Das doppelte Erhabene: Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts 9783110934847, 9783484181755

In the 1980s the sublime was rediscovered in the context of the debates on postmodernism. The emphasis here was on the t

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German Pages 420 [424] Year 2006

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Table of contents :
Einleitung
I. >Rhetorical< und >natural sublime< - Zur Forschungsdiskussion ..
II. Longin und der frühneuzeitliche Rhetorik-Diskurs
III. Simplizität und Sublimität - Aspekte eines ästhetischen Diskurses
1) Theoriegeschichtliche Grundlagen
2) Synkretistische Stiltypologien: Die Ideenlehre des Hermogenes im Kontext der frühneuzeitlichen Rhetorik
3) >TheorhetorPassionPoetrySublimityhebräischen PoesieLa quereile du Fiat luxSchweizer< (Bodmer/Breitinger, Pyra, Sulzer)
3) Erhabenheit und Scharfsinn: Gottscheds Stilartenlehre und das Problem der Regeln
4) Autor statt Text: Longins imitatio-Konzeption und ihre Rezeption bei Klopstock
V. >Simplicity< und >Sublimity< im britischen Theoriekontext
1) >The Longinian Tradition< und >Eighteenth-Century Ciceronianism< (John Ward)
2) >Uniformity< und >Simplicity< – Veränderungen des Erhabenheitsbegriffs um die Jahrhundertmitte
3) Rhetorikkritik im Rhetoriklehrbuch: Hugh Blair
VI. Das Naive und das Erhabene in der Spätaufklärung
Schluß: Traditionsbruch und >Selbstgefühl
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Das doppelte Erhabene: Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
 9783110934847, 9783484181755

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Herausgegeben von Wilfried Barner, Georg Braungart und Conrad Wiedemann

Band 175

Dietmar Till

Das doppelte Erhabene Eine Argumentationsfigur von der Antike bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2006

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-18175-5 ISBN-10: 3-484-18175-3

ISSN 0081-7236

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Unternehmen der K. G. Saur Verlag GmbH, München http:/'/www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Dietmar Till, Tübingen Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Einband: Geiger, Ammerbuch

Inhalt

Einleitung

ι

I. >Rhetorical< und »natural sublime< - Zur Forschungsdiskussion

..

II. Longin und der frühneuzeitliche Rhetorik-Diskurs

21

III. Simplizität und Sublimität - Aspekte eines ästhetischen Diskurses 1) Theoriegeschichtliche Grundlagen

2) Synkretistische Stiltypologien: Die Ideenlehre des Hermogenes im Kontext der frühneuzeitlichen Rhetorik a) >Rhetorisierte< Interpretation: Hermogenes in Ubersetzung und Kommentar (Georg von Trapezunt, Sturm, Scaliger) b) Konkurrenz und Koexistenz: Rhetorische Dreistillehre und hermogenianische Ideenlehre in frühneuzeitlichen Rhetoriken (Vossius, Aisted, Keckermann) c) "Υψος - Emanzipation einer ästhetischen Kategorie

a) Apologie und Kritik der Rhetorik: Das Problem des Bibelstils b) Die Erhabenheit der Heiligen Schrift: Bibelphilologie, Rhetorik, hellenistische Literaturkritik (Glassius, Flacius Illyricus, Scaliger)

42 48

a) Die Lehre von den genera dicendi in der antiken Rhetorik b) Augustinus und die Doktrin vom sermo humilis c) Aufrichtigkeit und Einfachheit: Ethik und Ästhetik in der Begriffsgeschichte von simplicitas d) Das Erhabene in der hellenistischen Literaturkritik (Ps.-Demetrius, Hermogenes, Longin)

3) >TheorhetorPassionPoetrySublimityhebräischen Poesie
La querelle du Fiat lux
Modernen< im Kontext der Querelle des Anciens et des Modernes . . . . 224 IV. Longin-Rezeption im Deutschland der Aufklärung: Boileau und die Folgen

234

1) Argutia-Poetik, galante Stil-Konzepte und die Aufwertung des ingenium

234

2) Einfachheit und Erhabenheit im Umkreis der >Schweizer< (Bodmer/Breitinger, Pyra, Sulzer)

263

3) Erhabenheit und Scharfsinn: Gottscheds Stilartenlehre und das Problem der Regeln

290

4) Autor statt Text: Longins imitatio-Konzeption und ihre Rezeption bei Klopstock

309

V. >Simplicity< und >Sublimity< im britischen Theoriekontext

317

1) >The Longinian Tradition< und >Eighteenth-Century Ciceronianism< (John Ward)

317

VI

2) >Uniformity< und >Simplicity< - Veränderungen des Erhabenheitsbegriffs um die Jahrhundertmitte

328

3) Rhetorikkritik im Rhetoriklehrbuch: H u g h Blair

338

VI. Das Naive und das Erhabene in der Spätaufklärung

347

Schluß: Traditionsbruch und >Selbstgefühl
Erhabenen< in Deutschland beginnt an einem Montag: Es ist der 3. April 1990. Im Nachrichtenmagazin >Der Spiegel· erschien an diesem Tag ein ausführlicher Artikel mit dem bewußt doppeldeutigen Titel >Gemischtes Gefühl·. Als der »Sattlersohn Immanuel Kant aus Königsberg« 1764, so heißt es dort, seine »Beobachtungen über das G e f ü h l des Schönen und Erhabenen< veröffentlichte, sei die Reaktion auf die »45 Seiten« erst einmal »dürftig« geblieben. 1982 aber, als Jean-Fran9ois Lyotard »diese sehr deutschen Erkenntnisse [ . . . ] in die Finger« kamen, führten sie, wie der ungenannte Autor weiter ausführt, zu einer Renaissance des Erhabenen, die den Begriff der >Postmoderne< als Vokabel für die Beschreibung des herrschenden Zeitgeistes ablöste. Das Erhabene sei, wie das Magazin den Philosophen Jean-Luc N a n c y zitiert, regelrecht »in Mode«. 1 Der Bericht des >Spiegelerhabenen< Bildern der Niagara-Fälle, der Pyramiden in Giseh und einer Photographie der »jungefn] H o f f n u n g der Denkerzunft«, der »28jährigen Philosophin« und Lyotard-Schülerin Christine Pries (damals Doktorandin an der Freien Universität Berlin) versehen, versucht in etwas polemischer Manier eine Diskussion nachzuzeichnen, die, von Frankreich ausgehend, am Ende der 1980er Jahre größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. 2 1988 publizierten Michel D e g u y und Jean-Luc N a n c y den Sammelband >Du sublimes der das Erhabene unter anderem an die Philosophie Martin Heideggers anzuschließen versucht. Im Jahr darauf wurde die Diskussion, die eine etwas breitere Vorgeschichte hat, als an dieser Stelle dargestellt werden kann, auch in Deutschland intensiv rezipiert. 3

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J

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Alle Zitate nach: Anonymus: Gemischtes Gefühl. In: Der Spiegel N r . 14 (1990), S. 2 6 4 - 2 6 9 . - Vgl. Jean-Luc Nancy: L ' o f f r a n d e sublime [1984]. In: D u sublime. Hrsg. v. Michel D e g u y / J . - L . N a n c y . Paris 1988, S. 3 7 - 7 5 , hier S. 37: »Le sublime est ä la mode.« D e r Artikel montiert Zitate aus der Einleitung von Christine Pries in: Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Hrsg. v. C h r . Pries. Weinheim 1989, S. 1 - 3 0 . - Christine Pries' Dissertation erschien übrigens 1995: Chr. Pries: Ubergänge ohne Brücken: Kants Erhabenes zwischen Kritik und Metaphysik. Berlin 1995 (= Acta humaniora). Diese Diskussion ist vor allem im organisatorischen G e f ü g e von Zeitschriften-

Der >Merkur< veröffentlichte unter dem Titel >Die Sprache des Erhabenen. Das Bild des Erhabenen. Die erhabene Tat< ein Sonderheft, und Christine Pries gab den wichtigen Sammelband >Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn< heraus. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels im >Spiegel< im Jahre 1990 ist die Debatte um das Konzept des >ErhabenenPlötzlichkeit< realisiert hat, die auch dem Erhabenen selbst eigentümlich ist, weitgehend beendet. Als 1991 Lyotards >Legons sur l'Analytique du sublime< erschienen - »Vorbereitungsnotizen« seiner Seminare über die >Kritik der Urteilsk r a f t an der Universität Paris VII, die ganze Generationen von Studenten gehört hatten - stießen sie nur noch auf ein bescheidenes Echo. 4 Bereits 1994 konnte Carsten Zelle schließlich einen ersten und umfassenden Rückblick auf die Begriffsgeschichte seit dem 17./18. Jahrhundert und eine Rekonstruktion der modernen Debatte im Kontext der >Postmoderne< vorlegen.' Seither ist die produktive Diskussion weitgehend zum Erliegen gekommen. 6 Wohl keine Kategorie der neueren Ästhetikgeschichte hat im 19. Jahrhundert eine so tiefgreifende und fast komplette Marginalisierung erfahren, und kaum ein ästhetisches Konzept hat am Ende des 20. Jahrhunderts eine so breite und kontroverse, den »akademischen Rahmen« 7 nachhaltig sprengende Debatte erlebt wie das >ErhabeneWirklichkeitUnsere postmoderne Moderne< die Diskussion um die Postmoderne in Deutschland wesentlich initiiert und auch gesteuert hat,14 fordert Pries eine neue Form der Ästhetik, die sich unter dem Begriff der aisthesis nicht nur mit der (auch nicht notwendig >schönenNegativität< gekennzeichneten) Kunst, sondern mit der Problematik der Wahrnehmung insgesamt beschäftigen soll: Aisthetik statt Ästhetik.' 5 Die Diskussion um das Erhabene treffe deshalb »unerwartet den Nerv unseres Wirklichkeitsverständnisses.«16

9

Pries: Einleitung, S. 24. Pries: Einleitung, S. 25. " Ebd. 12 Vgl. dazu die großangelegte Zeitdiagnose von Wolfgang Welsch: Z u r Aktualität ästhetischen Denkens. In: ders.: Ästhetisches Denken. Stuttgart 2 1991 (= R U B 8681), S. 4 1 - 7 8 , hier S. 46ff., S. $6ff. 13 Jean-Frangois Lyotard: Postmoderne für Kinder. Wien 1987, S. 26f.; ders.: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hrsg. v. Wolfgang Welsch. Weinheim 1988, S. 1 9 3 - 2 0 3 , hier S. 202f. - Z u pauschal scheint mir das Verdikt Dieter Schlenstedts zu sein, der mit Blick auf Lyotard von bloßem »Gerede« spricht: D. Schlenstedt: Darstellung. In: A G B 1 (2000), S. 8 3 1 - 8 7 5 , hier S. 8 3 7 ^ '* Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne. Berlin '2002. Erstaunlicherweise nimmt das Erhabene in Welschs Grundlagenbuch eine nur marginale Rolle ein. 15 Pries: Einleitung, S. 25; vgl. auch Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hrsg. v. Karlheinz Barck [u.a.], Leipzig 1990 (= ReclamBibliothek, Bd. 1352). 16 Pries: Einleitung, S. 2.

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Letzteres hat sich in den letzten 15 Jahren, wenn nicht grundlegend verändert, so doch entspannt. Das im Konzept des Erhabenen, das Pries im Anschluß an Kant als ein zweiphasiges Gefühl aus >Unlust< und >Lust< bestimmt, aufgehobene Gefühl einer Gefährdung des Individuums scheint auch in Zeiten von Internet und virtual reality kein Thema mehr zu sein. Eher besteht Gefahr, daß man mit dem Erhabenen wieder jene »bombastischen Assoziationen« verbindet, die einer spezifisch deutschen »monumentalischen Form des Erhabenen« eignet, wie sie auch Lyotard vehement abgelehnt hatte.17 Nach dem Ende der Debatten um die Postmoderne ist auch die Diskussion um das Erhabene versiegt. Nancy hatte im Rückblick unfreiwillig recht, als er schon 1984 die Konjunktur des Erhabenen als eine Modeerscheinung bezeichnet hatte. Das vorliegende Buch knüpft an diese Debatten nicht an.'8 Es geht im Gegenzug vom >blinden Fleck< der postmodernen Erhabenheitsdebatte aus: ihrer Geschichtslosigkeit.1' Die historische Dimension des Begriffs möchte die Studie programmatisch zurückgewinnen. Sie wird sich nicht an Diskussionen um die Aktualität des Erhabenen beteiligen, die am Ende der 1980er Jahre doch nur um den Preis begrifflicher Unscharfe geführt werden konnten - einer Unscharfe allerdings, der durchaus programmatische Züge eigneten. Pries' Eingeständnis, daß sich das Erhabene als ein paradoxes Gefühl begrifflich nicht exakt bestimmen lasse, mag in der Sache zutreffend sein, einer historischen Rekonstruktion der wechselvollen Geschichte des Erhabenen hat das Interesse der Postmoderne aber eher geschadet.20 Deutlich

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4

Wolfgang Welsch: Die Geburt der postmodernen Philosophie. In: ders.: Ästhetisches Denken. Stuttgart ' 1 9 9 1 (= R U B 8681), S. 7 9 - 1 1 3 , hier S. 90. Z u r >Politisierung< des Erhabenen in Faschismus und Nationalsozialismus, aber auch zum E r habenen in Futurismus und Expressionismus vgl. Heininger: Erhaben, S. 301 ff. Ein dezidiert philosophisches Interesse verfolgt eine neuere Studie von Andrea Vierle. Sie diskutiert das Erhabene im Rahmen einer Erörterung der »Grundfragen der menschlichen Existenz, die zu immer neuen Antworten und Auseinandersetzungen herausfordern«: »Das Fragen nach einer Wahrheit des Erhabenen geht dieser Wegweisung nach: es bezieht sich auf die Philosophiegeschichte, um in ihr insbesondere das Offengebliebene, Fragliche und Unbewältigte neu zu entdecken und daraus Ansätze f ü r ein weitergetriebenes Befragen zu finden.« (A. Vierle: Die Wahrheit des Poetisch-Erhabenen. Studien zum dichterischen Denken. Von der Antike bis zur Postmoderne. Würzburg 2004 [= Epistemata, Bd. 360], S. 9). A n solchen Spekulationen möchte sich vorliegende Studie nicht beteiligen. Sie zeigt sich insbesondere auch in den historischen Abschnitten der neuesten Uberblicksdarstellung zum Erhabenen, die leider Einseitigkeiten und eine beträchtliche Zahl sachlicher Fehler aufweist. Vgl. Philip Shaw: The Sublime. L o n d o n / N e w Y o r k 2006 (= The N e w Critical Idiom). Ausnahmen hiervon sind die Arbeiten Carsten Zelles, denen auch vorliegendes

zeigt sich dies an der postmodernen Verengung der Begriffsgeschichte auf die Theorien Edmund Burkes (>A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and BeautifulSchaltstellenfunktionKritik der Urteilskraft (1790) zuschreibt. Nur selten allerdings wurde untersucht, welches Verhältnis zwischen den »älteren Theorien und den neueren Reflexionen«21 der Gegenwart besteht. Mit Ausnahme der Rezeption von Boileaus >Traite du sublime< (1674), der ungemein wirkungsmächtigen Übertragung von περί ϋψους [peri hypsus] ins Französische, ist die Geschichte des Erhabenen vor Burke und Kant noch eine Landkarte mit vielen weißen Stellen. Ziel dieser Studie ist die Neuvermessung dieses unübersichtlichen Terrains. Sie wendet dazu ihren Blick nicht von Kant und Burke zurück auf Longin, sondern setzt bei der Rezeptionsgeschichte des Traktates >Peri hypsus< - im Deutschen etwa >Über das Erhabene« oder >Über das Hohe< von Pseudo-Longinos (vermutlich aus dem 1. Jh. n. Chr.) an.22 Die Abhandlung des nicht näher bekannten und im folgenden deshalb als >Longin< bezeichneten Autors ist der zentrale Referenztext der Tradition des Erhabenen vor Burke und Kant. 23 Die Geschichte des Begriffes ΰψος [hypsos] wird also

Buch verpflichtet ist. Vgl. vor allem Zelle: Die doppelte Ästhetik. Im Titel der vorliegenden Studie wird der Leser unschwer eine Anspielung auf den Titel von Zelles Buch erkennen. " Pries: Einleitung, S. 7. 11 Die beiden Begriffe >Wirkungsgeschichte< und >Rezeptionsgeschichte< gebrauche ich im folgenden synonym. Ersterer Begriff geht zurück auf Hans-Georg Gadamer, letzterer verdankt seine Prominenz vor allem der Rezeptionsästhetik von Hans Robert Jauß. Z u r Differenz vgl. Gunter Grimm: Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer Theorie. Mit Analysen und Bibliographie. München 1977 (= U T B 691), S. 2 8 - 3 0 . - Z u r Rezeptionsgeschichte insgesamt vgl. Wilfried Barner: Wirkungsgeschichte und Tradition. Ein Beitrag zu Methodologie der Rezeptionsforschung [1975]. In: ders.: Pioniere, Schulen, Pluralismus. Studien zur Geschichte und Theorie der Literaturwissenschaft. Tübingen 1997, S. 2 5 3 - 2 7 6 ; ders.: Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Literatur [1978]. In: ebd., S. 3 1 1 - 3 2 7 . 25

Die Frage nach dem Verfasser von >Peri hypsus< kann in diesem Buch, obwohl f ü r die Rezeption durchaus von Interesse (vgl. Zelle: Die doppelte Ästhetik, S. J4f.), nicht eingehender diskutiert werden. Auch Entstehungszeit und philosophische Traditionen, in denen der Traktat steht, werden nur gestreift. Z u r Verfasserfrage schreibt Otto Schönberger in seiner Reclam-Ausgabe das Nötige: »Wir kennen [ . . . ] ihren Verfasser nicht. [ . . . ] Der C o d e x Parisinus 2036 macht unterschiedliche Angaben; im Inhaltsverzeichnis ( 1 . Blatt) steht: >Von Dionysios oder [!] LonginosVon Dionysios L o n ginosPeri hypsus< verstanden noch als >Einflußgeschichte< im Sinne einer unspezifischen Wirkung einzelner Ideen. Deren Untersuchung ist zwar Voraussetzung für eine Geschichte des Erhabenen, wie sie hier vorgelegt werden soll, doch kann sie alleine nicht die Konjunkturen und Spezifika der Wirkungsgeschichte von Longins Text erklären. Dafür wird ein komplexeres Modell vorgeschlagen, das die Strukturen des Traktates und seinen Gattungskontext ebenso einbezieht wie die Erwartungshaltung der zeitgenössischen Leserschaft. Letzteres zielt für die frühneuzeitliche Rezeption vor allem auf die Theorie der Rhetorik, die seit der Antike und bis ins 18. Jahrhundert zentrale Texttheorie. In Schule und Universität institutionalisiert und damit mit einer entsprechenden Durchsetzungskraft ausgestattet, beherrschten rhetorische Normen die Textproduktion wie -rezeption. Im Unterschied zur Rezeption von fiktionalen Texten muß hier beachtet werden, daß der Leser zwar auch bei normativ-pragmatischen Texten >Leerstellen< füllen und dadurch ein spezifisches >Sinnpotential< entfalten möchte, die sozialen Institutionen und Dispositive allerdings gerade daran arbeiten, den Auslegungsspielraum möglichst gering zu halten, um die Doktrin nicht zu verwässern. 24 Eine Wirkungsgeschichte, die am Methodenvorbild der Hermeneutik ausgerichtet ist, kann also nicht mit einem abstrakten Begriff von >Text< arbeiten,2' den es im Falle >klassischer< Texte, die immer in Form von späteren Editionen rezipiert werden (und deren Text-Status deshalb auch, denkt man etwa an das Problem der Textkonstitution, erstaunlich fraglich bleibt), niemals gibt.26 Das naive Konzept der Rezeptionstheorie vom

der Königin Zenobia von Palmyra (3. Jh. n. Chr.) kommen als Verfasser in Frage.« (Schönberger, S. 135). - Statt von (präziser) >Pseudo-Longin< spreche ich im folgenden einfach von >Longin< als dem Verfasser des Traktats >Peri hypsusCollege de France< entfaltet hat: Michel Foucault: L'ordre du discours. L e j o n inaugurale au College de France prononcee le 2 decembre 1970. Paris 1 9 7 1 , S. 23 ff.

15

Vgl. Barner: Wirkungsgeschichte und Tradition, S. 253: »Denn selbst w o noch immer, bewußt oder unbewußt, mit der Fiktion eines überzeitlichen Textes an sich< gearbeitet wird, lassen sich dessen reale Wirkungen nur in der geschichtlichen Jeweiligkeit des WirkungsVorgangs erfassen und analysieren.«

16

Klassische Studie: E . J. Kenny: The Classical Text. Aspects of Editing in the A g e of the Printed Book. Berkeley/Los Angeles/London 1974 (= Sather Classical Lectures, Bd. 44).

6

Text >als solchemMacht< ergänzt. 27 Ein Beispiel: Wenn Christian Thomasius am Ende des 17. Jahrhunderts Longins Traktat als Abhandlung über den >hohen Stil< liest (und ihn damit gründlich mißversteht), dann ist diese Fehlrezeption durch eine >rhetorisierte< Auslegungstradition bedingt, die ihrerseits den Erwartungshorizont des Hallenser Philosophen (als einer Kontextbedingung angemessenen Verstehens) normiert. Sie wirkt damit in der Weise rezeptionssteuernd, daß sich das Sinnpotential des >ursprünglichen< Textes gerade nicht mehr ungehindert entfalten kann. Vor diesem Hintergrund sind die Ausgaben und Übersetzungen von >Peri hypsus< zentral. Sie haben durch paratextuelle Elemente, eine entsprechende Konstruktion des Autors und auch durch die verwendete Teminologie in der Zielsprache einen entscheidenden Einfluß. 28 Interessant sind also weniger die im Text angelegten Signale des Autors, sondern rezeptionssteuernde Elemente eines Dritten, also >allographe< und editorische Paratexte. 2 ' Anders als bei der Rezeption literarischer Texte steht also nicht die rezeptionsästhetische Frage nach der >Offenheit< von Texten im Zentrum (im Sinne einer >Offnung< des Sinnpotentials, das konkurrierende Interpretationen nicht ausschließt, ja theoretisch legitimiert), sondern die nach der >Ge-

27

Das ist in Gadamers Modell der Wirkungsgeschichte im übrigen durchaus vorgesehen, auch wenn dieses Problem nicht explizit gemacht wird. Gadamer geht ja aus von der grundsätzlichen Differenz von Autor und Leser, der durch den historischen Abstand von Produktion und Rezeption gegeben ist. Dieser »Abgrund« allerdings ist »ausgefüllt durch die Kontinuität des Herkommens und der Tradition« (Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen ö i990 [= Gesammehe Werke, Bd. 1], S. 302), wie sie sich auch in den einzelnen Ausgaben zeigen. Daß diese allerdings selbst den Status eigenständiger Werke erlangen können, kommt Gadamer nicht in den Sinn, dessen Intention bei aller Differenzrhetorik doch auf die Einholung des ursprünglichen* Sinnes fixiert bleibt.

18

Vgl. Gerard Genette: Paratexte: Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt a. M. 1992 (frz. Seuils. Paris 1987); Anthony Grafton: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote. Berlin 1995, S. 13 ff.; sowie die Beiträge in: Cognition and the Book. Typologies of Formal Organisation of Knowledge in the Printed B o o k of the Early Modern Period. Hrsg. v. Karl A . E. Enenkel/Wolfgang Neuber. Leiden/Boston 2005 (= Intersections, Bd. 4).

19

Dies im Unterschied zu dem Modell der Rezeptionsästhetik. Vgl. die Darstellung in Grimm: Rezeptionsgeschichte, S. 3 2 f.

7

schlossenheit< (im Sinne einer >Ausschließung< von Deutungsvielfalt), die pragmatische Texte haben müssen, wenn sie auf eng umgrenzten sozialen Feldern >funktionieren< sollen. Es geht also nicht nur darum, wie der >Erwartungshorizont< des Lesers den Sinn der nachfolgenden Lektüre eines Textes schon präformiert, sondern wie pragmatische Texte ihren idealen Leser selbst modellieren - und wie Editoren, Drucker, Kommentatoren und Ubersetzer dafür eine besondere Sorge tragen.30 Mit Blick auf die Wirkungsgeschichte Longins schließlich entsteht aus der Dominanz des rhetorischen Diskurses ein Spannungsverhältnis, dessen Darstellung der Kern dieser Studie ist. Dieses Spannungsverhältnis wird im Begriff des >doppelten Erhabenen< gefaßt: >Peri hypsus< wird heute in der Literaturwissenschaft überwiegend als rhetorische Schrift verstanden, obwohl die klassische Philologie längst herausgearbeitet hat, daß Longin nur äußerlich an das rhetorische System anknüpft, dabei aber Positionen vertritt, die mit der rhetorischen Doktrin nicht vereinbar sind - oder diese sogar unterlaufen. In dieser Hinsicht geht es in diesem Buch tatsächlich um diejenigen >GrenzenKritik der U r t e i l s k r a f t wird Longin genannt.

36

»Was die Alten über diese wichtigen Gegenstände gesagt, hatte ich seit einigen Jahren fleißig, w o nicht in einer Folge studiert, doch sprungweise gelesen. Aristoteles, Cicero, Quinctilian, Longin, keiner blieb unbeachtet, aber das half mir nichts: denn alle diese Männer setzten eine Erfahrung voraus, die mir abging. Sie führten mich in eine an Kunstwerken unendlich reiche Welt, sie entwickelten die Verdienste vortrefflicher Dichter und Redner, von deren meisten uns nur die Namen übrig geblieben sind, und überzeugten mich nur allzu lebhaft, daß erst eine große Fülle von Gegenständen vor uns liegen müsse, ehe man darüber denken könne, daß man erst selbst etwas leisten, ja daß man fehlen müsse, um seine eignen Fähigkeiten und die der andern kennen zu lernen.« (Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit. Aus meinem Leben. Hrsg. v. Klaus-Detlef Müller. Frankfurt a. M. 1986 [= Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, Bd. I/14], S. 587).

37

Vgl. Heininger: Erhaben, S. 288. 1X

Deutschland - seit dem Erscheinen von Kants >Kritik der Urteilskraft (1790) an dem Werk des Königsberger Philosophen. Dieser wird die Staffel dann an Hegel weitergeben, der wiederum die Ästhetik des Idealismus (Friedrich Theodor Vischer u.a.) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestimmt. Danach gerät das Erhabene als Kategorie der philosophischen Ästhetik weitgehend in Vergessenheit. 38 Die vorliegende Studie endet deshalb systematisch mit Burkes und Kants Theorien - und damit mit jenen Schriften, die in der zurückliegenden Erhabenheitsdebatte im Rahmen der >Postmoderne< eine zentrale Rolle einnahmen.

' 8 W i l h e l m Weischedel übrigens fordert bereits 1960 in einem w e n i g bekannten A u f satz z u einer R e h a b i l i t a t i o n des Erhabenen< auf - mit A r g u m e n t e n , die sich an K a n t und Schiller orientieren und sich als eine V o r w e g n a h m e des p o s t m o d e r n e n Interesses am Erhabenen lesen lassen (W. Weischedel: Rehabilitation des Erhabenen. In: Erkenntnis und Verantwortung. FS T h e o d o r Litt. H r s g . v. Josef D e r b o l a v / Friedhelm N i c o l i n . D ü s s e l d o r f i960, S. 335 — 345). 12

I. >Rhetorical< und >natural sublime< Zur Forschungsdiskussion

Ronald S. Crane hat 1936 in einer Rezension von Samuel Η . Monks epochaler Monographie >The Sublime< (1935) eine folgenreiche Differenz zwischen einem >rhetorical sublime< und einem >natural sublime< formuliert, die in der Forschung seither immer wieder zum Gegenstand von Kontroversen geworden ist. Ästhetikgeschichtlich besagt das Schema, daß es in der Frühen Neuzeit einen Ubergang vom Sublimen der - angeblich >rhetorischen< Longin-Tradition zu einem neuen Typus des Erhabenen gab, der sich nicht mehr auf Kunst und Literatur beschränkt, sondern Sublimität als Eigenschaft einer besonderen Form der Natur-Wahrnehmung charakterisiert.' Rhetorikhistorisch besagt die These, so resümiert U w e Spörl 1999 die Diskussion, »daß es ein rhetorisch nicht mehr zu begreifendes, ästhetisches Konzept des >Naturerhabenen< in der Poetik und Poesie des beginnenden 18. Jahrhunderts gab.« 2 Z w e i Aspekte sind also bedeutsam: Einerseits der >Aufstieg< einer neuen Form des Vergnügens an der erhabenen Außenwelt und andererseits, damit aber unmittelbar zusammenhängend, die Emanzipation dieser Naturwahrnehmung von einer monolithisch verstandenen rhetorischen Tradition. In den 1950er Jahren ist Cranes dichotomisches Begriffspaar von Marjorie H o p e Nicolson, Ernest Tuveson und Frederic Staver in einigen äußerst

1

R o n a l d S. C r a n e : R e z . M o n k , T h e Sublime. In: Philological Q u a r t e r l y 1 5 ( 1 9 3 6 ) , S. 1 6 5 - 1 6 7 . C r a n e unterscheidet dort » t w o lines of d e v e l o p m e n t « : » F o r the writers in the first list the >Sublime< w a s in the main the >Sublime< of L o n g i n u s , i.e., that quality, difficult to define but easily detectable b y sensitive minds familiar with the great masterpieces, w h i c h gives distinction to w o r k s of literature and plastic art; and their typical p r o c e d u r e , like that of L o n g i n u s himself, consisted in v i e w i n g w o r k s in terms of the mental p o w e r s - the genius, imagination, creative e n e r g y - of their authors and in determining their value b y reference to the quality of the soul that shines t h r o u g h them o r t h r o u g h particular passages or parts of them. It w a s essentially a rhetorical a p p r o a c h « (S. 165). - »The distinctive thing about the writers of the second list w a s that they s o u g h t the >Sublime< not p r i m a r i l y in w o r k s of literature o r plastic art but in natural objects of one kind o r another« (S. 166). Letzteres sei »far e n o u g h r e m o v e d f r o m the p r o p e r L o n g i n i a n approach.« (ebd.).

2

U w e Spörl: B e r g e , M e e r und Sterne als E r h a b e n e s in der N a t u r ? E i n e U n t e r s u c h u n g zur P o e t i k der F r ü h a u f k l ä r u n g und der >poetischen Malerei< B r o c k e s ' . In: D V j s 73 (1999), S. 2 2 8 - 2 6 5 , hier S. 228.

einflußreichen A u f s ä t z e n und Monographien fruchtbar gemacht worden. 3 In der germanistischen Diskussion ist es jedoch erst seit dem Beginn der 1980er Jahre rezipiert w o r d e n . Christian Begemann faßt 1983 den Diskussionsstand folgendermaßen zusammen: Im Zuge der Lösung der Poetik und Dichtung von der Rhetorik, an die sie im Barock gebunden waren, zeigt sich eine >Entrhetorisierung< auch des Erhabenheitsbegriffs: Dieser wird im 18. Jahrhundert zumeist nicht mehr als rhetorische, immer seltener aber auch als poetische Kategorie gefaßt, sondern zunehmend auf reale Gegenstände unabhängig von ihrer rhetorischen oder poetischen Faktur ausgedehnt.4 Im 17. Jahrhundert dagegen begegne der »Begriff des Erhabenen b z w . Sublimen [ . . . ] allein als rhetorischer terminus technicus [ . . . ] , der bestimmte stilistische Qualitäten bezeichnet«. 5 Einmal mehr w i r d hier die Verfallsgeschichte der >alten< Rhetorik und der A u f s t i e g der >modernen< Ästhetik in ein Verhältnis wechselseitiger Übergängigkeit gesetzt. 6 D i e Übertragung des

3

Die Forschung wird ausführlich referiert bei: Spörl: Berge, Meer und Sterne als Erhabenes in der Natur?, S. 229-236. - Die einzelnen Arbeiten, auf die hier nicht näher eingegangen werden muß: Ernest Tuveson: Space, Deity, and the »Natural SublimeSublime< as Applied to Nature. In: Modern Language Notes 70 (1955), S. 484-487; Marjorie Hope Nicolson: Mountain Gloom and Mountain Glory. The Development of the Aesthetics of the Infinite. Ithaca, N J 1959; dies.: Sublime in External Nature. In: Dictionary of the History of Ideas. Ed. Philipp P. Wiener. Vol. 4. New York 1973, S. 3 3 3 - 3 3 7 . - Vgl. auch die Einwände gegen das Konzept des >NaturErhabenenDie longinsche Tradition des Erhabenen»]). Alle spezifisch modernen Elemente (wie das ständige Uberschreiten von Regeln und das >Natur-ErhabeneBefreiung des Erhabenen aus dem rhetorischen Zusammenhang» sprechen, sondern vielmehr von einer Reduktion des Erhabenen im 18. Jh. auf das Ästhetische.« (ebd., S. 66). Wie immer man zu solchen Wertungen stehen mag, so operiert Frank mit einer fragwürdigen Gleichsetzung von Longin mit >der< rhetorischen Tradition - für die dann Klaus Dockhorn als Gewährsmann herhalten muß (ebd., S. 66). Problematisch für die subversiv-moderne Einordnung Longins bei Frank ist auch, daß sie >Peri hypsus< als eine »Beispielpoetik« klassifiziert und vor diesem Hintergrund schon bei Longin einen Bruch mit >der< rhetorischen Tradition der Anweisungspoetiken oder -rhetoriken inszeniert: »Deshalb setzt Longin zunächst an die Stelle einer Regelpoetik eine Beispielpoetik« (ebd., S. 46f.). Frank allerdings verkennt damit die komplexen gattungshistorischen Zusammenhänge, in denen Longins Traktat steht. Zum einen ist >Peri hypsus< der produktionsorientierte >rhetorische< Ansatz schlechterdings nicht abzusprechen; die Schrift richtet sich auch nicht an den Dichter, sondern zunächst einmal, wie aus dem Text selbst hervorgeht, an den Redner (vgl. dazu Manfred Fuhrmann: Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles - Horaz - >LonginPeri hypsus< unter den überlieferten antiken Theorieschriften singular dasteht. »Sie begnügt sich nicht mit der öffentlichen Rede, sondern bezieht sowohl die philosophische und historiographische Prosa als auch Gattungen der Poesie in den Umkreis ihrer Erörterungen ein, und sie bedient sich einer breiten Basis, um fundamentale Einsichten in den Ursprung und die Wirkung künstlerisch geformter Sprache schlechthin zu vermitteln.« (Fuhrmann: Die antike Dichtungstheorie, S. 164). Für literaturkritische Schriften etwa - und man denke hier auch an Quintilians ausführlichen auc-

kommt damit, explizit gegen Begemann gerichtet, zu einer radikalen Ablehnung des Entrhetorisierungskonzepts: Wenn mit dem ästhetikgeschichtlichen Klischee von der >Entrhetorisierung< des Erhabenenbegriffs im 18. Jahrhundert auf den Vorgang gezielt wird, daß die K a tegorie des Erhabenen auf reale Gegenstände ausgedehnt und zur Bezeichnung von Objekten und Naturphänomenen tauglich geworden sei, dann wird tatsächlich eher das umgekehrte Phänomen beschrieben, nämlich epistemologisch betrachtet: die Rhetorisierung der Welt.'*

Mit Blick auf die Rezeption von >Peri hypsus< allerdings - das ist die Kernthese dieses Buches - zielen beide Positionen zu kurz, weil sie ihren Begriff des Erhabenen nicht historisieren. So ist gegen Zelle am Erkenntniswert des >EntrhetorisierungsErhabenen< gab, sondern zwei: nämlich einerseits das Erhabene als erhabener/hoher Stil (genus sublime) im Kontext der rhetorischen Lehre von den drei genera dicendi, andererseits das Erhabene (ϋψος [hypsos], lat. sublimitas) bei Longin, das gänzlich außerhalb des systematischen Zusammenhangs der rhetorischen Dreistillehre (genera dicendi) angesiedelt ist. 1 ' Letzteres zu betonen ist die klassische Philologie in den letzten Jahrzehnten nicht müde gewor-

tores-Katalog in der >Institutio oratoria< (X, 1) - aber sind die von Frank so herausgehobenen Kataloge von auctores durchaus konventionell. Kurzum: Franks Kriterien sind kaum geeignet, überzeugend einen >Bruch mit der antiken Tradition< darlegen zu können; auf den Begriff des hypsos selbst geht sie gar nicht ein. Auf die Pluralität literartheoretischer Entwürfe in der Antike weist im übrigen Gregor Vogt-Spira hin: G . V.-S.: Literaturtheorie (II. Lateinisch). In: Der neue Pauly 7 (1999), Sp. 5 4 9 - 3 5 3 , hier Sp. 349^ - Welche interpretatorischen Konsequenzen es haben kann, wenn man große Teile der Geschichte der europäischen Literaturtheorie auf einen longinischen >Diskurs des Erhabenen« hin verengt, zeigt Franks relecture von Dockhorns Interpretation von Luthers und Melanchthons Glaubensbegriff; sieht Dockhorn im Rekurs der Reformatoren auf den φαντασία-Begriff zu Recht einen Rückgriff auf Quintilian (ebd., S. 88), so überzeugt Franks These, daß der »Bezug des reformatorischen Rhetorikbegriffs zum longinischen Konzept der überwältigenden phantasia [ . . . ] nicht deutlicher sein« (ebd., S. 89) könnte, nicht Longins Traktat erschien im Druck zuerst in der Robortello-Edition von 1554, Handschriften-Zirkulationen sind nördlich der Alpen nicht belegt. 12

Zelle: Die doppelte Ästhetik, S. 53. Allerdings wäre gegen Zelle einzuwenden, daß die Naturphänomene in >Peri hypsus< primär illustrative Funktion haben und sich ihrerseits auf literarische Texte beziehen; im Gesamtkontext der Schrift kommt ihnen eine nur marginale Rolle zu. Vgl. D e subl. 1, 4; 3, 3 (Erhabenes vs. Schwulst); 17, 3 (Erhabenes vs. Figuren); 29, 1 (Erhabenes vs. Pathos) u. ö. - Mit Blick auf Boileaus Longin-Ubertragung von 1674 (von der noch zu reden sein wird) spricht Jörg Heininger davon, daß der Begriff des Erhabenen »sich bei ihm [= Boileau] von der rhetorischen Tradition hin zur ästhetischen Reflexion« bewege (J. Heininger: Erhaben. In: A G B 2 [2001], S. 2 7 5 - 3 1 0 , hier S. 281).

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den. D i e Ergebnisse dieser F o r s c h u n g e n sind in den N e u p h i l o l o g i e n bislang k a u m rezipiert w o r d e n . D o n a l d A . Russell etwa konstatiert in grundlegenden L o n g i n - K o m m e n t a r knapp: » L ' s hypsos

seinem

has nothing speci-

ally to d o w i t h grandiose diction. [ . . . ] It is, therefore, a special effect, not a special style.« 1 4 In seiner U b e r s i c h t über die antike Literaturkritik betont G . Μ . Α . G r u b e : » L o n g i n u s is not concerned w i t h particular styles at all, and m a n y of his examples of h y p s o s are not in the grand manner. W h a t he discusses is >great writing< in its most general sense«. 1 5 E s geht L o n g i n also nicht u m eine Stiltheorie, sondern u m das P r o b l e m literarischer Wertung: N u r das hypsos

nämlich garantiert, daß die Werke eines Schriftstellers im

Gedächtnis bleiben ( D e subl. 6, 3 - 4 ) . 1 6 Was den B e g r i f f der sublimitas

b z w . das K o n z e p t des genus sublime

an-

langt, so ist schließlich darauf hinzuweisen, daß beide B e g r i f f e in der Tradition der antiken S y s t e m - R h e t o r i k keine herausragende R o l l e spielen. D e r Terminus genus sublime

im R a h m e n der rhetorischen Dreistillehre ist zuerst

in der spätantiken R h e t o r i k des C h i r i u s C o n s u l t u s Fortunatianus (4. J h . ) belegt.' 7 E r setzt sich erst seit dem R e n a i s s a n c e - H u m a n i s m u s auf breiter F r o n t durch: Begriffsgeschichtlich hat sublimitas

in der Tradition der klas-

sischen S y s t e m - R h e t o r i k keine zentrale R o l l e gespielt.' 8 14

Vgl. Donald A . Russell: Introduction. In: >Longinus< on the Sublime. Edited with Introduction and Commentary by D. A. Russell. Oxford 1964, S. xxxvii; ders.: Criticism in Antiquity. Berkeley/Los Angeles 1981, S. 139: »Of course, hupsos as he sees is not just a matter of lexis; indeed choice of thought is a very much more important part of it. [ . . . ] >Longinustripartite< scheme [= genera dicendi], though he must sureley have known of it.«; vgl. auch Cesare Marco Calcante: Genera dicendi e retorica del Sublime. Pisa/ Rom 2000 (= Biblioteca di Materiali e discussioni per I'analisi dei testi classici, Bd. 13), S. i04ff. (Kapitel >Destrutturazione del sistema dei genera dicendi«). - Vgl. im Gegenteil etwa die Charakterisierung von Longins hypsos-YSegritt durch PeterAndre Alt: »Sie [= Longins Abhandlung] erörtert das Erhabene primär als Produkt einer bestimmten Formsprache, die sich durch Vorliebe für gehobene Stilmittel tropische Wendungen, hyperbolische Ausdrücke und emphatische Figuren - bei entsprechender Vorsicht gegenüber den Risiken der stilistischen Überanstrengung, ferner durch die Zugehörigkeit zum genus grande bzw. sublime mit seinem stilus gravis auszeichnet.« (P.-A. Alt: Aufklärung. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart/ Weimar 2 200i, S. 86). Gerade diese >rhetorisierende< Lesart - für die Alt im übrigen keineswegs ein Einzelfall ist - wird Longin nicht gerecht.

15

G. Μ. A. Grube: The Greek and Roman Critics. London 1965, S. 342. Sehr klar hat dies Harald Fricke formuliert: Longin sei »der erste, der künstlerische Wertung rein ästhetisch begründet. Bei ihm geht es - in den prinzipiellen Vorzugsentscheidungen wie in konkreten Fällen vornehmlich literaturkritischer Beurteilung - immer um ästhetische Erlebnisse und Wirkungen« (H. Fricke: Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst. München 2000, S. 72). Vgl. Franz Quadlbauer: Die antike Theorie der genera dicendi im lateinischen Mittelalter. Wien 1962 (= SB der Österreich. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Klasse, Bd. 241, 2. Abhandlung), S. IJ.

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In seinem B u c h >Fiat lux. U n e philosophie du sublime< weist Baldine Saint G i r o n s 1993 darauf hin, daß L o n g i n s ^ j / w s - K o n z e p t eine grundlegende D i f f e r e n z zur traditionellen L e h r e v o n den Stil höhen

markiere. L o n -

gin löse die O p p o s i t i o n (den konventionellen rhetoriktheoretischen W i d e r spruch) z w i s c h e n dem >Erhabenen< und d e m >Einfachen< auf: La revolution longinienne consistera [ . . . ] dans la suppression de I'opposition traditionelle entre simple et sublime, ou, plus exactement, dans la rehabilitation de la simplicite, non pas α cöte du sublime, mais en son cceur meme. '9 Sophie H a c h e hat in ihrer u m f a s s e n d e n Studie z u m E r h a b e n e n im F r a n k reich des 1 7 . J a h r h u n d e r t s (>La L a n g u e du cielravir< l'äme de Pauditeur - ce qui n'interdit pas eventuellement le recours ä une langue ornee, mais Pessentiel est ailleurs.20 E s verzerrt deshalb die K o m p l e x i t ä t und Pluralität der antiken D i s k u s s i o nen, w e n n B e g e m a n n d a v o n spricht, der » B e g r i f f des E r h a b e n e n b z w . S u b limen entstammt ursprünglich der L e h r e v o n den drei Stilarten ( g e n e r a di-

,s

Vgl. für die vereinzelten Belegstellen Ernesti Lat. 378-380, aber auch dessen knappen Kommentar zur antiken Begriffsverwendung: »rara mentio est«. Näheres dazu in Kap. III 1 a und III 1 d. Baldine Saint Girons: Fiat lux. Une philosophie du sublime. Paris 1993, S. 232; vgl. auch Winfried Wehrle: Vom Erhabenen oder über die Kreativität des Kreatürlichen. In: Frühaufklärung. Hrsg. v. Sebastian Neumeister. München 1994 (= Romanistisches Kolloquium, Bd. 6), S. 195-240. 2 ° Sophie Hache: La langue du ciel. Le sublime en France au X V I P siecle. Paris 2000 (= Lumiere classique, Bd. 27), S. 85, vgl. auch ebd., S. 334: »L'un des aspects majeurs developpes par les traites de rhetorique s'interessant au sublime est la distinction fondamentale etablie entre le style sublime, c'est-ä-dire le style le plus eleve dans la tripartition heritee de la tradition antique, et le sublime, au sens longinienne du terme, qui outrepasse cette hierarchie et se definit comme une puissance de saisissement du discours.« - Weniger überzeugend sind ihre begriffsgeschichtlichen Ausführungen (vgl. ebd., S. 262 ff. und auch zu der eben zitierten Stelle), die zu wenig berücksichtigen, daß die Bezeichnung >style sublime« für den >hohen Stil« in der antiken Rhetoriktheorie keine gängige Bezeichnung war. Hache scheint hier zu sehr von der französisch-volkssprachlichen Benennungspraxis auszugehen. Ich werde auf solche terminologischen Fragen im Verlauf dieses Buches noch zurückkommen (vgl. auch Kap. III 1).

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cendi) in der Rhetorik« 21 oder etwa Spörl explizit von einer Einheit der »rhetorisch-longinischen Tradition« 22 ausgeht. Longins /rypsos-Konzept und der >hohe Stil< der rhetorischen Dreistillehre repräsentieren also zwei unterschiedliche antike Traditionen. Auf sie wird im einzelnen noch zurückzukommen sein (Kap. II). Allerdings stehen beide Konzepte dieses verdoppelten Erhabenen weder unvermittelt nebeneinander noch in einem Verhältnis der Ablösung des einen Konzepts durch das andere: Wie im Verlauf dieser Studie gezeigt wird, befinden sich beide Konzepte des Erhabenen in einem fortwährenden Widerstreit. >Erhabenheit< als genus dicendi läßt sich zwar einerseits mit dem Äypsos-Konzept Longins nicht einfach verrechnen, andererseits führte der normative >Druck< des systemrhetorischen Diskurses dazu, daß bereits die frühneuzeitlichen Theoretiker den hypsos-Begriff Longins in ein Verhältnis zur genera dicendiLehre der klassischen Rhetorik setzen.23 Daß diese Integration nicht bruchlos vonstatten ging, sondern für Reibungen und Spannungen sorgte, weil sich das hypsos Longins kaum als ein rhetorisches genus dicendi klassifizieren ließ, ist das Thema der in diesem Buch rekonstruierten Debatte um das »doppelte Erhabenem Sie erstreckt sich von der Wiederentdeckung von >Peri hypsus< Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts und endet erst mit dem Auslaufen der systemrhetorischen Tradition. Der von Begemann konstatierte Prozeß der Entrhetorisierung findet dabei insofern tatsächlich statt, als von den Zeitgenossen beide Konzepte gegeneinander gestellt werden: genus sublime gegen sublimitas. Im Ergebnis kommt es zu einer Privilegierung des hypsos-Konzepts von Longin und zu einer Abwertung des rhetorischen Konzepts eines hohen Stils - häufig generalisiert zu einer Kritik an der Rhetorik überhaupt.

21

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20

Begemann: Erhabene Natur, S. 77; vgl. allerdings ebd., S. 78 f., w o Begemann durchaus die Sonderstellung von Longin erkennt, daraus aber keine Konsequenzen zieht. Spörl: Berge, Meer und Sterne als Erhabenes in der Natur?, S. 236; weitere Belege für diese Identifizierung der Positionen >der< Rhetorik und Longins auch S. 229 und S. 252 (zu Gottsched). Z u r Entwicklungsgeschichte des rhetorischen Systems in der Antike und zum rhetorischen System überhaupt vgl. Verf.: Systemgeschichte: Antike. In: Rhetorik. Begriff - Geschichte - Internationalität. Hrsg. v. Gert Ueding. Tübingen 2005, S. 7 8 - 1 0 9 .

II. Longin und der frühneuzeitliche Rhetorik-Diskurs

M i t L o n g i n s >Peri hypsus< f i n d e t die P h a s e d e r W i e d e r e n t d e c k u n g u n d N e u e d i t i o n d e r literarästhetischen T h e o r i e n d e r g r i e c h i s c h e n u n d

römischen

A n t i k e , die f ü r die P r o g r a m m a t i k des R e n a i s s a n c e - H u m a n i s m u s b e k a n n t l i c h zentral sind, einen A b s c h l u ß . ' U m die M i t t e des 16. J a h r h u n d e r t s e r s c h i e n e n f a s t zeitgleich z w e i E d i t i o n e n des Traktates v o n F r a n c e s c o R o b o r t e l l o ( 1 5 5 4 ) u n d P a u l u s M a n u t i u s ( 1 5 5 5 ) . 2 I h r e A u s g a b e n des g r i e c h i s c h e n T e x t e s v o n >Peri hypsus< - eine e b e n f a l l s g e p l a n t e lateinische U b e r s e t z u n g d u r c h d e n H u m a n i s t e n M a r c - A n t o i n e M u r e t k a m aus u n g e k l ä r t e n U m s t ä n d e n nicht z u s t a n d e - sind A u s d r u c k eines v e r s t ä r k t e n Interesses f ü r d e n literaturkritischen T r a k t a t des A n o n y m u s , w i e es sich s c h o n in d e n 1 5 4 0 e r J a h r e n in V o r r e d e n , W i d m u n g s s c h r e i b e n u n d a n d e r e n M a n u s k r i p t e n zeigt. 3 K l a u s L e y w e i s t in seiner R e k o n s t r u k t i o n d e r f r ü h e n R e z e p t i o n s g e s c h i c h t e

Longins

b e s o n d e r s auf d e n K o m m e n t a r z u r >Rhetorik< des A r i s t o t e l e s hin, den der H u m a n i s t Petrus Victorius

1 5 4 8 v o r g e l e g t hatte. D o r t w i r d auf

Longins

T r a k t a t v e r w i e s e n , w a s nicht v e r w u n d e r t , w a r V i c t o r i u s d o c h ein guter B e k a n n t e r R o b o r t e l l o s , d e r im selben J a h r e b e n f a l l s einen K o m m e n t a r >Rhetorik< v o r g e l e g t hatte.

1

1

zur

4

Überblick bei: Marc van der Poel: Quellengeschichte: Frühe Neuzeit ( 1 5 . 17. Jahrhundert). In: Rhetorik. Begriff - Geschichte - Internationalität. Hrsg. v. Gert Ueding. Tübingen 2005, S. 2 5 - 3 0 . Zu den Ausgaben von >Peri hypsus< grundlegend: Bernard Weinberg: Translations and Commentaries of Longinus, On the Sublime, to 1600: A Bibliography. In: Modern Philology 47 (1950), S. 1 4 5 - 1 5 1 ; ders.: ps.-Longinus, Dionysius Cassius. In: Catalogus translationum et commentariorum. Medieval and Renaissance Latin Translations and Commentaries. Hrsg. v. Paul Oskar Kristeller. Bd. II. Washington 1971, S. 1 9 3 - 1 9 8 ; Demetrio St. Marin: Bibliography of the >Essay in the Sublime< (Peri hypsus). O. O. [Bari] 1967 [Privatdruck]; Jules Brody: Boileau and Longinus. Genf 1958, S. 9ff.

J

Klaus Ley: Das Erhabene als Element frühmoderner Bewußtseinsbildung. Zu den Anfängen der neuzeitlichen Longin-Rezeption in der Rhetorik und Poetik des Cinquecento. In: Heinrich F. Plett (Hrsg.): Renaissance-Poetik/Renaissance Poetics. Berlin/New York 1994, S. 2 4 1 - 2 5 9 , hier S. 241 f.; vgl. auch ders.: Die »scienza civile« des Giovanni della Casa. Literatur als Gesellschaftskunst in der Gegenreformation. Heidelberg 1984 (= Studia Romanica, Bd. 57), S. 24off. - Eine erste lateinische Ubersetzung legte D. Pizzimenti bereits 15 66 im Druck vor.

4

Ley: Das Erhabene als Element frühmoderner Bewußtseinsbildung, S. 242. - Zu

Robortellos Interesse an Longin beschreibt L e y in Abgrenzung zur >Poetik< des Aristoteles, die um die Mitte des Jahrhunderts zu einer umfassenden Neufundierung der Dichtungstheorie auf dem Grundsatz der Nachahmung (μίμησις [mimesis]) gedient hatte. Der Rekurs auf Longin diente Robortello dazu, die Poetik insgesamt aus den offensichtlich als eng und pedantisch empfundenen Zwängen der System-Rhetorik zu befreien und auf diese Weise zu einer »Öffnung« und zu einer »größere[n] Freiheit« des »allzu geschlossene[n] Dichtungs- und Sprachkonzept[s] des Cinquecento-Klassizismus« zu gelangen. 5 Dazu bezog Robortello sich auf zentrale Konzepte aus >Peri hypsusciceronianischen< Rhetorik geprägten Dichtungstheorie der italienischen Renaissance neu. Einzelne Theoreme Longins wurden im 16. Jahrhundert deshalb zunächst nicht innerhalb der Schul-Rhetorik oder rhetorisierten Poetik verhandelt, sondern im Kontext der platonisierenden Poetik. Bernard Weinberg und August Buck weisen besonders auf Francesco Patrizis Schrift >Della poetica< (1586) hin, in der sich die neuplatonische Lehre vom Enthusiasmus des Poeten mit Elementen aus Longins Erhabenheitstraktat verbindet. 6 A u c h Patrizi war übrigens ein Schüler Robortellos, dessen Rolle als Vermittler im Kontext der frühen Longin-Rezeption zentral ist.7 Marc Fumarolis These, daß im 16. Jahrhundert Longin nicht innerhalb der Schulrhetorik rezipiert wurde, sondern im Rahmen einer >rhetorique adulteLe SublimePeri hypsus< hat in dieser ersten Rezeptionsphase im 16. und frühen 17. Jahrhundert allerdings nicht systembildend gewirkt. Anders als im Falle der aristotelischen >Poetik< war eine Dichtungstheorie auf der Schrift Longins alleine offenbar nicht zu begründen; dazu fehlen in >Peri hypsus< insbesondere Überlegungen zur Gattungstheorie. Man berief sich auf den Traktat zumeist innerhalb platonisierender Argumentationen, die den furor poeticus als Kern einer Produktionsästhetik ins Zentrum stellen wollten und damit vom rhetorischen Paradigma zwar die Ausrichtung auf die Produktion übernehmen, diese aber in Richtung auf die angeborene Anlage des Poeten und die heteronome Inspiration verschieben wollten. Aber auch hier wäre der Einfluß im Verhältnis zu dem anderer Autoren noch zu diskutieren; entsprechende Arbeiten hat die Forschung bislang nur in Ansätzen hervorgebracht. 9 Fumarolis These, daß man sich schon vor Boileaus epochemachender Longin-Ubersetzung aus dem Jahre 1674 im Sinne einer R h e t o rik des Genies< immer wieder auf Longin berufen habe, dürfte nicht nur für den deutschen Sprachraum deutlich zu relativieren sein.10 Nördlich der Alpen hat der Traktat kaum in der von Fumaroli beschriebenen Weise gewirkt. Rhetorik und Poetik waren in der Frühen Neuzeit in den normativen Kontext von Schule und Universität eingebunden; die Praxis der Lektüre und imitatio kanonisierter Autoren und die dem rhetorischen System eigentümliche Persistenz, seine normative Geltung und eingeschränkte Wandlungsfähigkeit, verhinderte bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, daß Theoretiker, die von den engen Norm des rhetorischen Diskurses abwichen, innerhalb der Schulrhetorik Fuß fassen konnten." Daß Longins Traktat also in der Tat

Longins im Rahmen der Kontroverse um den Ciceronianismus ausgehend von Erasmus' einschlägiger Schrift (1528). Vgl. hierzu: Marc Fumaroli: L'äge de l'eloquence. Rhetorique et »res literaria« de la Renaissance au seuil de l'epoque classique ['1980]. Paris 1994 (= Bibliotheque de »L'fivolution de l'HumanitePoetik< alleine im 17. Jahrhundert erlebte, nehmen sich die wenigen Longin-Editionen spärlich aus (vgl. den Anhang auf S. 4 1 3 mit einer Ubersicht über die Ausgaben von >Peri hypsusklassierter< A u t o r « . ' 4 A u c h Sophie H a c h e k o m m t in ihrer Studie über das Erhabene im F r a n k reich des 17. Jahrhunderts zu einem anderen Ergebnis als Fumaroli. D i e von ihr untersuchten Rhetoriken, die allesamt v o r Boileaus L o n g i n - Ü b e r t r a g u n g entstanden sind (vor allem Nicolas Caussinus' rhetorische Predigtlehre und Vossius' rhetoriktheoretische Werke) verbieten es demnach, v o n

einem

durchgreifenden E r f o l g von >Peri hypsus< zu sprechen. D e r Traktat habe keine besondere Verbreitung erlangt und v o r Boileau w o h l auch keine größeren ästhetiktheoretischen Kontroversen ausgelöst. 1 ' D i e Sonderstellung Longins wird schließlich durch den kuriosen Bericht bestätigt, nach dem der niederländische Mediziner und Philologe J a c o b Tollius ("ΙΊ696), der 1694 eine grundlegende N e u e d i t i o n des griechischen Textes v o n >Peri hypsus< vorlegte, die dann bis weit ins 18. Jahrhundert als eine Referenzedition galt, fast zwanzig J a h r e lang einen Verleger suchen mußte, der das ökonomische R i s i k o einer Publikation einzugehen bereit war.' 6 Dies führt zum Problem der >Klassizität< des rhetorischen Systems. Wilfried Barner hat den f ü r die frühneuzeitliche Rhetorik charakteristischen Traditionalismus in seiner Studie >Barockrhetorik< (1970) dargestellt. E r geht darin ausführlich auf das Problem ein, daß aus der Bindung an die A n t i k e häufig nur ein schwach ausgebildeter Bezug zur rhetorischen Praxis folgt die antiken N o r m e n sind wichtiger als die rhetorische Pragmatik: D e m P o liticus aber, der in einer Komplimentierrede dem Herrscher seine Dienstbarkeit erweisen wollte, nutzte die Kenntnis der rhetorischen Topik und Gattungslehre kaum, weil f ü r beides in dem kurzen und auf Dialogizität ausgerichteten K o m p l i m e n t kein Platz war. F ü r längere und schriftlich ausgearbeitete Reden aber w a r der H o f des Fürsten oftmals nicht der richtige O r t , denn sie galten als pedantisch und langweilig. Z w i s c h e n den Vorschriften des rhetorischen Systems und der oratorischen Praxis bildete sich

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Karl Maurer: Boileaus Übersetzung der Schrift περί ϋψους als Text des französischen 17. Jahrhunderts. In: Le Classicisme a Rome aux Iers siecles avant et apres J.-C. Hrsg. v. Hellmut Flashar. Genf 1979 (= Fondation Hardt. Entretiens, Τ. X X V ) , S. 2 1 3 - 2 6 2 , hier S. 235; Samuel H. Monk: The Sublime. Α Study of Critical Theories in i8th-Century England [1935]. Ann Arbor, MI 2 i96o, S. 20. Sophie Hache: La langue du ciel. Le sublime en France au XVII e siecle. Paris 2000 (= Lumiere classique, Bd. 27), S. zyf. Brody: Boileau and Longinus, S. iof.; die Longin-Ausgabe von Tollius wird kritisch besprochen bei Zedier, Bd. 44 (1745), Sp. ii3of., s.v. >Toll oder Tollius, (Jacob)*.

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im Laufe des 17. Jahrhunderts ein immer stärkeres Spannungsverhältnis heraus, das aus der Klassizität der aus der Antike geerbten rhetorischen Schematismen und Begriffen resultiert. 17 In diesem Spannungsverhältnis von Traditionalität und Aktualität steht auch die Wirkungsgeschichte von >Peri hypsusPeri hypsus< kaum integrieren ließen, weil sie - wie etwa das Insistieren auf der φύσις [physis] des Redners und Dichters (De subl. 8, 1) - dem Gedanken der Rhetorik als einer lehr- und lernbaren Kunstlehre radikal entgegenstanden. Da der eigentliche >Sitz im Leben< der Rhetorik in der Frühen Neuzeit Schule und Universität sind (Fumarolis >rhetorique d'ecolePerf hypsus< seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein zentrales Thema ist. Im Gefolge der Auseinandersetzungen um die Gültigkeit der antiken Normen im Kontext von Ciceronianismus und Anti-Ciceronianismus stellte sich verstärkt die Frage nach der Rolle von Longins Traktat bei der »Überwindung der klassizistischen Positionen«. 19 Nicolas Boileau ( 1 6 3 6 - 1 7 1 1 ) nimmt dieses Problem in seiner 1674 unter dem Titel >Traite du sublime< publizierten Longin-Ubersetzung explizit auf. Sie ist der durchgängige Bezugspunkt nahezu aller Debatten um das Erhabene im späten 17. und 18. Jahrhundert. Anders als seine Vorgänger profiliert Boileau das Erhabene Longins als eine klare Alternative zur rhetorischen Dreistillehre. Er greift dabei auf eine Diskussion zurück, die seit den ersten Editionen von >Peri hypsus< mit großer Intensität geführt worden war - die einzelnen Positionen werden im vorliegenden Buch dargestellt - , formuliert jedoch mit der Dichotomie von rhetorischem >stile sublime< und dem >le sublime< Longins ein griffiges Begriffspaar, welches das hypsos aus der Rhetorik isoliert. E r gewinnt damit einen neuen und unverstellten Blick auf >Peri hypsusdoppelten Erhabenen< endgültig etabliert. Allerdings konnte er, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, auf einer intensiven Diskussion um das Verhältnis von bypsos und rhetorischer Doktrin innerhalb der europäischen res publica litteraria aufbauen. Auch diese komplexe Vorgeschichte der Trennung von >le sublime« und >le stile sublime< wird in dieser Studie dargestellt. Boileau betont dabei nicht zufällig die überragende Bedeutung gerade jener zwei Quellen des Erhabenen, die ganz auf der natura des Redners oder Dichters basieren und damit kaum mit dem Konzept einer ars rhetorica zu verbinden waren (De subl. 8, 1): Das >le sublime< Boileaus siedelt sich gerade jenseits jener Grenze an, die innerhalb der Rhetoriktheorie durch die Dialektik von ars und natura gezogen wird. Insofern ist es zutreffend, wenn Jules Brody in seiner Arbeit über >Boileau and Longinus< (1966) dessen eigentliche Leistung mit folgenden Worten auf den Punkt zu bringen versucht: »It took the kind of critical insight of which Boileau boasted to see that Peri Hupsous was less a manual of rhetoric than an essay in esthetics.«21 Brodys pointierte Feststellung allerdings repräsentiert nur die eine Seite der komplexen Wirkungsgeschichte Longins. Denn auch innerhalb der SystemRhetorik wurde Longins Traktat rezipiert. Diese Aspekt wurde von der Forschung bislang noch nicht dargestellt. Kaum ein größeres Werk zur Theorie der Rhetorik verzichtet seit der Wende zum 17. Jahrhundert auf eine Erwähnung von >Peri hypsusentrhetorisierender< Longin-Rezeption ist auch hier die Verhältnisbestimmung zum rhetoriktheoretischen Diskurs von entscheidender Bedeutung - diesmal allerdings, und dieser Punkt ist zentral, unter verändertem Vorzeichen: Longins hypsos wird nicht aus der Rhetorik ausgeschlossen, sondern möglichst bruchlos in die rhetorische Stillehre integriert.

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Barbara Warnick: The Bolevian Sublime in Eighteenth-Century British Rhetorical Theory. In: Rhetorica 8 (1990), S. 3 4 9 - 3 6 9 , hier S. 352f.; vgl. auch A . F. B. Clark: Boileau and the French Classical Critics in England ( 1 6 6 0 - 1 8 3 0 ) . Paris 1925, S. 362: »Boileau's translation is an extremely loose version of the Greek original.« Allgemein zu Boileaus Ubersetzung: B r o d y : Boileau and Longinus, passim.

' Brody: Boileau and Longinus, S. 88; zur Einschätzung der epochalen Bedeutung Boileaus vgl. auch Peter France: Rhetoric and Truth in France: Descartes to Diderot. O x f o r d 1972, S. 1 5 8 f f . 2

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Im Unterschied zu Boileaus Lektüre läßt sich diese Interpretation somit als eine >rhetorisierende< bezeichnen: Sie verortet >Peri hypsus< im Kontext der Lehre von den drei Stilen (den genera dicendi) und versteht den Traktat als eine Spezialabhandlung über den hohen Stil, das genus grande. Der rhetorische Diskurs bestimmt also wesentlich den Rezeptionshorizont der Longin-Interpretation - bisweilen, wie wir im Verlauf dieses Buches noch sehen werden, auch offen gegen den Text von >Peri hypsushohen Stil< identifiziert. Longins Intention trifft das nicht, doch zeigt eine solche Lektüre, wie dominant der durch den Diskurs der römischen Rhetorik geprägte Erwartungshorizont ist.

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Ich folge einem Aufsatz, der die hier vertretenen Thesen breiter ausführt, vgl. Verf.: D e r >rhetorisierte< Longin: Medienstrategien zur >Klassierung< eines Autors. In: Cognition and the Book. Typologies of Formal Organisation of Knowledge in the Printed B o o k of the Early Modern Period. Hrsg. v. Karl A . E . Enenkel/Wolfgang Neuber. Leiden/Boston 2005 (= Intersections. Yearbook for Early Modern Studies, Vol. 4/2004), S. 2 5 7 - 2 8 4 .

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Dionysii Longini Rhetoris Praestantissimi liber, de grandi, sive svblimi orationis genere. N u n c primüm ä Francisco Robortello Vtinensi in lucem editus, [ . . . ] . Basel, Johannes Oporinus, 1 5 5 4 , S. 5 (zu den Definitionen des Erhabenen am Beginn) [ U B Tübingen: C d 6499.4°].

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Longin, ed. Robortello, S. 5.

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Weinberg: Translations and Commentaries, S. 147; Marin: Bibliography of the >Essay in the Sublime< (Peri hypsus), N r . 23 bis. Marin: Bibliography of the >Essay in the Sublime< (Peri hypsus), N r . 24 und N r . 28; vgl. auch Zelle: Erhabene, das, Sp. 1369 zur Dreistillehre im Barock. - Dies läßt sich auch durch die Klassifikation des Traktats in zeitgenössischen Bibliothekskatalogen aus dem 17. Jahrhundert belegen. - Schließlich scheint (zumindest zu Beginn des r8. Jahrhunderts) >Peri hypsus« auch einen gewissen Liebhaberwert gehabt zu haben, vgl. etwa die viersprachige (Griechisch - Lateinisch - Französisch - Italienisch) Quartausgabe Dionysii Longini: D e sublimitate libellus [ . . . ] . Verona 1733. [ U B Tübingen: C d 6502.4°]; Marin: Bibliography of the >Essay in the Sublime< (Peri hypsus), N r . 46; vgl. B r o d y : Boileau and Longinus, S. 13 und S. 14 ff. zur Rezeption im französischsprachigen Kontext. Vgl. Weinberg: Translations and Commentaries, S. 148 f.; Marin: Bibliography of the >Essay in the Sublime< (Peri hypsus), N r . 24. Vgl. dagegen die negativen Bewertungen Henns, der die frühen Ubersetzungsversuche allesamt für falsch bzw. inadäquat hält (T. R. Henn: Longinus and English Criticism. Cambridge 1934, S. 10); vgl. insges. Verf.: Der >rhetorisierte< Longin. Z u r Situation in England: Donald Lernen Clark: Rhetoric and Poetry in the Re-

Bezug auf den Traktat das poetologische Normensystem unterlaufen und sprengen könnte, wurde vor Boileau (in Frankreich) und vor den Schweizern Bodmer/Breitinger (im deutschen Sprachraum) kaum wahrgenommen.30 Diese Argumente wurden den Zeitgenossen erst, und das ist natürlich kein Zufall, in Folge der seit 1688 andauernden Querelle des anciens et des modernes in ihrer durchschlagenden Kraft bewußt. Die von Fumaroli beschriebene Funktionalisierung von Gedanken aus >Peri hypsus< zur Konstitution einer frühen Genie-Theorie bleibt damit vereinzelt; sie ist eine Ausnahme, die in der Breite des Diskurses keine Wirkung nach sich zieht. Jules Brody kommentiert die epochale Leistung des französischen Ubersetzers (wie wir sehen werden etwas zu einseitig): »As Boileau was well aware, his predecessors [ . . . ] had viewed Longinus' >golden book< as just another τέχνη, a manual of rhetoric.« 3 ' Genau auf diesen subversiven Aspekt führt Ulrich J. Beil in seinem Aufsatz über die >Rhetorische >Phantasia« Ernst Robert Curtius' enthusiastisches Urteil über Longins Erhabenheitstraktat zurück. Man atme bei der Lektüre von >Peri hypsus< »Lebensluft über zwei Jahrtausende hinweg, nicht den Moder der Schulen und Bibliotheken«, 32 hatte Curtius formuliert: Die Diskussion um Longins sublimitas weicht damit eine als normativ verstandene Rhetoriktheorie gerade vom Rande (so wendet Beil die Etymologie des lateinischen >sublimis< als >sub-limineCommentariorum Rhetoricorum sive Oratoriarum Institutionum libri sex< ('1606) läßt sich studieren, wie im 17. Jahrhundert Longins Erhabenheitstraktat in den rhetoriktheoretischen Diskurs der genera dicendi integriert wurde.34 Wir werden auf Vossius im einzelnen noch zurückkommen; an dieser Stelle geht es zunächst nur um eine skizzenhafte Positionsbestimmung. Vossius' Rhetorik fügt sich in das skizzierte Bild einer >rhetorisierenden< Longin-Rezeption. Dafür spricht allein die Tatsache, daß >Peri hypsus< im Gesamtgebäude der >Commentarii< nur eine marginale Rolle einnimmt. In Vossius' kleinerer >Rhetorice contracta< - eine der meistgedruckten Schulrhetoriken des 17. Jahrhunderts35 - wird der Traktat überhaupt nicht zitiert: In dem auf dem Prinzip der >Klassizität< (Barner) basierenden Rhetorikunterricht brauchte man die Schrift über das Erhabene schlichtweg nicht. In

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ist gerade in poststrukturalistischen Interpretationen ein beliebtes Sprachspiel, dessen wissenschaftliche Uberzeugungskraft hier nicht zur Diskussion steht; vgl. auch Baldine Saint Girons: Fiat lux. Une philosophie du sublime. Paris 1993, S. 1 7 - 1 9 ; Susi K. Frank: Der Diskurs des Erhabenen bei Gogol' und die longinische Tradition. München 1999 (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste, Bd. 98), S. 46; vgl. auch den Titel des von Christine Pries herausgegebenen Sammelbandes: >Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn< (1989). - Zur Etymologie vgl. Jan Cohn/Thomas H. Miles: The Sublime: In Alchemy, Aesthetics, and Psychoanalysis. In: Modern Philology 74 (1976/77), S. 289-304. Der Argumentation von Vossius folgt das für den Gymnasial-Unterricht gedachte Stilistik-Lehrbuch von Johannes Scheffer: De Stylo exercitiisqve eius, ad consvetudinem vetervm Über singularis: eivsdem Gymnasivm styli, sev de vario scribendi exercitio Über singularis: nunc denuo in Germania prodeunt, indice rervm aucti. [...]. Jena J i 7 i 4 , S. 12. [SUB Göttingen: 8° Ling. IV, 5293]. Vgl. zu den Drucken Joachim Knape: Barock (1. Deutschland). In: HWRh 1 (1992), Sp. 1 2 8 5 - 1 3 3 2 , hier Sp. 1287. Knape verzeichnet zu Vossius »4 Werke mit 21 Ausgaben«, der damit - nach Konrad Dieterich mit »3 Werke[n] mit 26 Ausgaben« der am häufigsten gedruckte Rhetoriker der Barockzeit in Deutschland war.

den umfassenden >Commentarii< wird Longin erst gegen Ende, im sechsten und letzten Buch des fast eintausend Seiten umfassenden Werkes überhaupt genannt - kaum überraschend in dem Kapitel »de dicendi genere«, das die rhetorische Stilartenlehre zum Gegenstand hat.' 6 Dies bestätigt noch einmal die These, daß >Peri hypsus« im 17. Jahrhundert in erster Linie als eine spezialrhetorische Schrift eingestuft wurde. Ahnliches wie f ü r Vossius gilt auch f ü r den Basler Professor der Eloquenz Samuel Werenfels ( 1 6 5 7 - 1 7 4 0 ) : In seiner 1694 erstmals erschienenen >Dissertatio de meteoris orationis< hatte er für seinen Zentralbegriff μετέωρος [meteoros] ausdrücklich Longins Abhandlung als Quelle angegeben. Als Typ von >Schwulst< (οιδος; D e subl. 3, 2) zählt meteoros bei Longin zu den fünf Fehlern der erhabenen Schreibart, die am Beginn des Traktats extensiv diskutiert werden (De subl. 3 - 5 ) . Gottsched sah diese Schrift (die auch von seinen frühaufklärerischen Zeitgenossen immer wieder als Autorität genannt wird) in seinem Kampf gegen den >Schwulst< immerhin als eine so wichtige Programmschrift an, daß er sie noch 1759 (ein später Auswuchs des Literaturstreits mit der Partei der Schweizer Bodmer und Breitinger) als Anhang zu seiner »Akademischen Redekunst« in deutscher Übersetzung abdruckte.' 7 Werenfels definiert seinen Zentralbegriff unter Rekurs auf Longin: »Man versteht durch die Meteoren in einer Rede nichts anders, als solche Reden,

,6

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Gerhard Johannes Vossius: Commentariorvm Rhetoricorvm sive Oratoriarvm Institvtionvm Libri sex. Leiden 1630. Reprint Kronberg/Ts. 1974, p. 11, S. 4 2 5 f f . Werenfels wird leider nicht behandelt in der - ansonsten zentralen - Arbeit von Peter Schwind: Schwulst-Stil. Historische Grundlagen von Produktion und Rezeption manieristischer Sprachformen in Deutschland 1 6 2 4 - 1 7 3 8 . Bonn 1977 (= A b handlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 231); kurze Hinweise bei Manfred Windfuhr: Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1966 (= Germanistische Abhandlungen, Bd. 15), S. 3 1 8 . Windfuhr zählt bis 1772 (!) mindestens fünf Auflagen der lateinischen Ausgabe. Die Ubersetzung (sie stammt von dem Gottsched-Schüler Johann Simon Buchka) erschien zuerst in: Der deutschen Gesellschaft in Leipzig Eigene Schriften und Ubersetzungen, in gebundener und ungebundener Schreibart: [ . . . ] . Leipzig 1730, Τ. II (»Ubersetzungen«), S. 3 3 9 - 4 1 2 [ W L B Stuttgart: Mise. oct. 2585]. Im »Vorbericht zur Abhandlung von Meteoren« des Übersetzers (im späteren Abdruck in der »Akademischen Redekunst« weggelassen) heißt es ganz konventionell: »Unsere Gedanken entspringen von den Sachen, die wir empfinden, und sich durch die äußerlichen Sinnen dem Gemüthe vorstellen. Die Dinge ausser uns haben unterschiedene Grade: U n d wenn die Begriffe mit der Natur der Sachen übereinstimmen; so können die Gedanken nicht niedrig seyn, wenn die Sache hoch ist, die sich die Seele vorstellet. [ . . . ] Aus dem Angeführten ist klar: wenn die Sache niedrig ist, so muß auch die Schreibart niedrig, doch nicht bäurisch und abgeschmackt seyn. [ . . . ] Ist die Sache wichtiger, so muß auch die Schreibart erhabner seyn; und prächtige Dinge sollen prächtig vorgestellet werden.« (S. 343 f.).

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welche dem Scheine nach hoch; in der That aber leer, falsch und unvernünftig sind.«' 8 Das positive »Hohe« und das bloß »Hochtrabende« werden einander gegenübergestellt, wobei Werenfels mit einer Dichtomie von >innen< und >außenhochtrabenden< Reden zeichnen sich nämlich dadurch aus, daß beide Kategorien in einem Mißverhältnis stehen. D e r Basler Professor verwendet also die Begrifflichkeit L o n gins, gebraucht sie aber in einem völlig traditionellen Kontext - und liest damit >Peri hypsus< gegen den Strich. A n den von Werenfels unterschiedenen drei Typen von Fehlern gegen die >hohe< Schreibart wird dies im folgenden noch deutlicher: »[i.] Es wird entweder eine wahrhaft hohe Schreibart bey einer geringen Sache gebrauchet; oder [2.] die Hoheit der Schreibart ist bey einer prächtigen Materie nicht richtig; oder [3.] es ist endlich weder die Sache hoch, noch die Hoheit der Schreibart wahrhaftig.« 3 ' Werenfels differenziert hier also nach res und verba und verlangt dabei, daß die Worte den Dingen angemessen (aptum) sein müssen - gängiges schulrhetorisches Wissen: »Wie die Worte der Sache, so sollen die Worte dem Bilde gleich seyn. Hieraus folget, daß die Wörter in einer erhabenen Rede hoch und prächtig seyn müssen. Dieses geschieht auf dreyerley Weise durch das A n sehen derjenigen, die solche gebrauchen, durch den Ton, und durch die Bedeutung.« 40 Werenfels hat weniger das hypsos Longins im Blick, das sich auch im einfachen Stil oder sogar im Schweigen zeigen kann, sondern das konventionelle genus grande der Rhetorik. Dabei nennt er - f ü r die Tradition der Dreistillehre charakteristisch - sozial-ständische Kriterien ebenso wie die Figuren- und Tropenlehre. Werenfels' Schrift ist insgesamt, wie Gunter E. G r i m m und Wilhelm Kühlmann dargestellt haben, in den Kontext der um 1700 topischen Kritik an der Weltfremdheit und >Pedanterey< der Gelehrten einzuordnen, die, so Werenfels selbst, nur eine »allzuprächtigef] Schreibart« 41 und eine nutzlose und sogar schädliche Cicero-imitatio pflegten, anstatt im >wirklichenTraite du sublime< durchaus wahrgenommen hat (vgl. Kap. IV). 44

Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Tübingen 1982 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 3), S. 288ff. Kühlmanns Hinweis, Werenfels vertrete eine >sachbezogen-kommunikative< Form des aptum (vgl. ebd., S. 444), ist zuzustimmen; allerdings ist diese Vorstellung um 1700 völlig konventionell. Das Thema im Kontext der Gelehrtensatire beleuchtet Alexander Kosenina: D e r gelehrte Narr. Gelehrtensatire seit der Aufklärung. Göttingen 2003, S. 5 5 ff. Z u m Konzept des >Politischen< bzw. >Politicus< vgl. (mit weiterer Forschungsliteratur): Verf.: Politicus. In: H W R h 6 (2003), Sp. 1 4 2 2 - 1 4 4 5 ; Verf.: Transformationen der Rhetorik, S. 146 ff. 4J

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Werenfels: D e meteoris orationis, S. 3 7 1 . Ahnliches hatte Werenfels auch in seiner erstmals 1688 erschienenen >Dissertatio philosophica D e logomachiis eruditorum< vorgeführt. Vgl. dazu Grimm: Literatur und Gelehrtentum, S. 738; Peter K . Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt. Z u r Geschichte der Querelle des Anciens et des Modernes in Deutschland. München 1 9 8 1 , S. 350. Rezeptionsbelege bei Karl Vietor: Die Idee des Erhabenen in der deutschen Literatur [1937]. In: ders.: Geist und Form. Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte. Bern 1952, S. 2 3 4 - 2 6 6 , S. 3 4 6 - 3 5 7 (Anm.), hier v.a. S. 244^ (D. G . Morhof u.a.); Kapitza nennt in seiner grundlegenden Geschichte der Q»ere//e-Rezeption folgende Schriften: Ludolf Küster: Historia critica Homeri (1696; Kapitza: Ein bürgerlicher Krieg in der gelehrten Welt, S. 51); Matthias Nikolaus Kortholt: Oratio, de qua antiqua eloquentia [ . . . ] (gehalten am 22. Juni 1700; Kapitza, S. 56f., mit Teilabdruck der Rede, vgl. auch S. 66f.); verschiedende Rezensionen in den >Deutschen Acta Eruditorum< zu Dacier und La Motte: Kapitza, S. 1 0 1 , S. 103, S. ro6, S. 1 1 5 , S. 1 2 3 , weitere Zeugnisse zur Rezeption: S. 1 1 2 , S. 127. Vgl. insgesamt auch das Register]). Vgl. Scheffer: De Stylo exercitiisqve eius, S. 12; Christian Wernicke: Epigramme ['1697]. Hrsg. u. eingeh v. Rudolf Pechel. Berlin 1909 (= Palaestra, Bd. L X X I ) , S. 124 (Longins Homer-Kritik wird referiert). In Johann Andreas Fabricius' Philosophischer Oratorie< (1724) wird Boileau sogar überhaupt nicht mehr als Autor des >Art poetiqueHöchstnötige Cautelen, welche ein Studiosus juris [ . . . ] zu beobachten hat, ' 1 7 1 0 ) Boileaus >entrhetorisierende< L o n g i n - L e k t ü r e zu widerlegen: E r möchte zeigen, daß sich das hypsos-Konzept

ohne argumentative Schwierigkeiten in das System der

Dreistillehre einfügen läßt - und Boileau mit seiner Differenzierung v o n >le sublime< und >le stile sublime< also irrt. 4 ' Thomasius argumentiert, daß L o n gin dem erhabenen den frostigen Stil (vgl. D e subl. 4, 1) gegenübergestellt habe und damit letztlich einem klassifizierenden Stilkonzept in systemrhetorischer Tradition verpflichtet bleibe: Boileau in prafatione ad Longinum distinguit inter stilum sublimem & sublime, atq[ue] Longinum de posteriori non priori scripsisse arbitratur. At contrarium patet ex eo, quod stilum frigidum sublimi suo opponat Longinus c. 3. & 4. Quintiiianus inter dicendi genus sublime & grave distinguit d. 1. 12. c. 10. p. 586. seq. quod alii non faciunt, nec differentia Quintiliani perspicua est.46 K n a p p resümiert der Hallenser Juraprofessur: »Wenn man L o n g i n u m v o n A n f a n g biß z u m E n d e durchlieset / so weiß man so wenig als z u v o r / w a s ein hoher Stylus sey.« 4 7 Thomasius hat sichtliche Schwierigkeiten, seine an der Schulrhetorik orientierte Vorstellung v o m >hohen Stil< mit der Simpli-

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Zu Thomasius' Rhetoriktheorie, die ein Übergangsstadium in der Geschichte des rhetorischen Systems präsentiert, vgl. insgesamt Verf.: Transformationen der Rhetorik, S. 2 77 ff. Christian Thomasius: Cautelas circa praecognita Jurisprudential [...]. Halle 1710, S. i n f . Anm. k. [SUB Göttingen: 8°Jur. Praec. 4150]. Deutsche Ubersetzung: Höchstnöthige C A V T E L E N , Welche ein STUDIOSUS J U R I S , Der sich zu Erlernung Der Rechts=Gelehrtheit [ . . . ] vorbereiten will, zu beobachten hat. Halle 2 1729 [UB Tübingen: Hb 187]: »Boileau macht in der Vorrede über den Longinum einen Unterscheid: inter Stylum sublimem unter hohen Worten / & sublime und unter hohen Gedancken / und meinet / Longinus habe von dem letztern / nicht aber von dem erstem in seinem Buch gehandelt. Allein man siehet das Gegentheil daraus / weil Longinus dem Sublimi davon er handelt / den Stylum frigidem entgegen setztet c. 3. und 4. Quintiiianus machet in angeführtem 12. Buch im 10. Cap. einen Unterscheid / zwischen einer hohen und zwischen einer nachdrücklichen Schreib= Art / welchen man bey andern nicht findet; Allein dieser Unterscheid ist ebenfalls nicht deutlich.« (ebd., S. 165 Anm. k). - Thomasius' Argumente wiederholt wörtlich das im ganzen 18. Jahrhundert in zahlreichen Auflagen und Bearbeitungen verbreitete Stilistiklehrbuch von Johann Gottlieb Heineccius: Stili cultioris fundamenta [...]. Halle '1720, S. 121 [SUB Göttingen: 8° Ling. IV, 5298]. Thomasius: Höchstnöthige C A V T E L E N , S. 165 Anm. k; »Si totum libellum Longini perlegeris, minus quam antea intelligis, quid sit sublime.« (Thomasius: Cautelse, S. 1 1 2 Anm. k).

zität der fiat lux-Passage, die für den Hallenser Philosophieprofessor offensichtlich auf der Hand lag, in Einklang zu bringen. Beide Konzepte des >Erhabenen< geraten also in einen Widerstreit, und es spricht für die Diskurs-Macht der Rhetorik, daß sich Thomasius für die Doktrin der Schule entscheidet. Die hiervon abweichende Theorie Longins erscheint ihm vor diesem Hintergrund schlichtweg unverständlich. Schließlich weist Thomasius darauf hin, daß Longin und Boileau besser eine Jesaja-Stelle zur Illustration des erhabenen, d. h. hohen Stils hätten heranziehen sollen.48 Er nennt mit dem Propheten, wie Joachim Dyck in seiner Studie über >Athen und Jerusalem< (1977) gezeigt hat, einen der klassischen Schriftsteller des >hohen< Bibel-Stils, der den Konventionen der genera dicendi-hehre mehr genügt als das Genesiszitat aus >Peri hypsusrhetorisierte< Erwartungshorizont führt Thomasius nicht dazu, seine eigene Interpretation zu überdenken, sondern den Text Longins an die systemrhetorischen Normen anpassen zu wollen - ja ihn geradezu gegen den Strich zu emendieren. Er konstatiert, etwas ratlos, daß es Longin insgesamt an einem theoretisch durchdachten Konzept des Erhabenen, das auch den zeitgenössischen Anforderungen an eine philosophische Argumentation genügen könne, fehle: »Longinus exempla magis dat, quam regulas, sed exempla sublimitatis dubiae.«50 Aus diesen Worten spricht zugleich Thomasius' Selbstverständnis von der Superiorität der moderni gegenüber den antiqui. Er verdammt Homer und andere antike Schriftsteller, die den hohen Stil nur zur Legitimierung ihrer eigenen, schwülstigen Schreibweise erfunden hätten: »Longini totius liber huic conjecturae ansam dedit, qui totus fere in eo est, ut Homeri aliorumque ineptias ut exempla stili sublimis praedicet.«5'

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»Si ex Scriptura a d d u c e n d u m erat e x e m p l u m stili vere sublimis, i. e. gravis [!], c u r non Esaias potius f u i t adductus? Q u i d gravius?« ( T h o m a s i u s : Cautelae, S. 1 1 2 A n m . k). - »Wann sie ja ein E x e m p e l v o n einem recht hohen S t y l o aus der B i b e l hätten w o l l e n a n f ü h r e n / w a r u m haben sie nicht lieber den P r o p h e t e n Esaisas angeführet«. ( T h o m a s i u s : H ö c h s t n ö t h i g e C A V T E L E N , S. 165 A n m . k).

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J o a c h i m D y c k : A t h e n und J e r u s a l e m . D i e Tradition der argumentativen V e r k n ü p f u n g v o n Bibel u n d P o e s i e im 1 7 . und 18. J a h r h u n d e r t . M ü n c h e n 1 9 7 7 (= E d i t i o n B e c k ) , S. 6 4 - 9 0 (>Die Bibel als M a ß biblischer SprachkunstAutoren< nennt D y c k u. a. die Psalmen D a v i d s , das H o h e l i e d S a l o m o n s und Hiob.

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T h o m a s i u s : Cautelae, S. 1 1 2 A n m . 1. - » L o n g i n u s gibt nicht so w o h l R e g e l n als nur E x e m p e l : w e l c h e meistentheils so b e s c h a f f e n sind / daß man nicht weiß / o b sie z u m hohen S t y l o gehören / o d e r nicht.« ( H ö c h s t n ö t h i g e C A V T E L E N , S. 1 6 6 A n m . 1).

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T h o m a s i u s : Cautelae, S. 1 1 2 A n m . m. - » Z u dieser M u t h m a s s u n g hat mir der L o n ginus G e l e g e n h e i t gegeben / w e l c h e r in seinem gantzen B u c h e fast nicht anders thut / als daß er die abgeschmacktesten R e d e n s = A r t e n aus d e m H o m e r o u n d andern

37

Die Longin-Editoren der Frühen Neuzeit versuchten den eher unsystematischen Charakter und die fragmentarische Überlieferung (etwa ein Fünftel des Texts fehlt, darunter auch zentrale Stellen, etwa die Diskussion der ράi^oi-Kategorie) von >Peri hypsus< dadurch zu kompensieren, daß sie den Traktat mit einer festen Kapiteleinteilung (seit der Edition von Portus, 1569/70 52 ) und resümierenden Überschriften (seit der Edition von Tanneguy Le Fevre, 1 6 6 3 " ) versahen. In der überwiegenden Zahl der Ausgaben wird dem Werk seit dem Ende des 16. Jahrhunderts zudem eine ganze Reihe von Paratexten beigegeben: eine Biographie des neuplantonischen Philosophen Cassius Longinus ( 2 1 0 - 2 7 3 n. Chr.), der in der Frühen Neuzeit als Autor von >Peri hypsus< galt, verschiedene Register, kommentierende Fußnoten und Marginalien sowie erklärende Vorworte und zusätzliche Verständnishilfen (vgl. etwa eine >Tabulae< in Abb. 2). Zentral sind auch die Appendices mit fragmentarischen >LonginPeri hypsusPeri hypsus< mit Texten des Cassius Longinus und konstruieren damit ein neues Bild von >LonginEssay in the Sublime< (Peri hypsus), N r . 34. H Vgl. zu den Fragmenten umfassend Irmgard Männlein-Robert: Longin. Philologe und Philosoph. Eine Interpretation der erhaltenen Zeugnisse. München/Leipzig 2001 (= Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 143), S. 1 9 h !> Vgl. dazu (mit weiteren Hinweisen) Michael Cahn: D e r Druck des Wissens. G e schichte und Medium der wissenschaftlichen Publikation. Wiesbaden 1 9 9 1 ; C o g n i tion and the B o o k . Typologies of Formal Organisation of Knowledge in the Printed B o o k of the Early Modern Period. Hrsg. v. Karl A . E . Enenkel/Wolfgang N e u ber. Leiden/Boston 2005 (= Intersections. Yearbook for Early Modern Studies, Vol. 4/2004); insgesamt Zelle: Die doppelte Ästhetik, S. 43 ff. ' 6 Vgl. Verf.: D e r >rhetorisierte< Longin; Maurer: Boileaus Ubersetzung der Schrift >Peri hypsus >yw, Trißmifi-SJ^imiAnl .wifcraa Mplnafi

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Abb. 2: Tabula aus der Übersetzung von G. Langbaine (1683) Ein Beispiel dafür, wie durch solche Paratexte ein besonderes Bild des Autors und Textes modelliert wird, ist Carl Heinrich Heinekens erste vollständige deutsche Ubersetzung von >Peri hypsus< ( ' 1 7 3 7 , ^1738, 3 i 7 4 2 , 4 1784). Heineken gibt dem zweisprachigen Text seiner Edition folgende Paratexte bei: 1. Eine Vorrede Heinekens, die über die Anlage des ganzen Werkes, die Ubersetzungsprinzipien, die zugrundegelegte Edition des griechischen Originaltextes und einige wichtige Werke der Sekundärliteratur« informiert. 2. Eine umfangreiche Abhandlung >Leben des Longin< (eine Biographie des Cassius Longinus). 3. Eine Bibliographie der Longin-Ausgaben und eine Edition (mit Übersetzung) einiger angeblich von Longin stammender Fragmente (>Von den Schrifften des LonginPeri hypsus< mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat, der die gelehrte Diskussion rekapituliert. 5. Heinekens Untersuchung von dem was Longin eigentlich durch das Wort erhaben verstehe?« 6. Schließlich ein umfangreiches Sach- und Personenregister. Heineken macht aus dem nur fragmentarisch erhaltenen Traktat eine umfangreiche, klar strukturierte rhetoriktheoretische Schrift. Seine Ausgabe beseitigt durch die beigegebene Abhandlung Verständnisprobleme und legt den antiken Text im Sinne seines aufklärerischen Editors aus. Sie tilgt durch den bewußten Einsatz von paratextuellen Layout-Elementen den Fragmentcharakter und konstruiert in Heinekens Longin-Biographie ein Idealbild ei39

nes inmitten des politischen Lebens stehenden Autors, das hier mit der realhistorischen Figur des Philosophen Cassius Longinus, Berater der sagenumwobenen Königin Zenobia von Palmyra, kurzgeschlossen wurde. Diese Autorschafts-Projektion paßte offenbar in ganz besonderer Weise auf die Lektürebedürfnisse des frühen 18. Jahrhunderts, in dem Diskurse um das >Heroische< eine beträchtliche Macht ausübten. 57 Wenn die Biographie Heinekens Longins Hinrichtung als Heldentat beschreibt, so bewegt sich diese >heroische< Auslegung des Erhabenheitskonzepts durchaus in zeitgenössischen Bahnen, und das in doppelter Weise: Die »Übertragung des Inhalts« der Schrift »auf ihren Verfasser«' 8 thematisiert schon Boileau, die >heroische< Komponente des Erhabenen, die sich - im Anschluß an Longins erste Quelle des Erhabenen - in stoischer Seelengröße (magnanimitas) äußert, sahen die Zeitgenossen des siecle classique in einer Stelle aus Corneilles Tragödie >Horace< von 1640 in besonders mustergültiger Weise verwirklicht. Als zwei der drei Söhne im Kampf um die Vorherrschaft zwischen den beiden rivalisierenden Städten Rom und Alba Longa gefallen sind, fragt Julie, eine der Schwestern, den alten Horace, der die Pflicht gegenüber dem Vaterland über die Liebe zu seinen Söhnen stellt: Que vouliez-vous qu'il fit contre trois? Horace antwortet mit lakonischer Knappheit: Qu'il mourut." Die Konstruktion des >heroischen< Autors Longin prägt, von Boileau ausgehend, die weitere Wirkungsgeschichte von >Peri hypsus< im 18. Jahrhundert: bei Heineken und in der Ubersetzung Johann Georg Schlossers von 1 7 8 1 . Sie zeitigt sogar lange nach dem Ende der Frühen Neuzeit noch ihre Wirkung. Karl Gutzkows ( 1 8 1 1 - 1 8 7 8 ) u.a. gegen Hebbel gerichtete Polemik »Dionysius Longinus. Oder: Über den ästhetischen Schwulst in der neuern deutschen Literatur< (1878) versammelt noch einmal alle Topoi der

57

18 19

40

Vgl. allgemein Martin Disselkamp: Barockheroismus. Konzeptionen >politischer< Größe in Literatur und Traktatistik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 2002 (= Frühe Neuzeit, Bd. 65). Zelle: Die doppelte Ästhetik, S. 54. Pierre Corneille: Horace (III/6). In: ders.: CEuvres completes. Textes etablis, presentes et annotes par Georges Couton. Τ. I. Paris 1980 (= Bibliotheque de la Plei'ade, T. 19), S. 878. - Der Artikel >SubIime< in der >Encyclopedie< wird noch 1765 auf die in dem Zitat zum Ausdruck kommende stoische Haltung der tranquillitas affirmierend zurückkommen: Louis Chevalier de Jaucourt: Sublime. In: Encyclopedie ou Dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers. Vol. 15 (1765). Reprint Stuttgart-Bad Cannstatt 1967, S. 566-570, hier S. 567.

A u t o r s c h a f t s - F i k t i o n e n , die seit B o i l e a u in d e n P a r a t e x t e n d e r A u s g a b e n m i t großem Legitimationsaufwand entworfen wurden: Die Schriften des Longinos, seine Vorträge über Philosophie und Rhetorik hatten den Mann so berühmt gemacht, daß ihn Zenobia, die stolze Königin von Palmyra, die den Orient bis Egypten den Römern zu entreißen suchte, als Erzieher ihrer Söhne berief, ja bei näherer Bekanntschaft den geistvollen Mann zu ihrem Freunde und Rathgeber machte [ . . . ] . Dadurch reifte freilich Longin's Verderben. Der römische Kaiser Aurelian, ein Halbbarbar, rückte mit Heeresmacht heran, schlug die Königin in zwei großen blutigen Schlachten und ließ ihren ersten Minister, Dionysios Longinos, enthaupten, gleichgültig für seinen Ruhm, f ü r seine zahlreichen Schriften und seine verzweifelten Schüler. Man warf dem trefflichen Mann die Abfassung eines Manifestes vor. Die Königin führte Aurelian im Triumph durch die Straßen Rom's. Die verzweifelnde Frau bekam dazu goldne Ketten und hinreichend viel Schminke f ü r ihre Wangen. D o c h war die Gebrochne an sich schön! Sie lebte noch viele Jahre und bis an ihren Tod unangefochten auf dem Gebirg um Rom. 6 0

Seit G e o r g K a i b e l s A u f s a t z >Cassius L o n g i n u s u n d die S c h r i f t π ε ρ ί ϋψους< ( 1 8 9 9 ) gilt die V e r f a s s e r s c h a f t d e s C a s s i u s L o n g i n u s f ü r >Peri h y p s u s < als d e f i n i t i v w i e d e r l e g t . 6 1 A l s P h a n t a s m a hat sie sich d e s s e n u n g e a c h t e t in z a h l r e i c h e n K o m m e n t a r e n , die w e i t e r h i n v o n d e r A u t o r s c h a f t des C a s s i u s L o n g i n u s a u s g e h e n u n d d e n T r a k t a t ins 3 . J a h r h u n d e r t d a t i e r e n , bis in die h e u tige Z e i t e r h a l t e n .

60

Karl Ferdinand G u t z k o w : Schriften. Bd. II: Literaturkritisch-Publizistisches. A u tobiographisch-Itinerarisches. Hrsg. v. Adrian Hummel. Hamburg 1998 (= Haidnische Alterthümer), S. 1 3 4 5 - 1 4 4 0 , hier S. 1350. 6 ' Georg Kaibel: Cassius Longinus und die Schrift περί ϋψους. In: Hermes 34 (1899), S. 1 0 7 - 1 9 2 .

41

III. Simplizität und Sublimität - Aspekte eines ästhetischen Diskurses

O b w o h l v o r Boileau nur innerhalb der lateinischen Gelehrtenkultur der Frühen N e u z e i t rezipiert, w a r Longins >Peri hypsus< im 16. und 1 7 . J a h r hundert ein in Philologenkreisen geschätztes Werk, das v o n Isaac C a s a u b o n ( 1 5 5 9 - 1 6 1 4 ) sogar als ein >goldenes B ü c h l e i n s als aureolus

libellus,

bezeich-

net wurde. In den rhetoriktheoretischen Diskurs der Frühen N e u z e i t ließ es sich, wie gezeigt, nicht problemlos integrieren. G e n a u dieses M o m e n t der Widerständigkeit machte den Traktat jenseits rhetorischer Systemzwänge interessant: Mit Longins hypsos-Υ^οτιζζφΧ.

ließ sich eine ästhetische Qualität

v o n Texten durch B e z u g auf einen anerkannten antiken A u t o r legitimieren, die unter der Vorherrschaft des rhetorischen Paradigmas ein Paradoxon, einen Verstoß gegen das alle Textproduktionsprozesse regulierende Prinzip des aptum,

markiert: G e m e i n t ist die Verbindung v o n Sublimität und Sim-

plizität, v o n erhabenem Inhalt und einfachem Stil. Zentrale Bedeutung im Sinne eines in den Diskussionen u m das Erhabene immer und immer wieder zitierten Topos k o m m t dabei dem in Longins Traktat wiedergegebenen Zitat (»ειπεν ό Θεός« φησί· τί; »γενέσθω φως, κ α ι έγένετο· γ ε ν έ σ θ ω γή, κ α ι έγένετο«; D e subl. 9, 9) 1

,

fungsgeschichte zu: -|ΊΧ~' ίΠ

1

""ir DTl ?!*

>Quellen

des Erhabenen
Longin< seine Kenntnis des Bibeltextes haben könnte. Vgl. dazu Eduard Norden: Das Genesiszitat in der Schrift vom Erhabenen. Berlin 1955 (= Abhandlungen der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst, Jg. 1954, Nr. 1); Winfried Bühler: Beiträge zur Erklärung der Schrift vom Erhabenen. Göttingen 1964, S. 34ff. (v. a. zu quellenkritischen Fragen; Bühler referiert die Kontroverse, die sich im Anschluß an Nordens Quellendeutung in der klassischen Philologie entwickelt hat; sie ist für die hier verhandelte Fragestellung nicht von Interesse). Biblia Hebraica Stuttgartensia. Hrsg. v. Karl Elliger [u.a.]. Stuttgart 21984; Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem. Hrsg. v. Robert Weber. Stuttgart '1983.

>hoher Gedanken< entsteht. H i e r gesteht also ein paganer A u t o r zu, daß auch der Bibel die höchste ästhetische Qualität des hypsos zukommt. M e h r noch: In den theologischen Diskussionen wird betont, daß die Erhabenheit der R e d e Gottes gerade darauf basiert, daß er durch sein Sprechen die D i n ge, die er benennt, zugleich auch erschafft. D a s unterscheidet das performative dicere

nach dogmatischer Vorstellung v o m bloßen loqui

(vgl. aus-

führlich Kap. I I I 3). N o c h in neueren theologischen Kommentaren zur G e nesis wird die besondere sprachliche Gestalt des fiat lux herausgehoben, vor allem die strophische Gliederung und die rhythmische Struktur. 3 Das kurze Zitat aus der Bibel wird in den stiltheoretischen Diskussionen seit dem Beginn des 1 7 . Jahrhunderts zu einem K r o n z e u g e n f ü r eine - so H e r d e r in der >Ältesten U r k u n d e des Menschengeschlechts< ( 1 7 7 4 ) - » E r habne Simplizität«, 4 die es nach rhetorischer Vorstellung nicht geben kann. Dabei sind zwei Kontexte entscheidend, innerhalb derer sich die Diskussion abspielt: Erstens die schon von den Kirchenväter diskutierte Frage, ob die Bibel den sprachästhetischen A n f o r d e r u n g e n der rhetorischen elegantia

ge-

nügen konnte. D e r R ü c k g r i f f auf die Autorität Longins ermöglichte eine positive A n t w o r t : D e r heidnische A u t o r ordnete das fiat lux-Zitat

als her-

ausragendes Beispiel des >Erhabenen< ein, o b w o h l es nachhaltig von den ciceronianischen N o r m e n rhetorischer Kunstprosa abwich. Zweites - und damit unmittelbar zusammenhängend - konnte man auf diese Weise auch in säkularen Texten ein jenseits rhetorischer N o r m e n (oder sogar in erklärtem Gegensatz zu diesen) angesiedeltes Erhabenes fassen. Beide Diskurse, das ist in dem nachfolgenden Kapitel darzustellen, nehmen dabei in signifikanter Weise ständig aufeinander bezug. U n t e r dem Schlagwort der >Simplizität< oder >edlen Einfalt< wird »Einfachheit< seit dem 17. Jahrhundert - zuerst in Frankreich, dann auch in England und Deutschland - zu einem G r u n d k o n z e p t klassischer b z w . klassizistischer Ästhetik. 5 Detlev Schöttker schreibt dazu in einer instruktiven ästhetikgeschichtlichen Skizze: J

4

5

Vgl. Claus Westermann: Genesis. Teilbd. 1: Gen. 1 - 1 1 . Neukirchen-Vluyn 1974 (= Biblischer Kommentar, Bd. 1/1), S. 126; Josef Scharbert: Genesis. Bd.I. Würzburg 1983 (= Die neue Echter-Bibel. Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung), S. 40. - Ernst Müller weist zu Recht darauf hin, daß das fiat lux bei Longin selbst »keine übergeordnete Rolle spielte« (E. Müller: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion. In den Philosophien von der Aufklärung bis zum Ausgang des deutschen Idealismus. Berlin 2004, S. 36). Johann Gottfried Herder: Alteste Urkunde des Menschengeschlechts; F H A 5, S. 205. Schon Karl Heinrich von Stein stellt 1886 die Enwicklung hin zu einer >klassischen< Ästhetik (mit Ausgang von Boileau) unter die Uberschrift: »Die Richtung auf das Natürliche« (H. v. Stein: Die Entstehung der neueren Ästhetik. Stuttgart 43

Als ästhetische Kategorie taucht der Begriff der Einfachheit ebenso wie seine Varianten Simplizität, Einfalt und Naivität (die sich überschneiden, aber auch ergänzen können) seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts erstmals in der französischen Ästhetik auf. Der Begriff diente hier als Bezeichnung für den getreuen Ausdruck natürlicher Ungezwungenheit und zur Charakterisierung der formalen Vorbildlichkeit antiker Kunst, so daß er das Beiwort >edel< bekam.6 Simplizität b z w . >erhabene Simplizität< bleibt dabei nicht auf das enge G e biet der Literatur beschränkt, sondern

findet,

w i e die F o r s c h u n g in den

letzten J a h r z e h n t e n vermehrt herausgearbeitet hat, E i n g a n g in die a u f k l ä r e rische Architekturtheorie, 7 Musikästhetik, 8 s o w i e in die T h e o r i e der B i l d e n den K u n s t b z w . Malerei. 9 M i t seinen >Gedanken über die N a c h a h m u n g der Griechischen Werke in der M a h l e r e y u n d B i l d h a u e r k u n s t ( 1 7 5 5 ) machte J o h a n n J o a c h i m W i n c k e l m a n n ( 1 7 1 7 - 1 7 6 8 ) das D i k t u m v o n der >Edlen E i n f a l t und >Stillen Größe< der griechischen K u n s t so p o p u l ä r , daß es in der F o l g e z e i t z u einem S c h l a g w o r t graecophiler Klassizität w i r d . 1 0 W i e R e i n -

1886, S. i f f . [Boileau], S. 8 i f f . [Das Natürliche]); vgl. auch Sylvie Hurstel: Zur Entstehung des Problems des Erhabenen in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. J. J . Winckelmann und G. E. Lessing. In: Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert. Hrsg. v. Gerard Raulet. Rennes 1995, S. 1 1 1 - 1 4 9 , hier S. m : Longins Schrift »beeinflußte insbesondere deren Abkehr [diejenige des >klassischen< Kunstideals] vom barocken Ideal des Scharfsinns und den damit einhergehenden manieristischen Zügen barocker Kunst.« Dies alles ist - zumindest im deutschsprachigen Umfeld - im Kontext eines umfassenden Stil- und Geschmackswandels um 1700 zu sehen. 6

7

8

9

10

44

Detlev Schöttker: Reduktion und Innovation. Die Forderung nach Einfachheit in ästhetischen Debatten zwischen 1750 und 1995. In: Konzepte der Moderne. Hrsg. v. Gerhart von Graevenitz. Stuttgart/Weimar 1999 (= Germanistische Symposien. Berichtsbände, Bd. XX), S. 3 3 1 - 3 4 9 , hier S. 332. - Schöttker berücksichtigt allerdings in seiner Aufzählung der Synonyma nicht die spezielle theologische Semantik des Begriffs >Einfalt< (griech. άπλότης; lat. simplicitas), vgl. dazu unten Kap. III 1 c. Johannes Erichsen: Antique und Grec. Studien zur Funktion der Antike in Architektur und Kunsttheorie des Frühklassizismus. Diss. Köln 1980, S. 4 i f f . - Zentral für die Architekturtheorie ist Marc-Antoine Laugiers >Essai sur l'Architecture< (Paris 1753), der sich scharf gegen den ornamentalen »gotischefn] Firlefanz und Arabesken« wendet (Marc-Antoine Laugier: Das Manifest des Klassizismus. Übers, u. mit Anm. vers. ν. Hanna Böck. Einl. v. Wolfgang Herrmann. Nachwort v. Beat Wyss. Zürich 1989, S. 30). Richtmaß für den Grad an ornamentaler Verzierung ist die bienseance, d.h. das aptum (ebd., S. 123). Laugiers Entwurf der >Urhütte< (ebd., S. 33 ff.) hat bekanntlich später Goethe in >Von deutscher Baukunst< (1773) scharf kritisiert. Karsten Mackensen: Simplizität. Genese und Wandel einer musikästhetischen Kategorie des 18. Jahrhunderts. Kassel [u.a.] 2000 (= Musiksoziologie, Bd. 8), S. 178ff. Einige Hinweise bei Stammler: »Edle Einfalt«, S. 361, S. 368ff.; Raymond D. Havens: Simplicity, a Changing Concept. In: Journal of the History of Ideas 14 (1953), S. 3 - 3 2 (vor allem am Beispiel englischer Quellen). Daß er es nicht geprägt hat, zeigt materialreich Stammler: »Edle Einfalt«, S. 377ff.

hard Brandt auf der Grundlage handschriftlicher Lektürenotate Winckelmanns überzeugend nachgewiesen hat, war dieser ein fleißiger LonginLeser, so daß es durchaus plausibel erscheint, wenn Brandt postuliert, daß Longins bypsos-Konzept an Winckelmanns Vorstellung von der >Edlen Einf a l t wesentlichen Anteil habe." Die Longin-Rezeption bei den Theoretikern des Klassizismus im 18. Jahrhundert zeigt, daß man im deutschen Sprachraum von langfristigen Rezeptionsprozessen ausgehen muß. Die nachfolgenden Kapitel werden dies belegen: Dargestellt wird, wie das Konzept der simplicite du sublime, das sich im Anschluß an Boileaus Longin-Übersetzung von 1674 herausgebildet hatte, noch am Ende des 18. Jahrhunderts - etwa in Adelungs Stillehre diskutiert wurde. 12 Zugleich wird das Kapitel die Vorgeschichte des >einfachen< Erhabenen in der Rhetorik und Bibelphilologie des 16. Jahrhunderts darstellen. Eine Reihe von Zitaten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts soll die Prominenz des Diskussionszusammenhangs verdeutlichen und eine erste Einführung in die Thematik geben: In seinem Frühwerk Beobachtungen über das Gefühl des Erhabenen und Schönen< von 1764 stellt Kant Schönheit« und >Erhabenheit< einander gegenüber: »Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein.«'3 Konstitutiv ist hier die Dichotomie des Schönen und Erhabenen: Kant verbindet sie mit dem Kriterium des Schmucks. Das Erhabene zeichnet sich gerade durch seine >einfäl-

" Reinhard Brandt: ». . . ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe«. In: Johann Joachim Winckelmann 1 7 1 7 - 1 7 6 8 . Hrsg. v. Thomas W. Gaehtgens. Hamburg 1986 (= Studien zum achtzehnten Jahrhundert, Bd. 7), S. 4 1 - 5 3 ; die Rolle Longins für Winckelmann aufzuzeigen ist auch das Großthema der Studie von Helmut Abeler: Erhabenheit und Scharfsinn: Zum >argutiaLiteraturbriefeVon der Sprache der P o e sie« handelt, ein ähnliches A r g u m e n t : Die edelsten Worte sind eben deswegen, weil sie die edelsten sind, fast niemals zugleich diejenigen, die uns in der Geschwindigkeit, und besonders im Affekte, zu erst beifallen. Sie verraten die vorhergegangene Überlegung, verwandeln die Helden in Declamatores, und stören dadurch die Illusion. Es ist daher ein großes Kunststück eines tragischen Dichters, wenn er, besonders die erhabensten Gedanken, in die gemeinsten Worte kleidet, und im Affekt nicht das edelste, sondern das nachdrücklichste Wort, wenn es auch schon einen etwas niedrigen Nebenbegriff mit sich führen sollte, ergreifen läßt. Von diesem Kunststücke werden aber freilich diejenigen nichts wissen wollen, die nur an einem korrekten Racine Geschmack finden, und so unglücklich sind, keinen Shakespeare zu kennen. 14 Friedrich J u s t u s Riedel schließlich erklärt 1 7 6 7 in seiner >Theorie der schönen K ü n s t e und Wissenschaften«: »Wenn ein an sich erhabner G e g e n s t a n d in der Vorstellung allzusehr ausgebildet, oder d u r c h den A u s d r u c k zusehr v e r schönert w i r d , so vermindert der äusserliche P u t z die W ü r k u n g des E r h a benen. D a s E r h a b e n e in der Stelle: GOtt

14

46

sprach: Es werde

Licht und es

ward

G. E. Lessing: 51. Literaturbrief (16. August 1759), L G V, S. 184. Damit ist ein Verlust der Kongruenz des res-wrfcz-Verhältnisses indiziert; >declamator< ist zudem ein anti-rhetorisches Schlagwort, weil sich mit ihm die Vorstellung einer rhetorikhistorischen >Dekadenz< (in Nachfolge der römischen Kaiserzeit) verbindet. In dem von Gottsched herausgegebenen >Handlexicon< heißt es 1760 unter dem Stichwort >DeclamatioHamburgischen Dramaturgies 59· Stück (24. November 1767), in der sich sein gegen die Schulrhetorik gerichtetes Programm, das Argumente aus der frühneuzeitlichen >PedantismusLaokoon< (1766), hier v.a. das X V I I . Kapitel (LG VI, S. 109 ff.).

Licht, ist so gros an sich, daß alle Zierrathen es nur verunstalten, oder auf einen geringem Grad herabsetzen würden. Simplicität wird hier Größe.« 1 ' Die drei Zitate weisen eine gemeinsame Grundfigur auf: Sie postulieren, daß Erhabenheit und Simplizität ein notwendige Verbindung eingehen müssen, wenn ein Text ästhetisch wirksam werden soll. Wenn der rhetorische ornatus über den erhabenen Gedanken dominiert, verdeckt er ihn - und die sublime Wirkung bleibt aus. Der rhetorische Schmuck - allzuviel Kunstfertigkeit überhaupt, die mit dem pejorativen Etikett des Pedantischen belegt wird - ist unter wirkungsästhetischem Aspekt somit Opponent des Erhabenen. Das Erhabene kann nur dort entstehen, wo die rhetorische ars abwesend ist: Sie kann, so der vorkritische Kant, zwar das >Schöne< bewirken, nicht aber das >einfältige< Erhabene. Ein solches Denken, das gerade >Kunstlosigkeit< als zentrales Theorem einer Theorie der >Kunst< postuliert, steht dem rhetorischen Produktionsmodell, das mit dem bewußten Einsatz rhetorischer Kunstmittel operiert, entgegen:16 Gerade nicht um den >kunstlosen< Ausdruck der Affekte geht es in der Theorie der Rhetorik, sondern um einen möglichst kunsWollen, d. h. situationsadäquat kalkulierten. Der Redner muß den Kunstcharakter des Textes auf einer zweiten Ebene wiederum kunstvoll verschleiern (das Gebot der dissimulatio artis). Zentral ist dabei der Gedanke einer Kongruenz von Sprache und dargestellter Sache (das aptum): Große Dinge müssen nach rhetorischer Doktrin auch mit >großen WortenRhetorica ad Herennium< finden w i r die älteste überlieferte Formulierung dieser wahrscheinlich auf den Aristoteles-Schüler Theophrast zurückgehenden Lehre. 2 ' D e r A u e t o r faßt die drei genera 12

Begriff der figura (figura

dicendi

unter den

und greift damit auf den traditionellen Körper-Vergleich

= >GestaltFigurQuelques metaphores du texte chez les rheteursRedefigur< wird erst bei Quintilian terminologisch. 2 > Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 77. 22

49

Es gibt nun drei Arten, welche ich als Stilarten [= figurae] bezeichne, in welchen sich jede nicht fehlerhafte erschöpft: die eine nennen wir die schwere/gewichtige [figura gravis], die zweite die gemäßigte, die dritte die schwache/dünne [figura extenuata]. Schwer/Erhaben ist der Stil, der aus der geschliffenen und schmuckvollen Verbindung erhabener/schwerer Worte besteht.24

Der figura gravis genannte Typ ist also in erster Linie ein elokutionelles Phänomen, das an der sprachlichen Oberfläche ansetzt. Quadlbauer hat darauf hingewiesen, daß der Begriff der figura gravis im Kontext der rhetorischen Terminologie ungewöhnlich ist. Offensichtlich vermeide der Auetor eine konkrete Ubersetzung des griechischen Begriffs χαρακτήρ άδρός [charakter hadros], weil dieser zu sehr die pathetische Redegewalt jenseits der rhetorischen Technik akzentuiere. Ausrücklich hebe er nämlich die »künstlerische Akribie« hervor, welche den schweren Stil< vor allen anderen auszeichne.25 Zentral ist die durch das aptum geregelte Kongruenz von res und verba: »Eine bestimmte Art des Stoffes verlangt eine bestimmte Stilart; die Stilarten sind Typen der elocutio, die man nach dem Gesetz des decorum für den gegebenen Stoff wählt«. 26 Die elokutionelle Ausrichtung zeigt sich auch an folgender Stelle, an der der Auetor den hohen Stil eingehender diskutiert und dabei wiederum die stilistischen Aspekte hervorhebt. Besonders der schwere/gewichtige Stil zeichnet sich für den Anonymus durch ornatissima verba aus: Im gewichtigen Stil erschöpft sich eine Rede, wenn man die schmuckvollsten Worte, die man für jeden einzelnen Sachverhalt finden kann, in der eigentlichen oder uneigentlichen Bedeutung, auf jeden einzelnen Sachverhalt anwendet und wenn man erhabene/schwere Begriffe, die man bei der Steigerung und dem Erregen von Mitleid handhabt, auswählt und wenn man die Ausschmückungen von Begriffen oder Worten, welche Erhabenheit in sich bergen [ . . . ] zur Geltung bringt.27

Auch bei der sich anschließenden Behandlung der einzelnen Figuren (exornationes) kommt der Auetor immer wieder auf die figura gravis zu sprechen. Für diesen Stil empfiehlt er besonders folgende Figuren: die repetitio 24

2! 26 27



»Sunt igitur tria genera, quae genera nos figuras appellamus, in quibus omnis oratio non vitiosa consumitur: unam gravem, alteram mediocrem, tertiam extenuatam vocamus. Gravis est, quae constat ex verborum gravium levi et ornata constructione.« (Rhet. ad Her. IV, 8, 11). - Die Ubersetzung der >TusculumAnheimstellenunverbundene AusdrucksweiseDe oratore< (55 V. Chr.) nur beiläufig von den genera dicendi (vgl. De or. III, 177; III, 199; III, 212). Für seine distanzierte Haltung zum rhetorischen System ist durchaus typisch, daß er auf solche Elemente der Schulrhetorik nur am Rande und abwertend eingeht. Wichtiger für die nachfolgende Traditionsbildung sind ohnehin die Ausführungen, die er in seinem späteren Werk >Orator< (verfaßt im September 46 v. Chr.) macht. Cicero verbindet dort die drei genera dicendi mit den drei Aufgaben des Redners (den officia oratoris). Er geht also nicht von einer rein elokutionären Perspektive aus, sondern stellt die persuasorische Wirksamkeit des Orators ins Zentrum. 28 Die wirkmächtige Stelle lautet: »Es gibt so viele Stilarten, wie es Aufgaben des Redners gibt: die zarte/dünne [benutzen wir] beim Beweisen, die gemäßigte beim Unterhalten, die heftige beim Beeinflussen; und auf diesem einen Punkt beruht die ganze Macht eines Redners.« 2 ' Im folgenden charakterisiert er den vollkommenen Redner zunächst durch den >heftigen< Stil: »An dritter Stelle nun erscheint jener weitausgreifende, wortreiche und wortgewaltige Redner in seinem Schmuck: er besitzt in der Tat die höchste Wirkungskraft.«' 0 Das Zitat zeigt, daß das affektreiche movere des hohen Stils einer spezifischen Figuration und compositio notwendig bedarf. Das Pathos allerdings kommt ohne Mithilfe der ars nicht zustande, wie Cicero in >De optimo genere oratorum< mit Nachdruck hervorhebt (De opt. gen. orat. 2).31 Nur den Stil von Autoren der Vergangenheit klassifiziert er als »kunstlos«. 32 Das Konzept eines auf rhetorischer Kunstfertigkeit (eigentlich ein Kennzeichen des »mittleren Stilshohen Stils« aus: »Wie die figura gravis zeigt, sah man damals auch den

28

Diesen Aspekt betont auch Brian Vickers: In Defence of Rhetoric. O x f o r d 1988, S. 8of.; vgl. auch Hendrickson: The Origin and Meaning, S. 273, der Ciceros K o n zeption als strategische Wendung auf den ihm gegenüber erhobenen AsianismusVerdacht erklärt. Vgl. dazu Joachim Adamietz: Asianismus. In: H W R h 1 (1992), Sp. 1 1 1 4 - 1 1 2 0 , hier Sp. 1 1 1 4 f .

19

»Quot officia oratoris, tot sunt genera dicendi: subtile in probando, modicum in delectando, vehemens in flectendo; in quo uno vis omnis oratoris est.« (Cie. Or. 69; vgl. auch Or. 20). »Tertius est ille amplus copiosus gravis ornatus, in quo profecto vis maxima est.« (Cie. Or. 97). Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 84^ Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 84.

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erhabenen Stil im Schema weitgehend als pathetisch; das Pathos tendiert aber nach dem Natürlichen, nicht nach der ars. Darum hebt Cicero eben das teres [das kunstvoll >Gedrechseltehohen Stil< im Sinne des auch für Longins hypsos charakteristischen >Aufschwungsgedankens< finden sich ebenfalls bereits bei Cicero, allerdings nicht in >De oratoreInstitutio oratoria< (um 95 n. Chr.) die Zuordnung der einzelnen genera zu den oratorischen Wirkabsichten. Im einzelnen unterscheidet er zunächst: 1. genus subtile (>dünnzartkräftigeicherndickgeschmücktblumiguberem< vocamus, secundum >gracilemmediocremvenustas< (Schönheit) alleine dem niedrigesten genus zugestanden wird und sich der >hohe< Stil durch >dignitasStrommetapher< vgl. mit weiteren Belegen Wehrli: Der erhabene und der schlichte Stil, S. 3 1 . 53

stellt in seiner Longin-Ausgabe dar, daß es sich beim hypsos-Qcgnii um einen Terminus handelt, der ursprünglich eine moralische bzw. soziale G r ö ße (mit stark positiver Bedeutung im Sinne von >göttergleich< oder >wie ein KönigSeelengröße< (μεγαλοψυχία [megalopsychia]) als Voraussetzung zur Produktion erhabener Texte denkt, das auch bei L o n gin eine zentrale Rolle spielt (De subl. 7, 1). 40 Eigentümlich ist hypsos bzw. seiner lateinischen Entsprechung sublimitas bzw. sublimis (und Synonyma wie excelsus, altus, elatus) die Metaphorik der Höhe, die f ü r die rhetorische ornatus-Theone untypisch ist. 41 Der Begriff steht damit in scharfem Gegensatz zu dem etwa von Quintilian zitierten terminologischen Gegensatzpaar von badrös und ischnos, von korporaler >Fülle< (»Αδρός bedeutet proprie dick, voll, kräftig, saftig« 42 ) und >MagerkeitKörperhaltungenDe inventione< (I, 7, 9). D e r Auetor ad Herennium spricht davon, daß die Wortfiguren (verborum exornationes) die (quasi >nacktegroßartigstark< (zuerst mit Blick auf Götter und Heroen gebraucht, ebd.). - A n dieser Stelle nicht geklärt werden soll der ideen- bzw. philosophischgeschichtliche Standort des A u tors im Kontext peripatetischer Strömungen (zur Platon-Bewunderung, die unter diesen Autoren, wie Russell heraushebt, sehr stark war, vgl. D e subl. 32).

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Vgl. Russell: Introduction. In: Longinus, ed. Russell, S. xxxi mit Hinweisen auf Ciceros Begriffsgebrauch. Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 65. Die terminologischen Hintergründe klärt Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 65F.; Belegstelle: Phoibammon (Rhet. Graec. RABE Bd. X I V , S. 383F.). Vgl. insgesamt Knape/Till: Ornatus, Sp. 43 3 f.

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in literary criticism until the second half of the first century B. C.«4S Ps.Demetrius verwendet den Terminus überhaupt nicht: bei ihm wird das Erhabene im Begriff der μεγαλοπρεπής [megaloprepes] gefaßt.46 Dionysios von Halikarnaß spricht mit Blick auf Thukydides, der auch in der frühneuzeitlichen Bibelphilologie ein Musterautor für den Stil der Heiligen Schrift sein wird, 47 vom χαρακτήρ υψηλός [charakter hypselos].48 Dieser Ausdruck ersetzt bei ihm den Begriff hddros.49 Ahnlich heißt es auch in der Thukydides-vita des Historikers Markellinos, daß Thukydides erhaben (megaloprepes) sei.50 Erhabenheit im Sinne des >Aufschwungsgedankens< und die dafür konstitutive Höhenmetaphorik werden in eine Stilartentypologie überführt, die von der römischen Tradition der genera dicendi in signifikanter Weise abweicht - davon wird im einzelnen noch zu sprechen sein (vgl. Kap. III ι d).' 1 Allerdings ist auch bei Dionysios der Redeschmuck ein Kennzeichen des υψηλός [hypselos]. In der lateinischen Tradition schließlich ist sublimis in terminologischer Verwendung nur schwach belegt.' 2 Dies belegt, daß Longins /vy/ws-Konzept in der Zusammenschau der antiken Stilvorstellungen eine Sonderstellung einnimmt. Hinzu kommt, daß der Anonymus mit dem Begriff letztlich keine Stilkategorie bezeichnet (De subl. i, 3; 6 - 7 ) : Starkes Pathos, eine edle Gesinnung (der Autor muß megalopsychos sein; 8, 4) und ein der Inspiration analoges produktionsästhetisches Konzept ( 1 3 , 2 ) sind wichtiger als die in der Rhetorik vermittelten officia der σύνθεσις [synthesis] und εκλογή [ekloge].53 Es ist signifikant, daß sich gerade innerhalb der hellenistischen Literaturkritik das Verhältnis von Figuralität und Stilhöhe verändert: Redeschmuck und Erhabenheit korrespondieren nicht mehr. Die Metaphern des >dünnen< und des >vollen< Körpers (soma) werden in den hellenistischen Theorien durch solche des Aufschwungs ersetzt: »Im άδρόν liegt ursprünglich der

45

Russell: Introduction. In: Longinus, ed. Russell, S. xxxi; vgl. auch G . Μ. A . Grube: Notes on the περί ύψους. In: American Journal of Philology 78 (1957), S. 3 5 5 - 3 7 4 , hier S. 355f. 46 Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 73. 47 Debora Κ . Shuger: Sacred Rhetoric. The Christian Grand Style in the English Renaissance. Princeton, N J 1987, S. 163. 48 Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 91. 49 Ebd. s ° Thukydides: Historia belli Peloponnesiaci. Hrsg. u. übers, v. Friedrich Haase. Paris 1840, § 9 6 , S. 8. s ' Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 93. ' 2 Ebd.; vgl. die erschöpfende Diskussion bei Quadlbauer: Die antike Theorie der genera dicendi, S. i 4 f . (und das terminologische Register am Schluß des Buches). " Russell: Introduction. In: Longinus, ed. Russell, S. xxxii f.

55

Nachdruck auf der Fülle und Glätte der Lexis, dem Soma des Logos; das Hypsos betont, eingebettet in einen ganz anderen Vorstellungsbereich, die Psyche des Logos.« S4 Zusätzlich werden Elemente der älteren, >begeisterten< Dichtungstheorie aus platonischen Traditionen (Stichworte: θεία μανία [theia mania], ένθουσιασμός [enthusiasmös]) von den Theoretikern aufgegriffen. Dadurch wird eine Opposition zur rhetorischen Kunstlehre (ars) etabliert: »Der >hohe< Redner mit seiner >großen NaturDe doctrina christiana< in der mittelalterlichen R h e t o r i k g e s c h i c h t e . M i t A b d r u c k des rhetorischen A u g u s t i n u s i n d e x v o n Stephan H o e s t (1466/67). In: Traditio A u gustiniana. Studien ü b e r A u g u s t i n u s und seine R e z e p t i o n . F S Willigis E c k e r m a n n . H r s g . v. A d o l a r Z u m k e l l e r / A c h i m K r ü m m e l . W ü r z b u r g 1994, S. 1 4 1 - 1 7 3 , hier S. 1 4 2 - 1 4 7 ; C e l i c a M i l o v a n o v i c - B a r h a m : T h r e e L e v e l s of Style in A u g u s t i n e of H i p p o and G r e g o r y of N a z i a n u s . In: R h e t o r i c a 1 1 ( 1 9 9 3 ) , S. 1 - 2 5 ; H e n d r i c k s o n : T h e O r i g i n and M e a n i n g , S. 2 7 6 f f . ; Peter A u k s i : Christian Piain Style. T h e R e v o lution of a Spiritual Ideal. M o n t r e a l [ u . a . ] 1995, S. 1 1 o f f .

59

Zitate aus >De doctrina christiana< folgen: A u g u s t i n u s : D e doctrina christiana. E d . / transl. R . P. H . G r e e n . O x f o r d 1995 (= O x f o r d E a r l y C h r i s t i a n Texts). Vgl. auch die sorgfältige deutsche N e u ü b e r s e t z u n g : A u g u s t i n u s : D i e christliche B i l d u n g ( D e d o c trina Christiana). U b e r s e t z u n g , A n m e r k u n g e n und N a c h w o r t v o n K a r l a P o l l m a n n . Stuttgart 2002 (= R U B 1 8 1 6 5 ) .

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Weniger: D i e drei Stilcharaktere, S. 15 ff. 57

res und verba im Sinne des aptum. Eine klassische Formulierung dieses Grundsatzes stammt von Cicero, der in seiner Schrift >Orator< schreibt: Denn vor allem muß der ideale Redner über die Weisheit verfügen, sich jeweils der Zeit und den Personen anzupassen: man darf, glaube ich, weder immer noch vor allen noch gegen alle noch für alle, noch dürfen alle auf dieselbe Weise reden. Darum wird als der ideale Redner gelten, wer seine Sprache jeweils an das, was sich gerade schickt, anzupassen imstande ist. Steht das einmal fest, dann wird er alles so formulieren, wie es nun einmal formuliert werden muß: er wird nicht ein reichhaltiges Thema dürftig formulieren oder ein bedeutendes kleinlich noch auch umgekehrt; sein Stil wird vielmehr dem Stoff angemessen und gleichartig sein.6'

Dieses Regulativ gilt nicht mehr, denn für die Gegenstände der Bibel gelte als Grundsatz: »res semper magna« (De doctr. christ. IV, 18, 35). Die biblische materia ist immer schon »erhabene humilis und sublimis sind deshalb, wie Auerbach herausgestellt hat, keine Gegensätze mehr - im Gegenteil: 62 Nicht der äußerliche ornatus (hier durch den Negativbegriff einer der simplicitas entgegengesetzten cura repräsentiert), sondern die christlichen Gegenstände (also die res) selbst reißen die Zuhörer mit und bewirken das movere·. »Fertur quippe impetu suo et elocutionis pulchritudinem si occurrerit, vi rerum rapit, non cura decoris assumit.« (De doctr. christ. IV, 20, 42; meine Hervorhebung). Mit Blick auf das von Augustinus exponierte Problem der Bibel-Rhetorik schreibt Christel Steffen in ihrer grundlegenden Dissertation >Augustins Schrift >De doctrina christiana« (1964): »Charakteristisch ist also für die biblische Beredsamkeit das Verhältnis von >res< und >verbares< aus eigenem Impuls, spontan, ihre Aussageform schafft, ohne die Hilfe eines beredten Menschen.«63 >Beredt< meint hier einen rhetorisch geschulten Redner im Sinne des eloquentia-Ideals.64 Deshalb gilt auch, daß die drei Wirkungsfunktio-

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»[H]aec enim sapientia maxime adhibenda eloquenti est, ut sit temporum personarumque moderator, nam nec semper nec apud omnes nec contra omnes nec pro omnibus nec omnibus eodem modo dicendum arbitror. is erit ergo eloquens, qui ad id, quodeumque decebit, poterit accommodare orationem. quod cum statuerit, tum, ut quidque erit dicendum, ita dicet nec satura ieiune nec grandia minute nec item contra, sed erit rebus ipsis par et aequalis oratio.« (Cie. Or. 123); vgl. auch Cie. De opt. gen. orat. I, 1; De or. II, 205 f.; II, 320. Auerbach: Sermo humilis, S. 3 6. Christel Steffen: Augustins Schrift >De doctrina christiana«. Untersuchungen zum Aufbau, zum Begriffsgehalt und zur Bedeutung der Beredsamkeit. Diss, [masch.] Kiel 1964, S. 131 (dort auch insgesamt die ältere Forschungsliteratur), zu De doctr. christ. IV, 7, 10; IV, 7, 21. Vgl. dazu Verf.: Transformationen der Rhetorik, S. 37ff. Zu eloquentia bei Augustinus vgl. die erschöpfende Darstellung von Wilhelm Blümer: Eloquentia. In: Augustinus-Lexikon. Hrsg. v. Cornelius Mayer. Vol. 2. Basel 1996-2002,

Sp· 775-797·

58

nen der R e d e (docere - delectare

- movere)

nicht einer einzigen Stilhöhe

zugeordnet sind; vielmehr sind sie, damit der Prediger sein persuasorisches Ziel erreichen kann, mit Blick auf die Wirkungsoptimierung (perusasio Ziel: D e doctr. christ. I V , 25, 55f.) beliebig kombinierbar. Daraus folgt - zweitens

- f ü r die Seite der verba,

als

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daß Augustinus mit der

konventionellen rhetoriktheoretischen Vorstellung bricht, daß sich Erhabenheit grundsätzlich im hohen Stil realisiert. E r führt Beispiele f ü r den >hohen Stil< an, die durch starken Redeschmuck ausgezeichnet sind, aber auch solche, die völlig schmucklos sind: » N a m capit etiam illa ornamenta paene omnia, sed ea si non habuerit non requirit« (De doctr. christ. I V , 20, 42). 66 Deutlich wird dies an seiner Rubrizierung einer Stelle aus dem Galater-Brief des Paulus (Gal. I V , 1 0 - 2 0 ) , der - so analysiert Augustinus den Text der Epistel selbst - über weite Strecken im niederen Stil gehalten sei, bis auf eine Stelle, an der sich deutlich die »Bewegung des Gemütes, w e n n auch ohne Schmuck«, so doch >erhaben< zeige. 67 Eine A n a l y s e eines Briefes an die K o rinther (2. K o r . 6, 2 - 1 0 ) bricht Augustinus ab: » U n d mitten im Zitieren, v o r dem 1 1 . Verse unterbricht sich Augustin und schreibt: >Vide adhuc ardentem - Siehe weiter wie er entbrennt!« und fährt dann zu zitieren fort: >Os nostrum patet ad vos, ο Corinthii: cor nostrum dilatatum est - U n s e r M u n d hat sich zu euch aufgetan, ο Corinther: unser H e r z ist getrost.« 68 A u c h hier gründet die starke A f f e k t - W i r k u n g des Textes gerade nicht auf dem bewußten Einsatz rhetorischer Mittel im Rahmen der Stilnormen des genus

grande.

Insgesamt setzt Augustinus f ü r den >hohen Stil< also nicht auf den äußerlichen Figurenschmuck, sondern auf die >inneren< A f f e k t e , genauer: das H e r z (cor) des Redners. 6 9 D i e Bibel sei sogar »sine fuco«, 7 ° also gänzlich ohne oratorische »Schminke«, wie er in einem zentralen Brief an Volusianus schreibt. Gerade deshalb sei die Heilige Schrift f ü r jeden verständlich. Damit ist zugleich eine entscheidende - und wirkungsmächtige - Verschiebung auf

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7

Vgl. Barbara Kursawe: docere - delectare - movere. Die officia oratoris bei Augustinus in Rhetorik und Gnadenlehre. Paderborn [u. a.] 2000 (= Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums, Reihe I, Bd. 25), S. 26ff.; Blümer: Eloquentia, Sp. 792. Vgl. Auerbach: Sermo humilis, S. 29: »Vom erhabenen Stil gibt er [Augustinus] sowohl Beispiele, die Redefiguren verwenden (granditer et ornate), als auch schmucklose.« Weniger: Die drei Stilcharaktere, S. i6f. Weniger: Die drei Stilcharaktere, S. 16. Zur Zentralstellung des »inneren Menschen* (bzw. des >HerzensfucusRhetorik des Herzens< (pectoris ardor; De doctr. christ. IV, 20, 42) ersetzt den rhetorischen Fleiß (die industria) des Redners. 7 ' Zentral für die Leistung des christlichen Redners ist nicht, daß er den Text seiner Rede kunstgerecht nach den Normen der eloquentia schmücken kann, sondern die als absolut gesetzte Qualität des movere·. Die Affekte des Publikums bewegen aber kann der christliche Redner auch ohne Kenntnis der Regeln der ars rhetorica.71 Ars und natura werden bei Augustinus nicht mehr als organische Einheit gedacht, sondern bilden eine Opposition: Propagiert wird geradezu eine Natur-Rhetorik, wie sie etwa Quintilian noch vehement abgelehnt hatte. Wie schon Erich Auerbach festgestellt hat - die Augustinus-Forschung ist ihm seither präzisierend gefolgt ist dies »eine so bedeutende Abweichung von der rhetorischen und überhaupt literarischen Tradition, daß es nahezu die Zerstörung ihrer Grundlage bedeutet.«73 Letztlich löst sich bei Augustinus die klassische System-Rhetorik als eine Präzeptistik des Redens und Schreibens auf. Dies sollte in allen vom Christentum beeinflußten Diskursformen ein wirkungsmächtiges Modell werden, in dem sich Apologie und Distanzierung von der Rhetorik verbinden.74

c) Aufrichtigkeit und Einfachheit: Ethik und Ästhetik in der Begriffsgeschichte von simplicitas Die Ausführungen des Augustinus in >De doctrina christiana< deuten darauf hin, daß >Einfachheit< weit mehr als ein rhetorischer Terminus technicus der Stilanalyse und Stilbeschreibung ist. Einige exkursartige Anmerkungen zur Begriffsgeschichte von simplicitas/haplotes scheinen an dieser Stelle auch deshalb angebracht, weil der simplicitas-Diskurs - die außerordentliche Hochschätzung des >Einfachen< im Sinne eines ethischen Konzepts in der antiken und frühchristlich-patristischen Literatur - eine wichtige Voraussetzung für die Aufwertung des einfachen Stils in der Frühen Neuzeit ist.75 71

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Vgl. dazu auch Steffens: Augustins >De doctrina Christianas S. 1 3 1 , die darin einen bedeutenden Unterschied zu Cicero sieht. Als Qualität einer »Rhetorique specifiquement chretienne« zeigt dies anhand einer Fülle von Material aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts: Sophie Hache: La langue du ciel. Le sublime en France au X V I I ® siecle. Paris 2000 (= Lumiere classique, Bd. 27), S. 191 ff. Auerbach: Sermo humilis, S. 32; Steffens: Augustins >De doctrina christianaDe doctrina christianaRhetorica ad Herennium< begegnet (dort allerdings nicht im Sinne eines rhetorischen Terminus technicus gebraucht).78 In Ciceros >De officiis< charakterisiert das Adjektiv simplex einen »Teilaspekt der iustitia«; Hintergrund hierfür ist das für die römische Ethik wie Rhetorik zentrale Ideal des vir bonus, das sich in der Cicero-Stelle mit dem akademisch-peripatetischen Konzept der magnitudo animi (der μεγαλοψυχία [megalopsychia]) verbindet.79 Der »Bedeutungsgehalt« des Begriffes wird »deutlich an den benachbarten Eigenschaftswörtern: verus [wahrhaftig], sincerus [aufrichtig], apertus [offenherzig], ingenuus [aufrichtig], iustus [gerecht], bonus [vornehm], fidelis [ehrlich]«.80

griffsgeschichtliche Studie zum jüdisch-christlichen Griechisch. Bonn 1968 (= Theophaneia. Beiträge zur Religions- und Kirchengeschichte des Altertums, Bd. 19); Heinrich Bacht: Einfalt. In: Reallexikon für Antike und Christentum ( R A C ) . Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Hrsg. v. Theodor Klauser. Bd. 4. Stuttgart 1959, Sp. 8 2 1 - 8 4 0 ; Ceslas Spicq: La vertu de simplicite dans l'ancien et le nouveau testament. In: Revue des sciences philosophiques et theologiques 22 (1933), S. 5 - 2 6 ; C o n n y Edlund: Das Auge der Einfalt. Eine Untersuchung zu Matth. 6, 2 2 - 2 3 u r , d Luk. 1 1 , 3 4 - 3 5 . Uppsala 1952 (= Acta Seminarii Neotestamentici Upsaliensis, T. X I X ) ; Robert Vischer: Das einfache Leben. Wort- und motivgeschichtliche Untersuchungen zu einem Wertbegriff der antiken Literatur. Göttingen 1965 (= Studienhefte zur Altertumswissenschaft, H . 1 1 ) , S. [2f., S. 19; vor allem aber: Otto Hiltbrunner: Simplicitas. Eine Begriffsgeschichte. In: ders.: Latina Graeca. Semasiologische Studien über lateinische Wörter im Hinblick auf ihr Verhältnis zu griechischen Vorbildern. Bern 1950, S. 15 - 1 0 5 . - Für die Rezeption aufschlußreich Wolfgang Stammler: »Edle Einfalt«. Z u r Geschichte eines kunsttheoretischen Topos. In: Worte und Werte. FS Bruno Markwardt. Hrsg. v. Gustav Erdmann/Alfons Eichstaedt. Berlin 1 9 6 1 , S. 3 5 9 - 3 8 2 , hier S. 362ff. 7i

Hiltbrunner: Simplicitas, S. 15. " Hiltbrunner: Simplicitas, S. 16. 78 Hiltbrunner: Simplicitas, S. 24L Entsprechende Belege für simplicitas fehlen, wie Hiltbrunner herausstellt, etwa auch bei Cicero. 79 Hiltbrunner: Simplicitas, S. 25 f. - Die Verbindung der beiden Begriffe bezieht sich in der Folgezeit häufig auf Heroen und Könige (ebd., S. 84 A n m . 57). 80 Bacht: Einfalt, Sp. 822 f.; vgl. auch die ausführlichere Diskussion bei Hiltbrunner: 7

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Zentral wird in der Folgezeit der Gedanke einer Romana simplicitas. Bereits bei Cicero beginnt die »Idealisierung des Landlebens«, 8 ' für die simplicitas ein Schlüsselbegriff ist. Als Gegenbegriff zu urbanitas und cultus wird er in der stoischen Ethik des Seneca aufgewertet und »entfaltet sich jetzt in der augusteischen Zeit« 82 voll: Die Kritik an der eigenen Gegenwart im Verlaufe der frühen Kaiserzeit verbindet sich mit einem idealisierenden Blick zurück auf die simplicitas der römischen Vergangenheit, die als bäuerlich verstanden wird und zu einer »Verklärung des Landlebens« führt - ein auch in der Frühen Neuzeit verbreiteter Topos. 8 ' Bei Livius schließlich wird die simplicitas zur höchsten aller Tugenden im Kontext des Ideals des vir bonus}4 Erst Tacitus erhebt die simplicitas zum Stilkennzeichen des herrschenden princepsfs es wird in der Folgezeit zu einem »Schlagwort«, 86 das seine scharfen Konturen zu verlieren beginnt, aber in der Panegyrik etwa häufig anzutreffen ist. Spätestens in der >Rhetorica ad Herennium< wird das Konzept der simplicitas auch auf den Bereich der rhetorischen Stilistik übertragen, wobei die griechische Literaturkritik wieder als Vorbild diente. Damit verbinden sich in der Folgezeit im Konzept der simplicitas ethische und ästhetische Bestimmungen. Beim Auetor ad Herennium wird daraus aber noch keine positive Stilvorschrift: simplex meint vielmehr die >einfache< Ausdrucksweise im Gegensatz zur >geschmückten< (ornatus). Dabei ist klar, daß die geschmückte Behandlung ein- und desselben Redegegenstandes als >kunstvoller< - und damit zugleich als rhetorisch wirkungsvoller - gilt. 87 Geht man vom wirkmächtigen aristotelischen Konzept der μεσάτης (mesotes; lat. mediocritas) aus, nach dem derjenige Stil der beste ist, der die angemessene >Mitte< zwi-

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Simplicitas, S. 2 8 ff. - Die deutschen Übersetzungen können das Bedeutungsspektrum nur andeuten, zeigen in der Gesamtheit aber doch eine gemeinsame Richtung an. Hiltbrunner: Simplicitas, S. 48. Hiltbrunner: Simplicitas, S. 54. Vgl. hierzu Anke-Marie Lohmeier: Beatus ille. Studien zum >Topos des Landlebens< in der Literatur des absolutistischen Zeitalters. Tübingen 1981 (= Hermea N . F., Bd. 44). Für die Antike ist das Thema bei Vischer: Das einfache Leben aufgearbeitet. Hiltbrunner: Simplicitas, S. 5 6 f. Von hier aus wäre eine Parallele zur Tacitus-Rezeption im Späthumanismus um 1600 zu ziehen (vgl. unten Kap. III 3 c). Wie Hiltbrunner herausstellt, sind es gerade die Spartaner mit ihrer geradezu sprichwörtlichen Befehlsrhetorik, welchen schon bei Ps.-Plutarch das Ideal der haplötes zugewiesen wird (Hiltbrunner: Simplicitas, S. 43). Vgl. Verf.: Transformationen der Rhetorik, S. i 5 7 f f . Hiltbrunner: Simplicitas, S. 7 1 . Deutlich an der Behandlung der Periphrase: Rhet. ad Her. IV, 44, 56; Hiltbrunner: Simplicitas, S. 44.

sehen den Extremen hält, dann konnte ein einseitig verstandenes Stilideal der >Einfachheit< niemals kanonisch werden (vgl. Rhet. III, 2 und III, 12). Erst bei Cicero wird aus der Stilbeschreibung ein wertendes Konzept, das zugleich die ethische Bedeutungsdimension des simplicitas-l&egriifes aufnimmt und aktualisiert. In >De oratore< (III, 45) wird die simplicitas der ostentatio, dem bewußten Zur-Schau-Stellen der oratorischen Kunstfertigkeiten, gegenübergestellt. An der betreffenden Stelle geht es um Fragen der Wortwahl (electio verborum), die im Sinne einer Präferenz für das >alte Latein< entschieden werden. Im achten Buch der >Institutio oratoria< Quintilians heißt es (VIII, 3, 87): »illa άφέλεια simplex et inadfectata habet quendam purum, qualis etiam in feminis amatur, ornatum, et sunt quaedam veluti tenui diligentia circa proprietatem significationemque munditiae.« (»Jene apheleia, so einfach und ungesucht sie wirkt, besitzt eine Art von lauterem Schmuck, wie man ihn auch bei Frauen liebt, und es gibt so manches gleichsam an gepflegter Sauberkeit bei schlichter Sorgfalt in der Wahl des eigentümlichen und bezeichnenden Ausdrucks.«) Mit dem Begriff der apheleia greift Quintilian an dieser Stelle auf die griechische Terminologie zurück, wo der Begriff vor allem bei Dionysios von Halikarnaß (Dem. 2; dort auf den Stil der Reden des Lysias bezogen) und in der (freilich erst viel später verfaßten) Ideenlehre des Hermogenes belegt ist.88 Auch dort dient er zur Bezeichnung der ungeschmückten Schreibweise im Unterschied zur >zierlichen< (γλαφυρός), 8 ' kann aber auch den >philosophischen< Stil in Differenz zu dem der öffentlichen Rede meinen.90 In der Frontstellung gegen die allzu gesuchte Künstlichkeit (der affectatio9') ergeben sich mit Blick auf das exemplum der »ungeschminkten Frauen< Berührungspunkte zum ästhetischen Konzept der >AnmutEpistulae morales«, daß sich der Philosoph, dem es um die Findung der Wahrheit geht, einer einfachen Ausdrucksweise bedienen solle, die sich insbesondere einer allzu ausgefeilten compositio enthält:

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Vgl. dazu die Belege bei Ernesti G r . S. 51 f.; vgl. auch D e subl. 34, 2. » Ebd.

s

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"

L o n g i n u s , ed. Russell, S. 160. Vgl. dazu M a n f r e d K r a u s : A f f e c t a t i o . In: H W R h 1 ( 1 9 9 2 ) , Sp. 2 0 9 - 2 1 8 .

9

' Vgl. Verf. T r a n s f o r m a t i o n e n der R h e t o r i k , S. 1 5 3 f f . > H i l t b r u n n e r : Simplicitas, S. 48.

9

63

Bedenke nun noch, daß ein Vortrag, dem es um die Wahrheitsfindung geht, sowohl systematisch als auch einfach [simplex] sein muß: die Volksrede hingegen hat mit dem Wahren nichts zu tun. Begeistern will sie die Menge und die urteilslosen Zuhörer im Sturm mitreißen, sie läßt sich nicht beeinflussen, schnell ist sie weg. Wie aber könnte sie andere lenken, die selbst nicht gelenkt werden kann? Und was dann, wenn diese Rede, deren man sich zur Heilung der Seelen bedient, auch noch tief in uns eindringen soll?' 4 Zentral ist dabei die O p p o s i t i o n zur öffentlichen R e d e , die auf die negativ gewerteten A f f e k t e zielt u n d den Z u h ö r e r überrascht und mitreißt: [Die Volksrede] enthält außerdem viel an leeren Phrasen, ihr Klang ist stärker als ihre Wirkung. [ . . . ] Kaum einem Redner möchte ich eine so ungehemmt und regellos dahinhastende Redeweise durchgehen lassen: Wie soll nämlich da ein Richter, zuweilen sogar ohne Erfahrung und Bildung, folgen können? Auch dann, wenn jenen Effekthascherei mitreißen will oder unbeherrschtes Pathos, mag er sich nur so weit beeilen und so viel vorbringen, wie man den Ohren zumuten kann." I m >Orator< ( O r . 6 2 - 6 4 ) differenziert C i c e r o hinsichtlich der Stilmerkmale ähnlich, d o c h stellt er den einfachen A u s d r u c k ganz in den D i e n s t der Persuasion. B e s o n d e r s in der Entscheidungsrede, also im genus

deliberativum,

w o der R e d n e r w i e ein P h i l o s o p h mit A r g u m e n t e n f ü r seine Sache streitet, muß er sich k u r z fassen und einen einfachen d o c h zugleich nachdrücklichen Stil w ä h l e n (Cie. Part. 97): »tota autem oratio simplex et gravis et sententiis debet ornatior esse q u a m verbis.«' 6 A n einer Stelle im elften B u c h der >Institutio oratoria< stellt Quintilian schließlich die simplicitas ungekünstelte oratio

inadfectata)

(verstanden als

einer A r t des R e d e n s gegenüber, die auf

die W i r k u n g der B e w u n d e r u n g ( a d m i r a t i o ) im P u b l i k u m zielt: W ä h r e n d jene sich auf >kleinere Fälle< erstreckt, paßt diese zu den größeren R e d e a n lässen besser - unter letzterem muß man jene stilistisch ausgefeilten R e d e n

94

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64

»Adice nunc quod quae veritati operam dat oratio et composita esse debet et simplex: haec popularis nihil veri. Movere vult turbam et inconsultas aures impetu rapere, tractandam se non praebet, aufertur: quomodo autem regere potest quae regi non potest? Quid quod haec oratio quae sanandis mentibus adhibetur descendere in nos debet?« (Ep. 40, 4). - Auf die älteren Traditionen, welche dieser Unterscheidung eines >rednerisch-dichterischen< und eines >philosophischen< Stils zugrundeliegen, weist Quadlbauer (Die antike Theorie der genera dicendi bis Plinius d.J., S. 63) hin. »Multum praeterea habet inanitatis et vani, plus sonat quam valet. [ . . . ] Vix oratori permiserim talem dicendi velocitatem inrevocabilem ac sine lege vadentem: quemadmodum enim iudex subsequi poterit aliquando etiam imperitus et rudis? Tum quoque, cum illum aut ostentatio abstulerit aut adfectus inpotens sui, tantum festinet atque ingerat quantum aures pati possunt.« (Sen. Ep. 40, 5 und 8). Vgl. dagegen Quint. III, 8, 66, der sich gegen solche Festlegungen wehrt und für eine größere Flexibilität plädiert. Zum Gesamtkontext Quadlbauer: Die antike Theorie der genera dicendi bis Plinius d.J., S. 58ff.

subsumieren, die dem γένος έπιδεικτικόν [genos epideiktikon] zugehören. Bisweilen charakterisiert eine Wendung wie die des simpliciter loqui in Tacitus' >Dialogus de oratoribus< (21, 1) den geradezu privaten Charakter häuslicher Geselligkeit - auch hier in nachhaltiger Abgrenzung von den durchgefeilten Gattungen der öffentlichen Rede, wie sie durch die drei genera causarum normiert werden, vor allem wieder die auf ästhetische Ostentation zielende Lobrede. 97 Wirkungsmächtig ist schließlich die komplexe Rezeptionsgeschichte dieses Konzepts im Christentum; sie kann an dieser Stelle nur andeutungsweise referiert werden.' 8 Dabei kommt es zu einer komplexen, zugleich aber äußerst einflußreichen Vermischung jüdisch-alttestamentlicher, neutestamentlicher und antiker Gedankengänge. 99 Zentral für die Patristik ist Matth. 10, 16: »estote ergo prudentes sicut serpentes et simplices sicut columbae.« 100 Aus dieser Stelle erklärt sich die Prominenz der Taube als Symbol der Einfachheit bzw. Einfalt.' 01 Wichtig sind zudem diejenigen Stellen, an denen der Apostel Paulus den griechischen Begriff baplötes verwendet, 102 vor allem ein topisches Zitat aus dem ersten Brief an die Korinther, das man in der Folge immer wieder als eine Kritik an der weltlichen Rhetorik aufgefaßt hat: »veni non in sublimitate sermonis [!], aut sapientiae, annuntians vobis testimonium Christi« (1. Kor. 2, 1). Eduard Norden bemerkt hierzu in >Die antike Kunstprosaciceronianische< Eloquenz braucht man hierzu nicht." 2 Vielmehr übernimmt »die christliche Apologetik die herkömmliche These der profanen Rhetorik, welche den schlichten Stil als genus der imitatio veritatis auffaßt«," J wie er auch im imitatio-Kapitel von Ciceros >De oratore< (De or. II, 94) diskutiert wird. Auch Augustinus »befürchtet, er könnte, wenn er den Enkomienstil wähle, den Eindruck erwecken, als ob er daran zweifle, daß die Sache bei einfacher Erzählung durch sich selbst zu wirken vermöge [ . . . ] . Die Schlichtheit der evangelischen Wahrheit verpflichtet den Ausleger.«" 4 Bei Hieronymus heißt es dazu: »nolo offendaris in scripturis sanctis simplicitate et quasi utilitate verborum, quae vel vitio interpretum vel de industria sie prolata sunt, ut rusticam contionem facilius instruerent et in una eademque sententia aliter doctus aliter audiret indoctus.«" s Der sermo humilis versucht also, dem Text und der >erhabenen< Botschaft der Heiligen Schrift gleichermaßen gerecht zu werden. Er formuliert vor diesem Hintergrund ein - letztlich eben doch - rhetorisches Wirkungskalkül: Insofern hat man in der Forschung zutreffend auch von einer »Rhetorik der Anti-Rhetorik< gesprochen, welche bereits das Neue Testament prägt." 6 Diese Anti-Rhetorik basiert auf einer spezifisch christlichen Ethik der Einfalt, welche die Rhetorik als paganes Persuasions-Instrument marginalisieren möchte, rhetorische Techniken aber zugleich braucht, um den christlichen Glauben zu verbreiten und die Heiden zu bekehren. Diese »Rhetorik der

" ' S . H i e r o n y m i P r e s b y t e r i Tractatus sive H o m i l i a e . E d . G . M o r i n . A n e c d o t a M a redsolana vol. I I I partes 2 et 3. M a r e d s o l i 1 8 9 7 - 1 9 0 3 , hier III, 2, S. 67, 1 4 f . , zit. n. R u d o l f E i s w i r t h : H i e r o n y m u s ' Stellung z u r Literatur und K u n s t . W i e s b a d e n 1955 (= K l a s s i s c h - P h i l o l o g i s c h e Studien, H e f t 16), S. 35; vgl. B l ü m e r : R e r u m eloquentia, S. 2 7 f . B e l e g e bei E i s w i r t h : H i e r o n y m u s ' Stellung z u r L i t e r a t u r und K u n s t , S. 3 4 f . H i l t b r u n n e r : Simplicitas, S. 96. "'· H i l t b r u n n e r : Simplicitas, S. 97. " s E p . 53, 9, zit. n. N o r d e n : A n t i k e K u n s t p r o s a , B d . II, S. 525; die R o l l e des H i e r o n y m u s betont Paul L e h m a n n : D i e heilige E i n f a l t . In: H i s t o r i s c h e s J a h r b u c h 58 ( 1 9 3 8 ) , S. 3 0 5 - 3 1 6 , hier S. 307. " 6 M a r g a r e t M . Mitchell: R h e t o r i k (I. 3. a: N e u e s Testament). In: R e l i g i o n in G e schichte und G e g e n w a r t . H a n d w ö r t e r b u c h f ü r T h e o l o g i e und R e l i g i o n s w i s s e n schaft. B d . 7. H r s g . v. H a n s D i e t e r B e t z [u.a.]. T ü b i n g e n 4 2004, Sp. 4 9 4 - 4 9 6 .

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Simplizität* betont demonstrativ - und das ist ein bedeutender Unterschied zur antiken Tradition - die alleinige Uberzeugungskraft der Inhalte der Bibel jenseits rhetorischen Schmucks: »non quaerantur verba, sed sensus«" 7 heißt es bei Hieronymus. Nicht auf die Worte kommt es an, sondern auf die Botschaft, die die Bibel vermittelt. d) Das Erhabene in der hellenistischen Literaturkritik (Ps.-Demetrius, Hermogenes, Longin) Neben den christlichen Theoretikern bilden die Schriften der hellenistischen Literaturtheoretiker Ps.-Demetrius, Hermogenes und Longin ein zweites Quellenkorpus, das für die Frage nach einer Verbindung von Erhabenheit und Simplizität in der Frühen Neuzeit aufschlußreich ist. Diese Autoren treten seit dem Renaissance-Humanismus immer stärker an die Seite der römischen Gewährsmänner. Sie bewirken, wie Debora Shuger in ihrer Studie >Sacred Rhetoric< konstatiert, ein verändertes Verständnis des >hohen Stilshohen Stils< und zur Etablierung neuer Oppositionen: 120 R o m a n rhetoric describes the grand style as oral, c o p i o u s , and civic; it is largely f o r e n s i c , o f t e n periodic, and highly embellished. In the hellenistic treatises, h o w ever, the distinction b e t w e e n oral and written eloquence fades and with it the practical, political orientation of R o m a n rhetoric. A l t h o u g h the continued preeminence oi D e m o s t h e n e s indicates that political o r a t o r y remains the u n d e r l y i n g ideal, the hellenistic rhetorics also treat history, p h i l o s o p h y , t h e o l o g y , and p o e t r y . T h i s w i d e n i n g of rhetoric to include all artistic discourse leads to a new conception of the grand style, apparent in the choice of e x e m p l a r y models. F o r [ P s . - ] D e m e t r i u s and D i o n y s i u s , T h u c y d i d e s b e c o m e s the representative of grandeur. H e r m o g e n e s makes Plato the m o d e l f o r s o l e m n i t y and splendor. L o n g i n u s cites passages f r o m G e n e s i s , H o m e r , and Plato to e x e m p l i f y s u b l i m i t y . ' 2 1

Zentral für die Frage nach der theoriegeschichtlichen Stellung von Longins >Peri hypsus< (und dem fiat lux-Zitat) ist, daß in den hellenistischen Theorien das Gebiet der Rhetorik auf den religiösen Diskurs ausgeweitet wird. An dieser Stelle konnten sich das christliche simplicitas-ldeal und die hellenistischen Theorien des Erhabenen in der Frühen Neuzeit treffen. Hintergrund dieser Entwicklungen ist ein verändertes Affekt-Verständnis: »Particularly interesting is the inclusion of quasi-religious affect. Demetrius, Dionysius, and Hermogenes all describe the audience's response to the grand style in analogies drawn from the numinous terror created by the

120

Shuger: Sacred R h e t o r i c , S. 36; vgl. dagegen die E i n w ä n d e und behutsame D i s k u s sion bei L a u r e n t Pernot: R h e t o r i c in A n t i q u i t y . Translated b y W . Ε . H i g g i n s . Washington 2005, S. 7 4 f f . ; S. 1 a 8 f f .

121

Shuger: Sacred R h e t o r i c , S. } γ { .

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initiation rites of the Mysteries and the ecstasy of the Corybantic dancers.« 122 Gerade für die griechischen Traktate ist, wie im einzelnen darzustellen ist, die Affinität des Sublimen zu religiösen, mythischen oder übernatürlichen Themen ein durchgängiges Kennzeichen. Zudem ist die Diskussion des >erhabenen Stils< bei Autoren wie Ps.-Demetrius oder Hermogenes durch signifikante Veränderungen im Bereich dessen, was als erhabene res gilt, gekennzeichnet: Während Cicero etwa das Thema >Wunder< mit dem genus medium assoziiere, werde θαϋμα [thaüma] in den hellenistischen Theorien zu einem grundsätzlichen Aspekt des Erhabenen, 123 das wirkungsästhetisch mit dem Affekt der admiratio verknüpft sei. Mit dieser Verschiebung schließlich sei eine weitere Opposition etabliert, die Verbindung von Sublimität und Simplizität: The differences between the Roman and hellenistic grand styles have significant ramifications f o r the interpretation of Renaissance rhetoric. Post-Classical Greek rhetorics adumbrate a version of the genus grande that is neither copious nor oral nor civic, but instead accentuates passionate numinosity, wonder, intellectual density, roughness, and asymmetry. They tend to replace persuasion with transport as the effect of the grand style: transport being more closely related with religion, poetry, and epideixis than with the immediate judgments urged in practical oratory. 1 2 4

Diese Stiltheorien gilt es im folgenden darzustellen, wobei wir uns auf die wichtigsten Autoren und einige Grundzüge konzentrieren werden. Unter dem Gesichtspunkt einer Geschichte des rhetorischen Systems sind dabei vor allem jene Autoren interessant, die Stiltypologien formuliert haben. Sie stehen im Zentrum und vertiefen auf einer systematischen Ebene die begriffsund wortgeschichtlichen Ausführungen im Kapitel über die genera dicendi. Die wichtigsten Typologien stammen von Ps.-Demetrius und Hermogenes. Andere Theoretiker, wie Dionysios von Halikarnaß mit seinen zahlreichen literaturkritischen Werken, 12 ' werden kursorisch in die Darstellung einbezogen, doch haben sie, gerade weil ihre systembildende Kraft gering war, für das Problem der Stil-Einteilungen - der Architektonik der Stile - eine nur untergeordnete Bedeutung. Longins >Peri hypsus< wird abschließend unter einer Doppelperspektive behandelt: einerseits mit Blick auf die Frage nach der theoriegeschichtlichen Stellung der Schrift (der Einordnung in eine Tradition), andererseits hinsichtlich derjenigen Elemente seiner Schrift, die die-

122 123 124 125

70

Shuger: Sacred Rhetoric, S. 38. Shuger: Sacred Rhetoric, S. 39; vgl. Longin vgl. D e subl. 35, j. Shuger: Sacred Rhetoric, S. 4 1 . Vgl. etwa S. F. Bonner: The Literary Treatises of Dionysius of Halikarnassus. A Study in the Development of Critical Method. London 1939. Reprint Amsterdam 1969, hier S. 24; Kennedy: A N e w History of Classical Rhetoric, S. 161 ff.

sen Theoriediskurs übersteigen. Das Augenmerk liegt also auf dem Verhältnis von Norm und Innovation. Schon in Ps.-Demetrius' Schrift περί έρμηνείας [peri hermeneias] (>De elocutionehohe D i n g e s zurückgreife. 1 3 2 A b b i l d u n g 3 aus Francesco Robortellos >De artificio dicendi< ( 1 5 6 7 ) zeigt die A u f f ä c h e r u n g der erhabenen S t o f f e (linke Spalte: »RES«), die auffällige Überschneidungen zu dem Katalog aufweist, den später Hermogenes in seiner Ideenlehre aufstellen wird.' 3 3 D e r A n o n y m u s warnt davor, den erhabenen A u s d r u c k mit dem erhabenen Sujet zu verwechseln (vgl. auch 1 1 4 ) , w i e dies bei dem griechischen Historiker T h e o p o m p o s von C h i o s (4. J h . v. C h r . ) der Fall sei. Sein Stil sei eher der mittleren Stillage zuzuschreiben, als Geschichtsschreiber behandle er allerdings >erhabene< Gegenstände - eine Verletzung des Grundsatzes der angemessenen K o n g r u e n z v o n res und verba,'34

A l s Stilmittel empfiehlt Ps.-

Demetrius eine ungewöhnliche, doch treffende A u s d r u c k s w e i s e (De eloc. 7 7 - 7 8 ) , die etwa durch den Einsatz von Metaphern erreicht wird. Ihr Vermögen, Dinge anschaulich zu machen, wird im Anschluß an Aristoteles' >Rhetorik< (III, 10) beschrieben, der die dynamische Erkenntniskraft metaphorischer R e d e betont ( D e eloc. 8 1 - 8 2 ) . D i e rhetorischen Figuren der O n o m a t o p o i i e (94), A n a p h e r (61), Wiederholung (63) sowie das A s y n d e t o n ( 6 1 - 6 3 ) und N e o l o g i s m e n (96) generieren ebenfalls das >Erhabene< als spezifischen T e x t - E f f e k t . Zentral ist die allegorische Ausdrucksweise, denn sie bewirkt >ErschütterungStaunen< (die auch f ü r L o n g i n zentrale Εκπληξις [ekplexis]) sowie >Entsetzen< (φρίκη [phrike]). Sie ist f ü r vielfältige Interpretationen o f f e n , während das, was klar ausgedrückt ist, keine W i r k u n g entfaltet.' 3 5 Deshalb sind die geheimnisvollen Mysterien ( μ υ σ τ ή ρ ι α [myste-

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131 IJ2 153

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le. Amsterdam 1964, S. 57ff.: Homer (18 Belegstellen), Thukydides (8 Belegstellen), Xenophon (6 Belegstellen), Piaton (4 Belegstellen). Alle anderen Autoren fallen dagegen ab. Ps.-Dem. De eloc. 75: "Εστι δέ χαί έν πράγμασι τό μεγαλοπρεπές, δν μεγάλη και διαπρεπής πεζομαχία η ναυμαχία, ή περί οϋρανοϋ ή περί γης λόγος. Vgl. hierzu Schenkeveld: Studies in Demetrius On Style, S. 53. Quadlbauer: Die genera dicendi bis Plinius d.J., S. 73, S. 58 (zur Sophistik). Francesco Robortello: De artificio dicendi. Bologna 1567, unpag. [SUB Göttingen: 8° Ling. I, 2640]. Auch Longin zitiert ihn: De subl. 31, 1 (lobend) und 43, 2 (eher verhalten). Seine Werke waren Gegenstand vielfältiger stilkritischer Überlegungen in der Antike. Vgl. Dion. Hal. ad Pomp. 6, wo die Werke des Theopompos dem mittleren Stil in Nachfolge von Isokrates zugeschrieben werden. Vgl. De subl. 15, 2.

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rem

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73

ria]) in Allegorien gehüllt, die mit Dunkelheit und Nacht assoziiert werden ( 1 0 1 - 1 0 2 ) . Eine Figur, die solche Effekte hervorbringen kann, ist die Aposiopese, allgemeiner eine verknappte und gedrängte Ausdrucksweise (συντομία [syntomia]). Ein Ausdruck wirke nämlich oft erhabener, wenn die Dinge nur angedeutet und nicht offen ausgesprochen werden (103). Das bedeutet umgekehrt natürlich auch, daß eine Rede nicht unverständlich sein darf, weil eine solche Art der Dunkelheit das Erhabene gerade nicht hervorbringt.' 36 Die Länge der einzelnen Kola verleiht dem Text Erhabenheit wie auch der Päan und die Verwendung langer Vokale und Neologismen.' 37 Wichtig ist die Differenz des erhabenen (charakter megaloprepes; De eloc. 3 8 - 1 2 7 ) zum leidenschaftlich-kraftvollen Stil (charakter demotes; De eloc. 240-304). Sie ist zunächst nur schwer zu bestimmen, weil beim charakter demotes oft dieselben Stilmittel gebraucht werden: Auch beim kraftvollen Stil nämlich ist die Kürze (mit Bezug auf die Perioden) eine hervorstechende Stileigenschaft (242; 253; 301), und das kalkulierte Verstummen (άποσιώπησις [aposiopesis]) trägt viel zur intendierten Wirkung bei (253; 264).158 Bisweilen sind sogar dunkle Ausdrücke (άσάφεια [asäpheia]) und Kakophonie (κακοφωνία [kakophonia]) angebracht (253-254). Die Prosopopoiia und Wiederholungsfiguren gehören wiederum zu den bevorzugten Mitteln des leidenschaftlichen Stils (267-268). 139 Ps.-Demetrius betont selbst, daß der Ausdruck mit dem erhabenen Stil zusammenfällt, doch habe der Redner bei der Verwendung des leidenschaftlichen Stils ein anderes Ziel im Blick (272). Was Ps.-Demetrius darunter versteht, wird deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die meisten Beispiele von Demosthenes stammen.' 40 Im Unterschied zum erhabenen Stil in Epos und Historiographie geht es beim kraftvollen Stil um die öffentliche Rede, vor allem die politische Invektive. Der charakter demotes fällt also mit dem zusammen, was in der römischen Rhetorik als genus grande bezeichnet wird (Ad Her. IV, 8, 12). 141 Auch die aristotelische Unterscheidung einer schriftsprachlichen λέξις γραφική [lexis

1,6

Vgl. Volkmann: Die Rhetorik der Griechen und Römer, S. 540. - Zur obscuritas vgl. die klassische Studie von Manfred Fuhrmann: Obscuritas: Das Problem der Dunkelheit in der rhetorischen literaturästhetischen Theorie der Antike. In: Immanente Ästhetik und ästhetische Reflexion. Hrsg. v. Wolfgang Iser. München 1966 (= Poetik und Hermeneutik II), S. 4 7 - 7 2 . 137 Martin: Antike Rhetorik, S. 336. 138 Vgl. hierzu insgesamt: Cecil W. Wooten: Abruptness in Demetrius, Longinus, and Demosthenes. In: American Journal of Philology 1 1 2 (1991), S. 493-505. 139 Martin: Antike Rhetorik, S. 3337h ' 4 ° Wenige Beispiele in einer Art Exkurs (De eloc. 282-286) stammen von Demades, dem zeitgenössischen Gegenspieler von Demosthenes. Von ihm sind keine Reden überliefert. 141 So der Vergleich in der Ausgabe von Innes, S. 331.

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graphike] und einer mündlichen λέξις άγωνιστική [lexis agonistike] spielt in Ps.-Demetrius' Unterscheidung zweier >hoher< Stiltypen hinein (Arist. Rhet. I I I , i 2 , i - 2 ) , allerdings geht die Differenz beider Stiltypen hierin nicht auf. 14 * Auffällig ist jedenfalls, daß Ps.-Demetrius nur beim cbarakter demotes auf jene rhetorischen Figuren eingeht, welche - im engeren Sinne - den Vortrag betreffen (279; vgl. 294). Der einfache Stil dagegen basiert auf der Entsprechung von Thematik und Stil, also von Inhalt und äußerer Form. Die Diktion soll gewöhnlich und einfach sein, weil gerade das Bekannte einfach ist, während das Fremde oder gar Metaphorische das megaloprepes hervorbringen (190). Wiederholungsfiguren sind auch hier angebracht, doch dienen sie nicht der emotionalen Intensivierung des Ausdrucks, sondern der Klarheit und Verständlichkeit der Rede ( 1 9 6 - 1 9 7 ) . 1 4 3 Mit Blick auf die Satzkomposition sind allzu lange Sätze unbedingt zu vermeiden (204); Anschaulichkeit (ένάργεια [enärgeia]), der durch möglichst präzise und kleinteilige Beschreibungen erzielte >Realitätseffekt< (209; 2 1 7 ) und das, was alleine durch Klarheit überzeugt (τό πιθανόν [to pithanon]; 221), sind Kennzeichen des einfachen Stils. Er ist f ü r alltägliche Genres wie den Brief (223) passend. Im einfachen Stil verfaßte Texte sollen nicht allzu kunstfertig bis ins kleinste durchgearbeitet sein, weil dies die lustvolle Eigentätigkeit beim Hören behindert (222). Der elegante Stil (cbarakter glapbyros) dagegen arbeitet mit dem Prinzip der Anmut (χάρις [chäris]): Themen sind N y m p h e n , Hochzeitslieder, die Liebe oder die Lieder der Sappho (132; 163). In diesem Stil schreiben so unterschiedliche Autoren wie Lysias, Sophron (ein Zeitgenosse des Euripides und Erfinder der literarischen Gattung des >MimusPeri stäseonPeri ideonPeri ideon
Erhabenen< bei Hermogenes ist seine Behandlung der Stilkategorie megetbos.'55 Der spätantike Autor meint damit in etwa denjenigen Stil, den Ps.-Demetrius charakter megaloprepes nennt. Auch bei Hermogenes können die Stilqualitäten vermischt werden, doch fehlt der Ideenlehre das korrespondierende System der vitia, das Ps.-Demetrius seiner Vierstillehre beigegeben hatte. 1 ' 6 Die megethos-ldee unterteilt Hermogenes in sechs Einzel-Ideen: σεμνότης [semnotes], τραχύτης [trachytes], σφοδρότης [sphodrotes], λαμπρότης [lamprotes], άκμή [akme] und schließlich περιβολή [peribole].' 57 N u r die ersten beiden Untertypen sind eigenständig, die restlichen Ergebnis von Kombinationen. Abbildung 4 aus der Hermogenes-Edition von Gaspar Laurent aus dem Jahre 1614 gibt einen Uberblick über das System der Ideen (die lateinische Terminologie und ihre Problematik werden im folgenden Kapitel diskutiert). Konzentrieren wir uns im folgenden auf die Kategorie der >feierlichen< semnotes. Sie ist diejenige Systemstelle innerhalb der Ideenlehre, die für die Longin-Rezeption bedeutend geworden ist. Zentral sind die vier Klassen feierlich-erhabener Inhalte, die in einem längeren Referat ausgebreitet werden:1»8 1. Würdevoll· sind Gedanken von Göttern (αϊ περί θεων; Id. I, 6; S. 242). Dabei differenziert Hermogenes zwischen zwei Modi: »Er unterscheidet die rein poetische Erwähnung der Götter, wo sie άνθρωποπαθως [anthropopathös] dargestellt sind und verweist auf diese Anwendung unter hedone und glykytes - Anmuth der Rede. Würde entsteht ihm nur, wenn von den Göttern eben als Götter [ . . . ] die Rede ist.«' 59 Es geht also nicht um die 154

156 157

158

78

Vgl. Pernot: Rhetoric in Antiquity, S. 167L Auch als δγκος (nach Ernesti vor allem bei Demetrius belegt für lat. gravitas, kann auch ein negatives Stil-Kennzeichen sein, so De subl. 3, 4; allgemein: »Quicquid enim elatus est, δγκος Graecis dicitur« Ernesti Gr. S. 226) und mit dem aristotelischen Begriff άξίωμα (vgl. Arist. Rhet. III, 2; bei Ernesti Gr. S. 33 als dignitas elocutionis übersetzt) bezeichnet. Auch Hermogenes benutzt beide Begriffe weitgehend synonym mit megetbos (vgl. Volkmann: Die Rhetorik der Griechen und Römer, S. 557 Anm. 1). Vossius wird in seinen >Commentarii< auf diese Begriffe zurückkommen. Rutherford: Canons of Style, S. 11 f. Herrn. Id. I, 5; S. 242ff.; vgl. Volkmann: Die Rhetorik der Griechen und Römer, S. 556; Patillon: La theorie du discours chez Hermogene, S. 223ff. Eine ganz ähnliche Typologie findet sich, so Hagedorn, in der Rhetorik des Ps.Aristeides (Hagedorn: Zur Ideenlehre des Hermogenes, S. 30); vgl. auch Volkmann: Die Rhetorik der Griechen und Römer, S. 557; ausführlicher Martin: Antike Rhetorik, S. 338f. und Patillon: La theorie du discours chez Hermogene, S. 2 2 3 - 2 2 7 . Hermann Baumgart: Aelius Aristides als Repräsentant der sophistischen Rhetorik

SYNOPSIS P O S I T A A D F Lib. de VormU orationis hue refertur,cuw tabula Gr &m textu.

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Onerofum

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Senrentia

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Liciio Methodus

α

V.Amplitu4o.

TimaiosPeri ideonc »Genus tractandi [= zweite Abteilung; methodos] potissimum spectatur in figuris [= damit sind Gedankenfiguren gemeint; D. T.], & verbis simplicibus: Figurae, seu virtutes grauitatis comites sunt asperitas, vehementia, splendor, vigor, circumducta loquutio«. 176 Man sieht also, wie konsequent Caussinus in seiner Darstellung der Stillehre den von Hermogenes vorgegebenen Kategorien folgt und wie sehr die Dreistillehre dafür in den Hintergrund tritt. Sie spielt im Verlauf der weiteren Darstellung keine Rolle mehr. Was die Musterautoren betrifft, welche megethos und vor allem semnotes in ihren Reden verwenden, so läßt sich aus den Schlußkapiteln von >Peri ideonPeri hypsus