Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Gesammelte Beiträge. Hrsg. von Rico David Neugärtner [1 ed.] 9783428586110, 9783428186112

Anhand einer Auswahl von 15 Aufsätzen von Michael Kloepfer blickt der Band auf Entwicklungen des Umweltrechts seit der J

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German Pages 322 Year 2023

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Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Gesammelte Beiträge. Hrsg. von Rico David Neugärtner [1 ed.]
 9783428586110, 9783428186112

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Michael Kloepfer

Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts Gesammelte Beiträge

Herausgegeben von

Rico David Neugärtner

Duncker & Humblot . Berlin

MICHAEL KLOEPFER

Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 200

Michael Kloepfer

Umweltrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts Gesammelte Beiträge

Herausgegeben von

Rico David Neugärtner

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: Das Druckteam Berlin Printed in Germany

ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-18611-2 (Print) ISBN 978-3-428-58611-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Geleitwort des Herausgebers Die Schriften zum Umweltrecht werden 200! 23 Jahre nach dem Erscheinen des einhundertsten Bands im Jahr 20001 ist das nächste ,Jubiläum‘ erreicht: Band 200. Dies gibt Anlass, auf die Entwicklungen des Umweltrechts zu Beginn des 21. Jahrhunderts zurückzublicken. Da das Umweltschutzrecht vor allem auch auf Vorsorge, Nachhaltigkeit und Zukunftssicherung gerichtet ist, muss ein solcher ,Blick zurück‘ zugleich ,naturgemäß‘ auch ein Blick nach vorn, also ein Aus-Blick sein.2 Die Bedeutung des Umweltschutzrechts ist in den Jahren seit der Jahrtausendwende weiter gewachsen – einige Stichworte zur bruchstückhaften Veranschaulichung: Atomausstieg, Energiewende, Kohleausstieg, Ausweitung von individuellen und überindividuellen Klagerechten, Effektivierung der Luftreinhalteplanung, Klimaschutz und Klimawandelanpassung. Mag es zwischenzeitlich vielleicht auch manche Konjunkturdelle gegeben haben, so ist der Stellenwert des Umweltschutzrechts in der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union und teilweise auch international in Rechtsetzung und Rechtspraxis, in Rechtswissenschaft und öffentlichem Bewusstsein letztlich doch ,ganz nachhaltig‘ und gerade zuletzt wieder recht rapide gestiegen. Dieser Bedeutungszuwachs des Umweltschutzrechts ist eingebettet in gesellschaftliche, kulturelle, wissenstheoretische und sozioökonomische Veränderungen globalen Ausmaßes; in den Zeitraum der letzten beiden Dekaden fällt der Übergang zu einer neuen (dritten) Phase des Anthropozäns: ,Die Menschheit‘ nimmt ,sich‘ nunmehr ,selbst‘ als diejenige geologische Kraft, welche sie bereits seit Längerem ist, wahr und zunehmend ernst.3 Zugleich bleiben umweltpolitische Entscheidungen und umweltrechtliche Konfliktlösungsinstrumente, welche unterhalb der trans- und internationalen Ebene, also in supranationalen Verbünden, in Nationalstaaten, in Regionen und im Lokalen angesiedelt sind, wichtig.4 Michael Kloepfer, der Herausgeber der Schriften zum Umweltrecht, hat das Umweltrecht im Zeitraum seit dem Jahr 2000 weiterhin – auch hier mit dem Impetus 1 M. Kloepfer, Umweltschutz und Recht. Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen. Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten, hrsg. v. T. Brandner/K. Meßerschmidt, SUR 100, 2000. 2 In den – lose an Jean-Paul Sartre angelehnten – Worten von Michael Kloepfer ist das Umweltschutzrecht eben noch immer ein fortwährend „junges Rechtsgebiet“ mit „Sehnsucht nach der Zukunft“, s. M. Kloepfer, in diesem Band, S. 15 (26). 3 Vgl. W. Steffen/J. Grinevald/P. Crutzen/J. McNeill, Phil. Trans. R. Soc. A (2011) 369, 842 (856); J. Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (380); vgl. dazu auch M. Kloepfer/ R. D. Neugärtner, in diesem Band, S. 275 (287). 4 Vgl. M. Kloepfer/R. D. Neugärtner, in diesem Band, S. 275 (296 ff.).

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Geleitwort des Herausgebers

„Beharren. Bewegen“5 – rechtswissenschaftlich begleitet und gestaltet.6 Daher unternimmt es der vorliegende Jubiläumsband, 15 ausgewählte, seit dem Jahr 2000 erschienene Beiträge von Michael Kloepfer zusammenzuführen. Die Auswahl an Aufsätzen soll exemplarisch-anekdotische Einblicke in wichtige umweltrechtliche Fragestellungen der letzten 23 Jahre ermöglichen, auf prägende Diskussionen zurückund auf fortbestehende Herausforderungen hinausblicken. Vier größere Abschnitte gliedern die 15 hier versammelten Beiträge. Die vier gebildeten Themenblöcke – „Geschichte und Perspektiven: Tradition und Innovation“, „Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete“, „Staat, ,Private‘, Markt: Umweltschutz in Kooperation“ und „Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit“ – sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine gewisse Orientierung beim Blick auf die Entwicklungen im Umweltrecht und in der Umweltrechtswissenschaft in den Jahren 2000 bis 2023 geben. Selbstverständlich wurden diese vier Themenfelder auch in den 99 Bänden der Schriften zum Umweltrecht, welche seit Band 101, also seit der Jahrtausendwende erschienen sind, intensiv von einer Vielzahl von Autorinnen und Autoren, darunter vielen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern in Qualifikationsschriften, bearbeitet; auf einschlägige SUR-Bände zu den vier Themenblöcken wird im Folgenden exemplarisch in Fußnoten hingewiesen. In den vier Beiträgen des ersten Abschnitts schaut Michael Kloepfer – überwiegend mit einem weiten Gesichtsfeld – auf „Geschichte und Perspektiven“ des Umweltrechts7 (s. Beiträge S. 15 ff. u. S. 67 ff.), geht teilweise aber auch auf konkretere Entwicklungen der 2000er-Jahre ein: auf die Kompetenzdiskussion rund um die Föderalismusreform I von 2006 (s. Beitrag S. 27 ff.) und auf das Projekt der Schaffung 5 S. zu diesem Begriffspaar: C. Franzius/S. Lejeune/K. v. Lewinski/K. Meßerschmidt/ G. Michael/M. Rossi/T. Schilling/P. Wysk (Hrsg.), Beharren. Bewegen. Festschrift für Michael Kloepfer zum 70. Geburtstag, 2013. Übertragen auf den vorliegend interessierenden Bereich, das Umweltschutzrechtsdenken von Michael Kloepfer, bedeutet dies exemplarisch: Ein „Beharren“ u. a. auf dem Erfordernis einer rechtsstaatlich-demokratischen Bettung und funktional-gewaltenteilerischen Ausdifferenzierung des Umweltschutzrechts – vgl. insoweit beispielsweise die Erörterungen zu Funktions- und Legitimationsgrenzen von Klimaschutzklagen im größeren gewaltenteilerischen Gefüge bei M. Kloepfer/R. D. Neugärtner, in diesem Band, S. 275 (292 f., 296 ff.). „Bewegen[des]“ findet sich dagegen u. a. im Zusammenhang mit dem von Michael Kloepfer intensiv begleiteten Projekt eines Umweltgesetzbuchs (dazu in diesem Band, S. 41 ff.), mit der in verschiedenen Beiträgen dieses Bands offengelegten fruchtbaren Beziehung des Umweltschutzrechts zu seinen Nachbarrechtsgebieten (u. a. Informationsrecht, Agrarrecht, Katastrophenschutzrecht – dazu in diesem Band, S. 83 ff.) oder rund um den Topos der ,Umweltgerechtigkeit‘ (dazu in diesem Band, S. 251 ff.). 6 Vgl. neben den in diesem Band versammelten Beiträgen insbesondere auch die Monographien M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, und 4. Aufl. 2016; sowie M. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2008; 2. Aufl. 2011; 3. Aufl. (mit W. Durner) 2020. 7 Vgl. zu diesem Themenfeld unter den SUR Bd. 101 ff. insbesondere folgende Bände: G. Lies-Benachib, Immissionsschutz im 19. Jahrhundert, SUR 122, 2002; M. Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, SUR 155, 2007; E. Bohne/M. Kloepfer (Hrsg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, SUR 165, 2009.

Geleitwort des Herausgebers

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eines Umweltgesetzbuchs (UGB – s. Beitrag S. 41 ff.). Gerade beim UGB ist die Analyse von Michael Kloepfer stark geprägt durch sein Interesse an einer Beförderung der Rechtsetzungslehre und speist sich insbesondere auch aus den Erfahrungen, welche er durch seine langjährige Mitarbeit in verschiedenen Kommissionen zur Erarbeitung von UGB-Entwürfen gesammelt hat. Der zweite Abschnitt verdeutlicht, dass das Rechtsgebiet Umweltrecht – als Rechtsmaterie mit Querschnittscharakter und als instrumentell innovatives Rechtsgebiet – erst unter Würdigung seines Wechselspiels mit anderen Rechtsgebieten angemessen begriffen werden kann8 : Michael Kloepfer hat – mit instrumentell-funktionalistischem Fokus – „Umweltrecht als Informationsrecht“ analysiert (s. Beitrag S. 83 ff.). Stärker regelungsgegenständlich motiviert ist die Hervorhebung des Wechselspiels zwischen dem Umweltschutzrecht und dem Agrarrecht sowie dem (Natur-) Katastrophenschutzrecht (s. die Beiträge S. 145 ff. u. S. 163 ff.). Ein weiteres Anliegen von Michael Kloepfer ist es, die Wechselwirkungen zwischen den „Rechtsregimen“9 öffentliches Recht und Privatrecht im Blick zu behalten, wie sich in den Aufsätzen zum umweltschutzrelevanten Kartellrecht, Wettbewerbsrecht und Vergaberecht zeigt (s. die Beiträge S. 105 ff. u. S. 131 ff.). Die Beiträge des dritten Abschnitts betrachten – stärker akteursbezogen – die Rolle ,Privater‘ (insbesondere von Unternehmen) im Umweltschutzrecht; hier geht es vor allem um Fragestellungen rund um das ,Kooperationsprinzip‘ des Umweltschutzes.10 Doch der erste Beitrag dieses Abschnitts widmet sich zunächst ein8

Vgl. zum Themenfeld ,Umweltschutzrecht und Nachbarrechtsgebiete‘ unter den SUR Bd. 101 ff. insbesondere folgende Bände: zum Umweltinformationsrecht etwa S. Roll, Zugang zu Umweltinformationen und Freedom of Information, SUR 127, 2003; zum Umweltagrarrecht: I. Härtel, Düngung im Agrar- und Umweltrecht, SUR 117, 2002; S. Klinck, Agrarumweltrecht im Wandel, SUR 174, 2012; C. Douhaire, Rechtsfragen der Düngung, SUR 189, 2019; zum Bezug von Umweltschutzrecht und Denkmalschutzrecht: M. Kloepfer, Denkmalschutz und Umweltschutz. Rechtliche Verschränkungen und Konflikte zwischen dem raumgebundenen Kulturgüterschutz und dem Umwelt- und Planungsrecht, SUR 172, 2012. 9 M. Burgi, Rechtsregime, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2. Aufl. 2012, § 18. Anlässlich dieses Verweises auf das Handbuch-Werk „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ ist in gebotener Kürze anzumerken, dass gerade an den Aufsätzen des zweiten und des dritten Abschnitts des vorliegenden Bands die hervorragende Rolle des Umweltschutzrechts als Referenzgebiet für Entwicklungen des Verwaltungsrechts insgesamt (und des ,allgemeinen Verwaltungsrechts‘) sichtbar wird; vgl. knapp zur Referenzstellung des Umweltschutzrechts im größeren Ganzen ,des Verwaltungsrechts‘ die Rezension zur 1. Aufl. der „Grundlagen des Verwaltungsrechts“: M. Kloepfer, Natur und Recht 2007, 438. 10 Vgl. zu diesem gerade in den 2000er-Jahren intensiv bearbeiteten Themenfeld unter den SUR Bd. 101 ff. insbesondere folgende Bände: G. Hucklenbruch, Umweltrelevante Selbstverpflichtungen – ein Instrument progressiven Umweltschutzes?, SUR 103, 2000; U. Kämmerer, Die Umsetzung des Umwelt-Audit-Rechts, SUR 110, 2001; J. A. Schickert, Der Umweltgutachter der EG-Umwelt-Audit-Verordnung, SUR 111, 2001; D. Elshorst, Bürgervollzugsklagen. Die Durchsetzung von Umweltrecht gegenüber Anlagenbetreibern durch Private in den USA und Deutschland, SUR 119, 2002; F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Umweltrecht, SUR 142, 2005; J. Freigang, Verträge als Instru-

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Geleitwort des Herausgebers

mal ganz ,klassischen‘ rechtsstaatlich-,freiheits‘-sichernden Aufgaben des Rechts zugunsten Privater (dann gerade auch in Spannung zur Umweltschutzpolitik), wenn er die „[r]echtliche Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen“ untersucht (s. Beitrag S. 181 ff.). Ein von Michael Kloepfer zusammen mit David Bruch verfasster Aufsatz nimmt sodann konsensuale Formen der Konkretisierung von Umweltpolitik (und Energiewirtschaftspolitik) rund um den Atomausstieg und die zwischenzeitliche Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken in den Blick (s. Beitrag S. 211 ff.). Der Protagonist des zusammen mit Klaus T. Bröcker im Jahr 2000 verfassten Beitrags auf S. 237 ff. ist das Umweltaudit – ein explizit auf die Kooperation von Umweltschutzbehörden und privatwirtschaftlichen Akteuren zugeschnittenes Umweltschutzinstrument, welches zugleich ein poster child seiner Zeit darstellt.11 Ein letzter (vierter) Abschnitt rückt den Topos ,Umweltgerechtigkeit‘12 in das Zentrum. Der ,Import‘ des Gedankens der ,Umweltgerechtigkeit‘ aus dem US-amerikanischen Diskurs (,environmental justice‘) in die deutsche Rechtswissenschaft ist eng verbunden mit einem kürzeren Aufsatz von Michael Kloepfer aus dem Jahr 200013 nach seinem Stanford-Aufenthalt 1999 und mit dem – hier auf S. 251 ff. abgedruckten – ausführlicheren Beitrag „Aspekte der Umweltgerechtigkeit“ (2008); mente der Privatisierung, Liberalisierung und Regulierung in der Wasserwirtschaft, SUR 164, 2009. 11 Vgl. auch die bereits in Fußn. 10 erwähnten Arbeiten von U. Kämmerer, Die Umsetzung des Umwelt-Audit-Rechts, SUR 110, 2001; und J. A. Schickert, Der Umweltgutachter der EGUmwelt-Audit-Verordnung, SUR 111, 2001. 12 Vgl. zu diesem Themenfeld unter den SUR Bd. 101 ff. insbesondere folgende Bände: übergreifend M. Kloepfer, Umweltgerechtigkeit. Environmental Justice in der deutschen Rechtsordnung, SUR 150, 2006; aus dem Bereich des inter- und transnationalen Umwelt- und Klimaschutzrechts: M. Pohlmann, Kyoto Protokoll: Erwerb von Emissionsrechten durch Projekte in Entwicklungsländern, SUR 136, 2004; C. Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen im Umweltvölkerrecht. Die Kyoto Mechanismen, SUR 139, 2005; R. Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht. Dogmatik und Umsetzung, SUR 159, 2008; K. Frauenkron, Das Solidaritätsprinzip im Umweltvölkerrecht, SUR 162, 2008; zum Problem struktureller Asymmetrien im Schutzniveau der Freiheitsgrundrechte von „Umweltbelastern“ einerseits und von durch „Umweltbelastungen“ in ihrer Freiheit eingeschränkten Grundrechtsträgerinnen und Grundrechtsträgern andererseits (auch) als Frage der Umweltgerechtigkeit (und zugleich als Grundrechtsgerechtigkeit): D. Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, SUR 173, 2012; zu einem gegenständlich konkreteren Umweltgerechtigkeitsproblem: J. Weuthen, Die Kumulation stickstoffemittierender Projekte in der FFH-Verträglichkeitsprüfung: Ein Verteilungsproblem, SUR 194, 2020. Umweltgerechtigkeit im Anthropozän bedeutet auch, ausdrücklich nach der rechtlichen Position von nicht-menschlichen Akteuren zu Fragen: vgl. N. Wegner, Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt, SUR 187, 2018; Michael Kloepfer/Hans-Georg Kluge (Hrsg.), Die tierschutzrechtliche Verbandsklage, SUR 186, 2017; Y. Groß, Die Rechtsdurchsetzung von Tierbelangen insbesondere durch tierschutzrechtliche Verbandsklagen, SUR 188, 2018. 13 M. Kloepfer, Environmental Justice und geographische Umweltgerechtigkeit, in: DVBl. 2000, S. 750 ff.

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monographisch entfaltet hat ihn Michael Kloepfer im 150. Band der SUR14. Eine Verortung von ,Umweltgerechtigkeit‘ in der Nachbarschaft des Leitbilds ,Nachhaltigkeit‘, eine Anwendung des Gedankens auf Klimaklagen und zugleich Ansätze zu seiner Ausweitung hin zu einer umfassenderen ,ecological justice‘ im reflexiven Anthropozän finden im hier auf S. 275 ff. abgedruckten Beitrag (M. Kloepfer/ R. D. Neugärtner, „Liability for Climate Damages, Sustainability and Environmental Justice“) ihren Platz. Der fünfzehnte und abschließende Beitrag der vorliegenden Sammlung, eine von Michael Kloepfer zusammen mit Jan-Louis Wiedmann verfasste Entscheidungsanmerkung zum Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Bundes-Klimaschutzgesetz aus dem Frühjahr 2021 (S. 303 ff.), stellt (u. a.) den Gedanken der ,Umweltgerechtigkeit‘ in den Zusammenhang mit der vom Gericht konturierten „intertemporalen Freiheitssicherung“15 und mit dem Problem ökologischer Langzeitverantwortung im demokratischen Gemeinwesen. Um die Auswahl und Zusammenstellung der Texte im Gespräch mit dem Herausgeber hat sich Jan-Louis Wiedmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin, verdient gemacht. Mika Knör und Emil Buschmann, studentische Mitarbeiter ebendort, haben die Vorbereitung der Publikation technisch unterstützt. Ihnen wird herzlich gedankt. Dank gebührt auch den Verlagen, die den Zweitpublikationen als Rechteinhaber zugestimmt haben. Der ursprüngliche Erscheinungsort der einzelnen Beiträge wird am Beginn des jeweiligen Aufsatzes in einer Fußnote genannt. Teilweise wird dort Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Michael Kloepfer für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung einzelner Beiträge gedankt; dieser Dank ist an dieser Stelle aktualisierend in Bezug zu nehmen. Vier der hier versammelten Aufsätze hat Michael Kloepfer in Ko-Autorenschaft gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern – Klaus T. Bröcker, David Bruch, Jan-Louis Wiedmann und dem Herausgeber dieses Bands – verfasst. Hier ist für die Zustimmung zur Zweitveröffentlichung Dank auszusprechen. Ganz besonders ist schließlich dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Verleger Dr. Florian R. Simon zu danken – für die Ermöglichung dieses Jubiläumsbands wie für die nachhaltige Förderung der Umweltrechtswissenschaft durch die Schriften zum Umweltrecht überhaupt. Berlin, im Dezember 2022 – in der Hoffnung und in der Zuversicht, dass die Anliegen der Schriften zum Umweltrecht wie diejenigen des Umweltschutzrechts auch künftig Erfolg genießen werden –

Rico David Neugärtner 14

M. Kloepfer, Umweltgerechtigkeit. Environmental Justice in der deutschen Rechtsordnung, SUR 150, 2006. 15 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18, Rn. 117 ff., 183 ff.

Inhaltsverzeichnis I. Geschichte und Perspektiven: Tradition und Innovation Zur Geschichte des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Föderalismusreform und Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sinn und Gestalt des kommenden Umweltgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Perspektiven des Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete Umweltrecht als Informationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

Umweltrecht und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes . . . . . . 131 Zur Vermeidung von Naturkatastrophen durch Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Dimensionen der Umweltagrarpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Staat, ,Private‘, Markt: Umweltschutz in Kooperation Rechtliche Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen als Schutzgut nationalen Verfassungs- und europäischen Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Die Laufzeitverlängerung im Atomrecht zwischen Gesetz und Vertrag . . . . . . . . . . 211 (Zusammen mit David Bruch) Umweltaudit und Umweltrechtskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (Zusammen mit Klaus T. Bröcker)

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Inhaltsverzeichnis

IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit Aspekte der Umweltgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Liability for climate damages, sustainability and environmental justice . . . . . . . . . 275 (In Collaboration with Rico David Neugärtner) Die Entscheidung des BVerfG zum Bundes-Klimaschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (Zusammen mit Jan-Louis Wiedmann)

I. Geschichte und Perspektiven: Tradition und Innovation

Zur Geschichte des Umweltrechts* 1 Geburtstage laden zum Bilanzieren ein. Sie enthalten jedenfalls zum Anlass des Geburtstages des Jubilars auch das Moment des Zurückschauens. Unter diesem Aspekt seien im Folgenden einige Bemerkungen zur Entwicklung des Umweltrechts (vor allem nach 1970) gemacht. Auf die bundesdeutsche Umweltrechtsgeschichte gemünzt könnte unser Jubilar fast mit Carl Zuckmayer formulieren: „Als wär’s ein Stück von mir“.2 Seine Bescheidenheit wird ihn allerdings davon abhalten. Die Gnade der relativ frühen Geburt hat es ihm aber ermöglicht, das Werden des bundesdeutschen Umweltrechts nach 1970 von Anfang an zu verfolgen und in gewisser Hinsicht auch wiederholt mitzugestalten. Die ehrenvollen Ämter des Vorsitzenden des Sachverständigenrates für Umweltfragen sowie des Vorsitzenden der Gesellschaft für Umweltrecht und seine zahlreichen gewichtigen Veröffentlichungen im Umweltrecht boten die Grundlage hierfür.

I. Frühes umweltrelevantes Recht Schon im Altertum gab es umweltrelevantes Recht. Dieses war vorrangig zur Lösung von Nutzungskonflikten natürlicher Ressourcen geschaffen worden.3 Insbesondere die Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens, die als Schwemmkulturen wesentlich von der lebensspendenden Kraft großer Flüsse profitierten, hatten schon Regeln für die Bewirtschaftung von Gewässern aufgestellt. Insoweit könnte man von einem frühen Umweltnutzungs-(koordinierungs-)recht sprechen. Von Umweltschutz als vorbeugendem und vorsorgendem Schutz der Umwelt – ökozentrisch – um ihrer selbst Willen oder – anthropozentrisch – mittelbar zum Schutz der Menschen konnte im Altertum dagegen kaum die Rede sein. Zwar finden sich u. a. in der Geschichte des antiken Roms durchaus auch Beispiele dafür, dass durch umweltbezogene Regelungen versucht wurde, die von menschlichen Vorhaben und Tätigkeiten ausgehenden Gefahren für die menschliche Gesundheit zu verringern.4 So wurde z. B. in Rom * Erstveröffentlichung in: Ewer/Ramsauer/Reese/Rubel (Hrsg.), Methodik – Ordnung – Umwelt. Festschrift für Hans-Joachim Koch aus Anlass seines siebzigsten Geburtstags, 2014, S. 317 – 328. 1 Der Beitrag wurde im Sommer 2013 fertiggestellt. Die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013 findet keine Berücksichtigung. Meinen Mitarbeitern Rico David Neugärtner sowie Christoph Schmidt danke ich für ihre Mitarbeit. 2 Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir: Horen der Freundschaft, 2007. 3 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 2 Rn. 4. 4 Kloepfer (Fn. 3), § 2 Rn. 6.

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I. Geschichte und Perspektiven: Tradition und Innovation

ein Kloakensystem zur Abwasserbeseitigung geschaffen. In römischen Verordnungen war zudem vorgesehen, dass emittierende Anlagen außerhalb des Siedlungsgebietes errichtet werden sollten. Hier – wie bei anderen frühen umweltrelevanten Regelungen – fällt jedoch der rein verlagernde Charakter dieser Regelungen auf.5 So wurden die durch das antike römische Kloakensystem aufgefangenen Abwässer ohne vorherige Behandlung in den Tiber geleitet. Im Mittelalter kam es im Zuge der beginnenden Verstädterung zu einer Verstärkung der Nutzungskonflikte; Wohn- und Gewerbebereich wurden zunehmend durchmischt.6 Auch hier finden sich Regelungen zur Milderung der Folgen menschlicher Umweltnutzung, vorwiegend mit rein verlagerndem Charakter, etwa hinsichtlich der Beseitigung von Abwässern durch die Einleitung in natürliche Gewässer. Wasserund Bodenrecht regelten vor allem Nutzungsrechte – primär mit eher zivilrechtlichen Strukturen. Im Zuge der Industrialisierung kamen dann vermehrt umweltbezogene Regelungen auf. Zu denken ist insbesondere an die – vom französischen Vorbild geprägten – immissionsschutzrechtlichen Ansätze in der Preußischen Gewerbeordnung von 1845 sowie der Reichsgewerbeordnung von 1871.7 Dort bildeten sich bereits Grundzüge der dogmatischen Strukturen des heutigen Immissionsschutzrechts heraus, wie zum Beispiel die Statuierung bestimmter genehmigungspflichtiger Anlagenkategorien, das Konzept der gebundenen Entscheidung oder die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe.8 Auch die für das heutige Umweltrecht typische Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe in untergesetzlichen Regelwerken erfolgte erstmals in nennenswertem Umfang durch Technische Anleitungen, in Preußen insbesondere die preußische Technische Anleitung von 1895.9 Man kann angesichts dieser sich herausbildenden Strukturen von einem frühen Immissionsschutzrecht sprechen. In diesem wurden auch wasserrechtliche Kodifikationen vorbereitet und erste Strukturen für ein Naturschutzrecht geschaffen. In der Nachkriegszeit wurde zunächst im Wesentlichen an die alten gewerbe-, wasser- und naturschutzrechtlichen Regelungen angeknüpft. 1959 kommt es schließlich zum neuen Atomgesetz. Trotz der verschiedenen umweltrelevanten Vorschriften in der Antike, im Mittelalter, im Zeitalter der Industrialisierung und in der Nachkriegszeit wäre die Annahme unrichtig, ein Rechtsgebiet „Umweltrecht“ habe in Deutschland schon vor 1970 bestanden. Es handelt sich bei diesem frühen Recht vielmehr überwiegend um umweltrelevantes, aber nicht umweltspezifisches Recht, das zwar Auswirkungen auf die 5

Kloepfer (Fn. 3), § 2 Rn. 6. Feldhaus, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 15, 16. 7 Zum Immissionsschutzrecht in der Frühindustrialisierung siehe Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 41 ff. 8 Näheres bei Feldhaus (Fn. 6), S. 15, 19. 9 Feldhaus (Fn. 6), S. 15, 20. 6

Zur Geschichte des Umweltrechts

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Umwelt hat, aber nicht primär dem Umweltschutz, sondern anderen Zwecken dient. Erst mit dem vor allem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstehenden Naturschutzrecht tritt umweltspezifisches Recht zu Tage. Indessen ist zu beachten, dass das Vorliegen bloß punktueller umweltbezogener Regeln ohne verbindende Systematik nicht die Bezeichnung als Rechtsgebiet rechtfertigen kann. Unter welchen weiteren Voraussetzungen man eine Mehrheit von rechtlichen Regelungen als Rechtsgebiet bezeichnen kann, wird nicht einheitlich beantwortet. Letztlich muss es aber um das gebietsweite Vorhandensein ähnlicher Regelungsaufgaben, Prinzipien, Regelungstechniken und Instrumente sowie um deren normative Verknüpfung gehen.10 Die frühen Regelungen umweltbezogener Probleme hatten lediglich fragmentarischen Charakter und blieben ohne verbindende Strukturen. Ein Rechtsgebiet Umweltrecht gab es damals noch nicht.

II. Entwicklung des modernen Umweltrechts in der Bundesrepublik Deutschland Das ändert sich in Westdeutschland erst in den frühen 1970er-Jahren: Erster formaler Schritt der bundesdeutschen Umweltgesetzgebung ist die Grundgesetzänderung von 1972, die mit Art. 74 Nr. 24 GG a. F. eine konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz für „die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung“ begründete, obwohl es damals auf diesem Gebiet bereits durchaus gehaltvolle Länderregelungen gab (z. B. Landes-Immissionsschutzgesetze, etwa das von Nordrhein-Westfalen). Als erster bedeutender einfachgesetzlicher Gesetzgebungsakt des Bundes im modernen westdeutschen Umweltrecht kann dabei das Abfallbeseitigungsgesetz11 von 1972 genannt werden. Als umweltrechtliches Modellgesetz12 folgte 1974 das Bundes-Immissionsschutzgesetz.13 Danach wurden insbesondere das Bundeswaldgesetz (1975), das Bundesnaturschutzgesetz (1976), die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz (1976), das Chemikaliengesetz (1980) und sehr viel später das Bundesbodenschutzgesetz (1998) erlassen. Ausgangspunkt für diese und weitere gesetzgeberische Maßnahmen war letztlich ein von der Bundesregierung bzw. von der Ministerialbürokratie des Bundes ausgehender politischer Impuls,14 wie er sich insbesondere im Sofortprogramm der Bun10

Vgl. Kloepfer (Fn. 3), § 1 Rn. 62. Gesetz über die Beseitigung von Abfällen (Abfallbeseitigungsgesetz – AbfG) v. 7. Juni 1972, BGBl. I S. 593. 12 Vgl. Feldhaus (Fn. 6), S. 15, 28. 13 Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) v. 15. März 1974, BGBl. I S. 3830. 14 Hierzu Vierhaus, Umweltbewußtsein von oben, 1994, S. 181 f.: „frühe Umweltpolitik [als] ministerialbürokrativ-technokratische ,Elitenpolitik‘“. 11

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I. Geschichte und Perspektiven: Tradition und Innovation

desregierung von 197015 sowie vor allem im Umweltprogramm der Bundesregierung von 197116 niedergeschlagen hatte. Insoweit stellt sich die frühe Umweltpolitik der damaligen sozialliberalen Bundesregierung unter Brandt/Scheel als ein eindrucksvolles Beispiel für eine insgesamt gelungene politische Planung der Regierung und für die exekutiven Möglichkeiten politisch-rechtlicher Steuerung (auch der Gesetzgebung) dar.17 Es war freilich am Anfang ein demokratieferner „Umweltschutz von oben“. In diese exekutiv dominierte Politik passte auch die Gründung des Umweltbundesamts in Berlin im Jahr 1974, dessen wichtigste Teile nach der Wiedervereinigung nach Dessau abwandern sollten. Das Umweltbewusstsein der Bevölkerung in Deutschland wuchs erst nach 1970/ 71 aufgrund der (bisweilen von der Bundesregierung inspirierten und sogar geförderten18) Bürgerinitiativen zum Umweltschutz und einer zunehmend ökologisch sensibilisierten öffentlichen Meinung. Die 1980 erfolgte Gründung der Partei der Grünen ist – entgegen einem verbreiteten Gründungsmythos – nicht die Ursache, sondern eine Folge dieses Bewusstseinswandels. Bedenkt man, dass vor 1969 der Begriff „Umweltschutz“ in Deutschland noch gänzlich unbekannt war,19 stellt der explosionsartige Anstieg der Umweltschutzidee in den siebziger Jahren eine außerordentlich schnelle historische Entwicklung dar. Solche Geschwindigkeiten des allgemeinen Bewusstseinswandels treten – historisch gesehen – eher selten auf. Leicht zu erklären ist das schlagartige Auftreten des Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland um 1970 nicht. Der Bundestagswahlkampf 1961, den die SPD noch unter das Motto „Blauer Himmel über dem Ruhrgebiet“20 stellte, ging für die damalige Opposition verloren. Die Explosion der Umweltschutzidee um 1970 ist in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls nicht durch Umweltkatastrophen verursacht worden. Zwar war die Umweltverschmutzung damals relativ hoch, die Umweltbelastung stieg aber zu dieser Zeit nicht mehr rasant an. Vielmehr ist das plötzlich aufkommende Umweltbewusstsein Ausdruck des allgemeinen Mentalitätswandels der Bevölkerung in den ausgehenden 1960er-Jahren. Die damals neue Idee des Schutzes der natürlichen Umwelt traf auf eine große allgemeine Reformbereitschaft in der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung nicht nur in Westdeutschland, sondern z. B. auch in den USA. Dieses allgemeine Reformklima wurde vorbereitet u. a. durch die Studentenbewegung, die insbesondere gegen den Vietnam-Krieg und gegen erstarrte politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und akademische Strukturen kämpfte. Volkswirtschaftliche Schwierigkeiten, die aus heutiger Perspek15

BT-Drucks. 6/1519. BT-Drucks. 6/2710. 17 Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 104. 18 Dazu eingehend Vierhaus (Fn. 14), S. 166 ff. 19 v. Lersner, Zur Entstehung von Begriffen des Umweltrechts, in: Franssen et al. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 259 ff. (263); Vierhaus (Fn. 14), S. 104 ff. 20 „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“, Willy Brandt in seiner Rede am 28. April 1961 vor dem Parteitag der SPD zur Bundestagswahl 1961, Vorwärts Nr. 18 (3. Mai 1961), S. 20. 16

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tive freilich eher überschaubar erscheinen, fachten die Auseinandersetzungen weiter an. Letztlich traf sich das Bewusstsein insbesondere der Endlichkeit natürlicher Ressourcen mit einem generellen Wertewandel und mit einer Grundskepsis an einer rein bzw. überwiegend ökonomischen Wertewelt. Das Ende des Wiederaufbaus führt in Westdeutschland zur Suche auch nach neuen, nicht materiellen Gesellschaftszielen. Man könnte also von einer Art „geistigem Klimawandel“ bzw. einem neuen Zeitgeist sprechen. Gerade hier zeigt sich: Mehr noch als Ereignisse machen Ideen Geschichte. Auf die Phase des legislativen Aufbaus des modernen bundesdeutschen Umweltrechts unter Brandt/Scheel folgt ab etwa Mitte der 1970er-Jahre unter Schmidt und danach anfangs auch unter Kohl eine Phase der Konsolidierung des Umweltrechts. Wesentliche gesetzliche Grundlagen des Umweltrechts waren nunmehr bereits geschaffen worden, sodass die legislativen Tätigkeiten im Umweltbereich zurückgingen und sich auf eher unwesentliche Novellierungen und auf untergesetzliches Recht beschränkten. Hingegen trat die Rolle von Rechtsprechung und Verwaltung in den Vordergrund.21 Die neuen Umweltgesetze mussten erst einmal ausgelegt, konkretisiert und vollzogen werden. Der Gesetzgebung folgten also Auslegungs- und Vollzugsprobleme. In dieser Konsolidierungsphase kam dann auch die Debatte um das sog. Vollzugsdefizit des Umweltrechts22 zur vollen Blüte, welche später insbesondere auch in die Diskussion um die Einführung neuer umweltrechtlicher Instrumente zur Bekämpfung dieses Vollzugsdefizits mündete. Schließlich war auch die Umweltrechtswissenschaft im Aufwind.23 Umweltrechtslehrstühle und -institute entstanden, Fachvereinigungen wurden gegründet und Tagungen im Umweltrecht nahmen kontinuierlich zu. Umweltrechtliche Zeitschriften und Schriftenreihen wurden etabliert und eine Fülle umweltrechtlicher Publikationen erschien. Nach dieser Phase der Konsolidierung zeichnete sich ab Mitte der 1980er-Jahre (wiederum unter Kohl) eine erste Phase der renovierenden Modernisierung des westdeutschen Umweltrechts ab. Insbesondere der verheerende Reaktorunfall von Tschernobyl vom 26. April 1986 hatte weitreichende, wenn auch nicht hinreichend konsequente Folgen für die westdeutsche Umweltpolitik.24 Eine – freilich auch auf die damals anstehende Wahl in Hessen zielende – organisationsbezogene Reaktion Kohls bestand in der Einrichtung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am 6. Juni 1986, nachdem übrigens fast alle Länder längst eigene Umweltministerien hatten. Wallmann wurde erster Bundesumweltminister und dann später – gewissermaßen im Glanze dieses neuen Amtes – zum hessischen Ministerpräsident gewählt. Sein Nachfolger wurde der – stark von der Umweltschutz21

Vgl. Kloepfer (Fn. 17), S. 105 f. Vgl. z. B. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 1974, BT-Drs. 7/ 2802, Tz. 660. 23 Vgl. auch Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4, 2012, S. 524 ff. 24 Dazu Kloepfer (Fn. 3), § 2 Rn. 92. 22

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idee geprägte und (in der politischen Wirksamkeit) bisher unerreichte – Bundesumweltminister Töpfer. Die Unsichtbarkeit der Gefahren hochdosierter radioaktiver Strahlung für menschliche Augen führte nach Tschernobyl zu einem besonderen Informationsbedürfnis der Bevölkerung, welches durch die Mess- und Informationsmaßnahmen des Strahlenschutzvorsorgegesetzes25 (1986) und durch die Gründung eines Bundesamtes für Strahlenschutz (1989) bedient werden sollte. Damit rückte erstmals der Aspekt verlässlicher, bundesweiter Umweltinformationen in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Zunehmend gewannen auch europarechtliche Vorgaben an Bedeutung, so insbesondere die EG-rechtliche Pflicht zur Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung26, welche durch das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung von 1990 (UVP-Gesetz)27 umgesetzt wurde. Vor allem auch durch solche europarechtliche Einflüsse kam die Diskussion über den umweltrechtlichen Instrumentenwandel weiter in Fahrt, die zu einem – rechtsdogmatisch bisher nur unzureichend bewältigten – Instrumentenmix ordnungsrechtlicher, informatorischer und ökonomischer Instrumente führen sollte. In die Zeit der beschriebenen Modernisierungsphase fallen auch die „Wende“, d. h. die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR im Jahre 1989 und sodann die deutsche Wiedervereinigung 1990. Neben den gravierenden Unzulänglichkeiten im Bereich politischer und persönlicher Freiheiten sowie der prekären wirtschaftlichen Situation in der DDR war es gerade auch die katastrophale Umweltsituation28, welche einen wichtigen Nährboden für die friedliche Revolution in Ostdeutschland lieferte. Im Einigungsvertrag29 vom 31. August 1990 wurde ein umfassender umweltschutzbezogener Gesetzgebungsauftrag30 vereinbart. Es sollten insbesondere einheitliche ökologische Verhältnisse im vereinigten Deutschland hergestellt werden (Art. 34 EV). Die hierauf folgenden Bemühungen um die Herstellung einer ökologischen Einheitlichkeit im wiedervereinigten Deutschland stießen vor allem aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation in Ostdeutschland auf erhebliche Schwierig-

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Gesetz zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung (Strahlenschutzvorsorgegesetz) v. 19. Dezember 1986, BGBl. I 1986 S. 2610. 26 Richtlinie 85/337/EWG des Rates v. 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 v. 5. Juli 1985, S. 40. 27 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) v. 12. Februar 1990, BGBl. I S. 94. 28 Zu den katastrophalen Umweltbedingungen, welche in vollem Umfang erst nach dem Ende der DDR offenbar wurden, vgl. Institut für Umweltschutz (Hrsg.), Umweltbericht der DDR, 1990; Petschow/Meyerhoff/Thomasberger, Umweltreport DDR, 1990. 29 Einigungsvertrag (EV) v. 31. August 1990, BGBl. 1990 II S. 889. 30 Vgl. Art. 34 Einigungsvertrag.

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keiten.31 Probleme ergaben sich unter anderem aus der zu Beginn der 1990er-Jahre forcierten Beschleunigungsgesetzgebung im Infrastrukturrecht.32 Immerhin kam es schließlich 1994 – auch als Spätfolge der Wende und als Vollzug des Art. 5 EV – zur Einfügung des Staatsziels Umweltschutz in das Grundgesetz (Art. 20a GG), das damit den Vorbildern in den Landesverfassungen mit jahrelanger Verspätung folgte. Insgesamt hatte die Wiedervereinigung aber relativ wenig Konsequenzen für die Gestalt des gesamtdeutschen Umweltrechts nach 1990, was auch mit der damals verbreiteten Beitrittsmentalität (Art. 23 GG a. F.) zu tun gehabt haben mag. Die historische Chance zur Entfeinerung und Entkomplizierung des alten bundesdeutschen Umweltrechts wurde bei der Wiedervereinigung jedenfalls vertan. Interessante Ansätze des Umweltrechts der DDR33 – z. B. das Landeskulturgesetz der DDR,34 das Sero-System35 etc. wurden nicht übernommen, u. a. weil die katastrophalen Umweltverhältnisse in der DDR grundlegende Zweifel an der Steuerungsfähigkeit des Umweltrechts der DDR nährten. Diese Zweifel waren schon deswegen berechtigt, weil die DDR kein Rechtsstaat war und eine Gesetzesbindung der Staatsorgane der DDR faktisch kaum vorhanden war, jedenfalls nicht erzwungen werden konnte. Heute erinnert an das DDR-Umweltrecht fast nur noch das Biosphärenreservat, das freilich letztlich internationalen Ursprungs ist. Nichtsdestoweniger ist das Biosphärenreservat so etwas wie der „Ampelmann“ im deutschen Umweltrecht geworden. Immerhin wurde einige Zeit nach der Wiedervereinigung die junge ostdeutsche Politikerin Merkel Bundesumweltministerin, von der man später noch manches mehr hören sollte. Die im Herbst 1998 gebildete rot-grüne Koalition (Schröder/Fischer), in der Trittin Bundesumweltminister wurde, hat einige wesentliche Kurskorrekturen eingeleitet (z. B. Atomausstieg mit Neubauverbot und Restlaufzeiten damals bis ca. 2023). Wichtige Ergebnisse der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung im Umweltbereich sind ferner die verstärkte Förderung erneuerbarer Energien – auch wenn diese Entwicklung schon mit dem Einspeisungsgesetz von 1990 eingeleitet wurde – und die Neuausrichtung des Umweltinformationsrechts. Demgegenüber scheiterte in dieser Zeit eine Umweltrechtskodifikation im ersten Anlauf wegen angeblich fehlender Kompetenzen des Bundes hierfür. Im Jahr 2005 kam es zur sog. Großen Koalition, d. h. zur schwarz-roten Bundesregierung unter Merkel/Müntefering (später Merkel/Steinmeier), bei der Gabriel Bundesumweltminister wurde. Der Koalitionsvertrag der Großen Koalition sah im Umweltbereich als Arbeitsschwerpunkte verstärkte internationale Bemühungen in 31

Kloepfer (Fn. 3), § 2 Rn. 109. Kloepfer (Fn. 3), § 2 Rn. 110 ff. 33 Zu den Instrumenten des DDR-Umweltrechts vgl. Kloepfer (Hrsg.), Instrumente des Umweltrechts der frühen DDR, 1991. 34 Gesetz über die planmäßige Gestaltung der sozialistischen Landeskultur in der Deutschen Demokratischen Republik (Landeskulturgesetz) v. 14. 05. 1970, GBl. I Nr. 12 S. 67. 35 Sero stand für das VEB-Kombinat Sekundär-Rohstofferfassung. 32

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den Bereichen Klimaschutz und Emissionshandel sowie um Nachhaltigkeitsstrategien vor.36 Außerdem sollte ein neuer Anlauf im Hinblick auf eine einheitliche Kodifizierung des deutschen Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch (UGB)37 u. a. mit integrierter Vorhabengenehmigung unternommen werden. Die Föderalismusreform I hatte vor allem deshalb nahezu unbegrenzte Gesetzgebungskompetenzen des Bundes für die umweltrechtlichen Teilgebiete geschaffen (wenn auch keine einheitliche Umweltschutzkompetenz) und insbesondere die bisherigen Rahmenkompetenzen des Bundes im Wasserhaushalts- und Naturschutzrecht in Vollkompetenzen des Bundes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung umgewandelt. Die Kodifizierung des Umweltrechts scheiterte – gegen alle Vernunft – letztlich jedoch erneut, und zwar vor allem am – ersichtlich wahlkampforientierten – Widerstand Bayerns und der CSU. Der damalige Bundesumweltminister Gabriel (SPD) sollte vor der Bundestagswahl politisch keinen „Stich“ bekommen. Aufgrund des durch Art. 125b Abs. 1 S. 3 GG zeitlich befristeten Regelungskorridors für eine abweichungsfeste Vollregelung durch den Bund bezüglich des Naturschutzrechts und des Wasserhaushaltsrechts wurde schließlich – quasi ersatzweise – eine dem damaligen UGB-Entwurf entsprechende Novellierung des BNatSchG und des WHG vorgenommen. An die Stelle der bisherigen Rahmenregelungen traten nun Vollregelungen des Bundes. Die christlich-liberale Koalitionsregierung unter Merkel/Westerwelle (später: Merkel/Rösler) ab 2009, bei der Röttgen und danach Altmaier Umweltbundesminister wurden, sah sich laut Koalitionsvertrag vor allem dem Klimaschutz als umweltpolitische Zentralaufgabe verpflichtet. Ein dynamischer Energiemix sollte dabei die konventionellen Energieträger kontinuierlich durch alternative Energien ersetzen. Die Förderung der erneuerbaren Energien als wesentlicher Baustein der Energiewende sollte u. a. durch eine EEG-Novelle flankiert werden. In diesem Zusammenhang kam der Kernenergie nach Willen der Bundesregierung die Funktion einer „Brückentechnologie“ zu, weshalb u. a. auf Betreiben der Wirtschaft mit dem 11. Änderungsgesetz zum AtomG (2010) eine Verlängerung der zeitlichen Brücke, d. h. eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Kraftwerke um etwa 12 Jahre, beschlossen wurde. Besonderes Augenmerk wollte die schwarz-gelbe Bundesregierung im Übrigen auf den Gedanken des „Ressourcenschutzes“ legen.38 Nach der Mehrfachkatastrophe von Fukushima (Erdbeben, Tsunami, SuperGAU) im März 2011 kam es in Deutschland wenige Monate später – allerdings auch im Hinblick auf die damals bevorstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg – zu einer neuerlichen Kursumkehr der schwarz-gelben Koalition, der Atomwende 2011. Diese führte zur Sofortabschaltung der sieben (mit Krümmel: acht) ältesten Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland. Das 13. Änderungsge36 Vgl. „Mit Mut und Menschlichkeit“, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005, S. 64 ff. 37 Dazu Kloepfer (Fn. 3), § 1 Rn. 39, 47 ff. 38 Vgl. dazu auch Knopp/Piroch, UPR 2010, 438 ff.

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setz zum Atomgesetz von 2011 sah dann die gestaffelte Abschaltung der übrigen Kernkraftwerke bis spätestens 2022 vor. Im Wesentlichen wurde so die Rechtslage von 200239 wiederhergestellt, die allerdings durch die erwähnte Sofortabschaltung von acht Kernkraftwerken und durch die Vorgabe fester Ausstiegstermine40 noch verschärft wurde.41 Neben einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber der nuklearen Energieerzeugung war diese Rückkehr zum Rechtszustand von 2002 dann wohl auch der entscheidende Grund für SPD und Grüne, den Plänen der schwarz-gelben Bundesregierung zuzustimmen. Über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Maßnahmen und über etwaige Entschädigungszahlungen wird insbesondere das BVerfG noch zu entscheiden haben.42 Neben dem 13. Änderungsgesetz zum Atomgesetz wurden weitere Gesetze zur Energiewende erlassen, z. B. das Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus der Elektrizitätsnetze (NABEG). Außerdem wurden Gesetze zur steuerlichen Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden, zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden, zur Neuregelung des Rechtsrahmens für die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (EEG) und zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften (EnWGÄndG) verabschiedet. Zu den letzten gesetzgeberischen Taten der schwarz-gelben Koalition auf dem Gebiet des Umweltrechts gehört die Schaffung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes 2012.43

III. Schluss44 1. „Lehren“ aus der Umweltrechtsgeschichte? Es wäre vermessen, wollte man aus der Umweltrechtsgeschichte einfache „Lehren“ im Sinne historisch erhärteter Verhaltensempfehlungen ableiten. Die prinzipi-

39 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Energie vom 22. 04. 2002, BGBl. I, 1351. 40 Spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2022 werden bei unveränderter Rechtslage die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, vgl. § 7 Abs. 1a Nr. 6 AtG. 41 Dazu ausführlich Kloepfer, DVBl. 2011, 1437. 42 Die Energiekonzerne Eon, RWE und Vattenfall haben gegen das Atomausstiegsgesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt, vgl. die Meldung auf ZEIT Online v. 12. 07. 2012, http:// www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2012-07/vattenfall-atomaustieg-klage (letzter Abruf am 06.12.12). 43 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) v. 24. Februar 2012, BGBl. I S. 212; Inkrafttreten des Gesamtgesetzes am 01. 06. 2012. 44 Zum Folgenden Kloepfer (Fn. 17), S. 145 ff.

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elle Frage, ob man überhaupt aus der Geschichte und – hier – aus der Geschichte des Umweltrechts lernen kann, muss notwendigerweise an dieser Stelle offen bleiben. Jedenfalls ist die Befassung mit der Umweltrechtsgeschichte unverzichtbar, will man das geltende Umweltrecht verstehen. Nur wer in den Rückspiegel schaut, kennt verlässlich die Situation, in der er sich befindet. Von daher ist bedauerlich, dass die meisten Lehrbücher des Umweltrechts bisher die Umweltrechtsgeschichte gar nicht oder allenfalls peripher behandeln. Hier fehlt dann schlicht eine Dimension der Darstellung. Der Einfluss des Umweltrechts auf die Umweltsituation sollte einerseits zwar nicht unterschätzt werden, darf aber andererseits auf keinen Fall überschätzt werden. Ohne allgemeine effektive Rechtsbindung und ohne entsprechende gerichtliche Erzwingungsmechanismen nützen – wie das Beispiel der DDR lehrt – umweltrechtliche Normen nur wenig. Darüber hinaus darf nicht verkannt werden, dass für eine effektive Verbesserung des Umweltschutzes durch Umweltrecht gewisse grundsätzliche politische, ökonomische aber auch ökologische Grundvoraussetzungen gegeben sein müssen (etwa Umweltschutzakzeptanz, Finanzierbarkeit, Revidierbarkeit ökologischer Belastungen etc.). Der Erfolg von Umweltrecht hängt entscheidend vom politischen und ökonomischen Umfeld ab: Was nützen etwa immissionsschutzrechtliche oder naturschutzrechtliche Regelungen, wenn ein politisches Regime einen Krieg beginnt, in dem es u. a. auch zu schwerwiegenden Umweltverwüstungen kommt? Oder: Lassen sich z. B. Rodungsverbote in Notzeiten wirklich durchhalten, wenn bei Einhaltung solcher Regelungen Menschen erfrieren würden? Entscheidend für den tatsächlichen Erfolg von Umweltrecht ist (wie für anderes Recht auch) seine inhaltliche Qualität. Gelingt es dem Gesetzgeber, gute, zeitlose Regelungen zu finden, können diese lange gelten und verschiedene politische Phasen überdauern, wie das in der preußischen GewO von 1845 gefundene Modell der Zulassungskontrolle für Anlagen zeigt, das – wenn auch modifiziert – der Sache nach noch immer das Herzstück des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellt. Modernes Umweltrecht muss das Ziel verfolgen, einen Ausgleich zwischen Stabilität und Flexibilität zu suchen, damit einerseits gesetzliche Umweltschutzmaßnahmen hinreichend langfristig wirken, andererseits aber auch die gerade im Umweltschutz so wichtigen, fortlaufenden Veränderungen der einschlägigen naturwissenschaftlichen, insbesondere ökologischen Erkenntnisse sowie der technischen Möglichkeiten berücksichtigt werden können. Eine äußere und innere Übernormierung durch zu viele und zu detaillierte Gesetze ist auf jeden Fall zu vermeiden. Wie das bundesdeutsche Umweltrecht lehrt, ist es jedenfalls ein Irrtum, zu meinen, viele Umweltrechtsnormen bedeuteten stets auch viel Umweltschutz.

2. Entstehungsvoraussetzungen von Umweltrecht Die Umweltrechtsgeschichte lehrt insbesondere, die grundsätzlichen Voraussetzungen zu erkennen, die für die Entstehung von Umweltrecht erforderlich sind.

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Erste Voraussetzung ist regelmäßig die überhöhte Inanspruchnahme von Umweltgütern durch den Staat, die Wirtschaft und die Bevölkerung. Als zweite Voraussetzung müssen hieraus Konflikte erwachsen. Solche können einmal zwischen konkurrierenden Umweltnutzern (z. B. im Wasserrecht) auftreten und zum anderen vor allem zwischen Umweltnutzern und Umweltbelasteten (z. B. Nachbarn). Diese zweite Fallgestaltung setzt freilich regelmäßig enge und nachvollziehbare Kausalitätsbeziehungen voraus. Für die modernen Umweltprobleme ist dies aber häufig nicht typisch. Breitflächige Umweltbelastungen (wie z. B. der Klimawandel) beruhen häufig auf einer unüberschaubaren Vielzahl von Ursachen mit teilweise komplizierten Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien und müssen lange vor dem Eintritt einer Gefahr oder gar eines Schadens bekämpft werden. Potentiell Umweltbelastete ist praktisch die Allgemeinheit, die sich im Wesentlichen nur über die öffentliche Meinung artikulieren kann. Deshalb ist in diesen wichtigen Fällen für das Entstehen von Umweltrecht typischerweise die Erkenntnis von Umweltproblemen und vor allem ein entscheidendes Problembewusstsein wichtig. Von daher wird deutlich, welches Gewicht das Umweltbewusstsein für das Entstehen von Umweltrecht in einer Demokratie hat. Die historisch feststellbaren „Schübe“ des Umweltbewusstseins (z. B. Naturschutzbewegungen im 19. Jahrhundert, die „Explosion“ des Umweltbewusstseins in den 1970er-Jahren) haben deshalb ein eminentes Gewicht für das Entstehen umweltspezifischen bzw. umweltrelevanten Rechts. Damit wird freilich keineswegs eine Entwicklung gutgeheißen, die Umweltgesetze primär als Reaktionen auf Störfälle begreift, um durch die möglichst schnelle Schaffung von einschlägigen Rechtsnormen der sensibilisierten Bevölkerung darzulegen, jedenfalls von nun an reagiere der Staat, um die Wiederholung von solchen Störfällen zu verhindern. Soll Umweltrecht mit Zukunft geschaffen werden, muss es mehr sein als kurzatmiges Krisenreaktionsrecht. 3. Umweltrecht als junges Rechtsgebiet? Das Umweltrecht bleibt ein faszinierendes Rechtsgebiet mit hoher Zukunftsrelevanz. Es bleibt wichtiges Innovationszentrum bzw. Laboratorium für die Gesamtrechtsordnung. Im Umweltrecht wurden z. B. Instrumente entwickelt, die dann auch in andere Rechtsgebiete eindrangen (z. B. Verbandsklagen, Auditverfahren etc.). Seine hohe Dynamik, Innovationskraft und Zukunftshaltigkeit lassen das Umweltrecht noch immer als junges Rechtsgebiet erscheinen. Trifft dies noch zu? Immerhin ist das moderne bundesdeutsche Umweltrecht bereits über 40 Jahre alt. Nimmt man schließlich noch in den Blick, dass schon zeitlich weit vor dem Einsetzen des modernen Umweltschutzgedankens Ende der 1960er- bzw. Anfang der 1970erJahre in Deutschland durchaus Rechtsetzung und -anwendung im Bereich umweltrelevanter Sachgebiete stattgefunden hat, so können schon Zweifel an der Jugendlichkeit des Umweltrechts aufkommen. Mit der Jugend ist es so eine Sache: Irgendwann vergeht sie.

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Gleichwohl: Gemessen an den klassischen Rechtsgebieten ist das Umweltrecht natürlich „jung“, gemessen z. B. am Internet-Recht eher nicht. Absolute Zeitgrenzen für die Jugendlichkeit (bzw. für die Erwachsenheit) eines Rechtsgebiets sind schwer zu ziehen. Näheren Aufschluss gibt da schon eher ein materielles Verständnis des Jung-Seins. Jugend ist die Sehnsucht nach der Zukunft.45 Diese essentielle Zukunftsbezogenheit ist dem Umweltrecht und übrigens auch vielen seiner (älter gewordenen) wissenschaftlichen Vertreter – einschließlich unseres Jubilars – geblieben. Umweltschutz bleibt notwendig eine Schicksalsaufgabe der Zukunft, weil es ohne Umweltschutz keine Zukunft geben wird.46

45 46

In Anlehnung an Sartre: „Die Jugend hat Heimweh nach der Zukunft.“ Kloepfer (Fn. 3), § 1 Rn. 1.

Föderalismusreform und Umweltrecht* ** Der Beitrag befasst sich mit der Entwicklung, der Lage und den möglichen Veränderungen des deutschen Föderalismus im Hinblick auf das Umweltrecht. Die bisher in der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung geäußerten Vorschläge können nur teilweise überzeugen. Zu empfehlen ist insbesondere ein einheitlicher Kompetenztitel des Bundes für den Umweltschutz im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Allgemein sollten die Rahmengesetzgebung und die Grundsatzgesetzgebung ebenso entfallen wie die Möglichkeit des Bundes, gemäß Art. 84 Abs. 1 GG künftig weiter die Einrichtung und das Verwaltungsverfahren der Landesbehörden zu regeln. Im Übrigen erscheint die Beteiligung der Länder an der europäischen Gesetzgebung reformbedürftig.

I. Bestandsaufnahme zum Föderalismus des Grundgesetzes Deutschland und Föderalismus sind untrennbar miteinander verbunden;1 und das nicht nur, weil die Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik unter der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG steht.2 Der Föderalismus entspricht der deutschen Geschichte. Ihr verdankt Deutschland seine Staatlichkeit. 1871 vereinte die Bismarcksche Reichsverfassung die deutschen Einzelstaaten im deutschen Reich.3 Die darauffolgende Weimarer Reichsverfassung (WRV) mit ihrem Bekenntnis zum Bundesstaat4 beendete die Diskussion über die zuvor noch umstrittene Frage, ob * Erstveröffentlichung in: NuR 2004, S. 759 – 764. ** Frau Christina Hakel sowie Herrn Volker Ochsenfahrt, Berlin, danke ich für die wertvolle Mitarbeit. 1 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 1990, § 98 Rn. 1 m. w. N.; Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff.; ders., Umweltrecht in Bund und Ländern. Darstellung des deutschen Umweltrechts für die betriebliche Praxis, 2003, § 1 Rn. 1 ff.; Haug, DÖV 2004, 190 ff. 2 Zu der Bedeutung dieser Vorschrift im Hinblick auf das Bundesstaatsprinzip vgl. näher Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 119 ff.; Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 1998, Art. 79 III GG Rn. 16 ff. 3 Vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, 3. Aufl. 1988, §§ 51 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 4. 4 Auch wenn die Bundesstaatlichkeit nicht ausdrücklich in der WRV erwähnt wurde und die Intention vor allem darin lag, die Stellung des Reiches zu festigen, so deuten die Art. 2, 5, 17, 18 WRV eindeutig auf eine föderale Struktur hin, die auch nicht bestritten wurde. Vgl. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 224 ff.; H. Schneider, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 5 Rn. 23 ff.

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Deutschland nun ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sei.5 Das – durch Beschluss der Landtage (Art. 144 Abs. 1 GG) zustandegekommene – Grundgesetz hat schließlich die durch den Nationalsozialismus unterbrochene föderale Staatsform Deutschlands,6 wenn auch mit geographisch anders umgrenzten Teilstaaten,7 weitergeführt. – Aber hat es diese auch vollendet? Gegenwärtig gibt es zahlreiche Kritikpunkte zum System des deutschen Bundesstaats, wie er sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat: Die ursprüngliche Intention des historischen Verfassungsgebers (und der hinter ihm stehenden Besatzungsmächte) war es, den Ländern eine herausragende Stellung im Gefüge des Staates zuzuweisen (vgl. Art. 30, 70, 83 GG).8 In den 55 Jahren des Bestehens des Grundgesetzes hat demgegenüber eine stete Zuständigkeitsverlagerung zugunsten des Bundes und zulasten der Länder stattgefunden.9 Zunächst wurden die insbesondere in den Art. 72 – 75, 105 GG enthaltenen Kompetenzen vom Bund in der Regel bis zum Anschlag ausgeschöpft und vor allem durch viele Verfassungsänderungen ständig erweitert. Insgesamt liegt das Schwergewicht der Umweltgesetzgebung heute eindeutig beim Bund.10 Kompensatorisch zum Ausbau der Bundeskompetenzen11 hat sich die Zahl der Zustimmungstatbestände bei Bundesgesetzen mehr als verdreifacht. Der Grund liegt in entsprechenden Verfassungsänderungen,12 aber auch im zunehmenden Gebrauch des Art. 84 Abs. 1 GG durch den Bund. 1949 kannte das Grundgesetz 12 Tatbestände, nach denen der Bundesrat einem Gesetz zustimmen musste; heute sind es 5 Einen guten Einblick in die verschiedenen Positionen von damals bietet Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Bundes, Bd. I, 2. Aufl. 1888, S. 81 ff. Bezeichnend für die damaligen Unklarheiten auch Fischer, Von der Föderation der Fürsten zum Bundesrat des Grundgesetzes, in: v. Arnim/Färber/Fisch (Hrsg.), Föderalismus – Hält er noch, was er verspricht?, 2000, S. 29 ff., 34; vgl. ferner E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. III (Fn. 3), S. 788 f. („die Legende vom Reich als ,Fürstenbund‘“). 6 Vgl. Grawert, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 6 Rn. 11 ff.; Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 1998, Art. 20 GG (Bundesstaat) Rn. 6. 7 Zur Staatenbildung nach 1945 vgl. Stolleis, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 43 ff. 8 Vgl. Mußgnug, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 8 Rn. 71 ff.; vgl. auch Bauer, DÖV 2002, 837 ff./839; Wilms, ZRP 2003, 86 ff. 9 Siehe etwa P. M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003, S. 4; Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern (Fn. 1), § 1 Rn. 3; Haug (Fn. 1), S. 191 f.; Spreen, ZRP 2004, 47 ff., 47 f.; Schwanegel, DÖV 2004, 553 ff., 554; Bauer (Fn. 8), S. 839; vgl. ferner Wilms (Fn. 8), S. 87 f.; kritisch allerdings Koch/Mechel, NuR 2004, 277 ff./278. 10 Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 91 ff.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 1 Rn. 169; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 4 Rn. 102 ff. 11 Kritisch zu der „Kompensationstheorie“ jedoch Krebs, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 50 GG Rn. 17 m. w. N. 12 Siehe die Auflistung der die Zustimmungspflicht begründenden Vorschriften bei Stettner, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 1998, Art. 77 GG Rn. 12.

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mehr als 40.13 Insgesamt sind mittlerweile weitaus mehr als die Hälfte der Gesetze des Bundes zustimmungspflichtig.14 Die Stärkung des Bundesrates15 mag grundsätzlich nicht zu verurteilen zu sein,16 jedoch kommt es mit ihr zu einer deutlichen Erhöhung der Bedeutung des Vermittlungsausschusses (gemäß Art. 77 Abs. 2 – 4 GG),17 der nicht öffentlich tagt und sich damit der Maxime der demokratischen Transparenz entzieht.18 Die vielen Fälle der Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat können jedenfalls die oft kritisierte Unbeweglichkeit des politischen Entscheidungssystems befördern.19 Komplementär zu den dominierenden Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes kommt der Großteil der Verwaltungskompetenzen den Ländern zu. Ihnen obliegt nicht nur der Vollzug der eigenen Gesetze, sondern auch der Vollzug von Bundesgesetzen. Allerdings ist die bundeseigene Verwaltung insbesondere durch selbstständige Bundesoberbehörden nach Art. 87 Abs. 3 GG zunehmend ausgeweitet worden.20 In Zusammenhang damit ist auf die heftige Kritik an der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung21 hinzuweisen. Von der ursprünglich vorgesehenen Trennung der Finanzhoheit zwischen Bund und Ländern und der Kombination von Finanz- und Sachverantwortung ist nicht mehr viel übrig geblieben. Stattdessen herrschen undurchsichtige Verflechtungen in den Finanzbeziehungen, denen es an Transparenz und Nachvollziehbarkeit mangelt. Nach dem bisherigen Konzept des Grundgesetzes (Art. 83 GG) liegt die Vollzugszuständigkeit und damit die hierdurch verursachte Kostenlast bei den Ländern. Sehr deutlich werden die Defizite des deutschen Föderalismus in Hinblick auf die Umsetzung des EG-Rechts.22 Das eigentlich vereinheitlichende und integrierende 13

Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 77 GG Rn. 21. 14 Vgl. Zypries, ZRP 2003, 265 ff./266; Haug (Fn. 1), S. 192; Schwanegel (Fn. 9), S. 558; Wilms (Fn. 8), S. 90; vgl. ferner Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. III, § 63 Rn. 42; Stettner, in: Dreier (Fn. 12), Art. 77 GG Rn. 11; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Fn. 13), Art. 77 GG Rn. 21; Krebs, in: v. Münch/Kunig (Fn. 11), Art. 50 GG Rn. 16. 15 Bauer (Fn. 8), S. 839; Schwanegel (Fn. 9), S. 558. 16 Hingegen spricht Wilms (Fn. 8), S. 89, von einer „gewissen Entartung des ursprünglichen föderalen Konzepts“. 17 Hierzu Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 14), § 63 Rn. 50 ff.; ferner Hasselsweiler, Der Vermittlungsausschuss. Verfassungsgrundlagen und Staatspraxis, 1981. 18 Zu der Vertraulichkeit des Verfahrens vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Fn. 14), § 63 Rn. 57; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Fn. 13), Art. 77 GG Rn. 13; Dästner, Die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses, 1995, S. 86 ff. 19 Zu der Kritik an der „Politikverflechtung“ vgl. Koch/Mechel (Fn. 9), S. 278 unter Hinweis auf die differenzierende Auffassung bei Bauer (Fn. 8), S. 843 f. 20 Zu der hiermit verbundenen Problematik vgl. auch unten Fn. 35. 21 Färber, DÖV 2001, 485 ff./495; ferner Renzsch, in: Büttner/Thiess (Hrsg.), Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und Europa, 2000, S. 39 ff. 22 Rehbinder/Wahl, NVwZ 2002, 21 ff.; Fisahn, DÖV 2002, 239 ff.; Hansmann, NVwZ 1995, 320 ff./324 f.; zurückhaltender Koch/Mechel (Fn. 9), S. 278 („nicht in erster Linie auf

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europäische Recht muss im Bundesstaat wieder aufgeteilt werden.23 Das führt zu Kompetenzunklarheiten und vor allem zu Verzögerungen in der Umsetzung, insbesondere von Richtlinien, und damit immer wieder zu Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland. Allerdings wäre es alles andere als konsequent, wenn die von Deutschland so nachdrücklich geforderte Subsidiarität der EU gegenüber den Mitgliedstaaten in Deutschland selbst – d. h. im Verhältnis von Bund und Ländern – nicht gewährt würde. Die deutsche Ausgestaltung des Bundesstaats ist immer noch von einem weit stärkeren Bekenntnis zum Föderalismus geprägt als zum Beispiel die österreichische,24 steht aber weit ab hinter dem Föderalismus der Vereinigten Staaten.25 Trotzdem gilt das föderalistische Modell – neben dem Bundesverfassungsgericht – als der wichtigste verfassungspolitische „Exportartikel“ der Bundesrepublik Deutschland und ihres Grundgesetzes. Diese Bedeutung wird vor allem dadurch bewusst, dass die weitere Integration der EU föderalistisch geprägt sein wird. Trotz mancher Mängel des deutschen Bundesstaats, die durch eine Föderalismusreform beseitigt werden sollen (s. u. II.), liegen die Vorteile der Bundesstaatlichkeit klar auf der Hand, auch wenn sie anders zu benennen sind als noch in den Anfangsjahren des deutschen Bundesstaats nach 1871.26 Bevor die Frage nach dem „Wie“ der Föderalismusreform beantwortet wird, dürfen daher die Vorteile des Bundesstaats nicht unbeachtet bleiben: Der deutsche Bundesstaat kann heute u. a. dazu dienen,27 – den Wettbewerb zwischen politischen Lösungen zu ermöglichen und hierdurch – Innovationen hervorzubringen und partiell zu erproben, – die Distanz zwischen Bürgern und Herrschaftsapparat zu verringern, die föderalen Strukturen zurückzuführen“), die jedoch den zweistufigen Gesetzgebungsprozess, die Problematik der Rahmengesetzgebung sowie – im Hinblick auf medienübergreifende Instrumente des Umweltrechts – die Divergenzen zwischen Rahmen- und konkurrierender Gesetzgebung hervorheben. Vgl. auch die Beiträge in Hrbek (Hrsg.), Europapolitik und Bundesstaatsprinzip. Die „Europafähigkeit“ Deutschlands und seiner Länder im Vergleich mit anderen Föderalstaaten, 2000. Zur Umsetzungsproblematik vgl. allgemein auch Rengeling, in: ders. (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht (EUDUR), Bd. I, 2. Aufl. 2003, §§ 27 bis 29; Rengeling/Gellermann, in: Di Fabio/Marburger/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996 (UTR Bd. 36), S. 1 ff., 5 ff. 23 Rehbinder/Wahl (Fn. 22), S. 22. 24 Seit dem 30. 6. 2003 arbeitet der sog. „Österreichkonvent“ an einem Vorschlag für eine neue Bundesverfassung für die Republik Österreich. Die Kompetenzverteilung und somit die Föderalismusreform spielt dabei eine entscheidende Rolle. Vgl. näher http//:www.konvent.gv.at. 25 Vgl. hierzu – im Hinblick auf das Umweltrecht – Renner, Föderalismus im Umweltrecht der Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft, 2003. 26 Damals ging es um Zusammenführung und Zusammenhalt unterschiedlicher ethnischer, sprachlicher oder religiöser Gruppen im Gesamtstaat. 27 Vgl. Koch/Mechel (Fn. 9), S. 277; Haug (Fn. 1), S. 190; Bauer (Fn. 8), S. 838; Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./567 f.

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– verstärkte Identifikationsmöglichkeiten der Bürger mit moderner Staatlichkeit herbeizuführen und dem Bürger mehr Möglichkeiten zur demokratischen Mitwirkung zu geben, – der freien Entfaltung des Bürgers durch die Ermöglichung von mehr Vielfalt größeren Raum zu geben, – politische Entscheidungen konsensfähiger zu machen (z. B. durch abschleifende Anwendung schroffer bundespolitischer Lösungen durch Landesverwaltungen), – das Risiko flächendeckend falscher Entscheidungen zu reduzieren, – die Herausbildung politischer Ersatzeliten für den Bund auf Landesebene zu ermöglichen. Vor allem kann der Föderalismus im Parteienbundesstaat dem Verblassen der Steuerungskraft der Gewaltenteilung entgegenwirken.28 Heute steht auf Bundesebene dem Machtblock Bundesregierung und Regierungsfraktionen im Bundestag die auf Minderheitenrechte beschränkte Bundesopposition gegenüber. Die klassische Gewaltenteilung wird so durch Parteienbindungen überspielt. Die hierdurch verlorengegangene Machtmäßigung kann aber im Parteienbundesstaat durch oppositionelle Bundesratsmehrheiten teilweise kompensiert werden.

II. Föderalismusreform Eine Reform des deutschen Föderalismus erscheint vielen heute als unverzichtbar.29 Der Föderalismus in Deutschland soll vereinfacht und entbürokratisiert werden. Er muss transparenter, rationaler und europatauglicher werden.

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Vgl. Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 2), Art. 79 Abs. 3 GG Rn. 123 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 20 GG (Stand: 1980), Teil IV Rn. 74 ff.; Haug (Fn. 1), S. 190; ferner Schwanegel (Fn. 9), S. 554. 29 Vgl. etwa Zypries (Fn. 14), S. 265 ff.; Haug (Fn. 1), S. 190 ff.; Schwanegel (Fn. 9), S. 553 ff.; Spreen (Fn. 9), S. 47 ff.; Henneke, DVBl. 2003, 845 ff.; Möstl, ZG 2003, 297 ff.; Jekewitz, RuP 2003, 89 ff.; Schulze-Fielitz, NuR 2002, 1 ff./4 ff.; Clement, NWVBl. 2001, 417 ff.; Papier, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent – Zur Struktur des deutschen Föderalismus, 1999, S. 341 ff., 346 ff.; Stratthaus, in: Bitburger Gespräche 1999/II, S. 5 ff., 7 ff.; zurückhaltender Jochum, ZRP 2002, 255 ff.; Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff. Von Bedeutung sind ferner das Papier des Bundesjustizministeriums „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. Position des Bundes“ vom 9. 4. 2003 (abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/251.pdf), die von der Ministerpräsidentenkonferenz am 27. 3. 2003 beschlossenen „Leitlinien zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ sowie die am 31. 3. 2003 angenommene „Lübecker Erklärung“ der deutschen Landesparlamente; vgl. hierzu Haug (Fn. 1), S. 193 ff.; Henneke, DVBl. 2003, 845 ff.; zum Standpunkt der Bundesregierung Trittin, Umwelt 2004, 233 ff.

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Fraglich ist jedoch, ob die gegenwärtige „Kommission von Bundesrat und Bundestag zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“30 diesen Aufgaben gerecht werden wird, ob sie das bundesstaatliche „Kompetenzwirrwarr“,31 wie es Bundesratspräsident Althaus in der konstituierenden Sitzung treffend genannt hat, entwirren wird. Sowohl die im Wesentlichen nach Lagertreue und -ausgewogenheit erfolgte Zusammensetzung der Kommission als auch die Protokolle der bisherigen Sitzungen lassen darauf schließen, dass mit einer wirklich grundlegenden Neuorientierung kaum zu rechnen ist, sondern nur mit einzelnen Änderungen, die aber durchaus sinnvoll und effizient sein können. Kompetenzzerrissenheit führt zur Erschwerung konsistenter Regelungen und nicht selten zu Regelungslücken oder doch zu Regelungsfriktionen. Dadurch kann die Umwelt Schaden nehmen. Kompetenzlücken haben (angeblich) auch das große Projekt des Umweltgesetzbuchs32 zum Scheitern gebracht.33

III. Föderalismusreform und Umweltrecht Die grundsätzliche Befürwortung des Föderalismus und ein Votum für seine prinzipielle Stärkung schließen keineswegs aus, die Umweltagenden umfassend in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes zu überführen, indem der Art. 74 GG eine geänderte Nummer 24 „Recht der Umwelt“ oder „Schutz der Umwelt“ erhält.34

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Eingesetzt durch die gleichlautenden Beschlüsse des Bundestags vom 16. 10. 2003, BTDrs. 15/1685, und des Bundesrats vom 17. 10. 2003, BR-Drs. 750/03. Nähere Informationen zu der Kommission finden sich unter http://www.bundesrat.de/Site/Inhalt/DE/. 31 1. Sitzung vom 7. 11. 2003, Stenographischer Bericht, S. 1. 32 Hierzu Helberg, in: Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 2002, § 3 Rn. 32 ff.; Hoppe/Beckmann/ Kauch (Fn. 10), § 1 Rn. 176 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 10), § 1 Rn. 40 ff.; vgl. ferner die Beiträge in Bohne (Hrsg.), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999; Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1999; Koch (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992. Als Entwürfe liegen bislang vor ein Professorenentwurf (Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1991; Kloepfer/Kunig/ Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil, 1994) sowie ein Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch, 1998). 33 Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 10), § 1 Rn. 43 m. w. N. 34 Ebenso Trittin, in: BMU (Hrsg.), Dokumentation der BMU-Tagung „Föderalismusreform: Neuordnung der Umweltkompetenzen“ vom 29. 3. 2004, S. 8; Koch, ibid., S. 12 f. sowie im Ergebnis Zypries (Fn. 14), S. 267. Dies wurde bereits mehrmals gefordert; vgl. hierzu Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern. Perspektiven des föderalen Umweltschutzes am Beispiel der Abfallwirtschaft, 2003, S. 125 ff.; ders., Umweltrecht in Bund und Ländern (Fn. 1), § 1 Rn. 40; vgl. auch Koch/Mechel (Fn. 9), S. 284 ff. (zu Natur-

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Der Grund dafür wird deutlich, wenn man sich die momentane Zersplitterung und die Unklarheiten innerhalb der Kompetenzverteilung des Umweltrechts vor Augen hält. Außerdem wiegen im Bereich des Umweltrechts die Nachteile des föderalistischen Systems (Entscheidungserschwerung durch Zuständigkeitszersplitterung) besonders schwer, wenn bedacht wird, dass die Konsequenzen zu unwiderruflichen und unabänderbaren Schäden in Ökosystemen und der Gesundheit der Bevölkerung führen können. Im Bereich der Verwaltungszuständigkeiten ist die Zerrissenheit nicht ganz so stark, weil die Länder sowohl die Vollzugszuständigkeiten des eigenen Rechts wie (grundsätzlich) auch des Bundesrechts haben. Allerdings wird dieser Befund durch zunehmende Vollzugszuständigkeiten des Bundes (vor allem durch Bundesoberbehörden35) wie auch durch die Skurrilitäten der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) – etwa im Atomrecht – gestört. 1. Status quo der Umweltkompetenzen Im Umweltrecht besteht ein eindeutiges Übergewicht des Bundes bei den Gesetzgebungszuständigkeiten, obwohl es bisher keinen einheitlichen Kompetenztitel „Umweltschutz“ für den Bund gibt.36 Für seine Umweltgesetzgebung stützt sich der Bund auf verschiedene Einzelzuständigkeiten.37 So kann er sich im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung auf mindestens 13 Titel stützen. Auch die ausschließliche Gesetzgebung und die Rahmengesetzgebung enthalten einschlägige Zuständigkeiten. Zudem kommen dem Bund in seltenen Einzelfällen ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen im Umweltschutz zu (z. B. bundesweite Umweltgesamtplanung). Die Zuständigkeit zu umfassenden umweltrechtlichen Regelungen des Bundes ergibt sich regelmäßig aus der Kombination oder Addition mehrerer

schutz und Landschaftspflege). Zurückhaltend gegenüber einer „Herabzonung“ auf die Länder ferner Schulze-Fielitz (Fn. 29), S. 7. 35 So dürfte die weitgehende Zuständigkeit des Umweltbundesamtes (UBA) für den Vollzug des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen vom 8. 7. 2004 (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – TEHG, BGBl. I S. 1578) trotz der Abschwächung des § 20 TEHG durch den Vermittlungsausschuss verfassungswidrig sein. Die Zuständigkeit für die Genehmigung und Überwachung von Emissionen (§§ 4 und 5 TEHG) wurde nach dem Kompromiss (vgl. BR-Drs. 452/04, S. 6) lediglich im Hinblick auf genehmigungsbedürftige Anlagen i. S. des § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG auf die Landesbehörden übertragen. Im Übrigen ist gemäß § 20 TEHG das UBA zuständig. Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG erlaubt jedoch jedenfalls nicht ein beliebiges Unterlaufen des Grundsatzes der Art. 83 ff. GG durch Übertragung von Verwaltungsaufgaben an Bundesoberbehörden. 36 Eine ausführliche Darstellung der umweltrechtlichen Zuständigkeitsordnung findet sich bei Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 88 ff. sowie bei Hoppe/Beckmann/Kauch (Fn. 10), § 4 Rn. 101 ff. 37 Hierzu Peine, in: Kloepfer (Hrsg.), Umweltföderalismus, 2002, S. 109 ff.

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Kompetenznormen. Das wäre – entgegen der Ansicht der Bundesregierung – auch für das Projekt des Umweltgesetzbuchs ein gangbarer Weg gewesen.38 Den Ländern verbleiben in der Umweltpolitik hingegen nur noch die alleinige Gesetzgebung in einigen wenigen Bereichen (v. a. Landesplanungsrecht, [subsidiäres] Polizei- und Ordnungsrecht und Fischereirecht) sowie die Ausfüllung des durch die Rahmengesetzgebung des Bundes (z. B. Naturschutz- und Wasserrecht) vorgegebenen Rahmens gemäß Art. 75 GG und das Tätigwerden, falls der Bund seine konkurrierende Zuständigkeit nicht ausgeschöpft hat. In der Vergangenheit hat der Bund seine umweltschutzbezogenen Gesetzgebungskompetenzen weitestgehend genutzt.39 Dementsprechend hoch ist auch die Zahl der umweltrelevanten Bundesgesetze bzw. -verordnungen.40 Daraus ist nicht selten ein dementsprechend undurchsichtiger Regelungsdschungel geworden. Ein weiteres Problem und die Quelle für Undurchsichtigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten im Umweltrecht liegen umgekehrt nicht selten in den fehlenden eindeutigen Kompetenztiteln und in den daraus resultierenden Schwierigkeiten der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Zahlreiche umweltrechtliche Berührungspunkte zwischen Bund und Ländern finden sich im Vollzug der Bundesgesetze, der weitgehend den Ländern obliegt.41 Die Länder müssen so überwiegend Gesetze umsetzen, die sie nicht selbst erlassen haben und wofür sie nicht selten nicht entsprechend finanziell ausgestattet sind.42 Die länderspezifische Ausführung kann zu positivem Wettbewerb, jedoch in der betrieblichen Praxis auch zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Dabei geht es aber nicht nur um die Kosten, sondern vielmehr auch darum, dass es für die Unternehmen – vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) – aufgrund der Vielfalt an Regelungen schwer möglich ist, immer rechtmäßig zu handeln. Schließlich seien noch die Mitwirkung Deutschlands in den europäischen Gremien und die Umsetzung von EG-Recht erwähnt. Die momentane Ausgestaltung des Art. 23 Abs. 6 GG erlaubt bzw. erfordert es, dass Repräsentanten der Länder die deutschen Interessen in Brüssel vertreten,43 was zu Unklarheiten und Nachteilen für Deutschland führen kann. 38

S. o. Fn. 32, 33. Vgl. etwa zum Immissionsschutzrecht Schulze-Fielitz (Fn. 29), S. 1 ff. 40 Allein zum Bundes-Immissionsschutzgesetz bestehen derzeit 30 Durchführungsverordnungen, s. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 10), § 14 Rn. 34 (abgedruckt bei Kloepfer Nr. 620 ff.); hinzu kommen Verwaltungsvorschriften des Bundes, etwa die Technischen Anleitungen nach § 48 BImSchG (insb. die TA Luft und die TA Lärm, Kloepfer Nr. 601 und 606); vgl. SchulzeFielitz (Fn. 29), S. 1 f. 41 Ausführlich Helberg, in: Koch (Fn. 32), § 3 Rn. 50 ff. 42 Zu Vollzugsdefiziten im Umweltrecht vgl. Koch/Mechel (Fn. 9), S. 278 f. m. w. N. 43 Vgl. auch Calliess, in: Hrbek (Hrsg.), Europapolitik und Bundesstaatsprinzip (Fn. 22), S. 13 ff., sowie die näheren Regelungen in dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund 39

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Die Umsetzung der IVU-Richtlinie44 war ein Musterbeispiel dafür, wie die Umsetzung nicht funktionieren sollte.45 Ein anderes anschauliches, abschreckendes Beispiel ist die Wasserrahmenrichtlinie,46 für deren Umsetzung es 33 Rechtsakte bedarf:47 ein Wasserhaushaltsgesetz des Bundes,48 16 Landeswassergesetze und 16 Landeswasserverordnungen.49 Dem muss man wohl nicht mehr viel hinzufügen, die Zahl spricht gegen sich selbst. Gerade im Umweltrecht kommt es immer wieder zu Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen mangelhafter Umsetzung des Gemeinschaftsrechts.50 Dies ist zumindest teilweise auf die bereits erwähnte51 Problematik des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik und der damit einhergehenden innerstaatlichen Aufspaltung der Kompetenzen zurückzuführen.52

und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) vom 12. 3. 1993, BGBl. I S. 313 (Sartorius I Nr. 97). 44 Richtlinie 96/61/EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung vom 24. 9. 1996, ABl. EG Nr. L 257 vom 10. 10. 1996, S. 26 (Kloepfer Nr. 25); hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 10), § 14 Rn. 27; Wasielewski, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 213 ff., jeweils m. w. N. 45 Wahl NVwZ 2000, 502 ff.; Sendler, NJW 2000, 2871 f. („Misere“, „Trauerspiel“). 46 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG Nr. L 327 vom 22. 12. 2000, S. 1. 47 Diese Rechnung hat auch Bundesumweltminister Trittin bei der BMU-Tagung am 29. 3. 2004 durchgeführt, vgl. ders., in: BMU (Fn. 34), S. 6 f. 48 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. 8. 2002, BGBl. I S. 3245 (Kloepfer Nr. 200). 49 Das Wasserrecht der Länder ist etwa abgedruckt bei v. Lersner/Berendes (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Wasserrechts, 8 Bände, Loseblatt (Stand: 2004). 50 Vgl. etwa die Verurteilungen wegen nicht hinreichender Umsetzung der Grundwasserrichtlinie, EuGH vom 28. 2. 1991, NVwZ 1991, 973; zweier Oberflächenwasserrichtlinien, EuGH vom 17. 10. 1991, EuZW 1991, 761; der Trinkwasserrichtlinie, EuGH vom 24. 11. 1992, NVwZ 1993, 257; der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser, EuGH vom 12. 12. 1996, Slg. I-1996, 6739; der Fischgewässer- und der Muschelgewässerrichtlinie, EuGH vom 12. 12. 1996, ZUR 1997, 156; der Umweltinformationsrichtlinie, EuGH vom 9. 9. 1999, NVwZ 1999, 1209; der Gewässerschutzrichtlinie, EuGH vom 11. 11. 1999, ZUR 2001, 160; der Nitratrichtlinie, EuGH vom 14. 3. 2002, Slg. I-2002, 2753; siehe auch Caspar, in: Koch (Fn. 32), § 2 Rn. 68 f.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 10), § 13 Rn. 16; Albin, DVBl. 2000, 1483 ff. Die Kommission hat ferner die Bundesrepublik Deutschland (und andere Mitgliedstaaten) jüngst wegen mangelhafter Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und wegen fehlender Luftreinhaltepläne gerügt (Pressemitteilungen IP/04/870 und IP/04/872 vom 8. 7. 2004). 51 S. o. bei Fn. 22. 52 Vgl. Schmidt-Jortzig, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 28. 4. 2004, Kommissions-Drucksache 0037, S. 11 f.; Schink, ZG 2004, 1 ff.; kritisch allerdings Beck, Schreiben an die Bundesstaatskommission vom 24. 3. 2004, Kommissions-Drucksache 0034, S. 5; H.-P. Schneider, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 10. 5. 2004, Kommissions-Drucksache 0043, S. 13.

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Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie die Umsetzung in den beiden anderen Bundesstaaten der Europäischen Union – Belgien und Österreich – vonstatten gegangen ist. Die Gesetzgebungskompetenz für Wasser53 liegt in Belgien in Händen der drei Regionen (Wallonische, Flämische und Brüsseler Region54). Dementsprechend sind diese mittels Dekret zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie befugt, was bedeutet, dass drei Gesetze55 notwendig sind. In Österreich ist es genau umgekehrt. Gesetzgebung und Vollziehung für das Wasserrecht liegen gemäß Art. 10 Abs. 1 Ziffer 10 B-VG beim Bund. Zur Umsetzung der Richtlinie bedarf es daher nur eines Gesetzgebungsakts.56 Hinzuweisen ist jedoch auch darauf, dass weder die Kompetenzverteilung in Belgien noch die in Österreich57 einen einheitlichen Kompetenztitel „Umweltschutz“ vorsieht. Die Bestandsaufnahme zum Föderalismus des Grundgesetzes hat verbreitet den Wunsch nach Veränderungen aufkommen lassen. Letztlich geht es um einen optimierenden Ausgleich zwischen Belangen des Bundesstaats und solchen des Umweltschutzes. Dafür ist es sinnvoll, die Vorteile von Regelungen auf Landesebene und auf Bundesebene miteinander abzuwägen. 2. Vorteile der Regelung auf Landesebene Die Vorteile umweltrechtlicher Kompetenzen der Länder58 erweisen sich überwiegend als geografische Vorteile: – Die Länder haben den Vorteil größerer Nähe, wodurch geografische, ökologische, rechtliche und andere Unterschiede (auch Mentalitätsunterschiede) besser berücksichtigt werden können. – Außerdem sind ihnen lokale Probleme besser vertraut, weshalb sie ortsnahe Lösungen finden können. – Durch die Möglichkeit der unterschiedlichen Herangehensweise in den verschiedenen Ländern ist es möglich, verschiedene Gesetzesmodelle zu erproben, um 53 Gemäß Art. 134 i. V. mit Art. 4 und 39 der belgischen Verfassung ist ein „Bijzondere wet tot hervormin der instellingen“ vom 8. 8. 1980 ergangen, das die Kompetenzen der Regionen regelt. Nach dessen Art. 6 § 1 Abs. 2 S. 1 ist der Schutz des Wassers den Regionen überlassen. 54 Vgl. Art. 3 der belgischen Verfassung. 55 Das Flämische „Decreet betreffende het integraal waterbeleid“ ist am 24. 11. 2003 in Kraft getreten. 56 Zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Österreich wurde das Wasserrechtsgesetz aus dem Jahre 1959 novelliert (BGBl. I Nr. 82/2003). 57 Zur umweltrechtlichen Kompetenzverteilung in Österreich vgl. Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. I: Grundlagen, 1997, S. 322 ff. 58 Hier sei auf die Arbeit von Renner hingewiesen, dessen Argumentation zu den Vor- und Nachteilen von umweltrelevanten Regelungen auf oberer oder unterer Ebene (d. h. nationaler oder Gemeinschaftsebene) auch auf den Bundesstaat Deutschland übertragbar ist, vgl. Renner (Fn. 25), S. 45 ff.

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dann das sich am besten eignende bundesweit auszudehnen. Die Bundesländer können sozusagen die Rolle von „regulatorischen Laboratorien“59 übernehmen. – Der Bundesstaat ermöglicht einen Wettbewerb zwischen den Ländern, u. a. um Innovationen zu fördern und die Leistungsfähigkeit von Organisationen zu steigern.

3. Vorteile der Regelung auf Bundesebene Eine Konzentrierung der Umweltkompetenzen beim Bund ist vor allem aus folgenden praktischen und pragmatischen Überlegungen sinnvoll: – Das nationale Umweltrecht hat heutzutage häufig einen europarechtlichen Ursprung. Um die zuvor stattgefundene Vereinheitlichung auf europäischer Ebene nicht wieder zu zerstören, ist eine Umsetzung auf Bundesebene sinnvoll. Nicht zu vergessen ist dabei auch die raschere Implementierung des EG-Rechts. – Bundesweite einheitliche Regelungen in weiten Teilen des Umweltrechts würden eine deutliche Vereinfachung für die Unternehmen bedeuten, die so auch jenseits der Bundesländergrenzen mit denselben Rechtsvorschriften konfrontiert werden würden.60 – Bundesregelungen verhindern einen Negativwettbewerb bei Umweltstandards zwischen den Ländern (d. h. Wettbewerb durch weniger Umweltschutz). – Bundesregelungen schließen die Verzerrung des ökonomischen Wettbewerbs durch unterschiedliches Umweltrecht aus. – Vor allem im technischen Umweltrecht, in dem oft umfangreiche Forschungsarbeit notwendig ist, kann eine zentrale Lösung zu wirtschaftlicherem Vorgehen führen. – Kompetenzraum und Problemraum werden bei großräumigeren Problemen einander angenähert. Auswirkungen von Umweltschäden überschreiten häufig Ländergrenzen. Föderalismus sollte nicht auf Kosten der Umwelt gehen.

4. Föderalismusreform und Umweltrecht Die Reform der Zuständigkeiten im Bereich des Umweltrechts ist bisher kein zentrales Thema in der Föderalismuskomission. In den bisherigen öffentlichen Sitzungen ist bisher nur wenige Male das Wort „Umwelt“ bzw. seine Wortkombination ge-

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Renner (Fn. 25), S. 51. Zu Föderalismus und betrieblicher Praxis in den Bereichen Abfallwirtschaft, Bodenschutz, Gewässerschutz und Immissionsschutz vgl. Kloepfer, Umweltrecht in Bund und Ländern (Fn. 1), § 1 Rn. 25 ff. 60

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fallen: einige Male in den Beiträgen von Sachverständigen61 und von der Bundesministerin Zypries.62 Meistens wurde Umwelt im Zusammenhang mit Europa und der Umsetzung von Europarecht genannt. Die Probleme mit der Umsetzung der IVURichtlinie63 haben also doch nachdenklich gemacht. Immerhin hat die Kommission inzwischen eine eigene Projektgruppe Umwelt- und Verbraucherschutz eingesetzt. Jedenfalls wäre es sinnvoll, einen einheitlichen Kompetenztitel für den Umweltschutz im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG zu schaffen.64 Damit würden unter anderem die umweltrechtlichen rahmenrechtlichen Kompetenztitel des Art. 75 GG obsolet. Ohnehin sollte grundsätzlich die Rahmengesetzgebung65 (und auch die Grundsatzgesetzgebung) generell abgeschafft werden,66 wobei die bisherigen nicht umweltschutzbezogenen Bundesrahmenzuständigkeiten in Art. 75 GG überwiegend an die Länder abgegeben werden sollten.67 Die Projektgruppe 1 der Bundesstaatskommission hat ebenfalls die Abschaffung der Rahmengesetzgebung vorgeschlagen, allerdings noch nicht über den Verbleib der dort geregelten Kompetenzen entschieden.68 Doch um den Ländern effiziente und rationale Möglichkeiten der Partizipation zu gewährleisten, sind noch andere Veränderungen notwendig. So muss die Beteiligung der Länder an der Gestaltung und Umsetzung des europäischen Umweltrechts deutlich verbessert werden. Dies ist nur möglich, wenn alle Beteiligten – d. h. Länder, Bund und EU – ihre Strukturen und ihre Einstellung zur Zusammenarbeit ändern. Im Gegensatz zu der derzeitigen Regelung des Art. 23 Abs. 6 GG69 sollten die Rechte der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschließlich von einem Vertreter des Bundes wahrgenom61 Insb. zweimal in der Wortmeldung des Sachverständigen P. Huber in der 3. Sitzung vom 12. 12. 2003, Stenographischer Bericht, S. 56, und einmal in der Wortmeldung des Sachverständigen H.-P. Schneider in der 5. Sitzung vom 11. 3. 2004, Stenographischer Bericht, S. 120. 62 1. Sitzung vom 7. 11. 2003, Stenographischer Bericht, S. 19. 63 S. o. Fn. 45. 64 S. o. Fn. 34. 65 Hierfür auch Zypries (Fn. 14), S. 267; P. Huber, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 10. 12. 2003, Kommissions-Drucksache 0008, S. 10; Wieland, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 12. 12. 2003, Kommissions-Drucksache 0009, S. 4. Auch die Ministerpräsidentenkonferenz hat auf ihrer Sitzung am 27. 3. 2003 die Abschaffung der Rahmengesetzgebung gefordert, vgl. Henneke (Fn. 29), S. 847. Zurückhaltender jedoch Schwanegel (Fn. 9), S. 558. 66 Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./570; kritisch wohl auch Koch/Mechel (Fn. 9), S. 283. Teilweise wird lediglich eine Überführung der Rahmen- in eine Grundsatzgesetzgebung gefordert, siehe etwa Arndt u. a., ZRP 2000, 201 ff./202 f.; hiergegen zu Recht Koch/Mechel (Fn. 9), S. 283; Jochum (Fn. 29), S. 258 f. (die jedoch die Rahmengesetzgebung beibehalten will). 67 Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./570. 68 Vgl. Stünker, in: Bundesstaatskommission, 8. Sitzung vom 8. 7. 2004, Stenographischer Bericht, S. 166 f. 69 S. o. bei Fn. 43.

Föderalismusreform und Umweltrecht

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men werden.70 Auch in der Bundesstaatskommission ist bereits über eine Neugestaltung des Art. 23 GG diskutiert worden;71 allerdings hat sich die zuständige Projektgruppe 1 noch nicht vertieft mit dieser Fragestellung befasst.72 Problematisch ist auch, dass es in vielen Bundesländern an umwelteuroparechtlichen Stabstellen oder Fachreferaten fehlt, die die Berge an Information von EU und Bund bearbeiten sollen. Dementsprechend ist oft ein frühzeitiges Tätigwerden bzw. ein frühzeitiges Problemerkennen seitens der Länder nicht möglich.73 Die noch bestehenden umweltrelevanten Verwaltungszuständigkeiten des Bundes sollten so weit wie möglich an die Länder abgegeben werden. Dazu ist es auch notwendig, die Regelungsmöglichkeit des Bundes nach Art. 84 Abs. 1 GG über die Einrichtung und das Verwaltungsverfahren von Landesbehörden abzuschaffen.74 Dafür sollten die Länder wenn nötig die Ausführung der Gesetze aufeinander abstimmen und sich ansonsten um einen möglichst (aus-)differenzierten und standortspezifischen Vollzug bemühen. Die Neugestaltung des Art. 84 Abs. 1 GG ist auch in der Bundesstaatskommission bereits lebhaft diskutiert worden.75 Die zuständige Projektgruppe 1 hat mehrheitlich folgende Neuregelung vorgeschlagen: „Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sofern Bundesgesetze (in Bezug auf das Verwaltungsverfahren)76 etwas anderes bestimmen, können die Länder davon abweichende Regelungen treffen. Durch Bundesgesetze dürfen den Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“77 70

Schmidt-Jortzig, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 28. 4. 2004, Kommissions-Drucksache 0037, S. 7; Scholz, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 3. 5. 2004, Kommissions-Drucksache 0040, S. 9 f.; Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./569; dagegen Benz, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 10. 5. 2004, Kommissions-Drucksache 0043, S. 7. 71 Vgl. den Stenographischen Bericht der 6. Sitzung am 14. 5. 2004. 72 Vgl. Stünker (Fn. 68), S. 167. 73 Im Rahmen des Forschungsprojekts „Umweltrecht in Bund und Ländern“ des Forschungszentrums Umweltrecht e. V. an der Humboldt-Universität zu Berlin, bei dem u. a. auch den Landesumweltministerien vorgelegte Fragebögen ausgewertet wurden, haben sich diese Defizite und auch der Wunsch nach einer Optimierung herausgestellt. Vgl. Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern (Fn. 34), S. 125 ff., 127 ff.; vgl. auch ders., Umweltrecht in Bund und Ländern (Fn. 1), § 21 Rn. 17 ff. 74 F. Kirchhof, Stellungnahme an die Bundesstaatskommission vom 11. 12. 2003, Kommissions-Drucksache 0011, S. 5; Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./569; vgl. Schwanegel (Fn. 9), 559; vgl. auch Jekewitz (Fn. 29), S. 94. 75 Vgl. die Diskussion auf der 8. Sitzung der Bundesstaatskommission am 8. 7. 2004, Stenographischer Bericht, S. 165 ff. 76 Die Frage, ob der Bund künftig überhaupt Zugriff auf die Einrichtung der Behörden haben soll, blieb noch offen. 77 Stünker (Fn. 68), S. 166; vgl. auch Zypries (Fn. 14), S. 266.

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Ein derartiges Kompetenzverhältnis zwischen Bund und Ländern kann freilich nicht überzeugen,78 auch wenn der Wegfall der Zustimmungspflichtigkeit der einschlägigen Bundesgesetze sowie der Rückzug des Bundes aus der Regelung der kommunalen Verwaltung grundsätzlich zu begrüßen sind. Eine „Vorranggesetzgebung“ (besser: „Nachranggesetzgebung des Bundes“) ist zudem bereits heute ohne Verfassungsänderung möglich, indem entsprechende Öffnungsklauseln im einfachen Bundesrecht vorgesehen werden (vgl. Art. 71, 72 GG). Lediglich im Hinblick auf die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht erscheint es ratsam, dem Bund eine Möglichkeit der „Vorab-Umsetzung“ einzuräumen, damit er seinen Umsetzungspflichten zügig nachkommen kann.79 Noch weniger kann im Übrigen der Vorschlag der Minderheit in der Projektgruppe 1 überzeugen, die in Art. 84 Abs. 1 GG vorsehen will, dass der Bund mit Zustimmung des Bundesrats (für die Länder bindend) das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung der Behörden regeln darf, sofern er den „Vorrang im gesamtstaatlichen Interesse wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung“ anordnet.80 Angesichts der Komplexität und Auslegungsbedürftigkeit einer derartigen Regelung erwiese die Föderalismuskommission damit ihrem eigentlichen Auftrag, die föderalen Beziehungen zu entflechten und zu vereinfachen, einen Bärendienst.81 Mit der (vollständigen) Aufhebung der gesetzgeberischen Befugnisse des Bundes nach Art. 84 Abs. 1 GG ist natürlich verbunden, dass den Länder in Belangen, die materiellrechtlich der Bund regelt, ein weites Feld für verfahrensrechtliche Regelungen vorbehalten wird. In Anbetracht der mittlerweile oft auf Verfahrensvorschriften reduzierten Umsetzung von EG-Richtlinien – etwa der UVP-Richtlinie – bedeutet dies, dass den Ländern auch dann ein großes Betätigungsfeld bleibt, wenn – wie hier angeregt – eine materielle Generalzuständigkeit des Bundes für den Umweltschutz geschaffen würde.82 Wird umgekehrt dazu der Art. 23 GG dahingehend geändert, dass die Bundesrepublik ausschließlich vom Bund in Brüssel vertreten wird,83 kann der Kompetenzverlust des Bundes bezüglich Art. 84 Abs. 1 GG wieder relativiert werden.

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Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./570. Kloepfer, DÖV 2004, 566 ff./569 f. 80 Stünker (Fn. 68), S. 166. 81 Vgl. die Diskussion um den geltenden Art. 72 Abs. 2 GG, hierzu zuletzt BVerfG vom 16. 3. 2004, DVBl. 2004, 698 (zu dem Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde) sowie BVerfG vom 24. 10. 2002, NJW 2003, 41 (zum Altenpflegegesetz). 82 Koch/Mechel (Fn. 9), S. 278 f., weisen darauf hin, dass den Ländern gerade beim Vollzug des Umweltrechts planerisch-gestaltende Aufgaben zukommen, die ihnen ein eigenständiges Profil und einen umweltpolitischen Wettbewerb ermöglichen. 83 S. o. Fn. 70. 79

Sinn und Gestalt des kommenden Umweltgesetzbuchs* 1 I. Vorbemerkung Nach den Ankündigungen der Politik2 und des Koalitionsvertrags3 der Großen Koalition, soll noch in dieser Legislaturperiode die Verabschiedung jedenfalls eines Kern-Umweltgesetzbuchs (UGB) erfolgen – endlich möchte man fast sagen! Endlich zum einen deswegen, weil nunmehr seit über 30 Jahren eine Kodifikation des deutschen Umweltrechts in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion ist4 und damit wohl inzwischen zu den am besten vorbereiteten Gesetzesvorhaben in Deutschland seit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Jahre 1896 überhaupt gehört.5 Endlich aber auch deswegen, weil ein UGB mannigfaltige Vorteile gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage für den Umweltschutz bieten kann.6 Gelingt das UGB, wird das für die Umwelt, für die Menschen aber auch für die Wirtschaft und die Stellung Deutschlands insgesamt einen erheblichen Gewinn darstellen. Es nimmt also nicht Wunder, dass das UGB als „grand projet“ des deutschen Umweltrechts von der Umweltrechtswissenschaft nahezu einhellig begrüßt wird.

* Erstveröffentlichung in: UPR 2007, S. 161 – 170. 1 Das Manuskript lag einem Vortrag („Bedeutung des Umweltgesetzbuchs aus der Sicht der Wissenschaft“) zugrunde, den der Verf. am 16. 2. 2007 auf der Tagung „Herausforderung Umweltgesetzbuch (UGB)“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Berlin gehalten hat. Aus Zeitgründen konnten dort nur kleinere Teile des Manuskripts vorgetragen werden. Er dankt seinem Assistenten, Herrn Johannes Bosselmann, für dessen Mitarbeit. 2 Vgl. BMU, Regelungsprogramm des UGB in der 16. Legislaturperiode, abrufbar unter http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/eckpunkte_ugb.pdf; letzter Abruf am 27. 3. 2007. 3 Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD vom 11. 11. 2005, S. 56; abrufbar etwa unter http:// www.bundesrat.de/cln_050/na_8344/DE/foederalismus/bundesstaatskommission/Mitglieder/ Koalitionsvertrag,templateId=raw,property=publication-File.pdf/Koalitiansvertrag.pdf; letzter Abruf am 27. 3. 2007. 4 Vgl. zu den wissenschaftlichen Vorarbeiten und den politischen Realisierungsversuchen sogleich unter II. 3. 5 Kloepfer, Zum Projekt eines deutschen Umweltgesetzbuches, GAIA 2007 (im Erscheinen). 6 Vgl. zu den Vorteilen eines UGB sogleich unter IV.

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Bevor hier diese Vorteile eines UGB im Einzelnen geschildert werden sollen (dazu IV.), sind zunächst die Notwendigkeiten zu verdeutlichen, weshalb heute ein UGB erforderlich ist (dazu II. 1., 2.) und zwar trotz des bisweilen insbesondere von der Wirtschaft zu hörenden Arguments, man habe sich nun einmal mit dem jetzt geltenden Umweltrecht arrangiert.7 Dabei ist auch kurz der bisherige lange und auch teilweise steinige, aber im Ergebnis nun wohl doch erfolgreiche Weg zu einem UGB zu schildern (dazu II. 3.), sowie dann auf die grundsätzlichen Vorbedingungen (II. 4.) für eine Umweltrechtskodifikation und die hiergegen erhobenen Einwände einzugehen (III.).

II. Ausgangslage 1. Systematisierungs- und Harmonisierungsbedürfnis Schon recht früh zeigte sich ein Systematisierungs- und Harmonisierungsbedürfnis im bundesdeutschen Umweltrecht. Das geltende – teilweise sehr schnell und unter verschiedenen Bundesregierungen entstandene – deutsche Umweltrecht ist seit jeher geprägt durch seine für den Rechtsanwender häufig verwirrende Unübersichtlichkeit:8 Zum einen ist die übermäßig hohe Zahl an Vorschriften zu beklagen, es herrscht ein wahrer Vorschriftendschungel!9 Als Ausdruck dieser „äußeren Übernormierung“10 – d. h. das Vorhandensein zu vieler Gesetze – mag meine Loseblattsammlung des Umweltrechts (nur) des Bundes11 dienen, die mittlerweile über 6000 Seiten umfasst und bisweilen Mühe hat, dem Tempo der Rechtsänderungen – im etwa halbjährlichen Takt von Ergänzungslieferungen – zu folgen. Mit dieser Zersplitterung des Rechtsstoffes, die durch eine „innere Übernormierung“ (zu detaillierte Gesetze)12 noch verschärft wird, gehen auch inhaltliche Unzulänglichkeiten einher: So ist das weitgehende Fehlen einer normativen Gesamtkonzeption und eine nur wenig systematische Gesamtstruktur des bundesdeutschen Umweltrechts zu beklagen. Terminologische und sachliche Verschiedenheiten sind zunächst aus der Zeit des vorigen Jahrhunderts zu erklären – das WHG etwa stammt noch aus dessen fünfziger Jahren –, das moderne bundesdeutsche Umweltrecht entstand in den siebziger Jahren 7

Zu den Stellungnahmen der Wissenschaft zur Ankündigung eines Umweltgesetzbuchs Bohne, Das Umweltgesetzbuch vor dem Hintergrund der Föderalismusreform, EurUP 2006, S. 276 (277) m. w. N. 8 Kloepfer/Durner, Der Umweltgesetzbuch-Entwurf der Sachverständigenkommission, DVBl. 1997, S. 1081 (1081) m. w. N. 9 Kloepfer, Kodifikation des deutschen Umweltschutzrechts?, ZfU 1979, S. 145 ff. 10 Vgl. Kloepfer, Empfiehlt es sich, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, gegebenenfalls mit welchen Regelungsbereichen?, JZ 1992, S. 817 (820). 11 Kloepfer, Umweltschutz, Stand: 1. November 2006. 12 Zu der Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Übernormierung vgl. Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, in: VVDStRL, Band 40, 1982, S. 63 (68 f.) m. w. N.

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und die wichtigsten Einflüsse des – EG-rechtlich vorgegebenen – integrativen Umweltschutzes liegen deutlich später. Unterschiedliche Terminologien, Schutzstandards und Instrumente beruhen zudem vielfach nicht auf sachlichen Notwendigkeiten, sondern eher auf historischen Zufälligkeiten und Kompromissen.13 In den letzten 30 Jahren reagierte der Gesetzgeber nicht selten nur in punktueller Weise, insbesondere auf – nicht selten unsystematische – europarechtliche Vorgaben, auf politische Stimmungen, vor allem aber auf unterschiedliche Missstände,14 z. B. die Schaffung des Umwelthaftungsgesetzes nach dem Chemieunfall bei Sandoz.15 Selbst die Schaffung eines eigenen Umweltministeriums des Bundes,16 welches letztes Jahr sein 20jähriges Bestehen feierte, war eine Reaktion auf eine Umweltkatastrophe – Tschernobyl. Trotz der Umsetzung der IVU-Richtlinie17 sind weite Teile des deutschen Umweltrechts, aber auch der Organisation der deutschen Umweltministerialbürokratie noch einem medialen (d. h. nach Umweltmedien geordnetem) Ansatz verhaftet. Folge sind u. a. Vollzugsdefizite zulasten der Umwelt, eine vor allem von der Wirtschaft kritisierte Überbürokratisierung und fehlende Bürgernähe. Diese Unzulänglichkeiten führten zu einem besonderen Systematisierungs- und Harmonisierungsbedürfnis des vorhandenen Umweltrechts und mögen – nebenbei gesagt – auch ein Grund dafür sein, dass Deutschland seine anfangs besonders einflussreiche Stellung für die Entwicklung des Umweltrechts in Europa mittlerweile verloren hat. Längst haben andere Mitgliedsstaaten Umweltrechtskodifikationen oder andere wichtige Pionierregelungen geschaffen. Außerdem lag die mediale Prägung des deutschen Umweltrechts gewissermaßen „quer“ zum integrativen Ansatz des europäischen Umweltrechts. Schließlich hat sich das traditionell ordnungsrechtlich geprägte deutsche Umweltrecht schwer mit der Einbeziehung weicher, vor allem ökonomischer Instrumente (insbesondere angelsächsischer Provenienz) getan.18 2. Kodifikationsverlangen Das geschilderte Systematisierungs- und Harmonisierungsbedürfnis hat nicht nur das Verlangen nach Widerspruchsfreiheit und innerer Stimmigkeit zwischen den vielfältigen Umweltgesetzen gefördert, sondern hat vor allem seit langem die Forde13 Natürlich gibt bzw. gab es auch sachlich begründete (oder doch begründbare) Ausnahmen; so z. B. das Fehlen eines gebunden Anspruchs für atomrechtliche Anlagen; vgl. dazu Laufs, Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, ZG 1992, S. 217 (218). 14 Schweikl, Umweltrecht aus einem Guss, BB 1997, S. 2123 (2124). 15 Näher Rest, Der Sandoz-Brand und die Rheinverseuchung, UPR 1987, S. 363 ff. 16 Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 5. Juni 1986, BGBl. I S. 864. 17 Richtlinie 96/91/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Abl. EG L 257/26; abgedruckt in NVwZ 1997, S. 363. 18 Zum Verlust der deutschen Vorreiterrolle in der europäischen Umweltrechtsentwicklung, vgl. auch Calliess, Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch – Europarecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 35 (36) (im Erscheinen).

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rung nach einem „Umweltrecht aus einem Guss“ durch eine Umweltrechtskodifikation, d. h. nach einem UGB hervorgebracht. Unter einer Kodifikation ist die gesetzestechnische Zusammenfassung der Rechtssätze eines Sachgebietes in einem einheitlichen, möglichst vollständigen und planvoll gegliederten Gesetzbuch zu verstehen19 und damit abzugrenzen von der bloßen Kompilation, welche das vorhandene Recht nur sammelt, ordnet und bereinigt veröffentlicht.20 Ein UGB wollte und sollte stets über eine solche Kompilation hinaus gehen.21 3. Weg zum UGB a) Wissenschaftliche Vorarbeiten Das Projekt der Umweltrechtskodifikation ist von Anfang an von einer guten Zusammenarbeit zwischen Praxis (insbes. Bundesumweltministerium. [BMU] und Umweltbundesamt [UBA]) und Wissenschaft geprägt. Nachdem in der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts Forderungen nach Harmonisierung und Systematisierung des Umweltrechts aufgekommen waren,22 ließ das UBA kurze Zeit später in zwei Forschungsprojekten die Systematisierbarkeit23 und Harmonisierbarkeit24 des deutschen Umweltrechts untersuchen. Danach wurden im Auftrag, des UBA nacheinander die Professorenentwürfe für ein UGB unter meinem Vorsitz erarbeitet; der Entwurf für einen Allgemeinen Teil25 während der Jahre 1988 – 1990, der Entwurf für einen Besonderen Teil26 während der Jahre 1991 – 1993. 1992 bekannte sich der 59. Deutsche Juristentag mehrheitlich zu dem Projekt eines Umweltgesetzbuchs27. Entsprechend früherer Vorschläge setzte Bundesumweltminister Töpfer die Unabhängige Sachverständigenkommission für ein Umweltgesetzbuch ein, die unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des BVerwG, Sendler, tagte, ihre Arbeit

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Vgl. Müller, Handbuch der Gesetzgebungstechnik, 2. Aufl. 1968, S. 12. Beispiel dafür ist etwa das Corpus Juris Civilis des Kaisers Justinian (482 – 565). Auch die „codification“ in der französischen Rechtspraxis tendiert in diese Richtung. 21 Vgl. dazu auch Merkel, Der Kommissionsentwurf – Innovative Gesetzgebung oder Vergeudung politischer und administrativer Ressourcen?, in: Bohne (Hrsg.), Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung, 1999, S. 379 (380 f.). 22 Etwa Storm, Diskussionsbeitrag, 52. Deutscher Juristentag, 1978, S.K 179; ders., Bundes-Umweltgesetzbuch (BUG), in: Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, Band 5, 1988, S. 49 (56) m. w. N. 23 Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1978. 24 Kloepfer/Meßerschmidt, Innere Harmonisierung, 1986. 25 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann, unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1991. 26 Jarass/Kloepfer/Kunig/Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil, 1994. 27 Verhandlungen des 59. DJT, 1992, Band II, Sitzungsberichte/Teil N. 20

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1997 abschloss und schließlich 1998 der damaligen Umweltministerin Merkel übergab.28 b) Erste politische Realisierungsversuche Unter Merkel und später unter dem neuen Bundesumweltminister Trittin wurde dann die Option einer schrittweisen Realisierung29 des UGB durch konkrete Arbeiten an einem Referentenentwurf für ein UGB I weiterverfolgt,30 nicht zuletzt auch um damals drängend anstehende Umsetzungen des EG-Rechts zu ermöglichen.31 c) Vorläufiges Scheitern Unter der rot-grünen Koalition kam es dann aber 1999 – nach Intervention des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums, die sich an sich auch zum Projekt eines UGB bekannt hatten – zu einem Stop für das Projekt des UGB. Als Begründung dienten damals die angeblich unzureichenden Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes.32 d) Neuanfang Die Große Koalition vereinbarte erneut die Schaffung eines UGB, wenn die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen vorlägen.33 Dies ist spätestens mit dem Gelingen der Föderalismusreform I der Fall.34

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Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. 29 Zum schrittweisen Vorgehen bei einer Kodifikation des deutschen Umweltrechts, vgl. Merkel (Fn. 21) S. 382. 30 Der Arbeitsentwurf eines UGB 1 vom 5. 3. 1998 ist abgedruckt bei Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1999, S. 273 ff.; einen Überblick gibt etwa SchmidtPreuß, Veränderungen grundlegender Strukturen des deutschen (Umwelt-)Rechts durch das „Umweltgesetzbuch I“, DVBl. 1998, S. 857 ff.; allgemein zur Rolle der beteiligten Politiker, vgl. Kloepfer/Durner (Fn. 8), S. 1083. 31 Vgl. dazu etwa die Beiträge von Schnabl, Feldmann und Gallas, in: Rengeling (Fn. 30), S. 1 ff., 7 ff. und 17 ff. 32 Näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 43 m. w. N. Gegen eine ausreichende Gesetzgebungskompetenz Gramm, Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Umweltgesetzbuch, DÖV 1999, S. 540 ff.; zum Scheitern auch siehe jüngst Bohne (Fn. 7), S. 276 f., der u. a. das Interesse des Innenministeriums am einheitlichen Verwaltungsverfahrensrecht nennt. Viele hielten das Argument fehlender Bundeszuständigkeiten jedenfalls für einen vorgeschobenen Grund, der die politischen Widerstände verbergen sollte. 33 Vgl. Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD vom 11. 11. 2005 (Fn. 3), S. 56. 34 Vgl. nur Kloepfer, Föderalismusreform und Umweltgesetzgebungskompetenzen, ZG 2006, S. 350 ff.

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e) Künftiges Vorgehen Deshalb bereitet das BMU seit 2006 den Gesetzesentwurf für ein UGB intensiv vor35 und will bereits im September 2007 einen Referentenentwurf für ein KernUGB vorlegen. Danach wird die Abstimmung zwischen den Ressorts und die Abstimmung mit den Ländern erfolgen. Bis April 2008 soll der Gesetzesentwurf im Bundeskabinett beschlossen und in den Bundestag eingebracht werden. Das Gesetzgebungsverfahren für das Kern-UGB soll spätestens im Dezember 2008 abgeschlossen werden. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt soll dann spätestens im Februar 2009 erfolgen. Auf diese Weise kann das UGB weitgehend aus dem bis dahin anlaufenden Wahlkampf herausgehalten werden. Die nicht vom Kern-UGB erfassten Teile sollen dann in der nächsten Legislaturperiode fertiggestellt werden. Insbesondere sollen dann die „Bücher“ (gebietsbezogenes Immissionsschutzrecht (u. U. mit Strahlenschutz), Stoffrecht und Ressourcenschonung, das Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht sowie das Bodenschutz- und Altlastenrecht) „eingestellt“ werden. 4. Vorbedingungen für eine Umweltrechtskodifikation a) Gesetzgebungskompetenz des Bundes Schon vor der zum 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform I wäre eine – die damaligen verfassungsrechtlichen Vorgaben (mit Rahmengesetzgebungskompetenz im Wasser- und Naturschutzrecht) beachtende – Kodifikation des deutschen Umweltrechts auf Bundesebene grundsätzlich zulässig gewesen.36 Wirkliche Schwierigkeiten hätte möglicherweise erst die spätere Rechtsprechung des BVerfG zur Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gemacht.37 Jedenfalls spätestens seit der in Kraft getretenen Föderalismusreform I ist eine Kodifikation des deutschen Umweltrechts in seinen Kerngebieten verfassungsrechtlich möglich.38 Da die umweltschutzbezogenen Verfassungsänderungen maßgeblich mit dem UGB-Projekt begründet wurden, kann fast schon von einem ungeschriebenen Verfassungsauftrag, jedenfalls aber von einer deutlichen entsprechenden Verfassungserwartung für ein UGB gesprochen werden. 35

Vgl. BMU, Regelungsprogramm des UGB in der 16. Legislaturperiode (Fn. 2). Zu Kodifikation eines Landes-UGB, vgl. Peine, Kodifikation des Landesumweltrechts, 1996. 37 Grundlegend das sog. Altenpflegeurteil, BVerfGE 106, 62 ff.; ferner BVerfGE 110, 141, 175 (Kampfhunde); 111, 226, 253 ff. (Juniorprofessur); 112, 226, 243 ff. (Studiengebühren). Zu den Implikationen für eine Kodifikation vgl. Kloepfer, Die neue Abweichungsgesetzgebung der Länder und ihre Auswirkungen, auf den Umweltbereich, in: Festschrift für Rupert Scholz, 2007 (im Erscheinen). 38 Vgl. Kloepfer (Fn. 34) S. 250 ff. 36

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b) Politischer Grundkonsens Bestehende Kompetenzen machen noch keine Gesetze. Dazu gehört vor allem ein entsprechender politischer Gestaltungswille. Dieser ist derzeit unübersehbar. Die Kodifikation ist politisch gewollt und zwar nicht nur von den Partnern der großen Koalition, sondern auch – soweit erkennbar – von allen derzeitigen Oppositionsparteien und den Ländern. Insoweit wird das UGB von einem grundsätzlichen, breiten parteiübergreifenden Konsens getragen. Der rot-schwarze Koalitionsvertrag schreibt ja zum UGB grundsätzlich nur das fort, was prinzipiell bereits in der schwarz-gelben und in der rot-grünen Koalition vereinbart war:39 Die Große Koalition kann dies jetzt aber realisieren, weil erst sie die umfassenden grundgesetzlichen Zuständigkeiten des Bundes geschaffen hat. Dabei kann sich gerade der derzeitige politische Gleichklang von Bundestags- und Bundesratsmehrheit günstig für das UGB auswirken. c) Lehren aus dem vorläufigen Scheitern von 1999 Die derzeitige politische wie verfassungsrechtliche Gesamtlage rechtfertigt grundsätzlich eine relativ optimistische Prognose für das Gelingen des UGB. Für übermäßige Selbstgewissheit oder gar Übermut ist jedoch kein Anlass. Die Erinnerung an das – wie sich jetzt herausstellt – glücklicherweise nur vorläufige Scheitern der Schaffung eines UGB I im Jahre 1999 ist mindestens bei manchem Insider noch wach und mahnt zu einer gewissen latenten Vorsicht. In einer unheilvollen Mischung aus (jedenfalls damals nicht zwingenden) Verfassungsbedenken, unterschiedlichen Ressort- und Abteilungsegoismen, aber auch gesellschaftlicher Partikularinteressen war damals die Kodifikation unter die Räder geraten.40 Insbesondere die Wirtschaft fürchtete eine grundsätzliche Verschärfung des Schutzniveaus, andere Ressorts sorgten sich um ihre Kompetenzen – z. B. fürchtet das BMU um das einheitliche Verwaltungsverfahrensrecht – und argwöhnten einen illegitimen Machtzuwachs des Bundesumweltministeriums im Kabinett. Schließlich wollten die Fachabteilungen in den Umweltministerien ihre „Abteilungsgesetze“ nicht ohne weiteres einem UGB opfern. Daraus kann und muss man für die derzeitige Realisierungsphase fünferlei lernen: Das UGB sollte – erstens – nicht mit einer Debatte um die Veränderung des grundsätzlichen Schutzniveaus für die Umwelt (nach „oben“ oder „unten“) befrachtet werden. Sonst würden die Gegner solcher Verschärfungen bzw. Erleichterungen jeweils automatisch – und überflüssigerweise – zu Gegnern der Kodifikation selbst werden. Weil sie gegen die Niveauveränderung wären, würden sie aus diesem Grund ein UGB bekämpfen. Das BMU sollte – zweitens – im Übrigen seine Ressortgrenzen bei Er39 Vgl. etwa Koalitionsvertrag SPD/Grüne vom 16. 19. 2002, Kap. V, S. 33, abrufbar unter http://www.oekoradar.de/imperia/md/content/pdfdokumente/Koalirionsvertrag.pdf; letzter Abruf am 27. 3. 2007; zu früheren Kodifikationsüberlegungen der Bundesregierung BT-Drs. 7/ 5684, S. 23. 40 Vgl. auch Bohne Fn. (7), S. 276 f.

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arbeitung des UGB nicht überschreiten; der Eingriff in die Kompetenz anderer Häuser kann deren Widerstand bedeuten. Drittens sollten die Fachabteilungen des BMU – was sinnvollerweise (durch eine abteilungsübergreifende Projektgruppe41) schon geschehen ist – frühzeitig und effektiv in die UGB-Gestaltung einbezogen werden und schließlich sollten – viertens – die Länder so rechtzeitig und wirksam beteiligt werden, dass die (voraussichtlich erforderliche) Zustimmung der Länder im Bundesrat für ein UGB sich am Ende als gesichert darstellt. Auch das scheint bisher im Grundsatz zu funktionieren. Schließlich sollten – fünftens – die Umwelt- und Wirtschaftsverbände sowie die Gewerkschaften von Anfang an an der Schaffung des UGB beteiligt werden, um einen gesellschaftlichen Dialog zu ermöglichen und einen möglichst breiten Konsens für eine Umweltrechtskodifikation zu sichern. Der Einbeziehung der Länder und der Verbände, aber auch der rechtsanwendenden Berufe und der Rechtswissenschaft dient denn auch ein beim BMU gebildeter Projektkreis zum UGB.

III. Einwände gegen ein UGB Das vorläufige Scheitern des UGB-Projekts im Jahre 1999 gibt Anlass, sich noch einmal die wichtigsten Einwände zu vergegenwärtigen, auch wenn diese Einwände längst widerlegt worden sind oder doch als widerlegbar erscheinen. 1. Fehlende Kodifikationsreife? Wurde anfangs eine Kodifikationsreife speziell des deutschen Umweltrechts noch bezweifelt“42, bewiesen die genannten wissenschaftlichen Vorarbeiten die Kodifikationsreife des deutschen Umweltrechts.43 Das Umweltrecht hat sich inzwischen – trotz anfänglicher Bedenken – längst als eigenständig geprägtes Rechtsgebiet etabliert. Dies ist auch kodifizierbar, wie insbesondere die bereits erarbeiteten umfassenden Entwürfe für ein UGB zeigen.

41 Sie steht unter der gemeinsamen – Stab und Linien vereinigenden – Leitung von Ministerialrätin Lottermoser (Leiterin Unterabteilung Grundsätzliche und wirtschaftliche Fragen der Umweltpolitik, fachübergreifendes Umweltrecht) und Min-Dirig Steinkemper (Leiter der Unterabteilung Immissionsschutz, Anlagenrecht und Verkehr). 42 Vgl. insb. Breuer, Der Staat 20 (1981), S. 393 (401) und ders., Gutachten B zum 59. Deutschen Juristentag, 1992, B 37 ff.; Kloepfer (Fn. 10), S. 818 m. w. N. 43 Vgl. nur Storm, UTR (Fn. 22), S. 54 ff.

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2. Unmöglichkeit von Kodifikationen in der Gegenwart? Der eher fundamentalistische Einwand, eine systematische Kodifikation vergangener Zeiten sei in der Gegenwart nicht mehr möglich,44 ist inzwischen durch die gelungenen Kodifikationen der letzten Jahrzehnte (VwGO, VwVfG, SGB, BauGB etc.) gründlich widerlegt worden. Der demokratische, kompromissorientierte Weg bedingt zwar Abstriche an einer perfekt systematisierten Kodifikation wie im 19. Jahrhundert; die – kompromissgeprägte, auch Grundsatzbestimmungen enthaltende – Kodifikation in der Demokratie bleibt aber grundsätzlich möglich.45 Auch Allgemeine Teile einer Kodifikation bleiben in der Gegenwart durchaus gestaltbar, auch wenn hier eine mittlere Abstraktionsebene (u. a. mit Beispielen etc.) gewählt werden sollte (s. u. V. 2. c)). 3. Verhinderung von nationalen Umweltrechtskodifikationen durch europäisches Recht? Schließlich ist das Argument nicht überzeugend, das Europäische Recht verhindere eine Kodifikation des deutschen Umweltrechts. Richtig ist zwar, dass das Gemeinschaftsrecht häufig punktuell und relativ unsystematisch erscheint. Das hindert aber nicht den Einbau dieser unsystematischen europarechtlichen Vorgaben in systematische deutsche Gesetze, wie viele Beispiele (auch außerhalb des Umweltrechts) belegen. Letztlich werden so die europarechtlichen Vorgaben erst wirklich (d. h. auch inhaltlich) in die nationale Rechtsordnung eingebaut, werden diese im Rahmen des Europarechts also nationenspezifisch akzentuiert, wie dies der Idee der Europäischen Richtlinie entspricht. Und was ist eigentlich die Alternative? Soll der unsystematische Ansatz des EG-Rechts mit dem unsystematischen Ansatz des in Deutschland vorherrschenden medialen Umweltrechts addiert werden? Im Übrigen zeigt auch der Blick auf die Umweltrechtskodifikationen anderer EU-Mitgliedstaaten, dass nationale Umweltrechtskodifikationen auch unter europäischem Recht durchaus möglich und sinnvoll sind. Der Einbau in ein systematisch gelungenes mitgliedstaatliches Recht kann sogar das systematische Defizit des Europäischen Rechts ausgleichen. Außerdem ist es ein erklärtes Ziel des UGB, das deutsche Umweltrecht europaund völkerrechtstauglicher zu machen. 4. Zerreißungseffekte größer als Vereinheitlichungseffekte? Dem UGB wird vereinzelt – wie anderen Kodifikationen auch – vorgeworfen, es zerreiße mehr normative Zusammenhänge als es solche zusammenführe. Dem kann durch einen moderaten Zuschnitt der Kodifikation entgegengewirkt werden. So ist 44 Vgl. Kübler, Kodifikation und Demokratie, JZ 1969 ff.; Kloepfer (Fn. 10), S. 817 m. w. N. 45 Näher Kloepfer (Fn. 10), S. 819 f.

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und war nie vorgesehen, z. B. das Umweltstrafrecht oder etwa die Regelung des § 906 BGB in das UGB aufzunehmen, weil dann in der Tat schwerwiegende Probleme der Zerreißung traditioneller normativer (hier: straf- und zivilrechtlicher) Zusammenhänge auftreten könnten. Es kann beim UGB nur darum gehen, umweltspezifische Kernmaterien aufzunehmen, nicht aber alles umweltrelevante Recht. Dies gilt auch für das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht, das eben die umweltspezifischen Anforderungen (z. B. Umweltverträglichkeit), aber auch die spezifischen Maßstäbe – Umweltprinzipien, Betreiberpflichten, Kompensationsregelungen – schwerlich verallgemeinern kann. Außerdem ist es aufgrund der Entstehungsgeschichte der Föderalismusreform I46 zwar möglich, die Abweichungsmöglichkeiten der Länder nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 GG für das Umweltverfahrensrecht auszuschließen, nicht aber für das Verwaltungsverfahrensrecht insgesamt. Schließlich wird durch das UGB in der Regel dem VwVfG nichts entzogen, was es nicht längst durch die medialen Einzelgesetze des Umweltschutzes verloren hatte. 5. Veränderungsrisiken größer als Veränderungschancen? Dieses von prinzipieller Veränderungsfurcht geprägte Argument47 – Änderungsrisiken seien potentiell gewichtiger als Änderungschancen – würde jeden Rechtsfortschritt verhindern und die Zukunftsfähigkeit des Rechts insgesamt gefährden. Das Argument verkennt auch, dass das UGB keine grundsätzliche Veränderung des Umweltschutzniveaus vorsehen soll (s. o. II. 4. c)). Die Kodifikations„renditen“ (s. u. IV.) sind auf jeden Fall höher als der mit einer kodifikatorischen Gesetzesänderung verbundene Umstellungsaufwand. Das UGB wird nicht zu erhöhter Rechtsunsicherheit führen, sondern wird die Umweltrechtseffizienz und dauerhaft die Umweltrechtssicherheit erheblich verbessern.

IV. Vorteile eines UGB Im Folgenden sollen nun eine Auswahl von Vorteilen eines UGB dargestellt werden. Dabei erscheinen der Abbau der äußeren Übernormierung, die verbesserte Systematisierung und Harmonisierung, die erhöhte Klarheit, Transparenz und Anwenderfreundlichkeit sowie eine vereinheitlichende Konzeptionalisierung des Umweltrechts nahezu als sichere Kodifikations„renditen“. Ähnliches gilt für die integrierende Kraft eines UGB für die Umweltministerien und für das Politikfeld Umweltschutz insgesamt. Der Abbau der inneren Übernormierung sowie die Harmonisierung und die Entbürokratisierung hängen hingegen vom Inhalt der Kodifikation ab, sie sind also „nur“ mögliche „Renditen“ einer Kodifikation. 46

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28. 8. 2006 (BGBl. I S. 2034). Aus Reihen der Wirtschaft wird behauptet, man könne mit dem geltenden Umweltrecht leben, während die Risiken eines UGB unberechenbar seien, vgl. Diskussionsbeitrag von Rebentisch, in: Kloepfer (Fn. 18), S. 105. 47

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1. Abbau der äußeren Übernormierung Das bloße Abschmelzen der Normenmenge als solche, m. a. W. das Angehen gegen die „äußere Übernormierung“ (durch zu viele Gesetze) führt zu einer gewissen, aber noch nicht automatisch zu einer durchschlagenden Verbesserung des Gesetzesvollzugs.48 Immerhin ermöglicht schon das Einsparen von Mehrfachregelungen zwangsläufig eine nicht unerhebliche Vereinfachung und Effektivierung der Gesetzesanwendung, zumal auch kleine Divergenzen bei Parallelregelungen große Wirkungen haben und jedenfalls zu überflüssigen Auseinandersetzungen führen können. Das UGB kann darüber hinaus Anlass für allfällige Rechtsbereinigungen im Umweltrecht sein. Durch das „Einsparen von Paragraphen“ kann auch bei der Bevölkerung und der Wirtschaft die Rechtsakzeptanz und damit die Rechtsbefolgungsbereitschaft verstärkt werden. Der Vollzug gewinnt so neue Kapazitäten. Das geltende Umweltrecht kann besser vollzogen werden und das UGB kann auf diese Weise die Effizienz des Umweltrechtssystems insgesamt stärken. 2. Verbesserte Systematisierung und Harmonisierung Weitere und wesentliche Vorteile einer Kodifikation sind die Verbesserung der Rechtssystematik und damit die Auffindbarkeit und Handhabbarkeit des geltenden Rechts und vor allem die innere Harmonisierung des geltenden Umweltrechts.49 Das UGB ermöglicht die Beseitigung von Widersprüchen im geltenden Umweltrecht, vor allem aber die Beseitigung ungünstiger, vollzugserschwerender und meist nur historisch zu erklärender Divergenzen in Terminologie, Systematik und in den Rechtsfolgen der verschiedenen umweltrechtlichen Teilgebiete. Diese verbesserte formale und inhaltliche Vereinheitlichung des Umweltrechts ist ein gewichtiger Vorteil eines UGB. Diese kann durch eine Harmonisierung der umweltrechtlichen Grundsätze, Prinzipien und Instrumente in einem UGB auch geleistet werden. 3. Verbesserte Klarheit, Transparenz und Anwendbarkeit Die Beseitigung von widersprüchlichen und überflüssigen Doppelregelungen erleichtert die Verständlichkeit, Durchschaubarkeit und Anwendbarkeit des Umweltrechts. Diese Teilziele können allerdings noch durch die inhaltliche Ausgestaltung des UGB selbst weiter stark verbessert werden.

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Es ist die Ansicht vertreten worden, dass der UGB-KomE mindestens 200 Paragraphen einspare, vgl. Schweikl Fn. (14), S. 2123. 49 Vgl. nur Storm, Umweltgesetzbuch (UGB-KomE): Einsichten in ein Jahrhundertwerk, NVwZ 1999, S. 35 (39).

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4. Abbau der inneren Übernormierung Eines ist freilich nicht zu verkennen: Die innere Übernormierung, d. h. die inhaltliche Überdetailliertheit des Rechts, ist durch die Kodifikation als solche nicht automatisch zu beseitigen. Es ist vielmehr eine inhaltliche Anforderung an die Qualität der Kodifikation selbst. Soll aus diesen Kodifikationschancen dauerhaft ein realer Abbau der inneren Übernormierung erwachsen, bedarf dies einer Durchforstung und teilweise auch einer gewissen – niveauneutralen – Entfeinerung. Dies muss nicht automatisch zu einer Flucht in die Generalklauseln führen. Auch die Rechtsentlastung durch Verlagerung in untergesetzliche Regelwerke kann zum Abbau der inneren Übernormierung Wichtiges beitragen.50 Der Abbau der inneren Übernormierung ist ein wesentlicher Aspekt der Deregulierung. Das UGB kann hierfür eine wichtige Chance bieten.51 5. Entbürokratisierung Die durch eine Kodifikation ermöglichte und begünstigte Beseitigung der äußeren und inneren Übernormierung ist ein wesentliches Element einer oft geforderten Entbürokratisierung.52 Dabei ist freilich nicht immer klar, was im konkreten Fall unter Entbürokratisierung verstanden wird. Beim Umweltschutz kann es nur darum gehen, mindestens das gleiche Schutzniveau der Umwelt unter Abbau übermäßiger bürokratischer Kontrollen zu ersetzen, nicht aber um die völlige Herausdrängung von staatlichen Behörden aus der Umweltschutzkontrolle. Dem steht die staatliche Verantwortung für den Umweltschutz (Art. 20a GG) entgegen. Die partiell mögliche Ersetzung behördlicher Kontroll-, Eingriffs- und Genehmigungsbefugnisse durch gesellschaftliche Selbststeuerungsmechanismen ist eine gleichwohl aussichtsreiche Möglichkeit für mehr Umweltschutz durch weniger Normen53, wenn diese im Ergebnis das bisherige materielle Umweltschutzniveau jedenfalls nicht unterschreiten oder dieses sogar verbessern. Dazu gehört, dass normvermeidende bzw. normvertretende Selbstbeschränkungsabkommen künftig in durchschaubaren Verfahren erfolgen sowie hinsichtlich ihrer Einhaltung und Wirkung prinzipiell überprüfbar sind.54 Im Übrigen können durch die Vereinheitlichung und Harmonisierung als solche wichtige Impulse für einen Abbau von Bürokratie gegeben werden, insbesondere durch

50 Zur Unverzichtbarkeit eines untergesetzlichen Regelwerks auch in einem UGB, Sendler, Stand der Überlegungen zum Umweltgesetzbuch, NVwZ 1996, S. 1145 (1149). 51 Von hieraus wird deutlich, wie kurzschlüssig die auf eine Umweltrechtskodifikation zielende Parole wäre, wonach Deutschland eine Deregulierung und keine Neuregulierung brauche. Das UGB als Neuregelung ist eine Möglichkeit zur (behutsamen) Deregulierung des geltenden Rechts. 52 Zum UGB als Instrument der Entbürokratisierung vgl. Storm, UTR (Fn. 22), S. 63 f. 53 UGB-KomE, Einleitung, S. 72. 54 Vgl. a. § 35 UGB-KomE.

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vereinheitlichte und zusammengefasste Informationspflichten der Betreiber, vor allem aber durch eine integrierte Vorhabengenehmigung. 6. Kompakte, integrative Zulassungsregelungen Insgesamt scheinen in einem UGB harmonisierte und verfahrrensvereinfachende Zulassungsregelungen für Industrie- und Infrastrukturvorhaben ohne Absenkung des Schutzniveaus möglich. Mit den bisherigen uneinheitlichen und komplizierten Zulassungsregelungen für Industrie- und andere Infrastrukturvorhaben im geltenden Umweltrecht scheinen sich einige Vertreter der Wirtschaft bzw. deren Rechtsanwälte inzwischen zwar abgefunden zu haben.55 Auch mag die IVU-Richtlinie dazu geführt haben, dass das Integrationsprinzip größtenteils schon jetzt im deutschen Anlagenrecht vom Ansatz her verwirklicht worden ist. Gleichwohl bietet die geplante integrierte Vorhabengenehmigung weiteres Verbesserungs- und Harmonisierungspotenzial gegenüber dem Status quo56, der strukturell suboptimal medienspezifische Hauptverknüpfungen hat. Insgesamt bietet die Kodifikation die optimale Gesetzesform zur Verwirklichung des Integrationsprinzips. Kodifikation heißt normativ gesamthaft zu denken und zu gestalten. Es wäre auch ein Missverständnis, wollte man in den integrativen Genehmigungen eine nivellierende Dampfwalze für das gesamte umweltrechtliche Zulassungsrecht sehen: Die integrierte Vorhabengenehmigung wird es voraussichtlich in zwei Varianten geben, die gebundene Vorhabengenehmigung und die planerische Vorhabengenehmigung. Ferner werden neben förmlichen Verfahren auch künftig einfache Verfahren möglich bleiben. Eine hilfreiche Konsequenz integrierter Zulassungsregelungen könnte schließlich die Bildung entsprechender Behörden bzw. behördlicher Querschnittseinheiten sein. Insoweit kann das UGB unmittelbar auch die Verwaltungsgliederung beeinflussen und die administrative Realisierung des Integrationsprinzips ermöglichen und erleichtern.

55 BDI und DIHK haben sich bisher grundsätzlich ablehnend zu einer Kodifikation des Genehmigungsrechts geäußert, vgl. Bohne (Fn. 7), S. 277; dies ist um so verwunderlicher, als gerade die Vertreter der Wissenschaft die vereinheitlichte umweltrechtliche Genehmigung aus einer Hand gefordert haben. In diese Richtung etwa Rebentisch auf der Tagung „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“, vgl. Bosselmann, Diskussion zu den Vorträgen Steinkemper und Koch, in: Kloepfer (Fn. 18), S. 105. 56 Zu den Vorteilen einer integrierten Vorhabengenehmigung etwa Laufs, ZG 1992, S. 217 (221); zur integrierten Vorhabengenehmigung im Kommissionsentwurf vgl. etwa die Beiträge von Sellner, Hansmann, Fluck und Schrader, in: Bohne (Fn. 21), S. 91 ff.; Hoppe/Schlarmann, Die planerische Vorhabengenehmigung, 2000.

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7. Erleichterter Vollzug von Völker- und Europarecht Die bisherige Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ermöglichte oft in nur begrenztem Maße eine hinreichende und zeitnahe Umsetzung der Völker- und europarechtlichen Vorgaben.57 Diese Situation wurde durch die im Sommer 2006 verabschiedete Föderalismusreform I erheblich verbessert.58 Durch die Schaffung eines UGB lässt sich eine Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben weiter optimieren, um so einen effektiveren und schnelleren Vollzug sicherzustellen. Zu denken ist insbesondere auch an eine Rechtsverordnungsermächtigung zur erleichterten Umsetzung europa- und völkerrechtlicher Einzelvorgaben.59 Die zunehmend beliebter werdende Technik der wörtlichen Übernahme von EUSekundärrecht in das deutsche Recht erschwert freilich häufig die Verständlichkeit und innere Stimmigkeit des deutschen Rechts und geht letztlich am Sinn der mitgliedstaatlichen Richtlinienumsetzung vorbei.60 8. Innovationspotenzial eines UGB Das Modernisierungs- und Innovationspotenzial eines UGB und die damit verbunden Vorteile sind durch wissenschaftliche Untersuchungen und vor allem durch die vorliegenden Professorenentwürfe und den Kommissionsentwurf zum UGB hinreichend belegt worden.61 Inzwischen sind einige der vorgeschlagenen Verbesserungen längst in die Praxis und in neue Einzelregelungen der Umweltgesetzgebung eingeflossen. Dafür soll hier nur ein Beispiel genannt werden: Die Implementierung eines vom EG-Recht gebotenen integrativen Ansatzes ist schon seit den ersten Entwürfen zentraler Bestandteil eines UGB. Im Übrigen sind die früheren Entwürfe für ein UGB reiche Fundstellen für mögliche neue Instrumente (z. B.

57 Vgl. SRU, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, Februar 2006, S. 7; Calliess, Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch, in: Kloepfer (Fn. 18), S. 38. 58 Vgl. etwa Erbguth, Thesen zur Anhörung im Bundestag zur Föderalismusreform, S. 1 (3), wobei dieser freilich die Abweichungsrechte der Länder kritisch sieht, abrufbar unter www.bundestag.de; letzter Abruf am 27. 3. 2007. 59 Siehe z. B. § 14 Abs. 1 UGB-KomE; als Vorbild aus dem geltenden Recht s. etwa § 7 Abs. 4 BImSchG. 60 Diese Technik soll auch etwaige Einwände der Kommission bzw. des EuGH gegen eine nationale Umsetzung sicher abwehren. Sie ist indessen keineswegs durch die häufig zu hörende politische Forderung nach einer Eins-zu-eins-Umsetzung des Gemeinschaftsrechts gerechtfertigt. Bei dieser Forderung geht es regelmäßig darum, in Deutschland keine Anforderungen aufzunehmen (insbes. zum Schutz der internationalen Wettbewerbsfähigkeit), die vom EG-Recht nicht zwingend geboten sind. Das schließt aber die handwerklich saubere Einarbeitung der EU-Vorlagen in das geltende deutsche Recht keineswegs aus. 61 Vgl. etwa Sendler, Innovation und Beharrung im Kommissionsentwurf, in: Bohne (Fn. 21), S. 30 ff.

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ökonomische Instrumente62, staatliches Informationshandeln63, kontrollierbare Selbstverpflichtungen64, normersetzende Verträge65, Umweltgebietsverbände66 etc.). Freilich sichert eine Umweltrechtskodifikation als solche noch nicht automatisch eine inhaltliche Modernisierung des Umweltrechts im Einzelnen. Immerhin kann eine Umweltrechtskodifikation ein erfolgversprechender Innovationsanlass sein. Letztlich aber hängt eine erfolgreiche Modernisierung vielmehr von der inhaltlichen Ausgestaltung der Kodifikation ab. Sie ist also im Sinne der hier gebrauchten Terminologie keine sichere, wohl aber eine mögliche Kodifikations„rendite“. Ein erhebliches Modernisierungspotenzial liegt dabei auch im Ausbau indirekt steuernder, insbesondere informativer und ökonomischer Instrumente67, wobei allerdings hier manche ernüchternde Erkenntnisse bezüglich ihrer Wirksamkeit zugleich die Grenzen ihres Wachstums deutlich gemacht haben dürften. 9. UGB als Vorbild für andere Rechtsordnungen Bis zum Ende der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts nahm die Bundesrepublik Deutschland eine besonders einflussreiche Rolle in der Entwicklung des Umweltrechts in der EG ein. Mit dem vorläufigen Scheitern des UGB im Jahre 1999 wurde zunächst die Chance verpasst, durch eine überzeugende Umweltrechtskodifikation wieder umfassenden Anschluss an die Spitze der Umweltrechtsentwicklung in Europa zu finden und eventuell die alte Führungsposition wieder zurückzugewinnen.68 Aber die Tür dafür ist für allemal nicht verschlossen. Wenn es gelingt, ein erfolgreiches UGB zu schaffen, kann Deutschland u. U. wieder eine führende Rolle in der europäischen Umweltrechtsentwicklung zurückerobern. Das 19. Jahrhundert mit den großen Kodifikationen etwa des BGB – regelrecht ein Exportschlager69 – des HGB oder des StGB ist Beispiel und Ansporn zugleich.70 Rechtsexport bedeutet letztlich auch wirtschaftlichen Export. Das UGB kann sich also sowohl zu einem Vorbild für die Rechtsordnungen anderer Staaten entwickeln, 62

Z. B. §§ 190 – 205 UGB-KomE. §§ 207 – 216 UGB-KomE, ferner § 124 UGB-KomE. 64 § 135 UGB-KomE. 65 § 36 UGB-KomE. 66 § 40 UGB-KomE. 67 Zur Bedeutung ökonomischer Instrumente, insb. des Öko-Audits vgl. die Vorträge von Lottermoser und Kahl im Rahmen der Tagung „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“, Kloepfer (Fn. 18), S. 107 ff. bzw. S. 113 f. 68 Darauf weist Storm, Empfiehlt es sich, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, gegebenenfalls mit welchen Regelungsbereichen?, ZRP 1992, S. 346 (347) zu Recht hin. 69 So wurde das BGB als Vorbild in den zivilrechtlichen Kodifikation in Japan und Griechenland genutzt. 70 Auch Sendler verglich das UGB mit dem BGB, vgl. Sendler, Stand der Überlegungen zum Umweltgesetzbuch, NVwZ 1996, S. 1145 (1146). 63

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wie auch für das Umweltrecht der EU, die ja bekannterweise selbst über eine Kodifikation des (europäischen) Umweltrechts71 nachdenkt.72

10. UGB als Beitrag zur strukturellen Rechtskontinuität Als letzter – bisher relativ wenig erörterter und trotzdem besonders gewichtiger – Vorteil einer Kodifikation soll hier die Eigenschaft des UGB als ein wesentlicher Beitrag zur Rechtskontinuität genannt werden.73 Denn nichts wird beim Umweltrecht so viel – z. B. von der Wirtschaft – kritisiert, wie seine Unbeständigkeit und seine vielen Änderungen. Dem kann eine überzeugende Kodifikation nachhaltig entgegenwirken. Es geht um die strukturelle Rechtskontinuität, die von gelungenen Kodifikationen – wie z. B. BGB, StGB, AO, aber auch das VwVfG – gestiftet wird. Natürlich sind alle diese Kodifikationen nicht vor Gesetzesänderungen durch den späteren Gesetzgeber geschützt (und können dies im Übrigen schon aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen auch nicht sein).74 Aber: Bei einzelnen Gesetzesänderungen kann eben regelmäßig die grundsätzliche Struktur einer Kodifikation bestehen bleiben.75 Es ist schon erstaunlich, welche extremen historischen Brüche z. B. das BGB überlebt hat, ohne einerseits seine Grundstruktur aufzugeben oder aber andererseits auch zu erstarren. Der später ändernde Gesetzgeber fügt sich regelmäßig in die vorgefundenen Strukturen einer – gelungenen – Kodifikation ein. Dieses Einpassen von Gesetzesänderungen in das System einer bestehenden Kodifikation erhöht 71

Es wird sich dabei aber wohl um eine kompilatorische „Kodifikation“ handeln, also – wie etwa im französischen Recht – um eine systematische, bereinigte und konsolidierte Gesetzessammlung des geltenden Rechts. 72 Die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition (Fn. 3), S. 56, sieht im Übrigen vor, dass die Bundesregierung in Brüssel eine „Initiative für die notwendige innere Harmonisierung und Vereinfachung des europäischen Umweltrechts“ ergreifen soll. Dies muss u. a. im Zusammenhang mit Initiativen auf EU-Ebene unter den Stichworten „European Governance“ und „bener regulation“ gesehen werden; siehe dazu Bohne (Fn. 7), S. 292. 73 Vgl. allgemein zur Kontinuität im Recht Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002; Maurer, Kontinuität und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 1988, S. 211 ff.; siehe ferner Kloepfer, Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte, 1994. 74 Die ganz h. M. geht von dem Dogma aus, dass der einfache Gesetzgeber den späteren einfachen Gesetzgeber nicht binden könne. Für Rechtsnormen gleichen Ranges gilt dann der Vorrang des späteren Rechts. Dem ist im Grundsatz – schon aus demokratischen Gründen – zuzustimmen. Allerdings gibt es schon jetzt (nicht nur faktische, sondern auch) rechtliche Bindungen des Gesetzgebers an den Gesetzgeber (bisherige Grundsatzgesetze, Gesetze über allgemeine Regeln des Völkerrechts, aber auch BHO im Hinblick auf Bundeshaushaltsgesetze, Bundesbesoldungsgesetz bezüglich der konkreten Besoldungsänderungsgesetze, Gesetze über die kommunale Neugliederung und konkrete Neugliederungsgesetze etc. Möglicherweise gibt es auch darüber hinaus in Deutschland einfache Gesetze verschiedenen Ranges. Interessant sind inhaltlich herausgehobene Gesetze wie z. B. die „super leggi“ in Italien. Das UGB könnte als Grundsatzkodifikation ein solches herausgehobenes Gesetz sein). 75 Vgl. M. Schmidt, Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch – eine Einführung, in: ders. (Hrsg.), Das Umweltrecht der Zukunft, 1996, S. 10 (16 f.); Kloepfer/Durner (Fn. 8), S. 1082.

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die Rechtskontinuität ungemein und macht es für einen Rechtsanwender leichter, eine Kodifikation auch dann anzuwenden, wenn er zeitlich vor Erlass der späteren Gesetzesänderungen fachlich ausgebildet wurde. Verlässliches Handeln der Staatsgewalten ist eine wichtige Anforderung des Rechtsstaatsprinzips.76 Gegenläufig ist selbstverständlich die Pflicht – jedenfalls die Möglichkeit – des Staates, sich den jeweiligen Veränderungen der ökonomischen, sozialen und ökologischen Bedingungen anzupassen. Gerade wenn es jedoch gelingt, ein harmonisiertes und kohärentes System des UGB zu schaffen, können spätere Rechtsänderungen leichter in ein UGB aufgenommen werden. Der Rechtsanwender weiß auch nach künftigen Gesetzesänderungen, wo er in etwa in einer Umweltrechtskodifikation suchen muss. Der Gesetzesvollzug wird dabei für alle Rechtsbetroffenen vorhersehbarer. Mit der spezifischen strukturellen Kontinuität einer Kodifikation kann das UGB einen erheblichen Beitrag zur Beständigkeit des Rechts leisten. Modernisierende Rechtsänderungen und die Erhaltung gesetzlicher Systeme müssen kein Widerspruch sein. Im Gegenteil: Die behutsame Modernisierung ist eine Grundvoraussetzung für die dauerhafte Erhaltung eines gesetzlichen Systems. Kontinuität durch systematisch gelungene Kodifikationen ist jedenfalls eine von mehreren möglichen Antworten auf die viel und zutreffend kritisierte Fülle hastiger Rechtsänderungen der modernen Gesetzgebung. Die absehbare lange Existenz einer Umweltrechtskodifikation hat auch eine nicht zu unterschätzende politische Bedeutung. Sie führt zur politischen Nachhaltigkeit des Umweltschutzes und sichert ihm auch dann hinreichende Aufmerksamkeit, wenn die Öffentlichkeit ihr Hauptinteresse anderen Fragen zuwendet. Rechtskontinuität im Umweltrecht durch Kodifikation kann im Ergebnis auch zu einem nachhaltigen Umweltschutz beitragen.

V. Aktuelle Lage der Kodifikation Abschließend soll noch zur aktuellen Lage des jetzigen Kodifikationsprozesses Stellung genommen werden: 1. UGB im Zeitdruck Die Fertigstellung des UGB steht unter einem erheblichen Zeitdruck. Die Große Koalition will bis zum Ende der Legislaturperiode das Projekt UGB – jedenfalls teilweise – verwirklicht haben.77 Bis dahin werden die für eine Kodifikation günstigen gleichlaufenden Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat voraussichtlich bestehen bleiben und bis zum 1. 1. 2010 gibt es auch noch keine Abweichungsbefugnisse 76 Vgl. allgemein Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 3. Aufl. 2004, § 26. 77 Vgl. nochmals das Eckpunktepapier des BMU (Fn. 2).

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der Länder im Naturschutz- und im Wasserrecht.78 Damit bietet sich es an, das Projekt des UGB etwa im Frühjahr 2008 in den Bundestag einzubringen, wenn das UGB aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten werden soll. Dementsprechend soll – wie erwähnt – der Referentenentwurf bereits im September 2007 vorliegen. Das macht es nicht leicht, wenn nicht gar unmöglich, ein vollständiges UGB etwa nach der Vorlage der Entwürfe der Professoren bzw. der Sachverständigen für ein UGB bis zu diesem Zeitpunkt zu erarbeiten (und dabei in effektiver Weise auch die Länder und die gesellschaftlichen Verbände und Organisationen einzubeziehen). 2. Zur schrittweisen Realisierung des UGB a) Ansätze der Politik Möglich bleibt angesichts der verbleibenden Zeit zunächst nur die Verwirklichung einer – gemessen am UGB-KomE – erheblich abgespeckten Umweltrechtskodifikation. Der Ausweg wird von der Politik in dem Modell der schrittweisen Verwirklichung des UGB gesehen,79 wie dies etwa bei Umweltrechtskodifikationen im Ausland realisiert wurde (z. B. Niederlande80) oder im Inland beim SGB.81 Die nacheinander entstandenen Professorenentwürfe für ein UGB-AT einerseits und ein UGB-BT andererseits haben bewiesen, dass eine schrittweise Realisierung des UGB durchaus machbar ist. Deshalb ist es möglich, noch in dieser Legislaturperiode als ersten Schritt ein Kern-UGB u. a. mit den Schwerpunkten: integrierte Vorhabengenehmigung, Wasserhaushaltsrecht und Naturschutzrecht, aber auch mit einer Reihe anderer gewichtiger Regelungen (s. sogleich) zu schaffen. Später soll dann das UGB durch das Einstellen weiterer „Bücher“ vervollständigt werden. Das ursprüngliche Eckpunkte-Papier des BMU zum UGB vom Juli 200682 sieht über die genannten drei Schwerpunkte hinaus noch vor, u. a. die allgemeinen Ziele und Grundsätze des Umweltschutzes, sonstige fachübergreifende Umweltmaterien (strategische Umweltprüfung, öffentlich-rechtliche Umwelthaftung, Umweltrechtsbehelfe), die eingreifenden Maßnahmen und den betrieblichen Umweltschutz in dieser ersten Kodifikationsstufe zu regeln. Neuerdings werden zusätzlich noch das Recht der Treibhausgasemissionszertifikate und das Recht der erneuerbaren Energien genannt.83 Das wäre gleichwohl insgesamt noch eine relativ schlanke, und durch weiteres Umweltfachrecht später zu ergänzende Kernkodifikation des Um78

Dies ergibt sich aus Art. 125b GG. Vgl. dazu näher unten unter V. 3. i). Vgl. dazu etwa Merkel (Fn. 21), S. 382. 80 Auch in Frankreich, Schweden und Polen sind Kodifikation zumindest teilweise verwirklicht oder in Vorbereitung, vgl. Schweikl (Fn. 14), S. 2124. 81 Zur Notwendigkeit eines stufenweisen Vorgehens vgl. auch Storm (Fn. 49), S. 40. 82 Vgl. nochmals Fn. 2. 83 Siehe dazu auch unter V. 3. j). 79

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weltrechts in Form eines Kern-UGB mit hinreichendem politischen Gewicht. Sollte diese Zielkonzeption des Eckpunkte-Papiers künftig aber z. B. deutlich unterschritten werden, droht einem solchen Kern-UGB allerdings eine Magersucht. Welche Variante auch immer realisiert wird, eines bleibt allerdings festzuhalten: Zusätzlich zum Kern-UGB wird eine relativ ausführliche Übergangsregelung (als ein Einführungsgesetz zu diesem UGB) unverzichtbar bleiben. Es müssen also in der zur Verfügung stehenden Zeit sowohl das Kern-UGB wie das Übergangsrecht (etwa als EG-UGB) geschaffen werden. Vereinzelt werden zusammen mit dem Kern-UGB außerdem auch Neufassungen einiger Rechtsverordnungen vorzulegen sein, in der Regel werden die alten umweltrechtlichen Rechtsverordnungen aber vorläufig in Kraft bleiben müssen. Schon aus Kapazitätsgründen werden aber die meisten vorhandenen Rechtsverordnungen84 erst in der nächsten Legislaturperiode an das neue Kern-UGB (und der dann noch einzustellenden) neuen „Bücher“ des UGB anzupassen sein. b) Zwischen Vorfestlegung und verbleibender Gestaltungsfreiheit Das Grundproblem der schrittweisen Realisierung einer Kodifikation – ähnlich wie bei einer schrittweisen Anlagengenehmigung – soll nicht verschwiegen werden. Es muss schon jetzt eine konkretisierbare und nicht zu vage Vorstellung vom Gesamtprojekt vorhanden sein, obwohl gegenwärtig nur ein Teil – eben das Kern-UGB – intensiver geplant und konkretisiert werden kann.85 Immerhin vermitteln die vorhandenen UGB-Entwürfe der Professoren bzw. der Sachverständigen schon jetzt eine ungefähre Vorstellung, wohin in etwa die Reise gehen könnte. Das Kern-UGB bedeutet also sowohl Vorfestlegung wie inhaltliche Freiheit für die späteren Kodifikationsschritte des Gesetzgebers.86 c) Zur Problematik eines Allgemeinen Teils Eine nur schrittweise Realisierung des UGB bedeutet aber auch, dass ein klassischer Allgemeiner Teil wie beim BGB – mit der Technik des Vor-die-Klammer-Ziehens (z. B. bezüglich der Legaldefinitionen) – deswegen ausscheiden muss, weil 84 Zwar wird der Erlass des Kern-UGB voraussichtlich einen Fortfall der konkreten Ermächtigungsgrundlagen für die bestehenden Rechtsverordnungen bewirken. Für die Wirksamkeit einer Rechtsverordnung kommt es aber nur darauf an, ob bei Erlass einer Rechtsverordnung eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage vorhanden war. Deren späterer Wegfall berührt nicht die Wirksamkeit der Rechtsverordnung. 85 Auch die Professorenentwürfe sind – wie erwähnt – schrittweise (allerdings nur in zwei Schritten) entstanden: erst der Allgemeine Teil und dann der Besondere Teil. Das strukturelle Problem der Vorfestlegung bzw. der verbleibenden Gestaltungsfreiheit stellte sich indessen auch dort, zumal der Kreis der Autoren beider Teile nur teilidentisch war. 86 Merkel (Fn. 21), S. 382 hat in diesem Zusammenhang von dem Erfordernis einer Vision gesprochen.

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noch unklar ist, was endgültig in die Klammer hinein gelangen wird. Ein zu stark abstrahierender und zu Begriffsverschachtelungen neigender Teil – gar mit langen Verweisungsketten – nach den Modellen des 19. Jahrhunderts erscheint schon aus Gründen der Verständlichkeit heute ohnehin suboptimal. Sinnvoll wäre eher, allgemeine Regelungen auf mittlerer Abstraktionsebene (etwa mit Beispielen) aufzunehmen. Es wäre allerdings für das UGB-Projekt ausgesprochen kontraproduktiv, auf einen Allgemeinen Teil funktional überhaupt zu verzichten, weil dies letztlich eine Preisgabe der inhaltlichen Idee der Kodifikation wäre. Die Erfahrung mit den bisherigen UGB-Entwürfen zeigt, dass gerade die Allgemeinen Teile einer Kodifikation deren inhaltliche Gesamtstimmigkeit und systematische und inhaltliche Verbundenheit fördern und sich verschlankend für die Gesamtkodifikation auswirken können. Zudem sind gerade die Allgemeinen Teile bevorzugt Träger innovativer Ideen. Trotz mancher missverständlichen Äußerungen ist das auch mit dem EckpunktePapier des BMU jedenfalls der Sache nach nicht geplant. Es bleibt somit auch im Kern-UGB bei der Gegenüberstellung von – fachübergreifenden Umweltmaterien und – fachbezogenen Umweltmaterien. Das sind aber – wenn beides fertiggestellt werden sollte – nur andere Bezeichnungen für einen Allgemeinen bzw. Besonderen Teil. Fachübergreifende Regelungen bleiben im inhaltlichen Sinne allgemeine Regelungen, selbst wenn sie nicht Allgemeiner Teil heißen. Im Übrigen dürften die traditionellen Bezeichnungen Allgemeiner und Besonderer Teil verständlicher sein als die Aufteilung in fachübergreifendes und fachbezogenes Recht, zumal der Ausdruck „fachbezogen“ eher verunglückt erscheint,87 gemeint ist vielmehr offenbar „fachspezifisch“. Der Allgemeine Teil verstärkt jedenfalls den Anspruch des UGB, ein stimmiges System des deutschen Umweltrechts vorzustellen. Bei einer schrittweisen Realisierung des UGB kann auch der Allgemeine Teil schrittweise realisiert werden. Im UGB werden der (fachübergreifende) Allgemeine und Besondere (fachbezogene bzw. fachspezifische) Teil nicht in einem Schritt, und auch nicht nacheinander (wie bei den Professorenentwürfen88), sondern schrittweise nebeneinander entstehen.

87

Der Gegensatz „nicht fachbezogen“ ist offenkundig nicht gemeint. Die Verzahnung zwischen Allgemeinem und Besonderem Teil ist freilich auch nicht so intensiv gelungen wie beim UGB-KomE, bei dem der Allgemeine und Besondere Teil gemeinsam entstehen konnte. 88

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3. Inhaltliche Konsequenzen a) Allgemeines Für das Kern-UGB hat dies folgende Konsequenzen: Es bedarf – erstens – schon jetzt einer ungefähren Vorstellung von der Gesamtkonzeption des UGB, insbes. welche Inhaltsbereiche erfasst und welche Ziele, Grundsätze etc. aufgenommen und verwirklicht werden sollten. Zweitens müssen die Ziele, Grundsätze etc. im Kern-UGB noch so offen formuliert sein, dass die späteren gesetzgeberischen Entscheidungen in den nachfolgenden Schritten nicht übermäßig stark präjudiziert werden. Das schließt – drittens – keineswegs die Aufnahme abschließender Regelungen schon im KernUGB aus. Daraus ergibt sich die notwendige Erarbeitung der Umrisse eines Gesamtkonzepts (b)). Als Inhalte eines Allgemeinen Teils (bzw. der fachübergreifenden Umweltmaterien) eines Kern-UGB kommen u. a. neben der Regelung über allgemeine Ziele und Grundsätze (c)) und über die Recht- und Regelsetzung (d)) vor allem die Regelung der integrierten Vorhabengenehmigung (dazu f)) in Betracht. Hinzu könnten sonstige allgemeine Regelungen (g)) sowie Vorschriften über den grenzüberschreitenden Umweltschutz (h)) treten. Als Regelungen eines Besonderen Teils (bzw. als „fachbezogene Umweltmaterien“) kommen – vor allem zur Nutzung des zeitlichen Freiraums von Art. 125 Abs. 1 S. 3 GG – im Kern-UGB Regelungen zum Naturschutz und zum Wasserhaushalt (i)) sowie zum Klimaschutz und zu den erneuerbaren Energien (j)) in Betracht. b) Gesamtkonzeption Wie erwähnt, könnten die früher erarbeiteten ausführlichen Gesetzesentwürfe der Professoren bzw. der Sachverständigenkommission zum UGB eine gewisse Vorstellung davon vermitteln, was Gegenstand einer Gesamtregelung sein könnte. Das verhindert – von diesen Entwürfen abweichende – politische Vorgaben und Auswahlentscheidungen keineswegs (z. B. Herausnahme des Atomrechts oder der Materien außerhalb der Zuständigkeiten des BMU). Die UGB-Projektgruppe beim BMU89 sollte diese Arbeiten an einer früh erstellten Skizze des Gesamtkonzepts des UGB neben den Arbeiten an konkreten Gesetzesvorschriften akzentuieren und diese als herausgehobene Aufgabe für sich selbst sowie für die Leitungsebene des Hauses begreifen. Diese Gesamtkonzeption sollte auch in Rückkopplung mit den Parteien und den großen Gesellschafts- und Umweltverbänden erfolgen. c) Ziel- und Grundsatzbestimmungen Was die Ziele und die Grundsätze im UGB betrifft, ist grundsätzlich eine Festlegung auf der Grundlage der Professoren- und Kommissionsentwürfe möglich, selbst 89

Siehe dazu oben II. 4. c).

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wenn nicht alle dort vorgeschlagenen Vorschriften – verändert oder unverändert – übernommen würden. Selbst wenn die Steuerungskraft solcher Vorschriften über gesetzliche Ziele und Grundsätze für die Verwaltung und Rechtsprechung nicht überschätzt werden sollte, darf sie auch nicht unterschätzt werden, wie gerade einschlägige – sich hierauf berufende – Ermessensentscheidungen und Urteile zeigen.90 Auch die politische Bedeutung solcher Zweckbestimmungen sowohl für die politisch Handelnden wie auch für den Bürger ist in einer demokratischen Gesellschaft erheblich. Solche Zweckbestimmungen erleichtern die Antworten auf die Frage, was ein UGB bewirken und erreichen will. Auf diese Weise kann eine verbesserte Gesetzesakzeptanz erreicht und die Rezeption gesetzlicher Festlegungen in politischen Entscheidungen erleichtert werden. Denkbar wäre an dieser Stelle eventuell auch ein Abschnitt über Umweltpflichten und Umweltrechte.91 Dafür spricht u. a. auch die in Deutschland traditionelle Verbindung der Vorhabenzulassung mit der Anforderung, umweltrechtliche Grundpflichten einzuhalten. Die hiermit verbundene Dynamisierung der Anforderungen ist unverzichtbar. d) Recht und Regelsetzung In einen Allgemeinen bzw. fachübergreifenden Teil eines Kern-UGB könnten auch Regelungen über Rechtsverordnungen (einschließlich Begründungspflichten und Beteiligungsmöglichkeiten)92, über Verwaltungsvorschriften (und ihre Vermutungswirkung) und über technische Normen (einschließlich einer etwaigen amtlichen Einführung mit entsprechender Vermutungswirkung) aufgenommen werden. Der UGB-KomE enthält hier mannigfaltige Vorschläge.93 Die Normierung untergesetzlicher Regelbildung ermöglicht, letztlich auch eine Entlastung des UGB selbst. Denkbar wären auch Regelungen zur Umweltfolgenprüfung von Rechtsnormen.94

90

Zum Einfluss z. B. der Grundsätze im Naturschurz i. S. d. § 2 Abs. 1 BNatSchG vgl. Kloepfer (Fn. 32), § 11 Rn. 35. 91 Nach dem Vorbild der §§ 7 – 18 UGB-AT-ProfE, zurückhaltender UGB-KomE, S. 452. 92 §§ 16, 20 UGB-KomE. 93 Siehe §§ 11 – 33 UGB-KomE. 94 Der ProfE sah in den §§ 35 ff. eine Umweltfolgenprüfung für Vorhaben und andere Entscheidungen vor. Mittlerweile hat sich für dieses Instrument der Begriff der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bzw. der Strategischen Umweltprüfung sprachlich und normativ verfestigt. Gerade deshalb kann der Begriff der Umweltfolgenprüfung jedoch für die Frage der Umweltauswirkungen von Rechtsnormen verwandt werden. Eine entsprechende Verpflichtung könnte dabei möglicherweise aus Art. 20a GG folgen; vgl. allgemein zur Bindung des Gesetzgebers durch Art. 20a GG, Kloepfer (Fn. 32), § 3 Rn. 21 ff.

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e) Aufwertung der gesellschaftlichen Selbststeuerung Das Versprechen der Entbürokratisierung und Vereinfachung durch ein UGB kann diese am besten durch die zusammenfassende Kraft der Kodifikation und vor allem durch die konkrete Ausgestaltung der Einzelvorschriften erreicht werden. Immerhin könnte schon jetzt durch das Kern-UGB eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und eine Aufwertung der gesellschaftlichen Selbststeuerung erfolgen – zum einen etwa durch die Betonung des betrieblichen Umweltschutzes95 (einschließlich des Umweltaudits96), zum anderen durch die Ausgestaltung gesellschaftlicher Regelsetzung und Vereinbarungen zum Umweltschutz mit Regelungen ihrer Verfahrensvoraussetzungen, ihrer Überprüfbarkeit und ihrer Kontrolle sowie ihrer etwaigen Rechtswirkungen. Der UGB-KomE enthält insoweit vielfältige Vorschläge.97 Mit solchen Konkretisierungen des Kooperationsprinzips würde deutlich werden, wie eine Entbürokratisierung durch ein UGB aussehen könnte, ohne die bisherigen Schutzstandards für die Umwelt vom Niveau her in Zweifel zu ziehen. Eine breitflächige Aufwertung der Instrumente der gesellschaftlichen Selbstverantwortung kann allerdings langfristig nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf ein entsprechendes nachhaltiges ökologisches Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft trifft. f) Integrierte Vorhabengenehmigung Wie bei dem Entwurf zum damaligen UGB I in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird sich die Arbeit am jetzigen Kern-UGB insbesondere auch damit befassen, Vorschläge für eine Harmonisierung und Vereinheitlichung des Zulassungsrechts zu erarbeiten98, bei der insoweit insbesondere das anlagenbezogene Immissionsschutzrecht und das Wasserrecht zusammengefasst werden sollen. Grundsätzlich soll eine Behörde in einem Verfahren eine einheitliche Entscheidung treffen können. Die integrierte Vorhabengenehmigung bleibt auch in der ersten Phase der jetzt begonnenen Kodifikation ein zentrales Anliegen.99 An ihm entscheidet sich der Erfolg eines integrativen Umweltschutzes. Die integrierte Vorhabengenehmigung bietet nicht nur ein großes Innovationspotential, sondern kann vor allem zu einem vereinfachten und anwenderfreundlicheren, effektiveren Gesetzesvollzug führen. Wie erwähnt (IV. 6.), schließt die Entscheidung für eine integrierte Vorhaben95 Siehe auch §§ 151 ff. UGB-KomE; allgemein zu betriebsorganisatorischen Instrumenten Kloepfer (Fn. 32), § 5 Rn. 417 ff. 96 Vgl. zur Bedeutung eines Umwelt-Audits in einem kommenden Umweltgesetzbuch die Beiträge von Lottermoser und Kahl in Kloepfer (Fn. 18), S. 107 ff. bzw. 113 ff. 97 Bes. §§ 34 ff. UGB-KomE. Siehe auch Kloepfer/Elsner, Selbstregulierung im Umweltund Technikrecht – Perspektiven einer kooperativen Normsetzung, DVBl. 1996, S. 964 ff. 98 Vgl. Rede des ehemaligen Bundesumweltministers Töpfer anlässlich der 15. Jahrestagung der Gesellschaft für Umweltrecht am 1. November 1991 in Berlin, abgedruckt in Umwelt (BMU), 1992, S. 7 (8). Zu den verschiedenen Lösungsmodellen Bohne (Fn. 7), S. 299 f. 99 Vgl. etwa Artikel des jetzigen Bundesumweltministers Gabriel in der FAZ vom 27. November 2006, Nr. 271, S. 14.

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genehmigung weitere Differenzierungen nicht aus, z. B. zwischen gebundenen Genehmigungen und planerischen Genehmigungen. g) Andere Regelungen Was die öffentlich-rechtliche Umwelthaftung und die Umweltrechtsbehelfe betrifft, kann das Kern-UGB auf die jüngsten Umsetzungsvorschriften zurückgreifen.100 Ähnliches gilt etwa für Regelungen über die Umweltinformationen. Vorschriften über eingreifende Maßnahmen werden an den bestehenden Regelungen über die Überwachung ansetzen können. Denkbar sind schließlich Vorschriften zur Umweltpflichtigkeit der öffentlichen Hand.101 In der nächsten Legislaturperiode könnten im Allgemeinen (fachübergreifenden) Teil u. a. Vorschriften über Umweltinformationen, Produkte, Bundesumweltbehörden, (zivilrechtliche) Umwelthaftung aufgenommen werden. h) Grenzüberschreitender Umweltschutz Der grenzüberschreitende Umweltschutz sollte im Kern-UGB wenigstens grundsätzlich geregelt werden. Auch hier bietet der UGB-KomE interessante Vorschläge.102 Zu denken ist etwa an Vorschriften über die internationale Verantwortung und Zusammenarbeit im Umweltschutz sowie an Regelungen zur grenzüberschreitenden Behördenmitwirkung und zur grenzüberschreitenden Bürgerbeteiligung. Sinnvoll könnten auch Vorschriften zur erleichterten Anpassung des UGB und der auf ihm ruhenden Rechtsverordnungen an Änderungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts sein. i) Naturschutz- und Wasserhaushaltsrecht Auch war es richtig, noch in dieser Legislaturperiode eine Aufnahme der Vollregelungen des Naturschutz- und Wasserhaushaltsrechtes in das Kern-UGB anzugehen. Der Bund sollte – wie erwähnt – das ihm vom verfassungsändernden Gesetzgeber geöffnete Zeitfenster nutzen. Gemäß Art. 125b GG können die Länder ab dem 1. Januar 2010 in diesen Gebieten von ihren Abweichungskompetenzen Gebrauch machen, auch wenn der Bund seinerseits bis dahin noch keine Vorschriften im Naturschutz- und Wasserrecht getroffen hat. Die Zeit bis dahin kann der Bund nutzen, um erstmals bundesrechtliche Vollregelungen im Naturschutz- und Wasserhaushalts100 Vgl. Gesetz über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz) 2003/35/EG v. 9. 12. 2006, BGBl. I S. 2819; Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) v. 7. 12. 2006, BGBl. I S. 2816. 101 Siehe etwa §§ 50 – 52 UGB KomE. 102 Siehe etwa §§ 228 – 233 UGB-KomE.

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recht vorzubereiten und zwar noch ungestört von abweichendem Landesrecht. Soweit der Bund dabei Materien des ehemaligen Landesrechts regeln wird, sollte er sich überlegen, in welchen Ländern die „best practice“ im Naturschutz- bzw. Wasserrecht geherrscht hat. Es liegt dann nahe, die Regelungen dieses Landes in Bundesrecht zu übernehmen bzw. dieses als Muster zu gebrauchen. Voraussichtlich werden die Länder von den ihnen durch die Föderalismusreform I eingeräumten Abweichungsmöglichkeiten nach dem Jahr 2009 nur sehr begrenzt Gebrauch machen.103 Gerade durch die Aufnahme der Regelungen zum Naturschutzund Wasserhaushaltsrecht in ein frisch geschaffenes Kern-UGB wird der politische Rechtfertigungsdruck eines Landes für eine Abweichung von bundesrechtlichen Vorgaben „nach unten“ stark erhöht sein. Ohnehin werden die Abweichungsrechte der Länder durch abweichungsfeste Kerne, europarechtliche, aber auch landesverfassungsrechtliche Vorgaben und nicht zuletzt wegen des nicht unbeträchtlichen Mittelbedarfs104 begrenzt.105 Im Übrigen kann auch die mögliche Haftung für die Verletzung von EG-Recht (Art. 104a Abs. 6 GG) einschlägigen Aktivitäten der Länder effektive Grenzen setzen.106 Insgesamt dürfte die politische Bedeutung der Abweichungsgesetzgebung weniger in ihrem praktischen Gebrauch (durch Erlass abweichender Landesgesetze) als vielmehr in dem damit verbundenen „Drohpotential“ liegen. Die Länder erhalten größere Verhandlungsmacht bei der einschlägigen Gesetzgebung des Bundes. j) Klimaschutz, erneuerbare Energien Für die derzeitige politische und ökologische Situation ließe sich die Attraktivität des Kern-UGB noch dadurch erheblich steigern, dass es – anders als die Professorenentwürfe und der UGB-KomE107 – einen eigenen Abschnitt über den Klimaschutz enthalten würde. Dazu könnten Regelungen über die erneuerbaren Energien kommen. Deshalb sollten – wenn zeitlich möglich – schon jetzt im Kern-UGB etwa die Materien des TEHG und des EEG geregelt werden. Falls dies aber aus Zeitgründen nicht mehr realistisch wäre, sollte vorerst wenigstens eine Grundsatzbestimmung über Klimaschutz, erneuerbare Energien und Energieeinsparung in das Kern-UGB aufgenommen werden. Eine andere (bzw. zusätzliche) Möglichkeit wäre es, das Klima als Schutzobjekt des Gesetzbuchs zu definieren (so auch § 2 UGB-KomE). Ebenfalls in Abweichung zu den Professorenentwürfen und zum UGB-KomE 13. Kapitel sollte die Kernenergie nicht in das UGB aufgenommen werden, weil 103

Kloepfer (Fn. 34), S. 267 ff.; ders. (Fn. 37); Bohne (Fn. 7), S. 2. Vgl. dazu Koch/Mechel, Naturschutz und Landschaftspflege in der Reform der bundesstaatlichen Ordnung, NuR 2004, S. 277 (283). 105 Vgl. dazu insgesamt Kloepfer (Fn. 37). 106 Siehe dazu etwa Kloepfer (Fn. 34), S. 266 f. 107 Der UGB-KomE enthält freilich eine ganze Reihe klimaschutzrelevante Regelungen, vgl. BMU (Fn. 28), S. 92. 104

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(und so lange) es sich hier um eine auslaufende Form der Energieerzeugung handelt. Dabei ist noch nicht entschieden, ob später der nicht anlagenbezogene Strahlenschutz in das UGB aufgenommen werden sollte. k) Zwischenfazit Mit einem solchen inhaltlichen Konzept, das im fachübergreifenden Allgemeinen Teil deutlich über die – wenn auch sehr wichtige – integrierte Vorhabengenehmigung hinausgeht, wird das Kern-UGB von seiner inhaltlichen Thematik her als schlanke Kodifikation und als ausbaufähiger Zusatz- und Andockpunkt einer Gesamtkodifikation gelten können.

VI. Ergebnis Die Schaffung eines Kern-UGB befindet sich vielleicht noch nicht auf, aber doch relativ nahe vor der Zielgeraden. Die äußeren Voraussetzungen für eine Umweltrechtskodifikation sind gut: Die vermeintlichen verfassungsrechtlichen Bedenken sind beiseite geräumt, die Föderalismusreform I hat darüber hinaus einen verfassungsrechtlichen Erwartungsdruck zum Erlass eines UGB geschaffen. Politisch wird heute von nahezu allen Parteien und von vielen gesellschaftlichen Gruppen das UGB gefordert. Und schließlich sichert gegenwärtig die Klimaproblematik dem Umweltschutz als Schicksalsaufgabe der Zukunft wieder verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit und Überzeugungskraft. Sollte es sie je gegeben haben: Die Baisse im Umweltschutz ist – nicht nur in Deutschland – vorüber. Beim UGB handelt es sich aber nicht um eine Kodifikation um der Kodifikation willen. Der Abbau der äußeren Übernormierung, die verbesserte Systematik und Harmonisierung und die dadurch verstärkte Rechtskontinuität im Umweltrecht sind nahezu sichere Kodifikations„renditen“. Der Rückbau der inneren Übernormierung, die Stärkung gesellschaftlicher Selbststeuerung, eine Entbürokratisierung, die qualitative Innovation, die verbesserte Europarechtstauglichkeit sind bei inhaltlichem Gelingen mögliche Renditen einer Kodifikation. Diese nahezu sicheren bzw. möglichen Vorzüge eines UGB stellen einen echten Mehrwert für alle Beteiligten dar. Zukunft heißt: Chancen realisieren. Deshalb gehört dem UGB die Zukunft. Und so gesehen gibt es noch Projekte, für die man sich begeistern kann – auch als rationaler und nüchterner Rechtswissenschaftler.

Perspektiven des Umweltrechts* 1 Wie wird das Umweltrecht sich in der Zukunft entwickeln? Eine mittel- oder gar langfristige Prognose fällt nicht leicht, handelt es sich beim Umweltrecht doch um ein besonders dynamisches Rechtsgebiet, das auch rasante Richtungsänderungen kennt, wie beispielhaft etwa der Zick-Zack-Kurs in Deutschland um die Laufzeitverlängerungen bzw. Laufzeitverkürzungen der noch bestehenden Kernkraftwerke in den Jahren 2010 und 2011 zeigen.2 Zur Erkundung der Perspektiven des Umweltrechtes wird im Folgenden zunächst den Gründen für die Dynamik des Umweltrechts nachgegangen (I.) und sodann werden die neuen Handlungsfelder des Umweltrechts beschrieben (II.). Es folgen Überlegungen zur Verbesserung des Umweltrechts (III.) und einige Gedanken zur Zukunft der Umweltrechtswissenschaft.

I. Zur Dynamik des Umweltrechts Die Gründe für die Dynamik des Umweltrechts sind vielfältig. Die wichtigsten seien hier genannt: 1. Internationalisierung Nicht zuletzt aufgrund von internationalen Einflüssen ist das Umweltrecht in einem ständigen Fluss. Das Umweltrecht sieht sich fortlaufend Innovationen ausgesetzt, die in anderen Staaten oder im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit entwickelt werden. Die Internationalisierung einer Rechtsmaterie führt regelmäßig zur Beschleunigung der Entwicklung dieser Rechtsmaterie. Umweltprobleme machen bekanntlich nicht vor Staatsgrenzen Halt. Hieraus ergibt sich zum einen die Notwendigkeit der Lösung von grenzüberschreitenden Umweltkonflikten.3 Zum anderen sind bestimmte Bedrohungen für die Umwelt nur

* Erstveröffentlichung: W. Erbguth (Hrsg.), Stand und Entwicklung im Seerecht, Umweltrecht, Städtebaurecht, Raumordnungs- und Fachplanungsrecht. 20 Jahre Ostseeinstitut – 20 Jahre Infrastrukturrecht, 2013, S. 37 – 48. 1 Meinen Mitarbeitern Rico Neugärtner sowie Christoph Schmidt danke ich für ihre Mitarbeit. 2 Vgl. M. Kloepfer, Verfahrene Atomausstiegsverfahren?, UPR 2012, 41 ff. 3 Vgl. M. Kloepfer, Umweltschutzrecht, 2. Aufl., München 2011, § 6 Rn. 6.

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durch internationale Umweltschutzzusammenarbeit zu bewältigen.4 Nachdem sich bereits im Verlauf des 20. Jahrhunderts tragende Grundzüge des völkerrechtlichen Nachbarrechts und dann – speziell – auch des internationalen Umweltnachbarrechts herausgebildet hatten, setzte die Entwicklung der internationalen Umweltschutzzusammenarbeit über nachbarschaftliche Beziehungen hinaus im Wesentlichen mit der Umweltkonferenz von Stockholm im Jahre 1972 ein.5 In der Stockholmer Erklärung wurden wesentliche Grundprinzipien des Umweltvölkerrechts festgeschrieben. In Folge der Konferenz kam es später zudem zur Gründung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), das es freilich bis heute nicht zur Sonderorganisation der UN geschafft hat. Zwanzig Jahre später, im Jahr 1992, rückte beim „Erdgipfel“ von Rio de Janeiro der Gedanke der Nachhaltigkeit (sustainability) in den Fokus6, ein Gedanke, der übrigens aus dem alten preußischen und sächsischen Forstrecht des 19. Jahrhunderts stammt. Die Rio-Deklaration und die Konvention über die Biologische Vielfalt sowie vor allem die Klimarahmenkonvention waren bedeutende Ergebnisse dieses „Erdgipfels“. Mit der Klimarahmenkonvention wurde die Bekämpfung des anthropogenen Treibhauseffekts zum Gegenstand der internationalen Umweltschutzbemühungen. Der sog. Rio-Folgeprozess, dessen wesentliche Zwischenschritte die Vertragsparteienkonferenz der Klimarahmenkonvention von Kyoto 1997 sowie der Weltgipfel von Johannesburg 2002 waren, konnte bisher nicht – man denke etwa an den Fehlschlag von Kopenhagen – die hohen Erwartungen an eine Intensivierung des internationalen Umweltschutzes, gerade im Klimaschutzbereich, erfüllen.7 Als ein Beispiel erfolgreicher internationaler Umweltschutzpolitik kann hingegen die Aarhus-Konvention vom 25. Juni 19988 gelten. Gegenstand der Konvention war die Verstärkung von Elementen der Umweltinformation, der Öffentlichkeitsbeteiligung und des Zugangs zu Gerichten im Umweltschutzbereich. Die Umsetzung der Konvention erfolgte als sog. gemischter Vertrag sowohl auf europäischer – die Europäische Union ist neben ihren einzelnen Mitgliedstaaten auch selbst Vertragspartner – als auch auf nationaler Ebene. Hier zeigt sich die Komplexität des globalen, supranationalen und bundesstaatlichen Umweltrechts in einem Mehrebenensystem. Jedenfalls können internationale Festlegungen oder ihre Änderungen zu einer Kaskade umsetzender und konkretisierender nationaler Gesetzesänderungen führen. Zwar ist angesichts des regelmäßig grenzüberschreitenden und nicht selten sogar globalen Charakters von umweltschutzrelevanten Phänomenen ein Fortschreiten der 4 M. Buck/R. Verheyen, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 3. Aufl., München 2010, § 1 Rn. 1. 5 Vgl. R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 8. Aufl., München 2010, § 9 Rn. 2. 6 Buck/Verheyen (Fn. 4), § 1 Rn. 7. 7 Vgl. K. Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, München 2011, § 16 Rn. 19. 8 Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-making and Access to Justice in Environmental Matters v. 25. 06. 1998, 38 ILM (1999) 517, in Kraft seit 30. 10. 2001.

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Internationalisierung des Umweltrechts unvermeidbar und grundsätzlich auch zu begrüßen. Dennoch muss das deutsche Umweltrecht streng darauf achten, nicht von der Erbkrankheit des Völkerrechts „infiziert“ zu werden, nämlich seiner notorischen Vollzugsschwäche. Politische Absichtserklärungen und Kompromisse stellen als solche eben noch lange keine vollzugsfähigen Rechtsnormen dar. 2. Europäisierung Die Entwicklung des Umwelteuroparechts begann zwar nicht erst mit der Aufnahme der Umweltschutzkompetenz in den Art. 130r ff. EWGV durch die sog. Einheitliche Europäische Akte (EEA)9 im Jahre 1987. Schon zuvor hatte es bei freilich umstrittener Kompetenzlage umweltbezogene Gemeinschaftsrechtsakte gegeben.10 Jedoch verstärkte sich die europarechtliche Durchdringung des Umweltrechts im Laufe der 1980er-Jahre.11 Zudem wuchs in dieser Zeit auch das Konfliktpotenzial zwischen dem (zunächst west-)deutschen und dem europäischen Umweltrecht. In den 1970erund zu Beginn der 1980er-Jahre hatte noch ein weitgehender Gleichlauf von (west-) deutschem und europäischem Umweltrecht bestanden.12 So entsprachen etwa in der EG-Abfallrichtlinie von 1975 Teile wörtlich dem bundesdeutschen Abfallrecht.13 Mitte der 1980er-Jahre vergrößerte sich jedoch der Einfluss des britischen und skandinavischen Rechts auf das europäische Umweltrecht. Neue Regelungsimpulse wie die Intensivierung von integrativem (statt sektoralem) Umweltschutz sowie verstärkte Bürgerbeteiligung flossen in die europäische Umweltrechtsentwicklung ein.14 Hierdurch verringerte sich die Vorbildfunktion des deutschen Umweltrechts für Europa erheblich und das Konfliktpotenzial zwischen deutschem und europäischem Recht stieg an; der Anpassungsbedarf im deutschen Recht an das europäische Recht wurde größer. Es begann schließlich die Zeit der nicht vereinzelt gebliebenen Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlender oder nicht rechtzeitig umgesetzter gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben im Umweltrecht.15 In den 1990er- und 2000er-Jahren stieg der gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Einfluss auf das deutsche Umweltrecht weiter an. Heute beruhen ca. zwei Drittel 9

ABIEG 1987 C 169, S. 1. Schmidt/Kahl (Fn. 5), § 10 Rn. 4; M. Kloepfer, Europäischer Umweltschutz ohne Kompetenz? Eine Diskussionsbemerkung zu den Zuständigkeitsfragen der EG-Umweltpolitik, UPR 1986, 321 ff. 11 M. Kloepfer, Die europäische Herausforderung – Spannungslage zwischen europäischem und deutschem Umweltrecht, NVwZ 2002, 645 (647). 12 Vgl. Kloepfer (Fn. 11), 646. 13 L. A. Versteyl, Europäisierung des Abfallrechts, in: W. Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, Baden-Baden 2001, S. 137. 14 Kloepfer (Fn. 11), 647. 15 Kloepfer (Fn. 11), 647: „aus dem ,good guy‘ wurde zunehmend der ,bad boy‘ Deutschland“. 10

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(wenn nicht mehr) der deutschen Umweltrechtsgesetze auf Vorgaben des EU-Rechts, während insgesamt – bezogen auf die Gesamtrechtsordnung in Deutschland – nur knapp ein Drittel der Gesetze auf Unionsrecht zurückgeht.16 Aber auch hier wächst der unionsgenerierte Anteil zunehmend. Angesichts der Eigendynamik des europäischen Rechts ergibt sich für das nationale Umweltrecht jedenfalls ein fortlaufender Anpassungs- und Umsetzungsbedarf. Die Europäisierung des Umweltrechts ist in einem zusammenwachsenden Europa grundsätzlich zu begrüßen. Dies umso mehr, als gerade in den vergangenen Jahrzehnten das Europarecht zu wesentlichen Verbesserungen und Modernisierungen des deutschen Umweltrechts geführt hat. Allerdings ergeben sich im Hinblick auf die Europäisierung des Umweltrechts auch Bedenken. So erscheint das Umwelteuroparecht noch immer unvollständig und weitgehend unsystematisch.17 Weiterhin herrschen unionsrechtliche Sekundärrechtsakte vor, welche sich auf umweltrechtliche Spezialprobleme fokussieren; indessen sind in diesem Zusammenhang durchaus Fortschritte zu erkennen, insbesondere durch die zusammenfassenden und harmonisierenden Rahmenrichtlinien.18 Weitere Kritikpunkte am europäischen Umweltrecht betreffen die teilweise inhaltliche Vagheit, den partiell auszumachenden aktionistischen Charakter und eine spezifische Verbindlichkeitsungewissheit.19 Bedenken bestehen schließlich im Hinblick auf das – über das Umweltrecht hinaus relevante – Problem des Defizits des europäischen Sekundärrechts an hinreichender demokratischer Legitimation.20 Aufgrund der besonderen Bedeutung, welche das europäische Sekundärrecht im Bereich des Umweltrechts besitzt, ist dieser Mangel an demokratischer Legitimation aber eben gerade auch ein besonderes Problem des europäisch geprägten Umweltrechts. Durch die verstärkte Europäisierung wächst jedenfalls die Gefahr einer zunehmenden Entdemokratisierung umweltrechtlicher Entscheidungen. Die Exekutivlastigkeit des europäischen Umweltrechts erreicht inzwischen ohnehin die Grenze des politisch Hinnehmbaren. Auf jeden Fall wünschte man sich mehr Gestaltungskraft, aber auch mehr Profil des Europäischen Parlaments im Umweltbereich.

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Schmidt/Kahl (Fn. 5), § 10 Rn. 2. So zum Zustand vor zehn Jahren: Kloepfer (Fn. 11), 648; zum Zustand bei der Jahrtausendwende: ders., Milleniumsgedanken zum Umweltrecht, ZAU 1999, 458 (459): „systematischer Ansatz folgt zu oft scheinbar dem Chaos-Prinzip“. 18 Genannt seien insbesondere die Wasserrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/60/EG), die novellierte Abfallrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/98/EG) sowie die Luftqualitätsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2008/50/EG). 19 Kloepfer (Fn. 11), 648. 20 Zur Problematik des Demokratiedefizits auf Unionsebene (welches durch die nationalen Gesetzgebungsorgane im Wege der Wahrnehmung ihrer besonderen Integrationsverantwortung ausgleichbar ist): BVerfGE 123, 267 (371 ff.) – Lissabon; M. Kloepfer, Verfassungsrecht, Band 1, München 2011, § 43 Rn. 22, 60. 17

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3. Veränderungen in Technik und Wissenschaft Umweltrecht wird sich schon deshalb fortwährend wandeln, weil es auf Veränderungen der Natur und der Zivilisation reagieren muss, will es seine Funktionsfähigkeit und Steuerungskraft bewahren. Insbesondere Veränderungen der Technik, aber auch der wissenschaftlichen Erkenntnisse können zu veränderten oder auch ganz neuen Gesetzen führen. Durch neue technische Möglichkeiten können immer auch neuartige Gefahren, aber eben auch neue Abhilfe- und Rettungsmöglichkeiten für die natürlichen Lebensgrundlagen entstehen. Umweltrecht ist so nicht selten die Antwort auf die Entstehung neuer Technologien oder auf die Gewinnung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Neue Techniken können dabei zu Technologiesonderrecht führen, wie etwa der Erlass des Atomgesetzes im Jahr 1959 oder die Schaffung des Gentechnikgesetzes21 von 1990 zeigen. Die Nanotechnologie und möglicherweise auch einmal die Kernfusion werden voraussichtlich zu ähnlichen spezialgesetzlichen Reaktionen führen. Immer wieder kommt es zu neuen technischen Möglichkeiten der Umweltnutzung. Diskutiert werden derzeit etwa die Kohlenstoffdioxidspeichertechnologie Carbon Capture and Storage (CCS)22 und das Hydraulic Fracturing (kurz auch Fracking23), eine Tiefbohrtechnik unter Einsatz chemischer Substanzen zur Ermöglichung des Abbaus von Bodenschätzen. Nur wenn sich das Umweltrecht dem jeweils aktuellen Stand von Technik und Wissenschaft anpasst, wird es zukunftsfähig bleiben können. Da Umweltrecht im Übrigen häufig ein Handeln im Ungewissen24 darstellt, wird es nicht selten auch dann reagieren müssen, wenn später Gewissheiten eintreten, die von ursprünglichen Annahmen abweichen.

21 Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz – GenTG) v. 20. 06. 1990 (BGBl. I S. 2066). 22 Am 7. Juli 2011 hatte der Deutsche Bundestag ein CCS-Gesetz zur Umsetzung einer EU-Richtlinie beschlossen. Das umstrittene zustimmungsbedürftige Gesetz musste sodann in den Vermittlungsausschuss, vgl. BT-Drs. 17/7543. Am 28. Juni 2012 stimmte der Bundesrat einem Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses zu, vgl. BR-Drs. 376/12, der in das Gesetz zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid (Kohlendioxid-Speicherungsgesetz – KSpG) v. 17. 08. 2012 (BGBl. I S. 1726) mündete. Zu diesem Gesetz näher N. Dieckmann, Das neue CCS-Gesetz – Überblick und Ausblick, NVwZ 2012, 989 ff. 23 Zu berg- und wasserrechtlichen Voraussetzungen des Frackings siehe T. Attendorn, Fracking – zur Erteilung von Gewinnungsberechtigungen und der Zulassung von Probebohrungen zur Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten, ZUR 2011, 565 ff. 24 M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: C. Gethmann/ders., Handeln unter Risiko im Umweltstaat, Heidelberg 1993, S. 55 ff.

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4. Neue Instrumente Eine weitere Besonderheit des Umweltrechts liegt im häufigen Einsatz neuer rechtlicher Instrumente25, die regelmäßig auch neuer gesetzlicher Grundlagen bedürfen. In einem Instrumentenverbund wirken im Umweltrecht neben herkömmlichen direkten (ordnungsrechtlichen) Verhaltenssteuerungsinstrumenten, etwa Genehmigungsvorbehalten und -verfahren sowie Ordnungsverfügungen, auch indirekte Verhaltenssteuerungsinstrumente. Zu denken ist insbesondere an staatliche Umweltinformationen, ökonomische Instrumente wie den Emissionszertifikatehandel des TEHG, Umweltabgaben, Umweltsubventionen, Umweltabsprachen, Instrumente der Betriebsorganisation (wie z. B. das Umwelt-Audit) sowie Zielvereinbarungen.26 Die Neuentwicklung umweltrechtlicher Instrumente sowie die stete Fortentwicklung und Verfeinerung des bestehenden umweltrechtlichen Instrumentariums sind jedenfalls wichtige Ursachen für die Dynamik des Umweltrechts. Dabei bleibt die funktionelle Verschränkung der traditionellen ordnungsrechtlichen Instrumente mit den neuen informativen und ökonomischen Instrumenten eine große gesetzgeberische Daueraufgabe.

II. Neue Handlungsfelder des Umweltrechts Die Dynamik des Umweltrechts erweist sich gerade auch bei der Entstehung neuer umweltrechtlicher Handlungsfelder und in der Herausbildung neuer Teilgebiete des Umweltrechts. Das zeigte sich beispielhaft in der oben geschilderten Entwicklung des bundesdeutschen Umweltrechts, das etwa mit dem Gentechnikgesetz (1990) und in jüngerer Vergangenheit mit dem Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (2009) auf neue technologische Herausforderungen und neue bzw. neu erkannte Gefährdungen reagiert. 1. „Energiewende“ Gerade für den weiteren Ausbau des Klimaschutzrechts und vor allem des Umweltenergierechts spielt die sog. „Energiewende“ eine sehr wichtige Rolle, die insbesondere nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima an Dynamik gewonnen hat. Vor allem durch die Förderung der erneuerbaren Energien27, durch einen Ausbau der Energieleitungsnetze28, durch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz29 25 Dazu ausführlich M. Kloepfer, Zu den neuen umweltrechtlichen Handlungsformen des Staates, JZ 1991, 737 ff. 26 Kloepfer (Fn. 3), § 4 Rn. 62. 27 BMU (Hrsg.), Die Energiewende, Zukunft made in Germany, Berlin 2012, S. 24 ff. 28 BMU (Fn. 27), S. 33 ff. 29 BMU (Fn. 27), S. 37 ff.

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sowie zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung30 und durch den Bau zusätzlicher fossiler Kraftwerke31 soll die Versorgungssicherheit trotz sukzessiven Wegfalls der Kernkraftstromproduktion aufrechterhalten werden. Insbesondere der Netzausbau kann dabei offenbar zu einer Schicksalsfrage der „Energiewende“ werden. Diesbezüglich wurde als eine erste legislative Maßnahme bereits im Juli 2011 das Netzausbaugesetz (NABEG)32 beschlossen.33 Dennoch bestehen zunehmend größer werdende Bedenken hinsichtlich des Gelingens des rechtzeitigen Netzausbaus. So hat auch der amtierende Bundesumweltminister Altmaier bereits öffentlich an der Einhaltung der gesetzten Ziele gezweifelt.34 Zudem werden Stimmen aus der Bundesregierung laut, wonach zur Ermöglichung eines beschleunigten Netzausbaus gegebenenfalls (unionsrechtlich vorgegebenes) Naturschutzrecht „vorübergehend außer Kraft gesetzt“ werden solle sowie die verwaltungsgerichtlichen Rechtschutzmöglichkeiten auf eine Instanz beim BVerwG beschränkt werden sollten.35 Hier scheint sich eine Quasi-Renaissance der Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er-Jahre – damals insbesondere zur Ermöglichung des sog. „Aufbau Ost“36 – anzukündigen. Die Energiewende wird zudem zu nicht unwesentlichen Strompreiserhöhungen führen (z. B. durch Erhöhung der Ökostrom-Umlagen) und so auch zu grundsätzlichen Fragen der (sozialen) Umweltgerechtigkeit37 führen. 2. Ressourcenschutz Zunehmend diskutiert wird der Ansatz des Ressourcenschutzes. Fasst man diesen Begriff weit, so fällt darunter die Schonung biotischer wie abiotischer Rohstoffe, der Umweltmedien Boden, Wasser und Luft sowie der strömenden Ressourcen wie etwa

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BMU (Fn. 27), S. 40. BMU (Fn. 27), S. 42. 32 Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze v. 28. 07. 2011, BGBl. I 2011, S. 1690 ff. 33 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das NABEG im Hinblick auf die Verwaltungskompetenz können im Ergebnis durch eine verfassungskonforme Auslegung ausgeräumt werden, vgl. W. Erbguth, Energiewende: großräumige Steuerung der Elektrizitätsversorgung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 2012, 326 (332); M. Appel/A. Eding, Verfassungsrechtliche Fragen der Verordnungsermächtigung des § 2 II NABEG, NVwZ 2012, 343 (347). 34 Meldung auf FAZ.net v. 15. 07. 2012, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/riesige-an strengungennoetig-altmaier-zweifelt-an-umsetzung-der-energiewende-11820961.html (letzter Abruf am 07. 08. 2012). 35 So Bundeswirtschaftsminister Ph. Rösler laut beck-aktuell/dpa, becklink 1021748, Meldung vom 06. August 2012. 36 Vgl. zur Beschleunigungsgesetzgebung der 1990er-Jahre: M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., München 2004, § 2 Rn. 110 ff. 37 Dazu M. Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, Berlin 2006, passim, bes. Rn. 4 ff.; ders., Environmental Justice und geographische Umweltgerechtigkeit, DVBl. 2000, 750 (752 f.). 31

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Wind- oder Sonnenenergie.38 Insoweit ist der Begriff aber auch schwer von dem des Umweltschutzes im Allgemeinen abgrenzbar. Besonderes Augenmerk erfährt deshalb – auch von der Bundesregierung39 – der enger gefasste, nämlich auf Rohstoffe gerichtete Ressourcenschutz. Man denke hier nur an die für die Hightech-Industrie wichtigen seltenen Erden, aber auch an andere Metalle oder Industrieminerale.40 Das geltende Recht trägt dem Ressourcenschutz bereits an verschiedenen Stellen Rechnung. So sieht etwa das Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht schon seit längerem den Vorrang der Abfallvermeidung und eine langfristige Produktverantwortung vor. Das am 1. Juni 2012 in Kraft getretene Kreislaufwirtschaftsgesetz41 fügt dem das Instrument der Abfallvermeidungsprogramme (§ 33 und Anlage 4 des KrWG) hinzu.42 Obwohl der Ressourcenschutz förmlich nach Innovationen dürstet, liegt die Neuigkeit dieses Gebietes weniger im grundsätzlichen sachlichen Inhalt als vielmehr in der neuartigen Zusammensicht verschiedener Aspekte (z. B. langfristiger Umgang mit seltenen Bodenschätzen und Energieeinsparung). Insofern sollte auch die Idee eines eigenen Stammgesetzes zum Ressourcenschutz43 diskutiert werden, das die bestehenden Ansätze unter einem übergeordneten Aspekt zusammenfasst und fortentwickelt. Dort könnten u. a. allgemeine Grundsätze (z. B. die Trias von Ressourceneffizienz, -suffizienz und -konsistenz44) und Definitionen des Ressourcenschutzes festgelegt werden. Wichtiger noch erscheint aber, den Gedanken des Ressourcenschutzes auch in den umweltrechtlichen Spezialgesetzen noch stärker umzusetzen und mit einem eventuellen Ressourcenschutzgesetz zu verzahnen. 3. Lärmschutz Der Lärmschutz, der künftig besser als Stilleschutz oder als Ruheschutz bezeichnet werden sollte (weil ja nicht der Lärm geschützt werden soll), stellt ein noch dringend zu verbesserndes Teilgebiet des Umweltrechts dar. Denn trotz punktueller Fort38

J. Sanden/Th. Schomerus/F. Schulze, Ein Regelungskonzept für ein Ressourcenschutzrecht des Bundes, Berlin 2012, S. 18. 39 Vgl. nur BMU (Hrsg.), Deutsches Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess), 2012, das aufgrund eines Beschlusses des Bundeskabinetts vom 20. 10. 2010 erarbeitet und von diesem am 29. 02. 2012 beschlossen wurde. 40 Eine Einordnung der Rohstoffe in verschiedene Kategorien der Dringlichkeit bei Sanden/Schomerus/Schulze (Fn. 38), S. 272 ff. 41 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz-KrWG) v. 24. 02. 2012 (BGBl. I S. 212); Inkrafttreten des Gesamtgesetzes am 01. 06. 2012. 42 Kritisch zum Nutzen dieses Instruments für den Ressourcenschutz Th. Schomerus/ L. Herrmann-Reichold/S. Stropahl, Abfallvermeidungsprogramme im neuen Kreislaufwirtschaftsgesetz – ein Beitrag zum Ressourcenschutz?, ZUR 2011, 507 (513 f.). 43 Sanden/Schomerus/Schulze (Fn. 38), S. 285 ff.; F. Herrmann/J. Sanden/Th. Schomerus/ F. Schulze, Ressourcenschutzrecht – Ziele, Herausforderungen, Regelungsvorschläge, ZUR 2012, 523 (530). 44 Sanden/Schomerus/Schulze (Fn. 38), S. 23 ff.

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schritte dürfte die Gesamtlärmbelästigung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten kaum zurückgegangen sein. Solange z. B. überflüssige Laubbläser Siedlungsgebiete flächendeckend beschallen und die Zulassung von Flughäfen ohne gleichzeitige Festlegung der flughafennahen, d. h. besonders lärmintensiven Flugrouten zulässig ist, verdient der Lärmschutz in Deutschland gewiss kein Prädikat. Gerade angesichts der erheblichen gesundheitlichen Gefahren, die von Lärm ausgehen45, besteht hier nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf. Zwar existieren an vielen Stellen der Rechtsordnung lärmbezogene Regelungen – diese sind jedoch vielgestaltig und nicht hinreichend miteinander koordiniert.46 Ein überzeugendes Gesamtkonzept könnte aus der Fortentwicklung von Normen insbesondere des Immissionsschutzrechts entstehen. Dort gibt es seit langem lärmschutzrechtliche Regelungen, die an der Konstruktion bzw. dem Betreiben technischer Anlagen (z. B. TA Lärm) wie auch am Verhalten der Bürger ansetzen. Verbesserungsbedarf besteht hier aber etwa hinsichtlich der Frage von Gesamtlärmbetrachtungen47. In Fortzeichnung europarechtlicher Ansätze48 könnten ferner flächendeckende Gebietsberuhigungen ermöglicht werden und ein subjektives Recht auf Stille bzw. Ruhe könnte die Rechtsmobilisierung im Lärmschutz erleichtern und diesem dadurch ein höheres Gewicht verleihen. 4. Querschnittsgebiete Erheblicher gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht für das Umweltrecht im weiteren Sinne, Es handelt sich dabei um umweltrelevantes, aber im Gegensatz zum Umweltrecht i. e. S. nicht um umweltspezifisches Recht, dessen Hauptzweck der Umweltschutz ist.49 Umweltrelevantes Recht ist solches, das Auswirkungen auf die Umwelt hat, aber einen anderen Hauptzweck als den des Umweltschutzes verfolgt. Es handelt sich dabei beispielsweise um die umweltrelevanten Teile etwa des Verkehrsrechts, des Landwirtschaftsrechts, des Bergrechts u. a. m. Typischerweise ressortieren diese Sachgebiete außerhalb des Umweltministeriums (z. B. beim Verkehrs-, Landwirtschafts- und beim Wirtschafsministerium), weshalb die Umweltbelange im politischen Alltag hier nicht selten untergewichtet sind. An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass der staatliche Umweltschutz eine – in vielen Politikfeldern zu beachtende – Querschnittsaufgabe ist, wie dies vorbildlich 45

Vgl. nur Sachverständigenrat für Umweltfragen, Sondergutachten 1999, Tz. 387 ff. St. Paetow, Lärmschutz in der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, NVwZ 2010, 1184 ff. 47 Paetow (Fn. 46), 1188. 48 Etwa solcher der Umgebungslärmrichtlinie (Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25. 06. 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABlEG Nr. L 189 v. 18. 07. 2002, S. 12). 49 Vgl. zu dieser Differenzierung ausführlich M. Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, Berlin 1978, S. 75 ff. 46

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auf unionsrechtlicher Ebene in der Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV50 niedergelegt wird. Deshalb wird inzwischen auch für das Grundgesetz die Einführung einer solchen Querschnittsklausel erörtert.51 Dieser Querschnittscharakter kann aber nicht dazu führen, das genannte umweltrelevante Recht auch als Umweltrecht im Sinne eines umweltspezifischen Rechts zu behandeln. Immerhin wären hier gleichwohl partielle Zuständigkeitsarrondierungen in den genannten Gebieten zugunsten des Umweltministeriums möglich. Der Querschnittscharakter des Umweltschutzes war der Sache nach auch die Legitimation des früher bestehenden „Umweltkabinettes“52 verschiedener Ressorts. 5. Umweltrechtsharmonisierung und Umweltrechtskodifikation Trotz des zweifachen Scheiterns des Projekts des deutschen Umweltgesetzbuches53 im letzten Jahrzehnt bleiben die – Widersprüche und Spannungen vermeidende – Binnenharmonisierung, die – Redundanzen vermeidende – Rechtsbereinigung und die systematische Ordnung des Umweltrechts eine ebenso notwendige wie lohnende Zukunftsaufgabe rationaler Gesetzgebung. Diese könnte nach wie vor am besten durch eine Umweltrechtskodifikation (Umweltgesetzbuch) bewältigt werden. Das gilt entsprechend auch für das Umweltrecht der Europäischen Union. Die Umweltrechtskodifikation bleibt zugleich die perfekte Form für eine optimale Ausgestaltung der integrierten Vorhabengenehmigung, aber z. B. auch der Umweltverträglichkeitsprüfung oder des Öko-Audits. Angesichts des bisherigen Scheiterns der Umweltrechtskodifikation für die Bundesrepublik Deutschland spricht manches dafür, dieses Vorhaben künftig stärker als zeitlich gedehntes Projekt anzugehen. Man könnte z. B. mit sektoralen Rechtsvereinheitlichungen beginnen, d. h. zunächst Teilbereiche kodifizieren, die dann langfristig in eine Umweltrechtsgesamtkodifikation münden. Das europäische Umweltrecht zeigt etwa, dass Vorphasen einer umfassenden umweltrechtlichen Binnenharmonisierung auch durch eine normative Zusammenfassung in sachgebietsspezifischen Rahmenrichtlinien erreicht werden können. Zunächst sollten auf jeden Fall die zahlreichen Sondergesetze in den Teilgebieten des Umweltrechts beseitigt und in die Hauptgesetze dieser Teilgebiete aufgenommen werden. Zum Beispiel könnten im Abfall- und Kreislaufwirtschaftsrecht das ElektroG und das BattG in das KrwG integriert werden. Im Übrigen bleiben verstärkte Verschränkungen der Teilgesetze möglich (wie sie z. B. zum BImSchG und dem Ab50 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) v. 01. 12. 2009, ABlEG Nr. C 115 S. 47. 51 Vgl. Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2012, Tz. 670, 712. 52 Etwa im Sinne des 1970 eingerichteten Kabinettsausschuss für Umweltfragen, vgl. G. Hartkopf/E. Bohne, Umweltpolitik, Band 1, Opladen 1983, S. 146 f. 53 Vgl. M. Kloepfer, Einführung, in: E. Bohne/ders. (Hrsg.), Das Projekt eines Umweltgesetzbuchs 2009, Berlin 2009, S. 9 ff.

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fallrecht bereits erfolgt sind). Das alles sollte jedoch nicht dazu führen, das Ziel der echten und umfassenden Umweltrechtskodifikation auf deutscher bzw. europäischer Ebene aus dem Auge zu verlieren.

III. Verbesserung des Umweltrechts Mit dem Projekt der Umweltrechtskodifikation und den sie tragenden Gedanken der Binnenharmonisierung, der Rechtsbereinigung und der systematischen Ordnung des Umweltrechts sind bereits der Sache nach Ideen zur formellen und inhaltlichen Verbesserung der Gesetzesqualität angesprochen worden. Eine solche Verbesserung der Gesetzesqualität bleibt eine Daueraufgabe der Rechtsordnung im Allgemeinen und des Umweltrechts im Besonderen. Dabei kann auch die Umweltrechtsvergleichung wertvolle Hilfe leisten. Unverzichtbar für die Verbesserung ist vor allem normative Phantasie, eine Fähigkeit, die leider an unseren juristischen Fakultäten kaum gelehrt wird. An dieser Stelle kann kein Kurzprogramm einer guten Gesetzgebung54 bzw. einer guten Umweltgesetzgebung entwickelt werden. Natürlich sollen Gesetze klar, verständlich und übersichtlich, nicht länger oder komplizierter als erforderlich, kohärent und widerspruchsfrei, sowie bei gebotener inhaltlicher Bestimmtheit und Nachhaltigkeit hinreichend flexibel und effizient sein.55 Schließlich sollen sich insbesondere die Umweltgesetze auch auf dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der technischen Möglichkeiten befinden. Die Schwierigkeit ist nur, dass diese letztlich doch offenen Maßstäbe für Gesetzesqualität regelmäßig keine bestimmten gesetzgeberischen Lösungen im Einzelfall präjudizieren können. Die genannten Qualitätsmaßstäbe für gute Gesetzgebung lassen regelmäßig mehrere verschiedene Lösungen zu. An dieser Stelle müssen fünf – gewiss nicht abschließende – Bemerkungen zur Verbesserung der Umweltrechtsqualität genügen: 1. Das Umweltrecht sollte künftig in seiner Gestaltung stärker vom Vollzug her konzipiert werden. Insbesondere sollte, wo möglich, intensiver mit leicht zu kontrollierenden Grenzwerten und Qualitätsstandards etc. gearbeitet werden. Paragraphenlyrik hilft in der Praxis nur wenig weiter. Das Umweltrecht sollte nicht vertonungsfähig, sondern vollzugsfähig sein. 2. Es muss stärker als bisher über die richtige Regelungsebene im Umweltrecht nachgedacht werden. Häufig ist es ja heute so, dass die Steuerungskraft einer umweltrechtlichen Norm umso geringer ist, je höherrangiger sie ist. Man denke etwa an die bisher relativ geringe Steuerungskraft des Art. 20a GG. Umgekehrt haben ge54

Verwiesen sei an dieser Stelle aber etwa auf die „Better Regulation“-Initiative der EUKommission, siehe http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/ (letzter Abruf am 30.11.12). 55 Siehe auch Meßerschmidt (Fn. 7), S. 502 f.

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rade niederrangige Rechtsakte wie Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Technische Anleitungen regelmäßig eine relativ starke Steuerungskraft. Hier müssen verstärkt Vorschriften zum Verfahren der Schaffung untergesetzlicher Regelungen und normativer Scharniere zwischen technischen bzw. privaten Normen und förmlichen Gesetzen entwickelt werden.56 Zudem sollten künftig auch Entwürfe für untergesetzliche Regelungen (insbesondere für Rechtsverordnungen) begründet werden. Das niederrangige Recht sollte schließlich stärker zur wirklich zügigen Rechtsmodernisierung (z. B. für Anpassungen an Fortschritte in Wissenschaft und Technik) genutzt werden. 3. Das künftige Umweltrecht sollte vermehrt dem Gedanken der Transparenz im Umweltschutz Rechnung tragen und entsprechend verstärkte (und Ausnahmen zurückdrängende) Informationspflichten und -rechte verankern. 4. Ob generell die Anzahl und Intensität der Partizipationsmöglichkeiten weiter zu erhöhen ist, muss diskutiert werden. Angesichts der bereits bestehenden vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten sollte aber vermieden werden, weitere Formen der Partizipation einfach auf das bestehende Recht „draufzusatteln“, ohne eine funktionelle Gesamtkonzeption der Partizipation von Bürgern im Umweltschutz entwickelt zu haben. Welchen Sinn machen z. B. komplizierte und zugleich aufwendige partizipative Verwaltungsverfahren, wenn letztlich ohnehin eine Volksabstimmung über konkrete Projekte entscheiden soll? Es bedarf jedenfalls einer verstärkten Abstimmung neuer Partizipationsmöglichkeiten mit den bereits bestehenden Möglichkeiten (aber etwa auch mit den Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes wie z. B. mit den Verbandsklagen). 5. Der Gedanke der Umweltgerechtigkeit57 ist künftig stärker als bisher zu berücksichtigen und durchzusetzen. Umweltgerechtigkeit zielt insbesondere auf die stärkere Berücksichtigung sozialer Auswirkungen von umweltpolitisch motivierten Belastungen (z. B. bei Umweltabgaben oder umweltpolitisch bedingten Strompreisentwicklungen) ab.58 Sie bedeutet vor allem aber auch eine gerechte Teilhabe von jedermann an öffentlichen oder öffentlich zu machenden Umweltgütern (z. B. Zugang zu Oberflächengewässern). Die deutsche Umweltpolitik hat jedenfalls bisher den Gedanken der aus den USA stammenden environmental justice nur unzureichend aufgegriffen. Die „Energiewende“ wird vielleicht dazu führen, stärker als bisher jedenfalls die soziale Komponente der Umweltgerechtigkeit näher zu diskutieren und u. U. auch auszugestalten. Denkbar wäre etwa, nach US-amerikanischem Vorbild eine permanente Dienststelle für Umweltgerechtigkeit beim Bundespräsidenten (bzw. im Bundeskanzleramt) oder einen Beauftragten für Umweltgerechtigkeit im Bundestag zu schaffen.

56 Siehe dazu insbes. §§ 31 – 39 UGB-KomE; vgl. dazu M. Kloepfer/Th. Elsner, Selbstregulierung im Umwelt- und Technikrecht, DVBl. 1996, 964 ff. 57 Vgl. Kloepfer (Fn. 37); Kloepfer (Fn. 37), 750 ff. 58 Kloepfer (Fn. 37), Rn. 4 ff.

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IV. Zur Zukunft der Umweltrechtswissenschaft Das Umweltrecht bleibt ein faszinierendes Rechtsgebiet mit großer Zukunftsrelevanz. Es bleibt ein wichtiges Innovationszentrum für die Gesamtrechtsordnung. Jede deutsche juristische Fakultät sollte deshalb mindestens eine(n) Umweltrechtler(in) in ihren Reihen haben. Das wird regelmäßig ein Öffentlichrechtler sein, könnte aber auch ein Umweltzivilrechtler oder ein Umweltstrafrechtler sein. Die inzwischen weitestgehend erfolgte Abdrängung des Umweltrechts in die Schwerpunktausbildung darf nicht verhindern, grundsätzliche Fragen des Umweltrechts und der Umweltstaatlichkeit auch im Pflichtprogramm des juristischen Studiums zu behandeln. Bedauerlich bleibt, dass es bis heute kein Max-Planck-Institut für Umweltrecht gibt, zumal die sonstigen bestehenden rechtswissenschaftlich ausgerichteten MaxPlanck-Institute sowohl das öffentliche Umweltrecht als auch das Umweltzivilbzw. -strafrecht – anders als früher – kaum (noch) betreiben. Das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn kann das Fehlen eines MaxPlanck-Instituts für Umweltrecht offenkundig nicht kompensieren. Das deutsche Umweltrecht wäre für die Rechtsvergleichung und den Rechtsexport besonders geeignet und damit klassische „Max-Planck-Materie“. Die Max-Planck-Gesellschaft hat die sich hieraus ergebenden Chancen bisher nicht genutzt. Die beträchtliche Zahl an Umweltrechtsinstituten, -forschungsstellen etc. sowie die Vielzahl von umweltrechtlichen Zeitschriften und Schriftenreihen zeigt die nach wie vor vorhandene hohe Vitalität und Forschungsrelevanz des Umweltrechts. Das gilt grundsätzlich auch entsprechend für die hohe Publikationsdichte im Umweltrecht mit einer Vielzahl einschlägiger Lehrbücher, Kommentare und Monographien. Nur: Wer kann dies alles lesen oder gar noch verarbeiten? Eine teilweise hektische Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Umweltrecht auf Landes-, Bundes- und Unionsebene macht es gewiss schwierig, heute noch einen halbwegs verlässlichen Überblick über das Umweltrecht insgesamt zu behalten, Gleichwohl: Das Umweltrecht wächst, blüht und gedeiht, auch wenn es des wissenschaftlichen Gärtners bedarf, der manches zurückschneidet und Blickschneisen in das Dickicht von Literatur und Rechtsprechung schlägt. Die sich ausbreitende hohe Spezialisierung im Umweltrecht macht es im Übrigen zunehmend schwieriger, den fachlichen Gesamtüberblick über das aktuelle Umweltrecht gedanklich zusammenzuhalten und dann noch verständlich und kompakt darüber zu schreiben. Eine übermäßige Spezialisierung des Umweltrechts – z. B. mit immer neuen spezialisierten Fachzeitschriften – birgt jedenfalls die Gefahr der „Verinselung“ des Umweltrechts in sich. Das Risiko ist unverkennbar, dass am Ende nur noch einzelne Bäume, aber nicht der ganze Wald gesehen wird. Mit großer Sorge ist schließlich eine zunehmende politische bzw. interessengeleitete Segmentierung des Umweltrechts zu beobachten. Das Umweltrecht steht gegenwärtig offensichtlich in der Gefahr, in ein Umweltrecht der Umweltschützer (z. B. der

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Ökoinstitute und Umweltverbände) und in ein Umweltrecht der Umweltbelaster (z. B. der Industrieanwälte) zu zerfallen. Es droht so nicht weniger als der Verlust der Einheit des Umweltrechts. Das Beispiel des deutschen Arbeitsrechts mit seinem Arbeitgeber-Arbeitsrecht und seinem Arbeitnehmer-Arbeitsrecht sollte abschrecken. Solche politischen bzw. interessengeleiteten Segmentierungen folgen letztlich aus politisch gesteuerten bzw. interessengeleiteten Wissenschaftsansätzen. Die Umweltrechtswissenschaft sollte aber primär dem Modell einer unparteiischen und unvoreingenommenen Umweltrechtswissenschaft verpflichtet sein bleiben. Interessenund tendenzfixierte wissenschaftliche Publikationen und Zeitschriften im Umweltrecht sind daher mit großer Skepsis zu betrachten. Sie sind bestenfalls der kontradiktorischen, antithetischen Wahrheitsfindung verpflichtet, nicht aber der Wahrheit selbst. Das Umweltrecht muss gewiss geistig offen sein für andere Wissenschaften, z. B. für die Entwicklungen in der Umweltökonomik, der Umweltpolitik und besonders auch in der Ökologie sowie in der Umwelttechnik. Es darf dabei allerdings nicht zu einer hybriden Wissenschaftsvermengung kommen. Das gilt besonders für die Rolle des Umweltrechts gegenüber der Umweltpolitik. Eine gewisse Distanz des Umweltrechts zur Politik muss bleiben. Es bleibt eben ein fundamentaler Unterschied, ob etwas („nur“) politisch erwünscht oder ob es (auch) rechtlich geboten ist. Umweltrecht bleibt im Übrigen im Kern Umweltschutzrecht. Die Ökonomisierung der Welt darf nicht dazu führen, das Konzept eines Umweltnutzungsrechts (z. B. nach dem Muster des früheren Wasserrechts) gleichberechtigt neben das Konzept eines Umweltschutzrechts zu stellen. Gewiss wird ein vernünftiges Umweltschutzrecht nicht an dem grundsätzlichen Bedürfnis der Menschen an Umweltnutzungen vorbeigehen dürfen. Die entscheidende umweltrechtliche Ordnungsidee bleibt aber, diese Umweltnutzungen möglichst gering zu halten oder doch wenigstens umweltschonend bzw. nachhaltig zu gestalten. Jedenfalls erscheint eine Tendenz problematisch, die in den Einzelgebieten des Umweltrechts vorrangig Regelungen für bestimmte Wirtschaftszweige erkennen will (z. B. im KrWG eine Regelung der Kreislaufwirtschaft). Umweltrecht hat primär der Umwelt zu dienen und allenfalls sekundär den Belangen einzelner Wirtschaftszweige, selbst wenn diese aus der „Umweltbranche“ stammen.

II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Umweltrecht als Informationsrecht* ** Ein wirksamer Schutz der Umwelt erfordert präzise Informationen über ihren Zustand und die ihr drohenden Gefahren. Im Umweltrecht ist der Umgang mit Informationen daher von großer Bedeutung. Eine Vielzahl verschiedener Regelungen ermöglicht es zunächst dem Staat, umweltrelevante Informationen zu erlangen und für den Umweltschutz zu verwenden. Umweltinformationen sind aber darüber hinaus auch für die Bürger wichtig. Ihrer Verantwortung für die Umwelt können sie nur gerecht werden, wenn sie über ausreichende Informationen über die Umwelt verfügen. Das Umweltrecht kennt daher eine Vielzahl von – oft europarechtlich initiierten – Instrumenten, durch welche die Bürger durch den Staat oder die Gesellschaft mit umweltrelevanten Informationen versorgt werden.

I. Fragestellung Das Umweltrecht als umweltschutzspezifisches Recht wird im Allgemeinen als Begrenzungsrecht oder als Bewirtschaftungsrecht verstanden.1 Sein Kern wird häufig darin gesehen, durch Verbote und Beschränkungen bzw. durch die Zuteilung von Nutzungsbefugnissen am öffentlichen Gut Umwelt eine nachhaltige Entwicklung – insbesondere die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen – zu ermöglichen. Lenkungsmittel der umweltschonenden Verhaltenssteuerung sind vor allem – imperative – Verbote und Gebote sowie influenzierende positive oder negative ökonomische Anreize (z. B. Subventionen oder Abgaben) und eben auch indikative Maßnahmen wie etwa Warnungen oder Empfehlungen.2 Mit diesen informationellen Steuerungsmaßnahmen3 wird die zunehmend wichtige Rolle des Umweltrechts als Informationsrecht deutlich. Das geht allerdings weit über die rechtliche Regelung der Informationen als Intervention hinaus. Bei näherer Betrachtung ist das Umweltrecht heute maßgeblich auch und immer stärker ein Instrumentarium der rechtlichen Organisation und Begrenzung von umweltbezogenen Informationen. Es handelt von der Generierung solcher Informationen (z. B. Prüf* Erstveröffentlichung in: UPR 2005, S. 41 – 49. ** Herrn Klaas Bosch und Herrn Volker Ochsenfahrt, Berlin, danke ich sehr für ihre Mitarbeit. 1 Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 27. 2 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 1 ff. 3 Vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 174 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 311 ff.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

pflichten, Messungspflichten) über ihre Aufbewahrung (z. B. Aufzeichnungspflichten) bis hin zu ihrer Weitergabe durch Private (z. B. Meldepflichten) oder durch den Staat (Umweltinformationsgesetz). Damit deutet sich auch eine wesentliche inhaltliche Neudeutung und Ausrichtung des Umweltrechts auch als Informationsrecht an: Das Umweltrecht als Informationsrecht regelt den freien Fluss ökologischer Informationen, soweit nicht rechtmäßige Informationsrestriktionen bestehen (z. B. Daten- oder Geheimnisschutz). Insoweit ist es umweltbezogenes Informationsrecht. Allen diesen skizzierten Fragen kann im Folgenden nicht nachgegangen werden. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Frage der Informationsbeschaffung im Umweltrecht. Dabei wird zwischen der Beschaffung von Umweltinformationen für den Staat (s. unten II.) oder für den Bürger (s. unten III.) zu unterscheiden sein. Dabei kann der Bürger Umweltinformationen vom Staat, aber auch von Privaten erhalten.

II. Informationsverschaffung durch den Staat Der Umweltschutz bedeutet für den Staat ein breites Spektrum an Aufgaben: So soll der Staat konkrete Gefahren für die Umwelt des Menschen abwehren. Er soll die Umwelt schützen, indem er Risiken minimiert und hilft, die Ressourcen zu schonen. Er soll sicherstellen, dass das gesellschaftliche Leben nachhaltig umweltverträglich ist, damit auch zukünftige Generationen in einer intakten Umwelt leben können. Dem Staat stehen zur Bewältigung seiner Aufgaben unterschiedlichste Instrumente zur Verfügung: Der Staat kann beispielsweise durch Ge- oder Verbote direkt auf das Verhalten der Bürger einwirken. Er kann aber auch versuchen, das Verhalten der Bürger – gebotsfrei – durch gezielte Informationspolitik oder durch ökonomische Anreize zu beeinflussen. Er kann ferner Absprachen mit seinen Bürgern treffen. Stets sollte der Staat hierbei auf der Grundlage einer sorgfältigen Problemanalyse und Planung vorgehen. Um all diese Aufgaben lösen und die Instrumente gezielt einsetzen zu können, benötigt der Staat möglichst aussagekräftige und zutreffende Informationen. Die Art und Weise, wie die diversen staatlichen Stellen an Informationen gelangen, sind ebenso vielfältig wie die Aufgaben des Staates im Umweltschutz. 1. Allgemeine Umweltbeobachtung durch statistische Erhebungen Unabhängig von konkreten Vorhaben der Bürger, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können, beobachten staatliche Stellen die Umwelt, sammeln statistische umweltrelevante Informationen und werten sie aus. Auf völkerrechtlicher Ebene sehen etwa die Klimarahmenkonvention4 und die Konvention über den Schutz der 4 Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen vom 9. Mai 1992 über Klimaänderungen (KRK), BGBl. II 1993, S. 1784, in Kraft seit dem 21. März 1994; hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 17 Rn. 22, 50 ff.

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biologischen Vielfalt5 jeweils die Einrichtung von Kommissionen vor, die wissenschaftlich gesicherte Umweltdaten im Bereich der Klimaforschung und des Schutzes der Artenvielfalt sammeln.6 Auf europäischer Ebene sammelt und analysiert die Europäische Umweltagentur (mit Sitz in Kopenhagen) Daten über den Stand der Umwelt im Rahmen des Informations- und Umweltbeobachtungsnetzwerks EIONET.7 Auf nationaler Ebene8 sind dagegen die verschiedenen Ministerien, Ämter und Dienststellen des Bundes und der Länder sowie die Kommunen für diese Aufgabe zuständig. Bei dem Umweltbundesamt wird ein besonderes Informations- und Dokumentationssystem zur Umweltplanung, UMPLIS, geführt, das den Datenfluss koordinieren und übersichtlicher gestalten soll.9 Eine wichtige Rechtsgrundlage für die Erhebung von Umweltdaten ist das Gesetz über Umweltstatistiken.10 Auf Grund dieses Gesetzes werden für Zwecke der Umweltplanung Bundesstatistiken erstellt. Die nach einzelnen Sachbereichen differenzierenden Erhebungen müssen alle zwei bis vier Jahre, in besonders sensiblen oder für die Entwicklung des Umweltschutzes aussagekräftigen Bereichen sogar jährlich erfolgen. Als Beispiele seien genannt die Statistik über das Abfallaufkommen und besonders überwachungsbedürftige Abfälle, die Statistik über bestimmte Stoffe, welche die Ozonschicht schädigen sowie die Statistik über Unfälle beim Umgang mit wassergefährdenden Stoffen. Insgesamt ermöglichen Statistiken gute Gesamtinformationen über die Situation der Umwelt und etwaige Umweltschutzmaßnahmen. Das Statistikgeheimnis (§ 16 BStatG) und das Verbot der Reidentifizierung (§ 21 BStatG)11 verhindern aber, dass Statistiken im Einzelfall zur Feststellung von Umweltgefahren herangezogen werden können. Jede Sammlung von Umweltinformationen setzt regelmäßig entsprechende Auskunftspflichten voraus, die je nach Sachgebiet nicht nur für Dienststellen der öffentlichen Verwaltung, sondern auch für Inhaber und Leiter von Unternehmen und Betrieben gelten. Darüber hinaus sehen zahlreiche Einzelgesetze vor, dass die zustän5

Vom 5. Juni 1992, BGBl. II 1997. S. 1747: dazu Prall, in: Koch (Hg.), Umweltrecht, 2002, § 11 Rn. 11 ff.; Wolfrum/Stoll, Der Zugang zu genetischen Ressourcen nach dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt und dem deutschen Recht, 1996. 6 Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 2 Rn. 176. 7 Vgl. die Verordnung 1210/90/EWG des Rates vom 7. Mai 1990 zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes, ABl. EG Nr. 1, 120 vom 11. Mai 1990. S. 1 ff.; hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 9 Rn. 125. 8 Vgl. hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 321 ff. 9 Vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 22. Juli 1974, BGBl. I S. 1505, zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. Mai 1996, BGBl. I S. 660 (Kloepfer Nr. 5); Helberg, in: Koch (Fn. 5), § 3 Rn. 56; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 324. 10 Umweltstatistikgesetz (UStatG) vom 21. September 1994, BGBl. I S. 2530, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 1997, BGBl. I S. 3158 (Kloepfer Nr. 30). 11 Vgl. Kloepfer, Informationsrecht, 2002, § 9 Rn. 50 ff. In den Landesstatistikgesetzen bestehen vergleichbare Vorschriften.

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digen Behörden Maßnahmen der Umweltbeobachtung durchführen. So sieht beispielsweise § 45 BImSchG vor, dass die zuständigen Behörden regelmäßig Untersuchungen zur Überwachung der Luftqualität vornehmen. 2. Wissenschaftliche Beratung durch Sachverständige Ferner verschafft sich der Staat dadurch eine Informationsgrundlage, dass er sich von Sachverständigen beraten lässt. Besondere Bedeutung hat dabei der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, der bereits 1971 durch Erlass des Bundesministers des Innern errichtet wurde.12 Ihm obliegt die ständige wissenschaftliche Beratung der Bundesregierung und die regelmäßige Begutachtung der Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutschland. Er erstattet periodisch umfassende Gutachten zur Lage der Umwelt und kann auf Anforderung auch zu Einzelthemen Stellung nehmen. Auf Landesebene gibt es ähnliche Sachverständigengremien. 3. Berichtspflichten und Informationsaustausch zwischen staatlichen Stellen Auch die zahlreichen Berichtspflichten, die staatlichen Stellen auferlegt werden, stehen in Zusammenhang mit der staatlichen Informationsvorsorge. Beispiele sind die zahlreichen gesetzlichen Pflichten der Bundesregierung, über die Erfahrung mit Gesetzen zu berichten. Die berichtende Stelle ist jeweils gehalten, Informationen zu sammeln und auszuwerten, um ihrer Berichtspflicht nachkommen zu können. Auch der Berichtsempfänger kann die zusammengestellten Informationen für Zwecke des Umweltschutzes nutzen. So sehen beispielsweise beinahe alle Umweltrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft vor, dass die Mitgliedstaaten regelmäßig der Europäischen Kommission berichten, welche Maßnahmen sie auf Grund der Umweltrichtlinien durchgeführt haben, und diesen Bericht auch der Öffentlichkeit zugänglich machen. Darüber hinaus bestehen zwischen staatlichen Stellen Mitteilungs-, Auskunftsund Aktenvorlagepflichten und die Möglichkeit der informationellen Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG), durch die sich staatliche Stellen die jeweils notwendigen Informationen beschaffen können. Der staatliche Informationstransfer ist dabei häufig – nicht zuletzt aus datenschutzrechtlichen Gründen – Gegenstand vielfältigster gesetzlicher Regelungen:13 Das Bundesverfassungsgericht hat durch sein grundlegendes

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Erlass über die Errichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern v. 28. Dezember 1971 (BAnz. 1972 Nr. 8); vgl. nunmehr den Erlass über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom 10. August 1990, GMBl. S. 831 (Kloepfer Nr. 8); hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 107. 13 Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 4.

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Urteil zum Volkszählungsgesetz aus dem Jahr 198314 klargestellt, dass das Recht des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (Recht auf informationelle Selbstbestimmung), nur bei überwiegendem Allgemeininteresse und auf Grund einer hinreichend klaren und spezifischen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage eingeschränkt werden darf. 4. Staatliche Informationsbeschaffung im Verwaltungsvollzug gegenüber dem Bürger Eine besonders wichtige Quelle für Umweltinformationen ist schließlich der Verwaltungsvollzug gegenüber dem Bürger, der umweltrelevante Vorhaben durchführt. Hier haben die staatlichen Stellen zahlreiche Möglichkeiten, die für den Umweltschutz erforderlichen Informationen vom Bürger zu erlangen. Im Folgenden sollen zunächst die wichtigsten Instrumente vorgestellt werden, durch die der Staat Informationen vom Bürger erlangt. Sodann wird an einem konkreten Beispiel, dem Chemikaliengesetz, illustriert werden, dass der Umgang mit Informationen bei vielen umweltrechtlichen Regelungen einen zentralen Platz einnimmt. a) Eröffnungskontrollen (Anzeigeerfordernisse, Erlaubnisvorbehalte) Umweltrelevante Informationen erlangt der Staat vom Bürger zunächst durch so genannte Eröffnungskontrollen: Der Staat verpflichtet diejenigen, die umweltrelevante Tätigkeiten aufnehmen wollen, Informationen zu erheben und zu übermitteln, die dem Staat die Kontrolle der Tätigkeiten ermöglichen. Der Staat wird so in die Lage versetzt zu überprüfen, ob umweltrechtliche Standards eingehalten werden und der Umwelt keine unzulässigen Gefahren drohen. Die Eröffnungskontrolle fällt je nach zu kontrollierender Tätigkeit, Kontrollinteresse und -intensität verschieden aus: Entweder darf der Bürger die Tätigkeit sofort beginnen und muss der Behörde lediglich Mitteilung hiervon machen; oder die Tätigkeit ist zunächst verboten, bis der Staat eine Erlaubnis ausspricht. In den Fällen der Anzeigepflicht ist die Aufnahme der umweltrelevanten Tätigkeit nicht von einer besonderen Erlaubnis abhängig. Wer eine Tätigkeit beginnen will, muss der zuständigen Behörde hiervon lediglich Mitteilung machen. Höhere Anforderungen sind mit der Anmeldepflicht für umweltrelevante Tätigkeiten verbunden. Hier müssen mit der Anzeige der Tätigkeit selbst zugleich weitere Unterlagen vorgelegt werden. Je anspruchsvoller die Vorlagepflichten sind, desto mehr nähert sich die Anmeldepflicht einer Genehmigungspflicht für die Tätigkeit an. Im Mittelpunkt des Umweltrechts steht jedoch nach wie vor das staatliche Instrument des Erlaubnisvorbehalts.15 In diesem Fall kann die Verwaltung die Einhaltung 14 15

BVerfGE 65, 1. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 46 ff.

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der umweltrechtlichen Vorgaben vor Aufnahme der Tätigkeit kontrollieren. Der Erlaubnisvorbehalt ist daher ein Mittel der präventiven Gefahrenabwehr; allerdings greift er in stärkerem Maße als bloße Anzeige- oder Anmeldepflichten in die Grundrechte des Antragstellers ein.16 Er kann auf unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet sein.17 Das Genehmigungsverfahren regelt zugleich auch den Informationsfluss zwischen der Behörde, dem Antragsteller und etwa betroffenen Dritten. Das deutsche Umweltrecht kennt indes kein einheitliches Verfahrensrecht; vielmehr enthalten die zahlreichen Gesetze des Umweltrechts Spezialregelungen,18 wobei die stärker formalisierten Erlaubnisverfahren deutlich überwiegen. Diese haben bei allen Unterschieden im Detail bestimmte Schritte gemein: Das Verfahren beginnt mit einem schriftlichen Antrag des Antragstellers, der zusammen mit prüffähigen Unterlagen der Verwaltung zu übergeben ist (vgl. etwa § 10 Abs. 1 BImSchG). Die Maßnahme wird sodann öffentlich bekannt gemacht, damit potenziell Betroffene von der geplanten Maßnahme erfahren (z. B. § 10 Abs. 3 S. 1 BImSchG). Darauf folgt die Auslegung von Antrag und Unterlagen zur Einsicht für jedermann (z. B. § 10 Abs. 3 S. 2 BImSchG) – mit gewissen Einschränkungen zum Schutz von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen (§ 10 Abs. 2 BImSchG). Während der Auslegungsfrist besteht die Möglichkeit für Drittbetroffene (z. B. gemäß § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG, § 9 WHG), nach manchen Umweltgesetzen sogar für jedermann (z. B. nach 10 Abs. 3 S. 2 BImSchG), Einwendungen zu erheben, die dann in einem Erörterungstermin zu behandeln sind (§ 10 Abs. 6 BImSchG). Erst danach wird über den Antrag entschieden. So gesehen ist das Genehmigungsverfahren ein Verfahren der zielorientierten Stufung und Verzahnung von Informationen bzw. Informationsmöglichkeiten. Auch die Einwendung ist zunächst eine Information (des Bürgers an den Staat), an die freilich besondere rechtliche Folgen geknüpft werden. Aus der Sicht des Staates verfolgt die Partizipation der Dritten an Zulassungsverfahren mehrere Zwecke.19 Sie sichert zum einen die Qualität der Verwaltungsentscheidung, da die von dem Vorhaben betroffenen Bürger oftmals mit den Besonderheiten der zu regelnden Materie vertraut sind und der Verwaltung wertvolle sachliche Hinweise geben können (Aspekt der Informationsgewinnung für den Staat durch den Bürger). Darüber hinaus erfüllt die Bürgerbeteiligung (im Idealfall) auch eine Befriedungsfunktion. Schließlich führt sie auch dazu, dass die Behörde bereits während des Verwaltungsverfahrens mit potenziellen Gegnern in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren konfrontiert wird und Streitigkeiten frühzeitig ausweichen oder sich hierauf einstellen kann. 16

Vgl. Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, 2. Aufl. 2000, § 8 Rn. 33. Helberg, in: Koch (Fn. 5), § 3 Rn. 81 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 53 ff. 18 Zu dem einhellig angenommenen Harmonisierungsbedarf vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 4 Rn. 9; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 111, jeweils mit weitergehenden Hinweisen. 19 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 81. 17

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Auch aus der Sicht des Bürgers geht es bei der Verfahrensbeteiligung unter anderem um Informationsgewinnung. Er möchte Informationen über das Vorhaben erlangen, um Einwendungen formulieren oder später gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Ob der Bürger berechtigt ist, an einem Verwaltungsverfahren teilzunehmen, ist daher insoweit zugleich auch eine Frage des Rechts auf Informationszugang. Hierauf wird noch im Rahmen der Informationszugangsrechte des Bürgers gegenüber dem Staat zurückzukommen sein. b) Sonstige staatliche Überwachungsbefugnisse Das Umweltrecht kennt auch außerhalb der beschriebenen Eröffnungskontrollen eine Vielzahl von Instrumenten, die es der Verwaltung ermöglichen, vom Bürger Informationen im Hinblick auf umweltrelevante Tätigkeiten zu erlangen. Zum Zweck der Überwachung kann die Verwaltung entweder selbst aktiv werden und sich die Informationen durch eigene Ermittlungstätigkeit beschaffen. Mit hierfür bestehenden Eingriffsbefugnissen der Behörden korrespondieren Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Bürgers. Oder dem Bürger wird die Pflicht auferlegt, der Verwaltung von sich aus regelmäßig die erforderlichen Informationen zukommen zu lassen. Eingriffsbefugnisse20 der Verwaltung sind in den jeweiligen Umweltgesetzen sektoral geregelt. Die in fast allen Umweltgesetzen enthaltenen Eingriffsermächtigungen umfassen auch Informationsbefugnisse, d. h. insbesondere das Recht der zuständigen Behörden, Anlagen zu betreten oder zu besichtigen, Akten und Unterlagen einzusehen, Stichproben zu entnehmen, eigene Messungen und Prüfungen durchzuführen sowie die Befugnis, von den Adressaten der Kontrollmaßnahme (z. B. Anlagenbetreiber oder Verwender von Stoffen), in Ausnahmefällen sogar von Dritten Auskünfte und aktive Unterstützung zu verlangen (z. B. § 52 BImSchG, § 19 Abs. 2 AtG, § 21 WHG, § 10 WRMG, § 40 KrW-/AbfG, § 21 ChemG). Gesetzestechnisch sind sie teils direkt als Eingriffsbefugnisse, teils – im Ergebnis sinngleich – über die korrespondierenden Duldungs- und Mitwirkungspflichten der Überwachungsadressaten formuliert. Auch unabhängig von der aktiven Ermittlungstätigkeit des Staates kann der Bürger verpflichtet sein, den Staat mit Informationen zu versorgen. Zu diesem Zweck treffen ihn permanente Offenbarungspflichten.21 Diese können ausgestaltet sein als Anzeige-, Melde- und Mitteilungspflichten (z. B. §§ 15, 31 BImSchG, § 36 KrW-/AbfG, §§ 16 ff. ChemG). Gesetze können ferner qualifizierte Erklärungsoder Berichtspflichten vorsehen, z. B. die Pflicht, eine Emissionserklärung abzugeben (§ 27 BImSchG) oder einen jährlichen Emissionsbericht zu erstatten (§ 5 Abs. 1 TEHG). Es können Auskunftspflichten (z. B. § 21 Abs. 3 ChemG) oder besondere 20 21

Vgl. zum Ganzen Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 135 f., 158 m. w. N. Dazu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 157 m. w. N.

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Dokumentationspflichten bestehen, z. B. die Pflicht, Belege oder Messaufzeichnungen aufzubewahren oder Nachweisbücher zu führen (z. B. nach §§ 42, 43 KrW-/ AbfG, § 12 Nr. 5 AtG, § 31 BImSchG) oder sog. Sicherheitsanalysen anzufertigen, fortzuschreiben und bereitzuhalten (§§ 7 ff. StörfallVO). c) Zum Chemikaliengesetz als „Informationsgewinnungsgesetz“ Nach diesem Überblick über die Möglichkeiten des Staates, sich vom Bürger Informationen über umweltrelevante Vorgänge zu verschaffen, soll das Gesagte zusammenfassend am Beispiel des deutschen Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz)22 illustriert werden. Das Chemikaliengesetz wird zu Recht als „stoffbezogenes Informationsgewinnungsgesetz“ bezeichnet.23 Es zeigt deutlich, welche große Bedeutung Regeln über den Informationsfluss im Umweltrecht haben. Die staatliche Informationsversorgung in Bezug auf Chemikalien im Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes wird zunächst durch die Anmeldepflicht sichergestellt (§§ 4 ff. ChemG). Wer Chemikalien in den Verkehr bringen oder einführen will, muss den Stoff bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (mit Sitz in Dortmund) anmelden (§§ 4, 12 Abs. 1 ChemG). Zusammen mit der Anmeldung sind detaillierte Informationen und Prüfnachweise über den Stoff beizubringen (§§ 6 ff. ChemG). Je nach Menge des Stoffs kann die Behörde zusätzlich zu der „Grundprüfung“ (§ 7 ChemG) weitere Untersuchungen (d. h. Informationsgenerierung) verlangen (Zusatzprüfung 1. oder 2. Stufe, §§ 9, 9 a ChemG) oder sich – bei einer nur geringen Stoffmenge – mit einer eingeschränkten Anmeldung begnügen (§ 7 a ChemG). Bei Sicherheitsbedenken kann sie anschließend geeignete Maßnahmen zur Abhilfe ergreifen (§ 11 ChemG). Ausnahmen von diesem grundsätzlichen System gelten allerdings für bestimmte Altstoffe,24 für die gemäß § 16 c ChemG i. V. m. der EG-Altstoffverordnung25 lediglich Mitteilungspflichten bestehen, sowie andererseits für Biozid-Produkte, deren InVerkehr-Bringen und Verwenden seit dem Biozidgesetz vom 20. Juni 200026 grund22 I. d. F. der Bekanntmachung vom 20. Juni 2002, BGBl. I S. 2090, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Mai 2004, BGBl. I S. 952 (Kloepfer Nr. 400). 23 BVerwG, NVwZ 1992, 984 (zu dem Farbstoff „Basic Yellow“); Pache, in: Koch (Fn. 5), § 12 Rn. 7, 34; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 19 Rn. 29. Zur Informationsgewinnung auch Wolf Umweltrecht, 2002, § 9 Rn. 515; Storm, in: Landmann/Rohmer. Umweltrecht, Loseblattsammlung, Bd. III (Stand: Jan. 2003), Vorb. ChemG Rn. 3. 24 Dabei handelt es sich um Stoffe, die bereits vor dem 18. September 1981 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden und in dem Europäischen Altstoffverzeichnis (EINECS) aufgeführt sind. 25 Verordnung 793/93/EWG des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe, ABl. EG Nr. 1, 84 vom 5. April 1993, S. 1 (Kloepfer Nr. 400/1). 26 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das In-Verkehr-Bringen von Biozid-Produkten vom 20. Juni

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sätzlich zulassungspflichtig ist (§ 12a ChemG).27 Zudem plant die Europäische Kommission mit ihrem Konzept REACH28 (Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals) ein Anwachsen der Risikobewertungs- und Mitteilungspflichten – insbesondere auch für Altstoffe – sowie eine Zulassungspflicht für besonders Besorgnis erregende Stoffe. REACH befindet sich allerdings noch im Stadium der Gesetzgebung. Zusätzlich zu dem derzeit geltenden Anmeldeverfahren erhält der Staat auch Informationen dadurch, dass der Anmeldepflichtige dauerhaften Mitteilungspflichten in Bezug auf den angemeldeten Stoff unterliegt. Er muss umweltrelevante neue Erkenntnisse über den Stoff unverzüglich mitteilen (§ 16 ChemG). Zur Überwachung kann die Behörde ferner Auskünfte verlangen, Anlagen betreten, Proben entnehmen, Unterlagen einsehen, Einrichtungen prüfen etc. (§ 21 Abs. 3, 4 und 6 ChemG). Im Chemikaliengesetz ist außerdem normiert, dass die Anmeldestelle Informationspflichten gegenüber anderen staatlichen Stellen hat, die ebenfalls mit der Anmeldung oder Überprüfung von Chemikalien befasst sind (§ 22 ChemG). In diesem Zusammenhang ist auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Anmeldenden geregelt: Auf sein Verlangen hin sind solche Geheimnisse als vertraulich zu kennzeichnen (§ 22 Abs. 2 und 3 ChemG), eine Weitergabe an andere Behörden ist allerdings trotzdem zulässig. Jedoch sind Informationsansprüche Privater insoweit eingeschränkt (§ 8 Abs. 1 UIG). So betrachtet wird die informationsrechtliche Struktur des Umweltrechts gerade im Chemikalienrecht besonders deutlich.

III. Versorgung des Bürgers mit umweltrelevanten Informationen Wie gezeigt, sammelt der Staat auf verschiedene Weise Informationen über den Zustand der Umwelt und die Ursachen von Umweltbeeinträchtigungen. Es wäre allerdings nicht ausreichend, wenn nur der Staat über aktuelle und zuverlässige Umweltinformationen verfügte. Umweltschutz kann nicht alleinige Aufgabe des Staates sein. Der Staat wäre überfordert und wirksamer Umweltschutz nicht möglich, wenn allein der Staat durch Überwachungsmaßnahmen und darauf gestützte Ge- und Verbote im Umweltbereich handeln würde. Auch und gerade die Menschen, die in der Umwelt leben und durch ihr Verhalten die Umwelt beeinträchtigen, müssen eine ak2002, BGBl. I S. 2076; dazu Böttcher, in: Rengeling (Hg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Umweltrecht (EUDUR) Bd. II/1, 2. Aufl. 2003, § 62 Rn. 94 ff. 27 Vgl. näher Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 19 Rn. 38, 114 ff.; Storm (Fn. 23), Vorb. ChemG Rn. 9b ff. 28 Weißbuch „Strategie für eine künftige Chemikalienpolitik“ vom 27. Februar 2001, KOM (2001) 88 endg.; Richtlinien- und Verordnungsvorschlag der Kommission vom 29. Oktober 2003, KOM (2003) 644 endg.; vgl. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 19 Rn. 12 ff. m. w. N.; vgl. auch http://europa.eu.int/comm/enterprise/reach/ sowie http://europa.eu.int/comm/environ ment/chemicals/reach.htm.

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tive Rolle im Umweltschutz spielen. Dies setzt voraus, dass die Bürger ausreichend informiert sind, damit sie sich umweltbewusst verhalten können. Der Bürger erlangt umweltrelevante Informationen auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Aus der Vielzahl der Informationsvorgänge zwischen staatlichen und privaten Akteuren sollen im Folgenden drei Konstellationen besonders hervorgehoben werden. Die erste betrifft die aktive staatliche Informationspolitik: Hier gibt der Staat gezielt Informationen weiter, um damit steuernd auf das Verhalten von Privaten einzuwirken. Die zweite betrifft die Informationszugangsrechte von Privaten gegenüber dem Staat: Hier tritt ein privater Akteur an den Staat heran und begehrt für seine Zwecke umweltrelevante Informationen, über die der Staat verfügt. Die dritte zu erörternde Konstellation betrifft den Austausch umweltrelevanter Informationen, der direkt zwischen den Bürgern stattfindet. Hier regelt der Staat den Informationsfluss zwischen Privaten. 1. Aktive staatliche Umweltinformationspolitik Die erste Konstellation, die gezielte Weitergabe von Umweltinformationen des Staates an Private, ist ein zentrales Steuerungsinstrument des Umweltschutzes.29 Der Staat wird in vielfältiger Weise tätig:30 Er berät den Bürger, etwa durch Informationsbroschüren, in denen erklärt wird, wie man umweltschonend Auto fahren, heizen oder waschen kann. Er verleiht Auszeichnungen für umweltfreundliche Produkte oder umweltfreundliches Verhalten, spricht Hinweise und Empfehlungen aus. Schließlich warnt er vor gesundheitsgefährdendem Verhalten, etwa im Hinblick auf eine gesundheitsschädliche Ozonbelastung in der Luft. Gerade die staatlichen Empfehlungen und Warnungen bergen bisweilen großes Konfliktpotenzial, wenn die Interessen Dritter betroffen werden, z. B. wenn der Staat vor dem Verzehr eines bestimmten Produkts warnt. Die staatliche Warnung ist zwar grundsätzlich weniger einschneidend als ein Verbot, das Produkt herzustellen oder zu vertreiben; sie kann jedoch einen vergleichbaren Effekt haben, wenn das Produkt nicht mehr gekauft wird. Im Einzelfall können ihre nachteiligen Wirkungen sogar über ein Verbot hinausgehen, wenn die Bevölkerung aus Misstrauen auch sonstige Produkte des betroffenen Herstellers oder Vertreibers nicht mehr kauft.31 Unter welchen Voraussetzungen der Staat warnen darf, ist daher nach wie vor in vielen Einzelheiten umstritten.32 29

Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 2 Rn. 174. Vgl. den Überblick bei Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 2 Rn. 177, sowie bei Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 382 ff., jeweils m. w. N. 31 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 15 Rn. 9. 32 Vgl. BVerfGE 105, 252 (Glykolwein); hierzu P. M. Huber, ZLR 2004, 241 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), 3 ff., 21 ff.; v. Coelln, JA 2003, 116 ff.; Faßbender, NJW 2004, 816 ff.; Bethke, Jura 2003, 327 ff.; Gurlit, DVBl. 2003, 1119 ff., 1124 f.; P. M. Huber, JZ 2003, 290 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; Ruge, ThürVBl. 2003, 49 ff. 30

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Auf der verfassungsrechtlichen Ebene geht es dabei insbesondere um die Frage, ob überhaupt ein Grundrechtseingriff vorliegt.33 Ferner sind die Anforderungen an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Warnung umstritten. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht zwingend erforderlich. Der Bereich der staatlichen Informationstätigkeit sei zu vielgestaltig und komplex, als dass er gesetzlich geregelt werden könne. Es reiche aus, wenn die zuständige Stelle handelt und die Informationen richtig, sachlich und zurückhaltend formuliert seien.34 Dem widerspricht allerdings, dass gerade im Bereich der Produktund Lebensmittelsicherheit in den vergangenen Jahren zahlreiche behördliche Warnungsbefugnisse normiert worden sind, etwa im Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (§ 8 Abs. 4 S. 3 GPSG)35, Arzneimittelgesetz (§ 69 Abs. 4 AMG) und BundesImmissionsschutzgesetz (§ 46 a BImSchG); darüber hinaus ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EBLS) nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts36 zu Warnungen befugt.37 Allerdings fehlen derzeit noch gesetzliche Regelungen für Warnungen im Bereich der Umweltvorsorge. 2. Informationszugangsrechte Privater gegenüber dem Staat Bei der soeben erläuterten staatlichen Informationspolitik setzt der Staat von sich aus aktiv Informationen für Zwecke des Umweltschutzes ein. Im Bereich der Informationszugangsrechte begehrt hingegen der Bürger vom Staat Umweltinformationen. Warum aber sollte der Staat seinen Bürgern Ansprüche auf Informationen einräumen? Informationen sind als Voraussetzung der Meinungsbildung und politischen Mitgestaltung in einer Demokratie von elementarer Bedeutung.38 Nur eine informierte Öffentlichkeit kann die Einhaltung der umweltrechtlichen Standards einfordern. Es dient daher unmittelbar dem Umweltschutz, wenn Private durch staatliche Informationen selbst in die Lage versetzt werden, umweltrelevante Vorgänge kritisch zu begleiten. Damit einher geht der Wunsch nach verbesserter Kontrolle der Verwaltungstätigkeit und größerer Akzeptanz für Verwaltungsentscheidungen.39 33

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 387; Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff. (3 ff.) m. w. N., der die restriktive Haltung des BVerfG im Hinblick auf „marktbezogene Informationen“ (s. o. Fn. 32) kritisiert. 34 BVerfGE 105, 279 (304 f.); kritisch hierzu P. M. Huber, JZ 2003, 290 ff.; Murwick, NVwZ 2003, 1 ff.; Ruge, ThürVBl. 2003, 49 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 388. 35 Gesetz über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte vom 6. Januar 2004, BGBl. I S. 2. 36 Verordnung (KG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. EG Nr. 1, 31 vom 1. Februar 2002, S. 1); vgl. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 390. 37 Vgl. Art. 10 sowie Art. 52 Abs. 1 der in Fn. 36 genannten Verordnung. 38 Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 12 ff. 39 v. Danwitz, NVwZ 2004, 272, 273 f.

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Dass Private umfassende Informationsrechte gegenüber der Verwaltung haben, ist für das deutsche Verwaltungsrecht jedoch eine neuere Entwicklung. Traditionell kannte das deutsche Verwaltungsrecht im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (§ 29 Abs. 1 VwVfG) nur den Grundsatz der so genannten „beschränkten Aktenöffentlichkeit“. Danach haben nur die Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens das Recht, Einsicht in die sie betreffenden Akten der Verwaltung zu nehmen, und auch dies nur, soweit die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer eigenen rechtlichen Interessen erforderlich ist. Im Übrigen war die Gewährung von Akteneinsicht in das Ermessen der Behörde gestellt (vgl. z. B. § 72 Abs. 1 VwVfG). Das noch geltende allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht geht also von einem Informationszugang nur für Betroffene aus. Vor allem unter dem Druck des europäischen Gemeinschaftsrechts vollzieht sich hier jedoch mittlerweile ein grundsätzlicher Wandel zu einem Informationszugang für jedermann. Das Umweltrecht hat hierbei die Rolle eines Vorreiters gespielt. Schon früh bestanden im Umweltrecht zahlreiche über das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht hinausgehende Beteiligungsrechte Dritter; so sehen – wie gezeigt – bestimmte Genehmigungs- und Planverfahren eine öffentliche Auslegung vor. Diese Rechte bestanden jedoch nur während laufender Verwaltungsverfahren. Die Möglichkeit, außerhalb von Verwaltungsverfahren Informationen zu erlangen, blieb hiervon ausgeschlossen. Erst mit der im Jahr 1990 erlassenen Richtlinie 90/313/EWG über den Zugang zu Umweltinformationen40 wurde das deutsche Recht gezwungen, seinen Blickwinkel zu erweitern. Die Richtlinie räumt unabhängig von laufenden Verwaltungsverfahren jedermann einen Rechtsanspruch auf umweltrelevante Informationen der Verwaltung ein, ohne dass hierfür ein besonderes rechtliches Interesse nachgewiesen werden muss. Die Richtlinie wurde 1994 durch das Umweltinformationsgesetz (UIG)41 in deutsches Recht umgesetzt. Die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen wurden durchaus als Systembruch empfunden. Man begegnete dieser erweiterten Verwaltungsöffentlichkeit zunächst mit erheblicher Skepsis, sah durch die Informationsrechte die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und den Datenschutz bedroht. Parlamente und Gerichte seien ausreichende Kontrollmechanismen.42 Ein überzeugender empirischer Beleg für die gehegten Befürchtungen ist indes ausgeblieben.43 Dies kann nicht überraschen, gehört doch 40 Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. EG Nr. 1, 158 vom 23. Juni 1990, S. 56. Zu der Ablösung dieser Richtlinie durch die Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003 s. u. bei Fn. 49. 41 I. d. F. der Bekanntmachung vom 23. August 2001, BGBl. I S. 2218 (Kloepfer Nr. 15); vgl. Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 28 ff.: Schomerus/Schrader/Wegener, Umweltinformationsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2002; Fluck/Wintterle, VerwArch, 94 (2003), 437 ff.; zu der früheren Fassung des UIG vgl. Wegener, ZUR 2001, 93 ff.; König, DÖV 2000, 45 ff.; Rossi, UPR 2000, 175 ff. 42 Vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 2 Rn. 188 m. w. N. 43 Vgl. Gurlit, DVBl 2003, 1119 ff. (1129) m. w. N.

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die Verwaltungsöffentlichkeit in den meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in den USA zum Verwaltungsalltag. In den USA ermöglicht der „Freedom of Information Act“ (FOIA) seit 1966 weitreichende Einsichtnahme in Akten von Bundesbehörden. In Europa wird insbesondere in den skandinavischen Staaten – in Schweden im Prinzip seit 1766 – der allgemeine Zugang zu den Informationen in öffentlicher Hand gewährleistet.44 Nach § 4 UIG hat jedermann einen voraussetzungslosen und verfahrensunabhängigen Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt. Jedermann im Sinne der Regelung ist jede natürliche oder juristische Person des Privatrechts ungeachtet der Nationalität bzw. des Sitzes. Verpflichtet zur Informationsgewährung ist zum einen der Staat: Das sind alle Behörden von Bund, Ländern und Gemeinden sowie sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die Aufgaben des Umweltschutzes wahrzunehmen haben. Darüber hinaus sind auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts verpflichtet, die öffentlich-rechtliche Umweltaufgaben wahrnehmen und der Aufsicht der Behörden unterstellt sind (§ 4 i. V. m. § 2 Nr. 2 UIG). Angesichts der Tatsache, dass die Verwaltung sich im Umweltschutzbereich zunehmend der Handlungsform des Privatrechts bedient, ist diese Erweiterung von erheblicher praktischer Bedeutung. Man denke beispielsweise an die Verkehrs-, Wasser-, Gas- und Stromversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung, die oft privatrechtlich organisiert sind.45 Erfasst werden alle genannten Stellen, soweit sie Aufgaben des Umweltschutzes wahrnehmen. Hierbei ist das Kriterium der Wahrnehmung von Aufgaben des Umweltschutzes weit zu verstehen. Erfasst werden alle Maßnahmen, die darauf zielen, Belastungen und Gefährdungen der Umwelt durch die Zivilisation zu vermeiden oder zu vermindern.46 Gegenstand des Informationsanspruchs sind Informationen über die Umwelt. Gemeint sind alle Daten über den Zustand der Umweltmedien Boden, Luft und Wasser, der Tier- und Pflanzenwelt und der natürlichen Lebensräume. Erfasst werden aber auch Informationen über Tätigkeiten, die geeignet sind, die Umwelt zu beeinträchtigen sowie Informationen über Tätigkeiten, die dem Umweltschutz dienen (§ 3 Abs. 2 UIG). Letztlich entscheidend für die Reichweite des Zugangsrechts zu Umweltinformationen sind freilich die ihm gezogenen Schranken. Das Informationsbegehren muss in Ausgleich gebracht werden mit gegenläufigen Interessen des Staates und anderer Personen, deren Interessen durch die Weitergabe von Informationen berührt werden. Ausschluss und Beschränkungen des Anspruchs zum Schutz öffentlicher Belange 44

Dazu Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 10 ff. m. w. N.; Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Die transparente Verwaltung. Zugangsfreiheit zu öffentlichen Informationen, 2003, S. 9 ff., 22 f. 45 Schomerus/Schrader/Wegener (Fn. 41), § 2 UIG Rn. 9. 46 Schomerus/Schrader/Wegener (Fn. 41), § 3 UIG Rn. 13 f.

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sind zusammenfassend im § 7 des Gesetzes geregelt. Bemerkenswert ist insbesondere, dass der Informationszugang gerade nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass die Informationen Gegenstand eines laufenden Verwaltungsverfahrens sind. Private Belange schließen den Informationsanspruch aus, wenn durch das Bekanntwerden personenbezogene Daten offenbart und damit schutzwürdige Belange beeinträchtigt würden, ferner, wenn der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Schließlich dürfen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht unbefugt offenbart werden (§ 8 Abs. 1 UIG). Allerdings hat der Gesetzgeber davon abgesehen, den Begriff der Betriebsund Geschäftsgeheimnisse näher zu bestimmen.47 Typischerweise befinden sich in den Akten sowohl schützenswerte Informationen im Sinne der §§ 7 und 8 des UIG als auch Informationen, die ohne weiteres freigabefähig sind. Die Behörde kann dann nicht die Auskunft als Ganzes verweigern. Vielmehr muss sie in diesem Fall die Unterlagen trennen und die freigabefähigen Informationen auszugsweise übermitteln (§ 4 Abs. 2 UIG). Die Kosten für die Informationsgewährung sind so zu bemessen, dass der Informationszugang wirksam in Anspruch genommen werden kann (§ 10 Abs. 1 S. 2 UIG). Der Bürger soll nicht durch zu hohe Kosten abgeschreckt werden. Eine über die aktuelle Fassung des Umweltinformationsgesetzes hinausgehende Entwicklung hin zu mehr Verwaltungsöffentlichkeit zeichnet sich bereits ab. So wird die erwähnte Richtlinie 90/313/EWG über den Zugang zu Umweltinformationen48 mit Wirkung vom 14. Februar 2005 durch die Richtlinie 2003/4/EG ersetzt.49 Zu diesem Zeitpunkt sind auch die in der neuen Richtlinie enthaltenen Vorschriften, die den Zugang zu Umweltinformationen weiter erleichtern, in nationales Recht umzusetzen. U. a. wird der Begriff der Umweltinformationen ausgeweitet, z. B. auf Lebensmittelkontaminationen (Art. 2 Nr. 1 lit. f der Richtlinie); der Behördenbegriff wird auf Regierungen und andere Stellen der öffentlichen Verwaltung ausgeweitet, und zwar unabhängig davon, ob sie spezifische Zuständigkeiten für die Umwelt wahrnehmen oder nicht (Art. 2 Nr. 2 lit. a der Richtlinie mit Erwägungsgrund 11); weitere Vorschriften sollen eine wirksamere Ausübung des Zugangsrechts gewährleisten. Die Richtlinie 2003/4/EG dient ihrerseits der Umsetzung der „ersten Säule“ der Aarhus-Konvention,50 einem völkerrechtlichen Vertrag im Rahmen der UN/ECE 47 Vgl. Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 32; Schomerus/Schrader/Wegener (Fn. 41), § 8 UIG Rn. 24. Der Professorenentwurf für ein Informationsgesetzbuch (IGB) wird jedoch ein eigenständiges Kapitel zum Geheimnisschutz enthalten. 48 S. o. Fn. 40. 49 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. EU Nr. L 41 vom 14. Februar 2003, S. 26: hierzu ausführlich Schrader, ZUR 2004, 130 ff.; Butt, NVwZ 2003, 1071 ff.; Falke, ZUR 2003, 118 ff. 50 Übereinkommen vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, abgedruckt in AVR 38 (2000), 253 ff. sowie unter http://www.unece.org/env/ pp/, deutscher Text bei Schomerus/Schrader/Wegener (Fn. 41). Anhang Nr. 6, sowie unter

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(UN Economic Commission for Europe), der seit dem 30. Oktober 2001 in Kraft ist. Die Aarhus-Konvention betrifft sowohl die Beteiligung des Bürgers an Verwaltungsverfahren als auch den Informationsanspruch des Bürgers gegen den Staat in Umweltsachen. Ihr Herzstück ist ein Drei-Säulen-Konzept: Zunächst regelt sie den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über die Umwelt (erste Säule), ferner die Beteiligung der Öffentlichkeit bei umweltbezogenen Maßnahmen des Staates (Pläne, Programme und Politiken einschließlich der Vorbereitung von Normen), wobei auch Umweltverbände einbezogen werden (zweite Säule); schließlich sind gerichtliche oder gerichtsähnliche Verfahren vorgesehen, um die Informations- und Beteiligungsrechte der ersten beiden Säulen effektiv durchzusetzen, wobei die Konvention ausdrücklich auch eine Verbandsklage vorsieht (dritte Säule).51 Die Bundesrepublik Deutschland hat die Aarhus-Konvention zwar unterzeichnet, bisher jedoch nicht ratifiziert. Auf Grund der Pflicht zur Umsetzung der EG-Richtlinie 2003/4/EG (sowie der Richtlinie 2003/35/EG52 im Hinblick auf die zweite und dritte Säule) ist der deutsche Gesetzgeber gleichwohl zur Übernahme der wesentlichen Inhalte der Konvention verpflichtet. Darüber hinaus sieht der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien auf Bundesebene von Oktober 2002 auch eine zügige nationale Ratifikation der Konvention vor.53 Im deutschen Recht ist der Trend zu mehr Transparenz in der Verwaltung nicht auf das Umweltrecht beschränkt geblieben.54 Einige Bundesländer haben inzwischen eigene Informationszugangsrechte geschaffen, die einen voraussetzungslosen Anspruch auf Informationszugang gegenüber den Landesbehörden gewähren.55 Versu-

http://www.bmu.de; vgl. Buck/Verheyen, in: Koch (Fn. 5), § 1 Rn. 61 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 9 Rn. 140; Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz (IFG-ProfE), 2002, Einleitung Rn. 22; v. Danwitz, NVwZ 2004, 272 ff.; Fisahn, ZUR 2004, 136 ff.; Schlacke, ZUR 2004, 129 f.; Epiney, ZUR 2003, 176 ff.; Zschiesche, ZUR 2001, 177 ff.; Scheyli, AVR 38 (2000), 217 ff. 51 Vgl. zu Letzterem Louis, NuR 2004, 287 ff.; Schmidt/Zschiesche, NuR 2003, 16 ff., 22 f.; Seelig/Gündling, NVwZ 2002, 1033 ff., 1039 f. 52 Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. EU Nr. 1, 156 vom 25. Juni 2003, S. 17. 53 Vgl. http://www.bmu.de/de/1024/js/sachthemen/buerger/aarhus_konvention. 54 Vgl. zum Folgenden Gurlit, DVBl. 2003, 1119 ff., 1129 ff. 55 Es handelt sich um die Länder Berlin. Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein: Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz (AIG) vom 10. März 1998, GVOBl. S. 46 (Brandenburg); Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (Berliner Informationsfreiheitsgesetz – IFG) vom 15. Oktober 1999, GVBl. S. 561; Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein (Informationsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig-Holstein – IFG-SH) vom 9. Februar 2000, GVOBl. S. 166; Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land NordrheinWestfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG-NRW) vom 27. November

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che zur Einführung eines allgemeinen Informationszugangsrechts auf Bundesebene hatten bisher freilich keinen Erfolg.56 Möglicherweise ändert sich dies jetzt. Im Ergebnis dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Informationsfreiheitsgesetz auch des Bundes verabschiedet wird. Nach dem Koalitionsvertrag soll noch in der laufenden 15. Legislaturperiode ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz über den Zugang zu behördlichen Informationen entstehen.57 3. Staatliche Regelungen des Informationsflusses zwischen Privaten Betrachtet man die Informationsprozesse im Umweltrecht, beschränkt sich die Rolle des Staates freilich nicht darauf, selbst Informationen zu beschaffen und weiterzugeben. Von zunehmender Bedeutung ist auch die unmittelbare Weitergabe umweltrelevanter Informationen zwischen den Bürgern. Im Folgenden sollen zwei Bereiche58 näher betrachtet werden: die Schaffung von Markttransparenz durch staatliche Regelungen und die Selbstkontrolle Privater. a) Markttransparenz in Bezug auf ökologisch relevante Produktoder Produzenteneigenschaften Der Bürger nimmt als Konsument erheblichen Einfluss auf den Zustand der Umwelt. Nach einer Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie des Umweltbundesamts ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung bereit, für nicht umweltbelastende Produkte einen höheren Preis zu zahlen.59 Die Aufgabe des Staates ist es, zu gewährleisten, dass die Konsumenten ihre ökologischen Präferenzen bedienen können. Dies geschieht durch die Herstellung von ökologischer Markttransparenz. Der Staat kann sie entweder durch unmittelbare Informationstätigkeit (Hinweise, Empfehlungen, Warnungen) schaffen oder auf andere Weise in Bezug auf ökologisch relevante Produkt- oder Produzenteneigenschaften fördern. 2001, GVBl. S. 806. Vgl. Partsch/Schurig, DÖV 2003, 482 ff.; Bäumler, NJW 2000, 1982 ff., 1985 f.; Breidenbach/Palenda, NJW 1999, 1307 ff.; Partsch, NJW 1998, 2559 ff. 56 Vgl. den Gesetzentwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 27. August 1997, BT-Drucks. 13/8432, der im Bundestag scheiterte, sowie den Entwurf des Bundesministeriums des Innern vom 20. Dezember 2000, der nicht einmal in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde, abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/top/doku mente/Artikel/ix_28349.htm; zu Letzterem ausführlich Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 10 Rn. 35 ff.; vgl. auch Schoch/Kloepfer (Fn. 50), Einleitung Rn. 34 ff.; Knitsch, ZRP 2003, 113 ff.; Bull, ZG 2002, 201 ff.; Schoch, Die Verwaltung 35 (2002), 149 ff. 57 Schrader, ZUR 2004, 130 ff., 135. 58 Auch im Bereich der Umwelthaftung regelt der Staat Informationsansprüche zwischen Privaten (z. B. § 9 Umwelthaftungsgesetz); dieser zum Zivilrecht gehörende Themenkreis soll hier nicht weiter ausgeführt werden. 59 Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) vom 15. April 2002, BT-Drucks. 14/8792, Tz. 76.

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Von Bedeutung sind zunächst die zahlreichen Kennzeichnungspflichten für Produkte. Anstöße für die Einführung von Kennzeichnungspflichten sind für das deutsche Recht in erster Linie aus dem Europäischen Gemeinschaftsrecht erwachsen. Beispielhaft seien die Regelungen über die Angabe des Energieverbrauchs durch Haushaltsgeräte60 sowie über die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel61 genannt. Markttransparenz wird ferner durch den Schutz des Verbrauchers vor Irreführung durch die Anbieter gewährleistet. Für landwirtschaftliche Produkte schützt die EGÖko-Verordnung62 die Bezeichnungen „biologisch“, „ökologisch“ und die entsprechenden Abkürzungen. Sie sieht außerdem ein geschütztes Emblem vor („Öko-Siegel“). Auch auf Bundesebene ist eine Öko-Kennzeichnung eingeführt worden; die sich im Wesentlichen an der EG-Öko-Verordnung orientiert.63 Ein allgemeiner Schutz vor Irreführung wird zudem durch das Wettbewerbsrecht (§§ 1, 3 UWG) gewährleistet. Markttransparenz wird schließlich geschaffen durch die Erlaubnis, geschützte Umweltembleme – wie das erwähnte Öko-Siegel – zu verwenden. Dabei gibt es sowohl Umweltzeichen, die unter staatlicher Mitwirkung verliehen werden, als auch solche, die von Privaten verliehen werden. Zu nennen wären beispielsweise das deutsche Umweltzeichen („Blauer Engel“), das von einer unabhängigen Jury, dem Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung (RAL) und dem Umweltbundesamt, gemeinsam vergeben wird.64 b) Selbstkontrolle Privater Von Bedeutung ist weiterhin die Selbstkontrolle Privater. Dies kann dadurch geschehen, dass sich Private selbst kontrollieren oder von anderen Privaten kontrolliert 60 Richtlinie 92/75/EWG des Rates vom 22. September 1992 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch Haushaltsgeräte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen, ABl. EG. Nr. 1, 297 vom 13. Oktober 1992, S. 16. 61 Verordnung 1830/2003/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juli 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG, ABl. EU Nr. L 268 vom 18. Oktober 2003, S. 24; hierzu – auch zur Entstehungsgeschichte – näher Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 18 Rn. 22. 62 Verordnung 2092/91/EWG des Rates vom 24. Juni 1991 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel, ABl. EG Nr. L 198 vom 19. April 1991, S. 1; hierzu Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 384 sowie § 11 Rn. 424 f. 63 Gesetz zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus (Öko-Kennzeichengesetz – ÖkoKennzG) vom 10. Dezember 2001, BGBl. I S. 3441, nebst Verordnung zur Gestaltung und Verwendung des Öko-Kennzeichens (Öko-Kennzeichenverordnung – ÖkoKennzV) vom 6. Februar 2002, BGBl. I S. 589. 64 Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 383.

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werden. Dieser aktuelle Trend im Umweltrecht ist dadurch begründet, dass der Staat auf Grund der wachsenden Komplexität umweltrechtlicher Zusammenhänge immer weniger in der Lage ist, allein durch traditionelle ordnungsrechtliche Gebots- und Verbotsmaßnahmen einen verantwortungsvollen Umweltschutz in den Unternehmen sicherzustellen. Er ist zunehmend darauf angewiesen, dass die Unternehmen den Umweltschutz als gemeinsame Aufgabe von Staat und Gesellschaft begreifen und in die Praxis umsetzen.65 Dies hat zur Folge, dass der Staat selbst kein „Interventionswissen“ mehr braucht. Er setzt vielmehr lediglich den Regulierungsrahmen, damit eine effektive Selbstkontrolle möglich wird, und überprüft die Ergebnisse der Selbstregulierung.66 Regelungen über den Umgang mit umweltrelevanten Informationen sind in diesem Zusammenhang vor allem in zwei Bereichen von Bedeutung, nämlich in Bezug auf den unternehmensinternen Umgang mit Informationen sowie im Hinblick auf den Umgang mit Informationen im Rahmen des Umweltaudits. aa) Regelung des unternehmensinternen Umgangs mit umweltrelevanten Informationen Um eine effektive Selbstüberwachung der Unternehmen in Bezug auf den Umweltschutz sicherzustellen, sieht das Umweltrecht Regelungen über die Unternehmensorganisation vor. In verschiedenen Umweltgesetzen wird zu diesem Zweck vorgeschrieben, dass Unternehmen betriebliche Umweltbeauftragte67 ernennen, z. B. den Betriebs- und Störfallbeauftragten für Immissionsschutz (§§ 53 – 58 d BImSchG), den Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz (§§ 21 a – 21 g WHG) oder den Betriebsbeauftragten für Abfall (§§ 54 f. KrW-/AbfG). Die Umweltschutzbeauftragten gehören nicht zur staatlichen Verwaltungsorganisation, sondern sind ausschließlich Beauftragte des Betriebs und stehen auch in keinem Beleihungs- oder Auftragsverhältnis zum Staat. Sämtlichen Arten von Umweltschutzbeauftragten ist gemeinsam, dass sie eine umwelteffektive Betriebsorganisation garantieren sollen. Grundsätzliche Funktion der Betriebsbeauftragten ist einerseits, innerhalb des Betriebs die Einhaltung der Umweltgesetze zu überwachen (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, § 55 Abs. 1 Nr. 2 KrW-/AbfG), andererseits aber auch, allgemein den Umweltschutz in die Firmenpolitik einzubringen und die umweltgerechte Entwicklung und Erforschung neuer Verfahrensweisen und Produkte zu fördern (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG). Die Stellung des Umweltschutzbeauftragten ist dadurch gekennzeichnet, 65

Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 417 ff. Ausführlich – auch zu den Problemen dieses Ansatzes – und mit zahlreichen weiteren Nachweisen Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 2 Rn. 173. 67 Zur Stellung des Umweltschutzbeauftragten vgl. insgesamt Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht der BRD, 2000, S. 185 ff., 200 ff.; Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 422 ff. 66

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dass er in der Regel keine direkten Entscheidungs- oder Eingriffsbefugnisse hat. Er wirkt fast ausschließlich dadurch, dass er für den Umweltschutz relevante Informationen sammelt und weitergibt, aufklärt, berät sowie Vorschläge unterbreitet. Er kann dabei gegenüber den Mitarbeitern und der Geschäftsleitung seines Unternehmens keine verbindlichen Weisungen oder Anordnungen aussprechen. Allerdings hat er ein direktes Vortragsrecht gegenüber der Geschäftsleitung. Zudem ist bei Investitionsentscheidungen, die für den Umweltschutz bedeutsam sein können, rechtzeitig seine Stellungnahme einzuholen (§ 56 BImSchG, § 21 d WHG). Der Betriebsbeauftragte ist zur jährlichen Berichterstattung an den Betriebsinhaber verpflichtet (so z. B. § 54 Abs. 2 BImSchG, § 21 b Abs. 3 WHG). Zu nennen ist ferner die Einbeziehung des Betriebsrats in den betrieblichen Umweltschutz. Seine Aufgaben sind insoweit durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 200168 erheblich erweitert worden. Danach hat sich der Betriebsrat dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den betrieblichen Umweltschutz eingehalten werden (§ 89 BetrVG). Auch werden dem Arbeitgeber entsprechende Berichtspflichten gegenüber der Betriebsversammlung sowie der Betriebsräteversammlung auferlegt (§§ 43 Abs. 2 S. 3, 53 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). bb) Umweltaudit Während die Vorschriften über die Betriebsorganisation den betriebsinternen Informationsfluss regeln, geht es bei den Regelungen über das so genannte Umweltaudit-Verfahren auch um den Informationsfluss zwischen den zu kontrollierenden Unternehmen oder sonstigen Organisationen und staatlich anerkannten Gutachtern sowie der Öffentlichkeit. Das aus dem angelsächsischen Rechtskreis stammende Umweltaudit-Verfahren ist ein Novum im deutschen Umweltrecht. Seine Einführung geht auf die so genannte EMAS-Verordnung (Environmental Management and Audit Scheme) aus dem Jahr 1993 zurück (EMAS I),69 die im Jahr 2001 novelliert wurde (EMAS II).70 Zur Durchführung in Deutschland ist das Umweltauditgesetz (UAG)71 nebst Rechtsverordnun68

BetrVerf-ReformG, BGBl. I S. 1852, Neufassung S. 2518; hierzu Wiese, BB 2002, 674 ff. 69 Verordnung 1836/93/EWG des Rates vom 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, ABl. EG Nr. L 168 vom 10. Juli 1993. S. 1. 70 Verordnung 761/2001/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, ABl. EG Nr. L 114 vom 24. April 2001, S. 1 (Kloepfer Nr. 90/1). 71 Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS) i. d. F. der Bekanntmachung vom 4. September 2002, BGBl. I S. 3490, geändert durch Gesetz vom 21. Juli 2004, BGBl. I S. 1918 (Kloepfer Nr. 90).

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gen ergangen. Das Umweltaudit-Verfahren zielt als staatlich kontrollierte Form der eigenverantwortlich durchgeführten Selbstkontrolle darauf ab, dass Unternehmen oder andere Organisationen umweltschutzrelevante Qualitätsstandards einhalten und kontinuierlich verbessern und dass zugleich die Öffentlichkeit über die Umweltleistung der Organisationen informiert wird (Art. 1 Abs. 2 EMAS II). Dies soll vor allem dadurch erreicht werden, dass die Organisationen umfassende Qualitätsmanagementsysteme für den Umweltschutz einführen, pflegen und fortentwickeln und dass diese Systeme regelmäßig durch unabhängige, staatlich akkreditierte Gutachter überprüft werden. Auf Grund der Prüfung sind die überprüften Organisationen berechtigt, öffentlich das EMAS-Zeichen zu führen. Das EMAS-Konzept führt somit zu einer verfahrensrechtlichen Absicherung materieller Standards. Zudem können auf diese Weise kosten- und zeitaufwändige hoheitliche Prüfaufgaben auf Private verlagert sowie die gesellschaftlichen Problemlösungskapazitäten und Innovationskräfte für das Gemeinwohl nutzbar gemacht werden.72 Die Teilnahme am Umweltaudit-Verfahren ist für die Unternehmen freiwillig. Trotzdem sind die bisherigen Erfahrungen mit dem seit 1995 durchgeführten Umweltaudit in Deutschland überwiegend positiv. Bis zum 17. Januar 2003 betrug die Zahl der registrierten Standorte 2455. Studien haben dem Umweltaudit eine positive Wirkung bescheinigt und eine spürbare Verbesserung im Umweltmanagement der beteiligten Standorte bestätigt.73 Für die Unternehmen bestehen mehrere Gründe, am Umweltaudit-Verfahren teilzunehmen:74 Die Prüfung ermöglicht es, Kostensenkungspotenziale in den Organisationen zu identifizieren und so durch ressourcenschonendes Wirtschaften zu sparen. Nach der Prüfung können unter Umständen günstigere Konditionen bei Banken und Versicherungen ausgehandelt werden, weil umweltbezogene Risiken verringert werden konnten. Das werbewirksame EMAS-Zeichen eröffnet darüber hinaus u. U. bessere Absatzchancen. Schließlich finden sich neuerdings auch ordnungsrechtliche Privilegierungen auditierter Organisationen, z. B. im Hinblick auf betriebliche Berichtspflichten, die Häufigkeit der behördlichen Überwachung sowie auf die Durchführung von Prüfungen und Messungen (vgl. §§ 58e BImSchG, 55 a KrW-/AbfG, 21 h WHG). Die Teilnahme verlangt zunächst eine erste umfassende Umweltprüfung durch die Organisation selbst. Anschließend muss sie ein Umweltmanagementsystem einrichten, das nach Maßgabe der in Anlage 1 zu EMAS II genannten detaillierten Anforderungen eine umfassende Berücksichtigung der Umweltaspekte gewährleistet. Danach führen externe Gutachter regelmäßige Überprüfungen durch. Die Umweltauswirkungen und Umweltleistungen der Organisation werden regelmäßig durch eine öffentlich zugängliche Umwelterklärung bekannt gemacht. Im Gegenzug wird die Organisation zertifiziert und in ein Register eingetragen. Das Auditierungsverfahren 72

Vgl. Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 4 Rn. 52 f. Studie des Bundeslandes Hessen, Nachweise bei Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 3), § 4 Rn. 62. 74 Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 448 f. 73

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hat somit einen regelmäßigen Informationsfluss zwischen den Organisationen und externen – wenn auch nicht staatlichen – Gutachtern sowie der Öffentlichkeit zur Folge. Insbesondere die Verpflichtung zu einer öffentlichen Umwelterklärung kann allerdings mit dem Interesse der Organisation an der Wahrung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse kollidieren. Regelungen hierzu sind in der EMAS II-Verordnung nicht enthalten. Umfang und Inhalt der Umwelterklärung sind daher mittlerweile zum Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Industrie- und Umweltverbänden geworden. Als Abhilfe wird vorgeschlagen, dass die Organisationsleitung Angaben, deren Geheimhaltung sie wünscht, als Betriebsgeheimnis qualifiziert und in der Umwelterklärung lediglich umschreibt. Gleichzeitig gibt sie die betreffenden Angaben an den externen Umweltgutachter, der nun zu prüfen hat, ob die Umschreibung in der Umwelterklärung ausreicht und inhaltlich zutrifft.75

IV. Ausblick Die Qualifikation des Umweltrechts (auch) als Informationsrecht klärt nicht nur den Blick für wichtige systematische Verbindungen zwischen Umwelt- und Informationsrecht. Vielmehr entsteht mit dieser Qualifikation auch ein systemgeforderter Anpassungsdruck. Das Umweltrecht sollte sich – unter Wahrung seines Kernauftrags – hinsichtlich seiner umfangreichen informationsbezogenen Teile auch den Begrifflichkeiten und Strukturen des allgemeinen Informationsrechts so weit als möglich anpassen. Dies wird schon durch das Leitbild der Einheit der Rechtsordnung nahe gelegt. Hinzu kommt die Überlegung, dass das verwaltungsbezogene Informationsrecht auch als Teil des Allgemeinen Verwaltungsrechts gedeutet werden kann, das die Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts (also auch das Umweltverwaltungsrecht) dirigiert. Es entlastet auch das Umweltrecht, wenn es auf informationsrechtliche Begriffe und Figuren zurückgreifen kann. Inhaltlich prägt die für das Informationsrecht charakteristische Spannung zwischen freiem Fluss der Informationen und rechtsgutschützenden Informationsrestriktionen76 auch das Umweltinformationsrecht. Im Umweltrecht gilt – nicht anders als im Informationsrecht – der Grundsatz des freien Informationsflusses, soweit insbesondere der für den Rechtsgüterschurz erforderliche Geheimnisschutz gewahrt wird.

75 76

Vgl. dazu ausführlich Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 1), § 5 Rn. 459. Kloepfer, Informationsrecht (Fn. 11), § 3 Rn. 1, 14 ff.

Umweltrecht und Kartellrecht* ** Umweltschutzkartelle und -monopole vor allem in der Entsorgungswirtschaft führen zu der Frage, ob ökologisch motivierte Begrenzungen kartellrechtlicher Verbote zulässig sind. Der Beitrag untersucht die vielfältigen Ansätze hierfür, insbesondere die Möglichkeiten der §§ 7 und 8 GWB sowie von Art. 86 Abs. 2 EG. Rechtspolitisch wird eine gesetzliche Neuregelung und ein Wettbewerb um mehr Umweltschutz gefordert.

I. Einleitung 1. Problemschichtung Das Verhältnis zwischen Umweltrecht und Wettbewerbsrecht hat verschiedene Ebenen. Dabei ist zunächst an das Verhältnis von Umweltrecht und Lauterkeitsrecht1 zu denken z. B. bei der Abwehr von irreführender Öko-Werbung2 oder bei der Frage, inwieweit sich das Recht des unlauteren Wettbewerbs als Instrument zur Verfolgung von Umweltrechtsverstößen eignet.3 Auf diesen Bereich kann hier nicht weiter eingegangen werden. In dem im Folgenden näher zu untersuchenden Spannungsfeld zwischen Umweltrecht und Kartellrecht4 sind ebenfalls unterschiedliche Aspekte zu beobachten. Neben der allgemeinen Erkenntnis, dass die klassischen ordnungspolitischen Normen des Umweltrechts faktisch die Großunternehmen im Verhältnis zu den kleinen und mittleren Unternehmen begünstigen, können Umweltschutz und Wettbewerb in vielfältige Konfliktlagen geraten – etwa bei der Vereinbarung von ökologischen * Erstveröffentlichung in: JZ 2002, S. 1117 – 1127. ** Die Ausführungen sind aus einem Vortrag hervorgegangen, den der Verfasser am 13. 6. 2002 auf einer Tagung des NABU e. V. und der Duales System Deutschland AG in Berlin zum Thema „Umweltschutz und Wettbewerb – (k)ein Widerspruch?“ gehalten hat. Meinem Assistenten, Herrn Günter Handke, Berlin, danke ich sehr für seine Mitarbeit. 1 Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 6 Rn. 237 ff. m. w. N.; Brinker/Horak, in: Rengeling (Hrsg.): Handbuch zum deutschen und europäischen Umweltrecht, 1998 (EUDUR II), § 81 Rn. 2, 11, 62 ff. m. w. N. 2 Grundlegend die BGH-Entscheidung zum sog. „Umweltengel“: BGHZ 105, 277; weniger streng: BGH, BB 1994, 1517 („Unipor-Ziegel“). 3 Brandner/Michael, NJW 1992, 278; Lappe, WRP 1995, 170; ablehnend BGHZ 144, 255 = NJW 2000, 3361 = UPR 2000, 450. 4 Kloepfer (Fn. 1), § 6 Rn. 245 ff.; Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 12, 43 ff.

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Grenzwerten oder Schutzstandards in sog. Selbstbeschränkungsabkommen der Wirtschaft, bei umwelttechnologischen Patentlizenzverträgen oder bei umweltschützenden Unternehmenskooperationen in der Produktion, Entsorgung oder Wiederverwertung von Produkten oder in der Forschung. Werden die Kosten umweltschonenden Verhaltens von den Unternehmen an den Verbraucher weitergegeben, kann entsprechend koordiniertes Vorgehen seitens der Unternehmen auch den Preiswettbewerb erheblich beeinträchtigen.5 2. Wirtschaftliche Grundlagen Unter dem Druck des Wettbewerbs und im Sinne ökonomischer Rationalität sind die Unternehmen prinzipiell nicht daran interessiert, dass sich die Kosten für die unternehmensverursachte Inanspruchnahme von Umweltgütern in ihrer betrieblichen Kostenrechnung niederschlagen.6 Vielmehr wollen sie diese als „freie Güter“ kostenlos nutzen. Auf diese Weise lassen sich die Produktionskosten senken bzw. niedrig halten und folglich die Gewinne steigern oder zumindest stabil halten. Einem auf Wettbewerb basierenden Wirtschaftssystem ist es daher systemimmanent, dass es ohne staatliche Gegensteuerung regelmäßig im Ergebnis eine Tendenz zu Wettbewerb um weniger Umweltschutz gibt,7 solange die Umweltgüter kostenfrei in Anspruch genommen werden. Wenn die Kosten für die Inanspruchnahme der Umwelt nicht von den jeweiligen Nutznießern getragen werden, besteht kein wirtschaftlicher Anreiz, mit den natürlichen Ressourcen schonend und sparsam umzugehen. Für Verluste und Schäden kommen letztlich diejenigen auf, bei denen sich die Beeinträchtigungen der Umwelt faktisch auswirken, d. h. die Geschädigten. Häufig wird dies die Allgemeinheit sein. Diese die Allgemeinheit treffenden Kosten des Umweltverbrauchs werden volkswirtschaftlich auch als „social costs“ bezeichnet.8 Nur wenn sich für die Inanspruchnahme der Umwelt ein Preis herausbildet, die Umweltnutzung marktmäßigen Gesetzen unterworfen und zu einem Kostenfaktor wird, besteht die Chance, dass mit ihr kein Raubbau betrieben wird.9 3. Umweltpolitische Konsequenzen Ein Ziel staatlicher Umweltschutzpolitik gegenüber einem System der freien Marktwirtschaft ist deshalb die Internalisierung dieser social costs.10 Dies bedeutet, dass die Kosten von Umweltbeeinträchtigungen und -verbrauch nach dem Verursacherprinzip z. B. durch Abwasser- oder Verpackungsabgaben denjenigen aufzuerle5

Steinbeck, WuW 1998, 554 (555). Wallenberg, Umweltschutz und Wettbewerb, 1980, S. 25. 7 Kloepfer, JZ 1980, 781 (781). 8 Wallenberg (Fn. 6), S. 22. 9 Wallenberg (Fn. 6), S. 24. 10 Freitag u. a., Umweltschutz und Wettbewerbsordnung, 1973, S. 21. 6

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gen sind, die sie veranlasst haben. Der Umweltverbrauch muss als Kostenfaktor in den Produktions- und Vertriebsprozess einbezogen werden, so dass ein ökonomischer Anreiz zu umweltschonendem Verhalten, z. B. zur Herstellung und zum Vertrieb recyclingfähiger Produkte, erzeugt wird. Die Festlegung einheitlicher (kostenverursachender) Umweltschutzstandards und technischer Mindestanforderungen oder auch die Auferlegung von Rücknahme- und Wiederverwertungspflichten führen allerdings zu einer entsprechenden Ausschaltung oder zumindest Zurückdrängung von Wettbewerbsmöglichkeiten durch weniger (normunterschreitenden) Umweltschutz.11 Dies kann aber ausgeglichen werden durch Wettbewerb um mehr Umweltschutz. Einen solchen Wettbewerb um mehr Umweltschutz wird es allerdings nur geben, wenn dies den Beteiligten einen Vorteil bringt. Wettbewerb etwa im Entsorgungssektor kann Hersteller und Vertreiber über den Preisdruck dazu zwingen, eine möglichst kostengünstige Rücknahme und Verwertung ihrer Produkte anzustreben und darüber hinaus die Entwicklung möglichst abfallarmer und recyclingfähiger Produkte voranzutreiben.12 So ist z. B. auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen davon überzeugt, dass durch einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Systembetreibern für die Sammlung und Verwertung von Verkaufsverpackungen noch erhebliche Kostensenkungspotentiale erschlossen sowie technische und organisatorische Innovationen angestoßen werden könnten.13 Der letztgenannte Aspekt zeigt, dass eine Beschränkung des Wettbewerbs durch Monopolsysteme im Entsorgungssektor auch auf das Ziel des Umweltschutzes zurückschlagen kann, indem der wettbewerbliche Antrieb zu umweltschonenden Produkt- und Verfahrensverbesserungen behindert oder gar gelähmt wird.

II. Wettbewerbsbeschränkungen beim Umweltschutz 1. Allgemeines Nachdem vornehmlich seit Beginn der 90er-Jahre die Politik nach dem Gedanken des Kooperationsprinzips im Umweltschutz in zunehmendem Maße auf gesellschaftliche Selbstregulierungskräfte baut und gleichzeitig die Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge – angefangen mit der Abfallwirtschaft bis hin zur Energieversorgung – immer weiter vorangetrieben wird, bildet die umweltschutzmotivierte Zusammenarbeit von privaten Unternehmen („Umweltschutzkartelle“)14 oder gar die 11

Kloepfer, JZ 1980, 781 (781). Dabei muss allerdings gesichert sein, dass sich keine Wettbewerbsvorteile durch Nichtbeachtung dieser umweltrechtlichen Standards ergeben. 12 Beckmann, UPR 1996, 41 (48). 13 Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 2002, S. 729 (Nr. 964). 14 Schumacher, WuW 2002, 121 (121); Köhler, BB 1996, 2577 (2578).

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Monopolisierung zum Zwecke des Umweltschutzes ein zentrales Konfliktfeld zwischen Umweltschutz und Wettbewerb. Die mit Umweltschutzkartellen einhergehende Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt notwendigerweise dazu, dass die mit dem Wettbewerb verbundenen Funktionen nicht oder nur abgeschwächt erfüllt werden können. Solche typischen Wettbewerbsfunktionen sind etwa die Antriebs-, Innovations-, Kontroll-, Verteilungs- und Auslesefunktion. Bei Umweltschutzkartellen stehen also typischerweise den Vorteilen für die Umwelt Nachteile durch weniger Wettbewerb gegenüber. Rechtspolitisch sollten bei der Zulassung von Umweltschutzkartellen die umweltpolitischen Vorteile eines Umweltschutzkartells die vor allem wirtschaftspolitischen Nachteile geringeren Wettbewerbs überwiegen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn nur durch die Zulassung derartiger Wettbewerbsbeeinträchtigungen die vom Gesetzgeber gewünschte Verlagerung von Umweltschutzaufgaben auf Private rentabel (und damit überhaupt) durchgeführt werden kann, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf den internationalen Wettbewerb. Das heißt aber zugleich auch, dass die Zulassung derartiger rentabilitätssichernder Wettbewerbsbeschränkungen – behutsam – beseitigt werden kann, wenn die Rentabilität dauerhaft erreicht ist und der Markt mehrere Marktteilnehmer tragen kann. Ob dies derzeit schon der Fall ist, wird kontrovers diskutiert mit unterschiedlichen Positionen der „Dualen System Deutschland AG“ (DSD-AG) einerseits und ihrer potentiellen Konkurrenten andererseits.

2. Wettbewerbsgefährdungen im Entsorgungsbereich Vor allem den kooperations- und konzentrationsfördernden Bestimmungen des 1994 beschlossenen und im Wesentlichen im Oktober 1996 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG) wird die Förderung von Wettbewerbsbehinderungen nachgesagt.15 Insbesondere ist hier die Verordnungsermächtigung des § 24 KrW-/AbfG zur Einführung von Rücknahmesystemen zu nennen, die vor allem durch die Verpackungsverordnung (VerpackV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. 8. 199816 und zuletzt durch die neue Altauto-Verordnung vom 21. 6. 200217 realisiert wurde. In diesen Bereich fällt auch die geplante Elektronikschrott-Verordnung;18 das Inkrafttreten einer entsprechenden EU-Richtlinie wird Ende 2002 erwartet.19 Neben den dadurch angeregten Gemeinschaftslösungen zur Rücknahme und Wiederverwertung von Produkten könnte auch § 17 Abs. 1 15

Beckmann, UPR 1996, 41 (48). BGBl. I S. 2379, zuletzt geändert durch Gesetz v. 9. 9. 2001, BGBl. I S. 2331. 17 BGBl. 1 S. 2199 sowie S. 2214 (Bekanntmachung der Neufassung). 18 Siehe dazu Kloepfer, Produktverantwortung für Elektroaltgeräte, 2001; Kloepfer/Kohls, DVBl. 2000, 1013 ff. 19 Vorschlag der Europäischen Kommission v. 13. 6. 2000, KOM (2000) 347, geänd. am 6. 6. 2001, KOM (2001) 315 und KOM (2001) 316. 16

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KrW-/AbfG die gesetzliche Grundlage zur Bildung abfallwirtschaftlicher Kartelle bilden.20 Ein weiteres Einfallstor für die Bildung von Kartellen stellt § 52 Abs. 3 KrW-/AbfG dar, wonach die Entsorgungsgemeinschaften die Entscheidung in der Hand haben, welche Unternehmen berechtigt sein sollen, im Bereich der Abfallentsorgung tätig zu werden.21 Dass hier der Gesetzgeber selbst eine Gefahr für den Wettbewerb sieht, zeigt ausdrücklich § 52 Abs. 3 Satz 2 KrW-/AbfG. Schließlich gibt § 28 Abs. 2 KrW-/AbfG den Behörden die Möglichkeit, dem Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage die Beseitigung von Abfällen aus einem bestimmten Gebiet insgesamt zu überlassen.22 Auch dadurch können Wettbewerbsbeeinträchtigungen entstehen. Bekannte und immer wieder diskutierte Beispiele für Umweltschutzkartelle bzw. -monopole sind insbesondere die DSD-AG, aber etwa auch die „Stiftung Gemeinsames Rücknahmesystem Batterien“, die „Freiwillige Selbstverpflichtung zur umweltgerechten Altautoverwertung (PKW) im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes“23 und die Selbstverpflichtungserklärung der papierherstellenden Industrie, des Papiergroßhandels, der Druckindustrie und Verleger vom 26. 9. 199624 zur stofflichen Verwertung graphischer Papierprodukte. Ihr Gefährdungspotential für den freien Wettbewerb liegt im Wesentlichen in der Tendenz zur Monopolisierung. Diese ist umso stärker, je höher der technische und logistische Aufwand und der Finanzbedarf sind und wird durch gesetzliche Systemanforderungen wie z. B. die Flächendeckung in § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV zusätzlich verschärft. Bei Selbstverpflichtungserklärungen handelt es sich in der Regel um horizontale Vereinbarungen oder kartellrechtlich verbotene Verhaltensabstimmungen im Sinne des § 1 GWB.25 Die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen zur Erfüllung von Rücknahmepflichten wirkt sich beschränkend auf das Wettbewerbsverhalten der beteiligten Hersteller und Vertreiber bei der Nachfrage nach Entsorgungs- und Verwertungsleistungen aus.26 Heute ist allgemein anerkannt, dass auch eine Beschränkung des Nachfragewettbewerbs ebenso wie die des Anbieterwettbewerbs zu einem Verstoß gegen § 1 GWB führen kann.27

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Riesenkampff, BB 1995, 833 (837). Riesenkampff, BB 1995, 833 (837). 22 Beckmann, UPR 1996, 41 (48). 23 Schumacher, WuW 2002, 121 (121). 24 Die Arbeitsgemeinschaft Graphische Papiere (AGRAPA) hat ihre Selbstverpflichtung im September 2001 bekräftigt und zugesichert, die Verwertungsquote dauerhaft auf dem erreichten Niveau von 80 % zu halten. 25 Faber, UPR 1997, 431 (435). 26 Velte, Duale Abfallentsorgung und Kartellverbot, 1999, S. 127. 27 WuW/E-BGH, S. 2049 („Holzschutzmittel“); Immenga, in: Immenga/Mestmäcker, GWB Kommentar, 2. Aufl., 1992, § 1 Rn. 220 – 223; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker. GWB Kommentar, 3. Aufl., 2001, § 1 Rn. 160 – 168; Velte (Fn. 26), S. 127 m. w. N. in Fn. 111. 21

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3. Zu privaten Entsorgungssystemen a) Allgemeines Aufgrund der Monopolisierung der Nachfrage seitens des Handels nach Rücknahme- und Entsorgungsleistungen wird beispielsweise von Stimmen im Schrifttum dem Dualen System ein Verstoß gegen § 1 GWB bescheinigt;28 die DSD-AG sei gegenüber den von ihr beauftragten Entsorgungsunternehmen zum marktbeherrschenden Nachfrager nach Entsorgungsleistungen im Sinne der VerpackV geworden. Eine marktbeherrschende Position habe die DSD-AG aber auch gegenüber dem Handel. Zukünftig angestrebten Entsorgungssystemen etwa für Altautos oder Elektronikschrott werden entsprechende kartellrechtliche Bedenken des Bundeskartellamtes (BKartA) vorausgesagt.29 In einer Entscheidung vom 24. 6. 1993 hat das BKartA ein Entsorgungssystem für Transportverpackungen wegen Verstoßes gegen § 1 GWB untersagt.30 Die Marktstellung der DSD-AG toleriert das BKartA zwar bislang aufgrund eines Duldungsbescheides aus dem Jahr 1991, um die Ziele der VerpackV nicht zu unterlaufen, hat aber bereits damals geäußert, dass es einen Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag31 für „naheliegend“ halte.32 Die 6. GWB-Novelle aus dem Jahre 1998 hat mit § 7 GWB zwar einen neuen Freistellungstatbestand aufgenommen, der sich auf Kooperationen zur Verwirklichung umweltrechtlicher Rücknahme- und Verwertungspflichten bezieht, bisher aber wenig praktische Wirkungen entfaltete.33 Trotz der bisherigen Tolerierung der DSD-AG durch das BKartA sind die kartellrechtlichen Bedenken gegen ihre Tätigkeit nie ganz verstummt. In jüngerer Zeit sieht sich die DSD-AG mit verstärktem Konkurrenzdruck konfrontiert. Im Juli 2001 begann das BKartA mit Ermittlungen gegen die DSD-AG sowie zwei Verbände und den Metro-Konzern wegen des Verdachtes, gezielt zum Boykott gegen Konkurrenten des „Grünen Punktes“ aufgerufen zu haben. Aus Sicht des BKartA scheint sich nach Auswertung von sichergestelltem Material dieser Verdacht zu bestätigen.34 Inzwischen scheint ein neuer Grundsatzkonflikt aufzubrechen. Nunmehr wollen die Wettbewerbshüter in einem förmlichen Verfahren überprüfen, ob das System der DSD-AG zur Rücknahme und Verwertung von Verkaufsverpackungen überhaupt mit dem GWB nach der aktuellen Rechtslage vereinbar ist.35 Der Präsident des BKartA 28

Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 45; Velte (Fn. 26), S. 159 f. Köhler, BB 1996, 2577 (2578). 30 WuW/E-BKartA, S. 2561. 31 Jetzt Art. 81 Abs. 1 EG. 32 So das BKartA in: WuW 1992, S. 33 f.; siehe auch Kloepfer (Fn. 1), § 6 Rn. 249. 33 Siehe unten III. 7. 34 Siehe den Artikel in Handelsblatt.com v. 7. 8. 2002. 35 Mitteilung des BKartA v. 23. 8. 2002, in: Handelsblatt.com v. 23. 8. 2001. 29

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hält mittlerweile eine weitere längerfristige offizielle Duldung für nicht mehr möglich.36 Das BKartA beurteilt die DSD-AG – sowohl im Hinblick auf den Handel wie im Hinblick auf die Entsorgungsunternehmen – als marktbeherrschend und ihr Vertragssystem als wettbewerbsbeschränkend. Das Amt geht von einem Verstoß gegen § 1 GWB aus, soweit nicht die Freistellungsvoraussetzungen des § 7 GWB vorlägen. Dabei sind Zweifel des Amtes an der Freistellungsfähigkeit unverkennbar. Das Amt will aber seine bisherige Tolerierungspraxis gegenüber der DSD-AG noch bis Ende des Jahres 2006 fortsetzen. Damit wird die DSD-AG in die Lage versetzt, im Jahre 2003 noch einmal dreijährige Leistungsverträge mit den Entsorgern unter den Bedingungen der bisherigen Kartellrechtspraxis abzuschließen (und vielleicht dabei manchen wettbewerbspolitischen Bedenken entgegenzukommen). Die DSD-AG ihrerseits hat inzwischen vorsorglich einen Freistellungsantrag nach § 7 GWB gestellt, obwohl sie grundsätzlich die Anwendbarkeit des § 1 GWB auf ihre Tätigkeit verneint. b) Entscheidung der EG-Kommission v. 20. 4. 2001 Auch die Europäische Kommission hat in einer an die DSD-AG gerichteten Entscheidung vom 20. 4. 2001 ausgeführt, dass diese eine nahezu monopolartige, marktbeherrschende Stellung auf dem sachlich und geographisch relevanten Markt mit einem Marktanteil von mindestens 82 % einnehme.37 Die DSD-AG sei bislang das einzige Unternehmen, das in Deutschland als flächendeckendes System im Sinne von § 6 Abs. 3 VerpackV die Sammlung und Verwertung von Verkaufsverpackungen betreibe. Derzeit seien ca. 19.000 Unternehmen dem System angeschlossen. Die Beteiligung erfolge durch Abschluss eines sog. Zeichennutzungsvertrages für das Logo „Der Grüne Punkt“. Damit erwerbe das Unternehmen gegen Zahlung eines Lizenzentgeltes, das sich nach dem Material, dem Gewicht sowie der Stückzahl der von ihm auf dem deutschen Markt vertriebenen Verpackungen richte, das Recht, auf seinen Verpackungen das Zeichen „Der Grüne Punkt“ zu verwenden und damit als eigentliche Dienstleistung die Befreiung nach § 6 Abs. 3 VerpackV von der in § 6 Abs. 1 S. 1 VerpackV festgelegten Rücknahme- und Verwertungspflicht. Diese Zeichennutzungsverträge könnten dazu führen, dass künftig die beteiligten Handelsunternehmen zum einen ausschließlich Verkaufsverpackungen nachfragten, die mit dem Grünen Punkt gekennzeichnet seien, und zum anderen nur noch an das Duale System angeschlossene Produkte dem Verbraucher zum Kauf anböten.38 Dadurch beschränkten die Unternehmen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der An-

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Siehe die Pressemitteilung des BKartA v. 23. 8. 2002 unter http://www.bundeskartellamt. de/23-08-2002.html. 37 E 2001/463/EG – Abl. L 166, S. 1, 13; zur Vereinbarkeit der DSD-AG mit europäischem Kartellrecht: Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 18, 24. 38 So das BKartA in: WuW 1992, S. 32.

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gebotsseite ihre wettbewerbliche Handlungsfreiheit bei der Wahl des von ihnen vertriebenen Warensortiments.39 Ferner hat die Kommission in dieser Entscheidung festgestellt, dass die mit den Lizenznehmern praktizierte Entgeltregelung, die das Entgelt ausschließlich von der Zeichennutzung abhängig mache, im Falle des Auseinanderfallens von Zeichennutzung und tatsächlicher Inanspruchnahme der Befreiungsdienstleistung zu unangemessenen Kosten für den Abnehmer führe und den Marktzutritt von Wettbewerbern der DSD-AG behindere.40 Denn für den Fall, dass die Menge der in Verkehr gebrachten und das Zeichen „Der Grüne Punkt“ tragenden Verpackungen größer sei als die Menge der tatsächlich von der DSD-AG zurückgenommenen und wiederverwerteten Verpackungen, sei nach den Zeichennutzungsverträgen keine Möglichkeit gegeben, das Lizenzentgelt an die Kosten der tatsächlich in Anspruch genommenen Befreiungsdienstleistung anzupassen. Durch dieses unangemessene und nicht leistungsgerechte Verhalten hielte die DSD-AG die Abnehmer ihrer Dienstleistung wenn nicht rechtlich, dann doch zumindest faktisch davon ab, auch nur für Teilmengen von Verkaufsverpackungen eine Befreiungsdienstleistung anderer Anbieter in Anspruch zu nehmen. Aufgrund der Tatsache, dass das zur Zeit einzige Korrektiv gegenüber dem Marktbeherrscher der DSD-AG nur von kleineren Anbietern am Marktrand gebildet werden könne, stelle dieses Verhalten eine Verhinderung der Markteintrittsmöglichkeit und damit nach Ansicht der Kommission einen besonders schweren Missbrauch nach Art. 82 EG dar.41 Die Kommission hat der DSD-AG u. a. aufgegeben, die festgestellten Zuwiderhandlungen einzustellen und für nicht in Anspruch genommene Befreiungsdienstleistungen keine Lizenzentgelte zu erheben. Insbesondere sollen auch Selbstentsorgungsmöglichkeiten nicht erschwert werden. Die DSD-AG hat gegen die Kommissionsentscheidung Klage vor dem Gericht erster Instanz erhoben. Im vorgeschalteten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat der EuG am 15. 11. 2001 den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen.42 Mit einer Entscheidung in der Hauptsache wird nicht mehr in diesem Jahr gerechnet. c) Entscheidung der EG-Kommission v. 17. 9. 2001 Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Prüfung durch die EU-Kommission waren ferner die Satzung der DSD-AG, die sog. Leistungsverträge – insbesondere deren Laufzeit – sowie die sog. Garantieverträge. Mit den Leistungsverträgen erteilt die DSD-AG einem lokalen Entsorgungsunternehmen den Alleinauftrag zum Einsammeln der Verkaufsverpackungen in einem bestimmten Bezirk. Die Garantieverträge 39

Velte (Fn. 26), S. 143. E 2001/463/EG – Abl. L 166, S. 1, 15 f. 41 E 2001/463/EG – Abl. L 166, S. 1, 17. 42 Beschluss des Präsidenten des Gerichts in der Rechtssache T-151/01 R, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland AG ./. Kommission der Europäischen Gemeinschaft. 40

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regeln die Rechtsbeziehungen zwischen der DSD-AG und den Unternehmen, die die Abnahme und Verwertung der gesammelten Verpackungen gewährleisten.43 Hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages und der Garantieverträge hat die Kommission in der Entscheidung vom 17. 9. 2001 keine Veranlassung gesehen, aufgrund von Art. 81 Abs. 1 EG gegen die DSD-AG vorzugehen.44 Hinsichtlich der Leistungsverträge sieht die Kommission Änderungsbedarf, hat diese jedoch bis zum 31. 12. 2003 von der Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EG nach Art. 81 Abs. 3 EG unter bestimmten Auflagen45 freigestellt. Die Auflagen sehen u. a. vor, dass die DSD-AG die von ihr beauftragten Entsorgungsfirmen nicht hindern darf, Verträge über die Mitbenutzung von Behältern und sonstigen Einrichtungen zum Sammeln und Sortieren gebrauchter Verkaufsverpackungen zu schließen bzw. zu erfüllen.

III. Einschränkungen des Kartellverbots? Seit längerem werden unterschiedliche Ansätze für umweltschutzmotivierte Restriktionen des Kartellrechts diskutiert,46 ohne dass sich bisher eine Ansicht hat durchsetzen können. 1. Staatliche Veranlassung Eine Besonderheit der sog. Umweltschutzkartelle bzw. -monopole besteht darin, dass sie überwiegend nicht auf private Initiative hin mit dem Ziel der Verschaffung von Wettbewerbsvorteilen gegründet, sondern von staatlicher Seite zur Erfüllung der Produktverantwortung angeregt werden.47 Am deutlichsten wird dies in § 6 Abs. 3 VerpackV, wo der Verordnungsgeber auf die imperative Durchsetzung einer ordnungsrechtlichen Entsorgungspflicht des Herstellers oder Vertreibers von Verpackungen verzichtet, wenn dieser sich einem kollektiven Rücknahmesystem anschließt. Damit wird unter Ausübung eines (gar nicht so) „sanften Drucks“ in Abstimmung mit den beteiligten Akteuren der Abschluss oder die Nutzung einer horizontalen Unternehmensabsprache initiiert.48 Auch die – normabwendenden – Selbstverpflichtungserklärungen dienen in der Regel dem Ziel, einen drohenden Normenerlass des Gesetz- oder Verordnungsgebers abzuwenden und sind damit 43 Nähere Ausführungen dazu in der Entscheidung v. 17. 9. 2001: E 2001/837/EG – Abl. L 319, S. 1 ff. 44 E 2001/837/EG – Abl. L 319, S. 1, 23 (Art. 1). 45 Siehe dazu: E 2001/837/EG – Abl. L 319, S. 1, 23 (Art. 2 und 3). 46 Zu den einzelnen Theorien siehe Kloepfer, JZ 1980, 781 (786 f.); Faber, UPR 1997, 431 (435 – 439); Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (442 – 447) und ausführlich Velte, (Fn. 26), S. 194 ff. 47 Köhler, BB 1996, 2577 (2578). 48 Velte, (Fn. 26), S. 183.

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letztlich vom Staat veranlasst.49 Die normvollziehenden Selbstverpflichtungsabkommen zielen dagegen darauf ab, den Vollzug von Normen zu verhindern.50 Daran anknüpfend versucht eine in der Literatur vertretene Ansicht den Konflikt zwischen Kartellrecht und Umweltschutz dergestalt zu lösen, dass sie staatlich veranlasste Unternehmenskooperationen und Selbstbeschränkungsabkommen wegen ihres öffentlichen Interesses, ihres normsubstituierenden Charakters und wegen des bestimmenden staatlichen Einflusses nicht als privatrechtliche, sondern als öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse ansieht, die als solche nicht unter den Tatbestand des § 1 GWB fallen.51 Trotz der staatlichen Initiierung im Interesse des Umweltschutzes wird das Verhalten der potentiellen Normadressaten vom Staat rechtlich nicht vollständig determiniert. Wegen der den Unternehmen verbleibenden Gestaltungsfreiheit sind diese verpflichtet, den für ihre Selbstregulierung gesetzten gesetzlichen Rahmen – einschließlich des § 1 GWB – zu beachten.52 Zudem muss für die kartellrechtliche Beurteilung auf die Ebene zwischen den Unternehmen abgestellt werden, auf der die Wettbewerbsbeschränkung erfolgt. Rechtlich maßgeblich ist nicht die vertikale Beziehung zwischen Staat und Unternehmen, sondern die horizontale Abrede zwischen den Unternehmen. Erfolgt diese allein zwischen privatrechtlichen Unternehmen, ohne dass der Staat formell als Vertragspartner beteiligt ist, so ist die Vereinbarung als privatrechtlich zu qualifizieren und der Anwendungsbereich des § 1 GWB ist grundsätzlich eröffnet.53 Allerdings kann das Kartellverbot nur dort gelten, wo gültige öffentlich-rechtliche Normen z. B. des Abfallrechts nicht ein entsprechendes bestimmtes Verhalten gebieten. Darum geht es beim Dualen System aber rechtlich auch nicht. Die Rechtsordnung zwingt nicht zur Errichtung eines solchen Systems, sondern das Abfallrecht legt die Errichtung solcher Systeme nur nahe und reizt sie auch an. Dies reicht aber für die Aushebelung des Kartellverbots nicht aus. Immerhin mag überlegt werden, ob eine faktische Unausweichlichkeit einem rechtlichen Zwang jedenfalls dann gleichzustellen ist, wenn der Staat die faktische Unausweichlichkeit maßgeblich geschaffen hat. Es bliebe dann zu prüfen, inwieweit dies bei Inanspruchnahme der DSD-AG wirklich der Fall ist. Immerhin bleiben die Selbstentsorgungsmöglichkeit bzw. die – bisher eben meist theoretische – Inanspruchnahme anderer Rückholsysteme.

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Kloepfer, JZ 1980, 781 (783). Zur entsprechenden Kategorisierung im Umweltrecht: normabwendende, regulative sowie normvertretende, projektbezogene Umweltabsprachen siehe Kloepfer (Fn. 1), § 5 Rn. 21 Off. 51 Baudenbacher, JZ 1988, 689 (694). 52 Faber, UPR 1997, 431 (436). 53 Velte (Fn. 26), S. 185. 50

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2. Rechtsgüterabwägung, „rule of reason“ und Art. 20 a GG a) Allgemeines Schon bald nach Erlass des GWB wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um aus übergeordneten sozialen, gesundheitspolitischen oder umweltrelevanten Gründen das Kartellverbot des § 1 GWB einzuschränken.54 Diesen Ansätzen liegt die gemeinsame Überlegung zu Grunde, dass an sich kartellrechtlich tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkungen im Rahmen einer Güterabwägung zugunsten höherrangiger Rechtsgüter zurücktreten können. Frühestes Beispiel aus der Praxis des BKartA ist die Zulassung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung aus Gründen des Gesundheitsschutzes im sog. Doppelstecker-Fall aus dem Jahr 1960.55 Allerdings bestehen zwischen den Rechtsgütern Umwelt und Wettbewerb erhebliche Unterschiede: Umweltschutz hat Verfassungsrang (Art. 20 a GG), Wettbewerb dagegen nicht.56 Im Übrigen trägt der Umweltschutz den Zweck in sich selbst (jedenfalls bei einer ökozentrischen Betrachtung), während der Wettbewerb nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der mit ihm erzielbaren Zwecke (etwa Wettbewerb als Instrument des Fortschritts, der Innovations- und der Leistungssteigerung57) schützenswert ist. Lässt sich ökologischer Fortschritt besser mit dem Ordnungsrecht erreichen, ist es gerechtfertigt, die faktisch wettbewerbsbeschränkende Wirkung des ordnungsrechtlichen Umweltschutzes in Kauf zu nehmen. Die Vorschläge, den Konflikt zwischen dem Kartellverbot und außerökonomischen Belangen wie dem Umweltschutz über eine allgemeine Rechtsgüter- und Interessenabwägung zu lösen, stoßen jedoch auf die Schwierigkeit der Objektivierung der konfligierenden Rechtsgüter und führen damit letztlich zu einem Verlust an Rechtssicherheit.58 Das Hauptargument, mit dem eine Restriktion des § 1 GWB auf der Grundlage einer Güterabwägung abgelehnt wird, ist die Regel-Ausnahme-Systematik des GWB und die hierin vom Gesetzgeber bereits vorgenommene Güterabwägung.59 Die enumerativen Ausnahmeregelungen der §§ 2 bis 8 GWB sind als abschließend anzusehen.60 Das Kartellverbot des § 1 GWB kann nur in diesen ausdrücklich formulierten Grenzen der §§ 2 bis 8 GWB durchbrochen werden, welche nicht ausschließ-

54 Zu den einzelnen Ansätzen siehe Kloepfer, JZ 1980, 781 (786 f.) und ausführlich Velte (Fn. 26), S. 194 – 202. 55 WuW/E-BKartA, S. 145. 56 Siehe unten III. 2. b). 57 Siehe auch oben II. 1. 58 Kloepfer, JZ 1980, 781 (786); Paschke, in: Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Umweltschutz und Wettbewerb – 12. Trierer Kolloquium 1996, 1997, S. 35, 51 f. 59 Paschke (Fn. 58), S. 51 f. 60 Velte (Fn. 26), S. 202.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

lich ökonomische, sondern partiell auch außerökonomische Belange berücksichtigen.61 Aus diesem systematischen Grund wird auch eine Restriktion anhand einer „rule of reason“ wie sie von der US-amerikanischen Rechtsprechung zur Einschränkung des dort bestehenden generellen und ausnahmslosen Kartellverbots entwickelt wurde, von der h. M. nicht nur für das deutsche, sondern auch für das europäische Kartellrecht abgelehnt.62 Auch das BKartA hat den Weg über die Rechtsgüterabwägung wieder aufgegeben63. b) Kartellverbot und Art. 20 a GG Möglicherweise könnte sich aber nach der 1994 erfolgten Einfügung des Art. 20 a GG etwas anderes ergeben und das Spannungsverhältnis zwischen dem Umweltschutz und der Gewährleistung des Wettbewerbs in der Weise aufgelöst werden, dass der ökologischen Orientierung ein genereller Vorrang vor dem der Marktwirtschaft innewohnenden Wettbewerbsprinzip einzuräumen ist. Durch die am 27. 10. 1994 in das Grundgesetz neu eingefügte Vorschrift des Art. 20 a GG wird der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zum Staatsziel erhoben. Dadurch erlangt das Ziel des Umweltschutzes unmittelbar Verfassungsrang. Hingegen ist der „freie“ Wettbewerb nicht als Verfassungsgut verankert. Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 GG enthält zwar eine Kompetenzgrundlage für eine bundesrechtliche Kartellgesetzgebung, erhebt den Wettbewerb selbst aber nicht zum Verfassungsgut. Da nach h. M. auch die Marktwirtschaft kein Verfassungsgut darstellt,64 führt auch die Sicht eines Schutzes des Wettbewerbs als Marktvoraussetzung nicht zu seinem Verfassungsrang. Immerhin wird die Wettbewerbsfreiheit als Ausprägung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst.65 Aufgrund der leichten Einschränkbarkeit dieses Grundrechts – Gesamtheit der Rechtsordnung als „verfassungsmäßige Ordnung“ – genießt die Wettbewerbsfreiheit somit lediglich einen außerordentlich schwachen verfassungsrechtlichen Schutz. Allerdings lässt sich aus der Tatsache, dass der Grundgesetzgeber nur den Umweltschutz mit Verfassungsrang ausgestattet hat, während der Wettbewerb nicht ausdrücklich von der Verfassung verbürgt wird, keine Entscheidung für ein striktes Rangverhältnis einzelner einfachgesetzlicher Regelungen des Umwelt- bzw. Wettbewerbsrechts im Sinne einer verbindlichen Privilegierung des Umweltschutzes ablei61

Immenga (Fn. 27), § 1 Rn. 387 f.; Zimmer (Fn. 27), § 1 Rn. 307 f. Kloepfer, JZ 1980, 781 (786); Di Fabio, JZ 1997, 969 (974); Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 51; Steinbeck, WuW 1998, 554 (560) m. w. N. dort in Fn. 39. 63 WuW/E-BKartA, S. 1126. 64 BVerfGE 50, 290 (336 ff.); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Bd. 1, 5. Aufl., 2000, Art. 12 Rn. 3; Scholz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 12 Rn. 77, 29. 65 Kunig, in: v. Münch/Kunig (Fn. 64), Art. 2 Rn. 29. 62

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ten. Dagegen spricht schon der weite Gesetzesvorbehalt in Art. 20 a GG („nach Maßgabe von Gesetz und Recht“). Zwar gibt die Staatszielbestimmung Umweltschutz per se eine Direktive für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften.66 Die Einstrahlungswirkung des Grundgesetzes in das einfache Recht setzt jedoch voraus, dass vom Gesetz- oder Verordnungsgeber Einfallstore in Gestalt von Generalklauseln und/oder Ermessensermächtigungen geschaffen werden. Der Normgeber ist aber innerhalb des weiten Entscheidungsspielraums des Art. 20 a GG frei, inwieweit er umweltpolitischen Zielsetzungen den Vorrang vor dem Wettbewerbsschutz einräumt.67 Dabei sind ausdrückliche Regelungen zur Einschränkung des Kartellverbots möglich, aber nicht geboten.68 Die Vorschrift des § 1 GWB bietet auch unter Art. 20 a GG keinen Auslegungsspielraum zugunsten eines von vornherein befreienden ökologischen Kartellprivilegs.69 Die Entscheidung des Gesetzgebers für ein umfassendes Kartellverbot kann nicht unter Berufung auf Art. 20 a GG durch Exemtion gewisser umweltbezogener Unternehmenskooperationen aus dem Kartellverbot überspielt werden. Dem Bedürfnis nach Einschränkungsmöglichkeiten für das Kartellverbot wird durch die in den §§ 2 bis 8 GWB katalogisierten Ausnahmetatbestände Rechnung getragen. Auch mit der sechsten Novellierung des GWB im Jahr 1998 ist im übrigen keine generelle Regelung des Verhältnisses von Umweltschutz und Wettbewerbssicherung geschaffen worden. Soweit sich die Ausnahmevorschriften der §§ 2 bis 8 GWB in der Praxis als zu eng für die Zulassung von Umweltkooperationen erweisen sollten, ist hierin jedenfalls keine Verletzung von Art. 20 a GG zu sehen. Allerdings ist Art. 20 a GG im Rahmen kartellbehördlicher Ermessensspielräume zu berücksichtigen. c) Zwischenergebnis Im Ergebnis bleibt die Erkenntnis, dass sich der Wertungskonflikt zwischen Umweltschutz und Wettbewerbssicherung weder durch Rechtsgüterabwägung, Tatbestandsrestriktion, eine „rule of reason“ noch durch Hinweis auf Art. 20 a GG mit dem Postulat des generellen Vorranges der einen Gesetzesregelung vor der anderen lösen lässt. Denn es geht um das Verhältnis von Normen zueinander, die verschiedenartige Regelungsgegenstände haben, von unterschiedlichen Wertungen geprägt sind und verschiedene Ziele verfolgen.70 Letztlich geht es im Verhältnis von Umweltschutz und Wettbewerbssicherung um einen Ausschnitt aus dem Problembereich der Einheit der Rechtsordnung, die jedoch 66

Kloepfer (Fn. 1), § 3 Rn. 40; ders., in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar zum GG, Art. 20 a Rn. 41; Faber, UPR 1997, 431 (436). 67 Kloepfer (Fn. 1), § 3 Rn. 35; ders., in: Bonner Kommentar zum GG (Fn. 66), Art. 20 a Rn. 27 f. 68 Köhler, BB 1996, 2577 (2578). 69 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (443). 70 Köhler, BB 1996, 2577 (2578).

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

keinen Verfassungsrang hat. Zwar hält das BVerfG die allgemeine Widerspruchsfreiheit für verfassungsgeboten,71 indessen darf dies nicht mit einer Freiheit von Spannungen innerhalb der Rechtsordnung verwechselt werden. Doch soviel ist richtig: Der Staat darf dem Bürger keine widersprüchlichen Gebote auferlegen – also etwa ein bestimmtes Verhalten gleichzeitig gebieten und verbieten. Kommt es gleichwohl dazu, muss die Rechtsordnung insbesondere durch Kollisionsregeln für die Beseitigung von Rechtswidersprüchen sorgen. Um solche geltungsausschließenden Widersprüche geht es aber im Verhältnis zwischen Umweltrecht und Wettbewerbsrecht in ihrer geltenden Fassung nicht. Das Abfallrecht zwingt nicht zur Errichtung von Entsorgungssystemen, die nach § 1 GWB verboten wären. Es regt die Bildung von solchen Entsorgungssystemen unter Achtung der übrigen Rechtsordnung (d. h. auch des GWB) an. Mit dem Wortlaut deutet § 24 Abs. 1 Nr. 2 KrWAbfG darauf hin, dass der Gesetzgeber mehrere Rücknahmesysteme wünscht und nicht ein Monopol. 3. Immanenztheorie Einen ähnlichen Ansatz wie die Lösung über die Rechtsgüterabwägung verfolgt die sog. Immanenztheorie. Sie besagt, dass in den Fällen, in denen der Gesetzgeber zu bestimmten Zwecken die Gründung privatrechtlicher Institutionen veranlasst oder zulässt, die diesen Institutionen immanenten Wettbewerbsbeschränkungen vom Kartellverbot ausgenommen sein müssten.72 Wie die Lösungen über eine Rechtsgüterabwägung führt die Immanenztheorie letztlich zu einer Tatbestandsrestriktion des § 1 GWB. Im Unterschied zur Rechtsgüterabwägung knüpft die Immanenztheorie aber nicht an die schützenswerten Rechtsgüter, sondern an die vom Gesetzgeber zu diesem Zweck initiierten Institutionen an.73 Auch die Immanenztheorie wurzelt letztlich in der Vorstellung von der Einheit der Rechtsordnung, die freilich – wie erwähnt – keinen Verfassungsrang hat. Ebenso wie die Lösung über die Rechtsgüterabwägung lässt sich die Immanenztheorie schlecht mit der gesetzlichen Systematik der Ausnahmetatbestände des GWB vereinbaren. Die Konfliktlösung mit der Immanenztheorie führt zu einer schwer zu kontrollierenden Aufweichung des Kartellverbots über die gesetzlich normierten Grenzen hinaus. Besser ist auf jeden Fall eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Insbesondere die Schaffung eines neuen Ausnahmetatbestandes in § 7 GBW74 durch das „Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun-

71

BVerfGE 98, 106 (119) = JZ 1999, 34 (35) m. Anm. R. Schmidt/L. Diederichsen; vgl. dazu auch Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, 1 ff. 72 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (445); Köhler, BB 1996, 2577 (2579) m. w. N. dort in Fn. 26. 73 Köhler, BB 1996, 2577 (2579). 74 Siehe unten III. 7.

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gen“ vom 26. 8. 199875 zeigt, dass die Entscheidung über Ausnahmen vom Kartellverbot in der Hand des Gesetzgebers bleiben sollte. 4. Regeln der Normenkonkurrenz Ein weiterer Ansatz zur Lösung von Konflikten zwischen Umweltrecht und Kartellrecht zieht die formalen Regeln der Normenkonkurrenz heran. So wurde in dem Kartellverfahren, das zur Untersagung des Entsorgungssystems für Transportverpackungen führte, von der Betroffenen argumentiert, dass die VerpackVauf der Grundlage einer gesetzlichen Norm ergangen sei und das GWB als (damals) älteres Gesetz hinter den Bestimmungen der VerpackV zurücktreten müsse.76 Diesem Lösungsvorschlag ist entgegenzuhalten, dass die formalen Konkurrenzregeln nur herangezogen werden können, wenn zwei Normen ein und denselben Gegenstand regeln, nicht jedoch, wenn es um den Konflikt zwischen Normen mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen geht, wie hier dem Umweltrecht und dem Kartellrecht.77 Ferner gilt der lex-posterior-Grundsatz nur zwischen gleichrangigen Normen. Die VerpackV kann somit das GWB nicht verdrängen. Den gesetzlichen Ermächtigungsnormen für die VerpackV im KrW-/AbfG wird auch schwerlich der gesetzgeberische Wille zu entnehmen sein, das Kartellverbot einzuschränken. Teilweise wird allerdings vertreten, dass die VerpackV auf einer europarechtlichen Vorgabe in Gestalt einer Richtlinie beruhe und deswegen auch nationalen Normen von Gesetzesrang vorgehen könne.78 Dem ist aber entgegenzuhalten, dass Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare innerstaatliche Rechtswirkung entfalten, sondern dazu erst der Transformation in nationales Recht bedürfen. Im Übrigen ist die Kartellrechtsnovelle mit dem neuen § 7 GWB jünger als die VerpackV. Vor allem aber würde der lex-posterior-Grundsatz aufgrund der zahlreichen Änderungen gerade im Bereich des Abfallrechts79 aber auch des Kartellrechts inhaltlich zu eher willkürlichen Ergebnissen bei der Lösung von Normenkonkurrenzen führen. Hinzuweisen ist im übrigen darauf, dass die Posterioritätsderogation nicht ohne weiteres die Spezialitätsderogation verdrängt. Es ist also möglich, dass die spätere allgemeine Norm die frühere spezielle Norm nicht verdrängt. 5. Duldungspraxis des BKartA Wie erwähnt, besteht nach wie vor eine aktuelle Praxis des BKartA, Konflikten zwischen Kartellrecht einerseits und z. B. Umweltschutz andererseits zu begegnen, 75

BGBl. I S. 2546. WuW/E-BKartA, 2561 (2566). 77 Köhler, BB 1996, 2577 (2579). 78 So wohl Köhler, BB 1996, 2577 (2578) dort in Fn. 17. 79 Allein das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) ist seit seinem vollständigen Inkrafttreten von 1997 bis heute siebenmal geändert worden. 76

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

darin, bestehende Kartelle unter Berufung auf das kartellbehördliche Einschreitermessen (arg. § 32 GWB80 und § 47 OWiG) zur Unterstützung politisch gewollter, umweltschützender Unternehmenskooperationen zu dulden.81 Eine solche Tolerierungspraxis ist für die im Wettbewerb Handelnden ein Notbehelf und im Ergebnis eher unbefriedigend, denn sie ändert nichts an der zivilrechtlichen Unwirksamkeit des betreffenden Kartells.82 Die Duldung führt nicht zur kartellrechtlichen Legalisierung. Auch gibt die bloße Duldung keinen Vertrauensschutz für die Zukunft; die Kartellbehörde bleibt grundsätzlich befugt, ihre Rechtsauffassung zu ändern und gegen bislang geduldete Wettbewerbsbeschränkungen einzuschreiten.83 Ferner wird gegen die Tolerierung vorgebracht, dass das BKartA keine politische Kompetenz auf dem Gebiet des Umweltschutzes und damit auch nicht zur Beurteilung der Frage habe, ob eine Umweltschutzmaßnahme im öffentlichen Interesse liege.84 Außerdem führe eine Tolerierungspolitik zur Aushebelung der gesetzlichen Legalisierungsvoraussetzungen.85 Schließlich wird sogar bezweifelt, ob einer derartigen Duldung eine rechtmäßige Ermessensausübung im Sinne von § 40 VwVfG zu Grunde liege.86 Die Duldungspraxis ist daher nach ganz überwiegender Meinung nicht geeignet, zu einer akzeptablen Lösung des Konflikts zwischen Wettbewerb und Umweltschutz beizutragen.87 Wie bereits geschildert88, will das BKartA seine bisherige Duldungspraxis gegenüber der DSD-AG aufgeben und auch die DSD-AG selbst sieht in der Duldung keine dauerhaft ausreichende Grundlage, weshalb sie eine Freistellung nach § 7 Abs. 1 GWB beantragt hat. 6. Ausnahmetatbestände der §§ 2 bis 6 GWB Ob bei Umweltschutzkartellen einer der Ausnahmetatbestände der §§ 2 bis 6 GWB erfüllt und das Kartell damit legalisierungsfähig ist, bedarf wegen der Vielzahl möglicher Fallgestaltungen für jeden Einzelfall einer gesonderten Prüfung, so dass hier nicht in allen Einzelheiten darauf eingegangen werden kann. Genannt werden soll nur der Fall der Altauto-Selbstverpflichtung, die als Konditionenkartell nach 80

Vor der 6. GWB-Novelle § 37a GWB. Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 52 f. 82 Faber, UPR 1997, 431 (438); Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 53; Zimmer (Fn. 27), § 1 Rn. 313; vgl. auch für das Umweltrecht im Allgemeinen: Kloepfer (Fn. 1), § 7 Rn. 13 m. w. N. und zur strafrechtlichen Seite: Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht, 2. Aufl., 2002, S. 34 ff. 83 Köhler, BB 1996, 2577 (2578); Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB Kommentar, 3. Aufl. 2001, § 32 Rn. 10. 84 Paschke (Fn. 58), S. 60; Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 53. 85 Paschke (Fn. 58), S. 60; Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 53. 86 Bock, WuW 1996, 187 (193). 87 Velte (Fn. 26), S. 173 m. w. N. dort in Fn. 330. 88 Siehe oben II. 3. b). 81

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§ 2 Abs. 1 GWB a. F.89 beim BKartA angemeldet worden war. Da das BKartA nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 3 Satz 1 GWB a. F.90 widersprochen hat, ist diese Selbstverpflichtungserklärung als Konditionenkartell wirksam geworden.91 In derselben Weise können auch umweltschutzmotivierte Vereinbarungen, in denen sich Unternehmen beispielsweise zur Einhaltung bestimmter Standards in der Produktion oder zur Begrenzung umweltschädlicher Stoffe in ihren Produkten verpflichten, als Normen- und Typenkartelle im Sinne des § 2 Abs. 1 GWB wirksam werden.92 7. Sonstige Kartelle nach § 7 Abs. 1 GWB a) Anlass für die Regelung Die beschriebenen unterschiedlichen Konstruktionen konnten in der Vergangenheit das Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerbszielen und außerökonomischen Interessen wie dem Umweltschutz nicht zufriedenstellend lösen. Auch aus diesem Grund entschied sich der Gesetzgeber 1998 in der sechsten Kartellrechtsnovelle zur Schaffung eines neuen § 7 GWB.93 Nach der Begründung der Bundesregierung zu ihrem Gesetzesentwurf sollte mit dieser Vorschrift den Kartellbehörden und den Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, auf die unterschiedlichen und sich schnell ändernden Entwicklungen der modernen Volkswirtschaften flexibel und angemessen zu reagieren.94 Außerdem soll der neue § 7 Abs. 1 GWB in bestimmten Fällen kartellbehördlicher Duldung eine gesetzliche Grundlage für Freistellungen vom Kartellverbot geben.95 Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine dem deutschen Kartellrecht bis dato unbekannte Generalklausel.96 § 7 Abs. 1 GWB stellt lenkendes Kartellrecht dar, d. h. das Kartellrecht, das für andere politische Zwecke als der Wettbewerbssicherung instrumentalisiert wird. b) Harmonisierung des Kartellrechts Die generalklauselartige Formulierung des § 7 Abs. 1 GWB ist vom Wortlaut her eng an Art. 81 Abs. 3 EG97 angelehnt und dient auch der begrenzten Harmonisierung 89

gelt. 90

Seit der 6. GWB-Novelle ist der Fall des Konditionenkartells in § 2 Abs. 2 GWB gere-

Seit der 6. GWB-Novelle ist die Dreimonatsfrist in § 9 Abs. 3 Satz 1 GWB geregelt. Faber, UPR 1997, 431 (437). 92 Markert/Strauch, in: Freitag u. a. (Fn. 10), S. 81 f. 93 Noch aus der Entstehung des neuen § 7 GWB argumentieren Brinker/Horak (Fn. 1), § 81 Rn. 54 ff. 94 BT-Drs. 13/9720, S. 33. 95 BT-Drs. 13/9720, S. 33. 96 Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl., 2001, § 10 4. a), S. 84. 97 Art. 85 Abs. 3 EG-Vertrag a. F. 91

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des deutschen mit dem europäischen Kartellrecht.98 Im Gegensatz zum deutschen Kartellrecht mit seinem kasuistischen, d. h. auf gesetzlich spezifizierte Ausnahmen gegründeten Ansatz folgt das europäische Kartellrecht seit jeher einem Generalklauselprinzip:99 Art. 81 Abs. 1 EG enthält wie § 1 GWB ein umfassendes Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen, aber nur eine einzige Ausnahmevorschrift in Art. 81 Abs. 3 EG. Während die Kasuistik des deutschen Systems für die von ihr erfassten Sachverhalte den Vorteil der Rechtssicherheit und des an der Schwere der jeweiligen Wettbewerbsbeschränkung orientierten Zulassungsverfahrens hat, ist mit einer generellen Freistellungsklausel leichter auf die unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen in einer komplexen Volkswirtschaft zu reagieren.100 Mit der sechsten Novellierung des GWB und insbesondere mit Schaffung des neuen § 7 GWB sollte nach der Begründung der Bundesregierung ein Kombinationsmodell zwischen deutschem Enumerations- und europäischem Generalklauselprinzip geschaffen werden.101 Um das Enumerationsprinzip des deutschen Kartellrechts nicht völlig aufzulösen, wird in der Regierungsbegründung aber ausdrücklich klargestellt, dass mit § 7 Abs. 1 GWB keine industriepolitische oder gemeinwohlorientierte Öffnungsklausel beabsichtigt ist, sondern die Berücksichtigung solcher Aspekte auch weiterhin nur im Rahmen des § 8 GWB erfolgen soll.102 Aus diesem Grund wurde der Freistellungsgrund der „Förderung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“ bewusst aus Art. 81 Abs. 3 EG nicht übernommen, dafür aber in Ergänzung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung auch die Verbesserung der Beschaffung, der Rücknahme und der Entsorgung von Waren oder Dienstleistungen hinzugefügt. Ausweislich der Regierungsbegründung sollen mit der Aufnahme der Tatbestandsmerkmale der „Rücknahme und Entsorgung“ solche Vereinbarungen in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 GWB aufgenommen werden, die der Erfüllung von Pflichten nach dem KrW-/AbfG oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung dienen.103 Ob die Vorschrift diesem erklärten Ziel gerecht wird, soll im Folgenden am Beispiel des Dualen Systems überprüft werden. c) Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 GWB Wichtig für den hier erörterten Problembereich ist vor allem das zweite Tatbestandsmerkmal des § 7 Abs. 1 GWB in Gestalt der Verbesserung der Rücknahme oder Entsorgung. Wesentlicher Maßstab hierfür ist die Erfüllung der Pflichten

98

BT-Drs. 13/9720, S. 30. Paschke (Fn. 58), S. 47. 100 BT-Drs. 13/9720, S. 31. 101 BT-Drs. 13/9720, S. 31. 102 BT-Drs. 13/9720, S. 33. 103 BT-Drs. 13/9720, S. 33. 99

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nach dem KrW-/AbfG und der entsprechenden Verordnungen.104 Eine Verbesserung ist durch Vergleich der Situation mit der fraglichen Unternehmenskooperation und der Situation ohne diese anhand von Faktoren wie dem Preis der Entsorgung, der Qualität der Entsorgung, dem Erfassungsgrad und der Praktikabilität zu bestimmen, wobei z. B. auch die Bequemlichkeit für den Verbraucher berücksichtigt werden kann.105 Es wird deutlich, dass die Beurteilung kollektiver Rücknahmesysteme mit erheblichen Bewertungsproblemen verbunden ist, die nicht allein einer juristischen, sondern vor allem auch einer wirtschaftlichen und naturwissenschaftlichtechnischen Untersuchung bedarf. Das Erfordernis einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn ist wörtlich dem Art. 81 Abs. 3 EG entnommen. Unter Gewinn sind dabei nicht lediglich finanzielle Vorteile zu verstehen, sondern alle wirtschaftlichen Vorteile und Nutzen.106 Somit stellt sich die Frage, ob eine ausreichende Beteiligung vorliegt, wenn der Vorteil der Unternehmenskooperation lediglich der Allgemeinheit – z. B. in Gestalt eines verbesserten Umweltschutzes – und nicht dem einzelnen Verbraucher zugute kommt. Für die europäische Rechtslage wird dies bejaht.107 Da aber § 7 Abs. 1 GWB gerade keine allgemeine gemeinwohlorientierte Öffnungsklausel sein soll, lässt sich diese Auffassung zum europäischen Kartellrecht nicht unmittelbar auf § 7 Abs. 1 GWB übertragen. Für die Berücksichtigung außerökonomischer Belange steht im deutschen Kartellrecht weiterhin § 8 GWB zur Verfügung.108 Im Endeffekt stark eingeschränkt wird der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 GWB durch die Voraussetzung, dass die Verbesserung von den beteiligten Unternehmen nicht auf andere Weise erreicht werden kann. Obwohl diese Formulierung im Wortlaut von dem Tatbestandsmerkmal der Unerlässlichkeit des Art. 81 Abs. 3 EG abweicht, werden beide Bestimmungen gleich ausgelegt.109 Unerlässlich ist die Wettbewerbsbeschränkung nur dann, wenn es keine den Wettbewerb weniger beschränkende, gleich wirksame Lösung wie das betreffende Kartell gibt.110 Beim Nachweis der Unerlässlichkeit treten erneut erhebliche praktische Probleme auf. Gegen die Unerlässlichkeit der Monopolstellung der DSD-AG wird vorgebracht, dass kleinere Lösungen pro Bundesland oder Selbstentsorgersysteme denkbar sind.111 Praktische Belege hierfür gibt es bisher jedoch kaum oder gar nicht. 104

Schumacher, WuW 2002, 121 (127). Schumacher, WuW 2002, 121 (127). 106 Bechthold, GWB, 2. Aufl., 1999, § 7 Rn. 8; Schumacher, WuW 2002, 121 (127); Steinbeck, WuW 1998, 554 (563) m. w. N. dort in Fn. 58. 107 Steinbeck, WuW 1998, 554 (564 f.); Sauter, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.): EGWettbewerbsrecht Kommentar, Bd. 1, 1997, S. 351 f. (Rn. 19). 108 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (445). 109 Emmerich (Fn. 96), § 10 4. b cc, S. 86; Bechthold (Fn. 106), § 7 Rn. 9. 110 Emmerich (Fn. 96), § 10 4. b cc, S. 86. 111 Schumacher, WuW 2002, 121 (129). 105

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Schließlich darf nach § 7 Abs. 1 GWB die Wettbewerbsbeschränkung nicht zur Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führen. Wann eine marktbeherrschende Stellung anzunehmen ist, definiert § 19 Abs. 2 und 3 GWB. Die Zulassung sonstiger Kartelle scheitert danach bereits aufgrund hoher Marktanteile.112 Die Anforderungen für eine Legalisierung nach § 7 Abs. 1 GWB sind damit strenger als nach § 81 Abs. 3 EG, welcher lediglich verlangt, dass der Wettbewerb nicht für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren ausgeschaltet werden darf. § 7 Abs. 1 GWB stellt damit eine für die Legalisierung insbesondere des Verhaltens der DSD-AG derzeit praktisch fast unüberwindliche Hürde auf. Wegen der Entstehung bzw. Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung muss letztlich auch die Freistellung der DSD-AG an diesem Merkmal scheitern.113 Ob durch eine kooperationsfördernde Interpretation der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 GWB dessen praktische Anwendbarkeit erhöht werden könnte, erscheint zweifelhaft. Soweit aber Interpretationsmöglichkeiten offen bleiben, ist es jedenfalls denkbar, dabei einen schonenden interpretativen Ausgleich zwischen Kartell- und Abfallrecht zu suchen. 8. Ministererlaubnis nach § 8 GWB Bis zur Änderung des GWB durch die sechste Kartellrechtsnovelle 1998 verblieb bei Ablehnung der geschilderten Lösungswege und bei Nichtvorliegen der in den §§ 2 bis 7 (a. F.) GWB geregelten Ausnahmen vom Kartellverbot als letzte Möglichkeit für eine Legalisierung umweltschützender, aber wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen regelmäßig nur die Erlaubnis durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie nach § 8 GWB. Voraussetzung für eine Kartelllegalisierung ist danach, dass die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist. In der Vergangenheit wurde ein Meinungsstreit darüber geführt, ob diese beiden Merkmale kumulativ vorliegen müssen oder ob es genügt, wenn sie alternativ gegeben sind. Nur die zweite Lesart ermöglicht es, Kartelle aus rein außerökonomischen Gründen zuzulassen.114 Trotzdem ist es wegen des eindeutigen Wortlautes des § 8 Abs. 1 GWB und des systematischen Vergleichs zu § 42 Abs. 1 Satz 1 GWB nicht möglich, ganz von den Erfordernissen der Gesamtwirtschaft abzusehen.115 Die Berücksichtigung der Gesamtwirtschaft ist dabei allerdings nicht so zu verstehen, dass neben Gründen des Gemeinwohls zugleich Gründe der Gesamtwirtschaft die Sonderkartelle unbedingt erforderlich machen müssten.116 Der Minister hat lediglich die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft mitzubedenken, insbesondere wenn nichtwirtschaftliche und 112

Bunte, WM 1998, 2305 (2308); Bechthold, BB 1997, 1853 (1854). Schumacher, WuW 2002, 121 (130). 114 Faber, UPR 1997, 431 (437). 115 Kloepfer, JZ 1980, 781 (789). 116 Kloepfer, JZ 1980, 781 (789); Paschke (Fn. 58), S. 58. 113

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wirtschaftliche Belange konfligieren.117 Entscheidend ist das Gesamtsaldo, das sich beim Vergleich beider Merkmale auf der einen Seite mit dem Schutzgut Wettbewerb auf der anderen Seite ergibt: Die Summe von gesamtwirtschaftlichen und außerökonomischen Vorteilen muss die Nachteile für die Freiheit des Wettbewerbs überwiegen.118 Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sich eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zugunsten des Allgemeinwohls gesamtwirtschaftlich überhaupt nicht oder sogar negativ auswirkt.119 Insgesamt könnte § 8 GWB – trotz oder besser: wegen der Enge des neuen § 7 Abs. 1 GWB – weiterhin ein brauchbares Instrument zur Mitberücksichtigung des Umweltschutzes bei der Anwendung des Kartellrechts darstellen.120 Dies ist bislang allerdings eine eher theoretische Einsicht geblieben, da es in den vergangenen 25 Jahren zu keiner entsprechenden Ministererlaubnis nach § 8 GWB für Zwecke des Umweltschutzes gekommen ist. Diese Praxis ließe sich freilich verändern. Letztlich ist die Ministererlaubnis politisch genügend hoch angesiedelt, um eine politische Vorrangentscheidung des Bundeswirtschaftsministers bei der Kollision zwischen Umweltschutz und Wettbewerb zu ermöglichen. Allerdings wäre de lege ferenda eine Beteiligung des Bundesumweltministers sinnvoll.121 Nach geltender Fassung des § 8 GWB ist dies nicht möglich. Immerhin kann der Bundesumweltminister durch informelle Einflussnahme oder durch Befassung im Bundeskabinett versuchen, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen. 9. Entsprechende Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EG a) These Eine weitere Möglichkeit, die in der Literatur zur Lösung des Konflikts zwischen Wettbewerb und Gemeinwohlzielen vereinzelt angesprochen wird, bietet schließlich die Vorschrift des Art. 86 Abs. 2 EG. Ihr Grundgedanke soll nach dieser Meinung zwecks Angleichung beider Rechtssysteme auch im deutschen Kartellrecht Anwendung finden.122 Damit kann rechtlich nur eine entsprechende Anwendung gemeint sein, denn das europäische Kartellrecht ist nur von den Gemeinschaftsbehörden und nur in dem Fall anwendbar, dass ein kartellverbotserheblicher Sachverhalt Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel hat.123 Eine europarechtliche Ergän117

Kloepfer, JZ 1980, 781 (789); Paschke (Fn. 58), S. 58. Velte (Fn. 26), S. 224. 119 Velte (Fn. 26), S. 224; Kloepfer (Fn. 1), § 6 Rn. 247. 120 Kloepfer, JZ 1980, 781 (789); Paschke (Fn. 58), S. 59. 121 In diesem Sinne auch § 139 Abs. 4 UGB-KomE (Fn. 135). 122 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (445, 447); Emmerich (Fn. 83), § 130 Abs. 1 Rn. 28; Jungbluth, in: Langen/Bunte, Kommentar zum Deutschen und Europäischen Kartellrecht, 8. Aufl., 1998, § 98 Rn. 30. 123 Paschke (Fn. 58), S. 48. 118

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zung des nationalen Rechts hat keine Grundlage. Auch die Voraussetzungen einer Analogie dürften nicht gegeben sein. b) Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG Ungeachtet dieser allgemeinen Bedenken ergibt sich hinsichtlich der einzelnen Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG folgendes: Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sind nach Art. 86 Abs. 2 EG von der Anwendung des Kartellrechts ausgenommen, wenn die Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind und die Anwendung der Wettbewerbsregeln „die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert“. Erste Tatbestandsvoraussetzung ist dabei, dass die vom Kartellverbot freizustellenden Unternehmen eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erfüllen. Art. 86 Abs. 2 EG dient dem Zweck, bestimmte Unternehmen zur Erreichung staatlicher Aufgaben und Ziele einzusetzen.124 Trifft dies auf die DSD-AG zu? Der Wahrnehmung im allgemeinen Interesse könnte entgegenstehen, dass die in der DSD-AG zusammengeschlossenen Unternehmen mit dem Einsammeln und Wiederverwerten von Verkaufsverpackungen in erster Linie eine eigene aus ihrer Produktverantwortung nach § 22 KrW-/AbfG resultierende Pflicht erfüllen. Allerdings ist die DSD-AG nach ihrem Selbstverständnis ein sog. Non-Profit-Unternehmen,125 weil sie nach ihrem Gesellschaftszweck nicht zur Gewinnerzielung in einem reinen privatwirtschaftlichen Eigeninteresse tätig wird.126 Vielmehr verfolgt sie mit ihrer Dienstleistung in erster Linie das Ziel, dem Zweck des § 1 S. 1 VerpackV, „die Auswirkungen von Abfällen aus Verpackungen auf die Umwelt zu vermeiden oder zu verringern“, und damit der Förderung der Kreislaufwirtschaft und der Schonung der natürlichen Ressourcen (§ 1 KrW-/AbfG) zu dienen. Aus diesem Grund wird die DSD-AG von Stimmen im Schrifttum als eine gemeinwohlorientierte Institution angesehen, die zumindest auch im Interesse der Allgemeinheit der Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung dient und damit Aufgaben von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse wahrnimmt.127 Weiterhin ist erforderlich, dass die Entsorgungsunternehmen mit dieser Dienstleistung im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EG „betraut“ wurden. Für eine Betrauung wird nach der wohl h. M. ein individueller Hoheitsakt, ein Gesetz oder ein für sofort 124

v. Burchard, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 86 Rn. 63. So die Eigendarstellung im Internet unter http://www.gruener-punkt.de/de/frames. php3?choicel=ds (Stand: 6. 8. 2002). 126 Die DSD-AG ist nicht an der Börse notiert. Nach eigener Auskunft darf sie keine Gewinne an Aktionäre ausschütten, sondern erstattet erzielte Gewinne ihren rd. 20.000 Lizenznehmern zurück. Auf diese Weise wurden die Lizenzentgelte 2002 im Vergleich zu 1998 um 860 Mio. DM bzw. rd. 440 Mio. E gesenkt. 127 Velte (Fn. 26), S. 391 f. 125

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vollziehbar erklärter öffentlicher Vertrag verlangt.128 Als Beispiel für die Betrauung deutscher Entsorgungsunternehmen wird die aus § 15 KrW-/AbfG resultierende Entsorgungspflicht öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger sowie die Beauftragung Dritter mit der Erfüllung der Entsorgungspflicht seitens der kommunalen Gebietskörperschaften genannt.129 Mit der Betrauung durch Hoheitsakt wird die jederzeitige Erzwingbarkeit der Aufgabenerfüllung gewährleistet.130 Fraglich ist allerdings, ob die nach § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV zur Rücknahme verpflichteten Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen bzw. die zur Erfüllung dieser Pflicht gegründete DSD-AG ebenso wie die nach § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften als „betraute“ Unternehmen im Sinne von Art. 86 Abs. 2 EG angesehen werden können. Dagegen könnte sprechen, dass die DSD-AG eine von der Privatwirtschaft gegründete Gesellschaft ist, die außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung die Sammlung und Verwertung gebrauchter Verkaufsverpackungen gewährleistet, weswegen sie die Bezeichnung „duales System“ trägt. Ihr Entsorgungsauftrag ist ihr nicht von der öffentlichen Hand, sondern von den an ihr beteiligten privaten Unternehmen erteilt. Zu ihrer Aufgabenerfüllung stehen ihr ferner keine hoheitlichen Befugnisse zur Verfügung, wie dies bei den Beliehenen der Fall ist.131 Allerdings muss ein duales Entsorgungssystem gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV flächendeckend tätig werden und kann sich nicht lukrative Entsorgungsgebiete wie z. B. städtische Ballungsräume aussuchen. Ein solches System nimmt damit einen Infrastrukturauftrag wahr und rückt in die Nähe der staatlichen Daseinsvorsorge.132 Für den Übergang der Entsorgungspflicht auf ein System nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV bedarf es ferner der hoheitlichen Anerkennung nach § 6 Abs. 3 S. 11 VerpackV. Kommt die Gesellschaft ihrer Entsorgungsverantwortung nicht mehr nach, so kann dies durch Widerruf der Anerkennung nach § 6 Abs. 4 VerpackV sanktioniert werden. Damit steht die DSD-AG in einem besonderen Nähe- und Abhängigkeitsverhältnis zur öffentlichen Hand, so dass sie im Prinzip als betrautes Unternehmen im Sinne des Art. 86 Abs. 2 S. 1 EG angesehen werden kann.133 c) Zwischenergebnis Insgesamt jedoch sind die Grundsätze des Art. 86 Abs. 2 EG nur in sehr begrenztem Umfang zur Lösung des Konflikts zwischen Wettbewerb und Umweltrecht im allgemeinen geeignet. Der Lösungsansatz über die entsprechende Anwendung der 128 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (445 f.); Jungbluth (Fn. 122), § 90 Rn. 40; Emmerich (Fn. 83), § 130 Abs. 1 Rn. 28. 129 Bender/Rinne, WuW 1998, 439 (446); Velte (Fn. 26), S. 397. 130 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 107), Bd. 2, S. 1585 (Rn. 32). 131 Velte (Fn. 26), S. 400. 132 Velte (Fn. 26), S. 391 f. 133 Paul Kirchhof, Gutachterliche Stellungnahme zu „Der verfassungsrechtliche Status der Duales System Deutschland AG als privatwirtschaftlicher Entsorgungsgarant“, MS, 2001, S. 132; Velte (Fn. 26), S. 401.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Grundsätze des Art. 86 Abs. 2 EG ähnelt ferner dem der Immanenztheorie und muss sich dementsprechend auch die oben dagegen vorgebrachten Bedenken entgegenhalten lassen. Im Übrigen dürften – wie erwähnt – auch nicht die allgemeinen Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung vorliegen, die eine so weitreichende Ergänzung des Textes des GWB rechtfertigen könnte.

IV. Ergebnis und Ausblick 1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf Dem vom Bundesgesetzgeber mit § 7 Abs. 1 GWB angestrebten Ziel, für die Fälle der kartellbehördlichen Duldung und insbesondere für Vereinbarungen, die der Erfüllung von Pflichten nach dem KrW-/AbfG oder aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen dienen, eine kartellrechtliche Legalisierungsmöglichkeit zu schaffen, vermag § 7 Abs. 1 GWB angesichts der realen Verhältnisse im Bereich der Entsorgung von Verpackungen regelmäßig kaum gerecht zu werden. Alle allgemeinen Ansätze zur rechtlichen Lösung von Konfliktfällen zwischen Umweltschutz und Kartellverbot sind aufgrund ihrer aufgezeigten Mängel abzulehnen. Sie setzen sich insgesamt dem Einwand aus, die einschränkenden Voraussetzungen des speziellen § 7 Abs. 1 GWB zu umgehen. Dieser Spezialitätseinwand gilt aber kraft Wortlautes ausdrücklich nicht für § 8 GWB. So bleibt auf der Grundlage des geltenden Rechts nach wie vor im Wesentlichen nur die Ministererlaubnis nach § 8 GWB, um Freistellungen aufgrund außerökonomischer Zielsetzungen zu ermöglichen, wenn § 7 Abs. 1 GWB nicht greift.134 Dies erscheint allerdings nicht nur aufgrund der erwähnten Zurückhaltung in der praktischen Anwendung durch das zuständige Ministerium unbefriedigend, zumal der Bundesumweltminister nach geltendem Recht kein Mitwirkungsrecht bei der Ministererlaubnis hat. Das Konfliktfeld von Umwelt- und Wettbewerbsrecht kann letztlich nur vom Gesetzgeber befriedigend gelöst werden. Da kurzfristig keine einheitliche Kodifikation des Umweltrechts des Bundes zu erwarten ist, sollte eine Vorschrift nach dem Vorbild des § 39 UGB-KomE135 in das GWB aufgenommen werden.136 Dabei sollten – wie

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Schumacher, WuW 2002, 121 (131). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998, S. 122: „§ 39 Private Umweltschutzverträge, Umweltschutzkartelle (1) Verträge zwischen Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen sowie Beschlüsse von Vereinigungen von Unternehmen, die der Erfüllung von Anforderungen einer auf Grund dieses Gesetzbuches erlassenen Rechtsverordnung, einer Zielfestlegung nach § 34 oder eines normersetzenden Vertrages nach § 36 dienen, sind der für die Festlegung oder die Vereinbarung der Anforderungen zuständigen Behörde und der Kartellbehörde anzuzeigen. (2) Auf Verträge und Beschlüsse nach Absatz 1 ist § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht anwendbar, wenn 135

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bereits beim jetzigen § 7 GWB geschehen – die zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG mit eingearbeitet werden, um das deutsche Kartellrecht weiter mit dem europäischen zu harmonisieren. Fraglich bleibt dabei, ob diese neue Vorschrift rechtstechnisch als direkter Ersatz bzw. als Änderung des § 7 Abs. 1 GWB ausgestaltet werden sollte, da in diesem Fall die Freistellung nach § 10 Abs. 4 GWB auf fünf Jahre zu befristen wäre. Da die Amortisationszeiträume getätigter Investitionen u. U. länger sein können, wird die Befristung teilweise als hinderlich empfunden.137 Außerdem wird kritisiert, dass die Befristung die angestrebte Harmonisierung mit dem EG-Recht konterkariere, da Art. 83 Abs. 3 EG zeitlich unbefristete Legalisierungen ermögliche.138 Auf der einen Seite mag es so scheinen, dass die Befristung den Effekt einer zugunsten des Umweltschutzes ergangenen Freistellungsentscheidung begrenzt. Andererseits bietet die Befristung aber auch die Möglichkeit, die Freistellungsentscheidung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und gegebenenfalls mit neuen Auflagen und Bedingungen an veränderte Umstände anzupassen – und dies nicht nur im Interesse der Wettbewerbsfreiheit, sondern auch zugunsten der Belange des Umweltschutzes. Die Kartellbehörde kann – und sollte – sich angesichts der nach Fristablauf erforderlichen Verlängerungsentscheidung zu einer milderen Zulassungspraxis von Umweltschutzkartellen zwecks Rentabilitätssicherung gerade in der Startphase der Verlagerung von Gemeinwohlaufgaben in den Privatsektor ermutigt fühlen. Denn durch die 1. die Verträge oder Beschlüsse der Erfüllung von Anforderungen einer auf Grund dieses Gesetzbuches erlassenen Rechtsverordnung, einer Zielfestlegung nach § 34 oder eines normersetzenden Vertrages nach § 36 dienen, 2. die Beschränkung des Wettbewerbs aus Gründen des Umweltschutzes erforderlich ist und 3. ein wesentlicher Wettbewerb auf dem Markt bestehen bleibt. (3) 1Verträge und Beschlüsse im Sinne von Absatz 2 sowie ihre Änderungen und Ergänzungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Anmeldung bei der Kartellbehörde. 2Bei der Anmeldung ist nachzuweisen, daß die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen und daß die Wettbewerber, Lieferanten und Abnehmer, die durch Verträge oder Beschlüsse betroffen werden, in angemessener Weise gehört worden sind. 3Ihre Stellungnahmen sind der Anmeldung beizufügen. 4Die Anmeldung ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen. 5Die Verträge und Beschlüsse werden nur wirksam, wenn die Kartellbehörde innerhalb einer Frist von drei Monaten seit Eingang der Anmeldung nicht widerspricht. 6Die Kartellbehörde hat zu widersprechen, wenn nicht nachgewiesen wird, daß die in Absatz 2 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. 7Die Entscheidung der Kartellbehörde ergeht im Benehmen mit der für den Umweltschutz zuständigen Behörde. (4) 1Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht vor, so kann das für die Wirtschaft zuständige Bundesministerium im Benehmen mit dem für den Umweltschutz zuständigen Bundesministerium auf Antrag die Erlaubnis zu einem Vertrag oder Beschluß im Sinne des § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erteilen, wenn ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen des Umweltschutzes unter Berücksichtigung der Gesamtswirtschaft notwendig ist. 2Dem Antrag ist eine Stellungnahme der betroffenen Wettbewerber, Lieferanten und Abnehmer beizufügen.“ 136 So auch Schumacher, WuW 2002, 121 (131). 137 Schumacher, WuW 2002, 121 (131). 138 Bechthold (Fn. 106), § 7 Rn. 2.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Verlängerungsentscheidung ist die erneute Berücksichtigung der Belange des Wettbewerbs gegenüber denen des Umweltschutzes garantiert. Insgesamt fördert die Befristung das mit der sechsten Kartellrechtsnovelle explizit angestrebte Ziel, den Behörden mehr Flexibilität einzuräumen. Aus diesen Gründen sollte bei einer Novellierung des § 7 Abs. 1 GWB – wie bei § 39 UGB-KomE – an der Befristung der Freistellungsentscheidung festgehalten werden. Auch wenn § 7 Abs. 1 GWB bislang wenig praktischen Nutzen gebracht hat, so kann sein grundsätzlicher Wert darin gesehen werden, als normativer Einstieg auf dem Weg zu einer umweltschutzorientierten Öffnungsklausel zu wirken. 2. Wettbewerb um mehr Umweltschutz Ziel der zukünftigen Umweltpolitik sollte es – wie erwähnt – verstärkt sein, den teilweise noch immer anzutreffenden faktischen Wettbewerb um weniger Umweltschutz vor allem durch eine Internalisierung sozialer Zusatzkosten zu verhindern. Mehr noch: Es sollte versucht werden, einen Wettbewerb um mehr Umweltschutz zu organisieren. Instrumente hierfür könnten Umweltabgaben oder aber auch die Öko-Werbung sein. Das hervorragende Marktinstrument Wettbewerb sollte – dort, wo es möglich ist – auch zur Verbesserung des Umweltschutzes genutzt werden. Letztlich geht es nicht nur um den schonenden Ausgleich zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, sondern um den Versuch ihrer wechselseitigen Optimierung.

Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes* ** Das Vergaberecht wird durch seine ökologische Öffnung zu einem Beispiel dafür, dass zeitgemäßer staatlicher Umweltschutz gerade auch auf das Zusammenspiel mit dem öffentlichen Wirtschaften baut und künftig noch stärker bauen sollte. Öffentliches Wirtschaftsrecht und Umweltschutzrecht haben wichtige Schnittbereiche. Rüdiger Breuer hat oft an den Grenzen von öffentlichem Wirtschaftsrecht und Umweltschutzrecht gearbeitet, etwa im Kreislaufwirtschaftsrecht1 und im umweltschutzrelevanten Wettbewerbsrecht2. Insbesondere aber hat er v. a. mit seinem Standardwerk zum öffentlichen und privaten Wasserrecht3 früh und eindrucksvoll gezeigt, dass Umweltschutz als Querschnittsaufgabe in weiten Teilen nur rechtsgebietsübergreifend denkbar ist.

I. Problemstellung Die öffentliche Verwaltung ist zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen angewiesen. Aus der finanziellen Ausstattung der Größe der öffentlichen Hand resultiert eine starke Macht des Staates als Nachfrager von Produkten und Diensten auf dem Markt.4 Diese Machtposition kann gezielt auch

* Erstveröffentlichung in: EurUP 2015, S. 214 – 220. ** Der Verfasser dankt seinem Assistenten, Rico David Neugärtner, sehr für die wertvolle Mitarbeit. 1 Vgl. etwa Breuer, Private Kreislaufwirtschaft und öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger, in: ders., Staat, Selbstverwaltung und Private in der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Das Recht der Wasser- und Entsorgungswirtschaft, Band 24, 1997, S. 3 ff.; ders./Faßbender, Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv 1 995, S. 1 ff. („Kommunale Abfallgebühren und Sortierreste des Dualen Systems der Abfallentsorgung“). 2 Vgl. etwa Breuer, NVwZ 2009, 1249 ff. („Wasserpreise und Kartellrecht“). 3 Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 1. Aufl. 1976; 2. Aufl. 1987; 3. Aufl. 2004; 4. Aufl. i. V. 4 Nach Ramsauer, in: Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 3, Rn. 145, geben die öffentlichen Haushalte jährlich etwa 250 Milliarden E für die Vergabe öffentlicher Bau- und Dienstleistungsaufträge und für den Kauf von Sachmitteln aus. Nach Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2, Rn. 206, beträgt das Auftragsvolumen des öffentlichen Beschaffungswesens 10 – 15 % des gesamten erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts; so auch (11 %) für die gesamte EU: Europäische Kommission, Grünbuch. Das öffentliche Auftragswesen in der EU, 1996, S. 1.

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zur Förderung des Umweltschutzes eingesetzt werden.5 Man denke etwa an die forcierte Nachfrage energieeffizienter Geräte und die Beauftragung von Bauunternehmen zur Errichtung von Gebäuden mit ökologisch inspirierter Bauweise wie z. B. begrünte Dächer. Durch die Erhöhung der Nachfrage nach umweltfreundlich konzipierten oder produzierten Gütern und umweltfreundlich ausgestalteten Dienstleistungsvorgängen wird die Produktion solcher Güter und die Erbringung solcher Dienstleistungen gegenüber umweltbelastenden Alternativgütern und -dienstleistungen gefördert. Auch kann der Staat durch ein umweltschutzdienliches Beschaffungswesen seine umweltschutzbezogene Vorbildfunktion ausfüllen, etwa bei der Anschaffung von verbrauchsarmen Dienstfahrzeugen. Die Instrumentalisierung staatlicher Nachfragemacht6 bietet nicht nur Chancen, sondern auch Konfliktpotenzial. So kann etwa die Berücksichtigung ökologischer Ziele bei der Beschaffung zu einer Verengung des Kreises potenzieller Bieter und zu einer Verteuerung der Angebote führen, was den primären Zielen des Vergaberechts – einer wirtschaftlichen, offenen und transparenten Vergabe – zuwiderliefe.7 Insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs8 hat zur Jahrtausendwende das vergaberechtliche Wirtschaftlichkeitskriterium für die begrenzte Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten geöffnet. Die umweltschutzorientierte Nutzung staatlicher Nachfragemacht kann infolge dieser Rechtsprechung sowie der hierdurch beeinflussten Rechtsetzung als eigenständiges Instrument des Umweltrechts betrachtet werden. Daneben bestehen Bezüge zu anderen Instrumenten des Umweltrechts. So werden beim betriebsorganisatorischen Instrument UmweltAudit vergaberechtliche Privilegierungen von EMAS-zertifizierten Organisationen relevant.9 Die Privilegierung der zertifizierten Organisationen im Vergabewesen soll die Attraktivität des EMAS-Systems v. a. unter den Unternehmen erhöhen. Im Hinblick auf die nunmehr rechtlich partiell ermöglichte Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten bei der Vergabe gilt es, das Verhältnis von staatlicher Nachfragemacht und Umweltschutz genauer zu beleuchten. Im Folgenden sind hierzu zu5 Allgemein zur Eignung des Vergaberechts als „Instrument der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung“ P. M. Huber, in: Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 3. Kapitel, Rn. 285; Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 9, Rn. 62. 6 Vgl. zur Terminologie „Nutzung staatlicher Nachfragemacht“ Eifert, in: Schoch (Fn. 5), 5. Kapitel, Rn. 142. 7 Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 62. 8 EuGH, Urteil vom 17. 9. 2002 – Rs. C-51 3/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002 I07213, Rn. 69; EuGH, Urteil vom 4. 12. 2003 – Rs. C-448/01 (Wienstrom), Slg. 2003 I-14527, Rn. 33. 9 So gibt es beispielsweise nach Art. 62 Abs. 2 der EU-Vergaberichtlinie RL 2014/24/EU und – in deren Umsetzung – nach § 6 EG Abs. 9 Nr. 1 S. 3 lit. a VOB/A die Möglichkeit, bei Bau- und Dienstleistungsaufträgen die Teilnahme an EMAS als Nachweis für die technische Leistungsfähigkeit von Auftragnehmern heranzuziehen; zu den vergaberechtlichen Privilegierungen bei EMAS zusammenfassend Kenzler, Das umweltrechtliche und vergaberechtliche Privilegierungspotential des gemeinschaftsrechtlichen Umwelt-Audit-Systems (EMAS), 2009, S. 218 f.

Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes

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nächst die Rechtsgrundlagen und Schwellenwerte zu betrachten (II.), bevor die verschiedenen Ansatzpunkte der Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten im Vergaberecht (III.) und schließlich die Pflichten zur ökologischen Beschaffung dargestellt werden sollen (IV.).

II. Rechtsgrundlagen und Schwellenwerte Rechtliche Grundlage für die Vergabe staatlicher Aufträge bildet das Vergaberecht. Hierunter wird die Gesamtheit der Regeln und Vorschriften verstanden, die der öffentlichen Hand eine bestimmte Vorgehensweise bei der Inanspruchnahme von Leistungen oder beim Kauf von Gütern am Markt durch einen gegenseitigen entgeltlichen Vertrag vorschreiben.10 Das Vergaberecht setzt sich mangels Kodifizierung aus zwei verschiedenen Regelungsregimen11 zusammen: Im oberschwelligen Vergaberecht, d. h. oberhalb bestimmter Schwellenwerte, gilt das Wettbewerbsrecht der §§ 97 ff. GWB12 (konkretisiert durch die Vergabeverordnung [VgV13] und die Vergabe- und Verdingungsordnungen VOB/A14, VOF15 und VOL/A16), im unterschwelligen Vergaberecht, d. h. unterhalb der Schwellenwerte, gilt das öffentliche Haushaltsrecht von Staat und Kommunen (z. B. § 55 Bundeshaushaltsordnung [BHO]17 bzw. die jeweilige Landeshaushaltsordnung; Regelungen der Verdingungsordnungen VOB/A und VOL/A gelten hier über Inbezugnahmen in landesrechtlichen Regelungen). Die einschlägigen Regelungsregime unterscheiden sich dabei nach dem Schwerpunkt ihrer Zwecksetzung: Während bei haushaltsrechtlichen Vorgaben die Schonung der öffentlichen

10 Marx, in: Jestaedt/Kemper/ders./Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 1999, Rn. 1.1; Koenig/Haratsch, NJW 2003, 2637; Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 1. 11 Ramsauer, in: Koch (Fn. 4), § 3, Rn. 145, spricht von zivilem (GWB) und öffentlichem (Haushaltsrecht) Vergaberecht. 12 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i. d. F. d. Bekanntmachung vom 26. 6. 2013, BGBl. I S. 1750, ber. S. 3245. 13 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) i. d. F. d. Bekanntmachung vom 11. 2. 2003, BGBl. I S. 169, zuletzt geändert durch V. vom 15. 10. 2013, BGBl. I S. 3584. 14 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) Teil A – Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Ausgabe 2012 – vom 31. 7. 2009, BAnz. Nr. 155 S. 3349, ber. 2010 Nr. 36 S. 940, zuletzt geändert am 26. 6. 2012, BAnz AT 13. 7. 2012 B3. 15 Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen (VOF) vom 18. 11. 2009, BAnz. Nr. 185a. 16 Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) – Teil A – Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A) vom 20. 11. 2009, BAnz. Nr. 196a, ber. 2010 S. 755. 17 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. 8. 1969, BGBl. I S. 1284, zuletzt geändert durch G. vom 15. 7. 2013, BGBl. I S. 2395.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Ressourcen im Vordergrund steht, zielen die wettbewerbsrechtlichen Maßgaben vor allem auf den Schutz konkurrierender Mitbieter ab.18 Dabei sind die vergaberechtlichen Regelungen in unterschiedlichem Maße vom Recht der EU beeinflusst. So trifft das europäische Unionsrecht, insbesondere die Richtlinien 2004/17/EG (ab 18. 4. 2016: Richtlinie 2014/25/EU) und 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Richtlinie 2014/24/EU), vor allem für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte maßgebliche Regelungen.19 Im Gegensatz dazu ist das Vergabewesen unterhalb der Schwellenwerte nicht sekundärrechtlich geregelt, und nur am unionalen Primärrecht (insbesondere an den Grundfreiheiten) zu messen, sofern ein grenzüberschreitender Bezug besteht.20 Bei den Schwellenwerten, welche über die Anwendbarkeit der verschiedenen Regelungsregime (Wettbewerbsrecht oder Haushaltsrecht) entscheiden, handelt es sich um unionsrechtlich vorgegebene Auftragssummen: Art. 16 und 61 der Zuschlagskoordinierungsrichtlinie (RL 2004/17/EG)21 bestimmen die Schwellenwerte für Aufträge und Wettbewerbe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste. In diesem Sachbereich wird es zum 18. 4. 2016 zu einer Rechtsänderung kommen: Die Richtlinie 2004/17/EG wird durch die EU-Vergabe-Richtlinie Wasser, Energie Verkehr, Post (RL 2144/25/EU)22 abgelöst. Die Schwellenwerte sind in Art. 15 RL 2014/25/EU enthalten (z. B. 5.186.000 E bei Bauaufträgen, hingegen 414.000 E bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen). Für den Bereich öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge werden die Schwellenwerte in Art. 7 der Vergabekoordinierungsrichtlinie (RL 2004/ 18/EG)23 bestimmt (zwischen 130.000 und ca. 5.000.000 E nach näherer Differenzierung). Die Schwellenwerte werden gemäß Art. 78 Vergabekoordinierungsrichtlinie alle zwei Jahre durch die Europäische Kommission überprüft und ggf. erneut festgesetzt. Die RL 2004/18/EG wird zum 18. 4. 2016 durch die neue EU-Öffentliche-Auf18

Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 1. Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 1; allgemein zur Bedeutung des Unionsrechts (und der Rechtsprechung des EuGH) auch Eifert, in: Schoch (Fn. 5), 5. Kapitel, Rn. 142; vgl. Rehbinder, in: Hansmann/Sellner, Grundzüge des Umweltrechts, 4. Aufl. 2012, Kap. 3, Rn. 350. 20 Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 5. 21 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 3. 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. Nr. L 134 S. 114, ber. ABl. Nr. L 351 S. 44; zul. geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/16/EU vom 13. 5. 2013, ABl. Nr. L 158 S. 184. 22 Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, ABl. Nr. L 94 S. 243. 23 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. 3. 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. Nr. L 134 S. 1, ber. ABl. Nr. L 358 S. 35, ABl. 2005 Nr. L 305 S. 46; zul. geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 1251/2011 vom 30. 11. 2011, ABl. Nr. L 319 S. 43. 19

Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes

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tragsvergabe-Richtlinie (RL 2014/24/EU)24 aufgehoben. Die Schwellenwerte sind neuerdings in Art. 4 RL 2014/24/EU enthalten, haben sich inhaltlich aber nicht wesentlich verändert.

III. Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten im Vergaberecht Die primären Zwecksetzungen des Vergaberechts – sei es die Haushaltsschonung, sei es die Wettbewerbssicherung – befassen sich zunächst einmal nicht unmittelbar mit dem Umweltschutz als solchem. Gleichwohl kann die Berücksichtigung von Umweltschutzaspekten bei der Vergabe unter bestimmten Voraussetzungen und in gewissen Grenzen dennoch erfolgen.25 Im Wesentlichen ist dies auf zweierlei Weise denkbar: bei der Festlegung des Leistungsgegenstands einerseits und bei der Aufstellung von Zuschlagskriterien andererseits. Schließlich ist es – wenngleich nur in sehr begrenztem Umfang – unter Umständen möglich, umweltschutzrelevante Aspekte in die bieterbezogene Eignungsprüfung einfließen zu lassen.26 1. Festlegung des Leistungsgegenstands Ansatzpunkt für eine Einflussnahme des Staats kann zunächst eine umweltschutzförderliche Bestimmung des nachgefragten Leistungsgegenstands als solcher sein. Denkbar ist beispielsweise die Festlegung verbindlicher Materialvorgaben in der Leistungsbeschreibung mit Blick auf die Umweltverträglichkeit der späteren Entsorgung. Auch kann die Nichtexistenz von bestimmten Schadstoffen als ein Kriterium der Materialbeschaffenheit in der Leistungsbeschreibung festgelegt werden, so z. B. die Freiheit eines zu errichtenden Gebäudes von Asbest.27 Weiterhin ist die von einem Produkt, etwa einem Fahrzeug, ausgehende Emissionshöchstmenge grundsätzlich als Bestandteil der Leistungsbeschreibung zulässig. Bei Bauleistungen können ökologische Bauweisen, etwa begrünte Dächer, ausgeschrieben werden.28

24

Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. Nr. L 94 S. 65. 25 Besonders im EU-Recht ist der Trend erkennbar, das Vergaberecht der Mitgliedstaaten auch für ökologische Steuerungszwecke zu öffnen; vergleiche dazu die sehr instruktive Darstellung bei Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, § 5 Rn. 238 – 253. 26 Auch Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 65 ff., unterscheidet die Berücksichtigung ökologischer Aspekte bei der Leistungsbeschreibung, bei der bieterbezogenen Eignungprüfung (vgl. § 97 Abs. 4 S. 1 GWB; lehnt insoweit die Berücksichtungsmöglichkeiten aber weitgehend ab) und bei der Festlegung von Zuschlagskriterien (vgl. § 94 Abs. 4 S. 2 GWB). 27 Gaus, NZBau 2013, 401 (402). 28 Zu diesen Beispielen Ziekow, Fn. 5, § 9, Rn. 65.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Auch ist die Bezugnahme auf produktbezogene (nicht unternehmensbezogene) Umweltzeichen denkbar.29 Für das oberschwellige Vergaberecht ist die Berücksichtigung von (Umwelt-)Gütezeichen explizit in Art. 43 RL 2014/24/EU bzw. Art. 6r RL 2014/25/EU geregelt (allerdings neben der Stufe der Leistungsbeschreibung auch für diejenige der Zuschlagskriterien). Begrenzt sind demgegenüber die Möglichkeiten, die Ausschreibung von vorneherein auf EMAS-Betriebe zu beschränken.30 So ist das EMAS-Zeichen unternehmensbezogen und nicht produktbezogen. Eine Berücksichtigung der EMAS-Teilnahme kann hingegen grundsätzlich von Auftraggebern bei der Zuschlagserteilung stattfinden, indem sie als umweltbezogenes Zuschlagskriterium in transparenter Weise aufgestellt und herangezogen wird.31 Die ökologische Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung verursacht keine besonderen vergaberechtlichen Probleme.32 Gleichwohl sind die Anforderungen etwa des Willkürverbots und des Verbots der Verengung auf einen einzelnen Bieter zu beachten.33 Grenzen können sich ferner aus den Anforderungen des Unionsrechts, insbesondere der Grundfreiheiten der Art. 34 ff. AEUV ergeben: Grundsätzlich ausgeschlossen ist es, die Leistungsbeschreibung durch die Aufnahme ökologischer Anforderungen so zu fassen, dass für die Leistungserbringung von vorneherein allein nationale Bieter in Betracht kommen, etwa weil eine ganz bestimmte Umweltschutztechnik verlangt wird, die nur im Inland verwendet wird.34

2. Festlegung der Zuschlagskriterien a) Allgemeines Über die Umschreibung des Leistungsgegenstands als solchen hinaus können weiterhin umweltschutzrelevante Zuschlagskriterien aufgestellt werden. Solche Kriterien sind ein Unterfall der (früher35) sog. „vergabefremden Kriterien“, welche über die Gewährleistung eines rein ökonomisch verstandenen Wirtschaftlichkeitsgebots hinaus der Verfolgung von sozial-, wirtschafts-, und umweltpolitischen Zielen dienen.36 Inzwischen wurde der vergaberechtliche Wirtschaftlichkeitsbegriff für solche Ziele geöffnet. 29

Heyne, ZUR 2011, 578 (579). Kenzler (Fn. 9), S. 219. 31 Kenzler (Fn. 9), S. 219. 32 Gaus (Fn. 27), S. 401 (402); ähnlich Wegener (Fn. 25), S. 273 (275 f.). 33 Wegener (Fn. 25), S. 273 (275 f.). 34 Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 65. 35 Wegener (Fn. 25), S. 273 (274), spricht im Zusammenhang mit dem Begriff der „vergabefremden Kriterien“ von einem darin zum Ausdruck gebrachten Unwerturteil und sieht unterdessen einen Wandel hin zu einem anerkannten, geförderten und geforderten „green procurement“. 36 P. M. Huber, in: Schoch (Fn. 5), 3. Kapitel, Rn. 278, welcher den Aspekt der Umweltpolitik neben der Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch nicht gesondert erwähnt. 30

Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes

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Vorteil der Festlegung und insbesondere der Anwendung ökologisch getönter Zuschlagskriterien (in Verbindung mit sonstigen Zuschlagskriterien) ist die größere Flexibilität im Vergleich zum ökologisch motivierte Zuschnitt der Leistungsbeschreibung: Diese zeigt sich z. B. dann, wenn dem Auftraggeber bei Ausschreibung noch keine konkreten Umweltschutzmodalitäten bekannt waren, sie im Vergabeverfahren sodann aber von Bietern angeboten werden.37 Als ein solches umweltschutzrelevantes Kriterium kommt beispielsweise die Umweltfreundlichkeit der Produktionsweise (ohne dass diese in einem bestimmten Material Niederschlag findet, welches i. R. d. Leistungsbeschreibung berücksichtigt werden kann) in Betracht.38 b) Vergaberechtliche Grenzen Gleichwohl sind der Zulässigkeit ökologisch getönter Zuschlagskriterien vergaberechtliche Grenzen gesetzt, die sich für oberschwelliges und unterschwelliges Vergaberecht unterscheiden: aa) Oberschwelliges Vergaberecht Für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte wurde die rechtliche Zulässigkeit solcher umweltschutzbezogener Zuschlagskriterien durch den Europäischen Gerichtshof unter bestimmen Voraussetzungen bejaht. Zulässigkeitsvoraussetzungen sind – erstens – ein Zusammenhang zwischen den Kriterien und dem Gegenstand des Auftrags, – zweitens – keine unbeschränkte Entscheidungsfreiheit des Auftraggebers, – drittens – die ausdrückliche Nennung der Kriterien im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung des Auftrags und – viertens – die Beachtung aller wesentlichen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere des Diskriminierungsverbots.39 Mit dieser Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof das Wirtschaftlichkeitskriterium, welches die Zuschlagsentscheidung im Wesentlichen steuert (vgl. Art. 67 RL 2014/24/EU und Art. 82 RL 2014/25/EU), für ökologische Aspekte geöffnet und so die frühere „streng betriebswirtschaftliche“ Deutung des Wirtschaftlichkeitskriteriums überwunden.40 In Anlehnung an diese Rechtsprechung bestimmt Art. 53 Abs. r RL 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Art. 67 Abs. 2 RL 2014/24/EU), dass öffentliche Auftraggeber verschiedene mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende Zuschlagskriterien, zu denen ausdrücklich auch die Umwelteigenschaften gezählt werden, bei der Erteilung des Zuschlags anzuwenden haben. Aus ökologischer Sicht interessant ist dabei die 37

Heyne (Fn. 29), S. 578 (579), m. w. N. Vgl. Rehbinder, in: Hansmann/Sellner (Fn. 19), Kap. 3, Rn. 350. 39 EuGH, Urteil vom 17. 9. 2002 – Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002 I07213, Rn. 69; EuGH, Urteil vom 4. 12. 2003 – Rs. C-448/01 (Wienstrom), Slg. 2003 I-14527, Rn. 33. 40 Zu dieser Entwicklung prägnant Schneider, NVwZ 2009, 1057 (1059). 38

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Formulierung von Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 lit. a RL 2014/24/EU, wonach umweltbezogene Eigenschaften als ein Unterfall der „Qualität“ der Leistung geführt werden. Dabei hat der Auftraggeber nach Art. 53 Abs. 2 RL 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Art. 67 Abs. 5 RL 2014/24/EU) grundsätzlich in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen anzugeben, wie er die einzelnen Kriterien gewichtet, um das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln. Über diese Möglichkeit der Festsetzung ökologisch getönter Zuschlagskriterien hinaus sieht Art. 26 S. 1 der RL 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Art. 70 S. 1 RL 2014/24/EU) vor, dass öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben können, sofern diese mit dem Unionsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden (Transparenzgebot41). Nach Art. 26 S. 2 RL 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Art. 70 S. 2 RL 2014/24/EU) der Vergabekoordinierungsrichtlinie können dies neben sozialen insbesondere auch umweltbezogene Bedingungen sein. Ob diese Auftragsausführungsbedingungen schon vor Zuschlagserteilung von Bedeutung sind und die Zuschlagsentscheidung beeinflussen können, ist umstritten.42 Parallelvorschriften zu den erwähnten Art. 53, 26 RL 2004/18/EG (ab 18. 4. 2016: Art. 67 bzw. Art. 70 RL 2014/24/EG) enthält für die Bereiche Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie Postdienste die RL 2004/17/EG in Art. 55 und 38 (ab 18. 4. 2016: Art. 82 bzw. Art. 87 RL 2014/25/EU). Im nationalen deutschen Vergaberecht ist gemäß § 97 Abs. 5 GWB der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Die unionsrechtliche Prägung des Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte führt dazu, dass der Wirtschaftlichkeitsbegriff – in den Grenzen der Rechtsprechung des EuGH und der vergaberechtlichen EU-Richtlinien – für die Berücksichtigung ökologischer Belange offen ist. Zudem sieht § 97 Abs. 4 S. 2 GWB – in Umsetzung von Art. 70 RL 2014/24/EG bzw. Art. 87 RL 2014/25/EU – vor, dass für die Auftragsausführung Anforderungen gestellt werden können, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Die Berücksichtigung von umweltbezogenen Aspekten bei der Formulierung von Anforderungen an die Auftragsausführung wird somit durch § 97 Abs. 4 S. 2 GWB zwar nicht verbindlich vorgeschrieben, aber jedenfalls in den normierten Grenzen ermöglicht. Daneben gibt es vereinzelt verbindliche Pflichten der öffentlichen Hand zur Berücksichtigung umweltschutzbezogener Aspekte (beispielsweise durch §§ 4 ff. VergabeV im Energieeffizienzbereich). 41 Zu den Anforderungen des Transparenzgebots EuGH, Urteil vom 10. 5. 2012 – Rs. C368/10 (Kommission/Königreich der Niederlande), NVwZ 2012, 867 ff., wonach der bloße Verweis auf ein (regionales) Öko-Gütezeichen nicht den Transparenzanforderungen genügen soll (Rn. 67). 42 Dafür m. w. N. pro und contra Heyne (Fn. 29), S. 578 (581).

Das Beschaffungs- und Vergabewesen als Instrument des Umweltschutzes

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bb) Unterschwelliges Vergaberecht Im Bereich unterhalb der Schwellenwerte ist in erster Linie das öffentliche Haushaltsrecht (insbesondere § 30 HGrG, § 55 BHO oder die entsprechende Norm der LHO) zu beachten. Gemäß § 55 Abs. 2 BHO (oder der entsprechenden Norm der LHO) ist beim Abschluss von Verträgen nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren. Diese Richtlinien finden sich u. a. im jeweiligen Abschnitt 1 der VOB/A43 und VOL/A44. Eine Rolle können Umweltschutzaspekte beim unterschwelligen Vergabeverfahren wie beim oberschwelligen Verfahren sowohl bei der Festlegung des Leistungsgegenstandes als solchem (hier ergeben sich keine Unterschiede zum oberschwelligen Bereich) als auch bei der Festlegung von umweltschutzbezogenen Vergabekriterien spielen. Bezüglich Letzterer sind die haushaltsrechtlichen Vorgaben im unterschwelligen Bereich insbesondere durch das Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit geprägt (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 BHO bzw. die jeweilige LHO). Letztlich ergibt sich auch hier ein vergleichbares Ergebnis wie im Bereich oberhalb der Schwellenwerte: Die Auslegung des Begriffs der „Wirtschaftlichkeit“ ist über eine rein ökonomische Betrachtung hinaus auch für umweltschutzbezogene Erwägungen zu öffnen. Dies gebietet insoweit zwar nicht das Unionsrecht, wohl aber die auslegungslenkende Staatsstruktur- und Staatszielbestimmung des Art. 20a GG.45 Darüber hinaus können Spezialvorschriften wie § 45 KrWG eine umweltschutzbezogene Vergabe ermöglichen oder sogar erfordern. Im Bereich des unterschwelligen Vergaberechts gelten die EU-Richtlinien 2004/ 17/EG (2014/25/EU) und 2004/18/EG (2014/24/EU) nicht. Einzug erhält das Unionsrecht aber auch hier in Form der Grundfreiheiten der Art. 34 ff. AEUV46: Transparenz und Diskriminierungsfreiheit der Auftragsvergabe sind ebenso beim unterschwelligen Verfahren nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich gefordert.47 Liegt der Auftragswert dagegen so deutlich unterhalb der Schwellenwerte,

43 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), Teil A, Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen – Ausgabe 2012 vom 31. 7. 2009, BAnz. Nr. 155, ber. 2010 Nr. 36, zul. geändert durch Nr. 1 Änd. der VOB/A Abschnitt 1 und Änd. der VOB/B vom 26. 6. 2012, BAnz AT 13. 7. 2012 B3. 44 Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL), Teil A, Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL/A) vom 20. 11. 2009, BAnz. Nr. 196a, ber. 2010 S. 755. 45 So auch Heyne (Fn. 29), S. 578 (583). 46 P. M. Huber, in: Schoch (Fn. 5), 3. Kapitel, Rn. 288; ferner Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 65. 47 EuGH, Urteil vom 7. 12. 2000 – Rs. C-324/98 (Telaustria), Slg. 2000, I-1 0745, Rn. 60 f.; Urteil vom 18. 10. 2001 – Rs. C-19/00 (SIAC Construction), Slg. 2001, I-7725, Rn. 40 f.; siehe auch die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, 2006/C 179/02 (03).

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dass Auswirkungen auf die Grundfreiheiten allenfalls „zufällig und mittelbar“ denkbar sind, so ist eine Verletzung derselben ausgeschlossen.48 3. Bieterbezogene Eignungsprüfung Die Berücksichtigung umweltschutzrechtlicher Aspekte kann noch vor der Zuschlagserteilung durch bieterbezogene Eignungsprüfung stattfinden – auch wenn dieser Ansatz im Vergleich jedoch grundsätzlich mit geringerem ökologischem Steuerungspotenzial verbunden ist.49 Dabei geht es um die Frage, ob bestimmte Bieter von vorneherein aus dem Kreis der potenziellen Leistungserbringer herausfallen, bevor es überhaupt zur Entscheidung über die Zuschlagserteilung kommt. a) Oberschwelliges Vergaberecht Für das oberschwellige Vergaberecht enthält § 97 Abs. 4 S. 1 GWB – in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben (vgl. Art. 57 ff. RL 2014/24/EU, Art. 77 RL 2014/ 25/EU) – eine Regelung zu grundsätzlichen Anforderungen an Bieter: „Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben.“ Einfluss kann dabei durch umweltbezogene Anforderungen an die einzelnen Kriterien genommen werden. So kann die „Zuverlässigkeit“ i. S. d. § 94 Abs. 4 S. 1 GWB bei schweren Verfehlungen, welche u. a. in der Verwirklichung von Umweltstraftaten bei Berufsausübung bestehen können, zu verneinen und der Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen sein (vgl. Art. 57 Abs. 4 UAbs. 1 lit. c RL 2014/24/EU i. V. m. Erwägungsgrund 101, ggf. i. V. m. Art. 80 RL 2014/25/EU). Dies kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn eine sachliche Nähe zwischen verletzter Umweltstrafnorm und Auftragsgegenstand besteht.50 Ob diese Maßstäbe auch für „bloße“ Umweltordnungswidrigkeiten gelten, ist wohl eine Frage des Einzelfalls.51 Spezifische umweltbezogene Anforderungen an die „Fachkunde“ und (technische) „Leistungsfähigkeit“ der Bieter kommen (nur) bei „umweltsensiblen Leistungen“52 wie etwa Entsorgungsleistungen in Betracht. Hier kann – auftragsbezogen – gefordert werden, dass die Bieter Erfahrungen im Umweltbereich haben und über eine „Umweltpolitik“ verfügen. Dies setzt aber nicht zwingend eine EMAS-Zertifizierung voraus:53 Nach Art. 62 Abs. 2 RL 2014/24/EU und – in dessen Umsetzung – nach § 6 EG Abs. 9 Nr. 1 S. 3 lit. a VOB/A gibt es die Möglichkeit, bei Bau- und 48

Vgl. EuGH – Rs. C-231/03, Rn. 20; dazu Heyne (Fn. 29), S. 578 (583). So auch Ziekow (Fn. 5), § 9, Rn. 66. 50 Heyne (Fn. 29), S. 578 (580). 51 Dafür grundsätzlich Heyne (Fn. 29), S. 578 (580), m. w. N.; ebenso Schneider (Fn. 40), S. 1057 (1059). 52 Schneider (Fn. 40), S. 1057 (1059). 53 Schneider (Fn. 40), S. 1057 (1059); Heyne (Fn. 29), S. 578 (580). 49

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Dienstleistungsaufträgen die Teilnahme an EMAS als Nachweis für die technische Leistungsfähigkeit von Auftragnehmern heranzuziehen. Dabei ist jedoch weniger die EMAS-Teilnahme als solche als vielmehr die Tatsache, dass ein mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängender Umweltstandard erfüllt wird, entscheidend.54 Auch andere gleichwertige Nachweise sind zulässig (§ 6 EG Abs. 9 Nr. 1 S. 3 lit. B VOB/A). Dennoch stellt die explizite Erwähnung von EMAS eine Erleichterung dar, da keine Gleichwertigkeitsprüfung nötig ist. b) Unterschwelliges Vergaberecht Im Bereich des unterschwelligen Vergaberechts sind § 97 Abs. 4 S. 1 GWB und die EU-Vergaberichtlinien zwar nicht unmittelbar anwendbar. Eine Übertragung ihrer Wertungen erscheint allerdings grundsätzlich sachangemessen, soweit das öffentliche Haushaltsrecht und die Verdingungsordnungen Auslegungsspielräume eröffnen.

IV. Pflichten zur ökologischen Beschaffung Neben Schranken für die Berücksichtigung ökologischer Aspekte in Vergabeverfahren (wie beispielsweise das Transparenz- und Diskriminierungsverbot) kennt die Rechtsordnung zum Teil auch Pflichten zur Berücksichtigung umweltschutzrelevanter Aspekte bei der Beschaffung oder zumindest Pflichten zur Prüfung einer solchen Berücksichtigung umweltschutzrelevanter Aspekte. Das Recht der EU geht bei der „Ökologisierung des Beschaffungswesens“ voraus.55 Dabei handelt es sich um den Staat verpflichtendes Umweltsonderrecht. So enthalten die §§ 4 ff. VgV56 (Rechtsgrundlage: §§ 97 Abs. 6, 127 GWB) für den Bereich des oberschwelligen Vergaberechts verbindliche Vorgaben für eine energieeffiziente Beschaffung.57 Hintergrund der energieeffizienzbezogenen Regelungen der §§ 4 ff. VgV ist dabei das Recht der Union.58 Auch wenn die §§ 4 ff. VgV im unterschwelligen Verfahren nicht anwendbar sind (vgl. § 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 VgV), kommt die Vergabepraxis auch unterhalb der Schwellenwerte über Verwaltungsvorschriften und allgemeine Vergaberichtlinien oft zu den gleichen Ergebnissen. Dies zeigt sich u. a. am Beispiel der Beschaffungs54

Kenzler (Fn. 9), S. 218. Siehe dazu Meßerschmidt (Fn. 25), Rn. 238 ff. 56 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung-VgV) i. d. F. d. Bekanntmachung vom 11. 2. 2003, BGBl. I S. 169; zuI. geändert durch Art. 1 Sechste ÄndVO vom 12. 7. 2012, BGBl. I S. 1508. 57 Gaus (Fn. 27), 401 (402); Zeiss, NZBau 2012, 201. 58 Siehe dazu und zu Folgendem Zeiss (Fn. 57), S. 201 ff. mit Nennung der einschlägigen EU-Rechtsakte. 55

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kriterien der Bundesdienststellen gemäß Art. 2 AVV-EnEff.59 So ist im Rahmen einer Bedarfsanalyse für die vorgesehene Beschaffung auch der Aspekt der energieeffizientesten Systemlösung zu prüfen und für die abschließende Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes sind neben den Anschaffungskosten die voraussichtlichen Betriebskosten über die Nutzungsdauer sowie die Abschreibungs- und Entsorgungskosten zu berücksichtigen (Lebenszykluskostenprinzip). Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1, 2 KrWG (und den meisten Abfallgesetzen der Länder, vgl. z. B. § 2 AbfG NW) haben Behörden des Bundes (bzw. die Behörden des Landes und die Gemeinden) und die unter seiner Aufsicht stehenden Stellen durch ihr Verhalten zur Erfüllung des Gesetzeszwecks – der Förderung der umweltverträglichen Kreislaufwirtschaft – beizutragen, indem sie u. a. bei der Beschaffung von Material und Verbrauchsgütern, bei Bauvorhaben und sonstigen Aufträgen prüfen, ob und in welchem Umfang Erzeugnisse eingesetzt werden können, die sich durch Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit etc. auszeichnen. Gemäß § 45 Abs. 2 KrWG ist die öffentliche Hand gehalten, darauf hinzuwirken, dass Gesellschaften des privaten Rechts, an denen sie beteiligt ist, ebenso verfahren. Trotz der Pflicht zur Prüfung umweltschutzdienlicher Alternativen bei der Beschaffung und Vergabe nach § 45 Abs. 1 S. 2 KrWG bleiben die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze wie der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (im unterschwelligen Vergabeverfahren nach § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 BHO oder der LHO; im überschwelligen Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 5 GWB) zu beachten.60 Jedoch ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit um Relationsbegriffe handelt, welche sich auf jeden der von der öffentlichen Hand bei der Beschaffung oder Vergabe verfolgten Zwecke beziehen.61 Im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 S. 2 KrWG dient die Beschaffung und Vergabe auch dem Umwelt- und Ressourcenschutz, sodass die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht schon dann verletzt sind, wenn das umweltschutzfreundlichere Produkt zu einer Teuerung führt.62 Diese bisher nur teilweise im geltenden Recht verwirklichten Ansätze vergabebezogener Umweltpflichten des Staates griff der Sachverständigenentwurf zum Umweltgesetzbuch auf und normierte in den §§ 51 f. UGB-KomE umweltbezogene Beschaffungs- und Verwendungspflichten des Staates. Über die nach § 45 KrWG bestehende Pflicht zur Prüfung der Beschaffung umweltschonender Produkte hinaus wurde daraus eine allgemeine Pflicht zur vorrangigen Verwendung umweltfreundlicher Produkte vorgesehen (§ 51 Abs. 1 UGB-KomE). 59 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen (AVV-EnEff) vom 17. 1. 2008, BAnz S. 198, mit Änd. vom 18. 1. 2012, BAnzS. 286, mit Änd. vom 16.1.201 3, BAnz AT 24. 1. 2013 B1. 60 Webersinn, in: Schink/Versteyl, Kommentar zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, § 45, Rn. 7; L.-A. Versteyl, in: ders./Mann/Schomerus, Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2012, § 45, Rn. 17. 61 L.-A. Versteyl, in: ders./Mann/Schomerus (Fn. 60), § 45, Rn. 18. 62 L.-A. Versteyl, in: ders./Mann/Schomerus (Fn. 60), § 45, Rn. 18.

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Auch soweit ausdrückliche (unter-)gesetzliche Pflichten zur (Prüfung der Möglichkeit einer) umweltschutzfreundlichen Vergabeentscheidung fehlen, gebieten höherrangige, auslegungslenkende Bestimmungen eine angemessene Berücksichtigung von Umweltschutzzielen bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des Vergaberechts.63 Dies gilt für die Staatsstruktur- und -Staatszielbestimmung des Art. 20a GG und – im unionsrechtlich geprägten oberschwelligen Vergaberecht – auch für die unionsrechtliche Umweltschutz-Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV.

V. Ausblick Durch die Öffnung des vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitskriteriums für ökologische Aspekte64 – entscheidend geprägt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs65 – lässt sich die Rede vom Umweltschutz als „vergabefremden Zweck“66 kaum mehr aufrechterhalten.67 Die Instrumentalisierung staatlicher Nachfragemacht68 zu Umweltschutzzwecken kann damit heute als eigenständiges Instrument des Umweltrechts betrachtet werden und lässt sich in den größeren Zusammenhang der umweltfreundlichen „Ausgestaltung des ökonomischen Marktes“69 rücken.

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Ausführlich Heyne (Fn. 29), S. 578 (584 f.). Vgl. Schneider (Fn. 40), S. 1 057 (1 059). 65 EuGH, Urteil vom 1 7. 9. 2002 – Rs. C-51 3/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002 I07213, Rn. 69; EuGH, Urteil vom 4. 12. 2003 – Rs. C-448/01 (Wienstrom), Slg. 2003 I-14527, Rn. 33. 66 Fischer, EuZW 2004, 492 ff.; zum Begriff der „vergabefremden Kriterien“ P. M. Huber, in: Schoch (Fn. 5), 3. Kapitel, Rn. 278, welcher den Aspekt der Umweltpolitik neben der Wirtschafts- und Sozialpolitik jedoch nicht gesondert erwähnt. 67 So auch Wegener (Fn. 25), 273 (274); Meßerschmidt (Fn. 25), Rn. 241. 68 Vgl. zur Terminologie „Nutzung staatlicher Nachfragemacht“ Eifert, in: Schoch (Fn. 5), 5. Kapitel, Rn. 142. 69 Siehe Eifert, in: Schoch (Fn. 5), 5. Kapitel, Rn. 142 i. V. m. der Überschrift vor Rn. 125, der unter dieser Überschrift (und der noch übergeordneten Überschrift „Regulierte Selbstregulierung“) neben der staatlichen Nachfragemacht auch Umwelthaftung, Umweltabgaben, Umweltsubventionen und Umweltinformationen darstellt. 64

Zur Vermeidung von Naturkatastrophen durch Recht* ** Menschliches Recht kann nicht den Eintritt und den Ablauf von Naturereignissen steuern. Das Recht vermag aber sehr wohl menschliches Verhalten im Hinblick auf Naturkatastrophen zu regeln. Ein solches Verhalten kann sich vor allem auf die Verhinderung oder Begrenzung von Schäden durch natürliche Ereignisse beziehen. Das Katastrophenrecht kann bei Naturkatastrophen insbesondere die Katastrophenprävention, die Katastrophenvorsorge und die Katastrophenbekämpfung sowie die Katastrophennachsorge regeln. Die Zuständigkeitsverteilung im Katastrophenschutz zwischen Bund und Ländern, aber auch innerhalb der Bundesregierung erscheint zerrissen und ist verbesserungsbedürftig.

I. Einleitung 1. Ausgangspunkt Das traditionelle, eher archaische Konzept, naturverursachte Schäden, insbesondere Naturkatastrophen, als ,God’s acts‘, als höhere Gewalt zu sehen, geht davon aus, dass es auch heute noch einen Bereich im Leben gibt, der keinem menschlichen Einfluss unterliegt und damit auch rechtlich nicht steuerbar ist. Von dieser Erkenntnis aus ist dann auch der Griff in den Erfahrungsschatz der Geschichte nicht mehr weit, in der sehr lange schädliche Naturereignisse wie z. B. Vulkanausbrüche, Erdbeben, Dürreperioden, Seuchen, Hungersnöte, etc. als Gottesstrafen gedeutet wurden,1 wie z. B. bei den biblischen Plagen. Die Menschen konnten bei diesen Erklärungsmustern versuchen, solche Gottesstrafen durch Bußen, durch Tempel- oder Kirchenbauten oder – in früheren grausigen Zeiten – auch einmal durch Menschenopfer * Erstveröffentlichung in: DVBl. 2017, S. 141 – 149. ** Der Beitrag ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den der Autor am 20. 06. 2016 beim Umweltbundesamt in Dessau gehalten hat. 1 Ganz verblasst scheint dies bis heute nicht, vgl. exemplarisch den Artikel „Ein Aufstand gegen die Schöpfung“ vom Online-Auftritt der Süddeutschen Zeitung, veröffentlicht am 09. 08. 2010, zum Großschadensereignis bei der „Loveparade“ in Duisburg im Jahr 2010, der sich zudem mit einem pseudo-theologischen Argument des Salzburger Weihbischofs Andreas Laun auseinandersetzt: „Die Ruhrpott-Stadt Duisburg wird in die Nähe der alttestamentarischen Städte Sodom und Gomhorra gerückt, die tragische Katastrophe mit einer Strafe Gottes übersetzt“, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/panorama/loveparade-katastrophe-salz burger-weihbischof-verhoehnt-loveparade-opfer-1.985708; letzter Abruf am 30. 08. 2016.

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oder – milder – durch das Opfern von Vieh und Pflanzen und heute schließlich auch durch das bloße Anzünden von Kerzen oder durch Gebete zu verhindern. Wenn es dann gelang, eine Naturkatastrophe zu vermeiden oder zu stoppen, sprach man gerne von einem „Wunder“. Mit dem zunehmenden Verblassen solcher Erklärungsmuster in einer säkularisierten Welt taucht die Frage nach der menschlichen Verantwortung für, in und nach Naturkatastrophen auf. Das führt zur Frage nach der Rolle des Rechts bei der Vermeidung und Bekämpfung von Naturkatastrophen. Dem will der folgende Beitrag nachgehen. 2. Begrifflichkeiten Bevor der eigentlichen Frage nach der Verhinderbarkeit von Naturkatastrophen durch Recht nachgegangen wird, ist zunächst ein zentraler Begriff vorab zu klären: der Begriff der Katastrophe. Im griechischen Ursprung bedeutet das Wort Katastrophe meistens eine unvorhergesehene Wendung (meist zum Schlechten), die in einem klassischen Drama dessen Ende einleitet.2 Die Katastrophe im heutigen Sprachgebrauch meint fast immer das Gleiche: das Leid Vieler und auf jeden Fall etwas Trauriges, für die Presse und die Umgangssprache häufig etwas „Tragisches“.3 Naturkatastrophen sind fast eine Konstante in der Geschichte der Menschheit. Die Geschichte kennt sehr viele Beispiele, genannt seien etwa Pompeji, Lissabon, San Francisco, Fukushima etc. Gemeint sind dabei regelmäßig natürlich verursachte Ereignisse mit immensen Schäden. Daneben existieren technisch verursachte Katastrophen wie z. B. Flugzeugabstürze und Anlagenexplosionen. Und wie steht es eigentlich um Hiroshima und Nagasaki oder um die von Bomben verursachten Flammenmeere von Dresden und Hamburg in den Jahren 1943/45? Solche Ereignisse des Krieges scheinen – von den Folgen her – mit großen Katastrophen durchaus verwandt und stehen doch – weil überwiegend vorsätzlich verursacht – auf einem anderen Blatt, vor allem in einem anderen Sinnzusammenhang. Rechtlich wird die Trennung zwischen den kriegerischen und den nicht kriegerischen Katastrophen durch die Trennung von Zivilschutz4 und Katastrophenschutz verarbeitet. Diesem Zivilschutz kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den Rechtsbegriff der Katastrophe, was angesichts der hier zugrundeliegenden allgemeinen Fragestellung legitim, wenn nicht sogar geboten erscheint: Das nationale, das supra-nationale und das internationale Katastrophenrecht setzten für das Vorliegen einer Katastrophe nicht 2

Albert, in: Braungart/Fricke/Grubmüller/Müller/Vollhardt/Weimar (Hrsg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. III, 3. Aufl. 2010, S. 48 (Artikel „Peripetie“). 3 Dabei wird der Wortursprung des Tragischen, die Ausweglosigkeit bei der Suche nach dem richtigen, nicht zur Schuld führenden Weg, vernachlässigt. 4 Siehe dazu Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, 2. Teil S. 129 ff.

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nur voraus, dass das – drohende oder bereits eingetretene – Schadensereignis eine bestimmte Größenordnung überschreiten muss (Großschadensereignis), sondern fordern darüber hinaus, dass die üblicherweise zuständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit der Bekämpfung des Großschadensereignisses überfordert sind (Institutionenüberforderung).5 Die Ausrufung des Katastrophenfalls begründet regelmäßig Zuständigkeiten für übergeordnete Behörden oder Handlungsebenen zur Katastrophenbekämpfung. Diesem Wortverständnis schließen sich auch das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz des Bundes (ZSKG)6 und auch die meisten – im föderalistischen Deutschland besonders wichtigen – Landeskatastrophenschutzgesetze an.7 Von einer Katastrophe kann rechtlich also nur dann gesprochen werden, wenn es sich erstens um ein Schadensereignis handelt, das eine Vielzahl von Menschen in ihrem Leben oder ihrer Gesundheit beeinträchtigt oder große Sach- bzw. Kulturwerte vernichtet bzw. eine weit ausgedehnte Fläche betrifft und insgesamt einen sehr bedeutenden Schaden erzeugt, also eben ein Großschadensereignis darstellt. Zwar wird sich dabei kaum abstrakt allgemein eine feste Zahl von Geschädigten oder eine fixe Gesamtsumme festlegen lassen, ab wann dies der Fall ist; es handelt sich aber letztlich gleichwohl um ein objektiv (letztlich richterlich) bestimmbares Kriterium. Es trennt z. B. den tödlichen Einzelunfall auf der Straße vom Bus-Zusammenstoß mit vielen Toten. Ob ein Großschadensereignis vorliegt, kann grundsätzlich unabhängig von der einzelnen hoheitlichen Gebietskörperschaft, in dessen bzw. deren Grenzen die Katastrophe eintritt, beantwortet werden. Anders verhält es sich bei dem weiteren Katastrophenkriterium, das eine Überforderung einer an sich zuständigen hoheitlichen Organisation (Gemeinde, Kreis, Regierungsbezirk, Land, Gesamtstaat) vorliegen muss. Da die Ressourcen von kommunalen Körperschaften bzw. hoheitlichen Organisationen unterschiedlich sind, ist dieses Überforderungskriterium nicht allgemein festlegbar. Vielmehr ist auf die jeweiligen Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten der betroffenen hoheitlichen Organisationen abzustellen. Dies bedeutet in der Konsequenz: Ein Sachverhalt kann an einem Ort als Katastrophe qualifiziert werden, während er an einem anderen Ort keine Katastrophe im Rechtsinn darstellt, je nachdem, ob die Möglichkeiten der betreffenden ursprünglich zuständigen Organisation ausreichen oder nicht. Für das Katastrophenrecht macht es im Übrigen auch grundsätzlich keinen Unterschied, was die Ursache einer Katastrophe ist. Jedes Großschadensereignis kann eine 5 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1, Rn. 24 ff.; Kloepfer/Schwartz, Katastrophenschutz, in: Wegener (Hrsg.), Europäische Querschnittspolitiken, Band 8, EnzEuR, 2014, S. 309 f. 6 Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz – ZSKG) v. 25. 03. 1997, BGBl. I, S. 726, zuletzt geändert durch G. v. 29. 07. 2009, BGBl. I, S. 2350. 7 Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1, Rn. 24; Leupold, Die Feststellung des Katastrophenfalls, 2011, S. 16 ff.; die Landeskatastrophenschutzgesetze finden sich abgedruckt bei Kloepfer, Katastrophenrecht, 2009.

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Katastrophe auslösen, wenn das Kriterium der Überforderung der öffentlichen Körperschaft hinzutritt. Dabei kann die Ursache einer Katastrophe allerdings Auswirkungen auf die rechtliche Behandlung des Ereignisses haben, z. B. für die Anwendbarkeit von Spezialvorschriften des Katastrophenrechts. Im Folgenden sollen hier die sog. Naturkatastrophen im Vordergrund stehen, weil bei ihnen die grundsätzlichen Verantwortungsfragen am interessantesten sind. Werden Gott, das Schicksal, die „Vorsehung“ oder „die Natur“ etwa zu rechtlichen Anknüpfungspunkten oder gar zu Adressaten oder zu Rechtsbeteiligten, weil sie Naturkatastrophen verursacht haben? Bleibt da noch Raum für die menschliche Verantwortung bei Großschadensereignissen, wenn diese letztlich auf natürlichen Ursachen beruhen? Vergleichsweise eindimensional sind demgegenüber technische Katastrophen (regelmäßig: Anlagenstörungen mit Großschadenspotential), weil sie regelmäßig von Menschen verursacht sind. Sie sollen daher im Folgenden nur nachrangig betrachtet werden.

II. Rechtliche Normierbarkeit von Naturkatastrophen 1. Grundsätzliches a) „Not kennt kein Gebot“? Vorab muss dabei zunächst eine prinzipielle Vorfrage geklärt werden: Kann Recht in einer schwerwiegenden Katastrophensituation überhaupt noch wirksam und befolgbar sein? Gilt da nicht der traditionelle Grundsatz oder Sinnspruch: ,Not kennt kein Gebot‘? Diese Frage nach der Rolle des Rechts in Ausnahmesituationen stellt sich in einem Rechtsstaat insbesondere angesichts der großen menschlichen und wirtschaftlichen Bedeutung von Katastrophen und ihren möglicherweise schwerwiegenden Folgen für Individual- und Gemeinschaftsgüter.8 Bekanntlich war Altbundeskanzler Helmut Schmidt stolz darauf, dass er bei der Hamburger Flutkatastrophe 1962 als stellvertretender Bürgermeister bzw. als Innensenator von Hamburg die Bundeswehr unter evidentem Bruch der Verfassung unter sein Kommando gestellt hatte.9 Er gerierte sich damals als Souverän, der im Ausnahmezustand entschied. Immerhin war er ja bei der Hamburger Flutkatastrophe wohl erfolgreich. Aber rechtfertigt dies wirklich einen derartigen Verfassungsbruch? Politisch vielleicht, rechtlich aber nicht. Und vom früheren Bundesverteidigungsminister Franz 8

Kloepfer, FS Papier 2013, S. 346 f. In seiner „Bilanz“ „Außer Dienst“ schrieb Schmidt: „Ich muß gestehen, über diese Gesetzesverstöße damals nicht nachgedacht zu haben. Vielmehr ließ ich mich allein von der moralischen Pflicht leiten, Menschen in großer Zahl aus unmittelbarer Lebensgefahr zu retten. Ich hatte später das Glück, von keiner Seite angeklagt zu werden“, Schmidt, Außer Dienst, 2008, S. 168 f. 9

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Josef Jung wird der Satz berichtet, dass er ein von Terroristen entführtes Flugzeug auf jeden Fall abschießen ließe, egal was die Verfassung oder das Bundesverfassungsgericht10 immer dazu sagen würden.11 Rechtsstaatlichkeit sieht gewiss anders aus. Der Grundgedanke der Befreiung von rechtlicher Bindung in Ausnahmesituationen ist letztlich dem alten Recht des Kriegsnotstands, etwa in Form der (Kriegs-)Diktatur im antiken römischen Recht12 entnommen und wird derzeit einmal wieder nach dem missglückten Putsch in der zunehmend autoritärer werdenden Türkei im Sommer 2016 durchlebt und durchlitten13, ist aber gerade nicht der Standpunkt des Grundgesetzes. Deshalb gibt es im Grundgesetz z. B. detaillierte Vorschriften über die Geltung der Verfassung im Verteidigungsfall (insbesondere Art. 115a ff. GG). Dabei befreit die deutsche Verfassung im Verteidigungsfall den Staat zwar von einigen seiner allgemeinen Begrenzungen, will aber in der geltenden Fassung der Verteidigungsverfassung strikt eingehalten werden. Auch die grundgesetzlichen Vorschriften der Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG über die Rechts- und Amtshilfe bei Naturkatastrophen unterstreichen den Geltungsanspruch der Verfassung gerade auch im Katastrophenfall. Im Übrigen wurde das Katastrophenrecht von Bund und Ländern gewiss geschaffen, um im Katastrophenfall beachtet und nicht, um unbeachtet zu bleiben. Unter dem Grundgesetz gilt also gerade nicht der Satz „Not kennt kein Gebot“, sondern umgekehrt der Satz „Not kennt Gebot“. b) Katastrophenverhinderung durch Recht Nachdem somit die wichtige Vorfrage der grundsätzlichen Rechtsgeltung auch in Notsituationen, also der prinzipielle Geltungsanspruch des Rechts auch in Notfällen, geklärt wurde, gilt es nun, die hier entscheidende, themenleitende Frage zu beantworten, ob Recht Naturkatastrophen verhindern kann. Dabei ist zunächst zwischen technischen Katastrophen und Naturkatastrophen zu unterscheiden. Die Antwort bezüglich der Katastrophenverhinderung durch Recht fällt für technische Katastrophen (z. B. Brücken-, Gebäudezusammenstürze, Flugzeug- und Bahn- und Schiffsunfälle, Störfälle bei Maschinen, technischen Anlagen, Bauwerken etc.) relativ leicht. Solche technischen Katastrophen können durch Fehler von Menschen bei der Konstruktion, beim Betrieb oder bei der Überwachung von technischen

10 Vgl. insoweit die Entscheidungen zum Luftsicherheitsgesetz BVerfGE 115, 118 [BVerfG 15. 02. 2006 – 1 BvR 357/05]; E 133, 241. 11 Vgl. die Meldung auf dem Online-Auftritt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „Jung: Entführtes Flugzeug notfalls ohne Gesetz abschießen“ vom 16. 09. 2007, abrufbar unter: http:// www.faz.net/aktuell/politik/inland/terrorabwehr-jung-entfuehrtes-flugzeug-notfalls-ohne-ge setz-abschiessen-1464394.html; letzter Abruf am 30. 08. 2016. 12 Zur römischen (Kriegs-)Diktatur etwa Wilcken, Zur Entwicklung der römischen Diktatur, 1940; Schneider, Die Entstehung der römischen Militärdiktatur, 1977, S. 106 ff. 13 Für die Aussetzung der Grundsätze der EMRK nach dem Putschversuch hat sich das Erdogan-Regime auf die Notstandsklausel des Art. 15 EMRK berufen.

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Anlagen verursacht sein. Das dabei zugrunde liegende menschliche Verhalten kann grundsätzlich durch Rechtsnormen beeinflusst werden. Das gilt eingeschränkt und modifiziert auch bei sog. ,technischem Versagen‘, das oft als Exkulpationsargument für die Beteiligten dient. Für die Qualifizierung eines Geschehens sind allerdings keineswegs alle Probleme erledigt. Es bleibt immer noch zu fragen: Hätte im Vorfeld einer technischen Katastrophe (z. B. bei einem Flugzeugabsturz oder einer Reaktorunfall) nicht z. B. durch Tests und Überwachungen das technische Versagen in einer Frühphase erkannt und so u. U. eine Katastrophe verhindert werden können? Technisches Versagen beruht nicht selten letztlich auf menschlichem Versagen. Die Technik selbst kann aber nicht Adressat von Rechtsnormen sein. Auch sog. technische Normen richten sich an die Menschen und nicht an die Technik. Technik ist aber das Ergebnis von menschlichem Verhalten (Konstruktion, Wartung, Bedienung von Maschinen und Anlagen) und dieses Verhalten kann dann in der Tat durch Recht gesteuert werden. Sind aber nun Naturkatastrophen überhaupt rechtlich normierbar und steuerbar?14 Sind sie mit den Mitteln des Rechts vermeidbar oder doch in ihren Wirkungen wenigstens verringerbar? Problematisch erscheint dies zunächst im Hinblick auf die möglichen Adressaten derartiger Regelungen. So kennen nach allgemeiner Auffassung Rechtsetzung, Rechtsvollzug und Rechtsprechung jenseits von Menschen (bzw. den durch sie gesteuerten Organisationen) keine anderen Adressaten. Der Einwirkungskreis der normativen Entscheidungen des Rechts erfährt so eine immanente Einschränkung. Ausgeschlossen sind damit rechtliche Gebote, die sich an die Natur, an das Schicksal oder an die ,Vorsehung‘ etc. richten. Historisch findet sich dieser Gedanke auch in der bereits geschilderten alten Sichtweise von Naturkatastrophen als höhere Gewalt wieder. Recht kann damit jedenfalls nicht den Eintritt von Naturkatastrophen verbieten oder ihren Eintritt sanktionieren. ,Mother Nature‘ ist keine Normadressatin. Gleichwohl wäre es verkürzt, aus der allgemeinen faktischen Begrenzung der Wirkungsmacht des Rechts gegenüber natürlichen Ereignissen einen gänzlichen Ausschluss der rechtlichen Normierbarkeit von Naturkatastrophen abzuleiten.15 Eine derartige Sichtweise würde die Dimension von Naturkatastrophen als soziale Phänomene verkennen. Naturphänomene (wie z. B. Hochwasser oder Erdbeben) werden nicht selten erst im Zusammentreffen auf menschliche Zivilisation zu Katastrophen und u. U. anschließend zu wirtschaftlichen oder politischen Krisen.16Max 14

Dazu und zum Folgenden Kloepfer, FS Papier 2013, S. 346 ff. So aber eine in der Soziologie anzutreffende Sichtweise, vgl. Clausen, Sind Katastrophen beherrschbar?, in: Kloepfer (Hrsg.), Katastrophenrecht: Grundlagen und Perspektiven, Bd. I, 2008, S. 15; Dombrowsky, Katastrophe und Katastrophenschutz, 1988, S. 98. 16 Umgekehrt kann es auch eine wirtschaftliche Krise sein, welche die schädliche Wirkung eines Naturphänomens verursacht bzw. vergrößert und es so zur Katastrophe im Rechtsinne werden lässt. Als Beispiel für einen derartigen Wirkungszusammenhang sei die Unterlassung von notwendigen Maßnahmen des Lawinenbaus oder der Deichpflege aus ökonomischen Gründen genannt. 15

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Frisch sagte in diesem Zusammenhang einmal zutreffend: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen.“17 Denn ohne gesellschaftlichen Kontext fehlt einem Naturereignis die Eigenschaft, sich schädlich auf Menschen und ihre Güter auszuwirken. Somit können auch die für die Qualifizierung als Katastrophe konstitutiven Merkmale des Großschadensereignisses und der Institutionenüberforderung rein faktisch nicht erfüllt werden.18 Also, verkürzt gesagt: Erst die menschliche Zivilisation kann aus einem natürlichen Ereignis eine Katastrophe machen. Dementsprechend sind natürliche Ereignisse wie Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche oder natürlich verursachtes Feuer für sich genommen wertneutrale Naturphänomene ohne Rechtskonsequenzen. Indessen ist der Begriff der „Naturkatastrophe“ missverständlich und unvollständig. Er lässt die entscheidende Konnexität von Natur und ihren Wirkungen auf die menschliche Zivilisation außer Acht und erweckt den Eindruck, es handele sich bei Katastrophen um rein natürliche Phänomene. Diese Fokusverengung von Naturkatastrophen als bloße Vorgänge der Natur ist aus heutiger Sicht verfehlt. Kritik daran spitzt sich insbesondere in Anbetracht des anthropogenen Einflusses auf die Natur zu.19 Das in der Gegenwart anzutreffende typische Zusammenspiel von Natur und Mensch oder Natur und menschlicher Zivilisation darf dementsprechend nicht unterschätzt werden. Nichtsdestotrotz kann allein ,Mother Nature‘ ein Naturereignis hervorrufen, wie dies seit Milliarden von Jahren in der erdgeschichtlichen Entwicklung fortlaufend der Fall war und auch in Zukunft so sein wird. Doch zeigt das bereits Gesagte deutlich, dass die letztendliche Einstufung eines natürlichen Phänomens als Naturkatastrophe maßgeblich von den Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation abhängt. Hier lassen sich auch die ,Einfallstore‘ der rechtlichen Regulierung von Naturkatastrophen bzw. deren Bewältigung oder Verhinderung erkennen: Über die Verhaltenssteuerung des Menschen ist insbesondere eine mittelbare Einwirkung auf die Vermeidung oder Verminderung von Schäden durch natürliche Ereignisse möglich. Denkbar sind z. B. Bauverbote in Überschwemmungsgebieten oder das Vorschreiben erdbebensicherer Gebäude. So gesehen zeigt sich, wie schwer es ist, heute noch ,reine‘ Naturkatastrophen zu finden. Naturkatastrophen haben in der Gegenwart regelmäßig eben einen auch anthropogenen Faktor. Man denke z. B. an Hochwässer, die kausal auch auf rigorosen Flussbegradigungen durch Menschen beruhen, oder an Dürreperioden, die durch den anthropogenen Klimawandel verursacht bzw. mitverursacht wurden oder an Lawinen, die durch menschlich verursachte Entwaldung der Berghänge vermehrt in die 17

Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän, 1979, S. 103. Vgl. Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde/Sellner (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, FS Sellner zum 75. Geburtstag, 2010, S. 391. 19 Siehe dazu i. R. d. Klimaschutzes Kloepfer, Klimaschutzrecht als Katastrophenprävention, in: Hebeler/Hendler/Proelß/Reiff (Hrsg,), Jahrbuch des Umwelt und Technikrechts, 2013, S. 10 ff. 18

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Täler abgehen. Selbst Erdbeben werden heute teilweise auf menschliche Einflüsse zurückgeführt (sog. induzierte Seismizität; z. B. durch Riesen-Staudämme mit den Einwirkungen ihrer Stauseen auf die Tektonik der Erdkruste).20 Festzuhalten bleibt, dass an den anthropogenen Anteilen von Naturkatastrophen das Recht ansetzen kann. Treten der Mensch und sein Verhalten in die Ereigniskette zu einer Naturkatastrophe ein oder hätte er in diese Kette katastrophenvermeidend oder -begrenzend eintreten können, kann das Recht als menschen-gerichtete Verhaltensanforderung ins Spiel kommen. So ist dies auch bei den gewiss nicht anthropogen verursachten Vulkanausbrüchen, bei denen jedoch durchaus vielfältige Präventionsmaßnahmen (z. B. Bauverbote an Vulkanhängen) möglich sind. Die rechtliche Einflussnahme auf Naturkatastrophen betrifft aber gerade nicht nur die Katastrophenbekämpfung (bei einer eingetretenen Katastrophe), sondern insbesondere auch das Gebiet der sog. Katastrophenvermeidung, obwohl sich die zugrundeliegenden natürlichen Ereignisse an sich als solche regelmäßig der rechtlichen Steuerung entziehen. Dementsprechend lassen sich die rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten je nach ihrer Wirkungsebene in solche reagierender und solche präventiver Art unterscheiden.21 Normierbar – weil zumindest durch menschliches Verhalten partiell steuerbar – sind damit die menschlichen Beiträge zur Verursachung oder zur Vergrößerung bzw. zur Verminderung von Naturgefahren (sog. anthropogene Beiträge) und die menschlichen Präventionsmaßnahmen. Nicht außer Acht gelassen werden darf weiterhin der Bereich der Katastrophenbekämpfung bei eingetretenen Katastrophen (vor allem in den Landeskatastrophenschutzgesetzen), der mit seinen Handlungs- und Duldungspflichten ebenfalls an menschlichem Verhalten ansetzt. Weitaus einfacher sind rechtliche Anknüpfungspunkte bei technischen Katastrophen zu finden, weil nicht nur deren Bekämpfung, sondern auch deren Verhütung an Pflichten der Beteiligten (Produzenten, Betreiber, Benutzer) ansetzen. Im Hinblick auf besondere Änderungen der Verwaltungszuständigkeiten (bezüglich der Kompetenzen von Katastrophenschutzbehörden), die in den Landeskatastrophenschutzgesetzes für den Katastrophenfall vorgesehen sein können, spielt die Differenzierung zwischen technischen und natürlichen Katastrophen keine Rolle. Jene sind vielmehr bei Katastrophen generell anwendbar. Insgesamt nähern sich die Konsequenzen von Naturkatastrophen und technischen Katastrophen zunehmend an. 2. Technische Katastrophen und Unglücksfälle Diese von ihren Ursachen unabhängige Behandlung von Katastrophen findet sich dagegen nicht im Grundgesetz wieder. So stehen in Art. 35 Abs. 2 und 3 GG „Natur20 Vgl. Bock, Induzierte Seismizität. Modelle und die Beobachtungen am Schlegeis- und Emosson-Stausee, 1978. 21 Kloepfer, FS Papier 2013, S. 348.

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katastrophen“22 und „schwere Unglücksfälle“ in einem Alternativverhältnis, was die natürliche und die technische Katastrophe deutlich trennt. Damit vollzieht das Grundgesetz die heute wohl überholte Gegenüberstellung von Naturkatastrophen und technischen Katastrophen nach und übersieht so den bereits dargestellten Einfluss des Menschen auf „Naturkatastrophen“.23 Im Gegensatz dazu definieren die Katastrophenschutzgesetze der Länder Katastrophen grundsätzlich unabhängig von ihren Ursachen. Sie erfassen z. B. bei der Bestimmung der Katastrophenschutzbehörden Naturkatastrophen und technische Katastrophen gleichermaßen. Neben diesem allgemeinen Landeskatastrophenschutzrecht (nebst Brandschutzrecht und Rettungsdienstrecht) stellen etwa das Seuchenrecht, aber auch z. B. das Hochwasserrecht Sonderrechtsgebiete des Katastrophenrechts dar. Auch das Europäische Primärrecht (z. B. in Art. 21 Abs. 2 Buchst. g) EUV, Art. 196 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV) differenziert zwischen „Naturkatastrophen [und] vom Menschen verursachten Katastrophen“. Als menschlich verursachte Katastrophen sollten bei Schaffung der Unions-Verträge vor allem wohl die terroristisch verursachten Katastrophen, aber auch der große Bereich der technischen Störfälle zu verstehen sein.24 Dass eine – wie vom Grundgesetz vorgenommene – strikte Unterscheidung zwischen den (scheinbar) ,god-made‘ Naturkatastrophen einerseits und den menschlich verursachten, d. h. den sog. ,man-made‘ -Katastrophen andererseits inzwischen wegen zahlreicher Überschneidungen nicht bzw. nicht mehr so haltbar ist, zeigt insbesondere die Katastrophe von Fukushima mit der Kombination von menschlich und natürlich verursachten Beiträgen. Aber auch die zurechenbaren anthropogenen Bestandteile von Naturkatastrophen und das menschliche Schadensminderungspotenzial lassen die Teilung zwischen natürlichen und menschlich verursachten Katastrophen jedenfalls teilweise überholt erscheinen. Eine undifferenzierte und hermetisch abgeschlossene Unterscheidung zwischen den Naturkatastrophen einerseits und den von Menschenhand verursachten Katastrophen andererseits birgt weiterhin die Gefahr, über die tatsächlichen Kausalitätszusammenhänge hinwegzutäuschen. So wird bereits begrifflich eine Mitverantwortlichkeit des Menschen ausgeschlossen (oder zumindest stark relativiert) und die Ursache der Katastrophe allein in der „Natur“ verortet. Es wird also impliziert, dass das Schadensereignis außerhalb der menschlichen Wirkungssphäre lag und man dagegen 22 Freilich enthält das Grundgesetz keine Legaldefinition von „Naturkatastrophen“. In den Kommentierungen zu Art. 35 GG wird dieser Begriff oftmals unter Rückgriff auf den Katastrophenhilfe-Erlass der Bundeswehr umrissen, vgl. v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2010, Bd. II, Art. 35, Rn. 70: „Als Naturkatastrophen werden demzufolge unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß angesehen, die durch Naturereignisse wie Erdbeben, Hochwasser, Eisgang, Unwetter, Wald- oder Großbrände durch Selbstentzündungen oder Blitze, Dürre oder Massenerkrankungen ausgelöst werden.“ 23 Vgl. Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, 2011, § 28, Rn. 17 ff. 24 Ausführlich zur Auslegung des Art. 196 AEUV Schwartz, Das Katastrophenschutzrecht der Europäischen Union, 2012, S. 33 ff.

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so oder so nichts hätte ausrichten können. Wenn aber der Mensch eine Naturkatastrophe hätte verhindern oder zumindest effektiver bewältigen oder doch seine Folgen hätte verringern können, so ist kein Platz für derart flächendeckende Exkulpationen. Insgesamt steht damit einer Normierung menschlichen Verhaltens zur Vermeidung und Bekämpfung von Naturkatastrophen kein unüberwindbares Hindernis entgegen, auch wenn ,die Natur‘ selbst natürlich nicht Normadressat sein kann. 3. Wissensprobleme Das Problem der rechtlichen Normierung von und zu Naturkatastrophen liegt nicht nur in der Bestimmung von Adressaten möglicher Rechtsnormen. Die eigentliche Schwierigkeit solcher Normierungen liegt vielmehr in der Praxis regelmäßig in dem recht begrenzten Wissen des Menschen um Eintritt, Ablauf, Wirkungen und Bekämpfungsmöglichkeiten von Naturkatastrophen.25 Die hinreichend genauen Kenntnisse von Kausalverläufen bei Naturkatastrophen fehlen der Politik und dem Recht häufig, wie insbesondere die bisherigen, nur begrenzt erfolgreichen Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels zeigen (s. u.). Ohne aber ein Mindestwissen über die Wirkungsgegenstände des Regelungsgegenstandes ist eine Schaffung von rationalem Recht nicht möglich. Hier zeigt sich Handlungsbedarf von Wissenschaft, Verwaltung, aber auch von Privaten, das benötigte Wissen zu mehren und bereitzustellen, um Voraussetzungen für eine rechtzeitige Vorhersehung und Begegnung von Katastrophen zu schaffen. Doch auch begrenztes Wissen schließt die gesetzliche Regelung von Naturkatastrophen nicht schlichtweg aus, ein Handeln des Gesetzgebers im Ungewissen ist dem Recht an vielen Stellen nicht fremd.26 Außerhalb des Katastrophenrechts sind das Umweltrecht, insbesondere das Klimaschutzrecht, und das Gesundheitsrecht einschließlich des Seuchenrechts markante Beispiele hierfür. Handeln im Ungewissen ist aber auch in anderen Rechtsgebieten verbreitet (z. B. auch im Wirtschafts- und Finanzrecht). Solche Fälle zeigen, dass der Gesetzgeber mit Gegensteuerungsmaßnahmen regelmäßig nicht warten darf, bis die Kausalität restlos geklärt ist, weil in der Zwischenzeit ein irreparabler Schaden entstehen kann. Dass es bei einem solchen Handeln im Ungewissen auch zu Fehlprognosen und Fehleinschätzungen kommen kann, ist unvermeidbar. Allerdings müssen bei solchen Fehlprognosen und Fehleinschätzungen schnellstmöglich Korrekturen erfolgen, sobald die Fehler der zugrunde liegenden Annahmen deutlich werden.

25

Vgl. Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde/Sellner (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, FS Sellner zum 75. Geburtstag, 2010, S. 397. 26 Vgl. nur die zahlreichen Beispiele im Sammelband Scharrer/Dalibor/Rodi/Fröhlich/ Schächterle (Hrsg.), Risiko im Recht – Recht im Risiko, 2011, welche etwa die Kernenergie, die Nanotechnologien, das Beweisrecht, und die Technologie Carbon Dioxide Capture and Storage behandeln.

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III. Zur Vermeidung von Naturkatastrophen durch Recht 1. Ansatzpunkte für die rechtliche Normierbarkeit von Katastrophen Wenn das Naturkatastrophenrecht grundsätzlich überall dort ansetzen kann, wo menschliches Verhalten im Hinblick auf die Vermeidung und Bekämpfung von Naturkatastrophen bzw. bei der Begrenzung und Beseitigung von Katastrophenfolgen in Betracht kommt, muss geklärt werden, was dies eigentlich konkret bedeutet. Dazu sind im Kern vier funktionale Erscheinungsformen bzw. Phasen des Katastrophenschutzes zu unterscheiden: Die Katastrophen Vermeidung, die Katastrophenvorsorge (Vorbereitung der Katastrophenbekämpfung, etwa durch Übungen oder durch Ausrüstung der Feuerwehren), die (eigentliche) Katastrophenbekämpfung und die Katastrophennachsorge.27 In den Katastrophenschutzgesetzen der Länder stehen die Katastrophenbekämpfung (Katastrophenrecht i. e. S.) und deren Vorbereitung (Katastrophenvorsorge) im Vordergrund. Die zeitlich am frühesten ansetzende Phase der Katastrophenvermeidung erscheint dabei als Königsweg des Katastrophenrechts. So erfordert eine vermiedene Katastrophe weder eine Katastrophenbekämpfung noch eine Katstrophennachsorge. Bei wirksamer Katastrophenvermeidung gehen die Regelungen zur Katastrophenbekämpfung vielmehr faktisch ins Leere; sie haben sich im konkreten Fall erübrigt. Als optimale Form der rechtlichen Bewältigung von Katastrophen hat die Katastrophenvermeidung allerdings bislang nur relativ wenig juristische Beachtung erfahren. 2. Vermeidung und Verringerung von Naturkatastrophen Rechtliche Regelungen zu Naturkatastrophen können regelmäßig nicht den Eintritt natürlicher Ereignisse (z. B. Erdbeben, Hochwasser, Starkregen, Orkane) verhindern, wohl aber in unterschiedlichem Ausmaß den Eintritt hieraus resultierender Schäden verhindern oder doch reduzieren. Die Rechtsordnung kann dafür sorgen, dass sich aus einem natürlichen Ereignis keine bzw. keine großen Schadensfolgen, d. h. keine Katastrophen entwickeln (z. B. durch Bauverbote in Hochwassergebieten, in Lawinengebieten oder – außerhalb Deutschlands – an Hängen aktiver Vulkane). Bei der rechtlichen Regelung von Naturkatastrophen muss zwischen zwei Stufen der Katastrophenprävention unterschieden werden: der Schadensverhinderung bzw. Schadensvermeidung als Primärstufe und der Schadensverminderung als Sekundärstufe, wobei diese Abgrenzung faktisch allerdings nicht immer trennscharf ist. Vorrangig erstrebenswert ist die Schadensvermeidung. Es geht dabei um den Ansatz, bei dem Eintritt gefährlicher natürlicher Ereignisse die Entstehung von Schäden überhaupt zu verhindern, Beispiele stellen hierzu die erwähnten Bau- und Ansiedlungsverbote in Hochwassergebieten dar. Dadurch wird zwar nicht das Hochwasser, 27 Zu dieser funktionalen Systematisierung des Katastrophenschutzes Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 1, Rn. 44 ff.

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wohl aber etwa die Überschwemmung von Gebäuden und die damit verbundenen Schäden und Gefahren für den Menschen verhindert. Ähnliches gilt für die Ableitung von Hochwasser auf Überschwemmungsgebiete zum Schutz von Siedlungsgebieten.28 Bei den Strategien der Schadensvermeidung handelt es sich um Maßnahmen, die zwar nicht das Naturereignis selbst verhindern, sehr wohl aber auch die hieraus schädigenden Folgen verhindern können. Durch das Vorhalten von einschlägigen Schutzmechanismen soll der Schaden eines Ereignisses verhindert oder doch derart minimiert werden, dass das Schadensausmaß letztlich die Katastrophenschwelle gar nicht erst erreicht (z. B. durch das Anlegen von Brandschutzschneisen in Wäldern, durch den Aufbau von Hydrantennetzen, oder generell durch die Schaffung von Möglichkeiten schneller Katastrophenschutzeinsätze). Dabei kommen insbesondere technische Schutzmaßnahmen in Gestalt insbesondere von Deichen oder Lawinenwänden, aber etwa auch von Schutzwäldern und Steinschlagverbauungen in Betracht. Zu denken ist auch an Maßnahmen des baulichtechnischen Gebäudeschutzes z. B. gegen Steinschläge, Stürme und Erdbeben. Schadensverminderung beschreibt dagegen die Verminderung eines bereits eingetretenen – also nicht mehr zu verhindernden – Ereignisses durch die Existenz technischer Schutzvorrichtungen. Zentral bei der Katastrophenprävention in Form der Folgenvermeidung ist damit die Begrenzung möglicher Schäden auf ein Minimum. Obwohl die Schadensvermeidung an sich die attraktivere Variante darstellt, wird in der Realität die Variante der Schadensverminderung im Vordergrund stehen.

3. Bisherige gesetzliche Regelungsansätze Bereits bestehende gesetzliche Regelungsansätze zur Verhinderung von Naturkatastrophen finden sich insbesondere im Bau- und Raumordnungsrecht, aber auch in sondergesetzlichen Regelungen. So stellen etwa die Belange des Hochwasserschutzes nach § 1 Abs. 6 Nr. 12 BauGB eine Planungsleitlinie des Bauplanungsrechts dar. Ziel ist dabei eine räumliche Steuerung von Siedlungen und Wirtschaftsbetrieben, die gefährliche oder katastrophale Hochwassersituationen von vornherein vermeidet. Weitere Maßnahmen der Katastrophenvermeidung sind etwa Flussregulierungen und die Bereitstellung von Hochwasserretentionsflächen. Der Vermeidung und Bekämpfung von Hochwasserrisiken dienen vor allem die Vorschriften im Hochwasserschutz in den §§ 72 ff. WHG und in den Landeswassergesetzen.29 Weiterhin ist in § 1 Abs. 5 BauGB die klimagerechte Stadtentwicklung als Ziel und Grundsatz der Bauleitplanung aufgenommen worden. Mittels dieser Vorgabe soll einerseits auf die Bedürfnisse des – hier sogleich zu erörternden – Klimaschutzes reagiert werden und andererseits der Anpassung an den Klimawandel Rechnung ge28

Vgl. hierzu § 76 Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts – Wasserhaushaltsgesetz – WHG v. 31. 07. 2009, BGBl. I, S. 2585, zuletzt geändert durch G. v. 04. 08. 2016, BGBl. I, S. 1972. Dazu Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 14, Rn. 360 ff. 29 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 14, Rn. 347 ff.

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tragen werden. Seitdem ist die klimagerechte Stadtentwicklung primäres Ziel der Bauleitplanung und wird zudem durch die Klimaschutzklausel in § 1a Abs. 5 BauGB flankiert.30 Die Anpassung an den Klimawandel findet sich ebenfalls in § 2 Abs. 2 Nr. 6 Raumordnungsgesetz als Grundsatz der Raumordnung. 4. Klimaschutz Obwohl das Klimaschutzrecht überwiegend nicht Katastrophenrecht im eigentlichen Sinn darstellt, hat es doch wichtige Verbindungen zu diesem.31 Das Klimaschutzrecht kann sehr wohl auch dazu dienen, klimaverursachte Katastrophen (insbesondere Überschwemmungen) zu vermeiden oder in ihren Folgen zu mindern. Für den Klimaschutz ergeben sich aus obigen Überlegungen wichtige Folgerungen, wobei zwischen anthropogenem und natürlichem Klimawandel zu unterscheiden ist, deren Unterscheidbarkeit freilich im Einzelnen schwierig sein kann. Der klassische Klimaschutz bekämpft grundsätzlich nur den anthropogenen Klimawandel. Dieser anthropogene Klimawandel ist schon deshalb durch Recht steuerbar, weil er an den menschlich verursachten Klimaveränderungen bzw. an die zu diesen Klimaveränderungen führenden menschlichen Verhalten ansetzen kann. Es geht im Bereich der Bekämpfung der Treibhausgase vor allem um die unterschiedlichen Maßnahmen zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen (Abgasvorschriften, Steigerung der Energieeffizienz, Treibhausgasemissionshandelssysteme, Energiewende), aber etwa auch um die Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2 (Carbon Dioxide Capture and Storage – CCS).32 Im Bereich der Bekämpfung des Ozonabbaus kann das Recht die Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen verbieten, was auch – nahezu weltweit – geschehen ist. Regelungen zum anthropogenen Klimawandel können – theoretisch – auf die Vermeidung oder aber vor allem auf die Reduzierung dieses Klimawandels zielen, zum Teil aber auch nur auf eine Verringerung schädigender Folgen des Klimawandels. Regelungen zum natürlichen Klimawandel müssen zunächst die – schon erwähnte – Einsicht berücksichtigen, dass die Natur keine Adressatin von Rechtsnormen sein kann. Deshalb fällt das Recht als Instrument der unmittelbaren Verhinderung des natürlichen Klimawandels praktisch aus. Dennoch sind – ähnlich wie bei Naturkatastrophen – Regelungen zur Schadensvermeidung, bzw. aber praktisch vor allem zur Schadensreduzierung (etwa durch Maßnahmen des Bio-engineerings) durchaus denkbar und grundsätzlich auch sinnvoll, wenn die entsprechenden Maßnahmen technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar sind. 30

Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 11, Rn. 195 ff. Zur Katastrophenvermeidung durch Umweltrecht, dem das Klimaschutzrecht primär zuzuordnen ist, vgl. Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 22. 32 Ausführlich Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 17. 31

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

Neben Regelungen zur Vermeidung bzw. zur Reduzierung des Klimawandels gibt es das große, rechtlich noch weitgehend zu gestaltende Gebot der Anpassung an den Klimawandel33, das sowohl bei nicht vermeidbaren natürlichen Klimaveränderungen oder aber auch bei nicht vermiedenen anthropogenen Klimaveränderungen ansetzt. Die Anpassung an den Klimawandel verfolgt dabei das Ziel, negative Folgen des Klimawandels zu verringern, Risiken und Schäden zu minimieren oder aber auch – umgekehrt – mögliche Vorteile des Klimawandels für eine Region nutzbar zu machen.34 Es geht darum, in der Zukunft mit dem Klimawandel zu leben. Die Nicht-Vermeidung anthropogener Klimaveränderungen kann politische, ökonomische oder technische Gründe haben, insbesondere aber auch auf politischem oder unternehmerischem Versagen beruhen. Festzuhalten bleibt, dass die Aufgabe der Anpassung an den Klimawandel sich sowohl auf den anthropogenen als auch auf den natürlichen Klimawandel beziehen kann. Sollte es aufgrund oder im Verlauf des Klimawandels zu hierdurch verursachten Katastrophen kommen (z. B. Hochwässer), kommt das Katastrophenrecht i. e. S. mit den geschilderten Phasen der Katastrophenbekämpfung, der Katastrophenvorsorge und der Katastrophennachsorge zur Anwendung. Der rechtliche Hauptunterschied zwischen natürlichem und anthropogenem Klimawandel liegt- wie erwähnt- in der Vermeidung des Klimawandels, der nur beim anthropogenen Klimawandel denkbar erscheint. Faktisch schleift sich freilich dieser Unterschied zwischen natürlichem und anthropogenem Klimawandel schon deshalb ab, weil natürlicher und anthropogener Klimawandel häufig zusammenwirken und bisweilen nur schwer voneinander trennbar sind. Insbesondere beim Klimaschutzziel der Beseitigung oder Vermeidung vorhandener Treibhausgase in der Atmosphäre, werden die Formen anthropogener und nicht-anthropogener Klimaveränderungen notwendigerweise zusammen erfasst (z. B. bei der Anlage von ,Senken‘, wie etwa von Wäldern etc.). Insgesamt kann das Recht auf unterschiedlichen Rechtserzeugungsebenen versuchen, den Klimawandel zu vermeiden oder seine Folgen zu reduzieren bzw. Anpassungen an den Klimawandel herbeizuführen. Es ist dabei vor allem an das Völkervertragsrecht, das EU-Recht, das Bundesrecht, aber insbesondere auch an das Landesrecht einschließlich des kommunalen Rechts zu denken. Angesichts ungeklärter bzw. nicht abschließend geklärter Kausal- und Wirkungsbeziehungen im Klimageschehen, aber auch angesichts gewaltiger einschlägiger politischer und ökonomischer Barrieren wird das Recht bezüglich der Vermeidung anthropogener Klimaveränderungen sich sowohl im internationalen Bereich wie auch auf nationaler Ebene voraussichtlich nur langsam entwickeln. 33

Umfassend Fischer, Grundlagen und Grundstrukturen eines Klimawandelanpassungsrechts, 2013; Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 17, Rn. 230 ff. 34 Vgl. Kloepfer, Klimaschutzrecht als Katastrophenprävention, in: Hebeler/Hendler/ Proelß/Reiff (Hrsg,), Jahrbuch des Umwelt und Technikrechts, 2013, S. 11.

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Demgegenüber wird die rechtliche Gestaltung der – auf den ersten Blick fast schon resignativ wirkenden – Anpassung an den Klimawandel leichter fallen, u. a. weil hier – häufig nur schwierig zu ermittelnde – Schuld- und Verantwortungsfragen weitgehend ausgeklammert werden können. Im Übrigen können die Anpassungsmaßnahmen auch dezentral (z. B. durch die Landesklimagesetze und kommunales Satzungsrecht) erfolgen. Zudem leuchtet die Notwendigkeit, sich an den Klimawandel anzupassen (z. B. bei der Erhöhung von Dämmen angesichts der Meeresspiegelerhöhung), der Bevölkerung regelmäßig unmittelbar ein.

IV. Kompetenzprobleme In der Bundesrepublik Deutschland wird die Schaffung eines effektiven Katastrophenregiments insbesondere dadurch erschwert, dass mit der Katastrophenprävention einerseits und der Katastrophenabwehr andererseits zwei inhaltlich verwandte Aufgaben und damit Regelungsmaterien vorliegen, die weitgehend unterschiedlichen Rechtsetzungs- und Verwaltungsebenen zugeordnet sind. So ist die Katastrophenvermeidung als Gesetzgebungsaufgabe hauptsächlich auf der Bundesebene angesiedelt (z. B. im Immissionsschutzrecht und Atomrecht), während für die operative Katastrophenbekämpfung und ihre Regelung regelmäßig die Länder zuständig sind. Vereinfacht gesprochen: Der Bund soll mögliche künftige Katastrophen durch Gesetzgebung vermeiden, die Länder sollen – eingetretene – Katastrophen aufgrund ihrer Katastrophenschutzgesetze bekämpfen. Naturkatastrophenvermeidung unterfällt also zu einem beträchtlichen Teil unter die Rechtsetzungsgewalt des Bundes (mit Bundesrechtsvollzug durch die Länder, Art. 84 GG) – z. B. beim Hochwasserschutz –, während die Gesetzgebungszuständigkeiten auf dem Gebiet der Naturkatastrophenbekämpfung (Katastrophenschutz i. e. S.) bzw. der Naturkatastrophenvorsorge (Einübung des Naturkatastrophenschutzes) bei den Ländern liegen. Bund- und Länderzuständigkeiten stehen sich insoweit weitgehend unverbunden gegenüber.35 Die Länder haben entsprechend ihren Zuständigkeiten durchweg allgemeine oder auch spezifische (von ihnen selbst vollzogene) Katastrophenschutzgesetze erlassen und Katastrophenschutzbehörden eingerichtet.36 Diese Zuständigkeitszersplitterung der inhaltlich verbundenen Materien der Katastrophenprävention als Bundesgesetzgebungskompetenz und der Katastrophenbekämpfung als Ländergesetzgebungskompetenz ist insbesondere deshalb bedenklich, weil der Katastrophenschutz i. e. S., d. h. die Katastrophenabwehr auf Grundlage der Landeskatastrophenschutzgesetze, typischerweise erst bei der Wirkungslosigkeit bzw. beim Versagen der Katastrophenvermeidung notwendig wird.37 Und bei der Ka35

Vgl. Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde/Sellner (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, FS Sellner zum 75. Geburtstag, 2010, S. 400. 36 Siehe dazu näher: Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 10. 37 So auch Trute, Katastrophenschutzrecht – Besichtigung eines verdrängten Rechtsgebiets, KritV 2005, 342 ff.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

tastrophenvermeidung, z. B. bei der Regulierung von Produkten und Produktionsverfahren, sollten auch stets Anforderungen eines (u. U. später erforderlichen) operativen Katastrophenschutzes berücksichtigt werden. Die Katastrophenschutzkompetenzen der Länder haben bisher aber keine oder allenfalls geringe kompetenzrechtliche Bezüge zu den bundesrechtlichen Regelungen der Katastrophenvermeidung. Trotz der tatsächlichen Überschneidungen existieren kaum rechtliche Schnittstellen zwischen der Katastrophenvermeidung einerseits und der Katastrophenbekämpfung bzw. Katastrophenvorsorge andererseits.38 Eine Lösung dieser Problematik auf der Gesetzgebungsebene könnte durch eine – in der Vergangenheit politisch freilich nicht durchsetzbare – Grundgesetzänderung stattfinden, etwa durch die Schaffung einer Bundeskompetenz für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz.39 Im EU-Bereich wiederholt sich dieses Ringen um Kompetenzen in einschlägigen Auseinandersetzungen insbesondere zwischen der EU (genauer: der Kommission) und den Mitgliedstaaten.40 Art. 196 AEUV begrenzt dabei die Funktion der EU auf unterstützende und koordinierende Tätigkeiten bei gleichzeitigem „Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten“.41 Eine Katastrophenschutz- oder eine Feuerwehr-Truppe der EU bliebe jedenfalls nach jetzigem Primärrecht kompetenzrechtlich außerordentlich fragwürdig. Auch kommen dabei Zweifel an der potenziellen Effektivität solcher Katastrophenschutzkräfte der EU auf.

V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Der kurze Einblick in das Katastrophenrecht, insbesondere in das Naturkatastrophenrecht, hat gezeigt, dass die Frage nach der Vermeidung bzw. Verringerung von Naturkatastrophen durch Recht teilweise bejaht werden kann. Dabei wurde deutlich, welche Rolle Recht auch im präventiven Bereich des Naturkatastrophenmanagements spielen kann: Auch wenn regelmäßig die Verhinderung von Naturereignissen außerhalb des menschlichen Einflusses liegt, kann doch die Steuerung menschlichen Verhaltens die durch Naturereignisse entstandenen Schäden vermeiden oder wenigstens verringern. Recht kann dabei insbesondere die Reaktion von Menschen bei und auf schädliche Naturereignisse steuern. 38 Vgl. zu dieser Problematik auch schon Trute, Katastrophenschutzrecht – Besichtigung eines verdrängten Rechtsgebiets, KritV 2005, 342 ff. 39 Vgl. zu etwaigen Lösungsversuchen Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde/Sellner (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, FS Sellner zum 75. Geburtstag, 2010, S. 400 f. 40 Zur Kompetenzlage im europäischen Katastrophenschutzrecht Kloepfer, Handbuch des Katastrophenrechts, 2015, § 2, Rn. 5 ff.; Kloepfer/Schwartz, Katastrophenschutz, in: Wegener (Hrsg.), Europäische Querschnittspolitiken, Bd. 8, EnzEuR, 2014. 41 Kloepfer, Rechtliche Grundprobleme des Katastrophenschutzes, in: Dolde/Sellner (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, FS Sellner zum 75. Geburtstag, 2010, S. 400.

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Eine besondere Herausforderung stellt sich dabei im Hinblick auf die Eigenschaft des Naturkatastrophenrechts als rechtliche Querschnittsmaterie. Die Vermeidung von Katastrophen verlangt auf allen Ebenen eine interdisziplinäre, ressort- und fachübergreifende Zusammenarbeit aller Beteiligten. Hier zeigt sich, dass ein effektiver Katastrophenschutz nur gesamtstaatlich und gesamtgesellschaftlich verwirklicht werden kann. Das bedeutet nicht notwendig ein Votum für eine Zentralisierung und für eine völlige Verstaatlichung des Katastrophenmanagements, sondern eher ein Votum für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen Staat und Gesellschaft im Sinne einer koordinierenden Ergänzung. Die an sich so intelligente Staatsform des Föderalismus stößt in diesem Zusammenhang allerdings mit ihrer derzeitigen Zuständigkeitsverteilung bei Vermeidung bzw. Bekämpfung von Katastrophen an ihre Grenzen. Im Übrigen überzeugt die derzeitige Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern – Zivilschutz beim Bund; Katastrophenschutz i. e. S. bei den Ländern – kaum. Der bisherige Kompetenzwirrwarr bei der Katastrophenvermeidung und beim Katastrophenschutz könnte wohl nur durch wechselseitige Kompetenzverschiebungen und -verzahnungen zwischen Bund und Ländern beseitigt werden. Unübersichtlich und zerstückelt ist die Zuständigkeitsverteilung auch innerhalb der Bundesregierung selbst. In vielen Bundesministerien gibt es katastrophenrelevante Zuständigkeiten. Die katastrophenbezogenen Zuständigkeiten sind auf der Ebene der Bundesregierung also über verschiedene Ressorts verstreut. Es scheint allerdings kaum jemand da zu sein, der diese Kompetenzen inhaltlich zusammenhält. Die Bundeskanzlerin hat sich – soweit erkennbar – bisher kaum zur Koordination bzw. Neukonzeption der Katastrophenkompetenzen im Bundeskabinett geäußert. Einschlägige Koordinationsbemühungen des hier wohl am ehesten zuständigen Bundesinnenministeriums sind bisher nur wenig erkennbar. Katastrophenschutzministerien gibt es bekannterweise in Deutschland weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Andere Staaten, etwa die Schweiz, Russland, die Ukraine und Japan, kennen jedoch solche Katastrophenschutzministerien. Das Fehlen eines Katastrophenschutzministeriums in Deutschland zeigt im Übrigen auch, dass der Katastrophenschutz insgesamt hierzulande derzeit kein besonders großes politisches Gewicht hat,42 obwohl z. B. die diversen Hochwasserkatastrophen in Deutschland seit Jahren nicht abnehmen und etwa große Störfälle in Chemiewerken und Atomreaktoren nach wie vor nicht ausgeschlossen werden können. Der Kompetenzwirrwarr auf dem Gebiet der Bundesministerien wird aufgenommen und noch vervielfältigt durch einen entsprechenden Wirrwarr der katastrophenrelevanten Zuständigkeiten der Bundesoberbehörden und oberen Bundesämter etc. Dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist es bisher 42 Es bleibt abzuwarten, ob das im August 2016 vorgelegte Zivilschutzkonzept des Bundesministeriums des Inneren dies nachhaltig ändern wird, abrufbar unter: https://www.bmi. bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2016/konzeption-zivileverteidigung.pdf?__ blob=publicationFile; letzter Abruf am 30. 08. 2016.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

kaum gelungen, eine Koordinations- oder sogar Vorbildfunktion bezüglich der übrigen Bundesoberbehörden zu entfalten. Die Zerrissenheit der einschlägigen Zuständigkeiten und das Koordinationsdefizit der oberen Bundesbehörden hängen maßgeblich mit der Ressortabhängigkeit der Bundesoberbehörden und anderer oberer Behörden zusammen. Diese agieren in der jeweiligen umzäunten Kompetenz ihres Mutterressorts und schöpfen dabei diese Kompetenzen ihrer Ressorts sogar nicht immer aus. Es wäre wohl an der Zeit, jedenfalls im Bereich der Katastrophenvermeidung und Katastrophenbekämpfung, aber auch darüber hinaus, die Zusammenarbeit der Bundesoberbehörden mit katastrophenbezogenen Aufgaben zu verbessern. Allgemein gesprochen könnte – langfristig gesehen – durch die Kooperation der Bundesoberbehörden untereinander eine neue, bisher unterschätzte bundesstaatliche Kooperationsebene entstehen. Auch wenn der Begriff Naturkatstrophe anderes vermuten lässt, können im Ergebnis die vielen Varianten menschlicher Verantwortung bei solchen Katastrophen nicht bestritten werden. An diesen Verantwortungssituationen kann Recht anknüpfen und Anforderungen an das Verhalten stellen. Solche Anforderungen müssen in einem Rechtsstaat in Rechtsnormen gefasst, von der Verwaltung vollzogen und von der Rechtsprechung rechtlich abschließend beurteilt werden können. Fest steht damit jedenfalls, dass die Qualifizierung von Ereignissen als Naturkatastrophen den Menschen, die Gesellschaft und den Staat nicht aus deren Verantwortung für bzw. in solche(n) Notsituationen entlässt. Dabei gibt es Verantwortlichkeiten des Menschen insbesondere im Hinblick auf die Vermeidung und Bekämpfung von Katastrophen sowie – bisher kaum rechtlich verdichtet – auch auf die Katastrophennachsorge, d. h. auf die Beseitigung von Katastrophenfolgen. Eine letzte Bemerkung zur grundsätzlichen Bewertung: Selbst wenn die Öffentlichkeit Katastrophen grundsätzlich als negativ und bedrohlich empfindet, dürfen dabei aber die eventuell auch positiven Aspekte von Katastrophen, einschließlich von Naturkatastrophen, nicht übersehen werden. Katastrophen bieten stets auch Chancen des gesellschaftlichen Lernens – sei es auch aus eigenen Fehlern. Es muss hier so etwas wie ein Lernen aus Katastrophen in einer lernenden Gesellschaft geben. Zu denken ist etwa an die historischen Fortschritte im Brandschutz, im technischen Sicherheitsrecht, im Seuchenschutz- und im Hochwasserrecht, die durchgängig an vorausgegangene kollektive Katastrophenerfahrungen eines Staates (bzw. in einem Staat) ansetzen. Wenn Staat und Gesellschaft aus Katastrophen allerdings nichts mehr lernen können oder wollen, wäre dies wahrlich eine politische Katastrophe.

Dimensionen der Umweltagrarpolitik* ** Den zahlreichen Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft soll mit dem Konzept der ökologischen Landwirtschaft sowie auf EU-Ebene durch das „Greening“ der Gemeinsamen Agrarpolitik und durch die Strategie „Förderung der ländlichen Entwicklung“ entgegengewirkt werden. Das herrschende Konzept der Schutzguterstarrung im Umweltrecht, z. B. Schutz der gegenwärtig existierenden Landwirtschaft bzw. der derzeit existierenden Tier- und Pflanzenarten gehört auf den Prüfstand. Auch im Klimaschutz als Schutz des derzeitigen Klimas ist die Schutzguterstarrung begründungsbedürftig. Eine realistische Strategie wird dabei derzeit nicht primär auf eine Beseitigung der Klimaerwärmung, sondern juristisch eher auf eine Anpassung an den Klimawandel zielen müssen.

I. Landwirtschaft und Umweltschutz Landwirtschaft und Umweltschutz ziehen sich einerseits an, stoßen sich aber gleichzeitig auch ab. Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist die Landwirtschaft auf die Umwelt angewiesen. Sie ist – ähnlich wie die Forstwirtschaft – in ihrem wirtschaftlichen Wohlergehen von der Leistungsfähigkeit und Qualität der Umweltmedien abhängig. Auf der anderen Seite gerät insbesondere die intensive Landwirtschaft mit den Belangen des Umwelt- und Naturschutzes in einen Zielkonflikt.1 Auch in der Zielsetzung der Zeitschrift „Natur und Recht“ findet dieser Konflikt seinen Widerhall, schließlich beschäftigt sich die Zeitschrift seit langem sowohl mit Naturschutzrecht als auch solchem Recht, welches „der Umwelt zusetzt“.2

* Erstveröffentlichung in: NuR 2018, S. 11 – 16. ** Herrn Valerian von Nicolai, Berlin, danke ich für seine Mitarbeit 1 Vgl. Umweltbundesamt, 30 Jahre SRU-Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft“ – eine Bilanz, 2015 (im Folgenden: Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015); eine komplette Neubearbeitung des Berichtes von 1985: Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltprobleme in der Landwirtschaft, Sondergutachten 1985, BT-Drs. 10/3613; Henneke, Landwirtschaft und Naturschutz, 1986, S. 48 ff. für eine Auflistung von Zielkonflikten zwischen Landwirtschaft und Naturschutz; Möker, in: Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, § 15 Rn. 8 ff.; Queisner, Rahmenbedingungen für eine umweltverträgliche Landwirtschaft im Europarecht, 2013, S. 54 ff. 2 So die Selbstbeschreibung.

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1. Umweltbeeinträchtigungen durch die Landwirtschaft Auf vielfältige Weise beeinflusst die Landwirtschaft in der Gesamtheit ihrer gegenwärtigen Wirtschaftsweise die Umwelt eher negativ.3 So wird etwa die Landwirtschaft als größter Flächennutzer Deutschlands4 verantwortlich gemacht für ökologische Probleme wie der Verlust an Biodiversität, den Belastungen des Bodens und Erosion, die Verarmung des Landschaftsbildes (z. B. „Vermaisung der Landschaft“5, die Beseitigung der kleinteiligen Bewirtschaftung und der Grenzhecken als Rückzugsflächen) und die Schadstoffeinträge in Luft und Gewässer. Zudem hat die Landwirtschaft auch einen substantiellen Anteil an Treibhausgasemissionen,6 deren künftige Begrenzung im Interesse des Klimaschutzes eine unverzichtbare Zukunftsaufgabe ist. Viele umweltbelastende Einflüsse müssen heute mit der Intensivlandwirtschaft in Verbindung gebracht werden, insbesondere intensiver Pflanzenanbau und Massentierhaltung.7 Die Ursachen für die negativen Einwirkungen der Landwirtschaft auf die Artenvielfalt sind vor allem die Schädigung von Arten durch Kontakt mit Pflanzenschutzund Düngemitteln und die Verminderung des Nahrungsangebots für verschiedene Arten sowie der Verlust von Grenzhecken.8 Hinzu kommen die Aufgabe von traditionellen, extensiven – also mit geringem Kapital- und Arbeitsaufwand verbundenen9 – Landnutzungsformen und Fruchtfolgegestaltungen zugunsten einer intensiven Nutzung mit einem Einsatz von schweren Maschinen in hoher Intensität, dazu das Eindringen invasiver Arten.10 Das Landschaftsbild ist Veränderungen unterworfen, wenn extensiv genutzte Grünflächen, Streuobstwiesen und eine vielfältige Fruchtfolge aufgegeben werden 3

Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 86 ff.; vgl. von Haaren, Ziele einer modernen Landwirtschaft unter Berücksichtigung des Umweltschutzes, 22. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, 2007, S. 11 ff.; Henneke, Landwirtschaft und Naturschutz, 1986, S. 45 ff.; Klinck, Agrarumweltrecht im Wandel. Vom Subventionsrecht zum Recht der Umweltdienstleistung, 2012, S. 18 ff. 4 184 332 km2 oder mehr als die Hälfte Deutschlands werden von der Landwirtschaft genutzt, Statistisches Bundesamt, Fachserie 3, Reihe 5.1, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, 2015, S. 7. 5 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 177. 6 Peine, Landwirtschaft und Klimaschutz, NuR 2012, 611, 612 ff.; die Landwirtschaft in Deutschland ist die drittgrößter Emittentin von Treibhausgasen nach den Quellgruppen Energie und Industrieprozesse mit 7,2 % der CO2-äquivalenten Emissionen, Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 155. 7 Möker, in: Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. 16 ff.; Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 48 ff. zur Tierhaltung und S. 54 ff. zum Pflanzenanbau. 8 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 96 ff. 9 http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Glossary:Extensive_farming/de. 10 http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Glossary:Extensive_farming/ de; vgl. Schumacher, Landwirtschaft und Biodiversität – Widerspruch oder Chance? in: Landwirtschaft und Umweltschutz, 22. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht, 2007, 53 ff.

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und die Schlaggröße (Feldgröße) erhöht wird.11 Zudem führte die Landwirtschaft in der DDR mit der Zwangskollektivierung (LPGs) in ihrem Gebiet ohnehin zu sehr großen Bewirtschaftungsflächen und verstärkte außerdem den Trend zu Monokulturen. Wer die Veränderung des Landschaftsbildes in Deutschland beklagt, muss allerdings bedenken, dass die traditionelle deutsche Landschaft in der Regel ebenfalls das Ergebnis einer Landschaftsumgestaltung durch die Landwirtschaft früherer Jahrhunderte mit intensiven Waldrodungen, Trockenlegungen und Terrassierungen (Weinbau etc.) ist. Auch den Zustand des Bodens kann die Landwirtschaft negativ beeinflussen, indem sie ihn verdichtet und mechanisch belastet, Dünge-, Pflanzenschutzmittel, Klärschlämme auf den Boden ausbringt. Zudem befördert sie die Erosion der Böden und den Humusabbau durch Fruchtfolgegestaltung und Düngung.12 Durch Ausbringung von Düngern und deren mikrobielle Zersetzung, sowie durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und durch Bodenbearbeitung bewirkt die Landwirtschaft zudem den Ausstoß von Luftschadstoffen.13 Die industrielle Tierhaltung ist schließlich für Geruchsbelästigungen und die Freisetzung von großen Mengen Ammoniak und von Feinstaub verantwortlich.14 In engem Zusammenhang mit der Qualität des Bodens stehen qualitative und quantitative Veränderungen des Wasserhaushalts.15 Die Wasserrückhaltefähigkeit ist bei intensiv bewirtschafteten Flächen wesentlich geringer als die von Wald oder ökologisch bewirtschafteten Flächen, außerdem werden toxische Stoffe und solche, die zur Eutrophierung von Gewässern führen, eingetragen.16 2. Umweltvorteile durch die Landwirtschaft In einer Gesamtschau dürfen aber die positiven Einwirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt nicht vernachlässigt werden. Durch die landwirtschaftliche Kultivierung der vergangenen Jahrhunderte entstand überhaupt erst eine artenreiche agrari-

11

Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 177 ff. Ginzky, ZUR 2010, 1, 2; Möker, in: Koch, Umweltrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. 9 f.; Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 111 f., 123 f.; vgl. Ehlers/ Ginzky, ZUR 2014, 577. 13 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 191; vgl. Möckel, Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft, 2006, S. 31 f. 14 Klinck, Agrarumweltrecht im Wandel, 2012, S. 26; Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 191. 15 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 216 ff. 16 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 216 ff.; Umweltbundesamt, Rechtliche und andere Instrumente für vermehrten Umweltschutz in der Landwirtschaft, 2014, S. 215 ff.; vgl. Klein, NuR 2016, 399, 400. 12

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sche Kulturlandschaft in der traditionellen Form.17 Mit der extensiven Bewirtschaftung durch den Menschen bis in die 1950er-Jahre wurden kleinteilige Nischenlebensräume für seltene Arten geschaffen, wodurch die Biodiversität sogar gestiegen war.18 3. Widerlauf und Gleichlauf von Umweltinteressen und Landwirtschaftsinteressen Die vielfältigen Umweltbelastungen weisen zunächst auf widerläufige Interessen zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz hin. Die Umweltvorzüge für die Landwirtschaft hingegen zeigen in eine andere Richtung. Insbesondere der Pflanzenanbau ist auf die Umwelt als intaktes System auf vielfältige Weise angewiesen. Der Gleichlauf von Umwelt- und Landwirtschaftsinteressen wird im Übrigen auch in anderen Konstruktionen deutlich, welche die Landwirtschaft als umwelt- und landschaftspflegenden Wirtschaftszweig begreifen. Dieses Konzept der „Übertragung“ der Aufgabe der Landschaftspflege an die Landwirtschaft kann dabei als Fundament für Forderung nach staatlichen Subventionen für die Landwirtschaft dienen.

II. Entwicklungstendenzen in der Umweltagrarpolitik Zwei maßgebliche Trends halten in den letzten Jahrzehnte in der Landwirtschaft an: Auf der einen Seite führt eine immer stärkere Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion (beim Pflanzenanbau wie auch in der Tierzucht) zur Schaffung einer „Agrarindustrie“. Auf der anderen Seite ist die Tendenz zu einer auch politisch gewollten Ausweitung des ökologischen Landbaus feststellbar.19 In jüngerer Zeit wird die Entwicklung hin zu einer immer intensiveren Landwirtschaft von dem Wettbewerbsdruck getrieben, der insbesondere seit der Liberalisierung der EU-Landwirtschaftpolitik und dem Abbau von internationalen Handelsschranken in den 1990er-Jahren erheblich zugenommen hat.20 Bis dahin wurden in der EG in einem geschützten Markt die Preisschwankungen unter den festgelegten Interventionspreis durch staatlichen Aufkauf mit erheblichem finanziellen Aufwand für die öffentliche Hand verhindert; für Importe in die EG wurden Einfuhrmindestpreise festgelegt.21 Mit der Einführung der Direktzahlungen an die Landwirte und

17 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 176; Martinez, Handbuch des Fachanwalts Agrarrecht, 2012, S. 662. 18 Härtel, ZUR 2008, 233, 234; Dierßen/Huckauf, APuZ 2008, Ausgabe 3, 3, 4. 19 Die Bundesregierung setzt sich in der Nachhaltigkeitsstrategie 2016, S. 67, das Ziel von 20 % der bewirtschafteten Fläche. 20 Vgl. Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 20. 21 Vgl. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltprobleme in der Landwirtschaft, Sondergutachten 1985, S. 26.

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dem Abrücken vom Konzept von Mindestpreisen für Agrarprodukte ist die Volatilität der Erzeugerpreise gestiegen.22 Im Zuge dieser Entwicklung hat die durchschnittlich von einem Betrieb bewirtschaftete Fläche zugenommen, in den letzten dreißig Jahren um mehr als das Doppelte.23 Größere Nutztierbestände konzentrieren sich auf immer weniger Betriebe, die sich spezialisiert haben und regional gehäuft angesiedelt sind.24 Auf ca. einem Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche werden heute bereits Futtermittel für die Tierhaltung angebaut; durch die Intensivierung z. B. der Milchproduktion sinkt der Anteil der (ökologisch wertvolleren) Grünlandfläche gegenüber dem Kraftfutteranbau, was erhebliche Auswirkungen für die Artenvielfalt und die Bodenqualität haben kann.25 Der Absatz von Pflanzenschutzmitteln ist nach einem zwischenzeitlichen Einbruch in den letzten 20 Jahren stark gestiegen.26 Dieser Befund ist jedoch differenziert zu betrachten: Zum einen gibt diese Zahl keine Auskunft über den tatsächlichen Einsatz in dem jeweils untersuchten Jahr, sondern bezieht auch den Vorratskauf ein und berücksichtigt nicht Befallsschwankungen.27 Der Gesamtabsatz spiegelt auch nicht den Anteil an vergleichsweise risikoärmeren Wirkstoffen der verkauften Pflanzenschutzmittel wieder.28 Die zur Messung der Auswirkungen auf Nichtzielorganismen entwickelten Indizes zeigen eine Reduktion des Umweltrisikos von Pflanzenschutzmitteln.29 Andererseits führt die Intensivierung der Landwirtschaft zu einem erhöhten Bedarf an Pflanzenschutzmitteln, wenn durch enge Fruchtfolgen, frühe Aussaat- und späte Erntetermine und durch den Verzicht auf manuelle Arbeit das Wachstum

22 Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltprobleme in der Landwirtschaft, Sondergutachten 1985, S. 26; Bauernverband, Situationsbericht 2016/17, S. 199. 23 Auf 55,8 ha im Jahr 2009, wobei große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zu verzeichnen sind, Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 33 f. 24 Statistisches Bundesamt, Landwirtschaft auf einen Blick, 2011, S. 6; vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 668 ff. 25 Umweltbundesamt, (Fn. 1), S. 52; vgl. zur „Grünlandstrategie“ des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nutztierhaltungsstrategie, 2017, S. 52 f. 26 Von 29.769 t 1994 auf 48.611 t im Jahr 2015, http://www.umweltbundesamt.de/daten/ land-forstwirtschaft/landwirtschaft/pflanzenschutzmittelverwendung-in-der#textpart-2. 27 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 60. 28 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, 2008, S. 10. 29 So der Risikoindex SYNOPS, erstellt innerhalb des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz, https://www.nap-pflanzenschutz.de/indikatoren-forschung/indikatoren-und-deutscherpflanzenschutzindex/deutscher-pflanzenschutzindex/synops-risiko-index-fuer-aquatische-nicht zielorganismen/.

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von Unkräutern begünstigt wird, die dann mit chemischen Mitteln bekämpft werden.30 Demgegenüber werden von der ökologischen Landwirtschaft Umweltschutzeffekte erhofft, so der Erhalt von Lebensräumen wildlebender Arten, eine Humusanreicherung der Böden und geringere Schadstoffeinträge durch Verzicht auf mineralische Dünger und Pflanzenschutzmittel.31 Das Ziel dieser Art von Landbau ist, sich möglichst weit an die natürlichen Abläufe anzunähern und damit dem Kreislaufstruktur ökologischer Systeme Rechnung zu tragen.32 Für die ökologischen Schutzgüter stellt der ökologische Landbau generell ein geringeres Risiko dar.33 Gegenüber der konventionellen Landwirtschaft verringert der ökologische Landbau im Übrigen den Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen sozialen Zusatzkosten.34 Auch wenn das Wachstum des ökologischen Landbaus bis heute anhält, ist der Anteil von 6,5 % an der gesamten landbewirtschafteten Fläche immer noch gering und hat im Übrigen in den letzten vier Jahren nur noch langsam zugenommen.35

III. Gemeinsame Agrarpolitik der EU (EG) Die EU hat aufgrund von Kompetenzbestimmungen im Umweltschutz36 eine Vielzahl von Regelungen auch mit Bezug zum Agrarrecht erlassen.37 Der eigentliche Kernbereich der Gemeinsamen Agrarpolitik, die Zuteilung der Beihilfen, blieb aber lange Zeit von umweltpolitischen Zielsetzungen der EU bzw. EG unberührt.38 Die 30

Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Gute fachliche Praxis im Pflanzenschutz, 2010, S. 16 ff.; Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 62. 31 Möckel, ZUR 2015, 131, 132; Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 65; zu den positiven Einwirkungen auf Bodenfruchtbarkeit und Artenreichtum: Mäder/Fließbach/Dubois et al., Science, (296), 2002, 1694. 32 Härtel, ZUR 2008, 233, 235. 33 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, 2008, S. 52. 34 Umweltbundesamt, Umweltschutz in der Landwirtschaft, 2017, S. 75 f., m. w. N. 35 http://www.umweltbundesamt.de/indikator-oekologischer-landbau#textpart-1, gem. der europäischen Öko-Basis-Verordnung (EG-VO 834/2007). Der Zuwachs betrug zuletzt jährlich 3,2 %; damit würde der erstrebte Wert von 20 % erst in einigen Jahrzehnten erreicht werden, Bundesregierung, Nachhaltigkeitsstrategie 2016, S. 67. Der inländische Konsum wächst hingegen bei einigen Produkten im zweistelligen Bereich, sodass vermehrt importiert werden muss, Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 16. 36 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2015, § 9 Rn. 10 ff. 37 Z. B. Richtlinie 91/171/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen, ABl. L 375 v. 31. 12. 1991, S. 1 oder VO Nr. 2003/ 2003 über Düngemittel, ABl. L 304 v. 21. 11. 2003, S. 1; vgl. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 9 Rn. 109 ff. 38 Martinez, NuR 2013, 690, 691.

Dimensionen der Umweltagrarpolitik

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heute in Art. 39 AEUV formulierten Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (Steigerung der Produktivität, Sicherstellung der Versorgung) sind seit der Zeit der Versorgungsengpässe in den 50er-Jahren auch unter veränderten Rahmenbedingungen nicht wesentlich angepasst worden.39 Durch diese Förderpolitik entstanden und entstehen erhebliche Produktionsüberschüsse im Agrarbereich. Die Landwirtschaftsförderung der EU besteht gegenwärtig aus zwei Säulen: der Gemeinsamen Agrarpolitik einerseits und der Förderung der ländlichen Entwicklung andererseits. Innerhalb der Ersten Säule wird der Großteil der Förderungen gewährt und eine Gemeinsame Marktorganisation errichtet.40 Die EU verfolgt das Ziel der Marktordnung mit verschiedenen rechtlichen Mitteln, deren Zielsetzung und Struktur erst aus der Geschichte der europäischen Agrarpolitik verständlich werden.41 Die Instrumente der Intervention werden heute nur noch in wenigen Sektoren angewendet.42 Zudem wurde im Jahr 2013 die Beendigung der durch die EU gewährten Ausfuhrsubventionen („Erstattungen“) beschlossen.43 Bereits mit der Reform von 1992 wurde eine Abkehr von den Preisgarantien, deren Folge eine Überproduktion war, hin zu flächen- statt ertragsorientierten Einkommensbeihilfen angestrebt.44 Diese direkten Beihilfen ermöglichen stärker als die früheren, undifferenzierten Zahlungen eine Steuerungswirkung im Sinne der angestrebten Ziele. Dass die Förderung nicht mehr an eine tatsächliche Produktion gekoppelt ist, sorgt potentiell für eine geringere Inanspruchnahme von Flächen.45 Mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik von 2013 wurde auf der europäischen Ebene erstmals eine obligatorische ökologische Komponente eingeführt, die über das Fachrecht hinausgehende Anforderungen enthält („Greening“).46 Dabei hat die EU den Mitgliedsstaaten auferlegt, die Auszahlung von 30 % der Direktförderungen an die Erfüllung von drei Verpflichtungen zu koppeln – sie betreffen das Verbot

39

Priebe, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 39 AEUV, 60. Erg.-lfg. 2016 Rn. 8, 20. Rechtsgrundlagen sind die Grundverordnungen 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse, ABl. L 347 v. 20. 12. 2013, S. 671 sowie 1307/2013 über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, ABl. L 347 v. 20. 12. 2013, S. 608; vgl. Booth, in: Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 Rn. 1 ff., 61 ff.; und Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 618 ff. und 644 ff. 41 Dazu Booth, in: Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 Rn. 65 ff. 42 Grimm/Norer, Agrarrecht, 4. Aufl. 2015, S. 255. 43 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Agrarexporte 2017, 2017, S. 49 f. 44 Norer/Bloch, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 40. Ergänzungslieferung 2016. 45 Busse, DVBl. 2015, 337, 338. 46 Martinez, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 40 Rn. 95; Busse, DVBl. 2015, 337, 340. 40

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

des Umbruchs von Grünland, die Diversifizierung von Anbaukulturen und die Einräumung von ökologischen Vorrangflächen.47 Zwar werden die Verpflichtungen lediglich an die Förderprogrammteilnahme gebunden, doch werden diese Mittel von fast allen Landwirten tatsächlich in Anspruch genommen.48 Das nächste Ziel muss sein, den Anwendungsbereich des Greenings über 30 % der Zahlungen hinaus zu erweitern.49 Denn dies eröffnet hier die Möglichkeit, insbesondere dem flächendeckenden Anbau von sog. Energiepflanzen entgegenzusteuern, soweit dieser unerwünschte Auswirkungen auf die Umwelt nach sich zieht. So wird im Jahr 2017 auf über 2,14 Mio. ha Silomais angebaut, also Mais, der als Futter für Nutztiere oder als für diesen Zweck wirtschaftlichste Pflanze zur Energiegewinnung in Biogasanlagen genutzt wird.50 Das sind 18 % des gesamten Ackerlandes,51 wobei in manchen Regionen Niedersachsens 2010 über 70 % der Ackerfläche mit Mais bebaut wurden.52 Grundsätzlich ist der Anbau von Energiepflanzen mit den gleichen ökologischen Implikationen wie die Intensivlandwirtschaft (s. unter I.) generell verbunden. Zu bedenken ist allerdings, dass der Umbruch von Grünflächen und die Inkulturnahme von Brachflächen in den letzten Jahren größtenteils auf die Anreize für den Anbau von Energiepflanzen zurückzuführen ist.53 Nach dem Umbruch von Grünflächen wird in der Folgezeit CO2 freigesetzt. Insbesondere die Umstellung auf den Anbau von Mais, welcher hohe Gaben von Stickstoffdünger benötigt, wird häufig mit engeren Fruchtfolgen, Erosion und Humusabbau in Verbindung gebracht.54 Neben der beschriebenen sog. Ersten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verfolgt die EU eine Strategie zur „Förderung der ländlichen Entwicklung“, es handelt sich um die -schwächere- Zweite Säule der GAP.55 Ein Teil dieser agrarstrukturpolitischen Förderschwerpunkte, die sog. Agrarumweltmaßnahmen, dienen dazu, 47

Art. 43 Abs. 2 lit. a) und c) VO (EU) Nr. 1307/2013, ABl. 2013 Nr. L 347/608. Busse, DVBl. 2015, 337, 338. 49 Zur Diskussion um den Charakter der Greening-Zahlungen – Beihilfe oder Entgelt für eine Gegenleistung, sowie ihre Wirksamkeit, Busse, DVBl. 2015, 337, 345 f. 50 Prognostizierte Erntefläche 2017, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/ ZahlenFakten/Wirtschaftsberei-che/LandForstwirtschaftFischerei/FeldfruechteGruenland/Tabel len/FeldfruechteZeitreihe.html. 51 11763 Tausend ha, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaft-Fischerei/LandwirtschaftlicheBetriebe/Tabellen/Land wirtschaftlicheBetriebeFlaechenHauptnutzungsarten.html; eine Zusammenstellung vom Anbau aller Pflanzen für Biomasse für 2011, Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, 77. 52 http://www.maiskomitee.de/web/upload/pdf/statistik/dateien_pdf/Vergleich_PAM_AF_ PAM_LN_2010.pdf. 53 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 78. 54 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 79. 55 Die aktuelle rechtliche Grundlage ist die Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 über die Förderung der ländlichen Entwicklung, ABl. L 347 v. 20. 12. 2013. 48

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zielgenauer den Klimaschutz und die nachhaltige Bewirtschaftung bei der Landwirtschaft zu fördern.56 Um die Fördergelder zu erhalten, müssen die Landwirte für fünf bis sieben Jahre eine Verpflichtung zu einer Agrarumwelt- oder Klimamaßnahme eingehen; die Teilnahme an dem Programm ist freiwillig.57 Dabei müssen die Verpflichtungen über die ohnehin obligatorischen Anforderungen der guten fachlichen Praxis hinausgehen.58 Gegenüber der Ersten Säule ist das Programm der zweiten Säule mit geringeren Mitteln ausgestattet,59 für Agrarumweltmaßnahmen werden nur ca. 10 % der Gesamtausgaben der GAP aufgewendet.60 Trotz der mit dem „Greening“ gestiegenen Integration von umweltschützenden Zielen in die Ersten Säule spricht viel dafür, zusätzlich in der Zweiten Säule mehr Mittel für umweltfördernde Maßnahmen bereitzustellen,61 die sich erwiesenermaßen positiv z. B. auf die Biodiversität auswirken. Die Agrarbeihilfen der EU stellen mit 62 Mrd. E oder 40 % im Jahr 2016 auch heute noch einen großen Anteil des gesamten Haushalts dar.62 Mit der Bindung der Beihilfen an Fachrecht im Rahmen der Cross-Compliance63 führte die EU das Prinzip ein, dass derjenige keine Förderung erhält, der umweltschützende Normen verletzt. Dass sie mit dem Greening hierüber hinausgehende Anforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung stellt, ist der Einsicht geschuldet, dass es nicht genügt, durch die bisherige Beihilfepraxis den aus Sicht des Umweltschutzes defizitären Status quo nur fortzuschreiben. Zu beobachten ist, dass statt einer rein ökonomischen Ausrichtung der Agrarpolitik umweltschützende Zielsetzungen integrale Teile der Regelungsmaterie des Agrarbeihilfenrechts werden. Weil durch die Liberalisierung der letzten 25 Jahre die Landwirtschaft in stärkerem Maße den Marktkräften ausgesetzt wurde, werden Landwirte Anreizen ausgesetzt, im Wettbewerb durch Eingriffe in die Substanz des Naturhaushalts Vorteile 56 Art. 4 lit. b) der VO 1305/2013; vgl. Booth, in: Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Aufl. 2016, § 27 Rn. 229 ff. 57 Art. 28 Abs. 2, 5 VO 1305/2013. 58 Art. 28 Abs. 3 VO 1305/2013. 59 Pro Jahr für Deutschland in der aktuellen Periode 2014 – 2020 ca. 1,35 Mrd. Euro, gegenüber 4,85 Mrd. Euro in der ersten Säule, http://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/Agrarpoli tik/_Texte/GAP-NationaleUmsetzung.html. 60 Insgesamt 611 Mio. Euro, Thünen-Institut für Ländliche Räume, Agrarumweltmaßnahmen in Deutschland – Förderung in den ländlichen Entwicklungsprogrammen im Jahr 2013, 2015, S. 9. 61 So auch Köck, ZUR 2011, 1, 2. 62 Von 155 Mrd. Euro, http://ec.europa.eu/budget/annual/index_de.cfm?year=2016; vgl. Grimm/Norer, Agrarrecht, 4. Aufl. 2015, S. 246 f. 63 Cross-Compliance bedeutet, dass Verstöße gegen das Agrarfachrecht an eine Kürzung von Direktzahlungen gekoppelt werden. Dabei muss bedacht werden, dass die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche von 184 332 km2 allein in Deutschland unmöglich kontrolliert werden kann. Im Rahmen der Cross-Compliance gibt das EU-Recht vor, dass mindestens ein Prozent der Zahlungsempfänger überprüft werden müssen, https://www.bmel.de/DE/Landwirt schaft/Foerderung-Agrarsozialpolitik/_Texte/Cross-Compliance.html.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

zu erlangen. Deshalb ist die EU, die den Öffnungsprozess (damals als EG) maßgeblich angestoßen und durchgesetzt hat, in der Verantwortung, solchen Fehlentwicklungen mit der nächsten Reform der GAP im Jahr 2020 noch entschiedener entgegenzutreten.

IV. Aktuelle Probleme der Umweltagrarpolitik 1. Beeinträchtigungen der Landschaft durch den Anbau von Energiepflanzen Unter III. wurde bereits auf das Ausmaß hingewiesen, in welchem in den vergangenen Jahren die Anbaufläche von Silomais angewachsen ist. Ähnliches gilt für den Raps, der für die Herstellung von Biokraftstoffen eine zentrale Rolle spielt und 2016 in Deutschland auf 1,3 Mio. ha angebaut wurde.64 Neben den oben beschriebenen Auswirkungen des Energiepflanzenanbaus65 sind auch die ökologischen Konsequenzen und Treibhausgasemissionen durch den Landnutzungswandel zu bedenken.66 Direkter Landnutzungswandel liegt vor, wenn der Biomasseanbau an die Stelle einer früheren Nutzungsform, z. B. Grünland oder Wald, tritt.67 Als indirekter Landnutzungswandel wird die Verdrängung von Anbauflächen beschrieben, die wiederum an einem anderen Ort einen Landnutzungswandel auslösen.68 Angesichts dieser Risiken hat die EU für die Kraftstoff- und Stromerzeugung aus flüssiger Biomasse Richtlinien erlassen, welche Nachhaltigkeitsanforderungen an den Anbau von Energiepflanzen stellen.69 Damit ist allerdings das Problem der indirekten Landnutzungsänderung nicht behoben, wenn Biomasse europarechtskonform auf zuvor landwirtschaftlich genutzter Fläche angebaut wird, die Nahrungsmittelproduktion dann aber auf zu schützende Flächen ausweicht.70 Daneben beeinflusst der Energiepflanzenausbau in Monokultur das Landschaftsbild nachteilig. Als Leitgedanken formuliert z. B. die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ die Erhaltung traditioneller, naturverträglicher Nutzungsformen.71 64

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsberei-che/LandForstwirtschaftFi scherei/FeldfruechteGruenland/Tabellen/FeldfruechteZeitreihe.htm; Albrecht, NuR 2013, 453; Einig, Informationen zur Raumentwicklung, 2011, 369. 65 Siehe Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 65 ff. 66 Vgl. Gawel/Ludwig, NuR 2011, 329. 67 Gawel/Ludwig, NuR 2011, 329. 68 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 82 ff. 69 Richtlinie 2009/28/EG v. 23. 4. 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, ABl. L 140 vom 5. 6. 2009, S. 16, die mit der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung – BioSt-NachV umgesetzt wurde. 70 Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 83. 71 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, 2007, z. B. S. 38.

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Für die Beschreibung des Landschaftsbildes sind Eigenart (der Landschaftselemente und historischen Nutzungsformen), Vielfalt (von Flächennutzungen, Oberflächenformen, Wuchshöhen, Farben) sowie Schönheit (Ausstattung der Landschaft mit naturnahen Elementen) als Indikatoren vorgeschlagen worden.72 Bei Anlegung dieser Kriterien muss der (in einigen Bundesländern flächendeckende) Anbau von Energiepflanzen mit einheitlichen (z. T. großen, wie bei Mais) Wuchshöhen, eintönigen Farben (gelber Raps) kritisch bewertet werden, zumal wenn dadurch indirekt Streuobstwiesen oder extensives Grünland als historische Nutzungsformen verdrängt wurden. Der landwirtschaftliche Anbau von Biomasse für die Erzeugung von Energie ist ein markantes Beispiel für die Zielkonflikte innerhalb der Umweltpolitik (Umweltschutz contra Umweltschutz), die immer mehr auftreten.73 Die Förderung erneuerbarer Energien liefert weitere typische Beispiele (Windparks, Fernleitungen, Speicherbecken). 2. Nutztierhaltung und Emissionen In der Regel haben Maßnahmen, die dem Tierwohl dienen, wie z. B. ein größeres Platzangebot bei der Haltung, Auslaufmöglichkeiten und eine freie Lüftung, einen erhöhten Platzverbrauch zur Folge.74 Zudem gelangen bei auf diese Weise den Bedürfnissen der Tiere besser angepassten Ställen gegenüber einer geschlossenen Anlage mit gereinigter Lüftung vermehrt Geruchsbelastungen nach außen; die Ammoniak-Emissionen sind erhöht.75 Hier stoßen die Regelungsziele des Tierschutzes und des Umweltschutzes unmittelbar aufeinander. Wenn dabei dem Tierschutz Vorrang gegeben werden soll, dann muss in der Konsequenz der Abstand der Ställe zu Schutzgütern des Immissionsschutzrechts erhöht oder der Bestand der Nutztiere reduziert werden.76 3. Rückkehr des Wolfes und des Bibers Das erste Mal seit 150 Jahren wurde im Jahr 2000 wieder die erste Wolfsfamilie in Sachsen nachgewiesen.77 Im Jahr 2016 sind in Deutschland 47 Wolfsrudel (bestehend 72

Umweltbundesamt, Umweltprobleme der Landwirtschaft, 2015, S. 177. Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 1 Rn. 74. 74 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nutztierhaltungsstrategie, 2017, S. 23. 75 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nutztierhaltungsstrategie, 2017, S. 23. 76 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Nutztierhaltungsstrategie, 2017, S. 24 f.; Art. 20a GG gewährt keinen Vorrang des Tierschutzes vor dem Umweltschutz, was den Gesetzgeber nicht davon abhalten muss, Vorrangentscheidungen zu treffen. 77 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wölfe in Deutschland, Statusbericht 2015/16, S. 4. 73

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

aus den Eltern und den Nachkommen der letzten ein bis zwei Jahre) und 15 Paare nachgewiesen worden, die sich auf Sachsen (im Grenzgebiet zu Polen) und Brandenburg konzentrieren.78 Diese Entwicklung wurde ermöglicht, weil der Wolf in den 1980er-Jahren in Westdeutschland, später in den neuen Bundesländern und 1998 auch in Polen unter Schutz gestellt worden war.79 Im Januar des Jahres 2017 forderte der Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt eine Abschussfreigabe für Wölfe, da diese keine natürlichen Feinde hätten, sie Nutztiere töten würden und ihrer Ausbreitung in einem dicht besiedelten Land wie bei uns Grenzen gesetzt werden müssten.80 Dem widersprach die Bundesumweltministerin Hendricks81 wenige Tage später mit Verweis auf die bereits bestehende Möglichkeit, einzelne sich gegenüber Menschen auffällig verhaltende Tiere („Problemwölfe“) zu entnehmen.82 Für einen strengen Schutz der Wolfspopulationen sprechen sich Naturschutzorganisationen aus.83 Die Befürworter einer Lockerung des bestehenden Schutzes, darunter der Deutsche Bauerverband84, weisen auf eine größere Rudelbildung des Schalenwilds infolge der Anwesenheit von Wölfen; das Wild ist dann schwieriger zu bejagen und verursacht vermehrt Fressschäden.85 Daneben befürchten Nutztierhalter, dass Wölfe ihre Herden angreifen. Im Jahr 2016 wurden ca. 700 Nutztiere nachweislich durch Wölfe getötet.86 Entscheidend für die Anzahl der Übergriffe ist aber nicht die Anzahl der Wölfe, sondern eher das Schutzniveau der Herden durch Herdenschutzhunde und Nachtpferche.87 Wolf-Nutztier-Konflikte treten dort auf, wo sich Wölfe in neuen Territorien etablieren und dort auf ungeschützte Herden treffen.88 78 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wölfe in Deutschland, Statusbericht 2015/16, S. 2. 79 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wölfe in Deutschland, Statusbericht 2015/16, S. 2; der Wolf (Canis lupus) ist in Anhang IV der FFHRichtlinie, 92/43/EWG aufgeführt, und wird in Deutschland geschützt gem. § 44 i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 14 (streng geschützte Arten) BNatSchG; zudem über Völkerrecht wie die Berner Konvention, Anhang II und das Washingtoner Artenschutzabkommen, Anhang II. 80 http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/nach-forderung-von-schmidt-hendricks-ge gen-abschuss-von-woelfen-14614097.html. 81 http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/nach-forderung-von-schmidt-hendricks-ge gen-abschuss-von-woelfen-14614097.html. 82 Rechtsgrundlage können § 45 Abs. 7 BNatSchG oder ein Notrecht nach § 34 StGB, § 223 BGB sein, Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Aufl. 2013, § 44 Rn. 6. 83 Vgl. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/. 84 Vgl. http://www.bauernverband.de/weidetiere-schutz-wolf. 85 http://www.bmel.de/DE/Landwirtschaft/_Texte/Wolf.html;jsessionid=934DFB07CCB37 1EB39CBEF1A5E627055.2_cid376. 86 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2015, S. 2. 87 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2015, S. 1. 88 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2015, S. 1 f.

Dimensionen der Umweltagrarpolitik

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Wirksamer Schutz wird dauerhaft nicht durch den Abschuss einzelner Tiere vermittelt.89 Ein Ausgleich der Interessen des Naturschutzes und der Nutztierhalter muss sich daran orientieren, Investitionen in den Herdenschutz zu unterstützen und bis dahin Kompensationszahlungen zu gewähren. Erforderlich ist ein effektives und auf schonenden Interessenausgleich angelegtes Interessenmanagement.90 Bei der – grundsätzlich positiv zu bewertenden – Wiederansiedelung des Bibers tauchen vergleichbare Probleme wie bei der Wiederansiedelung des Wolfes auf, wenn Biberbauten zu Feldüberschwemmungen etc. führen. Auch an die Folgen der – ökologisch begrüßenswerten – Wiederansiedelung von Seeadlern und Kormoranen für die Fischereiwirtschaft ist zu denken. Uneingeschränkte Jagd- und Fischereiverbote können jedenfalls zu Problemen für die Land- und Fischereiwirtschaft führen.

V. Zur Schutzguterstarrung im Umweltagrarrecht Das Umweltagrarrecht als Schnittmenge zwischen Agrarrecht und Umweltrecht führt zu einem Schlüsselproblem des Rechts, speziell des Umweltrechts, welches etwa auch im Klimaschutzrecht und Naturschutzrecht erkennbar ist. Es geht um eine Erstarrung von Schutzgütern auf dem Stand der (jeweiligen) Gegenwart. Es soll grundsätzlich der derzeitige Zustand der Landwirtschaft einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Natur festgeschrieben werden. Entsprechendes gilt für die von der Landwirtschaft betroffene Natur. Das schließt zwar maßgebliche Verbesserungen (unter Umständen mit längerfristigen Stufenplänen) nicht aus. Im Kern geht es aber beim derzeitigen Umweltagrarrecht regelmäßig darum, die vorgefundenen Kulturlandschaften zu erhalten und z. B. auch das gegenwärtige Klima zu bewahren oder doch etwaige Veränderung auf ein Minimum zu reduzieren. Für die Kulturlandschaft bedeutet diese Schutzguterstarrung, dass die traditionellen, maßgeblich menschlich gestalteten Kulturlandschaften erhalten werden sollten, obwohl diese Kulturlandschaften – wie bereits erwähnt – häufig aufgrund massivster Natureingriffe entstanden sind, z. B. durch breitflächige Rodungen. Die Liebe zur Lüneburger Heide, zu den traditionellen Almwirtschaften oder zu den Weinterrassen an deutschen Flüssen führt letztlich zum Schutz von (der Kultivierung vorausgegangenen) Naturzerstörungen. Diese Schutzguterstarrung hat etwas vom faustischen Pakt mit Mephisto: „Verweile doch! du bist so schön!“91. Die Erstarrung von Schutzgütern bedeutet Stillstand 89 Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, Wolfsverursachte Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2015, S. 1 f. 90 So dazu zuletzt Köck/Kuchta, NuR 2017, 509 und Tagesspiegel v. 1. 9. 2017, „Mehr Geld für Schutz vor Wölfen“. 91 Faust, Der Tragödie erster Teil, Vers 1700, Goethe, Werke, Dritter Band, hrsg. von Schöne, Frankfurt am Main/Leipzig 2007.

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II. Querschnitt und Austausch: Umweltrecht und andere Rechtsgebiete

und mutet letztlich an wie der Versuch, die Zeit bzw. die Geschichte anzuhalten. Bekannterweise sollte nach dem faustischen Pakt die Seele Fausts der Verdammnis anheimfallen, wenn der Held die Worte sagt: Verweile doch! du bist so schön! Auch wenn man vielleicht nicht so weit im literarischen Vergleich gehen mag, nämlich bis zur Verdammnis der Seele, erweist sich doch die geschilderte Schutzguterstarrung im Umweltagrarrecht durchaus als problematisch und besonders legitimationsbedürftig. Ist es tatsächlich so verkehrt, bei dem „Aufgeben“ von Feldern, d. h. bei der Beendigung von landwirtschaftlichen Nutzungen, diese Felder verstrauchen und letztlich wieder bewalden zu lassen? Natürlich scheint es zunächst als ein „Verlust“, wenn etwa nicht mehr zu bewirtschaftende Steillagen von Rhein und Mosel oder traditionelle Streuobstwiesen verstrauchen, verwalden und schließlich verschwinden. Und natürlich wird die Rückverwandelung ehemals landwirtschaftlich genutzter Flächen auch mit einem Verlust an solchen Tier- und Pflanzenarten verbunden sein, die sich über Jahrhunderte an die helleren, gerodeten Flur- und Wiesenflächen angepasst haben. Aber nimmt nicht derjenige die Natur ernst, der ihr einen freien Lauf lässt? Die Erstarrung der Kulturlandschaft zu einem Landschaftsmuseum ist ja alles andere als natürlich und wird auf Dauer, jedenfalls flächendeckend vom Staat gar nicht zu bezahlen, d. h. zu realisieren sein. Das muss einzelne Unterschutzstellungen von typischen Teilen traditioneller Kulturlandschaften nicht ausschließen. Das: „Verweile doch! du bist so schön“ steht im Übrigen dem Grundprinzip menschlicher Geschichte entgegen, die eben auch immer eine Geschichte der Veränderung und der steten Anpassung an neue Aus- und Umstände und Herausforderungen darstellt. Einen veränderungsaversen Totalstillstand kann es nur am Ende der Geschichte geben. Das gilt mit Einschränkungen im Übrigen auch für die Klimaproblematik. Selbst wenn die Ignoranz der Politik des derzeitigen US-Präsidenten in Sachen Klimaschutz erschreckend ist, bleibt auch hier die Schutzguterstarrung durch Festschreibung bzw. durch nur minimale Erhöhung der derzeitigen Klimatemperaturen legitimationsbedürftig. Eine solche Legitimation für das „Anhalten“ der Klimaerwärmung kann möglicherweise darin bestehen, dass eine weitere Temperaturerhöhung zur Unbewohnbarkeit der Welt oder wesentlicher Teile von ihr führt. Dann wäre es gewiss richtig, die anthropogenen Ursachen des Klimawandels mit aller Kraft zu bekämpfen. Gleichwohl ist das realistische Gebot der Stunde nicht so sehr die Beseitigung der Klimaerwärmung, sondern die Anpassung an den Klimawandel. Die Natur hat sich angesichts der natürlichen Klimaveränderung in der Geschichte immer wieder als Anpassungswunder erwiesen. Auch die Anpassungsfähigkeit der Menschheit und der Zivilisation ist sehr beachtlich, wie sich z. B. an der Entwicklung der von Menschen gebauten Heizungsanlagen (insbesondere Öfen) seit dem Mittelalter in Zentraleuropa zeigt. Sie ist eine Form der Anpassung des Menschen an das für ihn – im Winter – zu kalte Klima. Auch beim Klima ist die Schutzguterstarrung nicht unproblematisch und jedenfalls nicht automatisch legitim. „Verweile doch! du bist so

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schön“ ist vermutlich für die Zukunft keine realistische Option in der Klimaproblematik. Das gilt möglicherweise auch für andere Bereiche des Umweltschutzes, so ist insbesondere das Verständnis des Naturschutzes als Schutz der gegenwärtig vorhandene Arten und Populationen von Tieren und Pflanzen z. B. im Hinblick auf die Einbürgerung neuer Arten mindestens ergänzungsbedürftig, wenn nicht sogar grundsätzlich problematisch. Das an die Behörden gerichtete Gebot der Ausbreitung nichtheimischer, gebietsfremder, invasiver Arten entgegenzuwirken (§ 40 BNatSchG)92 muss deshalb auf den Prüfstand, selbst wenn sich das EU-Recht dem Kampf gegen invasive Arten auf die Fahnen geschrieben hat.93 Jedenfalls muss vor zu viel Rigidität hierbei gewarnt werden. Strikte Schutzguterstarrungen im Naturschutzrecht werden sich kaum durchsetzen lassen und erscheinen angesichts der historischen, menschlich mitverursachten „Wanderungen“ der Arten (insbesondere der Kulturpflanzen) auch nicht immer wünschenswert.

92

S. dazu Kloepfer Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 463. EU-VO über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten, VO Nr. 1143/2014 v. 22. 10. 2014, ABl. EU L 317 v. 4. 11. 2014, S. 35; Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 110; IAS steht für „Invasive Alien Species“. 93

III. Staat, ,Private‘, Markt: Umweltschutz in Kooperation

Rechtliche Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen als Schutzgut nationalen Verfassungsund europäischen Gemeinschaftsrechts* ** I. Einleitung 1. Zur Einführung Wer seit über 30 Jahren die Umweltgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland beobachtet und begleitet, ist Zeuge vieler angekündigter Welt- oder doch Wirtschaftsuntergänge geworden. Die jeweils bevorstehende Verabschiedung etwa des Chemikaliengesetzes, des Bundesbodenschutzgesetzes oder des UVP-Gesetzes etc. wurde von Teilen der Industrie häufig mit düstersten Untergangsvisionen oder wenigstens doch mit drohenden Abwanderungsplänen ins Ausland kommentiert. Daraus ist dann freilich in der Realität fast nie etwas geworden. Im nicht öffentlichen Zwiegespräch mit der Wirtschaft ergab sich dann meistens auch, man könne ja notfalls mit den jeweils geplanten Umweltrechtsänderungen leben, wenn wenigstens zwei grundsätzliche Voraussetzungen eingehalten würden: – erstens – die internationale Wettbewerbsneutralität (d. h. die konkurrierenden Staaten müssten vergleichbare Standards einhalten) und – zweitens – wenn die Wirtschaft sicher sein könnte, dass die neuen Standards dauerhaft seien und kurz- bzw. mittelfristig nicht wieder verändert würden. Am besten sei ein vieljähriges Moratorium für die Gesetzgebung. Diese letzte Forderung nach Gesetzesstabilität bedeutet ökonomisch vor allem das Postulat der Investitionssicherheit, aber auch die Vermeidung von nicht zu unterschätzenden Umstellungskosten durch Rechtsänderungen. Angesichts teilweise doch recht häufiger und kurzatmiger Gesetzesänderungen und immer neuer Vorgaben aus Brüssel mag man dafür grundsätzlich Verständnis haben, gerade auch angesichts sich dauernd verändernder z. B. gesellschaftlicher, technischer und politischer Außenumstände, auf welche die Wirtschaft sich ohnehin einzurichten hat. Damit ist aber zugleich einer der Hauptgründe für die heutige Schnelllebigkeit der Gesetzgebung benannt: Die Dynamik und Vergänglichkeit der Außenumstände, an * Erstveröffentlichung in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 2008/II. Energierecht – Energiepolitik – Energiewirtschaft, S. 25 – 51. ** Meinem Assistenten, Linus Viezens, danke ich sehr für seine Mitarbeit. Aus Zeitgründen konnten nur Teile des Manuskripts mündlich vorgetragen werden. Die in eckige Klammern gesetzten Teile waren nicht Gegenstand des Vortrags.

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der gesetzliche Regelungen ansetzen. Zu denken ist insbesondere an die schnellen Veränderungen der Technik und der Wissenschaft. Soll die Gesetzgebung sich den häufig rasch wechselnden Außenumständen anpassen, muss sie sich relativ oft und kurztaktig ändern. [Gesetzgebung in einer sich schnell verändernden Welt ist eben zu einem wesentlichen Teil Änderungsgesetzgebung.1 Wenn alles fließt, kann die Rechtsordnung nicht still stehen. Dies setzt Forderungen nach rechtlicher Planungssicherheit im Sinne eines Gesetzesmoratoriums von vornherein immanente Schranken.] [Und auch ein zweiter Gedanke sei gleich hier am Anfang genannt, um von vornherein übertriebenen und unrealistischen Hoffnungen nach jahrzehntelanger Gesetzesstabilität oder gar nach Gesetzgebungsstillstand eine Absage zu erteilen. Immerhin könnte man die einseitige Klage über zu viele Rechtsänderungen mit einiger Berechtigung ja wohl auch mit der umgekehrten grundsätzlichen Frage konfrontieren, ob unser Gemeinwesen überhaupt noch hinreichend flexibel ist, um den sich schnell verändernden Außenumständen und Bedürfnissen zeitnah zu entsprechen. Wird nicht sehr oft und – jedenfalls teilweise auch zu Recht – beklagt, unser Gemeinwesen drohe in den Besitzständen der Individuen, der großen Verbände und Parteien zu erstarren? Wird die Bundesrepublik Deutschland nicht verbreitet mit einem großen Tanker2 verglichen, der aus verschiedensten – u. a. finanziellen – Gründen kaum oder nur noch mit großer Verzögerung umsteuerbar ist?] 2. Problemaufriss Wirtschaftliche Tätigkeiten und Investitionen sind immer von Rahmenbedingungen mitbestimmt. [Solche Rahmenbedingungen sind zum Beispiel die Infrastruktur, die Rohstoffpreise, die Wettbewerbssituation, die Höhe der Abgabenlast und das Lohnniveau sowie insbesondere auch die Geldwertstabilität, die Lage der Weltwirtschaft, der Stand der Technik, der Geschmack und das Konsumverhalten der Bevölkerung sowie last but not least die politische Lage im Land und in der Welt.] So gesehen ist erfolgreiches Handeln stets auch von möglichst schneller (und richtiger) Reaktion der Unternehmen auf veränderte Außenumstände abhängig. Nur wer sich ändert, überlebt. Was bedeutet dann in dieser außerordentlich dynamischen Ausgangslage die Forderung nach rechtlicher Planungssicherheit für Wirtschaftsunternehmen als Schutzgut nationalen Verfassungsrechts und europäischen Gemeinschaftsrechts? Gemeint ist wohl, dass ein Unternehmen in einer Welt voller Veränderungen wenigstens vom Recht Kontinuität, Verlässlichkeit und Ruhe erwarten kann. Ich will nicht verhehlen, dass ich schon vom theoretischen Ausgangspunkt her grundsätzliche Skepsis gegenüber einem solchen Konzept des Rechts als „Ruhenische“ habe. Recht ist nicht „hermetisch“ von gesellschaftlichen und sonstigen Veränderungen abzutrennen, viel1 2

Brandner, Gesetzesänderung, 2004, S. 2 ff. Glotz, Die Beweglichkeit des Tankers, 1982, S. 7 (15 ff.).

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mehr bestehen enge Interaktionen zwischen Recht und gesellschaftlichen bzw. politischen Veränderungen. [Aber lassen wir uns trotz dieser grundsätzlichen Bedenken einmal auf das vorgegebene Thema ein: Gegenstand dieses Vortrages soll die Planungssicherheit für Wirtschaftsunternehmen aus verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Sicht sein. Es wird also im Folgenden darum gehen, inwieweit das Grundgesetz und das Europarecht Planungssicherheit von Unternehmen schützen und gewähren.] 3. Untersuchungsgegenstand [Um sich einer durch das nationale Verfassungsrecht und das europäische Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Planungssicherheit anzunähern, ist zunächst eine Definition des Begriffs dieser Planungssicherheit erforderlich. Denn das geltende Recht kennt den Begriff der Planungssicherheit nicht als terminus technicus.] Rechtliche Planungssicherheit bedeutet – einfach gesagt – zunächst Sicherheit durch Recht bzw. die Verlässlichkeit von Recht für die eigene Planung. Dabei ist der Planungssicherheit von vornherein eine starke zeitliche Komponente immanent. Rechtliche Planungssicherheit für Wirtschaftsunternehmen bedeutet vor allem, dass die einzelnen Unternehmen auf rechtliche Faktoren – jedenfalls für eine gewisse Zeit – vertrauen3 können. Übersetzt in einen terminus technicus des Rechts geht es also maßgeblich auch um Rechtssicherheit. Diese wiederum kann insbesondere unterteilt werden in die Schlagworte der Rechtsklarheit, der Bestimmtheit von Recht, des Vertrauensschutzes bzw. der Kontinuitätsgewähr. Dies soll im Folgenden anhand des deutschen Verfassungsrechts (II.) einerseits und des Europäischen Gemeinschaftsrecht (III.) andererseits untersucht werden.

II. Deutsches Verfassungsrecht 1. Gebot der Rechtsklarheit [Planungssicherheit im Hinblick auf das Recht erfordert zunächst, dass betroffene Wirtschaftsunternehmen wissen können, ab welchem Zeitpunkt welche Normen gelten. Es geht bei der Forderung nach Rechtsklarheit also darum, über den Bestand rechtswirksamer Staatsakte informiert zu sein oder informiert sein zu können.4 Die Rechtsklarheit ist als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 GG verankert.5]

3 Maurer bezeichnet Vertrauen als eine Grundbedingung der freiheitlich demokratischen Ordnung, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 11. 4 Sachs, in: Sachs, GG, 4. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 123. 5 Jarass, in: Jarass/Pierotb, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 63; BVerfGE 99, 216 (243).

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[Verwirklichung finden formelle Anforderungen der Rechtsklarheit für den Bereich der Gesetzgebung vor allem in den Vorschriften über die Verkündung.6 Im Bereich der Verwaltung gilt es für Verwaltungsakte insbesondere die Vorschrift des § 41 VwVfG (Bekanntgabe des Verwaltungsakts) zu beachten. Und auch im Bereich der Rechtsprechung bestehen entsprechende Vorschriften, welche die Art der Bekanntmachung des Urteils betreffen.7 Inhaltlich fordert das Gebot der Rechtsklarheit u. a. gewisse Mindeststandards der inhaltlichen Verständlichkeit von staatlichen Entscheidungen.] 2. Bestimmtheitsgebot [Ein weiterer wichtiger Aspekt der Rechtssicherheit findet seinen Ausdruck in den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Dieser findet ebenfalls seine Verankerung in Art. 20 GG.8 Der Grundsatz der Bestimmtheit erfordert eine inhaltliche Mindestpräzisierung der durch den Staat bestimmten Anordnungen.9 Für den Gesetzgeber bedeutet dies, dass er hinreichend berechenbar formulieren muss. Wie streng der Maßstab ist, hängt dabei auch von der einzelnen Regelungsmaterie und dem jeweiligen Regelungszweck ab.10 Bei straftatbegründenden Rechtsvorschriften sind – auch wegen Art. 103 Abs. 2 GG – scharfe Anforderungen zu stellen. Bei Verordnungsermächtigungen gilt die ausdrückliche Regelung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein spezielles Bestimmtheitserfordernis ergibt sich aus der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG11, wonach das Parlament bestimmte wesentliche Fragen selbst zu entscheiden hat.] [Die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes gelten nicht nur für Akte der Legislative, sondern sind entsprechend auch für die Exekutive12 (sowie für die Judikative) anwendbar. Hierbei ist zu beachten, dass aufgrund der abschließenden Regelung des Einzelfalls, insbesondere durch Verwaltungsakt (aber auch durch Urteil etc.), strenge Anforderungen an

6

Für Gesetze des Bundes siehe Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG; hinsichtlich Rechtsverordnungen des Bundes sind Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG sowie das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen einschlägig. 7 Vgl. dazu § 116 VwGO; § 30 BVerfGG; §§ 310, 311 ZPO; § 260 Abs. 1 StPO. 8 BVerfGE 49, 168 (181); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 60. Für den Bereich der formellen Gesetze soll nach teilweiser Ansicht das Bestimmtheitsgebot aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgen (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 60). 9 BVerfGE 93, 213 (238 f.). 10 Sachs, in: Sachs, GG, 4. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 126. 11 Besonders BVerfGE 33, 125 (158); 47, 46 (78); 49, 89 (126); 77, 170 (230 f.); 98, 218 (251 f.); 101, 1 (34); 108, 282 (312); 111, 199 (216 f.); BVerwGE 68, 69 (72); 120, 87 (96); die eigene Position zur Wesentlichkeitsentscheidung ist in Kloepfer, JZ 1984, S. 685 ff., dargelegt. 12 Einen einfachrechtlichen Ausdruck findet der Bestimmheitsgrundsatz für den Anwendungsbereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes in dessen § 40 VwVfG.

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die Bestimmtheit von solchen einzelfallbezogenen hoheitlichen Entscheidungen zu stellen sind.13] [Für Wirtschaftsunternehmen folgt aus dem Grundsatz der Bestimmtheit eine Komponente der Planungssicherheit. Für Unternehmen wird so erkennbar, welche Folgen ein Staatshandeln haben soll und haben wird. Dadurch wird ihnen auch Gelegenheit gegeben, sich auf Rahmenbedingungen einzustellen.] 3. Vertrauensschutz Der Vertrauensschutz ist eine zentrale Rechtsfigur für die Gewährleistung von Planungssicherheit für den Bürger und für Unternehmen unter dem Aspekt des Rechts. Der Vertrauensschutz wird vor allem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleitet.14 Die Frage nach Inhalt und Reichweite des Vertrauensschutzes im Hinblick auf staatliches Handeln ist differenziert nach den einzelnen Staatsgewalten zu beantworten, die insoweit in unterschiedlicher Form in ihrer entsprechenden Gestaltungsfreiheit begrenzt werden. Das Vertrauen auf den Bestand von staatlichen Entscheidungen wird dabei durchweg weitaus stärker geschützt als das Vertrauen auf künftige staatliche Entscheidungen. Der Schutz des Bestandes staatlicher Entscheidungen ist bei (rechtskräftigen) Entscheidungen der Rechtsprechung am stärksten, schwächt sich bei (bestandskräftigen) Entscheidungen der Verwaltung deutlich ab und geht bei der Gesetzgebung (außer bei der Rückwirkung) gegen Null. a) Vertrauensschutz im Bereich der Rechtsprechung aa) Vertrauen auf bestehende Gerichtsentscheidungen [Weil Rechtsschutz im Rechtsstaat naturgemäß auf dauerhafte rechtliche Befriedung setzt, ist der Bestand rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen sehr intensiv (wenn auch nicht absolut: Wiederaufnahme15 etc.) ausgestaltet. Ein Gerichtsurteil schafft somit für den konkreten Fall ein sehr hohes Maß an Planungssicherheit – freilich nur im Rahmen der Rechtskraft (d. h. regelmäßig nur zwischen den konkreten Prozessbeteiligten eines gerichtlichen Verfahrens).]

13 Sachs, in: Sachs, GG, 4. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 130 (der auch darauf hinweist, dass die erhöhten Bestimmtheitsanforderungen auch mit der Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten erklärt werden können). 14 BVerfGE 13, 261 (271); Maurer, Staatsrecht, 5. Aufl., 2007, § 17, Rn. 114 f. 15 Vgl. z. B. §§ 578 ff. ZPO; §§ 359, 362, 373a StPO; § 153 VwGO; § 179 SGG; § 79 ArbGG; § 134 FGO.

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bb) Vertrauen auf künftige Gerichtsentscheidungen [Vertrauen auf künftige Rechtsprechung wird hingegen nicht geschützt. Aus der richterlichen Unabhängigkeit folgt, dass nicht einmal das Vertrauen der Bürger geschützt wird, dass Untergerichte der Rechtsprechung der Obergerichte folgen.16] [Auch eine Bindung der Rechtsprechung (insbesondere der höchstrichterlichen Rechtsprechung) an sich selbst ist abzulehnen, weil die Rechtsprechung langfristig wandlungsfähig bleiben muss. Selbst ein Verbot der rückwirkenden (rückanknüpfenden) Verschärfung der höchstrichterlichen Rechtsprechung17 ist anzuerkennen, u. a. weil es eben keine entsprechend weite Rechtskrafterstreckung gibt.] b) Vertrauensschutz im Bereich der Verwaltung Im Bereich der Verwaltung wird Vertrauen in unterschiedlicher Form geschützt. Zu unterscheiden ist das Vertrauen in den Bestand von Verwaltungsentscheidungen einerseits und ein etwaiges Vertrauen in künftige Verwaltungsentscheidungen andererseits. aa) Vertrauen auf bestehende Verwaltungsentscheidungen [Das Vertrauen auf den Bestand von Verwaltungsentscheidungen, insbesondere von Verwaltungsakten, umfasst zunächst die – heute anscheinend nicht mehr überall selbstverständliche – Pflicht der Verwaltung, dass diese sich an einen von ihr selbst erlassenen Verwaltungsakt auch hält, so lange dieser nicht beseitigt ist.] Die entscheidende, auch durch das Verfassungsrecht geprägte Frage ist die, ob die Verwaltung ihre einmal getroffenen Entscheidungen aufheben darf (bzw. muss). Der Blick insbesondere auf die §§ 48, 49 VwVfG zeigt, dass die Verwaltung eine weite, wenn auch nicht unbeschränkte Befugnis zur Beseitigung von Verwaltungsakten hat. [Die Möglichkeit zur Beseitigung belastender Verwaltungsakte ist – wegen der Interessenlage der Betroffenen – weitaus größer als bei der Beseitigung begünstigender Verwaltungsakte. Im Übrigen ist die Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte (Rücknahme) rechtlich erheblich leichter als die Beseitigung rechtmäßiger Verwaltungsakte.] Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Beseitigung rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakte nur eingeschränkt und teilweise nur gegen Entschädigung möglich ist. Im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG (bzw. entsprechender Vorschriften in anderen Grenzen) kann ein Wirtschaftsunternehmen also weitgehend auf den Bestand eines Verwaltungsakts vertrauen. 16

Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 138; Pieroth; in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 97, Rn. 7. 17 BVerfGE 38, 386 (396 f.); 84, 212 (227); Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 145 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 79; Schulze-Fielitz; in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 20, Rn. 177; Stelkens; in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. EL, 2007, § 1, Rn. 38.

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bb) Zum „Ausbleichen“ von Vertrauensschutzgehalten [Allerdings wird dieser Bestandsschutz in vielen Rechtsgebieten zunehmend relativiert und zwar insbesondere durch flexible Inhalte der Verwaltungsakte einerseits bzw. durch Sonderbefugnisse zur nachträglichen Modifikation bereits erlassener Verwaltungsakte andererseits. Dies lässt sich besonders deutlich im Umweltrecht feststellen, das u. a. auch gewährleisten muss, dass die einschlägigen administrativen Genehmigungsentscheidungen, insbesondere von Anlagen, durchgängig dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen. Die Bindung einer Anlagengenehmigung an die dynamischen Schutzpflichten (§ 5 BImSchG) führt eben dazu, dass das schutzwürdige Interesse auf den Inhalt der Genehmigung faktisch durch die Bindung an den sich schnell verändernden Stand der Technik doch substantiell relativiert wird. Die weitgehende Befugnis zum Erlass nachträglicher Anordnungen (insbesondere nach § 17 BImSchG) knüpft daran an und intensiviert diese Relativierung des Vertrauensschutzes für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen noch entscheidend. Die Begrenzung dieser Befugnis durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 17 Abs. 2 S. 1 BImSchG) wehrt zwar verfassungsrechtliche Einwände ab, begrenzt aber den Verlust an Vertrauensschutz praktisch nur marginal.] Dem inhaltlichen „Ausbleichen“ der Vertrauensschutzgehalte von Verwaltungsakten, insbesondere von Genehmigungen, kann die Rechtsordnung bisher nur wenig entgegenstellen. Selbst der öffentlich-rechtliche Vertrag als verwaltungsrechtliches Instrument mit besonders hohen Vertrauensschutzgehalten (pacta sunt servanda) steht unter Vorbehalt der clausula rebus sie stantibus (§ 60 VwVfG). cc) Vertrauen auf künftige Verwaltungsentscheidungen Wird schon der Schutz des Vertrauens auf bestehende Verwaltungsentscheidungen von der Rechtsordnung ganz erheblich relativiert, ist er im Hinblick auf künftige Verwaltungsentscheidungen kaum noch vorhanden, weil es hier in der Regel noch keine Vertrauensschutztatbestände in Form bestehender Verwaltungsentscheidungen gibt. Deshalb gibt es grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen auf künftige Verwaltungsentscheidungen. Allerdings sind insbesondere drei Ausnahmen hiervon zu nennen: – Die erste Ausnahme ergibt sich aus dem – letztlich in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnden – Gedanken der Selbstbindung der Verwaltung18 (etwa aufgrund von Verwaltungsvorschriften), was auf eine grundsätzliche Fortsetzung einer bisherigen Verwaltungspraxis für die Zukunft hinaus läuft.

18 BVerwGE 8, 4 (10); 34, 278 (280 f.); 36, 323 (327); 44, 72 (74 f.); 61, 15 (18); 100, 335 (339 f.); 104, 220 (224); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 24, Rn. 24; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl., 2008, § 40, Rn. 105, 123.

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– Eine weitere Ausnahme liegt im Fall des vorläufigen positiven Gesamturteils in gestuften Genehmigungsverfahren19 vor, wo aus Vorfestlegungen durch Teilgenehmigungen oder Vorbescheide (vorläufig positiver Gesamtbescheid) u. U. auf die Pflicht zum Erlass der Gesamtgenehmigung gefolgert werden kann. – Die dritte Ausnahme ist die bedeutendste: Die deutlichste Festlegung enthält die (schriftliche) Zusicherung des Erlasses eines Verwaltungsakts (§ 38 VwVfG). Sie schafft einen gewaltigen Vertrauenstatbestand, steht gleichwohl aber – wie der öffentlich-rechtliche Vertrag – unter der clausula rebus sic stantibus (§ 38 Abs. 3 VwVfG). Über diese drei Fälle hinaus schützt aber die Rechtsordnung das Vertrauen auf künftige Verwaltungsentscheidungen grundsätzlich nicht. Aus diesem Grunde hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch die Nicht-Verlängerung der Berliner Wohnungsbauförderung nicht beanstandet, was man im Übrigen vom Sachverhalt und von den rechtlichen Maßstäben her auch anders hätte sehen können.20 c) Vertrauensschutz im Bereich der Gesetzgebung Anders als Rechtsprechung und Verwaltung schafft die Gesetzgebung in der Regel keine punktuellen, individuell herausgehobenen Vertrauenspositionen ab. Zu unterscheiden ist hier im Übrigen wiederum zwischen bestehenden und künftigen Gesetzen. Eine besondere Bedeutung kommt hier der Zwischenschicht des Fortbestands von Gesetzen zu [s. u. bb)]. aa) Vertrauen auf bestehende Gesetze/Rückwirkungsverbot Der Bürger kann grundsätzlich bei seinem Verhalten darauf vertrauen, dass die Gesetze, die während seines Verhaltens galten, nicht rückwirkend verändert werden. Schutzwürdig ist dies allerdings nur, soweit durch die Rückwirkung eine Verschlechterung der Rechtslage für den Bürger erfolgen würde. Deswegen wird aus dem Rechtsstaatsprinzip ein grundsätzliches Verbot der Rückwirkung belastender Gesetze abgeleitet. Für die Zulässigkeit wird in traditioneller Weise unterschieden zwischen echter und unechter Rückwirkung21 bzw. zwischen der Rückbewirkung von 19

Vgl. dazu Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., 2004, § 5, Rn. 114; § 14, Rn. 170; SchmidtAßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee und System, 1982, 569 ff. 20 Vgl. hierzu Kloepfer/Lenski, Die Zusicherung im Zuwendungsrecht, NVwZ 2006, 501 ff.; Kloepfer, Rechtsgutachten für den Landesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Berlin/Brandenburg e. V., 2005; Möllers, JZ 2005, 677; sowie die ergangene Rechtsprechung BVerwGE 126, 33 ff.; OVG Berlin, JZ 2005, 672 ff.; dies bestätigend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. 12. 2007 – 5 N 57.04; VG Berlin, Urteil vom 6. 12. 2007 – 16 A 101.04. 21 So die Begrifflichkeit des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 95, 64 (86); 101, 239 (263).

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Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung22. [Die unterschiedliche Terminologie der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts führt in der Sache nicht zu großen Unterschieden.] (1) Echte Rückwirkung Eine echte (rückbewirkende) Rückwirkung von Gesetzen liegt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre immer dann vor, wenn der Gesetzgeber „nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift“23. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtsfolgen für einen vor der Bekanntmachung liegenden Zeitpunkt gelten sollen und nicht erst für den Zeitraum danach. Die echte Rückwirkung von belastenden Gesetzen ist grundsätzlich unzulässig, denn sie ist mit dem Rechtsstaatsprinzip wegen der Verletzung schutzwürdigen Vertrauens in bestehendes Recht nicht vereinbar.24 Ausnahmen sind in besonderen Konstellationen möglich. [Hierzu gehören die von der Rechtsprechung entwickelten, nicht abschließenden25 Fallgruppen.] – Das Verbot kann insbesondere dann durchbrochen werden, wenn der Betroffene mit einer Neuregelung rechnen musste.26 [Die Rückwirkung ist dann zulässig bis zu dem Zeitpunkt, ab dem mit der Neuregelung zu rechnen war. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn der Gesetzesbeschluss des Bundestages nach Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG für das neue Gesetz vorliegt.27] – Ebenso gilt das Verbot nicht, wenn die bisherige Rechtslage unklar oder verworren war.28 [Denn dann kann schutzwürdiges Vertrauen gar nicht erst entstehen. Zudem erfordern hier Gründe der materiellen Gerechtigkeit, aber u. U. auch der Rechtsklarheit eine Neuregelung.] – Weiterhin gilt das Verbot der echten Rückwirkung nicht, wenn sich eine bestehende Norm später als unwirksam herausstellt.29 [In diesem Fall mag zwar zunächst ein Vertrauen in die bisherige nichtige Norm vorhanden sein. Da diese nun aber wegen Verfassungswidrigkeit gerade nicht angewendet werden kann, muss es dem Gesetzgeber möglich sein, die entstehende Lücke wieder zu füllen. Darum entfällt der Vertrauensschutz im Hinblick auf das bestehende Recht.]

22

So die Terminologie des Zweiten Senats, BVerfGE 92, 277 (325); 97, 67 (78). BVerfGE 114, 258 (300). 24 BVerfGE 95, 64 (86); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 71. 25 BVerfGE 72, 200 (258). 26 BVerfGE 88, 384 (404). 27 BVerfGE 97, 67 (79). 28 BVerfGE 98, 17 (39); vgl. auch Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 45. 29 BVerfGE 13, 261 (272); 50, 177 (193). 23

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– Das Vertrauen ist auch dann nicht geschützt, wenn die rückwirkende Belastung lediglich einen Bagatellfall darstellt.30 In diesem Fall überwiegt das Interesse der materiellen Gerechtigkeit das durch das Rechtsstaatsprinzip geschützte Vertrauen des Bürgers. – Schließlich soll vor allem eine Durchbrechung des Vertrauensschutzes auch bei besonders wichtigen Gründen des allgemeinen Wohls möglich sein.31 Diese Fallgruppe wurde vom BVerfG bisher nur ergänzend herangezogen;32 sie hat bislang praktisch keine große praktische Bedeutung erlangt. Das grundsätzliche Verbot der echten Rückwirkung bietet – in seinem relativ engen Rahmen – den Wirtschaftsunternehmen insoweit eine erhebliche Planungssicherheit. Sie können zumindest davon ausgehen, dass für in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Tatbestände die Rechtsfolgen nicht zu ihren Ungunsten geändert werden. (2) Unechte Rückwirkung Eine unechte (rückanknüpfende) Rückwirkung liegt hingegen vor, wenn sich „eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen bezieht“33 und daran für die Zukunft neue – dem Inhaber der Rechtsposition ungünstigere – Folgen anknüpft. [Die unechte Rückwirkung ist – nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung34 – ebenfalls an den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips zu messen.] Die unechte belastende Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig.35 Das Interesse des Staates, Änderungen an der bestehenden Rechtslage vornehmen zu können, überwiegt hier regelmäßig das Vertrauen des Einzelnen in den Bestand der Gesetzeslage. [Die unechte Rückwirkung ist allerdings unzulässig, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, „mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte“, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte.36 Weiter ist die unechte Rückwirkung auch dann unzulässig, wenn das Vertrauen des Einzelnen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen.37 In die Rechtsprechung des Bundesverfas30

BVerfGE 95, 64 (86); ebenso BVerfGE 30, 367 (389 f.). BVerfGE 72, 200 (260). 32 Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 54. 33 BVerfGE 101, 239 (263). 34 Jarass, in: Jarass/Pierotb, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 73; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 20, Rn. 166; BVerfGE 30, 392 (402); 63, 152 (175); 72, 141 (154); 103, 392 (403); 109, 96 (122); anders aber Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 62, 67, der die unechte Rückwirkung den einzelnen Grundrechten zuordnen will. 35 BVerfGE 30, 392 (402); 63, 152 (175); 103, 392 (403); 109, 96 {122); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 20, Rn. 73; Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 61. 36 BVerfGE 63, 152 (175); 68, 287 (307). 37 BVerfGE 89, 48 (66). 31

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sungsgerichts fließen dabei auch Billigkeitserwägungen ein.38 Die Planungssicherheit für Unternehmen ist insgesamt bei der unechten Rückwirkung nur relativ geschützt.] bb) Vertrauen auf den künftigen Fortbestand von Gesetzen (1) Schutzwürdiges Vertrauen Wird ein bestehendes unbefristetes Gesetz später formell – für die Zukunft – aufgehoben (oder materiell verändert), handelt es sich um die ex-nunc Aufhebung eines Staatsakts (verbunden mit Neuerlass eines neuen Staatsakts). Dies ist in seiner formalen Grundstruktur insoweit also mit dem „Widerruf“ eines Verwaltungsakts für die Zukunft (verbunden mit Erlass eines neuen Verwaltungsakts) vergleichbar. Damit ist die Ähnlichkeit zwischen dem Widerruf von Verwaltungsakten und der Gesetzesaufhebung bzw. -änderung aber auch schon erschöpft. Der Verwaltungsakt ist die Entscheidung eines Einzelfalls, auf die der Einzelne im Rahmen der Bestandskraft vertrauen darf, das Gesetz ist das nicht. Das Gesetz verspricht Bindung, aber nicht Bestandskraft. Nach ganz allgemeiner Lehre wird folgerichtig das Vertrauen der Bürger auf den künftigen Fortbestand vorhandenen Rechts grundsätzlich nicht geschützt.39 Das ist auch richtig so, weil in einer Demokratie der Bürger stets damit rechnen muss, dass sich neue politische Mehrheiten bilden, die dann neue Entscheidungen treffen. Die Chance für neue Mehrheiten ist ein Lebenselixier für die Demokratie. Aber diese neuen Mehrheiten müssen dann auch die Chance haben, ihre Entscheidungen tatsächlich durchzusetzen. Von daher sichert die Rechtsgeltungsregel „lex posterior derogat legi priori“ – also der Vorrang späteren Rechts – nicht nur die Rechtsklarheit (und Widerspruchsfreiheit) der Rechtsordnung, sondern auch das demokratische System. Sie sichert die effektive Entscheidungsfreiheit von Abgeordneten für die Zukunft. [Ebenso streitet der Diskontinuitätsgrundsatz40 für die grundsätzliche Möglichkeit des Gesetzgebers, Vorhaben jederzeit ändern zu können. Der Diskontinuitätsgrundsatz, der von der herrschenden Meinung als Verfassungsgewohnheitsrecht angesehen wird,41 besagt, dass am Ende einer Wahlperiode sowohl die Abgeordneten ihr Mandat verlieren (personelle Diskontinuität), als auch alle Beschlussvorlagen als 38

Vgl. z. B. BVerfGE 63, 152 (175); 68, 287 (307). Kloepfer, VVDStRL 40, (1982), S. 81 ff., m. w. N.; weitere Rechtsprechung siehe unten Fn. 43. 40 Zur formellen Diskontinuität vgl. Jekewitz, Der Grundsatz der Diskontinuität der Parlamentsarbeit im Staatsrecht und seine Bedeutung unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes, 1977, S. 256 ff.; zur materiellen Diskontinuität vgl. Hörnig/Stoltenberg, DÖV 1973, 689 ff.; Jekewitz, ebd., S. 270 ff. 41 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 39, Rn. 4; differenzierend Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 5. Aufl., 2005, Art. 39, Rn. 12 f. 39

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erledigt gelten (sachliche Diskontinuität).42 Daraus folgt zumindest, dass es keine Weiterbehandlung von Beschlussvorlagen gibt, die in der früheren Wahlperiode eingebracht wurden. Wohl aber kann der alte Gesetzesentwurf neu eingebracht werden. Im Diskontinuitätsgrundsatz kommt somit der Gedanke zum Ausdruck, dass der neu zusammentretende Bundestag frei von Vorgaben der vorhergehenden Legislaturperiode entscheiden können soll. Macht auf Zeit und ewiger Fortbestand von Gesetzen gehen eben nicht zusammen.] Schließlich würde eine Festschreibung des bestehenden Rechts die grundsätzlich unerlässliche Anpassung der Rechtsordnung an veränderte Lebensumstände43 verhindern. Eine solche Versteinerung der Rechtsordnung würde deren Effektivität langfristig auf das Äußerste gefährden. (2) Rechtsprechung zum Fortbestand geltenden Rechts Die Rechtsprechung hat den fehlenden Anspruch auf Fortbestand des geltenden Rechts immer wieder bestätigt: Schon das Reichsgericht hat im sog. Gefrierfleischfall44 entschieden, dass ein Unternehmer sich rechtlich nicht erfolgreich gegen den Fortfall von für ihn günstigen bestehenden Zollgesetzen wehren kann. Später hat der BGH diese Rechtsprechung im Knäckebrotfall45 aufrechterhalten. Vor einigen Jahrzehnten ist dies unter dem Schlagwort des Plangewährleistungsanspruchs46, genauer des Planfortbestandsanspruchs47, erörtert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend fortlaufend judiziert, dass die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, verfassungsrechtlich nicht geschützt wird.48 Insbesondere könne der Steuerpflichtige nicht auf den unentgeltlichen Fortbestand von – sozial- oder wirtschaftspolitisch motivierten – Steuervergünstigungen vertrauen.49 Allerdings kann überlegt werden, ob es im Einzelfall jedenfalls dann einen Anspruch auf Gesetzesfortbestand geben kann, wenn insoweit ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der über die bloße Existenz alten Rechts hinausgeht. Denkbar wären z. B. entsprechende politische Zusicherungen der von Verfassungs42

Seinen Ausdruck findet dieses Verfassungsgewohnheitsrecht auch in § 125 GeschOBT, wo die sachliche Diskontinuität explizit angeordnet wird. 43 Siehe dazu etwa BVerfGE 76, 256 (348); 105, 17 (40). 44 RGZ 139, 177 ff. 45 BGHZ 45, 83 ff. 46 Vgl. hierzu Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, 1970; Egerer, Plangewährleistungsanspruch, 1971; Ossenbühl, Die Plangewährleistung, JuS 1975, S. 545 ff.; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1. Aufl., 1971, S. 109 ff.; vgl. auch Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1989, S. 195. 47 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, § 16, Rn. 28 f. 48 BVerfGE 38, 61 (83); 69, 193 (222). 49 BVerfGE 48, 403 (416); 105, 17 (40); 76, 256 (348); BVerfG, DVBl 2007, 1097 (1097 f.).

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organen des Bundes oder gar Vereinbarungen mit diesen Organen über die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtslage. Wie noch zu zeigen sein wird, sind solche Zusagen bzw. Gesetzgebungsvereinbarungen indessen schon wegen Verletzung der Gewaltenteilung verfassungswidrig. Jedoch könnte eine gewisse Selbstbindung des Gesetzgebers dann entstehen, wenn er die Geltung einer Norm auf eine gewisse Zeit festschreibt, so dass der Adressat von einer Geltung dieser Norm bis zum angegebenen Zeitpunkt ausgehen durfte. Dann entsteht ein besonderer Vertrauenstatbestand, der nur noch unter einschränkenden Bedingungen wieder entfallen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Problem insbesondere in der Berlinhilfegesetz-Entscheidung vom 23. März 1971 Stellung genommen.50 Das Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (West) führte 1950 unter gewissen Voraussetzungen Umsatzsteuervergünstigungen und -befreiungen für Berliner Unternehmen und Unternehmer im Bundesgebiet ein. Die Regelung wurde mehrfach verlängert, zuletzt mit Gesetz vom 25. März 1959 bis Ende des Jahres 1964. Nachdem die Einnahmeverluste des Bundes durch das Gesetz immer größer wurden und der wirtschaftliche Nutzen des Gesetzes abnahm, beschränkte der Bundesgesetzgeber mit Gesetz vom 26. Juli 1962 die Anwendung für Zigaretten mit Wirkung vom 1. Januar 1963 erheblich. Eine Berliner Aktiengesellschaft, die Zigaretten herstellte, klagte daraufhin gegen die Neuregelung. Der Bundesfinanzhof legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob das Gesetz vom 26. Juli 1962 verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht erläutert in seinen Entscheidungsgründen zunächst, dass die Regelung keine echte Rückwirkung darstelle, [denn die Regelung greife „nicht in bereits vollendete Umsatzsteuertatbestände“ ein. Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht an, dass die Steuerschuld erst mit Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes entstehe. Dies ist bei der Umsatzsteuer der Voranmeldezeitraum, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind.51] Weiterhin führt das Gericht aus, dass das überprüfte Gesetz auch keine unechte Rückwirkung zur Folge habe. [Eine solche läge nur vor, wenn die Norm „zwar nicht auf vergangene, aber auch nicht nur auf zukünftige, sondern auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich im Ganzen entwertet“.] Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bezog sich die Regelung hinsichtlich der umsatzsteuerpflichtigen Umstände aber nicht auf gegenwärtige, sondern auf künftige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte.52 Dies muss man so lesen, dass die frühere, in der Vergangenheit liegende Errichtung von Fabrikationsanlagen zur Produktion umsatzsteuerbegünstigter Waren nicht den Regelungsgegenstand des Gesetzes bildeten, sondern die (umsatzsteuerpflichtigen) Lieferung der so produzierten Waren. 50 BVerfGE 30, 392 ff.; siehe dazu auch schon Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 98; Ossenbühl, Vertrauensschutz im sozialen Rechtsstaat, DÖV 1972, 25 (30 f.). 51 BVerfGE 30, 392 (401 f.). 52 BVerfGE 30, 392 (402 f.).

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Obwohl das Gericht somit die echte wie die unechte Rückwirkung des Gesetzes von 1962 verneint hatte, untersucht es gleichwohl, ob die Regelung schutzwürdiges Vertrauen verletzt habe. Das Bundesverfassungsgericht prüft hier die Vereinbarkeit der Regelung mit den „im Rechtsstaatsprinzip verankerten verfassungskräftigen Gebote[n] der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes“ außerhalb des Rückwirkungsverbots. Dabei stellt es zunächst fest, dass die Gewährung von Steuervorteilen auf einen festgelegten Zeitraum einen grundsätzlich schutzwürdigen Vertrauenstatbestand begründet hätte. Dann erfolgt jedoch eine Abwägung des Vertrauenstatbestandes mit den Zielen des Gesetzgebers für die Neuregelung, die im konkreten Fall zu Lasten des Unternehmers ausging.53 Grundsätzlich hat das Gericht hier immerhin ansatzweise einen Anspruch auf Fortbestand geltenden Rechts, also den Schutz des Fortbestandsvertrauens, für möglich gehalten. Im weiteren Fortgang hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (wie auch anderer Gerichte54) allerdings daran festgehalten, dass es keinen Anspruch auf Fortbestand geltenden Rechts gibt. Immerhin scheint das Bundesverfassungsgericht generell eine Fortbestandsgarantie dann für denkbar zu halten, wenn die Aufhebung eines Gesetzes existenzbedrohend wäre bzw. vorgenommene Investitionen im Ganzen nachträglich entwerten würde. [An dieser Entscheidung kann man gut erkennen, dass die Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf den Fortbestand von Recht in Einzelfällen durchaus auch ein verfassungsrechtliches, rechtsstaatsabgeleitetes Schutzgut des deutschen Verfassungsrechts sein kann. Allerdings zeigt sich auch, dass dieser Bestandsschutz dann zu weichen hat, wenn überwiegende Interessen des Allgemeinwohls vorgehen. Insgesamt bleibt aber festzuhalten, dass nach dem deutschen Verfassungsrecht aus dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich kein Anspruch auf Fortbestand geltenden Rechts ableitbar ist.] (3) Pflicht zu schonenden Übergangsregelungen Davon unabhängig kann aber eine Pflicht des Gesetzgebers zur Schaffung schonender Übergangsregelungen bestehen. Vor allem aus dem Übermaßverbot kann sich dann unter anderem die Notwendigkeit von Übergangsregelungen55 ergeben. Damit ist zwar eine einmal geschaffene Rechtsposition nicht auf Dauer gefestigt, aber der Gesetzgeber ist doch gehalten, unnötige Härten zu vermeiden.56 [Eine Übergangsregelung ist immer dann notwendig, wenn eine Umgestaltung oder Verkürzung bestehender Rechtspositionen erfolgt und diese den Betroffenen ohne Übergangsregelung unverhältnismäßig belasten würden.57 Die Erforderlichkeit muss im konkreten Ein53

BVerfGE 30, 392 (403 ff.). BVerwGE 126, 33 ff. 55 Vgl. dazu Kloepfer, Übergangsgerechtigkeit bei Gesetzesänderungen und Stichtagsregelungen, DÖV 1978, S. 225 ff. 56 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., 2007, Art. 14, Rn. 47. 57 BVerfGE 53, 336 (351). 54

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zelfall durch eine Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für die Allgemeinheit ermittelt werden.58] [Die Notwendigkeit zu schonenden Übergangsregelungen kann sich in diesem Zusammenhang besonders aus Art. 14 GG ergeben. Als Beispiel aus der Rechtsprechung kann hierzu etwa die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Eisenbahnkreuzungsgesetz angeführt werden,59 der folgender Sachverhalt zu Grunde lag: Vor dem Erlass des Eisenbahnkreuzungsgesetzes hatte der Inhaber einer Straße oder einer Eisenbahnlinie bei Kreuzung mit einem neu zu errichtenden Verkehrsweg gegen den Erbauer der neuen Anlage einen Erstattungsanspruch für die dadurch entstehenden erhöhten Unterhaltungskosten. Durch das Eisenbahnkreuzungsgesetz entfiel dieser Anspruch gänzlich und sofort mit dessen Inkrafttreten. Der mit seiner Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland auch letztinstanzlich abgewiesene Kläger legte Verfassungsbeschwerde ein und machte geltend, dass er durch die ersatzlose Streichung des Erstattungsanspruchs in seinen Grundrechten verletzt sei. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, dass die Verfassungsbeschwerde begründet sei, soweit das Eisenbahnkreuzungsgesetz Erstattungsforderungen privater Unternehmen zum Erlöschen bringe, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes entstanden seien.60 Denn das Erlöschen dieser Ansprüche sei mit Art. 14 GG nicht vereinbar: „Entsteht bei der Schaffung neuen Rechts ein Konflikt mit grundrechtlich geschützten Rechtspositionen, die nach den bisher geltenden Regelungen begründet worden sind, so ist der Gesetzgeber zur Vermeidung von Grundrechtsverletzungen regelmäßig gehalten, durch Überleitungsvorschriften einen schonenden Übergang vom alten ins neue Recht zu ermöglichen“.61] (4) Bestandsschutz aus Art. 14 GG? Dies leitet über zu folgenden Gedanken: Planungssicherheit im Hinblick auf Gesetzgebung kann sich nicht nur aus dem Rechtstaatsprinzip ergeben, sondern auch aus den Grundrechten, insbesondere aus Art. 14 GG mit seinem Gedanken des Bestandsschutzes für erbrachte eigene Leistungen (z. B. Investitionen). Dieses Grundrecht enthält zwar keinen Anspruch auf Gewinn62, wohl aber einen Investitionsschutz, der u. U. auch Rentabilitätsgrundlagen erfassen kann. Soweit sich dabei z. B. tatbestandlich der Schutz getätigter Investitionen gegenüber dem Änderungsgesetzgeber ergibt, gelten jedoch die Grundrechtsschranken des Art. 14 Abs. 2 und 3 GG. Diese werden freilich ihrerseits durch die Schranken-Schranken, insbesondere durch das Übermaßverbot begrenzt und können jedenfalls Entschädigungspflichten auslösen.

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BVerfGE 70, 101 (114). BVerfGE 53, 336 ff. 60 BVerfGE 53, 336 (346). 61 BVerfGE 53, 336 (351). 62 BVerfGE 68, 193 (222 f.); 77, 84 (118); 81, 208 (227 f.); 105, 252 (278). 59

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Dies wurde insbesondere beim sog. Atomausstieg deutlich. Bei der nach wie vor umstrittenen Beendigung der gewerblichen Nutzung der Erzeugung von Kernenergie in Deutschland63 stellte sich insbesondere die Frage, ob eine entschädigungslose Beendigung der Zulässigkeit der Erzeugung von Kernenergie rechtmäßig war. Hierzu wurden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Teilweise wurde behauptet, es handele sich bei der Untersagung des weiteren Betriebs um eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG.64 Nach der Gegenansicht lag lediglich eine entschädigungsfreie Inhalts- und Schrankenbestimmung vor.65 Mit dem Argument, dass den Betreibern jedwede privatnützige Verwendungsmöglichkeit ihrer bisherigen legalen Investitionen (Kernenergieanlagen) genommen wird, ist grundsätzlich der erstgenannten Ansicht beizupflichten, jedenfalls solange die allgemeine rentabilitätsermöglichende Mindestnutzungsdauer der einzelnen Anlagen noch nicht erreicht ist. Der sofortige Abbruch der ursprünglichen legalen Kernenergieerzeugung hätte die einschlägigen hohen Investitionen entwertet. Dies ändert aber nichts daran, dass die Planungssicherheit der Unternehmen auch dann nicht grenzenlos, sondern nur insoweit relativ geschützt wird. Das heißt, dass die in einem Atomausstieg (vor Ablauf der Mindestnutzungsdauer) liegende Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 GG „nur“ gegen Entschädigung möglich ist. Schließlich sei hier an die – inzwischen auch höchstrichterlich66 behandelte – Problematik erinnert, die sich für die Inhaber immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen durch das zusätzliche Erfordernis einer Emissionsgenehmigung ergibt. Die Gegner dieses zusätzlichen Erfordernisses berufen sich auf das Eigentumsrecht. Wegen der hier zu beobachtenden Vermischung nationalen und europäischen Rechts soll diese Problematik hier indessen später behandelt werden [s. u. III.2.d)bb)]. Immerhin ist hier schon eine kurze Zwischenfolgerung zu der Rolle der Grundrechte für unser Gesamtthema möglich: Auch wenn grundrechtlicher Bestandsschutz grundsätzlich über Wahlperioden hinauswirkt, können die Grundrechte grundsätzlich nicht zum Erzwingen des Stillstands von Gesetzgebung genutzt werden. Sie dürfen nicht zur dauerhaften Gesetzeserstarrung führen. Die Grundrechte sind Teil der Gesamtverfassung, die maßgeblich auch den demokratischen Wandel ermöglicht. Es bedarf somit eines Ausgleichs zwischen dem flexibilitätsermöglichenden Demokra-

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Vergleiche zur Frage der Umkehrbarkeit dieser Entscheidung, Kloepfer, Rechtsfragen zur geordneten Beendigung gewerblicher Kernenergienutzung in Deutschland, DVBl. 2007, 1189 ff. 64 So etwa Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, S. 141; Wendt, in: Sachs, GG, 4. Aufl., 2007, Art. 14, Rn. 157b; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen eines Ausstiegs aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, AöR 124 (1999), 1 ff. 65 Roßnagel, in: Roßnagel/Roller, Die Beendigung der Kernenergienutzung durch Gesetz, 1998, S. 62 ff.; Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung, 2000, S. 51 ff. 66 Vgl. BVerfGE 118, 79 ff.; BVerwGE 124, 47 ff.

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tieprinzip und den u. U. stabilitätsfordernden Grundrechten. Der Ausgleich kann z. B. in einem entschädigungspflichtigen Wandel der Rechtslage gefunden werden.67 cc) Vertrauen auf künftige Gesetze Wenn schon das Vertrauen auf den künftigen Fortbestand geltender Gesetze rechtlich grundsätzlich nicht geschützt ist, muss dies erst recht für ein Vertrauen auf künftiges Recht gelten. Insbesondere politische Ankündigungen68, Wahlversprechen und Koalitionsvereinbarungen etc. begründen keinen rechtlichen Schutz des Vertrauens auf eine „versprochene“ Gesetzgebung. Ähnliches gilt für verfassungsrechtliche Gesetzgebungsaufträge und Verfassungserwartungen für künftiges Recht69, so lange dem Gesetzgeber hierbei inhaltliche Gestaltungsfreiheit verbleibt. [Erst wenn er – rechtlich – überhaupt keine Gestaltungsfreiheit mehr hätte (wie in Einzelfällen bei der Umsetzung Europäischen Rechts) mag ein rechtlich relevanter Schutz des Vertrauens auf künftige Gesetze denkbar sein. Sie mag in Sonderfällen auch für Gesetze gelten, die sich bereits im Gesetzgebungsverfahren befinden. Grundsätzlich bleibt es aber bei dem fehlenden rechtlichen Schutz von Vertrauen auf künftiges Recht.] Auch der Gedanke der Selbstbindung des Gesetzgebers kann grundsätzlich nicht zum rechtlich schutzwürdigen Vertrauen auf künftige Gesetze verdichtet werden. Davon zu trennen sind politische Forderungen nach Stetigkeit und Folgerichtigkeit von Gesetzgebung. Diese Forderungen speisen sich aus der allgemeinen verfassungspolitischen Vorstellung der Kontinuität als Staatsmaxime.70 Zu denken ist vor allem an die Idee der Kontinuitätsgewähr. [Die Kontinuitätsgewähr greift nach Maurer dort ein, wo es nicht mehr um Vertrauensschutz geht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ausschließlich künftig entstehende Sachverhalte geregelt werden71 oder wenn der Gesetzgeber bislang nicht geregelte Fragen regelt und dabei an Sachverhalte anknüpft, die in der Vergangenheit entstanden sind.72] Inhaltlich verlangt die Idee der Kontinuität vom Gesetzgeber, dass er konsequent und stetig handelt.73 Allerdings ist dies keine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Ein Verstoß führt nicht dazu, dass die entsprechende Regelung nichtig ist.74 Es handelt sich vielmehr um 67

Siehe dazu Kloepfer, DVBl. 2007, S. 1194, Fn. 40. Vgl. zur fehlenden rechtlichen Relevanz von Gesetzesankündigungen BVerfGE 97, 67 (83 f.), mit abweichender Meinung BVerfGE 97, 67 (86 ff.). 69 Kloepfer, ZG 2006, 250 (270 f.); ders., Zum Projekt eines Umweltgesetzbuchs, GAIA 2007, 102 ff. 70 Siehe dazu Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 193 ff.; Brandner, Gesetzesänderung, 2004, S. 296 ff.; A. Lenner, Kontinuität als Rechtsprinzip, jeweils m. w. N.; Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 75 ff. 71 Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 75. 72 BVerfGE 103, 271 (278). 73 Kloepfer, Übergangsgerechtigkeit bei Gesetzesänderungen und Stichtagsregelungen, DÖV 1978, 225 (232); Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 76. 74 Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 76. 68

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eine politische Maxime der Verfassung, um ein Gebot von good governance; ein einklagbarer Anspruch des Bürgers auf stetige, folgerichtige und kontinuitätsschonende Gesetzgebung besteht jedoch nicht.]

III. Europäisches Gemeinschaftsrecht [Rechtsstaatlichkeit ist auch ein grundlegendes Prinzip der Europäischen Gemeinschaft, das – wie dem zweiten Erwägungsgrund des Vertrags über die Europäische Union in Gestalt des Reformvertrags zu entnehmen ist – zum grundlegenden Erbe Europas gezählt wird, auf dem die Union aufbaut.75 Auch die Achtung der Menschenrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip finden an zahlreichen Stellen in den Verträgen Erwähnung und sind als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ebenso wie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,76 das Bestimmtheitsgebot77, das Gewaltenteilungsprinzip78 und der Vertrauensschutz79 anerkannt und von der Rechtsprechung des EuGH weiter ausmodelliert worden. Für die rechtliche Planungssicherheit von Unternehmen sind auch im europäischen Recht insbesondere das Bestimmtheitsgebot und der Vertrauensschutz relevant.] 1. Bestimmtheitsgrundsatz im Gemeinschaftsrecht [Eine zentrale Ausprägung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit und von großer Bedeutung für rechtliche Planungssicherheit ist, dass Unternehmen wie Einzelpersonen wissen, an welchen Rechtsnormen sie ihr Verhalten auszurichten haben und was genau der Inhalt dieser Rechtsnormen ist. Gerade im Gemeinschaftsrecht sind Unternehmen mit der zunehmenden Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Maßgabe von Art. 95 EGV zahlreichen neuen Anforderungen ausgesetzt, die bei der Produktion und dem In-Verkehr-Bringen von Gütern in den Binnenmarkt zu berücksichtigen sind. Der Grundsatz der Bestimmtheit – gelegentlich vom EuGH auch unter den allgemeineren Begriff der Rechtssicherheit gefasst – richtet sich nicht nur an den Gemeinschaftsgesetzgeber, sondern auch an die Mitgliedstaaten, wenn diese europäische Richtlinien in innerstaatliches Recht umsetzen.80 So hat der EuGH etwa in seiner Entscheidung zur TA-Luft festgestellt, dass die Umsetzung von Richtlinien in Verwaltungsvorschriften dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht ge75 Vgl. Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Artikel 1) a). 76 Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, 23. EL, Januar 2007, nach Art. 6 EUV, Rn. 290. 77 Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, 23. EL, Januar 2007, nach Art. 6 EUV, Rn. 295. 78 Collies, in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl., 2007, Art. 6 EUV, Rn. 23. 79 Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, 23. EL, Januar 2007, nach Art. 6 EUV, Rn. 296. 80 Vgl. u. a. EuGH C-159/99, Slg. 2001, I-4007, Rn. 32; C-415/01, Slg. 2003, I-2081, Rn. 21.

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nüge, weil im deutschen Recht Verwaltungsvorschriften im Grundsatz keine Rechte für den Einzelnen begründen würden, auf die sich dieser vor den Gerichten berufen könne.81 Diese Entscheidung ist gewiss problematisch, weil sie die intensive tatsächliche Steuerungskraft von Verwaltungsvorschriften vernachlässigt. Der Bestimmtheitsgrundsatz hat hohes Gewicht: Im Gemeinschaftsrecht hat der EuGH gemeinschaftliche Regelungen jedenfalls wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit für nichtig erklärt.82] 2. Vertrauensschutz a) Fragestellung Auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes als Ausprägung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit bzw. der Rechtssicherheit ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Teil des Gemeinschaftsrechts.83 Die Gewährung von Vertrauensschutz84 setzt – wie auch im nationalen Recht – voraus, dass Vertrauen gebildet wurde und dieses Vertrauen schutzwürdig ist sowie ggf. das Überwiegen des Vertrauensschutzinteresses gegenüber (flexibilitätserfordernden) Interessen der Gemeinschaft. Die Frage des Vertrauensschutzes stellt sich auch hier typischerweise getrennt nach Gewalten und dabei an sich differenziert danach, ob jeweils auf bestehende bzw. auf künftige Staatsakte vertraut wurde. Das Vertrauen auf künftige Staatsakte hat im Europarecht – soweit erkennbar – bisher keine Beachtung gefunden. Deshalb soll im Folgenden nur das Vertrauen auf bestehende Staatsakte untersucht werden. Dabei soll nur das Vertrauen in bestehende Akte der Verwaltung [s. u. b)] oder der Gesetzgebung [s. u. c)] behandelt werden, weil das Vertrauen in bestehende Rechtsprechung den EuGH – soweit erkennbar – bisher nicht beschäftigt hat. b) Vertrauen auf bestehende Verwaltungsentscheidungen Die Vertrauensschutzproblematik taucht im Bereich der Verwaltung – wie im nationalen Recht – vor allem im Zusammenhang mit der Bestandskraft von Verwaltungsakten auf. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip der Gesetzmäßig81

EuGH C-59/89, Rn. 23. Grundlegend dazu in der Rechtssache Gondrand Frères C-169/80, Rn. 17 u. 18. 83 EuGH C-l/73 – Westzucker u. v. a. m., in der neueren Rechtsprechung C-182/03 und C217/03, C-346/03 und C-529/03; siehe dazu auch Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 4 ff.; Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2000. 84 EuGH C-310/04, Rn. 81: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes steht die Möglichkeit, sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berufen, jedem Wirtschaftsteilnehmer offen, bei dem ein Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat.“ Siehe auch Callies, in: Calliess/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl., 2007, Art. 6 EUV, Rn. 26. 82

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keit der Verwaltung und der Rechtssicherheit stellt sich bei Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht dabei in noch stärkerer Form als im nationalen Recht. Aufgrund des vom EuGH stets betonten effet-utile-Grundsatzes (Grundsatz der vollen Effektivität bzw. Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts) wird das Vertrauen auf den Bestand europarechtswidriger Verwaltungsakte oftmals nicht geschützt – dies gilt insbesondere im Bereich des Beihilfenrechts.85 [Bei der Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Subventionen kommt es häufig – im Vergleich zum nationalen Recht – zu essentiellen Einschränkungen des Vertrauensschutzes im Hinblick auf das Handeln mitgliedstaatlicher Behörden. Zwar sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständig, weshalb auch ihr nationales Verfahrensrecht bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht einschlägig ist. Durch das Gemeinschaftsrecht werden die nationalen Regelungen zum Schutz des Vertrauens, wie sie in Deutschland im VwVfG konkretisiert sind, aber weitgehend entwertet.] Nach der Rechtsprechung des EuGH wird ein Vertrauen auf das Behaltendürfen einer Subvention, die ohne das erforderliche Notifizierungsverfahren bei der Kommission erteilt wurde und auch materiell gemeinschaftsrechtswidrig ist, grundsätzlich nicht geschützt. Hinter dieser Rechtsprechung steht das Bemühen, ein kollusives Zusammenwirken von nationaler Behörde und Unternehmen zu verhindern. [Berühmtestes Beispiel ist der Fall Alcan.86 Die Firma Alcan betrieb in Rheinland-Pfalz ein Aluminiumwerk, dessen Schließung wegen finanzieller Schwierigkeiten drohte, was zu einem Verlust von 330 Arbeitsplätzen geführt hätte. Daraufhin gewährte das Land einen Überbrückungskredit in Höhe von 8 Mio. DM ohne – wie nach Art. 88 III EGV vorgeschrieben – zunächst die Kommission zu benachrichtigen. Als die Kommission gleichwohl von dem Vorgang Kenntnis erhielt und feststellte, dass die Beihilfe gemeinschaftsrechtswidrig sei, forderte sie die Rückforderung des Kredits. Als die nationalen Behörden dem nicht nachkamen, klagte die Kommission in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland.87 Auf das stattgebende Urteil des EuGH erließen die Behörden schließlich einen Rücknahmebescheid, den die Firma Alcan vor Gericht anfocht.88 Über die Klage hatten zuletzt sogar das Bundesverwaltungsgericht89 und das Bundesverfassungsgericht90 zu entscheiden, die jedoch den Rücknahmebescheid aufrechterhielten.] 85 EuGH C-15/85 – Consorzio Cooperative d’Abruzzo; EuGH C-84/78 Tomadini; EuGH C-112/80 – Dürbeck; vgl. die Übersicht bei Cremer, in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3. Aufl., 2007, Art. 88 EGV, Rn. 23 ff. 86 EuGH Rs-24/95 und zuletzt BVerfG EuZW 2000, 445; vgl. dazu auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl., 2006, Rn. 38 d. 87 EuZW 1990, 387. 88 Das VG Mainz (EuZW 1990, 389) hob den Rücknahmebescheid zunächst auf. Das OVG Koblenz bestätigte die Entscheidung. 89 Das Bundesverwaltungsgericht legte zunächst an den EuGH vor, um verbliebene Fragen (Anwendbarkeit der Rücknahmefrist gem. § 48 Abs. 4 VwVfG; Möglichkeit der Berufung auf Entreicherung; Verstoß gegen Treu und Glauben) klären zu lassen. Der EuGH entschied, dass die vorgelegten Fragen der Rücknahme nicht entgegenstünden (EuGH NJW 1998, 47 = C-24/ 95).

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c) Vertrauen auf bestehende Gesetze Wie im nationalen Recht wird auch im Gemeinschaftsrecht beim Vertrauensschutz im Bereich der Gesetzgebung – teilweise mit anderer Terminologie, aber in der Sache ähnlich – zwischen echter und unechter Rückwirkung unterschieden. aa) „Echte“ Rückwirkung Auch der EuGH kennt ein grundsätzliches Verbot der belastenden Rückwirkung (von Rechtssätzen), allerdings wird hiervon nur das erfasst, was die deutsche Dogmatik als echte Rückwirkung bezeichnet. Wie im deutschen Verfassungsrecht gibt es auch im Europarecht Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot der echten Rückwirkung, nämlich dann, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist.91 [Ein solches überwiegendes Allgemeininteresse hat der EuGH etwa in einem Fall angenommen, in dem die Niederlande durch die Rückwirkung eines Gesetzes verhindern wollten, dass während des Gesetzgebungsverfahrens in großem Umfang Finanzkonstruktionen zur Verminderung einer Mehrwertsteuerbelastung angewandt würden, die mit dem geplanten Änderungsgesetz gerade bekämpft werden sollten.92 Als weitere Voraussetzung forderte der EuGH allerdings, dass die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer von dem bevorstehenden Erlass dieses Gesetzes und der beabsichtigten Rückwirkung derart in Kenntnis gesetzt worden seien und die Auswirkung des neuen Gesetzes auf ihre Tätigkeit hätten verstehen können – was der EuGH in diesem Fall dann auch annahm.93] bb) „Unechte“ Rückwirkung In den Fällen, die in der deutschen Dogmatik als unechte Rückwirkung von Gesetzen bezeichnet werden, stellt der EuGH ähnliche Erwägungen an und prüft die „Rückwirkungsproblematik“, freilich nicht unter diesem Wort, sondern den Stichworten des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit. Grundsätzlich gilt, dass der Einzelne nicht auf das völlige Ausbleiben von Gesetzesänderungen vertrauen kann, sondern nur die Modalitäten der Durchführung einer solchen Änderung beanstanden kann.94 [Hat ein Unternehmen berechtigterweise Vertrauen in die Fortdauer 90

BVerfG NJW 2000, 387. EuGH C-376/02; vgl. EuGH C-368/89, Slg. 1991, I-3695, Rn. 17; sowie Urteil Gemeente Leusden und Holin Groep, Rn. 59; sowie EGMR, Urteil National & Provincial Building Society/Vereinigtes Königreich vom 23. Oktober 1997, Recueil des arrets et decisions 1997-VII, § 80. 92 Vgl. zur tatsächlichen Vorwirkung geplanter Gesetze Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 23 ff. 93 EuGH C-376/02. 94 EuGH C-17/03 Leitsätze. 91

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einer Gemeinschaftsmaßnahme gesetzt und dieses Vertrauen betätigt, muss der Gemeinschaftsgesetzgeber bei einer Änderung der Regelung diese besondere Situation der Wirtschaftsteilnehmer berücksichtigen und gegebenenfalls Übergangsmaßnahmen vorsehen, die dem Betroffenen eine Anpassung an die neue Regelung ermöglichen.95 Berechtigt ist das Vertrauen auf die Beibehaltung einer geltenden Regelung allerdings nur, wenn auch ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer nicht in der Lage ist, die bevorstehenden Änderungen vorherzusehen und sich darauf einzustellen.96] d) Vertrauensschutzprobleme in der Gemengelage von nationalem und europäischem Recht Da das Gemeinschaftsrecht sich zunehmend über das nationale Recht legt, ergeben sich hier neue interessante Gemengefälle auch im Bereich unseres Themas. Im Ergebnis werden hierbei die höheren Vertrauensschutzstandards des deutschen Rechts durch das europäische Recht verdrängt, welches das Vertrauen nicht immer auf einem entsprechenden anspruchsvollen Niveau schützt. Zwei Fälle mögen dies illustrieren: aa) Verstoß nationaler Rechtsakte gegen Gemeinschaftsrecht [Da das Gemeinschaftsrecht eine eigene Rechtsordnung darstellt, die grundsätzlich Vorrang vor nationalem Recht genießt, und sich der Einzelne auch unter bestimmten Voraussetzungen vor den Gerichten auf Gemeinschaftsrecht berufen kann, ist es denkbar, dass Gerichte auch in Privatrechtsstreitigkeiten nationale Rechtsnormen wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht nicht anwenden dürfen. Dies ist insoweit nichts Ungewöhnliches; auch im nationalen Recht führt ein Verstoß gegen höherrangige Normen zur Nichtanwendbarkeit bzw. Nichtigkeit der Rechtsnorm niedrigeren Ranges. Allerdings kann die Rechtsprechung des Gerichtshofes, die den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts in der Vergangenheit oft weit ausgelegt hat, teilweise zu erheblichen Problemen für die Planungssicherheit von Unternehmen verursachen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nationale Regelungen, welche die Beziehungen Privater regeln, wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht für unanwendbar erklärt werden.] Haben Wirtschaftsteilnehmer im Vertrauen auf eine bestehende nationale Regelung Dispositionen getroffen, so stehen sie vor erheblichen Problemen, wenn diese nationale Regelung vom EuGH später als gemeinschaftsrechtswidrig beurteilt wird. Je weniger hiermit zu rechnen war und je bedeutender die Regelung war, desto größer werden die Auswirkungen für die Unternehmen sein. 95

EuGH C-17/03 Leitsätze; EuGH Rs. 74/74, Rn. 41 f. Ständige Rechtsprechung des EuGH Rs. 78/77, Slg. 1978, 169, Rn. 6; Rs. 265/85, Slg. 1987, 1155, Rn. 44; EuGH C-310/04, Rn. 81. 96

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Diese Problematik stellt etwa die umstrittene Entscheidung des EuGH im Fall Mangold97 in eindrücklicher Weise dar, der inzwischen auch dem Bundesverfassungsgericht vorliegt. Hier wurde im Rahmen der Hartz-I-Reform Arbeitgebern die grundsätzliche Möglichkeit des Abschlusses befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern eröffnet, um so. einen Anreiz für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu geben. Das Arbeitsgericht München legte dem EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens diese Regelungen zur Überprüfung vor, woraufhin der EuGH sie mit Blick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts für unanwendbar erklärte. Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass befristet abgeschlossene Arbeitsverträge nunmehr als unbefristet zu gelten haben und die auf Grundlage der Hartz-I-Regelung eingestellten Arbeitnehmer nur unter den gewöhnlichen Voraussetzungen, mithin nur sehr schwer kündbar sind. [Hinzu kommt, dass die betroffenen Unternehmen nicht einmal einen Regressanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland haben dürften. Ein solcher Anspruch setzt nämlich einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht voraus,98 an dem es oftmals – und wohl auch hier – fehlen wird. Der „schwarze Peter“ liegt damit derzeit letztlich bei den Unternehmen, die auf die Gültigkeit der nationalen Regelung vertraut haben. Es geht aber letztlich um das Vertrauen auf europarechtswidriges Recht und ein solches Vertrauen ist – jedenfalls bei Erkennbarkeit des Rechtsverstoßes – nicht schutzwürdig.] Man wird sehen, was das Bundesverfassungsgericht hierzu sagen wird. bb) Nationale Genehmigungen und spätere Gemeinschaftsrechtsanforderungen Die Einführung des Emissionshandels aufgrund europäischen Rechts hat in Deutschland dazu geführt, dass die Inhaber immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen von ihren Genehmigungen nicht mehr Gebrauch machen dürfen, wenn sie über keine Emissionsgenehmigung nach dem TEHG verfügen. Darin sahen betroffene Unternehmen einen Eingriff in ihre Grundrechte,99 insbesondere in die Eigentumsgarantie. Ihre Klagen blieben allerdings durchweg erfolglos.100 97

EuGH C-144/04 – Mangold; vgl. dazu etwa Preis, Verbot der Altersdiskriminierung als Gemeinschaftsgrundrecht – Der Fall „Mangold“ und die Folgen, NZA 2006, 401 ff.; Hailbronner, Hat der EuGH eine Normverwerfungskompetenz?, NZA 2006, 811 ff.; Streinz/ Herrmann, Der Fall Mangold – eine „kopernikanische Wende im Europarecht“?, RdA 2007, S. 165 ff. 98 EuGH verb. Rs. C-46/93 und C-48/93; verb. Rs. C-178/94 u. a. 99 Vgl. etwa Weidemann, Emissionshandelsrecht in der grundrechtlichen Bewertung – offene verfassungsrechtliche Fragen, GDMB (Heft 111) 2007, S. 137. 100 BVerfGE 124, 47 ff.; BVerfGE 118, 79 ff.; Frenz, Emissionshandel und Grundgesetz nach drei Entscheidungen des BVerfG, UPR 2008, S. 8 ff.; Weidemann, Emissionshandelsrecht in der grundrechtlichen Bewertung – offene verfassungsrechtliche Fragen, GDMB (Heft 111) 2007, S. 131 ff.; ders., „Solange II“ hoch 3? – Inzidentkontrolle innerstaatlicher Nonnen, NVwZ 2006, S. 623 ff.; Schmidt-Preuss, Der Wandel der Energiewirtschaft vor dem Hintergrund der europäischen Eigentumsordnung, EuR 2006, S. 463 ff.

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Unter Vertrauensschutzgesichtspunkten gilt – nach nationalem Verfassungsrecht – letztlich wiederum, dass es keinen Anspruch auf den künftigen Fortbestand einer bestehenden und für den Betroffenen günstigen Rechtslage gibt. Auch hier fordert die Verfassung nur schonende Übergangsregelungen. Solche hat der deutsche Gesetzgeber im konkreten Fall auch geschaffen. Zusätzlich ist zu bedenken, dass den Betroffenen in Deutschland die notwendigen Emissionsberechtigungen am Anfang kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Wegen der zwingenden europarechtlichen Vorgaben hat das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen insoweit nicht nationale Grundrechte, sondern die europäischen Grundrechte geprüft und dies im Kern mit der Solange II – Rechtsprechung des BVerfG101 und der fehlenden Gestaltungsfreiheit des deutschen Umsetzungsgesetzgebers begründet.102 [Entsprechendes müsste dann auch für die Vertrauensschutzstandards des Gemeinschaftsrechts bei entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG gelten, die insoweit die teilweise stärkeren einschlägigen nationalen Standards verdrängen.]

IV. Zusammenfassung und Denkansätze 1. Ergebnis Insgesamt zeigt sich, dass sowohl das deutsche Verfassungsrecht als auch das europäische Gemeinschaftsrecht (z. B. hinsichtlich des Bestandsschutzes von Verwaltungsakten oder gegenüber rückwirkenden Gesetzen) die Planungssicherheit von Wirtschaftsunternehmen als – relatives – Schutzgut partiell anerkennen. [Allerdings erfolgt dies nicht unmittelbar durch den Schutz der Planungssicherheit als solcher, sondern mittelbar durch verschiedene allgemeine verfassungs- und europarechtliche Bestimmungen bzw. Institute insbesondere durch den Grundgedanken des Vertrauensschutzes.] Dabei geht der Schutz des deutschen Verfassungsrechts teilweise erheblich weiter als der des Gemeinschaftsrechts. Nach beiden Rechtsordnungen wird Planungssicherheit grundsätzlich immer nur soweit gewährleistet werden, als es nicht zu einer substantiellen Beeinträchtigung des Demokratieprinzips kommt. Insbesondere muss dem jeweiligen Gesetzgeber ein ausreichender Handlungsspielraum für die Zukunft verbleiben. Deshalb wird das Vertrauen auf den künftigen Fortbestand geltenden Rechts oder gar das Vertrauen bzw. die Hoffnung auf künftiges Recht verfassungs- bzw. europarechtlich prinzipiell nicht geschützt.

101 102

BVerfGE 73, 339 ff. BVerwGE 124, 47 (56 ff.).

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2. Denkansätze für mehr Gesetzgebungsstabilität Gerade diese Absage an rechtliche Garantien für den Fortbestand geltenden Rechts oder gar für das Vertrauen auf künftiges Recht bedeutet natürlich erhebliche Einschränkungen für eine rechtlich gewährleistete Planungssicherheit für Unternehmen. Es bedeutet indessen nicht das Ende aller Sicherheit. Für rechtlich induzierte Resignation ist kein Raum. Insbesondere bedeutet das weitgehende Fehlen rechtlicher Fortbestandsgarantie nicht, dass man deswegen untätig bleiben müsste. Vielmehr lassen sich verschiedene juristische wie politische Ansätze vorstellen, gewisse Elemente einer Fortbestandsgarantie im Bereich der Gesetzgebung und damit künftig mehr Gesetzgebungsstabilität zu erreichen a) Juristische Ansätze 1. Denkbar wäre, künftig eine verstärkte vertragliche oder Vertragsähnliche Bindung des Gesetzgebers für den Fortbestand von Recht anzustreben. Rechtlich bindende Gesetzgebungsverträge (bzw. Verträge zur Gesetzgebungsunterlassung) wären indessen verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber (oder gar die Exekutive) sich der gesetzlichen Gesetzgebungsmacht (oder ihrer Beteiligung hieran) nicht begeben dürfen.103 [Auch Ersatzkonstruktionen durch rechtlich nicht bindende Vereinbarungen über Gesetzgebung – wie z. B. beim Atomausstieg in Deutschland – sind wegen ihrer beabsichtigten faktischen Bindungswirkung verfassungspolitisch problematisch. Die Atomausstiegsvereinbarung zwischen der alten Bundesregierung und Vertretern der Energiewirtschaft war überdies politisch höchst fraglich, weil einerseits hier die Bundesregierung und nicht der Gesetzgeber tätig wurde und andererseits die Energiewirtschaft ohne klares Mandat aller Energieunternehmen handelte.104] 2. Fortbestandsbindungen für den Gesetzgeber können sich freilich im Sonderfall der Ratifizierungsgesetze für Völkerrechtsverträge bzw. innerstaatlichen Staatsverträgen ergeben, obwohl auch hier bei der verhandelnden Exekutive die eigentliche politische Gestaltungsmacht liegt. 3. Mittelbare Fortbestandsgarantien für Gesetze können sich auch aus höherrangigem Recht ergeben. Dies ist insbesondere bei solchen Gesetzen der Fall, die im Vollzug bzw. in Umsetzung von höherrangigem Recht, d. h. insbesondere von EGRichtlinien bzw. von Verfassungsaufträgen oder -garantien ergehen. [In dem Maße, wie das bisherige Recht dem Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit für die Umsetzung einräumt, relativiert sich dann freilich die Garantie des Fortbestands des Umsetzungsgesetzes in der konkreten Form. Dem höherrangigen Recht ist dann überhaupt eine (nicht aber diese) Umsetzung geschuldet.]

103 104

Kloepfer, DVBl. 2007, 1189 (1192). Kloepfer, DVBl. 2007, 1189 (1191 ff.).

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4. Eine relative Garantie des Fortbestands geltenden Rechts lässt sich auch durch institutionelle Garantien bzw. Institutsgarantien schaffen. Es handelt sich um die Garantie des Bestands objektiver Rechtsinstitute und zwar entweder öffentlich-rechtlicher Art (gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie, Berufsbeamtentum) oder privatrechtlicher Art (z. B. Ehe, Eigentum). Für die Planungssicherheit von Unternehmen ist vor allem die Institutsgarantie Eigentum als Sicherung des Kernbestands der Privatrechtsnormen zum Eigentum wichtig. Allerdings verhindern institutionelle wie Institutsgarantien keinesfalls einzelne Gesetzesänderungen, wie etwa die Rechtsprechung zur gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG)105 oder zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) zeigt.106 5. Mittelbare, abgeleitete Fortbestandsgarantien für Gesetze können sich schließlich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (bzw. auch aus dem Gedanken der Selbstbindung des Gesetzgebers107 bzw. der Systemgerechtigkeit) im Hinblick auf schon bestehendes Altrecht ergeben, wenn eine Gleichbehandlung grundsätzlich zwischen alten und neuen Fällen sachlich geboten ist. [Freilich lässt sich eine solche Gleichbehandlung nicht nur durch die Fort- und Weiterschreibung des alten Rechts, sondern auch durch eine gleichmäßige Neuregelung von Alt- und Neurecht erreichen.] 6. Insgesamt ist von juristischen Strategien zur Fortbestandsgarantie nur sehr begrenzte Remedur zu erwarten. Sie helfen regelmäßig nur in Sonderfällen bzw. Sonderkonstellationen. b) Politische Strategien Deswegen ist verstärkt nach rechtpolitischen Strategien für eine verstärkte Fortbestandssicherung vorhandenen Gesetzesrechts zu suchen. Was wir brauchen, ist ein rechtspolitisches Konzept der nachhaltigen Gesetzgebung bzw. sustainable legislation. Damit wird an die Nachhaltigkeit, die sustainability, als eine der großen Schlüsselvorstellungen der Gegenwart angeknüpft. Sie ist zwar für den Umweltschutz entwickelt worden, längst aber zur umfassenderen Vorstellung für innen- und außenwirtschaftliche soziale und wirtschaftliche Strukturen geworden. Deswegen ist es nur konsequent, Nachhaltigkeit auch von der Rechtsordnung und speziell von der Gesetzgebung zu fordern. Diese Forderung nach sustainability in der Gesetzgebung setzt an frühere Forderungen nach Gesetzesstabilität, nach konsequenter, kontinuierlicher bzw. verstetigter Gesetzgebung an, ohne hiermit völlig deckungsgleich zu sein.

105

BVerfGE 79, 127 (143 ff.); 83, 363 (381 ff.); 107, 1 (11 ff.). BVerfGE 11, 299 (303); 70, 69 (79); 76, 256 (295, 347 f.); BVerfG, DVBl 2007, 1435 ff. 107 Siehe dazu etwa Maurer, HStR IV, 3. Aufl., 2006, § 79, Rn. 78 ff.; Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), S. 83 ff.; Degenhardt, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung als Verfassungspostulat, S. 59 ff. 106

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1. Die beste Voraussetzung für Gesetzesstabilität ist die politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität in einem Gemeinwesen. [In einer solchen langfristigen (relativen) Stabilitätslage befindet sich die Bundesrepublik Deutschland im Prinzip seit ihrem Bestehen seit 1949, wenngleich sie dabei durchaus auch relativ bewegte Zeiten (z. B. Studentenunruhen, Deutscher Herbst, Wiedervereinigung) erlebt hat. Immerhin hat es in dieser Zeit aber weder Krieg noch Putsche oder existentielle Wirtschaftskrisen in der Bundesrepublik Deutschland gegeben.] Gleichwohl zeigt das bundesdeutsche Beispiel sehr deutlich, dass eine (relativ) stabile politische Gesamtlage keineswegs eine Fülle von Gesetzesänderungen ausschließt. Dies wird auch nicht zu verhindern sein, weil – wie erwähnt – die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, technischen Außenumstände sich für einen Staat und seine Gesetze in der Gegenwart ständig – und häufig auch recht schnell – verändern. Die Anpassung der Gesetzgebung hieran ist in der Regel sinnvoll und häufig auch notwendig. In vielen Fällen ist die Anpassungsänderung (etwa an neue technische Verfahren) im Übrigen ein Mittel zur Stabilisierung früher getroffener politischer und gesetzlicher Grundentscheidungen. 2. Gleichwohl gehen die meisten tatsächlich erfolgenden Gesetzesänderungen über solche Anpassungsänderungen hinaus. Da die Bundesminister wegen der Kompetenzlage (Art. 70, 83 GG) primär Gesetzgebungsminister, kaum aber Vollzugsminister sind, reduzieren sich ihre politischen Reaktionen auf aktuelle und in der Öffentlichkeit diskutierte Missstände oder Unglücke etc. im Allgemeinen auf Vorschläge zur Schaffung bzw. zur Änderung von Bundesgesetzen. Dieses politische Handlungsmuster der Bundesgesetzgebung als schnelle politische Reaktion auf Missstände lässt sich unter dem geltenden Grundgesetz kaum beseitigen, wohl aber problematisieren. [Eine solche Problematisierung der zu vielen, zu kurzlebigen und häufig wenig ausgereiften Gesetzesänderungen stellt zwar als solche noch nicht die Lösung dar, kann uns aber der Lösung immerhin näher bringen.] 3. Nachhaltige Gesetzgebung baut auf Kontinuität im Wandel. Im Hinblick auf die Gesetzgebung meint dies zweierlei: Zum einen ist die Gesetzesanpassung und -modernisierung ein fortlaufender Prozess, der regelmäßig kein vorgegebenes Ende hat. Zum anderen ist dieser fortlaufende Wandel überwiegend nur dann sozial- und politikverträglich, wenn er nicht abrupt, sondern evolutionär und mit schonenden Übergängen zwischen altem und neuem Recht erfolgt. [In diesem Gesamtzusammenhang kann die Kontinuitätsgewähr eine wichtige politische Gesetzgebungsmaxime sein.108] 4. Nachhaltige Gesetzgebung ist aber vor allem auch eine Frage der Gesetzesgestaltung. Die Gesetze müssen (u. a. durch Generalklauseln oder dynamische Grundpflichten etc.) hinreichend flexibel sein, um die notwendigen Anpassungen zu ermöglichen, ohne dass eine Anpassung des Gesetzes immer eine Gesetzesänderung notwendig machte. [Allerdings darf diese Flexibilität die Berechenbarkeit von Gesetzesinhalten nicht generell zur Disposition stellen.] 108

S. o. II.3.c)cc). Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974 S. 193 ff.

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5. Inhaltlich und systematisch gelungene Gesetze erzeugen regelmäßig keinen bzw. nur geringen Korrekturbedarf. Insoweit ist qualitativ gute Gesetzgebung eine wesentliche Voraussetzung für ihre Nachhaltigkeit. [Rechtsförmlichkeitsprüfungen und u. U. ein sich ausbildendes Gesetzgebungsrecht können Mittel zur Qualitätssicherung von Gesetzgebung sein.] 6. Kodifikationen sind ein wichtiges Mittel zur Erzeugung struktureller Kontinuität in der Gesetzgebung.109 Sie verringern die Anzahl der Gesetze insgesamt, haben einen rechtsbereinigenden Effekt und reduzieren die Zahl der Folgeänderungen bei notwendigen Rechtsänderungen. Vor allem aber veranlassen sie den Änderungsgesetzgeber, seine Änderungen in das vorhandene System einer Kodifikation einzupassen, so dass insoweit strukturelle Kontinuität auch bei Rechtsänderungen aufrecht erhalten bleibt. Dies kann die Auffindbarkeit und Handhabbarkeit späterer kodifikationseingepasster Gesetzesänderung ungemein erleichtern. Kodifikationen können also im Ergebnis mehr, wenn auch nicht absolute Planungssicherheit für Unternehmen schaffen. [Von daher ist es schwer nachvollziehbar, wenn derzeit in Teilen der Spitzenorganisationen der Wirtschaft eine ebenso fundamentalistische wie unbegründete Grundkritik an dem großen Kodifikationsprojekt der Gegenwart in Deutschland, dem Umweltgesetzbuch als solchem, geübt wird. Kodifikationen wie das Umweltgesetzbuch sind ein wichtiges Mittel zur Erhöhung der Nachhaltigkeit von Gesetzgebung und damit auch ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Planungssicherheit für Unternehmen.] 7. Schließlich können gesetzesleitende Super- bzw. Maßstäbegesetze110 die inhaltliche Kontinuität der so gesetzlich dirigierten Gesetzgebung verstärken. Wenn sich Haushaltsgesetze an die BHO und an ein Maßstäbegesetz, Besoldungsgesetze an das Bundesbesoldungsgesetz, Neugliederungsgesetze an Kommunalreformgesetze halten müssen, wird in der so gesetzlich gesteuerten Gesetzgebung strukturelle Kontinuität erzeugt.111 [Allerdings bedeutet dies eine Absage an das Dogma der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller formellen Gesetze.] 3. Ausblick Mit solchen Strategien lässt sich das Problem der Planungssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Gesetzeskontinuität teilweise, aber gewiss nicht vollständig, lösen. Letztlich steht hinter der Forderung nach mehr Planungssicherheit für Unternehmen der Grundkonflikt zwischen bewahrenden und voranschreitenden Kräften. Dieser Grundkonflikt zwischen Stillstand und Änderung lässt sich im Übrigen nicht mehr nach dem traditionellen Rechts-Links-Schema deuten, wie z. B. die Wahrung sozialer Besitzstände durch Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Linkspartei 109

So für das Umweltgesetzbuch Kloepfer, UPR 2007, S. 166 f. Zum Maßstäbegesetz allgemein vgl. von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, 2003. 111 Vgl. hierzu insbesondere Brandner, Gesetzesänderung, 2004, S. 296 ff., 328 ff.

110

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einerseits und neoliberale Rück- und Umbaupläne für unsere Gesellschaft andererseits zeigen. Die eigentliche Lösung dieses Grundkonflikts kann nur politisch erfolgen und zwar in politischen Prozessen, insbesondere Wahlen. Das Recht kann hier nur Grenzmarken setzen. Das Votum für Kontinuität oder Veränderung ist häufig der politische Kern einer Wahlentscheidung. Das würde etwa auch gelten, wenn in der nächsten Bundestagswahl die Frage des Ausstiegs aus dem Ausstieg aus der Kernenergie, also der Wiedereinstieg in die nukleare Kernenergieerzeugung zum Wahlkampfthema würde. Kontinuität oder Veränderung im Atomrecht – eine schöne Entscheidung für den wählenden demokratischen Souverän.

Die Laufzeitverlängerung im Atomrecht zwischen Gesetz und Vertrag* (Zusammen mit David Bruch) Der Beitrag untersucht Maßnahmen des Ende 2010 verkündeten Energiekonzepts der Bundesregierung, insbesondere zur Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke und die damit verbundenen sonstigen Regelungen. Wesentliche Teile gehen auf eine Eckpunktevereinbarung zwischen der Bundesregierung und den AKW-Betreibern zurück. Zudem werden finanzielle Leistungspflichten der AKW-Betreibergesellschaften durch den Förderfondsvertrag begründet. Verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch ist eine solche „paktierte Gesetzgebung“ problematisch. Dies gilt jedoch ebenso für das Mitte März 2011 durch die Bundesregierung erklärte „Moratorium“ der Laufzeitverlängerung.

I. Tatsächliches 1. Atomausstieg 2002, Laufzeitverlängerung 2010, „Moratorium“ 2011 Innerhalb eines Jahrzehnts hat die Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland – bisher – zweimal essentielle Wendungen genommen. Einmal geschah dies im Jahr 2000, als die rot-grüne Bundesregierung (Schröder/Fischer) mit wichtigen Energieversorgungsunternehmen den Ausstieg aus der Atomenergie vereinbarte (Atomkonsens I) und entsprechende Regelungen im Jahr 2002 durch das sog. Ausstiegsgesetz1 umgesetzt wurden. Das Ausstiegsgesetz sah zwar keine sofortige Abschaltung der Atomkraftwerke vor. Aufgrund des festgeschriebenen Neubauverbots und der in Anlage 3 des Atomgesetzes (AtG) festgesetzten Reststrommengen wäre aber voraussichtlich im Jahr 2021 das letzte AKW vom Netz gegangen. Unter der Großen Koalition (2005 – 2009, Merkel/Müntefering/Steinmeier) wurden – im Hinblick auf die Haltung der SPD – keine Anstalten gemacht, daran etwas zu ändern. Nachdem die Laufzeitverlängerung zu einem Thema des Bundestagswahlkampfs 2009 geworden war, deutete sich mit dem Wahlsieg von Union und FDP im Spätsommer 2009 indessen die zweite wichtige Wende in der deutschen Atompolitik an. So * Erstveröffentlichung: Kloepfer/Bruch, Die Laufzeitverlängerung im Atomrecht zwischen Gesetz und Vertrag, JZ 2011, S. 377 – 387. 1 Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Energie vom 22. 4. 2002, BGBl. I, 1351.

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bekundeten die schwarz/gelben Koalitionäre im Koalitionsvertrag vom 26. 10. 2009 ihren Willen, „die Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke unter Einhaltung der strengen deutschen und internationalen Sicherheitsstandards zu verlängern.“2 Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Das Neubauverbot im Atomgesetz bleibt bestehen. In einer möglichst schnell zu erzielenden Vereinbarung mit den Betreibern werden zu den Voraussetzungen einer Laufzeitverlängerung nähere Regelungen getroffen (u. a. Betriebszeiten der Kraftwerke, Sicherheitsniveau, Höhe und Zeitpunkt eines Vorteilausgleichs, Mittelverwendung zu Erforschung vor allem von erneuerbaren Energien, insb. von Speichertechnologien). Die Vereinbarung muss für alle Beteiligten Planungssicherheit gewährleisten.“3 Insgesamt war damit also eine Ausstiegsverzögerung, nicht aber ein Ausstieg aus dem Ausstieg zwischen den Koalitionären vereinbart worden. Die Atomenergie wurde zur „Brückentechnologie“ auf dem Weg zu einer maßgeblich auf erneuerbaren Energien beruhenden Energiewirtschaft erklärt. Entsprechend dem Koalitionsvertrag wurden zwischen der Bundesregierung (Merkel/Westerwelle) und den Kernkraft produzierenden Energieversorgungsunternehmen im Frühjahr 2010 Gespräche aufgenommen, um dieses Mal die Eckpunkte der Laufzeitverlängerung zu vereinbaren (Atomkonsens II). Dabei wurden weder das Parlament noch gar die Öffentlichkeit beteiligt. Das Ergebnis war eine informale Eckpunktevereinbarung.4 Der Inhalt dieser Eckpunktevereinbarung floss in das Ende September 2010 vorgestellte „Energiekonzept 2050“ der Bundesregierung ein,5 welches neben allgemeineren Aussagen zur künftigen Energiepolitik in Deutschland insbesondere ein „Laufzeitverlängerungspaket“ enthielt. Die – teilweise ohne Einbeziehung des Bundesumweltministers festgelegten – politischen Hauptziele dieses Laufzeitverlängerungspakets waren die Verlängerung der Laufzeiten der laufenden deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre sowie die teilweise Abschöpfung der den Kernkraftwerkbetreibern durch die Laufzeitverlängerungen entstehenden zusätzlichen Gewinne. Die hierdurch erlangten finanziellen Mittel sollten auch zur Finanzierung der weiteren Umstellung der Energieversorgung

2

Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26. 10. 2009, S. 29. 3 Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26. 10. 2009, S. 29. 4 Eckpunktevereinbarung v. 6. 9. 2010, abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/nsc_ true/Content/DE/_Anlagen/2010/2010-09-09-foer-derfondsvertrag,property=publicationFile. pdf/2010-09-09-foerderfondsvertrag; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 5 Siehe http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Energiekonzept/energiekonzept. html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. Die Vereinbarungen der Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen wurden zunächst geheim gehalten, s. Tagesspiegel v. 11. 9. 2010, S. 4.

Kloepfer/Bruch: Laufzeitverlängerung zwischen Gesetz und Vertrag

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auf erneuerbare Energieträger verwendet werden.6 Eine Einigung über die Kernbrennstoffsteuer wurde nicht erzielt;7 der Bundestag hat gleichwohl ein Kernbrennstoffsteuergesetz erlassen (unten 2.a)). Eine unvorhergesehene Entwicklung nahm die Atompolitik schließlich unter dem Eindruck des sehr schwerwiegenden Reaktorunfalls in Japan infolge des Erbebens vom 11. 3. 2011 und des anschließenden Tsunamis, bei dem es in den Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima I jedenfalls teilweise zu einer Kernschmelze kam.8 Wenige Tage nach dem Beginn der Katastrophe verkündete Bundeskanzlerin Merkel – ohne vorherigen Kabinettsbeschluss – ein dreimonatiges „Moratorium“9 der Laufzeitverlängerung; gleichzeitig sei geplant, die sieben ältesten Atomkraftwerke sofort abzuschalten.10 Bei ihnen handele es sich um die Kraftwerke, deren Laufzeiten ohne die schwarz/gelbe Laufzeitverlängerung zum jetzigen Zeitpunkt abgelaufen wären, was allerdings nur für ein Kraftwerk – nämlich Neckarwestheim I – tatsächlich zutraf. Inzwischen wurden sieben Kernkraftwerke vorläufig abgeschaltet.11 Gerade einmal drei Monate nach dem Inkrafttreten der elften Atomgesetznovelle vollzog die Bundesregierung also eine Rolle rückwärts und verkündete einen partiellen Ausstieg aus ihrer Ausstiegs-Verzögerungsentscheidung. Sie begründete diese Kehrtwende mit einer durch den japanischen Reaktorunfall entstandenen neuen Sachlage und einer deshalb notwendigen Sicherheitsüberprüfung aller Kraftwerke.12 Die Opposition vermutete hierin ein Wahlkampfmanöver im Hinblick auf die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

6 Vgl. http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Energiekonzept/Kernenergie/kernen ergie.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 7 In der Eckpunktevereinbarung werden die rechtlichen Bedenken der Kernkraftwerksbetreiber im Hinblick auf die Kernbrennstoffsteuer betont (Eckpunktevereinbarung, S. 2). Gleichwohl ist die Minderung der Förderbeiträge u. a. für den Fall vorgesehen, dass ein höherer Steuersatz als 145 Euro pro Gramm Plutonium geregelt wird oder dass die Steuer für eine längere Dauer als in den Jahren 2011 bis 2016 erhoben wird. 8 Siehe zu den Ereignissen: http://www.faz.net/s/RubB08CD9E6B08746679EDCF370F87 A4512/Doc~E2035039DB002407397816914C8C902CF-ATpl~Ecommon-SMed.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 9 Lat. „morari“ für „verzögern“, „aufschieben“; vgl. Duden, Das Fremdwörterbuch, 4. Aufl. 2007, Stichwort: „Moratorium“. 10 http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E9 FAC3BC57E344F20A85FA806F611E469~ATpl~Ecommon~Scontent.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 11 Es handelt sich um die sieben Kernkraftwerke Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1; vgl. die Informationen des BMU: http:// www.bmu.de/atomenergie_sicherbeit/doc/47140.php; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. Das Kernkraftwerke Krümmel bleibt als achtes Kernkraftwerk wegen zahlreicher Störfälle weiter abgeschaltet. 12 Dazu zuletzt der Bundesumweltminister Röttgen in der FAZ v. 20. 3. 2011, S. 7.

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im März 201113 und sprach von einem „Deal“ und von „Kumpanei“ zwischen der Bundesregierung und den Kernkraftwerkbetreibern.14 2. Laufzeitverlängerungspaket a) Gesetzliche Maßnahmen Die gesetzlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Laufzeitverlängerungspakets umfassen im Wesentlichen15 das Elfte Gesetz zur Änderung des AtG,16 das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG)17 sowie das Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG)18. Das Elfte Gesetz zur Änderung des AtG ist ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet worden, wobei die Zustimmungsbedürftigkeit umstritten ist;19 eine Frage, die wohl vom BVerfG zu ent13

Vgl. http://www.faz.net/s/Rub469C43057F8C437CACC2DE9ED41B7950/Doc~E8A1B3 C8DBC3E4CFCA749E2D9986E5B0B~ATpl~Ecommon~Sspezial.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 14 So z. B. der SPD-Vorsitzende Gabriel in der Bundestagsdebatte zum „Moratorium“ am 17. 3. 2011; vgl. Plenarprotokoll 17/96, S. 10890. 15 Neben den aufgeführten Gesetzen enthält das Laufzeitverlängerungspaket noch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes (BGBl. I 2010, 1817; s. a. BT-Drs. 17/3052), mit dem die RiL 2009/71/Euratom der EAG umgesetzt werden soll. 16 BGBl. I 2010, 1814; siehe auch BT-Drs. 17/3051. 17 BGBl. I 2010, 1807; siehe auch BT-Drs. 17/3053. 18 BGBl. I 2010, 1804; siehe auch BT-Drs. 17/3054. 19 Für die Zustimmungsbedürftigkeit der elften Atomgesetznovelle: Däuper/Michaels/ Ringwald, ZUR 2010, 451 ff.; Gaßner/Kendzia, ZUR 2010, 456 ff.; Genien/Klinger, NVwZ 2010, 1118 ff.; Kendzia, DÖV 2010, 713 ff.; ders., NVwZ 2010, 1135 ff.; Papier, NVwZ 2010, 1113 ff.; Wieland, ZNER 2010, 321 ff.; Roßnagel/Hentschel, UPR 2011, 1 ff. Gegen die Zustimmungsbedürftigkeit: Degenhart, AtW 2010, 674 (676 ff.); de Witt, RdE 2010, 357 ff.; Kotulla/Kilic, NVwZ 2010, 1449 ff.; Moench/Ruttloff, DVBl 2010, 865 ff.; Rebentisch, UPR 2010, 361 ff.; Schneider, AtW 2010, Heft 8/9, 2 ff.; Scholz, NVwZ 2010, 1385 ff.; Schwarz, JZ 2010, 1118 ff.; Bruch/Greve, VR 2011 (i. E.). Zu der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit wurden zudem zahlreiche Gutachten angefertigt. Für die Zustimmungsbedürftigkeit sind: Ewer, Rechtsgutachten zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Änderungen des Atomgesetzes, 2010, Typoskript; Gaßner/Kendzia, Zur Frage der Zustimmungsbedürftigkeit von Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke wegen wesentlicher Erweiterungen der Staatshaftung der Bundesländer (Art. 74 Abs. 2 GG), 2010, Typoskript; Held/Däuper/Michaels/Ringwald, Rechtsgutachterliche Stellungnahme zur Zustimmungsbedürftigkeit einer Atomgesetznovelle zur Lauf Zeitverlängerung für den Betrieb von Kernkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland, 2010, Typoskript; Papier, Gutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes zur Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, 2010, Typoskript; Roßnagel/Hentschel, Rechtsgutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit des elften Änderungsgesetzes zum Atomgesetz, 2010, Typoskript; Wieland, Zur Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes zur Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken, 2010, Typoskript; Gegen die Zustimmungsbedürftigkeit: Badura, Die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates zu einer Novellierung des Atomgesetzes, mit der in Abweichung von Vorschriften des Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität vom 22. April 2002 (BGBl. I, S. 1351) die zulässige Produktion von Elektri-

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scheiden sein wird. Sollte das Gesetz – wovon freilich nicht auszugehen ist20 – zustimmungsbedürftig sein, würde die fehlende Zustimmung des Bundesrats zur Unwirksamkeit des Gesetzes führen. Die Laufzeitverlängerung selbst ist durch eine entsprechende Änderung des AtG umgesetzt worden.21 Durch die am 14. 12. 2010 in Kraft getretene Gesetzesnovelle wurden in Spalte 4 der Anlage 3 zum AtG auf die 17 derzeit noch aktiven Atomkraftwerke weitere Reststromengen übertragen. Laut Bundesregierung sind diese Strommengen so gestaffelt, dass Atomkraftwerke, die bis 1980 in Betrieb gegangen sind, nach Verbrauch der ihnen in Spalte 2 der Anlage 3 zum AtG zugewiesenen Reststrommenge weitere acht Jahre laufen können. Bei jüngeren Anlagen entspricht die erneute Zuweisung von Reststrommengen nach Ansicht der Bundesregierung einer Verlängerung der bisherigen Laufzeit um 14 Jahre.22 Daraus folge in etwa eine durchschnittliche Laufzeitverlängerung aller Kraftwerke um ca. 12 Jahre. Die sieben ältesten Kernkraftwerke sollen bis 2020 abgeschaltet werden. Als weitere gesetzliche Maßnahme im Rahmen des Laufzeitverlängerungspakets ist die sogenannte Kernbrennstoffsteuer nach dem Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) eingeführt worden.23 Die Kernbrennstoffsteuer ist als Verbrauchsteuer konzipiert und besteuert dementsprechend die Verwendung von Kernbrennstoff (vgl. § 1 Abs. 1 KernbrStG i. V. mit § 5 Abs. 1 Satz 1 KernbrStG). Da nur solche Verwendungen von Kernbrennstoff besteuert werden, bei denen die Kettenreaktion vor dem 1. 1. 2017 ausgelöst wird (§ 12 KernbrStG), ist das Gesetz in seiner Geltung befristet. Bis 2017 erhofft sich die Bundesregierung von der Steuer jährliche Einnahmen in Höhe von 2,3 Mrd. Euro.24 Durch das am 14. 12. 2010 in Kraft getretene Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (EKFG) ist mit Wirkung zum 1. 1. 2011 das entsprechende Sondervermögen des Bundes mit der Bezeichnung „Energie- und Klizitätsmengen („Reststrommengen“) erhöht wird (Art. 87c GG, § 24 Abs. 1 AtG), 2010, Typoskript; Degenhart, Rechtsgutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes zur Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, 2010, Typoskript; Scholz/Moench, Rechtsgutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates zu einer gesetzlichen Verlängerung der „Laufzeiten“ der Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, 2010, Typoskript. 20 Vgl. stellvertretend für viele: Degenhart, AtW 2010, 674 (676 ff.); Scholz, NVwZ 2010, 1385 ff. 21 BGBl. I 2010, 1814. 22 http://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Energiekonzept/energiekonzept.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. Dies bedeutet, dass einzelne Atomkraftwerke weit bis nach 2030 betrieben werden können. Werden zudem Reststrommengen von einem Atomkraftwerk auf eine anderes übertragen und wird das Strommengen empfangende Atomkraftwerk zudem nicht wie vorgesehen ausgelastet (dies kann Folge der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Energiemix sein), so kann sich die Betriebsdauer noch weiter erhöhen. 23 BGBl. I 2010, 1804. Das Gesetz ist am 1. 1. 2011 in Kraft getreten. 24 Siehe BT-Drs. 17/3054, S. 1.

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mafonds“ errichtet worden.25 Mit diesem Sondervermögen sollen finanzielle Ausgaben „zur Förderung einer umweltschonenden, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung“ ermöglicht werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EKFG). Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EKFG sollen etwa Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, energetische Gebäudesanierung oder internationaler Klima- und Umweltschutz finanziert werden. Als wichtigste Einnahmequelle des Fonds nennt § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EKFG Zahlungen der Betreibergesellschaften von Kernkraftwerken und ihren Konzernobergesellschaften aufgrund einer „vertraglichen Vereinbarung“ zwischen dem Bund und den Betreibergesellschaften („Förderfondsvertrag“, dazu b). Daneben sollen dem Fonds gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 EKFG Einnahmen aus der Kernbrennstoffsteuer zufließen, soweit sie für die Jahre 2011 bis 2016 den Betrag von 2,3 Mrd. Euro jährlich übersteigen (was indessen nach der Konzeption der Kernbrennstoffsteuer nicht zu erwarten ist, siehe oben). Auch soll der Fonds ab 2013 zwar finanzielle Mittel aus der Versteigerung von Emissionsberechtigungszertifikaten erhalten, allerdings nur soweit die Versteigerungserlöse den Betrag von 900 Mio. Euro pro Jahr zuzüglich der Kosten für die Verwaltung der Deutschen Emissionshandelsstelle übersteigen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 EKFG). Wegen der genannten Vorbehalte in § 4 Abs. 1 Nr. 2, 3 EKFG stand im Falle des Nichtabschlusses des Förderfondsvertrages zu befürchten, dass die finanzielle Ausstattung des Förderfonds weit hinter den Erwartungen zurückbleiben würde. b) Förderfondsvertrag Im Januar 2011 ist indessen der als Förderfondsvertrag bezeichnete Vertrag zur Finanzierung des Energie- und Klimafonds wirksam geschlossen worden.26 Dieser auf § 4 Abs. 3 EKFG gestützte Vertrag wurde von Seiten der Vertreter der Kernkraftwerksbetreibergesellschaften und deren Konzernobergesellschaften in Deutschland bereits im November 2010 unterzeichnet; der Vertreter des Bundes leistete seine Unterschrift am 10. 1. 2011. Mit der Zustimmung des Bundes ist der Förderfondsvertrag zugleich wirksam geworden, da die für das Wirksamwerden des Vertrages aufgestellte Bedingung des Inkrafttretens der Elften Atomgesetznovelle sowie des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ (S. § 6 Ziff. 6.1. Förderfondsvertrag) bereits am 14. 12. 2010 (s. o. a)) erfüllt war. Nach dem Förderfondsvertrag sind die AKW-Betreibergesellschaften dazu verpflichtet, für jede ab dem 1. 1. 2017 durch die Betreibergesellschaft aus zusätzlichen Elektrizitätsmengen produzierte und in das Stromnetz eingespeiste Megawattstunde Strom einen Förderbeitrag nach Maßgabe des Förderfondsvertrages an den Energieund Klimafonds zu leisten (§ 1 Ziff. 1.1 Förderfondsvertrag). Die Höhe des Förderbeitrags beträgt gemäß § 1 Ziff. 1.2 Förderfondsvertrag für jedes AKW grundsätzlich 25

BGBl. I 2010, 1807. Der Vertrag ist abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_3380/DE/ Wirtschaft_und_Verwaltung/Steuern/13012011-Foerderfondsvertrag,templateld=raw,pro perty=publicationFile.pdf; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 26

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neun Euro pro Megawattstunde (MWh). Angenommen die im Jahr 2017 laufenden Kernkraftwerke produzieren auch dann noch bis zu 11 TWh (dies entspricht 11 Mio. MWh) pro Jahr,27 so kann pro Kraftwerk jährlich ein Betrag von 99 Mio. Euro anfallen. Ausgehend von der grundsätzlichen Festlegung der Beitragshöhe in § 1 Ziff. 1.2 Förderfondsvertrag ist die Höhe des Förderbeitrags allerdings variabel (vgl. § 1 Ziff. 1.3 Förderfondsvertrag). So ist zur Ermittlung der durch die Betreibergesellschaften tatsächlich zu leistenden Beträge gemäß § 1 Ziff. 1.4 Förderfondsvertrag der Verbraucherpreisindex sowie nach § 1 Ziff. 1.5 Förderfondsvertrag die Preisentwicklung an der Strombörse in Leipzig zu berücksichtigen. Durch die Anknüpfung des Förderfondsvertrages an das Jahr 2017 wird eine Verzahnung mit der Kernbrennstoffsteuer erreicht, die – wie erwähnt – nur auf die Verwendung von Kernbrennstoffen vom 1. 1. 2011 bis Ende 2017 erhoben werden soll. Um den neu errichteten Energie- und Klimafonds trotzdem auch schon ab 2011 mit ausreichenden finanziellen Mitteln versorgen zu können,28 sind die AKW-Betreibergesellschaften nach Maßgabe des § 2 Förderfondsvertrag schon ab dem 1. 1. 2011 zu nicht rückzahlbaren Vorausleistungen verpflichtet worden. § 2 Ziff. 2.1 Förderfondsvertrag sieht vor, dass die AKW-Betreibergesellschaften für die Jahre 2011 und 2012 jeweils 300 Mio. Euro und für die Jahre 2013 bis 2016 jeweils 200 Mio. Euro in den Fonds einzahlen müssen. Die Vorausleistungen sind anteilig monatlich pro AKW zu entrichten (§ 2 Ziff. 2.1 Satz 1 Halbsatz 2 Förderfondsvertrag) und werden ab Januar 2017 auf die Förderbeiträge der Jahre 2017 bis 2022 in jeweils gleichen jährlichen Raten angerechnet (§ 2 Ziff. 2.3 Förderfondsvertrag). Sollte die Kernbrennstoffsteuer dem Staat mehr als 2,3 Mrd. Euro an jährlichen Einnahmen bescheren, so mindern sich die Vorausleistungsleistungspflichten der AKW-Betreibergesellschaften nach Maßgabe des § 2 Ziff. 2.2 Förderfondsvertrag. Auch die eigentlichen (ab Januar 2017 zu zahlenden) Förderbeiträge können sich nach dem Willen der Vertragsparteien mindern. Gründe hierfür sind in § 4 Förderfondsvertrag geregelt. Die Beitragsminderungen sind dabei für hoheitlich verursachte Gewinnverminderungen auf Seiten der Kernkraftwerksbetreiber vorgesehen: nach § 4 Ziff. 4.1 (i) (a) Förderfondsvertrag wird der Förderbeitrag – erstens – gemindert, wenn insgesamt oder für einzelne Kernkraftwerke Bestimmungen des AtG zu zusätzlichen Elektrizitätsmengen oder zur Übertragbarkeit von Elektrizitätsmengen abweichend von der nun gesetzlich vorgesehenen Fassung (s. o. a)) geregelt, verkürzt, verändert, unwirksam oder aufgehoben werden oder in sonstiger Weise entfallen. Zweitens soll sich der Förderbeitrag gemäß § 4 Ziff. 4.1 (i) (b) mindern, wenn die Kosten für hoheitlich veranlasste oder für mit den zuständigen Behörden abgestimmte erforderliche Nachrüstungs- oder Sicherheitsanforderungen den Betrag von 500 Mio. Euro pro AKW überschreiten. Drittens ist eine Minderung des Förderbeitrages für 27 Vgl. zum derzeitigen Stand der Strommengenerzeugung durch AKW Bekanntmachung des Bundesamts für Strahlenschutz, Bundesanzeiger 2010, S. 3439. 28 Wie erwähnt (oben a)), ist nicht zu erwarten, dass dem Energie- und Klimafonds aus der Kernbrennstoffsteuer und dem Verkauf von Emissionszertifikaten nennenswerte finanzielle Mittel zufließen.

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den Fall vorgesehen, dass die Kernbrennstoffsteuer erhöht wird, deren zeitlicher Anwendungsbereich ausgedehnt wird oder eine anderweitige Steuer, Abgabe oder sonstige Belastung im Zusammenhang mit der industriellen Stromerzeugung mithilfe von Kernkraftwerken eingeführt, begründet oder erhöht wird (S. § 4 Ziff. 4.1. (ii) Förderfondsvertrag). Nachdem der Förderfondsvertrag am 10. 1. 2011 wirksam geschlossen worden ist, können seine Wirkungen allenfalls noch durch eine außerordentliche Kündigung abgewendet werden (arg. § 5 Satz 4 Förderfondsvertrag). Das bestehende Vertragsverhältnis kann allerdings – unbeschadet der Anpassungsmöglichkeiten nach § 1 Ziff. 1.4 bis 1.6 Förderfondsvertrag – nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG angepasst werden, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist (§ 5 Satz 1 Förderfondsvertrag). Bei Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit oder aus diesem Vertrag ergeben, ist zunächst eine gütliche Einigung zwischen den Vertragsparteien anzustreben (§ 7 Ziff. 7.1 Förderfondsvertrag); erst danach kann der Versuch einer Streitschlichtung durch einen Schiedsgutachter unternommen werden (§ 7 Ziff 7.2, 7.3 Förderfondsvertrag). Im Übrigen besteht laut § 7 Ziff. 7.4 Förderfondsvertrag der „Rechtsweg zu den zuständigen Gerichten“.

II. Politische und rechtliche Würdigung 1. Ausstiegsverzögerung als paktiertes Staatshandeln Die Vereinbarung des Eckpunktepapiers durch die Bundesregierung und die AKW-Betreibergesellschaften sowie der Abschluss des Förderfondsvertrags fügen dem bekannten Phänomen des paktierenden Staates29, genauer der paktierten30 oder kooperativen31 Gesetzgebung bzw. deren bisheriger Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu, welches erneut die Gefahren und Probleme einer paktierten Gesetzgebung deutlich hervortreten lässt. Ähnlich wie schon beim ersten Atomkonsens im Jähre 2000 wurde auch beim Atomkonsens II in einer politisch wichtigen Frage offensichtlich der Kooperation zwischen Bundesregierung und Betroffenen mehr Gewicht beigemessen als der demokratischen Gesetzgebung. So entsteht der Eindruck, dass man in der Bundesregierung insoweit parlamentarische Gesetzgebung weniger als eigenständigen politischen Entscheidungsprozess verstanden hat, sondern vielmehr als Mittel des Vollzugs von Regierungsvereinbarungen. Es ging der Bundesre29

Schoch, in: Isensee/Kirchhof, HbStR, Bd. III, 2005, § 37Rn. 18. So Morlok, VVDStRL 62 (2003), 37 (76); Schoch, in: Isensee/Kirchhof, (Fn. 29), § 37 Rn. 40; Kloepfer, DVBl 2007, 1189 (1191). 31 Siehe hierzu aus dem umfangreichen Schrifttum insbesondere: Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002; jüngst Krüper, ZG 2009, 338 ff. 30

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gierung nicht um die Erarbeitung politischer Lösungen durch das Parlament, sondern um parlamentarischen Gehorsam gegenüber der von der Regierung ausgehandelten Lösungen. Kaum zu bestreiten ist, dass die „Konsultationen“ zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen im Laufe des Jahres 201032 sowie die Eckpunktevereinbarung – stets unter Ausschluss des Parlaments33 – nicht nur das Handeln der Bundesregierung, sondern auch das des Parlaments entscheidend vorstrukturiert und determiniert haben. Der Gesetzgeber wird ohne seine Mitwirkung faktisch an politische Festlegungen gebunden (s. a. 2.a)); der Förderfondsvertrag ist letztlich „Gesetzgebung“ ohne Gesetzgeber. Die Nichteinbeziehung des Parlaments ist vor diesem Hintergrund umso problematischer, als der Bundestag, als der das Laufzeitverlängerungspaket umsetzende Gesetzgeber, später die politische Verantwortung für die Laufzeitverlängerung und deren Folgen (mit) zu übernehmen hat. Das Laufzeitverlängerungspaket erweist sich damit im Kern als ein signifikantes, aber auch als besonders problematisches Beispiel des kooperativen Staatshandelns, welches zunehmend an die Stelle des traditionellen, imperativen bzw. einseitigen Staatshandelns tritt. An dieser Stelle sollen nicht erneut die grundsätzlichen politischen Vor- und Nachteile des kooperativen Staatshandelns im Allgemeinen und der paktierten Gesetzgebung im Besonderen behandelt werden.34 Vielmehr soll im Folgenden eine Konzentration im Wesentlichen auf die verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Aspekte erfolgen. 2. Verfassungsrechtliche Probleme der paktierten Gesetzgebung a) Bindungswirkung Gegen das Phänomen der paktierten Gesetzgebung lassen sich zahlreiche verfassungsrechtliche Einwände anführen. Diese können nicht schon von vorneherein mit dem Argument abgewiesen werden, dass im Rahmen der paktierten Gesetzgebung getätigte Absprachen keinerlei Bindungswirkung entfalten würden. Die rechtliche Verbindlichkeit eines „Vertrages“ zwischen der (Bundes-)Regierung und privaten Unternehmen, in dem sich der Private in Erwartung einer bestimmten gesetzlichen Regelung zu einer konkreten Leistung verpflichtet, ist tatsächlich fraglich. Zwar liegen in einem solchen Fall zwei inhaltlich korrespondierende Willenserklärungen von Seiten der Vertragsparteien vor. Die Parteien haben jedoch nicht den Willen, einklagbare Rechte und Pflichten zu konstituieren, es fehlt mithin am Rechtsbindungswillen.35 Dies ergibt sich schon aus dem Wissen der Vertragspartei32

Dazu z. B. Tagesspiegel v. 11. 11. 2010, S. 4. Pikanterweise teilweise auch unter Ausschluss von Bundesumweltminister Röttgen, der sich wiederholt für eine „moderate“ Laufzeitverlängerung ausgesprochen hatte. So z. B. in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 6. 2. 2010, S. 23. 34 Siehe dazu Kloepfer, ZG 2010, 346 (351 ff.). 35 Vgl. Schorkopf, NVwZ 2000, 111 (1112); Waldhoff/v. Aswege, Kernenergie als „goldene Brücke“?, 2010, S. 62 f. 33

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en, dass die als Gegenleistung für die private Leistung versprochene Gesetzgebung von der Bundesregierung gar nicht ohne Beachtung der Art. 76 ff. GG, das heißt nur mit Beteiligung des Bundestages, des Bundesrates und des Bundespräsidenten, geleistet werden kann – die Bundesregierung hat gemäß Art. 76 Abs. 1 GG lediglich ein Gesetzesinitiativrecht, aber gegenüber dem Bundestag sowie dem Bundesrat und dem Bundespräsidenten kein irgendwie geartetes Weisungsrecht.36 Entscheidend für das Fehlen des Rechtsbindungswillens wird letztlich vor allem auch sein, dass sich die Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Gründen für die Bundesrepublik Deutschland bzw. für den Bund nicht rechtsverbindlich zum Erlass konkreter gesetzlicher Bestimmungen verpflichten darf37 und dass deshalb auch nicht anzunehmen ist, dass die Bundesregierung und ihre Vertragspartner einen Vertrag schließen wollen, der ohnehin verfassungswidrig ist.38 Es liegt also eine Vereinbarung unter anderem über gesetzliche Regelungen vor, ohne dass diese Vereinbarung Rechtsfolgen hervorrufen würde. Die faktische Bindungswirkung einer solchen Gesetzgebungsvereinbarung kann jedoch nicht in Abrede gestellt werden.39 Dabei steht nicht nur die Bundesregierung gegenüber ihren Absprachepartnern „politisch im Wort“40, auch der Bundestag sowie die Regierungsfraktionen im Bundestag sind durch die politische Symbolkraft einer Absprache, mit der sich Private zur Erbringung einer unter Umständen das Gemeinwohl fördernden (finanziellen) Leistung bereit erklären, in hohem Maße in ihrem Gesetzgebungsermessen41 determiniert. Dies wird noch durch den Umstand verstärkt, dass die „Sabotage“ des Abspracheinhalts durch den Bundestag (und/oder gegebenenfalls durch den Bundesrat) zu erheblichen Autoritäts- und Glaubwürdigkeitsverlusten auf Seiten der Bundesregierung führen würde, was als Konsequenz von den Regierungsfraktionen im Bundestag naturgemäß nicht gewollt sein wird. Absprachen im Rahmen der paktierten Gesetzgebung wirken damit zunächst einmal „normprägend“42, sie beeinflussen den Gesetzesinhalt beim erstmaligen Erlass einer die Absprache „umsetzenden“ Gesetzgebung. Darüber hinaus können sie für einmal erlassene Gesetze auch faktisch „normkonservierend“ wirken, da der Gesetz36 Es gilt eher das „Struck’sche Gesetz“, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlasse, wie es eingebracht worden sei. Diese Äußerung tätigte im Jahr 1998 der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag Peter Struck anlässlich der Beratungen der rot-grünen Rentengesetze. 37 Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 261 ff.; Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 148 ff. 38 Langenfeld, DÖV 2000, 929 (936); Schorkopf, NVwZ 2000, 1111 (1112); Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 63. 39 Vgl. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984, S. 86 f.; Michael (Fn. 31), S. 44 f., 453; Langenfeld, DÖV 2000, 929 (937); Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 7 (17). 40 Sondervotum Di Fabio/Mellinghoff, in: BVerfGE 104, 249 (277). 41 Siehe hierzu insbesondere Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000. 42 Dazu Michael (Fn. 31), S. 44.

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geber wegen der Folgen der Änderung eines paktierten Gesetzes – der Vertragspartner des Staates wäre dann seinerseits nicht mehr oder nur noch in verminderter Form zur Erbringung seiner (finanziellen) Leistungen verpflichtet – i. d. Regel vor erneuten Gesetzesänderungen zurückschrecken dürfte. In Bezug auf künftige Gesetze liegt hierin auch der „normabwendende“ Charakter von Absprachen. Paktierte Gesetzgebung entfaltet also auch faktische Zwänge für künftige Regierungen und Parlamente (s. unten 4.). b) Demokratieprinzip Gewichtige Einwände gegen die paktierte Gesetzgebung ergeben sich aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip, an welches die staatliche Gewalt selbstredend auch bei informalem Handeln gebunden ist (arg. Art. 20 Abs. 3 GG).43 Gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht die Staatsgewalt unter dem Grundgesetz vom Volke aus. In der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes übt das Volk die staatliche Gewalt dabei „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus“ (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Die demokratische Legitimation des Handelns der staatlichen Organe wird in erster Linie durch periodische Wahlen gewährleistet. Dem Volk wird somit die Möglichkeit eröffnet, die politisch Handelnden bei künftigen Wahlen für bestimmte Gesetze „abzustrafen“, das heißt nicht wiederzuwählen, oder aber in ihren Ämtern zu „bestätigen“, das heißt genauer die tragenden politischen Mehrheiten zu bestätigen. Diese Einflussnahmemöglichkeit des Volkes auf staatliche Macht ist indessen in hohem Maße von der Erkennbarkeit der politischen Verantwortungszusammenhänge und von der Öffentlichkeit des Staatshandelns abhängig.44 Werden nun wie bei der paktierten Gesetzgebung Gesetze dem Inhalt nach zwischen Bundesregierung und einzelnen betroffenen Privaten unter Ausschluss der Öffentlichkeit (und des Bundestages) ausgehandelt und „nickt“ der Bundestag – aufgrund der faktischen Bindungswirkung der Absprache – entsprechende Gesetze einfach ab, so geraten diese notwendigen Anforderungen an Verantwortungstransparenz der Gesetzgebung in der Demokratie in Gefahr.45 In einem solchen Fall liegt die entscheidende Verantwortung für den Inhalt der Regelungen im Schwerpunkt nämlich bei der Bundesregierung und ihren Vertragspartnern, obwohl unter dem Grundgesetz der demokratisch am stärksten legitimierte Bundestag das Letztentscheidungsrecht bezüglich gesetzlicher Regelungen haben soll; entsprechend werden auch die Rechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gefährdet.46 Es kommt dadurch zu grundgesetzwidrigen „Verwischungen von [demokratischen] Verantwortungszu43

Vgl. zur Verfassungsbindung der Bundesregierung bei der paktierten Gesetzgebung Langenfeld, DÖV 2000, 929 (937). 44 BVerfGE 89, 155 (185); 97, 350 (369); 118, 277 (353); Sachs, in: ders., GG, 5. Aufl. 2009, Art. 20 Rn. 18. 45 Vgl. Schulze-Fielitz (Fn. 39), S. 136 f. 46 Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 72 f.

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sammenhängen“47 zwischen den staatlichen Gewalten. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass bei der paktierten Gesetzgebung oftmals die formale Trennung zwischen Rechtsetzer und Rechtsunterworfenen durch die gestaltende Beteiligung von Privaten an der Rechtsetzung aufgehoben wird.48 Zuletzt ist im Hinblick auf die Öffentlichkeit des Staatshandelns problematisch, dass bei der paktierten Gesetzgebung häufig die Schwierigkeit besteht, die Vertragsparteien exakt zu benennen.49 Am Maßstab des Demokratieprinzips gemessen ist des Weiteren die mit der paktierten Gesetzgebung einhergehende Privilegierung bestimmter Bürger bei der Partizipation an der Rechtsetzung zu kritisieren.50 Sie verletzt das Prinzip der politischen Gleichheit.51 Die Beteiligung der Bürger an der Rechtsetzung soll in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes primär durch Wahlen erfolgen. Wird bestimmten betroffenen Privaten nun aber die Möglichkeit eingeräumt, faktisch den Inhalt von Gesetzen zu vereinbaren, so erhalten diese Bürger – wie Waldhoff und von Aswege richtig herausstellen – eine doppelte Chance zur Partizipation,52 nämlich als „Wahlbürger“ und als Normbetroffene.53 Durch die gleichzeitige Nichteinbeziehung anderer Interessensvertreter erfolgt dabei zudem kein Ausgleich mit gegenläufigen Interessen; eine entsprechende Absprache und das aus ihr folgende Gesetz können damit nur schwerlich als gemeinwohlorientiert angesehen werden.54 Es kommt zu asymmetrischen Lösungen. Die normprägende Absprache ist so gesehen zugleich ein Vertrag zu Lasten unbeteiligter Dritter.55 Besonders bedenklich ist, dass die Methode der paktierten Gesetzgebung dahin tendiert, die jeweils durchsetzungsstärksten Interessensvertreter zu prämieren und deshalb als mächtiges Handlungsinstrument für ohnehin mächtige Private zur „Zementierung“ ihrer Vorherrschaft genutzt werden kann.56 Die Aushandlung von Gesetzen mit Betroffenen trägt auch stets Züge der klassischen Befangenheit dieser Akteure im Gesetzgebungsverfahren.

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Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 75 f. m. w. N. Schulze-Fielitz (Fn. 39), S. 68, 139; Michael (Fn. 31), S. 235; Schorkopf, NVwZ 2000, 1111 (1114). 49 Michael (Fn. 31), S. 84; Mantl, VVDStRL 62 (2003), 101. 50 Vgl. Michael (Fn. 31), S. 45, 235; Morlok, VVDStRL 62 (2003), 113; Krüper, ZG 2009, 338 (341). 51 Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 76. 52 v. Blumenthal, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 43/2003, 9 (11); Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 281 ff. 53 Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 76 f. 54 Dederer (Fn. 52), S. 349 ff., 362 ff.; Mantl, VVDStRL 62 (2003), 101. 55 Kloepfer, DVBl 2007, 1189 (1192). 56 Vgl. Grimm, in: Das Bundesministerium des Inneren (Hrsg.), Bewährung und Herausforderung, 1999, S. 39 (57). 48

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Darüber hinaus ist die paktierte Gesetzgebung im Hinblick auf die mit dem Demokratieprinzip begründete Wesentlichkeitstheorie des BVerfG57 äußerst problematisch.58 Das Verlangen der Wesentlichkeitstheorie nach einer Regelung bestimmter „wesentlicher“, das heißt vor allem grundrechtsrelevanter Bereiche, durch förmliches Gesetz59 droht bei normprägenden Absprachen über die Regelung wesentlicher Fragen leerzulaufen.60 Zwar werden bei der paktierten Gesetzgebung die entsprechenden Absprachen letztlich durch ein förmliches Gesetz umgesetzt – anders als bei einer gegen die Wesentlichkeitstheorie verstoßenden Rechtsverordnung der Bundesregierung sind wesentliche Fragen also rein formell betrachtet im förmlichen Gesetz geregelt. Weil aber die inhaltliche Entscheidung hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ einer bestimmten Regelung schon in der – faktische Bindungswirkung entfaltenden – Absprache vorgegeben sind, fehlt es letztlich an einer eigenen Entscheidung des Parlaments. Diese Verstöße der paktierten Gesetzgebung gegen das Demokratieprinzip können durch eine Beteiligung des Parlaments an den Verhandlungen61 vermindert, aber nicht beseitigt werden. Das Parlament soll in der grundgesetzlichen Ordnung den Inhalt der Gesetze eben nicht nur mitbestimmen. c) Gewaltenteilungsgrundsatz Auch der Gewaltenteilungsgrundsatz und seine entsprechenden Konkretisierungen im Grundgesetz sind bei der paktierten Gesetzgebung gefährdet.62 Hier sind insbesondere die Rolle der Bundesregierung und des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG voneinander abzugrenzen. Art. 76 Abs. 1 Var. 1 GG verleiht der Bundesregierung ein Gesetzesinitiativrecht; Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG macht deutlich, dass die Gesetzesbeschlüsse durch den Bundestag zu fassen sind. Hierin zeigt sich: Die Bundesregierung kann das Gesetzgebungsverfahren „lostreten“, die maßgebliche Entscheidungen über neue Gesetze und Gesetzesänderungen müssen aber vom Bundestag getroffen werden. In der politischen Realität ist dies bei Regierungsvorlagen aber ohnehin weitgehend Theorie. Die verfassungsrechtliche Rollenverteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung gerät bei der paktierten Gesetzgebung noch stärker in Gefahr. Wie schon erwähnt, wird sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ einer Regelung schon in der norm57 Seit BVerfGE 33, 1 (10); 33, 125 (157); 33, 303 (346) sowie BVerfGE 34, 165 (192) st. Rspr.; vgl. auch BVerfGE 108, 282 (312). 58 Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 77. 59 BVerfGE 47, 46 (79); siehe dazu auch Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, 2011, § 10 Rn. 121 ff.; ders., JZ 1984, 685 ff. 60 Vgl. Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 11.5; Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (123); Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 77 ff. 61 Zu diesem Lösungsansatz siehe etwa Michael (Fn. 31), S. 455 f.; Ruffert, DVBl 2002, 1145 (1148); Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 7 (10, 18); Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 79. 62 Siehe dazu Michael (Fn. 31), S. 229 ff.

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prägenden Absprache zwischen Bundesregierung und gesellschaftlichen Kräften festgezurrt; der Bundestag wird dann aufgrund der faktischen Bindungswirkung der Vereinbarung i. d. Regel nur noch das umsetzende Gesetz „abnicken“. Die Bundesregierung trifft – gemeinsam mit Privaten unter Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit – also die materielle Entscheidung über den Gesetzesinhalt, während der Bundestag im Gesetzgebungsverfahren hier von der zentralen Instanz zum Lakaien der Regierung degradiert wird. Wenn aber dem Beschluss des Bundestages sein materielles Substrat fehlt,63 dann verstößt das Gesetzgebungsverfahren nicht nur gegen das Demokratieprinzip, sondern auch gegen die grundgesetzlichen Regeln zum Gesetzgebungsverfahren. Der Verfassungssinn der Gesetzgebungsregeln im Grundgesetz wird so gründlich verfehlt. Dem Bundestag muss ein entscheidender Einfluss auch bei der paktierten Gesetzgebung erhalten bleiben.64 Für einen faktisch den Gesetzgeber bindenden Gesetzgebungspakt fehlt der Bundesregierung die Organkompetenz.65 Die Verfassung wird durch die paktierte Gesetzgebung gewissermaßen auf den Kopf gestellt. d) Art. 59 Abs. 2 GG analog? Die Rolle des Bundestags im Gesetzgebungsverfahren ist bei der paktierten Gesetzgebung weitgehend mit der Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen vergleichbar. Hier wie dort kann der Bundestag einem Regelwerk faktisch nur noch als Ganzem zustimmen, ohne dass ihm hinreichende inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben.66 Für Gesetze, die gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG völkerrechtliche Verträge umsetzen, sogenannte Vertragsgesetze, ist dies verfassungsgemäß und mit der Sonderheit internationaler Beziehungen der durch ihre Regierungen handelnden Staaten zu erklären. Das mag entsprechend auch für innerstaatliche Verträge zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern untereinander gelten. Eine analoge Anwendung von Art. 59 Abs. 2 GG auf die paktierte Gesetzgebung scheidet jedoch aus,67 da es – abgesehen von der „abnickenden“ Funktion des Bundestags – an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte fehlt.68 Im Völkerrecht können regelmäßig zwischen den Staaten verbindliche Regelungen nur durch Völkerrechtsverträge begründet werden, wobei die Verträge faktisch durch die Regierungen ausgehandelt werden; Vertragsverhandlungen durch die Parlamente sind praktisch kaum 63 Vgl. v. Blumenthal, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage 43/2003, 9 (10); Ruffert, DVBl 2002, 1145 (1148 f.); Schorkopf, NVwZ 2000, 1111 (1113). 64 Schorkopf, NVwZ 2000, 1111 (1113); Kloepfer, DVBl 2007, 1189 (1193). 65 Siehe auch Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 67 ff. 66 Zur Umsetzung des völkerrechtlicher Vereinbarungen durch Bundestag und Bundesrat siehe auch etwa Kloepfer (Fn. 59), § 35 Rn. 38 ff.; Streinz, in: Sachs (Fn. 44), Art. 59, Rn. 51; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 59 Rn. 46; Kokott, in: Festschrift Doehring, 1989, S. 503 (515); Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 59 Rn. 39. 67 Vgl. Michael (Fn. 31), S. 454 f. 68 Ebenso – freilich mit anderer Begründung – Waldhoff/v. Aswege (Fn. 35), S. 69 f.

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möglich. Im Bereich der innerstaatlichen paktierten Gesetzgebung gilt dies aber gerade nicht; hier besteht ohne Zweifel die – verfassungsrechtlich vorrangige – Möglichkeit einer einseitigen, verbindlichen Gesetzgebung durch das Parlament. 3. Verfassungsmäßigkeit des paktierenden Staatshandelns im Bereich des Laufzeit-Verlängerungspakets a) Eckpunktevereinbarung als unzulässige Gesetzgebungsabsprache? Die allgemeine Absprache zwischen der Stromindustrie und der Bundesregierung über die Laufzeitverlängerung im Gegenzug zu Zahlungen der Atomstromindustrie verstößt jedenfalls gegen den Geist der Verfassung. Nur weil eine solche Vereinbarung keine rechtlich einklagbaren Pflichten begründet (oben 2. a)), bedeutet dies – wie erwähnt – noch nicht, dass hier keinerlei Verfassungsvorgaben bestehen, geschweige denn, dass die Vereinbarung auch verfassungsmäßig ist. Wegen der faktischen Wirkungen, die eine solche normprägende Absprache haben kann, wird es wegen der verfassungsrechtlichen Probleme der paktierten Gesetzgebung im Einzelfall vor allem auf das Maß der Beteiligung des Bundestages bei der gesetzlichen Umsetzung ankommen. Ein bloßes ungeprüftes „Abnicken“ der die Eckpunktevereinbarung umsetzenden Gesetze im Bundestag würde im Hinblick auf die erfolgte frühere Einigung zwischen Industrie und Regierung dem Sinn sowohl des verfassungsrechtlich geordneten aufwändigen Gesetzgebungsverfahrens wie auch dem Sinn der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG widersprechen. Im konkreten Verfahren wurden die Gesetze des Laufzeitverlängerungspakets von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dies könnte auf eine inhaltliche Befassung der Parlamentarier mit den Gesetzen hinweisen. Der Sache nach blieb dieser aber ein Regierungsentwurf. In Wahrheit ging es nämlich um die „Umgehung“ des sogenannten ersten Bundesratsdurchgangs nach Art. 76 Abs. 2 GG. Für eine verfassungsrechtlich hinreichende Befassung durch den Bundestag könnte freilich angeführt werden, dass alle drei durch die §§ 78 ff. GOBT vorgesehenen Lesungen stattgefunden haben, wenn auch in Form einer sachlich nicht gebotenen Art.69 Zudem kann auch der Umstand, dass die Gesetzesentwürfe unverändert vom Bundestag beschlossen wurden, nicht automatisch als Indiz für eine mangelnde Befassung durch den Bundestag angeführt werden: dass die Mitglieder der Regierungsfraktionen die politischen Ansichten der Bundesregierung teilen und deshalb die Laufzeitverlängerung beschlossen haben, kann ihnen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zum Vorwurf gemacht werden.

69 Bundestagspräsident Lammert kritisierte zudem, dass die Gesetzesvorlagen nach den Vorfestlegungen des Atomkonsens’ II durch den Bundestag gepeitscht worden seien, siehe Berliner Zeitung v. 2. 11. 2010, S. 4.

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Kurz: Die formalen Voraussetzungen für ein verfassungsmäßiges Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG) wurden eingehalten. Dahinter verbirgt sich jedoch ein verfassungsillegitimer, ja letztlich abgründiger Entscheidungsvorgang. Diese Diagnose beruht nicht nur auf der Erkenntnis, dass der Gesetzgeber seine Pflicht zur hinreichenden zeitlichen und sachlichen Befassung mit dem Gesetz im Vorfeld der Entscheidung verletzt hat, sondern vor allem auch auf dem Faktum, dass der Gesetzgeber faktisch und politisch nicht frei entscheiden konnte und deshalb auch im konkreten Verfahren nicht hinreichend frei entschieden hat. Die gesetzlichen Entscheidungen zur Laufzeitverlängerung sind also verfassungswidrig zustande gekommen. b) Förderfondsvertrag Der Förderfondsvertrag ist erst recht verfassungswidrig. Er ist nicht der Gesetzgebung vorgeschaltet, sondern übernimmt in seinem Sachgeltungsbereich weitgehend ihre Regelungsfunktion. Deshalb handelt es sich nicht um einen öffentlichrechtlichen verwaltungsrechtlichen Vertrag i. S. der §§ 54 ff. VwVfG, sondern um einen verfassungsrechtlichen Vertrag, auf den freilich nach § 4 Abs. 3 Satz 2 EKFG die §§ 54 ff. VwVfG entsprechend anzuwenden sind. Da der Förderfondsvertrag grundrechtswesentliche Fragen betrifft,70 hätten seine Regelungen in Form eines Parlamentsgesetzes erlassen werden müssen. Die gesetzliche Vertragsermächtigung in § 4 Abs. 3 Satz 1 EKFG ist ein Reparaturversuch im Hinblick auf die Verfassungsstandards, ersetzt aber die parlamentsgesetzliche Regelung nicht. Problematisch ist etwa, dass die Ermächtigung keinerlei Aussagen zur Möglichkeit der Minderung der Abgaben enthält. Die nun in § 4 Ziff. 4.1 (i) (b) Förderfondsvertrag vorgesehene Minderungsmöglichkeit für den Fall, dass der Staat nachträgliche Sicherheitsanordnungen trifft, deren Kosten den Betrag von 500 Mio. Euro pro AKW überschreiten, setzt damit einen (ausschließlich vertraglich festgelegten!) finanziellen Anreiz für den Staat, die atomrechtliche Aufsicht regelmäßig zu Gunsten der Anlagenbetreiber – und damit möglicherweise zu Ungunsten der schutzwürdigen Bevölkerung – auszuüben. Eine derartige sicherheitsrelevante und damit grundrechtsbedeutsame Frage darf aber nicht (nur) durch Vertrag geregelt werden. Zudem ist die Ermächtigung in § 4 Abs. 3 Satz 1 EKFG nicht hinreichend bestimmt, da sie überhaupt nicht deutlich macht, inwiefern die Gewinne aus der Laufzeitverlängerung abzugeben sind. Vorstellbar ist hier vieles. So ist sowohl denkbar, dass einerseits nur 1 % der Gewinne abgeführt werden als auch andererseits, dass die Energieversorgungsunternehmen 99 % ihrer Gewinne dem Staat zukommen lassen müssen. Bezeichnenderweise ist aus dem geschlossenen Förderfondsvertrag nicht er70

Die Regelungen haben nicht nur grundrechtsrelevante Wirkung für die Kernkraftwerkbetreiber, sondern auch für die Bevölkerung, da durch den Förderfondsvertrag fiskalische Zwänge zu Gunsten der Laufzeitverlängerung geschaffen werden. Die Laufzeitverlängerung ist ihrerseits vor allem im Hinblick auf die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates gegenüber der Bevölkerung von großer Bedeutung.

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sichtlich, wie viel Prozent der Gewinne der Kraftwerksbetreiber durch den Förderbeitrag von neun Euro pro MWh (siehe § 1 Ziff. 1.2 Förderfondsvertrag) abgeschöpft werden. Zwar ist der Förderfondsvertrag kein echter (per se verfassungswidriger) Gesetzgebungsvertrag, weil er keine ausdrückliche Gesetzgebungsverpflichtung enthält. Der Vertrag versucht jedoch das fundamentale verfassungsrechtliche Verbot von Gesetzgebungsverträgen, das heißt rechtsverbindlicher Vereinbarungen über die Ausübung der gesetzgeberischen Gewalt, zu umgehen – bezeichnenderweise unter Nicht-Beteiligung des Parlaments. Zwar verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland in dem Förderfondsvertrag nicht formal zum Erlass eines AusstiegsVerzögerungsgesetzes. Der Vertrag knüpft jedoch die Wirksamkeit des Vertrages und damit auch die Zahlungspflichten der Atomkraftwerksbetreiber an den Erlass dieses Gesetzes. Der Vertrag enthält also einen in Zeiten knapper Kassen gewichtigen Anreiz (und das heißt letztlich nichts anderes als eine Gegenleistung) für den erwünschten Gesetzeserlass. Noch problematischer ist der Vertrag in seiner Eigenschaft als Normabwendungsvertrag gegenüber etwaigen späteren Gesetzesänderungen bzw. als Normkonservierungsvertrag bezüglich der jetzt erlassenen Regelungen zur Laufzeitverlängerung (dazu sogleich 4.). Insgesamt kann das kooperative Vorgehen im Übrigen auch nicht durch den Verweis auf das bereits beim Atomkonsens I durch die rot-grüne Bundesregierung angewandte, paktierende Verfahren verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Denn ein unsauberes, verfassungsillegitimes Verfahren wird durch seine Wiederholung nicht unproblematischer. Auch hier gilt die bekannte juristische Grundregel: Keine Gleichheit im Unrecht. 4. Dauerhaftigkeit der Laufzeitverlängerung a) Grundsätzliches Die Bundesregierung verspricht sich durch die neuerliche Änderung des AtG eine Laufzeitverlängerung von durchschnittlich zwölf Jahren. Wird sie dieses Versprechen einhalten können? Spätestens mit der nächsten Bundestagswahl besteht die Möglichkeit ihrer Ablösung und der Bildung neuer parlamentarischer Mehrheiten. Die Parteien der derzeitigen Opposition haben bereits angekündigt, die gerade beschlossene Laufzeitverlängerung wieder zurückzunehmen, wenn sie die nächste Bundesregierung bilden würden. Schwarz-gelbe Verzögerungsentscheidungen würden das entsprechende Schicksal erleiden wie die rot-grünen Ausstiegsentscheidungen des Jahres 2002. Dies ist die politische Folge des Umstands, dass Demokratie Herrschaft auf Zeit bedeutet und der neue Gesetzgeber die Chance zum neuen Kurs und auch zur Korrektur vorgefundener politischer Entscheidungen haben muss. Gerade deswegen ist er ja unter Umständen gewählt worden. Erlässt die neue Parlamentsmehrheit neue

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Gesetze, gelten diese nach dem Vorrang des späteren Gesetzes (lex posterior derogat legi priori). Dieser Prioritätsgrundsatz hat also eine fundamentale Bedeutung für die Demokratie und die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.71 b) Rechtliche Dauerhaftigkeit Gleichwohl erfährt dieser Grundsatz auch gewichtige Ausnahmen. Er gilt insbesondere nur unter Normen gleichen Ranges. Die frühere ranghöhere Norm (z. B. der Verfassung, des Europarechts) wird hingegen durch die spätere rangniedere Norm (z. B. einfaches Parlamentsgesetz) nicht verdrängt. Deswegen ist auch vor einiger Zeit vorgeschlagen worden, die Laufzeitverlängerung im Grundgesetz zu verankern, um diese Entscheidung dem einfachen Gesetzgeber zu entziehen.72 Sollte es eines Tages auch besonders änderungsgeschützte sogenannte Grundsatzgesetze geben,73 könnte auch auf diese Weise Kontinuität stärker rechtlich abgesichert werden. Eine spätere Änderung durch den Gesetzgeber könnte auch dann ausgeschlossen sein, wenn diese den Vertrauensschutz bzw. verfassungsstarke Individualrechte verletzen würde.74 Dies kann insbesondere bei belastenden rückwirkenden Gesetzen der Fall sein. Grundsätzlich gilt freilich, dass niemand auf den künftigen Fortbestand geltenden Rechts vertrauen darf,75 weil sonst politische Rechtsänderungen künftig übermäßig erschwert oder gar unmöglich würden.76 In einer Demokratie muss der Bürger damit rechnen, dass neue politische Mehrheiten neues Recht setzen. Eine Aufhebung der Laufzeitverlängerung nach der Bundestagswahl im Jahr 2013 wäre – aus der Sicht der Kernkraftbetreiber – ein Eingriff in Rechtsverhältnisse, die – aus der Sicht der neuerlichen Änderung ab 2013 – zwar in der Vergangenheit begründet, aber zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht abgeschlossen sind. Es handelte sich dann also um einen Fall der (rückanknüpfenden) unechten Rückwirkung.77 Diese Konstellation hat im Jahr 2002 einen sofortigen Ausstieg aus der zivilen Kernkraftnutzung verhindert und zum damaligen Kompromiss zwischen der rotgrünen Bundesregierung und den Kernkraftbetreibern geführt, die Kernkraftwerke bis zum Ablauf ihrer Amortisation bzw. steuerlichen Abschreibung laufen zu lassen. 71 Siehe dazu auch Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Gesetzgebung als wissenschaftliche Herausforderung, 2011 (i. E.). 72 Schon im Jahr 2007 machte der damalige Vorstands Vorsitzende von EnBW Utz Claassen einen entsprechenden Vorschlag; vgl. Stern 18/2007. Die Partei Die Linke möchte dagegen den endgültigen Atomausstieg im Grundgesetz verankern; vgl. Gysi, BT-Prot. 17/96, S. 10898. 73 Siehe hierzu Kloepfer, in: ders. (Fn. 71). 74 Vertiefend Kloepfer, in: Bitburger Gespräche 51 (2008), 25 (32 ff.). 75 BVerfGE 38, 61 (83); 68, 193 (222); zuletzt: BVerfG-K NVwZ 2007, 1168 (1169); siehe dazu auch Kloepfer, in: Bitburger Gespräche 51 (2008), 25 (34 ff.). 76 Von daher steht das Ziel „Planungssicherheit“ (Koalitionsvertrag [Fn. 2], S. 29) insoweit unter dem Vorbehalt künftiger gesetzlicher Regelungen. 77 Zur unechten Rückwirkung siehe Kloepfer (Fn. 59), § 10 Rn. 176 f. m. w. N.

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Darum geht es aber bei der Ausstiegs-Verzögerungsentscheidung des Jahres 2010, das heißt bei der jetzt beschlossenen Laufzeitverlängerung, unstreitig gerade nicht, weshalb die zusätzlichen Gewinne durch den Betrieb der bereits abgeschriebenen Atomkraftwerke ja auch (teilweise) abgeschöpft werden sollen. Nach dem – ebenfalls paktierten – Ausstiegsbeschluss des Jahres 2002 konnten die Kernkraftbetreiber bisher auch nur noch darauf vertrauen, dass die bisherigen Laufzeiten ausgeschöpft werden dürfen. Konnte aber nicht der paktierte Gesetzgeber des Jahres 2010 einen neuen Vertrauenstatbestand schaffen? Das ist nicht völlig ausgeschlossen, selbst wenn die derzeitige Opposition bereits die Aufhebung dieses Gesetzes des Jahres 2010 für den Fall ihrer Übernahme der Regierung ankündigt. Diese Ankündigung einer Opposition kann Vertrauen in bestehendes Recht nicht generell erschüttern. So lange freilich die Kernkraftbetreiber ihr Vertrauen auf das Recht des Jahres 2010 nicht betätigen, ist jedoch kein Platz für Vertrauensschutz. Hier läge der entscheidende Unterschied zur Situation des Jahres 2002, wo es noch um durch Investitionen betätigtes Vertrauen ging. Eine vertrauensschützende Position könnte nach 2010 erst durch neuerliche Investitionen (etwa in eine verbesserte Sicherheitstechnik) entstehen. Freilich wäre auch bei betätigtem Vertrauen eine belastende unechte Rückwirkung nur dann unzulässig, wenn im konkreten Fall das Vertrauen der betroffenen Kernkraftbetreiber schutzwürdiger als das mit dem Gesetz (ab 2013) verfolgte Anliegen wäre.78 Nur in dem engen Rahmen des Schutzes von Investitionen nach 2010 ist auch ein entsprechender Schutz der Kernkraftbetreiber durch Art. 14 GG gegenüber dem Änderungsgesetzgeber ab 2013 denkbar.79 Auch das ist ein wesentlicher Unterschied zur Situation von 2002, wo es noch um den Schutz der Errichtungsinvestionen der Kernkraftbetreiber ging. Sicherheitsinvestitionen nach 2010 aufgrund der bisherigen Sicherheitsstandards werden im Übrigen auch keinen Schutz durch Art. 14 GG vor späteren Gesetzesänderungen begründen können, weil das vorhandene Eigentum an den Kernkraftwerken nur im Rahmen der bisherigen Sicherheitsstandards geschützt ist. Erst Investitionen aufgrund neuer Sicherheitsstandards können unter Umständen den – entsprechend dimensionierten – Schutz des Art. 14 GG auslösen. Sieht man von den erörterten Ausnahmen ab, wird grundsätzlich davon ausgegangen werden können, dass der Posterioritätsgedanke z. B. nach einer Bundestagswahl im Jahr 2013 grundsätzlich die künftige Änderung der jetzt beschlossenen Laufzeitverlängerungen ermöglicht. Auch diese Änderungen könnten nach späteren Wahlen in Zukunft wiederum geändert werden. Von daher stehen auch die Vorstellungen der Bundesregierung zur Planung der Energieversorgung bis zum Jahr 2050 unter dem Vorbehalt wechselnder Parlamentsmehrheiten. Hier nun setzt – aus der Interessen78

Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit einer unechten Rückwirkung Kloepfer (Fn. 59), § 10 Rn. 178 ff. 79 Sehr viel weitergehend, aber schwerlich vertretbar, de Witt, RdE 2010, 357 (363), der in der gesetzlichen Laufzeitverlängerung eine neue Inhaltsbestimmung des Eigentums an Kernkraftwerken sieht; deshalb stelle eine künftige, neuerliche Verkürzung der Laufzeiten einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG dar, der entschädigt werden müsse.

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ausrichtung der Kernkraftbetreiber wie der derzeitigen Bundesregierung – die Überlegung an, mit Hilfe vertraglicher Elemente gegen das „Risiko“ wechselnder parlamentarischer Mehrheiten gewappnet zu sein. Das ist ein wahrhaft demokratieferner, wenn nicht sogar demokratiefeindlicher Ansatz. Grundsätzlich wird es zwar in der Tat möglich sein, durch Verträge konkrete Entscheidungen über Legislaturperioden hinaus festzuschreiben, welche mögliche Regierungswechsel grundsätzlich überstehen. Nichts anderes gilt für den einseitigen Erlass von Dauerverwaltungsakten (z. B. Baugenehmigungen, Planfeststellungen, Beamtenernennung), deren Wirksamkeit Regierungswechsel regelmäßig überdauern. Änderungen können grundsätzlich nur – bei Verträgen – durch Vertragskündigungen, Fortfall der Geschäftsgrundlage etc. und – bei Verwaltungsakten – im Rahmen ihrer zulässigen Beseitigung (Rücknahme oder Widerruf) vorgenommen werden. Das Demokratieprinzip bedeutet Machtbegrenzung, aber nicht notwendig Wirkungsbegrenzung auf Zeit, wie vor allem tatsächliche über eine Legislaturperiode hinauswirkende dauerhafte Gestaltungsentscheidungen – etwa Veränderungen der Landschaft durch Eisenbahn- oder Autobahnbauten etc. – zeigen. Diese Entscheidungen können regelmäßig nicht mehr vollumfänglich rückgängig gemacht werden, wenn es zu einem Regierungswechsel kommt. Zwar hat die grundsätzliche Reversibilität von Entscheidungen einen erheblichen Wert für die Demokratie, findet aber in sachlichen, aber auch rechtlichen Vorgegebenheiten ihre praktische Grenze. Von diesen partiellen Relativierungen wird allerdings das Verbot von echten Gesetzgebungsverträgen nicht erfasst. Die rechtlichen Bindungen des Parlaments und seiner Gesetzgebungsmacht durch Regierungsverträge sind verfassungswidrig. Diesen schwerwiegenden Einwand sucht der Förderfondsvertrag dadurch zu parieren, dass er nicht nur eine gesetzliche Grundlage hat (§ 4 Abs. 3 EKFG), sondern an keiner Stelle eine förmliche rechtliche Verpflichtung zur Normerhaltung enthält. Was die rechtliche Grundlage betrifft, muss allerdings bedacht werden, dass § 4 Abs. 3 EKFG nach dem Posterioritätsgrundsatz wieder mit Ex-nunc-Wirkung beseitigt werden könnte. Der eine ordentliche Kündigung ausschließende Förderfondsvertrag würde dadurch aber nicht seine rechtliche Verbindlichkeit verlieren. c) Faktische Dauerhaftigkeit Wenn auch der Förderfondsvertrag keine rechtliche Verpflichtung zur Normerhaltung enthält, gehen von ihm jedoch faktisch erhebliche normkonservierende Wirkungen aus, die zu gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken führen können. Nach der derzeitigen Konzeption soll der Förderfondsvertrag eine Rechtsgrundlage für erhebliche finanzielle Einnahmen des Staates – nämlich insgesamt 1,4 Mrd. Euro von 2011 bis Ende 2016 – sein (siehe oben I. 2. b)), wobei die Einnahmen allesamt dem neu errichteten Energie- und Klimafonds zukommen sollen. Würde sich der Gesetzgeber nun nach einem eventuellen Machtwechsel im Jahr 2013 dazu entschließen, die Laufzeiten wieder zu verkürzen oder gar vollständig zurückzunehmen, so würden damit zugleich die aus dem Förderfondsvertrag fließenden Einnahmen des Staates

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jedenfalls verringert (zum Minderungsrecht § 4 Ziff. 4.1 [i] [a] Förderfondsvertrag), wenn nicht gar aufgrund einer außerordentlichen Kündigung der Energieversorgungsunternehmen vollständig wegfallen. Bedenkt man zudem, dass sich die Einnahmen des Energie- und Klimafonds weitgehend aus dem Förderfondsvertrag speisen (vgl. § 4 Abs. 1 EKFG), so werden die aus dem vertraglichen Handeln der Bundesregierung folgenden finanzpolitischen Zwänge und die weit in die Zukunft wirkenden Folgen des Förderfondsvertrags vollends deutlich. Faktisch werden so Kurswechsel durch künftige Gesetzgeber erheblich erschwert, wenn auch nicht rechtlich verhindert. Der Förderfondsvertrag, letztlich aber auch die informalen Absprachen im Vorfeld der Gesetzesänderungen, entfalten also faktisch für künftige Gesetze eine normenabwendende und im Hinblick auf die nun beschlossenen Änderungen des AtG faktisch eine erhebliche normenkonservierende Wirkung. Verfassungsrechtlich müssen solche faktischen Zwänge jedenfalls dann ebenso für verfassungswidrig gehalten werden wie echte Gesetzgebungsverträge, wenn von ihnen ein bindungsähnlicher faktischer Zwang ausgeht, bestimmte gesetzliche Regelungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Der Förderfondsvertrag verbietet zwar nicht, die jetzt von Schwarz-Gelb beschlossene Novelle des AtG später wieder zu ändern. Er knüpft aber erhebliche finanzielle Nachteile für den klammen Staat hieran an. Dies bedeutet, dass der Vertrag den späteren Gesetzgeber massiv zu beeinflussen versucht, um eine neuerliche Änderung des AtG zu verhindern. Der Förderfondsvertrag stellt damit insgesamt eine verfassungswidrige Umgehung des Verbots von Gesetzgebungsverträgen dar. d) Weitere Laufzeitverlängerungen bzw. Ausstiegs-Ausstieg? Der Vollständigkeit halber sei gleichwohl erwähnt, dass das derzeitige Laufzeitverlängerungspaket nicht nur spätere Laufzeitverkürzungen rechtlich nicht ausschließen kann. Vielmehr wird auch umgekehrt eine spätere Laufzeitverlängerung oder gar ein wirklicher Ausstieg aus dem Ausstieg, das heißt die Laufzeitentfristung und die Aufhebung des Neubauverbots von Kernkraftwerken nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AtG, rechtlich durch die derzeitigen Regelungen nicht verhindert, vorausgesetzt neue parlamentarische Mehrheiten würden dies so beschließen. Merkwürdigerweise ist diese Variante bisher kaum politisch oder gar rechtlich erörtert worden, obwohl das Schicksal des Atomkonsens I gerade dieses Vorgehen nahelegt: die Laufzeitbegrenzung des Atomkonsens I wurde durch die Laufzeitverlängerung des Atomkonsens II desavouiert. 5. Zum „Moratorium“ der Laufzeitverlängerung Während die politische Intention des Moratoriums deutlich hervorgetreten ist, muss die rechtliche Wirkung einer solchen Erklärung erst analysiert werden. Sicher ist, dass die Bundesregierung kein Parlamentsgesetz durch Erklärung ändern oder

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außer Kraft setzen kann.80 Dies würde der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden umfassenden Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht widersprechen.81 Die elfte Atomgesetznovelle ist also auch nach der Erklärung des Moratoriums weiter in Kraft und kann nur durch ein das grundgesetzlich vorgesehene Gesetzgebungsverfahren durchlaufendes Gesetz geändert oder aufgehoben werden.82 Damit kann auch die Betriebsgenehmigung von Kernkraftwerken, deren Reststrommengen nach altem Recht verbraucht wären (vgl. dazu Spalte 2 der Anlage 3 zum AtG), nicht gemäß § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG a. F. erloschen sein. Das von der Bundeskanzlerin ursprünglich (am 14. 3. 2011) verkündete „Moratorium“ im Sinne einer Aussetzung des elften Änderungsgesetzes zum Atomgesetz war also evident verfassungswidrig. Nachdem entsprechende Verfassungsbedenken, öffentlich geäußert wurden, hat die Bundesregierung das Moratorium zu einem rein politischen Akt ohne Rechtswirkung umgedeutet.83 Auch als bloße politische Erklärung war das Moratorium freilich verfassungswidrig. Es war die politische Ankündigung einer vorläufigen Verweigerung des Gesetzesvollzugs (des elften Änderungsgesetzes), also eine Ankündigung eines Verfassungs- und Rechtsbruchs. Möglicherweise aus Einsicht in die Verfassungswidrigkeit eines gesetzesaussetzenden Moratoriums oder in den Umstand, dass auch bei einer Aufhebung der elften Atomgesetznovelle mit Neckarwestheim I nur ein Atomkraftwerk wegen Erschöpfung der Reststrommengen hätte sofort geschlossen werden können, veränderte die Bundesregierung erneut ihre Argumentation und stützte die Abschaltung der sieben (acht)84 ältesten Kraftwerke auf das geltende Atomgesetz.85 Sie schaltete also vom Modus der Gesetzesaussetzung auf den Modus des (scheinbaren) Gesetzesvollzugs um.

80 Die Exekutive kann allenfalls unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 80 GG durch ein Parlamentsgesetz dazu ermächtigt werden, ein Gesetz durch Rechtsverordnungen zu ändern. Zu solchen gesetzesändernden Rechtsverordnungen siehe v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 233 ff. m. w. N. 81 Zu Recht hat daher Bundestagspräsident Lammert moniert, dass die zwischen den schwarz-gelben Koalitionären vereinbarte (!) Nichtanwendung des Zugangserschwerungsgesetzes v. 17. 2. 2010 (BGBl. I S. 78), mit dem Internetsperren zur Erschwerung des Zugangs zu Inhalten mit kinderpornographischem Inhalt durchgesetzt werden können, verfassungswidrig sei. Siehe hierzu: http://www.faz.net/s/Rub594835B672714AlDBlA121534F010EEl/Doc~E03 222C8C059B4D2395E6CE657E4196FE-ATpl~Ecommon~Scontent.html, zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 82 Eine entsprechende Gesetzesinitiative wird durch die Bundestagsfraktion der Grünen vorbereitet; vgl. Nachweis in Fn. 10. 83 So argumentierte etwa Bundeskanzlerin Merkel in einem Fernsehinterview; vgl. http:// www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,751320,00.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. Bundesumweltminister Röttgen äußerte sich ähnlich; vgl. http://www.heute.de/ZDFheute/in halt/29/0,3672,8222045.00.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 84 Vgl. Fn. 11. 85 Vgl. Bundesumweltminister Röttgen in einem Interview in der FAZ v. 20. 3. 2011, S. 7.

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Wollten die staatlichen Behörden die Abschaltung der sieben ältesten Atomkraftwerke derzeit erzwingen, müssten sie ihre Anordnungen damit auf das AtG, namentlich auf § 19 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AtG stützen können. Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Norm wäre allerdings entweder, dass der Betrieb gegen Vorschriften des AtG oder gegen auf Grund des AtG erlassene Rechtsverordnungen, gegen Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung oder gegen eine nachträglich angeordnete Auflage verstößt oder aber, dass sich aus dem Betrieb im jeweiligen Fall „Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können“. Für § 19 Abs. 3 Satz 1 Var. 3 AtG wird das Vorliegen einer konkreten Gefahr gefordert.86 Richtig ist, dass in Abgrenzung zu den ersten beiden Varianten in § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG für die dritte Variante jedenfalls eine abstrakte Gefahr oder auch eine bloße Besorgnis nicht ausreichen können und dass deshalb eine Gefahr, mindestens aber ein konkreter Gefahrenverdacht vorliegen und von der Behörde dargelegt werden muss. Da sich in Deutschland durch den Reaktorunfall in Japan weder an den rechtlichen Voraussetzungen noch an den tatsächlichen Gegebenheiten für den hiesigen Betrieb von Kernkraftwerken etwas geändert hat, ist nicht davon auszugehen, dass bei ihnen aufgrund der Vorgänge in Japan eine konkrete Gefahr bzw. ein konkreter Gefahrenverdacht vorliegt.87 Im Übrigen wäre die Anwendung von § 19 Abs. 3 Satz 1 Var. 3, Satz 2 Nr. 3 AtG unter Berufung auf eine konkrete Gefahr bzw. ein konkreter Gefahrenverdacht für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ein Offenbarungseid für die Atomindustrie, schließlich wäre damit quasi amtlich dokumentiert, dass einige deutsche Kernkraftwerke auch schon vor der Laufzeitverlängerung so gefährlich oder gefahrenverdächtig waren, dass man ihren Betrieb sofort hätte einstellen müssen. Da die Voraussetzungen von § 19 Abs. 3 AtG für ein vorläufiges Abschalten der alten Kernkraftwerke also nicht vorliegen, nimmt es nicht wunder, dass einige der Kernkraftwerksbetreiber die Erhebung von Klagen gegen erwartete Einstellungsverfügungen erwägen.88 Das Moratorium könnte letztlich auch zu großen finanziellen 86 Papier in einem Interview zum „Moratorium“; siehe http://www.zeit.de/politik/deutsch land/2011-03/verfassungsgericht-papier-atomkraft?commentstart=57#comments; so auch Wieland zum gleichen Thema in einem Interview mit der LTO; http://www.lto.de/de/html/nachrich ten/2799/atompolitik-in-deutschland-kein-jurist-teilt-die-position-der-regierung/; jeweils zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011. 87 Sollten sich die das AtG vollziehenden Länder deshalb weigern, eine Betriebseinstellungsanordnung auszusprechen, könnte die Bundesregierung bzw. die zuständige oberste Bundesbehörde gemäß Art. 85 Abs. 3 GG eine Einzelweisung mit dem Inhalt an die zuständige Landesbehörde abgeben, dass der Betrieb eines in den Zuständigkeitsbereich der Landesbehörde fallenden Kernkraftwerks nach § 19 Abs. 3 Satz 1 Var. 3, Satz 2 Nr. 3 AtG einzustellen sei. Da nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Landesbehörde nur im äußersten Ausnahmefall den Vollzug einer Weisung nach Art. 85 Abs. 3 GG mit der Begründung verweigern darf, dass die verlangte Maßnahme rechtswidrig sei (vgl. BVerfGE 81, 310 [333 f.]), wäre die zuständige Landesbehörde zum Vollzug dieser (rechtswidrigen) Betriebseinstellungsweisung verfassungsrechtlich verpflichtet. 88 Vgl. http://www.stern.de/politik/deutschland/akw-moratorium-atom-konzerne-pruefenklage-gegen-abschaltungen-1664611.html; zuletzt aufgerufen am 21. 3. 2011.

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Einbußen für die Bundesrepublik Deutschland führen (Staatshaftung, Enteignungsentschädigung und Verlust von Einkünften aus der Kernbrennstoffsteuer sowie aus dem Förderfondsvertrag89) und der Förderung erneuerbarer Energien wesentliche Finanzmittel entziehen. Die sofortige Abschaltung einiger deutscher Kernkraftwerke kann damit derzeit nur auf freiwilliger Basis im Einverständnis mit den Kernkraftwerksbetreibern erfolgen. Möglicherweise ist es auch schon zu derartigen Absprachen gekommen. Ob es hierzu bereits einen neuen Deal zwischen Bundesregierung und Kernenergieerzeugern gibt, ist derzeit (noch) nicht zu klären.

6. Schlussbemerkungen Es ist – erstens – schwer verständlich, wie die schwarz/gelbe Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung den Staat in der Frage der Laufzeitverlängerungen in den Hintergrund oder bestenfalls in die Rolle des bloßen Mitspielers gedrängt haben. War eigentlich der Förderfondsvertrag überhaupt notwendig? Ist die Macht in Deutschland inzwischen so verteilt, dass ohne die Industrie gar keine wirtschaftsregulierenden Gesetze mehr erlassen werden können?90 Hatte man nicht Besseres und Eindeutigeres für die Allgemeinheit durch ein einseitig verbindliches Gesetz erreichen können? Nahezu völlig missglückt ist bei dem Restlaufzeitverlängerungspaket – zweitens – der Umgang der Bundesregierung mit der Öffentlichkeit. Dass es monatelang Geheimgespräche zwischen Industrie und Bundesregierung gab, ist eine schwer erträgliche Missachtung der demokratischen Öffentlichkeit und dass bei der öffentlichen Vorstellung des neuen Energiekonzepts der Bundesregierung der angestrebte Förderfondsvertrag (damals noch: Energiewirtschaftsvertrag) einfach zunächst verschwiegen wurde,91 ist ein Skandal. Drittens ist die faktische Desavouierung des Parlaments durch die Bundesregierung abgründig. Sie hat – soweit ersichtlich – Vertreter des Parlaments an den Absprachen überhaupt nicht beteiligt. Eine legitimationssteigernde Verwirklichung parlamentarischer Demokratie stellt die paktierte Laufzeitverlängerung gewiss nicht dar. Schließlich ist – viertens – bezüglich des „Moratoriums“ das fehlende Verfassungsbewusstsein der Bundesregierung im Hinblick auf ihre Bindung an die Gesetze (Art. 20 Abs. 3 GG) zu kritisieren.92 Ein Parlamentsgesetz kann nicht durch eine Wil89 Am 21. 3. 2011 wurde berichtet, dass AKW-Betreiber ihre Zahlungen zum Energie- und Klimafonds einstellen wollen; vgl. Süddeutsche Zeitung v. 21. 3. 2011, S. 1. 90 Es geht dabei übrigens nicht nur um die mit Kernenergie arbeitenden Energieunternehmen. Einen vergleichbaren Einfluss auf die Politik hat etwa die Solarenergieindustrie; vgl. Tagesspiegel v. 30. 1. 2011, S. 23. 91 Siehe Tagesspiegel v. 11. 9. 2010, S. 4. 92 Der Umstand, dass die Bundeskanzlerin die Einwände der evidenten Verfassungswidrigkeit als „Spitzfindigkeiten“ abqualifiziert (siehe Nachweis in Fn. 83), spricht Bände.

Kloepfer/Bruch: Laufzeitverlängerung zwischen Gesetz und Vertrag

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lensäußerung der Bundesregierung (vorläufig) als wirkungslos behandelt werden. Dagegen steht die Achtung vor dem Parlament und vor der Verfassung. Dieser Angriff auf das zentrale und unter dem Schutz der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) stehende rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbindung ist von der schwarz-gelben Bundesregierung im Übrigen wiederholt gebrochen worden. Die Anwendungsaussetzung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz) und die Aussetzung der Wehrpflicht sind hierfür markante Beispiele.93 Mit der Verkündung eines gesetzesaussetzenden Moratoriums wird der seit Jahren schleichende Verlust des Respekts der Regierenden gegenüber der Verfassung einmal mehr deutlich.94 Der Verfassungsbruch wird immer häufiger zum politischen Kalkül.

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Zur diesbezüglichen Kritik von Bundestagspräsident Lammert siehe Fn. 81. Vgl. auch Kloepfer, in: Scholz u. a. (Hrsg.), Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 2008, S. 55 (68 ff.). 94

Umweltaudit und Umweltrechtskonformität* (Zusammen mit Klaus T. Bröcker)**

I. Einleitung Die staatlichen und betrieblichen Mittel zur Verbesserung des Umweltschutzes wurden mit der Einführung der EG-Umweltauditverordnung1 vor über sechs Jahren um ein neuartiges Instrument erweitert. Als eine Ausprägung der indirekten Verhaltenssteuerung2 baut die Verordnung anstelle des gebietenden oder verbietenden Befehls bzw. Zwangs auf Eigenverantwortung, Kooperationsfähigkeit und freiwillige Initiative der Unternehmen. Den Regelungsadressaten ist die Teilnahme am Umweltauditsystem freigestellt, die Durchführung wird jedoch an die Einhaltung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben gebunden. Der Verordnungsgeber erwartet von der mit der EG-Umweltauditverordnung bewirkten „gesteuerten Selbstregulierung“3 eine bessere Bewältigung derjenigen Probleme, denen die herkömmlichen Handlungsformen des Umweltrechts – aus der Sicht des Verordnungsgebers – offenbar nicht in angemessener Weise entgegenzuwirken imstande sind; in diesem Zusammenhang sei nur beispielhaft auf bestehende Vollzugsdefizite, fehlende Flexibilität und damit einhergehende Innovationsunfreundlichkeit oder auch die Kostenintensivität des gewachsenen Umweltordnungsrechts hingewiesen.4

* Erstveröffentlichung: Kloepfer/Bröcker, Umweltaudit und Umweltrechtskonformität, UPR 2000, S. 335 – 339. ** Herrn cand. iur. Heine danken wir für seine wertvolle Mitarbeit. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. 6. 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung, ABl. EG Nr. 1, 168 vom 10. 7. 1993, S. 1 ff. 2 Vgl. allgemein hierzu Kloepfer, Umweltrecht, 2. Auflage 1998, § 5 Rn. 153 ff. 3 Schmidt-Preuß, Umweltschutz ohne Zwang – das Beispiel des Öko-Audit, in: Ziemske/ Langheid/Wilms/Haverkate (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik, FS Martin Kriele, 1997, S. 1157 (1159). 4 Vgl. dazu das fünfte Aktionsprogramm der EG vom 1. 2. 1993 (ABl. 1993, Nr. C 138, S. 78), in dessen Bestandsaufnahme über den Zustand der Umwelt u. a. Vollzugsdefizite auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene genannt werden: diese werden zum Anlaß für eine Einbeziehung der Industrie in die umweltbezogene Problembewältigung genommen.

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Die Frage nach dem (insbesondere umweltpolitischen) Erfolg der EG-Umweltauditverordnung sieben Jahre nach ihrem In-Kraft-Treten5 interessiert nicht nur angesichts der Neuartigkeit des Instruments6 und der komplexen Problemstellung; die Kommission hat vielmehr gem. Art. 20 EG-UAVO spätestens fünf Jahre nach InKraft-Treten der Verordnung das System „anhand der bei ihrer Durchführung gemachten Erfahrungen“ zu überprüfen und dem Rat gegebenenfalls geeignete Änderungsvorschläge zu unterbreiten.7 Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden – aufbauend auf einer Analyse des Steuerungsmechanismus der EG-Umweltauditverordnung – die Gewährleistungsgehalte des Umweltauditsystems im Hinblick auf die Einhaltung umweltrechtlicher Vorschriften näher beleuchtet werden, wobei schwerpunktmäßig auf die Voraussetzungen für die Validierung einer Umwelterklärung durch den Umweltgutachter einzugehen sein wird.

II. Steuerungsziel und Steuerungsmittel der EG-Umweltauditverordnung Gem. Art. 1 Abs. 2 hat die EG-Umweltauditverordnung zum Ziel, den betrieblichen Umweltschutz im Rahmen der gewerblichen Tätigkeiten kontinuierlich zu verbessern. Diese für ein umweltrechtliches Regelwerk scheinbar wenig originelle Zweckbestimmung erfährt ihre Besonderheit im Kontext der Freiwilligkeit der Beteiligung an dem System sowie der Aufforderung an die Unternehmen, im Rahmen ihrer Eigenverantwortung für die Bewältigung der Umweltfolgen zu einem „aktiven Konzept“8 zu kommen. Im Vertrauen, aber auch unter Ausnutzung der Steuerungsfunktion des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs schuf der Normgeber mit der EGUmweltauditverordnung einen rechtlichen Rahmen, der einen faktisch-ökonomischen Zwang zur Systemteilnahme auslösen soll. Anreize zur Systembeteiligung bestehen somit nicht in der Vermeidung von staatlichen Verboten und Sanktionen, sondern in erster Linie in der Verbesserung der eigenen wettbewerblichen Position. Die internen Audits erlangen durch die Validierung und Registrierung der Umwelterklärung eine rechtlich begründete Außenwirkung, welche die „Transparenz und Glaubwürdigkeit“9 der Unternehmenstätigkeiten im Bereich des Umweltschutzes verstär5

Gem. Art. 21 EG-UAVO gilt die Verordnung allerdings erst ab dem 21. Monat ihrer Veröffentlichung am 10. Juli 1993. 6 Franzius, Die Prüfpflicht und -tiefe des Umweltgutachters nach der EG-Umweltauditverordnung, NuR 1999, 601 (601), spricht heute noch von dem Umweltaudit als der „Sphinx unter den umweltrechtlichen Instrumenten“. 7 Mittlerweile liegt der im Rahmen des Verfahrens der Mitentscheidung (Art. 175, 251 EGV) erforderliche Gemeinsame Standpunkt des Europäischen Rates vom 28. Februar 2000 vor; vgl. zu dem Revisionsentwurf der Kommission vom Oktober 1998 bereits Lütkes/Ewer, Schwerpunkt der bevorstehenden Revision der Umweltauditverordnung (EWG) Nr. 1836/93, NVwZ 1999, 19 ff. 8 So der 4. Erwägungsgrund der VO. 9 10. Erwägungsgrund der VO.

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ken und zu einem positivem „Öko-Image“ der Unternehmen führen kann. Von der Öffentlichkeit wird dies zunehmend in wirtschaftlich messbarer Weise belohnt, von Versicherern und Kreditgebern bezüglich der Kreditvergabe und Prämiengestaltung10 vorteilhaft bewertet und von Investoren, Unternehmenskäufern, Zulieferern und Abnehmern immer mehr gefordert. Unternehmensintern kann die Auditierung zu betriebswirtschaftlich sinnvollen und für die Unternehmen wünschenswerten Ergebnissen führen, etwa im Hinblick auf die Aufdeckung kostspieliger Ressourcenverschwendungen11 oder besonderer Störanfälligkeiten der Betriebe12. Die genannten Vorteile sind untrennbar mit der Freiwilligkeit der Systembeteiligung verknüpft. Die Etablierung rechtlichen Zwangs würde das Instrument des Umweltaudits weitgehend seiner spezifischen Möglichkeiten berauben, da gerade durch die Entwicklungsoffenheit sowie die Einbeziehung der Unternehmen in die Verantwortlichkeit den Vollzugsdefiziten des Umweltordnungsrechts entgegengewirkt werden soll. Die persuasorisch vermittelte Motivation der Unternehmen, den betrieblichen Umweltschutz zu optimieren, würde einer imperativen Steuerung weichen müssen und es käme zu einer die ordnungsrechtlichen Vorgaben lediglich wiederholenden Doppelkontrolle, die nicht wünschenswert sein kann.13 Zu fordern ist vielmehr die normative Etablierung weiterer Anreize zur Steigerung der Attraktivität einer – immerhin nicht unbeträchtliche Kosten verursachenden – Teilnahme am Umweltaudit unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten.14

III. Gewährleistung der Umweltrechtskonformität im Verfahren des Umweltaudits 1. Festlegung einer Umweltpolitik durch das Unternehmen Gem. Art. 3a EG-UAVO beginnt das von der Verordnung statuierte interne Verfahren mit der schriftlichen Festlegung einer betrieblichen Umweltpolitik durch das 10

Dazu Schmidt-Salzer Öko-Audit und sonstige Management-Systeme in organisationsrechtlicher, haftungsrechtlicher und versicherungstechnischer Sicht, WiB 1996, 1 (9). 11 Näher Waskow. Betriebliches Umweltmanagement: Anforderungen nach der AuditVerordnung der EG, 2. Auflage 1997, S. 14 f. (m. w. N.). 12 Vgl. Wagner/Janzen, Umwelt-Auditing als Teil des betrieblichen Umwelt- und Risikomanagements, in: Sonderdruck aus Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Heft 6/ 1994, S. 590 ff. 13 Ebenso Lübbe-Wolff, Die EG-Verordnung zum Umwelt-Audit, DVBl 1994, 361 (373); Schneider, Öko-Audit als Scharnier einer ganzheitlichen Regulierungsstrategie, Die Verwaltung 1995, 361 (366); a. A. Führ, Umweltmanagement und Betriebsprüfung – neue EG-Verordnung zum „Öko-Audit“ verabschiedet, NVwZ 1993, 858 (860). 14 Dass der bisher erzielte Marktnutzen hinter den Erwartungen der Unternehmen zurücklag, belegt die von Rehbinder/Heuvels. Die EG-Öko-Audit-Verordnung auf dem Prüfstand, DVBl 1998, 1245 (1253), ausgewertete Studie „Fachwissenschaftliche Bewertung des EMASSystems in Hessen“ des Hessischen Umweltministeriums.

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III. Staat, ,Private‘, Markt: Umweltschutz in Kooperation

Unternehmen. Diese hat zum einen die „Einhaltung aller einschlägigen Umweltvorschriften“ vorzusehen, darüber hinaus umfasst sie die Verpflichtung zu einer „angemessenen, kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen15 Umweltschutzes“. Angesichts der Tatsache, dass die in Frage kommenden Umweltvorschriften bereits verbindliches Recht darstellen, ließe sich an der Aussagekraft der Verpflichtung der Umweltrechtskonformität zweifeln, da die Verpflichtung zur Einhaltung geltenden Rechts nicht von einer Eigenbekräftigung des Normadressaten abhängt. So gesehen läge lediglich in der Verpflichtung zur „normüberschießenden“ kontinuierlichen Optimierung des Umweltschutzes ein eigenständiger Regelungsgehalt der Vorschrift. Entgegengesteuert werden soll mit der Verordnung aber den erheblichen Vollzugsdefiziten, mit denen sich der Verordnungsgeber konfrontiert sah. Die Bewältigung dieser Mängel bildet daher insofern ein eigenständiges Regelungsziel der Verordnung, als die Erfüllung der umweltrechtlichen Vorgaben zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Systembeteiligung gemacht wurde.16 Das Umweltaudit beinhaltet diesbezüglich verschiedene Elemente: Wird beispielsweise als eine Ursache der Vollzugsdefizite die mangelnde Personalquantität wie -qualität in der Verwaltung genannt,17 so wird durch die Begründung und Betonung der Eigeninitiative der Unternehmen sowie die Tätigkeit des Umweltgutachters Bezug zu diesem Missstand genommen. Ebenso steht es mit der Motivations- und der Übernormierungsproblematik: In motivationeller Hinsicht ergänzt die Verordnung die imperativen Instrumente des Umweltrechts um faktisch-ökonomische Anreize zur Verbesserung des Umweltschutzes; der allseits beklagten Übernormierung und damit einhergehenden Rechtsunsicherheit könnte durch die von der Verordnung angestrebte gesteigerte unternehmerische „Selbsterkenntnis“ entgegengewirkt werden. Vergegenwärtigt man sich, dass Rechtskonformität unternehmerischen Verhaltens offenbar keine Selbstverständlichkeit ist18, dann kommt auch der Eigen-Verpflichtung zur Einhaltung der Umweltvorschriften bei der Festlegung der Umweltpolitik ein eigenständiger – und zudem begrüßenswerter – Regelungsgehalt zu. Gleichwohl erschiene allzu viel Euphorie in dieser Hinsicht als übertrieben; die 15

Ein Blick auf die englische Fassung der VO („company environmental policy“) verdeutlicht, daß sich diese Selbstverpflichtungen auf die Gesamtheit des Unternehmens beziehen muss und nicht nur auf den jeweiligen Standort. Für diese Auslegung spricht auch die Formulierung in Anhang I Teil A Nr. 1 EG-UAVO: „Die Umweltpolitik sowie das Umweltprogramm des Unternehmens für den betreffenden Standort werden in schriftlicher Form festgelegt“; so zutreffend Lübbe-Wolff, Die EG-Verordnung zum Umwelt-Audit, DVBl 1994, 361 (363). 16 Darauf verweist auch Lübbe-Wolff, Die EG-Verordnung zum Umwelt-Audit, DVBl 1994, 361 (363). 17 Zu den Vollzugsproblemen im Umweltrecht und ihren Ursachen vergleiche Lübbe-Wolff, Vollzugsprobleme der Umweltverwaltung, NuR 1993, 217 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 2. Auflage 1998, § 5 Rn. 157 (Fn. 276 m. w. N.); Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, 3. Auflage, S. 34 f. (Rn. 97). 18 So auch Kothe, Das neue Umweltauditrecht, 1997, S. 29.

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Frage, warum der in aller Regel gegenüber den Vollzugsbehörden wesentlich schwächer ausgestattete Umweltgutachter in der Lage sein sollte, wenig evidente – gleichsam subkutane – Gesetzesverstöße aufzudecken, drängt sich bereits in diesem Zusammenhang geradezu auf. 2. Validierung der Umwelterklärung durch den Umweltgutachter Das von der Festlegung der betrieblichen Umweltpolitik eingeleitete unternehmensinterne Audit schließt nach Durchführung der weiteren in Art. 3 lit. b – e EGUAVO vorgesehenen Schritte – Umwelt(betriebs)prüfung, Umweltprogramm, Umweltziele – mit der Formulierung einer für die Öffentlichkeit verfassten Umwelterklärung gem. Art. 5 EG-UAVO durch das Unternehmen. Daraufhin folgt die unternehmensexterne Prüfung des gesamten (internen) Audits durch einen zugelassenen, unabhängigen Umweltgutachter, der im Auftrag des Unternehmens tätig wird. Er nimmt Einsicht in die ihm vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Unterlagen und besichtigt den Betriebsstandort, auf dem insbesondere Gespräche mit dem Personal zu führen sind.19 Anschließend erstellt er einen Bericht an die Unternehmensleitung, der festgestellte Verstöße gegen die Verordnung, etwaige Einwände gegen den Entwurf der Umwelterklärung sowie erforderliche Änderungen oder Zusätze enthält.20 Dadurch wird dem Unternehmen Gelegenheit zur Behebung eventueller Verstöße gegeben. Schließlich erfolgt ein Gespräch zwischen Umweltgutachter und Unternehmensleitung zur Klärung der in dem Bericht aufgeworfenen Fragen. Das Verfahren endet im Erfolgsfall mit der Validierung der abgegebenen Umwelterklärung durch den Umweltgutachter. Während das dem Umweltauditsystem verwandte und mit ihm konkurrierende Managementinstrument ISO 14001 derartiger außenwirksamer Elemente entbehrt,21 ist die Tätigkeit des Umweltgutachters für das Umweltauditverfahren von zentraler Bedeutung. Erst die erfolgreich durchgeführte Validierung führt zu der angestrebten Standortregistrierung gem. Art. 8 EG-UAVO und nur diese Eintragung berechtigt zur Verwendung der Teilnehmererklärung nach Art. 10 EG-UAVO. Aus diesem Grunde, aber auch bedingt durch die in dieser Hinsicht nicht eben klare Fassung der Verordnung, verwundert es nicht, dass die Validierungsvoraussetzungen seit ihrem Inkrafttreten zu den umstrittensten Vorgaben der EG-Umweltauditverordnung gehören.

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Anhang III Teil B Ziff. 2 EG-UAVO. Anhang III Teil B Ziff. 2 EG-UAVO. 21 Vgl. zu den Unterschieden zwischen ISO 14001 und Umweltaudit Feldhaus, Wettbewerb zwischen EMAS und ISO 14001, UPR 1998, 41 ff.; ders., in: Rengeling (Hrsg.). Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 1998, § 36 Rn. 134. 20

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a) Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen Obschon sich die Rechtsbeziehungen zwischen dem begutachteten Unternehmen und dem Umweltgutachter aus einem privatrechtlichen Vertrag ergeben22 und die Validierung selbst keinen öffentlich-rechtlichen Akt darstellt, sind die Aufgaben des Gutachters gesetzlich und in zwingender Weise vorgeschrieben: Gemäß Art. 4 Abs. 3 EG-UAVO prüft der Umweltgutachter, ob Umweltpolitik, Umweltprogramm, Umweltmanagementsystem, die Umwelt(betriebs)prüfungsverfahren und die Umwelterklärungen den Anforderungen der Verordnung entsprechen. Art. 4 Abs. 5 lit. a EG-UAVO enthält nähere Bestimmungen zum Prüfprogramm: Danach hat der Umweltgutachter zu prüfen, „ob die Umweltpolitik festgelegt wurde und den Bestimmungen des Artikels 3 sowie den einschlägigen Vorschriften des Anhangs I entspricht“. Während in Anhang I der Verordnung eher formale Aspekte in Bezug auf Umweltpolitik, -programme und -managementsysteme geregelt sind, enthält Art. 3 lit. a die in diesem Zusammenhang interessierende Selbstverpflichtung der „Einhaltung aller einschlägigen Umweltvorschriften“ im Rahmen der Festlegung der Umweltpolitik. Nach dem Wortlaut der Verordnung beschränkt sich der Prüfumfang des Umweltgutachters demnach lediglich auf die Frage, ob die Umweltpolitik des zu begutachtenden Unternehmens die Einhaltung der Umweltvorschriften vorsieht, Hingegen wird keine ausdrückliche Aussage dahingehend getroffen, ob eine Prüfung im Hinblick auf die faktische Beachtung der einschlägigen Vorschriften zu erfolgen hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 4 Abs. 5 lit. b und c in Verbindung mit Anhang I bzw. Anhang II EG-UAVO, in denen das Bestehen und die Anwendung eines Umweltmanagementsystems und eines Umweltprogramms, bzw. die ordnungsgemäße Durchführung der Umwelt(betriebs)prüfung sowie die Prüfung der Politik- und Programmkonformität des Umweltmanagementsystems geregelt werden. Auch hier ist die Umweltrechtskonformität weder ausdrücklich noch implizit zum Bestandteil des Prüfungsprogramms gemacht worden. Aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der EG-UAVO geht demnach hervor, dass die Prüfungspflicht des Umweltgutachters (lediglich) die Frage umfasst, ob die Festlegung der Umweltpolitik dem Aspekt der Rechtskonformität sowie der kontinuierlichen Umweltschutzverbesserung verordnungsgemäß Rechnung trägt – insoweit handelt es sich um eine Systemprüfung. Darüber, ob und inwieweit dieser Prüfung eine Untersuchung der tatsächlichen Umweltrechtskonformität zu folgen hat, enthält die Verordnung demgegenüber keine – zumindest keine ausdrückliche23 – Aussage. Dem Umweltgutachter könnten dadurch erhebliche – den Interessen der Rechtssicherheit und der Chancengleichheit zuwiderlaufende – Freiräume hinsicht22

Näheres zu diesem Vertrag ergibt sich aus Anhang III B. 2.; siehe auch Ewer, in: ders./ Lechelt/Theuer, Handbuch Umweltaudit, 1998, S. 130 f. (Rn. 40); Schottelius, Ein kritischer Blick in die Helen des EG-Öko-Audit-Systems, BB 1997, Beilage 2 zu Heft 8, 19. 23 Soweit auch Lübbe-Wolff, Die EG-Verordnung zum Umwelt-Audit, DVBl 1994, 361 (369); Feldbaus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 1998, § 36 Rn. 67.

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lich der Beurteilung seiner Aufgabe zukommen. Der Klärung dieser Frage kommt im Hinblick darauf zusätzliche Bedeutung zu, dass die Erwartungen der sich am System beteiligenden Unternehmen nicht zuletzt auf eine Reduktion staatlicher Kontrolle als Kompensation für die erfolgreiche Teilnahme gerichtet sind. Solche Deregulierungsoder Substitutionspotenziale der EG-Umweltauditverordnung werden nicht ohne Berücksichtigung des dem Umweltgutachter auferlegten Prüfumfangs bzw. der von ihm zu gewährleistenden Prüftiefe bewertet werden können.24 b) Leistungsprüfung Der in der deutschen Rechtswissenschaft heftig geführte Streit, ob der Umweltgutachter anlässlich seiner Validierungstätigkeit verpflichtet ist, die Umweltrechtskonformität des zu begutachtenden Unternehmens nachzuvollziehen, bewegt sich in einem Rahmen, der durch zwei voneinander grundsätzlich divergierende Standpunkte abgesteckt ist. Den Vertretern einer reinen Systemprüfung – danach unterliegt lediglich das System als solches der Validierung – stehen Stimmen in der Literatur gegenüber, die eine umfassende materielle Voll-Prüfungspflicht des Umweltgutachters befürworten (Leistungsprüfung). Von dieser Fragestellung zu unterscheiden ist nach diesseitiger Auffassung jedoch der Aspekt, ob die Validierung auch dann in Betracht kommen kann, wenn am untersuchten Standort nicht alle einschlägigen Umweltvorschriften eingehalten worden sind; ein in der Tat nicht begrüßenswertes und mit den Zielen der Verordnung vordergründig nicht in Einklang stehendes Ergebnis. Gerade um eine solche Möglichkeit von vornherein auszuschließen, wird von Teilen der Literatur die Forderung nach einer den Umweltgutachter treffenden Pflicht zur materiellen Vollprüfung erhoben und somit das Erfordernis einer Leistungsprüfung postuliert. Gestützt wird diese Ansicht im Wesentlichen auf die Vorschrift des Art. 8 Abs. 4 EG-UAVO, wonach die Eintragung des Unternehmens abzulehnen bzw. aufzuheben ist, wenn die zuständige Registrierungsstelle durch die zuständige Vollzugsbehörde von einem Verstoß gegen einschlägige Umweltvorschriften am Standort unterrichtet wird. Zum einen wird aus dieser Bestimmung abgeleitet, die Unternehmen müssten alle einschlägigen Umweltvorschriften einhalten, um das Umweltaudit bestehen zu können.25 Zusätzlich wird gefolgert, die Verordnung erhebe die Umweltrechtskonformität damit zum unmittelbaren Prüfungsgegenstand des Zertifizierungsverfahrens.26 Andernfalls müss24 Vgl. zu diesem Zusammenhang Rehbinder/Heuvels, Die EG-Öko-Audit-Verordnung auf dem Prüfstand, DVBl 1998, 1245 (1248); Falk/Frey, Die Prüftätigkeit des Umweltgutachters im Rahmen des EG-Öko-Audit-Systems, UPR 1996, 58 (58). 25 Breuer, Zunehmende Vielgestaltigst der Instrumente im deutschen und europäischen Umweltrecht – Probleme der Stimmigkeit und des Zusammenwirkens, NVwZ 1997, 833 (843), der aber im Ergebnis nicht von einer uneingeschränkten Prüfungspflicht des Umweltgutachters im Hinblick auf das materielle Umweltrecht ausgeht. 26 Lübbe-Wolff, Die EG-Verordnung zum Umwelt-Audit, DVBl 1994, 361 (369); ebenso Feldhaus, Das Umweltaudit-Verfahren als Wettbewerbsinstrument?, in: Jb. UTR 38 (1997),

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ten Validierungen auch dann erfolgen, wenn die Eintragungsfähigkeit, welche die Gültigerklärung gerade bestätigen soll, nicht gegeben sei; dieses Ergebnis sei jedoch mit den Intentionen der Verordnung unvereinbar. Der Schluss einer materiellen Vollprüfungspflicht des Umweltgutachters aus Art. 8 Abs. 4 EG-UAVO erscheint jedoch aus mehreren Gründen nicht zwingend. Adressat der Vorschrift ist nicht der Umweltgutachter,27 verpflichtet werden hingegen ausschließlich die für die Registrierung der Standorte zuständigen Stellen.28 Zudem knüpft Art. 8 Abs. 4 EG-UAVO an einen der Validierung nachfolgenden Zeitpunkt an, in dem von der erfolgten Validierung bereits ausgegangen wird. Es stellt sich weiterhin die Frage, warum der Verordnungsgeber, der eine Vielzahl zweitrangiger Themenkreise mit einem nicht geringfügigen Detaillierungsgrad geregelt hat, eine entsprechende Verpflichtung des Umweltgutachters nicht ausdrücklich normiert hat und diesbezüglich einen immerhin nicht unbeträchtlichen Auslegungsaufwand voraussetzen sollte. An eine Verpflichtung des Umweltgutachters zur umfassenden Vollprüfung wären zudem weitere, zwingend regelungsbedürftige Fragen gekoppelt, die in der EG-Umweltauditverordnung unerwähnt bleiben: Eine Klärung solch wichtiger Fragen wie der Prüfungsdichte, der diesbezüglichen Kriterien oder der betroffenen Rechtsvorschriften bedürfte zwingend einer Regelung, ohne die sich eine durch Auslegung nicht mehr ausräumbare Vielzahl von Problemen ergäbe. Auch der Hinweis auf Art. 4 Abs. 5 EG-UAVO, wonach der Umweltgutachter seine Prüfung „unbeschadet der Befugnisse der Vollzugsbehörden“ durchzuführen hat, lässt den Schluss auf eine umfassende Prüfungspflicht nicht als zwingend erscheinen. Gegen die Argumentation, diese Regelung lasse Überschneidungen hinsichtlich der Prüfungskompetenz deutlich werden,29 lässt sich einwenden, dass solche Überschneidungen nicht notwendigerweise auch eine vollständige Kongruenz der Aufgaben und Befugnisse bedeuten müssen. Vor allem aber liegt Sinn und Zweck der Vorschrift (lediglich) in der Klarstellung, dass die Befugnisse der Vollzugsbehörden und die Tätigkeit des Umweltgutachters voneinander zu trennen sind. Eine vollzogene Prüfung durch den Umweltgutachter ersetzt eben nicht Befugnisse der Vollzugsbehörden, auch wenn beide Tätigkeiten im konkreten Fall zu Überschneidungen führen können. Die in Rede stehende Regelung ist insoweit keine be-

S. 135 (148); ders., in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 1998, § 36 Rn. 67; Hausmann, Umwelt-Audit; Verhältnis der Eigenüberwachung zur behördlichen Kontrolle, in: Rengeling (Hrsg.), Integrierter und betrieblicher Umweltschutz, 1996, S. 207 (210). 27 In diese Richtung weisen wohl auch Köck, Das Pflichten- und Kontrollsystem des ÖkoAudit-Konzepts, VerwArch 87 (1996), S. 644 (666); Franzius, Die Prüfpflicht und -tiefe des Umweltgutachters nach der EG-Umweltauditverordnung, NuR 1999, 601 (604). 28 Gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 UAG sind dies die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern. 29 So Schottelius, Das EG-Umwelt-Audit als Gesamtsystem, BB 1995, 1549 (1551); ders., Das neue Umweltauditrecht, 1997, S. 91.

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fugnisbegründende Norm, so dass sich aus ihr ebenso wenig eine umfassende Prüfungspflicht des Umweltgutachters wie aus Art. 8 Abs. 4 EG-UAVO ableiten lässt. c) Beachtlichkeit umweltrechtlicher Vorschriften bei der Validierung Wird eine umfassende Prüfungspflicht des Umweltgutachters im Hinblick auf die Umweltrechtskonformität des zu validierenden Unternehmens im Wesentlichen aus der Erwägung heraus abgelehnt, dass eine solche in der Verordnung nicht statuiert und von ihr auch nicht gewollt ist, wird damit einer Beschränkung der gutachterlichen Tätigkeit auf eine reine Systemprüfung30 nicht das Wort geredet. Die Umweltrechtsbindung der betroffenen Unternehmen wird selbstverständlich nicht, durch eine einschränkende Sichtweise der Prüfungsaufgabe des Umweltgutachters relativiert und ist gegebenenfalls auf mittelbare Weise auch Gegenstand Prüfung durch den Umweltgutachter. Erhält dieser Kenntnis von einem Rechtsverstoß des Unternehmens, kann er diesem nicht „sehenden Auges“ das Gütesiegel der Gültigkeitserklärung erteilen. Zwar kommt in der Teilnahmeerklärung, zu deren Verwendung die Unternehmen nach erfolgter Eintragung des Standorts berechtigt sind, nicht die Gewähr für die Einhaltung aller einschlägigen umweltrechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck – was angesichts des häufig dürftigen, eher werblichen Charakter tragenden Inhalts der Umwelterklärungen auch nicht hinnehmbar wäre. Immerhin besagt die Umwelterklärung aber, dass der Standort alle Anforderungen der Verordnung erfüllt.31 Zu diesen Anforderungen gehört eben auch die Geeignetheit des installierten Umweltmanagementsystems zur Gewährleistung der Umweltrechtskonformität.32 Ein festgestellter massiver Rechtsverstoß – etwa die rechtswidrige Nichtbestellung eines Betriebsbeauftragten für Immissionsschutz gemäß § 53 BImSchG – würde die Ungeeignetheit eines installierten Umweltmanagementsystems indizieren und somit einer Validierung im Wege stehen.33 Insoweit kommt es zu einer impliziten Überprüfung der einschlägigen umweltrechtlichen Vorschriften durch den Umweltgutachter, ohne dass die Umweltrechtskonformität der betroffenen Unternehmen als solche Gegenstand seiner primären Prüfpflichten ist. Daher muss die Prüfdichte des 30 So aber Müggenborg, Der Prüfungsumfang des Umweltgutachters nach der UmweltAudit-Verordnung, DB 1996, 125 (126 ff.); Wiebe, Umweltschutz durch Wettbewerb, NJW 1994, 289 (292); Förschle/Hermann/Mandler, Umweltaudits, DB 1994, 1093 (1099); Pohl, Umweltaudits in der betrieblichen Praxis, BB 1998, 381 (384). 31 Feldhaus, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. 1, 1998, § 36 Rn. 78. 32 Nach Anhang II A. EG-UAVO gehört insbesondere zu den Zielen der Betriebsprüfung „die Bewertung der bestehenden Managementsysteme und die Feststellung der Übereinstimmung mit der Unternehmenspolitik und dem Programm für den Standort, was auch eine Übereinstimmung mit den einschlägigen Umweltvorschriften einschließt“. 33 Vgl. Schmidt-Preuß, Umweltschutz ohne Zwang – das Beispiel des Öko-Audit, in: Ziemske/Langheid/Wilms/Haverkate (Hrsg.), Staatsphilosophie und Rechtspolitik, FS Martin Kriele, 1997, S. 1157 (1174).

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III. Staat, ,Private‘, Markt: Umweltschutz in Kooperation

Gutachters im Einzelfall auch in dem Maße wachsen, in dem er von der fehlenden Leistungsfähigkeit des Systems zur Aufdeckung und Vermeidung von Umweltrechtsverstößen ausgehen muss.34 Gewinnt er die Überzeugung dieser Leistungsfähigkeit dieses Systems nicht, kann er die Umwelterklärung des betroffenen Unternehmens nicht für gültig erklären. Die Begründung einer materiellen Vollprüfungspflicht des Umweltgutachters wäre hingegen kaum mit der Ratio der Umweltauditverordnung vereinbar. Wie schon aus den Zielbestimmungen des Art. 1 Abs. 2 EG-UAVO deutlich wird, steht der prozedurale Charakter der Verordnung im Vordergrund. Der Verordnungsgeber hat mit der Installierung des Umweltauditsystems keine Verdoppelung staatlicher Kontrollen bezweckt, sondern sucht, den konstatierten Vollzugsdefiziten auf anderen, neuen Wegen zu begegnen. Insofern fungiert der Umweltgutachter gerade nicht als parastaatlicher Überwachungsbeamter,35 sondern als Kontrolleur der staatlich induzierten Eigenkontrolle. Auch aus tatsächlichen Gründen bliebe dem Umweltgutachter eine mit der behördlichen Kontrolltätigkeit vergleichbare Prüfintensität verwehrt, da sie wegen seiner begrenzten Kapazitäten in aller Regel nur punktuell verlaufen könnte.

IV. Ergebnis und Ausblick Die Befürchtung, diese differenzierte Sichtweise im Hinblick auf die Prüfpflicht des Umweltgutachters könnte dazu führen, dass auch rechtsuntreue Unternehmen in den Genuss einer Standorteintragung kommen könnten, lässt sich konsequenterweise nicht völlig ausräumen (eine Möglichkeit, die übrigens auch die Anhänger einer materiellen Vollprüfung einräumen müssten). Eine solche Eintragung ist namentlich dann möglich, wenn der Umweltgutachter oder auch die jeweils zuständige Vollzugsbehörde einen Verstoß nicht feststellen konnte, die Eintragungsfähigkeit jedoch glaubhaft gemacht wurde. Somit kann und soll die Eintragung und die Berechtigung zur Führung der Teilnahmeerklärung nicht die betriebliche Umweltrechtskonformität beurkunden. Hierdurch wird die Bedeutung des Umweltaudits jedoch in keiner Weise relativiert, sondern erfährt lediglich eine andere, überzeugendere Akzentuierung: Bezeugt wird durch die Teilnahmeerklärung die Einhaltung eines in der Verordnung festgelegten Verfahrens, dessen eigenständiger Wert in der Auseinandersetzung mit den Umweltvorschriften und der kontinuierlichen Verbesserung des be34 Franzius, Die Prüfpflicht und -tiefe des Umweltgutachters nach der EG-Umweltauditverordnung, NuR 1999, 601 (605). 35 Köck, Umweltschutzsichernde Betriebsorganisation als Gegenstand des Umweltrechts; ders., Die EG-„Öko-Audit“-Verordnung, JZ 1995, 643 (648); Breuer, Zunehmende Vielgestaltigkeit der Instrumente im deutschen und europäischen Umweltrecht – Probleme der Stimmigkeit und des Zusammenwirkens, NVwZ 1997, 833 (844); Müggenborg, Der Prüfungsumfang des Umweltgutachters nach der Umwelt-Audit-Verordnung, DB 1996, 125 (126 ff.).

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trieblichen Umweltschurzes liegt. Hinzuzusetzen ist, dass die Anforderungen des materiellen Umweltrechts in der beschriebenen Weise mittelbar das Umweltauditverfahren beeinflussen. Vor dem Hintergrund des längst nicht ausgefochtenen Streits über die Voraussetzungen einer Validierung, insbesondere der dabei zu beachtenden Prüfungsdichte des Umweltgutachters, scheinen diesbezügliche Präzisierungen der EG-Umweltauditverordnung unerlässlich.36 Insbesondere lassen sich die Deregulierungs- bzw. Substitutionspotentiale des Umweltauditverfahrens nicht ohne eine Klärung dieser wichtigen Fragen ausmachen. Auch die im Rahmen empirischer Untersuchungen immer wieder zu Tage tretenden eklatanten Qualitätsunterschiede der Umwelterklärungen mahnen im Interesse der Rechtssicherheit und Chancengleichheit der Unternehmen zur Weiterentwicklung der Verordnung. Im Rahmen der gem. Art. 20 EG-UAVO in Gang gesetzten Überprüfung des Systems durch die Kommission sollte dies in Betracht gezogen werden. Nach dem derzeitigen Stand des Überprüfungsverfahrens scheint dieses Petitum jedoch (noch) kein Gehör zu finden. Der Gemeinsame Standpunkt des Europäischen Rates vom 28. Februar 2000 sieht zwar wichtige Weiterentwicklungen der EGUmweltauditverordnung vor – etwa im Hinblick auf die Integration des ISO 14001-Standards und eine deutliche Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Dienstleistungen –, die oben angemahnten Präzisierungen im Hinblick auf die Tätigkeit des Umweltgutachters bleiben jedoch aus. Ob das im Novellierungsprozess nunmehr mitentscheidende Europäische Parlament37 entsprechende Änderungsmaßgaben verabschieden wird, bleibt aber abzuwarten.

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In diesem Sinne auch Storm, Novellierungsbedarf der EG-Umweltaudit-Verordnung, NVwZ 1998, 341 (343); anders aber Franzius, Die Prüfpflicht und -tiefe des Umweltgutachters nach der EG-Umweltauditverordnung, NuR 1999, 601 (607). 37 Nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages unterfällt die Weiterentwicklung der EG-Umweltauditverordnung nicht mehr Art. 189 c EGV a. F., sondern dem Verfahren der Mitentscheidung gem. Art. 175 EGV i. V. m. Art. 251 EGV.

IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

Aspekte der Umweltgerechtigkeit* ** I. Problemstellung 1. Ungerechte Natur? Ist die Natur „ungerecht“? Sie verteilt Sonne und Wasser, Dürre und Hochwasserkatastrophen, fruchtbare und unfruchtbare Böden, Wüsten und blühende Landschaften, den Reichtum an Bodenschätzen oder an Flora und Fauna, aber etwa auch Erdbebenzonen oder Hochwassergebiete höchst ungleich auf unserem Globus. Und doch macht diese Vielgestaltigkeit unsere Welt aus. Wenn die Toskana überall wäre, wie langweilig wäre unsere Welt! So wollen und müssen wir mit einer Welt aus Unterschieden leben. Ist das „ungerecht“? Wir wissen darauf keine endgültige Antwort. Denn Gottes Gerechtigkeit ist nicht von dieser Welt. Gerechtigkeit als Schlüsselauftrag menschlicher, sozialer und staatlicher Ordnungen richtet sich an Menschen. Umweltgerechtigkeit ist also ein an den Menschen adressiertes Gebot, wenn dieser mit Umweltgütern umgeht. Umweltungerecht kann sein Handeln sein, wenn der Mensch übermäßig und nicht nachhaltig die Umwelt nutzt, wenn sein Anteil an der Umweltnutzung ungleich größer ist als der seiner Mitmenschen oder wenn er aufgrund räumlicher, sozialer und politischer Gründe von der Teilhabe an Umweltgütern ausgeschlossen wird, aber auch, wenn er Umweltkatastrophen verursacht, ihre Folgen oder Wiederholungen nicht bekämpft etc. Im weiteren Sinne mögen auch „Korrekturen“ der vorgefundenen natürlichen Umweltsituationen ein Gebot der Umweltgerechtigkeit sein, z. B. in Form der Umweltsolidarität mit der sog. Dritten Welt etwa durch Mittel für Bewässerungsprojekte oder Wiederaufforstungen. Da die eigentliche Umweltschutzproblematik sich mit der Rolle des Menschen bei der Gestaltung, Pflege, aber auch Belastung der natürlichen Umwelt befasst, ist die Umweltschutzproblematik immer auch eine Problematik der – in Deutschland noch wenig erforschten – Umweltgerechtigkeit.1 Gegenüber dem Bürger mag dies nur eine * Erstveröffentlichung in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart. Neue Folge, Band 56 (2008), S. 1 – 22. ** Teile des Manuskripts liegen einem Vortrag zugrunde, den der Verf. am 13. 6. 2006 an der Universität Bayreuth auf Einladung der Forschungsstelle für das Recht der Nachhaltigen Entwicklung gehalten hat. Der Vortrag enthält Gedanken, die in Kloepfer, Umweltgerechtigkeit – Environmental Justice in Deutschland, 2006, ausführlich dargelegt worden sind. Er dankt seinem Assistenten, Herrn wiss. Mitarbeiter Johannes Bosselmann, für die Mitarbeit. 1 Soweit ersichtlich, ist die Fragestellung in Deutschland erstmals aufgeworfen worden von Gethmann/Kloepfer/Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, 1995; vgl. auch

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IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

Frage der ökologischen Moral sein. Staatliche bzw. rechtliche Vorgaben an umweltbezogenes Handeln des Menschen müssen den Geboten der Umweltgerechtigkeit aber auch rechtlich entsprechen, zumal Art. 20a GG allen Gliederungen des Staates einen verfassungsgemäßen und damit auch gerechten Umweltschutz aufgibt. 2. Problembereiche Worum geht es bei der Umweltgerechtigkeit praktisch? Drei Problembereiche treten hervor: – Konflikte um die Platzierung von größeren Umweltbelastungen (z. B. Straßen, Flugplätze, Abfalldeponien, Atomanlagen bis hin zu Mobilfunkmasten). Es handelt sich hier um die gerechte Verteilung von raumgreifenden Umweltbelastungen (z. B. Verkehrslärm, insb. Fluglärm), aber auch von Risiken, wobei alle Beteiligte häufig dem St. Florians- bzw. NIMBY2-Prinzip huldigen. Konflikte können nationaler aber auch internationaler Art sein (z. B. grenznahe Platzierung von Atomanlagen). – Unzumutbare Konflikte um die Teilhabe an Umweltgütern (insb. Wasser, Meeresfische, Bodenschätze). Auch hier geht es neben nationalen Konflikten zwischen Unterliegern und Oberliegern (z. B. Erlaubnisse zu Wasserentnahmen oder zu Aufstauungsmaßnahmen) auch um internationale Konflikte, die zu Kriegen um Wasserzugang aber auch zu speziellen Regeln (z. B. Helsinki Rules on the Uses of Waters of International Rivers3, diverse bilaterale Übereinkommen4) geführt haben. – Sollte keine vollständige oder ausreichende Umweltgerechtigkeit hergestellt werden können, muss zumindest über Kompensations- und Ausgleichsmodelle nachgedacht werden, die zur Feinsteuerung oder ersatzweisen Erfüllung von Geboten der Umweltgerechtigkeit dienen. Entsprechende Kompensationen können dabei sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene vorgenommen werden.

3. Entwicklung in den USA Die Forderung nach environmental justice wurde in den USA – soweit ersichtlich – zum ersten Mal im Jahre 1982 in Warren County, North-Carolina, erhoben.5 In dieser kleinen, vorwiegend von Afro-Amerikanern bewohnten Gemeinde, befand sich eine Kloepfer, Environmental Justice und geographische Umweltgerechtigkeit, DVBl 2000, 750 ff. und Schmehl, Umweltverteilungsgerechtigkeit, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, 2005, S. 91 ff. 2 Abkürzung aus dem Englischen für „not in my backyard“. 3 International Law Association, Report of the 52nd Conference, Helsinki 1966, S. 478 ff. 4 Durner, Common Goods, 2001, 78 ff. m. w. N. 5 Leveridge, JNREL 2000, 107 (109); Blais, NCLR 1996, 75 (77).

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Deponie vor allem für PCB-haltige Abfälle, gegen die mehrfach Proteste und Demonstrationen stattfanden, die noch ganz im Geist des sog. grass-root movements standen. Die Diskussion um die Situation in Warren County führte zu einer allgemeinen Debatte über die Umweltsituation in Minderheiten-Gemeinden (sog. minority communities, d. h. Gemeinden von ethnischen Minderheiten). Offizielle Untersuchungen zu dieser Problematik ergaben eindeutig, dass Deponien mit gefährlichen Abfällen ganz allgemein vornehmlich bzw. überproportional in solchen Minderheiten-Gemeinden bzw. in Gemeinden mit ärmerer Bevölkerung (sog. low income population) lagen.6 Weitere Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Geldbußen für Umweltverstöße in den Minderheiten-Gemeinden um ca. 50 % niedriger lagen als in „weißen“ Gemeinden.7 Die Untersuchungsergebnisse regten die öffentliche Diskussion in den USA weiter an. Daraus zog die dortige offizielle Politik schließlich ihre spezifischen Konsequenzen: Die Bundesumweltbehörde der Vereinigten Staaten, die Environmental Protection Agency (EPA), gründete 1992 ein „Office of Environmental Justice“. 1994 erließ die Clinton-Administration die Executive Order 12898 (Federal Actions to Address Environmental Justice in Minority Populations and Low-Income Populations). Einschlägige Gesetzesvorschläge zur Gewährleistung der environmental justice wurden zwar auf der Ebene des Bundes erarbeitet8 und vereinzelt auch auf der Ebene der Staaten, aber – soweit ersichtlich – durchweg nicht verabschiedet.9 Im folgenden Verlauf der öffentlichen Diskussion in den USA wurde der Gedanke der environmental justice bekräftigt und weiter entfaltet. Über die Platzierung von Deponien oder anderen Umweltbelastungsquellen hinaus wurde z. B. auch das Entstehen von Verkehrsimmissionen als Problem der environmental justice gesehen. Diese Leitvorschläge wurden schließlich auf prinzipielle Fragen der Verfahrensbestimmung und des fairen Verfahrens im Allgemeinen und auf die Durchsetzung von materiellen Zielen der environmental justice im Besonderen ausgedehnt.10 Damit wurde die environmental justice immer mehr zum Prinzip ökologischer Fairness. Es werden inzwischen aber auch ganz prinzipielle Fragen wie die des unzureichenden Gesetzesvollzugs, der Geschlechterdiskriminierung, des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit unter dem Aspekt der environmental justice erörtert. Heute tauchen in den USA auch ganz allgemeine umweltpolitische Desiderate unter dem Titel der environmental justice auf. Dabei wird die Gefahr erkennbar, dass aus dem – am Diskriminierungsverbot geschärften – Gedanken der environmental justice eine eher konturlose Blankettidee vom guten Umweltschutz werden könn6 Vgl. etwa Commission for Racial Justice (Hrsg.), Toxic Wastes and Race in the United States: A National Report on the Racial and Socio-Economic Characteristics of Communities with Hazardous Waste Sites, 1987. 7 Vgl. dazu Moya, DJELP Summer 1996, 217 (231). 8 Zum Entwurf des Environmental Justice Act von 1992, Kyte, JCHLP 11 (1994), 253 ff. 9 Zu den Ansätzen im US-Bundesrecht und einzelnen Bundesstaaten eingehend Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 68 ff. 10 Vgl. etwa Lind/Tyler, The Social Psychology of Procedural Justice, 1988.

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te. Sein prägender Kerngehalt bleibt jedenfalls die Forderung nach (vor allem ethnisch bzw. rassisch) diskriminierungsfreiem Umweltschutz, also insbesondere die Abwehr des sog. environmental racism.11 4. Entwicklungen in anderen Ländern Auch in anderen Ländern wurde das Prinzip der environmental justice in verschiedenen Formen rezipiert. In Neuseeland12 und Australien13 wurde u. a. diskutiert, welchen Einfluss environmental justice auf die Zulässigkeit, die Einsatzfähigkeit und die Reichweite von ökonomischen Instrumenten des Umweltrechts hat. 5. Übertragung auf Deutschland? Aus deutscher Sicht erscheint die Forderung nach environmental justice vor allem als ein wesentlicher Problemaspekt aus dem bisher nur relativ wenig diskutierten Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit, soweit es um die Benachteiligung einkommensschwacher Schichten geht.14 Environmental justice im deutschen Sprachraum kann also am ehesten als soziale Umweltgerechtigkeit oder als Forderung nach diskriminierungsfreiem Umweltschutz verstanden werden. Insgesamt erscheint es allerdings erstaunlich, dass diese Diskussion um ökologische Gerechtigkeit bislang viel eher in der – gemessen an Deutschland – sehr viel „freieren“, wenn bisweilen nicht sogar ungezügelten nordamerikanischen Markwirtschaft und sehr viel weniger im Sozialstaat Deutschland geführt wird. Was sind die Gründe dafür? Schön wäre es, wenn die bisherige weitgehende Nicht-Diskussion des Themas in Deutschland mit der hier vorzufindenen relativ heilen sozialen bzw. diskriminierungsfreien Situation erklärt werden könnte, in welcher der soziale Ausgleich in der Gesamtbevölkerung bisher als halbwegs gelungen gelten kann und in der auch einkommensschwächere Bevölkerungsschichten (z. B. durch Betretungsrechte des Waldes) von vornherein in erheblichem Umfang an dem Genuss von Umweltgütern teilhaben können. In Deutschland sind ethnische und rassische Diskriminierungen im Umweltschutz jedenfalls nicht evident. 11 Gleichwohl ist scharf zur sog. kritischen Rassentheorie abzugrenzen, die nur allgemein die Eignung des traditionellen Rechtsapparats, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit herzustellen in Frage stellt und gerade keinen umweltspezifischen Bezug hat, näher Araujo, GLR 32 (1996/97), 537. 12 Näher Richardson, Changing Regulatory Spaces. The Privatization of New Zealand Environmental Law, in: ders./K. Bosselmann (Hrsg.), Environmental Justice and Market Mechanisms, 1999, S. 209 ff. 13 Näher Bond/Comino, Environmental Justice and the Water Market in Australia, in: Richardson/K. Bosselmann (Fn. 12), S. 232 ff. 14 Aus sozialwissenschaftlicher Sicht Maschewsky, Umweltgerechtigkeit, Public Health und soziale Stadt, 2001; vgl. auch die Nachweise bei www.umweltgerechtigkeit.de/Literatur. html, letzter Abruf am 6. 9. 2006.

Aspekte der Umweltgerechtigkeit

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Alles dies wäre aber nur die halbe Wahrheit. Ein Teil der sozialen Problematik bzw. der Diskriminierungsproblematik des Umweltschutzes (z. B. bei der sog. Öko-Steuer15) wird in Deutschland schlicht nicht gesehen oder verdrängt (was u. a. auch damit zu tun haben mag, dass der Konflikt zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit nicht so recht in das klassische deutsche Konfliktschema rechts/links passt). Im Übrigen hätten Aspekte einer ökologischen Benachteiligung von Minderheiten in Deutschland von vornherein wohl kaum die explosive Kraft wie in den USA. In Amerika gefährdet eine rassische oder ethnische Diskriminierung unmittelbar die Fundamente und die Staatsräson des klassischen Einwandererlandes USA, in dem die Gefahr künftiger gewaltsamer Rassenunruhen keineswegs gebannt erscheint. Mit den Ausländerproblemen in Deutschland sind diese latenten und immer wieder akut werdenden Inländer-Probleme der USA gewiss nicht vergleichbar. Gleichwohl kann dies kein Grund sein, der Frage nach environmental justice, nach sozialer, aber auch ausländerbezogener Gerechtigkeit beim Umweltschutz in Deutschland auszuweichen. Die soziale Umweltgerechtigkeit – vor allem auch als ökologische Lasten- und Verteilungsgerechtigkeit – bleibt ein weites Feld, das in Deutschland bisher politisch noch nicht hinreichend bearbeitet wurde. Erste, eher noch holzschnittartige Ansätze bot insbesondere in den ersten Jahren der modernen bundesdeutschen Umweltschutzdiskussion nach 1970 die These, der Umweltschutz gefährde Arbeitsplätze, was lange zu einer häufig eher hybriden Haltung der deutschen Gewerkschaften zum Umweltschutz geführt hat.16 Auch heute tauchen solche Argumente noch in der Debatte um den Standort Deutschland auf. Die im Laufe der Jahre unabweisbare Erkenntnis, dass Umweltschutz auch viele Arbeitsplätze geschaffen hat und immer noch schafft,17 vermag die These des arbeitsplatzgefährdenden Umweltschutzes zwar nicht völlig zu widerlegen, kann sie aber substantiell relativieren. Möglicherweise wird aber der stärkere Einsatz negativer oder positiver ökonomischer Anreize im Umweltschutz in Deutschland (insbes. die sog. ökologische Steuerreform) das Bewusstsein sozialer Probleme im Umweltschutz hierzulande stärken, wenn und weil in der Praxis (z. B. beim Benzinpreis) einkommensschwache Gruppen von solchen Instrumenten – relativ – sehr viel stärker betroffen werden als einkommensstarke Gruppen. Weitergehende Forderungen, z. B. nach einer umfassenden ökologischen Steuerreform, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie sozial wirklich ausgewogen sind.18 15

Gesetz zum Einstieg in die Ökologische Steuerreform, 1992, BGBl. I S. 378. Eingehend zur Rechtsentwicklung im bundesrepublikanischen Umweltrecht Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004; § 2 Rn. 76 ff. und ders., Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, 1994, S. 95 ff. 17 So etwa der amtierende Bundesumweltminister Gabriel in seiner Humboldt-Rede vom 20. 2. 2006. 18 Kritisch Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 313 ff. 16

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Die allgemeine Diskussion um die gerechte Verteilung von Umweltgütern, aber auch von Umweltbelastungen steht freilich im Wesentlichen erst am Anfang. Marktmodelle verheißen angesichts begrenzter Vermarktungsfähigkeit der Umwelt nur begrenzte Abhilfe. Umwelt ist eben kein beliebig marktfähiges Gut. Die Frage, was ein Biotop koste, kann politisch obszön sein. Über die Grundlagen ökologischer Verteilungsgerechtigkeit muss weiter nachgedacht werden. Immerhin sind etwa mit der Diskussion um das Vorsorgeprinzip (vor allem mit der Freiraumtheorie19) oder mit der mehrdimensionalen Durchdringung des Verursacherprinzips wichtige argumentative Anfänge gemacht. Die Debatte zur environmental justice in den USA sollte jedenfalls Anlass sein, die sich auch in Deutschland stellende Frage der Umweltgerechtigkeit zu erörtern, ob Standorte für umweltbelastende Aktivitäten vornehmlich oder doch überproportional in Gemeinde bzw. Gemeindeteilen mit eher einkommensschwachen Bevölkerungsschichten (z. B. Ausländern) zu finden sind.20 6. Gründe für Umweltungerechtigkeiten Sollte dies so sein, wäre nach den Gründen und Abhilfemöglichkeiten zu fragen. Jedenfalls muss die Nähe von umweltbelastenden Anlagen zu Wohngebäuden ärmerer Bevölkerungsgruppen (wie z. B. Gastarbeitern) noch kein notwendiger Grund für politische Diskriminierungsvorwürfe sein, weil solche Platzierungen umweltbelastender Aktivitäten in Gegenden mit einkommensschwacher Bevölkerung weniger auf Diskriminierungsabsichten, als vielmehr auf ökonomische Wirkungszusammenhänge zurückzuführen sein dürften: Viele stark umweltbelastende Anlagen sind in Gebiete mit einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten deshalb gelangt, weil dort eine Mischnutzung in der Bebauungsplanung vorgesehen ist. Dies wird in der Regel zu geringeren Preisen für die dort vorhandenen Wohngrundstücke mit entsprechend verringerten Mietpreisen führen.21 Eine solche Preisentwicklung wirkt wie ein Magnet auf einkommensschwächere Bevölkerungsschichten, die folglich verstärkt in diese Mischnutzungsgebiete ziehen. Insoweit kann fast von einem „Teufelskreis“ gesprochen werden: Mischnutzung führt regelmäßig zu geringeren Grundstückspreisen (für Wohnungsbauten etc.); dies zieht – wie erwähnt – ärmere Bevölkerungsschichten an; deren konzentrierte Ansiedlung in solchen Gebieten kann eine Nachfrageschwächung bei bessergestellten Bevölkerungsgruppen und im Ergebnis eine zusätzliche Reduzierung des Marktpreises der entsprechenden Wohnimmobilien verursachen. Das bildet einen Grund für ein weiteres Zuwandern

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Näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 4 Rn. 26 m. w. N. Erste empirische Untersuchungen bei Maschewski (Fn. 14) und ders., Umweltgerechtigkeit, Gesundheitsrelevanz und empirische Erfassung, 2004. 21 Am Beispiel Hamburg Maschewski, Umweltgerechtigkeit, Gesundheitsrelevanz und empirische Erfassung, S. 47 ff. 20

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sozial schwacher Minderheiten usw., usw. Diese Wirkungszusammenhänge sind insbesondere bei der Entstehung der Slums in den USA häufig diskutiert worden.22 Allerdings ist mit dieser Schilderung von Marktmechanismen die Politik nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen. Das verfassungsrechtliche Sozialstaatsprinzip begründet eine prinzipielle Verantwortung des Staates für Zustände der Gesellschaft. Und das mit Art. 20a GG anerkannte Umweltstaatsprinzip gewährleistet jedenfalls einen Mindeststandard der Teilhabe an Umweltgütern für Jedermann.23

II. Formen der Umweltgerechtigkeit Für eine weitere Analyse der Umweltgerechtigkeit sind zunächst weitere Differenzierungen erforderlich. Mit dem weiten Begriff der Umweltgerechtigkeit lassen sich sehr unterschiedliche Vorstellungen fassen. Neben der allgemeinen Frage – nach Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt selbst (dazu 1.), – nach sozialer Gerechtigkeit in der Umweltpolitik (dazu 2.) und – nach Umweltgerechtigkeit durch Verfahren (dazu 3.) soll hier vor allem der Umweltgerechtigkeit im räumlichen Sinne nachgegangen werden (dazu III). Grundsätzliche weitere Aspekte der Umweltgerechtigkeit sind ferner: – Umweltgerechtigkeit zwischen den Generationen (dazu IV. 1.) – Umweltgerechtigkeit zwischen Gruppen (dazu IV. 2.) – Umweltgerechtigkeit zwischen Gebietskörperschaften (dazu IV. 3.) – Umweltgerechtigkeit zwischen Staaten (dazu IV. 4.).

1. Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt selbst Umweltgerechtigkeit als Gerechtigkeit gegenüber der Umwelt selbst beschreibt Anforderungen an menschliches Verhalten, das den Bedürfnissen der Umwelt, d. h. den natürlichen Bedürfnissen der dort (ursprünglich?) anzutreffenden Tierund Pflanzenarten entspricht. Noch weitergehend ist das Konzept der interspeziellen Gerechtigkeit, das die Natur zum Träger von Gerechtigkeitsansprüchen macht.24 In 22 Vgl. etwa Dangschat, „Stadt“ als Ort und als Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung, Politik und Zeitgeschichte 1995, S. 50 ff.; Machule et al. (Hrsg.), Macht Stadt krank?, 1996. 23 Eingehend zur Staatszielbestimmung des Art. 20a GG Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 5 ff. 24 Näher K. Bosselmann/Schröter, Umwelt und Gerechtigkeit, 2001, S. 54 ff.; K. Bosselmann, KJ 1986, 1 ff. m. w. N.

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besonders deutlicher Form wird das Gebot umweltgerechter Verhaltenssteuerung etwa bei der Ausweisung von Naturschutzgebieten oder anderen geschützten Gebieten,25 aber etwa auch bei den Schutzstandards der artgerechten Tierhaltung (s. im Einzelnen § 2 Nr. 1 – 3 TierSchG) z. B. mit den Geboten der artgemäßen Bewegung oder verhaltensgerechten Unterbringung.26 Es stehen hier die „natürlichen“ Bedürfnisse von Tieren und Pflanzen im Vordergrund, soweit sie vom Menschen hinreichend verlässlich erkennbar sind. Letztlich führt dies zu der ideologisch weitgehend überholten Frage nach einem öko- oder anthropozentrisch begründetem Umweltschutz,27 wobei auch der ökozentrische Ansatz nur nach Maßgabe der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten, aber auch nur im Rahmen der maßgeblich anthropozentrisch ausgerichteten Verfassung verwirklicht werden kann. Eigene Klagerechte der Umwelt oder ihrer Güter gibt es bisher nicht.28 Umweltgerechte Politik des Staates muss jedenfalls auch andere verfassungsrechtliche Maximen beachten. Grundsätzlich erlaubt die Verfassung zwar solche Klagerechte, erzwingt sie aber nicht.29 Die Verfassung kann auch im Umweltbereich nur Minimalstandards sichern, z. B. das ökologische Existenzminimum30 oder zentrale Gebote der Verfahrensgerechtigkeit.31 2. Soziale Gerechtigkeit in der Umweltpolitik Die environmental-justice Bewegung in den Vereinigten Staaten geißelte vor allen Dingen die Platzierung umweltbelastender Anlagen in sozial schwachen Gebieten, insb. dann, wenn jene von einem hohen Minoritätenanteil geprägt sind. Auch die darauf reagierende Politik der Regierung Clinton hatte die Verknüpfung von geographischen und sozialen Wirkungszusammenhängen im Bereich der Umwelt als Gegenstand. Allerdings kann environmental justice auch eine vom räumlichen Kontext losgelöste, rein soziale Dimension haben. Zentrale Frage ist dabei, ob umweltpolitische bzw. umweltrechtliche Instrumente sozial ausgewogen sind. Augenscheinlich wird diese Problematik vor allen Dingen bei ökonomischen Instrumenten des Umweltrechts. Wenn und soweit dem Einzelnen die nötigen finanziellen Mittel fehlen, ver25 Vgl. den vierten Abschnitt des BNatSchG und die entsprechenden Landesnaturschutzgesetze. Zum Naturschutzrecht in der Föderalismusreform Kloepfer, ZG 2006, 250 ff. 26 Siehe z. B. auch § 3 Nr. 4 TierSchG: artgemäße Nahrungsaufnahme. 27 Näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2006, § 1 Rn. 19 ff. 28 Grundlegend die sog. Robbenklage, VG Hamburg, NVwZ 1988, 1058; die im Naturschutzrecht bestehenden Verbandsklagerechte sind von solchen Rechten der Natur zu trennen, obwohl letztere regelmäßig durch Verbände wahrgenommen werden könnten. 29 Zur Zulässigkeit der Erweiterung der Klagebefugnis BVerfGE 22, 106 (110); a. A. wohl Burmeister, in: Börner (Hrsg.), Rechtsfragen des Genehmigungsverfahrens von Kraftwerken, 1978, S. 7 (24 ff.) und Scholz, DVBl 1982, 605 (609). 30 Näher Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 22 (27 ff.). 31 Zum Grundrechtsschutz durch Verfahren grundlegend BVerfGE 53, 30 ff., „MülheimKärlich“.

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mag dieser zum einen kaum am Gemeinwesen teilzuhaben; zudem droht u. U. auch der umweltpolitische Ansatz des Instruments selbst in die Leere zu gehen. Folglich muss eine gerechte Umweltpolitik sowohl bei Auswahl als auch bei Vollzug eines umweltrechtlichen Instruments die soziale Dimension ihres Handelns beachten. Das Beispiel Öko-Steuer zeigt, dass in der Zukunft noch vielfältige Herausforderungen auch für den deutschen Gesetzgeber hinzukommen könnten.32 3. Umweltgerechtigkeit durch Verfahren Eine gerechte Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten kann partiell auch durch ein geeignetes Verfahrens erreicht werden. Diese Verfahrensgerechtigkeit im Umweltschutz hat zunächst gegenüber materiellen Entscheidungen zur Umweltgerechtigkeit zumindest eine unterstützende, wenn nicht kompensatorische Funktion. Da die unterschiedlichen Gerechtigkeitskriterien und ihre Verwendung in Gesetzen stets eine gewisse Offenheit, wenn nicht Vagheit haben, ist insbes. unter dem Aspekt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle eine Betonung der Umweltverfahrensgerechtigkeit mit den leichter zu überprüfenden Verfahrensmaßstäben sinnvoll. Schließlich kann ein angemessenes Verfahren die Akzeptanz staatlicher Entscheidungen bei den Betroffenen steigern und kann so zeit- und kostenaufwändige Rechtschutzverfahren ersparen. Deshalb sind die partizipatorischen Verfahren im Umweltrecht außerordentlich bedeutsam. Allerdings darf der Gedanke der Verfahrensgerechtigkeit nicht überzogen werden. Das Projekt AkEnd33, in dem letztlich nur noch das Verfahren zählt, zeigt, dass das Ergebnis nur zu leicht aus dem Blick gerät. Kriterien für die Verfahrensgerechtigkeit lassen sich u. a. aus den sog. LeventhalKriterien34 ableiten.35 Danach müsse das Verfahren in seinem Ablauf einheitlich bleiben (Konsistenzregel), die das Verfahren steuernden Personen unvoreingenommen (Unvoreingenommenheitsregel) und die zugrunde liegenden Informationen optimal ermittelt (Genauigkeitsregel) sowie mögliche (Verteilungs-)Entscheidungen korrigierbar (Korrigierbarkeitsregel) sein. Nach der Repräsentativregel müssen in allen Phasen des Verteilungsverfahrens die Interessen und Meinungen aller betroffenen Gruppen gehört werden. Schließlich sei eine moralische Angemessenheit zu fordern.

32 Zum gespannten Verhältnis der ökologischen Steuerreform und sozialer (Umwelt-)Gerechtigkeit Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 313 ff. 33 Arbeitskreis Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Abschlussbericht unter http:// www.akend.de/aktuell/veranstaltungen/dateien/abschluss.pdf, letzter Abruf am 6. 9. 2006. 34 Leventhal, in: Gergen/Greenberg/Willis (Hrsg.), Social Exchange: Advances in Theory and Research, 1980, S. 27 ff. 35 Eingehend zur Umweltgerechtigkeit durch Verfahrensgerechtigkeit Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 47 ff.

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III. Gerechte räumliche Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten Im Folgenden soll lediglich ein Ausschnitt aus der Umweltgerechtigkeit näher untersucht werden: die räumliche Umweltgerechtigkeit. 1. Begriffliches Die gerechte Verteilung von Umweltgütern bzw. Umweltnutzen und die gerechte Verteilung von Umweltbelastungen sind zwei Seiten des einheitlichen zentralen Problems der räumlichen Verteilungsgerechtigkeit im Umweltbereich. Die Zuteilung von Umweltgütern erfolgt in der Rechtswirklichkeit vor allem durch die Zuteilung von Möglichkeiten zu Umweltbelastungen. Beide Aspekte sollen im Folgenden unter dem Aspekt der umweltbezogenen Verteilungsgerechtigkeit in räumlicher Dimension betrachtet und analysiert werden. Ziel einer Umweltgerechtigkeit ist es, eine gerechte Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten herzustellen. Dies macht einige begriffliche Klärungen erforderlich: Umweltnutzen beschreibt dem unmittelbaren Nutzen von Umweltgütern, d. h. der natürlichen Ressourcen für den Menschen, ohne dass damit ein Nutzen für die Umwelt selbst negiert werden sollte. Dem Umweltnutzen stehen die Umweltlasten gegenüber. Der Begriff der Umweltlast umfasst über Schäden hinaus alle nachteiligen Auswirkungen menschlichen Handelns, welche die Umwelt belasten, die Umweltqualität mindern und als Folge davon die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen oder zumindest gefährden. Die Umweltlast als Verteilungsobjekt der Umweltgerechtigkeit kann daher in Anlehnung an den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung aus § 3 Abs. 1 BImSchG definiert werden: Umweltlasten sind schädliche Umwelteinwirkungen, die einen Schaden, einen erheblichen Nachteil oder eine erhebliche Belästigung für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen im Stande sind. 2. Typische Konfliktfelder Die räumliche Umweltgerechtigkeit stellt zwei grundsätzliche Konfliktfelder gegenüber: Fernwirkungen von Umweltbelastungen [dazu a)] einerseits und überregionaler Nutzen von Anlagen andererseits [dazu b)].36 a) Fernwirkungen von Umweltbelastungen Einen klassischen Konfliktbereich, welcher bei der Herstellung von räumlicher Umweltgerechtigkeit in den Blick genommen werden muss, stellen die sog. Fernwir36 Zu den folgenden und anderen praktischen Konfliktsituationen, vgl. näher Schmehl (Fn. 1), S. 93 ff.

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kungen von Umweltbelastungen dar. Der Begriff Fernwirkung beschreibt das (erhebliche) Auseinanderfallen von Belastungsquelle und Einwirkungsort. Diese Problematik ist besonders im Immissionsschutzrecht virulent, was sich nicht zuletzt in der Dichotomie Emission (an der Quelle) – Immission (beim Rezipienten) niedergeschlagen hat. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Umweltgerechtigkeit erscheint es dabei besonders fragwürdig, wenn durch eine Politik der hohen Schornsteine eine weitere Umweltbelastung überhaupt erst ermöglicht wird. Der breiten Öffentlichkeit in Deutschland wurde das Problem in umfänglicher Form erstmals durch das sog. Waldsterben in den 1980er-Jahren in das Bewusstsein gerufen. Es ging um die vielfältigen SO2-Belastungen, die zu umfänglichen Forstschäden und zur Frage einer Entschädigung durch den nicht hinreichend intervenierenden Staat führten. Nachdem der Bundesgerichtshof entsprechend begründete Entschädigungsansprüche gegen den Staat abgelehnt hatte,37 wurde die Schaffung von Billigkeitsansprüchen38 oder Fondslösungen diskutiert, im Ergebnis aber ebenfalls – teils aus Finanzgründen, teils aber auch aus Verfassungsgründen – verworfen. Deutlich ist die Fernwirkungsproblematik zudem bei den für die Klimaänderung verantwortlichen Faktoren, d. h. bei den Emissionen von Kohlendioxid und anderen (Treibhaus-)Gasen einerseits, sowie der Vernichtung natürlicher weltklimatischer Funktionsbedingungen wie den tropischen Regenwäldern andererseits. Hier taucht freilich auch das Grundproblem des globalen Umweltschutzes auf, nämlich, ob bzw. wie dieser unter der Bedingung nationaler Souveränität zu realisieren ist. b) Regionale Umweltbelastungen und überregionaler Nutzen von Anlagen Typisches Konfliktfeld der räumlichen Umweltgerechtigkeit ist auch die Platzierung von umweltbelastenden Anlagen mit zwar überregionalem Nutzen einerseits, aber mit erheblichen regionalen Umweltbelastungen andererseits. Augenscheinlich wird das Problem etwa bei Abfallentsorgungs- und Energieerzeugungsanlagen sowie Flugplätzen. Auch das (geplante) atomare Endlager39 belastet zunächst nur eine Ge-

37 Entscheidung vom 10. 12. 1987, BGHZ 120, 350 ff.; für eine Haftung des Staates im Bereich der Waldsterbensproblematik dagegen etwa Leisner, Waldsterben, Öffentlich-rechtliche Ersatzansprüche, 1983. 38 So § 130 UGB-ProfE, vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1991, S. 433 f. 39 Mit Urteil vom 8. 3. 2006 hat das OVG Lüneburg, DVBl 2006, 1044 ff., die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers für schwach- und mittelradioaktiven Müll im ehemaligen Eisenbergwerk Schacht Konrad in Salzwedel für zulässig erklärt. Hingegen dauert das im Rahmen des Atomkonsenses vom 14. 6. 2000 beschlossene Moratorium für das in Aussicht genommene Endlager für hochradioaktive Abfälle in Gorleben an; ein vom Bundesland Bayern angestrengter Bund-Länder-Streit für die einseitige Aufkündigung des sog. integrierten Entsorgungskonzepts wurde mangels Klagebefugnis vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 5. 12. 2001 abgewiesen, BVerfGE 104, 238 ff.

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meinde, bringt aber Energieentsorgern der gesamten Bundesrepublik Deutschland Nutzen.40 Das Auseinanderfallen von Opfern und Nutznießern ist hier offenkundig. 3. Grundlagen für die Erstellung von räumlicher Umweltgerechtigkeit a) Umwelt als knappes Gut Überlegungen zur räumlichen Verteilungsgerechtigkeit, insbes. zu Kriterien und Instrumenten staatlicher Umweltpolitik bzw. staatlichen Umweltrechts sind nur dann sinnvoll, wenn die Umweltressourcen nicht als freie Güter begriffen werden, wie dies jedenfalls für die Luft oder z. B. die Hohe See Jahrhunderte lang gegolten hat.41 Inzwischen ist allerdings weitgehend anerkannt, dass die hieraus folgende Konsequenz des freien und kostenlosen Zugangs zu Umweltgütern gerade zu den spezifischen Fehlsteuerungen beim Umweltverbrauch geführt hat, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts letztlich in eine Umweltkrise42 mündeten. Hatte sich die Umweltpolitik zunächst vor allem um eine Internalisierung sozialer Zusatzkosten durch konsequente Verwirklichung des Verursacherprinzips bemüht, so rückt zunehmend das Konzept der Umwelt als knappes Gut nach vorne,43 wie es schon seit langem im Wasserrecht mit seinem strikten Bewirtschaftungskonzept strukturprägend war.44 b) Umweltschutz und Marktmechanismen Die hierbei naheliegende Konsequenz, dieses Gut über die – grundsätzlich erfolgreichen – Allokationsinstrumente Preis und Markt zu verteilen, stößt allerdings auf zwei Hemmnisse: Zunächst bedarf es in weiten Bereichen erst der Schaffung von einschlägigen Märkten bzw. Marktvoraussetzungen, wie sie jetzt von der Rechtsordnung erst mühselig hinsichtlich der Emissionszertifikate geschaffen worden sind.45 Zum anderen ist die Wertblindheit und d. h. letztlich auch die Umweltblindheit des Marktes ein erhebliches Hindernis für das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit im Umweltbereich. Gerade Marktlösungen bedürfen wegen des notwendigen Schutzes der Umwelt und rechtlich aus Gründen des Art. 20a GG sowie des Sozialstaatsprinzips eines festen umweltrechtlichen Ordnungsrahmens und u. U. auch der Markt40

Eingehend zur räumlichen Umweltgerechtigkeit bei der Schaffung eines atomaren Endlagers in Deutschland Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 216 ff. 41 Zu Umweltgütern als öffentliche Güter näher Kloepfer/Reinert, in: Gethmann/Kloepfer/ Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, S. 41 ff. 42 Zum Begriff Umweltkrise Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 12. 43 Zur Umwelt als knappes Gut näher Kloepfer/Reinert, in: Gethmann/Kloepfer/Reinert, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat, S. 27 ff. 44 Zur Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von Wasserentnahmeentgelten („Wasserpfennig“) in Baden-Württemberg und Hessen, BVerfGE 93, 319 ff. 45 Zur Umweltgerechtigkeit im Emissionshandel näher Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 280 ff.

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korrekturen etwa in Form von Billigkeitslösungen. Wegen der überragenden Bedeutung von Umweltgütern kann es gerechtfertigt sein, deren Marktfähigkeit auszuschließen (res extra commercium) oder letztere doch zu beschränken. Insbesondere die Gemeinschaftsgebundenheit der Gemeinschaftsgüter kann Beschränkungen legitimieren oder sogar der Zuweisung an individuelle Verfügungsmacht entgegenstehen. Weitergehende Konzepte der Umweltgüter als Gemeinschaftsgüter (common goods) betonen u. a. das Bewirtschaftungsregime der Gemeinschaft bzw. des Staates, wie es z. B. in den §§ 1a Abs. 3, 1b WHG vorgesehen ist.46 Entscheidet sich der Staat zur Bewirtschaftung eines Umweltgutes, wie er dies beim Wasser seit langem tut und dies bei der Luft gerade begonnen hat (TEHG, ZuteilungsG), muss die Frage der Umweltverteilungsgerechtigkeit von vornherein von ihm berücksichtigt werden. Die Bewirtschaftung von Umweltgütern stellt die hoheitliche Gewalt dabei vor eine – vor allem auch grundrechtlich gebundene – Verteilungsfrage. Dabei muss beachtet werden, dass sich materielle Verteilungskriterien im Detail nicht unbedingt aus einer konkreten Verwaltungsentscheidung ergeben werden. c) Allgemeine Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Es ist nicht leicht, allgemeine Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit schlechthin (also über den Umweltschutz hinaus) anzugeben. In der abendländischen Rechtsphilosophie haben sich seit langer Zeit im Wesentlichen sechs Verteilungsprinzipien als maßgeblich herausgestellt:47 – Gleichheit – Proportionalität – Angemessenheit – Billigkeit – Leistung – Bedürftigkeit Während in der Vergangenheit vielfach ein universelles Verteilungsprinzip nach den jeweils oben genannten Kriterien verfochten wurde, hat sich heute eher die Vorstellung des Prinzipienpluralismus durchgesetzt.48 Die modernen Gegebenheiten einer pluralistischen Gesellschaft sollen nach heute verbreiteter Ansicht dazu führen, dass nur eine Differenzierung nach Lebenssachverhalten die geeigneten Verteilungs-

46 Zum vor allem im Völkerrecht entwickelten, aber auch im nationalen Recht wichtigen Konzept der Umweltgüter als Gemeinschaftsgüter vgl. Durner (Fn. 4). 47 Zu den folgenden Prinzipien näher Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 36 ff. 48 Propagiert etwa von Walzer, Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit, 1992 und Koller, in: Müller/Wegener (Hrsg.), Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit, 1995, S. 53 f.

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maßstäbe offenbare. Dies spricht dafür, nach spezifischen umweltbezogenen Verteilungsprinzipien und -konzepten zu suchen. 4. Prinzipien der räumlichen Umweltgerechtigkeit Wie die Prinzipien der räumlichen Umweltverteilungsgerechtigkeit aussehen, kann hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt, sondern nur an einigen zentralen Problemstellungen aufgezeigt werden. Diese stellen Fragen danach, – ob Umweltbelastungen in Deutschland an wenigen Stellen konzentriert oder über das Bundesgebiet gleichgewichtig verteilt werden sollen [dazu a)] – wie das Problem des räumlichen Auseinanderfallens von Umweltnutzen und Umweltlasten gelöst werden kann [dazu b)] – ob bei der Verteilung von knappen Ressourcen die Alteingesessenen oder die Newcomer relative Vorteile haben sollen [dazu c)] – ob es sonstige Prinzipien für die Umweltverteilung gibt [dazu d)].

a) Konzentration oder gleichmäßige Verteilung von Umweltbelastungen Ein für die Diskussion der Umweltgerechtigkeit neuralgischer Punkt ist sicherlich der Konflikt zwischen Konzentration oder gleichmäßiger Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten. Legt man im Bundesgebiet einen streng egalitären Maßstab als materielles Verteilungskriterium zugrunde, müssten etwa Verkehrswege oder Verschmutzungskonzentrationen in Luft und Wasser grundsätzlich gleichmäßig über das Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland verteilt werden, ganz unabhängig von etwaig bestehenden Naturschutzgebieten oder anderen regionalen Besonderheiten. Gerade um die Funktion besonders schutzwürdiger Gebiete zu erhalten, spricht jedoch vieles dafür, diese von neuen Umweltbelastungen zu verschonen und neue Umweltbelastungen in gewissen Grenzen an bereits belasteten Orten zu konzentrieren. So bietet es sich beispielsweise an, neue Eisenbahntrassen parallel zu Bundesautobahnen zu verlegen. Auch die Rechtsprechung neigt häufig dazu, gewisse Vorbelastungen einiger Gebiete schutzmindernd in Ansatz zu bringen. Ohne Nachteil gerade auch für die Gerechtigkeit ist dies indes nicht. Grundsätzlich bleibt es allerdings eine Frage des politischen Ermessens, für welches Prinzip man sich entscheidet. Als Prinzipien kommen insbesondere in Betracht:49 aa) Bündelungsprinzip: Das Bündelungsprinzip beschreibt die Zusammenfassung von Gebieten, denen eine spezifische Funktion durch die Rechtsordnung zugewiesen wird. Unter Zugrundelegung von naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten (z. B. Überlagerungs- und Auslöschungseffekte) kann durch die Konzentration von bestimmten Gebieten gegenüber deren (gleichmäßiger) Verteilung eine geringere Ge49

Vgl. dazu näher Schmehl (Fn. 1), S. 99 ff.

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samtbelastung für Mensch und Umwelt erzielt werden.50 Ein solches Prinzip wird schon in der heutigen Gesamtplanung, etwa in der kommunalen Bauleitplanung mit ihren verschiedenen Gebietstypen, verfolgt.51 Aber auch bei der Konzeption von Trassen der Verkehrsinfrastruktur mit deren potentieller Zerschneidungswirkung von beispielsweise Schutzgebieten empfiehlt sich eine Bündelung.52 bb) Trennungsprinzip: Das Trennungsprinzip verfolgt den Ansatz, funktional grundsätzlich unverträgliche Nutzungen räumlich zu trennen. Dieses wird etwa in der Kernnorm des § 50 Satz 1 BImSchG deutlich, dem als Optimierungsgebot als besonders wichtiger Belang in der Abwägung im gesamten Fachplanungsrecht eine hohe Bedeutung zukommt.53 Aber auch das im Bauplanungsrecht verortete Gebot der Konfliktbewältigung54 hilft, Umverteilungskonflikte zu vermeiden. Auch die Ausweisung von Schutzgebieten schafft und perpetuiert eine räumliche Trennung von verschiedenen Umweltnutzungen. Mit dem Trennungsprinzip können sich erhebliche Vorteile für den Umweltschutz ergeben, während eine (ohnehin unrealistische) absolut gleiche Verteilung von Umweltnutzen im Ergebnis zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation führen kann. cc) Emissionsbegrenzungsprinzip: Das Prinzip der Emissionsbegrenzungen zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass es an der Quelle der Umweltnutzung ansetzt und so eine Internalisierung von möglichen externen Effekten bereits im Ansatz zumindest verbessert wird.55 Im geltenden Recht werden Emissionsgrenzwerte zudem vornehmlich im Bereich der Vorsorge verwendet.56 Versteht man das Vorsorgeprinzip insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenvorsorge,57 wird auch die Ähnlichkeit zum Prinzip der Nachhaltigkeit deutlich. dd) Immissionsbegrenzungsprinzip: Das Prinzip der Immissionsbegrenzung ist vor allem ein Mittel der Gefahrenabwehr.58 Als solches kann es stets nur einen gewissen Mindeststandard an Umweltqualität gewährleisten. Allerdings sind Mindest50

Zu den technisch-physikalischen Grundlagen des Verkehrslärms vgl. jüngst Kloepfer et al., Leben mit Lärm – Risikobeurteilung und Regulation des Umgebungslärms im Verkehrsbereich, 2006, S. 173 ff. 51 Vgl. §§ 2 – 10 BauNVO i. d. F. der Bekanntmachung v. 23. 1. 1990 (BGBl. I S. 133); zuletzt geändert durch G. v. 22. 4. 1993 (BGBl. I S. 466). 52 Zur Zerschneidungswirkung des geplanten Flughafen Berlin-Brandenburg International auf Natur und Landschaft, vgl. BVerwGE 125, 116 (305). 53 Allgemein zu ökologischen Gewichtungs- und Vorrangregelungen Bartelsperger, in: Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 127 ff. 54 Grundlegend Weyreuther, BauR 1975, 1 ff.; aus der Rechtsprechung jüngst OVG Koblenz, Urt. v. 4. 7. 2006 – 8 C 11709/05; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 10 Rn. 124 f. m. w. N. 55 Vgl. zum Internalisierungsprinzip sogleich unten unter III. 4. b) bb). 56 Etwa in der TA Luft (Kloepfer, Umweltschutz, Loseblatt, Nr. 601), Nr. 5.1.1. 57 Vgl. etwa Feldhaus, DVBl 1980, S. 133 (135); Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2006, § 4 Rn. 26 ff. m. w. N. 58 Vgl. etwa TA Luft, Nr. 4.2.1.

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grenzwerte auch für das Konzept der Umweltverteilungsgerechtigkeit unverzichtbar; sie können die Entstehung eines hot spots verhindern.59 Problem eines Immissionsbegrenzungsprinzips ist jedoch, dass es als ein auf den Einwirkungsort fokussiertes Modell dazu beitragen – ja sogar verleiten – kann, bisher unbelastete Gebiete zu schädigen. Umweltnutzen und Umweltlasten würden so auseinanderfallen. Auch dieser Umstand demonstriert, dass das Immissionsbegrenzungsprinzip allenfalls in Verbund mit anderen Prinzipien wirksam eine Umweltverteilungsgerechtigkeit herstellen kann. ee) Vorbelastungsprinzip: Gerade in der Rechtsprechung findet sich der Ansatz, dass in den Grenzen fester Gefahrenschwellen umweltbelastende Maßnahmen in einem höheren Maße dort zugelassen werden können, wo bereits eine gewisse Vorbelastung existiert.60 Auf die damit einhergehenden Chancen, aber auch Nachteile einer solchen Konzentration von Umweltbelastungen wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.61 Jedoch kommt hinzu, dass durch die verringerte Möglichkeit, neu hinzukommende Belastungsquellen abzuwehren, die Gefahr einer Intensivierung von nachteiligen Umwelteinwirkungen in bereits bestehenden Belastungsräumen besteht.62 Die Idee, dabei Vorbelastungen als schutzmindernd anzuerkennen, kann allenfalls dann gerechtfertigt werden, wenn die Vorbelastung ihrerseits rechtlich gerechtfertigt ist. Aber auch weitergehende Belastungen bedürfen aus Gerechtigkeitserwägungen stets einer eigenen Rechtfertigung. Vor diesem Hintergrund scheint es an sich sinnvoll, sich von dem tradierten Vorbelastungskonzept der Rechtsprechung zu verabschieden. Der Umstand, dass Menschen schlechtere ökologische Lebensbedingungen haben als andere, rechtfertigt nicht, sie weiter schlecht zu behandeln.63 Allerdings ist das umweltpolitische Problem schwer zu lösen, weil das Bündelungskonzept für eine Platzierung an Vorbelastungsorten spricht. b) Auseinanderfallen von Umweltnutzen und Umweltlasten Wie oben dargelegt, ist eine typische Erscheinungsform der Umweltungerechtigkeit das Auseinanderfallen von Umweltnutzen und Umweltlasten.64 Bereits das geltende Umweltrecht hält Instrumente bereit, entsprechenden Dysfunktionen zumindest entgegenzuwirken:

59 Zur Zulässigkeit von sog. Hot Spots im Rahmen des Kyoto-Protokolls kritisch Giesberts/ Hilf, Handel mit Emissionszertifikaten, 2002, Rn. 268. 60 BVerwGE 101, S. 1 ff.; dazu ausführlich Vallendar, in: FS Feldhaus, 1999, S. 249 ff. 61 Siehe oben unter III. 4. a). 62 Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Fn. 60) ist dies jedenfalls bis zur Gefahrenschwelle möglich; kritisch dazu unter dem Aspekt der Summationswirkung Dolde, in: ders. (Hrsg. im Auftrag der GfU), Umweltrecht im Wandel, S. 451 (452 f.). 63 Ähnlich BayVGH, DVBl 1990, 114 (117); ebenso Kutscheidt, NVwZ 1989, 193 (199). 64 Siehe oben unter III. 2. a).

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aa) Ursprungsprinzip: Das in Art. 174 Abs. 2 EG verankerte Ursprungsprinzip besagt, dass Umweltbeeinträchtigungen an der Quelle bekämpft werden sollen. Eine Verlagerung von Umweltbeeinträchtigungen weg von ihrem Entstehungsort muss verhindert werden.65 Besondere Bedeutung hat das Prinzip gegenwärtig im Bereich der Abfallwirtschaft, was sich im Begriff der Entsorgungsautarkie niedergeschlagen hat.66 Allerdings gilt zu beachten, dass es aus Sicht der räumlichen Verteilungsgerechtigkeit durchaus erwünscht sein kann, beispielsweise Emissionen bestimmten Gebieten zuzuweisen.67 bb) Internalisierungsprinzip: Ein von der Umweltökonomie entwickelter Lösungsansatz für die Fehlallokation von Nutzen und Kosten der Umweltgüter stellt die sog. Internalisierung externer Effekte dar.68 Schwierigkeiten ergeben sich aber zum einen daraus, dass alleine (Folge-)Kosten der Umweltnutzung in den Blick genommen werden und das Prinzip so auf einer schwer durchzuführenden Ökonomisierung der Umweltgüter basiert. So müssen u. a. Transaktionskosten ermittelt, das Trittbrett-Fahrer-Problem gelöst und überhaupt erst ein Markt geschaffen werden.69 Zudem werden nach dem herkömmlichen Internalisierungskonzept nur negative externe Effekte internalisiert, nicht jedoch positive.70 Endlich stellt sich die Frage, ob eine Internalisierung selbst sozial gerecht ist. So wird ein Unternehmer die durch die Nutzung von Umweltgütern entstehenden Kosten kalkulieren und an den Endverbraucher weitergeben. cc) Verursacherprinzip: Auch das mit dem Internalisierungsprinzip eng verbundene Verursacherprinzip71 ist in seiner Funktion, die sachliche und finanzielle Verantwortung an den Verursacher einer Umweltbelastung zuzuweisen, grundsätzlich geeignet, ein Auseinanderfallen von Umweltnutzen und Umweltlasten zu minimieren. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass das Verursacherprinzip nach klassischem Verständnis Verantwortung für die Verhinderung oder Wiedergutmachung von nicht akzeptierten Umweltbelastungen zuweisen soll. Im Rahmen der Herstellung einer Umweltverteilungsgerechtigkeit geht es jedoch in zumindest gleichem Maße um die Frage, wie akzeptierte Umweltnutzungen zu verteilen sind.72

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Frenz, Europäisches Umweltrecht, 1997, Rn. 151. Vgl. § 10 Abs. 3 S. 1 KrW-/AbfG, wonach die Abfallbeseitigung grds. im Inland zu erfolgen hat; näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 20 Rn. 164. 67 Siehe oben unter III. 4. a). 68 Vgl. Weimann, Umweltökonomie, 3. Aufl. 1995, S. 26 ff., 56. 69 Näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 182 ff.; zum Umweltschutz und Marktmechanismen siehe schon oben unter III. 3. b). 70 So schon Schmehl (Fn. 1), S. 107. 71 Teilweise wird das Internalisierungsprinzip als Ausfluss des Verursacherprinzips angesehen, Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2006, § 5 Rn. 181. 72 Auf diesen Punkt weist Schmehl (Fn. 1), S. 107 zutreffend hin. 66

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c) Bevorzugung Alteingesessener oder von Newcomern? Werden in einem bestimmten Ballungsgebiet die vorhandenen Umweltressourcen bzw. Belastungspotentiale ausgeschöpft, bleibt für Neuansiedelungen an sich kein Raum mehr. Dieses wäre die Konsequenz eines einseitigen Prioritätsprinzips. Sollen Neuansiedlungen gleichwohl ermöglicht werden, müssen die bisherigen Nutzungsbefugnisse beschränkt bzw. bei der Verteilung von Umweltgütern Reserven für Newcomer angelegt werden. Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise die im Immissionsschutzrecht entwickelte sog. Freiraum-These als spezielle Ausprägung des Vorsorgeprinzips.73 Zumindest der ersten Variante steht prinzipiell das Bestandsschutzprinzip entgegen, welches grundsätzlich garantiert, vorhandene (Eigentums-)Positionen durch staatlichen Eingriff nicht wieder zu verlieren.74 Diesem in unserem Rechtssystem häufig betonten Bestandsschutzprinzip steht das noch immer zu wenig beachtete Prinzip der Entstehenssicherung75 entgegen, das den Newcomern Schutz gewährt. Zudem stehen einer grenzenlosen Ausübung des Eigentums gegenläufige Werte von Verfassungsrang in Form von insbesondere Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 20a GG entgegen.76 d) Sonstige Prinzipien aa) Gleichheit: Im Rahmen dieser Abhandlung kann und soll nicht auf die diversen rechtsphilosophischen Verästelungen der Frage nach Gerechtigkeit nachgegangen werden.77 Am Beginn einer Diskussion über Umweltgerechtigkeit ist jedoch prinzipiell bei der Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten von einer arithmetischen Gleichheit der Umweltteilhabe auszugehen. Einschränkungen zu diesem Grundsatz sind im weiteren Diskursfortgang stets rechtfertigungsbedürftig. bb) Bedarfsprinzip: Ein Mehrbedarf einzelner besonders schutzbedürftiger Gruppen (z. B. etwa von Kranken) kann unter dem Gesichtspunkt des Bedarfsprinzips gerechtfertigt werden. Dieser aus dem Sozialrecht stammende Begriff besagt, dass (sozialstaatliche) Leistungen an eine individuelle wirtschaftliche Bedarfssituation anknüpfen.78 Dieser Ansatz ließe sich möglicherweise auch für die räumliche Verteilung von Umweltgütern fruchtbar machen. 73

Feldhaus, DVBl 1980, S. 133 (135); Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 4 Rn. 26 ff. m. w. N. 74 Zum Bestandsschutz im öffentlichen Baurecht, vgl. etwa BVerwGE 25, 161 (162); 27, 341 (343). 75 Art. 14 GG schützt nicht nur den Bestand des Eigentums, sondern auch den Erwerb des Eigentums, Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970 , S. 47. 76 Zum Umweltschutz und Bestandsschutz vgl. etwa Ronellenfitsch, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1990, S. 21 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 67. 77 Näher Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 31 ff. 78 Näher Bley, Grundbegriff des Sozialrechts, 1988; siehe auch oben III. 3. c).

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cc) Ökologisches Leistungsprinzip: Mit dem Leistungsprinzip ist in seiner herkömmlichen Ausprägung die Vorstellung verbunden, dass in erster Linie die eigene Leistung (Tüchtigkeit, Fleiß etc.) über die soziale Stellung des Einzelnen entscheidet. Bedeutung und Reichweite des Leistungsprinzips im Grundgesetz sind umstritten.79 Im Rahmen der Umweltgerechtigkeit wäre ein ökologisches Leistungsprinzip zu bedenken, welches eine Zuteilung von Umweltgütern nach ökologischen Leistungskriterien vornimmt. Denkbar sind beispielsweise Nutzungsüberlassungen staatlicher Unternehmen an ökologische Musterbetriebe. dd) Zufallsprinzip: Obwohl scheinbar wie ein Aufstand gegen die Gerechtigkeit wirkend, kann bei der staatlichen Verteilung knapper Güter die Losentscheidung in der Rechtswirklichkeit unterdessen durchaus eine erhebliche Rolle (etwa Emissionszertifikate aber auch z. B. die sog. „Greencard“80) spielen. Wegen der elementaren Bedeutung von Umweltgütern für den einzelnen darf das Zufallsprinzip aber grundsätzlich nur subsidiär Anwendung finden; insbesondere dann, wenn andere Verteilungskriterien versagen. 5. Instrumente a) Allgemeines Der Staat ist zur Herstellung einer gerechten Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten verpflichtet. Dieses folgt nicht nur aus der Gewährleistungsfunktion der Grundrechte und aus der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG, sondern letztlich auch aus dem Gewaltmonopol des Staates.81 Wie der Staat dieser Verpflichtung nachkommt, steht diesem grundsätzlich offen. Er genießt insofern eine Einschätzungsprärogative. Dieses gilt nicht nur für die Auswahl der oben unter 4. aufgeführten Prinzipien, sondern auch für die Auswahl der Instrumente zur Umsetzung dieser Prinzipien. Zur Herstellung einer Umweltgerechtigkeit steht dem Staat daher grundsätzlich die ganze Bandbreite von Instrumentarien offen. Diese können nach herkömmlichem Verständnis zum einen ordnungsrechtliche Instrumentarien umfassen („command and control“) zum anderen aber auch moderne ökonomische Instrumente.82 Hinsichtlich der einzelnen Kriterien selbst kann auf die herkömmliche Systematisierung und die vorhandenen Erkenntnisse zu Instrumenten des Umweltrechts zu-

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Eingehend Malinka, Leistung und Verfassung, 2000. Sofortprogramm von Bundesregierung und IuK-Wirtschaft zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs in Deutschland vom März 2000. 81 Zum Umweltschutz durch die Verfassung vgl. eingehend Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 1 ff. 82 Aktuelles Beispiel für letzteren Ansatz ist insoweit der Handel mit Emissionszertifikaten in Deutschland seit dem 1. 1. 2005 nach Maßgabe des TEHG. 80

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rückgegriffen werden.83 Als besonders geeignet erweist sich dabei die Raumordnung als Teil der Raumplanung. b) Raumplanung aa) Definition: Da im Rahmen der Herstellung einer gerechten räumlichen Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten vielfältige Interessen in Ausgleich gebracht werden müssen, bietet sich im besonderen Maße das Instrument der Raumplanung an. Raumplanung ist dabei der Oberbegriff für alle raumbedeutsamen Planungen von Hoheitsträgern84 und kann in Gesamt- und Fachplanung untergliedert werden.85 Während im Rahmen der Fachplanung vornehmlich die Errichtung und der Betrieb umweltrelevanter Infrastrukturvorhaben genehmigt werden,86 kommt der Gesamtplanung die Funktion zu, über einzelne Vorhaben hinaus Raumnutzungen zu koordinieren.87 Die Gesamtplanung ist daher von ihrer Konzeption her geradezu prädestiniert, zukünftige Raum- und Ressourcennutzungen zu ordnen bzw. bestehende Ungerechtigkeiten auf diesem Gebiet zu bekämpfen. Instrumente der Gesamtplanung sind auf überörtlicher Ebene die Raumordnung und auf örtlicher (d. h. gemeindlicher) Ebene die kommunale Bauleitplanung. bb) Konzeptionelle Vorteile der Raumordnung und Ausprägung im geltenden Recht: Die Raumordnung ist im hohen Maße geeignet, eine – räumliche und auch soziale – Umweltgerechtigkeit herzustellen bzw. vorzubereiten. Dieses folgt zum einen aus dem überörtlichen Ansatzpunkt der Raumordnung. Wie oben dargestellt,88 sind typische Erscheinungsformen der Umweltungerechtigkeit das überregionale Auseinanderfallen von Umweltnutzen und Umweltlasten. Somit ist die Raumordnung von ihrer Konzeption her geeignet, überregionale Verteilungsprobleme auch überregional anzugehen. Bezeichnender Weise weist das nationale Raumordnungsrecht schon de lege lata Regelungskonzepte auf, eine gerechte Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten zu ermöglichen: Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 ROG ist es ein Grundsatz der Raumordnung, eine ausgewogene Siedlungs- und Freiraumstruktur im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland zu entwickeln. Nach § 2 Abs. 2 S. 3 ROG sind in Teilräumen ausgeglichene wirtschaftliche, infrastrukturelle, soziale, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben. Scheinbar gegenläufig sollen verdichtete Räume einerseits und ländliche Räume andererseits funktionsräumlich getrennt wer83 Zu den Instrumenten des Umweltrechts Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 1 ff. 84 Brohm, Öffentliches Baurecht, 2. Aufl. 1999, § 2 Rn. 23. 85 Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 10 Rn. 2. 86 Beispielsweise Verkehrsflughäfen (§ 8 LuftVG); Eisenbahninfrastruktur (§ 18 AEG); Bundesfernstraßen (§ 17 FStrG) oder Deponien (§ 38 Abs. 2 KrW-/AbfG). 87 Vgl. Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. I, 5. Aufl. 1998, § 25, S. 285. 88 Siehe oben unter III. 2.

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den. Eine solche Trennung hätte aber unter Umweltgerechtigkeitsgesichtspunkten den Nachteil, dass sich vor allem in städtischen Ballungsgebieten die Umweltbelastungen konzentrieren. Auf der anderen Seite würde ein vollständiger Ausgleich der Unterschiede von Stadt und Land die ökologischen Funktionen der ländlichen Räume beeinträchtigen, indem sie bestimmte Umweltfunktionen wie einen Klimaausgleich, ein ausreichendes Angebot an Räumen für Erholung und Freizeit oder Schutzgebiete zur Erhaltung der biologischen Vielfalt nicht mehr bieten könnten.89 Beiden Extremen der absoluten Funktionstrennung ebenso wie der Nivellierung – versucht das ROG dadurch vorzubeugen, dass es die Existenz verdichteter Räume einerseits anerkennt, andererseits aber keine funktionale Aufgabenteilung in der Weise anstrebt, dass die verdichteten Räume ausschließlich die Zentrumsfunktionen übernehmen und die ländlichen Räume lediglich den ökologischen Ausgleich bieten.90 Allerdings kann dieser Befund nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen eigenständigen, dezidierten Grundsatz zur Herstellung einer gerechten Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten gibt. Zudem stehen die erläuterten Grundsätze in Konkurrenz zu anderen, in § 2 Abs. 2 aufgeführten Grundsätzen. Endlich sind die Grundsätze gemäß § 4 Abs. 2 ROG bei raumbedeutsamen Planungen – insbesondere also bei der Zulassung stark umweltbelastender Anlagen – lediglich im Rahmen der Abwägung zu beachten. Eine strikte Verbindlichkeit kann nur durch die Konkretisierung der Grundsätze in raumordnerische Ziele erreicht werden. Diese Konkretisierung – etwa im Rahmen eines Landesentwicklungsprogramms – ist jedoch selbst auch eine Abwägungsentscheidung. cc) Zwischenergebnis: Das Raumordnungsrecht ist als Instrument zur Herstellung einer gerechten räumlichen Verteilung von Umweltnutzen und Umweltlasten geradezu prädestiniert. Zudem befinden sich bereits brauchbare Ansätze im geltenden Raumordnungsrecht. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass Umweltgerechtigkeit in komplexen Abwägungsentscheidungen nur ein Belang unter vielen anderen ist. Die Gefahr der Verdrängung der Umweltgüter durch andere öffentliche Belange bleibt dabei unverkennbar.91

IV. Sonderfälle der räumlichen Umweltverteilung In den bisherigen Ausführungen wurde die räumliche Umweltgerechtigkeit maßgeblich als Problem der Verteilung zwischen verschiedenen Menschen verstanden,

89

Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 107. Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, Loseblatt, Stand: Sept. 2004, § 2 Rn. 83. 91 Eingehend zur Umweltgerechtigkeit in der Raumplanung und insbesondere der Raumordnung, Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 97 ff. 90

272

IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

die an unterschiedlichen Orten ansässig sind. Das Konzept der Umweltgerechtigkeit bedarf allerdings verschiedener Erweiterungen und Ergänzungen und zwar – in zeitlicher, intergenerationeller Form (dazu 1.) – in gruppenbezogener Form (dazu 2.) – in Bezug auf Gebietskörperschaften (dazu 3.) – im Hinblick auf Staaten (dazu 4.).

1. Umweltgerechtigkeit in zeitlicher, intergenerationeller Form Umweltgerechtigkeit hat auch eine zeitliche Komponente. Wie Art. 20a GG hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, erfolgt staatlicher Umweltschutz „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. Damit greift das Grundgesetz die Frage der Langzeitverantwortung auf92 und rezipiert im Wesentlichen das durch die UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete Konzept der nachhaltigen Entwicklung.93 Dem Konzept, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedürfnisse künftiger Generationen zu berücksichtigen, wohnt ein Element der Gerechtigkeit inne. Insofern kann man von einer intergenerationellen Umweltgerechtigkeit sprechen.94 Allerdings trifft diese intergenerationelle Umweltgerechtigkeit als Leitaufgabe in der Demokratie mit ihren kurzzeitigen Wahlperioden auf erhebliche strukturelle Probleme.95 Nach herkömmlichem Verständnis ist aus Art. 20a GG für den Gesetzgeber nur ein grundsätzliches ökologisches Rückschrittsverbot zu entnehmen.96 In Anschluss an Rawls97 müsste man jedoch im Rahmen der intergenerationellen Umweltgerechtigkeit über eine Pflicht zur gegenwärtigen Verbesserung der Umweltbedingungen nachdenken.98 Ansonsten würde es angesichts des zunehmenden Bevölkerungswachstums und Ressourcenverbrauchs schwer werden, auch den Bedürfnissen der zukünftigen Generationen im wahrsten Sinne des Wortes gerecht zu werden. Der Ansatz, die Nutzung von Umweltressourcen gegenwärtig zu reduzieren, liegt beispielsweise dem Kyoto-Protokoll zu Grunde.

92

Vgl. hierzu Gethmann/Kloepfer/Nutzinger, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, 1993. 93 Vgl. dazu etwa SRU, Umweltgutachten 2000. 94 Näher Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 26 ff. 95 Zur Bindung des Gesetzgebers eingehend Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 3 Rn. 21 ff. 96 Vgl. hierzu VG Frankfurt, NVwZ-RR 1997, 92 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2006, § 3 Rn. 25, 97 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 9. Aufl. 1996, S. 327 ff. 98 Näher Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 27.

Aspekte der Umweltgerechtigkeit

273

2. Umweltgerechtigkeit zwischen Gruppen Umweltrecht ist ein Recht, in dem der Aspekt der Gruppenverantwortlichkeit (bzw. Gruppenberechtigung) eine besondere Bedeutung erhält (z. B. bei Umweltschäden durch eine Vielzahl von Verursachern insbes. bei Luft-, Wasser- und Bodenverunreinigungen). Im Gegensatz zu dem Individuallastprinzip bzw. Geschädigtenprinzip99, was von einem individualistischen Ansatz ausgeht, wird im Rahmen der Verteilung von Umweltlasten ein Gruppenlastprinzip diskutiert. Dieses geht von einer Verantwortung einzelner Schädigergruppen aus („kollektives Verursacherprinzip“).100 Dieses Prinzip ließe sich prinzipiell auch auf den Umweltnutzen erweitern. Die Anerkennung einer Gruppennützigkeit als Rechtfertigungselement für belastende Maßnahmen gegenüber Einzelnen ist namentlich im Finanzverfassungsrecht bei der Frage der Zulässigkeit von Sonderabgaben bereits anerkannt.101 Diese Erkenntnis kann für eine Gruppennützigkeit im Rahmen der Herstellung einer Umweltgerechtigkeit fruchtbar gemacht werden. Umweltbezogene Verteilungsgerechtigkeit bedeutet im modernen Massenstaat also generell auch eine gerechte Verteilung zwischen den Gruppen. 3. Umweltgerechtigkeit zwischen Gebietskörperschaften Ein besonderes Problem ist die Umweltgerechtigkeit zwischen Gebietskörperschaften. Auf Landesebene spielt z. B. die gerechte Verteilung von Umweltlasten (in Form von Abfall zur Beseitigung) zwischen den einzelnen Gemeinden bzw. Kreisen (etwa bei der Abfallwirtschaftsplanung) eine erhebliche Rolle.102 Auf Bundesebene geht es vor allem um die Umweltgerechtigkeit zwischen Ländern. Umweltgerechtigkeit zwischen Gebietskörperschaften kann durch eine gerechte Verteilung von Umweltlasten, aber auch kompensatorisch durch einen ökologischen Finanzausgleich gesichert werden.103 Dem ist Platz im bundesstaatlichen Finanzausgleich einerseits und im kommunalen Finanzausgleich andererseits einzuräumen. Auch der Arbeitskreis Auswahlverfahren für Endlagerstandorte (AkEnd) schlägt in seiner Studie eine „perspektivische“, also langfristige Kompensation zugunsten des betroffenen Standortes vor.104

99

Näher Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 4 Rn. 55. Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 36. 101 BVerfGE 55, 276, (298 ff.); 82, 159 (179 ff.); 110, 370 ff.; 113, 128 (150 ff.); vgl. dazu Kloepfer, ZUR 2005, 479 ff. 102 Vgl. zur Abfallwirtschaftsplanung Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 20 Rn. 348 ff. 103 Eingehend zur kollektiven Kompensation von Umweltungerechtigkeiten im Rahmen der föderalen Finanzordnung Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, S. 308 ff. 104 Arbeitskreis Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, Auswahlverfahren und Endlagerstandorte, Empfehlungen des AkEnd (Abschlussbericht), S. 219. 100

274

IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

4. Umweltgerechtigkeit zwischen Staaten Umweltgerechtigkeit hat auch eine internationale Dimension als ökologische Gerechtigkeit zwischen Staaten.105 Wie die Umweltproblematik selbst, ist auch die Umweltverteilungsgerechtigkeit an sich oder doch zugleich ein globales Problem, welches vor Staatsgrenzen keinen Halt macht.106 Es kann also darum gehen, dass Staaten unter- bzw. gegeneinander darüber streiten, wie beispielsweise der Zugang zu bestimmten Ressourcen zu regeln ist, etwa bei der Teilhabe an Wasserressourcen. Nach herkömmlichem völkerrechtlichem Verständnis folgt aus der Souveränität der Staaten, dass diese die in ihrem Territorium befindlichen Ressourcen nach Belieben ausbeuten können, sog. Prinzip der nationalen Verfügung über natürliche Ressourcen.107 Bezogen auf benachbarte Staaten wird dieses durch ein Schädigungsverbot eingeschränkt, wobei die genauen Kriterien jedoch unklar sind und zunächst auf das zwischenstaatliche Rücksichtsnahmegebot rekurriert wurde; so etwa im legendären „Trail-Smelter“-Schiedsspruch aus dem Jahre 1941.108 Zweifelhaft sind jedoch die Fälle, in denen Ressourcen in Rede stehen, die entweder einem bestimmten staatlichen Territorium zugeordnet werden können, aber für die gesamte Menschheit von Bedeutung sind (etwa der tropische Regenwald in Südamerika aufgrund seiner Bedeutung für das Weltklima) oder wo es um Ressourcen geht, die keiner Souveränität eindeutig zugeordnet werden können (etwa die Atmosphäre, Hohe See Antarktis). Im Völkerrecht haben sich für dieses Verteilungsproblem diverse Lösungsansätze mit unterschiedlichen Schlagwörtern herausgebildet (Prinzip der angemessenen Nutzung gemeinsamer Güter, Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit, Prinzip des Gegenstands gemeinsamer Sorge, etc.), die sich auch unter dem Begriff der „common goods“ zusammenfassen lassen.109 Umweltgerechtigkeit erweist sich damit nicht nur als lokales, sondern als ein universelles Prinzip.

105

Czarnecki, Verteilungsgerechtigkeit im Umweltvölkerrecht, diss. jur., M.S., 2007. Zum Verhältnis „internationaler Gerechtigkeit“ und intragenerationeller Gerechtigkeit Almond, Rights and Justice in the environmental debate, in: Cooper/Palmer (Hrsg.), Just Environments: Intergenerational, international and interspecies Justice, 1995, S. 15. 107 Näher Elian, The Principle of Sovereignty over Natural Ressources, 1979; Durner (Fn. 4), S. 38 ff. m. w. N. 108 RIAA, vol. III, S. 1905 ff.; vgl. auch Kloepfer/Kohler, Kernkraftwerk und Staatsgrenze, Völkerrechtliche, verfassungsrechtliche, europarechtliche und haftungsrechtliche Fragen grenznaher Kernkraftwerke, 1981. 109 Eingehend dazu Durner (Fn. 4). 106

Liability for climate damages, sustainability and environmental justice* (In Collaboration with Rico David Neugärtner) “Let’s have more time tunnels of different sizes.” Timothy Morton1

I. Introduction: global warming’s spatiotemporal strangeness – “tricky” to imagine “Imagining climate change is an enormously difficult task.”2 It is impossible for (human) beings to see or experience ‘global warming’ as such. Of course, humans across the globe already have to cope with the consequences of climate change such as droughts, floods and storms on a daily basis. However, although severe and possibly lethal in (masses of) single cases, these (many) individual experiences are only minute pieces of global warming as a whole. Climate change has vast expansions – viewed temporally, spatially as well as with respect to questions of ‘agency’. Greenhouse gases (GHGs) emitted by a coal-fired power plant in Europe may contribute to climate damages in glacial regions in the South American Andes (infra p. 276, 278, 294). The last centuries’ decisions to exploit fossil energy sources have created paths and dependencies which affect ‘our’ enormous contributions to global warming today and in the coming decades, if not in the coming centuries (infra p. 289 et seq.). Global warming strangely relates places around the globe, bridges time spans of centuries and involves a multiplicity of (human) actions. The literary scholar and philosopher Timothy Morton characterises global warming as a “hyperobject”: It “cannot be directly seen, but it can be thought”, however, “thinking [it] is intrinsically tricky.”3 The “tricky” and “enormously difficult task” of imagining ‘global warming’ not only challenges ‘our’ cultural imagination and philosophical discourses, it also push-

* Erstveröffentlichung: Kloepfer/Neugärtner, Liability for climate damages, sustainability and environmental justice, in: Kahl/Weller (eds.), Climate Change Litigation, 2021, S. 21 – 44. 1 Morton, Dark Ecology, 2016, 113. 2 Trexler, in: Gerrard (ed.), The Oxford Handbook of Ecocriticism, 2014, 205. 3 Morton, Hyperobjects, 2013, 3 et seq., 103.

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IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

es ‘our’ political thinking and legal imagination4 to their limits. The present article will inquire into some of the difficulties in ‘our’, i. e., especially the European and North American, political and legal thinking about liabilities for climate damages. In doing so, it will revisit some basic frameworks for evaluating local as well as global environmental policy and law. The article focuses on the two somewhat established, though conceptually pluralistic and contested, frameworks of ‘sustainability’ and ‘environmental justice’ – supplemented by the notion of ‘ecological justice’ (infra p. 280 et seq.). Given their awareness of spatiotemporal as well as ‘agency’-related structures, these three frameworks promise some guidance for our inquiry about the times (infra p. 288 et seq.) and spaces (infra p. 294 et seq.) of global warming from the perspectives of environmental policy and law.

II. Random sampling: Lliuya v. RWE – approaching liabilities for climate damages inductively 1. The case Lliuya v. RWE In order to dive into global warming’s spatiotemporal vastness, the article is turning to the case Lliuya v. RWE as an illustrative, though particularly extraordinary example for climate damages litigation. In Lliuya v. RWE, also known as the Huaraz case, the Peruvian farmer Saúl Luciano Lliuya is suing the energy utilities company RWE in German courts. Lliuya owns land near the Peruvian city Huaraz in the Andes region. According to Lliuya, for decades, GHG emissions from RWE’s power plants have contributed to anthropogenic global warming, which, in turn, has facilitated the melting of an Andes glacier (Palcaraju) near Huaraz. The glacier’s melt waters flow into Lake Palcacocha situated above Huaraz. According to the plaintiff, given the lake’s rising water level, there is a serious threat that his land will get flooded. Therefore, Lliuya is demanding from RWE partial reimbursement of costs for protective measures directed against the potential flooding (namely “sustainable” drainage of the lake in order to reduce its water level). The demanded partial reimbursement is calculated in proportion to RWE’s share in global GHG emissions, which, according to Lliuya, amounts to 0.47 % of global total emissions from 1751 to 2010. In 2015, Lliuya brought a property rights action based on German private law against RWE in the Regional Court LG Essen (civil jurisdiction). Germanwatch e. V., a nonprofit NGO (infra p. 296, 301) based in Germany, is supporting the action. The LG Essen dismissed the action in 2016, partly on justiciability grounds, partly on the merits.5 However, on appeal, the Higher Regional Court OLG Hamm preliminar-

4 5

Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (410). LG Essen, Judgement of 15. 12. 2016, 2 O 285, NVwZ 2017, 734.

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ily approved the justiciability and soundness of Lliuya’s action and ordered the hearing of evidence.6 At the turn of the decade, the litigation is pending. 2. Three exemplary issues: statute of limitations, rivalling Rechtsregime, adequate causation The case Lliuya v. RWE illustrates the spatiotemporal and ‘agency’-related strangeness inherent in climate ‘damages’ litigation (with ‘damages’ conceived broadly). Lliuya bases his claim on property law as codified in the German Civil Code Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in § 1004 Abs. 1 BGB, which is partly functionally equivalent to the doctrine of (private) nuisance (and not directed at compensation for damages in a narrow sense). The claim involves several contested legal issues. Three issues – one mainly temporal aspect, one mainly ‘agency’-related aspect and one spatiotemporal as well as agency-related aspect – shall be pointed out exemplarily: First, regarding the action’s temporal dimension, Lliuya’s claim could be barred by the statute of limitations (Verjährung, cf §§ 194 et seq. BGB) since it is based on emissions that partially reach back into the past for several decades (infra p. 290). However, on the other hand, it is possible to focus on the perpetual continuity of RWE’s power plants’ emissions (and the continuous lack of protective measures against the emissions’ harmful effects) and, thus, deny the applicability of the statute of limitations.7 More fundamentally, given global warming’s temporal vastness, some forms of climate damages litigation might face rule-of-law concerns, for instance questions of (forbidden) retroactive effects (infra p. 291). Second, Lliuya v. RWE implicates some difficulties regarding the notion of ‘agency’ (in a broad sense), which is concerned with the capacity of autonomous entities (‘agents’) to act (infra p. 286 et seq., 287 et seq.). One ‘agency’-related issue in Lliuya v. RWE involves the intricate interplay of private law and public law. Private law, e. g. torts and property law (like § 1004 Abs. 1 BGB), and public law, i. e. statutory administrative law, are separate but still somehow interdependent bodies or “regimes of law” (“Rechtsregime”8 – infra p. 292 et seq., 299). In Lliuya v. RWE, RWE’s emissions have been ‘legal’ under German and European Union public law, i. e. clean air legislation and ‘climate protection’ legislation (under the German Bundes-Immissionsschutzgesetz and Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz). One might argue that conduct which is in compliance with statutory mandates and, thus, legal under the “regime” of public law cannot be the basis for property rights liabilities under the

6

OLG Hamm, Decision of 30. 11. 2017, 1 – 5 U 15/17, ZUR 2018, 118; OLG Hamm, Decision of 23. 08. 2018 (partly amending the former order). 7 Cf OLG Hamm, Decision of 30. 11. 2017, 1 – 5 U 15/17, ZUR 2018, 118. 8 Burgi, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (eds.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2nd ed., 2012, § 18; Kloepfer, Umweltrecht, 4lh ed., 2016, § 6, mn. 17 et seq.

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IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

“regime” of private law.9 (However, as the OLG Hamm has pointed out, this is not the only way in which the two “regimes of law” could be reconciled.10) Be this as it may, the tensions between public law and private law touch a more fundamental point: One might argue that public law ‘legalisation’ of RWE’s GHG emissions should be viewed as some ‘shift’ of ‘agency’ and ‘responsibility’. By ‘legalising’ the emissions, the EU and Germany as political communities could have taken final(?) responsibility for the emissions and their detrimental effects. Isn’t an effective and reliable energy supply one of the most important contributions to the German (and European) common good and public welfare?11 Might the EU and Germany as the political and socio-economical units advantaged by RWE’s operation of power plants be the relevant and primarily(?) responsible actors here? This brings up questions about the political, legal and moral ‘agency’ of political units such as nation-states and supra-national organisations (infra p. 296 et seq.), but also of socio-economical units (infra p. 295). Remarkably, a somehow parallel shift (or supplement) of agency might be at play on the other side of the globe as well: Peru as a political and socioeconomical unit might have a prior (?) responsibility to protect its citizen Lliuya – opening up questions of ‘resilience’ and adaption (infra p. 293 et seq.). Of course, these different aspects and tiers of agency and responsibility are not necessarily mutually exclusive. However, they complicate the overall picture. They point to possible other (alternative or additional) climate damages actions, particularly actions from or against political units such as Peru, Germany or the EU (infra p. 297, 299). Furthermore, they raise separation-of-powers issues, especially with regard to the relations between courts and legislation. Third and possibly most controversially, there is the spatiotemporal – and perhaps also ‘agency’-related – issue of ‘causation’. Is it possible to establish a causal chain between RWE’s power plants’ emissions in Europe and the potential flooding of Lliuya’s land by glacial melt waters in the Andes? (The distance between Essen, North Rhine-Westphalia, Germany, and Huaraz, Peru, being more than 10,000 kilometres.) It has to be emphasised that, with regard to causation issues, GHG emissions and their contribution to global warming are extraordinary (‘strange’): GHGs differ from more familiar, ‘traditional’ air pollutants such as SO2, the main factor in the formation of acid rain and the notorious Waldsterben. Whereas every single SO2 molecule’s contribution to specific effects of Waldsterben – at least theoretically – can be traced spatiotemporally on its way from the point of emission to the point of the injury, GHG emissions around the globe diffuse in the upper atmosphere and form an overarching layer of “well-mixed green-house gases” facilitating the greenhouse effect around the globe.12 Be this as it may, from the standpoint of legal doctrine, there 9

Cf Chatzinerantzis/Appel, NJW 2019, 881 (885). Cf OLG Hamm, Decision of 30. 11. 2017, 1 – 5 U 15/17, ZUR 2018, 118, pointing to the general principle underlying norms such as § 906 Abs. 2 S. 2 BGB and § 14 S. 2 BImSchG. 11 Cf Chatzinerantzis/Appel, NJW 2019, 881 (885). 12 Cf Frank, NVwZ 2018, 960 (961), citing IPCC, Climate Change 2014: Synthesis Report, 2014. 10

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is the further question whether the causation issue should ‘simply’ be a question to be answered by the natural sciences, or how much room should be opened up for normative filtering and assessment operations led by legal causation doctrines such as the normative requirement of ‘adequate causation’. For instance, should it matter for approving ‘adequate causation’ whether it was foreseeable for RWE that their emissions would lead to climate damages such as the potential damages in Huaraz? Were climate damages foreseeable before the 1970s? If ‘we’ treat foreseeability as a prerequisite of ‘(adequate) causation’, it becomes obvious that ‘causation’ doctrines are not only about ‘space’ and ‘time’, but involve (normative) ‘agency’-related considerations, too. 3. Trying to imagine “strange” ‘spaces’, ‘times’ and ‘agents’ The foregoing outline of three typical issues in climate damages litigation in the case Lliuya v. RWE was not meant to provide definitive solutions to these problems but rather to illustrate the range of “strangeness” (or “weirdness”13 or unfamiliarity or extraordinariness) involved. When we call these aspects “strange”, we – emphatically – do not intend to answer the questions raised above in the negative. For instance, we do not say that the causation requirement should be constructed narrowly and, thus, be negated in Lliuya v. RWE. The present article does not provide doctrinal legal scholarship. Rather, the article is interested in investigating possible reasons for why ‘we’ might find strangeness in climate damages litigation – and whether ‘we’ might get attuned to this strangeness. The case Lliuya v. RWE has already raised some awareness of the spatiotemporal and agency-related difficulties of global warming. Before the article will turn to the temporal and spatial dimensions in detail (infra p. 288 et seq.), the key frameworks of ‘sustainability’, ‘environmental justice’ and ‘ecological justice’ are introduced (infra p. 279 et seq.) as reference points for the subsequent discussion. However, there is going to be some “necessarily iterative, circling style of thought [… in the following passages]. This is because one only sees pieces of a hyperobject [such as global warming (supra p. 275)] at any one moment” (Timothy Morton).14

III. Key frameworks: ‘sustainability’, ‘environmental justice’ – and ‘ecological justice’ 1. Integrative frameworks for “evaluating environmental decisions” In their textbook on (U.S.) Environmental Law and Policy, James Salzman and Barton H. Thompson list “sustainable development” and “environmental justice” 13 14

Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 5 et seq. Morton, Hyperobjects, 2013, 4.

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as two of four “analytical frameworks” for “evaluating environmental decisions”, the others being “ethics (environmental rights)” and “utilitarianism and cost-benefit analysis”.15 These four frameworks are, of course, not mutually exclusive, but partly overlapping and interdependent. However, they put different focuses on environmental policy issues. Many approaches to “utilitarianism and cost-benefit analysis” commonly have a strong tendency towards ‘economic’, market-oriented thought. The “environmental rights” approach has its main base in (Western) philosophies of individualism (‘the self’) and ‘liberty’. (However, it should be noted that conceptions of ‘environmental rights’ are to some extent open for socio-economic and ecological extensions beyond their traditional atomistically liberalist core.16 Moreover, many conceptions of ‘utilitarianism’ go beyond crude consumerism and grant value, e. g., on endangered species because of their mere existence – ‘existence value’17 – or ‘even’ acknowledge passible animals as morally considerable (infra p. 285). So, these approaches might be elements in a broader, pluralist ‘ecological justice’ framework (infra p. 285 et seq.). The ‘sustainability’ and ‘environmental justice’ frameworks have an inherently interdisciplinary impetus. Both of them try to combine and integrate philosophical, ethical, ecological, economic, sociological, political and cultural thought (and imagination) in analysing environmental topics. ‘Sustainability’ and ‘environmental justice’ try to provide complex answers to the spatiotemporal and agency-related difficulties of environmental issues. However, viewed from a ‘truly’ ecological perspective, both, ‘sustainability’ and ‘environmental justice’, have contortions, limitations and exclusions.18 In both frameworks there remain black boxes, forgotten times and dispensable beings. Thus, the present article will try to present additional and corrective approaches to ‘ecological justice’ (infra p. 285 et seq.). 2. First encounters, some basic definitions, some common (?) ground a) ‘Sustainability’ – integrating future interests These days, one of the most popular, though reductive, metaphors for boiling down the notion of ‘sustainability’ is the “ecological footprint”19 metaphor. This is particularly the case in the context of global warming, where people often use the metaphor’s variation ‘carbon footprint’. (Of course, there is the fundamental symbol of ‘the circle’ as well, which might be even more popular.) The ‘ecological’ or ‘carbon footprint’ metaphor directly points to the temporal (and, maybe, even 15

Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 31 et seq. Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 34 et seq. 17 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 41. 18 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 103, 131 et seq., 133, 162 et seq.; Gardiner, A Perfect Moral Storm, 2011, 43; Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (390, 401). 19 Wackernagel/Rees, Our Ecological Footprint, 1996. 16

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‘paleo’-geologic20) core of sustainability: Sustainability is mainly about time, about leaving behind marks for the future. Sustainability’s temporal dimension is downright palpable in the prefix “nach-” (‘after-’) in the German word ‘Nachhaltigkeit’. Sustainability’s temporal dimension is mainly oriented towards the future. This focus on the future is as important in Hans Carl von Carlowitz’ early-modern treatise on forestry, Sylvicultura oeconomica (1713), providing guidance for the cultivation of trees to meet future demands of timbre,21 as it is for the often-cited definition in the Brundtland Report (1987): “Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.”22 Carlowitz’ treatise on forestry and the Brundtland Report have one more feature in common. They both have a strong pragmatic and instrumental impetus. It was Carlowitz’ aim to secure a reliable supply of timbre mainly for mining and metal processing in the pre-industrial setting in eighteenth-century Saxony.23 (Still today, sustainability, at its core, “is typically understood as the effort to use natural resources less wastefully”24, as a resources management principle.) The Brundtland Report, too, is inherently instrumental. It pairs “sustainable” with “development”. Moreover, the Brundtland Report’s “sustainable development” caters for future (as well as present) “needs”, not least “the essential needs of the world’s poor, to which overriding priority should be given”25. The notions of “development” and “needs” serve as gateways for integrating social and economic interests. Taken together, Carlowitz’ and the Brundtland Report’s approaches to ‘sustainability’ reveal the framework’s ambitious integrative, apparently nearly holistic task: Sustainability is based on the “three pillars of society, ecology, and economy”26 and engages in “balancing of economic prosperity, social fairness, and environmental responsibility”27. In course of this endeavour, sustainability is purposely focusing on the future. This longing for the future is the source for sustainability’s popularity and for its success as a massively received framework around the world today. Thinking in terms of ‘sustainable development’ comes along as optimistic thinking. It can commonly be framed in the positive language of achieving objectives instead of the language of negative avoidance. ‘Sustainable development’ is about combining (‘self’-)preservation, i. e., continuity, with progress and success; at the same time, 20 Cf Steffen/Grinevald/Crutzen/McNeill, 369 Philosophical Transactions of the Royal Society 2011, 842 (842): “human imprint on the global environment” as “a new epoch in Earth history”: the “Anthropocene” (infra p. 286 et seq.). 21 von Carlowitz, Sylvicultura oeconomica, 1713. 22 United Nations, Our Common Future, 1987, part I, ch. 2. 23 Cf Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 16 et seq. 24 Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 3. 25 United Nations, Our Common Future, 1987, part I, ch. 2. 26 Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 5. 27 Ayers, Sustainabilily, 2017, 2.

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it is about being morally and socially aware. This is, of course, a highly attractive mode of thinking, especially in an era of self-optimisation – however, there is some potential of naivety, self-deceit and abuse in this (over-)integrative approach (infra p. 284 et seq.). b) ‘Environmental justice’ – integrating the interests of people worse ‘situated’ It is hard to find a significant metaphor for ‘environmental justice’, which could serve as a functional equivalent to the popular metaphors and symbols for ‘sustainability’ (the ‘footprint’, etc. – supra p. 280). We suppose this is because of the quite prosaic impetus of ‘environmental justice’: At its core, the ‘environmental justice’ framework is about awareness of ‘real-world’ (human) beings suffering from environmental problems at certain ‘real-world’ places. So, instead of metaphors, quite tangible situations that stand representatively for ‘environmental justice’ come to mind (as “casual encounter[s]” or deconstructive ‘metonymies’28, as it were). For instance, one might think of a toxic waste landfill sited next to a rather poor local community inhabited by minority groups as a metonymy for ‘environmental injustice’.29 Indeed, the idea (and movement) of ‘environmental justice’ as born in the United States of America during the last quarter of the twentieth century is, at its heart, defined spatially, socio-economically – and with regard to civil rights.30 Basically, it is a socio-economic ‘geopolitics’ approach to environmental policy decisions, partially accompanied and catalysed by civil-rights aspects (infra p. 283). Environmental justice emphasises the fact that environmental burdens tend to be distributed disproportionately among localities, excessively disadvantaging poor and minority neighbourhoods. This is directly comprehensible with regard to the spatial dispersion of pollution (toxic waste, many air pollutants, noise, etc.). The spatial dispersion of pollution can be affected by siting decisions on where to locate pollution sources (dumps, power plants, traffic, etc.). Hence, environmental justice often turns on resistance to very specific locally unwanted land uses (LULU) and, sometimes, on ‘not in my backyard’ (NIMBY) mentalities.31 Further, a complex environmental justice approach has to integrate awareness of economic long-distance effects and shift28

Cf de Man, in: Allegories of Reading, 1979, 57 (62 et seq.) (contrasting ‘metonymy’, which is based on “the casual encounter of two entities,” and ‘metaphor’, which is based on a “relational link between […] the two entities involved [… which] becomes so strong that it can be called necessary”). 29 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 43 (describing the demonstrations against a toxic waste landfill in Warren County, North Carolina, U.S.A., a poor municipality with a predominantly ‘non-white’ population, in the 1980s); cf Walker, Environmental Justice, 2012, 78 et seq. 30 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 43 et seq.; Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, 20 et seq., 55, 59 et seq. 31 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 112 et seq.

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ing mechanisms. For instance, spatial pollution inequalities often do not simply result from siting decisions as such, but also from complex housing market reactions to environmental policy decisions: Poorer people often are simply not able to move away from intensely polluted neighbourhoods because they are not able to pay higher rents for housing in less polluted areas.32 However, not only pollution, but also (the costs of) environmental protection and adaption measures potentially burden certain social groups in an unduly manner.33 Thus, a broad approach to environmental justice might also take into account how the costs for environmental protection and adaption measures are distributed among social groups. For instance, rising prices for housing, electricity, transport, food and consumer goods, affected by environmental policy measures, become a relevant issue in a broadly construed environmental justice framework. The civil-rights aspect of environmental justice is concerned with the environmental policy implications of (constitutional and statutory) rights of individuals, especially individuals from minority groups. This includes rights-based anti-discrimination efforts, mainly against ‘environmental racism’.34 Particularly, however not exclusively, in the United States35, the spatial and socio-economic dimension of environmental justice often implies environmental racism. Socio-economically poor neighbourhoods unduly burdened by pollution often have a large percentage of inhabitants from ‘minority’ groups (defined as ‘minorities’ nationwide or statewide, not locally). Environmental justice brings to the fore health and welfare interests (and rights) of people who are – literally and figuratively – ‘situated’ worse than the average citizen. The word ‘situated’ (as well as the German word ‘situiert’) captures the interplay of the spatial and the socio-economic dimension of environmental injustice. Moreover, the passive voice in the phrase ‘being situated’ points to a fundamental problem addressed by environmental justice: Environmental justice is about overcoming passivity. Minority groups’ typical passivity with respect to environmental policy issues is often involuntary. It has many reasons and faces such as economic confines (e. g., housing immobility, supra p. 282), educational disadvantages (lack of information and awareness about environmental and health issues) and political inaction (low voting rates36). In the face of this multidimensional passivity commonly involved in environmental injustice, unsurprisingly, environmental justice comes along with an often overtly activist impetus as “a campaigning slogan, […] as an agenda, as a name given to a political movement.”37 The issues of ‘passivity’ and ‘activism’ 32

Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 44 et seq. Cf Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, 21. 34 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 44 et seq.; cf Walker, Environmental Justice, 2012, 20. 35 Cf Kloepfer, Umweltgerechtigkeit, 2006, 5. 36 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 45. 37 Walker, Environmental Justice, 2012, 1, 21. 33

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IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

will be taken up below in our discussion of global warming ‘agencies’ (infra p. 296, 301 et seq.). Environmental justice can be described as having a substantive core and a procedural jacket.38 The substantive core is essentially about distributive justice, about justly distributing environmental quality among human beings (infra p. 289).39 However, given the economic, social and ecological complexities of environmental policy concerns, distributive environmental justice may be hard to define. Thus, procedural aspects of environmental justice might take over, e. g., integrating minority groups’ environmental interests in democratic and participatory procedures (infra p. 298).40 The activist impetus at the heart of environmental justice (supra p. 283) is reflected in this procedural prong. 3. Some traps: ‘lucid dreams’ of harmony, ‘greenwashing’ and anthropocentrist blind spots Sustainability and environmental justice each are inherently integrative (supra p. 281 et seq.) and highly prolific frameworks. Based on its three-pillar structure (supra p. 281), sustainability proves especially absorptive. Remarkably, sometimes ‘environmental justice’ is treated as an integral part of ‘sustainability’41 – and vice versa42. Some trap of ‘over-integration’ is lurking in these broad approaches towards ‘sustainability’ and ‘environmental justice’. This ‘over-integration’ aspect threatens to weaken particularly the position of ecological aspects within the broader frameworks of ‘sustainability’ and ‘environmental justice’ simply because of the overwhelming overload of total framework elements that have to be put together and parameters that have to be adjusted. Besides this mainly quantitative overload aspect, by ‘over-integration’ we also mean the possibility that economic, social and ecological aspects ultimately become blurred and get swallowed up in some lucid dream of harmonic43 “sustainable development” (supra p. 281), seemingly benefitting all and hurting nobody. Closely related to this ‘over-integration’ trap, there is the problem of ‘greenwashing’. The sustainability framework is extremely popular today (supra p. 281). However, it has become vulnerable to abuse by “[v]ague, hypocritical, or unsupported en38

Cf Walker, Environmental Justice, 2012, 21; Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 43 et seq. 39 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 24, 102 et seq. 40 Walker, Environmental Justice, 2012, 21. 41 Cf Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 39 et seq. (analysing “the geography of sustainability” with the sub-section “social inequality and environmental justice”, ibid., 52 et seq.); cf the critically descriptive approach in Walker, Environmental Justice, 2012, 1, 28 (describing “sustainable development” as the “master frame”, which incorporated “environmental justice ideas”, in the late 1990s in the UK). 42 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 32. 43 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (406).

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dorsements”44. ‘Sustainability’ often comes along as a mere marketing label in business and politics without substantially improving the consideration of ecological and social demands in the evaluation of projects and actions.45 Arguably, the environmental justice framework is less inclined to ‘greenwashing’. Given its ‘realist’, prosaic attitude (supra p. 282) and often openly activist impetus (supra p. 283 et seq.), it can potentially serve as a metonymic deconstruction of the harmonic lucid dream of “sustainable development” (supra p. 282 et seq.). Nevertheless, both, sustainability and environmental justice, can be used as highly prolific frameworks. Applied sincerely, they can offer solutions to environmental policy questions that pay attention to the wide range of interests typically involved. Nevertheless, sustainability and environmental justice have their limitations. First and foremost, both have “maintained a focus on questions of justice to people in the environment […], rather than expressing a politicised concern for justice to nature”.46 The two frameworks traditionally come along with a strong anthropocentric and instrumental emphasis. By and large, they are ignorant of and blind to non-human interests.47 4. ‘Ecological justice’ – ‘space’, ‘time’ and ‘agency’ in the Anthropocene a) Ecophilosophical pluralism For quite some time now, scholars as well as activists have formulated philosophical and “politicised concern[s] for justice to nature”48 and to non-human beings. These scholars have emphasised the anthropocentric and instrumental limitations of both, sustainability and environmental justice, in addressing ecological issues (supra p. 285). For instance, ‘as early as’ in 1998, Nicholas Low and Brendan Gleeson bundled up a pluralist conception of “ecological justice” as an additional framework for assessing environmental policy issues, expressly supplementing49 – not replacing – the frameworks of ‘sustainability’ and ‘environmental justice’.50 In framing their pluralist “ecological justice” framework, Low and Gleeson build on older “ecophilosophical” approaches proposed from the 1970s onwards, which, in turn, are based on seminal thinkers like Spinoza, Bentham or Marx. These “ecophi44 Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 6; cf Kahl, in: Kahl (ed.), Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, 2016, 1 (1 et seq.); Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, 1. 45 Cf Thiele, Sustainability, 2nd ed., 2016, 6 et seq. 46 Walker, Environmental Justice, 2012, 20 (describing ‘environmental justice’ in the U.S.A.; internal citations and italicisation omitted). 47 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 162 et seq. (on sustainability and “market environmentalism”), 103, 131 et seq., 133 (on environmental justice); cf Gardiner, A Perfect Moral Storm, 2011, 43. 48 Walker, Environmental Justice, 2012, 20. 49 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 26. 50 Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 133 et seq.

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losophical” approaches try to open up ‘justice’ to non-human beings in quite different ways. Low and Gleeson present three different routes for this endeavour: First, one could ‘simply’ expand the scope of moral considerability to include non-human beings, e. g., based on Peter Singer’s utilitarian criterion of whether a being can suffer pain.51 Second, ecosocialists and ecofeminists have pointed to social systems as systems of domination, which not only structure social relations among human beings but also relations between human and non-human beings.52 As a consequence, the ecofeminist Carolyn Merchant calls for a partnership ethic of “earthcare”, acknowledging notions of community, diversity, inclusion, care and respect53 among human as well as non-human agents.54 Third, Low and Gleeson point to ‘Deep Ecology’, championed by Arne Naess: Largely building on Spinoza and “eastern mysticism”, Deep Ecology proposes an environmental holism, extending ‘the self’ beyond the individual human to encompass the individual’s biotic community and the non-living foundations of this community.55 According to Low and Gleeson, these different approaches to ecological justice somehow – quite abstractly – share in common “an ecologically enlarged conception of the self” in the light of a new understanding of both ‘society’ and ‘nature’.56 (True, there are also more radical ecophilosophical approaches, particularly object-oriented ontology – OOO – standpoints that question the validity of holistic-anthropocentric notions such as ‘nature’, ‘world’ or ‘space’ more fundamentally: “In a reality without a home, without world, […] objects are what constitute reality. […] The time of hyperobjects is the time during which we discover ourselves on the inside of some big objects (bigger than us, that is): Earth, global warming, evolution.”57) When Low and Gleeson call for an “enlarged conception of the self” as the foundation for ecological justice, they bring to the fore problems surrounding the notion of ‘agency’, i. e., the capacity of an ‘autonomous’ entity to act. Particularly, they turn to the question of ‘moral agency’.58 For Low and Gleeson, writing in 1998, “ecological justice” is precisely about “reconsidering the interpretation of human autonomy in the light of ecophilosophy.”59

51 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 138, with reference to, i. a., Singer, Animal Liberation, 1975. 52 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 143, 145. 53 Cf Kloepfer, VerwArch 2019, 419 (432 et seq.). 54 Merchant, Earthcare, 1996, 217; cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 148. 55 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 150 et seq.; for a critique of “Deep Ecology” as potentially fascist or apocalyptic cf McGrath, Thinking Nature, 2019, 33 et seq.; cf also Merchant, Earthcare, 1996, 216. 56 Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 134. 57 Morton, Hyperobjects, 2013, 116, 117 et seq.; for a critique of Morton’s OOO-based “Dark Ecology” cf McGrath, Thinking Nature, 2019, 73 et seq. 58 Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 138, 148. 59 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 24.

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b) Anthropocenic culture of conflicts At the turn to the third millennium, Paul Crutzen coined – or at least popularised – the term “Anthropocene” (with express reference to Antonio Stoppani’s description of an “anthropozoic era” in 1873): The Anthropocene is “the present, in many ways human-dominated, geological epoch,” having “started in the latter part of the eighteenth century […,] supplementing the Holocene.”60 During the Anthropocene, “humankind has become a global geological force in its own right.”61 Crutzen and other scholars have divided the Anthropocene into three stages – the industrialisation (stage 1), “the Great Acceleration” after 1945 (stage 2) and an on-going third stage, in which humankind is developing “growing awareness of human impact on the environment at the global scale and the first attempts to build global governance systems to manage humanity’s relationship with the Earth system.”62 In the reflective stage of the Anthropocene, humankind – facing the facts of anthropogenic global warming, man-made diminution of biodiversity and millennia-lasting highrisk nuclear waste – is increasingly articulating and negotiating changes in ‘our’ understanding of ‘time’ and ‘space’ and ‘agency’ and ‘knowledge.’63 This closely matches Low and Gleeson’s discussion of ecological justice, particularly their call to “reconside[r] the interpretation of human autonomy in the light of ecophilosophy”64 (supra p. 286). Quite in this vein, Jens Kersten has addressed the issue of (human) autonomy and agency in the reflective Anthropocene and drawn conclusions for (‘our’) political and legal governance. Building on the central notion of ‘conflict’ and referring to Peter Sloterdijk’s “Homo Sapiens luxus”, Kersten calls on humankind to engage as “emotionally and cognitively rich beings getting attuned to all the complexities of the Anthropocene, individually and institutionally.”65 According to Kersten, this requires that human beings acknowledge the far-reaching consequences of their actions including the manifold interdependencies and conflicts with other – human and non-human – beings. The Homo Sapiens luxus refrains from illicitly reducing the complexities of the Anthropocenic ‘world’ and addresses other being’s interests and resulting conflicts(!) in an open-minded as well as open-hearted fashion (infra p. 301).66

60

Crutzen, 415 Nature 23 (2002). Steffen/Grinevald/Crutzen/McNeill, 369 Philosophical Transactions of the Royal Society 2011, 842 (843). 62 Steffen/Grinevald/Crutzen/McNeill, 369 Philosophical Transactions of the Royal Society 2011, 842 (856); cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (380). 63 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (378, 381). 64 Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 24. 65 Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (413 et seq.), translation by M.K./R.D.N., with reference to Sioterdijk, Sphären III, Suhrkamp 2004, 699 et seq. 66 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (405 et seq., 413 et seq.). 61

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It has to be emphasised that thinking in terms of Anthropocenic ecological justice should not be reduced to relationships of human beings to non-human beings. Rather, it re-defines ‘plain’ ‘justice’ among human beings as well.67 The spheres of the human and the non-human cannot be separated sterilely; “the human is always already occupied by nonhumans.”68 Viewed from the perspective of an Anthropocenic “culture of conflicts” as proposed by Kersten (supra p. 287), some of ‘our’ legal conflicts and legal doctrines appear in a new light. To give an example, we return to the case Lliuya v. RWE – a conflict between two human or at least humanly controlled agents. As mentioned above, the case involves intricate causation issues, particularly with regard to the ‘strange’ manner in which GHGs contribute to the greenhouse effect by forming a layer of “well mixed greenhouse gas” around the globe (supra p. 278). Lliuya v. RWE is “already occupied by” the ‘strange’ non-human agent “well mixed greenhouse gas”. It is ‘strange’ (uncanny69 and possibly terrifying) to imagine an active and highly powerful object – some ecophilosophers would say: non-human being – called “well mixed greenhouse gas”, however, in the reflective Anthropocene, it is inevitable.

IV. Times, spaces (and agents) of global warming Taken together, the frameworks of ‘sustainability’ with its focus on ‘time’ (supra p. 280 et seq.), ‘environmental justice’ with its focus on ‘space’ (supra p. 282) and ‘Anthropocenic ecological justice’ with its special awareness of ‘strange’ ‘agents’ (such as “well mixed greenhouse gas” – supra p. 278) allow ‘us’ to better acknowledge the spatiotemporal and agency-related strangeness of, i. a., global warming. By putting these frameworks next to each other, ‘we’ may get in the position to look for times, spaces and agents ignored by the traditional frameworks, allowing for postsustainability (infra p. 293 et seq.) and para-environmental justice (infra p. 296), as it were. It is time to turn to global warming in detail, to its many agents in various times (infra p. 288 et seq.) and various spaces (infra p. 294 et seq.). Put in the words of Timothy Morton: Global warming smears70 ; it is “not [simply] ‘in’ time and space. Rather, [it] ‘time[s]’ (a verb) and ‘space[s].’ [It] produce[s] time and space”71: 1. Times of global warming The Anthropocene (supra p. 286 et seq.) is, at the one hand, ‘our’ ‘paleo’-geologic present, however, on the other hand, it is the era of transience – and, more important67

Cf Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 103. Morton, Oxford Literary Review 2012, 229 (231). 69 Cf Morton, Oxford Literary Review 2012, 229 (232). 70 Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 7. 71 Morton, Realist Magic, 2013, 176; cf Morton, The Ecological Thought, 2010, 2.

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ly, of human reflection on transience.72 To conceive of conflicts surrounding global warming in an Anthropocenic aware manner (supra p. 287) requires attention for global warming’s manifold temporal aspects, bridging present, past and future. a) The present: protecting the status quo, myopic distributive justice, “agrilogistical” ‘presence’ Like most statutes and regulations, § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, the legal basis for the nuisance-akin claim in Lliuya v. RWE (supra p. 277), is written in present tense: “If the property is interfered with […], the property owner may require the interferer to remove the interference.” What we encounter here could be called ‘legal present’. ‘Legal present’ is a complex structure: Of course, the statutory language, though grammatically set in the present tense, is applied to events that lie – at least in part – in the past. For Lliuya v. RWE, we have already pointed to the fact that the plaintiff is referring to a timespan reaching quite deep into the past (several decades of continuous GHG emissions – supra p. 276 et seq.). However, still, the claim is anchored in the present since the plaintiff is addressing the current threat posed by the rising water level of Lake Palcacocha to his property. A ‘threat’, to be sure, necessarily is an anticipation of possible future events, a prediction looking beyond ‘now’. However, this anticipation is fairly bound to the present situation, stressing the status quo as worthy of protection from impairments. (Of course, there are also more futureoriented forms of global warming litigation, lawsuits that demand more fundamental – i. e., ‘political’ – changes, including amendments of the law – infra p. 292 et seq., 297, 299 et seq.) A strong fixation on the status quo can be found not only in large parts of traditional legal doctrine, but also in many approaches to environmental policy evaluations. Typically, the ‘environmental justice’ framework has a clear focus on the present. Regularly, it discusses questions of the spatial and social allocation of environmental quality and burdens (supra p. 282 et seq.) at a given moment in time. True, as outlined above, some approaches to ‘environmental justice’ try to integrate future interests (supra p. 284) and, more fundamentally, there is some moment of change, emancipation, progress and ‘future’ inherent in the activist impetus typical for environmental justice (supra p. 283). However, still, environmental justice is commonly fixated on environmental, health and welfare protection issues that come along as (mere) re-actions to quite specific measures threatening the environment, health or welfare such as certain siting decisions with regard to LULUs (supra p. 282). Nicholas Low and Brendan Gleeson have criticised traditional approaches to ‘environmental justice’ and ‘sustainability’ (supra p. 285) because of their fixation on the status quo: These approaches tend to get “trapped in the politics of distributional justice” when they focus on “the spatial allocation of risk” instead of addressing the

72

Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (380 et seq.).

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“production of risk”73 – and one might add: the production of conflicts (supra p. 287 et seq.). Low and Gleeson characterise ‘distributional justice’, which is at the heart of the ‘environmental justice’ framework (supra p. 283 et seq.), as myopic and superficial. They call for a more fundamental questioning of ‘our’ economic modes of production, distribution and consumption. To be sure, in the face of path dependencies, inertia and insistence on acquired positions (Besitzstände), this agenda is bothersome for many and politically controversial. Timothy Morton has tried to explain the fixation on ‘presence’ in ‘our’ prevailing environmental policy with what he calls “agrilogistics”, i. e., humankind’s relentlessly droning “machinery” of agricultural production well underway since the onset of human settling and husbandry about 12,000 years ago.74 For Morton, agrilogistics is deeply linked to “the metaphysics of presence”, or – put more bluntly – to “know[ing] where the next meal is coming from”.75 Agrilogistics is epitomised by the (agricultural) field, which, as a field, “remains constantly the same”, no matter whether you “plough it, sow it with this or that or nothing, [or] farm cattle” on it.76 b) The past: Neolithic and Industrial Revolution traumas, historical wrongs, reparative justice For Morton, the establishment of the “agrilogistic” mode of production and consumption during the Neolithic Revolution is the nucleus of anthropogenic global warming; the Industrial Revolution is its ‘logical’ continuation, aggravation and acceleration.77 In the course of the Industrial Revolution, human beings have started to deposit a thin layer of carbon in the Earth’s crust and, thus, have become a geological force, opening up the Anthropocene (supra p. 286 et seq.).78 This layer of carbon can now be detected in Arctic ice and deep lakes – forming a “geotrauma, a palimpsest of necessarily violent inscription events”.79 Of course, there is not only a carbon layer in the Earth’s crust, but, moreover, a growing layer of “well-mixed greenhouse gases” in the Earth’s atmosphere (supra p. 278), which is constantly and increasingly facilitating global warming. It has to be emphasised that this man-made layer of “well-mixed greenhouse gases” has an inherently ‘historical’ dimension since CO2 molecules regularly last in the Earth’s atmosphere for more than 100 years.80 Besides these geological and physical aspects, the “traumas” dating back to the Neolithic and Industrial Revolutions have a socioeconomic and political dimension, 73

Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 131. Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 38 et seq. 75 Morton, Dark Ecology, 2016, 48, 52. 76 Morton, Dark Ecology, 2016, 48. 77 Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 42 et seq. 78 Cf Morton, Oxford Literary Review 2012, 229 (231 et seq., 234). 79 Morton, Oxford Literary Review 2012, 229 (231, 234). 80 Cf Frank, NVwZ 2018, 960 (961). 74

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too. The intense social upheavals linked to the Industrial Revolution are commonplace (Soziale Frage). However, Morton points to deeper roots and stresses the socioeconomic implications of the “agrilogistic” mode of production: According to Morton, right from the onset of human agricultural activity, there were miserable social conditions for many, patriarchy, social stratification and speciesism.81 Given this intertwining of the history of agriculture and industrialisation with the emergence and perpetuation of social and political inequalities, a deep environmental justice framework should have a historical dimension. Deep ‘environmental justice’ possibly has to be extended beyond its distributional justice core (supra p. 283 et seq., 289 et seq.) and involve questions of reparative justice as well. A historically aware environmental (or ecological) justice approach might have to negotiate calls for reparation, for reconciliation – and for future emancipation. Reparative environmental (or ecological) justice should be informed by positions and interests shaped by histories of social and political repressions, e. g., by ecological knowledge hold by people with disabilities, ecofeminist knowledge82, Indigenous traditional ecological knowledge (ITEK)83 and post-colonial ecological knowledge. Exemplarily, some ecofeminists claim that ‘we’ should move from ‘sustainable development’ (supra p. 281) towards “sustainable livelihood”, an ambitious “people-oriented approach that emphasizes the fulfillment of basic needs–health, employment, and old-age security, the elimination of poverty, and women’s control over their own bodies, methods of contraception, and resources.”84 A particularly important historical aspect of anthropogenic global warming concerns the relationship between ‘developed’ and ‘developing’ (‘less economically developed’) countries, which is largely a question of (post-)colonialism. ‘Developed’ countries have been contributing to the increase of “well-mixed greenhouse gases” around the globe for a much longer time, at the same time exploiting ‘developing’ countries’ resources (infra p. 295). Should the differences between ‘developed’ and ‘developing’ countries in their respective (historical) shares in contributions to anthropogenic global warming count today when ‘we’ devise environmental policy? The basic ‘polluter pays’ principle seemingly provides an easy solution: Polluters who have contributed to global warming to a larger extent in the past should pay proportionately more when it comes to the costs of climate damages, protection or mitigation. However, who exactly is (or was) “the polluter”? If one defines specific historical agents, i. e., certain nineteenth- or twentieth-century polluters, as “the polluter”, one could argue that it is problematic to confer climate change responsibility on these agents’ ‘descendants’. (At this point, we leave aside the additional problem of the relationship between responsibility and ignorance, the question whether it is possible to ascribe responsibility to agents who did not know about the consequences 81

Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 44. Cf, e. g., Merchant, Earthcare, 1996, 216 et seq. 83 Cf, e. g., Zenner, in: Deane-Drummond/Artinian-Kaiser (eds.), Theology and Ecology across the Disciplines, 2018, 179 (181). 84 Merchant, Earthcare, 1996, 222 et seq. 82

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of their actions.85) By what kind of criteria should such a ‘heritage’ of global warming responsibility built up by past agents be ascribed to agents in the present? One could think of political criteria (e. g., collective responsibility of nation-states or other political entities for ‘their’ past), legal criteria (legal rules of succession), or socio-economic criteria (compensation for socio-economic benefits ‘inherited’ from the past by ‘free-riding’ – i. e., shifting to the ‘beneficiary pays principle’86). Presumably, a large deal of these questions rather belongs to the ‘realm of politics’ (infra p. 292 et seq.) and international negotiations and not so much to the ‘realm of the law’ (yet). c) The future: limited tort law doctrines, long-term responsibilities, suing public agents, post-sustainability: resilience and dynamic coping (How) can ‘the law’ respond to Low and Gleeson’s call for a more radical reconsideration and correction of ‘our’ “production of risks” and conflicts instead of merely distributing risks (supra p. 289 et seq.)? The answers to this question necessarily differ according to the particular legal system one is talking about. However, as a general matter, it might be useful to differentiate between private law claims, especially tort law claims, on the one hand, and public law claims on the other hand.87 As far as private law claims are concerned, commentators often stress the limitations of established doctrines, which allegedly resist easy application to global warming cases.88 For instance, in a comparative overview, Martin Spitzer and Bernhard Burtscher have identified three main elements of tort law claims under many jurisdictions: harm, misconduct and causation.89 According to Spitzer and Burtscher, particularly misconduct and causation are regularly difficult to prove in climate damages litigation.90 Especially the element of (culpable) ‘misconduct’ exemplifies tort law’s regular bias for the perpetuation of the status quo in ‘our’ “production of risk”. Many forms of risk production are simply not regarded as (culpable) ‘misconduct’ and, thus, do not carry the consequence of tort liability even if they cause global warming damages. However, there might be at least two alternative doctrinal routes that possibly go without the requirement of culpable misconduct: strict liability and injunctive relief doctrines91 (or, even less ‘intrusive’ for the emitting agent, claims to protective measures at the site of the potential harm as urged in Lliuya v. RWE – supra p. 276).

85

Cf Meyer, Ethical Perspectives 2004, 20 (adding that “people can be said to be harmed by wrongless harm-doing of previous generations”). 86 Cf Gosseries, Ethical Perspectives 2004, 36; others prefer the “Ability to Pay Principle”, cf Caney, CRISPP 2010,203. 87 Cf Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (149). 88 Cf Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (162, 165 et seq., 175 et seq.); Chatzinerantzis/ Appel, NJW 2019, 881. 89 Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (155 et seq.). 90 Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (162, 165 et seq.). 91 Cf Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (165 et seq., 174 et seq.).

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Be that as it may, it seems, by and large, one has to turn from the sphere of (tort) law to the ‘realm of politics’ in order to engage in a fundamental reconsideration of ‘our’ “production of risks” and in a re-framing of conflicts, which would be directed to more profound changes in the future. Ecologic long-term responsibilities and the interests of future generations have to be addressed politically. However, this political endeavour is, to some extent, structured and framed by (constitutional and administrative) law. At this point, another type of climate change litigation, namely lawsuits against governments, against public authorities, and possibly even against legislative bodies, thus, a different “Rechtsregime” (supra p. 277 et seq.), might come into play. The U.S. Supreme Court’s decision in Massachusetts v. Environmental Protection Agency92 and the Dutch Urgenda case93 can count as flagship litigations for this form of climate change litigation. In a nutshell, these litigations aim at compelling public political (or administrative) agents to intensify measures to be taken against global warming. Since they depend on the existence of a political community, these cases will be sketched out in our discussion of the political spaces of global warming (infra p. 297, 299 et seq.). More than the average private law claim, which usually shall preserve some status quo, global warming related litigation directed against public political agents regularly aims at political changes in the future. In this respect, this kind of public law litigation seems to match the explicitly future-oriented framework of ‘sustainability’ (supra p. 280 et seq.) quite neatly. However, as some commentators have pointed out, the sustainability framework, mainly because of its rather conservative and highly integrative, even harmonising character (supra p. 281, 284), might not be able to provide sufficient guidance for political changes necessary to address global warming’s causes and consequences.94 Sustainability, for its critics, a “common name for managing and regulating flows”95, does not question the necessity of these flows in the first place. Similar reservations have been brought forward against the precautionary principle as well as against notions such as Ulrich Beck’s “(world) risk society”96. According to Jens Kersten, in the Anthropocene, it might simply not be enough to address ecological problems in terms of “risks” that have to be kept down, canalised and managed.97 Thinking in terms of “risks” bears the risk to trivialise or block out substantial dangers as mere ‘residual risks’ or, conversely, to overstate worst-case scenarios.98 Moreover, the precautionary principle and risk management fail to provide substantive criteria for the definition, attribution and assessment of “risks”.99 92

549 U.S. 497 (2007). Rechtbank Den Haag, Judgment of 24 June 2015, C/09/456689, HA ZA 13 – 1396. 94 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (390, 406); Morton, Realist Magic, 2013, 113. 95 Morton, Realist Magic, 2013, 111. 96 Beck, World Risk Society, 1999, 19 et seq. 97 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (401 et seq.). 98 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (402). 99 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (403 et seq.). 93

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Instead, according to Kersten, an Anthropocenic environmental (and ecological) justice approach – as a form of post-sustainability100, as it were – should pay attention to the ecologically informed “culture of conflicts” (supra p. 287 et seq.). With regard to the temporal dimension of global warming, the notion of (ecological) ‘resilience’ might provide useful guidance. Kersten stresses the dynamic character of resilience. Awareness of resilience means a permanent negotiation between resistance and adaption, resulting in a dynamic process of experimentation and coping.101 To be sure, resilient dynamic coping must not be confused with simplistic, apologetic, consoling adulations of desired, but uncertain technological progress at the cost of necessary changes in the modes of production and consumption. 2. Spaces of global warming a) Geographic and ecological spaces: coal basins, glaciers, the Norwegian Bourgogne – and the upper atmosphere; non-human agents “Geography is fate” – this axiom, sometimes ascribed to Heraclitus102, casts an obscure light on the deeper ‘meaning’ of ‘geography’. Indeed, the spatial allocation of global warming’s causes and consequences seems to be “fate”. Just recall Lliuya v. RWE (supra p. 276): Somehow it might be “fate” that the defendant, RWE, is based in Essen, North Rhine-Westphalia, Germany, at the heart of what was once one of the largest coal-mining areas on Earth. And somehow it might be “fate” that Lliuya’s property, located in the Huaraz region, Peru, is situated below the melting Palcaraju glacier and the swelling Lake Palcacocha. To be born in the Ganges delta area or at the edge of the Sahel, or to be a Norwegian vintner benefitting from global warming103 – all of this might count as “fate”. Further, one could call it “fate” that global warming severely changes landscapes (e. g., California North Coast vineyards devastated by wildfires) and ecosystems (‘ecological spaces’, as it were), resulting in a drastic loss of biodiversity (consider, e. g., corals, sea grasses and kelps annihilated by marine heat waves104). However, today, in the reflective phase of the Anthropocene, Heraclitus’ adage is even more obscure than it might have been 2,500 years ago. Global warming’s spatial hugeness calls into question the notion of “fate”: As mentioned above, the global greenhouse effect is caused by a partly man-made layer of “well-mixed greenhouse gases” in the Earth’s atmosphere (supra p. 278), which is spanning Essen, Huaraz, the Ganges delta, the Sahel, Norwegian and Californian vineyards ‘at the same 100

Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (390, 406). Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (409). 102 Cf Busby, in: Western Literature Association (ed.), Updating the Literary West, 1997, 520. 103 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (400). 104 Smale et al., Nature Climate Change 9 (2019), 306. 101

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time’. In the reflective Anthropocene, viewed from an object-oriented ontology perspective (supra p. 286), geographic and ecological entities, including man-made countryside, come into the picture as beings that interact with other (human and non-human) beings. For Timothy Morton, global warming, viewed as a hyperobject (supra p. 275, 288), deconstructs ‘space’ as an anthropomorphic concept, as a dubious attempt to safely anchor the human ‘self’ in a deceptively fathomable and ‘present’ (supra p. 289 et seq.) constellation of other beings viewed as a ‘space’, a ‘world’, a ‘home’ (supra p. 286).105 b) Economic, social, ‘cultural’ and ‘identity’ spaces: ‘skewed’ para-environmental justice And still, human beings do think in spatial metaphors and categories. Contingent constellations of sites, places and beings are interpreted as social, economic, political or legal ‘spaces’. For instance, in the socioeconomic realm, ‘we’ may identify spatial dispersions and accumulations of wealth and poverty and relate them to global warming. Indeed, ‘environmental justice’ approaches to global warming precisely focus on spatially defined inequalities with regard to contributions to as well as disadvantages and benefits from climate change (supra p. 282 et seq.). One may identify quite distinctly marked socioeconomic inequalities along the fault line separating the Global North from the Global South106 (however cf p. 296). Many places in the Global South, among them the Ganges delta, the Sahel and Huaraz, are disproportionately disadvantaged by floods, droughts, glacial melting and other consequences of global warming, whereas many places in the Global North, e. g., the municipality of Essen, disproportionately benefit from activities causing GHG emissions. Moreover, the historical dimension of global warming – different shares in historical GHG emissions – outlined above (supra p. 290 et seq.) acquires spatial shapes in the present. Most ‘environmental justice’ issues with regard to global warming are of a different kind compared to purely local environmental conflicts, e. g., siting decisions about where to carry out locally harmful projects (LULUs – supra p. 282 et seq.). (To be sure, global warming involves some LULU and NIMBY issues, too, e. g., siting decisions about where to locate wind power plants.) Local environmental conflicts commonly may be broken down into encounters of a specific harmful action with specific (socioeconomically defined) vulnerabilities. In contrast, the spatial dimension of global warming justice is more complex. Although one can identify places around the globe that are extraordinarily vulnerable to the negative consequences of global warming (supra p. 295), it is difficult to identify definite correlations between specific contributions to global warming on the one hand and specific vulnerabilities on the other hand. Thus, thinking in bilateral terms is frustrated.

105 106

Cf Morton, Dark Ecology, 2016, 10 et seq. Cf (on a descriptive meta level) Walker, Environmental Justice, 2012, 184.

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However, as outlined above, environmental justice is not exclusively about justly distributing environmental harm, but also about justly distributing the socioeconomic (financial) costs for protective and adaptive measures (supra p. 283). On that score, the plaintiff in Lliuya v. RWE has proposed to single out specific shares in the allocation of costs in proportion to the respective shares in historical GHG emissions (supra p. 276). Lliuya’s claim may be read as the attempt to reduce the multilateral complexities of global warming’s causes and consequences to a tangible bilateral relation between a specific emitter and a specific victim. That may be practically feasible in the exceptional case Lliuya v. RWE since RWE is one of the largest GHG emitters around the globe, thus representing a relevant share in historical GHG emissions. (And notably, Lliuya is supported by the NGO Germanwatch [infra p. 301] – thus, Lliuya v. RWE as strategic litigation does not meet the classic picture of a bilateral private law suit.) However, there are many more historical emitters, most of them much smaller than RWE. So, by and large, given the multicausal and multilateral complexities of global warming processes, environmental justice might rather be an important factor for (international) political negotiations about how to share the financial burden of global warming. Such political negotiations might be framed and partially guided by – enforceable(?) – international law principles open for global environmental justice concerns. However, it might be rather difficult to find manageable substantive principles. Here, the procedural dimension of environmental justice (supra p. 283 et seq.) comes into play. Environmental justice has to aim at overcoming political inaction of social (and political) groups ‘worse situated’ – another ‘traditional’ tenet of the environmental justice framework (supra p. 283). In the age of globalised capitalism, intense migration and the formation of a cosmopolitan elite, socioeconomic spatial dispersions may be more aptly described by the metaphor of a marble cake than by clear-cut geographic and social boundaries. Increasingly, in the Global South as well as in the Global North, many different degrees of global warming contributions and vulnerabilities get fairly mixed up. Thus, an elaborated ‘environmental justice’ framework should not only focus on socioeconomic dispersions from a geographical-socioeconomic macro perspective (Global North v. Global South), but also from a more nuanced micro perspective, paying attention to the different socioeconomic statuses of, e. g., people in world cities, in exurbs and in rural areas around the globe – ‘glocal’ (global and local) thinking or ‘skewed’ para-environmental justice as it were. Additionally, such a glocal perspective might coincide with growing awareness of the dispersion of ‘cultural’ spaces and ‘identity’ spaces, acknowledging, e. g., the existence of specifically ‘racialised’ or ‘genderised’ spaces around the globe and, thus, integrating minority groups’ interests and knowledge (supra p. 283, 290 et seq.) in questions of global warming justice. c) Political and legal spaces I: nation-states – insufficient, but still essential In the Anthropocene (supra p. 286 et seq.), the spatial order of the political ‘realm’ is getting fairly churned up. The metaphor of (glocal) marble cakes for spatial socio-

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economic structures (supra p. 296) directly points to the difficulties involved in the task of assigning social (and potentially political) groups and places to each other. Relevant keywords are ‘global governance’ and ‘cosmopolitical (post-)democracy’.107 At this point, it becomes apparent that the questions of Anthropocenic ‘spaces’ and ‘agencies’ are inextricably linked to each other. To be sure, the nation-state remains a potent spatially defined agent for the politics of global warming (infra p. 297 et seq.). However, global warming emphasises the importance of political spaces smaller as well as larger than the nation-state, too (infra p. 298 et seq.). The on-going potency of the nation-state as an important agent in politics (and litigation) concerning global warming becomes apparent when we look at the Dutch Urgenda litigation: The Urgenda Foundation, a citizens’ platform (infra p. 297 et seq., 301), sued the State of the Netherlands in the Rechtbank Den Haag (District Court), Chamber for Commercial Affairs, in order to compel the government to intensify their efforts to reduce Dutch GHG emissions. Urgenda’s suit was successful. Even though the court did not deduce specific (‘hard’) constitutional rights to climate change mitigation measures from the Dutch Constitution or European Union law, it carried out a (‘soft’) assessment and balancing of interests on the basis of “case law about government liability” in order to determine whether there is a “breach of standard of due care observed in society” on behalf of the Dutch state.108 Ultimately, the court found an “unlawful hazardous negligence on the part of the State” in transgression of the government’s discretion.109 (In the course of its ‘soft’ assessment, the court relied on, i. a., Dutch constitutional law as well as European Union law, e. g., the Charter of Fundamental Rights of the EU and the EU treaty law, and international law, as guidelines.) Urgenda makes clear that the nation-state and its (constitutional, administrative or “state liability”) law may serve as a forum for citizens to urge their own political community towards climate change mitigation. Of course, this presupposes the courts’ willingness to hear such cases. In October 2019, the Verwaltungsgericht Berlin, a lower German court for administrative jurisdiction, opted for a narrow approach to the relevant standing doctrines and dismissed a global warming action brought by organic farmers and Greenpeace against the German Federal Government due to lack of standing.110 Nation-states keep a more fundamental function, which is at the bottom of their (potential) role in global warming litigation as exemplified by the Urgenda case: Nation-states potentially provide democratic forums; they can play an important role for finding solutions to (some) questions of climate justice in processes of democratic 107 Cf Kemper, Politische Legitimität und politischer Raum im Wandel, 2015, 310 et seq. (on global governance), 318 et seq. (on unbounded cosmopolitical spaces), 332 et seq. (on post-democratic spaces). 108 Rechtbank Den Haag, Judgment of 24 June 2015, C/09/456689, HA ZA 13 – 1396, mn. 4.53. 109 Rechtbank Den Haag, Judgment of 24 June 2015, C/09/456689, HA ZA 13 – 1396, mn. 4.53 et seq. 110 VG Berlin, Judgement of 31. 10. 2019, VG 10 K 412.18.

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lawmaking, especially in national parliaments. Thus, in Urgenda, the Rechtbank Den Haag emphasised the Dutch government’s “extensive [even though not unlimited] discretionary power to flesh out the climate policy”.111 Democratic law-making in nation-states might still be the most important mechanism for the difficult task of addressing – partly uncomfortable and unpopular – ecological long-term responsibilities (supra p. 292 et seq.). Where if not here could it be possible to identify, assess and balance the myriad responsibilities and vulnerabilities involved in global warming? Additionally, democratic institutions on the level of the nation-state serve as gateways for inter-national politics (infra p. 300 et seq.). However, there is a structural tension between the bond to the ‘present’ inherent in representative democracy with its periodic elections and time-bound grants of legitimacy (Herrschaft auf Zeit) on the one hand and long-term responsibilities for future generations on the other hand.112 Additional to specific institutions in charge of future concerns (sustainability commissions, etc.)113 and nuanced instruments of participatory and direct democracy114, it might require precisely Urgenda-style global warming litigation to force uncomfortable items on the political agendas of nation-states and press or maybe support legislators in their climate policy ambitions.115 Additionally and partly cumulatively, NGOs and citizens’ platforms may serve as catalysing agents – be it as lobbyists, be it in litigation as the Urgenda Foundation’s work exemplifies (supra p. 297). d) Political and legal spaces II: polycentrism, (g)local communities, federalism and supra-nationalism Even though nation-states remain important political agents in the Anthropocene, the socio-economic and ‘cultural’ spaces of global warming such as ‘world cities’ (supra p. 296), let alone the vast geographical-ecological space formed by the Earth’ atmosphere (supra p. 294 et seq.), simply do not match the boundaries of nation-states. Thus, in order to remain capable of acting politically in the Anthropocene, we need political agents and legal structures beyond the nation-state – both ‘above’ (infra p. 299 et seq.) and ‘below’ (infra p. 298 et seq.) the level of the nation-state. Addressing global warming is a “multiscalar problem” (Hari M. Osofsky), thus requiring the combination of policy answers of many different scales to be ne111

Rechtbank Den Haag, Judgment of 24 June 2015, C/09/456689, HA ZA 13 – 1396, mn. 4.74. 112 Cf Kloepfer, in: Gethmann/Kloepfer/Nutzinger, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, 1993, 22 (22 et seq.); Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, 87. 113 Cf Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, 105 et seq. 114 Cf Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, 2018, 55 et seq.; Kahl, in: Kahl (ed.), Nachhaltigkeit durch Organisation und Verfahren, 2016, 1 (20 et seq., 32 et seq.). 115 Cf Hahn, Umwelt- und zukunftsverträgliche Entscheidungsfindung des Staates, 2017, 331 et seq. (proposing a nuanced standard for judicial review of legislative acts with regard to sustainability).

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gotiated and implemented in differently sized political spaces through a “polycentric approach” (Elinor Ostrom):116 Given global warming’s vastness, it might seem counter-intuitive to look for relevant political agents ‘below’ the level of the nation-state. However, traditionally, the spatial aspect of environmental justice is to a large degree about subsidiarity and localism.117 Nowadays, with respect to the ‘glocal’ intricacies of the socio-economical and cultural spaces of global warming (supra p. 296), local actors ‘still’ have a word to say. This is true for ‘world cities’ collaborating in global warming mitigation and adaption efforts in networks such as C40, a rather exclusive group of mega cities and smaller innovator cities118, as well as for rural municipalities dealing with NIMBY conflicts about the siting of, e. g., wind power plants and decentralised energy supply infrastructure (supra p. 282, 295). Federalism as an especially elaborated manifestation of sub-national political differentiation may serve as another potent factor in enhancing global warming policy. Federalism potentially provides additional forums – and agents – for global warming legislation and litigation. However, as federalism in the United States of America illustrates, there may be frictions between rivalling Rechtsregime (supra p. 277 et seq.): The U.S. Supreme Court decided that public nuisance claims, i. e., litigation based on tort law, by states (or local governments) are displaced by the regime of federal administrative law established under the Clean Air Act (CAA).119 This makes the Environmental Protection Agency (EPA), which is to a large degree responsible for enforcing the CAA, the main actor in U.S. global warming policy. Then again, administrative law under the CAA entails intricate cooperative federalism implications, which potentially have a litigation dimension: In Massachusetts v. EPA (2007) the U.S. Supreme Court affirmed Massachusetts’ standing in a lawsuit that aimed at forcing the federal agency EPA to (ascertain whether it is statutorily obliged to) address global warming under the CAA. It is quite plausible to turn to political levels ‘above’ the nation-state in order to find relevant agents in climate change policy. On an intermediate level, (sub-)continental economic communities and unions provide potential forums for addressing global warming, particularly with regard to its socio-economic implications. Above all, the European Union, a supra-national organisation, stands as the poster child for an attempt to parallelise socio-economic and political spaces in ‘functional integration’. In its Urgenda decision, the Rechtbank Den Haag intensely relied on EU 116 Osofsky, in: Burns/Osofsky (eds.), Adjudicating Climate Change, 2009, 129 et seq.; Ostrom, A Polycentric Approach for Coping With Climate Change, 2009; Aust, Das Recht der globalen Stadt, 2017, 281 et seq. 117 Cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 43 et seq. 118 Cf Aust, Das Recht der globalen Stadt, 2017, 293 et seq. 119 American Electric Power v. Connecticut, 564 U.S. 410 (2011); cf Salzman/Thompson, Environmental Law and Policy, 4th ed., 2014, 168 et seq.; Spitzer/Burtscher, JETL 2007, 137 (145 et seq.).

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law in specifying the standard the Dutch government has to meet in order to fulfil its duty of care with regard to global warming mitigation (supra p. 297). Besides, there are attempts to establish global warming litigation on the level of the EU itself. In Carvalho et alii v. Parliament and Council, an action for annulment under Article 263 TFEU, several farmers and owners of small tourism businesses from different rural areas around the globe challenged three EU legislative acts addressing global warming for not being ambitious enough to meet the binding requirements of EU fundamental rights and international treaty law (especially the 2015 Paris Agreement). The General Court of the EU (EGC) dismissed the action due to lack of standing under the Plaumann criterion, which requires that the “contested act affects [the plaintiffs] by reason of certain attributes that are peculiar to them or by reason of circumstances in which they are differentiated from all other persons, and by virtue of these factors distinguishes them individually”.120 e) Political and legal spaces III: pluralist globalism(s): UNFCCC, IPCC, “extrastatecraft”, international NGOs, conflict of laws Being the global phenomenon par excellence, anthropogenic climate change additionally – not exclusively (supra p. 298) – calls for strong political forums on the global scale. Given the vast socioeconomic, ‘cultural’ and political diversity around the globe, it is extremely difficult to imagine how ‘we’ could create institutions that can legitimately speak for what one might call the “Anthropos”, i. e., some embodiment of humankind as a central agent in the Anthropocene (supra p. 286 et seq.).121 Neither “a (directly) democratically elected World Environment Council [nor] an (appointed) International Court of the Environment”122 seem to be within the range of possible institutional arrangements for the next decades to come. Instead, the major part of transnational global warming policy-making has to get carried out by inter-national foreign affairs and inter-national organisations – the United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) and the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) being the most important forums. From the perspectives of – ecologically aware – sustainability and environmental justice (supra p. 288) the UNFCCC’s mission is overwhelmingly complex; it is obvious that this multifarious task requires engagement of more than one single institution such as the UNFCCC. What ‘we’ need – besides multiscalar climate action in local, regional, national and supra-national spaces (supra p. 298 et seq.) – are pluralist globalism(s). Pluralist globalism(s) can come along formally as well as informally. Informal – and often hidden – constellations of power are set up around large-scale infrastructures such as energy supply or broadband data networks. These infrastruc120

EGC, Order of 8 May 2019, T-330/18, mn. 45 et seq.; currently on appeal: ECJ, C-565/ 19 P; for a critique of the Plaumann criterion cf Winter, ZUR 2019, 259 (266 et seq.). 121 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (394), with references to Latour, Politiques de la nature. Comment faire entrer les sciences en démocratie, 1999. 122 Low/Gleeson, Justice, Society and Nature, 1998, 26 et seq.

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tures – constellations situated inside as well as outside the ‘realm(s) of the law’ and crossing the public-private divide – have been described as ethically ambivalent123 “extrastatecraft” (Keller Easterling).124 Whoever wants to have a say in the management of the causes and consequences of global warming has to address (‘glocal’) infrastructure, which is at the ‘bottom’ of the interplay of technical development, social integration, political power and ecology125. Within the scope of globalist approaches addressing climate change, global warming litigation may be one component among others. Here, too, one can find formal structures as well as informally-formally hybrid (infra-)structures. The intricate regime of conflict of laws provides an example for formal structures of global climate change litigation. Conflict of laws doctrines make it possible to have – spoken spatially-metaphorically – eversions or convexities of domestically rooted legal rules. In Lliuya v. RWE, the Peruvian plaintiff is suing the German-based business corporation RWE under German law, i. e., under “the law of the country in which the event giving rise to the damage occurred” (Art. 7 EU Rome II Regulation). Besides, Lliuya v. RWE exemplifies the workings of some of the informal infrastructures of litigation: Consider the role of the globally active NGO Germanwatch e. V., which is supporting the plaintiff (supra p. 276, 295 et seq.) in order to provide environmental justice in the form of approximately equal opportunities in court and, thus, to some extent playing the role of Homo Sapiens luxus (supra p. 287). Globally networked scientists and expert witnesses provide more basic litigation infrastructure.

V. Coda: “more time tunnels of different sizes” During the ride through some times (supra p. 288 et seq.) and spaces (supra p. 294 et seq.) of global warming, we encountered a multitude of relevant agents. Global warming agencies from the past, the present and the future are framed geographically, ecologically, (socio-)economically, politically and legally. The range of global warming agents encompasses historical agents such as patriarchal pioneers of industrialisation or minorities that have been structurally suppressed for centuries in the machineries of fossil-fuelled industrialisation (supra p. 290 et seq.), future agents such as unborn generations (supra p. 292 et seq.), non-human agents such as “well-mixed greenhouse gas”, Californian and Norwegian vineyards or corals, sea grasses and kelps (supra p. 294) as well as tightly networked agents in the workings of “extrastatecraft” such as transnationally active energy suppliers and NGOs (supra p. 300 et seq.).

123

Cf Neugärtner, Rechtswissenschaft 2017, 461 (471 et seq.). Easterling, Extrastatecraft. The Power of Infrastructure Space, 2014, 15 (without express reference to global warming). 125 Cf Kersten, Rechtswissenschaft 2014, 378 (409). 124

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The foregoing catalogue of agents somehow insinuates that it might be easy to ethically categorise the different agents of global warming in a Manichaean manner, contrasting villains and victims of global warming. To be sure, this is true for some constellations. However, in many everyday situations the difference between ‘active’ roles (‘villains’) and ‘passive’ roles (‘victims’) may be delusive.126 One and the same agent possibly plays different roles on the stage(s) of global warming. At any rate, there are almost never easy solutions to global warming conflicts. Reconsider the conflict underlying Lliuya v. RWE: if one takes the Anthropocenic “culture of conflicts” described by Jens Kersten (supra p. 287 et seq.) seriously, the relief sought by the plaintiff – protection by means of “sustainably” draining Lake Palcacocha (supra p. 276) – might be viewed as rather oppressive vis-à-vis the agent Lake Palcacocha and, at least, ignorant of the “fate” (supra p. 294 et seq.) of the agent Palcaraju glacier. Some of the agents listed above may still appear ‘strange’. They call for institutional, legal and doctrinal amendments and innovations. The overall task is vast: it is necessary to integrate social, economic and ecological thought (supra p. 280), to acknowledge aspects of reparative justice by evaluating the historical wrongs related to global warming (supra p. 290 et seq.), to open considerations for the interests of people (especially minorities) ‘worse situated’ locally as well as globally (supra p. 295) and to discover the myriad ecological conflicts among human as well as non-human beings in dynamic forms of resilience and coping (supra p. 293 et seq.). The foregoing investigations showed that different forms of litigation – actions against private agents (supra p. 276, 292, 295 et seq., 301) as well as actions against public agents (supra p. 292 et seq., 297, 299 et seq.) – can (and should) play a facilitating, spurring role in this multiscalar endeavour. However, the inquiry also revealed that the role of global warming litigation is necessarily a limited – but indispensable – one (supra p. 292, 295 et seq., 297, 299, 301). Anthropocenic ecological justice discourse requires “amazement, open-mindedness, and wonder [… as well as] doubt, confusion, and scepticism.”127 We need some experimentation and instinct (Fingerspitzengefühl) to find “more time tunnels of different sizes”128 – aesthetically, politically and legally129.

126

Cf Morton, Realist Magic, 2013, 182. Morton, The Ecological Thought, 2010, 2. 128 Morton, Dark Ecology, 2016, 113. 129 Cf Neugärtner, myops 34 (2018), 4 (12, in n. 1) (putting into play “law and the humanities as interart studies” with regard to environmental policy). 127

Die Entscheidung des BVerfG zum Bundes-Klimaschutzgesetz* (Zusammen mit Jan-Louis Wiedmann)** Nun auch Deutschland: Seit dem 24. 03. 2021 hat – nach den Niederlanden, Kolumbien, Pakistan und anderen Staaten – auch die Bundesrepublik Deutschland ihre erste wegweisende gerichtliche Entscheidung zum Klimaschutz. Der folgende Beitrag beleuchtet den Beschluss des BVerfG zum Klimaschutzgesetz und untersucht, ob es dem Gericht gelingt, die Rolle des Verfassungsrechts bei der Bewältigung der Klimakrise überzeugend herauszuarbeiten. „[K] ein Mensch [kann sagen], dass wir genug getan haben; das ist doch vollkommen klar. Da kenne ich im Augenblick echt niemanden.“1 Mit diesen Worten zog die Bundeskanzlerin bei der Regierungsbefragung am 23. 06. 2021 Bilanz über die Klimapolitik der letzten 16 Jahre. Einige Wochen zuvor, am 24. 03. 2021, war das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen: Es hatte das Bundesklimaschutzgesetz (KSG) für teilweise verfassungswidrig erklärt, weil die darin enthaltenen Klimaschutzmaßnahmen unzureichend seien.2 Dieser gerichtlichen Entscheidung widmet sich der folgende Beitrag. Der Beschluss des Gerichts, der für einige überraschend kam,3 wurde in Rechtswissenschaft, Politik und Gesellschaft als „bahnbrechend“, „historisch“ und „aufsehenerregend“ bezeichnet.4 Er wirft eine Reihe juristischer Fragen auf. Vor allem bemüht sich das Gericht aber um eine Antwort: Es versucht, zu beantworten, welche Rolle das Verfassungsrecht – und damit auch das Bundesverfassungsgericht – bei der Bewältigung der Klimakrise zu spielen hat bzw. spielen darf. * Erstveröffentlichung: Kloepfer/Wiedmann, Die Entscheidung des BVerfG zum BundesKlimaschutzgesetz, DVBl 2021, S. 1333 – 1340. ** Das Manuskript wurde am 22. Juli 2021 fertiggestellt. Später erschienene Beiträge wurden grds. nicht berücksichtigt. Zu nennen sind insoweit insb. die Beiträge von Faßbender, NJW 2021, 2085 ff. und Seibert, DVBl 2021, 1141 ff. Alle Online-Quellen wurden zuletzt am 11. 07. 2021 aufgerufen. 1 StenBer 19/235, 30424. 2 BVerfG, Beschl. v. 24. 03. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a. = NVwZ 2021, 951 ff. Die einzelnen Fundstellen werden im Fließtext durch Angabe der Randnummern markiert. 3 Etwa Calliess, ZUR 2021, 355 (355); Schlacke, NVwZ 2021, 912 (912). 4 Schlacke (Fn. 3), S. 912; vgl. auch den Bericht der Tagesschau v. 29. 04. 2021, online verfügbar unter https://www.tagesschau.de/inland/klimaschutzgesetz-bundesverfassungsge richt-105.html.

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IV. Entscheidungen für die Zukunft: Herausforderung Umweltgerechtigkeit

I. Verfassungsrecht und Klimakrise 1. Zur Klimakrise Die Rolle des Verfassungsrechts bei der Bewältigung der Klimakrise kann nur verstehen, wer die Klimakrise selbst versteht. Und so widmet sich auch das BVerfG zunächst einer ausführlichen faktischen Bestandsaufnahme (Rn. 16 ff.), in der es sich eingehend mit dem naturwissenschaftlichen Kenntnisstand auseinandersetzt. Glücklicherweise besteht über das naturwissenschaftliche Phänomen „Klimawandel“ – bei allen Unsicherheiten im Einzelnen – im Grundsatz nahezu wissenschaftliche Einigkeit,5 was auch die Klärung der juristischen Fragen erleichtert. So ist bekannt, dass die Emission bestimmter Gase (insb. CO2, aber auch Methan) durch den sog. Treibhauseffekt zur Erwärmung des Erdklimas führt. Dies hat schon heute (vor allem, aber nicht nur im globalen Süden) spürbare Auswirkungen auf die Menschen und ihre Umwelt. Zwischen der Emission von Treibhausgasen und dem Klimawandel besteht ein nahezu linearer Zusammenhang. Dieser lineare Zusammenhang könnte allerdings durch das Erreichen sog. Kipppunkte gestört werden, die zu einer „Verselbstständigung“ des Klimawandels führen.6 Vor diesem Hintergrund besteht wissenschaftliche Einigkeit auch darüber, dass nur die baldige Transformation zur treibhausgasneutralen Gesellschaft das Erreichen der Kipppunkte verhindern und damit den Klimawandel aufhalten kann. 2. Krisenbewältigung als gesamtstaatliche Aufgabe Angesichts dieser Faktenlage kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass die Bewältigung der Klimakrise eine zentrale staatliche Aufgabe ist, die auch verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist.7 Die Bewältigung des Klimawandels muss zwar – ganz im Sinn des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips8 – nicht allein durch den Staat, sondern gemeinsam mit der Zivilgesellschaft erfolgen. Es ist aber gerade der Staat, der einen Ordnungsrahmen schaffen muss, der eine solche gesamtgesellschaftliche Bewältigung der Krise erzwingt oder wenigstens ermöglicht.9 Wenn also geklärt ist, dass die Klimakrisenbewältigung eine staatliche Aufgabe ist, rückt weiter die Frage in den Fokus, welche Staatsgewalt mit ihr betraut ist.

5

Meyer, NJW 2020, 894 (895). Lenton et al., Nature 575 (2019), 592 ff. 7 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 1 Rn. 1; ders./Durner, Umweltschutzrecht, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 1. 8 Hierzu Kloepfer (Fn. 7), § 4 Rn. 129 ff. 9 Vgl. Kloepfer (Fn. 7), § 1 Rn. 71 ff.; nun auch BVerfG, NVwZ 2021, 951 (975) Rn. 248. 6

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a) Legislative Verantwortung Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass primär der Gesetzgeber berufen ist, den rechtlichen Rahmen für die Krisenbewältigung zu schaffen.10 Dies ist nicht nur ein Gebot des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1, 2 GG); der Primat des Parlaments ist auch unter funktionalen Gesichtspunkten sinnvoll: Der Bundestag ist als einziges Verfassungsorgan vom Volk gewählt und tagt öffentlich und unter Einbeziehung der Opposition. Parlamentarische Entscheidungen lassen daher die größte gesellschaftliche Akzeptanz erwarten,11 was gerade im umstrittenen Bereich des Klimaschutzes von großer Bedeutung ist. Dieser Verantwortung entsprechend hat der Bundestag – neben zahlreichen anderen Maßnahmen – im Dezember 2019 das KSG12 beschlossen.13 Es handelt sich um ein „Rahmengesetz“,14 das die Einhaltung klimapolitischer Langzeitziele in Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen Deutschlands, insbesondere mit dem Pariser Klimaabkommen (PA), sicherstellen sollte. So wurden in § 1 Satz 3 KSG a. F. Treibhausgasneutralität bis 2050, sowie die Beschränkung der Erderwärmung auf deutlich unter 2, möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter als Grundlagen des Gesetzes genannt. Zur Einhaltung dieser Ziele wurden Zwischenziele in Form von Emissionsreduktionsvorgaben für verschiedene Sektoren (Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr usw.) bis 2030 gesetzlich festgelegt (§ 4 Abs. 1 Satz 3 KSG i. V. m. Anlage 2 a. F.). Im Falle des Verfehlens der jährlichen Zwischenziele sieht § 8 Abs. 1 KSG die Vorlage eines „Sofort-Programms“ durch das zuständige Bundesministerium vor. Auch jenseits des Jahres 2030 sah das KSG eine Fortschreibung der Emissionsreduktionsziele durch zustimmungsbedürftige Rechtsverordnung der Bundesregierung im Jahr 2025 vor (§ 4 Abs. 6 KSG a. F.). Gerade diese Antwort der Politik auf die Klimakrise wurde aber vielfach als unzureichend kritisiert.15 Nach aufsehenerregenden Klagen im Ausland16 wurde zunehmend auch in Deutschland ein gerichtliches Vorgehen in Betracht gezogen. Letztlich 10

Statt aller Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (8). Wegener, ZUR 2019, 3 (13); Kloepfer/Neugärtner, in: Kahl/Weller, HbCCL, 2021, A, 40 Rn. 51 – Anm. d. Hrsg.: Wiederabdruck dieses Beitrags in diesem Bd., S. 275 ff. 12 „Gesetz zur Einführung eines Bundes-Klimaschutzgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften“ v. 12. 12. 2019, BGBl. I S. 2513. 13 Vgl. Klinski/Scharlau/von Swieykowski-Traska/Keimeyer/Sina, NVwZ 2020, 1 ff.; Kment, NVwZ 2020, 1537 ff. 14 Klinski/Scharlau/von Swieykowski-Traska/Keimeyer/Sina (Fn. 13), S. 1. Das Rahmengesetz i. d. S. ist nicht zu verwechseln mit der Rahmengesetzgebungskompetenz gem. Art. 75 GG a. F. 15 Vgl. etwa die Stellungnahme der Klima-Allianz Deutschland, Ausschussdrucksache 19(16)292-H, online verfügbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/666410/ 5727dec5bea66cce6725124047b75446/19-16-292-H_Broock-data.pdf. 16 Übersicht zu den anhängigen und bereits entschiedenen Klima-Klagen bei Wegener (Fn. 11), S. 6 ff. 11

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wurde dieser Weg auch eingeschlagen: 47 Beschwerdeführende aus Deutschland, Nepal und Bangladesch fanden sich zusammen, um vor dem BVerfG die Vorschriften des KSG anzugreifen und mehr Klimaschutz einzuklagen – im Ergebnis mit Erfolg. b) Rolle der (Verfassungs-)Gerichte Damit rückt die grundsätzliche Frage in den Raum, ob eine gerichtliche Intervention im Bereich des Klimaschutzes überhaupt zulässig ist.17 Auch insoweit besteht zunächst Einigkeit: Mit dem Primat des Parlaments (s. o.) korrespondiert ein Gebot gerichtlicher Zurückhaltung („judicial [self]-restraint“).18 Bei dieser Feststellung darf es aber nicht sein Bewenden haben.19 Der Klimaschutz darf nicht allein in die Hände des Gesetzgebers gegeben werden. Denn seit langem sind strukturelle Schwächen unseres politischen Systems bekannt, die ein (vor allem gerichtliches) Gegengewicht erforderlich machen. Zu diesen Problemen gehört zunächst ein Repräsentationsdefizit. Viele derer, die von den politischen (Klimaschutz-)Entscheidungen betroffen sind bzw. sein werden, sind im Bundestag nicht vertreten. Dies gilt einerseits in räumlicher Hinsicht: Menschen aus dem globalen Süden sind in der Bundesrepublik Deutschland (i. d. R.) nicht wahlberechtigt, obwohl sie von der hiesigen Klimapolitik besonders schnell und hart getroffen werden.20 Das Repräsentationsdefizit besteht aber vor allem auch in zeitlicher Hinsicht. Künftige Generationen sind außerstande, ihre Interessen zu artikulieren, obwohl die heutige Klimapolitik maßgeblichen Einfluss auf ihr Leben haben wird.21 Ähnliches gilt für Kinder und Jugendliche. Sie sind (jedenfalls auf Bundesebene) noch nicht wahlberechtigt und können nur über ihre Meinungs- und Versammlungsfreiheit Einfluss auf den politischen Prozess nehmen, was sie – man denke etwa an „Fridays for Future“ – ja auch tun. Somit ist der Gedanke der kollektiven Selbstbestimmung durch das Parlament nur unvollkommen verwirklicht. Insoweit ist ein gerichtliches Gegengewicht erforderlich, wenn Betroffene im Parlament nicht hinreichend repräsentiert sind.

17

Hierzu Graser, ZUR 2019, 271 ff. BVerfGE 77, 170, 214 f. [BVerfG 21. 10. 1987 – 2 BvR 373/83]; Kahl, JURA 2021, 117 (120); Wegener (Fn. 11), S. 10 f. 19 So aber Wegener (Fn. 11). Seine Forderung, die Klimaklagen abzuweisen, steht in Widerspruch zu den von ihm getroffenen Feststellungen, dass die staatlichen Klimaschutzmaßnahmen „evident unzureichend“ (S. 10), die notwendigen CO2-Reduktionen „realpolitisch [un]erreichbar“ (S. 12) und das „Versagen […] der Industriegesellschaften“ beim Klimaschutz absehbar (S. 12) seien. 20 Auch dieser Aspekt spielt bei der Entscheidung des BVerfG eine Rolle. So wird die schwierige Frage aufgeworfen, ob grundrechtliche Schutzpflichten auch gegenüber Menschen aus anderen Weltregionen bestehen. Diesem Aspekt wird hier aus Platzgründen aber nicht nachgegangen. 21 Niehaus/Davies, Voices for the voiceless, S. 2; generell zum Repräsentationsdefizit nachrückender und künftiger Generationen Kahl, DÖV 2009, 2 (2). 18

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Zudem darf die Klimakrise nicht nur als Konflikt mit Täter- und Opferseite („alt gegen jung“; „globaler Norden gegen globaler Süden“) begriffen werden.22 Die vermeintlichen „Täter“ können ihrer eigenen Klimapolitik auch selbst zum Opfer fallen. Damit wird ein zweites strukturelles Problem des politischen Prozesses relevant: Er ist an kurzen Legislaturperioden orientiert und liefert daher keine hinreichende Gewähr für nachhaltige Entscheidungen.23 Im Falle der Klimakrise kommt erschwerend hinzu, dass diese (heute noch) nicht für alle sicht-, vorstell- und spürbar ist.24 Auch vor diesem Hintergrund erscheint ein verfassungsrechtliches Korrektiv geboten, um auffällige Unzulänglichkeiten des politischen Systems in Fragen des Klimaschutzes auszugleichen.25 Die gerichtliche Kontrolle politischer (Klimaschutz-)Entscheidungen stellt insoweit also gerade keinen Verstoß gegen den Gedanken der Gewaltenteilung dar,26 sie ist Gewaltenteilung. Die Herausforderung für die Gerichte besteht hierbei freilich darin, die Rolle des Korrektivs zu wahren und nicht selbst gestalterisch tätig zu werden.27

II. Lösung des Bundesverfassungsgerichts Vor dieser Herausforderung stand das Gericht also bei seinem Beschluss vom 24. 03. 2021. Es versucht, sie zu bewältigen, indem es sich zunächst intensiv mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimaschutz auseinanderzusetzt. Das Gericht arbeitet mustergültig den naturwissenschaftlichen Stand der Klimaproblematik auf (s. o.),28 wobei auch verbleibende Unsicherheiten betont werden. Es zeigt sich auch gegenüber dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum als zitierfreudig. So verfällt das Gericht – anders als in anderen Entscheidungen – nicht dem Hang der bloßen Selbstzitation, sondern arbeitet bestehende Ansätze in der Rechtswissenschaft in die Entscheidung ein. Hierbei bleiben zwar – was angesichts der Schrifttumlawine zum Klimaschutz nicht verwunderlich ist – gewisse Unvollständigkeiten nicht aus. Gleichwohl ist die Dialogbereitschaft des Gerichts gegenüber dem Schrifttum zu begrüßen. Auf diese Weise kommt es – nachdem es einen weiten Zugang zum Gericht gewährt (hierzu 1.) – dazu, das Bundesklimaschutzgesetz an allgemeinen umweltbezo22

Kloepfer/Neugärtner (Fn. 11), A, 43 Rn. 60. Kloepfer, in: Gethmann/ders./Nutzinger, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, 1993, 22 (22 ff.); ders./Neugärtner (Fn. 11), A, 40 Rn. 51; Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, 87; ders., in: HbUmwR, 5. Aufl. 2018, § 2 Rn. 120. 24 Kloepfer/Neugärtner (Fn. 11), A, 23 Rn. 1. 25 Kloepfer/Neugärtner (Fn. 11), A, 40 Rn. 51. 26 So aber Wegener (Fn. 11), S. 10 f. 27 Vgl. Isensee, in: HbStR IX, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 168. 28 So auch Calliess (Fn. 3), S. 355; vgl. auch Schlacke (Fn. 3) S. 915 f. 23

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genen Vorgaben des Grundgesetzes zu messen (hierzu 2.). Letztlich erklärt das Gericht das KSG dann aber mit einer ganz eigenen Begründung für verfassungswidrig (hierzu 3.). 1. Weiter Zugang zum Gericht Viel wurde seit Ergehen des Beschlusses über den großzügigen Maßstab diskutiert, den das BVerfG bei der Beschwerdebefugnis anlegt. Es war gar von der Einführung der „Popularverfassungsbeschwerde […] contra legem“29 die Rede. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die vorgebrachten Kritikpunkte aber als zweifelhaft. a) Zwar: Kein Umweltgrundrecht So erliegt das Gericht – zu Recht30 – nicht der Versuchung, ein Umweltgrundrecht aus der Verfassung herzuleiten (Rn. 112).31 Auch eine „Subjektivierung“ des Art. 20a GG wird ausdrücklich abgelehnt (ebd.). b) Aber: „Hilfskonstruktionen“ Vielmehr arbeitet das BVerfG mit den in der Rechtswissenschaft weitgehend anerkannten „Hilfskonstruktionen“, namentlich dem grundrechtlich fundierten ökologischen Existenzminimum und den grundrechtlichen Schutzpflichten, um die Beschwerdebefugnis letztlich zu bejahen. aa) Ökologisches Existenzminimum Ob sich aus der Verfassung ein „Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum“ herleiten lässt,32 wird hierbei im Ergebnis offengelassen (Rn. 113 ff.). Zwar sei denkbar, dass ein solches Recht über die Verbürgungen der grundrechtlichen Schutzpflichten hinausgehe, da es neben der bloßen Existenz von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Eigentum auch soziale, kulturelle und politische Aspekte umfasst. Eine Verletzung des Rechts auf ökologisches Existenzminimum sei im vorliegenden Fall aber jedenfalls nicht erkennbar.

29 Ruttloff/Freihoff, NVwZ 2021, 917 (921 f.), die allerdings ein Fragezeichen an die These hängen; ausdrücklich von einer Popularverfassungsbeschwerde spricht Beckmann, UPR 2021, 241 (241). 30 Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978; zum aktuellen Stand der Debatte Calliess, ZUR 2021, 323 ff. 31 Schlacke (Fn. 3), S. 917. 32 Hierfür mit der wohl h. L. Calliess (Fn. 30), S. 329; a. A. aber Voßkuhle (Fn. 10), S. 6.

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Es fällt auf, dass das Gericht dabei ein enges Verständnis vom „ökologischen Existenzminimum“ an den Tag legt.33 Nicht nur wird das Schutzgut restriktiv bestimmt.34 Das BVerfG lässt es auch ausreichen, dass die Abwendung „katastrophaler Zustände […] bei entsprechenden Anstrengung möglich“ erscheint. Damit weicht das Gericht stark vom sonst üblichen Zulässigkeitsmaßstab ab: Das BVerfG stellt nicht wie sonst auf die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung ab, sondern verneint die Beschwerdebefugnis, weil die Grundrechte möglicherweise nicht verletzt werden. Insoweit ist der Ansatz des BVerfG also eher restriktiv. Letztlich ist aber verständlich, dass sich das Gericht angesichts der Unbestimmtheit des „Grundrechts auf ökologisches Existenzminimum“ bei der Prüfung zurückhält. bb) Schutzpflichten und „intertemporale Freiheitssicherung“ Im Ergebnis kommt das BVerfG auch ohne das ökologische Existenzminimum zur Bejahung der Beschwerdebefugnis. Es sei nicht auszuschließen, dass die Vorschriften des KSG mit den grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 GG unvereinbar seien (Rn. 96).35 Darüber hinaus greift das BVerfG auf das Gebot der intertemporalen Freiheitssicherung zurück, um die Beschwerdebefugnis zu bejahen (Rn. 117 ff.; hierzu unten 3. c)). c) Bewertung Die These, das BVerfG gewähre mit seinem Klimabeschluss einen zu großzügigen Zugang zum Gericht, lässt sich in dieser Allgemeinheit nicht halten. Das Gericht hält sich sowohl beim Grundrecht auf Umweltschutz, als auch beim ökologischen Existenzminimum stark zurück. Auch eine Popularverfassungsbeschwerde ermöglicht der Beschluss ausdrücklich nicht (Rn. 110).36 Das Gericht knüpft mit den grundrechtlichen Schutzansprüchen an subjektive Rechte an. Dass diese Grundrechte allen Menschen zustehen, ändert am Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes nichts. Zwar hatte das BVerfG in der Vergangenheit mitunter – ähnlich wie der EuGH bei der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV – gefordert, dass die Beschwerdeführenden qualifiziert, d. h. mehr als die Allgemeinheit, betroffen sein müssen.37 Von einer ge-

33

Calliess (Fn. 3), S. 355: „erstaunlich enge […] Auslegung“. Ein weiteres Verständnis findet sich bei Buser, DVBl 2020, 1389, (1391 f.), Calliess (Fn. 30), S. 329 f. und Kahl (Fn. 18) S. 123 f. 35 Eine Schutzpflicht zugunsten der Berufsfreiheit wird vom Gericht abgelehnt (Rn. 97). In der Literatur besteht insoweit Uneinigkeit, dafür Groß (Fn. 35), S. 7 (340); a. A. Buser (Fn. 34), S. 1391; einschränkend auch Kahl (Fn. 18), S. 123. 36 Schlacke (Fn. 3), S. 917. 37 Vgl. etwa BVerfG, NVwZ 2018, 1224 (1227) [BVerfG 15. 03. 2018 – 2 BvR 1371/13] spricht insoweit vom Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit. 34

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festigten Rechtsprechung kann insoweit aber nicht gesprochen werden.38 Es ist auch nicht ersichtlich, warum nur qualifiziert betroffene Personen beschwerdebefugt sein sollen.39 Auch insoweit kann von einem zu weiten Zugang zum Gericht keine Rede sein. Einzig der Ansatz „intertemporaler Freiheitssicherung“ erscheint erstaunlich weit.40 Dies ist allerdings grundsätzlichen Einwänden geschuldet (hierzu unten). 2. Keine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten In der Begründetheitsprüfung wendet sich das Gericht den grundrechtlichen Schutzpflichten zu. a) Zwar: Staatliche Schutzpflicht vor Klimawandel Hierbei stellt es zunächst fest, dass der Staat verpflichtet sei, die Beschwerdeführenden vor den negativen Folgen des Klimawandels zu schützen (Rn. 144). Anknüpfungspunkt ist hierbei das Grundrecht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie das Eigentum der Beschwerdeführenden (Art. 14 GG). Dem Bestehen der staatlichen Schutzpflicht könne auch nicht entgegengehalten werden, dass der Anteil der Bundesrepublik Deutschland an den globalen Treibhausgasemissionen mit zwei Prozent vergleichsweise gering sei.41 Hieraus ergebe sich zwar, dass der staatliche Einfluss auf den Klimawandel beschränkt sei. Dies habe allerdings keinen Einfluss auf das Bestehen, sondern lediglich auf den Inhalt der Schutzpflicht. Der Staat müsse sich um eine internationale Lösung des globalen Phänomens „Klimawandel“ bemühen (Rn. 149). Zum Inhalt der Schutzpflicht führt das Gericht weiter aus, dass der Staat sich nicht auf die Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen beschränken dürfe, sondern vielmehr zur Abschwächung des Klimawandels durch die Reduktion der Treibhausgasemissionen verpflichtet sei (Rn. 157). Langfristig müsse der Staat sogar die Klimaneutralität erreichen (Rn. 155).42

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Vgl. BVerfGK 15, 37 (51); Meyer (Fn. 5), S. 899; a. A. aber Beckmann (Fn. 29), S. 241; Ruttloff/Freihoff (Fn. 29), S. 922. 39 Kritisch auch Meyer (Fn. 5), S. 899. 40 Calliess (Fn. 3), S. 355. 41 So auch für die Niederlande Rechtbank Den Haag, Urt. v. 24. 06. 2015, C/09/456689, engl. Übersetzung abrufbar unter https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id= ECLI:NL:RBDHA:2015:7196, Rn. 4.79; Gerechtshof Den Haag, Urt. v. 09. 10. 2018, Az.: 200.178.245/01, engl. Übersetzung abrufbar unter https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocu ment?id=ECLI:NL:GHDHA:2018:2610, Rn. 62. 42 Zu Unrecht kritisch hierzu Beckmann (Fn. 29), S. 244.

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b) Aber: Keine Verletzung der Schutzpflicht Sodann wendet sich das BVerfG der entscheidenden Frage zu, ob die staatliche Schutzpflicht verletzt wurde. Die Beschwerdeführenden hatten das KSG in mehrfacher Hinsicht gerügt. Nicht nur das in § 1 Satz 3 KSG genannte Langzeitziel sei unzureichend. Auch die zur Erreichung dieses Ziels gesteckten Zwischenziele und die zur Erreichung dieser Zwischenziele beschlossenen Maßnahmen genügten der staatlichen Schutzpflicht nicht. Mit den Kritikpunkten der Beschwerdeführenden setzt sich das BVerfG eingehend auseinander (Rn. 158 ff.): Es räumt ein, dass das Ziel des § 1 Satz 3 KSG, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu beschränken, im Lichte neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse zweifelhaft geworden sei. Auch weist es auf Indizien hin, die nahelegen, dass sich die im KSG festgelegten Zwischenziele überhaupt nicht an dem in § 1 KSG genannten Ziel orientieren, sondern stattdessen auf eine Erderwärmung von genau zwei Grad abzielen. Zuletzt konstatiert es, dass die aktuell ergriffenen Maßnahmen nicht einmal zur Erreichung dieser Zwischenziele ausreichen dürften. Dennoch stellt das Gericht eine Verletzung der Schutzpflichten im Ergebnis nicht fest. Maßgeblicher Grund hierfür ist der zurückgenommene Prüfungsmaßstab, den das BVerfG bei der Prüfung von Schutzpflichten heranzieht. Verfassungsrechtlich vorgegeben sei nur ein absolutes Mindestmaß an Schutz, sodass eine Schutzpflichtverletzung nur dort feststellbar sei, wo der Staat entweder gar keine Schutzmaßnahmen ergreift oder wo diese Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder unzulänglich sind (sog. Evidenzkontrolle).43 Angesichts der zahlreichen Klimaschutzmaßnahmen könne von einer Untätigkeit des Staates aber keine Rede sein (Rn. 154). Da sich der Staat langfristig der Klimaneutralität verschrieben habe, sei auch eine offensichtliche Ungeeignetheit der Maßnahmen nicht feststellbar (Rn. 155). Einzig der Frage, ob die staatlichen Schutzmaßnahmen hinreichend sind, wendet das Gericht mehr Aufmerksamkeit zu. Doch auch insoweit scheitern die Einwände der Beschwerdeführenden am zurückgenommenen Prüfprogramm des Gerichts: Zwar habe der Weltklimarat seine Gefahrenprognose seit Aufstellen des 2bzw. 1,5-Grad-Ziels deutlich verschärft. Aus dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnis dürfe aber verfassungsrechtlich nicht unmittelbar auf konkrete politische Folgen geschlossen werden.44 Das Ziehen politischer Konsequenzen setze vielmehr einen wertenden Prozess voraus, der dem Gesetzgeber obliege und verfassungsrechtlich nicht genau vorgezeichnet sei. Dies gelte umso mehr, als die neuen Erkenntnisse von großer Unsicherheit geprägt seien (Rn. 162). Zudem legt das Gericht Wert auf die Feststellung, dass nicht jede Maßnahme, die für den Klimaschutz erforderlich sei, auch über die grundrechtlichen Schutzpflichten 43 Zum uneinheitlichen gerichtlichen Maßstab i. R. d. Schutzpflichtendogmatik Calliess, in: Merten/Papier, HbGR II, 2006, § 44 Rn. 6. 44 Zum Erfordernis einer normativen Bewertung auch Calliess, ZUR 2019, 385 (386).

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eingeklagt werden könne. Zwischen Klimaschutz und Grundrechtsschutz bestehe zwar eine große Schnittmenge, nicht aber Deckungsgleichheit (Rn. 163). Auch deshalb müssten neue klimawissenschaftliche Erkenntnisse nicht unbedingt mit ehrgeizigeren Emissionsreduktionszielen beantwortet werden. Denn während der Klimawandel nur durch CO2-Reduktionsmaßnahmen aufzuhalten sei, könne dem Gesundheitsschutz auch durch Anpassungsmaßnahmen genügt werden. Aus denselben Gründen wird eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht durch die Zwischenziele bzw. die zur Erreichung dieser Zwischenziele getroffenen Maßnahmen abgelehnt: Eine Nachsteuerung des Gesetzgebers (ggf. auch durch Anpassungsmaßnahmen) bleibe in Zukunft noch möglich (Rn. 167, 170). c) Bewertung Die Ausführungen des Gerichts sind in zweierlei Hinsicht problematisch. Einerseits erscheint die gerichtliche Prüfung an einigen Stellen zu zurückhaltend. Andererseits überzeugt der Umgang des Gerichts mit der zeitlichen Dimension der Klimakrise nicht. aa) Prüfungsmaßstab des Gerichts Die Intention des Gerichts, sich nicht als besseren „Ersatzgesetzgeber“ aufzuspielen, sondern sich auf die Kontrollaufgabe zu besinnen, ist im Ausgangspunkt zu begrüßen.45 Zu Recht widersteht das Gericht der Versuchung, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Anlass für eigene politische Konsequenzen zu nehmen.46 Besonders überzeugend ist die Feststellung des Gerichts, dass nicht alles, was klimapolitisch erforderlich ist, auch über die grundrechtlich begründeten Schutzpflichten eingeklagt werden kann.47 Hier hält sich das Gericht streng an den Gegenstand seiner Prüfung, die Grundrechte.48 Gleichwohl leidet die Prüfung des BVerfG an einem mitunter übertriebenen Verständnis von gerichtlicher Zurückhaltung.49 Besonders deutlich kommt dies in der Bemerkung des BVerfG zum Ausdruck, es könne nicht festgestellt werden, „dass die angegriffenen Regelungen erheblich [sic!] hinter dem [grundrechtlich gebotenen Schutz] zurückblieben.“ Vor dem Hintergrund, dass materiell-rechtlich ohnehin nur 45 Schlacke (Fn. 3), S. 914; zu den insoweit geltenden Anforderungen Kahl (Fn. 18), S. 128. 46 A. A. Ruttloff/Freihoff (Fn. 29), S. 921. 47 Hierzu schon Voland, NVwZ 2019, 114 (118). 48 Es stellt sich allerdings die Frage, ob das Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum, das i. R. d. Zulässigkeit als nicht entscheidungsrelevant aussortiert wurde, hier nicht zu einem anderen Maßstab hätte führen müssen, vgl. Buser, Die Freiheit der Zukunft, VerfBlog v. 30. 04. 2021. 49 Calliess (Fn. 3), S. 357; a. A. Beckmann (Fn. 29), S. 250); Schlacke (Fn. 3), S. 914.

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ein Mindestmaß vorgegeben ist,50 läuft das Versprechen der grundrechtlichen Schutzpflichten durch eine solche Evidenzprüfung letztlich ins Leere.51 Ein derart zurückgenommener Prüfungsmaßstab war jedenfalls nicht zwingend. Schon in früheren Entscheidungen hat das BVerfG eine strengere Prüfung am Maßstab des Untermaßverbots vorgenommen, das einen „angemessenen und wirksamen Schutz, sowie eine sorgfältige [,..]Tatsachenermittlung und vertretbare […] Einschätzungen“ verlangt.52 Zudem ist anerkannt, dass die Schutzpflichten umso strenger wirken, je schwerwiegender die drohende Gefahr und je wahrscheinlicher der Schadenseintritt ist (sog. Gefahrenproportionalität53).54 Der Klimawandel, der existenzielle Gefahren darstellt, über deren Bestehen in der Naturwissenschaft Einigkeit besteht, hätte Anlass für eine striktere verfassungsgerichtliche Prüfung der Schutzpflichten geben können.55 Doch selbst der zurückgenommene Maßstab des BVerfG hätte es zugelassen, eine Schutzpflichtverletzung zu bejahen: Besonders problematisch erscheint, dass die in Anlage 2 zum KSG aufgezählten Zwischenziele nicht einmal das in § 1 KSG genannte Langzeitziel anstreben, obwohl dieses seinerseits inzwischen naturwissenschaftlich überholt sein könnte (s. o. 2. b)). Dies und die anhaltenden Warnungen aus der Wissenschaft56 lassen es durchaus als vertretbar erscheinen, dass die staatlichen Klimaschutzmaßnahmen offensichtlich unzureichend sind.57 Bedauerlich ist zudem, dass das BVerfG das Bestehen eigenständiger Rationalisierungspflichten ausdrücklich ablehnt (Rn. 241). Gerade als Ausgleich zur zurückgenommenen materiell-rechtlichen Prüfung wären gesteigerte formelle Gesetzgebungsverfahren sinnvoll gewesen. Insoweit hätte das Gericht auch an frühere Rechtsprechungslinien anknüpfen können.58 50 Allgemein hierzu Calliess (Fn. 34), S. 325; Kloepfer, Verfassungsrecht II, 2010, § 48 Rn. 63. 51 Ähnlich Calliess (Fn. 3), S. 357. 52 BVerfGE 88, 203 (254); für einen strengeren Maßstab plädiert auch Calliess (Fn. 43), § 44 Rn. 23 ff. 53 Isensee (Fn. 27), § 191 Rn. 301. 54 BVerfGE 49, 89 (142) [BVerfG 08. 08. 1978 – 2 BvL 8/77]; Buser (Fn. 34), S. 1393; Isensee (Fn. 27), § 191 Rn. 270. 55 Buser (Fn. 34), S. 1394; Calliess (Fn. 3), S. 357; Kahl (Fn. 18), S. 127; Groß (Fn. 35), S. 342: Das „katastrophale Ausmaß“ der Klimakrise gehe über bisher bekannte Umweltgefahren hinaus. 56 Hierzu Buser (Fn. 34), S. 1395 m. w. N. 57 Beckmann (Fn. 29), S. 244; Kahl (Fn. 18), S. 128; Meyer (Fn. 5), S. 900; mit Blick auf die Erreichung sog. Kipppunkte auch Buser (Fn. 57); a. A. aber Voland (Fn. 47), S. 118; ebenso Wegener (Fn. 11), S. 11, der ein gerichtliches Eingreifen trotz „evident unzureichend[er Maßnahmen]“ ablehnt. 58 BVerfGE 88, 203 (254): „[S]orgfältige […] Tatsachenermittlung und vertretbare […] Einschätzungen“; vgl. zudem die Vorgaben zur Berechnung des menschenwürdigen Existenzminimums BVerfGE 125, 175 (226).

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bb) Ausblenden der zeitlichen Komponente Ein zweiter problematischer Punkt ist der Umgang des BVerfG mit der zeitlichen Dimension der Klimakrise: Ein Spezifikum dieser Krise liegt darin, dass die von ihr ausgehende Gefahr (bei fortschreitenden Emissionen) immer größer wird.59 Dies verdeutlicht der aus der Erdsystemwissenschaft stammende Budget-Ansatz, nach dem die Menschheit nur noch ein gewisses Maß an Treibhausgasen emittieren kann, wenn ein schwerwiegender Wandel des Erdklimas verhindert werden soll.60 Da jede Emission einen Teil dieses Treibhausgasbudgets aufbraucht, führt staatliche Untätigkeit im Klimaschutz dazu, dass sich das Phänomen „Klimawandel“ verschlimmert. Anders gewendet: Je später mit der Reduktion von Treibhausgasen begonnen wird, desto drastischer muss diese Reduktion ausfallen. Während dieser zeitliche Aspekt der Klima-Krise in den weiteren Ausführungen des Gerichts eine entscheidende Rolle einnimmt,61 wird er bei der Prüfung der Schutzpflichten ausgeblendet. Statt schon heute ehrgeizigere Klimaschutzanstrengungen einzufordern, um schwerwiegendere Maßnahmen in Zukunft zu verhindern,62 lehnt das Gericht eine Schutzpflichtverletzung gerade mit der Begründung ab, man könne in der Zukunft nachsteuern (Rn. 167, 170). Für diesen Ansatz lässt sich auf den ersten Blick zwar anführen, dass die Schutzpflichten nur das verfassungsrechtliche Mindestmaß einfordern und dass frühzeitige Maßnahmen zwar vernünftig, aber eben heute noch nicht zwingend seien.63 Auf den zweiten Blick aber wird deutlich, dass diese Argumentation letztlich zu einer starken Schwächung des Schutzpflichtengedankens führen muss.64 Sie kann zur Folge haben, dass Schutzpflichten erst im letztmöglichen Zeitpunkt einklagbar sind, obwohl die Gefahr zu einem früheren Zeitpunkt durch weitaus mildere Mittel abwendbar gewesen wäre.65 Dies steht im Widerspruch zur sonstigen Grundrechtsdog-

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Zur zeitlichen Dimension Schlacke (Fn. 3), S. 914. Hierzu Calliess (Fn. 30), S. 329 f. 61 Schlacke (Fn. 3), S. 914. 62 Hierfür auch Meyer (Fn. 5), S. 897; vgl. auch Isensee (Fn. 27), § 3 Rn. 302: „[D]amit nicht im Ernstfall Panik und Notstandshysterie das Gesetz des Handelns bestimmen, tut der Gesetzgeber gut daran, in ruhigen Zeiten […] rechtsstaatlich ausgewogene Lösungen zu finden.“ 63 So insb. Voland (Fn. 47) S. 118. 64 Auch Groß (Fn. 35), S. 339, weist darauf hin, dass die zeitliche Komponente des Klimawandels die Schutzpflichtenlehre vor Herausforderungen stellt. 65 Überspitzt gesagt bestünden einklagbare Schutzpflichten nur für eine „juristische Sekunde“, in der die Abwehr der Gefahr gerade noch möglich, der Verweis auf spätere Schutzmaßnahmen aber ausgeschlossen ist. Vor diesem Zeitpunkt könnte der Gesetzgeber auf künftige Maßnahmen verweisen; nach diesem Zeitpunkt bestünde keine Schutzpflichtenlage mehr, da die Gefahrenabwehr unmöglich wäre. Gegen ein solches Ergebnis auch Meyer (Fn. 5), S. 897. 60

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matik, die den Gesetzgeber zum Ergreifen möglichst milder Maßnahmen anhält.66 Zudem gefährdet dieser Ansatz die Erreichung des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Schutzniveaus insgesamt. Denn es lässt sich wissenschaftlich nicht genau bestimmen, wann die ambitionierteren Klimaschutzmaßnahmen zwingend ergriffen werden müssen.67 Der Ansatz des Gerichts, die zeitliche Komponente des Klimawandels i. R. d. Schutzpflichten weitgehend auszublenden, überzeugt somit nicht. Er geht vor allem am Problem der fehlenden Repräsentation junger Menschen im politischen Prozess vorbei, das einen entscheidenden Grund für die Legitimität gerichtlicher Interventionen darstellt (s. o. 2. b)). Letztlich erkennt aber auch das BVerfG, dass eine Vertagung des Klimaschutzes nicht überzeugen kann, weshalb die zeitliche Komponente des Problems in den folgenden Ausführungen des Gerichts eine prominente Rolle einnimmt. 3. Grundrechte als „intertemporale Freiheitssicherung“ So bejaht das BVerfG letztlich die „eingriffsähnliche Vorwirkung“ des KSG und kommt so zur klassischen Eingriffsabwehrdimension der Grundrechte.68 Dies ermöglicht es dem Gericht, das KSG – entsprechend der Elfes-Konstruktion69 – am Maßstab des gesamten objektiven Verfassungsrechts zu überprüfen und schließlich für teilweise verfassungswidrig zu erklären. a) Figur der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ Dreh- und Angelpunkt der Argumentation ist die Frage, ob das KSG bereits heute einen Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführenden darstellt. Sowohl der klassische als auch der moderne Eingriffsbegriff70 scheiden hierbei allerdings aus, da das KSG die grundrechtlich verbürgten Freiheiten der Beschwerdeführenden gegenwärtig nicht beschränkt. Das BVerfG bejaht allerdings unter Einbeziehung der zeitlichen Wirkungen eine „eingriffsähnliche Vorwirkung“ des KSG (Rn. 184 ff.).

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Exemplarisch BVerfGE 80, 137 (160) [BVerfG 06. 06. 1989 – 1 BvR 921/85]; für die Einbeziehung des Gedankens der Erforderlichkeit in die Schutzpflichtendogmatik auch Calliess (Fn. 43), § 44 Rn. 31. 67 Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Meyer (Fn. 5), S. 899 in Bezug auf die hinreichende Individualisierbarkeit des Schadens: Würde man abwarten, bis der (Klima-) Schaden konkret absehbar ist, käme der grundrechtliche Schutz zu spät; kritisch zu diesem Ansatz Beckmann (Fn. 29), S. 245. 68 Schlacke (Fn. 3), S. 914 f.; a. A. Beckmann (Fn. 29), S. 246. 69 BVerfGE 6, 32 (40 f.) [BVerfG 16. 01. 1957 – 1 BvR 253/56]; vgl. Ruttloff/Freihoff (Fn. 29), S. 920. 70 Eingehend zur grundrechtlichen Eingriffsdogmatik siehe Kloepfer (Fn. 50), § 51 Rn. 24 ff.

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Ausgangspunkt ist hierbei der oben geschilderte Budget-Ansatz, nach dem der Menschheit nur noch ein endliches Maß an Treibhausgasemissionen zur Verfügung steht, wenn eine immer weiter fortschreitende Erderwärmung verhindert werden soll. Da ein ungestoppter Klimawandel aber verfassungsrechtlich (Art. 20a GG, grundrechtliche Schutzpflichten) nicht hingenommen werden könne, sei der Staat verpflichtet, emittierendes Verhalten früher oder später zu unterbinden. Hiervon ausgehend gelangt das Gericht zu der Erkenntnis, dass jeder Vorschrift, die heute emittierendes Verhalten zulässt, eine „unumkehrbar angelegte […] Gefährdung künftiger Freiheit“ (Rn. 186) innewohnt, da sie die Reduktionsanstrengungen in die Zukunft verlagert. Letztlich geht es also um die Bewertung künftiger, heute aber bereits absehbarer Grundrechtseingriffe, mithin um eine Frage der rechtlichen Vorwirkung künftiger Gesetze.71 Angesichts dieser „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ seien die Vorschriften des KSG schon heute verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. Bemerkenswert, aber im Rahmen der Eingriffsabwehrkonstellation folgerichtig ist, dass es nicht die natürlichen Belastungen durch den Klimawandel sind, die das BVerfG zum Anknüpfungspunkt für die eingriffsähnliche Vorwirkung nimmt, sondern die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels.72 Da der Staat früher oder später zur Unterbindung emittierenden Verhaltens verpflichtet sei, sei die eingriffsähnliche Vorwirkung „rechtlich vermittelt“ (Rn. 187). Mit der Bejahung der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ ist der Weg geebnet, das KSG auch am Maßstab des gesamten objektiven73 Verfassungsrechts zu überprüfen. b) Zwar: Kein Verstoß gegen Art. 20a GG Zunächst wendet sich das Gericht dabei dem Staatsziel Umweltschutz zu. Hierbei stellt es zunächst fest, dass Art. 20a GG eine voll-justiziable Verfassungsnorm sei, die den Staat zum Klimaschutz verpflichte (Rn. 198, 205 ff.). Wie schon bei den grundrechtlichen Schutzpflichten führt es aus, dass der globale Charakter des Klimawandels einer rein nationalstaatlichen Verpflichtung nicht entgegenstehe, diese aber inhaltlich präge; die Bundesrepublik Deutschland sei zu internationalen Klimaschutzmaßnahmen angehalten (Rn. 199 ff.). Einen Verstoß gegen Art. 20a GG kann das Gericht letztlich aber nicht feststellen. Der Staat habe sich langfristig dem Ziel der Klimaneutralität verschrieben, was verfassungsrechtlich auch vorgegeben sei. Darüber hinaus könne eine Unterschreitung des von Art. 20a GG vorge71 Allgemein hierzu Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974. Vorliegend geht es allerdings nicht um die tatsächlichen Vorwirkungen konkreter Gesetzesvorhaben, sondern um die Bewertung unentrinnbar erscheinender Gesetze in ferner Zukunft, letztlich um Eingriffsprävention. 72 Kritisch hierzu Ruttloff/Freihoff (Fn. 29), S. 919. 73 Die von Beckmann (Fn. 29), S. 243 und Calliess (Fn. 3), S. 355 aufgestellte These, das Gericht gelange zu einer „Subjektivierung“ des Art. 20a GG lässt sich nicht halten, Schlacke (Fn. 3), S. 914. Art. 20a GG bleibt auch nach Konzeption des BVerfG rein objektives Verfassungsrecht (vgl. Rn. 112).

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schriebenen Mindestmaßes an Klimaschutz angesichts des gesetzgeberischen Spielraums aber nicht festgestellt werden (Rn. 211 ff., 236 ff., 238). Die Argumentation des Gerichts erinnert hierbei stark an die für die Schutzpflichten angeführte Begründung. c) Aber: „Intertemporale“ Unverhältnismäßigkeit Letztlich beanstandet das Gericht die Vorschriften des KSG aber doch. Anknüpfungspunkt ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, aus dem sich eine Pflicht ergebe, „die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen [Klimaschutzmaßnahmen] vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen“ (Rn. 243). Die vom KSG derzeit zugelassenen Emissionsmengen führten dazu, dass das Emissionsbudget bis zum Jahr 2030 weitgehend aufgebraucht werde. Nach diesem Zeitpunkt würden deshalb „Reduktionsanstrengungen […] unzumutbaren Ausmaßes“ erforderlich, um den von Art. 20a GG vorgegebenen Emissionsrahmen zu wahren (Rn. 246). Dies sei mit der Funktion der Grundrechte als „intertemporale Freiheitssicherung“ unvereinbar, sodass der Gesetzgeber aufgerufen sei, den Übergang zur Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten (Rn. 248). Im Vergleich zu diesen klaren Worten in der Begründung fällt die Rüge des Gerichts im Ergebnis aber vergleichsweise milde aus.74 Kritisiert wird allein die Vorschrift des § 4 Abs. 6 KSG, die eine Fortschreibung der Emissionsreduktionsziele jenseits des Jahres 2030 durch zustimmungsbedürftige Rechtsverordnung der Bundesregierung im Jahr 2025 vorsah. Diese Vorschrift werde den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gerecht, da sie keinerlei Vorgaben über die Höhe der Reduktionsziele enthalte und zudem offen lasse, wie weit der Reduktionspfad fortgeschrieben werden müsse. Zudem fordert das BVerfG ein, dass der weitere Reduktionspfad schon vor dem Jahr 2025 festgelegt wird. Ein Vorlauf von fünf Jahren sei zu kurz, um die zur Erreichung von Klimaneutralität erforderlichen Entwicklungen rechtzeitig anzustoßen (Rn. 258). d) Bewertung Der vom BVerfG gewählte Weg überzeugt nicht. Einerseits werfen die Ausführungen zu Art. 20a GG eine Reihe von Fragen auf, denen hier aus Platzgründen nicht nachgegangen werden kann.75 Entscheidend ist aber, dass das Gericht überhaupt nicht so weit hätte kommen dürfen. Denn das Kernstück seiner Argumentation, 74

Beckmann (Fn. 29), S. 242; Buser (Fn. 57); differenzierend Aust, Klimaschutz aus Karlsruhe, VerfBlog v. 05. 05. 2021: Das Gericht lasse den Gesetzgeber „die richtigen Schlüsse [selbst] ziehen.“ 75 Problematisch ist insb. der Ansatz, dem in § 1 Satz 3 KSG festgeschriebenen Langzeitziel „verfassungsrechtliche Orientierungsfunktion“ beizumessen, hierzu Beckmann (Fn. 29), S. 244.

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die „eingriffsähnliche Vorwirkung“, steht im Widerspruch zur anerkannten Grundrechtsdogmatik und kann problematische Folgewirkungen nach sich ziehen. Im Ausgangspunkt ist zwar zuzugeben, dass die (durchaus kreative) Konstruktion des BVerfG auf einer plausiblen Prämisse beruht: Sie erfasst den Umstand, dass heutige politische Entscheidungen irreversible Konsequenzen nach sich ziehen und politische Sachzwänge schaffen können, die das staatliche Handeln in Zukunft determinieren. Damit trifft das Gericht das o. g. Problem nicht nachhaltiger politischer Entscheidungen. Die hieraus gezogene Konsequenz überzeugt indes nicht. Das BVerfG stellt die heutige Duldung von CO2-emittierendem Verhalten unter Rechtfertigungszwang, da sie einem Grundrechtseingriff gleichkomme.76 Dies steht im Widerspruch zur Grundrechtsdogmatik, die anerkennt, dass die staatliche Duldung der Freiheit der einen nicht als Eingriff in die Grundrechte der anderen gewertet werden kann, weil sonst das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip auf den Kopf gestellt würde.77 Überzeugender wäre es gewesen, den Fall über die Schutzpflichtendogmatik zu lösen (s. o.).78 Den Beschwerdeführenden ging es gerade nicht um eine Abkehr von staatlichem Zwang, sondern im Gegenteil um ein Mehr an staatlichem Schutz. Dies entspricht grundrechtsdogmatisch dem status positivus, dem die staatlichen Schutzpflichten zugeordnet werden.79 Dieser Weg wäre verfassungspolitisch womöglich als schwererer Eingriff in die politische Gestaltungsfreiheit wahrgenommen worden.80 Tatsächlich wäre sie aber weniger invasiv gewesen, da sie den Prüfungsmaßstab des BVerfG klarer umrissen und nicht über die „Elfes“-Doktrin auf das gesamte Verfassungsrecht erstreckt hätte. Das Gericht wäre – entgegen vielfacher Befürchtungen – auch nicht selbst gestalterisch tätig geworden. Vielmehr hätte es sich auf die Feststellung des Verfassungsverstoßes beschränkt (vgl. § 95 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)81 und damit seine institutionelle Funktion, der politische Gestaltungsfreiheit im Interesse der Grundrechte etwas entgegenzusetzen, erfüllt.82

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Kritisch auch Sachs, JuS 2021, 708 (710). BVerfG (Kammer), NJW 1998, 3264 (3265) [BVerfG 26. 05. 1998 – 1 BvR 180/88]; vgl. auch VG Berlin NVwZ 2020, 1289 (1292); ebenso Isensee (Fn. 27), § 191 Rn. 258; a. A. nur die sog. Konvergenztheorie, hierzu Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 63 ff., 102 ff.; ders., NVwZ 1986, 611 (611). 78 So auch ausdrücklich Calliess (Fn. 3), S. 356; Sachs (Fn. 76), S. 710; vgl. zudem Fn. 57. 79 Isensee (Fn. 27), § 191 Rn. 3. 80 Vgl. etwa Schlacke (Fn. 3), S. 914. 81 Groß (Fn. 35), S. 342; Meyer (Fn. 5), S. 900; a. A. wohl Schlacke (Fn. 3), S. 914. 82 Vgl. auch Gerechtshof Den Haag (Fn. 41), Rn. 72; Groß (Fn. 35), S. 341. 77

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III. Einordnung des „Klimabeschlusses“ 1. Politische Reaktion Aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes ist der „Klimabeschluss“ des BVerfG ein Fortschritt.83 Dies liegt auch an der politischen Dynamik, die er entfalten wird und bereits entfaltet hat. Schon zwei Wochen nach der Bekanntgabe der Entscheidung, am 12. 05. 2021, wurde der „Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes“ vom Bundesumweltministerium in den Bundestag eingebracht und wenige Wochen später beschlossen.84 Kernelement des Gesetzes ist die Verschärfung des Langzeitziels: Treibhausgasneutralität soll nun schon bis 2045 erreicht werden. Die Zwischenziele wurden entsprechend angepasst und fortgeschrieben.85 Die Politik hat damit nicht nur schnell reagiert; sie hat die Vorgaben des BVerfG, das gerade keine inhaltliche Korrektur des bisherigen Reduktionspfades gefordert hatte, sogar übererfüllt. Auf den ersten Blick ist diese überschwängliche Reaktion der Politik auf den „Paukenschlag“ aus Karlsruhe überraschend. Man fragt sich, ob die bisherige Langsamkeit der Klimaschutzpolitik wirklich erforderlich war. Auf den zweiten Blick lässt das Verhalten aber verschiedene Schlüsse zu. Vielleicht ging es nur darum, das Thema schnell aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Womöglich soll im Zuge der allseits positiven Reaktionen auch in Vergessenheit geraten, dass es die Bundesregierung war, die das (verfassungswidrige) KSG eingebracht hatte und die letztlich zusammen mit Bundestag und Bundesrat auf der Verliererseite des Verfahrens stand. Bei einer wohlwollenden Betrachtung kann die positive Reaktion der Politik aber auch als Indiz dafür gewertet werden, dass effektiver Klimaschutz nicht (nur) am fehlenden Willen der Politik scheitert, sondern (auch) an der Angst vor Konsequenzen an der Wahlurne. Dies würde einmal mehr unterstreichen, dass die gerichtliche Kontrolle eine wichtige Rolle bei der gesamtstaatlichen Klimakrisenbewältigung spielt.86 Der Grund dafür, dass die Politik die Entscheidung positiv aufgenommen hat, dürfte aber auch darin liegen, dass das Gericht seine Kontrollaufgabe erfüllt, ohne selbst gestalterisch tätig zu werden. Dies gelingt, indem das Gericht einen im Ergebnis minimalinvasiven Eingriff in die politische Gestaltungsfreiheit mit einer wortgewaltigen Begründung versieht.87 Letztlich dürften manche der eindrucksvollen Beschlussgründe („intertemporale Freiheitssicherung“, „Verteilung von Freiheitschan83

Vgl. Calliess (Fn. 3) S. 357. BT-Drucks. 19/30230; PlenProt. 19/236, 30655; BR-Drucks. 576/21. 85 Bis 2030 ist eine Reduktion um 65 % und bis 2040 eine Reduktion um 88 % gegenüber 1990 vorgesehen. 86 Kloepfer/Neugärtner (Fn. 11), A, 41 Rn. 51. 87 Aust (Fn. 74) geht davon aus, dass das BVerfG zwischen den Zeilen mehr vom Gesetzgeber verlange, als sich dem Beschluss unmittelbar entnehmen lasse. 84

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cen über die Generationen“ etc.) für die politische Dynamik verantwortlich sein, die auf das Urteil folgte.88 2. Argumentative Schwächen Dabei soll freilich nicht verschwiegen werden, dass eben diese Begründung manche Schwächen aufweist. Dies beginnt beim Begriff der „intertemporalen“, d. h. zwischenzeitlichen, Freiheitssicherung, der trotz seines guten Klangs nicht wirklich trifft. Der Gedanke des BVerfG wäre mit „nachhaltiger Freiheitssicherung“ besser umschrieben gewesen. Dies gilt umso mehr, als der Begriff „intertemporal“ bislang vornehmlich als Kategorie des Kollisionsrechts bekannt ist, wo er die Frage beantwortet, welches Recht bei zeitlich veränderten Rechtslagen anwendbar ist.89 Auch darüber hinaus weist die Begründung des Beschlusses Inkonsistenzen auf. Einige Gedanken, etwa das Recht auf ökologisches Existenzminimum, werden eher angerissen, als zielführend in die Entscheidung einbezogen.90 Andere Erwägungen, wie die „eingriffsähnliche Vorwirkung“ einerseits und die „intertemporale Freiheitssicherung“ andererseits, erscheinen wenig trennscharf. Diese vom BVerfG gewählte Argumentationsform, bestimmte Argumente zu erwähnen, aber nicht auszudiskutieren, könnte dem Wunsch geschuldet sein, ein einheitliches Stimmverhalten im Gericht dadurch zu gewährleisten, dass alle Ansätze in der Entscheidung wenigstens erwähnt werden.91 3. Juristische Folgen Problematisch sind aber vor allem die juristischen Folgewirkungen, die der Klimabeschluss des BVerfG entfalten könnte.92 Er hat das Potential, eine „neue […] Phase des Grundrechtsschutzes“93 einzuleiten: Nicht nur bezieht er die zeitlichen Folgen staatlichen Handelns in die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein. Er wertet auch das staatliche Handeln allein wegen seiner Langzeitfolgen als Grundrechtseingriff. Dieser Ansatz birgt die Gefahr, auf andere Politikfelder übertragen zu werden, die weder in der Sache, noch in ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung (vgl. Art. 20a GG) mit dem Anliegen des Klimaschutzes vergleichbar sind. Schon jetzt wird diskutiert, ob nicht z. B. schuldenfinanzierte Zukunftsinvestitionen als eingriffs-

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Vgl. Beckmann (Fn. 29), S. 243. Hess, Intertemporales Privatrecht, 1998, 31 ff. 90 Buser (Fn. 57); vgl. auch oben Fn. 48. 91 Die gegenteilige These (Einstimmigkeit durch Auslassen einer eingehenden Begründung) vertritt Breuer, Die Freiheit der Anderen, VerfBlog v. 18. 05. 2021. 92 Kritisch auch Beckmann (Fn. 29), S. 241. 93 Beckmann (Fn. 29), S. 251. 89

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ähnlich eingestuft werden können, weil sie den Haushalt von morgen belasten.94 Weiter stellt sich die Frage, ob Gesetze mit „eingriffsähnlicher Vorwirkung“ in jeder Hinsicht wie Grundrechtseingriffe behandelt werden müssen, sodass etwa auch der Vorbehalt des Gesetzes greift. Dies könnte den Staat langfristig lähmen. Welche Dynamik die „intertemporale“ Kontrolle des Gerichts in Zukunft entfalten wird, ist heute noch kaum abzusehen.95 4. Institutionelle Risiken Fest steht, dass der Beschluss die Entscheidungskompetenz in genuin politischen Fragen zu Gunsten des BVerfG verschiebt.96 Dies ist zwar aufgrund der Besonderheiten im Bereich des Klimaschutzes sachlich gerechtfertigt (s. o.), weshalb die Reaktion aus der Politik auch positiv ausfiel. Langfristig birgt eine solche Verschiebung der Entscheidungskompetenz aber das Risiko, auf Gegenwehr aus der Politik, zu stoßen – etwa durch die viel stärker politisch motivierte Wahl von Richter:innen oder die Zurückdrängung der Gerichtszuständigkeiten. Das BVerfG täte daher gut daran, den nunmehr eingeschlagenen Weg auf die singuläre Herausforderung des Klimawandels zu beschränken.97

IV. Fazit Das Verfassungsrecht und die Verfassungsgerichtsbarkeit nehmen entscheidende Rollen ein bei der staatlichen Aufgabe, den Klimawandel zu bekämpfen. Sie müssen ein Gegengewicht zum alltäglichen politischen Geschehen darstellen, das nicht alle Betroffenen einbezieht und allzu oft an kurzfristigen Erfolgen an der Wahlurne orientiert ist. Daher ist es zu begrüßen, dass das BVerfG mit seinem „Klimabeschluss“ einen starken Impuls für mehr Klimaschutz geschaffen hat. Gleichwohl kann die vom Gericht gewählte Lösung über die zeitliche Dimension der Eingriffsabwehrrechte nicht wirklich überzeugen. Nicht nur steht der ambitionierte Umbau der Grundrechtsdogmatik durch das BVerfG in einem Missverhältnis zum letztlich eher mageren Ergebnis der Teilverfassungswidrigkeit des KSG. Die Ausdehnung des Eingriffsbegriffs könnte auch bedenkliche Folgewirkungen haben. Insoweit birgt der Beschluss durchaus Risiken für die gewachsene Verfassungssubstanz.

94 Ruttloff/Freihoff (Fn. 29), S. 918; zu Recht kritisch Sachs (Fn. 76), S. 711; Beckmann (Fn. 29), S. 243 spricht gar von einer „Zeitbombe“. 95 Beckmann (Fn. 29), S. 251. 96 Wegener (Fn. 11), S. 12; allgemein hierzu Kloepfer (Fn. 50), § 48 Rn. 63. 97 Breuer (Fn. 91).