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German Pages 172 [173] Year 2004
A N N E T T E GUCKELBERGER
Der Europäische Bürgerbeauftragte und die Petitionen zum Europäischen Parlament
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 162
Der Europäische Bürgerbeauftragte und die Petitionen zum Europäischen Parlament Eine Bestandsaufnahme zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Von Annette Guckelberger
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-11315-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Ausgangspunkt der vorliegenden Studie war mein Habilitationsvortrag „Der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments und der Europäische Bürgerbeauftragte im Europa der Bürger", den ich am 27. Januar 2003 vor dem Senat der Deutschen Hochschule fur Verwaltungswissenschaften in Speyer gehalten habe. In der nachfolgenden Abhandlung wird zum einen die Entwicklung des Petitionsrechts zum Europäischen Parlament und des Beschwerderechts zum Europäischen Bürgerbeauftragten nachgezeichnet. Zum anderen werden die - i n den Details nicht unumstrittenen - Zulässigkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen dieser beiden Rechte aufgezeigt, damit von ihnen möglichst Erfolg versprechend Gebrauch gemacht werde. Das Manuskript wurde Ende September 2003 abgeschlossen. Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow fur die Förderung meines wissenschaftlichen Werdegangs sowie die gewährten Freiräume wissenschaftlichen Arbeitens. Zu danken habe ich außerdem Frau Erika Kögel, Sekretärin am Lehrstuhl Ziekow, fur die sachkundige und schnelle Formatierung meines Manuskripts.
Speyer, im Oktober 2003
Annette Guckelberger
Inhaltsverzeichnis
I. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und Handlungsmöglichkeiten des Europäischen Bürgerbeauftragten zu Beginn des 21. Jahrhunderts ..
9
II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und der Einrichtung des Europäischen Bürgerbeauftragten 11 1. Zur Rechtsschutzfunktion
12
2. Einbeziehung der Bürger in den gemeinschaftlichen Integrationsprozess ...
14
3. Conclusio
17
4. Die zweifache Verankerung von Petitionsrecht und Bürgerbeauftragtem im EG-Vertrag
20
III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
22
1. Zur Geschichte des Petitionsrechts
23
2. Begriff der Petition
30
3. Petitionsarten
32
4. Sinn und Zweck sowie Bedeutung des Petitionsrechts
35
5. Zu den einzelnen Voraussetzungen des Petitionsrechts
40
a) Der Kreis der Petitionsberechtigten
40
b) Der Petitionsgegenstand
48
c) Zur Petitionsbeftignis
54
aa) Das Betroffenheitserfordernis bei der Nichtigkeitsklage
55
bb) Zum Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit in Art. 194 EG
56
d) Vorherige Ausschöpfiing anderer Rechtsbehelfsmöglichkeiten?
59
e) Weitere Bedingungen für die Einreichung einer Petition
60
f) Adressat des Petitionsbegehrens
64
6. Die Behandlung der Petitionen a) Die Untersuchungsbefiignisse bei Petitionen
64 66
8
Inhaltsverzeichnis
b) Die Petitionserledigung
73
IV. Der Europäische Bürgerbeauftragte
77
1. Zur Genealogie des Europäischen Bürgerbeauftragten
78
2. Charakteristika des Europäischen Bürgerbeauftragten
84
3. Sinn und Zweck des Europäischen Bürgerbeauftragten
85
4. Zur Ausgestaltung der Rechtsstellung des Bürgerbeauftragten
91
5. Zu den einzelnen Voraussetzungen des Beschwerderechts zum Bürgerbeauftragten
97
a) Die beschwerdeberechtigten Personen
97
b) Beschwerdegegenstand
98
aa) Missstände bei der Tätigkeit „der Organe und Institutionen der Gemeinschaft"
98
bb) „Missstände" bei der Tätigkeit der Organe und Institutionen der Gemeinschaft
103
(1) (2)
Der Inhalt des vom Europäischen Parlament gebilligten Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis
107
Schlussfolgerungen im Hinblick auf das Aufgabenfeld des Europäischen Bürgerbeauftragten
113
c) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen der Beschwerde oder: Wie beschwert man sich?
118
6. Die Behandlung der Beschwerden durch den Europäischen Bürgerbeauftragten
123
a) Zu den Untersuchungsbeflignissen des Bürgerbeauftragten im Einzelnen
126
b) Entscheidungen des Bürgerbeauftragten im Anschluss an seine Untersuchung
133
7. Eigeninitiativuntersuchungen des Europäischen Bürgerbeauftragten
140
8. Rechtsschutzfragen im Zusammenhang mit dem Bürgerbeauftragten
142
9. Das Verhältnis des Europäischen Bürgerbeauftragten zu anderen Einrichtungen, insbesondere dem Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments
147
V. Zusammenfassende Bewertung und Ausblick
154
Literaturverzeichnis
159
Personen- und Sachwortverzeichnis
168
Ι . Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und Handlungsmöglichkeiten des Europäischen Bürgerbeauftragten zu Beginn des 21. Jahrhunderts Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von Maastricht 1 wurden zugleich das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und die Institution des Europäischen Bürgerbeauftragten auf primärrechtlicher Ebene verankert. Die diesbezüglichen Regelungen finden sich zum einen innerhalb des Kapitels zur Unionsbürgerschaft in Art. 21 EG, zum anderen im Abschnitt zum Europäischen Parlament in Art. 194, 195 EG. 2 Bereits diese doppelte Erwähnung lässt erahnen, dass sowohl das Petitionsrecht als auch die Institution des Europäischen Bürgerbeauftragten mehrdimensionale Züge aufweisen. Einerseits haben sie die Interessen der Bürger im Blick, andererseits besteht eine enge Verbindung zum Aufgabenfeld des Europäischen Parlaments. Obwohl das Petitionsrecht erst seit ca. zehn Jahren Bestandteil der Gemeinschaftsverträge ist, kann es auf eine wesentlich längere Tradition zurückblicken. Schon 1953 enthielt die Geschäftsordnung der Gemeinsamen Versammlung für Kohle und Stahl eine Bestimmung, welche Einzelpersonen eine direkte Kontaktaufnahme mit diesem Gemeinschaftsorgan über Petitionen gestattete.3 Die Institution des Europäischen Bürgerbeauftragten ist dagegen ein Novum. Erst seit der Wahl des Finnen Jakob Söderman 1995 zum Europäischen Bürgerbeauftragten können sich die (Unions-)Bürger mit ihren Anliegen an diese Einrichtung wenden. Der primärrechtlichen Verankerung von Petitionsrecht und dem Bürgerbeauftragten ist eine lange Diskussion vorausgegangen, ob und inwieweit die Einfuhrung eines Ombudsmanns neben dem Petitionsrecht zum Europäischen Parlament sinnvoll ist. Die Position des Europäischen Parlaments zu diesem Vorhaben war ambivalent. Denn es befürchtete eine Reduzierung seiner eigenen Kompetenzen, wenn die Bürger sich mit ihren Anliegen auch an einen eu-
1
Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, BGBl. II S. 1253. Siehe auch Art. 107c, 107d EA sowie Art. 20c, 20d des zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 3 ABl. EGKS 1954 S. 393,402 (Art. 42 GeSchO). 2
10
I. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
ropäischen Bürgerbeauftragten wenden können.4 A u f der Ebene der Mitgliedstaaten hat sich dagegen seit Anfang der 1970er Jahre die Ombudsmannidee zunehmend durchgesetzt, weshalb es ausreichend Fürsprecher für eine derartige Institution gab. In der Zwischenzeit haben sich sowohl das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament als auch die Einrichtung des Europäischen Bürgerbeauftragten in der Praxis bewährt. Beide Institute werden in dem am 18. Juli 2003 dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreichten Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa mehrmals erwähnt. Sie werden in Art. 8 Abs. 2 Verfassungsentwurf und in Art. III-236, III-237 Verfassungsentwurf in annähernd gleicher Weise wie bislang im EG-Vertrag geregelt. Weitere Regelungen finden sich im Teil I I des Verfassungsentwurfs, welcher die Charta der Grundrechte beinhaltet (Art. 11-43, Art. 11-44), sowie in Art. 48 Verfassungsentwurf zum Europäischen Bürgerbeauftragten. 5 Weil die Zahl der Petitionen an das Europäische Parlament und der Beschwerden an den Europäischen Bürgerbeauftragten mit der Erweiterung der Europäischen Union auf fünfundzwanzig Mitgliedstaaten ansteigen wird, muss die Effektivität dieser beiden Rechte auch in Zukunft gewährleistet sein. Zentrale Bedeutung hat daher unter anderem die Frage, wie sich die beiden Rechte zueinander verhalten, wie das Verhältnis zwischen Europäischem Parlament und Bürgerbeauftragtem ausgestaltet ist oder sinnvollerweise ausgestaltet werden sollte. Trotz der primärrechtlichen Regelungen ergibt eine Durchsicht der Literatur, dass in sehr vielen Punkten Uneinigkeit bei der Auslegung der einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Petition bzw. für die Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten besteht. Für den Einzelnen ist es aber wichtig, die Zugangsvoraussetzungen zum Europäischen Parlament bzw. Europäischen Bürgerbeauftragten genau zu kennen. Ein wesentliches Ziel der nachfolgenden Studie ist es deshalb, die Voraussetzungen fur eine Erfolg versprechende Petition oder Anrufung des Bürgerbeauftragten aufzuzeigen. Nach einer knappen Einfuhrung zu diesen beiden Einrichtungen folgt eine separate Darstellung zu den Parlamentspetitionen und dem Bürgerbeauftragten, um im Anschluss daran anhand einer Gegenüberstellung ihr Verhältnis zueinander zu erörtern. Die so gewonnenen Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. A u f gemeinschaftsrechtlicher Ebene lassen sich diejenigen Punkte herauskristallisieren, in denen durch eine Änderung der normativen Grundlagen mehr Rechtssicherheit oder ein besseres Zusammenspiel zwischen Europäischem Parlament und Bürgerbeauftragtem erreicht werden könnte. Andererseits kann diese Studie Impul-
4
Kluth, in: Calliess / Ruffert, EUV / EGV, Art. 195 Rn. 2; Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU- / EG-Vertrag, Art. 138e Rn. 1; s. ausführlich dazu unter IV 1. 5 CONV 850 / 03; s. dazu allgemein Epping JZ 2003, S. 821 ff.; Oppermann DVB1 2003, S. 1165 ff.
II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeauftragten
11
se für die auf nationaler Ebene in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Diskussion um den Nutzen der Einfuhrung einer Ombudsmanneinrichtung in Deutschland sowie Hinweise für die Kooperation zwischen nationalen Stellen und Europäischem Parlament bzw. Europäischem Bürgerbeauftragten geben.
II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und der Einrichtung des Europäischen Bürgerbeauftragten Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und der Zugang zum Europäischen Bürgerbeauftragten dienen aus der Perspektive des Bürgers vornehmlich zwei Zwecken: Zum einen sollen beide Institute es ihm ermöglichen, seine gemeinschaftsrechtlichen Rechte und Interessen wahrzunehmen sowie durchzusetzen. Häufig richtet eine Person eine Petition an das Europäische Parlament, weil infolge eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht ihre subjektiven Rechte oder legitimen Interessen verletzt werden. Das Parlament soll sich nun für die Wiederherstellung dieser Rechte einsetzen.6 Nicht anders verhält es sich, wenn jemand den Bürgerbeauftragten wegen des fehlerhaften Verhaltens einer Gemeinschaftseinrichtung anruft. Beispielsweise bemängelte eine Person ihm gegenüber, dass sie an einer mündlichen Prüfung im Rahmen eines internen Auswahlverfahrens für eine Verbeamtung auf Gemeinschaftsebene krank teilgenommen habe, weil nach dem Einladungsschreiben Terminänderungen ausgeschlossen gewesen seien. Von der nachträglichen Einschaltung des Bürgerbeauftragten versprach sie sich, sie könne zu einer Wiederholung der mündlichen Prüfung zugelassen werden. 7 In derartigen Konstellationen haben das Petitionsrecht und die Anrufungsmöglichkeit des Bürgerbeauftragten eine Rechtsschutzfunktion. Der Petitionsausschuss bzw. Europäische Bürgerbeauftragte sollen a posteriori die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts überprüfen. 8 Zum anderen sollen die Bürger durch das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und ihr Beschwerderecht zum Bürgerbeauftragten stärker in den gemeinschaftsrechtlichen Integrationsprozess einbezogen werden. 9 Dies zeigt sich unter anderem in der Regelung dieser Rechte im unmittelbaren Kontext zum Wahlrecht der Unionsbürger in Art. 19 EG.
6
Bericht des Petitionsausschusses vom 27.11.2001, A5-0249 / 2001 endg., S. 7 f. S. den Sachverhalt von EuG, Rs. T-209 / 00 Lamberts, Slg. 2002, S. 11-2203 ff. 8 Bericht des Petitionsausschusses vom 17.7.2002, A5-0271 /2002 endg., S. 10; vom 25.6.2001, A5-0236/2001 endg., S. 8; s. auch Juvènal, Les recours, S. 326; Kadelbach, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 66 f. 9 Kadelbach, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 66. 7
II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeauftragten
1. Zur Rechtsschutzfunktion Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und das Recht zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten sind Instrumente außergerichtlichen Rechtsschutzes.10 Beschwert sich eine Person beim Europäischen Parlament bzw. dem Europäischen Bürgerbeauftragten, beispielsweise weil ihr gegenüber das Gemeinschaftsrecht nicht richtig angewendet wurde, erhofft sie sich, dass sich diese Einrichtungen auf ihre Seite stellen werden. Auch wenn die Entscheidungen des Parlaments oder des Bürgerbeauftragten im Unterschied zu Gerichtsentscheidungen unverbindlich sind, 11 kann die herausragende Stellung dieser beiden Einrichtungen die in der Kritik stehende Stelle zu einer Aufgabe oder Änderung ihres Standpunkts veranlassen. Die Gründe für die Inanspruchnahme dieser Rechtsschutzmöglichkeiten sind vielfältig: Nicht jeder möchte die Strapazen eines Gerichtsverfahrens und das damit verbundene Kostenrisiko auf sich nehmen.12 Ihm kann daran gelegen sein, unter Einschaltung einer bislang nicht beteiligten Einrichtung außergerichtlich nach einer Konfliktlösung zu suchen.13 Die nichtförmlichen Rechtsbehelfe eignen sich besonders gut für flexible und unbürokratische Kompromisse. 14 Nicht immer trifft jedoch die These zu, die außergerichtlichen Rechtsbehelfe würden dem Einzelnen schneller zu seinem Recht verhelfen. 15 In anderen Fällen, in denen zum Beispiel eine Klagefrist versäumt wurde, eine Person die engen Anforderungen an die Klagebefugnis nicht erfüllt oder die Gerichte eine
10 Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 50; Kadelbach, in: Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 558; ders., in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 66 f.; Bericht des Petitionsausschusses vom 25.6.1998, A4-0250 / 98, S. 7 (unter 2.); Europäischer Bürgerbeauftragter Pressemitteilung Nr. 18 / 2003 vom 25.9.2003. 11 S. dazu unter III 6 b), IV 6 b). 12 Bericht des Petitionsausschusses vom 25.6.2001, A5-0236/2001 endg., S. 15; vom 13.6.2000, A5-0162 / 2000, S. 11; vom 18.3.1999, A4-0117 / 1999, S. 8; Bericht des Institutionellen Ausschusses vom 14.11.1992, A3-0298 / 1992, S. 12; Europäischer Bürgerbeauftragter Pressemitteilung Nr. 18/2003 vom 25.9.2003; Franke, Ombudsmann, S. 183; Juvénal , Les recours, S. 13; Meese, Das Petitionsrecht, S. 51; Phakos CDE 1993, S. 316. 13 Mehde ZG 16 (2001), S. 145 (159). 14 Europäischer Bürgerbeauftragter Pressemitteilung Nr. 18/2003 vom 25.9.2003; Harden RDE 2001, S. 573 (574); Heede European Public Law 1997, S. 587 (588); fur Deutschland Rinken NordÖR 1998, S. 132 (134); zur Schweiz Steiner /Nabholz, Ombuds-Mediation, S. 33. 15 So Franke, Ombudsmann, S. 183; Europäischer Bürgerbeauftragter Pressemitteilung Nr. 18 / 2003 vom 25.9.2003; in dem Bericht über die Petition als Institution zu Beginn des 21. Jahrhunderts vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 6 wird eine Verkürzung der Dauer der Petitionsverfahren fur notwendig gehalten; s. zu den Gründen der langen Dauer Baviera RMC 2001, S. 129 (133).
1. Zur Rechtsschutzfunktion
13
Entscheidung allein wegen eines Verfahrensfehlers nicht aufheben können, kann außergerichtlich immer noch ein Erfolg erzielt werden. 16 Sowohl das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament als auch das Beschwerderecht zum Europäischen Bürgerbeauftragten sind außergerichtliche Rechtsbehelfe. Diese können, müssen aber nicht notwendig dasselbe Ziel wie eine Klage haben.17 Indem die Gemeinschaftsverträge diese Formen des Rechtsschutzes zur Verfügung stellen, erkennen sie an, dass nicht alle Probleme verrechtlicht oder von der Judikative gelöst werden können. 18 Petitionsrecht und Bürgerbeauftragter schließen somit Rechtsschutzlücken auf nationaler und Gemeinschaftsebene. 19 Beide Rechtsbehelfe tragen zu einer rechtsstaatlichen Gemeinschaft bei (s. auch Art. 6 Abs. 1 EU), indem sie eine Wiederherstellung des Rechts bezwecken. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass dem Begehren einer Person aus Rechtsgründen nicht stattgegeben werden kann, fuhrt die nochmalige Prüfung ihres Anliegens durch den Petitionsausschuss bzw. den Bürgerbeauftragten dazu, dass die kritisierte Maßnahme eher akzeptiert wird. Zugleich trägt der außergerichtliche Rechtsschutz zur Entlastung der Gerichte bei. 20 Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um einen Nebeneffekt. 21 Das Petitionsrecht und die Einrichtung des Europäischen Bürgerbeauftragten dienen, wie insbesondere anhand der systematischen Stellung der Vertragsbestimmungen deutlich wird (Art. 21 Abs. 1 und 2, Art. 194 und 195 EG), primär den Interessen der Unionsbürger sowie des Europäischen Parlaments. Stehen einer Person neben den gerichtlichen Rechtsbehelfen außergerichtliche Rechtsschutzformen zur Verfügung, muss sie abwägen, welche Vorgehensweise ihren Interessen voraussichtlich am besten gerecht wird. 22 Bei dieser Entscheidung muss sie besonderes Augenmerk darauf richten, wie sich die beiden Rechtsschutzmöglichkeiten zueinander verhalten: Je nach Ausgestaltung können sich außergerichtlicher und gerichtlicher Rechtsschutz ergänzen, aber auch einander ausschließen. Da nach Art. 2 Abs. 6, 7 des Beschlusses des Europäischen Parlaments über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten 23 (so genanntes Statut) die 16
Rn. 1.
Franke, Ombudsmann, S. 184; Kaufmann-Bühler,
in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 194
17 So EuG, Rs. T-209 / 00 Lamberts, Slg. 2002, S. 11-2203 (2228) Tz. 65 (hins. Bürgerbeauftragter). 18 So für das deutsche Recht Mehde ZG 16 (2001), S. 145; Rinken NordÖR 1998, S. 132 (134); BayVerfGH NVwZ 2000, S. 548. 19 Meese, Das Petitionsrecht, S. 51; s. auch den Bericht des Institutionellen Ausschusses vom 14.12.1992, A3-0298 / 1992, S. 12. 20 Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 60. 21 Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 144; Sirempel DÖV 1996, S. 241 (246). 22 EuG, Rs. T-209 / 00 Lamberts, Slg. 2002, S. 11-2203 (2228) Tz. 66. 23 ABl. EG 1995 Nr. L I 13/15.
II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeauftragten
Beschwerdeeinlegung beim Bürgerbeauftragten die Fristen fur eine Klageerhebung bei den Gemeinschaftsgerichten nicht unterbricht, muss sich der Einzelne darüber klar werden, ob er gegebenenfalls zu einem Verzicht auf gerichtliche Schritte bereit ist. Möchte er dies nicht und erhebt er rechtzeitig Klage, ist eine weitere Untersuchung des Sachverhalts durch den Bürgerbeauftragten ausgeschlossen. Denn gemäß Art. 195 Abs. 1 EG sind von seiner Untersuchungsbefugnis Sachverhalte ausgenommen, die Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sind oder waren. Es ist daher nicht möglich, beide Rechtsbehelfe parallel zueinander zu verfolgen. 24
2. Einbeziehung der Bürger in den gemeinschaftlichen Integrationsprozess Da jeder Unionsbürger und jede in der Gemeinschaft ansässige Person von dem Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und dem Recht zur Anrufung des Europäischen Bürgerbeauftragten Gebrauch machen kann, gehören sie zur Entwicklung eines „Europas der Bürger," in welchem der Einzelne nicht lediglich als Wirtschaftsfaktor, sondern als eine Persönlichkeit im traditionellen Sinne mit Rechten und Pflichten aufgefasst wird. 25 Angesichts der immer stärkeren Beeinflussung des Lebens der Bürger durch das Gemeinschaftsrecht wurde seit langem die Notwendigkeit erkannt, dass die Ausübung der Hoheitsgewalt auf Gemeinschaftsebene einer Gegensicherung durch Grundrechte, aber auch der Legitimation durch die Unionsbürger bedarf. 26 Mit der primärrechtlichen Verankerung des Petitionsrechts zum Europäischen Parlament sowie der Anrufungsmöglichkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten durch den Vertrag von Maastricht wollte man die oftmals beklagte Bürgerferne sowie das Demokratiedefizit der Europäischen Gemeinschaft abbauen.27 Nunmehr können sich die
24 EuG, Rs. T-209 / 00 Lamberts, Slg. 2002, S. 11-2203 (2228) Tz. 65 ff. Nach Tz. 68 soll der Bürgerbeauftragte darauf hinweisen, dass die Befassung des Bürgerbeauftragten die Fristen für die gerichtlichen Rechtsbehelfe nicht suspendiert. Mangels normativer Verpflichtung fuhrt ein Verstoß hiergegen aber nicht zu einem Schadensersatzanspruch. S. zum Ausschlussverhältnis auch Meese, Das Petitionsrecht, S. 195. 25 Näher zum Europa der Bürger Giannoulis, Die Idee des „Europa der Bürger," 1992; Magiera DÖV 1987, S. 221 ff.; Niedobitek,, Pläne und Entwicklungen eines Europa der Bürger, 1989. 26 Kadelbach, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 2. 27 Bericht des Petitionsausschusses vom 25.6.1998, A4-0250 / 1998, S. 16; Fugmann /Kamp, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, A II Rn. 84; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 75; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 21 Rn. 2; Kluth, in: Calliess / Ruffert, EUV / EGV, Art. 194 Rn. 2, Art. 195 Rn. 1; s. auch Hobe Der Staat 32 (1993), S. 245 (255 f.).
2. Einbeziehung der Bürger in den gemeinschaftlichen Integrationsprozess
15
Bürger bei zwei Gemeinschaftseinrichtungen Gehör verschaffen und ihre Anliegen vorbringen. 28 Die Eröffnung des Petitionsrechts für die Unionsbürger in Art. 21 Abs. 1 EG zum Europäischen Parlament beruht darauf, dass es dasjenige Gemeinschaftsorgan ist, das ihnen am nächsten steht.29 Das Europäische Parlament setzt sich aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten zusammen, die von den Unionsbürgern in allgemeiner und unmittelbarer Wahl gewählt werden. Über das Petitionsrecht können die Bürger auch außerhalb der Wahlen mit dem Europäischen Parlament in Kontakt treten. Es hat, wie der Petitionsausschuss des Parlaments herausgestellt hat, für eine pluralistische, partizipierende und bürgerliche Demokratie eine besondere Bedeutung.30 Durch Petitionen können die Bürger auf Missstände, Unzulänglichkeiten und Mängel bestehender Regelungen hinweisen sowie Vorschläge zur Entwicklung und Vertiefung der Union machen, indem sie eine Suche nach neuen, manchmal gewagten Lösungen für (neue) Probleme anregen. 31 Das Parlament wird sich durch die Entgegennahme und Kenntnisnahme der Petitionen der Probleme, Erwartungen und Wünsche der Unionsbürger bewusst.32 Es kann die Anliegen der Bürger sondieren und den anderen Gemeinschaftsorganen vermitteln. 33 Auf entsprechende Anfragen der Bürger wird es ihnen erläutern, warum auf der Gemeinschaftsebene eine Entscheidung in bestimmter Weise gefällt wurde. 34 Die Dialogstrukturen zwischen Europäischem Parlament und Bürgern sind überaus wichtig. So heißt es in einem Bericht des Petitionsausschusses:
28
Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 10. So für das Petitionsrecht nach Art. 17 GG Graf Vitzthum, Petitionsrecht, S. 39; ders. /März, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 45 Rn. 14; s. zur europäischen Ebene Meese, Das Petitionsrecht, S. 55; Phakos CDE 1993, S. 317 (349); s. insbesondere auch zu den Unterschieden im Vergleich zu den nationalen Parlamenten von Arnim /Schurig DVB1 2003, S. 1176 (1178). 30 Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 6 (unter C); Meese, Das Petitionsrecht, S. 56 f. Im Bericht des Petitionsausschusses vom 19.6.2003, A5-0239 / 2003 endg., S. 5 wird im Petitionsrecht gar eine Ausdrucksmöglichkeit direkter Demokratie gesehen. In Bezug auf Deutschland hat aber Diirig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 11 zutreffend betont, dass das Petitionsrecht zwar ein politisches Anregungsrecht, aber kein politisches Mitwirkungsrecht ist; s. auch Peter, in: Petitionen, S. 70, wonach Petenten nur in den politischen Entscheidungs- und Kontrollprozess eintreten, wenn sie Unterstützung finden. 31 Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 10. 32 In diese Richtung Bericht des Petitionsauschusses vom 19.6.2003, A5-0239 / 2003 endg., S. 5; vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 6 (unter 1.); Baviera RMC 2001, S. 129 (134); Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 75; Maniatis, Le recours, S. 85; Meese, Das Petitionsrecht, S. 56 f. 33 Meese, Das Petitionsrecht, S. 55; s. auch den Bericht des Petitionsausschusses vom 25.6.1998, A4-0250 / 1998, S. 5 (unter 1.). 34 Meese, Das Petitionsrecht, S. 55. 29
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II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeauftragten
„Das direkt gewählte Parlament ist sich mehr denn je bewusst, dass es über kurz oder lang zu einer Trennung zwischen Öffentlichkeit und Institutionen kommt, wenn es der ,Zivilgesellschaft' und dem ,Mann auf der Straße' nicht Gehör schenkt und mit ihnen in einen direkten und einfachen Dialog darüber eintritt, was Europa ,ist' und was Europa fur jeden Bürger ,macht'." 35 Dem Europäischen Parlament kommt somit die Funktion eines Scharniers zwischen der Bevölkerung und der Gemeinschaft zu. 36 Außerdem können sich die Unionsbürger gemäß Art. 21 Abs. 2 EG mit ihren Anliegen an den Europäischen Bürgerbeauftragten wenden. Wie bereits der Bezeichnung dieser Institution zu entnehmen ist, soll auch sie sich in besonderem Maße der Interessen der Bürger der Gemeinschaft annehmen und ihnen zur Durchsetzung verhelfen. Auch vom Europäischen Bürgerbeauftragten, der von den Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestellt wird, verspricht man sich angesichts seiner Aufgabenstellung eine Verbesserung der Bürgernähe der Gemeinschaft. 37 Den entscheidenden Vorteil des Bürgerbeauftragten sieht man in seiner Personifizierung. 38 Mancher bringt einer Einzelperson mehr Vertrauen entgegen als einem aus mehreren Abgeordneten zusammengesetzten parlamentarischen Ausschuss,39 dessen Entscheidungen nicht stets einstimmig gefällt werden. 40 Möglicherweise erhofft er sich wegen der engeren personellen Beziehung zum Bürgerbeauftragten, dieser werde sich stärker fur die Wahrnehmung seiner Interessen engagieren. Indem die Bürger einem Ombudsmann ihre Anliegen mit Gemeinschaftsbezug vortragen und etwaige Korrekturen anregen können, steht ihnen eine weitere Dialogmöglichkeit offen. Je nach Vorbringen des Beschwerdeführers wird ihm der Europäische Bürgerbeauftragte entweder eine Gemeinschaftsentscheidung näher erläutern oder insbesondere durch seine Öffentlichkeitsarbeit auf gewisse Missstände aufmerksam machen. Aufgrund des Petitionsrechts zum Europäischen Parlament und des Beschwerderechts zum Europäischen Bürgerbeauftragten können die Bürger ihre Interessen in Gemeinschaftsangelegenheiten direkt auf der europäischen Ebene 35 Bericht des Petitionsausschusses vom 27.11.2001, A5-0088/2001 endg., S. 7; Meese, Das Petitionsrecht, S. 55. 36 Nach dem Bericht des Petitionsausschusses vom 27.11.2001, A5-0088/2001 endg., S. 10 befindet sich die Petition „an der Schnittstelle zwischen Wähler und Gewähltem, Regierendem und Regiertem, Verwalter und Verwaltetem;" ähnlich Kadelbach, in: Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 558; Meese, Das Petitionsrecht, S. 55; s. auch Fugmann /Kamp, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, A II Rn. 77. 37 S. nur Lecheler, Einfuhrung, S. 109. 38 Franke, Ombudsmann, S. 98, 192; Meese, Das Petitionsrecht, S. 308; s. allgemein Graf Vitzthum, in: Karpen, The Constitution, S. 137. 39 Meese, Das Petitionsrecht, S. 39. 40 S. den Bericht des Petitionsausschusses vom 10.7.2003, A5-0203/2003 endg., S. 19.
3. Conclusio
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artikulieren. Indem ihnen zwei Einrichtungen zur Verfugung stehen, die sich ernsthaft mit ihren Anliegen befassen, wächst ihr Interesse an diesen und zugleich an Vorgängen auf der Gemeinschaftsebene. Dadurch werden sich die Bürger bewusst, dass sie auch im europäischen Raum „die Würde einer Persönlichkeit" haben, die Rechte und Interessen hat und Erwartungen hegt, denen sich die Union annehmen soll. 41 Die Dialogstrukturen zwischen Bürgern und Europäischem Parlament bzw. Europäischem Bürgerbeauftragten tragen dazu bei, dass das Band zwischen der Bevölkerung und der Gemeinschaft enger gezogen wird. Beide in Art. 21 EG genannten Rechte haben somit eine Integrationsfunktion.
3. Conclusio Nach den vorhergehenden Ausführungen basieren das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament sowie die Anrufungsmöglichkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten auf zwei Erwägungen: Einerseits kommt ihnen eine Rechtsschutzfunktion zu. Sie sind außergerichtliche Rechtsbehelfe, bei denen Maßnahmen mit einem Gemeinschaftsrechtsbezug nochmals auf den Prüfstand gestellt werden. Bei einer überzeugenden Argumentation des Petitionsausschusses bzw. des Bürgerbeauftragten wird die in der Kritik stehende Stelle deren unverbindliche Vorschläge aufgreifen und umsetzen. Beide Rechtsbehelfe fordern damit die Rechtsstaatlichkeit; diese ist ein zentraler Grundsatz, auf dem die Union nach Art. 6 Abs. 1 EU beruht. Andererseits sollen sie das Interesse der Bürger an der europäischen Ebene wecken. Sie geben ihnen Gelegenheit, ihre Interessen und Ansichten unmittelbar gegenüber einem Organ / einer Einrichtung der Gemeinschaft zu äußern, die diese wiederum in den Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene einfließen lassen kann. Sie sind demzufolge bedeutsame Mittel auf dem Weg zur Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der gemäß Art. 1 Abs. 2 EU die Entscheidungen möglichst offen und bürgernah getroffen werden. 42 Je nach Anliegen kann der Bürger aus einem oder aber auch beiden Motiven heraus veranlasst werden, sich an das Europäische Parlament oder den Bürgerbeauftragten zu wenden. Ist er zum Beispiel der Ansicht, dass eine europäische Institution ihm gegenüber das Gemeinschaftsrecht nicht richtig angewendet hat, im Übrigen aber mit dem Handeln der Gemeinschaft auf diesem Gebiet einverstanden, will er sich vor allem die Rechtsschutzfunktion der außergerichtlichen Rechtsbehelfe zunutze machen. Parlament und Bürgerbeauftragter 41
Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 9. Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU- / EG-Vertrag, Art. 8d Rn. 2; Magiern, in: Meyer, Die Charta der Grundrechte, Art. 43 Rn. 1, Art. 44 Rn. 1. 42
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II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeauftragten
sollen in einem solchen Fall hauptsächlich das Verhalten der beanstandeten Stelle nachträglich kontrollieren. Die Rechtsschutzfunktion ist dagegen bei Petitionen ausgeblendet, die allein Vorschläge zur Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts in die eine oder andere Richtung enthalten. Hier geht es dem Bürger allein darum, Anstöße für Neuerungen auf der Gemeinschaftsebene zu geben und so auf die Gestaltung der Gemeinschaftsangelegenheiten Einfluss nehmen zu können. Schließlich können in einem Begehren beide Aspekte zusammentreffen. So kann jemand mit seiner Beschwerde die Überprüfung einer ihn betreffenden Entscheidung sowie angesichts der sichtbar werdenden Mängel der bestehenden Rechtslage zugleich eine Änderung des Gemeinschaftsrechts anstreben. Zur Überbrückung der Kluft zwischen der Union und ihren Bürgern 43 hat die Europäische Kommission im Jahre 2001 ihr Weißbuch zum Europäischen Regieren vorgelegt. 44 In diesem tritt sie dafür ein, die Politik künftig nicht mehr von oben herab zu verkünden, sondern durch einen circulus virtuosus zu ersetzen, der - von der Gestaltung bis zur Durchführung der Politik - auf Rückkoppelung, Netzwerken und Partizipation auf allen Ebenen beruht. 45 Eine gute Governance zeichnet sich ihrer Ansicht nach durch folgende fünf Grundsätze aus, die für alle Organe der Europäischen Union und sämtliche Regierungsebenen gleichermaßen Geltung beanspruchen: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Ein offenes Handeln bedeutet unter anderem, dass die Organe zusammen mit den Mitgliedstaaten erklären, was die Europäische Union tut und wie ihre Entscheidungen zustande kommen. Durch die Einbeziehung der Akteure in den Politikgestaltungsprozess wird deren Vertrauen in das Endergebnis und die Politik der Institutionen gestärkt. Verantwortlichkeit beinhaltet eine klare Rollenverteilung bei der Gesetzgebung und ihrer Durchführung sowie die Verantwortung jeder Institution für ihr eigenes Verhalten. Eine effektive Politik muss zur richtigen Zeit kommen und auf der Grundlage von klaren Zielen, Folgenabschätzungen und gegebenenfalls Erfahrungswerten das Nötige vorsehen. Schließlich müssen die Politik und das konkrete Handeln kohärent und leicht nachvollziehbar sein. 46
43
KOM (2001) 428 endg., S. 3; s. zu den Anstößen für das Weißbuch von Sydow, in: Magiera / Sommermann, Verwaltung und Governance, S. 172 f. 44 KOM (2001) 428 endg.; s. auch KOM (2002) 705 endg.; s. zum Weißbuch Hayder ZG 2002, S. 49 ff.; Hill DVB1 2002, S. 1316 (1319); Poth-Mögele, Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 521 ff.; s. allgemein zur Governance König, in: Sommermann/ Ziekow, Perspektiven, S. 201 ff.; ders. /Adam /Speer / Theobald, Governance als entwicklungs- und transformationspolitisches Konzept, 2002; König /Adam, Governance als entwicklungspolitischer Ansatz, 2002; Hill VOP 2000, Heft 12, S. 9 ff. 45 KOM (2001) 428 endg., S. 14. 46 KOM (2001) 428 endg., S. 14.
3. Conclusio
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In seiner Entschließung vom 29. November 2001 hat das Europäische Parlament unter anderem kritisiert, dass an keiner Stelle des Weißbuchs auf die Instrumente der Petition an das Europäische Parlament oder der Beschwerde an den Europäischen Bürgerbeauftragten verwiesen wird und es auch sonst nicht auf Fragen der guten Verwaltungspraxis eingeht.47 Diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt. Allerdings wird im Weißbuch unter dem Gliederungspunkt bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten eine Ergänzung der Rolle und Wirksamkeit des EU-Ombudsmanns und des Petitionsausschusses des Parlaments durch Netzwerke von ähnlichen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten gefordert. 48 Im Aktionsplan der Kommission vom 5. Juni 2002 zur „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds" begrüßt nunmehr die Kommission ausdrücklich ihre Zusammenarbeit mit dem Petitionsausschuss und dem Europäischen Bürgerbeauftragten bei der Verfolgung von Gemeinschaftsrechtsverstößen. 49 Sie erkennt also den Beitrag dieser beiden Institutionen zur Effektivität des Gemeinschaftsrechts an. Richtigerweise erfüllen sie aber noch weitere Governance Grundsätze. Seit langem wirkt der Bürgerbeauftragte auf eine demokratische, transparente und verantwortliche EGAdministration hin. 50 Petitionen erfüllen das Kriterium der Offenheit. Das Parlament muss dem Einzelnen erklären, warum in Gemeinschaftsangelegenheiten so und nicht anders verfahren wird. Zum besseren Verständnis wird es versuchen, bestimmte Vorgänge transparenter zu machen. Petitionen sind partizipativ. 5 1 Sie erlauben dem Einzelnen, dem Parlament Denkanstöße zu geben, indem sie ihm Bereiche aufzeigen, in denen ein Handlungsbedarf besteht, in denen es Fehlentwicklungen gibt („Frühwarnsystem") 52 oder gesetzliche Bestimmungen nicht bedachte Nebeneffekte haben bzw. Regelungen sich in der Praxis nur schwer umsetzen lassen (Feedback).53 Im Zuge der Aufklärung einzelner Petitionsanliegen muss die davon betroffene Einrichtung ihr Verhalten erklären und dafür die Verantwortung übernehmen. Petitionsrecht und Europäischer Bürgerbeauftragter ermöglichen eine Einbindung der organisierten Zivilgesell-
47
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren," A5-0399 / 2001, unter Ziff. 21 ff. 48 KOM (2001) 428 endg, S. 32 f. 49 KOM (2002) 278 endg., S. 10. 50 Europäischer Bürgerbeauftragter, Ratgeber, S. 15; s. auch den Bericht des Petitionsauschusses vom 16.6.2003, A5-0229/2003 endg, S. 8, wonach der Bürgerbeauftragte auf die Verstärkung von Offenheit und demokratischer Rechenschaftspflichtigkeit in den Entscheidungs- und Verwaltungsabläufen der Europäischen Union hinwirkt. 51 Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU-/ EG-Vertrag, Art. 8d Rn. 2, Art. 138dRn. 2. 52 Zum deutschen Recht Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 15; Stettner, in: Bonner Kommentar, Art. 17 Rn. 25. 53 Bericht des Petitionsausschusses vom 13.6.2000, A5-0162 / 2000, S. 10.
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II. Sinn und Zweck des Petitionsrechts und des Bürgerbeaufragten
schaft und von Einzelpersonen in den Gemeinschaftsprozess und erhöhen dadurch die Akzeptanz der Gemeinschaft.
4. Die zweifache Verankerung von Petitionsrecht und Bürgerbeauftragtem im EG-Vertrag Petitionsrecht und Europäischer Bürgerbeauftragter werden im EG-Vertrag einerseits in Art. 21 Abs. 1, 2 EG im zweiten Teil zur Unionsbürgerschaft, andererseits im fünften Teil innerhalb der Bestimmungen zum Europäischen Parlament geregelt. Wegen der Verweisung des Art. 21 Abs. 1, 2 EG auf die Art. 194, 195 EG ergeben sich die einzelnen Voraussetzungen für die Anrufung von Parlament und Bürgerbeauftragtem durch die Unionsbürger erst aus den zuletzt genannten Bestimmungen. Ein Vergleich des Art. 21 Abs. 1, 2 EG mit den Art. 194, 195 EG ergibt, dass in den Vorschriften des fünften Teils des EG-Vertrags der Kreis der zur Einlegung einer Petition sowie zur Anrufung des Bürgerbeauftragten berechtigten Personen weiter gezogen wird. Während sich nach Art. 21 Abs. 1, 2 EG Unionsbürger, also natürliche Personen mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats (s. Art. 17 Abs. 1 S. 2 EG) mit ihren Anliegen an das Parlament / den Bürgerbeauftragten wenden können, werden in Art. 194, 195 EG als weitere Berechtigte jede natürliche oder juristische Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedstaat genannt. Die besondere Erwähnung des Petitionsrechts und der Anrufungsmöglichkeit des Bürgerbeauftragten in Art. 21 Abs. 1, 2 EG dürfte auf der Überlegung beruhen, erstmals in einem Abschnitt sämtliche Rechte zusammenzustellen, die den Unionsbürgern unabhängig von der Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks zukommen. Dadurch wird ihnen die Qualität der Europabürgerschaft näher gebracht. Die Unionsbürger sind auch im Hinblick auf Europa Individuen mit eigenen Rechten und Pflichten. 54 Ihnen wird bewusst gemacht, dass ihnen das Gemeinschaftsrecht Rechte verleiht, die ihnen überall dorthin folgen, wohin sie sich in der Union begeben.55 Erst vor kurzem sah das Gericht erster Instanz in dem Recht der Bürger zur Anrufung des Bürgerbeauftragten „eines der grundlegenden Elemente der im Zweiten Teil des EG-Vertrags vorgesehenen Unionsbürgerschaft." 56 Für das Europäische Parlament ist das Petitionsrecht ein Grundrecht, „das unlösbar mit der Unionsbürgerschaft verbunden ist." 57
54
Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 9. Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg., S. 9. 56 EuG, Rs. T-209 / 00 Lamberts, Slg. 2002, S. 11-2203 (2224) Tz. 50. 57 Bericht des Petitionsauschusses vom 19.6.2003, A5-0239/2003 endg., S. 5; ähnlich Bericht vom 13.6.2000, A5-0162 / 2000, S. 4 (unter C.). 55
4. Die zweifache Verankerung von Petitionsrecht und Bürgerbeauftragtem
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Der weiter gezogene Kreis der Personen, die sich nach Art. 194, 195 EG an das Europäische Parlament bzw. den Europâischén Bürgerbeauftragten wenden können, ist damit zu erklären, dass diese Rechte nicht allein die Integration der Unionsbürger bezwecken. Da sich die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht auf die Unionsbürger beschränken, sondern andere natürliche oder juristische Personen gleichermaßen betreffen können, müssen auch sie sich gegen rechtswidrige Maßnahmen wehren können. Aus diesem Grund sind nach Art. 230 Abs. 4, 232 Abs. 3 EG nicht nur Unionsbürger, sondern generell natürliche und juristische Personen vor den Gemeinschaftsgerichten klagebefugt. Dieselben Erwägungen sprechen dafür, den Kreis derjenigen Personen, denen außergerichtlicher Rechtsschutz gewährt werden soll, eher weit als eng zu konzipieren. 58 Überdies ist zu bedenken, dass das Petitionsrecht und die Institution des Europäischen Bürgerbeauftragten die parlamentarische Kontrolle insbesondere der anderen Gemeinschaftsorgane stärken sollen. 59 Diese Kontrolle bezieht sich aber nicht nur auf deren Handeln gegenüber den Unionsbürgern, sondern auf alle Bereiche. Da die (zu erlassenden) Gemeinschaftsregelungen auch Auswirkungen auf Nichtunionsbürger haben können, ist es sinnvoll, wenn sich das Europäische Parlament unter anderem über das Petitionsrecht auch ein Bild von deren Situation machen kann. Demzufolge sprechen gute Gründe dafür, das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament und die Anrufungsmöglichkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten, wie in Art. 194, 195 EG geschehen, nicht lediglich auf die Unionsbürger zu beschränken. Geht man von der Aufgabenstellung des Europäischen Parlaments aus, ist es eben nicht bloß ein Organ, das auf die Interessen der Unionsbürger zu achten hat. Seine Kontrollfunktion und Beteiligung an der Rechtssetzung erstrecken sich auch auf solche Materien, die Nichtunionsbürger betreffen. Manche meinen deshalb, Art. 21 Abs. 1, 2 EG habe bloß symbolischen Charakter 60 und weise die Unionsbürger lediglich auf ihre Rechte bzw. ihre besondere Verbundenheit zur Europäischen Gemeinschaft hin. 61 Trotzdem macht die zusätzliche Verankerung der beiden Institute in Art. 21 Abs. 1, 2 EG Sinn. Diese Bestimmungen sind bei der Auslegung der Art. 194, 195 EG zu berücksichtigen. Beispielsweise wird in Art. 21 EG explizit die Bezeichnung „Petitionsrecht" verwendet. Dadurch wird der individualrechtliche Charakter die-
58 So auch Kadelbach, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 66; im Ergebnis Magiera DÖV 2001, S. 1017 (1021 f.). 59 Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088/2001 endg., S. 10; Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 195 Rn. 3. 60 Pliakos CDE 1993, S. 317 (319); ähnlich Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 21 Rn. 1. 61 Meese, Das Petitionsrecht, S. 26; ähnlich Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 21 Rn. 1.
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
ses Rechtsbehelfs klar zum Ausdruck gebracht. 62 Wäre das Petitionsrecht lediglich in Art. 194 EG geregelt, könnte diese Bestimmung unter Umständen auch dahingehend verstanden werden, dass der Einzelne durch die Einlegung einer Petition zwar den Anstoß fur den Beginn eines parlamentarischen Kontrollvorgangs setzen kann, bei dem dann allerdings das Allgemeininteresse im Vordergrund steht. Angesichts der Zielrichtung des Art. 21 Abs. 1 EG, den Unionsbürgern außerhalb der Parlamentswahlen Gelegenheit zur Beeinflussung der Willensbildung auf europäischer Ebene zu geben, dürfen die Anforderungen an das Betroffenheitskriterium in Art. 194 EG nicht zu hoch gesetzt werden.
I I I . Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament Wie am Anfang erwähnt, besteht eine lange Tradition des Petitionsrechts zum Europäischen Parlament, auch wenn es erst im Zuge des Vertrags von Maastricht im Jahre 1992 primärrechtlich verankert wurde. Zum besseren Verständnis dieses Rechtsinstituts sollte man wenigstens grob seine Entwicklungsgeschichte kennen. Bereits hier sei vermerkt, dass die Bedeutung des Petitionsrechts in der Praxis mit seiner zunehmenden rechtlichen Ausgestaltung gestiegen ist. 63 Insoweit stellt seine Verankerung in den Gründungsverträgen sicherlich einen „Schritt in die richtige Richtung" dar. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament in Deutschland. In der Sitzungsperiode 2001-2002 wurden insgesamt 1283 Petitionen beim Europäischen Parlament eingereicht; davon stammten 298 Petitionen von deutschen Staatsangehörigen, gefolgt von Spanien und Italien mit jeweils 161 Petitionen. 64 Eine Ursache fur die hohe Zahl der Petitionen deutscher Staatsangehöriger ist sicherlich, dass auch auf nationaler Ebene von dem in Art. 17 GG garantierten Petitionsrecht reger Gebrauch gemacht wird. Gerade deshalb ist es von besonderem Interesse, näher herauszuarbeiten, in welchen Bereichen es sich lohnt, eine Petition an das Europäische Parlament zu richten, und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Petenten ihr Ziel möglichst erreichen.
62 Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU-/ EG-Vertrag, Art. 8d Rn. 2; Kaufmann-Bühler, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 194 Rn. 1. 63 S. die Zahlenangaben im Bericht des Petitionsausschusses vom 13.6.2000, A50162/2000, S. 20; Haag, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-/EGVertrag, Art. 138d Rn. 2; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 75; Schoo, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 194 Rn. 3; Surrel RMC 1990, S. 219 (221). 64 Bericht des Petitionsausschusses vom 17.7.2002, A5-0271 / 2002 endg., S. 21.
1. Zur Geschichte des Petitionsrechts
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1. Zur Geschichte des Petitionsrechts Es verwundert nicht, dass das Petitionsrecht im Zuge der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und später der Europäischen Atomgemeinschaft sowie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft primärrechtlich nicht erwähnt wurde. Denn im Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verträge wurden sie als traditionelle völkerrechtliche Verträge eingestuft, welche sich hauptsächlich an die Mitgliedstaaten richten.65 Erstaunlich ist es aber, dass sich zunächst die Gemeinsame Versammlung für Kohle und Stahl, später das Europäische Parlament, von Anfang an für berechtigt hielt, in der Geschäftsordnung (GeSchO) Regelungen zum Petitionsrecht vorzusehen. So wurde in Art. 42 GeSchO der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl aus dem Jahre 1953 die Eingabe und Prüfung von Petitionen behandelt.66 Danach musste bei Petitionen an die Versammlung der Name, Beruf und Wohnsitz des Petenten angegeben werden und von diesem unterzeichnet sein. Die Unterschriften mussten nach den gesetzlichen Vorschriften der betreffenden Länder beglaubigt sein. Die Petitionen wurden an den zuständigen Ausschuss zur Prüfung überwiesen, ob sie in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft fallen. Anschließend wurden die für zulässig erklärten Petitionen entweder an die Hohe Behörde oder den Rat oder einen nach Art. 35 Abs. 1 gebildeten Ausschuss überwiesen. Der Ausschuss hatte die Petition zu prüfen und konnte der Versammlung einen Bericht vorlegen. Aus heutiger Sicht lassen sich nur Mutmaßungen anstellen,67 warum sich die Gemeinsame Versammlung schon so bald für die Entgegennahme und Prüfung von Petitionen für berechtigt hielt. Ein Grund mag gewesen sein, dass sich in den meisten Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl die Bürger mit Petitionen an das nationale Parlament wenden konnten. 68 Auch nach Art. 50 der Geschäftsordnung des Europarates aus dem Jahre 1951 hatten die Bürger die Möglichkeit, Petitionen an die Beratende Versammlung zu richten. 69 Insoweit könnte die Einfuhrung des Petitionsrechts in Art. 42 Ge-
65
Ehlers Jura 2002, S. 468; s. auch Surrel RMC 1990, S. 219 f. ABl. EGKS 1954 S. 393 ff. 67 So Meese, Das Petitionsrecht, S. 32. 68 Ähnlich Juvénal, Les recours, S. 15; Meese, Das Petitionsrecht, S. 35. 69 S. den Rapport de la commission du Règlement et des prérogatives, Dokument 90 vom 3.12.1951 abgedruckt in: Council of Europe, 3. session, Working Papers 1951, sowie Résolution Nr. 7 des Assemblée Consultative du Conseil de l'Europe vom 8.12.1950 zu folgendem Art. 50: (1) Les pétitions à l'Assemblée sont adressées au Président. (2) Elles doivent, pour être recevables: (a) mentionner le nom, la qualité, et le domicile de chacun des signataires dont les signatures doivent être légalisées conformément à la législation interne de leurs pays de résidence respectifs, (b) avoir un objet, qui rentre dans le cadre des activités du Conseil de Γ Europe. (3) Le Bureau de 66
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
SchO der Gemeinsamen Versammlung darauf zurückzufuhren sein, dass man sich einfach an den Regelungen anderer Parlamente orientierte, ohne zu hinterfragen, ob die Gemeinsame Versammlung so einfach mit diesen auf eine Stufe gestellt werden kann. Möglicherweise ließ sich die Gemeinsame Versammlung schon damals von der Erwägung leiten, über die Entgegennahme und Prüfung von Petitionen ihre Stellung verfestigen zu können. Hier würde sich ein Vorgang wiederholen, wie er im 18. Jahrhundert fur die konstitutionell-monarchischen Verfassungen geradezu typisch war. Während damals die Mitwirkungsrechte der Parlamente auf einzelne Materien beschränkt waren, konnten sie sich über Petitionen auch mit der Arbeit der ihnen materiell unzugänglichen Regierung befassen, daran Kritik üben und entsprechende Anregungen vortragen: 70 „Was im Bereich der Staatsverwaltung der Mitentscheidung entzogen war, stand also der um so freieren parlamentarischen Beratung offen." 71 Im Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Haushaltswesen der Gemeinsamen Versammlung der Gemeinschaft fur Kohle und Stahl wurde als Grund für das Petitionsbehandlungsrecht angegeben, es sei „offensichtlich, daß der demokratische Charakter, den man der Versammlung geben wollte, die Ausübung dieses Rechts miteinschließt." 72 Im Laufe der Jahre wurden die Geschäftsordnungsbestimmungen zum Petitionsrecht mehrmals geändert. So wurden in Art. 42 GeSchO des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 195873 fur die Zulässigkeit der Petition zusätzlich die Angabe der Staatsangehörigkeit des Petenten, nicht mehr aber beglaubigte Unterschriften verlangt. Die Petitionen waren nunmehr vom Präsidenten einem Ausschuss zuzuleiten, der zunächst ihre Zulässigkeit prüfte. Danach wurden die Petitionen zusammen mit einer Stellungnahme des Ausschusses an die Hohe Behörde bzw. die Europäischen Kommissionen oder die Räte überwiesen. Außerdem konnte der Ausschuss dem Parlament einen Bericht vorlegen. Nach der Geschäftsordnung 1960 sind darüber hinaus zulässige Petitionen in der Reihenfolge ihres Eingangs in ein Register einzutragen. Sie waren zusammen mit dem Beschluss, sie zu überweisen oder Bericht zu erstatten, in öffentlicher
l'Assemblée examine avec le Secrétaire Général la recevabilité des pétitions. (4) Les pétitions déclarées recevable sont renvoyées: (a) lorsqu'elles ont trait à une question qui figure à Tordre du jour, aux commissions respectivement compétentes, (b) lorsqu'elles ont trait à une question qui ne figure pas à l'ordre du jour, au Comité des Ministres, s. dazu auch Schick, Petitionen, S. 139 ff. 70 Graf Vitzthum, Petitionsrecht, S. 22 f.; s. zur Geschichte des Petitionsrechts Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 1 ff.; Hornig, Die Petitionsfreiheit, S. 22 ff. 71 Graf Vitzthum, Petitionsrecht, S. 23. 72 So die Wiedergabe des Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Haushaltswesen über die vorbehaltenen Artikel der Geschäftsordnung der Gemeinsamen Versammlung bei Meese, Das Petitionsrecht, S. 34. 73 ABl. EG 1958 S. 217, 231.
1. Zur Geschichte des Petitionsrechts
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Sitzung bekannt zu geben. Zugleich war der Petent davon zu unterrichten. Außerdem werden der Wortlaut der in das Register eingetragenen Petitionen sowie der Stellungnahmen des Ausschusses im Archiv des Europäischen Parlaments niedergelegt und können dort von jedem Abgeordneten eingesehen werden. 74 Im Jahre 1973 wurde zusätzlich geregelt, dass Petitionen, die nicht den Namen, den Beruf, die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz des Unterzeichners enthalten, abgelegt und mit einer Begründung hierfür dem Petenten mitgeteilt werden. Ebenso wird bei Petitionen verfahren, die nicht den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft betreffen. Besonders hervorzuheben ist, dass die vom Ausschuss für zulässig erklärten Petitionen entweder einfach abgelegt werden können oder versehen mit einer Stellungnahme vom Parlamentspräsidenten der Kommission oder dem Rat übermittelt werden. Das entsprechende Vorgehen wird in öffentlicher Sitzung bekannt gegeben. Außerdem wird der Verfasser der Petition über die darüber gefassten Beschlüsse und deren Gründe unterrichtet. 75 Eine sehr eingehende Regelung zu den Petitionen enthielt die Geschäftsordnung aus dem Jahre 1981.76 Nach Art. 108 Abs. 1 GeSchO hat jeder Bürger der EG das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten und Beschwerden (Petitionen) an das Europäische Parlament zu wenden. In Art. 109 GeSchO wird detailliert die Prüfung der Petitionen geregelt. Danach kann der Ausschuss über die von ihm als zulässig erklärten Petitionen beschließen, Berichte auszuarbeiten oder dazu in anderer Weise Stellung zu nehmen. Insbesondere bei Petitionen, die auf eine Änderung des geltenden Rechts gerichtet sind, kann er die Stellungnahme eines anderen Ausschusses einholen. Zur Prüfung der Petitionen kann er Anhörungen ansetzen bzw. Mitglieder zur Tatsachenfeststellung an Ort und Stelle entsenden, außerdem zur Vorbereitung seiner Stellungnahmen die Kommission bitten, Akten vorzulegen, Auskunft zu erteilen oder Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten. Der Ausschuss unterbreitet dem Parlament gegebenenfalls Entschließungsanträge über die von ihm beratenen Petitionen. Außerdem kann er die Übermittlung seiner Stellungnahme durch den Parlamentspräsidenten an die Kommission bzw. den Rat beantragen. Zugleich unterrichtet er das Parlament halbjährlich über die Ergebnisse seiner Beratungen sowie über die Maßnahmen, welche Rat bzw. Kommission hinsichtlich der übermittelten Petitionen ergriffen haben. Die Verfasser der Petitionen werden vom Präsidenten über die darüber gefassten Beschlüsse und deren Begründung unterrichtet.
74 75 76
ABl. EG 1960S. 1058. ABl. EG 1973 Nr. C 49 / 38 f. ABl. EG 1981 Nr. C 90/79 f.
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
Anhand der vorangegangenen Darstellung der Geschäftsordnungen wird deutlich, dass das zunächst nur rudimentär geregelte Petitionsrecht immer weiter ausgebaut wurde. Die Änderungen betreffen die Kompetenzen des fur die Petitionen zuständigen Ausschusses, die Einbeziehung des Parlaments und die Verbesserung der Stellung des Petenten. In der Geschäftsordnung von 1981 wurden erstmals die Untersuchungsbefugnisse im Zusammenhang mit Petitionen geregelt und die möglichen Reaktionen auf diese erweitert. Außerdem wurde explizit zum Ausdruck gebracht, dass den Bürgern ein Recht auf Einreichung und Behandlung von Petitionen beim Parlament zusteht.77 Die sehr detaillierte Regelung des Petitionsrechts im Jahre 1981 ist auf zwei Ursachen zurückzuführen. Einerseits kommt darin die hohe Bedeutung zum Ausdruck, die das Parlament dem Petitionsrecht beimisst. So ist es unter anderem in einer Entschließung aus dem Jahre 1977 für die ausdrückliche Anerkennung des Petitionsrechts im Blick auf ein „Europa für die Bürger" eingetreten. 78 Andererseits lag eine detaillierte Regelung des Petitionsrechts deshalb nahe, weil das 1979 erstmals direkt gewählte Parlament 79 bestrebt war, ein engeres Band zu den Bürgern in der Gemeinschaft aufzubauen. In der Literatur wird der Stellenwert der parlamentarischen Geschäftsordnungsbestimmungen zum Petitionsrecht unterschiedlich beurteilt. Für diejenigen, für welche das Petitionsrecht der Bürger zum Europäischen Parlament seit jeher auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz beruht, 80 haben diese Vorschriften lediglich deklaratorischen Charakter. Für eine konstitutive Wirkung haben sich dagegen diejenigen ausgesprochen, welche die Existenz eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes bezweifeln, weil nicht alle Mitgliedstaaten ein Petitionsrecht kennen 81 bzw. sich wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Petitionsrechts auf nationaler Ebene dessen Inhalt nicht bestimmen lässt.82 Der zuletzt genannten Meinung ist angesichts einer vor kurzem zum Petitionsrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten erstellten Studie beizupflichten. 83 Demzufolge 77
Baviera RMC 2001, S. 129 (130). ABl. EG 1977 Nr. C 299/26 f.; nach Meese, Das Petitionsrecht, S. 37 könnte Motiv für diese Entschließung gewesen sein, dass die Bürger im Falle einer ausdrücklichen Nennung des Petitionsrechts von diesem vermehrt Gebrauch machen. 79 Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 70; Niedobitek, Pläne und Entwicklungen, S. 17 ff.; Weber JZ 1993, S. 325 (327). 80 So auch Kadelbach, in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 20 Rn. 96. 81 So z. B. Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU- / EG-Vertrag, Art. 138d Rn. 1; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 79 (hinsichtlich der parlamentarischen Selbstverpflichtung). 82 S. zum fehlenden einheitlichen Standard im Sinne eines gemeineuropäischen Verfassungsrechts Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 11; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner GG, Art. 17 Rn. 13; Dollinger, in: Umbach/ Clemens, Grundgesetz I, Art. 17 Rn. 8; Bieber, Das Verfahrensrecht, S. 174 f. 83 Crespo , Le droit de pétition dans les pays de Γ Union européenne. 78
1. Zur Geschichte des Petitionsrechts
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kann das Europäische Parlament den Bürgern durch seine Geschäftsordnung substanzielle Rechte verleihen. Voraussetzung dafür ist, dass diese Rechte einen Bezug zu seiner Tätigkeit aufweisen und mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen.84 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 billigte der Europäische Gerichtshof „die dem Parlament zustehende Befugnis, über jede Frage zu beraten, die die Gemeinschaften betrifft." 85 In der Genealogie des Petitionsrechts ist des Weiteren die Einsetzung eines speziellen Petitionsausschusses durch das Europäische Parlament im Jahre 1987 hervorzuheben. 86 Dadurch sollte das Petitionsrecht gestärkt werden; zugleich wollte man so eine effektivere Behandlung der vermehrt beim Parlament eingereichten Petitionen gewährleisten. 87 Parallel zu einer Entschließung des Parlaments zu einer Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten, zu denen es auch das Petitionsrecht zählte,88 kam es am 12. April 1989 zu einem Briefwechsel zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. In diesem vertraten die Präsidenten der drei Organe unter anderem übereinstimmend die Auffassung, „daß das Parlament - wenn es angebracht ist - auch weiterhin bei in der Zuständigkeit der Gemeinschaft fallenden Fragen Anträge auf Unterstützung an die Kommission als Hüterin der Verträge richten oder sie ersuchen können muß, diese Anträge nach Prüfung an die betreffenden Mitgliedstaaten weiterzuleiten." 89 Da die Bestimmungen in der Geschäftsordnung des Parlaments immer nur dieses selbst, nicht aber die anderen Gemeinschaftsorgane binden können, 90 ist dieser Briefwechsel deshalb besonders bedeutsam, weil in diesem erstmals auch der Rat und die Kommission ihre Anerkennung der Petitionen zum Europäischen Parlament zum Ausdruck bringen. Es handelt sich dabei um eine interinstitutionel-
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Baviera RMC 2001, S. 129 (130); Bieber, Das Verfahrensrecht, S. 175; s. zur Zulässigkeit interner Regelungen mit Außenwirkung EuGH, Rs. C-58/94, Slg. 1996, S. 1-2169 (2189) Tz. 38; Rs. C-69 / 89 Nakajima, Slg. 1991, S. 1-2069 (2183) Tz. 49 f. 85 EuGH, Rs. 230 / 81, Slg. 1983, 255 (287) Tz. 39; s. auch Reich, Rechte des Europäischen Parlaments, S. 105. 86 ABl. EG 1987 Nr. C 46/ 37. 87 Bericht des Petitionsausschusses vom 18.3.1999, A4-0117 / 1999, S. 8; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 71; Meese, Das Petitionsrecht, S. 40: Bis 1975 wurden die Petitionen von den jeweils zuständigen Fachausschüssen behandelt, bis 1987 vom Ausschuss für Geschäftsordnung und Petitionen. In diesem Ausschuss sollten sämtliche Mitgliedstaaten repräsentiert sein, man erhoffte sich von ihm, ein persönlicheres Verhältnis zwischen Bürgern und Abgeordneten herstellen zu können. 88 ABl. EG 1989 Nr. C 120 / 56, s. Art. 23 Abs. 1: „Jeder hat das Recht, sich schriftlich mit Bitten und Beschwerden an das Europäische Parlament zu wenden;" s. zu dieser Erklärung Niedobitek, Pläne und Entwicklungen, S. 28 f. 89 ABl. EG 1989 Nr. C 120/90; ausführlich wird von Meese, Das Petitionsrecht, S. 41 ff. der lange Weg bis zum Zustandekommen dieser Vereinbarung geschildert. 90 Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 69; Meese, Das Petitionsrecht, S. 36.
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
le Vereinbarung. 91 Durch diese wurde - wie es auch schon der Adonnino Ausschuss 1985 vorgeschlagen hatte - 2 das Instrument der Petition aufgewertet. Allerdings sind die Passagen zur Unterstützung des Parlaments bei der Petitionsbehandlung durch Kommission und Rat wenig aussagekräftig, so dass gerade in diesem Bereich keine erhebliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand erreicht wurde. 93 Durch die Aufnahme des Petitionsrechts in die Gründungsverträge mit Wirkung zum 1. November 1993 hat es eine erhebliche Aufwertung erfahren. 94 Da die Bestimmungen des EG-Vertrags nur unter den erschwerten Voraussetzungen des Art. 48 EU geändert werden können, kann das Europäische Parlament nicht mehr alleine über die konkrete Ausgestaltung des Petitionsrechts befinden. So würde es sich vertragswidrig verhalten, wenn es - wie früher schon einmal geschehen - in seiner Geschäftsordnung den Kreis der Petitionsberechtigten auf Unionsbürger beschränken würde. Während man bis 1992 daran zweifeln konnte, ob das Petitionsrecht auf einem sämtliche Gemeinschaftsorgane bindenden allgemeinen Rechtsgrundsatz beruht, 95 wird seine Verbindlichkeit nunmehr für alle Gemeinschaftsorgane, aber auch die Mitgliedstaaten eindeutig ausgedrückt. Die Voraussetzungen des Petitionsrechts ergeben sich aus dem EG-Vertrag. Dadurch erlangen sowohl die Petitionsberechtigten als auch das Europäische Parlament als Adressat dieses Rechts eine gefestigte Rechtsstellung. 96 Ferner geht mit der Stärkung des Petitionsrechts die zunehmende Verantwortung und Verpflichtung des Parlaments wie der anderen Gemeinschaftsinstitutionen gegenüber den Bürgern einher, ihre Petitionen zu prüfen und angemessen weiterzubehandeln. 97 Durch die Regelung des Petitionsrechts in den Gründungsverträgen, die mit den Worten des Bundesverfassungsge-
91 Haag, in: von der Groeben / Thiesing / Ehlermann, EU-/ EG-Vertrag, Art. 138d Rn. 1; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 71; Magiera, in: Meyer, Die Charta der Grundrechte, Art. 44 Rn. 12; Meese, Das Petitionsrecht, S. 41. 92 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 7 / 85, S. 21. 93 Baviera RMC 2001, S. 129 (130); Meese, Das Petitionsrecht, S. 43. 94 So im Ergebnis auch Betz, FS für Hanisch, S. 25; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner GG, Art. 17 Rn. 10; dagegen gehen Koenig / Pechstein, Die EU, Kap. 9 Rn. 34 von einer eher klarstellenden Funktion aus. 95 S. zum fehlenden einheitlichen Standard im Sinne eines gemeineuropäischen Verfassungsrechts Bauer, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 11; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner GG, Art. 17 Rn. 13; Dollinger, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz I, Art. 17 Rn. 8; Bieber, Das Verfahrensrecht, S. 174 f. 96 So Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 72 aber allein in Bezug auf die Petitionsberechtigten; s. zum Parlament Erhart JRP 1997, S. 127; Marias ELR 1994, S. 169 (170); Phakos CDE 1993, S. 317 (333). 97 Stellungnahme des Petitionsausschusses für den Institutionellen Ausschuss, A3-0123 / 1992, Teil II, S. 154 f.
1. Zur Geschichte des Petitionsrechts
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richts „gewissermaßen die Verfassung der Gemeinschaft" darstellen, 98 wird seine Existenz klar sichtbar und seine Bedeutung besonders hervorgehoben. Wer nun erwartet, infolge der primärrechtlichen Verankerung des Petitionsrechts hätte die Diskussion um seine nähere Ausgestaltung ihr Ende gefunden, wird enttäuscht. Eine eingehende Diskussion zu diesem Recht gab es wieder anlässlich der Erarbeitung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 99 in deren Art. 44 GRC ein Petitionsrecht in einer gegenüber Art. 194 EG etwas gekürzten Fassung vorgesehen ist. 1 0 0 In der Zwischenzeit hat das Europäische Parlament in mehreren Punkten einen Änderungsbedarf im Hinblick auf das Petitionsrecht festgestellt. Sie reichen von Maßnahmen zur Sicherstellung einer schnelleren Petitionsbehandlung101 über eine Änderung der interinstitutionellen Vereinbarung von 1989, 102 der Berücksichtigung der neuen Informationstechnologien 103 bis hin zu der Forderung nach einer Ergänzung des Art. 194 EG, wonach das Europäische Parlament, die Kommission und der Rat zur Verhinderung der Verletzung weiterer Rechte des Bürgers im Mitentscheidungsverfahren die betroffene Gemeinschaftsvorschrift formulieren können sollen. 104 Ebenso wie man es von der Genealogie des Petitionswesens auf nationaler Ebene her kennt, 105 hat auch die Petition zum Europäischen Parlament keinen statischen Charakter, sondern ist ein „Instrument der Entwicklung." 106
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BVerfGE 22, 293 (296); EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, S. 1-6079 (6102) Tz. 21; s. zur Frage einer Verfassung für Europa Cromme DOV 2002, S. 593 ff.; Monnar, in: Magiera / Sommermann, Verwaltung und Governance, S. 29 ff.; Zuleeg Der Staat 41 (2002), S. 359 ff. 99 Nachweise dazu bei Hölscheidt EuR 2002, S. 440 (442 ff.); Magiera, in: Meyer, Die Charta der Grundrechte, Art. 44 Rn. 2 f. 100 Im Text des Art. 44 GRC wird nicht mehr erwähnt, dass Petitionen „einzeln oder zusammen mit anderen Bürgern oder Personen in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft fallen und die ihn oder sie unmittelbar betreffen," an das Parlament gerichtet werden können. Allerdings erfolgt nach Art. 52 Abs. 2 GRC die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische Union begründet sind, im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen. 101 Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg, S. 6, 12. 102 Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088 / 2001 endg, S. 14 f. 103 Bericht des Petitionsausschusses vom 17.7.2002, A5-0271 / 2002 endg, S. 10. 104 Bericht des Petitionsausschusses vom 27.11.2001, A5-0429/2001 endg, S. 6 (unter 1.). 105 S. dazu Graf Vitzthum, Das Petitionsrecht, S. 19 ff. 106 So der Bericht des Petitionsausschusses vom 19.3.2001, A5-0088/2001 endg, S. 9. Ursache dafür ist, dass die Petition in erheblichem Maße von den gerade vorherrschenden Rahmenbedingungen - seien sie nun tatsächlicher oder rechtlicher Art - abhängt.
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
2. Begriff der Petition Den Unionsbürgern wird zusammen mit weiteren Berechtigten in Art. 21 Abs. 1, 194 EG das Recht eingeräumt, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten, ohne dass in diesen Bestimmungen näher umschrieben wird, was eine Petition ist. Der Begriff der Petition wird demzufolge als terminus technicus verwendet, sein Inhalt als bekannt vorausgesetzt. Das Wort Petition geht auf den lateinischen Begriff petitio zurück, welcher mit den Substantiven Ersuchen, Bitte, Begehren, Anliegen übersetzt werden kann. 107 A u f der InternetSeite des Europäischen Parlaments zu den Petitionen findet sich gegenwärtig folgende Erläuterung: Die „Petition kann zum Gegenstand haben ein Anliegen von allgemeinem Interesse, eine individuelle Beschwerde oder eine Aufforderung an das Europäische Parlament, zu einem Thema von öffentlichem Interesse Stellung zu nehmen." 108 Im Jahre 1997 hat der Petitionsausschuss das Fehlen einer klaren Definition der Petitionen bemängelt. 109 Damals wurde vorgeschlagen, Petitionen als Aufforderungen zum Tätigwerden, zu einer Änderung der Politik, oder zur Abgabe einer Stellungnahme zu definieren. 110 Vergleicht man die heute anzutreffende mit der damals vorgeschlagenen Definition, fällt auf, dass wohl erwogen wurde, Beschwerden aus dem Petitionsbegriff herauszunehmen. Beschwerden enthalten Beanstandungen eines konkreten Verhaltens mit der Bitte, dieses abzustellen und zu ändern. 111 Im Unterschied dazu wird bei einer Bitte der Wunsch nach einem bestimmten Verhalten der Gemeinschaft bzw. ihrer Einrichtungen geäußert, zum Beispiel ein Vorschlag zum Erlass einer Rechtsvorschrift gemacht, der im Allgemeininteresse liegt. 112 Die zunächst intendierte Ausklammerung der Beschwerden aus dem 107 Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 17 Rn. 14; Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 58; ähnlich Juvénal, Les recours, S. 14; Rinken NordÖR 1998, S. 132. 108 Abrufbar unter http://www.europarl.eu.int/petition/help_de.htm. 109 Bericht des Petitionsausschusses vom 28.7.1997, A4-0190 / 1997, S. 9 f. In diesem wird zugleich auf eine im Jahre 1994 beschlossene, aber nicht umgesetzte Definition verwiesen, wonach unter Petition jede „Beschwerde, jedes Ersuchen um Stellungnahme oder jede Aufforderung zum Tätigwerden, femer Reaktionen auf Entschließungen des Parlaments oder auf Beschlüsse anderer Gemeinschaftsorgane oder -Institutionen, soweit diese Beschwerden etc. dem Parlament von Einzelpersonen oder Personenvereinigungen übermittelt werden," zu verstehen sind. 110 Bericht des Petitionsausschusses vom 28.5.1997, A4-0190 / 1997, S. 10 (unter 9.). 111 Betz, FS fur Hanisch, S. 13; Graf Vitzthum /März, in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht, § 45 Rn. 30; ähnlich Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner GG, Art. 17 Rn. 22; Magiern, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 4; Meese, Das Petitionsrecht, S. 49. 112 Betz, FS für Hanisch, S. 13; Brenner, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Das Bonner GG, Art. 17 Rn. 22; Magiera, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 45c Rn. 4; Meese, Das Petitionsrecht, S. 49.
2. Begriff der Petition
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Petitionsbegriff dürfte wahrscheinlich auf die Überlegung zurückgehen, dass der Europäische Bürgerbeauftragte nach Art. 195 Abs. 1 EG für Beschwerden über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft zuständig ist. Mit Recht hat das Europäische Parlament von einer derartigen Begriffsverengung abgesehen. Allein aus der Zuständigkeit des Bürgerbeauftragten für die Behandlung gewisser Beschwerden kann nicht zwingend die Unzuständigkeit des Parlaments für Beschwerden entnommen werden. Da sich gemäß Art. 194 EG Petitionen auf Angelegenheiten beziehen müssen, die den Petenten unmittelbar betreffen, eine derartige Betroffenheit aber vor allem bei Beschwerden vorliegen wird, deutet bereits der Vertragstext auf die Unrichtigkeit dieser Interpretation hin. 1 1 3 Die unterschiedlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Petition und den Zugang zum Bürgerbeauftragten sprechen dagegen, aus Art. 195 EG Rückschlüsse auf den Inhalt des Petitionsbegriffs zu ziehen. Die Rechte des Bürgers würden im Vergleich zum bisherigen Rechtszustand verkürzt, wenn er sich nur noch „über Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft" beim Bürgerbeauftragten beschweren könnte, ihm aber in anderen Angelegenheiten mit einem Gemeinschaftsrechtsbezug keine außergerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung stünde, weil das Parlament nur noch Bitten behandeln darf. Insbesondere die Beschwerden ermöglichen es dem Parlament, sich ein Bild von den alltäglichen Problemen der Bürger zu verschaffen. Wegen des fließenden Übergangs zwischen Bitten und Beschwerden ist der Zuständigkeitsbereich des Parlaments im Zweifel eher weit zu ziehen. 114 Weil das Europäische Parlament in seiner Geschäftsordnung von 1981 und auch in späteren Äußerungen das Petitionsrecht immer wieder als Recht aufgefasst hat, sich mit Bitten und Beschwerden an es zu wenden, 115 hätte eine hiervon abweichende Konzeption des Petitionsbegriffs unter anderem bei Einfügung der Art. 138d, 138e EGV deutlich gemacht werden müssen. Auch auf mitgliedstaatlicher Ebene 116 - unter anderem in Deutschland - werden unter Petitionen Bitten und Beschwerden an bestimmte Stellen verstanden. 117
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S. auch Hamers, Der Petitionsausschuß, S. 74. Betz, FS für Hanisch, S. 13; Meese, Das Petitionsrecht, S. 48; die letzten zwei Argumente werden vor allem in Portugal gegen eine Beschränkung der Petitionen auf Bitten ins Feld geführt, s. Crespo, Le droit de pétition, S. 126. 115 Art. 108 Abs. 1 GeSchO EP 1981, ABl. EG 1981 Nr. C 90 / 79 f.; s. zu Art. 23 ABl. EG 1989 Nr. C 120/56. 116 S. auch Dänemark Crespo, Le droit de pétition, S. 26; Griechenland Crespo, a.a.O., S. 58; enger Italien Crespo, a.a.O., S. 88 „des pétitions pour demander des dispositions législatives ou exposer des nécessités communes." 117 In diese Richtung Hamers , Der Petitionsausschuß, S. 74; wie hier im Ergebnis Magiera, in: Meyer, Die Charta der Grundrechte, Art. 44 Rn. 7. 114
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III. Das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament
Festzuhalten bleibt somit, dass Petitionen zum Europäischen Parlament Bitten oder Beschwerden enthalten, mit denen es sich inhaltlich auseinander setzen soll. Um die Kontaktaufnahme mit dem Parlament nicht unnötig zu erschweren, muss das Anschreiben an dieses nicht notwendig mit der Überschrift „Petition" versehen sein. 118 Es reicht, wenn sich durch Auslegung des Begehrens der Wille des Bürgers zur Einlegung einer Petition ergibt. Keine Petition liegt vor, wenn eine Person in einem Schreiben an das Parlament lediglich ihren Standpunkt darlegen will, ohne eine Befassung des Parlaments und eine entsprechende Antwort zu wünschen. 119 Obwohl einfache Auskunftsersuchen eine Aufforderung zu einem Tätigwerden enthalten, 120 werden sie nach den gegenwärtigen Internetangaben des Europäischen Parlaments vom Petitionsausschuss nicht behandelt. Weil es dem Einzelnen bei derartigen Ersuchen in der Regel weder um die Erlangung außergerichtlichen Rechtsschutzes noch um eine Teilnahme an der Willensbildung auf europäischer Ebene geht, ist das Petitionsrecht nach seinem Sinn und Zweck nicht einschlägig. 121
3. Petitionsarten Auch auf europäischer Ebene unterscheidet man verschiedene Kategorien von Petitionen. Bereits im Vertragstext (Art. 194 EG) ist die Unterscheidung zwischen einer Individualpetition und den von einer Vielzahl von Personen getragenen Petitionen angelegt. Eine Individualpetition wird von einer Person allein erhoben. Häufig haben Individualpetitionen Beschwerden zum Gegenstand, 122 können aber natürlich auch Bitten zu allgemeinen Themen enthalten. S