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German Pages 288 Year 2021
Transitzonen zwischen Literatur und Museum
Transitzonen zwischen Literatur und Museum
Herausgegeben von Matteo Anastasio und Jan Rhein
ISBN 978-3-11-069151-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069156-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069162-7 Library of Congress Control Number: 2021936031 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Gettyimages / pixonaut und fpm Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Matteo Anastasio und Jan Rhein Einleitung 1
Ausstellungen schreiben, Ausstellungen lesen Jean-Max Colard Vom Ausstellungsvorwort zur Ausstellung als Vorwort
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Heike Gfrereis Literarische Erfahrung im Museum oder: Wie man in einer 37 Literaturausstellung lesen kann Cornelia Ilbrig Stufen der Besucheraktivierung – Ein Ausstellungsentwurf zur frühromantischen Programmzeitschrift Athenaeum 65
Museumrepräsentation und Repräsentation im Museum Maria Gregorio Reading a Literary Mind Map through European Exhibitions and Museums: A Visitor Testimony by a Member of the International Committee of Literary and 95 Composers’ Museums (ICLCM) Volker Jaeckel Umkämpfte Kunst: Das Prado-Museum während des Spanischen Bürgerkriegs 113 1936 – 1939 in Theater, Film und Roman
Medienkonkurrenz und -überschreitung Marco Thomas Bosshard Architektur vs. Literatur? Inszenierung, Hierarchisierung und Marginalisierung von Literatur: Eine Analyse der Ausstellung im spanischen Ehrengastpavillon auf der Frankfurter Buchmesse 1991 135
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Inhalt
Jan Rhein Licht und Literatur: Jean-Philippe Toussaints transmediale 163 Museumskritik Vanessa Zeissig „A Room is not a Book“: Szenografie als Brücke zwischen Literatur und Museum 189
Literaturszenarien und Ausstellungsräume Sophie Soccard Murders in a Museum: Agatha Christie’s Greenway and the Reconstruction of 215 her Work Universe Barbara Schaff “Jane Austen in 41 Objects”: How Literary Museums Narrativise Authors and Objects 227 Matteo Anastasio Stadtliteratur ‒ Museumsstadt: Fernando Pessoas Lissabon in Werk und Ausstellung 243 Autor·innenverzeichnis Personenregister Sachregister
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Museen und Institutionen
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Einleitung
Von der (Kunst‐)geschichte über die Ethnologie bis zur Medienwissenschaft, der Kultursemiotik, der Theaterwissenschaft: Seit dem „Boom der Museumsforschung“ (Baur 2010a, 7) Mitte der 1980er Jahre beschäftigen sich sämtliche Bereiche der Kulturwissenschaften mit Museen und Ausstellungen. Auch die Literaturwissenschaft interessiert sich seither immer mehr für das Thema. So gerieten zunächst Dichterhäuser und Literaturmuseen (vgl. u. a. Lange-Greve 1995; Kussin 2002), später auch innovative, außermuseale und multimedial gestaltete Ausstellungskonzepte in den Fokus einer von breitgefassten ästhetischen Fragen geprägten Debatte. „Was leisten Museen für die Vermittlung und Rezeption von Literatur?“ und „Kann man überhaupt Literatur ausstellen?“ (Barthel 1984; Zeller 1984; Beyrer 1986) fragte man zunächst eher skeptisch. Heute, da über die Ausstellbarkeit der Literatur meist eine Art Konsens besteht, erweitert sich das Forschungsfeld um neue theoretische und methodologische Ansätze. Ausgehend von der Frage, wie Literatur ausgestellt werden kann, widmet sich die Forschung der letzten Jahre der „Fülle an Möglichkeiten zur Präsentation von Literatur“, dem „Methodenpluralismus“ (Kroucheva und Schaff 2013) des Ausstellens und der künstlerischen Kreativität (Kutzenberger 2013), die damit verbunden ist. Sie fragt nach strukturellen Beziehungen und „Interaktionsformen“ (vgl. Régnier 2015) zwischen Literatur und Ausstellung, sowie nach semiologischen und narratologischen Berührungspunkten (Bal 2002, 117– 145, Buschmann 2010, Metz 2011). Diese Perspektiven erlauben es, Ausstellungspraktiken neu zu denken: in Bezug auf Prozesse der Produktion und Rezeption von Literatur im Ausstellungsraum, des Schreibens und des Lesens jenseits des Buchs, sowie hinsichtlich des Potentials, das diese Praktiken für die Literatur besitzen. Viel früher als die Literaturwissenschaft haben sich Literat·innen mit Phänomenen des Ausstellens befasst, so Ende der 1930er Jahre Paul Valéry. Er fasste seine Überlegungen zur Gestaltung des von ihm mitkonzipierten Literatur-Pavillons auf der Pariser Weltausstellung 1937 in zwei kurzen Artikeln zusammen, „Présentation du ‚Musée de la littérature‘“ (Valéry 1960b) und „Un problème d’exposition“ (Valéry 1960c). Im Unterschied zur bildenden Kunst und zur Musik, die selbst schon „expositions“ seien, da sie sich zeigen und aufführen ließen, im Unterschied auch zu den Naturwissenschaften, die mit Geräten dargestellt werden können (Valéry 1960c, 1150), fällt es Valéry in Bezug auf die Literatur schwerer, die Frage zu beantworten, wie und mit welchen Mitteln deren Immaterialität, deren „esprit“ sichtbar zu machen sei. Als ausstellenswert erscheint ihm das literarische Manuskript, welches nicht nur den Ursprung eines Werks materiell darstelle, https://doi.org/10.1515/9783110691566-001
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sondern vor allem die Arbeit des Schreibens durch verschiedene Vorstufen illustriere, „all das Ringen um die Schöpfung eines Werks und um das Festhalten des Ungreifbaren“¹. Dieser Blick auf die Literatur im Werden, so hofft er, ermögliche den Besuchern, sich Fragen zu stellen: „Wie, wird er sich fragen, und warum solche Anstrengungen für ein so vergebliches Unterfangen?“². In der Thematisierung der Paradoxie des Literaturausstellens (vgl. auch Valéry 1960b, 1145 – 1146) liegt schon eine genuin literarische Ausstellungsreflexion. Gegenüber dem ausgestellten Objekt hält Valéry eine Vergeblichkeit des Ausstellens von Literatur fest: Mehr als diese selbst ist die Arbeit zu sehen, die ihr zugrunde liegt. Die hier angedeutete „fatigue“ (Anstrengung) des Schreibens, die Suche nach einer konkreten sprachlichen Form, korreliert mit der „fatigue“ des Ausstellens und wird durch das Objekt selbst transportiert. Als „Autor-Künstler“ (vgl. Wetzel 2020), der die Ausstellbarkeit der Literatur problematisiert, ist Valéry nicht nur mit praktischen Herausforderungen konfrontiert, sondern mit dem Status und den Voraussetzungen zweier konkurrierender Felder, der literarischen Tätigkeit auf der einen Seite und der neuaufkommenden Ausstellungsmode seiner Zeit auf der anderen. Mit der Zusammenführung von Ausstellung und Literatur ergibt sich also auch eine Neusituierung des Autors:³ Der Poet, der Romancier, der Philosoph, der Historiker müssen hier eins werden. Allerdings darf man wohl sagen, und damit möchte ich schließen, dass die Ausstellung selbst in ihrer Gesamtheit […] angesichts des Geists, in dem sie konzipiert wurde, und der Bemühungen der Vorstellungskraft, die sie gekostet hat, Geschichte, Philosophie und Poesie einschließt.⁴
Das Ausstellen setzt für Valéry nicht nur konzeptuelles Wissen und Fachkenntnisse voraus, sondern ist eine literarische Arbeit: die des Imaginierens, des Dichtens und Erzählens. Nebenbei stellt sich die Frage, ob die „Présentation“ Valérys als Metatext zur Ausstellung, der gleichwohl in seinem Stil einen litera-
„[…] tout le drame de l’élaboration d’une œuvre et de la fixation de l’instable“ (Valéry 1960b, 1147). „Comment, se dira-t-il, et pourquoi tant de travail pour un projet si vain? Pour noircir du papier faut-il tant de fatigues?“ (Valéry 1960b, 1149). Wie auch Mieke Bal (1996, 2) ausführt, wird bei jedem Ausstellen nicht nur das Objekt ausgestellt, sondern auch das ausstellende Subjekt. „Le poète, le romancier, le philosophe, l’historien, ici, doivent se confondre. Toutefois, l’on peut bien dire, et c’est par quoi je terminerai, que l’Exposition elle-même tout entière implique […] par l’esprit dans laquelle elle a été conçue, par les efforts d’imagination qu’elle a nécessités, à la fois histoire, philosophie et poésie“ (Valéry 1960c, 1156).
Einleitung
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rischen Anspruch signalisiert, nicht selbst auch als Ausstellungsbestandteil zu sehen ist – mithin selbst eine „Transitzone“ bildet. Auch in der heutigen Debatte liegt das Augenmerk bei der Untersuchung des Themenkomplexes Literatur und Ausstellung meist auf der Ausstellungsseite. Dabei ist aber auch der Blick auf die Literatur durchaus produktiv, wie etwa Margret Westerwinters Aufsatzsammlung Museen erzählen (2008) und der 2020 erschienene Band Museales Erzählen (Stapelfeld et al.) zeigen.Westerwinter denkt Museumskonzepte mit Formen des Ausstellens und Sammelns in der Literatur zusammen und beschreibt „literarische und nichtliterarische, kulturelle und textuelle Produktionen […] als gleichberechtigte und aufeinander beziehbare Äußerungen eines kulturellen Imaginären“; sie begründet dies insbesondere im Sinne des new historicism, demzufolge museale Repräsentationen ebenso wie Texte als „Reflex[e] gesellschaftlicher Verhältnisse“ (Westerwinter 2008, 25) zu verstehen sind. Ihre Untersuchung beruht auf der Annahme, dass Museen in den von ihr behandelten Texten nicht nur eine „plotbestimmende“ Funktion besitzen können, sondern auch „über die textimmanente Ebene hinaus konstitutiv“ (Westerwinter 2008, 26) für ein kulturelles Imaginäres sind.⁵ Auch Museales Erzählen unterstreicht den in Texten angelegten, produktiven „Doppelcharakter des Museums als realer Ort und imaginärer Raum“ (Stapelfeld et al. 2020, 9). In Anlehnung an Foucaults Kritik der Moderne denken Stapelfeld, Vedder und Wiehl (2020) das Museum als Ort, dessen Ambition, die Welt auf kohärente Weise zu repräsentieren, letztlich eine Fiktion bleiben muss: „Diese Fiktion wird mittels musealer Techniken des Ordnens, Arrangierens und Klassifizierens hergestellt, die gleichzeitig rhetorische Operationen darstellen“ (Stapelfeld et al. 2020, 2– 3). Ausstellungen und Museen sind daher, so die Grundthese der Herausgeber·innen, literarischen Verfahren nah; so sehr, dass im neunzehnten Jahrhundert das Museum auch zu einem Motiv und Moment der literarischen Selbstreflexion wurde. Vor diesem Hintergrund untersuchen die Beiträge des Bandes Korrespondenzen zwischen literarischen und musealen Operationen des „Sammelns“: sowohl im Bereich der literarischen Inszenierung von Dingen und Räumen nach erkennbaren musealen Mustern, als auch hinsichtlich der Entstehung museumspezifischer Narrative in der Literatur vom neunzehnten Jahrhundert bis zur Gegenwart. Der vorliegende Band reiht sich in diese Denklinien ein und erweitert sie um Perspektiven, die das Museum bzw. das expositorische Dispositiv in seiner Ge-
Westerwinter bezieht sich hier auf Stephen Greenblatt. Vgl. auch die ähnliche Argumentation von Rosenthal und Ruffel (2010, 11), die für den Komplex „Literatur/Ausstellungen“ ebenfalls eine mehrdimensionale „analyse historique, sociologique et esthétique“ vorschlagen.
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samtheit zum Objekt einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung machen. Die Transfers zwischen Literatur und Museum sind keine in zwei Richtungen laufenden Einbahnstraßen – „deux voies“, wie es der Literaturwissenschaftler Philippe Hamon (2001, 84– 85) in seiner Untersuchung zu literar-musealen Zusammenhängen im neunzehnten Jahrhundert formuliert. Vielmehr sollen sie als gemeinsames Gebiet in den Blick genommen werden. Daher liegt der Fokus des Sammelbands zum einen auf den medialen und (kultur-)semiotischen Funktionen von Museen und Ausstellungen zur Vermittlung, Rezeption und Definition von Literatur. Zum anderen interessiert er sich für unter dem Begriff der „Systemkontamination“ (Rajewsky 2002) subsumierte Hybridisierungsphänomene, seien es museale Organisationsformen und Motive in der Literatur oder literarische Mittel in Museen. Die Beiträge situieren sich demnach allesamt in der Transitzone zwischen beiden Medien. Sie vereinen dabei Perspektiven aus verschiedenen Ländern, Philologien und Praxisfeldern.
1 Ausstellungen schreiben, Ausstellungen lesen Am Anfang stehen drei Untersuchungen, welche die Überschneidungen zwischen Literatur und Ausstellung aus produktions- bzw. rezeptionstheoretischer Perspektive betrachten und beide Felder zusammendenken. Der Literaturwissenschaftler und Kurator Jean-Max Colard (Centre Pompidou, Paris) analysiert das Ausstellungsvorwort als „diskursive, transmediale Form“ – ob im Kunstkatalog oder an der Wand eines Museumseingangs. Colard stellt Formen dieser Beziehung zwischen Buch und Raum in einem diachronen Querschnitt ab dem neunzehnten Jahrhundert dar. Dieser Überblick auf die Evolution von Ausstellung und Vorwort zeigt, wie die Grenzen zwischen beiden Formen immer mehr verwischen und wie sie aufeinander übergreifen. Hat zunächst die Kunstausstellung neue Textsorten wie Vorwort oder Katalog hervorgebracht, so endet Colards Analyse mit der Darstellung einer Gegenbewegung, der Übernahme literarischer Ordnungsprinzipien (das Vorwort, das Inhaltsverzeichnis) in den Ausstellungsraum: An Beispielen aus der französischen Gegenwartskunst verdeutlicht er, wie Künstler·innen ihre Ausstellungen zu Vorworten des eigenen Werks machen. Während sich Colard dem vom Ausstellungskontext geprägten Verfassen von Texten widmet, legt Heike Gfrereis (Literaturmuseum der Moderne, Marbach) den Fokus auf das Lesen in der und durch die Ausstellung. Der enge Dialog zwischen Literatur und Ausstellung sorgt, so Gfrereis, für neue literarische Erfahrungen. Literaturausstellungen bieten nicht nur Interpretationen des Textes, sondern können den Prozess des Lesens von Dichtung, die Rezeption von Syntax und
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Strukturen selbst reflektieren. Am Beispiel der Ausstellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie (Literaturmuseum der Moderne, 23. Mai 2020 – 1. August 2021) demonstriert Gfrereis, wie verschiedene Dimensionen des Lesens im Ausstellungsraum Berücksichtigung finden können. Die Ausstellung ist eine Versuchsanordnung, die nicht nur Antworten gibt, sondern auch Fragen stellt: Worauf richten wir beim Lesen unsere Aufmerksamkeit? Was lesen wir? Welche Sinne werden dabei aktiviert? Mit Blick auf literarische Erfahrungen entwickelt auch Cornelia Ilbrig (Goethe-Haus in Frankfurt am Main) ein Ausstellungsprojekt, in dessen Mittelpunkt die Stichworte „Interaktion“ und „Partizipation“ als neue Ausstellungsparadigmen (vgl. u. a. Wenrich und Kirmener 2016) stehen. In ihrem Aufsatz stellt Ilbrig den Entwurf einer hypothetischen Ausstellung rund um die frühromantische Zeitschrift Athenaeum (1798‒1800) vor. Die Ausstellung verbindet vordergründig „konventionelle“ Literaturobjekte, so etwa Zeitschriftenseiten, mit einem unkonventionellen, partizipatorischen Ausstellungsansatz, der auf die Mitarbeit der Besucher·innen und deren „Spurensuche“ baut. Die Ausstellung bezieht das Publikum in das Konzept ein und will Wissbegierde wecken. So wird etwa der in Athenaeum angekündigte Begriff der „Sympoesie“ erst durch die aktive Teilnahme der Besucher·innen und die Ergänzung von ausgestellten Versen veranschaulicht. Gemeinsam ist allen drei Beiträgen, dass sie zeigen, wie Diskurse und Diskursformationen im Museum sinnlich begreifbar – und räumlich begehbar – gemacht werden können. Im Lebendig-Halten vergangener Literatur liegt auch utopisches Potential, wie Ilbrig bezogen auf die Literatur der Frühromantik betont: „Kunst und Wissenschaft sind Stimuli für gesamtgesellschaftliche Veränderungen, da sie die Rezipienten zu Verhaltensänderungen anregen“.
2 Museumrepräsentation und Repräsentation im Museum Die Nähe von Literatur und Ausstellung wird auch aus historischer Perspektive sichtbar, etwa in der Entstehungsgeschichte des Museums aus dem Geiste der Enzyklopädie und dessen Organisation in „enzyklopädisch-textuelle[n] Strategie[n]“ (vgl. Baur 2010b, 21). Musealisierung bedeutet eine Verwandlung der ausgestellten Objekte, die zum Bestandteil eines übergeordneten, symbolischen Zusammenhangs werden: Als Bedeutungsträger können sie sich in einen grand récit (Lyotard 1979) einfügen, so etwa in eine im Museum erzählte Kunst- oder Nationalgeschichte. Die italienische Museologin Maria Gregorio (Mitglied des International Committee of Literary and Composers’ Museums) unternimmt einen
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Rundgang durch einige bedeutende europäische Bibliotheken, Literatur- und Büchermuseen und rekapituliert die Etappen, Formen und Räume des Literaturausstellens seit der Renaissance. Dabei arbeitet sie den Einfluss von Museen auf die Formation einer literarischen Landschaft im europäischen Kulturraum heraus. Die Gesamtheit dieser Institutionen zeichnet für Gregorio eine imaginäre Landkarte des europäischen Kulturerbes im doppelten Sinn: als Atlas von Gedächtnisorten und als „Mindmap“. Die von Gregorio analysierten Museen und Ausstellungen sind Beispiele europäischer lieux de mémoire. „Art of memory“ heißt in diesem Rahmen nicht bloß Sammeln, Deponieren und Archivieren, sondern bedeutet auch eine Kunst des Zeigens; gemeint ist demnach auch die Erzeugung eines „Image“ des Literarischen und damit die Einflussnahme des Ausstellens auf Rezeptionshaltungen von Besucher·innen gegenüber literarischen Werken. Museen spielen auch eine zentrale Rolle in der Definition und Abbildung von Identitäten (vgl. u. a. Karp und Lavine 1991, Muttenthaler und Wonisch 2007). Ihr Einfluss seit dem siebzehnten Jahrhundert hat den Umgang mit künstlerischen, kulturellen und politischen Realitäten geprägt, sodass gerade kulturkritische Perspektiven ohne eine Reflexion über Museen kaum zu denken sind. So skizziert Volker Jaeckel (Universidade Federal de Minas Gerais, Belo Horizonte) in seinem Beitrag am Beispiel eines der imposantesten Kunstmuseen der Moderne, des Madrider Prado-Museums, die Entwicklung eines literarischen und künstlerischen Metadiskurses über die Nation. Dieser handelt vom Museum als umstrittenes, „umkämpftes“ Symbol vom spanischen Bürgerkrieg bis über die FrancoDiktatur hinaus. Die von Jaeckel berücksichtigten Beispiele zeigen vielfältige intermediale Phänomene in unterschiedlicher Graduierung, so Formen der Ekphrasis, aber auch intermediale „Teilaktualisierungen“ (Rajewsky 2002) des literarischen Mediums durch Objekte der bildenden Kunst, etwa den Transfer von Gemälden in Erzähl- oder Theaterszenen. So wie historische Schlüsselmomente der Nation in der Reihung der Kunstwerke im Prado symbolisch organisiert werden, gewinnen in derartigen intermedial gestalteten Werken Figuren und Motive der Kunst und der Geschichte durch narrative, poetische und dramatische Mittel an neuer Bedeutung. Da das Prado-Museum ein Monument des kollektiven Gedächtnisses ist, stellen Adaptionen und Referenzen auch Positionen im Kulturstreit um den symbolischen Wert dieses Kulturerbes dar.
3 Medienkonkurrenz und -überschreitung Die vorangegangenen Beiträge verweisen auch auf die Rolle des Museums als Metapher und Symbol einer Kultur. Schon im neunzehnten Jahrhundert, dem „Jahrhundert der Ausstellung“ (vgl. Hamon 1989), nutzte man Formen der mu-
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sealen Repräsentation von Ländern auch in anderem Rahmen, insbesondere auf den Welt- (und Kolonial-)ausstellungen (Andermann und González Stephan 2006; Obergöcker 2016). Die Koppelung von Kunstobjekten an kulturelle Identitäten ist seitdem ein Erfolgsmodell, das inzwischen auch zu einer üblichen Strategie für die Vermittlung und Vermarktung von Kulturprodukten aller Art geworden ist. Dabei treten auch die Medien Buch und Ausstellung zueinander in Dialog und Konkurrenz. Wie Marco Thomas Bosshard (Europa-Universität Flensburg) am Beispiel des spanischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1991 zeigt, wird diese Tendenz auch in der Buchbranche deutlich. Im Mittelpunkt einer vom Ehrengast realisierten Literaturausstellung stehen Selbstrepräsentationen eines Landes. Sie schlagen sich in der visuellen und architektonischen Gestaltung des vom Gastland konzipierten Pavillons nieder. Bosshard fragt in seiner Analyse des spanischen Pavillons nach konzeptuellen Überschneidungen und Divergenzen zwischen heterogenen Medien, den jeweiligen Ansprüchen von Architektur und Literatur. Dabei verweist er durch die Analogisierung von spanischer Literatur- und Kunstgeschichte auf Korrespondenzen – und Konkurrenzen – zwischen architektonischen Elementen und Hierarchien innerhalb des nationalen Literaturkanons. Wie in einer Stierkampfarena, an die der Pavillon auch visuell angelehnt ist, stehen sich beide Medien gegenüber. Ein Beispiel für eine literaturwissenschaftliche Lektüre, die das Museum mitdenkt und zum Museum zurückführt, bietet Jan Rhein (Europa-Universität Flensburg) mit seinem Aufsatz, der das Erzähluniversum des Autors Jean-Philippe Toussaint beleuchtet. Toussaints Neon-Installation L’Univers war 2012 in einer vom Autor kuratierten Ausstellung namens Livre/Louvre zu sehen – deren Titel signalisiert bereits die explizit thematisierte Konkurrenz zwischen Literatur und Museum. Mit dem „Einzug der Neonröhren“ in den Louvre greift Toussaint auch eine gegenwärtige Museumskritik auf, die eine „Eventisierung“ des Museums durch Sonderausstellungen und Gastkurator·innen bemängelt. In einer von der Installation ausgehenden Lektüre des literarischen Werks Toussaints zeigt Rhein, wie eine in der Installation angelegte Ästhetik des „Aufscheinens“ mit dem literarischen Werk zusammenhängt. Daraus lässt sich einerseits ein Werkbegriff ableiten, der nicht mehr den einzelnen Text in den Mittelpunkt stellt, sondern erst als „literar-musealer Komplex“ ganz ersichtlich wird; andererseits impliziert dieses Aufscheinen auch eine Kritik des universalistischen Museums, für das der Louvre prototypisch steht. Aus dem Neben- und Gegeneinander der beiden Medien geht die Literatur selbst als eigentliche Siegerin hervor. Bezüglich des Konkurrenzverhältnisses zwischen den Medien steht am Ende des Kapitels gewissermaßen ausgleichend der Artikel von Vanessa Zeissig (Hochschule für bildende Künste Hamburg). Für Zeissig ist die Szenografie der
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Schlüssel zu einem „tatsächlichen Transfer“. Ihr Artikel verbindet Wissenschaft und Praxis auf doppelte Weise miteinander: in ihrer Argumentation, die auf breitem theoretischem Fundament steht, aber auch in ihrem Ausstellungsprojekt, das sich nicht als Literaturausstellung versteht, sondern als räumliche Auseinandersetzung mit dem Literaturausstellen. Raum ist der Schlüsselbegriff ihres Ansatzes, „nicht als Hülle für musealisierte Literatur, sondern als literarische Ausdrucksform“. Anhand einer Darstellung der von ihr konzipierten Pop-UpAusstellung A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur zeigt sie, wie die Literaturausstellung zu einem „eigenen Ort“ gegenüber Literatur und Ausstellungstheorie werden kann. Dies stärkt insbesondere den Status der Szenografie, die mehr ist als eine Erfüllungsgehilfin von Literatur oder Museum.
4 Literaturszenarien und Ausstellungsräume Reale und imaginäre Welten überschneiden sich in Ausstellung wie Literatur. Aufbauend auf den oben behandelten medialen, architektonischen und szenografischen Dimensionen, widmen sich die Aufsätze des letzten Teils jeweils dem Werk und der Ausstellung einzelner Autor·innen und deren Anbindung an reale Topografien. Der Dialog zwischen musealen, literarischen und realen Räumen steht demnach im Mittelpunkt. Orte wie Dichterhäuser, literarische Gedenkstätten, aber auch Städte und Landschaften, die allgemein in Verbindung zur Literatur gebracht werden, können durch den Einsatz von zusammengeführten – nicht konkurrierenden – expositorischen und literarischen Strategien auf ähnliche Weise inszeniert werden. Eine Verbindung von Literatur und Raum schlägt sich in der literarischen Repräsentation von Orten und in der davon profitierenden Vermarktung kulturtouristischer Ziele nieder – aber auch in der Rezeption von Literatur durch deren Verknüpfung an bestimmte Orte. Sophie Soccard (Le Mans Université) widmet sich dem Wohnhaus der Krimiautorin Agatha Christie in Greenway. Sie beschreibt das Museum unter Rekurs auf Gaston Bachelard als „domain of intimacy“, als begehbaren Raum der subjektiven Kreativität, und gleichsam als Ausgangspunkt von Erzählung. In diesem Museum bringen Besucher·innen und Autorin in einem Prozess des „touching and being touched“ einen gemeinsamen Erlebensraum erst hervor. Soccard führt dies mit den ausgestellten Objekten und Arbeitsmaterialien der Autorin zusammen, die als Zeugen des kreativen Prozesses zu resonanten Dingen werden: „here is where the author’s great work was written“. Sie zeigt damit den „Fetisch“-Charakter jedes Exponats (Scholze 2004, 124– 127): Durch diesen lassen sich selbst „faktische“ Elemente in Ausstellungen im Grunde nur durch produktive Fiktionen als solche wahrnehmen.
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Dies führt zu der Frage nach dem Einfluss von Literatur auf die Konzeption von Museen und deren Rauminszenierung. Vor dem Hintergrund literarischer Werke, historischer Kontexte und Biografien untersucht Barbara Schaff (GeorgAugust-Universität Göttingen), wie Literaturmuseen eigene Narrative entfalten, die sich in Ausstellungstexten, Objekten und auch Räumen überlagern. So literarisieren Museen und Ausstellungen auch Exponate, die in ihrer Materialität eigentlich keine literarische Dimension besitzen. Dieses Potential zeigt sich besonders dann, wenn museale Objektpräsentationen und Raumkompositionen sich nicht auf das Vermitteln beschränken. Wie Schaff unter anderem am Beispiel des Emily Dickinson Museum in Amherst darstellt, können narrative Mittel in Museen die Imagination von Besucher·innen aktivieren und ihre Exponate zu einer „precondition for writing poetry“ machen. So können Literaturausstellungen und Museen auch zu neuen literarischen Werken inspirieren. Schließlich verweist Matteo Anastasio (Europa-Universität Flensburg) anhand des Werks Fernando Pessoas und dessen Rezeption auf die Stadt als Ausstellungsraum und zeichnet dabei eine komplexe Wechselbeziehung zwischen literarischer Topografie, Ausstellungsstrategien und city branding nach, welche Lissabon als „Stadt Pessoas“ musealisiert. Wie kaum ein anderer Autor gilt Fernando Pessoa als Ikone seines Landes und als Symbol seiner Heimatstadt. Die vielen verschiedenen Ausstellungsinitiativen rund um die Biografie und das Werk des Dichters stehen für einen kohärenten Einsatz literarischer Texte und expositorischer Mittel mit dem Ziel der Literarisierung des Stadtraums – und nicht zuletzt dessen touristischer Verwertung. Anastasio untersucht, welche parallelen Wirkungen Text und Ausstellung in Bezug auf die Stadtwahrnehmung erzielen. Er zeigt, wie durch die von Museen und Ausstellungen behauptete Beziehung zwischen dem Dichter und seiner Stadt der urbane Raum selbst zu einem Interpretationsschlüssel und Ordnungskriterium des Gesamtwerks Pessoas wird und konstatiert eine enge Bindung zwischen beiden Polen dieser Beziehung, sodass das pessoasche Werk heute ohne den Rückbezug auf Lissabon kaum lesbar ist. Die Analysen dieses Abschnitts zeigen die Rolle von Literatur zur Neudeutung von Räumen, aber auch das Potential musealer Verfahren für die Aktivierung literarischer Erfahrungen und deren Integration in Alltagsräume. Das kreative Ausstellen von Literatur im Raum bringt materielle, visuelle, begehbare Szenarien hervor, aber auch alternative Rezeptionsformen der Literatur, etwa durch Fantasie auslösende Objekte oder die Einladung zum Flanieren in der Stadt. Ein Beispiel für ein solches literarisches Objekt und einen literarischen Ort stellt auch der Eingang des Palais de Chaillot dar, der für die bereits erwähnte Pariser Weltausstellung 1937 erbaut wurde und heute mehrere Museen beherbergt. Es war wiederum Paul Valéry, der die bis heute daran zu findenden Inschriften verfasste.
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Der zweite der insgesamt vier Texte sei zum Abschluss zitiert, denn er ist ein weiteres Beispiel für eine Transitzone zwischen Literatur und Museum, zwischen Ausstellungs- und Stadtraum, außerdem ein ironischer, poetischer AusstellungsParatext, ein Appell an Besucher·innen, Leser·innen und Flaneur·innen, die sich an dieser Grenze befinden – und nicht zuletzt auch ein schönes incipit für dieses Buch: IL – DÉPEND – DE – CELUI – QUI – PASSE QUE – JE – SOIS – TOMBE – OU – TRÉSOR QUE – JE – PARLE – OU – ME – TAISE CECI – NE – TIENT – QU’A – TOI AMI – N’ENTRE – PAS – SANS – DÉSIR (Valéry 1960a, 1585)⁶
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Ausstellungen schreiben, Ausstellungen lesen
Jean-Max Colard
Vom Ausstellungsvorwort zur Ausstellung als Vorwort Aus dem Französischen von Jan Rhein¹
1 Einleitung Als Emile Zola von Édouard Manets Sohn gebeten wurde, eine „kleine biografische Notiz“ zu verfassen, die einen Katalog anlässlich der Gedenkausstellung zu Ehren Manets an der Ecole des Beaux-Arts de Paris einleiten sollte, ging der Autor des Rougon-Macquart-Zyklus über diese Anfrage hinaus und betitelte seine theoretische Reflexion zum Werk des Freundes als „Vorwort“ („Préface“) (Zola 1991a [1884], 449 – 458). Der Begriff taucht in Zolas Schriften einige Jahre später erneut auf, diesmal bezogen auf einen Marcellin Desboutin gewidmeten Text, der zeitgleich in einem Ausstellungskatalog und in Le Figaro (8. Juli 1889) veröffentlicht wurde: „Ich wollte ihm öffentlich meine Zuneigung bekunden, indem ich das Vorwort zum Katalog seiner Retrospektive schrieb“². Das Ausstellungsvorwort (préface d’exposition) ist eine wenig beachtete Textsorte, die seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts in der Kunstwelt verbreitet ist. Meist von Dritten und nicht vom Künstler selbst verfasst, trägt es zu einem Legitimationsprozess des ausgestellten Künstlers bei. „Es gab eine Hochphase des Ausstellungsvorworts“, wie Michel Butor kürzlich unterstrichen hat: Man konnte keine Ausstellung konzipieren, ohne sie mit einem Katalog zu begleiten, was seinerzeit noch keine imposante Monografie meinte, sondern eine kleine Publikation, die für diese künstlerische Veranstaltung entworfen wurde. Diese Praxis hat sich in den 1990er Jahren aufgelöst.³
Erstveröffentlichung: Jean-Max Colard. „De la préface d’exposition à l’exposition préface“. La préface. Formes et enjeux d’un discours d’escorte. Hg. Marie-Pier Luneau und Denis Saint-Amand. Paris: Classiques Garnier 2016. 359 – 385. Wir danken dem Autor, dem Verlag und den Herausgebern für die Veröffentlichungsgenehmigung. In der vorliegenden Übersetzung wird der im Französischen etwas offenere Begriff préface je nach Zusammenhang als „Einleitung“, „Einführung“ oder „Vorwort“ übersetzt (A.d.Ü.). „J’ai voulu lui donner une marque publique de sympathie, en écrivant cette préface pour le catalogue de son exposition rétrospective“ (Zola 1991b [1889], 462). „Il y a eu une époque de la préface d’exposition […]. On ne pouvait pas concevoir une exposition sans l’accompagner d’un catalogue, terme qui ne désigne pas alors une imposante monographie, mais une petite publication spécifique réalisée pour cette manifestation artistique. https://doi.org/10.1515/9783110691566-002
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Dieser selten untersuchte Legitimationsprozess hat eine unüberschaubare Menge an Texten hervorgebracht, die teils von sehr bekannten Autoren (von Zola über Mallarmé, Breton,Valéry, Aragon, Sartre, Genet, Ponge, Butor bis Duras), teils von bildenden Künstlern verfasst wurden; das Korpus ist umso komplizierter zu beschreiben, als es sich häufig um isolierte Texte handelt, die nicht immer in Bibliografien oder Werkverzeichnissen aufgeführt sind, und oft nur in kleiner Auflage erschienen. Es findet sich ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Ausprägungen: als Manifest („Manifeste du bon goût“, Picabia 2002a [1923], 129), „Besucherhinweis“ („Avis aux visiteurs“, Breton 1959), theoretischer Essay (Aragon 2011d [1930]) oder Vorwort-Studie („préface-étude“), „vermischte Notizen“ („Notes confusionnelles“, Hantaï 1958), „Variationen“ („Variations sur la céramique“, Valéry 1960b [1934]), aber auch als „Vorwort-Gedicht“ („poème-préface“) – sei es ein einziger Vers von Louis Aragon: „Die Vögel sind Zahlen“⁴ oder eine Litanei André Bretons über Man Ray: Le boussolier du jamais vu et le naufrageur du prévu Le capteur de soleil et l’exalteur d’ombres Le désespoir du perroquet Le dévideur de l’air en autant de serpentins de Riemann Le duveteur des raisins de la vue Le grand scrutateur du décor de la vie quotidienne Le joueur impassible Le matinier du goût Le pilote de ces cerfs-volants – lèvres et cœurs – au-dessus de nos toits Le plafonneur des élégances Le prince du déclic Le trappeur en chambre Mon ami Man Ray (Breton 2008c [1956], 1064)⁵
Es kann sich außerdem um das „spirituelle Testament“ (Herbin 1960) eines Künstlers handeln, einen Einladungsbrief an Künstler (Moisdon 2005 [2003],
Cette pratique s’est effacée dans les années 1990“ (Michel Butor, Interview von Jean-Max Colard, Paris 22. Mai 2013). „Les oiseaux sont des nombres“ (Aragon 2011a [1926], 19). „Der Kompassmacher des nie Gesehenen und der Kenterer des Vorhersehbaren / Der Sonnenkollektor und der Schattenanbeter / Die Verzweiflung des Papageis / Der Abwickler der Luft auf sovielen Riemannschen Serpentinen / Jener, der den Früchten des Sehens das Bett bereitet / Der Großinquisitor des Alltagsdekors / Der undurchschaubare Spieler / Der Frühaufsteher des Geschmacks / Der Pilot der Flugdrachen – Lippen und Herzen – über unseren Dächern / Der Verkleider der Feinheiten / Der Prinz des Auslösers / Der Trapper im Zimmer / Mein Freund Man Ray“.
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2– 3), eine posthume Hommage an „Tante Berthe“ alias Berthe Morisot von Mallarmé (2003 [1896]) oder Valéry (1960a [1926]), einen fiktionalen Bericht oder gar einen Science-Fiction-Text (Lanier 2002), auch um (häufig zu findende) Künstler-Interviews. Mit einem extremen, gleichwohl seltenen Fall eines bösartigkritischen „Vorwort-Pamphlets“ begleicht Aragon, der eingeladen war, über die 1928 in der Galerie Surréaliste ausgestellten Malereien Giorgio de Chiricos zu schreiben, alte Rechnungen der Surrealisten mit „diesem Monsieur, denn er ist ein Monsieur“ und dessen Kunst: „Hier, in einem Verkaufskatalog, stelle ich mit gewissem Vergnügen fest, dass die aktuelle Malerei des sizilianischen Metaphysikers ein schlechter, süßer Scherz ist“, und weiterhin wirft er de Chirico vor, „seine Kacke als Leuchtfeuer zu verkaufen“⁶. Auch Breton zeigte sich unbarmherzig gegenüber de Chirico, und eine bitterböse Bemerkung über ein späteres Vorwort illustriert, welche Bedeutung das Oberhaupt der surrealistischen Bewegung Vorworten für die Reviermarkierung beimaß: „Vgl. das Vorwort, das er für seine letzte Ausstellung (vom 4. bis 12. Juni [1927], bei Paul Guillaume) von dem unwürdigen Schwachkopf Albert C. Barnes hat schreiben lassen. Ich denke, das reicht aus, um ihn zu entthronen“⁷. Um diese Praktiken trotz ihrer Vielfalt untersuchen zu können, werde ich mich auf eine Frage beschränken, die es mir erlaubt, Ausstellungsvorworte aus eineinhalb Jahrhunderten zu berücksichtigen und die Krisen und Veränderungen zu analysieren, die dieses im Feld der Gegenwartskunst fest verankerte Genre betreffen. Ich stelle die Frage nach dem (manifesten oder diffusen) Verhältnis, das zwischen Vorwort und Ausstellung besteht. In welchem Maße führt uns das Vorwort tatsächlich in die Ausstellung und ihre Sprache ein? Ich verstehe also eine „Ausstellung“ nicht als Kulturereignis, sondern als eine Form, eine mögliche Sprache der Kunst – als das, was ein Sammelband „Ausstellungskunst“ (Trierweiler et al. 1998) genannt hat. Diese Reflexion findet in einem spezifischen Kontext statt: In der Gegenwartskunst wird besagte art de l’exposition immer wichtiger, und im Rahmen einer Neubewertung künstlerischer Praktiken wird die Ausstellung zur wichtigsten Kunstform unserer Zeit. Es ist ein Kontext, in dem Kunsthistoriker gerade erst anfangen, die Bedingungen des Ausstellens zu analysieren und eine „Geschichte des Ausstellens“⁸ zu schreiben; ein Kontext
„Ce Monsieur, car c’est un Monsieur“; „ici, dans un catalogue commercial, j’éprouve un certain plaisir à consigner que la peinture actuelle du métaphysicien de Sicile est une mauvaise plaisanterie gâteuse“; „[de] faire passer son caca pour des lanternes“ (Aragon 2011b [1928], 56 – 57). „Cf. la préface que, pour sa dernière exposition (du 4 au 12 juin [1927], chez Paul Guillame), il a laissé écrire par l’ignoble crétin Albert C. Barnes. Elle suffirait, je pense, à le déshonorer“ (André Breton in La revue surréaliste, 7 [1927] zitiert nach Breton 2008a, 1269). So etwa Glicenstein (2009) oder im anglophonen Raum Altshuler (2008).
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schließlich, in dem in den englischsprachigen Ländern curating studies und exhibition studies aufkommen, und in dem einige Kunstkritiker·innen und Kurator·innen für sich den Status der „Ausstellungsautor·innen“ in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund plädiert mein Beitrag für einen literatur- und intermedialitätswissenschaftlichen Zugang zu den curating studies und der Geschichte der Ausstellung.
2 Das Vorwort als (intermedialer) Übergang Das Ausstellungsvorwort als „Préface illusion“: Mit diesem zugleich Zauber und Täuschung evozierenden Begriff leitete Francis Picabia im Juni 1947 seine eigene Ausstellung in der Galerie Colette Allendy in Paris ein (Picabia 2002c [1947], 134). Das „bemitleidenswerte Geschwätz“ all jener ablehnend, „die sich in zweifelhafter Prosa abmühen“, stellt Picabia den lesenden Besucher·innen anhand von Sinnsprüchen einige seiner ästhetischen Prinzipien vor: „Der Ursprung meiner Werke liegt im Leben selbst“; „Es bedarf dieser wunderbaren Boshaftigkeit, ohne die es keine Perfektion gibt“. Noch entschiedener postuliert der Künstler seinen „Aufstand gegen die Herrschaft der neuen Werte“⁹. Damit macht der Text sich über literarische Vorworte lustig und spielt deren Spiel zugleich mit, eine durchaus bewährte Strategie. Wenn das Vorwort eine Illusion erzeugt, dann deshalb, weil die dadurch vermeintlich gebotene kritische Einordnung, die Erklärungen, die es zum Werk des Künstlers abgibt, unvermeidbar einen Sichtschutz zwischen Werk und Publikum spannen. Unter einem anderen Gesichtspunkt jedoch ist das Vorwort auch deshalb illusionserzeugend, weil es uns nicht auf einen Text vorbereiten soll, sondern auf eine Bilder- und Ausstellungswelt. Diese Eigenschaft des Vorworts erscheint wichtig; ich glaube, dass sie die Besonderheit seiner „Poetik“ ausmacht. Ist ein Vorwort in Allgemeinen ein Text aus Anlass eines anderen Texts, so weist das Ausstellungsvorwort die Eigenheit auf, uns zu einem anderen Medium, einer anderen Formsprache, einer anderen Kunst hinzuführen (sei es die Malerei, die Plastik, Videokunst oder „Ausstellungskunst“, wie sie sich insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert herausgebildet hat). Daher weist ein solches Vorwort nicht mehr die intertextuellen und intratextuellen Eigenschaften auf, die es im
„[…] pitoyable bavardage“; „qui se martyrisent dans une inquiétante littérature“; „De la vie, je tire l’origine de toutes mes œuvres“; „Il faut posséder cette merveilleuse méchanceté sans laquelle il n’y a pas de perfection“; „Insurrection contre le règne des nouvelles valeurs“ (Picabia 2002c [1947], 134).
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literarischen Kontext auszeichnen, sondern es lässt sich als eine diskursive, transmediale Form verstehen. Wie wir aber sehen werden, eröffnen uns solche Texte recht selten einen Blick auf die Ausstellung. Denn das Ausstellungsvorwort ist viel häufiger die Einleitung zu einem Ausstellungskatalog, weshalb man diese beiden Textsorten oft miteinander verwechselt. Und schon sind wir wieder im Kontext des Buches, dem wir doch eigentlich entkommen wollten. Das Vorwort besitzt also einen ambivalenten Status, es ist ein Zwischending zwischen den Feldern von Literatur und Kunst, und es wird von dieser Spannung belebt. Der einleitende Charakter des Vorworts wird dadurch gestört. Es trägt den Stempel der Literatur, verweist uns aber des Buchs: „Hier sein Werk“, schreibt Zola über Manet, „kommen Sie und urteilen Sie selbst“¹⁰. Die Leser·innen werden als Besucher·innen angesprochen. Diese Ambivalenz findet sich in vielen der Drucksachen wieder, die rund um eine Ausstellung publiziert werden: Anstelle eines Buches kann es auch ein Heft sein, ein einfaches Faltblatt, ein auf eine Einladungskarte gedruckter Text, oder ein Text, der dieser beigelegt ist, ein Ausstellungsmagazin oder eine zu dieser Gelegenheit von einer Galerie herausgegebene Zeitschrift. Die Formate dieser Publikationen können das Vorwort mehr oder weniger stark beschränken. Louis Aragon bevorzugt den längeren Essay gegenüber kleineren Drucksachen, und bemerkt dies in einem späten Text, der dem Maler Le Yaouanc gewidmet ist: „Heftchen-Vorworte sind nicht meine Stärke. Von dem, was ich hier schreibe, erscheint mir alles wie ein fauler Zauber“¹¹. Doch je mehr man an ein „Buch“ im Sinne eines umfangreichen Katalogs und nicht eines kleinen Falthefts denkt, desto mehr bewegt sich das Vorwort in Richtung einer „großen Monografie“ und desto größer wird seine Distanz zur Ausstellung. Nicht zuletzt zeigt sich dieser Zwischenstatus auch in einer geteilten Autorität: Die Veröffentlichung in Schriftform signalisiert die vom Schriftsteller verkörperte Legitimität, die Objekthaftigkeit der Publikation verweist auf die Dingdimension der Ausstellung. Wir erleben also ein Zusammenspiel von Textuellem und Visuellem, welches unterschwellig eine gegenseitige Anerkennung zwischen bildendem Künstler und Schriftsteller suggeriert. Denken wir an folgende Paare, die sich öffentlich zusammenfanden: Camus/Balthus, Ponge/Fautrier, Beckett/ Bram van Velde… Der Fall des Katalogs zur Giacometti-Ausstellung 1948 in New York ist besonders eindrücklich: War der Bildhauer (wie viele Künstler aus dem
„Voilà son œuvre“; „venez et jugez“ (Zola 1991a [1884], 451). „Les préfaces-prospectus ne sont pas mon fort. Tout ici me semble, dans ce que j’écris, escamotage“ (Aragon 2011g [1973], 572).
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Umfeld des Surrealismus) vor dem Krieg der allmächtigen Deutungshoheit André Bretons ausgeliefert – im Guten wie im Schlechten –, so baute er mit Jean-Paul Sartre eine gleichberechtigtere Beziehung auf. Nicht nur begleitete er die Publikation, ein wahrhaftiges Künstlerbuch; auch kommentierte und korrigierte er den von Sartre vorgeschlagenen Text. Außerdem veröffentlichte er, als Ergänzung zu Sartres Vorwort, seinen Brief an den Galeristen Pierre Matisse, einen für das Verständnis seines Werks essenziellen Text. Es handelt sich dabei, in den Worten Jean-Marc Poinsots, um einen „autorisierten Bericht“ (Poinsot 2008): Mehr als jedes andere Vorwort bildet diese Selbstdarstellung des Künstlers den maßgeblichen Referenztext zu seiner Arbeit und ordnet die literarischen Interpretationen Sartres ein. In anderen Fällen fußt die Autorität der Veröffentlichung darauf, dass sie Teil einer Schriftenreihe mit starkem Wiedererkennnungswert ist, als Markenzeichen einer Galerie: Eine solche Vereinheitlichung ist übrigens der Grund, weshalb sich zu Beginn der 1960er Jahre ein Künstler des Neuen Realismus wie Jacques de la Villeglé weigerte, sich in den „Katalog“ der Galerien Daniel Cordier und Maeght aufnehmen zu lassen, trotz deren damaliger herausragender Bedeutung.¹² Denn um solche Publikationen entsteht ein Dreieckshandel zwischen Künstler, Galeristen und Schriftsteller. So schließt Jean-François Revel sein Vorwort für Simon Hantaï mit einer Würdigung des Galeristen Jean Fournier: In einer Kultur, in der der Ausstellende mit dem Ausgestellten unbestreitbar eine geistige Einheit bildet, meine ich, dass es zu den bescheidenen Aufgaben des Vorwortschreibers gehört, dem Mentor genauso wie dem Künstler eine Referenz zu erweisen.¹³
Diese der Gattung eigene Standpunktlosigkeit verhindert natürlich ihre klare Situierung: Das Ausstellungvorwort hat keinen festgelegten Platz in einer Ausstellung. Es kann gemeinsam mit der Einladungskarte ins Haus kommen, häufig wird es im Ausstellungsraum gratis ausgegeben oder verkauft, in der Nähe des Eingangs oder auf einem Tisch der Galerie, und ist somit gleichzeitig mit der Ausstellung präsent. Es kann vor dem Besuch der Ausstellung gelesen werden, danach oder auch währenddessen, wodurch es die Funktion eines „Begleittextes“ einnimmt. Es kann auch an der Wand eines Museums abgedruckt sein, etwa am Ausstellungseingang.
Jacques de la Villeglé, Interview (von Jean-Max Colard), Mai 2013, Galerie Georges-Philippe et Nathalie Vallois. „Dans une civilisation où celui qui expose forme toujours avec celui qui est exposé un incontestable couple spirituel, j’estime qu’il entrait dans la mission insignifiante du préfacier de rendre hommage au mentor en même temps qu’au créateur“ (Revel 2013 [1967], 288).
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3 Wie schreibt man das Vorwort zu einer Ausstellung, die man nicht gesehen hat? „Es ist natürlich schwierig, über eine Ausstellung zu sprechen, bevor sie stattgefunden hat“¹⁴, bemerkt der Künstler Marin Kasimir. Diese Schwierigkeit stellt sich der Mehrzahl der Vorwort-Autor·innen wegen eines organisatorischen Details mit großen Folgen: Die meisten der Texte werden vor Ausstellungsbeginn verfasst, teilweise Monate zuvor,¹⁵ damit sie zur Vernissage veröffentlicht werden können. Sie werden also von Autor·innen geschrieben, denen die Werke nicht vorliegen, mit Distanz zur tatsächlichen Ausstellung. Das Vorwort eines Buchs ist oftmals ein Nachwort in dem Sinn, als es nach der Lektüre des Textes geschrieben wurde, den es einführt. Ein Ausstellungsvorwort ist hingegen ein der Ausstellung vorgelagerter Text. In diesem Sinne ist es tatsächlich ein Vor-Wort, da es geschrieben wurde, ohne die Werke tatsächlich in Augenschein genommen zu haben, und ohne die ästhetische Erfahrung der Ausstellung. Und das, obwohl „das allgemeine Problem einer Ausstellung“, wie Paul Valéry schon 1937 zu Recht schrieb, darin besteht, „etwas sichtbar zu machen: Es besteht darin, zusammenzustellen, sinnvoll erscheinen zu lassen und herauszustellen, was normalerweise verstreut ist“. Es sei „eine Frage der Auswahl, der Ordnung und des Aufbaus“.¹⁶ Eigentlich sollte die Einführung in eine Ausstellung uns zu genau dieser organisierten Zusammenstellung verstreuter Objekte eines oder mehrerer Künstler·innen hinführen. „Eine wichtige Zusammenstellung von Zeichnungen spanischer Frauen und Männer, die meine Handschrift tragen“, so Picabia¹⁷, „einige hier zusammengestellte Zeichnungen“, so Aragon¹⁸. Früher betonte man die nachträgliche Wirkung des Werks, den Werdegang des Künstlers: Als Vorwortschreiber zu Trente ans de peinture, einer 1930 bei Léonce Rosenberg gezeigten Ausstellung, unterstreicht Picabia: „Diese Gemälde entspringen keiner unreifen Entscheidung, sondern einer langsamen Entwicklung, die man in dieser Aus „Il est évidemment difficile de parler d’une exposition avant qu’elle n’ait eu lieu“ (Kasimir 1992, 35). Dieser Umstand wird selten erwähnt, ist aber üblich. So weiß man etwa, dass Louis Aragons Text zu Alain Le Yaouanc im November 1972 verfasst wurde, für ein Anfang Februar 1973 veröffentlichtes Katalogvorwort (Aragon 2011g, 573). „Le problème général d’une exposition […] est de faire voir: il consiste à assembler, à mettre en évidence et en valeur ce qui est ordinairement dispersé“; „affaire de choix et de mise en ordre et en place“ (Valéry 1960c [1938], 1145). „Un ensemble important de dessins de femmes et d’hommes espagnols, signés de moi“ (Picabia 2002b [1962], 129). „[…] quelques dessins réunis ici“ (Aragon 2011e [1947], 134).
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stellung nachvollziehen kann“¹⁹. Doch solche Kommentare sind selten und meist nur kurz. Sie sind sogar eher die Ausnahme, da die Ausstellung von den Vorwortschreibern oft übergangen wird. Damit berühren wir eine der großen Paradoxien des Ausstellungsvorworts: Das eigentliche Thema des Texts, die Ausstellung selbst, bleibt meistens unerwähnt. Der Text versucht dennoch in manchen Fällen, und wie gesagt recht selten, die Leser·innen und Besucher·innen für die Wirkung der Werke in ihrer Zusammenstellung zu sensibilisieren, sofern der Autor diese vorher im Atelier des Künstlers erleben konnte. „Einmal die Schwelle überschritten“, schreibt emphatisch Félix Fénéon im Jahr 1930, „wird man von den ungestümen Farben Emile Compards übermannt: Es ist der Tumult, der einem Konzert vorangeht, wenn von allen Seiten die einzelnen Klänge der Instrumente sich abstimmen, pur, kraftvoll, durchdringend; doch schon findet alles zusammen…“.²⁰ Nebenbei bemerkt, wird hier die Immaterialität der exhibition art deutlich: Zunächst wird die Vielfalt der Gemälde und Genres beschrieben, dann die stilistische Einheit der zusammengestellten Werke. Am anderen Ende des Jahrhunderts zeigt Marguerite Duras in einem ihrer seltenen Vorworte zu Kunstwerken eine sehr klare Vorstellung davon, was eine Ausstellung ist: Es gibt 14 Gemälde in der Ausstellung von Aki Kuroda. Sie scheinen sich zu ähneln. Diese Ähnlichkeit ist nur äußerlich, sie erlaubt es lediglich, diese Arbeiten aus drei Jahren zusammenzufassen. Die Gemälde ähneln sich nicht. […] Die 14 Werke nennt Aki Kuroda: Les Ténèbres [Die Finsteren]. Dieser Plural selbst ist die Ausstellung. Er steht für die Ausstellung selbst.²¹
Ein weiteres Beispiel: Anstatt die Ausstellung Trente toiles de Chagall zu besuchen und zu kommentieren, stellt Louis Aragon im Geiste seine eigene Ausstellung zusammen, ordnet die Gemälde des Künstlers nach der eigenen Eingebung neu: „[es] versuchen, sie anzuordnen, es wieder fallenlassen. Wenigstens dem Thema
„Ces toiles ne sont pas faites d’une décision prématurée, mais d’une évolution lente que l’on peut suivre dans cette exposition“ (Picabia 2002b [1930], 133). „Le seuil franchi“; „on subit l’impétueux assaut des couleurs d’Emile Compard: c’est le moment de tumulte qui précède un concert lorsque fusent de toutes parts, purs, riches, éclatants, les sons isolés des instruments qui s’accordent; mais déjà cette cohue se coordonne…“ (Fénéon 1970d [1930], 335). „Il y a quatorze toiles dans l’exposition d’Aki Kuroda. En apparence, elles se ressemblent. Cette ressemblance reste extérieure, elle permet seulement le regroupement du travail fait pendant trois années. Les toiles ne se ressemblent pas. […] Les quatorze toiles sont nommées par Aki Kuroda: Les Ténèbres. Ce pluriel-là, c’est l’exposition. Il exprime le fait de l’exposition“ (Duras 1996 [1980], 324).
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nach…“²². In antizipierenden Texten wird nicht ohne Grund häufig das Futur verwendet, so etwa bei Fénéon: „Man wird hier erkennen“, „der Blick wird fallen auf“ und „wie wird das Publikum von 1923 darauf reagieren […]?“²³. Nicht die Ausstellung wird vorgestellt. Vielmehr erweisen sich diese Texte in der überwiegenden Mehrheit als allgemeine, mehr oder weniger umfangreiche Einführungen in Werk und Ästhetik des ausgestellten Künstlers, oder zum übergeordneten Thema (Collage, bemalte Keramik…). So kommt es etwa dazu, dass derselbe Text André Bretons für mehrere unterschiedliche Ausstellungen desselben Künstlers verwendet werden kann.²⁴ Ein regelrechter Topos des Vorworts in monografischen Ausstellungsprospekten ist der Besuch des Künstlerateliers, eine Möglichkeit für den Autor, das Problem der noch nicht gesehenen Ausstellung zu umgehen; das Atelier erscheint als mythischer Ort einer Vorab-Enthüllung, welche dem Autor privat gewährt wurde, und die dieser anschließend mit der Öffentlichkeit teilt. Durch sein Schreiben reproduziert er künstlerisch die Neuheit, „im Lichte des nie Gesehenen“²⁵. „Sein Atelier“, schreibt Sartre über Giacometti, „ist ein Archipel, eine Unordnung, die uns unterschiedlich nahe rückt […]. An der Wand ist die Muttergöttin so nah wie eine Leidenschaft; wenn ich zurückweiche, kommt sie näher, sie ist am nächsten, wenn ich am entferntesten bin“.²⁶ Unter diesen Umständen ist das Vorwort tatsächlich eine Einführung ins Werk des Künstlers; es ist losgelöst von der Ausstellung, welche nur einen Umstand, eine Möglichkeit zur Veröffentlichung des Textes darstellt. Das Vorwort verfolgt somit andere Ziele und kann uns wahlweise Aufschluss über die Ästhetik, die Poetik oder die Interpretationen seines Autors geben. Breton gibt immer wieder den Anführer der surrealistischen Vereinigung, und wirbt mit autoritärem, legi-
„[…] essayant de les classer, y renonçant. Par le thème au moins…“ (Aragon 2011 f [1968], 516). „[…] on verra ici“ (Fénéon 1970b [1908], 248); „l’œil percevra“ (Fénéon 1970a [1904], 245); „quelle sera la réaction du public de 1923 […]?“ (Fénéon 1970c [1923], 328). Das ist etwa der Fall des Textes „Exposition des gravures d’Albagnac“, welcher auf der Einladungskarte zur Albagnac-Ausstellung in der Buchhandlung und Galerie Plaine, Saint-Etienne, Dezember 1961 abgedruckt, für die Eröffnung einer Ausstellung in der Galerie Parti-pris in Grenoble, Februar 1962, wiederverwendet und anschließend zu mehreren Anlässen nachgedruckt wurde (Breton 2008d [1961], 113). Man könnte auch den Einleitungstext „Envergure de Magritte“ vom 16. Februar 1964 nennen, der für den Katalog einer Magritte-Retrospektive im Arkansas Art Center, Little Rock, USA (15. Mai–30. Juni 1964) verfasst wurde, und im Katalog zur Ausstellung Magritte. Le Sens propre, Paris, Galerie Iolas, Paris, November 1964, wiederveröffentlicht wurde. „[…] dans la lumière du jamais vu“ (Breton 2008e [1953], 636). „Son atelier“; „c’est un archipel, un désordre d’éloignements divers […]. Contre le mur, la Déesse-mère garde la proximité d’une obsession; si je recule, elle s’avance, elle est au plus près quand je suis au plus loin“ (Sartre 2015 [1954], 347).
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timatorischen Gestus Künstler an, die dann für Uneinigkeit sorgen, so etwa Simon Hantaï oder Giacometti. Oder die, wie Magritte, mit einer kurzen Bemerkung am Ende des Vorworts widersprechen: „Um es mit einem naiven oder gelehrten Symbolismus zusammenzubringen, muss man schon ignorieren, was ich male“²⁷. Aragon nutzt sein Vorwort zu den Zeichnungen von Fougeron, über die er fast kein Wort verliert, zur Verbreitung eigener, drastischer Wertungen: „Einige der hier zusammengestellten Zeichnungen bilden von nun an die Bausteine eines gerade stattfindenden Vorgangs, die Zeugen eines Aufstands, vielleicht die Begründungen einer Anklage“²⁸ – Gedanken, die Breton bald selbst weiterführen wird, die den Künstler im Kampf für eine höhere Sache sehen, jener der Surrealisten oder des kommunistischen Aufbruchs. Steht die Beschreibung nicht im Dienst der Bilder, kann sie diese leicht übertönen. Man stößt hier auf Aspekte von Intertextualität, die wir zunächst im Hinblick auf eine Öffnung des Vorworts zu bildender Kunst und Ausstellung beiseitegelassen hatten. Denn tatsächlich ist das Vorwort natürlich in hohem Maße intratextuell eingebunden, da es integraler Teil eines Werks ist und dieses ergänzt. Zwei beispielhafte Fälle: Alain Robbe-Grillet nutzt seinen Text „Invasion blanche“, welcher die Ausstellung des amerikanischen Pop-Kultur-Skulpteurs George Segal in der Galerie Beaubourg beschreibt, als „Bindeglied zur Fiktion“ und greift ihn in einem späteren Roman wieder auf (Robbe-Grillet 1990; 1994). Und der Schriftsteller Jean-Charles Masséra, ein in den 1990er Jahren sehr aktiver Kunstkritiker, hat seine gesammelten Rezensionen nicht in einer Anthologie herausgegeben, sondern sie in einem Essay des Titels Amour, gloire et CAC 40 mit seiner Poetik verschmolzen, der sich nicht auf die Kunst beschränkt, sondern demonstrieren will, wie „einige zeitgenössische künstlerische oder filmische Ansätze die Kultur, das Wirtschaftssystem, die Mythen und Glaubenssätze bearbeiten, um die herum sich unser Dasein organisiert“²⁹. Schließlich ermöglicht die Distanz von Vorwort und Ausstellung, dass die Autoren sich zu lyrischen Höhen aufschwingen. Georges Perecs bekannter Ausspruch „ich bin keinesfalls Kunstkritiker“³⁰ ist eine alte Leier von Literaten, die sich nicht in die Reihe derjenigen fügen wollen, die zum Broterwerb schreiben.
„Il faut ignorer ce que je peins pour l’associer à une symbolique naïve ou savante“ (zitiert nach Breton 2008a, 1386). „Quelques dessins réunis ici deviennent par là même les pièces d’un procès en cours, les témoins d’une défense, les attendus peut-être d’un réquisitoire“ (Aragon 2011e [1947], 134). „[…] certaines démarches artistiques ou cinématographiques contemporaines travaillent la culture, le système économique, les mythologies et les croyances autour desquelles nos existences s’organisent“ (Masséra 1999, 9). „Je ne suis absolument pas critique d’art“ (Perec 1996, 196).
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Louis Aragon gibt für Kunstkritiker eine karikierende Definition: „[Sie] versuchen, die Zeichnung, die Malerei durch das geschriebene Wort zu ersetzen. Das nennt sich Kunstkritik, und soweit ich weiß, mache ich mich ihrer nicht schuldig“³¹. Wegen ihrer poetischen Spielereien stehen die Texte der Surrealisten einer solchen abwägenden, analytischen Kunstkritik fern. 1928 komponiert Aragon einen launigen Abzählreim, ein surrealistisches Bänkellied, das sich den Konventionen des Vorworts verweigert: Du sitzt im Café Du schreibst ein Vorwort zur Ausstellung des Malers Pierre Roy der in Nantes geboren ist wie jeder Deine Zähne kreuzen sich wie Schwerter […] nichts wird einen drittklassigen Refrain anhalten einen abgedroschenen Schlager die Schuppe die Güte Lesbos die Schuppe die Schuppe Charleston Schwerter ohne Blut und Kaffee du schreibst das Vorwort zur Ausstellung des Malers Pierre Roy. Der in Nantes geboren ist wie jeder. Wer ist in Nantes geboren? Pierre Roy wie jeder… […] und wenn alles fertig ist fängt man von vorn an. Du schreibst ein Vorwort zur Ausstellung des Malers Pierre Roy.³²
Der Text endet mit „Vive Félix Faure!“ und folgendem Satz: „Ich schreibe ein Vorwort für den Katalog zur Ausstellung des Malers Félix Faure“³³. Es ist mehr als nachvollziehbar, dass die Kunstkritiker dem Engagement von Autoren kritisch begegnen, denn sie stehen auf demselben Feld zueinander in Konkurrenz: „Unter uns“, vertraut der Galerist Pierre Matisse dem Maler Giacometti an, das Vorwort von Sartre, das mir gut gefallen hat, hat sie kalt erwischt. Diese Art geistiger Rege überrumpelt sie und sie gehen sofort in die Luft. Das Ziel des Vorworts, dem Publikum einen Künstler vorzustellen, ist für Kritiker eine Bedrohung.³⁴
„[…] essayer de substituer la parole écrite au dessin, à la peinture. Cela s’appelle la critique d’art, et je n’ai pas conscience d’en être coupable ici“ (zitiert nach Daix 1975, 422). „Tu es au café Tu écris une préface pour l’exposition du peintre Pierre Roy qui est né à Nantes comme tout le monde Tes dents se croisent comme des épées […] rien n’arrêtera un refrain de quatre sous une sale rengaine l’écaille la bonté Lesbos l’écaille l’écaille Charleston des épées sans sang et café tu écris une préface pour l’exposition du peintre Pierre Roy. Qui est né à Nantes comme tout le monde. Qui est né à Nantes? Pierre Roy comme tout le monde… […] et quand tout est fini on recommence. Tu écris une préface pour l’exposition du peintre Pierre Roy“ (Aragon 2011c [1928], 61). „J’écris une préface pour le catalogue de l’exposition du peintre Félix Faure“ (Aragon 2011c [1928], 61). „Entre nous“; „la préface de Sartre que j’aimais beaucoup les a pris à rebrousse-poil. Ce genre d’agilité mentale les prend au dépourvu et ils se cabrent, immédiatement. Le principe des préfaces pour introduire un artiste auprès du public est dangereux avec les critiques“ (Matisse 1948). Giacometti antwortet darauf: „Malgré tout je ne regrette pas que Sartre ait écrit la préface-étude où il dit beaucoup de choses très bien, un jour on aura la critique aussi“ [Trotz allem tut es mir nicht
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4 Ausstellungsvorworte in der Krise Solche Vorbehalte nehmen in den 1960er und 1970er Jahren zu, wodurch das alte Modell des Schriftstellervorworts in eine Krise gerät; dennoch hat es weiterhin Konjunktur, in Frankreich etwa im Umfeld der Galerien Maeght oder Jean Fournier, welche langjährige Beziehungen zur Literaturszene unterhalten. Für die Krise gibt es mehrere Gründe, die ich hier nur in groben Zügen nachzeichne: Zunächst bringen moderne Autonomiebestrebungen der Kunst, wenngleich stark umstritten, eine Aufspaltung der Neo-Avantgarden in ihre unterschiedlichen Felder (Literatur, bildende Kunst, Musik) mit sich. In einem antiexpressionistisch geprägten Umfeld lässt sich ein Erstarken des Konzeptualismus beobachten, der sich von der Literatur klar lossagt und – in einem immer mehr vom angelsächsischen Modell und von der analytischen Philosophie beeinflussten Umfeld – eine aus seiner Sicht überholte und sehr französische „écriture artiste“ in Misskredit bringt. Die Kunstkritik setzt sich vom literarischen Stil und expressiven Elan der 1950er Jahre ab, wie ihn der Kunstkritiker Pierre Restany noch Mitte der 1960er Jahre selbstbewusst zeigt, um sich eher an den Sozialwissenschaften zu orientieren. Dies bedeutet unter anderem, so etwa bei Rosalind Krauss, den Verzicht auf Metaphern zugunsten eines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit der Sprache. Als weiteres Beispiel kann man Sol LeWitt nennen, der betont: „Wenn man Worte künstlerischen Projekten voranstellt, werden sie Kunst und nicht Literatur“³⁵. Auch Victor Burgin unterstreicht, dass „Sprachkunst keine Literatur ist“³⁶. Dieser Argwohn findet sich in folgendem „apoème“³⁷ wieder, in dem der Künstler Bernar Venet verschiedene rhetorische Formen anhäuft, und dabei ironisch zwei Begriffe nebeneinanderstellt, die sich zueinander wie kritische Synonyme des jeweils anderen verhalten: A Propos de discours Oraison, harangue. Entretien, conférence. Allocution, proclamation. Toast, plaidoirie.
leid, dass Sartre dieses analytische Vorwort geschrieben hat, in dem er sehr viele richtige Dinge sagt, und eines Tages wird es auch noch eine Kunstkritik geben] (Giacometti [1948] zitiert nach Dufrêne 2007, 335 – 336). „Si l’on utilise des mots et qu’ils procèdent d’idées artistiques, alors ils font art et non pas littérature […]“ (LeWitt 2008 [1969], 440). „L’art linguistique n’est pas de la littérature“ (Burgin 2008 [1970], 413). Das Wort ist vom Titel des Katalogs inspiriert, in dem der Text abgedruckt ist (Venet 1999, 43).
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Homélie, réquisition. Conversation, causerie. Exhortation, interlocution. Palabre, tartine. Propos, prédication. Eloge, préface. Bavardage, oraison. Prêche, paraphrase. Sermon, speech. Laïus, exposé. Compliment, harangue. Déclaration ministérielle. (Venet 1999: 43)³⁸
„Eloge, préface“: diese Dopplung beschreibt passend den erwarteten (bzw. vorhersehbaren) Charakter von Katalogvorworten, in denen die Huldigung des Künstlers ohne jede kritische Überprüfung üblich ist. Der Schriftsteller wird also an die Ränder des Felds der Kunst zurück- oder abgedrängt, und dies umso mehr, als in den 1970er Jahren auch die Künstler selbst deutlich auf die Kunstkritik übergreifen und Paratexte in ihr Werk integrieren: Es ist die große Zeit der „statements“ von Konzeptkünstlern, welche über Sprache die Intention ihres Werks transportieren, so wie Douglas Huebler mit folgender manifest-artigen Verkündung: „Was ich sage, ist Teil meines Werks. Ich brauche keine Kritiker, um meine Arbeit zu kommentieren. Ich sage ihnen selbst, wovon sie handelt“³⁹. Es findet sich noch eine weitere Erklärung für das Verschwinden des Ausstellungsvorworts. Nachdem die (Kunst‐)Kritik in Misskredit geraten ist, wird sie in einer zweiten Krise des Vorworts präsenter, und es kommt zu einer Konkurrenz verschiedener Diskurse im Ausstellungsraum; beides ist im Zeichen eines generellen Bedeutungszuwachses von „Kommunikation“ zu sehen. Seit die Kunst Teil der Kreativindustrie ist, muss das Ausstellungsvorwort mit anderen vermittelnden Texten konkurrieren: Es werden Pressemitteilungen verschickt, die gelegentlich auch von einem Kunstkritiker verfasst und von der Galerie als Präsentationstext wiederverwendet werden. Und in öffentlichen Einrichtungen finden sich immer mehr pädagogische Begleittexte und Texte für das „Publikum“, weshalb hier die
„Zur Rede / Gebet, Festrede. / Interview, Vortrag. / Grußwort, Erklärung. / Toast, Plädoyer. / Predigt, Antrag. / Unterhaltung, Plauderei. / Ermahnung, Verhandlung. / Palaver, Gerede. / Äußerung, Verkündigung. / Eloge, Vorwort. / Geschwätz, Gebet. / Predigt, Umschreibung. / Sermon, Speech. / Sonntagsrede, Referat. / Kompliment, Festrede. / Ministererklärung“. „Ce que je dis fait partie de l’œuvre d’art. Je ne vais pas voir les critiques pour commenter mon travail. Je leur dis moi-même de quoi ça parle“ (Huebler 2008 [1969], 422).
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einleitenden Texte eher von den Einrichtungen selbst und ihren verschiedenen Abteilungen verantwortet werden – vom Chefkonservator bis zur Leitung der Museumspädagogik. An den Wänden steht oft ein Einführungstext des Museumsleiters oder Ausstellungskurators, ein Zitat des Künstlers, es finden sich aber auch weitere Paratexte wie etwa die Werbenachricht eines Ausstellungssponsors – und dies manchmal noch vor der Einleitung des Kurators. Es bleibt eine offene Frage, ob man derartige Einleitungstexte nicht auch als préface d’exposition bezeichnen müsste. So vervielfältigen sich die Paratexte, und die Ausstellung erscheint als ein mehrfach diskursives Feld, auf dem verschiedene Äußerungen miteinander konkurrieren: jene der Institution oder der Galerie, die noch offiziellere des Kulturministers, die des Mäzens, der Museumspädagogen, auch des Künstlers selbst und eventuell jene von Kunstkritikern, Schriftstellern oder Philosophen, welche selbst zum Teil der Kommunikationsstrategie der Ausstellung werden. Hinzu kommen in der Gegenwart weitere Formen des audiovisuellen Marketings, so etwa Ausstellungstrailer: Stark von der Filmsprache beeinflusst und Formen des TV-Spots zitierend, steht der Trailer – ob gewollt oder nicht – auch für die weitere Hinwendung der Kunstwelt zur Kulturindustrie und zur Unterhaltungsbranche. Die großen Museen wie das Guggenheim in New York, das Grand Palais oder das Centre Pompidou in Paris öffnen sich derartigen Formen immer mehr. Unter diesen Umständen ist es wenig verwunderlich, dass die Künstler sich auch selbst zunehmend dieser Ausdrucksmittel bedienen: Der Trailer ist auch ein Experimentierfeld – er ist zuvorderst ein kurzes Video und kann demnach künstlerisch gestaltet werden: So etwa durch Benoît Maire, der einen Trailer für seine Ausstellung „Weapon“ für die David Roberts Art Foundation in London gestaltet hat. Man sieht darin eine junge Frau, die Bilder auf einem Tisch betrachtet, diese mithilfe eines sonderbaren optischen Geräts in Augenschein nimmt, während in anderen Einstellungen zwei Hände einen halbtransparenten Würfel unter Strom setzen. Es ist ein packender Stummfilm; er ähnelt einem Making-of der Ausstellung, und kündigt letztlich nicht viel an, außer einer besonderen Stimmung und einem besonderen Fokus auf die Sichtweise und die Utensilien des Künstlers. Nebenbei bemerkt, sind Künstler nicht die einzigen, die sich von dieser „Kommunikationswut“ haben einnehmen lassen: In der anglo-amerikanischen Verlagsbranche gehört zu jedem Bestseller bereits der book trailer. In Frankreich ist dies noch eher selten der Fall; man muss sich hier bei etwas experimentierfreudigeren Autoren umsehen, etwa bei Jean-Pierre Ostende für seinen Roman Et voraces ils couraient dans la nuit (Gallimard, 2011), Jean-Charles Massera für das Musik-Buch Tunnel of Mondialisation (Verticales, 2011), oder bei Patrick Bouvet, dessen letztes Werk Pulsion Lumière (Editions de L’Olivier, 2012) von einem auf-
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wändigen book trailer begleitet wird. Diese Autoren übernehmen jedoch nicht nur Formen und Formate der société du spectacle, sondern verändern sie und machen sich Methoden des Kulturmarketings zu eigen.
5 Die Ausstellung als Vorwort Abschließend kommen wir zu einem gegenläufigen Modell und zu einer letzten Ausprägung des Ausstellungsvorworts: der Ausstellung als Vorwort (expositionpréface). Die préface ist nicht ausschließlich als textbasiert zu verstehen, sie kann auch bildlich, akustisch oder plastisch umgesetzt werden. Um mit einem „Werk als Vorwort“ zu beginnen: Die im Januar 2013 von dem libanesischen Künstler Walid Raad im Louvre konzipierte Ausstellung im neu eröffneten Pavillon des Arts de l’Islam (Raad 2013) trägt den Titel Préface à la troisième édition; es handelte sich um den ersten Teil eines in drei aufeinander folgenden Jahren stattfindenden Zyklus. In diesem ersten Teil zeigte der Künstler zwei Werke, die beide ohne reale museale Objekte auskamen, und die sich so vom Rest des Museums absetzten. In der sogenannten „Salle de la Maquette“ ließ der Künstler die Pläne verschiedener internationaler Museen im Raum zirkulieren und zeigte dazu ein Video, das seinerseits den Titel „Préface à une quatrième édition“ trug: Zu sehen ist darin eine Bilderfolge mit Schattenrissen verschiedener Objekte aus dem Louvre, welche der Künstler mit dekorativen, orientalisch konnotierten Illustrationen überdeckt hat. Warum heißt dieses Ensemble Préface à la troisième édition? Auch wenn es sich um die erste Ausstellung des Künstlers im Louvre handelte, verweist der Titel, wie oft bei Walid Raad, auf ein lange bearbeitetes Projekt, eine künstlerische Suchbewegung. „Seit einigen Jahren“, teilt der Louvre mit, stellt Walid Raad ein zunehmendes Interesse für Islamische Kunst fest, sei es in den Neuund Ausbauten der großen westlichen Museen, sei es in öffentlichen Sammlungen und neuen Kulturinstitutionen im Nahen Osten, wie man es gerade in Katar sehen kann, oder in Abu Dhabi, wo ein zweiter Louvre entsteht.⁴⁰
„Depuis quelques années“; „Walid Raad observe l’intérêt croissant dont le patrimoine des arts de l’Islam fait l’objet, aussi bien dans les réaménagements et extensions des grands musées occidentaux que parmi les collections publiques et les nouvelles infrastructures culturelles qui se multiplient au Moyen-Orient, comme on le voit actuellement avec le Qatar, ou Abu Dhabi où se construit un second Louvre“ (Musée du Louvre 2013, 1).
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Die im Jahr 2007 begonnene künstlerische Suchbewegung wird also mit jener neuen Etappe fortgesetzt, hin zum Ideal des Louvre, einem universellen Museum im Zeichen der Globalisierung und einer ökomischen Neuordnung im Orient. Als Vorwort oder Bericht aus der Zukunft über ein anderes, globalisiertes und arabisiertes Musée du Louvre, wie es in Abu Dhabi gebaut wurde, reicht es weit über die konkrete Ausstellung hinaus. Dafür spricht auch, dass die weiteren Werke oder Ausstellungen von Walid Raad, die sich mit dem Thema befassen, Titel tragen, die ebenfalls auf ein resümierendes Buch verweisen (Index, Preface to the Second edition, Introduction du traducteur, Appendix XVIII), als würde der Künstler eine neue und fragmentierte Enzyklopädie zur „Kunstgeschichte der arabischen Welt“⁴¹ erstellen. Die Ausstellungen folgen in einer künstlerischen Suchbewegung aufeinander, bei der das Buch zugleich die Vorlage bildet und grundsätzlich neugedacht wird. Kommen wir nun vom Werk als Einleitung zum Ausstellungsraum als Einleitung: Für seine Ausstellung Matières premières im Palais de Tokyo im Jahr 2012⁴² stellte der französische Künstler Fabrice Hybert in einem einleitenden Raum verschiedene Objekte zusammen – mehrere seiner „homöopathischen Gemälde“ (peintures homéopathiques) an den Wänden, in der Raummitte ein mit rotem Lippenstift bemalter Würfel von einem Kubikmeter Größe, außerdem handgeschriebene Inschriften, die sich über Wände und Leinwände erstreckten; der Künstler zeigt auf diese Weise ein Verzeichnis seiner Rohstoffe (matières premières). Man kann hier den etymologischen Ursprung von „Präambel“ wiederfinden, der im Verb praeambulare (lat. „vorwärtsgehen“) liegt. Hier geht der Ausstellung kein Text, sondern ein erster Ausstellungssaal voraus. Er verweist auf die folgenden Werke, bereitet die Besucher·innen auf die körperlichen Erfahrungen vor, die sie erwarten, und dient schließlich dazu, das künstlerische Gesamtkonzept zu verdeutlichen, welches die Ausstellung als „mentales Spa“ versteht. Die vorbereitende Funktion dieses Saals wird noch verstärkt durch den prozessualen und unabgeschlossenen Charakter der peintures homéopathiques, Werke, auf denen Fabrice Hybert verschiedene Projekte vorzeichnet. So erzeugt ein monochromes Gemälde aus rotem Lippenstift von einem Quadratmeter Größe, vom Künstler zu Studienzeiten realisiert, einen Bezug zu der von ihm „zwanzig Jahre später“ hergestellten, einen Kubikmeter großen Skulptur im Zentrum des
Zum Projekt Scratching on Things I Could Disavow: A History of Art in the Arab World, vgl. Ebersberger und Zyman 2011; online verfügbar: https://www.tba21.org/items/uploads/module_download/Raad_Scratching%20on%20things%20I%20could%20disavow.pdf (24. September 2020). Fabrice Hybert, Matières premières, Paris, Palais de Tokyo, 28. September 2012– 14. Januar 2013.
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Raums. Durch das Konzept unterstreicht dieses Vorwort, welches man durchschreitet und durch das man voranschreitet, die retrospektive Dimension eines Werks: Dieses steht immer noch im Zeichen der Ursprungsidee, stellt seinen Bezug zu den matières premières, den Ursprungsmaterialien, noch immer heraus, hat zugleich aber an Wirkkraft gewonnen. Ein zweites eindrückliches Beispiel einer Ausstellung als Vorwort zeigte der Künstler Pierre Huyghe in seiner großen Ausstellung namens Celebration Park ⁴³ im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris im März 2006. Die Vernissage und die offizielle Ausstellungseröffnung waren für Donnerstag, den 9. März angesetzt, doch bereits vom 2. bis 16. Februar 2006 fand ein „Prolog“ statt. Pierre Huyghe stellt die etablierten Konventionen des Kunstmilieus in Frage, indem er die normierte Zeitlichkeit des Ausstellungswesens aushebelt; er hatte eine einleitende Ausstellung konzipiert, bei der man sich vor den noch verschlossenen, großen Toren des Celebration Park bewegte. Der „Prolog“ bestand aus einer Reihe von „Deklarationen“ aus weißem Neon vor schwarzer Wand, in denen ein „Ich“ sich von seinen Autorenrechten lossagt: „Je ne possède pas le Musée d’art moderne“, „I do not own White Snow“⁴⁴. Das auf Copyright verzichtende Ich bleibt unklar (es könnte dem Künstler zugeordnet werden, aber nicht nur, sondern auch dem „Ich“ von Walt Disney selbst, oder von jedem anderen Autor) und schöpft aus Populärwie Hochkultur („Je ne possède pas Fictions“ ist eine Referenz auf Jorge Luis Borges), die weder ihm noch jemand anders gehört. Das juristische Vorbild dieser Verlautbarungen stammt aus den Randzonen der Literatur und des Internet: Pierre Huyghe hat sich von Disclaimern inspirieren lassen, jenen Haftungsausschlüssen, derer sich die Autoren von fan fiction im Internet bedienen: Wenn sie die Abenteuer ihrer bevorzugten Helden (Batman oder Harry Potter, um nur zwei von vielen Beispielen zu nennen) weiterschreiben, und sie in ungewöhnliche Abenteuer stürzen (so etwa die verbreitete Geschichte eines homosexuellen Batman, der in seinen Gefährten Robin verliebt ist), so müssen diese Fans eine Anzeige der großen Hollywoodstudios befürchten. Disclaimer erlauben es ihnen, jede Verantwortung für ihre Erfindungen und die geistige Urheberschaft von sich zu weisen. Der Prolog von Celebration Park greift diese Strategie auf und wendet sie vom Defensiven ins Positive: ein Manifest für kulturelles copyleft. Auch hier ist die préface von anderen kulturellen und medialen Formen durchsetzt (Internet-Disclaimer bei Huyghe, Filmvorspann oder Filmtrailer bei Paris, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris/ARC, 10. März–14. Mai 2006. „Prolog“ vom 2.– 16. Februar 2006. Die Anspielung verweist auf den Schneewittchen-Film von Walt Disney, aber auch auf den Titel eines früheren Videos von Pierre Huyghe: Blanche-Neige, Lucie (Frankreich, 1997), Super 16 mm und 35 mm, 4 Minuten.
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Hybert). Das alte, textbasierte Modell des Ausstellungsvorworts erstreckt sich auf andere Kunstfelder, sodass sich in ihm auch die zunehmende intermediale Öffnung der Literatur widerspiegelt.
6 Ausstellungen schreiben Und schließlich „Une Préface“: So der Titel einer Ausstellung, die im Kunstraum Le Plateau im Juni 2013 in Paris stattfand. Sie wurde von zwei jungen Kurator·innen konzipiert, Yoann Gourmel und Elodie Royer, die sich für ihre Ausstellungen regelmäßig auf textuelle Strukturen beziehen.⁴⁵ „Une Préface“ steht am Ende einer Reihe von vier Ausstellungen, mit denen das Plateau Gourmel und Royer für die Saison 2011– 2013 beauftragt hatte, und ist demnach der letzte Teil dieser Reihe. Das Projekt stützt sich auf die Vorstellung, dass ein Vorwort normalerweise nach der Lektüre des Textes geschrieben (und vor allem gelesen) wird, auf den es sich bezieht; nach dem Vorbild des Schriftstellers Laurence Sterne, der sein Vorwort zu Tristram Shandy im zehnten Kapitel des dritten Bands seines Romans platziert, haben Yoann Gourmel und Elodie Royer dieses einleitende Vor-Nachwort ans Ende ihres Zyklus gestellt. Mit Hilfe der Werke der ausgestellten Künstler·innen stellen sie ein Kunstkonzept in den Vordergrund, für das vor allem künstlerische Gesten und Haltungen zählen, und weniger das Endergebnis. Diese Reflexion wird noch weitergetrieben: Am Eingang von Le Plateau luden die beiden Kurator·innen ein Künstlerkollektiv ein, eine erste Ausstellung zu konzipieren, welche wiederum den Titel Epigraphe à une préface trägt. Und schließlich gibt es ein Vorwort zum Vorwort: ein kurzer narrativer Text des Künstlers und Schriftstellers Michael Crowe. Die Besonderheit dieser einleitenden Ausstellung besteht darin, dass sie uns – nachträglich – nicht einzelne Werke oder Werkgruppen nahebringt, sondern ein ganzes Ausstellungskonzept.⁴⁶ Durch dieses Dispositiv und die traditionellerweise mit dem Vorwort verbundene Legitimation, sei es im Bereich der Literatur oder der bildenden Kunst, positionieren die beiden Kurator·innen sich selbst als Ausstellungsautor·innen. Hat sich das Ausstellungsvorwort auch häufig auf Dis-
So haben sie 2009 einen Zyklus aus drei Ausstellungen konzipiert, die an die Kapitel eines noch zu schreibenden Buchs erinnerten: Chapitre I (les situations discrètes), Frac des Pays de la Loire; Chapitre II (la répétition), Parc de Rentilly; Chapitre III (les récits autorisés), Frac des Pays de la Loire. Diese Praxis ist nicht völlig überraschend: Immer öfter, wenn ein neues Museum, eine neue Galerie eröffnet oder eine neue Direktion ihren Dienst antritt, dient die erste Ausstellung der Ankündigung des Kommenden.
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tanz zu den Werken im Ausstellungsraum gehalten, so rückt die Ausstellung als Vorwort eine „Kunst der Ausstellung“ ins Licht, die noch immer um Anerkennung ringt.
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Trierweiler, Denis, Klüser, Bernd und Hegewisch Katharina (Hg). L’art de l’exposition. Une documentation sur trente expositions exemplaires du XXe Siècle. Paris: Editions du regard, 1998. Valéry, Paul. „Tante Berthe“ [Vorwort zum Katalog der „Exposition des pastels, aquarelles, dessins, crayons de Berthe Morisot“, Paris, Galerie Druet, 31. Mai–25. Juni 1926]. Œuvres. Bd. 2. Hg. Jean Hytier. Paris: Gallimard, 1960a. 1302 – 1306. Valéry, Paul. „Variations sur la céramique illustrée“ [Vorwort zum Ausstellungskatalog La Vie française illustrée par la céramique, Musée national de Sèvres, 1934]. Œuvres. Bd. 2. Hg. Jean Hytier. Paris: Gallimard, 1960b. 1352 – 1356. Valéry, Paul. „Présentation du ‚Musée de la Littérature‘“ [ursprünglich publiziert unter dem Titel „Préface“, Vorwort zum Katalog Ebauche et premiers éléments d’un Musée de la Littérature, Paris: Denoël, 1938]. Œuvres. Bd. 2. Hg. Jean Hytier. Paris: Gallimard, 1960c. 1145 – 1149. Venet, Bernar. „A propos de discours“. Apoétiques 1967 – 1988. Genève: Mamco, 1999. Zola, Emile. „Exposition des œuvres d’Edouard Manet“ [Vorwort zum Katalog der Exposition des œuvres de Edouard Manet, Paris, Ecole nationale supérieure des Beaux-Arts, 1884]. Ecrits sur l’art. Hg. Jean-Pierre Leduc-Adine. Paris: Gallimard, 1991a. 449 – 458. Zola, Emile. „Exposition de l’œuvre gravé de Marcellin Desboutin“ [Vorwort zum Katalog der „Exposition de l’œuvre gravé de M. Desboutin“, Paris, Galerie Durand-Ruel, 8. Juli– 14. August 1889]. Ecrits sur l’art. Hg. Jean-Pierre Leduc-Adine. Paris: Gallimard, 1991b. 459 – 463.
Heike Gfrereis
Literarische Erfahrung im Museum oder: Wie man in einer Literaturausstellung lesen kann 1 Einleitung Beim Nachdenken über Literaturausstellungen scheint ein Satz unausweichlich: Literatur könne man nicht ausstellen. Denn literarische Texte, so die Begründung, seien nicht für das Zeigen gemacht – anders etwa als Werke der bildenden Kunst. Sie entzögen sich durch ihren Umfang, ihre Gebundenheit an das Medium Buch und ihre sprachliche Disposition, die der Erfindung und Imagination zum Beispiel einer Geschichte diene, dem Ausstellen. Ihr Ziel sei eine bestimmte literarische Erfahrung: das identifikatorische, „immersive Lesen“ (Ryan 2001) von der ersten bis zur letzten Seite, der flow, das „deep reading“ (Birkerts 1994). Diese Begründung geht vom Roman als literarische Leitgattung aus, ignoriert aber viele andere Erscheinungsformen von Literatur, die kleine, unter anderem durch ihre bildhafte und überschaubare Gestalt definierte Form „Gedicht“ ebenso wie alle szenischmündlichen Ausprägungen wie Drama und Epos, Witz, Anekdote und Lied. Auch andere literarische Erfahrungen neben dem tiefen Lesen werden bei dieser Begründung ausgeblendet, etwa das „nahe Lesen“, das „ferne Lesen“,¹ das Querlesen, das diskontinuierliche, das abschweifende und das mit anderen Leser·innen vernetzte soziale Lesen. All diese literarischen Erfahrungen sind keine literaturfernen Konsequenzen des digitalen Wandels, sondern Folgen des Mediums Buch. Als „brillant-perverses Zwischenspiel in der langen Geschichte diskontinuierlicher Lektüre“ bezeichnet Peter Stallybrass (2002, 46 – 47) das sich neben Lesezirkeln, Exzerpiermethoden und Buchlesemaschinen herausbildende versunkene Lesen.² Ausgerechnet also mit der zunächst trivialen Gattung des Romans und ihrer undisziplinierten Lektüre entwickelt sich eine Vorstellung von der Literatur als etwas Ganzem, Großem und Tiefem, das nur durch eine asketische, stille und private Lektüre angemessen zu erfahren und zu verstehen sei. Löst man diese historische und ganz und gar nicht zwingende Gleichsetzung einer
Franco Moretti (2000 und 2013) stellt das „distant reading“ dem traditionellen „close reading“ gegenüber. Dazu auch Spoerhase 2015. https://doi.org/10.1515/9783110691566-003
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Gattung und einer bestimmten Form des Lesens auf, so werden Literaturausstellungen als Orte von besonderen literarischen Erfahrungen neu verhandelbar. Im Folgenden möchte ich einige dieser literarischen Erfahrungen beschreiben, die Leser·innen aus meiner Sicht besonders gut – und vielleicht auch nur – in Literaturausstellungen machen können. Die Beispiele dafür stammen aus der Ausstellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie (Literaturmuseum der Moderne, 23. Mai 2020 – 1. August 2021),³ die lyrische Texte offensiv als ausstellbare Texte in den Mittelpunkt stellt und mit ihren sechs Kapiteln die Besucher·innen zu unterschiedlichen literarischen Erfahrungen einlädt. Ich werde diese Ausstellung kurz vorstellen und nach einem theoretischen Exkurs zum Textverstehen aus kommunikationspsychologischer Sicht einige dieser literarischen Erfahrungen skizzieren.
2 Zählen: Hölderlin mit den Fingern lesen In dem so benannten Kapitel der Ausstellung von Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie ist das 1804 zum ersten Mal veröffentlichte Hölderlin-Gedicht Hälfte des Lebens als interaktives Poesiemodell mit zwei Ansichten (Text oder Struktur) und einem Klangkörper in den Raum gestellt, um allen Besucher·innen die vielfältigen Möglichkeiten zu eröffnen, mit denen wir Gedichte lesen können (Abb. 1):⁴ Gedichte gleichen Körpern, besitzen so etwas wie Oberfläche und Tiefe, Mitte, Ränder und Grenzen, Oben und Unten, Vorne und Hinten, sind Umriss, Schema und Füllung. Wir rücken ihnen, wenn wir uns mit ihnen näher beschäftigen, oft mit Fingern und Stiften zu Leibe und zählen Zeichen und Klänge, Buchstaben, Silben, Vokale, Versfüße, Reime, Wörter, Zeilen, Sätze, Figuren, Orte, Motive, Handlungsfäden und Bedeutungsebenen. Dieses poetisch-analysierende, zwischen Nähe, Tiefe und Ferne skalierende Lesen ist das Gegenteil zum flow und zur Exegese, zur Übersetzung eines Textes in einen Sinn außerhalb von ihm. Digitale Analysen von Hölderlins Gedichten ergänzen in dem Raum dieses Poesiemodell: Welche Wörter stehen bei Hölderlin am Versanfang, welche Reimwörter am Versende, was macht er mit Versgrenzen und Satzzeichen, welche Funktion haben Vokale und Konsonanten, Substantive, Adjektive und Verben? Drei Beispiele, die ich ausführlich wiedergeben möchte, um zu zeigen, wie da Konzept: Heike Gfrereis mit Vera Hildenbrandt und Michael Woll. Gestaltung: Diethard Keppler und Andreas Jung. Medien: blubb media. Möbel: Julian Lutz. Vgl. auch Deutsches Literaturarchiv Marbach. „Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie digital“. https://www.dla-marbach.de/museen/wechselausstellungen/hoelderlin-celan-und-diesprachen-der-poesie-digital/ (29. September 2020).
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Abb. 1: Zählen. Hälfte des Lebens als interaktives Poesiemodell.
durch Texte nicht nur als Datenreihe visualisierbar und damit auf neue Weise sichtbar, sondern auch noch einmal anders erfahrbar werden, weil wir sie abstrakter und zugleich greifbarer vor uns sehen und uns auch das bewusst wird, was wir sonst überlesen, nicht bewusst wahrnehmen oder für selbstverständlich halten. a) Satzzeichen strukturieren einen Text, lenken Betonungen und Pausen und sind entscheidend für den Sinn eines Satzes: „Er will sie nicht“ – „Er will, sie nicht“. Poesie kann im Unterschied zur Alltagssprache allerdings ganz ohne Satzzeichen auskommen und gewinnt dadurch an Klangmagie wie diese Stelle aus Goethes Faust II: Rege dich du Schilfgeflüster Hauche leise Rohrgeschwister Säuselt leichte Weidensträuche Lispelt Pappelzitterzweige Unterbrochnen Träumen zu (Goethe, Faust II, V. 7247– 7252, hier ohne Satzzeichen wiedergegeben)
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Der junge Hölderlin verwendet Satzzeichen, um die Versgrenzen zu betonen, aber auch, um mit Kommas, Ausrufezeichen, Fragezeichen und Gedankenstrichen den Wortfluss in einer Zeile zu unterbrechen und die Versgrenzen zu überschreiten. Diese komplexen und labilen Spannungen zwischen Vers und Satzbau lösen sich bei Hölderlin dann zunehmend auf: Vers- und Satzgrenzen fallen in eins (Abb. 2). Von Hölderlins 13.989 Verszeilen enden weniger als die Hälfte, nämlich 5.874 ohne Satzzeichen. 9.889-mal steht in ihnen ein Komma, 2.929-mal ein Punkt, 1.840-mal ein Ausrufezeichen, 663-mal ein Strichpunkt, 550-mal ein Gedankenstrich, 430mal ein Fragezeichen und 72-mal ein Doppelpunkt.⁵ b) Substantive sind einsam, Verben fügsam, Adjektive hilflos – so hat die dänische Schriftstellerin Inger Christensen (1997, 33 – 39) einmal die Beziehungsverhältnisse in unserer Sprache interpretiert. Reduziert man Hölderlins Texte auf die Haupt-, Tätigkeits- und Eigenschaftswörter, die in ihnen am häufigsten vorkommen, bleibt ein Gerüst einfacher und alltäglicher Wörter übrig (Abb. 3 – 5). Von insgesamt 21.788 Substantiven gehören 3.579 zu den 20 häufigsten. 351-mal verwendet Hölderlin Gott und Götter, 274-mal Mensch, 261-mal Leben, 260-mal Tag, 218-mal Herz, 206-mal Seele, 203-mal Geist, 193-mal Liebe, 191-mal Himmel, 184-mal Erde, 181-mal Zeit, 160-mal Vater, 136-mal Freude, 131-mal Auge, 118-mal Nacht, 114-mal Natur, 113-mal Kind, 96-mal Gesang, 95-mal Mann und 94mal Welt. 11.620 von Hölderlins Wörtern sind Verben, auf eine Grundform normalisiert finden sich dabei die Zustands- und Hilfsverben sein (1.767) und haben (236) am häufigsten, gefolgt von den Vorgangs- und Wahrnehmungsverben kommen (194), sehen (177) und gehen (169). Häufig sind auch Modalverben wie wollen (134), müssen (86), lassen (77), sollen (77) und können (69) sowie „poetische“ Verben, die zur direkten Rede eines Gedichts passen wie singen (96), sprechen (77) und sagen (72) oder auch zu seinem elementaren Gegenstand wie
Wir haben für diese Zeichen-, Form- und Wortanalysen alle in der Stuttgarter Ausgabe von Friedrich Beißner erfassten 424 Gedichte inklusive Plänen, Bruchstücken, Stammbuchblättern und zweifelhaften Zuschreibungen mit dem Computer durchsucht. Die Ergebnisse sind Näherungen und keine absoluten Zahlenwerte: Viele Gedichte, die Hölderlin nach 1805 schrieb, sind nicht erhalten; Beißners Edition verzeichnet weniger Gedichte als die von Sattler; bei der Texterfassung kann es wie bei der Texterkennung zu Fehlern kommen; bei der Suche nach Wortstämmen erkennt man Wörter nicht, die zur Wortfamilie gehören, aber den Stamm verwenden (zum Beispiel sprechen – gesprochen, gold – gülden), und man findet Wörter, die gleich lauten, aber inhaltlich unterschiedlich sind (zum Beispiel die Farbe Gold und das Edelmetall Gold), wobei in der poetischen Sprache oft gerade die Assoziationen zwischen diesen Wörtern unsere Vorstellung prägen (Ovids nach dem Edelmetall bezeichnetes „Goldenes Zeitalter“ wird zum Beispiel mit „goldenem Licht“ assoziiert) und der Reiz der Metaphern in ihrer Doppeldeutigkeit liegt (wird zum Beispiel der „Schwan“ als Bild für den Dichter verwendet, so ist er in unserer Phantasie dennoch auch ein Schwan).
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Abb. 2: Hölderlins Satzzeichen und Versgrenzen im historischen Vergleich. Oben: „Klagen an Stella (1787, die ersten drei Strophen)“, unten: „Die Aussicht (1843)“.
leben (113) und lieben (81). Von 9.639 Adjektiven, die bei Hölderlin vorkommen, gehören 2.005 zu den häufigsten 20 – alle davon sind im Kontext dieser Gedichte, die von der Sehnsucht nach einer einfachen und idealen, antiken Welt geprägt sind, positiv besetzt: schön (198), heilig (191), still (149), hoch (137), lieb (124), groß (113), süß (104), gut (103), ewig (91), froh (87), voll (82), alt (81), freundlich (81), rein (71), neu (69), stolz (67), lang (67), fern (65), herrlich (64) und frei (61). c) Gedichte besitzen zwei starke vertikale Linien – den Anfang und das Ende einer Verszeile. 101 von Hölderlins 424 Gedichten sind gereimt. Am häufigsten
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Abb. 3–5: Wortarten-Plakate: die häufigsten Substantive, Verben und Adjektive in Hölderlins Gedichten. „Hölderlins 20 häufigste Substantive“.
reimt er auf Leben (38), an (29), wieder (26), Natur (24) und nieder (22). Sechzehnmal reimt Hölderlin nieder auf wieder, viermal auf Gefieder. Zwölfmal folgen Brust und Lust einander (darunter Elisiumslust, Siegeslust, Mutterbrust). Zehnmal reimen Flügel und Hügel, siebenmal Liebe und trübe, sechsmal Liebe und Triebe. Fünfmal folgt Hülle auf Fülle, dreimal auf Stille. Ebenfalls dreimal reimt Hölderlin Tage auf Sage. Leben reimt er gerne auf geben: leben – geben, Erdenleben – geben, Leben – hinzugeben, Leben – hingegeben, Leben – gegeben, aber auch auf schweben: umschweben – Freudenleben, Leben – schweben, Erdenleben –
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Abb. 4: „Hölderlins 20 häufigste Verben“.
schweben.Viermal reimt er leben auch auf beben, ebenso oft Stunden auf gefunden und auch auf weg-, ver-, ge- oder hingeschwunden. Heiligtum wird ebenfalls viermal mit stumm gereimt, fünfmal mit Elysium. Von den 13.989 Verszeilen bei Hölderlin beginnen die meisten (1.199) mit und, gefolgt von 556 die, 498 der, 236 in, 232 das, 227 wenn, 215 wie, 211 wo, 179 denn, 171 so, 164 aber, 162 o, 157 den, 147 des, 147 von, je 141 daß und doch, 136 es und 135 mit. Im Kontrast zu diesen einfachen und kurzen aneinanderreihenden, aufzählenden, entgegenstellenden, zeigenden und anrufenden Wörtern stehen die Versanfangswörter, die in dieser Position nur einmal vorkommen, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und sogleich eine ei-
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Abb. 5: „Hölderlins 20 häufigste Adjektive“
gene rhythmische Einheit bilden. Zaubergesänge, Wolkenumnachtete, Weltenumeilenden… Solche Formen des Lesens verbinden nicht nur Makro- mit Mikroanalyse und nahes und fernes Lesen, sondern auch Abstraktion und sinnliche Erfahrung. Sie erlauben das gerade, indem sie Interpretation und Reflexion für eine Weile ausschließen und wir nicht alles, was wir lesen, sofort auf uns beziehen und dadurch eventuell auch verfälschen, sondern uns auf ein anderes System einlassen. Das Zählen von Wörtern kann dazu führen, dass wir sie vor uns hersagen, sie aufzählen, wie ein Kind, das eine Sprache lernt. Die Sprache wird erfahrbar, diesseits der Frage, die vielen von uns im Übermaß aus dem Deutsch-
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unterricht bekannt ist: Was soll das bedeuten? Die Sprache der Literatur bedeutet zunächst aber einmal nichts, sie macht etwas mit uns. Ebenso wie wir etwas mit ihr machen können. Das wird durch dieses skalierende und eben auch spielerische Lesen möglich, in dem zugleich auch noch die Zahlen- und Wortmagie alter, für uns heute poetischer Welten steckt. Die digitale Textanalyse ist – wie andere formalistische und strukturalistische Textbetrachtungsweisen – ein Korrektiv für uns selber, sie irritiert uns und gibt uns ein eigentümliches, ästhetisch geordnetes Bild, in dem Text auf eine Weise enthalten ist, aber natürlich auch Dimensionen fehlen, die wir durch andere Weisen des Lesens hinzufügen können. Es ist eine Möglichkeit zu lesen, aber nicht die einzige.
3 Sammeln: Hölderlin Wort für Wort lesen In nahezu allen Räumen des Literaturmuseums der Moderne können die Besucher·innen jeweils Karten mit Wörtern aus Hölderlins bekanntestem Gedicht Hälfte des Lebens und deren Textverwendungs- und Textfeldgeschichten einsammeln, insgesamt 36 Stück, von „gelb“ und „Birnen“ bis zu „sprachlos“ und „klirren“ (Abb. 6). Drei Beispiele dafür auch hier: a) Birnen gibt es bei Hölderlin nur in diesem Gedicht. Ebenso nur einmal gibt es: Apfel und Äpfel, Feige, Limonenwald, Birnbaumblätter, Nußbaum, Erdbeerhain, Pomeranze und Pomeranzenwälder. Zweimal: Granatbaum, Holunderbaum und Erdbeerstrauß. Dreimal: Obstbaum und Pfirsich. Viermal: Kirschbaum und Feigenbaum. Fünfmal: Beere und Obst. Elfmal: Weinstock. 15-mal: Traube. 26-mal: Wein. 38-mal: Frucht und Früchte. 110-mal ist etwas süß, zweimal süßlich und nur ein einziges Mal etwas sauer (der Sauerklee). b) 37-mal blühen, glühen, stechen, kränzen, umwehen bei Hölderlin Rosen: wild und still, herrlich und jung, süß und dornig, als Frühlingsrosen, Moosrosen, Rosenstrauch, Rosenhecke und Rosenpfad. Zweimal färben sie als Wangenrose das Gesicht, zweimal tauchen sie die Welt in mildes bzw. holdes Rosenlicht. Zehnmal gibt es Dornen, sie bilden Dornengänge, Dornenpfade, eine Dornenbahn und ein Dornenbett. c) Blumen lässt Hölderlin 78-mal blühen – in Blumengängen, auf einem Blumenhügel und einem Blumenfeld. Blüten leuchten 47-mal, viermal erscheinen Knospen. Präziser wird Hölderlin bei diesen blühenden Blumen und Kräutern: Krokus und Thymian, Mohn, Hyazinthe, Tulpe, Sauerklee, Kleeblatt und Ampfer (je 1), Disteln und Maienblumen bzw. Maienblümchen (je 5), Lilien (7) und Rosen (37). Nektar wird aus diesen Blumen fünfmal gewonnen, Honig dreimal. Sechsmal duftet etwas, 16-mal ist es duftend, einmal sogar düftereichst. Zehnmal ist vom Duft, von Düften und Gedüft die Rede, einmal von den Paradiesdüften. Nelken und
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Abb. 6: Sammeln. Zwei der Wortkarten zu Hälfte des Lebens.
Veilchen wachsen an zwei Gedicht-Stellen: „Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch / Herunter, wo der Obstbaum blühend darüber steht / Und Duft an wilden Hecken weilet, / Wo die verborgenen Veilchen sprossen“ (Hölderlin, Wenn aus dem Himmel, V. 21– 24) und „Im Veilchental, vom dämmernden Hain umbraust, / Entschlummert er“ (Hölderlin, An die Ruhe, V. 13 – 16). Als Viole taucht das Veilchen noch einmal zusammen mit Hyazinthe, Tulpe und Nelke auf: „Die klaren Gänge, niedres Gesträuch und Sand, / Auf dem wir traten, machten erfreulicher, / Und lieblicher die Hyazinthe / Oder die Tulpe, Viole, Nelke“ (Hölderlin, Wenn aus der Ferne, V. 25 – 28). Ein weiteres Mal kombiniert Hölderlin die
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Nelke ungewöhnlich: „Da füttert ich mein Hühnchen, da pflanzt ich Kohl / Und Nelken“ (Hölderlin, Einst und jetzt, V. 14– 15).
4 Verstehen: Hölderlin in der Handschrift lesen 24 Gedichte Hölderlins aus den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach stehen in diesem Kapitel der Ausstellung im Mittelpunkt.Verstehen heißt im Falle der Handschrift zunächst einmal entziffern können, was da steht. In einem zweiten Schritt kommt eine detektivische Spurenlese dazu: Wer hat wann was warum für wen geschrieben? Mit welchem Schreibgerät auf welchen Schriftträger und in welchem Tempo? Was wurde gestrichen, was fehlt, was gehört zu welchem Text und zu welcher Fassung eines Textes? Wir haben diese Handschriften chronologisch geordnet, transkribiert und kommentiert, von den frühen Stammbuchversen über die Hymnen bis zu den späten Scardanelli-Gedichten, ergänzt um eine von Hanns Zischler eingelesene Tonspur, sodass alle Besucher·innen nicht nur selbst entziffern, sondern auch schauend zuhören können. Im Ausstellungsraum scheinen hinter dieser „Gedichtschicht“ die beiden nächsten Kapitel durch, sodass der Aggregatzustand „Manuskript“ optisch mit dem Aggregatzustand „körperlich messbare literarische Erfahrung“ konfrontiert wird.
5 Spüren: Hölderlin im Labor lesen Jeder Mensch erlebt sich und seine Umwelt mit den Sinnen, und zwar alltäglich: Er macht ästhetische Erfahrungen. Aber was sind ästhetische Erfahrungen, ein Sonderfall des Alltagserlebens oder mehr? Und wie lassen sich solche Erfahrungen beschreiben, die von Literatur ausgelöst werden? Gibt es Erfahrungen, die für den Umgang mit Literatur spezifisch sind und ihn zu etwas Besonderem machen? Erstreckt sich „literarische Erfahrung“ über sinnlich Erfahrbares hinaus? Was folgt daraus für die Einschätzung und Bewertung von Literatur – auch in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht? Um Fragen wie diese zu beantworten und literarische Erfahrungen genauer beschreiben und besser in Begriffe fassen zu können, haben das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das Freie Deutsche Hochstift/Goethe-Haus Frankfurt am Main, das Leibniz-Institut für Wissensmedien Tübingen und das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik Frankfurt Anfang 2019 das „Netzwerk literarische Erfahrung“ gegründet.⁶
Vgl. Deutsches Literaturarchiv Marbach. „Netzwerk literarische Erfahrung“. https://www.dla-
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Abb. 7: Verstehen, Verdichten, Spüren. Blick in den großen Ausstellungsraum von Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie.
In fünf Laborstationen können die Besucher·innen der Ausstellung in diesem Kapitel dem Forschungsnetzwerk helfen, anhand von einfachen und kurzen Experimenten erste Antworten zu finden. Wieder steht Hälfte des Lebens im Mittelpunkt. Die Laborstationen im Einzelnen: a) Wir lesen Gedichte nicht nur von links nach rechts, sondern auch kreuz und quer und vertikal – doch welche Bewegungsmuster zeichnet ein Eyetracker auf, wenn wir Gedichte lesen? Wie verändert sich das Muster im Zusammenhang mit der sichtbaren Form? b) Wenn uns Gedichte berühren, reagieren wir körperlich darauf – verändert sich tatsächlich unser Herzschlag beim Lesen, wird er schneller oder langsamer? c) Jedes Gedicht hat eine eigene, besondere Stimme – aber sprechen wir alle ein Gedicht gleich, werden wir an denselben Stellen höher, tiefer, leiser, lauter? d) Gedichte sind eine performative Gattung – wie übersetzen wir ein Gedicht in Gesten? Wie schreiben oder malen wir sie mit dem Körper? e) Wer mehr weiß, sieht mehr – verändern Reflexion und Wissen unsere literarische Erfahrung? Wie wichtig sind die Stimme
marbach.de/forschung/kooperationen/netzwerk-literarische-erfahrung/ (31. August 2020). Der Seite ist auch o.g. Projektbeschreibung entnommen.
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eines Textes, seine Struktur und das leise Lesen? Wie wichtig sind für die ästhetische Erfahrung die Handschrift (das Original) und die biografische Erzählung? Die Ergebnisse aller Besucher·innen werden in den Raum projiziert, gespeichert und zusammen mit der Universität Tübingen und dem Leibniz-Institut für Wissensmedien ausgewertet.⁷ Dafür wurden in Zusammenarbeit mit Mediengestaltern (blubb-media) interaktive Techniken wie eine kinetische Kamera und ein Eyetracker an Ausstellungsbedingungen angepasst, eine eigene Besucherführung durch Touchpads und visuelle Übersetzungen entwickelt: Unsere Augenbewegungen werden als Spur aus Linien, Netzen und Punkten dokumentiert, unsere Gesten und Körperbewegungen als bewegte Umrissfigur, der langsamere oder schnellere Herzschlag als Rhythmus kleinerer und größerer Kreise, die Stimme mit ihren Tonhöhen und Lautstärken als Muster dickerer und dünnerer, mal weiter unten, mal weiter oben liegender Striche. An der Reflexions-Station können Wörter im multiple-choice-Verfahren ausgewählt werden. In der projizierten wordcloud ist dann das Wort jeweils am größten, das von den meisten Besucher·innen ausgewählt wurde.
6 Verdichten: Hölderlin im Archiv lesen Hölderlin hat wie kein zweiter deutschsprachiger Dichter das Bild geprägt, das wir bis heute von der Poesie haben: ein dunkles, nicht ganz verständliches, aber schönes und berührendes Sprechen eines Ichs im Ausnahmezustand. Celan knüpft an diese Tradition an. Die Poesie wird ihm zum existenziellen Anliegen, das, um sich angemessen auszusprechen, höchst artifiziell und in Teilen hermetisch ist. Hölderlin wie Celan schreiben Gedichte immer wieder ab, stellen sie in persönliche Lebenszusammenhänge, widmen sie einem Menschen und datieren sie. Celan inszeniert auf dem Papier Schriftwechsel, Wortfelder und -achsen, Pausen- und Atemzeichen, Leerstellen und „zersprungene Wörter“, die Hölderlin beim Schreiben zu unterlaufen scheinen, wenn er seine Gedichte schichtenweise wie eine plastische Form aus der Tiefe des Papiers herausarbeitet. Ab und zu finden sich in seinen Manuskripten noch punktierte Linien. Er muss mit der Feder den Takt aufs Papier geklopft haben. Doch wie sehen Gedichte überhaupt aus, wenn sie entstehen? Mit welchen sichtbaren Verfahren wird ein Gedicht „verdichtet“? Was kommt von der Poesie ins Archiv? Wie wirken Hölderlins und Ce-
Erste Ergebnisse werden wir im Frühjahr 2021 im Blog des Deutschen Literaturarchivs Marbach veröffentlichen: https://blog.dla-marbach.de (31. August 2020).
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lans Gedicht-Manuskripte im Vergleich mit anderen? Wir haben exemplarisch die Marbacher Bestände u. a. von Rainer Maria Rilke, Else Lasker-Schüker, Jakob van Hoddis, Gottfried Benn, Hugo von Hofmannsthal, Sarah Kirsch, Marie Luise Kaschnitz, Eduard Mörike, Helmut Heißenbüttel, Ilse Aichinger, Rudolf Borchardt und Franz Mon gesichtet und die Fundsachen zu einem bruchstückhaften Glossar der Poesie im Archiv geordnet – von „Schön“ und „Nur für Dich“ über „Atmen“ und „Zerlegen“, „Formatieren“ und „Verklären“ bis „Unsicher“. Die Stichwörter dieses Glossars werden jeweils kurz mit einem Text erläutert und dann an Beispielen gezeigt. Zu „Schön“ etwa gibt es Beispiele von Rilke, Hofmannsthal, Hoddis, Lasker-Schüler und Celan, die mit Hölderlins Marbacher Quartheft korrespondieren, der auf Sauberkeit und Ordnung hin angelegten Reinschrift seiner frühen Gedichte aus der Schulzeit, die im Ausstellungstext so eingeführt werden: Gedichte sind seit dem achtzehnten Jahrhundert wie keine zweite literarische Gattung durch sichtbare künstliche Formen geprägt. Strophenformen, Versmaße, Zeileneinzüge und der freie Platz auf dem Papier bestimmen den Umriss eines Gedichts und seine innere rhythmische Struktur. Gedichte entstehen, weil sich sprachliche Form und sprachliche Individualität aneinander reiben. […] Gedichtmanuskripte sind häufig so ins Reine geschrieben, dass scheinbare Äußerlichkeiten wie Schrift und Papier zum Teil des Gedichts werden. Wo die Form wie in der konkreten Poesie das Gedicht macht, geht es gar nicht anders.
„Verklären“ gilt den besonderen Datierungen von Gedichten, die beim späten Hölderlin durch Fehldatierungen oder fehlerhafte Angaben deutlich werden (die Scardanelli-Gedichte haben zum Teil fiktive Datierungen aus dem achtzehnten und zwanzigsten Jahrhundert) und bei Celan durch zahlreiche Umdatierungen oder letztlich dann auch Datierungsstreichungen. Im Deutschen Literaturarchiv Marbach gibt es zu diesem Phänomen Korrespondenzen, unter anderem von Rilke, Benn und Hesse. Der kurze Auftakttext dazu: Einer der ersten, der seine Gedichte datiert, ist Friedrich Georg Klopstock. Er ordnet seine Oden chronologisch zur Autobiografie in Gedichten. Poesie scheint untrennbar mit einem ganz besonderen Augenblick verbunden. Dieses Verklären gewöhnlicher Daten geht Hand in Hand mit dem Gegenteil – einer allmählichen Entfernung des Autors von seinem Gedicht: „Nur ‚gedichtlang‘ sind wir die Mitwisser unserer eigenen Gedichte“, schreibt Celan, „wären wir es über die Dauer seines Entstehens hinaus, unser Gedicht würde damit das Geheimnis des uns Begegnenden verlieren – wir sind auch als deren Ich, das erste Du unserer Gedichte –, es wäre, da es ja nicht mehr auf uns zukäme, von uns aus und somit jederzeit herstellbar – und also kein Gedicht mehr“. Die Wörter durchlaufen einen Prozess, erfahren einen „qualitativen Wechsel“, um „zum Wort im Gedicht“ zu werden.⁸
Die Celan-Zitate stammen aus den Entwürfen seiner Meridian-Rede in Celan 1999, 5.
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7 Zitieren: Hölderlin mit anderen lesen Hölderlins Gedichte sind zum großen Teil zu lang, um auf eine Seite zu passen. Ihre Leser·innen suchen bei ihm daher oft das, was Paul Celan „kompakte Stellen“⁹ genannt hat: schöne, rätselhafte, erinnerbare und für sich allein zitierbare, aber auch widerständige, ambivalente Wortverbindungen. „Komm ins Offene“ (Hölderlin, Der Gang aufs Land. An Landauer, V. 1), „Was bleibet aber, stiften die Dichter“ (Hölderlin, Andenken, V. 59) und „Denn alles ist gut“ (Hölderlin, Dem Landgrafen von Homburg, V. 88) sind solche Stellen. Welche Hölderlin-Worte wirkten im achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert wie auf Schriftsteller? Wir haben in Archiv und Bibliothek nach Hölderlin-Zitaten gesucht. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Hölderlin-Leser Celan, dessen umfangreicher Nachlass sich im Deutschen Literaturarchiv befindet. Dieses Ausstellungskapitel ist durch abgehängte Textkarten und quer zur ansonsten geometrischen Ordnung im Raum gestellten Vitrinentischen als Intervention in die bestehende und nur sparsam beschriftete Dauerausstellung zum zwanzigsten Jahrhundert (Die Seele) realisiert, sodass es sich im historischen Resonanzraum des Archivs entfaltet und die Besucher·innen zwischen den Objekten eigene Verknüpfungen herstellen, oder aber auch den Wegen der Intervention folgen können – immer den blauen Fäden nach, die wir als ein gestalterisches Leitmotiv der Ausstellung gewählt haben (Abb. 8). Jede der abgehängten Karten hat eine Außen- und eine Innenseite. Außen finden sich Teile, zumeist Einzelwörter, des entsprechenden Hölderlin-Zitats, innen dann das vollständige Zitat sowie ein Kommentar.¹⁰ Zwei Beispiele dafür:
a) Hälfte des Lebens [Außen] Die Mauern stehn [Innen] Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See,
Zitiert nach einem bislang unpublizierten Blatt (D 90.1.3305) aus dem Marbacher Nachlass, auf dem Celan im März 1966 neben dem Hölderlin-Vers „So ist schnell / Vergänglich alles Himmlische; aber umsonst nicht“ notiert: „Das Gedicht und seine kompakten Stellen. Widerstand – auch – von daher. Von den ‚Kompaktheiten‘ her ausstrahlendes erkennen“. Vgl. auch Woll 2020. Dieses Ausstellungskapitel sowie die Kapitel „Verdichten“ und „Verstehen“ sind vollständig und mit Abbildungen aller Objekte in Gfrereis 2020 dokumentiert. Die Hölderlin-Gedichte im Kapitel „Zitieren“ werden nach der Lese-Ausgabe (Hölderlin 2000) zitiert.
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Abb. 8: Zitieren. Als Intervention in die Dauerausstellung realisierter Teil von Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie. Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm’ ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. (Hölderlin, 361)
1963 wählt Theodor W. Adorno in seinem Tübinger Vortrag Parataxis. Zur späten Lyrik Hölderlins das Gedicht Hälfte des Lebens mit seinen beiden gegensätzlichen Strophen als Beispiel für ein unverbundenes Aneinanderreihen von Gegensätzen: Indem die Sprache die Fäden zum Subjekt durchschneidet, redet sie für das Subjekt, das von sich aus – Hölderlin war wohl der erste, dessen Kunst das ahnte – nicht mehr reden kann. Der idealische Hölderlin inauguriert jenen Prozess, der in die sinnleeren Protokollsätze
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Becketts mündet. Das wohl gestattet, Hölderlin heute so unvergleichlich viel weiter zu begreifen als ehedem. (Adorno 2003, 478 – 479)
b) Abendphantasie [Außen] Purpurne Wolken [Innen] Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh’ und Ruh’ Ist alles freudig; warum schläft denn Nimmer nur mir in der Brust der Stachel? Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf; Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich Purpurne Wolken! und möge droben In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb’ und Leid! – Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht Der Zauber; dunkel wird’s und einsam Unter dem Himmel, wie immer, bin ich – Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja, Du ruhelose, träumerische! Friedlich und heiter ist dann das Alter. (Hölderlin 2000, 180)
Um 1975 sammelt Friedrich Kittler in einem Zettelkasten Belege für die Farben des Mondes und der Wolken in der Literatur. „Purpurn“ findet er in Hölderlins Abendphantasie: „Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf; / Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint / Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich, / Purpurne Wolken!“ „Silbern“ im Hyperion: „Der ganze Himmel ist rein. Das weiße Licht ist nur über den Äther gehaucht, u. wie ein silbern Wölkchen, wallt der schüchterne Mond am hellen Tage vorüber“.¹¹
8 Lesen aus kommunikationspsychologischer Perspektive In der Kommunikationspsychologie ist ein Text zunächst einmal ein Instrument: Mit einem Text möchte jemand jemandem anderen etwas mitteilen und versucht Zitiert aus Friedrich Kittlers Zettelkasten im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Lemma „Mondfarben“. Vgl. Gfrereis 2016.
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daher, dessen Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse durch sprachliche Formulierungen so zu steuern, dass dieser versteht, was er meint.¹² Ein Text unterscheidet sich daher von einer beliebigen Aneinanderreihung von Sätzen dadurch, dass die Sätze sinnvolle Zusammenhänge bilden und damit kohärent sind. Sprachliche Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Wiederholungen, logische Verbindungswörter wie und oder weil sowie inhaltliche Zusammenhänge von mitgeteilten Personen und Objekten mit Dimensionen von Raum und Zeit, Kausalität und Motivation, thematische Kontinuität und die Simulation von wahrnehmungsund handlungsbasierten Interaktionen können diese Zusammenhänge steigern, wobei die Leser·innen zu einem maßgeblichen Teil dazu beitragen, dass sie den Text verstehen: Sie extrahieren so etwas wie den Sinn aus den Einzelsätzen und bauen ihn dann zusammen, wobei ihnen ihr Weltwissen ebenso wie ihre kognitiven Schemata, räumliche mentale Modelle, aber auch das Nachspielen von Ereignissen¹³ helfen. Die Leser·innen imaginieren sich dabei nicht nur die mitgeteilten Sachverhalte, sondern auch den Text selbst, sodass es beim Lesen unterschiedliche Ebenen des Textes gibt. In der Psychologie werden häufig diese drei näher untersucht: die Textoberfläche mit allen sprachlichen Details, die wir zum Beispiel beim Auswendiglernen repräsentieren, die Textbasis mit den Sinneinheiten sowie das mentale Situationsmodell, auf das wir beim Lesen Textoberfläche und Textbasis beziehen (vgl.van Dijk und Kintsch 1983). Dadurch verstehen wir nicht nur, was gesagt wird, sondern wir können uns auch vorstellen, was genau gemeint ist. Je mehr wir uns vorstellen können, was gemeint ist, desto länger bleiben die gelesenen Ebenen in Erinnerung: Am schnellsten vergessen wird die Textoberfläche, am längsten bleibt das mentale Situationsmodell in Erinnerung, weil wir hier die meiste Eigenleistung erbringen und zum Beispiel auch durch sogenannte Inferenzen ergänzen, was nicht explizit dasteht.Wir füllen Lücken, indem wir zum Beispiel Handlungen von Personen durch unterstellte Ziele motivieren, Textinformationen strukturieren und verdichten, das heißt: „konstruktionistisch“ lesen. Bei „minimalistischen“ Lektüren wird schnell gelesen und kaum angereichert, bei „maximalistischen“ Lektüren wird langsam und zum Vergnügen oder zum Wissenserwerb gelesen und mit mehr Inferenzen auch mehr Kohä renz erzeugt. Kompliziertere Texte mit Leerstellen werden dabei nicht unbedingt schlechter, sondern sogar bis zu einem gewissen Grad besser verstanden, weil wir uns aktiv mehr einbringen.¹⁴
Dieser Exkurs fasst die Ausführungen von Richter und Schnotz (2018) zusammen. Vgl. Glenberg et al. 2008, Glenberg et al. 2004 sowie Zwaan und Taylor 2006. Dazu: McKoo und Ratcliff 1999 und Graesser et al. 1997.
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Textinformationen und Inferenzen werden dabei fortlaufend und automatisch auf ihre Plausibilitä t und Validität geprü ft, wobei unterschiedliche kognitive Verarbeitungsstrategien dabei helfen, zum Beispiel Mikrostrategien, die auf Details gerichtet sind, und Makrostrategien, die auf das Verstehen des Textes als Ganzes zielen, zum Beispiel durch das Zusammenfassen eines Textes, das Unterstreichen eines Hauptgedankens, das Erstellen von Diagrammen, das Ausdenken von Fragen, Bildern und Beispielen. Welche Strategie wir dabei anwenden, hängt auch vom Leseziel ab, zum Beispiel ob wir ihn schnell erfassen und also „überfliegen“ wollen oder ihn selektiv lesen und nur auf eine bestimmte Information hin absuchen. Vor dem Hintergrund dieser psychologischen Sicht auf das Lesen liegt es nahe, das Lesen von literarischen Texten als eine künstliche Provokation und Reflexion dieser Textverstehensprozesse zu beschreiben. Durch einen literarischen Text wird uns in erster Linie nichts mitgeteilt, sondern vor allem auf eine Weise Kohärenz erzeugt, dass wir ihn als ästhetische Mitteilung empfinden, zum Beispiel als schön, berührend, spannend, unheimlich oder lustig. Anders als bei einem nichtliterarischen Text ist die Textoberfläche dabei enger mit der Textbasis und dem imaginären Situationsmodell verbunden. Sie ist nicht nur oberflächlich oder äußerlich, sondern selbst Teil der Information und einer Situationsvorstellung. Am deutlichsten wird das bei der Lyrik, wo der Text ein Sprech- oder Zeichensetzungsakt ist, der die Situation des Sprechens oder Zeichensetzens evoziert. Rüdiger Zymner definiert Lyrik als eine (zumeist graphische oder phonische) Repräsentation von Sprache, welche als generisches Display sprachlicher Medialität und als Katalysator ästhetischer Evidenz fungiert. Die Medialität der Sprache wird im Fall von Lyrik insbesondere durch Attraktoren unterschiedlicher Art, vor allem durch Verletzungen oder Störungen in der sprachlichen Faktur oder auch im Bereich der Information des Sprachzeichengebildes (zum Beispiel durch Metrum, Reim, graphische oder phonetische Kohäsionen, rhetorische Figuren und Tropen) signalisiert, welche über die Disposition verfügen, beim Leser eine sinnliche Partizipation, ein Sinnerlebnis zu erzeugen. (Zymner 2019)
Unsere Grunderwartung, mit der wir Literatur lesen, ist offenbar eine andere: Störungen von Kohärenz – etwa durch Ambivalenzen oder Leerstellen – steigern hier die Dichte und Zahl unserer Inferenzen und damit unserer Beteiligung.¹⁵ Dieses literarische Lesen, das mit unterschiedlichen Lesestrategien operiert, positiv und produktiv mit Störungen umgeht und sie als Möglichkeit zur Partizi-
Untersucht wurde dieses literarische Lesen bislang vor allem formalistisch (Šklovskij 1994 [1971]), rezeptionsästhetisch (Iser 1970), semiotisch (Eco 1973) und poststrukturalistisch (Barthes 1976), noch kaum mit den Mitteln der empirischen Psychologie.
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pation nutzt, ist in Literaturausstellungen möglich. Wobei nicht nur die ausgestellten einzelnen literarischen Texte und ihre Aggregatzustände (zum Beispiel Manuskript- und Buchseiten, Zitate), sondern auch die Ausstellung als ein „Text“ im Raum gelesen werden können. Sobald man sich als Besucher·in vom Paradigma des flows und dem Erfahren eines wie auch immer definierten „Ganzen“ sowie deren traditionellem Ausstellungsäquivalent, der Biografie des Autors, trennt, sind die Lese-Erfahrungen in einer Ausstellung vielfältig und reich. Besonders spezifisch für das Medium „Ausstellung“ dürften diese literarischen Erfahrungen sein: 1. Minimalistisches Lesen. Exponatreihen werden abgegangen, Räume kreuz und quer durchlaufen, einzelne Wörter auf den ausgestellten Manuskripten oder auch auf Wänden oder Böden erfasst. Dieses schnelle Lesen kann sich – wie beim Blättern in einem Roman – an einer linearen Ordnung oder – wie beim Blättern in einem Lexikon – an deiktischen und indexikalischen Ordnungen orientieren. Zwei Beispiele aus der Ausstellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie: Hölderlins Gedichtmanuskripte sind im Kapitel Verstehen. Hölderlin in der Handschrift lesen in eine chronologische Reihe gehängt, von den frühen bis zu den späten Gedichten. Die Besucher·innen können hier langsam oder auch zügig vorbeigehen. Auch beim schnellen Lesen, sozusagen auf den ersten Blick, verändert sich viel: Der junge Hölderlin schreibt fein säuberlich auf kleine Papiere. Der mittelalte schreibt auf großen, zusammengebundenen Blättern gleich mehrere Gedichtentwürfe ineinander, er schichtet Texte und schält dann ein Gedicht heraus, als ob er eine Skulptur aus einem Block heraushauen müsste. Der späte Hölderlin schreibt überwiegend wieder auf kleinere Einzelblätter und nun so, dass meist ein Gedicht auf eine Seite passt. Da gibt es keine komplizierten Schichtungen, sondern klare Konturen. Die späten Gedichte sind gut lesbar. Um die 36 Wortkarten von Sammeln. Hölderlin Wort für Wort lesen einzusammeln oder zu finden, müssen die Besucher·innen durch nahezu alle Räume des Museums laufen und diesem Leitsystem kreuz und quer folgen. Auf den ersten Blick zeigen sich so die Einzelteile von Hölderlins Hälfte des Lebens: gelb, Birnen, Rosen, Blume, Wasser, hold, heilignüchtern, Schwäne, trunken, Küsse, und, Hälfte, der/die/ das, Ins, Land, See, Tunkt, Haupt, Weh, Schatten, Erde, Mauern, Sprachlos, Kalt, Wind, Klirren, Fahnen, mir/ich, Winter, Leben, ist, nehm’/stehn, wenn, wo. Wie in einem Lexikon öffnen sich dann hinter diesen Wörtern die hölderlinschen Wortfelder, zum Beispiel hinter „wenn“: 476-mal verwendet Hölderlin das Wörtchen wenn, meist allerdings nicht als einschränkende Bedingung (nur dann, wenn), sondern als Angabe eines Zeitpunkts: „Aber schön ist der Ort, wenn in Feiertagen des Frühlings / Aufgegangen das Tal, wenn mit dem Neckar herab / Weiden grünend und Wald und all die grünenden Bäume / Zahllos, blühend weiß, wallen in
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wiegender Luft, / Aber mit Wölkchen bedeckt an Bergen herunter der Weinstock/Dämmert und wächst und erwarmt unter dem sonnigen Duft“.
Und hinter „wo“: 459-mal verwendet Hölderlin wo – auch, um damit wie in Hälfte des Lebens Verse anzufangen (211-mal), Sätze ins Irgendwo zu richten und parallel aufzubauen: „Wo ist der Liebe Zeichen am Tag? wo spricht / Sich aus das Herz? wo ruhet es endlich? wo / Wirds wahr, was uns, bei Nacht und Tag, zu / Lange der glühende Traum verkündet?“.
2. Punktuelles Lesen. Der Übergang vom schnellen Lesen zum punktuellen, mikroskopischen Lesen ist fließend – sobald Besucher·innen an einer Stelle hängen bleiben und genauer lesen. Es kann ein Vers sein, der sie fasziniert und ihnen in Erinnerung bleibt, ein besonderes Textbild wie Hölderlins Signatur „Scardanelli“, oder ein grafisches Bild wie Hölderlins Notation einer sapphischen Odenform. Die berühmteste Definition dieses punktuellen Lesens oder Sehens stammt von Roland Barthes: Aus studium interessiere ich mich für viele Photographien, sei es, indem ich sie als Zeugnisse politischen Geschehens aufnehme, sei es, indem ich sie als anschauliche Historienbilder schätze: denn als Angehöriger einer Kultur (diese Konnotation ist im Wort studium enthalten) habe ich teil an den Figuren, an den Mienen, an den Gesten, an den äußeren Formen, an den Handlungen. Das zweite Element durchbricht (oder skandiert) das studium. Diesmal bin nicht ich es, der es aufsucht (wohingegen ich das Feld des studium mit meinem souveränen Bewußtsein ausstatte), sondern das Element selbst schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren. […] Das zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, möchte ich daher punctum nennen; denn punctum, das bedeutet auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt – und Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft). (Barthes 1989, 35 – 36)
3. Serielles Lesen. Das punktuelle Lesen kann in unterschiedliche andere Formen des Lesens übergehen: Es kann zum Staunen führen, zum irritierten Anschauen (dann ist es so etwas wie ein auratisches Lesen, das darauf zielt, sich den Gegenstand ganz und gar einzuprägen und so zumindest in der Imagination einzuverleiben). Aus dem Staunen kann dann das Mehr-Wissen-Wollen resultieren, das – so hat es Aristoteles beschrieben – Philosophieren. Sobald wir dann eine Erklärung gefunden haben, staunen wir nicht mehr. Eine andere Folge des punktuellen Lesens ist das serielle Lesen: Wir suchen nach Wiederholungen, Ähnlichkeiten und komplementären Kontrasten, also zum Beispiel nach der Wiederholung von Hölderlins „Scardanelli“-Signatur oder nach Gegenstücken zur
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sapphischen Odenform auf Bild-, Zeichen- und Lautebene wie diesem frühen Teilentwurf von Hälfte des Lebens: und trunken von Küssen taucht ihr das Haupt ins heilignüchterne kühle Gewässer.¹⁶
4. Analytisches Lesen. Aus dem seriellen Lesen kann das analytische Lesen entstehen, das Wiederholungen als Strukturelemente erkennt und sie zum Ausgangspunkt von Fragen, aber auch Ordnungen auf Mikro- wie Makroebene macht. In einer Literaturausstellung sind die Objekte häufig überbestimmt, sie zeigen selbst solche Ordnungsversuche: Listen, Pläne, Unterstreichungen, Kommentare. Den Lesestrategien auf der Makroebene korrespondieren die Schreibstrategien auf der Makroebene. Bei der Konzeption von Zählen. Hölderlin mit den Fingern lesen haben wir das serielle und das analytische Lesen verbunden, um Hölderlins Gedicht Hälfte des Lebens ertastbar, sichtbar und hörbar zu machen (Abb. 1). Für Vokale, Konsonanten und Satzzeichen, Substantive, Adjektive und Verben wurde ein grafischer Code entworfen, der die Besucher·innen dazu anregen soll, das Gedicht Buchstabe für Buchstabe, Zeichen für Zeichen zum Klingen zu bringen und so eine intensive literarische Erfahrung zu machen: Analyse und ästhetische Erfahrung schließen sich nicht aus, sie können sich steigern. Hier kann das Gedicht als Klang- und Strukturkörper erfahren werden, von seinen Einzelteilen, aber auch so etwas wie seinem Unterbau aus. Jedes Element kann einzeln, seriell oder sukzessiv erfahren werden: Vokale und Konsonanten, die für den Klang und den Sinn eines Textes sorgen, Satzzeichen, die ihn gliedern, die Stimmhöhe prägen und uns Pausen zum Luftholen schenken, Substantive, die eine Welt entwerfen, Verben, die Bewegung hineinbringen, und Adjektive, die dafür sorgen, dass wir diese Welt wahrnehmen und empfinden können. 5. Konstruktives Lesen. Das analytische Lesen kann in das konstruktive Lesen übergehen: Wir entdecken, dass wir selbst es sind, die den Text frei weiterschreiben können bzw. ihn auf unsere eigene Weise aufführen. Dies kann unabhängig von den Erwartungen geschehen, die wir an uns gestellt glauben: Wir müssen in einer Literaturausstellung nicht notwendig den „Gehalt“ des Ganzen erfahren und ihn „richtig“ interpretieren. Dieses konstruktive, kreative Moment
Württembergische Landesbibliothek, Hölderlin-Archiv, Stuttgarter Foliobuch, Cod.poet.et.phil.fol.63, I, 6, Blatt 17.
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Abb. 9: Früher Teilentwurf von Hälfte des Lebens (Württembergische Landesbibliothek, Hölderlin-Archiv, Stuttgarter Foliobuch, Cod.poet.et.phil.fol.63,I,6, Seite 17)
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öffnet literarische Texte für eine individuelle Aneignung. Es wird beim Umgang mit der Beatbox so evident wie beim Anschauen von Manuskripten, die zumeist deutlich zeigen, dass und oft auch wie Literatur „gemacht“ ist. Hölderlin arbeitet vermutlich am 31. Dezember 1800 an einem Gedichtplan vom Juni 1800 weiter und schreibt unter die Stichworte „Die Rose“, „Die Schwäne“, „Der Hirsch“, „holde Schwester!“ und „Edles Wild“ in und neben die Entwürfe zu anderen Gedichten Teile des Gedichts Hälfte des Lebens: Die Rose holde Schwester! Wo nehm ich, wenn es Winter ist Die Blumen, daß ich Kränze den Himmlischen winde? Dann wird es seyn, als wüßt ich nimmer von Göttlichem, Denn von mir sei gewichen des Lebens Geist Wenn ich den Himmlischen die Liebeszeichen Die Blumen im kahlen Felde suche u. dich nicht finde.¹⁷
6. Dekonstruktives Lesen. Dieser Einblick in die Gemachtheit von Literatur kann zu einem Lesen einladen, das ein Selber-Weiterschreiben ist, oder zu einem Lesen, das kritisch auseinandernimmt und auch in den Blick nimmt, was nicht dasteht oder woanders steht. Zu dieser Dekonstruktion laden nicht nur Methoden der Ausstellungsordnung im Raum ein (wie „Reihen“ und „Schichten“, „Isolieren“ und „Kontrastieren“), sondern ebenfalls die Gegenstände selbst. Für einen Autor wie Paul Celan, dessen Eltern 1942 in einem Arbeitslager starben (der Vater an Typhus, die Mutter wurde von einem SS-Soldaten erschlagen), heißt Hölderlin lesen und nach Hölderlin schreiben vor allem auch: ihn zu dekonstruieren, diese von einer Deutungstradition verstellten Texte freizulegen. Aus Hölderlins Andenken übernimmt Celan die Wörter „Augen“ und „Feigen“. In Tübingen, Jänner unterstreicht er die beiden Hölderlin-Zitate: „ein / Rätsel ist Rein- / entsprungenes“ aus Der Rhein und „Pallaksch. Pallaksch“, die „Ja“ und „Nein“ bedeutende Lieblingswendung des alten Hölderlin. Celan reduziert und fragmentarisiert das Hölderlin-Material auf eine Substanz, die für das steht, was gerade noch bleibt, wenn fast nichts mehr ist. Diese Substanz entzieht sich. Sie leistet jedem Versuch, Eindeutigkeit herzustellen,Widerstand. In eines seiner bislang unveröffentlichten Notizhefte schreibt Celan zu einem Hölderlin-Vers: „Das Gedicht und seine
Württembergische Landesbibliothek, Hölderlin-Archiv, Stuttgarter Foliobuch, Cod.poet.et.phil.fol.63, I, 6, Blatt 17 und 18.
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kompakten Stellen. Widerstand – auch – von daher. Von den ‚Kompaktheiten‘ her ausstrahlendes erkennen“.¹⁸ 7. Entautomatisiertes Lesen. Lesen in einer Literaturausstellung ist oft das Erfahren einer Verfremdung. Texte können nur schwer oder nicht entziffert werden und liegen dann auch oft in einer anderen Fassung oder Ordnung vor als publiziert. Anders als Bücher sind Ausstellungen nicht oder nur sehr selten organische Lesewelten mit Anfang, Mitte und Ende, sondern meist Orte des multiplen und multimedialen Lesens, an denen unterschiedliche Textgattungen und -medien nebeneinanderstehen. Sie ähneln in dieser Mischung eher illustrierten Zeitungen, wo wir in kurzen Abständen immer wieder neue Lesehaltungen entwickeln und das cross reading üben. 8. Bewegtes Lesen. Lesen in einer Literaturausstellung ist – anders als das Lesen zu Hause – immer ein öffentlicher und bewegter Akt. Wir stehen und bewegen uns und wenn wir uns setzen, so tun wir es bewusst. Der Körper als Mitspieler des Geistes wird uns wieder bewusster, ebenso das Lesen als eine Handlung. In der Ausstellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie haben wir diese Körperlichkeit des Lesens gezeigt, indem wir die Besucher·innen in unterschiedliche Schau- und Lesehaltungen gebracht haben. Zum Beispiel können sie Elemente finden, die zum aufrechten Ablaufen einladen (wie etwa das Kapitel „Verstehen“), Dinge, die man zu sich heranholen muss (wie die abgehängten Lesekarten aus dem Kapitel „Zitieren“), oder Stühle, auf die man sich setzen muss (wie im Kapitel „Spüren“). Neben dem Augensinn werden der Tastsinn und der Hörsinn sowie die eigene Stimme gefordert. 9. Meta-Lesen. Lesen in einer Literaturausstellung ist immer auch eine Inszenierung des Lesens. Wir fühlen uns hier allein durch die ausgestellten Gegenstände oder auch nur eine bestimmte Atmosphäre, die wir mit Literatur assoziieren, als Leser·innen – selbst dann, wenn wir nicht lesen. Rüdiger Campe hat dieses Lesen, bei dem der Text durch psychophysische Affektationen wie zum Beispiel eine ornamentale Schrift oder eine ritualisierte Praxis des Umgangs mit Büchern materiell erfahren wird, „allegorisches Lesen“ genannt: „der mediationstechnische Vollzug des Lesens am Leib des Lesers, der den Text ganz und in der Wörtlichkeit des Erzählten imaginiert“ (Campe 1998, 49). Aleida Assmann beschreibt die Intransparenz der Schrift, die Widerständigkeit und Unlesbarkeit und damit auch das Verwandeln von Texten in Bilder und ausstellbare Objekte sowie die dazu gehörige Lesemethode – die Dekonstruktion – als eine Konsequenz auch der Digitalisierung und der damit vorhandenen Medienvielfalt: „Nach der Technik des Absehens von der Medialitä t der Texte entwickeln wir jetzt eine
Vgl. Gfrereis 2020, 156, 165 – 166 und Bildteil.
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Technik der Konzentration auf eben diese Medialitä t“ (Assmann 1998, 49). Wir imaginieren in einer Literaturausstellung, die sich per se auf die Medialität der Literatur konzentriert, Literatur und mit ihr assoziierte ästhetische Erfahrungen wie Atmosphäre, Stille, Immersion, Zeichen-Dickicht, Ambiguität, Vielschichtigkeit, Verstehen, Gefühl, Sensibilität, Individualität, Bildung, Langeweile, Überforderung, Nicht-Verstehen.
9 Resümee: Auf das Lesen starren Eine Art des Lesens im Museum, in einer Ausstellung habe ich in dieser Aufzählung ausgespart: das immersive Lesen. Wir verlieren uns in einer Ausstellung nicht in Romanen, aber wir können uns dennoch im Ausstellungsraum verlieren, etwa durch immersive Ausstellungstechniken (wie Licht, Projektion und Ton, virtual und augmented reality), aber auch, weil das Schauen immersiv werden kann und wir uns im Schauen auf die Sachen, die wir sonst lesen, vergessen können – wir starren auf die Literatur und die für uns mit ihr assoziierte Form ihres Ursprungs (Schreiben) und ihrer Erfahrung (Lesen): Das Lesen ist ein referentielles Verfahren. Es bewegt sich vom materiellen Signifikanten zum immateriellen Signifkat, wobei der erstere dem letzteren durch einen gedankenschnellen Prozess zum Opfer fällt. Die Präzision des vermittelten Inhalts hängt wesentlich an dieser kategorialen Differenz zwischen Ausdrucks- und Inhaltsebene. Das Starren richtet sich auf ein kompaktes Zeichen, das sich nicht in Signifikat oder Signifikant auflösen läßt. Diese Fusion ist verantwortlich für Unübersetzbarkeit, Nichtmitteilbarkeit, unerschöpfliche Vieldeutigkeit. Das Lesen ist ein transitorisches Verfahren. Es erfordert schnelle Bewegung des Intellekts vom Buchstaben zum Geist,vom Besonderen zum Allgemeinen,von der Oberfläche zur Tiefe. Die Kraft des Verstandes zeigt sich in der Geschwindigkeit, mit der man sich vom einen zum andern bewegt. Das Starren ist eine anhaltende Aufmerksamkeit in dem Doppelsinne, das hier der Blick zum Halten und Verweilen gebracht wird. Er haftet am Objekt und kehrt zu ihm in unvermindertem Staunen zurück. Das Lesen ist ein transitives Verfahren. Je minimaler die Ablenkung durch die Materialität des Zeichens, desto gesicherter die Konzentration.Vom unaffizierten klinischen Beobachter darf man die verläßlichste Deutung erwarten. Das Starren hingegen ist ein medialer Akt. Er schlägt auf den Beobachter zurück, der Blick affiziert das Subjekt und verändert es im Zuge der Kontemplation. (Assmann 1995, 241– 242)
In einer Literaturausstellung – und dieses Phänomen teilt sie mit der Literatur selbst, hierin ist sie wie Literatur – kann das Lesen daher vom transitiven zum medialen Akt werden.
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Stufen der Besucheraktivierung – Ein Ausstellungsentwurf zur frühromantischen Programmzeitschrift Athenaeum 1 Besucher·innen im Fokus der Literaturausstellung Das Museum galt bis über die Jahrtausendwende hinaus als Kulturinstitution, in der Archiv- und Sammlungsbestände wissenschaftlich aufbereitet einer nicht weiter diversifizierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und präsentiert wurden. Verdeckt blieb dabei, dass unter Öffentlichkeit implizit eine bestimmte Rezeptionsgruppierung verstanden wurde, die man als „Bildungsbürgertum“ umschreiben könnte. Diese Engführung auf eine akademisch gebildete Zielgruppe geriet in den letzten zehn bis 15 Jahren zunehmend in die Kritik. Die zahlreichen Publikationen in den letzten zehn Jahren spiegeln diesen Trend der Museumsforschung klar wider.¹ Die Tendenz geht zur sogenannten „kritischen Museologie“ (Mörsch et al. 2017, 11) oder „Soziomuseologie“ (Moutinho und Primo 2020).² Der Fokus ist nicht mehr (nur) auf das Objekt gerichtet, sondern auf die Besucher·innen. Es geht um die Möglichkeit zur Selbsttätigkeit durch verschiedene Impulse in der Ausstellung, die sich als 1) Schule des Schauens, des Denkens und der Kreativität durch Medialität und Inszenierung, als 2) Angebote zur Interaktion und 3) zur Partizipation beschreiben lassen. Viel diskutiert wurde im letzten Jahrzehnt die „partizipatorische Wende“, die die Besucher·innen erstens von bloßen Rezipienten und Konsumenten zu emanzipierten „Gegenwartsakteuren“ machen möchte, denen dann durch ihre Handlungen zweitens eine mitgestaltende Rolle beim Ausstellungsbesuch zukommt, die dazu führt, dass sich die Ausstellungen
Vgl. z. B. Gesser et al. 2012, Simon 2012, Schnegg 2012, Hanak-Lettner 2014, Tyradellis 2014, Mandel 2016, Mörsch 2017, Mörsch et al. 2017, Sachs 2017, Sieber 2017, Mersmann 2019, Gesser et al. 2020. Als einer der vehementesten Vertreter der neuen Museologie spricht Tyradellis von Museen als „ein[em] Ort des Widerstands gegenüber [den] Verarmungen des Denkens und der Phantasie, vor allem aber [einem Ort] des Nachdenkens über diesen Prozess“ (Tyradellis 2014, 17; zum Medium Ausstellung als einem „dritten Ort“ vgl. Tyradellis 2014, 22). Ähnlich bewertet Latour Ausstellungen als „Medi[en] zur Gedankenentwicklung“ und des „Gedankenaustauschs“ (Mersmann 2019, 18 – 23; vgl. Tyradellis 2014, 134– 159). https://doi.org/10.1515/9783110691566-004
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mit jedem aktiv teilhabenden Besucher verändern. Damit werden die Ausstellungsräume zu dynamischen „Denk“- und „Gegenwartsräumen“, die aus der „Verschränkung von inhaltlicher Konzeption, räumlicher Gestaltung und sozialer Praxis/Handlung durch die Besucher“ (Hächler 2012, 139) entstehen. Es stellt sich die Frage, ob und wie die Wende hin zum Besucher für das Literaturmuseum fruchtbar gemacht werden kann, bietet doch der Gegenstand der Literaturausstellung, die Literatur, Denkräume, Möglichkeiten zum Meinungsaustausch, Zwischenräume für Bedeutungsoffenheit, Räume für Fantasie, Räume für Emotionen, die nahezu ideal sind, die Selbsttätigkeit des Besuchers zu wecken. Im Fokus dieses Aufsatzes steht anhand eines Ausstellungsentwurfs zu einem schwer zugänglichen Text, der frühromantischen Zeitschrift Athenaeum, die Frage, wie Besucheraktivierung in einer Literaturausstellung auf unterschiedlichen Ebenen funktionieren kann und auf welche Weise Kreativität und Selbsttätigkeit durch sie geweckt werden kann. So können sich bei Besucher·innen – neben ohnehin intendierten Lernerfahrungen – Aha-Erlebnisse, Staunen, Überraschung, Neugierde, die Lust am Investigativen einstellen; die Ausstellung kann zum Nachdenken anregen, kritisches Infragestellen provozieren, Positionierungen herausfordern, seine Sensationslust bedienen, schockieren, irritieren, sie kann vor Rätsel stellen und Nachforschungen veranlassen, um bisher Ungeklärtes ans Licht zu bringen, sie kann Gegenwartsbezüge andeuten und Aktualisierungen anbieten, und schließlich kann sie die kreative Eigeninitiative der Besucher·innen fördern, um selbsttätig in die bestehende Schau zu intervenieren und sie durch den eigenen Beitrag zu verändern. Dabei gibt es unterschiedliche Ausstellungsformate, die die Besucher·innen auf je verschiedene Weise aktivieren können und sich deshalb im Idealfall gegenseitig ergänzen. Dieses Nebeneinander verschiedener Ausstellungsformate und Rezeptionsebenen zeige ich an einem beispielhaften Ausstellungsentwurf zum frühromantischen Zeitschriftenprojekt Athenaeum unter Einbezug aller relevanten Kontexte und Konstellationen, der unmittelbaren Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, die in mehreren als „ästhetische Prügeley“ in die Literaturgeschichte eingegangenen Skandalen endete. Der Ausstellungsentwurf ist als Idee für ein mögliches Projekt in einem Literaturmuseum oder einer RomantikGedenkstätte zu betrachten und wurde bisher nicht realisiert.
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2 Ausstellungsformate zur Zeitschrift Athenaeum in fünf Stationen Im Ausstellungsentwurf zum Athenaeum setzt sich das Raumbild aus verschiedenen Formaten zusammen, die entweder auf Materialität und Medialität oder Inszenierung basieren (vgl. Hochkirchen und Kollar 2015) und um partizipative sowie interaktive Anteile ergänzt werden. Dabei wird versucht, der Bandbreite der von Heike Gfrereis erläuterten vier Dimensionen von Literatur (vgl. Gfrereis 2012) gerecht zu werden. Der hier vorgeschlagene Ausstellungsentwurf ist als Versuch zu verstehen, die Besucher·innen über Selbsttätigkeit in eine Beziehung zu den Autoren und Texten treten und sie auf diese Weise eine eigene, reflektierte Position finden zu lassen. Es handelt sich um einen Rundgang. Den Besucher·innen wird empfohlen, diesen in der entsprechenden Reihenfolge abzuschreiten. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, der hier entwickelten Choreografie des Spannungsaufbaus zu folgen. Anhand der Geschichte eines Exponats von seiner Entstehung bis hin zu seiner Wirkung soll der Parcours eine dramatische Steigerung in doppelter Hinsicht bieten: sowohl hinsichtlich seiner Medialität (ausgehend von der Materialität des Exponats hin zur multimedialen Inszenierung) als auch in Bezug auf die Besucheraktivierung, die von der Auslösung intellektueller Spurensuche und Entdeckerfreude bis hin zur Emotionalisierung und Provokation einer eigenen Positionierung reicht. Interaktive und partizipative Elemente sollen diese Effekte steigern und zur Dynamisierung der Ausstellung beitragen.
2.1 Erste Station: Demonstration von Autorschaft auf dem Titelblatt einer Zeitschrift Ausgangspunkt sind zunächst die sechs originalen Hefte von 1798, 1799 und 1800, die in jedem dieser Jahre im April/Mai und im Juli/August erschienen und zu insgesamt drei Bänden, also nach Jahrgängen, zusammengebunden sind. Die drei Bände sind an verschiedenen Stellen aufgeschlagen. Beim ersten Band ist das Titelblatt des ersten Heftes aufgeschlagen, beim zweiten Band die erste Seite des Essays „Über die Philosophie. An Dorothea“ (vgl. Schlegel 1799a, 1799b) genannt, der als erster Beitrag für das dritte Heft im 2. Band von Friedrich Schlegel verfasst wurde und als eines der überzeugendsten Beispiele für die Gender-Diskussion der Frühromantiker gelten kann, beim dritten Band der Anhang zum fünften Heft: die gedruckte Liste mit den 285 Rezensionen, die August Wilhelm Schlegel für die Allgemeine Literatur-Zeitung (A.L.Z.) geschrieben hatte (vgl. u. a. Schlegel 1799c).
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Über der Vitrine (Abb. 1) sind vergrößerte Kopien der Inhaltsverzeichnisse der sechs Hefte und der „Vorerinnerung“ angebracht, und allen drei aufgeschlagenen Seiten ist eine Installation zur Kontextualisierung zugeordnet. Neben der Vitrine befinden sich auf einem Tisch sechs gebundene Kopienhefte für die Besucher·innen zum Blättern. Zunächst zur Medialität des Titelblattes, das Betrachter·innen einiges über die Konzeption des Heftes und seine Besonderheiten verrät.³ Auffällig ist vor allem die Nennung der Schlegel-Brüder als Autoren des Heftes, nicht als Herausgeber, was bei Zeitschriften durchaus unüblich ist und war. In der Regel haben Zeitschriften mehrere Beiträger. Die Schlegels geben damit die Zeitschrift als ihr eigenes Organ aus. Auf dem Titelblatt findet sich auch das Inhaltsverzeichnis. Dies ist ebenfalls nicht unüblich bei Zeitschriften und Zeitungen, allerdings ist es ein klarer Verweis darauf, dass das Athenaeum zunächst in Form eines Heftes vorlag, bei dem die Notwendigkeit bestand, einen schnellen Überblick über den Inhalt mitzuliefern. Tatsächlich findet sich allerdings von den insgesamt sechs Heften kein einzelnes mehr: Sofort nach Veröffentlichung des 2. Heftes im Jahr scheinen sie zu einem Jahrgangs-Band zusammengebunden worden zu sein. Betrachtet man nun das Inhaltsverzeichnis genauer, fällt ein Name ins Auge, der im Titel nicht als Autor genannt wurde: Novalis. Daraus wird deutlich, dass es auch weitere Beiträger des Athenaeum gab. Darüber hinaus sind die Beiträge mit den Namenskürzeln „W.“ und „F.“ gekennzeichnet – damals eigentlich ein Tabubruch, da in Zeitschriften, die größtenteils der Literaturkritik galten, Anonymität gewahrt bleiben sollte. Hinzu kommt, dass Friedrich Schlegel, der eigentliche Initiator der Zeitschrift, hier nur als Nebenfigur auftritt – unter dem Aspekt der Verbrüderung im dritten Beitrag. Das Titelblatt weckt bei den Besucher·innen Wissbegierde und die Lust an der Spurensuche, indem es Fragen aufwirft: Wie verhält es sich mit der Autorschaft beim Athenaeum? Handelt es sich um Herausgeber- oder Autorschaft? Gibt es neben Novalis noch weitere Beiträger? Und die oder der mit dem Journalwesen des achtzehnten Jahrhunderts vertraute Besucher·in wird fragen, wieso im Athenaeum, anders als in anderen literaturkritischen Zeitschriften der Zeit, alle Beiträge mit Namen gekennzeichnet sind.
Für die Ausgestaltung dieser Station vgl. die Anregungen von Gfrereis und Raulff 2011, Metz 2011, Wirth 2011.
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Abb. 1: Athenaeum. Eine Zeitschrift. Herausgegeben von August Wilhelm und Friedrich Schlegel. Berlin, 1798. Titelblatt zum ersten Heft (Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter GoetheMuseum).
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2.2 Zweite Station: Zur Genese des Athenaeum. Ein Produkt „epistolar.[ischer] Symphilosophie“ (Schlegel 1985 [1797], 135) Damit komme ich zu der dem Titelblatt des ersten Heftes zugeordneten Installation.⁴ Dabei handelt es sich um einen Schreibtisch mit mehreren Schubfächern und einem digitalen Display. Hier finden Besucher·innen alle wichtigen Informationen zur Entstehungsgeschichte des Athenaeum. Auf dem Display können sie auswählen, welche Fragen ihn besonders interessieren und wozu sie mehr Informationen haben möchten. Die folgenden Informationen werden grundsätzlich in Form von Zitaten mit Kommentierung vermittelt: der Plan zum Athenaeum, wie er im Gründungsdokument, dem Brief vom 31. Oktober 1797 von Friedrich Schlegel an seinen Bruder August Wilhelm festgelegt wurde; die „Vorerinnerung“, in der sich die Schlegel-Brüder zu Intention, Aufbau, Inhalt und Struktur des Athenaeums, zu ihrer Zusammenarbeit wie auch zu weiteren Mitarbeitern äußern; zur Titelgebung der Zeitschrift – hier werden verschiedene Briefzitate vor allem von Friedrich Schlegel angeführt (vgl. Schlegel 1985, 32, 43, 53, 79) –; zur demokratischen Organisationsform der Zusammenarbeit der Brüder, beispielsweise dem gegenseitigen Vetorecht (vgl. Schlegel 1985, 59, 83, 111– 112, 133); zur formalen Einrichtung der Zeitschrift: Papier, Schrifttypus, Format, Rechtschreibung (vgl. Schlegel 1985, 47, 74– 75, 104); zu finanziellen Fragen wie dem Bogenhonorar für Beiträge, das vom Verlag zu zahlen war, dem Preis der Zeitschrift etc. (vgl. u. a. Schlegel 1985, 32); zu den zwei Texten vom Jenaer Romantikertreffen vom 11. bis 15. November 1799 von Novalis (später: Die Christenheit oder Europa) und Schelling: Epikureisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens, die nicht ins Athenaeum aufgenommen wurden und dem Schriftwechsel dazu (vgl. Schlegel 2009, 23 – 25; Schlegel 1799c; Schleiermacher 1799). Als Beispiel für die reichhaltigen Erkenntnisse, die Besucher·innen nun bei ihrer Spurensuche erhalten können, sei hier Friedrich Schlegels Brief vom 31. Oktober 1797 angeführt, in dem er seinem Bruder den Plan zu Athenaeum darlegt: Nähmlich ein Journal von uns beyden nicht bloß edirt, sondern ganz allein geschrieben, ohne alle regelm[äßige] Mitarbeiter, wo weder Form noch Stoff näher bestimmt wäre […] Ich war sehr für die Ungerschen Lettern, er wünscht aber daß wir dieß nicht zur Bedingung machen möchten. Sage mir auch darüber Deine Meynung. Ich wünschte es eigentlich sehr
Zur Ausgestaltung der Inszenierungen vgl. die Anregungen bei Lange-Greve 2005, Autsch 2011, Kutzenberger 2013, Ilbrig 2015.
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dafür. Sonst hat der Vieweg gewöhnlich miserabeln Druck. – Denk Dir nur den unendlichen Vortheil, daß wir alles thun und lassen könnten, nach unserm Gutdünken. […] Ich hoffe, daß auch Carol.[ine] durch die Schönheit des Unternehmens angefeuert werden wird, mehr Theil zu nehmen als bisher. – Ich sagte zwar, keine regelmäßige[n] Mitarbeiter, weil man doch nur für sich allein stehn kann. Doch mit der Ausnahme, daß wir Meisterstücke der höhern Kritik und Polemik aufspürten wo sie zu finden wären. – Ja auch überhaupt Alles, was sich durch erhabne Frechheit auszeichnete, und für alle andren Journale zu gut wäre. Um Dir nur eine Idee zu machen: Hardenberg hat mir über den Meister und über manche philos.[ophische] Materie Sachen zum Druck geben wollen, für die ich mich als Diaskeuasten angeboten habe. Beydes könnte gewiß nirgends anders gedruckt [werden]. Mein Freund Schleyermacher, der mich neulich durch eine wirklich große Skizze über die Immoralität aller Moral überrascht, hat einige kritische Sachen vor, die glaube ich meisterhaft ausfallen dürften […]. Ein andrer großer Vortheil dieses Unternehmens würde wohl seyn, daß wir uns eine große Autorität in der Kritik machen, hinreichend, um nach 5 – 10 Jahren kritische Dictatoren Deutschl.[ands] zu seyn, die A.[Ilgemeine] L.[itteratur‐] Z.[zeitung] zu Grunde zu richten, und eine kritische Zeitschrift zu geben, die keinen andren Zweck hätte als Kritik. […] Der Titel ist Eure Sache. Ich und Schl[eyermacher] sind für Herkules. Man könnte da leicht so die Idee von Herk.[ules] Musagetes herziehn, da so viel der jetzigen Musageten, von den herkulischen Arbeiten, die doch auch in der Poesie und in der Kritik vorfallen, gar keinen Begriff haben. – Ich hatte erst Freya im Sinne, nicht ohne Zweydeutigkeit. Dagegen ist aber Schleyerm.[acher]. Denkt ja darauf. Die neueste Spötterey über den Herkules thut nichts. Dafür ist die Keule. (Schlegel 1797)
Dieses lange Zitat zeigt, dass detektivischer Spürsinn, hat er sich einmal auf die Suche gemacht nach weiteren Zeugnissen zur Entstehungsgeschichte eines Exponats, nicht bei einem Dokument stehen bleiben muss. Idealerweise bringt dieser Brief zwar die Auflösung einiger, vom Titelblatt ausgehender Fragen, erhöht aber gleichzeitig die Wissbegierde und die investigative Lust, Neues zu entdecken. Er enthält nämlich so viele Hinweise auf die Organisationsstruktur des Athenaeum als er auch neue Fragen aufwirft: Regelmäßige Mitarbeiter·innen sollte es nicht geben, sporadische hingegen schon, neben Novalis wird Schleiermacher genannt. August Wilhelm Schlegel wird ermahnt, nicht zu einem Vielschreiber zu werden. Gleichzeitig erfährt man etwas über die Pläne hinsichtlich des Titels für die Zeitschrift, über die genauen Pläne, was die formale Gestaltung (hier: das Schriftbild) des Athenaeum angeht, die Frontstellung zu einer anderen Rezensionszeitschrift, der A.L.Z. und dem expliziten, für diese Zeit ebenfalls untypischen Versuch, auch Frauen – hier wird Caroline genannt, später wird auch Dorothea Veit einbezogen – als Beiträgerinnen für das Unternehmen zu gewinnen. Es liegt also nahe, den Dingen, die von besonderem Interesse sind, weiter auf den Grund zu gehen, so z. B. dem Genderkonzept der Frühromantiker oder dem Konflikt zwischen Athenaeum und A.L.Z. Antworten erhalten Besucher·innen entweder an anderer Stelle im Raum oder/und schon durch die Kommentierung des Briefs, z. B.
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durch Mouseover oder durch Weiterleitung zu einer anderen aussagekräftigen Textstelle. Von dieser Feststellung ausgehend, gelangt man auch zum nächsten in der Vitrine gezeigten Exponat – dem zweiten, 1799 erschienenen Band des Athenaeums, bei dem der Essay „Über die Philosophie. An Dorothea“ aufgeschlagen ist. Der Aufsatz wird hier in Auszügen gezeigt und kommentiert; von hier aus gibt es auch einen Hinweis auf die dritte Station, das begehbare Buch, in der die für die Genderthematik aussagekräftigste Passage⁵ präsentiert wird. Die folgende Stelle aus der „Vorerinnerung“ verrät viel über die Programmatik bzw. das Konzept des Journals: „Bey dieser [freyesten Mittheilung] leitet uns der gemeinschaftliche Grundsatz, was uns als Wahrheit gilt, niemals aus Rücksichten nur halb zu sagen“ (Schlegel und Schlegel 1798, III). Damit stellen sich die Schlegels von vornherein in Opposition zu Schillers Zeitschrift Horen (1795 – 1797), in deren „Vorwort“ die Intention, einen Beitrag für die Verbesserung der Sittlichkeit zu leisten, deutlich zum Ausdruck gebracht wird: Aber indem sie sich alle Beziehungen auf den jetzigen Weltlauf und auf die nächsten Erwartungen der Menschheit verbietet, wird sie über die vergangene Welt die Geschichte, und über die kommende die Philosophie befragen, wird sie zu dem Ideale veredelter Menschheit, welches durch die Vernunft aufgegeben, in der Erfahrung aber so leicht aus den Augen gerückt wird, einzelne Züge sammeln, und an dem stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt, nach Vermögen geschäftig seyn. (Schiller 1795)
Die Stelle wird kommentiert und die Besucher·innen werden zur Einleitung der Horen und der entsprechenden Textstelle weitergeleitet. Das Kontrastprogramm der Frühromantiker in Abgrenzung zu Schiller wird auch deutlich, wenn man die Länge der einleitenden Texte betrachtet: Während Schillers Einführung mit sieben Seiten fast ein eigener Beitrag zum Heft ist, umfasst die „Vorerinnerung“ der Schlegel gerade anderthalb Seiten. Zu jedem der Themen findet die/der Besucher·in Kopien der entsprechenden Briefe bzw. Dokumente in den Schreibtischschubladen und kann sie mitnehmen;
„[…] die Geschlechterverschiedenheit ist nur eine Aeußerlichkeit des menschlichen Daseyns und am Ende doch nichts weiter als eine recht gute Einrichtung der Natur, die man freylich nicht willkührlich vertilgen oder verkehren, aber allerdings der Vernunft unterordnen, und nach ihren höhern Gesetzen bilden darf. In der That sind die Männlichkeit und die Weiblichkeit die gefährlichsten Hindernisse der Menschlichkeit, welche nach einer alten Sage in der Mitte einheimisch ist und doch nur ein harmonisches Ganzes seyn kann, welches keine Absonderung leidet. […] Nur sanfte Männlichkeit, nur selbstständige Weiblichkeit sey die rechte, die wahre und schöne“ (Schlegel und Schlegel 1799, 8).
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ebenso stehen auf dem Schreibtisch Boxen mit Postkarten zum Mitnehmen zu allen Athenaeum-Mitarbeiter·innen mit steckbriefartigen Informationen. Die Station soll Aha-Erlebnisse erzeugen und wiederum die Lust an der Spurensuche und am Entdecken sowie Neugierde wecken; daneben können die von den Schlegel-Brüdern dargelegten Intentionen des Athenaeum zum Nachdenken anregen, Widerspruch provozieren und irritieren. Die zu dieser Station gehörigen partizipativen Anteile beziehen sich auf zwei Fragen. Die erste ist die der Titelgebung des Athenaeum: Was hat es zu bedeuten, dass Friedrich Schlegel die Zeitschrift zunächst „Herkules“, „Freya“, „Dioskuren, „Parzen“ oder gar „Schlegeleum“ nennen wollte, welche Assoziationen lösen diese vorgeschlagenen Titel aus, warum hat man sich dann doch für „Athenaeum“ entschieden, was bedeutet dieser Name und wie hätte möglicherweise eine Zeitschrift mit dem Titel „Herkules“ ausgesehen? Auf dem Schreibtisch liegt überdies ein mythologisches Lexikon mit Markierungen, das die/der Besucher·in verwenden kann. An zweiter Stelle stellt sich die Frage: Was ist für die Besucher·innen wichtiger: dass eine Zeitschrift einen Beitrag zur Sittlichkeit, Moral, Ethik leistet und damit auch im Dienst der Gesellschaft steht oder dass eine Zeitschrift in allen ihren Beiträgen sich nur der Wahrheit und der Kunst ohne weitere Rücksichten verpflichtet sieht? Zu jedem der beiden Themen steht je ein Besucherbuch in Form eines Notizbuches zur Verfügung. Die Besucherbücher zu den einzelnen Themen werden, sobald sie voll sind, in ein eigens dafür zur Verfügung stehendes Regal gestellt und werden damit zu Teilen der Ausstellung.
2.3 Dritte Station: ein „begehbares“ Athenaeum In der Mitte des Raums wird das Athenaeum als begehbares Buch inszeniert. Es bildet eine Art Dickicht von der Decke herabhängender Seiten aus stabilem, aber beweglichem Material im Format und der Farbe der originalen Athenaeum-Seiten, allerdings auf ca. 80 x 60 cm vergrößert, die unten teilweise abgeschnitten und ausgefranst sind und so das Fragmentarische inszenieren. Hier findet sich eine Auswahl aus den Athenaeums-Fragmenten sowie Passagen aus weiteren Athenaeums-Texten: „Über die Philosophie. An Dorothea“ (Schlegel 1799, 1– 39), „Gespräch über die Poesie“ (Schlegel und Schlegel 1800, 58 – 121), „Über die Unverständlichkeit“ (Schlegel und Schlegel 1800, 335 – 352). Das neue Kunstpro-
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gramm der Frühromantiker, das neue Gendermodell und das neue Geselligkeitskonzept sollen damit vorgestellt werden.⁶ Die Schrift soll von zwei Seiten unterschiedlich lesbar sein: von der einen Seite in den für das Athenaeum typischen Fraktur-Lettern, von der anderen in lateinischer Schrift. Durch diese Inszenierungsform gewinnt das Exponat erstens an Räumlichkeit, wird zweitens begehbar und damit auch sinnlich von den Besucher·innen durch die Bewegung im Raum erfahrbar und drittens werden die Inhalte des Athenaeum zumindest zum Teil transparent. Verfremdungseffekte im Vergleich zum Original in der Vitrine führen zudem Sinnlichkeit und Erkenntnis zusammen. Geweckt werden Neugierde und Entdeckerlust, die Texte stimmen nachdenklich, provozieren oder lösen Heiterkeit aus. Besonders die sinnliche Erfahrbarkeit im Raum bewirkt, dass diese Station auch als Brücke und Übergang zu den folgenden Stationen verstanden werden kann, indem sie die Besucher·innen auf eine stärkere Involvierung vorbereitet. Die partizipativen Anteile dieser Station bestehen aus Postkarten mit aufgedruckten Fragmenten, mit denen die Besucher·innen interagieren können, indem sie diese ergänzen oder eigene Antworten verfassen können, auf die die Besucher·innen entweder antworten oder die sie weiterschreiben können. Als Beispiel wäre hier das 216. Athenaeums-Fragment zu nennen, das die Französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Wilhelm Meister als die drei Tendenzen des Zeitalters benennt (vgl. Schlegel und Schlegel 1798, 232). Ebenso wie sich die Zeitgenossen Schlegels provoziert fühlten, diesem Fragment andere Tendenzen entgegenzusetzen, können die Besucher·innen überlegen, welche Tendenzen der Gegenwart sie für zukunftsweisend halten bzw. für die nähere Zukunft diagnostizieren würden. Sie können die Karte (mit oder ohne Antwort) mitnehmen – oder in einen Briefkasten stecken. Eine Auswahl davon wird dann im Raum ausgestellt. Mehrere Tablets mit jeweils kurzen Auszügen aus frühromantischen – oft Fragment gebliebenen – Romanen (Lucinde, Godwi, Heinrich von Ofterdingen, Franz Sternbalds Wanderungen) und ausgewählten Gedichten bieten den Besucher·innen eine interaktiv-partizipative Einführung zum Thema der „Sympoesie“. Die Besucher·innen können die Texte um- oder weiterdichten oder auch darauf antworten. Jeder kann den Text des Vorgängers ergänzen oder von Neuem beginnen. Erläutert wird „Sympoesie“ im 125. Fragment. Es geht darum, dass „mehre [sic] sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten“ (Schlegel und Schlegel 1798, 33). Entsprechend heißt es im „Gespräch über die Poesie“ von Friedrich Schlegel, dass der Literat gesellig sein müsse. Ziel ist es,
Vgl. Oesterle 2015.
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„die beschränkte, individuelle Poesie, die [der Mensch] in sich trägt, der höchsten zu nähern, die überhaupt auf Erden möglich ist“ (Schlegel und Schlegel 1800, 58). Grundsätzlich geht es darum, dass in der Zusammenarbeit nicht einer oder beide ihre Eigenheiten aufgeben, sondern jeder seine eigene Individualität und seine Stärken in Ergänzung zur Individualität und den Stärken des anderen steigert. An den Tablets können die Besucher·innen nach einem beispielhaften Modell gemeinsam eine Fortsetzungsgeschichte verfassen. Eigentlich ein Spiel, das man aus der Kindheit kennt: Jeder schreibt dabei ein bis zwei Sätze und schließt sie so ab, dass der Anschluss für den nächsten möglichst schwer ist. Die Besucher·innen haben die Wahl, ihre Beiträge im Tablet zu speichern oder nicht; die abgespeicherten neu entstandenen Geschichten werden nach einiger Zeit aus den Tablets ausgelesen, gebunden und zu den Besucherbüchern ins Regal gestellt.
2.4 Vierte Station: ein publizistischer Skandal Die Inszenierung der im fünften Heft aufgeschlagenen Athenaeum-Seiten in der Vitrine (Abb. 2), der Liste mit den 285 Rezensionen, bildet die vierte Station. Unter der Überschrift „In Bezug auf die mich betreffenden Erläuterungen der Herausgeber der allgemeinen Litteratur-Zeitung (1799 Intell.Bl. Nro. 145.) gebe ich folgendes vollständige Verzeichniß meiner zur Allg. Lit.Zeit. beygetragenen Rezensionen“ (Schlegel und Schlegel 1800, 164) erkennt die/der Betrachter·in ohne Vorwissen an der kleineren Schrifttype, dass es sich hier um einen Zusatz handelt, der nicht direkt zur Zeitschrift gehört. Die Publikation dieser Liste stellte den Höhepunkt eines publizistischen Skandals dar, der sich im Frühjahr 1799 anbahnte und hier kurz skizziert werden soll. Die Allgemeine Literatur-Zeitung hatte bis dahin keine Rezension zum Athenaeum veröffentlicht, das schon seit April 1798 erschien. Dieses Versäumnis kam einem Loyalitätsbruch gegenüber August Wilhelm Schlegel gleich, der einer der engagiertesten Rezensenten für die A.L.Z. war und deshalb eine Nachfrage an die Herausgeber stellte. Diese reagierten zurückhaltend bis ablehnend. Nach Vorfällen im Herbst, die deutlich werden ließen, dass die A.L.Z. sich auf die Seite der Romantiker-Gegner stellte, kündigte Schlegel seine Mitarbeit und veröffentlichte eine Liste seiner 285 für die A.L.Z. verfassten Rezensionen – ein eklatanter Tabubruch, weil Schlegel mit dem Anonymitätsprinzip bei Rezensionen brach und damit die A.L.Z. bloßstellte. Die Station besteht aus einer Wandinstallation mit 285 sehr schmalen Schubfächern, in die maximal fünf laminierte Seiten passen müssen: Schlegels Rezension in der jeweiligen Optik ihres Erscheinens in der A.L.Z., eine Tran-
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Abb. 2: „[…] vollständige[s] Verzeichniß meiner zur Allg. Lit.Zeit. beygetragenen Rezensionen“. Athenaeum, 3 Herausgegeben von August Wilhelm und Friedrich Schlegel. Berlin, 1800. Erstes Stück, Anhang (Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum).
skription der Frakturschrift und eine Erläuterung, was Schlegel rezensiert hat. Bei Interesse können Besucher·innen die Schubfächer herausziehen und die Rezensionen lesen. Zur Installation gehört ein Dokumentenschrank Schlegels mit der „Causa Allg. Litteratur-Zeitung“ als Jahresabschluss 1799, aus dem Besucher·innen Dokumente als Reproduktionen (mit jeweiliger Transkription) entnehmen und näher ansehen können, so u. a. den Briefwechsel zwischen Schlegel und den Herausgebern der A.L.Z. Schütz und Hufeland, in dem es um die bisher fehlenden
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Rezensionen des Athenaeum in der A.L.Z. geht; den „Abschied von der Allg. Lit.Zeitung“ vom 30. Oktober, der am 13. November als von Schlegel selbst bezahlter Beitrag im „Intelligenzblatt“ der A.L.Z. erschien;⁷ einen Brief an Goethe vom 5. November 1799 (Schlegel 1799d), in dem Schlegel von seiner Kündigung bei der A.L.Z. berichtete und als Gründe auch Geschehnisse vom September 1799 anführte;⁸ eine negative Rezension von Ludwig Ferdinand Huber zum Athenaeum, die im November 1799 in der A.L.Z. erschien, ein Überblick über die Einnahmen durch die Rezensententätigkeit bei der A.L.Z. und den finanziellen Verlust, der für Schlegel durch seine Kündigung entstand (vgl. Berger 2020, 110 – 113) und die Liste von Rezensionen, die im fünften Athenaeums-Heft im April 1800 erschien. In seiner Rezension des Athenaeum kritisierte Huber den angeblich publikumsfernen Gestus schon in der „Vorerinnerung“: Ein Journal, so meint er, trete in ein kommunikatives Verhältnis zu seinem Publikum; und diese kommunikativen Regeln brechen Huber zufolge die Schlegels explizit in der „Vorerinnerung“ und zudem durch ihren herabwürdigenden Tonfall (vgl. Fambach 1958, 471– 474). Dadurch, dass die Geschichte anhand von Zitaten erzählt wird, ist wiederum der detektivische Spürsinn der Besucher·innen gefragt, weiterhin wird hier schon die Parteienbildung zwischen den Frühromantikern und ihren Gegnern deutlicher und fordert die Besucher·innen zu eigener Urteilsbildung und Positionierung heraus. Verstärkt wird die Erkenntnis, wie modern dieser Konflikt ist, dann möglicherweise durch die partizipativen Inhalte der Station. Es gibt hier insgesamt vier Besucherbücher, in denen die Besucher·innen ihre Haltung zu verschiedenen Fragen darlegen können. Die Fragen, die das Verhältnis zwischen Autor und Publikum betreffen, könnten lauten: „Wie würden Sie als Leser·in reagieren, wenn Sie sich provoziert fühlen?“, „Wie wichtig, denken Sie, sind Rezensionen für den Erfolg einer Publikation?“, „Wie stellen Sie sich eine Literaturzeitschrift vor, die Sie gerne und mit Interesse lesen würden?“, „Welche Vorund Nachteile hat es, wenn Beiträge anonym erscheinen?“. Auch diese Besucherbücher werden, sobald sie voll sind, in das dafür vorgesehene Regal gestellt und bilden somit einen Teil der Ausstellung.
Auf diesen „Abschied“ wird in der Überschrift des Verzeichnisses hingewiesen (vgl. Denissenko 2004, 118). Schütz habe das deutlich gegen das Schlegels gerichtete Pasquill Der Hyperboreische Esel von August von Kotzebue im privaten Kreis aufführen lassen. In der A.L.Z. sei zwar noch keine Rezension zum Athenaeum erschienen, indes aber eine positive von Ludwig Ferdinand Huber, derzeit Redakteur bei der Stuttgarter Allgemeinen Zeitung des bekannten Verlegers Cotta, zu Friedrich Nicolais Briefroman Vertraute Briefe von Adelheid B** an ihre Freundin Julie S** abgedruckt worden. Auch der Briefroman begibt sich in klare Opposition zur frühromantischen Gruppe.
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2.5 Fünfte Station: Konflikteskalation oder die „ästhetische Prügeley“ Die fünfte Station präsentiert in einer multimedialen Installation die höchste Eskalationsstufe des bisher vorgestellten Konfliktes: einen der ersten umfassenden Literaturskandale in Deutschland, auch „ästhetische Prügeley“ (Kotzebue 1803) genannt. Ausgangspunkt sind zunächst wieder die Publikationen in der Vitrine: die schon erwähnten antiromantischen Streitschriften von Kotzebue und Nicolai – das Pasquill Der hyperboreische Esel (Abb. 3) und der Briefroman Vertraute Briefe von Adelheid B** – sowie die Verssatire Ehrenpforte und Triumphbogen von August Wilhelm Schlegel. Allein die Titelblätter verraten – anders als die zum Athenaeum – den Charakter der Werke als satirische Streitschriften und machen schon aufgrund ihrer Gestaltung neugierig. Kotzebue gibt seinem Pasquill den Titel Der hyperboreische Esel oder: Die heutige Bildung. Ein drastisches Drama, und philosophisches Lustspiel für Jünglinge (Kotzebue 1801 [1799]). Auf dem Kupfer sieht man einen Jüngling in römischem Gewand mit Lorbeerkranz und Harfe auf einem Sockel sitzen, neben dem ein Esel steht. Die lateinische Unterschrift „Saltantes Satyros imitabitur“ heißt soviel wie „Springende Satyren werden imitiert“. Schon darin erkennt man eine Anspielung auf Friedrich Schlegel, von dem verbürgt ist, dass er gerne in römischem Kurzhaarschnitt und nachlässiger Kleidermontur in der Öffentlichkeit auftrat (vgl. Zimmermann 2009, 147). Der Esel neben dem Jüngling ist ein Seitenhieb auf das Athenaeums-Fragment 197 über die Originalitätssucht in der deutschen Literatur (vgl. Schlegel und Schlegel 1798, 52) und damit auch auf Friedrich Schlegel – im Titel selbst schreibt Kotzebue seinem Pasquill gleich zwei Gattungen zu: „drastisches Drama“ und „philosophisches Lustspiel“. August Wilhelm Schlegels Passion als Satiriker, die die Betrachter·innen anzustecken vermag, erkennt man am Vorsatzblatt von Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue (Schlegel 1800a; Abb. 4). Auf der Seite findet man zugleich ein Inhaltsverzeichnis, bei dem ins Auge springt, mit welcher Artifizialität und Virtuosität August Wilhelm Schlegel hier mit Gattungen spielt: Es werden Sonette, Epigramme, ein Festgesang, ein zweiaktiges Schauspiel, Ode, Romanze, Reisebeschreibung usw. aufgeführt. Gegenüber dem eigentlichen Titelblatt, das im Titel nun auch den Zusatz „[…] bey seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland. Mit Musik“ mit angibt, findet sich eine Liste mit Annoncen ausgedachter zukünftiger Werke Kotzebues „nach seiner gehofften Rückkehr“ aus Sibirien, die deutlich Schlegels satirische Lust zeigt (Abb. 5). Während es beim Titelblatt des Kotzebue-Stücks eindeutige Marker gibt, die zeigen, dass es sich um einen gegen Friedrich Schlegel und die „philosophischen Jünglinge“ gerichtetes Pasquill handelt, verhüllt August Wilhelm Schlegel seine
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Abb. 3: August von Kotzebue, Der hyperboreische Esel oder: Die heutige Bildung. Ein drastisches Drama, und philosophisches Lustspiel für Jünglinge. Leipzig 1799, Titelblatt. Quelle: Bayerische Stadtbibliothek digital/Münchener DigitalisierungsZentrum, https://reader. digitale-sammlungen.de//de/fs1/object/display/bsb10113001_00001.html (12. Oktober 2020).
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Abb. 4: [August Wilhelm Schlegel] Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue, Vorsatzblatt (Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum).
drastische Personalsatire durch paratextuelle Rahmung, die zunächst Unkundige der damaligen Literaturszene glauben lässt, es handele sich tatsächlich um eine Ehrung August von Kotzebues, der gerade aus kurzzeitiger sibirischer Verbannung zurück nach Deutschland gekehrt war (vgl. Oesterle 2017). Das Titelblatt der Vertraute[n] Briefe von Adelheid B** an ihre Freundin Julie S** von Friedrich Nicolai (Abb. 6) hingegen verdeckt völlig die Absicht einer parteiischen, auf Personen gerichteten Streitschrift und gibt sich, auch durch das italienische Zitat, eher den Anschein, als handele es sich um einen empfindsamen Briefwechsel zwischen zwei Frauen. Dass sich dahinter eine Schelte gegen die Transzendentalphilosophie und -poesie verbirgt, ahnt die/der Betrachter·in nicht bei Anblick des Titelblattes. Die multimediale Inszenierung an der Wand ist dreigeteilt. Sie besteht zu einem Drittel aus einer Wandinstallation mit Schlagzeilen und Zitaten aus der „ästhetischen Prügeley“, die gleichzeitig Klappen sind, hinter denen sich ein Brief, ein Gedicht oder eine Geschichte verbirgt. So findet sich hier auch eine Vertonung des „Festgesang[s] Deutscher Schauspielerinnen bey Kotzebue’s Rückkehr (mit Musik)“, der sogenannten „Bu-Hymne“ aus Ehrenpforte und Tri-
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Abb. 5: Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue, Titelblatt mit Innendeckel (Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum).
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Abb. 6: Friedrich Nicolai, Vertraute Briefe von Adelheid B** an ihre Freundin Julie S**. Berlin und Stettin, 1799. Quelle: Bayerische Stadtbibliothek digital/Münchener DigitalisierungsZentrum, https://reader. digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10129977_00005.html (12. Oktober 2020).
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umphbogen,⁹ Rezitationen eines Sonetts und eines Trioletts gegen Garlieb Helwig Merkel (vgl. Schmitz 1992, 411– 415), einem Gegner der Frühromantiker. Dieser hatte seinerseits in einem Circularreskript verbreitet (vgl. Schlegel 1799d), dass der Weimarer Herzog Carl August und Goethe das Athenaeum verboten hätten und die Schlegel als „black […] moors“ beschimpft (Härtl 1989, 308).¹⁰ Hinzu kommen Zitate aus den schon in der Vitrine gezeigten satirischen Texten der Frühromantiker und ihrer Gegner, die hin und wieder bei Öffnen der Wandklappe auch laut zitiert werden – so beispielsweise auch das Zitat aus dem Hyperboreischen Esel, das für den Studenten Karl (Friedrich Schlegels zweiter Vorname) eine Einweisung ins Tollhaus empfiehlt. Eine besondere Rolle wird der Position von Goethe innerhalb des Konflikts zugewiesen. Zwischen den Schlagzeilen und Zitaten hängen Postkarten mit Zitaten und Gedichten zum Thema. In der Mitte der multimedialen Wand findet sich die Karikatur „Versuch auf den Parnaß zu gelangen“ (Anonym, 1803; Abb. 7) aus den Ansichten der Literatur und Kunst unseres Zeitalters (Witkowski 1903) interaktiv aufbereitet. Hier können die Besucher·innen alles über die Akteure und auslösende Momente des Skandals erfahren und erhalten auch Kommentare zu den karikierten Personen in den Mund gelegten Zitaten. Der dritte Part ist interaktiv und partizipativ angelegt. Dieser Wandteil besteht aus einer Magnettafel, auf der Zitate aus den schon partiell vorgestellten Texten der beiden Parteien zugeordnet werden sollen. Diese werden durch Porträtköpfe illustriert: Auf der einen Seite stehen die Mitglieder des frühromantischen Zirkels (die Brüder Schlegel, Caroline Schlegel und Dorothea Veit, Novalis, Tieck, Schelling, Fichte), auf der anderen ihre Gegner (Kotzebue, Merkel, Nicolai, Böttiger). Die Magnete werden bei richtiger Zuordnung angezogen, bei falscher abgestoßen. Das Ziel ist, die hohe Virtuosität und Artifizialität zu verdeutlichen, mit der die Frühromantiker ihre Personalsatire weiterentwickeln, während die Gegenpartei zu Attacken übergeht, die teilweise außerhalb des literarischen Diskurses liegen. Auf beiliegenden Klebezetteln können die Besucher·innen diese Zitate ergänzen sowie weiterdichten und die Zettel dazuhängen. Stärker noch als bei der vierten Station werden Besucher·innen hier in den Bann eines eskalierenden Konflikts gezogen. Immer häufiger arbeiteten die Gegner der Jenaer Zirkels mit Zensur, Denunziationen, Fake news, Herabsetzungen, Drohungen, um die verhassten Frühromantiker aus dem literarischen Feld zu Als Beispiel sei hier die erste Strophe des „Festgesangs“ angeführt: „Allerliebster Kotzebue! / Hatten wir doch keine Ruh, / Da man dich von uns genommen / Bis du endlich wiederkommen, / Ach, wir waren sehr betrübt, / Denn wir sind in dich verliebt. / Nun willkommen, Liebster, du / Kotzebue! Kotzebue! / Bubu – Bubu – Bubu – Bu!“ (Schlegel 1992 [1800], 63). Vgl. Ilbrig 2017, 55 – 56., 63.
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Abb. 7: „Versuch auf den Parnaß zu gelangen“ (Anonym, 1803). Ansichten der Literatur und Kunst unseres Zeitalters Weimar: Gesellschaft der Bibliophilen, 1903 (Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethemuseum).
vertreiben, während diese selbst lustvoll ihre Virtuosität in der Personalsatire steigerten und zelebrierten. Kommunikation war auf beiden Seiten nicht mehr von Respekt und Höflichkeit geprägt, sondern von der Bemühung, den Gegner zu beschämen und zu demütigen. In dieser Inszenierung werden auch Wissbegierde und detektivischer Spürsinn angesprochen, allerdings deutlich weniger als bei den ersten beiden Stationen; vielmehr werden Emotionen provoziert, Urteilsbildung und Positionierung angeregt. Rückblickend lässt sich resümieren, dass die Art der Besucheraktivierung von der Dramaturgie der Ausstellung und ihrem Spannungsnarrativ abhängt. Steht in der Exposition die Wissbegierde auf Neues im Vordergrund, die Spurensuche, durch die sich die Besucher·innen in die Ausstellung einbringen, werden sie – über die Stufe der sinnlich-ästhetischen Erfahrbarkeit im Raum – durch immer stärkere Inszenierungen des Konflikts und Emotionalisierung der Thematik involviert und zur Urteilsbildung und Positionierung herausgefordert. Die interaktiven und partizipativen Anteile verstärken im Idealfall bei den Besucher·innen
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den Eindruck, dass das Ausgestellte etwas mit ihnen und ihrer gegenwärtigen Lebenswelt zu tun haben könnte. Da wegen der Komplexität des Themas davon auszugehen ist, dass noch Fragen offengeblieben bzw. ungeklärt sind oder es auch Widerspruch gibt, befindet sich am Ende der Ausstellung eine Fragestation: Besucher·innen können Fragen auf eigens dafür vorgesehene Postkarten schreiben, sie mit ihrer Adresse versehen und erhalten sobald als möglich eine Antwort darauf. Fragen, die zur Ergänzung und Vervollständigung der Ausstellung beitragen, werden nach und nach in die Ausstellung integriert, um diese stets dynamisch zu halten.
3 Aktivierungspotentiale des frühromantischen Programms und der Literaturausstellung Ich möchte diesen Beitrag mit einer Überlegung dazu abschließen, warum ich ausgerechnet die Frühromantik zum Gegenstand dieses hypothetischen Entwurfs gemacht habe. Die Ausrichtung einer Literaturausstellung wird vor allem bestimmt durch das Spezifikum der jeweiligen Literatur selbst. In welcher Weise sind Autoren, literarische Diskursformationen, einzelne literarische Texte usw. anschlussfähig und wofür? Kaum eine zweite Diskursformation eignet sich vor dem Hintergrund dieser Frage so sehr für eine auf Besucheraktivierung ausgerichtete Ausstellung wie die Frühromantik. Die frühromantische Programmatik zielte auf eine ständige fortschreitende Auseinandersetzung; die Texte sind eine Einladung, in permanenter Selbstreflexion auf die Provokationen und Streitangebote einzugehen und damit auch in ständiger Auseinandersetzung sowie Steigerung des eigenen Potentials an einer Neugestaltung und -ausrichtung des Zeitalters mitzuwirken. Der jungen Schriftstellergeneration um die Wende zum neunzehnten Jahrhundert ging es vorrangig darum, die Zukunft in allen Lebensbereichen aktiv und ganz an der Spitze mitzugestalten. Man denke hier beispielsweise an den Künstlernamen Friedrich von Hardenbergs „Novalis“, der übersetzt „der Neuland Bestellende“ heißt (vgl. Schulz 2011, 572), weiterhin an Fichtes erste Jenaer Vorlesung Über die Bestimmung des Gelehrten (1794), in welcher der Philosoph seine Studenten auffordert, als Wissenschaftler Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und nicht im bestehenden System verhaftet zu bleiben, sowie an den Anspruch der Zeitschrift Athenaeum (1798 – 1800), eine „neue Periode der Literatur“¹¹ zu begründen. Besonders wird diese Neuausrichtung aber in der Zeit Novalis an Friedrich Schlegel, Brief vom 26. Dezember 1797 in: Schlegel 1985, 69.
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schrift Athenaeum deutlich, zum Beispiel im 116. Athenaeums-Fragment (Schlegel und Schlegel 1798, 28 – 30), das die romantische Poesie als „progressive Universalpoesie“ kennzeichnet, und im 216. Fragment, das einen literarischen (Wilhelm Meister) und einen philosophischen Text (Fichtes Wissenschaftslehre) mit der Französischen Revolution auf eine Stufe stellt und als – in die Zukunft gerichtete – Tendenzen des Zeitalters beschreibt (vgl. Schlegel und Schlegel 1798, 56). Das heißt: Nicht nur politische Ereignisse schreiben Geschichte, sondern gleichberechtigt auch Wissenschaft und Kunst. Diese Wirkmächtigkeit von romantisch konzipierter Wissenschaft und Kunst hängt freilich ab von ihrer Fähigkeit zu involvieren, d. h. Teile des Publikums aus der Rolle des Konsumenten herauszureißen und zu aktiv Teilhabenden werden zu lassen. Romantische Kunst und Wissenschaft sind Stimuli für gesamtgesellschaftliche Veränderungen, da sie die Rezipienten zu Verhaltensänderungen anregen. Das wohl eingängigste Beispiel für die frühromantische Konzeption eines produktiven Rezipienten findet sich in Friedrich Schlegels Aufsatz „Über die Unverständlichkeit“, das ich hier ausführlicher zitiere: Daher hatte ich schon vor langer Zeit den Entschluß gefaßt, mich mit dem Leser in ein Gespräch über diese Materie zu versetzen, und vor seinen eignen Augen, gleichsam ihm ins Gesicht, einen andern neuen Leser nach meinem Sinne zu konstruieren […]. Ich wollte […] den Leser zu einer gleichen Offenheit und Redlichkeit gegen sich selbst allmählich hinleiten; ich wollte beweisen, daß alle Unverständlichkeit relativ […]. die Morgenröte hat Siebenmeilenstiefel angezogen. […] Dann nimmt das neunzehnte Jahrhundert in der Tat seinen Anfang, und dann wird auch jenes kleine Rätsel von der Unverständlichkeit des Athenaeums gelöst sein. Welche Katastrophe! Dann wird es Leser geben die lesen können. (Schlegel und Schlegel 1800, 351)
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Museumrepräsentation und Repräsentation im Museum
Maria Gregorio
Reading a Literary Mind Map through European Exhibitions and Museums: A Visitor Testimony by a Member of the International Committee of Literary and Composers’ Museums (ICLCM) The felicitous incipit “The past is a foreign county” by Leslie Poles Hartley (1953) belongs by now to our common European heritage. This meme notwithstanding, the last seventy years have brought about the more considerable diffusion and deeper understanding of our common past – a path that was frequently tortuous and tortured, and often contradictory. Here, museums had a crucial function. As places of Europe’s culture, archives, libraries, and museums are among the main protagonists of cultural politics. Their role is based on the shared belief that, in return for the support of the entire community, they have the moral obligation to be unique, public spaces. Scholars and specialists but also all citizens, be they young or old, learned, or merely curious, have full and unfettered access. Museums, in particular, are places to think while at ease and to meet one’s peers; for all of us, they are a safe asylum, where we stop and pause, learn, and meditate. Let me use here the words of the museologist Ivan Karp: to build such awareness museums must promote themselves as key institutions in the production of social ideas. […] Museum collections and activities are intimately tied to ideas about art, science, taste, and heritage. Hence they are bound up with assertions about what is central or peripheral, valued or useless, known or to be discovered, essential to the identity or marginal. (Karp 1992, 6 – 7)
The ever-present task of museology is to distinguish between critically understanding our past – and nostalgia. German literary museums, in particular, are a testimony to this challenging and rewarding art. In Germany, the display practices, as well as the theoretical thinking about literary museums have reached the highest levels of excellence. Italy is not yet so far, though Paul Kahl mentions the house of Petrarca in Arquà as the oldest, still existing house of a poet in Europe that has been turned into a museum (see Kahl 2017, 334). So, in 2009 I decided to brief my Italian colleagues on milestones achieved elsewhere in Europe (see Kahrs and Gregorio 2009). I chose as my co-editor Axel Kahrs, a most attenhttps://doi.org/10.1515/9783110691566-005
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tive connoisseur of German literary places and museums. As a team, we brought together in the book Esporre la letteratura the most significant museological texts characterising a European landscape of the highest quality and that is furthermore very varied.¹ As a member of ICLCM (the Committee for Literary and Composers’ Museums of ICOM), I look at museums in a supra-national as well as a historical framework. With this testimony, I would like to bring my contribution from a European perspective. I pose the question: is it possible to speak of a European heritage that suffuses and shapes our museum culture? What were some of the common roots, how did the practices and ideas spread, and what were the outcomes? Though I’m not a historian, it is my ambition to highlight some aspects of a literary mind map that shape Europe’s contemporary exhibitions and museums. I will try here to evoke images of some museums I visited. They are as exemplary as they are peculiar. Budding during Medieval times, gradually, a European culture came into full flower during the Renaissance. Thus, one finds a wealth of exceptional practices (the founding of academies and libraries, the first great art collections, as well as the emergence of a new concept of art, the study of antiquity, the development of scientific cataloguing and collecting, etc.) which operated side by side with overarching theoretical ideas. Often originating in Italy, they quickly diffused throughout Europe. Through these experiences, a complex body developed and evolved organically. This body still shapes our culture Europe-wide. I shall highlight here just three items or pillars which have the most direct connection to the development of museums: the so-called “art of memory” (Bolzoni 1993, 1995); the huge ecclesiastical and private libraries in nobility houses; and finally, the studiolo, a particular living arrangement where humanists loved to withdraw to practice their thought and their research. In these places of our mind map, we find, in nuce, some visionary as well as visual practices, which nowadays characterise exhibitions in our literary museums.
In Italy the book has immediately become, and still is, the reference text on the subject. Axel Kahrs is also co-editor with Fred Oberhauser of Literarischer Führer Deutschland (Kahrs and Oberhauser 2008).
Reading a Literary Mind Map through European Exhibitions and Museums
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1 The art of memory The first item I would explore is the memory – the “art of memory” – as the very substance of museal work.² Places of memory have connected functions: preservation and safeguarding, reproduction and elaboration. In the end, however, they aim to diffuse and share memories. Only then does the museum fulfil its specific due. In reconstructing the past, the museum organises it so as to shape the present and the future for the viewer. In a society frequently devoid of writing, humans developed a multitude of practices and inventions now collectively called the “art of memory” (Bolzoni 1993, 1995). Here a far too schematic trace that leaves much unsaid. In ancient Greek mythology, memory is the Olympian goddess Mnemosyne. As writing takes hold, the goddess descends to Earth and into the world of the cities and professions. From divine gift, the memory becomes a set of human arts as well as techniques that one can teach and practice. At first, the mnemonic skills followed personal visual patterns – mentally imagined “castles”, “trees of knowledge”, “rooms”, “closets”, “diagrams”. Their heyday in Europe was the sixteenth century, at the very dawn of the age of printing (see Bolzoni 1993, 2017). From then on, new instruments for remembering prevailed. The most essential and prevalent technique aimed to translate a memory or even a whole book into visual images. The subjective pattern becomes objectivised. Religious preachers developed the use of painted images first: this invention heightened the sermons they addressed to a mostly analphabet crowd of believers. Word and image were linked emotionally. In a different social setting, but with the same end, publishers adopted and perfected an iteration of the same instrument. These entrepreneurs illustrated texts, poems, and novels going into print. The Orlando furioso by Ludovico Ariosto is an early glamorous example. As sections of this poem appeared in print between 1516 and 1532, the illustrated issues became extremely popular thanks to their multi-mediality (see Bolzoni 2017). From then on, this path became well-trodden. In the fifteenth and sixteenth centuries, the boundaries between the written text and the world of images began to dissolve, and intersections or contamina-
The bibliography on the “art of memory” is immense; dwelling in it would go beyond the scope of this article. I have focused here on the topic of images in relation to museums – literary ones in particular. The excellent publications by Lina Bolzoni (1993, 1995, 1998, 2017), a professor at the Scuola Normale Superiore of Pisa, have been my precious point of departure and my guide.
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tions grew apace. In particular, images were intended to exercise an enormous impact on the body. Bolzoni highlights a “codex where the poet’s words are translated into visual images, where they are confronted with paintings and put on scene through the language of the body” (Bolzoni 1995, XVI).³ In this way, the art of memory becomes “a mental discipline which is not restricted to the mere restatement. Beyond preserving what exists, it makes it available for the invention and creation of something new” (Bolzoni 2012, 7). Similarly, the language of the modern exhibition involves the visitors’ five senses and the whole body. It aims to lead the visitor’s eye in a way akin to the ambition of the preacher of yore – even at a certain risk of indoctrination. A second aspect emerges now: the art of memory – so Lina Bolzoni – teaches us to see biography and portrait in a single perspective. Here, the portrait becomes the synthetic expression of the biography and at times replaces it: “When reading is an encounter with the author, the presence of the portrait will help to accomplish this ritual by evoking his traits and his presence with a close to physical intensity. Words and images will support each other” (Bolzoni 1995, 227; see also Bolzoni 2019, 71). We will see this theme taking centre stage – as in our museums. If we turn our attention to the prolongation of images in the modern museal world, a quote from Elias Canetti (1982) can be of some help for a deeper understanding: Pictures are nets: what appears in them is the holdable catch. […] Some things slip through the meshes and some go rotten. But you keep on trying, you carry the nets around you, cast them out, and they grow stronger from their catches. However, it’s important that these pictures exist outside a person, too; inside a human being, even they are subject to change. There has to be a place where he can find them intact, not he alone, a place where everyone who feels uncertain can find them. Whenever a man feels the precariousness of his experience, he turns to a picture. Here, experience holds still, he can look into its face. He thus calms down by knowing reality, which is his own, although merely depicted there. Apparently, it would be there even without him; but these appearances are deceiving; the pictures need his experience in order to awake. (Canetti 1982, 113)⁴
Scooping out of my net: the gallery of portraits at the Gleim Museum at Halberstadt and, foremost, the entrance hall of the Literatuurmuseum, the museum of Dutch literature at The Hague, are two different, yet significant contemporary examples. I remember a visit at the then called Letterkundig Museum in 2010 when 500 portraits of the most influential authors were placed in a colourful disorder
For English edition see Bolzoni 2001. All translations from Italian, German or French are by the author and her translator, Aldo Matteucci, unless otherwise indicated. See on this quote also Bolzoni 1998, 63 – 64.
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along a wall of the entrance hall. These portraits vie with each other in looking out to the visitor, holding his eyes and inviting him to an imaginary dialogue. As I will argue here below, portraits display an important role also in the context of ancient libraries and the studiolo. In modern exhibitions, the term “image” refers not only to photographs, paintings, or drawings but also to exhibits and everything that is not written. They conjure the writings to our eyes and senses, thus etching them into our minds. These images are not simple prostheses of regard but illuminations, sensorial ignitions that live their own lives. I will limit myself to a few examples in Germany. I shall never forget, in particular, the white sheets covering the pieces of furniture at Buddenbrookhaus, in Lübeck. This visual sign beckons the household’s sunset and, at the same time, concretises figuratively the whole content of the novel (see Wißkirchen 2002a). Another example is the powerful statue of the handheld flounder by the Günter Grass House Museum, also in Lübeck. At Marbach, the great exhibitions of the Literaturmuseum der Moderne put on show objects that transmute from images of and in themselves into visual interpretations of this or that author. We know Marbach to be an inexhaustible mine and forge where a document or a sheet translates literature into images – simply through the way it is exhibited. Incidentally, the exhibition in the permanent display room is a powerful image in itself (see Gfrereis and Raulff 2015). I can go even further: beyond the reconstruction of fictional authenticity, we aim for a reasoned artistic re-elaboration. An example from Italy is the Casa Rossa – the Red House – which belonged to the Italian writer Alfredo Panzini (an author on the cusp between the nineteenth and the twentieth century and now just about forgotten). Situated in the small town of Bellaria, along the Adriatic Coast, the house had very few elements of the original furnishing: essentially, it was an empty space, a void to be recreated in full. The artist Claudio Ballestracci was charged with the task: he was free, nay forced to invent everything. He is a sculptor with a certain experience with exhibitions, of literary museums in particular – he was involved, for instance, in the Rabelais House, in Seully. The artist’s poetics consisted of creating novel showcases, unusual glass cabinets, and backings: here to furnish a room; there to display papers, photographs, and memorabilia. These exhibits are art objects in themselves: the materials and the forms encapsulate as visible trace the life, the work, and the culture of the writer. At the same time, they are strong signifiers of literature that communicate through the immediacy of the objects (Ballestracci 2018). Self-evidently, images do not replace texts. As in times past, they evoke them to the eyes and senses and engrave them in the visitors’ minds. They persist even when the viewer becomes the reader and discovers the fullness of the text. These images are not mere prostheses of the regard but illuminations, sensorial igni-
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tions that live their own lives. The Casa Rossa’s gamble has paid off. The author, even as nearly forgotten, now speaks to the public anew – through works of art. The visitors’ curiosity is roused. What may have appeared as fully obsolete, turns into discoveries that convey both meaning and pleasure. Never to forget: images are interpretations, just like all other exhibitory gestures. They are subjective, open to encounters, even to adversary confrontations. And memory is not an inert deposit. It is an open space foremost, where data forever transmute, change in value, and establish new associations and relations among themselves. We do not live in an irenic world. More than other artists, writers can become prisoners of their work. Kipling, Scott Fitzgerald, and Hemingway are examples. We read the author’s personality through the lens of the text, removing some of the multiple (and complex) dimensions. It is literary taxidermy. We are then surprised, even taken aback, by the “dark sides” of the author. Images in a literary museum risk either fleshing out the iconic character of the writer or foregrounding our judgments on, e. g. his politics (remember Günter Grass?). Finally, I would like to flag today’s never-ending juxtaposition between inherent identity and lived experience. Can a writer be more than he or she is, or is it cultural appropriation? A narrow and winding, even twisted path lies ahead for us as we go about matching images to writers and their work.
2 Libraries I have now arrived at our second place: the evolutionary transformation of some of the cultural institutions first established in Europe during the Renaissance – the ecclesiastical and princely libraries. The subject is gigantic: Joseph Connors and Angela Dressen, both Harvard historians, present straightforwardly and exhaustively the central evolutionary trajectories. I quote: “Five themes may be traced from the humanist library of the early Renaissance through the great salon libraries of the Baroque: the birth of the princely library, the demise of the chained library, the ideal of the public library” (Connors and Dressen 2010, 224). I will focus here on the emergence of two collateral themes or branches of this vast matter: the revival of the ancient authors’ portraits as part of a library and the growing proximity of the library with the Kunstkammer. We will revert to these themes once more as we visit the third place of our mind map – the studiolo, where both of them have found an abode. After a brief survey now, I will devote this space to three declinations of the library, where the canonical purpose of organising knowledge has evolved into new functions. Once again, I quote Connors and Dressen (2010, 226 – 227):
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One feature of ancient libraries that was well known to Renaissance humanists was the author portrait. Poggio Bracciolini has Lorenzo de’ Medici say that Cicero, Varro, Aristotle, and others had effigies of great men in their libraries to ennoble and inspire their owners. The Farnese librarian, Fulvio Orsini, brought most of the relevant texts together in his Imagines of 1570, a book about ancient portrait busts but also about ancient library culture. In 1569 the Portuguese humanist Achilles Statius explained that looking at the faces of authors was like looking at our relatives or a mirror of ourselves. Writing in 1607, Justus Lipsius thought the effigies of great men were worthy of contemplation in a library since their bodies were hospices for their souls. In 1627 Gabriel Naudé wrote that they are images not of the bodies but of the spirits of gallant writers, which could excite the well-born soul to follow in their path and remain firm in some noble enterprise. Junius in his treatise on ancient paintings thought it appropriate to have images in gold, silver and brass to inspire in the reader religious horror of the sort that Quintilian felt in consecrated groves. Rembrandt’s Aristotle shows the ancient philosopher, the founder of a science of library management, contemplating a bust of Homer in a library. Although the books are not chained, he is bound by the golden catena d’onore to the service of a fickle prince, while the Homer he contemplates is blind but free.
From gathering books to collecting fantastic items, the intellectual step is short in one place. Piero de’ Medici’s library and studiolo – kept together in Palazzo Medici until the death of Lorenzo, in 1492 – was the first of many such conjunctions. Vincenzo Scamozzi advised adding globes and musical instruments to the library, and in 1582 he converted the vestibule of the Marciana Library, in Venice, into a museum for the Grimani collection of ancient sculptures. The Barberini collection of natural wonders was in rooms adjacent to the library, which had been built in 1631– 1633. When Fischer von Erlach constructed the Hofbibliothek in Vienna in 1722– 1730, he had two cabinets of curiosities placed at the entrance. On a more theoretical level, Gottfried Wilhelm von Leibniz, when librarian in Hanover and Wolfenbüttel, championed the union of the Kunstkammer and the library as spaces where research, informed by wonder, would expand knowledge beyond all previous limits. As I have indicated at the outset, archives, libraries, and museums aim to diffuse memories in order to shape the present and future. It is to these modern transformations that I would like now to give some space. In 2005, I was allowed to study some contemporary avatars of these “evolutionary creations”: the book museums in Europe. The research flowed into a book, Imago libri (Gregorio 2016), conceived as the tale of my journey. It was born with the intent of illustrating museums on books (not on printing: a substantial difference, for the latter exhibit machines, instruments, materials, and objects necessary to make books, booklets, periodicals, etc., in a historical and cultural context). On the contrary, the book museums recount the history of ideas, literature, and culture as well as the artisan craftsmanship and art: they recreate – in all its complexity – the world in which these objects (the books) were born. The institutions allow the viewer to observe them in their
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constitutive elements as well as in relationship with one another by placing them together with the art, the artisan objects and the historical documents of the time – letters, posters, advertising material – and by considering them incentives to new creative forms. In their diversity, these museums appear welcoming, joyful, open to all. Each visitor, whatever his or her story and culture, becomes the privileged recipient or, in a sense, a co-author. The twenty exhibitions I visited were all designed primarily to be an emotional experience, capable of involving the entire person. So the visitor leaves the museum not necessarily knowing more, but rather having perceived that there, through documents and objects, are displayed pieces of his or her history and life, fragments of memory and tradition. I am going to introduce three examples. One finds the Museum of the Bibliotheca Bodmeriana on the southern shore of Lake Geneva. In this building, its founder, Martin Bodmer willed and made real Goethe’s idea of Weltliteratur. Max Wehrli (1947, 25) writes: “Weltliteratur is not objects but relations, it is the dialogue of one literature with the other. […] It also signifies something common to all, first of all, the maternal base: the original poetical language (Ursprache) of humanity […] what persists beyond the boundaries of individual epochs and nations”. The Bodmer collection includes 160,000 exhibits: we find papyri, manuscripts, incunabula, first editions, autographs, drawings, and musical scores. They are all documents sharing the essential characteristic of being as close as possible to the original form. In this vision, Western culture intertwines closely with the Orient: we have manuscripts and prints from Persia, Turkey, India, China, Japan, and Arabia. Goethe’s spirit is present throughout. As Jean Starobinski writes (2004, 7): “Goethe’s idea of Weltliteratur, as Martin Bodmer upheld it, was for my country an antidote against the then rampant pathological forms of nationalism. It is a Western idea, for sure, but an idea revealing to what extent the Occident strove to recognise and admire distant cultures”. This task is a never-ending mission – we recognise it today. In recent years, the Bodmeriana has curated two extraordinary exhibitions that perfectly portray the indissoluble link between the book’s content and its material form. According to its program, the 2013 Bodmeriana production Le lecteur à l’œuvre was an overview of the many ways the reader, as he interacts with the book, leaves a trace of his passage, giving it a novel movement. It is not by chance that these words echo Jorge Luis Borges: “The book is not a closed entity; it is a kind of relationship, nay, it is the centre of innumerable relations” (quoted by Chartier 2013, 5). As the text moves from manuscript to production and distribution, it interrelates with numerous agents, each playing a different role. First, we have the author, critically reading and repeatedly correcting the manuscript on its way to the galley proofs. The changes may be quite radical. Then we have the editor, the money-
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minded publisher, the fancy illustrator, or the ambitious translator. Once the book is out, we may have the scholar writing in comments as he deconstructs the text. The everyday reader may make notes on the margins or underline passages. The frontispiece may bear a dedication. Add now incidental materialities that occur when one holds the book for a certain period in one’s hands: coffee stains, thumbprints, tears. Each of these visible signs changes the life of the work as each new reader handles and fondles the book as it enters one’s personal space. The visitor of the exhibition was able to glean, from the exhibited originals, the corrections, the annotations or the manipulations. Besides, and this was the unique aspect of the presentation, multimedia tools like videos and holographic projections allowed the visitor virtually to interact with these documents. A trove of computerised and interactive documents suggested to the curious sightseer easy explorations or hinted at possible deeper searches. It was even possible virtually to extract the books from the display cabinets to look at them at close range. The virtual world was at the service of the material object, though never replacing it. The exhibition’s title The Reader at Work was doubly apt: from the mere depository and exhibition space, the museum had transmuted into a centre for museographic experimentation of the highest level. This development is not the end of the story, however. Today, we can consult this laboratory online on a dedicated website, which is itself interactive and evolutionary. It is a virtual follow-up to the exhibition (Jeanneret 2013). In winter 2017– 2018, the Bodmeriana presented a further exhibition of particular importance for all literary museums: Les routes de la traduction. Babel à Genève. The translation is one of the foundations of the vision of Weltliteratur. Martin Bodmer structures his collection around five pillars, which are all adventures in translation: Homer, the Bible, Dante, Shakespeare, and Goethe. Homer’s translations, e. g., embody all stages of the history of the very notion of translation. We still fight to the hilt over the translations of the Bible, between the Vulgatae of St. Hieronymus and Luther’s Reformation. These texts give life to the languages we speak. Dante echoes Virgil; Virgil echoes Homer: the routes of translation are the roads of culture. The point was: the roads of translation are also the roads of power (see Cassin and Ducimetière 2017). The practices of the translators are all about politics: it is the know-how of differences between the languages. It allows us to welcome the language of the other and its transformative force. So the exhibition created a sensibility for the difference in languages as alternative points of view on the world. Hence, it puts diversity on a show. Nowadays, in particular, highlighting diversity is an essential mission of museums. A second example is in Vienna, where the Museum of Austrian literature emerged in 2015 inside the Österreichische Nationalbibliothek (Fetz 2015). I limit
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myself to highlighting one aspect that has fascinated and seduced me. The Museum brings up to date what one could call the “culture of the bookshelf”. Here the shelf, which once bore the books and papers, now has become the place where all modern knowledge instruments as well find their rightful place. Carved out of what was once the splendid old archive of the library, the museum welcomes, i.e. makes feel at home, visitors of all kinds. We meet people who grew up writing and reading on paper, surrounded by comforting and protective shelves. Others, who enter the world of literature now, may feel more at ease with instruments that the more up to date technologies have put in place. The exhibition rewards each of the visitors by turns – and recompenses literature twice. For an aura has been created where different generations and cohorts, worlds that often seem far apart, feel reconciled with each other. An exemplary way of exhibiting literature! In particular, the setup uses multimedia in a low-key but brilliant way to enhance the personal visual experience. These video- or audio-instruments explain and enrich the texts – especially manuscripts and drafts – without ever hiding from the visitors the physicality of the object. The visitors always have the feeling of being in immediate contact with the author’s persona. Without such support and the interaction with the rest of the house, we do not have the same sensory experience. Or very partially, when one offers a guided tour. The collateral use of graphic inventions and artistic creations, too, can play here a determining role. In some exhibitions, I have also personally verified the usefulness of a voice-over emanating from the specific showcase or echoing inside a small hortus conclusus – the secluded garden – specially set up inside the house. This voice helps to illuminate this or that trace without giving visitors the impression that they are being taught something. Finally, let us consider an exquisite Italian library that, over time, has become by turns a literary museum and a writer’s house in the form of a studiolo – thus anticipating the last location on our mind map. It is the library of Palazzo Leopardi in Recanati. Giacomo Leopardi was Italy’s major poet and reflective essayist of the nineteenth century. The house’s centrepiece is a library of 20,000 volumes, which Giacomo’s father, Count Monaldo, had been organising for his three children since 1812. In a relatively short time, he succeeded in assembling a wealth of books that was exceptional for the times. Together with his sister Paolina and brother Carlo, Giacomo studied here under the attentive and affectionate guidance of his father. The library was the centre of gravity for a good part of the family. It was in some way the victory of scholarship over any other family activity. Montaldo’s idea of assembling and organising a library for his children took on a life of its own. The founder opened his library to friends, and beyond them, to all citizens of Recanati. The plaque placed in the second room tells the story:
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FILIIS AMICIS CIVIBVS MONALDVS DE LEOPARDIS BIBLIOTHECAM ANNO MDCCCXII
The founder confirmed the open access to the Library in his testament. He set out therein that he had assembled it “with great care and expenditure. This deed was not only for the advantage and convenience of [his] descendants but for the gain and benefit of Recanati’s fellow citizens”. He further wrote: “With prudence and discernment, he firstborn of the day shall open it from time to time at the convenience of Recanati’s citizens” (the fascinating story is to be read in Mansi 2012, 35). In compliance with current safety norms, the current visiting itinerary does not reflect in full the original one. The current location of the books, however, corresponds to the original one – as we can see from the cataloguing cards that Monaldo and his children compiled. These cards are invaluable in gauging the full personality of the poet. Not only do they speak to the specialists, but they are also a precious example of what a silent exhibit can reveal to the visitor when knowingly put on display. I quote Fabiana Cacciapuoti, who curated with great care and discernment the library’s catalogue⁵ – a literary show in its own right: The file cards are in the poet’s handwriting. They bear witness to a physical relationship between him and the books. Leopardi must have held them in his hands as objects, detected their smell, stroked the parchment or the paper, maybe leafed through the illustrations, tried the carton or leather bindings for integrity or glanced at the types. The book manifests itself in its physicality first; then in hiding in its depths. (Cacciapuoti 2012, 18)
So we see how these objects deeply influenced the life and the intellectual path of the poet. The revelation of such a sensual relation between him and the books may greatly change our image of Leopardi. Moreover, these file cards can speak to the ordinary visitor who, while not a scholar, can read from the physicality of the object its “micro-history” as a part of the poet’s one. From Summer 2020 for the first time, a part of the noble floor and the apartment which Giacomo inhabited together with his siblings has opened to the public. The new visiting itinerary is called “Where I lived as a child”, according to the title of one of his poems. It allows access to the palace’s saloons, to the gallery and its art collections, to the garden and the parlor, and, most interestingly, to Giacomo’s private rooms. See here in particular: “I segni delle idee” (Cacciapuoti 2012, 17– 22), “Catalogo” (Cacciapuoti 2012, 273 – 351) and “Raccolta interamente da me. Monaldo e la ‘sua’ libreria” (Mansi 2012).
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A literary museum to the core, Casa Leopardi thus amalgamates the essential unity between everyday life, thinking and creating as brilliantly represented in the Venetian exhibition Machines à penser (Roelstraete 2018) which we are going to talk about later.
3 Studiolo We have now reached the third and last stop in our tour of a literary mind map of Europe. I am about to explore the studiolo, the small private space secluded from the whole of a palace or abode, a solitary refuge where privately to work, muse, think, and write. Its precursors go back to the Romans. Closer to Medieval times, we see the anachoret’s cave or the monk’s cell. In the fourteenth century, a secular version emerged and bloomed. The first surviving examples of the studiolo in the strict sense are inside the big palaces of the Roman Curia and the royal courts. The princely palaces of Ferrara, Mantua, Urbino, Florence, Rome – the capitals of Italian humanism – contain the choicest examples. Writers and philosophers, too, created such spaces, but also notaries, lawyers, bankers, and merchants as they worked. Among the first, we find Petrarca, Boccaccio, Machiavelli as well as Michel de Montaigne. The studiolo is not an Italian exclusivity, in fact. The fascinating tower of the great French writer in Aquitaine – still open to the visitors – epitomises its pan-European diffusion (Bolzoni 2019, 89 – 119). I quote from a fascinating essay by Shumon Basar (2018) the letter Machiavelli sent to his friend Francesco Vettori. Referring to his studiolo, the scholar describes the kind of personal retreat he intends it to be: When evening comes, I return home and go into my study. On the threshold, I strip off my muddy, sweaty workday clothes, and put on the robes of court and palace, and in this graver dress, I enter the antique courts of the ancients and am welcomed by them […]. Then I make bold to speak to them and ask the motives for their actions and they, in their humanity, reply to me. And for the space of four hours I forget the world, remember no vexations, fear poverty no more, tremble no more at death: I pass into their world. (Basar 2018, 215– 216)
I will follow here the itinerary outlined by Claudia Cieri Via (2005) in her brilliant preface to the Italian edition of the most important history of the studiolo: a complex, fascinating narrative by Wolfgang Liebenwein (1977), which we go through, necessarily focusing on the very close relationship with the modern museum. Most important for our itinerary, the studiolo quite soon also took on the function of a personal library and archive. Its internal dynamics transformed it progressively into a space for collecting items of wonder, too. First came por-
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traits, then small art objects and mirabilia. Within less than a century, studiolo and collection had become synonyms. Both define a physical space where unity is reconstructed between thinking, writing, researching, archiving, and collecting. In short, we have a literary museum in the bud. Portraits of philosophers and writers had pride of place. In one of the most famous Italian studiolo – that of Federico da Montefeltro at Urbino – the walls are entirely covered by marquetry alternating with paintings. Twenty-eight magnificent portraits of illustrious people hang in a double file: the adjacent library preserves their works. The architect intended to create a sort of mental theatre, the ideal place for staging the dialogue between the humanist and his sources: philosophers and writers. Lina Bolzoni writes (2019, 89, 119): “Some of the portraits propose, nay demand out attention”; “All have a book in hand […] and their gestures signify the way they transmit their knowledge to Federico and members of his intellectual circle”. The studiolo – so transformed – obtains a new vocation: that of a memory place to be shared with likeminded others. Every speculative culture makes a reflection on the past inevitable. Parallel and inevitable, furthermore, is the passage from the invisible to the visible, from pure introspection to fruition. This process is personal at first, then outwardlooking: “In the layout of the objects [the studiolo] prefigured the mental discourse which was offered as an image of the owner: it was offered to the visitor’s sight, enjoyment, appreciation and, consequently, evaluation” (Cieri Via 2005, XXXVII). Here we have further anticipation of our museums. Of our literary museums, in particular. The studiolo rapidly expanded in the direction of museal form outside Italy – thanks to the German princes, oligarchs residing in their capitals rather than at the king’s court in the capital. The configuration changed: we often have the Wunderkammer, the precursor of the modern science museum. It is an exercise in pars pro toto we also encounter in China’s scholarly gardens at Suzhou. If one cannot rule the world, one can gather representative parts in one’s abode. I will now approach a clearing in our forest of origins and forms. The term evokes a place where one can see clearly; the German version of the term – Lichtung – also evokes a place of light. I want to speak of an exhibition which Fondazione Prada set up in Venice in summer 2018: Machines à penser (a title alluding to Le Corbusier’s famous characterisation of the house as a “machine à habiter”). In my eyes, this event is a landmark in exhibiting the link between living, thinking, and creating. At the core of the exhibition “[t]he allegorical prims of the hut, or the hut as both a figure of and home for thought” (Roelstraete 2018, 26), as Dieter Roelstraete, the curator, writes in the catalogue. Roelstraete has focused on three major philosophers of the twentieth century – Theodor W. Adorno, Martin Heidegger and Ludwig Wittgenstein – exploring the conditions of their exile, escape, and re-
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treat. He has correlated them with physical as well as mental places which favour reflection, thought and intellectual production. While Heidegger and Wittgenstein shared a life-long need for intellectual isolation, Adorno in exile from the Nazi regime, called his Villa Aurora in Los Angeles a hut as a synonym of retreat. The rooms in public and university libraries, where our philosophers studied are similarly considered. At the entrance of the Venetian palace housing the exhibition, the interior of Adorno’s Villa is recalled through a large-scale photograph and a few armchairs. The overlarge images are the departure point to an immersive journey taking the visitor to a deeper understanding of the three philosophers in their dwellings. An approach which immediately recalls the exemplary walk-through exhibitions curated by Hans Wißkirchen in the Buddenbrookhaus in Lübeck (Wißkirchen 2002a, 2002b). On the first floor, we find an artistic remake of Heidegger’s Black Forest cabin in Todtnauberg and the reconstruction of Wittgenstein’s small house in on a fjord in Skjolden, Norway. On the way to both huts and around them, the visitors walk past splendid works of art: among them the Hirnhäuslein dedicated by Anselm Kiefer to Alexander Kluge. There are photographs Gerhard Richter painted over, evoking Nietzsche’s places of meditation at Sils Maria amidst Graubünden’s. Fully involved in the exhibition project, Alexander Kluge conceived for it a new video: Kälte ist die Kette Gottes. Most interesting for us: the symbolic core of the exhibition is devoted to a Flemish picture of Saint Jerome in the desert alongside a Renaissance studiolo containing, among other items, first editions of Heidegger and Wittgenstein’s writings. Here the visitors contemplate the three huts as a vital dwelling for a budding speculative activity as thinking is. As Alexander Kluge puts it in Roelstrate’s catalogue (Roelstraete 2018, 372): “Mainly a sensorial activity, thought is more intelligent than intellect”. Indeed, the hut is represented here as “a host for thought”. The exhibition allows the visitor an itinerary along and through the sensory roots of the intellectual and creative life of the owners. In a certain way, therefore, they evoke the historical memory as well: in so doing, the museum reveals itself as a precious hut. To conclude: all literary exhibitions and museums testify to the crucial importance of the dwelling – even when no more than a bud – as proof that its mediated physicality is indispensable in understanding a work of art: be it a poem, a treatise or a novel. Let’s now part ways in a key of weightless buoyancy. I want to take you to one of the most absorbing literary museums in Italy dedicated to a writer: the little “house of fairies”, which stands in magical solitude on the banks of the river Piave, in Veneto. It is the hut where Goffredo Parise, one of the most representative
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Italian writers of the second half of the twentieth century, found his refuge in the last years of his life. Here he wrote his perhaps most important work: Sillabari (1972– 1982) – a book intimately tied to the place where it was written. Not coincidentally, the house stands in perfect unity with the surrounding nature – something we often encounter in Italy, where natural and cultural landscape fuse into one. Parise liked to recall: as soon as he had seen the half-ruined house, the “inner sound” (his expression) of this house and its surroundings had bewitched him (see Gregorio 2013, 74– 81).⁶ As soon as he stepped over the threshold, he sensed the muted sound in the surrounding nature as well as in the dwelling’s interior. So, the museological task of the curator consisted, first of all, in listening, and then amplifying the sound perceived in the surrounding place, in the house and, in no small degree, in the written word. What springs to mind is the word: vibrations. Consequently, the extremely fine-tuned and conscious process of the curator consisted in choosing not to interrupt the “sound flow” of the house but rather, with very few invisible touches, to amplify it so that it might reach us. That’s why the curator’s and the visitor’s listening become here a creative process. We can compare this house museum to a Resonanzkörper or a soundboard. As Stephen Greenblatt puts it in his key museological essay “Resonance and Wonder” (Greenblatt 1991, 42 and 45): By resonance I mean the power of the displayed object to reach out beyond its formal boundaries to a larger world, to evoke in the viewer the complex, dynamic cultural forces from which it has emerged and for which it may be taken by a viewer to stand. […] A resonant exhibition often pulls the viewer away from the isolation of celebrated objects and towards a series of implied, only half-visible relationships and questions: how did the objects come to be displayed? How were they originally used? What were the feelings of those who originally held the objects, cherished them, collected them, possessed them? What is the meaning of the viewer’s relationship to those same objects when they are displayed in a specific museum on a specific day?
The royal way of museums.⁷
See also Rorato 2019. Translated from Italian by Aldo Matteucci.
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Umkämpfte Kunst: Das Prado-Museum während des Spanischen Bürgerkriegs 1936 – 1939 in Theater, Film und Roman 1 Einführung Das Prado-Museum (Museo del Prado) ist mit drei Millionen Besuchern eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten auf der Iberischen Halbinsel und eine der bedeutendsten Pinakotheken der Welt. Am 19. November 2019 feierte man sein zweihundertjähriges Bestehen, und am 8. September 2019 war der achtzigste Jahrestag der Rückkehr der während des Spanischen Bürgerkriegs ausgelagerten Werke von Genf nach Madrid zu verzeichnen. In der jüngsten Vergangenheit gab es auch Bemühungen, auf die intermediale Bedeutung der Werke des Museums einzugehen. Ein Beispiel ist der Lehrstuhl (Cátedra) des Prado-Museums, den 2019 der auch international bekannte Schriftsteller Antonio Muñoz Molina innehatte. Die Beziehungen zwischen der Literatur und diesem Museum sind eng und vielfältiger Art. Auf der einen Seite besitzt es eine große Anzahl von Gemälden mit Szenen aus der Weltliteratur, davon viele aus Werken von Spaniens bedeutendstem Dichter Miguel de Cervantes, der unweit des Museums im Madrider „Literaturviertel“ lebte und begraben ist, aber es lassen sich auch Episoden bzw. Portraits von Dante, Goethe, Góngora, Quevedo, Shakespeare und Dichtern der Antike finden. Andererseits gibt es kaum ein anderes Museum, das so oft in der spanischen Literatur als Szenarium eine wichtige Rolle spielt. In zahlreichen Texten bekannter zeitgenössischer Autoren lassen sich Bezüge auf diesen Ort finden: Das Museum selbst oder seine bekanntesten Kunstwerke sind immer wieder als Gegenstand von Romanen, Dramen oder Erzählungen gewählt worden, seit Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind bedeutende Romane mit dieser Thematik veröffentlicht wurden.¹ María Villalba Salvador hat in einem Artikel zur Repräsentation des Prado-Museums in der zeitgenössischen
Als Beispiele dieser naturalistischen Literatur sollen hier vor allem La Quimera (1905) von Emilia Pardo Bazán und La maja desnuda (1904) von Vicente Blásco Ibañez genannt werden, das Museum ist aber auch in mehreren Werken von Spaniens erfolgreichstem Romancier des Realismus Benito Pérez Galdós präsent (vgl. Romero Tobar 2018). https://doi.org/10.1515/9783110691566-006
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spanischen Literatur an der Wende vom zwanzigsten zum einundzwanzigsten Jahrhundert eine umfassende, wenn auch nicht vollständige Auflistung und Kommentierung der Titel vorgenommen, die einen guten Überblick über die Vielfalt der Darstellungen in Werken spanischer Autoren (vgl. Villalba Salvador 2009) verschafft.² So hat sich etwa der spanische Bestsellerautor Arturo Pérez-Reverte für seinen Roman El sol de Breda [Die Sonne von Breda] (1998) von einem bekannten Kunstwerk aus dem Prado-Museum inspirieren lassen, nämlich Die Übergabe von Breda (auch Las lanzas genannt) von Diego Velázquez. Im Roman stellt er Spekulationen an, dass der Capitán Alatriste, die Hauptfigur seiner Fiktion, nicht nur Diego Velázquez gut gekannt und mit Informationen zum Kriegsverlauf in Flandern versorgt habe, sondern möglicherweise auch selbst im Werk des spanischen Künstlers in Erscheinung trete. Es ist aber der Künstler selbst, der ganz rechts unterhalb der Fahne aus dem Bild herausschaut. Bereits Pedro Calderón de la Barca, der berühmte Dramatiker des siebzehnten Jahrhunderts, hatte in seinem Schauspiel Die Belagerung von Breda einen intermedialen Bezug zum Werk von Velásquez³ hergestellt und Spinola, den erfolgreichen, aber im Moment des Sieges auch gütigen und großherzigen spanischen Kommandanten geehrt, der vom Niederländer Justinus von Nassau den Stadtschlüssel als Zeichen der Übergabe nach zwölfmonatiger Belagerung erhält. In diesem Beitrag soll die in Spanien polemisch diskutierte Evakuierung der Meisterwerke des Prado-Museums während des Spanischen Bürgerkriegs (1936 – 1939) und die Repräsentation dieser Aktion in Theater, Roman und Film analysiert werden. Zu diesem Zweck werden das Drama Noche de guerra en el Museo del Prado von Rafael Alberti (1956), der Roman Los colores de la guerra von Juan Carlos Arce (2002) und der Spielfilm La hora de los valientes von Antonio Mercero (1998) untersucht. Im Vordergrund steht die Repräsentation der Kunstwerke und des Museums und ihres symbolischen Werts in anderen Medien wie Theater, Roman und Film. Es wird gezeigt, wie die Autoren einen Dialog mit den Kunst-
In diesem Zusammenhang kann nicht im Einzelnen auf die dort genannten Autoren eingegangen werden, die sich in ihren literarischen Werken sehr explizit auf das Museum und seine bekannten Gemälde beziehen. Es seien hier als besonders erfolgreiche Romane des einundzwanzigsten Jahrhunderts vor allem Arturo Pérez Revertes El pintor de batallas (2006) [Der Schlachtenmaler] und Javier Sierra: El maestro del Prado (2013) [Der Prado-Meister] erwähnt. Diego Velázquez, Die Übergabe von Breda (ca. 1635).Verfügbar unter: „Las lanzas o La rendición de Breda“. Museo del Prado. https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/las-lanzaso-la-rendicion-de-breda/0cc7577a-51d9 - 44fd-b4d5 - 4dba8d9cb13a?searchid=0dc076db-1c47f580 - 88b3 -249dee5bf583 (16. September 2020).
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werken vergangener Zeiten herstellen und welcher Eindruck damit bei Leser·innen bzw. Zuschauer·innen erzeugt wird.⁴
2 Der historische Kontext Der Spanische Bürgerkrieg (1936 – 1939) brachte nicht nur großes Leid über Spanien und insbesondere seine Hauptstadt Madrid, die von November 1936 bis März 1939 in vorderster Frontlinie lag, sondern führte auch zur Vernichtung bzw. Beschädigung von Kunstschätzen aus verschiedenen Jahrhunderten von nicht zu bezifferndem Wert. Bereits am 23. Juli 1936 war in Madrid ein Ausschuss für die Sicherstellung und den Schutz des künstlerischen Erbes (Junta de Incautación y Protección del Patrimonio Artístico) eingerichtet worden, der sich der Kunstwerke annehmen sollte, da man bereits nach fünf Tagen Bürgerkrieg mit großen Schäden rechnen konnte. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass es unter widrigen Bedingungen und mit sehr hohen Risiken zu einer bis heute einzigartigen Aktion der Evakuierung von Kunstwerken aus einem der bedeutendsten Museen Europas kam. Madrid wurde mehrfach von italienischen und deutschen Flugzeugen bombardiert, wobei auch das Gebiet um das Prado-Museum betroffen war. Gleichzeitig ereigneten sich verschiedene Plünderungen und Zerstörungen vor allem von sakralen Kunstschätzen in der republikanischen Zone, zu der bis zum Ende des Krieges die Frontstadt Madrid gehörte. Anfang November 1936 hatten die aufständischen Truppen die Vororte Madrids erreicht und ein Einmarsch der Franco-Truppen schien unmittelbar bevorzustehen, weswegen die republikanische Regierung ihren Sitz nach Valencia verlegte und die Schätze des Prado gewissermaßen mitnahm. Die damit verbundenen Aktionen sind bis heute Anlass von Polemik. War diese risikoreiche Evakuierung tatsächlich notwendig oder handelte es sich eher um einen Prestigeakt, um die Weltöffentlichkeit auf die Kriegssituation hinzuweisen und wertvolle Gemälde zu einem Unterpfand zu machen? In seinem Buch El milagro del Prado erhebt der Autor José Calvo Poyato (2018) schwere Vorwürfe gegen die Regierung der spanischen Republik, die ihm zufolge bei dem Abtransport der wertvollen Gemälde unverantwortlich gehandelt habe, während in der Vergan Es handelt sich um intermediale Referenzen in Form von „prosaischen Beschreibungen (realer oder fingierter) bildkünstlerischer Werke“ (Zemanek 2012, 169). Die intermediale Referenz ist eine von drei Kategorien der Intermedialität neben dem Medienwechsel und der Medienkombination und ist am ehesten mit der Intertextualität vergleichbar, bei der ebenfalls keine anderen Medien aktiv beteiligt sind (Zemanek 2012, 169).
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genheit diese Rettungsaktion vielfach als ein heroischer Akt betrachtet wurde, als Symbol des Widerstandes gegen den Faschismus. Als am 5. November 1936 die Truppen der Rebellen schon vor den Toren der Stadt standen, fand eine entscheidende Besprechung statt, bei der Josep Renau, Generaldirektor der Schönen Künste, dem Vizedirektor des Museums Sánchez Cartón (Direktor war Pablo Picasso) die Entscheidung der Regierung mitteilte, die wichtigsten Werke des Prado an den neuen Regierungssitz nach Valencia auszulagern, um sie vor dem Feind sicher zu stellen: Sánchez Cantón war so überrascht, dass er nicht glauben konnte, was der Generaldirektor der Schönen Künste ihm da erzählte. Was Renau gerade angekündigt hatte, verstieß gegen alle bestehenden internationalen Regelungen zum Schutz von Kunstwerken im Kriegsfall. Er kehrte bekümmert und belastet durch die ernsten Risiken, die mit der Ausführung eines solchen Auftrags verbunden sind, ins Museum zurück. Die Bilder abzutransportieren, bedeutete, sie großer Gefahr auszusetzen.⁵
Zweifelsohne bestand für die Meisterwerke des Prado ein Risiko: Die Hauptstadt wurde schon seit Wochen bombardiert und das Museum war seit dem 30. August 1936 geschlossen. Um einen besseren Schutz zu gewährleisten, hatte man die wichtigsten Gemälde in den Keller oder in die Rotunde im unteren Stockwerk verlagert. Mit der Auslagerung der Gemälde aus dem Prado war María Teresa León beauftragt. Die Ehefrau des Dichters Rafael Alberti veranlasste den Transport von zunächst 64 Gemälden und 181 Zeichnungen, die am 9. Dezember 1936 Madrid in Richtung Valencia verließen. Doch schon nach wenigen Kilometern tauchten an der Brücke von Arganda, erste Probleme auf, da die Gemälde Las Meninas (3,18 x 2,76 m) von Velázquez und Karl V. in der Schlacht von Mühlberg von Tiziano (3,35 x 2,83 m) zu großformatig waren und abgeladen werden mussten, um nicht mit der Brücke zu kollidieren. Dank der Arbeit des Ausschusses für Sicherstellung und Schutz des künstlerischen Erbes, der León bei der Organisation des Abtransportes der Gemälde ersetzte, wurde den Transportbedingungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Er gab den Regierungsanordnungen, die es nach Calvo Poyato (2018, 175 – 176) zweifelhaft erscheinen lassen, dass der Zweck der Transfers wirklich der Schutz
„La sorpresa de Sánchez Cantón fue tal que no podía dar crédito a lo que le estaba diciendo el director general de Bellas Artes. Lo que Renau acababa de anunciar iba contra toda la normativa internacional vigente que existía acerca de la protección de obras de arte en caso de conflicto bélico. Regresó al museo apesadumbrado y agobiado por los graves riesgos que significaba ejecutar una orden como aquella. Trasladar los cuadros implicaba someterlos a un gran peligro“ (Calvo Poyato 2018, 81). Alle Übersetzungen aus dem Spanischen, wenn nicht anders angegeben, stammen vom Verfasser.
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der Kulturgüter war, nur auf besonderen Druck nach. Der damalige Präsident Manuel Azaña soll dem Regierungschef Juan Negrín einmal gesagt haben: Das Prado-Museum ist für Spanien wichtiger als die Republik und die Monarchie zusammen. Denn in der Zukunft kann es weitere Republiken oder Monarchien geben, aber diese Werke sind unersetzlich. Stellen Sie sich vor, dass die Gemälde verloren gingen oder beschädigt würden. In diesem Falle müssten Sie sich erschießen.⁶
Die Kunstwerke wurden zunächst nach Valencia transportiert und dort unter großen Schutzmaßnahmen in den Serranos-Türmen deponiert. Als Anfang 1938 ein Vorstoß der Franco-Truppen zum Mittelmeer bevorstand, entschloss sich die Regierung, die Werke des Prado von Valencia nach Katalonien zu transportieren. Am 5. Februar 1938 wurden die Werke über Nebenstraßen auf den Weg gebracht. In Benicarló kam es zu einem ernsten Zwischenfall, bei dem zwei Gemälde von Goya stark beschädigt wurden. Später wurden diese Werke in der Festung Peralada nördlich von Figueras restauriert, ohne jedoch die Spuren vollständig beseitigen zu können (vgl. Calvo Poyato 2018, 128 – 129). Andere Werke wurden in der Nähe zur französischen Grenze eingelagert: im Bergwerk La Vajol und in der Festung San Fernando von Figueras. Am 3. Februar 1939 wurde in Figueras ein Abkommen zwischen der republikanischen Regierung und Vertretern renommierter Museen zur Rettung der Kunstschätze geschlossen, die man treuhänderisch dem Generalsekretär des Völkerbundes übergab. Insgesamt 361 Gemälde wurden auf LKWs über die Pyrenäen und dann in einem Sonderzug von Perpignan nach Genf gebracht. Vom 1. Juni bis zum 31. August 1939 fand eine große Ausstellung der Werke des Prado in Genf statt, die von 380.000 Menschen besucht wurde. Im September 1939 wurden die Gemälde, Radierungen und Stiche dann wieder an ihren ursprünglichen Standort in Madrid zurückgebracht. Der Transport verließ Genf, als Hitler Polen überfiel und der Zweite Weltkrieg begann. Sowohl der Transport der Kunstwerke nach Genf als auch die Rückkehr nach Spanien, für die sich die Franco-Regierung beim Völkerbund massiv eingesetzt hatte, war mit verschiedenen diplomatischen Wirren verbunden.
„El Prado es más importante que la República y la Monarquía. Porque en el futuro podrá haber más repúblicas y monarquías en España, pero estas obras son insustituibles. Si estos cuadros desaparecieran o se averiasen, tendría usted que pegarse un tiro“ (AMA 2019).
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3 Rafael Alberti: Noche de guerra en el museo del Prado (1956) [Kriegsnacht im Pradomuseum] Dieses bekannte, 1956 verfasste Theaterstück basiert auf einer Chronik, die der Autor Rafael Alberti 1937 unter dem Titel „Mi última visita al Museo del Prado“ [Mein letzter Besuch des Prado-Museums] in der Zeitschrift El Mono Azul (3. März 1937) veröffentlichte. In diesem kurzen Prosatext berichtet Alberti von seinem Besuch eines leeren Museums, das aufgeräumt wurde, und dessen wertvolle Gemälde in den Keller verlagert wurden, damit sie keine Zielscheibe für die Flugzeuge der Legion Condor abgäben. Das gesamte Prado-Museum war in den Keller hinab verbracht worden, um es vor den barbarischen und ungebildeten deutschen Dreimotorern zu schützen. Von innen waren die niedrigen Fenster mit Blechen und Sandsäcken verkleidet. Von außen hatten sie kein Glas. Mehr als fünftausend Gemälde, darunter hunderte Meisterwerke, standen dort wie Tote, Schulter an Schulter, zitternd in den Ecken. Meine Augen sprangen heraus, als ich an die verlassenen Räume dachte, an die riesige, ausgestorbene zentrale Galerie. Ich wollte nach oben gehen, ich wollte es sehen, das schreckliche, einzigartige, unerwartete Schicksal einer der besten Pinakotheken der Welt miterleben, ihre plötzlich nackten Wände, an denen so viele Wunder gehangen hatten. […] Das Holz des Fußbodens, dessen Geruch nach Wachs sich mit dem des Bilderlacks vermischt hatte, der mich an so vielen unvergesslichen Morgenden parfümiert hatte, verschwand nun unter einer dicken Erdschicht, die sich mit Glasscherben vermischte. Es war kalt. Auch die Deckenfenster, durch die früher ein weiches Zenitlicht gefallen war, waren zerbrochen. Wie bei blinden Fenstern war der Schatten der abgehängten Bilder an die Wände gezeichnet. Mit meinen Augen begann ich beim Vordringen die Titel zu setzen: hier die Vision von San Pedro de Alcántara von Zurbarán; vorne San Bartolomé von Ribera; weiter die Brunnen von Aranjuez von Juan Bautista M. del Mazo; dann die Murillos, die Herreras… Ich sah die Zinkrinnen, die das Regenwasser leiteten, durchlöchert von den Bomben, die geworfen wurden, um die Goyas, die Velázquez, die Grecos in Brand zu setzen.⁷
„Todo el Museo del Prado había descendido a los sótanos para guarecerse de los bárbaros e incultos trimotores alemanes. Desde el interior, las ventanas bajas habían sido cubiertas con planchas de metal y sacos terreros. Por fuera no tenían cristales. Más de cinco mil cuadros, centenares de obras maestras entre ellos, se veían allí como muertos de miedo, hombro con hombro, temblando en los rincones. Se me saltaron los ojos pensando en las salas desiertas, en la inmensa galería central despoblada. Quise subir, quise verlas, presenciar el espectáculo terrible, único, insospechado, de una de las mejores pinacotecas del mundo desnudas, de pronto, sus paredes, las que tantas maravillas habían sostenido. […] La madera del suelo, cuyo olor a cera mezclado con el del barniz de los cuadros me había perfumado tantas mañanas inolvidables, desaparecía ahora bajo una gruesa capa de tierra mezclada de cristales partidos. Hacía frío. Las vidrieras del techo, por las que bajaba antes, igualada, una suave luz cenital, también estaban rotas. Como ventanas ciegas, la huella de los cuadros descolgados se estampaba en los muros.
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Das leer geräumte Museum beeindruckte Rafael Alberti so stark, dass es nicht bei diesem Text bleibt.⁸ Fast 20 Jahre später schreibt er ein Drama darüber, dessen erste Fassung auch Bertolt Brecht 1955 in Berlin vorgestellt wird, wo er sich auf Einladung von Stephan Hermlin und unter Vermittlung von Erich Arendt aufhält (vgl. Fritz 2004, 390 – 391). Das Werk sollte ursprünglich 1956 aus Anlass der zwanzigjährigen Wiederkehr des Beginns des Spanischen Bürgerkriegs in Berlin uraufgeführt werden, doch aufgrund von Brechts Tod kam diese Inszenierung nicht zustande. Brecht zeigte sich jedoch sehr interessiert an der Rohfassung des Werkes und machte verschiedene Verbesserungsvorschläge. Das Stück wurde 1956 beim Verlag Losada in Buenos Aires veröffentlicht und 1973 in Rom uraufgeführt, in Madrid allerdings erst am 29. November 1978 im Theater María Guerrero gezeigt.⁹ Nach Fritz kann ein Einfluss der Malerei auf Albertis Poesie festgestellt werden, was sich auf das Frühwerk bezieht. Vor allem während des italienischen Exils wird diese ursprüngliche, die künstlerische Berufung des Autors deutlich (vgl. Fritz 2004, 392). Mit dem Stück Noche de guerra en el museo del Prado evoziert Rafael Alberti in nostalgischer Erinnerung seine Jugend in Madrid und die Erinnerungen an das Museum, wenn er schreibt: „Und ich nenne es: Haus! Denn für mich war es die schönste Wohnstatt, die meiner Kindheit und meiner Jugend Obdach bot“ (Alberti 1976, 52)¹⁰. Bei näherer Betrachtung können drei Zeitebenen unterschieden werden: 1936 (Spanischer Bürgerkrieg), 1808 (Freiheitskampf gegen Napoleon) und eine zeitlose Ebene, wie Fritz (2004, 398) in einem Schema darstellt. Con los ojos, y según iba avanzando, fui poniendo los títulos: aquí, la Visión de San Pedro de Alcántara, de Zurbarán; enfrente, el San Bartolomé, de Ribera; más allá, Las fuentes de Aranjuez, de Juan Bautista M. del Mazo; luego, los Murillo, los Herrera… Vi los cauces de cinc de los canales que guían el agua de las lluvias, perforados por las bombas arrojadas para incendiar los Goya, los Velázquez, los Greco“ (Alberti 1937, 23). Auch der österreichische Reporter und Schriftsteller Egon Erwin Kisch besuchte nach der Bombardierung im November 1936 das leergeräumte Prado-Museum. Er war so beeindruckt und entsetzt vom Fehlen der Kunstwerke, dass er eine Vision hatte: „An den Wänden aber ist das Nichts. Manchmal bildet es ein dunkleres Viereck auf der sonnengebleichten Tapete, manchmal sogar umschließt ein Rahmen das Nichts, manchmal gibt ein metallenes Täfelchen den Namen von Maler und Werk an, des nicht vorhandenen. Zumeist aber siehst du ein gänzlich unsichtbares Nichts, und dann erschient es, erscheint es am deutlichsten. Zuerst brauen sich neblige Flecken, hernach straffen sich Konturen, Farben leuchten auf, und schließlich tritt es, als ob es alles und nichts wäre, körperlich werdend aus der Wand hervor“ (Kisch 1998, 150 – 151). Eine erste deutsche Übersetzung wurde bereits 1957 in der Zeitschrift Sinn und Form, 9 (1957) unter dem Titel „Kriegsnacht im Prado-Museum“ veröffentlicht. „Casa de la Pintura, sí. Y la llamo así, casa, porque para mí fue las más bela vivienda que albergaba mis años de adolescencia y juventud“ (Alberti 2003, 137).
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Der Untertitel „Aguafuerte en un Prólogo y un acto“ [„Radierung in einem Prolog und einem Akt“] stellt eine klare Beziehung zu Goya her, da die Figuren, die zu den Protagonisten des Stückes werden, aus dessen Gemälden, vor allem aus den Radierungen Desastres de la guerra [Katastrophen des Krieges] (1810 – 1814) stammen. Die künstlerische Grundidee ist, dass der Autor die Hauptfiguren der Gemälde, Radierungen und Zeichnungen aus ihren Bildern aussteigen und am Kampf zur Verteidigung Madrids teilnehmen lässt. Die Figuren werden lebendig, damit sie Barrikaden errichten und in das Kampfgeschehen eingreifen. Im Prolog des Stücks wird der schwierigen Stunden des November 1936 gedacht, als das Schicksal der Hauptstadt Spaniens auf des Messers Schneide stand, da die gegnerischen Truppen bereits in der nahen Universitätsstadt sowie in der Casa del Campo in Position gegangen waren und Madrid massiv unter Beschuss stand. Der Autor lässt die Figuren auf der Ebene von 1808 genau in dem Moment lebendig werden, als ihre Bilder in den Keller verlagert werden. Sie steigen aus den Bilderrahmen heraus, um die spanische Republik zu verteidigen. Die Verknüpfungen der verschiedenen Zeitebenen sind sehr komplex, da auch die Milizionäre des Jahres 1936 mit den Gemälden interagieren, wie sich auch Figuren aus der ahistorischen Zeitebene in das Geschehen einschalten. Die Figuren aus den Bildern Goyas stellen eine klare Beziehung zwischen der napoleonischen Unterdrückung Madrids und der Bedrohung durch die feindlichen nationalistischen Truppen im Jahr 1936 her. Auch dieser Bezug erfolgt wiederum über das Referenzsystem Kunst, da die Kunstwerke in Gefahr sind, und die republikanische Regierung Maßnahmen ergreifen muss, um sie vor der Zerstörung durch Bomben zu retten. Die Kunst wird so zu einem referentiellen Metasystem. Lichtkontraste und Kriegsgeräusche als Hintergrundkulisse vermitteln einen Eindruck von der Nähe der Front. Die Kriegsgeräusche und Beleuchtungseffekte werden prägnant beim Wechsel jeder Szene als dramaturgisches Mittel eingesetzt, das die Unbesiegbarkeit des spanischen Volkes und seiner Hauptstadt Madrid unterstreichen soll (vgl. Fritz 2005, 401; Lentzen 1985, 104). Diese Effekte besitzen jedoch auch eine strukturierende Funktion, da durch sie den Figuren aus der Zeitebene 1808 angezeigt wird, dass sie sich im November 1936 befinden und nicht mehr gegen Napoleon kämpfen, sondern gegen Franco und die Faschisten. Exemplarisch soll hier ein historischer Exkurs des Stücks betrachtet werden, der viel Aufmerksamkeit erregt hat. Es handelt sich um den Auftritt von Don Sebastian de Morra und des Königs Felipe IV, die auf den Gemälden von Velázquez zu sehen sind und sich aus dem siebzehnten Jahrhundert in die Zeitebenen 1808 und 1936 begeben. Indem der Autor Rafael Alberti den König und seinen Hofnarr als groteske Figuren vorstellt, macht er sich nicht nur über sie lustig, sondern über
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das ganze System, das sie repräsentieren (vgl. Alberti 2003, 166 – 172).¹¹ Ihre Feigheit steht im Gegensatz zum Heldenmut der Verteidiger Madrids. Es steht ebenfalls im Hintergrund der Hinweis, dass die Monarchie in Spanien dafür verantwortlich ist, dass Elend und Rückständigkeit in einem Land herrschen, das durch ständige Kriege und einen luxuriösen Lebensstil seiner weltlichen und kirchlichen Herrscher ausgebeutet wurde (vgl. Fritz 2005, 415; Lentzen 1985, 102). Diese gravierenden Missstände führen letztendlich zum Spanischen Bürgerkrieg 1936 – 1939 und sind noch in der Zeit der Franco-Diktatur der 1950er Jahre stark präsent. Das Hauptthema des Dramas ist die Zerstörung der Kultur und die Verhinderung dieser Barbarei durch den Einsatz des Volkes. Am Ende des Stückes, als der Vorhang fällt, wird Antonio Machado rezitiert. Dessen Verse sind dem General Miaja gewidmet, dem Organisator der Verteidigung von Madrid, und sollen die Emotionen des Publikums wecken. ([…] Der Enthauptete, der sich am Rand der Barrikade wieder erhoben hat, rezitierte beim zunehmenden Bombardement, indes der Vorhang langsam niedergeht…) KOPFLOSER Madrid! Madrid! Wie herrlich uns dein Name tönt! Bastion aller spanischen Lande. Die Erde bebt, der Himmel dröhnt. Mit Kugeln in der Brust du lächelst. (Alberti 1976, 88)¹²
Rafael Alberti stellt in diesem kurzen Drama einen intermedialen Dialog mit den Kunstwerken aus dem Prado-Museum her, vor allem mit denen von Diego Velázquez und Francisco de Goya. Schließlich erzeugt er mit diesem Schlusstext auch einen klaren intertextuellen Bezug zum bedeutendsten spanischen Dichter des Spanischen Bürgerkriegs: Antonio Machado, der noch vor Beendigung des Krieges im französischen Exil stirbt und somit zu einer Symbolfigur des Intellektuellen als Opfer der großen Fluchtbewegung vor den Franco-Truppen wird, die als La retirada (der Rückzug) in die Geschichte eingeht.
Deutsch: Alberti 1976, 69 – 73. „([…]El Descabezado, que se ha puesto de pié al borde de la barricada cuando arreciaba el bombardeo, recita alto, mientras el telón desciende lentamente.) / DESCABEZADO / ¡Madrid! ¡Madrid! ¡Qué bien tu nombre suena! / Rompelolas de todas las Españas. / La tierra se estremece, el cielo atruena. / Tu sonries con plomo en las entrañas“ (Alberti 2003, 200 – 201). Diese Verse wurden vom spanischen Dichter Antonio Machado am 7. November 1936 verfasst, als ihn seine Freunde Rafael Alberti und León Felipe davon zu überzeugen suchten, das unmittelbar belagerte Madrid zu verlassen, um sich und seine Familie aus den Gefahren des Bürgerkrieges in Sicherheit zu bringen.
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4 Juan Carlos Arce: Los colores de la guerra (2002) [Die Farben des Krieges] Ein ganz anderer literarischer Text, der die Rettung der Kunstschätze des Prado während des Krieges zum Gegenstand hat, ist Juan Carlos Arces Los colores de la guerra. In diesem 2002 mit dem Preis Fernando Lara ausgezeichneten Roman werden die Kunstwerke des Prado-Museums zum eigentlichen Protagonisten. Im Mittelpunkt steht die Evakuierung der Werke des Museums von Figueras nach Genf im März 1939, als sich das noch unter Kontrolle der spanischen Republik befindliche Territorium stark reduziert hatte und Katalonien kurz vor der Übergabe an die Rebellen stand. Arce gelingt es, eine lebendige Erzählung zu schaffen, in der sich die Pläne der republikanischen mit denen der franquistischen Seite überlagern und mit einer Geschichte von Spionage und Liebe verbunden werden, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt und auf einem historisch dokumentierten Hintergrund basiert. Wichtige Figuren sind der Generalsekretär des Völkerbundes Joseph Avenol und der Vizedirektor des Louvre Jacques Jaujard, während auf der Seite der spanischen Republik Minister Álvarez del Vayo und Timoteo Pérez Rubio stehen, Chef des Zentralrates der Kunstschatzkammer (Junta Central del Tesoro Artístico) seit Beginn des Bürgerkriegs. Die Unterhaltungen dieser historischen Figuren drehen sich um die offizielle Position des Völkerbundes, welcher sich in die Rettungsaktion der Kunstschätze und deren Abtransport nach Genf nicht einmischen will. „Minister“ sagte Pérez Rubio „der Völkerbund wird jetzt nicht intervenieren, wie er es auch nicht vor einem Monat getan hat, als wir um seine Unterstützung ersuchten. Wir sind allein. Man hat uns allein gelassen, dich, die Regierung, die Republik und das Prado-Museum. Niemanden interessieren unsere Ideen und unsere Gemälde“. „Was können wir tun?“, fragte Vayo in den Raum und in die Nacht, ohne eine Antwort zu erwarten. „An die zukünftigen Generationen denken, an die Künstler, an die Kunst, an die Kultur. Daran denken, Minister,“ sagte Pérez Rúbio, „dass diese Bilder wichtiger sind als die Republik und dieser verdammte Krieg. Diese Bilder dringend auslagern, wohin auch immer, damit man sie erhalten kann.¹³
„‚Ministro‘ decía Pérez Rubio ‚la Sociedad de Naciones no interviene ahora como no lo hizo hace un mes, cuando reclamamos su apoyo. Estamos solos. Nos han dejado solos a ti, al gobierno, a la República y al Museo del Prado. A nadie importan ya nuestras ideas ni nuestros cuadros‘. ‚¿Qué podemos hacer?‘ preguntaba Vayo al aire y a la noche sin esperar respuesta. ‚Pensar en las generaciones futuras, en los pintores, en el arte, en la cultura. Pensar, Ministro‘ decía Pérez Rubio
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Hierin zeigt sich die Ausweglosigkeit der militärischen und politischen Situation der spanischen Republik gegen Kriegsende (Ende Februar/Anfang März 1939), als die westlichen Demokratien das Franco-Regime in Burgos bereits diplomatisch anerkannt haben und für die legitime Regierung keinerlei offizielle Hilfe mehr von außen zu erwarten ist, nicht einmal mehr für die Kunstwerke. Der Generalsekretär des Völkerbundes Joseph Avenol will nicht mehr gegen den Willen der nationalen Regierung handeln; diese möchte eine Evakuierung der Kunstschätze ins Ausland um jeden Preis verhindern und sie unter Schutz des Roten Kreuzes stellen. Er fragt Jaujard, den Vizedirektor des Louvre: „Was können wir unter diesen Umständen tun? Das Prado-Museum gehört nicht der Republik, sondern allen Spaniern“¹⁴. Schließlich kommt es nach langwierigen Verhandlungen mit einem sogenannten Freundeskreis, der aus den Direktoren bedeutender Museen besteht, in letzter Minute doch noch zu einer Einigung über den Transport der Bilder aus der Festung von Figueras nach Genf an den Sitz des Völkerbundes. An dieser Stelle setzt auch die fiktionale Spionage- und Liebesgeschichte ein, in der es darum geht, dass ein bekanntes Gemälde der Sammlung nicht dem Völkerbund übergeben werden soll. Es handelt sich um das Werk von Diego Velázquez Garten der Villa Medicis in Rom ¹⁵, das dem in Bern ansässigen Juden Salomon Salinger, einem undurchsichtigen Merchanten, ausgehändigt werden soll, da dieser angeblich die von der spanischen Republik dringend benötigten Waffen besorgen kann. Dieser Plan soll wiederum von einem Agenten der nationalen Burgos-Regierung unterlaufen werden, der die Übergabe der Waffen auf die Franco-Seite umleiten soll. Das genannte Gemälde wurde allerdings nicht in der Burg von Figueras aufbewahrt, sondern in der Festung von Perelada zusammen mit den anderen Bildern aus dem Prado, dem Kloster El Escorial, dem Königspalast und der Königlichen Akademie der schönen Künste von San Fernando. Es gelingt dem Autor in diesem Roman nicht nur, das Bewusstsein des Lesers für den Wert der Institution Prado-Museum und die Bedeutung seiner Kunstschätze zu schärfen, sondern auch die Problematik der Auslagerung seiner Werke
‚en que esos cuadros son más importantes que la República y que esta maldita guerra. Evacuarlos urgentemente a donde sea, donde puedan preservarse‘“ (Arce 2002, 47– 48). „¿Qué podemos hacer, entonces? El museo del Prado no es de la República, sino de todos los españoles“ (Arce 2002, 26). Diego Velázquez, Garten der Villa Medici in Rom (1630 ca.). Verfügbar unter: „Vista del jardín de la Villa Medici en Roma“. Museo del Prado. https://www.museodelprado.es/coleccion/obrade-arte/vista-del-jardin-de-la-villa-medici-en-roma/9b9584d1– 6e48 – 49e0 – 9c6a-433fc2e1dbb2? searchid=449afbab-8a79 – 030e-422 f-9c6b0ae7aa07 (16. September 2020).
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mit allen politischen und logistischen Konsequenzen sehr anschaulich zu verdeutlichen. Der geplante Verkauf des Werkes von Velázquez aus dem Jahr 1630 ist im Roman nur eine Dystopie, jedoch kehrt in der Fiktion am Ende nur eine Kopie des Werkes im September 1939 in das Museum zurück. Das Original bleibt im Besitz einer glühenden Verteidigerin der spanischen Republik, der Krankenschwester Teresa Munera, die auch die Aufzeichnungen und persönlichen Dokumente von Antonio Machado rettet, den sie im Strom der nach Frankreich ziehenden Flüchtlinge selbst betreut hat. Auf der ersten Seite sah sie das, was die Unterschrift von Antonio Machado zu sein schien, und sie schüttelte den Kopf, aufgeregt, nicht nur den Gedichtband, den sie so sehr liebte, in ihren Händen zu halten, sondern ein vom Autor selbst signiertes Exemplar, und sie fragte sich, ob Antonio, der Mann, den sie auf der Straße traf, den Dichter kannte. Dabei fühlte sie am ganzen Körper ein Frösteln. Antonio…, er hieß Antonio, der alte Mann, der fast ein Krüppel auf der Straße war, hieß Antonio… Sie nahm die Hefte und sah dort, auf dem Einband jedes Notizbuches, in freundlicher, klarer und präziser Handschrift, mit der Feder geschrieben, die Unterschrift von Antonio Machado y Ruiz. Er blinzelte und hielt die Notizbücher in seinen Händen. Dann verstand sie, dass sie Antonio Machado behandelt hatte, ohne es zu wissen, den Dichter, den sie so sehr bewunderte.¹⁶
So sitzt die ehemalige Krankenschwester der republikanischen Armee am Ende des Romans als alte Frau vor dem Bild im Prado-Museum und stirbt. In ihrer letzten Unterhaltung sagt sie einer Wächterin, dass das Bild gefälscht sei und sie das echte zu Hause habe. Auch in diesem Werk geht es um den Schutz von Kunst und Literatur vor den verheerenden Auswirkungen des modernen Krieges, der unendliche Flüchtlingskarawanen provoziert und mit seinen neuen Waffen, darunter die Fliegerbomben, Kulturgüter aus vergangenen Jahrhunderten sehr schnell zerstören oder stark beschädigen kann. Dem Leser wird sogar unterschwellig die Frage gestellt, ob der Schutz solcher ewiger Werte vor dem Schutz von Menschen steht, da im Roman auf brutale Weise die Requirierung von LKWs erfolgt. Mit vorgehaltener Waffe werden in Richtung französischer Grenze ziehende Flüchtlingstrecks zur
„En la primera hoja vio lo que parecía la firma de Antonio Machado y movió la cabeza, ilusionada, por tener en manos no sólo el poemario que tanto amaba, sino precisamente un ejemplar firmado por el propio autor y se preguntó si Antonio, aquel hombre que atendió en el camino, conocía al poeta. Fue entonces cuando sintió un escalofrío en todo el cuerpo. Antonio…, se llamaba Antonio, el viejo casi inválido que encontró en el camino se llamaba Antonio… Cogió los cuadernos y allí, en la cubierta de cada no de ellos, con letra amable, clara y precisa, escrito a pluma, vio la firma de Antonio Machado y Ruiz. Entornó los ojos y afirmó entre sus manos los cuadernos. Entonces comprendió que había estado atendiendo a Antonio Machado sin saberlo, al poeta que tanto admiraba“ (Arce 2002, 33 – 34).
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Herausgabe der Fahrzeuge für den Abtransport von Gemälden gezwungen. In einem Nachwort erklärt dann der Autor, dass es solche skrupellosen Aktionen nie gegeben habe und es sich um ein Element der Fiktionalisierung handele (vgl. Arce 2002, 266). Auch die Szene des Transportes durch die Stadt Benicarló, in der ein Gemälde¹⁷ an einem Balkon hängen bleibt, vom Lastkraftwagen fällt und erheblich beschädigt wird, dient zur Dramatisierung des Geschehens und unterstreicht die Rolle des einfachen Volkes bei der Bewahrung von Kunstschätzen, die nicht nur Eigentum einer Regierung, einer Nation, sondern der ganzen Menschheit sein sollen. Auf dem Asphalt des Bürgersteigs riss das Bild, in dem Goya den anonymen Kampf der Madrider gegen die ägyptischen Soldaten Napoleons, die Gesten der Mamelucken, die Gewalt des spanischen Krieges gemalt hatte. Damals entriss die Mutter eines Milizionärs aus Benicarló ihrem Sohn das Hemd und näherte sich der gerissenen Leinwand mit dem Hemd in der Hand, als ob sie eine Fahne tragen würde und bat schreiend, dass man sie das Bild mit diesem Stoff nähen ließe. Vorgebeugt, auf dem Boden kniend, legte sie das Hemd auf das Gemälde und bat ihre Nachbarinnen, ihr etwas Garn und Nadeln zu bringen. Unter einem Balkon, zwischen den verdreckten Rädern, mitten auf der Straße, spannte ein Milizionär mit nacktem Oberkörper die Leinwand, während seine Mutter das Hemd zerschnitt und den Stoff über den Köpfen der wütenden Mamelucken nähte, die auf dem Gemälde die Säbel schwangen in einer Schlacht ohne Helden, die Goya malte. Aber niemand malte damals in Benicarló das intensive Bild, von einer Frau, die auf der Straße mit dem Stoff des Hemdes ihres Sohnes ein Kunstwerk flickte.¹⁸
Francisco de Goya y Lucientes, Der zweite Mai 1808 in Madrid oder der Kampf mit den Mamelucken an der Puerta del Sol (1814). Verfügbar unter: „El 2 de mayo de 1808 en Madrid o ‚La lucha con los mamelucos‘“. Museo del Prado. https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-dearte/el-2-de-mayo-de-1808-en-madrid-o-la-lucha-con-los/57dacf2e-5d10 – 4ded-85aa9ff6f741f6b1?searchid=e9296f25 – 10ee-b28c-5de6-eea356281349 (16. September 2020). „Sobre el asfalto de la acera se rasgaba el cuadro en el que Goya pintó la lucha anónima del pueblo madrileño contra los soldados egipcios de Napoleón, los gestos de los mamelucos, la violencia de la guerra española. Fue entonces cuando la madre de un miliciano de Benicarló le arrancó a su hijo la camisa y se acercó al lienzo roto con ella en la mano como si llevara una bandera, pidiendo a gritos que le dejaran coser el cuadro con aquella ropa. Agachada, con las rodillas en el suelo, ponía sobre la pintura la camisa y avisaba a las vecinas para que le llevaran hilo y agujas. Debajo del balcón, entre dos ruedas polvorientas, en mitad de la calle, un miliciano con el torso desnudo tensaba el óleo mientras su madre cortaba la camisa y cosía el trapo sobre las cabezas iracundas de los mamelucos que en el cuadro arqueaban sus sables en la batalla sin héroes que pintó Goya. Pero nadie pintó entonces en Benicarló la imagen plena de intensidad de una mujer que remendaba en la calle una obra de arte con la tela de la camisa de su hijo“ (Arce 2002, 13).
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Die Intermedialität zeigt sich bei Arce durch die markante Präsenz der bekannten Kunstwerke des Prado-Museums im Erzähltext. Es wird hier bewusst ein Parallelismus zwischen bildender Kunst und Literatur angedeutet, da in der im Roman beschriebenen Szene ein neues Bild geschaffen wird, dessen Titel man auch dem Leser suggeriert: „Frau beim Flicken eines Kunstwerkes mit dem Hemd des Sohnes“. Es handelt sich um eine mise en abyme, da der Romanautor auf der Basis der berühmten Bilder und ihrer Interpretationsgeschichte eine neue Geschichte einflicht, die ebenfalls den Heroismus des spanischen Volkes im Kampf für Freiheit und Kunst betont.Wiederum sind es wie bei Rafael Alberti die Gemälde von Goya, die eine Brücke zwischen Widerstand gegen die napoleonische Besatzung im Jahre 1808 und dem darauffolgenden Freiheitskampf zu den Ereignissen des Spanischen Bürgerkriegs schlagen, bei dem der Freiheitswille des spanischen Volkes ebenfalls mit Hilfe ausländischer Mächte (Deutschland, Italien) unterdrückt wurde. Die Mamelucken der kaiserlichen Garde Napoleons werden somit in Verbindung gebracht mit den gefürchteten marokkanischen Truppen, die auf Seite der Aufständischen im Bürgerkrieg mit großer Grausamkeit kämpften, sowie mit der Guardia Mora, der maurischen Leibgarde des Staatschefs Francisco Franco.
5 Antonio Mercero: La hora de los valientes (Spanien, 1998) [Die Stunde der Tapferen] Schließlich soll hier auch die Fiktionalisierung der Auslagerung der Kunstwerke aus dem Prado in einem Film von 1998 mit dem Titel La hora de los valientes (Regie: Antonio Mercero, Gabino Diego, Luis Cuenca, Adriana Ozores, Leonor Watling in den Hauptrollen) behandelt werden. In diesem 117 Minuten langen Film setzt ein junger Wächter des Prado, Manuel, sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel, um das berühmte Selbstporträt ¹⁹ von Goya zu retten, das er während des sich vollziehenden Abtransportes findet, als gerade ein Bombardement der feindlichen Luftwaffe großes Chaos im Museum provoziert. Manuel versteckt das Selbstporträt zu Hause und schützt es vor weiteren Bombenangriffen und mit Waffengewalt vor der Habgier zwielichtiger Händler. Auch als seine Tante Flora in Erwägung zieht, es zu Geld zu machen, um ihre
Francisco de Goya y Lucientes, Selbstporträt (1815).Verfügbar unter: „Autorretrato“. Museo del Prado. https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/autorretrato/a3bf3226 – 62ba44f2– 9b94-aa7155c3c488?searchMeta=autorretr (16. September 2020).
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Familie mit Essen zu versorgen und vor dem Krieg zu schützen, lehnt er dies ab. Im Hintergrund steht die Annahme, dass auch für das einfache Volk die Bewahrung der Kunst wichtiger sei als das tägliche Brot. Nach dem Ende des Krieges und der Besetzung Madrids durch die nationalen Truppen bringt er das versteckte Werk wie versprochen ins Prado-Museum zurück, hängt es an seinen Platz und wird davor kniend, in der Pose der Erschießungen vom 3. Mai 1808, von Faschisten exekutiert. Die temporäre Aneignung des immer wieder als „Kamerad Goya“ angesprochenen Werkes dient nur zu seinem Schutz, sein Besitz gehört aber dem ganzen spanischen Volk und nicht allein einer anarchistischen Familie. Die Geschichte um das Kunstwerk des Prado ist eingebettet in eine Geschichte um die Leiden und Verfolgungen unschuldiger Menschen, provoziert von beiden Seiten im Madrid des Spanischen Bürgerkriegs. In diesem Film wird die „Fünfte Kolonne“²⁰ ebenso sichtbar wie die Zerstörung sakraler Kunst durch ungebildete und hasserfüllte Milizionäre. Damit ist dem Film eine ausgewogene und objektive Sicht zuerkannt worden. Er zeigt auf republikanischer Seite Übergriffe, wie etwa die Zerstörung sakraler Güter, die sich im Domizil des Professor Miralles ereignet (welcher zusammen mit dem Priester, seinem Gefährten bei der Schätzung und Bewahrung der Kunstschätze abgeführt und vermutlich exekutiert wird) oder auch die verheerende Reaktion der Milizionäre, als Manuel und sein Großvater Melquíades sie mit der Absicht im Hauptquartier aufsuchen, das Werk von Goya an José Renau zu übergeben (vgl. López López 2018, 335). Es ist ebenfalls die gekonnte Nachbildung des Prado-Museums hervorzuheben: Da nicht an den Originalschauplätzen gedreht werden konnte, musste der Abtransport der Bilder sowie die Bombardierung an einem anderen Aufnahmeort sehr getreu nachgestellt werden, mit der großen Rotunde als Identifikationsmerkmal. Das Museum wird auch mangels anderer Optionen im Madrid der Kriegswirren von 1937 zu dem Ort, an dem die frisch vermählten Manuel und Carmen ihre Hochzeitsnacht verbringen. Schließlich wird postuliert, dass die Kunst allen Spaniern gehört, als Manuel das Selbstporträt von Goya nach Beendigung des Krieges in das Museum an seinen angestammten Platz zurückbringt und dort dann von dem skrupellosen Lucas hingerichtet wird. In einer weiteren Sequenz wird das Museum als Ort der franquistischen Geschichtsfälschung dargestellt, da ein Museumsführer die Besucher·innen informiert, dass die „Roten“ ein Bild unterschlagen hätten, um es zu
Hierbei handelt es sich um die Agenten der Aufständischen, die das republikanische Madrid unterwandert hatten und Attentate sowie Sabotageakte verübten.
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verkaufen und dieses nur durch einen nationalen Helden gerettet werden konnte, der dafür den Orden Isabel der Katholischen erhalten habe. Intermediale Aspekte werden hier expliziter verdeutlicht als in den beiden literarischen Texten. Das Bild im Film beeinflusst unmittelbar die Handlung, was u. a. zu Beginn des Films sichtbar wird, als das berühmteste Gemälde von Diego Velázquez, Las meninas (1656), aus dem Museum abtransportiert wird: Alle Arbeiter und Soldaten unterbrechen ihre Tätigkeit und starren auf das Werk, das an ihnen vorbeizieht, die Kamera scheint ebenfalls in diesem Moment anzuhalten und wiederholt den impliziten Zeigegestus der musealen Ausstellung. Es herrscht eine Totenstille, die noch von der extradiegetischen Musik unterstrichen wird. Die Symbolwirkung auf die Menschen im belagerten Madrid wird damit besonders herausgestellt. Die Gemälde stellen ein essenzielles Element im Film dar, auch wenn die narrative Achse sich nicht um Kunst, sondern um die Schrecken des Bürgerkriegs dreht. Das Selbstporträt spielt eine entscheidende Rolle im Leben des Protagonisten Manuel und für den Fortgang der Handlung. Neben der Sicherstellung des kleinformatigen Goya-Bildnisses durch den Protagonisten (00:11:10 – 00:12:38) erscheint es auch noch während einer Hausdurchsuchung, als es an der Wand hängend nicht als Original identifiziert wird, sondern von Manuels Großvater Melquíades als „mein Onkel Paco aus Zaragoza“ bezeichnet wird (01:05:26). Goya im Selbstbildnis wird zum Kameraden („compañero“) von Manuel und seiner Familie. Er ist Zeuge der ersten Nacht, die Carmen und Manuel gemeinsam verbringen (01:08:20 – 01:09:25) und der Geburt des gemeinsamen Sohnes, während sein Vater als Kämpfer an der Front abwesend ist (01:30:28 – 01:31:42). Der Künstler im Bild wird somit zu einem stummen Beobachter und Augenzeugen der Kriegshandlungen sowie von Manuels kompliziertem Leben. Er wird auch die Erschießung seines Bewachers und Beschützers am Ende des Films erleben. Sein Blick repräsentiert einen ebenfalls blutigen Kampf, nämlich den während des Unabhängigkeitskrieges (1808 – 1814) gegen Napoleon Bonaparte. Das Selbstbildnis repräsentiert gewissermaßen auch das Licht der Vernunft gegenüber der irrationalen Fortschrittsfeindlichkeit des Krieges (Barrientos Bueno 2008, 19). Somit wird das Bildnis²¹ mit seinen durchlaufenen Irrwegen zu einem Symbol der kollektiven Tragödie. Im Film wird der Anschein erweckt, als käme es
Francisco de Goya y Lucientes, Der 3. Mai 1808 in Madrid: Die Erschießung der madrilenischen Patrioten (1814).Verfügbar unter: „El 3 de mayo en Madrid o ‚Los fusilamientos‘“. Museo del Prado. https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/el-3-de-mayo-en-madrid-o-los-fusilamientos/5e177409 – 2993 – 4240 – 97fb-847a02c6496c?searchid=7592bd6e-d0e1-c0d0 – 7db3 – 142e81892a6b (16. September 2020).
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zu einem Austausch von suggestiven Blicken zwischen dem Zuschauer, den Protagonisten und dem Bildnis selbst (Gimeno Ugalde 2011, 224). Es handelt sich um ein Bild im romantischen Stil, das die Gewalt und die von den napoleonischen Besatzern gegen das spanische Volk begangenen Grausamkeiten darstellt. Es ist in diesem Film sicherlich das zweite emblematische Gemälde, da es mehrfach auftaucht, zunächst als Professor Miralles es einigen Milizionären erläutert. Als Manuel und Carmen später im leeren Museum ihre Hochzeitsnacht verbringen, erklärt er seiner Frau, wo dieses Bild gehangen habe. Er stellt das Bild in einer Art tableau vivant für Carmen in Nachahmung der Dramatik der von Goya dargestellten Szene nach, indem er sich hinkniet wie der Mann mit dem weißen Hemd im Bild, die Arme in den Himmel richtet und „Es lebe die Freiheit“ ausruft (1:15:15 – 01:15:51). Dieses metadiegetische tableau vivant ist eine Vorwegnahme der Szene (Gimeno Ugalde 2011, 228), in der Manuel am Ende des Filmes, von den in Madrid einmarschierten Rebellen ebenfalls im PradoMuseum erschossen werden soll. Das genannte Bild zeichnet sich dadurch aus, dass es das erste ist, das die Schrecken des modernen Krieges anschaulich werden lässt und den Krieg aus der Perspektive der anonymen Opfer zeigt (Busch 1991, 32). Es hat sein Pendant in Der zweite Mai 1808 in Madrid, das den Kampf der Madrider Bevölkerung gegen die Mamelucken und den Ausbruch hemmungsloser Gewalt auf beiden Seiten darstellt. Es gibt kaum einen Kämpfenden, der nicht selbst auch von einer fremden Waffe bedroht wird, es sind kein kontrollierter Angriff und keine Kampfordnung auszumachen. „Es wird geschossen, geschlagen, gestochen nach allem, was sich bewegt“ (Busch 1991, 33). Die Kritik hat diesen Film sehr unterschiedlich aufgenommen, vorwiegend wurde die objektiv umfassende Darstellung der komplizierten Lebensumstände während des Spanischen Bürgerkriegs in der Hauptstadt Madrid aber positiv herausgestellt. Auch die Tatsache, dass der Protagonist Manuel ebenso wie sein Großvater dem anarchistischen Milieu zuzurechnen sind, fand Beachtung. Es liegt nicht nur in einer Vorliebe des Regisseurs begründet, dass er einen einfältigen Menschen aus dem Volk auswählt, welcher zum Verteidiger der Kunst des Volkes wird, gegenüber denjenigen, die in ihrem antiklerikalen Übereifer sakrale Kunst zerstören oder sich (wie der skrupellose Lucas) an den Kunstwerken bereichern wollen. Dafür wechseln sie auch schnell die Bürgerkriegspartei und nehmen den Verlust unwiederbringlicher Kunstschätze in Kauf (vgl. Barrenetxea Marañon 2004, 122). Im Schulunterricht wird der Film eingesetzt, um die Bedeutung der Kunst aus institutioneller, menschlicher und moralischer Sicht zu verdeutlichen, indem man die Sorge der leitenden Mitarbeiter·innen des Prado-Museums thematisiert, welche die Kunstwerke durch Abtransport schützen. Diese Sorgfalt um den Erhalt
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der wertvollen Bilder ist auch beim Protagonisten Manuel erkennbar, einem einfachen Museumswächter, der sich dem Schutz des Selbstporträts annimmt und zu ihm eine besondere Beziehung entwickelt (vgl. López-Domínguez 2017, 534). Der Film erhielt sechs Nominierungen für den höchsten spanischen Filmpreis Goya, letztlich wurde aber nur Adriana Ozores ausgezeichnet, die Manuels Tante Flora spielt. Heute ist der Film Teil des virtuellen Gedächtnisses des Prado-Museums, wo ein Ausschnitt auf der offiziellen Website des Museums zu sehen ist.
7 Schlussfolgerungen Das Prado-Museum hat wie kaum ein anderes Museum das Interesse vor allem der spanischen Literatur der Gegenwart geweckt. Seine Kunstwerke als Gegenstand eines intermedialen Diskurses sind in zahlreichen literarischen Texten präsent. Die Episode der Auslagerung der Kunstschätze während des Spanischen Bürgerkriegs wird heute in Kunstgeschichte und Historiografie gänzlich anders bewertet als in Film, Theater und Roman. Findet man sowohl im Drama von Rafael Alberti, wie auch im Roman von Arce und im Film von Mercero heroisierende Darstellungen dieser einmaligen Aktion, so sind die Kritiker der Ansicht, dass die Kunstschätze unnützerweise Gefahren ausgesetzt waren. Die fiktionalen Werke bemühen sich darum, den Wert von Kunst und Literatur so herauszustellen, dass keinerlei Opfer zu deren Erhaltung gescheut werden dürfen. Einfache Menschen ohne Bildung verstehen den Wert von Kultur und setzen sich überzeugt für ihre Rettung ein. Dieses Gefühl konnte die nationale Burgos-Regierung nicht in den von ihr besetzten Gebieten vermitteln, wie sie sich überhaupt kaum aktiv für die Erhaltung von Kulturgütern einsetzte, sondern nur die Entführung bzw. Beschädigung durch die sogenannten „Rotspanier“ anprangerte. Kann man die Verlagerung aus Madrid nach Valencia noch nachvollziehen, so ist die sachliche Notwendigkeit eines weiteren Transportes zur Sicherstellung der Werke nach Katalonien und danach über die Pyrenäen bis in die Schweiz doch höchst zweifelhaft. Es ist noch zu bedenken, dass ein Teil der Werke den Krieg sicher im Arsenal der Marine Algameca (Cartagena) überstand, wo auch zeitweise das Gold der spanischen Nationalbank eingelagert war, bevor es nach Moskau abtransportiert wurde. Als die nationalistischen Truppen am 30. März 1939 die Stadt besetzten, fanden sie 251 Kisten mit Kunstwerken vor, von denen 64 aus dem Prado stammten (Calvo Poyato 2018, 160 – 161). Über den Grund, warum diese dorthin transportiert wurden und nicht nach Katalonien in Richtung französische Grenze, gibt es keinerlei stichhaltige Anhaltspunkte.
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Trotz der Warnungen von Technikern wurden hohe Risiken in Kauf genommen, was die ältesten Werke des Prado-Museums mit sehr empfindlicher Leinwand betraf. Der glückliche Ausgang der Operation, die ohne nennenswerte Verluste endete, kann heute als ein kleines Wunder angesehen werden. Es sei darauf hingewiesen, dass diese ebenso gewagte wie umstrittene Episode in der zweihundertjährigen Geschichte des Prado-Museums in weitere Filme und Romane der letzten Jahre Eingang gefunden hat. Dazu zählen beispielsweise ein spannender Kriminalroman um ein fiktives Kunstwerk mit dem Titel El arte de matar dragones (2003) von Ignacio del Valle und der ebenfalls viel beachtete Dokumentarfilm Las cajas españolas (2004) unter der Regie von Alberto Polan. Schließlich ist festzuhalten, dass die intermedialen Bezüge auf einem Wiedererkennungseffekt beruhen, der vor allem über die berühmten Werke von Goya und Velázquez erzeugt wird. Bei Goya kommt sicherlich noch hinzu, dass implizit auf eine Parallelität des spanischen Freiheitskampfes gegen die napoleonischen Truppen im neunzehnten Jahrhundert mit dem Kampf der spanischen Republik gegen die Truppen der faschistischen Länder Deutschland und Italien im Spanischen Bürgerkrieg (1936 – 1939) verwiesen wird. In beiden Fällen erhebt sich das Volk, um dem übermächtigen, ausländischen Agressor die Stirn zu bieten und das Vaterland gegen eine autoritäre Herrschaft zu verteidigen.²²
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Goya wurde vielfach in Film, Roman, Drama, Musik und anderen Medien weit über die Grenzen des Landes hinaus verewigt und hat sich zu einer transmedialen Identifikationsfigur im zwanzigsten Jahrhundert entwickelt, da es ihm als einem der ersten Künstler gelang, die Moderne mit ihren Kontrasten und Widersprüchen über seine Bilder zu visualisieren. In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf den umfassenden Überblick in dem Sammelband von Ursula Hennigfeld (2003).
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Filmografie La hora de los valientes. Reg. Antonio Mercero. Enrique Cerezo P.C., 1998. Las cajas españolas. Reg. Alberto Porlan. Drop a Star, 2004.
Medienkonkurrenz und -überschreitung
Marco Thomas Bosshard
Architektur vs. Literatur? Inszenierung, Hierarchisierung und Marginalisierung von Literatur: Eine Analyse der Ausstellung im spanischen Ehrengastpavillon auf der Frankfurter Buchmesse 1991 1 Einleitung: Ehrengastauftritte auf der Frankfurter Buchmesse Einige Jahre nach der Transición, d. h. dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie (1975 – 1982), und nur fünf Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Europäischen Gemeinschaft 1986 präsentierte sich Spanien 1991 als sogenannter Ehrengast auf der weltweit wichtigsten und größten Buchmesse in Frankfurt am Main.¹ Diese „Ehre“ wurde Spanien als viertes Land überhaupt nach der Etablierung dieses Ehrengastlandformats durch die Frankfurter Messeleitung zuteil: Zuvor waren 1988 Italien, 1989 Frankreich und 1990 Japan an der Reihe.² Das Herzstück dieses 1991 unter dem Motto „La hora de España“ („die Stunde Spaniens“) und mit dem stilisierten Konterfei Francisco de Quevedos (vgl. Abb. 1) angekündigten und vom spanischen Literaturwissenschaftler Andrés Amorós als Präsident des Organisationskomitees verantworteten Ehrengastauftritts ist (und das bis heute) ein aufwändig gestalteter Ehrengastpavillon mit mehr als 2000 Quadratmetern Fläche: ein Raum, der dem Ehrengast die Gelegenheit geben soll, seine Literatur- und Buchproduktion einer internationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung“, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter der Projektnummer 317687246. Zur Geschichte des Ehrengastformats auf der Frankfurter Buchmesse vgl. Niemeier 2001, 49 – 54, Weidhaas 2003, 278 – 290 und Weidhaas 2007, 233 – 258; zu den dortigen ersten Ehrengastauftritten von Italien 1988 und Frankreich 1989 vgl. Rütten 1999 bzw. Hertwig 2018 (nur zu Frankreich). Zu internationalen Buchmessen im spanisch- und deutschsprachigen Raum allgemein vgl. Bosshard 2015, Bosshard und García Naharro 2019, García Naharro und Martínez Martín 2019. https://doi.org/10.1515/9783110691566-007
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Abb. 1: Offizielles Logo des spanischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 1991
Dieser 1991 von Spanien verantwortete Pavillon (vgl. Abb. 2– 4) inklusive seiner Ausstellungen – auch von Büchern und Literatur – steht im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen. Das von der Frankfurter Buchmesse etablierte Ehrengast- und Pavillonformat ist inzwischen in weite Teile der Welt exportiert und von vielen anderen internationalen Buchmessen adaptiert worden: Trotz seiner noch zu erläuternden Spezifität und Singularität ist es insofern in gewisser Weise doch bereits hochgradig standardisiert. Dadurch werden Buchmessen zu international rezipierten Vermittlungsräumen und Konsekrationsinstanzen für nationale und ggf. auch regionale Literaturen, wobei Literaturausstellungen in diesem Rahmen eine sehr wichtige Rolle spielen.³ Dennoch gibt es von Buchmesse zu Buchmesse Unterschiede, die vor allem die Rezeption dieser Pavillon-Ausstellungen betreffen: Während beispielsweise die Ehrengastpavillons auf den großen lateinamerikanischen Buchmessen in Guadalajara, Buenos Aires und Bogotá über längere Zeit – manchmal wochenlang – besichtigt werden können, beschränkt sich der Zugang für das „gemeine“ Publikum auf der zu zwei Dritteln von Fachbesucher·innen geprägten, ohnehin nur fünftägigen Frankfurter Buchmesse auf gerade einmal zwei Tage. Dies steht Für konkrete Fallstudien zu Ehrengastauftritten in Guadalajara und Buenos Aires vgl. García Naharro 2019 und García Naharro 2020. Analysen spezifisch zu Ausstellungskonzepten in Ehrengastpavillons auf der Frankfurter Buchmesse hat Anastasio zu Mexiko 1992 (vgl. Anastasio 2019a) und Frankreich 2017 (Anastasio 2019b) unternommen; siehe ferner Bosshard (2014) und Pedota (2015) zu Argentinien 2010.
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selbstredend in keinerlei Verhältnis zum immensen planerischen, kuratorischen, logistischen und auch finanziellen Aufwand, der einer solchen Ausstellung vorangeht. Auch für die Rekonstruktion – und mithin für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gegenstand – bedeutet dies eine immense Herausforderung, bei der die herkömmlichen Strategien der normalerweise auf Dauer- oder zumindest auf längere Sonderausstellungen beschränkten Ausstellungsanalyse (vgl. u. a. Baur 2011; Hochkirchen und Kollar 2015; Scholze 2004) oft nur ansatzweise umgesetzt werden können. Bei bereits länger zurückliegenden Veranstaltungen wie im Falle von Spanien 1991 ist man überdies abhängig von fotografischen Zufallsfunden – von Pressefotos, oft auch Schnappschüssen –, die den Gegenstand nur bedingt repräsentativ und schon gar nicht systematisch abzubilden in der Lage sind.⁴ So können wir dank ihnen zwar häufig die Makrostruktur und das Gesamtkonzept der Ausstellung beschreiben; die Kleinigkeiten, die Details, die einzelnen Exponate und ihre Anordnung jedoch sind nicht immer vollumfänglich beschreibbar – selbst dann nicht, wenn man die Möglichkeit hat, Zeitzeugen oder gar Kuratoren zu interviewen.
Abb. 2: Panoramaansicht des spanischen Ehrengastpavillons auf der Frankfurter Buchmesse 1991
Eine systematische Archivierung und Dokumentation der Pavillons durch die Frankfurter Buchmesse erfolgt nicht. Die in diesem Artikel verwendeten Fotografien stammen aus dem Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse, das sich als Teil des Archivs des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main befindet, sowie aus dem Privatarchiv der mexikanischen Architektin Martha Carrera, welche 1992 beim Ehrengastauftritt Mexikos wirkte (vgl. Anastasio 2019a) und durch die Buchmesse interne Dokumentationsmaterialien von vorherigen Gastlandauftritten erhielt. Zu den genauen Quellen vgl. das finale Abbildungsverzeichnis.
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2 Der spanische Ehrengastpavillon: ein erster Überblick Aus den panoramaartigen Fotografien aus dem spanischen Ehrengastpavillon der Frankfurter Buchmesse 1991 geht hervor, dass die Ausstellungsmacher durch das abgedunkelte Ambiente, die Scheinwerfer und Vorhänge offenbar die Theatralität, d. h. den Inszenierungscharakter der Veranstaltung, die ihrerseits die spanische Literatur ins rechte Licht rücken sollte, unterstreichen wollten (vgl. Abb. 3). Man kann hier einerseits einen Verweis auf die ausgeprägte Theatermetaphorik des Siglo de oro, d. h. des „Goldenen Zeitalters“ der spanischen Literatur, erkennen, das Theater und Welt, Theater und Leben – man denke etwa an Calderón de la Barcas El gran teatro del mundo (1655) – oft genug gleichgesetzt hat. Andererseits erkennt man bei genauerem Hinsehen aber auch, dass die vermeintlich roten Vorhänge in Wirklichkeit violette waren, mit gelben Hinterseiten – also den Farben, die für die capas, die Tücher spanischer Toreros, charakteristisch sind (vgl. Abb. 4). Im Zusammenspiel mit dem Sand⁵, der in der ganzen Ausstellungshalle auf dem Boden aufgeschüttet wurde, und den Emporen und Umgängen über der unteren Fläche, die an ein Stadion gemahnen, ist die gewollte, überaus stereotype Evokation einer „Stierkampfarena“ (Weidhaas 2007, 243) schnell etabliert.
Abb. 3: Theateratmosphäre im spanischen Ehrengastpavillon
Naheliegenderweise wurde der Sand alternativ auch stellvertretend für „Spaniens Strände“ (A/ A 1991, 361) gedeutet.
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Abb. 4: Panoramaansicht des spanischen Ehrengastpavillons mit violett-gelben Vorhängen
Allerdings geht es im Rahmen dieses Artikels nicht um die Rezeption dieser Installation, bei der die verwendeten Spanien-Klischees häufig genug mit spöttischem Unterton kritisiert worden sind.⁶ Denn unterhalb dieser ersten, Spanien sehr stereotyp repräsentierenden Ebene verbergen sich weitere Ebenen, die in ihrem Zusammenspiel ein durchaus komplexes Bedeutungsgewebe konstituieren. Angesichts der Tatsache, dass der Pavillon selbst vom Architekten Alfredo Arribas entworfen wurde, der auch für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Barcelona 1992 verantwortlich zeichnete, ist die Behauptung naheliegend, dass dem Ausstellungskonzept ein ambitionierter architektonischer Anspruch zu-
Insbesondere die spanische Presse mokierte sich über diese klischeebehafteten Referenzen, so etwa Vicente Verdú in seinem Beitrag in der wichtigsten spanischen Tageszeitung El País: „Todo visitante que desee acceder al pabellón español se ve obligado a dibujar un lance torero que descorre la gruesa cortina“ [Jeder, der den Pavillon betreten möchte, sieht sich gezwungen, den dicken Vorhang mit einer stierkämpferartigen Bewegung aufzuziehen] (Verdú 1991, 390). Auch im finalen (vertraulichen) Messebericht der Frankfurter Messeleitung, die sich auf die Auswertung unzähliger Presseartikel stützt, wird Kritik geübt: „Die Akzeptanz dieser ‚Arena‘ hielt sich in Grenzen. Nicht nur bedingt durch das Design, das einen geschlossenen, fast abweisenden Eindruck schuf, sondern auch durch eine relativ gewollt ‚düstere‘ Beleuchtung und ein von Sand bedecktes Begehungsareal, das das Durchkommen nicht vereinfachte. Dies führte zwar dazu, dass etwas weniger Besucher als z. B. bei ‚Japan‘ in der Kongresshalle verweilten, änderte jedoch nichts an dem großen Medienerfolg des ‚Spanien‘-Schwerpunktes […]“ (AuM 1991a, 48).Wir haben in anderen Arbeiten die Publikumsrezeption von solchen Pavillonausstellungen näher untersucht (vgl. Bosshard 2019a, Bosshard 2019b, Bosshard 2021), was jedoch empirische Befragungen vor Ort voraussetzt. Für weiter zurückliegende Ausstellungen wie Spanien 1991 kann für Rezeptionsanalysen wie in den vorgängigen Zitaten nur noch auf Pressematerial, die Kulturberichterstattung in den Feuilletons und ggf. interne Papiere zurückgegriffen werden – was nicht immer ergiebig und möglicherweise auch wenig repräsentativ ist.
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grunde lag. Gleichzeitig stellt sich dann allerdings auch die Frage, wie sich das Medium Architektur in diesem Buchmessekontext zum eigentlichen Exponat der Veranstaltung, der Literatur, verhält: antagonistisch⁷, wie dies das „vs.“ im Titel dieses Artikels insinuiert – in Form einer „Medienkonkurrenz“ –, oder doch eher komplementär oder gar symbiotisch? Daran anknüpfend, wird ebenfalls zu erörtern sein, welchen Stellenwert der Kanon der spanischen Literatur in den Ausstellungsdispositiven des Ehrengastpavillons einnimmt und welche möglichen Hierarchisierungen und Marginalisierungen er gegebenenfalls nach sich zieht.
3 Das ursprüngliche architektonische Konzept des spanischen Ehrengastpavillons 1991 Wie zu zeigen sein wird, weisen die architektonischen Entwürfe und Modelle des spanischen Ehrengastpavillons gegenüber der finalen, konkreten Umsetzung in Frankfurt 1991 einige signifikante und insofern für die Interpretation der Ausstellung aufschlussreiche Unterschiede auf. Wie wir auf der ursprünglichen Pavillonskizze (Abb. 5) feststellen können, besteht das Zentrum des Pavillons seinerseits aus acht unterschiedlichen kleineren Subpavillons mit acht ebenso unterschiedlichen, charakteristischen Formen und Grundrissen.⁸ Dies ist auf der Abbildung 6 noch einmal besser zu erkennen. Beim hier mit dem Buchstaben A bezeichneten ersten Subpavillon zur Linken des Besuchers, nachdem dieser die Halle durch den Haupteingang betreten hat (in der Skizze in Abb. 5 unten in der Mitte), sticht im Modell die Verwendung von Hufeisenbogen ins Auge (vgl. Abb. 7). Dieses Stilelement findet sich sowohl in der arabischen Architektur als auch in der vorromanisch-westgotischen Architekturtradition des frühen spanischen Mittelalters, das bekanntlich seinerseits durch die Convivencia, d. h. das Zusammenleben der christlichen mit der muslimischen und der jüdischen Kultur auf der spanischen Halbinsel (711– 1492), geprägt war.
So erscheint dem anonymen Autor (Kürzel j.k.) im Tageblatt vom 12.10.1991 der Pavillon „etwas enttäuschend“ ob der „Art und Weise, wie das Buch vom Design in den Hintergrund gerückt wird. Die Spanier haben mit Arribas einen der absoluten Topdesigner verpflichtet, um den Frankfurter Pavillon zu konzipieren, und das merkt man auch“ (A/A 1991, 361). Auf die Ausstellungsbereiche an den Rändern und auf den Emporen kann im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen werden. Zu sehen waren in diesen marginalen Bereichen (monografische) Sonderausstellungen sowie die Sektion „4 Sprachen 4 Literaturen“ (Ministerio de Cultura 1991c; vgl. hier Abb. 14).
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Abb. 5: Skizze des spanischen Ehrengastpavillons
Abb. 6: Dreidimensionales Modell des zentralen Bereichs des spanischen Ehrengastpavillons
Der auf einem Rundgang im Uhrzeigersinn folgende Subpavillon B hingegen hebt auf Rundbogen ab, wie sie – nicht nur in Spanien – für die Romanik typisch sind (vgl. Abb. 8). Im Pavillon C wiederum kontrastieren die nunmehr rechteckigen Portalformen mit einer abgerundeten Fassadenstruktur, wie sie für die Architektur des spanischen Barocks charakteristisch ist (vgl. Abb. 9), während im Subpavillon D eine klassizistische Säulenarchitektur vorherrscht, wie wir sie in Spanien prototypisch etwa im Observatorium von Madrid realisiert sehen (vgl. Abb. 10). Weiter im Uhrzeigersinn voranschreitend und nunmehr die rechte Hälfte der Ausstellung betretend, gelangt der Besucher zum Subpavillon E, bei dem der europäische Jugendstil zu seiner spanischen – oder vielmehr katalanischen – Extremvariante eines architektonischen Modernismus weiterentwickelt wird, wie sie uns aus der Architektur Gaudís geläufig ist (vgl. Abb. 11). Pavillon F gleicht im Modell einer Pyramide oder vielmehr einer pyramidenartigen Ruine – auf eine
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Abb. 7: Rechts eingekreist der Subpavillon A mit Hufeisenbogen. Zum Vergleich oben rechts ein Tor in Toledo; links oben Hufeisenbogen in der Kathedrale (ehemals Moschee) von Córdoba; links unten die Kirche San Lorenzo in Sahagún im Mudéjar-Stil
Abb. 8: Rechts der Subpavillon B mit Rundbogen; links oben Rundbogen von San Juan de Rabanera in Soria
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Abb. 9: Links der barocke Subpavillon C; rechts Portal der Kathedrale von Murcia
Abb. 10: Links der klassizistische Subpavillon D; rechts das Observatorium in Madrid
reale Entsprechung wird hier verzichtet, weil sie am Ende in Frankfurt nicht umgesetzt wurde (vgl. Abb. 12 hinten). Der Subpavillon G ähnelt auffällig der modernen madrilenischen Wolkenkratzerstruktur an der Puerta de Europa; interessant hierbei ist, dass dieses von den Architekten Philip Johnson und John Burgee 1989 entworfene Gebäude erst 1996 fertiggestellt wurde, also zum Zeit-
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Abb. 11: Links der modernistische Subpavillon E; rechts die Casa Batlló in Barcelona
Abb. 12: Pyramidenförmiger Subpavillon F (hinten); Subpavillon H (vorn)
punkt der Messe 1991 ebenso nur als Modell existierte (vgl. Abb. 13). Der letzte Subpavillon H schließlich besteht im Modell aus nichts als einer runden, leeren Grundfläche (vgl. Abb. 12 vorne).
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Abb. 13: Links die Torre I an der Puerta de Europa in Madrid; rechts der Subpavillon G
Resümierend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass im ursprünglichen Modell idealtypisch die entscheidenden Epochen der spanischen Architektur repräsentiert werden sollten: die arabische Baukunst bzw. der arabisch beeinflusste Mudéjar-Stil (A) und sodann auch die Romanik des Mittelalters (B), das Barock (C) und der Klassizismus des achzehnten Jahrhunderts (D) auf der linken Seite, und dann auf der rechten die modernen Strömungen bzw. Etappen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts: der Modernismus (E), die architektonische Ruinenlandschaft des Bürgerkriegs – offenbar versinnbildlicht durch die kaputte Pyramide (F) –, die innovative Architektur nach der Transición Spaniens von der Diktatur zur Demokratie (G) sowie schließlich diejenige der Gegenwart bzw. der noch nicht definierten Zukunft – daher die leere Fläche im letzten Pavillon (H).
4 Die literaturhistorische Umformung des spanischen Ehrengastpavillons im Zuge seiner Umsetzung auf der Frankfurter Buchmesse In der finalen Umsetzung des spanischen Ehrengastpavillons sind nun aber gegenüber dem ursprünglichen Modell einige signifikante Modifikationen zu beobachten. So fallen in einer zweiten, definitiven Skizze des Pavillons (vgl. Abb. 14), wie sie in den offiziellen Veröffentlichungen zum spanischen Ehren-
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Abb. 14: Finale Skizze des spanischen Ehrengastpavillons
gastauftritts 1991 auch abgedruckt wurde, gegenüber der ursprünglichen Skizze (vgl. Abb. 5) eine Reihe von Ersetzungen und Verschiebungen auf: Die Pyramidenruine F wurde gegen einen völlig neuen Subpavillon ausgetauscht, ebenso gestrichen wurde der arabisch inspirierte Subpavillon A (vgl. Abb. 7). Eine dritte Modifikation betrifft den modernistischen Pavillon E, der von der „modernen“ rechten Seite auf die „historische“ linke Seite der Ausstellungsfläche verschoben wurde; an seine ursprüngliche Stelle trat ein weiterer, ebenfalls völlig neu entworfener Subpavillon. Betrachten wir die tatsächlich realisierten Subpavillons nun im Einzelnen. Das Foto in der Abbildung 15 ist aus dem „Romantik und Realismus“ (Ministerio de Cultura 1991a, 31) zugeordneten Pavillon aufgenommen worden.⁹ Wichtig auf der Fotografie sind jedoch die Konturen des gegenüberliegenden Pavillons zum Mittelalter, dessen Eingang den zwei geöffneten Flügeln eines Portals nachempfunden ist (vgl. den roten Kreis). Würde man das Tor im Geiste schließen, entspräche dessen Form nicht mehr länger derjenigen eines Hufeisenbogens des Mudéjar oder auch eines Rundbogens der Romanik, sondern der Form eines gotischen Spitzbogens, wie er in Spanien etwa an der Kathedrale von Burgos vorkommt. Auf den Pressefotos nur schlecht zu sehen sind die runden Formen an der Fassade über den rechteckigen Barockportalen, die in der Legende des Grund Die deutlich erkennbaren dicken Goya-Bände im Regal unten rechts, die für die „verspätete“, im neunzehnten Jahrhundert nachgeholte spanische Aufklärung stehen, mögen angesichts der von den Ausstellungsmachern gewählten epochalen Zuordnung zu Romantik und Realismus etwas irritierend wirken. Der Pavillon scheint vielmehr das neunzehnte Jahrhundert insgesamt zu repräsentieren.
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Abb. 15: Blick aus dem romantischen auf den mittelalterlichen Subpavillon (A) mit geöffneten stilisierten gotischen Torflügeln wie die der Kathedrale von Burgos (links unten). Links oben auf allen Abbildungen jeweils der Grundriss des entsprechenden Subpavillons gemäß der der finalen Skizze
risses mit dem „Siglo de oro“, d. h. dem „Goldenen Zeitalter“ Spaniens, assoziiert werden (vgl. Abb. 16). Einfacher zu erkennen sind die stilisierten klassizistischen Säulenkapitelle (vgl. Abb. 17) sowie die eigenwillig geschwungenen Formen der modernistischen Architektur (vgl. Abb. 18). Die Abbildung 19 zeigt einen der beiden völlig neu entworfenen Subpavillons, der die (historische) Avantgarde repräsentieren soll (vgl. Ministerio de Cultura 1991a, 45). In der Draufsicht sind die in der Skizze klar erkennbaren rechtwinkligen Richtungsspiele etwas besser zu erfassen. In der spanischen Architektur zur Zeit der historischen Avantgarden (d. h. den 1910er bis 1930er Jahren) sind entsprechende bauhausaffine Experimente allerdings kaum vorhanden. Eine Ausnahme ist die von Josep Lluís Sert entworfene Casa Bloc in Barcelona, erbaut in den Jahren 1932– 1936, die man im Pavillon ansatzweise wiedererkennen könnte. Anstelle der Pyramidenruine aus dem ursprünglichen Entwurf steht nun, paradigmatisch sowohl für den Spanischen Bürgerkrieg als auch für die Nachkriegszeit unter Franco, ein Pavillon, der auf die Umrisse des Edificio España (1948 – 1953) verweist, mithin das erste Beispiel moderner spanischer Hochhausarchitektur unter Franco mit neoklassizistischen und subtil faschistischen Anklängen (vgl. Abb. 20). An dem die „Demokratie“ repräsentierenden Pavillon (vgl. Abb. 21) hat sich in der Umsetzung hingegen nichts geändert – ebenso wenig wie an der
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Abb. 16: Subpavillon B zum Barock bzw. zum Siglo de Oro; links unten die Kathedrale von Murcia
Abb. 17: Subpavillon C zu Romantik und Realismus (neunzehntes Jahrhundert); rechts oben das Observatorium von Madrid
offenen, leeren Struktur des „Gegenwart und Zukunft“ darstellenden Ausstellungsbereichs in der Abbildung 22.
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Abb. 18: Subpavillon D zum Modernismus; links unten die Casa Batlló in Barcelona
Abb. 19: Subpavillon E zur Avantgarde; rechts oben die Casa Bloc in Barcelona
Was hat es nun aber mit diesen räumlichen Verschiebungen, Modifikationen und Streichungen ganzer Pavillonteile einerseits und den semantischen Bedeutungsverschiebungen im Ausstellungskontext, die sich daraus ergeben, andererseits auf sich? Dass die überaus charakteristische Mudéjar-Architektur und mit ihr die arabischen Einflüsse des Mittelalters nun überhaupt nicht mehr in der Ausstellung vertreten sind, ist aus architekturhistorischer Sicht unverständlich und
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Abb. 20: Subpavillon F zur Nachkriegszeit; links unten das Edificio España in Madrid
Abb. 21: Subpavillon G zur Demokratie; links oben die Torre I in Madrid
unverzeihlich. Auch aus heutiger, postkolonial geschärfter literaturhistorischer Sicht ist dies fragwürdig – aus dem Geist der damaligen Epoche heraus jedoch zumindest erklärbar. Anders als die weitaus stärker transnational ausgerichtete Architektur- und auch Kunstgeschichte hing die Literaturwissenschaft – auch institutionell – noch lange einer romantischen Schimäre des neunzehnten Jahrhunderts nach: derjenigen einer mehr oder weniger homogenen Nationalliteratur. Aus ihr geht ein Verständnis von ebenso national ausgerichteter Literaturgeschichtsschreibung hervor, das Literatur als Mittel zur Identitätskonstruktion
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Abb. 22: Subpavillon H zu Gegenwart und Zukunft
begreift, als Mittel auch zum Transport identitärer Stereotype, die das Andersartige, Diverse tendenziell aussondert.¹⁰ In der Gegenwart und der Gegenwartsliteratur ist dies zwar nicht mehr so ohne Weiteres möglich, jedoch hält das Narrativ der Literaturgeschichtsschreibung daran häufig weiterhin fest. Ganz egal, wie groß der Reichtum arabischer Schriften und Literatur auf der spanischen Halbinsel vor der Reconquista nachgewiesenermaßen auch war: In der spanischen Literaturgeschichtsschreibung wurde und wird er in der Regel eskamotiert, zwar durchaus kurz erwähnt, aber selten vertieft behandelt: ein kurzes Auftaktkapitel, ein paar Absätze zur Übersetzerschule von Toledo, ein paar weitere vielleicht zu den jarchas, den Anfängen der spanischen Lyrik, die noch mit arabischen Buchstaben geschrieben wurde¹¹ – aber selten mehr.¹² Es kann daher konstatiert werden, dass das ursprünglich dominant architekturgeschichtliche Ausstellungskonzept im Zuge der Umsetzung von einem literaturhistorischen Ansatz usurpiert wurde. Auf Betreiben der Literaturkuratoren – so ist zu vermuten – wurden die beiden ursprünglichen mittelalterlichen Pa-
Ich habe die homogenisierende Konzeption der spanischen und europäischen Literatur bzw. Literaturgeschichtsschreibung andernorts problematisiert und Gegenkonzepte vorgeschlagen, die der lateinamerikanischen Kulturtheorie entstammen (vgl. Bosshard 2019). Eigentlich sind die jarchas das passende literarische, jedoch kaum bekannte Pendant zu den in der Öffentlichkeit und auch im touristischen Blick omnipräsenten hybriden Mudéjar-Bauwerken in weiten Teilen des Landes. Das Kapitel „Ejemplo de apertura de un canon: la literatura medieval“ in der nach wie vor gängigen Ausgabe von Teoría del canon y literatura española (Pozuelo Yvancos/Aradra Sánchez 2000, 189 – 209) kommt sogar ohne einen einzigen Verweis auf das arabische Schrifttum aus.
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villons, die die historische und kulturelle Diversität Spaniens in der Tat gut repräsentiert hätten, zu einem einzigen zusammengefasst und aus diesem sämtliche arabisch konnotierten Stilelemente entfernt. Stattdessen wurden mit dem restlichen Europa kompatiblere gotische Stilelemente gewählt und der Pavillon A entsprechend modifiziert, um die Anfänge der spanischen Nationalliteratur nach außen hin zu repräsentieren. Das Goldene Zeitalter der spanischen Literatur auf dem Höhepunkt des Kolonialimperiums (Cervantes, Lope, Calderón, Gracián, Quevedo, Tirso, Góngora usw.) mit der Barockarchitektur (B) zusammenfallen zu lassen, ist hingegen gut nachvollziehbar. Widersprüchlicher erscheint da schon die Zusammengehörigkeit von architektonischem Klassizismus mit literarischer Romantik und literarischem Realismus in einem einzigen – dem dritten – Pavillon (C), während beim architektonischen und literarischen Modernismo im vierten Pavillon (D) wiederum nachvollziehbare Schnittmengen vorhanden sind. Auch die zweite kapitale Veränderung scheint auf Interferenzen zwischen spanischer Architektur- und Literaturgeschichte zurückzuführen zu sein, wobei die literarhistorische Deutung ebenso obsiegt: die Etablierung eines eigens den (literarischen) Avantgarden gewidmeten Pavillons (E). Auch wenn man mit Blick auf Spanien mit einem flexiblen, erweiterten Avantgardebegriff operieren muss, um die Exponenten des sog. Silbernen Zeitalters der spanischen Literatur – die Vertreter der Generation von 1927 (Lorca, Alberti, Aleixandre, Cernuda, Guillén, Diego) – mit einbeziehen zu können, scheint dieser Fokus aus literaturhistorischer Sicht nachvollziehbar. Weniger allerdings aus architektonischer Perspektive, denn die Formensprache der Avantgarde wurde in Spanien erst in späteren Jahrzehnten – seit der Transición dann aber häufig sehr explizit – architektonisch umgesetzt. Auch die dritte grundlegende Modifikation, die Ersetzung der Pyramidenruine durch das stilisierte Edificio de España (F) – und mit ihr einhergehend die Verschiebung von der Emphase auf den Bürgerkrieg zur Emphase auf die Nachkriegszeit unter Franco –, lässt sich, obwohl vielleicht auch politisch motiviert, auf literaturhistorische Fakten zurückführen: Die spanische Literatur jener Epoche wird, abgesehen von einigen im Ausland erschienenen Romanen exilierter Autoren, durch die weitgehende Abwesenheit des Bürgerkriegsthemas charakterisiert – eines Themas, das erst seit der Jahrtausendwende (also deutlich nach dem Frankfurter Buchmesseauftritt 1991) eine neue spanische Autorengeneration massiv beschäftigt hat und noch immer beschäftigt.
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5 Hierarchisierungen, Kanonisierungen und Marginalisierungen in der spanischen Literatur: Präsenz und Inszenierung konkreter literarischer Werke in den Subpavillons Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass mit Blick auf die konzeptuelle Idee der Ausstellung im spanischen Ehrengastpavillon und ihre reale Umsetzung zunächst eine antagonistische Beziehung zwischen Architektur und Literatur vorliegt, bedingt durch die nicht immer kongruenten Schwerpunkte der Architektur- gegenüber der Literaturgeschichtsschreibung einerseits, andererseits aber auch bedingt durch die gegenüber der Literatur weniger an nationalen Referenzrahmen orientierte Architekturgeschichte. Das ursprüngliche Primat der Architektur in der Konzeptionsphase wird in der konkreten Umsetzung des Ausstellungsprojekts von literaturhistorischen Erwägungen überlagert, die sich – angesichts des Buchmessekontextes verständlich, ja gar angezeigt – schließlich durchgesetzt haben. In diesem letzten Unterkapitel soll die Makroebene nun aber zugunsten einer Mikroebene verlassen und erörtert werden, ob in der Ausstellung im Detail nicht doch auch Hinweise auf eine mögliche Symbiose von Architektur und Literatur erkennbar sind. Dies lässt sich anhand der Frage nach der tatsächlichen Präsenz literarischer Werke bzw. spanischer Klassiker und der Art ihrer Inszenierung im Ehrengastpavillon zumindest im Ansatz beantworten. Es wurde bisher noch nicht darauf hingewiesen – auch wenn es die vielen Abbildungen implizit beweisen –, dass das „Baumaterial“ der Pavillons, die „Fassaden“ all dieser bereits näher betrachteten architektonischen Stilisierungen aus nichts anderem als Büchern und Bücherregalen bestehen. Dabei hat man die Bücher mit dem Buchrücken nach hinten in die Regale gestellt (vgl. Abb. 15), sodass von außen nur das weiße Papier ihrer Innenteile sichtbar ist.¹³ Betritt man die einzelnen Pavillons, so steht man wie in einer Bibliothek vor Bücherregalen, die nach den jeweiligen literaturhistorischen Epochen geordnet sind. Im Innenraum der Subpavillons sind die Buchrücken mit ihren Beschriftungen zu erkennen, und man kann, wenn man will, Bücher aus dem Regal entnehmen und sie in der Mitte der einzelnen Pavillons auf einer Art Tisch durchblättern, theoretisch (würden es die Lichtverhältnisse erlauben) sogar lesen. In der Abbildung 23 sind
In Abb. 16 und 17 ist rechts unten deutlich die durch Lektüreaktivitäten etwas löchrig gewordene Bücherfassade des Barockpavillons zu sehen.
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Abb. 23: Innenraum des mittelalterlichen Subpavillons mit Tisch und Textanzeige (sowie Prinzessin Elena von Spanien als Leserin, flankiert von Andrés Amorós).
über dem Tisch auch ein Bildschirm und ein Textband zu sehen, auf denen den Besucher·innen auf Spanisch und (vermutlich) auch in deutscher Übersetzung basale Informationen zur jeweiligen Epoche und den für sie zentralen Büchern vermittelt werden.¹⁴ Eine eigene Publikation zu dieser Letras de España genannten Bücherausstellung, eine Art Verzeichnis (vgl. Ministerio de Cultura 1991b), gibt einen Überblick über alle im Ehrengastpavillon vorhandenen Bücher. Auf den ersten Blick scheint es die oben getätigte Aussage zu relativieren, es seien sämtliche arabischen Elemente aus der Ausstellung getilgt worden, führt es doch in der Sektion zum Mittelalter eine Reihe von arabischen Autoren und Dichtern – wenn auch stets in spanischer Übersetzung – an, deren Bücher in den Regalen des ersten Subpavillons tatsächlich vorhanden waren: Averroes, Ibn al-Arabi, Ibn Jatima, Ibn Al-Zaqqaq, Ibn Suhayd, Ibn Hazm usw. In diesem Bücherverzeichnis zur Ausstellung typografisch hervorgehoben (d. h. fett gedruckt und mit größerer Type) ist hingegen kein einziger dieser arabischen Autoren, sondern ausschließlich ausgesuchte kanonische Klassiker der spanischen mittelalterlichen und beginnenden rinascimentalen Literatur: Einzelwerke wie El Poema del Cid
Auf dem Foto befinden wir uns im mittelalterlichen Pavillon, denn auf der Anzeige ist die Rede vom Garci Rodríguez de Montalvo zugeschriebenen Amadís de Gaula (1508), der als „bester Ritterroman“ bezeichnet wird.
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(Ministerio de Cultura 1991b, 10), aber auch, in gleicher Weise, El Libro de Buen Amor (Ministerio de Cultura 1991b, 13) und der genrebildende valencianische Ritterroman Tirant lo Blanch (Ministerio de Cultura 1991b, 17). Inwiefern sich diese typografischen Hierarchien im Bücherverzeichnis auch in den einzelnen Bücherregalen der Pavillons abbildeten, lässt sich anhand des verfügbaren Dokumentationsmaterials nicht abschließend beantworten. Es ist aber davon auszugehen, dass sie sich, verstärkt von den Zusatzinformationen auf den Bildschirmen zu herausgehobenen Werken, durch das Vorhandensein von im Vergleich zu „unwichtigeren“ Werken mehr Editionen und Studien manifestiert haben dürften. Die Ausstellung dürfte so tatsächlich den Effekt eines realen Bibliotheksbesuchs evoziert haben, denn auch in Bibliotheken sind Klassiker und kanonische Werke in der Regel in größerer Anzahl vorhanden, ebenso wie die Quantität der vorhandenen Sekundärliteratur zu ihnen höher ausfällt. Ein Blick in den Katalog zur Ausstellung Letras de España (der nicht identisch ist mit dem oben genannten listenartigen Bücherverzeichnis; vgl. Ministerio de Cultura 1991a) scheint diese Vermutung zu bestätigen, gibt dieser doch Auskunft darüber, in welchen Regalen der Pavillons die einzelnen Schwerpunkte jeweils zu finden waren. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass der Ausstellungskatalog, anders als das Bücherverzeichnis, nur spezifische Einzelwerke für jede Epoche hervorhebt, zum Mittelalter zum Beispiel nur ein einziges: El Libro de Buen Amor (und nicht etwa das Kriegsepos vom Cid; vgl. Ministerio de Cultura 1991a, 20). Auch zu allen anderen durch die Subpavillons repräsentierten literarischen Epochen hebt das Bücherverzeichnis jeweils einige (kanonische) Autoren oder Einzelwerke fett hervor, während der Katalog diese Auswahl noch einmal auf einen oder auf einige wenige Titel oder Autoren reduziert. Im Siglo de Oro sind dies im Bücherverzeichnis (fett gedruckt) La Celestina, San Juan de la Cruz, Teresa de Jesús (hierzulande besser bekannt als Teresa von Ávila), der Lazarillo de Tormes, der Quijote, Cervantes, Lope de Vega, Fuenteovejuna, Calderón de la Barca, Quevedo, Góngora und Gracián (vgl. Ministerio de Cultura 1991b, 21– 39). Bemerkenswert ist, dass sich der Ausstellungskatalog für die breite Masse gegenüber diesem erweiterten Kanon allein auf den Quijote beschränkt, den er als Einzelwerk gesondert herausgreift (Ministerio de Cultura 1991a, 27). Im Pavillon C zu Romantik und Realismus werden im Verzeichnis analog Leandro Fernández de Moratín (Ministerio de Cultura 1991b, 44), der Don Juan (Tenorio), Carmen, Larra, Bécquer (vgl. Ministerio de Cultura 1991b, 49 – 57), Pérez Galdós und Clarín (Ministerio de Cultura 1991b, 61– 65) fett markiert, während der Katalog seinerseits immerhin vier Bücher oder Autoren hervorhebt: den Don Juan, Carmen, Pérez Galdós und Clarín (vgl. Ministerio de Cultura 1991a, 33 – 36). Interessant ist, dass hier, in der Sektion zu Carmen (Ministerio de Cultura 1991a, 31) und den Spanienreisenden der Romantik, ausnahmsweise auch eine Reihe aus-
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ländischer Autoren (wiederum in spanischer Übersetzung) wie Prosper Mérimée genannt werden. Im Pavillon D zum Modernismus unterstreicht das Bücherverzeichnis fett Unamuno, Azorín, Baroja, Antonio Machado, Valle-Inclán (vgl. Ministerio de Cultura 1991b, 75 – 85) sowie Juan Ramón Jiménez (vgl. Ministerio de Cultura 1991b, 88 – 90), während der Katalog nur Valle-Inclán eine exponierte Einzelseite gewährt (vgl. Ministerio de Cultura 1991a, 41). Im Avantgarde-Pavillon wiederum werden im Bücherverzeichnis Ramón Gomez de la Serna, José Ortega y Gasset, Manuel Azaña, Eugeni d’Ors, Salvador de Madariaga, Gabriel Miró, Ramón Pérez de Ayala und Federico García Lorca (vgl. Ministerio de Cultura 1991b, 91– 112) besonders hervorgehoben; der Katalog wiederum greift allein García Lorca heraus (Ministerio de Cultura 1991a, 47). In den weitaus umfangreicheren Bücherlisten zum Bürgerkrieg, zur Nachkriegszeit und auch zur Demokratie wird auf die besondere Hervorhebung einzelner Autoren oder Werke – ebenso wie im Katalog – hingegen ganz verzichtet. In diesen Hierarchisierungen und Hervorhebungen manifestiert sich erneut die literaturgeschichtliche Fundierung der gesamten Ausstellung, gehen die Literaturgeschichten in der Regel doch genau so vor: Sie etablieren und pointieren einerseits den historischen Kanon und vermeiden andererseits zu starke Wertungen neuerer Werke der Gegenwart. Außerdem liegt der für den Ehrengastpavillon gewählten literaturgeschichtlichen Konzeption eine Auffassung von Literaturgeschichte zugrunde, die die spanische Nationalliteratur mit kastilischsprachiger Literatur mehr oder weniger gleichsetzt und das Katalanische, Galicische und Baskische nahezu ausblendet: Baskische und galicische Autoren werden im Verzeichnis und dem Katalog zur zentralen Ausstellung des Pavillons gar nicht, katalanische und valencianische Autoren lediglich zweimal fett hervorgehoben (Eugeni d’Ors und Joanot Martorell, der Autor von Tirant lo Blanch). Trotz anders lautender Versicherungen vonseiten der Organisatoren waren die Literaturen der sprachlichen Minderheiten Spaniens in der repräsentativen zentralen Ausstellung des Pavillons 1991 eindeutig marginalisiert.¹⁵ So läuft
Darüber hinaus wurden einige allerdings von der flankierenden peripheren Ausstellung „4 Sprachen 4 Literaturen“ erfasst (vgl. Abb. 14). Auch die Presse hat zu Recht auf diese Problematik der Absenz gewisser Literatursprachen hingewiesen: „Aber wo waren die Galicier? Wo blieben die Basken? Fehlten sie aus politischen oder finanziellen Gründen?“ (Schläpfer 1991, 450), und auch in der Frankfurter Rundschau ist ein kritischer Artikel überschrieben mit „Spanien minus zwei: Basken und Galicier sind auf der Buchmesse kaum zu sehen“ (Rheinländer 1991, 206). Eigene Rahmenprogramme und Veranstaltungen wurden 1991 weder von der galicischen Xunta noch von den baskischen Kulturbehörden organisiert – im Unterschied zu den recht zahlreichen katalanischen Events.
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nicht nur das Medium Literatur Gefahr, gegenüber der Architektur im Hinblick auf eine „Medienkonkurrenz“ marginal zu werden, sondern auch innerhalb des Mediums Literatur selbst operieren verschiedene Marginalisierungstendenzen sprachlich-kultureller, aber auch geschlechtsspezifischer Art – ist Teresa von Ávila doch tatsächlich die einzige (!) weibliche Autorin der gesamten Ausstellung, die im Bücherverzeichnis fett hervorgehoben wird.
6 Fazit Mit Blick auf die unterschiedlichen Ausstellungskonzepte, die die Ehrengastländer auf der Frankfurter Buchmesse seit 1988 gewählt haben, haben wir es beim spanischen Beispiel zum ersten Mal mit einem genuin literaturhistorischen Zugang zu tun. Angesichts der Tatsache, dass hier nicht einige wenige, einzelne Bücher, sondern eigentlich ganze Epochen ausgestellt werden, könnte man sagen, dass das eigentliche Objekt der Ausstellung die spanische Literaturgeschichte selbst sei – oder richtigerweise die kastilische Literaturgeschichte, musste doch oben die nur sehr marginale Präsenz katalanischer, galicischer und baskischer Literatur konstatiert werden. Als Medium dieser Inszenierung fungiert nach außen die Architektur, nach innen die Bibliothek, denn alle wichtigen und auch viele weniger wichtige Bücher sind vor Ort tatsächlich vorhanden und können potenziell interaktiv konsultiert werden. Die Tatsache, dass diese Bücher jedoch nur auf Spanisch (bzw. in einigen wenigen Fällen auf Katalanisch, Galicisch und Baskisch) vorlagen, machte es für des Spanischen nicht mächtige Messebesucher·innen allerdings nahezu unmöglich, sich vertiefte Kenntnisse jenseits der wenigen auch im Ausstellungskatalog oder auf den Bildschirmen hervorgehobenen Werke zu verschaffen. Auch das dunkle Ambiente des Pavillons dürfte eine wirkliche Lektüre der vielen vorhandenen Bücher zusätzlich erschwert haben, sodass für die allermeisten Besucher·innen am Ende doch nicht unbedingt die literarische, sondern die architektonisch-visuelle Komponente der Installation im Vordergrund gestanden haben dürfte. Auch wenn in den Bücherfassaden der einzelnen Pavillons tatsächlich von einer Art Symbiose von Architektur und Literatur die Rede sein kann, ist zu konstatieren, dass die visuell-architektonischen Eindrücke die genuin literarischen im Sinne eines Antagonismus in den allermeisten Fällen überdeckt haben. Als frühes Beispiel einer Ausstellung mit dezidiert literaturhistorischer Überblicksfunktion kommt dem spanischen Ehrengastpavillon auf der Frankfurter Buchmesse 1991 aber dennoch eine Modellfunktion für das spezifische Format der Literaturausstellung auf Buchmessen zu.
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Abbildungs- und Quellenverzeichnis Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. : Abb. :
© Ministerio de Cultura/Frankfurter Buchmesse. © Frankfurter Buchmesse (interne Dokumentation). Privatarchiv von Martha Carrera. © Frankfurter Buchmesse (interne Dokumentation). Privatarchiv von Martha Carrera. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados. Quelle: Rogalski , . © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados. Quelle: AuM b, . © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados. Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration frei zugänglicher Bilder. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Privatarchiv von Martha Carrera) mit Integration eines frei zugänglichen Bildes. Ministerio de Cultura c.
Abb. : s/w-Foto © Werner Gabriel (Historisches Archiv des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek, Bestand HA/BV ; Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes. Abb. : s/w-Foto © Werner Gabriel (Historisches Archiv des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek, Bestand HA/BV ; Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes. Abb. : s/w-Foto © Werner Gabriel (Historisches Archiv des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek, Bestand HA/BV ; Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes. Abb. : © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Rogalski , ) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes. Abb. : s/w-Foto © Werner Gabriel (Historisches Archiv des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek, Bestand HA/BV ; Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse) mit Integration eines Ausschnitts aus dem Flyer zur Ausstellung sowie eines frei zugänglichen Bildes Abb. : © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Rogalski , ) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes.
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Abb. : © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Rogalski , ) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c sowie eines frei zugänglichen Bildes. Abb. : © Alfredo Arribas Arquitectos Asociados (Quelle: Rogalski , ) mit Integration eines Ausschnitts aus Ministerio de Cultura c. Abb. : © Werner Gabriel (Historisches Archiv des Börsenvereins in der Deutschen Nationalbibliothek, Bestand HA/BV ; Fotoarchiv der Frankfurter Buchmesse).
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Licht und Literatur: Jean-Philippe Toussaints transmediale Museumskritik 1 Einleitung In Frankreich ist seit einigen Jahren eine zunehmende Annäherung von Literatur und Ausstellungspraktiken zu beobachten. Ein Grund dafür mag in einer Ausweitung von Formen und Praktiken der Literaturvermittlung und -vermarktung jenseits des Buchs¹ liegen, ein anderer in der Öffnung von Museen zu anderen Künsten und neuen Publikumsschichten – einer vielkritisierten „Eventisierung“, welche sich unter anderem in der Einladung von „Gastkurator·innen“ in große Museen niederschlägt. Zu denken ist an prominente Modeschöpfer (Christian Lacroix im Musée Réattu, Arles, 2008), Regisseure (Wim Wenders im Grand Palais, Paris, 2019), Fußballspieler (Lilian Thuram im Musée du quai Branly, Paris, 2011),² aber eben auch an Schriftsteller·innen. So lädt der Louvre seit einigen Jahren auch Autor·innen ein, auf unterschiedliche Art an Sonderausstellungen mitzuwirken: So etwa Toni Morrison (2006), Umberto Eco (2009), Jean-Marie Gustave Le Clézio (2011), Philippe Djian (2014) und Jean-Philippe Toussaint (2012), um den es im Folgenden gehen soll. Sind Autor·innen als Akteure und Kommentatoren zugleich im musealen Kontext aktiv, so kann dies zu zahlreichen Interferenzen zwischen Literatur und Ausstellung führen. Als ein besonders prominentes Beispiel sei hier Michel Houellebecq angeführt. Dessen Roman La Carte et le Territoire (2010) hat den Kunstmarkt zum Thema, bedient diesen aber auch: So tritt der Autor selbst als erzählte Figur „Michel Houellebecq“ in dem Roman auf; in der Erzählung verfasst diese ein Vorwort für den Ausstellungskatalog der Hauptfigur Jed Martin. Zwei Jahre später schreibt der reale Michel Houellebecq ein Vorwort zu dem realen Ausstellungskatalog Musée National des Fotografen Marc Lathuillière (Houellebecq 2017 [2014], 329 – 330), der ein ähnliches künstlerisches Projekt wie Jed Martin betreibt, nämlich eine Portraitreihe mit Angehörigen verschiedener traditioneller Berufe („métiers anciens“).³ Andererseits kuratiert der Fotograf Lat Vgl. zur Entwicklung des französischen Buchmarkts allgemein Bessard-Banquy 2012. Vgl. zu Lacroix und Thuram sowie dem besagten Phänomen auch Bawin 2014, 260 – 261. Eine umfangreiche Presseschau dieses Projekts findet sich auf der Homepage der Galerie Binome, vgl. „Musée national. Mois de la Photo ‒ solo show“. http://galeriebinome.com/museenational/ (20. Oktober 2020). https://doi.org/10.1515/9783110691566-008
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huillière auch Michel Houellebecqs Foto-Ausstellung Before Landing (Pavillon Carré de Baudoin, Paris 2015). Lassen sich also der Roman und die Künstlerbeziehungen Houellebecqs in einem gemeinsamen Licht sehen, als Teil einer (narrativen wie realen) Selbst-Situierung Houellebecqs im Feld der Kunst, so löst sich der Roman noch weiter von seinem Autor und inspiriert seinerseits die Kuratorin Stéphanie Moisdon zur Ausstellung Le monde comme volonté et comme papier peint (Le Consortium, Dijon, 2012).⁴ 2017 feierte gar der Hamburger Kunstverein besagten Künstler Jed Martin, eine literarische Figur, mit einer „Retrospektive“.⁵ Diese Beispiele zeigen eine Weiterentwicklung literarischer Motive im musealen Raum, bei denen ein einzelnes literarisches Werk als „Keimzelle“ im Mittelpunkt steht. Im folgenden Beitrag soll es dagegen um einen literar-musealen Komplex gehen, der nur in einem integralen Blick zu erfassen ist. Es stellt sich die Frage nach den Potentialen dieses Komplexes für das literarische Erzählen und nach dem Platz und Status von Ausstellung und Werk. Wenn derartige transmediale Komplexe außerdem eine selbstreferenzielle Dimension aufweisen, Autor·innen also ihr eigenes (Literatur‐)Ausstellen, ihr Literatur- und Textverständnis über die Medien hinweg thematisieren, so darf man auf einen interpretatorischen Mehrwert und einen Museumsdiskurs hoffen, der sich aus der getrennten Lektüre der beiden Felder nicht ergäbe. Werke, die sich erst durch die Gesamtschau auf Literatur und Museum erschließen, bieten Anlass, über Formen von Literatur jenseits des Buchs sowie über literarische Praktiken im Ausstellungsraum nachzudenken (Nachtergael 2015; Régnier 2015; Ruffel 2010); man könnte sie mit dem von Nachtergael vorgeschlagenen Begriff der néolittérature bezeichnen, der von einer Loslösung der Literatur vom Medium Buch (oder jedem anderen autonomen Medium) ausgeht und annimmt, dass „die Einheit eines Werks nicht an (Träger‐)medien gebunden ist, sei es Fotografie, Text oder Film“, sondern dass sich manche Werke in einem „transmedialen Dispositiv“ niederschlagen: „Der Text selbst im engeren Sinn wird abgewertet, da er nur noch als System und nicht mehr autonom funktioniert“.⁶
Vgl. Le Consortium. „Le Monde comme volonté et comme papier peint“. https://www.leconsortium.fr/fr/le-monde-comme-volonte-et-comme-papier-peint (20. Oktober 2020). Hier findet sich auch ein Film mit Kommentaren Michel Houellebecqs zur Ausstellung. Vgl. Kunstverein in Hamburg. „Jed Martin ‒ Die Karte ist interessanter als das Gebiet“. https:// www.kunstverein.de/ausstellungen/rueckblick/jed-martin (20. Oktober 2020). Dazu auch Assheuer 2017, 49. „L’unité de l’œuvre n’est pas donnée par le support ou un média autonome, photographie, texte ou film“; „[…] dispositif transmédiatique“; „Le texte lui-même s’en trouve déprécié au sens strict, du fait qu’il ne fonctionne plus qu’en système et non en autonomie“ (Nachtergael 2015, 313). Wenn nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen vom Autor.
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Natürlich ist das Konzept der Transmedialität nicht neu und ist auch der Begriff der néolittérature nicht der erste, der eine „Neuheit“ der Literatur behauptet. Auch literarische Praktiken jenseits des Buchs besitzen spätestens seit den Avantgarden kaum Neuigkeitswert.⁷ Doch der Ansatz ist dennoch nützlich, weil er eine Gleichberechtigung zwischen den Werken und eine Loslösung der Literatur vom gedruckten Wort expliziter als andere Intermedialitätstheorien annimmt.⁸ Er bricht mit der genetteschen Theorie von Text und Paratext, und so mit dem Credo einer Hierarchie zwischen Haupttext und begleitenden Nebenwerken: „Indem man hingegen den Text als einen Übergangszustand des Werks versteht, kann man ihn mit etwas Abstand als Teil einer übergordneten Ordnung verstehen, im Sinne eines lebenslangen Projekts“⁹. Mag es in Bezug auf Houellebecq noch schwer sein, sich von der Vorstellung des literarischen Werks als „Zentrum“ des Schaffens zu verabschieden und dieses als „Übergangszustand“ zu verstehen, so hat der belgisch-französische Autor Jean-Philippe Toussaint ein Werk hervorgebracht, das ohne den Blick auf den literar-musealen Komplex wenigstens stellenweise unvollständig bleibt. Toussaint kann in einem hohen Maße als „intermedialer“ Künstler bezeichnet werden: Besonders die Romane seiner M.M.M.M.-Tetralogie¹⁰, die von der Künstlerin Marie handeln, sind durchsetzt von Referenzen auf andere Medien, sowie von Museumsszenen, Vernissagen und Ausstellungsreflexionen. Seit seinem frühen Werk thematisiert Toussaint spielerisch Fragen der Literatur, ihrer Rezeption und Produktion, sowie der Konkurrenz von Literatur und anderen Medien.¹¹ Dieses Interesse für die „Kulissen der Literatur“ zeigt sich unter anderem auch auf seiner Internetseite, die ein beeindruckendes Archiv an Material rund um sein literarisches Schaffen bereitstellt.¹²
Nachtergael selbst räumt ein, dass ihr Begriff für „Ausstellungstexte“ der Gegenwart eigentlich falsch gewählt ist, da die „Neuheit“ der Literatur immer wieder proklamiert wurde, sei es in den Avantgardebewegungen oder durch den nouveau roman (Nachtergael 2015, 313). Bezeichnend ist etwa, dass Calle-Gruber (2001, 100) für „les productions qui constituent, stricto sensu, menée par l’écrivain, une écriture parallèle à son œuvre“ [„Produktionen, die stricto sensu eine paralleles Schreibprojekt zu seinem literarischen Werk bilden“] in Anlehnung an Genette den Begriff der paralittérature wählt. „En considérant par contre le texte comme un état transitif d’une œuvre, la prise de distance permet de régler la mesure esthétique sur un ordre au long cours, plus général, à la manière des projets de vie“ (Nachtergael 2015, 307) Faire l’amour (Toussaint 2009a [2002]), Fuir (Toussaint 2009b [2005]), La vérité sur Marie (Toussaint 2013 [2009]), Nue (Toussaint 2017a [2013]). Der Begriff des Spielerischen rekurriert auf Flügge (1993). Jean-Philippe Toussaint. www.jptoussaint.com (20. Oktober 2020). Auf der Seite finden sich unter anderem Manuskriptstufen, Kritiken, Kommentare von Kolleg·innen, Videos mit Autor·in-
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Hinzu kommt, dass Toussaint selbst nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Fotograf, bildender Künstler und Filmemacher tätig ist, der gelegentlich ein erzähltes Ereignis über mehrere Medien hinweg weiterverfolgt. Hier zeigt sich eine Extremform der „Transmedialität“, die über bloße Adaptationen und „Systemkontaminationen“ (Rajewsky 2002) hinausgeht. Ein Beispiel: Der Roman Nue beginnt mit einer prägnanten Episode rund um eine Frau in einem „Honigkleid“.¹³ In der Erstausgabe des Romans erscheint diese als literarisches Ereignis. Eine – vor der Lektüre – nicht zuordenbare Fotografie der „Frau im Honigkleid“ dient dann als Coverabbildung der Taschenbuchausgabe des Romans von 2017.¹⁴ Erst mit dem Folgebuch Made in China (2018) erklärt sich dieses Foto als Standbild aus einem von Toussaint inszenierten Kurzfilm namens The Honey Dress (2015), der genau diese Episode ins Bild setzt. Made in China erzählt von den Dreharbeiten zu diesem Film. Am Ende des Buchs findet sich ein Link, der auf die Internetseite Toussaints verweist, auf der man sich den gesamten Kurzfilm ansehen kann.¹⁵ Die Episode kann also als transmediales Ereignis „vor dem Text“, „im Text“, „mit dem Text“ und „nach dem Text“¹⁶ verstanden werden, das über ein Nebeneinander unterschiedlicher Medien hinausgeht, und stets wieder mit dem zentralen Ereignis rückgekoppelt wird: Sie wird über verschiedene Medien (erzähltes, literarisches Ereignis, Fotografie auf Buchcover, erzähltes Making-of, Kurzfilm im Internet) hinweg weiterverfolgt und ausformuliert. Dabei bewegt sie sich überdies zwischen vermeintlich autobiografischen (die Fotografie Toussaints, der Bericht
neninterviews oder Gespräche mit Übersetzer·innen, ein kollektives Schreibprojekt namens „Projet Borges“ sowie wissenschaftliche Aufsätze. Toussaint selbst unterstreicht: „[J]’ai toujours eu un goût prononcé pour les coulisses, l’envers du décor, les making of, les esquisses, les plans, les maquettes“ [„Ich hatte schon immer eine besondere Vorliebe für die Kulissen, die Rückseite des Dekors, die Making-Ofs, die Skizzen, Pläne und Entwürfe“] (Toussaint 2014, 120). Vgl. zur Internetseite Toussaints und begleitenden Aktivitäten (auch Ausstellungen) weiter Steurer 2018. Die Figur Marie organisiert eine Kunstperformance mit einem Model, das ein Kleid aus Honig und Bienenwaben trägt und dabei von lebenden Bienen umflogen wird. Während der Aufführung knickt sie um und stürzt, woraufhin ein Imker eingreifen muss. Die Episode steht noch vor dem durch Zählung markierten ersten Teil des Romans, so dass sie auch in textstruktueller Hinsicht losgelöst wirkt (vgl. Toussaint 2017a [2013], 11– 25). Ein Copyright-Hinweis schreibt Toussaint die Urheberschaft zu. The Honey Dress. http://honey.jptoussaint.com/ (20. Oktober 2020). Vgl. Eckel und Lindemann (2017), die unter diesen Titeln verschiedene Dimensionen textueller Ereignisproduktion zusammenfassen: „Die Ebene der künstlerischen Programme und Poetiken“, jene der „Textkomposition und künstlerischen Verfahren“, jene der „Textverwendungen und textorientierten Praktiken“, und schließlich die Ebene von „Textrezeption und Ereigniswirkung“ (Eckel und Lindemann 2017, 13 – 19). Jede dieser Ebenen lässt sich an oben genanntem Beispiel prononciert herausarbeiten, und jede von ihnen steht in Zusammenhang mit den anderen.Welche Episode hier „vor dem Text“ steht und welche „nach dem Text“, lässt sich kaum noch sagen.
Licht und Literatur: Jean-Philippe Toussaints transmediale Museumskritik
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seiner Dreharbeiten in Made in China) und eher fiktionalen Formen (der Kurzfilm, die Erzählung in Nue).
2 Livre/Louvre Toussaints Werk- und Literaturverständnis zeigt sich auch an der, in der und rund um die Ausstellung Livre/Louvre ¹⁷, die er als eingeladener Gastkünstler konzipierte. Mit verschiedenen Werken Toussaints, insbesondere Fotografien, Filmen und Installationen, sowie Exponaten aus der Sammlung des Louvre will die Ausstellung die „Literatur“ selbst thematisieren und dabei auf das geschriebene Wort verzichten („sans passer par l’écrit“ – Musée du Louvre 2012, 2). Der Fokus liegt dabei auf dem Nachleben der Literatur, ihrer Rezeption, ihrer Verbreitung und Übersetzung. Gezeigt werden unter anderem: ein Autoportrait en lecteur (eine Magnetresonanztomografie des Schädels Toussaints), kontrastiert mit der Grafik Étude d’un cerveau von Charles Le Brun (1671); die Installation Lire/Live – eine Art „Lektüre-Kabine“, neben der ein Bildschirm die Hirnströme während des Lesens anzeigt; eine Ausgabe von Dantes Commedia von 1481 nebst neun Tablets, die den dritten Gesang der Göttlichen Komödie in neun Sprachen zeigen, wobei die Schrift auf den Bildschirmen sich nach und nach in Flammen auflöst (vgl. Toussaint 2012a, 198). In unmittelbarer Nachbarschaft zu Dante ist das Originalmanuskript von Samuel Becketts En attendant Godot ausgestellt, was den Einfluss literarischer Vorbilder thematisiert, war doch Dante einer der einflussreichsten Autoren für Beckett und ist Beckett einer der wichtigsten Autoren für Toussaint (vgl. Tousssaint 2012b, 87– 92 und 97– 107). Begleitend zur Ausstellung erschienen zudem zwei Bücher: La Main et le Regard, ein Bildband, der sich auf die Ausstellung bezieht, sie aber um weitere Werke erweitert, und der mehr als ein Katalog zur Ausstellung sein will,¹⁸ sowie der Essayband L’Urgence et la Patience, der im Gegensatz zur Ausstellung die Produktionsseite, das Vorleben der Literatur zum Thema hat: Die kurzen Texte behandeln u. a. Treffen mit dem Verleger Jérôme Lindon, den Einfluss Becketts auf
7. März–11. Juni 2012, Musée du Louvre, Sully-Flügel, Säle 20 – 23. Vgl. zu den Hintergründen der Kooperation Toussaints mit dem Louvre Torres 2020, 429 – 432. So Toussaint: „Le livre est une partie intégrante de l’exposition. Je l’ai conçu comme une création visuelle autonome, une composition lumineuse, insolente, mélancolique et colorée“ [„Das Buch ist ein integraler Bestandteil der Ausstellung. Ich habe es wie ein eigenständiges visuelles Werk entworfen, eine leuchtende, respektlose, melancholische und bunte Zusammenstellung“] (Musée du Louvre 2012, 10).
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Toussaint, sein Arbeitszimmer, die Ursprünge der Kreativität.¹⁹ Schon die Ausstellung und die mit ihr verbundenen (Text- und Bild‐)Bücher könnte man also als literar-museales Dispositiv zusammenfassen, das ein gemeinsames Werk bildet und zugleich verschiedene Formen der Literatur, der Literaturvermittlung und -ausstellung in unterschiedlichen Medien aufgreift. Wie gezeigt werden soll, thematisiert die Ausstellung Livre/Louvre nicht nur Literatur, sie erweitert auch Toussaints literarisches Erzählen und wird gleichsam selbst zu einem Teil des literarischen Werks. Als ein Beispiel unter mehreren soll hier die Rauminstallation L’Univers vorgestellt werden, die zahlreiche Bezüge zum literarischen Gesamtwerk Toussaints aufweist. Die Installation stellt diese Verbindungen sowohl mittels motivischer, intertextueller Verweise auf konkrete Textstellen im Werk her, als auch über ästhetische Tiefenstrukturen. Schließlich beinhaltet sie eine poetologisch begründete Ausstellungs- und Museumskritik, die Literatur und Installation zu einem gemeinsamen Komplex zusammenführt und Rückschlüsse auf Toussaints Werk- und Textbegriff zulässt.
3 Neonröhren im Louvre: L’Univers und das Ende des Universalismus Bei L’Univers (Abb. 1 und 2) handelt es sich um einen dunklen „Raum im Raum“ mit halbspiegelnden Wänden. An der Decke ist ein „Sternenhimmel“ aus weißen Lichtern zu sehen. Auf beiden Seiten leuchten in unregelmäßigen Abständen und in zufälligen Kombinationen insgesamt 22 verschiedenfarbige und -sprachige Neonröhrenzeichen des Wortes „Buch“ auf, die sich überdies auf der gegen-
So zitiert Philippe Toussaint: „J’ai alors également pensé donner deux livres: l’un, L’Urgence et la Patience, purement littéraire, sans illustration, conçu comme un livre neuf et non un livre de circonstance, pour évoquer la façon dont j’écris, les écrivains que j’admire: Beckett, Kafka, Proust…; l’autre, sorte de catalogue de l’expo, La Main et le Regard, pensé comme une création plastique presque au même titre que l’exposition elle-même, pour faire le bilan de dix années de réflexion visuelle autour de mes photos, mes films, mes propositions plastiques“ [„Ich hatte mir also überlegt, dass ich zwei Bücher herausgeben wollte: Das eine, L’Urgence et la Patience, sollte rein literarisch sein, ohne Abbildungen, gedacht als reguläre Neuerscheinung und nicht als anlassbezogenes Werk, und sollte davon handeln, wie ich schreibe, von den Autoren, die ich bewundere: Beckett, Kafka, Proust…; das andere, La Main et le Regard, eine Art Ausstellungskatalog, sollte ein eigenes Kunstwerk sein, beinahe ebenbürtig mit der Ausstellung selbst, um Bilanz zu ziehen nach zehn Jahren künstlerischer Reflexion zu meinen Fotos, meinen Filmen, meinen Installationen“] (Philippe 2012).
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Abb. 1 und 2: Installation L’Univers von JeanPhilippe Toussaint, Ausschnitte. Screenshots aus dem Making-Of-Video L’Univers (Regie: Madeleine Santandrea, 2012), verfügbar auf: http://jptoussaint.com/ livre-louvre.html (20. Oktober 2020).
überliegenden Seite spiegeln, sodass sich immer wieder neue Wort-Bild-Konstellationen ergeben. Die Thematisierung des Mediums Buch und der Literatur ist also auf den ersten Blick ersichtlich, was noch dadurch verstärkt wird, dass der Titel der Installation auf Jorge Luis Borges‘ bekannte Erzählung „Biblioteca de Babel“ (1941) referiert, was für eine recht komplexe literar-museale mise en abyme sorgt. Das Presseheft zur Ausstellung zitiert aus Borgesʼ Erzählung (hier in der deutschen Übersetzung): Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt sich aus einer undefinierten, womöglich unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammen, mit weiten Entlüftungsschächten in der Mitte, die mit sehr niedrigen Geländern eingefaßt sind. […] Links und rechts am Gang befinden sich zwei winzigkleine Kabinette. In dem einen kann man im Stehen schlafen, in dem anderen seine Notdurft verrichten. […] In dem Gang ist ein Spiegel, der den äußeren Schein verdoppelt. Die Menschen schließen gewöhnlich aus diesem Spiegel, daß die Bibliothek nicht unendlich ist (wäre sie es in der Tat, wozu diese scheinhafte Verdoppelung?); ich gebe mich lieber dem träumerischen Gedanken hin, daß die polierten Oberflächen das Unendliche darstellen und verheißen… (Borges 2019, 53)²⁰
Neben Beckett und Dante erweist Toussaint mit Borges einem weiteren seiner auch im literarischen Werk präsenten „Säulenheiligen“ eine Referenz. Doch an „El universo (que otros llaman la Biblioteca) se compone de un número indefinido, y tal vez infinito, de galerías hexagonales, con vastos pozos de ventilación en el medio, cercados por barandas bajísimas. […] A izquierda y a derecha del zaguán hay dos gabinetes minúsculos. Uno permite dormir de pie; otro, satisfacer las necesidades finales. […] En el zaguán hay un espejo, que fielmente duplica las apariencias. Los hombres suelen inferir de ese espejo que la Biblioteca no es infinita (si lo fuera realmente ¿a qué esa duplicación ilusoria?); yo prefiero soñar que las superficies bruñidas figuran y prometen el infinito…“ (zitiert nach Musée du Louvre 2012, 13).
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ders als in Bezug auf die beiden erstgenannten Autoren, die durch auratisch aufgeladene Artefakte (Manuskript und Buch) in der Ausstellung vertreten sind, nimmt die Literatur hier keine materielle Form an. Borges steht bei Toussaint für „die Universalität des Buchs, seine babylonische Dimension, die Freuden des Labyrinths und des unendlichen Wissens“²¹. Der Verweis erscheint relevant. Das „Universum“ im Museum soll an eine Bibliothek erinnern, welche wiederum – bei Borges wie im Pressetext – als ein Abbild der Welt zu verstehen ist, als „die Analogie zwischen der Bibliothek und dem Universum, in dem die fachkundig sortierte Bibliothek die Welt ist“²². Die Bezüge zwischen Museum und Bibliothek als Ordnungssystemen vs. einem „universellen“ Text lassen sich auf den Topos von der Lesbarkeit der Welt beziehen, auf die „Lesbarkeit“ der Stadt Paris²³, und den Platz des zentralistischen Museums darin, als selbst lesbares Zeichen der Stadt: Paris ist Welt und Buch zugleich. Die Stadt, die sich selbst als „abrégé de l’univers“ begriff, faßt als erste auch das Projekt, die Welt in lesbarem Maßstab in sich zusammenzufassen. […] In […] den öffentlichen Bibliotheken, Museen für Natur, Kunst und Technik […], sollte ein immer allgemeineres Wissen zirkulieren. […] Die neuen Museen mit ihren neuen Organisations- und Ausstellungsformen, die Gemäldegalerie des Louvre […] werden zu Orten der Lesbarkeit der Welt, die in den Zusammenhang der großen Stadt eingebunden sind […]. Die Anordnung ihrer Exponate folgt jeweils einem impliziten Modell der Lesbarkeit. Jedes Museum ist ein aufgeschlagenes Buch oder vielmehr ein Ort zwischen Buch und Welt. Es stellt das Ganze der Welt in der Stadt symbolisch dar. (Stierle 1998, 14– 15; meine Hervorhebung, J. R.)
In diesem Sinne führt Toussaints „Universum“ auch zum großen, hegemonialen, zentralistischen, auf Lesbarkeit beruhenden Museum zurück und stellt dessen Ordnungskategorien und Repräsentanzfunktion (vgl. Vedder 2010, 185) in Frage. Dies leistet die Installation durch das, was sie zeigt (die Kontingenz der unlesbaren Welt), aber auch durch das, was sie ist: ein temporär ausgestelltes Werk eines Gegenwartskünstlers. Damit thematisiert das Werk gleich zweifach eine Krise des modernen Museums. Déotte (1993) beschreibt diese Krise in Abgrenzung von der Bibliothek. Diese erfülle noch immer ihren universalistischen Anspruch
„[…] l’universalité du livre, le côté Babel, les délices du labyrinthe et du savoir infini“ (Toussaint 2012a, 198). „[…] l’analogie entre la bibliothèque et l’univers, où la bibliothèque savamment ordonnée est le monde“ (Musée du Louvre 2012, 3). Die Konkurrenz zwischen der lesbaren Stadt und dem Buch wird unter anderem von Victor Hugo in der Formel „Ceci tuera cela“ [„Dieses wird jenes töten“] ausgedrückt. Man kann im Gleichklang des Ausstellungstitels Livre/Louvre ein fernes Echo darauf hören. Vgl. zur Medienkonkurrenz bei Toussaint auch Steurer 2018, die ebenfalls auf Hugo verweist. Vgl. zum Ende des französischen Universalimus zum Beispiel Messling 2019, 11– 46.
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und besitze einen klaren Sammlungsauftrag, anders als die großen Museen der Gegenwart mit ihren heterogenen Sammlungen und Sonderausstellungen: Das moderne Museum enttäuscht. Man braucht die mit ihm verbundene Vorstellungswelt nur mit jener der Bibliothek zu vergleichen. Im Unterschied zum Museum sind die Bibliotheken einem unendlichen Fortschrittsgedanken treu geblieben: Indem sie mit Neuerwerbungen angereichert werden, entsprechen sie dem Bild des sich vermehrenden Wissens, und also des Fortschritts der Menschheit. […] Im Gegensatz dazu sorgen die vielen Museumsneugründungen, die Heterogenität ihrer Sammlungen, der Umstand, dass alles Eingang ins Museum finden kann (Duchamp), für eine zunehmende Enttäuschung bezüglich der musealen Entwicklung unserer Zeit.²⁴
Der „Einzug der Neonröhren“ in den Louvre steht als Symptom für dieses „enttäuschende“ Museum der Gegenwart. Die hier zunächst aus der Bibliotheksanalogie hergeleitete Museumskritik wird noch plausibler, wenn man die Installation mit der Poetologie Toussaints und seinem literarischen Werk zusammendenkt.
4 Die Installation als constellation Zur Beschreibung des scheinbar zufälligen Aufscheinens und Erlöschens der Worte in L’Univers erweist sich der Begriff der Konstellation als ausgesprochen produktiv: Er steht hier für eine an ein Sternenbild (Französisch: constellation) erinnernde Erscheinung, aber auch für eine literarische Ereignisästhetik im Sinne von Stéphane Mallarmés Un coup de dés jamais n’abolira le hasard (1897).²⁵ An dieses bekannte Gedicht erinnert L’Univers zunächst durch seine Visualität, die versetzte Typografie, die „blancs“ (Leerstellen) im Text, die in diesem Fall „noirs“ sind. Hier wie dort ist die ästhetische Erfahrung flüchtig, nicht-fixierbar, mehr-
„[Le] Musée contemporain est déceptif. [I]l suffit de le comparer à la bibliothèque, de comparer les deux imaginaires. [À] la différence du Musée, les bibliothèques sont restées fidèles à l’idée d’une progressivité infinie du genre humain: en s’enrichissant de nouvelles acquisitions, elles sont à l’image du savoir s’accumulant, donc du progrès de l’humanité. […] Au contraire la multiplication des musées, l’hétérogénéité des collections, le fait que tout peut entrer au musée (Duchamp), suscitent une déception croissante quant au devenir-muséal de toute notre époque […]“ (Déotte 1993, 78). „UNE CONSTELLATION / froide d’oubli et de désuétude / pas tant / qu’elle n’énumère / sur quelque surface vacante et supérieure / le heurt successif / sidéralement / d’un compte total en formation“ (Mallarmé 1996 [1897], 477); „EINE ORDNUNG VON ZEICHEN / kalt von Vergangensein und Vergessen / nicht solange / sie aufruft / auf eine wartende Fläche darüber / einfallend die Folge / sternbildhaft / zu einem Ganzen das wird“ (Mallarmé 1966 [1897], o.S.); vgl. Gelz 2002, 15.
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deutig.²⁶ Mallarmés Beschreibung der Wirkung im Vorwort seines Gedichts ließe sich ohne weiteres auf L’Univers übertragen: „Der dichterische Einfall ist da und tritt zurück, schnell, mit der Beweglichkeit des Geschriebenen, rund um die fragmentarischen Haltestellen […]“ (Mallarmé 1966 [1897], o.S.)²⁷. Und schon bei ihm steht der flüchtige Text in Verbindung mit der Lesbarkeit der Stadt, als Verarbeitung der „graphischen Spannungen der Reklame ins Schriftbild“, wie unter anderem Walter Benjamin (2001, 40) bemerkt hat. Andreas Gelz führt beide Implikationen der constellation – als Sternenhimmel wie auch als Metapher für den flüchtigen, offenen Text – zusammen und betrachtet sie „als zeitgenössisch adäquate Form der Selbstreflexion von Literatur“ (Gelz 2002, 28). Der Begriff erlaubt ihm die Nachzeichnung einer literaturhistorischen Entwicklung, „einen säkularen Umbruch bei der Beschreibung der Instanzen von Textproduktion und -rezeption“ (Gelz 2002, 32): Wo der romantische Autor als Prophet und Sternendeuter angetreten war, nach den als Ausdruck eines unerreichbaren Ideals bewerteten Sternen zu greifen, wurde [die Konstellation] mit den historischen Avantgarden [hier stellvertretend: Mallarmé] in ihrer Unerreichbarkeit und ungreifbaren Ordnung zum Bild eines in seiner Genese und Konstitution ungreifbaren, stets wandelbaren, sich jeden auktorialen Zugriffs entziehenden Textes. (Gelz 2002, 32)
Gelz führt unter anderem auch Toussaints frühen Roman Monsieur (1992) als Beleg an. So liest er eine Szene, in welcher der namenlose Hauptprotagonist Monsieur die Sterne betrachtet, als „äußerst ambivalente Differenzerfahrung“, was Toussaint vom Erzählen der Avantgarden abgrenze: Der Blick, den Monsieur in den Himmel wirft, verweist auf nichts Erhabenes: „[Es] fiel sein Blick auf den Himmel […] und in dem Maße, wie er ihn in in sich aufnahm und jetzt nur noch ein Netz aus Punkten und die Umrisse der Sternbilder erkannte, wurde der Himmel in seinem Geist ein riesiger, die Nacht erhellender Metroplan“ (Toussaint 1986, 87– 88)²⁸. Man kann mit Gelz oder Xanthos (2009, 92) einen Vergleich zum Ende von Balzacs Père Goriot ziehen, als Rastignac vom Friedhof Père-Lachaise auf die Stadt blickt und diese mit den Worten „Jetzt zu uns beiden!“ (Balzac 2008 [1834],
Zu Mallarmés Mehrdeutigkeit vgl. auch Lamping 1991, 80. „La fiction affleurera et se dissipera, vite, d’après la mobilité de l’écrit, autour des arrêts fragmentaires […]“ (Mallarmé 1996 [1897], 455). „[I]l […] considéra le ciel au hasard […], et, à mésure qu’il s’en pénétrait, ne distinguant plus maintenant qu’un réseau de points et les lignes des constellations, le ciel devint dans son esprit un gigantesque plan de métro illuminant la nuit“ (Toussaint 1992, 93).
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291)²⁹ gleichsam herausfordert. Doch anders als bei Balzac ist die Differenz zwischen Ich und Welt bei Toussaint nicht überwindbar, bleibt die Stadt unbeherrschbar. In Monsieur geht aus dem Blick in den Himmel nicht nur eine Weitung des Geistes hervor, sondern auch dessen Rückzug auf das Banale, Irdische, als aus der himmlischen Konstellation ein Metroplan wird – eine Bewegung „vom Unbedeutenden zum Unendlichen, […] vom Kosmischen zum Komischen“³⁰. Ein weiteres Beispiel für eine ungewöhnliche constellation findet sich in Toussaints Roman Fuir. Hier steht der Begriff ebenfalls für eine (diesmal auch interkulturelle) Differenzerfahrung, um den schmutzigen Boden auf dem Bahnhof Shanghais zu beschreiben, mit „stehen gelassenen Esskörbchen aus gezacktem Karton, die Fliesen bedeckt mit perlmuttern schimmernden Spuckresten in sternförmigen Konstellationen“ (Toussaint 2017c, 151)³¹. Wie häufig bei Toussaint bleibt unklar, ob die Metapher ironisiert und profaniert wird, oder ob umgekehrt auch das Banalste, Schmutzigste noch zum Sternenhimmel transzendiert wird. In jedem Fall werden Chaos und Schmutz für den Erzähler kurzzeitig lesbar. Auf diese Szenen bezogen, verweist die Installation als constellation zunächst auf Kontingenzerfahrungen angesichts eines Zuviel an Informationen, die nur kurzes „Verstehen“, „Beherrschen“ und „Lesen“ ermöglichen. Als Metapher steht sie für das sinnhafte Zusammenspiel von eigentlich Kontingentem und lässt sich so auch als Prüfmarke für moderne Subjektivität und ihr Weltverhältnis verstehen: Erzeugt eine constellation für Leser·innen, Museumsgänger·innen, Betrachter·innen von (realen oder metaphorischen) Sternenhimmeln Sinn oder bleibt sie unlesbar?
5 Die Installation als Erzähluniversum Nicht nur städtische Zeichen, auch Erzählung und Literatur sind in Toussaints Texten brüchig, flüchtig, unzuverlässig und ungreifbar. Der Titel L’Univers in Verbindung mit dem Aufleuchten der Worte in verschieden Sprachen ruft eine Schlüsselszene aus Fuir auf, die obendrein mit dem Louvre verbunden ist. Es handelt sich um einen Verweis, der auf einer weniger sichtbaren Ebene nicht nur das Medium Buch, sondern vor allem das Erzählen als immaterielle Form der Literatur in den Fokus rückt.
„A nous deux maintenant“ (Balzac 1976 [1834], 290). „[d]e l’infime à l’infini, […] du cosmique au comique“ (Poirier 2016, 41). „[…] des barquettes de repas en carton crémelé abandonnées par terre, et des crachats humides, un peu partout, en constellations étoilées, qui luisaient d’un éclat nacré sur le carrelage“ (Toussaint 2009b [2005], 25).
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Besagte Passage handelt davon, wie die Figur Marie vom Tod ihres Vaters erfährt und daraufhin ihren Partner, den Erzähler, anruft. Sie befindet sich gerade im Louvre, während er in einem chinesischen Nachtzug unterwegs ist und kurz davorsteht, Marie mit seiner chinesischen Begleiterin zu betrügen. Die Telefonverbindung reißt immer wieder ab, doch durch den Bericht Maries entsteht ein gemeinsames, die Weite des Raums, die Zeitzonen (und damit Tag und Nacht) und die beiden Pole „Tod“ und „Sex“ überspannendes Universum: Mit geschlossenen Augen und ohne mich zu bewegen, lauschte ich der Stimme von Marie […] die mich buchstäblich hinwegtrug, so wie es Gedanken, Träume oder die Literatur vermögen, wenn Körper und Geist sich voneinander lösen, der Körper bleibt, wo er ist, und der Geist sich auf die Reise begibt […], und so, langsam, hinter unseren geschlossenen Augen Bilder entstehen, und Erinnerungen, Gefühle und unruhige Zustände wieder erwachen, vergessene Schmerzen wieder aufleben, verschüttete Emotionen, Ängste, Freuden, Empfindungen […] in einer Erschütterung, die die Axt ist für das gefrorene Meer der getrockneten Tränen in uns. (Toussaint 2017c, 171)³²
Die leise Stimme am Telefon transportiert den Erzähler sprichwörtlich in den fernen Louvre. In der ausführlichen Ekphrasis eines Deckengemäldes durch Marie, die sich durch das Beschreiben von ihrem Schock ablenkt,³³ wird das Erzählen als Rettung herausgestellt, das eine distanzüberwindende, beide Figuren verbindende Kraft besitzt – und dies trotz des Vertrauensbruchs des Erzählers, der räumlichen und zeitlichen Entfernung und der technischen Schwierigkeiten. Unterstrichen wird dies durch zwei intertextuelle Anspielungen: Eine Proust-Re-
„Les yeux fermés et sans bouger, j’écoutais la voix de Marie […] qui me transportait littéralement, comme peut le faire la pensée, le rêve ou la lecture, quand, dissociant le corps de l’esprit, le corps reste statique et l’esprit voyage […], et que, lentement, derrière nos yeux fermés, naissent des images et resurgissent des souvenirs, des sentiments et des états nerveux, se ravivent des douleurs, des émotions enfouies, des peurs, des joies, des sensations […] comme une lézarde, dans la mer de larmes séchées qui est gelée en nous“ (Toussaint 2009b [2005], 47– 48). Ein Teil des Zitats findet sich auch im Buch zur Ausstellung La Main et le Regard (Toussaint 2012a, 137). Es steht hier in dem Kapitel Lumière, unter anderem zwischen einem Foto Toussaints mit geschlossenen Augen und einer Fotografie aus dem Kurzfilm Fuir, einer Adaption der besagten Louvre-Szene. Es wird dadurch noch mehr als „Lesehilfe“ zur Installation nahegelegt (vgl. Toussaint 2012a, 134). Vgl. Schneider (2008, 150); „[Elle] commença à me décrire d’une voix douce et déchirante le plafond peint avec d’infinies précisions, me chuchotant au téléphone à travers les milliers de kilomètres qui nous séparaient la position des personnages et l’agencement des petits nuages dans le ciel bleu“ (Toussaint 2009b [2005], 46); „[Sie] begann mit einer sanften und erschütternden Stimme, mit einer unendlichen Präzision, mir das Deckengemälde zu beschreiben, flüsterte mir über die Tausende von Kilometern, die uns trennten, die genaue Anordnung der Figuren und die Konstellation der kleinen Wolken im blauen Himmel zu“ (Toussaint 2017c, 170).
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ferenz steht für das unwillkürliche In-Gang-Setzen von Erzählung (vgl. Schneider 2008, 149), die Kafka-Anspielung am Ende des Zitats für die Literatur als emotionale Erschütterung.³⁴ Die Szene kann man als einen Sieg des „immateriellen“ Erzählens und der Imagination über alle Medien (die von Marie zunächst nicht beachteten Kunstwerke im Louvre, das Telefon als unzuverlässiges Kommunikationsmittel, dessen Verbindung immer wieder abreißt) verstehen.³⁵ In der Gedankenverbindung zwischen Marie und dem Erzähler entsteht ein gemeinsames, wenn auch fragiles Erzähluniversum. Wie in der Installation bleiben die Worte schließlich „im Himmel stehen“, als die Telefonverbindung endgültig abbricht: „Ihre letzten abgerissenen Worte erreichten mich nicht mehr, blieben für immer zwischen den Kontinenten verschollen, irgendwo zwischen Tag und Nacht“ (Toussaint 2017c, 174)³⁶.
6 Luce und lucciole – Bücher als Signale Das Bild des kurz aufscheinenden Sinns führt jedoch noch viel tiefer in die Ästhetik Toussaints, wobei das Moment des Aufscheinens Beachtung verdient. In seinem Essayband Football zitiert Toussaint den Philosophen Georges Didi-Huberman, dessen Essayband La survivance des lucioles er bezeichnenderweise zufällig („par hasard“ – Toussaint 2015, 100) entdeckt habe. Auch Didi-Huberman bedient sich des Begriffs der constellation, und erweitert ihn um eine erotische wie auch historische Tiefendimension, in „der das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer schimmernden Konstellation zusammentritt“, und aus der sich eine „Form für unsere Zukunft“ (Didi-Huberman 2012, 55)³⁷ ergebe. Seine Überlegungen entwickelt
Bei Kafka heißt es bekanntlich: „Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“ (zitiert nach Schneider 2008, 152). Vgl. Schneider 2008, 147– 148. Auch in Faire l’amour wird der Begriff des univers verwendet, als sich für den Erzähler während eines Bades im Swimmingpool auf einem Hoteldach in Tokyo eine Deckung zwischen Ich und Welt einstellt und er in einen Zustand des „Träumens mit offenen Augen“ gerät: „Je nageais comme en apesanteur dans le ciel, respirant doucement en laissant mes pensées se fondre dans l’harmonie de l’univers“ (Toussaint 2009a [2002], 43); [„Schwerelos gleichsam schwamm ich im Himmel, atmete ruhig und ließ meine Gedanken in der Harmonie des Weltalls aufgehen“ (Toussaint 2017b, 44)]. „[S]es derniers mots […] ne me parvinrent pas, [..] restèrent à jamais en équilibre entre les continents, suspendus entre le jour et la nuit“ (Toussaint 2009b [2005], 51). „[À] travers la façon dont l’Autrefois rencontre le Maintenant pour former une lueur, un éclat, une constellation“ ; „[…] forme pour notre Avenir“ (Didi-Huberman 2009, 51).
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er im Wesentlichen aus einem Brief des Regisseurs Pier Paolo Pasolini,³⁸ der ein Rendezvous mit einem Liebhaber auf den Hügeln Roms schildert. Er macht eine Licht-Opposition auf zwischen dem Glimmen geschlechtsreifer Glühwürmchen in der Dunkelheit und einem „inquisitorischen Strahl zweier Scheinwerfer“, die den jungen Pasolini und seine Begleitung während ihres nächtlichen Treffens erfassen. Dies wird verallgemeinert zu einem Gegensatz zwischen „jene[r] unbändige[n], unschuldige[n] Freude“, als Alternative zu „den allzu düsteren oder allzu grell ausgeleuchteten Zeiten des triumphierenden Faschismus“ (Didi-Huberman 2012, 19‒20)³⁹. Im Halbdunkel liegt utopisches – auch politisch wirksames – Potential für die Einbildungskraft, jener „Bilder für das Denken produzierende[n] Arbeit“, welche „für Erhellung [sorgt]. Und es wird deutlich, wie entscheidend dieses Aufeinanderprallen der Zeiten, diese Kollision einer aktiven Gegenwart mit ihrer erinnerten Vergangenheit ist“ (Didi-Huberman 2012, 57)⁴⁰. In ihrer Verteidigung dieses Halbdunkels treffen sich Didi-Huberman und Toussaint, der ebenfalls eine Brücke vom Imaginären zum Politischen schlägt. In einer für ihn ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit sieht er das Europa der Gegenwart in „finsteren“ Zeiten – was gleichbedeutend sei mit einem Zuviel an Licht: „Die Scheinheiligen wollen uns ködern, die Ratgeber uns täuschen, selbst die Scheinwerfer der größten Leuchttürme drehen sich, ohne eine Spur im blind machenden Licht des Gewöhnlichen zu hinterlassen“, wogegen nur ein „Schimmer“ (Toussaint 2016, 102– 103)⁴¹ helfe. Und schließlich wird die Hell-Dunkel-Opposition auch in eine Medienkritik eingebunden: Für Pasolini (nach Didi-Huberman) gibt es in der „Kontrollgesellschaft“ von 1975 keine „‚Menschen mehr‘, keine lebendige Gemeinschaft. Nur noch Abzeichen [signes], die man vor sich herschwenkt, aber keine Signale mehr, die man miteinander austauschen würde“ (Didi-Huberman 2012, 54).⁴² Dieses Evozieren einer beziehungsarmen Welt der (Ab‐)zeichen, nicht der Signale, geht über das Politische hinaus. Didi-Huberman erweitert die pasolinische Faschis-
Auch in Toussaints Werk finden sich Verweise auf Pasolini, so ließ er etwa im Rahmen des Begleitprogramms seiner Ausstellung Pasolinis Kurzfilm La Ricotta zeigen (Musée du Louvre 2012, 18). „[…] rayon inquisiteur de deux projecteurs“; „[…] cette joie innocente et puissante“; „[…] temps trop sombres ou trop éclairés du fascisme triomphant“ (Didi-Huberman 2009, 17). „[…] travail producteur d’images pour la pensée“; „[…] nous éclaire […], alors nous pouvons comprendre à quel point est décisive cette rencontre des temps, cette collision d’un présent actif avec son passé réminiscent“ (Didi-Huberman 2009, 52). „Les faux-semblants nous leurrent, les repères nous abusent, même les faisceaux des phares les plus puissants tournent sans laisser de trace dans la lumière aveuglante de la vulgarité“; „[…] une lueur“ (Toussaint 2015, 103). „‚[…] plus d’êtres humains‘ […], plus de communauté vivante. Il n’y a que de signes à brandir, mais plus de signaux à échanger. Il n’y a plus rien à désirer“ (Didi-Huberman 2009, 49).
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muskritik zu einer generellen Modernekritik, die auch eine Ausstellungskritik ist: Er beschreibt eine „Bildschirmgesellschaft“⁴³, in welcher „die Glühwürmchen […] im blendend grellen Licht der ‚wilden‘ Scheinwerfer verschwunden [seien]: der Scheinwerfer der Wachtürme, der Politshows, der Fußballstadien, der Fernsehkulissen“ (Didi-Huberman 2012, 29);⁴⁴ sie seien „[v]erschwunden in dieser Epoche der industriellen und konsumistischen Diktatur, in der sich letztlich jeder wie eine Ware im Schaufenster zur Schau stellt, was eben alles andere ist [als] zu erscheinen“ (Didi-Huberman 2012, 35)⁴⁵. Erscheinen (apparaître) vs. Ausstellen (exhiber), glimmendes (lucciole) vs. grelles Licht (luce), signal vs. signe: Diese Gegensatzpaare verbinden Didi-Hubermans und Pasolinis Diagnose mit Toussaints Lichtpolitik und -poetik. Die Kunst steht der Helligkeit der Bildschirme entgegen: Was heißt heute, in der Welt, in der wir leben, „erschaffen“? Es heißt, […] in einem nicht bescheidenen, aber kleinen Akt des Widerstands ein Zeichen zu setzen – ein Buch, ein Kunstwerk –, das einen kleinen, fast nutzlosen Schimmer in die Nacht aussendet. (Toussaint 2016, 100 – 101)⁴⁶
Eine Hell-Dunkel-Opposition erstreckt sich über das ganze Werk. In den in zeitlicher Nähe zur Ausstellung erschienen Romanen der M.M.M.M.-Tetralogie steht das Unklare, Geheimnisvolle, Dunkle immer wieder gegen das Technische, Schmerzhafte, Helle. So in La Vérité sur Marie, wo ein Rennpferd mit dem von Borges entliehenen Namen „Zahir“ in einer Geheimaktion auf einem Flugplatz verladen werden soll, sich losreißt und panikartig vor den Scheinwerfern der Autos flieht, die es verfolgen (Toussaint 2013 [2009], 108‒109; vgl. Dangy 2016, 60). In der Auftaktszene desselben Romans erleidet Maries Liebhaber während einer Liebesnacht einen Herzinfarkt. Wie in Fuir, wo Marie nach Erhalt der To-
Der Begriff schließt an Maryse Fauvel (2007, 13 – 42) an, die Toussaint als einen Literaten beschreibt, dessen Werk in besonderer Weise durch die medialen Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte geprägt ist. „[L]es lucioles ont disparu dans l’aveuglante clarté des ‚féroces‘ projecteurs: projecteurs des miradors, des shows politiques, des stades de football, des plateaux de télévision“ (Didi-Huberman 2009, 26). „[…] disparu en cette époque de dictature industrielle et consumériste où tout un chacun finit par s’exhiber à l’égal d’une marchandise dans sa vitrine, façon de ne pas apparaître“ (Didi-Huberman 2009, 32). „Qu’est-ce que créer, aujourd’hui, dans le monde dans lequel nous vivons? C’est proposer […] dans un acte de résistance non pas modeste, mais mineur, un signal – un livre, une œuvre d’art – qui émettra une faible lueur vaine et gratuite dans la nuit“ (Toussaint 2015, 100 – 101; meine Hervorhebung, J. R.).
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desnachricht aus dem Louvre flieht, geblendet vom Sonnenlicht, das in den Augen brennt (vgl. Toussaint 2017c, 174⁴⁷), während der Erzähler im nächtlichen China sich in einer amourösen Situation befindet („Li Qi […] suchte im Dunkeln nach meinen Lippen“ – Toussaint 2017c, 172⁴⁸), werden auch hier Erotik, Geheimnis und Dunkelheit („Sie hatten sich schließlich ausgezogen und im Halbdunkel umarmt“ – Toussaint 2017d, 285⁴⁹) mit Licht und Tod („Sein weißer Oberkörper hob sich im Licht einer 400-Watt-Halogenlampe grell von den anderen ab“ – Toussaint 2017d, 298⁵⁰) kontrastiert. Immer wieder finden sich Straßenszenen, in denen Neonreklamen das nächtliche Stadtbild asiatischer Metropolen prägen; gerade in ihrer teilweisen Unlesbarkeit wirken sie hier sinnstiftend und führen wie L’Univers und Mallarmés Coup de dés Momente städtischer (Un‐) Lesbarkeit und literarischer Visualität zusammen.⁵¹ Besonders in den „Medienromanen“ Toussaints, die auf andere (Bild‐)Medien referieren, wird deutlich, dass die Hell-Dunkel-Kontraste nicht nur eine stimmungserzeugende, „filmische“ Funktion besitzen, sondern dass in der „Überbelichtung“ auch eine Art Ausstellungskritik liegt. Etwa in L’appareil-photo, wo das inszenierte Foto eines Pärchens als brutal und obszön beschrieben wird (vgl. Toussaint 1988, 120), oder in La Télévision, wo der Erzähler beim zapping durch das nächtliche Fernsehprogramm auf eine Dokumentation zum Nationalsozialismus stößt und Bilder des Schreckens zu sehen bekommt („Leichenzug“, „Todeslager“, „Knochenberge“, „ausgestreckte Leichen auf den Straßen“ – Toussaint 2008, 21⁵²) – das Ganze in Form eines visuellen stream of consciousness gemäß der
„[…] la lumière du soleil [qui] brûlait les yeux“ (Toussaint 2009b [2005], 50). „Li Qi […] rechercha mes lèvres dans le noir“ (Toussaint 2009b [2005], 49). „Ils avaient fini par se déshabiller et ils s’étaient étreints dans la pénombre“ (Toussaint 2013 [2009], 16). „[S]on torse blanc émergeant du groupe dans la lumière aveuglante de l’ampoule de 400 watts d’un lampadaire halogène“ (Toussaint 2013 [2009], 31). „Partout, sur la grisaille des façades encore nappées d‘obscurité, brillaient des enseignes de néons imbriquées et superposées, un enchevêtrement de panneaux où couraient des inscriptions en katakanas, d’indéchiffrables colonnes d’idéogrammes qui se mêlaient parfois à quelques caractères familiers, tels ceux d’une enseigne publicitaire géante fixée au flanc d’une passerelle métallique qui surplombait l’avenue et attirait l’œil par sa saisissante injonction: VIVRE“ (Toussaint 2009a [2002], 64– 65); [„Überall auf den noch von Dunkelheit überzogenen grauen Fassaden funkelte und glänzte übereinander und hintereinander Neonreklame, ein Gewirr von Schildern, auf denen Inschriften in Katakanas liefen, unentzifferbare Kolonnen von Ideogrammen, in die sich zuweilen einige vertraute Buchstaben mischten, so die eines riesigen Reklameschilds, das seitlich an einer metallenen Fußgängerbrücke über der Avenue angebracht war und das Auge durch die packende Aufforderung anzog: VIVRE“ (Toussaint 2017b, 62)]. „[…] une marche funèbre“ ; „[…] des camps de la mort“ ; „[…] des tas d’ossements“ ; „[…] des cadavres étendus dans les rues“ (Toussaint 2002, 20).
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Diagnose Pasolinis und Didi-Hubermans, nach der „das Licht der kleinen Bildschirme das Ausstellen und Belichten [exposition] selbst und damit die Würde der Völker zerstört“ (Didi-Huberman 2012, 33)⁵³. Hier wie bei Toussaint kann das klare, beleuchtete oder belichtete Bild nicht für die Geschichte einstehen. DidiHuberman verweist auf Walter Benjamins Aufsatz Über den Begriff der Geschichte, wo es heißt: „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. […] Denn es ist ein unwiederbringliches Bild der Vergangenheit, die sich nicht als in ihm gemeint erkannte“ (Benjamin 1972, 695).⁵⁴
7 Das helle und das dunkle Museum Didi-Huberman erklärt besagtes Bild Benjamins „[i]rgendwo zwischen Dantes Beatrice und Baudelaires ‚flüchtiger Schönheit‘ – zum/r Vorübergehenden [passante] par excellence“ (Didi-Huberman 2012, 104– 105)⁵⁵. Das Ende des Romans Faire l’Amour greift den von Didi-Huberman herausgestellten, benjaminschen Zusammenhang von Geschichtsphilosophie und Ästhetik des Flüchtigen mittels eines Zitats aus ebenjenem Baudelaire-Sonett „A une passante“ (1855) auf – und das in einer Museumsszene. Der Erzähler irrt des Nachts durch einen dunklen, „Contemporary Art Space“ genannten Ausstellungsraum im Tokyoter Stadtteil Shinagawa: In einem flüchtigen Aufblitzen des Bewusstseins, so als erfasste ich die Szene auf einen Schlag, als Ganzes, ohne eine ihrer potenziellen Komponenten zu entwickeln, die rasende Bewegung der Hand und die fliehende und zu Boden stürzende Gestalt, widerliche Gerüche von Dämpfen und verbranntem Fleisch, Schreie und der Lärm einer überstürzten Flucht auf dem Parkett des Museums, eine Szene, die gewissermaßen eingeschlossen blieb in die Schale der Unentscheidbarkeit der unendlichen Möglichkeiten von Kunst und Leben […]. (Toussaint 2017b, 132)⁵⁶
„[À] quel point les lumières du petit écran détruisaient l’exposition même et, avec elle, la dignité des peuples“ (Didi-Huberman 2009, 30). Vgl. Didi-Huberman 2009, 100, der den Ausschnitt in französischer Übersetzung zitiert. „[…] quelque part entre la Béatrice de Dante et la ‚fugitive beauté‘ de Baudelaire, la passante par excellence“ (Didi-Huberman 2009, 101). „[…] dans un éclair fugitif de la conscience, comme si j’appréhendais la scène d’un seul coup sans en développer aucune des composantes potentielles, de fulgurance du bras et de forme fuyante et tombant sur le sol, d’affreuses odeurs de fumées et de chairs brûlées, de cris et de bruit de fuite éperdue sur le parquet du musée, scène qui restait en quelque sorte prisonnière de la gangue d’indécidabilité des infinies possibilités de l’art et de la vie […]“ (Touissaint 2009a [2002], 145; meine Hervorhebung, J.R.). Vgl. Baudelaire (1975 [1860], 93): „Un éclair… puis la nuit! –
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Das nächtliche Museum erweist sich als Ort der Erkenntnis, der aufscheinenden Erleuchtung; selbst der dezidiert ahistorische „Contemporary Art Space“ erhält so eine historische Tiefendimension, während sein Foyer in „ein weißes helles Deckenlicht“ getaucht ist (Toussaint 2017b, 132)⁵⁷. Umso deutlicher wird dies noch in Abgrenzung zur oben zitierten Louvre-Szene, dem Sprint durch ein viel zu helles Museum: Unter anderem lässt Marie die Skulpturen von Louis XIV links liegen, „Sonnenköpfe aus der Zeit von Louis XIV, des Sonnenkönigs, goldene Strahlenkränze umrandet mit Blütenblättern von Sonnenblumen“ (Toussaint 2017c, 169)⁵⁸. Der Verweis auf den „Sonnenkönig“ ist dabei durchaus signifikant: Das zentralistische, europäische, hegemoniale Nationalmuseum erscheint wirkungslos gegenüber dem improvisierten, zeitgenössischen, peripheren, japanischen Art Space. ⁵⁹ Frankreichs Universalismus scheint an sein Ende gelangt. Der Topos des „dunklen“ Museums als Ort der Erkenntnis schließt an aktuelle Museumsdiskurse an,⁶⁰ und erlaubt es, auf die eingangs erwähnte Museumskritik zurückzukommen. In Zeiten einer société des écrans (in Abgrenzung zum neunzehnten Jahrhundert) hat sich etwa für Boris Groys das Museum von einem „transparenten“ zu einem „dunklen“, wie bei Toussaint auch bedrohlichen Ort gewandelt: Der museale Blick von innen nach außen wird durch den medialen Blick von außen nach innen ersetzt. Für die museal erzogene Subjektivität ist der endliche, überschaubare, helle Raum des Museums der Ort des Lichtes, wobei der unendliche, unkontrollierbare Außenraum dunkel und gefährlich zu sein scheint. Für das mediale Bewußtsein ist dagegen nur das unendliche Feld der Kommunikation hell und transparent, wogegen das Kloster, das Mu-
Fugitive beauté“ [„Ein Blitz… und dann die Nacht! – Flüchtige Schönheit“ (Baudelaire 1997 [1860], 199)]. „[…] une lumière blanche et franche de plafonnier“ (Touissaint 2009a [2002], 145). „[…] têtes du soleil datant de Louis XIV, Roi Soleil, auréolées de rayons d’or et parées de pétales de tournesols“ (Toussaint 2009b [2005], 45). An anderer Stelle wird die Taxifahrt und der schwierige Zugang zum Museum über mehrere Seiten beschrieben; das im Zentrum der Stadt liegende Museum für moderne Kunst ist bezeichnenderweise wegen Umbaus geschlossen (Toussaint 2009a [2002], 131). Vgl. auch einen weiteren Ausstellungsroman, Cécile Wajsbrots Sentinelles, der ein ganz ähnliches Bild des dunklen Museums zeichnet und erstaunlicherweise ebenfalls mit der Metapher des „Glühwürmchens“ operiert. Während einer Vernissage im Centre Pompidou fällt das Licht aus, und die Protagonisten begegnen sich nun in einem abstrakten, heterotopen Raum, in dem die Zeit stillsteht und der das Bewusstsein für Vergangenes aufschließt: „Le temps s’écoule bizarrement ou plutôt, donne l’impression de ne pas s’écouler, de stagner. Excusez-moi, je ne vous avais pas vu. Le portable, oui, fait office de lampe de poche. Des lucioles qui naviguent dans l’espace“ [„Die Zeit vergeht seltsam, oder vermittelt eher den Eindruck nicht zu vergehen, stillzustehen. Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen. Das Telefon fungiert als Taschenlampe, ja. Sich im Raum bewegende Glühwürmchen“] (Wajsbrot, 2013, 107).
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seum und andere solche Stätten der Subjektivitätszüchtung undurchsichtig, dunkel, geheimnisvoll und suspekt anmuten. (Groys 1997, 21)
In diesem Sinn scheint bei Toussaint gerade im dunklen Museum Erkenntnis auf. Wenn dagegen Marie durch die Grande Galerie des Louvre sprintet, dessen Konventionen missachtet und die Kunstwerke links liegen lässt, zeigt sich das helle Museum als unwirksam, verlässt die Muse⁶¹ den Musentempel (museion), der zum bloßen Dekor wird. In seiner Unwirksamkeit könnte man also mit dem Kunsthistoriker Christian Welzbacher in Anlehnung an Adornos „Entkunstung der Kunst“ von einer „Entmusung des Museums“ sprechen, eine Kritik, die auf ein „Lob der Oberflächen“ (Welzbacher 2017, 50) des Museums abzielt. Damit meint Welzbacher eine durch Evaluationen und Besucherzahlen geprägte Ausstellungspraxis, die stets auch ein begleitendes Bildungsprogramm, Workshops und Vortragsreihen beinhalte: „Das Museum ist zu einer Art Warenhaus geworden, das in der Ausstellung Bedürfnisse erzeugt, die es im Shop befriedigt“ (Welzbacher 2017, 50). Man darf unterstellen, dass er mit der „Entmusung“ auch an Sonderausstellungen wie jene Toussaints denkt: Der Louvre ist alles andere als ein „dunkler“ Ort, und Neonkunst – die emblematisch für die Gegenwart steht – hat hier für gewöhnlich keinen Platz.⁶²
8 Das Museum als Ort des offenen Texts Die Installation thematisiert nicht nur das Ausstellen, sondern auch ein LiteraturAusstellen, welches nicht auf auratisierte Objekte setzt, sondern auf das Erzählen in seiner immateriellen Form. Die aufscheinenden Worte „livre“, „book“, „boek“ etc. erinnern an den Umstand, dass Literatur, obwohl eine medienüberschreitende Sprachkunst, fast ausschließlich in Buchform gedacht wird. Das Objekt
In den Romanen ist die geliebte Frau Marie (ihr Name ist ein Anagramm von aimer) das Movens des Erzählens, eine Muse wie Dantes Beatrice. Sie verkörpert auch selbst das Museum: Von Beruf ist sie bildende Künstlerin, und der Erzähler versieht sie mit dem Kosenamen „MoMA“ (Toussaint 2009a [2002], 46). In einem making-of-Video zur Ausstellung erklärt der an der Erstellung der Installation beteiligte Lichtgestalter Julien Thomas seinen Stolz, im Louvre auszustellen, und erinnert daran, dass Neon genau hundert Jahre vor der Ausstellung Livre/Louvre erfunden wurde, 1912 durch Georges Claude (Video: L’Univers. https://www.youtube.com/watch?v=XXyT6IFFMBY&feature=emb_logo [20. Oktober 2020]). Unter dem Titel Néon, Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue? hat 2012 auch die Pariser Stiftung La Maison Rouge eine Ausstellung organisiert, welche die (Ausstellungs‐)Geschichte des Neons von Claude bis Jeff Koons nachzeichnete (vgl. Unghetto 2012).
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Buch als abgeschlossenes Werk und museales Exponat wird durch die Installation aufgerufen, allerdings nur durch Worte. Als Gegenpol zu den ausgesprochen sparsam ausgestellten Literaturobjekten (Dante-Ausgabe, Beckett-Handschrift) steht die Installation als zufallsgesteuerte constellation dagegen für die Idee eines autonomen, einem „auktorialen Zugriff entzogenen“ (vgl. Gelz 2002, 32) Texts, der weder Autor noch Leser·innen, weder Ausstellungsmacher noch -besucher·innen völlig verfügbar ist. Dieses „Hintergrundrauschen“ der toussaintschen néolittérature betrifft auch deren Produktionsseite, die Frage, wie aus einem Text ein Werk wird. Vor dem Hintergrund eines grenzenlosen Texts und im Sinne einer Ästhetik des „Aufscheinens“ ist Schriftstellerei für Toussaint ein „Träumen mit offenen Augen“ („Ich kann die Augen schließen und sie gleichzeitig offenhalten, das nennt man vielleicht Schreiben“⁶³), und ist das abgeschlossene Werk das Ergebnis eines halbbewussten Akts. In L’Urgence et la Patience beschreibt er, wie literarische Werke der Kehrseite des Unbewussten bedürfen: Im wachen Zustand hat sich das Buch mit der Exaktheit der Positionen von Schachfiguren in das Gehirn eingeschrieben, und in der Nacht, wenn man schläft, setzt sich das Spiel mit den Varianten fort, wie bei einem Computer, den man quasi im Dauerbetrieb die immensen Berechnungen, die im Spiel sind, durchführen lassen würde […]. Unnötig ist es dagegen, sich festbeißen und endlos in einem Text herumzustreichen, nur die Zeit reinigt den Blick. (Toussaint 2012c, 24– 25)⁶⁴
Das „Aufleuchten“ der Gedanken steht dem „Übermaß an Helligkeit“ (Toussaint 2016, 101)⁶⁵ der modernen Welt gegenüber. So entwickelt etwa der Erzähler in La Télévision seine Gedanken am besten, indem ich einfach dem Faden meiner Gedanken folgte, während ich sachte, ohne ihren Lauf im geringsten zu gefährden, in meinem Geist eine Fülle von Eindrücken und Träumereien, Formgebilden und Ideen, oft unvollständig, noch keimend oder schon ausgereift, von Intuitionen und Gedankenfetzen, von Schmerzen und Erregungen einströmen ließ, jetzt blieb mir nur noch, ihnen eine endgültige Form zu geben“. (Toussaint 2008, 81)⁶⁶
„Je peux fermer les yeux en les gardant ouverts, c’est peut-être ça écrire“ (Toussaint 2012a, 134). „A l’état de veille, le livre s’est inscrit dans le cerveau avec la précision d’une position d’échecs, et, la nuit, quand on dort, l’étude des variantes se poursuit, comme un ordinateur qu’on laisserait tourner en permanence pour étudier l’immensité des calculs en jeu dans l’opération […]. Mais inutile de s’acharner sans fin, seul le temps lave vraiment le regard“ (Toussaint 2012b, 30). „[…] trop-plein de clarté“ (Toussaint 2015, 101). „[…] en suivant simplement le fil de mes pensées, tandis que, sans que j’agisse le moins du monde pour en perturber le cours, affluaient tout doucement dans mon esprit une multitude d’impressions et de rêveries, de structures et d’idées, souvent inachevées, éparses, inaccomplies, en gestation ou déjà abouties, d’intuitions et de bribes, de douleurs et d’émois, auxquels il ne
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Das abgeschlossene Werk als definitive Form scheint diesem Gedankenuniversum gegenüberzustehen. Bei Toussaint ist es nicht nur „Totenmaske der Konzeption“, wie in Walter Benjamins bekanntem Aphorismus (Benjamin 2001, 49), sondern gar (geliebter) Todfeind: Tizian […] ließ seine Gemälde monatelang mit der Vorderseite zur Wand stehen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Als er sie sich dann wieder vornahm, „beobachtete er sie mit unerbittlicher Strenge, als seien sie Todfeinde“. Ah, die lieben Todfeinde! (Toussaint 2012c, 25)⁶⁷
Néolittérature steht hier also auch vor dem Hintergrund eines nicht verfügbaren, endlosen, „idealen“ Texts.⁶⁸ Indem er diesen offenen Text im Museum thematisiert, hebelt der „Spieler“ Toussaint die Kritik an dem eventgeprägten, evaluierbaren, „oberflächlichen“ Museum in einem für ihn typischen Manöver ironisch aus.Wie in der literarischen Louvre-Szene in Fuir wird die (immaterielle) Literatur in der Medienkonkurrenz zwischen livre und Louvre zur eigentlichen Siegerin erklärt, steht also über beiden Medien. Das zufallsgesteuerte, aufscheinende, dunkle und selbst leuchtende Werk greift nicht nur eine Museumskritik auf, sondern zeigt auch einen „Ausweg“ aus dem hegemonialen, hellen Museum, das die Muse verlassen hat.
9 Fazit Die Installation L’Univers rekurriert auf die literarische Ästhetik Toussaints und auf ein dahinterliegendes Geschichts- und Weltbild, auf seine Poetologie und seinen Werkbegriff. Literatur ist darin in ihrer prozessualen, nicht abgeschlossenen Dimension als néo(n)littérature zu verstehen, und das auf mehreren Eberestait plus qu’à donner leur forme définitive“ (Toussaint 2002 [1997], 75; auch zitiert in Toussaint 2012b, 23). „Titien […] laissait toujours reposer ses tableaux de longs mois face aux murs, sans plus les regarder. Puis, quand il les reprenait, ‚il les examinait avec une rigoureuse attention, comme s’ils avaient été ses ennemis mortels‘. Ah, les chers ennemis mortels!“ (Toussaint 2012b, 30 – 31). Es lässt sich an Roland Barthes’ Balzac-Dekonstruktion S/Z denken, wo er bezeichnenderweise von galaxie spricht: „In diesem idealen Text sind die Beziehungen im Textgewebe so vielfältig und treten so zueinander ins Spiel, daß keine von ihnen alle anderen abdecken könnte. Dieser Text ist eine Galaxie von Signifikanten und nicht Struktur von Signifikaten. Er hat keinen Anfang, ist umkehrbar. Man gelangt zu ihm durch mehrere Zugänge […]“ (Barthes 1987 [1976], 9 – 10); [„Dans ce texte idéal, les réseaux sont multiples et jouent entre eux, sans qu’aucun puisse coiffer les autres; ce texte est une galaxie de signifiants, non une structure de signifiés; il n’y a pas de commencement; il est réversible; on y accède par plusieurs entrées […]“ (Barthes, 1996 [1976], 11)]. Vgl. Gelz 2002, 16.
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nen: erstens intertextuell, indem sie Bezüge zum literarischen Werk Toussaints wie auf zahlreiche andere Literaten erzeugt – Dante, Balzac, Mallarmé, Baudelaire, Proust, Borges, Pasolini, um nur einige zu nennen. Zweitens transmedial, indem sie sich in verschiedenen Künsten ausdrücken kann. Und drittens als Ergebnis einer von urgence und patience geprägten Suche vor dem Hintergrund eines endlosen Texts. Eine im Werk angelegte Poetik des Zufalls, des Aufscheinens, der Immaterialität der Literatur wird durch sie ausgestellt und zugleich ausgebaut. Durch die Literaturreflexion im Museum, die in Zusammenhang mit einer Museumsreflexion in der Literatur zu lesen ist, ergibt sich ein metareflexives Schachtelspiel, an dem Borges seine Freude gehabt hätte. So wird auch das helle Museum zu einem Raum der Erkenntnis.
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Filmografie The Honey Dress. Reg. Jean-Philippe Toussaint. Chen Tong, 2015.
Vanessa Zeissig
„A Room is not a Book“: Szenografie als Brücke zwischen Literatur und Museum 1 Eine Einleitung: Literaturausstellungen zwischen Wandel und Krise verorten Literaturausstellungen befinden sich im Wandel. Mit den paradigmatischen Umbrüchen, die das allgemeine Museumswesen seit den 1970er Jahren nachhaltig verändert haben, hielt der Transformationsimperativ (vgl. Sternfeld 2018, 15 – 16) auch in Literaturmuseen Einzug. Der Fokus wurde von ihrem traditionellen Leitbild der erinnerungspolitischen Repräsentation kanonisierter Schriftsteller·innen auf Literatur selbst gelenkt und zog eine weit über drei Jahrzehnte anhaltende Debatte nach sich. Wurde zu Beginn dieser Debatte noch an der Ausstellbarkeit von Literatur gezweifelt beziehungsweise diese sogar negiert (vgl. Barthel 1984, 13), löste sie seit dem neuen Jahrtausend eine Suche nach innovativen Möglichkeiten aus, Literatur nicht nur als Bebilderung einer Autorenbiografie im musealen Kontext zu vermitteln. Es wurde nach Vorzeigbarem, nach Schauplätzen der Literatur, nach Installationen, nach neuen Zugängen gefragt (vgl. Wirth 2011, 55). Während dieser Wandel die musealen Literaturinstitutionen von ihrer alleinigen Existenz als resakralisierende Personengedenkstätte emanzipierte und neue Ideen hervorbrachte (vgl. Zeissig 2021), stellte er sie auch vor komplexe Herausforderungen: Die neuen Anforderungen, die mit dem Wandel einhergingen, stehen sowohl im Gegensatz zum Ursprungsgedanken der musealen Repräsentation als auch zur Literatur als Konzept, das erst durch den Rezeptionsakt konstituiert wird (vgl. Wirth 2018, 144) und damit vermeintlich nicht vorzeigbar ist. Literaturausstellungen befinden sich folglich auch in der Krise. Die Frage nach innovativen Vermittlungs- und Darstellungsmethoden, die den heutigen Diskurs zur Ausstellbarkeit von Literatur dominiert, ist dabei Auslöser für Transformation und Krise zugleich, denn sie sucht nicht nur nach Lösungen, sondern bewirkt auch immer wieder die Reproduktion von Argumenten, die vermeintliche Grenzen des Literaturausstellens aufzeigen. Innerhalb der Theorien und Praktiken von Literaturmuseen entwickelte sich auf diese Weise ein Wetteifern, welches die Institutionen und ihre Ausstellungen bis heute vor eine Zerreißprobe zwischen (literatur‐)wissenschaftlicher Fundierung, erinnerungskulturellem Auftrag und innovativ gestalterischer Übersetzungen sowie aktueller Technik stellt. Während https://doi.org/10.1515/9783110691566-009
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das Fachgebiet des Ausstellungsdesigns grundsätzlich ausschlaggebend für die räumliche Vermittlung eines gegenstandslosen Phänomens wie Literatur ist, wird dem gestalterischen Prozess dabei lediglich eine untergeordnete, der Umsetzung verpflichtete Rolle zugeschrieben. Der vorliegende Beitrag problematisiert vor diesem Hintergrund den Umgang mit auszustellender Literatur im theoretischen und praktischen Kontext und stärkt die Relevanz der szenografischen Gestaltung für den Transit von Literatur zum Museumsraum am Beispiel des Projekts A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur (Buddenbrookhaus, Lübeck, 2019). Die Gedanken dazu basieren auf der These, dass Szenografie bei diesem Übergang nicht einfach als ein Übersetzungsinstrument dient, sondern die einzige Methode ist, einen tatsächlichen Transfer überhaupt erst zu ermöglichen. Diese These impliziert eine alternative, von der Praxis her gedachte Auseinandersetzung mit auszustellender Literatur und zielt gleichzeitig darauf ab, die vermeintliche Konkurrenz zwischen Wissenschaftlichkeit und Vermittlung der Inhalte durch gestalterische und museumspädagogische Ansätze beizulegen. Die Dissonanz beider Pole zeichnet sich immer wieder innerhalb der Debatte ab: Während Gertrude Cepl-Kaufmann und Jasmin Grande etwa didaktische Vermittlungsmethoden kritisieren, die den Ausstellungsgegenstand Literatur potentiell in seiner Würde angreifen und ihn dem Lernziel der Literaturvermittlung unterordnen könnten (2013, 74– 76), verstehen Britta Hochkirchen und Elke Kollar (2015, 12) das deiktische Verfahren von Literaturvermittlung immer auch „als Aktualisierung und als Übersetzungsprozess“. Damit wird jedoch gleichzeitig die Definition und Konkretisierung der Übersetzung herausgefordert: Wie genau wird Literatur in eine Ausstellung übersetzt, was kann überhaupt übersetzt werden, wie sieht der Übersetzungsprozess aus und was zeigt sich im Ergebnis? Eben in dieser „Adaptierung und Anpassung der großteils logozentrischen literarischen Kodes an die museografischen Kodes“, wie Marie-Clémence Régnier formulierte (2015, 9), verortet sich scheinbar das Problem des ausstellerischen Prozesses. Literatur wird in den derzeitigen Diskussionen und Museumspraktiken nicht aus „unsere[m] Verständnis von an Text und Buch gebundene[r] Literatur“ (Régnier 2014) losgelöst, sodass sie allenfalls in materiellen „Aggregatzuständen“ (vgl. Gfrereis 2017, 52) gezeigt wird. In der Praxis des Literaturausstellens, d. h. im Anpassungsversuch literarischer Kodes an museografische Kodes, wird demnach häufig auf „Ausstellbares“ (Zeissig 2017, 224) ausgewichen. Uwe Wirth umschreibt das Ausstellbare knapp als biografisches oder materielles „Drumherum“ (Wirth 2018, 144 und 146), mit dem das nicht Vorzeigbare der immateriellen Dimension ausgeglichen werden soll. Versteht man räumliche Inszenierungen als reine Materialisation der Literatur (vgl. Gfrereis 2017, 37– 38), die diese textgetreu und figurativ nacherzählen sollen, kann auch hier von einem Ausweichen gesprochen werden. Der
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Status der Literatur (vgl. Régnier 2015, 5) wird durch materielle Objekte oder Kulissen, die kommunizieren sollen, was andernorts auf andere Weise (nämlich lesend) konsumiert wurde, jedoch kaum verändert. Stattdessen musealisieren diese Übernahmeformen Literatur in ihrem eigentlichen Status (vgl. Régnier 2015, 5) und sprechen Literaturausstellungen ihren medialen Eigenwert ab. Die prägnante Formel „A show is not a book“ von Mieke Bal (2002, 138, vgl. hierzu auch Wirth 2011, 55; Wirth 2018, 143) verweist auf diese mediale Unterscheidungsnotwendigkeit und deutet damit die Problematik der Adaption an. Literatur wird für den derzeitigen performativen Prozess des Ausstellens aber weder vom Buch noch von ihrem eigenen Wesen losgelöst gedacht. Die Gestaltung nimmt dadurch einen additiven Stellenwert ein: Sie wird als Übersetzungsinstrument eingesetzt, um Literatur innerhalb ihres eigentlichen Status, d. h. in ihrem ursprünglichen Wesen und im Feld ihrer wissenschaftlichen Reflexion, darzustellen. Obgleich es sich um einen medialen Transfer von Literatur zum gestalteten Raum handelt, wird die gestalterische Rolle innerhalb dieses Medientransfers sowie des Ausstellungsprozesses dadurch auf ein Mittel zum Zweck reduziert. Die Gestaltung setzt demnach nur um bzw. gibt dem Form und Gestalt, was in der kuratorischen, meist wissenschaftlich belegbaren Erarbeitung als Übersetzungsmöglichkeit oder als vorzeigbarer Aggregatzustand festgelegt wurde. In den folgenden Unterkapiteln beschäftigt sich der Beitrag daher mit der Autonomie von räumlicher Literatur und der Gestaltungsdisziplin Szenografie als kritischer Methode. Es wird bewusst davon abgesehen, von einer Übersetzung der Literatur in den Raum zu sprechen, da diese in der derzeitigen Debatte übliche Formulierung die szenografische Gestaltung als rein illustrative, ausführende Instanz versteht. Stattdessen wird das Medium Raum als Ausgangspunkt für den szenografischen, über eine Funktion als Umsetzung hinausgehenden Prozess hervorgehoben und dabei nicht als Hülle für musealisierte Literatur, sondern als literarische Ausdrucksform gewertet. So lehnt sich die Formel „A room is not a book“ aus dem Beitragstitel zwar an Mieke Bals Formulierung an, weist damit aber weniger auf ein performatives oder dreidimensionales Manko von ausgestellter Literatur hin, sondern macht auf die notwendige Transferleistung aufmerksam. Mehr noch: „A room is not a book“ versteht sich als Forderung, Literatur als Raum und als „autonome[s] Konstruktionsmodell“ (Régnier 2014) zu denken. Der Unterschied zwischen einer Übersetzung von Literatur in den Raum und einem Verständnis von Literatur als Raum ist bei der medialen Transformation elementar. Dies bedarf einer Art des Medientransfers, der über das Vorzeigen der optischen Dimension oder über die Materialisierung der immateriellen Dimension von Literatur hinausgeht. Um eine Transformation hin zu einem tatsächlichen Medienwechsel zu generieren, bedarf es daher einer grundlegenden Revision des Entwicklungspro-
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zesses von Literaturausstellungen, die nicht nur den Akt des Ausstellens beleuchtet, sondern gleichermaßen auch alle Umstände, die das Ausstellen von Literatur tangieren und vor dem Ausstellen selbst hinterfragt werden müssen (vgl. Metzger 2017, 65 – 66, 70). Das geschieht zunächst durch die Verortung der Literaturausstellungen zwischen Wandel und Krise und der daraus folgenden Infragestellung der mittlerweile in Theorie und Praxis stark verankerten Herangehensweise an das Ausstellen von Literatur. Noch bevor Literatur als Raum gedacht wird, rückt daher nicht die Frage nach Lösungen in den Vordergrund, sondern die Problematisierung der infrastrukturellen, institutionellen, wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Einflüsse auf Literatur als Raum. Darauf folgt die Beschäftigung mit der Kategorie des Raums, sodass der Entwicklungsprozess unabhängig der heute üblichen Argumentationen und Verfahren sowie mit dem Medium Raum als Ausgangspunkt neu definiert werden kann. Eine alternative Fragestellung, die im folgenden Unterkapitel vorgeschlagen wird, dient dazu als Starthilfe. Mit der Einführung der szenografischen Perspektive in den Diskurs soll die Basis für eine neue Praxis geschaffen werden, die die genannte kritische Untersuchung voraussetzt und diese gemeinsam mit anderen Disziplinen unternimmt. Sie fußt auf der Methodik des practice led research, die auf Erkenntnisgewinn durch künstlerisch-praktische Prozesse setzt und diesen wiederum zurück in die Theorie fließen lassen kann. Am Ende des Beitrags wird in diesem Kontext ein Projekt vorgestellt, das exemplarisch für eine kreative, kritisch-expositorische Auseinandersetzung steht und für disziplinäre und arbeitstechnische Vielfalt und Varianz, für Hinterfragung als expositorische Methode sowie für die Stärkung des Einflusses von Praxis auf Theorie plädiert.
2 Eine Retrospektive: Den Kanon der Ausstellbarkeitsdebatte hinterfragen Literaturausstellungen sind, wenn man sie aus heutiger Sicht definiert, ein relativ junges Museumsgenre. Entstanden aus und stets verbunden mit den DichterDenkmälern des neunzehnten Jahrhunderts, hatten sie spätestens seit den 1980er Jahren mit schweren Anschuldigungen zu kämpfen: Die bisher ausgestellten Substrate der Literatur, also etwa Manuskripte, Bücher und persönliche Gegenstände eines Autors (oder in weitaus selteneren Fällen einer Autorin), sei keine Literatur (vgl. Beyrer 1986, 38), ohnehin sei der künstlerische Schaffensprozess gegenstandslos und Literatur nur im intimen Leseakt erlebbar (vgl. Ehrlich 1976, 22; hierzu auch Wehnert 2002, 74).
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Das ambitionierte Ausstellungsgenre, das seit über hundert Jahren mit seiner Dichterverehrung einen weihevollen Ort des kulturellen Erbes darstellte und sich insofern nie hatte rechtfertigen mü ssen, wurde nun mit einem massiven Angriff auf seine Existenzberechtigung konfrontiert. Die Fragen, die sich auftaten, betrafen die Objekte einer Ausstellung und wie damit umzugehen sei, wenn der Zusammenhang von Werk und Autor·in – und damit auch die bis dahin selbstverständliche Praxis in Literaturmuseen – radikal in Frage gestellt wurde. Aus der Problematisierung, ob Literatur überhaupt ausgestellt werden könne, entstand eine Debatte, die bis heute großen Einfluss auf den theoretischen und praktischen Umgang mit Literaturausstellungen hat. Was mit einem besorgniserregenden Unausstellbarkeitspostulat begann (vgl. Barthel 1984, 13), entwickelte sich über die Jahrzehnte zunächst zu einem scheinbaren Jungbrunnen für Literaturmuseen: Ihre Relevanz in der öffentlichen Wahrnehmung erhöhte sich (vgl. Schütz 2011, 72), alteingesessene Institutionen wurden überarbeitet und neue Projekte mit modernen Konzepten entstanden. Innerhalb der theoretischen Reflexion vollzog sich in diesen mehr als dreißig Jahren eine Verschiebung der Fragestellung: Aus der skeptischen Frage, ob Literatur ausstellbar sei, entstand die motivierte Frage, wie man Literatur ausstellen könne (vgl. Schütz 2011, 72). Diese Verlagerung war ein langwieriger Prozess, denn die Unausstellbarkeit von Literatur galt noch bis ins neue Jahrtausend hinein als anerkannt (vgl. Wehnert 2002, 73). Erst mit Meilensteinen innerhalb der literarmusealen Praxis wie dem begehbaren Roman des Buddenbrookhauses in Lübeck oder der Eröffnung des Literaturmuseums der Moderne in Marbach entwickelte sich ein vorsichtiger Konsens hinsichtlich der Ausstellbarkeit von Literatur. Mit der umfangreichen Frankfurter Publikation zur Theorie und Praxis des Literaturausstellens aus dem Jahr 2011 (Bohnenkamp und Vandenrath) galt die NichtAusstellbarkeit gemeinhin als widerlegt (vgl. Cepl-Kaufmann und Grande 2013, 66). Nunmehr wird die theoretische sowie praktische Arbeit zu Literaturausstellungen von der Suche nach neuen Vermittlungs- und Darstellungsmethoden, d. h. von der Frage nach dem „wie?“, dominiert. Das wissenschaftliche Fundament wird dabei durch Herleitungen wie etwa topologischen Interpretationen (vgl. Bernhard 2020, 342– 343) oder intrinsischen Visualisierungsstrategien (vgl. Kutzenberger 2012, 10) gemeißelt, die so potenzielle Strategien begründen, um Literatur in den Raum zu übersetzen. Literaturausstellungen befinden sich entsprechend im Wandel – die Debatte um die Ausstellbarkeit von Literatur hat nicht zur Einschränkung geführt, wie man vielleicht angesichts des Unausstellbarkeitspostulats hätte erwarten können, sondern maßgeblich zur Modernisierung und Öffnung der literarmusealen Präsentationen beigetragen (vgl. Holm 2013, 575; vgl. Cepl-Kaufmann und Grande 2013, 66). Die Suche nach neuen Möglichkeiten, Literatur unabhängig von Autorenbiografien zu exponieren und sie in visuellen
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oder auditiven Rezeptionswegen zu vermitteln, ließ die literarmusealen Institutionen dem Transformationsimperativ der allgemeinen Museumslandschaft Folge leisten. Eine grundlegende Problematik des derzeitigen Umgangs mit der Ausstellbarkeit von Literatur wird jedoch spätestens hier deutlich: Der Imperativ der Innovation setzt auf zeitgemäße, sogar auf unkonventionelle Mittel und Elemente, um einen expositorischen Zugang zu Literatur für ein möglichst heterogenes Publikum zu schaffen (so zumindest von den Institutionen angedacht). Ohne hier schon darauf einzugehen, dass die gesuchten Innovationen oft nicht mit dem Repräsentationsimperativ der personenzentrierten Häuser vereinbar sind und stets auf wissenschaftlich hergeleitete Grenzen treffen, fällt aus szenografischer Perspektive zunächst der Anspruch des Innovationsimperativs auf Aktualität ins Auge. Es stellt sich dabei die Frage, was zeitgemäß und unkonventionell ist. Steht der traditionell in Vitrinen ausgestellten Flachware eine auditive Hörstation gegenüber? Wird der Schreibtisch als klassisches Exponat im konservierten (wahlweise rekonstruierten) Dichterzimmer mit einer Multimedia-Station verglichen, die alle jemals genutzten Schreibtische digital abrufbar zur Verfügung stellt? Welche Vergleiche werden dann in fünf, zehn oder zwanzig Jahren angeführt? Was ist veraltet und ab wann? Was gibt Antworten auf die Frage „wie?“ und was bietet keine neuen Lösungen? Und schließlich: Wann ist die Frage endgültig beantwortet und kann oder soll sie dies überhaupt? Der Ansatz der Lösungsorientierung ist demnach in doppelter Hinsicht problematisch: Fragt man alleinig nach dem „wie?“, also nach innovativen Umsetzungsmöglichkeiten, kann man nur kurzlebige Ergebnisse generieren. Was heute eine adäquate Transferleistung von Literatur im Buch zu Literatur im Museum darstellt, kann (und wird voraussichtlich) in fünf Jahren schon wieder überholt sein. Der Fragenkanon, der sich innerhalb der Debatte um die Ausstellbarkeit von Literatur in den letzten Jahren etabliert hat, wird so mit den fortlaufenden technischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Veränderungen endlos gestellt werden. Das ist nicht zwangsläufig ein Defizit: Ihre Methoden stetig weiterzuentwickeln oder zumindest regelmäßig hinsichtlich ihrer zeitlichen und gesellschaftlichen Konformität zu überprüfen, ist den Museen mittlerweile inhärent und grundsätzlich positiv zu bewerten. Vor allem im Hinblick auf Vermittlung und Darstellung wird hier von der sogenannten Zeitgenossenschaft von Ausstellungen gesprochen – die Anpassung an aktuelle Sichtweisen, Wahrnehmungsmuster und Sehgewohnheiten (vgl. Korff 2008, 52). Die damit einhergehende Forderung nach (gestalterischer) Innovation bedeutet jedoch nicht einfach Optimierung mit dem Ziel, alles „größer, schneller, besser“ zu machen, denn diese Art Wachstum birgt immer das Gefahrenpotential für Fehlentwicklungen. Konzeptionelle und gestalterische Innovation oder innovative Transformation impliziert hingegen immer eine kriti-
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sche Untersuchung und eine darauffolgende Handlung, die alle Bereiche betrifft und nicht lediglich die Optimierung des Erscheinungsbildes oder der technischen Mittel zum Ziel hat. Aus den umstürzlerischen Museumsreformen des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich jedoch, so beispielsweise von Daniel Tyradellis (2014, 9) oder Nora Sternfeld (2018, 15 – 17) beschrieben, ein andauernder Transformationsgedanke etabliert, der durch ökonomisierte und wettbewerbliche Entwicklungen im Museum sowie durch mittlerweile kanonisierte Praktiken den kombinatorischen Fokus auf Kritik und Handlung verloren zu haben scheint (vgl. Sternfeld 2018, 25). Das bedeutet, die Suche nach innovativen Museumspräsentationen geht nicht auf die Intention nachhaltiger Kritik zurück, sondern hat die Steigerung von Besuchszahlen und den Einsatz neuer Technik zum Ziel.Vor allem die Debatte um die Ausstellbarkeit von Literatur und ihr lösungsorientierter Ansatz zeigen eine Motivation, die nicht die eigene Arbeit in regelmäßigen Abständen hinterfragen und neu definieren soll, sondern stattdessen auf Legitimierung und Optimierung zielt. Der Legitimierungsanspruch steht einer tatsächlichen, kritischen Transformation jedoch im Weg, weil es häufig nur darum geht, ob (und wenn ja, bis wohin) es Literatur gerecht wird, ihre optische oder übersetze Dimension im Medium Ausstellung zu präsentieren. Die Legitimierungsversuche, die im Schreiben über Literaturausstellungen immer wieder reproduziert werden, beruhen auf einem Verständnis, das die Ausstellung als Materialisierung von Literatur versteht. Die Vergegenständlichung von eigentlich Gegenstandslosem muss, so die Idee, gerechtfertigt werden, was nicht selten auch über die Erinnerung an ihre Grenzen geschieht (vgl. Wirth 2018, 143). Diese Praktik liegt in der bereits angedeuteten Diskrepanz zwischen dem Innovations- und dem Repräsentationsimperativ, in der vermeintlichen Konkurrenz zwischen Wissenschaftlichkeit und musealer Vermittlung begründet. Zunächst scheint das Legitimieren des Fortschrittsgedankens notwendig, weil die neuen Ansätze im Kontrast zu traditionellen Strukturen der Institutions- und Kulturpolitik stehen. Der Ursprung moderner Literaturmuseen – und damit der Grund ihrer Existenz – lässt sich in der Dichterverehrung verorten (vgl. Gfrereis und Raulff 2011, 104), sodass die Mehrzahl der literarmusealen Institutionen in Deutschland auch heute noch konkreten Literaturschaffenden gewidmet ist. Diese zu repräsentieren und an sie zu erinnern gilt weiterhin als zentrale Aufgabe und ist aus der musealen Praxis kaum wegzudenken (vgl. Gfrereis 2017, 38; vgl. Heuer 2017, 143). An dieser Stelle wird die Kehrseite des Fortschritts von Literaturausstellungen deutlich: Einerseits sollen neue, innovative Ansätze für das Literaturausstellen entwickelt werden, andererseits sollen diese auf keinen Fall das Museum als namhafte Kulturinstitution entweihen, profanieren oder ihre wissenschaftlich fundierten Inhalte reduzieren. Spitzt man es zu, ist die Suche nach neuen Methoden Fluch und Segen, Krise und Fortschritt zugleich. Der Fokus auf das „wie?“ geht direkt zu Lösungen
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über, die ohnehin nur temporären Charakter haben und gleichzeitig eine grundlegende Kritik überspringen, die sich dem Problem der Adaptierung von literarischen Kodes an museografische Kodes aus verschiedenen Richtungen und über vorgeschaltete Probleme nähern würde. Denn der Adaptionsleistung stehen oft nicht konträre, irgendwie aneinander anzupassende Kodes im Weg, sondern der mittlerweile kanonisierte, theoretisch-wissenschaftliche Umgang mit der Ausstellbarkeit von Literatur an sich. Darin wird die Ausstellbarkeit vor allem über die Differenz von Materialität und Immaterialität verhandelt sowie über Relationen zwischen Literatur und Raum, die in erster Linie der Legitimation des Ausstellens dienen. Innerhalb dieser Art Herangehensweise steht das Medium Ausstellung jedoch nicht für sich selbst, sondern immer nur im Dienst der zu veranschaulichenden Literatur. Die Gestaltung von Ausstellungen wird so oftmals als bloßes Umsetzungsinstrument benutzt und schöpft ihre eigentliche Relevanz nicht aus. Während Ausstellungsgestaltung, d. h. ihre praktische Seite, innerhalb der geschichtlichen Entwicklung von Museen eine elementare Rolle spielte, Grundsätzliches in den Hegemonien und Infrastrukturen der Kulturinstitutionen hinterfragte, den Prozess des Ausstellens nachhaltig veränderte und heute integraler Bestandteil der Museumsarbeit ist (oder sein sollte), wird sie in Literaturausstellungen auf eine dienstleistende Ausführungsarbeit und in ihrer Wirkung auf eine rein ästhetische Vermittlungsebene reduziert. In der Rede über Literaturausstellungen sind Raum und Ausstellungsmethoden nicht Ausgangpunkt für den Transfer von Literatur ins Museum, sondern Mittel zum Zweck (vgl. Zeissig 2021). Sie dienen der solutionistischen Fragestellung, wie Literatur auszustellen sei, als modern gestaltete Umsetzung von musealen Trägerelementen oder als materielles Endprodukt (beispielsweise im Falle von räumlichen Rekonstruktionen oder Installationen). Literaturausstellungen werden so in ein modernes Gewand (vgl. Gfrereis 2005, 233) zwischen Repräsentation und Innovation gehüllt. Der Ausstellungsgegenstand Literatur unterliegt dabei, trotz seines Zustandes des Ausgestelltseins und der nunmehr räumlichen Rezeption, einer Erwartungshaltung, die ihn im Hinblick auf Prozess und Effekt der Rezeption mit geschriebener, im Buch veröffentlichter Literatur gleichsetzt (vgl. Zeissig 2017, 229). Um Literatur für den Akt des Ausstellens von ihrer ursprünglichen Wesensstruktur zu lösen, d. h. in ein museografisches System zu überführen, muss vor die Suche nach neuen visuellen oder didaktischen Erscheinungsbildern eine kritische Untersuchung aller die Literaturausstellung tangierenden Bereiche sowie eine fundamentale Beschäftigung mit dem Medientransfer von Literatur zum Raum vorangestellt werden. Die Disziplin der Szenografie dient dabei als Brücke und spricht dem Medium Raum seine Relevanz als Grundlage des Transfers zu. Um diesen Prozess einzuleiten, wird eine erneute Verschiebung der grundsätzlichen Fragestellung (vgl. Zeissig 2021) vorgeschlagen: Während die erste Verschiebung von „ob“ zu
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„wie?“ erfolgte, muss der Prozess des Literaturausstellens aus szenografischer Perspektive mit der Frage „warum?“ beginnen – warum wird bzw. sollte Literatur ausgestellt werden? Damit ist jedoch nicht die Frage nach literaturwissenschaftlichen, kulturpolitischen und pädagogischen Gründen gemeint, warum ein kanonisierter Autor erinnert, ein Werk museal erläutert oder ein Schreibprozess veranschaulicht werden sollte – denn dies führte schnell zu weiteren Imperativen, die an dieser Stelle Bildung und Erinnerung (und dementsprechend auch wieder Repräsentation) forderten. Stattdessen zielt die Frage auf das Medium Raum in seiner komplexen Urform ab: Warum Literatur zum Raum transferieren? Ist der Raum das richtige Medium für das Vorhaben, Literatur zu kommunizieren bzw. zu rezipieren? Was ist der Zweck und das Ziel des Ausstellens? Was soll Literatur als Raum? Was macht Raum mit Literatur im Akt des Ausstellens und im Status des Ausgestelltseins? Was entsteht aus Literatur durch Raum? Mit dieser Art der Beschäftigung werden tradierte Muster hinterfragt (warum stellen wir aus, wie wir ausstellen und nicht anders?) und der Weg geebnet, Literatur unabhängig ihrer ursprünglichen Materialität und Rezeption in Formen von Räumlichkeit zu denken. Diese Herangehensweise presst nicht etwa die Literatur entgegen ihrer Form in die Kategorie des Raums, sondern löst sie von ihrem bisherigen Status, um einen neuen medialen Status sowie einen neuen Rezeptionsweg zu eröffnen. Ausgestellte Literatur wird so als ein genuines Kunstwerk verstanden, das auf räumlicher und sinnlicher Wahrnehmung basiert.
3 Szenografie ist: eine Brücke zwischen Literatur und Museum Um diese These weiter ausführen zu können, soll zunächst sowohl eine kurze Definition der szenografischen Disziplin als auch des musealen bzw. musealisierten Ausstellungsgegenstandes Literatur angeführt werden. Dabei soll und kann es nicht Ziel sein, Szenografie oder exponierte Literatur in einen konkreten Rahmen zu pressen. Das 2020 erschienene Kompendium zur Gestaltungsdisziplin (Kiedaisch et al.) macht mit seinen eingestreuten, verschiedenen Thesen aus der Szene und dem offenen Ende deutlich, dass Szenografie mehr ist und sein kann, als eine einzige Deutung. Die Unterüberschrift für diesen Teil des Beitrags lehnt sich daher an den im Kompendium immer wiederkehrenden Satz „Szenografie ist…“¹ an (Poesch 2020, 18 – 33) und fügt so den Vorschlag ihrer Funktion als
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Brücke zwischen Literatur und Museum hinzu. An dieser Stelle soll der Versuch einer Einordnung formuliert werden, um die Rolle der Gestaltung innerhalb des Diskurses über Literaturausstellungen zu stärken. So lässt sich zunächst zusammenfassen, dass die Szenografie von musealen oder andernorts veranstalteten Ausstellungen eine Fachdisziplin an der Schnittstelle zwischen Architektur, Design, Kunst und Museologie ist und die gesamte Gestaltung einer Ausstellung umfasst. Szenografie kommuniziert und stellt Sachverhalte mit Mitteln des Raums als nonverbale, räumliche Vermittlung von Inhalten in öffentlich zugänglichen Räumen dar und bestimmt alle Maßnahmen der Raumbildung (vgl. Kilger 2012, 18). Das Prinzip der Szenografie ist es, den Raum für die Vermittlung und Kommunikation von Wissen, Informationen, Emotionen, Eindrücken, Botschaften und Handlungen zur Grundlage zu machen. Zentral dabei ist das Raumbild (vgl. Schlag 2017, 567), das idealiter im Zusammenspiel von Gestaltung, Inhalt, Kuration, Sammlung und Publikum entwickelt wird. Ausstellungen finden immer im Raum statt – ob in musealen Gebäuden, im öffentlichen Stadtraum oder in privaten Kontexten –, sodass sie untrennbar an das Medium Raum geknüpft sind und sich insofern etwa von virtuellen Präsentationsformen (vgl. Selmikeit 2014, 164– 165) unterscheiden, die zwar die traditionellen Grenzen des Museums auflösen, aber der physischen Präsenz und körperlichen Bewegung entbehren. Der Raum in seiner physischen und sozialen Relevanz ist dementsprechend das Alleinstellungsmerkmal einer Ausstellung (vgl. Holzer 2017, 53).² Die Beschäftigung mit dem Raum und seiner Nutzung – obgleich das Verhalten von Besucher·innen nie vorhergesehen werden kann – sowie die Gestaltung des Raums ist insofern obligatorischer Bestandteil eines jeden Entwicklungsprozesses von Ausstellungen. Räume werden dabei durch jede Art ihrer Gestaltung geprägt, ihre Wirkung und Aussagen verändern sich, sobald architektonische und gestalterische Parameter (wie Bauteile und Strukturen, Farben und Materialien) sowie hinzugefügte Elemente variieren oder durch unterschiedliche Frequentierungen im Sinne von An- und Abwesenheit der Besucher·innen sowie möglicher Aktionen Einfluss
(Marinescu und Poesch 2020, 9) in die Publikation eingestreut werden, beginnen ebenfalls mit dem in der Unterüberschrift zitierten Satz. Die hier angerissene Definitionsmöglichkeit des Mediums Ausstellung lässt bewusst virtuelle Ausstellungen aufgrund der fehlenden physischen und analogen Erfahrung, massenmediale Ausstellungsorte wie das Internet oder Werbung sowie Messen und Verkaufsschaufenster aufgrund ihres kommerziellen Hintergrundes außen vor. Wird der Begriff Ausstellung weitergefasst, sind auch diese Ausformungen relevant, in diesem Beitrag liegt der Fokus jedoch auf physischräumlichen, unkommerziellen, kulturellen und sozialen Ausstellungsorten.
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genommen wird. Die Ausgestaltung und Prägung dieser Räume sind gleichzeitig ausschlaggebend für die Lesbarkeit der Exponate (vgl. Poesch 2020, 26), sofern es diese im herkömmlichen Sinne gibt. Zudem spielen die Perspektiven im Raum sowie die eigene Körperhaltung bei der Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Diese Parameter bestimmen das Raumbild und dienen als Grundlage der Konzipierung einer Ausstellung – umso mehr, wenn der Ausstellungsgegenstand immateriell ist. Es gibt disparate Meinungen dazu, ob Szenografie und damit die (vermeintliche) Kategorie der „szenografisch gestalteten Ausstellung“ nur das Mittel des Raums umfasst und sich insofern von „nichtszenografischen Ausstellungen“ unterscheidet, welche statt eines räumlichen einen vermittlerischen Zugang verfolgen. Entsprechend dieser Differenzierung müssten alle weiteren kommunikativen Gestaltungsebenen wie Texttafeln, interaktive oder mediale Exponate, Leitsysteme usw. einer allgemeinen Gestaltung, also „nichtszenografischen Ausstellungen“ zugeordnet werden, sodass das Medium des Raums der szenografischen Gestaltung vorbehalten bliebe. Eine solche linguistische und strukturelle Trennung von Szenografie und vor allem Vermittlung widerspräche jedoch der Tatsache, dass auch Räume und ihre Gestaltungsmittel einen Akt der Vermittlung vollziehen und die direkten oder indirekten Möglichkeiten der Wissensaneignung und Erfahrung im Raum visualisieren (vgl. Brümmer und Krämer 2020, 75). Zudem würde den „nichtszenografischen Ausstellungen“ damit die Raumnutzung und -erfahrung, die auch ihnen immanent sind, abgesprochen. Alle Mittel der Gestaltung, ob nonverbal, textlich oder grafisch, ob materiell oder immateriell, prägen jedoch zweifelsfrei das Erscheinungsbild des Raums und die Bewegung darin. Während der Unterschied zwischen bewusst gestalteten Raumbildern und auf reine Vermittlung ausgerichtete Vitrinen- und Textausstellungen offensichtlich ist, tangiert die Szenografie als expositorische Praxis aufgrund der Raumwirkung jedoch jegliche Art des Ausstellens und des Ausgestelltseins. Es spielt mit Gerhard Kilger keine Rolle, „ob die Szenographie dabei ins Auge springt oder so subtil ist, dass das Publikum die Gestaltung kaum wahrnimmt […]“ (2016, 59). Denn die Raumbilder eines White Cubes, einer zurückhaltenden Glashaubenkonstellation oder einer textlastigen Stellwandabfolge besitzen ebenso eine räumliche Wirkung wie etwa eine bühnenbildhafte Inszenierung, eine abstrakte Installation oder eine immersive Multimediaschau – nur eben eine andere. In allen Fällen findet aber Vermittlung durch (räumliche) Gestaltung statt (vgl. Kilger 2012, 18) sowie die Kommunikation einer Botschaft durch den Raum – dass sich dabei die Wirkungen je nach Raumbild unterscheiden, steht außer Frage. Nur wenn konzeptionell keine bewusste Entscheidung zur Nutzung und Funktion des Raums getroffen wird (etwa im Falle des Raums als unreflektierter, nicht hinterfragter Behälter), so handelt es sich weniger um den Prozess des Ausstellens, als
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vielmehr um ein bloßes Hinstellen von Objekten und dazugehörigen Beschreibungen (vgl. Korff 2008, 44). Während das immer weiterwachsende Netzwerk der szenografischen Disziplin sich selbst noch bescheiden in ihren Anfängen verortet (vgl. Steiner 2020, 271),³ ist die Relevanz des Raums und seiner Gestaltung nach höchsten Qualitätstandards (Kilger 2016, 59) bindend. Die Gestaltung ist dabei nicht als additiv zu verstehen: Sie ist keine illustrative Dekoration, ihre Aufgabe ist nicht „[…] auf ein inhaltliches oder kuratorisches Konzept [zu] reagieren und dieses gestalterisch folgerichtig um[zu]setzen“ (Kobler 2016, 14). Stattdessen ist sie integraler Bestandteil des Entwicklungsprozesses und dient als „Methode zur Definition von Zielen und Ausrichtung einer Ausstellung“ (Kobler 2016, 14). Um die Ausstellung als Medium bewusst einzusetzen, muss nicht nur das Verständnis für Raum und seine Gestaltung gegeben sein, gleichermaßen bedarf es auch eines entsprechend an das Medium angepassten Umgangs mit den ausgestellten Exponaten. Dies gilt in besonderer Weise für das Exponat der immateriellen Dimension von Literatur: Alle Objekte, die im Museum ausgestellt werden, sind ihrer eigentlichen Funktion enthoben (vgl. Fehr 2015, 316). Auch musealisierte Literatur wird nicht mehr benutzt, nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr konsumiert wie vorher. Diese Veränderung bezieht sich nicht nur auf eine Modifikation des tradierten Rezeptionswegs im Sinne von lesender zu beispielsweise hörender oder sehender Rezeption. Es bedeutet vielmehr, dass sich die grundlegende Herangehensweise und das Wesen der Literatur ändern. In vielen Fällen aktueller Museumspraktiken verweilt die Literatur jedoch in ihrem ursprünglichen Status. Im Falle eines Medientransfers hingegen wird die Form geändert und die Kontrolle abgegeben. Literatur ist nicht mehr rezipierbar und interpretierbar wie im Buch. Der Transfer bedeutet, dass Literatur nicht in ihrer Ursprungsform in einen Raum übertragen, sondern davon losgelöst, individuell und unabhängig als Raum gedacht wird. Die Gestaltung des Raums kommuniziert insofern nicht einfach literarische Inhalte, sondern ist der literarische Inhalt in einer genuinen Form. Szenografie als Lehre der Rauminszenierung dient daher bei der Adaptierung von Literatur zur Ausstellung nicht einfach als ein Übersetzungsinstrument, sondern ermöglicht die Adaption überhaupt erst, indem sie durch ihren arbeitstechnischen Prozess verschiedenste Aspekte in die Konzeption einbezieht und den Status der Literatur verändert. Um diese Brücke generieren zu können, muss vor der Umsetzungsfrage oder Implementierungsidee eine intensive Beschäfti Otto Jolias Steiner hat für das Szenografie-Kompendium (Kiedaisch et al. 2020) eine These zu Szenografie verfasst, die als „kreativer Störer“ in der Publikation handschriftlich zu lesen ist. Hier schreibt er, dass die Szene auch nach dreißig Jahren Szenografie noch immer in den Kinderschuhen stecke.
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gung mit dem Raum (bzw. der Kategorie des Raums) als Ausgangspunkt des Literaturausstellens selbst stehen, die automatisch auch ein Hinterfragen der bisherigen Herangehensweisen sowie der Stellung der Institution bewirkt. Mit der oben vorgeschlagenen, neuen Fragestellung „Warum Literatur zum Raum transferieren?“, die sich dem Medium Raum anstatt Legitimationsansprüchen oder Bildungsimperativen widmet, kann eine alternative Herangehensweise an das Ausstellen von Literatur etabliert werden. Wird Szenografie folglich als Brücke genutzt, um Literatur zu transferieren, dient sie nicht als rein ästhetische Vermittlungsebene, sondern als Entfaltung einer eigenständigen Ausdrucksform. Die szenografischen Bilder und Räume verleihen der Literatur damit nicht einfach nur Materialität, sie konstruieren Literatur neu und ziehen im Sinne des spatial turn die Ausstellungsbesucher·innen in diese Konstruktion mit ein; diese verändern durch ihre Präsenz oder ihr Handeln und (ebenso wie Leser·innen) durch ihr Vorwissen und ihre Vorannahmen (Auffermann 2012) den Raum. Durch diese Ebenen der Interpretation und der materiellen Vervollständigung wird die Rezeption im Sinne eines beweglichen Kunstwerks Teil der räumlichen Literatur (vgl. Caduff et al. 2015, 11) und wirkt auch hier, wie in der textlichen Literatur, konstituierend. Literaturausstellungen werden so zu räumlichen Gesamtkunstwerken, in denen das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Ausgangs- und Zielmedium aufgelöst ist. Auf diese Art können Literaturausstellungen, wie etwa auch Literaturverfilmungen, als „eigenständige medienspezifische Ausformung der literarischen Fiktion“ (von Hagen 2013, 394) definiert werden, der die Szenografie als Brücke dient.
4 (K)ein Beispiel: A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur Die Kernfrage „Warum Raum?“ im Sinne einer kritischen Erörterung von auszustellender Literatur stellt eine Möglichkeit dar, den Kanon der wissenschaftlichen Reflexion aufzulösen, um neue Fragen zu generieren und die Problematik der Musealisierung der immateriellen Dimension von Literatur bzw. des Medientransfers von Literatur zum Raum multiperspektivisch zu beleuchten. Aus diesem ersten Schritt der Modifikation des ausstellerischen Entwicklungsprozesses werden Ansätze fokussiert, die durch die Auseinandersetzung mit Raum, seiner kulturellen und sozialen Größe auch institutionelle Hegemonien, gesellschaftliche Konnotationen, wissenschaftliche Denkmuster und solutionistische Ideen ins Blickfeld rücken. Die Beschäftigung mit der Ausstellbarkeit von Literatur und ihrer szenografischen Transferleistung hin zum genuinen Kunstwerk geht einher
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mit der kritischen Hinterfragung infrastruktureller, kulturpolitischer und wissenschaftlicher Komponenten, denn Szenografie fragt nie allein nach dem Erscheinungsbild einer Ausstellung – im Gegenteil: Um dieses zu entwickeln, muss sich auch die Gestaltung vorab mit zahlreichen anderen Komponenten beschäftigen. Kritische szenografische Arbeit geht dabei über Form und Inhalt hinaus und bezieht beispielsweise auch die Institution, die wissenschaftliche Disziplin, die Stadt und ihre Bewohner·innen mit ein. Die Kombination aus Kritik und einer auf der szenografischen Praxis basierenden Handlung ermöglicht, das Entwerfen zu einem Teil des Forschungsprozesses innerhalb der Debatte um Literaturausstellungen zu machen. Dieser Ansatz ist der Methodik des practice led research entlehnt und formt die Basis des Projekts A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur, das im Folgenden zum Abschluss der vorliegenden Ausarbeitung erläutert wird. Es stellt entsprechend meiner Kritik an der solutionistischen und eindimensionalen Suche nach neuen Vermittlungs- und Darstellungsmöglichkeiten von Literatur im expositorischen Kontext kein Beispiel für eine „szenografisch gestaltete Literaturausstellung“ dar, sondern steht exemplarisch für eine kreative und kritisch-expositorische Auseinandersetzung mit dem Thema der Ausstellbarkeit. In dem Projekt, das von mir in Kooperation mit dem Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck und dem Buddenbrookhaus | Heinrich-undThomas-Mann-Zentrum sowie den unten genannten Teilnehmer·innen im Mai 2019 realisiert wurde, wurde von neuen Fragen und Ideen unter dem Stichwort „Multiperspektivität“ ausgegangen. Es galt, neue, in der Debatte noch nicht oder wenig vertretene Perspektiven auf die Ausstellbarkeit von Literatur zu richten und Grundsätzliches zu hinterfragen. Dabei war es das Ziel, die raumschaffenden Disziplinen aus Literatur und Szenografie zusammenzubringen und mit ihren Ansätzen einen nachhaltigen Effekt für die Theorie und Praxis von Literaturausstellungen zu ermöglichen sowie ein unkonventionelles Denken und alternative Formate zu fördern. Der ausgewählte Titel zitiert Ernest Hemingways Parodie (Hemingway 1994 [1940], 308) auf Gertrude Steins berühmten Satz „A Rose is a Rose is a Rose“ (Stein 1922) und nimmt dadurch ironisch Bezug auf den Universalitätszwang innerhalb der Suche nach neuen Ausstellungsmöglichkeiten für Literatur. Damit sollte zum einen darauf hingewiesen werden, dass eine ‚ideale Literaturausstellung‘ nicht Ziel der Debatte sein kann und Ausstellung nicht gleich Ausstellung bedeutet. Der Titel stellt sich so gegen die noch immer recht homogene Praxis von Literaturmuseen, die häufig sich ähnelnde, historisierende und dokumentarische Ausstellungen produziert. Zum anderen wird mit dem Satz parodisch suggeriert, dass eine zu eindimensionale Beschäftigung mit der Ausstellbarkeit von Literatur den Möglichkeitshorizont potenzieller Ergebnisse enorm einschränkt, also entsprechend vorrangig „Zwiebeln“ statt „Rosen“ generiert.
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Abb. 1: Pop-Up-Ausstellung A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur, im Vordergrund die erste Station (Lübeck, 2019). Foto: © please don’t touch, Clemens Müller.
Das Projekt A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur, das aus einem Workshop und einer darin erarbeiteten Pop-Up-Ausstellung (Abb. 1) bestand, untersuchte an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und künstlerischer Praxis die räumliche Vermittlung von Literatur und stellte dabei die Ansichten von Schriftsteller·innen und Szenograf·innen in den Fokus. Es galt, ihre Perspektiven zum Thema der Ausstellbarkeit von Literatur sowie zum Medium Ausstellung als architektonischem Träger und/oder räumlichem Produzent literarischer Inhalte zu befragen. Sequenzen aus den daraus entstehenden Diskussionen wurden in Form einer Pop-Up-Ausstellung der Öffentlichkeit im Rahmen des Internationalen Museumstages am 19. Mai 2019 präsentiert. An dem zweitägigen, interdisziplinären Workshop nahmen die Autorin Katharina Adler, der Autor Tilman Rammstedt, das Szenografiebü ro please don’t touch aus Dortmund mit Alicja Jelen und Clemens Mü ller sowie das Berliner Kollektiv „kaboom“ mit Margaret Schlenkrich und Carolin Schmidt teil. Die Diskussion konzentrierte sich auf Themen wie Personenkulte, Literaturproduktion, Besucher·innenerwartungen, gesellschaftliche Konnotationen sowie Darstellungen abstrakter Inhalte im bzw. als Raum und hinterfragte Zwecke und Ziele von Literaturausstellungen. Am Abend des ersten Workshoptages wurde der experimentelle Charakter des Projekts auf die dazugehörige Rahmenveranstaltung Li-
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teratur trifft Szenografie: Lesung und Gespräch zwischen zwei Disziplinen übertragen, die im Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck stattfand: Das Format verband Lesung und Podiumsdiskussion und initiierte eine öffentliche Begegnung von Literatur und Szenografie. Eingerahmt war die Konversation von zwei Lesungen: Nachdem die Podiumsgäste sich und ihre Arbeit vorgestellt und ihre Auffassung des Begriffs Szenografie erläutert hatten, las Katharina Adler aus ihrem Debütroman Ida, der 2018 erschien. Nach weiteren Gesprächen wurde die Thematik zum Abschluss nochmals umgedreht und Tilman Rammstedt las seinen Text „Die Strecke zwischen Zehn und Null“ (2016), der die Kunstinstallation Oil XV/XVI der Künstlerin Isa Genzken literarisch fortspinnt. Hier wurde aus Raum Literatur gemacht. Am zweiten Workshoptag wurden die zahlreichen Ansätze aus der Diskussion des Vortages auf die Themen Zukunft, Personenkult und künstlerische Freiheit im Zusammenspiel von Medien zugespitzt. Diese dienten dem spontan zu entwickelnden Ausstellungskonzept als Grundlage. Das Konzept basiert demnach auf drei formulierten Thesen, die sich jeweils mit einem der drei genannten Themen auseinandersetzen. Den drei Thesen, die mittels Headline und kurzer Aussage in der Ausstellung textlich dargestellt sind, werden Exponate zugeordnet, die teilweise fü r die Ausstellung produziert oder aus früheren, schriftstellerischen Arbeitsprozessen von Katharina Adler und Tilman Rammstedt entnommen und zur Verfügung gestellt wurden. Die Ausstellung selbst ist als Meta-Ausstellung angelegt und weist die seit Jahren gängige wie beliebte thematische Strukturierung von Ausstellungen sowie eine zurückhaltende, ästhetisch ansprechende Gestaltungssprache auf. Die erste Station trägt die Überschrift „Keine Briefe, keine Notizbücher, keine Handschriften. Die Literaturausstellung der Zukunft wird sich verändern“ und zeigt drei Exponate, die die These auf visueller Ebene unterstützen (die Station ist im Vordergrund der Abb. 1 zu sehen). Bei den Objekten handelt es sich um ausgedruckte, digitale Dokumente, die auf der Festplatte Katharina Adlers gespeichert sowie dem Email-Posteingang und dem Laptop-Desktop Tilman Rammstedts entnommen wurden. Um die Diskrepanz zwischen den in Literaturmuseen häufig präsentierten Objekten traditioneller Literaturproduktion und der technisch bedingten Veränderung ebendieser zu betonen, wurde eine alte Schreibmaschine nicht wie sonst üblich als klassisches Exponat, sondern als Exponatträger genutzt. In der Schreibmaschine steckt das eigentliche Exponat, der Ausdruck einer Email-Korrespondenz zwischen Tilman Rammstedt und seinem Verleger Jo Lendle. Für die zwei weiteren Exponate werden klassische Exponatträger aus Literaturmuseen eingesetzt: So liegt ein Auszug des Lektorats fü r Katharina Adlers Roman Ida (Adler 2018) ausgedruckt auf einfachem Din-A4-Papier unter einer ungesicherten Vitrinenhaube und spielt mit dem Widerspruch zwi-
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schen auratisierter, resakralisierender Zurschaustellung und der einfachen Reproduzierbarkeit von zukünftigen materiellen (d. h. digitalen) Belegen der Literaturproduktion. Ein ausgedruckter Screenshot von Tilman Rammstedts LaptopDisplay, der die Ordnerstruktur zu seinem Roman Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters (Rammstedt 2012) offenbart, hängt als drittes Exponat der ersten Station in einem typischen Museumsbilderrahmen von der Decke ab. Während sich nur erahnen lässt, dass sich hinter den kleinen, zahlreichen Symbolen keine leeren Ordner, sondern die systematisch und chronologisch geordnete Komplexität eines literarischen Werkes verbirgt, proklamiert der eingerahmte Screenshot nicht nur die Abwesenheit von Zettelkästen, Terminplanern und Notizbüchern, sondern suggeriert auch ihre zukünftige Überflüssigkeit. So plakativ die Station mit ihrer These und den dazugehörigen Exponaten ist, so sehr wird die veränderte Literaturproduktion die Zukunft der Literaturmuseen in die ein oder andere Richtung beeinflussen. Darüber soll der Bereich zum Nachdenken anregen. Die zweite Station (Abb. 2) ist betitelt mit der These „Sackgasse Tasse. Der Persönlichkeitskult um Schriftsteller nimmt ein Ende. Das ist kein Verlust, besonders fü r Schriftstellerinnen“. Unter einer Vitrinenhaube wird eine Tasse exponiert, die Katharina Adler während des Workshops zum Teetrinken nutzte. Auf der dazugehörigen Objektbeschilderung ist zu lesen: „Aus dieser Tasse trank Katharina Adler am 18. Mai 2019 im Buddenbrookhaus zu Lü beck dreimal Kräuterund zweimal Schwarztee. Dies hat die Literaturgeschichte enorm bereichert. Wirklich.“ Es ist deutlich, dass mit dem Exponat und seiner Beschreibung abermals die klassisch in Literaturausstellungen präsentierten Objekte und insbesondere der damit einhergehende, mit Bedeutung aufgeladene Personenkult ironisiert werden. Der Bereich bezieht im Gegensatz zur vorangegangenen Station auch kritisch Stellung, in diesem Fall zur deutlichen Unterrepräsentation von Schriftstellerinnen innerhalb von literarmusealen Institutionen und generell im Literaturbetrieb. Auf einem Poster, das lose mithilfe von Architektenklammern an die Wand gehängt ist und ein Foto von freundlich in einer Reihe posierenden Männern zeigt, wird eine fiktive Sonderausstellung des Buddenbrookhauses beworben, die den Titel Die Männer vor und hinter dem Werk von Katharina Adler trägt. Als Rahmenveranstaltung wird auf dem Poster eine Podiumsdiskussion zur besagten Unterrepräsentation weiblicher Autorinnen im literarischen Kanon angekündigt, wobei die geladenen (fiktiven) Podiumsgäste alle männlich sind. Lediglich eine Frau wird an dieser Stelle aufgelistet, hinter deren Namen allerdings keine berufliche oder institutionelle Zuschreibung zu lesen ist, sondern der Vermerk „angefragt“ geschrieben steht. Auf der zum Poster gehörenden Objektbeschreibung positionieren sich die Ausstellung und ihre Macher·innen deutlich: „Plakat
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Abb. 2: Pop-Up-Ausstellung A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur, zweite Station „Sackgasse Tasse“ (Lübeck, 2019). Foto: © please don’t touch, Clemens Müller.
einer Sonderausstellung, die so hoffentlich nie zustande kommt, Lübeck 2019“. Ob der Persönlichkeitskult um Schriftsteller·innen in der Gegenwartsliteratur derzeit abnimmt oder stattdessen sogar ein Trend zur verstärkten Autor·inneninszenierung erkennbar ist, spielt an dieser Stelle keine besondere Rolle. Die
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These des Stationstitels ist weniger als beobachtende Aussage, als vielmehr als Forderung zu lesen. Nach den beiden Bereichen, die sich zwar in ihrer einerseits neutralen, andererseits kritischen Haltung unterscheiden, wohl aber ähnliche Präsentationsmittel anwenden, hebt sich die dritte Station leicht ab. Diese beschäftigt sich mit der Freiheit künstlerischen Ausdrucks und ist dementsprechend selbst freier und in ihrer Aussage abstrakter gehalten. Im Kontrast zu der relativ plakativen Vermittlung der beiden vorangegangenen Stationen ist hier wesentlich mehr Eigenleistung der Besucher·innen gefordert. Die These der dritten Station (Abb. 3) lautet „Wenn sich Giganten umarmen. Das Zusammenspiel von Kunstraum und Text ist unendlich. Heute: Tilman Rammstedt trifft Isa Genzken“ und deutet die Varianz an möglichen Ausdrucksformen und Überschneidungen der Medien an, sofern diese als autarke Kunstformen verstanden werden. In dem Bereich befindet sich eine Sitzgelegenheit, das Hauptexponat ist ein Kopfhörer, auf dem die Besucher·innen den von Tilman Rammstedt eigens fü r die Ausstellung eingelesenen Text „Die Strecke zwischen Zehn und Null“ (Rammstedt 2016), den er auch auf der Veranstaltung am Vorabend vorgetragen hatte, anhören können. Die Erzählung, die im Rahmen des Projekts Acht Betrachtungen II (Literaturhaus Frankfurt et al. 2016) entstanden ist, beschreibt, was der Autor in Isa Genzkens Kunstinstallation Oil XV/XVI erkennt und dreht den Transfer von Literatur zu Raum um. Durch das textliche Fortspinnen des räumlichen Kunstwerks eröffnen sich neue Schnittstellen zwischen Literatur und Kunst, die in der PopUp-Ausstellung die künstlerische, Grenzen auflösende Kombination von Literatur und Raum unterstreichen sollen. Die Besucher·innen, die sich also in einer Metaausstellung zur Frage nach der generellen Übertragung von Literatur in eine Ausstellung befinden, hören in dieser Station ein literarisches Werk, das wiederum Raumkunst in das Medium Text transferiert hat. Eine Fotografie der Installation ist oberhalb der Sitzgelegenheit in einem Bilderrahmen von der Decke abgehängt und bietet dem Publikum eine visuelle Unterstützung an. Dieser Bereich soll einen Impuls geben, sich von konventionellen Denkmustern zu lösen und dem Medium Ausstellung ein erweitertes Potenzial für Literatur einzugestehen. Impulse liefern auch die auf dem Boden zwischen den Stationen liegenden, teilweise zerknüllten Zettel, auf denen Fragen zu lesen sind, die während der interdisziplinären Arbeit des Workshops gestellt wurden: Wie hält man Nichtwissen aus? Ist das Museum der Friedhof der Literatur? Ab welchem Anteil von Text ist eine Ausstellung keine Ausstellung mehr, sondern nur noch ein sehr unhandliches Buch? Wie viel Ahnung von Literatur muss man haben, um eine Literaturausstellung zu machen? Benötigt die Szenografie den Segen der Literaturwissenschaft? Gegenüber des Ausstellungseingangs, der von außen mit einem
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Abb. 3: Pop-Up-Ausstellung A Rose is a Rose is an Onion. Über das Ausstellen von Literatur, dritte Station (Lübeck, 2019). Foto: © please don’t touch, Clemens Müller.
kurzen Intro-Text beschriftet ist, wird die filmische Dokumentation des Workshops und der Ausstellungsmontage durch einen Beamer an die Wand projiziert und ist damit ebenfalls Bestandteil der Ausstellung. Die Dokumentation zeigt nicht nur Impressionen aus dem Projekt, sondern bietet – im konzeptionellen Sinne der Meta-Ausstellung – auch einen im Museumswesen oftmals noch seltenen Einblick hinter die Kulissen der Kulturinstitution.
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Das experimentelle Projekt und die daraus entstandene Pop-Up-Ausstellung stellt keine exemplarische Möglichkeit dar, wie Literatur auszustellen sein könnte und versteht sich in diesem Sinne nicht als Literaturausstellung. Exemplarisch steht das Experiment stattdessen für den notwendigen Akt der Auseinandersetzung mit dem Ausstellen von Literatur. Die in der Ausstellung thematisierten Thesen dienen dabei als impulsgebende Grundlage, um sich der Problematik des Transfers von Literatur zum Raum multiperspektivisch zu nähern und das Medium Raum dabei als Ausgangslage anzunehmen. Das vorgestellte Projekt soll als Plädoyer verstanden werden, die Thematik rund um die Ausstellbarkeit von Literatur über erweiterte Problemstellungen zu verhandeln und sich transdisziplinär, praxisorientiert und experimentell damit auseinanderzusetzen. Auch wenn literaturwissenschaftliche Herleitungen neue Räume der Reflexion und Argumentation eröffnen können, benötigt der Diskurs zu diesem Zeitpunkt vor allem heterogene Perspektiven, die die Ausstellbarkeitsdebatte selbst und literarmuseale Institutionen kritisch beleuchten sowie Literatur als Raum erproben. Damit widmet sich die Debatte um Literaturausstellungen nicht einfach einem ökonomisierten Innovationsimperativ, sondern leistet einen nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung expositorischer Ausdrucksmedien, die sich als eigenständige literarische Kunstform mit Fokus auf künstlerische, kulturelle, gesellschaftskritische und soziale Fragestellungen etablieren. Das impliziert nicht die Deklaration von Szenografie zur Kunst und von Ausstellungsmacher·innen zu Künstler·innen, sondern fördert eine neue kritische Praxis des Literaturausstellens durch die szenografische Perspektive sowie ein Bewusstsein für die Autonomie von Literaturausstellungen gegenüber ihrer Wissenschaft und ihrem Ausgangsmedium.
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Literaturszenarien und Ausstellungsräume
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Murders in a Museum: Agatha Christie’s Greenway and the Reconstruction of her Work Universe If a writer’s house is a place of memory and preservation, it also questions the process that introduces fiction in the real world. Greenway (Devon, Great Britain) was the grand estate that was home to the world-famous British writer Agatha Christie and was used in several of her novels, designated therefore as a world heritage site in 2004. This proposition aims to question the passage from time to space that involves the encounter between the real world that pre-existed to the fiction it shelters and the writer’s imaginary boundaries where the themes of her work assert themselves. Greenway is a place to get to know Agatha Christie, to sneak beyond the curtains of time and place and discover the personal world of the Grande Dame of the English murder mystery. This analysis will try to describe the tension between sacralisation and humanisation of the writer, a tension triggered by the introduction of a visitor within the private universe of Agatha Christie and bringing to the fore the encounter with things that present the absent writer.
1 The “loveliest place in the world” Still recognisable from the description in Dead Man’s Folly, the approach to Greenway by road remains unchanged since Agatha wrote these words in 1956: They drove away from the station over the railway bridge […] the road forked and passed into thick woods […] then through big iron gates, and along a drive, winding up finally in front of a big white Georgian house looking out over the river. (Christie 1989, 13 – 14)
Set on a wooded hill, high above the River Dart, the site was first chosen to build Greenway Court in Tudor times, then was demolished and being replaced by today’s house, built in the 1790s, following the Georgian style, with a park laid out in the following years, along the style made fashionable by landscape architect Humphrey Repton. Purchased just before the war, Greenway House is still Agatha Christie’s most well-known residence, which she got for a pittance and which she renovated almost entirely (Thompson 2007, 310).
https://doi.org/10.1515/9783110691566-010
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Born and brought up in Torquay, the Queen of Crime, Agatha Christie had known Greenway from childhood. In her biography, she described it as “[a] white Georgian house […], with woods sweeping down to the Dart below, and a lot of fine shrubs and trees”, declaring, it was “[t]he ideal house, a dream house” (quoted in Thompson 2007, 309). She bought it in 1938 and this grand estate became a holiday haven and until her death in 1976. Christie used the area that surrounded Greenway Estate in several of her novels, which was one reason why it was designated as a World Heritage Site in 2004.¹ The main rooms open out from a central hall, leading to a drawing room, then a sitting room with long white windows. It is a famous mansion, purely evocative of her Devon’s past, but not a house of her imagination even if the place may appear too beautiful to be real. “The house only isn’t enough”, Agatha wrote in Endless Night (Christie 2007 [1967], 31), “It has to have the setting”. Beauty is not enough, it needs warmth and humanity. Agatha Christie described Greenway as “the loveliest place in the world”.² With a long history dating back to the 1490s, the house still retains features added by all generations of occupying families. Now managed by the National Trust, the property offers visitors an extraordinary glimpse into the private life of the Queen of Crime and her family. One of the main draws for the literary tourist to visit a writer’s house or museum consists of its potential to bring the visitor into some special kind of contact with the writer and the writer’s influential environment. With its rich historical interior and the wildness of its garden, Greenway stands as a perfect site of encounter that locates and embodies both Agatha and the cultural figure she would come to be. Agatha Christie fed a strong passion for houses. At one point in her life, she was at the head of eight residences. She bought dilapidated houses in London, renovated them and sold them furnished. Sometimes she would rent them or live in them with her second husband. As a child, she enjoyed “building houses with bath towels draped over chairs and tables to make houses that you come out of on all fours” (Christie 1977, 116) as she wrote in her autobiography. Little Agatha loved her dollhouse. She bought so much furniture that she wanted a second house. Her mother offered her a cupboard as an expansion room. Agatha placed the first house under the cupboard, which gave the residence six storeys. Once a week, the people of her little fictional world living in the house had to move away to a new place.
The idea of the writer’s home as a “gateway” is presented in Bonniot-Mirloup and Blasquiet 2016. Agatha Christie to Max Mallowan, 27. October 1942, quoted in Thompson 2007, 309.
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Agatha loved moving in real life, too, and went through strong emotions with her houses. She experienced the scourges of the housing shortage and overly high rents. She spent hours pouring over the classified ads in the newspapers. She experienced living in the suburbs and then purchased her first home. Searching for a house was one of her favourite hobbies. She lived the pain of returning to an apartment after her first husband abandoned her. One of her houses was hit by a bomb. Another one was loaned to refugees and then, Greenway, her favourite dwelling, was requisitioned by US marines in the Second World War. She actually depicted some of her houses in her books, and this created images that have remained vivid in readers’ minds. Christie loved giving names to the houses of her murderous inspirations: Styles Courts, Ashley Grange, Swinley Dean, Fernly Park, End House, Chimneys, and of course Nasse House, most easily identifiable as Greenway (see Baylac 2019). She loved these houses that had a multitude of rooms, unexpected steps, staircases and pianos as well.
2 Crime scenes While turning her houses into a sort of three-dimensional game board, Christie slightly reconstructed premises, objects and also characters to act out the various plots of her 76 novels, 158 short stories and 15 plays. Many of them took place in large old English mansions that she actually lived in, and her settings also evolved to include modern houses or apartments, as well as trains, pleasure boats and archaeological encampments. Many of her murder mysteries are set in a specific place that gathered an array of potential suspects. Such a technique finally gave some houses new identities as places of intrigue, and such is the case of Greenway. Agatha Christie set three of her novels here, Five Little Pigs (1942), Dead Man’s Folly (1956) and Ordeal by Innocence (1958). In Dead Man’s Folly, Greenway appears as Nasse House. ³ Inspector Poirot himself comments on “the superb and noble mansion” and Mrs Folliat, the former lady of the estate who still lives in the lodge adds: “There was an Elizabethan house previously. It fell into disrepair and burned down in about 1700. Our family has lived here since 1598” (Christie 1989, 16). Agatha probably longed for being, like “Mrs Folliat of Nasse House, daughter of a long line of brave men”. As a child, she declared to her father that she wanted to become a noble person: “‘Dad, when I grow up, I want to become a Lord. I want to be Lord Gabriel’. ‘And that is what you’ll never be’”, her father answered, “‘You’ve got to be born that
In Ordeal by Innocence, the house appears as Sunny Point House.
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kind of a Lord’” (Christie 1977, 63). Though Agatha took deep pride in having bought the mansion with its beautiful grounds, she regretted not to be one of those who did not need to work to buy houses. She explored that idea in The Rose and the Yew Tree (1948, published under the pseudonym Mary Westmacott), a complex class concerned novel: “But it was nevertheless a sordid room, […] she was there in the midst of it, exactly as she might have been in the midst of a desert. […] It was not her house” (Westmacott [Christie] 1948, 228). In Dead Man’s Folly, the story begins with a group of people playing a murder-mystery game that turns into a genuine murder. In this postmodern approach, Christie makes a deliberate self-conscious reference to the fact that, if the characters are engaged in a game – which proved to be a deadly one – the readers still play their own part. Like the Christie family, disturbed by the hikers who would come up and peer at them having lunch, the owners of Nasse House are being annoyed by the hikers from the nearby youth hostel, regularly trespassing on the estate. The Greenway Quay bell is used to summon the ferry to Drymouth (hiding the real Dartmouth), and the boathouse serves as a gloomy backdrop to the murder of the young Marlene Tucker. The charming cottage by the river, as well as the battery garden, are also mentioned in Ordeal by Innocence, proving these elements can operate in various combinations. Beyond their material appearance, they provide an ideal framework to perform imagined plots. They serve as a tool of thought and action that violates order in an ideally innocent society, and brings it into a state of chaos. Agatha Christie’s house definitely served as a real theatre where life could be lived if only performed.
3 The secret life of things While visiting, we go through the secret life of things. The Baghdad chest displayed in the hallway of Greenway discloses Agatha’s travels with Max on their archaeological digs as well as a creepy and fictional item; in The Body in the Library (1942), the container is used as a hiding place for a corpse. How the chest acted upon and was used by Christie’s protagonist unveils a subject-object relation. Not only does it reveal part of the world in which the story was written, it significantly provides some kind of mnemonic device that blurs the frontier between the material relic and the fictional world to which it has been ascribed. In “Thing Theory” (Brown 2001), Bill Brown’s essay, the question is raised as to whether or not a theory of “things” is possible. He suggests that things might be best understood not by staring at them but by beginning with the work things perform and how that work informs a subject-object relation in specific contexts. Brown calls this reading of things a “materialist phenomen-
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ology”, that asks how the encounter between human subjects and material objects constitute one another, adding to the search of meanings, the search for meanings in things. Such a relation of nearness is brought by the encounter with “resonant things” in Greenway. By “resonance”, Greenblatt meant: The power of the object displayed to reach out beyond its formal boundaries to a larger world, to evoke in the viewer the complex, dynamic cultural forces from which it has emerged and for which ‒ as metaphor or, more simply, as metonymy ‒ it may be taken by a viewer to stand. (Greenblatt 1990, 19)
Following Greenblatt, the concept of resonance particularly operates in the multi-layered significance of a doll: if encountering Agatha’s doll resonates a sense of the writer, the moment she may have cherished her beloved toy, tirelessly combing her hair, a particular moment of her young life when her imagination began developing, already setting up stories with a whole range of characters, then the barrier between the past and present, between the writer and her visitor or her reader is elided in that the thing brings whole sets of relations to the fore. The porcelain doll, on display in the Morning Room, becomes the privileged object that once mirrored Agatha’s particular affect, while disclosing now its own vulnerability. Her thin and sparse hair contrast with the long and voluminous hair of the very same doll, Rosie, that Agatha, by the age of four, was clutching with emotion in Douglas John Connah’s portrait. With its mute eloquence that conveys a sense of exalted attention, the doll becomes madeleine-like⁴, an object of association – a metonymical thing that brings to presence both historical events and the absent individual to whom it was once – and still is – ascribed.
See Marcel Proust’s In Search of Lost Time for his famous description of involuntary memory brought on by the taste of a madeleine biscuit suggesting that the object, once it has provoked our memory, connects us with a form of affective remembrance: “I feel that there is much to be said for the Celtic belief that the souls of those we have lost are held captive in some inferior being, in an animal, in a plant, in some inanimate object, and thus effectively lost to us until the day (which to many never comes) when we happen to pass by the tree or obtain possession of the object which forms their prison. Then they start and tremble, they call us by our name, and as soon as we have recognized them, the spell is broken. Delivered by us, they have overcome death, and return to share our life. And so it is with our own past. It is a labour in vain to attempt to recapture it: all efforts of our intellect must prove futile. The past is hidden somewhere outside the realm, beyond the reach of intellect, in some material object” (Proust 2004, 59).
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4 Touching and being touched Writer’s houses often tend to discourage physically touching the objects. In Greenway, visitors are allowed a greater degree of access to the things themselves: you can play the piano, you can have your lunch in Agatha’s kitchen, providing you have booked your meal in advance, you can sit wherever you don’t see a thistle laid on a sofa or armchair.⁵ These restrictions are twofold: if not physically handled by the visitor, the thing cannot be worn. But more important is the retaining of a sense of contiguity with Agatha who, last, touched these items: Clothes hanging in her bedroom give an instance of nearness that brings back Agatha to life. If emotional effect stands in physical contact, then seeing is also touching, as eyes are limbs. Touching this way is also being touched, and enlarges the very concept of contiguity. The idea of contact or contiguity makes the objects fit for the task of evocation. A sense of material marking made obvious, for instance in the living room, with the cobra doorstop adorned with a cork on its tongue to avoid scraping Agatha’s legs each time she would enter the room. While signalling an action, the cork is also a mark that means a having-been that many visitors of a writer’s house may be hoping to feel when they visit. This is not just imagining what it was like during Agatha Christie’s times but experiencing the writer’s former presence through its history and material survival, through a kind of synchrony: what had existed previously before is now present under the eyes of the visitor through a sort of reverberating encounter, an echo from a preceding source (see Greenblatt 1990). Rather than objects that simply respond to a receptive human subject, things considered in a house or museum can provoke encounters with a subject (the visitor/reader), conjuring memories, abstract associations and felt presences. In What Is A Thing? Martin Heidegger elucidates sustained considerations about things, therefore defining the “thingliness” of things: “We are individual subjects and egos, and what we represent and mean are only subjective pictures which we carry around in us; we never reach the things themselves” (Heidegger 1967, 11– 12). While emphasizing the subjective nature of our encounters with things and references, Heidegger defines the elusive nature of things as entities we cannot know and which always have aspects that are hidden from our view.
“The idea of literary pilgrimage, complete with secular shrines and relics, anchors the thought that standing in an author’s room brings us closer to the impalpable atmosphere which spilled naturally over from writers’ lives into their books” (Young 2015, 231).
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Such is the case of the changed assignment of things on display in a writer’s house; Agatha’s typewriter set in her bedroom shows the transition from things used for writing to things used for remembering with. If particular attention should be given to those items that are dedicated to the material production of Christie’s work, such as her typewriter, notebooks and the books she read, it is because these are more than objects, more than “mere things”⁶ as Heidegger would have suggested: they actually are tools, particularly meaningful in the context of a writer’s house, playing a key role in what made Agatha Christie famous and well-remembered. There’s an autographic quality that is linked to the typewriter but also a deeper connection with her production, providing a strong visual entity of the origin of Agatha’s fictional world and a kind of access to literary creation.
5 A space for literary creation Visitors to a writer’s house want to experience a strong sense of connection to his or her work through contact with the space dedicated to writing, taking a close look at objects that supported the writer’s creation and at the premises where treasured novels were born. In his introduction to Literature and Tourism, Mike Robinson and Hans Christian Andersen assert: As creative people, some writers become great sources of inspiration to their readership, who are not content merely to read and collect their works. They may also want to visit the writers, homes, in order to connect with the space where “great” books came into being, to walk where the writers walked, to see what the writers saw. (Robinson and Andersen 2002, XIII)
Agatha’s notebooks, which can be flipped through by the visitor in the library lounge, may well stand as the predominant artefacts much sought after during a visit. They show the evidence of the way the writer worked on her detective mysteries. For example, the placement of the words is indicative of the order of thought, considering the implication of each word in relation to her scene and characters. One note asks: “The actual plot?”.⁷ This is the record of Agatha’s form of thinking, wondering, hesitating, a note written without the intention to be read but by her. These notes trace the proof in ink inscribed by Agatha’ own See Heidegger 1996, 63 – 110: “The Worldliness of the World” (Being and Time, Part I, Division I, Chapter 3). Agatha Christie’s private notebook, available to Greenway House’s visitors, accessed 28 August 2019.
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hand of the very process at work in her detective novels. It is a kind of evidence informing the reader of the dynamics, as a trace of thought itself. It sets a boundary like a footprint in the snow; it delineates a space that retained a trace of something beyond the life of the writer. It has the ability to evoke both the mind and body of the author. It reveals the unique expression of the writer, works as a telling metaphor for one’s attributes.⁸ Her notebooks are still capable of enacting a strong presence, tangible thoughts that can be quite easily reactivated by the visitor because they are central components in the affective experience of an author’s writing. Referring to The Poetics of Space, such a house is “a domain of intimacy”, Gaston Bachelard definitely suggests that the “domain of intimacy” is a domain in which psychic weight is dominant and that domains of intimacy are never repellent (Bachelard 1994, 12). Such a definition upholds the concept that the physical starting point of a creation belongs to the creation itself and supports the power of daydream and reverie in writers’ houses.⁹ Providing a brief description of the “deep sympathy” that can occur in the writer-reader relationship, Bachelard suggests that an aspect of “the joy of reading appears to be the reflection of the joy of writing, as though the reader were the writer’s ghost” (Bachelard 1994, XXVI). In a writer’s house, this sense of intimacy with the house’s former inhabitant is heightened because of the imagined intensity of the creative act: here is where the author’s great work was written – an idea often supported visually by desks and chairs, pens, papers and copies or drafts of the writer’s work.¹⁰
6 The resonant effect of things Resonant things in the house have the outward quality of an event that is just palpable. They are things provoking imagination and calling the absent writer to mind. As Anne Trubek wrote:
See Ingram in his introduction to The Philosophy of Handwriting when he states that “[i]n perusing the veritable handwriting of a celebrated person we seem brought into personal contact with him” (Ingram 1879, 3). Such a sense of “inhabitance” that may occur between a reader and a writer is also suggested by Poulet, according to whom an act of reading may well be defined as “a thought which manifestly belongs to another mental world, which is being thought in me just as though I did not exist” (Poulet 1969, 54). As Bachelard notes of houses in general: “If I were asked to name the chief benefit of the house, I should say: the house shelters daydreaming, the house protects the dreamer, the house allows one to dream in peace” (Bachelard 1994, 6).
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They [writers’ houses] show a desk as a physical site of literary creativity and ignite and continually frustrate our desire to fuse the material with the immaterial, the writer with the reader. They aim to make real acts of literary imagination. They fool us in showing the site of creative genius. (Trubek 2011, 5)
The perception of things as authentic in a writer’s house is linked to the idea that these objects have been declared as autographic by ascription, and have therefore retained a sense of integrity. For instance, authenticity is much attached to Agatha’s handwriting as it brings the viewer into a sense of contact with the writer. It acts as a sort of close up on her mind as if it were able to manifest the writer’s thoughts.¹¹ These are objects whose histories matter. They can’t be replaced or modified and their authenticity is often signalled in a house or museum. Their relevance adds to the belief that this house is more a museum than a house: the special status conferred by protection and conservation isolates them as being unique and deepens the belief that the visitor has entered an area marked off from other spaces and enhanced by the process of admittance.¹² When the setting is felt to be authentic, the experience of the visitor might well be characterized by a presence that comes from authenticity, exuded in the furnishing, in the artefacts that Christie bought during her oriental travels, by the reading of the words that she wrote in the confession book, a whole setting that is haunted and enlivened by the resonant effect of things that lived alongside the writer. How do things present the absent individual with whom they are associated? Why do some categories of things seem especially fit for the task of giving an idea of the presence of the writer? Before the visitor leaves Agatha Christie’s house, one of the last belongings that may be glimpsed at is Agatha’s neatly folded mackintosh on a chair, and her boots ready to be put on before a last stroll in Greenway garden. Clothes are particularly fit remembrances because of their evocation of both temporal past and the absent body. They work as if they were permeated with a lasting sediment of their owner. The perception of emptied-out clothing on display does not reflect its original utilitarian use but rather the stat-
“A writer’s house exposes ‘the heartbreaking’ gap between writers and readers […] it has become a theatre of Zeno’s paradox: writer and readers are already severed from the act of writing” (Trubek 2011, 5). Tetley and Bramwell note in “Tourists and the Cultural Construction of Haworth’s Literary Landscape”: “Too much tourism research has assumed that people are not in active negotiation with their material and symbolic environment, but are passively shaped by it. It is contended here that when people visit a literary destination they make their own sense and value, their own knowledge, albeit negotiated within a myriad of influences” (Tetley and Bramwell 2002, 157).
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ic embodiment of a once present human being. It stands as a frame of the former body, but is severed from its original use, becoming an object for contemplation that gives a sort of ghostly sense of Agatha’s body. It also suggests that certain categories of things have qualities that allow them to serve as testimonials, standing-in-for and eliciting a sense of the absent individual with whom they were once connected.¹³ In doing so everyday objects undergo a metamorphosis: ceasing to be everyday tools fit for a specific task – for wearing, for sitting, for writing with – performing their metonymical function and becoming sacred tools for remembrance. A house is not an especially ideal site for a museum. It is both private and public. But then the magic of the visit itself happens, a journey back to a source of nostalgia, to a venerated place at which one gazes with due deference. Those who admire Christie will understand this attachment, while those who don’t, may find it pathetic. Julian Barnes tells the story of a lady who always exuded “a faint and disagreeable smell” (Barnes 1985, 1). When she died they discovered around her neck a sachet containing the remnants of a cigar butt that had been smoked by Liszt some 30 years ago. Lighting a cigar in the fax room that overlooks the gardens to the River Dart, Inspector Poirot himself could have said: “It feels as if Agatha was still there”.
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“A writer’s house may function as a repository of memories linked to objects or spaces, as an archive which documents a person’s intellectual and emotional biography” (Hendrix 2008, 5).
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“Jane Austen in 41 Objects”: How Literary Museums Narrativise Authors and Objects 1 Museums as narrative environments In the context of the recent research interest in the intersections of space and narrative, Marie-Laure Ryan and others have shown how museums use storytelling as a tactic to organise and mediate their contents. For this purpose, they deploy a range of storytelling media such as architecture, design, texts, human guides, audio guides, films, electronic media and material objects (Ryan et al. 2016, 203‒205). Literary museums, and in particular writers’ homes museums, however, differ in some respects from the narrative storylines developed by history museums. They create narrative environments organised around an author’s life, and also metanarrative environments concerning the production and reception of literature itself. Writers’ homes put the intersection of authors’ works, lives, places, and in some cases very specific biographical situations into focus: in the museum’s concrete and material spaces as well as in the virtual spaces of museum websites or virtual exhibitions. The stories they tell are diverse: apart from their obvious focus on the creative process, they can revolve around family, friends, history, politics, social issues, religion, and, perhaps most obviously, the “practices of everyday life” (de Certeau, 1988). Added to that, museums also often cover posthumous contexts of reception and appreciation, for which the museum itself is a metonymic example. These narrative features of a writer’s home are authorised and mediated by museum planners and designers, sometimes with an explicit storyline built on chronology, sometimes multiple stories organised around themes. Arranged in a spatial way as a tour through the museum, they create a narrative itinerary along which visitors are directed (Ryan et al. 2016, 181). If one defines a writer’s home museum as a narrative environment in which multiple stories can unfold, it is worthwhile looking at the agents of the stories; in other words, at the modes in which space, objects and texts intersect and correspond in the making of a storyline. Material references to literary production such as the writer’s desk, inkstand or typewriter are obvious symbolic markers in a writers’ home museum which need little narrative framing; other, less conspicuous objects need narrative support in order to become a meaningful element in the overarching storyline. Just like in a literary story a sequence of narrative events creates causal connections and coherence, the stories a writer’s https://doi.org/10.1515/9783110691566-011
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home museum tells are anchored in its building and collection of material objects. They invite visitors not only to immerse themselves in the spatial experience of a writers’ house, but also in the narratives inscribed in the museum’s space. These narratives invite some analytical questions: In what narrative forms, with which components and to which end are they mediated? How are the museum’s architecture and its objects deployed as narrative agents? And do virtual spaces tell more complex, polyvocal, and perhaps less linear stories than the prescripted, often circular tour through a museum would suggest?¹
2 Stories The experience of a writers’ house museum as a story is based on the interface of three narrative components: texts, architecture, and objects. Texts – in form of inscriptions, posters, labels and signs – provide content, timeline, or narrative structure and have an auxiliary function. They serve as economical sources for factual information such as biographical overviews in form of chronological tables or posters. This is the principal axis along which more detailed, often thematically framed information is arranged around spaces or objects. Explanatory texts belong to the museum’s metalevel of touristic organisation and exegesis, and complement its architecture and objects which are marked as authentic, or even auratic. In order to allow visitors a potentially undisturbed “authentic” experience of a writers’ house museum, many museums tend to deploy textual signs sparingly in an author’s house and shift or relocate them either to a neutral room near the entrance or into another medium such as oral information given by a tour guide or an audio guide, or a film. As Lessing has indicated in Laocoon. An Essay upon the Limits of Painting and Poetry from 1766 (see Lessing 1887), in which he compared the different modes of sensory experiences in painting or sculpture on the one hand, and poetry on the other, the visual arts’ dominant mode of presentation is “nebeneinander”, parallel, whereas poetry presents things “nacheinander”, sequentially and in a certain order. Lessing’s observation is a good starting point to think about how museum spaces and narratives relate with each other and what function embedded objects in a poster, a story or anecdote may serve.
Many of the arguments and ideas for this paper evolved during the conferences hosted by the research group of TRAUM (Transforming Author Museums), funded by the Norwegian Research Council. I owe my colleagues sincere thanks for their inspirational discussions.
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As much as readers are used to associating authors with their works in hardcover or paperback bindings, writing is of course a process, often involving many drafts and revisions. Literary museums visualise this process in different ways – putting manuscripts on display which show different versions of a text, representing a literary work’s way from handwritten drafts to print and translation, or staging the cliché of the writer’s room as a space still in use – as Nicola Watson (2020, 103) has put it, “a quill left casually on a flat surface does all the iconographic work desired”. Apart from the hard facts of biographical information – usually arranged on posters or signs – museums often emphasise anecdotal details from a writer’s life. We appreciate anecdotes because through them we can catch a glimpse of an author’s personality. Anecdotes have spotlight character, they leave room for interpretation, they don’t aim at giving one final and complete picture, and they are the most fleeting narrative form, often primarily mediated orally through a museum guide or audio guide. In the narrative environment of the museum, the anecdote has an especially important function as a medium which is potentially gossipy and emotional, can create moments of surprise and emotional tension, and is therefore apt to catch the visitors’ attention. As a popular biographical genre, the anecdote dates at least back to the biographical surge in the late eighteenth century. John Gross (2006, VIII) claims that even though literature “no longer occupies as commanding a place in our culture as it once did”, the interest in anecdotal news about authors hasn’t in any way diminished, and he concludes: “sometimes it seems as though people have become more interested in reading about authors than in reading their work”. What is true for living authors is equally true for dead authors, as long as they have a museum. New Historicism has ennobled the anecdote as not only a literary device to catch the reader’s attention but also as a form which unmasks the ideology, mindset and context of a given historical moment through the depiction of a social situation or encounter. However, the anecdote is not always historically trustworthy – part of its charm lies in the perspective and emphasis it puts to a particular historical instant. Anecdotes woven around a writer’s life may be entertaining, moving, perhaps voyeuristic, but they are often epistemologically dubious. To give an example: for the description of the everyday life circumstances of the Brontës, the Brontë Parsonage Museum in Haworth draws heavily on Gaskell’s prejudiced biography of Charlotte as if it were a factual report. For her book, Gaskell (2009 [1857]) had relied on over 600 letters by Charlotte Brontë and taken the self-reconstruction of the author at face value, using the epistolary persona as a model for her book. The Brontë Parsonage Museum does not engage in a critical review of Gaskell’s hagiographic approach. She is consulted as the authoritative biographer whose voice authenticates the museum’s objects and Charlotte’s bi-
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ography. “Elizabeth Gaskell recounts” is a much-repeated phrase in the museum’s commentary to the rooms and objects which initiates many amusing anecdotes – such as, for instance, about a conversation between Charlotte and her father: Elizabeth Gaskell recounts how when Charlotte, carrying a copy of Jane Eyre and some reviews, marched into her father’s study, the following exchange took place: “‘Papa, I’ve been writing a book’. ‘Have you, my dear?’ and he went on reading. ‘But Papa I want you to look at it’. ‘I can’t be troubled to read MS’. ‘But it is printed’. ‘I hope you have not been involving yourself in any such silly expense’. ‘I think I shall gain some money by it. May I read you some reviews?’”.²
This example shows the power of anecdotes to provide highly selective and biased biographical details, contextualised in the dominant ideologies of their time. It highlights the gap between then and now, between Victorian and contemporary notions of female authorship, and it confirms the Victorian image of the reticent, modest woman author. The contrast becomes even more obvious in the representation of Jane Austen in Jane Austen’s House Museum in Chawton. The information conveyed through artefacts and anecdotes complies with Austen’s image constructed by twentieth-century feminism and the heritage industry: sharp-tongued, witty and fierce Jane, the genius Jane, fuses with the domestic, secluded spinster, the woman whose material remnants also give us an insight into the mundane details of a person living in the Regency period. Most museums strike a successful balance between the focus on the famous writer and his or her everyday life. Family photographs or portraits, spaces such as the bathroom or kitchen, are details that bring a mostly hagiographic representation of an author down to a more common, sometimes even ethnographic level. Writers’ clothes similarly situate them in their domestic environment, and although Nicola Watson certainly has a point in arguing that clothes preserve the most intimate and truthful form of its wearer – and thus are likely to be seen as fetishised objects (Watson 2020, 73 – 92) – one should not forget that clothes exhibited in a writer’s house always also connect writers with the domestic. Many writers’ home museums see their responsibility not only in the representation of a writer, but also the historical domestic context. The Jane Austen Museum at Chawton invites visitors to emulate a Regency practice of creating little scented sachets by filling them with lavender to take away as a memento of the domestic Jane Austen rather than the
Brontë Parsonage Museum. Inside the Parsonage. Mr. Brontë’s Study. https://www.bronte.org.uk/museum-and-library/inside-the-parsonage/mr-bronte-study (27 July 2020).
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writer. This association of the writer and the domestic is certainly gendered, and there are many more examples for the emphasis of a female writer’s involvement in household matters – Emily Dickinson’s fondness of baking being just one of them. On a virtual tour through Dove Cottage produced by Future Learn,³ viewers are introduced to Dorothy Wordsworth as William’s sister and “importantly a writer in her own right” (0:11). But the further the narrative continues, the narrative concentrates on Dorothy the homemaker. Not without a feminist tinge, because the speaker, Sharon Ruston (Lancaster University), sees the kitchen as the domestic feminine centre and makes it very clear that for a single woman with no means this was an unusual opportunity to create a home for herself and her brother’s family. More and more, the narrative moves towards the very mundane – the portrait of Pepper the dog, a porcelain box containing wooden sticks which Dorothy would have used to clean her teeth. A short shot of William’s room identifies it as the place where he wrote his poetry, whereas Dorothy, who is described as a prolific and competent diarist, remains a writer without a place in this video. The camera then moves outside into the garden towards a small wooden veranda, which is, according to the speaker, possibly the place where she might have written her journal. The authority of a writer at his or her desk is not attributed to Dorothy, the move of the camera contradicts the speaker’s emphatic emphasis on Dorothy as a remarkable writer in her own right. In this film, objects and images clash with the narrative: the objects refer to the domestic woman whereas the presenter seems to emphasise her literary credentials. Such narratives, presented in real or virtual museum spaces, can indeed transform the “nacheinander” of a sequential route through a writer’s home into the “larger literary nebeneinander” of different stories, which do not necessarily form one coherent story but illustrate various and different aspects of a writer’s life and time. They mostly go beyond the merely biographical and open up historical, social and literary contexts, thus creating, as Alison Booth has called it, “collective biographies” (Booth 2012, 231– 246) which contextualise a writer’s life and work within a larger cultural field.
Future Learn. Explore Dove Cottage ‒ once home to Dorothy and William Wordsworth. https:// www.youtube.com/watch?v=pXE6htrzCZw (27 July 2020).
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3 Architecture and design The architecture and interior design of an author’s home can develop narrative power of its own and relate stories about a writer without any textual support. Depending on writers’ individual investment, their homes can be read as expressive self-portraits. A distinct and rather recent feature of many writers’ home museums is the museum’s attempt at avoiding every sign of its own museality. Instead, the emphasis is put on the place as a lived-in place where the writer is still very much present. Kipling’s pipe in an ashtray on his desk at Bateman’s House is only one example of how museums display writer’s personal objects as common symbolic markers of their lasting presence. A myth held up by the publishing industry and by enthusiastic readers alike, namely that dead authors live on in their works, is transformed into a scenario where the writer’s house performs a co-presence of two overlapping time frames: the writer’s own and the visitors’. The website of the Robert Frost Stone House Museum in Vermont tells visitors how “on a warm June morning in 1922, Robert Frost sat down at his dining room table in southern Vermont and wrote ‘Stopping by Woods on a Snowy Evening’”.⁴ The museum put a facsimile of the manuscript on the wall of the dining room, and visitors are invited to take a seat at the table like the poet, browse through the papers on display, and take up a pen and compose a poem of their own. Dylan Thomas’ writing shed of the Boathouse in Laugharne, Wales, where he spent the last four years of his life, is designed in complete contrast to a typical museum setting (fig.1). It creates the fiction of a “the writer has just left” situation by means of an artfully calculated chaos, telling a story of drink and depression (with empty bottles, and cigarette ashes on the table, pieces of clothing lying around), and creativity (with many crumpled sheets of paper on the floor and in the waste-paper basket). This arrangement is so obvious and telling, that no further information about Thomas’ psychological condition or his writing habits is needed. The National Trust has divided Monk’s House, Virginia and Leonard Woolf’s home in Surrey, into separate narrative spaces which each tell different stories. The scenario created here is, as the museum’s website declares, that of a still lived in house in which the writer’s presence is visible: “Leonard and Virginia’s personalities saturate the house and it should feel as if they have just stepped out for a walk”.⁵ This effect is strengthened by a complete absence of museum
Quoted from Rathke 2018. National Trust. Monk’s House. https://www.nationaltrust.org.uk/monks-house/features/ monks-house (27 July 2020).
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Fig. 1: Dylan Thomas’ Writing Shed in Laugharne. © Bryan Ledgard 2015. https://flickr.com/ photos/97355030@N00/17086083038 (Creative Commons).
markers such as signs, explanatory posters etc. Instead, the National Trust has guides in each room to answer visitor’s questions, and strengthens the writers’ presence by obvious paraphernalia as, for instance, political letters on Leonard’s desk or – what else would one expect – writing paper, a pen and a pair of reading glasses on Virginia’s desk. Walter Scott’s home Abbotsford in the Scottish Borders is not only an eclectic and heterogeneous compilation of various historical architectural styles and artefacts, but it was designed deliberately as a particular material setting which could inspire the author to write his historical novels. Ann Rigney has pointed out the complex ways in which Abbotsford and Scott’s novels were enmeshed in a Gesamtkunstwerk, an artistic synthesis in which the author’s home becomes a “natural extension of his writings” (Rigney 2012, 147). A similar, contemporary example of such an expressive use of architecture – although not a house built by an author – is the Knut Hamsun Centre in Hamarøy. The architect Steven Holl has visualised objects and scenes from Hamsun’s novel Hunger (1890) into striking architectural details, translating the visual quality of Hamsun’s prose into a spatial experience. Similarly, Hamsun’s biography is accentuated spatially – the most controversial and dark period of his life, his fascist leanings and support of Quisling and the German occupation of Norway, is located in a gloomy recess of the museum. A museum’s narrative environment is not necessarily limited to its architecture but can incorporate gardens or landscape. As trees have a longer life than humans, they often provide a material connection with a writer. The famous
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elm trees at Monk’s House under which the ashes of Virginia and Leonard are buried are a rare case of a writer’s ongoing material and spiritual presence in the museum grounds, but there are other ways of establishing a writer’s particular association with natural objects. Rather than removing the stump of an old apple tree planted during Kipling’s lifetime at his home Bateman’s house, the gardeners have turned it into a trellis for clematis as a symbolic bridge back in time (fig. 2). The Robert Frost Place in Franconia, New Hampshire, has replanted an orchard around the house, illustrating a connection with Frosts famous “After Apple-Picking” poem. Similarly, the museum has created a small literary trail in the vicinity of the house with Frost’s poems mounted on wooden poles (fig. 3). The artificial arrangement of the trail does not point to a specific moment of literary creation but rather to the inspirational power of nature and the connection between experience, perception and literary creation which visitors may emulate while walking the trail.
Fig. 2: The Kipling Tree, Bateman’s House, UK. Photograph: B.S.
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Fig. 3: The Robert Frost Trail, Franconia, New Hampshire. Photograph: B.S.
If the idea of a writer’s home is associated with presence and continuity, the facts of many writers’ itinerant lives, disrupted by political exile, poverty, or war contradicts such notions of longevity. Writers often leave fleeting traces in houses lived in for some years. Furniture and belongings are moved from place to place and are often later dispersed. Thomas Mann serves as an example of a mobile writer over long periods of his life, whose itinerant biography is mirrored in the checkered history of attempts to establish a Mann museum in one of his houses in Bavaria. Born in Lübeck, he moved to Munich as a student, then to Italy for a short period, and back to Munich where he lived with his family in the city and during the summer months in houses in Lithuania or the Bavarian countryside. In 1933, Mann and his wife emigrated first to Switzerland, later to California, and returned to Switzerland after the war. His birth city Lübeck hosts the Thomas und Heinrich Mann Centrum in the literary museum Buddenbrookhaus but the more than 35 years of his life in Munich are not represented in a writer’s home museum. The family villa was bombed during the war, later rebuilt and is now privately owned. One of the summer houses near Lake Starn-
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berg, Haus Villino in Feldafing, in which he spent the summers between 1919 and 1923 and wrote parts of The Magic Mountain (1924), was turned into a Thomas Mann museum in 1999 and furnished with original items from Mann’s study. Twenty years later, the owner cancelled the lease, and the museum closed. Mann’s study was then relocated to the town library in Bad Tölz, another Bavarian town in which the Mann family had spent summers between 1909 and 1917. Their former villa is now privately owned and not open to the public. The only reminder of Mann is his reconstructed study in the city library, and a literary trail opened in 2019, leading to eight places associated with the writer and his family. This trail and his translocated study represent perhaps a more apposite way of memorialising a writer whose life was shaped by radical changes and exile than the stability of a writer’s home museum would suggest.
4 Telling Objects The third narrative component in a writers’ house museum are material objects, and their arrangement and order provide another narrative axis. Objects possessed by an author are the hooks in a museum’s narrative space onto which specific detailed biographical or authorial episodes can be attached and brought to life. Keats’s bed in the Keats-Shelley museum in Rome, Goethe’s lectern in the Garden House in Weimar, Theodor Storm’s square piano in Husum or Jane Austen’s little oak writing table in Chawton: furniture is a key device in a museum to materialise and visualise authors’ lives and work contexts, and authenticate biographical stories. These material objects play a crucial role in the relation a reader has with a writer: they offer the reader/visitor a direct visual and haptic contact with a writer and play, as Harald Hendrix has observed, a crucial role in the making of literary heritage and cultural memory (2008, 6). It is therefore not surprising that a writer’s life presented in a museum is most closely connected with artefacts relating to the creative process: the writer’s desk, his or her journals, letters, notebooks and manuscripts are material remnants with an immediate haptic and visual quality, invested by posterity with an aura. A writer’s home museum capitalises on this effect and, as Nicola Watson maintains, “fantasizes, memorializes and elegizes” – and one could add fetishises – the act of origination (Watson 2020, 111); particularly so when a writer’s untimely death leaves posterity with an incomplete work. Schiller’s desk in his home in Weimar has an unfinished manuscript on it; (Watson, 2020, 113) however, the impression of a desk just left by the writer is thwarted by a “Please do not touch” sign – the most conventional signifier of a museum context.
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In his book A History of the World in 100 Objects, Neil MacGregor has drawn attention to the power of objects to speak to us across time, but he has equally argued that the power of communication which objects have only works if they are translated, interpreted, read (MacGregor 2012). They can, according to MacGregor, speak, but they need to be brought to life with what he calls “a considerable leap of the imagination” (MacGregor 2012, xvii). This imaginative interpretation of objects and their poetic recreation within an author’s life narrative is at the centre of a writers’ home museum. Objects furnish a museum’s narrative spaces with a coherent structure, plot and meaning. Narrativised objects not only explain, but also structure the visitor’s visual experience. Considering that the collection of objects in a writer’s house museum can often be a rather accidental cluster, the determinate form of a story and history in which objects are presented is more than ironic. In the context of the material turn, material objects have lost their main object status and have become invested with agency. Bruno Latour’s actor-network theory (2005), Bill Brown’s thing theory (2001), and much earlier Freud’s essay on the fetishism (1927) all point to an understanding of things as having inherent value, power and agency which possess us in the double sense of the word. However, objects are mute objects nonetheless, at least until they are invested with a meaningful narrative and an auratic or non-auratic significance that connects them with the writer and allows them to be read. Nicola Watson has addressed this process of signification with the example of the writer’s desk in her blog The Literary Tourist: In microcosm, the problem of making the writer’s desk into the Writer’s Desk is a matter of what John Urry long ago in The Tourist Gaze called “site sacralization”. Even if you have the very table, it is only a table until it is provided with markers of signification and valuation, and framed within a narrative of the moment of creation. The production of this ‘aura’ is what collectors, curators, and visitors all work at. It is one important way in which ‘genius,’ or rather the cultural fiction and functionality of genius, is produced through representation, performance, and reiteration. (Watson 2004)
Again, one needs to ask how these three aspects are joined in a museum context. The mere exhibition of auratic objects is not enough, as they will only fulfil their significatory potential if they are integrated in a story. Museums increasingly make ample use of the opportunities of virtual museum spaces in form of video clips or exhibitions in which objects are presented and explained by a speaker. They tell the story “behind the object”, alerting the viewer to an object’s history and function which perhaps are not obvious at first glance. Again, the anecdotal mode as an oral form is the preferred mode of presentation. The vir-
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tual tour through Monk’s House⁶ is presented as a chain of little stories by a museum guide in an informal manner. She points out objects that a casual visitor might overlook: a little blue pottery dish on a window sill which Vita Sackville West had brought back from Persia and given to Virginia, or a yellow box on Leonard’s desk with the image of the Arc de Triomphe on it. It had originally been in the possession of Lytton Strachey, whose lover Dora Carrington gave it, as noted in Virginia’s diary (from which the guide quotes) to the Woolfs after his death. This unobtrusive object serves as an angle for the narrator to unfold a whole story of love and death within the Bloomsbury circle. As a travelling object it connects the Woolfs with Strachey and Carrington and their complicated relationship. And finally, by ending the box’s story with the information of Carrington’s suicide, the guide creates narrative cohesion by connecting the object with the history of Monk’s House and Woolf’s own suicide in the nearby Ouse. The 2017 Chawton House virtual project “Jane Austen in 41 objects”, which is now no longer online, was a collection of objects referring to Austen’s life and legacy – one object for every single year of her life. Each object was introduced by a different person – curators, academics, or volunteers at Chawton. Ranging from the private to the public, the objects covered Austen in her domestic family context, her role as a writer, her reception and cultural legacy. Austen’s ring or a lock of hair made into a mourning brooch for her sister Cassandra and, most importantly her desk, might be considered as fetish objects, standing in for the absent author. Other objects referring to the writer Austen such as a fine handwritten Danish translation of Pride and Prejudice, or her private letters were invested with the aura of the singularity of the historical moment of text production. Yet another group of objects pointed to the domestic Jane Austen, situating the writer in the mundane contexts of family life and housework, such as the Austen family china, Martha Lloyd’s recipe book, a needle case or a muslin shawl reputedly embroidered by Jane Austen. Some objects had no biographical relation with Jane Austen at all: the four volumes of Ann Radcliffe’s The Mystery of Udolpho were apparently included to open up the context of Gothic literature parodied by Austen in Northanger Abbey, and to establish an association with Julian Jarrold’s 2007 biopic Becoming Jane. In this movie, Austen and Radcliffe meet each other: a fictional scene with no historical basis. But with anecdotes such as this one, an author’s life story can be expanded and integrated plausibly into a larger literary and cultural context contemporary readers or visitors are more familiar with. The focus on Austen’s legacy highlighted her relevance for
National Trust. A visit to Monk’s House. Video: https://www.youtube.com/watch?time_continue=13&v=zfdQKN-jYC4 (27 July 2020).
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the twentieth and twenty-first century: the image of a letter from Winston Churchill mentioning his reading Pride and Prejudice during the war, or a 1990’s doll representing clueless Cher from Clueless, Amy Heckerling’s 1995 film adaptation of Emma, situated the extent of Jane Austen’s ongoing cultural presence not just in her writings but also adaptations and merchandise articles. This virtual exhibition emulated traditional ways of storytelling by having single persons tell the story of one of the 41 objects but on the other hand it explored new, polyvocal ways of storytelling through 41 independent narrative strands. What is more, the display of the objects in form of a huge advent calendar with no fixed storyline invited viewers to a more haphazard way of clicking onto the images and creating their own Austen narrative out of a model kit of 41 objects.
5 Fictionalising the author Objects from writers’ house museums not always remain bound up with a museum narrative. Sometimes, they inspire other writers to bring them to life in a fictional narrative or a poem. Emily Dickinson’s iconic white dress (see also Watson 2020, 73 – 92) has often been regarded as an ambiguous symbol for the nineteenth-century female poet’s vulnerability and virginity as well as an expression of her powerful androgynous authorship (Gilbert and Gubar 2020 [1979], 617). It inspired Billy Collins to the poem “Taking off Emily Dickinson’s Clothes”, in which the speaker undresses the poet, finds his way “like a polar explorer” to “the iceberg of her nakedness” (Collins 1998, 74), rapes her and usurps her poetic language and her syntax. This double act of physical and literary violation illustrates the end of the poem which consists of a number of snippet quotes from Dickinson’s poetry. Collins’ poem is a critical comment on the ongoing appropriation and commodification of Dickinson’s biography and poetry in literature. As an enigmatic symbol for an object-oriented feminism, the white dress appears in Miss Emily, a semi-fictional novel about an Irish servant in the home of Emily Dickinson (O’Connor 2015). Based on her research in the Dickinson museum, the author Nuala O’Connor develops meticulously detailed descriptions of the Homestead, the garden, Emily’s bedroom and, most importantly, the kitchen as the space in which the otherwise separate lives of the poet and her Irish maid intersect through their passion for baking. Connecting biographical details of Dickinson’s life with objects still visible in the museum, O’Connor creates a narrative which not necessarily differs from the museum’s narrative, but which imaginatively fills in some biographical gaps or reinterprets objects in a new way. Only a reader well familiar with Dickinson’s biography would
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be able to detect where fact ends and fiction begins. Visitors to the museum are confronted with the replica of the poets’ signature white dress for which no proper explanation exists. The museum’s website points out that she never mentioned wearing white and plays the myth down by describing the gown as a typical house garment of the late 1870s and early 1880s […]. The dress, made of a cotton fabric with mother-of-pearl buttons, is a style known as a wrapper or a house dress, worn by women as everyday clothing for doing chores and other activities inside the house. It was not a particularly unusual or expensive dress for its time.⁷
O’Connor, however, ignores the practical aspects of the dress and interprets it as emblematic of the poet’s self-invention in the chapter “Miss Emily turns to white”. She describes the dress as the result of a process of decision making, referring to nineteenth-century literary models such as Charles Dickens’ Miss Havisham in Great Expectations, Wilkie Collins’ The Woman in White or Elizabeth Barrett Browing’s Aurora Leigh. The novel lifts the white dress out of the domestic context and connects it with the image of the blank page, drawing on Locke’s comparison of identity building through experience with the act of writing on a sheet of paper. Thus the white dress becomes the precondition for writing poetry: Fog and snow and blank paper – these things seduce me, they energise me. Can calmness and energy be bedfellows? It strikes me that if I am pure in dress, my mind may empty itself of all concerns, and that will make it easier for me to write. […] This decision – to wear white – sings poetry to me: it will speak of my obedience to words, my dedication. It may signify that to me only, perhaps, but to whom else do I need to show my allegiance? I am giddy with excitement and cannot wait TO TELL MOTHER that I need new stuff for gowns. Perhaps she and Vinnie will get some good cloth for me when they go to Boston; they surely have the sweetest of dimity in that city. […] From now on I shall be candle white. Dove-, bread-, swan-, shroud-, ice-, extraordinary white. I shall be blanched, bleached and bloodless to look at; my very whiteness will be my mark. But inside, of course, I will roar and soar and flash with color. (O’Connor 2015, 120‒121)
O’Connor’s novel makes the white dress speak by investing a mute museal object with poetic power. Her novel is a perfect example of the writerly “leap of imagination” that makes objects speak Neil MacGregor had in mind: the contextualisation of objects within an author’s biography which is never just denotative and descriptive, but full of poetic and creative associations, interpretations and visions. As a text that has left the commitment to factuality – which museum Emily Dickinson Museum. Emily Dickinson’s White Dress. https://www.emilydickinsonmuseum.org/emily-dickinson/biography/special-topics/1336 – 2/ (27 July 2020).
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narratives are bound up with – behind, O’Connor’s novel illustrates in a mode of fictional excess how museal objects can be made to speak: invested with a voice of their own, yet still embedded in a biographical anecdote or a story that relates to a larger literary, ideological and cultural context of authorship.
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Stadtliteratur ‒ Museumsstadt: Fernando Pessoas Lissabon in Werk und Ausstellung 1 Vom Museum zum Text, vom Text in die Stadt: Der Fall Pessoa Nach zweijähriger Schließung wegen Bauarbeiten öffnete am 29. August 2020 die Lissabonner Casa Fernando Pessoa dem Publikum wieder ihre Tore. Während seiner Umbaupause hatte das Haus ab dem Frühjahr 2019 alternativ zu seinem regulären Ausstellungs- und Kulturprogramm unter anderem monatliche „Pessoa-Tours“ durch die Stadt angeboten. Die Spaziergänge starteten symbolträchtig vor dem Geburtshaus des Dichters im Largo de São Carlos und führten durch die diversen Aufenthaltsorte, Cafés und Läden der Baixa- und Chiado-Bezirke, die den „Alltag“ des Autors, sein privates und öffentliches Leben, geprägt hatten.¹ Seit seinen Anfängen gehört es zu den Zielen des 1993 durch die Stadtverwaltung (Câmara Municipal de Libsoa) gegründeten Hauses in der Rua Coelho da Rocha, der letzten Wohnadresse Pessoas (1920 – 1935), den Autor im Bewusstsein der Stadt Lissabon zu verankern. So integrierte die Casa Fernando Pessoa in ihren Prospekt ein „Álbum de Lisboa“ [Lissabon-Bilderbuch] (Júdice 1993, 14) mit einem Plan 31 wichtiger Orte, die die Präsenz Pessoas in der Stadt mittels Textfragmenten, Gedichten und Stadtfotografien markieren. Damit proklamierte die Einrichtung auch ihren eigenen Platz im Netzwerk der Beziehung zwischen Leben des Autors, Text und Stadt. Die Etablierung eines Bezugs zwischen Pessoa und der portugiesischen Hauptstadt ist Teil eines relativ jungen, aber dennoch intensiven Prozesses der Kultur- und Literaturvermittlung. Dieser entwickelte sich Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Zusammenhang mit einer Wende in der Rezeption des Autors,² ausgehend von dem Projekt einer neuen und vollständigen Edição Critica
Vgl. Casa Fernando Pessoa. „Quando vejo esta Lisboa. Percurso“. https://www.casafernandopessoa.pt/pt/cfp/programacao/evento/quando-vejo-esta-lisboa-o-percurso?occurrenceID=3365 (6. Oktober 2020). Nicht zuletzt auch bedingt durch den Erfolg des posthum 1982 zum ersten Mal erschienenen und weltweit übersetzten Livro do Desassossego (Buch der Unruhe) (Pessoa 1982). Zur Editionsgeschichte Pessoas vgl. Aliete Galhoz 1988, Castro 1990, Aliete Galhoz 1996. https://doi.org/10.1515/9783110691566-012
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de Fernando Pessoa, einer kritischen Ausgabe des Gesamtwerks des Dichters (vgl. Castro 1990) anlässlich dessen 100. Geburtstags im Jahr 1988. Diese neue Auseinandersetzung mit Werk und Leben Pessoas schlug sich auch in der Stadtlandschaft nieder. So beauftragte 1988 die Stadtverwaltung den Bildhauer Lagoa Henriques mit einer vor dem Café A Brasileira im Chiado-Viertel am Tisch sitzenden Statue, die bald zu einer touristischen Attraktion wurde.³ Zum 100. Geburtstag stieß das Instituto de Estudos sobre o Modernismo zudem die Publikation eines Gedenkbuchs mit unveröffentlichten Texten Pessoas an.⁴ Während der Forschungsarbeiten für besagte Publikation kam es zu der Entdeckung eines außergewöhnlichen Manuskripts in der Lissabonner Nationalbibliothek: eines Reiseführers auf Englisch, mit dem Titel Lisbon. What the Tourist Should See, den Fernando Pessoa um das Jahr 1925 verfasst hatte (vgl. Lopes 1992). Das Buch erschien dann 1992 in englischer Sprache und portugiesischer Übersetzung (Pessoa 1992) und trug zur Herausbildung eines mit der Figur Pessoa verknüpften Stadtbildes bei, so die Herausgeberin: Perhaps it is only now that Lisbon has truly become Pessoa’s house and home. So much so that it’s impossible to walk through certain areas, certain streets, without hearing his fluttering steps at our side. All the stones in the pavements of the Baixa’s streets preserve the imprint of his daily movements as he went through the drudgery of office work […]. Pessoa can still be found wandering here. (Lopes 1992, 27 und 29)
1993 wurde schließlich die Casa Fernando Pessoa gegründet. Das Haus wurde mit seinen Dauer- und temporären Ausstellungen und verschiedenen Kulturaktivitäten zu einem festen Bezugspunkt dieser neuen Stadtanbindung, zur materiellen Spur der noch lebendigen und wirksamen Präsenz Pessoas in Lissabon.⁵ So ermöglicht die Casa Fernando Pessoa dem Publikum unter anderem auch einen
Eine weitere Statue wurde 2008 vom Bildhauer Jean-Michel Folon vor dem Geburtshaus Pessoas errichtet. 2005 wurde auch das Haus in der Rua de Sao Marçal 104 mit einer Gedenktafel versehen, wie bereits 1958 das Geburtshaus. Das Buch, unter der Leitung von Teresa Rita Lopes mit Unterstützung der Câmara Municipal de Lisboa und des damaligen Instituto de Cultura Portuguesa (Portugiesisches Kulturinstitut, heute Instituto Camões), erschien 1993 unter dem Titel Pessoa Inédito (Lopes und Pessoa 1993). So die Leiterin Manuela Júdice: „Residência, porém, é algo que não se costuma associar a sua imagen que, nas fotografias, nos surge apressada, quase fluctuando, na rua, o então concentrada à mesa do café ou ao balcão de uma taberna. […] Agora, podemos […] acompanhá-lo até esta casa da rua Coelho da Rocha“ [Ein Wohnort ist zwar etwas, was zu seiner Figur üblicherweise nicht passt, so wie sie uns eilig und fast schwebend auf der Straße, oder noch konzentriert am Cafétisch, am Tresen einer Taverne sitzend in Fotos erscheint. (…) Jetzt können wir ihn (…) zu diesem Haus in der Rua Coelho da Rocha begleiten] (Júdice 1993, 3). Alle Übersetzungen aus dem Portugiesischen stammen vom Verfasser, soweit nicht anders angegeben.
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Besuch der ehemaligen Wohnräume des Dichters, stellt seine Möbel, Bücher und persönlichen Gegenstände aus. Die Lissabonner Stadtverwaltung trieb also über die Jahre hinweg durch Kunstprojekte, Gedenktafeln und die Sichtbarmachung der Casa Fernando Pessoa eine zunehmende „Ansiedlung“ der Figur des Autors im realen und symbolischen Raum der portugiesischen Hauptstadt voran – mit dem Ziel der touristischen Vermarktung der Stadt als „Stadt Pessoas“ (vgl. Hendrix 2015, 32‒33). Dieser Entwicklung folgten eine Reihe weiterer lokaler Initiativen, die mit Büchern, Filmen und Ausstellungen auch im Ausland auf Resonanz stießen und für eine fortschreitende Ästhetisierung und Narrativierung der Stadt sorgten.⁶ Zahlreiche Arbeiten haben sich in den letzten Jahren am Beispiel von Dichterhäusern, Kunstaktionen und Ausstellungen mit der Frage beschäftigt, wie das Zusammenspiel von musealem und literarischem Wirken einerseits und politischem Kalkül andererseits die „Semiotisierung“ von Städten und Orten zu Zwecken des „Literaturtourismus“ beflügelt (u. a. Hendrix 2008; Schaff 2011; Stobbe 2013; Hendrix 2015). Lissabon stellt durch den Bezug auf Pessoa einen aus meiner Sicht sehr interessanten Sonderfall des „city branding“ (Kavaratzis und Ashworth 2005) dar. Zwar erfolgt auch hier, wie in anderen Städten, eine fiktionalisierte Darstellung der Präsenz eines Autors im Stadtraum, welche vom literarischen Schaffen desselben absieht und biografische Elemente und außerliterarische Referenzen in den Vordergrund stellt (vgl. Hendrix 2015). Nichtsdestotrotz sind aus dem Themenkomplex „Pessoa und Lissabon“ auch einige literaturwissenschaftlich begründete Ausstellungsinitiativen entstanden, die durch expositorische Mittel eine im pessoaschen Text zentrale Stadtmetaphorik hervorhoben und diese als mögliches Kriterium für die immer noch schwierige Einordnung seines Gesamtwerks herausstellten. Der komplexe Zusammenhang von Literatur und Raum – Raum in der Literatur, Literatur im Raum, aber auch Raum als Literatur und Literatur als Raum ⁷ – soll hier am Beispiel der Beziehung zwischen Pessoa und Lissabon, dessen In Dazu zählen: die Stadtführer A Lisboa de Fernando Pessoa von Marina Tavares Dias (1991) und Lisboa nos Passos de Fernando Pessoa (Dias 2011) oder auch Lisboa em Pessoa: guia turístico e literário da capital portuguesa (Correia Filho 2011) von João Correia Filho; Filme wie Os mistérios de Lisboa. A Lisbon Guide to Fernando Pessoa (Reg. José Fonseca e Costa. JFC Filmes, 2009), Filme do desassossego (Reg. João Botelho. Ar de Filmes, 2010) oder Ophiussa. Uma Cidade de Fernando Pessoa (Reg. Fernando Carrilho. Casa Fernando Pessoa, Imagens do Século, Videoteca Municipal de Lisboa, 2013); Ausstellungen und Kataloge wie O Imaginário da cidade de Lisboa (Centro de Arte Moderna 1985), Les Lisboes de Pessoa (Insua 1997a). Ein solches Vier-Ebenen-Modell haben Ryan, Foote und Azaryahu (Ryan et al. 2016) aus narratologischer Perspektive mit Blick auf die Frage entwickelt, wie sich Narrative und erlebte Räume in unserem Alltag verbinden.
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szenierung in Text-, Stadt- und Ausstellungsräumen thematisiert werden. Gerade anhand der Dimension des Raums kann eine Schnittstelle zwischen Literatur und Ausstellung herausgestellt werden, eine „Transitzone“, in der sich Literatur und Ausstellung treffen und durch den kombinierten Einsatz textueller und materieller Strategien außerliterarische Realitäten gestalten und umdeuten. Zunächst ist zu untersuchen, durch welche Motive und Dispositive die Stadt im Sinne von Pessoa literarisiert wird und welche Funktion das Stadtmotiv im literarischen Werk erfüllt. Ausgehend von dieser Analyse wird gezeigt, welche expositorischen Lösungen für die Darstellung dieses Verhältnisses durch Ausstellungsräume eingesetzt wurden. Dahinter steht die Frage, welche potenziellen Auswirkungen einerseits literarische und expositorische Kreationen für die Wahrnehmung realer Räume haben, anderseits aber auch, welche Folgen die künstlerische, literarische Umdeutung von Lebensräumen letztlich auch für die Rezeption von Literatur hat.
2 Lissabon: eine literarisch überhöhte Stadt 2.1 Topik und Identität: Welcher Pessoa, welche Stadt? Die Raumdimension hat im Zuge des sogenannten spatial turn auch in der Literaturwissenschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im Mittelpunkt der Forschung steht in den letzten Jahren auch die Rolle literarischer Verfahren für die semiotische und symbolische Umgestaltung von geografischen, sozialen und kulturellen Räumen (vgl. zusammenfassend Ryan et al. 2016). Bezogen auf das Verhältnis von Literatur und Raum im Sinne des Literaturtourismus erkennt Urte Stobbe (2013, 253‒254) drei Herangehensweisen, die auch in der vielfältigen Beziehung zwischen Pessoa und Lissabon zu erkennen sind. Ein erster Typus besteht nach Stobbe in der (unter anderem auch musealen) Inszenierung von Orten, die einen Bezug zur Biografie von Schriftsteller·innen bzw. eine gewisse Rolle innerhalb von literarischen Welten aufweisen. Diese Strategie zielt darauf ab, eine „physische Nähe“ (Stobbe 2013, 253) zu literarischen Realitäten und Persönlichkeiten zu suggerieren. Ein zweiter Modus besteht in der Einbettung und Verwendung von Literatur in Texten und Werbung im touristischen Bereich. Schließlich gibt es den dritten Typus eines literarisch vermittelten touristischen Erzählens, eines spannungserzeugenden und emotionalisierten „story-telling“ (vgl. Stobbe 2013, 253), wie in Reiseberichten auf Blogs oder von Schriftstellern verfassten Reiseführern. Die literarische Umdeutung und Konnotation realer Orte mittels der virtuellen „Präsenz“ von Autor·innen bzw. Literatur im Raum erfolgt also sowohl auf parabzw. epitextuellen Ebenen, etwa durch den Verweis auf Autor·innenbiografien,
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als auch in Bezug auf textinterne Dimensionen. Denkt man an Pessoa, dient die historisch-biografisch fundierte Anbindung des Autors an Lissabon im kulturpolitischen Diskurs zunächst der Selbst-Repräsentation der Stadt und des Landes Portugal nach Mustern der pessoaschen Literatur, wie unter anderem auch die imagologischen Untersuchungen Eduardo Lourenços zeigen (Lourenço 1978, 114– 126). Wird Pessoa heute als eine „bis zur Vergötterung verehrte poetische Ikone“ („ícone poético cultuado até à idolatria“ – Lourenço 2013, 198) der portugiesischen Nationalliteratur und Identität gefeiert, blicken Literaturwissenschaftler jedoch auf den Autor und sein Werk vielmehr wie auf ein Phänomen von „bloßer Virtualität“ („pura virtualidade“ – Lourenço 2013). Um die ikonische Anbindung von Pessoa und Lissabon und die Legitimität der diversen Strategien dieser Inszenierung zu thematisieren, soll hier zunächst die Besonderheit des literarischen Falls Pessoas mit Blick auf Identitätsfragen herausgestellt werden. Zeit seines Lebens war Fernando Pessoa (1888 – 1935) kein professioneller Schriftsteller. Er lebte von seinem Beruf als Übersetzer bei einer Exportfirma. Als Literat war er fast nur privat tätig. Ab 1912 trug er als Dichter und Kritiker zu avantgardistischen Zeitschriften des portugiesischen Modernismus bei, so etwa A Águia (1910 – 1932), A Renascença (1914) sowie Orpheu (1915) und Athena (1924– 1925), deren Gründer und Leiter er war. Bis zu seinem Tod und darüber hinaus blieb das in weiten Teilen unveröffentlichte Werk aus dem enormen Nachlass nur einem engen Kreis befreundeter Intellektueller bekannt.⁸ Zu Lebzeiten hat Pessoa nur wenig veröffentlicht, noch weniger unter seinem eigenen Namen. Dafür hat er als Kritiker das Werk weiterer Autoren bzw. fiktiver Autorinstanzen herausgegeben, diese bibliografiert und kommentiert. Für diese Dichter-Figuren prägte Pessoa den inzwischen literaturwissenschaftlich etablierten Begriff der „Heteronyme“ („heterónimos“ – Pessoa 1937 [1935]). Anders als Pseudonyme sind Heteronyme keine bloßen Namensträger.Vielmehr verkörpern sie eigene, wenn auch nur literarische, Persönlichkeiten. Im Werk Pessoas treten Heteronyme neben realen Figuren auf – sodass der Dichter schwerlich als reine Erfindung über sie reden konnte (vgl. Pessoa 1937). Heteronyme sind also keine Charaktere eines vom Autor gesteuerten, einheitlichen Werks. Sie sind selbst Autoren selbständiger, unter ihren Namen publizierter Werke, die miteinander und mit dem Autor bzw. Herausgeber Fernando Pessoa, dem „Orthonym“, interagieren. Als Orthonym unter Heteronymen hat also ein gewisser „Fernando Pessoa“ unter diesem Namen ein eigenes Werk als Dichter publiziert, das sich von jenem seiner Heteronyme Pessoa hatte sehr unterschiedliche Pläne einer Gesamtausgabe seiner Werke (vgl. zum Überblick: Castro 1990, Fagundes Duarte 2018a), erst ab 1942 wurden aber die meisten seiner Werke publiziert. Das Projekt blieb dennoch jahrzehntelang unvollständig (vgl. Aliete Galhoz 1988 und 1996).
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unterscheidet. Die Heteronyme entwickeln bei Pessoa jedes für sich eine eigene Ästhetik und Poetik, eine Philosophie und ein Programm, die zum Teil im Gegensatz stehen, sie diskutieren und kommentieren einander, reden auch über das Orthonym Fernando Pessoa. So besteht das immense Korpus Pessoas aus der Gesamtheit einer Vielzahl intratextuell vernetzter Werke unterschiedlicher Autoren und kritischer Schriften dieser Heteronyme. Zu den bekanntesten unter ihnen zählen Alberto Caeiro, Álvaro de Campos, Ricardo Reis, António Mora, Bernardo Soares, aber auch das Orthonym „Fernando Pessoa“. Darum behauptete Pessoa schon 1930, er sei kein Autor gewesen, er habe vielmehr „eine ganze Literatur“ („toda uma literatura“ – Pessoa 1966, 98) geschaffen. Der „Heteronymismus“⁹ stellt also den genuinen Beitrag Pessoas zur Weltliteratur dar. Neben bzw. hinter den von Pessoa und seinen Heteronymen hinterlassenen, konkreten Texten steht ein umfangreicheres, virtuelles und potenziell unendliches Werk, eine dem einzelnen Text übergeordnete Inter- und Hypertextualität. Dieser Aspekt erscheint hier äußerst wichtig, wenn es darum geht, die „ganze Literatur“ Pessoas auszustellen und zu vermitteln. Konventionelle Strategien, darunter auch die biografische Anbindung an reale Orte im Leben des Dichters, sind dem Risiko ausgesetzt, diese Dimension komplett auszublenden. Nur durch innovative Konzepte, Medien, räumliche und materielle Kompositionen kann es gelingen, diese im Text selbst nicht gleich zu erkennende Dimension des pessoaschen Textes, den Hypertext, sichtbar zu machen. Durch derartige literarisch fundierte Erweiterungen des Textes wird es auch erst möglich, eine Verbindung zwischen Pessoa und Lissabon auf der Basis des literarischen Werkes herauszuarbeiten. Mit Blick auf ein radikales In-Frage-Stellen des Realitätsprinzips und der auktorialen Identität bei Pessoa erscheint nicht nur der paratextuelle, biografische Rückbezug auf die Stadt als zu wenig repräsentativ. Selbst der ausdrückliche textuelle Verweis auf Lissabon im Werk ermöglicht es zunächst nicht, diese eindeutig als literarische Stadt „Pessoas“ zu bezeichnen – denn die Frage ist ja: welches Pessoas? Es wurde häufig angeführt, dass Fernando Pessoa bereits in der Kindheit eine idealisierte Beziehung zur portugiesischen Hauptstadt entwickelte, als er von 1893 bis 1905 mit der Familie in Durban in Südafrika lebte. Diese diente als Ausgangspunkt des späteren Werks. In Durban, so Rita Teresa Lopes,
Mit „Heteronymismus“ bezeichnet Jerónimo Pizarro (2018, 63 – 84) die Besonderheit des literarischen und philosophischen Verfahrens Pessoas, mit welchem er die Ich- und Autor-Frage problematisierte. Anders als bei dem Begriff der „Heteronymie“ handelt es sich dabei um keine schlichte Verwendung verschiedener Namen für eine selbe – und daher auch nie hinterfragte – Autorschaft.
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[Pessoa] reinvented the lost paradise of his childhood, which had the body and face of Lisbon. Perhaps it is because he so incessantly seeks Lisbon that he names it so often: and not only he in his own persona, Pessoa, but also Álvaro de Campos and Bernardo Soares. […] Pessoa so intensely fictionalized his native land when he lived far away from it, in Durban, that his true homeland came to be the dreamed one rather than the physical one. (Lopes 1992, 19 und 23)
Lopes weist also auf eine mehrfache Suche nach der Stadt bei Pessoa hin, welcher eine ebenso vielfältige Darstellung Lissabons im Werk des Orthonyms und der verschiedenen Heteronyme des Autors entspricht: The Lisbon of Álvaro de Campos is not the same as that of Soares […]. The Lisbon of Bernardo Soares is a village. Pessoa is an urban through and through […]. The Lisbon of Soares is maternal, the country in the city, a lap on which to sleep. […] The Lisbon of Soares smells of the water at flow tide […] [it] is made of close-up shots. (Lopes 1992, 23, 24, 25)
Die Stadt wird bei Pessoa zum Motiv einer intimen Auseinandersetzung des Dichters und seiner Heteronyme mit sich selbst, zu einem Träger der Frage nach seiner Identität. Die Beziehung Pessoas zu Lissabon soll also zunächst mit Blick auf ästhetische und „biografische“ Beziehungen aller Heteronyme zur Stadt dekonstruiert werden.Vor dem Hintergrund dieser Idee möchte ich das Potenzial des Stadtmotivs für die Thematisierung des Heteronymismus zeigen, wie dieses auch durch Ausstellungsstrategien in Szene gesetzt wurde. Zu diesem Ziel möchte ich zunächst am Beispiel des berühmten Livro do Desassossego (Buch der Unruhe) sowie einiger exemplarischer Pessoa-Gedichte die verschiedenen Formen einer Ästhetik der Stadt und die Modi ihrer literarischen Inszenierung definieren, die im Werk Pessoas zu finden sind.
2.2 Pessoa durch Lissabon, Lissabon durch Pessoa lesen Das Livro ist trotz seines Titels schon auf den ersten Blick kein Buch. Unter dieser Bezeichnung verfasste Fernando Pessoa vom 1913 bis zu seinem Tod über 500 Textfragmente meist auf handbeschriebenen Blättern und Zetteln. Es handelt sich um das langjährige, unvollendete Projekt eines Tagebuchs, von welchem er nur einige ‒ mal Vicente Guedes, mal Bernardo Soares zugeschriebene ‒ Abschnitte in Zeitschriften präsentierte.¹⁰ Erst 1982 entdeckten Jacinto do Prado Coelho und Maria Aliete Galhoz im Nachlass des Dichters hunderte weitere, dazugehörige Manuskripte, die von ihnen sortiert, eingeordnet, editiert und posthum als Pro Für einen Überblick vgl. u. a. Pizarro 2010 und Lopes 2015a.
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sawerk Pessoas bzw. dessen „Halb-Heteronym“ (Pessoa 1937, 4) Bernardo Soares herausgegeben wurden.¹¹ Das Livro do Desassossego ¹² besteht aus den Stadt- und Selbst-Beobachtungen eines schwermütigen, apathischen Hilfsbuchhalters, der seine ereignislosen Tage über Jahre hinweg zwischen dem Büro in der Rua dos Douradores und seinem Zimmer in derselben Straße Lissabons verbringt.¹³ Seine Haupttätigkeit besteht in der zwecklosen Beobachtung der Stadt und seiner selbst. Der „Erzähler“ (der jedoch keine „Erzählung“ hervorbringt) identifiziert sich mit der Stadt, sodass eine tiefe Verbindung und wechselseitige Spiegelung zwischen intimem und urbanem Raum im Text entsteht.¹⁴ Die vom Beobachter wahrgenommene Stadtlandschaft ist für den Leser nur durch den Filter seiner traurigen Gefühle und philosophischen Überlegungen zu erkennen: Ich liebe die Stille langer Sommerabende in der Unterstadt, und insbesondere dort, wo sie im größten Gegensatz zum lärmenden Tagesgewühl steht. Die Rua do Arsenal, die Rua da Alfândega und all die traurigen Straßen, die sich am Ende der Rua da Alfândega ostwärts ziehen, die lange, unterbrochene Linie der stillen Kais, sie alle trösten mich mit ihrer Schwermut, wenn ich mich an diesen Abenden in ihr Labyrinth der Einsamkeit begebe. […] Es besteht kein Unterschied zwischen mir und den Straßen in der Umgebung der Alfândega, abgesehen davon, dass sie Straßen sind und ich Seele, was in Anbetracht des Wesens der Dinge vielleicht unwesentlich ist. (Pessoa 2010b, 17)¹⁵
Die Edition der oft brüchigen, unordentlichen und nicht eindeutig identifizierbaren Fragmente stellte eine große Herausforderung für die Herausgeber dar. Nach der ersten Ausgabe folgten diverse kritische Editionen – von António Quadros (Pessoa 1986b), Teresa Sobral Cunha (Pessoa 1990a), Richard Zenith (Pessoa 1998), Jerónimo Pizarro (Pessoa 2010a) –, jede mit einer eigenen Organisation des Textes. Teresa Rita Lopes (Lopes und Pessoa 2015) identifizierte drei verschiedenen Livro(s) do Desassossego [Bücher der Unruhe], die jeweils den Heteronymen Vicente Guedes (1913‒1928), Barão de Teive (1928‒1929) und Bernardo Soares (1929‒1935) (vgl. Lopes 2015a) zuzuschreiben seien. Im Folgenden nach der kritischen Ausgabe Pizarros (Pessoa 2010a) zitiert. Deutsch von Inés Koebel (Pessoa 2010b) nach der Edition Zeniths (Pessoa 1998). Diese Adresse stimmt zumindest beim Buch des Bernardo Soares (vgl. hierzu Lopes 2015b). So Iris Hermann: „Soares stellt sich die Reflexion über diese Eindrücke wie einen Raum vor, der sich zwischen der Empfindung und dem Bewusstsein von ihr öffnet“ (Hermann 2012, 167). „Amo, pelas tardes demoradas de verão, o socego da cidade baixa, e sobretudo aquelle socego que o contraste accentua na parte que o dia mergulha em mais bulicio. A Rua do Arsenal, a Rua da Alfandega, o prolongamento das ruas tristes que se alastram para leste desde que a da Alfandega cessa, toda a linha separada dos caes quedos – tudo isso me conforta de tristeza, se me insiro, por essas tardes, na solidão do seu conjuncto. […] Não ha differença entre mim e as ruas para o lado da Alfandega, salvo elas serem ruas e eu ser alma, o que pode ser que nada valha ante o que é a essencia das cousas“ (Pessoa 2010, 171).
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Der zitierte Passus zeigt zunächst eine poetische und emotionale Ästhetisierung Lissabons, welche sich jedoch auf den zweiten Blick als Teil eines Allegorie-Verfahrens erweist, durch das die konkrete Stadt zu einem abstrakten Raum des Daseins wird. Die expressiven Ansichten des Beobachters lassen so eine dunkle Kehrseite Lissabons hervortreten, die über die in der portugiesischen Literatur (von Cesário Verde und Camilo Castelo Branco bis heute, bei Vergílio Ferreira) oft inszenierte Stadtmelancholie hinausgeht. Das „labyrinthische“ Lissabon des Livro ist ein kleiner, baufälliger urbaner Raum, der sich auf wenige, enge Straßen und Gassen im alten Bezirk der Baixa (der „Unterstadt“) beschränkt. Dieser reduzierte, altertümliche Rahmen bildet das Szenario für die existenzielle Gefangenschaft des Erzählers, welcher Opfer seiner eigenen, obsessiven Gedanken ist.¹⁶ So konzipiert, bietet das Buch eine komplexe „Raum- und Humangeografie“ („uma geografia espacial e humana“ – Pizarro 2018, 148) dieses Teils der Stadt, seines Lebens und Rhythmus, seiner Geräusche und Farben, und thematisiert die Transformation all dieser sinnlichen Empfindungen zum philosophischen, literarischen Material einer Selbstreflexion des Beobachters: Im leichten Nebel des Vorfrühlingsmorgens erwacht schlaftrunken die Unterstadt, und die Sonne geht auf, als ob sie langsam wäre. Stille Heiterkeit liegt in der leicht kühlen Luft […]. Bis auf die Milchgeschäfte und Kaffeehäuser ist noch alles geschlossen, aber die Ruhe ist keine sonntägliche Erstarrung, sondern schlicht Ruhe. […] Von Minute zu Minute beleben sich spürbar die Straßen. Ich lasse mich treiben, bin ganz sinnliche Aufmerksamkeit, ohne Gedanken und ohne Gefühl. […] Wie gerne wäre ich doch in diesem Augenblick jemand, der […] dies alles nur betrachten könnte wie ein erwachsener Reisender, der heute an die Oberfläche des Lebens gelangt ist! […] Alles zum ersten Mal wahrnehmen […]: Die Wirklichkeit, die nur Gott gehört oder sich selbst, die weder Geheimnis noch Wahrheit birgt, die, weil sie wirklich ist oder zu sein vorgibt, irgendwo unveränderlich existiert, frei von Zeitlichkeit oder Ewigkeit, absolutes Bild, Idee. (Pessoa 2010b, 511– 513)¹⁷
„Ich möchte auf und davon – und dabei denke ich nicht an unmögliche Indien oder die großen Inseln im Süden aller Dinge, sondern an irgendeinen Ort – Dorf oder Einöde –, der anders ist als dieser hier“ (Pessoa 2010b, 203); „Desejo partir – não para as Indias impossiveis, ou para as grandes ilhas ao Sul de tudo, mas para o logar qualquer – aldeia ou ermo – que tenha em si o não ser este logar“ (Pessoa 2010a, 309). „No nevoeiro leve da manhã de meia-primavera, a Baixa disperta entorpecida e o sol nasce como que lento. Ha uma alegria socegada no ar com metade de frio […]. Não abriram ainda as lojas, salvas as leitarias e os cafés, mas o repouso não é de torpor, como o de domingo; é de repouso apenas. […] [D]e minuto a minuto, sensivelmente, as ruas desdesertam-se.Vogo, attenção só dos sentidos, sem pensamento nem emoção. […] Quem me dera, neste momento o sinto, […] contemplar tudo como se fôra o viajante adulto chegado hoje á superficie da vida! […] Reparar em tudo pela primeira vez […]: a Realidade, que é só de Deus, ou de si mesma, que não contem mysterio nem verdade, que, pois que é real ou o finge ser, algures existe fixa, livre de ser temporal ou eterna, imagem absoluta, idéa de uma alma que fôsse exterior“ (Pessoa 2010a, 289 – 291).
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Dem erwachenden Tag steht die Regungslosigkeit des Beobachters und dessen passive, nihilistische Haltung gegenüber. Dieser versucht vergeblich, wie aus göttlicher Perspektive hinter die lebendige Oberfläche der Dinge und deren Trugbilder zu blicken. Die Stadt, die das Livro beschreibt, ist entgegen ihrer äußeren Erscheinung ein Raum jenseits der Zeit und des Lebens und geht eine Deckung mit dem Flaneur-Erzähler ein. Sein Blick ist nicht bloß ästhetisierend, er verwandelt die Stadt in einen metaphysischen Raum literarischen Charakters, jenseits des Hier und Jetzt. Die Stadt ist ein Simulakrum, sie verweist auf eine höhere, „innere Landschaft“. Dieses Verhältnis von Subjekt und Stadt zeigt sich am Bild des Sonnenunterganges am Tejo-Ufer, an der Mündung zum Atlantik: Gemächlich und gedankenverloren gelange ich ans Ende der Rua da Alfândega, und kaum leuchtet mir der Terreiro do Paço entgegen, sehe ich deutlich den sonnenlosen Himmel im Westen. […] [D]ieser ferne, hohe, sich auflösende Himmel ist alles im Augenblick, und mein Gefühl, ein Wirrwarr so vieler Gefühle, ist nur der Widerschein dieses richtigen Himmels in einem See in mir […]. Es ist das ganze Gewicht und der ganze Kummer dieses wirklichen und unmöglichen Universums, dieses Himmels, Standarte eines unbekannten Heeres, dieser allmählich verblassenden Farben in der erdachten Luft, aus der starr und elektrisch weiß die imaginäre Sichel eines zunehmenden Mondes steigt, herausgeschnitten aus Ferne und Fühllosigkeit. Dies alles zeigt die Abwesenheit eines wahren Gottes, eine Abwesenheit, die der leere Leichnam des hohen Himmels ist und der verschlossenen Seele.¹⁸
Die vom crepuscolaren Erscheinungsbild der Stadt ausgelösten Gefühle in der Stunde der Dämmerung öffnen dem Beobachter einen Zugang zum Übersinnlichen, sie werden zur Erfahrung der Abwesenheit Gottes. Es sind hier also drei Momente einer literarischen Verklärung der Stadt zu erkennen: Sinn (Stadtästhetik), Gefühl (Stadt als Innenraum des Daseins) und metaphysische Ebene (Stadt als Inbegriff eines „unmöglichen“ Universums). Als Stadt definiert sich letztlich auch dieser „Mann ohne Eigenschaften“, der Autor des Buches: „Dort, wo ich eine Stadt vermutete, [lag] eine verlassene Ebene […]. Ich bin die Umgebung einer inexistenten Stadt, der weitschweifige Kommentar zu einem nie geschrie-
“ Chego à foz da Rua da Alfândega, vagaroso e disperso, e, ao clarear-me o Terreiro do Paço, vejo nítido o sem sol do céu ocidental. […] [S]ó o céu alto é tudo, remoto, abolindo-se, e a emoção que tenho, e que é tantas, juntas e confusas, não é mais que o reflexo dêsse céu nullo num lago em mim […] É todo o peso e toda a mágua d’este universo real e impossivel, d’este céu estandarte de um exercito incógnito, d’estes tons que vão empallidecendo pelo ar ficticio, de onde o crescente imaginario da lua emerge numa brancura electrica parada, recortado a longinquo e a insensivel. É toda a falta de um Deus verdadeiro que é o cadaver vacuo do céu alto e da alma fechada!“ (Pessoa 2010a, 327– 328).
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benen Buch“ (Pessoa 2010b, 312).¹⁹ Das Nebeneinander der Stadt- und der Buchmetapher zeigt eine ontologische Parallele zwischen Stadt und Text. Beide werden einer reductio ad nihilum unterworfen. Beide verlieren durch die Radikalität des hier dargestellten literarischen und philosophischen Verfahrens ihre Materialität. Denn dort, wo die „lebendige“ Stadt der sinnlichen Erfahrung aufhört, fängt die zeitlose Realität des Textes an, der dennoch, unvollendet, unmöglich bleibt und wiederum in der nun leeren Stadt hervortritt. Definiert der anonyme Autor dieses Fragments vom 1. Februar 1931 (vgl. Pessoa 2010, 346), vermutlich Soares (vgl. Lopes und Pessoa 2015, 359), sich selbst als Kommentar und Peripherie eines „nie geschriebenen Buchs“, ergibt sich für den Leser eine verstörende textuelle mise en abyme. Blickt man – so wie Soares hinter die Oberfläche der Stadt sieht – auf die extradiegetische, heteronymische Architektur, die hinter dem Text steht, also auf Soares als abgeleitete Stimme Fernando Pessoas, so ist von dem selbstreflexiven Verweis auf ein zu schreibendes Buch nicht nur das Livro Soares’, sondern auch das reale Projekt Pessoas betroffen. Im Raum der Text-Stadt verirrt sich wie Soares schließlich auch die auktoriale Instanz des Textes selbst. Das Bild des realen Lissabons löst sich allmählich auf und wird zum abstrakten Element eines metaliterarischen Spiels. Lissabon ist, so Jerónimo Pizarro (2018, 143), die „größte poetische Entdeckung“ des Buches der Unruhe: Finden sich in der früheren, symbolistischen Phase der Redaktion des Livro (also im Buch Vicente Guedes’ und Barão de Teives) und im Werk des jungen Pessoa meist imaginäre, exotische Landschaften, so nehmen diese in der späten Entwicklung des Livro ab 1929 mit Soares definitiv die Physionomie der portugiesischen Hauptstadt an (vgl. Pizarro 2018, 141– 158). Die Annäherung an die Stadt Lissabon und deren philosophisch-literarische Verklärung ist auch im lyrischen Werk weiterer Heteronyme Pessoas sichtbar, wenn auch mit anderen Funktionen, die jeweils von der Poetik des jeweiligen Heteronyms abhängig sind. Bei Soares etwa vollzieht sich dieser Prozess in einem alltäglichen und belanglosen Lissabon (vgl. Pizarro 2018, 150). In früheren Zeiten huldigt hingegen das Heteronym Álvaro de Campos einer durch die Industrialisierung beschleunigten Großstadt. Richtet sich die Aufmerksamkeit des Autors des Livro auf die alte Baixa, wird beim Avantgardisten de Campos die Stadt durch das Rossio-Viertel repräsentiert,²⁰ zu Zeiten Pessoas der modernste Teil der Stadt. Indem er die Bewegung von Straßenbahnen, Zügen und Menschen rund um Cafés und Läden beschreibt, artikuliert de Campos das Bild einer dynamischen, kos „Aquillo onde suppuz uma cidade era um plaino deserto […]. Sou os arredores de uma villa que não ha, o commentario prolixo a um livro que se não escreveu“ (Pessoa 2010a, 346). Vgl. die Gedichte „O ter deveres, que prolixa coisa!“ (Pessoa 1990b, 328) und „Acordar da cidade de Lisboa, mais tarde do que as outras“ (Pessoa 1990b, 319).
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mopolitischen Stadt, die nie schläft und die mit der ganzen Welt verbunden ist. Dieses Lissabon ist zugleich auch Inbegriff des Lebens der Moderne.²¹ Ein weiteres Beispiel für die diversifizierte Stadtdarstellung im Werk Pessoas bieten auch die Texte des neuklassizistischen Dichters Ricardo Reis. Die Odes Ricardo Reis’ (1924) verstehen sich als poetische Renaissance der Antike mitten im „infecundo abismo“ [unfruchtbaren Abgrund] (Pessoa 1994, 71) der Moderne. In diesem Rahmen erscheint die moderne Stadt als Erscheinungsbild der Gegenwart und ihrer „aparentes novas Flores“ [scheinbar neuen Blüten] (Pessoa 1994, 71), als ein Trugbild („Sonhos, cidades!“, „Träume, Städte!“ – Pessoa 1994, 155), das den unsterblichen Geist der Antike verbirgt. So ist auch Lissabon, das nie namentlich erwähnt wird, nur vor dem Hintergrund und als Reflex mythischer Städte und Verweise auf die griechische Antike und das Epos zu erkennen.²² Die Stadt wird bei Reis nicht sinnlich und ästhetisch dargestellt. Der Stadtraum wird vielmehr in Anlehnung an die klassische Epik und an lokale Sagen narrativ umgedeutet. Lissabon verliert dadurch zusammen mit dem Namen auch seine realen, historischen Konturen und wird in einen mythischen, losgelösten Zeitraum verlegt. Ähnlich wie Pessoa hat es nun auch viele Namen: Lesbos, Theben, Ogygia… Beim literarischen Modus Reis’ ist die Stadt in eine „hypertextuelle“ bzw. „architextuelle“ Struktur im Sinne Genettes verwickelt, ähnlich wie Portugal beim Orthonym Pessoa in Mensagem (1934) (vgl. Seabra 1996). Durch die Multiplizierung und Spiegelung im Text gewinnt Lissabon eine komplexe, vielschichtige symbolische Dimension. Auch der Wechsel der Heteronyme im Werk Pessoas führt zu einer ähnlichen hypertextuellen Ausweitung des realen Raums der Stadt: So heterogen wie die Stimmen des Dichters ist auch sein Lissabon. Auch Reis’ „Lehrmeister“, Alberto Caeiro, setzt der modernen Stadt durch die bukolische, heidnisch inspirierte und „posthum“ zwischen 1925 und 1931 von Pessoa herausgegebene Dichtung O Guardador de Rebanhos [Der Herdenbewahrer] eine Poetik der ländlichen Idylle entgegen: „Da minha aldeia vejo quanto da terra se pode ver do Universo… / […] Nas cidades a vida é mais pequena“ [Von meinem Dorf aus sehe ich, was vom Universum auf der Erde zu sehen ist… / […] In der Stadt ist das Leben kleiner] (Pessoa 2015, 37). Die Stadt, deren Prototyp Lis-
Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist die futuristische „Ode Triunfal“ de Campos’ (Pessoa 1990b, 66 – 73). So richtet sich Reis in seinen Odes (I, XIV, 1923 – Pessoa 1994, 71) an Lissabon: „e tu, que Ulisses erigira, / Tu, em teus sete montes, / Orgulha-te materna, / Egual, desde ele, às sete que contendem / Cidades por Homero, ou alcaica Lesbos, / Ou heptápila Tebas, / Ogígia mãe de Píndaro“ [und Du, von Ulysses errichtete / Du, auf deinen sieben Hügeln rührende / Mutter, stehe stolz auf, / wie, nach ihm, die sieben Städte, / die um Homer kämpften, wie das alkäische Lesbos, / oder das siebentorige Theben, / mein Ogygia Píndaros].
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sabon ist, ist für Caeiro ein Ort des Nicht-Authentischen, in welcher die göttliche Realität und Einfachheit der Welt („a simplicidade divina“ – Pessoa 2015, 44) nicht zu erkennen ist. Erfolgt bei Caeiro – wie bei Reis – keine konkrete Darstellung der Stadt Lissabon, wird dennoch eine negative Deutung und eine GegenÄsthetisierung der ruralen Landschaft um Lissabon sichtbar. Bei all diesen Heteronymen verweist also die Auseinandersetzung mit der Stadt auf einen existenziellen Zustand, auf dessen Basis eine spezifische ästhetische, philosophische und textuelle Allegorisierung des Stadtraums erfolgt. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, wie die vielfältigen Funktionen des Stadtmotivs bei Pessoa und die Verbindung zwischen Autor und Lissabon durch Strategien der Kulturvermittlung und expositorische Initiativen veranschaulicht werden können.
3 Ausstellen und museales Darstellen der Stadt Pessoas 3.1 Durch Lissabon „an der Hand“ Pessoas Ganz anders als in den literarischen Formen zeigt sich die Stadt-Darstellung im nicht-literarischen Stadtführer Lisbon. What the Tourist Should See, verfasst vom Orthonym Fernando Pessoa in Funktion eines Reiseleiters, eines „cicerone“ (Pessoa 1992, 34), der ausländischen Besucher·innen die Stadt vorstellt. Wie Rita Teresa Lopes, die Herausgeberin des posthum erschienenen Werks, erläutert, handelt es sich bei diesem Text um keine „solicitation from a publisher“, sondern um den Teil einer von Pessoa geplanten Schriftreihe unter dem Titel „All about Portugal“ (Lopes 1992, 20) mit dem Ziel einer Aufwertung des portugiesischen Kulturerbes nach dem Ende des Kolonialreichs. Das Buch bietet ein Beispiel jenes von Urte Stobbe (2013, 353) erwähnten dritten Typus des touristischen „story-telling“ durch „literarische Verfahren“. Wie bei Reiseführern üblich, setzt Pessoa hier eine textuelle Doppelstrategie um, die einerseits einer rein informativen Darstellung der Stadt als Sehenswürdigkeit dient, anderseits aber auch durch rhetorische und narrative Mittel deren Charme besonders hervorhebt. So ist trotz des meist sachlichen und trockenen Stils des Textes auch das literarische Talent des Schriftstellers zu erkennen, wie gleich zu Beginn: For the traveller who comes in from the sea, Lisbon, even from afar, rises like a fair vision in a dream, clear-cut against a bright blue sky which the sun gladdens with its gold. And the domes, the monuments, the old castles jut up above the mass of houses, like far-off heralds
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of this delightful seat, of this blessed region. […] As the ship moves forward, the river grows more narrow, soon to widen again, forming one of the largest natural harbours in the world with ample anchorage for the greatest of fleets. Then, on the left, the masses of houses cluster brightly over the hills. That is Lisbon. (Pessoa 1992, 32)
Der Text übernimmt die Außenperspektive eines Reisenden, der vom Meer kommt. Wie in einer Traumvision entsteht Lissabon märchenhaft aus der Ferne und nimmt langsam Form an. Die Anreise mit dem Schiff erinnert an die Berichte von Entdeckungsreisenden, die die portugiesische Geschichte kennzeichneten; bereits diese evozierten mythische Reisen der Antike – wie etwa die Reise Odysseus’, der laut einer Legende die Stadt Lissabon gegründet haben soll.²³ Einmal an Land, setzt das Ich, das jetzt ein Stadtbesucher ist, seine Reise durch die modernen Verkehrsmittel, die ihm die Stadt zur Verfügung stellt, bequem fort: „A carriage, a motor-car, or even a common electric trail, will carry the stranger in a few minutes right to the centre of the city. On the wharf every facility awaits him“ (Pessoa 1982, 34). An dieser Stelle erfolgt auch ein Register- und Fokalisierungswechsel. Der Text geht in die 1. Person Plural über und inszeniert einen Stadtspaziergang, während dem kunsthistorische Informationen über Orte und Monumente sowie praktische Hinweise im Zentrum stehen. Die Beschreibung und Präsentation der Stadt erfolgt nun durch eine „Live“-Wiedergabe der imaginierten Tour („our car moves on“, „we now reach“ – Pessoa 1992, 36, 38). Dabei stechen im Text zudem auch „phatische“ und „konative“ Appellfunktionen (Jakobson 1960) heraus, die die direkte Kommunikation zwischen Autor und Leser-Besucher·in implizieren. Durch einen detaillierten Bericht rekonstruiert der Reiseführer Schritt für Schritt den Stadtraum und organisiert diesen als Rundgang, entlang einer Vielzahl an Gebäuden, Straßen, Kulturorten und Monumenten der Stadt, vom symbolischen Kern des historischen und politischen Zentrums der Stadt am Rathaus in der Rua do Arsenal und der prächtigen Praça do Commercio bis hin zu den imposanten Palästen in der Umgebung von Lissabon, in Sintra. Der Stadtführer bietet somit auch einen panoptischen Streifzug durch verschiedene Epochen, er restituiert aber auch indirekt ein Porträt der Stadt und deren Aussehen um das Jahr 1925. Auf „kartografischen, chronologischen und faktualen“ Aspekten basierend („calcado no cartográfico, cronológico e factual“ – Santos 2009, 14) skizziert dieser Stadtbericht dennoch nicht mehr das Bild eines dynamischen oder sinnlich erfassten Lebensraums wie im Livro. Hier präsentiert der Lissabonner Bürger Dieser mythische Hintergrund ist bei Pessoa in der Ode „Ulysses“ aus Mensagem (Pessoa 2018, 137) erkennbar.
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Fernando Pessoa mit dem Blick des Kunsthistorikers eine Stadt, die Objekt einer touristischen Betrachtung ist und komplett auf die Dimension des Sehens („what the tourist should see“) reduziert wird. Ähnlich wie man während des Museumsbesuchs Kunstwerke einzeln betrachtet, wird auch hier in einer Art musealem Schreiben der Stadtraum hinsichtlich seiner touristischen Relevanz in Textabschnitte zergliedert, von denen jeder einer Sehenswürdigkeit gewidmet ist. Handelt es sich bei dieser Beschreibung um eine dokumentarische, also nicht poetische und literarische Vorstellung der Stadt, können dennoch gewisse Fiktionalisierungsverfahren erkannt werden, die für eine ästhetische und semiotische Umdeutung des Stadtraumes sorgen.²⁴ Die beschriebenen Sehenswürdigkeiten werden hier in einen vom Erzähler geordneten Zusammenhang integriert, durch eine (fiktive) Wir-Stimme, deren Rede in Tempo, Dauer und Modus eine (ebenso fiktive) Live-Erzählung simuliert. Interessanterweise wurde das Buch 1992 ohne Bilder veröffentlicht. Der Verlag setzte also zunächst keinen Schwerpunkt auf die Stadt als solche, sondern auf die Verbindung zwischen Stadt und Dichter. Hatte also zu Pessoas Zeiten dieser Text gewisse kulturpolitische Intentionen, ist vor dem Hintergrund des inzwischen kanonisierten Werks Pessoas seine Wirkung auf heutige Leser·innen eine völlig andere. Nun erzeugt nämlich allein schon der Name Pessoas ‒ jener Name, den er selbst derart problematisierte ‒ eine hohe Faszination, die unmittelbar auf die Darstellung der Stadt übertragen wird. So verwandelt sich nun automatisch die bescheidene Stimme eines, wenn auch äußerst gebildeten, anonymen Reiseleiters im Text in eine beispiellose Autorität.²⁵ Die Stadt, die Leser·innen nun also geboten wird, ist die Stadt Pessoas, ein literarisiertes (und literarisch musealisiertes) Objekt. Durch den Bezug auf die Autorität des Dichters fingiert die Publikation eine Authentizität und einen Zugang zu einem angeblich tieferen Wesen
Fiktionales und faktuales Erzählen unterscheiden sich nach Gérard Genette (1992) nicht nur thematisch – durch den Grad an Korrespondenz zwischen erzählten Objekten und Sachverhalten in einer Welt „außerhalb der Erzählung“ (Genette 1992, 71) – sondern auch rhematisch, also in der diskursiven Darstellung der erzählten Elemente, beispielweise in „Ordnung“, „Schnelligkeit“, „Frequenz“ sowie in Modus und Perspektive der Erzählung, wie „Fokalisation“ oder „Stimme“ (vgl. Genette 1992, 65 – 94). Vor solchen geänderten Leseerwartungen konnte der Klapptext werben: „É um prazer renovado visitar Lisboa pela mão do grande poeta e verificar que, apesar dos anos que passaram e de todas as alteraçoes urbanas, ainda podemos desfrutar esse prazer de passear pelas ruas meláncolicas da cidade branca e reconhecer os locais de que ele fala“ [Es ist eine erneute Freude, Lissabon an der Hand des großen Dichters zu besuchen und zu sehen, dass wir es trotz der vergangenen Jahre und aller urbanen Veränderungen immer noch genießen können, durch die melancholischen Straßen der weißen Stadt zu schlendern und die Orte zu erkennen, über die er spricht] (Pessoa 1992, Umschlag).
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der Stadt, die nur das Produkt einer rückblickenden Wahrnehmung und Rezeptionsgeschichte sind.
3.2 Heteronyme einer Stadt: die „Lissabons“ Pessoas In Zusammenarbeit mit der Lissabonner Stadtverwaltung, der Nationalbibliothek und der Casa Fernando Pessoa organisierte das katalanische Centre de Cultura Contemporània de Barcelona (CCCB) 1997 eine Wanderausstellung (Barcelona, Lissabon, Frankfurt am Main) mit dem Titel Les Lisboes de Pessoa (wörtlich „die Lissabons Pessoas“)²⁶. Wie der Ausstellungskatalog mitteilt, wurde die Initiative im Bewusstsein um die internationale Aufmerksamkeit konzipiert, die Portugal und Lissabon 1997 aufgrund der kommenden Expo’98 zuteil werden würde (Insua 1997a, 6). 1997 war Portugal zudem Gastland auf der Frankfurter Buchmesse und die Gesellschaft Portugal-Frankfurt 97 S.A., die das portugiesische Komitee vertrat, präsentierte die genannte Ausstellung im Bockenheimer Depot (7.–29. Oktober 1997) als Veranstaltung im Rahmen des offiziellen Ehrengastprogramms. Die katalanische Ausstellung wurde somit Teil einer internationalen Strategie zur touristischen Bewerbung des Landes und der Stadt. Einmal mehr erfolgte dieses Selbstmarketing mittels des Verweises auf den „berühmtesten portugiesischen Dichter“ (Insua 1997b, 6). Les Lisboes de Pessoa geht aus einer Idee des argentinischen CCCB-Kurators Juan Insua hervor und gehörte zu einem Ausstellungszyklus mit dem Titel Städte und ihre Schriftsteller, der unter anderem auch das Dublin Joyces, das Prag Kafkas und Borges’ Buenos Aires miteinschloss. Setzte das Projekt die Stadt als „literarisch behandeltes Symbol“ in den Mittelpunkt, stellte das Lissabon Pessoas eine besondere Herausforderung dar, die „zu einer Neubewertung“ (Insua 1997b, 11) des Mediums Ausstellung führen sollte: Die Beziehung eines großen Autors zu seiner Stadt darzustellen, erfordert also auch einen hohen ästhetischen Anspruch und dessen Verwirklichung als Ausstellung. […] Pessoas ausgesprochene Vielfältigkeit gestattet die Gestaltung einer Fiktion, die das Spiel zwischen den Heteronymen und der Stadt Lissabon noch verstärkt. (Insua 1997b, 11)
In der doppelten Auseinandersetzung mit Literatur und Raum hinterfragte die Ausstellung den produktiven Fiktions-Charakter expositorischer Verfahren. Auf
Auf Deutsch wurde die Ausstellung mit Pessoas Lissabon übersetzt (Insua 1997b). Der Originaltitel verweist dennoch wie auch die englische Übersetzung („The Lissabons of Fernando Pessoa“ – Insua 1997b, I) auf die Pluralität der Stadt.
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besondere Weise zelebrierte Les Lisboes de Pessoa nicht so sehr die ikonische und biografische Bindung zwischen dem Autor und seiner Stadt. Vielmehr thematisierte die Ausstellung die Vielfalt des literarischen Lissabons bei Pessoa und machte daraus zum ersten Mal ein – wenn auch nur ansatzweise dargestelltes – organisatorisches Prinzip seines Werks, indem sie den pessoaschen, orthonymischen sowie heteronymischen Hypertext in Form eines Stadtplans präsentierte. Um die Verwandlung des Stadtmotivs in eine für die Einordnung des Werkes Pessoas hermeneutisch fruchtbare, vielfältige Raum-Metaphorik zu illustrieren, lohnt es sich an dieser Stelle, die Komposition der Ausstellungsräume und deren Präsentationsformen im Einzelnen zu analysieren.²⁷ Die Verbindung zwischen Stadt und Werk setzte die Ausstellung durch einen in sieben „Stadtkreise“ aufgeteilten, spiralförmigen Raum in Szene, welcher zu einem „geheimen“ Kern, einem Stadt-, Werk- und Ausstellungszentrum führte (Abb. 1).²⁸ Der somit symbolisch und narrativ gestaltete Rundgang durch die Stadt Pessoas – durch „Pessoa“ als Stadt – bestand in Anspielung auf literarische Paratexte aus einem „Prolog“ und sieben Kapiteln. Jedes präsentierte zugleich: 1) ein Heteronym, 2) gewisse, im Text hervorgehobene Aspekte und Elemente der Stadt und 3) die Ästhetik und Weltanschauung eines Heteronyms, wiederum reflektiert durch die Stadtästhetik. Im Ausstellungsraum wurden Zitate aus dem Werk Pessoas auf die Wände gedruckt, Manuskripte und Faksimiles aus der portugiesischen Nationalbibliothek, Zeitschriften und Pessoa-Editionen zusammen mit Stadt-Fotografien, szenografischen Licht- und Objektinstallationen,Videos, Musik und Audioaufnahmen in ein multimedial gestaltetes Ambiente integriert. Die Kombination dieser Medien sorgte für eine sinnlich komplexe, immersive Erfahrung. So hatte die Ausstellung den Anspruch, durch ein eigenes, wenn auch minimalistisch gestaltetes, „fiktionales Universum“²⁹ die „semiotische Maschinerie“ (Insua 1997b, 11) im Werk Pessoas, dessen poetische, ästhetische und allegorische Verfahren mimetisch zu reproduzieren.³⁰
Ich danke dem CCCB und dem Leiter Juan Insua für die Einblicke in die umfangreiche Archivdokumentation und die sehr freundliche Auskunftsbereitschaft, die mir eine detaillierte Rekonstruktion des Ausstellungsraums ermöglichten. Von einem „centro (o enigma)“ [Zentrum (oder Rätsel)] spricht das Pressedossier (CCCB 1997, 9). Darin erkennt Martin Schärer (2003) ein Grundmerkmal von Ausstellungen. Die Aufteilung in sieben Stadtteile ist ein Verweis auf eine im Werk Pessoa wiederkehrende Zahl und deren Symbolik. Hat Lissabon sieben Hügel, stellt Ricardo Reis dadurch eine Beziehung zu den sieben Toren Thebens und den sieben Städten Homers her (Pessoa 1994, 71). In sieben Teilen artikulierte auch das Orthonym Pessoa in Mensagem die portugiesische Geschichte als Entwicklung von sieben „Schlössern“ bzw. Königsreichen (Pessoa 2018, 135– 142).
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Abb. 1: Skizze der Ausstellungsräume von Les Lisboes de Pessoa. CCCB-Archiv.
Der Vorraum zur Ausstellung (der „Prolog“) öffnete mit dem Titel „Tag des Triumphs“ („The Day of Triumph“ ‒ CCCB 1997b, 1): So bezeichnete Fernando Pessoa in einem berühmten Brief das Datum des 8. März 1914, als Alberto Caeiro, Álvaro de Campos und Ricardo Reis Form annahmen (vgl. Pessoa 1937, 3) und Fernando Pessoa zum Orthonym unter Heteronymen wurde. Ein kurzer Text erläuterte den Besucher·innen diese metaliterarische Vorgeschichte und problematisierte die Autorschafts- und Identitätsfrage als Leitmotiv des Werks Pessoas. Sieben autonom gestaltete Räume vermittelten im Folgenden Aspekte des Lebens und Werks Pessoas mit szenografischen Mitteln. Im ersten Raum wurde das ländliche „heidnische Dorf“ (Insua 1997b, 13) Alberto Caeiros, eine anonyme und poetische Landschaft in der Provinz des Ribatejo, als Vorort Lissabons vor-
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gestellt. Ein Plan der Region, ein Landschaftsfoto, projizierte Zitate aus Caeiros Gedicht O Guardador de Rebanhos sowie eine spartanische Holzeinrichtung aus zwei altarartigen Vitrinen und Efeublätter sollten das karge Leben auf dem Land und den bukolischen Paganismus im Werk Caeiros darstellen. Eine kurze Biografie rekonstruierte das fiktive Leben (1889 – 1915) des „Lehrmeisters“ aller Heteronyme (Pizarro 2018, 9). Neben dem Foto von Cesário Verde (1855 – 1886), Caeiros Vorbild, waren hier auch ein Porträt von Walt Whitman, Pessoas literarischem Modell für Caeiro, sowie ein Foto von Pessoas Vaters Joaquin de Seabra Pessoa und von Fernando Pessoa selbst zu sehen. Somit rekonstruierte die Ausstellung nicht nur die parallele Entstehung und Entwicklung des Stadtmotivs und der verschiedenen Heteronyme, sondern auch die literarische und familiäre Genealogie Pessoas. Wie bei Pessoa setzte die Ausstellung also eine eigene Welt in Szene, in der die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen biografischen, intra-, inter- und extratextuellen Ebenen verschwammen. In starkem Gegensatz zu diesem nüchternen Raum stand das zweite Ambiente, „die futuristische Stadt“ (Insua 1997b, 25) Álvaro de Campos’: Zusammen mit Almada Negreiros, Mário de Sá-Carneiro (1890 – 1916) und dem jungen Fernando Pessoa war „er“ einer unter den wichtigsten Vertretern des Futurismus in Portugal. In Anlehnung an seine Ästhetik wurde hier ein komplexes, verwirrendes Szenario eingerichtet (Abb. 2). Das hektische Leben der sich Anfang des neunzehnten Jahrhunderts rasch entwickelnden Stadt illustrierten hier metallische Installationen wie Zahnräder, Röhren, alte mechanische und elektrische Maschinenteile, Fotos von Fahrzeugen und Straßenbahnen. In einer Videocollage
Abb. 2: „Die Futuristische Stadt“ von Álvaro de Campos. Fotos und Design: © Varis Arquitectes. Quelle: CCCB-Archiv.
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aus dokumentarischen Filmszenen der Zeit war das Gedicht „Ode Triunfal“ (1915) von de Campos zusammen mit Ansichten von modernistischen Architekturen Lissabons, Bildern von Straßenverkehr und Menschenbewegungen synchronisiert. Der Raum rekonstruierte eine Phase der Produktion Pessoas und des literarischen Milieus um ihn herum. Neben Gedichten de Campos’ und diversen Zeitschriften, darunter Orpheu (1915), waren auch Fotografien von Künstlern und Vertretern der portugiesischen Avantgarde-Bewegung ausgestellt, sowie das Manifest Ultimàtum Futurista (1917) von Almada Negreiros. Der dritte Raum, „Lissabon und sein Dichter“ (Insua 1997b, 39), stellte das symbolische Zentrum der Ausstellung dar (s. Abb. 1, „espacio 3“) und handelte vom Orthonym, seiner Biografie und den zu Lebzeiten publizierten Werken – wie den Sammlungen 35 Sonnets (1918) und English Poems (1921) und der Erzählung O Banqueiro Anarquista (1922). Dieser Saal bot eine psychologische, philosophische Problematisierung der Person des Autors.³¹ In einer großen Vitrine wurden Aspekte seines Privatlebens durch Fotografien, Briefe und Bücher aus der persönlichen Bibliothek Pessoas dargestellt: die familiäre Geschichte, die Liebesbeziehung mit Ofélia Queirós, die wichtigsten Orte seines Lebens, seine Schriften und Lektüren zeichneten eine „Topographie der Seele“ (Insua 1997b, 43) des Autors. Im Kontrast zum vorangegangenen Raum war dieser leer und ruhig, und sollte die nachdenkliche, ernsthafte Persönlichkeit Pessoas darstellen. In dem komplett offen gehaltenen Raum waren Exponate nur hinter Glas zu sehen. Rationalität und Abstraktion prägten hier das Bild einer „Stadt“ als einer rein metaphysischen Struktur: Immaterielle Mittel wie Licht und Schwarz-Weiß-Projektionen reproduzierten an den Wänden die Architektur des Largo de São Carlos im zentral gelegenen Chiado-Bezirk, dem Geburtsort Pessoas (Abb. 3). Äußerst signifikant war das hin und wieder plötzlich hinter den Kulissen der Szenografie gespenstische Aufscheinen eines erhellten Schreibtischs, eine Anspielung auf die Figur des Schriftstellers zwischen Präsenz und Absenz. Neben der kreativen Raummetapher unternahm die Ausstellung also eine ähnliche Strategie der Fiktionalisierung und Inszenierung der Aura des Dichters wie die Casa Fernando Pessoa. Im Raum „Das Fünfte Reich und die aristokratische ‚Polis’“ (Insua 1997b, 57) wurden dagegen in Anlehnung an die Geschichte Portugals im Mittelalter die mythischen Atmosphären des Mensagem-Epos (1934) des Orthonyms Fernando Pessoa, dessen Teile, Motive und Struktur reproduziert. Jedes Kapitel wurde in einem Video durch Porträts von Königen und historischen Persönlichkeiten Por Der katalanische Katalog und die Dokumentation des CCCB bezeichnen diesen Teil mit dem Titel „El fingidor de Lisboa“ (Insua 1997a, 39) bzw. „The Faker of Lisbon“ (CCCB 1997b, 1). Dabei handelt es sich um einen Verweis auf den Vers „O poeta é um fingidor“ [Der Dichter ist ein Täuscher] (Pessoa 2018, 120) aus dem Gedicht „Autopsicografia“ (1932) vom Orthonym „Pessoa“.
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Abb. 3: Lichtinstallation im Raum „Lissabon und sein Dichter“. Fotos und Design: © Varis Arquitectes. Quelle: CCCB-Archiv.
Abb. 4: Schreibtisch-Erscheinung hinter der Szenografie von „Lissabon und sein Dichter“. Fotos und Design: © Varis Arquitectes. Quelle: CCCB-Archiv.
tugals evoziert. Schwere blaue Vorhänge, ein alter, auf einer Bühne platzierter Thron aus Holz, Vitrinen mit Manuskripten des Werkes und weiteren Pessoa„Reliquien“ sorgten für ein antik anmutendes Szenario. Parallel dazu rekonstruierten in einem Nebenflur eine Erläuterungstafel und Fotos die Etappen der historischen Entwicklung Portugals von Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bis in die frühere Phase (1933‒1935) der Diktatur Salazars, als Mensagem publiziert wurde.
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Viel moderner erschien das Lissabon des Livro do Desassossego im Raum „Straßen der Unruhe“ (Insua 1997b, 79). Eine wie das Buch fragmentierte, minimal eingerichtete Galerie von Vitrinen stellte durch Zettel, Manuskripte, die Schreibmaschine Pessoas und groß gedruckte Zitate meta-literarisch das Schreiben und die Materialität des Werkes aus. Projizierte Handschriften und Stadtpläne auf halbtransparenten Textilien, welche die Vitrinen bedeckten, versinnbildlichten die Überlagerung von Text und Stadtraum. Passagen aus dem Werk, editierte Textfragmente und alte fotografische Aufnahmen verwiesen auf die Gassen der Baixa und deren im Text wenig überschaubaren Raum. War in diesem Teil vor allem von Bernardo Soares die Rede, wurde im sechsten Raum „Die okkulte Stadt“ (Insua 1997b, 91) anhand einer Vielzahl von Heteronymen, Autoren und Schriften die Esoterik im Gesamtwerk Pessoas veranschaulicht. Wie eine Zeitungsseite dokumentierte, fand 1930 die seinerzeit skandalöse Begegnung Pessoas mit dem britischen Okkultisten Aleister Crowley in Lissabon statt. Dennoch ist die in diesem Teil angedeutete „Stadt“ nicht als konkreter Ort zu verstehen, sondern als ein rein symbolischer und metaphysischer. Dafür sorgte die Einrichtung eines mit schwarzen Tüchern verhängten, düsteren und kreisförmigen Raums. Unter einem nachgebildeten, nächtlichen Sternenhimmel mit der Inschrift „Neófito, não há morte“ [Neuling, es gibt keinen Tod] aus dem Orthonym-Gedicht Iniciação [Initiation] (1932; Pessoa 2018, 119) waren hier Editionen von Pessoas Übersetzungen theosophischer Autor·innen, Briefe, Manuskripte, astrologische Studien und Horoskope zu sehen. Der Ausstellungsrundgang endete mit einem kleinen, fast leeren Raum mit dem Titel „Das Lissabonner Aleph“ (Insua 1997b, 105). Die Einrichtung bestand ausschließlich aus einer großen Holztruhe mit diversen Manuskripten und Maschinenschriften (insbesondere von Ricardo Reis), unter anderem eine von Pessoa selbstverfasste „Tabua Bibliográfica“ (1928) [bibliografische Tafel] mit Angaben zu seinem Leben und der von ihm und seinen Heteronymen publizierten Werke. Ein Text erklärte die Bedeutung der Truhe mit Bezug auf die Erzählung „El Aleph“ (1949) von Jorge Luis Borges: Die Mythologie von Borges bemühend, könnte man diese Truhe als ein Lissabonner Aleph verstehen: ein Objekt von unmöglicher Wirklichkeit, in dem alle Punkte des pessoanischen Raums enthalten sind, alle Lissabons, die es in Pessoa gab. (Insua 1997b, 109)
In Borges phantastischer Erzählung geht es um die Entdeckung eines unter einer Treppe versteckten Wunder-Sichtpunktes, von dem aus die Gesamtheit aller Punkte und Orte des Universums, aus allen möglichen Zeiten und Perspektiven zugleich zu beobachten sind. Wie jene Truhe, in welcher der komplette Nachlass des Autors gefunden wurde, war auch die Ausstellung ein Ort aller imaginierten
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Orte und Heteronyme, der die kaleidoskopische Welt des Werks in sich synthetisch einschließt und darstellt. Auf der Erzählung Borges aufbauend, hat Edward J. Soja (1996) bekanntermaßen seine Theorie eines „Drittraumes“ zwischen realem und imaginiertem Raum entwickelt, welche die vieldimensionale Komplexität von Lebensräumen gegenüber dem rein physikalischen Verständnis vom Raum widerspiegeln soll. Auf den Drittraum der wechselseitigen Beziehung von Stadt und Werk, Biografie und Fiktion bei Pessoa spielte die Ausstellung letztlich an. Die Lektüre von Pessoas Werk als eine Art Stadt wirft ein Licht auf einen „Drittraum“ zwischen historisch-biografischen, literarisch inszenierten und allegorischen Stadträumen, realen und fingierten Autorinstanzen, Texten und Paratexten. Durch eine chronologische Narration, vom ersten Heteronym Caeiro und dem frühen avantgardistischen Engagement Pessoas bis zu späteren Werken des Autors, erfolgte in der Ausstellung auf szenografischer Ebene eine progressive Virtualisierung des Stadtraums, von einem zunächst ästhetisierten realen Raum bis zu einem immer abstrakteren, existentiellen, metaphysischen und schließlich metaliterarischen Bild. So war das „Lissabon“ im letzten Teil der Ausstellung auch keine außertextuelle Stadt mehr. Hier waren nur noch die Namen hunderter, meist unbekannter Pessoa-Heteronyme in verschiedenen Schriftarten, eine Auswahl an alten Lissabon-Postkarten und eine Zusammenstellung von Pessoa-Editionen in verschiedenen Sprachen zu sehen. Hatten bereits ab den 1980er Jahren diverse Ausstellungen³² und Publikationen den Heteronymismus im Werk Pessoas sowie die signifikante Verbindung von Pessoa und Lissabon im Text angedeutet, so war diese Beziehung noch nicht strukturell in einem einheitlichen literaturwissenschaftlich fundierten Konzept entwickelt worden. Les Lisboes de Pessoa brachte das Stadtmotiv stärker ans Licht, indem die Ausstellung durch die Erweiterung der Stadtmetapher wesentliche Aspekte des Werkes in einem konkreten Bild erfasste. Zusammen mit der Ausstellung wurden auch Studien ausgewiesener Pessoa-Forscher·innen zu diesem Themenkomplex verfasst und in den Ausstellungskatalog aufgenommen (Lopes 1997; Sala-Sanahuya 1997; Lancastre 1997; Bedate 1997). Das prägende Raumbild etablierte eine neuartige Verbindung zwischen Pessoa und Lissabon, die nicht zuletzt auch Folgen für das Bild der Stadt hatte. Lissabon trat als Reflektionsfolie des literarischen Projekts Pessoas in Erscheinung, und die Ausstellung bot ein vieldimensionales, surreales Porträt der Stadt, welche nicht mehr bloß als zufälliger Wohnort des Dichters und Referenz seines
So die von Teresa Rita Lopes kuratierte Ausstellung Pessoa: Coração de Ninguém in der Fundação Calouste Gulbenkian in Lissabon (Lopes 1985).
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literarischen Schaffens zu verstehen war, sondern als inspirierender Ort der Literatur und literarisches Werk.
3.3 Urbane und virtuelle Räume des Werks Pessoas Aus der Verbindung Pessoas zu seiner Stadt sind, wie erwähnt, eine Reihe von Initiativen und Projekten hervorgegangen. In den letzten Jahren hat sich die „Osmose zwischen der Stadt Lissabon und Pessoa“ („relação osmótica entre a cidade de Lisboa e Fernando Pessoa“ – Cammaert 2018, 398) auch zu einer gängigen Metapher für die Darstellung des Werkes Pessoas entwickelt. Vor allem die Verbreitung digitaler Medien ermöglichte es, die hypertextuelle Dimension im Werk Pessoas besser zu beleuchten und diese den Leser·innen zugänglicher zu machen. Der Verweis auf Stadt und Raum wurde in diesem Kontext jenseits jeglicher touristischer Werbeinteressen genutzt, um die strukturelle Komplexität des pessoaschen Werks darzustellen. Auf die Raummetapher stützen sich zum Beispiel das CD-ROM-Projekt MultiPessoa–Labirinto Multimedia ³³ (Areal und Casa Fernando Pessoa 1997) und die dazugehörigen Portale Arquivo Pessoa ³⁴ und MultiPessoa ³⁵. Diese Tools sollen Nutzer·innen einen multimedialen virtuellen Raum bieten, der das Surfen durch das komplexe Text-„Labyrinth“ des Werkes Pessoas und der verschiedenen Heteronyme ermöglicht und durch weitere Medien erweitert.³⁶ Das multimediale Hypertext-Modell fand in der Stadtmetapher eine eigene Erweiterung. Im Jahr 2016 veröffentlichte das Círculo de Bellas Artes in Madrid zusammen mit der Casa Fernando Pessoa die CD und DVD einer in Madrid präsentierten multimedialen Ausstellung mit dem Titel Pessoa/Lisboa (De Samaniego et al. 2016). Das Projekt besteht aus einem von Alberto Ruiz De Samaniego und José Manuel Mouriño auf Spanisch gedrehten Dokumentarfilm, welcher anhand
Der Titel ist ein Wortspiel mit dem Namen des Dichters, da das Wort pessoa auf Portugiesisch „Person“ bedeutet. Vgl. Arquivo Pessoa. „Objectivos e destinatários“. http://arquivopessoa.net/info (20. September 2020). Vgl. Multipessoa. „Labirinto. Viagens guiadas para estudantes e curiosos“. http://multipessoa.net/ (20. September 2020). Bis heute beschränkt sich das Projekt jedoch nur auf Text- und Bildmaterialien aus dem Archiv des Poeten. Auf einem ähnlichen Konzept basierend ist auch das von der Universität Coimbra entwickelte und durch das Ministerium für Forschung, Technologie und Höhere Bildung Portugals geförderte Arquivo LdoD (2017–), ein Digitalarchiv, das die diversen Editionen und Fragmente des Livro do Desassossego in einem komplexen Hypertext zur Verfügung stellt. Vgl. Arquivo LdoD, https://ldod.uc.pt/ (20. September 2020).
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von Textabschnitten und biografischen Referenzen eine Tour durch Lissabon, Pessoas Leben und sein Werk bietet. Mittels des Menüs können Nutzer·innen einen Ort auf dem Stadtplan Lissabons wählen und eine dazugehörige Szene des Films sehen. Jeder Abschnitt besteht aus einer mal fixen, mal mobilen subjektiven Einstellung eines städtischen Orts und einer synchronisierten Lektüre eines Textfragments durch eine Off-Stimme. Damit suggeriert der Film eine interne Fokalisierung aus dem Blickwinkel des Dichters, seiner verschiedenen Stimmen und Heteronyme, als ob die Zuschauer·innen die Stadt mit den Augen Pessoas betrachten würden. Durch den Einsatz von fotografischen, filmischen und musikalischen Mitteln erzielt der Film ästhetische und emotionale Effekte in der Darstellung des urbanen Raums. Weist Pessoa/Lisboa in Anlehnung an das Werk Pessoas eine fragmentarische Struktur auf, die ebenso fragmentarische Stadtansichten anbietet, sind Ästhetik und Modi der Inszenierung nicht vom jeweiligen Text abhängig. Hier wird nicht zwischen den verschiedenen Heteronymen und deren Betrachtungsweisen unterschieden. Vielmehr setzt das Projekt, wie das Präsentationsheft erklärt, die generelle „Kohärenz aller […] Stimmen“ Pessoas („coherencia entre todas sus voces“ – Sánchez Usanos 2016a, 17) voraus und sieht vom multiperspektivischen Charakter des Werks Pessoas grundsätzlich ab.³⁷ Pessoa/Lisboa bietet also einen Spaziergang durch eine ästhetisch einheitlich konzipierte Stadt Pessoas und macht aus partizipierenden Zuschauer·innen und Nutzer·innen virtuelle Flaneure und Flaneusen. Auf dieser Idee basiert auch die beigelegte CD, die ein Textarchiv enthält, den Atlas Pessoa. ³⁸ Ähnlich wie Arquivo Pessoa und MultiPessoa bietet auch sie die Möglichkeit, durch verschiedene, ausgewählte Textfragmente zu browsen, diese nach Heteronymen zu ordnen oder sie mit Schlagwörtern, Konzepten und Themen in Beziehung zu setzen, und sie so als Bestandteile eines einzigen, nach eigenen Suchkriterien geordneten Textes mit verschiedenen Stimmen zu lesen. Diese Interaktionsmöglichkeiten und Kombinationen sollen Wege durch das Gesamtwerk Pessoas öffnen. Für die Autoren geht es nämlich darum, sich dem Werk Pessoas wie einer Stadt anzunähern.³⁹ Genauer gesagt: „[Pessoa] se parece a una ciudad – que solo a ratos es Lisboa – con sus diferentes calles, plazas y barrios“ [(Pessoa) ist wie eine Stadt – die nur teilweise
Für eine detaillierte Analyse vgl. Anastasio 2019, 55 – 60. Auch online aufrufbar: Círculo de Bellas Artes de Madrid. „Atlas Pessoa“ https://www.circulobellasartes.com/pessoa/index.php (20. September 2020). „Si Pessoa fue un flâneur de Lisboa, el Atlas nos invita a serlo nosotros también, a deambular por un territorio prácticamente inabarcable: aquel que acotan sus escritos“ [Wenn Pessoa ein Flaneur Lissabons war, lädt uns das Atlas dazu ein, selbst zu einem solchen zu werden und durch ein unermessliches Gebiet zu wandern: jenes Gebiet, das seine Schriften eingrenzen] (Sánchez Usanos 2016a, 12).
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mit Lissabon identisch ist – mit eigenen Straßen, Plätzen und Bezirken] (Sánchez Usanos 2016b, 119). Ein ähnliches Konzept wie Pessoa/Lisboa entwickelte 2018 auch die Radioautorin Sofia Saldanha in Zusammenarbeit mit der Casa Fernando Pessoa mit der Audiotour Não sei o que o amanhã trará – um passeio sonoro na Lisboa de Fernando Pessoa [Ich weiß nicht was Morgen kommt – eine Audiotour in dem Lissabon Fernando Pessoas].⁴⁰ Dabei handelt es sich um eine online verfügbare Radiosendung in 15 Episoden zum Leben und Werk des Dichters. Ausgehend von signifikanten Orten der Stadt, die mit Biografie oder Werk Pessoas verbunden waren, zeichnet die Serie einen Weg durch Lissabon, der chronologisch die verschiedenen Phasen des Lebens und des literarischen Schaffens Pessoas definiert. Die einzelnen Episoden sind voneinander unabhängig, sodass die Hörer·innen selbst entscheiden können, wie sie ihre Tour gestalten möchten. Mithilfe eines mit Google Maps verbundenen Stadtplans können sie eine Episode auswählen, die Adresse aufrufen und sich selbst mit einem Mobiltelefon auf den Weg machen, während sie die Sendung hören. Musik und charakteristische Stadtgeräusche tragen dazu bei, das akustische Ambiente einzelner Stadtteile zu inszenieren. Durch ein dialogisches Skript entwickelte die Autorin und Haupterzählerin, Sofia Saldanha, eine eigene, originelle Erzählung im Gespräch mit Pessoa-Forscher·innen und Literaturwissenschaftler·innen wie Jerónimo Pizarro, Teresa Rita Lopes, Richard Zenith oder António Mega Ferreira. Auch Schauspieler werden eingesetzt, um reale Figuren und Persönlichkeiten, wie Pessoa selbst, dessen Freunde und Familienangehörige zu verkörpern sowie jedem Heteronym eine eigene Stimme zu verleihen. Mit Blick auf die genannte Initiative fragt Felipe Cammaert nach der hermeneutischen Produktivität der in den letzten Jahren immer mehr erforschten Verbindung zwischen Pessoa und Lissabon und nach der Möglichkeit, über diesen Themenkomplex auch den pessoaschen Heteronymismus darzustellen. Dies scheint aber erst möglich, wenn die Beziehung von Pessoa und Lissabon außerhalb realistischer Referenzrahmen gedacht wird, wenn Text und Stadtraum also nicht mehr als gegeneinanderstehende und in sich geschlossene Welten verstanden werden: [G]eht es bei dieser Reise durch das Lissabon Pessoas tatsächlich um einen physischen Standortwechsel oder eher darum, die Stadt in einer imaginären Route zu erfassen? […] Ist es überhaupt möglich, die Baixa von Ricardo Reis, das am Fluss gelegene Lissabon Alberto Caeiros, die kosmopolitische Stadt von Álvaro de Campos oder einfach das persönliche und
Vgl. Não sei o que o amanhã trará – um passeio sonoro na Lisboa de Fernando Pessoa. https:// fernandopessoatour.com/ (20. September 2020).
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alltägliche Lissabon Fernando Pessoas durch einen einzigen Stadtplan bzw. in einer zusammenhängenden Erzählung darzustellen (sei diese akustisch, schriftlich oder visuell)?⁴¹
4 Fazit Anders als im Fall anderer Städte, die prominente Autor·innen zum touristischen city branding einsetzen, beschränkt man sich in Lissabon nicht darauf, den Stadtraum als biografisches und literarisches Szenario von Pessoas Werk zu profilieren. Die komplexe Vernetzung von Heteronymen, Lissabon-Dichtern und Flaneuren stellt ein Charakteristikum des literarischen Schaffens Fernando Pessoas dar, welches gleichzeitig jedoch die eindeutige und referenzielle Identifikation der Figur des Autors mit „seiner“ Stadt erschwert. Entgegen diese Art der Verbindung hat sich durch die kreative Mitwirkung von künstlerisch und literaturwissenschaftlich fundierten Ausstellungsinitiativen eine Lesart behauptet, die ein metaphorisches Verständnis des Werks forderte: Pessoa als Stadt, die Stadt als Kompendium seines Hypertexts. Das Motiv der Stadt steht für einen dynamischen und diversifizierten Kulturraum, der die Pluralität der Stimmen der pessoaschen „ganzen Literatur“ (Pessoa 1966, 98) in sich einschließt. Zu dieser Umdeutung haben auf besondere Art und Weise Ausstellungen und ähnliche Initiativen beigetragen, die – vor dem Hintergrund der institutionellen und kulturpolitischen Verbindung zwischen Pessoa und Lissabon – die räumlichen Dimensionen des Textes stärker verdeutlichten und sich selbst mit materiellen oder virtuellen Raumkonzeptionen beschäftigten. Diese Interpretationsgeschichte schlägt sich in den letzten Jahren auch im Archivwesen nieder, etwa in Form digitaler Tools, die Literaturliebhaber·innen und Forscher·innen zum „Flanieren“ im fiktionalen Raum der Stadt Pessoas, zur Entdeckung von dessen Spuren im realen Lissabon sowie zur spielerischen Einordnung des pessoaschen „Labyrinths“ bringen. Es handelt sich bei solchen Formaten also nicht bloß um „literarische Touren“ als übliche Strategien des literarischen Tourismus, sondern um eine strukturelle, wechselseitige Semiotisierung von Stadt und Werk: Sie sind – wie die Literatur Pessoas – Pole eines faktualen und fiktionalen, räumlichen und textuellen Gesamtwerks.
„A viagem pela Lisboa de Pessoa implica necessariamente uma deslocação física ou, pelo contrário, ela inscreve-se num itinerário imaginário? […] Será possível representar, num único mapa e numa narrativa coesa (seja esta sonora, escrita ou visual) a Baixa de Ricardo Reis, a Lisboa fluvial de Alberto Caeiro, a cidade cosmopolita de Álvaro de Campos ou, simplesmente, a Lisboa íntima e quotidiana do próprio Fernando Pessoa?“ (Cammaert 2018, 401).
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Matteo Anastasio
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Stadtliteratur ‒ Museumsstadt
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Matteo Anastasio
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Autor·innenverzeichnis Matteo Anastasio ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Spanische Literatur- und Kulturwissenschaft am Romanischen Seminar der Europa-Universität Flensburg. Von 2017 bis 2020 war er Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt „Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung“. Er arbeitet an einer Dissertation zum Thema Literaturausstellen im Rahmen von Ehrengastauftritten auf internationalen Buchmessen. Er studierte Philosophie an der Università Ca’ Foscari di Venezia und Angewandte Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam. In Italien war er als Übersetzer und Lektor für italienisch-, spanisch- und deutschsprachige Literaturen tätig. Zu seinen Publikationen zählt Las ferias del libro como espacios de negociación económica y cultural. Vol. II. (Madrid und Frankfurt am Main, 2021; Hg. mit Marco Thomas Bosshard und Freja Cervantes Becerril). Marco Thomas Bosshard ist Professor für Spanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Europa-Universität Flensburg. 2007‒2017 verantwortete er die iberoromanische Belletristik im Verlag Klaus Wagenbach. Monografien: La reterritorialización de lo humano. Una teoría de las vanguardias americanas (Pittsburgh, 2013); Churata y la vanguardia andina (Lima, 2014). Als Herausgeber u. a. Las ferias del libro como espacios de negociación cultural y económica (Madrid/Frankfurt, 2019; mit Fernando García Naharro); Zonas de contacto en el mundo hispánico (Frankfurt, 2019; mit Laura Morgenthaler García); Epische Versdichtung im Frankreich des 19. Jahrhunderts zwischen Oralität, Auralität und Literalität (Sondernummer für Lendemains 164, 2016); Buchindustrie und Buchmessen zwischen Deutschland, Spanien und Lateinamerika (Münster, 2015); Orientaciones transandinas para los estudios andinos (Sondernummer der Revista Iberoamericana, 253, 2015; mit Vicente Bernaschina Schürmann) und Return Migration in Romance Cultures (Freiburg, 2014; mit Andreas Gelz). Jean-Max Colard ist Literaturwissenschaftler, Kunstkritiker und Ausstellungskurator. Er studierte an der Ecole Normale Supérieure in Paris und promovierte und lehrte an der Université de Lille 3. Von 1997 bis 2017 verantwortete er das Kunstressort des Kulturmagazins Les Inrockuptibles. Heute arbeitet er am Centre Pompidou (Paris), wo er für Diskussionsformate verantwortlich ist. Seit 2017 leitet er das Literaturfestival Extra!, das sich der Literatur jenseits des Buches widmet, und den ersten Literaturpreis des Centre Pompidou vergibt. Heike Gfrereis studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Stuttgart, Marburg und Tübingen, Promotion 1994, wiss. Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart bis 1999. Von 1999 bis 2001 Projektleiterin in einem Stuttgarter Architekturbüro. Seit 2001 Leiterin der Museumsabteilung im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Gründungskonzept für das Literaturmuseum der Moderne (2006), Kuratorin zahlreicher Dauer- und Wechselausstellungen. Zuletzt erschienen: fontane200/Autor (Hg., 2019) und Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie (2020). Maria Gregorio ist Museologin und Publizistin. Von 2001 bis 2007 war sie im Vorstand von ICOM Italia und vertritt Italien im International Committee of Literary and Composers’ Museums (ICLCM), dessen Vorstand sie von 2013 bis 2019 angehörte. 2005 leitete sie das Forschungsprojekt der Mondadori Stiftung zu Buchmuseen in Europa Imago libri. Musei del libro in Europa (Mailand: Bonnard, 2006). 2009 gab sie gemeinsam mit Axel Kahrs den Band Esporre la letteratura (Bologna: CLUEB) heraus. Im selben Jahr organisierte sie in Kooperation
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Autor·innenverzeichnis
mit der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten (ALG) die italienisch-deutsche Tagung Le Società letterarie. Italia e Germania a confronto, aus welcher eine gleichnamige Publikation hervorging (Verona, 2010). 2016 gab sie nach einem zweijährigen Forschungsprojekt den Band I lembi dei ricordi. Ri(n)tracciare il paesaggio di Goffredo Parise (Treviso: Antiga) heraus, welcher Beiträge versammelt, die sich dem Haus des Autors und dessen Umland widmen. 2018 schließlich gab sie den Band Con mano che vede. Disegnare per allestire (Rimini: Panozzo) zum Ausstellungsdesign von Claudio Ballestracci heraus. Cornelia Ilbrig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Romantik-Abteilung des Freien Deutschen Hochstifts und verantwortlich für die Erarbeitung der interaktiven Landkarte (Chronotopos Romantik) für das zukünftige Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt. 2005‒2007 war sie wissenschaftliche Volontärin in der Literaturkommission für Westfalen/Münster, danach als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf und bei verschiedenen Editionen (u. a. Briefe an Else Lasker-Schüler, Bergische Universität Wuppertal) tätig. Von 2010 bis 2017 war sie wissenschaftliche Redakteurin bei der Frankfurter Brentano-Ausgabe, 2008/09 Mitkuratorin der Ausstellung „Die Reise nach dem Mond“. Annette von DrosteHülshoff im Rheinland, sowie 2017 gemeinsam mit Dr. Claudia Bamberg der Ausstellung Aufbruch ins romantische Universum: August Wilhelm Schlegel. Seit Februar 2018 ist sie Assistentin für die Konzeption der Station zur Jenaer Frühromantik im Deutschen Romantik-Museum und seit Mai 2019 für die Neukonzeptionierung des Romantikerhauses in Jena zuständig. Seit 2006 Lehraufträge an den Universitäten Paderborn, Wuppertal und Frankfurt am Main. Studium der Germanistik, Philosophie und Psychologie an den Universitäten Leipzig und Zürich (1995 – 2001), Promotion über Johann Karl Wezel an der Universität Paderborn (2006). Publikationen zur Literatur der Spätaufklärung und der Romantik, zu Heinrich Heine, Annette von Droste-Hülshoff, Else Lasker-Schüler, Gisela von Arnim-Grimm, zur Schauerromantik, zu literarischen Skandalen zu Beginn der Moderne sowie zur Frage „Wie stellt man Literatur aus?“. Volker Jaeckel ist Professor für Germanistik und Komparatistik an der Bundesuniversität von Minas Gerais (UFMG) in Belo Horizonte. Nach dem Studium der Hispanistik, Politologie und Germanistik, war er DAAD-Lektor in Belém, hat in Romanischer Literaturwissenschaft promoviert und unterrichtete an den Universitäten in Potsdam, Berlin, Jena sowie als Gastdozent in Freiburg, Argentinien, Brasilien und Kolumbien. Außerdem war er Gastforscher an den Universitäten Düsseldorf, Flensburg, Alcalá de Henares und Valencia. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Großstadtliteratur, Darstellungen von Krieg in der Literatur, transnationalen Erinnerungskulturen und Migrationen. Er leitet an der UFMG seit 2020 eine Forschergruppe zu Exil und Migration. Sophie Soccard ist Senior Lecturer für English Studies an der Le Mans Université, Frankreich, und spezialisiert auf das 17. Jahrhundert. Sie ist als Mitglied eines Forschungsnetzwerks an der Umsetzung der (virtuellen wie realen) Ausstellung Images of Humanist Childhood zur Pädagogik der Renaissance beteiligt. Nach ihrer Doktorarbeit mit dem Titel Toleration in the Works of John Locke, 1659‒1704 hat sie sich weiter mit der Rezeption John Lockes, seinen philosophischen und politischen Ideen sowie damit einhergehenden Fragestellungen beschäftigt. Neben zahlreichen weiteren Artikeln und Buchkapiteln hat sie ein Symposium zur Mädchenerziehung in der Aufklärung organisiert, die Ergebnisse in einem von ihr verantworteten Dossier der Zeitschrift QUAINA herausgegeben (peer-reviewed) und forscht aktuell zu weiblichem Schreiben.
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Jan Rhein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für französische Literatur- und Kulturwissenschaft am Romanischen Seminar der Europa-Universität Flensburg. Er arbeitet und forscht zur französischen Literatur des 19. bis 21. Jahrhunderts, zu Literatur- und Übersetzungsvermittlung und zu Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Museum. Von 2009 bis 2015 arbeitete er als DAAD-Fachlektor in Nantes und leitete das Deutsch-Französische Kulturzentrum Nantes. Er ist außerdem als Literaturübersetzer tätig. Barbara Schaff ist Professorin für English Literature and Cultural Studies an der Georg-AugustUniversität Göttingen. Ihre Forschungsinteressen umfassen die Romantik, Autorschaftskonzepte, kinship studies, gender studies, sowie insbesondere travel writing, Literaturtourismus und Touristenführer. Ihre jüngste Publikation ist das Handbook of British Travel Writing (De Gruyter 2020). Vanessa Zeissig ist Innenarchitektin / Szenografin M.A. und arbeitete bereits an vielen verschiedenen Ausstellungsprojekten im In- und Ausland. Nebenberuflich schließt sie aktuell ihre Dissertation an der Hochschule für bildende Künste Hamburg im Bereich Szenografie mit Fokus auf dem Medium Literaturausstellung in institutionellen, wissenschaftlichen und gestalterischen Kontexten ab. Im Zuge eines Promotionsstipendiums des Zentrums für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck war sie von 2015 bis 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lübecker Literaturmuseum Buddenbrookhaus tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Ausstellungstheorie und -praxis sowie in der politischen, sozialen und experimentellen Szenografie.
Personenregister Adler, Katharina 203 – 205 Adorno, Theodor 52 f., 107 f., 181 Alberti, Rafael 114, 116, 118 – 121, 126, 130, 152 Alighieri, Dante 103, 167, 169, 179, 184 Aragon, Louis 16 f., 19, 21 – 25 Arce, Juan Carlos 114, 122 – 126, 130 Ariosto, Ludovico 97 Assmann, Aleida 61 f. Austen, Jane 227, 230, 236, 238 f. Azaña, Manuel 117, 156 Bachelard, Gaston 8, 222 Balzac, Honoré de 172 f., 183 f. Barthes, Roland 55, 57, 183 Baudelaire, Charles 179 f., 184 Bécquer, Gustavo Adolfo 155 Benjamin, Walter 172, 179, 183 Borges, Jorge Luis 31, 102, 166, 169 f., 177, 184, 258, 264 f. Brecht, Bertolt 119 Breton, André 16 f., 20, 23 f. Brontë, Charlotte 229 f. Butor, Michel 15 f. Caeiro, Alberto 248, 254 f., 260 f., 265, 269 Calderón de la Barca, Pedro 114, 138, 155 Campos, Álvaro de 248 f., 253 f., 261 f., 269 Canetti, Elias 98 Celan, Paul 5, 38, 48 – 52, 56, 60 f. Cervantes Saavedra, Miguel de 113, 152, 155 Christie, Agatha 8, 215 – 218, 220 f., 223 f. Clarín (Leopoldo Alas) 155 Collins, Billy 239 f. De Chirico, Giorgio 17 Dickinson, Emily 9, 231, 239 f. Didi-Huberman, Georges 175 – 177, 179 Djian, Philippe 163 d’Ors, Eugeni 156 Duras, Marguerite 16, 22
https://doi.org/10.1515/9783110691566-014
Eco, Umberto
55, 163
Fénéon, Félix Frost, Robert
22 f. 232, 234 f.
García Lorca, Federico 156 Genette, Gérard 165, 254, 257 Genzken, Isa 204, 207 Giacometti, Alberto 19, 23 – 26 Góngora, Luis de 113, 152, 155 Gourmel, Yoann 32 Goya, Francisco 117 – 121, 125 – 131, 146 Gracián, Baltasar 152, 155 Grass, Günther 99 f. Greenblatt, Stephen 3, 109, 219 f. Hartley, Leslie Poles 95 Heidegger, Martin 107 f., 220 f. Hölderlin, Friedrich 5, 38, 40 – 53, 56 – 61 Houellebecq, Michel 163 – 165 Huyghe, Pierre 31 Hybert, Fabrice 30, 32 Iser, Wolfgang
55
Johannes vom Kreuz
155
Kafka, Franz 168, 175, 258 Kotzebue, August von 77 – 81, 83 Larra, Mariano José de 155 Le Clézio, Jean-Marie Gustave 163 Leopardi, Giacomo 104 – 106 Lessing, Gotthold Ephraim 228 Lyotard, François 5 MacGregor, Neil 237, 240 Machado, Antonio 121, 124, 156 Madariaga, Salvador de 156 Mallarmé, Stéphane 16 f., 171 f., 178, 184 Man, Ray 16 Manet, Edouard 15, 19 Mann, Thomas 235 f.
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Personenregister
Masséra, Jean-Charles 24 Matisse, Pierre 20, 25 Mercero, Antonio 114, 126, 130, 132 Miró, Gabriel 156 Moratín, Leandro Fernández de 155 Moretti, Franco 37 Morrison, Toni 163 Negreiros, Almada 262 Novalis 68, 70 f., 83, 85 O’Connor, Nuala 239 – 241 Ortega y Gasset, José 156 Parise, Goffredo 1, 9, 108 f., 181 Pasolini, Pierpaolo 176 f., 179, 184 Perec, Georges 24 Pérez Galdós, Benito 113, 155 Pérez-Reverte, Arturo 114 Pessoa, Fernando 9, 243 – 269 Picabia, Francis 16, 18, 21 f. Picasso, Pablo 116 Proust, Marcel 174, 184, 219 Quevedo, Francisco de
113, 135, 152, 155
Raad, Walid 29 f. Rammstedt, Tilman 203 – 205, 207 Reis, Ricardo 174, 248, 254 – 256, 260 f., 264, 269 Robbe-Grillet, Alain 24 Royer, Elodie 32
Sartre, Jean-Paul 16, 20, 23, 25 f. Schiller, Friedrich 72, 236 Schlegel, August Wilhelm 67 f., 70 – 78, 80, 83, 85 f. Schlegel, Friedrich 67 – 78, 83, 85 f. Schleiermacher, Friedrich 70 f. Scott, Walter 100, 233 Serna, Ramón Gómez de la 156 Shakespeare, William 103, 113 Soares, Bernardo 248 – 250, 253, 264 Stein, Gertrude 200, 202 Storm, Theodor 236 Teresa von Ávila 155, 157 Toussaint, Jean-Philippe 7, 163 – 184 Valéry, Paul 1 f., 9 f., 16 f., 21 Vega, Lope de 155 Velázquez, Diego 114, 116, 118 – 121, 123 f., 128, 131 Verde, Cesário 251, 261 von Goethe, Johann Wolfgang 83 Westmacott, Mary 218 Whitman, Walt 261 Wittgenstein, Ludwig 107 f. Woolf, Virginia 232, 238 Wordsworth, William 231 Zola, Emile
15 f., 19
Sachregister Architektur 7, 135, 140 f., 145, 147, 149 f., 152 f., 157, 198, 227 f., 232 f., 253, 262 Archiv 49 – 51, 58 – 60, 65, 95, 101, 104, 106, 137, 158 f., 165, 224, 260 f., 263, 266 Aura 25, 104, 236 – 238, 263 Ausstellbarkeit 1 f., 189, 193 – 196, 201 – 203, 209 Authentizität 99, 223, 228, 255, 258 Avantgarde 26, 147, 149, 152, 156, 165, 172, 247, 262, 265 Begehbarkeit 5, 8 f., 72 – 74, 193 Besucher 2, 66, 95, 98 – 100, 102 – 109, 113, 140 f., 215 f., 219 – 223, 227 – 230, 232 – 234, 236 – 238, 240 Bibliothek 6, 51, 100 f., 104 – 107, 153, 155, 157, 169 – 171, 218, 221, 230, 236, 262 Biografie 9, 50, 56, 98, 216, 224, 227 – 231, 233, 235 f., 238 – 241, 246, 261 f., 265, 268 Buchmesse 7, 135 – 138, 145, 156 – 159, 258 City Branding 9, 245, 269, 262 – 264, 266 Culture Branding 7, 135 f., 247, 258 Design 139 f., 198, 227, 232, 261, 263 Dichterhaus 95 f., 99, 104, 106 – 109, 119 f., 144, 147, 149, 215 – 218, 220 – 224, 228, 230, 232 – 237, 239 f., 244, 256 Ding 3, 8, 26, 30, 61, 71, 98, 215, 218 – 224, 228, 237, 240, 250 – 252 Dramatisierung 6, 37, 67, 78 f., 107, 113 f, 118 – 121, 125, 129 – 130, 138, 218 Epochen 102, 145, 150, 152 – 155, 157, 177, 256 Europa 6, 95 – 109, 115, 135, 143 – 145, 152, 176, 180 Fiktionalität 3, 8, 17, 24, 31, 50, 99, 114, 123 f., 130 f., 167, 172, 201, 205, 215 f.,
https://doi.org/10.1515/9783110691566-015
218, 221, 232, 237 – 241, 247, 257, 259, 261, 265, 269 f. Flaneur 9, 252, 267 – 269 Fotografie 99, 108, 137 f., 146, 163 f., 166 f., 174, 207, 230, 234 f., 259, 262, 264, 267 Futurismus 254, 261 f. Gattung 17, 20, 22, 37 f., 48, 50, 61, 78, 192 – 193, 229 Gedächtnis 6, 54, 57, 96 – 98, 100 – 102, 107 f., 119, 174, 195, 197, 215, 219 f., 224, 236 Geografie 246, 251 Heteronymismus 247 – 250, 253 – 255, 258 – 269 Hypertextualität 248, 254, 259, 266 f., 269 Imaginär 2 f., 6, 8 f., 37, 54 f., 57, 61 f., 96 – 101, 105, 107 f., 125, 171, 174 – 176, 215 – 217, 219, 222 f., 230 f., 237 – 240, 244, 251 – 253, 256, 265, 269 Immersion 37, 62, 108, 199, 228, 259 Installation 7, 68, 70, 76, 78, 139, 157, 167 – 171, 173 – 175, 181 – 183, 189, 196, 199, 207, 262 Intermedialität 6, 18, 32, 113 – 115, 121, 126, 128, 130 f., 165 Kanonisierung 151, 153 – 155 Katalog 4, 15, 17, 19 f., 23, 25 f., 105, 107 f., 155 f., 167 f., 245, 262 Kino 31, 113 f., 126 – 131, 164, 166 – 168, 227 f., 231, 239, 245, 267 Konstellation 66, 169, 171 – 175, 182 Kreativität 1, 8, 65 f., 168, 222, 232 Kulturerbe 6, 29, 115, 255 Kulturgutschutz 115 f., 123 f., 127, 130 Kunstkammer 100 f. Kurator 4, 28, 107, 109, 137, 237 f., 258 Lesen 1, 4 f., 21, 32, 37 f., 44 f., 47 – 49, 51, 53 – 62, 95, 98 – 105, 157, 166 f., 173 f.,
280
Sachregister
200, 217 – 223, 229 f., 232 f., 236 – 237, 249, 262, 265 Lesepsychologie 54 f., 222, 262 Leser 51, 55, 61, 86, 99, 101 – 103, 123 f., 126, 217 – 223, 229, 232, 236, 238 f., 250, 253, 256 Literaturtourismus 9, 151, 216, 221, 223, 228, 237, 244 – 246, 255, 257 f., 266, 269 f.
Performativität 237 Poesie 2, 4 – 6, 9 f., 16, 24 f., 37 – 42, 45 – 52, 55 f., 58 – 61, 71, 73 – 75, 80, 83, 86, 95, 97 – 99, 104 f., 108, 119, 151, 171 f., 222, 228, 231 f., 234, 237, 239 f., 243, 247, 249, 251, 253 f., 257, 260 – 262, 264, 266 Präsenz 98, 126, 153, 157, 198, 201, 219 f., 222 f., 232 – 235, 239, 243 – 246, 263
Materialität 1, 9, 22, 60 – 62, 67, 73, 99, 101 – 103, 165, 170, 173, 175, 181, 183 f., 190 f., 196 f., 199 – 201, 205, 218 – 223, 227 f., 230, 233 f., 236 f., 244, 246, 248, 251, 253, 262, 264, 269 Medialität 4, 6 – 8, 18 f., 31 – 32, 37 f., 49, 55 f., 61 f., 65, 67 f., 97, 113 – 115, 121, 128, 130 f., 140, 157, 163 – 166, 168 f., 173, 175, 177 f., 180, 183 f., 191 f., 195 – 201, 203 f., 207, 209, 227 – 229, 248, 258 f., 266 Medienkonkurrenz 2, 6 – 8, 25, 27 f., 140, 157, 165, 170, 183, 190, 195 Modernismus 3 – 6, 26, 31, 38, 45, 77, 98 f., 101, 104, 106 f., 124, 129, 131, 141, 143 – 147, 149, 156, 170 f., 173, 180, 182, 193, 195 f., 217, 247, 254, 256, 262, 264 Musealisierung 5, 8 f., 191, 197, 200 f., 258 Musik 1, 26, 28, 78, 81, 101 f., 128, 131, 259, 267 f.
Raum 3 – 5, 8 f., 17, 29 – 31, 38, 49, 51, 54, 56, 60, 66, 71, 73 f., 84, 95, 97, 99 – 101, 103 – 108, 122, 135, 149, 164, 168, 174, 179 f., 184, 189 – 193, 196 – 201, 203 f., 207, 209, 215 – 224, 227 – 233, 236 f., 239, 245 f., 248, 250 – 254, 259, 261 – 267, 269 f. Renaissance 6, 96, 100 f., 108, 254 Repräsentation 3, 5, 7 f., 55, 113 f., 189, 196 f., 230, 237, 247 Resonanz 109, 219, 245 Rezeption 1, 4 f., 8 f., 65, 86, 136, 139, 165, 167, 172, 196 f., 200 f., 220, 227, 238, 243, 246 Romantik 66, 75, 146, 148, 152, 155
Narrativierung 2 f., 5 – 9, 32, 49, 61, 77, 106, 113, 116, 122, 128, 151, 163 f., 166 – 169, 172 – 175, 181, 207, 227 – 229, 231 – 233, 236 – 239, 241, 245 f., 250, 254 f., 257, 259, 262, 264 f., 268 f. New Historicism 3, 229 Objekt 2, 4 – 6, 8 f., 21, 29 f., 51, 54, 58, 61 f., 65, 99, 101 – 105, 107, 109, 157, 181, 191, 193, 200, 204 f., 217 – 221, 223 f., 227 – 234, 236 – 241, 257 f., 265 Offener Text 172, 181 – 183 Paratextualität 10, 27 f., 80, 165, 248, 259, 265 Partizipation 5, 55 f., 65, 67, 73 f., 77, 83 f.
Sammlung 3, 6, 29, 45 f., 56, 72, 95 f., 101 – 103, 105, 107, 123, 167, 171, 198, 221, 228, 237 f., 262 Semiotik 4, 55, 245 f., 257, 259, 270 Stadtinszenierung 9, 170, 172 f., 180, 202, 243 – 270 Studiolo 96, 99 – 101, 104, 106 – 108 Subjekt 2, 52, 62, 96 – 98, 100, 173, 180, 218 – 220, 252 Surrealismus 17, 20, 23, 25, 266 Szenografie 7 f., 189 – 191, 196 – 202, 204, 207, 209, 262 f. Theater 78, 80 f., 107, 113 f., 119, 130, 138, 218, 223 Themen 72 f., 203 f., 267 Transit 190 Transmedialität 4, 19, 131, 163 f., 165 f., 184
Sachregister
Übersetzung 38, 49, 98, 103, 167, 189 – 191, 193, 195, 200, 229, 233, 264 Universalismus 168, 180 Virtualität 37 f., 45, 70, 79, 82, 130, 194, 198, 204 f., 246 – 248, 266 f., 269 Visualität 7, 9, 19, 49, 96 – 99, 104, 157, 167 f., 171, 178, 193, 196, 204, 207, 221, 228, 233, 236 f., 269
281
Wahrnehmung 5, 44, 47, 54 f., 74, 84, 99, 104 f., 108, 193, 197, 199, 223, 228, 234, 246, 251, 253 f., 257 – 259 Weltausstellung 1, 7, 9, 258 Weltliteratur 102 f., 113, 248 Zeitschriften
68, 229 f., 247, 249, 259, 262
Museen und Institutionen Abbotsford House
Hofbibliothek Wien
233
Buddenbrookhaus Lübeck 99, 108, 190, 202, 205, 235 Brontë Parsonage Museum 229 f. Casa Fernando Pessoa 243–245, 258, 263, 266–268 Casa Rossa 99 f. Centre de Cultura Contemporània de Barcelona 258–263 Chawton House 238 Deutsches Literaturarchiv Marbach Fondation Martin Bodmer
38, 47
101
Jane Austen’s House Museum Keats–Shelley Memorial House Knut Hamsun Centre 233
230 236
Le Plateau – Centre d’art contemporain Literatuurmuseum Den Haag 98
Monk’s House 232, 234, 238 Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris 31 Musée du Louvre 7, 29 f., 122 f., 163, 167– 171, 173–176, 178, 180 f., 183 Museo del Prado 6, 113–119, 121–131, 249
102 f. Palais de Tokyo
Galerie Maeght 26 Gleimhaus Halberstadt 98 Greenway Estate 8, 215–221, 223 Günter Grass-Haus Lübeck 99
https://doi.org/10.1515/9783110691566-016
32
30
Robert Frost Stone House Museum
232