Eine Gesellschaft von Migranten: Kleinräumige Wanderung und Integration von Textilarbeitern im belgisch-niederländisch-deutschen Grenzraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts [1. Aufl.] 9783839410592

Der Wirtschaftsraum in der EuRegio zwischen Aachen und Verviers wächst heute wieder zusammen. Migration über die Grenzen

151 102 6MB

German Pages 204 [206] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorworte.
Eine Gesellschaft von Migranten! Une société de migrants! Een samenleving van migranten!
Zum Buch: Ein Grenzüberschreitendes Projekt und sein Ergebnis
Einführung
Kleinräumige Migration in der Tuchregion Aachen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aspekte der Forschung
Die politischen Verhältnisse zwischen Maas und Rhein von 1780 bis 1820
Zünftige Handwerkswirtschaft, protoindustrieller Arbeitsmarkt und der Weg zur Fabrik in der Tuchregion zwischen Aachen und Verviers
Eine Gesellschaft von Migranten? Bemerkungen zu den Migrationsstrukturen in der Region
Burtscheid um 1800. Migrationserfahrung und Integration in einem Manufakturort
Ein Wirtschaftsraum bleibt erhalten! Migration in der Tuchregion Aachen-Verviers im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert
Das ›Rote Haus‹ in Monschau. Eine ›Dezentrale Manufaktur‹ im Fokus eines mobilen Arbeitsmarktes
Auf den Spuren der Migranten
Auf den Spuren der Migranten. Reiseziele zwischen Aachen und Verviers in der belgisch-deutschen Grenzregion
Migration gut bewahrt. Archive und Quellen zur Migration
Archive und Quellen zur kleinräumigen Migration im Grenzgebiet Aachen-Eupen-Verviers im 19. Jahrhundert
Résumé
Migration et intégration d’ouvriers du secteur textile dans la région frontalière entre la Belgique, les Pays-Bas et l’Allemagne au début du 19e siècle
Migratie en integratie van textielarbeiders in de grensregio tussen België, Nederland en Duitsland in het begin van de 19de eeuw
Anhang
Quellen | Literatur | Internetadressen
Abbildungsnachweis
Autoren
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Eine Gesellschaft von Migranten: Kleinräumige Wanderung und Integration von Textilarbeitern im belgisch-niederländisch-deutschen Grenzraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts [1. Aufl.]
 9783839410592

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Landschaftsverband Rheinland – Rheinische Archivberatung/ Fortbildungszentrum Brauweiler (Hg.) Eine Gesellschaft von Migranten

H i s t o i r e | Band 5

2008-08-20 14-47-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ac187138573968|(S.

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) T00_01 schmutztitel - 1059.p 187138573976

Eine Veröffentlichung des LANDSCHAFTSVERBANDES RHEINLAND

2008-08-20 14-47-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ac187138573968|(S.

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) T00_02 seite 2 - 1059.p 187138573992

Landschaftsverband Rheinland – Rheinische Archivberatung/ Fortbildungszentrum Brauweiler (Hg.) Eine Gesellschaft von Migranten. Kleinräumige Wanderung und Integration von Textilarbeitern im belgisch-niederländischdeutschen Grenzraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts

2008-08-20 14-47-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ac187138573968|(S.

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) T00_03 titel - 1059.p 187138574016

Herausgegeben vom LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND Rheinische Archivberatung Fortbildungszentrum Brauweiler

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Der Tuchscherer, Kupferstich aus Christoph Weigel, Abbildung und Beschreibung der Gemein-Nützlichen Hauptstände, Regensburg, 1698, S. 594. Lektorat: Christiane und Johannes Syré, Stefan Nies Satz: Martin Schmidt (TexTuRa), Düsseldorf Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1059-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2008-08-20 14-47-12 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ac187138573968|(S.

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) T00_04 impressum - 1059.p 187138574024

Vorworte Eine Gesellschaft von Migranten! Une société de migrants! Een samenleving van migranten! ARIE NABRINGS, PETER WEBER Zum Buch: Ein Grenzüberschreitendes Projekt und sein Ergebnis MARTIN SCHMIDT

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Einführung Kleinräumige Migration in der Tuchregion Aachen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aspekte der Forschung MARTIN SCHMIDT

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Die politischen Verhältnisse zwischen Maas und Rhein von 1780 bis 1820 ALFRED MINKE

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Zünftige Handwerkswirtschaft, protoindustrieller Arbeitsmarkt und der Weg zur Fabrik in der Tuchregion zwischen Aachen und Verviers MARTIN SCHMIDT

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Eine Gesellschaft von Migranten? Bemerkungen zu den Migrationsstrukturen in der Region Burtscheid um 1800. Migrationserfahrung und Integration in einem Manufakturort MARTIN SCHMIDT

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Ein Wirtschaftsraum bleibt erhalten! Migration in der Tuchregion Aachen-Verviers im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert CHRISTIANE SYRÉ Das ›Rote Haus‹ in Monschau. Eine ›Dezentrale Manufaktur‹ im Fokus eines mobilen Arbeitsmarktes MARTIN SCHMIDT

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Auf den Spuren der Migranten Auf den Spuren der Migranten. Reiseziele zwischen Aachen und Verviers in der belgisch-deutschen Grenzregion CHRISTIANE SYRÉ

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Migration gut bewahrt. Archive und Quellen zur Migration Archive und Quellen zur kleinräumigen Migration im Grenzgebiet Aachen-Eupen-Verviers im 19. Jahrhundert VALÉRIE HÉBRANT, ALFRED MINKE, STEFAN NIES

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Résumé Migration et intégration d’ouvriers du secteur textile dans la région frontalière entre la Belgique, les Pays-Bas et l’Allemagne au début du 19e siècle ALFRED MINKE

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Migratie en integratie van textielarbeiders in de grensregio tussen België, Nederland en Duitsland in het begin van de 19de eeuw ALFRED MINKE

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Anhang Quellen | Literatur | Internetadressen

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Abbildungsnachweis

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Autoren

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V ORWORTE

EINE GESELLSCHAFT

VON

MIGRANTEN!

Migration und Integration von Textilarbeitern im belgisch-niederländisch-deutschen Grenzraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts Der historische Wirtschaftsraum in der EuRegio zwischen Aachen und Verviers wächst heute wieder zusammen. Migration über die Grenzen hinweg ist dabei ein bestimmendes Element. Solche kleinräumigen Wanderungsbewegungen sind im Dreiländereck jedoch keineswegs neu. Schon vor 200 Jahren waren sie ein Garant für den Erfolg der Entwicklung über Grenzen hinweg. Die im Auftrag des ›Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinische Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ in der Kooperation mit dem Staatsarchiv Eupen von belgischen und deutschen Wissenschaftlern gemeinsam erstellte Studie untersucht neben den Rahmenbedingungen unterschiedlichste Aspekte dieser Gesellschaft von Migranten. Immer haben die Autoren dabei die Menschen, ihre Chancen und Schicksale im Blick. Sie zeigen, dass vor und nach 1800 im Raum zwischen Aachen und Verviers nicht vordringlich Grenzen und nationalstaatliche Ressentiments bestimmend waren, sondern viel stärker mikro- und makroökonomische Bedingungen das Leben der Menschen und ihre Verhaltensweisen beeinflussten – ein Leben, für das Mobilität fast so selbstverständlich und nötig war wie heute. Landschaftsverband Rheinland Rheinische Archivberatung - Fortbildungszentrum Brauweiler Dr. Arie Nabrings, Dr. Peter Weber

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UNE

SOCIÉTÉ DE MIGRANTS!

Migration et intégration d’ouvriers du secteur textile dans la région frontalière entre la Belgique, les Pays-Bas et l’Allemagne au début du 19e siècle L’espace économique historique de l’Euregio situé entre Aix-la-Chapelle et Verviers s’agglomère de nouveau. La migration de part et d'autre des frontières est un élément déterminant de ce développement. De tels mouvements migratoires spacieusement restreints ne datent toutefois pas d’aujourd’hui dans ce carrefour de trois pays. Il y a 200 ans, ils étaient déjà un garant pour le succès du développement au-delà des frontières. L’étude lancée par la ›Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinische Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ et réalisée en commun par des scientifiques belges et allemands en coopération avec la Staatsarchiv Eupen examine, outre les conditions générales, les aspects les plus divers de cette société de migrants, ces derniers en tant que personnes, leurs chances et leur destin étant toujours l’intérêt premier des auteurs. Ils montrent qu’avant et après 1800, ce n'étaient pas les frontières et les ressentiments des Etats nationaux qui étaient essentiellement déterminants dans la région entre Aix-la-Chapelle et Verviers, mais que la vie des habitants et leur comportement étaient surtout influencés par des conditions micro- et macroéconomiques et que pour leur vie, la mobilité était presque aussi évidente et nécessaire qu’elle ne l’est aujourd’hui. Landschaftsverband Rheinland Rheinische Archivberatung - Fortbildungszentrum Brauweiler Dr. Arie Nabrings, Dr. Peter Weber

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EEN

SAMENLEVING VAN MIGRANTEN!

Migratie en integratie van textielarbeiders in de Belgisch-Nederlands-Duitse grensstreek in het begin van de 19de eeuw De historische economische ruimte in de EuRegio tussen Aken en Verviers groeit vandaag de dag weer aaneen. Migratie over de grenzen heen is daarbij een definiërend element. Zulke regionale migratiestromen zijn in het drielandenpunt echter geenszins nieuw. 200 jaar geleden al stonden zij garant voor het succes van de grensoverschrijdende ontwikkeling. De in opdracht van het ›Landschaftsverbandes Rheinland, Rheinische Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ in samenwerking met het staatsarchief Eupen door Belgische en Duitse wetenschappers samen uitgewerkte studie onderzoekt naast de randvoorwaarden de meest uiteenlopende aspecten van deze samenleving van migranten. Daarbij belichten de auteurs altijd de mensen, hun kansen en lotgevallen. Ze laten zien dat vóór en na 1800 in de regio tussen Aken en Verviers niet voornamelijk grenzen en nationale vooroordelen overheersend waren, maar dat micro- en macro-economische omstandigheden van veel grotere invloed waren op het leven van de mensen en hun handelen – een leven, waarvoor mobiliteit bijna zo vanzelfsprekend en noodzakelijk was als tegenwoordig. Landschaftsverband Rheinland Rheinische Archivberatung - Fortbildungszentrum Brauweiler Dr. Arie Nabrings, Dr. Peter Weber

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ZUM BUCH: EIN GRENZÜBERSCHREITENDES PROJEKT UND SEIN ERGEBNIS Industrialisierung, da ist sich die Mehrzahl der Fachhistoriker inzwischen einig, ist ein Prozess, der mit dem bis in die 1970er Jahre herrschenden Paradigma der Industriellen Revolution und der nationalstaatlichen Perspektive nicht hinreichend beschrieben werden kann. Heute ist klar, dass die Vergewerblichung, die häufig in der Fabrikindustrialisierung des 19. und 20. Jahrhunderts mündete, in einzelnen Regionen bereits im 16. Jahrhundert begann und einen ersten Höhepunkt im 18. Jahrhundert hatte. Eine in der Regel kleinräumige Migration von Arbeitskräften – nicht nur von Facharbeitern, sondern auch von Unqualifizierten – zeichnen diese Regionen aus, obwohl es immer auch – wenn auch in weit geringerem Maß – Zuzüge aus weiter entfernten Orten gegeben hat. Auch die industrielle Führungsschicht war mobil. In den Zielorten der Wanderungsbewegungen – meist Zentren mit hoher wirtschaftlicher Ausstrahlungskraft – stellte sich die Frage nach der Integration dieser Personengruppen; diese verlief nicht immer konfliktfrei. Migranten stießen aus verschiedenen Gründen (ökonomische, konfessionelle etc.) sowohl auf Ablehnung, fanden jedoch auch Zuspruch und Hilfe. Ein hervorragendes Beispiel, diese Prozesse und damit die lange Geschichte der Migration über Territorial- und Sprachgrenzen hinweg zu untersuchen, ist die Region zwischen Aachen, Verviers und Monschau. Dies hat mehrere Gründe: • Bereits vorhandene Untersuchungen (siehe hierzu beispielsweise die Arbeiten von A. Minke, H. Kisch, M. Henkel, D. Ebeling, M. Gutmann, M. Schmidt) zeigen, dass es sinnvoll ist, die Forschung zur Migration zu Beginn der Industrialisierung im Sinne des ›Langen 19. Jahrhunderts‹ in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts auszudehnen. Somit können frühe Entwicklungen der Industrialisierung im belgisch-niederländisch-deutschen Grenzraum und damit in einer Kernregion Europas Berücksichtigung finden.

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VORWORTE







Die fragliche Region wächst durch vielfältige Anstrengungen in unseren Tagen wieder zusammen (Euregio, wirtschaftliche- und politische Initiativen, Kooperationen der Kulturträger, wie beispielsweise in der ›Wollroute‹). Archivarische Quellen, Überreste und Tradition machen ein Projekt möglich, dessen Ergebnisse nicht nur für Fachwissenschaftler, sondern für ein breites Zielpublikum interessant sein werden. In der Kooperation des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, unter anderem vertreten durch das Staatsarchiv Eupen, der ›Rheinischen Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ und dem ›Rheinischen Industriemuseum‹ (beide Institutionen des Landschaftsverbandes Rheinland) existierte eine grenzüberschreitende Projektgruppe.

Der hier vorgelegte Band enthält eine auf der Arbeit der Projektgruppe basierende wissenschaftliche Studie zur kleinräumigen Migration in der Region zwischen Aachen und Verviers. Die Arbeit zielte – ausgehend von der Sichtung der Quellen in Archiven in Düsseldorf, Aachen, Eupen und Verviers – auf eine Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen dem gerade in der heutigen Euregio so wichtigen und im europäischen Vergleich frühen Fabrikindustrialisierungsprozess und den Strategien der Bewohner der Region zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen durch Migration. Diese Prozesse scheinen sich heute mit anderen Vorzeichen zu wiederholen. Migration in der Region über Grenzen hinweg, das zeigt diese Studie ganz deutlich, ist kein neues, sondern ein seit mehreren hundert Jahren die Euregio konstituierendes Element. Schwierigkeiten der Integration hat es zwar immer gegeben, zumindest in der Frühphase des 19. Jahrhunderts – vor einer Vertiefung der Nationalstaatlichkeit – waren diese jedoch nicht auf Nationalstolz zurückzuführen. Im Zuge der Betrachtungen der Quellen und der Sichtung der vorhandenen Literatur zeigte sich, dass es für die Zeit des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts – trotz der bereits geleisteten Arbeiten zur Region – zunächst nötig sein würde, das Phänomen in seinen Grundzügen klarer zu fassen. Die erfolgte Auswertung der Quellen schlägt sich dementsprechend im zentralen Teil dieses Berichts ›Eine Gesellschaft von Migranten – Bemerkungen zu den Migrationsstrukturen in der Region‹ in mehreren Artikeln mit unterschiedlichen Schwerpunkten nieder. Eingeleitet wird der Band durch drei Aufsätze, die zum einen den Forschungsstand zur kleinräumigen Migration kurz darstellen, zum anderen die politischen Bedingungen und Veränderungen sowie die Sprachgrenze in Abhängig13

VORWORTE

keit zum Thema vorstellen und darüber hinaus einen Abriss zur Wirtschaftsgeschichte liefern – alles wesentliche Grundlagen zur Bearbeitung der Fragestellung. Die Idee zur Entwicklung einer eher touristischen ›Migrationsroute‹ in der Eifel wurde in Zusammenarbeit mit dem Projekt ›Wollroute‹ als Ergänzung zu dieser in einem eigenen Kapitel umgesetzt. Der Artikel zur Route ›Auf den Spuren der Migranten‹ schlägt einen Weg vor, der von Eupen nach Verviers, von dort über das Hohe Venn nach Monschau, anschließend über Aachen und Vaals zurück nach Eupen führt. Die Route berücksichtigt dabei nicht nur die architektonische Hinterlassenschaft, sondern nimmt auch naturräumliche Besonderheiten auf. Ein kommentiertes Verzeichnis zu wichtigsten Archiven der Region wurde erstellt und findet sich im vierten Teil dieses Bandes. Aufgenommen wurden – unter besonderer Berücksichtigung der für die vorgelegte Forschungsarbeit analysierten Archivbestände – jene Archive, die allgemein zugänglich sind. Firmenarchive blieben in der Darstellung unberücksichtigt, da ihre Träger eine bereitere Veröffentlichung nicht ohne weiteres gestatten wollten. Herzlicher Dank gilt allen, die an der Erarbeitung dieses Berichts mitgewirkt haben. Besonders zu Dank verpflichtet ist das Projekt dem Landschaftsverband Rheinland und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Ohne Prof. Dr. Minke, der die Idee zu diesem Projekt hatte und die Projektleitung übernahm, wäre es nie zu diesem Band gekommen. Auch der ›Rheinischen Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ des LVR sei besonders gedankt. Dr. Nabrings und Dr. Weber machten uns die Arbeit durch ihre vielfältige Unterstützung leicht. Der LVR schuf die finanzielle Basis, ohne die ein solches Projekt nicht hätte durchgeführt werden können. Martin Schmidt

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E INFÜHRUNG

ZU

KLEINRÄUMIGE MIGRATION IN DER TUCHREGION AACHEN B E G I N N D E S 19. J A H R H U N D E R T S . ASPEKTE DER FORSCHUNG MARTIN SCHMIDT

Johann Schmitz lebt im Jahr 1820 als Tuchscherer in Monschau. Noch vor wenigen Jahren war dies ein angesehener Beruf, doch inzwischen ist die Situation für die hochqualifizierten Facharbeiter in der kleinen Stadt immer schwieriger geworden. Abb.1: Die Arbeit des Tuchscherers hatte sich über Jahrhunderte nicht verändert; Kupferstich von Christoph Weigel, 1698

Zwar herrscht in dem alten Tuchmacherort im deutsch-belgischen Grenzraum kein Zunftzwang, der die Anzahl der Arbeitskräfte in den Werkstätten beschränkte, aber neuartigen Schermaschinen wie die von Magnan, Lewis, Collier, Stanley, Price, Chochelét und anderen haben längst begonnen, die ehemals gut bezahlte Handarbeit mit den bis 60 Kilogramm schweren handbetrieben Scheren zu verdrängen.1 Schon 1804 wirbt beispielsweise 1

J. de L. Mann, The cloth industry in the West of England from 1640 to 1880, Oxford 1971, S. 150, vgl. auch dort S. 161-162, S. 302-303; dies., 17

MARTIN SCHMIDT

das Magazin für Handels- und Gewerbekunde dafür, dass „diese Tuchscheerer=Maschine für nicht zu breites Tuch ganz vortrefflich ist, und ihm eine äußerst schöne Appretur giebt.“2 Was soll Schmitz tun? Im Mai 1820 stellt er den Antrag auf Auswanderung. Zwar kennen wir die tatsächlichen Beweggründe des 20-Jährigen nicht, seine Heimatstadt Monschau zu verlassen, aber in den überlieferten Quellen wird die Auswanderung des Tuchscherers aus der preußischen Rheinprovinz aktenkundig.3 Anders als vielleicht zu vermuten, migriert Schmitz nicht nach Amerika oder zu einem anderen fernen Ziel, das eine verheißungsvolle Zukunft versprach, sondern er verlegt lediglich seinen Wohnsitz ein paar Kilometer nach Nord-Westen, genauer gesagt nach Vaals, das 1820 zum Vereinigten Königreich der Niederlande gehört und wo er – so lässt sich vermuten – hoffen konnte, in der alten Tuchmanufaktur der Clermonts Arbeit zu finden. Mit seiner Entscheidung war Schmitz nicht allein und seine Entscheidung war auch nichts Ungewöhnliches. Viele andere hatten bereits vor Schmitz die gleiche getroffen. Es kann jedoch in keiner Weise von einer massenhaften Abwanderung der Tuchscherer, einem Exodus, aus dem alten Tuchmacherzentrum Monschau und den umliegenden Dörfern gesprochen werden. Zwar boomte dieses nicht mehr, wie noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und andere Zentren wie Aachen, Burtscheid oder

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The Textile Industry: Machinery for Cotton, Flax, Wool, 1760-1850, in: A History of Technology, Vol. IV, Oxford 1958, S. 277-305, S. 304. Bereits 1804 sei, so H. Blumberg, Die deutsche Textilindustrie in der industriellen Revolution (= Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst 3), Berlin 1965, S. 75, in Lennep eine Zylinderschermaschine eingesetzt worden. Vgl. auch R. Wichterich, Die Entwicklung der Aachener Tuchindustrie von 1815-1914, Diss. Köln 1922, S. 11; M. Henkel, R. Taubert, Maschinenstürmer. Ein Kapitel aus der Sozialgeschichte des technischen Fortschritts, Frankfurt a.M. 1979, S. 112-117, druckt das Verkaufsprospekt einer Schermaschine ab, die Magnan in Lüttich 1821 produzierte, welches sich als Anlage an einen Bericht des Landrates Scheibler (Eupen) fand. Anonym, Neue Tuchscheer=Maschine, in: Magazin der Handels- und Gewerbekunde, 2. Jg. Heft 1, 1804, S. 260-263, Zitat S. 263. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Regierung Aachen Nr. 18356, Haupt-Nachweisung über die im Landkreise Montjoie während dem II.ten Quartal 1820 statt gehabten Auswanderungen, Aufgestellt auf den Grund des von den Bürgermeistern hierüber erhaltenen Angaben zu Montjoie den 3. July 1820. Fol. 56/66. 18

KLEINRÄUMIGE MIGRATION – ASPEKTE DER FORSCHUNG

Verviers entwickelten sich schneller als ihre Nachbarn – Monschau oder Eupen –, doch noch gab es Manufakturen und so genannte Protofabriken, in denen feines Wolltuch für internationale Märkte produziert wurde. Doch Beispiele wie das von Schmitz zeigen, dass Menschen in der Gewerberegion Aachen durch kleinräumige Migration ihre Chancen auf bessere Lebensverhältnisse zu verändern suchten, ohne direkt in die aufstrebenden Zentren und neuen städtischen Industrieagglomerationen umzusiedeln. Und nicht nur in der Gewerbelandschaft zwischen Aachen und Verviers spielte kleinräumige Mobilität in die jeweilige Nachbarschaft eine zentrale Rolle. Schmitz’ Wanderung ist in diesem Zusammenhang ein Glücksfall für die historische Forschung, weil sie in heute gut zugänglichen Akten erwähnt wird. Denn gerade die kleinräumige Mobilität innerhalb einer Region wird nur selten in Quellen erfasst, weswegen es allgemein äußert schwierig ist, diese zu untersuchen. Und Schmitz ist eben kein Einzelfall, wie dieser Band zeigen wird. Die Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1815 errichtete im Raum Aachen Staatsgrenzen, die, anders als im Ançien Régime des 18. Jahrhunderts mit seinem ›laisser faire‹, als bürokratische Hemmnisse für Migration verstanden werden müssen. Die kleinräumige Mobilität innerhalb der Region unterbrachen sie jedoch nicht, machten sie aber aktenkundig und damit für die historische Forschung nachvollziehbar. Das Verwaltungswesen in der nach-französischen Zeit schuf mit Passanträgen und Auswanderungsbewilligungen Quellen, die es erlauben, das regionale Phänomen der Migration im heutigen deutsch-belgischen Grenzraum auf breiter Basis zu untersuchen. Aufbewahrt werden diese Zeugnisse der Vergangenheit, die die Grundlage für die hier vorgelegte Untersuchung bilden, in Archiven in Belgien und Deutschland. Ein Hauptaugenmerk historischer Migrationsforschung lag bisher auf der Fernmigration mit einem Schwerpunkt auf der Ein- und Auswanderung, auf der Wanderung ländlicher Arbeitskräfte in industriell-urbane Zentren (wie dem Ruhrgebiet) und auf transatlantischen Wanderungsbewegungen in die USA oder nach Südamerika.4 Daneben trat in den letzten Jahren 4

Vgl. hierzu insb. die Forschungen von K. J. Bade, Massenwanderung und Arbeitsmarkt im deutschen Nordosten von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg: überseeische Auswanderung, interne Abwanderung und kontinentale Zuwanderung, in: Archiv für Sozialgeschichte, 20, 1980, S. 265-323; ders., Transnationale Migration und Arbeitsmarkt 1879-1929. Studien zur deutschen Sozialgeschichte zwischen großer Deflation und Weltwirtschafts19

MARTIN SCHMIDT

die Erforschung durch Vertreibung und Verfolgung erzwungener Migration.5 Die Bedeutung von ökonomisch motivierter Binnenmigration bzw. kleinräumiger Mobilität wurde zwar nicht angezweifelt; sie ist jedoch ungleich schwerer zu fassen als die Fernmigration und hat sich daher in der Forschung in viel geringerem Umfang niedergeschlagen. Doch auch hier liegt ein Schwerpunkt auf Arbeiten, die vor allem aus dem Umfeld der historischen Demografie mit sozial- und wirtschaftshistorischem Anspruch stammen. Häufig haben diese nicht eine Region oder eine Gewerbelandschaft zum Untersuchungsgegenstand – von denen es in Europa viele gegeben hat – , sondern beziehen sich auf Großstädte und beschreiben Migration als Phänomen der Fabrikära.6

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krise, Bd. 1: 1879-1914 (Habilitationsschrift Erlangen 1979), Internet-Ausgabe 2005 mit neuem Vorwort unter dem Titel: Land oder Arbeit? Transnationale und interne Migration im deutschen Nordosten vor dem Ersten Weltkrieg: www.imis.uni-osnabrueck.de/BadeHabil.pdf. Als ein Beispiel u.a. für die Südamerikaauswanderung aus Europa sei auf die Arbeit von S. L. Baily, Immigrants in the Lands of Promise. Italians in Buenos Aires and New York City, 1870-1914, London 1999, verwiesen. U.a. der Sammelband von D. Dahlmann (Hg.), Unfreiwilliger Aufbruch. Migration und Revolution von der französischen Revolution bis zum Prager Frühling (= Migration in Geschichte und Gegenwart, 2), Essen 2007; K. J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (= Europa bauen), München 2000; A. Wennemann, Arbeit im Norden. Die Italiener im Rheinland und Westfalen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts (IMIS Schriften, 2), Osnabrück 1996; R. Del Fabbro, Transalpini: Italienische Arbeitswanderung nach Süddeutschland im Kaiserreich 1870-1918 (Studien zur Historischen Migrationsforschung, 2), Osnabrück 1996; J. Jackson Jr., Migration and Urbanization in the Ruhr Valley, 1821-1914, Atlantic Highlands/New York 1997. Vgl. u.a. die ältere Arbeit von W. Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution. Studien zur Bevölkerungsgeschichte Deutschlands (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 12), Göttingen 1974, insb. S. 107-124, hier auch Tab. 3 für fünf ausgesuchte deutsche Großstädte, die zeigt, dass sowohl in München als auch in Düsseldorf 1907 ca. 30% der Bevölkerung aus der näheren Umgebung zugewandert waren. H. Kiesewetter, Regionale Lohndisparitäten und innerdeutsche Wanderungen im Kaiserreich, in: J. Bergmann u.a. (Hg.), Regionen im historischen Vergleich, Opladen 1989, S. 133-199; oder D. Langewiesche, Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode. Regionale, interstädtische und innerstädtische Mobilität in Deutschland 1880-1914, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 64 (1977), S. 1-40. Auch Autoren wie Charles Tilly, der einen früheren Beginn des ›Zeitalters der Mobilität‹ annimmt, oder Steve Hochstadt, der die ›Industrielle Revolution‹ als Wasserscheide zwischen einem ›traditionellen‹ und einem ›moder20

KLEINRÄUMIGE MIGRATION – ASPEKTE DER FORSCHUNG

Dies darf nicht verwundern. Denn die Forschung zur Proto- und Frühindustrialisierung wurde in den vergangenen 35 Jahren stark durch die Konzepte von Franklin Mendels und der Göttinger Gruppe um Peter Kriedte, Hans Medick und Jürgen Schlumbohm beeinflusst, die zwar ländlich geprägte Gewerberegionen zum Gegenstand hatten, aber vor allem demografische Faktoren in den Vordergrund stellten. Sie gingen davon aus, dass es dank früherer Möglichkeiten der Arbeitsaufnahme und Haushaltsgründung gerade in ländlich basierten Industrien zu einem Rückgang der Wanderungsbewegungen kam.7 Wachstum der betrachteten industriellen Sektoren – insbesondere der Textilindustrie – wurde in den ursprünglichen Theoremen der Proto- und Frühindustrialisierungsforschung als Ergebnis einer räumlichen Erweiterung des Arbeitsmarktes sowie eines natürlichen Bevölkerungswachstums angenommen. In der Konsequenz führte diese Sichtweise zu der Annahme, dass die erste Phase des Industrialisierungsprozesses ohne die Mobilität der industriellen Arbeitskräfte auskommen konnte. Die Vorstellung, dass erst die Fabrikindustrialisierung mit ihren neuen Agglomerationen und neuen Verkehrsmitteln wie der Eisenbahn Wanderungsströme in einer bis dahin räumlich eher immobilen Gesellschaft ausgelöst hat, lässt sich jedoch nicht länger aufrecht erhalten. Neben den vielfältig untersuchten Phänomenen, wie der Handwerksgesellwanderung, der Dienstbotenmigration, den zyklischen Ortswechseln von Knechten und Mägden, den saisonalen Migrationen von Wanderarbeitern wie zum Beispiel den Tödden im Münsterland oder den Holland-, Schwaben- oder Sachsengängern, wendet sich die moderne Forschung nun dem Thema Migration innerhalb einzelner und miteinander konkurrierender Räume bereits vor der Fabrikindustrialisierung zu. Dabei geht sie sowohl den wirtschaftlichen Verhältnissen und, davon abhängig, den

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nen‹ Migrationstyp versteht, hinterfragen nicht die These, wonach Langstreckenmigration die entscheidende Mobilitätserfahrung des industriellen Zeitalters war: Ch. Tilly, Migration in Modern European History, in: W. H. McNeill, R. S. Adams (Hg.), Human Migration. Patterns and Policies, London 1978, S. 48-72; S. L. Hochstadt, Migration in Germany. A Historical Study, Providence 1981. F. F. Mendels, Proto-Industrialization. The First Phase of the Industrializationprocess, in: Journal of Economic History, 32. 1982, S. 241-261; P. Kriedte, H. Medick, J. Schlumbohm (Hg.), Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsphase des Kapitalismus, Göttingen 1977, hier insb. S. 174-176. 21

MARTIN SCHMIDT

Lebens- und Arbeitsbedingungen des Einzelnen nach und versucht eine Chancenauswertung des Einzelnen durch die Migration zu erklären.8 Dies scheint spätestens nach wegweisenden Untersuchungen Colin Pooleys und Jean Turnbulls geboten. Die britischen Geografen haben etwa für Großbritannien gezeigt, dass die Mehrzahl der Menschen bereits im 18. Jahrhundert mindestens einmal, häufig auch mehrfach ihren Wohnort wechselte – allerdings nicht immer aus Gründen, die sich auf den Arbeitsmarkt und seine Angebote beziehen lassen.9 Auch stellte sich mit den Arbeiten von DuPlessis heraus, dass sich das Arbeitskräftepotential der protoindustriellen Wolltuchindustrie kleiner Manufakturorte um Verviers im 18. Jahrhunderts aus dem Bevölkerungswachstum der umliegenden Gemeinden rekrutierte.10 Die besondere Rolle dieser frühen urbanen 8

U.a.: K. J. Bade, Altes Handwerk, Wanderzwang und gute Polizey. GesellenWanderung zwischen Zunftökonomie und Gewerbefreiheit, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 69 (1982), S. 1-37; R. Reith, Arbeitsmigration und Technologietransfer in der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – Die Gesellenwanderung aus der Sicht der Kommerzienkonsesse, in: Blätter für Technikgeschichte, 56. 1994, S. 9-33; J. Ehmer, Worlds of Mobility: Migration Patterns of Viennese Artisans in the 18th Century, in: G. Crossick (Hg.), The Artisan and the European Town, 1500-1900, Aldershot 1997, S. 172-199; W. Reininghaus (Hg.), Wanderhandel in Europa, Dortmund 1993; H. Oberpennig, Migration und Fernhandel im „Tödden-System“. Wanderhändler aus dem nördlichen Münsterland im mittleren und nördlichen Europa (Studien zur Historischen Migrationsforschung, 4), Osnabrück 1996; S. Hahn, Fremde Frauen. Migration und Erwerbstätigkeit von Frauen am Beispiel der Wiener Neustadt, in: Zeitgeschichte 20 (1993), S. 139-157; M. Garden, La démographie des villes françaises du XVIIIe siècle: quelques approches, in: Démographie Urbaine XVe-XXe siècle, Lyon 1977, S. 43-79; ders., Le bilan démographique des villes: une système complexe, in: Annales de Démographie Historique, 1982, S. 267-291. Zur allgemeinen Problematik: H. Oberpennig, A. Steidl, Einführung: Kleinräumige Wanderung in historischer Perspektive, in: dsl. (Hg.), Kleinräumige Wanderung in historischer Perspektive (IMIS Beiträge, 18), Osnabrück 2001, S. 7-18; zur Entscheidungsmöglichkeit des Individuums in einer frühindustriellen Region: U. Pfister, Die Zürcher Fabriques. Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert, Zürich 1992. 9 C. Pooley, J. Turnbull, Migration and Mobility in Britain from the 18th to the 20th Centuries, London 1998. 10 R. S. DuPlessis, Transitions to Capitalism in Early Modern Europe, Cambridge 1997, S. 212-215. DuPlessis stützt seine Arbeit an dieser Stelle auf die Forschungen von F. Lebrun, Demographie et mentalites, le mouvement des conceptions sous l’Ancien Regime, in: Annales de Demographie Historique 1974, S. 45-50; P. Lebrun, L’industrie de la laine a Verviers pendant 22

KLEINRÄUMIGE MIGRATION – ASPEKTE DER FORSCHUNG

Zentren hatten Franklin F. Mendels, Peter Kriedte, Hans Medick und Jürgen Schlumbohm in ihre Untersuchungen noch nicht mit einbezogen. Für die Untersuchung kleinräumiger Migration gerade in vor- und frühindustriellen Gesellschaften ist der Ende der 1970er Jahre von dem englischen Historiker Sidney Pollard im Zuge der Debatte um protoindustrielle Entwicklungen geprägte Regionenbegriff äußerst hilfreich.11 Nach Pollard und in seiner Nachfolge lässt sich eine Region abhängig von der Fragestellung auch dann als ökonomische Einheit beschreiben, wenn sie nicht als zusammenhängender politisch-territorialer oder naturräumlich-einheitlicher Raum verstanden wird und sie sich sogar in unterschiedliche Subregionen unterteilen lässt.12 Die mit diesem Band vorgelegte Untersuchung betrifft die Migration im Raum zwischen Aachen und Verviers und ihrem Hinterland Eifel und Limburger Land. Hier war im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert die Wolltuchproduktion das bestimmende Element der Gewerbelandschaft. Das Betriebssystem der Wolltuchproduktion befand sich in dieser Zeit im Übergang zwischen ›Dezentraler Manufaktur‹ und Fabrikindustrie. Räumliche Mobilität war hier keine Irregularität oder Ausnahme, sondern eine flächendeckende Erscheinung, wie bereits die um 1800 entstandenen Bevölkerungslisten der französischen Zeit zeigen.13 So waren beispielsle XVIIIe et le debut du XIXe siecle (= Bibliotheque de la Faculte de Philosophie et Lettres de l`Universite de Liege 115), Lüttich 1948, hier S. 256-257¸ M. P. Gutmann, Toward the Modern Economy. Early Industry in Europe 1500-1800, Philadelphia 1988, S. 15, S. 31, S. 65, S. 80, S. 94, S. 101, S. 109 u. S. 176-184. 11 S. Pollard, Einleitung, in: ders. (Hg.), Region und Industrialisierung. Studien zur Rolle der Region in der Wirtschaftsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 42), Göttingen 1980, S. 11-21. 12 Vgl. auch W. Mager, D. Ebeling, Einleitung, in: dsl. (Hg.), Protoindustrie in der Region. Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 9-55, mit Verweisen auf die in der ältere Forschung (Schule der National Ökonomie, Werner Sombart) unter dem Begriff der Rustikalisierung abgehandelte Phänomene (S. 9-11 u. S. 22-28), darin auch ein Überblick über die europäischen Gewerbelandschaften mit einer Fülle an Literaturhinweisen (S. 29-41). 13 Zur Definition des Begriffs ›Dezentrale Manufaktur‹ vgl. K.-H. Kaufhold, Das Gewerbe in Preußen um 1800 (= Göttinger Beiträge zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte 2), Göttingen 1978, S.14, in der Nachfolge von R. Forberger, Zur Auseinandersetzung über das Problem des Übergangs von der Manufaktur zur Fabrik, in: Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts (= Deutsche Akademie der Wis23

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weise im Jahr 1799 35% der 3.534 Einwohner des kleinen Manufakturortes Burtscheid vor den Toren Aachens nicht dort geboren. Bis 1812 stieg die Zahl der Migranten bei einer auf 4.468 Seelen gewachsenen Bevölkerung auf fast 50%.14 Es bleibt festzuhalten: Schon vor- und frühindustrielle Gesellschaften, wie die in der Region Aachen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, zeichnen sich durch eine signifikante kleinräumige Mobilität aus. Dieses Phänomen, für das der Tuchscherer Schmitz steht, kennzeichnet aber offenbar nicht nur die Zeit um 1800, sondern ist im Verlauf des ganzen 19. Jahrhunderts und nicht nur in der Gewerbelandschaft AachenVerviers zu beobachten. In einer Ende der 1970er Jahren durchgeführten Untersuchung der Bevölkerungszählung von 1871 in Preußen zeigte sich, dass 41% der männlichen Bewohner ihren Wohnort innerhalb ihres Heimatkreises gewechselt und nur 21% die Provinz verlassen hatten. Noch in der Hochindustrialisierung entsprechen sich demnach Muster, wie wir sie schon mehr als ein halbes Jahrhundert früher in der Region AachenVerviers nachweisen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass kleinräumige Mobilität für viele keinen einmaligen Wohnungswechsel bedeutete, sondern ein vielgestaltiger Prozess gewesen ist, in dem es nicht nur zu einer einzigen Ortsveränderung, sondern – über die Masse der Migranten betrachtet – zu einer Zirkulation „und zu ausgesprochenen Pendlerwanderungen“ gekommen ist.15 Doch was trieb die Migranten? Was veranlasste sie, eine neue – wenn auch gar nicht so weit entfernte – Heimat zu suchen? Was waren die Auswirkungen auf die Zielorte? Wie wurden sie integriert? Welche Lüsenschaften, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Bd. 10), Berlin 1962, S. 171-188, dort S. 179; u. ders., Die Manufakturen in Sachsen vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, Berlin 1958, S. 4. Für die Aachener Region vgl. M. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen. Frühneuzeitliche Werkbauten als Spiegel einer Betriebsform zwischen Verlag und zentralisierter Produktion, in: D. Ebling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit – Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 129-164. Zu den Bevölkerungslisten und der Quellenlage vgl. u.a. M. Schmidt, Burtscheid. Eine Tuchmanufakturstadt um 1812 (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/8), Köln 1997, insb. S. 7-8, S. 11-12. 14 D. Ebeling, M. Schmidt, Zünftige Handwerkswirtschaft und protoindustrieller Arbeitsmarkt. Die Aachener Tuchregion (1750-1815), in: W. Mager, D. Ebeling (Hg.), Protoindustrie in der Region. Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S.321-346, hier S. 340. 15 Oberpennig, Steidl, Einführung, hier S. 9. 24

KLEINRÄUMIGE MIGRATION – ASPEKTE DER FORSCHUNG

cken hinterließen sie in ihren Heimatorten? Diese und andere Fragen drängen sich auf. Die mit diesem Buch vorgelegte Untersuchung kann sie nicht alle und schon gar nicht hinreichend oder abschließend beantworten, sondern eher schlaglichtartig beleuchten und in einem ersten Schritt dem Phänomen als solchem Aufmerksamkeit sichern. Denn die Debatte um kleinräumige Migration hat gerade erst begonnen, wie die vielen Aktivitäten der Städte auch im deutsch-belgisch-niederländischem Grenzraum zeigen. Ziel dieses Bandes ist es auch aufzuzeigen, dass die heute unter dem Eindruck der europäischen Einigung erfolgende Migration in der Euregio Maas-Rhein – und das heißt innerhalb eines zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht erneuerten Zusammenwachsens eines alten Wirtschaftsraumes – kein neues Phänomen darstellt.16 Es zeigt sich, dass kleinräumige Mobilität und Pendlerwesen hier vielmehr ein fast ‚natürlicher’ Zustand war, der durch das Zusammenwachsen in einer europäischen Kernlandschaft wieder ‚normal’ wird. Die anfangs erwähnten Bemerkungen zum Tuchscherer Schmitz und der vielen anderen vor ihm und nach ihm zeigen dies. Heute virulente Defizite und Hemmnisse für Migration und grenzüberschreitende Arbeitsmärkte wie psychologische Barrieren (‚Grenze in den Köpfen‘), kulturelle Unterschiede und Ressentiments, die eine Studie des Landes NRW aus dem Jahr 2002 aufzeigt, sind demnach das Resultat einer historischen Entwicklung, die weniger als 200 Jahre alt ist. Sie basiert weitgehend auf der künstlichen Trennung einer alten Gewerbelandschaft durch politische Grenzen, wie sie in der europäischen Entwicklungsperiode der Nationalstaatlichkeit entstanden ist. Die Betrachtung historischer Migrationsbewegungen vermag, wie es Klaus J. Bade ausdrückte, „als retrospektive Orientierungshilfe indirekt auch zur historischen Verortung gegenwärtiger Migrationsbewegungen beizutragen. Gerade jene historisch bedingte, weltweite Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen in Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung, die auch den gegenwärtigen Wanderungsbewegungen wesentlich zugrunde liegt, lässt es sinnvoll erscheinen, über kurz- oder mittelfristige Entwicklungstendenzen hinaus weiter in die Sozialgeschichte […] zurückzugreifen.“17 16 Vgl. zur heutigen Problematik u.a. die im November 2002 vom Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen vorgelegte Studie „Deutschland-Belgien. Deutschbelgische Grenzgänger – Praxis und Probleme: Euregio Maas-Rhein“. 17 K.J. Bade, Transnationale Migration. 25

DIE

VERHÄLTNISSE ZWISCHEN MAAS R H E I N V O N 1780 B I S 1820

POLITISCHEN UND

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Der in dieser Publikation behandelte Raum zwischen Verviers, Aachen, Monschau und Eupen war zum Ende des Ançien Régime hin unter eine Vielzahl von Herrschaftsbereichen aufgeteilt. 1

Das Ançien Régime Der größte Teil der Region gehörte zu Limburg, einer der zehn Provinzen der seit 1713 österreichischen Niederlande. Die Provinz Limburg umfasste neben dem Herzogtum gleichen Namens die so genannten Overmaaslande, bestehend aus der Grafschaft Dalhem sowie den Herrschaften Valkenburg und Rolduc. Für die vorliegende Untersuchung sind dabei besonders das Herzogtum Limburg und die Grafschaft Dalhem von Belang. Letztere gehörte seit 1244 zum Herzogtum Brabant und war in 18 Verwaltungsbezirke, so genannte Banken gegliedert: Aubel, ’s Gravensvoeren, Sint – Martens – Voeren, Warsage, Aubin – Neufchâteau, Bombaye, Berneau, Moelingen, Cheratte, Housse, Mortier, Richelle, Trembleur, Feneur, Dalhem, Mheer, Noorbeek und Olne. Seit der Schlacht von Worringen im Jahre 1288 war auch das Herzogtum Limburg mit Brabant verbunden. Im 18. Jahrhundert umfasste es folgende Bezirke und Ortschaften: • die Städte Limburg (1.757 Einwohner) und Herve (3.527 Einwohner); • die Bank Baelen mit dem Flecken („bourg“) Eupen (7.461 Einwohner und damit die mit deutlichem Abstand größte Ortschaft Limburgs) sowie den Dörfern Baelen, Bilstain, Goé, Henri-Chapelle, Membach und Welkenraedt;

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Quellen- und Literaturangaben sowie Angaben zu den wichtigsten Kartenwerken finden sich im Anhang dieser Publikation. 26

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die Bank Walhorn mit Astenet, Eynatten, Hauset, Hergenrath, Kettenis, Merols, Neudorf, Rabotrath, Raeren und Walhorn; die Bank Montzen mit Gemmenich, Homburg, Kelmis, Moresnet, Montzen, Remersdaal, Sippennaeken und Teuven; die Bank Herve mit dem Flecken Hodimont (2.214 Einwohner) sowie Battice, Chaineux, Charneux, Clermont, Cornesse, Dison, Julémont, Lambermont, Mortroux, Grand- und Petit- Rechain, Soiron, Thimister, Wegnez und Xhendelesse; die freien Herrlichkeiten Bolland, Lontzen und Wodémont; die in sieben Herrlichkeiten gegliederte Bank Sprimont – auch „quartier au / de là des bois“ (jenseits der Wälder) genannt – die, am Ufer der Ourthe gelegen, vom Herzogtum Limburg durch zum Hochstift Lüttich und zur Fürstabtei Stavelot-Malmedy gehörende Gebiete räumlich getrennt war.

Außer den bereits erwähnten Grundherrschaften hatten die Landesherren im 17. Jahrhundert weitere Bezirke und Ortschaften zu Herrlichkeiten erhoben und an zahlungskräftige Personen verkauft. Dabei waren allerdings lediglich die Herrschaftsrechte, nicht aber das Grundgebiet veräußert worden. Jede Bank, jede Herrlichkeit verfügte über ein eigenes Schöffengericht, das sowohl Rechtssachen als auch Verwaltungsangelegenheiten regelte. Wegen der räumlichen Entfernung zum Herzogtum Brabant – zwischen diesem und dem Herzogtum Limburg sowie der Grafschaft Dalhem lag das Hochstift Lüttich – hatten sich Limburg und die Overmaaslande im Übrigen eine weitgehende Autonomie bewahren können. Wirtschaftlich potentester Ort der größtenteils agrarisch geprägten Provinz Limburg war das an ›Weser‹ und ›Bach‹ gelegene Eupen, dessen Bevölkerung seit dem 15. Jahrhundert kontinuierlich gewachsen war. So stieg die Zahl der Feuerstellen – sprich Wohnstätten – Eupens zwischen den Jahren 1445 und 1771 von 197 auf 1.010 Stellen. Als Hauptgrund für diese Entwicklung muss die seit Ende des 17. Jahrhunderts stetig expandierende Tuchmanufaktur angesehen werden. Neben Eupen war Hodimont, an der Grenze zum Hochstift Lüttich und von diesem nur durch die Weser getrennt, ein wichtiges Zentrum dieser Manufaktur im Herzogtum Limburg. Die Zahl der in diesem Erwerbszweig ganz oder zum Teil tätigen Personen wurde 1764 im Herzogtum Limburg und in der Grafschaft Dalhem mit insgesamt 17.022 angegeben. Seit dem 16. Jahrhundert behaupteten sich in Eupen, Hodimont und Olne unter dem Schutz der Vereinigten Provinzen der Niederlande klei-

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ne, aber gut organisierte reformierte Gemeinden, deren Angehörige sich besonders in der Tuchmanufaktur einen Namen gemacht hatten. Das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. sicherte ihnen 1781 – erstmals in ihrer Geschichte – Religionsfreiheit zu. Das Herzogtum Limburg und die Grafschaft Dalhem durchzog eine Sprachgrenze, die einen romanisch beeinflussten Raum im Westen von einem germanisch geprägten Gebiet im Osten trennte. Ihren endgültigen Verlauf hatte sie erst im 15. und 16. Jahrhundert gefunden, aber auch danach blieben diesseits und jenseits derselben sprachliche ‚Rückzugszonen‘ bestehen. Von Moelingen unweit der Maas ausgehend, verlief die Sprachgrenze über Berneau, Warsage und Aubel in der Grafschaft Dalhem sowie Henri-Chapelle und Baelen im Herzogtum Limburg bis hinunter nach Membach im Tal der Weser. Was das Herzogtum Limburg anbelangt, fand diese sprachlich-kulturelle Zweitteilung ihren Niederschlag unter anderem in den Bezeichnungen ›quartier wallon‹ für die Bank Herve und ›duytsche banken‹ für die Verwaltungsbezirke Baelen, Walhorn und Montzen. Im 18. Jahrhundert hatten sich Französisch und Deutsch als Kultur- und Kirchensprachen, Brabantisch und Französisch als Verwaltungssprachen durchgesetzt. Umgangssprachen waren westlich der Sprachgrenze das Wallonische und östlich derselben das ›platdütsch‹. Wie schon erwähnt, erstreckte sich westlich und südlich des Herzogtums Limburg und der Grafschaft Dalhem das zum Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis gehörende Hochstift Lüttich. Lediglich eine Enklave der Fürstabtei Stavelot-Malmedy unterbrach bei Cornesse in der Bank Herve diesen Grenzverlauf. Bei einer Gesamtfläche von 569.719ha umfasste das Hochstift Lüttich zu Ende des 18. Jahrhunderts 23 Städte und über 600 Dörfer mit insgesamt rund 350.000 Einwohnern, wovon zwei Fünftel einer (vor-)industriellen Tätigkeit nachgingen. Das Hochstift, dessen nördlicher Teil zum niederländischen Sprachraum gehörte, während der Süden Französisch sprach, war in elf Distrikte unterteilt: die Stadt Lüttich samt ihrer Vororte, Amont, Condroz, Entre-Sambre-et-Meuse, Franchimont, Hespengau, Hoorn, Loon, Moha, Montenaken und Stokkem. Hinzu kam die Mensa des Kathedralkapitels (Patrimonium des hl. Lambertus), die einen steuerlichen Sonderstatus genoss. Die Rückkehr zur außenpolitischen Neutralität und die moderate Regierung der Fürstbischöfe Georges Louis de Berghes, Johann Theodor von Bayern, Charles d’Oultremont und Franz Karl von Velbrück hatten dem Hochstift, insbesondere nach dem Aachener Frieden von 1748, eine Ära der Stabilität und des Wohlstands beschert und den weiteren Aufstieg eines dynamischen Unternehmertums begünstigt. Zusammen mit dem zahlenmäßig

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überdurchschnittlich stark repräsentierten Anwaltsstand stieg dieses nunmehr, neben dem Kathedralkapitel und dem Adel, zur dritten politischen Kraft im Hochstift auf. Neben der Metallverarbeitung und der Kohleförderung war die Tuchmanufaktur ein wichtiger Erwerbszweig im Hochstift Lüttich. Sie konzentrierte sich hier vor allem im nördlichen Teil des Distrikts der Markgrafschaft Franchimont, rund um das im Jahre 1651 vom Fürstbischof zur Stadt erhobene, an der Weser gelegene französischsprachige Verviers. Die Zahl der in diesem Gebiet ganz oder teilweise für die Tuchmanufaktur Arbeitenden wurde 1789 auf 25.000 Personen geschätzt, wovon 7.400 in der Stadt Verviers selbst tätig waren. Im Südosten stieß das Herzogtum Limburg zum einen an die im französischen Sprachraum gelegene Fürstabtei Stavelot-Malmedy und zum andern an das ›deutsche Quartier‹ des zu den österreichischen Niederlanden gehörenden Herzogtums Luxemburg. Ein wie auch immer gearteter Austausch zwischen Limburg und diesen Gebieten fand allerdings kaum statt. Das südlich des limburgischen ›Hertogenwalds‹ bis auf 694 Meter ansteigende ›Hohe Venn‹, eine menschenleere, nur unter erheblichen Gefahren passierbare Moor- und Sumpflandschaft, bildete hier eine natürliche Barriere. Karte 1: Die Region zwischen Verviers und Aachen am Vorabend der Französischen Revolution, um 1789

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Nach Osten hin grenzte das Herzogtum Limburg an das Herzogtum Jülich sowie die seit 948 reichsunmittelbare Abtei Kornelimünster. Im Rahmen unseres Beobachtungsgebiets ist in dieser Region besonders Monschau in den Blick zu nehmen. Der Ort gehörte seit 1435 zum Herzogtum Jülich und war Sitz eines Amtes, dem verschiedene Gerichtsbezirke mit einer Reihe von Dörfern angehörten. Infolge der Ansiedlung protestantischer Emigranten aus dem nahen Aachen waren schon im 17. Jahrhundert hier erstmals Tuchbetriebe eingerichtet worden. Als eigentlicher Begründer der Monschauer Feintuchmanufaktur gilt aber der um 1725 aus dem Bergischen zugewanderte Johann Heinrich Scheibler, Spross einer Pfarrerfamilie, der gegen Ende seines Lebens – er verstarb 1765 – von sich behaupten konnte „alleinig“ von seiner „Fabrique beständig mehr als 4.000 Menschen“ zu „ernähren“. Nördlich der Provinz Limburg lagen das Gebiet der Reichsabtei Burtscheid, das Aachener Reich, zu den vereinigten Provinzen der Niederlanden gehörende Gebiete mit unter anderem einer Enklave rund um die Ortschaft Vaals sowie kleinere Reichsterritorien. Wie Monschau waren auch Burtscheid und Vaals Nutznießer der Aachener Emigration gewesen und hatten sich im 18. Jahrhundert zu wichtigen Standorten der Tuchmanufaktur entwickelt.

Die französische Zeit (1794 – 1814) Im Anschluss an die französische Revolution kam es im Sommer und im Herbst 1789 im Hochstift Lüttich, in der Fürstabtei Stavelot-Malmedy und in den österreichischen Niederlanden zu Aufständen gegen die regierenden Landesherren. Sie veränderten die politische Landkarte insofern, als sich die österreichischen Niederlande von Joseph II. lossagten und am 7. Januar 1790 die Unabhängigkeit der ›Vereinigten belgischen Staaten‹ ausriefen. Gegen den Willen der Bevölkerung erklärte auch die Ständeversammlung der Provinz Limburg ihren Beitritt zu dem neuen Bundesstaat. Dessen Existenz war allerdings nur von kurzer Dauer. Im Dezember 1790 eroberten die Österreicher ihre niederländischen Provinzen zurück und setzten den von den Aufständischen verjagten Fürstbischof von Lüttich wieder in Amt und Würden ein. Doch auch diese Restauration währte nicht lange. Von einer immer radikaler auftretenden Nationalversammlung unter Druck gesetzt, erklärte der französische König Ludwig XVI. am 20. April Kaiser Franz II., in seiner Eigenschaft als ›König von Böhmen und Ungarn‹, den Krieg. Im August marschierten die mit Österreich verbündeten Preußen 30

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in Frankreich ein und rückten zusammen mit österreichischen Verbänden gegen Paris vor. Im Angesicht dieser Bedrohung stürmte eine aufgebrachte Volksmenge das königliche Schloss, die Tuilerien, und nahm Ludwig XVI. und seine Familie in Gewahrsam. Das Königtum wurde abgeschafft und die Republik ausgerufen. Mittlerweile war es dem französischen Revolutionsheer gelungen, die alliierte Offensive in Valmy zum Stillstand zu bringen und einen Gegenangriff einzuleiten. Der Sieg von Jemappes, am 6. November 1792, brachte die österreichischen Niederlande in französische Hand. Drei Wochen später standen die Franzosen in Lüttich, Aachen fiel am 15. Dezember. Der französische General Dumouriez bezog sein Winterquartier längs der Rur. Schon bald erschien es jedoch fraglich, ob Frankreich seine Eroberungen würde behaupten können. Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 traten, neben dem Deutschen Reich in seiner Gesamtheit, auch England und andere europäische Mächte in den Krieg gegen die französische Republik ein. Am 1. März mussten deren Truppen bei Aldenhoven eine schwere Niederlage hinnehmen. Nur drei Tage später marschierten die Österreicher in Lüttich ein. Nach einer weiteren Niederlage bei Neerwinden, am 18. März, mussten die Franzosen die österreichischen Niederlande wieder räumen. Tiefe Gegensätze in der antirevolutionären Koalition, insbesondere aufgrund der bevorstehenden Aufteilung Polens, verhinderten jedoch ein Eindringen in französisches Hoheitsgebiet. Im Frühjahr ging die Republik erneut zum Angriff über. Am 26. Juni 1794 errang sie bei Fleurus, unweit von Charleroi, nach vierzehnstündigem Ringen einen glanzvollen Sieg. Brüssel fiel am 11., Lüttich am 27. Juli. Am 23. September musste Aachen kapitulieren und am 6. Oktober setzten die Österreicher bei Düsseldorf auf das rechte Rheinufer über. In der Folgezeit wurde das Land zwischen Maas und Rhein einer systematischen Plünderung unterworfen. Deren Auswirkungen sind allerdings oftmals übertrieben worden. So fanden die mit der Eintreibung der Militärkontributionen beauftragten ›agents de la République en territoire occupé‹ auf lokaler Ebene nur selten Personen vor, die zur Zusammenarbeit mit den Besatzern bereit waren und die Durchführung der Requisitionen überwachen konnten. Hinzu kommt, dass eine seit Generationen immer wieder von diversen Fremdherrschaften heimgesuchte Bevölkerung Überlebensstrategien entwickelt hatte, die die größten Härten der französischen Militärherrschaft abzufedern vermochten. Um den sich dennoch häufenden berechtigten Klagen über Veruntreuungen und eklatantem Machtmissbrauch zu begegnen, ordnete das

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›Comité de salut public‹ in Paris Mitte Oktober 1794 die Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen für die eroberten Gebiete an. Demzufolge nahm am 14. November die ›Administration centrale des Pays d’entre Meuse et Rhin‹ ihre Arbeit auf. Sie hatte ihren Sitz in Aachen und umfasste sieben Bezirksverwaltungen: Maastricht, Geldern, Aachen, Bonn, Blankenheim, Spa und Limburg. Die auf dem linken Maasufer gelegenen Gebiete des Hochstifts Lüttich wurden am 16. November der Bezirksverwaltung Lüttich unterstellt, die von der ›Administration centrale de Belgique‹ in Brüssel abhing. Die verwaltungsmäßige Neuordnung der eroberten Gebiete brachte eine gewisse Milderung des Besatzungsregimes mit sich, infolge derer eine Reihe von Adligen, Geistlichen, Beamten und Besitzbürgern, die beim Herannahen der Franzosen überstürzt geflohen waren, in ihre Heimat zurückkehrten. Der früh einsetzende Winter verschärfte allerdings abermals die Lage. Da die Verproviantierung der französischen Armee in Gefahr zu geraten drohte, nahmen die Requisitionen wieder zu. Teuerung und Lebensmittelknappheit waren die Folgen. Auch die Kriegssteuerbelastung stieg erneut stark an. Die latente wirtschaftliche und soziale Krise nahm nun vielerorts dramatische Formen an. In den Erlebnissen dieser Monate sowie in antireligiösen und antiklerikalen Übergriffen ist der Ursprung jenes tiefen Misstrauens zu suchen, mit dem die Bevölkerung der eroberten Gebiete hinfort ‚den Franzosen‘ begegnete und das auch in späteren, besseren Zeiten nie mehr gänzlich abgebaut werden konnte. Auf dem diplomatischen Parkett erzielte die Französische Republik im Frühjahr 1795 Erfolge, die eine Annexion der eroberten Gebiete immer wahrscheinlicher erschienen ließen. Gegen das Versprechen, für seine Verluste im Nachhinein durch rechtsrheinische Gebiete entschädigt zu werden, verzichtete König Friedrich Wilhelm II. von Preußen am 6. April, im Frieden von Basel, zugunsten Frankreichs auf das linke Rheinufer. Frankreich hatte sein seit Jahrhunderten verfolgtes Ziel, überall an natürliche Grenzen zu stoßen, damit weitgehend erreicht. Einer Einverleibung der österreichischen Niederlande und der geistlichen Fürstentümer zwischen Maas und Rhein stand nun nichts mehr im Wege. Im Juli verfasste Charles Lambert Doutrepont, Mitglied der ›Administration centrale de Belgique‹ und vormals Advokat beim Rat von Brabant, im Auftrag des Pariser Nationalkonvents einen Bericht über die künftige Einteilung der eroberten Gebiete. Dieser sah die Schaffung von neun De-

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partements vor, die ihrerseits in Kantone unterteilt waren. Nachdem er festgestellt hatte, dass die noch aus österreichischer Zeit stammenden Angaben zur Bevölkerung unzuverlässig waren, stützte Doutrepont sich bei seiner Arbeit nur noch auf Kartenmaterial. Wie sich erst später herausstellte, führte dies zu zahlreichen Irrtümern, deren Korrektur letztlich Monate dauern sollte. Nach mehrwöchiger Aussprache verabschiedete der Nationalkonvent am 1. Oktober 1795 das Dekret über die Vereinigung ›Belgiens‹ und des ›Lütticher Landes‹ mit der Französischen Republik. Aus den ersten vier Artikeln dieses Dekrets, die die annektierten Gebiete auflisteten, ging hervor, dass mit ›Belgien‹ die österreichischen Niederlande und mit dem ›Pays de Liège‹ das Hochstift Lüttich gemeint waren. Annektiert wurden ebenfalls: die Fürstabtei Stavelot-Malmedy sowie „tous les pays en deçà du Rhin qui étaient, avant la guerre actuelle, sous la domination de l’Autriche et ceux qui ont été conservés à la république française par le traité conclu à la Haye, le 27 floréal dernier“. Damit verzichtete die Französische Republik – zumindest vorläufig – auf eine Annexion des weitaus größten Teils des linken Rheinufers. Das annektierte Gebiet wurde, wie von Doutrepont vorgeschlagen, in neun Departements gegliedert. Für den Raum zwischen Maas und Rhein waren insbesondere die Departements ›Ourthe‹ und ›Niedermaas‹ von Bedeutung. Bei einer Gesamtfläche von 3.983 km² zählte das Ourthedepartement etwas mehr als 320.000 Einwohner. Es umfasste große Teile des Hochstifts Lüttich, die Fürstabtei Stavelot-Malmedy, das Herzogtum Limburg, Teile des Herzogtums Luxemburg und den größten Teil der Grafschaft Dalhem. Seine Bevölkerung war weitgehend französischsprachig. Lediglich im Westen, an der Grenze zum Niedermaasdepartement und im äußersten Osten wurde Flämisch oder Deutsch gesprochen. Neben der Hauptstadt Lüttich waren Verviers, Eupen und Huy die bedeutendsten Ortschaften des Ourthedepartements. Das Niedermaasdepartement war 3.925 km² groß und zählte um die 230.000 Einwohner. Sein Grundgebiet setzte sich aus Teilen der Vereinigten Provinzen der Niederlande, des Hochstifts Lüttich, der österreichischen Niederlande, des Herzogtums Jülich sowie kleineren Reichsterritorien zusammen. Die große Mehrheit der Bevölkerung des noch sehr stark agrarisch geprägten Niedermaasdepartements sprach niederländische oder flämische Dialekte. In einigen Kantonen längs der Ostgrenze des Departements war Deutsch, in einigen Gemeinden an der Grenze zum Ourthedepartement Französisch die Umgangssprache. Die Hauptstadt Maastricht sowie Hasselt, Sint-Truiden und Venlo waren die wichtigsten Ortschaften des Niedermaasdepartements.

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Wie schon kurz erwähnt, zog die Französische Republik die Annexion des linken Rheinufers vorerst nicht in Betracht. Es blieb der ›Administration centrale pour les pays entre Meuse et Rhin‹, die ihren Sitz in Aachen hatte, unterstellt. Diese Behörde wurde jedoch am 3. Februar 1796 aufgehoben. An ihre Stelle traten am darauffolgenden 17. Mai zwei Generaldirektionen mit Sitz in Aachen und Koblenz. Da auch jetzt Unordnung und Korruption in der Verwaltung der besetzten Gebiete an der Tagesordnung blieben, kassierte Paris am 21. März 1797 die beiden Generaldirektionen und übertrug die Verwaltung der besetzten Gebiete General Hoche, dem obersten Befehlshaber der Revolutionstruppen an Nieder- und Mittelrhein. Auf Geheiß der französischen Regierung setzte Hoche die Verwaltungen und Gerichte des Ançien Régime wieder in ihre Rechte ein und unterstellte sie der Aufsicht einer fünf Mitglieder zählenden ›Commission intermédiaire‹ (Mittelkommission), die ihren Sitz in Bonn nahm und die Besatzungszone in sechs neue Bezirke – Kreuznach, Zweibrücken, Trier, Köln, Jülich und Geldern – einteilte. Am 18. April 1797 führte der erfolgreiche Italienfeldzug des jungen französischen Generals Bonaparte in Leoben zur Unterzeichnung von ›Präliminarien‹ und damit letztlich zu einem Friedensvertrag zwischen Frankreich und Österreich. Letzteres verzichtete auf die Niederlande und die ionischen Inseln, während die Republik die Integrität des Reiches anerkannte. Beim Austausch der Ratifizierungsurkunden am 24. Mai forderte Bonaparte ebenfalls die Abtretung des linken Rheinufers, ein Punkt, der allerdings nicht alleine mit Österreich, sondern mit der Gesamtheit der Reichsfürsten zu verhandeln war. Am 17. Oktober unterzeichneten Frankreich und Österreich im italienischen Campoformio einen endgültigen Friedensvertrag, der die Ergebnisse von Leoben festschrieb und zu einem Kongress nach Rastatt einlud, wo über einen Frieden zwischen der Französischen Republik und dem Reich verhandelt werden sollte. Das plötzliche Ableben General Hoches am 18. September 1797 hatte unterdessen weitere Veränderungen nach sich gezogen. An die Spitze der Verwaltung des linken Rheinufers trat General Augereau, der die von Hoche geschaffene Mittelkommission am 23. November aufhob, ihre Mitglieder, unter der Bezeichnung ›Régie nationale de la République française‹, aber, bis zur Ankunft des bereits am 4. November ernannten Regierungskommissars François Joseph Rudler, weiter mit der Verwaltung des besetzten Gebiets betraute. Der Elsässer Jurist Rudler hatte den Auftrag, die französische Verwaltungsorganisation definitiv auf die Rheinlande zu übertragen und deren Eingliederung in den französischen Staatsverband vorzubereiten. Am 11. Dezember verfügte er die Aufteilung des linken Rheinufers in vier

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Departements und 140 Kantone. Das Roerdepartement (Hauptstadt: Aachen) zählte 42 Kantone, das Rhein-Mosel-Departement (Hauptstadt: Koblenz) 30, das Saardepartement (Hauptstadt: Trier) 31 und das Departement Donnersberg (Hauptstadt: Mainz) 37 Kantone. Das von General Hoche wiederbelebte alte Verwaltungssystem wurde nun endgültig beseitigt. An seine Stelle traten, wie in den annektierten ‚belgischen‘ Departements, die in der französischen Verfassung des Jahres III vorgesehenen Behörden. Im Gegensatz zu den ‚belgischen‘ Departements wurden deren Mitglieder im besetzten Rheinland aber nicht gewählt, sondern von Paris ernannt. An der Spitze eines jeden Departements stand eine mit fünf Personen besetzte Zentralverwaltung, der ein Kommissar ›du Directoire exécutif‹, als verlängerter Arm der Pariser Regierung, zur Seite gestellt wurde. In der Behördenhierarchie folgten sodann die ›Municipalités de canton‹, die Kantonalverwaltungen. Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern bildeten jeweils eine eigene ›Municipalité de canton‹, mit, je nach Bevölkerungszahl, fünf, sieben oder neun Mitgliedern. Im Ourthedepartement war dies der Fall unter anderem für Verviers und Eupen, im Roerdepartement für Aachen. Die Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern wählten jede einen ›Agent municipal‹ und einen ›Adjoint‹ (Beigeordneten). Die Versammlung aller ›Agents‹ bildete die ›Municipalité de canton‹, der ein Präsident vorstand. Im Ourthedepartement waren auf dem Gebiet des früheren Herzogtums Limburg und der früheren Grafschaft Dahlem Kantonalverwaltungen in Dalhem, Herve, Aubel, Limburg und Walhorn eingesetzt worden. Im Roerdepartement waren unter anderem Burtscheid und Monschau Sitz einer Kantonalverwaltung. Im Niedermaasdepartement gehörte Vaals zum Kanton Gulpen. Auch die Kantonalverwaltungen standen unter der Aufsicht eines Direktoriumskommissars. Diese Verwaltungseinteilung blieb bis nach dem Staatstreich des 9. November 1799, der General Napoleon Bonaparte als nunmehr Ersten Konsul zum allmächtigen Oberhaupt der französischen Republik machte, in Kraft. Am 16. Februar 1800 löste ein Gesetz dann die Zentralverwaltungen auf. An die Spitze der Departements traten nunmehr die Präfekten. Die Departements wurden in Bezirke (›Sous-préfectures‹) aufgeteilt, denen die Unterpräfekten vorstanden. Das Gebiet der früheren Grafschaft Dalhem gehörte nun teilweise zur Unterpräfektur Lüttich (Kantone Dalhem und Herve) und zur Unterpräfektur Malmedy (Kanton Aubel mit Teilen des aufgehobenen Kantons Walhorn). Zu letzterer gehörten auch die Kantone Eupen (mit dem größten Teil des aufgehobenen Kantons Walhorn) und Limburg. Im Roerdepartement gehörten Burtscheid und Monschau jetzt zur Unterpräfektur Aachen.

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Die Kantone blieben als Gerichts-, Steuer- und Konskriptionsbezirke bestehen, verfügten jedoch nicht mehr über eine eigene Verwaltung. Unterste Verwaltungsebene war jetzt die aus mehreren kleinen oder einer größeren Ortschaft gebildete ›Mairie‹. Nach wie vor unterstanden die vier rheinischen Departements der Oberaufsicht eines Regierungskommissars, der sich jetzt Generalregierungskommissar nennen durfte. Eine neue Phase in den Beziehungen zwischen dem Rheinland und Frankreich eröffnete der am 9. Februar 1801 zwischen der Französischen Republik, Österreich und dem Deutschen Reich geschlossene Frieden von Lunéville. Nach den Siegen Napoleons und Moreaus über die Österreicher in Norditalien und Süddeutschland willigte Kaiser Franz II. in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und die Entfestigung des rechten Rheinufers ein. Die links des Stromes enteigneten Fürsten sollten durch säkularisiertes Kirchengut entschädigt werden. Am darauffolgenden 9. März beschlossen die gesetzgebenden Körperschaften in Paris in aller Form die Vereinigung der Rheinlande mit der Französischen Republik. Fünfeinhalb Jahre nach ihren ‚belgischen’ Nachbarn wurden auch die Rheinländer französische Staatsbürger. Die schon im Ançien Régime und trotz der territorialen Zersplitterung geknüpften Wirtschaftsbeziehungen zwischen Verviers, Eupen, Vaals, Aachen, Burtscheid und Monschau, die der Krieg zwischen 1792 und 1795 vorübergehend lahmgelegt hatte, waren ab 1796 rasch wieder belebt worden. Sie traten nun in eine neue Phase. Für den gesamten Raum zwischen Maas und Rhein galten jetzt die gleichen Arbeitsbedingungen. Die zahlreichen den Handel hemmenden Grenzen waren abgeschafft, die Grundsätze von Freiheit und Gleichheit ebenso wie Französisch als Amtssprache überall durchgesetzt. Doch konnten nicht alle Industriestandorte gleichermaßen aus dieser Situation Nutzen ziehen. Während die Tuchmanufaktur in Verviers, Eupen, Burtscheid und Aachen in einem bis dahin unbekannten Maße aufblühte, wozu insbesondere die Einführung von Maschinen beitrug, vermochte Monschau sich nicht auf der alten Höhe zu halten.

Der Übergang an Preußen Trotz des gescheiterten Russlandfeldzuges und der Bildung einer neuen antifranzösischen Koalition rechnete man in den annektierten Gebieten zwischen Maas und Rhein im Frühjahr 1813 noch nicht mit einem raschen Zusammenbruch des napoleonischen Regimes. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte sich mittlerweile angepasst und verhielt sich Frank36

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reich gegenüber loyal. Allein, die Unzufriedenheit wuchs. Die große Zahl der auf Europas Schlachtfeldern als Soldaten der ›Grande Armée‹ Gefallenen und Verwundeten schmerzte tief. Die kriegsbedingte Anziehung der Steuerschraube wurde nur unwillig ertragen. Die Schlacht von Leipzig am 18. Oktober 1813 leitete die Wende ein. Napoleon lehnte das Friedensangebot der Verbündeten, die Frankreich die ‚natürlichen Grenzen‘, das heißt auch die Rheingrenze, garantierten, ab. Die antifranzösische Koalition ging in die Offensive. Mitte November erschienen die ersten russischen und preußischen Soldaten im Bergischen. Um die Jahreswende 1813-1814 setzten die jetzt am Rhein stehenden alliierten Truppen, unter dem preußischen Feldherrn Blücher, bei Mannheim, Kaub und Koblenz auf das linke Ufer des Flusses über. In Anbetracht des geringen französischen Widerstands drangen sie rasch nach Westen vor und besetzten im Januar 1814 Koblenz, Trier, Bonn, Köln, Aachen und Lüttich. Am 1. Februar zog die alliierte Vorhut in Brüssel ein. Zur Verwaltung der linksrheinischen Gebiete und der ‚belgischen‘ Departements Ourthe, Niedermaas und Wälder (Luxemburg) setzte Preußen die Generalgouvernements Niederrhein (Hauptstadt: Aachen) und Mittelrhein (Hauptstadt: Trier) ein. An die Stelle der französischen Präfekten und Unterpräfekten traten preußische Kommissare und Kreisdirektoren. Die sechs verbleibenden ‚belgischen‘ Departements wurden im Generalgouvernement Belgien zusammengefasst. Nach der Abdankung Napoleons am 6. April 1814 stimmte das wieder von den Bourbonen regierte Frankreich im Pariser Frieden am 30. Mai seiner Beschränkung auf die Grenzen von 1792 zu, was den Verzicht auf die ‚belgischen‘ und linksrheinischen Departements implizierte. Am Tag nach dem Friedensschluss wurde die Verwaltung des Landes zwischen Rhein, Mosel und der französischen Grenze Österreich und Bayern übertragen, während für den nördlichen Teil des Rheinlandes Preußen zuständig blieb. Letzteres fasste die Generalgouvernements für den Nieder- und für den Mittelrhein im Juni in einem einzigen, das seinen Sitz in Aachen hatte, zusammen. Dem neuen Generalgouvernement für den Nieder- und Mittelrhein unterstand, neben den schon erwähnten Gebieten, ebenfalls der auf dem rechten Maasufer gelegene Teil des Samberund Maas-Departements. Die Verwaltung des auf dem linken Maasufer gelegenen Teils des Niedermaasdepartements überließ Preußen Wilhelm I., dem souveränen Fürst der Niederlande. Bei den im Herbst 1814 aufgenommenen Verhandlungen des Wiener Kongresses prallten die Interessen Preußens und des am 20. Juli 1814 in den Londoner Artikeln aus der Taufe gehobenen Königreichs der Nie-

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derlande, das auch ‚Belgien‘ umfasste, rasch aufeinander. Hauptproblem war die Festlegung der gemeinsamen Landesgrenze. Während Preußen die Maas als seine natürliche Westgrenze ins Auge fasste, beabsichtigten die Niederlande ihre Ostgrenze bis zum Rhein und zur Mosel vorzuschieben. Nach langen, zähen Verhandlungen einigten sich beide Staaten schließlich auf einen Grenzverlauf, der dem angestrebten preußisch-niederländischen Machtgleichgewicht am ehesten zu entsprechen schien. Von Venlo im Norden lief diese Linie, im Abstand von rund einer Meile östlich der Maas, nach Süden durch die ehemalige Herrschaft Rolduc, das ehemalige Herzogtum Limburg und die ehemalige Fürstabtei Stavelot-Malmedy bis in den Norden des früheren Herzogtums Luxemburg. Preußen erhielt somit das gesamte linke Rheinufer sowie vom Niedermaasdepartement Teile der Kantone Rolduc und Niederkrüchten, vom Ourthedepartement einen kleinen Teil des Kantons Aubel, die Kantone Eupen, Malmedy, St. Vith, Schleiden und Kronenburg und vom Wälderdepartement den Kanton Bitburg. Der größte Teil des Wälderdepartements wurde als ›Großherzogtum Luxemburg‹ ein eigener Staat, der jedoch mit dem Königreich der Niederlande in Personalunion verbunden blieb. Noch vor Verabschiedung der Schlussakte des Wiener Kongresses ergriff der König von Preußen am 5. April 1815 von seinen neuen Ländern Besitz und schon am 30. April erfolgte deren Einteilung in die Provinz Jülich-Kleve-Berg – mit der Hauptstadt Köln und den Regierungsbezirken Köln, Düsseldorf und Kleve – sowie der Provinz Großherzogtum Niederrhein – mit der Hauptstadt Koblenz und den Regierungsbezirken Koblenz, Trier und Aachen. Nach entsprechenden Vorbereitungen traten die Mitglieder der sechs rheinischen Regierungen am 22. April 1816 ihr Amt an. Der für den Beobachtungsgebiet besonders relevante Regierungsbezirk Aachen war in einen Stadtkreis (Aachen) und zwölf Landkreise – darunter Eupen und Monschau mit respektive 17.292 und 17.312 Einwohnern – unterteilt. Die Verwaltungsordnung vom 30. April 1815 stellte jedem Kreis einen Landrat vor. Erster Landrat des Kreises Eupen wurde Bernhard von Scheibler, Sohn des Tuchfabrikanten Bernhard Georg Scheibler aus Monschau. Den Kreis Monschau übertrug man Bernhard Böcking, der bei Bernhard Georg Scheibler in die Lehre gegangen und sein Schwiegersohn geworden war. Die Einrichtung der Landratsämter machte die 1814 geschaffenen Gouvernementskommissariate und Kreisdirektionen überflüssig. Die am 6. Juli 1815 für die Kantone Eupen, Kronenburg, Malmedy, St. Vith und Schleiden sowie den nicht an die Niederlande gekommenen Teil des Kantons Aubel geschaffene Kreisdirektion mit Sitz in Malmdy wurde demnach am 1. Mai 1816 aufgehoben. Auf niederländischer Seite waren

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die vor 1795 zur österreichischen Provinz Limburg, zum Hochstift Lüttich und zur Fürstabtei Stavelot-Malmedy gehörenden Gebiete größtenteils der Provinz Lüttich zugeteilt worden. Der nördlichste Teil der alten Provinz Limburg kam hingegen an die neue niederländische Provinz gleichen Namens. Verviers, das bis zum Juli 1815 Sitz einer vom Aubeler Bürgermeister Nicolai geleiteten Kreisdirektion gewesen war, wurde nun Hauptstadt eines Bezirks in der Provinz Lüttich. Der in der Wiener Schlussakte vom 9. Juni 1815 nur sehr allgemein beschriebene Grenzverlauf zwischen den Niederlanden und Preußen blieb über ein Jahr lang Gegenstand mühsamer Verhandlungen. Erst am 26. Juni 1816 einigten sich beide Länder im Aachener Grenzvertrag auf seine endgültige Festlegung. Dies zog eine Reihe größerer und kleinerer Korrekturen nach sich. So konnte Preußen durchsetzen, dass ihm der uneingeschränkte Besitz der Straßen Aachen-Eupen (über Weisshaus) und Aachen-Rolduc-Geilenkirchen, samt der Anrainerorte, zugesprochen wurde. Dafür erhielten die Niederlande mehrere Ortschaften an der Westgrenze des ehemaligen Kantons St. Vith und der Maas, den größten Teil des Hertogenwaldes südlich von Eupen sowie die Kohlegruben westlich von Rolduc. Bezüglich des südwestlich von Aachen gelegenen Dorfes Moresnet konnte eine völlige Einigung allerdings nicht erzielt werden. Das umstrittene Gebiet war seit dem Mittelalter als ergiebige Erzlagerstätte bekannt und nach wie vor von kriegswirtschaftlicher Bedeutung. Preußen und die Niederlande kamen schließlich überein, ›Neutral-Moresnet‹, wie das Grubenareal jetzt genannt wurde, vorläufig gemeinsam zu verwalten und von einer militärischen Besetzung desselben abzusehen. Die Bevölkerung von Neutral-Moresnet sollte zunächst sowohl der preußischen als auch der niederländischen Krone unterstehen, was ihr im Endeffekt völlige Militärfreiheit, weitgehende Zoll- und Steuerbefreiung sowie eine nahezu uneingeschränkte Verwaltungsautonomie bescherte. Da Preußen und die Niederlande (bzw. nach 1830 Belgien) sich auch später nie über das Schicksal von Neutral-Moresnet einig werden konnten, sollte dieses völkerrechtliche Kuriosum bis 1920 Bestand haben. Die niederländisch-preußische Grenze nahm weder auf in Jahrhunderten gewachsene territoriale Zusammenhänge noch auf sprachliche Gegebenheiten Rücksicht. Eine Willensäußerung der Bevölkerung war ebenfalls nicht herbeigeführt worden. Im Bereich der ehemaligen österreichischen Provinz Limburg wäre man am liebsten zur Situation des Ançien Régime zurückgekehrt. Deshalb war im Frühjahr 1814 eine Abordnung Limburger Adliger nach Paris gereist, um den österreichischen Kaiser zu bitten,

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wieder die Herrschaft über seine westlichsten Besitzungen anzutreten. Ähnliche Erwartungen hatte man lange Zeit in Luxemburg gehegt. Insgesamt brachte auch das Rheinland den neuen Herrn keine großen Sympathien entgegen. Entsprechend langsam lebte sich die Bevölkerung in die veränderten Verhältnisse ein. Allein aus der in französischer Zeit in den Rang einer Stadt erhobenen Ortschaft Eupen wanderten bis zum März 1821 über 200 Personen in das Königreich der Niederlande aus. Neben politischen Beweggründen war für diesen Schritt sicher auch die angespannte Wirtschaftslage ausschlaggebend. Der Übergang Eupens an das Königreich Preußen war für die Tuchherstellung in der Tat sehr nachteilig gewesen. Die französische Regierung hatte sofort die Einfuhr Eupener Wolltuche verboten und den Abbau der von den Eupener Fabrikanten in Frankreich errichteten Lager angeordnet. Die seit zwanzig Jahren fast gänzlich unterbrochenen Geschäftsverbindungen Eupens mit dem deutschen Raum mussten mühsam wieder in Gang gebracht werden. Es sollte bis 1826 dauern, ehe die Eupener Gemeindechronik erstmals wieder von einer „leichten Besserung“ der „Geschäfte“ berichten konnte.

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UND

ZÜNFTIGE HANDWERKSWIRTSCHAFT, PROTOINDUSTRIELLER ARBEITSMARKT DER WEG ZUR FABRIK IN DER TUCHREGION ZWISCHEN AACHEN UND VERVIERS MARTIN SCHMIDT

„Mein Vater war selbst um die besten Tücher und Zeuge bemüht, […]; wie ich mich denn noch recht wohl erinnere, daß er die Herren Löwenich von Aachen jederzeit besuchte, und mich von meiner frühsten Jugend an mit diesen und anderen vorzüglichen Handelsherren bekannt machte. Für die Tüchtigkeit des Zeugs war also gesorgt und genugsamer Vorrat verschiedner Sorten Tücher […] nicht weniger das nötige Unterfutter vorhanden, so dass wir, dem Stoff nach, uns hätten dürfen sehen lassen; aber die Form verdarb meist alles: denn wenn ein solcher Hausschneider allenfalls ein guter Geselle gewesen wäre, um einen meisterhaft zugeschnittenen Rock wohl zu nähen und zu fertigen, so sollte er nun auch das Kleid selbst zuschneiden, und dies geriet nicht immer zum besten.“1

Mit diesen Worten beschrieb Johann Wolfgang von Goethe in ›Dichtung und Wahrheit‹ die Probleme mit seiner Bekleidung im Herbst 1765, als er in Leipzig sein Jurastudium aufnahm. Seine Freundinnen hatten ihn „erst durch leichte Neckereien, dann durch vernünftige Vorstellungen“ zu verstehen gegeben, dass er aussähe, wie „aus einer fremden Welt herein geschneit.“ Und das lag am Schneider, wie Goethe vermerkte, und nicht etwa an dem Tuch, das sein Vater von der Tuchmanufaktur des ›Isaac v. Loevenich & Comp.‹ aus Burtscheid bei Aachen bezog. Wie sollte es auch, schließlich war jener Fabrikant in ganz Europa für seine ausgezeichneten Produkte berühmt. Und nicht nur er, sondern viele Tuchfabrikanten aus der Region zwischen Verviers und Monschau wurden ebenso von Mode bewussten Damen und Herren des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts geschätzt.

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J. W. v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Bd. 5), Frankfurt a.M. 1998, S. 225-226; die Vorarbeiten zu dem Buch begannen im Oktober 1809. 41

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Was war das Geheimnis der zwischen Verviers und Monschau produzierenden Tuchfabrikanten? Warum waren sie so erfolgreich? 2 Zwischen der ›Hohen Eifel‹ im Süden, dem ›Limburger Land‹ im Westen, den kleinen Festungsstädten Jülich und Düren im Osten und der Agrarlandschaft des Niederrheins im Norden bot eine Anzahl günstiger Faktoren beste Voraussetzungen für die erfolgreiche Entwicklung exportorientierter Industrien.3 Neben der dominierenden Textilindustrie entwickelten sich metallverarbeitende Industriezweige (Produktion und Verarbeitung von Messing und Eisen, Nadelherstellung) und der Bergbau (Steinkohle, Braunkohle, Galmei und Blei).4 Die Textilindustrie in dieser Region produzierte vorrangig aus importierter Wolle, die im wesentlichen über Rohstoffhändler in Amsterdam gehandelt wurde, qualitativ hochwertige Tuche für den internationalen Markt. Alle ›Feinen Tuche‹ der Region waren, so eine zeitgenössische Beschreibung, „weich an Wolle, fest an Gewand, sauber an Faden und fein dicht geschlagen.“5 Unter Bezeichnungen wie ›drap de sérail‹

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Goethe, Dichtung und Wahrheit, S. 226. S. Pollard, Einleitung, in: ders. (Hg.), Region und Industrialisierung. Studien zur Rolle der Region in der Wirtschaftsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 42), Göttingen 1980, S. 11-21; zur Rolle der Zwischenhändler u.a. D. Ebeling, J. G. Nagel, Frühindustrialisierung zwischen Rhein und Maas. Überlegungen zu einer neuen Wirtschaftskarte der nördlichen Rheinlande um 1812, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 175-204. Zur Nadelindustrie vgl. J. Koch, Geschichte der Aachener Nähnadelzunft und Nähnadelindustrie bis zur Aufhebung der Zünfte in der französischen Zeit (1798), in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 41 (1920), S. 16-122, und H. Agaard, Die deutsche Nähnadelherstellung im 18. Jahrhundert, Darstellung und Analyse ihrer Technologie, Produktionsorganisation und Arbeitskräftestruktur, Altena 1987, insb. S. 197-201, S. 256-259; zum Bergbau siehe J. Wiesemann, Steinkohlenbergbau in den Territorien um Aachen 1334-1794 (= Aachener Studien zur älteren Energiegeschichte 3), Aachen 1995; zur Messingindustrie J. G. Nagel, Standortkonkurrenz und regionaler Arbeitsmarkt. Der frühindustrielle Gewerbestandort Stolberg zwischen Ançien-Régime und freiem Markt, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit – Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 165-196. P. J. Marperger, Beschreibung des Tuchmacher-Handwerks und der aus grob und fein sortierter Wolle verfertigter Tücher, Leipzig 1723, S. 8. Vgl. zu Qualitätskriterien auch J. G. H. von Justi, Vollständige Abhandlung von den Manufakturen und Fabriken. Zweyter Teil, welcher alle einzelnen Ma42

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oder ›drap de mahouts‹ exportierten Unternehmer Tuche in die Levante. Daneben wurden so genannte ›espangnols‹ und schwere ›Berry-Tuche‹ vermarktet, die vor allem in Russland ihren Absatzmarkt fanden. Gemusterte Stoffe, wie sie insbesondere in Monschau hergestellt wurden, verkauften sich in ganz Europa und gingen über Venedig, Genua und Neapel in den Mittelmeerraum.6 Einzelne Unternehmen wie ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ (Monschau), ›Isaac v. Loevenich & Comp.‹ (Burtscheid) oder ›Johann Arnold v. Clermont‹ (Vaals) gelang sogar der Aufstieg zu Lieferanten europäischer Fürstenhäuser.7 In Eupen sind heute noch die Namen der Fabrikanten ›Grand Ry‹, ›Rehrmann‹ oder ›Sternnickel‹ präsent. In Verviers haben die Familie ›Peltzer‹ und ›Simonis‹ ihre Spuren hinterlassen.8. Vielleicht waren unter diesen ›Fabriquen‹ und Handelsherren auch jene, die der junge Goethe durch seinen Vater kennen lernte. Abb. 1: Tuchmanufaktur in Eupen von Renier Grand Ry; erbaut 1757, im Jahr 1769 verkauft an Jacob Breuls

Wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Ware noch überwiegend über Messen, besonders über die in Leipzig, Braunschweig und vor allem über Frankfurt – wo Goethe seine Jugend verbrachte – , abgesetzt, bestimmte

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nufakturen und Fabriken nach Eintheilung ihrer Materialien abhandelt, Koppenhagen 1761, S. 28-29, der die Haltung Marpergers bestätigt. A. J. Dorsch, Statistique du Departement de la Roer, Köln 1804, S. 397f. Mit Produkten der regionalen Tuchindustrie wurden die Höfe in Paris und Rom (von v. Loevenich) sowie in Wien (von Scheibler) beliefert, vgl. u.a. W. Scheibler, Geschichte und Schicksalsweg einer Firma in 6 Generationen 1724-1937, Aachen 1937, S. 60, u. B. v. Loevenigh, Kaleidoskop, oder Vermischte Gedichte, Aachen Leipzig 1841. Die hier aufgeführte Liste ließe sich beliebig verlängern. Genannt sind lediglich die großen Tuchfabrikanten, die im internationalen Wettbewerb des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auf sich aufmerksam machten und deren Produktionsstätten noch heute die Ortsansichten von Eupen, Verviers oder Monschau prägen. 43

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spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Handel über Kontore und ein System von Zwischenhändlern (›Faktoren‹) den Verkauf. Doch die Aachener Tuchproduktion war nicht ohne Konkurrenz. 1804 schrieb beispielsweise der französische Chronist A.J. Dorsch über die Wettbewerbsfähigkeit der Tuchproduktion in der Aachener Region: „Les draps faits dans le département, se distinguent par un parfait dégraissement, par un bel apprêt, par des couleurs vives et brillantes, sur-tout en rouge et en bleu; de sorte qu’ils peuvent être comparés avec ceux de Leeds et Salisbury, d’Ebœuf de Louviers, de Sedan et d’Abbeville. […] Les draps fins qui se fabriquent à Aix, Borcette, Montjoie, Imgenbruch, Stolberg, vont de pair avec les 9 plus fins de l’intérieur et d’Angleterre.”

Die Entwicklung der kleineren Standorte, die Dorsch neben der alten Handels- und Gewerbemetropole Aachen nennt, zu neuen Zentren der Tuchproduktion war das entscheidende Merkmale der Region im 17. und 18. Jahrhundert. Verviers, das bei Dorsch nicht genannt wird, muss ebenfalls als Konkurrentin der bis 1798 zünftig geprägten Handelsmetropole Aachen betrachtet werden.10 Alle Orte waren Teil des nordwesteuropäischen Tuchgürtels, der sich von Nordfrankreich bis an den Niederrhein und in das Bergische Land erstreckte.11 Jedes der genannten Produktions9

Zitat aus Dorsch, Statistique, S. 397, Übersetzung durch D. Ebeling für die Ausstellung ›Damals in Europa‹ des SFB 235: „Die im Departement hergestellten Tuche zeichnen sich durch eine vollständige Reinheit, eine schöne Appretur, lebhafte und leuchtende Farben, vor allem in Blau und Rot, aus; so können sie denjenigen aus Leeds, Sailsbury, Elbeuf, Louviers, Sedan und Abbeville gleichgestellt werden. […] Die in Aachen, Burtscheid, Monschau, Imgenbroich und Stolberg hergestellten Feintuche stehen auf gleichem Niveau mit den feinsten inländischen [gemeint waren die Erzeugnisse aus dem Kernstaat Frankreich ohne die annektierten Gebiete, M.S.] und englischen Tuchen.“ 10 Grundlegend zur Rolle Aachens H. Kisch, Das Erbe des Mittelalters, ein Hemmnis wirtschaftlicher Entwicklung: das Tuchgewerbe im Aachener Raum vor 1790, in: ders., Die hausindustriellen Textilgewerbe am Niederrhein vor der industriellen Revolution, Göttingen 1981, S. 258-316, hier S. 258-366; K. Müller, Aachen im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons. Umbruch und Kontinuität, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 97 (1991), S. 293-331; ders., Die Reichsstadt Aachen im 18.Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/ 93) Teil II, S. 205-230. 11 Auswahl: zu Monschau: E. Barkhausen, Die Tuchindustrie in Montjoie, ihr Aufstieg und Niedergang, Aachen 1925, zu Eupen: M. Henkel, Taglohn, Tradition und Revolution. Ein Tarifvertrag aus dem Jahre 1790, in: Inter44

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zentren wies aus regionaler Perspektive Besonderheiten auf, die es deutlich von den anderen unterschied. Doch trotz der Eigenheiten in Bezug auf die Lage, die Ressourcenausstattung (vor allem Wasser), den Zugang zum ländlichen Arbeitskräftepotential oder die Verkehrsanbindung überwogen Gemeinsamkeiten. Die Faktoren, welche die Ausbildung des regionalen Systems der Aachener Tuchregion im 17. und 18. Jahrhundert positiv stimulierten, waren vor allem die naturräumliche Ausstattung, die staatlichen Rahmenbedingungen, das regionale Arbeitskräftepotential und ein Unternehmertum, das diese Bedingungen auszunutzen verstand. Zunächst sind die naturräumlichen Determinanten hervorzuheben. Diese bestanden im wesentlichen aus der guten Ausstattung mit Brennstoffvorkommen (Holz, Kohle, Torf), dem Wasserreichtum und dem insgesamt günstigen Klima. Eine große Zahl stets schnell fließender Flüsse und Bäche durchzog die Region. Ihr Wasser wies für die Belange der Textilproduktion eine äußerst günstige Qualität auf. Wasser wurde für die Wollbereitung, das Färben von Wolle oder Tuchen, den Antrieb von Walkmühlen und für die Appretur des Tuches benötigt.12 In Burtscheid wie in Aachen boten heiße Quellen weitere Vorteile für die Textilindustrie.13 In beiden Städten wurden die Abbauprodukte der nahen Kohlegruben in der Wollwäsche und -färberei genutzt.14 An Stelle der Gries- bzw. Steinkohle verfeuerte man insbesondere in Monschau, Imgenbroich und nationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1 (1989), S. 42-66, u. L. Hermanns, Die Anfänge der Feintuchmanufaktur in Eupen, in: Geschichtliches Eupen, XV (1981), S. 163-169, zu Verviers: P. Lebrun, L’industrie de la laine a Verviers pendant le XVIIIe et le debut du XIXe siecle, Lüttich 1948. 12 Zur Rolle des Wasser in der Region siehe L. Freiin von Coels von der Brügghen, Die Bäche und Mühlen im Aachener Reich und im Gebiet der Reichsabtei Burtscheid, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 70 (1958), S. 5-123. Speziell zu Aachen siehe M. Minkenberg, Der Aachener ›Reichsstrom‹. Wasserrecht und Wassernutzung in den Beziehungen zwischen der Reichsstadt und dem Marienstift im Hoch- und Spätmittelalter (Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Bd. 854), Frankfurt a.M. 1999. 13 Fast wehmütig hebt der Tuchfabrikant Johann Georg Scheibler diesen Standortvorteil hervor, ders.: Gründliche und praktische Anweisung feine wollene Tücher zu fabriciren. Ein belehrendes Handbuch für Tuchfabrikanten, Tuchkaufleute und für die, die sich insgesamt, oder mit einzelnen Zweigen der Tuchmanufaktur beschäftigen. Auch für diejenigen, die sich von dieser wichtigen Fabrikation einige nähere Ansichten und Kenntnisse erwerben wollen, Breslau/Leipzig 1806, S. 51. 14 Zur Verfügung stand die Kohle aus dem Inde- und dem Wurmrevier. 45

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Eupen Torf; zudem standen auch Holz und Holzkohle als Brennmaterial in großem Umfang zur Verfügung.15 Die Region profitierte von einem bestehenden und für die Verhältnisse der Zeit gut ausgebauten Verkehrssystem.16 Diese Infrastruktur ermöglichte eine relativ schnelle und effektive Kommunikation sowohl innerhalb der Region als auch mit dem weiteren Umland und den internationalen Märkten. Sie brachte sowohl Vorteile für den Transport von Rohmaterialien, Halbfertig- und Fertigprodukten als auch für die Verbindung zwischen den Arbeitsmärkten. Mehrfach setzten die lokalen Unternehmer bei ihren Regierungen den weiteren Ausbau des Transportnetzwerkes durch, um die Anbindungen an überregionale Verkehrsknotenpunkte wie etwa Köln zu verbessern.17 Die territoriale Zersplitterung der Rheinlande im Ançien Régime schuf eine für die Wirtschaft günstige Ausgangslage.18 Das von der politischen und ökonomischen Situation erzwungene ›laissez faire‹ erlaubte es den Unternehmern, vergleichsweise frei und in direkter Konkurrenz zu15 Für die naturräumliche Ausstattung der Region nach wie vor wichtig, M. Hammer, Geographische Betrachtung des Wollgewerbes am Rande des Hohen Venns (= Aachener Beiträge zur Heimatkunde, 19), Aachen 1937. 16 M. Kranzhoff, Aachen als Mittelpunkt bedeutender Straßenzüge zwischen Rhein, Maas und Mosel in Mittelalter und Neuzeit, Aachen 1930; D. Ebeling, Zur Rolle des Verkehrs in den Rheinlanden in der Frühindustrialisierung, ca. 1750-1850, in: J.C.G.M. Jansen (Hg.), Wirtschaftliche Verflechtungen in Grenzräumen im industriellen Zeitalter, 1750-1850, Leeuwarden/Mechelen 1996, S. 69-88. 17 So erreichten Monschauer Unternehmer bei Kurfürst Karl Theodor, dass die Straße Düren–Monschau ausgebaut wurde, um Köln für Monschauer Waren besser erreichbar zu machen. Siehe M. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen. Frühneuzeitliche Werkbauten als Spiegel einer Betriebsform zwischen Verlag und zentralisierter Produktion, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit – Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 129-164, hier S. 138. 18 Dieser Ansicht waren bereits zeitgenössische Beobachter, vgl. u.a. G. Forster, Ansichten vom Niederrhein (= Werke, Bd. 9), Berlin 1958, S. 102; Forschungsmeinungen u.a. bei Kisch, Die hausindustriellen Textilgewerbe, S. 32-33; M. Barkhausen, Der Aufstieg der rheinischen Industrie im 18. Jahrhundert und die Entstehung eines industriellen Großbürgertums, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 19 (1954), S. 135-177, hier S. 141-142 u. S. 147; E. Mohrmann, Studie zu den ersten organisatorischen Bestrebungen der Bourgeoisie in einigen Städten des Rheinlandes, in: Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Bd. 10), Berlin 1962, S. 189-249, insb. S. 203-204. 46

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einander ihre Aktivitäten zu entfalten.19 In keinem der Manufakturorte der Region hatte ein Unternehmer ein Monopol auf die Wolltuchproduktion im Allgemeinen oder die Herstellung bestimmter Tuchsorten im Speziellen durchsetzen können.20 Abgesehen von der Reichsstadt Aachen bestanden in den Territorien der Region wie der Reichsabtei Burtscheid oder den Jülicher Ämtern Monschau und Stolberg im 18. Jahrhundert weder Zünfte noch vergleichbare staatliche Restriktionen. Die Unternehmer sahen sich zudem in die günstige Position versetzt, die bestehenden administrativen Grenzen, die längst für die Mobilität von Waren und Arbeitern keine Barrieren mehr darstellten, für ihre Strategien zu nutzen.21 Das Währungsgefälle zwischen verschiedenen Herrschaftsgebieten ließ sich beispielsweise nutzen, um durch geschickte Berechnungen die Lohnkosten zu senken.22 Und die Drohung, den Unternehmensstandort in ein Nachbarterritorium zu verlegen, stärkte die Verhandlungsposition der Unternehmer gegenüber der Regierung während Auseinandersetzungen, die im Zweifel immer zu Gunsten und im Sinne der Unternehmer entschieden wurden.23 Im Konflikt mit den Monschauer Webern beispielsweise, die eine Verarbeitung der Wolle im eigenen Land – das heißt in den 19 J. Kermann, Die Manufakturen im Rheinland 1750-1833, Bonn 1973, S. 75; Kisch, Das Erbe, S. 293. 20 Darin unterscheidet sich die Aachener Tuchregion von anderen Textilregionen im Rheinland. Im Krefelder Seidengewerbe beispielsweise konnten die v.d. Leyen ein entsprechendes Privileg durchsetzen (vgl. P. Kriedte, „Denen Holändern nach und nach […] abgelernt und abgejagt“. Der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes im 18. Jahrhundert, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit – Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 86-104). 21 Wurde die Freizügigkeit von Waren oder Arbeitern angegriffen, bemühten sich Unternehmer umgehend um eine Lösung des Problems. Die Monschauer Unternehmer erreichten eine Privilegierung dieser für sie überlebenswichtigen Rechte z.B. im so genannten ›Düsseldorfer Mandat‹ (1775), das im Grunde nur den bestehenden Zustand sanktionierte. Vgl. Barkhausen, Tuchindustrie, S. 109-111, der auch das ›Düsseldorfer Mandat‹ abdruckt. 22 Henkel, Taglohn, S. 42-66. 23 So erklärte 1769 die Monschauer ›Feine Gewandschaft‹, der Zusammenschluss der bedeutendsten protestantischen Tuchfabrikanten, dass das von örtlichen Produzenten geforderte Verbot, im benachbarten Limburg spinnen und weben zu lassen, „eben so gut wäre als die fabricanten zum land hinaus [zu] treiben“ (zitiert nach H. C. Scheibler, K. Wülfrath, Die „Feine Gewandschaft“ in Monschau, in: Westdeutsche Ahnentafel, 1, (1939), S. 315399, hier bes. S. 370). Bereits 1764 hatte Johann Heinrich Scheibler im Konflikt mit den Scherern gedroht, seinen Betrieb zu verlegen (siehe Barkhausen, Tuchindustrie, S. 94). 47

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Grenzen des Herzogtums Jülich – forderten, wurde von der Regierung die Freizügigkeit von Waren zwischen dem ›Limburger Land‹ und dem Eifelort im so genannten ›Düsseldorfer Mandat‹ festgeschrieben.24 Die Äbtissin der freien und reichsunmittelbaren Abtei Burtscheid unterstützte die Industrie auf ihrem Territorium, indem sie ihr Privilegien zur Nutzung von Bauholz aus ihren Wäldern erteilte und die prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt durch den Bau von Mietshäusern entlastete.25 Die staatlichen Unterstützungen erschöpften sich jedoch nicht allein in solchen administrativen Maßnahmen. Wie der Fall des Herzogtums Jülich zeigt, war die Düsseldorfer Regierung auch bereit militärisch einzugreifen, als die wiederholten Konflikte zwischen den Unternehmen und den Scherern in Monschau ihren Höhepunkt erreichten.26 Neben der politischen Aufteilung der Region war die wirtschaftliche Gliederung der Rheinlande für das Wachstum der Tuchindustrie förderlich. Die Historiker Adelmann und Pfister erwähnen in diesem Zusammenhang, dass die Nähe zu agrarisch geprägten Landschaften zur Versorgung der Bevölkerung eine notwendige Prämisse für die Entwicklung von gewerblich bestimmten Regionen gewesen sei. In diesem Sinne profitierte die Aachener Region vor allem von der Getreideüberschusszone im Jülicher Raum.27 Aufbauend auf den Chancen eines sich verändernden Absatzmarktes, der vor allem durch den Kleiderluxus des Barock und Rokoko stimuliert wurde, nutzte in den erwähnten Standorten eine dynamische Unternehmerschicht die günstigen Rahmenbedingungen, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Tuche höchster Qualität anbieten zu können. Sie entwickelten im Verlauf von fast 200 Jahren das Betriebssystem der ›Dezentralen Manufaktur‹, welches im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts seine größte Ausdehnung erreichte und erst nach und nach durch die Fab24 Siehe Anm. 21. 25 E. Ph. Arnold, Das Altaachener Wohnhaus, (= Aachener Beiträge für Baugeschichte und Heimatkunst, 2), Aachen 1930, S. 153-154; J. Liese, Das klassische Aachen, 1: Johann Arnold von Clermont (= Aachener Beiträge zur Heimatkunde 17), Aachen 1936., S. 172; M. Schmidt, Burtscheid. Eine Tuchmanufakturstadt um 1812 (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/8), Köln 1997, 37-41. 26 Zu den Ursachen und dem Hergang der Konflikte vgl. u.a. Barkhausen, Tuchindustrie, S. 80-112. 27 G. Adelmann, Die ländlichen Textilgewerbe des Rheinlandes vor der Industrialisierung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 260-288, hier, S. 270; U. Pfister, Protoindustrie und Landwirtschaft, in: D. Ebeling, W. Mager (Hg.), Protoindustrie in der Region, Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 57-84; Kisch, Die hausindustriellen Textilgewerbe, S. 42, S. 46. 48

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rik verdrängt wurde.28 Führende Unternehmen errichteten die zentralen Betriebskerne mit entsprechenden Werkbauten für die qualitätssichernden Produktionsabschnitte – Wollbereitung, Kontrolle der Halbfertigprodukte, Walkerei und Schererei – in den neuen Zentren wie Burtscheid, Monschau, Stolberg und Vaals, aber auch in Eupen und Verviers. Das Arbeitskräftepotential für die arbeitsintensive Spinnerei und Weberei blieb jedoch bis zur Maschinisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitgehend dezentral organisiert. Dies bedeutet, dass Unternehmer auf Arbeitskräfte im agrarisch geprägten Umland zurückgriffen. Die Anzahl der in das dezentrale System eingebundenen Personen war beachtlich. Bereits in den 1760er Jahren behauptete der Monschauer Tuchfabrikant Johann Heinrich Scheibler in einem Brief an die Düsseldorfer Regierung: „Ich Joh. Heinr. Scheibler der ältere ernähre alleinig von meiner Fabrique be29 ständig mehr als 4000 Menschen.“

Der Ort Monschau selbst hatte damals etwa 2.500 Einwohner. Diese Aussage kann dennoch als glaubwürdig eingestuft werden, denn Scheibler ließ seine Tuche mit eben diesem Betriebssystem zwischen zentraler und dezentraler Produktion fertigen. Nach einem anderen zeitgenössischen Bericht beschäftigten allein die Burtscheider Tuchfabrikanten im Jahr 1807 rund 7.000 Arbeitskräfte. Auch diese Zahl übertraf die Bevölkerungszahl in Burtscheid um fast das Doppelte (4.500 Einwohner).30 Die dezentrale Organisation der arbeitsintensiven Produktionsabschnitte brachte eine Reihe von Vorteilen, unter anderem die flexible Beschäftigung von Arbeitskräften entsprechend der Konjunkturentwicklung.

28 Bereits J. Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte –Krisen in der Proto-Industrialisierung, in: P. Kriedte, H. Medick, ders. (Hg.), Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 53), Göttingen 1977, S. 194-257, hier S. 256, macht darauf aufmerksam, dass erst ein Massenmarkt das Eindringen von Kapital in die Produktionssphäre ermöglichte. 29 P. Schoenen, Das Rote Haus in Monschau, Köln 1968, S. 31 u. S. 127, dort Anm. 26.; Barkhausen, Tuchindustrie, S. 42. 30 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Roer-Departement, 2593 I, 143. In den französischen Quellen beschreibt der Begriff ›ouvrier‹ Arbeiter innerhalb eines industriellen Systems ohne weitere Spezifikationen. 49

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Abb. 2: Hof bei Goé im ›Limburger Land‹, einer wichtigen Subregion für das ländliche Arbeitskräftepotential der Tuchindustrie im 18. Jahrhundert

Ziel war es, möglichst viel Kapital in der Handelssphäre zu belassen und nicht in Produktionseinrichtungen zu binden.31 Das damit einhergehende Risiko der Materialunterschlagung durch die auf dem ›Platten Land‹ arbeitenden Spinner und Weber wurde durch die Zwischenschaltung von Subunternehmern minimiert, die sowohl für Materialverluste als auch für die Unterschreitung von Mindestqualitäten hafteten.32 Dies schließt nicht aus, dass auch in den dezentralen Organisationsstrukturen die Ablösung von einzelnen Arbeitseinheiten durch eine rationelle Organisation der Gesamtheit der Heimarbeiter erfolgte. Die dezentral organisierten Arbeiter waren eng mit dem Unternehmen verbunden und ihre Tätigkeit auf dessen Gesamtorganisation bezogen.33 Dies war schon deshalb der Fall, weil die Heimarbeit einer ›Dezentralen Manufaktur‹ längst nicht mehr in haushaltsbasierten Arbeitseinheiten organisiert war, die von der Rohstoffbereitung bis zum fertigen Produkt alle Herstellungsschritte durchführten. Der Manufakturunternehmer war zwischen die Produktionsstufen getreten und stimmte den Bedarf an Arbeitskraft unter der Gesamtheit der von 31 Anonym, Die feine Tuchmanufaktur zu Eupen, Gotha 1796, S. 101, vgl. auch S. 64. 32 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier S. 213, zeigt, dass die Integration von Subunternehmern in ein System, wie dem hier vorgestellten, für den unmittelbaren Produzenten keine Änderung seiner Position ergab. 33 K.-H. Kaufhold, Das Gewerbe in Preußen um 1800 (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2), Göttingen 1978, S. 233. 50

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ihm beschäftigten Arbeiter ab.34 Auf diese Weise konnte auf der einen Seite eine Spezialisierung der dezentral Beschäftigten erreicht werden, welche die Produktivität des Unternehmens steigerte. Auf der anderen Seite ließ sich schneller auf veränderte Marktsituationen reagieren, da der unmittelbare Produzent kein anderes Produkt herstellen musste, sondern lediglich einen Teilschritt innerhalb des Produktionsprozesses zu variieren hatte.35 Als äußerst fruchtbar für die Untersuchung auch der Region Aachen haben sich die bereits 1977 von Jürgen Schlumbohm vorgestellten Modellüberlegungen zu den ›Phasen und Typen der Produktivverhältnisse‹ erwiesen. Schlumbohm konzentriert sich bei diesem Modell auf das Eindringen von Kapital in die Produktionssphäre und erklärt so den Wandel des Produktionssystems und dessen Auswirkungen auf die unmittelbaren Produzenten wie Spinner und Weber, aber auch Facharbeiter.36 Die in Folge des Protoindustrialisierungskonzepts entstandenen Regionalstudien haben gezeigt, dass von einer klaren Abfolge von Betriebsformen, wie sie beispielsweise in den Stufenmodellen des 19. Jahrhunderts angenommen wurden, nicht die Rede sein kann.37 Sinnvoll ergänzt und weiterentwickelt wird dieser Ansatz durch Ulrich Pfisters Wachstumsmodell.38 Zwar stellte Schlumbohm klar, dass die „Stufen, die [von ihm] in der Entwicklung der Produktivverhältnisse während der Protoindustrialisierung unterschieden werden, […] keine notwendige Abfolge in dem Sinne dar[stellen], daß in jedem Falle eine Stufe nach der anderen durchlaufen werden 34 Entsprechende Beschreibungen des Betriebssystems finden sich beispielsweise in der ›schließlichen Äußerung‹ der Monschauer Fabrikanten, abgedruckt bei Scheibler, Wülfrath, Westdeutsche Ahnentafel, S. 368, dort auch folgender Hinweis, der darauf hindeutet, dass den Unternehmern bereits um 1769 bewusst war, wie sehr diese Praxis Kapital band, „[…] dan woll, und garn hat selbigem sein grosses geld gekostet, und mit unfertigem tuch kann er nicht zu markt ziehen, verspieltet also für solcher zeit ertrag wenigst das Interesse seines geldes […].“ 35 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier insb. S. 220, S. 222-224. 36 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier insb. S. 224-225, S. 229-231 u. S. 240-241. 37 Vgl. insb. K. Bücher, Artikel ›Gewerbe‹, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Jena 1927, Bd. 4, S. 966-998. 38 U. Pfister, A general model of Proto-industrial growth, in: R. Leboutte (Hg.), Proto-industrialization, recent research and new perspectives, Genf 1996, S. 73-92; ders., Proto-industrielles Wachstum: ein theoretisches Modell, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Proto-Industrialisierung, Köln 1998. 51

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mußte.“39 Dennoch kann zumindest für die Aachener Tuchregion eine mit Schlumbohms Modell übereinstimmende Entwicklung konstatiert werden: ›Verlag‹, ›Manufaktur‹ und schließlich ›Fabrik‹ bildeten zumindest zu Beginn des 19. Jahrhunderts Teilelemente des Gesamtsystems.40 Der Übergang von der einen Betriebsform zur nächsten war nicht immer scharf abgegrenzt, und „die neue Form übernahm immer wieder Elemente der alten, um sie später mehr oder weniger abzubauen.“41 Dies gilt sowohl für die Einzelbetrachtung von Unternehmen, aber eben auch für das Gesamtsystem in der Region. Allerdings kann zwischen Aachen und Verviers keine gleichmäßige Entwicklung beobachtet werden. Bestimmte Standorte übersprangen Entwicklungsschritte, andere stagnierten.42 Dennoch lassen sich vier Entwicklungsphasen in der Region erkennen, die – wie geschildert – nicht immer gleichzeitig und parallel verliefen, die aber mehr oder weniger deutlich in jedem Zentrum der Tuchindustrie auszumachen sind: (a) In der erste Phase der Entwicklung, die bereits im 16. Jahrhundert begann, griff das in Aachen ansässige Tuchgewerbe auf das Umland aus. Neben der Mobilisierung des ländlichen Arbeitskräftepotentials entstanden mit Monschau und Imgenbroich die ersten neuen Standorte der Tuchindustrie in der Eifel, und mit dem Aufblühen von Burtscheid erwuchs der alten Metropole ein direkter Konkurrent vor ihren Toren. Die aus Aachen stammenden Unternehmer in Eupen profitierten von Privilegien, die sie 1679 und 1680 von ihrem Landesherrn Karl II. von Spanien erhalten hatten und die ihnen unter anderem die Rekrutierung auswärtiger Scherer sehr erleichterte.43

39 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier S. 230. 40 K. Aßmann, Verlag – Manufaktur – Fabrik. Die Entwicklung großbetrieblicher Unternehmensformen im Göttinger Tuchmachergewerbe, in: W. Abel (Hg.), Handwerk/Historiographie in neuer Sicht (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1), Göttingen 1978, S. 211-239, hier S. 235, der sich dabei auf J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin 1964, S. 101, bezieht. 41 Aßmann, Verlag – Manufaktur – Fabrik, hier S. 238-239. 42 Auch dies ist bereits bei Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier S. 230, angedacht. 43 Hermanns, Anfänge der Feintuchmanufaktur, hier S. 167. Bezüglich Sedan siehe: La Manufacture du Dijonval et la Draperie Sedanaise 1650-1850, hg. v. Ministère de la culture, Charlesville 1984; G. Gayot, B. Lassaux, Manufactures et usines dans une citadelle: Sedan (XVIIe-XIXe siècle), in: Revue du Nord 79 (1997), S. 495-514. 52

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(b) In der folgenden Phase bestimmte das unternehmerische Potential, das überall in der Region auf den Grundlagen der ersten Phase entstanden war, die Entwicklung. (c) Dieses aufstrebende Unternehmertum konzentrierte sich in der dritte Phase zunehmend mehr auf die qualitätssichernden Produktionsabschnitte (Wollbereitung und Appretur) und etablierte hierfür entsprechende Werkbauten. In einem Gutachten der ‚Feinen Gewandschaft’, einem Zusammenschluss bedeutender Monschauer Tuchunternehmer um die Familie Scheibler, für ihre Lenneper Kollegen hoben diese einen weiteren wichtigen Aspekt hervor, der immense Auswirkungen auf die Entwicklungen zentraler Betriebskerne hatte, die in vielen Fällen noch bis in das erste Viertel des 19. Jahrhunderts bestanden: „[…] der Fabrikant selbst, indem dieser nach denen besonderen Verhältnissen, worinnen er mit seinen Abnehmern stehet, sich richten, und selbst während der Bereitung, nach der Beschaffenheit der Wolle, Farbe, des Gespinstes, der Webung, Façon und Walke beurtheilen muß, ob die Qualität die bestimmte Bereitung vertragen kann, damit weder durch übermäßige das Tuch verdorben, noch bey zu schlaffer ein gutes Tuch unter demjenigen Grad der Vollkommenheit bleibe, welches bey einer zweckmäßigen Bereitung erreichen können. [...]“44 „[In den] Schererwinkeln, wo unter fortwährender Aufsicht des Meisterknechts gearbeitet wird, [...], ist der Fabrikant im Stande, allstündlich die Arbeit nachzusehen, und nach Befinden dem Meisterknecht aufzugeben, mit der Bereitung einzuhalten oder dabey nachzusetzen.“45

44 Zitiert nach Scheibler, Wülfrath, Westdeutsche Ahnentafel, hier S. 387. Bestätigt wird die Aussage des Selbstzeugnisses von den Monschauer Schererbaasen in ihrem Begleitschreiben (vgl. ebd. S. 390ff.). Ähnliche Argumente finden sich bei J. G. Scheibler, Gründliche und praktische Anweisung feine wollene Tücher zu fabriciren. Ein belehrendes Handbuch für Tuchfabrikanten, Tuchkaufleute und für die, dich sich insgesamt, oder mit einzelnen Zweigen der Tuchmanufaktur beschäftigen, Auch für diejenigen, die sich von dieser wichtigen Fabrikation einige nähere Ansichten und Kenntnisse erwerben wollen, Breslau/Leipzig 1806, und Anonym, Die feine Tuchmanufaktur zu Eupen, Gotha 1796. 45 Zitiert nach Barkhausen, Tuchindustrie, S. 114. Die Hierarchie unter den Scherern in den zentralen Betriebskernen der ›Dezentralen Manufakturen‹ der Region wird darüber hinaus in den Arbeiterlisten von Monschau und Burtscheid deutlich (zu Aachen: Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, franz. Zeit, Nr. 116/117; zu Monschau: Stadtarchiv Monschau, Arbeiterlisten Monschau, 1. Abt. J 90.). 53

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Abb. 3: Die Tuchmanufaktur Peltzer, ihr zentraler Werkbau wurde bereits 1675 am Ufer der Weser in Verviers erbaut

In Verviers ließ beispielsweise der Tuchmacher Pelzer bereits 1675 im ursprünglich ›faubourg d’Espagne‹ genannten Viertel einen zentralen Werkbau errichten. In Eupen war es Martin Rehrmann, der 1724 den Aachener Stadtbaumeister Laurenz Mefferdatis mit einem besonders großen Werkbaukomplex beauftragte. Die ebenfalls in Eupen ansässige Familie Grand Ry folgte 1757 diesem Beispiel. Noch heute prägt der Kern einer ›Dezentralen Manufaktur‹ Monschau. Hier war es Johann Heinrich Scheibler, der sich sein ›Rotes Haus‹ um 1760 – gebaut als Werk-, Handelsund Wohnhaus und damit als Zentrum seines Unternehmens – 90.000 Taler kosten ließ. Im Jahre 1723 bezog der Unternehmer Isaac v. Loevenich ein neues Domizil in der Hauptstraße von Burtscheid, das bis in die 1790er Jahre immer weiter ausgebaut wurde (zerstört im 2. Weltkrieg).46 Gleichzeitig versuchten die Unternehmer, immer neue Arbeitskräftepotentiale für die arbeitsintensive Spinnerei und Weberei zu erschließen. Zudem lässt sich diese dritte Entwicklungsstufe durch den Ausbau sozialer Netzwerke der Unternehmer untereinander – inner- und außerhalb der Region – charakterisieren. (d) Die vierte Phase der Entwicklung prägte der Übergang zur Fabrik, das heißt der zunächst zaghafte und vorsichtige, dann immer schneller und weitergehende Einsatz von Maschinen. Für den Schritt hin zu Fabrikindustrialisierung waren wiederum sowohl veränderte makroökonomische Bedingungen als auch regionale Faktoren ausschlaggebend. Die Mode wurde schlichter, was eine gewisse Standardisierung der Produktpalette mit sich brachte. Anstelle der Tuche mit immer neuen Mustern für aufwendige Roben wurden am Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend einfarbige Kasimiere nachgefragt. Zudem 46 Zu den Manufakturbauten vgl. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen, insb. S. 147-158; darüber hinaus G. Fehl, D. Kaspari, M. Krapols, Umbau statt Abriss! Transformer au lieu de demolir! Ombouwen in plaats von afbreken!, Aachen 1994. 54

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sah sich die Tuchindustrie der wachsenden Konkurrenz billiger Baumwollstoffe gegenüber, die auf dem Textilmarkt zunehmend größere Marktanteile eroberten.47 Die in dieser Branche bereits in den 1770er Jahren begonnene Maschinisierung der Spinnerei übte Druck auf die Wolltuchlieferanten aus, ihre Produkte ebenfalls wirtschaftlicher herzustellen. Doch auch aus der innerregionalen Perspektive betrachtet, stießen die Unternehmer auf Probleme: Sie hatten die erreichbaren ländlichen Arbeitskräftepotentiale sowohl horizontal wie vertikal erschöpfend mobilisiert. Insbesondere für die Spinnerei boten sich kaum mehr Expansionsmöglichkeiten. Schlumbohm begründet die ›extensive Form der Expansion‹ vor der Fabrikindustrialisierung, das heißt die Ausdehnung des in Anspruch genommenen Arbeitskräftepotentials, mit dem Interesse des Kapitals, eine Ausweitung des Produktionsvolumens zur Profitsteigerung zu erreichen. Bei wachsender Nachfrage und stagnierendem Arbeitskräfteangebot blieb dabei nur die zunehmende Beschäftigung von ländlichen Arbeitskräften, schon allein um die Löhne nicht erhöhen zu müssen.48 Doch dieses in der dritten Entwicklungsphase exerzierte Modell geriet in die Krise. In dieser Situation bot die erfolgte Kapitalakkumulation die Chance zur Reaktion. Der Übergang von der ›Dezentralen Manufaktur‹ hin zur ›Fabrik‹ erfolgte dabei nicht abrupt. Der Transitionsprozess des Betriebssystems zu einer immer weiter zentralisierten Produktion gliederte sich in klar unterscheidbare Schritte entsprechend der Produktionsstufen: erst die Spinnerei, dann die Appretur und schließlich die Weberei. Die Maschine war die Rettung. Um 1800 sind erste Ansätze zu ihrem Einsatz zu beobachten. Die französische Regierung bemühte sich, die Wirtschaft zu fördern, indem sie den Schritt hin zur Fabrik forcierte. Allerdings waren diese Anstrengungen nicht unmittelbar von Erfolg gekrönt, wie Philipp Andreas Nemnich im Jahr 1809 festhielt. Seinem Bericht zu Folge hatte nur eine geringe Zahl von Aachener Tuchfabrikanten trotz der staatlichen Förderung Spinnund Rauhmaschinen nach der englischen Art eingeführt.49 Die britischen Lösungen für die Spinnerei, die der aus England stammende ›Mechanicus‹ William Cockerill in die Region mitgebracht hatte und die er für die Verarbeitung von Wolle nutzbar machte, veränderten das Betriebssystem grundlegend. Neben die Handspinnerei trat eine leistungsfähige Maschi47 Siehe Scheiblers Besuch in Cadiz um unmoderne Ware loszuschlagen: Scheibler, Wülfrath, Westdeutsche Ahnentafel, hier S. 315-399. 48 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier S. 207-208, S. 240. 49 Ph. A. Nemnich, Tagebuch einer der Kultur und Industrie gewidmeten Reise, Bd. 1, Tübingen 1809. S. 312. 55

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nenspinnerei. Dass Zeitgenossen und später Historiker den ›Englischen Beitrag‹ an der Mechanisierung besonders hoch eingeschätzt haben, dürfte jedoch an der Omnipräsenz der Familie Cockerill in der Maschinenproduktion nach 1807 gelegen haben. In Bezug auf Spinnmaschinen scheint diese Sicht – bei aller Vorsicht der Interpretation – gerechtfertigt zu sein. Doch war man bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts bemüht – und dies bedeutet lange vor Ankunft Cockerills in Verviers –, insbesondere die aufwendige Wollbereitung zu mechanisieren. In Monschau lassen sich solche Versuche seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verfolgen. Dennoch: Insgesamt fielen die Erfindungen Cockerills und anderer in den Standorten der Tuchindustrie auf fruchtbaren Boden. Bereits 1810 wurde auf der Aachener Gewerbeausstellung die Firma ›Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck & Co.‹ lobend erwähnt, da sie als erste Firma Tuche ausstellte, „die aus Garn hergestellt worden waren, welches auf mechanischem Wege gesponnen war und an Feinheit dem besten Handgespinnst gleich kam.“50 Kraftstühle von einer Qualität, wie man sie zur Produktion von hochfeinen Tuchen benötigt hätte, existierten in diesem Jahrzehnt noch nicht.51 Diese Situation ist in zweierlei Hinsicht zu interpretieren: Zum einen kann angenommen werden, dass man im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit den für die Baumwollindustrie entwickelten Maschinen nicht in der Lage war, die hohe Qualität der von Hand gefertigten wollenen Halbfertigprodukte zu erreichen,52 zumal die nötigen Fachkräfte für den Maschinenbetrieb noch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen. Zum anderen – dies ist die weitergehende Interpretation – ist zu vermuten, dass bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts kein Bedarf für die Unternehmer der Region bestand, die Entwicklung von Maschinen zu

50 Vgl. J. Mangold, Aufstieg und Niedergang der Tuchindustrie in Monschau im 18. Jahrhundert und 19. Jahrhundert, in: Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus Monschau (Hg.), Das Rote Haus in Monschau, Köln 1994, S. 97132; Barkhausen, Tuchindustrie, S. 140. In der Betriebsliste von 1811 lassen sich 26 Arbeiter nachweisen, die an Maschinen gearbeitet haben. Leider ist die Art der Maschinerie nicht festgehalten. Die Aussage von 1810 lässt hier jedoch auf Spinnereiarbeiter schließen. Arbeiterlisten Monschau, Stadtarchiv Monschau, 1. Abt. J 90. 51 U.a. J. Burnett, Idle Hands. The Experience of Unemployment, 1790-1990, London/New York 1994, S. 45; J. de L. Mann, The cloth industry in the west of England from 1640 to 1880, Oxford 1971, S. 188-189. 52 Diese Meinung vertritt z.B. Johann Georg Scheibler, ein Verwandter der gleichnamigen Unternehmerdynastie, der 1804 ein Buch über die Feintuchproduktion verfasste (siehe Anm. 44, dort S. 119). 56

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forcieren, um mit ihrer Hilfe das Produktionssystem vollständig zu wechseln. Am Ende des 18. Jahrhunderts fehlte noch die hinreichende Notwendigkeit, Kapital in Arbeits- und Kraftmaschinen und in Bauten für ihre Unterbringung zu investieren. Eine völlige Umstellung auf den Fabrikbetrieb hätte zudem eine weitreichende Disziplinierung der Arbeiterschaft und eine Reorganisation des Arbeitsablaufs erfordert, der dann dem Rhythmus der Maschine und nicht mehr dem Tempo der manuellen Arbeit hätte folgen müssen. Zudem ließ die schwankende Konjunktur – eine Boomphase zu Beginn der 1790er Jahren, gefolgt von einer Rezession und eine erneute Sonderkonjunktur Anfang des Jahrhunderts – den Nutzten einer fixen Kapitalanlage, deren langfristige Ausnutzung nicht sicher war, fraglich erscheinen. Dies änderte sich um die Jahrhundertwende. Bereits zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts arbeiteten mehrere hundert Menschen in Maschinenspinnereien, deren Zahl sich von knapp 30 im gesamten Arrondissement im Jahre 1811 auf 40 im Jahr 1813 steigerte. Die veränderte Situation führte zu entsprechenden Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt und stellte neue Anforderungen an die Werkbauten. Nachdem Vater und Söhne Cockerill im Jahre 1807 in Lüttich ihre Produktion aufgenommen hatten, konnten sie beispielsweise nicht nur an Bernhard v. Scheibler für den Burgau in Monschau und seine Dependance in Eupen Spinnmaschinen absetzen. Auch Unternehmer aus der Stadt Aachen begannen die neue Technik in ihren Betrieben einzuführen. So zählten sie die Unternehmer Fisenne und van Houten noch im gleichen Jahr zu ihren Kunden.53

53 Th. R. Kraus, Auf dem Weg in die Moderne. Aachen in französischer Zeit 1792/93, 1794-1814. Handbuch-Katalog zur Ausstellung im „Krönungssaal“ des Aachener Rathauses vom 14. Januar bis zum 5. März 1995, Aachen 1994, S. 218; W. Corsten, Die Aachener Wirtschaft im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Von der französischen zur preußischen Herrschaft, Diss. Köln 1925, S. 146; H.-K. Rouette, Aachener Textil-Geschichte(n) im 19. und 20. Jahrhundert, Aachen 1992, S. 58; A. Korr, Die Einführung der Dampfkraft in der Aachener Industrie bis zum Jahre 1831, Diss. (MS) Tübingen 1921, S. 36f.; die Annahme von A. Thun, Die Industrie am Niederrhein und ihre Arbeiter, 1. Teil: Die linksrheinische Textilindustrie (= Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 2, Heft 2), Leipzig 1879, S. 23, in Aachen habe es erst 1821 eine mechanische Spinnerei gegeben, kann als überholt gelten. 57

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Der Chronist Golbery macht die Stimmung in Hinblick auf den Einsatz von Maschinen in der ausgehenden französischen Zeit (1811) deutlich: „Alle Tuchfabrikanten ersehenen die Zeit, wo Spinn- und Webmaschinen, wel54 che die Tuchfabrikation betreffen, bekannter und zugänglicher werden.“

Zwar scheint demnach der Wille zur Einführung von mechanisierten Werkzeugen und von Maschinen sowie die Bereitschaft des für ihren Einsatzes nötigen Wechsel des Betriebssystems um 1810 existiert zu haben, der Veränderungsprozess von der ›Dezentralen Manufaktur‹ zur Fabrik schritt jedoch nur langsam voran. Noch im Jahre 1816 beklagte Kunth in seinem Bericht über seine Inspektionsreise in die neuen Preußischen Provinzen: „Es hat 5 Jahre gedauert, ehe Cockerill und sein Vorbild Verviers durchdringen konnte. Oelmaschinen, Rauhmaschinen mit doppelten Kardenzilinder, Bürstenmaschinen sind nur erst einzeln im Gebrauch.“55

Um die Mitte des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts wurde der Trend zur Maschinisierung der Tuchproduktion zunächst durch eine wirtschaftliche Krise gebremst, die der Untergang des Napoleonischen Reichs hervorgerufen hatte.56 1815 äußerte der preußische Generalgouverneur des Nieder- und Mittelrheins Sack die Befürchtung, dass die Tuchindustrie dem Untergang geweiht sei, wenn nicht entsprechende Maßnahmen ergriffen würden.57 Die Depressionsphase setzte nicht erst mit der Eingliederung der Region Aachen in den preußischen Machtbereich ein, sondern bereits um 1810 und sie traf nicht alle Standorte in gleicher Weise.58 Die Talfahrt der Wirtschaft wurde durch die erneuten politi54 Zitiert nach Corsten, Die Aachener Wirtschaft, S. 146. 55 Zitiert nach Corsten, Die Aachener Wirtschaft, S. 149; vgl. auch C. Ahn, Die Entwicklung der Aachener Maschinenindustrie von ihrer Entstehung in der Napoleonischen Zeit bis zum Jahre 1871, Diss. Köln 1922, S. 23, der ebenfalls Kunth zitiert. 56 Vgl. G. Adelmann, Die deutsch-niederländische Grenze als textilindustrieller Standortfaktor, in: G. Droege u.a. (Hg.), Landschaft und Geschichte. Festschrift Franz Petri zum 65. Geburtstag, Bonn 1970, S. 9-34, hier insb. S. 11-13. 57 Sack machte insbesondere die Behinderungen des grenzüberschreitenden Verkehrs dafür verantwortlich, die die Aachener Region belasteten, da sie willkürlich ein zusammenhängendes Wirtschaftsgebiet durchschnitten (Adelmann, Die deutsch-niederländische Grenze, S. 11). 58 P. Schwarz, Entwicklungstendenzen im deutschen Privatbankiergewerbe, Straßburg 1915, S. 3, verallgemeinert die von diversen Autoren bestätigte 58

HANDWERKSWIRTSCHAFT, ARBEITSMARKT UND DER WEG IN DIE FABRIK

schen Verwerfungen der Jahre 1814 und 1815 nicht gebremst, sondern eher noch beschleunigt. Den „Hauptteil der Schuld“ an der Krise der Jahre nach 1814 sah Wilhelm Treue jedoch nicht wie Kiesewetter im „ökonomischen Erfolg Englands“, der erst durch „Napoleons ökonomischen Unverstand und politischen Größenwahn“ möglich wurde,59 sondern vor allem in der „zollpolitischen Schutzlosigkeit“ der Aachener Industrie und dem Wegbrechen der Märkte in Frankreich, für die zunächst kein Ersatz gefunden werden konnte.60 Diese Auffassung entspricht der zeitgenössischen Beobachtung, die ein anonym gebliebener Aachener Autor 1817 in folgende Worte fasste: „In keiner Zeit=Periode aber ward dieser Kunstfleiß [gemeint ist die industrielle gewerbliche Produktion, M.S.] von allen Seiten auf einmal aus allen Bahnen seines Wirkungskreises so gewaltsam heraus gedrängt, als seit zwei Jahren, durch Frankreich’s und England’s Prohibition= und Handels=System, durch Hemmungen und Verbote aller Art, durch neu angelegte übertriebenen Transit= oder Consumtions=Zölle in schier allen benachbarten Staaten, durch Mangel an bündigen Handels=Traktaten oder sonst kräftiger Verwendung – zum Unglück dieses Landes leider geschehen ist! – überall zurückgewiesen, oder auf eine Art zugelassen, die uns alle Luft zur Arbeit benimmt.“61

Belebung der Konjunktur: „In den ersten Jahren des Jahrhunderts machte sich freilich ein industrielle Aufschwungperiode geltende, deren wirksamster Hebel die Kontinentalsperre und der Kriegsbedarf des In- und Auslands war.“ D. S. Landes, The unbound Prometheus. Technological change and industrial development in Western Europe from 1750 to the present, Cambridge 1969, S. 141, verweist darauf, dass zwischen 1810 und 1812 die kontinentaleuropäische Bauwollindustrie durch die schwierige Lage auf dem Rohstoffmarkt in Bedrängnis geriet, dies aber für die Wolle zunächst noch ein Plus war. 59 H. Kieseswetter, Europas Industrialisierung – Zufall oder Notwendigkeit?, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 80 (1993), S. 30-62, hier S. 35; der bemerkt, dass es „massenhafte Zusammenbrüche und Stillegungen“ gegeben hat. Er bezieht sich jedoch vor allem auf das Baumwollgewerbe; siehe dazu auch Th. Kosche, Bauwerke der Mönchengladbacher Textilindustrie, Mönchengladbach 1986, S. 62-63. 60 W. Treue, Wirtschaftszustände und Wirtschaftspolitik in Preußen 18151825, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 31 (1937), S. 95-96. 61 Anonym (von einem Aachener Bürger), Einige Bemerkungen über die Nützlichkeit der Fabriken und Manufakturen, über deren jetzigen Verfall im Großherzogthum Niederrhein und die dringende Nothwendigkeit solche in höchsten Schutz zu nehmen; nebst einem Anhang über Handelstribunate, 59

MARTIN SCHMIDT

Noch zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts hatte sich der Stand der technischen Entwicklung in manchen Standorten der Textilindustrie in Hinblick auf den Einsatz von Maschinen nicht wesentlich gegenüber jenem in französischer Zeit verändert (Tabelle 1). Immer noch arbeitete ein großer Teil der Unternehmen weitgehend ohne mechanisierte Produktionsabschnitte. In Burtscheid lassen sich nach dieser Quelle überhaupt keine Betriebe identifizieren, die eine wie auch immer geartete Maschinenarbeit integrierten, wohl eine Lohnspinnerei. In der alten, nun zunftfreien Reichsstadt Aachen hatten zwar bereits einige Unternehmer den Schritt zur Fabrik gemacht, aber 21 der 34 als ›Tuchfabriken‹ bezeichneten Unternehmen hatten noch nicht in eine Zukunft durch und mit Maschinen investiert. In den ersten Jahren der 1820er Jahre existierte jedoch in einigen Standorten in der Region eine ausreichende Basis, um an die Mechanisierungserfolge im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen.62 Ende der 20er Jahre trat eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation ein.63 Schließlich kann auf der Grundlage der amtlichen Übersichten für die Mitte der 1830er Jahre im Aachener Raum bereits von einer entwickelten Textilfabrikenstruktur gesprochen werden.64

Aachen 1818, S. 41, zuvor stellt der Autor die veränderten Absatzwege nach Frankreich, Italien, Holland und Italien vor (ebd.). 62 Vgl. hierzu auch die Zahlen von Corsten, Die Aachener Wirtschaft, S. 173, der für das Jahr 1820 „13 Spinnmaschinen mit 40 Assortimenten, 47 Rauhmaschinen und 14 Schermaschinen“ angibt. Leider wird nicht klar ob er sich auf den Regierungsbezirk Aachen oder die Stadt selbst bezieht. Die Zahlen der Tabelle 1 legen jedoch die Vermutung nahe, dass nur die Stadt Aachen beschrieben wird. H. Blumberg, Die deutsche Textilindustrie in der industriellen Revolution (= Veröffentlichungen des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst 3), Berlin 1965, S. 74, spricht von 371/2 Assortimenten in Aachen. Vgl. hierzu R. Wichterich, Die Entwicklung der Aachener Tuchindustrie von 1815-1914, Diss. Köln 1922, S. 8 u. S. 169. Zur Einschätzung der bereits weit fortgeschrittenen Mechanisierung in französischer Zeit vgl. Henkel, Taubert, Maschinenstürmer, S. 40, der „den Vorsprung des Westens nicht zuletzt auf dem Modernisierungsschub beruh[end sieht], den die französisch besetzten bzw. beeinflußten Gebiete in der napoleonischen Zeit gemacht haben.“ 63 Kosche, Bauwerke, S. 64. 64 Vgl. zur detaillierten Analyse des Maschineneinsatzes in den Regierungsbezirken Aachen (auch Aachen Stadt), Monschau und Eupen G. Adelmann, (Hg.), Der gewerblich-industrielle Zustand der Rheinprovinz im Jahre 1836. Amtliche Übersichten, Bonn 1967. 60

HANDWERKSWIRTSCHAFT, ARBEITSMARKT UND DER WEG IN DIE FABRIK

Tabelle 1: Ausstattung von Unternehmen in der Tuch- und Nadelproduktion im Raum Aachen im Jahre 182165 Art des Unternehmens Tuchfabriken Tuchfabriken mit hydraulischen Pressen Tuchfabriken mit Färbereien Tuchfabriken mit Walkmühlen Tuchfabriken mit Schermaschinen Tuchfabriken mit Spinnmaschinen Tuchfabrik mit Spinnmaschinen u. mindestens einer weiteren Einrichtung mit Walkmühle mit Färberei mit mehr als einer weiteren Einrichtung Spinnmaschinen Spinnmaschinen u. eine weitere Einrichtung mit Walkmühle mit Färberei Färbereien Färbereien mit Walkmühlen Wollgeschäfte Wollgeschäfte mit weiteren Dienstleistungen Unternehmen mit Tuch- u. Nadelproduktion Nadelfabrikation Kommission und andere Geschäfte insgesamt

Aachen n %

Burtscheid n %

Monschau n %

Stolberg66 n %

Eupen n %

21

23,6

12

60,0

14

42,4

3

50,0

12

34,3

1

1,1

-

-

-

-

-

-

-

-

1

1,1

-

-

7

21,2

-

-

2

5,7

-

-

-

-

-

-

1

2,9

1

1,1

-

-

-

-

-

-

-

-

8

9,0

-

-

1

3,0

-

-

4

11,4

4

4,5

-

-

5

15,2

-

-

4

11,4

-

-

-

-

-

-

-

-

2

5,7

1

1,1

-

-

2

6,1

-

-

1

2,9

3

3,4

-

-

3

9,1

-

-

1

2,9

5

5,6

1

5,0

2

6,1

-

-

2

5,7

-

-

-

-

1

3,0

-

-

2

5,7

-

-

-

-

-

-

-

-

1

2,9

-

-

-

-

1

3,0

-

-

1

2,9

11

12,4

4

20,0

2

6,1

-

-

4

11,4

-

-

-

-

-

-

-

-

1

2,9

9

10,1

1

5,0

-

-

-

-

-

-

12

13,5

-

-

1

3,0

-

-

3

8,6

1

1,1

1

5,0

-

-

-

-

-

-

11

12,4

1

5,0

-

-

3

50,0

-

-

4

4,5

89

100,0

20

100,0

38

100,0

6

100,0

35

100,0

65 Nach F. Ahn, Jahrbuch für den Regierungsbezirk Aachen auf das Gemeinjahr 1822, Aachen 1821, S. 77-80, 87, 89-92. 66 Stolberg wird 1821 geprägt durch Messingindustrie. Ahn, Jahrbuch, S. 92, listet 15 Messingfabriken und zwei kupferverarbeitende Betriebe auf. 61

MARTIN SCHMIDT

Auch der Textilmaschinenbau begann sich zu entwickeln, und allein in der Stadt Aachen fanden sich im Jahr 1836 neun ›Anstalten‹ zur Produktion von Tuchfabrikationsmaschinen.67 Vor dieser Entwicklung ist die Diskussion über die Mobilität und Migration in der Aachener Region zu beurteilen. Äußerst wichtig ist dabei der Wechsel der Perspektive. Die Arbeiterschaft in protoindustriellen Systemen und im Frühstadium der Fabrikindustrie darf nicht mehr nur als ein Spielball der ökonomischen Verhältnisse und der unternehmerischen Entscheidungen betrachtet werden, sondern es gilt, deren eigene Entscheidungsprozesse und Strategien, die das Gesamtsystem mitprägten, in den Vordergrund zu rücken.68 Dieses Konzept, den Blick auf die Entscheidungen der Arbeitskräfte innerhalb ihrer Haushaltsökonomie zu richten, wurde am Beispiel der Textilindustrie des Züricher Kantons für die Phase der Protoindustrie entwickelt. Hier konnte festgestellt werden, dass je nach ökonomischer Situation des Einzelhaushaltes von den Haushaltsmitgliedern mehr oder weniger gezielt jene Optionen wahrgenommen wurden, welche die industrielle Tätigkeit als Zusatzverdienstmöglichkeit neben der konstituierenden landwirtschaftlichen Arbeit bot. Allerdings beschäftigte sich Ulrich Pfister, der diese Thesen entwickelte, vorrangig mit den strategischen Möglichkeiten von Einheiten, die als landwirtschaftlich basierte Haushalte zusätzlich eine heimgewerbliche Produktion betrieben. Solche Verhältnisse herrschten vor allem dort, wo einfachere Textilien aus Baumwolle oder Leinen hergestellt wurden und wo in der Agrarwirtschaft entweder Viehzucht oder Sonderkulturen (Weinbau, Färbepflanzen etc.) überwogen. In solchen Wirtschaften waren saison-unabhängig relativ viele Arbeitskräfte frei oder es waren auf vergleichsweise kleinen Parzellen hohe Erträge möglich.69 67 Adelmann, Der gewerblich-industrielle Zustand der Rheinprovinz, S. 98, dort der Bericht des Landrates v. Coels aus dem Jahr 1836, der diese Zahlen nennt. 68 U. Pfister, The Protoindustrial Household Economy. Toward a Formal Analysis, in: Journal of Family History 17 (1992), S. 201-232; ders., Die Züricher Fabriques. Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert, Zürich 1992, S. 264-280. 69 Vgl. F. F. Mendels, Agriculture and Peasant Industry in Eighteenth-Century Flanders, in: W. N. Parker, E. L. Jones (Hg.), European Peasants and their Markets, Princeton/New Jersey 1975, S. 179-204; dt. Fassung: ders., Landwirtschaft und bäuerliches Gewerbe in Flandern im 18. Jahrhundert, in: P. Kriedte, H. Medick, J. Schlumbohm (Hg.), Industrialisierung vor der Industrialisierung, Göttingen 1977, S. 325-349; s.a. F. M. M. Hendrickx, „Een meesterstuk van goede huishouding van Staat“. Landwirtschaft, Weberei und 62

HANDWERKSWIRTSCHAFT, ARBEITSMARKT UND DER WEG IN DIE FABRIK

Dort konnte eine Haushaltsökonomie, die auf zwei Standbeinen beruhte (›dual economy‹), so lange ausgebaut werden, bis der sinkende Grenznutzen zur Stagnation und schließlich zum Übergang zu neuen Organisationsformen führte. Jürgen Schlumbohm hält in seinen Überlegungen zur Entwicklung protoindustrieller Systeme dem entgegen, dass der Grenznutzen solcher Investitionen in die agrarische Basis vielerorts grundsätzlich zu gering gewesen sei oder – im Zuge der Entwicklung – wurde, um für eine breite Masse an landsässigen Arbeitskräften eine Option dargestellt zu haben. Je kleiner die Landstücke, je höher der Pachtzins (zum Beispiel wegen entsprechender Nachfrage) und je niedriger die Löhne (zum Beispiel wegen Bevölkerungswachstum), desto weniger Wirkung hatte eine Verbindung von Landwirtschaft und Gewerbe beziehungsweise sank der Nutzen einer ›dual economy‹.70 In Schlumbohms allgemeinerem Entwicklungsmodell, das hervorragend auf ein regionales System wie das der Region zwischen Aachen und Verviers anwendbar ist, wird auf eine weitere mögliche Entwicklungsphase über die von Pfister beschriebene Endstufe des protoindustriellen Wachstumsprozesses vor dem Übergang in ein neues System hingewiesen. In dieser steht nicht mehr nur die ›dual economy‹ im Mittelpunkt. Vielmehr ist es grundsätzlich möglich, dass durch die strategischen Entscheidungen der Produzenten auch andere Formen der Subsistenzsicherung auf der Ebene der Haushalte oder Familien hervorgebracht wurden, wie beispielsweise die ›family economy‹, die ›family wage economy‹ oder sogar eine ›asymetrical family economy‹.71 Für die Region um Aachen sind aber genau diese Haushaltsökonomien zwischen haushaltsbasierten Produktionseinheiten Familie in Twente im 19. Jahrhundert, in: D. Ebeling, W. Mager (Hg.), Protoindustrie in der Region, Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 199-219. 70 Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen, hier u.a. S. 218-219. 71 Klassifikation nach R. Finnegan, Family Resources and Experiences, in: dies., M. Drake (Hg.), From Family Tree to Family History (Studying Family and Community History. 19th and 20th Centuries, 1), Cambridge 1994, S. 104-127, hier S. 107. Zu den Formen der Familienwirtschaft siehe grundsätzlich D. Levine, Family Formation in an Age of Nascent Capitalism (Studies in Social Discontinuity), New York 1977; L. A. Tilly, J.W. Scott, Women, Work, and Family, New York 1978; R.E. Pahl, Division of Labour, Oxford 1984. Abhängig dürfte dies sowohl vom Produkt und dem zu seiner Herstellung nötigen Betriebssystem als auch von der Qualität der Böden und der Art der betriebenen Landwirtschaft gewesen sein. Auch Pfister betonte, dass seine Modellannahmen auf Grund der erwähnten Abhängigkeiten nicht uneingeschränkt auf alle Fälle protoindustrieller Entwicklung zutreffen (U. Pfister, Protoindustrielles Wachstum, S. 47). 63

MARTIN SCHMIDT

und Haushalten, die ihre Subsistenz mit ganz unterschiedlichen Löhnen sichern, wesentlich – schon weil das Betriebsystem der ›Dezentralen Manufaktur‹ und der langsame Übergang zur Fabrik Spezialisierungen verlangte. Ein weiterer Aspekt findet jedoch weder bei Pfister noch bei Schlumbohm besondere Berücksichtigung: die Migration. Gerade in der Region zwischen Verviers und Aachen spielte diese eine entscheidende Rolle in der Entscheidungsfindung der Menschen für ihre Zukunft, wie das Beispiel des jungen Tuchscherers Schmitz, der im Jahre 1820 von Monschau nach Vaals migrierte, deutlich macht.

64

E INE G ESELLSCHAFT VON M IGRANTEN ? B EMERKUNGEN ZU DEN M IGRATIONSSTRUKTUREN IN DER R EGION

BURTSCHEID

1800. UND INTEGRATION

UM

MIGRATIONSERFAHRUNG IN EINEM MANUFAKTURORT MARTIN SCHMIDT Einführung

Mathias Meisen, verheiratet, sieben Kinder, ist ein Aufsteiger! Geboren im Dörfchen Eilendorf, das heute zur Stadt Aachen gehört, migriert der 23-Jährige, von Beruf hoch qualifizierter Tuchscherer, im Jahr 1789 in das nur wenige Kilometer entfernte Burtscheid. Dies ist jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches und machte ihn noch nicht zu einem erfolgreichen Mann. Immerhin stammen fast 80% aller 1798/99 in Burtscheid lebenden Scherer nicht aus der freien Reichsabtei vor den Toren der Stadt Aachen.1 Außergewöhnlich ist vielmehr die Karriere des Mathias Meisen: Noch kurz nach 1800 appretiert er Tuche in der eigenen Werkstatt. Dies verraten uns Steuerlisten, die sich bis heute im Stadtarchiv Aachen erhalten haben.2 Schon das macht ihn zu einer Ausnahme; denn um die Jahrhundertwende bekommen die meisten der feinen Wolltuche in zentralen Werkstätten der großen Unternehmer ihren letzten Schliff. Meisen bleibt jedoch kein Tuchscherer. Irgendwann zwischen 1799 und 1812 muss er seinen Beruf gewechselt haben. Im letzten französischen Zensus (1812) gibt er als Beruf „Bäcker“ an. Er besitzt ein Haus und ist er wohlsituiert. Und eben das macht ihn zu einem besonderen Fall! Warum? Weil für die meisten der Migranten seiner Generation kein solcher Aufstieg zu verzeichnen ist, sondern aus allen statistischen Erhebungen hervor geht, dass erst die zweite Migrantengeneration ähnliche Aufstiegschancen hatte, wie wir sie für Einheimische feststellen können.

1 2

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Roer-Depepartement. 1670, S. 1-53. Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, französische Zeit, Nr. 83-85. 67

MARTIN SCHMIDT

Abb. 1: Ausschnitt aus der Karte ›Aix la Chapelle, Borcette et leurs envirens‹, Aachen 1825. Die kleine Tuchmacherstadt Burtscheid liegt rechts im Tal neben der großen Reichsstadt Aachen

Die ›Manufakturstadt‹ Doch der Reihe nach:3 Burtscheid war einer der Standorte, die früh vom Aufschwung der Tuchindustrie in der Region profitierten.4 Insbesondere gegen Burtscheid richteten sich die schon im 17. Jahrhundert von der Aachener Administration mehrfach wiederholten Verbote der Appretur auf

3

4

Die im Folgenden gemachten Aussagen beruhen z.T. auf den Ergebnissen des Forschungsprojektes ›Gewerbliche Verdichtung und Arbeitsmarkt im deutsch-niederländischen Grenzraum‹ des SFB 235 der DFG, geleitet von Prof. Dr. Dietrich Ebeling, in dem ich mitarbeitete. Viele Formulierungen – insbesondere zur Rolle Aachens – verdanke ich ihm. Zu Burtscheid vgl.: D. Ebeling, M. Schmidt, Zünftige Handwerkswirtschaft und protoindustrieller Arbeitsmarkt. Die Aachener Tuchregion (17501815), in: D. Ebeling, W. Mager (Hg.), Protoindustrie in der Region. Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 321-346; M. Schmidt, Burtscheid. Eine Tuchmanufakturstadt um 1812 (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/8), Köln 1997. 68

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

dem Land durch die in der Stadt ansässigen Tuchmacher.5 Bereits im hohen Mittelalter dürfte sich in Burtscheid ein nennenswertes Tuchgewerbe etabliert haben.6 Allerdings scheint erst Mitte des 17. Jahrhunderts, ähnlich wie in Monschau, die Bedeutung der exportorientierten Feintuchproduktion gegenüber der für einen lokalen Markt arbeitenden Grobtuchfabrikation zugenommen haben, wie eine Klage der Leidener Fabrikanten von 1647 verdeutlicht. Burtscheid war im 17., 18. und beginnenden 19. Jahrhundert demnach ein aufstrebendes Gewerbestädtchen vor den Toren der alten Tuch- und Handelsmetropole Aachen. Bis in die französische Zeit profitierte die ›Freie und unmittelbare Reichsabtei‹ von ihrer Selbstständigkeit. Ähnlich wie in Eupen oder Monschau beschränkte dort keine Zunft die Größe von Werkstätten und die naturräumlichen Gegebenheiten machten Burtscheid zu einem hervorragenden Ort für die Produktion von feinem Wolltuch. Wie in Aachen standen Thermalquellen zur Verfügung, um deren Wasser die Tuchunternehmer zwar mit dem Kur- und Badegewerbe zu konkurrieren hatten, um das sie jedoch in der Region gleichzeitig beneidet wurden. So hielt beispielsweise ein Spross der Monschauer Tuchmacherdynastie Scheibler, Johann Georg Scheibler, in seiner ›Gründlichen und praktischen Anweisung, feine wollene Tücher zu fabriciren‹ im Jahre 1806 fast wehmütig fest: „In Aachen und Burtscheid, wo viele schöne Tücher aus spanischer Wolle gemacht werden, bedient man sich der warmen mineralreichen Quellen zum Auswaschen der Wolle, wovon sie auch vollkommen rein wird. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass warmes Wasser zu dieser Verrichtung dem kalten vorzuziehen sein würde, wenn man es denn haben könnte.“7

5

6

7

A. Seidl, Die Aachener Wollindustrie im Rahmen der Rheinischen bis zur Gewerbefreiheit 1798, Diss. Köln 1923, S. 50; H. Fr. Heizmann, Die wirtschaftliche und rechtliche Lage der arbeitenden Klassen in Aachen um die Wende des 18. Jahrhunderts, Diss. Aachen 1923, S. 16. Im Jahr 1406 übertrug der Herzog von Jülich dem ›Aachener Wollenambacht‹ die Aufsicht über die Qualität der Burtscheider Tuche, die die Zunft jedoch nicht durchsetzen konnte; hierzu Seidl, Die Aachener Wollindustrie, S. 35-48; H. Schnock, Über gewerbliche Verhältnisse in der ehemaligen „Herrlichkeit Burtscheid“, in: Aus Aachens Vorzeit, Aachen 18 (1905), S. 34-60. J. G. Scheibler, Gründliche und praktische Anweisung feine wollene Tücher zu fabriciren, Ein belehrendes Handbuch für Tuchfabrikanten, Tuchkaufleute und für die, dich sich insgesamt, oder mit einzelnen Zweigen der Tuchmanufaktur beschäftigen. Auch für diejenigen, die sich von dieser wich69

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Kaltes, weitgehend kalkarmes Wasser lieferte in Burtscheid die Wurm – der so genannte ›kalte Bach‹. Für die ›Rahmen‹, auf denen die rohen Tuche nach dem Walken aufgespannt wurden, damit sie einen Teil ihrer ursprünglichen Größe zurückerhielten, stand Gelände in unmittelbarer Nähe zu den wachsenden Betriebskernen der Manufakturen zur Verfügung. Der gerade in die Firmenleitung des Unternehmens ›Isaac v. Loevenich‹ eingetretene Sohn Bartholomäus v. Loevenich erhielt beispielsweise im März 1750 von der Äbtissin das Privileg, Tuchrahmen auf einem der Abtei gehörenden Gelände, dem Mühlenbend, hinter dem Werkkomplex seiner Familie, der ›Krone‹, zu errichten.8 Abb. 2: Wollwäsche in fließendem Gewässer; Kupferstich (Detail) aus der ›Encyclopédie‹ von D. Diderot, Artikel ›draperie‹, um 1770

Grundsätzlich wird Burtscheid in einem besonderen Maß von einem Technologie- und Humankapitaltransfer aus Aachen profitiert haben, dessen Bedeutung für die Tuchindustrie der Region evident wird.9 Die Reichsstadt behielt während des gesamten hier zu behandelnden Entwicklungsprozesses nicht nur ihre zentrale Funktion als Handelsplatz insbesondere für Rohstoffe wie Wolle, Farben und Schmelzöle. Sie war durch ihre zünftig organisierte Handwerkswirtschaft zudem ein integrierter Bestandteil des regionalen Produktionssystems, da die Manufakturunternehmer die Qualifizierungsfunktion der Zunft für die Rekrutierung von Facharbeitern nutzen konnten. Die Zunft wachte über die Ausbil-

8 9

tigen Fabrikation einige nähere Ansichten und Kenntnisse erwerben wollen, Breslau/Leipzig 1806, S. 51. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Bestand Stifts- und Klosterarchive, Kloster Burtscheid, Acte 19, Copiar der Pachtverträge. Zur Rolle der Stadt Aachen siehe K. Müller, Die Reichsstadt Aachen im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 98/99 (1992/ 93), H. 2, S. 205-230; Ebeling, Schmidt, Zünftige Handwerkswirtschaft, S. 321-346, insb. S. 330-331. Insbesondere die Abwanderung von Gesellen und Werkstätten, gegen die sich eine Reihe von Verordnungen richtete, sprechen hierfür. Vgl. H. Fr. Heizmann, Die wirtschaftliche und rechtliche Lage der arbeitenden Klassen in Aachen um die Wende des 18. Jahrhunderts, Diss. Aachen 1923, S. 45-46. 70

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

dung! Die auch in der neueren Forschung immer wieder als „Hemmschuh“ der wirtschaftlichen Entwicklung bezeichnete zünftig-gebundene, kleinbetriebliche Struktur der Reichsstadt spielte dagegen nur mehr in der Appretur eine Rolle und wurde schon vor dem Ende der Zunftära in der französischen Zeit partiell durchbrochen.10 Die Bemühungen der Zünfte und des Stadtrates, das Gewerbemonopol zu erhalten, waren langfristig zum Scheitern verurteilt. Weder die Regionalisierung der Tuchindustrie und die Etablierung neuer Standorte noch die Abwerbung von Facharbeitern oder die Übersiedlung ganzer Werkstätten ließen sich auf Dauer verhindern.11 Aachen konnte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar in Grenzen an dieser industriellen Entwicklung partizipieren.12 Entgegen älteren Thesen, die sich insbesondere auf die Aussage Georg Forsters zurückführen lassen, der in seinen ›Ansichten vom Niederrhein‹ vom „finsteren Depotismus der Zünfte“ gesprochen hatte, blieb Aachen ein wichtiger Produktionsstandort, der gerade in der französischen Zeit und mehr noch zu Beginn der Fabrikära seinen alten Platz als wichtiger Kern der Region zurückeroberte.13 Unbestreitbar ging jedoch die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung vor und kurz nach 1800 von den neuen Gewerbezentren wie Burtscheid aus. Insbesondere die Ausbildungskapazitäten der Aachener Zünfte waren dem Expansionstempo der Textilindustrie nicht gewachsen. Infolgedessen wurden Scherer aus weit entfernten Regionen angeworben. Eupen erhielt zum Beispiel 1679 und 1680 von seinem Landesherrn Karl II. von Spanien Privilegien, welche den Unternehmern die Rekrutierung auswärtiger Scherer erleichterten. Bis in die 1720er Jahre zogen etwa 400 Scherer nach Eupen. Bei diesen Zuwanderern handelt es sich hauptsächlich um Arbeitskräfte aus dem Lütticher und Aachener Raum. Nur zum 10 H. Kisch, Das Erbe des Mittelalters, ein Hemmnis wirtschaftlicher Entwicklung: das Tuchgewerbe im Aachener Raum vor 1790, in: ders., Die hausindustriellen Textilgewerbe am Niederrhein vor der industriellen Revolution (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 65), Göttingen 1981, S. 258-316. 11 Ebeling, Schmidt, Zünftige Handwerkswirtschaft, hier S. 330; für weitere Beispiele siehe Müller, Die Reichsstadt Aachen, hier S. 208. 12 Müller, Die Reichsstadt Aachen, S. 205-230; C. Erdmann, Zuwanderung in die frühindustrielle Stadt Aachen (Ende 18./Anfang 19. Jh.), in: F. Ahnert, R. Zschocke (Hg.), Festschrift für Felix Mohnheim zum 65. Geburtstag, Bd. 2, Aachen 1981, S. 399-423. 13 Zugänglich in folgender Ausgabe: Georg Forster, Ansichten vom Niederrhein (= Werke, Bd. 9), Berlin 1958, S. 88-90. 71

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Teil stammten sie aus Frankreich (zum Beispiel Sedan) und den ›Vereinigten Provinzen der Niederlande‹ (insb. aus Leiden).14 In Monschau soll Johann Heinrich Scheibler in den 1730er Jahren sogar Scherer aus Süddeutschland angeworben haben.15 Es ist jedoch zu vermuten, dass in dieser Phase die Mehrzahl der Scherer eher aus den französischen Manufakturorten sowie aus dem benachbarten Verviers und Eupen kamen. Ähnlich wie in Eupen hatte der Zustrom von Arbeitskräften nach Monschau teilweise gewaltsam ausgetragene Konflikte zur Folge.16 Wenngleich auch im weiteren Verlauf des Prozesses des Ausbaus und der Konsolidierung des regionalen Systems in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von einem permanenten Facharbeiterzuzug von außerhalb der Region auszugehen ist, zeigen die nachfolgend darzustellenden Forschungsergebnisse zum Manufakturort Burtscheid exemplarisch die Dominanz innerregionaler Wanderungsbewegungen.

Migration und Integration Anhand der Feintuchindustrie in Burtscheid an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert kann die Bedeutung von innerregionalen Wanderungsbewegungen exemplarisch dargestellt werden. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: zum einen die Rolle der Zuwanderung von Arbeits-

14 Hierzu inbs. A. Minke, La manufacture de drap d’Eupen et son patrimoine: comment promouvoir une identité communale, in: L’archéologie industrielle en France 29 (1996), S. 59-65; hier der entsprechende Nachweis. Ältere Meinungen: L. Hermanns, Die Anfänge der Feintuchmanufaktur in Eupen, in: Geschichtliches Eupen XV (1981), S. 163-169, hier S. 167. Bezüglich Sedan: La Manufacture du Dijonval et la Draperie Sedanaise 16501850, hg. v. Ministère de la culture, Charlesville 1984; G. Gayot, B. Lassaux, Manufactures et usines dans une citadelle: Sedan (XVIIe-XIXe siècle), in: Revue du Nord 79 (1997), S. 495-514. 15 Die Belege hierfür sind allerdings schwach: E. Barkhausen, Die Tuchindustrie in Montjoie ihr Aufstieg und Niedergang, Aachen 1925, S. 40f.; H. C. Scheibler, K. Wülfrath, Die „Feine Gewandschaft“ in Monschau, in: Westdeutsche Ahnentafel 1 (1939), S. 315-399, hier S. 335-337. 16 Barkhausen, Tuchindustrie, hier S. 80-96; M. Henkel, R. Taubert, Maschinenstürmer. Ein Kapitel aus der Sozialgeschichte des technischen Fortschritts, Frankfurt a.M. 1979, S. 88-99; zu parallelen Entwicklungen in Eupen s. ebd., S. 87f.; auch M. Henkel, Taglohn, Tradition und Revolution. Ein Tarifvertrag aus dem Jahre 1790, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1 (1989), S. 42-66., S. 56f. 72

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kräften in die ehemalige Reichsabtei und zum anderen die Integration der Zuwanderer dort.17 Die Untersuchung dieser Prozesse stützt sich auf Daten aus den Bevölkerungserhebungen und den Zivilstandsregistern, die während der französischen Zeit (1792/94–1814) erstellt wurden.18 Die erste Bevölkerungserhebung im Roer-Departement fand im Jahr VII (1798/99) statt. Sie weist allerdings eine Reihe von Unzulänglichkeiten und Ungenauigkeiten auf. So wurden Kinder unter zwölf Jahren nur numerisch in Verbindung mit ihrem Vater erfasst. Die Bezeichnungen für Beruf und Familienstatus erfolgte in dieser tabellarischen Liste in derselben Spalte, so dass nur bei unverheirateten, alleinstehenden Frauen die Angabe einer Berufstätigkeit erfolgte. Ansonsten wurden sie lediglich als ›sa femme‹ (seine Ehefrau) bezeichnet. Allerdings enthält dieser Zensus wichtige Informationen zur Analyse des Migrationsverhaltens. Insbesondere verzeichnet er für jede Person über zwölf Jahren im Falle einer Zuwanderung das Jahr, in dem sie erfolgte. Dadurch wird die Identifikation von Migranten möglich. Die beste Datengrundlage zur Untersuchung von sozioökonomischen Fragestellungen bietet die letzte während der französischen Zeit angestellte Erhebung aus dem Jahr 1812. Namentlich erfasst wurden in dieser ebenfalls tabellarischen Liste, die in mehreren Versionen erhalten ist, alle Personen mit Angaben zu Alter, Familienstatus, Konfessionszugehörigkeit und Berufstätigkeit. Zudem lassen sich die Strukturen von Haus und Haushalt erkennen.19 Diese Liste enthält jedoch keine Angaben zu einem Zuzug.

17 Daneben können auch andere Formen der Migration beobachtet werden. So ist die Migration von Dienstboten wie auch hin und wieder von Facharbeitern über lange Strecken (siehe hierzu A. Palmqvist, Die Auswanderung Aachener Arbeiter und Unternehmer nach Schweden vom 16.-18. Jahrhundert, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 66/67 (1954/55), S. 169-181) zu konstatieren, die jedoch nicht Thema dieses Beitrages sind, da sie für das regionale System keine entscheidende Rolle spielten. Zu den hier vorgelegten Ergebnisse vgl. auch J. G. Nagel, M. Schmidt, Kleinräumige Migration im Kontext der Frühindustrialisierung am Beispiel der Aachener Textilregion um 1800, in: H. Oberpennig, A. Steidl (Hg.), Kleinräumige Wanderung in historischer Perspektive (= IMIS Beiträge, 18), Osnabrück 2001, S.89-106. 18 Zum Entstehungszusammenhang vgl. insb.: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Recueil des Actes de la Préfecture du Dévelopment de la Roer, Jahr 1812, 16.06.1812, S. 145-148. 19 Näheres zu den Quellen bei D. Ebeling, J. G. Nagel, Frühindustrialisierung zwischen Rhein und Maas. Überlegungen zu einer neuen Wirtschaftskarte 73

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Für die Untersuchung weiterhin genutzt wurden Informationen aus den seit 1798 geführten Zivilstandsregistern. Wertvoll sind diese, da sie sowohl bei der Anzeige von Geburten, Hochzeiten und Sterbefällen die Geburtsorte der betreffenden Personen erwähnen.20 Mit Hilfe nominativer Verknüpfungsverfahren konnten die Angaben aus der Bevölkerungserhebung von 1798/99 und aus den Zivilstandregistern den in der Erhebung von 1812 verzeichneten Personen zugeordnet werden.21 Die Bevölkerungsentwicklung Burtscheids korrespondiert mit dem Wachstum der Tuchindustrie.Zwar fehlen vor der ersten Bevölkerungserhebung der französischen Zeit im Jahre 1798/99 Informationen zur Bevölkerungszahl, doch spiegeln die Kirchenbücher der Jahre 1752 bis 1798 die demografische Dynamik deutlich wider. Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung zwischen 1798/99 und 1812 Bevölkerung in Burtscheid

1798/99

1812

n (gesamt)

3.534

4.468

n

%

934

26,4a

72

1,8a

- Geburtenüberschuss

471

50,4a

- Wanderungsgewinn

463

49,6a

Zuwachs: - gesamt - Ø pro Jahr

a

Anteil an Zuwachs insgesamt

Der Geburtenüberschuss war bis zur Mitte der 1780er Jahre beträchtlich. Die Zahl der Geburten überstieg die Zahl der Todesfälle um 179%. Danach veränderte sich das Niveau der Geburtenzahlen kaum, es stieg sogar noch leicht an und fiel in den Krisenjahren 1800 - 1802 kurzfristig ab, was mit einem Rückgang der Eheschließungen korrespondiert. Die Zahl der Sterbefälle erhöhte sich dagegen ab Mitte der 1780er Jahre für rund zehn Jahre zunehmend. der nördlichen Rheinlande, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 175-204. 20 NRW Personenstandsarchiv in Brühl, franz. Geburts-, Heirats- und Sterberegister der Mairie Burtscheid. 21 Die Daten wurden im Projekt C7, SFB 235 der DFG an der Universität Trier unter der Leitung von Prof. Dr. Dietrich Ebeling gesammelt, ausgewertet und für diesen Beitrag erneut untersucht sowie um nicht veröffentlichtes Material ergänzt. 74

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verringerte sich der Geburtenüberschuss durch einen starken Anstieg der Sterbefälle gegenüber den 1780er Jahren auf ein Sechstel. Dazu trugen insbesondere zwei Mortalitätskrisen – 1786 und 1795 – bei. Nach der überwundenen, durch eine Stockung der Wirtschaft und Versorgungsprobleme gekennzeichneten Krise in den ersten Jahren der französischen Herrschaft stieg die Einwohnerzahl zwischen 1798/99 und 1812 um 26% (Tabelle 1). Je etwa zur Hälfte wurde dieses Wachstum durch den Geburtenüberschuss und eben durch Zuwanderung getragen. Schon 1798/99 waren 35% der Burtscheider Bevölkerung Migranten der ersten Generation. Grafik 1: Berufstätige Bevölkerung Burtscheids 1812, nach Sektoren und nach Anteilen im Tuchgewerbe

6% Sonstige 15 % Lohnarbeit

8% Scherer

19 % Spinner

42 % Weber

Tuchgewerbe 3% Fabrikanten 3% Handel 1% Landwirtschaft

27 % textile Hilfsberufe

14 % Handwerk und Lokalgewerbe

Die Bevölkerungserhebungen 1798/99 und 1812 erlauben eine differenzierte Betrachtung des Arbeitsmarktes (Grafik 1). Etwa 58% der berufstätigen Bevölkerung arbeiteten 1812 als Spinner (11,4%), Weber (25,2%), Scherer (4,8%) oder gingen einer anderen Beschäftigung im Tuchgewerbe nach. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die meisten Tagelöhner (4,7%) ebenfalls in diesem industriellen Sektor beschäftigt waren.22 22 Der Begriff ›journalier‹ ist in der Regel eine unspezifische Berufsbezeichnung und wurde für Personen benutzt, die sich als unspezifisch qualifizierte Arbeitskräfte abhängig von der aktuellen Nachfrage nach Arbeitskräften in 75

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Dieser Befund legt nahe, dass die Textilindustrie und ihre wachsende Zentralisierung – abzulesen an der steigenden Zahl an Manufakturkernen und spezialisierten Werkstätten – in der Tat der entscheidende ›pull‹-Faktor für die Migration waren.23 Vor allem hochqualifizierte Arbeiter zogen nach Burtscheid. So waren fast 80% der Scherer, die 1798/99 in der Stadt lebten, wie der oben genannte Mathias Meisen, in anderen Orten geboren. Von diesen kamen immerhin wiederum fast 86% aus dem Roer-Departement. Die Weber, das heißt im Vergleich zu den Scherern deutlich geringer qualifizierte Arbeitskräfte, dagegen stammten zu zwei Dritteln aus Burtscheid. Relativ hoch war auch der Migrantenanteil unter den Lokalhandwerkern wie Metzgern, Schustern oder Bäckern (ca. 60%). Die Daten aus der Erhebung von 1798/99 lassen vermuten, dass ihr Zuzug in Abhängigkeit von der Zuwanderung industrieller Arbeitskräfte stand; denn den Zuwanderungswellen von Textilarbeitern folgten in der Regel solche von Handwerkern. Besonders deutlich ist dieses Wellen-Phänomen für die 1770er Jahre zu beobachten. Für die 1780er Jahre lässt sich erneut eine besonders hohe Zahl an Zuwanderern im Textilgewerbe feststellen, die sich während der Krise in den 1790er Jahren drastisch reduzierte (Grafik 2). Die Daten aus den Bevölkerungserhebungen lassen zudem vorsichtige Rückschlüsse auf die Migrationsmuster zu: Handwerker und Scherer kamen in der Regel ausgebildet nach Burtscheid, wie sich aus der Altersstruktur ablesen lässt. Scherer migrierten mit einem Durchschnittsalter von 22,4 Jahren, während Handwerker ein Durchschnittsalter von 23,5 Jahren aufwiesen.24 Weber waren bei ihrer Zuwanderung mit einem Durchschnittsalter von gerade 16,5 Jahren weitaus jünger, das heißt in einem früheren

verschiedenen gewerblichen und landwirtschaftlichen Sektoren verdingten; dazu R. Leboutte, Adaption, reconversion, mutation. Le rôle de la proto-industrialisation dans la genèse du bassin industriel liégeois, in: ders. (Hg.), Proto-Industrialization. Recent Research and New Perspectives, Genf 1996, S. 263-290, insb. S. 280f. 23 Zu den Manufakturkernen in Burtscheid vgl. M. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen. Frühneuzeitliche Werkbauten als Spiegel einer Betriebsform zwischen Verlag und zentralisierter Produktion, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit. Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden da 18. Jahrhunderts (= Der Riss im Himmel, VIII), Köln 2000, S. 129-164. 24 Das Durchschnittsalter aller Migranten betrug 22 Jahre. 76

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Stadium ihres ›life-cycle‹. Sie kamen vermutlich zusammen mit ihren Eltern oder als junge Männer ohne Ausbildung nach Burtscheid.25 Grafik 2: Migranten in Burtscheid; Zuzug laut der Bevölkerungsliste des Jahres VII (1798/99) 100

7,5 Alle

90

Exportgewerbe

80

6

Lokalgewerbe

70 60

4,5

N 50

N

40

3

30 20

1,5

10 0 1795

1790

1785

1780

1775

1770

1765

1760

1755

1750

0

Dieses Phänomen lässt sich aus der besonderen Entwicklung der Tuchindustrie erklären. Eine veränderte Nachfragesituation – resultierend aus dem direkten Handel über Kommissionäre statt über Messen – verlangte bei gleichzeitig steigenden Ansprüchen an die Qualität nach immer kürzeren Produktionszeiten. Dies hatte nicht nur Auswirkungen auf die Appretur, sondern auch auf die Weberei. Unternehmer verzichteten in steigendem Maße auf die Inanspruchnahme der landsässigen Weber und vergaben zunehmend Aufträge an Weber, die in den Manufakturstädten oder in ihrer Nähe wohnten. Ziel war es, nicht nur die Produktionszeit und damit die Umlaufzeit des Kapitals zu ver25 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich die in den vorangegangenen Absätzen verwendeten Berufsangaben auf das Erhebungsjahr 1798/99 beziehen und ihre Rückschreibung auf das Zuzugsjahr der betreffenden Personen nur vermutet werden kann. Die einseitige Ausrichtung Burtscheids auf die Tuchindustrie, die im 18. Jahrhundert noch üblichen hohen Ausbildungsanforderungen an Scherer und der gleichzeitig zunehmend erleichterte Zugang zur Webertätigkeit sprechen allerdings für eine hohe Wahrscheinlichkeit dieser Annahme, so dass zumindest die Mehrheit in den jeweiligen Berufsgruppen den dargelegten Migrationsmustern gefolgt sein dürfte. 77

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kürzen, sondern auch eine unmittelbare Beaufsichtigung durch die Fabrikanten selbst durchzusetzen.26 Ein weiterer Vorteil, die Weberei in den Manufakturorten wie Burtscheid zu konzentrieren, bestand darin, dass durch eine Vorfertigung der Ketten für die Webstühle in den zentralen Teilen der Manufakturen die Produktion qualitativ weiter verbessert werden konnte. So war es möglich, nun auch solche Personen als Weber zu beschäftigen, die über keine langjährige Ausbildung verfügten.27 Für junge Männer gerade in Burtscheid bestand also die Option, auch ohne lange Ausbildungszeit früh einen Beruf auszuüben und einen eigenen Haushalt zu gründen. Und genau solche Arbeitskräfte galt es – aus der Sicht der Unternehmer –, möglichst oft und nachhaltig zu kontrollieren. Die Migration nach Burtscheid führte nicht zu einer Überlagerung der bestehenden Gesellschaft durch eine neue Schicht von Einwanderern, sondern zur Entstehung einer urbanen Gesellschaft in Abhängigkeit der Tuchindustrie, die vor allem aus Migranten bestand. Alle Schichten – seien es die Unternehmer, die Lokalhandwerker oder die Arbeiterschaft – wurden durch Migranten geprägt. Zuwanderung – und hier in der Regel die aus dem Umland – war nicht die Ausnahme, sondern die Regel.28 Wie die Topografie des Ortes zeigt, führte die überdeutliche Ausprägung der Zuwanderung auch nicht zu einer räumlichen Segregation. Es bildeten sich keine eigenen Migrantenviertel; vielmehr siedelten sich die Zuwanderer über das gesamte Stadtgebiet verstreut an (Karte 1). Würde man nur die Migranten kartieren, ergäbe sich zwar eine Die Konzentration im unteren Teil der Hauptstraße. Dies wird jedoch relativiert, wenn man die Bewohnerdichte aller in Burtscheid lebender Einwohner ebenfalls in die Karte einträgt. Das Kartenbild ist eindeutig: Wo viele Menschen wohnen, leben auch viele Migranten.

26 Für Monschau vgl. dazu Barkhausen, Tuchindustrie, hier S. 60. 27 Die Arbeiterlisten der französischen Zeit belegen die Herstellung der Weberketten in den Manufakturen, Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, franz. Zeit, Nr. 116/117. 28 Die Unternehmerschaft und ihre weiten Heiratskreise können hier nicht näher untersucht werden, siehe hierzu immer noch aufschlussreich die ältere Literatur wie H. Fr. Macco, Beiträge zur Genealogie rheinischer Adelsund Patrizierfamilien, Bd. IV: Geschichte und Genealogie der Familie Pastor, Aachen 1905; oder Scheibler, Wülfrath, Westdeutsche Ahnentafel, S. 315-399; M. Barkhausen, Die sieben bedeutendsten Fabrikanten der Roerdepartements im Jahre 1810, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 25 (1960), S. 100-113. 78

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Karte 1: Bewohnerdichte (Zahl der Hausbewohner je Haus) und Verteilung der Migranten, Burtscheid im Jahre 1812

Obgleich wir es in Burtscheid demnach mit einer ›Zuwanderungsgesellschaft‹ zu tun haben und sich über den gesamten Beobachtungszeitraum stets eine Migration sowohl von Einzelpersonen als auch von kinderlosen Ehepaaren oder solchen mit Kindern feststellen lässt, zeichnen sich zwischen diesen Gruppen im fraglichen Zeitraum doch deutliche Unterschiede ab: Aus der auffälligen Zahl von in Burtscheid Geborenen in der Altersgruppe zwischen 44 und 53 Jahren kann der vorsichtige Schluss gezogen werden, dass die auch aus den Taufregistern erkennbar hohe Zahl von Geburten in den frühen 1760er Jahren auf eine starke Zuwanderung von jungen Paaren zurückzuführen ist. In den folgenden Jahrzehnten erreichte die städtische Bevölkerung offenbar eine solche Größenordnung, dass 79

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sich die Wohn- und Lebensbedingungen zunehmend verschlechterten und dadurch Familien von einer Zuwanderung abgehalten wurden.29 In den letzten beiden Jahrzehnten vor 1800 dominierten Einzelpersonen das Zuwanderungsmuster. In der Mehrheit waren dies junge Frauen, die temporäre Arbeit als häusliche Dienstboten suchten. Das Wanderungsverhalten der Männer, die zumeist auf Dauer ein Auskommen in der Textilindustrie anstrebten, wurde hingegen von den Veränderungen innerhalb des Produktionssystems beeinflusst. Die Funktion von Haushalt und Familie als geschlossene Arbeitseinheit trat zunehmend in den Hintergrund und damit die Migration solcher Einheiten. Die individuelle Lohnarbeit setzte sich durch, unabhängig davon, ob die Subsistenzsicherung auf der Grundlage von Heimarbeit erfolgte oder das Einkommen und damit die Existenz an eine Beschäftigung in einer zentralisierten Betriebseinheit gebunden war. Festzuhalten ist, dass junge, alleinstehende Männer in dieser Phase der Entwicklung der Tuchindustrie leichter eine Beschäftigung fanden als ganze Familien und zudem besser mit den erschwerten Lebensbedingungen umgehen konnten, als dies Familienverbänden möglich war. Deutlich wird auch – wie das hohe Heiratsalter dieser Männer zeigt –, dass diese Zuwanderer erst spät eine eigene Familie gründeten.30 Obwohl in den Zensuslisten von 1798/99 nur das Jahr des Zuzugs verzeichnet ist, kann das Bild der Migration durch die Angaben des Herkunftsortes in den französischen und preußischen Zivilstandsregistern vervollständigt werden. Für 1798/99 ist dies für 32% aller Einwohner möglich. Es zeigt sich – wie es zu vermuten war –, dass 80% aller Migranten aus Orten kamen, die im Umkreis von 25 Kilometern um Burtscheid liegen (Karte 2).31 Dies entspricht nicht nur den in der Einleitung bereits genannten Forschungsergebnissen von Pooley und Turnbull für England, sondern auch den Arbeiten von Claudia Erdmann für die Stadt Aachen über das Jahr 1812. Es überrascht auch nicht, dass mehr Zuwanderer aus protoindustriell geprägten Dörfern als aus rein agrarisch-strukturierten Orten stamm29 Zu den Wohnbedingungen u. dem stagnierenden Baubestand siehe Schmidt, Burtscheid, insb. S. 37-50. 30 Bei Webern 29,8 Jahre, bei Scherern 30,3 Jahre. 31 C. Erdmann, Aachen im Jahre 1812. Wirtschafts- und sozialräumliche Differenzierung einer frühindustriellen Stadt, Stuttgart 1986; dies., Laurensberg in französischer Zeit (1794-1814), in: H. Lepper (Hg.), Laurensberg in seiner Geschichte, Aachen 1995, S. 139-159; dies., Eilendorf zur französischen Zeit, in: H. Lepper (Hg.), Eilendorf in seiner Geschichte, Aachen 1988, S. 115-149. 80

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ten. Die These, die sich aus diesem Befund folgern lässt, lautet: Wer bereits in seinem Heimatort Kontakt zur Tuchindustrie hatte oder zumindest in Kontakt mit einer industriellen Existenzweise stand, dem fiel es leichter, in die aufstrebenden Orte der Textilindustrie zu migrieren und dort sein Auskommen zu finden. Karte 2: Verteilung der Herkunftsorte von Zuwanderern, die im Jahre VII (1798/99) in Burtscheid lebten

Nachfolgend steht die Frage im Mittelpunkt, welchen Integrationsstrategien Zuwanderer folgten, beziehungsweise ob es signifikante Unterschiede in der Lebenschancenauswertung von Zugewanderten oder solchen Personen gegeben hat, für die eine Migration ausgeschlossen werden kann. Bereits mit der Auswahl von Mathias Meisen als einführendes Beispiel wurde gezeigt, dass die Migration in einen aufstrebenden Manufakturort auch von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt sein konnte. Eine eigene Familie, ein eigener Betrieb, ein eigenes Haus sprechen dafür. Da wir es – wie oben gezeigt – jedoch mit einer Gesellschaft von Migranten zu tun haben, gilt das Interesse der folgenden Bemerkungen jenen Zugezogenen, die aufgrund ihrer geringen Qualifikation oder aufgrund von Brüchen in ihren Biografien vermutlich besonderen Integrationsproblemen ausgesetzt waren. Zudem handelt es sich um Menschen, die in der historischen Forschung bislang nur selten Berücksichtigung gefunden habe.

81

MARTIN SCHMIDT

Die Lebensverhältnisse dieser Personen in Burtscheid schildert anschaulich der Aachener Arzt Friedrich Ernst Hesse in einem im Jahr 1804 erschienen Bericht: „Ungesund aber sind fast durchgehends die Wohnungen des dritten Standes, der gemeinen Arbeitsleute; diese sind gewöhnlich niedrig, dumpfig und feucht. Hier befindet sich gewöhnlich die ganze Familie beyeinander, und arbeitet, ißt und trinkt, und betet und bettet sich beysammen. […] Widrig ist der Eintritt in die Wohnungen der vierten Klasse, der Armen. Diese wohnen meistens in noch engeren und feuchten und dabey äußerst schmutzigen und mit allerley bösen Ausdünstungen angefüllten Kammern.“32

Quellengrundlage für die Analyse der sozialen Situation Zugewanderter und ihrer sich darin widerspiegelnden Integrationsmöglichkeiten sind wiederum die beiden Bevölkerungserhebungen der Jahre 1798/99 und 1812. Verwendet werden die Daten jener Personen, die sowohl 1798/99 als auch 1812 in den Zensuslisten erfasst wurden. Die vergleichsweise geringe Zahl von 1.151 Fällen, in denen die betreffende Person in beiden Listen zu finden ist (32,6% bezogen auf alle Einwohner 1798/99), begründet sich vor allem dadurch, dass in der Erhebung von 1798/99 Kinder unter zwölf Jahren nicht namentlich erscheinen, sondern lediglich den Eltern zahlenmäßig zugeordnet wurden. Eine weitere Verringerung der Verknüpfungsquote ergibt sich aus der Abwanderung und einer in den zur Verfügung stehenden Quellen nicht unmittelbar personenbezogenen nachweisbaren Zuwanderung in jenen Jahren, die zwischen den beiden Erhebungen liegen. Da sich jedoch das Interesse auf diejenigen richtet, die langfristig in Burtscheid verblieben, kann das über nominative Verknüpfungsverfahren erreichte Datensample als eine gute Grundlage für die folgenden Überlegungen betrachtet werden. Zumal der Migrantenanteil in der so erreichten Datengrundlage mit 39% nur unwesentlich niedriger liegt als in der Erhebung von 1798/99 (44%). Eine der unter ungünstigen Bedingungen lebenden Gruppen waren die Tagelöhner, welche die Quellen als ›journalièr‹ bezeichnen. Sie machen 7,6% aller berufstätigen Zuwanderer aus. Die überwiegende Mehrheit von ihnen dürfte als Wollwäscher, Wollschläger, Wollsortierer und in ähnlichen Beschäftigungen in der Tuchindustrie gearbeitet haben. Nur 38,5%

32 Zit. nach Th. R. Kraus, Auf dem Weg in die Moderne. Aachen in französischer Zeit 1792/93, 1794-1814. Handbuch-Katalog zur Ausstellung im „Krönungssaal“ des Aachener Rathauses vom 14. Januar bis zum 5. März 1995, Aachen 1994, S. 258. 82

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von ihnen waren Männer und vermutlich haben viele von ihnen in den zentralen Kernen der Manufakturen gearbeitet.33 Zwischen Zugezogenen und in Burtscheid geborenen Männern, die als Taglöhner arbeiteten, lassen sich auf den ersten Blick keine signifikanten Unterschiede feststellen. Etwa 65% in beiden Gruppen waren älter als 53 Jahre. Es ist anzunehmen, dass die Mehrheit von ihnen nicht mehr in der Lage war, körperlich anstrengende Tätigkeiten auszuüben und daher auf leichtere Beschäftigungen in der Tuchindustrie zurückgriff, wenn sich solche Chancen boten.34 Bei Frauen, die in den Bevölkerungslisten als ›journalière‹ registriert wurden, fallen hingegen deutliche Unterschiede zwischen Einheimischen und Zugezogenen auf. Ähnlich wie im Fall der männlichen Tagelöhner war die unqualifizierte Tätigkeit auch bei der ersten Gruppe ein Altersphänomen: 40% von den in Burtscheid Geborenen waren 48 Jahre oder älter. Unter den Zugewanderten, die als Tagelöhnerinnen arbeiteten, gab es hingegen einen deutlich höheren Anteil jüngerer, verheirateter Frauen. Fast die Hälfte der Ehemänner dieser Frauen ging ebenfalls einer unqualifizierten Beschäftigung nach und weitere 44% arbeiteten im Textilgewerbe als Scherer oder Weber. Zudem waren 46,2% dieser Ehemänner selbst zugewandert. Damit tritt in diesen Fällen eine Haushaltform auf, die zeigt, dass weder Haushalt noch die Familie geschlossene Produktionsgemeinschaften bildeten. Vielmehr sind diese Gemeinschaften als moderne Reproduktions- und Konsumgemeinschaft aufzufassen, die durch eine ›family wage economy‹ die Subsistenz der gesamten Einheit sicherten. Die Textilindustrie schaffte Chancen – die Migranten nutzten sie, auch dann, wenn sich die Existenz nur mit minderqualifizierter Arbeit oder durch Kombination von Tagelohn und Manufakturarbeit sichern ließ. Im Fall der Spinnerinnen wird dieser Befund bestätigt. Auch unter ihnen finden sich mehr zugezogene als in Burtscheid geborene Frauen (ca. 66% gegenüber 33%) – eine Quote, die auch in der Gruppe der verheirateten Spinnerinnen konstant blieb. 85% ihrer Ehemänner arbeiteten ebenfalls in der Tuchindustrie, bei den einheimischen Spinnerinnen war dies nur zu 54% der Fall; 18,2% der in Burtscheid geborenen Spinnerinnen hatten sich mit einem Lokalhandwerker verheiratet, von denen nur 4,8% zugewandert waren. Wichtig ist jedoch festzuhalten, dass nur in Ausnahme-

33 Die Burtscheider Arbeiterlisten, in denen fast ausschließlich Männer erfasst wurden, verzeichnen in den zentralisierten Betrieben ›journaliers‹ (Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, franz. Zeit, Nr. 116/117). 34 Vgl. den bereits zitierten Bericht des Arztes Friedrich Ernst Hesse (abgedruckt bei Kraus, Auf dem Weg in die Moderne, S. 260-261) 83

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fällen die Ehefrauen von Lokalhandwerkern als Spinnerinnen tätig wurden; mehr als 86% von ihnen gingen keinerlei Beschäftigung nach. Zu vermuten ist, dass es hier zu einem Verhalten kam, dass sich am ehesten mit dem Begriff des ›backward bending supply of labour‹ beschreiben lässt. Bei guter Konjunktur, die unzweifelhaft in der napoleonischen Zeit im Aachener Tuchgewerbe und damit auch für das Lokalgewerbe herrschte, und bei steigenden Reallöhnen, die sich nachweisen lassen, drosselte die Reproduktionseinheit Haushalt ihren Arbeitseinsatz, anstatt aus der Situation Gewinn zu schlagen und ein ›surplus‹ aus einer zusätzlichen Arbeit der Ehefrauen in der Tuchindustrie zu erwirtschaften, das heißt ein höheres Familieneinkommen als nötig zu erreichen und somit nachhaltig die Situation des Haushaltes zu verbessern. Die Familien betrachteten offenbar ihre Existenzbedingungen als ausreichend gesichert. In Weberhaushalten sah diese Situation anders aus – allerdings vornehmlich für Ehepaare, bei denen wenigstens einer der Partner einen Migrationshintergrund hatte. Zwar werden in solchen Haushalten je nach Herkunft der Eheleute zwischen 53% und 63% der Ehefrauen 1812 als ›sans etat‹ verzeichnet, doch schon dies zeigt den Unterschied zum Lokalgewerbe, zu dem im Jahr 1812 auch Mathias Meisen gehörte. Die Notwendigkeit, einen Zusatzverdienst einbringen zu müssen, wurde für die Frauen höher, wenn der Haushaltsvorstand migriert war.35 Waren beide Partner nach Burtscheid gezogen, arbeitete sie in 46,6% der Fälle ebenfalls im Textilgewerbe, während dies in Haushalten, denen ein im Ort geborener Weber vorstand, lediglich bei etwa einem Viertel der Fälle nötig war.36

35 Denkbare Kombinationen sind: Er ist Migrant/sie nicht, sie ist Migrantin/er nicht, beide sind Migranten, beide sind im Ort geboren. 36 Es ist durchaus denkbar, dass Haushalte von in Burtscheid geborenen Webern eher nach dem Muster einer Arbeitseinheit funktionierten und damit dem eines traditionellen Handwerkertyps entsprachen, während die Haushalte von zugewanderten Webern bereits der moderneren ›family-wage economy‹ folgten. Diese unterschiedlichen Haushaltsökonomien können als Reflex auf eine weitgehende Arbeitsteilung auch im Bereich der Weberei innerhalb des Betriebssystem der ›Dezentralen Manufaktur‹ gewertet werden. Hierzu siehe J. Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen in der Proto-Industrialisierung, in: P. Kriedte, H. Medick, ders. (Hg.), Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 53), Göttingen 1977, S. 194-257, hier S. 229, 232f. 84

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

Diese wenigen Zahlen erlauben erste Rückschlüsse auf die Burtscheider Gesellschaft. Wurde ein Haushalt durch einen zugewanderten Ehemann konstituiert, bestand für die Ehefrau in deutlich höherem Maße die Notwendigkeit, einen eigenen Beitrag zum Haushaltseinkommen zu leisten, als dies bei in Burtscheid geborenen Haushaltsvorständen der Fall war. Optionen für ein solches Zusatzeinkommen bot fast ausschließlich die Tuchindustrie. Bei Verwitwung oder altersbedingter Arbeitsunfähigkeit halfen im Falle von einheimischen Burtscheidern scheinbar soziale Sicherungssysteme die Situation zu meistern (Verwandtschaft, Chancen auf weniger anstrengende Arbeit durch längere Kontakte etc.). Zugezogenen standen solche Möglichkeiten nicht im gleichen Maß zur Verfügung. Diese These lässt sich verifizieren. Insbesondere die Untersuchung von Personen, die einen Bruch in ihrer Biografie hinnehmen mussten, eignet sich hierfür. Als Beispiel sei das Verhalten nach dem Tod eines Ehepartners und damit das Problem der Wiederverheiratung herausgegriffen, denn gerade hier hatte die Herkunft Auswirkungen: Generell waren die Aussichten auf eine zweite Ehe für Witwen wesentlich schlechter als für Witwer. Zu jeweils 57% führten einheimische wie zugezogene Frauen nach dem Tode des Ehemannes den Haushalt selbstständig fort. Die Mitglieder beider Gruppen waren in etwa gleichem Maße berufstätig, in Burtscheid geborene Witwen sogar etwas mehr (52%) als zugezogene (44%). Deutliche Unterschiede zeigen sich allerdings bei der Art der Beschäftigung: Bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl der in Burtscheid geborenen Witwen deuten die Berufsangaben auf eine Fortsetzung der Selbständigkeit ihrer verstorbenen Ehemänner hin. Auch bei den vier als ›Weberinnen‹ verzeichneten Witwen macht die Zusammensetzung der von ihnen geführten Haushalte klar, dass nicht sie selbst als Weberinnen arbeiteten, sondern dass sie als Inhaberinnen der ehemals von ihren Ehemännern betriebenen Werkstätten auftraten. Ähnliches gilt für zwei verwitwete Tuchfabrikantinnen. Allein fünf in Burtscheid geborene Witwen wurden in der Bevölkerungserhebung als ›vermögend‹ bezeichnet. Unter den nicht aus Burtscheid stammenden Witwen gab es dagegen lediglich eine Tuchfabrikantin. Keine in Burtscheid geborene Witwe arbeitete als Spinnerin, aber 59% der von auswärts stammenden Witwen, für die Berufsangaben vorliegen, mussten als Spinnerinnen oder mit einer Hilfstätigkeit in der Tuchindustrie ihr Auskommen sichern. Unterschiede zeigen sich auch bei der sozialen Integration von Frauen, die keinen Ehemann fanden oder verwitwet waren. Sie schlägt sich ebenfalls erkennbar in den Haushaltskonstellationen nieder. Die Studie von George Alters zu den Frauen in Verviers während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat gezeigt, dass zwischen zugezogenen und einheimi-

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schen Frauen ein deutlicher Unterschied hinsichtlich der familialen Integration bestand:37 Unverheiratete einheimische Frauen blieben in Verviers zu einem sehr hohen Anteil auch nach dem Tod eines der Elternteile im elterlichen Haushalt. Nur selten lebten sie in Haushalten verheirateter Geschwister. Sie zogen nach dem Tod beider Elternteile die Lebensgemeinschaft mit gleichfalls ledigen oder verwitweten Frauen vor. Das Zusammenleben verheirateter Kinder mit ihren Eltern (Dreigenerationenhaushalt) blieb die Ausnahme und beschränkte sich auf eine kurze Phase zu Beginn der neuen Ehe. Nur jüngere Witwen kehrten teilweise in den Haushalt ihrer Eltern zurück. Der überwiegende Teil von ihnen setzte den eigenen Haushalt, dem nun der Ehemann fehlte, fort und nahm weitere, teils verwandte Personen auf. Erst im fortgeschrittenen Alter bildeten sie wieder Lebensgemeinschaften mit einem oder beiden Elternteilen. George Alter interpretiert dies als familiengestützte Form der Existenzsicherung. Junge Witwen wurden durch ihre Eltern unterstützt, ältere dagegen unterstützten ihre Eltern. Bei zugezogenen Frauen zeigen sich dagegen andere, zugleich aber auch differenzierte Muster. Während junge, unverheiratete Frauen ähnlich wie die einheimischen häufig mit ihren Eltern zusammenlebten, taten dies Frauen in den mittleren Jahren kaum. Nicht zuletzt begründet sich dieser Unterschied durch eine deutlich höhere Heiratsquote unter den eingewanderten Frauen. Erst in höherem Alter glichen sich die Lebensformen zwischen einheimischen und zugezogenen Frauen wieder an. Diese Befunde sind, obwohl sie für eine spätere Entwicklungsperiode Gültigkeit haben, durchaus mit der Situation in Burtscheid um 1812 vergleichbar. In dem Ort können schon in der Sonderkonjunkturphase der napoleonischen Zeit ähnliche Strukturen wie in Verviers während der Fabrikindustrialisierung festgestellt werden. In Burtscheid hatte das Tuchgewerbe bereits um 1800 den Ort so tiefgreifend geprägt, dass von einer weitgehend industriellen Gesellschaft gesprochen werden kann. Die grundsätzlich dominante Form des Haushaltes in Burtscheid war eine sehr einfache: Das haushaltskonstituierende Ehepaar lebte zusammen mit seinen Kindern ohne sonstige Erweiterungen (44,4%). Zwischen den vier dabei möglichen Konstellationen in Bezug auf die Herkunft lassen sich nur geringe Varianzen feststellen. Erst unter Berücksichtigung der Berufsstruktur der Haushaltsvorstände ergeben sich Unterschiede. Haushalte zugewanderter Textilarbeiter (beide Migranten) waren im Durchschnitt um eine Person kleiner als Haushalte von Einheimischen (4,94 zu 5,84 Personen). Dieser Befund erklärt sich durch das spätere Heiratsalter von Migranten, welches den Repro37 G. Alter, Family and the Female Life Course. The Women of Verviers, Belgium, 1849-1880, Madison/ Wisconsin 1988, insb. S. 63-90. 86

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

duktionszeitraum deutlich verkürzte. Die spätere Haushaltsgründung dürfte in einer schwierigeren Positionierung der Partner in der Burtscheider Gesellschaft begründet gewesen sein, die zwar den Unverheirateten eine Chance bot, die eigene Subsistenz zu sichern, die jedoch die Optionen zu Familiengründungen einschränkte. Zudem gewährten Migrantenfamilien ihrem Nachwuchs – anders als später in Verviers – keine Unterstützung. Deutlich wird dies am Verhalten gegenüber den Töchtern. Eine wesentlich höhere Zahl unverheirateter einheimischer Frauen lebte nach wie vor bei ihren Familien (mehr als 42%), während unter den Zugewanderten der Anteil nur bei knapp 17% lag. Dies könnte sich – wie in Verviers – durch eine Bevorzugung zugewanderter Frauen bei der Eheschließung begründen. Doch ein solches Phänomen liegt nicht vor; vielmehr gaben mehr als 60% aller zukünftigen Ehemänner einer geborenen Burtscheiderin den Vorzug. Es ist zu vermuten, dass die Eltern noch nie oder nicht mehr in Burtscheid lebten. Abb. 3: Eine frühe Form des Arbeiterwohnungsbaus – die sogenannten Abteihäuser in Burtscheid. Erbaut um 1716 im oberen Teil der Hauptstraße, später aufgestockt und 1945 zerstört.

Hatten in diesem Fall Burtscheiderinnen eine bessere Chance, lassen – wie erwähnt – die Daten erkennen, dass eine junge Frau, die Mitglied einer Burtscheider Familie war, von dieser unterstützt wurde, wenn sie selbst keine eigene Familie gründen konnte. War sie hingegen zugewandert, musste sie trotz allem den Haushalt verlassen und sich eine eigene Existenz aufbauen. Dies belegen folgende Zahlen: Etwa 78% aller zugewan-

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derten unverheirateten Frauen über 30 Jahre mussten für ihren Lebensunterhalt arbeiten, während unter den Einheimischen hierzu nur etwa 30% gezwungen waren. Selbst verwitwet, kehrten junge Migrantinnen nicht zu ihren Eltern zurück. Nur zwei Witwen lebten wieder bei diesen. Die oben benannte These bestätigt sich. Es scheint, dass einheimische Familien über bessere Möglichkeiten der Subsistenzsicherung verfügten und dadurch ihre Kinder länger versorgen konnten, während dies bei Zugewanderten auf Schwierigkeiten stieß. Es sei daran erinnert, dass bereits die Mehrzahl der Ehefrauen in Migrantenhaushalten gezwungen war, durch ein Zusatzeinkommen die Subsistenz der Gemeinschaft zu sichern.38

Kleinräumige Migration bestimmt die Gesellschaft Am Vorabend der Fabrikindustrialisierung war die Aachener Textilindustrie von einem regionalen Betriebssystem – der ›Dezentralen Manufaktur‹ – bestimmt, in welchem zentralisierte Manufakturarbeit mit verlagsmäßig organisierter Heimarbeit kombiniert wurde und Manufakturstädte, wie Burtscheid, die prägende Rolle spielten. Die Untersuchung der kleinräumigen Migration in diesem Zusammenhang beleuchtet zwei vordergründig unterschiedliche Seiten derselben Medaille: Zwischen Migranten und Einheimischen lassen sich signifikante Unterschiede festmachen. Für Zugezogene bot insbesondere die Tuchindustrie, mit ihrem Bedarf an unterschiedlich qualifizierten Arbeitskräften, Einkommenschancen an, während Nicht-Migranten auch andere Wege finden konnten, ihren Unterhalt zu decken. Es wird deutlich, dass Migranten der ersten Generation nicht auf die gleichen Verbindungen zurückgreifen konnten wie Einheimische. Während zugewanderte Handwerker ihre Haushalte durch Fremde ergänzen mussten, führte die hohe Mobilität der Textilarbeiter zur Bildung von Haushaltstypen, die sich im Wesentlichen auf die Kernfamilie beschränkten und kaum erweitert wurden. Insbesondere jüngere Zuwanderer, die als Einzelpersonen kamen, bildeten bereits proletarische Haushalts- und Familienmuster aus, indem sie sich gänzlich auf Lohnarbeit konzentrierten (›family wage economy‹). Der als Beispiel immer wieder erwähnte Meisen war hier eine Ausnahme. Die Nachkommen solcher Familien verließen früh die Haushalte ihrer nach Burtscheid zugewanderten Eltern. In Fällen von Brüchen in der Biografie hatten 38 Vgl. u.a. G. Adelmann, Die ländlichen Textilgewerbe des Rheinlandes vor der Industrialisierung, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 43 (1979), S. 260288, hier S. 276. 88

BURTSCHEID – MIGRATIONSERFAHRUNG UND INTEGRATION

diese Migranten weniger Möglichkeiten, ihre Subsistenz zu sichern, was sich an den Witwenhaushalten und der Tätigkeit von Frauen als Spinnerinnen deutlich zeigt. Selbstverständlich lassen sich solche Aussagen bei der angewandten Methode – der nominativen Verknüpfung unterschiedlicher Quellen – nur innerhalb der Grenzen von Haushalten und auf der Grundlage engster verwandtschaftlicher Beziehungen treffen. Rückschlüsse auf eventuell bestehende weitergehende Netzwerke und andere soziale Integrationsformen sind dagegen nicht oder zumindest nicht unmittelbar zu treffen. Sie können jedoch angenommen und nicht ausgeschlossen werden. Festzuhalten bleibt weiter, dass in einer von kleinräumiger Migration bestimmten Gesellschaft bereits nach einer Generation der soziale Hintergrund der Familien ausreichte, um genügend Kontakte zu knüpfen, sich hinsichtlich der sozio-ökonomischen Muster in die bestehende Gesellschaft zu integrieren und auf dieser Basis Risiken abzufedern. Die regionale Migration war eine Schlüsselerfahrung der Bevölkerung in der Region Aachen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Im Jahr VII (1798/99) hatte in Burtscheid jede zweite Person entweder aus eigenem Erleben oder durch ein Mitglied ihrer engsten Familie Kenntnisse über eine dauerhafte Verlagerung des Lebensmittelpunktes. In Burtscheid wurden Einwanderer nicht in eine bestehende Gemeinschaft aufgenommen; vielmehr entstand unter dem Einfluss der Textilindustrie und der durch sie induzierten permanenten Zuwanderung eine urbane Gesellschaft, die zu Recht auch als eine Migranten-Gesellschaft verstanden werden kann. Schließlich war auf dem Höhepunkt der beschriebenen Entwicklung um 1800 in allen wirtschaftlichen Sektoren und in allen gesellschaftlichen Gruppen eine große Zahl von Zuwanderern oder zumindest von deren Nachkommen zu finden. Menschen verlegten in der Region ihren Lebensmittelpunkt. Sie suchten ihre Position entweder direkt als Arbeiter in der Tuchindustrie oder wurden – indirekt – als Handwerker, die den Bedarf der Industrie und der wesentlich von ihr beschäftigten Bevölkerung nach Waren und Dienstleistungen deckten, von ihr abhängig. Die zu beobachtenden Wanderungsbewegungen – das hier nicht diskutierte, aber festzustellende Pendlerwesen – und die dargestellte Langzeitmigration im regionalen Kontext waren für die Industrie mindestens so bedeutend wie der räumliche Ausbau der verlagsmäßig organisierten Betriebsteile innerhalb des regionalen Systems der Tuchproduktion. Beides sicherte der Industrie den Zugang zu immer breiteren Schichten der Bevölkerung und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit mit der Betriebsform ›Dezentrale Manufaktur‹. Und Mathias Meisen ist demnach ein erfolgreicher Aufsteiger, aber in keiner Weise ein besonderer Fall.

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EIN WIRTSCHAFTSRAUM BLEIBT ERHALTEN! MIGRATION IN DER TEXTILREGION A A C H E N -V E R V I E R S I M S P Ä T E N 18. U N D F R Ü H E N 19. J A H R H U N D E R T CHRISTIANE SYRÉ

I Der 22-jährige Johann Lambert Schmitz ist Tuchscherer und arbeitet wie die überwiegende Mehrheit unter den etwa 9.500 Einwohnern seiner Heimatstadt Eupen in der Tuchindustrie. Im Jahr 1818 beschließt er, Eupen zu verlassen. Hat er seinen Arbeitsplatz verloren? Haben die neuen Schermaschinen ihn aus seinem Beruf verdrängt? Wir wissen es nicht. Die Akten im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf über Auswanderungen aus dem Regierungsbezirk Aachen belegen lediglich, dass der junge Scherer seine Heimatstadt verlassen wollte. Ein solcher Schritt war durchaus nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit und in dieser Region und er muss auch nicht unbedingt mit der zunehmenden Fabrikindustrialisierung in Verbindung gebracht werden. Migration bestimmte den Raum seit dem 17. Jahrhundert. Immerhin waren zwischen 1680 und 1720 über 400 Tuchscherer, angelockt von den aufstrebenden Manufakturen und dem regen Leben in der Stadt, nach Eupen migriert.1 Für viele hatten sich gute Verdienstmöglichkeiten aufgetan. 100 Jahre später scheint das für Schmitz nicht mehr zutreffend gewesen zu sein. Er erhoffte sich durch seine Wanderung ein „besseres Auskommen“ in dem nur wenige Kilometer weiter westlich gelegenen Manufakturort Dolhain, wie er selbst bei seinem offiziellen Auswanderungs-

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L. Hermanns, Die Anfänge der Feintuchmanufaktur in Eupen, in: Geschichtliches Eupen XV (1981), S. 163-169, hier S. 167. Zu Sedan: La Manufacture du Dijonval et la Draperie Sedanaise 1650-1850, hg. v. Ministère de la culture, Charlesville 1984; G. Gayot, B. Lassaux, Manufactures et usines dans une citadelle: Sedan (XVIIe-XIXe siècle), in: Revue du Nord 79 (1997), S. 495-514. 90

EIN WIRTSCHAFTSRAUM – MIGRATION IN DER TUCHREGION

begehren angab.2 Neu an der Situation war nicht, dass einer wie Schmitz migrieren wollte, neu war vielmehr, dass er nicht einfach seine Habseligkeiten zusammenpacken und sich auf den Weg machen konnte, so wie viele vor ihm, sondern zunächst seine Abwanderung von den Behörden genehmigen lassen musste. Denn eine neue Staatsgrenze teilte die Region. Eupen gehörte infolge der staatlichen Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress zu Preußen, Dolhain auf belgischer Seite zum Königreich der Vereinigten Niederlande.3 Abb. 1: Häuser des 18. Jahrhunderts in Dolhain.

Diese Grenze teilte administrativ eine Region, die immer noch einen Wirtschaftsraum bildete und zwischen 1794 und 1814/15 faktisch Teil des französischen Staates gewesen war.4 Die Situation nach der Neuordnung Europas bedeutete nicht nur für Unternehmer diesseits und jenseits der Grenze eine Umstellung, sondern eben auch für Personen wie Johann Lambert Schmitz. Doch gerade der neuen Grenze verdanken wir Kenntnisse über die Migrationsbewegungen der Menschen in der Region. Denn alle, die über die Grenze zu wandern beabsichtigten, wurden in den Amtsstuben mit ihrem Namen, Alter und Beruf erfasst. Neben Wohn- und Geburtsort fragten die preußischen Beamten auch, wohin es gehen sollte und aus welchem Grund ein Pass oder die Genehmigung zur Ausreise beantragt würde. 2 3 4

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Regierung Aachen, Nr. 18314, Auswanderungen Kreis Eupen, Bd. 1, 1817-1818. Zur Grenzziehung vgl. den Beitrag ›Die politischen Verhältnisse zwischen Maas und Rhein von 1780 bis 1820‹ in diesem Band. Th. R. Kraus, Auf dem Weg in die Moderne. Aachen in französischer Zeit 1792/93, 1794-1814. Handbuch-Katalog zur Ausstellung im „Krönungssaal“ des Aachener Rathauses vom 14. Januar bis zum 5. März 1995, Aachen 1994, S. 87-90, 112-120. Siehe auch M. Schultheis-Friebe, Die französische Wirtschaftspolitik im Roer-Departement 1792-1814, Diss. Bonn 1969. 91

CHRISTIANE SYRÉ

So sind die Listen und Quellen, die sich beispielsweise in Archiven in Aachen, Eupen oder Düsseldorf erhalten haben, heute wichtige Zeugnisse, aus denen sich zahlreiche Informationen über die Migrationsbewegungen ableiten lassen. Selbstverständlich sind diese Quellen mit einiger Vorsicht zu interpretieren, denn wer gab schon gerne der staatlichen Verwaltung die wirklichen Gründe an, wenn er wie Schmitz preußischen Boden zu verlassen beabsichtigte. Manch junger Mann, der sich dem preußischen Militärdienst entziehen wollte, verschwieg dies und schob wirtschaftliche Gründe vor. Vielleicht auch Schmitz? Ganz abgesehen davon blieben die von Beamten notierten Begründungen oft vage und beschränkten sich häufig auf wenige Worte. Oft schrieben sie lediglich allgemeingültige Formulierungen auf wie „besseres Auskommen“, „Arbeitsmangel“ oder generelle „berufliche Gründe“. Doch nicht immer blieb der Migrationsgrund so ungenau. Einige der Antragsteller konnten bereits auf eine neue Anstellung am Zielort verweisen, was auf eine hohe Vernetzung der Region und einen permanenten Informationsfluss im nun politisch geteilten Wirtschaftsraum schließen lässt. „Arbeitsmangel“ am Wohnort und die Hoffnung auf ein „besseres Unterkommen“, das waren die in den Amtsstuben am häufigsten genannten Gründe für eine Migration. „Arbeitsmangel durch Niederlage der Fabriken“ beklagte beispielsweise auch Johann Friedrich Koenemann und hoffte in Frankreich eine neue Stellung zu finden. Sein Namensvetter, der Färber Gustav Adolph Koenemann, wollte aus gleichem Grund dorthin. Immerhin 96% derjenigen, deren Berufe dem Exportgewerbe zuzuordnen sind – zu dem die Tuchindustrie zu zählen ist –, gaben wirtschaftliche Gründe für ihren Weggang an. Nur selten wurden andere genannt, so wollte zum Beispiel der Wollhändler Jeghers von Eupen nach Frankfurt migrieren, um sich dem Militärdienst zu entziehen, andere gaben private oder familiäre Gründe an. Vorsicht ist in der Auswertung der Quellen zunächst auch deshalb geboten, da zum Beispiel die Listen aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und aus dem Eupener Staatsarchiv Personen verzeichnen, die entweder die Erlaubnis zur Grenzüberschreitung erhalten hatten oder einen Pass beantragten.5 Beide Listen beziehen sich somit vordergründig zunächst auf die 5

Siehe zu den Quellen den Beitrag ›Archive und Quellen zur Migration im belgisch-deutschen Grenzraum‹ in diesem Band. Hier u.a. Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Auswanderungen aus dem Regierungsbezirk Aachen, Regierung Aachen Nr. 18314, 18315, 18392, 18356, 1818-1830, 18392 von 1818; Staatsarchiv Eupen, Französische Zeit, Nr. 34, sous-préfecture de 92

EIN WIRTSCHAFTSRAUM – MIGRATION IN DER TUCHREGION

Bereitschaft die Grenze zu passieren und belegen nicht unmittelbar eine tatsächlich stattgefundene Migration. Da die Migration – wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt – in der Region Aachen-Verviers nicht die Ausnahme, sondern die Regel war, ist aber davon auszugehen, dass die erfassten Personen tatsächlich ihren Wohnort wechselten. Hierfür sprechen unter anderem die weiteren Angaben in den Listen: zum Beruf, zum Zielort und nicht zuletzt die angegebenen Gründe. In Korrelation zu dem, was in der Forschung insbesondere über kleinräumige Migration bekannt ist, ist diese Annahme für die meisten wohl zutreffend. Betrachtet man keine Einzelpersonen, sondern hat das Große und Ganze im Blick, sind die Daten aussagekräftig. Besondere Vorsicht bei der Interpretation ist allerdings bei denjenigen angebracht, deren Beruf Reisetätigkeiten einschloss, wie bei Händlern, Kaufleuten und Fabrikanten. Schwierigkeiten könnte man gleichermaßen bei den Fuhrleuten vermuten. Hier hilft jedoch die Angabe des Grundes weiter, denn wenn dieser „Arbeitsmangel“ oder „Suche nach einem besseren Lebensunterhalt“ lautet, ist die tatsächliche Verlegung des Lebensmittelpunktes (Migration) sehr wahrscheinlich. Gerade bei den aufgelisteten Fuhrleuten ist es nicht unbedingt ein „Auslandsgeschäft“, wofür sie sich die Genehmigung zur Grenzüberschreitung einholten, sondern, wie bei vielen, der Wunsch nach einem „besseren Auskommen“. Um sich ein Bild von dem Migrationsverhalten der Menschen in der Region zu machen, steht neben den Antragslisten auf Pässe ein weiterer Quellentyp zur Verfügung: die Bevölkerungslisten. Für die folgende Untersuchung wurden drei Bevölkerungslisten aus Verviers, die in Zehnjahresabständen zwischen 1808 bis 1828 erstellt wurden, herangezogen. Diese Zeitspanne gibt unter politischen Aspekten sowohl über die französische Zeit unter Napoleon, über die Umbruchjahre nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongress als auch über die Zeit kurz vor der Unabhängigkeit Belgiens von den Niederlanden Auskunft. In Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung markiert sie die Übergangsphase von der ›Dezentralen Manufaktur‹ hin zum Fabriksystem in einer der wichtigsten Städte der Region, in der die Maschinisierung besonders schnell voranschritt.6

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Malmedy, registre des passeports couvrant la période 1812 à 1815, dort auch: Französische Zeit, Nr.34 A (statt paquet 34 A), sous-préfecture de Malmedy, registre des passeports couvrant la période de février 1816 à janvier 1818. Vgl. zur Maschinisierung in Verviers u.a. den Beitrag von K. von Eyl, William Cockerill und seine Söhne, in: G. Fehl, D. Kaspari-Küffen, L.-H. Meyer 93

CHRISTIANE SYRÉ

Die drei Erhebungen enthalten neben Vor- und Familienname, Alter und Beruf auch den Geburtsort und das Jahr der Ankunft in Verviers. So können all diejenigen ermittelt werden, die wenigstens einmal in ihrem Leben migriert sind. Aber auch bei den Bevölkerungslisten gilt, was bereits über die Quellen zu den Pass- und Ausreisebeantragungen angemerkt wurde: sie sind ebenfalls mit Vorsicht zu betrachten und auszuwerten. So erscheint es verwunderlich, dass in den Bevölkerungslisten aus Verviers – obwohl sie im Abstand von nur zehn Jahren erstellt wurden – kaum die gleichen Personen mit Migrationshintergrund vermerkt sind. Selbst wenn man die Mortalitätsrate und ein permanentes Kommen und Gehen berücksichtigt, erstaunt dies doch, zumal die Angaben zu den Migrationsjahren eigentlich nahe legen, dass die gleichen Personen in mehr als in einer Liste vorkommen müssten. Allerdings sind die Angaben, die die Listen enthalten, nicht immer verlässlich. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Pierre Louis Berlangis, geboren in Eupen, gehört zu den wenigen Personen, die sich in allen drei Listen finden. Wenn es um die Frage nach Alter und Ankunftsjahr in Verviers geht, macht er unterschiedliche Angaben, die zwar nur um wenige Jahre variieren, aber doch zeigen, dass unser heutiger Umgang mit exakten Daten nicht auf die Verhältnisse des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts übertragbar ist. So gibt Berlangis bei der ersten Volkserhebung im Jahr 1808 an, dass er 25 Jahre alt und 1805 nach Verviers gekommen sei, zehn Jahre später bei der zweiten Erhebung ist er um zwölf Jahre gealtert und gibt 1804 als Ankunftsjahr an, 1828 ist er 46 und meint 1803 nach Verviers gekommen zu sein. Gleichzeitig ist Berlangis ein Beispiel für eine Person, die im Laufe ihres Lebens den Beruf gewechselt hat. In den ersten beiden Volkszählungen ist er als Weber aufgeführt, 1828 als ›Ecrivain‹, das heißt als Schreiber. Dennoch: Die hohe Bereitschaft der Menschen in der Region AachenVerviers zur Mobilität ist durch die Quellen belegbar, und die aus den Quellen gewonnenen Informationen lassen einen ersten Einblick in die Migrationsformen dieser Region in Transitionsperiode zwischen protoindustriellem Gewerbe, ›Dezentraler Manufaktur‹ und Fabrikindustrialisierung zu. Sie machen deutlich, dass der vom Textilgewerbe geprägte Wirtschaftsraum auch nach der Grenzziehung von den Menschen als solcher aufgefasst und für ihre Zukunftsentscheidungen genutzt wurde. Zwar können unter Eindruck der gerade geschilderten Quellenprobleme keine abschließenden Aussagen getroffen werden – dies bleibt der weiteren Forschung vorbehalten –, doch ist es möglich, erste Fragen zu stellen und Thesen zu entwickeln, die es lohnen, der Region Aachen(Hg.), Mit Wasser und Dampf... Zeitzeugen der frühen Industrialisierung im Belgisch-Deutschen Grenzraum, Aachen 1991, S. 258-259. 94

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Verviers weitere Forschungsprojekte zu widmen. Zu fragen ist beispielsweise: Welche Berufsgruppen machten sich wann auf den Weg? Wie alt waren die Personen, wenn sie sich für einen Ortswechsel entschieden? Wie verhielten sich diejenigen, die bereits über Migrationserfahrung verfügten? Gabt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern, zwischen Ledigen und Familien? Schon hier sein erwähnt: Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlassen Männer und Frauen aller Berufsgruppen und jeden Alters ihren Geburts- oder Wohnort und suchen sich eine neue Bleibe und Arbeit. Und: zwischen den verschiedenen Bevölkerungssegmenten lassen sich deutliche Unterschiede im Migrationsverhalten beobachten, aus denen sich bestimmte Muster und Strukturen ablesen lassen.

II Von dem bereits erwähnten Johann Lambert Schmitz kann man annehmen, dass er nicht nur kurzfristig preußischen Boden verlassen wollte. Er war jung, gerade 22 Jahre alt, ledig, hatte einen qualifizierten Beruf in der Textilindustrie und wählte sich mit seinem Zielort Dolhain einen Manufakturort aus, in dem er im Jahr 1818 durchaus eine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz hatte. ‚Der Arbeit gewissermaßen Hinterherziehen’ war nichts Ungewöhnliches für seinen Berufsstand. Migration unter textilen Facharbeitern, vor allem unter den Scherern, hatte in dieser Region Tradition. Mit ihrer hohen Bereitschaft zur Mobilität reagierten die Bewohner in der Region auf die Veränderungen, die sich im Textilgewerbe abzeichneten. Gleichzeitig hätte diese Industrie ohne die hohe Bereitschaft zu dieser Mobilität nicht existieren können. Mit einem Wechsel des Wohnortes passten sich Menschen neuen Verhältnissen an, um einerseits auf Arbeitsmangel, den Verlust von Arbeitsplätzen am Wohnort zu reagieren, andererseits um ihre eigenen Verhältnisse zu verbessern. Für viele ging es darum, einen attraktiveren oder überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden. Die Verlagerung der textilen Schwerpunkte in der Region, das Auf und Ab von Produktionsstätten, der Niedergang bisheriger Zentren, der Aufstieg neuer erzeugte geradezu einen Migrationszwang. Aber nicht jeder oder jede war mit ihrer Qualifikation in den neuen Produktionsstätten gleichermaßen gefragt. Zwischen den Entwicklungen im Betriebssystem, der Einführung neuer Maschinen und dem Migrationsverhalten bestimmter Bevölkerungssegmente bestand eine unmittelbare Abhängigkeit. 95

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Abb. 2: Ortsbild von Monschau heute. Noch immer hat sich der Flair des 18. Jahrhunderts gehalten - auch wenn neuste Bauprojekte diesen zu gefährden beginnen und das historische Erbe auf dem Spiel steht.

Noch einige Jahrzehnte zuvor, Ende des 18. oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wäre Johann Lambert Schmitz vielleicht nach Monschau gewandert. Doch 1818 war es nicht mehr dieser Manufakturstandort, der ihm neue Arbeit in Aussicht stellte. Denn die Unternehmer in Monschau taten sich schwer mit dem Wechsel im Betriebssystem und mit der Umstellung ihrer Produkte. Die ehemals weltberühmten geflammten Tuche waren nicht mehr gefragt. Zudem war Monschau wie Aachen durch die neuen Grenzen zunächst von den angestammten Märkten im französischen Weltreich abgeschnitten. Bis in die 1830er Jahre verlor Monschau fast 20% seiner Bevölkerung.7 In den Jahren nach dem Wiener Kongress zeichnete sich ein deutlicher Wandel in der Wirtschaftstruktur der Region ab. Die Maschinisierung forderte ihren Tribut! Um Limburg herum bildete sich mit Membach, Dolhain und Baelen eine attraktive Ansammlung von Textilorten, die so dicht beieinander lagen, dass die Produktionsstätten auch fußläufig von

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Hierzu demnächst M. Schmidt, Die Manufakturbauten in der Aachener Tuchindustrie – Ein Spiegel des Betriebssystems zwischen 1750 und 1820, Diss. (in Vorbereitung). 96

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Tagespendlern zu erreichen waren.8 Nicht nur die im Exportgewerbe Tätigen, sondern auch andere Berufsgruppen zog es in zwei Wanderungsströmen zunächst in die Limburger Subregion, dann vor allem nach Verviers, wobei – wie zu erwarten war – der Anteil der Textiler im Fall des Zuzugs in die Zentren der Textilindustrie am größten war. So gaben beispielsweise 1818 von den insgesamt Zugezogenen in Verviers 26% an, aus Limburg zu stammen, unter den Textilern waren es sogar 35%. Ähnlich sieht es bei denjenigen aus Baelen aus: insgesamt waren 1828 13% aus Baelen nach Verviers gekommen, bei den Textilern waren es sogar 17%. Von daher war Schmitz kein Einzelfall, im Gegenteil: Zahlreiche textile Facharbeiter, immerhin 39%, gaben die erwähnten Orte als Ziel ihrer Migration an, vor allem Dolhain, Membach und Baelen. Auch Welkenraedt, nur ein kleines Stückchen weiter östlich gelegen, gehört sicherlich noch zu der gerade benannten Subregion. Ob Johann Lambert Schmitz, wie von ihm erhofft, in Dolhain eine Arbeit fand, lässt sich aus den hier ausgewerteten Quellen nicht ermitteln. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass er hier oder in einem der Orte in der unmittelbaren Nähe – die Entfernungen betragen nur wenige Kilometer – eine Beschäftigung aufnahm, in einem anderen eine Bleibe hatte und täglich zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelte. Abb. 3: Wohnhäuser aus dem 18. Jahrhundert in Baelen. Der belgische Ort liegt auf halber Strecke zwischen Eupen und Dolhain.

Damit wird ein Verhalten benannt, das sich bereits einige Jahre zuvor – noch in der Sonderkonjunkturphase der französischen Zeit – nachweisen lässt.9 In der Teilregion Aachen – Burtscheid - Monschau hatten sich bis

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Zu Dolhain insb. R. Leboutte, De lakenfabriek Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck te Dalem (1794-1890). Een voorbeeld van industrialisatie op het platteland, in: Studies over de sociaal-economische geschiedenis van Limburg 24, 1997, S. 24-82. Die folgenden Abschnitte, die sich auf die Untersuchung von Pendlern beziehen, wurden von Jürgen G. Nagel und Martin Schmidt im Projekt C7 97

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1812 Siedlungsschwerpunkte der Scherer außerhalb der Tuchmacherzentren gebildet, das heißt in ländlichen Orten, in denen nachweislich keine Schererwerkstätten existierten. Verschiedenen zeitgenössischen Quellen ist zu entnehmen, dass es sich bei den auf dem ›Platten Land‹ lebenden Scherern um Pendler handelte, die regelmäßig zur Arbeit in die Manufakturkerne wanderten.10 Auf dem Hochplateau oberhalb Monschaus fallen zwei regelrechte Schererdörfer auf. In Kalterherberg westlich von Monschau gaben bei der Aufnahme des Zensus aus dem Jahr 1801 19,7 % der berufstätigen Männer an, als Scherer zu arbeiten; in Konzen östlich der Stadt waren dies im gleichen Jahr immerhin 16,8 %. Nur 2,1% der Männer, die in Konzen lebten, waren Weber, in Kalterherberg ging kein einziger dieser Beschäftigung nach. Beide Orte boten den pendelnden Scherern einen kurzen, wenn auch steilen Weg zu ihren Arbeitsplätzen. Zudem konnten die hier lebenden Scherer von beiden Orten aus zwischen zwei Manufakturstandorten wählen: Monschau und dem nahegelegenen Imgenbroich. Die weitaus augenfälligste Subregion, die sich durch eine Konzentration landsässiger Scherer auszeichnete, befand sich im Nordosten von Aachen rund um die kleine Ortschaft Haaren. Sie soll deshalb im Folgenden näher untersucht werden: In 29 Dörfern und Weilern mit insgesamt 6.120 Einwohnern lebten 199 Scherer – beinahe doppelt so viele wie im nahgelegenen Manufakturort Burtscheid. In dieser Subregion gingen etwa 11% der berufstätigen Männer einer Beschäftigung in diesem Produktionsabschnitt nach. Zwar dominierten sie damit hier den Arbeitsmarkt nicht so deutlich, wie dies die Spinnerei rund um Kornelimünster tat, doch in Anbetracht des weitaus geringeren Bedarfs der Tuchindustrie an Scherern im Vergleich zu Spinnern und Webern handelt es sich zweifellos um eine sehr auffällige des SFB 235 an der Universität Trier unter der Leitung von Prof. Dr. Dietrich Ebeling erarbeitet. 10 Die wichtigste Quelle sind Arbeiterlisten, die alle Unternehmer in der Region zur Erstellung von Arbeiterbüchern für ihre zentral Beschäftigten abzufassen hatten, die sich jedoch lediglich für Burtscheid und Monschau erhalten haben (zu Burtscheid: Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, franz. Zeit, Nr. 116/7; zu Monschau: Arbeiterlisten Monschau, Stadtarchiv Monschau, 1. Abt. J 90.); vgl. auch Schultheis-Freibe, Die französische Wirtschaftspolitik S. 30-31, S. 126. Daneben weist die Ordnung der Liebesbruderschaft der Monschauer Scherer, einer Art Kranken- und Sterbekasse, aus dem Jahr 1777 auf das Pendeln von Scherern hin (bei Barkhausen, Tuchindustrie, S. 119-122). 98

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Konzentration. Schließlich kam auf einen Scherer in der Subregion durchschnittlich nicht einmal ein hier ansässiger Weber (0,6) und nur wenig mehr als ein Spinner (1,3). Hinsichtlich des gesamten Arbeitsmarktes bot dieser Raum ein weitaus vielschichtigeres Bild. Neben der Textilindustrie, die 22,8% von allen Berufstätigen der Subregion Arbeit bot, konkurrierten der metallverarbeitende Sektor (13,7% aller Berufstätigen, darunter 9,8% Nadelmacher) und der Bergbau (4,1% aller Berufstätigen) um Arbeitskräfte. Letzterer hatte sein Zentrum weiter nördlich um Bardenberg und bildete dort eine eigene Subregion aus, die sich nur teilweise mit der Scherersubregion überschnitt. Auch die Landwirtschaft bot einen Arbeitsmarkt. 10% aller berufstätigen Einwohner gingen in diesem Sektor einer Beschäftigung nach.11 Nicht unbedeutend war zudem das Landhandwerk mit einem Anteil von etwa 14,6% an allen Arbeitskräften. Immerhin 16,9% aller Beschäftigten gaben in den Zensuslisten von 1812 an, als Tagelöhner zu arbeiten. Ihnen bot sich ähnlich wie in der Spinnersubregion um Kornelimünster die Chance, je nach Konjunkturlage und Saison zwischen den Gewerbesektoren zu wechseln. Eine eindeutige Prägung der Subregion um Haaren durch ein einzelnes Gewerbe kann aufgrund dieses Befundes nicht konstatiert werden. Für männliche Arbeitskräfte standen in diesem Gebiet sowohl die Möglichkeiten des lokalen Arbeitsmarktes in Landwirtschaft und Handwerk als auch ein vielfältiges Beschäftigungsangebot in exportorientierten Industrien offen. Auch Frauen konnten zwischen mehreren Optionen wählen. Sowohl in der Tuchindustrie als auch in den dezentralen Produktionsabschnitten der Nadelmacherei war es möglich, eine Beschäftigung zu finden. Diese Chancenvielfalt drückt sich auch in dem Umstand aus, dass in der Subregion 46,5% der Tagelöhner Frauen waren, die flexibel auf den Arbeitsmarkt reagierten. 11 Die Analyse des Tranchot’schen Kartenwerkes ergibt für die Gegend um Haaren überwiegend ackerbaulich genutzte Flächen. Zwar spielte hier wie um Kornelimünster die Landwirtschaft eine nicht unwesentliche Rolle, doch erlaubte die Qualität der Böden offenbar keine Konzentration auf diesen Wirtschaftssektor. Zu Tranchot vgl. u.a. Q. Geilen, Entstehung der Tranchot – v. Müfflingschen Kartenaufnahme und des rheinischen Katasters, in: G. Fehl, D. Kaspari-Küffen, L.-H. Meyer (Hg.), Mit Wasser und Dampf... Zeitzeugen der frühen Industrialisierung im Belgisch-Deutschen Grenzraum, Aachen 1991, S. 212-213. Zur Datenaufnahme aus Tranchot J. G. Nagel, M. Schmidt, Raumstrukturen der rheinischen Frühindustrialisierung – Neue Methoden zur Nutzung serieller Quellen in Verbindung mit zeitgenössischen Karten, in: D. Ebeling (Hg.), Historisch-thematische Kartografie. Konzepte/Methoden/Anwendungen, Bielefeld 1999, S. 110-125. 99

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Karte 1: Herkunftsorte der Pendler, die um 1811/12 in Burtscheider Betrieben arbeiteten (1 = Haaren)12

Zurück zu den Scherern in den Dörfern um Haaren: Aus der spezifischen Sicht der Textilindustrie war in diesem Gebiet eine Subregion zu finden, die einen überproportionalen Anteil an Scherern zur Verfügung stellte. Wie in Kalterherberg bei Monschau existierten um 1812 auch hier keinerlei zentrale Betriebseinrichtungen, welche die Scherer hätten beschäftigen können. Wie die Arbeiterlisten aus Burtscheid bestätigen, handelt es sich bei den hier lebenden Scherern ausnahmslos um Pendler, die in regelmäßigen Abständen zu ihren Arbeitsplätzen in den Zentren der Tuchindustrie wanderten.13 Für Aachen sind zwar keine vergleichbaren Listen überliefert, doch lebten in Burtscheid und in der Subregion insgesamt mehr Scherer, als in der Manufakturstadt Burtscheid entsprechende zentralisierte Arbeitsplätze zur Verfügung standen, so dass es auf der Hand liegt, dass die Aachener Manufakturen und Werkstätten ein weiteres Ziel 12 Vgl. Schmidt, Burtscheid, S. 38. 13 Die Arbeiterlisten verzeichnen 105 Pendler, von denen wenigstens 54 als Scherer arbeiteten (Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, franz. Zeit, Nr. 116/117). 100

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der Pendler darstellten. Auch die zentralen Produktionseinrichtungen in Vaals und in Stolberg waren hinsichtlich der Entfernung noch potentielle Arbeitsmärkte. Zusammenfassend lässt sich festhalten: In der dritten Entwicklungsphase der ›Dezentralen Manufaktur‹ in der Tuchregion Aachen waren demnach aus der Sicht der Arbeitnehmer neben den lokalen Arbeitsmärkten an ihren Heimartorten weitere entstanden, die durch Pendeln erreicht werden konnten. Für die Arbeitnehmer wurden die in den Subregionen gegebenen Optionen durch solche in den industriellen Standorten ergänzt. Für das Migrationsverhalten bedeutete dies: Neben der Möglichkeit des dauerhaften Wohnortwechsels trat diejenige des Pendelns zwischen dem Wohnort und dem Arbeitsplatz. Aus dem zusätzlichen Aufwand, den das regelmäßige Pendeln zum Arbeitsplatz bedeutete, musste denen, die sich für ein solches Verhalten entschieden, ein entsprechender Vorteil erwachsen. Ob dabei der Zugang zu Land und damit eine protoindustrielle Existenz, die auf der einen Seite aus agrarisch-basierter und auf der anderen aus industrieller Tätigkeit bestand, ausschlaggebend war oder die Einbindung in lokale Netzwerke eine Rolle gespielt haben, lässt sich anhand der verfügbaren Quellen nicht rekonstruieren, auch wenn beide Hypothesen durchaus plausibel sind. Immerhin lassen sich einige glaubwürdige Gründe nennen, die die Thesen rechtfertigen: Sicherlich waren die Wohnbedingungen in den Dörfern der Subregionen wesentlich besser als diejenigen in den engen, überfüllten und auch durch schlechte sanitäre Bedingungen gekennzeichneten Manufakturstädten und auch billiger als in der teuren Metropole Aachen.14 Das Dorf bot in der Regel bessere Möglichkeiten, den Lebensstandard durch Kultivierung beispielsweise eines Gartens zu heben. Hier könnte ein Tätigkeitsfeld von nicht berufstätigen Ehefrauen zu finden sein. Die vielleicht überzeugendste Überlegung ist jedoch, dass ein Wohnort in beinahe gleicher Distanz zu verschiedenen Arbeitsmärkten dem Arbeitnehmer eine hohe Flexibilität garantierte. Er konnte den Arbeitgeber nach eigenen Kriterien wie der Höhe des Lohnes auswählen und wechseln, ohne die Kosten für eine Migration seiner Familie zahlen zu müssen. Die günstige Verkehrsinfrastruktur, welche die Subregionen um 14 Zur Sozialtopographie Burtscheids siehe M. Schmidt, Burtscheid. Eine Tuchmanufakturstadt um 1812 (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/8), Köln 1997, insb. S. 37-50; zu Aachen siehe E. Janssen, Zur Wohnsituation der Aachener Textilarbeiter um 1830, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 92 (1985), S. 209-217. 101

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Haaren aber auch um Limburg mit den jeweiligen Standorten der Textilindustrie verband, dürfte zudem das Pendeln erleichtert haben.15 Abb. 4: Hinterhof zweier Häuser in der Burtscheider Hauptstraße, in denen 1812 bereits über 25 Menschen lebten.Der Arzt Friedrich Hesse beklagte schon 1804 die schlechten hygienischen Bedingungen; Fotografie um 1910

Betrachtet man die Subregion um Haaren genauer, zeigt sich, dass gerade die Scherer in Familien lebten und durch ihre Lohnarbeit deren Existenz sicherten. Die Mehrheit der Scherer in der Haarener Subregion (58,3%) konstituierte einen eigenen Haushalt.16 Und diese Haushalte waren in der großen Mehrheit als ›assymetrical family economy‹ organisiert. Lediglich 17,6% aller Ehefrauen gingen einem eigenen Beruf nach oder brachten als Tagelöhnerinnen ein zusätzliches Einkommen in den Haushalt ein; von den übrigen Haushaltsmitgliedern war nur jedes fünfte berufstätig. Dabei ist zu beachten, dass – anders als bei Webern – häusliche Arbeitseinheiten von Scherern und ihren Ehefrauen ausgeschlossen werden können, da das Scheren als Teil der Appretur in den Manufakturker15 Zur Straßenqualität siehe D. Ebeling, Zur Rolle des Verkehrs in den Rheinlanden in der Frühindustrialisierung, ca. 1750-1850, in: J.C. G.M. Jansen (Hg.): Wirtschaftliche Verflechtungen in Grenzräumen im industriellen Zeitalter, 1750-1850, Leeuwarden/Mechelen 1996, S. 69-88; Tranchot, Kartenwerk, Blätter 85, 86, 87, 95 und 96. 16 Lediglich in wenigen Ausnahmefällen standen alleinstehende Weber einem unvollständigen Kernfamilienhaushalt vor; es handelte sich um zwei Witwer und zwei Unverheiratete. 102

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nen zentralisiert war. Dies bedeutet, dass mehrheitlich in Schererhaushalten das Einkommen des Vorstandes als ausreichend akzeptiert wurde. Allenfalls in Ausnahmefällen war der Haushalt als ›family wage economy‹ organisiert. Nur eine Minderheit der Ehefrauen nutzte die Option, beispielsweise einer Spinntätigkeit nachzugehen, obwohl es die Möglichkeit auch in der Subregion um Haaren gegeben hätte. Auch bei den übrigen Haushaltsmitgliedern findet sich nur eine geringe Beschäftigungsquote. Lediglich 36,1% aller Haushaltsmitglieder arbeiteten – im Durchschnitt weniger als eine Person (0,7) zusätzlich zum Haushaltsvorstand. Und wenn dies der Fall war, dann waren es häufig Söhne von Scherern, die ebenfalls den Beruf des Vaters ausübten. Für fast drei Viertel der Scherer, die keinen eigenen Haushalt konstituierten, lässt sich dies belegen. Allerdings darf nicht unterschlagen werden, dass von diesen jungen Scherern bereits 18,1% verheiratet waren und sogenannte eine ›secondary conjugal unit‹ innerhalb des älteren Schererhaushaltes bildeten. Nur 10,1% der Scherer in der Subregion lebten in Haushalten, zu denen sie keine familiale Anbindung hatten. Die durchschnittliche Haushaltsgröße betrug lediglich 4,8 Personen und war damit vergleichsweise klein.17 Damit unterschieden sich die Schererhaushalte nicht von denen der Lohnarbeiter in anderen exportorientierten Gewerben der Region (Nadelmacherei, Bergbau). Es liegt nahe, hier ein Verhalten zu erkennen, das am ehesten dem ›backward bending supply of labour‹ nahe kommt.18 Bei guter Konjunktur, die unzweifelhaft in der napoleonischen Zeit im Aachener Tuchgewerbe herrschte, und steigenden Reallöhnen, die sich nachweisen lassen, drosselte die Reproduktionseinheit Haushalt ihren Arbeitseinsatz, anstelle aus der Situation Gewinn zu schlagen und ein Surplus zu erwirtschaften. Es bleibt zu fragen, ob dieses konjunkturabhängige und damit risikoreiche Verhalten einen Ausgleich in einem Wechsel zwischen den verschiedenen Industrien der Subregion fand – also nicht nur im Wechsel des Arbeitsplatzes in der Tuchindustrie, sondern über Branchengrenzen hinweg. Die Quellen bieten jedoch keinen Hinweis dafür, dass dies eine 17 Weberhaushalte 5,4 Mitglieder, Handwerkerhaushalte 5,0 Mitglieder, bäuerliche Haushalte 6,0 Mitglieder. 18 Vgl. hierzu J. Schlumbohm, Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen in der Proto-Industrialisierung, in: P. Kriedte, H. Medick, ders. (Hg.), Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 53), Göttingen 1977, S. 194-257, hier S. 205-206, u. Anm. 28. Vgl. hierzu auch den Beitrag ›Burtscheid um 1800. Migrationserfahrung und Integration in einem Manufakturort‹ in diesem Band. 103

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strategische Option für die hochqualifizierten Facharbeiter der Subregion Haaren gewesen wäre. Vielmehr bleiben die Haushalte, denen Scherer, Bergleute oder Nadelmacher vorstanden, weitgehend in der Branche ihrer Vorstände verhaftet. Wenn sich in den Haushalten eine Berufstätigkeit über den Haushaltsvorstand hinaus nachweisen lässt, dann handelte es sich mehrheitlich um einen Sohn, der dem Vater in der Berufswahl nachfolgte. Weitere Lohnarbeiten, die in solchen Haushalten gelegentlich zusätzlich ausgeübt wurden, waren Spinntätigkeiten oder die Tagelöhnerschaft. Im Grunde wurde die Subregion rund um Haaren um 1812 durch das Nebeneinander von Haushalten, die in den verschiedenen industriellen Branchen verankert waren, charakterisiert. Die Kombination von Einkommen aus qualifizierter Lohnarbeit in verschiedenen Exportgewerben in einer ›family wage economy‹ war, wenn sie überhaupt vorkam, die Ausnahme. Das Beispiel der Siedlung Haaren legt nahe, dass ein Berufswechsel eher von geringer qualifizierten Gruppen hin zur Schererei erfolgte. Bei der prosopografischen Verknüpfung der Haarener Bevölkerungslisten von 1799 und 1812 konnten mehrere Personen nachgewiesen werden, die 1799 noch den Beruf des Tagelöhners ausübten, 1812 jedoch bereits als Scherer verzeichnet wurden. Im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts waren demnach in der Subregion aus dem Kreis der Personen, die über keine spezialisierte Ausbildung verfügten, Arbeiter rekrutiert worden, um sie als Scherer zu beschäftigen. Ermöglicht wurde dieser Prozess, der angesichts der hohen Ausbildungsanforderungen des Schererhandwerks in den vorangegangenen Jahrhunderten zunächst überrascht, durch die technischen Fortschritte in der Schererei – Mechanisierung und schließlich Maschinisierung machten es möglich.19 Den Arbeitskräftebedarf hatte die Sonderkonjunktur während der ersten Phase der napoleonischen Herrschaft geschaffen. Die Thesen zur Scherersubregion um Haaren können auf die um Limburg übertragen werden. Allerdings deckte dort nicht die ansässige Bevölkerung den Arbeitskräftebedarf, sondern die Migranten, denn die Subregion Limburg wurde für die jenseits der Grenze lebenden Textilfachar-

19 So wurden in der Aachener Textilregion inzwischen vermehrt mechanische Schertische eingesetzt, die weniger Know-how in der Bedienung erforderten. Der Einsatz solcher Schertische ist beispielsweise für Stolberg in der Manufaktur von Offermann durch den Chronisten Nemnich für das Jahr 1807 belegt (Ph. A. Nemnich, Tagebuch einer der Kultur und Industrie gewidmeten Reise, Bd. 1, Tübingen 1809). 104

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beiter zu einem Anziehungspunkt, was unter anderem auf die enge Verbindung zwischen Aachen und dem Limburger Raum hinweist.20 Unternehmer, unter anderem Bernhard von Scheibler, gründeten hier moderne und wohl auch maschinisierte Produktionsstätten. Wilhelm Friedrichs und Wilhelm Ortmann, beides junge Scherer wie der einführend genannte Johann Lambert Schmitz, schnürten wie dieser ihr Bündel und brachen 1819 von Eupen aus auf, um in Dolhain, bzw. Membach ihr Glück zu machen. Mit ihnen kam eine große Zahl aus Eupen und Umgebung, beispielsweise aus Kettenis. Fast 80% der in der Aachener Quelle genannten Textiler hatten hier zuletzt ihren Wohnort, bevor sie sich vor allem in der Subregion um Limburg niederließen. Verviers, wohin es nur 14% der in den oben genannten Quellen erwähnten Migranten zog, spielte dagegen offensichtlich zu dieser Zeit als Ort für Zuwanderung aus Eupen und der direkten Umgebung noch nicht die entscheidende Rolle.21 Die Anziehungskraft dieses alten Tuchmacherzentrums nahm jedoch kontinuierlich zu, als sich die Tuchindustrie vor Ort vom ›Dezentralen Manufaktursystem‹ löste und den Übergang zum Fabriksystem vollzog. Die Attraktivität Verviers unter diesen neuen Verhältnissen lässt sich aus den Bevölkerungslisten der Stadt ablesen. In den Jahren 1808 und 1818 gaben nur wenige Zugezogene an, aus Baelen, Dolhain oder Membach zu kommen. Zehn Jahre später stiegen die Zahlen dagegen sprunghaft. Eupener und Limburger dagegen hat es bereits vor 1808 nach Verviers gezogen. Die benannte Limburger Subregion verlor hingegen vor allem zu Beginn der 1820er Jahre an Bedeutung. Das heißt, in einer sehr kurzen Zeitspanne vollzogen sich zwei deutliche Wanderungsbewegungen, zunächst vor allem in die Limburger Subregion, dann in den folgenden Jahren verstärkt aus dem Limburger Raum nach Verviers. Die These liegt nahe, die Orte Dolhain, Membach und Baelen, aber auch Welkenraedt, als Zwischen- beziehungsweise Vermittlungsstation zwischen dem engeren Eupener und Aachener Raum und dem aufstrebenden Verviers zu definieren. Allerdings ist zu beachten, dass auch von Aachen aus Migranten um 1808 und 1818 nach Verviers wanderten. Doch dieser Zustrom verlor 20 P. Lebrun, L’industrie de la laine a Verviers pendant le XVIIIe et le debut du XIXe siecle (= Bibliotheque de la Faculte de Philosophie et Lettres de l`Université de Liège 115), Lüttich 1948, S. 77-82; M. P. Gutmann, Toward the Modern Economy. Early Industry in Europe 1500-1800, Philadelphia 1988, S. 64, S. 103 u. S. 213-216, hier insb. S. 176-184. 21 Sicher spielte auch das Sprachproblem eine Rolle, vgl. hierzu den Beitrag ›Die politischen Verhältnisse zwischen Maas und Rhein von 1780 bis 1820‹ in diesem Band. 105

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sich um 1828, als die Aachener Tuchindustrie ihre Krise, die vor allem mit den neuen Grenzen in Europa und den damit verbundenen Zöllen begründet wird, mit einem Aufschwung beendete und wesentliche Schritte im Übergang zum Betriebssystem Fabrik vollzogen hatte.22 Die neue Anziehungskraft der alten Reichsstadt bestätigt die hohe Zahl der aus Eupen migrierenden Personen. Immerhin die Hälfte von ihnen gab Aachen als ihren Zielort an. Doch nicht nur die kleinräumige Migration ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu beobachten. Düren, ein Städtchen, das bisher im Konzert der Tuchmacher kaum eine Rolle spielte, gewann im Zuge der Fabrikindustrialisierung zunehmend an Bedeutung. Andere Migranten lockte die Ferne, doch auch in diesem Fall suchten sie in Orten eine Zukunft, in denen sie auf Textilindustrie trafen, wie zum Beispiel die beiden Eupener Tuchscherer Nicolas Kraemer und Johann Michel, die nach Balingen bzw. Calw ins Süddeutsche aufbrachen.23 Vielleicht reagierten sie – wie auch andere Scherer – auf die Maschinisierung, das heißt die Einführung von Schermaschinen in Eupen, Aachen und Verviers, so dass sie in Regionen auswichen, in denen sie hofften noch gefragt zu sein. Auch die Tuchindustrie in Sedan erschien einigen attraktiv. Zwar ist die Zahl der Migranten, die ihren Wohnort in diese oder andere ferner gelegene Orte verlegten, klein – nur wenige wagten den Schritt einer ›Fernmigration‹. Doch es wird deutlich, dass es auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wie schon im 17. und 18. Jahrhundert zu einem Austausch von Facharbeitern im nordwesteuropäischen Textilgürtel gekommen ist. Auffällig ist, dass in den Jahren 1816/17 eine größere Gruppe von Eupen aus ins Bergische Land nach Lennep wanderte, unter ihnen der Weber Léonard Corman sowie die Scherer Jean Jacques Huppers und Georges Arnaud Breuer. Kein Zufall, denn Lennep gilt als Hauptsitz der bergischen Tuchindustrie und zwischen beiden Regionen bestanden Verbin22 Siehe hierzu den Beitrag ›Zünftige Handwerkswirtschaft, protoindustrieller Arbeitsmarkt und der Weg zur Fabrik in der Tuchregion zwischen Aachen und Verviers‹ in diesem Band. 23 Zu Calw vgl. u.a. die Arbeit von S. C. Oglivie, Soziale Institutionen und ProtoIndustrialisierung, in: M. Cerman, S. Ogilvie (Hg.), Proto-Industrialisierung in Europa: Industrielle Produktion vor dem Fabrikzeitalter, Wien 1994, S. 35-49, dies., Soziale Institutionen, Korporatismus und Protoindustrie. Die Württembergische Zeugmacherei (1580-1797), in: D. Ebeling, W. Mager (Hg.), Protoindustrie in der Region, Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 105-138. 106

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dungen. So stammte beispielsweise die Monschauer Tuchmacherdynastie Scheibler aus dieser Region. Und der berühmte Bernhard Scheibler (später v. Scheibler) hatte hier versucht, sein erstes eigenes Unternehmen zu gründen, bevor er in Monschau und Eupen sein Glück machte.24 In der französischen Zeit hatten Lenneper Unternehmer ihre Produktion ganz oder zum Teil nach Eupen verlegt, um die günstigen Absatzverhältnisse im französischen Reich auszunutzen. Nach den Befreiungskriegen kehrten sie wieder in das Bergische zurück – mit neuen Ideen. Da ihnen in der Stadt das Wasser als Antriebskraft für ihre Maschinen fehlte, verlagerten sie ihre Produktionsstätten aus der hoch gelegenen Stadt an die Wupper. Es ist zu vermuten, dass die Eupener Industrie sie auf diese Idee gebracht hatte, denn auch hier hatte es aufgrund von Wassermangel eine Verlagerung von der Ober- zur Unterstadt gegeben. Es lässt sich vorstellen, dass die Lenneper Unternehmer gerne den einen oder anderen Facharbeiter mit in ihre bergische Heimat nahmen, beziehungsweise dass sich die Facharbeiter von dem neuen Aufschwung in Lennep angezogen fühlten.25 Die Lenneper Tuchindustrie hatte ihre Krise nach der Aufhebung der Zünfte und den Verwerfungen der französischen Zeit überwunden und die Region schickte sich an, eine der prosperierensten Gewerbelandschaften des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu werden. Johann Lambert Schmitz ist nicht nur hinsichtlich der Wahl seines in der Nähe gelegenen Zielortes ein typisches Beispiel für einen Migranten dieser Zeit und innerhalb der Aachen-Vervierser-Region. Als qualifizierter Textilarbeiter gehörte er zu der Gruppe, die in allen Quellen den größten Anteil der Migranten ausmachte. Auf preußischer Seite – wie die Quellen aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf zeigen – machten sie 18% unter denen aus, die einen Beruf nannten, während es in Eupen sogar 41% waren. Und auch in Verviers gaben gut 30% der Zugezogenen über alle drei Zeitschnitte einen textilen Fachberuf an. Der größte Teil der im Exportgewerbe Beschäftigten blieb – wie dargestellt – in der Großregion und verteilte sich auf die aufstrebenden Textilorte. Abgesehen von den erwähnten kleineren Gruppen, die nach Sedan und Lennep aufbrachen, waren es vorwiegend Einzelfälle, die weiter entfernt liegende Ziele anstrebten wie Dahlem, Maastricht oder Balingen. Kleinräumige Migration war das bestimmende Muster. Die bisherigen Untersuchungen von Migration zeigen, dass Scherer eine vergleichsweise mobile Gruppe unter den im Textilgewerbe Be24 Verweise auf ein Gutachten der Feintuchfabrikanten aus Monschau für ihre Lenneper Kollegen bei Barkhausen, Tuchindustrie, S.48-51, S. 80-112. 25 Siehe J. Kermann, Die Manufakturen im Rheinland 1750-1833, Bonn 1973, hier zu Lennep S. 161-167. 107

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schäftigten waren. Dies lag nicht zuletzt an ihren Arbeitsplätzen, die schon im 18. Jahrhundert weitgehend zentralisiert waren. Die Scherer treten uns weitgehend nicht mehr als Handwerker entgegen, sondern als lohnabhängig beschäftigte Arbeiter ohne Zugang zu eigenen Produktionsmitteln.26 Abb. 5: Ein solcher Webstuhl mit Schnellschütz beschleunigten die Weberei um etwa das Zweieinhalbfache. Kupferstich (Detail) aus der ›Encyclopédie‹ von D. Diderot, Artikel ›draperie‹, um 1770

Weber hingegen migrierten – wie das Beispiel Burtscheid gezeigt hat – in einer früheren Phase ihres Lebens, das heißt in der Regel noch nicht ausgebildet und mit ihren Eltern.27 1818/19 scheint sich dieser Trend jedoch umzukehren. Denn unter den ausreisewilligen Textilarbeitern in der Aachener Quelle bilden die Weber gegenüber den Scherern die größere Gruppe. Der Weber Gerti Franz Fritsch ist einer von ihnen. Es zeigt sich: In den Jahren um 1818/19 sind nun auch ältere Weber mobil und in der Tendenz übertreffen sie sogar noch die Scherer. 43% migrationswillige Weber sind in den Listen aufgeführt, der Anteil bei den Scherern liegt dagegen nur bei 22%. Zusammen bilden sie gegenüber den Färbern (13%), Spinnern (11%) und den Walkern (knapp 4%) die größte Gruppe. 26 M. Henkel, Taglohn, Tradition und Revolution. Ein Tarifvertrag aus dem Jahre 1790, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1 (1989), S. 42-66; ders., R. Taubert, Maschinenstürmer. Ein Kapitel aus der Sozialgeschichte des technischen Fortschritts, Frankfurt a.M. 1979, insb. S. 103-107. 27 Siehe hierzu auch den Beitrag ›Burtscheid um 1800 – Migrationserfahrung und Integration im Manufakturort‹ in diesem Band. 108

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Die Frage ist nun, ob es sich bei diesen Zahlen um eine eher zufällige und einmalige Spitze handelt, die sich lediglich aus der Momentaufnahme der Quelle ergibt, oder ob mit dem Beginn des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts nun tatsächlich auch in der Weberei Beschäftigte zu dem mobilen Personenkreis im Migrationskarussell der Region zwischen Aachen und Verviers zu zählen sind. Eine Antwort auf diese Frage bedarf zwar der weiteren Forschung, dennoch ist zu vermuten, dass gerade die beginnende Maschinisierung auch auf Weber einen neuen, so bis dahin unbekannten Migrationsdruck ausübte. Bereits unter dem Eindruck zunehmender Zentralisierung, hatten Unternehmer begonnen, die Weber in eben diesen städtischen Zentren bevorzugt mit Aufträgen zu bedienen – ohne allerdings die Weberei selbst in eigenen Gebäuden zusammenzufassen. Dies belegt unter anderem das anonym verfasste Werk ›Die feine Tuchmanufaktur zu Eupen‹ aus dem Jahre 1796 mehr als deutlich: „Doch dieses kleine Übel [gemeint ist der illegale Handel mit Kauftüchern] macht nicht viel Schaden, als wenn man die Weber und Spinner alle unter eigener Aufsicht habe; wenn man selbst die Werkzeuge anschaffen und unterhalten sollte, und dazu große Gebäude haben müßte. Man würde bey dieser Beschaffenheit weit mehr betrogen werden, und mit mehreren Kosten Leute zur Aufsicht halten müssen. […] Es wird in Eupen nicht ein Stück Tuch beim Fabrikanten im Haus gewebet; und dies ersparet ihm vieles und erleichtert seine Geschäfte. Sie haben nicht nöthig ein Kapital in große Gebäude, und viele Werkzeuge zu stecken und solche zu erhalten, auch brauchen sie die Aufsicht über diese Leute nicht, die sie oft zu hintergehen wissen, und unter solchen mehr betrügen, als 28 wenn man ihnen die Produkte in gewisser Ordnung anvertraut.“

Ziel war es dennoch, mit der Konzentration der Weberei in den Manufakturorten, die Transitionskosten zu senken, eine stärkere Kontrolle über die Weber auszuüben, schneller zu produzieren und flexibel auf Marktbedingungen zu reagieren.29 Wenn sich nun auch Weber verstärkt auf 28 Anonym, Die feine Tuchmanufaktur zu Eupen, Gotha 1796, S. 101, vgl. auch S. 64. 29 D. Ebeling, M. Schmidt, Zünftige Handwerkswirtschaft und protoindustrieller Arbeitsmarkt. Die Aachener Tuchregion (1750-1815), in: D. Ebeling, W. Mager (Hg.), Protoindustrie in der Region. Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bielefeld 1997, S. 321-346; M. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen. Frühneuzeitliche Werkbauten als Spiegel einer Betriebsform zwischen Verlag und zentralisierter Produktion, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit – Gewerbe, 109

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den Weg machten, um in den um 1818/19 boomenden Orten der Tuchindustrie, in denen übrigens nach wie vor die Weberei noch ohne den Einsatz von Kraftstühlen arbeitete und nur in geringem Maße in Werkbauten der Unternehmer zusammengefasst war, spricht dies nicht für ein neues Muster, sondern vielmehr für eine konsequente Fortsetzung der begonnenen Entwicklung.30 Eine fabrikmäßige Beschleunigung der Wollbereitung, der Spinnerei und der Appretur schaffte eben dort, wo sie bereits begonnen hatte, einen hohen Bedarf an ortsansässigen Webern. Dass es sich bei der Migration der ausgebildeten Weber um ein junges Phänomen handelt, belegt folgendes: Die Weber können kaum auf Migrationserfahrung zurückgreifen. 87% oder, in Personenzahlen ausgedrückt, 20 Weber brachen von ihrem Geburtsort aus auf, während lediglich drei bereits wenigstens einmal ihren Wohnort gewechselt hatten. Ob Scherer oder Weber, auf ihrer Wanderung trafen sie nicht nur Lohnabhängige wie sie es selbst waren, sondern auch auf Textilfabrikanten, die ihr Hab und Gut gepackt hatten, um in der Fremde ein besseres Auskommen zu finden. So machte sich 1818 Severin Daniels, ein „Tuchfabrikant im Kleinen“, auf den Weg von Eupen nach Membach. Wenige Monate später folgte ihm der 20-jährige Johann Peter Paulus, der sich ebenfalls als Tuchfabrikant bezeichnete. Mit diesen Beispielen wird ein weiteres Phänomen im Umbruch zwischen protoindustriellem Gewerbe und Fabrikagglomeration sichtbar. Denn selbstverständlich bestand die Fabrikantenschaft in der Tuchregion Aachen-Verviers nicht nur aus den oben benannten großen Familien und Dynastien. Es gab eine Unzahl kleiner Unternehmer, die sich das regionale System zunutze machten und nach wie vor ihre Geschäfte verlagsmäßig betrieben, das heißt über keinerlei eigene Werkstätten verfügten, sondern lediglich den Produktionsprozess organisierten. Wenn Daniels und Paulus also aus der Stadt Eupen in einer Phase sich beschleunigender Fabrikindustrialisierung auf das ›Platte Land‹ migrierten, kann dies als ein Ausweichen gewertet werden. Ausweichen in dem Sinn, dass sie in der Stadt weniger Chancen für ihre althergebrachte Produktionsorganisation und -methode sahen und mit ihrer Migration dorthin rückten, wo sie hoffen konnten – so die These –, dichter an einem Arbeitskräftepotential zu sein, das nach wie vor an einer protoindustriellen Existenz (Kombination aus agrarisch basiertem HausStaat und Unternehmer in den Rheinlanden des 18. Jahrhunderts, Köln 2000, S. 129-164. 30 Zum späten Einsatz von Kraftstühle in der Wolltuchindustrie vgl. u.a. K.-H. Kaufhold, U. Albrecht, Gewerbestatistik Preußens vor 1850, Band 2: Das Textilgewerbe (= Quellen und Forschungen zur historischen Statistik von Deutschland 6), St. Katharinen 1994. 110

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halt mit zusätzlicher gewerblicher Beschäftigung) festhielt. Gerade im Limburger Land wird es dies noch gegeben haben. Die Mobilität der Bevölkerung beschränkt sich nicht allein auf textile Facharbeiter. Wanderten viele von ihnen aus ihren Wohnorten ab, gerieten auch die anderen Berufsgruppen in Schwierigkeiten. Auf der Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten brachen dann auch Handwerker, akademisch Ausgebildete, Dienstboten, Tagelöhner oder Beschäftigte aus Handel und Landwirtschaft ihre Zelte ab, um sie anderswo neu aufzuschlagen. Wirtschaftliche Gründe sind bei den meisten in den Quellen aufgeführten Personen ausschlaggebend für die Migrationsentscheidung. Aber während bei den Textilern und vor allem bei den im Lokalgewerbe Tätigen derjenige Anteil an Personen sehr hoch ist, die so gegenüber den Behörden argumentieren – bei den Handwerkern sogar 100% –, spielen wirtschaftliche Gründe bei geringer qualifizierten Personen eine etwas weniger wichtige Rolle. Lohnarbeiter wollten zu 84% ihre wirtschaftliche Situation durch einen Ortswechsel verbessern, während der Anteil bei denjenigen, die in der Landwirtschaft beschäftigt waren, auf 75% sinkt. Neben der Bewirtschaftung von Grund und Boden und der Suche nach einer Arbeit außerhalb der Landwirtschaft werden häufig auch familiäre Gründe angegeben. Abb. 6: Die Pfarrkirche St. Paul (12. bis 13. Jahrhundert) liegt mitten im Ort Baelen. An der Friedhofsmauer finden sich viele Grabsteine aus dem 18. Jahrhundert.

So möchten beispielsweise die Brüder Kretz von Eupen nach Baelen, um sich um die elterlichen Güter zu kümmern, der ›Ackermann‹ Johann Jacob Wetten will von Walhorn nach Montzen, um seinen Großvater zu unterstützen und der ›Ackermann‹ Carl Kuch, wohnhaft in Lontzen,

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muss ebenfalls nach Montzen, um seine Güter zu bewirtschaften. Der 19jährige ›Ackermann‹ Jakob Joseph Schen wollte hingegen seinen Wohnort Lontzen verlassen, um in seinen Geburtsort Welkenraedt zurückzukehren. Sein Ziel war es, dort eine Lehrstelle als Schreiner anzunehmen. Der 72-jährige Johann Strael hatte vor, von Eynatten in seinen Geburtsort Homberg zurückzukehren, um „die alten Tage im Vaterland“ zu verbringen. Und manch einer beabsichtigte, sich über die Grenzen hinweg zu verheiraten. Klar wird: Die neue Grenze trennte Familien, riss Landbesitz auseinander und griff in Lebensverhältnisse ein. Sie zwang nicht zu mehr Mobilität, erschwerte sie aber. Wie bereits geschildert: In manchen Fällen mögen die wirtschaftlichen Gründe auch vorgeschoben sein, weil man sich nicht traute, in den Amtsstuben den wahren Grund zu nennen, wie das oben genannte Beispiel des Wollhändlers aus Eupen gezeigt hat. Er blieb nicht der einzige: Die Witwe von Wilhelm Francois möchte im Jahr 1818 mit ihren sechs Kindern, darunter zwei Söhne im Alter von 19 und 17 Jahren, vom preußischen ins belgische Moresnet ziehen, um „ihre Söhne dem preußischen Militärdienst zu entziehen“, wie der Amtmann notierte. Zielorte der Migration sind auch bei Berufsgruppen, die nicht unmittelbar mit dem Textilsektor in Verbindung gebracht werden können, vor allem bei den Lohnarbeitern, die bereits erwähnten Orte mit dem Schwerpunkt in der Limburger Subregion. Es liegt die Vermutung nahe, dass sie sich in diesem Umfeld einen Arbeitsplatz in der Textilindustrie erhofften. Bei den in der Landwirtschaft Beschäftigten lässt sich darüber hinaus beobachten, dass sie häufiger im ländlich geprägten Raum dies- und jenseits der Grenze blieben, wenn sie nicht in einen anderen Beruf wechselten. Hat Migration innerhalb einer Region eine andere Qualität als eine Fernmigration, zum Beispiel nach Übersee oder auch in einen der weit entfernten Zielorte, wie sie in den Aachener und Eupener Listen ebenfalls vorkommen, so bedeutet doch auch regionale Migration zunächst einen Abbruch der Lebensverhältnisse am Wohnort, zumal unter damaligen Verhältnissen. Migration ist immer mit einem Risiko, mit Unsicherheit verbunden. In welchem Alter wurde die Entscheidung zur Migration getroffen? In welchem Stand waren die Migranten, ledig, verheiratet, mit Kindern oder ohne? Wer ging – unabhängig von Beruf oder auch Berufslosigkeit – das Risiko einer Migration ein und sah für sich eine Chance auf bessere Lebensverhältnisse?

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EIN WIRTSCHAFTSRAUM – MIGRATION IN DER TUCHREGION

Zunächst ergibt sich aus den Quellen ein recht eindeutiges, einfaches Bild – die Migranten sind jung und unverheiratet. Die in den Listen aus dem Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv aufgeführten, überwiegend männlichen Personen sind durchschnittlich 26 Jahre alt. Diejenigen, die einen qualifizierten Beruf im Textilgewerbe haben, sind sogar noch etwa jünger, weit über die Hälfte ist zwischen 19 und 23 Jahren, wobei das Durchschnittsalter der Textiler insgesamt 23 Jahre beträgt. Die in der Landwirtschaft Tätigen entscheiden sich im Durchschnitt erst mit 27 Jahren für einen Wohnortwechsel. Damit bleibt in der nachfranzösischen Zeit das Alter dieser Migranten vergleichbar mit dem Alter derjenigen Zuwanderer, die in Burtscheid unter der napoleonischen Herrschaft aktenkundig wurden. Junge Menschen treffen zu Beginn ihres Erwachsenenlebens zur Sicherung ihrer Zukunft eine Migrationsentscheidung. Einschränkungen müssen dagegen bei Haushaltsvorständen von Familien oder unvollständigen Familien gemacht werden. Die Witwe Leonhard Ahn möchte mit ihren drei erwachsenen Kindern vom preußischen ins belgische Moresnet ziehen. Hier liegt zum Beispiel die Vermutung nahe, dass nicht sie oder nicht sie allein die Entscheidung zum Wohnortwechsel getroffen hat, sondern ihre Kinder beteiligt waren. Schließlich sind die Kinder in eben jenem Alter, das andere zu einer eigenen, von ihrer Familie unabhängigen Migration nutzten. Wahrscheinlich ist, dass wie im Beispiel der Familie Ahn die verwitwete Mutter aus familiären Gründen nur mitwanderte. Der aus den bisher dargestellte Befund bestätigt sich in Verviers. Der größte Teil der Zuwanderer ist über alle drei Zeitabschnitte bei der Migration zwischen 16 und 26 Jahren alt, wobei sich im Jahr 1828 eine ganz leichte Verschiebung zu etwas älteren Migranten abzeichnet. Verlässt eine Familie ihren Wohnort, ist der Haushaltsvorstand häufig älter, das heißt über 30 Jahre, und bei den unvollständigen Familien liegt das Alter mit über 46 sogar noch höher. Bei genauer Betrachtung dieser Migrantengruppe stellt sich heraus, dass es sich bei den unvollständigen Familien vor allem um Witwen- und Witwerfamilien handelt. Gleichzeitig wird aus den Daten deutlich, dass in den Jahren nach 1808 und bis 1828 der Anteil derjenigen wächst, die bereits als Kind oder Jugendlicher migriert sind, das heißt, die Zahl der 1- bis 15-Jährigen nimmt zu. Demnach müssen in diesem Zeitraum zunehmend mehr Familien mit Kindern ihren Wohnort gewechselt haben. Mobilität in der Region beschränkte sich demnach nicht auf Einzelpersonen, also auf Ledige. Auch Familien, ob vollständig oder unvollständig, waren erstaunlich mobil. So erfassen die bei der Regierung Aachen geführten Listen 65 Fälle, wobei zwei Drittel von ihnen als Einzelpersonen und ein Drittel im

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Familienverband migrieren. Aber im Migrationsverhalten beider Gruppen zeigen sich Unterschiede. Knapp die Hälfte der Einzelpersonen wandert in die bereits genannte Destination um Limburg und Verviers, während die andere Hälfte die Region verlässt. Dagegen halten Kinder zwar nicht von einer Migration ab, aber der große Sprung in die Ferne wird nicht gewagt. Familien bleiben in der Region, sie gehen nach Baelen, Membach, Moresnet oder aus der Limburger Umgebung nach Verviers.

III Migration bedeutet – wenigstens bis zu einem gewissen Grad – Abbruch der Lebensverhältnisse am Wohnort, Ankunft am Zielort mit der Suche nach neuer Arbeit und Bleibe sowie Integration in neue Lebensverhältnisse. Daraus resultieren bestimmte Erfahrungen. Inwieweit diese Erfahrungen positiv oder negativ besetzt waren, Migration und Integration am Zielort erfolgreich verliefen, lässt sich aus den in dieser Studie untersuchten Quellen zur Region nicht ableiten. Wohl aber lassen sich aus den Daten Personen ermitteln, die bereits über Migrationserfahrung verfügten, bevor sie sich ein zweites Mal auf den Weg machten. Unterschiede im Verhalten zwischen Personen mit und ohne Migrationsverhalten geben Hinweise auf die fragliche Problematik. Möglich ist eine solche Fragestellung, da in den Aachener und Eupener Listen nicht nur die Wohnorte, sondern auch die Geburtsorte angegeben sind. Der mehrfach erwähnte Tuchscherer Johann Lambert Schmitz ist ein Beispiel für eine Person ohne Migrationserfahrung, als er sich von seinem Geburtsort Eupen nach Dolhain aufmacht. Anders dagegen der Weber Gerti Franz Fritsch. Er wurde in Walhorn geboren und lebte dann in Kettenis, bevor er nach Baelen übersiedeln wollte. Die untersuchten Migranten teilen sich demnach in Personen mit und ohne Migrationserfahrung, wobei der Anteil derjenigen, die von ihrem Geburtsort aus wanderten, mit 52% etwas höher liegt als die Gruppe mit Migrationserfahrung, die 45% ausmacht. Der Vergleich beider Gruppen hinsichtlich Berufsstand und Zielort lässt deutliche Unterschiede im Migrationsverhalten erkennen, wobei auch hier zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der erfassten Personenzahl nur Tendenzen beschrieben werden können. Zunächst fällt auf, dass nach 1815 nicht diejenigen der Migranten, die im regional-organisierten Textilgewerbe beschäftigt sind, die meiste Migrationserfahrung nachweisen, sondern Personen mit geringer oder ohne berufliche Qualifikation. Im Exportgewerbe verfügen 32% der im unter114

EIN WIRTSCHAFTSRAUM – MIGRATION IN DER TUCHREGION

suchten Zeitraum Migrierenden bereits über Wanderungserfahrung, im lokalen Gewerbe, das heißt Handwerker, Gastwirte etc., sind es nur 28% und beim Handel sogar nur 11%. Dagegen können die weniger qualifizierten Lohnarbeiter zu 44% auf Migrationserfahrung verweisen, ähnlich die in der Landwirtschaft Tätigen mit 46%. Das heißt, Personen mit geringer oder ohne berufliche Qualifikation sind überproportional häufiger auf der Suche nach einer neuen Arbeit und Bleibe und wechseln dafür wenigstens zweimal ihren Wohnort. Denn der Anteil der in Quellen erfassten Personen, die dem Export- oder Lokalgewerbe zuzuordnen sind, liegt mit 19% und 13% höher als diejenige Zahl von Personen, die eine geringere oder keine Qualifikation nachwiesen. Im Falle der in Lohnarbeit Beschäftigten sind es 8% und bei denen ohne Beruf nur gut 1%. Ein Großteil der Migranten verbleibt, wie aufgeführt, in der Region und nur ein kleiner Teil zeigt die Bereitschaft den Großraum zu verlassen. Auffallend ist, dass diejenigen ohne Migrationserfahrung eher bereit waren, in die Ferne zu ziehen, als Personen mit Migrationshintergrund. Wer einmal gewandert ist und sich mit allen Problemen neu verortet hat, stellt sich – so die These – nicht noch einmal und schon gar nicht in der weit entfernten Fremde gerne erneut dieser Situation. Und wenn ein erneuter Ortswechsel denn sein muss, weil die wirtschaftliche Lage dazu zwingt, dann wird eher ein in der Nähe, das heißt ein in der Region liegender Zielort gewählt. Denn, wie das Beispiel Burtscheid zeigt, wurde es für Migranten immer dann schwierig, wenn Brüche den Lebensweg beeinflussten (Tod des Ehepartners, Krankheit etc.). Johann Lambert Schmitz hatte keine Migrationserfahrungen, als er sich zum Wandern entschloss, aber er war in einer Stadt mit einem hohen Anteil an Migranten aufgewachsen. Seit dem späten 17. Jahrhundert war Eupens Textilgewerbe Anziehungspunkt von Arbeitsuchenden. Zugezogene kamen nicht nur aus der näheren oder weiteren Region, sondern die Bevölkerung setzte sich aus aller Herren Länder zusammen, wie sich auch aus den untersuchten Quellen erschließen lässt. Bremen, Amsterdam oder Stockholm – die Liste ließe sich weiter fortsetzen. Inwieweit Schmitz Kontakt zu Nachbarn, Verwandten und Arbeitskollegen mit Migrationserfahrung hatte, lässt sich nicht beantworten. Zu vermuten ist aber, dass ihm die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht unbekannt waren. Die 39-jährige Anne Brille war 1795 von Eupen nach Verviers gezogen. Sie hatte einen Mann aus Stembert geheiratet und ein Kind bekommen. Bei der Volkszählung im Jahr 1818 gab sie an „Ménagère“, Hausfrau, zu sein. Auch die 29-jährige Marie Thérèse war verheiratet, stammte aus Limburg, war ebenfalls nach Verviers gezogen, übte aber als Spinnerin

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einen Beruf aus. Und auch die 20-jährige ledige Nopperin Jeanne Josèphe Dourcy hatte Migrationserfahrung. 1805 war sie aus Baelen zugezogen. Abb. 7 : Häuser am historischen Markplatz in Limburg, der heute noch wie vor 200 Jahren wirkt.

Mobilität war eben nicht allein Männersache. Um ihren Lebensunterhalt zu sichern, wechselten auch Frauen ihre Wohnorte. Aber ihnen ging es nicht allein um die Suche nach einem Arbeitsplatz, sondern auch um die Möglichkeiten einer Familiengründung. Eine Stadt wie Verviers mit ihrer aufstrebenden Textilindustrie schien beides zu bieten: Arbeit und einen Heiratsmarkt. Während die Quellen aus Aachen und Eupen so gut wie keine Frauen verzeichnen, erfassen die drei Bevölkerungslisten aus Verviers auch migrierte Frauen, so dass sich auch das Migrationsverhalten von Frauen näher darstellen lässt. Vergleicht man die drei Zeitabschnitte 1808, 1818 und 1828, kann festgestellt werden, dass der Anteil der zugezogenen Frauen gegenüber dem der Männer im Verlauf der Jahrzehnte sogar zunimmt. Hielten sich im Jahr 1808 Männer und Frauen noch in etwa die Waage, so überstieg 1818 der Anteil der Frauen mit 53% den der Männer (47%), zehn Jahre später zählten die migrierten Frauen bereits 56% und der Anteil der Männer sank auf 44%. Für beide Geschlechter gleichermaßen 116

EIN WIRTSCHAFTSRAUM – MIGRATION IN DER TUCHREGION

gilt, sie treffen als junge Menschen die Entscheidung ihren Wohnort zu wechseln. Der Anteil der sehr jungen – der 16- bis 20-Jährigen – liegt bei den Frauen sogar noch etwas höher und nimmt bis 1828 noch leicht zu. 58% Frauen zwischen 16 und 20 Jahren stehen 1828 42% Männer in diesem Alter gegenüber. Demnach kommen vor allem junge und sehr junge Mädchen und Frauen in die Textilstadt Verviers.31 Die Verhältnisse für eine Familiengründung sahen in Verviers nicht schlecht aus und ein großer Teil der Frauen verheiratete sich, wobei auch hier ein Unterschied zwischen den Jahrzehnten zu vermerken ist: gegenüber den Jahren 1808 und 1818 nimmt der Anteil der verheirateten Frauen in den Jahren um 1828 zu. Auch die Suche nach Arbeitsplätzen blieb nicht grundsätzlich ohne Erfolg. Aber im Gegensatz zu den Männern fand nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Frauen Beschäftigung im Textilgewerbe. Über die Jahre 1808 und 1818 konnten nur 28% der Frauen angeben, dass sie im Textilgewerbe arbeiten, während es bei den Männern 78%, bzw. 71% waren. 1828 verschieben sich die Zahlen leicht, jetzt machte der Anteil der Frauen fast 30%, der der Männer 70% aus. In dem neuen Betriebssystem Fabrik mit seiner zunehmenden Maschinisierung scheinen Frauen mit qualifizierten Berufen weniger gefragt gewesen zu sein. Die Arbeit an den ›mules‹ war für Frauen ungeeignet, diese neuen Spinnmaschinen wurden von Männern bedient. Leichtere Tätigkeiten führten Kinder aus. Erwachsene Frauen hatten es zunehmend schwerer, Arbeit in den Fabriken zu finden. Frauen wichen in unqualifizierte Berufe aus, arbeiteten als Tagelöhnerinnen und Dienstbotinnen. Aber ganz gleich, mit welcher Arbeit sie ihren täglichen Unterhalt verdienten, der größte Teil von ihnen war ledig. Zunächst, 1808, gab es nur einen geringen Unterschied zwischen verheirateten und ledigen Textilarbeiterinnen, die nach Verviers migrierten, dann wuchs der Anteil der Unverheirateten. 1828 waren knapp 6% verheiratete Frauen im Textilgewerbe beschäftigt, aber 33% ledige. Relativ groß ist jeweils die Zahl der Witwen, denn Frauen, die ihren Gatten verloren hatten, fanden selten Gelegenheit sich erneut zu verheiraten, während Männer eher eine neue Ehepartnerin fanden. 1808 waren 13% der Textilarbeiterinnen verwitwet, zehn Jahre später 26% und 1828 17%. Dienstbotinnen waren üblicherweise unverheiratet.32 Die Veränderung der Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in dieser Phase der Industrialisierung spiegelt sich auch in der Tatsache, dass immer 31 G. Alter, Family and the Female Life Course. The Women of Verviers, Belgium, 1849-1880, Madison/ Wisconsin 1988, insb. S. 66, S. 76 u. S. 150, zur Migration S. 156-157. 32 S. Hahn, Frauenarbeit. Vom ausgehenden 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien 1993. 117

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weniger verheiratete Frauen berufstätig waren. Der Anteil der nicht-berufstätigen Frauen stieg kontinuierlich von 66% im Jahr 1808 auf 85% bis hin zu 90% im Jahr 1828. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Frauen bei der Bevölkerungsaufnahme angaben, dass sie ‚keinen Beruf’ haben, sondern „Ménagère“, das heißt Hausfrau seien. Es wird nicht ersichtlich, ob diese Frauen in der Tat lediglich Hausfrau waren oder zum Beispiel bestimmte Tätigkeiten in Heimarbeit erledigten oder einer anderen unqualifizierten Arbeit nachgingen. Mit welchen Erwartungen die jungen Frauen nach Verviers gekommen sind, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise sind sie von der Entwicklung in der Textilindustrie überrollt worden, das heißt für viele blieb die Suche nach einem Arbeitslatz in den neuen Fabriken wegen der technischen Veränderungen in der Produktion erfolglos. Denkbar ist aber auch, dass vielen von ihnen der Heiratsmarkt in einer aufstrebenden Industriestadt verlockend schien, da sie hoffen konnten, einen Ehegatten mit einem ausreichend guten Verdienst zu finden. Dies hätte ihnen die Arbeit in der Fabrik erspart, während sie mit Heimarbeit oder einer unqualifizierten Tätigkeit für einen Nebenverdienst (›family wage economy‹) sorgen konnten (Hausschneiderei, Spulenwickeln etc.). Dies scheint den oben genannten Thesen zur ländlichen Scherersubregion um Haaren zu widersprechen. Allerdings ist zu beachten, dass die gerade angerissenen Thesen sich auf eine Phase im regionalen System beziehen, als die Fabrik begann, die Manufaktur zu verdrängen. Es scheint klar zu sein, dass hier die Anfänge jener Aspekte sichtbar werden, die George Alter für die Hochphase der Fabrikindustrialisierung in Verviers untersucht hat.33 Doch in der Zeit zwischen 1808 und 1828 lassen die Maschinen Frauenarbeit noch nicht in gleichem Maße zu, wie in den auf Handarbeit beruhenden Manufakturen. Erst einige Jahre später wird die Frau als Arbeitskraft in den Betrieben wieder gefragt sein. Unter dem Aspekt der Herkunft der Frauen haben beide Überlegungen ihr Für und Wider. Denn erstaunlicherweise kam ein größerer Anteil junger Frauen als Männer aus städtischen Strukturen, aus Aachen, Monschau, Burtscheid und Eupen, während Männer eher aus ländlich geprägten Orten stammten – ein Befund, der weitere Forschungen verlangt.

33 Alter, Family and the Female Life Course. 118

EINE

D A S ›R O T E H A U S ‹ I N M O N S C H A U . ›D E Z E N T R A L E M A N U F A K T U R ‹ I M F O K U S EINES MOBILEN ARBEITSMARKTES MARTIN SCHMIDT Ein berühmtes Haus

Kaum ein anderes Gebäude in der Region Aachen-Verviers ist so berühmt wie das ›Rote Haus‹ in der Laufenstraße 10 in Monschau. Keiner der vielen Reiseführer zur Eifel kommt ohne seine Nennung aus. In der Regel lesen sich die Beschreibungen zu diesem einzigartigen Baudenkmal wie die folgende: „Der 1756 errichtete Bau gilt als einer der bedeutenden barocken Profanbauten des Rheinlandes. Erbaut von der Tuchmacherfamilie Scheibler als Wohn- und Kontorhaus, besteht der Bau aus zwei zusammengebauten Häusern, dem Haus 1 zum Schwan und dem Haus zum Pelikan.“

Und auch in die ›Migrationsroute NRW‹ hat das ›Rote Haus‹ Eingang gefunden.2 Allerdings wird es dort nicht in seiner Funktion und seiner Bedeutung für das kleine Eifelstädtchen im 18. Jahrhundert gewürdigt, sondern lediglich als bekanntes Baudenkmal des Ortes. Die in den Routentexten zu lesenden Bemerkungen zur Migration beziehen sich auch nicht auf die Ereignisse im Ançien Régime, dass heißt auf die Zeit, in der das Rote Haus in der Tuchindustrie und damit bei den Migrationsbewegungen eine Rolle spielte, sondern sie beschreiben vielmehr Entwicklungen, die erst zu Beginn des 19. Jahrhundert einsetzten, nämlich die Abwanderung von Facharbeitern nach Polen und Russland während des Niedergangs der Monschauer Tuchindustrie. Insbesondere die Stadt ŁódĨ ist das Ziel dieser weitgehend namenlosen Migranten. Aber auch Karl Wilhelm Scheibler (1820-1881) – ein Nachfahre des Gründers der ›Feinen Gewandschaft‹ und Erbauers des ›Roten Hauses‹ Johann Heinrich Scheib1 2

Ch. Wendt, Marco Polo Eifel, Ostfildern 1996, S. 36. http://www.migrationsroute.nrw.de/projekt_vorschlag.php?projekt_id=24, Stand: 7.12.2007. 119

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ler (1705-1765) – lässt sich in der polnischen Stadt im Jahre 1854 nieder und errichtet hier im Laufe von zwanzig Jahren eines der bedeutendsten Textilunternehmen des 19. Jahrhunderts. Das ›Rote Haus‹ muss jedoch bereits für das 18. Jahrhundert als zentraler Ort nicht nur für das Tuchgewerbe der Region, sondern auch für die Geschichte der Migration Beachtung finden. Abb. 1: Das ›Rote Haus‹ in Monschau, erbaut für Johann Heinrich Scheibler als Wohn- und Geschäftshaus. Im Keller wie im Speicher waren zentrale Betriebseinrichtungen seiner ›Dezentralen Manufaktur‹ untergebracht (Wollwäsche, Wollbereitung, Lager etc.).

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DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

Schon die Familiengeschichte der Scheiblers verweist auf diesen Umstand; die Familie stammt aus dem Bergischen. Im heutigen Rösrath-Hoffnungsthal bekleidete der Vater von Johann Heinrich Scheibler als Pastor das Amt des Generalinspekteurs der bergischen Synode. Zwei Brüder von Johann Heinrich schlugen den väterlichen Karriereweg ein. Johann Heinrich und sein Bruder, Wilhelm Winand Gerhard, wurden hingegen Tuchfabrikanten. Letzterer leitete unter Friedrich dem Großen als Direktor die ›Königlich Preußische Tuchfabrique‹ in Berlin.3 Johann Heinrich versuchte sein Glück in Imgenbroich, einem kleinen Nachbardorf von Monschau. Gerade 15 Jahre alt ging er bei Matthias Offermann, „dessen Bruder ein Schwager seiner Mutter war“, in die Lehre.4 Die Verbindungen ins Bergische Land, einer im Konzert der europäischen Wolltuchproduktionszentren nicht unwichtigen Region, rissen auch in den folgenden Generationen nicht ab. Augenfällig wird dies am Beispiel Bernhard Georg Scheiblers, dem ältesten Sohn Johann Heinrichs, der 1781 in den Adelsstand erhoben wurde.5 Er heiratete Clara Moll, die Tochter eines Tuchfabrikanten aus Hagen und errichtete dort sowie in Iserlohn und Herdecke Betriebe. Im Jahr 1756 kehrt er desillusioniert in das zunftfreie Monschau zurück, in dem bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts „zieml. feine Tücher aus Spanis. Wolle gemacht“ wurden.6 Es ist nicht bloß zu vermuten, sondern mehr als wahrscheinlich, dass solche Kontakte der Unternehmer gerade ins Bergische unter den Arbeitern bekannt waren und manch einen von ihnen veranlasste, ebenfalls ins Bergische auszuwandern, beziehungsweise von dort nach Monschau oder zumindest in die Tuchregion zwischen Aachen und Verviers zuzuziehen. In jedem Fall hatte eine solche Migration aus der Perspektive der Arbei3

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Vgl. zur Familiengeschichte u.a. J.H.C. Scheibler, Geschichte und Geschlechts-Register der Familie Scheibler, Köln 1895; W. Scheibler, Geschichte und Schicksalsweg einer Firma in 6 Generationen 1724-1937, Aachen 1937; E. Nay-Scheibler, Die Geschichte der Familie Scheibler, in: Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus Monschau (Hg.), Das Rote Haus in Monschau, Köln 1994, S. 78-95. J. Mangold, Aufstieg und Niedergang der Tuchindustrie in Monschau im 18. Jahrhundert und 19. Jahrhundert, in: Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus Monschau (Hg.), Das Rote Haus in Monschau, Köln 1994, S. 97-132, hier S. 105. W. Scheibler, Zur Geschichte der alten Kirchen und Bürgerhäuser in Monschau, in: Eremit am hohen Venn V, 1956 (= 1356 Monschau 1956. Stadtwerdung und Bürgerhäuser), Monschau 1956, S. 5-46, hier S. 9. Zitiert aus einem Bericht aus dem Jahr 1718 des Freiherren v. Wiser nach Mangold, Aufstieg und Niedergang, S. 99. 121

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ter vergleichsweise gute Voraussetzungen, das Leben günstiger gestalten zu können, traf der Migrant doch hier wie dort auf eine ähnlich strukturierte Industrie. Zurück zu Johann Heinrich Scheibler: Scheibler krönte sein Lebenswerk mit dem Bau des ›Roten Hauses‹, das die geschätzte Summe von 90.000 Reichstaler gekostet haben soll.7 Das nach seiner Mauerfarbe – die Verschalung des Fachwerkbaues besteht aus Ziegelsteinen, die immer wieder mit einem rötlichen Verputz geschützt wurden – benannte, dreistöckige Haus mit dem ebenfalls drei Etagen hoch aufragenden Speicher, mitten in dem alten Eifelstädtchen Monschau am Zusammenfluss von Rur und Laufenbach gelegen, sollte jedoch nicht allein der Repräsentation eines erfolgreichen Unternehmers und damit der Entfaltung privater Pracht dienen. Einige Teile des Baus waren von Anfang an für die Produktion bestimmt. Räume im Erdgeschoss der Haushälfte ›Zum Pelikan‹ dienten als Kontor. Der über 10 Meter hoch aufragende Speicher stand unter anderem als Lagerraum für Roh- und Hilfsstoffe, für teure spanische Merinowolle sowie für Halbfertigprodukte, beispielsweise für Garne, zur Verfügung. Zudem stapelte man dort das fertige Tuch vor seinem Versand an die Abnehmer. Im Keller des Hauses befanden sich darüber hinaus die Wollspüle und eine Färberei. Und trotz seiner für ein Bürgerhaus in einem Landstädtchen erheblichen Ausmaße – immerhin hatte das Gebäude eine Breite von 21 Metern und eine eben solche Höhe8 – ist das auch als Teil einer Manufaktur genutzte Haus auf den ersten Blick nur schwer mit der während seiner Bauzeit um 1760 gemachten Aussage Scheiblers „Ich Joh. Heinr. Scheibler der ältere ernähre alleinig von meiner Fabrique beständig mehr als 4000 Menschen“ in Einklang zu bringen.9 Die gängige Vorstellung einer Manufaktur geht nach wie vor davon aus, dass die Fabrikation auf handwerklicher, arbeitsteiliger und vor allem zentralisierter Produktion beruht, dass sie also ein zentralisierter Groß-

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8 9

Zum Roten Haus in Monschau vgl. insg. Stiftung Scheibler-Museum Rotes Haus Monschau (Hg.), Das Rote Haus in Monschau, Köln 1994. Zur Tuchindustrie in diesem Eifelstädtchen immer noch lesenswert E. Barkhausen, Die Tuchindustrie in Montjoie, ihr Aufstieg und Niedergang, Aachen 1925, hier auch die Angabe über die Baukosten des Roten Hauses, ebd. S. 43. P. Schoenen, Das Rote Haus in Monschau, Köln 1968, S. 31, S. 127, Anm. 26. Zitiert aus Barkhausen, Tuchindustrie, S. 42. 122

DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

betrieb ohne Maschineneinsatz war.10 Zwar nutzte Scheibler Räume im ›Roten Haus‹ gewerblich und hatte somit Teile der Produktion zentralisiert, die Masse der im gerade angeführten Zitat beschriebenen Arbeiter beschäftigte Johann Heinrich Scheibler – und seine Nachfolger – jedoch nicht im Haus selbst.11 Nur die die Tuchqualität sichernden Produktionsschritte waren hier und in den benachbarten Winkeln und Werkbauten untergebracht. Abb. 2: Situationsplan der Umgebung des ›Roten Hauses‹ aus dem Jahr 1752: (A) ›Rotes Haus‹, (B) ›zentraler Werkbau‹ mit im rechten Winkel dazu angelegter Färberei, (C) Haus Scheibler, (D) Walkmühle; braune Tusche auf Papier

Die vielen hundert Spinner und Weber wurden über Subunternehmer, so genannte Baasen, organisiert. Bei diesen handelte es sich häufig um vermögende Bauern, die als Faktoren beziehungsweise Zwischenverleger auf eigene Rechnung im Auftrag von Unternehmern Spinner und Weber in Heimarbeit beschäftigten. In der Regel erhielten die Baasen von ihren Auftraggebern, wie eben beispielsweise von Johann Heinrich Scheibler und seinen Söhnen, ‚bereitete’, das heißt für das Spinnen vorbereitete Wolle, oder ihnen wurden fertige Garne übergeben. Diese Halbfertigpro10 Zur hier kritisch aufgefassten Definition von Manufaktur vgl. u.a. J. v. Klaveren, Die Manufakturen des Ançien Régime, in: Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 51 (1964), S. 145-191, S. 145 u. S. 191. 11 Eine differenziertere Bestimmung des Manufakturbegriffs liefert u.a. K.-H. Kaufhold, Das Gewerbe in Preußen um 1800 (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2), Göttingen 1978, S. 231-233, dem hier gefolgt wird. 123

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dukte gaben die Baasen an die von ihnen beschäftigen Heimarbeiter wieter, gegenüber denen sie in Lohnvorlage traten. Bei der Ablieferung der Garne oder Rohtuche (der ungewalkten Stoffe) wurden die Baasen von den Unternehmern für ihre Dienste bezahlt.12 Für Monschau berichtete der Hofkammerrat Friedrich Heinrich Jacobi, dass im Jahre 1773/4 mehr als die Hälfte der produzierten Tuche im Limburgischen gewebt worden seien und dies, obwohl damit das Tuch pro Pfund Wolle um etwa einen halben Reichstaler teurer würde.13 Eine solche raumgreifende Arbeitsorganisation in der Region war nur durch Subunternehmer zu leisten. Dennoch: Die zentralen Betriebseinheiten in Monschau wuchsen im Laufe des 18. Jahrhunderts und mit ihnen die Zahl der dort beschäftigten Menschen: Männer, Frauen und Kinder. Die ›entrepreneurs‹ errichteten neue Werkbaukomplexe und letztlich ist auch das ›Rote Haus‹ nichts anderes als der Versuch, die bereits umliegenden Produktionsmittel der Manufaktur ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ auf einem hervorragend geeigneten Gelände eben um den Neubau des ›Roten Hauses‹ zu ergänzen und gleichzeitig neue Repräsentationsmöglichkeiten zu schaffen. Wie viele Arbeiter im ›Roten Haus‹ und den angrenzenden Werkbauten zu Beginn des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts beschäftigt waren, wissen wir nicht. Doch aus einer ähnlichen Hochkonjunkturphase – in der französischen Zeit – haben sich Zahlen zu den zentral Beschäftigten in den immer noch hauptsächlich ohne Maschinen produzierenden Monschauer ›Dezentralen Manufakturen‹ erhalten. Die Firma ›Johann Heinrich Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck & Co.‹, das Nachfolgeunternehmen von ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ in Monschau, beschäftigte in seinen zentralen Einrichtungen im Jahr 1811 insgesamt 147 Arbeiter,

12 Zu diesem Teil des Betriebssystems vgl. J. Kermann, Die Manufakturen im Rheinland 1750-1833, Bonn 1973, S. 121-122 u. S. 137; vgl. H.C. Scheibler, K. Wülfrath, Die „Feine Gewandschaft“ in Monschau, in: Westdeutsche Ahnentafel 1 (1939), S. 315-399, hier S. 365. 13 M. Schmidt, Tuchmanufakturen im Raum Aachen. Frühneuzeitliche Werkbauten als Spiegel einer Betriebsform zwischen Verlag und zentralisierter Produktion, in: D. Ebeling (Hg.), Aufbruch in eine neue Zeit. Gewerbe, Staat und Unternehmer in den Rheinlanden da 18. Jahrhunderts (= Der Riss im Himmel, VIII), Köln 2000, S. 129-164, hier S. 144. Den Bericht von des Hofkammerrats Friedrich Heinrich Jacobi über die Industrie der Herzogtümer Jülich und Berg aus den Jahren 1773 und 1774 veröffentlicht W. Gebhard 1882 in der Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 18, S. 1148, hier S. 113-119. 124

DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

davon 45 Scherer, 9 Färber und immerhin 14 Weber (Tabelle 1).14 Doch auch diese Listen sind unvollständig, denn sie machen nur Angaben zu den männlichen erwachsenen Arbeitern. Frauen, die vor allem in der Wollbereitung oder beim Noppen und Plüsen tätig waren, sowie Kinder, die Hilfsarbeiten durchführten oder an den großen holländischen Spinnrädern ausgebildet wurden, sind nicht erfasst worden.

Tabelle 1: Scherer und Weber in Scheibler’schen Unternehmen in Monschau, Eupen und Dolhain, 1811/12a

Arbeiter

Dolhain

Monschau

Eupen

Monschau

›Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck & Co.‹

›Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck & Co.‹

›Bernhard v. Scheibler‹

›Scheibler & Lenzmann.‹

Jahr 1812 (n)

Jahr 1811 (n)

Weber 48 14 Scherer 24 46 a Stadtarchiv Monschau, Abt. 1, J90

Jahr 1812 (n)

Jahr 1811 (n)

70 28

20 39

Ein Haus als Kristallisationspunkt Das ›Rote Haus‹ war demnach nicht nur Ort der bürgerlichen Wohnkultur, als das es heute noch als einmaliges Beispiel im Rheinland erhalten ist. Und es war nicht bloß Produktionsstätte, Kontor und damit Zentrale eines weltweit agierenden Unternehmens. Viel mehr war es darüber hinaus – bis zum Untergang der Monschauer Tuchindustrie am Ende der französischen Zeit – immer auch Kristallisationspunkt politischer Auseinandersetzungen, die nicht zuletzt auf Migrationsbewegung zurückzuführen sind. Das Städtchen Monschau, im gleichnamigen Amt des Herzogtum Jülichs gelegen, schloss die in diesem Band diskutierte Tuchregion nach Süden ab. Erst nach einigen Auseinandersetzungen und diplomatischem Geschick erreichten die seit etwa 1600 hier nicht mehr für den lokalen Bedarf produzierenden Fabrikanten bei ihrer Regierung in Düsseldorf Privilegien, die ihnen Handelserleichterungen bringen sollten (1654, 1705 u. 1719).15 Der Absatz auf dem ›Platten Land‹ des Herzogtums Jülich-Berg wurde begünstigt, in den Städten nach deren Intervention jedoch unter14 Arbeiterlisten Monschau, Stadtarchiv Monschau, 1. Abt. J 90. 15 Barkhausen, Tuchindustrie, S. 29-30. 125

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sagt. Dies weist auf qualitativ hochwertige Produkte aus der Eifelstadt hin, die in den anderen Städten als lästige Konkurrenz empfunden wurden. Den eigentlichen Aufstieg zum Zentrum einer exportorientierten Tuchindustrie verdankte Monschau – wie die ganze Region – dem Kleiderluxus des Rokoko mit einem Bedarf an ständig wechselnden Modestoffen, den der Unternehmer Johann Heinrich Scheibler geschickt nutzte, in dem er so genannte ›geflammte‹, das heißt in der Wolle gefärbte bunte Tuche produzierte. Ein Vorteil Monschaus war, dass auch hier die Territorialherren und ihre Regierungen in der Regel eine Wirtschaftspolitik praktizierten, die auf einem pragmatischen Vorgehen beruhte und „einzig auf die Förderung des territorialen Wohlstandes gerichtet war.“16 Diese konnte sich im Gegensatz zur merkantilistischen Politik großer Staaten in einem als ›laissez faire‹ zu bezeichnendem Umgang mit ihrer Wirtschaft äußern, die in das Geschehen nur eingriff, wenn die Regierungen von Produzenten oder Unternehmern dazu aufgefordert wurden, oder aber in mehr oder weniger direkten Subventionsstrategien.17 Als Beispiel für letzteres sei die Reichsabtei Burtscheid erwähnt, deren Äbtissin zum einen kostenloses Bauholz bereitstellte und auf diese Weise die Errichtung von Werkbauten förderte und zum anderen den Bau von Mietshäusern für die schnell wachsende Bevölkerung finanzierte, was bei der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt in den größeren Siedlungen der Region sicherlich für den Standort Burtscheid sprach, auf jeden Fall seine Attraktivität nicht schmälerte.18 Auch in Eupen garantierte ein Privileg des spanischen Königs aus dem Jahr 1680 die Erlaubnis, kostenlos Bauholz aus den herrschaftlichen Wäldern zu schlagen. Es enthielt darüber hinaus die Frei16 Schoenen, Das Rote Haus, S. 14. 17 M. Barkhausen, Der Aufstieg der rheinischen Industrie im 18. Jahrhundert und die Entstehung eines industriellen Großbürgertums, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 19 (1954), S. 135-177, insb. S. 136. Vgl. ders., Staatliche Wirtschaftslenkung und freies Unternehmertum im westdeutschen und im nord- und südniederländischen Raum bei der Entstehung der neuzeitlichen Industrie im 18. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 45 (1958), S. 168-241. 18 Zur Burtscheider Waldordnung vgl. E. Ph. Arnold, Das Altaachener Wohnhaus, (= Aachener Beiträge für Baugeschichte und Heimatkunst, Heft 2), Aachen 1930, S. 153-155; H. Schnock, Zur Topographie des Dorfs und der Herrlichkeit Burtscheid I-VII, in: Echo der Gegenwart Nr. 40, 44, 46, 50, 52, 56, 66 (1921), Teil V; J. Liese, Das klassische Aachen, Bd. 1: Johann Arnold von Clermont (= Aachener Beiträge zur Heimatkunde 17), Aachen 1936, S. 172; M. Schmidt, Burtscheid. Eine Tuchmanufakturstadt um 1812 (= Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, Beiheft VII/8), Köln 1997, S. 40. 126

DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

stellung vom Militärdienst für die Beschäftigten der Manufakturen, Abgabenbefreiungen und günstige staatliche Darlehen für die Unternehmer. Zudem wurden Wollimporte aus Spanien von der Steuer befreit.19 Demgegenüber verhielt sich die Düsseldorfer Regierung, in deren Herrschaftsgebiet Monschau und Imgenbroich lagen, eher passiv, letztendlich jedoch unternehmerfreundlich. So wurde im Fall der Konflikte mit Scherern (in den frühen 1740ern sowie in der ersten Hälfte der 1760er Jahre) und Webern (späte 1760er Jahre, erneut 1774/5) erst auf nachdrückliche Bitte der Unternehmer eingegriffen und 1775 im so genannten ›Düsseldorfer Mandat‹ endgültig die Freizügigkeit von Waren in und aus dem Limburger Land festgeschrieben.20 Die gerade angesprochenen Konflikte zwischen den Unternehmern auf der einen und ihren Arbeitskräften auf der anderen Seite in Monschau hatten nicht zuletzt ihre Ursache in der zunehmenden Migration von Arbeitskräften nach Monschau. Die ›entrepreneurs‹ – allen voran Johann Heinrich Scheibler – beförderten diese. Sie warben um die Zuwanderung von Facharbeitern, weil sie auf den veränderten Absatzmarkt – stärkerer Verkauf ihrer Waren durch Kommissionshandlungen – und die zunehmende Konkurrenz reagieren mussten. Nur durch eine Ausweitung der zentralen Betriebskerne und dem damit verbundenen Ausbau der Arbeitsleistung konnten sie die Produktion beschleunigen und den gestiegenen Kundenansprüchen genügen. Bei der Anwerbung von Arbeitskräften ging es den Unternehmern vor allem um hochqualifizierte Scherer, erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch um Weber.

19 M. Hammer, Geographische Betrachtung des Wollgewerbes am Rande des Hohen Venns (= Aachener Beiträge zur Heimatkunde 19), Aachen 1937, S. 20; M. Henkel, Taglohn, Tradition und Revolution. Ein Tarifvertrag aus dem Jahre 1790, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1 (1989), S. 42-66, S.49; L. Hermanns, Die Anfänge der Feintuchmanufaktur in Eupen, in: Geschichtliches Eupen XV (1981), S. 163-169; H. Kisch, Das Erbe des Mittelalters, ein Hemmnis wirtschaftlicher Entwicklung: das Tuchgewerbe im Aachener Raum vor 1790, in: ders., Die hausindustriellen Textilgewerbe am Niederrhein vor der industriellen Revolution (= Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, 65), Göttingen 1981, S. 258-316, hier S. 294. 20 Zu Ursachen und dem Hergang dieser Konflikte vgl. u.a. Barkhausen, Tuchindustrie, S. 80-112, der auch das ›Düsseldorfer Mandat‹ abdruckt (ebd. S. 109-111); vgl. auch Barkhausen, Wirtschaftslenkung, S. 193-195, H. Fr. Weingarten, Die Tuchindustrie in Montjoie. Ein Beitrag zur Geschichte der rheinischen Textilindustrie, Diss. (MS) Köln 1922, S. 19-24, insb. S. 20. 127

MARTIN SCHMIDT

Abb. 3: Der sogenannte ›Schmitzenhof‹ gegenüber des ›Roten Hauses‹ auf der anderen Rurseite. Johann Heinrich Scheibler nutzte dieses Gebäude bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Schererwinkel.

Nach einer ersten Migrationswelle vor 1740 versuchten die Scherer 1742, den Arbeitsmarkt zu beschränken. Mit einer Verknappung des Angebots an Arbeitskräften sollte sich ihre Situation verbessern. Ihre Forderungen bezogen sich im Wesentlichen auf die Lohnhöhe, ein Mitspracherecht bei der Neueinstellung von Arbeitskräften und eine Begrenzung der Anzahl an Auszubildenden. Die Unternehmer reagierten auf diese Forderungen, die mit Streiks durchgesetzt werden sollten, mit der Gründung der bereits genannten ›Feinen Gewandschaft‹, in der sich die bedeutendsten protestantischen Tuchmacherfamilien Monschaus zusammenschlossen. Der Bauherr des ›Roten Hauses‹, Johann Heinrich Scheibler, der immerhin fast Dreiviertel aller Scherer in Monschau beschäftigte – unter anderem im so genannten ›Schmitzenhof‹ gegenüber des ›Roten Hauses‹ auf der anderen Rurseite, war die treibende Kraft hinter diesem Unternehmerverband. Ihr Mittel, den Streiks zu begegnen, war die Aussperrung: Wer sich nicht dem Statut der Gewandschaft beugen wollte, das alle Forderungen der Scherer zurück wies, fand in Monschau keine Arbeit mehr. Auch der erneute Konflikt zwischen Scherern und Unternehmern im Jahr 1762 hatte – wenn auch nicht seinen Anlass dann doch seine Ursache – in zunehmender Migration und einer damit verbundenen Ausweitung des Arbeitskräftemarktes. Wieder ging es den mittlerweile in Monschau

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DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

heimisch gewordenen Scherern um eine Beschränkung der Lehrlingszahl und um den Versuch, auf Neueinstellungen Einfluss zu nehmen. Auch Lohnerhöhungen wurden diesmal gefordert. Und wieder setzten sich die Unternehmer durch – allerdings nicht vollständig, denn die Lohnerhöhung wurde den Scherern durch die Düsseldorfer Regierung zumindest in Teilen zugestanden.21 Dieses von der ‚Atmosphäre gewerblicher Freiheit’ geprägte Verhalten der Regierungsvertreter lässt sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass Unternehmer bei Bedarf die Administrationen der unterschiedlichen Herrschaften, welche an der Steuerleistung ‚ihrer‘ Industrie interessiert waren, gegeneinander ausspielten, zumindest jedoch ihren Forderungen und Interessen mit dem Hinweis auf eine mögliche Abwanderung in ein Nachbarterritorium Nachdruck verleihen konnten.22 So enthält eine von der Monschauer ›Feinen Gewandschaft‹ verfasste Eingabe aus dem Jahre 1769 an die Düsseldorfer Regierung, die sich gegen die von den Webern des Ortes erhobene Forderung zur Sperrung der Grenze ins Limburger Land für den Austausch von Halbfertigprodukten richtete, die kaum verhohlene Drohung, dass ein Nachgeben gegenüber den Webern „eben so gut wäre als die fabricanten zum land hinaus [zu] treiben.“23 Bereits 1764 hatte Johann Heinrich Scheibler im Konflikt mit den in Monschau beschäftigten Scherern gedroht, „dan wan in Monjoie unser Verbleiben länger nicht seyn können, wir in benachbarten Landen die nemlichen Fabriken errichten würden, als wohin uns die Einladungen, mittels Anbietung deren ansehentlichsten Freyheiten, längstens 24 geschehen seynd.“

Wieweit solche Drohungen ernst zu nehmen waren, sei dahingestellt. Die Investitionen in Gebäude und unbewegliches stehendes Kapital (vor allem Mühlenwerke zur Tuchwalke) machten noch bis in das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bei vielen Unternehmen nur einen Bruchteil des Firmenkapitals aus. Die weitaus größere Summe zirkulierte als Handelskapital.25 Ein Sprung über eine der nah gelegenen, aber für die Indus-

21 Die Konflikte fasste Mangold, Aufstieg und Niedergang, S. 112-115, zusammen. Hier auch Hinweise auf die ältere Literatur. 22 Kisch, Textilgewerbe, S. 32. 23 Zitiert nach Scheibler, Wülfrath, Ahnentafel, S. 370. 24 Zitiert nach Barkhausen, Tuchindustrie, S. 94. 25 Vgl. die Bilanz der Firma ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ aus dem Jahr 1789 (u.a. Mangold, Aufstieg und Niedergang, S. 115) ist zwar äußerst fragwürdig. Sie bietet jedoch ein Indiz zum Stellenwert von fixem 129

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trie, ihre Arbeiter und Halb- wie Fertigprodukte offenen Grenzen wäre somit durchaus realisierbar gewesen – auch wenn beispielsweise wie oben erwähnt das ›Rote Haus‹ 90.000 Taler gekostet haben mag. Denn hier waren nur begrenzte Flächen für die Produktion untergebracht und das Unternehmen ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ verfügte längst über viele weitere Produktionsbauten. Zudem hatten Unternehmer bereits Dependancen in anderen Herrschaften gegründet. Um bei dem Beispiel des Monschauer Tuchgewerbes zu bleiben: dieses hatte in Eupen – wohl nicht zuletzt wegen der dortigen Steuerbefreiung auf spanische Wolle – Zweigniederlassungen angelegt. Der bereits genannte Bernhard Georg Scheibler unterhielt dort und seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Bergischen eine Tuchfabrikation und die Firma ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ hatte im limburgischen Dolhain 1774 die Produktion aufgenommen.26 Die Aussage eines anonymen Zeitgenossen und Kenners der wirtschaftlichen Situation stellte die Bedeutung des Unternehmers für seine Manufaktur und für die Region heraus, die vor allem auch auf die Unternehmerfamilie Scheibler zutrifft: „Der Kaufmann oder der Fabrikant ist die erste Triebfeder, und die Seele des Ganzen, er erhält viele Menschen in Aktivität, die alle für ihn arbeiten und ihre 27 Nahrung von ihm erhalten.“

Den Scheiblers, wie den anderen ›entrepreneurs‹, kam in der Aachener Tuchindustrie des 18. Jahrhunderts eine besondere Rolle zu. Als Kaufleute sorgten sie für den Import der Rohstoffe und hielten Kontakt zu den Märkten; als Unternehmer organisierten sie bei bestmöglicher Ausnutzung der Standortfaktoren und Ressourcen der Region die Produktion zwischen zentraler Wollbereitung und Appretur auf der einen Seite und heimgewerblich organisierten Spinner- und Weberei auf der anderen Seite. Als Fabrikanten waren sie zudem in Arbeitsabläufe eingebunden: Kapital. Eine Summe von 9.100 Rtlr. für Fabrikgebäude in Monschau ist ausgewiesen. Dies entspräche ca. 1,3% des Firmenkapitals. 26 Zu den Niederlassungen in Dolhain vgl. Leboutte, René, De lakenfabriek Scheibler, Ronstorff, Rahlenbeck te Dalem (1774-1890): Een voorbeeld van industrialisatie op het platteland, in: Studies over de sociaal-economische geschiedenis van Limburg 24 (1979), S. 24-82, insb. S. 28-29. 27 Zit. aus: Anonymus, Die Feine Tuchmanufaktur zu Eupen. Ihre sämtlichen Geheimnisse, Vorteile und Preise, Gotha 1796, S. 64; u.a. abgedruckt bei: Henkel, Maschinenstürmer, S. 103; vgl. zur Textstelle auch Kermann, Manufakturen, S. 136. 130

DAS ›ROTE HAUS‹ IN MONSCHAU

entweder eher indirekt als deren Kontrolleure oder direkt, das meint selbst handwerklich tätig, wie beispielsweise in den Fällen von Johann Heinrich und Wilhelm Scheibler aus Monschau, die als Färber arbeiteten.28 Die Schlüsselstellung der ›entrepreneurs‹ spiegelt sich nicht zuletzt in ihren Bauten, wie zum Beispiel dem ›Roten Haus‹, die damit zugleich als Kristallisationspunkte im regionalen System der Tuchproduktion gelten können. Häuser wie dieses waren es, die die Migranten anzogen, nicht nur Arbeiter der Tuchindustrie. Auch für temporär anwesende Personen waren sie wichtig. Künstler, Tuchhändler und Rohstoffproduzenten kamen und gingen. Sie brachten Nachrichten in die Eifel und versorgten so mehr oder weniger direkt auch die Arbeiter mit Informationen. Wer wollte, konnte abwandern. Wer von den guten Geschäften in Monschau hörte, fasste den Entschluss zuzuwandern.

Ein Haus von zentraler Bedeutung Das ›Rote Haus‹ in Monschau – in seinem außerordentlich guten Erhaltungszustand, der seit dem 18. Jahrhundert nur durch wenige, wenn auch schmerzliche Umbauten gestört wurde – kann als einmaliges Beispiel eines Kerns einer ›Dezentralen Manufaktur‹ in der Region zwischen Maas und Rhein gelten. Hier verdichten sich alle oben erwähnten Entwicklungslinien und Prozesse. Das Baudenkmal selbst bleibt dabei nicht nur ein beliebiger Zeuge, sondern ist zugleich ein Semiophor (Bedeutungsträger).29 Es ist Zeit, im ›Roten Haus‹ nicht das „kleine Schlösschen“ – wie viele Touristen es interpretieren – zu sehen, sondern seine eigentliche Stellung als wichtiges Zeugnis der Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

28 Barkhausen, Tuchindustrie, zur Rolle Johann Heinrich Scheiblers ebd. S. 32, zu Wilhelm Scheibler ebd. S. 50. 29 Als Semiophoren werden Dinge verstanden, die als Zeichenträger funktionieren, d.h. in Fall das Haus als Vermittler zwischen Vergangenheit und Gegenwart. 131

A UF DEN S PUREN DER M IGRANTEN

AUF

MIGRANTEN. REISEZIELE ZWISCHEN AACHEN UND VERVIERS IN DER BELGISCH-DEUTSCHEN GRENZREGION DEN

SPUREN

DER

CHRISTIANE SYRÉ Auftakt Die belgisch-deutsche Grenzregion zwischen Aachen und Verviers: das sind heute malerische Städtchen und Dörfer, die zum Verweilen einladen, eingebettet zwischen den wilden Höhenzügen der Eifel, der tiefen Ruhe des Hohen Venn und den Tälern von Inde, Weser und Rur. Doch es ist auch eine Landschaft voll Geschichte und Geschichten, die überall in dieser europäischen Kernregion ihre Spuren hinterlassen haben. Und zu diesen gehören auch die der Tuchindustrie und ihrer Arbeiter. Wer heute die Region entdecken will, kann auf den Spuren der Tuchscherer Johann Lambert Schmitz, Mathias Meisen oder der Nopperin Jeanne Joséphe Dourcy wandeln, die wie Hunderte anderer zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Migranten in der Region ihr Auskommen suchten. Denn neben den schriftlichen Zeugnissen, soweit sie in den Archiven bewahrt blieben, haben sich in der Region zahlreiche Relikte aus einer Zeit erhalten, in der das Textilgewerbe die Region prägte. Sie erlauben es uns, gleichsam in der Zeit zurück zu reisen und die Region unter ganz besonderen Blickwinkeln zu erleben. Erhaltene Manufaktur- und Produktionsgebäude aus dem 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert lassen heute noch sichtbar werden, wie die Arbeit der Tuchmacher organisiert war. Sie lassen erahnen, wie die Räumlichkeiten gestaltet waren, in denen Geschäfte abgewickelt wurden oder sich das Leben der Unternehmer abgespielt hat. Auch zahlreiche Wohngebäude, in denen nicht nur, aber auch Migranten gelebt haben, stehen heute noch in den größeren und kleineren Ortschaften oder liegen verstreut als kleine Ansiedlungen auf dem ›Platten Land‹. Die letzten zweihundert Jahre haben zwar manche Orte und Städte verändert, doch nicht alle Spuren der großen Zeit der Textilindustrie sind verwischt. Wer durch die Straßen des Fachwerkstädtchens Monschau spaziert oder in Eupen an den prachtvollen Bauten der Tuchunternehmer 135

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vorbei schlendert, der kann das geschäftige Treiben der Tuchmacher geradezu spüren, das hier vor gut 200 Jahren den Alltag sowohl der einfachen Arbeiter als auch der Unternehmer bestimmte. Verschwiegen werden soll nicht, dass Orte heute zusammengewachsen oder wie Burtscheid zu Vororten größerer Städte – in diesem Fall Aachen – geworden sind. Doch nicht nur in den Städten und Dörfern lassen sich Spuren aus der Frühzeit der Industrialisierung finden. Auch in Feld und Flur kann der aufmerksame Besucher immer wieder Relikte aus dieser Zeit entdecken: eine alte Brücke hier oder dort einen Meilenstein, der den Migranten die Entfernung zu ihrem neuen Wohnort anzeigte. Fernab der Autobahnen und großen Fernstraßen verbinden immer noch zahlreiche kleine Straßen und Wege die Ortschaften und Ansiedlungen miteinander. Und manch eine gut ausgebaute Straße, die uns neu und modern vorkommt, weil sie unseren Anforderungen an eine zeitgemäße Verkehrsführung entspricht, führt über die Trasse einer seit Jahrhunderten begangenen Straße. Vielleicht sind über diese alten Wege Johann Lambert Schmitz, Mathias Meisen oder die Brüder Kretz, die dieser Band als Migranten bereits vorstellte, von ihrem Wohnort aus zu ihrer neuen Bleibe gewandert. Abb. 1: Diese schnurgerade Straße zwischen Monschau und Aachen wurde bereits in französischer Zeit geplant, aber erst von den Preußen gebaut.

Die im Folgenden vorgestellte Route zur Migration – eine Rundreise – lädt ein, die Region zwischen Aachen und Verviers unter ganz bestimmten Aspekten wahrzunehmen, nämlich mit Blick auf die Menschen, die sich diesen Raum vor etwa zweihundert Jahren auf ihre eigene Weise und auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, nach Arbeit und Unterkunft erschlossen haben.

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AUF DEN SPUREN DER MIGRANTEN - REISEZEILE

Wer sich auf eine solche Spurensuche begibt, der darf selbstverständlich das Lebensumfeld der Migranten nicht ignorieren: Einerseits die politischen Verhältnisse von der napoleonischen Zeit über die Befreiungskriege bis hin zur der staatlichen Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress mit ihren durchgreifenden Folgen für die Menschen in der Region; und andererseits – ebenso bedeutsam, wenn nicht gar noch entscheidender – die wirtschaftlichen und betrieblichen Umstrukturierungen im Textilgewerbe, dem damals wichtigsten Wirtschaftszweig in der Region. Denn die Entwicklungen in der Textilindustrie, vor allem der Übergang vom dezentralen Manufakturbetrieb hin zum neuen Betriebssystem Fabrik sowie der Niedergang alter und Aufstieg neuer Produktionszentren, war für viele der Anlass den Geburtsort zu verlassen. Die Route ›Auf den Spuren der Migranten‹ stellt die Region zwischen Aachen und Verviers, dies- und jenseits der Grenze als einen ehemals zusammenhängenden Wirtschaftsraum dar, dessen bindendes Element das Textilgewerbe war. Sie ergänzt damit das grenzüberschreitende Projekt der ›Wollroute‹ in der Euregio Maas-Rhein um den Aspekt der Migration.1 Die ›Wollroute‹ verbindet zahlreiche Baudenkmäler der Textilindustrie (Fabriken, Werksbauten, Arbeiterwohnhäuser, Fabrikantenvillen etc.) und Museen. Sie macht so die reiche industriehistorische Vergangenheit der Region erlebbar – für Touristen ebenso wie für die Bevölkerung vor Ort. Der hier vorgeschlagene Reiseweg ›Auf den Spuren der Migranten‹ nimmt die so erschlossenen industriegeschichtlichen Stätten und Museen zur Industriekultur auf und erweitert sie um für das Thema Migration interessante Standorte. Beide Routen, ›Auf den Spuren der Migranten‹ und die ›Wollroute‹, führen dabei durch eine reizvolle Landschaft, die immer wieder ihren Charakter ändert. Das Tal der Weser und das der Rur, die Stauseen, die Heckenlandschaften der Eifel, die Wälder oder die Moore des Hohen Venn – die Landschaft lädt zu großen und kleinen Wanderungen ein, auf denen es viel zu entdecken gibt: Neben Interessantem und Geheimnisvollem aus der Welt der Pflanzen und Tiere steht vor allem das Historische, wie Wegekreuze und Grenzsteine, alte Brücken und Herbergen. Wer die Region bereist – ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto –, der legt immer auch ein gutes Stück des Weges durch den Deutsch-Belgischen Nationalpark zurück – ein weiteres Beispiel für inzwischen zahlreiche Projekte, die die ehemalige Zusammengehörigkeit des Raums neu beleben und stärken.

1

Siehe: www.wollroute.de, www.wolroute.net, vgl. auch www.erih.net. 137

CHRISTIANE SYRÉ

Der Reiseweg ›Auf den Spuren der Migranten‹ möchte Anregungen geben und den Blick auf die Zeugen des beginnenden Industriezeitalters lenken. Verzichtet wird deshalb auf eine feste Streckenplanung. Vielmehr führt die Route in einem großen Bogen von Eupen nach Verviers, dann durch das ›Hohe Venn‹ nach Monschau und von dort nach Aachen, bevor es zurück nach Eupen geht. Sie empfiehlt Reiseziele, hin und wieder Wege und besonders, sich das Land fernab der großen Straßen zu erschließen, unterbrochen von Rundgängen durch Städte und Ortschaften. Darüber hinaus bietet sie interessante Wanderungen durch die Natur an. Karte 1: Reiseweg ›Auf den Spuren der Migranten‹

Reiseziele ›Auf den Spuren der Migranten‹ Eupen Unsere Route beginnt in der Tuchmacherstadt Eupen. Von den 9.500 Einwohnern der Stadt zum Ende der napoleonischen Zeit waren 7.000 Menschen in der Textilherstellung beschäftigt. Im Verlauf der letzten zweihundert Jahre hat die Stadt mehrmals ihre Staatszugehörigkeit gewechselt. In dem in diesem Band behandelten Zeitraum gehörte sie seit 1798 zum Ourthedepartement und war damit Teil des französischen Staates. Nach der Grenzziehung infolge des Wiener Kongresses (1814/5) wurde die Stadt dem preußischen Staat zugeschlagen und heute befinden wir uns hier auf belgischem Boden im Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft, die etwa 73.000 Bürger und Bürgerinnen Belgiens umfasst. 138

AUF DEN SPUREN DER MIGRANTEN - REISEZEILE

Mit diesem Ausschnitt aus der wechselvollen Geschichte der Stadt ist Eupen selbst ein Beispiel für die ‚Trennungsgeschichte’ dieser Region durch die Ausbildung der europäischen Nationalstaaten.2 Bei einem Rundgang durch die Stadt können zahlreiche Manufakturbauten aus der Blütezeit des Textilgewerbes im 17. und 18. Jahrhundert entdeckt werden. Ihre zum Teil prachtvollen und aufwändig gestalteten Fassaden verweisen auf den großen Reichtum, aber auch auf das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis der Tuchfabrikanten und -kaufleute. Ihr Erfolg basierte auf der hervorragenden Qualität der Tuche, die in aller Welt bekannt und nachgefragt waren. Abb. 2: Tuchmacherwinkel der Tuchmanufaktur Renier Grand Ry, erbaut 1757 aus Ziegel und Blaustein

Diese Gebäude spiegeln jedoch nicht nur den Wohlstand der Kaufleute wider, sondern lassen auch erkennen, wie die Tuchproduktion bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts organisiert war. Denn an die Hauptgebäude schlossen sich unmittelbar Werkstattgebäude an, die so genannten Winkel, die entweder einfach an das Haupthaus angebaut oder um Innenhöfe gruppiert waren. Hier konzentrierten die Unternehmer die für die Qualität der Tuche entscheidenden Arbeitsschritte der Produktion – insbesondere die 2

Vgl. den Beitrag ›Die politischen Verhältnisse zwischen Maas und Rhein 1780 bis 1820‹ in diesem Band. 139

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Appretur, das heißt Endfertigung der Tuche. Die Tuchfabrikanten konnten auf diese Weise diesen wichtigen Produktionsschritt unmittelbar in ihren Manufakturgebäuden kontrollieren (Abb. 2). Ein Blick in Höfe lohnt sich! In einem dieser Winkel hat vermutlich auch der 22-jährige Tuchscherer Johann Lambert Schmitz gearbeitet, bevor er 1818 seine Geburtsstadt verlassen und jenseits der neuen Grenze in Dolhain einen neuen Arbeitsplatz suchen wollte, wie wir aus den schriftlichen Quellen der preußischen Administration wissen. Das Spinnen und Weben war dagegen dezentral organisiert. Eines der sehenswerten Gebäude in Eupen ist die Manufaktur, die der Aachener Architekt Laurenz Mefferdatis (1677-1748) im Jahre 1721 für den Tuchkaufmann Martin Rehrmann plante (Kaperberg 2-4). Die Architektur verkörperte nicht nur das Selbstverständnis des wohlhabenden Bauherren, sondern erfüllte einen weiteren Zweck: Sie demonstrierte in dem auf großen und langfristigen Krediten aufgebauten Tuch- und Rohstoffmarkt Finanzstärke gegenüber den Banken und Handelspartnern. Heute befinden sich in dem Gebäude die Pater-Damian-Schule und das Staatsarchiv Eupen (Abb. 3). Abb. 3: Tuchmanufaktur von Martin Rehrmann, erbaut 1721, heute Schule und Staatsarchiv (Blick in den Hof)

Auf der gleichen Straße findet sich das Tuchmacherhaus von Christian Bernhard Sternickel aus dem Jahr 1812 (Kaperberg 8). Es kann als eines der letzten großen Beispiele einer Manufaktur des älteren Typs gelten, denn bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Standort eines Werkbaus unter anderem von der Verfügbarkeit von Wasser als Antriebsenergie abhängig und damit einher ging die Verlagerung der Produktionsstätten an Hill und Weser. Sternickel verband jedoch noch einmal die Repräsentation des Wohnens mit der wirtschaftlichen Funktion eines Kontors und einem Achterbau für die Produktion. Eine moderne

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›Proto-Fabrik‹ war das Gebäudeensemble nicht, eher die im Zeitstil errichtete Neuauflage des Althergebrachten. Am Werthplatz stehen zwei weitere Tuchmacherhäuser: Nr. 1-3 wurden wahrscheinlich 1744 von dem Aachener Architekten Johann Joseph Couven (1701-1763) für die Familie Grand Ry erbaut. Sie gehörte im 18. und 19. Jahrhundert zu den einflussreichsten Familien der Stadt. Im Rundbogengiebel des Hauses befindet sich noch heute ein Relief, auf dem die Glücksgöttin Fortuna mit Handelssymbolen dargestellt ist – Wunsch und Ausdruck des Erfolges (Abb. 4). Das Haus Nr. 5-7, erbaut 1747, trägt das Wappen der Unternehmerfamilie Römer-Thymus. Abb. 4: Tuchmacherhaus der Familie Grand Ry, erbaut 1744 von Johann Joseph Couven

Ebenso sehenswert wie die Manufaktur von Martin Rehrmann ist das Tuchmacherhaus mit Schererwinkel am Marktplatz 8. Es gehört zu den größten und prächtigsten Kaufmannshäusern mit Produktionsstätte in der Stadt. Heute haben hier Verlag und Redaktion des „Grenz-Echo“, der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung Belgiens, ihr Domizil. Die Tuchmacherhäuser in der Gospertstraße gehören zu den ältesten Gebäudekomplexen des ›Dezentralen Manufaktursystems‹ in Eupen. Unter der Straße fließt heute noch der Gospertbach, in dem früher die Wolle vor dem Spinnen gewaschen und vom Schaffett, dem Lanolin, befreit wurde. Bei diesem Waschen verlor die Wolle deutlich an Gewicht. Wie viel? Wer wollte das sagen – Unterschlagungen waren an der Tagesordnung. Der Unternehmer, der über eine Produktionsstätte an den Wollspülplätzen verfügte, hatte einen Vorteil durch die ihm mögliche unmittelbare Kontrolle. Der Schererwinkel Nr. 42 und Haus Nr. 52, in dem heute das Stadtmuseum untergebracht ist, wurden bereits im 17. Jahrhundert errichtet (1697). Ein weiteres Beispiel aus dem 17. Jahrhundert ist ein Fach141

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werkbau mit Schererwinkel in der Kirchstraße 15-17. Heute ist es unter der Bezeichnung ›Kunst und Bühne‹ als Veranstaltungsort für Ausstellungen und als Kunst- und Handwerkeratelier bekannt. Eine Ausnahme in der Struktur der Anlage bildet das Haus für die Tuchmacherfamilie ›de Grand Ry‹ in der Klötzerbahn 32 (Abb. 5). Anders als die übrigen Manufakturgebäude in Eupen verfügt es über einen so genannten ›cour d’honneur‹, das heißt einen zur Straße offenen Ehrenhof, den die übrigen Fabrikantenhäuser nicht aufweisen. Der ›cour d’honneur‹ ist der adligen Repräsentation entlehnt und durch Johann Joseph Couven in der Region auch für Stadthäuser reicher Unternehmer in der 2. Hälfte des 18. Jahrhuderts populär gemacht worden. Man spricht daher gerne auch von Gebäuden ›Couven’scher‹-Prägung. Heute ist das Gebäude, dessen rückwärtige Schererwinkel bereits früh abgerissen wurden, Sitz der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Abb. 5: Sitz der Tuchmacherdynastie Grand Ry; erbaut 1761-1763 von Johann Joseph Coven: Anlage mit ›cour d’honneur‹; heute Sitz der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens

Die Bedeutung der Tuchmacherfamilien in der Stadt Eupen spiegelt sich nicht allein in ihren stolzen Manufakturgebäuden, sondern auch in den Grabstätten, wie sie auf dem Friedhof an der Simarstraße zu finden sind. Bescheidener fällt dagegen das Reihengrab des Mitbegründers der christlichen Textilarbeitergewerkschaft in Deutschland, Franz Bartholemy, aus. Gewerkschaften können in Eupen auf eine lange Tradition und Geschichte 142

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zurückblicken. Gerade die Scherer, wie der mehrfach erwähnte Johann Lambert Schmitz, waren gut organisiert. Sie konnten noch in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein Regelement durchsetzen, das ihnen ein gewisses Maß an betrieblicher Mitbestimmung und eine bedingte Regulierung des Arbeitsmarktes erlaubte. Die standesbewussten Scherer, viele von ihnen aus Städten mit Zünften zugewandert, erkannten sich in Eupen sofort als „Zunftgenossen ohne Zunft“ und setzten in Ermangelung einer Zunftordnung ihre so genannte ›Maxime‹ durch.3 Werkstätten konnten für ›faul‹ erklärt werden, Strafen für Vergehen gegen die ungeschriebenen Regeln der Scherer mussten mit dem ›Saufpott‹ abgegolten werden. In der Absicht, das Angebot an Arbeitskräften zu beschränken, erlaubten sie es den Unternehmern nicht, mehr als zwei Lehrlinge einzustellen. Nur durch die Anwerbung von außen – das heißt durch Migration – war damit ein schnelles Wachstum der Betriebe möglich. Als Anfang des 19. Jahrhunderts Schermaschinen die Handarbeit der selbstbewussten und gut bezahlten Lohnarbeiter ersetzen sollten, zertrümmerten und versenkten die Eupener Scherer die ersten der neuen Maschinen im Gospertbach. Die Textilhandwerker in Eupen hatten ihren Standesstolz. In der ehemaligen Kapuzinerkirche (Klosterkirche ›Zur Unbefleckten Empfängnis Mariens‹), die 1773-1776 nach Plänen des Architekten Joseph Moretti († 1793) errichtet wurde, sind in unserem Zusammenhang die Seitenaltäre interessant, denn der westliche wurde von den Webern 1778 gestiftet („TEXTORVM DONA SVPERIS FRANCISCOQVE GLORIA“) und der östliche trägt neben der Darstellung eines Scherermessers und von Raukarden (Disteln) die Inschrift „Diesen Altar haben gegeben die Tuchscherer zu Eupen 1777“. Als sicher kann gelten, dass hier viele Migranten vor ihrer Abwanderung beteten. Auf den Kirchenbänken der 1720-1726 von Laurenz Mefferdatis (1677-1748) errichteten Pfarrkirche St. Nikolaus stößt man wieder auf die Namen der bekannten Tuchmacherfamilien wie Grand Ry, Römer oder Rehrmann. Die Windfänge der Eingangstüren in der 1897-1898 erneuerten Fassade sowie Arbeiten an der Nordseite wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts von dem Tuchkaufmann Mathias Pass gestiftet. Ob Johann Lambert Schmitz in einer der Tuchmanufakturen in der Eupener Oberstadt gelernt und gearbeitet hat oder bereits in den Betrieben, die sich während der napoleonischen Zeit an Weser und Hill ansiedelten, 3

M. Henkel, Taglohn, Tradition und Revolution. Ein Tarifvertrag aus dem Jahre 1790, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1 (1989), S. 42-66, hier S. 45. 143

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muss im Dunkeln bleiben. Zunächst befanden sich hier vor allem Färberund Walkwerkstätten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand dann ein fast gänzlich neuer Stadtteil, die Unterstadt, mit damals hochmodernen Betrieben. 1806 wurden hier bei Scheibler die ersten Spinnmaschinen aufgestellt. 1815 beantragte die Firma Sternikel und Gülcher die Konzessionierung einer Dampfmaschine für ihren dort angesiedelten Betrieb.

Rund um Limburg Von Eupen aus führt die Route zu den kleinen Ortschaften Baelen und Membach, die nördlich und südlich der Straße N61 von Eupen nach Limburg liegen. Diese Dörfer waren das Ziel zahlreicher Migranten aus Eupen und anderen Orten, die aufbrachen, um in der Umbruchphase nach dem Ende der napoleonischen Zeit und dem Wiener Kongress Arbeit und eine neue Bleibe zu suchen. Die Orte liegen nur wenige Kilometer von den Textilstandorten Limburg und Dolhain entfernt, so dass sich vorstellen lässt, dass viele der Migranten hier unterkamen und täglich zur Arbeit pendelten. Abb. 6: Häuser am Marktplatz in Limburg

In Dolhain hat die Tuchmacherei eine lange Tradition. Seit dem 14. Jahrhundert entwickelte sich das Gewerbe entlang der belgischen Weser. Zahlreiche Häuser aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert haben sich hier erhalten. Zusammen mit später entstanden Gebäuden, wie dem ehemaligen Casino, zeigt der Ort in seiner Architektur das historische Erbe der Tuchindustrie. Die Stadtsanierung machte den Ort zu einem lohnenden Reiseziel auf den Spuren den Migranten. 144

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Wenige Kilometer westlich liegt am Fuß der heutigen Gileppe-Talsperre und vor den Toren des Hertogenwalds das Dorf Goé, das ebenfalls Ziel vieler Migranten war. Goé gilt als eines der ältesten und malerischsten Dörfer der Region. Wer einen Abstecher hierher unternimmt, fühlt sich leicht zurückversetzt in die Zeit unserer Migranten, denn Goé mit seinen kleinen Häusern hat seinen Charakter in den letzten 200 Jahren kaum verändert. Abb. 7: Malerische Landschaft um das Dorf Goé

Die Route folgt weiter dem Tal der Weser, im belgischen Vesdre, nach Verviers. Wasser, Bewaldung und Hecken machen den Reiz der Landschaft Lonhienne aus.

Verviers Über Jahrhunderte prägte das Tuchmachergewerbe auch das Leben in Verviers. In seiner Blütezeit zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert eroberte sich die Stadt einen Spitzenplatz in der europäischen Wollverarbeitung, was bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirkte. So wundert es nicht, dass Verviers Anziehungspunkt für zahlreiche Migranten aus der Region, aber auch darüber hinaus war. Die Jahre nach dem Wiener Kongress markierten auch hier den Übergang von der Manufaktur zur Fabrik, der gerade in Verviers besonders schnell vonstatten ging und eine neue Migrationswelle auslöste. Viele hofften, in den aufstrebenden Fabriken einen Arbeitsplatz zu finden. Das Tuchgewerbe hatte Verviers Wohlstand gebracht, der sich in zahlreichen repräsentativen Bauten niederschlug. Dazu gehört das frühklassizistische Rathaus am ›Place du Marché‹ aus dem späten 18. Jahrhundert, das von eleganten Bürgerhäusern im Barock- und Rokokostil umstanden wird (Abb. 8). 145

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Wie mögen diese repräsentativen Bauten die neu Zugezogenen beeindruckt haben, erst recht wenn sie aus ländlichen Gegenden oder kleinen Ortschaften kamen? Wie viele Migrantinnen fanden wie die 23-jährige Anne Catherine Witten aus Eupen Anfang des 19. Jahrhunderts in einem der reichen Haushalte eine Stelle als Kindermädchen? Wie viele der Textilarbeiter mussten sich damals in den einfachen Wohnstätten eine Unterkunft suchen, in denen Enge und Not herrschte, wie zeitgenössische Quellen beschreiben? Abb. 8: Frühklassizistisches Rathaus – Stolz einer Tuchmacherstadt

Wer von den Migranten hatte das Glück, in der Manufaktur und späteren Fabrik von Pierre-Henri de Thier im Stadtteil Hodimont Arbeit zu finden? Der Wolltuchfabrikant hatte das dreigeschossige, L-förmige Gebäude zwischen 1802 und1806 in der Rue de la Chapelle 24-32 errichten und für sich selbst ein Herrenhaus anschließen lassen (Abb. 9). Über fast 170 Jahre fanden hier immer wieder Textilarbeiter Beschäftigung, denn erst dann wurde die Produktion eingestellt. Seine ursprüngliche Funktion hat das Ensemble aus Fabrikationsgebäude und Wohnhaus mit drei später errichteten Häusern im Stil Louis XIII zwar verloren, aber nicht die Verbindung zur Textilindustrie! Restauriert ist die Bettonville-Fabrik heute das Woll- und Modemuseum der Stadt Verviers (›Centre Touristique de la Laine et de la Mode‹).

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Abb. 9: Fabrik von Pierre-Henri de Thier, erbaut 1802-1806; heute das ›Centre Touristique de la Laine et de la Mode‹ (Blick in den Hof)

Sehenswert, wenn auch nur von außen zu besichtigen, ist die ehemalige Tuchfabrik von Ivan Simonis aus dem frühen 19. Jahrhundert, die auch „Au Chat“ (Katzenhaus) genannt wird (Rue de Limburg 41). In diesem Komplex standen die ersten Maschinen, die der englische Ingenieur William Cockerill im Auftrag des Tuchfabrikanten entwickelt hatte und die in der Region dazu beitrugen, den Wechsel im Betriebssystem einzuläuten. Inzwischen teilweise restauriert, hat die ehemalige Fabrik heute eine neue Funktion gefunden: Zwischen 1988 und 1990 wurde das geschichtsträchtige Gebäude in ein Mietshaus mit Sozialwohnungen umgebaut. Wer erst einmal einen Blick für die langgezogenen Gebäude und Gebäudeensembles mit dichter Fensterfolge entwickelt hat, wird auch in Verviers noch eine große Zahl weiterer Manufakturbauten entdecken. Ein frühes Beispiel findet sich in der Rue de Moulin 13. Hier hat die weit über die Grenzen der Region berühmte Tuchfabrikantenfamilie Pelzer bereits im Jahr 1675 einen für die damalige Zeit eindrucksvollen Werkbau errichtet. Das Lebenselixier für das Wolltuchgewerbe war das Wasser. Ohne es sind zahlreiche Produktionsschritte wie das Waschen der Wolle, das Walken und das Färben nicht möglich. Die Vervierser Tuchmacher hatten eine besondere ›Quelle‹, nämlich den so genannten ›Industriekanal‹, der vermutlich bereits um 1100 gebaut wurde. Durch die Jahrhunderte 147

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war er die Lebensader der Stadt und versorgte das Tuchgewerbe mit Wasser und Energie. Wer heute Verviers besucht, kann auch dieses bedeutende Industriedenkmal besichtigen, denn im Jahr 2000 wurde der Kanal als ein Element in das Projekt ›Aufwertung des Stadtzentrums‹ integriert. Und wie schon in Eupen lohnt auch in Verviers ein Besuch des Friedhofs (im Stadtteil Stembert), der 1825 eröffnet wurde und auf dem die prächtigen Grabmäler der Tuchfabrikanten vom Reichtum des Gewerbes zeugen.

Hohes Venn Wir verlassen Verviers und die Route führt uns nun über das Hohe Venn in das verträumte Eifelstädtchen Monschau. Nach der Zusammenlegung des deutschen Naturparks Nordeifel und des belgischen Naturparks Hohes Venn entstand 1971 der grenzüberschreitende Deutsch-Belgische Naturpark. Ausgedehnte Moorgebiete dienen als Wasserspeicher und Quellgebiet zahlreicher Flüsse und Bäche. Sie können als ein wichtiger Standortvorteil der Textilindustrie in der gesamten Region betrachtet werden. Denn weiches Wasser war insbesondere in der Färberei äußerst wichtig. Viele Bäche sind heute zu Seen aufgestaut. Darüber hinaus nutzte man – bevor die Eisenbahn den Transport von Kohlen verbilligte – den Torf des Hohen Venn als Brennmaterial für die Tuchmanufakturen und später für die Fabriken. Das kaum besiedelte Hohe Venn lädt mit seinen Wanderwegen zu einzigartigen Erlebnissen ein. Seine Pflanzenwelt ist vor allem von voreiszeitlichen Klimabedingungen geprägt. Abb. 10: Wanderweg im Hohen Venn

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Doch so unberührt das Venn heute erscheint, so betriebsam muss es hier vor mehr als 200 Jahren zugegangen sein. Denn bevor Monschau durch die Straßenbauprojekte Napoleons mit Aachen verbunden war, verlief eben über diese Hochfläche der Rohstoff- und Warentransport. Insbesondere die Zwischenmeister der Monschauer Fabrikanten nutzten die Wege, um im 18. Jahrhundert auf großen Wagen Wolle in den Limburger Raum zu schaffen, dort verspinnen zu lassen und das Garn oder Rohtuche zurück nach Monschau zu verfrachten. Auch viele Migranten aus Eupen und Verviers wanderten über diese Route, zunächst um 1750 nach Monschau und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder zurück. Damit ist das Hohe Venn nicht nur für Naturliebhaber interessant. Hier und da stößt der Wanderer immer wieder auf alte Grenzsteine, die die ehemalige Grenzziehung des 18. und 19. Jahrhunderts offensichtlich werden lassen. Es handelt sich in der Mehrzahl um 140 cm hohe, sechskantige Steine, die auf einer Seite ein ›B‹ für Belgien und auf einer anderen Seite ein ›P‹ für Preußen sowie eine Nummer tragen. Im Jahr 1839 wurden sie aufgestellt. Abb. 11: Belgisch-preußischer Grenzstein, aufgestellt im Jahr 1839

Wer die Grenze finden will, dem sei eine Wanderung im Naturschutzgebiet an der Oberen Hill zwischen dem Stein Nr. 157 bei der in fast allen Karten der Region angegebenen Landmarke ›Drei Steine‹ und dem Stein Nr. 141 nahe des Eau-Rouge-Bachs empfohlen. Hier sind die meisten

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Grenzsteine noch erhalten. An der Landmarke ›Drei Steine‹ wird in besonderem Maß die Geschichte des Grenzgebiets in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich, die uns so viele Quellen zur regionalen Migration hinterlassen hat. Neben dem Stein Nr. 157 stand dort der so genannte ›KNWB-Stein‹. Dieser wurde etwas früher als die übrigen errichtet und markierte von 1815-1830 die Grenze zwischen dem Königreich der Vereinigten Niederlande und Preußen. Dieser dreikantige Stein zeigt auf der einer Seite die Buchstaben ›KN‹ für das Königreich der Niederlande, auf einer ein ›W‹ für Weismes und auf der dritten ein ›B‹ für Büttgenbach, beides preußische Gemeinden, die hier zusammentrafen. Der Dritte im Bunde, ein wenig entfernt am Waldrand stehend, entstand aufgrund von Grenzstreitigkeiten einer früheren Epoche und ist ein so genannter ›Maria-Theresien-Stein‹. Die Maria-Theresien-Steine sind gewissermaßen das Ergebnis einer Grenzbegehung zwischen den im Hohen Venn umstrittenen Territorien der Herzöge von Limburg und denen von Luxemburg, die beide zum Habsburger Reich gehörten. Die Grenzfestlegung erfolgte auf Veranlassung von Kaiserin Maria Theresia im Jahr 1756. Auch die französische Zeit hat Spuren hinterlassen. Als Napoleon die Region seinem Herrschaftsbereich zuschlug, ordnete er die Landesaufnahme des bis dahin der französischen Armee völlig unbekannten Terrains an. Mit der Leitung beauftragte er den Vermessungsingenieur Oberst Jean Joseph Tranchot (1752-1815). Auf seine Anwesenheit im Hohen Venn, das er zwischen 1803 und 1807 vermaß und kartografisch erfasste, deutet der 80 cm hohe Tranchot-Stein hinter dem Baltiahügel an der Botrange hin. Er diente den Vermessungsingenieuren des französischen Kaisers als Ausgangspunkt für ihre Landesberechnungen, die für die damalige Zeit unglaublich genau waren. Die Grenzsteine bilden auch heute noch gute Orientierungspunkte in der Moorlandschaft. Das gleiche trifft auf die vielen Kreuze am Wegesrand zu, die sich über das Gebiet verteilen. Diese Wegekreuze, meistens erst nach dem hier behandelten Zeitraum entstanden, wurden größtenteils aus persönlichen Gründen errichtet. Ein Unglücksfall oder – verwunderlich oder auch nicht – häufig ein Mord waren der Anlass für ihre Aufstellung. Eines dieser Wegekreuze spiegelt die Verquickung von politischer und persönlicher Geschichte. Das ›Gazonkreuz‹ nahe dem Dreikantenstein an der Straße von Botrange nach Mont Rigi erinnert an den bei einem Schneesturm 1822 umgekommenen Olivier Gazon. Die Verwandtschaft befürchtete Probleme mit den Behörden, denn den preußischen Staatsbürger Gazon hatte auf niederländischem Boden der Tod ereilt und so ließen die Verwandten den Leichnam einige Meter weiter auf preußischem Boden ‚finden‘.

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Rund um Monschau Viele Scherer, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts von Eupen nach Monschau aufbrachen, haben ihren Weg vermutlich übers Hohe Venn genommen und mögen erleichtert gewesen sein, als sie alle Gefahren der moorigen, einsamen Landschaft hinter sich gebracht hatten und die ersten Ansiedlungen auf dem Hochplateau vor Monschau vor ihnen lagen. Die Route führt zunächst zu dem ‚Schererdorf‘ Kalterherberg, wo zahlreiche Scherer um 1800 lebten und täglich zur Arbeit in den Monschauer Manufakturen den Berg hinunterliefen. Sie entgingen somit den engen Wohnverhältnissen in der Stadt und wohnten in den einfachen Bruchstein- oder Fachwerkhäusern, die heute noch zu sehen sind. Abb. 12: Hohe Buchenhecken schützen die alten Häuser in der Eifel. Hier ein Beispiel aus Kalterherberg, dem Schererdorf

Das malerische Monschau im Tal der Rur wurde 1598 zur bedeutenden Tuchmacherstadt, als evangelische Tuchmacher Aachen verlassen mussten und sich unter anderem auch in Monschau niederließen. In den fol151

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genden Jahrzehnten begann der große Aufschwung dieses Gewerbes, begünstigt durch Zunftfreiheit und die religiöse Toleranz des Landesherren, des Herzogs von Jülich. Wie ihre Konkurrenten auf der anderen Seite des Hohen Venns profitierten auch die Monschauer Tuchmacher von dem kalkfreien Wasser aus der Moorlandschaft. Im 18. Jahrhundert erlebte das Gewerbe seine Blütezeit und lieferte Tuche bester Qualität in alle Welt. Entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hatte der aus dem bergischen, aus der Nähe Lenneps stammende Johann Heinrich Scheibler mit seiner Tuchmanufaktur, die es bereits vor der Mitte des 18. Jahrhunderts zu Weltruhm brachte. Monschau wurde zum Anziehungspunkt für textile Facharbeiter aus dem Umland und weit darüber hinaus. Mit der Besetzung durch die Franzosen 1794/95 und durch die Modeumstellungen der Zeit geriet die Stadt in eine wirtschaftliche Krise, da sie zunächst von ihren alten Absatzmärkten abgeschnitten war und ihre ehemals weltberühmten geflammten Tuche der Mode der Zeit nicht mehr entsprachen. Von diesem Einbruch hat sich das Tuchmachergewerbe nicht mehr erholt. Die Unternehmer taten sich – obwohl es Ansätze zur Maschinisierung gegeben hat – schwer mit dem Wechsel vom Manufaktur- zum Fabriksystem. Im engen und verkehrstechnisch ungünstig gelegenen Rurtal konnten sie der Konkurrenz anderer Textilzentren nicht mehr standhalten. Ein Glücksfall für den heutigen Tourismus, denn das Städtchen hat sich in ganz besonderem Maß das Erscheinungsbild des späten 18. Jahrhunderts bewahrt. Die hohe Zeit des Tuchmachergewerbes dokumentieren zahlreiche Baudenkmäler in der Stadt. Dem ›Roten Haus‹, dem Wahrzeichen der Stadt, wird in diesem Band ein eigener Abschnitt gewidmet. Gegenüber des ›Roten Hauses‹ schlendert man am heutigen KolpingHaus vorbei. Schaut man zur oberen Etage, erkennt man unweigerlich eine schon aus Eupen und Verviers bekannte Gestaltung: eine dichte Reihung von Fenstern (heute Kolping-Haus). Diesen auch ›Ley‹ genannten Bau errichtete Paul Scheibler zusammen mit seinem Schwiegersohn Günther J. F. Orth im Jahre 1778 an einem aus Sicht des Produktionsprozesses sehr gut gewählten Ort. Denn die hier arbeitenden Scherer und Rauer hatten es nicht weit bis zum so genannten Rahmenberg, der steil hinter dem Werkbau aufragt. Mit dem Rahmenberg hat sich ein interessantes Boden- und Technikdenkmal erhalten. Da die Tuche nach dem Weben gewalkt, das heißt mit Wasser und Holzstampfern verdichtet und verfilzt wurden, liefen sie stark ein. Um ihnen einen Teil ihrer ursprünglichen Größe zurückzugeben und sie zu trocknen, spannte man sie auseinandergezogen auf Rahmen. Diese Tuchrahmen standen auf schmalen, langen und mit Schiefer- und Grauwackebruchsteinen gesicherten Ter-

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rassen und gaben dem Rahmenberg seinen Namen. Die Steine speicherten die Sonnenwärme und beschleunigten so den Trockenvorgang. Doch auch für die Scherer waren die Rahmen unverzichtbar. Bevor sie ihre Arbeit verrichten konnten, mussten die Tuche mit Disteln geraut, das heißt die langen und harten Fasern mussten aus dem Tuch heraus zu einem Flor gezogen werden. Dies konnte nur geschehen, so lange die Tuche feucht waren. Um den Flor jedoch zu scheren, war es nötig, sie wieder zu trocknen. Dies geschah ebenfalls auf den langen Holzrahmen. Wer sich die Mühe macht, die steilen Treppen und Wege zu erklimmen, die noch heute auf den Rahmenberg führen, kann sich vorstellen, wie schweißtreibend es war, die bis zu 40 Meter langen, feuchten Tuchbahnen immer wieder auf den Berg zu schleppen. Abb. 13: ›Haus Troistorff‹, errichtet für einen Konkurrenten der Firma ›Johann Heinrich Scheibler & Söhne‹ im Jahre 1783

Sehenswert ist auch das 1783 für den Tuchfabrikanten M. P. W. Troistorff in der Laufenstraße errichtete repräsentative Gebäude mit seiner verputzten und mit Ornamenten versehenen Fassade (Abb. 13). Für den Bau hatte Troistorff den Aachener Baumeister Johann Joseph Couven gewonnen, den wir bereits in Eupen kennen gelernt haben. Dieses Haus erscheint auf den ersten Blick als steinernes Monument eines wohlhabenden Tuchfabrikanten. Doch wer näher hinsieht und den Weg in den Hinterhof findet, wird schnell merken, es handelt sich um ein Fachwerkhaus. 153

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Der Schmitzenshof leugnet dagegen nicht ein solches zu sein. Vom Rurufer aus ist der langgestreckte, aus einfachem und schon im Jahr 1765 preisgünstigem Baumaterial errichtete Werkbau durch sein großes eisernes Wasserrad zu erkennen – letzteres ist eine nachträgliche Zutat. Denn lange arbeiteten hier Scherer mit ihren bis zu 60kg schweren Schermessern ohne die Unterstützung von Wasserkraft. Der Bau entstand auf den Fundamenten einer älteren, unter Arnold Schmitz errichteten FeintuchProduktionsstätte. Ein besonderes Beispiel für die Bauten der Tuchfabrikanten ist der repräsentative Elbershof mit Wohn- und Werkstatträumen. Johann Heinrich Elbers hatte 1804 das 1778 errichtete Gebäude erworben. Zu der dreiflügeligen Anlage mit ihrem ›cour d’honneur‹ gehört auch, gleich nebenan gelegen, ein Kontor, Manufaktur- und Speichergebäude. In Monschau können wir uns zudem ein Bild von den Wohn- und Werkbauten der ‚Kleinen Leute‘ und den weniger bekannten Tuchfabrikanten machen. In den auf dem Oberen Mühlenberg erhaltenen Wohnhäusern lebten vor allem Weber und Spinner mit ihren Familien auf engstem Raum zusammen. Mehr als ein oder zwei Zimmer konnten sie sich kaum leisten und in diesen waren auch noch ihre Arbeitsgeräte aufgestellt, das heißt bei den Webern sogar der große Webstuhl. Das etwas nördlich von Monschau gelegene Imgenbroich, das sich auf einem über den Rahmenberg führenden Wanderweg erreichen lässt, war ebenfalls ein Tuchmacherdorf. Das Gewerbe wurde hier im 17. Jahrhundert von der Tuchmacherfamilie Offermann begründet und brachte den Imgenbroichern einigen Wohlstand. Der sogenannte ›Wernersbau‹, ein massiver, langgestreckter, zweigeschossiger Steinbau mit zwei Tordurchfahrten wurde um 1760 von Johann Christian Offermann errichtet. Zunächst diente er als zentraler Werkbau einer ›Dezentralen Manufaktur‹ und im 19. Jahrhundert als Lohnweberei. Nicht weit von Imgenbroich entfernt liegt Konzen, das wie Kalterherberg ebenfalls Wohnort vieler Schererfamilien gewesen ist. Wer hier lebte, hatte die Wahl, denn sowohl Monschau als auch Imgenbroich liegen fast gleich weit entfernt, so dass die Pendler je nach Arbeitssituation in den einen oder anderen Ort wandern konnten.

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Aachener Raum Auf unserer Route verlassen wir die Gegend um Monschau und wenden uns nach Norden, um in die engere Aachener Region zu gelangen. Die heutige Straße (B 252) folgt einer Trasse, die unter Napoleon projektiert, aber erst in nachfranzösischer Zeit fertiggestellt wurde. Unsere erste Station ist das Benediktinerkloster in Kornelimünster. Die lange Geschichte des Klosters endete abrupt 1802, nachdem unter französischer Besetzung der Rheinlande Napoleon die Auflösung aller Klöster angeordnet hatte. Wenige Jahre später wurde das Abteigebäude an den Fabrikanten Friedrich Kolb verkauft, der in ihm eine Tuchfabrik einrichtete. Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm der Fabrikant C. Stratz das Unternehmen. Seine Erben verkauften die Gebäude 1874 an den preußischen Staat. Heute ist das Land Nordrhein-Westfalen Eigentümer der alten Reichsabtei und zeigt hier zeitgenössische Kunst von Künstlern aus NRW. Von Kornelimünster aus geht es weiter nach Aachen. Das Textilgewerbe reicht in der alten Kaiserstadt bis ins 12. Jahrhundert zurück und erreichte eine erste Blüte im 16.und 17. Jahrhundert trotz religiöser Unruhen, Zunftzwang und des großen Brands von 1657, bei dem mehr als 4.500 Häuser zerstört wurden. Im 18. Jahrhundert profitierte die Stadt von den aufstrebenden Manufakturstädten im Umland, denn als Handelsmetropole – insbesondere für Wolle und alle Arten von Hilfsstoffen – hatte sie ihre zentrale Rolle nie eingebüßt. Auch die Werkstätten der Weber und Scherer florierten; die gut ausgebildeten zünftischen Handwerker erhielten ihre Aufträge nicht zuletzt aus Burtscheid und Vaals. Die sich in den Statistiken der französischen Zeit spiegelnde Bedeutung Aachens als größter Produktionsstandort in der Region zeigt, dass nicht erst die Aufhebung der zünftigen Beschränkungen die Tuchindustrie in der Stadt belebte. Dennoch: Im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert ging die Entwicklung in der Region nicht von Aachen aus, sondern die Stadt fand sich im Sog ihres Umlandes wieder. Mit der Maschinisierung der Tuchindustrie und der beginnenden Fabrikindustrialisierung wurde Aachen im gleichen Maße Motor der wirtschaftlichen Entwicklung der Region wie das westlich gelegene Verviers. Aus der langen Geschichte des Aachener Textilgewerbes haben sich zahlreiche Bauten erhalten. Die Route stellt zwei von ihnen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert vor.

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In der ehemaligen Komericher Mühle hatte die Spinnerei Kutsch 1770 eine Walk- und Spinnmühle eingerichtet (Komricher Weg 44). Fast hundert Jahre später erfolgte ein Umbau zur Streichgarnspinnerei. Heute bildet die Hofanlage zusammen mit dem Bürohaus und der Sheddachhalle, beide um 1900 gebaut, einen Komplex, in dem seit 2006 das Textilmuseum Aachen untergebracht ist. Hier erfährt der Besucher Wissenswertes zur regionalen Textilgeschichte. Eine erste Dauerausstellung informiert anhand originaler Maschinen über den Spinnprozess. Nach und nach wird die Ausstellung um weitere Produktionsschritte bei der Tuchherstellung erweitert. Eines der wenigen erhaltenen Gebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert ist die L-förmige Tuchfabrik von Gotthart Startz (um 1820). Charakteristisch für diesen Bau sind die aus der Barockzeit herrührenden Stilelemente, das heißt eine dichte Reihung von Fenstern mit rundbogigem Abschluss, die dem heutigen Kulturhaus den Namen gaben: ›Barockfabrik‹ (Löhergraben 22). In dem Winkelbau standen Spinn- und Schermaschinen, die mit der zweiten in Aachen genehmigten Dampfmaschine (12 PS) betrieben wurden. Zu vergleichen ist der Bau am ehesten mit dem Kern der Tuchfabrik Müller in Euskirchen-Kuchenheim, einem Schauplatz des Rheinischen Industriemuseums. Etwas ab von unserer Route am Rande der Eifel errichteten die Gebrüder Fingerhut kurz nach 1800 hier ebenfalls einen L-förmigen Werkbau für ihre Papiermanufaktur, die im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts als Tuchfabrik genutzt wurde. Das Couven-Museum am Hühnermarkt, das nach Aachens bedeutendsten Baumeister Johann Joseph Couven benannt ist, widmet sich den Themen bürgerlicher Wohnkultur vor allem des späten 18. Jahrhunderts und zeigt damit wie das ›Rote Haus‹ in Monschau die Lebenswelt der Tuchfabrikanten. Als Mathias Meisen 1789 von Eilendorf nach Burtscheid migrierte, lag der Ort um die freie Reichsabtei noch vor den Toren Aachens. Burtscheid entwickelte sich wie Eupen seit dem 16. Jahrhundert zu einem florierenden Manufakturstädtchen und profitierte dabei von seiner unmittelbaren Nähe zur mächtigen Nachbarin. 1797 schrieb Georg Forster in seinen ›Ansichten vom Niederrhein‹, „Burtscheid beschäftigt nach Verhältnis mehr Tucharbeiter als die Stadt Aachen“.4 Alle Versuche der reichsstädtischen Aachener Zünfte, Einfluss im kleinen Nachbarort zu erlangen, scheiterten. Im Zuge der Fabrikindustrialisierung des 19. Jahrhun4

Zugänglich in folgender Ausgabe: Georg Forster, Ansichten vom Niederrhein (= Werke, Bd. 9), Berlin 1958, S. 93. 156

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derts wuchsen beide Orte zusammen und bereits 1897 wurde Burtscheid eingemeindet. Die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zerstörten in Burtscheid fast alle Gebäude in der steil abfallenden Hauptstraße, dem Zentrum der dortigen Tuchindustrie. Von den ehemals großen Produktionsanlagen der v. Loevenichs und der v. Clermonts blieben nicht einmal Reste. Erhalten hat sich im heutigen Ortsteil von Aachen jedoch das Tor zur Abtei (Abb. 14). Die Abtei selbst ist zerstört. Sie wurde 1802 – nach der Auflösung des Zisterzienserinnenklosters – in Wohnungen umgewandelt. 1812 lebten hier mehr als 220 Personen, von ihnen waren nicht wenige Migranten, die im Tuchgewerbe ein Auskommen gefunden hatten. Abb. 14: Abteitor in Burtscheid; erbaut 1644

Von Burtscheid aus führt die Route über die deutsch-niederländische Grenze in das gleich dahinter gelegene Vaals. Das Textilgewerbe in Vaals verdankt seine Entstehung zahlreichen Unternehmern aus Aachen. Das einschränkende Zunftwesen und die Verfolgung Andersgläubiger hatten im 18. Jahrhundert viele Tuchmacher veranlasst, die alte Reichsstadt zu verlassen und einige von ihnen ließen sich in Vaals nieder. Unter den Gründern neuer Betriebe war der bekannteste der lutherische Tuchhersteller Johann Arnold Clermont. Grund für seine Standortwahl war sicherlich auch die gleichbleibende Temperatur von zehn Grad und die Weichheit des Wassers des Gausprungs. Diese Quelle auf dem Clermontplatz mitten im Ort ist auch heute noch zu sehen. 157

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Zwischen 1761 und 1765 ließ Clermont sich von Joseph Moretti ein monumentales Anwesen als Manufakturgebäude und Wohnhaus errichten. Im Giebel über dem Haupteingang hatte er seinen Leitspruch anbringen lassen: „Spero Invidiam“ („Ich hoffe auf Neid“). Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts blieb das Anwesen Produktionsstätte. Nach verschiedenen Umnutzungen und einer Restaurierung in den 1970er Jahren dient das am Clermontplatz stehende Gebäude heute als Rathaus von Vaals (Abb. 15). Abb. 15: Die Tuchmanufaktur von Arnold v. Clermont in Vaals, erbaut 1761-1765 von Joseph Moretti, Ansicht von Westen auf den ehemals vierflügeligen Bau

Wie schon für die Nikolauskirche Eupens beschrieben, hatten auch die Tuchmacherfamilien in Vaals – unter ihnen die Clermonts – in der Lutherkirche von 1737 ihren mit Namen gekennzeichneten Platz. Ein weiteres Baudenkmal des Textilgewerbes ist das ›Haus im Kirchfeld‹ (Koperstraat 6). Es wurde 1790 errichtet und diente in den Jahren 1821-27 Carl von Clermont, dem ersten Bürgermeister von Vaals, als Wohnhaus. Später gehörte es dem Tuchfabrikanten Theodor Binterim. Südlich von Vaals steuert die Route wieder eine Station an, die auf die politische Geschichte der Region verweist. Am ›Drielandenpunt‹, dem Dreiländereck auf dem höchsten Berg der Niederlande, stoßen die Nie158

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derlande, Belgien und Deutschland zusammen. Der heutige Grenzverlauf stimmt mit dem des 19. Jahrhunderts überein, nur dass es damals ein Vierländereck war. Denn auf dem Wiener Kongress konnten sich die Staatsmänner nicht einigen, welcher Nation der schmale Geländezipfel um Neu-Moresnet mit seinen reichen Galmeivorkommen zugeschlagen werden sollte. Von daher entschied man, die dort lebende Bevölkerung sowohl der preußischen als auch der niederländischen Krone zu unterstellen. Auch in den folgenden 100 Jahren konnten sich die angrenzenden Staaten nicht über die Zugehörigkeit des nun Neutral-Moresnet genannten Gebietes einigen, erst nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer Lösung. 1920 verlor Neutral-Moresnet seine Verwaltungsautonomie und die Militärfreiheit und wurde Teil des Königreichs Belgien. In dem in diesem Band beschriebenen Quellen taucht der Ortsname ›Moresnet‹ immer wieder auf, das heißt hier fand ein ziemlich reger Migrationsverkehr statt. Ein Beispiel dafür sind die Witwen von Wilhelm Francois und von Leonhard Ahn, die jeweils mit ihren Kindern vom preußischen ins belgische Moresnet migrieren wollten. Wie geschildert, findet sich in der Liste der Ausreisewilligen hinter ihrem Namen der Hinweis, dass sie ihre Söhne, 17 und 19 Jahre alt, dem preußischen Militärdienst entziehen möchten. Ob sie dies offen gesagt oder der Beamte es so interpretiert hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auch ob Neutral-Moresnet ihr Zielort ist, muss zunächst offen bleiben. Jedenfalls ist aktenkundig, dass sich in Neutral-Moresnet oftmals junge Männer aufhielten, um nicht zum Militär zu müssen. So listet eine Aufstellung aus dem Jahr 1839 fünfzehn Männer aus Hergenrath und zwei aus Lontzen auf – „junge Leute, welche sich ihr Domicil im neutralen Gebiete gewählt haben um dem vaterländischen Militaerdienste zu entgehen“, wie es heißt. Auch belgische Militärpflichtige wohnten hier. Die Behörden standen dem eher hilflos gegenüber. So stellte der Eupener Landrat Reimann fest, dass aufgrund der Gesetzeslage „niemanden, der von hier nach dem neutralen Moresnet oder den benachbarten belgischen Ortschaften förmlich auswandert und dort sein Domizil erwirkt, späterhin der Aufenthalt als Fremder in diesseitigem Gebiete verweigert werden kann. Solche Verhältnisse sind nicht zu verhindern und werden auch wohl in allen Grenzgemeinden vorkommen. Das einzige Mittel dagegen ist, dass man bei der Ertheilung von Auswanderungsconsensen sehr vorsichtig zu Werke geht [und jungen Männern bzw. Familien mit Söhnen zwischen 17 und 25 Jahren 5 keine Genehmigung erteile].“ 5

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Regierung Aachen Nr. 448, Ein- und Auswanderungen, Bd. 1, 1816-1856, Fol. 36. 159

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Auf dem Weg zurück nach Eupen führt die Route immer wieder an Ortschaften vorbei, die in den hier bearbeiteten Quellen genannt werden, wie Welkenraedt, das gleich daneben liegende Lanzenberg oder Henri Chapelle. Einige der aus diesen Orten stammenden Personen brachen in die Textilregion um Limburg oder nach Verviers auf. Andere wollten migrieren, um ihre Güter jenseits der Grenze zu bewirtschaften. Denn nicht nur Beschäftigte der Tuchindustrie mussten mit den neuen Grenzen des 19. Jahrhunderts zurechtkommen.

Ein lohnender Besuch – Schauplätze des Rheinischen Industriemuseums Zum Schluss unserer Route sollen zwei weitere Museen vorgestellt werden, da sie sich beide mit dem Thema Textil befassen. Sie liegen zwar abseits unserer Route, geben aber einen guten Einblick in die Textilproduktion, da sie nicht nur die Geschichte des Textils und historische Maschinen zeigen, sondern diese auch im Schaubetrieb vorführen. Der Produktionsprozess wird somit anschaulich und nachvollziehbar. Beide Museen sind Schauplätze des Rheinischen Industriemuseums, beide in der Trägerschaft des Landschaftsverbandes Rheinland. Abb. 16: Tuchfabrik Müller in Euskirchen; heute Teil des Rheinischen Industriemuseums

Das Rheinische Industriemuseum in Euskirchen-Kuchenheim hat mit der Tuchfabrik Müller einen kompletten Maschinenpark, wie er um 1900 üblich war, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Abb. 16). Weil der ehemalige Besitzer, Kurt Müller, nach der Schließung 1961 seine Fabrik unberührt ließ und das Fabrikensemble wie im Dornröschenschlaf vollständig vor Ort erhalten blieb, vermittelt der Besuch eine authentische und sehr lebensnahe Fabrikatmosphäre. Das Museum zeigt anschaulich, 160

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wie in zahlreichen Produktionsschritten aus Rohwolle Tuch wird. In vielen Orten in der Euregio Maas-Rhein ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts in gleicher Weise produziert worden. Das Rheinische Industriemuseum in Ratingen (bei Düsseldorf) weicht von unserem Thema der Wolltuchmacherei ab, da es sich mit der Baumwollspinnerei befasst. Aber da es sich um die erste Fabrik auf dem Kontinent – ein Ensemble von mehreren Fabrikgebäuden mit Herrenhaus – aus den Jahren 1783/84, 1794 und kurz vor 1800 handelt, lohnt sich ein Besuch. Abb. 17: Vorspinnmaschinen des 18. Jahrhunderts im Rheinischen Industriemuseum, Schauplatz Ratingen

Die von Johann Gottfried Brügelmann gegründete Fabrik gibt den Besuchern einen guten Einblick in die frühindustriellen Arbeitsverhältnisse. Im Vorführbetrieb wird der Spinnprozess von der Rohbaumwolle zum fertigen Garn gezeigt (Abb. 17). Die Maschinen, angetrieben von einem im Gebäude liegenden Wasserrad, sind Nachbauten nach Originalmaschinen aus dem 18. Jahrhundert, die in der Aachener Region heute nirgendwo mehr so zu besichtigen sind.

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M IGRATION GUT BEWAHRT . A RCHIVE UND Q UELLEN ZUR M IGRATION

ARCHIVE UND QUELLEN ZUR KLEINRÄUMIGEN M I G R A T I O N I M G R E N Z G E B I E T A A C H E N -E U P E N V E R V I E R S I M 19. J A H R H U N D E R T VALÉRIE HÉBRANT, ALFRED MINKE, STEFAN NIES Gut bewahrt Die nach dem Wiener Kongress neu gezogene Staatsgrenze zwischen Preußen und den Vereinigten Niederlanden durchschnitt mit der Region Aachen - Verviers einen Wirtschaftsraum, in dem viele Menschen meist aus wirtschaftlichen Gründen ihren Wohnsitz wechselten und in eine mehr oder weniger weit entfernte Gemeinde der Region zogen. Nun, nach der Grenzziehung, benötigten sie für diesen eigentlich unspektakulären Akt die Zustimmung der Behörden. Was für die betroffenen Menschen zu einer Hürde werden konnte und für sie und die Verwaltung mit viel formalem Aufwand verbunden war, ist für die historische Forschung ein Glücksfall. Denn durch diesen Umstand ist auch Migration über kurze Distanzen aktenkundig geworden. Die bei den Administrationen über die Auswanderungsgesuche erstellten Akten und Dokumente stehen uns, soweit noch vorhanden, heute als wichtige Quellen zur Verfügung und bieten die Chance, zumindest einen Teil dieser kleinräumigen Migration zu untersuchen und genauer nachzuvollziehen. Neben dieser Art Akten dies- und jenseits der Grenze steht weiteres Quellenmaterial zur Verfügung, welches nicht unmittelbar auf die Grenzziehung zurückzuführen ist. Die Bevölkerungslisten der französischen Zeit im Ourthe- und Roer-Departement, die nachfolgenden Zählungen auf der heute belgischen Seite, die preußischen Zensi ab 1840, die so genannten Arbeiterlisten oder die Zivilstandsregister und viele weitere Quellen geben Aufschluss über die hier angerissene Fragestellung. Die Sichtung des Materials zeigt, dass sich die Region Aachen-Verviers in der Phase des Transitionsprozesses zwischen dem Ançien Régime und der napoleonischen sowie der unmittelbaren nachfranzösischen Zeit hervorragend für die Untersuchung kleinräumiger Migration eignet. Die 165

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vorliegende Arbeit wertet die zur Verfügung stehenden Quellen unter der besonderen Berücksichtigung des Wolltuchgewerbes zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Teilen aus und gibt so einen ersten Einblick in das Phänomen Migration unter sozial- und wirtschaftshistorischen Aspekten zu Beginn der Fabrikindustrialisierung – ein Phänomen, das in Europa keineswegs einzigartig war. Für weitere Forschungen steht eine Reihe von Material zur Verfügung, das jedoch nach klaren Fragestellungen und Modellüberlegungen verlangt. Je nachdem, welcher Forschungsansatz gewählt wird, müssen, wie dieser Band zeigt, eine Reihe weiterer Quellen hinzugezogen werden. So ist es beispielsweise für die Untersuchung der Wohnverhältnisse der Migranten in Burtscheid sinnvoll gewesen, die Sozialtopografie zu berücksichtigen. Die Quellen, die zur Entschlüsselung und zur Rekonstruktion des Ortes genutzt wurden, haben primär jedoch zunächst nichts mit Migration zu tun. Gleiches gilt für die Analyse des Wechsels des Betriebssystems – in diesem Fall von der ›Dezentralen Manufaktur‹ zur ›Fabrik‹.

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Seit beinahe 175 Jahren sind das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf und seine Vorgänger in unmittelbarer räumlicher Nähe zur jeweiligen Regierung in Düsseldorf angesiedelt. Im 19. Jahrhundert befand sich das Archiv zunächst in einigen Räumen des preußischen Regierungsgebäudes, bis man 1875 zur optimalen Unterbringung der Unterlagen einen ersten Zweckbau in Düsseldorf errichtete. Doch bereits nach 10 Jahren reichte dieser nicht mehr aus, um die Abgaben der Akten der Gerichte und Verwaltungsbehörden aufzunehmen. Die preußische Regierung errichtete daher einen nach damaligen neuesten archivfachlichen Erkenntnissen konzipierten und ausgestatteten Archivbau, der 1901 bezogen wurde. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entschloss man sich dann zunächst, das nördlich gelegene Schloss Kalkum als Zweigarchiv zu nutzen. In Anbetracht der Überlieferungsmenge wurde 1974/75 der Neubau in der Mauerstraße bezogen, der nach modernen archivfachlichen Gesichtspunkten errichtet worden war.1

1

Der Abschnitt zitiert in Teilen den Text http://www.archive.nrw.de/ LandesarchivNRW/Duesseldorf/Profil/ArchivgeschichteArchivgebaeude/ index.html. 166

QUELLEN ZUR KLEINRÄUMIGEN MIGRATION

Das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Lesesaal Mauerstraße) ist derzeit montags von 8:30 Uhr bis 18:00 Uhr und dienstags bis freitags zwischen 8:30 Uhr bis 16:00 Uhr zugänglich. HAUPTSTAATSARCHIV DÜSSELDORF Mauerstr. 55 Postfach: 32 07 75 D- 40476 Düsseldorf Tel.: (+ 49) (0)211 / 22.06.5-0 Fax.: (+ 49) (0)211 / 22.06.5-55-501 [email protected] siehe auch http://www.archive.nrw.de/

Auswanderungsakten als Quelle zur Migration Grundlage der hier vorgelegten Arbeit waren unter anderem eine Reihe von Auswanderungsakten, die im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf aufbewahrt werden. Um die Aussagefähigkeit der ausgewerteten Quellen bewerten zu können, ist ihr Entstehungszusammenhang entscheidend. Seit 1818 war die Auswanderung aus dem preußischen Staat grundsätzlich freigegeben, soweit sich damit Dienstpflichtige nicht dem Militärdienst (auch dem Reservedienst) entziehen wollten. Generell hieß es 1818 in einer königlichen Verordnung:2 „Niemand darf ohne Vorwissen und Genehmigung der vorgesetzten Regierung seiner Provinz auswandern, weshalb auch alle Gesuche um Erlaubniß zur Auswanderung mit den obwaltenden Gründen unterstützt, bei der betreffenden Regierung angebracht werden müssen. Die Regierungen sind ermächtigt, die Erlaubniß zu ertheilen, wenn sie sonsten keine Bedenken dabei haben. In diesem Fall müssen sie an das Staatsministerium berichten.“

In der gleichen Verordnung wird dann dargelegt, wie mit Militärpflichtigen verfahren werden sollte: „a. Ist der Auswanderer in einem Alter zwischen dem 17. bis 25. Jahre; so kann ihm die Erlaubniß nur dann ertheilt werden, wenn er zuvor ein Zeugniß

2

Hauptstaatsarchiv Münster, Regierung Aachen Nr. 18392, Königliche Verordnung wegen Aufhebung des Edikts vom 2. Juli 1812, und wegen d. Auswanderungen überhaupt. De dato den 15. September 1818, in: AmtsBlatt der Regierung zu Aachen, No. 16, 3.4.1819. 167

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der Ersatzkommission seines Kreises beibringt: daß er nicht blos in der Absicht auswandere, um sich der Militärpflicht im […] Heere zu entziehen. b. Allen im Dienste des stehenden Heeres befindlichen Personen, also auch den Kriegsreserve-Mannschaften, kann die Auswanderung nicht eher gestattet werden, bis sie zuvor von ihrer vorgesetzten Dienstbehörde die Entlassung erhalten haben. c. Dasselbe findet auf alle aktive (sic) Civilbeamte Anwendung.“

Eine spezielle Regelung galt für Angehörige der Landwehr, hier konnte die Regierung ohne Erlaubnis des Militärs entscheiden, musste dem Landwehrregiment dann aber Ersatz benennen. Die Landräte meldeten auf Basis der Mitteilungen, die sie wiederum von den kreiszugehörigen Bürgermeistern und Ämtern erhalten hatten, der Regierung (hier: Aachen) regelmäßig zumeist in tabellarischer Form die Namen und weitere Angaben zu den Auswandernden. Die Regierung in Aachen wiederum fasste die Meldungen für ihren Bericht an das Staatsministerium in Berlin zusammen. So übermittelte sie beispielsweise in einem Bericht vom 14.8.1818 folgende Daten nach Berlin:3 • fortlfd. Nr. • Name u. Stand der Ausgewanderten • Alter derselben • bisheriger Wohnort • Angabe der männlichen Individuen unter 20 Jahren • desgl. von 20-40 Jahren • exportiertes Vermögen • Zeitpunkt der Auswanderung • Bemerkung, namentlich über die angegebenen Motive und den Ort der Auswanderung Die Erfassung ist jedoch nicht einheitlich. In anderen Listen wird neben dem bisherigen Wohnort auch der Geburtsort genannt, dafür fehlen jedoch Angaben zum Vermögen. Für die Auswertung besonders bedeutend ist die Erfassung von Familienangehörigen. So werden Ehefrauen und Kinder oft nur summarisch, also ohne Namen, aber mit Altersangabe (zumindest der Söhne) erfasst. Bei anderen Listen werden zwar Name und Alter, aber – da für sie gar keine eigene Tabellenzeile angelegt wird – 3

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Regierung Aachen Nr. 18392, Auswanderungen und Wohnsitzveränderungen, Bd. 1, 1816-1828. Weitere vergleichbare Quellen sind Regierung Aachen, Nr. 18393-18398 (Auswanderungen und Wohnsitzveränderungen, Bd. 3-7, 1829-1913), Nr. 448-451 (Ein- und Auswanderungen, Bd. 1-4, 1816-1906); Nr. 358-363 (Nachweise der Einund Auswanderungen, Bd. 1-6, 1845-1882). 168

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nicht die Berufsangaben Jugendlicher oder junger Erwachsener, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil migrieren, festgehalten. Als roter Faden ziehen sich aber durch alle Quellen die Angaben, die für die Prüfung der Militärpflicht notwendig waren. Dies ist auch bei der Auswertung der notierten Begründungen zu berücksichtigen. Es ist nicht auszuschließen, dass die zuständigen Beamten hier schnell und ohne weitere Differenzierung Formeln wie „besseres Unterkommen“ notierten, sobald sie davon überzeugt waren, dass sich niemand der Militärpflicht entziehen wollte. Die Sorge des Staates um den Verlust qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland schlägt sich in den ausgewerteten Akten hingegen nicht nieder. Zuweilen enthalten die Akten ausführliche Schriftwechsel zwischen der Regierung Aachen und den beteiligten Landräten über einzelne Fälle. Auch wenn zumeist die Frage der Militärpflicht ihr Anlass war, so sind hier doch interessante Quellen entstanden, die die existenzielle und berufliche Situation der Auswandernden betreffen. Denn um zu widerlegen, dass sie sich lediglich den Dienstpflichten entziehen wollten, schilderten die Antragsteller oftmals ausführlich und drastisch ihre persönliche Situation, die dann zusätzlich durch den Landrat kommentiert wurde.

Die ausgewerteten Akten Im Rahmen dieses Projekts waren die Jahre 1818 bis 1830 der Untersuchungszeitraum; das Untersuchungsgebiet waren folgende Ausgangswohnorte der Auswandernden: Aachen (Stadtbezirk und Landkreis), Kreis Erkelenz, Kreis Eupen, Kreis Malmedy, Kreis Montjoie/Monschau. Eine weitere intensive Vertiefung erfolgte für die Kreise Eupen und Monschau. Im Einzelnen sind folgenden Daten erhoben worden, soweit diese verfügbar waren: Monat oder Quartal der Auswanderung, Name, Vorname, Geschlecht, Alter, Familienstand, Beruf, Geburtsort, Wohnort, Zielort, Grund der Auswanderung.4

Einbezogen wurden die folgenden Quellen: • Auswanderungen und Wohnsitzveränderungen, Bd. 1, 1816-1828 (Berichte der Regierung Aachen an das preußische Staatsministerium), ausgewertet für: Aachen (Stadtbezirk u. Landkreis), Kreis Erkelenz, Kreis Eupen, Kreis Malmedy, Kreis Montjoie;5 4

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Zu den Auswertungsergebnissen siehe den Beitrag ›Ein Wirtschaftsraum bleibt erhalten – Migration in der Textilregion Aachen-Verviers im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert‹ in diesem Band. Regierung Aachen, Nr. 18392. 169

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Auswanderung Kreis Eupen, Bd. 1, 1817-1818 und Bd. 2, 1819-1827 (Berichte an die Regierung Aachen und deren Zusammenfassung);6 Auswanderung Kreis Monschau, Bd. 1, 1817-1843 (Berichte an die Regierung Aachen und deren Zusammenfassung).7

Ähnliche Quellen liegen in Düsseldorf auch für die anderen Landkreise des Regierungsbezirks Aachen vor. Mitunter melden die Landräte in den einzelnen Berichten an die Regierung nur wenige Auswandernde, hingegen folgt viel zusätzlicher Schriftverkehr über einzelne Fälle. Daher ist die Auswertung dieser Akten sehr zeitaufwändig, kann aber zu sowohl qualitativ als auch quantitativ weiteren Ergebnissen führen, zumal anschauliche Fallbeispiele manchmal ausführlich nachvollziehbar sind. Alleine die Auswanderungsakten für die Stadt Aachen umfassen jedoch 35 Bände (Zeitraum allerdings 1817-1925), die für den Kreis Eupen 17 Bände.8 Eine in die vorgelegte Untersuchung nur in Stichproben einbezogene Quelle zur Migration sind Akten zur Erteilung des Staatsbürgerrechts an Ausländer bzw. des Bürgerrechts in den einzelnen Städten (alleine für die Stadt Aachen 67 Aktenbände für den Zeitraum 1816-1925).9 Sie betreffen also nicht die Auswanderung, sondern die Einwanderung. Sie enthalten ausführliche Korrespondenz zwischen der Regierung Aachen und Kreisbehörden über einzelne Einbürgerungsgesuche und ähnliche Sachverhalte. Einige Vorgänge enthalten dazu auch Referenzschreiben, Gutachten usw. und können eine gute Quelle sein, um statistische Ergebnisse durch Fallbeispiele zu erweitern. Aus dem vielfältigen Quellenmaterial seien an dieser Stelle noch die Bevölkerungslisten der französischen Zeit herausgegriffen. Diese Listen lassen sich in der Region Aachen-Verviers als eine zentrale Quelle zur Untersuchung der Bevölkerungs- und Sozialstruktur, der räumlichen und sozialen Mobilität sowie der Rolle von Haushalt und Familie beschreiben. Erstmals wurde die gesamte Bevölkerung nach umfassenden und 6 7 8

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Regierung Aachen, Nr. 18314 u. 18315. Regierung Aachen, Nr. 18356. Beispiele für Akten über einzelne Kreise (jeweils Fortsetzung bis ins frühe 20. Jahrhundert vorhanden): Nr. 18088-18091 (Auswanderungen Stadt Aachen, Bd. 1-4, 1817-1839), Nr. 18219-18221 (Auswanderungen Landkreis Aachen, Bd. 1-3, 1826-1841), Nr. 18314-18318 (Auswanderungen Kreis Eupen, Bd. 1-5, 1817-1850), Nr. 18242-18243 (Auswanderungen Kreis Malmedy, Bd. 1 u. 2, 1818-1841), Nr. 18356 (Auswanderungen Kreis Monschau, Bd. 1, 1817-1843). Siehe z.B. Regierung Aachen Nr. 18418, Erteilung des Bürgerrechts im Kreis Aachen, Bd. 1, 1816-1838. 170

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einheitlichen Kriterien eines größeren Raums erfasst. Erst in den 1840er Jahren hat die preußische Verwaltung vergleichbare Erhebungen erstellen lassen.10 Doch mit Verwendung einzelner Bevölkerungserhebungen sind grundsätzliche Probleme verbunden: Solche Listen sind eine Momentaufnahme. Alle Fragen, die sich auf Zeiträume beziehen, werden nur mittelbar beantwortet. Zwar lassen sich – bei der gebotenen vorsichtigen Interpretation – für die vorgelegte Untersuchung hinreichende Rückschlüsse auf den Entstehungsprozess von Haushalten und die ihm zugrunde liegenden Strategien einzelner Mitglieder gewinnen, letztlich erschöpfende Antworten geben sie nicht. Dies wirkt sich auch auf die Analyse der Migrations- und die Integrationsstrategien aus.11 Die erste Bevölkerungserhebung der französischen Zeit aus dem Jahr VII (1798-99) weist beispielsweise gegenüber der hier ebenfalls verwendeten Erhebung von 1812 gravierende Nachteile für die Untersuchung der sozialen Struktur und insbesondere der Formation von Familie und Haushalt auf.12 Erst ab dem 12. Lebensjahr wurden die Personen namentlich und mit individuellen Daten erfasst. Jüngere Kinder wurden lediglich ihrer Zahl nach den Ehepaaren oder allein stehenden Personen (Witwen, Witwer) zugeordnet. Bei Ehefrauen fehlen Berufsangaben fast durchgängig; auch für Kinder im arbeitsfähigen Alter sind nicht durchgehend Berufsangaben verzeichnet. Anders als bei der Erhebung 1812 wird das Geschlecht nicht explizit angegeben, kann aber verlässlich aus den Vornamen erschlossen werden. Im Unterschied zu der Liste des Jahres 1812 enthalten die Listen von 1798/99 allerdings sehr wertvolle Informationen zur Migration. Bei den auswärts Geborenen wurde sowohl das Zuzugsjahr als auch die Zahl der bereits im Wohnort verbrachten Jahre festgehalten. Allgemein zur französischen Zeit: I. JOESTER, Die Behörden der Zeit 17941815. Teil I: Die linksrheinischen Gebiete, Siegburg 1987.

Viele Bestände der Archive in Nordrhein-Westfalen sind online erschlossen: www.archive.nrw.de 10 Zu den Erhebungen in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert vgl. R. Gehrmann, Bevölkerungsgeschichte Norddeutschlands zwischen Aufklärung und Vormärz (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens, 1), Berlin 2000, S. 44-46. 11 T. K. Hareven, Family Kin in Urban Communities, 1700-1930, New York 1977, S. 7-10. 12 Zensus 1798/99: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Roer-Depepartement, 1663, S. 9-60, Zensus 1812: Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Roer-Depepartement. 1670, S. 1-53. 171

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Bestände in den Kommunalarchiven in Aachen und Monschau Das beschriebene Prozedere bei der Genehmigung von Auswanderungen, in das auch die Landräte sowie Bürgermeister und Ämter einbezogen waren, lässt vermuten, dass auch in Kommunalarchiven entsprechende Akten geführt und vielleicht noch überliefert sind. Nicht für eine statistische Auswertung, sondern zur genaueren Beschreibung exemplarischer Einzelfälle könnten auch diese herangezogen werden. Die oben benannten Arbeiterlisten haben sich auf der heute deutschen Seite nur in den Stadtarchiven Aachen und Monschau erhalten. Damit sind Aufstellungen der einzelnen Betriebe über das von ihnen beschäftigte Personal gemeint, sie gehen auf die Anordnung der Regierung zur Ausstellung von Arbeitsbüchern zurück.13 Die Listen der Burtscheider Betriebe befinden sich in einer im Aachener Stadtarchiv verwahrten Mappe, die auf das Jahr 1811 datiert ist.14 Da die Anlage der Listen nicht formalisiert ist und offenbar dem einzelnen Betriebsinhaber überlassen war, sind sie in ihrer Struktur uneinheitlich. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass sie nicht für alle Betriebe erstellt bzw. erhalten sind. In den 45 vorhandenen Betriebslisten sind insgesamt 497 Personen verzeichnet. Neben dem Namen wurden fast immer das Alter und der Geburtsort angegeben, der Beruf in 80,1% und der Wohnort in 60,6% der Fälle. STADTARCHIV AACHEN Fischmarkt 3 D- 52062 Aachen Tel.: (+ 49) (0)241 / 432-45.02 Fax.: (+ 49) (0)0241 / 432-45.99 [email protected]

STADTARCHIV MONSCHAU Laufenstr. 84 D- 52156 Monschau Tel.: (+ 49) (0)2472 / 81-218 Fax.: (+ 49) (0)2472 / 81-220 [email protected]

Das Stadtarchiv Aachen ist dienstags und donnerstags von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr durchgehend geöffnet. Die Nutzung der Bestände in Monschau ist nur nach vorheriger Anmeldung möglich.

13 Vgl. M. Schultheis-Friebe, Die französische Wirtschaftspolitik im Roer-Departement 1792-1814, Diss. Bonn 1969, S. 27-30. 14 Stadtarchiv Aachen, Stadt Burtscheid, französische Zeit, Nr. 116/7. Stadtarchiv Monschau, Arbeiterlisten, Abt. 1, J 90. 172

QUELLEN ZUR KLEINRÄUMIGEN MIGRATION

Personenstandsarchiv Brühl Mit dem „Personenstandsarchiv Brühl“ steht dem Nutzer ein Spezialarchiv offen, das sich ausschließlich mit Archivalien des Personenstandes aus der Zeit zwischen 1571 und 1938 befasst. Eingesehen werden können die auf dem Gebiet der heutigen Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln angelegten Kirchenbücher, Zivil- und Personenstandsregister. Die Geschichte dieses Archivs reicht bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als vom damaligen Landessippenamt der Rheinprovinz auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz die Kirchenbücher und die Personenstandszweitbücher (mit Beiakten) zusammengefasst wurden. Die neue Archivverwaltung der Rheinprovinz bzw. ihre Nachfolgerin, die Landesarchivverwaltung Nordrhein-Westfalen übernahm nach dem Zweiten Weltkrieg das Schriftgut als so genanntes Personenstandsarchiv. So sind bis heute personenstandsrelevante Unterlagen fachlich zuverlässig an einem Ort aufbewahrt und stehen der Forschung zur Verfügung. Das Archiv kann montags zwischen 8:30 Uhr bis 17:00 Uhr und dienstags bis freitags zwischen 8:30 und 15:00 Uhr genutzt werden. PERSONENSTANDSARCHIV BRÜHL Schlossstraße 10-12 D- 50321 Brühl Tel.: (+ 49) (0)2232 / 94.53.8-0 Fax.: (+ 49) (0)2232 / 94.53.8-38 [email protected] siehe auch http://www.archive.nrw.de/ Die Kirchenbücher verzeichnen Taufen, Heiraten und Beerdigungsereignisse. Sie können für das Gebiet des Roerdepartements durch die mit der Verordnung über den Zivilstand der Bürger am 1. Mai 1798 in den vier neuen Departements eingeführten Zivilstandsregister ergänzt werden.15 Für das Jahr 1798 sind die Register unvollständig, da die Verordnung erst im zweiten Quartal des Jahres VI des Revolutionskalenders erlassen wurde. Zusammen mit den Kirchenbüchern können sie unter anderem zur Untersuchung der Bevölkerungsbewegung und der demografischen Muster herangezogen werden. Darüber hinaus liefern insbesondere die Zivilstandsregister der französischen und preußischen Zeit wertvolle Hinweise zur sozialdifferenziellen Beleuchtung einzelner demografischer 15 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Roer-Dep. 1747; die Register werden verwahrt im Personenstandsarchiv Brühl. 173

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Komponenten und der Familienbildung. Dies gilt vor allem für die Berufstätigkeit der Eheleute. Weiterhin lassen sich aus den Geburts- und Heiratsregistern die Herkunftsorte der Bewohner einzelner Orte bestimmen.

Staatsarchiv Lüttich Das Staatsarchiv Lüttich ist in einem 1985 seiner Bestimmung übergebenen modernen Zweckbau im Lütticher Stadtteil Cointe, einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, untergebracht. Ab dem Lütticher Hauptbahnhof ein Linienbus nach Cointe. Das Staatsarchiv Lüttich verwaltet den größten Teil des sich auf das Grundgebiet der heutigen Provinz Lüttich beziehenden Archivguts. Das Staatsarchiv Lüttich ist dienstags bis freitags von 8:30 Uhr bis 16:30 Uhr sowie samstags von 8:30 Uhr bis 12:00 Uhr und von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet. Während der Monate Juli und August bleibt das Archiv samstags geschlossen. ARCHIVES DE L’ÉTAT À LIÈGE Rue du Chéra, 79 B-4000 Liege Tel.: (+ 32) (0)4 / 252.03.93 Fax.: (+ 32) (0)4 / 229.33.50 E-mail: [email protected] siehe auch http://arch.arch.be Im Rahmen der vorliegenden Studie ist vor allem die den Zeitraum vom 9. Germinal Jahr VIII bis zum 11. Januar 1814 betreffende Abteilung ›Préfecture‹ des ›Fonds français‹ bearbeitet worden. Sie enthält eine Vielzahl von Verwaltungsunterlagen des Ourthedepartements, zu dem auch der Wirtschaftsraum Verviers-Eupen gehörte. Von besonderem Interesse sind: • die Bevölkerungszählungen in den einzelnen Gemeinden, die unter anderem Aufschluss über die Bevölkerungsstrukturen der rund um die größeren Zentren gelegenen Landgemeinden geben; • der Briefwechsel zwischen den Gemeinden und den zentralen Behörden in Lüttich, wobei den Verwaltungsberichten und den Statistiken besondere Bedeutung beizumessen ist; • die Passregister.

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Obwohl nur noch wenige dieser Register erhalten sind, lassen sie doch interessante Rückschlüsse bezüglich der Mobilität der Bevölkerung des Ourthedepartements zu; schließlich die Listen der Gemeinderatsmitglieder, die ein Gradmesser für die Integration der Einwanderer und ihre Teilnahme am politischen Geschehen sind. Der ›Fonds français‹ schließt darüber hinaus eine Sammlung von Unterlagen zur Lage der Textilindustrie im Ourthedepartement ein. Sie enthält aufschlussreiche Angaben zum Werdegang dieser Industrie, zu den Fabrikanten und Arbeitern sowie den sozialen Konflikten. Seit kurzem bewahrt das Staatsarchiv Lüttich auch das ältere Archivgut der Stadt Verviers auf. Dieses bildet eine wichtige Ergänzung zum ›Fonds français‹. Siehe allgemein: J. PIEYNS, Guide général des fonds et collections (arrondissements judiciaires de Liège et de Verviers), Brüssel 1997.

Stadtarchiv Verviers Das Archivgut der Stadt Verviers wird im Rathaus aufbewahrt. In regelmäßigen Abständen finden Überführungen ins Staatsarchiv Lüttich statt. Das Stadtarchiv verfügt über ein vollständiges Verzeichnis aller seiner in Lüttich deponierten Archivalien, die bis in das 17. Jahrhundert zurückgehen. Die Bevölkerungsregister und -zählungen befinden sich jedoch nach wie vor in Verviers selbst. Das Stadtarchiv ist montags bis freitags von 8:30 Uhr bis 12:00 Uhr und mittwochs zusätzlich von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet. Zur Einsichtnahme in die Bevölkerungsunterlagen, die im Keller eines Nebengebäudes des Rathauses untergebracht sind, bedarf es einer Genehmigung des Gemeindekollegiums. Die entsprechende Anfrage ist schriftlich einzureichen. ARCHIVES COMMUNALES DE VERVIERS Hôtel de Ville, Service des archives Place du Marché, 55 B-4800 Verviers Tel.: (+ 32) (0)87 / 32.52.28 Fax.: (+ 32) (0)87 / 32.53.45 siehe auch http://arch.arch.be Im Stadtarchiv Verviers wurden ursprünglich zwei Kategorien von Bevölkerungszählungen aufbewahrt: zum einen vier allgemeine Zählungen 175

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auf kantonaler Ebene (1806, 1816, 1826, 1836) und zum anderen die 1808 einsetzenden jährlichen Zählungen auf kommunaler Ebene. Leider sind die kantonalen Zählungen seit einigen Jahren verschollen, so dass bei der vorliegenden Studie nur die städtischen Erhebungen berücksichtigt werden konnten. Um den allgemeinen Zählungen möglichst nahe zu kommen, wurden die kommunalen Zählungen der Jahre 1808, 1818, 1828 und 1838 bearbeitet. Sie enthalten jeweils die Liste aller in Verviers ansässigen Personen mit deren Namen, Vornamen, Beruf, Alter, Zivilstand und Geburtsort sowie die Anzahl der Kinder unter zwölf Jahren, die gegebenenfalls in ihrem Haushalt lebten. Die den Vervierser Vorort Hodimont, der früher eine selbständige Kommune bildete, betreffenden Zählungen werden ebenfalls im Stadtarchiv Verviers aufbewahrt. Sie folgen allerdings nicht ganz dem Vervierser Beispiel. Angegeben werden: die Straßennamen und Hausnummern, die Anzahl der Bewohner je Haus, deren Namen und Vornamen, ihr Alter und Beruf, der Zeitpunkt ihres Zuzugs und die Dauer ihres Aufenthalts in der Gemeinde und die Zahl der Kinder unter zwölf Jahren. Siehe allgemein: Documents d’archives relatifs à Verviers, Brüssel 2003.

Staatsarchiv Eupen Das Staatsarchiv Eupen ist in einem ehemaligen Tuchmacheranwesen untergebracht. Es ist in nur wenigen Minuten vom Stadtzentrum, vom Bahnhof und vom Bushof aus zu Fuß zu erreichen. Es verwaltet den größten Teil des sich auf das Grundgebiet des Gerichtsbezirks Eupen – der mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens übereinstimmt – beziehenden Archivguts. Das Staatsarchiv Eupen ist dienstags bis freitags von 8:30 Uhr bis 16:30 Uhr sowie samstags von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr und von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet. In den Monaten Juli und August bleibt das Archiv samstags geschlossen. STAATSARCHIV EUPEN Kaperberg 2-4 B-4700 Eupen Tel.: (+ 32) (0)87 / 55.43.77 Fax.: (+ 32) (0)87 / 55.87.77 E-mail: [email protected] siehe auch http://arch.arch.be

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Für die vorliegende Studie ist im Wesentlichen das Archivgut der französischen Zeit zu Rate gezogen worden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Bestand „Französische Zeit“ der Stadt Eupen und in diesem der Bevölkerungszählung des Jahres 1798 zu. Diese gibt zwar nicht den Geburtsort der aufgeführten Personen, wohl aber deren Namen, Vornamen, Alter, Beruf und Hausnummer an. Außerdem wird für alle Zugezogenen das Datum ihrer Niederlassung in Eupen angegeben. Sehr aufschlussreich sind auch die in diesem Bestand aufbewahrten Reisepässe für den Zeitraum 1812 bis 1818, die zahlreiche Rückschlüsse bezüglich der Migranten und ihrer Reisegewohnheiten erlauben. Sie legen ebenfalls Zeugnis ab von den politischen Wechselfällen, denen Eupen in dieser Zeit ausgesetzt war. Bis 1815 sind sie in Französisch, danach in Deutsch ausgestellt. Schließlich enthält der Bestand ›Französische Zeit‹ der Stadt Eupen noch eine Vielzahl von Archivalien, insbesondere Statistiken, die von den Polizeidiensten und der Gemeindeverwaltung verfasst wurden und für die Beschreibung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfelds der Stadt Eupen von großem Nutzen sind. Siehe allgemein: A. MINKE, Die Bestände des Staatsarchivs in Eupen. Allgemeine Übersicht (Gerichtsbezirk Eupen), 2. erweiterte und verbesserte Auflage, Brüssel 2000.

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R ÉSUMÉ

MIGRATION

ET INTÉGRATION D’OUVRIERS DU

SECTEUR TEXTILE DANS LA RÉGION FRONTALIÈRE ENTRE LA

BELGIQUE,

P A Y S –B A S E T D U 19 E S I È C L E

LES

L ’A L L E M A G N E A U D É B U T

ALFRED MINKE L’étude de l’industrialisation ne peut se borner à la seule révolution industrielle, par ailleurs souvent abordée dans le cadre des états nation. Dans certaines régions, l’artisanat prit de plus en plus d’importance à partir du 16e siècle pour aboutir au 18e à une activité pré – industrielle intense. Ces régions se caractérisent en général par une migration ouvrière dans une aire géographique relativement restreinte, les migrants venant de territoires plus éloignés restant l’exception. Ces mouvements migratoires sont d’ailleurs l’apanage aussi bien du patronat que de la main – d’œuvre spécialisée ou encore des ouvriers non qualifiés. Dans ce contexte se pose également la question de l’intégration des migrants dans leur nouvel environnement fait le plus souvent de centres pré – industriels au rayonnement économique très large, où le rejet côtoie l’accueil et le soutien. En regard de ce qui précède, la région entre Aix-la-Chapelle, Verviers et Monschau (Montjoie) est, à maints égards, emblématique. Située au cœur de l’Euregio Meuse – Rhin, elle constitue un champ d’observation idéal pour l’étude de la longue histoire des migrants qui franchissent allègrement les limites territoriales et les frontières linguistiques, toujours à la recherche d’une progression sociale et d’un avenir meilleur. Le présent ouvrage peut se baser sur de nombreuses sources archivistiques – conservées notamment à Düsseldorf, Aix-la-Chapelle, Eupen, Verviers et Liège –, mais aussi sur les résultats d’efforts plus récents visant à conserver et à valoriser, à travers les musées d’histoire industrielle ou encore la ›route de la laine‹, un patrimoine important, encore très présent dans la mémoire collective.

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ALFRED MINKE

Il apparaît ainsi qu’entre les anciens centres lainiers de Vaals, Aix-laChapelle, Burtscheid (Borcette), Monschau (Montjoie), Eupen et Verviers la migration a été un phénomène séculaire, s’accompagnant toujours et plus particulièrement pendant les premières décennies du 19e siècle de problèmes d’intégration d’origines divers, par exemple économiques ou religieuses, mais jamais nationalistes. L’exploitation des sources et le dépouillement des ouvrages et articles déjà parus sur la question ont amené les auteurs à se pencher plus en détail sur l’essence même des structures du phénomène migratoire dans la région précitée. Cette partie centrale du présent travail est précédée dans une première partie de trois articles traitant respectivement de l’état des recherches à propos des migrations sur courte distance, des particularités géopolitiques et linguistiques des territoires situés entre Meuse et Rhin entre 1780 et 1820, finalement, de l’histoire économique d’une région délimitée par Verviers à l’ouest et Aix-la-Chapelle à l’est. Comme complément de la route de la laine, les auteurs proposent dans la troisième partie du livre une route de la migration menant d’Eupen à Verviers, montant de là sur les Fagnes pour rejoindre Monschau (Montjoie) et descendant ensuite sur Aix-la-Chapelle, d’où elle continue vers Vaals pour retourner en fin de compte à son point de départ: Eupen. La quatrième partie répertorie les principaux dépôts d’archives et analyse brièvement les fonds consultés publiques. Le livre se termine par une bibliographie sélective et un recueil d’adresses utiles. Nos remerciements vont à l’auteur du projet, le professeur Alfred Minke, qui en a également assuré la direction, ainsi qu’à la Communauté germanophone de Belgique et le ›Rheinische Archivberatung – Fortbildungszentrum Brauweiler‹ qui, sous l’impulsion active et bienveillante de Messieurs Nabrings et Weber, a apporté le soutien financier indispensable à une telle entreprise scientifique.

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MIGRATIE

EN INTEGRATIE VAN TEXTIELARBEIDERS

BELGIË, NEDERLAND DE B E G I N V A N D E 19 EEUW

IN DE GRENSREGIO TUSSEN EN

DUITSLAND

IN HET

ALFRED MINKE Industrialisatie als studiedomein kan zich niet beperken tot enkel de industriële revolutie, een onderwerp dat veelvuldig aan bod komt in het kader van het statenstelsel. In enkele regio’s groeit vanaf de 16de eeuw het belang van het ambacht, dat zich in de 18de eeuw ontwikkelt tot een intense pre-industriële activiteit. Deze regio’s kenmerken zich in het algemeen door een migratie van arbeiders naar een toch relatief beperkte geografische zone, waarbij de komst van arbeiders uit ver afgelegen gebieden eerder een uitzondering blijft. Deze migratiebewegingen treffen zowel werkgevers als geschoolde en ongeschoolde handarbeiders. In deze context rijst uiteraard de vraag naar de integratie van migranten in hun nieuwe omgeving, vaak pre-industriële centra met een brede economische uitstraling, waar afwijzing hand in hand gaat met onthaal en ondersteuning. De streek tussen Aken, Verviers en Monschau (Montjoie) is in vele opzichten emblematisch. Door de centrale ligging in het hart van het Rijn-Maasgebied vormt zij een ideaal observatiegebied voor de studie van de lange migrantengeschiedenis waarbij mensen hun territoriale grenzen overschrijden, steeds op zoek naar sociale vooruitgang en een betere toekomst. De voorliggende studie maakt gebruik van talrijke archivarische bronnen – bewaard in ondermeer Düsseldorf, Aken, Eupen, Verviers en Luik –, maar beroept zich ook op meer recente onderzoeksresultaten die door middel van musea voor industriële geschiedenis alsook de Wolroute een belangrijk patrimonium vormen, dat nog sterk doorleeft in het collectieve geheugen. Zo blijkt dat de migratie tussen de oude wolcentra van Vaals, Aken, Burtscheid (Borcette), Montschau (Montjoie), Eupen en Verviers een 183

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seculier fenomeen was, dat steeds, maar met nadruk in de eerste decennia van de 19de eeuw, gepaard ging met integratieproblemen van diverse oorsprong, bijvoorbeeld economisch of religieus, maar nooit nationalistisch. Door zorgvuldig bronnenonderzoek en de studie van reeds verschenen werken en artikels betreffende het onderwerp hebben de auteurs zich kunnen verdiepen in de essentie van de structuren van het migratiefenomeen in de vermelde regio. Het centrale deel van het voorliggend onderzoek wordt voorafgegaan door een eerste luik, waarin drie artikels een stand van zaken bieden inzake het onderzoek naar het migratiewezen op korte afstand, de geopolitieke en taalkundige eigenheden van de gebieden tussen Maas en Rijn tussen 1780 en 1820, en uiteindelijk de economische geschiedenis van een regio afgebakend door Verviers in het westen en Aken in het oosten. Als aanvulling op de Wolroute stellen de auteurs in het derde deel van het boek een migratieroute voor, vertrekkend van Eupen naar Verviers, al klimmend tot de Hoge Venen om Monschau (Montjoie) te bereiken en nadien verder af te dalen naar Aken, waar zij verder loopt tot Vaals om uiteindelijk weer bij het vertrekpunt aan te komen: Eupen. Het vierde deel inventariseert de belangrijkste archiefdepots en analyseert beknopt de geconsulteerde publieke fondsen. Het boek eindigt met een selectieve bibliografie en een overzicht van nuttige adressen. Onze dank gaat uit naar de auteur, professor Alfred Minke, onder wiens leiding het project plaatsvond, alsook de Belgische Duitstalige gemeenschap en de “Rheinische Archivberatung- Fortbildingszentrum Brauweiler” dat, onder de actieve en welwillende impuls van de heren Nabrings en Weber, de noodzakelijke financiële steun verleende zonder welke een dergelijke wetenschappelijke onderneming niet mogelijk was.

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A NHANG

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QUELLENEDITIONEN

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ANHANG

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I N T E R N E T S E I T E N (A U S W A H L )

http://arch.arch.be www.archive.nrw.de www.erih.net www.imis.uni-osnabrueck.de www.industriemusea-emr.nl www.industriemuseen-emr.de www.migrationsroute.nrw.de www.museesindustriels-emr.be www.rafo.lvr.de www.rim.lvr.de www.wollroute.de www.wolroute.net

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ABBILDUNGSNACHWEIS Martin Schmidt: Abb. 1 (S. 13), Abb. 1 (S. 39), Abb. 2 (S. 45), Abb. 3 (S. 49), Abb. 1 (S. 64), Abb. 2 (S. 66), Abb. 1 (S. 87), Abb. 2 (S. 92), Abb. 3 (S. 93), Abb. 5 (S. 104), Abb. 6 (S. 107), Abb. 7 (S. 112), Abb. 1 (S. 116), Abb. 3 (S. 124), Abb. 1 (S. 133), Abb. 2 (S. 135), Abb. 3 (S. 136), 4 (S. 137), Abb. 5 (S. 138), Abb. 6 (S. 140), Abb. 7 (S. 141), Abb. 8 (S. 142), Abb. 9 (S. 143), Abb. 10 (S. 144), Abb. 11 (S. 145), Abb. 12 (S. 147), Abb. 13 (S. 149), Abb. 14 (S. 153), Abb. 15 (S. 154), Abb. 16 (S. 156), Abb. 17 (S. 157) Stadtarchiv Aachen: Abb. 3 (S. 83), Abb 4 (S. 99) Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Abtei Brauweiler: Abb 2. (S. 119)

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AUTOREN

Valérie Hébrant ist Historikerin und studierte an der Universität Lüttich. Ihr Forschungsinteresse gilt der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Kulturgeschichte (u.a. des hohen und späten Mittelalters). Zudem arbeitet sie zur Industriellen Revolution, insb. zur Textilindustrie im südlichen Belgien. Zurzeit unterrichtet sie u.a. in der Erwachsenbildung Geschichte und demnächst Literatur. Stefan Nies, M.A., ist Historiker und Mitinhaber von ›Nies und Holthaus GbR. Büro für Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft‹ in Dortmund. Er forscht zu Themen aus Umwelt-, Arbeits- und Industriegeschichte und konzipiert Ausstellungen unter anderem in Freilicht- und Industriemuseen. Prof. Dr. Alfred Minke studierte Geschichte an der ›Université catholique de Louvain‹, wo er seit 1986 unterrichtet. Von 1985 bis 1987 arbeitete er am ›Centre National de la Recherche scientifique‹ in Paris. Er ist Leiter der Staatsarchive Eupen und Lüttich. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind die Geschichte Ostbelgiens, die Geschichte der französischen Revolution sowie die Kirchengeschichte der Neuzeit. Martin Schmidt, M.A., studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie, ist heute freier Kurator, Ausstellungsgestalter und Eventmanager und gründete das Büro ›TexTuRa – Büro für Text, Textiles und Raum‹ in Düsseldorf. Er arbeitet zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Architektur des 18. und 19. Jahrhunderts, zur Textilgeschichte sowie zur Theorie des Museums. Christiane Syré, M.A., studierte Kunstgeschichte, Pädagogik und Vergleichende Religionswissenschaft. Sie ist Inhaberin von ›Form und Sinn – Agentur für visuelle Kommunikation und wissenschaftliche Konzepte‹ in Düsseldorf und arbeitet als freie Kuratorin, Autorin und Museumspädagogin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Mode- und Textilgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Kulturtourismus.

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Histoire Rheinische Archivberatung – Landschaftsverband Rheinland, Fortbildungszentrum Brauweiler (Hg.) Eine Gesellschaft von Migranten Kleinräumige Wanderung und Integration von Textilarbeitern im belgisch-niederländischdeutschen Grenzraum zu Beginn des 19. Jahrhunderts September 2008, 200 Seiten, kart., mit zahlr. Abb., 21,80 €, ISBN: 978-3-8376-1059-8

Alexander Meschnig Der Wille zur Bewegung Militärischer Traum und totalitäres Programm. Eine Mentalitätsgeschichte vom Ersten Weltkrieg zum Nationalsozialismus September 2008, 352 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-955-8

Nicole Colin, Beatrice de Graaf, Jacco Pekelder, Joachim Umlauf (Hg.) Der »Deutsche Herbst« und die RAF in Politik, Medien und Kunst Nationale und internationale Perspektiven September 2008, 228 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 978-3-89942-963-3

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

2008-05-27 12-26-20 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02a8179786122216|(S.

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