt wird (Näheres dazu in 6.2.13). (27) [Kritik an einem Gesetz über eine Neuregelung der Parteienfinanzierung, dem die Parteien auf einer bevorstehenden Sitzung des Bundesrates zustimmen wollen] Man hätte die Position des Bundespräsidenten noch mehr stärken können; das ist versäumt worden. Es ist schade, dass er nun nicht die Berichte der Wirtschaftsprüfer bekommen soll, mit denen er die Rechenschaftsberichte der Parteien im Einzelnen hätte nachprüfen können. (Der Spiegel 22/2002, 51) (28) [Äußerung eines Soldaten, der Urlaub bekommen hat und gleich die Reise antreten muss] Es wäre mir eigentlich lieber gewesen, wenn ich erst in acht Tagen hätte zu fahren brauchen, denn so lange sind wir [die Einheit] noch hier, und hier ist es ja gut. (Beleg von Leirbukt 1989: 91)
Beim deontischen Gebrauch von Modalverben zeigt das durch sie Ausgedrückte u.U. einen zuständlichen Charakter, der sich mit dem vieler Kursiva vergleichen lässt. Bei ihrer Besprechung von “deontischer Modalität” und “dispositioneller Modalität” nimmt Diewald (1999: 120 und 151) an, dass die betreffenden Modalverben Zustände ausdrücken. Ohne Stellungnahme zur generellen Gültigkeit dieser Annahme wird hier für diejenigen deontisch verwendeten Modalverben, die den temporal umfunktionierten Konjunktiv II zulassen, eine zuständliche Qualität angesetzt. Hierauf verweist u.a. die (auch auf anderen Verwendungsgebieten plausible) Paraphrasierung beispielsweise von müssen und können etwa
25 in Richtung ‘gezwungen sein’/‘notwendig sein’ bzw. ‘die Möglichkeit haben’/‘möglich sein’ (vgl. auch z.B. ‘gern haben’ als Paraphrase des “aktiven” mögen bei Diewald 1999: 137f., mit Literatur). Ferner lässt sich für das Müssen, Können etc. mitunter eine erhebliche zeitliche Ausdehnung nachweisen; man vergleiche unter diesem Gesichtspunkt die Parallelität etwa des Könnens im Relativsatz von (27) und des Müssens in folgendem Beleg: (29) So schickt sich Bonn mit dem dritten Finanzmarktförderungsgesetz gerade an, europäische Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen, die eigentlich schon seit Ende 1995 gelten müßten. (Focus 14/1966, 248)
Auch beim objektiv-epistemischen Modalverbgebrauch ist das durch das Modalverb Ausgedrückte, d.h. die sprechzeitgebundene Annahme gegen das infinitivisch bezeichnete Ereignis abzusetzen, auf das sie sich bezieht. Diese Annahme hat aber kaum Zustandscharakter. Ihr Gegenstand ist anderer Art; er lässt sich als Zustand oder Prozess charakterisieren (Weiteres über den hier vorliegenden Konstruktionstyp vgl. 5.2.14): (30) [Aufnahme v. 01.12.1966. Helmut Schmidt verweist auf neue politische Akzente, die mit der Regierungsumbildung zusammenhängen.] [...] ganz zweifellos ist die Bundesrepublik deutlich in einer konjunkturellen Abschwungphase die im Laufe dieses Winters wenn wir weiter so vor uns hingewurschtelt hätten wie die letzten Monate sehr bedrückende Ausmaße hätte annehmen können [...] (Freiburg I, 174)
Die obige Übersicht über die Variation hinsichtlich der Art des Verbs, das als Partizip II in temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen auftritt, soll später bei der detaillierten Beschreibung der zeitlichen Situierung der betreffenden Ereignisse (Kapitel 7) herangezogen werden, ebenfalls beim Versuch, von hier aus Prognosen zum Auftreten von Irrealität vs. Potentialität zu treffen (Kapitel 8).
4
Über Irrealität und Potentialität im Untersuchungsbereich und ihre sprachliche Signalisierung
Die an sich traditionelle Auffassung von “Potentialis” und “Irrealis” als Modalitätsausprägungen unterschiedlicher Art wird (wie schon in Kapitel 1 festgestellt) in dieser Arbeit übernommen. Die Frage nach der Validität dieser Dichotomie bzw. ihren Grenzen auf dem Vorkommensgebiet des temporal umgedeuteten Konjunktivs II lässt sich natürlich erst nach der Klärung seiner Gebrauchsweisen beantworten (vgl. Kapitel 10). Auf die fundamentale Natur der potentialen vs. irrealen Ereignisdeutung weist andererseits schon die Tatsache hin, dass unterschiedliche modale Interpretationen mit unterschiedlichen illokutionären Interpretationen einhergehen können. Man vergleiche die Einladung in Beispiel (1), die Potentialität voraussetzt (es wird nicht ausgeschlossen, dass der Angesprochene Zeit hat, was als Voraussetzung für die Einladung gilt), mit der resignierten Feststellung in (2), die beinhaltet, dass eine Einladung in der gegebenen Situation ausscheidet (der Sprecher gibt nur einem nicht erfüllbaren Wunsch Ausdruck): (1) (2)
Ich hätte Sie gerne nächste Woche zum Essen eingeladen. Ich hoffe, Sie haben dann Zeit. “Es hat mich gefreut, Sie zu sehen, Herr Feldmann. Aber jetzt werden Sie mich entschuldigen, ich muß in eine Sitzung.” “Schade”, sagte Feldmann, “ich hätte Sie gern noch zu etwas eingeladen.” (Breest 82)
Die Unterscheidung von Potentialität und Irrealität muss sich (wie in der Forschung längst erkannt) grundsätzlich an der Perspektive des Sprechers1 orientieren, auch wenn sich dieser (wie eben illustriert) auf vorgängige Äußerungen eines Kommunikationspartners stützt, die die jeweilige Lesart festlegen. Die genaue modale Analyse wird auch häufig dadurch erleichtert, dass der Sprecher durch die Wahl geeigneter sprachlicher Mittel die Dekodierung seitens des Hörers steuert. In folgendem Beleg wird die modale Deutung der irrealitätsbezogenen Äußerung der Witwe durch den Leser sowie die entsprechende linguistische Analyse durch die Erläuterung des Autors in der vorangehenden Sequenz gesichert: (3)
1
[...] Kirche fiel aus, weil Severin es so wollte. Da Gretjes Vater vor einigen Jahren gestorben war, weinte die Mutter langanhaltend und jammerte: “Ach, wenn das mein Kurt erlebt hätte!” Ob sie nun die ausgefallene kirchliche Trauung meinte oder die seelische Erschütterung darüber, daß ihre jüngste Tochter heiratete, wußte keiner. (Jannausch 79)
Der Ausdruck “Sprecher” bezieht sich in dieser Arbeit auch auf Personen, die Texte schreiben, ebenfalls “sprecherseitig”. Entsprechend ist “Hörer”/„hörerseitig” auch auf den Leser zu beziehen. Mit den hier benutzten Maskulina sind natürlich sowohl männliche als auch weibliche Kommunikationsbeteiligte gemeint.
27 Im Folgenden geht es zunächst um die Grundlage der Bestimmung der Modalitätsarten Potentialität und Irrealität (4.1), worauf ausgewählte Aspekte ihrer Signalisierung zur Sprache kommen können (4.2). In einem Exkurs (4.3) soll bei besonderer Berücksichtigung von Konditionalgefügen die Abstufung der Gewissheit, mit der sich der Sprecher äußert, erörtert werden. Diese Abstufung ist mit der Einschätzung der Distanz eines vorgestellten Sachverhalts zur Realität aus Sprechersicht verwandt, aber einer eigenständigen Dimension zuzuordnen. In dem Zusammenhang muss auch auf zentrale semantisch-pragmatische Eigenschaften des Konditionalgefüges eingegangen werden.
4.1 Näheres zur Bestimmung von Potentialität und Irrealität
Als Einstieg in die Diskussion der Unterscheidung Potentialität – Irrealität sei die Angabe von Thieroff (1992: 270) herangezogen, dass die mit dem Konjunktiv II etwa im Konditionalgefüge “bezeichneten Sachverhalte nicht zutreffen”. Im Anschluss an eine Verallgemeinerung bei Helbig/Buscha – “Gegenposition zur Realitätserfahrung” – werden die betreffenden Formen weiter charakterisiert als Ausdruck von “Kontra-Faktivität” (Thieroff 1992: 271, mit Literaturverweis).2 Dabei macht der Autor die Unterscheidung von Potentialität und Irrealität z.T. an der Zeitreferenz fest, indem er in Anlehnung etwa an Helbig/Buscha annimmt, der vergangenheitsbezogene Konjunktiv II zeige in Konditionalgefügen und verwandten Bildungen immer Irrealität an (Thieroff 1992: 270f., dort auch Literaturverweise).3 Gegen diese Generalisierung spricht die Tatsache, dass Potentialität mit Vergangenheitsbezug verbunden sein kann (vgl. z.B. Adamzik 1988, Leirbukt 1991, Schecker 1998). Kaufmann (1975: 13) bildet Folgendes als Beispiel dafür, dass der Sprecher keine “Gegenposition zu einer für ihn gegebenen Realität” bezieht (bei Kaufmann 1975: 19 auch ein entsprechender Originalbeleg): (4)
Wenn sie nun vielleicht doch im Haus gewesen wäre, hätte sie mich ja gehört.
Im Unterschied etwa zu Thieroff gehen Zifonun et al. (1997) nicht davon aus, dass die fraglichen konjunktivisch ausgedrückten Sachverhalte nicht zutreffen; für diese wird keine Faktizität angenommen (ähnlich bemerkt die Dudengrammatik 2005: 508, dass bei Gebrauch des fraglichen Konjunktivs II der Sachverhalt “nicht als Tatsache hingestellt”
2 3
Die von Thieroff zitierte Generalisierung ist in der Neubearbeitung der Grammatik nicht mehr zu finden (vgl. Helbig/Buscha 2001: 180ff.). Neuerdings heißt es bei Helbig/Buscha (2001: 181f.), der “irreale Konditionalsatz” werde mit dem Konj. Plusq. gebildet, beziehe sich auf die Vergangenheit und meine “ein nicht realisiertes und nicht mehr realisierbares bedingendes und bedingtes Geschehen”.
28 wird). Beim Rückgriff auf den “Konjunktiv Präteritum(perfekt)” in sog. Modalitätskontexten gilt nach Zifonun et al. (1997: 1744), dass “die Proposition nicht auf das zu beziehen ist, was tatsächlich der Fall ist”. Dies werde bei irrealem Verständnis verschärft zu “es ist nicht vereinbar mit dem, was ich über Vergangenheit und Gegenwart weiß, daß p”; im Potentialis-Fall, “meist bezogen auf künftige Betrachtzeit, unterbleibt die Verschärfung” (ebd.). Mit Bezug auf das Konditionalgefüge ist zunächst von “der durch Zukunftsbezug bedingten Potentialität” die Rede (Zifonun et al. 1997: 1747). Als “eine zweite Quelle” gilt der Wissensstand des Sprechers (ebd.): “Wenn der Sprecher über Faktizität oder Nicht-Faktizität vergangener oder gegenwärtiger Sachverhalte p und q nicht Bescheid weiß oder es ihm darauf nicht ankommt, kann er solche [konjunktivische] Konditionalgefüge stets verwenden – da es ja stets mit seinem Wissen vereinbar ist, daß p nicht der Fall ist.” Zifonun et al. (1997: 1744f.) kritisieren mit Recht die gängige Gleichsetzung von Zukunftsbezug mit Potentialis und Vergangenheitsbezug mit Irrealis, wobei sie vor allem auf den Gebrauch des zukunftsbezogenen Konj. Plusq. in irreal zu verstehenden Konstruktionen verweisen. Die Kombination von Vergangenheitsbezug und Potentialität wird anhand von (5) exemplifiziert, aber nicht kommentiert; das Interesse der Autoren gilt primär dem im Nebensatz auftretenden sollte als Ausdruck “wissensbezogener Potentialität” (Zifonun et al. 1997: 1747): (5)
Sollte Ulbricht auf eine vorschnelle Bonner Ablehnung spekuliert haben, so hätte er falsch spekuliert.
Gegen die von Zifonun et al. kritiserte Gleichsetzung spricht schließlich auch das in (4) illustrierte mögliche Vorkommen des vergangenheitsbezogenen Konj. Plusq. in beiden Teilsätzen des potential zu deutenden Konditionalgefüges sowie die mögliche potentiale Verwendung bei Zukunftsbezug (vgl. Leirbukt 1991): (6)
Seine [Innenminister Kanthers] erste Bewährungsprobe liegt darin, die angemessene Achtung vor Recht und Gesetz in allen Abteilungen seines Ministeriums wiederherzustellen [...]. Besteht er sie, avanciert der Neuling in der Tat zum starken Mann im immer schwächer werdenden Kabinett Helmut Kohls. Vor allem aber hätte er der Demokratie einen Dienst erwiesen. (Der Tagesspiegel 12.07.1993, 1)
Bei Konditionalgefügen mit Konj. Plusq., in denen Potentialität und Vergangenheitsbezug miteinander verknüpft sind, verdient übrigens die Art der Beziehung zwischen Antezedens und Konsequens ein paar Bemerkungen: Die letztere Komponente involviert meistens eine auf die erstere bezogene Schlussfolgerung, vgl. (5), oder Bewertung, vgl. (7); das Verhältnis zwischen Antezedens und Konsequens ist in derartigen Fällen nicht kausaler Art. Das potentiale Konsequens ist im nachstehenden Beleg verbunden mit dem durch im ersteren Fall angezeigten, ebenfalls potentialen Antezedens (für das es eine Alternative mit vergleichbarem Realitätsbezug gibt) und wird hinsichtlich einer angemessenen Reaktion bewertet:
29 (7)
[Ein Bauer hat in betrunkenem Zustand seiner Frau mit einem Holzscheit das Rückgrat gebrochen. Eulenspiegel:] “Um festzustellen, wie hoch deine Buße vom juristischen Standpunkt aus sein muß, müssen wir ganz nüchtern feststellen, ob du das Holzscheit einfach vom Boden aufgehoben oder es aus dem Schuppen geholt hast. Im ersteren Fall wäre es ohne eigentlichen Vorsatz gewesen und man könnte es mit einer Buße von 3 Gulden bewenden lassen. Wenn du allerdings das Holzscheit ...” Hier unterbrach ein Zeuge den Richter und sagte aus, das Holzscheit habe tatsächlich neben dem Angeklagten am Boden gelegen.4
Eine kausale Relation zwischen Antezedens und Konsequens kann etwa bei Vermutungen über Zusammenhänge zwischen zurückliegenden physikalischen Vorgängen zum Ausdruck kommen. Die Konstruktion mit hätte existiert in (8) ist eindeutig potentialer Natur: (8)
Er [Andrej Sacharow] ging davon aus, daß die Antiteilchen nicht das vollkommene Spiegelbild der ihnen entsprechenden Teilchen sind, sondern geringste physikalische Abweichungen aufweisen. Variiert zum Beispiel ihre Masse nur um ein zehnmillionstel Prozent, dann könnten sich während des Urknalls unterschiedlich viele Protonen und Antiprotonen gebildet haben. Bei der anschließenden paarweisen Zerstrahlung hätte dann für jeweils etwa eine Milliarde Protonen-Antiprotonen-Paare ein überschüssiges Proton existiert. Diese Spekulation ist die beste bekannte Hypothese zur Erklärung der heute beobachtbaren kosmischen Realität. Aber sie bleibt eine Hypothese, solange sich minimale Abweichungen der Eigenschaften von Teilchen und Antiteilchen nicht wirklich am Objekt beobachten lassen. (Deutschland. Zeitschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft 2/1996, 26)
Konstruktionen mit vergangenheitsbezogenem Konj. Plusq. wie die etwa in (7) und (8) legen bestimmte Konsequenzen hinsichtlich der Definition von Potentialität und Irrealität nahe: Wie das bei Zifonun et al. (1997) ansatzweise geschieht, sollte man diese Begriffe so fassen, dass sie nicht an bestimmte Zeitstufen gebunden werden, was eine systematische Trennung von Zeitreferenz und modaler Deutung involviert. Wenn man so vorgeht, kann man mit Bedeutungskonstellationen wie ‘Potentialität + Vergangenheitsbezug’ und ‘Irrealität + Zukunftsbezug’ arbeiten. Es wäre dann an geeignetem empirischem Material der Frage nachzugehen, welche konjunktivischen Ausdrucksmittel bei welchen Konstellationen auftreten. In dieser Arbeit stehen natürlich folgende Konstellationen im Mittelpunkt: ‘Potentialität + Gegenwartsbezug’, ‘Irrealität + Gegenwartsbezug’, ‘Potentialität + Zukunftsbezug’ und ‘Irrealität + Zukunftsbezug’; dabei ist den Verhältnissen in Bildungen mit temporal markierten Formen des Konjunktivs II besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die irreale bzw. potentiale Sachverhaltsdeutung wird in dieser Arbeit (wie oben angedeutet) grundsätzlich aus der Sprecherperspektive erfasst (vgl. auch z.B. Zifonun et al. 1997). Für beide Ausprägungen der Modalität ist der Prämissenstand des Sprechers im
4
Brecht, Bertolt (1967): Gesammelte Werke, Bd. 11, 372. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Text: “Eulenspiegel als Richter”.
30 gegebenen Kommunikationsakt bestimmend. Unter dem Ausdruck “Prämissenstand” seien hier Wissensbestände (etwa Weltwissen oder Kenntnis der konkreten Situation) und reine Realitätsannahmen sowie Absenz von Wissensstücken subsumiert. Der Prämissenstand des Sprechers fällt nicht immer mit jenem des Hörers zusammen und kann sich überdies in der Kommunikationssituation ändern: Eine gegebene Komponente, die eine irreale Sachverhaltsdeutung erzwingt oder nahe legt, kann durch eine andere abgelöst werden, die eine potentiale Deutung erzwingt oder nahe legt. Im Folgenden bezieht sich die Bezeichnung “Prämissenstand” auf den sprecherseitigen Prämissenstand. Die von ihm aus erfassbare Unterscheidung von Irrealität und Potentialität schlägt sich bekanntlich nicht durchgehend in ausdrucksseitigen Differenzen nieder.5 Zum Prämissenstand gehört nur ein Teil der Erscheinungen, die man einem weit gefassten Kontextbegriff zuordnen kann. Dieser Begriff lässt sich mit Bußmann (2002: 374) beziehen auf “alle Elemente einer Kommunikationssituation, die systematisch die Produktion und das Verständnis einer Äußerung bestimmen”. Hierher gehören a) Ort, Zeit und Handlungszusammenhang der Äußerung, b) die persönliche und soziale Beziehung zwischen Sprecher und Hörer, c) Einstellungen, Interessen, Wissen oder Wissensannahmen von Sprecher und Hörer sowie d) die sprachliche Umgebung: der “sprachliche Kontext” (Bußmann ebd.). Um die Abhängigkeit der Modalitätsausprägung vom subjektiv gegebenen Prämissenstand zu verdeutlichen, sei hier ein Beleg zitiert, in dem eine reine Faktizitätsannahme für die irreale Ereignisdeutung den Ausschlag gibt. In (9) bildet der noch nicht eingetretene Abbruch der Banklehre den Hintergrund für das irreale Verständnis von Antezedens und Konsequens (der Beleg illustriert zugleich “Deixis am Phantasma” und “Versetzungen in der Vorstellung” im Sinne von Bühler 1934: 135f., 139; vgl. etwa war als Ausdruck dafür, dass sich die Sprecherin in die zukünftige Situation versetzt): (9)
[Annegret will gegen den Willen ihrer Eltern ihre Banklehre abbrechen und berät sich mit einem Psychologen über ihre Situation. Schon im Vortext kommt zum Ausdruck, dass sie nicht mehr in der Bank arbeiten will.] Dabei bin ich mit meinen Kollegen super zurechtgekommen. Ich glaube, ich war sogar ziemlich beliebt, und man hätte mich nach der Lehre auch gerne übernommen. (Beleg bei Leirbukt 1991: 176)
Bei irrealer Lesart eines Sachverhalts kontrastiert dieser mit einem für den Sprecher als real geltenden, schon bei Leirbukt (1991) “Blockierungsfaktor” genannten Sachverhalt (man könnte auch von einem “Faktizitätskorrelat” sprechen). Das Bestimmungswort Blockierung betont, dass ein Zutreffen des gedachten Sachverhalts ausgeschlossen ist. Bei potentialer Lesart dagegen ist keine Irrealität bedingende Folie, kein Blockierungsfaktor gegeben; von daher besteht Ungewissheit bezüglich des Zutreffens oder Nicht-Zutreffens des
5
Es ist allerdings gleich darauf hinzuweisen, dass es Konstruktionen gibt, in denen bestimmte ausdrucksseitig fixierbare Spezifika regelmäßig mit irrealer resp. potentialer Lesart einhergehen (vgl. 4.2).
31 gedachten Sachverhalts.6 Diese Potentialitätsauffassung entspricht zum Teil der oben zitierten von Zifonun et al. (1997), weicht aber davon in einem nicht unwesentlichen Punkt ab: Sie orientiert sich nicht allein am sprecherseitigen Prämissenstand in Bezug auf Vergangenes oder Gegenwärtiges, sondern bezieht auch Zukünftiges mit ein. Entsprechend ist die Folie für die irreale Interpretation vorgestellter Ereignisse nicht auf sprecherseitiges Wissen über Vergangenes oder Gegenwärtiges einzuengen. Hier wird der Blockierungsfaktor so bestimmt, dass er sowohl solches Wissen als auch bloße Annahmen über Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges umfassen kann. Die Art, wie er in die jeweilige Äußerung eingebracht wird, variiert ganz erheblich: Er kann teils eine explizite sprachliche Signalisierung erfahren, was in vielfältiger Weise geschieht, teils nur implizit ins Spiel kommen. Diese Möglichkeiten sollen jetzt anhand ausgewählter Belege exemplifiziert werden. Hier sei zunächst ein Beleg dafür angeführt, dass der Blockierungsfaktor unmittelbar vor der Formulierung eines durch ihn bedingten irrealen Sachverhalts sprachlich signalisiert wird (der Blockierungsfaktor wird hier per Negation der ersten zitierten Äußerung explizit gemacht): (10) “Er [der Messias] ist doch schon gekommen”, sagte ich. “Nein”, antwortete er [der Jude] heftig. “Wenn er gekommen wäre, wäre die Welt nur noch schön. Aber Sie sehen ja, wie sie ist.” (Andersch 155)
Ferner kann ein und derselbe Blockierungsfaktor die Irrealität mehrerer vorgestellter, im Anschluss an seine Einführung in den Text formulierter Sachverhalte bestimmen, womit sprachliche Ökonomie erreicht wird. Im Prätext von (11) wird darauf verwiesen, dass Honecker einen für Ende September 1984 in Aussicht genommenen Besuch abgesagt hat; dieses Faktum wird zu Beginn des zitierten Textausschnitts wieder aufgenommen und determiniert den Realitätsbezug der konjunktivisch ausgedrückten Sachverhalte: (11)
6
[...] für die Bundesrepublik und das Ost-West-Verhältnis insgesamt ist die Absage aus OstBerlin ein Rückschlag. Nicht, daß der Besuch uns auch nur einen Deut der Wiedervereinigung nähergebracht hätte – deutsch-deutsche Gipfeltreffen sind nur auf der Grundlage der Bestätigung, nicht der Überwindung der Teilung möglich. Aber die Reise Honeckers hätte doch einiges bewirkt: Daß es forthin den Verantwortlichen in Bonn und Ost-Berlin leichter gefallen
Die Kontrastierung von Vorgestelltem mit Realem als Basis für die irreale Ereignisdeutung und das Fehlen solcher Kontrastierungsmöglichkeit im Fall der potentialen finden bei Kaufmann (1975: 13) sowie in noch älterer Literatur Erwähnung: Sütterlin (1907: 230) unterscheidet “Potentialis” und “Irrealis” als “besondere Gebrauchsweisen des Konjunktivs” und führt dazu aus (ebd.): “Beidesmal drückt der Konjunktiv etwas bloß Vorgestelltes aus; aber das eine Mal wird dieses Vorgestellte nicht auf das als wirklich vorliegend gedachte Verhältnis bezogen; das andere Mal, bei dem Irrealis, wird es dagegen mit dieser Wirklichkeit verglichen.”
32 wäre, regelmäßig und ohne falschen Erwartungsdruck miteinander zu sprechen [...]. (Die Zeit 07.09.1984, 1)
Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass der explizit ausgedrückte Blockierungsfaktor erst nach der Erwähnung des durch ihn bedingten irreal gefassten Ereignisses im Text genannt wird – bei variablem Abstand zwischen dem Ausdruck des ersteren und dem des letzteren Sachverhalts. In (12) besteht ein direktes Nacheinander: (12) [Suche nach neuem Nato-Generalsekretär] Wer Robertson im Amt nachfolgt, bestimmt die Nato im Konsens. Das, und einige äußere Faktoren, kippen einige potenzielle Bewerber von der Kandidatenliste: Zum Beispiel den ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen [...]. Nato-Mitglieder hatten ihm [...] bedeutet, dass er wohl nicht konsensfähig sei. Oder Aleksander Kwasniewski, der polnische Präsident, der als Vertreter eines neuen NatoLandes und als einer, der das Wohlwollen der USA genießt, gute Chancen gehabt hätte. Doch seine Amtszeit läuft erst Ende 2005 aus. (Die Welt 28.04.2003, 7) (13) [Bericht über die 1929 entstandene, sehr viele Rollen spielende Comic-Figur Tim des Belgiers Georges Remi. Neuer Abs.:] Im kommenden Jahr hätte der Bengel seinen sechzigsten Geburtstag feiern können. Kaum zu glauben, da er so Barbie-mäßig faltenfrei blieb wie am ersten Tag; da sich sein Äußeres, außer der Nase, die zwischen den Jahren 1930 und 1931 schrumpfte, nicht veränderte. Doch den Ehrentag eines Reporters im Ruhestand, eines alten Herrn, eines Großvaters, werden seine Fans ohne ihn begehen müssen. Denn vor fünf Jahren ist Tim gestorben. (Zeitmagazin 45/1988, 87; erst auf S. 88 Hinweis auf den Tod von Georges Remi im Jahre 1983)
In (13) dagegen wird der Blockierungsfaktor – Tod von Tim = Tod von Georges Remi – erst am Ende genannt. Dieser Sachverhalt determiniert die Irrealität des aus ihm erschließbaren Antezedens (umschreibbar etwa mit ‘wenn er 1989 noch am Leben wäre’), mit dem das am Anfang des Absatzes eingeführte Konsequens verbunden ist. Letzteres wird hier durch den Konj. Plusq. als irreal gekennzeichnet, und mit der Signalisierung der Irrealität wird eine leserseitige Suche nach deren Hintergrund einhergehen.7 Als Beispiel für einen implizit in die Kommunikation eingeführten Blockierungsfaktor sei zunächst folgender Ausschnitt aus einem standardisierten Fragebogen zitiert. Hier basiert eine der Fragen auf der nicht explizit gemachten Prämisse, dass der Angeredete etwas Bestimmtes nicht ist oder einen bestimmten Beruf (o.Ä.) nicht hat. Irreal ist meistens auch der in der Antwort genannte Sachverhalt. In folgendem Beleg antwortet der Politiker Klaus Hänsch (Hervorh. im Orig. vernachlässigt):
7
Die Diskrepanz zwischen der linearen Präsentation der relationierten Einheiten (die Irrealität wird vom logischen Ende, d.h vom Konsequens her präsentiert) und ihrer logischen Ordnung (Blockierungsfaktor – Antezedens – Konsequens) hat in (13) einen besonderen stilistischen Effekt: Dadurch, dass das irreale Konsequens zuerst genannt wird, konzentriert sich die Aufmerksamkeit des Lesers auf die nachgeschobene Erläuterung.
33 (14) Wer oder was hätten Sie sein mögen? Zeus als Stier wegen Europa. (Frankfurter Allgemeine Magazin 50/1994, 26)
Die Einführung des Blockierungsfaktors allein per Implikation kann ferner in der Weise erfolgen, dass eine verstorbene oder eine lebende, aber sich an einem anderen Ort befindende Person über die Nennung des Namens oder einen Hinweis auf ein bestimmtes Verwandtschaftsverhältnis o.Ä. (zum Sprecher oder einem anderen Gesprächsteilnehmer) in die Kommunikationssituation eingebracht wird. Häufig wird an typische Handlungen, Denkweisen (u.dgl.) der betreffenden Personen erinnert: (15) [...] mein Urgroßvater hätte bei diesem Wetter auch die Koffer gepackt [...]! (http:// www.fotocommunity.de/pc/pc/display/5160703) (19.04.06) (16) [Jana, Severins Freundin, befindet sich an einem anderen Ort als er und seine Gesprächspartnerin.] [Severin:] “[...] Gib mir doch mal den Whisky rüber.” “Nein”, sagte Margooo. “Das hätte Jana dir auch nicht erlaubt, daß du dich besäufst.” (Jannausch 20f.)
In vergleichbaren Fällen wird auch eine historische Figur in die Gegenwart übertragen, was in einem Gespräch oder auch mittels eines geschriebenen Textes geschehen kann. Grundlage der Transposition ist präsupponiertes Wissen des Hörers/Lesers über die betreffende Person, das sich durch bloße Nennung ihres Namens oder auch zusätzlich durch besondere Hinweise auf ihre Absenz aktivieren lässt. Im letzteren Fall handelt es sich also um eine Kombination von impliziter und expliziter Einführung des Blockierungsfaktors. Mitunter ist die historische Figur im Text visuell präsent: (17) ist in der zitierten Quelle mit einer Tuschzeichnung von Karl Kraus als Vorleser verbunden. (17) Karl Kraus heute. Die Sprachverhunzerei der “Journaille”, das leere Geschwätz der TV-Talker, der Sittenverderb, das Lobbyistentum in der politischen Szene, unser alltäglicher Voyerismus, die Taktlosigkeit und Indiskretionen, die Ertaubung der Humanität weithin auf offener Flur: wie hätte er protestiert, angeprangert, schaudervoll furios in Zorn und Spott und Empörung. (Kulturchronik 4/1999, 12)
Interessanterweise lässt sich eine historische Figur auch in eine zukünftige Situation transponieren. Die zukünftige Welt, auf die sich die Aufforderung im folgenden Beleg bezieht, ist offenbar potential zu deuten – im Unterschied zu dem in dieser Welt angesiedelten Ereignis: Das Schreiben eines positiveren Gegenstücks zu Heines “Deutschland. Ein Wintermärchen” durch den verstorbenen Autor wird unter irrealem Gesichtswinkel dargestellt: (18) Darum bin ich entschieden gegen ein “Deutschland, Deutschland über alles ...”. Das hat der Welt bisher nur Grauen und Schrecken gebracht. Schaffen wir gemeinsam eine Welt, ein Europa, ein Deutschland, in der Heinrich Heine ein “Sommermärchen” geschrieben hätte! (Humann 375)
Auf die in (15) bis (18) illustrierte Art von Irrealitätsetablierung bezieht sich im Folgenden der Ausdruck “Transpositionskontext”.
34
4.2 Allgemeines zur sprachlichen Signalisierung von Potentialität und Irrealität
Der Unterschied von Vergangenheit und Nicht-Vergangenheit wird (wie wir gesehen haben) häufig als Basis für Generalisierungen über Irrealität vs. Potentialität betrachtet (vgl. etwa die oben kommentierte Gleichsetzung von Vergangenheitsbezug und Irrealität bei Thieroff 1992: 270f.). Die Zeitreferenz muss m.E. für solche Aussagen in differenzierterer Weise herangezogen werden, wobei auf möglichst genau (nicht nur temporal) bestimmbare Fälle zu achten ist. Ein paar Fälle dieser Art kommen unten exemplarisch zur Sprache. Hier soll zunächst die an sich triviale Tatsache festgehalten werden, dass die Zeitreferenz auch bei Gebrauch des temporal umfunktionierten Konjunktivs II sprachlich angezeigt wird, sei es durch Adverbiale im Satz mit der betreffenden Verbform oder durch satzexterne Mittel, etwa Verbformen oder Adverbiale in benachbarten Sätzen. Im Hinblick darauf kann man sagen, dass die Zeitreferenz der markierten Formen (oder genereller: die zeitliche Situierung der betreffenden Sachverhalte) eine indirekte Signalisierung erfährt. Hier hätte man es mit einer gewissen Parallele zur Kennzeichnung des Realitätsbezugs eines infinitivisch bezeichneten Sachverhalts in Konstruktionen des Typs Man hätte protestieren müssen zu tun, in denen ja der Infinitiv des Vollverbs als solcher keine Modalitätsabstufung ausdrücken kann. Diese Aufgabe wird von der Form des Modalverbs übernommen, die im angeführten Beispiel nicht das Müssen, sondern das Protestieren als irreal kennzeichnet (Näheres zu solcher Stellvertreterfunktion in 5.2.13). In der bisherigen Forschung sind die Formen des Konjunktivs II in Hinsicht auf die Anzeige von Potentialität bzw. Irrealität in aller Regel (eine Ausnahme bilden Bemerkungen bei Leirbukt 1991 und 2004a) ohne Einbezug ihrer lexikalischen Füllung diskutiert worden. Ein solcher Zugang reicht jedenfalls bei den partiziphaltigen Formen zur Erfassung der sprachlichen Gegebenheiten nicht aus: Die Art des als Partizip II auftretenden Verbs muss Beachtung finden. Als Beispiel seien zunächst Regularitäten bei Modalverben angeführt. Hier werden vergangenheitsbezogene Formen zwar meist irreal, mitunter aber auch potential gebraucht; im letzteren Fall ist Ungewissheit über Vergangenes im Spiel: (19) [...] Dieses Vergnügen [Fliegen in einer “Montgolfière”] hätte ihm [Ludwig XIV.] sicherlich noch gefehlt, doch sein Pech war, daß er schon 68 Jahre vor der Erfindung des Heißluftballons starb. Erst der übernächste König Frankreichs, Ludwig XVI., hätte in einem Ballon fahren können, was aber zu bezweifeln ist, denn er war als ängstlich und schwach bekannt. (Glaube und Leben. Kirchenzeitung für das Bistum Mainz [Erscheinungsort: Mainz] 27/1995, 25)
Die Regelbildung bei den Modalverben wird dadurch noch komplizierter, dass der Konj. Plusq. bei Gegenwartsbezug Irrealität ausdrückt (Leirbukt 2004a), vgl. etwa den obigen Beleg (14). Ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit, die Art des Verbs zu berück-
35 sichtigen, stellt ein Phänomen bei Kursiva wie leben, sich aufhalten oder sein (etwa als Kopulaverb) dar: Hier zeigt der Konj. Plusq. bei Gegenwartsbezug wie in (20) regelhaft Irrealität an.8 Anders liegen dagegen die Dinge bei Zukunftsbezug, vgl. (21). Neben derartigen Belegen für die potentiale Ereignisdeutung gibt es solche, die eindeutig irrealer Natur sind, vgl. (22). (20) [Georg von Stahleck:] “[...] Du kannst dich darauf verlassen, daß wir weiter für dich sorgen werden, auch wenn dir die Erbschaft nun nicht zufällt.” Siegmar hob lächelnd die Hand. “Du weißt, Onkel, daß ich mir aus Geld nie viel gemacht habe. Insofern trifft es mich nicht. Ein anderer wäre darüber vielleicht unglücklich gewesen, ich nicht!” (Hafner 64) (21) [Zukünftige Forschung und mögliche Anwendung des Modells “Kommunikative Grammatik”] Wegen solcher Übertragbarkeiten des Modells wäre [...] die intensive Beschäftigung mit DfaAProblemen [DfaA = Deutsch für ausländische Arbeitnehmer] auch dann nicht vergeblich gewesen, wenn die dabei gewonnenen Einsichten den betroffenen Arbeitern selbst möglicherweise kaum mehr zugute kommen sollten. (Beleg bei Leirbukt 2004a: 220) (22) Der Vertrag zwischen Oberascher [neuer Geschäftsführer] und der ÖW [Österreich Werbung] enthält auch eine sehr restriktive Konkurrenzklausel (siehe Faksimile) [Inhalt der Klausel: nach dem Ende des Anstellungsvertrags keine Tätigkeit im Geschäftsbereich der ÖW], die zwei der vier zum Hearing angetretenen Kandidaten nicht zu akzeptieren bereit waren, bestätigt ein Kommissionsmitglied. Dieser Passus hätte für jene zwei Marketingexperten nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der ÖW praktisch ein Arbeitsverbot bedeutet. (Profil 39/2000, 116)
Unter generellerem Gesichtspunkt muss also festgestellt werden, dass für die Beschreibung der sprachlichen Signalisierung von Potentialität und Irrealität ein Komplex von Faktoren in den Blick zu nehmen ist. Die temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen wirken mit andersartigen Ausdrucksmitteln zusammen, was sich hier aber nur exemplarisch besprechen lässt. Es sei zunächst ganz kurz auf das Verhältnis zum Indikativ eingegangen. Der Indikativ kann bekanntlich kontextbedingt Nicht-Faktizität zum Ausdruck bringen, was von der Wahl des Untersuchungsgebiets dieser Arbeit her nicht ausführlich erörtert zu werden braucht. In solcher Verwendung lässt er sich im Konditionalgefüge mit einer temporal umgedeuteten Konjunktiv II-Form kombinieren, soweit diese potential verstanden wird. Das Phänomen taucht in meinen Korpustexten nicht auf und bleibt im Weiteren ausgeklammert. Das erste der folgenden Beispiele ist hinsichtlich der Konstellation von Indikativ Präsens und Konjunktiv II mit (26) grob vergleichbar (auch hinsichtlich des Realitätsbezugs). Damit kontrastiert die abweichende Koppelung von Indikativ Präsens und irreal gebrauchtem Konj. Plusq. in (24):
8
In den relativ seltenen Fällen, in denen der zeitreferenziell entsprechende Kond. II bei Kursiva auftritt, erfährt er dieselbe modale Verwendung wie die einfachere Form (Belege bei Leirbukt 2004a). Für präzisere Angaben zur irrealen Ereignisdeutung beim Gebrauch des gegenwartsbezogenen Konj. Plusq. von Kursiva vgl. 8.2.
36 (23) Falls Fritz nächstes Jahr wieder nach Deutschland zurückkehrt, würde er sich fast drei Jahre in den USA aufgehalten haben. (24) *Falls die Fabrik stillgelegt wird, wäre das eine Katastrophe für diese kleine Stadt gewesen.
Der im Konditionalgefüge auftretende Indikativ wird wohl grundsätzlich einen etwas höheren Wahrscheinlichkeitsgrad indizieren als der Konj. Prät. oder Kond. I. Eine Differenzierung hinsichtlich des Realitätsbezugs ist hier zugegebenermaßen mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet und soll hier nicht weiter verfolgt werden, es ließe sich aber immerhin auf einen Unterschied wie wäre vs. ist in (25) zurückgreifen. Hier ist es nach Zifonun et al. (1997: 1747) “aus Sprechersicht nicht ausgeschlossen, daß Hans im Raum ist, aber die Wahrscheinlichkeitsgewichtung fällt – anders als wenn er formulierte Aber wenn er im Raum ist ... – eher zuungunsten von p aus”: (25) Ich weiß zwar nicht, wo Hans sich gerade aufhält. Aber wenn er im Raum wäre, würde er sich bestimmt melden.
Im Bereich der nicht-verbalen Ausdrucksmittel ist vor allem auch auf einige Konstruktionstypen hinzuweisen, die sprachlich greifbare Beiträge zur regelhaften Kennzeichnung von Potentialität bzw. Irrealität leisten. Sie sind über bestimmte feste Bestandteile (z.B. Konjunktionen) oder optionale Elemente im satzförmigen Ausdruck des betreffenden Sachverhalts charakterisierbar. Bestimmte ausdrucksseitige Züge solcher Konstruktionen (einschließlich satzinterner Einzelelemente) kooperieren miteinander (vgl. etwa die unten belegte Kombination für den Fall, dass + wider Erwarten), ohne dass sich dieser Fragenkreis hier näher untersuchen lässt. Bei der nachfolgenden Exemplifizierung werden sowohl Bildungen mit Formen des Konjunktivs II als auch solche mit Indikativformen berücksichtigt, da die konstruktionell greifbaren Spezifika mit der Modusvariation Konjunktiv II – Indikativ nicht zusammenzuhängen scheinen. Das Repertoire nicht-verbaler Potentialitätsanzeiger scheint relativ gut ausgebaut zu sein. Konstruktionell erfassbare Regularitäten liegen beispielsweise bei Nicht-Vergangenes ausdrückenden konditionalen Nebensätzen mit im Falle/für den Fall, dass; gesetzt den Fall, dass; unter der Voraussetzung, dass; vorausgesetzt (dass); angenommen (dass) u.Ä. vor.9 Derartige Nebensätze haben – wie Zifonun et al. (1997: 2281) unter allgemeinerem Gesichtspunkt (ohne Fokussierung des Bezugs auf Nicht-Vergangenes) feststellen – durch ihre Einleitungselemente eine besondere Affinität zur potentialen Ereignisdeutung. Letzte-
9
Die potentiale Deutung von Nebensätzen mit falls und für den Fall, dass berührt schon Wilmanns (1906: 289), wenn er darauf verweist, dass diese Einleitungselemente bezeichnen können, was in älterer Sprache durch einen “potentialen Optativ” ausgedrückt wurde. Bei falls ist übrigens zu berücksichtigen, dass der Sachverhalt des Nebensatzes u.U. auch eine irreale Deutung erfährt, wie sie bei Zifonun et al. (1997: 2281) aufgezeigt wird. Auch bei sofern gibt es neben der von Zifonun et al. (ebd.) erwähnten potentialen Verwendung auch eine irreale, vgl. (14) in 5.2. Die Annahme von Fischer (1981: 189), falls und sofern drückten nur Ungewissheit (d.h. Potentialität des Antezedens) aus, muss als widerlegt gelten.
37 res wird bei den erwähnten partizipialen Einleitungselementen auf die lexikalische Bedeutung zurückzuführen sein: Verben wie voraussetzen oder annehmen verweisen auf etwas Vorgestelltes, das nicht als irreal interpretiert wird. Dies reflektiert sich auch bei angenommen + Nebensatz mit Indikativform als Ausdruck eines Gedankenexperiments wie in (26), in dessen Rahmen auch der konjunktivisch bezeichnete Zustand als potential zu gelten hat.10 Der Schreibende setzt hier eine “Welt”, entwirft eine Situation, die objektiv betrachtet natürlich nicht zustande kommen kann, die aber vom subjektiv etablierten Prämissenstand her als nicht-irreal gilt: (26) Angenommen, jemand nimmt alle Wiener in eine Hand, schüttelt den Grant und die Besserwisserei heraus, reichert den Schmäh mit Lebensfreude an, holt aus und wirft sie auf die andere Seite der Erde. Dann hätte er seine Zeit verschwendet. Denn Captain Cook hat die Australier bereits vor rund zweihundert Jahren erfunden. (Profil 39/2000, 158)
Ferner wird der Konnektor es sei denn in der Exzeptivkonstruktion in der Regel eine potentiale Lesart des Vorgestellten nahe legen (vgl. 5.2.2): (27) Ihre [persönlichen] Daten werden von uns weder veröffentlicht noch an Dritte weitergegeben, es sei denn, sie [sic] hätten uns dazu explizit ermächtigt. (http://www.extrajetzt.de/v3/de/ imprint.htm) (22.11.05)
Im konditionalen Nebensatz – fortan auch als “Konditionalsatz” bezeichnet – tritt eine besondere Gruppe von Potentialitätsanzeigern auf. Dazu gehören Ausdrücke wie wider Erwarten oder entgegen-Phrasen mit Substantiven wie Erwartung, Annahme (o.Ä.). Durch die Verwendung derartiger Elemente wird sich der Wahrscheinlichkeitsgrad gegenüber einer Formulierung ohne sie zumindest in der Tendenz verringern.11 Man vergleiche (28a) mit (28b):
10
11
In diesem Zusammenhang ist auch der Umstand von einigem Interesse, dass die Wahl etwa von angenommen in Verbindung mit vergangenheitsbezogenem Konj. Plusq. eine potentiale Sachverhaltsdeutung zu involvieren scheint: nun habe ich auch ne Frage. Angenommen es wäre kein Mahnverfahren durchgeführt worden; wann wäre der 2000er Anspruch nun verjährt? (http:// forum.jurathek.de/archive/index.php/t-4554.html) (07.11.05) Nach Freund/Sundquist (1988: 492) zeigt die sollte-Fügung im Konditionalsatz verglichen mit dem Indikativ Präsens “eine weniger wahrscheinliche Möglichkeit” an (schwedisch: “en mindre sannolik möjlighet”). Weiter heißt es (ebd.), dass die “Variante mit sollte” (“varianten med sollte”) häufig durch wider Erwarten und eventuell “verstärkt” (“förstärkt”) wird, wobei unklar bleibt, ob die Autoren solche hinzugefügten Elemente als Ausdruck weiter reduzierter Wahrscheinlichkeit betrachten oder nicht.
38 (28a) [...] Lafontaine würde, wenn er wider Erwarten zum Parteitag erschiene, nicht viel mehr als Buhrufe ernten. (http://www.ndrinfo.de/ndrinfo_pages_std/0,2758,OID113216,00.html) (27.10.05) (28b) [...] Lafontaine würde, wenn er zum Parteitag erschiene, nicht viel mehr als Buhrufe ernten. (29) Boardbackups nötig? Kein Problem. Im Administrationsbereich gibt es die Möglichkeit, sich ein Backup des eigenen Boards per Mail zuschicken zu lassen. Für den Fall, dass es wider erwarten mal zu einem Crash kommen sollte, gehen wichtige Daten das Forum betreffend NICHT verloren und können dann im Bedarfsfall an Freeklick zur Restaurierung des Boards [...] zurückgesandt werden. (http://www.dooyoo.de/internet-seiten/freeklick-com/791869) (19.04.06) (30) Sollte es - entgegen unseren Erwartungen - Probleme geben, dann möchten wir Sie bitten, uns dies mitzuteilen. (http://www.rerik.de/nws/index.php3?start=20) (28.03.06)
In diesem Zusammenhang ist auch auf im Konditionalsatz mögliche Elemente wie vielleicht, eventuell, möglicherweise, womöglich u.Ä. hinzuweisen, die einen etwas niedrigeren Wahrscheinlichkeitsgrad signalisieren als z.B. wahrscheinlich, sicher oder garantiert und sich mit potentialer Sachverhaltsdeutung relativ leicht kombinieren lassen. Nach Sandhöfer-Sixel (1988: 125) dienen derartige Elemente dazu, den “hypothetischen Charakter der Äußerung” zu verstärken; diese Funktion wird (ebd.) für eventuell und vielleicht nachgewiesen. Im Beleg (31a) wird die potentiale Interpretation des Konditionalsatzes durch die sollte-Fügung explizit gemacht und durch womöglich zusätzlich bestimmt. Eine Kombination dieser Verbalfügung beispielsweise mit wahrscheinlich oder garantiert wird ausscheiden, was mit dem durch derartige Elemente als relativ hoch gekennzeichneten Wahrscheinlichkeitsgrad (vgl. z.B.: Petra ist wahrscheinlich verreist) im Zusammenhang stehen dürfte: (31a) Unterdessen muß die Partei [NRW-CDU] sich im stillen jedenfalls auch auf die Lösung ihrer Personalien vorbereiten, falls es wirklich zu einem jähen Ende von Rot-Grün und womöglich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen sollte [...]. (Mannheimer Morgen 06.05.1996, Beleg aus dem Mannheimer Korpus: MMM/605.19504) (31b) *falls es wahrscheinlich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen sollte
Das Ausscheiden etwa von wahrscheinlich im konjunktivischen Konditionalsatz wurde schon von Sandhöfer-Sixel (1988: 125) konstatiert (ihr Beispiel: *Wenn sie wahrscheinlich nicht so ekelhaft gestrichen wären) und dahingehend erklärt, dass der Hörer nicht dem Antezedens, “sondern erst der darauf basierenden Konsequenz” widersprechen könne. Ich würde dagegen solche Blockierung (gegenüber der Verfügbarkeit von vielleicht u.Ä. im Konditionalsatz) mit differierenden Wahrscheinlichkeitsgraden in Verbindung bringen; eine nähere Begründung kan aber erst im Rahmen generellerer Überlegungen zur semantisch-pragmatischen Struktur des Konditionalgefüges erfolgen (vgl. 4.3). Die nicht-verbalen Anzeiger für Irrealität scheinen insgesamt gesehen weniger zahlreich zu sein als die für Potentialität. Eine konstruktionsbedingte Regularität ist z.B. die bekannte irreale Interpretation von Nebensätzen mit ohne dass oder dass-Sätzen bei Negation im Hauptsatz (vgl. etwa Dudengrammatik 2005: 528):
39 (32) Jacques Derrida ist ein Zeitgenosse – und Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken gefasst, sagt Hegel. Nur, so einfach ist es leider nicht, dass wir mit Derridas Philosophie unsere Zeit gedanklich eingefangen hätten. (Schweizer Monatshefte 7–8/1995, 54)
Hinzu kommt noch die Kombination von da und nicht in einem nachgestellten wenn-Satz oder einem asyndetischen Äquivalent: (33) Ich verstehe ja weiterhin nicht, warum Logitech die Tastaturen nicht auch einzeln anbietet! Ich hätte mir schon seid Ewigkeiten eine schicke Tastatur zugelegt, wenn da nicht immer noch ne unnötige Maus dabei gewesen wäre! (http://www.computerbase.de/news/hardware/peripherie/ eingabegeraete/2005/september/logitech_mx3000_mx1000-maus) (28.03.06) (34) Eigentlich sollte sie glücklich und zufrieden sein, wäre da nicht immer dieser Traum: Ein arabischer Prinz bittet sie, auf sein Pferd zu steigen. (http://www.steffis-buecherkiste.de/ buch_156.html) (28.03.06)
Schließlich ist auf Ausdrücke wie beinahe, fast u.Ä. hinzuweisen, die regelmäßig in irreal zu verstehenden Bildungen auftreten (vgl. z.B. Dudengrammatik 2005: 526): (35) Die Tagung übernächste Woche hätte um ein Haar mit einer Panne begonnen.
4.3 Exkurs: Abstufung der Sicherheit der Äußerung – mit besonderer Berücksichtigung der konjunktivischen Konditionalgefüge
Im Folgenden soll bei Konzentration auf Konditionalgefüge mit Konjunktiv II an die von Sandhöfer-Sixel (1988) geforderte Unterscheidung von sprecherseitiger Gewissheit (“Validation 1”) und Realitätsbezug (“Validation 2”) angeknüpft werden. Diese Erscheinungen werden von der Autorin unter dem Begriff der “Gültigkeitsmodalität“ zusammengefasst und von der “emotionalen Bewertung“ als einer eigenen Dimension der bei ihr relativ weit gefassten Modalität unterschieden. Diese Begrifflichkeit ist hier nicht auf ihre generelle Relevanz hin zu prüfen; Berücksichtigung findet nur das, was in meinem Diskussionszusammenhang von Wichtigkeit ist. Bei der “Validation 2” hat man es mit der Dimension der Modalität in der schon in 1.1 dargelegten Definition zu tun. Die entsprechenden Angaben von Sandhöfer-Sixel unterscheiden sich nicht wesentlich von den modalitätsbezogenen Angaben dieser Arbeit, auch wenn sie den temporal umgedeuteten Konjunktiv II nicht untersucht. Von daher braucht auf die Ausführungen der Autorin zur “Validation 2” hier nicht näher eingegangen zu werden. Im Bereich der “Validation 1”, die prinzipiell skalar aufgefasst wird (Sandhöfer-Sixel 1988: 15–19), dienen unterschiedliche Elemente als “Validatoren 1”, neben dem (“vorsichtigen”) Konjunktiv II (wie etwa in Das wäre dann zweiundsiebzig gewesen) beispielsweise auch Modalverben (Es dürfte jetzt wohl zu spät sein) sowie Elemente wie wahrscheinlich, vermutlich als Ausdruck hoher Gewissheit oder vielleicht, eventuell als Ausdruck abge-
40 schwächter Gewissheit (Sandhöfer-Sixel 1988: 93–116). Unter generellerem semantischpragmatischem Gesichtspunkt wird die “Validation 1” ferner charakterisiert über den Hinweis auf Phänomene wie das Hervorheben der Subjektivität der Darstellung, das Formulieren von Vorbehalten oder die vorsichtig-zurückhaltende Ausdrucksweise (Sandhöfer-Sixel 1988: 114ff.). Hierher gehört auch die Variation der sprecherseitigen Sicherheit beim Gebrauch des Konditionalgefüges, der in unserem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist, und zwar in Hinsicht auf die sprachlich greifbare Eigenart wie auch in Hinsicht auf das Verhältnis zur modalen Einschätzung der in der Konstruktion ausgedrückten Sachverhalte. An dieser Stelle muss zur Klärung des systematischen Stellenwerts der Sicherheitsabstufung zunächst auf konstitutive Bedeutungszüge des prototypischen, indikativisch oder konjunktivisch ausgestalteten Konditionalgefüges des Deutschen eingegangen werden.12 Dabei ist gleich der Vorbehalt zu machen, dass eine eingehende Beschäftigung mit der reichhaltigen Literatur zur Konditionalität nicht erfolgen kann, weder unter Konzentration auf die Verhältnisse im Deutschen noch unter übereinzelsprachlichem Gesichtspunkt. Als fundamentales Bedeutungskriterium des Konditionalgefüges gilt hier die Verbindung von Antezedens und Konsequens als aufeinander bezogenen Sachverhalten mit dem Merkmal ‘non-factual’ im Sinne von Palmer (1986: 189). Deren Beziehung zueinander, die bei Fischer (1981: 132f.) mit dem Ausdruck “irgendein Zusammenhang” charakterisiert wird, könnte etwas genauer dahingehend bestimmt werden, dass sie kausaler oder logischer Art ist (für Beispiele s. 4.1). Bei assertiver Verwendung der Konstruktion, gleichgültig ob diese indikativisch oder konjunktivisch realisiert wird, impliziert das Zutreffen des Antezedens stets das Zutreffen des Konsequens, was hier als “p–>q” notiert sei. Diese Notation soll zugleich besagen, dass das Zutreffen von p eine ausreichende Bedingung für das Zutreffen von q darstellt (vgl. etwa Pasch 1994: 133). Mit “Konditionalgefüge” ist in dieser Arbeit die gesamte Konstruktion gemeint, auch wenn sie nicht die Struktur Hauptsatz + Nebensatz hat.13 Fur den satzförmigen (d.h. ein finites Verb aufweisenden) Ausdruck des Antezedens wird die oben eingeführte Bezeichnung “Konditionalsatz” benutzt. Auf den ihm übergeordneten Satz bezieht sich hier die (schon in Kapitel 1 benutzte) traditionelle Benennung “Folgesatz”.
12
13
Vom prototypischen Konditionalgefüge sind natürlich beispielsweise Bildungen mit sprechaktbezogenem wenn-Satz zu unterscheiden: Wenn du mich morgen treffen willst, ich bin zu Hause. Ich möchte eine Pause machen, wenn es Ihnen recht ist (vgl. z.B. Hermodsson 1978: 49ff., dort auch Hinweise zu verschiedenen Typen von wenn-Gefügen). Eine neuere Übersicht über das breite Spektrum von “Konditionalsätzen” (im weiten Sinn) findet sich etwa in der Dudengrammatik (2005: 1093ff.). Der traditionelle Ausdruck “Hauptsatz” wird hier und im Weiteren auf den dem Nebensatz übergeordneten Satz bezogen, der in seinem Verhältnis zum Nebensatz auch “Obersatz” genannt werden könnte. Die damit verbundene generelle Problematik der Subordination kann hier keine nähere Erörterung erfahren. Zu verschiedenen Definitionsmöglichkeiten der drei Begriffe vgl. etwa die Darstellung bei Zifonun et al. (1997: 2235ff., dort auch Literatur).
41 Bei der relationsbezogenen Darstellung des Konditionalgefüges in der Literatur steht gemeinhin sein assertiver Gebrauch im Mittelpunkt. Das gilt etwa für die folgende Bestimmung der “Konditionalinterpretation” bei Zifonun et al. (1997: 1746): “Es ist aus der Sicht des Sprechers mit dem einschlägigen Wissen eher vereinbar, daß ‘p und q’ der Fall ist, als daß ‘p und nicht-q’ der Fall ist.” Bei der diesbezüglichen Exemplifizierung werden bezeichnenderweise nur assertive Sätze herangezogen. In der vorliegenden Arbeit muss das Vorkommen des Konditionalgefüges in Fragesätzen schon deswegen berücksichtigt werden, weil es auch in ihnen den temporal umfunktionierten Konjunktiv II aufweist. Der hier anzutreffende Gebrauch der Konstruktion lässt sich auf dem Hintergrund ihrer assertiven Verwendung so verstehen, dass das Vorliegen der Beziehung p–>q zum Gegenstand einer Frage gemacht wird. In diesem Zusammenhang kommt der herkömmlichen Unterscheidung von Entscheidungs- und Ergänzungsfragen erhebliche Relevanz zu: Bei einer Entscheidungsfrage geht es darum, ob das Verhältnis p–>q überhaupt besteht, vgl. (36); bei der Ergänzungsfrage wird das Bestehen von p–>q präsupponiert und nach der Art des Konsequens gefragt, wie in (37): (36) Hätte es weniger Probleme gegeben, wenn Petra an der morgigen Sitzung teilgenommen hätte? (37) Welche Probleme hätte es gegeben, wenn Petra an der morgigen Sitzung teilgenommen hätte?
Gegenüber der Abstufung der Distanz der mit dem Konjunktiv II beschriebenen Ereignisse zur Wirklichkeit hat die Abstufung der Sprechersicherheit im Konditionalgefüge insofern als sekundär zu gelten, als sie grundsätzlich auf dessen assertiven Gebrauch beschränkt sein dürfte. Die mit diesem Gebrauch verbundene Behauptung über das Vorliegen der Relation p–>q ist bezüglich ihrer Stärke variierbar, was bei der Realisierung der Konstruktion in einem Fragesatz von dessen epistemischer Natur her ausscheidet. Der Abstufung der Sprechersicherheit kommt auch deswegen ein sekundärer Status zu, weil sie beim Konditionalgefüge unausgedrückt bleiben kann. Ist kein besonderer Marker vorhanden, wird ein hoher Sicherheitsgrad der Äußerung angezeigt. Der Sicherheitsgrad scheint vom Wahrscheinlichkeitsgrad des vorgestellten Sachverhalts prinzipiell unabhängig zu sein: (38) Kommen sie morgen, gibt es garantiert/wahrscheinlich Ärger. (39) Kämen sie morgen, würde es garantiert/wahrscheinlich Ärger geben. (40) Wären sie morgen gekommen, hätte es garantiert/wahrscheinlich Ärger gegeben.
Diese beiden epistemischen Dimensionen sind für das Konditionalgefüge nicht spezifisch; die Abstufung der Sprechersicherheit tritt, wie die unten zitierten Belege (46)–(48) zeigen, auch bei andersartigen Konstruktionstypen auf. Das Konditionalgefüge weist aber syntaktische Charakteristika auf, die weitere Evidenz für die grundsätzliche Unterscheidung liefern: Die Kennzeichnung des Wahrscheinlichkeitsgrades erfolgt sowohl im Folgesatz als auch im Konditionalsatz; der Grad der Sprechersicherheit wird dagegen nicht im letzteren Teilsatz, sondern im ersteren oder auch in einer eigenen, außerhalb der Gesamtkonstruktion befindlichen Sequenz angezeigt (hier ein Beleg aus einem Transpositionskontext):
42 (41) Kein Zweifel: Er [der Surrealist René Magritte] hätte mit Leidenschaft die Möglichkeiten der heutigen elektronischen Bildbearbeitung ausgelotet [...] (http://educanet2.ch/kadervernetzung/ vernetzungstag2005.html) (28.03.06)
In diesem Zusammenhang sei auch auf einen Konstruktionstyp hingewiesen, der eine saubere Unterscheidung der beiden Ebenen der Epistemizität und eine entsprechende Zuordnung bestimmter Teile der Gesamtkonstruktion erfordert: In Bildungen wie (42), wo das Konsequens (anders als im Normalfall) nicht in einem Folgesatz, sondern in einem sog. Inhaltssatz zum Ausdruck kommt, der sich an Elemente wie glauben, sicher sein u.Ä. im übergeordneten Satz anschließt, signalisiert die auf den Konditionalsatz folgende Sequenz (hier: kannst du mir glauben) den Grad der Sprechersicherheit, nicht den Wahrscheinlichkeitsgrad von Antezedens oder Konsequens.14 Der Wahrscheinlichkeitsgrad des Antezedens wird hier (wie auch anderswo) mit Hilfe konjunktivischer Formen ausgedrückt; man vergleiche die nachstehenden Beispiele. Korrespondierende Regularitäten sind bei Anzeige des Konsequens in Inhalts- und Fragesätzen zu beobachten. In (42) und (43) wird die Wahrscheinlichkeitsabstufung durch den Konjunktiv II gekennzeichnet, der mit dem Indikativ jener Sequenz kontrastiert, in der die Sprechersicherheit Ausdruck findet; hier spricht also auch die Modusdifferenz für die prinzipielle Unterscheidung der beiden epistemischen Dimensionen: (42) Hätte ich was anderes vorgeschlagen, kannst du mir glauben, dass Petra sauer geworden wäre. (43) [Aussage eines Psychologen] Und die [soziale Umgebung des typischen türkischen Jungen] sei eben von Familientraditionen, Brüdern, Vätern, Cousins und Onkeln geprägt. “Wenn der die Chance hätte, eine Lehrstelle anzutreten bei seinem Onkel, der Gemüsehändler ist, oder bei Karstadt – dann ist klar, was er nehmen würde.” (PZ [Politische Zeitung, Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn] 102 [Juni 2000], 6)
Mit der unterschiedlichen Distribution von Ausdrucksmitteln für die fraglichen epistemischen Dimensionen beim Konditionalgefüge scheint mir die Tatsache zusammenzuhängen, dass der Konditionalsatz im Deutschen (und in mehreren anderen Sprachen) das größere Repertoire verbaler Ausdrucksmittel für die Abstufung der Distanz zur Realität aufweist und infolgedessen eine genauere Kennzeichnung von Differenzierungen in diesem Bereich zulässt als der Folgesatz (vgl. etwa Leirbukt 1994). Für die Auseinandersetzung mit der bei Sandhöfer-Sixel gebotenen Erklärung für die Blockierung von “Validatoren 1” wie etwa wahrscheinlich im konditionalen Nebensatz (vgl. 4.2) erscheint es notwendig, zunächst darauf hinzuweisen, dass die Annahme der Autorin (1988: 125), Elemente wie eventuell oder vielleicht seien im indikativischen Konditionalsatz nicht möglich (ihr Beispiel: *Wenn vielleicht/eventuell kein Glatteis ist, komme ich), einer Relativierung bedarf:
14
Zu sicher sein als Indikator von Sprechersicherheit und zugehörigem Inhaltssatz als KonsequensAusdruck vgl. den Beleg (22) in Kapitel 9.
43 (44)
Nach diesen Transaktionen, die im November noch von der Hauptversammlung abgesegnet werden müssen, besitzen co op-Aktionäre statt bislang 17 Aktien, die am Montag noch mit 110 Mark je Aktie bewertet wurden, dann drei neue Aktien, für die noch 250 Mark pro Stück hinzugezahlt werden müssen. Der Wert des Bezugsrechts dürfte sich also allenfalls in Pfennigen messen lassen, falls die neue, sanierte co op vielleicht als Hoffnungswert gehandelt oder als Übernahmeobjekt aufgrund hoher Verlustvorträge interessant wird. (Mannheimer Morgen 19.10.1989; Beleg aus dem Mannheimer Korpus: MMM/910.38757) (45) So ist der 1300er Motor [von Peugeot] als schadstoffarm [...] eingestuft und gelten die 1,6Liter-Machine und die 1,9-Liter-Maschine derzeit als schadstoffarm [...]. Wenn sie eventuell ab Herbst das Pulsair-Abgasrückführungssystem verpaßt bekommen, dürften sie ebenso als schadstoffarm und damit steuerbefreit eingestuft werden, wie heute schon der 1,6-Liter-Einspritzmotor mit 104 PS [...]. (Mannheimer Morgen 09.04.1986, Beleg aus dem Mannheimer Korpus: HS86/IM3.11053)
Die eben erwähnte problematische Restriktionsannahme hängt offenbar damit zusammen, dass Sandhöfer-Sixel dem indikativischen Konditionalgefüge keinen hypothetischen Charakter zuspricht (1988: 125). Dem ist z.B. mit Palmer (s.o.) entgegenzuhalten, dass die im Konditionalgefüge miteinander verbundenen Sachverhalte – auch die indikativisch formulierten – das Merkmal ‘non-factual’ besitzen. Von daher ist zu erwarten, dass einige (hier nicht näher zu bestimmende) Elemente, die außerhalb des konditionalen Nebensatzes einen gewissen Abstand zur Realität anzeigen, mitunter auch hier vorkommen können. Auf der Basis der oben vorgetragenen Beobachtungen kann nunmehr zu der von Sandhöfer-Sixel (1988) gegebenen Erklärung für das Ausscheiden von “Validatoren 1” wie wahrscheinlich im Konditionalsatz Stellung genommen werden. Die Autorin nimmt (1988: 125) an, dass sich derartige Elemente “stets auf den im Hauptsatz dargestellten Gegenstand“ beziehen; das Antezedens sei dagegen nicht negierbar, “insofern auch nicht im Sinne der Val[idation] 1 einschränkbar”. Zur weiteren Erklärung wird bemerkt (ebd.): “Nicht der hypothetischen Setzung selbst, sondern erst der darauf basierenden Konsequenz kann der Gesprächspartner widersprechen. Nur im Hauptsatz besteht daher Anlaß, der Möglichkeit der Negierbarkeit einer Aussage mittels einschränkender Validatoren 1 Rechnung zu tragen.” Über “formal mit den einschränkenden Validatoren 1 identische Mittel im Antezedens” wird ferner festgestellt, dass sie “nicht der Reduzierung des Gewißheitsgrades dienen” (Sandhöfer-Sixel 1988: 126). Der zuletzt zitierten Beobachtung ist ohne weiteres zuzustimmen, hinsichtlich des Skopus des im Folgesatz auftretenden wahrscheinlich, vielleicht (etc.) aber ist m.E. mit Palmer (1986: 198) davon auszugehen, dass sich solche Elemente auf die gesamte Konstruktion, genauer: auf die Behauptung über die Geltung von p–>q beziehen (bei assertivem Gebrauch des betreffenden Konditionalgefüges). Diese Behauptung ist in ihrer Stärke auf unterschiedliche Weise variierbar, auch mit Hilfe vorangestellter Sequenzen wie kein Zweifel, vgl. (41), oder ich glaube (Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn wir vorbeikämen) sowie durch eingeschobene satzförmige Ausdrücke wie die in (42) und (43). Abschließend sei festgehalten, dass die Skalierung der Sprechersicherheit – vgl. (46) und (47) – auch bei konzessiven Konstruktionen auftritt, ebenfalls bei Bildungen wie der in (48), die eine Koppelung von einem meist real gefassten Müssen, Können etc. und einem unter solchem deontischen Aspekt qualifizierten Sachverhalt mit variablem Realitätsbezug (vgl. 5.2.13) zum Ausdruck bringen (das nachstehend belegte verdienen ist deontischer Natur und grob mit ‘bekommen müssen’ zu umschreiben).
44 (46) Letzte Frage: Welche Persönlichkeiten aus der Geschichte würdest du zu einer - imaginären Party einladen wollen? Elliott: Ich würde gerne Dostojewsky einladen wollen, obwohl er vielleicht schlechte Laune hätte und die anderen Gäste erschrecken würde. (http:// www.elliottsmith.de/zpresse.htm) (28.03.06) (47) Generell kann man beim TomTom Rider sagen, dass es sich um ein modernes Gerät handelt, das wirklich für den Einsatz auf dem Motorrad konzipiert wurde. Es [...] ist wasserfest und hat auch ein kleines Sonnenschild, zur besseren Ablesbarkeit. Es hat einen eigenen Akku drin, damit man unabhängig ist (auch wenn er vielleicht nur zur Routenplanung am Abend interessant sein sollte). (http://f2.webmart.de/f.cfm?id=2889199&r=threadview&t= 2725890) (28.03.06) (48) [...] sie [die Mannschaft] war nach einigen Konzentrationsfehlern doch noch mit 4:5 [...] geschlagen. Die Härtewoche hat also ausgesprochen unglücklich für die Mannschaft von Trainer Otto Schneitberger begonnen, die gestern sicher einen Punkt verdient gehabt hätte. (Rheinische Post 07.01.1987, “Düsseldorfer Feuilleton/Düsseldorfer Sport”)
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Verwendungsgebiet des temporal markierten Konjunktivs II
5.1 Allgemeines
Unsere Bildungen mit nicht-vergangenheitsbezogenem partiziphaltigem Konjunktiv II sind sehr unterschiedlicher Natur. Bei der nachfolgenden Präsentation ausgewählten Materials müssen sowohl erstarrte Beispiele Berücksichtigung finden (z.B. Das hätte gerade noch gefehlt) als auch solche, die durch eine variablere Struktur gekennzeichnet sind. Bei Bildungen der letzteren Art handelt es sich teils um grammatisch (ausdrucksseitig und/oder inhaltsseitig) zu beschreibende Konstruktionstypen, teils um solche Bildungen, die zwar keine erstarrte Struktur aufweisen, die sich aber nicht oder nur beschränkt unter grammatischen Gesichtspunkten charakterisieren lassen (Beispiel für Letzteres: So, das hätten wir jetzt erledigt). Es muss gleich gesagt werden, dass im Bereich der nicht-erstarrten Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II zwischen den grammatisch definierbaren Konstruktionstypen und den ihnen gegenüberzustellenden freieren Bildungen keine scharfe Grenze gezogen werden kann und dass auch innerhalb der ersteren Gruppe fließende Übergänge in Rechnung zu stellen sind. Trotzdem soll das empirische Material in verschiedenen Unterkapiteln präsentiert werden: Zunächst geht es um grammatisch bestimmbare Konstruktionstypen (5.2), anschließend um Erstarrtes (5.3) und schließlich um freiere Bildungen grammatisch nicht genau zu fixierender Struktur (5.4). Im Folgenden wird hauptsächlich der irreale bzw. potentiale Gebrauch des temporal umfunktionierten Konj. Plusq. veranschaulicht. Die Verwendung des entsprechenden Kond. II kommt erst in Kapitel 6 zur Sprache. Die vorgestellten Sachverhalte werden nur ganz grob den Zeitstufen Gegenwart bzw. Zukunft zugeordnet; eine genauere Beschreibung der zeitlichen Situierung erfolgt in Kapitel 7.
5.2 Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in grammatisch bestimmbaren Konstruktionstypen
Die Zuordnung des zu präsentierenden empirischen Materials zu bestimmten Konstruktionstypen soll sich weitgehend an der in der Literatur üblichen Klassifizierung orientieren (Konditionalgefüge, Konzessivgefüge usw.). Bei der Besprechung einschlägiger Beispiele müssen in gewissem Maße auch Charakteristika der generelleren Typen Erwähnung finden. Darüber hinaus ist auf ein paar Bildungen einzugehen, die gemeinhin nicht als eigene Konstruktionstypen geführt werden, die aber aufgrund besonderer Eigenschaften eine solche Behandlung erfahren sollten.
46 Zur Beschreibung des markierten Konjunktivs II kann in gewissem Umfang auf generellere Angaben etwa bei Zifonun et al. (1997) oder in der Dudengrammatik (2005) zur Moduswahl in Konditionalgefügen und anderen Bildungen rekurriert werden, wobei u.U. auch Ergänzungen erforderlich sind. Darüber hinaus soll ein m.W. bislang nicht beachteter Konjunktivgebrauch aufgezeigt werden (z.B. für soweit-Sätze, vgl. 5.2.16). Die Anordnung der zu besprechenden Konstruktionen orientiert sich (bei fließenden Grenzen) daran, ob und wieweit die Wahl des Konjunktivs in der jeweiligen Sequenz und die irreale bzw. potentiale Deutung des betreffenden Sachverhalts zu bestimmten sprachlichen Charakteristika in Beziehung zu setzen sind, wie sie sich etwa für Bildungen wie Sie hätte jetzt hier sein müssen oder größere Konstruktionen mit eingebautem Nebensatz wie Die Diskussion könnte jetzt so weit gediehen sein, dass sich klare Positionen herausgebildet hätten angeben lassen. Eine solche Herangehensweise liegt bei derartigen Beispielen nahe (und ist in der Literatur üblich), scheidet aber bei einer Reihe von Bildungen aus, in denen der temporal markierte Konjunktiv II auftritt. In (1) z.B. hängen die Irrealität und die Wahl des Konjunktivs mit der Spezifik des hier nicht voll ausgeführten Konditionalgefüges zusammen; sie lassen sich weder mit der Struktur des Relativsatzes als solchem in ursächliche Verbindung bringen noch von hier aus deskriptiv erfassen: (1)
Der Soldat muß Menschen töten, gegen die er nichts, [sic] hat, die er nicht kennt und mit denen er außerhalb der Kriegssituation vielleicht hätte befreundet sein können. (de Witt et al. 112f.)
Aufgrund der erwähnten Differenzen sollen etwa Konditionalgefüge oder konsekutive dass-Sätze der oben illustrierten Art vor Relativsätzen wie dem in (1) und vor mehreren anderen Konstruktionstypen behandelt werden, die im Folgenden nur der Vollständigkeit halber Berücksichtigung finden. Sie könnten in einer größeren Gruppe gemeinsam besprochen werden, sollen aber der besseren Übersicht wegen getrennt zur Sprache kommen. Die nachfolgenden Hinweise zum Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in verschiedenen Konstruktionstypen streben bezüglich deren (z.T. vielfältiger) Realisierungsmöglichkeiten keine Vollständigkeit an. Beim Konditionalgefüge etwa kann es nicht darum gehen, alle von der Struktur des konditionalen Nebensatzes her aufstellbaren Untertypen auf das mögliche Vorkommen der fraglichen Modusformen hin zu untersuchen. Mir geht es primär um deren Auftreten in ausgewählten Konstruktionsvarianten. Dabei ist allerdings auf generellere Bemerkungen zur semantischen oder formalen Struktur der betreffenden Bildungen nicht zu verzichten, da solche Bemerkungen u.a. zur Beleuchtung der Verwendungsbreite der temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen beitragen können.
5.2.1 Konditionalgefüge Die zentralen semantisch-pragmatischen Eigenschaften des Konditionalgefüges wurden schon in 4.3 besprochen. Vor dem Aufweis der hier möglichen Variation bezüglich der Modalität und der Zeitreferenz soll der Frage nach der Art der Realisierung der Konstruktion nachgegangen werden. Mit “Konditionalgefüge” ist in dieser Arbeit die gesamte Konstruktion gemeint (auch wenn sie nicht die Struktur Hauptsatz + Nebensatz hat), während der satzförmige (d.h. ein
47 finites Verb aufweisende) Ausdruck des Antezedens “Konditionalsatz” genannt wird (vgl. 4.3). Im Anschluss etwa an Helbig/Buscha (2001) und Heidolph et al. (1984) werden hier “verkappte” Konditionalgefüge angesetzt, deren Antezedens einen nicht-satzförmigen Ausdruck findet oder gänzlich unbezeichnet bleibt. Dabei muss die Forderung gelten, dass das Antezedens in kontrollierbarer Weise aus dem Kontext entnommen und das Vorliegen des Verhältnisses p–>q eruiert werden kann. Dieser Ansatz differiert ganz erheblich von dem bei Zifonun et al. (1997: 1750), die “allenfalls” bei Bildungen mit unter der Bedingung, dass / gesetzt den Fall, dass / für den Fall, dass eine Zurückführung auf Konditionalgefüge mit satzförmigem Antezedens-Ausdruck für vertretbar halten und hinzufügen (ebd.): “Generell besteht keine Notwendigkeit zu einer ‘quasi-syntaktischen Umformung’.” Die Darstellung gibt für diesen Approach keine nähere Begründung. Für den traditionellen Ansatz verkappter Konditionalgefüge spricht zunächst das kontextuell erschließbare Vorliegen von p–>q in einer Reihe von Fällen, beispielsweise bei einem dem Bereich “kontrafaktisches (oder potentiales) Argumentieren” zugeordneten Beleg wie (2), wo sich an Ihrer Stelle ohne weiteres in einen konditionalen Nebensatz (wenn ich an Ihrer Stelle wäre) umformen lässt: (2)
“An Ihrer Stelle wäre ich nicht so sicher, Schnier”, sagte Kinkel. (Beleg von Zifonun et al. 1997: 1749)
Weiter ist zu beachten, dass die in 4.3 besprochene Markierung von Graden der Sprechersicherheit auch bei verkappten Konditionalgefügen auftritt, vgl. wahrscheinlich und sicher in (3), wo im Bundestag und in einer amtlichen Erklärung zum Ausdruck des Antezedens dienen: (3)
[Gerstenmaier:] [...] ich habe hier etwas mehr Möglichkeiten das zu sagen was ich persönlich individuell für richtig und notwendig halte. ich will nicht sagen daß ich das auch im Stuhl im Bundeshaus hätte. ich hätte das wahrscheinlich im Bundestag auch so in einer amtlichen Erklärung sicher nicht gesagt. aber hier direkt gefragt will ich nicht ausweichen. und die Hörer sollen ruhig hören was ich in dieser sache was ich zu sagen habe. (Freiburg I, 193)
Es lassen sich auch Beispiele dafür anführen, dass ein verkapptes Konditionalgefüge angesetzt werden muss, um den vollen Sinn einer komplexen Konstruktion zu erfassen. In (4) ist aus der Sequenz 42 Stimmen fehlten ein Antezedens (‘wenn die 42 Stimmen nicht gefehlt hätten’) klar zu entnehmen, das auf den irrealen Sachverhalt (mit Konsequens-Status) in dem durch und (als Konditionalitätsanzeiger) angeschlossenen Satz bezogen werden muss. Es handelt sich hier um eine verkürzte Spielart der konditionalen und-Konstruktion, die im unten zitierten Beleg (5) voll ausgeführt ist (vor und steht bei solcher Realisierung der Konstruktion regelmäßig ein Antezedens-Ausdruck ohne Finitum, meistens eine Nominalphrase). In beiden Varianten liegt übrigens eine ikonische Repräsentation von Antezedens und Konsequens vor, die sicherlich für die Entnahme eines irrealen Konsequens aus dem in 42 Stimmen fehlten bezeichneten realen Sachverhalt von Wichtigkeit ist. (4)
[...] Schröder [...] trat nach dem Bruch der christliberalen Koalition ein Jahr später sogar gegen Kurt Georg Kiesinger zur parteiinternen Kampfabstimmung um die Nachfolge des glücklosen Erhard an. 42 Stimmen fehlten, und an Stelle Kiesingers hätte ein Kanzler namens Gerhard Schröder die Union in die Große Koalition geführt. (Der Spiegel 40/2005, 20)
48 (5)
[Paul hat sehr schlechte Arbeit geleistet. Seine Vorgesetzte Vera Schumann will keinen weiteren Mitarbeiter von seiner Art haben.] Sie drehte den Kopf. “Betrüger!” Dann sagte sie, weniger deutlich, als hätte auch sie ein kleines Geständnis zu machen: “Du hättest mir beinahe alles verdorben. Noch einen wie dich, und Baumann wäre mir jedes Jahr mit einer Umfrage gekommen.” (Bettinger 202)
Der Ansatz eines verkappten Konditionalgefüges in Fällen, wo das Antezedens ganz unbezeichnet bleibt, ist zugegebenermaßen mit Schwierigkeiten verbunden; diese semantische Größe ist manchmal nicht mit hinreichender Sicherheit aus dem Kontext zu entnehmen. Es bleibt also eine Übergangszone zwischen den verkappten Konditionalgefügen und jenen Bildungen bestehen, die bei Zifonun et al. (1997: 1748–1750) unter der Überschrift “Kontrafaktisches (oder potentiales) Argumentieren” besprochen und u.a. an folgendem Beleg illustriert werden (1997: 1748): (6)
Stellen Sie sich doch einmal vor, es wäre längst vor dem Unglück bekannt gewesen, daß die bewußte Nachttischlampe defekt war.
Zum Typ des Konditionalgefüges werden hier beispielsweise mit Zielinski (1981: 86) auch so genannte Proportionalsätze mit je ... desto/um so gerechnet (bei deren Beschreibung der Autor die mögliche Verwendung des markierten Konjunktivs II unerwähnt lässt). Die in ihnen ausgedrückte Entsprechungsrelation zwischen zwei Sachverhalten in Hinsicht auf Quantität oder Grad legt eine Deutung des zuerst genannten als Antezedens (im Rahmen von p–>q) nahe, wozu die meist ikonische Repräsentation (je-Sequenz vor desto/um so-Sequenz) sicherlich nicht unwesentlich beiträgt. Ein Beispiel: (7)
Gut, dass sie jetzt keine weiteren Überredungsversuche machen. Je mehr sie versucht hätten, ihn umzustimmen, desto mehr Ärger hätte es gegeben.
Es kann nunmehr die beim Konditionalgefüge mögliche Wahl des temporal umfunktionierten Konjunktivs II bei Vorliegen folgender Konstellationen aufgezeigt werden: Irrealität + Gegenwartsbezug, Potentialität + Gegenwartsbezug, Irrealität + Zukunftsbezug und Potentialität + Zukunftsbezug (in dieser Reihenfolge). Dabei kann auch das verkappte Konditionalgefüge Berücksichtigung finden. In einigen Fällen liegt neben der im jeweiligen Beleg-Abschnitt fokussierten Zeitreferenz auch eine andere vor, wie etwa in (15), ohne dass diese kommentiert wird. Belege für Irrealität + Gegenwartsbezug: (8)
(9)
[Bewertung eines Hörbuchs] Jon Krakauers Dokumentation der desaströsen Mount EverestExpedition von 1996 eignet sich wegen der erzählerischen Qualität entsprechend gut zur Aufsprache. Mit Christian Brückner geht es dann “In eisige Höhen”, aber sein sonst so einnehmendes Erzählen paßt hier nicht so recht. Eine kühler temperierte Stimme und analytischere Interpretation hätten dem Werk besser zu Gesicht gestanden. (Kulturchronik 1/1999, 30) [Es ist kühl, und die Gäste sitzen im Restaurant, nicht draußen.] Wenn es warm gewesen wäre, hätten wir draußen sitzen können. (Hörbeleg Kiel, 22.06.1992)
49 (10) [...] wenn die nich so so so misstrauisch uns gegenüber wären /ja/ dann würde man hier bei uns schon zu andern massnahmen übergegangen sein [...] (Caroli 533; Transkription des Orig. hier – wie auch bei späterem Rückgriff auf diese Quelle – nur geringfügig geändert) (11) [...] Madelon [...] springt hinten ab und serviert mir eine Kapriole, die jedem Schulpferd Ehre gemacht haben würde. Nur springt sie nicht auf alle viere zurück, sondern geht gleich ganz zu Boden [...] (http://www.kutsch-fahrten.de/Pferde/Pferdezucht.Pferde.Anhalt.html) (27.03.06)
Belege für Potentialität + Gegenwartsbezug: (12) Wollte Adams, wie er nun beteuert, seine amerikanischen Gesprächspartner lediglich vom Ende des Waffenstillstands informieren, nachdem er selbst über Journalisten von der unmittelbar bevorstehenden Aktion [der IRA] erfahren hatte? [neuer Abs.] Stimmt diese Version, dann hätte Adams entgegen seinen Beteuerungen keinen Einfluß mehr auf Entscheidungen der IRASpitze – und damit die Legitimation als Friedensstifter verloren. (Der Spiegel 8/1996, 137) (13) [Bewertung eines neuen “Compositing Chip”] Werden wirklich alle Bilder korrekt gerendert und auch jedes Frame auf dem Bildschirm ausgegeben? Dies ist sicherlich fraglich und es würde uns doch stark wundern, wenn ATi einen Chip speziell für nichts entwickelt haben würde. Aber warten wir diesbezüglich weitere Untersuchungen ab. (http://www.computerbase.de/ news/hardware/grafikkarten/ati/2005/juli/crossfire_compositing-chip/) (27.03.06)
Belege für Irrealität + Zukunftsbezug: (14) Der scheidende “Löwen”-Trainer Max Merkel gab einige Namen von Spielern bekannt, die er gerne für die neue Saison verpflichtet hätte, sofern er dann noch Trainer beim TSV 1860 gewesen wäre. (Münchner Merkur 07.04.1975, 23) (15) [Schließung des VW-Werks in Westmoreland im Juli 1988. Die Entscheidung, den Jetta Ende 1986 in den USA zu bauen, kam zu spät; Julie Leechalk wird arbeitslos.] Wäre der Jetta gleich in Westmoreland gefertigt worden, Julie Leechalk hätte wohl eher eine Chance gehabt, die paar Jahre bis zur Rente [...] bei Volkswagen ihr Geld zu verdienen. (Der Spiegel 28/1988, 82) (16) [Volkers Pflegeeltern wollten, daß er Metzger wird. Der Metzgerberuf scheidet aus, wofür Volkers leibliche Eltern gesorgt haben. Kommentar seiner Mutter:] Und die Pflegeeltern waren doch wirklich nett. [...] Aber die Erziehung und die Zukunft muß man doch selbst überwachen. Sonst wäre doch tatsächlich noch ein Metzger aus ihm geworden. (Thiekötter 32) (17) [Emil ist durch einen Unfall ums Leben gekommen.] Emil hat ja mit seiner Mutter zusammengelebt. Und die machts bestimmt nich mehr lange. Und was wäre dann geworden? Dann hätten ihn die andern [die Verwandten] auf dem Hals gehabt. (Beleg bei Leirbukt 1991: 181) (18) [Teilnahme der Sprecherin an bevorstehender Fahrt in die DDR durch Umzug verhindert] [...] sie sagt/s' wird ne delegation zusammengestellt/die fährt rüber/zur zone und /ä/ eben die ddr/und sie sagte/sie hätte mich ganz gern für gemeldet/dass ich mitgefahren wär /ne/ aber ich glaube das würde mich schon auch intressiert haben (Caroli 533) 1
1
Der Konj. Plusq. mitgefahren wär in (18) drückt Zukunftsbezug aus, steht aber in indirekter Rede und bleibt daher bei der Belegregistrierung ausgeklammert (vgl. 1.1 und Anhang).
50 Belege für Potentialität + Zukunftsbezug: (19) Gesucht wird der deutsche Dichter-Superstar. Mit unserer Hilfe. [...] Fänden wir nur ein einzig gutes Gedicht, der Aufwand hätte sich gelohnt. [...] Einsendungen bitte an die TLZ-Chefredaktion (http://www.vds-ev.de/forum/viewtopic.php?TopicID=884) (28.03.06) (20) [Paul Busch hat von einem Roman-Manuskript gesprochen.] [Vera:] “Was? Ein Roman! Und wird er auch bei Bührland erscheinen?” [Paul:] “Kann gut sein. Sie wollen erst mehr sehen.” [Vera:] “Wow, ein Roman! Und bei Bührland. Dann hättest du es geschafft!” (Bettinger 144) (21) Wenn man doch noch einmal nach Trubschachen zurückkehren würde, würde sich [...] vieles verändert haben, das auch die Leute nach und nach wieder verändern würde [...]. (Meyer 146) (22) “Wir wollen Babelsberg nicht stürzen, wir wollen etwas für uns tun”, blickt Theo Gries auf das Spiel am Freitag [...] voraus. Nach durchwachsenem Start mit je einem Sieg, einer Niederlage und einem Remis weiß der Trainer, dass TeBe nach einem weiteren Negativerlebnis “hinter den Erwartungen geblieben sein würde”. (http://www.kicker.de/.../artikel.asp?folder= 29100& object=320108&liga=1&saison=2005%2F06&spieltag=3) (13.10.05)
5.2.2 Exzeptivkonstruktion und Verwandtes Die Exzeptivkonstruktion mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II ist in meinem Korpus nicht belegt. So muss hier auf andere Quellen rekurriert werden. Die zu besprechenden Bildungen sind semantisch-pragmatisch heterogen: Neben echten Exzeptivkonstruktionen gibt es es sei denn-Bildungen, in denen der Nebensatz nur beschränkt oder gar nicht mehr auf die Geltung des Hauptsatzes einwirkt. Als Exzeptivkonstruktion im engeren Sinn gilt hier die Verbindung aus Hauptsatz und es sei/wäre denn + Verbzweitsatz oder dass-Satz (zu es wäre denn vgl. etwa Blatz 1896: 1153), für die mit Zifonun et al. (1997: 1748) folgende konstitutive Beziehung anzunehmen ist: ‘p außer wenn q’ (hier stehen “p” und “q” für andere Variablen als in der auf das Konditionalgefüge bezogenen Notation p–>q). Einer ihrer Belege (ebd.): (23) Wer derzeit vom Fortschritt spricht, findet kein Gehör, es sei denn, er spräche vom technischen Fortschritt.
Beim Aufweis des Vorkommens temporal umfunktionierter Konjunktiv II-Formen in Exzeptivkonstruktionen muss (wie auch anderswo) der Fokus auf textsortenunabhängigen Aspekten liegen. Der Frage nach denkbaren textsortenbedingten Faktoren (vgl. Zifonun et al. 1997: 1748) ist hier nicht nachzugehen. Der mit temporal markiertem Konjunktiv II gebildete Nebensatz scheint in der Regel potential verstanden zu werden.2 Ein Beleg:
2
Bei einer gezielten Recherche zu es sei denn + hätte/wäre/würde im “Archiv der geschriebenen Korpora” des IDS (Stand von November 2005) ließ sich eine klare Dominanz der potentialen Lesart des auf denn folgenden Nebensatzes feststellen, und zwar bei Vergangenheits- wie auch bei Gegenwarts-/Zukunftsbezug.
51 (24) Wir werden [...] Ihre persönlichen Daten [...] vertraulich behandeln. Ihre Daten werden von uns weder veröffentlicht noch an Dritte weitergegeben, es sei denn, sie hätten uns dazu explizit ermächtigt. (http://www.extrajetzt.de/v3/de/imprint.htm) (28.03.06)
Die Beziehung ‘p außer wenn q’ (im Sinne von Zifonun et al.) ist, wie gezeigt, auch bei potentialer Lesart des mit indikativischem Hauptsatz verbundenen Nebensatzes anzusetzen und scheint vom modalen Unterschied unberührt zu bleiben, der in solchen Fällen nicht besonders groß ist. Es ist anzunehmen, dass die fragliche Relation ein gewisses Maß an Übereinstimmung der beiden Sachverhalte hinsichtlich des Realitätsbezugs voraussetzt. Die Dudengrammatik (2005: 1095) verweist darauf, dass “die Exzeptivbedingung nicht nur auf den Sachverhalt [des Hauptsatzes], sondern auch auf die Äußerung bezogen werden kann”, und berührt damit die Möglichkeit einer Verschiebung des Verhältnisses zwischen den Teilsätzen. Ein Äußerungsbezug liegt nach der Dudengrammatik (2005: 1084) vor, wenn “der Sachverhalt eines angeknüpften Satzes selbstständig geäußert wird und nicht nur den Sachverhalt, sondern auch die Äußerung des anderen Satzes betrifft”; dabei diene der angeknüpfte Satz meistens dazu, eine Behauptung, eine Frage oder einen Befehl im vorangehenden Satz zu begründen. Restriktive Verknüpfung sei “stets äußerungsbezogen” (ebd.). Bei dieser Generalisierung wird (ebd.) auf solche Verknüpfung etwa durch es sei denn (Dudengrammatik 2005: 1109) hingewiesen. Im Hinblick auf diese Angaben ist zu fragen, worin der Äußerungsbezug des es sei dann-Satzes besteht, wie er zustande kommt und wie er sprachlich angezeigt wird. Um diesen Fragenkreis einer Klärung näher zu bringen, könnte man anknüpfen an Bemerkungen bei Zifonun et al. (1997: 2313–2317) zu bestimmten obwohl-Sätzen, die nicht als “Propositionsmodifikatoren”, sondern als “Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” dienen (“Einräumungen auf der Ebene des Urteilens” ausdrücken). Eine in etwa vergleichbare Deutung, die in Richtung eines Vorbehalts geht, scheint der (potential zu verstehende) es sei denn-Satz im nachstehenden Beispiel zu erlauben, wo eine Verschiebung der Beziehung zum Hauptsatz auftritt (für entsprechende Verhältnisse – einschließlich auffälliger ausdrucksseitiger Reflexe solcher Relationsverschiebung – bei “nichtpropositionsbezogen” zu deutenden Sätzen mit obwohl und obgleich vgl. Zifonun et al. 1997: 2314): (25) Auf die Frage, ob Schalck tatsächlich außer Landes sei, sagte Plath: “Da verlassen wir uns auf Anwalt Vogels Auskunft. Es sei denn, er wäre von seinem Mandanten getäuscht worden.” (COSMAS-Beleg: T89/DEZ.38634, die tageszeitung v. 05.12.1989)
Analog dazu könnte man im Rahmen eines Vorbehalts einen Nachzustand als potential und in der Gegenwart liegend darstellen: (26) Wir verlassen uns auf das, was Peter sagt. Es sei denn, er hätte seine Meinung jetzt grundsätzlich geändert.
Strukturell entsprechende Nebensätze mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II lassen sich u.U. auch irreal interpretieren – eine in der bisherigen Literatur m.W. nicht erwähnte Möglichkeit. Bei Nebensätzen dieser Art können ein modaler Kontrast und eine klare Relationsverschiebung gegenüber dem Hauptsatz auftreten, die einen ausführlicheren Kom-
52 mentar verdienen. Das in (27) ausgedrückte irreale Wollen bzw. Ausfechten ist eventuell partiell in der Vergangenheit, jedoch zum allergrößten Teil in der Zukunft anzusiedeln: (27) So sehr hatte sich Diepgen in seinen Trotz gegen die rot-grüne Regierung hineingesteigert, dass ihm selbst ein so enger Weggefährte wie der örtliche CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky öffentlich zum Versöhnungsgespräch mit dem Kanzler riet. Doch anders als beim Mahnmal, wo Diepgen auf die heimliche Zustimmung einer schweigenden Mehrheit setzen konnte, hatte er im Kampf gegen Schröder keine Alternative. Das Angebot, das Schröder ihm vorige Woche machte, konnte er nicht ausschlagen – es sei denn, er hätte für den Rest seiner Amtszeit den aussichtslosen Kampf des alten Westberlin gegen die neue Hauptstadt ausfechten wollen. (COSMAS-Beleg: T00/JUL.33660, die tageszeitung v. 22.07.2000)
Hier tritt im Hauptsatz der es sei denn-Konstruktion die Negation nicht auf, die sich direkt mit dem Modalverb können verbindet. Das reale Nicht-Können, das ein reales Müssen involviert (konnte nicht ausschlagen ist als ‘musste annehmen’ paraphrasierbar), und das reale Annehmen stehen zu den irrealen Sachverhalten im es sei denn-Satz in scharfem Kontrast. Entsprechendes trifft auf (28) zu. Hier geht es zwar um Vergangenes, die es sei denn-Bildung ist aber in Hinsicht auf den Modalitätsunterschied zwischen Haupt- und Nebensatz mit (27) vergleichbar, ebenfalls in Hinsicht auf die reale Notwendigkeit (vgl. ihm blieb keine andere Wahl) und deren Kontrast zur Irrealität des Wollens (man vergleiche das den beiden Bildungen gemeinsame wollen) und des Riskierens: (28) Wie Fritz Bauer über seine damaligen Kollegen bei der hessischen Justiz tatsachlich dachte, zeigt sich darin, daß er die israelischen Strafverfolgungsbehörden nicht auf dem offiziellen Dienstweg, sondern insgeheim über den von ihm in Erfahrung gebrachten geheimen Aufenthaltsort des Adolf Eichmann in Kenntnis gesetzt hat. Ihm blieb keine andere Wahl, es sei denn, er hätte riskieren wollen, daß Eichmann aus Justizkreisen gewarnt worden wäre. (COSMAS-Beleg: R99/MÄR.18901, Frankfurter Rundschau v. 09.03.1999)
Wir haben es in beiden Belegen mit einer es sei denn-Konstruktion zu tun, die keine Exzeptivkonstruktion im definierten Sinn darstellt, denn sie bringt deren konstitutive Beziehung ‘p außer wenn q’ (im Sinne von Zifonun et al. 1997) nicht zum Ausdruck: Der Nebensatzsachverhalt wirkt auf die Geltung des Hauptsatzsachverhalts nicht ein. Hier ist vielmehr eine andere Spielart der Konditionalität anzusetzen: Aus der in (27) vorliegenden faktischen Akzeptanz ist ein irreales Gegenstück ableitbar, das zum irreal gefassten Kampf in die Relation p–>q tritt. Man könnte (vereinfacht) etwa folgendermaßen paraphrasieren: ‘wenn er das Angebot ausgeschlagen hätte, hätte er einen aussichtslosen Kampf ausfechten müssen’. Mit der Änderung des semantischen Verhältnisses zwischen Hauptsatz und Nebensatz geht ein Äußerungsbezug besonderer Art einher: Der Nebensatz liefert eine Erklärung für Diepgens Verhalten. Eine entsprechende Deutung empfiehlt sich auch bei (28), wo man etwa wie folgt paraphrasieren könnte: ‘wenn er eine andere Entscheidung getroffen hätte, hätte er riskiert, dass Eichmann aus Justizkreisen gewarnt worden wäre’. Aus dem konditionalen Verhältnis (p–>q) ergibt sich analog zu (27) eine Begründung für das im Hauptsatz der es sei denn-Konstruktion genannte Vorgehen. Wir haben es hier mit einer bekannten Verwendung von Konditionalgefügen zur Begründung oder Erklärung von Handlungen (vgl. beispielsweise Peyer 1997: 200f.).
53 Die für die Verbindung von Hauptsatz und es sei denn-Nebensatz in (27) und (28) angegebenen formalen und semantischen Charakteristika dürften generalisierbar sein, ließen also den Ansatz eines eigenen Typs begründender es sei denn-Konstruktionen mit volitivem wollen (oder semantisch verwandten Ausdrücken) im Nebensatz und einem Notwendigkeitsausdruck im Hauptsatz zu. Diese Kombination von Volition und Notwendigkeit findet eine genaue Entsprechung in der wohlbekannten konditionalen Konstruktion, die etwa in Sie muss schnell laufen, wenn sie den Zug erreichen will vorliegt.3 Aus dem Hauptsatz ist ein p und aus dem Nebensatz ein q erschließbar; zwischen diesen Größen besteht das Verhältnis p–>q, das per Negation verdeutlicht werden kann: Wenn sie nicht schnell läuft, erreicht sie den Zug nicht. In Parallele zur veranschaulichten müssen-Bildung lässt sich aus dem Notwendigkeitsmoment im Hauptsatz der oben belegten es sei dennKonstruktionen ein Antezedens und aus deren Nebensatz ein Konsequens eruieren. Diese Parallelität reflektiert sich ferner darin, dass auch der letztgenannte Nebensatz regelhaft wollen und der das Antezedens anzeigende Hauptsatz analog zu jenem der konditionalen müssen-Konstruktion einen Notwendigkeitsausdruck aufweist (vgl. konnte nicht ausschlagen bzw. ihm blieb keine andere Wahl). Gegenüber dem Hauptsatz zeigt der letztgenannte Nebensatztyp einen hohen Grad an Verselbstständigung; er dient im Unterschied zum normalen Exzeptivsatz nicht als Propositionsmodifikator im Sinne von Zifonun et al. (1997). Von daher wäre von einem “quasiexzipierenden” es sei denn-Satz und mit Bezug auf die Gesamtkonstruktion eventuell von einer “Exzeptivkonstruktion im weiteren Sinn” zu sprechen.4
3
4
Die Konditionalität solcher müssen-Konstruktionen erkennt schon Bech (1957: 102), wenn er sein Beispiel Müller muß nach Hamburg reisen, um mit Schmidt zu verhandeln in der konditionalen Deutung u.a. folgendermaßen paraphrasiert: ‘wenn Müller mit Schmidt verhandeln will/soll, muß er nach Hamburg reisen’. Ferner stellt er (1957: 103) zum Satz um mit Schmidt zu verhandeln, muß Müller nach Hamburg reisen fest, “daß Müllers reise nach Hamburg eine notwendige voraussetzung für die verhandlung mit Schmidt ist”. Weiteres zu konditionalen Bildungen mit Modalverb findet sich etwa bei Leirbukt (1979: 66ff., dort auch Literatur). Hier sei auch auf eine augenfällige Parallelität zu älteren Konstruktionen mit vergangenheitsbezogenem Konj. Plusq. und exzipierendem dann/denn hingewiesen (für verschiedene exzipierende Bildungen, u.a. Verbzweitsätze mit denn/dann, vgl. Blatz 1896: 760f. u. 1153f.). Mit der es sei denn-Konstruktion in (27) und (28) ist hinsichtlich der semantischen Struktur folgender Simplicissimus-Beleg bei Blatz (1896: 1153) eng verwandt (die spezielle Beziehung des konjunktivischen Satzes zum vorangehenden bleibt bei ihm unkommentiert). Man bemerke das irreale Wollen, die Bedeutungsverwandtschaft von dürfen (Indikativ Präteritum dorfte) zu dem mit ausschlagen verbundenen können in (27) sowie die Faktizität der im Hauptsatz ausgedrückten, negierten Deontizität (aus der ein Müssen erschließbar ist): Ich dorfte mich unter den Kaiserlichen nicht mehr sehen lassen, ich hätte mich dann mutwillig in Gefahr geben wollen. Wie in (27) und (28) liegt auch in diesem Beleg die Relation p–>q (hier: zwischen vorgestelltem Sichsehen-Lassen und vorgestelltem Sich-in-Gefahr-Begeben) sowie eine Erklärung des im Hauptsatz ausgedrückten (realen) Ereignisses vor. Der Beleg aus Grimmelshausens “Simplicius Simplicissimus” (4. Buch, Kap. 21) lautet in neueren Ausgaben des Textes etwas anders als bei Blatz, was aber die Aussagekraft seines Zitats nicht tangiert.
54 5.2.3 Konzessivkonditional Die jetzt zu besprechenden Bildungen, die von den unter 5.3.4 zu behandelnden Konzessivgefügen zu unterscheiden sind, lassen sich grob folgendermaßen bestimmen (eine endgültige, hieb- und stichfeste Definition des Konstruktionstyps wird hier nicht angestrebt): Sie realisieren im Standardfall p–>q, wobei zwei oder mehrere p-Sachverhalte zu einem qSachverhalt in Beziehung gesetzt werden (König 1991: 635). Als Bezeichnung für die Gesamtkonstruktion diene “Konzessivkonditional” (nach Pasch 1994: 49).5 Der Ausdruck “Konzessivsatz” bezieht sich hier auf den Nebensatz des Konzessivkonditionals, der bekanntlich syndetisch (mit auch wenn, selbst wenn u.Ä.) oder asyndetisch (hätte sie auch .... bzw. und hätte sie ...) ausgestaltet werden kann. Die Orientierung der begrifflichen Festlegung der Konstruktion an der Relation p–>q ist für den Standardfall geeignet, den König (1994: 93) dahingehend charakterisiert, “daß die Menge der durch den Nebensatz ausgedrückten Situationen keinerlei Einfluß auf die durch den Hauptsatz ausgedrückte Situation hat” (zur Typologie der entsprechenden Bildungen s.u.). Davon wäre mit König (ebd.) eine “epistemische Verknüpfung” abzusetzen, bei welcher “Elemente des Wissens, Prämissen und Schlüsse” im Spiele sind; es gehe “im Unterschied zum Standardfall nicht um den Einfluß von Situationen auf andere Situationen, sondern um die Relevanz von Wissen und Tatsachen auf [sic] bestimmte Urteile oder Folgerungen” (ebd.). Hier sei gleich festgestellt, dass diese epistemische Verknüpfung von Sachverhalten in den mir vorliegenden Belegen für den temporal markierten Konjunktiv II nicht auftritt; sie repräsentieren alle den Standardfall. Das Konzessivkonditional lässt sich auch “verkappt” realisieren, wobei Elemente wie ohnehin, ohnedies, sowieso u.dgl. als Konzessivitätsmarker dienen können (zu dieser Funktion vgl. etwa König 1994: 96). In folgendem Beleg verweist ohnedies auf ein Antezedens (p), das sich mit ‘auch wenn du mich nicht darum gebeten hättest’ umschreiben ließe: (29) “Dir, Siegmar, danke ich auch für alles, was du getan hast. Bitte, kümmere dich auch weiterhin um Tante Johanna und das Kind.” Siegmar nickte. “Das hätte ich ohnedies getan. Du weißt ja, daß ich hier Pflegerdienste leisten werde. [...]” (Hafner 143)
Es gibt auch Fälle, wo Elemente wie ohnehin etc. nicht vorhanden sind. Dann ergibt sich die konzessiv-konditionale Deutung aus kontextuell gegebenen Zusammenhängen von Sachverhalten. In (30) muss man m.E. ein Antezedens wie ‘auch wenn Sie mich nicht daran erinnert hätten’ annehmen, um den Konjunktiv überhaupt erklären zu können (vgl. im Übrigen die Verwandtschaft zum eben angeführten ohnedies-Beispiel):
5
Als Konstruktionsbezeichnung wird “Konditional” in der vorliegenden Arbeit als Neutrum verwendet, bei Bezug auf die mit Infinitiv gebildete Konjunktivform dagegen als Maskulinum.
55 (30) [Der Angeredete will herausfinden, was mit dem jüdischen Mädchen Esther geschehen ist, und hat eine Recherche bei ihrer alten Schule vor.] “Vergessen Sie auch nicht, sich in Esthers Schule zu erkundigen!” “Nein”, sage ich, “ich hätte es nicht vergessen.” (Andersch 104)
Bei den eben erwähnten Realisierungsarten handelt es sich um zum Teil bekannte Eigenschaften von Konzessivkonditionalen, die in hohem Maße wohlbekannten Charakteristika von Konditionalgefügen entsprechen. An dieser Stelle sei auch darauf verwiesen, dass beim Konzessivkonditional (analog zum Konditionalgefüge) auch das Moment der Sprechersicherheit (vgl. 4.3) zum Ausdruck kommt; vgl. z.B. höchstwahrscheinlich in folgendem Beleg (wo sowieso in etwa als ‘auch wenn er die Rücktrittserklärung nicht abgegeben hätte’ zu verstehen wäre) sowie vielleicht in (38). (31) Er [Milosevic] erklärte nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Tanjug, sich nicht erneut um den Vorsitz seiner Sozialistischen Partei bewerben zu wollen. Diese will auf einem Parteitag am 25. November eine neue Führung wählen, um vor den serbischen Neuwahlen am 23. Dezember zu retten, was zu retten ist. Milosevic wäre auf dem Kongress höchstwahrscheinlich sowieso abgewählt worden. (Die Welt 08.11.2000, 6)
Die erwähnten formalen und semantisch-pragmatischen Aspekte der Konzessivkonditionale hängen offenbar damit zusammen, dass diese Bildungen einen speziellen Fall von Konditionalgefügen darstellen (vgl. etwa König 1994: 86 und Pasch 1994: 48). Eine Differenz zu den in 5.2.1 behandelten Konstruktionen liegt darin, dass q (unter hier nicht restlos zu klärenden Bedingungen) eine faktische Deutung erfahren kann, wie sie bei Zifonun et al. (1997: 1746) erwähnt und an folgendem Beispiel illustriert wird: (32) Auch wenn Goethe das Jahr 1832 überlebt hätte, wäre er heute tot.
Über die Verwendung des Konjunktivs II im Konzessivsatz wird in der bisherigen Literatur wenig Genaues gesagt. Mit Bezug auf diesen Nebensatz sprechen Zifonun et al. (1997: 1746), die beim Konditionalsatz potentiale und irreale Gebrauchsweisen des Konjunktivs II unterscheiden, nur von Kontrafaktizität (gegenüber der möglichen Realis-Interpretation des anderen Teilsatzes); dabei scheint es allerdings den Autoren nicht primär um die modale Variation im Konzessivkonditional und deren genauen konjunktivischen Ausdruck zu gehen. Freund/Sundquist (1988: 496) charakterisieren die Gesamtkonstruktion als kontrafaktisch und geben als Ausdrucksmittel für Gegenwarts- bzw. Zukunftsbezug nur Konj. Prät. und Kond. I an. Nach Hermodsson (1978: 76f.), der den temporal markierten Konjunktiv II ebenfalls unerwähnt lässt, ist das Antezedens des fraglichen Konstruktionstyps durchgängig kontrafaktischer und das Konsequens durchgängig realer Natur. Diese Angaben sind zu modifizieren bzw. zu präzisieren: Im Konzessivkonditional mit markiertem Konjunktiv II findet (wie noch zu zeigen ist) sowohl Irrealität als auch Potentialität Ausdruck. Ferner kommt in den mir vorliegenden Belegen – analog zum Konditionalgefüge – sowohl Gegenwarts- als auch Zukunftsbezug vor, was für beide Teilsätze zutrifft (Belege unten). Das voll ausgeführte Konzessivkonditional mit temporal markiertem Konjunktiv II ist in meinem Korpus nicht vertreten (hier findet sich nur der verkappte Typ), weshalb auf Belege aus anderen Quellen rekurriert sei:
56 (33) [Im Prätext der Konzessivkonstruktion Hinweis darauf, dass der Schreibende wegen spezieller Verpflichtungen anderswo am Tag der bevorstehenden Taufe nicht nach Bern kommen kann] Aber auch wenn ich selbst nach Bern hätte kommen können, so würde ich Dich für die kirchliche Taufhandlung um einen Stellvertreter gebeten haben. (Schweizer Monatshefte 9/1988, 746) (34) [Im Vortext wird festgestellt, dass der Verbannte in die Heimat nicht zurückkehren kann.] Ihre [der Polizeizivilisation] Denkmäler bedrängen jeden, der nach Moskau kommt. Nur die Denkmäler? Selbst wenn man die riesige Geschwulst im Herzen der Stadt herausgeschnitten hätte, selbst wenn man mitsamt dem Gebäudekomplex der Geheimpolizei den vielstöckigen Bau der Korruption und Willkür abgerissen hätte, wäre die Rückkehr für den Verbannten eine neue Emigration. (http://www.inst.at/trans/15Nr/04_10/chasanow15.htm) (01.12.05) (35) [Im Prätext Hinweis darauf, dass Böhm in Äthiopien zur Bekämpfung des Hungers und Verbesserung der Wasserversorgung sehr viel beigetragen hat] Karlheinz Böhm schaut die Mädchen an, die über den Dorfplatz toben, [...] die ersten unbeschnittenen Mädchen des Dorfes. “Und wenn ich nur dies erreicht hätte”, sagt er. “Dafür hätte mein Leben sich gelohnt.” (stern 12/2001, 42)
Was die Relationierung von p und q betrifft, weisen die Konzessivkonditionale mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II im Prinzip dieselben Eigenschaften auf wie Konzessivkonditionale mit anderen Modusformen. Unter generellerem Gesichtspunkt hat König (1994) “alternative konzessive Konditionale” und “universale konzessive Konditionale” unterschieden. Beim ersteren Typ stehen zwei p-Sachverhalte (Alternative: p oder nicht-p), beim letzteren mehrere p's zum q-Sachverhalt in Beziehung; Beispiele (König 1994: 85): Ob das Wetter morgen nun gut ist oder nicht, wir reisen ab vs. Wie immer das Wetter auch morgen ist, wir reisen ab. Der Autor setzt (1994: 86) auch einen dritten Typ – “skalare konzessive Konditionale” – an, bei dem Partikeln wie selbst, auch oder sogar im Nebensatz auftreten (eines seiner Beispiele: Auch wenn es regnen sollte, werden wir spazieren gehen). Diese offenbar auf den Standardfall bezogene Trias ist auch für die Beschreibung von Bildungen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II heranzuziehen. Voll ausgeführte alternative Konzessivkonditionale liegen etwa in (33)–(35) vor. Bei (29) und (31) ist durch ohnedies resp. sowieso eine Zuordnung zum verkappten Typ möglich (zum Kriterienwert solcher Elemente vgl. König 1994: 96). Für den bei König als “universal” bezeichneten Untertyp habe ich keinen Originalbeleg anzuführen, er wäre aber mit Konjunktivformen der in Rede stehenden Art bildbar (das folgende Beispiel kann in einem geeigneten Kontext Zukünftiges ausdrücken): (36) Wie sehr er sich auch angestrengt hätte, er hätte sein Ziel nicht erreichen können.
Der skalare Untertyp schließlich ist in (37) belegt, wo selbst einen Extremwert markiert: (37) [Vortrag eines Nobelpreisträgers für Physik] Der Vortragende möchte auch gerne einige Dias zeigen. Sie sind zufälligerweise richtig einsortiert [...] – und dennoch hapert's. Denn der Projektor wird mit einer Infrarot-Fernbedienung gesteuert. Der Vortragssaal ist groß, weshalb selbst ein James Bond mit dem Zielen seine Malessen gehabt hätte. [...] Der Professor greift zum Laser-Pointer, um den interessanten Bereich auf dem Dia zu zeigen. Die Projektionswand ist etwa zehn Meter entfernt. Noch die geringste Bewegung des Vortragenden läßt den kleinen roten Laserpunkt wild über die gesamte Fläche zucken. (Die Zeit 10/1995, 45)
57 Hinsichtlich des Realitätsbezugs der im Konzessivkonditional mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II miteinander verknüpften Sachverhalte kann ferner festgestellt werden, dass auch hier die bei Zifonun et al. (1997: 1746) am obigen Goethe-Beispiel veranschaulichte Deutung möglich ist, dass q als faktisch gilt, während p eine andere modale Interpretation erfährt. Ein solches Verständnis legt der oben zitierte Beleg (29) nahe, wo q in der Zukunft angesiedelt ist. Der als faktisch zu interpretierende Sachverhalt q kann auch in der Gegenwart lokalisiert werden, vgl. etwa (38). Hier ist übrigens die Präpositionalphrase mit ohne hinsichtlich der Konzessivitätskennzeichnung dem oben illustrierten ohnedies vergleichbar; der erstere Ausdruck wird in seiner Konzessivitätsanzeige sicherlich auch durch aber unterstützt (für konzessive Verwendung dieses Elements vgl. Di Meola 1997: 126): (38) [Brief Hugo von Hofmannsthals an Arthur Schnitzler v. 27.03.1914] [...] Sie haben für den Medardus [“Der junge Medardus”] einen Preis gekriegt, das wird Sie einen Augenblick oder einen Tag lang freuen, darum freuts mich auch und ich gratuliere Ihnen – aber vielleicht auch ohne diesen Anlaß hätte ich Ihnen von hier [Semmering] geschrieben, wo wir öfter beisammen waren und miteinander viele Stunden spazierengegangen sind.6
Hinzu kommen Fälle, in denen sowohl p als auch q irreal zu verstehen sind. Das gilt beispielsweise für folgenden Beleg: (39) [Tagebuch-Eintragung] Was mache ich hier bloß? Ich habe eine Date mit einem völlig uninteressanten Mädel und lasse dafür einen Abend mit Nils sausen. Naja was soll's. Ich hätte wahrscheinlich sowieso wieder nur schmachtend dagesessen [...]. Vielleicht ist es ja besser so. Ich glaub’ ich werde heute mal im Skaterlook gehen. (http://home.snafu.de/mitch/mattenjahre/ print0696.html) (07.12.05)
Wie oben erwähnt, tritt in meinen Belegen für das Konzessivkonditional mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II die “epistemische Verknüpfung” nicht auf; es finden sich keine Beispiele, die mit dem folgenden von König (1994: 93) vergleichbar wären: (40) Selbst wenn er manchmal etwas unfreundlich ist, im Grunde seines Herzens ist er sehr hilfsbereit.
Entsprechende Konstruktionen mit Konjunktivformen der fraglichen Art sind aber bildbar. Hier kommt sowohl die potentiale Lesart als auch die irreale in Frage: (41) Auch wenn sie jetzt die Renovierung der Küche abgeschlossen haben sollten, so hätten sie doch weniger als die Hälfte der Arbeit erledigt. (42) Selbst wenn sie es geschafft hätten, bis Ende nächster Woche die Küche zu renovieren, sie hätten doch die ganze Arbeit nicht termingerecht abschließen können.
6
Nickl, Therese; Heinrich Schnitzler (Hgg.) (1983): Hugo von Hofmannsthal Arthur Schnitzler Briefwechsel, 272. – Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag (Fischer Taschenbuch 2535).
58 5.2.4 Konzessivgefüge Nach Zifonun et al. (1997: 2313ff.) dienen Nebensätze mit obwohl (wenn auch etc.) nicht nur als “Propositionsmodifikatoren” wie im Beispiel Obwohl die Feuerwehr mehrere Löschfahrzeuge einsetzte, konnte das Feuer nicht gelöscht werden, sondern auch als ”Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” (1997: 2314, dort Literaturverweis und folgender Beleg): (43) [...] das [...] sähe aus, als wollte gerade ich Vizedirektor werden, wenn ich auch der Rangälteste bin.
Bei solchem (schon von Behaghel 1928: 789 erkannten) Gebrauch sind Nebensätze mit obwohl, obgleich etc., wie von Zifonun et al. (ebd.) festgestellt, locker mit der benachbarten Sequenz verbunden (weshalb die Gesamtkonstruktion mit der herkömmlichen, eine gewisse syntaktische Festigkeit implizierende Bezeichnung “Konzessivgefüge” nur bedingt zu belegen ist). Mit dieser Lockerung geht eine Verwendung des temporal markierten Konjunktivs II einher, die (soweit ich sehe) in der bisherigen Literatur keine Erwähnung findet. (44) zeigt die irreale Lesart; interessanterweise tritt auch die potentiale Interpretation auf, vgl. (45): (44) Es macht also keinen Sinn, eine Uni, an der man mit annähernder Sicherheit eh nicht genommen wird, an erste Stelle zu setzen – aufgrund des Verfahrens verschenkt man so quasi seinen Erstwunsch und wird vielleicht deswegen nicht an der zweitgenannten Uni zugelassen, obwohl man bei einer Nennung an erster Stelle dort einen Platz hätte bekommen können. (http:// www.fsmed.rub.de/studium/zvs.html) (17.12.05) (45) Nach dem ungewohnt üppigen Mittagessen würde man sich, obwohl man am Morgen lange geschlafen hätte, trotz des schönen Wetters zu einem längeren Mittagsschlaf auf das nun gemachte Bett in seinem Zimmer legen. (Meyer 22f.)
Der Beleg (45) stammt aus einem Text, der einen in der Zukunft angesiedelten Aufenthalt an einem fiktiven Ort schildert; dabei wird eine Art potential geprägter “Makrokontext” etabliert, der auf die Deutung der Konstruktion mit markiertem Konjunktiv II einwirkt (ein derartiger Einfluss ist auch bei an sich irreal zu verstehenden ohne dass-Sätzen zu beobachten, vgl. 5.2.11). In (45) wird auch die Wahl des Kond. I (würde legen) für die genaue modale Interpretation des Konj. Plusq. eine Rolle spielen. Hier dient der obwohl-Satz als Modifikator in Bezug auf den Sachverhalt des Hauptsatzes und zeigt die zu erwartende engere Integration in die Gesamtkonstruktion. Auf Letzteres weist die modale Parallelität – potentialer Gebrauch des Kond. I und des Konj. Plusq. – hin, die mit der Modalitätsdifferenz in (44) – vgl. Indikativ Präsens vs. Konj. Plusq. – sowie mit der vergleichbaren Konstellation in (43) kontrastiert. (45) zeigt ferner, dass die normale Bezogenheit des Nebensatzes im Konzessivgefüge auf dessen Hauptsatz die Wahl des hypothetisch gebrauchten Konjunktivs II nicht ausschließt: Auch vorgestellte Sachverhalte können in der Weise miteinander verknüpft werden, dass eine erwartbare Koinzidenz nicht eintritt bzw. dass ein unzureichender Gegengrund im Spiele ist, ohne dass (wie von Zifonun et al. 1997: 2313 angedeutet) dieser real sein muss. Letzteres entspricht der Beobachtung von Behaghel (1928: 787), dass auch etwas als möglich Angesehenes im fraglichen Nebensatztyp zum Ausdruck kommen kann.
59 Mit der veränderten Beziehung der als ”Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” fungierenden Nebensätze mit obwohl etc. zum Hauptsatz scheint eine variable inhaltliche Struktur im Zusammenhang zu stehen: In ihnen kann z.B. ein Konditionalgefüge vorkommen, vgl. das verkappte in (44), ebenfalls eine deontische Konstruktion wie die in ... obwohl sie hätten ja auch nächste Woche dabei sein können (vgl. 5.2.13). Derartige Nebensätze dienen m.a.W. als “Sammelbecken” für in sie eingebaute Bildungen ganz unterschiedlicher Art; dieser Ausdruck bezieht sich im Weiteren auf entsprechende Verhältnisse, die bei mehreren anderen Konstruktionen (z.B. auch bei bestimmten weil-Sätzen, vgl. 5.2.17) zu beobachten sind. Im Vorbeigehen sei noch festgestellt, dass bei Gebrauch von Nebensätzen mit obwohl etc. im Rahmen des Modus dicendi auch eine Abstufung der Sicherheit der Äußerung mit Hilfe von sicher, wahrscheinlich etc. auftritt, was wohl damit zusammenhängt, dass sie in hohem Maße unter diesem Aspekt qualifizierbare Behauptungen zum Ausdruck bringen (analog zu Konditionalgefügen in assertivem Gebrauch, vgl. 5.2.1 und 4.3). Ein Beleg: (46) “Enttäuscht von der Kirche?” sollte das Thema sein, und obwohl er wahrscheinlich behaupten würde, in den letzten 20 Jahren nur selten von der Kirche negativ überrascht worsden zu sein, nahm der langjährige MIZ-Redakteur Gunnar Schedel den Termin für den IBKA wahr. (http://www.ibka.org/artikel/rundbriefe03/kirche.html) (09.01.06)
Eine solche Sicherheitsabstufung ist natürlich auch bei entsprechenden Bildungen mit markiertem Konjunktiv II möglich: (47) Er hat das Projekt aufgegeben, obwohl er sicherlich die Arbeit bis Mitte nächsten Jahres erledigt hätte.
5.2.5 Wunschsatz Der systematische Status der hier als Wunschsatz eingeordneten Bildungen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II kann in dieser Arbeit nicht diskutiert werden. Mir geht es in erster Linie darum, den in ihnen auftretenden Konjunktivgebrauch einer Klärung näher zu bringen. Daher soll hier zu der Frage, ob und wieweit Wunschsätze als ein eigenständiger Typ zu gelten haben, nicht endgültig Stellung genommen werden (zum komplizierten Verhältnis von Wunsch-Modus und zugehörigen Satztypen vgl. etwa Zifonun et al. 1997: 667ff., mit Literatur). Der Sachverhalt, auf den sich der Wunsch bezieht, kann sowohl potential als auch irreal verstanden werden. Er kann ferner in der Gegenwart oder auch in der Zukunft lokalisiert sein. Heidolph et al. (1984: 534) deuten (48) wie folgt: ‘Prüfung bevorstehend’. Hier würde ich Akzentuierung eines zukünftigen Nachzustandes (bei Transformativum) annehmen (zwei parallele, zur Illustration von Nachzeitigkeit und Potentialität gebildete Beispiele bei Scholz 1991: 65): (48) Hätten wir die Prüfung doch schon bestanden!
60 In Beispiel (49) kann der Nachzustand in der Sprechzeit angesiedelt sein (Kontext: Ergebnis einer zurückliegenden Prüfung noch nicht bekannt). Man vergleiche die korrespondierende zeitliche Situierung und die Potentialität des Gewünschten im Internet-Beleg (50): (49) Ach, wenn wir doch alle die Prüfung bestanden hätten! (50) [Editorial, Thema: Arbeitssituation und Image der Ärzte] Wenn denn aufgrund der guten Diagnostik (s. o.) wenigstens die Glaubwürdigkeit der Ärzteschaft wieder gestiegen wäre! Sonst heißt es wie im alten Medizinerwitz: “Der Pathologe wird mir Recht geben”. (http:// www.aerztekammerberlin.de/10_Aktuelles/bae/18_BERLINER_AERZTE/Berliner_Aerzte_bi s_2005/BAEthemen/ThemaArtikel2004_12/EditorialJonitz.html) (13.10.06)
Die folgenden Beispiele sind dagegen irrealer Art; der Sachverhalt, auf den sich der Wunsch bezieht, liegt in der Gegenwart bzw. in der Zukunft (im nachstehenden PredigtBeleg wäre das Gewünschte in einem ausgedehnten Jetzt angesiedelt, vgl. u.a. den entsprechenden Zeitbezug des Kond. I): (51) “Er lärmt nicht und er schreit nicht! Und er lässt seine Stimme auch nicht auf der Straße erschallen!” So charakterisiert Jesaja [...] den Messias, der kommen soll; so spricht er vorausblickend über Jesus! “Er lärmt nicht und er schreit nicht!” Ach hätte er doch mehr geschrieen! Und, ach würde er doch mehr Lärm verbreiten! Ich wünsche es mir mehr als nur manchmal. In einer Welt, in der nur Aufmerksamkeit erregt, wer möglichst viel Staub aufwirbelt [...]. (http://www.joerg-sieger.de/predigt/weihn/a_w03.htm) (14.01.06) (52) Sie muss schon jetzt weg. Schade. Wäre sie doch bis Montag geblieben!
Auch der durch dass eingeleitete (eher obsolete) Wunschsatz ließe grundsätzlich den temporal markierten Konjunktiv II zu: (53) O dass sie doch jetzt ihre Seelenruhe wiedergefunden hätten!
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Potentialität bzw. Irrealität des Sachverhalts, auf den sich der Wunsch in den besprochenen Sätzen mit temporal umfunktionierten Formen des Konjunktivs II bezieht, in Parallele zur Potentialität resp. Irrealität des mit derartigen Formen ausgedrückten Antezedens des Konditionalgefüges vom Kontext her determiniert wird. Dieser Befund stimmt mit der generelleren Annahme von Heidolph et al. (1984: 534) überein, dass die Realisierbarkeit bzw. Nicht-Realisierbarkeit des mit dem Konjunktiv II ausgedrückten Wunsches von der “Situation” abhängt. Die zeitreferenziell basierte Aufstellung von Regeln für die Erfüllbarkeit resp. Unerfüllbarkeit derartiger Wünsche, wie sie bei Zifonun et al. (1997: 670) zu finden ist, trägt den sprachlichen Gegebenheiten nicht hinreichend Rechnung. So ist beispielsweise die Annahme (ebd.), bei “Betrachtzeitverlagerung in die Zukunft” (Beispiel: Würde der doch wenigstens morgen nicht hier parken!) sei der Wunsch generell erfüllbar, im Hinblick auf Fälle wie (52) korrekturbedürftig. Dasselbe gilt für die Annahme von Unerfüllbarkeit bei Überlappung von Betrachtzeit und Sprechzeit (ebd.), vgl. das Verhältnis von Sprechzeit und Nachzustand in Beispiel (50).
61 5.2.6 Exklamativsatz Der Exklamativsatz kann nur mit Vorbehalt als eigener Konstruktionstyp geführt werden, und auf die schwierige Frage der Grenzziehung gegenüber den in 5.2.5 besprochenen Bildungen lässt sich hier nicht eingehen (zum Verhältnis von Exklamativ-Modus und zugehörigen Satztypen vgl. etwa Zifonun et al. 1997: 153ff. und 671ff.). Wie gleich illustriert werden soll, kann ein Exklamativsatz beispielsweise als Realisierung eines Konditionalgefüges oder einer infinitivischen Konstruktion mit objektiv-epistemischem Modalverbgebrauch (vgl. 5.2.14) auftreten. Der Ausruf drückt bekanntlich häufig Erstaunen, Überraschung o.Ä. über Faktisches aus, die ausgedrückte Emotion kann aber als Hintergrund auch etwas Irreales haben. Letzteres wird bei Zifonun et al. (1997: 155) für auf Vergangenes bezogene Ausrufe veranschaulicht (bei Gegenüberstellung des Beispiels Wenn ich das geahnt hätte mit Ich habe das nicht geahnt) und ist auch bei der seltenen, aber möglichen Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II beobachtbar. Dabei ist (wie auch anderswo) ein kontextuell gegebener Blockierungsfaktor im Spiel. Der Sachverhalt, dem der Ausruf hic et nunc gilt, kann in der Gegenwart – wie in der nachstehend zitierten Äußerung von Adenauer – oder auch in der Zukunft angesiedelt werden (im hier angeführten Beleg geht es um unmittelbare Zukunft): (54) “Hätten doch Luns und Fanfani damals anders gehandelt! Wie weit hätten wir schon sein können!” 7 (55) [Safari-Touristen suchen eine Unterkunft für die Nacht und stehen vor einem Gefängnis.] Tobias japste nach Luft. “Das ist ja ’n Gefängnis!” [Antonie:] “Dann wird es hier auch ein Telefon geben.” Doch umsonst suchte Frau Antonie nach einem Klingelknopf oder einer anderen Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen [...]. Zu sehen war auch nichts. [...] “Dann eben nicht”, sagte Tobias enttäuscht. “Mensch, das wäre ’n Ei gewesen! Eine Nacht im Knast und dann noch in einem afrikanischen.” (Sanders 196f.)
In meinen Belegen für den Exklamativsatz mit temporal umgedeutetem Konjunktiv II ist der Sachverhalt irreal zu verstehen. Eine potentiale Lesart ist mir nicht bekannt. Ich vermute, dass ein Ausruf als Emotionsausdruck einem potential gefassten, nicht in der Vergangenheit angesiedelten Sachverhalt nicht gelten kann. Hierin liegt möglicherweise ein Unterschied gegenüber dem manchmal ausdrucksseitig sehr ähnlichen Wunschsatz mit markierten Konjunktiv II-Formen, in dem der Sachverhalt – wie wir gesehen haben – u.U. auch eine potentiale Deutung erfährt. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht unberechtigt, Belege wie die beiden angeführten in einem anderen Unterkapitel zu behandeln als beispielsweise (48) oder (50).
7
Poppinga, Anneliese (1986): Meine Erinnerungen an Konrad Adenauer, 113. – Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe Verlag (Bastei-Lübbe-Taschenbuch 65073).
62 5.2.7 Finalsatz Finalsätze sind bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass der beabsichtigte Sachverhalt unabhängig von der Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv als realisierbar gilt. Auf die entsprechende Lesart sind daher auch temporal umfunktionierte Formen des Konjunktivs II festgelegt. In diesem Nebensatztyp unterscheiden sie sich in modaler Hinsicht nicht von temporal unmarkierten Formen, vgl. den Konj. Prät. in (56): (56) Wenn Sie Präsidentin werden würden, was würden Sie tun, damit diese Leute nach Russland zurückkämen? (http://www.russland.ru/ruspec0003/morenews.php?iditem=240) (28.03.06) (57) Was würde er dann tun? Er würde sich gewaltig anstrengen, damit er die wichtigste Arbeit spätestens Ende des Monats hinter sich gebracht hätte.
5.2.8 dass-Satz bei Hauptsatz mit Negation Der auf einen Hauptsatz mit Negation bezogene dass-Satz ist einer von mehreren Nebensatztypen, in denen die Negation im Hauptsatz eine irreale Deutung des Nebensatzsachverhalts bedingt. Für diese Annahme spricht der bekannte Umstand, dass sich die Irrealität auch bei Wahl des Indikativs einstellt (vgl. etwa Dudengrammatik 2005: 528). Es gibt aber auch Fälle, in denen ein außerhalb der Gesamtkonstruktion befindlicher Faktor die Modalitätsausprägung bestimmt, vgl. (60). Der Hauptsatz kann voll ausgebaut oder elliptisch sein. In den beiden folgenden Beispielen wäre der Konj. Plusq. Ausdruck eines Zustandes, der in der Gegenwart angesiedelt wird (das Vollverb ist transformativer Art); hier könnte im Nebensatz auch der Indikativ stehen: (58) Barry Guy wohnt [...] seit ein paar Wochen in Zürich, Nils Wogram ist inzwischen auch hier hergezogen [...], und es geht das Gerücht, dass auch Butch Morris überlege, sich zwischen Sihl und Limmat niederzulassen. [...] Nicht etwa, dass Landolt sie alle hier hergeholt hätte, denn sowohl Guy als auch Wogram hat zB. Amors Pfeil aus Zürich getroffen, aber Landolt und seine Leute haben hier ein ungemein wichtiges Klima geschaffen, in dem neue musikalische Gewächse bestens gedeihen können. (http://www.intaktrec.ch/maidaintakt-a.htm) (28.03.06) (59) Es ist nicht so, dass ich das Schreiben verlernt hätte oder die Lust daran verloren. Ganz und gar nicht. Nachts, im Bette liegend, schwirren wunderbare Sätze durch mein müdes Hirn [...] (http://www.gedankenland.net/zweitausendzwei.htm) (11.02.06)
Etwas anderer Art sind Beispiele wie (60), wo sich ein dass-Satz – in formaler Parallele zu dem in (58) – an ein allein stehendes nicht anschließt. Die Irrealität des (in der Zukunft situierten) Sachverhalts hängt mit einem kontextuell etablierten Blockierungsfaktor zusammen; deshalb scheidet hier der Indikativ als Alternative zum Konjunktiv aus: (60) [Honecker-Besuch abgesagt] [...] für die Bundesrepublik und das Ost-West-Verhältnis [...] ist
die Absage aus Ost-Berlin ein Rückschlag. Nicht, daß der Besuch uns auch nur einen Deut der Wiedervereinigung nähergebracht hätte – deutsch-deutsche Gipfeltreffen sind nur auf der Grundlage der Bestätigung [...] der Teilung möglich. Aber die Reise Honeckers hätte doch einiges bewirkt [...]. (Die Zeit 07.09.1984, 1)
63 5.2.9 Relativsatz bei Hauptsatz mit Negation In meinem Korpus finden sich keine Beispiele mit nicht-vergangenheitsbezogenem Konjunktiv II, die strukturell dem folgenden Beleg der Dudengrammatik (2005: 528) entsprächen: Es gab nie einen Maler Heidemann, dem Hitler Modell gesessen hätte. Es lässt sich aber wenigstens ein Typ mit einem zustandsbezeichnenden Konj. Plusq. (eines Transformativums) ansetzen: (61) Der [...] ins Auge fallende “Look” hat [...] mit der Anwendung zeitspezifischer Technologien zu tun. Würde ich Deiner Argumentation folgen, daß vornehmlich die Story die Triebfeder der Aufnahemtechnik ist, hieße dies, der “typische” Todd-AO-“Look” der 60's liesse sich wiederholen, wenn es denn eine ähnlich angelegte Story unserer Zeit verlangte. Die jedoch ist (leider) nicht der Fall. Es gibt auch kein Beispiel, das das Gegenteil hervorgezaubert hätte, so sehr ich dies bedaure. (http://forum.filmvorfuehrer.de/viewtopic.php?t=4836) (12.12.06) (62) Du wirst nie jemand finden, der sich schon jetzt alle diese Fähigkeiten angeeignet hätte.
In den angeführten Beispielen ist der Sachverhalt des Relativsatzes irrealer Natur, was mit dessen Bezug zum starken Negationselement (nie bzw. kein) im Hauptsatz zu tun haben wird. Demgegenüber wäre bei Wahl des schwächeren kaum eine potentiale Sachverhaltsdeutung in Rechnung zu stellen: (63) Man wird kaum jemand finden, der sich schon jetzt alle diese Fähigkeiten angeeignet hätte.
5.2.10 Hypothetischer Konsekutivsatz Dem hypothetischen Konsekutivsatz (der dem “realen“ Konsekutivsatz vom Typ Sie sprach so leise, dass ich sie akustisch nicht verstehen konnte gegenüberzustellen ist) werden hier nicht nur als dass-Sätze und dass-Sätze in Verknüpfung mit solchen Hauptsätzen zugeordnet, die zu/allzu + dadurch graduierte Elemente resp. Negation + so + dadurch graduierte Elemente enthalten, sondern auch funktional korrespondierende dass-Sätze ohne Bezug zu einem Hauptsatz mit Negation + so. In diesen – zuerst zu besprechenden – Bildungen finden die temporal umgedeuteten Formen irreale, in bestimmten anderen dagegen potentiale Verwendung. Nach Helbig/Buscha (2001: 183) wird im Konsekutivsatz mit als dass “die modale Bedeutung bereits durch die Subjunktion als dass” gekennzeichnet, wobei auch die Gradangabe des Hauptsatzes eine Rolle spielt. Für den temporal umfunktionierten Konjunktiv II kann hier kein Originalbeleg angeführt werden, Folgendes wäre aber bildbar (hier zuständliche Lesart und Gegenwartsbezug der Form): (64) Sie haben in letzter Zeit zu viel Aufregendes erlebt, als dass sie schon jetzt ihre Seelenruhe wiedergefunden hätten.
Ein entsprechender Konjunktivgebrauch ist in Konstruktionen mit Negation + so + durch so graduiertem Element möglich:
64 (65) Das Projekt ist ja nicht so teuer geworden, dass sie ihr Kapital völlig aufgebraucht hätten. (gegenwärtiges Aufgebrauchtsein des Kapitals unterstellt) 8 (66) Die Diskussion ist noch nicht so weit gediehen, dass sich schon feste Positionen herausgebildet hätten.
Die Irrealität des auf so + graduiertes Element bezogenen dass-Satzes kann auch in der Weise zustande kommen, dass der Konj. Plusq. eines Modalverbs im Hauptsatz – von seinem regulären irrealen Wert bei Gegenwarts- oder Zukunftsbezug her – dieselbe Rolle spielt wie die Negation (d.h. für diese eintritt): (67) Wir hätten so viele Leute einsetzen können, dass wir die meiste Arbeit schon Ende des Monats erledigt hätten. Dann hätten wir das Projekt noch vor der vereinbarten Frist abschließen können.
Hinzu kommen irreale Konsekutivsätze mit dass, die von einem vorangehenden genug abhängen (zur syntaktischen Analyse des Typs als solchem vgl. Zifonun et al. 1997: 2308). Die Irrealität der elliptischen genug-Sequenz in folgendem Beleg ergibt sich aus dem Kontext: (68) [Paul ist auf illegale Weise zu viel Geld gekommen, er hat es durch einen Fehler wieder verloren.] [Vera:] “Wieviel hattest du denn?” [Paul:] “Keine Millionen, aber genug. Genug, daß es für immer gereicht hätte. Für mich jedenfalls. Ich darf gar nicht dran denken!” (Bettinger 200)
Außer den besprochenen, zuständlich zu verstehenden irrealen Bildungen gibt es solche, in denen eher Prozessuales Ausdruck findet. Dazu gehören etwa umgangssprachlich gefärbte Konsekutivsätze mit dass (für ein indikativisches Beispiel vgl. Zifonun et al. 1997: 2308), die (bei Absenz einer Negation im Hauptsatz) kontextbedingt irreal gedeutet werden. Aus dem Prätext des nachstehenden Belegs ist zu entnehmen, dass die Sprecherin 3wla an einer Fahrt in die DDR nicht teilnehmen kann. Die Form mitgefahren wär steht in indirekter Rede, ein entsprechender Konj. Plusq. (2. Pers. Sg.) wäre aber auch in der korrespondierenden direkten Rede irreal aufzufassen (die Einordnung des dass-Satzes als Konsekutivsatz bleibt natürlich vom Referatcharakter der Äußerung unberührt): (69) [3wla:] ja wir hätten jetzt wahrscheinlich die gelegenheit gehabt [2mla:] da hätten sie die gelegenheit mal gehabt mal runter zu fahren [3wla:] hier unten durch z. nech wahrscheinlich sie sagt s' wird ne delegation zusammengestellt die fährt rüber zur zone [...] und sie sagte sie hätte mich ganz gern für gemeldet dass ich mitgefahren wär ne aber ich glaube das würde mich schon auch intressiert haben (Caroli 533)
8
In (65) lägen Vergangenheitsbezug und prozessuale Lesart von aufgebraucht hätten näher; bei Wahl der Indikativform aufgebraucht haben wäre die von mir unterstellte Lesart des dass-Satzes eindeutig (persönliche Mitteilung von Helmut Schumacher).
65 Ferner kann auch ein deontisch verwendetes Modalverb (im Konj. Plusq.) in einem irrealen auf so bezogenen Konsekutivsatz mit dass auftreten: (70) [Theater in Frankfurt/Oder geschlossen] In einer vergleichbaren Stadt wie Moers gibt es noch ein Theater, aber es kostet weitaus weniger. Warum wurde in Frankfurt an der oder [sic] der Etat nicht so heruntergefahren, dass die Stadt sich ihr Theater weiter hätte leisten können? (Kulturchronik 3/2000, 25)
Die potentiale Verwendung der temporal markierten Konjunktiv II-Formen ist in meinem Material nicht belegt, muss aber als möglich gelten, wobei sowohl Gegenwarts- als auch Zukunftsbezug denkbar ist. Es handelt sich dabei um Konstruktionen mit so im Hauptsatz ohne Negationselement: (71) Die Diskussion könnte jetzt so weit gediehen sein, dass sich klare Positionen herausgebildet hätten. (72) Wir würden so viele Leute einsetzen, dass wir die meiste Arbeit schon Ende des Monats erledigt hätten. Dann könnten wir das Projekt noch vor der vereinbarten Frist abschließen.
5.2.11 Nebensatz mit ohne dass/kaum dass/(an)statt dass Nach der Dudengrammatik (2005: 528) ist der Sachverhalt in Nebensätzen mit dem Einleitungselement ohne dass kontrafaktisch zu verstehen. Zu ihnen weisen Nebensätze mit kaum dass und (an)statt dass eine modale Verwandtschaft auf, die es berechtigt erscheinen lässt, diese drei Typen (wie es in der Dudengrammatik geschieht) zusammen zu behandeln. Die genaue Ausprägung der Modalität zeigt in den Bildungen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II eine Variation, die hier im Blickpunkt stehen muss. Auf das variable semantisch-pragmatische Verhältnis von Nebensatz und Hauptsatz lässt sich nicht eingehen. Die Irrealität ist für ohne dass-Sätze mit gegenwartsbezogenem und zustandsbezeichnendem Konj. Plusq. von Transformativa leicht belegbar: (73) Michael Jeismann spricht [...] in seinem jüngsten Buch von einer “Zwischenzeit, in der ... die Vergangenheit politisch nützlich zu werden (beginnt), ohne daß sie schon zu einem Punkt in der Ferne geschrumpft wäre. [...].” (http://www.linksnet.de/artikel.php?id=776) (13.12.05)
Für einen Zukunftsbezug der Form liegen mir keine Originalbelege vor, er wird aber nicht ausgeschlossen sein (Kontext: Konstatierung situationsbedingter Hindernisse für ein bestimmtes Taktieren in einer bevorstehenden Sitzung des Stadtrates): (74) Wir hätten in der nächsten Sitzung einen Vorstoß in dieser Richtung machen können, ohne dass wir im Vorfeld die ganze Fraktion hätten konsultieren müssen.
Die Irrealität im ohne dass-Satz kann kontextuell in Richtung Potentialität verschoben werden. Der folgende Beleg stammt aus demselben potential gefassten “Makrokontext” wie (45). Dieser wirkt sich so stark auf den ohne dass-Satz aus, dass dessen irreale Standardlesart aufgehoben wird:
66 (75) Und hier könnte man selber nun, nachdem das Gespräch den [...] gewünschten Verlauf genommen hat, erneut das Wort ergreifen, um es [...] erst nach längerer Zeit wieder freizugeben, wenn das, was man zu sagen, ohne daß man es beabsichtigt hätte, bereits zu einem längeren Reden, zu einer Rede angewachsen wäre [...] von der Pflicht ... (Meyer 108f.)
Beim kaum dass-Satz ist ein gegenwärtsbezogener markierter Konjunktiv II in potentialzuständlichem Gebrauch denkbar: (76) Er hat viel vergessen, kaum dass er noch ein paar feste Wendungen behalten hätte.
Schließlich sei für den (an)statt dass-Satz eine irreale Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II belegt (hier Gegenwartsbezug und zuständliche Lesart): (77) [...] die [...] Politiker haben uns [..] mit ihrer neu gewonnenen politischen Mobilität längst überholt. Wir hatten Visionen, sie hatten keine. Jetzt haben sie welche, und wir keine. Sie reden jetzt von der “neuen Weltordnung” (natürlich wissen wir alle, was sie darunter verstehen), statt daß wir diesen Begriff besetzt hätten und unsere diesbezüglichen Utopien entwickelten. (http://www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-92/9230401m.htm) (17.01.06)
5.2.12 Hypothetischer Vergleichssatz Im hypothetischen Vergleichssatz tritt sowohl die potentiale als auch die irreale Verwendung des temporal markierten Konjunktivs II auf. Dabei spielt das lexikalische Material eine gewisse Rolle: Im Hauptsatz auftretende Verben wie aussehen und vergleichbare Ausdrücke wie es hat den Anschein gehen eher mit der ersteren Lesart einher, während tun (+ als ob etc.) die letztere nahe legt oder erzwingt. Die Einzelheiten lassen sich hier nicht näher untersuchen; ich begnüge mich mit dem Aufweis der grundsätzlichen modalen Variabilität, die übrigens (ohne Bezugnahme auf den temporal umgedeuteten Konjunktiv II) schon bei Paul (1920: 395) Erwähnung findet (vgl. auch Kaufmann 1973: 103).9 Belege: (78) BAUER: Ich hab rechtschaffen Hunger gehabt, als ich mich hinsetzte. Aber jetzt – mir ist so, als hätte ich was vergessen. BÄUERIN: Vergessen? BAUER: Merkt ihr das nicht auch? Ich meine, ihr müßtet es auch merken. BÄUERIN: Ich merke nichts. BAUER: Es müßte im Stall sein. [...] BÄUERIN: Wenn du was vergessen hast, tust du es heute nachmittag. (Eich 110f.)
9
Bei geeigneter Wortwahl im Hauptsatz tritt Potentialität interessanterweise auch bei Vergangenheitsbezug auf: Es ist auch mehr als ein Zufall, daß gerade das neue AKH zum monströsen Denkmal für eine Liaison zwischen [...] Bürokraten, Nehmern und Gebern und fortwährenden Fehlplanungen wurde. Es hat den Anschein, als ob die beteiligten und alleine oft eher hilflosen “Strukturen” gierig darauf gewesen wären, durch ständige Paarung wieder kräftiger zu werden. (http://www.christianreder.net/archiv/p_84_19_5_falt.html) (14.12.05)
67 (79) Im eingespielten Prozeß internationaler Berichterstattung und Kontaktaufnahmen gehen die noch nicht etablierten Organisationen unter. Es hat den Anschein, als ob man sich allgemein damit abgefunden hätte, daß am afghanischen Status Quo nichts zu ändern ist. (http://www.christianreder.net/archiv/p_81_12_18_az.html) (14.11.06) (80) Auch der Clicker hat sich bestens beim Sauberwerden bewährt (Klick bei jedem Pischern und jedem Häufchen draußen und ein Leckerchen). Mittlerweile hockt er sich hin und tut so, als ob er was gemacht hätte - guckt dann immer erwartungsvoll ob es klickt und ein Leckerchen folgt. (http://forum.dhd24.com/thema-2527-0-0-asc.html) (14.12.05) (81) Diese dicken, schwerfälligen Schlangen können so laut zischen, daß es klingt, als hätte man einen Nagel in einen Autoreifen getrieben. (Beleg von Jäger 1971: 232)
Hier sei noch auf isolierte Vergleichssätze mit als ob oder als hingewiesen, wie sie etwa in “entrüsteten Ausrufen” vom Typ Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten! (Dudengrammatik 2005: 948) vorkommen (vgl. auch Kaufmann 1973: 107f.). Derartige Bildungen werden hier aufgrund ihrer ausdrucksseitigen Nähe zu den eben behandelten Vergleichssätzen im vorliegenden Unterkapitel behandelt. Unter der Überschrift “Ausruf” (im Rahmen einer Übersicht über Äußerungsformen des Exklamativ-Modus) verweisen Zifonun et al. (1997: 155) auf die Irrealität des Sachverhalts etwa in Als wär das ein Kinderspiel und fügen (ebd.) hinzu, solche Bildungen fänden sich “vor allem im Anschluß an eine Redewiedergabe, von deren Inhalt sich der Sprecher entschieden distanziert”. Wenn der temporal umfunktionierte Konjunktiv II in solchen Vergleichssätzen Verwendung findet, dürfte die irreale Lesart die Regel sein. Der Sprecher kann auf etwas im Diskurs von jemand anderem Gesagtes reagieren und dabei z.B. ein Ansinnen zurückweisen (was beim zitierten Duden-Beispiel der Fall sein könnte), oder es kann sich um eine kritische Stellungnahme (u.U. auch schriftlicher Art) zu etwas Beobachtetem handeln. Der irreale Sachverhalt ist meistens in der Gegenwart angesiedelt, kann aber auch in der Zukunft liegen (für Letzteres lässt sich hier nur ein konstruiertes Beispiel anführen): (82) Als ob wir auch nächste Woche so viele Überstunden hätten machen können! (83) Wieder eine dieser Brechungen: Nationaler Protektionismus kann unter Heranziehung kulturalistischer oder ökologischer Begründungen plötzlich als fortschrittlich erscheinen. Als ob wir schon wieder vergessen hätten, wie die Konsequenzen dieser Haltung aussehen. (http:// www.electrolyte.net/archive/phonotaktik/phonotaktik_de.html) (14.12.05)
5.2.13 Zweiteilige deontische Konstruktion Es gibt Konstruktionen, in denen die konjunktivische Form eines Verbs (wie in 4.2 angedeutet) nicht den Realitätsbezug des dadurch Bezeichneten kennzeichnet, sondern den Realitätsbezug von etwas anderem, also eine Stellvertreterfunktion ausübt. Das gilt u.a. für die Form eines Modalverbs in Beispielen wie Sie hätte jetzt dabei sein müssen, wo ein Sachverhalt deontisch qualifiziert wird. Der hier auftretende Infinitiv (sein) kann als infinite Form ohne Moduscharakteristik keinerlei Verhältnis zur Wirklichkeit indizieren, und die Modalverbform zeigt den diesbezüglichen Status des infinitivisch ausgedrückten Sachverhalts an. Im angeführten Beispiel wird also nicht das Müssen negiert (es gilt hier vielmehr als real), sondern das Dabeisein, auf das sich das Müssen in einem Operator-Ope-
68 rand-Verhältnis bezieht. Eine entsprechende Kennzeichnung des Realitätsbezugs des Operanden übernehmen auch Konjunktivformen von anderen Verben als Modalverben (s.u.). Bildungen wie die eben illustrierte, die bei Leirbukt (1995) als “reale Modalitätskonstruktionen” bezeichnet wurden, sind stets durch zwei unterschiedliche Bedeutungsmomente gekennzeichnet: Deontizität im weiten Sinn (wozu hier auch Volition gerechnet wird) und ein dadurch bestimmtes Ereignis. Diese beiden semantischen Größen kommen durch zwei auf sie bezogene Komponenten der Gesamtkonstruktion zum Ausdruck. Von daher würde ich heute den Terminus “zweiteilige deontische Konstruktion” vorziehen; die Bezeichnung “real” ist im Hinblick auf solche Fälle inadäquat, in denen die Deontizität wie in (84) Gegenstand einer Frage (d.h. nicht als gegeben aufzufassen) ist, ebenfalls im Hinblick auf die Potentialität von Sachverhalten, auf die sich eine Bitte (u.Ä.) bezieht (Beispiele unten). (84) Hätte [General] Paulus [1942] ausbrechen müssen? (PZ [“Politische Zeitung”, Hg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn] 32 [März 1983], 31)
Auch in solchen Fällen ist die Zwei-Komponenten-Analyse durchführbar; es ist also für deren Anwendbarkeit grundsätzlich unerheblich, ob das Müssen etc. als real gilt oder einen anderen Realitätsbezug hat. Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen dem unter diesem Aspekt feststellbaren Status des Operanden und jenem des Operators. Bei der zeitlichen Analyse ist der Operand mitunter anders zu behandeln als der Operator: Ersterer kann z.B. in der Zukunft und Letzterer in der Gegenwart angesiedelt sein: Er hätte morgen vorbeikommen sollen (wenigstens z.T. gegenwärtiges Sollen vs. späteres Vorbeikommen). Sie können sich natürlich auch temporal überschneiden, wie in dem eingangs dieses Unterkapitels angeführten gegenwartsbezogenen müssen-Beispiel. Als Operator-Ausdruck dienen nicht nur Modalverben, sondern auch dieser Klasse nicht angehörende, aber semantisch verwandte Verben (z.B. vorziehen), ebenfalls verschiedene Deontizitätsnuancen bezeichnende (in der Konstruktion mit passenden Verben verbundene) Substantive und Adjektive (etwa Chance, wünschenswert) sowie paradigmatische Reihen bildende Syntagmen wie sein + zu + Infinitiv oder die bar-Bildung (vgl. Leirbukt 1995). Der Operand kann (je nach Art des Operator-Ausdrucks) nicht nur in einem Nebensatz (vgl. Zifonun et al. 1997: 1753) oder in einer Infinitivphrase (mit oder ohne zu), sondern auch substantivisch oder pronominal ausgedrückt werden (Letzteres bei Leirbukt 1995 belegt). Weitere Belege für die Lokalisierung des Operanden in der Gegenwart bzw. in der Zukunft: (85) Absichtslos beginnt er zu lesen, die Schlagzeilen, Lokales, Kulturelles, Vermischtes, den Sportbericht. Das Datum spielt keine Rolle, er hätte die Zeitung auch mit einer von vor fünf Jahren vertauschen können, er liest nur den Tonfall, die unverkennbare Schrift, die Anordnung, das Satzbild. (Bachmann 36) (86) [Testbericht über Nokia 8800, mit Auflistung von Zubehör; das Handy hat ein Kabel-Headset.] Also alles, was das Herz begehrt. Wenn gleich ich ein Headset mit Blauzahn vorgezogen hätte und statt des Stoffbeutels auch eine Ledertasche akzeptieren würde. (http://www.telefontreff.de/showthread.php?s=&threadid=177242) (11.01.06) (87) [Polizeiaktion in Schlehdorn am 05.09.2007 hat geplante Anschläge verhindert.] New York. Madrid. London. Und dann Frankfurt? Hanau? Heidelberg? Der Name einer deutschen Stadt
69 jedenfalls hätte die Reihe schwerer Anschläge fortsetzen sollen, mit denen islamistische Terroristen den Westen in seinen Grundfesten zu erschüttern trachten. (FAZ 06.09.2007, 1)
Dem Typ der zweiteiligen deontischen Konstruktion würde ich schließlich auch Beispiele mit volitivem gern (oder dessen Suppletiva lieber, am liebsten) in Verbindung mit einem Vollverb zurechnen. Sie weichen von den eben besprochenen Konstruktionen darin ab, dass die Konjunktivform des Verbs den Realitätsbezug des deontisch qualifizierten Sachverhalts anzeigt, der durch dieses Verb (plus etwaige zugehörige Elemente) bezeichnet wird; sie erfüllt also keine Stellvertreterfunktion. Das Wünschen kann realer, das Gewünschte dagegen irrealer Natur sein: (88) Mein Rat: Sie gehen zu diesem Mädchen und machen ihr den Vorschlag, zusammen auszugehen. Sie sollten aber auch akzeptieren, wenn das Mädchen ablehnt. Wenn das der Fall ist, könnten Sie ihr folgenden Satz sagen: Schade, ich hätte Sie gerne kennengelernt. (Corssen/Riekel 227)
Hierher gehören m.E. auch Konstruktionen mit gern, die einen höflichen Wunsch zum Ausdruck bringen. Dabei ist das Gewünschte potential zu verstehen, das Wünschen dagegen realer Natur (wie im eben illustrierten Konstruktionstyp): (89) [ab:] ich hätte gern einen Gedanken hier ausgeführt [aa:] bitte sehr Doktor Wagner (Freiburg I, 210) (90) [ab:] ich hätte gern was gefragt [aa:] ja bitte sehr Doktor Wagner (Freiburg I, 199)
5.2.14 Zweiteilige epistemische Konstruktion mit Infinitiv Von den eben besprochenen Konstruktionen seien hier solche unterschieden, in denen ein objektiv-epistemisch verwendetes Modalverb auftritt und eine regelmäßig an die Sprechzeit gebundene, auf (mehr oder weniger) objektiven Gegebenheiten basierende Folgerung zum Ausdruck kommt (zum objektiv-epistemischen Modalverbgebrauch vgl. Diewald 1999). Diese Folgerung bezieht sich stets auf einen infinitivisch bezeichneten, bei Wahl des temporal markierten Konjunktivs II irreal gedeuteten und wohl meist in der Gegenwart lokalisierten Sachverhalt. Durch die Art der Modalverbverwendung und die Beschränkung auf die infinitivische Sachverhaltsanzeige weicht die Konstruktion ganz erheblich von der in 5.2.13 beschriebenen ab: (91) [Siegmar Fischer unterhält sich in der Frühgeburtenabteilung mit Ingrid Völker, die mit einem anderen Mann ein Kind bekommen hat.] Eine Schwester kam herein. Stirnrunzelnd schaute sie auf Siegmar. “Was machen Sie hier? Sind Sie der Vater?” Siegmar hob erschrocken die Hände. “Nein.” [...] Die Schwester lachte. “Es hätte doch sein können.” (Hafner 135) (92) [ZDF 18.06.1988, ca. 17.35 Uhr: Länderspiel England – UdSSR, Bemerkung des Reporters nach verpasster Torchance der Russen:] Es hätte schon 3:0 stehen können.
Bei diesem Konstruktionstyp sind andererseits zwei klare Parallelen zu den zweiteiligen deontischen Bildungen mit Modalverb feststellbar: Die Modalverbform zeigt stellvertre-
70 tend den Wahrscheinlichkeitsgrad des infinitivisch bezeichneten Sachverhalts an, und der Konj. Plusq. des Modalverbs drückt regelhaft Irrealität aus. Neben können tritt auch objektiv-epistemisch verwendetes müssen auf; andere Modalverben kommen in dieser Konstruktion kaum in Frage. Ein Beleg: (93) [...] wenige der Sterne der Galaxis haben Bahnen, die weit in den Halo hineinreichen. Das muss wohl so sein, da sonst die schon seit langem gefundene Dichteverteilung senkrecht zur Scheibe (wie in Bild 5 dargestellt) ganz anders hätte aussehen müssen. (http://www.astro.unibonn.de/~deboer/galstruc/galstr.html) (11.01.06)
5.2.15 beinahe-Konstruktion Für die jetzt zu besprechenden Konstruktionen, die in der Dudengrammatik (2005: 526) mit Recht dahingehend analysiert werden, dass sie keine implizite irreale Bedingung involvieren, findet sich (soweit ich sehe) in der Literatur keine eigene Bezeichnung. Der in der Überschrift dieses Unterkapitels benutzte Ausdruck ist natürlich eine Verlegenheitslösung. Hinsichtlich der Moduswahl ist festzuhalten, dass die beinahe-Konstruktion normalerweise den irreal verwendeten Konjunktiv II aufweist. Die Annahme der Dudengrammatik (2005: 526), dass regelmäßig vorkommende Ausdrücke wie fast, beinahe, um ein Haar den Rekurs auf diese Modusform auslösen, lässt sich von der lexikalischen Bedeutung her erhärten: Diese Ausdrücke implizieren, dass etwas nicht eintritt und können daher allein die Irrealität signalisieren (vgl. Weinrich 2003: 256f.): (94) Einen richtigen [...] Konter gab es ja, und aus dem wurde beinahe ein Tor. (http:// www.meetinx.de/f101/beitrag-1942-80.html) (28.03.06)
Wichter (1978: 75) führt u.a. das Beispiel Beinahe wäre ich gefallen an, gibt dafür folgende Paraphrase (hier nur graphisch geändert): ‘Ich war nahe daran, zu fallen’ (1978: 76) und fügt hinzu, Ich war nahe daran entspreche der Bedeutung von fast und beinahe im konjunktivischen Satz. Weiter heißt es (ebd.): “Das Nahe-Daran-Sein gilt nicht immer, sondern nur für eine bestimmte Situation.” Dieses Moment der Singularität kennzeichnet die Konstruktion beim wohlbekannten Bezug auf Vergangenes wie auch beim m.W. in der bisherigen Literatur nicht erwähnten Zukunftsbezug: (95) [Welid sollte zusammen mit Mohallab reiten.] MOHALLAB: Welid! Da bist du endlich! Ist alles bereit? WELID: Alles. MOHALLAB: Du kamst spät. Beinahe hätte ich mit Schirin reiten müssen anstatt mit dir. Auf! Und schnell fort! (Eich 46) (96) Der SPD-Parteitag am kommenden Sonntag soll eine für alle spürbare Aufwärtsstimmung erzeugen. Auch er freilich hätte ums Haar mit einer Panne begonnen. Ursprünglich auf Samstag terminiert, erkannten die SPD-Wahlplaner gerade noch rechtzeitig, dass ihnen dabei das deutsche WM-Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien in die Quere gekommen wäre. (Der Spiegel 22/2002, 29 u. 31)
71 Es bliebe noch zu erwähnen, dass das Nahe-daran-Sein u.U. als dem Redemoment unmittelbar vorausgehend zu deuten ist; bei Deutung der Sprechzeit als Intervall wäre auch hier ein Gegenwartsbezug ansetzbar: (97) Eines hätte ich jetzt beinahe vergessen: wir haben uns in Dasburg nicht nur vergnügt, wir haben auch schwer gearbeitet. (http://www.cvjm-reinheim.de/vor1998/jtr1997.htm) (28.03.06)
5.2.16 Restriktivsatz Der Ausdruck “Restriktivsatz” wird hier von Blatz (1896: 1109) und Heidolph et al. (1984: 817) übernommen. Die durch die Restriktivsätze angezeigte Einschränkung der Geltung der Hauptsatzaussage legt keine hypothetische Sachverhaltsdeutung nahe und gibt keine Grundlage für die deskriptive Erfassung des in ihnen auftretenden markierten Konjunktivs II ab, was auch für die anderen Nebensatztypen gilt, die unten berücksichtigt werden. Das Grundsätzliche wurde schon oben mit Bezug auf den konjunktivischen Relativsatz in (1) festgestellt. Analog den als “Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” fungierenden obwohl-Sätzen (vgl. 5.2.4) dient der Restriktivsatz als Sammelbecken für unterschiedliche Konstruktionen. Trotz spärlichen Materials lässt sich festhalten, dass hier je nach Kontext potentialer oder irrealer Gebrauch des in Rede stehenden Konjunktivs II auftritt. Heidolph et al. (1984: 817) führen bei ihrer Besprechung des Restriktivsatzes nur soweit-Beispiele an, der Typ umfasst aber – vgl. Blatz (1896: 1109f.) – mehr Bildungen, z.B. auch Nebensätze mit nur dass oder außer dass (man vergleiche auch die Darstellung der “modusmodifizierenden Nebensätze” bei Zifonun et al. 1997: 2326–2328). Die Einleitungselemente soweit und sofern nehmen auch an der Kennzeichnung von Konditionalität teil (Engel 2004: 148, Zifonun et al. 1997: 2281), vgl. auch den sofern-Beleg (14) in 5.2.1. Diese Funktion (die von der restriktiven nicht immer leicht zu unterscheiden ist) lässt sich aber für den nachfolgend kommentierten soweit-Beleg nicht ansetzen. Der restriktive Typ mit nur dass schränkt etwa nach Zifonun et al. (1997: 2326) den Gültigkeitsanspruch des Gesagten ein (ähnlich Pasch et al. 2003: 429f.). Hier zunächst ein Beleg für die potentiale Lesart des Konj. Plusq. bei Zukunftsbezug: (98) Nur Fanatiker auf beiden Seiten können sich einen neuen Krieg [im Nahen Osten] wünschen. An dessen Ende wäre die Situation auch nicht anders als heute. [neuer Abs.] Nur dass einmal mehr unendliches Leid geschehen wäre. Zu einer friedlichen Lösung in der Region gibt es keine Alternative. (Bild [Ausgabe Mecklenburg-Vorpommern] 13.10.2000, 2)
Hinzu kommt die Möglichkeit, ein im Restriktivsatz irreal gefasstes Ereignis mit einem real verstandenen zu verbinden (hier Einbau einer zweiteiligen deontischen Konstruktion in einen außer dass-Satz): (99) Vom Sound her gibt es eigentlich nix zu meckern, außer dass er vielleicht ein bisschen heavier hätte sein können. Wie gesagt ist “Sangre de Reyes” nicht die beste Platte des Fünfers aber dennoch ein gutes Stück Musik. (http://bloodchamber.de/cd/t/196) (11.01.06)
Ferner kann ein irreales Ereignis in der Zukunft lokalisiert werden, wie in folgendem Beispiel:
72 (100) Es überrascht mich nicht, dass Herr Maier nicht zur Firma Holpricht wechselt. Er hätte da nicht viel bewegen können, außer dass er vielleicht ein paar kleinere Kurskorrekturen hätte durchkriegen können.
In meinem Material liegt ein soweit-Satz vor, in dem ein irreal gebrauchter Konj. Plusq. einem Indikativ Perfekt des Hauptsatzes gegenübersteht und der besonders klar die oben angesprochene Sammelbecken-Funktion illustriert: (101) [Reaktion auf Vermutungen über einen bevorstehenden Abriss von Plattenbauten] Die östlich der Spree hinter dem Alsenblock liegenden Plattenbauten werden für den Bedarf des Deutschen Bundestages nicht abgerissen. Soweit Planungsüberlegungen in einem sehr frühen Stadium zu einer solchen Konsequenz geführt hätten, sind sie von der Baukommission des Ältestenrates des Bundestages von vornherein abgelehnt worden. (Der Spiegel 8/1996, 10)
Hier weist schon der Moduskontrast im Verein mit dem temporalen Kontrast (Zukunftsvs. Vergangenheitsbezug) darauf hin, dass der soweit-Satz (als Ganzes genommen) nicht als Ausdruck eines Antezedens und der Hauptsatz nicht als Ausdruck eines Konsequens im Rahmen von p–>q dient (die Konstellation irreal-zukünftiges Antezedens + der Sprechzeit restlos vorangehendes reales Konsequens gibt es nicht). Hier empfiehlt sich m.E. eine Analyse, bei welcher ein verkapptes Konditionalgefüge angenommen und zum Ausmaß der Ablehnung der fraglichen Überlegungen in Beziehung gesetzt wird. Unter der Annahme, dass Planungsüberlegungen mehr als einmal stattfanden, und bei Ausgehen von der kontextuell gegebenen Rückwärtsperspektive (mit der Sprechzeit als Ausgangspunkt) wäre das Konditionalgefüge grob rekonstruierbar als ‘wenn bestimmte in einem frühen Stadium vorliegende Planungsüberlegungen durchgeführt worden wären, hätten sie zum Abriss der Plattenbauten geführt’. (Das Bedingungsverhältnis ließe sich auch bei Transposition des Erkennens/Bewertens in die zurückliegende Zeit knapper fassen als ‘Realisierung der Überlegungen bedingt Abriss’.) Von daher könnte man festhalten: In dem Maße, wie dieser Zusammenhang für die betreffenden Überlegungen/Pläne in den zurückliegenden Situationen erkennbar war, reagierte die Baukommission jeweils mit Ablehnung. Der soweitSatz als Ganzes (als “Hyperstruktur” mit eingebautem Konditionalgefüge) erfüllt mit anderen Worten die für den Restriktivsatz als Typ limitierende Funktion in Bezug auf die Geltung des Hauptsatzes.
5.2.17 Kausalsatz Bei Kausalsätzen, die den temporal umfunktionierten Konjunktiv II enthalten, ist sowohl die irreale wie auch die potentiale Lesart zu beobachten. Kausalsätze drücken u.a. reale Gründe aus; man könnte mit Zifonun et al. (1997: 2296) von “Gründen auf der propositionalen Ebene” sprechen. Hinzu kommen Bildungen, die als “Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” (Zifonun et al. 1997: 2303) dienen. In meinem Material tritt der markierte Konjunktiv nur im letzteren Kausalsatztyp auf, was sicher kein Zufall ist: Beim ersteren Typ finden Sachverhalte Ausdruck, die normalerweise real sind oder als real gedeutet werden und für deren Formulierung der hypothetisch geprägte Konjunktiv II ungeeignet wäre. Hier zunächst Belege für die potentiale Lesart:
73 (102) [Schilderung der Situation in Trubschachen bei einer vorgestellten Rückkehr nach dem ersten Aufenthalt] Der “Hirschen” würde umgebaut sein, und man würde den Wirtsleuten keinen Vorwurf machen können, da sie ja nur mit der Zeit gegangen sein würden und nur ihre Pflicht getan hätten ... (Meyer 146) (103) Für mich wäre in einem solchen Fall die Tötung [des Angreifers] gerechtfertigt, sie würde mich aber belasten. [...] “gerechtfertigt” ist vielleicht ein falsch gewählter Ausdruck. Ich wäre vor meinem Gewissen auch in einem solchen Fall schuldig, weil ich einen [sic] Menschenleben geopfert hätte. (de Witt et al. 116)
Zum illustrierten potentialen Gebrauch gesellt sich ein irrealer: (104) [...] wird der kauf [der VA-Tech durch Siemens] über anleihen gedeckt, muß die VA-Tech zuerst mal die zinsen erwirtschaften, dann kommt no die dividende (mußte auch bisher geleistet werden) für siemensaktionäre und zuletzt sollte auch no ein beitrag geleistet werden für ein kursanstieg der siemensaktie. wird der kauf aus siemensgewinnen getätigt, unterliegt die übernahme trotzdem den gleichen regeln, weil sie hätten ja auch dieses kapital in andere, lukrative übernahmen oder gar in finanzgeschäfte stecken können. (http://archiv.gruene.at/ openforum/view.php?site=gruene&bn=gruene_openforum&key=1106919894) (28.03.06) (105) Sie haben auf einer Abstimmung schon heute bestanden, weil sie ja bei einer Abstimmung in der nächsten Sitzung mit Sicherheit eine Niederlage erlitten hätten.
Die als “Kommentare auf der Ebene des Modus dicendi” dienenden weil- und da-Sätze zeigen – analog zu solchen mit obwohl etc. (vgl. 5.2.4) – eine gewisse Lockerung der Beziehung zum Hauptsatz und weisen (damit verbunden) eine variable inhaltliche Struktur auf: Sie enthalten z.B. Konditionalgefüge, vgl. etwa das verkappte in (105); möglich ist bei solcher Sammelbecken-Funktion auch der Einbau zweiteiliger deontischer Konstruktionen: (106) ... weil er hätte ja gerne ein paar Jahre weitergemacht. (Kontext: Subjektsreferent erst seit kurzem im Ruhestand)
5.2.18 Instrumentalsatz Der Ausdruck “Instrumentalsatz” wird hier von Helbig/Buscha (2001: 603) übernommen, wobei bezüglich der Benennung der Vorbehalt notwendig erscheint, dass zwischen dem instrumentalen Moment und dem eines Begleitumstandes keine klare Grenze zu ziehen ist (vgl. etwa Zifonun et al. 1997: 2277f.). Beide Modalitätsausprägungen wären möglich. Gegenüber (107) mit zuständlich-irrealer Lesart von gekommen wären ist das konstruierte Beispiel (108), das natürlich einen einen anderen Kontext voraussetzt, zuständlich-potential zu deuten (über die Akzeptabilität dieses Beispiels ließe sich vielleicht streiten): (107) [IT-Offensive “Schule digital” im Hochtaunuskreis] Dadurch soll innerhalb von wenigen Jahren jeder Schülerin und jedem Schüler im Kreis der Zugang zu modernen Informationsmedien [...] ermöglicht werden. [...] Wir haben bei unseren demographischen und damit kapazitativen Annahmen nicht einfach die Geburtenzahlen hochgerechnet und uns damit gesund gerechnet, indem wir dann mittelfristig fast überall zu zum Teil erheblichen Überkapazitäten gekommen wären. Wir erwarten vielmehr, daß neben anzunehmender bundesweiter Zuwanderung auch insbesondere familienorientierte Entscheidungen die demographische Entwicklung
74 [...] in unserer Region teilweise ausgleichen beziehungsweise beeinflussen werden. (http:// www.hochtaunuskreis.de/cms/cmssystem/docDisplay.asp?lf=0&WebDocID=105) (28.03.06) (108) Wir können bei unseren demographischen und damit kapazitativen Annahmen nicht einfach die Geburtenzahlen hochrechnen und uns damit gesund rechnen, indem wir dann mittelfristig fast überall zu zum Teil erheblichen Überkapazitäten gekommen wären.
5.2.19 Temporalsatz Auch im Temporalsatz findet der markierte Konjunktiv II potentiale wie auch irreale Deutung. Hier sei die Verwendung von wenn und nachdem zum Ausdruck von Vorzeitigkeit eines zukünftigen Ereignisses relativ zu einem anderen zukünftigen Ereignis (vgl. auch den nachdem-Satz in 3.1 mit potential gebrauchtem Konj. Plusq.) sowie der Rekurs auf bis zur Anzeige der zeitlichen Begrenzung eines zukünftigen Ereignisses durch das im bis-Satz Ausgedrückte veranschaulicht (Letzteres ist im folgenden Beleg ein potential gefasstes und nach der Sprechzeit angesiedeltes Gefunden-Haben). Die Beispiele zeigen klare Parallelen zur temporalen Beschaffenheit indikativischer Nebensätze mit denselben Subjunktionen: (109) [Situation in Trubschachen bei einer vorgestellten Rückkehr, anschließend Abreise nach Bern] Der “Hirschen” würde umgebaut sein, und man würde den Wirtsleuten keinen Vorwurf machen können, da sie ja nur mit der Zeit gegangen sein würden und nur ihre Pflicht getan hätten ... Wenn der Bummelzug um elf Uhr siebenundfünfzig eingefahren sein würde und man eingestiegen wäre, würde man, ohne daß man schon in Langnau umsteigen müßte, nach einer knapp einstündigen Fahrt in Bern ankommen. (Meyer 146) (110) Gut, dass du die Sache vor dem Besuch bei Tante Olga erledigst. Wenn du das erst getan hättest, nachdem wir bei ihr gewesen wären, hättest du heute für nichts anderes mehr Zeit gehabt. (111) Ich weiss dass ich dann bei Euch am besten aufgehoben wäre bis ich eine Wohnung gefunden hätte. (Beleg bei Züst 1977: 321)
5.2.20 Lokalsatz Der Ausdruck “Lokalsatz” wird hier von Helbig/Buscha (2001: 602) übernommen. Auch hier ist der temporal markierte Konjunktiv II sowohl irreal als auch potential zu verwenden: (112) In diesen 13 Spielen haben wir, sage und schreibe, 10 Mal in Führung gelegen, und trotzdem nur 12 Punkte [...] geholt [...]. Ich will gar nicht daran denken, wo wir jetzt hätten stehen können, hätten wir die Führungen anständig verwertet. (http://www.carstenfrommhold.de/ index.php?site= 002,001,002) (26.01.06) (113) Ich würde dann gerne pflügen, wo er den Anfang des neuen Feldes markiert hätte.
5.2.21 Relativsatz ohne Bezug zu einer Negation im Hauptsatz Schon anhand des Relativsatzes mit Konj. Plusq. in (1) wurde gezeigt, dass dieser Nebensatztyp als solcher die Wahl einer markierten Konjunktiv II-Form nicht determiniert; den
75 Ausschlag gibt in diesem Fall der Einbau eines Konditionalgefüges. Der Vollständigkeit wegen sei auch die im Relativsatz mit solchen Formen ausdrückbare Potentialität belegt (diese hängt hier nicht mit Konditionalität zusammen): (114) Der Spaziergang am ersten Aufenthaltsmorgen würde einen [...] den Weg durch das Dorf, den man am Vorabend vom Bahnhof her gekommen war, zurück- und dann der Haupt- oder Dorfstraße entlang weiter bis zur Bisquitfabrik [...] am anderen Ende des Dorfes führen, so daß man zuerst einmal überhaupt einen Eindruck von diesem Dorf, in dem man sich zum ersten Mal aufhalten und das man vorher nur seinem Namen nach gekannt haben würde, und einen Überblick über seine Lage bekommen könnte. (Meyer 20)
5.2.22 dass-Satz als Inhaltssatz Bei der Auflistung von Konstruktionstypen mit temporal markiertem Konjunktiv II sind auch dass-Sätze zu berücksichtigen, die zu den an Hauptsätze mit Negation angeschlossenen Nebensätzen mit dieser Konjunktion (5.2.7) nicht zu stellen sind (die Grenze ist allerdings ziemlich fließend). Hier tritt sowohl Irrealität, vgl. (115), als auch Potentialität auf, wie an (116) illustriert. Beispiel (117) ist (isoliert betrachtet) ambig: Es kann sein, dass das Aerodynamikproblem nicht gelöst ist (und der Nebensatzsachverhalt dementsprechend irreal gedeutet wird); es kann aber auch Ungewissheit (d.h. Potentialität) vorliegen. (115) [Sophie möchte Dimi heiraten und unterhält sich darüber mit Yasmin.] “Es wäre schön für mich, wenn er dir gefiele.” [...] [Yasmin:] “Danke dir, Sophie. Ich freue mich, daß es dir etwas bedeutet hätte – ich freue mich sehr [kursiv im Orig.]. Ich will dir auch sagen, warum er mir nicht gefällt.” (Palmer 184) (116) Muster verführen immer zum Abschreiben. Damit wäre Ihnen aber sehr wenig gedient. Die Vorsitzenden der Ausschüsse, Kammern und Gerichte würden nämlich gleich merken, daß Sie Ihre Begründung [für den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer] aus diesem Buch abgeschrieben hätten. Das wäre sehr nachteilig für Sie [...]. (de Witt et al. 18) (117) Das würde den Schluss nahe legen, dass sie jetzt das Problem der Aerodynamik gelöst hätten.
Auch solche durch dass eingeleiteten Nebensätze können als Sammelbecken für Verschiedenes dienen. Hier können, wie etwa der dass-Satz in (96) zeigt, z.B. Konditionalgefüge (dort ein verkapptes) eingebaut sein.
5.2.23 Adversativsatz Der Adversativsatz wird nach Helbig/Buscha (2001: 613) durch während (in bestimmter Verwendung) eingeleitet (hinzu kommt wogegen/wohingegen). Der Typ ist bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass er einen Sachverhalt ausdrückt, der einem anderen gegenübergestellt wird, was mutatis mutandis auch für Vergleichssätze gilt, die durch als oder wie eingeleitet sind (s.u.). Das Auftreten des temporal umfunktionierten Konjunktivs II hat in den folgenden Beispielen mit der Gegenüberstellung der adversativ interpretierten Sequenz und der benachbarten nichts zu tun. Auch der Adversativsatz kann als Sammelbe-
76 cken fungieren, wobei u.U. Konditionalität im Spiel ist. Hier Beispiele mit verkapptem Konditionalgefüge: (118) Tomi geht ein wenig genauer auf die Dealsuche ein: “[...] Wir brauchen kein Label, das in der Rockszene einen etablierten Namen hat. Es ist nur wichtig, daß sie voll hinter uns stehen [...]. Bei MINISTRY OF SOUND haben wir die volle Aufmerksamkeit, während wir bei einem anderen Label vielleicht nur eine von Hunderten Rockbands gewesen wären.” (http:// www.underground-empire.com/article.php?type=2&idx=783) (28.03.06) (119) Herr Maier könnte natürlich jetzt auch Urlaub machen. Er würde dann erst Mitte übernächsten Monats mit der Renovierung fertig sein, während er die Arbeit ansonsten bis Ende nächsten Monats erledigt haben würde.
5.2.24 Vergleichskonstruktion mit als oder wie Konstruktionen mit nebensatzförmigem, durch als oder wie angeschlossenem Vergleichsglied lassen sowohl die irreale als auch die potentiale Verwendung des temporal markierten Konjunktivs II zu. Man bemerke die auch hier mögliche Sammelbecken-Funktion, vgl. den in (120) belegten Einbau eines verkappten Konditionalgefüges: (120) [Aufgrund von Braunkohlenabbau durch die RWE-Tochter Rheinbraun kann der Bauer Josef Mertens sein Land nicht landwirtschaftlich nutzen.] Seine Äcker hat er nicht an Rheinbraun verkauft. Doch jetzt liegt sein Eigentum im Loch. Darum bekommt er eine “Nutzungsentschädigung”, genauso viel, wie er hätte verdienen können. (Stern 4/1998, 26f.) (121) Er könnte natürlich jetzt auch Urlaub machen. Er würde dann bedeutend weniger verdienen, als wenn er die Renovierung bis Ende nächsten Monats erledigt hätte.
5.2.25 Abhängiger Fragesatz Als letzter Nebensatztyp, der eine Sammelbecken-Funktion hat und den markierten Konjunktiv II aufweist, sei der abhängige Fragesatz exemplifiziert: (122) Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset beschreibt das in seiner wunderbaren Abhandlung “Ästhetik in der Straßenbahn”: wie sich die Menschen mustern und wie bei jedem Menschen eine verborgene Ideallinie offenbar wird. Sie lässt erkennen, was er seiner Anlage nach hätte sein können, oder, idealer weise [sic] eben ist. (Welt am Sonntag 12.09.2004, 74) (123) Es könnte sein, dass sie die wichtigste Abstimmung gewinnen. Ob sie damit auch die Weichen für eine radikale Kursänderung gestellt hätten, scheint aber fraglich.
5.3 Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in formelhaften Bildungen Es gibt eine kleine Gruppe fest gefügter Bildungen, die den markierten Konj. Plusq. bestimmter Verben in regelmäßiger Verbindung mit speziellen Komponenten aufweisen und
77 sich durch ihre erstarrte Struktur u.a. von der in 5.4 zu behandelnden “Konstatierungskonstruktion” abheben, deren als Part. II auftretendes Verb in lexikalischer Hinsicht nicht unerheblich variiert. In den zu besprechenden Bildungen wird ein in der Gegenwart oder Zukunft angesiedelter Sachverhalt angezeigt. Sie sind pragmatisch insofern interessant, als sie regelmäßig eine Bewertung der jeweiligen Äußerung durch den Sprecher zum Ausdruck bringen. In Äußerungen mit dem Konj. Plusq. (1. Ps. Sg. oder 1. Ps. Pl.) von sagen + beinahe oder fast kommentiert der Sprecher das hic et nunc von ihm real Gesagte. Die Konjunktivform signalisiert dabei weder Potentialität noch Irrealität, sie ist Teil einer metakommunikativen Wendung, deren Gebrauch eine Bewertung der Äußerung unter Aspekten wie Angemessenheit der Ausdrucksweise, inhaltliche Relevanz u.Ä. involviert und primär der sprecherseitigen Gesichtswahrung dienen wird; die Wendung erfüllt mit anderen Worten eine Heckenfunktion. Die Sprecherrolle wird meistens durch ich angezeigt, lässt sich aber in der Schriftsprache auch mit dem bescheideneren Autoren-wir kodieren (was allerdings eine eher altertümliche Ausdrucksweise darzustellen scheint): (124) [...] und mit denen [Eltern und Kameraden] kann ich rechnen ja weiter mit meinen wissenschaftlichen Erkenntnissen soweit sie wissenschaftlich sind und nicht politologisch hätte ich beinah tückisch gesagt [...] (Freiburg I, 131) (125) [...] was Platon in seinem idealen Staat für sinnvoll hielt, daß nämlich die Philosophen regieren sollten, ist ja nicht eingetreten und verwirklicht worden. So ist es eben! Dort sind unsere Ideale, und hier ist die Wirklichkeit, fast hätte ich gesagt: die Realpolitik. (http:// www.uribuelbuel.de/zerfahrenheit/niklas/auftrag/auftragsyn02.html) (28.03.06) (126) Nur im logischen (wir hätten beinahe gesagt im “juristischen”) Sinn ist der Text Hauptsache, die Musik Accessorium [...]. (http://www.koelnklavier.de/quellen/hanslick/kap2-09fn.html) (28.11.05)
Im Unterschied zu dieser erstarrten Verwendung des Konj. Plusq. von sagen ist die reguläre im Rahmen der beinahe-Konstruktion u.a. dadurch gekennzeichnet, dass sich die Form auf etwas Zukünftiges beziehen und auch in der 3. Person erscheinen kann (vgl. die Belege in 5.2.15). Die illustrierte metakommunikative Funktion des Konj. Plusq. von sagen hat übrigens eine gewisse Parallele im Gebrauch von Ausdrücken wie sozusagen sowie in der wohlbekannten Verwendung des Kond. I würde sagen (1. Ps. Sg.): (127) Also ich würde sagen, die lautesten [Böller] sind Kanonenschläge. (http://www.hilfeforum.eu/sitemap/t-70357.html) (04.10.07)
Ganz anderer – genauer: irrealer – Natur sind Sätze mit dem Konj. Plusq. von fehlen in fester Kombination mit einem sachverhaltsbezogenen das oder einem in solche Richtung zu interpretierenden der als Subjekt und dem Element noch. Letzteres geht dem Partizip II voraus und wird mitunter mit einem vorangehenden gerade verbunden. Darüber hinaus kann der Satz mir oder uns (als fakultative Dativergänzung von fehlen) enthalten. Die Irrealität des in derartigen Bildungen bezeichneten Sachverhalts wurde schon von Graf (1977: 258) festgestellt, an (128) illustriert und unter Ansatz einer negierten “anderen
78 Welt” erklärt, deren Grundlage in einer vorausgehenden Äußerung des Kommunikationspartners zum Ausdruck kommt: (128) A: Peter kommt nicht. B: Das/Der hätte uns gerade noch gefehlt! 10
Beiläufig bemerkt Graf (ebd.), dass “die eigentliche Negation vorausgesetzt und in irgendeiner Weise vorausgegangen sein muß, nicht dagegen durch diese Sätze selbst ausgesprochen wird – auch nicht durch deren Kjv. [Konjunktiv]”. Dazu wäre anzumerken, dass ein Blockierungsfaktor so stark mit dem fraglichen Konj. Plusq. von fehlen assoziiert ist, dass dieser wie in (129) ohne Bezug auf eine vorgängige Tatsachenkonstatierung irreal gedeutet werden kann. Hier wäre interessanterweise auch fehlte denkbar (das fehlte noch) und – in Opposition zur komplexeren Form – potential zu lesen (vgl. auch den unten angeführten Originalbeleg): (129) Herr Präsident Doktor Gerstenmaier [...]. wird das Parlament zur Ohnmacht verurteilt sein? [Gerstenmaier:] das hätte mir noch gefehlt. (Freiburg I, 180)
Bei der Modalitätsanalyse scheint Graf (ebd.) diesen Gebrauch des Konjunktivs II als Parallele zu dem in Fällen wie Das wäre ja noch schöner! zu deuten. Dagegen spricht m.E. der eher potentiale Charakter dieses Beispiels. Der in der Zukunft oder im Redemoment – vgl. (130) – situierte Sachverhalt wird vom Sprecher als etwas Negatives bewertet: (130) [Feldmann ist auf einem Betriebsfest und ruft Christiane an.] “Was machst du?” [Christiane:] “Fernsehen.” Pause. [Feldmann:] “Schade, daß du nicht hier bist.” [Christiane:] “Na, das hätte noch gefehlt. Bist du besoffen, oder warum rufst du an?” (Breest 194)
Die angeführten irrealen fehlen-Beispiele entziehen sich einer Zuordnung etwa zum Typ des Konditionalgefüges, was auch für die (pragmatisch verwandte) potentiale Bildung mit Konj. Prät. gilt: (131) Ich kann ja draußen bleiben, Vater. [Antwort des Angesprochenen:] Das fehlte gerade noch. (Eich 157)
10
Die in (128) illustrierte Referenzverschiebung eines von Hause aus personenbezogenen Demonstrativs der in Richtung eines Sachverhaltsbezugs ist bekanntlich in der gesprochenen Sprache geläufig. Man vergleiche eine Äußerung wie Den müssen wir uns nicht antun etwa im Rahmen einer Diskussion darüber, welche Kollegen/Kolleginnen man zu einer Tagung einladen sollte. Die durch antun eröffnete Leerstelle für eine Ergänzung, die semantisch als Sachverhalt zu bestimmen ist, wird auch hier durch die maskuline Form der besetzt.
79
5.4 Auftreten des temporal markierten Konjunktivs II in freieren Bildungen grammatisch nicht genau bestimmbarer Natur Hierher gehören u.a. Beispiele des Typs Jetzt hätten wir das Wichtigste geklärt. Nach Heidolph et al. (1984: 533) wäre hier von einer “feststehenden Wendung” zu sprechen, da sie diese Charakterisierung bei Äußerungen wie den folgenden vorschlagen: Das wäre geschafft. So weit wären wir! In meinen Korpustexten tritt der Typ mit markiertem Konj. Plusq. nur einmal auf, vgl. (132). Weitere Belege konnten über Google ermittelt werden. (132) [ab:] sie gehen in den Erdumlauf. [ab:] damit wäre also der erste Teil des Startes bereits geglückt. (Freiburg I, 115) (133) [Im Prätext Übersicht über Erfindungen, die sich mit Kufstein verbinden] Womit wir endlich bei dem Wahrzeichen der Stadt, der Festung angelangt wären. [Zwischenüberschrift] Diese ist in umfangreichen Sanierungsarbeiten stilgerecht aufgepäppelt worden. Sie erstrahlt in neuer “alter” Farbgebung [...] (http://www.hulda.de/ php/arch_detail.php?arch_id=770) (26.01.06) (134) [Im Anschluss an die Gegenüberstellung “Orson Wells – Regisseur” – “George Orwell – ‘Farm der Tiere’” ein “Memo an mich selbst”:] H.G. Wells: Krieg der Welten George Orwell: Farm der Tiere Orson Welles: Citizen Kane So, das hätten wir jetzt wieder mental geordnet. Welles war aber auch Schauspieler [...] (http://www.comicforum.de/showthread.php?t= 62669) (26.01.06)
Die angeführten Beispiele für den temporal umfunktionierten Konj. Plusq. vertreten einen relativ freien, in der Literatur häufig als Ausdruck von Höflichkeit, Zurückhaltung u.dgl. charakterisierten Konjunktivgebrauch (vgl. etwa Dudengrammatik 2005: 527f.). Hier liegt der Charakter einer Wendung m.E. nicht vor; wir haben es vielmehr mit einem Ausdrucksmuster zu tun, das eine erhebliche lexikalische Variation des als Partizip II erscheinenden Verbs zulässt. Letzteres kann interessanterweise auch semantisch bestimmt werden: Es handelt sich regelmäßig um ein Transformativum. Damit hängt zusammen, dass ein gegenwärtiger Nachzustand zum Ausdruck kommt, den die (an sich traditionelle) Charakterisierung “Feststellung eines unter Umständen nur mühsam erreichten Ergebnisses” (Dudengrammatik 2005: 528) adäquat einfängt und dessen Erreichtsein typischerweise durch so und/oder mit-Phrasen (etwa damit/womit) verdeutlicht wird. Für den mit Partizip II gebildeten Typ wird hier mangels Besserem die Bezeichnung “Konstatierungskonstruktion” gebraucht. Er ist mit den in 5.2 beschriebenen Konstruktionen mit temporal umfunktioniertem Konj. Plusq. insofern vergleichbar, als er sich von seinem Transformativum und dessen zuständlicher Lesart her in begrenztem Maße grammatisch charakterisieren lässt. Andererseits weicht er durch diese Charakteristika nicht unwesentlich von den erwähnten Bildungen ab, die solche Eigenschaften ja nicht generell aufweisen. Die “Konstatierungskonstruktion” unterscheidet sich übrigens markant vom Typ Ich hätte gern Frau Maier gesprochen (vgl. 5.2.13): Das mit ihr verbundene Feststellungsmoment ist bekanntlich – wenn auch in weniger zurückhaltender Weise – auch durch den zustandsbezeichnenden Indikativ Perfekt von Transformativa ausdrückbar: (135) Damit ist also der erste Teil des Starts bereits geglückt.
80 Ein korrespondierender Ersatz des Konj. Plusq. durch den Indikativ Perfekt ist natürlich beim veranschaulichten Untertyp der zweiteiligen deontischen Konstruktion nicht möglich. Zur Abrundung soll kurz auf freiere Bildungen eingegangen werden, in denen mehr oder weniger isoliert vorgestellte, d.h. nicht in eine relational komplexe Konstruktion etwa vom Typ Konditionalgefüge eingehende Sachverhalte Ausdruck finden. Die konjunktivischen Sequenzen sind nicht in größere Einheiten integriert, für die feste grammatische Charakteristika angebbar wären. Die betreffenden Sachverhalte lassen sich als potential bzw. irreal einordnen. Es seien zunächst potentiale Beispiele besprochen: In (136) könnte noch an der ersten konjunktivischen Stelle ein Konditionalgefüge angesetzt werden, nicht aber an den weiteren. Dieser Beleg illustriert die Grenzzone zwischen Konditionalgefügen mit hypothetisch verwendetem Konjunktiv II und Passagen mit locker aneinander angefügten Bildungen mit demselben Konjunktivgebrauch. In (137) handelt es sich um ein bloßes Hinzutreten weiterer vorgestellter Ereignisse zu einem Ausgangsereignis: (136) [Zäsur in einer Ich-Erzählung: Ein neues Kapitel beginnt mit einem Gedankenspiel, genauer: einem vorgestellten Zusammensein von Paul und Vera ganz woanders. Anschließend wird erzählt, was real “weiter geschah”.] Mir wäre es auch lieber, es würde jetzt auf Tobago weitergehen. Auf Papeete, auf Tonga. Irgendeine kleine Insel, sie müßte ja nicht zu den Bahamas gehören. Wir hätten Brandner ausgenommen, wir hätten das Kaufhaus ausgenommen, wir hätten auf einer ruhigen Fahrt um die halbe Erde unsere Spuren verwischt. In einer kleinen Bucht hätten wir unser Fleckchen gefunden. Genug Sonne und ausreichend Schatten. (Bettinger 283) (137) Wahrscheinlich würden viele von ihnen [den Landbewohnern] den zweiten Weihnachtstag [...] dazu benutzen, um wieder einmal ihre Verwandten oder Bekannten in der Stadt zu besuchen, so wie ihn umgekehrt sicher auch viele Städter dazu benutzen würden, um ihren Verwandten oder bekannten auf dem Lande einen weihnachtlichen Besuch abzustatten. Die meisten würden den Zug rechtzeitig genug bestiegen haben, geduldig auf dessen Abfahrt warten und an ihrer [...] bäuerlichen Sonntagskleidung zu erkennen sein [...] (Meyer 8)
Dieses Aneinanderreihen von Sachverhalten entspricht im Kern dem bloßen Juxtaponieren von Vorstellungen, wie es bei spielenden Kindern zu beobachten ist (vgl. Leirbukt 1991: 165, mit Literatur): (138) Du wärst der Vater, ich wär die Mutter. Wir hätten ein Baby bekommen.
Schließlich kann es um ein Entwerfen von Situationen gehen, die die Grundlage für Argumentationen im Sinne von Zifonun et al. (1997: 1748) darstellen (im folgenden Textausschnitt ist möglicherweise der erste Satz als Konditionalgefüge zu deuten, daran schließen sich bloß aneinander gereihte Sachverhalte an): (139) Bis zum Jahr 2005 wären die Heizölpreise dann um 90 Prozent gestiegen, die Preise für Erdgas um 65 Prozent und für Braunkohle ebenfalls um 65 Prozent. Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer, einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe und der Energiesteuer wären nach dem Modell auf über 260 Milliarden Mark gestiegen – und hätten etwa das Niveau der heutigen Lohnsteuereinnahmen. Die Rückgabe über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge würden entsprechend rund 230 Milliarden Mark erreicht haben. (COSMAS-Beleg: T95/MAI.21509, die tageszeitung v. 19.05.1995)
81 Ein Argumentieren auf der Basis isoliert entworfener Sachverhalte ist natürlich auch bei irrealer Lesart möglich. Ein Beleg (im Prätext S. 579 ein Hinweis darauf, dass der Sprecher vier Monate verheiratet ist): (140) [...] andrerseits is natürlich die lage zur zeit bedenklich möcht ich sagen ja also ich hätte zum beispiel will ich ganz ehrlich zugeben noch nich geheiratet ich hätte zumindestens noch ein jahr gewartet um dann wirklich alles hundertprozentig zu haben [...] ich ä meine ein grundkapital hat ich ja gehabt aber ich hätte noch ein weiteres jahr gewartet um das kapital etwas zu vermehren um dann alles zu haben (Caroli 590)
5.5 Zusammenfassung Für die obige Übersicht über Verwendungsmöglichkeiten des temporal markierten Konjunktivs II wurde nur gelegentlich auf das Freiburger Korpus und Carolis Aufnahmen zurückgegriffen. Das mir vorliegende Material ist zu begrenzt, um über etwaige Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache hinsichtlich der kontextuellen Bedingtheit der jeweiligen modalen Lesart und der einzelnen Verwendungsbereiche der untersuchten Modusformen etwas aussagen zu können. Ich neige aber zu der Auffassung, dass unter diesen beiden Aspekten keine wesentlichen qualitativen Differenzen zwischen geschriebener und gesprochener Sprache festzustellen sind. Der temporal umgedeutete Konjunktiv II kann in praktisch allen Typen grammatisch bestimmbarer Konstruktionen vorkommen; so gibt es z.B. kaum einen Nebensatztyp, in dem er gänzlich ausgeschlossen wäre. Die Variation der Modalität (Potentialität/Irrealität) und der Zeitreferenz (Gegenwarts-/Zukunftsbezug) konnte allerdings nicht lückenlos nachgewiesen werden. Auch wurde nur ein Teil der Varianten der berücksichtigten Konstruktionstypen auf die temporale Umfunktionierung des Konjunktivs II hin untersucht. Es wurde möglichst auf Textbelege zurückgegriffen, in einigen Fällen war aber die Verwendung konstruierter Beispiele von der Datenlage her erforderlich. Die Zahl der erstarrten Bildungen, in denen der temporal markierte Konjunktiv II auftritt, scheint gering zu sein, dessen Gebrauch konnte aber auch auf diesem Gebiet nachgewiesen werden. Für die freieren Bildungen ohne genau bestimmbare grammatische Struktur schließlich wurde zwar ein relativ knappes Material präsentiert, sie müssen jedoch als ein großer, kaum überschaubarer Verwendungsbereich dieses Konjunktivs gelten. Trotz der erwähnten empirischen Schwachpunkte lässt sich für die obige Gesamtpräsentation festhalten, dass der untersuchte Konjunktiv II auf einem Gebiet vorkommt, das weit größer ist als in der bisherigen Forschung angenommen.
6
Verwendung und Nicht-Verwendung des temporal markierten Konditionals II
Im vorliegenden Kapitel bezieht sich der Ausdruck “Kond. II”, soweit nichts Gegenteiliges gesagt wird, auf den temporal umfunktionierten Kond. II. Hier geht es um seine beobachtbare oder mögliche Verwendung (6.1) sowie um die bedeutend schwierigere Frage seiner Nicht-Verwendung (6.2). Im letzteren Fall kommt natürlich Vergleichen mit dem entsprechenden Konj. Plusq. besondere Relevanz zu, wobei insbesondere auch an dessen Beschreibung in Kapitel 5 anzuknüpfen ist. Der erstgenannte Teil dieser Problematik ist auf der Basis des spärlichen Materials aus meinen Korpustexten (insgesamt 14 Vorkommen des markierten Kond. II) nicht adäquat zu beleuchten. Der in 2.2 erwähnte Einbezug mit Hilfe von COSMAS II recherchierbarer Texte muss zwar auf bestimmte Verben beschränkt bleiben (s.u.), wird aber trotz dieser Beschränkung zur Klärung der Verwendung der Form einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten können. Darüber hinaus lassen sich über Google ermittelte Belege heranziehen, wobei im Auge zu behalten bleibt, dass dieses Material nur unter speziellen Gesichtspunkten von Relevanz sein kann, beispielsweise als Dokumentation zum Auftreten des fraglichen Kond. II in bestimmter modaler Lesart oder in bestimmten Kontexttypen. Für Annahmen etwa über die Vorkommenshäufigkeit oder quantitativ fixierbare Gebrauchstendenzen dieser Form in potentialer bzw. irrealer Richtung geben mit Hilfe von Google zusammengetragene Belege natürlich keine Grundlage ab. Zusätzlich zu Textbelegen können übereinstimmende Informantenaussagen zu ausgewählten konstruierten Beispielen über mögliche Verwendungsweisen Aufschluss geben. Was die Hintergründe für die Nicht-Verwendung des markierten Kond. II betrifft, so muss gleich gesagt werden, dass sich eine exhaustive Bestimmung – in Bezug auf grammatisch absteckbare Gebiete wie auch in Bezug auf verschiedene Einflussfaktoren – hier nicht anstreben lässt. Dazu wäre eine eingehende empirische Untersuchung erforderlich, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Einen ersten Eindruck können aber Reaktionen von Informanten vermitteln, die eine kleine Anzahl von Testsätzen mit Kond. II beurteilt haben. Außerdem lassen sich einzelne Sprecherurteile in günstigen Fällen zu Ergebnissen von Google-Recherchen in Relation setzen, wobei eventuell speziellere Hindernisse für den Gebrauch dieser Form zu identifizieren wären. Von einigem Interesse sind schließlich auch Beobachtungen zu ein paar Verwendungsbereichen des temporal korrespondierenden Konj. Plusq., in denen semantisch-pragmatisch erfassbare Gegebenheiten Hindernisse für einen Austauch der einfacheren Form gegen die komplexere zu bilden scheinen. Diese Problematik lässt sich allerdings nur anhand einzelner Beispiele erörtern. Dabei ist man mit der schwierigen Unterscheidung zwischen unüblichen, aber vielleicht noch möglichen Beispielen einerseits und nicht akzeptablen andererseits sowie mit dem damit verbundenen Problem fließender Übergänge konfrontiert.
83
6.1 Beobachtungen zur Verwendung des temporal markierten Konditionals II
Die nachfolgenden Beobachtungen beschränken sich auf den Gebrauch des markierten Kond. II in der geschriebenen Sprache. Die Verhältnisse im gesprochenen Deutsch bleiben ausgeklammert, was im Hinblick auf die Tatsache nicht unberechtigt erscheint, dass gegenwärtig auf relativ wenige elektronisch aufbereitete und hinreichend umfangreiche Textkorpora gesprochener Sprache zugegriffen werden kann. Im Folgenden sollen zuerst die Art der modalen Verwendung des markierten Kond. II in meinen schriftsprachlichen Korpusbelegen und deren Verteilung auf Kontexttypen zur Sprache kommen. Anschließend werden die Ergebnisse von Recherchen in den COSMASTexten präsentiert. Dabei geht es zunächst um Befunde zu Modalität und Zeitbezug, von denen her – mit gebührender Vorsicht – entsprechende Tendenzen des heutigen schriftsprachlichen Gebrauchs angedeutet werden können. Darüber hinaus wird die Verteilung der COSMAS-Belege auf Kontexttypen angegeben und zur Ergänzung auf Material anderer Provenienz sowie auf konstruierte Beispiele zurückgegriffen, um den Bereich der möglichen Verwendung des fraglichen Kond. II etwas genauer charakterisieren zu können. Zur Abrundung des vorliegenden Unterkapitels möchte ich kurz die Frage anschneiden, inwiefern die Wahl dieser Form trotz deren Komplexität mit besonderen sprachlichen Gegebenheiten in Verbindung zu bringen ist. Für die potentiale Lesart des markierten Kond. II finden sich in meinen schriftsprachlichen Korpustexten 11 Belege, von denen 10 aus derselben Quelle (Meyer) stammen und die Kombination Potentialität + Zukunftsbezug zeigen. Der irreale Gebrauch kommt nur einmal vor, und zwar in einem dramatischen Text (Drawert, Form mit Gegenwartsbezug: würde angeboten haben).1 Es besteht ein markanter Frequenzunterschied gegenüber dem temporal umgedeuteten Konj. Plusq. (s. Gesamtübersicht im Anhang). In den eben genannten Korpustexten begegnet der Kond. II im Konditionalgefüge, vgl. (1), im dass-Satz, vgl. (2), im Relativsatz (Beleg weiter unten), im Kausalsatz und Temporalsatz, vgl. (109) von 5.2, sowie in dem in 5.2.4 beschriebenen freieren Kontexttyp, vgl. dort Beleg (137). (1)
(2)
1
Wenn man doch noch einmal nach Trubschachen zurückkehren würde, würde sich aber sonst, wie überall, vieles verändert haben, das auch die Leute nach und nach wieder verändern würde, den Käser nicht ausgenommen. (Meyer 146) Wenn man sich auf sein Gefühl verlassen kann, muß man sich bei einem von mehreren Häusern, wahrscheinlich Bauernhäusern, befinden, die auf der Karte an einer Biegung des Weges eingezeichnet sind, kurz bevor der Weg über eine Brücke wieder auf die andere Seite der Ilfis führt, was bedeuten würde, daß man noch nicht einmal die Hälfte des Weges nach Langnau zurückgelegt und also noch den größeren Teil vor sich haben würde. (Meyer 67f.)
Hinzu kommen zwei Irrealitätsbelege aus Carolis Aufnahmen gesprochener Sprache, vgl. (10) und (18) in 5.2.1 (Formen: würde übergegangen sein, würde intressiert haben).
84 Die Koppelung von Gegenwartsbezug und potentialer Ereignisdeutung scheint nicht häufig aufzutreten. Hier ein Zufallsbeleg, in dem der bei einem Transformativum ausgedrückte Nachzustand in einem ausgedehnten Jetzt lokalisierbar ist (vergleichbare Beispiele mit Intransformativum oder Kursivum liegen mir nicht vor): (3)
In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg war mehr als einmal die Absage an das Vaterland zu hören, als [...] leidenschaftliches Bekenntnis zu der Anschauung, daß Vaterland [...[ nach allem, was geschehen ist, kein Wert mehr sei für unser politisches Denken und Trachten. [neuer Abs.] Haben wir also aufgehört oder sollen wir aufhören, Deutsche zu sein? Sind wir Europäer oder gar Weltbürger geworden? Und wenn wir es geworden wären – würden wir damit aufgehört haben, Deutsche zu sein? Hört Deutschland auf, Deutschland zu sein, wenn eines Tages die Einheit Europas [...] Wirklichkeit geworden ist? 2
Beim Rückgriff auf die COSMAS-Texte wurde von der rein formal bestimmten Kombination würde/würden + Infinitiv II (z.B. erledigt haben + würde/würden) ausgegangen, zu der für folgende 15 zufällig ausgewählte, aber relativ gängige Verben Recherchen durchgeführt wurden (wobei sowohl die Perfektbildung mit haben als auch die mit sein Berücksichtigung fand): abschließen, aufhalten, bleiben, bringen, erledigen, erreichen, finden, führen, gehen, kommen, machen, nehmen, sein, sinken, steigen. Diese Verben wurden in der Form Infinitiv II “nackt”, d.h. ohne zugehörige Elemente (etwa Objekte) eingegeben, um die Recherchen möglichst offen zu halten. Unter Rekurs auf den über Blanks bestimmten Satzbegriff erfolgte eine Suche nach Infinitiv II und Finitum innerhalb desselben Satzes, und zwar ohne Festlegung einer bestimmten linearen Abfolge dieser beiden Syntagmenkomponenten. Auf eine entsprechende Treffersuche für den Konj. Plusq. dieser Verben musste von vornherein verzichtet werden. Bei einer Eingabe von Partizip II und Finitum in direktem linearen Kontakt (z.B. geblieben wäre) hätte sich eine nicht zu bewältigende Belegmenge ergeben, die überdies nicht sinnvoll mit den Belegen für den Kond. II zu vergleichen gewesen wäre, nach denen ja ohne Beschränkungen hinsichtlich der linearen Abfolge von Infinitiv II und Finitum gesucht wurde. Bei den durchgeführten Recherchen konnten insgesamt 31 relativ sichere Vorkommen des Kond. II mit Nicht-Vergangenheitsbezug ermittelt werden. Für abschließen, aufhalten, bleiben, gehen und sinken ließen sich keine relevanten Treffer erzielen. Bei der nachfolgenden Übersicht über die Befunde wird die Art der Modalität – POT (potential) bzw. IRR (irreal) – angegeben, ebenfalls die Zeitreferenz: GGW (Gegenwart) bzw. ZUK (Zukunft). Bei Transformativa kommt ZUST bzw. PROZ als Verweis auf eine zuständliche resp. prozessuale Lesart der betreffenden Form hinzu. Ist ein bestimmtes Verb (in bestimmtem Gebrauch) mehr als einmal belegt, wird jeweils die Zahl der Belege aufgeführt. Ferner wird die im Kontext auftretende Verwendungsweise des jeweiligen Verbs durch die Hinzu-
2
Die Deutschen und ihr Vaterland, S. VII. 3. Aufl. 1960. Frankfurt a.M., Bonn, Berlin: Diesterweg (“Staat und Gesellschaft”, Bd. 7). Mitarbeiter: Otto Appel, Heinz Grosche.
85 fügung von Objekten und/oder sonstigen zugehörigen Elementen verdeutlicht und in zwei Fällen auch eine grobe semantische Angabe gemacht. Schließlich geben “Obj.gen.” (Objektsgenitiv) und “Subj.gen.” (Subjektsgenitiv) über den syntaktischen Gebrauch eines Verbalsubstantivs Auskunft. Übersicht über die Befunde: bringen (+ Akk.obj. + auf [...] Niveau) bringen (+ Akk.obj. + um-Phrase) erledigen (sich) erreichen (+ Akk.obj.) 6 erreichen (+ Akk.obj.) erreichen (+ Akk.obj.) finden (die Zahl/etwas Größeres) finden (+ Akk.obj., lokale Bedeutung) 2 finden (Funktionsverb, Zustimmung) finden (Kursivum, Akk.obj. + cool) führen (zum Aussterben + Subj.gen.) kommen (auf die Idee) machen (zum Vollender + Obj.gen.) machen (gerade mal 20 Spiele) machen (daraus keine Tragödie) nehmen (schweren Schaden) sein (+ Prädikativ) 8 steigen (auf 50 Prozent)
POT/ZUK/ZUST IRR/GGW/PROZ POT/ZUK/ZUST POT/ZUK/ZUST IRR/ZUK/PROZ IRR/GGW/ZUST POT/GGW/ZUST IRR/GGW/PROZ IRR/GGW IRR/ZUK IRR/ZUK/PROZ IRR/GGW/ZUST POT/ZUK/ZUST IRR/GGW/ZUST IRR/GGW/PROZ IRR/ZUK/PROZ POT/ZUK POT/ZUK/ZUST
Interessanterweise konnten für den zukunftsbezogenen Kond. II von sein nur POT-Belege ermittelt werden. Diese zeigen eine prospektiv-retrospektive Sicht des jeweiligen Ereignisses, auf die noch zurückzukommen ist (vgl. 7.2). Der Kond. II von Kursiva kommt im Rahmen von IRR/ZUK in meinen schriftsprachlichen Korpustexten nicht vor; so stellt (4) eine willkommene Ergänzung dar (bekanntlich ersticht Don José Carmen, daher wäre IRR/ZUK anzusetzen): (4)
[“Carmen”-Inszenierung in Amsterdam] Beim Auftauchen des Superstars Escamillo (mit solider Durchschlagskraft von Egils Silins als Mannsbild hingestellt) schmelzen sie [die Frauen] dann doch alle wieder dahin. Carmen aber ist modern, und so wie sie da am Ende in ihrem aufregend schönen, eleganten Abendkleid auf Escamilio [sic] orientiert ist, wäre das wohl etwas geworden an der Seite dieser Showgröße und alle würden das Paar cool gefunden haben, zumindest eine Zeitlang. Wenn da nicht der eine, etwas unsichere und doch in seinen Vorstellungen von besitzergreifender und dann nicht mehr erwiderter Liebe befangener [sic] Jose [sic] wäre. (COSMAS-Beleg: R99/FEB.10443, Frankfurter Rundschau v. 08.02.1999)
Ferner gibt es für IRR/GGW bei Funktionsverben einen Beleg, der das Material aus meinen Korpustexten ein wenig ergänzt, in denen ein Kond. II-Beleg für diesen Verbtyp bei dieser Konstellation nicht vorhanden ist:
86 (5)
Auch wenn dieser Vergleich die Stiftung viel Geld gekostet hat – der Preis war sicher nicht zu hoch. Jen Lissitzky äußert sich zufrieden: “Das Ergebnis würde zweifellos auch die Zustimmung meiner Mutter gefunden haben.” (COSMAS-Beleg: Z02/207.03658, Die Zeit v. 11.07.2002)
In den COSMAS-Belegen für den Kond. II taucht die Gruppe der Intransformativa nicht auf, was sicher mit deren relativ geringem Umfang zusammenhängt. Bei der weitaus größeren Gruppe der Transformativa gibt es Treffer für POT/GGW/ZUST, IRR/GGW/ZUST, IRR/GGW/PROZ, POT/ZUK/ZUST (dafür nicht weniger als 10 Belege) sowie IRR/ZUK/PROZ; IRR/ZUK/ZUST ist dagegen nicht vertreten. Für die belegten Konstellationen bei Transformativa finden sich Parallelen zu meinen Korpus- bzw. Zufallsbelegen: (6)
(7)
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(9)
[Kond. II zum Ausdruck allgemeiner Gegenwart] In eindringlichen Szenen entwirft der russisch schreibende tschuktschische Erzähler ein Lebensbild Kagots: seine Lehrzeit bei dem greisen Schamanen Amos, den er nach altem Ritus töten mußte, um selbst ein Auserwählter zu werden [...]; die manische Suche nach der letzten Zahl, die magische Kräfte entwickeln soll. “Wer sie erkennt”, hofft Kagot, “würde nicht einfach die Zahl gefunden haben, sondern etwas Größeres, vielleicht würde er eine besondere Kraft gewinnen, Scharfsinn, Weisheit, würde die Quelle menschlichen Glücks entdecken [...].” (COSMAS-Beleg: F95/525.00025, FAZ 1995; Datum im IDS-Text nicht angegeben) Wenn die Schlossfreunde nicht so viel Angst hätten vor der “Palastfronde” (Boddien), würden sie längst selbst auf die Idee gekommen sein. Denn ein rekonstruierter Schlüterhof, unumstritten der Höhepunkt der Schlossarchitektur, würde bei den Politikern, beim Publikum und bei den Spendern wohl am ehesten Lust auf mehr machen. (COSMAS-Beleg: B03/308.52375, Berliner Zeitung v. 04.08.2003) Freilich zeigt sie [die Stimme von Dietrich Fischer-Diskau] – dies sei am Rande bemerkt – noch etwas anderes: Dass nämlich mit Beginn der 70er-Jahre dieses unvergleichliche Strömen der Stimme wie der Imagination anfällig wird für Störungen. Ein Zuviel an Interpretation zwingt den Hörenden auf Wege, die er, losgelassen, viel leichter würde gefunden haben. Die Aufnahme der “Winterreise” mit Daniel Barenboim krankt an diesem Zuviel. (COSMASBeleg: A00/MAI.36745, St. Galler Tagblatt v. 27.05.2000) [Weber wird Bundesbankpräsident.] In den vergangenen Tagen schien nicht ausgemacht, dass die Angelegenheit so günstig ausgehen würde. Lange waren aus dem Haus von Finanzminister Hans Eichel Vorstellungen zu hören gewesen, die der Sache kein günstiges Ende bereitet hätten. Beharrlich wurde dort Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser als Welteke-Nachfolger ins Gespräch gebracht. Wäre er wirklich Bundesbankpräsident geworden, würde die Glaubwürdigkeit der Notenbank schweren Schaden genommen haben. Wer hätte noch geglaubt, dass der Staat keinerlei Einfluss auf die Geldpolitik nehme? (COSMAS-Beleg: B04/404.28725, Berliner Zeitung v. 22.04.2004)
Über die Realisierung von Potentialität bzw. Irrealität bei Bildungen mit temporal umfunktioniertem Kond. II in der heutigen Schriftsprache lässt sich von den herangezogenen Korpora her keine feste Voraussage in der einen oder der anderen Richtung machen: Beide Modalitätsausprägungen sind in den COSMAS-Belegen und in dem aus meinen schriftsprachlichen Korpustexten gewonnenen Material vertreten, und die jeweilige Lesart ist (wie auch anderswo) kontextbedingt. Das starke Überwiegen der potentialen Deutung der fraglichen Form in meinen schriftsprachlichen Korpusbelegen beruht offenbar auf Zufall;
87 sie stammen (wie oben gesagt) fast ausschließlich von einem bestimmten Autor. Etwas mehr Aussagekraft bezüglich der Modalitätsvariation kommt insofern den COSMAS-Belegen zu, als in ihnen auch die irreale Lesart auftritt. Von einigem Interesse ist m.E. auch der Umstand, dass unter diesen Belegen nur einer die Kombination POT/GGW/ZUST aufweist, und zwar bei einem Transformativum. Darin liegt eine klare Parallele zu einem meiner Befunde: In meinen Korpustexten findet sich nur ein einziges Beispiel dieser Art, nämlich (14). Wie die obige Übersicht über die COSMAS-Belege zeigt, sind 18 von 31 Vorkommen des Kond. II durch die Verbindung von Potentialität und Zukunftsbezug gekennzeichnet. Das wiese auf eine besondere Geeignetheit der Form zum Ausdruck von Annahmen über Zukünftiges hin, wie sie auch in den folgenden Beispielen sichtbar wird: (10) Das Goethe-Wörterbuch soll in spätestens 40 Jahren oder nach insgesamt 80 Lieferungen zu seinem Ende kommen und würde dann einen Zeitraum beansprucht haben, der ziemlich genau an Goethes Lebenszeit heranreicht. (Schweizer Monatshefte 11/1987, 951) (11) Unterstellt man der an Geburtenrückgang leidenden Bundesrepublik Deutschland eine als Ausgleich gedachte positive Zuwanderungsrate von 200 000 Personen pro Jahr [...], dann würde die Stadt Gießen dennoch bis zum Jahr 2050 mehr als 10 000 Einwohner verloren haben (bei einem deutlich gestiegenen Ausländeranteil). (Gießener Universitätsblätter 37 [2004], 59) (12) Es gibt keine Politik “an sich”. Sie betrifft immer lebende und leidende Menschen. Wenn sich das “an sich” von dem “für uns” getrennt hat, wird alle Demokratie, alle Gemeinschaft an irgendeiner Gewalt scheitern. [neuer Abs.] Dann würden die Wendezeiten des zwanzigsten Jahrhunderts zugleich eine Zeitenwende bedeutet haben. (Beleg bei Leirbukt 2004a: 224)
Der relativ geläufige Rückgriff auf den Kond. II zur Anzeige von Potentialität und Zukunftsbezug könnte auch mit dieser Zeitreferenz als solcher zusammenhängen: Zukünftiges ist häufig etwas Ungewisses, was Vermutungen nahe legt. Für deren Ausdruck wäre der Kond. II besonders gut geeignet; ihm scheint ein latentes, bei Zukunftsbezug leicht aktualisierbares Vermutungsmoment innezuwohnen, das im entsprechenden Konj. Plusq. kaum angelegt (oder bei dessen Wahl wenigstens nicht so leicht ausdrückbar) ist. Hinsichtlich dieses Vermutungsmoments wäre ein Vergleich mit dem Gebrauch von würde + Infinitiv I bei der Formulierung einer Annahme in einer wissenschaftlichen Diskussion von einigem Interesse: (13) Allerdings dürfte man es nicht für unwahrscheinlich halten, daß der recht häufige informelle Gebrauch von ‘weil + Verbzweitstellung’ im Rahmen auch anderer informeller umgangssprachlicher Merkmale im Sprachverhalten von WestsprecherInnen (im Vergleich mit OstsprecherInnen) auffällig war (und ist). Zu dieser Auffälligkeit mag noch die Hervorhebung der Pause nach weil, die ja eine Grenze zum vorangehenden Hauptsatz zieht, beigetragen haben. Es ist durchaus vorstellbar (und mit obigen Thesen zu eben und halt vergleichbar), daß saloppes umgangssprachliches Verhalten, wie es ja für die WestsprecherInnen als eher typisch angesehen wird, zu bequemen, parataktischen Formulierungen geführt hat, die die Linearisierung
88 der Mitteilungen im Diskurs erleichtern. Im Konflikt zwischen bequemer, rascher Informationsvermittlung mit korrekter, traditioneller Form würden die Westberliner SprecherInnen sich geneigt sehen, die informelle Variante zu bevorzugen und den Ostberliner SprecherInnen die Tendenz unterstellen, eher die traditionellen, korrekten Muster zu benutzen.3
Man bemerke hier den Rekurs auf die Vermutungsausdrücke dürfte, mag und vorstellbar vor der Sequenz mit würden + Infinitiv. In analoger Weise scheint mir das Vermutungsmoment des Kond. II im Szenario von (11) durch unterstellen gestützt zu werden.4 Was die Kontexttypen betrifft, in denen der Kond. II zur Verwendung kommt, so lässt sich für die COSMAS-Belege Folgendes festhalten: Meistens handelt es sich um verkappte oder voll ausgeführte Konditionalgefüge. Beim freieren (grammatisch nicht genau bestimmbaren) Bildungstyp taucht sie ein paar Mal auf, z.B. im Beleg (139) von 5.4. Zusammen betrachtet vertreten die COSMAS-Belege und das aus meinen schriftsprachlichen Korpustexten stammende Material einen relativ begrenzten Vorkommensbereich des markierten Kond. II: Es setzt sich weitgehend aus (verkappten oder voll ausgeführten) Konditionalgefügen oder damit verwandten Bildungen zusammen. Beim ersteren Konstruktionstyp ist die Form hauptsächlich im satzförmigen Ausdruck des Konsequens anzutreffen, was einer bekannten Distributionstendenz des vergangenheitsbezogenen Gegenstücks entspricht (Wenn sie gestern dabei gewesen wären, würde es nur Ärger gegeben haben). Die Verwendung des fraglichen Kond. II im konditionalen Nebensatz kommt in den COSMAS-Belegen überhaupt nicht und in meinen Korpustexten nur einmal vor: (14) [Auszug aus einem Urteil] Diese Zweifel werden weiter durch die vom Kläger unmißverständlich zum Ausdruck gebrachte Bewertung des Todes des Angreifers in einer Notwehroder Nothilfesituation begründet. Er hält nämlich den durch seine Gegenwehr verursachten – ungewollten – Tod des Angreifers zwar für “belastend”, aber gleichwohl im Hinblick auf sein Verhalten “vor seinem Gewissen für gerechtfertigt”, sofern er etwa die Verhältnismäßigkeit der Mittel beachtet haben würde. (de Witt et al. 101)
Diese Befunde deuten auf eine starke Vorkommensaffinität des temporal markierten Kond. II für den Konsequens-Ausdruck hin. Auch wenn Google-Funde nur mit Vorsicht heranzuziehen sind, so ist in diesem Zusammenhang die Tatsache vielleicht nicht ohne Interesse, dass ich bei punktuellen Recherchen zu bestimmten Verben im Infinitiv II + würde/würden (in dieser linearen Anordnung) nur ein paar Belege mit Kond. II im konditionalen Nebensatz finden konnte, neben (3) in 7.1 u.a. folgenden (es war bedeutend leichter, Belege für das Vorkommen der Form im Konsequens-Ausdruck zu ermitteln):
3 4
Dittmar, Norbert; Ursula Bredel (1999): Die Sprachmauer. Die Verarbeitung der Wende und ihrer Folgen in Gesprächen mit Ost- und WestberlinerInnen, 165. – Berlin: Weidler Buchverlag. (11) stammt aus einem Artikel mit dem Titel “Stadt, Studierende und ein Szenario. Welche Auswirkungen hätte ein Rückgang der Studentenzahlen auf den Gesamtwirtschaftsfaktor Gießen? [...]”.
89 (15) Ein Mensch, der Anrecht auf Persönlichkeit und Charakter erhebt [...], wird niemals eine derartige [wahre] Liebesverbundenheit durch Treuebruch diffamieren und wenn es doch durch [...] ungewollten Leichtsinn oder durch eine unwiderstehliche Suggestion eines Verführungspartners dazu gekommen sein würde, dann kann und wird ein esoterisch geschulter Mensch nicht noch so feige sein, und sich der Lüge bedienen. Er wird zu diesem Geschehen stehen voll und ganz! [Text aus dem Jahre 1952] (http://user.cyberlink.ch/~koenig/sunrise/ fs/ehe.htm) (28.03.06)
Für den markierten Kond. II ist hinsichtlich der möglichen Konstruktionstypen eine größere Variation anzunehmen als die, die in den COSMAS-Belegen und meinem eigenen Material zu beobachten ist. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien jetzt weitere Vorkommensbereiche exemplifiziert, wobei angemerkt werden muss, dass diese in beträchtlichem Maße mit dem Konditionalgefüge verwandt sind oder als “Hyperstruktur“ etwa für verkappte Konditionalgefüge dienen (vgl. die in 5.2 erwähnte Sammelbecken-Funktion beispielsweise von Adversativsätzen). Ich begnüge mich mit dem nachstehenden Beleg für den Konsekutivsatz sowie mit einigen Beispielen anderer Art, die von Informanten stammen. Diese Beispiele illustrieren das mögliche Auftreten des Kond. II in folgenden Konstruktionstypen: Exzeptivkonstruktion, Konzessivkonditional, Konzessivgefüge, Vergleichskonstruktion (vgl. 5.2.24) und beinahe-Konstruktion (für diese Typen vgl. entsprechende Beispiele mit Konj. Plusq. in 5.2). (16) Keynes schätzte, “... daß ein richtig geleitetes, mit modernen technischen Hilfsmitteln ausgerüstetes Gemeinwesen, dessen Bevölkerung nicht sehr rasch zunimmt, in der Lage sein sollte, innerhalb einer einzigen Generation die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (entspricht hier der Verzinsung, der Verf.) auf ungefähr Null herunter zu bringen; so daß wir die Zustände eines quasi-statischen Gemeinwesens erreicht haben würden, in dem Änderungen und Fortschritt sich nur aus Änderungen in der Technik, im Geschmack, in der Bevölkerung und in den Institutionen ergeben würden ...” [...] [Kursivdruck im Orig. vernachlässigt] (http:// userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/loehr/urmonop.htm) (20.03.06) (17) Sie werden das Werk nicht rechtzeitig abgeben können, es sei denn, sie würden schon Ende nächster Woche das Formatierungsproblem gelöst haben. (18) Auch wenn sie jetzt die Renovierung der Küche abgeschlossen haben sollten, so würden sie doch weniger als die Hälfte der Arbeit erledigt haben. (19) Er hat das Projekt aufgegeben, obwohl er sicherlich die Arbeit bis Mitte nächsten Jahres erledigt haben würde. (20) Er könnte natürlich jetzt auch Urlaub machen. Er würde dann bedeutend weniger verdienen, als wenn er die Renovierung bis Ende nächsten Monats erledigt haben würde. (21) Die Tagung übernächste Woche würde beinahe mit einer Panne begonnen haben.5
5
Hier ist anzumerken, dass bei beinahe in diesem Beispiel (wie von einem meiner Informanten festgestellt) Skopusambiguität – enger Skopus (direkter Bezug von beinahe auf die mit-Prase) oder weiter Skopus – vorliegt. Nur bei der letzteren Deutung ist eine beinahe-Konstruktion im Sinne von 5.2.15 anzusetzen.
90 Im Hinblick auf den trotz der Komplexität anzutreffenden Gebrauch des markierten Kond. II nicht nur in Konditionalgefügen, sondern auch in anderen Bildungen ist zu fragen, ob und wieweit es speziellere Faktoren gibt, die seine Wahl nahe legen. In diese Richtung weisen vor allem auch Beobachtungen zu koordinativen Konstruktionen, in denen wohlbekannte Strukturregeln zum Tragen kommen. Bei koordinativer Verknüpfung von einer Sequenz mit dem Kond. II und einer mit dem Kond. I kann das finite würde für zwei oder mehr Konjunkte Gültigkeit haben. Dessen einmalige Setzung ermöglicht etwa in (22) einen einfacheren Satzbau als bei Gebrauch des Konj. Plusq., bei dessen Wahl ja zwei verschiedene Finita gesetzt werden müssten: (22) Wie die Universität Innsbruck bekanntgegeben hat, befindet sich im Gebiet des Pirschkogels das kleinste UNESCO-Biosphärenreservat der Welt; eine wichtige Forschungsstelle des Instituts für Limnologie: Mit der geplanten Lifterschließung würde damit nicht nur wertvolle Naturlandschaft verlorengehen, sondern auch jahrzehntelange wissenschaftliche Arbeit umsonst gewesen sein. (COSMAS-Beleg: I99/FEB.07810, Tiroler Tageszeitung v. 27.02.1999)
Hier wäre im zweiten Konjunkt wäre gewesen eine Alternative, ihre Wahl würde aber – bei Gleichbleiben der Zahl der Wörter in der koordinativen Konstruktion – eine weniger glatte Formulierung ergeben. Ferner würde die Wahl von hätten bestiegen statt würden bestiegen haben in (23) die Einfügung von würden im zweiten Konjunkt erfordern. Auch bei dieser Umstrukturierung bliebe die Zahl der Wörter konstant, ebenfalls bei einem Ersatz von gekannt haben würde durch gekannt hätte in (24), der die Setzung von würde im vorangehenden Konjunkt zur Folge hätte.6 Ein sprachökonomischer Effekt (von der Wortzahl her betrachtet) wäre also auch in diesen Fällen mit dem Rekurs auf den Kond. II nicht verbunden, aus der Wahl des Konj. Plusq. ergäbe sich aber ein Satzbau, der weniger glatt wäre als der belegte: (23) Die meisten würden den Zug rechtzeitig genug bestiegen haben, geduldig auf dessen Abfahrt warten und an ihrer althergebrachten bäuerlichen Sonntagskleidung zu erkennen sein [...] (Meyer 8) (24) Der Spaziergang am ersten Aufenthaltsmorgen würde einen jedenfalls zunächst einmal bei Tag den Weg durch das Dorf, den man am Vorabend vom Bahnhof her gekommen war, zurückund dann der Haupt- oder Dorfstraße entlang weiter bis zur Bisquitfabrik [...] am anderen Ende des Dorfes führen, so daß man zuerst einmal überhaupt einen Eindruck von diesem Dorf, in dem man sich zum ersten Mal aufhalten und das man vorher nur seinem Namen nach gekannt haben würde, und einen Überblick über seine Lage bekommen könnte. (Meyer 20)
Hinzu käme vielleicht noch der Wunsch nach Ausdrucksvariation als ein die Wahl des Kond. II begünstigender Faktor, vgl. etwa den Wechsel Konj. Plusq. – Kond. II in (9).
6
In (24) käme neben aufhalten würde auch der Konj. Prät. aufhielte in Frage, der aber als eine weniger nahe liegende Wahl zu gelten hätte.
91
6.2 Zur Nicht-Verwendung des temporal markierten Konditionals II
Mit Bezug auf die mögliche Zukunftsreferenz bemerkt Thieroff (1992: 272), die komplexere Form sei “prinzipiell austauschbar mit dem [Konjunktiv] Plusquamperfekt”, finde aber kaum Verwendung, “da das Plusquamperfekt als einziges Tempus (neben PlusquamperfektII) in allen Personen aller Verben vom Indikativ verschiedene Formen hat” (“PlusquamperfektII” = doppelt zusammengesetztes Plusquamperfekt). Eine vergleichbare Erklärung für den Nicht-Gebrauch des Kond. II gibt Weinrich (2003: 247f.), der ihn allerdings unter generellerem Aspekt bespricht, d.h. ohne auf die temporale Umfunktionierung der Form einzugehen. Dafür, dass der markierte Kond. II wenig gebraucht wird, sprechen die obigen Befunde zu den COSMAS-Texten sowie die geringe Anzahl von Belegen in meinen schriftsprachlichen Quellen. Die von Thieroff und Weinrich erwähnten Erklärungsmomente sind gewiss plausibel, es wird aber weitere, andersartige Gründe für die Nicht-Verwendung der komplexeren Form geben. Einen ersten, bescheidenen Beitrag zur Klärung dieser Frage sehe ich in den Ergebnissen der oben erwähnten Informantenbefragung. Die Befragten wurden gebeten, die nachstehenden Testsätze aufgrund ihres Sprachgefühls grob als akzeptabel, inakzeptabel oder zweifelhaft zu charakterisieren, wobei eine vorgegebene, feste Ausdrucksweise nicht zugrunde gelegt wurde. Von daher gaben die Informanten Kommentare wie “nicht unakzeptabel”, “nicht ungrammatisch”, “merkwürdig, aber nicht falsch”, “unmöglich” u.dgl. ab. Für die Testsätze wurde relativ neutrales lexikalisches Material ausgewählt, um etwaige lexikalisch bedingte Störungen der Akzeptabilitätsbewertung möglichst auszuschalten. Neben Einzelsätzen wurden auch vier Satzpaare gebildet, wo jeweils der zweite Satz den Kond. II enthielt. Bei zwei Beispielen sollten eingeklammerte Hinweise die zu unterstellende Interpretation verdeutlichen. Die Informanten erhielten die Testsätze mit arabischen Ziffern versehen und in der nachstehenden Abfolge vorgelegt (die Testsätze und die zugehörigen Ziffern seien zur Absetzung gegen die in diesem Kapitel durchlaufend nummerierten Beispiele kursiviert wiedergegeben): (1) (2) (3a) (3b) (4a) (4b) (5a) (5b) (6) (7) (8)
Die Tagung übernächste Woche würde beinahe mit einer Panne begonnen haben. Ich würde natürlich einen ganz anderen Termin vorgezogen haben. Die Sitzung findet also morgen statt. Petra hätte einen anderen Termin vorgezogen. Die Sitzung findet also morgen statt. Petra würde einen anderen Termin vorgezogen haben. “Was machen Sie hier? Sind Sie der Vater?” Siegmar hob erschrocken die Hände. “Nein.” [...] Die Schwester lachte. “Es hätte doch sein können.” “Was machen Sie hier? Sind Sie der Vater?” Siegmar hob erschrocken die Hände. “Nein.” [...] Die Schwester lachte. “Es würde doch haben sein können.” Das hätte gerade noch gefehlt. Das würde gerade noch gefehlt haben. (formelhafte Verwendung unterstellt) Sie würden ja auch nächste Woche haben mitmachen können . Wenn das mein Kurt erlebt haben würde! (Ausruf hic et nunc) Würde ich die Prüfung doch schon bestanden haben!
92 (9) Schade, dass er weg ist. Würde er doch jetzt hier gewesen sein! (10a) So ist es eben! Dort sind unsere Ideale, und hier ist die Wirklichkeit, fast hätte ich gesagt: die Realpolitik. (10b) So ist es eben! Dort sind unsere Ideale, und hier ist die Wirklichkeit, fast würde ich gesagt haben: die Realpolitik. Die Testsätze wurden so konzipiert, dass verschiedene Konstruktionstypen vertreten waren (vgl. 5.2): In (1) findet sich eine beinahe-Konstruktion, in (3a) und (3b) eine zweiteilige deontische und in (4a) und (4b) eine zweiteilige epistemische Konstruktion, in (7) ein Exklamativsatz, in (8) und (9) ein Wunschsatz. In (2) und (6) kann ein Konditionalgefüge oder eine zweiteilige deontische Konstruktion vorliegen. Hinzu kommen fest gefügte Wendungen: (5a) und (5b) sowie (10a) und (10b). Wie nicht anders zu erwarten, gehen die vorliegenden Urteile über Akzeptabilität und Inakzeptabilität erheblich auseinander. Eine Informantin hat alle Beispiele mit Kond. II als nicht korrekt charakterisiert und bei allen Satzpaaren das a)-Beispiel akzeptiert. Bei der Auswertung der Sprecherurteile bleibt diese globale negative Bewertung der komplexeren Form unberücksichtigt. Bei den elf anderen Befragten halten sich z.B. im Falle von (6) die ablehnenden und die akzeptierenden Reaktionen in etwa die Waage. Ähnlich liegen die Dinge bei (9). Im Hinblick auf diese Einzelergebnisse erscheint eine genaue Platzierung der Beispiele auf einer Skala abnehmender Akzeptabilität als nicht durchführbar; hier soll primär versucht werden, Präferenzen der Informanten festzustellen, die über erwartbares Sprachverhalten Aufschlüsse liefern könnten. Andererseits liegen bei (5b) acht eindeutig ablehnende Reaktionen vor, denen zwei zweifelhafte Akzeptabilität indizierende Angaben und eine als Ausdruck zögernder Akzeptanz zu verstehende Aussage gegenüberstehen. Zumindest für dieses Beispiel ist ein sehr niedriger Akzeptabilitätsgrad anzunehmen, der mit der Formelhaftigkeit von (5a) zusammenhängen wird; der Konj. Plusq. gehört fest zur Struktur des fehlen-Ausdrucks, kann also kaum durch die komplexere Form substituiert werden. Für die beim Vergleich der a)- und b)-Beispiele gemachten Präferenzaussagen lässt sich eine klare Konvergenz feststellen: Alle Befragten zogen eindeutig die a)-Version vor. Bei den Testsätzen (1), (2) und (6)–(9) kam ferner eine klare Bevorzugung des Konj. Plusq. zum Ausdruck, soweit eine alternative Formulierung mit dieser Form erwähnt wurde. Hier ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Satz (2) meist als vergangenheitsbezogen verstanden wurde, sodass der zu ihm gemachten Präferenzaussage in unserem Zusammenhang keine Relevanz zukommt. Darüber hinaus ist anzumerken, dass bei beinahe in (1) Skopusambiguität (enger vs. weiter Skopus) gegeben ist (vgl. Anm. 5), wovon jedoch die Bevorzugung des Konj. Plusq. gegenüber dem Kond. II unberührt bleibt; Entsprechendes trifft auf natürlich im unmittelbar folgenden Testsatz und die auch für ihn geltende positivere Bewertung der einfacheren Form zu. Was die Hintergründe für die klare Präferenz des temporal umfunktionierten Konj. Plusq. gegenuber dem entsprechenden Kond. II betrifft, so könnte sich zu den von Thieroff erwähnten allgemeinen Momenten (s.o.) ein spezielles syntaktisches Phänomen gesellen: Bei Wahl des Kond. II von Modalverben in Verbindung mit Infinitiv wie in (4b) und (6) wäre eine besondere syntaktische Komplexität im Spiel: Es sind mit würde drei Infinita zu kombinieren, was höchstwahrscheinlich für die meisten Sprachbenutzer eine zu kompli-
93 zierte Ausdrucksweise darstellt, auch wenn sie – worauf einzelne Informantenaussagen hindeuten – heute kaum ganz ausgeschlossen ist. Bei punktueller Google-Suche nach Syntagmen wie würde getan haben müssen, würde gemacht haben können u.dgl. konnte ich zwar keine Belege neueren Datums finden, eine korrespondierende Struktur war aber in einem Text aus dem Jahre 1936 nachzuweisen (vgl. würden haben leben können als Parallele zu hätte vollenden können): (25) [Arnold Schönberg waren im November 1935 25000 Dollar für die Musik zu einem Film angeboten worden.] Aus einem Brief [...] vom 23. Januar 1936 geht seine ambivalente Haltung hervor. Einerseits war er über die Ablehnung erleichtert, “denn ich wäre darüber zu Grund gegangen”; andererseits malte er sich auch die Möglichkeiten aus, die ihm dieser Auftrag verschafft hätte: “Wenn ich es doch überlebt hätte, würden wir – bescheiden allerdings – immerhin eine Reihe von Jahren haben leben können, was bedeutet haben würde, daß ich endlich wenigstens meine angefangenen kompositorischen und theoretischen Werke hätte bei Lebzeiten vollenden können, wenn auch nichts Neues mehr anfangen. Aber dafür hätte ich gerne mein Leben und meinen Ruf geopfert ...” [...] (http://www.duemling.de/ musikerexil_in_kalifornien1.htm) (31.01.06)
Einen weiteren begrenzten Bereich, in dem mit Nicht-Wahl des markierten Kond. II zu rechnen ist, stellen feste Wendungen dar. Als Beispiel sei die in 5.3 beschriebene fehlenWendung mit Konj. Plusq. genannt. Bei einem am 29.05.2006 unternommenen Versuch, für die Sequenz hätte (uns/mir) (gerade) noch gefehlt mit Hilfe von Google Parallelen mit dem Kond. II (z.B. würde gerade noch gefehlt haben) zu finden, konnte ich keine Treffer erzielen (es wurden – unter Ausklammerung der in erlebter Rede möglichen dativischen Personalpronomina der 3. Person – insgesamt sechs Versionen der würde-Sequenz eingegeben). Für hätte gefehlt (im Rahmen der Wendung) gab es dagegen eine hohe Anzahl von Belegen, bei denen in mehreren Fällen auch die temporale Umdeutung vorlag.7 Im Hinblick auf diese Beobachtungen wird ein Ersatz dieser Form im fraglichen Kontext durch den entsprechenden Kond. II im realen Sprachgebrauch zumindest unwahrscheinlich sein. In dieselbe Richtung weisen die Informantenaussagen zu Testsatz (5b): Dessen negative Bewertung wäre (wie die Ergebnisse der erwähnten Google-Suche auch) auf den erstarrten Charakter der fehlen-Wendung zurückzuführen, zu dem auch das feste Vorkommen des Konj. Plusq. gehört. Dafür sprechen auch einzelne Informanten-Kommentare, u.a. folgende Bemerkung zu (5b): “sagt einfach keiner”. Darüber hinaus dürfte der temporal umfunktionierte Kond. II in einigen höflichen Konstruktionstypen vermieden werden oder gar nicht zur Verfügung stehen. Über die Wahl von Sternchen vs. Fragezeichen in den nachstehenden Beispielen ließe sich streiten. Es seien zunächst Wünsche bzw. Bitten exemplifiziert (Näheres zur Art der Sprechakte vgl. 9.2):
7
Hier sei auf eine m.E. nicht nötige Übersicht über die genauen Belegzahlen für die jeweiligen Varianten und die Distribution der beobachteten Vorkommen hinsichtlich Vergangenheits- und Nicht-Vergangenheitsbezug verzichtet.
94 (26) (27) (28) (29) (30) (31)
Dazu hätte ich gern von Ihnen ein paar Tipps gehabt. *Dazu würde ich gern von Ihnen ein paar Tipps gehabt haben. Ich hätte gern gewusst, wie diese Gesprächsrunde den Begriff Ehe definiert. *Ich würde gern gewusst haben, wie diese Gesprächsrunde den Begriff Ehe definiert. Ich hätte gern was gefragt. (Bitte um Information hic et nunc unterstellt) ?Ich würde gern was gefragt haben. (Bitte um Information hic et nunc unterstellt)
Ferner wäre die komplexere Form in der unter 5.4 beschriebenen “Konstatierungskonstruktion” kaum verfügbar: (32) So, jetzt hätten wir das Problem gelöst. (33) ?So, jetzt würden wir das Problem gelöst haben.
Die geringe Akzeptabilität des Kond. II in Fällen wie (33) könnte damit zusammenhängen, dass dessen latentes Vermutungsmoment (vgl. 6.1) mit der Faktizität des erreichten Zustandes wenig verträglich ist. Schließlich könnten bei der Nicht-Verwendung des temporal markierten Kond. II auch Einflüsse der normativen Grammatik im Spiele sein. So findet sich bei Hoberg/Hoberg (1988: 135) eine Warnung vor der “schwerfälligen Umschreibung mit würde” in Fällen wie: (34) Wenn du mir rechtzeitig Bescheid gesagt haben würdest, wäre das nicht passiert. (35) Sie wäre immer noch nicht fertig, wenn wir ihr nicht geholfen haben würden.
Ein paar Informanten haben interessanterweise auf eine entsprechende lehrerseitige Haltung im muttersprachlichen Deutschunterricht hingewiesen. In den eben angeführten Beispielen ist zwar der temporale Default-Fall (d.h. Vergangenheitsbezug) des Kond. II anzusetzen, präskriptive Grammatiker-Aussagen und entsprechende sprachpflegerische Praxis könnten sich jedoch auch auf die Nicht-Wahl des temporal umgedeuteten Gegenstücks auswirken. Abschließend sei festgehalten, dass die Frage nach den Ursachen für die Nicht-Verwendung des temporal umfunktionierten Kond. II im heutigen Deutsch einer eingehenderen Untersuchung bedarf, als sie hier vorgenommen werden konnte. Das gilt sowohl für die Art als auch für das Zusammenspiel in diesem Bereich wirksamer Einflussfaktoren. Auf breiter empirischer Grundlage müsste ebenfalls den hier nur gestreiften Zusammenhängen zwischen Konstruktionstyp und Akzeptabilität/Inakzeptabilität dieser markierten Form genauer nachgegangen werden.
7
Zeitliche Situierung in Bildungen mit temporal markiertem Konjunktiv II – auch im Vergleich mit indikativischen Formen
7.1 Allgemeines
Beim Aufweis der Verwendungsbreite des temporal umfunktionierten Konjunktivs II in Kapitel 5 wurde nur ganz grob auf die traditionellen Zeitstufen Gegenwart und Zukunft rekurriert. Die zeitliche Situierung mit diesem Konjunktiv ausgedrückter Ereignisse sollte schon deswegen genauer untersucht werden, weil ihr in der bisherigen Forschung sehr wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, obwohl wir es hier m.E. mit Regeln des Sprachsystems zu tun haben (wie unten zu zeigen versucht wird). Darüber hinaus kann die Analyse verschiedener Muster für die zeitliche Situierung dazu beitragen, deren Stellenwert für Prognosen über das Auftreten von Irrealität vs. Potentialität und (damit verbunden) die Frage nach dem Verhältnis von temporaler und modaler Markiertheit einer Klärung näher zu bringen (vgl. Kapitel 8). Die zeitliche Situierung umfasst (vgl. 1.1) die Ereigniszeit ebenso wie die für die Deutung von Sachverhalten als vergangen vs. nicht-vergangen bestimmende Sprechzeit (die als Intervall, nicht als Punkt zu verstehen ist). Der Ausdruck “Sprechzeit” meint hier bequemlichkeitshalber auch die Schreibzeit sowie die Erscheinungszeit gedruckter oder ins Internet gestellter Texte. Hinzu kommt die In-Beziehung-Setzung eines Sachverhalts zu einem zusätzlich zur Sprechzeit identifizierbaren und mit ihr nicht zusammenfallenden Orientierungspunkt (zur Sprechzeit gesellt sich ein andersartiges, ebenfalls als Origo dienendes Intervall, s.u.). Letzterer ist ein “point of reference” im Sinne von Reichenbach (1947) und wird hier mit Fabricius-Hansen (1991: 736f., dort auch Literatur) als “Referenzzeit” bezeichnet. Diese findet durch ein eigenes Element im Satz Ausdruck oder ergibt sich aus dem Kontext. Die zeitstrukturellen Verhältnisse in Konstruktionen, in denen ein Ereignis in der Gegenwart oder bei rein prospektiver Darstellung in der Zukunft angesiedelt wird, sind relativ überschaubar und erfahren im Folgenden eine weniger eingehende Behandlung als jene in Konstruktionen mit prospektiv-retrospektiver Sicht in der Zukunft lokalisierter Ereignisse. Diese Perspektivierungsart weist eine erhebliche Variation auf und zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass die Ereigniszeit ein vor der Sprechzeit liegendes Intervall inkludieren kann. Als Beispiel dafür sei die Darstellung der im zweiten Satz von (1) genannten Tätigkeit angeführt: (1)
Im Sommer 2002 läuft Frank Castorfs Vertrag an der Volksbühne aus. Er würde dann zehn Jahre Intendant gewesen sein. (COSMAS-Beleg: B00/003.22855, Berliner Zeitung v. 18.03.2000)
96 Hier wird zuerst das Auslaufen des Vertrags von der Sprechzeit her in der Zukunft lokalisiert. Damit wird zugleich ein Zielpunkt für einen von der Sprechzeit ausgehenden prospektiven Blick auf das Ende des durch das Kursivum ausgedrückten Ereignisses fixiert. Das durch dann im zweiten Satz wieder aufgenommene Intervall des Auslaufens bildet sodann den Ausgangspunkt für einen Rückblick auf die gesamte Tätigkeit. Die Ereigniszeit ist hier – was natürlich mit der Kursivität zusammenhängt – ein längeres, partiell vor der Sprechzeit angesiedeltes Intervall, für das eine Schlussphase anzusetzen ist, die sich mit der Referenzeit überlappt. Diese Schlussphase ist m.E. nicht als eigenständiges Teilereignis aufzufassen (anders als der bei Intransformativa beobachtbare Endzustand, s. 3.2). Für die fragliche Rückschau spielt natürlich auch das Partizip II der markierten Konjunktiv II-Formen eine Rolle. Hier kommt sein in 3.2 erwähntes Abschlussmoment zum Tragen, das bei Interaktion mit der Referenzzeit als zweitem Verankerungspunkt die retrospektive Blickrichtung ermöglicht.1 Dieses Abschlussmoment nehme ich für den partizipialen Bestandteil der in Rede stehenden Konjunktivformen an (d.h. innerhalb der jeweiligen Verbalsyntagmen), wobei eine lexematische Einschränkung erforderlich wäre: Es lässt sich m.E. nur bedingt für das Partizip II des markierten Konjunktivs II von Modalverben ansetzen, was mit deren relativ abstrakter Bedeutung zusammenhängen wird. Zu der Frage, ob und wieweit ein Abschlussmoment auch dem attributiv verwendeten Partizip II in Nominalphrasen oder dem mit passivbildendem werden (oder verwandten Auxiliaren) verbundenen Partizip II zukommt, braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Um eine Grundlage für die später zu versuchende Klärung der Frage nach der etwaigen Vorhersagbarkeit der irrealen Sachverhaltsdeutung zu schaffen, empfiehlt es sich, die prospektive und prospektiv-retrospektive Darstellung von Zukünftigem auseinander zu halten und der temporalen Gesamtstruktur in Konstruktionen mit der letzteren Ereignisperspektivierung unter besonderer Beachtung der Art des in den markierten Konjunktiv II-Formen als Partizip II anzutreffenden Verbs nachzugehen. Dessen semantische Beschaffenheit ist – wie schon (1) zeigt – für die genaue zeitliche Situierung des betreffenden Ereignisses von erheblicher Relevanz. Der Zeitbezug der fraglichen Formen des Konjunktivs II ist aufgrund ihrer relativen temporalen Offenheit letztlich nur kontextuell bestimmbar, was – wie bei anderen Konjunktivformen auch – nicht selten Deutungsprobleme bereitet (Generelles und Exemplifizierung dazu etwa bei Hennig 2000: 137–142). Man vergleiche z.B. den unten angeführten Beleg (4). An dieser Stelle sei nur kurz auf einen in der bisherigen Literatur m.W. nicht erwähnten Aspekt der temporalen Offenheit des markierten Konjunktivs II hingewiesen: Durch ihn (mit) ausgedrückte Ereignisse sind mitunter sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und Zukunft lokalisierbar. Die zeitreferenzielle Neutralisierung tritt besonders klar in einem Beleg wie (2) zutage, wo sich das Vorgestellte über eine große Zeitspanne (1975–2025) erstreckt:
1
Die prospektiv-retrospektive Sicht ist natürlich nicht nur bei Konjunktiv II-Formen mit Partizip II anzutreffen. Sie begegnet z.B. auch beim Gebrauch des Indikativs Perfekt in Fällen wie Bis Ende dieser Woche haben wir diese schwere Arbeit abgeschlossen (vgl. 7.4 und 7.5).
97 (2)
97 Wie schon erwähnt, wurde 1978 der literarische Nachlaß [...] der Österreichischen Nationalbibliothek übergeben. Vorher [1975] hatte man noch einzelne Blätter, die sich auf die Privatsphäre der Dichterin [Ingeborg Bachmann] oder lebender Zeitgenossen bezogen und in diesem Sinn mißdeutet hätten werden können [...], ebenso wie den gesamten Briefnachlaß mit der fünfzigjährigen Sperrfrist belegt. (Acta Neophilologica [Ljubljana] 17 [1984], 7)
Ein weiteres Beispiel für die zeitreferenzielle Flexibilität des temporal markierten Konjunktivs II stellt dessen Gebrauch im Transpositionskontext dar (Beispiel: Marco Polo hätte heute mit uns noch bessere Geschäfte gemacht). Wie in 4.1 gezeigt, kann etwa eine historische Figur in die Gegenwart oder gar in die Zukunft transponiert werden und in einer doppelten Perspektive erscheinen: Sie wird primär vom Jetzt bzw. einem in der Zukunft angesiedelten Orientierungspunkt aus betrachtet, Vergangenes wird aber auch mit eingeblendet. Bezüglich der Grundlage für die Zuordnung von Ereignissen zu den Zeitstufen Gegenwart bzw. Zukunft findet sich schon bei Dittmann (1976: 139f.) ein wichtiger Hinweis auf prinzipielle Schwierigkeiten der ausschließlich deiktischen Auffassung von “Tempusmorphemen” und Zeitadverbialen wie heute, bald u.dgl. Er geht davon aus, dass die zeitliche Ereignis-Situierung auch nicht-deiktisch basiert sein kann. In grundsätzlichem Anschluss an diese Annahme wird hier für den Ansatz von Gegenwartsbezug neben der Sprechzeit auch ein kontextuell fixierter Orientierungspunkt als mit ihr äquivalente Origo zugrunde gelegt. Letzteres scheint bei repetitiv-generalisierend betrachteten (als sich wiederholend aufzufassenden) Ereignissen erforderlich zu sein, wie sie etwa in Gesetzen charakterisiert werden. Auf die temporale Lokalisierung derartiger Sachverhalte, die m.E. nicht als völlig zeitlos zu verstehen sind, da die Orientierung an “unserer Zeit” nicht ganz aufgegeben wird, bezieht sich fortan die synonym gebrauchten Ausdrücke “allgemeine Gegenwart” und “ausgedehntes Jetzt”. Im Folgenden wird eine Anzahl struktureller Muster für die zeitliche Situierung von Ereignissen in Bildungen mit temporal umfunktionertem Konjunktiv II präsentiert, die fortan als “Situierungsmuster” bezeichnet werden. Zunächst erfolgt (in 7.2) eine knappe Charakterisierung von Ereignissen, die in der Sprechzeit als Origo oder in einem als allgemeine Gegenwart interpretierbaren Intervall als Origo liegen, und sodann (in 7.3) eine entsprechende Behandlung rein prospektiv betrachteter Ereignisse, die relativ zur Sprechzeit oder abstrakteren Origo nachzeitig sind (7.3). Anschließend kommen von der Art des als Partizip II auftretenden Verbs her unterscheidbare Situierungsmuster für Konstruktionen mit prospektiver und retrospektiver Ereignisbetrachtung zur Sprache (7.4), in denen (wie schon oben erwähnt) das Ereignis partiell vor der Origo situiert sein kann. Ferner verdienen unter sprachsystematischem Gesichtspunkt nicht uninteressante Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Bildungen mit markiertem Konjunktiv II und solchen mit temporal vergleichbaren partiziphaltigen Indikativformen einige allgemeinere Bemerkungen (7.5). Schließlich sollen (in 7.6) ein paar Aspekte der zeitreferenziellen Analyse bestimmter komplexer Konstruktionen und damit verbundene Entscheidungen bei der Registrierung von Belegen und Präsentation des Materials Erwähnung finden.
98
7.2 Zeitliche Situierung in der Gegenwart angesiedelter Ereignisse
Für solche Ereignisse, die in der deiktisch oder von der abstrakteren Origo her bestimmten Gegenwart lokalisiert sind, lässt sich keine retrospektive Sicht ansetzen, denn dafür steht kein nach der Origo angesiedelter Orientierungspunkt zur Verfügung. Dies gilt unabhängig davon, ob das betreffende Ereignis durch Transformativa, Intransformativa, Kursiva oder andersartige verbale Mittel zum Ausdruck kommt. Die nachfolgende Exemplifizierung konzentriert sich auf die Lokalisierung von Ereignissen in der Sprechzeit oder um sie herum. Ich gehe davon aus, dass die zeitliche Situierung im Bereich der allgemeinen Gegenwart nicht wesentlich anders aussieht, verzichte aber auf eine nähere Untersuchung. Die letztere Lokalisierungsart sei hier nur im Vorbeigehen veranschaulicht (es geht mir im folgenden Beleg um den wenn-Satz): (3)
[Das professionelle Können des verstorbenen Ulrich Wildgruber wird mit den als mittelmäßig angesehenen Leistungen jüngerer Schauspieler des “neuen Theaters” kontrastiert.] In solch einer Szenerie [...] hätte ein [...] Monument aus Dreck und Feuer, ein schwitzender, heißlaufender Riese wie Wildgruber schon noch eine Aufgabe gehabt, wenn das neue Theater nicht sowieso aus biologistischen Gründen Schauspieler wie Wildgruber rechts liegen gelassen haben würde. Man ist eben dabei, den dümmsten Fehler des Achtundsechziger-Theaters zu wiederholen: Von denen, die über dreißig sind, nichts mehr lernen zu wollen. (Kulturchronik 1/2000, 26)
In manchen Fällen ist die Einordnung von vorgestellten Ereignissen, die als sich wiederholend verstanden werden können, mit Schwierigkeiten verbunden. Im nachstehenden Beleg wäre der mit Hilfe des Konj. Plusq. hätte geladen ausgedrückte Zustand in einem ausgedehnten Jetzt anzusiedeln; darüber ließe sich jedoch streiten (der Indirektheitskonjunktiv versucht hätte ist insofern anders zu verstehen, als er Nachzeitigkeit der eruierbaren Frage “Hast du das Letzte versucht?” anzeigt): (4)
[Vorgestellte Situation: Der Kläger befindet sich auf einem Spaziergang und bebachtet, wie ein Verbrecher einen anderen Spaziergänger überfällt und ihn ermorden will.] “[...] würde ich mich also notfalls dazu entscheiden, den Verbrecher zu töten. Auch wenn dies in rechtlicher Sicht gerechtfertigt wäre, hätte ich damit immer noch Schuld auf mich geladen. Mein Gewissen würde mich immer fragen, ob ich nicht auch das Letzte versucht hätte, den Angriff abzuwehren, ohne den Verbrecher zu töten.” (de Witt et al. 34)
Wir können uns jetzt der semantischen Variation der als Partizip II auftretenden Verben und der Beschaffenheit der jeweiligen Ereignisse zuwenden. Bei Kursiva wie sein oder sich befinden in markierten Konjunktiv II-Formen mit Gegenwartsbezug findet in Fällen wie dem folgenden ein Zustand Ausdruck, der nicht mit einem kontextuell nahe gelegten, in eine kausale Beziehung eingehenden Resultativitätsmoment verbunden ist (vgl. 3.2):
99 (5)
99 Die Reform aus Stuttgart [Auswahl von 40 Prozent der Studierenden in Numerus-claususFächern durch die Universität Heidelberg] geht ihm [Rektor Ulmer] [...] nicht weit genug: “Überzeugender wäre es gewesen, wenn die Universität 90 Prozent ihrer Studenten selbst auswählen dürfte.” (unispiegel [Heidelberg] Januar 1997, 1)
Derartige kursive Bildungen mit Konj. Plusq. sind grundsätzlich (bei fließenden Grenzen) von solchen zu unterscheiden, in denen das Resultativitätsmoment Ausdruck findet. Dessen Kriterium der kausalen Relation zu einem anderen Ereignis ist in folgendem Beleg erfüllt (schlechtes Schlafen bedingt bestimmtes Aussehen): (6)
[Thema: “Welcher Lidschatten zu welcher Augenfarbe?”] [...] ich habe helle haut ... deswegen fallen bei mir die hellen brauntöne auch nie auf ... Das sieht immer aus als wenn ich schlecht geschlafen hätte ... [...] schwarzer lidschatten? wenn ich ehrlich bin habe ich noch nie jemanden mit nem schwarzen lidschatten rum laufen sehen [...] (http://www.fullack.com/ index.php?act=ST&f=24&t=4184) (23.04.06)
Bei Transformativa scheint der gegenwartsbezogene Konj. Plusq. relativ selten ein ganzheitlich zu fassendes (nicht in sich gegliedertes) Ereignis zum Ausdruck zu bringen, vgl. (7). Noch seltener wäre die korrespondierende, an (8) illustrierte Verwendung der Form bei der kleinen Gruppe der Intransformativa (für dieses konstruierte Beispiel sei ein Transpositionskontext unterstellt, vgl. 4.1). (7)
(8)
Die deutsche Mannschaft und die Mannschaftsleitung präsentieren sich einen Tag vor Beginn der Spiele im “Deutschen Haus” [...]. Tenor: Stimmung prächtig, Vorbereitung glänzend [...]. Und bitte: auf nichts festlegen. Die Zeiten sind vorbei, da deutsche Verantwortliche vollmundig hohe zweistellige Zahlen als Erfolgsvorhersage verkündeten. Vielleicht hätte das Walther Tröger, der kürzlich die Wiederholung des dritten Platzes in der Nationenwertung als Ziel ausgab, an diesem Donnerstag nachmittag getan. Doch der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees steckt mit seinem Chauffeur auf der Rückfahrt von einer Geburtstagsfeier im Stau. (FAZ 15.09.2000, 43) Fritz wäre bei der Stange geblieben. (Gegenwartsbezug unterstellt)
Die Kombination Gegenwartsbezug + zuständliche Lesart in Bildungen mit temporal markiertem Konjunktiv II von Transformativa liegt in (9) vor (diese Kombination scheint bei solchen Verben bedeutend häufiger aufzutreten als Gegenwartsbezug + Prozess). Ähnlich ist, wie (10) zeigt, der Endzustand bei intransformativen Bildungen in der Gegenwart lokalisierbar (für einen parallelen Beleg mit Konj. Plusq. s. 3.2). (9)
[...] vom Latein hat das meiste sich längst wieder verloren – ich hätte es ganz und gar vergessen, wäre nicht einer meiner Göppinger Schulkameraden heute noch am Leben und heute noch mein Freund. Er schreibt mir von Zeit zu Zeit einen lateinischen Brief [...] (Beleg bei Leirbukt 2004a: 216) (10) In unseren Breitengraden sind die Germanen das erste Volk, von dem wir solche Bräuche kennen (allerdings eher aus dem einfachen Grund, dass penible römische Geschichtsschreiber hier einiges überliefert haben, was in der mündlichen Tradition der Germanenstämme ansonsten
100 sicher nicht bis heute erhalten geblieben wäre). (http://www.blumen-onlineratgeber.de/ blumengeschenke/blumengeschenke_antike.html) (28.03.06)
In Konstruktionen mit gegenwartsbezogenen Formen von Modalverben schließlich liegen die Dinge anders: Hier kann man nur bei deontischer Lesart von einer zuständlichen Qualität sprechen (vgl. 3.2). Etwa in (11) ließe sich eine Parallelität des Könnens zur Zustandsdeutung bei Kursiva feststellen: (11) Sarah zeigt mir alles Sehenswerte der Umgegend. Alles, was sie mir zeigt, ist für mich wertvoll und etwas Besonderes – sie hätte mir eine Handvoll Sand vorhalten können, und ich wäre entzückt gewesen, hätte gestaunt wie verrückt.2
7.3 Rein prospektive Sicht auf Zukünftiges
Bei rein prospektiver Blickrichtung können die temporal markierten Konjunktiv II-Formen Nachzeitigkeit relativ zur Sprechzeit oder auch zur abstrakteren Origo zum Ausdruck bringen: (12) [Finanzengpässe erzwingen eine Revision ambitionierter Theater-Pläne in Hannover.] Die große und glänzende Lösung ist schon jetzt außer Sicht – aber wäre sie denn wirklich die wünschenswerte gewesen? (Weser Kurier 04.01.1989, 7) (13) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten [...] insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde [...]. [§ 844 Abs. 2 BGB, Fassung v. 2002] (http://dejure.org/gesetze/ BGB/844.html) (28.03.06)
Die rein prospektive Darstellung ist nicht nur (wie eben illustriert) in Bildungen mit Kursiva, sondern auch in solchen mit Transformativa und Intransformativa anzutreffen: (14) Ohne deine Hilfe hätte ich nächste Woche nichts geschafft. (15) Ich wäre gerne bis Ende nächster Woche hier geblieben.
2
Gutendorf, Rudi (1989): Ich bin ein bunter Hund, 80. – Frankfurt a.M., Berlin: Ullstein (Ullstein Buch 22091).
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In derartigen Konstruktionen – wie auch bei Modalverbbildungen wie der müssen-Sequenz von (25 – liegt (bei variabler zeitlicher Erstreckung der Ereignisse) eine einheitliche prospektive Sicht vor. Angesichts dessen erübrigt es sich, unterschiedliche, an der Art des partizipial auftretenden Verbs orientierte Situierungsmuster anzusetzen – anders als bei der jetzt zu besprechenden Darstellungsweise.
7.4 Prospektiv-retrospektive Sicht auf Zukünftiges
Die nachfolgende Übersicht nimmt die Verhältnisse in Konstruktionen mit Modalverben, Kursiva, Transformativa und Intransformativa separat in den Blick. Wie sich zeigen wird, ist in Bildungen mit Modalverben – was sicherlich mit deren relativ abstrakter Bedeutung zusammenhängt – eine einfachere zeitliche Situierung anzutreffen als in solchen, die die drei anderen Typen verbaler Einheiten enthalten. Die in diesem Bereich aufstellbaren Situierungsmuster weisen eine Variation auf, die offenbar stark kontextbedingt ist; diese Kontextbedingtheit lässt sich aber hier nicht eingehend untersuchen. Für die Klärung der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Auffassung der prospektiv-retrospektiven Ereignisdarstellung erscheint eine Auseinandersetzung mit der perspektivischen Analyse nützlich, die Andersson (1972: 152) an dem hier als (16a) herangezogenen Beispiel durchführt. Es illustriert nach seiner Ansicht einen Konj. Plusq. als Ausdruck prospektiv-retrospektiver Blickrichtung, den er mit dem als “futurisch, vorwärtsgerichtet” charakterisierten Kond. I in (16b) kontrastiert: (16a) Ich wäre morgen gern gekommen, wenn ich nicht dringend verreisen müsste. (16b) Ich würde morgen gern kommen, wenn ich nicht dringend verreisen müsste.
Zu (16a) heißt es weiter (ebd.): “Beim Plqpf. des Konjunktivs versetzt sich der Sprecher auf einer hypothetischen Ebene sozusagen in eine Position hinter dem zukünftigen Ereignis und blickt auf dieses zurück.” Dem ist entgegenzuhalten, dass das morgen in beiden Beispielen eine rein prospektive Sicht auf das Kommen anzeigt; “vorwärtsgerichtet” trifft m.a.W. auf beide Formen von kommen zu. Ein sprachlich greifbarer, “rechts” von dem durch das Zeitadverbial fixierten Intervall lokalisierbarer Ausgangspunkt für eine retrospektive Sicht scheint mir in (16a) – anders als beim Rückblick auf das in der Zukunft angesiedelte Ereignis von der Referenzzeit aus in Konstruktionen wie (1) in 7.1 – nicht vorzuliegen (andererseits lässt sich die hier kritisierte Bemerkung Anderssons für die Analyse eines zeitstrukturell komplizierten Konstruktionstyps fruchtbar machen, s.u.). Interessanterweise ist eine prospektiv-retrospektive Sicht – wenn auch sehr beschränkt – bei Modalverbkonstruktionen möglich: (17) Soweit diese Interessen nicht kompatibel sind, werden Anwälte dieser Interessen selbst nach Kompromissen früher oder später in dieser oder jener Form auf diese Elemente zurückkom-
102 men und ihre Forderungen von neuem anmelden, es sei denn, sie hätten sich in der letzten Runde der Auseinandersetzung durchsetzen können. (COSMAS-Beleg: LIM/LI1.00176)
Für die veranschaulichte zeitliche Gesamtstruktur ließe sich ein Situierungsmuster etablieren, das die Sprechzeit oder den damit äquivalenten, abstrakteren Fixpunkt als Origo (O) und Ausgangspunkt für die prospektive Sicht, die (hier durch von neuem angezeigte) Referenzzeit (RZ) und das durch das Modalverb Ausgedrückte einfängt. Dieses Ereignis sei in der nachstehenden Skizze mit einer gestrichelten Linie bezeichnet. Der Rückblick geht (wie auch anderswo) von der Referenzzeit aus, wobei anzumerken ist, dass für sein Zustandekommen ein lexikalisches Element, nämlich letzt-, eine zentrale Rolle spielt.3 Hier scheint das (infinitivähnliche) Partizip II von können weniger zur Rückschau beizutragen. Einfachheitshalber bleiben hier – wie auch bei allen weiteren Visualisierungen von Situierungsmustern für die prospektiv-retrospektive Darstellung – die Blickrichtungen unbezeichnet. Die für die können-Sequenz von (17) ansetzbare Situierung könnte man wie folgt wiedergeben (mit “MV” ist die Modalverbkonstruktion gemeint):
(MV)
--------------------O--------------RZ--------===
Bei durch Kursiva bezeichneten Ereignissen im Rahmen der in (1) belegten zeitlichen Situierung kann man ein Muster aufstellen, das die Sprechzeit oder den abstrakteren Fixpunkt als Origo, die Referenzzeit und das Ereignis in seiner variablen Lokalisierung berücksichtigt: Letzteres kann teilweise vor der Origo oder auch restlos danach liegen, während das Verhältnis zur Referenzzeit konstant bleibt: Die Schlussphase des Ereignisses überlappt sich mit diesem Orientierungspunkt. Das von diesen Kriterien aus etablierbare Situierungsmuster heiße KU1 (“KU” soll Kursivität andeuten). Dessen Realisierung in (1) kann wie in der folgenden Skizze visualisiert werden. Wie schon erwähnt, bezieht sich der prospektive Blick im zweiten Satz von (1) auf die Schlussphase, der retrospektive auf das gesamte Ereignis, das hier mit einer gestrichelten Linie markiert wird:
(KU1)
-------------------O-------------RZ--------=====================
3
Der mit letzt- in (17) verbundene Rückverweis findet eine genaue Entsprechung etwa in Sie konnten sich in der letzten Runde der Auseinandersetzung durchsetzen oder Sie meldeten ihre Forderungen von neuem an, es sei denn, sie hatten sich in der letzten Runde der Auseinandersetzung durchsetzen können. Diese Parallelität spricht sehr für die Annahme, dass der Rückblick in (17) in hohem Maße lexikalisch bedingt ist.
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Bei Überlappung von Schlussphase und Referenzzeit kann der Anfang des Ereignisses auch nach der Sprechzeit liegen, woraus sich eine zweite Spielart von KU1 ergibt. Auf eine Exemplifizierung und Visualisierung dieser Realisierungsart sei hier verzichtet. In kursiven Konstruktionen lässt sich das prospektiv-retrospektiv dargestellte Ereignis auch restlos vor der Referenzzeit ansiedeln. Dies sei als konstitutives Kriterium für das Situierungsmuster KU2 zugrunde gelegt. Das Verhältnis des Ereignisses zur Origo ist variabel. In den beiden folgenden Beispielen liegt es ihr zum größeren Teil voraus: (18) Es ist denkbar, dass Maria Ende übernächsten Jahres wieder nach Österreich zurückkehrt. Sie würde sich dann etwa sechs Jahre in den USA aufgehalten haben. (19) Es gibt keine Politik “an sich”. Sie betrifft immer lebende und leidende Menschen. Wenn sich das “an sich” von dem “für uns” getrennt hat, wird alle Demokratie, alle Gemeinschaft an irgendeiner Gewalt scheitern. [neuer Abs.] Dann würden die Wendezeiten des zwanzigsten Jahrhunderts zugleich eine Zeitenwende bedeutet haben. (Beleg bei Leirbukt 2004a: 224)
Die hier vorliegende Realisierung von KU2 kann grob wie folgt visualisiert werden:
(KU2)
--------------------O------------RZ--------=================
Der prospektive Blick scheint sich in Fällen wie den angeführten weniger auf das durch das Kursivum ausgedrückte Ereignis als auf die Referenzzeit zu richten. In ihr wird häufig eine zukünftige Situation lokalisiert, die eine Bewertung motiviert, die typischerweise durch einen Satz mit Kopulaverb + Prädikativ zum Ausdruck kommen dürfte.4 Eine Alternative ist die diesem Konstruktionstyp semantisch vergleichbare Bildung mit bedeuten, wie sie im (schon in 6.1 zitierten) Beleg (19) vorliegt. KU2 lässt sich auch in der Weise realisieren, dass das Ereignis zwischen Origo und Referenzzeit liegt (was hier nicht extra visualisiert zu werden braucht): (20) [Zukünftige Forschung und mögliche Anwendung des Modells “Kommunikative Grammatik”] Wegen solcher Übertragbarkeiten des Modells wäre [...] die intensive Beschäftigung mit DfaA-Problemen [DfaA = Deutsch für ausländische Arbeitnehmer] auch dann nicht vergeblich gewesen, wenn die dabei gewonnenen Einsichten den betroffenen Arbeitern selbst möglicherweise kaum mehr zugute kommen sollten. (Beleg bei Leirbukt 2004a: 220)
Die oben zitierte Bemerkung von Andersson über einen Rückblick von einer “Position hinter dem zukünftigen Ereignis” aus ist mutatis mutandis auf Belege wie (21) übertragbar:
4
Für einen entsprechenden Beleg mit sein im Kond. II + Prädikativ vgl. Leirbukt (2004: 224f.).
104 (21) [Tarifrunde Gesamtmetall – IG Metall] Falls Gesamtmetall beim nächsten Spitzengespräch am 18. Januar nicht prinzipiell andere Vorschläge als am Montagabend machen sollte, würde dies das letzte Gespräch gewesen sein. (COSMAS-Beleg: T96/JAN.01258, taz v. 10.01.1996)
Hier liegt insofern eine besondere Realisierung von KU2 vor, als die für das zukünftige Ereignis geltende Referenzzeit über eine “Zwischenstation” weiter weg von der Origo lokalisiert wird als in den anderen angeführten Beispielen für dieses Muster. In (21) wird durch den Kond. II im Verein mit dem demonstrativen, auf das Spitzengespräch bezogenen dies und letzt- ein zweiter Bezugspunkt fixiert, welcher nach der Ereigniszeit des Spitzengesprächs liegt und auf dieses zurückblicken lässt. Von diesem zweiten Bezugspunkt aus wird das Gespräch sodann als “das letzte” charakterisiert. Darin liegt eine Bewertung, die auch bei einfacherer Verankerung der Rückschau zu beobachten ist, vgl. (20). Im Bereich der transformativen Konstruktionen soll zuerst ein auf die zuständliche Interpretation beschränktes Situierungsmuster Erwähnung finden, zu dessen Veranschaulichung (14) von 3.2 hier (verkürzt) wiederholt sei: (22) In 50 Jahren würde die Zahl der Studierenden und Mitarbeiter an Universität und Fachhochschule um etwa 25 Prozent auf dann noch 22 500 gesunken sein. (Gießener Universitätsblätter 37 [2004], 59)
In (22) richtet sich der von der Origo ausgehende Blick zunächst auf die Referenzzeit, auf die sodann der Nachzustand fixiert wird. Das retrospektive Moment des hier ansetzbaren Situierungsmusters betrifft den lexikalisch angezeigten und kontextuell zu verdeutlichenden Prozess (vgl. die Angabe der Zeitspanne und die prozentuale Bestimmung des Sinkens). Solche Verbindung von Zustandsanzeige und retrospektivem Blick auf den Prozess entspricht genau jener in folgendem Beispiel von Engel (2004: 235): (23) Um halb fünf heute Abend sind wir längst abgefahren.
Mit Bezug darauf spricht er mit Recht von einem “nach Abschluss eines Vorgangs” erreichten Zustand, der “eine ‘Rückschauperspektive’ auf den vorausgegangenen Vorgang enthält”.5 Für konjunktivische Beispiele wie (22) ließe sich das Situierungsmuster TR1 ansetzen (“TR” soll Transformativität andeuten).6 Im Blickpunkt steht der (in der folgenden Skizze mit “===” markierte) Nachzustand; der bei vollständiger Visualisierung zu berück-
5
6
Die zitierte Bedeutungsangabe bezieht Engel (ebd.) auf den Indikativ Perfekt der sog. telischen Verben schlechthin, was offensichtlich nicht zu halten ist. Man vergleiche Fälle wie: Die Leute sind gestern zu spät nach Heidelberg abgefahren. Dieses Muster ließe sich natürlich auch auf indikativische Bildungen übertragen. Darauf sei hier deswegen verzichtet, weil die Etablierung von Situierungsmustern dazu beitragen soll, deren prognostischen Wert im Hinblick auf die modale Abstufung im Verwendungsbereich des temporal markierten Konjunktivs II zu klären (vgl. Kapitel 8).
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sichtigende Prozess bleibt hier unbezeichnet. Die Realisierung wäre (vereinfacht) folgendermaßen wiederzugeben:
(TR1)
------------O--------------------RZ--------===
Wie in (22) wäre der Nachzustand auch in (24) Gegenstand des prospektiven Blicks, der sich zugleich auf die Referenzzeit richtet: (24) Wenn uns Peter helfen würde, hätten wir bis Ende nächster Woche die ganze Arbeit erledigt.
Das Verhältnis des Nachzustandes zur Referenzzeit ist hier jedoch gegenüber dem in (22) insofern anders gelagert, als er leicht als vor ihr liegend zu deuten wäre. Dies wiederum dürfte mit der Wahl der bis-Phrase im Zusammenhang stehen, die eine Frist ausdrückt; man vergleiche die Differenz beispielsweise zu Ende nächster Woche hinsichtlich der zeitlichen Bestimmung des Nachzustandes. Für dessen genaue Lokalisierung spielt also die Art des Zeitadverbials eine Rolle; diese Frage lässt sich aber hier nicht näher untersuchen. Die restlose Ansiedlung eines Ereignisses – sei es Nachzustand oder Prozess – vor der Referenzzeit wird hier als konstitutives Kriterium eines zweiten Situierungsmusters – TR2 – gewählt. Ein erstes Beispiel wäre der Folgesatz in (24), soweit der Nachzustand als vor der Referenzzeit liegend gedeutet wird. TR2 ließe sich generell wie folgt visualisieren (bei Bezug der Skizze auf die zuständliche Realisierung müsste der zugrunde liegende Prozess – wie auch bei TR1 angedeutet – eine eigene Markierung erfahren):
(TR2)
------------O--------------------RZ--------===
Prozessuale Konstruktionen, die dem Muster TR2 folgen, sind nicht leicht zu finden.7 In (25) wäre hätte gesammelt eventuell prozessual zu lesen und TR2 anzunehmen; eine zuständliche Deutung – dh. TR1 – läge aber näher (die beiden Lesarten partiziphaltiger Formen von Transformativa sind bekanntlich mitunter schwer auseinander zu halten):
7
Als ein klarer Originalbeleg für TR2 in der prozessualen Realisierung (wie auch für das Vorgangspassiv) kann eine “Sudelbuch”-Notiz von Georg Christoph Lichtenberg aus dem Jahre 1789 angeführt werden, in der ein heute noch möglicher Gebrauch des markierten Konjunktivs II vorliegt (Zit. nach Schöne 1983: 113, dort auch Quellenangabe): Dieses könnte zu einer nützlichen Dichtung Anlaß geben. Man müßte annehmen, daß an einem gewissen Tage, zum Exempel in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1ten Jänner, alle die Sachen vorgezeigt würden, die im verlaufnen Jahre auf den Blocksberg wären verwünscht worden.
106 (25) Maria ist Anfang Januar für zwei Jahre nach Australien gegangen. Vor ein paar Wochen waren Geldprobleme aufgetaucht, die glücklicherweise inzwischen gelöst sind. Sonst hätte sie schon Mitte nächsten Jahres wieder nach Norwegen zurückkehren müssen, hätte bedeutend weniger Studienpunkte als vorgesehen im Ausland gesammelt und hätte ganz große Probleme in der Schlussphase ihres Studiums bekommen.
TR2 ist schließlich auch so realisierbar, dass das Ereignis nach einem anderen, näher an der Origo liegenden (in folgendem Beleg: Gebrauch der Schusswaffe) angesiedelt ist: (26) [Rache an den für den Tod des Braunbären Bruno Verantwortlichen] [...] wie wärs wenn´s mal Unerwartet ein paar mal Knallen würde auf ihrem Spazierweg von irgend einem Baum her und sie krepiert wären? [...] Oder noch besser “Der Sniper” schalldämpfer mit Zielscheibe da hätten sie zum letzten mal geschissen [...]. Bruno würde laut lachen daoben und sich bedanken [...] (http://blog.brunoderbaer.de/?p=42) (21.10.06)
Die prospektiv-retrospektive Darstellung tritt (wie schon in Kapitel 3 erwähnt) auch bei Konstruktionen mit Intransformativum auf. Durch Kooperation zwischen dem Abschlussmoment des Partizips II und der Referenzzeit kann dabei der Endzustand (als Teilereignis) fokussiert und auf diesen Orientierungspunkt festgelegt werden; zugleich ist ein Rückblick auf die Phase der Nicht-Veränderung erkennbar. Deren Verhältnis zur Origo ist variabel. In folgendem Beleg liegt die Nicht-Veränderung – anders als in (29) – z.T. vor der Origo (erhalten bleiben wird hier als komplexes Intransformativum gedeutet): (27) Ich [...] bin der Meinung, dass der Trend zur Überbetonung der Therapie zu Lasten der Bemühungen zur Durchsetzung prophylaktischer Massnahmen, wie er in den meisten Gruppen, die sich noch mehr oder weniger auf [Wilhelm] Reich berufen, zu verzeichnen ist, einem Ausweichen vor den wahren und wesentlichen Problemen entspricht. Wenn aber von Reichs Lebenswerk einmal nicht mehr erhalten geblieben sein würde als ein paar neue Varianten auf der bunten Palette der Therapieformen oder gar ein zugkräftiger Artikel auf dem PsychoDienstleistungsmarkt, dann wäre geschafft, was Reich immer befürchtet hat. (http://www.lsrprojekt.de/wrb/wrb1.html) (28.03.06)
In (27) qualifiziert einmal den Endzustand. Dieser wird zwar als eine nur partielle Fortführung von Reichs Lebenswerk charakterisiert, davon bleibt aber der Ansatz einer eigenen Phase des Erhalten-Geblieben-Seins unberührt. Ihre separate Fokussierung wird interessanterweise durch den im Folgesatz ausgedrückten Zustand (vgl. wäre geschafft) und dessen zeitliche Fixierung (vgl. dann) unterstützt. Für den Endzustand (E) und die Nicht-Veränderung (hier durch eine gestrichelte Linie bezeichnet) ließe sich das Situierungsmuster IN1 aufstellen, dessen Realisierung in (27) und (28) folgendermaßen wiederzugeben wäre (“IN” deutet Intransformativität an):
(IN1) ------------O-------------------RZ--------====================E
107
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(28) Im nächsten Jahr soll die Stelle als Leiter der Asienabteilung neu besetzt werden. Hans wäre dann noch in Singapur tätig, wäre etwa sechs Jahre lang ununterbrochen in Asien geblieben und käme sicher für die Stelle in Frage.
Das Verhältnis von Endzustand und Nicht-Veränderung gemäß IN1 bleibt auch bei vollständiger Lokalisierung der Nicht-Veränderung nach der Origo konstant: (29) Die Leute passen sich jetzt schnell der neuen Staatsangehörigkeit an. Wenn wir das Gebiet in zwanzig Jahren wieder besuchen würden, würde sich vieles verändert haben, aber eines wäre auch dann noch geblieben: der Lokalpatriotismus.
In anderen intransformativen Konstruktionen mit prospektiv-retrospektiver Blickrichtung wird die Nicht-Veränderung in ihrer Gesamtheit angeschaut (eine eigenständige Schlussphase ist nicht erkennbar). Wenn das Ende des Ereignisses vor der Referenzzeit angesiedelt ist, lässt sich ein eigenes Situierungsmuster – IN2 – ansetzen (analog zu KU2), wobei das Verhältnis zwischen Nicht-Veränderung und Origo auch hier variieren kann. Das Ereignis in (30) ist mit dem etwa in Sie ist nur ein paar Monate dort geblieben vergleichbar: (30) Es ist denkbar, dass Maria schon Ende nächsten Jahres wieder nach Österreich zurückkehrt. Sie wäre dann etwa ein halbes Jahr kürzer als vorgesehen in den USA geblieben. (Beginn des Aufenthalts vor der Sprechzeit unterstellt)
Die hier vorliegende Realisierung des Musters IN2 könnte folgendermaßen visualisiert werden:
(IN2) --------------------O------------RZ--------============== Das Situierungsmuster IN2 deckt auch den Fall ab, dass das ganzheitlich verstandene Ereignis u.U. zwischen Origo und Referenzzeit liegt (vorgesehener Abschluss des in folgendem Beispiel erwähnten Aufenthalts: nach dem durch Anfang übernächsten Jahres ausgedrückten Intervall): (31) Maria geht bald für zwei Jahre in die USA. Es könnte aber sein, dass sie schon Anfang übernächsten Jahres wieder nach Österreich zurückkehrt. Dann wäre sie also etwa ein halbes Jahr kürzer als vorgesehen in den Staaten geblieben.
Schließlich besteht auch bei intransformativen Bildungen die für kursive und transformative illustrierte Möglichkeit, die Referenzzeit über eine “Zwischenstation” weiter “nach rechts” zu verlegen. Man vergleiche dazu folgendes Beispiel, das mit Ausnahme der dem Muster IN2 zuordenbaren bleiben-Fortsetzung von Kaufmann (1975: 34) stammt:
108 (32) Seit einem Monat habe ich mich vergeblich um einen neuen Termin bei ihm bemüht. Soeben erfahre ich von seiner Sekretärin: “Morgen klappt's endlich.” Wenn es morgen wieder nicht geklappt hätte, wäre ich zu einem anderen Anwalt gegangen. Dann wäre es also bei diesem einen Termin von Mitte Mai geblieben.
7.5 Vergleich mit indikativischen Bildungen
Die temporal markierten Formen Kond. Plusq. und Kond. II zeigen hinsichtlich ihres Beitrags zur zeitlichen Situierung mit formal korrespondierenden, Nicht-Vergangenheitsbezug signalisierenden Formen wie hat erledigt, ist gewesen und wird erledigt haben, wird gewesen sein eine nicht zu übersehende Verwandtschaft. Die in diesem Zusammenhang relevanten Eigenschaften der partiziphaltigen Indikativformen von Transformativa sind grundsätzlich bekannt und bedürfen keiner näheren Besprechung. Hier sei nur an in der Literatur verschiedentlich erwähnte Beispiele des Typs Er hat jetzt/nächste Woche alles erledigt erinnert, in denen ein unter dem Gesichtspunkt der Abgeschlossenheit betrachtetes Ereignis zum Ausdruck kommt (vgl. etwa Helbig/Buscha 2001: 135f.). Etwas mehr Aufmerksamkeit verdient die beim zukunftsbezogenen Futur II zu beobachtende Variation der Aktionsart (Näheres zu diesem Futur II vgl. Leirbukt 2007). Wie in Bildungen mit dem markierten Konjunktiv II tritt auch in solchen mit dieser indikativischen Form eine aktionsartlich (mit) bedingte Variation der Ereigniszeit auf, die in den gängigen Grammatiken stiefmütterlich behandelt worden ist. So illustrieren beispielsweise Helbig/Buscha (2001: 141) “das Futur II zur Bezeichnung eines zukünftigen Geschehens” und das temporal entsprechende Perfekt nur an Konstruktionen mit Transformativum und stellen fest, Aktzeit und Betrachtzeit lägen nach der Sprechzeit, “aber die Aktzeit liegt vor der Betrachtzeit, also zwischen Sprechzeit und Betrachtzeit”. Gegen diese Generalisierung sprechen u.a. kursive Konstruktionen, in denen die Ereigniszeit ein Vergangenheitsintervall inkludiert, vgl. den unten zitierten Futur II-Beleg (35) und folgenden Perfekt-Beleg: (33) Am 3. Februar 1997 begeht Professor Dr. Friedhelm Debus [...] seinen 65. Geburtstag. Mehr als 25 Jahre lang ist er dann Direktor am Germanistischen Seminar gewesen [...] 8
In Auseinandersetzung mit der in der Literatur anzutreffenden Annahme einer Beschränkung des Zukunftsbezug anzeigenden Futurs II und des korrespondierenden Perfekts auf
8
Kromann, Hans-Diether; Joachim Hartig (Hgg.) (1997): Friedhelm Debus: Kleinere Schriften, Bd. 1, “Zum Geleit”, S. X. – Hildesheim, Zürich, New York: Olms Verlag.
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Transformativa diskutiert Dittmann Beispiele mit “nicht-transformativen Verben” (1976: 224f., dort auch Literaturnachweis).9 Er bildet u.a. Folgendes: (34) Morgen um diese Zeit werde ich schon wieder acht Stunden gearbeitet haben. (Hervorh. im Orig. vernachlässigt)
Dittmanns semantische Charakterisierung der partizipial auftretenden Verben muss dahingehend präzisiert werden, dass diese kursiver Art sind, wie seine konstruierten Beispiele zeigen. Hier auch ein Originalbeleg für das Futur II: (35) [Ausschnitt aus einem Text v. 30.05.2005 über den Journalisten Markus Wilms, Jahrgang 1970] Diplom-Politologe (FU Berlin), Journalist. Schon in wenigen Jahren erreicht er das Datum, an dem er die Hälfte seines Lebens in Berlin gelebt haben wird. (http://www.politikpoker.de/worthuelsenfruechte.php) (15.05.06)
Zu seinen Beispielen bemerkt Dittmann (1976: 224), der Sprecher hebe ab “auf eine Betonung der Zeitdauer, der Spanne, die das Ereignis/die Handlung umfaßt” (Hervorh. im Orig. vernachlässigt). Ob und wieweit die Zeitspannenangabe bei kursiven Konstruktionen des von ihm veranschaulichten Typs als Regel zu gelten hat, mag offen bleiben; mir kommt es auf die Parallelität zu Bildungen mit Konjunktiv II wie jener etwa in (1) an. Die obigen Bemerkungen zu Rückblick und Evaluierung in kursiven Konstruktionen mit dem markierten Konjunktiv II (vgl. 7.4) treffen mutatis mutandis auch auf bestimmte aktionsartlich entsprechende Bildungen mit Futur II zu: In (36) wird durch diese Form im Verein mit der Adverbialbestimmung am Ende ein Orientierungspunkt für retrospektive Sicht und Bewertung des ihm vorausliegenden Ereignisses fixiert, das durch der ganze Blödsinn (man bemerke den anaphorisch gebrauchten Artikel) zusammengefasst wird: (36) In den USA gab es [...] in den letzten Tagen viel Aufsehens um das zu erwartende [...] MartialArts-Spektakel [“The Promise”, bei bevorstehender Berlinale zu zeigender Film]. Erneut zogen die Weinsteins den Groll auf sich, da sie den Film nicht nur umbenannten, sondern ihn auch um 20 Minuten kürzten und einen eigens inszenierten Beginn [...] vorne dran setzten [...]. Als sei dies noch nicht genug, sprangen die Weinsteins nun kurzerhand doch noch vom Pferd und geben die Rechte am Film frei; dieser wird aber dennoch nur im “Weinstein-Cut” zu sehen sein [...]. [neuer Abs.] Ob der ganze Blödsinn es am Ende Wert gewesen sein wird, steht abzuwarten. (http://www.jump-cut.de/newsblog.html) (30.03.06)
9
Harweg (1994: 49) bringt (ohne auf den zukunftsbezogenen Kond. II einzugehen) ein konstruiertes Beispiel für “Imperfektivität” bei sein im Futur II mit Zukunftsbezug, und zwar im Rahmen hier nicht näher zu kommentierender Überlegungen zu verschiedenen “Nachfolgezeitstufen”: Und ich kann euch auch sagen, wie das gewesen sein wird: Ihr werdet da gespielt und euch herumgebalgt haben, und plötzlich, da wirst du deinen Ring verloren gehabt haben, aber das wird dich nicht weiter überrascht haben [...].
110 Interessanterweise tritt das Futur II auch bei Konstruktionen mit dem bei Dittmann (1976) unter dem Aspekt der Zukunftsreferenz der Form nicht erwähnten Typ der Intransformativa auf; dabei ist die zeitliche Situierung jener in intransformativen Konjunktiv IIBildungen der in (27) illustrierten Art vergleichbar: (37) Noch glaubt so mancher, der “öffentliche Lebensstandard” sei auf Dauer zu senken, das Volksvermögen längst noch nicht erschöpft. Aber selbst wenn jede Bibliothek geschlossen, das letzte Uni-Gebäude verfallen und kein Schwimmbad oder öffentlicher Park mehr übrig geblieben sein wird, dürften falsche Sparsamkeitsapostel weiterhin versuchen zu sparen. (http://www.md-b.de/non/Start.html) (30.03.06)
Den obigen Hinweisen zu augenfälligen Parallelen zwischen markierten Konjunktiv IIFormen mit Gegenwarts- bzw. Zukunftsbezug und temporal entsprechenden partiziphaltigen Indikativformen seien zur Abrundung ein paar Bemerkungen zu Unterschieden hinzugefügt: Beim gegenwartsbezogenen Konj. Plusq. etwa von Transformativa besteht ein markanter Kontrast zum formal korrespondierenden Indikativ; für gegenwartsbezogenes hätte verlernt z.B. gibt es kein indikativisches Pendant, da ja hatte verlernt (in der Regel) Vergangenheitsbezug hat. Bezieht sich hätte verlernt dagegen auf ein zukünftiges Ereignis, das einem anderen nach der Origo lokalisierten vorausgeht, so ist eine Parallele zu einem mitunter anzutreffenden hatte verlernt mit Zukunftsbezug (vgl. Leirbukt 2004b: 385f., mit Literatur) zu konstatieren. Die konjunktivische Form trägt aber bei Zukunftsbezug auf bedeutend differenziertere Weise zur zeitlichen Ereignis-Situierung bei (vgl. 7.3 und 7.4). Ferner scheint bei Modalverben im Konj. Plusq. mit Gegenwarts- oder Zukunftsbezug keine temporale Verwandtschaft zu Indikativformen wie hatte können (Thea hatte Ski laufen können) zu bestehen, die ja Vergangenheit ausdrücken. Eine Zukunftsreferenz werden solche Formen wohl nicht signalisieren; sollte sie aber belegbar sein, so würde das eine Einschränkung der Annahme temporaler Nicht-Parallelität etwa von hätte können zu hatte können auf den Fall des Gegenwartsbezugs der ersteren Form nahe legen. Die Verwandtschaft der markierten Konjunktiv II-Formen zum zeitreferenziell entsprechenden Indikativ Perfekt bzw. Futur II in Bezug auf die aktionsartliche Variation und die Variation der zeitlichen Situierung der mit ihnen ausgedrückten Ereignisse spricht dafür, dass ihre temporale Umfunktionierung im heutigen Sprachsystem ziemlich fest verankert ist.
7.6 Zeitliche Analyse bestimmter komplexer Konstruktionen
Bei den in 5.2.13 erwähnten zweiteiligen deontischen Konstruktionen des Typs (38) Die Tagung hätte morgen beginnen sollen.
stellt sich die Frage nach der genauen temporalen Lokalisierung der Sachverhalte (hier: Beginnen bzw. Sollen). Die diesbezügliche Analyse hat Konsequenzen für die Registrie-
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rung wie auch für die Präsentation des empirischen Materials (s. Anhang) und kommt daher an dieser Stelle zur Sprache. Bei Bildungen der illustrierten Art soll sich die Einordnung von Belegen nach Gegenwarts- resp. Zukunftsbezug an der Lokalisierung des deontisch qualifizierten Sachverhalts orientieren. Etwa in (39) ist das Weiter-Versuchen nach der Origo angesiedelt; daher ist versuchen (plus weiter) in der Liste zur Kombination Irrealität + Zukunftsbezug aufzuführen (zur Verdeutlichung der Verwendung des jeweiligen Verbs werden häufig bestimmte zugehörige Elemente mit aufgenommen). (39) “Ich bin bis jetzt ganz gut ohne Zuhörer ausgekommen”, sagte er [Manfred] weicher. “Vielleicht hätte ich es auch weiter versuchen sollen.” (Wolf 43f.)
Die eben erwähnten Kriterien gelten (mutatis mutandis) auch für die zeitliche Einordnung eines infinitivisch bezeichneten Sachverhalts, der in Konstruktionen mit objektiv-epistemisch gebrauchtem Modalverb zum Ausdruck kommt (vgl. 5.2.14). Ein Beispiel wie Das hätte ja sein können ist bei Nachzeitigkeit des Sachverhalts relativ zur Origo der Kombination Irrealität + Zukunftsbezug zuzuordnen. Abschließend sei angegeben, wie Konditionalgefüge oder andere Bildungen mit Teilsätzen, in deren einem ein vor der Origo angesiedelter Sachverhalt Ausdruck findet, bei der Belegregistrierung behandelt werden sollen: Wenn ein in der Gegenwart oder der Zukunft lokalisiertes Ereignis (z.B. ein Konsequens) mit einem in der Vergangenheit situierten (etwa einem Antezedens) verbunden ist, wird natürlich nur die Sequenz mit der temporal markierten Konjunktiv II-Form berücksichtigt. Ein Beispiel: (40) Es [Europa] hat sich weder um Angebotspolitik noch um Arbeitslosigkeit gekümmert, noch hat es rechtzeitig die Frage der Ost-Erweiterung angepackt, so daß sich die Frage der Ost-Erweiterung jetzt als Nato-Frage stellt. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die Europäische Union sich 1990 darum bemüht hätte. (Die Woche 12/1997, 7)
In derartigen Fällen wird also nur der Teilsatz mit nicht-vergangenheitsbezogener Konjunktiv II-Form in die Belegsammlung aufgenommen und das partizipial auftretende Verb im Anhang aufgeführt.
8
Zur Frage der Prognostizierbarkeit von Irrealität vs. Potentialität auf der Grundlage der zeitlichen Situierung des Sachverhalts
8.1 Allgemeines
Bei der folgenden Untersuchung der Frage, ob und wieweit man zwischen der Art der zeitlichen Situierung eines Sachverhalts und dessen irrealer bzw. potentialer Deutung feste Zusammenhänge konstatieren kann, soll der Konj. Plusq. in der metakommunikativen Wendung mit hätte gesagt + fast/beinahe (vgl. 5.3) und in “Konstatierungskonstruktionen” wie So, das hätten wir jetzt geklärt (vgl. 5.4) von vornherein ausgeklammert bleiben, da das Konzept der modalen Abstufung m.E. hier nicht applizierbar ist (vgl. Kapitel 10). Der “höfliche” Konjunktiv II etwa in Äußerungen wie Das hätte ich gerne morgen Nachmittag mit Ihnen besprochen wird zur schärferen Prognostizierung von Irrealität ganz kurz eingeblendet. Die nachstehenden Bemerkungen konzentrieren sich von dem mir vorliegenden Material her auf den temporal markierten Konj. Plusq.; der entsprechende, bedeutend seltener anzutreffende Kond. II wird eher am Rande berücksichtigt. Über das Verhältnis von Modalität und zeitlicher Situierung werden hier Angaben rein deskriptiver Natur angestrebt; es geht nicht um Erklärungen für das Zustandekommen der jeweiligen modalen Interpretation, die letztlich auf dem Prämissenstand des Sprechers basiert, sondern um an der zeitlichen Situierung orientierte, auf eine bestimmte Lesart bezogene Voraussagen von relativ hohem Gültigkeitsgrad oder um Feststellungen über einen nicht auf solcher Basis deskriptiv erfassbaren Wechsel von Irrealität und Potentialität. Zwischen den beiden Aussagentypen werden fließende Übergänge bestehen, die hier nicht näher untersucht werden können. Es bleibt auch im Auge zu behalten, dass sich für eine aufstellbare Prognose von ihr nicht abgedeckte Beispiele bilden lassen, die aber nicht ohne weiteres als falsifizierend zu betrachten sind. Sie können z.B. zur schärferen Abgrenzung des Geltungsbereichs der Prognose beitragen. Bezüglich der Ausprägung der zeitlichen Situierung, wie sie aufgrund der Art der Ereignisse und deren Lokalisierung relativ zur zeitlichen Origo und/oder nach ihr liegenden Referenzzeit erfassbar ist, wird im Folgenden auf ausgewählte Beobachtungen des vorangehenden Kapitels zurückgegriffen. Dabei orientiert sich die Anordnung des Materials an den dort herangezogenen Klassen verbaler Einheiten: Modalverben, Kursiva, Transformativa und Intransformativa. Bei der Exemplifizierung wird dagegen die im vorigen Kapitel zwecks möglichst präziser Erfassung der temporalen Daten getroffene Unterscheidung zwischen Sprechzeit und abstrakterem Fixpunkt als Origo für die zeitliche Gesamtstruktur der jeweiligen Konstruktion nicht thematisiert. Dafür spricht etwa der Umstand, dass es für die irreale Deutung eines zukünftigen Ereignisses wahrscheinlich unerheblich ist, ob die Zukunft von der Sprechzeit her oder von der abstrakteren Origo her bestimmt wird. Man vergleiche die unter modalem Aspekt feststellbare Parallelität der folgenden Belege für kursiv aufzufassende Ereignisse (das BGB-Beispiel wurde schon in 7.3 zitiert):
113 (1)
(2)
Kommentar zu der bevorstehenden Bundesratswahl in der Schweiz am 01.02.1989; die Zeit der Niederschrift liegt vor diesem Datum:] Mit Ständerat Rüesch, einem [...] höchst populären “starken Mann” in der St. Galler Regierung, wollten ferner die Ostschweizer ihrerseits einen sehr potenten Kandidaten präsentieren. Er hat mit Hinweis auf die “Altersgrenze” abgelehnt, wäre aber möglicherweise auch auf eine weitere “Schranke” aufgelaufen: Mit seiner allfälligen Wahl wäre die äussere Ostschweiz [...] überbesetzt worden [...], während der zentrale Wirtschaftsraum [...] nicht mehr vertreten gewesen wäre. (Schweizer Monatshefte 2/1989, 92) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten [...] insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde [...]. [§ 844 Abs. 2 BGB, Fassung v. 2002] (http://dejure.org/gesetze/ BGB/844.html) (28.03.06)
Hier kann jedoch nicht der Frage nachgegangen werden, in welchem Maße für Zusammenhänge zwischen einer bestimmten Modalitätsausprägung und Situierungsmustern, die auf der Sprechzeit als Origo basieren, Parallelen bei Situierungsmustern mit abstrakterer Grundlage anzusetzen sind. Unter allgemeinerem Aspekt sei ferner an die schon in 3.2 erwähnte semantische Variation bei Konstruktionen mit Transformativa und Intransformativa erinnert, der für die nachfolgenden Überlegungen erhebliche Relevanz zukommt: In solchen Konstruktionen kann das Ereignis als ein geschlossenes Ganzes, als nicht in sich gegliedert oder aber als in sich gegliedert aufgefasst werden. Der für die erstgenannte Lesart gebrauchte Ausdruck “ganzheitlich” wird hier auch auf die Verwendung der entsprechenden partiziphaltigen Verbformen bezogen. Bei Transformativa meint er zugleich Prozessualität. Mit dem nicht-ganzheitlichen Gebrauch der Transformativa und Intransformativa, bei dem das zuständliche Teilereignis als Nachzustand resp. Endzustand zu charakterisieren ist (vgl. 3.2), geht eine Lockerung der syntagmatischen Festigkeit der temporal markierten Formen des Konjunktivs II einher: Das Partizip II hat hier (wie auch anderswo) eine gewisse Eigenbedeutung, die zusammengesetzte Form bildet semantisch kein geschlossenes Ganzes. Dies bringt es mit sich, dass der Konj. Plusq. – wie unten gezeigt werden soll – hinsichtlich der modalen Deutung mit dem hypothetisch gebrauchten Konj. Prät. des nicht auxiliar verwendeten haben bzw. sein vergleichbar ist, der bekanntlich je nach Kontext Irrealität oder Potentialität signalisiert. Diese Verwandtschaft ist jedoch m.E. nicht so zu interpretieren, dass das Finitum des zustandsbezeichnenden Konj. Plusq. seinen auxiliaren Charakter eingebüßt hat oder dass keine analytische Form mehr vorliegt. Zur Illustration möge die zuständliche Lesart von abschließen in (3) gegenüber der prozessualen in (4) dienen, wo Zukunftsbezug unterstellt sei: (3) (4)
Wenn Thea mitmachen würde, hätten wir Ende nächster Woche die Arbeit abgeschlossen. Wenn Thea mitgemacht hätte, hätten wir an einem Tag die Arbeit abgeschlossen.
Bei temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen von Kursiva bestehen andersartige Verhältnisse: Die Formen zeigen immer ein nicht in sich gegliedertes Ereignis an. Das entspricht der allgemeinen semantischen Qualität der Kursiva, die im Anschluss an Hel-
114 big/Buscha (2001: 67) dahingehend zu charakterisieren sind, dass sie einen Zustand oder ein Geschehen “in seinem reinen Ablauf oder Verlauf” ohne Angabe von Veränderung oder “Begrenzung, Abstufung, Anfang oder Ende” zum Ausdruck bringen (ähnliche Bedeutungsbestimmung bei Zifonun et al. 1997: 1864). Es ist allerdings auch hier möglich, etwas Zuständliches – genauer: ein Resultativitätsmoment – anzuzeigen (vgl. 3.2), das sich zur variablen Modalitätsausprägung deskriptiv in Beziehung setzen und (wie wir sehen werden) unter diesem Aspekt mit dem bei Transformativa und Intransformativa ausdrückbaren Zustand vergleichen lässt.
8.2 Generalisierungen bei verschiedenen Verbtypen
8.2.1 Generalisierungen zu Bildungen mit Modalverben Bei Modalverben in deontischer Verwendung zeigt der gegenwartsbezogene Konj. Plusq. anscheinend regelhaft Irrealität an. Dies gilt unabhängig davon, ob das Müssen, Können etc. als irreal gekennzeichnet wird oder ob die Modalverbform im Rahmen der in 5.2.13 beschriebenen Konstruktion stellvertretend die Irrealität des deontisch qualifizierten Sachverhalts signalisiert. Zur Veranschaulichung sei (14) von 4.1 wiederholt: (5)
Wer oder was hätten Sie sein mögen? Zeus als Stier wegen Europa.
Eine klare Irrealitätskennzeichnung leistet auch der temporal markierte Konj. Plusq. objektiv-epistemisch gebrauchter Modalverben in den in 5.2.14 besprochenen Konstruktionen vom Typ Das hätte ja sein können. Der zukunftsbezogene Konj. Plusq. des deontisch verwendeten Modalverbs wird sowohl bei direktem Bezug auf das Können etc. als auch bei Bezug auf den als Operand zu deutenden Sachverhalt (vgl. 5.2.13) in aller Regel Irrealität anzeigen. Als Beispiel diene (27) von 3.2 (hier bequemlichkeitshalber verkürzt): (6)
Es ist schade, dass er nun nicht die Berichte der Wirtschaftsprüfer bekommen soll, mit denen er die Rechenschaftsberichte der Parteien im Einzelnen hätte nachprüfen können.
Eine Ausnahme ist allerdings bei der auf Potentialität zugeschnittenen es sei denn-Bildung festzuhalten, wie sie in 7.4 an (17) belegt wurde. Hier ein paralleles Beispiel: (7)
Soweit solche Interessen nicht kompatibel sind, können ihre Anwälte selbst nach Kompromissen in dieser oder jener Form auf ausgewählte Elemente zurückkommen und ihre Forderungen von neuem anmelden, es sei denn, sie hätten sich in der vorhergehenden Runde der Auseinandersetzung durchsetzen können.
115 Diese Potentialitätsanzeige hängt offenbar damit zusammen, dass die es sei dennKonstruktion in ihrer normalen konditionalen Verwendung eine eindeutig irreale Interpretation des Nebensatzes nicht zulässt (vgl. 5.2.2). Hier hätten wir es also mit einer klar angebbaren Ausnahme von der eben formulierten Irrealitätsprognose für Konstruktionen mit zukunftsbezogenem Konj. Plusq. des Modalverbs, d.h. mit einer deskriptiv erfassbaren Einschränkung ihres Geltungsbereichs zu tun.
8.2.2 Generalisierungen zu Bildungen mit Kursiva Im Bereich der kursiven Konstruktionen (wie auch anderswo) erscheint es notwendig, zwischen Gegenwarts- und Zukunftsbezug zu unterscheiden. Bei Gegenwartsreferenz drückt der temporal umfunktionierte Konjunktiv II in Bildungen wie (8) regelhaft Irrealität aus. In ihnen treten Kursiva wie leben, wohnen, sich aufhalten u.dgl. auf: (8)
Natja kniete sich neben dem massigen Kopf nieder und streichelte sanft das Fell [Löwenfell]. “Armes Tier, bestimmt hättest du gerne noch gelebt.” (Brem 107)
Von derartigen Konstruktionen sind (bei fließenden Übergängen) solche mit Kursiva wie schlafen zu unterscheiden, in denen ein Resultativitätsmoment zum Ausdruck kommt (vgl. 3.2 und 7.2). Als Beleg kann neben (6) in 7.2 auch (9) dienen. Neben der hier vorliegenden irrealen Lesart ist, wie (10) zeigt, auch die potentiale möglich: (9)
[...] wär derdiedas Google von menschlicher Gestalt, kein Wort würd man ihm glauben. Jedem einzelnen Link [...] würde Absicht unterstellt werden, man würde jeden seiner Blicke als Hinweis deuten, sich fürchten, wenn er schlecht geschlafen hätte und Verschwörungstheorien galore basteln [...] (http://fm4.orf.at/blumenau/210112) (23.04.06) (10) Es sieht so aus, als ob sie schlecht geschlafen hätte und später nachkommen müsste.
Bei Zukunftsbezug liegen die Dinge insofern komplizierter, als mehr Situierungsarten zu unterscheiden sind. Hier sei zunächst auf eine Parallele zum Resultativitätsmoment in Konstruktionen mit gegenwartsbezogener Form hingewiesen. Eine potentiale Interpretation liegt im Beleg (11) vor, und eine irreale wie in (12) wird auch möglich sein (im letzteren Beispiel findet das Resultativitätsmoment im Nebensatz Ausdruck): (11) Nach dem ungewohnt üppigen Mittagessen würde man sich, obwohl man am Morgen lange geschlafen hätte, trotz des schönen Wetters zu einem längeren Mittagsschlaf auf das nun gemachte Bett in seinem Zimmer legen. (Meyer 22) (12) [Vorbereitung auf eine Party] Schwarzer Lidschatten kommt gar nicht in Frage. Das hätte so ausgesehen, als ob ich schlecht geschlafen hätte.
In solchen kursiven Konstruktionen, in denen kein Resultativitätsmoment zum Ausdruck kommt, kann ferner eine Lokalisierung des Ereignisses nach der Sprechzeit erfolgen, u.a.
116 ohne Begrenzung in Form eines In-Bezug-Setzens zu einem zukünftigen Intervall. Das gilt etwa für das rein prospektiv gesehene Schlimm-Sein in folgendem Beleg: (13) [47jähriger Bielefelder Hochschullehrer geht nach Berlin.] Ich habe bereits zweimal einen Ruf abgelehnt. Hätte ich diesmal wieder nein gesagt, wäre ich vielleicht für immer in Bielefeld geblieben. [Frage der Redaktion:] Wäre das so schlimm gewesen? (Neue Westfälische 01.07.1988, “Bielefelder Tageblatt”; Hervorh. im Orig. vernachlässigt)
In derartigen Fällen drückt die temporal markierte Form eine voraussagbare Irrealität aus. Das gilt auch dann, wenn das prospektiv betrachtete Ereignis in einer explizit angegebenen Referenzzeit angesiedelt und so eingegrenzt wird (ohne zugleich Gegenstand eines Rückblicks zu sein): (14) Feldmann diktierte Ruth seine Stellungnahme zum Haushaltsplan, als Wehrenberg anrief. Er möchte bitte sofort zu ihm kommen und seine Stellungnahme mündlich abgeben, da er sich schriftlich offensichtlich nicht zu äußern gedenke. “Ich habe es gerade diktiert. Gestern bin ich beim besten Willen nicht dazu gekommen”, sagte Feldmann kleinlaut. [...] Wehrenberg empfing ihn kühl. “Ich muß mich entschuldigen”, sagte Feldmann, “in einer halben Stunde hätten Sie die Stellungnahme gehabt.” (Breest 160)
Wie in Kapitel 7 festgestellt, können bei Kursiva eine Koppelung von prospektiver und retrospektiver Blickrichtung auftreten. Dabei kann sich das Ende des Ereignisses (gemäß KU1) mit der Referenzzeit überlappen; eine Schlussphase ist auf die Referenzzeit fixierbar.1 Beispiele: (15) [Kontext: Fritz hat eine Zeitstelle inne, bei der die Regel gilt, dass man nach fünf Jahren Tätigkeit einen Rechtsanspruch auf eine feste Anstellung hat; Kommentar seines Chefs Anfang September:] Es wird notwendig sein, ihm zum Jahreswechsel zu kündigen. Sonst wird er noch zum nächsten möglichen Kündigungstermin am 30. Juni auf der Stelle sitzen. Dann hätte er sie fünf Jahre lang innegehabt und könnte eine feste Anstellung verlangen. (16) [Interview mit dem nach einer Operation im Jahre 2002 noch nicht an Turnieren teilnehmenden Tennisspieler Tommy Haas] Die Welt: In ihrer Zwangspause haben Sie Ihr Privatleben neu geordnet, sich ein Haus zu- und Freundin Sandy abgelegt. Wie kam es zu der Trennung? Haas: Im Juni während Wimbledon wären wir vier Jahre zusammen gewesen. Es ging leider nicht mehr. Wir haben uns einfach auseinander entwickelt. [...] (Die Welt 28.04.2003, 22; Hervorh. im Orig. vernachlässigt)
1
Leirbukt (2006) kontrastiert das kursive (schon in 1.2 angeführte) Konjunktiv II-Beispiel in (18) mit dem in (16), wo ein irreal zu deutendes, partiell auf die Referenzzeit bezogenes und zugleich retrospektiv betrachtetes Ereignis zum Ausdruck kommt, und nimmt für diese zeitliche Situierung ein regelhaftes irreales Sachverhaltsverständnis an. Sie liegt aber auch in der potential zu interpretierenden Sequenz mit Konj. Plusq. in (15) vor und lässt daher keine Irrealitätsprognose zu.
117 (17) [Kontext: Fritz hatte eine Zeitstelle inne, bei der die Regel gilt, dass man nach fünf Jahren Tätigkeit einen Rechtsanspruch auf eine feste Anstellung hat; Kommentar seines Chefs Mitte Januar:] Es war notwendig, ihm zum Jahreswechsel zu kündigen. Sonst hätte er noch zum nächsten möglichen Kündigungstermin am 30. Juni auf der Stelle gesessen. Dann hätte er sie fünf Jahre lang innegehabt und hätte eine feste Anstellung verlangen können.
Bei solcher Kombination von prospektiver und retrospektiver Sicht auf den durch ein Kursivum bezeichneten Sachverhalt wird dieser – wie die angeführten Beispiele zeigen – je nach Kontext potential oder irreal gedeutet. Hier wäre also – anders als bei rein prospektiver Betrachtung der in (13) und (14) belegten Art – kein Zusammenhang zwischen Situierungsmuster und modaler Interpretation festzustellen. Ferner kann das Ereignis der Referenzzeit (gemäß KU2) restlos vorausliegen. Auch in solchen Fällen scheint die potentiale Lesart des interessierenden Konjunktivs II mit der irrealen wechseln zu können.2 Beispiele: (18) Es ist denkbar, dass Thea diesen Herbst wieder nach Deutschland zurückkehrt. Sie würde dann etwa sechs Jahre in den USA tätig gewesen sein. (19) Maria ist Anfang Januar für zwei Jahre nach Australien gegangen. Vor ein paar Wochen waren Geldprobleme aufgetaucht, die glücklicherweise inzwischen gelöst sind. Sonst hätte sie schon Mitte nächsten Jahres wieder nach Norwegen zurückkehren müssen, hätte also ein Semester weniger als vorgesehen in Australien studiert und hätte ganz große Probleme in der Schlussphase ihres Studiums bekommen.
Auch für solche kursiven Konjunktiv II-Konstruktionen, in denen – bei spezieller Realisierung von KU2 – die für das Ereignis geltende Referenzzeit nach einem näher an der Origo angesiedelten Bezugspunkt (d.h. weiter weg von der ihr) liegt, ist Modalitätsvariation festzuhalten, vgl. die Irrealität im letzten Satz von (20) und die Potentialität in (21). (20) ist eine Abwandlung von (32) in 7.4 (dort auch Quellenangabe): (20) Seit einem Monat habe ich mich vergeblich um einen neuen Termin bei ihm bemüht. Soeben erfahre ich von seiner Sekretärin: “Morgen klappt's endlich.” Wenn es morgen wieder nicht geklappt hätte, wäre ich zu einem anderen Anwalt gegangen. Dann wäre also der Termin von Mitte Mai der letzte bei Herrn Maier gewesen. (21) Am kommenden Dienstag findet das nächste Tarifgespräch statt. Sollten die Arbeitgeber auch dann keine echte Kompromissbereitschaft zeigen, würde das ihre letzte Chance gewesen sein, einen Streik abzuwenden.
2
Leirbukt (2006) nimmt an, dass bei der in (18) vorliegenden zeitlichen Situierung (prospektivretrospektiv betrachtetes Ereignis restlos vor der Referenzzeit lokalisiert) Potentialität regelhaft auftritt. Diese Annahme ist angesichts der Irrealität des in (19) genannten Studierens nicht zu halten.
118 8.2.3 Generalisierungen zu Bildungen mit Transformativa Für Konstruktionen mit temporal umgedeutetem Konjunktiv II von Transformativa ergeben sich aus der Differenzierung von ganzheitlicher (prozessualer) und nicht-ganzheitlicher (zuständlicher) Verwendung Bedeutungsmomente, die z.T. andere Situierungsmuster ansetzen lassen als bei Kursiva. Bei ganzheitlichem Gebrauch des gegenwartsbezogenen partiziphaltigen Konjunktivs II von Transformativa ist eine irreale Lesart voraussagbar. Zur Illustration sei auf (7) von 7.2 und folgenden Beleg verwiesen: (22) Mit dem Zusammenbruch der DDR ist etwas möglich geworden, was in der Geschichte selten ist: Wie eine Leiche auf dem Seziertisch werden die Innereien dieses Staates bloßgelegt. Es kommt an den Tag, was unter anderen Verhältnissen nie offenbar geworden wäre. Wir können nicht nur selber lesen, was der Geheimdienst über uns aufgeschrieben hat. Wir sind auch denen preisgegeben, die Zugang zu unseren Akten haben [...] 3
Bei Gegenwartsbezug und Anzeige eines Nachzustandes drückt der temporal umfunktionierte Konjunktiv II von Transformativa beide Modalitätsarten aus. Man vergleiche folgende Belege: (23) “Lebt der [schlafende Löwe] überhaupt?” zweifelte Julia. “Bei dem Krach kann doch keiner weiterschlafen.” “Natürlich lebt er”, sagte Tobias. “Wenn er tot wäre, dann wären schon die Hyänen und Schakale über ihn hergefallen.” (Sanders 274f.) (24) [Tilmann:] Jetzt warte mal ... Lange Pause. Entschuldige ... Er steht auf und durchsucht noch einmal seine Taschen. Es wäre doch dumm, wenn ich sie [die Taschenlampe] verloren hätte ... (Dorst 13, Kursivdruck im Orig.)
Die in meinem Material belegte modale Variation bei Gegenwartsreferenz und Nachzustandsanzeige in Konstruktionen mit Transformativum wäre in Verbindung zu bringen mit der in 8.1 erwähnten semantischen Verselbstständigung des Partizips II und der damit einhergehenden Lockerung des konjunktivischen Syntagmas, durch die die analytische Form bezüglich der Modalitätskennzeichnung in die Nähe des Konj. Prät. des gleichlautenden nicht-auxiliaren haben bzw. sein rückt. Die einfachere Form drückt bekanntlich bei Gegenwartsbezug kontextbedingt Potentialität oder Irrealität aus, wobei aus dem jeweiligen Kontext meist zu entnehmen ist, welche Lesart vorliegt. Dies scheint mir damit zusammenzuhängen, dass man über Gegenwärtiges sichereres Wissen haben kann als über Zukünftiges; von daher ist der für die irreale Ereignisdeutung notwendige Blockierungsfaktor (als mit dem Vorgestellten kontrastierender faktischer oder als faktisch betrachteter Sachverhalt) im ersteren Fall leichter identifizierbar.
3
Schönherr, Albrecht (1995): Gesprochen zur Zeit und zur Unzeit, 24. – Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag (AtV 8012).
119 Ausgehend von dieser Annahme ist zu erwarten, dass bei Zukunftsbezug und syntagmatischer Lockerung der partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen von Transformativa die potentiale Ereignisinterpretation – als Ausfluss von Ungewissheit bezüglich der betreffenden Situation – dominiert. Das ist interessanterweise in meinen Korpustexten der Fall: Unabhängig davon, ob sich der Nachzustand mit der Referenzzeit überschneidet (gemäß TR1) oder ihr vorausliegt (gemäß TR2), weisen meine Korpusbelege für Zukunftsreferenz der in Rede stehenden Formen (insgesamt 11 Vorkommen) alle die potentiale Interpretation auf, was zumindest für eine starke Gebrauchstendenz spricht. (26) ist ein Gegenbeispiel: (25) [Paul Busch hat von einem Roman-Manuskript gesprochen.] [Vera:] “Was? Ein Roman! Und wird er auch bei Bührland erscheinen?” [Paul:] “Kann gut sein. Sie wollen erst mehr sehen.” [Vera:] “Wow, ein Roman! Und bei Bührland. Dann hättest du es geschafft!” (Bettinger 144) (26) Es wäre schön gewesen, wenn sie Ende nächster Woche die ganze Arbeit hinter sich gebracht hätte. (Zustandslesart im wenn-Satz unterstellt)
Diese Daten sind interpretationsbedürftig. In (26) wird der prospektiv verwendete Konj. Plusq. von sein im ersten Teilsatz die irreale Deutung des zweiten erzwingen. Dieser wäre bei Wahl von wäre im ersten Satz eher potential zu verstehen. Hier ist nicht nur der erwähnte Korpus-Befund zu bedenken, sondern auch die Tatsache, dass die potentiale Lesart für mehrere Informanten in einem Fall wie dem folgenden die präferierte ist: Wenn Fritz diese Arbeit bis Ende nächster Woche erledigt hätte, dann hätte er sein Ziel erreicht. Ich würde also annehmen, dass die fraglichen partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen von Transformativa im Rahmen der Kombination Zukunftsbezug + Zustandsanzeige in der Regel potential verstanden werden, und darin eine Parallele zum zukunftsbezogenen Konj. Prät. des gleichlautenden nicht-auxiliaren haben bzw. sein sehen, der bei hypothetischem Gebrauch eine besondere Affinität zur potentialen Interpretation haben dürfte. Bei transformativen Konstruktionen lässt sich das Ereignis – wie auch bei kursiven (s.o.) – vor einer Referenzzeit lokalisieren, die “rechts” von einem anderen, näher an der Origo liegenden Intervall angesiedelt ist (auch dann hat man es mit TR2 zu tun). Das kann am irrealen Beispiel (27) veranschaulicht werden, das mit Ausnahme des letzten Satzes von Kaufmann (1975: 34) stammt, ebenfalls an (28). Die hier vorliegende potentiale Lesart weist darauf hin, dass die Koppelung von prospektiver und retrospektiver Sicht auch bei solch komplexer Ereignis-Situierung hinsichtlich der Modalitätsausprägung neutral ist: (27) Seit Wochen versucht er, mich zum Verkauf eines Grundstücks zu bewegen. Heute schreibt er, dass die Sache für ihn erledigt ist und dass er nicht noch mal kommt. Wenn der noch mal gekommen wäre, hätte ich ihn rausgeschmissen. Dann hätte ich ihn also zum letzten Mal reingelassen. (28) Seit Wochen versucht er, mich zum Verkauf eines Grundstücks zu bewegen. Heute schreibt er, dass die Sache für ihn erledigt ist und dass er nicht noch mal kommt. Wenn der noch mal kommen sollte, würde ich ihn rausschmeißen. Dann würde ich ihn also zum letzten Mal reingelassen haben.
120 Zur Illustration von Zukunftsbezug, rein prospektiver Sicht und ganzheitlichem Verständnis des markierten Konjunktivs II von Transformativa kann u.a folgender Beleg mit hätte übernommen herangezogen werden: (29) Nach profil vorliegenden Informationen sah die [verhinderte] Holding-Konstruktion weit reichende Änderungen der derzeitigen Struktur vor: Die AUA hätte Niki Laudas Anteile an der Lauda Air übernommen. Die Lufthansa, die derzeit 20 Prozent an Lauda Air hält, hätte sich wie die AUA-Aktionäre ÖIAG, Swissair, Air France und österreichische institutionelle Investoren wie Bank Austria, Creditanstalt, Raiffeisen Zentralbank, Wiener Städtische und Austria Tabak an der Dachgesellschaft Austrian Airlines Holding beteiligt. [...] Ein Plan, der nunmehr sein Dasein auf absehbare Zeit in einer Schublade fristen wird. (Profil 39/2000, 110)
Meine Korpusbelege für die Konstellation Zukunftsbezug + rein prospektive Sicht + ganzheitliche Aufassung bei Transformativa – 48 relativ klare Vorkommen – weisen alle die irreale Lesart auf. Von daher neige ich dazu, für dieses Verwendungsgebiet einen relativ festen Zusammenhang zwischen zeitlicher Situierung und Modalitätsart, d.h. Irrealität als Regel anzusetzen. Eine Komplikation stellen Beispiele wie Das hätte ich gerne morgen Nachmittag mit Ihnen besprochen dar (vgl. 8.1). Solche höflichen Äußerungen bilden m.E. einen Bereich, in dem die aufgestellte Irrealitätsprognose nicht relevant ist (vgl. 10.3).
8.2.4 Generalisierungen zu Bildungen mit Intransformativa Bei den intransformativen Konstruktionen mit temporal markiertem Konjunktiv II ergeben sich (in Parallele zu den transformativen Konstruktionen) durch die Variation von ganzheitlicher und nicht-ganzheitlicher (zuständlicher) Auffassung der Sachverhalte unterschiedliche Situierungsmuster. Wenn ein in der Gegenwart angesiedelter Sachverhalt ganzheitlich betrachtet wird, wäre Irrealität voraussagbar. Mangels Originalbelegen muss für dieses Situierungsmuster ein konstruiertes Beispiel herangezogen werden (Transpositionskontext unterstellt): (30) Maria hätte in dieser Situation die Fassung bewahrt.
Bei Gegenwartsbezug des temporal markierten Konjunktivs II kann auch ein Endzustand zum Ausdruck kommen; dieser ist sowohl mit der potentialen als auch mit der irrealen Sachverhaltsinterpretation kompatibel. Letztere wurde schon an (23) in 3.2 (Intransformativa: sich erhalten und bewahrt bleiben) veranschaulicht. Hier zwei Belege für hängen bleiben, von denen der erste irreal, der zweite potential zu deuten ist: (31) Okay, die Talentsoftsoptionen habe ich mir noch nicht so genau durchgelesen gehabt (oder nicht so oft, daß viel hängen geblieben wäre) [...] (http://www.sr-nexus.de/bb/ware---was-istdas-schlimmste-t.html) (29.03.06) (32) Ich weiß nicht, was hängen bleibt. Wenn nur etwas hängen bliebe an Liebe zu dieser Kirche, zu diesem Gott, zu seiner Mitte, zu Jesus Christus! Freunde, auf alles andere würde ich
121 verzichten, wenn etwas hängen geblieben wäre von der Liebe Gottes. Und wenn etwas von dieser Liebe zurückfließen würde zu Mitmensch, Mitgeschöpf und zum Schöpfer. (http:// christusgemeinde-wiesloch.de/Predigt%202004_03_28.html) (22.04.06)
Für Konstruktionen mit zukunftsbezogenen Formen von Intransformativa, in denen ein Endzustand eine prospektiv-retrospektive Darstellung gemäß IN1 erfährt (Endzustand überlappt Referenzzeit), können (27) von 7.4 – hier verkürzt als (33) wiederholt – und (34) als Beispiel dienen. Der temporal markierte Konjunktiv II wird auch im Rahmen dieses Situierungsmusters teils potential, teils irreal gedeutet werden können, vgl. (33) gegenüber der behalten-Sequenz in Beispiel (34), für das derselbe Kontext wie für (17) unterstellt sei (mangels Originalbelegen muss auch in diesem Fall ein konstruiertes irreales Beispiel benutzt werden): (33) Wenn aber von Reichs Lebenswerk einmal nicht mehr erhalten geblieben sein würde als ein paar neue Varianten auf der bunten Palette der Therapieformen oder gar ein zugkräftiger Artikel auf dem Psycho-Dienstleistungsmarkt, dann wäre geschafft, was Reich immer befürchtet hat. (34) Es war notwendig, ihm zum Jahreswechsel zu kündigen. Sonst hätte er noch zum nächsten möglichen Kündigungstermin am 30. Juni auf der Stelle gesessen. Dann hätte er sie so lange behalten, dass er eine feste Anstellung hätte verlangen können.
Bei solchen Konjunktiv II-Formen von Intransformativa, die dem Ausdruck eines in der Zukunft lokalisierten Endzustandes dienen, ließe sich vielleicht annehmen, dass die syntagmatische Lockerung eine Weichenstellung in Richtung potentialer Interpretation involvieren würde, die mit der bei Transformativa bestehenden (s.o.) vergleichbar wäre. Ich halte diese Annahme für plausibel. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass das mir vorliegende (aus unterschiedlichen Quellen stammende) Belegmaterial für die Koppelung von Zukunftsbezug und Endzustand in Konstruktionen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II ziemlich begrenzt ist (diese Kombination ist in meinen Korpustexten nicht anzutreffen). Bei ganzheitlicher Verwendung des temporal markierten Konjunktivs II von Intransformativa im Rahmen prospektiv-retrospektiver Darstellung eines relativ zur Referenzzeit zurückliegenden Ereignisses (d.h. gemäß IN2) wird sowohl die irreale als auch die potentiale Interpretation möglich sein: (35) [Kontext: Petra ist für zwei Jahre in die USA gegangen.] Vor einiger Zeit hatte sie Geldprobleme bekommen, die glücklicherweise inzwischen gelöst sind. Sonst hätte sie spätestens Mitte nächsten Jahres wieder nach Norwegen zurückkehren müssen, wäre also viel kürzer als vorgesehen in den USA geblieben und hätte ganz große Schwierigkeiten in der Schlussphase ihres Studiums bekommen. (36) Sollte Petra schon Ende nächsten Jahres wieder nach Norwegen zurückkehren, wäre sie also ein halbes Jahr kürzer als vorgesehen in den USA geblieben.
Ein entsprechender Wechsel von Irrealität und Potentialität wäre auch für den folgenden komplizierten intransformativen Konstruktionstyp anzusetzen, in dem (bei Gleichbleiben
122 von IN2) die Referenzzeit über eine “Zwischenstation” weiter entfernt von der Origo liegt als in den eben angeführten Fällen. Die irreale Lesart in diesem speziellen Fall – vgl. (37) – ist mit der in (20) vergleichbar. Für die Potentialität sei auf (38) als Parallele zu (28) zurückgegriffen: (37) Seit einem Monat habe ich mich vergeblich um einen neuen Termin bei ihm bemüht. Soeben erfahre ich von seiner Sekretärin: “Morgen klappt's endlich.” Wenn es morgen wieder nicht geklappt hätte, wäre ich zu einem anderen Anwalt gegangen. Dann wäre es also bei diesem einen Termin von Mitte Mai geblieben. (38) Seit einem Monat habe ich mich vergeblich um einen neuen Termin bei ihm bemüht. Soeben erfahre ich von seiner Sekretärin: “Morgen klappt's endlich.” Wenn es morgen wieder nicht klappen sollte, würde ich zu einem anderen Anwalt gehen. Dann würde es also bei diesem einen Termin von Mitte Mai geblieben sein.
Hinzu kommt noch die Möglichkeit, das Ereignis ganzheitlich zu betrachten und rein prospektiv darzustellen: (39) [Abschied von Mannheim] Es bleibt noch Zeit, um mich ein letztes Mal zu fragen: Was für eine Stadt ist Mannheim, was hat mich hier heimisch werden lassen, auf eine Weise, daß ich gerne hiergeblieben wäre?4 (40) [Der Sprecher berät sich mit einem Experten über die durch die Unsicherheit seines Arbeitsplatzes akut gewordene Frage: “Das sinkende Schiff verlassen?”] Im Moment ist die Stimmung natürlich schlecht. [...] aber an sich ist unser Team wirklich gut. Und ich wäre gern noch eine Weile geblieben. Schon wegen des Lebenslaufes. (http://www.jobpilot.de/content/ community/chat-archiv/berner.html) (03.09.06)
Ob die irreale Sachverhaltsdeutung bei solcher zeitlicher Situierung regelmäßig auftritt, lässt sich von meinem spärlichen Material her nicht entscheiden; der prospektiv-ganzheitlich verstandene Konjunktiv II mit Zukunftsbezug ist nämlich in meinen Korpustexten nur einmal belegt (Verb: fortbleiben). Er lässt, wie (40) zeigt, in höflicher Verwendung eine potentiale Lesart zu, die – ähnlich wie die in transformativen Konstruktionen des Typs Das hätte ich gerne morgen Nachmittag mit Ihnen besprochen (s. 8.2.3) – für die Regelbildung eine Komplikation darstellt. Soweit eine Irrealitätsprognose für den rein prospektiv gebrauchten (temporal markierten) Konjunktiv II von Intransformativa aufzustellen ist, müsste sie auf dessen Vorkommen außerhalb der Höflichkeitskontexte eingeschränkt werden (Weiteres dazu in Kapitel 10).
4
Regennass, René (1986): Notizen und Betrachtungen eines Stipendiaten, 26. – Mannheim: Hg. Stadt Mannheim.
123
8.3 Zusammenfassung
Das empirische Material, das in dieser Arbeit zur Klärung des Verhältnisses von zeitlicher Situierung und Irrealität vs. Potentialität in Konstruktionen mit markiertem Konjunktiv II herangezogen werden kann, scheint mir, was die Modalverben, Transformativa und Kursiva betrifft, einigermaßen aussagekräftig zu sein. Die Grundlage für die Diskussion der entsprechenden Problematik bei den Intransformativa muss dagegen als relativ unsicher gelten: In meinen Korpustexten ist der Typ nur einmal belegt, und über Google konnten nur wenige Beispiele mit temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen zusammengetragen werden. Überblickt man das im Vorangehenden präsentierte Material, so lässt sich zunächst feststellen, dass nur die irreale Ereignisdeutung von der zeitlichen Situierung her voraussagbar ist, und das nur in einem Teil des Vorkommensbereichs des temporal umgedeuteten Konjunktivs II. Die zeitliche Situierung scheint also für Prognosen über Potentialität keine Grundlage abgeben zu können. Die temporale und die modale Markiertheit (im Sinne einer klaren Irrealis-Anzeige) decken sich m.a.W. nur beschränkt. Ausgehend von den herangezogenen Typen verbaler Einheiten kann ein recht facettenreiches Bild festgehalten werden: Für den temporal markierten Konjunktiv II von Modalverben lässt sich eine klare Irrealitätsanzeige verbuchen, soweit Gegenwartsbezug vorliegt. Bei Zukunftsbezug gilt dasselbe – mit Ausnahme der Verwendung solcher Formen in der auf Potentialität zugeschnittenen es sei denn-Konstruktion. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es mehr kontextuell fixierbare Ausnahmen von diesen beiden Prognosen gibt, verzichte aber auf weiter gehende Untersuchungen in dieser Richtung, da zusätzliche positive Befunde meine generelle These von der grundsätzlichen Abhängigkeit irrealer bzw. potentialer Ereignisdeutung vom sprecherseitigen Prämissenstand nicht berühren würden. Bei Kursiva liegen die Dinge komplizierter: Eine Irrealitätskennzeichnung ist für die gegenwartsbezogenen Formen zustandsbezeichnender Kursiva wie sein oder leben voraussagbar, ebenfalls für die entsprechenden zukunftsbezogenen Formen, wenn deren Gebrauch mit reiner Prospektivität verknüpft ist. Bei Gegenwarts- oder Zukunftsbezug temporal markierter Konjunktiv II-Formen von Verben wie schlafen und Präsenz eines Resultativitätsmoments muss dagegen mit beiden Modalitätsarten gerechnet werden. Dasselbe gilt ferner für kursive Konstruktionen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II, in denen ein prospektiv-retrospektiv betrachtetes Ereignis zum Ausdruck kommt, dessen Schlussphase auf die Referenzzeit fixiert ist, ebenfalls für korrespondierende kursive Konstruktionen, in denen ein der Referenzzeit restlos vorausliegendes, prospektiv-retrospektiv betrachtetes Ereignis angezeigt wird. Was den Bereich der Transformativa betrifft, so ist zunächst festzuhalten, dass bei ganzheitlicher Deutung und Gegenwartsbezug des temporal markierten Konjunktivs II Irrealität regelhaft auftritt. Dahingegen lässt sich bei zuständlicher Lesart und Lokalisierung des Nachzustandes in der Gegenwart sowohl Potentialität als auch Irrealität beobachten. Bei Zukunftsbezug und ganzheitlichem Sachverhaltsverständnis kann außerhalb von Höflichkeitskontexten ein relativ fester Zusammenhang von zeitlicher Situierung und Irrealität angenommen werden. Als Letztes ist noch festzuhalten, dass bei Ansiedlung des Nachzu-
124 standes in der Zukunft in meinem Material eine klare Dominanz der potentialen Interpretation vorliegt. Hier hätte man es zumindest mit einer starken Gebrauchstendenz zu tun. Für den Bereich der Intransformativa schließlich wäre anzunehmen, dass bei Gegenwartsbezug des temporal markierten Konjunktivs II eine Irrealitätsanzeige in solchen Fällen voraussagbar ist, in denen die Formen ganzheitlich gebraucht werden. Dieselbe Prognose ließe sich bei rein prospektiver Sicht und ganzheitlicher Interpretation in der Zukunft lokalisierter Sachverhalte aufstellen, es sei denn, dass es sich um Höflichkeitskontexte handelt. Beide Modalitätsarten sind in solchen Konstruktionen zu beobachten, in denen ein in der Gegenwart oder Zukunft angesiedelter Endzustand zum Ausdruck kommt. Dasselbe gilt schließlich auch bei prospektiv-retrospektiver Sicht und Ansiedlung des Ereignisses als Ganzem vor der Referenzzeit, worin eine Parallele zur entsprechenden Ereignis-Situierung in kursiven Bildungen zu erblicken wäre. Insgesamt gesehen scheint mir die Anzeige des Wechsels von Potentialität und Irrealität bei zuständlicher Verwendung von Kursiva, Transformativa und Intransformativa in Konstruktionen mit dem temporal umgedeuteten Konj. Plusq. über weite Strecken aus der in 8.1 erwähnten Nähe des auxiliar fungierenden haben bzw. sein zu den gleichlautenden nicht-auxiliaren Lexemen erklärt werden zu können, deren Konj. Prät. bekanntlich sowohl die potentiale als auch die irreale Ereignisdeutung zulässt. Soweit der Kond. II für den zuständlich gebrauchten (temporal markierten) Konj. Plusq. eintreten kann, wäre hinsichtlich der variablen Modalitätskennzeichnung eine entsprechende Parallelität des auxiliaren würde haben/sein zum Kond. I des nicht-auxiliar verwendeten haben bzw. sein (würde haben, würde sein) anzunehmen.
9
Verhältnis des temporal markierten Konjunktivs II zu den temporal unmarkierten Formen: Distributionsbeschränkungen – Differenzierung hinsichtlich des Ausdrucks von Höflichkeit und zeitlicher Situierung – Konkurrenzfälle
Die nachfolgenden Bemerkungen konzentrieren sich auf den markierten Konj. Plusq. in seinem Verhältnis zum Konj. Prät. und Kond. I; der markierte Kond. II ist aufgrund seiner vorkommensmäßigen Marginalität mit diesen Formen nur beschränkt vergleichbar. Wenn im Folgenden vom Konjunktiv II die Rede ist, so geht es meistens um den Konj. Plusq. Hier bleibt natürlich der Konj. Plusq. der “Konstatierungskonstruktion” ausgeklammert, da er unter funktionalem Gesichtspunkt nicht mit dem Konj. Prät. oder Kond. I, sondern mit dem zuständlich gebrauchten Indikativ Perfekt zu konfrontieren ist (vgl. 5.4 und 10.3). Im vorliegenden Kapitel kommen zunächst Grenzen der temporalen Umfunktionierung zur Sprache (9.1). Anschließend wird auf das Verhältnis zwischen markierten und unmarkierten Formen in ausgewählten Bereichen eingegangen, in denen grundsätzlich beide Gruppen der Konjunktiv II-Formen zur Verfügung stehen. Hier handelt es sich nicht so sehr um Wettbewerb als vielmehr um ein Nebeneinander formal unterschiedlicher Ausdrucksmittel, das funktionale Differenzierungen ermöglicht. Diese betreffen teils die Dimension der Höflichkeit, Zurückhaltung u.Ä. im Diskurs (9.2), teils die zeitliche Situierung von Ereignissen in speziellen Kontexttypen, die auch Momente der Aspektualität mit einbegreift (9.3).1 Abschließend kommen ausgewählte Konkurrenzfälle zur Sprache (9.4), in denen temporal markierte und temporal unmarkierte Konjunktiv II-Formen im gleichen Kontext auftreten können, ohne dass eine Differenzierung in Hinsicht auf Höflichkeitsmomente, zeitliche Situierung oder Aspektualität konstatierbar wäre.
9.1 Distributionsbeschränkungen
Das in Kapitel 5 präsentierte Material zeigt, dass das Verwendungsgebiet des markierten Konjunktivs II sehr groß ist. Die temporale Umfunktionierung stößt aber an Grenzen, die hier zumindest angedeutet werden müssen. Mit “Beschränkungen” sind hier solche Fälle
1
Mit Andersson (2004: 6) seien hier unter dem Ausdruck “Aspektualität” (sowie unter “aspektual”) Aspekt, Aktionsart und Verbalcharakter (Leiss 1992) subsumiert. Diesem Oberbegriff ist auf jeden Fall die wichtige Differenzierung von Abgeschlossenheit und Nicht-Abgeschlossenheit beim temporal markierten Konjunktiv II zuzuordnen. Eine nähere Erörterung des Aspektualitätsbegriffs erscheint hier nicht erforderlich.
126 gemeint, in denen ein klares Ausscheiden dieses Konjunktivs II zu konstatieren ist oder eine nur sehr marginale Vorkommensmöglichkeit besteht. Zwischen diesen beiden Beschränkungstypen bestehen natürlich fließende Übergänge, die sich in der vorliegenden Arbeit nicht hinreichend klären lassen. Zur Beschränkungsproblematik gehört ein syntaktisches Phänomen, das hier nur knapp festgehalten werden kann und dessen nähere Untersuchung noch aussteht: In voll ausgeführten Konditionalgefügen oder ähnlichen Konstruktionen mit einem Nebensatz zweiter (dritter etc.) Ordnung – vgl. den dass-Satz in folgendem Beispiel – scheint der temporal markierte Konjunktiv II nicht (oder nur sehr beschränkt) verfügbar zu sein: (1)
Wenn ich davon ausgegangen wäre, dass Maiers Statistik stimmt, hätte ich in der kommenden Sitzung seinen Antrag unterstützt.
Bei den nachfolgenden Bemerkungen zu Distributionsbeschränkungen werden neben zeitreferenziellen Gegebenheiten auch mit verschiedenen Sprechakttypen verbundene Höflichkeitsmomente Berücksichtigung finden (zur Typologie der Sprechakte vgl. etwa Vater 2002: 183ff.). Dabei kann nur von ausgewählten Beispielen ausgegangen werden; eine exhaustive Behandlung der Beschränkungsproblematik unter Vergleich mit einem umfangreichen Belegmaterial für die unmarkierten Formen ist hier nicht durchführbar.
9.1.1 Zeitreferenziell bedingte Beschränkungen Die temporal markierten Formen des Konjunktivs II scheinen generell in solchen Fällen auszuscheiden, in denen ein irreal verstandener Sachverhalt durch den Gebrauch von seitPhrasen oder semantisch gleichwertigen Ausdrücken sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart lokalisiert wird. In solchen Fällen kämen nur die temporal unmarkierten Formen zur Verwendung: (2)
Wenn er diese Aktien vor zehn Jahren gekauft hätte, wäre er schon seit ein paar Jahren Millionär/würde er schon seit ein paar Jahren Millionär sein/*wäre er schon seit ein paar Jahren Millionär gewesen/*würde er schon seit ein paar Jahren Millionär gewesen sein.
Hier läge eine Parallele zur Nicht-Wahl des mit seit-Phrasen (u.Ä.) kookkurrierenden Indikativs Perfekt als Ausdruck eines Ereignisses vor, das in der Vergangenheit begonnen hat und zur Sprechzeit noch andauert; zur Anzeige dieser Situierung dient bekanntlich in der Regel der Indikativ Präsens (für Ausnahmen vgl. Dittmer 1978). Ein relativ klares Beispiel: (3)
Er ist schon seit ein paar Jahren Millionär/*ist schon seit ein paar Jahren Millionär gewesen.
Ferner kommt der temporal umfunktionierte Konjunktiv II für den Ausdruck eines zeitlosen irreal interpretierten Ereignisses nur sehr beschränkt in Frage. Dieses Phänomen wird – ohne dass eine Generalisierung erfolgt – bei Thieroff (1992: 271f.) berührt, wenn er bemerkt, dass der Konj. Plusq. in (4) deswegen ausscheidet, weil seine Wahl hier eine Ände-
127 rung des Zeitbezugs nach sich ziehen würde. Wir werden es hier mit einer Regularität zu tun haben: (4)
Wenn die Haifische Menschen wären, ... wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?
Zeitlose Ereignisse wie die in diesem Beispiel sind nicht ganz leicht zu unterscheiden von iterativ verstandenen Ereignissen, die eine beträchtliche zeitliche Ausdehnung haben. In folgendem Beleg für den Konj. Plusq. ist die vorgestellte Freundschaft auf sich wiederholende Situationen zu beziehen (vgl. u.a. die generische Deutung des Subjekts): (5)
Ich möchte keinem Menschen etwas Böses tun oder ihn gar verletzen. Nach diesem Grundsatz versuche ich zu handeln. So wie er für meinen persönlichen Bereich gilt, bezieht sich meine Ablehnung von Gewalt auch auf den staatlichen Bereich. [neuer Abs.] Der Soldat muß Menschen töten, gegen die er nichts, [sic] hat, die er nicht kennt und mit denen er außerhalb der Kriegssituation vielleicht hätte befreundet sein können. (de Witt et al. 112f.)
Die zeitliche Ereignis-Situierung in der Konj. Plusq.-Sequenz von (5) weicht aber von der in (4) nicht unwesentlich ab: Die vorgestellte Zeitspanne, in der Frieden herrscht, wird durch die Gegenüberstellung mit der jeweiligen Kriegssituation eingegrenzt. Bezüglich solcher Eingrenzung wäre an den Hinweis von Vater (2000: 103) anzuknüpfen, dass der Zeitrahmen etwa von Zwei mal zwei ist vier viel größer ist als der einer Feststellung wie Wählbar ist, wer das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, deren Zeitrahmen durch die Gültigkeit des Grundgesetzes gebildet wird. Angesichts dessen plädiert Vater (ebd.) dafür, Grade der Zeitlosigkeit zu unterscheiden. Entsprechendes wäre bei den mit temporal markierten Konjunktiv II-Formen ausgedrückten Ereignissen zu versuchen. Ein Ausscheiden dieser Formen wäre erst bei einem ziemlich hohen Zeitlosigkeitsgrad anzunehmen.
9.1.2 Beschränkungen bei höflichen Formulierungen In der bisherigen Forschung ist dem Vorkommen des temporal markierten Konjunktivs II in Höflichkeitskontexten wie auch dessen hier vorliegenden Beschränkungen wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Einschlägige Verwendungsbeispiele sind weder in der Übersicht über den “Konj. II der unverbindlichen Aussage” bei Flämig (1962: 25ff.) noch im Abschnitt “Diskretion und Höflichkeit” bei Weinrich (2003: 257) zu finden, der sich auf direktive Äußerungen mit Konj. Prät. und Kond. I konzentriert (eines seiner Beispiele: Würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?). Ferner beschränken sich die Bemerkungen zur Verwendung des Konjunktivs II im sog. “Modalitätskontext aus Höflichkeit” bei Zifonun et al. (1997: 1753) auf ausgewählte, den Konj. Prät. aufweisende Beispiele, bei denen es sich um “Einstellungsbekundungen” (Also mir läge doch sehr daran, daß [...]), “gesprächssteuernde Bemerkungen” (Und damit kämen wir wieder zum Kernpunkt der Bilanz [...]) oder “Feststellungen über Preise” (Und es käm pro Platte zweifünfzig [...]) handelt. Diesen Etikettierungen liegt keine systematische pragmatische Kategorienbildung zugrunde (eine exhaustive Darstellung wird offenbar nicht angestrebt), sie liefern aber im-
128 merhin Hinweise auf Bereiche, die den temporal unmarkierten Formen des Konjunktivs II weitestgehend vorbehalten bleiben. Zur weiteren Beleuchtung dieser Problematik lassen sich verschiedene pragmatische Angaben heranziehen, die Rohrer (1973) bei seiner Analyse standardsprachlich geprägter Rundfunkgespräche (über politische, literarische und wissenschaftliche Themen) in der Schweiz getroffen hat. Der Autor konzentriert sich auf solche Fälle, in denen der Konj. Prät. oder der Kond. I vorkommt, und geht dem mitunter möglichen Wechsel dieser Formen und des markierten Konj. Plusq. nicht nach (für einen eher punktuellen Hinweis zum höflich-vorsichtigen Gebrauch der letzteren Form s. 9.2). Von erheblichem Interesse ist vor allem auch Rohrers Ansatz pragmatisch orientierter Kontexttypen (1973: 188ff.), wie z.B. “Bitte an den Gesprächspartner” (Könnten Sie vielleicht über diese Frage einige Bemerkungen machen?), “Frage nach der Meinung des Gesprächspartners” (Also wären Sie doch mit mir einverstanden [...]?), “Äußerung einer abweichenden Meinung” (Ich würde jetzt das nicht so trennen), “Eingriff in den Gesprächsablauf” (Ich würde die Frage umkehren), “fachmännische Beantwortung einer Frage” (Da würd ich Ihnen zustimmen), “persönliche Formulierung” (Unsere Untersuchungen wurden doch, ich würde sagen, empirisch ausgerichtet). Die Kategorienbildung von Rohrer ist stark am kommunikativen Geschehen in den untersuchten Rundfunkgesprächen orientiert und wird das Spektrum des höflichen Gebrauchs des Konj. Prät. und Kond. I nur partiell abdecken. Sie kann aber zusammen mit den Beispielen der anderen, oben erwähnten Darstellungen dazu dienen, Einzelbereiche zu identifizieren, in denen der temporal umfunktionierte Konjunktiv II nicht oder nur sehr beschränkt zur Verfügung steht. In der vorliegenden Arbeit kann natürlich nicht versucht werden, eine systematische Klassifizierung der pragmatisch bestimmbaren Verwendungsweisen des temporal unmarkierten Konjunktivs II zu entwerfen, um auf solcher Basis Beschränkungen für die temporal markierten Formen detailliert zu erfassen. Hier seien nur zwei geläufige Gebrauchsweisen herausgegriffen, bei denen ein Rekurs auf die letzteren Ausdrucksmittel ausscheiden dürfte. Die temporal umfunktionierten Formen wären beispielsweise bei der höflichen Formulierung gegenwärtiger Auffassungen (u.Ä.) des Sprechers nicht verfügbar: (6)
Ich würde meinen, dass die meisten Popups immer noch per JavaScript aufgerufen werden. (http://www.antispam.de/forum/archive/index.php/t-235.html) (16.06.06)
Bei Wahl des Konj. Plusq. hätte gemeint ergäbe sich hier eine Bedeutungsverschiebung in Richtung Vergangenheitsbezug, es ist aber kaum der Gegenwartsbezug als solcher, der die temporal markierte Form in Fällen wie dem eben angeführten ausscheiden lässt, sondern eher die besondere pragmatische Qualität der Äußerung. Dafür spräche etwa die Tatsache, dass eine gegenwartsbezogene Form wie hätte gehabt (1. Pers. Sg.) in anderem (nämlich direktivem) Gebrauch auftritt (vgl. 9.2). Ein weiteres Beschränkungsfeld stellen einige Fragen und wenn-Sätze dar, die auf ausdrücklich genannte (also nicht nur kontextuell zu erschließende) Handlungen des Hörers zur Sprechzeit oder in einem nachfolgenden Intervall abzielen. Die höfliche Ausdrucksweise dient dazu, einen gewissen Handlungsspielraum des Kommunikationspartners zu suggerieren (vgl. etwa Weinrich 2003: 257, dort auch das erste der folgenden Beispiele):
129 (7) (8)
Wäre es Ihnen wohl möglich, diesen Brief für mich in den Briefkasten zu werfen? Wenn Sie jetzt netterweise die zweite Folie auflegen würden ... (Hörbeleg IDS Mannheim, 15.03.1995, Tagungsvortrag)
Eine Formulierung wie Wenn Sie jetzt die zweite Folie aufgelegt hätten ... wird Gegenwartsbezug und prozessuales Verständnis des Konj. Plusq. des vorliegenden Transformativums sowie Irrealität ausdrücken (vgl. 8.2.3) und aufgrund des letztgenannten Moments als Aufforderung nicht geeignet sein.2 Ein gegenwartsbezogenes, ebenfalls irreal zu deutendes wäre gewesen (vgl. 8.2.2) scheidet aus demselben modalen Grund als Alternative in (7) aus. Ähnlich gelagert sind Vorschläge des folgenden Typs: (9)
öh ich würde dann vorschlagen jetzt das Thema auch fortzusetzen [...] (Freiburg III, 90)
Auch in diesem Beispiel wäre die Wahl des irreal (und prozessual) zu verstehenden (transformativen) hätte vorgeschlagen unangemessen; der Vorschlag setzt ja Nicht-Irrealität seines Gegenstandes voraus.
9.2 Differenzierung in Hinsicht auf den Ausdruck von Höflichkeit u.Ä.
Für die zu besprechenden Bildungen, die z.T. unter Rekurs auf Sprechakttypen charakterisierbar sind, gilt generell, dass sie potentiale Ereignisse zum Ausdruck bringen, wobei die Potentialität durch den Kontext (im weiten Sinne) etabliert wird. Handelt es sich etwa um Wünsche, so sind diese als erfüllbar zu verstehen. In nicht wenigen Fällen scheint eine temporal markierte Form des Konjunktivs II einen höheren Grad von Höflichkeit, Zurückhaltung u.dgl. zu signalisieren als eine im selben Kontext mögliche temporal unmarkierte. Bei solcher Skalierung spielen allerdings neben der Wahl der Verbform auch deren lexikalische Füllung und anderes lexikalisches Material – z.B. Abtönungspartikeln wie (ein)mal oder eigentlich (s.u.) – eine Rolle, ebenfalls Intonation, Gestik und Mimik, ohne dass sich diese Faktoren hier berücksichtigen lassen. In Rohrers Arbeit wird derjenige markierte Konj. Plusq., der in höflichem Gebrauch mit unmarkierten Formen wechseln kann, nur einmal belegt (Rohrer 1973: 189): (10) Ich hätte eigentlich ganz gerne noch eine Frage an die Pädagogen gerichtet.
Zu diesem Beleg bemerkt der Autor (ebd.), die “Vermeidung des direkten Bezugs auf die gegenwärtige Realität, die schon beim gleichzeitigen K.II [Konjunktiv II] impliziert ist”,
2 Auch bei der denkbaren zuständlichen Interpretation dieses Konj. Plusq.-Beispiels ließe es sich
nicht direktiv verwenden.
130 erfahre hier “noch eine Steigerung”: “Die Bitte wird nicht nur in den Bereich des bloß Gedachten, sondern auch noch in die Vergangenheit gerückt – wobei diese temporale Aussage ebensowenig ‘wörtlich’ gemeint ist wie die modale Aussage des K.II.” Solch fiktive Einblendung der zeitlichen Dimension wäre in den generelleren Zusammenhang “interaktiver Distanzierung” zu stellen (vgl. Kapitel 10). Die höfliche Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II weist eine beträchtliche Variation auf. Mit ihm kann der Sprecher in Fällen wie (11) einen Wunsch äußern, der regelmäßig durch gern verdeutlicht wird, sein eigenes Handeln oder Reagieren betrifft und nicht nahe legt, dass der Hörer etwas Bestimmtes tun soll. Derartige Wunschbekundungen wären assertiver Natur; der Sprecher macht primär eine Aussage über die eigene psychische Befindlichkeit: (11) Ich fragte Weidel, wohin er gehe. Er sagte: “Weit weg und für lange.” – “Ich hätte auch einmal gerne fremde Länder gesehen”, erwiderte ich.3 (12) [Antwort von Sibylle Berg, Chefredakteurin der Schweizer Zeitschrift “Kult” auf die Frage des Interviewers: “Was würden Sie gerne mal über unsere Politiker in den Medien lesen?”] Ich hätte sehr gerne gelesen, dass Deutschland eine Bundespräsidentin hat. Ich würde auch gerne eine Kanzlerin sehen. Ich sähe gerne, dass 90 Prozent der männlichen Politiker sich auf ihre Gestüte zurückziehen. (http://www.storymaker.de/pdf/Newsletter%2006-04.htm) (14.10.07)
Sprecherseitige Wunschbekundungen, die den Handlungsspielraum des Kommunikationspartners nicht tangieren, können – wie (12) zeigt – mit temporal markiertem wie auch mit temporal unmarkiertem Konjunktiv II ausgedrückt werden, ohne dass die erstere Ausdrucksweise eindeutig als höflicher zu gelten hätte. Ich vermute, dass dies damit zusammenhängt, dass die betreffende Äußerung des Sprechers in den Handlungsspielraum des Partners nicht eingreift. Demgegenüber wird eine Wunschbekundung mit klar direktivem Einschlag u.U. eine Ausdrucksweise nahe legen, die die Einengung des hörerseitigen Handlungsspielraums möglichst abmildert. Zwischen der bloßen Wunschbekundung einerseits und der Kombination von Wunschbekundung und Bitte/Aufforderung andererseits wird eine scharfe Grenze allerdings nicht gezogen werden können. Etwa in folgendem Beleg könnte in der mit dem Konj. Plusq. ausgedrückten Wunschbekundung die leise Andeutung einer Bitte um eine hilfreiche Antwort mitschwingen, die dann im letzten Satz deutlich ausgesprochen wird: (13) Ich muss meine Chinchillas leider abgeben weil ich umziehen muss und sie nicht mit nehmen darf!! Ich hätte sie gerne in guten Händen gewusst mit bisschen erfahrung und Platz wo sie abundzu auch mal laufen können!! [...] Also bei interese bitte dringend melden! (htpp:// www.dhd24.com/azl/index.php?anz_id=8110352) (14.10.07)
Für die direktive Interpretation, bei der das hörerseitige Handeln irgendwie signalisiert werden muss, spielt natürlich der Kontext eine wichtige Rolle. In manchen Fällen liegt ein
3
Seghers, Anna (1966): Transit, 111. – O.O. [Reinbek bei Hamburg]: Rowohlt Taschenbuch Verlag (rororo 867).
131 festes Interaktionsmuster vor, in dessen Rahmen der Sprecher einen Wunsch äußert, auf den reagiert werden soll. Dabei ist der Adressat seiner Äußerung in der Regel Agens der Handlung, die zu vollziehen ist. Das direktive Moment wird meist ohne direkte Nennung dieser Handlung zum Ausdruck kommen, wie in den nachstehenden Belegen: (14) Und im Moment bin ich eh einfach der Meinung, dass 5 J. [für Kinder-Leichtathletik] ziemlich früh ist... Ich hätte gerne mal eure Meinungen gehört ... und vielleicht auch mal ein paar Ideen für abwechslungsreiches Training bei den Minis. (http://www.deutscher-leichtathletikverband.de/Dokumente/ProForumRot/show_all_user_postings.asp?id=2089) (02.11.07) (15) [ah:] Herr Hackmann sie haben eine Frage zu stellen an unsere Gesprächsrunde [ai:] ja und zwar hätte ich gerne gewußt wie definiert die Gesprächsrunde den Begriff Ehe? (Freiburg II, 330)
Die erbetene Handlung ist in (14) über die Implikationsbeziehung zwischen sprecherseitigem Hören und hörerseitigem Sagen identifizierbar. Entsprechendes gilt für das Verhältnis zwischen dem vorgestellten Wissen und dem Antworten in (15). Das vom Sprecher gewünschte Handeln lässt sich extra verdeutlichen durch eine von-Phrase wie die in (16), die auf das hörerseitige Geben verweist. Dasselbe gilt mutatis mutandis für die von-Phrase im Beleg (21) von 9.3 (relevant ist hier dessen Deutung als Bitte um Erklärung). (16) “Ich habe erfahren, daß Sie die Flugsafari zum Amboseli-Park schon gemacht haben. Wir haben für nächste Woche gebucht, deshalb hätte ich ganz gern ein paar Tips von Ihnen gehabt. Was muß man mitnehmen [...]?” (Sanders 227f.)
In den angeführten direktiven Beispielen weicht die Konstruktion mit der temporal markierten Form hinsichtlich der Modalitätsausprägung von einer Alternative mit Konj. Prät. oder Kond. I nicht ab, zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie etwas höflicher klingt. So scheint etwa (17) mehr Zurückhaltung und Rücksicht auf den Partner zu signalisieren als eine alternative Formulierung mit dem Kond. I: (17) Das hätte ich gerne heute Nachmittag mit Ihnen diskutiert. (18) Das würde ich gerne heute Nachmittag mit Ihnen diskutieren.
Ähnlich gelagert wäre das Verhältnis von (19) und (20). Bei (20) könnte es sich z.B. um eine Äußerung handeln, mit der ein Firmenchef ein Gespräch über ein für einen Mitarbeiter unangenehmes Thema ankündigt; (19) ist zurückhaltender: (19) Das hätte ich gerne heute Nachmittag mit Ihnen besprochen. (20) Das würde ich gerne heute Nachmittag mit Ihnen besprechen.
Mit (20) in der genannten Verwendung berühren wir die persönliche oder soziale Beziehung zwischen Sprecher und Hörer, die sicherlich den Höflichkeitsgrad einer Äußerung mit bedingt, ohne dass dieser Aspekt hier näher diskutiert werden könnte. Die Höflichkeitsmarkierung in der realen Kommunikation stellt – wie schon eingangs dieses Unterkapitels angedeutet – eine facettenreiche Problematik dar. Die mit der Variation der Konjunktiv II-Formen verbundene Beitrag zur Höflichkeitsdifferenzierung wurde oben an spärlichem Material erörtert und muss weiter geklärt werden im Rahmen systema-
132 tischer Untersuchungen, in die neben den rein sprachlich erfassbaren auch parasprachliche Phänomene sowie das persönlich-soziale Verhältnis der Kommunizierenden mit einzubeziehen wären.
9.3 Differenzierung in Hinsicht auf den Ausdruck zeitlicher Situierung
Wir können uns jetzt Kontexttypen zuwenden, bei denen nicht Höflichkeitsaspekte, sondern Besonderheiten der zeitlichen Situierung in Konstruktionen mit gegenwarts- oder zukunftsbezogenen Formen des markierten Konjunktivs II besonderes Augenmerk verdienen. Dabei sind auch Aspektualitätsmomente von Interesse. Das in Kapitel 7 im Zusammenhang mit der prospektiv-retrospektiven Sichtweise besprochene Abgeschlossenheitsmerkmal des Partizips II lässt sich auch bei der Darstellung von Gegenwärtigem funktional ausnutzen: Es ermöglicht einen Rückblick auf Vergangenes, der bei Wahl der temporal unmarkierten Formen nicht zum Ausdruck kommt. Als ein spezielles Beispiel sei zunächst ein Ausschnitt aus einem Diskussionsbeitrag angeführt: (21) Ich hätte gern dazu was von Ihnen gehört. (Hörbeleg IDS Mannheim, 17.03.2005; Diskussion nach einem Tagungsvortrag)
In einem Gespräch nach der Diskussion bemerkte der Sprecher mir gegenüber, er habe bei dieser Formulierung zwei Gedanken im Kopf gehabt: a) vorsichtige Kritik an einer Aussage im Vortrag (d.h. Bezug auf Vergangenes) und b) höfliche Bitte um Klärung (“jetzt”). Eine solche zeitliche Duplizität ist offenbar durch würde hören nicht auszudrücken. Von größerer Bedeutung ist das Abgeschlossenheitsmerkmal des temporal markierten Konjunktivs II im Transpositionskontext (vgl. 4.2), wo es die Grundlage für eine nicht uninteressante zeitlich-aspektuale Differenzierung gegenüber den unmarkierten Formen bildet. Es ist davon auszugehen, dass die hier beobachtbaren Formen in Hinsicht auf die Anzeige der Irrealität kontextbedingt dieselbe Funktion erfüllen und dass in anderen Punkten Unterschiede auftreten können, die der zeitlichen Dimension angehören. Zur Konkretisierung sei folgender Originalbeleg zitiert: (22) [Anzeige einer Fluggesellschaft] Würde Marco Polo heute fliegen – wir sind sicher, wir könnten mit seinem Beifall rechnen. Er hätte mit uns noch bessere Geschäfte gemacht. (Der Spiegel 19.03.1984, 131)
Hier wäre mit der Wahl des Konj. Plusq. in hätte mit uns noch bessere Geschäfte gemacht eine Einblendung von Vergangenheit verbunden: Marco Polo wird nicht nur als erfolgreicher Geschäftspartner in der Gegenwart vorgestellt, seine erfolgreiche historische Tätigkeit wird mit evoziert. Bei Rekurs auf die im Kontext mögliche Alternative würde machen käme diese doppelte zeitliche Perspektive nicht mehr (oder nicht mehr so klar) zum Ausdruck. Die Ausblendung der Vergangenheit, wie sie eindeutig in der Sequenz mit würde fliegen und könnten in (22) vorliegt, hängt offenbar damit zusammen, dass die unmarkierten Formen das Bedeutungsmerkmal der Abgeschlossenheit nicht besitzen.
133 Das Abgeschlossenheitsmoment wird es andererseits mit sich bringen, dass der temporal markierte Konjunktiv II im Transpositionskonstext für den Ausdruck von Gegenwärtigem mit fließender Grenze zu Zukünftigem wenig geeignet ist, d.h. auf diesem speziellen Gebiet zu den unmarkierten Formen kaum in Wettbewerb tritt. Der Konj. Prät. und der Kond. I lassen häufig Zukünftiges mitschwingen, sind zeitreferenziell grundsätzlich offener, wobei sich die letztere Form in dieser Hinsicht von der ersteren kaum unterscheidet. Zur Erhärtung meiner Annahme über die Wichtigkeit des partizipialen Merkmals [+Abschluss] für funktionale Differenzierungsmöglichkeiten, die mit der Wahl des Konj. Plusq. gegenüber Konj. Prät. und Kond. I im Transpositionskontext verbunden sind, soll ein längerer Textausschnitt unter diesem Aspekt analysiert werden (relevante Stellen hier durch eingeklammerte Kleinbuchstaben markiert): (23) [a] Könnten Sie ihn heute im Konzertsaal hören? [Überschrift, rechts davon Bild von Max Planck] [b] Hätte Max Planck [...] heute vielleicht der Physik den Rücken gekehrt und sich seiner zweiten Begabung zugewandt: der Musik? Der Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1918, der schon mit 27 Jahren Professor war, mit 42 die Grundlagen der Quantenphysik entwickelte, die Albert Einstein dann verallgemeinerte und die Niels Bohr auf den Aufbau des Atoms anwandte, war lange im Zweifel, ob er Physik studieren sollte. Der Physiker Philipp von Jolly hatte sogar abgeraten. Seine Begründung: in der theoretischen Physik sei fast alles geklärt. [c] Heute wären es wohl andere Gründe, die Max Planck, der das absolute Gehör besaß, von der Physik zur Musik hätten wechseln lassen. [d] Der hochbegabte Naturwissenschaftler müßte sehr lange auf einen Lehrstuhl an einer deutschen Universität warten. Vielleicht sogar vergebens. Denn nur jeder vierte habilitierte Mathematiker und Naturwissenschaftler eines Jahrgangs kann heute im günstigsten Fall mit einer Professur rechnen. Die Folge: junge Forscher – meist die hochbegabten unter ihnen – gehen ins Ausland oder wandern in andere Berufe ab. Oft für immer. Nicht abwegig deshalb der Schluß: [e] ein Max Planck würde in unserer Zeit vielleicht eher seinen Weg im Konzertsaal suchen. [f] Seine spezielle naturwissenschaftliche Begabung hätte er auf diese Weise kaum beweisen können. Dieser Entwicklung wollen wir entgegenwirken. Deshalb möchten wir an unseren Hochschulen durch private Initiative Stiftungsprofessuren schaffen. [...] (Hessische/Niedersächsische Allgemeine 26.07.1987, unpaginierte Seite: “Ratgeber”; Anzeige des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft)
In [a] findet entsprechend der oben erwähnten allgemeineren, tendenziell offeneren Zeitreferenz des Konj. Prät. diese Form von können Verwendung, wobei ein in der Vorstellung wiederholtes Ereignis angesprochen wird (Max Planck wird als regelmäßig auftretender Musiker imaginiert); der Konj. Plusq. hätten können würde eher eine Situation reflektieren, in der der Angesprochene irgendwie verhindert war, ein bestimmtes Konzert zu besuchen, und die Frage würde hinterher gestellt. Gemäß der in der Überschrift implizierten Musiker-Tätigkeit wird in [b] durch die Wahl des Konj. Plusq. eine Entscheidung gegen die Physik als getroffen und eine Zuwendung zur Musik als vollzogen vorgestellt. Entsprechendes gilt in [c] für ... von der Physik zur Musik hätten wechseln lassen; hätten lassen indiziert über das Merkmal [+Abschluss] des partizipial fungierenden lassen (als sog. “Ersatzinfinitiv” im Rahmen der Form Konj. Plusq.) einen als vollzogen zu deutenden Wechsel (der Infinitiv wechseln erhält in regulärer, wohlbekannter Weise über die Form des übergeordneten Verbs eine zeitliche Cha-
134 rakteristik). Die Gründe werden dagegen durch unmarkiertes wären als in der Gegenwart andauernd (und auch für die Zukunft gültig) charakterisiert; wären gewesen hätte hier Vergangenheitsbezug, wäre also eine im Kontext nicht angemessene Form. In [d] geht es um ein imaginiertes Warten (als kursiv zu verstehendes Ereignis), das durch den Konj. Prät. des Modalverbs eine relativ offene temporale Fixierung erfährt (diese Form übernimmt hinsichtlich der zeitlichen Situierung des infinitivisch bezeichneten Ereignisses eine Stellvertreterfunktion, die – bei anderem Zeitbezug – grundsätzlich der eben für hätten lassen konstatierten entspricht): Max Planck wird als wartend vorgestellt, und das im nachfolgenden Satzfragment auftretende vergebens verweist auf die Nutzlosigkeit des Wartens. Die Form hätte müssen würde sich mit diesem Adverbial kaum vertragen, indem sie leicht ein erfolgreiches, durch einen Lehrstuhl belohntes Warten indizieren würde (auch hier käme das Abschlussmoment zum Tragen, wobei das Warten wohl in grenzbezogener Richtung verstanden würde). Das kursiv zu interpretierende Suchen in [e] scheint nahe zu legen, dass der generisch gefasste Max Planck in der Vorstellung noch vor einer Entscheidung bezüglich der Berufswahl steht; das Suchen gälte als nicht abgeschlossen, was durch den zeitreferenziell offeneren Kond. I angezeigt wird. Durch den hier auch möglichen Konj. Plusq. hätte gesucht käme über [+Abschluss] eine andere zeitliche Perspektive zum Ausdruck: Die Entscheidung für die Musik (und gegen die Physik) würde als schon gefallen vorgestellt. In [f] schließlich dürfte wieder das Abschlussmoment die Wahl der markierten Form bedingen. Es geht primär um ein gegenwärtiges Nicht-beweisen-Können, es hat aber auch den Anschein, als ob die wissenschaftliche Leistung Plancks mit eingeblendet würde: An die Tatsache, dass er seine naturwissenschaftliche Begabung hat beweisen können, wird indirekt durch hätte können erinnert (das hier also Vergangenes mit anzeigt). Letzteres käme durch könnte nicht mehr zum Ausdruck (zumindest nicht klar). Es läge mithin bei der Wahl des Konj. Plusq. eine Parallele zur doppelten Perspektivierung der historischen Figur vor, wie sie an der Sequenz mit hätte gemacht in (22) veranschaulicht wurde. Zum Transpositionskontext gesellen sich ein paar Nebensatztypen, in denen eine feste Modalitätsausprägung vorhanden ist, nämlich Nebensätze mit ohne dass (vgl. 5.2.11), dass-Sätze, die sich an eine Negation im Hauptsatz anschließen (vgl. 5.2.8) und Relativsätze mit negiertem Bezugselement (vgl. 5.2.9). Hier ist eine mit der Art des Vollverbs verknüpfte aspektuale Variation zu beobachten: Bei Gleichbleiben der Irrealität kann bei gegenwartsbezogenen Formen von Transformativa ein mit dem Abgeschlossenheitsmerkmal verbundener Gegensatz von zuständlichem – vgl. (24), (26) und (28) – vs. prozessualem, durch temporal unmarkierte Formen angezeigtem Verständnis auftreten. Letzteres legt allerdings u.U. einen anderen Kontext nahe: Bei Substitution des Konj. Plusq. durch den Konj. Prät. in einem Fall wie (24) – vgl. (25) – wäre ein vorangehender Satz mit Indikativ Präsens (versteht) zu erwarten. Entsprechendes gälte aber nicht bei Wahl des Kond. I in (26), vgl. (27). Für den Typ des Relativsatzes sei (61) von 5.2 als (28) verkürzt wiederholt. (24) Besonders beeindrucken mich die Bauten von Louis Kahn. Er hat es in wunderbarer Weise verstanden, Material, Raum und Funktionserfüllung zu verbinden, ohne dass ein Aspekt zugunsten der anderen zu kurz gekommen wäre. (Kulturchronik 6/1999, 43) (25) ... ohne dass ein Aspekt zugunsten der anderen zu kurz käme.
135 (26) Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben sie [Arditti String Quartet] sich stets auf das Repertoire des 20. Jahrhunderts konzentriert. Was nicht heißt, dass sie sich von der Tradition abgekoppelt hätten. Sie kennen und bekennen sich zum Erbe [...]. (Kulturchronik 5/1999, 27) (27) Was nicht heißt, dass sie sich von der Tradition abkoppeln würden. (28) Es gibt auch kein Beispiel, das das Gegenteil hervorgezaubert hätte, so sehr ich dies bedaure. (29) Es gibt auch kein Beispiel, das das Gegenteil hervorzaubern würde, so sehr ich dies bedaure.
Ähnliche Differenzierungen wären bei Intransformativa denkbar. Hier kann leider nicht auf Originalbelege zurückgegriffen werden. Die folgenden Beispiele lassen bei Gleichbleiben der Irrealität die Differenzierung von Endzustand und Nicht-Veränderung (vgl. 3.2) erkennen, wobei eine je verschiedene kontextuelle Einbettung anzunehmen ist: (30) ... ohne dass sich diese Bräuche bis heute vollständig erhalten hätten. (31) ... ohne dass sich solche Bräuche über längere Zeiträume hinweg vollständig erhielten/erhalten würden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: An den angeführten Beispielen wird erneut die Relevanz der Aktionsart für die genaue zeitliche Situierung deutlich (vgl. Kapitel 7). Bezüglich der Aspektualität ist einschränkend anzumerken, dass das mit dem Partizip II von Transformativa und Intransformativa verknüpfte Abschlussmoment der temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen nur bei deren nicht-ganzheitlichem Gebrauch zum Tragen kommt; beim ganzheitlichen ist dieses Spezifikum nicht mehr realisiert (zur Unterscheidung der beiden Verwendungsweisen vgl. Kapitel 8).
9.4 Konkurrenzfälle Es kommt mitunter auch vor, dass temporal markierte und temporal unmarkierte Formen des Konjunktivs II im gleichen Kontext auftreten, ohne dass eine Differenzierung in Bezug auf zeitliche Situierung, Höflichkeitsmomente oder Aspektualität feststellbar wäre. Im Folgenden wird auf solche Fälle fokussiert, in denen man es mit Verbtypen (z.B. Modalverben oder zustandsbezeichnenden Kursiva) zu tun hat, deren temporal markierte Formen im Rahmen der betreffenden zeitlichen Situierung in voraussagbarer Weise Irrealität zum Ausdruck bringen. Hier eine erste Exemplifizierung modaler Gleichwertigkeit: (32) Ach, wäre sie doch jetzt hier/wäre sie doch jetzt hier gewesen! (33) Bei besserem Wetter könnten wir ja jetzt draußen sitzen/hätten wir ja jetzt draußen sitzen können.
Erhebliches Interesse kommt komplexer gelagerten Fällen zu, in denen der Textzusammenhang durch Irrealität gekennzeichnet ist. Als Beispiel sei der Wechsel hätten können – gäben ab – hätten können in folgendem Textausschnitt angeführt (kapituliert hätten drückt Vergangenheit aus und ist hier auszuklammern):
136 (34) [Krull hat sich gerade durch schauspielerische Tricks dem Militärdienst entzogen; er ist für dienstuntauglich erklärt worden. Kommentar des Unterbefehlshabers:] “Schade”, sagte er, indem er mir zusah; “schade um Sie, Krull, oder wie Sie sich schreiben! Sie sind ein properer Kerl, Sie hätten es zu was bringen können beim Militär. Das sieht man jedem gleich an, ob er es zu was bringen kann bei uns. Schade um Sie; Sie haben das Zeug auf den ersten Blick, Sie gäben gewiß einen feinen Soldaten ab. Und wer weiß, ob Sie nicht Feldwebel hätten werden können, wenn Sie kapituliert hätten!” (Beleg bei Leirbukt 1991: 185)
Hier wäre gäben ab mit hätten abgegeben in modaler Hinsicht mehr oder minder gleichwertig, da die Irrealität im vorangehenden Kontext ganz deutlich wird. Dahingegen wäre hätten können am Ende des Zitats nicht durch könnten ersetzbar. Hier scheint der vergangenheitsbezogene wenn-Satz mit dem Konj. Plusq. den Blockierungsfaktor so klar in Erinnerung zu rufen, dass die komplexere Form des Modalverbs, die einen besonders klaren Irrealitätsausdruck darstellt (vgl. 8.2.1) gebraucht werden muss. Schließlich gibt es Fälle, in denen ein Nebensatz als untergeordnete Konstituente eines Satzes, der Teil einer größeren (voll ausgeführten oder elliptischen) Konstruktion ist, eine temporal unmarkierte Form statt einer temporal markierten aufweist, vgl. heiratete in (35): (35) [Wolfgang hat Tanja klar gemacht, dass er sie nicht heiraten wird. Seine Tochter Heike sagt zu ihr:] “[...] Du hast dich hier als Schloßherrin aufgespielt. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hast du Tante Katharina gegenüber behauptet, Vati und du wäret euch einig und wolltet heiraten. Von alldem ist kein Wort wahr.” Heike sagte das sehr ruhig, aber bestimmt. Sie fügte noch hinzu: “Wir hätten es aber nicht zugelassen, daß Vati dich heiratete. Meine Geschwister mögen dich nicht. Du bringst keinerlei Verständnis für sie auf und zankst sie nur aus. Eine gute, liebevolle Mutter würdest du nie abgeben. Es hat bei dir ja nicht mal zur Freundin gereicht.” (Beleg von Leirbukt 1991: 185f.)
In (35) würde ich die zugelassen-Sequenz als ein verkapptes Konzessivkonditional deuten, in dem aber Adversativität signalisiert und der Zusammenhang eine Deutung in Richtung ‘auch wenn ihr hättet heiraten wollen, wir hätten es nicht zugelassen’ nahe legt. Der unklare Konj. Prät. heiratete ist vielleicht nicht für alle Sprachteilhaber ganz akzeptabel, reicht aber kontextgestützt zur Kennzeichnung der Irrealität aus (geheiratet hätte als ganzheitlich verwendete Form des transformativen heiraten wäre im Kontext eine Alternative). Das kursive und rein prospektive würdest abgeben wird sodann anstelle eines kursiven und rein prospektiv auffassbaren hättest abgegeben benutzt, wobei die Irrealität ähnlich wie beim Rekurs auf das prospektive und kursive gäben ab in (34) kontextuell festgelegt wird. Die modal verstandene Konkurrenz zwischen dem temporal umgedeuteten Konjunktiv II und dem Konj. Prät./Kond. I lässt sich in der vorliegenden Arbeit nicht exhaustiv behandeln. An dieser Stelle sei nur ein gemeinsamer Zug der angeführten Beispiele für modale Gleichwertigkeit im Sinne einer irrealen Interpretation festgehalten: Hier weichen die beiden Formengruppen bezüglich der Art des Verbs und bezüglich der Art der zeitlichen Situierung der mit ihnen ausgedrückten Ereignisse voneinander nicht ab.
10 Temporal markierter Konjunktiv II im Dienst modaler und interaktiver Distanzierung
Im vorliegenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden, auf dem Vorkommensgebiet des temporal umfunktionierten Konjunktivs II zwei Arten von “Distanzierung” zu unterscheiden, die mit den Bezeichnungen “interaktive Distanzierung” resp. “modale Distanzierung” belegt werden (“modal” knüpft an die schon in 1.1 dargelegte Modalitätsdefinition an, die auf das Verhältnis eines Sachverhalts zur Wirklichkeit bezogen ist). Die erstere Distanzierungsart begegnet primär im Diskurs als Domäne der sprachlichen Interaktion (die typischerweise bei unmittelbarem Kontakt zwischen Sprecher und Hörer stattfindet) und soll zunächst (in 10.1) zusammen mit der letzteren eine knappe Charakterisierung erfahren. Anschließend geht es (in 10.2) um die Grundbedeutung ‘nur vorgestellt’ und Potentialität resp. Irrealität als kontextbedingte Ausprägungen dieser Grundbedeutung sowie um den Beitrag des Nicht-Vergangenheitsbezugs des partiziphaltigen Konjunktivs II zur Irrealitätskennzeichnung. Mit der letztgenannten Frage ist die nach dem Verhältnis von temporaler Markiertheit und modaler Markiertheit im Sinne einer besonderen, klaren Irrealitätsanzeige eng verknüpft. Schließlich sollen (in 10.3) unter Anknüpfung an Beobachtungen von 9.2 semantisch-pragmatische Spezifika der interaktiven Distanzierung näher besprochen und formale Eigenschaften der entsprechenden Konstruktionen erwähnt werden, wobei das Verhältnis zur modalen Distanzierung unter metonymischer Perspektive zu deuten versucht wird. Ein entsprechender Rekurs auf die temporale Dimension – genauer: auf ein Vergangenheitsmoment – wäre auch von einiger Relevanz.
10.1 Allgemeines Im Folgenden wird die in der Literatur anzutreffende Annahme von “Distanzierung” als Merkmal des Konjunktivs II aufgegriffen, und zwar unter Konzentration auf das untersuchte Vorkommensgebiet des Konjunktivs II. Das Distanzkonzept ist unter allgemeinerem Gesichtspunkt nicht nur auf die variable Relation eines konjunktivisch bezeichneten Sachverhalts zur Wirklichkeit bezogen worden (vgl. etwa Hinweise zur “modalen Entferntheit” bei Thieroff 1992: 281ff., mit Literatur), sondern auch auf Höflichkeit, Zurückhaltung u.Ä. im Diskurs. Das Phänomen der interaktiven Distanzierung berührt z.B. Flämig (1962: 26), indem er auf “die mittelbare und distanzierende Form” in seinem Beleg (1) hinweist, durch deren Wahl (so der Autor) ein direkter Vorwurf vermieden wird. Ähnlich bemerken Heidolph et al. (1984: 533) mit Bezug etwa auf (2), die Äußerung werde “mit Rücksicht auf den Partner nicht endgültig festgelegt und als unter bestimmten Voraussetzungen geltend verstanden”; es liege eine “subjektive Distanzierung” vor. (1) (2)
“Nein”, sagte Schridaman, “ich hätte so etwas nicht von dir erwartet.” Könnten Sie mir sagen, wie spät es ist?
138 Im Anschluss an eine generelle Bestimmung der Konjunktivformen als Ausdruck “eingeschränkter Geltung” wird ferner bei Heidolph et al. (1984: 522) festgestellt, solche Geltungseinschränkung sei auch als “Distanzierung des Sprechers vom vollen allgemeingültigen Inhalt des Gesagten zu verstehen, wodurch dem Hörer bestimmte Orientierungen über das kommunikative Verhalten des Partners ermöglicht werden sollen” (Hervorh. im Orig. vernachlässigt). Bei Weinrich (2003: 248) schließlich gilt der “restriktive Konjunktiv” (d.h. der Konjunktiv II) durchgehend als Ausdruck “eingeschränkter Geltung”, was auch in einem auf direktive Äußerungen fokussierten Abschnitt (“Diskretion und Höflichkeit”) illustriert wird (2003: 257). Dieses Merkmal sei hier (mit Heidolph et al. 1984) teils auf das Verhältnis eines konjunktivisch ausgedrückten Sachverhalts zur Wirklichkeit aus der Sicht des Sprechers bezogen, teils auf dessen Verhältnis zur eigenen Äußerung. Die eingeschränkte Geltung bildet m.a.W. die Brücke zwischen der Einschätzung von Sachverhalten hinsichtlich des Realitätsbezugs und der Einschätzung von Äußerungen hinsichtlich deren kommunikativer Angemessenheit u.Ä. (unter dem letztgenannten Gesichtspunkt kommt – wie in 9.2 gezeigt wurde – der Variation der Formen des Konjunktivs II erhebliches Interesse zu). Die interaktive Distanzierung scheint mir übrigens mit der Abstufung der Sprechersicherheit im Konditionalgefüge und anderen Konstruktionstypen verwandt zu sein, wie sie beispielsweise durch vielleicht, möglicherweise u.Ä. angezeigt wird (vgl. 4.3). Auch durch solche Mittel drückt der Sprecher eine Evaluierung der eigenen Äußerung ein, beispielsweise indem er den Grad der Sicherheit seiner Behauptung über das Zutreffen der Beziehung p–>q kennzeichnet. Solche Evaluierung kann (wie in 4.3 gezeigt) sowohl bei irrealem wie auch bei potentialem Verständnis der betreffenden Sachverhalte auftreten; sie ist prinzipiell unabhängig von deren Einschätzung hinsichtlich der Relation zur Wirklichkeit, d.h. nicht der modalen Dimension (in der in dieser Arbeit zugrunde gelegten Definition) zuzuordnen. Vor dem skizzierten Hintergrund werden hier solche Bildungen, in denen der temporal markierte Konjunktiv II (in aller Regel: der Konj. Plusq.) der Anzeige von Höflichkeit, Zurückhaltung etc. im Diskurs dient, einem eigenen Funktionsbereich zugeordnet, der jenem gegenüberzustellen ist, für den Abstufungen auf der Wahrscheinlichkeitsskala angesetzt werden können. Für das letztere Gebiet sei die Bezeichnung “Bereich der modalen Distanzierung” und für das erstere “Bereich der interaktiven Distanzierung” reserviert. Da es hier nicht immer um Höflichkeit geht (vgl. etwa die mögliche Heckenfunktion des Konj. Plusq. in der “Konstatierungskonstruktion”: Jetzt hätten wir das Problem gelöst), wird “Höflichkeitskontext” als übergreifende Benennung bewusst nicht gewählt. Im Bereich der modalen Distanzierung (als dem weitaus größeren Vorkommensgebiet des fraglichen Konjunktivs) sind die potentiale und die irreale Sachverhaltsdeutung grundsätzlich realisier- und unterscheidbar. Im Bereich der interaktiven Distanzierung hingegen kann die potentiale Interpretation, soweit sie sich hier erkennen lässt, einer irrealen nicht gegenübergestellt werden. Die Möglichkeit der Gegenüberstellung von potentialer und irrealer Ereignisdeutung im Bereich der modalen Distanzierung müsste relativ abstrakt verstanden werden: Es wäre davon auszugehen, dass beispielsweise keine Blockierung der ersteren Interpretation besteht, die grundsätzlich vom Typ der Konstruktion oder Äußerung her determiniert wäre. Wird der Kontext dagegen detailliert berücksichtigt, lässt sich die Potentialität u.U. nicht mehr ausdrücken. Von dieser Erscheinung, wie sie an (3) veranschaulicht sei, wird beim Ansatz
139 des prinzipiell möglichen Wechsels der beiden Modalitätsausprägungen abgesehen (potentiale Lesart des Konj. Prät. im folgenden Beispiel unterstellt). (3)
Schade, dass Onkel Peter nicht zur Hochzeit kommt. Es wäre ja schön gewesen, wenn er dabei gewesen wäre./?Es wäre ja schön, wenn er dabei wäre.
Eine scharfe Grenzziehung zwischen den beiden Funktionsbereichen scheint allerdings nicht möglich; man vergleiche etwa die Koppelung von höflicher Wunschbekundung und Potentialität des zukünftigen Ereignisses im Rahmen einer konditionalen Konstruktion des folgenden Typs: (4)
Es wäre schön, wenn Sie die Arbeit bis Ende nächster Woche erledigt hätten.
Die Unterscheidung Bereich der modalen Distanzierung vs. Bereich der interaktiven Distanzierung erhebt keinen Anspruch auf allgemeine Relevanz für die Beschreibung des deutschen Konjunktivs in seinen vielfältigen Gebrauchsweisen. Sie ist zunächst auf die Beschreibung des temporal markierten Konjunktivs II in seinem Verhältnis zu den temporal unmarkierten Formen unter den am Anfang dieses Kapitels präsentierten Hauptgesichtspunkten zugeschnitten, wäre aber auch für die Beschreibung des Konj. Prät. und Kond. I relevant. Ein Beispiel wie Ich hätte einen Vorschlag ist kontextbedingt etwa als eine Aussage über Irreales oder als ein höflicher Hinweis auf etwas Vorzuschlagendes deutbar, wäre mithin als ein Fall modaler resp. interaktiver Distanzierung zu verstehen. Dieser Problematik lässt sich jedoch hier nicht nachgehen; der Schwerpunkt muss im Weiteren auf dem temporal umfunktionierten Konjunktiv II liegen.
10.2 Der temporal markierte Konjunktiv II als Ausdruck der modalen Distanzierung Im Folgenden soll zunächst der Frage nach der Validität der Annahme von ‘nur vorgestellt’ als Grundbedeutung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II und der Gegenüberstellung von Irrealität und Potentialität als Ausprägungen dieser Grundbedeutung genauer nachgegangen werden. In dem Zusammenhang ist auch zu erörtern, welchen Beitrag der Nicht-Vergangenheitsbezug zur Irrealitätskennzeichnung leistet. Damit hängt (wie oben angedeutet) die Frage nach dem Verhältnis von temporaler und modaler Markiertheit zusammen. Diese beiden Fragen stellen sich m.E. nur für den Bereich der modalen Distanzierung, denn nur hier tritt (wie schon gesagt) die irreale Sachverhaltsdeutung auf. Auf solche Konzessivkonditionale, in denen die Realis-Lesart vorkommt (vgl. 5.2.3), trifft die Grundbedeutung ‘nur vorgestellt’ natürlich nicht zu. Ansonsten scheint sie für den Bereich der modalen Distanzierung ansetzbar zu sein, und die Unterscheidung von irreal und potential aufzufassenden Sachverhalten auf der Grundlage des sprecherseitigen Prämissenstandes bereitet hier keine nennenswerten Schwierigkeiten: In meinem Korpusmaterial ist vom Kontext her in aller Regel relativ leicht entscheidbar, ob die eine oder die
140 andere Lesart vorliegt. Hier kooperieren die temporal umfunktionierten Konjunktiv IIFormen – wie in Kapitel 4 festgestellt – mit nicht-verbalen Ausdrucksmitteln für die jeweilige Ausprägung der hypothetischen Bedeutung. Diese funktionale Kooperation konnte allerdings nicht ausführlich untersucht werden. An dieser Stelle sei nur an einige Beispiele komplexer Modalitätsanzeige erinnert, an der nicht-verbale Mittel in hohem Maße beteiligt sind (vgl. 4.2). Eine komplexe Irrealitätsmarkierung ist zunächst für ein paar syndetische Nebensätze feststellbar, etwa für dass-Sätze, die mit einem Hauptsatz verbunden sind, der ein Negationselement und sein enthält (Es ist nicht so, dass wir alles vergessen hätten). Die Irrealität des Nebensatz-Sachverhalts wird direkt durch die Negation im Hauptsatz signalisiert, und der Konjunktiv II spielt eine eher sekundäre Rolle. Ähnliches gilt für ohne dass-Sätze, in denen das Negation implizierende ohne im Regelfall ein irreales Verständnis der hier ausgedrückten Sachverhalte festlegt (Man hat die Angelegenheit schon ein paar Mal diskutiert, ohne dass man weiter gekommen wäre). Ferner erfolgt eine klare Irrealitätsmarkierung in einem nachgestellten wenn-Satz mit da + Negation oder einem asyndetischen Äquivalent mit diesen Elementen (... wenn da nicht das neue finanzielle Problem aufgetaucht wäre). Bei Bildungen mit beinahe/fast/um ein Haar/ums Haar + Konj. Plusq. schließlich tritt eine Irrealität auf, die hauptsächlich durch diese Adverbiale indiziert wird. Auf dem Gebiet der potentialen Ereignisdeutung ist für Subjunktoren wie angenommen, gesetzt den Fall u.Ä. eine klare Indikatorfunktion festzuhalten, und eine ähnliche Weichenstellung erfolgt durch das Einleitungselement der es sei denn-Konstruktion. Auch in diesen Fällen hat der temporal umfunktionierte Konjunktiv II eine eher unterstützende Funktion. – Hinzu kommt noch z.B. der Beitrag zur Potentialitätsanzeige von vielleicht und damit verwandten Ausdrücken für einen “mittleren” Wahrscheinlichkeitsgrad im Konditionalsatz und dem mit ihm vergleichbaren Nebensatz des Konzessivkonditionals. Von den präsentierten Daten her ließe sich jetzt versuchen, den Beitrag des temporal umgedeuteten Konjunktivs II zur Kennzeichnung der vom sprecherseitigen Prämissenstand her bedingten irrealen Sachverhaltsinterpretation zu bestimmen. Bei der Diskussion dieser Frage muss m.E. sehr differenziert vorgegangen werden. Wenn man die in Rede stehenden Ausdrucksmittel rein als Formen betrachtet (z.B. als Konj. Plusq. vs. Konj. Prät.), d.h. ohne ihre lexikalische Füllung oder die Art der zeitlichen Situerung der jeweiligen Ereignisse zu berücksichtigen, ist der These etwa von Jäger (1971: 161) zuzustimmen, dass der Konjunktiv II, egal in welcher Form er auftritt, zur Signalisierung der Differenz zwischen erfüllbaren und unerfüllbaren Bedingungen – oder genereller ausgedrückt: zwischen potential und irreal verstandenen Sachverhalten – keinen Beitrag leistet. Diese These gilt jedenfalls dann, wenn sie auf den Untersuchungsbereich der vorliegenden Arbeit bezogen wird. Das scheint mir für die temporal markierten ebenso wie für die temporal unmarkierten Formen zuzutreffen. Insofern muss die auf die modale Dimension bezogene Annahme von Markiertheit des nicht-vergangenheitsbezogenen Konj. Plusq. und Unmarkiertheit des temporal entsprechenden Konj. Prät./Kond. I (vgl. etwa Leirbukt 1991) empirisch zu relativiert werden. Erst wenn man die jeweilige Form des temporal umfunktionierten Konjunktivs II in ihrer lexikalischen Füllung, d.h. die Art des partizipial auftretenden Verbs (insbesondere dessen aktionsartliche Qualität), sowie die Dimension der zeitlichen Situierung der betreffenden Ereignisse voll in den Blick nimmt, kann man Voraussagen zur Signalisierung von Irrealität vs. Potentialität treffen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise an die Ir-
141 realitätsanzeige durch gegenwartsbezogene Modalverbformen und strikt gegenwartsbezogene Formen zustandsbezeichnender Kursiva zu erinnern (vgl. die Übersicht in Kapitel 8). Andererseits ist festzuhalten, dass der Zeitbezug nicht gänzlich ohne Relevanz ist. In ein paar Fällen lässt sich die Differenzierung von Gegenwarts- und Zukunftsbezug für die Erklärung des Auftretens von Potentialität vs. Irrealität fruchtbar machen: Bei syntagmatischer Lockerung der temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen von Transformativa, die mit Betonung des Nachzustandes und funktionaler Nähe des Finitums zum gleichlautenden Finitum des Vollverbs (hätte bzw. wäre) hinsichtlich der Modalitätskennzeichnung einhergeht, konnte zumindest plausibel gemacht werden, dass die größere Überschaubarkeit von Gegenwärtigem gegenüber Zukünftigem für die relativ klare Unterscheidung von irrealer vs. potentialer Sachverhaltsinterpretation in gegebenen Kontexten von Bedeutung ist; bei Gegenwartsbezug ist ein Blockierungsfaktor leichter zu erkennen als bei Zukunftsbezug (vgl. Kapitel 8). Von daher war – mit gebotener Vorsicht – die Absenz von Belegen für die Konstellation Zukunftsbezug + Irrealität in Konstruktionen mit Konjunktiv II von Transformativa in zuständlicher Verwendung mit der bedeutend schwierigeren Entscheidung in Verbindung zu bringen, ob ein in der Zukunft angesiedelter Sachverhalt zutrifft oder nicht. Hier trüge also der Zeitbezug als Ungewissheit (mit) bedingender Faktor zum betreffenden Prämissenstand bei, der letztlich die modale Ereignisdeutung determiniert. Was die Frage nach dem Verhältnis von temporaler und modaler Markiertheit der partiziphaltigen Konjunktiv II-Formen anbelangt, kann folgende Generalisierung getroffen werden: Ein Gleichlauf von temporaler Markiertheit (als Abweichung von der temporalen Default-Lesart) und modaler Markiertheit (im Sinne einer klaren Irrealitätsanzeige) lässt sich nur für diejenigen Gebiete ansetzen, auf denen von der Art der zeitlichen Situierung und der Art des partizipial auftretenden Verbs her die irreale Ereignisdeutung vorauszusagen ist (vgl. Kapitel 8). In denjenigen auf solcher Grundlage bestimmbaren Kontexten, wo ein Wechsel von Potentialität und Irrealität besteht, heben sich die temporal markierten Formen in modaler Hinsicht von den unmarkierten nicht ab.
10.3 Der temporal markierte Konjunktiv II als Ausdruck der interaktiven Distanzierung Bezüglich der Grundbedeutung ‘nur vorgestellt’ ist zunächst festzuhalten: Wenn sie grundsätzlich so aufgefasst wird, dass sie in potentialer resp. irrealer Richtung differenzierbar ist, lässt sie sich für den Bereich der interaktiven Distanzierung nicht ansetzen. Hier kann zwar in hohem Maße mit dem Begriff der Potentialität (im Sinne von Ungewissheit) operiert werden, diese Potentialität ist aber (wie schon in 10.1 angedeutet) so beschaffen, dass sie im betreffenden Kontext nicht mit Irrealität kontrastiert. So ist beispielsweise das, worauf sich eine mit dem temporal markierten Konjunktiv II ausgedrückte Bitte bezieht, prinzipiell nicht ausgeschlossen. Weiter ist zu beachten, dass sich die fragliche Grundbedeutung auch für die metakommunikative Wendung ich hätte beinahe/fast gesagt nicht ansetzen lässt, die in die Domäne der interaktiven Distanzierung gehört und bei deren Gebrauch eine
142 im Redemoment gemachte Äußerung kommentiert wird: Der Hörer erhält eine bestimmte Interpretationshilfe bezüglich des kommunikativen Verhaltens des Sprechers (vgl. die entsprechende, in 10.1 zitierte Bemerkung von Heidolph et al.). Im Hinblick auf die Faktizität des Sagens ist es natürlich auch nicht möglich, hätte gesagt als Potentialitätsmarker aufzufassen. Hinsichtlich der im Bereich der interaktiven Distanzierung beobachtbaren grammatischen Spezifika ist zunächst zu konstatieren, dass das Gros der zeitlichen Situierungsmuster von Kapitel 7 und die in Kapitel 8 aufgestellten Prognosen zum Auftreten der irrealen Ereignisdeutung für dieses Vorkommensgebiet des temporal umfunktionierten Konjunktivs II (aufgrund der erwähnten Absenz von Irrealität) nicht relevant sind. Hierher gehörende Belege für Potentialität bei rein prospektiver Verwendung des Konj. Plusq. von Intransformativa oder Transformativa: (5) (6)
Ich wäre ganz gern bis nächste Woche geblieben. Ich hätte Sie gern schon morgen Nachmittag konsultiert.
stellen m.a.W. keine Gegenbeispiele zu Prognosen über Irrealität bei solcher Ereignissituierung dar (vgl. 8.2). Man hat es auf dem Gebiet der interaktiven Distanzierung eben mit einer anderen Art von Sachverhaltsdeutung zu tun als auf jenem der modalen Distanzierung. Die Domäne der interaktiven Distanzierung zeichnet sich ferner dadurch aus, dass der temporal markierte Kond. II nicht zur Verfügung steht oder zumindest als sehr marginal zu gelten hat (vgl. 6.2). Außerdem ist hier die Realisierung des temporal markierten Konj. Plusq. sowohl kategorial-grammatisch wie auch lexematisch beschränkt, indem dieser z.B. bei der Konstruktion mit sein + zu-Infinitiv sowie bei den Kopulaverben sein und werden, den Funktionsverben und den Modalverben ausscheiden dürfte. Derartige Beschränkungen der Form, die hier nur angedeutet werden können, werden durch den interaktiven Charakter ihrer Verwendung bedingt sein. In diesem Zusammenhang wäre auch das weitgehende Nicht-Auftreten komplexerer Situierungsmuster mit prospektiv-retrospektivem Einschlag zu sehen; ein sicherlich selten anzutreffendes Muster dieser Art liegt im weiter unten angeführten Beispiel (14) vor. Als Einstieg in die Diskussion auf metonymischer Grundlage zu erfassender Gegebenheiten sei Beispiel (7) in der Deutung als erfüllbarer Wunsch mit der gleichlautenden Sequenz in (8) konfrontiert: (7) (8)
Ich hätte gerne an Ihrem nächsten Kurs teilgenommen. Schade, dass ich weg muss. Ich hätte gerne an Ihrem nächsten Kurs teilgenommen.
In (8) ist die Teilnahme ausgeschlossen, und der zweite Satz ist primär eine Aussage über die Irrealität und die psychische Befindlichkeit des Sprechers; die Konjunktivform dient hier als Irrealitätsindikator, gehört m.a.W. in funktionaler Hinsicht in den Bereich der modalen Distanzierung. Gegenüber diesem Beispiel könnte bei (7) in der unterstellten Interpretation von einem Übergang der modalen Distanz in eine interaktive gesprochen werden. Das käme auf den Ansatz einer konzeptuellen Verschiebung hinaus, wobei die Frage nach deren Art zu stellen wäre.
143 Eine verwandte Problematik kommt beispielsweise im Rahmen von Bemerkungen zu “social distance and politeness” bei Heine (1995) zur Sprache: Er verweist (1995: 43, dort auch Literatur) darauf, dass eine Äußerung wie I was thinking about asking you to dinner als Beispiel für einen Rückgriff auf “temporal distance as a metaphorical vehicle for social/interpersonal distance” verstanden werden kann. Der Autor geht anschließend (1995: 43ff.) auch auf andere Interpretationen ein, die Möglichkeit einer metonymischen Analyse findet aber nicht Erwähnung. Zu der Frage, ob und wieweit ein metaphorischer Ansatz für die Erfassung der genannten Erscheinungen im Englischen adäquat ist, braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Ein entsprechender Zugang scheint mir, was die interaktive Distanzierung auf dem Vorkommensgebiet des temporal umfunktionierten Konjunktivs II betrifft, weniger plausibel zu sein. Ein Vergleich von Erscheinungen der interaktiven Dimension mit solchen der modalen und temporalen wird nämlich ergeben, dass die Unterschiede nicht groß genug sind, um jeweils eine metaphorische Beziehung anzunehmen (Allgemeines zum Verhältnis von Metapher und Metonymie etwa bei Bußmann 2002: 432 und 434, dort auch Literatur). Dahingegen scheinen die erstgenannten Phänomene das gängige Metonymie-Kriterium der Kontiguität in erheblichem Maße zu erfüllen, die sowohl in der zeitlichen als auch in der räumlichen Dimension anzusiedeln ist. Unter dem Gesichtspunkt metonymischer Verschiebung kommt der wohl grundsätzlich spatial begründeten modalen Distanzierung besonderes Interesse zu. Sie bildet m.E. das zentrale Fundament der interaktiven Distanzierung, die also in erster Linie davon abzuleiten wäre. Dabei ließe sich die in 10.1 erwähnte eingeschränkte Geltung als Vehikel kleinschrittiger Verschiebungen betrachten, die genau angebbare Einzelphänomene betreffen. Die Kontiguität fällt im fraglichen Bereich unterschiedlich aus, und zu ihrer genaueren Beschreibung sollen hier semantisch-pragmatisch charakterisierbare Teilgebiete separat in den Blick genommen werden. Ein erstes Teilgebiet umfasst Wunschbekundungen ohne direktiven Einschlag sowie Bitten, Aufforderungen u.Ä. Der epistemische Status der gewünschten, erbetenen (etc.) Handlungen kann einer irrealen Lesart zwar nicht gegenübergestellt werden, bildet aber eine Parallele zur Potentialität im Bereich der modalen Distanzierung. Hier wäre das Metonymie-Kriterium der Kontiguität klar erfüllt. Durch die bei den eben erwähnten Äußerungstypen kontextuell bedingte Potentialität scheint der Konj. Plusq. für die Anzeige der genauen Art der interaktiven Distanzierung frei gemacht zu werden. Für den besonders hohen Grad der Höflichkeit, Zurückhaltung etc. gegenüber Formulierungen mit temporal unmarkierten Formen böte sich eine Parallelisierung mit der Irrealität als höchster Stufe der Abweichung von der Realität im Bereich der modalen Distanzierung an. Dabei würde ich eine metonymische Übertragung von Werten der für das letztere Gebiet geltenden Wahrscheinlichkeitsskala in das erstere annehmen. In diesem Zusammenhang kommt dem Umstand erhebliche Aussagekraft zu, dass der Konj. Plusq., der in der modalen Dimension in nicht geringem Maße mit Irrealität assoziiert ist, bei seiner interaktiven Verwendung in Wünschen, Bitten, Aufforderungen etc. über weite Strecken einen höheren Grad von Höflichkeit, Zurückhaltung u.dgl. signalisiert als der Konj. Prät. und der Kond. I, die in ihrer Verwendung als Ausdrucksmittel für Modalität verhältnismäßig offen sind. Die relative Positionierung der zu unterscheidenden Stufen auf der Skala der interaktiven Distanzierung stimmt m.a.W. zum beträchtlichen Teil mit jener auf der Skala der modalen Distanzierung überein. Dasselbe Verhältnis lassen die zuge-
144 hörigen konjunktivischen Ausdrucksmittel erkennen. Unter dieser Perspektive entspricht der Unterschied zwischen den Beispielen (9) und (10) dem zwischen den Beispielen (11) und (12): (9) (10) (11) (12)
Dazu hätte ich gerne noch eine Frage gestellt. Dazu würde ich gerne noch eine Frage stellen. Er hätte sich gefreut, wenn Petra nächste Woche vorbeigekommen wäre. Er würde sich freuen, wenn Petra nächste Woche vorbeikäme/vorbeikommen würde.
Betrachtet man die Realisierung des Konj. Plusq. auf dem illustrierten Teilgebiet der interaktiven Distanzierung etwas näher, so fällt eine nicht uninteressante Parallelität zur Irrealitätsanzeige im Bereich der modalen Distanzierung ins Auge: Die hier beobachtbare rein prospektive Sicht, die stark mit Irrealität korreliert (vgl. 8.2), tritt auch bei Wünschen, Bitten etc. auf, wo sie die dominante ist, vgl. beispielsweise (13). Die prospektiv-retrospektive Sichtweise lässt sich allerdings auch, wie (14) zeigt, mit einem hohen Grad der interaktiven Distanzierung kombinieren, was vermutlich nur in transformativen Bildungen möglich ist. (13) Dieses Buch hätte ich ganz gerne noch eine Woche behalten, wenn es geht. (14) Das hätte ich ganz gerne bis Ende nächster Woche erledigt. (Sprecher Agens)
Ferner ist bei Konstruktionen der veranschaulichten Art generell ein mit Prospektivität einhergehender Handlungscharakter gegeben, der auch bei irrealen Bildungen mit temporal umfunktioniertem Konjunktiv II in hohem Maße vorliegt. Bei der “Konstatierungskonstruktion”, die offenbar assertiver Natur ist, liegen die Dinge insofern anders, als es sich hier um keine echte Potentialität im Sinne einer Ungewissheit darüber, ob der betreffende konjunktivisch ausgedrückte Sachverhalt realisiert wird oder nicht. Hier tritt – im Unterschied zur entsprechenden indikativischen Formulierung (Jetzt haben wir das Problem gelöst) – ein nur suggeriertes Unsicherheitsmoment auf, das ein Einkalkulieren von hörerseitigem Widerspruch, Zweifel u.Ä. involvieren kann. Dieses Unsicherheitsmoment scheint mir einen weiteren metonymisch zu deutenden Verschiebungsfall darzustellen, auch wenn die hier ansetzbare Kontiguität weniger klar ausfällt als diejenige, die für die Potentialität auf dem Gebiet der besprochenen Wünsche, Bitten etc. zu konstatieren ist. Ein letzter Fall metonymischen Transfers aus dem Bereich der modalen Distanzierung wäre wohl bei der metakommunikativen Wendung ich hätte beinahe/fast gesagt zu verbuchen, wo sich eine Beziehung zur stets irrealen beinahe-Konstruktion (vgl. 5.2.15) herstellen ließe. Das Verhältnis zu dieser Bildung könnte dahingehend charakterisiert werden, dass die in ihr ausgedrückte Irrealität in der Wendung eine abgeschwächte Entsprechung findet. Die interaktive Distanzierung ließe sich (wie oben angedeutet) in gewissem Umfang auch zur temporalen Dimension in Beziehung setzen. Eine sekundäre metonymische Übertragung der temporalen Entferntheitsvorstellung auf die Skalierung der Höflichkeit, Zurückhaltung etc. wäre für das Teilgebiet der mit markiertem Konjunktiv II ausgedrückten Wünsche, Bitten etc. anzunehmen. Dies lässt sich etwa an dem bei Rohrer (1973: 189) zitierten (schon in 9.2 herangezogenen) Beleg:
145 (15) Ich hätte eigentlich ganz gerne noch eine Frage an die Pädagogen gerichtet.
veranschaulichen, zu dem er bemerkt, die Bitte werde “nicht nur in den Bereich des bloß Gedachten, sondern auch noch in die Vergangenheit gerückt” (und hinzufügt: “wobei diese temporale Aussage ebensowenig ‘wörtlich’ gemeint ist wie die modale Aussage des K.II”). Hier zieht der Autor mit Recht die temporale Entferntheitsvorstellung zur Beleuchtung des besonderen Höflichkeitsgrades heran, ohne eine metonymische Analyse vorzunehmen. Letzteres ist sicherlich forschungsgeschichtlich bedingt: In den 1970er Jahren war die temporale Umfunktionierung des Konjunktivs II noch sehr unzulänglich erforscht und die metonymische Annäherungsweise an grammatische Phänomene im Deutschen noch nicht aufgekommen. Die am Vergangenheitsmoment orientierte metonymische Deutung des fraglichen Konjunktivs II könnte sich nicht zuletzt darauf stützen, dass die Grenze zwischen Vergangenheit und Nicht-Vergangenheit ziemlich fließend ist. In diesem Zusammenhang sei auch erinnert an das in (21) von 9.3 für den Sprecher gegebene Nebeneinander des zurückliegenden irrealen (gewünschten) Hörens (das seine vorsichtige Kritik motiviert) und des temporal anders situierten, grundsätzlich realisierbaren Hörens als Gegenstand der höflichen Bitte (die Äußerung sei hier wiederholt): (16) Ich hätte gern dazu was von Ihnen gehört.
In dieser semantisch komplexen Formulierung wäre die zeitliche Lokalisierung des Erbetenen in ihrem Verhältnis zur zeitlichen Lokalisierung der vermissten Erläuterung als ein Kontiguitätsfall zu deuten. Ein metonymischer Rekurs auf die zeitliche Dimension scheint mir für die Analyse der interaktiven Distanzierung in der “Konstatierungskonstruktion” nicht relevant zu sein, wohl aber für die Analyse von Bildungen mit der metakommunikativen Wendung hätte fast/beinahe gesagt. Hier ließe sich – in Weiterführung der auf die temporale Distanz bezogenen Bemerkung von Rohrer zu (15) – ein Zusammenhang mit der in der Regel Vergangenheitsbezug signalisierenden beinahe-Konstruktion herstellen. In dieser Konstruktion kann, wie schon in 5.2.15 erwähnt, ein Ereignis zum Ausdruck kommen, das unmittelbar vor der Sprechzeit anzusiedeln oder gar in ihr lokalisierbar ist (der Beleg von 5.2.15 sei hier noch einmal zitiert): (17) Eines hätte ich jetzt beinahe vergessen: wir haben uns in Dasburg nicht nur vergnügt, wir haben auch schwer gearbeitet. (http://www.cvjm-reinheim.de/vor1998/jtr1997.htm) (28.03.06)
Diese Situierung des vorgestellten Vergessens ist m.E. unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Kontiguität von erheblichem Interesse: Von da ist es nur noch ein winziger Schritt zum eindeutigen Bezug der metakommunikativen Wendung auf die im Redemoment gemachte Äußerung. Der präsentierte metonymische Zugang war auf einen relativ überschaubaren sprachlichen Bereich fokussiert und ist sicher nicht auf das gesamte Gebiet der interaktiven Distanzierung übertragbar, die (wie schon in 10.1 angedeutet) auch in Bildungen mit temporal unmarkierten Formen des Konjunktivs II auftritt. Um einen adäquaten Überblick über die Realisierung dieser Distanzierungsart in verschiedenen Kontexttypen zu gewinnen, sollte
146 man die Verwendung des “höflichen” Konj. Prät./Kond. I und die der pragmatisch (in etwa) entsprechenden temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen systematisch vergleichen, was natürlich späteren Studien vorbehalten bleiben muss. Abschließend ließe sich festhalten, dass die vorgeschlagene metonymische Interpretation der interaktiven Distanzierung auf dem Untersuchungsgebiet der vorliegenden Arbeit durch den Rekurs auf die modale wie auch auf die temporale Dimension einen Versuch darstellt, verschiedenartige semantisch-pragmatische Momente systematisch miteinander zu verknüpfen, für den es, soweit ich sehe, in der bisherigen Konjunktivforschung keine Parallele gibt.
11 Zusammenfassung und Ausblick
Trotz ihrer relativ festen Verankerung im heutigen Sprachsystem ist die temporale Umfunktionierung des Konj. Plusq. und Kond. II im realen Sprachgebrauch nicht leicht nachzuweisen, weshalb die Gewinnung eines für diese Studie einigermaßen geeigneten empirischen Materials mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war. Die manuelle Auswertung einer größeren Anzahl von Korpustexten lieferte eine ziemlich spärliche Ausbeute, sodass in nicht geringem Maße auf Belege aus anderen Quellen zurückgegriffen werden musste. Durch diese Erweiterung der Materialgrundlage ließ sich ein großes Vorkommensgebiet der fraglichen Modusformen aufzeigen, deren verhältnismäßig geringe Textfrequenz machte aber eine Konzentration der Beschreibung auf textsortenübergreifende Aspekte erforderlich. Dabei mussten Aussagen qualitativer Natur im Vordergrund stehen; auf quantitative Angaben musste verzichtet werden – abgesehen von ein paar Fällen, in denen es nahe lag, zur Unterstützung qualitativer Analysen Belegzahlen heranzuziehen. Bei der empirischen Arbeit musste der temporal umfunktionierte Konj. Plusq. in den Mittelpunkt gerückt werden; der entsprechende Kond. II war nur beschränkt zu belegen, und dessen Verhältnis zur einfacheren Form ließ sich nur partiell klären. Als Hauptverwendungsgebiet dieses Kond. II haben Konditionalgefüge und ein paar damit verwandte Konstruktionstypen zu gelten. Seine geringe Textfrequenz wird in erster Linie mit seiner Schwerfälligkeit zu tun haben, die auch von befragten Informanten als Grund für seine Vermeidung genannt wurde. Es wird aber auch mit Einflüssen der normativen Grammatik zu rechnen sein, die den Konj. Plusq. in hypothetischen Äußerungen generell empfiehlt und vor dem Gebrauch des korrespondierenden Kond. II warnt (allerdings ohne expliziten Hinweis auf die beiden Formen in der hier untersuchten zeitlichen Verwendung). Hinzu kommen hier und da strukturell greifbare Hindernisse für die Wahl der komplexeren Form, z.B. die erstarrte Struktur von ein paar Wendungen mit Konj. Plusq. (hätte beinahe gesagt, hätte gerade noch gefehlt) oder der relativ stereotype Charakter von “Konstatierungskonstruktionen” (So, jetzt hätten wir endlich eine Lösung gefunden), sowie eher pragmatisch fassbare Hindernisse in einigen direktiven Sprechakten (Dazu hätte ich gerne ein paar Tipps gehabt). Andererseits sind – wenn auch in bescheidenem Maße – im Textverlauf wirksame Faktoren zu beobachten, welche die Verwendung des temporal umfunktionierten Kond. II begünstigen. Das gilt vor allem auch für koordinative Bildungen, in denen Konjunkte mit Kond. I und Kond. II auftreten und die einmalige Setzung eines für beide Fügungen geltenden würde einen glatteren Satzbau ermöglicht als bei Wahl der einfacheren Form Konj. Plusq. Vom zusammengetragenen Material her lässt sich feststellen, dass eine einigermaßen adäquate deskriptive Erfassung der modalen Interpretation jener Sachverhalte, die auf dem Vorkommensgebiet der temporal umgedeuteten Formen des Konjunktivs II Ausdruck finden, eine eingehende Berücksichtigung der Art des als Partizip II auftretenden Verbs vo-
148 raussetzt. Dabei hat sich der Rekurs auf die in der Literatur mit den Termini “kursiv”, “transformativ” und “intransformativ” belegten Aktionsarten als fruchtbar erwiesen. Ausgehend von der Unterscheidung Gegenwart vs. Zukunft, einer nach der Sprechzeit angesiedelten Referenzzeit und der Art des als Partizip II auftretenden Verbs (vor allem auch dessen Aktionsart) ließen sich verschiedene zeitliche Situierungsmuster aufstellen, die zum Auftreten von Irrealität vs. Potentialität in Beziehung gesetzt wurden, ohne dass versucht wurde, diese modale Variation von Spezifika der Situierungsmuster her zu erklären. Die Relationierung erfolgte unter strikt deskriptivem Gesichtspunkt, wobei davon ausgegangen wurde, dass die irreale resp. potentiale Ereignisdeutung grundsätzlich vom sprecherseitigen Prämissenstand abhängt. Dies gilt offenbar gleichermaßen für geschriebene und gesprochene Sprache; es gibt in meinem Material nichts, was gegen diese Annahme spricht. Im Hinblick auf bestimmte Fälle, in denen ein mit einer Irrealitätsprognose nicht verträglicher Befund vorlag, z.B. bei rein prospektivem, nicht irrealem Gebrauch des Konj. Plusq. von Intransformativa (Ich wäre gern noch eine Weile geblieben, vgl. 8.2.4), wurde das Gebiet des “höflichen” Konjunktivs andeutungsweise als Sonderfall behandelt. Es kann Genaueres festgehalten werden: Die Aussagen über Zusammenhänge zwischen den erwähnten temporalen Momenten und der Art des Verbs einerseits und der Modalitätsausprägung andererseits können nur für den Bereich der modalen Distanzierung Anspruch auf Relevanz erheben; nur dort ist die Unterscheidung von Potentialität und Irrealität zu treffen. Das Verhältnis des markierten Konjunktivs II zu den unmarkierten Formen lässt sich u.a. unter den Gesichtspunkten Beschränkungen, funktionale Spezifik und Konkurrenz charakterisieren, auch wenn diese Charakterisierung aufgrund des spärlichen Materials relativ grob ausfallen musste. Die Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II unterliegt Beschränkungen verschiedener Art. Es lässt sich ein zeitreferenziell bestimmbares, kleines Gebiet angeben, nämlich jenes, auf dem ein Ereignis so beschrieben wird, dass es in der Vergangenheit anfängt und zur Sprechzeit noch andauert. Hier sind die temporal unmarkierten Formen nicht oder nur sehr beschränkt durch markierte zu ersetzen. Ähnliches scheint für solche Fälle zu gelten, in denen man es mit Ereignissen von relativ hohem Zeitlosigkeitsgrad zu tun hat. Hinzu kommt ein nicht genau abgrenzbares Feld pragmatischer Verwendungsweisen, auf dem die letztgenannten Formen kaum in Frage kommen. Auf der anderen Seite kann für direktive Äußerungen (unterschiedlicher Natur), bei denen sowohl unmarkierte als auch markierte Konjunktiv II-Formen zur Verfügung stehen, eine pragmatische Differenzierung festgehalten werden: Bei der Verwendung der letzteren Mittel kommt ein in der Tendenz höherer Grad von Höflichkeit, Zurückhaltung u.dgl. zum Ausdruck. Ein vergleichbarer Effekt ist darüber hinaus bei der assertiven “Konstatierungskonstruktion” zu verbuchen, bei der neben dem temporal umgedeuteten, als Zustandskennzeichnung fungierenden Konjunktiv II von Transformativa auch korrespondierende indikativische (nicht: konjunktivische) Formen (genauer: der zustandsbezeichnende Indikativ Perfekt desselben Verbtyps) zur Verwendung kommen können. Ferner tritt in solchen Kontexten, in denen eine konstruktionell greifbare Irrealität vorliegt (etwa in ohne dass-Sätzen), eine zuständliche Darstellung mittels temporal umfunktionierter Formen auf, die einer prozessualen mittels nicht umfunktionierter Formen gegenüberzustellen ist. Hinzu kommen noch im per se irrealitätsbedingenden Transpositions-
149 kontext, wo beide Formtypen zu Gebote stehen, spezielle Perspektivierungseffekte: Durch den temporal markierten Konjunktiv II lässt sich Vergangenes mit einblenden – ein Effekt, der durch das Abgeschlossenheitsmoment des Partizips II ermöglicht wird und bei Wahl der alternativen Formen ausscheidet oder nicht so klar zum Ausdruck kommt. Schließlich gibt es Konkurrenzfälle, in denen kontextbedingt eine modal offenere, temporal unmarkierte Form und eine irreal verwendete, temporal markierte Form alternieren können. Für derartige Kontexte, die ein beschränktes Gebiet zu bilden scheinen, kann eine modale Gleichwertigkeit der beiden Typen konjunktivischer Ausdrucksmittel angesetzt werden. Für die Diskussion der Validität von ‘nur vorgestellt’ als Grundbedeutung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II sowie für die Diskussion der Relevanz der Unterscheidung von Potentialität und Irrealität scheint mir die Differenzierung von modaler und interaktiver Distanzierung essentiell zu sein. Ausgehend von dieser Unterscheidung würde ich die Frage nach der Gültigkeit von ‘nur vorgestellt’ als Grundbedeutung der in Rede stehenden Modusformen nur auf den Bereich der modalen Distanzierung beziehen und insofern die Wichtigkeit der Fragestellung etwas relativieren. Salopp formuliert: Diese Grundbedeutung gilt eben nur dort, wo sie gilt. In Anknüpfung an den schon in 1.2 zitierten, an die Unterscheidung von potentialer und irrealer Sachverhaltsdeutung anschließenden Hinweis von Sütterlin (1907: 230) auf “Weiterbildungen” als eigenes Gebiet lässt sich festhalten, dass die fragliche Grundbedeutung sowie die Annahme ihrer kontextbedingten Ausprägung in potentialer resp. irrealer Richtung unter der explizierten Einschränkung als empirisch plausibel gelten können. Aus den vorliegenden diesbezüglichen Daten ergibt sich keine Gegenevidenz, wenn man vom Realis-Wert bestimmter Folgesätze von Konzessivkonditionalen absieht (vgl. 5.2.3). Diese Erscheinung reicht meiner Ansicht nach nicht aus, um Modifikationen des vorgestellten bereichsorientierten Ansatzes zu motivieren. Was die Unterscheidung von Potentialität und Irrealität betrifft, so hat letztlich der Prämissenstand des Sprechers als Grundlage zu gelten, egal ob der betreffende Sachverhalt in der Gegenwart oder der Zukunft lokalisiert ist. Angesichts dessen ist der allgemeine Stellenwert des Nicht-Vergangenheitsbezugs der untersuchten Konjunktiv II-Formen eher gering zu veranschlagen: Ihr bei Leirbukt (1991) angenommener Beitrag zur Irrealitätsanzeige ist zu relativieren. Die Zukunftsreferenz lässt sich andererseits unter speziellerem Gesichtspunkt als Einflussgröße deuten, und zwar als Indikator für Potentialität bei zustandsbezeichnenden Konstruktionen mit Transformativum (möglicherweise auch bei entsprechenden Bildungen mit Intransformativum), d.h. auf einem ziemlich beschränkten Gebiet. Im Hinblick auf die zutage geförderten Daten muss das Verhältnis von temporaler und modaler Markiertheit dahingehend charakterisiert werden, dass kein genereller Gleichlauf besteht: Eine Parallelität lässt sich nur für ein begrenzteres Gebiet ansetzen, nämlich für jene Kontexte, in denen die irreale Ereignisinterpretation aufgrund der zeitlichen Situierung im Verein mit der Art des als Partizip II auftretenden Verbs prognostiziert werden kann. Die Frage nach dem funktionalen “Mehrwert” der temporal umfunktionierten Konjunktiv II-Formen ist auch unter einem anderen Gesichtspunkt anzugehen: Wenn man ihr Partizip II in den Blickpunkt rückt, lässt sich eine besondere Leistung im Bereich der Aspektualität festhalten. Kraft des Abgeschlossenheitsmerkmals, das durch das Partizip II einen
150 festen Ausdruck findet, liefert der fragliche Konjunktiv bei der sehr großen Klasse der Transformativa einen wichtigen Beitrag zur Unterscheidung von Nachzustand und Prozess, auch wenn dieses Merkmal mit Kontextfaktoren (u.a. mit der von der Origo unterschiedenen Referenzzeit) interagiert. Es ist zum allergrößten Teil im Bereich der modalen Distanzierung, aber auch in der (transformativen) “Konstatierungskonstruktion” als Realisierungsgebiet der interaktiven Distanzierung anzutreffen. Das Abgeschlossenheitsmerkmal ist ferner bei solchen intransformativen Konstruktionen, die dem ersteren Bereich angehören, an der Differenzierung von Endzustand und Nicht-Veränderung beteiligt. Darüber hinaus ermöglicht es bei Transformativa und Intransformativa wie auch bei Kursiva eine retrospektive Betrachtung, die allgemeinen Regeln folgt. Durch die aspektualen Charakteristika heben sich die temporal markierten Formen von den temporal unmarkierten in funktionaler Hinsicht ganz erheblich ab. Andererseits ist für den Bereich der Transformativa und Intransformativa festzuhalten, dass das Abgeschlossenheitsmerkmal des Partizips II bei der ganzheitlichen Verwendung der temporal markierten Formen nicht zum Tragen kommt, sei es bei Bezug auf Gegenwärtiges oder bei rein prospektiver Sicht auf Zukünftiges. In solchen Fällen besteht kein aspektualer Unterschied gegenüber den temporal unmarkierten Formen: Die woanders greifbare aspektuale Opposition ist aufgehoben. Unter dem Gesichtspunkt der funktionalen Leistungsfähigkeit des Partizips II sei noch hinzugefügt, dass es in einem sehr speziellen Fall, nämlich bei Substantivierung und Verwendung als Kern einer Nominalphrase kontextbedingt ohne Verbindung mit einem finiten Verb sogar an der Kennzeichnung von Irrealität beteiligt sein kann. Dies dürfte allerdings nur bei wenigen Verben vorkommen. In folgendem Beleg drückt das Partizip II von sein in sehr komprimierter Weise dasselbe aus wie der irreal verwendete Konj. Plusq. dieses Verbs: (1)
Jeder Weg, den wir gehen, jeder Beruf und jeder Partner, den wir wählen, schliesst andere, und unter Umständen sehr andere, aus, die auch möglich gewesen wären. Davon kann nun allerdings die Mitwelt nichts wissen, ja wir selber kennen das Spektrum des uns potentiell möglich Gewesenen kaum. (Schweizer Monatshefte 6/1992, 502)
Für die interaktive Distanzierung liegt es nahe, im Rahmen eines metonymischen Zugangs primär eine Übertragung von Momenten aus der Domäne der modalen Distanzierung anzusetzen. Als Brücke zwischen den beiden Dimensionen wäre die eingeschränkte Geltung etwa im Sinne von Weinrich (2003) oder Heidolph et al. (1984) zu betrachten. Zusätzlich ließe sich bei rein assertiv zu interpretierenden Wünschen und bei einigen Wunschbekundungen mit direktivem Einschlag ein metonymischer Rekurs auf ein Vergangenheitsmoment annehmen, ebenfalls bei assertiv geprägten Bildungen mit der metakommunikativen Wendung hätte fast/beinahe gesagt. Die semantisch-pragmatische Bandbreite des temporal umfunktionierten Konjunktivs II wird besonders deutlich, wenn man einen Blick auf den Default-Fall wirft: Bei Vergangenheitsbezug der Formen werden Ausnahmen von der Grundbedeutung ‘nur vorgestellt’ und ihrer kontextuellen Ausprägung in potentialer resp. irrealer Richtung nur vereinzelt festzustellen sein, anders als bei Nicht-Vergangenheitsbezug. Die bei dieser Zeitreferenz erforderlichen Sonderregeln hängen – wie wir gesehen haben – in nicht geringem Maße mit direktiven Sprechakten zusammen, d.h. mit einem Eingreifen des Sprechers in den
151 Handlungsspielraum des Hörers. Dieses Eingreifen wird durch den Rückgriff auf den Konjunktiv II sprachlich abgemildert, wobei eine Variation der Formenwahl (Konj. Plusq. gegenüber Konj. Prät. und Kond. I) kommunikativ zweckmäßig ist. Eine entsprechende Variation legt sich bei Bezug auf Vergangenes nicht nahe. Man kann sich natürlich in der gesprochenen Sprache – vgl. beispielsweise (2) – in vorsichtiger Weise über Vergangenes äußern (für korrespondierende dialektale Belege vgl. Graf 1977: 364 und Sandhöfer-Sixel 1988: 94, die beide auch den vorsichtigeren Charakter des Konjunktivs II gegenüber im Kontext möglichen indikativischen Entsprechungen kommentieren), ebenfalls schriftsprachlich, vgl. (3). In derartigen Fällen wird aber der Handlungsspielraum des Kommunikationspartners nicht tangiert. Hier hat man es übrigens mit Parallelen zu der an (7) und (8) in 4.1 belegten Konstellation Potentialität + Vergangenheitsbezug bei Gebrauch des Konj. Plusq. zu tun. (2) (3)
Ich meine, es wäre 1908 gewesen. Es ist [...] bekannt, daß Bremen im sächsischen Wigmodigau lag [...]. Ein Gau war eine alte kultische und gerichtliche Einheit [...]. Was die Ausübung des Kultes betrifft, so ist immerhin möglich, wenn auch nicht nachweisbar, daß der organisatorische Rahmen nach der Christianisierung erhalten blieb, daß sich also der Sprengel der Urpfarre in der Missionszeit mit dem alten Gau deckte und man daher von einer Gaukirche sprechen darf. Für den Wigmodigau wäre dann der Dom in Bremen eine solche Kirche gewesen.1
Die in dieser Arbeit durchgeführten synchronischen Untersuchungen haben eine beträchtliche Anzahl von Lücken nicht schließen können, die jetzt knapp zusammengefasst werden sollen (auf das nicht hinreichend geklärte Vorkommen des temporal umfunktionierten Kond. II wurde schon eingangs hingewiesen). Die Vorkommensbeschränkungen des temporal umgedeuteten Konjunktivs II konnten hier nicht exhaustiv erfasst werden. Ferner war sein Auftreten in der gesprochenen Sprache (genauer: in den überregionalen Umgangssprachen) aufgrund meiner Quellenwahl nur sehr beschränkt zu klären. So lässt sich nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Konstruktionspalette von Kapitel 5 oder die zeitlichen Situierungsmuster von Kapitel 7 in vollem Umfang in diesem Sprachbereich realisiert werden. Es bleiben varietäten- und textsortenorientierte Untersuchungen durchzuführen, in die auch der temporal umfunktionierbare Typ hätte erledigt gehabt einzubeziehen wäre. Das Verhältnis der temporal markierten Konjunktiv II-Formen zu den temporal unmarkierten ließ sich in Kapitel 9 nur ausschnittweise untersuchen. Erst ein eingehender, auf umfangreichem Material basierender Vergleich könnte die funktionale Eigenart der ersteren Formen adäquat erhellen. Die Hinweise in 9.2 zur Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II beim Vollzug von Sprechakttypen waren auf den Grad der Höflichkeit (etc.) im Vergleich mit temporal unmarkierten Formen fokussiert; so konnte nur ein Teil der unter generelle-
1
Schwarzwälder, Herbert (1995): Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, 25. – Bremen: Edition emmen.
152 rem Gesichtspunkt zu berücksichtigenden Typen Erwähnung finden: Hinzu kommen beispielsweise Kommissiva: Das hättest du nicht umsonst getan (Zukunftsbezug und Anknüpfung auf ein im Kontext schon genanntes, in der Zukunft angesiedeltes Ereignis als Hintergrund der Drohung bzw. des Versprechens unterstellt), ebenfalls Expressiva (zu diesem Typ gehören Exklamativsätze, vgl. 5.2.6). Die Verteilung der Konstruktionen mit den temporal umgedeuteten Konjunktivformen auf Sprechakttypen muss anhand geeigneter Korpora genauer untersucht werden. Schließlich sollten auch an der Signalisierung der interaktiven Distanzierung häufig beteiligte Modalpartikeln, deren Gebrauch anhand von Konstruktionen mit eigentlich und mal resp. einmal veranschaulicht wurde (vgl. 9.2), aber keine nähere Erörterung erfahren konnte, in ihrem funktionalen Zusammenwirken mit temporal markierten Formen des Konjunktivs II einer systematischen korpusgestützten Untersuchung unterzogen werden. Zur Abrundung sei die Frage angeschnitten, welche Faktoren bei der Erweiterung der Verwendung des temporal markierten Konjunktivs II (insbesondere auch des Konj. Plusq.) über die Kennzeichnung von Irrealität vs. Potentialität hinaus – d.h. bei den von Sütterlin (1907: 230) angesprochenen “Weiterbildungen” – eine Rolle spielen (oder gespielt haben) könnten. Darüber hinaus soll auf eine bis ins Frühneuhochdeutsche zurückreichende Verwendung der Formen zum Ausdruck modaler Distanzierung hingewiesen werden. Für den von Sütterlin erwähnten Erweiterungsprozess dürfte die interaktive Distanzierung aufgrund ihrer Wichtigkeit im Diskurs von erheblicher Bedeutung sein. Die Art und das Zusammenspiel der hier wirksamen Faktoren können aber hier nur als ein Kreis relativ offener Fragen festgehalten werden, in den auch die temporale Umfunktionierung des Kond. II gehört. Ausgehend von verschiedenen Beobachtungen (insbesondere auch bei Leirbukt 1991) zum Auftreten des nicht-vergangenheitsbezogenen und irreale Ereignisdeutung signalisierenden Konj. Plusq. im Deutschen und nicht-konjunktivischer Entsprechungen beispielsweise im Schwedischen und Englischen stellt Dahl (1997) Vermutungen über das Zustandekommen solchen Gebrauchs an, die hier referiert seien, da sich aus ihnen Anregungen für die Klärung von Einflussgrößen ergeben könnten. Unter besonderer Berücksichtigung des irreal verwendeten Konj. Plusq. mit Zukunftsbezug bemerkt Dahl (1997: 109), dass “speakers may feel a need to mark also future events as genuinely irreal”, fügt aber einschränkend hinzu, es sei “undeniably the case that the differentiation between potential and irreal is a hazardous one, which prepares the ground for a further extension of the use of the construction”. An “factors that may lie behind such a development” nennt der Autor (ebd.) den Umstand, “that speakers will be tempted to over-use markings with original counterfactual meaning to obtain a rhetorical effect”. Ferner bestehe “often considerable vagueness with regard to time reference of hypothetical constructions, and an assumption that is counter-to-fact relative to a certain point in time may not be so if the time constraints are relaxed”. Das führe zu “vagueness in the notion of counterfactuality and may lead to extensions in the use of markings” (1997: 110). Als einen dritten Einflussfaktor nennt Dahl (ebd.) unter Verweis auf Hopper/Traugott (1993) die Entwicklung von
153 “counter to (objective) fact” in Richtung “counter to (subjective) assumption” als “a good example of the tendency to ‘subjectification’ often found in grammaticalization processes”.2 Den von Dahl genannten Einflussgrößen wäre vielleicht noch das von Brown/Levinson (1987) erwähnte Prinzip der Wahl komplizierter Formulierungsmuster zur Erzielung bestimmter Höflichkeitseffekte hinzuzufügen.3 Insgesamt gesehen sind Dahls explanative Bemerkungen – bezogen auf das Untersuchungsfeld dieser Arbeit – wie auch mein explanativer Rekurs auf das Moment der Höflichkeit, Zurückhaltung etc. eher als Plausibilitätserwägungen anzusehen, die im Rahmen noch ausstehender empirischer Untersuchungen zu verfolgen wären. Dabei müssten sicherlich auch sprachgeschichtliche Daten mit einbezogen werden. Als ein kleiner empirischer Beitrag sei zunächst auf einen auffälligen Gebrauch des “höflichen” Konj. Plusq. und anschließend auf Belege älteren Datums für die modale Distanzierung hingewiesen. Das Moment der besonderen Höflichkeit, Zurückhaltung u.dgl. könnte hinter von mir notierten Hörbelegen stehen, die möglicherweise für nicht wenige Sprachteilhaber gewöhnungsbedürftig oder gar falsch sind. Das nachstehende (von mehreren befragten Informanten als möglich charakterisierte) Beispiel wurde spontan gebildet in einem Gespräch zwischen einem deutschen Kollegen und mir unmittelbar vor einem gemeinsamen Restaurantbesuch im Anschluss an einen Gastvortrag, den ich an der betreffenden Universität gehalten hatte: (4)
Ich wäre gerne nach einer Stunde gegangen.
Auf meine Frage nach dem Grund für die Wahl von wäre gegangen antwortete der Sprecher, diese Form nehme mehr Rücksicht auf den Partner, sei “face”-schonender als die Alternative würde gehen. Diese Form (in Ich würde gerne nach einer Stunde gehen) sei direkter, heiße u.U. ‘ich gehe’ (z.B. zu Studenten gesagt). Die illustrierte Verwendung des Konj. Plusq., bei der es sich offenbar um keine bloße Wunschbekundung handelt, knüpft in gewissem Grade an geläufige Bildungen wie Ich hätte gerne Frau Müller gesprochen an, während (5) stärker vom üblichen Sprachgebrauch – vgl. Beispiel (6) – abzuweichen scheint: (5)
2
3
[Der Sprecher hat mit einem Autohändler einen Termin für ein Gespräch über einen neuen Wagen ausgemacht, telefoniert mit jemand von der Firma und verweist darauf, dass er Besuch
Als Beispiel für Letzteres könnte etwa die rein subjektive Setzung eines zukünftigen Blockierungsfaktors als Grundlage für die irreale Deutung eines in der Zukunft angesiedelten Ereignisses angeführt werden, wie sie an (9) von 4.1 belegt wurde. In dieser Richtung wäre auch der Rückgriff auf komplexe wollen-Bildungen wie die folgenden zu interpretieren: Das würd' ich nicht behaupten wollen (Beispiel von Hentschel/Weydt 2003: 125, ohne Kommentar zum Höflichkeitsmoment). Das würde ich auch so sehen wollen.
154
(6)
hat. Er möchte etwas später als vereinbart kommen.] Es wäre schön gewesen, wenn ich etwas später kommen könnte. (Hörbeleg Kassel, 10.11.2001) Es wäre schön, wenn ich etwas später kommen könnte.
Hier soll zur Frage nach der Akzeptabilität dieses Hörbelegs – als Alternative zu Beispiel (6) – nicht Stellung genommen werden. Das Interessante an (5) ist aus meiner Sicht zunächst der Rückgriff auf ein relativ kompliziertes Muster zur Signalisierung eines besonders hohen Höflichkeitsgrades, wobei auch ein metonymisches Moment im Spiele wäre: Das Auftreten des kursiven sein scheint mir eine Kontiguität involvierende Erweiterung der Gruppe der als Partizip II in der höflichen Konstruktion verfügbaren Verben zu sein. Dazu gehören nicht nur Transformativa und Intransformativa (in 10.3 Beispiele für den letzteren Typ), sondern auch Kursiva wie etwa haben und wissen, vgl. die direktive Verwendung von hätte gehabt und hätte gewusst in (16) bzw. (15) von 9.2. Dieser Verwendung nähert sich der Rekurs auf wäre gewesen in (5), wobei er eine zurückhaltende positive Evaluierung der Situation involviert, die sich aus der Realisierung der im Nebensatz genannten Handlung (d.h. aus der Erfüllung der Bitte) ergeben würde. Das Vorkommen des Konj. Plusq. in (5) – wie auch das in (4) – ist ferner unter sprachvergleichendem Aspekt interessant: Das Norwegische und die anderen skandinavischen Sprachen weisen – bei Unterschieden im Einzelnen – eine gegenüber dem Deutschen sehr weit gehende temporale Neutralisierung von hypothetisch gebrauchten Verbalsyntagmen mit Partizip II als Bestandteil auf (Allgemeines zu den Verhältnissen im Norwegischen etwa bei Leirbukt 1989 und 2000). (5) und (4) sprächen dafür, dass diese Neutralisierung im Deutschen zunimmt, d.h. dass sich die Differenz gegenüber den skandinavischen Sprachen verringert. Soweit die beiden Beispiele eine solche Tendenz reflektieren, wäre das mit dem Wunsch nach Höflichkeitsmarkierung im Rahmen der interaktiven Distanzierung in Verbindung zu bringen. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine Parallele zwischen (5) und einer besonderen norwegischen Höflichkeitsanzeige hingewiesen, die mit der temporalen Neutralisierung zusammenhängt. Als Entsprechung des Konj. Plusq. (für den im Norwegischen keine konjunktivische Parallele mehr existiert) kommt sowohl im Haupt- als auch im Nebensatz das Plusquamperfekt vor, zu dem sich bei einigen Modalverben – z.B. kunne (‘können’) – die Fügung Präteritum + Infinitiv Perfekt gesellt (im folgenden Nebensatz kunne ha kommet als formale Entsprechung der – in irrealen Kontexten temporal umfunktionierbaren – englischen Fügung could have come). Beispiel (5) ließe sich etwa wie folgt wiedergeben: (7)
Det hadde vært fint om jeg kunne ha kommet noe senere.
Als semantisches Gegenstück zu (6) kann ein Satz mit ville være (Entsprechung von würde sein) und kunne (Präteritum) gelten; er klingt weniger höflich als das komplizierter strukturierte Beispiel (7): (8)
Det ville være fint om jeg kunne komme noe senere.
Hinzu kommen als Alternative des Plusquamperfekts im Hauptsatz noch komplexere (u.U. mit hohem Höflichkeitsgrad verbundene) Syntagmen aus präteritalem ville/skulle + Infinitiv Perfekt, auf deren Beschaffenheit hier nicht näher eingegangen werden kann (ausführ-
155 lichere Angaben – auch zu mundartlichen Syntagmentypen – finden sich bei Leirbukt 1989).4 Abschließend sei eine für die weitere Forschung relevante Frage aufgeworfen, deren Klärung hier primär als Forschungsdesideratum festgehalten wird: Wie alt ist die temporale Umdeutung der mit Partizip II gebildeten Konjunktiv II-Formen, und welche Entwicklungen hat sie durchgemacht? Trotz der Tatsache, dass die Umfunktionierung schon in einem so bekannten Text wie Goethes “Urfaust” auftritt (s.u.), finden sich, soweit ich sehe, in den großen historisch orientierten Gesamtdarstellungen der deutschen Grammatik etwa von Behaghel, Paul oder Wilmanns keine Hinweise auf das Phänomen. Bei Blatz (1896: 1159) wird es dagegen berührt, wenn er mit Bezug auf das folgende Goethe-Beispiel von einem “Futur Konj.” spricht: (9)
Ich wäre getrost der Ewigkeit entgegen gegangen, wenn nicht diejenige, die nach mir das Hauswesen zu führen hat, sich nicht zu helfen wissen würde.
Auf die hier mit dem Konj. Plusq. verbundene Irrealität geht Blatz nicht ein. 5 Neuerdings wird die temporale Umfunktionierung bei Smirnova (2006: 295f.) kurz gestreift, und zwar unter Verweis auf einen im Frühneuhochdeutschen möglichen Gegenwarts- und Zukunftsbezug des Kond. II (diese Erscheinung wird nur einmal belegt, s.u.); der zeitreferenziell korrespondierende Konj. Plusq. bleibt unerwähnt. Die Autorin lässt die in unserem Zusammenhang zentrale Frage unthematisiert, inwieweit sich der temporal umgedeutete Kond. II hinsichtlich der Differenzierung von Irrealität und Potentialität vom Kond. I unterscheidet. Bei der Wahl des Kond. II im nachstehenden Beleg (von 1684) aus dem Bonner Korpus frühneuhochdeutscher Texte (Quellennachweis bei Smirnova 2006: 55f. und 296) geht Arg. (Argenis) – wie aus einer entsprechenden Äußerung im unmittelbar vorangehenden Kontext zu entnehmen ist – davon aus, dass der von ihr geliebte Poliarchus nicht mehr lebt (sein vorgestelltes Weiterleben nach ihrem Tod ist also für sie irreal).6 Selenisse (Argenis’ Mutter) nimmt dagegen nicht an, dass Poliarchus tot ist, vgl. (15), und verweist auf eine für sie denkbare Reaktion des Königs, deren Realitätsbezug durch den potential zu interpretierenden Kond. I zum Ausdruck kommt:
4
5
6
Für einen wichtigen Hinweis auf die Häufung verschiedenartiger Distanzmarker (darunter auch Elemente wie eventuell oder vielleicht) zur Steigerung des Höflichkeitsgrades schwedischer, norwegischer und deutscher Konstruktionen mit indikativischen resp. konjunktivischen Präteritalformen (auch in Kombination mit Partizip II) bin ich Sven-Gunnar Andersson zu Dank verpflichtet. Bei Blatz (1896: 1165) findet sich auch ein Beleg für hätte sollen mit Gegenwartsbezug: Karl, du hättest jetzt nicht leben sollen, und dein Europa läg’ zu meinen Füßen. Der Satz wird aber in anderem Zusammenhang erwähnt und bleibt im Hinblick auf die temporale Umfunktionierung des Konj. Plusq. unkommentiert. Aus dem Kontext ist ebenfalls zu entnehmen, dass Argenis ohne Poliarchus nicht weiterleben kann und sich das Leben nehmen möchte.
156 (10) Arg. Das weis ich: Poliarchus würde meinen Tod nicht lange überlebet haben. Sel. Und das weis ich/ daß der König nach ihrem Tode seines Lebens Ende verlangen würde.7
Zur weiteren Illustration der temporalen Umfunktionierung des Konjunktivs II soll eine Anzahl Belege aus der Zeit vor dem 20. Jahrhundert dienen. Für das 19. Jahrhundert vergleiche man (u.a.) Folgendes: (11) Er [Chamisso] zeichnete Ende Mai 1837 Aktien der Halle-Rhein-Weser-Eisenbahn-Gesellschaft und befuhr, schon schwer krank, im Herbst 1837 die im Frühjahr fertiggestellte Teilstrecke Leipzig – Althen; “mit vorgespanntem Zeitgeist”, wie er schreibt: “Ich hätte nicht ruhig sterben können, hätte ich nicht vom Hochsitze dieses Triumphwagens in die sich entrollende Zukunft hineingeschaut.”8 (12) [Transposition von Platon in Goethes Gegenwart] Um sich aus der grenzenlosen Vielfachheit, Zerstückelung und Verwickelung der modernen Naturlehre wieder ins Einfache zu retten, muß man sich immer die Frage vorlegen: Wie würde sich Plato gegen die Natur, wie sie uns jetzt in ihrer größeren Mannigfaltigkeit, bei aller gründlichen Einheit, erscheinen mag, benommen haben? (Beleg aus “Wilhelm Meisters Wanderjahre”, zitiert nach dem Goethe-Korpus des Instituts für Deutsche Sprache: GOE/AGM.07859; gegenüber dem IDS-Text hier orthographisch leicht geändert)
Für das 18. Jahrhundert kann auf die in Kapitel 7 (Anm. 7) zitierte Lichtenberg-Stelle (aus dem Jahre 1789) und den nachstehenden “Urfaust”-Beleg zurückgegriffen werden (man bemerke hier die Äußerung von Faust, aus der sich ein Blockierungsfaktor für das vorgestellte Wachen Wagners ergibt): (13) Dieses könnte zu einer nützlichen Dichtung Anlaß geben. Man müßte annehmen, daß an einem gewissen Tage, zum Exempel in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1ten Jänner, alle die Sachen vorgezeigt würden, die im verlaufnen Jahre auf den Blocksberg wären verwünscht worden. (14) Ich bitt Euch, Freund, es ist tief in der Nacht, Wïr müssen diesmal unterbrechen.
7
8
Der Beleg wird hier aus praktischen Gründen gegenüber der Version bei Smirnova (2006: 296) orthographisch leicht geändert zitiert. Entsprechendes trifft für (15) bis (17), (19), (21) und (22) im Vergleich mit der Fassung in der jeweils herangezogenen kritischen Ausgabe zu. Von derartigen Änderungen bleibt die Aussagekraft der Belege bezüglich des jeweils interessierenden Phänomens unberührt. Krusche, Dietrich (Hg.) (1993): Der gefundene Schatten, 103. – München: A-1-Verlag. Der Beleg (11) stammt aus einem Text von Harald Hartung. Er bemerkt (ebd.), Chamisso blicke “aus der Perspektive des Todes” auf den technologischen Fortschritt, eine zusätzliche Rückschau von der Sprechzeit aus scheint mir aber auch mitzuschwingen. Der Dichter nutzt hier das mit dem Partizip II des Konj. Plusq. verbundene perspektivische Ausdruckspotential voll aus; man vergleiche auch das aus dem Blickwinkel der Vergangenheit dargestellte Hineinschauen “in die sich entrollende Zukunft”.
157 WAGNER. Ich hätte gern bis morgen früh gewacht, Um so gelehrt mit Euch mich zu besprechen. Ab.9
Ferner kann für das 17. Jahrhundert neben dem temporal umfunktionierten Kond. II in (10) auch der temporal korrespondierende Konj. Plusq. in (15) als Beleg angeführt werden. Für das 16. Jahrhundert schließlich sei auf die Belege für den Konj. Plusq. in (16) bis (18), worden wer in (19) sowie auf die Formen hette gebracht und weren ersoffen in (22) verwiesen: (15) Sel. Wie aber/ wenn Poliarchus noch lebte? Wenn er sein Blut hernach mit dem ihrigen vermischen sollte/ wer hätte alsdenn seine Tugend erwiesen? 10 (16) [“Doctor Fausti Weheklag”] Ach Fauste / du verwegenes vnnd nicht werdes Hertz / der du deine Gesellschafft mit verführest in ein Vrtheil deß Feuwers / da du wol hettest die Seligkeit haben können / so du jetzunder verleurest [...] 11 (17) [Lüpoldus hat den Wirt getötet.] Vnd so bald es tag werden will, so wellen wir hinweg reitten vnd wil vnns in sechs stunden füren vnd hetten wir den alten vnd iungen kaiser von Constantinopel erschlagen, wir wolten daruon kommen. 12 (18) Ich laß mich eintun und verbergen, weiß selbst noch nicht wo, und wiewohl ich lieber hätte von den Tyrannen, sonderlich von des wütenden Herzog Georgen zu Sachsen Hände den Tod erlitten, muß ich doch guter Leut Rat nicht verachten, bis zu seiner Zeit .13
Bemerkenswerterweise tritt neben der irrealen Lesart des temporal umgedeuteten Konj. Plusq. auch die potentiale auf, vgl. (13) und (15). Die variable Modalitätsausprägung scheint wie im heutigen Deutsch vom jeweiligen sprecherseitigen Prämissenstand her bedingt zu sein. Auch lässt sich sowohl Gegenwarts- als auch Zukunftsbezug belegen. Hinzu kommt noch eine gewisse Variation hinsichtlich des Konstruktionstyps: Es ist nicht nur das Konditionalgefüge anzutreffen, sondern auch das Konzessivkonditional, vgl. (17), die zweiteilige deontische Konstruktion, vgl. (14), sowie eine freiere Bildung grammatisch nicht genau bestimmbarer Struktur, wie in (13).
9 10 11
12
13
“Urfaust”, Verse 241–244. In: Goethes Werke, Bd. 3, 373. Hg. Erich Trunz. – Hamburg 1959: Christian Wegner Verlag (Hamburger Ausgabe in 14 Bänden). Beleg (15) stammt aus derselben Quelle wie (10). Es handelt sich um Text Nr. 147 des Bonner Korpus frühneuhochdeutscher Texte (http://www.ikp.uni-bonn.de/dt/forsch/fnhd). Füssel, Stephan; Hans Joachim Kreutzer (Hgg.) (1988): Historia von D. Johann Fausten. Text des Druckes von 1587. Kritische Ausgabe, 113f. – Stuttgart: Philipp Reclam jun. (Universal-Bibliothek Nr. 1516). Günther, Hans (Hg.) (1914): Fortunatus. Nach dem Augsburger Druck von 1509, 60. – Halle: Niemeyer (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 240 und 241). Zit. nach Dülmen, Andrea van (1983): Luther-Chronik, 78 und 313 (dort auch Quellenangabe). – München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv 3253). Beispiel (18) weicht orthographisch von der Fassung in der Weimarer Ausgabe ab, nicht aber in Bezug auf die Irrealität und den Zukunftsbezug.
158 Schließlich ist eine nicht unerhebliche Variation in Hinsicht auf die Art des als Partizip II auftretenden Verbs festzuhalten: Transformativum, Kursivum und Modalverb. Beim letztgenannten Verbtyp gilt der Konj. Plusq. (hätte können usw.) als eine im Frühneuhochdeutschen neue (im Mittelhochdeutschen nicht vorhandene) Form (vgl. z.B. Reichmann/Wegera 1993: 412 und Blatz 1896: 545); diese scheint interessanterweise relativ früh der temporalen Umdeutung zu unterliegen. Entsprechendes träfe für den Kond. II zu, der nach Reichmann/Wegera (1993: 421) im frühen 16. Jahrhundert vereinzelt vorkommt und für dessen temporale Umfunktionierung ein Beleg aus dem 17. Jahrhundert – vgl. (10) – vorliegt. Der generelle Prozess wird aber beim Kond. II später begonnen haben als beim Konj. Plusq. (einschließlich des Konj. Plusq. von Modalverben). Insgesamt gesehen deuten die angeführten Belege darauf hin, dass sich die im Frühneuhochdeutschen anzutreffende Verwendung des temporal umfunktionierten Konjunktivs II als Ausdruck modaler Distanzierung von jener im heutigen Deutsch nicht sonderlich stark unterscheidet. Darüber, ob dieser Konjunktiv II frühneuhochdeutsch auch zur Anzeige interaktiver Distanzierung dient, lässt mein Material dagegen keine Aussage zu. Dementsprechend können hier unter diesem Gesichtspunkt keine Vergleiche mit der Gegenwartssprache angestellt werden. Mit den obigen knappen Hinweisen ist natürlich auch der Sprachzustand hinsichtlich der Verwendung temporal markierter Konjunktiv II-Formen im Frühneuhochdeutschen und in den jeweiligen nachfolgenden Epochen bis hin zur Gegenwart nicht erfasst. Das herangezogene Material zeigt aber, dass dieser Gebrauch ziemlich alt ist. Seine Ausbreitung im Bereich der modalen Distanzierung und die bei diesem Vorgang wirksamen Faktoren stellen ein wichtiges Problemfeld der sprachhistorischen Forschung zum älteren Deutsch dar, ebenfalls die bislang gänzlich ungeklärte Entstehung und diachrone Entwicklung der Kennzeichnung interaktiver Distanzierung mit Hilfe der in Rede stehenden Konjunktivformen. Zur Ergänzung soll noch auf Belege verwiesen werden, in denen eine temporale Umfunktionierung von präteritalem sollen/wollen + Infinitiv Perfekt vorliegt, die mit jener von Konj. Plusq. und Kond. II offenbar verwandt ist. Die ersteren Fügungen konnten im Mittelhochdeutschen wie auch später (vgl. etwa Westvik 1994) hypothetisch verwendet werden, wobei die Grundbedeutung des Sollens bzw. Wollens in variablem Maße mitschwang. Im Frühneuhochdeutschen ließen sie außerdem – in grundsätzlicher Parallele beispielsweise zu engl. should/would + Infinitiv Perfekt (vgl. dazu etwa Leirbukt 1991) – Zukunftsbezug zu. In den entsprechenden Konstruktionen wird sowohl die hypothetische Lesart als auch die Zeitreferenz vom Kontext her fixiert (im ersten der nachstehenden Belege z.B. wäre die vorgestellte Mahlzeit des Pfarrers und der Haushälterin im Verhältnis zur Sprechzeit nachzeitig): (19) [Eulenspiegel sollte für den Pfarrer und dessen Haushälterin zwei Hühner braten und hat eines der Hühner vom Spieß gegessen. Eulenspiegel:] Ja das ein ist hinweg, vnd das ein steckt noch, ich hab das ander gessen, als ir dan gesprochen hon, ich solt es ja so gut essen vnd trincken als ir vnd euwer magt, so was mir leid das ir solten gelogen hon, das ir die hüner all beid solten
159 gessen hon, das mir nüt dauon worden wer, vff das ir nun nit der wort zelügner würden, da aß ich das ein hun gar vff.14 (20) Nun dise mein Gmahel fürwar Hett ich vast einundviertzig jar, Gantz lieb und treu, gantz ehren werth, Wolt Gott, daß ich sie solt auff Erdt Gehabt haben biß an mein end, Gott aber selb hat das gewendt, Als man nach Christi geburt fürwar Zelt fünffzehen hundert sechtzig Jar [...] 15 (21) [Angesprochener: Fortunatus] Rupert sprach: mir ist laid, das ich dir dise ding geoffenbart hab, so ich verstand, das du also von hynnen wildt, wann ich hab all mein hoffen auff dich gehebt, das wir als brüder wolten mit ainander gelebt haben vnd vnser zeit mit ainander vertriben. So du aber des willens bist, das du ye von hynnen wilt, so laß mich doch durch geschrifft wissen, wo du dein wesen haben wildt.16 (22) [Clawerts Frau Margreta möchte nach der Kirchweih schnell wieder nach Hause fahren, er will aber nicht und sorgt dafür, dass ihr Knecht sich sinnlos betrinkt. Margreta sieht ihn auf dem Boden liegen, und Clawert täuscht ihr vor, dass der Mann einen epileptischen Anfall hat.] [...] siehe liebe Margreta, es ist noch gut, das wir alhie so lange seind blieben, was wolten wir sonsten auff dem wege mit dem Knechte beginnet haben, weil er den fallenden Seuchtagen bekömpt, Er hette vns wol alle beide vmbs leben gebracht, ja wo nicht anders, weren wir doch ersoffen.17
14
15
16 17
Knust, Hermann (Hg.) (1884): Till Eulenspiegel. Abdruck der Ausgabe vom Jahre 1515, 16. – Halle: Niemeyer (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 55 und 56). Michael, Wolfgang F.; Roger A. Crockett (Hgg.) (1996): Hans Sachs. Werke in der Reihenfolge ihrer Entstehung, Bd. 3, 207. – Bern etc.: Lang. Dieselbe Stelle findet sich in etwas anderer (die Aussagekraft des Belegs nicht tangierender) orthographischer Fassung bei Tittmann, Julius (Hg.) (1870): Dichtungen von Hans Sachs, Teil 2, 187. – Leipzig: F. A. Brockhaus. Fortunatus (wie Anm. 12), 14. Krüger, Bartholomäus (Hg.) (1882): Hans Clawerts Werckliche Historien, 51. – Halle/Saale: Niemeyer (Nachdrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Nr. 33). Die Lokalisierung des Beginnens in der Zukunft wird (ebd.) durch eine Äußerung von Clawert im nachfolgenden Kontext verdeutlicht: [...] dancke dem Allmechtigen Gott, das wir alhie verharret haben, ich wil vmb dieses vnglücks willen auch in dreyen tagen noch nicht von hinnen ziehen. Zu (22) ist ferner anzumerken, dass die Bedeutung von wollen hier in Richtung eines Könnens nuanciert wird, was mit der Fragesatz-Struktur zu tun haben wird. Man vergleiche etwa folgenden Zwingli-Beleg: herre, zu wem wollt ich gon, du hast das wort des lebens. Zit. nach Grimm, Jacob; Wilhelm Grimm (1960): Deutsches Wörterbuch, Bd. 14, 2. Abt., Sp. 1341. – Leipzig: Verlag von S. Hirzel. In derselben Spalte wird auch (unter Anführung weiterer, z.T. aus späteren Epochen stammender Belege) auf das Vorkommen von wollen in Fragen hingewiesen (ohne Kommentar zur Nuance des Könnens). In (22) scheint wollte übrigens weniger verblasst zu sein, eine weniger auxiliare Qualität zu haben als etwa in (17). – Für sehr wertvolle Kommentare zu (19)–(22) im Zusammenhang mit einem Vortrag von mir am Germanistischen Institut der Universität Bergen am 2. Juni 2007 bin ich Hans-Werner Eroms zu Dank verpflichtet.
160 Derartige Belege für sollte/wollte + Infinitiv Perfekt scheinen mir eine nähere Untersuchung im Rahmen eines Vergleichs insbesondere auch mit solchen für den Kond. II zu verdienen, der sich bekanntlich im Frühneuhochdeutschen allmählich gegenüber diesen (älteren) Fügungen durchsetzte. Die Klärung des Verhältnisses zwischen diesen beiden Syntagmentypen hinsichtlich des Aufkommens und der Ausbreitung der temporalen Umfunktionierung sowie hinsichtlich der dabei wirksamen Faktoren muss natürlich der späteren Forschung vorbehalten bleiben.
Literatur
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Anhang
Die nachfolgende alphabetische Auflistung der Verben in den insgesamt 257 Belegen für den temporal umfunktionierten Konj. Plusq. bzw. Kond. II, die bei der Auswertung der Korpustexte zusammengetragen werden konnten, orientiert sich zunächst an der Unterscheidung von modaler und interaktiver Distanzierung. Konstruktionen mit gern, in denen ein nicht erfüllbarer Wunsch zum Ausdruck kommt, werden dem ersteren Bereich zugeordnet (Beispiel Corssen/Riekel 227: Sie sollten aber auch akzeptieren, wenn das Mädchen ablehnt. Wenn das der Fall ist, könnten Sie ihr folgenden Satz sagen: Schade, ich hätte Sie gerne kennengelernt). Als weitere Anordnungskriterien dienen die Konjunktiv II-Form (Kond. II vs. Konj. Plusq.), die Modalitätsausprägung (POT = Potentialität vs. IRR = Irrealität) und der Zeitbezug (GGW = Gegenwart vs. ZUK = Zukunft). Zwischen Gegenwarts- und Zukunftsreferenz lässt sich in den Belegen nicht immer klar unterscheiden; die zeitreferenzielle Einordnung beruht dann auf Interpretation. Bei reflexiver Verwendung der belegten Verben wird die Abkürzung “refl.” benutzt. Zur weiteren syntaktischen Charakterisierung werden gängige Begriffe wie Subjekt, Akkusativobjekt, Prädikativ etc. herangezogen. Damit kommt die Verbvalenz ins Spiel, ohne dass sie hier eine erschöpfende Behandlung erfahren kann. Bei verschiedenen Satzgliedern werden syntaktische und/oder semantische Zusatzinformationen gegeben. Die kategoriale Realisierung von Subjektsprädikativen z.B. wird durch “subst.” (substantivisch), “pron.” (pronominal) und “adj.” (adjektivisch) angegeben; mitunter wird zur Verdeutlichung der Konstruktion auch ein Lexem aufgeführt. Bei transitiven Verben mit relativ vager Bedeutung erscheint eine lexematische Information zum Akkusativobjekt erforderlich. So wird für das belegte tun das zugehörige Substantiv Pflicht aufgeführt; die nackte Angabe “Akk.obj.” wäre nicht ausreichend. Bei Präpositionalobjekten wird die Präposition genannt, bei übergehen z.B. durch die Angabe einer zu-Phrase. Bei Dativphrasen bleibt durch die rein kasuelle Angabe “Dativ” die Frage offen, ob ein Dativobjekt oder ein Dativus commodi/incommodi anzusetzen ist. Manchmal wird ein grammatisches Einordnungsproblem durch eine lexematische Angabe umgangen. Bei mit der Zeit gehen (z.B.) wird die mit-Phrase vollständig und in direktem Anschluss an gehen aufgeführt, was durch die Festigkeit der Verbindung nahe liegt. Mitunter findet auch ein nicht valenzbedingtes Element in den Eintrag Aufnahme, was zur Verdeutlichung der Verwendungsweise des belegten Verbs (auch unter semantischem Aspekt) beitragen kann. In solchen Fällen wird eher ad hoc verfahren (Beispiel: Aufführung von nie richtig bei zusammenkommen mit Bezug auf eine ausscheidende Liebesbeziehung). Die Abkürzung “Akk.” verweist auf die kasuelle Charakteristik des betreffenden Elements und besagt, dass dieses nicht als Akkusativobjekt zu gelten hat. In einigen Fällen wird für ein mehrdeutiges Verb eine Bedeutungsangabe mitgeliefert. Eine grobe semantische Etikettierung von Satzgliedern erfolgt durch den Rekurs auf Begriffe wie Person, Abstraktum, Sachbezeichnung (“Sachbez.”, hier als Konkretum gefasst). Die Grenzziehung ist natürlich in einigen Fällen mit Schwierigkeiten behaftet, ohne dass sich Problemfälle hier erörtern ließen. Bei substantivischen Elementen werden ad hoc An-
170 gaben wie “Zeitbestimmung”, “Finalbestimmung”, “Ort”, “Weg”, “Gebäude” u.Ä. hinzugefügt. Für Pronomina werden die Bezugsgrößen genannt, soweit das erforderlich erscheint. Die alphabetische Auflistung von Passivbelegen orientiert sich am Auxiliar (nur werden- und sein-Passiv belegt), wobei auxiliares werden bzw. sein nach nicht-auxiliarem werden resp. sein aufgeführt und dem Partizip II des Vollverbs vorangestellt wird. Bei Modalverbkonstruktionen wird das Modalverb am Ende des Eintrags angegeben und die zeitliche Lokalisierung des infinitivisch ausgedrückten Sachverhalts als Kriterium für die Einordnung GGW bzw. ZUK herangezogen (vgl. 7.6).
Bereich der interaktiven Distanzierung Kommunikative Floskel sagen + Subj. (1. Pers. Sg.) + beinah sagen + Subj. (1. Pers. Sg.) + beinah
“Konstatierungskonstruktion” glücken + Subj. (Abstraktum)
Wunschbekundung/Bitte mit gern ausführen + Subj. (1. Pers. Sg.) + Akk.obj. (einen Gedanken) fragen + Subj. (1. Pers. Sg.) + Akk.obj. (was) haben + Subj. (1. Pers. Sg.) + Akk.obj. (ein paar Tips) wissen + Subj. (1. Pers. Sg.) + Äquivalent eines Akk.obj. (Fragesatz)
Bereich der modalen Distanzierung Kond. II POT/GGW beachten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum)
Kond. II IRR/GGW übergehen + Subj. (Person) + zu-Phrase (Abstraktum)
Kond. II IRR/GGW anbieten + Subj. (Person) + Dativ (Person) + Infinitivphrase
171 Kond. II POT/ZUK anlegen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) bedecken (refl.) + Subj. (der Himmel) besteigen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Zug) einfahren (intr.) + Subjekt (Zug) gehen mit der Zeit + Subj. (Person) kennen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) machen Platz + Subjekt (Gebäude) + Dativ (Gebäude) verändern (refl.) + Subj. (Abstraktum) verlassen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Ort) zurücklegen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Weg)
Kond. II IRR/ZUK interessieren + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Person)
Konj. Plusq. POT/GGW ausnehmen (‘ausplündern’) Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) ausnehmen (‘ausplündern’) Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) drücken + Subj. (Sachbez.) + Akk.obj. (Person) fallen + Subj. (Sachbez.) + Direktionalphrase (Person) finden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Ort) laden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Schuld) + auf-Phrase leisten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Hilfe) + Dativ (Person) opfern + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) organisieren (refl.) + Subj. (Person) + Finalbestimmung stürzen + Subj. (Person) + Direktionalphrase töten (ohne Akk.obj.) + Subj. (Person) tun + Subj. (Person) + Akk.obj. (es, Bezugsgröße: Handlung) übersehen + Subj. (Person) + dass-Satz verdienen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) vergessen + Subj. (Person) + Akk.obj. (was, Bezugsgröße: Gegenstand) verlieren + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) verlieren + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) verschwenden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) verschwinden + Subj. (Person) verwischen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) wehren (refl.) + Subj. (Person) zerstören + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) zubringen + Subj. (Person) + Akk. (Zeitbestimmung) zuhören (ohne Obj.) + Negation + Subj. (Person) zuhören (ohne Obj.) + Negation + Subj. (Person) zusammenfinden (refl.) + Subj. (Person) + Finalbestimmung
172 Konj. Plusq. IRR/GGW abbauen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) abkoppeln (refl.) + Subj. (Person) + von-Phrase ablaufen + Subj. (Sendezeit) anfangen + Subj. (Person) + Akk.obj. (was) + mit-Phrase – können ankotzen + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Person.) anprangern (ohne Akk.obj.) + Subj. (Person) anziehen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Kleidungsstück) aufbringen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Verse) auffordern + Subj. (Person) + Akk.obj. + Infinitivphrase bedeuten + Subj. (Abstraktum) + Akk. (etwas) + Dativ (Person) besorgen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) drohen + Subj. (Abstraktum) einfangen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) + gedanklich erfinden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) erfinden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) ergeben (refl.) + Subj. (Abstraktum) + genauso zufällig erlauben + Subj. (Person) + Akk.obj. (das, Bezugsgröße: Handlung) + Dativ (Person) erleben + Subj. (Person) + Akk.obj. (das) erleben + Subj. (Person) + Akk.obj. (das) erscheinen + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ + Dativ (Person) fahren (intr.) + Subj. (Person) + im offenen Auto – können fahren (intr.) + Subj. (Person) + Direktionalphrase fehlen + Subj. (das) + noch fehlen + Subj. (das) + noch fehlen + Subj. (das) + noch +Dativ fehlen + Subj. (das) + gerade noch + Dativ frühstücken + Subj. (Person) – sollen fühlen (refl.) + Subj. (Person) + wohl führen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Leben) – sollen geben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Antworten) glauben + Subj. (Person) + Dativ (Person) greifen + Subj. (Person) + nach-Phrase haben + Subj. (Person) + Akk. (es) + leicht + Infinitivphrase haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Gelegenheit) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Gelegenheit) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (ein gutes Gewissen) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Möglichkeit) + Infinitivphrase haben + Subj. (Person) + nichts + dagegen haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (etwas Ordentliches) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Getränk) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Spaß) heißen (‘bedeuten’) + Subj. (Abstraktum) + Akk. (DDR) herfallen + Subj. (Tier) + über-Phrase (Tier) hören (ohne Akk.obj.) + Subj. (Person) hören + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum)
173 kommen + Subj. (Person) kommen zu kurz + Subj. (Abstraktum) kriegen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Geld) lachen + Subj. (Person) + darüber leben + Subj. (Tier) + noch + gerne lesen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) machen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Rundfunksendung) passen + Subj. (Person) + gut protestieren + Subj. (Person) sagen + Subj. (Person) + Akk.obj. (das) + im Bundestag sagen + Subj. (Person) + direkte Rede – müssen schlachten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Tier) schmunzeln + Subj. (Person) + darüber sehen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) sehen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) + als-Phrase sein + Subj. (Person) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Person) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Person) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Person) + adj. Prädikativ – können sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ – können sein + Subjekt (Infinitivphrase) + adj. Prädikativ (bestimmt) + Dativ (Person) sein + Subj. (Person) + subst. Prädikativ (Person) sein + Subj. (Person) + subst. Prädikativ (Person) sein + Subj. (Abstraktum) + subst. Prädikativ (Abstraktum) – sollen sein + Subj. (Person) + pron. Prädikativ (das) sein (nicht Kopulaverb) + Subj. (es) – können sein (nicht Kopulaverb) + Subj. (dass-Satz) + “vorläufiges” es – können sein + Subj. (Person) + zu Hause – müssen sein + Subj. (Abstraktum: Fernsehprogramm) + heute sein + Subj. (das) + jetzt + nicht – müssen sein erledigt + Subj. (Person) – eher Zustandspassiv stapeln + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) stehen + Subj. (Person) + lokale Präpositionalphrase stehen zu Gesicht + Subj. (Abstraktum) + besser + Dativ (Abstraktum) tun + Subj. (Person) + Akk.obj. (das, Bezugsgröße: Handlung) unterhalten (refl.) + Subj. (Person) + mit-Phrase (Person) verdienen + Subj. (Person) + wie-Element (Bezug auf Geld) – können verfallen + Subj. (Person) + in-Phrase (Abstraktum) verfestigen (refl.) + Subj. (Abstraktum) vergessen + Subj. (Person) + Infinitivphrase verlassen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Ort) vermögen + Subj. (Person) + Akk. (nichts mehr) vermuten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) – können
174 versetzen + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (einen Schlag) + Dativ (Person) vertauschen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) + mit-Phrase – können verweisen (intr.) + Subj. (Person) + auf-Phrase (Sachbez.) vorsingen + Subj. (Vogel) + Akk.obj. (was) + Dativ (Person) werden + Subj. (Person) + Prädikativ (100 Jahre alt) werden + Subj. (Person) + Prädikativ (125 Jahre alt) werden empfunden + Subj. (Abstraktum) + als-Phrase werden gegrillt + Subj. (Tier) werden geschlachtet + Subj. (Tier) zerschmettern + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) zulassen + Subj. (Person) + dass-Satz
Konj. Plusq. POT/ZUK abschreiben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) anwachsen + Subj. (Abstraktum) + zu-Phrase (Abstraktum) aufziehen (intr.) + Subjekt (Wind) beabsichtigen + Subj. (Person) + Akk.obj. (es) einsteigen + Subj. (Person) geschehen + Subj. (Abstraktum) gewinnen + Subj. + Akk.obj. (Abstraktum) lohnen (refl.) + Subj. (Abstraktum) schaffen + Subj. (Person) + Akk. (es) schaffen + Subj. (Person) + Akk. (es) schlafen + Subj. (Person) + lange sein für die Katz + Subj. (Abstraktum) tun + Subj. (Person) + Akk.obj. (Pflicht)
Konj. Plusq. IRR/ZUK abwarten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) annehmen + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Ausmaße) – können ansehen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Tier) – können aufheben + Subj. (Person) + Akk.obj . (Sachbez.) – sollen aufnehmen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) + in sich aufräumen (intr.) – müssen aufwachen + Subj. (Person) + aus-Phrase (Abstraktum) aufzehren + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Kapital) ausgraben (refl.) + Subj. (Person) – müssen aussuchen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Tier) + Dativ (Person) bedeuten + Subj. (Abstraktum) + Akk. (Abstraktum) bedeuten + Subj. (Abstraktum) + Akk. (Abstraktum) beteiligen (refl.) + Subj. (Person) + an-Phrase bringen durcheinander + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Abstraktum) dabeisein + Subj. (Person) + bei-Phrase durchhalten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) – können durchkriegen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) düsen + Subj. (Person) + Direktionalphrase
175 einladen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) + zu-Phrase entstehen + Subj. (Abstraktum) ergeben (refl.) + Subj. (Abstraktum) erkundigen (refl.) + Subj. (Person) – wollen erlauben + Subj. (Abstraktum) + Infinitivphrase. + Dativ (Person) festfahren (refl.) + Subj. (Abstraktum) fliegen + Subj. (Person) + aus-Phrase fortbleiben + Subj. (Abstraktum) führen + Subj. (Abstraktum) + zu-Phrase garantieren + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Abstraktum) + Dativ (Abstraktum) gehen + Subj. (Person) + Direktionalphrase gehen + Subj. (Person) + Direktionalphrase + gern gehen + Subj. (Person) + Direktionalphrase – können haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (alles) – können haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (die Kraft) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sex) haben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) haben zur Verfügung + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) heiraten (intr.) + Subj. (Person) hinwurschteln + Subj. (Person) + vor-Phrase kaufen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Tier) kaufen + Subj. (Person) + Akk.obj. (etwas) – müssen kennenlernen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) + gern kommen + Subj. (Person) + Dativ (Person) + mit-Phrase kommen + Subj. (Person) + Direktionalphrase (Person) kündigen + Subj. (Person) + Dativ (Person) – müssen leben + Subj. (Person) + mit-Phrase – können machen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Eindruck) profitieren + Subj. (Person) + von-Phrase reichen + Subj. (Abstraktum) + für immer reisen + Subj. (Person) + Direktionalphrase – können reiten + Subj. (Person) – müssen respektieren + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) resultieren + Subj. (Abstraktum) + aus-Phrase schlafen + Subj. (Person) – sollen schreiben + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) sein + Subj. (Person) + subst. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ sein + Subj. (Abstraktum) + adj. Prädikativ (nötig) + für-Phrase sein + Subj. (Ort) + adj. Prädikativ (näher) + an-Phrase sein + Subj. (Abstraktum) + pron. Prädikativ (es, Bezugsgröße: Abstraktum) sein ein Ei (Idiom) + Subj. (Abstraktum) sein gelistet (Zustandspassiv) + Subj. (Person)
176 setzen (refl.) + Subj. (Person) + Direktionalphrase stehen + Subj. (Abstraktum) + am Ende der Einigung – sollen unternehmen + Subj. (Person) + Akk.obj. (es, Bezugsgröße: Handlung) – sollen versuchen + Subj. (Person) + Akk.obj. (es, Bezugsgröße: Handlung) + weiter – sollen teilnehmen + Subj. (Person) + an-Phrase trinken + Subj. (Person) + Akk.obj. (Getränk) – können tun + Subj. (Person) + Akk.obj. (das, Bezugsgröße: Handlung) übernachten + Subj. (Person) + woanders übernehmen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) übernehmen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) unterbinden + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) – können vergessen + Subj. (Person) + Akk.obj. (es, Bezugsgröße: Handlung) verlieren + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) verrichten + Subj. (Person) + Akk.obj. (Dienst) – können versetzen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Person) + Direktionalphrase – können verzögern + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Abstraktum) warten + Subj. (Person) + Akk. (Zeitbestimmung) warten + Subj. (Person) + Akk. (Zeitbestimmung) weitermachen + Subj. (Person) werden + Subj. (Person) + subst. Prädikativ (Person) werden + Subj. (Abstraktum) + subst. Prädikativ (Abstraktum) werden + Subj. (Abstraktum) + subst. Prädikativ (Abstraktum) werden abgewählt + Subj. (Person) werden ausgegliedert + Subj. (Abstraktum) werden gesteuert + Subj. (Abstraktum) werden versteigert + Subj. (Sachbez.) – sollen zeigen + Subj. (Person) + Akk.obj. (Sachbez.) + Dativ (Person) zerbrechen + Subj. (Person) + an-Phrase zerstören + Subj. (Person) + Akk.obj. (Abstraktum) zusammenkommen + Subj. (Person) + nie richtig zwingen + Subj. (Abstraktum) + Akk.obj. (Person) + Infinitivphrase