Tradition – Verfassung – Repräsentation: Kleine politische Schriften 9783050087771, 9783050044927

The volume compiles shorter works by the political philosopher Edmund Burke that reflect both his liberal and conservati

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German Pages 428 Year 2019

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Table of contents :
Vorbemerkung
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Teil 1: Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken
1. Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken
Teil 2: Über Repräsentation und Wahlkämpfe
2. Über Repräsentation und Wahlkämpfe
Teil 3: Burke und das Empire
3. Burke und das Empire
Teil 4: Politisches Denken gegen die Revolution
4. Politisches Denken gegen die Revolution
Teil 5: Politik und Ökonomie bei Edmund Burke
5. Politik und Ökonomie bei Edmund Burke
Bibliographie
Drucknachweise
Personenregister
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Tradition – Verfassung – Repräsentation: Kleine politische Schriften
 9783050087771, 9783050044927

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Edmund Burke Tradition – Verfassung – Repräsentation

Schriften zur europäischen Ideengeschichte

Herausgegeben von Harald Bluhm

Band 8

Edmund Burke

Tradition – Verfassung – Repräsentation Kleine politische Schriften Herausgegeben von Olaf Asbach und Dirk Jörke Übersetzt von Bettina Engels und Michael Adrian

ISBN 978-3-05-004492-7 e-ISBN (PDF) 978-3-05-008777-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-037983-9 ISSN 2191-9801 Library of Congress Control Number: 2019941410. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildung S. V: The Right Honble Edmund Burke (1790), British Museum: 1902, 1011.2854 © The Trustees of the British Museum Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorbemerkung Edmund Burke zählt seit weit mehr als zwei Jahrhunderten zu jenen einflussreichen und umstrittenen politischen Denkern, deren Name weit über das fachwissenschaftliche Publikum hinaus auch in der politisch interessierten Öffentlichkeit bekannt ist. Es läge somit nahe zu vermuten, dass zumindest seine wichtigsten Werke auch in deutscher Sprache verfügbar sind. Umso überraschender ist es, dass dies bisher nicht der Fall war. Will man es ironisch ausdrücken, könnte man den Eindruck haben, als handele sich bei Burke im deutschen Sprachraum um eine Art politiktheoretisches ‚OneHit-Wonder‘, insofern er 1790 seine Reflections on the Revolution in France publizierte und damit zum ‚Vater des Konservatismus‘ avancierte. Denn bis heute beschränken sich deutschsprachige Editionen Burkes fast ausschließlich auf vielfache Neuausgaben und Bearbeitungen der 1793 von Friedrich Gentz herausgegebenen Übertragung dieses Werkes, der Betrachtungen über die Revolution in Frankreich. Ganz gleich, ob Burkes Name aus diesem Grund im deutschen Sprachraum fast ganz mit seiner Kritik der Französischen Revolution und den Anfängen konservativen Denkens verbunden wird, oder ob umgekehrt diese Sicht auf Burke das Interesse an seinen anderen Schriften verhindert hat – der Effekt ist derselbe. Es ist Harald Bluhm zu danken, dass mit der vorliegenden Edition nun die Gelegenheit eröffnet wird, das politische Denken Edmund Burkes in einer umfassenderen Weise kennenzulernen. Auf seine Anregung hin, einen Band mit einer Auswahl politischer Schriften von Edmund Burke für die von ihm verantwortete Reihe Schriften zur europäischen Ideengeschichte herzustellen, geht das Projekt der Herausgeber zurück, das nun abgeschlossen werden kann. Auch wenn eine Verzögerung um das eine oder andere Jahr, die es dabei erfahren hat, angesichts der mehr als 228 Jahre seit der Publikation der Betrachtungen kaum ins Gewicht fallen dürfte, danken die Herausgeber Harald Bluhm für seine Geduld ebenso wie für die Eröffnung der Möglichkeit, dieses Unternehmen verfolgen und realisieren zu können. Dieser Dank gilt auch dem Verlag: Begonnen wurde das Projekt noch mit dem Akademie-Verlag, der inzwischen im de Gruyter-Verlag aufgegangen ist. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Verlage, für die stellvertretend Frau Johanna Davids und Frau Olena Gainulina genannt werden sollen, danken die Herausgeber für die stets angenehme und konstruktive Zusammenarbeit. Der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg danken wir für die Gewährung einer Forschungsförderung, durch die die Übersetzung der Texte gewährleistet und so das Fundament der Edition geschaffen werden konnte. Die Übersetzung von Reden und Schriften von Edmund Burke stellt Übersetzerinnen und Übersetzer stets vor besondere Herausforderungen. Ein großer Teil seiner Wirkung sowohl als Parlamentsabgeordneter wie als Verfasser politischer Pamphlete und Schriften beruht auf seinen außergewöhnlichen Qualitäten als Rhetoriker, für die er schon zu Lebzeiten berühmt war. Bettina Engels und Michael Adrian danken https://doi.org/10.1515/9783050087771-201

viii | Vorbemerkung

die Herausgeber in ganz besonderer Weise für die glänzende Bewältigung dieser überaus anspruchsvollen Aufgabe, die weit über das übliche Maß hinaus eine stets auch inhaltliche Auseinandersetzung mit Texten und Kontexten sowie intensive Diskussionen über Varianten und Optionen der Übersetzung erforderlich gemacht hat. Eine Edition wie die vorliegende ist stets mehr als die Leistung der Herausgeber. Im Laufe der Jahre der Arbeit an dieser Publikation haben wir auf die Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Freundinnen und Freunde zählen können, so auf Jonas von Bockel, Hubertus Buchstein, Andreas Busen, Veronika Detel, Lucca Hemmerich, Heike Jensen, Kerstin Kock, Skadi Krause, Saskia Mestern, Clemens Reichhold, Torben Schwuchow, Veith Selk, Patrick Samtlebe, Marc Weigelt und Dorothea Wildenburg. Sie alle waren in vielfältiger Weise bei Recherchen, Kommentierungen oder der Überarbeitung und redaktionellen Fertigstellung der Texte dieses Bandes beteiligt. Ohne ihre Unterstützung wäre das Ergebnis nicht so gelungen, wie es zumindest unserer Ansicht nach der Fall ist. Alle verbliebenen Fehler und Schwächen fallen dabei selbstverständlich in die ausschließliche Verantwortung der Herausgeber.

Hamburg und Darmstadt, im April 2019 Olaf Asbach und Dirk Jörke

Inhalt

Einleitung | 1 1 2 3

Die Diskussion um das politische Denken Edmund Burkes | 1  Ein Leben zwischen Politik und Publizistik | 3  Zu dieser Ausgabe von Schriften Edmund Burkes | 9

Teil 1:  Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken   1 

Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken | 17  Einleitung (Olaf Asbach) | 17  1.1.1  Die Vindication of Natural Society im Werk Edmund Burkes | 17  1.1.2  Die Vindication als Abrechnung mit der modernen Zivilisation | 21  a) Zivilisationskritik und die Maske des ‚Pseudo-Bolingbroke‘ | 21  b) Aufklärung, Wissen und ihre praktisch-politische Macht | 25  c) Eine Theorie der natürlichen Gesellschaft | 26  d) Vom Elend des Zivilisationsprozesses (I): Die Welt von Staaten | 28  e) Vom Elend des Zivilisationsprozesses (II): Die Welt des Staates | 31  1.1.3  Burke und die Grundlagen politischer Gesellschaft und Zivilisation | 35  a) Die Hybris prinzipiengeleiteter Vernunft und Kritik | 36  b) Naturordnung und die Leistungen und Grenzen der Vernunft | 38  1.1.4  Grundbegriffe von Burkes politischem Denken – zwischen Aufklärung, Kritik und Bewahrung | 41  a) Die anthropologischen Grundlagen der Gesellschaft | 43  b) Die naturwüchsige Genese politischer Ordnungen | 43  c) Die Pluralität politisch-sozialer Ordnungen | 44  d) Die Notwendigkeit von Autorität, Institutionen und Recht | 45  e) Staat, Kirche und Religion | 46  1.1 

f) Der Primat von Tradition, Sitten und Meinungen | 47

  1.2 

 

Edmund Burke: Eine Rechtfertigung der natürlichen Gesellschaft. Oder eine Betrachtung der Nöte und Übel, die der Menschheit aus jeder Art von künstlicher Gesellschaft erwachsen (1756) | 49

x | Inhalt

Teil 2: Über Repräsentation und Wahlkämpfe   2  2.1 

Über Repräsentation und Wahlkämpfe | 99  Einleitung (Dirk Jörke) | 99 

2.1.1  Eine politische Welt im Umbruch und die Notwendigkeit der Parteibildung | 99  2.1.2  Das britische Wahlsystem und Burkes Rede an die Wähler in Bristol | 102  2.1.3  Das Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ | 105  2.1.4  Die Kosten von Wahlkämpfen | 108  2.1.5  Eine gewohnheitsrechtliche Verfassung | 112

  2.2 

Edmund Burke: Rede an die Wähler von Bristol, gehalten am Donnerstag, den 3. November 1774. | 115

  2.3 

Edmund Burke: Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer, gehalten am 8. Mai 1780 | 122

  2.4 

Edmund Burke: Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation, gehalten am 16. Juni 1784 | 134 

Teil 3:  Burke und das Empire   3 

Burke und das Empire | 147  Einleitung (Dirk Jörke) | 147  3.1.1  Kritik des Kolonialismus | 147  3.1.2  Der Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien und der Brief an die Sheriffs von Bristol | 151  3.1.3  Der Kampf um religiöse Toleranz in Irland | 156  3.1.4  Burkes Einsatz für die Rechte der Inder und sein Kampf gegen Warren 3.1 

Hastings | 160

  3.2 

Edmund Burke: Brief an die Sheriffs von Bristol | 167

  3.3 

Edmund Burke: Ein Brief an einen Peer aus Irland | 206

  3.4 

Edmund Burke: Rede zur Eröffnung des Verfahrens gegen Warren Hastings | 220  Erster Tag: Freitag, 15. Februar 1788 | 220  Zweiter Tag: Samstag, 16. Februar 1788 | 249 

Inhalt | xi

Teil 4: Politisches Denken gegen die Revolution   4  4.1 

Politisches Denken gegen die Revolution | 255  Einleitung (Olaf Asbach) | 255 

4.1.1  Burkes Reaktion auf die Französische Revolution und die Folgen | 255  4.1.2  Der Appeal als theoretisches und politisches Manifest | 258  a) Der Anstoß: Die Debatte um die Quebec Bill im Mai 1791 | 259  b) Die antirevolutionäre Stoßrichtung des Appeal | 259  c)   Glorious Revolution und Ancient Constitution: Burkes Konstruktion der alten Whigs | 261  4.1.3  Die neuen Whigs als politisch-theoretische Feind(bild)konstruktion | 263  a) Die politische und soziale Lage in England und das drohende Übergreifen der Revolution | 264  b) Kritik und Reformbewegungen als Weg zur Revolution | 265  c) Drei Strömungen der neuen Whigs | 266  4.1.4  Politisches Denken der Aufklärung im Umbruch zur bürgerlichen Gesellschaft | 276  a) Aufklärerisches Denken gegen die Revolution | 276  b) Burke und die ‚konservative‘ Umprägung der Aufklärung | 277  c) Burkes konservative Affirmation der bürgerlichen Gesellschaft | 281

  4.2 

Edmund Burke: Eine Appellation gegen die neuen an die alten Whigs (1791) | 284

Teil 5:  Politik und Ökonomie bei Edmund Burke   5  5.1 

Politik und Ökonomie bei Edmund Burke | 319  Einleitung (Olaf Asbach) | 319 

5.1.1  Das Rätsel der Rolle der politischen Ökonomie in Burkes politischem Denken | 319  5.1.2  Die Entstehungshintergründe der Thoughts on scarcity | 324  a)  Dimensionen der ökonomischen Krise in England 1795 | 324  b)  Krise, Unruhen und das Ende der „moral economy“ | 326  c)  Das Poor Law und die Schranken der traditionellen Ordnung | 328  d)  Die Debatten um das Poor Law und die Durchsetzung der Marktordnung | 332 5.1.3  Die Thoughts on scarcity als politisch-theoretische Intervention | 336  a)  Die Genese von Burkes Thoughts on scarcity | 336  b)  Die politische Funktion ökonomischer Argumente | 339  c)  Die Ökonomie als System der natürlichen Gesetze und Ordnung | 340 

xii | Inhalt

5.1.4  Burke und die ‚konservative‘ Wende der politischen Ökonomie | 343  a)  Die Thoughts on scarcity als Arsenal marktliberaler Argumente | 344  b)  Burkes Vereinbarung von ökonomischer Freiheit und natürlicher Ungleichheit | 347

  5.2 

Edmund Burke: Allgemeine Überlegungen und Details zur Frage der Knappheit (1795) | 351 

Bibliographie | 385  Drucknachweise | 405 Personenregister | 407 

Abkürzungsverzeichnis Annals

= Annals of Agriculture, and other Useful Arts. Collected and Published by Arthur Young, 46 vol., London 1784-1815.

Corr.

= The Correspondence of Edmund Burke, 9 Bände (zitiert als Corr. mit Bandangabe).

PH

= Parliamentary History of England. From the Norman Conquest, in 1066, to the year 1803. Hrsg. von W. Cobbett, 36 vol., London 1806-1820.

PR

= The Parliamentary Register; or, History of the Proceedings and Debates of the House of Commons; Containing an Account of the Interesting Speeches and Motions. Hrsg. von J. Debrett, 45 vol., London 1780-96.

Refl.

= Reflections on the Revolution in France (1790), in: WS VIII: 53-293.

RP

= Letters on a Regicide Peace I-III (1796/97), in: WS IX: 187-388 (zitiert als RF und Nr. des Briefes).

Works

= The Works of the Right Honourable Edmund Burke, 12 Bände (zitiert als Works mit Bandangabe)

WS

= The Writings and Speeches of Edmund Burke, 9 Bände (zitiert als WS, Band- und Seitenangabe).

https://doi.org/10.1515/9783050087771-202

 

Einleitung Olaf Asbach und Dirk Jörke

1

Die Diskussion um das politische Denken Edmund Burkes

Edmund Burke war kein systematischer Denker. In kaum einer seiner Schriften hat er Fragen von Politik, Recht und Gesellschaft in einer systematischen Weise behandelt.1 Der größte Teil seiner Werke ist Resultat seiner Aktivitäten als einer der führenden Repräsentanten und über zwei Jahrzehnte hinweg als eine Art Chef-Ideologe der Whig Party unter dem Marquis of Rockingham (O’Gorman 1973: 23 ff.). Es handelt sich zumeist um Reden, die er im englischen Unterhaus oder zu Wahlkampfzwecken gehalten hat, oder um Pamphlete, die im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen entstanden sind. Dabei stellen Burkes berühmte Stellungnahmen zum amerikanischen Unabhängigkeitskrieg – On American Taxation (1774), On Conciliation with the Colonies (1775) –, seine Wahlkampfreden in Bristol (1774) und nicht zuletzt seine 1788 gehaltene Anklagerede im Verfahren gegen den Gouverneur der East India Company in Bengalen, Warren Hastings, nur einen Bruchteil der kaum zu überblickenden Menge von Reden dar, deren Vortrag sich mitunter über Tage erstreckt hat.2 Auch die großen Schriften, die er in den 1790er Jahren zur Französischen Revolution verfasst hat – die Reflections on the Revolution in France (1790), der Appeal from the New to the Old Whigs (1791) oder die Letters on a Regicide Peace (1795-1797) – zielten unmittelbar auf die Beeinflussung der praktischen Ausrichtung der britischen Politik und Regierung. Burkes Werke sind mithin ohne Kenntnis der historischen Kontexte und der Anlässe, aus denen heraus sie jeweils entstanden sind, nicht zu verstehen. Zugleich werfen sie die grundsätzliche Frage auf, ob ihnen eine konsistente politische Theorie im Sinne systematisch begründeter theoretischer und normativer Prinzipien und Konzepte zugrunde liegt, die diesen in unterschiedlichen Zeiten aus verschiedensten Anlässen heraus entstanden Interventionen gemeinsam ist und sie begründet, oder ob Burke seine politischen Positionen und Argumente dem jeweiligen Anlass und den je verfolgten Zielen gemäß wählt und reformuliert. In der Rezeptionsgeschichte von Burkes politischen und sozialphilosophischen Schriften hat es nicht an Versuchen || 1 Eine gewisse Ausnahme bilden seine beiden Frühwerke: die diesem Band abgedruckte Vindication of Natural Society von 1756 sowie A Philosophical Inquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful von 1757, die auch für das sozialphilosophische und politische Denken Burkes von zentraler Bedeutung ist; vgl. hierzu die Einleitung zu Teil 1. 2 In den Writings and Speeches nimmt der Abdruck von ausgewählten Reden Edmund Burkes weit mehr als die Hälfte der Gesamtausgabe seiner Schriften ein. https://doi.org/10.1515/9783050087771-001

2 | Einleitung

gefehlt, eine Antwort auf diese Frage zu geben, die freilich jeweils denkbar unterschiedlich, oftmals auch widersprüchlich ausfielen. So wurde Burke als Utilitarist (Morley 1867; Dinwiddy 1978), als Metaphysiker (Pappin 1993) oder als Naturrechtstheoretiker verstanden,3 aber auch als Vertreter der Tradition des Common Law und der Ancient Constitution (Pocock 1960), als Romantiker (Schmitt 1919; Bluhm 2012), als Besitzindividualist (Macpherson 1980) oder als Republikaner (Smith 1985; Altmann 1997), als liberaler Nationalist (Cobban 1960), als Kritiker des britischen Imperialismus (Mehta 1999; Whelan 1996; Pitts 2005) wie umgekehrt als Begründer einer spezifisch konservativen Logik des Empire (O’Neill 2016). Diese und weitere Sichtweisen werden nochmals komplizierter, wenn man das sogenannte Burke-Problem berücksichtigt (Kramnick 1977a: 13; Macpherson 1980; Winch 1985; vgl. dazu auch unten, S. 257 ff.). Schon seine Zeitgenossen standen vor der Frage, ob Burke einen fundamentalen Bruch mit seinen bisherigen liberalen Überzeugungen vollzogen habe, als er, der als oppositioneller Whig-Politiker stets für Parlamentsreformen und die Beschränkung der Macht des Königs eingetreten war und das Vorgehen der Regierung in den Kolonien in Amerika und Indien kritisiert hatte, seit Ausbruch der Französischen Revolution dann plötzlich mit einer radikalen Kritik aller Bewegungen zur Durchsetzung von Volkssouveränität und Demokratie und der Gleichheit politischer und sozialer Rechte hervortrat. Oder spricht der Umstand, dass sich alle wesentlichen Elemente seiner Kritik an der französischen Revolution bereits in seinen früheren Schriften finden lassen, dafür, dass er zeitlebens schon ‚liberale‘ und ‚konservative‘ Positionen vertreten hat – sei es, indem sie unvermittelt nebeneinanderstanden und je nach Gelegenheit verwendet wurden, sei es, dass sie Elemente eines gegebenenfalls sogar in sich konsistenten Denkens waren? Diese schillernde Vielfalt der Verständnisweisen von Burkes politischem Denken zeigt sich auch in dem Bild, das man sich von ihm im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahrhunderte in der Öffentlichkeit gemacht hat, wie auch in der Art und Weise, in der man sich auf ihn berufen oder kritisch bezogen hat (Fitzpatrick/Jones 2017). Im angelsächsischen Sprachraum verblassten im 19. Jahrhundert die Irritationen, die Burkes radikale Ablehnung der ‚französischen Ideen‘ nach 1789 ausgelöst hatte. Schon im Laufe der 1790er Jahre, als die Sympathien, auf die die Ideen von Revolution, Verfassung und Volkssouveränität anfangs bis in die Eliten hinein gestoßen waren, im Gefolge der politischen und sozialen Unruhen in England und des Eintritts in die antifranzösische Allianz schnell abnahmen, hatte sich Burkes kritische Sicht zunehmend durchgesetzt und schwand der Eindruck, er habe sich von den einstigen Prinzipien abgewandt. Im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurde er dementsprechend zur allgemein anerkannten Berufungsinstanz für eine liberale WhigPolitik. Indem er das Vertrauen auf die Freiheit garantierenden Institutionen des || 3 Burke wird dabei teils in der Tradition des ‚vormodernen‘, thomistischen Naturrechts verortet (so Strauss 1953, Stanlis 1958 oder Canavan 1960), teils als ein von Locke inspirierter Naturrechtstheoretiker gedeutet, so von Dreyer 1979 oder Zimmer 1995.

Einleitung | 3

britischen Verfassungssystems als Produkt der Geschichte Englands und der Glorious Revolution von 1688 mit einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber einem pragmatischen Reformismus und einer auf Handel und freie Märkte setzenden Wirtschaft verband, wurde Burke zu einer Galionsfigur des britischen Empire (Morley 1867). Im 20. Jahrhundert trat dann der ‚konservative‘ Burke ins Zentrum des öffentlichen Interesses, und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er teils affirmativ, teils kritisch als ‚Vater‘ des modernen Konservatismus und als Vertreter einer spezifisch konservativen, naturrechtlich begründeten Auffassung von Politik, Staat und Gesellschaft in Anspruch genommen.4 Erst in jüngerer Zeit ändert sich, wie bereits angedeutet, diese vermeintlich eindeutige Verortung wieder und macht, wenn auch weniger in der Öffentlichkeit als in den wissenschaftlichen Debatten, einer komplexeren Sichtweise Platz, die die Genealogie ‚liberaler‘ und ‚konservativer‘ Positionen und ihrer Vorgeschichte im 17. und 18. Jahrhundert als einen widersprüchlichen Prozess aufarbeitet und nach der spezifischen Stellung Edmund Burkes und seines Denkens in ihm fragt.

2

Ein Leben zwischen Politik und Publizistik

Die Schwierigkeit, Burkes Profil genau zu bestimmen, lässt sich auch an seiner Biographie erkennen.5 Schon das genaue Jahr seiner Geburt ist strittig. Der autoritativen Biographie von F. P. Lock zufolge wurde Burke am 12. Januar 1730 in Dublin geboren.6 Irland war, obgleich formell unabhängiges Königreich und nur durch Personalunion mit England verbunden, seit der Mitte des 17. Jahrhunderts faktisch eine englische Kolonie. Burke wurde anglikanisch getauft, wodurch ihm eine höhere Bildung ermöglicht wurde, die der katholischen Mehrheit Irlands verschlossen war. Abgesehen von einigen Jahren, die er aus gesundheitlichen Gründen in der Nähe von Cork im Süden Irlands verbrachte, wuchs er in Dublin auf. Er genoss eine exzellente Schul- und Universitätsausbildung. Ab 1741 besuchte er eine von Quäkern geleitete Boarding School in Bollitor/Kildram, etwa 30 Meilen südwestlich von Dublin, ab 1744 das Trinity College in Dublin, in dem er 1748 seinen Abschluss als Bachelor ablegte. Zu beiden Institutionen hatten nur Mitglieder der protestantischen Minderheit Irlands Zugang, wodurch Burkes Stellung von Anfang an von jenen Ambivalenzen geprägt war, die || 4 So in verschiedenen Varianten bei Kirk 1953, Huntington 1957 oder Carl B. Cone, der die Auseinandersetzung mit Burke als „a very self-conscious part of our contemporary conservative revival“ verstand (zit. nach Nelson 2014). Jones (2017) zufolge ging dem schon eine erste Phase der Konstruktion des modernen Konservatismus zwischen 1885 und 1914 voraus. Vgl. hierzu auch die Hinweise unten, S. 256. 5 Zur Biographie vgl. Kramnick 1977a; Ayling 1988; O’Brien 1992; Zimmer 1995; Lock 1998; ders. 1998; ders. 2006; ders. 2012; Bourke 2015a; Bromwich 2014. 6 Zu den Gründen, die für 1730 und gegen das oft genannte Jahr 1729 sprechen, vgl. Lock 1998: 16 ff. u. Bourke 2015a: 29 mit Anm. 8.

4 | Einleitung

die damalige Gesellschaft durchzogen. Zum einen zählte er damit zu jener Schicht der Privilegierten, die in Ausbildung, Kirche und Politik Vorteile hatten, die anderen aufgrund ihrer Herkunft und religiösen Zugehörigkeit vorenthalten wurden. Zum anderen machte er als Ire, als Sohn einer katholischen Mutter und einer Familie aus dem Bürgertum direkt oder indirekt Erfahrungen mit den vielfältigen Diskriminierungen seiner Zeit. Er erlebte die Ungerechtigkeit der englischen Herrschaft gegenüber der katholischen Mehrheit, wie sie etwa in den Strafgesetzen und den ganz auf die Interessen Englands zugeschnittenen Wirtschafts- und Eigentumsverhältnissen zum Ausdruck kamen, die Burke im Laufe seiner politischen Laufbahn immer wieder thematisieren und bekämpfen sollte. Zudem war seine Zugehörigkeit zum Bürgertum ein wesentlicher Grund dafür, dass ihm der Zugang zu der dem Adel vorbehaltenen Welt und den ihnen vorbehaltenen höheren politischen Ämtern und Karrieren zeitlebens verschlossen blieb.7 Schon in der Zeit auf dem College in Dublin zeigte Burke ein starkes Interesse an Fragen der Literatur, Moral und Politik. Gemeinsam mit Studienkollegen gründete er 1747 einen literarischen Club, die Academy of Belles Lettres, der im Geiste der aufklärerischen Clubs, Gesellschaften und Akademien über Literatur, Moral und Religion und die Verbesserung der Gesellschaft debattierte. In diese Richtung zielte auch die Wochenschrift The Reformer, die Burke 1748 nach dem Vorbild von Zeitschriften wie Joseph Addisons Spectator gestaltete und die literarische Texte ebenso enthielt wie moral- und sozialphilosophische Abhandlungen und Buchbesprechungen. Es ist deshalb nicht überraschend, dass es Burke nach seinem Studium ins politische und geistige Zentrum des britischen Empire zog und er 1750 nach London übersiedelte. Dort nahm er ein Studium des Rechts auf, um nach dem Willen seines Vaters eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Sein Eifer für diesen Studien- und Berufsweg erlahmte jedoch schnell und trat hinter seine literarischen Interessen zurück. Spätestens in der Mitte des Jahrzehnts war die Entscheidung gefallen, das Rechtsstudium aufzugeben. Burke wandte sich ganz seinem Leben als Schriftsteller zu und suchte Zugang zu den einschlägigen literarischen Zirkeln und Publizisten. Er verfasste in diesen Jahren mehrere Werke, die ganz unterschiedlichen Literaturgattungen zugehörten und die Bandbreite seiner Interessen spiegeln. 1756 erschien als erste Veröffentlichung A Vindication of Natural Society, eine Satire, mit der er den Deismus und Rationalismus Lord Bolingbrokes, einem einflussreichen Politiker und politischen und moralphilosophischen Autor der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ad absurdum führen wollte. Ein Jahr später erschien A Philosophical Inquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful. Burke skizziert hier eine Ästhetik, die, im Anschluss an Locke auf empirisch-sensualistischen Grundlagen beruhend, die Bedingungen menschlicher Erkenntnis und moralischen Urteilens aufzeigen wollte. || 7 Die Bitterkeit dieser Erfahrung spricht noch aus dem kurz vor seinem Tod 1796 entstandenen Letter to a Noble Lord, in dem er auf Angriffe wegen einer ihm gewährten Pension mit Verweis auf seine Verdienste im Unterschied zu den unverdienten Privilegien der Mitglieder des Landadels reagierte.

Einleitung | 5

Im gleichen Jahr erschien in zwei Bänden der Account of the European Settlement in America, den Burke gemeinsam mit seinem Freund und Namensvetter William Burke verfasste. Wie viele Werke dieses Genres, deren berühmtestes wohl Raynals und Diderots Histoire des deux Indes (1770, 3., erw. Aufl. 1780) war, verband es eine Kompilation von Berichten und Informationen über die amerikanischen Kolonien mit politischen, geschichts- und kulturphilosophischen Reflexionen über ihre Legitimität und Vorteile. Und schließlich unterschrieb Burke 1757 bei Robert Dodsley, dem Verleger seiner bisherigen Veröffentlichungen, einen Vertrag über die Abfassung eines Abridgement of the History of England. Diese Schrift blieb jedoch unvollendet und wurde, den Zeitraum von der römischen Eroberung der britischen Inseln bis zur Herrschaft König Johanns im Jahre 1216 umfassend, erst 1812 als Fragment aus dem Nachlass herausgegeben. Unter dem Einfluss vor allem von Montesquieu und der Sozialund Geschichtsphilosophie David Humes, der die ersten beiden Bände seiner History of England 1754 und 1757 veröffentlicht hatte, zielte Burke dabei auf eine Konstruktion der Geschichte der politischen Institutionen, der Verfassung und Zivilisation Englands – und bearbeitete damit Themen, die für sein weiteres politisches Denken von zentraler Bedeutung blieben. 1758 schließlich wurde Burke von Dodsley beauftragt, ein jährlich erscheinendes Periodikum, das Annual Register, herauszugeben. Bis 1765 fungierte er als Herausgeber dieses neuartigen Jahrbuchs und verfasste dabei die anonym publizierten Beiträge zum größten Teil selbst. Er blieb diesem Periodikum auch danach, als sein Freund Thomas English die Herausgeberschaft übernahm, weiterhin eng verbunden. Jeder Band deckte ein breites Feld an Themengebieten ab, so dass diese Tätigkeit es erforderlich machte, dass Burke sich auf allen Gebieten der Geschichte und des gesellschaftlichen Geschehens beständig auf dem Laufenden hielt. Im ersten Teil der jährlichen Bände wurden die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen des Jahres zusammengefasst, ergänzt um eine Chronologie und einen Dokumentenanhang. Im zweiten Teil wurden in sieben Rubriken kulturelle, historische, naturwissenschaftliche und literarische Entwicklungen, aber auch ‚useful projects‘ vorgestellt, ergänzt um Buchbesprechungen, die, da er aus der großen Zahl der jährlichen Neuerscheinungen nur vier bis sieben Werke auswählte, Burkes persönliches Interessenspektrum besonders deutlich widerspiegeln. All diese Publikationen hatten Burke innerhalb weniger Jahre zu einem in der literarischen Welt Londons recht renommierten Autor gemacht. Die Einkünfte aus diesen journalistischen und literarischen Tätigkeiten jedoch reichten nicht aus, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.8 1757 hatte er Jane Mary Nugent (1737-1812) geheiratet, 1758 wurden im Februar ihr Sohn Richard (1758-1794), im Dezember der zweite || 8 Burkes Einnahmen aus seinen Publikationen stiegen dabei stetig. Für die Erstauflage der Vindication erhielt er £ 6 und sechs Schilling, für die zweite Auflage noch einmal denselben Betrag. Der Inquiry brachte ihm etwas mehr als £ 20 ein und weitere £ 10, als er 1761 die dritte Auflage erreichte. Der Account wurde mit £ 50 vergütet, die Arbeit am Annual Register mit £ 100 pro Band. Die Abfassung

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Sohn Christopher geboren, der 1764 im Kindesalter starb. Burke zögerte vermutlich auch deshalb nicht lange, als sich ihm die Perspektive einer politischen Karriere eröffnete. 1759 wurde er Sekretär von William Gerard Hamilton, einem Mitglied des House of Commons und des Board of Trade. Als Hamilton nach dem Machtantritt Georges III. 1760 seinem zum Lord-Lieutenant of Ireland ernannten Vorgesetzten am Board of Trade, dem Earl of Halifax, nach Irland folgte, nahm er während der Sitzungsperioden des irischen Parlaments Burke als seinen Privatsekretär mit sich. In dieser Zeit begann Burkes aktive politische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen in Irland und der seines Erachtens ungerechten, sowohl für Irland als auch für England selbst nachteiligen Besatzungspolitik, die er dann als Abgeordneter im Unterhaus fortsetzen sollte. Nach dem persönlich motivierten Bruch mit Hamilton begann 1765 das über drei Jahrzehnte währende Wirken Burkes im Dienste der Whig Party. Im Juli 1765 wurde er Privatsekretär des Marquis of Rockingham, der gerade zum First Lord of the Treasury und informellen Premierminister ernannt worden war und sein größter Förderer wurde. Rockingham war einer der wichtigsten Whig-Magnaten und, obwohl weder rhetorisch noch politisch besonders begabt, einer der bedeutendsten Whig-Politiker in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nach ihm sind die Rockingham-Whigs benannt, bei denen es sich um einen losen Zusammenschluss von gleichgesinnten Mitgliedern des House of Commons handelte, der weniger durch eine spezifische politische Programmatik geprägt war als durch den Umstand, dass man gemeinsam für die Übernahme der Regierungsgeschäfte kämpfte. Dies gelang ihnen jedoch nur zweimal, und beide Male jeweils nur für wenige Monate: 1765 und 1782. Ein höheres Staatsamt, etwa ein Ministerposten, blieb Burke aber auch in diesem Falle aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft verwehrt. Das einzige Regierungsamt, das er je innehatte, war das des Generalzahlmeisters der Streitkräfte 1782 in der zweiten kurzen Regierungsperiode der Rockingham-Whigs. Die Unterstützung durch Rockingham macht es jedoch 1766 möglich, dass Burke einen Sitz im House of Commons erhielt und damit ein gesichertes Einkommen. Dabei kam ihm entgegen, dass die Parlamentsmitglieder im 18. Jahrhundert nicht aus freien Wahlen hervorgingen, sondern dass die aristokratische Oberschicht aus Hochadel und Gentry über den größten Teil der Sitze frei verfügen konnte (vgl. Kluxen 1983: 89 ff.). Burke behielt seinen Parlamentssitz ohne Unterbrechung von 1766 bis 1794, wobei er diesen einzig zwischen 1775 und 1780 nicht adliger Patronage verdankte, sondern als gewählter Abgeordneter der Stadt Bristol im Unterhaus innehatte (vgl. unten, Teil 3, S. 102 ff.). Dabei erfuhr er jedoch zugleich die Kehrseiten des Systems eines offenen Wahlkampfes. Er verlor nämlich im Verlaufe dieser Legislaturperiode das Vertrauen und die Unterstützung seiner Wähler, da er insbesondere in der Handelspolitik mit Irland und den amerikanischen Kolonien gegen den Willen von || der nicht vollendeten History of England hätte Burke dann sogar £ 300 eingebracht, sobald ein Absatz von 1.500 Exemplaren erreicht worden wäre.

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Bristols Kaufleuten agierte und erklärte, sich nicht an den Wählerwillen gebunden zu fühlen, „when his judgement assured him that they were wrong“ (WS IX: 523), da er besser als diese wisse, was im Interesse Bristols, der Nation und des Empire liege. Nach seinem Eintritt ins House of Commons avancierte Burke schnell zu einem der führenden Ideengeber und Sprecher der Rockingham-Whigs, die sich jetzt, nachdem sie unter George II. fast ein halbes Jahrhundert lang die Regierung gestellt hatten, fast durchgängig in der Opposition zu Königshaus und Regierung befanden. So veröffentlichte Burke 1770 seine große Streitschrift Thoughts on the Cause of the Present Discontents, in der er sich für die Stärkung des Parlaments gegenüber der vom Hof dominierten Exekutive aussprach. Daraus folgt jedoch nicht, dass Burke ein Freund demokratischer Bestrebungen gewesen wäre. Die vielfältigen Bewegungen, die seit den 1760er Jahren das Bild der politischen Öffentlichkeit Englands prägten und das Politikmonopol der herrschenden Eliten in Frage zu stellen begannen, stießen bei Burke zwar so lange auf Sympathie, wie sie zur Stärkung der Freiheits- und Parlamentsrechte im Geiste seines Verständnisses der ungeschriebenen englischen Verfassung beitrugen, doch auf ebenso entschiedenen Widerstand, sobald sie für darüber hinausgehende demokratische Reformen von Parlament, Gesellschaft und Verfassungsordnung eintraten. In den folgenden Jahren seines Wirkens für die Whigs erlangte Burke vor allem durch den rhetorischen Glanz seiner Parlamentsreden über die Partei- und Landesgrenzen hinweg große Reputation. Dies gilt insbesondere auch aufgrund seiner Reden zum Verhältnis des britischen Empires zu dessen überseeischen Teilen. So plädierte er in zahlreichen Reden und Pamphleten für die Rechte der britischen Kolonien in Nordamerika – er sprach sich dafür aus, ihnen größere Unabhängigkeit insbesondere in finanzpolitischen Fragen zu gewähren, um ihre Ablösung vom Empire zu verhindern. Und seine seit den 1760er Jahren währende Beschäftigung mit den kolonialen Besitzungen in Indien und der Rolle der East India Company mündete in dem 1787 eröffneten Impeachment-Verfahren gegen Warren Hastings, den ehemaligen Gouverneur der East India Company. Als Sprecher der Opposition im Unterhaus warf ihm Burke Korruption, Misswirtschaft und die Verantwortung für vielfältige Grausamkeiten an den Einheimischen in Bengalen vor. Das Verfahren gegen Hastings zog sich von 1788 bis 1795 hin, endete allerdings mit dessen für Burke enttäuschenden Freispruch von der Anklage, die dieser in der ihm eigenen Ausführlichkeit vorgetragen hatte.9 Im House of Commons stießen Burkes Reden jedoch aufgrund ihrer Weitschweifigkeit und ihres ganz auf klassische Rhetorik setzenden Stils in dieser Zeit bereits zunehmend auf Missbilligung: „Seine langen Reden langweilten die jungen Abgeordneten und bedeuteten für sie das Signal der Tischglocke, so daß das Haus sich leerte, wenn Burke sich erhob, oder er wurde rücksichtslos unterbrochen, so daß || 9 Allein Burkes Rede zur Eröffnung des Verfahrens gegen Hastings vor dem House of Lords zog sich über vier Tage hin; vgl. Kap. 3.4.

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er in seiner Gereiztheit einmal antwortete, er zöge es vor, ein Rudel von Hunden mit angenehmem Gekläff und gleichwertigem Verständnis zu belehren“ (Wyss 1966: 119). Der Ausbruch der Französischen Revolution stellte einen Wendepunkt in Burkes Leben dar. Zwar war er noch nie als Freund demokratischer Ideen hervorgetreten, doch in den Augen seiner Zeitgenossen galt er bis dahin als Streiter für Reformen des Parlaments, gegen despotische Tendenzen der Monarchie und gegen Korruption. Mit der Veröffentlichung der Reflections on the Revolution in France im November 1790, also zu einem Zeitpunkt, als die revolutionären Ereignisse noch längst nicht ihren dramatischen Höhepunkt mit der Abschaffung der Monarchie und der Enthauptung Ludwigs XVI. erreicht hatten, änderte sich dieses Bild schlagartig. Burkes scharfe Kritik an der revolutionären Überwindung des Ancien Regime, an der Erklärung allgemeiner Menschen- und Bürgerrechte und am Prinzip der Volkssouveränität führte dazu, dass er von vielen seiner bisherigen Parteigänger und in der politischen Öffentlichkeit als Feind der Freiheit und als Verfechter der alten, überholten Ordnung angesehen wurde. Er zeigte sich von dieser Kritik jedoch unbeeindruckt und nahm sie vielmehr zum Anlass, sich als konsequenter Vertreter der wahren Prinzipien der alten Whigs aus der Zeit der Glorious Revolution darzustellen. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er denn auch fast ausschließlich seinem Kampf gegen die Französische Revolution und deren Folgen. Dieser Kampf nahm zunehmend den Charakter eines Kreuzzugs an (Welsh 1995b) und ließ Burke in einer Weise auf eine militärische Intervention in Frankreich drängen, die ihn als „Propheten des modernen Weltanschauungskrieges“ erscheinen lässt (Angelow 2000: 112). Dieses Engagement fand auch nach dem Eintritt Großbritanniens in den Krieg der Koalition der alten europäischen Mächte gegen Frankreich 1793 kein Ende. In Schriften wie den Letters on a Regicide Peace, durch vielfältige persönliche Interventionen bei führenden Politikern und durch die Unterstützung französischer Exilanten widersetzte er sich allen Versuchen, zu einem Frieden mit den ‚Königsmördern‘ zu kommen. 1794, also noch vor dem Ende des von ihm seit einem Jahrzehnt betriebenen Impeachment-Verfahrens gegen Hastings, gab Burke seinen Sitz im House of Commons auf. Er erhielt eine von der Regierung der Tories von William Pitt gewährte staatliche Pension, die ihn von finanziellen Sorgen befreite, ihm jedoch die bereits erwähnte heftige Kritik eintrug, insofern man ihn, den ehemaligen Whig, nun als Schreiber im Auftrag der Tory-Regierung schmähte. Dies führte zu einer letzten großen Rechtfertigungsschrift, den Letters to a Noble Lord. Am 9. Juli 1797 starb Burke auf seinem Gut in Beaconfield.

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Zu dieser Ausgabe von Schriften Edmund Burkes

Anders als im angelsächsischen Sprachraum, in dem Burke sowohl auf ‚liberaler‘ wie ‚konservativer‘ Seite seit dem 19. Jahrhundert einer der prägendsten politischen Denker und Autoren ist, sind seine Werke und sein Wirken im deutschsprachigen Raum vergleichsweise unbekannt. Und dort, wo sein Name auftaucht, geschieht dies fast immer aus einer von seinen Schriften über die Französische Revolution geprägten Perspektive. Friedrich Gentz hatte 1793 seine bis heute verbreitete Übersetzung der Reflections herausgegeben, um in „Zeiten, wie die gegenwärtigen, wo Verwirrung in den Grundsätzen und Schwärmerei in den Empfindungen ein politisches System ausbrüten, welches die Ruhe und Sicherheit aller Nationen bedroht“ (in Burke 1790c: 15), den für den Erhalt einer von Monarchie und Kirche getragenen Ständeordnung eintretenden Kräften ein politisches und politiktheoretisches Fundament zu geben. Seitdem steht die Rezeption von Burkes politischem Denken wesentlich im Bann der von Anhängern wie Gegnern gleichermaßen gepflegten Konstruktion als Gegenrevolutionär, vernunftfeindlichem Verteidiger der traditionellen Verfassungs- und Gesellschaftsordnung und Begründer des modernen Konservatismus. Ausdruck und Resultat dieser oft recht stereotypen Sicht auf Burke ist, dass seit dem 19. Jahrhundert bis heute kaum eine seiner zahlreichen Schriften in die deutsche Sprache übertragen wurde. Die einzige Ausnahme ist, sieht man von einer gänzlich unbeachtet gebliebenen, im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz erschienenen Übersetzung seiner Parlamentsrede Über die Aussöhnung mit den Kolonien in Amerika ab (Burke 1775), seine frühe ästhetische Schrift Über das Erhabene und das Schöne. Der hier vorgelegte Band mit einer Auswahl kleiner politischer Schriften und Reden soll diese Lücke im Ansatz schließen und einen Anstoß geben, die Rezeption Burkes auf eine breitere Basis zu stellen. Dies ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, weil erst durch eine über die Reflections hinausgehende Sichtweise ein Zugang zu den an Burke anknüpfenden oder mit seinem Denken verbundenen Debatten über die Genese und Entwicklung von Traditionslinien ‚liberalen‘ und ‚konservativen‘ politischen Denkens, ihren Voraussetzungen und Problemen möglich wird. Zu diesem Zweck wurden für diesen Band Texte aus allen Schaffensperioden Edmund Burkes ausgewählt – von seiner ersten Publikation bis zu einem seiner letzten, erst posthum erschienenen Texte –, die in fünf Schwerpunkte gegliedert zentrale Bereiche seines politischen und sozialphilosophischen Denkens wie auch seiner Rezeptionsgeschichte abdecken. Jedem dieser Schwerpunkte ist eine Einleitung durch einen der Herausgeber vorangestellt, die den Zugang zu den historischen und ideengeschichtlichen Kontexten ermöglichen sowie in Fragen und Debatten der Interpretations- und Rezeptionsgeschichte einführen sollen. Gerade deshalb, weil Burkes Texte meist aus konkreten Anlässen heraus und im Rahmen von Debatten entstanden sind, auf die sie sich in praktisch-eingreifender Absicht beziehen, und weil sie in derselben Weise auch in der Rezeptionsgeschichte stets in politisch-praktisch interessierter Weise aufgenommen und (re-)interpretiert worden sind, sind solche Einbettungen von besonderer

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Bedeutung für ihr Verständnis. Innerhalb jedes Schwerpunkts folgen auf die Einleitung dann Texte von Burke, die von exemplarischer wie ideengeschichtlicher Bedeutung sind und bisher sämtlich noch nicht in deutscher Sprache vorliegen. Während in den Teilen 1, 4 und 5 jeweils ein längerer Text von Burke abgedruckt wird, umfassen die Teile 2 und 3 jeweils drei seiner Schriften, die unterschiedliche Aspekte der beiden Schwerpunkte thematisieren. Abgesehen von zwei der abgedruckten Schriften – die Rede zur Eröffnung des Prozesses gegen Warren Hastings in Teil 3 sowie der Appeal in Teil 4 –, die aufgrund ihres Umfangs gekürzt werden mussten, sind alle Texte vollständig abgedruckt. Den Anfang bildet in Teil 1 mit Burkes Eine Rechtfertigung der natürlichen Gesellschaft jene Schrift, die 1756 als seine erste Veröffentlichung überhaupt erschien. Dabei handelt es sich, wie bereits angemerkt, um eine Satire, die auf eine Kritik der Positionen, Methoden und daraus folgenden Konsequenzen der zu dieser Zeit vielbeachteten Werke des 1752 verstorbenen Lord Bolingbroke zielte. Da sich Burke in diesem Zusammenhang mit den Bedingungen der Möglichkeit einer vernunftgeleiteten Erkenntnis von Natur, Geschichte und Gesellschaft und ihrer Bedeutung für Politik, Moral und Region auseinandersetzt, werden hier Fragen behandelt, die zentrale Aspekte seines sozialphilosophischen und politischen Denkens betreffen. Dieser Text ist trotz seiner ungewöhnlichen Form einer Satire ausgezeichnet geeignet, einen ersten und neuen Zugang zu Burkes grundlegenden Konzepten und Überzeugungen zu gewinnen. Da er mit seiner Kritik am rationalistischen Denken, am Deismus und ihren seiner Ansicht nach politisch und gesellschaftlich verheerenden Folgen Positionen vertritt, die gemeinhin erst mit seiner Kritik an Naturrecht und Aufklärung in seinem Kampf gegen die Französische Revolution in den 1790er Jahre verbunden werden, ist dieser frühe Text auch für die Diskussion der Frage nach Konsistenz oder Brüchen in Edmund Burkes politischem Denken von größtem Interesse. In Teil 2 sind drei Reden von Burke zusammengestellt, in denen er sich mit Fragen der Repräsentation und der Legitimität der damaligen Mischverfassung auseinandersetzt. Diese Reden sind zwar aus verschiedenen Anlässen heraus entstanden, doch eint sie, dass es Burke in allen drei Texten darum geht, Forderungen nach einer Reform der Verfassung und der Repräsentation entgegenzutreten. Den Beginn macht seine berühmte Rede an die Wähler von Bristol vom 3. November 1774, in der er sich nicht nur gegen die Forderung nach einem imperativen Mandat ausspricht, sondern das Parlament als eine deliberative Versammlung bestimmt. Bemerkenswert ist diese Rede aber noch aus einem weiteren Grund, und zwar deshalb, weil sie einen anschaulichen Einblick in die damaligen Wahlpraktiken vermittelt. Eine der zentralen Forderungen der radikalen Kräfte war die der Verkürzung der Wahlperiode. In der hier abgedruckten Rede über einen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Parlamentsdauer vom 8. Mai 1780 wendet sich Burke entschieden dagegen. Sein zentrales Argument ist, dass eine Verkürzung die Unabhängigkeit der Parlamentarier gefährden würde. In dieser Rede tritt zugleich die spezifische Kraft von Burkes Rhetorik besonders hervor.

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Den Abschluss des Teils bildet die Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation vom 16. Juni 1784, in der Burke sich gegen die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts ausspricht und die bestehende Verfassung als eine bewährte und gewohnheitsrechtlich legitimierte verteidigt. Einer der Schwerpunkte von Burkes politischer Karriere war die Beschäftigung mit dem Britischen Empire. Teil 3 enthält drei Texte, die exemplarisch für seine Stellungnahmen zur internationalen Politik und zur kolonialen Praxis sind. In den Anfangsjahren seiner politischen Laufbahn bestimmte der Unabhängigkeitskampf der amerikanischen Kolonien einen Großteil der britischen Diskussion. Burke hat sich in mehreren Parlamentsreden für einen verständnisvollen Umgang mit den rebellierenden Amerikanern ausgesprochen und damit eine Position vertreten, die in der britischen Öffentlichkeit auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. In seinem Brief an die Sheriffs von Bristol aus dem Jahr 1777 verteidigt er seine aus damaliger Sicht wohlwollende Haltung gegenüber den amerikanischen Kolonien. Vor allem aber enthält der Brief eine Kritik an den desaströsen Folgen des Krieges für die politische Kultur und die liberalen Grundrechte. Als gebürtiger Ire hat sich Burke immer wieder mit dem Schicksal seines Heimatlandes und mit dem der irischen Katholiken beschäftigt. Dabei kritisierte er insbesondere deren rechtliche Ungleichbehandlung durch die Penal Laws. Bestrebungen zu deren Reform waren Anlass eines Briefes an einen Peer aus Irland aus dem Jahr 1782, in dem Burke nicht nur die Wirkungen dieser Strafgesetze, sondern darüber hinaus auch die damaligen Einschränkungen der katholischen Religionspraxis anprangert. Gegen Ende seiner politischen Laufbahn rückte die Kritik der britischen Kolonialpolitik in Indien ins Zentrum von Burkes Schaffen. Dabei strengte er nicht zuletzt, wie bereits dargelegt, eine Anklage gegen Warren Hastings wegen Amtsmissbrauchs an. Die hier in Auszügen abgedruckte Rede zur Eröffnung des Verfahrens, gehalten vom 15. bis zum 19. Februar 1788, stellt in vielerlei Hinsicht einen Höhepunkt von Burkes Schaffen dar. In ihr findet sich nicht nur eine detaillierte Kritik der Herrschaftspraktiken der East India Company, die Burke als „barbarisch“ beschreibt, sondern darüber hinaus auch eine Verteidigung der Kultur der Hindus sowie die Beschwörung universeller, von Gott stammender Rechte. In Teil 4 wird Burkes Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution zum Thema. Die Publikation seiner Reflections sorgte unmittelbar für eine Welle von zunächst vor allem kritischen bis empörten Reaktionen von Parteigängern, in der politischen Öffentlichkeit und bei Autoren wie Thomas Paine oder Mary Wollstonecraft, die mit Schriften zur Verteidigung der Revolution antworteten. Einer der wesentlichen Vorwürfe war, dass Burke nicht nur einen Bruch mit seinen eigenen politischen Überzeugungen vollzogen habe, sondern auch mit der Tradition der Whigs und der von diesen vertretenen freiheitlichen Prinzipien, die Ergebnis der Glorious Revolution und Bill of Rights seien. Burke wich vor dieser Kritik nicht zurück, sondern nahm sie zum Anlass, sie 1791 in einer weiteren Schrift ausdrücklich zurückzuweisen. Seine hier abgedruckte, im Stil einer Verteidigungsrede vor Gericht verfasste Appellation gegen die neuen an die alten Whigs hat im Vergleich zu den Reflections den Vorteil,

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dass Burke in ihr seine zentralen Auffassungen zu den Prinzipien der Französischen Revolution und ihren politischen Implikationen in der Abgrenzung zu denen Englands in einer relativ systematischen Weise zum Ausdruck bringt. Zugleich entstand dieser Text vor dem Hintergrund der – und in Reaktion auf die – sich entwickelnden politischen Bewegungen im England der 1790er Jahre, in denen über die Forderungen nach parlamentarischen und anderen systemimmanenten Reformen hinaus nun verstärkt auch Stimmen laut wurden, die auf eine weitergehende demokratische und schließlich auch soziale Transformation des englischen Ancien Regime drängten. Es war genau diese Entwicklung, die Burke 1795 zur Abfassung eines Textes motivierte, der im 5. und letzten Teil abgedruckt wird. Aufgrund von Missernten, Getreideknappheit und Preissteigerungen kam es zu einer Hungersnot, die soziale Proteste und Unruhen hervorrief. Die politischen und sozialen Eliten griffen verstärkt zu repressiven Maßnahmen, suchten zugleich aber auch nach Wegen der wirtschaftspolitischen Krisenbekämpfung. Als im November 1795 im House of Commons Maßnahmen zur Bekämpfung der Hungersnot diskutiert werden sollten, verfasste Burke ein Memorandum, um dem Premierminister die seines Erachtens wahren Ursachen der Lebensmittelknappheit aufzuzeigen und ihn vor verfehlten Eingriffen in den Wirtschaftsprozess zu warnen. Diese Gedanken und Details über die Knappheit machen auf eine in der Rezeption meist übersehene Dimensionen von Burkes politischem Denken aufmerksam. Auf der einen Seite zeigen sie die Bedeutung, die die politische Ökonomie für Burke zeitlebens besessen hat und die ihn stets für eine Entfaltung des Handels, für freie Märkte und die Verfolgung des wirtschaftlichen Eigeninteresses als Fundament für Macht, Stärke und Wohlstand des britischen Empire plädieren ließ. Auf der anderen Seite rückten sie die Frage nach Burkes Stellung in der Geschichte der politischen Ökonomie ins Blickfeld. Seit den 1750er Jahren war er mit Vertretern der schottischen Aufklärung wie David Hume oder Adam Smith persönlich bekannt und mit ihrem historisch-sozialen und ökonomischen Denken vertraut. Mit seinen ökonomischen Überlegungen von 1795 schloss er an Adam Smiths Marktliberalismus an. Er interpretierte ihn aber zugleich in einer Weise, die ihn zum Teil jener zeitgenössischen Entwicklungen werden ließ, die zur Reformulierung der klassischen politischen Ökonomie durch Malthus, Ricardo und andere im 19. Jahrhundert führten und Burke auch für neoliberale Denker wie Friedrich von Hayek anschlussfähig machten. *** Die Grundlage für die Übersetzungen bildet die 12-bändige Ausgabe der Works of the Right Honourable Edmund Burke von 1887 bzw. im Falle des dort nicht abgedruckten Vorworts zur ersten Auflage von A Vindication of natural society die Erstausgabe von 1756. Alle Texte wurden mit ihrer Fassung in der unter der Gesamtherausgeberschaft von Paul Langford edierten neunbändigen Edition der Writings and Speeches of Edmund Burke (Oxford 1981-2008) verglichen. Dadurch veranlasste Änderungen im Text werden jeweils in den Anmerkungen verzeichnet.

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Übersetzungen von Texten eines Autors wie Edmund Burke, der ein großer Stilist und Rhetoriker war, sind stets ein gewagtes Unterfangen. Das Streben nach Nähe zum Original einerseits und nach zeitgemäßer Lesbar- und Verständlichkeit andererseits sind dabei nicht immer in Einklang zu bringen. Generell wurde versucht, größtmögliche Nähe zu Burkes Sprache zu bewahren und mit den rhetorischen Eigenarten seiner Texte in Einklang zu bringen. Dies hat teilweise Entscheidungen für spezifische Lesarten und Übersetzungen unvermeidlich gemacht, die auch anders hätten getroffen werden können. Die für das 18. Jahrhundert typische Abfolge bandwurmartiger, oft nur durch Semikolons oder Gedankenstriche getrennter Satzperioden, die heute als eigenständige Sätze verfasst würden, wurden dann, wenn es Übersichtlichkeit und Klarheit erforderten und vertretbar erscheinen ließen, dem heutigen Sprachverständnis angepasst. Ein besonderes Problem stellt die Identifikation und Übersetzung von Begriffen dar, die für Burke wie für das philosophische und politiktheoretische Denken von zentraler Bedeutung sind. Da Burke auf der einen Seite zwar ein mit philosophischen und literarischen Traditionen und Schriften vertrauter, aber aufgrund seiner stets stärker auf rhetorische Wirkung als auf systematische Argumentation und begriffliche Klarheit bemühter Autor ist, müssen Übersetzungen stets die Kontexte und den argumentativen Zusammenhang, in denen sie verwendet werden, berücksichtigen. Begriffe wie government oder authority wurden deshalb je nach Kontext als ‚Staat‘ oder ‚Regierung‘ bzw. als ‚Autorität‘, ‚Regierung‘ oder ‚Obrigkeit‘ übersetzt. Ein für Burkes politisches Denken zentrales Konzept wie prescription wurde durchgehend als ‚Gewohnheitsrecht‘ übersetzt, auch wenn im Deutschen der Bedeutungsgehalt dieses Begriffes nicht deckungsgleich ist. Ähnlich verhält es sich bei einem Begriff wie dem der factions, der, vergleichbar seiner Verwendung in den Federalist Papers, im Sinne illegitimer ‚Faktionen‘ oder ‚Parteiungen‘ verstanden und übersetzt wird. Nähere Erläuterungen finden sich in solchen Fällen in den Anmerkungen der Herausgeber bzw. in den jeweiligen Einleitungen. Querverweise auf Texte von Edmund Burke in diesem Band erfolgen in Klammern ohne weitere Angaben als der Seitenzahl in der vorliegenden Ausgabe. Anmerkungen von Edmund Burke werden mit Asterisken (  ) markiert, Anmerkungen der Herausgeber mit arabischen Zahlen.

 

Teil 1: Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken

 

1 Anfänge und Grundlagen von Burkes politischem Denken 1.1 Einleitung Olaf Asbach

1.1.1 Die Vindication of Natural Society im Werk Edmund Burkes Jeder Versuch, die Grundlagen von Edmund Burkes politischem und philosophischem Denken zu identifizieren, scheint aussichtslos zu sein. Nicht nur hat Burke keine systematischen Werke oder auch nur programmatischen Schriften verfasst, in denen er die philosophischen und theoretischen Fundamente seines Denkens über Geschichte, Gesellschaft und Politik niedergelegt hätte. Er selbst hat die Möglichkeit allgemeiner ‚metaphysischer‘ Prinzipien oder gar eines ‚Systems‘, das diesen zugrunde liegen würde, zeitlebens ausdrücklich bekämpft, da alle politischen Ideen und Prinzipien in der gesellschaftlichen Praxis gründeten und in dieser ihren „wahre[n] Prüfstein“ fänden.1 Diese Erklärung hat die Forschung jedoch nicht davon abgehalten, vielfältige, oftmals einander widersprechende Versuche zu unternehmen, in den politischen Schriften, Reden, Pamphleten und sonstigen Texten, die Burke vor allem nach seinem Eintritt in die Politik in der Mitte der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts verfasst hat, solche Grundlagen auf dem Wege der Rekonstruktion und Interpretation ausfindig zu machen.2 Entzieht sich ein Denken wie dasjenige Burkes, das programmatisch darauf setzt, dass Erkenntnis nur im Zusammenhang mit den jeweiligen Umständen und Problemlagen zu gewinnen und somit auch von ihm geprägt ist, grundsätzlich jeder Systematisierung im Sinne einer kohärenten politischen Theorie (O’Gorman 1973: 9), oder lässt sich dennoch ein systematischer Leitfaden erkennen (Hilger 1960: 3)? Ähnlich sieht es aus, wenn man aus biographischer und werkgeschichtlicher Perspektive nach den Anfängen und der Grundlegung von Burkes politiktheoretischen Auffassungen forscht. Seit Beginn seines Studiums am Trinity College in Dublin 1744 stand die Auseinandersetzung mit moralphilosophischen und theologischen sowie mit literarischen und ästhetischen Fragen im Zentrum seines Interesses. In Dublin wie auch nach seiner Übersiedlung nach London 1750 wirkte er in literarischen Debattierclubs und an der Herausgabe von Zeitschriften mit, wie sie in der ersten Hälfte ||

1 So Burke 1782 in seiner Rede zur Reform des repräsentativen Regierungssystems: „Es scheint mir eine absonderliche Art des Denkens und eine vollkommene Verwirrung der Ideen zu sein, die Theorien zu nehmen, die gelehrte und spekulative Männer aus dieser Regierungsform abgeleitet haben, und der Regierung dann in der Annahme, diese Theorien, die doch aus ihr abgeleitet wurden, leiteten sie an, vorzuwerfen, sie stimme nicht mit ihnen überein“ (in diesem Band, S. 138). 2 Vgl. hierzu auch oben, S. 1 ff., weiter unten, S. 42 (mit Anm. 56) sowie S. 322. https://doi.org/10.1515/9783050087771-002

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des Jahrhunderts in Großbritannien für die entstehende bürgerliche Öffentlichkeit typisch waren.3 Burkes Denken und Schreiben stand in dieser Zeit ganz unter dem Eindruck des literarischen und kulturellen Klassizismus. In diesem verlieh sich das politische, soziale und kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft Ausdruck, die sich nach den Umbrüchen des 17. Jahrhunderts und der Etablierung des Hauses Hannover und der langen Phase der Whig-dominierten Herrschaft stabilisiert hatte und wirtschaftlich prosperierte. Es wurde geprägt von Autoren wie Jonathan Swift, Alexander Pope oder Samuel Johnson, die ein Denken des ‚Augustean Age‘ repräsentierten, das sich als jenes Zeitalter verstand, „when language and learning arrived at its highest perfection“ (Goldsmith 1759: 235). Diesen Autoren kam es darauf an, die neu erblühende Zivilisation des britischen Empire durch moralische und ästhetische Bildung und Reform zu sichern, zu befördern und auszuweiten.4 Die wenigen erhalten gebliebenen literarischen Versuche von Burke aus dieser Zeit zeugen von seinem Bestreben, sich in diese Debatten und Zirkel zu integrieren.5 Dies gilt auch für die ersten Publikationen, mit denen er von 1756 an hervortrat, nachdem er sich entschieden hatte, nach seinem Studium der Rechtswissenschaft nicht, wie von seinem Vater gewünscht, die Laufbahn eines Juristen einzuschlagen. Burkes erste literarische Aktivitäten zeugen von Orientierungen und Suchbewegungen, die zumindest auf den ersten Blick wenig auf den späteren politischen Denker und Akteur hinzudeuten scheinen. Dies gilt nicht nur für den Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful von 1757, der die Grundlagen von ästhetischen und moralischen Begriffen und Gefühlen behandelte. Dies gilt auch für die gleichzeitig entstandene A Vindication of Natural Society, die in diesem Band abgedruckt ist. Es handelt sich bei diesem ersten von Burke veröffentlichten Werk, das am 18. Mai 1756 ohne Angabe des Verfassers erschien, um eine Satire auf die philosophischen und religiösen Auffassungen des im Dezember 1751 verstorbenen Lord Bolingbroke. Mit dieser Schrift orientierte sich Burke sowohl mit Blick auf ihren literarischen Stil und Typus – einer literarischen Satire in der Art eines Daniel Defoe oder Jonathan Swift (Weiß 1992)– wie in Hinblick auf ihren Gegenstand ganz offensichtlich vor allem an den literarischen und philosophischen Debatten seiner Zeit.

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3 Schon als College-Schüler beteiligte sich Burke an der Gründung literarischer Clubs und gab 1748 den Reformer, eine nach dem Vorbild des Spectator konzipierte Zeitschrift, heraus, dessen Beiträge er fast alle selbst verfasste. Ab 1757 redigierte er für mehrere Jahre das Annual Register; vgl. Samuels 1923; Lock 1998: 48 ff. u. 165 ff.; Bromwich 2014: 30 ff.; Bourke 2015a: 56 ff. u. 202 ff. 4 Vgl. hierzu neben der in der vorhergehenden Anmerkung genannten Forschungsliteratur auch Zimmer 1995: 14 ff.; Doering 1990: 25 ff.; Kramnick 1968: 1 ff. (u. passim); umfassend Johnson 1967; Schmidt 2012. 5 Aufgrund der wenigen erhalten gebliebenen Materialien v. a. aus den Jahren nach 1749 sprach Dixon Wecter von „The Missing Years in Edmund Burke’s Biography“ (Wecter 1938). Überliefert sind neben Briefen v. a. kleinere literarische Versuche aus der Zeit in Dublin ab 1744 (abgedruckt in Samuels 1923) sowie einige Notizbücher aus den ersten Londoner Jahren ab 1750; vgl. Burke 1750/56.

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Doch der Eindruck, dass es sich bei diesen frühen Schriften und Aktivitäten um solche handelt, die für das Verständnis seines späteren politischen Denkens und Wirkens wenig bedeutsam sind, täuscht. Die jüngere Forschung hat verstärkt darauf hingewiesen, dass sie einen integralen Bestandteil von Burkes politischem Denken bilden und dieses somit – trotz und wegen seines vermeintlich unsystematischen oder gar widersprüchlichen Charakters – eine bemerkenswerte methodische und inhaltliche Stringenz und Kontinuität aufweist.6 Das lässt sich in besonderer Klarheit an diesem ersten von Burke veröffentlichten Werk, der Vindication, erkennen. Entgegen dem ersten Anschein handelt es sich bei diesem satirischen Text nicht um „a utopian hoax“ oder „a mock“ (Bromwich 2014: 43), d. h. um eine literarische Spielerei und Fingerübung, die allenfalls als Beispiel dafür dienen könnte, wie ein begabter Nachwuchsliterat versucht, Zugang zu den etablierten Zirkeln und Journalen der Zeit zu erlangen. Zusammen mit dem Enquiry dokumentiert es vielmehr gleichsam den Abschluss von Burkes Orientierungsphase und enthält wesentliche Grundlagen dessen, was sein ganzes weiteres politisch-soziales Denken und Wirken bestimmt hat. Burke präsentiert schon in der Vindication zentrale erkenntnistheoretische und methodologische Überzeugungen und Positionen, die eine fundamentale Skepsis gegen rationalistische Konzeptionen von wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischen Weltverhältnissen zum Ausdruck bringen. In inhaltlicher Hinsicht lassen sich dabei grundlegende Bestimmungen von Burkes Sicht auf Natur und Geschichte, auf Mensch und Gesellschaft, auf Leidenschaften und Vernunft, auf Staat und Religion usw. erkennen, auf denen er nach seiner Hinwendung zur Praxis als Whig-Politiker und als Mitglied des Parlaments aufbauen sollte.7 Zugleich macht eine nähere Betrachtung der Vindication wie auch anderer Frühschriften deutlich, dass Burkes politisches Denken nicht lediglich als Produkt seiner praktisch-politischen Positionsbestimmungen und Auseinandersetzungen seit seinem Eintritt in die Politik entstanden ist und rekonstruiert werden kann. Diese basieren vielmehr selbst auf einer grundsätzlichen und dauerhaften Auseinandersetzung mit den Positionen und Strömungen, die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die geistigen Entwicklungen und Debatten in England und auf dem Kontinent bestimmten: von der sei es rationalistisch oder empiristisch begründeten Natur- und Moralphilosophie über das Geschichts-, Rechts- und Verfassungsdenken bis hin zum Naturrecht und den Debatten, die unter den weiten Begriff des Aufklärungsdenkens subsumiert werden können. Wenn diese Auseinandersetzung in A Vindication of Natural Society in Gestalt einer Satire erfolgt, so dass ausgerechnet Burkes „only purely theoretical writing on politics“ (Pagano 1985: 446) dann doch wieder in einer indirekten und vermittelten ||

6 Vgl. Pagano 1985; Furniss 1993; White 1994 (v. a. Einl. u. Kap. I); Ryan 2001; Hampsher-Monk 2012: 198 ff.; Bourke 2015a (Kap. 2 u. 3); Wood (1964: 42) sah schon in Burkes frühen „aesthetic categories […] a unifying element“; vgl. die Beiträge in Vermeir/Funk Deckard 2012, v. a. Kap. 1 u. Teil II. 7 Für den Herausgeber einer jüngeren Edition der Vindication offenbart dieser Text Burkes sogar „the deepest grounds of his politics“ (Pagano 1985: 446).

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Form geschieht, die von Perspektivwechseln, verdeckten und mehrdeutigen Stellungnahmen und komplexen rhetorischen Stilmitteln geprägt ist, dann verweist dies auf ein weiteres Merkmal von Burkes politischem Denken und dessen Interpretation, das die Auseinandersetzungen darum bis heute prägt. Denn Burke entwickelt seine politischen und sozialphilosophischen Ansichten und Vorstellungen stets im direkten Bezug auf spezifische Umstände und Zusammenhänge, und sie sind dabei stets in einem solchen Maße von seiner Einschätzung ihrer praktischen Konsequenzen geprägt, dass die tragenden Motive, Positionen und methodischen Prinzipien seines Denkens einerseits und die Variabilität und Spezifik seiner Formulierung und Aussagen andererseits auch stets nur im gedanklichen Nachvollzug und als Resultat einer praktischen interpretatorischen Leistung und Stellungnahme zugänglich werden können.8 Bei der Vindication handelt es sich insofern um einen Text, der in besonderer Weise geeignet ist, einen Zugang zu den Inhalten und der Komplexität von Burkes politischem Denken zu gewähren. Er bietet nicht nur einen Zugang zu zentralen Konzepten und Zusammenhängen und zur methodischen Vorgehensweise seines politischen Denkens, sondern dokumentiert auch, dass Burkes politisches Denken von Anfang an eine kritische Reflexion der philosophischen, politischen und sozialen Entwicklungen darstellt und sich als praktische Intervention in zeitgenössische Diskurse und Debatten verstand. Darüber hinaus lassen sich hier bereits jene tiefgreifenden Ambivalenzen erkennen, die dazu führten, dass Burke den einen als Aufklärer, den anderen als Aufklärungsgegner galt, den einen als (Proto-)Liberaler, den anderen als Stammvater des modernen Konservatismus.9 Die Form der Satire nämlich führt zu einer Art ‚Maskenspiel‘, das Burkes eigene Position bereits in seinen Anfängen in vergleichbarer Weise für Zeitgenossen wie Nachwelt verschleierte bzw. zum Gegenstand heterogener, einander teils diametral entgegengesetzter Interpretationen gemacht hat.10 Indem Burke auf der einen Seite in satirischer Gestalt grundsätzliche Positionen und Methoden des neuzeitlich-aufgeklärten wissenschaftlichen und politischen Denkens in einer für viele Leser überzeugenden Weise vorführte, dieselben Positionen und Denkweisen auf der anderen Seite jedoch durch diese satirische Darstellung und Überspitzung kritisieren und ad absurdum führen will, zwingt er zur Reflexion über ihre jeweilige Stärke, über seine eigene Position und über die Gründe, die ihn dazu bringen, diese Ambivalenzen und Widersprüche immer wieder neu zu (re-)produzieren und nicht vorschnell in die eine oder andere Richtung hin aufzulösen. ||

8 So betont Burke in den Betrachtungen über die Revolution in Frankreich: „Umstände [circumstances] (welche freilich bei den meisten dieser Herrn für nichts mehr geachtet werden) geben im Reiche der Wirklichkeit jedem politischen Prinzip seine eigentümliche Farbe und seinen unterscheidenden Charakter. Umstände sind es, was jeden bürgerlichen und politischen Plan wohltätig oder verderblich für die Menschen macht.“ (Burke 1790c: 57). 9 Vgl. ausführlicher zu diesen Debatten und Kategorisierungen oben, S. 2 f., sowie unten, S. 256 ff., 278 ff. u. 322 ff. 10 White (1994: 2 ff.) spricht auch von Burkes „multiple languages“.

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Im Folgenden soll die satirische Form, in der Burke sich mit den philosophischen Kämpfen seiner Zeit in seinem Erstlingswerk auseinandersetzt, als Möglichkeit genutzt werden, um die hier voneinander unterschiedenen gegensätzlichen Positionen ebenso wie jene Konzeptionen und Strömungen zu skizzieren, für die sie Burke zufolge stehen (1.1.2 u. 1.1.3). Dadurch lässt sich ein erster Einblick in den Stil und in zentrale inhaltliche Positionen von Burkes politischem Denken gewinnen (1.1.4). Die weiteren Beiträge dieses Bandes zeigen dann die vielfältigen Dimensionen und Entwicklungen, in denen es sich auf unterschiedlichen Themenfeldern entfaltet und ausgeprägt hat.

1.1.2 Die Vindication als Abrechnung mit der modernen Zivilisation a) Zivilisationskritik und die Maske des ‚Pseudo-Bolingbroke‘ Die Vindication of Natural Society erschien 1756 mit der knappen Vorbemerkung, es handele sich hier um die Schrift eines „Noble Writer“, die bisher unbekannt gewesen und deshalb nicht in dessen gesammelte Werke aufgenommen worden sei. Auf nicht näher erläuterte Weise sei sie in die Hände des Herausgebers gelangt und werde nun dem Publikum zur Prüfung vorgelegt, ob es sich um eine Schrift dieses „vornehme[n] Verfasser[s]“ handele, wofür freilich schon „seine eigene innere Beweiskraft“ spreche (49). Tatsächlich zeugten erste Besprechungen und Stimmen nach Erscheinen des Werkes dafür, dass zumindest Teile der Öffentlichkeit in der von Burke beabsichtigten Weise der Auffassung waren, man habe es hier mit einem Werk Lord Bolingbrokes zu tun, der in dieser Zeit im Zentrum zahlreicher öffentlicher Debatten stand.11 Bolingbroke hatte eine lange und bewegte Karriere, die ihn zu einem der wichtigsten, aber auch schillerndsten und umstrittensten Intellektuellen im England der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts machte.12 Seine Laufbahn begann 1701 mit seiner Wahl zum Mitglied des House of Commons, wo er sich, den katholischen Jakobiten nahestehend, den Tories anschloss. Von 1710 bis 1714 war er Mitglied der Tory-Regierung unter Königin Anne. Als Außenminister war er an den Verhandlungen zum Utrechter Frieden beteiligt, mit dem 1713 der Spanische Erbfolgekrieg beendet und Englands Macht auf dem Kontinent wie im globalen Handels- und Kolonialsystem befestigt wurde. Nachdem die Whig-Partei mit Beginn der Herrschaft der Hannoveraner Könige 1714 die Machtpositionen in Staat und Regierung über mehrere Jahrzehnte hinweg für sich okkupierte, wurde Bolingbroke zu einem der schärfsten oppositionellen Denker und Akteure. Zeitlebens bekämpfte er von da an die jahrzehntelange Herrschaft der Whigs – insbesondere den von 1721 bis 1742 als Erster Minister agierenden ||

11 Zu Hinweisen auf erste in diese Richtung deutende Rezensionen der Vindication vgl. Lock 1998: 84-86. Freilich gab es, wie Lock ebenfalls zeigt, schon Stimmen, die skeptisch waren oder die satirische Absicht ahnten. 12 Vgl. zu Bolingbroke Kluxen 1956; Kramnick 1968; Dickinson 1970; Hereth 1970.

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Robert Walpole –, denen er Verrat an den Prinzipien der englischen Verfassung vorwarf, da sie als Protagonisten einer Zentralisierung der politischen Macht wirkten und die Korruption durch die Finanz- und Handelseliten institutionalisierten (vgl. etwa Bolingbroke 1735: 180 f.; Kramnick 1968: 39-55). Diese Kritik verdichtete und systematisierte er zur idealisierten Idee einer vom „spirit of liberty“ getragenen englischen Verfassung, geprägt durch „a balance of the powers, divided among the three parts of the legislature“ (Ebd.: 91 u. 96). Mit dieser Konzeption sollte Bolingbroke, der nach seinem Sturz lange im französischen Exil lebte, die Vorstellungen Voltaires, Montesquieus und zahlreicher anderer französischer Aufklärer von der Verfassung Englands als Vorbild einer antidespotischen freiheitlichen Ordnung mit prägen.13 In England war Bolingbroke seit seiner Rückkehr aus dem Exil 1725 eine zentrale Figur in den politischen und literarischen Zirkeln, die oppositionelle Geister wie Jonathan Swift, John Gay oder Alexander Pope bildeten (vgl. Kramnick 1968: 205 ff.; Hammond 1984: 38 ff.). Als Herausgeber der führenden Zeitschrift der Country-Opposition, des Craftsman, die zwischen 1727 und 1737 erschien und unter anderem mit neo-republikanischen Motiven die ‚Korruption‘ der herrschenden Court-Whigs attackierte,14 und als Verfasser von Werken zur englischen Geschichte, zur Idee eines über den politischen Parteiungen stehenden Patriot King oder zu einem neuen Verständnis von politischen Parteien und politischer Opposition hatte Bolingbroke einen außerordentlichen Einfluss auf die Entwicklung des politischen Denkens in England.15 Dies zeigt sich ironischerweise nicht zuletzt daran, dass dieser Einfluss gerade auch bei Burke selbst bemerkt werden kann, obwohl dieser sich in satirischer Abgrenzung von ihm zu profilieren sucht. Darauf wird zurückzukommen sein. Nach Bolingbrokes Tod wurde 1754 aus seinem Nachlass eine große Zahl an Schriften, die bis dahin nur als Manuskripte, Privat- oder Raubdrucke zirkulierten oder gar nicht bekannt waren, von David Mallet in fünf Bänden veröffentlicht. Diese Texte verschafften Dimensionen seines Denkens Aufmerksamkeit, die, obwohl alles andere als prinzipiell neu und unbekannt, für großes Aufsehen und erregte Debatten sorgten (Cottret 1997: 1 ff.).16 In diesen Schriften vertrat Bolingbroke eine skeptische ||

13 Zu Bolingbrokes Begriff der englischen Verfassung als eines Systems, das auf der Unabhängigkeit der Gewalten beruhte und dadurch die „British liberty“ sicherte, vgl. etwa Bolingbroke 1735: 120 f. u. 124 ff.; zu Bolingbrokes Einfluss auf Montesquieu vgl. Shackleton 1949; Kramnick 1968: 143 ff.; zu seinem Verfassungsverständnis vgl. neben der in Anm. 11 genannten Literatur knapp Kraus 2006: 122 ff. 14 Zur Ausbildung der Country-Ideologie und Bolingbrokes Rolle dabei vgl. Dickinson 1977: 163-192; vgl. hierzu auch Burkes Auseinandersetzung mit den New Whigs während der Französischen Revolution unten, S. 260 ff. 15 Zu Bolingbrokes Verfassungstheorie und seiner Konzeption eines Patriot King vgl. neben den bereits genannten Schriften Kraus 2006: 126 ff.; zu seiner Theorie politischer Parteien und Opposition vgl. Kluxen 1956; Jäger 1971; Skjönsberg 2016. 16 Im Zentrum dieser Debatten um Bolingbrokes nachgelassene Schriften standen die Letters on the Study of History, die dann auch die wichtigste Zielscheibe von Burkes Kritik in der Vindication bildeten. Relevant sind in diesem Zusammenhang aber auch weitere Schriften wie die Letters or Essays Addressed to Alexander Pope und die Fragments or Minutes of Essays (alle in Works, 1754, Bd. 2-5).

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Sicht auf die historisch entstandenen politischen, sozialen und religiösen Lehren und Einrichtungen und erhob den Anspruch, sie mit den Mitteln der natürlichen Vernunft und Erfahrung zu erforschen und zu beurteilen, um daraus praktische Schlüsse ziehen zu können. Vor allem Bolingbrokes Kritik von Offenbarungsreligion und die Betonung der rein herrschaftsfunktionalen Bedeutung organisierter Religion stießen auf heftigen Widerspruch.17 Bolingbroke wurde vorgeworfen, auf diese Weise deistischen Lehren und letztlich Unglauben Vorschub zu leisten, wodurch er die Stabilität der etablierten Institutionen von Kirche und Staat gefährde und damit zugleich auch dem Wirken Gottes, wie es sich in der Welt manifestiere, entgegenwirke.18 In ideengeschichtlicher Perspektive handelt es sich bei diesen heftigen Reaktionen auf die Veröffentlichung von Bolingbrokes nachgelassenen Schriften weniger um das Ergebnis einer gründlichen Auseinandersetzung mit neuen Argumenten. Sie stellen vielmehr eine Art von Nachhutgefecht der seit dem Ende des 17. Jahrhunderts geführten Debatten um das Verhältnis von Wissenschaft, Religion und Politik dar, die sich zwischen Anhängern und Gegnern deistischer, auf natürliche Vernunft und natürliche Religion setzender Positionen hinsichtlich der Erkenntnis der grundlegenden Gesetze in Wirklichkeit und Moral entzündeten. Deistischen Denkern zufolge, die in England meist mehr oder weniger im Ausgang von der empiristischen Erkenntnistheorie John Lockes argumentierten, stellt die natürliche und die moralische Welt eine gesetzmäßige Ordnung dar, die als Manifestation der Vernunft und des Wirkens Gottes der menschlichen Erfahrung und Vernunfterkenntnis grundsätzlich zugänglich ist. Folglich ist es Menschen auch möglich, die gegebenen Verhältnisse, Ereignisse und Handlungsregeln nach Prinzipien der natürlichen Vernunft zu beurteilen und praktisch zu gestalten.19 Diese deistischen Strömungen stießen im England der Zeit auf breite Kritik, wobei die Kritiker oft durchaus keine Gegner des neuzeitlichen Erkenntnis- und Wissenschaftsverständnisses waren, sondern meist ebenfalls auf dessen Grundlage argumentierten. Ihnen ging es aber darum, die etablierte Religion und die Institutionen von Kirche und Staat wie auch die historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Verhältnisse mit den Mitteln der Vernunft auch dann zu

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17 Vgl. etwa Bolingbroke 1754c, IV: 630 f.; zum historischen Hintergrund Langford 1989: 237 ff. 18 Vgl. hierzu weiter unten, S. 25 f. – Ernst Troeltsch hat diese politisch-ideologische Dimension des Streits um den Deismus deutlich benannt: „Das offizielle England, alle Größen der Literatur, Bentley, Swift, Addison, Pope […], Johnson, Young, Blackmore, Locke, Clarke, Butler, Warburton, Sterne, Richardson u. a., standen trotz starker Berührungen ihm feindlich gegenüber. Er stellte eben trotz aller wissenschaftlichen Motive doch auch in Nachwirkung des puritanischen Radikalismus und in Begünstigung durch die whiggistische Revolution von 1688 die Opposition gegen die anglikanische Kirche und das Staatspriestertum dar, war daher von Hause aus im Gegensatz zu den vornehmen Kreisen des Staates, der Kirche und der Wissenschaft und Literatur. Das ‚establishment‘ bekämpfte in ihm wie einst im Puritanismus und dann im Krypto-Katholizismus eine aktuelle kirchenpolitische Gefahr. Daher die persönliche Gereiztheit des Kampfes.“ (Troeltsch 1898: 534 f.). 19 Zu den prominentesten englischen Deisten zählten neben Bolingbroke v. a. John Toland, Anthony Collins und Matthew Tindal.

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erkennen und zu rechtfertigen, wenn ihre Erscheinungsformen und Ergebnisse letztlich unerforschlich oder auf den ersten Blick wenig wünschenswert erschienen.20 Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum sich Burke in seiner satirischen Vindication of Natural Society für Lord Bolingbroke als ‚Verfassermaske‘ entschied. Zum einen wählte er damit einen politischen und sozialphilosophischen Autor, der gerade im Zentrum einer intensiven Diskussion in der politischen und literarischen Öffentlichkeit stand. Eine Satire, die dessen Positionen auf geistreiche Weise ad absurdum führte, war daher für einen aufstrebenden jungen Intellektuellen, der seinen Platz in dieser Öffentlichkeit erst noch suchte, eine ausgezeichnete Gelegenheit, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sich zu profilieren. Angesichts dessen erscheint es anachronistisch, stattdessen, wie vielfach angenommen wird, Jean-Jacques Rousseau und dessen Rekonstruktion der Entwicklung von der natürlichen zur politischen Gesellschaft als zentrale Zielscheibe von Burkes Vindication zu sehen. Denn bei Rousseaus 1755 vorgelegtem Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen handelt es sich um ein Werk, dessen Autor zu dieser Zeit in England noch weitgehend unbekannt und das zudem noch nicht in englischer Übersetzung publiziert war, folglich auch nicht Gegenstand einer breiteren Auseinandersetzung sein konnte.21 Zum anderen positioniert sich Burke in inhaltlicher Sicht mit seiner Wendung gegen Bolingbroke klar in einer für das politische Denken der Zeit zentralen Debatte und optiert für eine Strömung in ihr, die schon Teil seiner intellektuellen Sozialisation seit den 1740er Jahren gewesen war.22 Denn stärker als der ‚reale‘ Bolingbroke, dessen tatsächliches Denken und Positionen sich vom ungebrochenen Rationalismus und der Apologie der natürlichen Gesellschaft nach Art des imaginären Verfassers der Vindication nicht unwesentlich unterscheidet,23 war der wirkliche Gegner, gegen den Burke sich hier richtete, sehr viel eher die Konstruktion eines deistischen Rationalismus. Die Gefährlichkeit dieser Position und ihrer Vertreter war von skeptisch-anglikanischen Autoren wie Berkeley oder Warburton immer wieder betont worden, und wie diese betrachtete auch Burke sie schon früh als Bedrohung für die etablierte Kirche und die historisch entstandenen politischen und sozialen Einrichtungen, die für ihn die nicht hintergehbare Grundlage und der ||

20 Zu den wichtigsten dieser Autoren zählten George Berkeley, Joseph Butler, Samuel Clarke, Alexander Pope oder William Warburton. – Zum englischen Deismus und den apologetischen Gegenpositionen Herrick 1997; Israel 2001: 599 ff.; Hampsher-Monk 1998: 236 ff.; Reventlow 2004; Gerrish 2006. 21 Vgl. Hampsher-Monk 2010: 245. Hierzu und zu den inhaltlichen Argumenten, die gegen eine solche in der Forschung lange Zeit als selbstverständlich geltenden Ausrichtung sprechen, vgl. weiter unten, S. 27, Anm. 30; dort auch Hinweise zur Forschungsliteratur. 22 Schon der junge Burke sah in Gegnern der Offenbarungsreligion eine Gefahr für Tugend und Moral (The Reformer Nr. 11, 7. April 1748, in: Samuels 1923: 323 f.). 23 Vgl. Cottret 1997: 8: „Burke’s summary of Bolingbroke’s ideas is extremely inaccurate. His ‚Bolingbroke‘ is the mouthpiece of all the enlightened clichés of his age.“ Bolingbroke war als Anhänger von Lockes Erkenntnistheorie ein erklärter Gegner rationalistischer Konzeptionen; vgl. Bolingbroke 1754c, III: 321 ff., 351 ff. (Essay I) u. passim; vgl. Dickinson 1970: 158 ff.

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Garant aller gesellschaftlichen Ordnung, Stabilität und Entwicklung waren.24 Diese Frontstellung bildete den Ausgangspunkt, von dem aus Burke in dieser kleinen Schrift die Grundlagen seines politischen und sozialphilosophischen Denkens entwarf und sich gegen die unterschiedlichen politischen und naturrechtlichen Staatsund Rechtstheorien des 17. und 18. Jahrhunderts profilierte. b) Aufklärung, Wissen und ihre praktisch-politische Macht Gleich zu Beginn der Vindication of Natural Society macht Burke deutlich, dass es ihm um grundlegende Fragen von wissenschaftlicher Erkenntnis, Moral und Politik geht. Diese Themen und der Zusammenhang, der zwischen ihnen besteht, waren im neuzeitlichen politiktheoretischen Denken allgemein, insbesondere aber in den Auseinandersetzungen in England um die moralischen und politischen Implikationen des Deismus und des Free-Thinking in besonderer Weise umkämpft.25 Wenn der Sprecher26 bemerkt, sein Adressat befürchte, die Erforschung der Fundamente der politischen und sozialen Institutionen könne deren Stabilität erschüttern und „die Wissbegierde einer solchen Untersuchung […] zum Ruin des gesamten Gebäudes führen“ (53), wird der zentrale Gegenstand von Burkes Schrift erkennbar: Es ging ihm um die richtige Methode der Erkenntnis von Natur und Gesellschaft und die Grundlagen und Konsequenzen moralischer und politischer Urteile über sie. Burkes Sprecher stellt zwei Formen von Argumentations- und Denkweisen – „manner[s]“ bzw. „method[s] of reasoning“ (WS I: 172 u. 139; dt. Übers. unten, S. 86 u. 55) – als einander ausschließende gegenüber. Als „widersinnig“ bezeichnet er jene Methode, welche „die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung“ dadurch zu erkennen sucht, dass man „sie nach ihren augenscheinlichen Folgen beurteilt“ (53). Mit diesem Hinweis auf die Konsequenzen als Kriterium für die vernunftgeleitete Aufklärung hatten sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zahlreiche Theologen und Philosophen wie Edward Stillingfleet oder George Berkeley gegen den Skeptizismus gewandt. Dieser resultierte ihrer Meinung nach aus der ‚Entzauberung‘ von Natur und Gesellschaft durch die historischen und empirischen Wissenschaften und ihrer Forderung, nur das mit den Mitteln der natürlichen Vernunft Belegbare als wahr anzuerkennen. Dies nämlich führe dazu, dass überkommene Überzeugungen und Glaubenssätze von Religionen und ihre Geheimnisse samt der auf ihnen basierenden Kirchen ebenso in Frage gestellt werden wie die bestehenden politischen, rechtlichen und sozialen Einrichtungen, Gewohnheiten und Meinungen. Dies ist für den Sprecher ||

24 Vgl. zusammenfassend hierzu Bourke 2015a: 91 ff. Zu den religiösen Hintergründen von Burkes Denken vgl. Hampsher-Monk 1998; Clark 2007. 25 Vgl. neben den oben, Anm. 20, angegebenen Hinweisen hierzu Miller 1993. 26 Um den imaginären Verfasser des Briefes an den jungen Lord von Burke als Autor des Textes selbst zu unterscheiden, wird er im Weiteren als ‚Sprecher‘ oder ‚Verfasser des Briefes‘ bezeichnet. Dadurch wird der imaginierte Autor von Burke wie auch vom ‚realen‘ Bolingbroke unterschieden, denn auch mit dessen Positionen stimmt die des Sprechers vielfach nicht überein.

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der Vindication jedoch eine „höchst absurde und unverfrorene Denkungsart“ (55), denn sie würde bedeuten, dass einmal bestehende Einrichtungen und eingefahrene Vorurteile trotz fehlender vernünftiger Begründungen anerkannt und perpetuiert, „schädliche Wahrheiten“ aber geleugnet werden,27 wenn sie die Ordnung und die Stabilität der bestehenden Weltbilder, Normen und Einrichtungen gefährdeten.28 Demgegenüber lässt Burke den Verfasser emphatisch für eine Denkungsart eintreten, die grundsätzlich dem Streben nach Wahrheit im Sinne der neuzeitlichen Erkenntnisprinzipien den Primat einräumt. Nur auf der Grundlage von Erfahrung und Vernunft sei es möglich, zu sicheren Urteilen über Natur, Gesellschaft und Moral zu kommen, indem „die Natur und die ganze Ordnung ihres Systems“ (56) erkannt wird, in der sich der Wille und die Vernunft Gottes manifestiere.29 Nur auf dieser Grundlage ließen sich dann auch moralische Urteile über die Fundamente von Tugend und Glückseligkeit fällen. Burke geht dabei so weit, dem Verfasser in diesem Zusammenhang ein Credo in den Mund zu legen, welches das mit dem Denken der Aufklärung verbundene Versprechen von geistiger und religiöser, aber auch politisch-sozialer Befreiung in geradezu exemplarischer Weise zum Ausdruck bringt: Das Gefüge des Aberglaubens hat in dieser unserer Zeit und Nation viel heftigere Erschütterungen erfahren als je zuvor; und durch die Risse und Spalten unseres Gefängnisses sehen wir ein so strahlendes Leuchten, wehen uns so erfrischende Brisen der Freiheit entgegen, dass unsere Sehnsucht nach mehr täglich größer wird. Das Elend, das der Menschheit im Namen der Religion aus dem Aberglauben und im Namen der kirchlichen Autorität aus der kirchlichen Tyrannei erwuchs, ist klar und zweckmäßig entlarvt worden. Wir beginnen, allein aus der Vernunft und der Natur heraus zu denken und zu handeln. (56)

c) Eine Theorie der natürlichen Gesellschaft Indem Burke den Verfasser des Briefes die Grundlagen aller bestehenden politischen und rechtlichen Ordnungen in dieser Radikalität in Frage stellen lässt, macht er die ||

27 So hatte es Berkeley formuliert; vgl. unten, S. 55, Anm. 15. – Vgl. hierzu auch Hampsher-Monk 1998: 238 ff.; Bourke 2015a: 91 ff. 28 Dieser Vorwurf wurde nach der Veröffentlichung von Bolingbrokes Schriften nach dessen Tod vielfach gegen sie erhoben, u. a. auch von Montesquieu. 1754 schrieb dieser in einem Brief an William Warburton, einen der führenden Kritiker Bolingbrokes, in England gebe es, anders als in anderen Staaten, keinen guten Grund, Offenbarungsreligionen anzugreifen: „In that country, it is so purged of all destructive prejudices, that it can do no harm; but, on the contrary, is capable of producing numberless good effects.“ Greife jemand sie an und sei damit erfolgreich, so würde er, „nay, should he be in the right too, […] only deprive his country of numberless real benefits, for the sake of establishing a merely speculative truth“ (Montesquieu 1754: 2 f.). Burke sah dieses Schreiben als so bedeutsam an, dass er es 1760 noch einmal im Annual Register veröffentlichte (2. Halbbd., S. 189). 29 Vgl. etwa Bolingbroke 1754a: 100: „By employing our reason to collect the will of God from the fund of our nature, physical and moral, and by contemplating seriously and frequently the laws that are plainly, and even necessarily, deducible from thence, we may acquire not only a particular knowledge of these laws, but a general, and in some sort an habitual, knowledge of the manner in which God is pleased to exercise his supreme power in this system, beyond which we have no concern.“

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theoretischen und methodischen Fundamente zentraler Positionen des neuzeitlichen Naturrechts und des zeitgenössischen politischen Denkens der Aufklärung zum Gegenstand kritischer Reflexion. Mit dem Rekurs auf die natürliche Vernunft und die Idee eines Naturzustandes verortet er den Sprecher der Vindication im Rahmen der Vertragstheorien seit Hobbes, Pufendorf und Locke, welche die legitimen Grundlagen und Verwirklichungsformen politischer und rechtlicher Einrichtungen und Normen bestimmen sollten. Gesucht werden die allgemeinen Prinzipien, die sich aus der Analyse der Menschen, ihrer Leidenschaften und ihrer Vernunft unter den Bedingungen natürlicher Freiheit und unabhängig von allen politischen und sozialen Verhältnissen ergeben, um dann als Maßstab für „die verschiedenen künstlichen Formen von Religion und Gesellschaft“ (70) zu dienen. Zu diesem Zweck skizziert der Sprecher in groben Zügen jenes Bild eines Naturzustandes, das viele Interpreten zu der Auffassung verleitet hatte, Burke ziele statt auf Bolingbroke auf Rousseau und dessen Diskurs, da dieser mit ihm in wichtigen Aspekten übereinzustimmen scheint.30 Ähnlich wie bei Rousseau, sind die Menschen für den Sprecher der Vindication im natürlichen Zustand Wesen, die nur von zwei basalen Antrieben bestimmt werden: einerseits vom Streben nach Selbsterhaltung, das mit den Mitteln befriedigt werde, die die Natur ihnen unmittelbar darbiete, und andererseits vom Streben nach geschlechtlicher Vereinigung, die die Reproduktion der Gattung sichere und zugleich „erstmals die Vorstellung von einer Gesellschaft“ und ihren „Annehmlichkeiten“ aufgebracht habe: „Eine solche Gesellschaft, die auf natürlichen Gelüsten und Instinkten, nicht auf irgendeiner konkreten Institution gründet, nenne ich eine natürliche Gesellschaft“ (55). Diese ‚natürliche Gesellschaft‘ erscheint in dieser Darstellung als prinzipiell stabil. Zwar weist sie strukturelle Probleme auf, so das Fehlen der Sicherheit dauerhafter Kooperation und wechselseitigen Beistands sowie eines Schiedsgerichts, das Streitigkeiten verbindlich entscheiden könnte (vgl. 54 f. u. 85 f.). Doch anders als bei Hobbes, Locke und anderen Naturzustandstheoretikern führen diese Strukturprobleme dem Sprecher zufolge nicht dazu, dass die Menschen diesen Zustand der natürlichen Gesellschaft verlassen und in einen politisch-rechtlich verfassten Zustand eintreten müssten. Da die naturgegebenen Bedürfnisse der Menschen gering seien, erfordere ihre Befriedigung auch nur wenig Arbeit und Besitz, so dass von Natur aus weder das Interesse noch die Notwendigkeit oder überhaupt die Möglichkeit bestünde, dass die Menschen einander in Abhängigkeit brächten und Ungleichheit und Sklaverei entstünde (93). Wenn unter diesen Bedingungen Konflikte aufträten, könnten sie mittels natürlicher Vernunft und Kräfte gelöst werden, denn jeder sei fähig, auf der Grundlage der ||

30 So etwa Sewell 1938; Lock 1998: 87; Harris 1993: xx f., 6 u. ö.; mit einigen Vorbehalten auch Bromwich 2014: 44; Zimmer 1995: 31 u. 32; Stanlis 1958: 126 f. – Zur Kritik an dieser Auffassung vgl. Pagano 1986 und vor allem Hampsher-Monk 2010 mit einer prägnanten Zusammenfassung der Argumente, warum dies sowohl aus Gründen von Edmund Burkes Intentionen, der zeitlichen Abläufe zwischen der ersten Publikation von Rousseaus Diskurs (im Juni 1755) und der Abfassung von Burkes Vindication wie aus systematisch-inhaltlichen Gründen nicht plausibel ist; so auch schon Skalweit 1956: 11 ff. und Schumann 1964: 14 f.

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„Ideen, Grundsätze und Regeln“, die die Vorsehung, d. h. Gott als Schöpfer der Natur und ihrer Gesetze, den Menschen „eingepflanzt“ habe, zu erkennen, „was fromm, gerecht, billig und ehrlich ist“ (70). Dadurch sei auch jeder in der Lage und frei, sein Recht auf Selbsterhaltung und auf die Produkte der hierfür geleisteten Arbeit zu verteidigen und durchzusetzen (vgl. 89 u. 90). Damit sieht der Sprecher also durch eine Analyse der Menschen im Zustand der natürlichen Gesellschaft jene Prinzipien aufgewiesen, die als Maßstab dienen, um „die verschiedenen künstlichen Formen von Religion und Gesellschaft“ zu beurteilen (70). Von dieser natürlichen Gesellschaft unterscheidet der fiktive Verfasser der Vindication ganz im Sinne der Vertragstheorien die künstliche oder politische Gesellschaft (55 ff.), die durch die Existenz von Institutionen und positiver Rechtsordnungen gekennzeichnet ist. Da „die Natur kein einigendes Band hervorgebracht“ habe, um große und komplexe Gesellschaften zu organisieren und zusammenzuhalten, bedürfe es künstlicher Einrichtungen und Gesetze. Der Grund dafür, dass die natürliche Gesellschaft mit ihren natürlichen Regeln aufgegeben wird, wird einem „großen Fehler“ der menschlichen Natur zugeschrieben, nämlich den Leidenschaften, insofern „wir [die Menschen] nie wissen, wann wir aufhören sollen, dass wir mit keiner vernünftigen Errungenschaft zufrieden sind, dass wir uns nicht mit unserer Lage abfinden können“ (55). Aus dem Zusammenschluss der Familien zu einem großen body politic zögen die Menschen demgegenüber jenen „großen Vorteil“, den sie schon im Naturzustand durch den Zusammenschluss der Individuen zu Familien erlangt hätten; hierzu zählt der Verfasser, wie sich zeigen wird, vor allem die Steigerung an Machtmitteln und die Vorteile, mit denen aufgrund von politischer, sozialer und ökonomischer Organisationsbildung, Kooperation und Arbeitsteilung zu rechnen sei. d) Vom Elend des Zivilisationsprozesses (I): Die Welt von Staaten Burke lässt bei der nun folgenden Prüfung der Frage, ob die Einrichtung politischer Gesellschaften die Mängel des Naturzustandes beseitigt und das Glück der Menschen vermehrt hat, den Verfasser der Schrift zu verheerenden Ergebnissen kommen. Im Lichte der natürlichen Prinzipien bildet die Geschichte politisch organisierter Gemeinwesen und Zivilisationen für diesen eine einzige Katastrophen- und Verfallsgeschichte, die allen Rechtfertigungen und Zwecken, mit denen sie verteidigt wird, diametral zuwiderläuft. Der Sprecher macht dieser Geschichte den Prozess, indem er in einem ersten Schritt die Strukturen und Geschichte der Beziehungen zwischen Staaten betrachtet, anschließend diejenigen innerhalb der unterschiedlichen Ausprägungen politischer Gesellschaften. Die Struktur und Geschichte der internationalen Beziehungen sind demzufolge vollständig durch Feindseligkeit, Gewalt und Krieg geprägt. Um dies zu belegen, unternimmt der Sprecher im Stile Bolingbrokes einen kursorischen Überflug über die geschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen, der ihn von den frühen Hochkulturen und Großreichen über die griechischen Stadtstaaten und das Römische Reich bis zu

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den neuzeitlichen Eroberungskriegen der europäischen Mächte im Zuge der Kolonialisierung führt.31 Die Staatengeschichte erscheint dabei als eine einzige Kette von Kriegen, die Millionen und Abermillionen von Menschen das Leben kostete (vgl. 57-67). Anders als Hobbes meine, sei der Kriegszustand also nichts, was bereits den Naturzustand auszeichne und dazu nötige, ihn zu verlassen.32 Vielmehr sei Krieg erst die Folge des Ausgangs aus dem Naturzustand und der Bildung politischer Gesellschaften, ja geradezu „der Zweck, für den [sie] gezielt gebildet und vorzugsweise zugeschnitten zu sein“ (58) schienen.33 Denn zwar sei die menschliche Natur von Leidenschaften und ‚Wildheit‘ geprägt, doch würden aufgrund der oben skizzierten Verhältnisse daraus resultierende Konflikte noch nicht zu größeren und dauerhaften Auseinandersetzungen führen (67). Erst die Ausbildung organisierter politischer Gesellschaften, der Staatskunst und der Entfaltung der technischen Mittel zur Kriegsführung und zu „jeder anderen Art von künstlicher, gelehrter und raffinierter Grausamkeit“ (67) mache es möglich, den Kriegszustand so sehr auszuweiten, dass immer wieder „die allgemeine Vernichtung des Menschengeschlechts“ drohe (65). Mit Blick auf die Frage, warum diese Dynamik des Krieges und Mordens entstehe und sich scheinbar unausweichlich durchsetze, lässt Burke den Verfasser des Schreibens eine Reihe von Gründen anführen, die gleichsam als Tableau jener Kriegsursachen gelesen werden kann, die in den aufklärerischen Debatten um Krieg und Frieden angeführt und angeprangert wurden. So setze die Etablierung von Staaten und Einsetzung von Herrschenden erstens ein Streben nach Machtausweitung und einen „Eroberungsrausch“ (59) frei, was Zeitgenossen wie Montesquieu, Melon, Hume oder Bolingbroke als ‚Geist der Eroberung‘ bezeichnet hatten.34 Dabei führe die Übertragung von Macht über Viele dazu, dass Interessen, Launen und Willkür einiger Weniger dominierten, und dazu, dass „aus keinem anderen Grund als dem des Ehrgeizes, ||

31 Diese nicht auf Faktentreue, sondern auf moralische Lehren aus der Geschichte abzielende, skeptisch-relativistische Methode der Geschichtsschreibung prägte zahlreiche Schriften Bolingbrokes, wobei Burke hier vor allem die Letters on the Study and Use of History im Blick hat (vgl. Bolingbroke 1754b: 266, 287 ff.). Burke karikiert Bolingbrokes Gleichgültigkeit gegenüber historischen Faktizität, dass z. B. Zahlenangaben des Sprechers der Vindication oftmals schon rechnerisch falsch sind. Vgl. Hicks 1987; Womersley 1987; Weinsheimer 1993: 72-102; Sommer 2002; Crowe 2012: 92 ff. 32 Vgl. Hobbes 1647: 83 f. (I. 12 f.); ders. 1651: 96 f. (Kap. XIII). – Dieses Argument findet sich auch bei Locke (vgl. Locke 1690: 278 ff. [II. 123-127]), während bei Rousseau der Naturzustand erst am Endpunkt des langen Prozesses der Vergesellschaftung „dem entsetzlichsten Kriegszustand Platz macht“ (Rousseau 1755: 211 f.) und so die Folge und nicht der Grund für die Ausbildung von Staaten sei. 33 Dies ist eine der Passagen, die Interpreten als Beleg dafür sehen, dass Burke mit dieser Schrift vor allem auf Rousseaus zweiten Diskurs ziele. Rousseau hatte dort einen ähnlichen Zusammenhang konstatiert, allerdings mit Hinweis darauf, dass der Naturzustand nur zwischen Individuen, nicht aber zwischen Staaten aufgehoben wurde und deshalb „noch unheilvoller [sei], als er es zuvor unter den Individuen gewesen war, aus denen sie sich zusammensetzten. Hieraus gingen die Kriege zwischen den Nationen, die Schlachten, die Mordtaten, die Repressalien hervor, welche die Natur erschaudern lassen und die Vernunft schockieren.“ (Rousseau 1755: 221). 34 Vgl. Melon 1736: 79 f.; Montesquieu 2000: 137 f. (Nr. 810); Bolingbroke 1735: 34; Hume 1758.

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ohne irgendein anderes Motiv als die des Stolzes, der Grausamkeit und des Wahnsinns und ohne jeden Nutzen für sich selbst“ (59) Kriege angezettelt und Eroberungsfeldzüge unternommen werden, die zahllose Opfer forderten. Wie schon Machiavelli bemerkt habe, stehe dann – so wird als eine zweite Kriegsursache angeführt – in einer Welt, die von mächtigen Staaten geprägt sei, für den Staatsmann die Vorbereitung auf den Krieg im Zentrum seines Handelns, denn jede Periode des Friedens müsse erkämpft werden und sei, einmal bestehend, prinzipiell unsicher (vgl. 58). Die Staatsraison erfordere demnach zur Gewährleistung des Überlebens der einmal gegründeten Gemeinwesen, beständig für den Krieg zu rüsten, die Macht auszuweiten und Gegner präventiv zu schwächen (vgl. 69). Eine weitere Ursache für Konflikte und Kriege im Rahmen der internationalen Beziehungen sieht der Verfasser in der Tatsache, dass die „künstliche Aufteilung der Menschheit in separate Gesellschaften an sich schon eine ständige Quelle von Hass und Streit unter den Menschen ist“ (68). Die aufklärerische Diskussion über die Ausbildung von „Nationalcharakteren“35 und die Anfänge der nationalistischen Aufladung der Auseinandersetzungen innerhalb des europäischen Staatensystems, wie sie Burke im Vorfeld des Ausbruchs des Siebenjährigen Krieges 1756 erlebte,36 bilden den Erfahrungshintergrund der hier angesprochenen Gefahr: Dass die Menschen einander nicht mehr als Wesen ansehen, die „an derselben Natur teilha[ben] und demselben Gesetz unterlieg[en]“, sondern sich nur mehr als Ausländer, als Teil politischer Gemeinschaften und Nationen betrachten, deren bloßer Name „Assoziationen [auslöst], die von Hass und Verachtung erfüllt sind“ (68). Und schließlich lässt Burke den Sprecher mit dem Hinweis auf die Kolonialisierung Amerikas und ihre unzähligen Opfer noch einen weiteren Grund anführen, der belegen soll, dass die Gründung und Entfaltung machtvoller politischer Gesellschaften den Geist des Krieges und der Eroberung generiert und befeuert (66). Gerade im 18. Jahrhundert, als der europäische Kolonialisierungsprozess auf allen Kontinenten Fahrt aufnahm und der Aufbau kolonialer Imperien zu einem zentralen Konfliktherd in der europäischen Mächtekonkurrenz wurde, trat diese Dynamik deutlich zutage und sollte Burke zeitlebens beschäftigen.37

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35 Vgl. Montesquieu 1748, I: 413 u. 417 f. [XIX. 4 u. 10] und Hume 1748a: 160 ff.; hierzu Maurer 1996. 36 Die Prägung nationalistischer Stereotype und Feindschaften im Zuge der Konkurrenz europäischer Mächte der Zeit wurde in Großbritannien u. a. durch eine energische patriotische Öffentlichkeitspolitik der Regierung William Pitts d. Ä. ebenso befördert wie in Frankreich oder Preußen; vgl. Newman 1987: 67 ff.; Langford 1989: 230 ff. u. 331 ff.; Cardwell 2004; Colley 2005: 85 ff.; Leonhard 2008: 285 ff. 37 Zu dieser Thematik, die Burke, wie der nur ein Jahr nach der Publikation der Vindication veröffentlichte Account of the European settlements in America zeigt, schon früh beschäftigte, vgl. oben, S. 5, 11 u. unten, Teil 3 (passim).

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e) Vom Elend des Zivilisationsprozesses (II): Die Welt des Staates Nicht besser werden in der Vindication die Folgen der Gründung politischer Gesellschaften für die innergesellschaftlichen Verhältnisse beurteilt. Die Geschichte belegt dem Sprecher zufolge, dass alle seit der Antike verwirklichten Staatsformen, seien es Monarchien, Aristokratien oder Demokratien (S. 70-81), allesamt „Tyranneien“ und „Despotien“ sind (80 u. 95). Sie wetteiferten nur mehr „miteinander um den Widersinn ihrer Verfassungen und um die Unterdrückung, die sie ihre Untertanen erdulden lassen“ (95). Er bezieht dabei ausdrücklich auch die Mischverfassung ein, die seit der Antike als die Staatsform galt, die die negativen Effekte der ‚reinen‘ Staatsformen aufhebt.38 Nach Ansicht vieler gemäßigter Vertreter der Aufklärung wie Bolingbroke, Montesquieu und auch Burke selbst waren deren Prinzipien im englischen Verfassungssystem in vorbildlicher Weise verwirklicht, so dass hier die Freiheit am besten gesichert werde.39 Es ist für die Interpretation von Burkes politischem Denken bemerkenswert, dass er in der hier ‚maskiert‘ vorgetragenen kritischen Analyse des Modells der Mischverfassung (82-85) schon zentrale Kritikpunkte an diesem System anspricht, wie sie radikale republikanische und demokratische Autoren wie Thomas Paine dann später vorbrachten und in den 1790er Jahren zur Verteidigung der Französischen Revolution gerade dem von Burke vertretenen Ideal der englischen Verfassung entgegensetzten.40 So bezeichnet der Sprecher das auf der Teilung der Staatsgewalten beruhende System als instabilste, widersprüchlichste und schlechteste aller Staatsformen, denn jede der Gewalten folge Prinzipien und Interessen partikularer Parteien, so dass das Allgemeininteresse vom „Geist des Ehrgeizes, des Eigeninteresses, der Unterdrückung und des Verrats“ zersetzt werde (84). Die in der Vindication vorgetragene Kritik an den politisch verfassten Gesellschaften war demnach von äußerster Radikalität. Die Missstände von tyrannischer Herrschaft, Korruption und rücksichtsloser Verfolgung von Eigeninteressen erscheinen hier nicht als Problem einer bloß unangemessenen Organisationsform politischer Einrichtungen, sondern als Übel, die aus dem Zusammenschluss zu politisch verfassten Gesellschaften an sich erwachsen (vgl. 67). Somit könnten sie auch nicht durch spezifische staatliche Institutionen und Regeln abgemildert oder verhindert werden, sondern brächten das Wesen der Staatsform selbst zum Ausdruck. Das Problem sei nicht der Missbrauch von artificial government, sondern: „Die Sache! Die Sache selbst ist der Missbrauch!“ (67) Politische Gesellschaften benötigten nämlich, um bestehen und nach innen und außen als handlungsfähige Einheiten auftreten zu können, die Bereitschaft zur Unterordnung (vgl. 67), d. h. zum Gehorsam gegenüber den Regierenden und den von diesen gegebenen Gesetzen, Regeln und Befehlen. Einmal gebildet, seien Staaten aber notwendig Wesen, deren Erhaltung im Inneren wie in den ||

38 Zur Theorie der Mischverfassung und ihrer Geschichte vgl. Riklin 2006. 39 Zu Bolingbroke vgl. oben, S. 21 f. mit Anm. 13; zu Montesquieu vgl. das berühmte Kapitel über die Verfassung Englands (Montesquieu 1748, I: 214 ff. [XI. 6]); hierzu Wilhelm 2002. 40 Vgl. hierzu weiter unten in dieser Einleitung, S. 35 mit Anm. 37 sowie unten, S. 272 ff.

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Außenbeziehungen spezifischen Bedingungen und Zwängen unterlägen und eigene, künstliche „Maximen und Regeln der Staatsführung“ (68) erforderten. Die vielgeschmähten Theoretiker der Staatsraison bringen dem Sprecher der Vindication zufolge deshalb nur zum Ausdruck, was „alle, die über die Wissenschaft von der Politik schreiben“, auf der Grundlage der Erfahrung bestätigten, dass nämlich „alle Regierungen aus Gründen der Selbsterhaltung immer wieder gegen die Regeln der Gerechtigkeit verstoßen müssen“ (69).41 Denn um Ordnung und Gehorsam zu etablieren und zu sichern, müssten eben auch und gerade „wohlgeordnete Gesellschaften“ immer wieder zu „blutigen Maßnahmen und gewaltsamen Mittel[n]“ greifen, zu „Kerkern, Peitschen, Folterbänken und Galgen, mit denen jede Gesellschaft im Übermaß gesegnet ist“ (ebd.). Hinzu komme als wesentliches Element dieser Stabilisierung politischer Gesellschaften das Bündnis von Staat und Kirche, das in der Vindication in Form einer radikal-aufklärerischen Religions- und Kirchenkritik angegriffen wird, die den Widerstand sowohl der Vertreter des Status quo wie der gemäßigten Aufklärer erklärt. Der Gehorsam gegenüber den bestehenden Institutionen könne nämlich nicht allein durch die künstlichen Gesetze und die Autorität und Machtmittel weltlicher Gesetzgeber und Herrscher erzwungen werden. Stabilisiert werde sie erst durch die Berufung auf „künstliche Offenbarungen“ und Regeln einer „künstliche[n] Religion“, die im göttlichen Willen gründeten und dadurch eine besondere Motivations- und Verpflichtungskraft besäßen (vgl. 56). Am Ende unterlägen die Menschen in der politischen Gesellschaft so gänzlich dem „Joch der politischen und theologischen Sklaverei“ (96). Burke lässt auf diese Weise den imaginären Verfasser der Vindication nicht nur eine allgemeine ‚aufklärerische‘ Kritik an traditionellen Ordnungen von Staat, Gesellschaft und Kirche üben. Vielmehr legt er geradezu eine Dekonstruktion auch der verschiedenen Legitimationsstrategien von Staat, bürgerlicher Gesellschaft und Zivilisation vor, die im politischen Denken des Naturrechts und der Aufklärung vertreten wurden und staatliche Herrschaft mit Verweis auf menschliche Leidenschaften, Rechtssicherheit oder der Sicherung von Wohlstand und Zivilisation begründeten. Dies gilt zunächst mit Blick auf die Rechtfertigung politischer Institutionen und Gesetze durch den Rückgriff auf die Probleme, die aus den menschlichen Leidenschaften erwachsen, wie die säkularen Lehren von Staatsraison wie auch des Gesellschaftsvertrags lehrten. Solchen Ansätzen zufolge unterliegen die Leidenschaften niemals ganz der Leitung der Vernunft und sind unberechenbar, so dass sich die Menschen dadurch vor ihnen schützen müssen, dass sie eine politische Gesellschaft gründen und „Herrscher [bestimmen], die sie zu regieren hätten“ (81). Dadurch aber ergebe sich das Folgeproblem, dass man zwar nicht mehr den Leidenschaften und der daraus folgenden ||

41 Die willkürliche Herrschaft nicht legitimierende, sondern entlarvende Form des ‚machiavellistischen‘ Denkens betonen kurz nach Erscheinen von Burkes Erstling auch Diderot und Rousseau; vgl. Diderot 1759: 793; Rousseau 1762: 161 (III. 6). – Zur Theorie der Staatsraison in der frühen Neuzeit vgl. Münkler 1987.

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Willkür anderer Menschen ausgesetzt sei, dafür aber den mit organisierten Gewaltmitteln versehenen Willen einiger weniger Herrschender. So gebe es nun „eine schlimmere und verwirrendere Schwierigkeit: Wie schützt man sich vor den Herrschenden?“ Diesen sei man nahezu hilflos ausgeliefert. Dabei ist die Willkür, der die Individuen im Staat unterliegen, nicht nur quantitativ, sondern qualitativ von derjenigen unterschieden, der sie im Naturzustand ausgesetzt sind. Denn nicht nur könnten die Herrschenden, ungebremst von den natürlichen Gesetzen, dann ihre „gesetzlosen Leidenschaften zu Lasten des Gemeinwohls“ verwirklichen (82). Darüber hinaus führe, wie der Sprecher für die verschiedenen Staatsformen jeweils zu zeigen versucht, die Struktur politischer Herrschaft dazu, dass die jeweils Herrschenden zur Absicherung ihrer Stellung vor Gefahren, die ihnen im Inneren oder von außen drohen könnten, stets dazu tendierten, ihre Macht mit den Mitteln von Überwachung, Inquisition, Verfolgung und präventiver Schwächung aller potentiellen Gegner beständig auszudehnen, was unweigerlich zu Tyrannei führe (vgl. 70 f., 74 f. u. 76 f.). Ebenso verhält es sich für den Sprecher mit der für das aufklärerische politische Denken zentralen Figur der Rechtssicherheit als Legitimitätsgrundlage für die Stiftung einer Staats- und Rechtsordnung (vgl. 86-90). Den Theorien des Gesellschaftsvertrags zufolge ergibt sich die Notwendigkeit, den Naturzustand als Sphäre natürlichen Rechts und subjektiver Rechtsbestimmung zu verlassen, daraus, dass ohne eine allgemeinverbindliche Instanz der Auslegung der natürlichen Gesetze nicht bestimmt werden kann, was das Recht eines jeden ist, da im Naturzustand in letzter Instanz jeder Richter in eigener Sache ist. Deshalb muss eine staatliche Ordnung begründet werden, in der es eine positive Rechtsordnung gibt und öffentlich bestellte Richter Gesetze auslegen, Recht sprechen und rechtswidrige Handlungen ahnden. Nach Ansicht des Sprechers sind jedoch auch hier die Folgen dieser Institutionenbildung schlimmer als die Probleme des Naturzustandes, die sie lösen soll. Nunmehr werde die Auslegung des Rechts zur Sache einer eigenen Kaste, die aus ihm ein Mysterium und eine Geheimwissenschaft mache (87-89); sie sichere ihr Monopol, indem sie das positive Recht durch eine unendliche Vielfalt an Auslegungen, Kommentaren und Urteilen in ein „Labyrinth“ verwandele (86 u. 95), in dem die Rechtsansprüche der Individuen unter einem Berg von Formalitäten, Zufällen und willkürlichen Urteilen begraben würden.42 Wie im Falle der Einführung einer von den kirchlichen Institutionen verwalteten künstlichen Religion, werde so durch jene der künstlichen Rechtsordnung „eine weitere Vernunft neben der natürlichen Vernunft und damit eine weitere Gerechtigkeit neben der natürlichen Gerechtigkeit eingeführt“, was zur Etablierung und Perpetuierung der Herrschaft Weniger führe und „die gesamte Menschheit zur erbärmlichsten und unterwürfigsten Abhängigkeit“ verurteile (90). In diesem Zusammenhang weist der Sprecher der Vindication darauf hin, dass die Etablierung positiver Rechtsordnungen zwar damit gerechtfertigt werde, dass man ||

42 Das englische Rechtssystem war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert Gegenstand scharfer Kritik und zahlreicher Reformvorschläge; vgl. Hoppit 2000: 458 ff.; Langford 1989: 296 ff.; Lobban 2003.

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„die Gesetze zum Schutz der Armen und Schwachen“ und „gegen die Unterdrückung durch die Reichen und Mächtigen“ erlasse, tatsächlich aber dienten sie nur den Reichen und Mächtigen gegen die Armen und Schwachen (89).43 Damit lässt Burke ihn gleichsam die Dekonstruktion einer weiteren Rechtfertigungsstrategie der künstlichen Gesellschaft vorbringen, wie sie auch von der überwiegenden Mehrheit der Aufklärungsvertreter der Zeit verfochten wurde, insofern sie einen kausalen Zusammenhang zwischen der Entfaltung von auf Geld, Handel und Marktwirtschaft gründenden Gesellschaften, Produktivkräften, Wohlstand und Zivilisation postulierten.44 Demgegenüber führt die Entwicklung dem Sprecher der Vindication zufolge zur Ausbeutung und Verelendung großer Teile der arbeitenden Bevölkerung und beschädigt selbst diejenigen, die von ihr profitieren (vgl. 90-94). In großer Ausführlichkeit wird dargelegt, dass die arbeitende Bevölkerung oft unter Bedingungen leben müsse, die sie körperlich und geistig ruiniere, indem die Entwicklung der politischen Gesellschaft „unnötige Plackerei, unbekannte Laster und Krankheiten sowie mit der Natur unvereinbare Vergnügungen mit sich gebracht“ und am Ende „in allen Ländern das Leben von Millionen verkürzt und das von weiteren Millionen vollkommen erbärmlich und elend“ gemacht habe (94). Wenn also die breite Mehrheit des Volkes nicht zur Aufklärung und Selbstbestimmung fähig sei, dürfe dies nicht der Natur zugeschrieben werden, sondern der Einrichtung der künstlichen Gesellschaft selbst (vgl. 92). Im Ergebnis führt die in der Vindication vorgelegte Darstellung der Grundlagen und Geschichte politischer Ordnungen also zu einem vernichtenden Urteil über eine von der Natur und deren Gesetzen und Regeln entfremdeten Gesellschaft. Die durch den Zusammenschluss zu politisch verfassten Gesellschaften geschaffenen Kräfte und Zwänge erzeugen demnach Potentiale der Gewalt und Vernichtung, die mehr Unheil anrichten, als es die wildesten Tiere im Naturzustand könnten (62). Die Freisetzung des Prinzips des Eigeninteresses der Individuen führt zu einer von Ausbeutung, Korruption und der rücksichtslosen Verfolgung von partikularen Interessen geprägten Gesellschaft, in der die Menschen ihre natürlichen Bedürfnisse, Neigungen und Prinzipien aufgegeben haben und alle Bande der natürlichen Gesellschaft zerstört sind (83 f. u. 93). Für den Sprecher der Vindication folgt daraus, „dass die Sache der künstlichen Gesellschaft noch unhaltbarer ist als die der künstlichen Religion und dass sie der Ehre des Schöpfers ebenso abträglich ist wie der menschlichen Vernunft schädlich und dem Menschengeschlecht so unendlich unheilbringend“ (95). Vor diesem Hintergrund kann die politische und moralische Folgerung nur die radikale ||

43 Dieses Argument erinnert an Rousseaus Darstellung des von den „Reichen“ initiierten Gesellschaftsvertrags im Diskurs über die Ungleichheit (vgl. Rousseau 1755: 215 ff.; vgl. unten, S. 89, Anm. 113). 44 Dieses in der Vertragstheorie seit Hobbes und Locke zentrale Motiv der Rechtfertigung politischer Herrschaft rückte mit den verschiedenen Strömungen des politisch-ökonomischen Denkens seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ins Zentrum der politischen Theorie und Praxis und findet bei den Vertretern der Schottischen Aufklärung und ihrer Idee einer Wohlstand, Freiheit und Zivilisation befördernden Dynamik der commercial society einen besonders prägnanten Ausdruck; vgl. hierzu Berry 2013. – Zu Burkes politisch-ökonomischem Denken vgl. unten, Teil 5.

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Ablehnung und Negation aller künstlichen Einrichtungen und Regeln sein. Denn sind diese selbst das Problem, ist keine Reform mehr sinnvoll denkbar und möglich. Ein Denken, das die natürliche Vernunft als „Wegweiserin“ nehme und die „Gesetze der Natur [als] Gesetze Gottes“ erkenne, müsse dazu führen, dass man „dem Aberwitz der menschlichen Institutionen“ entsage und aufhöre, „unsere Vernunft und unsere Freiheit der bürgerlichen Usurpation zu opfern“ (95 f.). An die Stelle der „religiösen Visionen“ und „gesellschaftlichen Träumereien“ der Verfechter von Kirche und Staat muss dem Sprecher zufolge also der Einsatz für die natürliche Gesellschaft treten und der Entschluss, „für uns die vollkommene Freiheit ein[zu]fordern“ (96).

1.1.3 Burke und die Grundlagen politischer Gesellschaft und Zivilisation Die umfassende Kritik der Vindication an Geschichte und Strukturen von Staat, Gesellschaft und Zivilisation sorgte bei Zeitgenossen wie späteren Interpreten für tiefgreifende Irritationen. Die Schärfe der Kritik und die Überzeugungskraft der Argumente führten dazu, dass über den Autor und dessen Absichten ganz unterschiedliche Ansichten vertreten wurden. Während die einen glaubten, es mit einer nachgelassenen Schrift Bolingbrokes zu tun zu haben, erkannten andere zwar, dass es sich um ein in ähnlichem Stil verfasstes Werk handelte, hielten es jedoch für einen Versuch eines Autors, der Bolingbrokes Denken und Argumentationsweise nachahme, um auf diese Weise besondere Aufmerksamkeit für die Kritik an der herrschenden Zivilisation zu erregen.45 Doch auch nachdem Burkes Autorschaft bekanntgeworden war, blieb die Frage nach den Intentionen, die er mit dieser Schrift verband, umstritten. Bringt sie Burkes kritischen Blick auf die bestehende Ordnung und Positionen zum Ausdruck, von denen er später abrückte? Oder handelt es sich um ein misslungenes Jugendwerk, insofern sich die satirische Absicht und die sozusagen wider Willen allzu überzeugend geratenen Argumente für eine tatsächliche Kritik an den Verhältnissen nicht zu einem konsistenten Ganzen fügen?46 Gerade nach der Kritik, die Burke in den 1790er Jahren an der Französischen Revolution übte, hielt man ihm die Vindication als Beleg dafür vor, dass er selbst einst „the evils of the existing political institutions […] with incomparable force of reasoning and lustre of eloquence“ geschildert und also zumindest erkannt habe.47

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45 Mit Nachweisen zu den hier angesprochenen heterogenen Rezeptionsweisen vgl. Weston 1958: 440, Pagano 1985: 447, Anm. 2 und Lock 1998: 85 f. 46 Für Bromwich (2014: 44) etwa „a doubt remains whether the speculations Burke satirized […] are not speculations that he in part espoused“. 47 Godwin 1793: I. 10, Anm. – Im Jahre 1796 erschien gar eine neue Edition der Vindication, deren Herausgeber im Vorwort ausdrücklich den Widerspruch bedauern, dass ein Autor, der einst Krieg und Unrecht so meisterlich angeprangert habe, jetzt den Krieg gegen das revolutionäre Frankreich unterstütze; vgl. Lock 1998: 86.

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Burke musste also schon Mitte der 1750er Jahre feststellen, dass eine Sicht, die die bestehenden Verhältnisse mit den Mitteln einer auf Prinzipien natürlicher Vernunft basierenden Idee eines Naturzustands als Bewertungsmaßstab analysierte, in der Öffentlichkeit nicht mehr automatisch als Satire verstanden und ihre Argumentationsweise nicht mehr umstandslos als absurd bewertet wurde. Dies motivierte ihn dazu, der zweiten Auflage der Vindication, die im Dezember 1757 erschien, ein neues Vorwort vorauszuschicken, in dem er die Absichten offenlegte, die er mit diesem Werk verfolgte. Dieses Vorwort ist nicht nur für das Verständnis dieser Schrift selbst, sondern für Burkes politisches Denken insgesamt aufschlussreich. Es zeigt nicht nur, dass er die vorgetragene Kritik an der ‚künstlichen Gesellschaft‘ nicht teilt. Zugleich machen diese Ausführungen erkennbar, dass grundlegende Positionen und theoretisch-methodische Grundannahmen, die Burkes Denken zeitlebens prägen sollten, hier bereits deutlich entwickelt und formuliert waren. Nicht zuletzt zeigt diese kleine Schrift in exemplarischer Weise, dass Burkes Wendung gegen deistisch und naturrechtlich motivierte Kritik an den bestehenden Verhältnissen ein klares Bewusstsein für ihre Kritikwürdigkeit keineswegs ausschließt, dass kritische Erkenntnis seines Erachtens aber selbstreflexiv sein muss, d. h. dass sie die Grundlagen und die theoretische und praktische Bedeutung der kritisierten Entwicklungen und Verhältnisse wie auch ihrer eigenen Positionen selbst stets zum Gegenstand der Interpretation und Bewertung machen muss. a) Die Hybris prinzipiengeleiteter Vernunft und Kritik Im Vorwort zur zweiten, immer noch ohne Angabe des Verfassernamens erschienenen Auflage spricht Burke 1757 offen aus, dass es sich bei dieser Schrift um eine Satire handelte, die durch die Enttäuschungen angeregt worden sei, die die Veröffentlichung der nachgelassenen Werke Bolingbrokes und die kritische Debatte über dessen vermeintlich häretische Ansichten ausgelöst hatten. Dass es hierbei nicht um einzelne Positionen und Aussagen ging, sondern um grundsätzliche Fragen von Erkenntnis und Praxis, macht Burke klar, wenn er schreibt, dass der Kreis der von Bolingbroke enttäuschten Erwartungen die Gebiete der Naturerkenntnis und Anthropologie, der Erkenntnistheorie und Moralphilosophie, der Gesellschafts- und Staatslehre zugleich umfasse (vgl. 50). Der Grund für das Ausbleiben neuer Einsichten liege nämlich in der Spezifik der Denk- und Argumentationsweise (reasoning), die Bolingbroke und andere Autoren verträten (51). Diese Denkweise verfehle nicht nur eine angemessene Erkenntnis der Wirklichkeit, sondern führe auch zur Unterminierung von Religion, Moral und politisch-sozialer Ordnung. Burke unternimmt damit einen Generalangriff auf das herrschende wissenschaftliche Weltbild, wie es sich im 17. Jahrhundert durchgesetzt hatte, demzufolge die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Entwicklungen in Natur und Gesellschaft einzig durch die vernünftige Erkenntnis der in ihnen wirkenden Gesetzen erfasst

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werden kann.48 Die hier ins Zentrum rückende menschliche Vernunft ist zwar auch für Burke ein wesentliches Erkenntnisinstrument, birgt für ihn aber die Tendenz, anmaßend zu sein, was letztlich gerade dazu führe, dass sie ihren Gegenstand verfehle. Die menschliche Vernunft sei zwar in der Lage, durch Beobachtung und Schlussfolgerungen „unabänderliche Beziehungen“ und die wenigen allgemeinen Prinzipien und Wahrheiten zu erkennen (56), die der Wirklichkeit zugrundeliegen. Die problematische Folge sei jedoch, dass die Wirklichkeit dann auf jenen Zusammenhang von Gesetzen, Beziehungen und Erscheinungen reduziert werde, der mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erkenn- und rekonstruierbar sei. Burke hat dabei vor allem die Kritik im Sinn, die Deisten von Collins bis Bolingbroke an der Offenbarungsreligion übten, die in letzter Konsequenz bedeute, als göttliche Welt- und Naturordnung nur dasjenige anzuerkennen, was mit den Mitteln der Vernunft auf der Grundlage von natürlicher Erfahrung mit den wissenschaftlich erkennbaren Gesetzen der Natur übereinstimmt.49 Im Lichte der natürlichen Vernunft und der wissenschaftlichen Erkenntnis können diesem Denken zufolge die geoffenbarten Religionen, die von ihnen vertretenen Auffassungen über die göttliche und weltliche Ordnung und die daraus folgenden moralischen Prinzipien keine Geltung beanspruchen.50 Für Burke wird dadurch „jede Form von Religion beherzt angegriffen und die Grundlage jeglicher Tugend und aller Staatskunst […] untergraben“ (50), wie sie von der Religion im Rückgriff auf eine überpositive – göttliche – Ordnung und Vorsehung begründet werde. Es ist diese Hybris einer ihre eigenen Grenzen und ihre „eigene Schwäche“ (52) verkennenden Vernunft, die Burke in der Vindication karikieren und in ihrer ganzen Haltlosigkeit vorführen wollte, indem er „nachzuweisen [suchte], dass sich dieselben Mittel, die [von Deisten wie Bolingbroke; O.A.] für die Zerstörung der Religion eingesetzt wurden, ohne großen Kraftaufwand ebenso erfolgreich für die Zersetzung des Staates verwenden ließen“ (51). Die menschliche Vernunft allein ist Burke zufolge nämlich ein unsicheres und unzuverlässiges Vermögen, das aus sich selbst keinen festen Boden gewinnen, aber, falsch eingesetzt, destruktive Kräfte freisetzen kann. Dies lässt Burke dann auch den Sprecher der Vindication zwar nicht einsehen, aber doch selbst aussprechen, wenn dieser, wie erwähnt, den menschlichen Geist als ein „aktives und rastloses Prinzip“ bezeichnet (54), das jeden Tag neue Regeln, imaginäre Gesetze und Schrecken produziert und so eine Natur überwältigt und deformiert, „die, sich selbst überlassen, die beste und sicherste Führerin wäre“ (54).

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48 Das in England seit Locke und Newton dominierende Denken machte die empirische Erkenntnis und rationale Erfassung „allgemeiner Regeln und Gesetze zum einzig anerkannten Ziel aller wissenschaftlichen Anstrengungen“, die zugleich die Erkenntnis Gottes als „des Schöpfers der Naturgesetze“ verbürge; „Vernunft galt als die einzig legitime Möglichkeit, sich Gott zu nähern, der ja sein Universum auch nur nach Vernunftprinzipien geschaffen hatte“ (Doering 1990: 35 u. 137): „One follows nature, and nature’s God, that is, he follows God in his works“ (Bolingbroke 1754c, III: 344). 49 Vgl. hierzu nochmals oben, S. 25 f. 50 Vgl. Hampsher-Monk 1987: 35.

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Vor diesem Hintergrund lässt sich die Kritik an der ‚künstlichen Gesellschaft‘ in Burkes Satire als eine Darstellung lesen, die zeigen soll, dass durch die ausschließliche Berufung auf abstrakte, einfache und allgemeine Prinzipien und Gesetze der ‚natürlichen‘ Vernunft und „vordergründig bestechende Argumente“ alles Bestehende in Frage gestellt, in Zweifel gezogen und durch „irrtümliche Standpunkte“ und „paradoxe Ansichten“ untergraben werden kann (51). Die vielfältigen, oft unklaren und widersprüchlichen Aussagen über die menschliche Natur, über Leidenschaften und Vernunft, über die Verhältnisse im Naturzustand und das natürliche Recht, die die in der Vindication vorgetragenen Positionen durchziehen, führen so am Ende dazu, dass die ‚künstliche Gesellschaft‘ als reiner Niedergang und Gegenbild einer der natürlichen Vernunft entsprechenden Ordnung erscheint, ohne dass „die Vorzüge des Naturzustands“ überhaupt systematisch dargestellt (53) und damit eine tragfähige Alternative entwickelt worden wäre. Dasselbe gilt für den Umgang mit der Geschichte, den Burke den Sprecher der Vindication pflegen lässt. Hier spießt er Bolingbrokes Verfahren auf, die historischen Ereignisse und Entwicklungen ganz von dem politischen oder moralischen Interesse her zu präsentieren, das man mit der Darstellung verfolgt.51 Das führt dazu, dass die historischen Fakten so ausgewählt und ungeachtet ihrer tatsächlichen Zusammenhänge und Bedeutungsgehalte so interpretiert werden, dass sie zu bloßen Exempeln für von vornherein feststehenden Aussagen und Behauptungen geraten. Im Ergebnis ist diese Art und Weise des Denkens und Argumentierens für Burke ein „Missbrauch der Vernunft“ (ebd.), denn sie führt zu einem Bild von Natur, Gesellschaft und Geschichte, das mit der Erkenntnis der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Im Gegenteil kann diese Argumentationsform alles, was vorher als gewiss erschien und die Grundlage politischer und moralischer Ordnungen und Beziehungen bildete, untergraben und „die Weisheit und die Macht Gottes in seiner Schöpfung für viele Menschen […] wie eine bloße Torheit aussehen lassen“ (52). b) Naturordnung und die Leistungen und Grenzen der Vernunft Wie für Burke demgegenüber eine angemessene Form des wissenschaftlichen Erkennens der Wirklichkeit und eine Denkungsart aussehen muss, die den theoretisch wie praktisch folgenreichen Fallstricken des von ihm kritisierten reasoning entgeht, zeigt sich deutlicher, wenn man die Voraussetzungen und Debatten einbezieht, die er bei der Abfassung der Vindication im Sinn hat und in weiteren, zur gleichen Zeit verfassten Schriften thematisiert. Dann wird sichtbar, dass die Vindication im Kontext der ||

51 Es ist nicht ohne Ironie, dass Bolingbroke selbst mit seiner Form einer moralisch orientierten Geschichtsschreibung (vgl. oben, Anm. 31) der Sache nach nicht weit von Burkes Forderung entfernt ist, die politisch-moralischen Implikationen und Folgen historischer Erkenntnis und Darstellungen zu einem Kriterium ihrer Wahrheit zu machen. Burke pflegt zeitlebens, wie etwa Stryer 2012 anmerkt, eine um die sachliche Angemessenheit von Aussagen oft wenig besorgte „rhetoric of historical exaggeration“, die die Darstellung historischer Verhältnisse als Instrument in politischen Auseinandersetzungen nutzt und entsprechend zuschneidet; zu Burke als Historiker vgl. Sato 2018.

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zeitgenössischen Debatten um die Grundlagen und politisch-moralischen Folgen eines als ‚rationalistisch‘ verkürzt verstandenen Verständnisses von Wissenschaft und Aufklärung eine Form der theoretischen und praktischen Beziehung zur Wirklichkeit entwirft, die sein weiteres politisches und sozialphilosophisches Denken prägen sollte. Burkes politisches Denken gründet auf der Überzeugung, dass die Menschen die Schwäche und Grenzen ihrer Vernunft erkennen müssen (51 f.) „und nur sicheren Tritt finden, sofern wir uns unserer Blindheit bewusst sind“ (52). Burke geht in Übereinstimmung mit dem empirisch-sensualistischen Denken in der Tradition Lockes davon aus, dass Menschen als natürliche Wesen nur das erkennen können, was ihnen durch die Sinne gegeben ist (vgl. Burke 1757: 44). Folglich kommt es wesentlich auf die methodischen Prinzipien an, mittels derer die menschliche Vernunft und Einbildungskraft die Wirklichkeit ‚konstruieren‘ – nämlich entweder einseitig rationalistisch, wie er es in der Konstruktion der Vindication vorführt, oder eben auf eine andere, ihre Voraussetzungen und Schranken einbeziehende Weise. Eine solche Erkenntnis setzt bei der Einsicht an, dass Menschen es stets mit einer Wirklichkeit zu tun haben, die ihnen vorausgeht und übergeordnet ist, d. h. mit dem „Ergebnis einer Vernunft […], die nicht die unsere ist“ (52). Burke geht somit davon aus, dass Mensch, Gesellschaft und Natur Teil einer umfassenden Ordnung – der great chain of being – sind, die als Ganzes als eine Schöpfungsordnung Gottes verstanden werden muss. Als Wesen, die nur eine „untergeordnete Stellung in der Schöpfung“ einnehmen (ebd.), ist den Menschen die Erfahrung und Erkenntnis dieser Ordnung immer nur indirekt und vermittelt zugänglich; sie kann deshalb auch niemals vollständig erkannt werden.52 Nur wenn man dies vergesse, so Burkes Vorwurf an die ‚rationalistischen‘ Denker, könne man die Wirklichkeit fälschlich mit der Gesamtheit der aus der Erfahrung gewonnenen Gesetze und Prinzipien identifizieren. Demgegenüber bedürfe es einer Erkenntnismethode, die die Errungenschaften der auf Erfahrung und Vernunft basierenden Wissenschaft zwar nicht verwirft, aber ergänzt und überschreitet, um an ihr Ziel zu kommen, nämlich zu Einsichten in „die Geheimnisse der Natur“, des Geistes, der Menschen, der Moral und von Gesellschaft und Staat (50). Zwar ist auch Burke sich sicher, dass „[d]ie Züge der Natur […] leserlich [sind]; aber sie sind doch nicht so hervortretend, daß man sie im Vorbeigehen zu lesen bekäme. Wir müssen dabei mit ||

52 „Die große Kette der Ursachen, die Glied für Glied miteinander verbunden ist – bis selbst zum Thron Gottes hin –, kann niemals durch irgendwelche Bemühungen wie die unseren aufgeklärt werden. Wenn wir auch nur einen Schritt hinter die unmittelbaren sinnlichen Qualitäten vordringen wollen, verlassen wir unser Reich.“ (Burke 1757: 169 [Übers. korrig.]; vgl. ebd. 77) Zu diesem im 18. Jahrhundert verbreiteten Topos, dass die Menschen, auch ohne klare und deutliche Ideen davon haben zu können, „Grund zu der Annahme [haben], daß es der großartigen Harmonie des Universums und dem hohen Endzweck sowie der unendlichen Güte seines Baumeisters entspreche, wenn die Arten der Geschöpfe in unmerklichen Abstufungen von uns aus auch aufwärts zu seiner unendlichen Vollkommenheit emporsteigen“ (Locke 1689: II. 61 [III. VI. 12]), vgl. Lovejoy 1993: 221 ff.; zu Bolingbroke als Vertreter dieses Denkens vgl. Kluxen 1956: 233 ff.; Kramnick 1968: 100 ff.

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Behutsamkeit – bald hätte ich gesagt: mit Schüchternheit – vorgehen“ (Burke 1757: 36). Die in der Vindication nur angedeutete komplexere Art und Weise, die Vielfalt und die Zusammenhänge des Ganzen in Natur und Gesellschaft zu erfassen, führt Burke in seinem gleichzeitig entstandenen, 1757 publizierten Werk Vom Erhabenen und Schönen aus. Demnach müsse Erkenntnis gleichsam „auf eine immer umfassendere und vollständigere Induktion aufgebaut“ werden (Burke 1757: 36). Das Erkennen der Wirklichkeit hebe dabei zwar mit der analytischen Zerlegung des empirisch Gegebenen und der Einsicht in die hier bestehenden Elemente und ihre gesetzmäßigen Beziehungen an, doch sei dies lediglich der erste Schritt. Denn darüber hinaus müssten etwa „die Prinzipien an der Wirkung des Zusammengesetzten“ geprüft oder die Phänomene mit anderen, sei es ähnlichen oder gänzlich anderen verglichen werden, denn dadurch könnten „Entdeckungen gemacht werden […], die uns bei der Betrachtung der einzelnen Dinge versagt blieben“ (ebd.).53 Zudem müssten komplexe Gegenstände und Verhältnisse unter einer „Vielzahl von Gesichtspunkten“ betrachtet werden (52), damit man sich nach und nach einem umfassenden Verständnis des Gegenstandes in seinen vielfältigen Zusammenhängen annähern könne. Ohne die Vernunft und die durch sie vermittelte Einsicht in die Gesetze, Prinzipien und Wirkungen des Gegebenen in ihrer Bedeutung zu leugnen,54 will Burke sie auf diese Weise relativieren und erweitern, indem mittels der Einbildungskraft die Einbeziehung immer neuer Perspektiven und Aspekte erfolgt und Zusammenhänge und Bedeutungen der Wirklichkeit offenbart werden, die sonst unerkannt blieben (vgl. 52 f.).55 Diese erkenntnistheoretischen und methodischen Überzeugungen sind für Burkes Zugang zur politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit konstitutiv. Menschlichem Erkennen und Handeln ist eine durch ihre Existenz beglaubigte Schöpfungsordnung vorgegeben und übergeordnet, d. h. ein zumindest teilweise erfahr- und erkennbarer Zusammenhang von Natur, Gesellschaft und Menschen, aus dem heraus ||

53 Analogieschlüsse waren die wesentlichen Wege zur Erkenntnis wahrer Religion und göttlicher Schöpfungsordnung, die Joseph Butler in seiner Analogy of Religion (1736) gegen die Anhänger der natürlichen Religion wandte. 54 Für Burke gilt, so Pagano 1985: 46: „Reason must be limited but not dismissed.“ Auch dies ist eine im 18. Jahrhundert verbreitete Folgerung aus der Einsicht in die das empirisch Erfassbare übergreifende Ordnung, die Burke mit Locke, Bolingbroke, Pope oder Rousseau teilt; vgl. Lovejoy 1993: 241 ff. 55 Vgl. zur Einbildungskraft Burke 1757: 49, wo sie als ein eigenes „schöpferisches Vermögen“ eingeführt wird, durch das „das menschliche Gemüt […] die Bilder der Dinge in der Ordnung und in der Art, wie das Gemüt sie durch die Sinne empfangen hat, nach Belieben wiederzugeben […] und auf neue Weise und in einer anderen Ordnung miteinander zu kombinieren“ vermag. – Wenn Burke zufolge „eine entfesselte Einbildungskraft“ aber zugleich ein Vermögen ist, das leicht in die Irre führt, wenn es von „raffinierte[n] Unwahrheiten“ wie den in der Vindication kritisierten geblendet wird (vgl. unten, S. 52), so zeigt sich, dass ihm zufolge Verstand wie Einbildungskraft, wenn sie sich gegeneinander verselbständigen, beide ihren Erkenntniszweck verfehlen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, methodisch reflektiert und selbstkritisch vorzugehen und die eigenen Positionen immer mit der Wirklichkeit abzugleichen.

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Menschen denken und handeln. Damit verbindet sich in Theorie und Praxis ein Verhältnis der Subjekte zur Wirklichkeit von Geschichte und Gesellschaft, die sich vom aktiven, die Wirklichkeit erfassenden und sie nach Vernunftprinzipien (um-)gestaltenden Denken der Aufklärungszeit grundsätzlich unterscheidet. Burke geht vom ontologischen und erkenntnistheoretischen Primat des Zusammenhangs von Natur, Gesellschaft und Geschichte aus, dessen Erkenntnis und Anerkennung den Menschen aufgegeben ist, denn dieser erst macht sie zu dem, was sie sind. Damit besitzt Burke zufolge die jeweils konkret gegebene Gestalt der natürlichen und sozialen Ordnung den Menschen gegenüber zugleich auch einen normativen Primat, da ihre Existenz und Erhaltung die Bedingung der Möglichkeit aller Ordnung, Zivilisation und allen Fortschritts ist, von der die Individuen abhängen. Dies ist der Grund, warum Burke im Gegensatz zur Sicht des Sprechers der Vindication der Auffassung ist, dass die praktischen Folgen, die Erkenntnisse und mit Vernunftgründen vorgebrachte Einwände gegen das Bestehende haben, für „die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung“ sehr wohl von Bedeutung sind (53). Es gehöre nämlich zur Wahrheit und Angemessenheit menschlichen Denkens und Urteilens, zu fragen, „was aus der Welt werden würde“ (52), wenn spezifische Aussagen, die unter Berufung auf die Vernunft getätigt werden, als wahr anerkannt und für praktisches Urteilen und Handeln maßgeblich würden. Denn wenn die Menschen glauben, in dieser Weise „die Schöpfung selbst […] kritisieren“ und „die göttlichen Werke anhand unserer Ideen von Vernunft und Eignung untersuchen“ und diese attackieren zu können (ebd.), ist für Burke genau dies ein Zeichen der Hybris einer sich selbst überschätzenden und damit verkennenden Vernunft – und verfehlt folglich die Wahrheit hinsichtlich der Erkenntnis der natürlichen Ordnung.

1.1.4 Grundbegriffe von Burkes politischem Denken – zwischen Aufklärung, Kritik und Bewahrung Damit ist erkennbar, inwiefern Burkes politisches Denken von Anfang an eine spezifisch ‚konservative‘ Dimension und Ausrichtung aufweist, die für die heterogenen Interpretationen seiner politischen und philosophischen Stellungnahmen und Standpunkte mitverantwortlich sein mag. Sie führt dazu, dass er einerseits, wie die in diesem Band versammelten Texte zeigen, oftmals scharfe Kritik an bestehenden Verhältnissen und Entwicklungen übt, dass er die jeweils gegebene Ordnung andererseits jedoch niemals grundlegend in Frage stellt, sondern im Zweifelsfall stets für ihre Stabilisierung und für Kontinuität statt für einen Bruch mit ihr eintritt. Diese Einstellung ist bereits in der Vindication zu erkennen und kann als Schlüssel für die Beantwortung der Frage dienen, ob und in welchem Maße Burke die für viele überzeugend geübte Kritik an der künstlichen Gesellschaft teilt. Denn die Einsicht, dass die menschliche Vernunft prinzipiell beschränkt ist und dass vieles nur deshalb als Übel erscheint, weil man die Weisheit, die der göttlichen Schöpfungsordnung innewohnt,

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und die Zwecke, die sich damit verbinden, nicht erkennt, schließt kritische Urteile und reformerisches Handeln durchaus nicht aus. Sie müssen jedoch unter Abwägung aller Umstände und unter Anerkennung des Vorrangs der Bewahrung jener systematischen Bedingungen und Zusammenhänge des Gewordenen und Bestehenden erfolgen.56 Da das Bestehende und Gewordene für Burke stets die Bedingung auch für die kritischen Urteile und für die Forderungen nach vernünftigen Verhältnissen ist, kann es für ihn stets nur um die Weiterentwicklung und Verbesserung jener Vernunft gehen, die Geschichte und Gesellschaft bereits innewohnt; ein vollständiger Bruch mit ihr kann also niemals gerechtfertigt sein.57 Vor diesem Hintergrund lassen sich das Weltbild und die Denkweise, die Burke in der Vindication angreift, von denjenigen, die er tatsächlich vertritt, deutlich unterscheiden. Die vom Sprecher der Vindication repräsentierten ‚rationalistischen‘ Strömungen des neuzeitlichen aufklärerischen Denkens gehen demnach von einem Gegensatz von Natur und Zivilisation, von natürlicher und künstlicher Gesellschaft aus. Dies aber ist für Burke selbst eine ‚künstliche‘ Abstraktion, die den ‚natürlichen‘ Zusammenhang zerreißt, der zwischen ihnen besteht. Aufgabe sei es vielmehr, diesen Zusammenhang als solchen zu erkennen, der sich in der Gesamtschau der Einzelphänomene manifestiere und von dem aus diese wiederum erst angemessen eingeordnet und bestimmt werden könnten. Die vom Sprecher der Vindication vorgetragene, vom Standpunkt der ‚natürlichen Vernunft‘ konstruierte Erzählung von Geschichte und Zustand von Staatenbeziehungen, Regierungsformen und Verhältnissen innerhalb der ‚künstlichen Gesellschaften‘ gehe demnach von falschen theoretischen und methodischen Prämissen aus. Sie gerät deshalb für Burke in jene Widersprüche und kommt zu jenen inakzeptablen Ergebnissen, die er vorzuführen sucht. Dies sollte, so Burkes Hoffnung, die Leser dazu motivieren, diese Geschichte und Verhältnisse auf eine andere Weise zu sehen und zu ‚konstruieren‘, nämlich auf eine Weise, die ihre Zusammenhänge und Bedeutung würdigt und zu einer Bewertung kommen kann, die für die Erkenntnis und Praxis tatsächlich von Nutzen ist.58 Die Sichtweise und die Positionen, die sich in Burkes Vindication erkennen lassen, prägen sein ganzes weiteres Denken und werden in den Texten, die in diesem Band versammelt sind, in ihren unterschiedlichen Facetten thematisiert und ausgeleuchtet. ||

56 Dwan/Insole (2012: 3) sprechen von „a modest contextual approach to moral and political problems“. Politik ist für Burke deshalb keine Wissenschaft mit festen Prinzipien und Regeln, sondern gründet in aristotelischer Tradition auf praktischer Klugheit; vgl. Strauss 1953: 315 ff.; Stanlis 1958: 102 ff.; Hilger 1960: 5 ff.; Doering 1990; Insole 2012: 121 f. 57 Eine Folge dieser Einstellung ist das für konservatives Denken generell zentrale, im Common law wurzelnde Prinzip der ‚Beweislastumkehr‘, wonach der Wille zu Veränderungen erst belegen muss, dass sie zur Verbesserung der bestehenden Verhältnisse führen (vgl. Kriele 2003: 94 ff.; Oakeshott 1966: 182 f.). Da diese Verhältnisse bereits existieren und, wie leidlich auch immer, funktionieren, hat der Status quo damit immer schon die reine Faktizität als Argument auf seiner Seite; vgl. Luhmann 1968: 79. 58 Vgl. hierzu nochmals die Erwartungen an Werke wie die Bolingbrokes, die Burke am Beginn des Vorworts zur zweiten Auflage formuliert.

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Fasst man sie knapp zusammen, zeigen sie die Umrisse einer Politik- und Gesellschaftstheorie, die im Rahmen der entstehenden modernen Denkströmungen ein klar identifizierbares Profil besitzt.59 a) Die anthropologischen Grundlagen der Gesellschaft Burkes Denken gründet von Anfang an auf der anthropologischen Überzeugung, dass es sich bei Menschen von Natur aus um widersprüchliche, durch Vernunft und Leidenschaften geprägte Wesen handelt. Die Analyse der menschlichen Natur und des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die er ganz im Horizont und mit den Mitteln des anthropologischen und naturrechtlichen Denkens der Zeit vornimmt, zeigt ihm zufolge, dass sie gänzlich ungeeignet ist, aus sich heraus ein harmonisches und stabiles Zusammenleben zu ermöglichen. Auch wenn er menschliches Handeln nicht allein durch das rein ‚egoistisch‘ verstandene Streben nach Selbsterhaltung motiviert sieht, wie es landläufig Hobbes oder Mandeville zugeschrieben wird, sondern – wie Pufendorf oder Hume – den Menschen ein Streben nach Gesellschaft zuschreibt, führt dies Burke zufolge zwar zu Formen der Kooperation und Integration, doch notwendig immer auch zu Konflikten und desintegrativen Tendenzen.60 Für ihn steht deshalb die Ausbildung und Etablierung von Beziehungen und Regeln einer ‚künstlichen‘ Gesellschaft nicht im Gegensatz zur menschlichen Natur: Gesellschaftliche Beziehungen, Einrichtungen und Regeln, die als ‚künstlich‘ bezeichnet werden, sind vielmehr selbst das naturwüchsige Resultat sozialer Interaktionen zwischen Menschen. Die schon in den 1750er Jahren bestehende grundsätzliche Überzeugung, dass die Entwicklung von künstlichen politischen, sozialen und rechtlichen Institutionen und Regeln sozusagen zur Natur des Menschen gehört und somit Teil der Natur- und Schöpfungsordnung ist, wie sie sich historisch in ganz unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Konfigurationen manifestiert, bildet ein bleibendes Fundament für Burke s politisches Denken, für das er 1791 die prägnante Formel findet: „Art is man’s nature“ (WS IV. 449).61 b) Die naturwüchsige Genese politischer Ordnungen Burke stellt sich damit auf die Seite von Theoretikern wie Montesquieu oder Hume, die die für die Vertragstheorien zentrale Idee, politische Ordnungen auf Vernunftprinzipien zu gründen und in deren Lichte zu bewerten, mit dem Hinweis auf ihre ||

59 In der folgenden Skizze zentraler Aspekte wird auf nähere Nachweise verzichtet, da sie im Rahmen der Beiträge und Texte des vorliegenden Bandes gegeben werden. 60 Vgl. hierzu Burke 1757: 72 ff. Denn auch dem Prinzip der „Geselligkeit“ wohnt Burke zufolge eine dynamisch-konfliktgenerierende Komponente inne, da dieses Prinzip neben Sympathie und Nachahmung als dritte basale Komponente den Ehrgeiz umfasse. Dadurch habe Gott dafür gesorgt, dass sich die Menschheit nicht durch bloßes Einander-Nachahmen „fortwährend, ewig im Kreise“ dreht und „es keinen Fortschritt unter den Menschen“ gibt (ebd.: 85); vgl. Wood 1964: 42 ff. 61 Vgl. in Übersetzung unten, S. 303: „Des Menschen Natur ist die Kunst.“

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naturwüchsige Genese und Mannigfaltigkeit zurückweisen. Bei der Konstituierung von politischen und sozialen Ordnungen spielen menschliche Vernunft, Planungen und die Verfolgung von spezifischen Zwecken demnach zwar stets eine Rolle, doch sind sie für ihre Gründung, Gestalt und Entwicklung letztlich nicht entscheidend. Politische und soziale Ordnungen sind das Ergebnis nicht-intendierter Konsequenzen von je für sich rationalen Einzelhandlungen, das als solches jedoch nicht der Rationalität der einzelnen Handlungen entspricht.62 Denn wie und in welcher Form sich der Prozess der Formierung von politisch-sozialen Normordnungen und Institutionen vollzieht, ist weder teleologisch noch durch bewusste menschliche Planung bestimmt, sondern das kontingente Ergebnis von Prozessen der Vergesellschaftung und Integration von Menschen mit unterschiedlichen Leidenschaften, Interessen, Weltbildern und Zwecksetzungen unter den verschiedensten Umständen, in Konstellationen und unter Bedingungen, die für sie nicht überschaubar, geschweige denn plan- und kontrollierbar sind. Es ist für Burke also nicht nur sinnlos und politisch falsch, sondern man verfehlt grundsätzlich die Wahrheit über den ontologischen Ort von Individuen und Gesellschaften im Naturzusammenhang, wenn man ‚natürliche‘ und ‚künstliche‘ Gesellschaft einander entgegensetzen und letztere im Lichte allgemeiner Vernunftprinzipien verstehen, kritisieren und praktisch ändern will. Denn politische und soziale Ordnungen und Einrichtungen sind künstlich, da von Menschen gemacht, und zugleich natürlich, da Menschen von Natur aus nicht anders existieren können als in ‚künstlichen Gesellschaften‘, die sie so durch ihr praktisches MiteinanderHandeln mit natürlicher Notwendigkeit beständig bilden und entwickeln, ohne dass dieser Prozess durch sie bewusst zu steuern und zu kontrollieren wäre. c) Die Pluralität politisch-sozialer Ordnungen Erst eine die grundlegenden Prinzipien von Menschen und Gesellschaft in ihren komplexen Zusammenhängen betrachtende Erkenntnisweise kann für Burke also die Gründe und die Bedeutung der Vielfalt von politischen und gesellschaftlichen Ordnungen erkennen und würdigen. Zugleich folgt aus ihr, dass es keine ideale oder perfekte Staats- und Gesellschaftsform geben kann, die aus Vernunftgründen als einzig vernünftig und für alle verbindlich ausgezeichnet werden könnte. Die Existenz und Rechtfertigung der historisch generierten Gesellschaften ergibt sich daraus, dass sie konkrete Manifestationen jener Natur- und Schöpfungsordnung sind, die das Leben, die Entfaltung und Entwicklung von Individuen und Gesellschaften ermöglichen und ||

62 Diese Lehre von der Vergesellschaftung als Ergebnis nicht-intendierter Konsequenzen wird von Mandeville, Montesquieu und den Denkern der Schottischen Aufklärung wie Hume, Ferguson oder Smith vertreten und geht in die Grundlagen der politischen Ökonomie ein. Prägend ist sie so auch im Neoliberalismus Hayeks, der mit Berufung auf Burke und Erklärungen wie die Fergusons, menschliche Einrichtungen seien „the result of human action, but not the execution of any human design“ (Ferguson 1767: 183), diese Ansicht in den Grundlagen seiner Theorie spontaner Ordnung verankert; vgl. z. B. Hayek 1967; hierzu Hamowy 1987: 34 f.; O’Neill 2007: 79 f.; Reichhold 2018: 175 ff.

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von ihnen deshalb nach den Geboten politischer Klugheit zu bewahren, zu gestalten und weiterzuentwickeln sind.63 Dies gilt auch angesichts ihrer negativen Formen und Effekte, die im Zentrum der Vindication stehen und dort radikal negativ bewertet werden. Diese Burke zufolge einseitige, praktisch-politisch fatale Sicht auf die bestehenden politischen und rechtlichen Institutionen, auf die Rolle von institutionalisierten Religionen sowie von Traditionen, Sitten und Bräuchen kommt für ihn nur deshalb zustande, weil man diese nicht mit der ‚richtigen‘ Methode untersucht und erklärt. d) Die Notwendigkeit von Autorität, Institutionen und Recht Künstliche Einrichtungen von Staat und Recht, die gesellschaftliche Beziehungen und Verhältnisse verbindlich organisieren können, sind für Burke in ihrer Form kontingente, in ihrer Faktizität aber notwendige Resultate und Bedingungen des Zusammenwirkens der Individuen mit ihren von Natur aus widersprüchlichen Interessen und Handlungszwecken. Komplexe politische Ordnungen benötigen zu ihrem Funktionieren und zum Systemerhalt gerade jene Strukturen und Praxen von Herrschaft, Befehl und Gehorsam, von positivem Recht und Strafen, des Primats der Staatsraison vor ethischen Maximen, die der imaginäre Verfasser der Vindication so umfassend kritisierte, weil sie stets das Potential der Verselbständigung und des Despotismus von Individuen und kleinen Gruppen mit sich führen. Diese Gefahr kann für Burke jedoch niemals ein Argument dafür sein, politischer Ordnung, Herrschaft und Ungleichheit grundsätzlich die Legitimität abzusprechen. Nur eine völlig verzerrte Sichtweise kann Burke zufolge die Geschichte und Verhältnisse von Staaten so negativ darstellen und bewerten, wie es seine in der Vindication satirisch zugespitzte Kritik am englischen Rechts- und Verfassungssystem vorführt. Diese Ordnung wurde schließlich von ihm wie von der Mehrzahl seiner Zeitgenossen und in den aufgeklärten Kreisen Europas mit Voltaire und Montesquieu an der Spitze als Grundlage einer freiheitlichen politischen und zivilisierten Ordnung angesehen. Das in England bestehende Common law stellt für Burke gerade einen zentralen Mechanismus der naturwüchsigen Entwicklung einer stabilen politischen Ordnung dar, da es sich wandelnde Normen und Ansprüche durch eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen verbindlich macht und so die rechtlichen Verhältnisse kontinuierlich und im Einklang mit den sozialen Entwicklungen fortbildet. Damit ist es für Burke im Gegensatz zum positiv gesetzten Recht weniger anfällig für den Zugriff partikularer Akteure und Interessen, die bewährte rechtliche Verhältnisse ‚willkürlich‘ ändern oder ganz aufheben könnten. Das Common law ist in Burkes Denken stets vorbildhaft als Medium und Garant einer generationenübergreifenden Rechtsordnung, die den Individuen mit ihren unterschiedlichen Interessen und Zwecksetzungen übergeordnet ist und allererst den Rahmen begründet, innerhalb dessen sie Träger von Rechten und Pflichten sind. ||

63 Auf dieser Grundlage plädiert Burke etwa für die Anerkennung der institutionellen und kulturellen Besonderheit Indiens; vgl. unten, Kap. 3.4, v. a. S. 163 ff.

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Aus denselben Gründen tritt Burke für die Vorstellung einer gewachsenen Verfassungsordnung als Fundament jeder stabilen politischen Ordnung ein, und hier vor allem in der Gestalt der mixed constitution, wie sie sich unter den spezifischen historischen Bedingungen Englands herausgebildet hat. Ihre theoretische Untermauerung und praktische Verteidigung bildet eines der Leitmotive von Burkes politischem Denken.64 e) Staat, Kirche und Religion Burke zufolge zeigt eine umfassende Sicht auf die Verwirklichungsbedingungen gesellschaftlicher Ordnungen zugleich, dass es zu ihrer Stabilisierung nicht hinreichend ist, auf die durch staatliche und rechtliche Einrichtungen ausgeübten Rechts- und Zwangsmittel zu vertrauen. Wie in der Vindication in kritischer Absicht betont wird (vgl. 56 u. ö.), setzt für Burke die Einrichtung politischer Gesellschaften eine ‚künstliche Religion‘ mit ‚künstlichen Offenbarungen‘ und kirchlichen Institutionen voraus – doch nicht, weil diese nützliche Instrumente der Herrschaftsausübung einer Priesterkaste und der Staatsraison wären, um durch die Verbreitung von Furcht vor Gott und der Vergeltung im Jenseits die Unterwerfung der Individuen unter die kirchliche und politische Ordnung zu erreichen. Burke zufolge besitzt Religion nur dann moralische Überzeugungskraft und damit gesellschaftlichen Nutzen, wenn sie mit starken Leidenschaften verbunden ist und wirklich geglaubt und gefühlt wird, was die Individuen erst an Gott und die durch religiöse Offenbarungen bestärkten Regeln und Gebote der politischen Ordnung binde (vgl. Burke 1750/56: 67 ff.). Diese Bindungen können, da sie nicht beliebig aus rationalen Überlegungen oder durch Befehle, Gebote und Maßnahmen politischer Institutionen erzeugt und erzwungen werden können, nur durch jene ‚künstliche Religion‘ mit ihren je spezifischen Glaubensordnungen, Offenbarungen, Normen und institutionellen Vermittlungsformen entstehen, wie sie sich in den verschiedenen Gesellschaften jeweils herauskristallisiert haben. Die pluralen Erscheinungsformen institutionell organisierter Religionen in den verschiedenen Gesellschaften sind Burke zufolge demnach keine Abweichungen von einer ‚natürlichen Religion‘, die allein ihre allgemeine Wahrheit unverfälscht zum Ausdruck bringen könnte, wie es deistischen Vorstellungen entspricht. Sie sind umgekehrt gerade die konkreten Erscheinungsformen, in denen sich der göttliche Wille, der der Natur- und Schöpfungsordnung und ihren Gesetzen zugrunde liegt, jeweils geoffenbart hat. Damit sind sie alle Teil der Wahrheit. Deshalb verbietet sich für Burke aus theoretischen wie praktischen Gründen jede Kritik an Offenbarungs- und institutionalisierten Religionen, wie sie auf der Grundlage rationaler Argumente vom Standpunkt einer natürlichen Religion oder aus einer rein wissenschaftlichen Weltauffassung erfolgt. Weil die göttliche Schöpfungsordnung letztlich nicht rational erfassbar sei – „The bottom of all things is unintelligible“ (Burke 1750/56: 93) –, sei es ausgeschlossen und gefährlich, wie die Deisten alle Mysterien auflösen und nur das als ||

64 Vgl. hierzu unten, Teil 2, S. 102, 112 ff. sowie Teil 4, S. 261 ff. u. passim.

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Religion ansehen zu wollen, was die Vernunft als solche erkennen könne.65 Der Preis hierfür wäre, dass die je entwickelte Existenzweise der Grundlagen von Religion und Moral in Frage gestellt, notwendig enttäuschenden Prüfungen am Maßstab der natürlichen Vernunft unterzogen und damit an Glaubwürdigkeit, Verbindlichkeit und Anhänglichkeit verlieren würde, die für die Stabilität und Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung essentiell sei. f) Der Primat von Tradition, Sitten und Meinungen Die gleichsam naturwüchsig entstandenen ‚künstlichen‘ Institutionen und Regeln in Gestalt je spezifischer politischer, rechtlicher und religiöser Organisationsformen, Normordnungen und Praktiken werden für Burke durch eine fundamentale Dimension historischer Vergesellschaftungs- und Zivilisationsprozesse getragen und vermittelt, nämlich durch die Ausbildung von Traditionen, Sitten und Bräuchen. Burke stellt sich schon früh gegen jene dominierenden Strömungen des wissenschaftlichen, naturrechtlichen und aufklärerischen Denkens, die seit dem 17. Jahrhundert die herrschenden Traditionen und Sitten, die eingefahrenen Gewohnheiten und Vorurteile am Maßstab allgemeiner Vernunft bemessen und, wenn sie diesen widersprechen, für ihre Veränderung oder Aufhebung eintreten. Demgegenüber plädiert Burke mit Denkern wie Berkeley, Montesquieu oder Hume für eine Perspektive, die sie in ihrer historischen Genese und funktionalen Bedeutung für Geschichte, Gesellschaft und Moral untersucht und bewertet. Traditionen, Sitten und Meinungen, die das Weltbild, das Handeln und das moralische Urteilen der Gesellschaftsmitglieder jeweils prägen, sind dabei das Resultat jener Praxis vergangener Generationen, in denen sich gleichsam deren akkumulierte Erfahrungen, Weisheit und Vernunft manifestiert, vor denen man deshalb „große Hochachtung“ haben müsse (Burke 1750/56: 90). Soziale und moralische Normen, Gewohnheiten und Sitten sind für die Stabilisierung komplexer Gesellschaften unabdingbar, und sie gewinnen ihre Gestalt und Kraft gerade dadurch, dass sie in der gesellschaftlichen Praxis durch eine unüberschaubare Vielzahl einzelner Handlungen generiert und, ohne dass sie rational entworfen und oktroyiert würden, von den Individuen durch den Mechanismus der Nachahmung geprägt, internalisiert und fortgebildet werden. In diesem Sinne gestaltet Burke zufolge „Nachahmung […] unsere Sitten, unsere Meinungen, den Gang unseres Lebens. Sie gehört zu den stärksten Banden der Gesellschaft; sie ist eine Art von gegenseitiger Gefälligkeit, die einer dem andern gewährt, ohne sich selbst Zwang anzutun“ (Burke 1757: 84). Die so geprägten Sitten, Meinungen und Gewohnheiten sind für ihn mithin wirkmächtiger als theoretische oder positiv-rechtlich gesetzte Normen, denn sie durchdringen und prägen das Denken und Fühlen der Individuen, ihre Meinungen und Überzeugungen, ihre ||

65 Vgl. S. 89 f. mit Anm. 115; Burke hat hier Schriften wie John Tolands Christianity not Mysterious (1696) vor Augen.

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wechselseitigen Verpflichtungen und Erwartungen.66 Sie bestätigen Burke damit, dass das Wirken der Vorsehung gerade in der Partikularität und im nicht rational begründeten Allgemeinen der gesellschaftlichen Ordnung erkannt werden kann, da in ihm die Existenz einer Natur- und Schöpfungsordnung offenbar wird, an deren Erhaltung und Stabilisierung sich alles menschliche Denken und Handeln ausrichten muss. Die Vindication of Natural Society bietet also, liest man sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Debatten und der übrigen Schriften Burkes jener Zeit, einen Zugang zu zentralen theoretischen und methodischen Grundlagen und inhaltlichen Positionen seines politischen Denkens und Handelns. Im Spiegel der Kritik an rationalistischen und deistischen Positionen, wie er sie in diesem Frühwerk Bolingbroke zuschreibt, entfaltet Burke ein Verständnis von Aufklärung über die Grundlagen von Natur, Gesellschaft und Politik, das die Rolle der Vernunft in Theorie und Praxis grundsätzlich skeptisch sieht und relativiert. Zwar wird Aufklärung nicht verworfen, sondern bleibt ein unverzichtbares Element, um die Wirklichkeit zu erfassen und die Regeln und Zwecke ausfindig zu machen, die individuelles und kollektives Handeln anleiten müssen. Zugleich ist sie für Burke aber wesentlich Aufklärung über die Grenzen menschlicher Vernunft und die Hybris von Versuchen, sie dem Gegebenen und Gewordenen prinzipiell überzuordnen. Ihr Fundament hat sie in der Überzeugung der Existenz einer übergreifenden Natur- und Schöpfungsordnung, die zwar nach streng wissenschaftlichen Kriterien nicht zu erkennen, die aber mit den Mitteln einer über sich selbst aufgeklärten, nicht-rationale Formen der Erfahrung einbeziehenden Vernunft als ontologisch und normativ notwendig erfasst werden kann. Es deutet sich hier eine ‚konservative‘ Variante der Aufklärung an, bei der kritische Vernunft und Kritik an bestehenden Verhältnissen zwar stets möglich ist, jedoch immer in den Grenzen einer unverfügbaren göttlichen, natürlich und historisch generierten Ordnung der Wirklichkeit verbleibt, die zu ihrer Bewahrung und Verbesserung verpflichten, niemals aber ihre radikale Negation und Umwälzung rechtfertigen kann.

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66 Burke folgt in dieser Wertschätzung der „power of habit“ als Instrument moralischen Fortschritts und sozialer Integration vor allem den Argumenten Joseph Butlers, die dieser 1736 in seiner Kritik an den Deisten in Analogy of Religion entwickelt; vgl. Bourke 2015a: 117 f.

1.2 Eine Rechtfertigung der natürlichen Gesellschaft. Oder eine Betrachtung der Nöte und Übel, die der Menschheit aus jeder Art von künstlicher Gesellschaft erwachsen. In einem Brief an Lord **** aus der Feder eines verstorbenen Autors von adeligem Geblüt. 1756. von Edmund Burke1

Anzeige [zur 1. Auflage 1756]2 Der folgende Brief scheint um das Jahr 1748 geschrieben worden zu sein, und die Person, an die er sich richtet, bedarf keiner Erwähnung. Da sein vornehmer Verfasser wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, ihn je der Öffentlichkeit vorzulegen, erklärt sich, warum er keine Kopie des Schreibens aufbewahrte, und damit auch, warum es nicht zusammen mit seinen anderen gesammelten Werken erschien. Auf welchem Wege es in die Hände des Herausgebers gelangte, ist für die Öffentlichkeit völlig belanglos, soweit eine solche Erklärung nicht zur Bestätigung seiner Echtheit beitragen könnte, zu welchem Zweck es sich jedoch getrost auf seine eigene innere Beweiskraft verlassen kann.

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1 Die Vindication erschien ohne Angabe des Namens von Burke am 18. Mai 1756 in einer Auflage von 500 Exemplaren in London im Verlag von Robert Dodsley, der das Manuskript für die bescheidene Summe von weniger als £ 7 gekauft hatte (Tierney 1988: 420, Anm. 1). Auf der Titelseite wurde jedoch zur Wahrung der Anonymität „London: Printed for M. Cooper in Pater-noster-Row“ angegeben. Mary Cooper war zunächst zusammen mit ihrem Mann, dem 1743 verstorbenen Pamphletisten und Verleger Thomas Cooper, danach alleine als Verlegerin tätig und druckte insbesondere Werke, für die sie keine Druckrechte besaß oder die anonym erschienen; vgl. Straus 1910: 255; Tierney 1988: 17, 41 f.; Crowe 2012: 73 f. 2 Diese Anzeige des fiktiven Herausgebers, der das angeblich 1748, also drei Jahre vor Bolingbrokes Tod, entstandene Manuskript auf Umwegen erhalten haben will und hier nach eigener Auskunft erstmals der Öffentlichkeit übergibt – denn in der 1754 erschienenen Werkausgabe von Bolingbrokes Schriften ist es natürlich nicht enthalten –, fehlt in der Ausgabe in Bd. I der Works of the Right Honorable Edmund Burke von 1887, die die Vorlage für die folgende Übersetzung darstellt. Die Anzeige wird hier nach der Erstausgabe von 1756 übersetzt. https://doi.org/10.1515/9783050087771-002

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Vorrede [zur 2. Auflage 1757]3 Vor Erscheinen der philosophischen Werke Lord Bolingbrokes durfte man Großes von den Mußestunden eines Mannes erwarten, der sich von dem glanzvollen Schauplatz zurückgezogen hatte, an dem er dank seiner Talente zu einer so herausragenden Figur geworden war, um diese Talente nun ganz in den Dienst der Wahrheitssuche zu stellen.4 Die Philosophie gratulierte sich bereits zu einem solchen Neubekehrten aus der Welt der Geschäftigkeit und hoffte, ihre Macht unter der Schirmherrschaft eines solchen Führers ausgebaut zu sehen. Mitten hinein in diese freudigen Erwartungen traten dann die Werke selbst in vollem Umfang und mit erheblichem Pomp. Wer darin nach neuen Erkenntnissen über die Geheimnisse der Natur suchte; wer mit etwas rechnete, was die Funktionen des Geistes erklären oder anleiten könnte; wer sich eine Verdeutlichung und Stärkung der Moral erhoffte; wer auf neue Handreichungen für Gesellschaft und Staat spekulierte; wer die Charaktere und Leidenschaften der Menschheit erläutert zu sehen wünschte; kurzum, all jene, für die Philosophie eben darin besteht und die in einer jeden philosophischen Arbeit zumindest einiges davon erwarten, waren gewiss enttäuscht. Sie mussten feststellen, dass die Grenzsteine der Wissenschaft unverrückt an ihren alten Plätzen lagen, und sie fanden ihre Enttäuschung nur schwerlich dadurch ausgeglichen, dass sie jede Form von Religion beherzt angegriffen und die Grundlage jeglicher Tugend und aller Staatskunst mit großer Geschicklichkeit und Raffinesse untergraben sahen. Welchen Gewinn ziehen wir aus solchen Schriften? Welches Vergnügen kann es einem Mann bereiten, sich eines Vermögens, das auf nützliche Weise für die edelsten Zwecke eingespannt werden könnte, gleichsam für eine verbissene Schwerstarbeit zu bedienen, die den Autor, wenn sie denn an ihr Ziel führte, zu dem Eingeständnis zwänge, dass für die Menschheit nichts verheerender wäre als sein Erfolg? Es ist mir schleierhaft, wie solche Autoren ihre vorgeblichen Ziele mit den von ihnen angewandten Instrumenten zu erreichen gedenken.5 Meinen sie, den Geist des Menschen zu beflügeln, indem sie beweisen, dass er nicht besser ist als ein wildes Tier? Glauben sie, die Praxis der Tugend zu stärken, indem sie leugnen, dass sich ||

3 Diese Vorrede ersetzt in der am 16. Dezember 1757 erschienenen zweiten Auflage die vorstehende Anzeige. Auch diese Ausgabe erschien anonym, doch firmiert Robert Dodsley nun als Verleger. 4 Lord Bolingbroke war im Dezember 1751 verstorben. 1754 veröffentlichte David Mallet eine fünfbändige Ausgabe von The Works of the late Right Honorable Henry St. John, Lord Viscount Bolingbroke. Die Ausgabe enthielt zahlreiche Schriften, die entweder gänzlich unbekannt waren, als Manuskripte zirkulierten oder in geringer Auflage gedruckt worden waren und wegen ihrer philosophischen, vor allem deistischen Ansichten für Aufsehen sorgten. Vgl. ausführlicher zu Bolingbroke, der Edition seiner Schriften und dem durch sie provozierten Aufsehen die Einleitung, S. 21 ff. 5 Burke führt im Folgenden einige der Vorwürfe an, die in den Debatten in den 1750er Jahren gegen Bolingbroke und die philosophisch-theologischen Positionen und Strömungen, die man mit ihm verband, erhoben wurden.

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Laster und Tugend durch Glück oder Unglück in diesem, durch Glückseligkeit oder Unheil im nächsten Leben unterscheiden? Bilden sie sich ein, unserer Frömmigkeit und unserem Gottvertrauen zu dienen, indem sie die göttliche Vorsehung als falsch entlarven und steif und fest behaupten, Gott sei weder gerecht noch gut? So sehen die Lehren aus, die – mal verdeckt, mal offen und unverblümt ausgesprochen – Lord Bolingbrokes Schriften durchziehen, und so die Denkweise, die dieser und verschiedene andere Autoren vornehmer Herkunft als Philosophie zu adeln beliebten. Werden sie auf gefällige Art und Weise vorgetragen, in einem außergewöhnlichen Stil, dann wird es ihnen nicht an einer Reihe von Bewunderern fehlen, deren Fügsamkeit so groß ist, wie man sich das von Schülern nur wünschen kann. Diesen hat der Herausgeber das folgende kleine Stück zugedacht: Es gibt keinen Grund, diese Absicht weiter zu verhehlen. Die Absicht war nachzuweisen, dass sich dieselben Mittel, die für die Zerstörung der Religion eingesetzt wurden, ohne großen Kraftaufwand ebenso erfolgreich für die Zersetzung des Staates verwenden ließen; und dass sich vordergründig bestechende Argumente gegen jene Dinge anführen ließen, welche die, die sonst an allem zweifeln, doch niemals in Frage stellen würden. Es war, so glaube ich, Isokrates, der in einer seiner Reden gegen die Sophisten bemerkte, es sei viel leichter, zur Zufriedenheit eines durchschnittlichen Publikums einen irrtümlichen Standpunkt zu verfechten und paradoxe Ansichten zu vertreten, als eine ungewisse Wahrheit durch stichhaltige und schlüssige Argumente zur Geltung zu bringen.6 Wenn Menschen merken, dass sich zugunsten einer Sache, die ihnen bei erster Kenntnisnahme völlig unhaltbar erschien, etwas vorbringen lässt, dann beginnen sie, ihre eigene Vernunft in Zweifel zu ziehen; sie sehen sich angenehm überrascht; sie lassen sich von dem Redner an die Hand nehmen, fasziniert und gebannt von der Entdeckung, dass sich durch logisches Schließen eine so reichhaltige Ernte einfahren lässt, wo ihnen alles fruchtlos und wenig aussichtsreich erschien. Hier sind wir im Märchenland der Philosophie.7 Und oft geschieht es, dass diese für die Einbildungskraft so ergötzlichen Eindrücke auch dann noch fortdauern und ihre Wirkung tun, wenn sich der Verstand

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6 Vgl. Isokrates, Antidosis oder über den Vermögenstausch, 15-16 und Gegen die Sophisten, 19-20. Die griechischen Sophisten, die im Griechenland nach der Mitte des 5. Jh. v. u. Z. ihre Blütezeit hatten, lehrten die Kunst der Rhetorik und wurden von Philosophen wie Platon als Personen bezeichnet, die statt auf Wahrheit auf Überredung zielten. 7 Was Burke hier Bolingbroke vorwirft, kritisiert er wenige Jahre später auch an Rousseau. In seiner Besprechung von dessen Brief an d’Alembert spricht er von einer gefährlichen „tendency to paradox“, insofern er einen Naturzustand konstruiere, der alle gesellschaftlichen Errungenschaften negiere: „A satire upon civilized society, a satire upon learning, may make a tolerable sport for an ingenious fancy; but if carried farther it can do no more (and that in such a way is surely too much) than to unsettle our notions of right and wrong, and lead by degrees to universal scepticism“ (Burke 1759: 479 f.); zur Beziehung Burkes zu Rousseaus Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1755) und der darin enthaltenen Genealogie des Naturzustandes, der von Interpreten oftmals schon als eine Zielscheibe der Vindication angesehen wurde, vgl. oben, S. 27 sowie S. 29, Anm. 32 u. 33.

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schon von ihrer Gegenstandslosigkeit überzeugt hat. Raffinierte Unwahrheiten erstrahlen in einem gewissen Glanz, der die Einbildungskraft blendet, der aber mit dem nüchternen Aspekt der Wahrheit nichts zu tun hat und ihm auch nicht gut zu Gesichte steht. Ich stieß in Lord Cokes Reports auf eine Formulierung, die mir sehr gut gefiel, obschon ich nicht weiß, woher er sie genommen hat: „Interdum fucata falsitas (sagt er), in multis est probabilior, at sæpe rationibus vincit nudam veritatem.“8 In solchen Fällen ergreifen ein gewisser Feuereifer und ein Ungestüm den Autor, weil er weiß, dass seinem Scharfsinn, möge es mit dem Thema laufen wie es wolle, der Beifall sicher ist. Und dieses Ungestüm wird noch um einiges heftiger, wenn er zum Angriff übergeht, weil Angriffe stets mit Heftigkeit verbunden sind und die Menschheit unglücklicherweise die Neigung hat, Fehler zu finden und zu überzeichnen. Der Herausgeber ist überzeugt davon, dass ein Geist, der durch keinen Sinn für die eigene Schwäche, die eigene untergeordnete Stellung in der Schöpfung und die extreme Gefahr, die darin liegt, gewisse Themen einer entfesselten Einbildungskraft zu überlassen, gebremst wird, noch die vorzüglichsten und ehrwürdigsten Dinge überzeugend anzugreifen vermag; dass es nicht schwierig wäre, die Schöpfung selbst zu kritisieren; und dass wir, wollten wir die göttlichen Werke anhand unserer Ideen von Vernunft und Eignung untersuchen und sie in derselben Weise angreifen, wie einige über die offenbarte Religion hergefallen sind,9 die Weisheit und die Macht Gottes in seiner Schöpfung für viele Menschen ebenso plastisch und erfolgreich wie eine bloße Torheit aussehen lassen könnten. Mit den gemeinen Schlüssen und Vorstellungen, die man den ausgetretenen Pfaden der gewöhnlichen Erfahrung entnimmt, ist ein Anschein von Plausibilität verbunden, der den beschränkten Fähigkeiten der einen und der Faulheit von anderen so erstaunlich gut entspricht. Dieser Vorteil geht aber in großem Maße verloren, wenn über eine sehr komplizierte Angelegenheit, die eine Vielzahl von Gesichtspunkten erfordert, eine mühevolle, umfassende Übersicht erstellt werden muss; wenn wir bei einem tiefgründigen Thema nicht nur nach Argumenten, sondern nach ganz neuen Stoffen der Argumentation, nach ihren Maßen und den Methoden ihrer richtigen Anordnung suchen müssen; wenn wir über den Kreis unserer gewöhnlichen Ideen hinausgehen müssen und nur sicheren Tritt finden, sofern wir uns unserer Blindheit bewusst sind. Und soll nicht alles vergebens sein, müssen wir dies immer dann tun, wenn wir das Ergebnis einer Vernunft untersuchen, die nicht die unsere ist. Und selbst im Hinblick auf Dinge, die gleichsam gerade noch in unserer Reichweite liegen, muss man sich fragen, was aus der Welt werden würde, wenn die Ausübung aller moralischen Pflichten und die Grundlagen ||

8 „In vielen Fällen erscheint eine geschminkte Unwahrheit wahrscheinlicher und schlägt im Argument oft die nackte Wahrheit.“ – Das Zitat konnte in den Law Reports, der zwischen 1572 und 1617 in dreizehn Bänden veröffentlichten Sammlung von Rechtsfällen, mittels derer Edward Coke (1552-1634) das englische Common Law zu systematisieren suchte, nicht nachgewiesen werden. 9 Zur Kritik, die Bolingbroke und andere Deisten wie John Toland, Matthew Tindal oder Anthony Collins an Offenbarungsreligionen übten, vgl. oben, S. 37.

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der Gesellschaft davon abhingen, dass ihre Begründungen jedem einzelnen gegenüber deutlich und plausibel gemacht wurden? Der Herausgeber weiß, dass der Gegenstand des vorliegenden Briefes nicht so erschöpfend behandelt wurde, wie dies offensichtlich möglich wäre; er hatte nicht die Absicht, alles zu sagen, was denkbarerweise gesagt werden könnte. Es wäre unverzeihlich gewesen, ein dickes Buch mit dem Missbrauch der Vernunft zu füllen; und ein solcher Missbrauch wäre nicht einmal für die Länge von wenigen Seiten erträglich gewesen, wenn man nicht einen Nebenzweck von größerer Tragweite als der offenkundigen Absicht verfolgt hätte. Einige waren der Ansicht, dass die Vorzüge des Naturzustands umfassender hätten dargestellt werden sollen. Dies wäre zweifellos ein reichhaltiges Thema für einen kunstgerechten Vortrag gewesen; allein, sie übersehen den Charakter des Stücks. Die Autoren, die gegen die Religion wettern, widersetzen sich zwar jedem System, achten aber klugerweise darauf, niemals ein eigenes aufzustellen. Sollten sich irgendwelche Ungenauigkeiten in der Berechnung, der Argumentation oder der Methode finden, dann werden Lord Bolingbrokes Bewunderer sie vielleicht nicht als Fehler ansehen. Denn sie werden, so fürchtet der Herausgeber, solchen Einzelheiten des folgenden Briefes viel mehr über den Charakter seiner Lordschaft entnehmen können, als sie von dem reißenden Strom einer impulsiven und überwältigenden Eloquenz und in dem Reichtum seiner Bildsprache darin finden können, für die jener Autor zurecht bewundert wird. *** EIN BRIEF AN LORD ****. Darf ich mir die Bemerkung erlauben, Mylord, dass Sie in unserem jüngsten Gespräch der Seite zuneigten, deren Partei Sie eher aufgrund der Gefühlsregung Ihrer guten Natur ergriffen als aufgrund der Überzeugung Ihrer Urteilskraft? Wir legten die Fundamente der Gesellschaft bloß; und Sie fürchteten, die Wissbegierde einer solchen Untersuchung könnte zum Ruin des gesamten Gebäudes führen. Meinen Grundsatz hätten Sie mir ohne Weiteres zugestanden, Sie fürchteten aber die Konsequenzen; wenn wir uns auf diese Denkweise einmal eingelassen hätten, so dachten Sie, würden wir vielleicht unmerklich und unweigerlich weiter getragen werden, als wir es uns zunächst hätten vorstellen oder wünschen können. Ich für meinen Teil aber, Mylord, dachte seinerzeit und halte weiter daran fest, dass der Irrtum, und keine irgendwie geartete Wahrheit, gefährlich ist, dass schlechte Schlüsse nur aus falschen Behauptungen folgen können und dass es eine widersinnige Methode ist, die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung erkennen zu wollen, indem man sie nach ihren augenscheinlichen Folgen beurteilt.10 ||

10 Im 5. Dialog seiner Schrift gegen Freidenker bemisst Berkeley (1732: 202 [V. 9]) den Wert der Religion an ihren Folgen, denn es sei „sicherlich richtig, Prinzipien nach ihren Wirkungen zu beurteilen“.

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Dies waren die Gründe, die mich dazu bewogen, diese Untersuchung so weit zu treiben; und es sind dieselben Gründe, die mir bei allen meinen Untersuchungen als Richtschnur dienen. Ich habe wahrlich oft über dieses Thema nachgedacht, bevor ich es über mich brachte, irgendjemandem meine Überlegungen mitzuteilen. Sie waren insgesamt nicht wenig melancholisch, wie es Überlegungen zu sein pflegen, die uns unter die bloße Oberfläche der Dinge führen und die zweifellos allen denkenden Menschen das Leben extrem verbittern würden, wenn nicht dieselbe Philosophie, die das Leid verursachte, zugleich auch Trost spendete. Als ich mir politische Gesellschaften, ihren Ursprung, ihre Verfassung und ihre Folgen ansah, habe ich manchmal mehr als gezweifelt, ob der Schöpfer den Menschen wirklich je für einen Zustand des Glücks vorgesehen hat. Er hat eine Reihe natürlicher Übel in seinen Becher gemischt (die trotz aller Ruhmesreden der Stoiker Übel sind11), und jeder Versuch, den Kunst und Klugheit der Menschen von Anbeginn der Welt bis auf den heutigen Tag unternommen haben, um sie zu lindern oder zu heilen, hat nur dazu gedient, neue Missstände herbeizuführen oder die alten zu verschärfen und anzuheizen. Davon abgesehen ist der menschliche Geist selbst ein viel zu aktives und rastloses Prinzip, als dass er sich je für den wahren Pol der Ruhe entscheiden könnte. Jeden Tag entdeckt er in einem Körper, den es eigentlich nach wenig verlangt, ein neues brennendes Verlangen. Jeden Tag erfindet er eine neue künstliche Regel, um eine Natur anzuleiten, die, sich selbst überlassen, die beste und sicherste Führerin wäre. Er entdeckt imaginäre Wesen, die imaginäre Gesetze vorschreiben, um anschließend imaginäre Schrecken heraufzubeschwören, die den Glauben an die Wesenheiten und den Gehorsam gegenüber den Gesetzen stärken sollen.12 – Vieles wurde darüber gesagt, und zweifellos sehr gut gesagt, dass wir unsere Körper der Leitung unseres Verstandes unterwerfen sollten; es wurde aber noch nicht genug über die Beschränkungen gesagt, die unsere körperlichen Bedürfnisse den extravaganten Verstiegenheiten und exzentrischen Ausschweifungen unseres Geistes auferlegen sollten. Der Körper – unsere niedere Natur, wie manche gerne sagen – ist auf seine eigene schlichte Art klüger und kümmert sich unmittelbarer um seine eigenen Belange als der Geist in seiner ganzen gerühmten Subtilität. Im Naturzustand war die Menschheit fraglos vielen und großen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, einem Mangel an Zusammenhalt, einem Mangel an gegenseitigem Beistand, dem Mangel an einem gemeinsamen Schiedsrichter, an den sie sich mit ihren

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11 Anspielung auf Alexander Popes Essay on Man II, 101-103: „Laß prahlen Stoiker mit Apathie; / was starr wie Eis, halten für Tugend sie / beschränkt auf innere Gefangenschaft“ (Pope 1734/35: 45). 12 Diese Erklärung der Entstehung von Religion findet sich etwa bei Hobbes, dem zufolge der Mensch in seinem Bestreben, „den Ursachen der Ereignisse, die er nicht sieht, nachzugehen“, sich über letzte Ursachen „keine Klarheit verschaffen“ könne und so in beständiger Furcht lebe, „die die Menschheit in ihrer Unwissenheit im Bezug auf Ursachen stets begleitet“, was sie dazu bewege, sich kirchlichen oder politischen Autoritäten und Gesetzen zu unterwerfen, die Sicherheit vermitteln sollen (Hobbes 1651: 82 f. [XII. 2, 4 u. 6]).

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Streitigkeiten hätte wenden können. Dies waren Übelstände, die sie bei vielen Gelegenheiten schmerzlich verspürt haben muss.13 Die ursprünglichen Kinder der Erde lebten mit ihren Brüdern aus den anderen Gattungen in großer Gleichheit zusammen. Ihre Nahrung scheint fast ausschließlich pflanzlicher Natur gewesen zu sein; und derselbe Baum, der ihnen Früchte spendete, als er wuchs, bot ihnen ein Dach über dem Kopf, als er einging. Das wechselseitige, ihre Körper und Gefühle vereinigende Begehren der Geschlechter und die diesen Vereinigungen entspringenden Kinder brachten erstmals die Vorstellung von Gesellschaft auf und lehrten ihre Annehmlichkeiten. Eine solche Gesellschaft, die auf natürlichen Gelüsten und Instinkten, nicht auf irgendeiner konkreten Institution gründet, nenne ich natürliche Gesellschaft. So weit ging die Natur und kam an ihr Ziel: Doch der Mensch wollte mehr. Der große Fehler unserer Natur besteht darin, dass wir nie wissen, wann wir aufhören sollen, dass wir mit keiner vernünftigen Errungenschaft zufrieden sind, dass wir uns nicht mit unserer Lage abfinden können, sondern dass wir durch unser unersättliches Streben nach mehr alles Erreichte verlieren. Dieser Zusammenschluss vieler Personen zu einer Familie brachte dem Menschen einen erheblichen Vorteil; er schloss daraus, dass er ihn entsprechend vergrößern könnte, wenn sich viele Familien zu einem politischen Gemeinwesen vereinten. Und da die Natur kein einigendes Band hervorgebracht hatte, um sie zusammenzuhalten, glich er diesen Mangel durch Gesetze aus.14 Dies ist die politische Gesellschaft. Und folglich die Ursprünge dessen, was gemeinhin als Staaten, bürgerliche Gesellschaften oder Regierungen bezeichnet wird, zu denen sich die gesamte Menschheit, in lockerer oder strenger Form, nach und nach zusammengefunden hat. Und da es nun einmal so gekommen ist und da wir allen Institutionen unserer Vorfahren eine unbedingte Ehrerbietung schulden, werden wir diese Institutionen in all der Bescheidenheit betrachten, mit der wir eine überlieferte Meinung in Augenschein nehmen sollten, zugleich aber auch mit all der Freiheit und Offenheit, die wir der Wahrheit schuldig sind, wo immer wir ihr begegnen und wie sehr sie auch unseren eigenen Vorstellungen oder unseren eigenen Interessen widersprechen mag. Es gibt eine höchst absurde und unverfrorene Denkungsart, der gewisse Frömmler und Schwärmer anhängen und zu der sich manch klügerer und besserer Mann aus Angst ebenfalls bekennt, nämlich diese: Sie sprechen sich gegen eine unparteiische Erörterung verbreiteter Vorurteile aus, weil man, wie sie sagen, zwar feststellen würde, dass ihnen jede vernünftige Grundlage fehlt, diese Entdeckung jedoch die gefährlichsten Konsequenzen nach sich ziehen könnte.15 Welch absurde ||

13 Zum Konzept des Naturzustands, das seit Hobbes in der neuzeitlichen politischen Philosophie zur Begründung der Notwendigkeit und Grundlagen von Staat und Recht herangezogen wird, und zur spezifischen Verwendung, die Burke hier von ihm macht, vgl. die Einleitung, S. 27 ff. 14 So spricht Bolingbroke etwa in den Fragments mit direktem Hinweis auf Hobbes und mit indirektem Bezug auf Locke (vgl. Locke 1690: 285 ff. [II, §§ 136 f.]) von der Schwäche der „natural sociability“ der Menschen, die sie dazu motiviere, „[to] make laws by common consent“, so dass sie „from members of a natural, […] become such of a political society“ (Bolingbroke 1754a: 113 ff.; hier S. 115 u. 117). 15 Vgl. etwa Berkeleys Kritik der Ansicht, es sei „notwendig oder weise […], schädliche Wahrheiten

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und blasphemische Vorstellung! Als wäre nicht alle Glückseligkeit an die Praxis der Tugend geknüpft, die notwendigerweise von der Erkenntnis der Wahrheit abhängt, das heißt, von der Erkenntnis jener unabänderlichen Beziehungen, in denen nach göttlicher Vorsehung jedes Ding mit jedem anderen stehen soll. Diese Beziehungen, die die Wahrheit selbst sind, die Grundlage der Tugend und folglich die einzigen Maßstäbe der Glückseligkeit, sollten zugleich die einzigen Maßstäbe sein, an denen wir unser Denken ausrichten. Ihnen sollten wir mit voller Entschiedenheit zu entsprechen suchen und nicht meinen, wir müssten die Natur und die ganze Ordnung ihres Systems dazu zwingen, nach Maßgabe unseres Stolzes und unseres Wahns unseren künstlichen Regeln zu entsprechen. Dem Umstand, dass wir uns an diese Denkungsart halten, verdanken wir die Entdeckung der wenigen Wahrheiten, die wir kennen, sowie die bescheidene Freiheit und das vernünftige Glück, deren wir uns erfreuen. Etwas Schöneres ist uns gegeben, als ein logischer Geist vorab hätte vermuten können; und wir ziehen unübersehbare Vorteile daraus. Das Gefüge des Aberglaubens hat in dieser unserer Zeit und Nation viel heftigere Erschütterungen erfahren als je zuvor; und durch die Risse und Spalten unseres Gefängnisses sehen wir ein so strahlendes Leuchten, wehen uns so erfrischende Brisen der Freiheit entgegen, dass unsere Sehnsucht nach mehr täglich größer wird. Das Elend, das der Menschheit im Namen der Religion aus dem Aberglauben und im Namen der kirchlichen Autorität aus der kirchlichen Tyrannei erwuchs, ist klar und zweckmäßig entlarvt worden.16 Wir beginnen, allein aus der Vernunft und der Natur heraus zu denken und zu handeln. Dies gilt für einige, die große Mehrheit aber verharrt nach wie vor im selben alten Stand der Blindheit und Sklaverei; und es ist sehr zu befürchten, dass wir immer wieder in ihn zurückfallen, solange die wahre Wirkursache all dieser abergläubischen Torheit, dieser schwärmerischen Widersinnigkeit und dieser heiligen Tyrannei in der Wertschätzung selbst derer, die ansonsten aufgeklärt sind, einen Ehrenplatz einnimmt. Der bürgerliche Staat verdankt seine Stärke dem kirchlichen Regiment; und künstliche Gesetze werden durch künstliche Offenbarungen verbürgt. Die Ideen von Religion und Staat sind eng miteinander verknüpft; und während wir den Staat als ein Ding der Notwendigkeit begreifen, das vielleicht sogar unserem Wohlergehen nutzt, bürden wir uns wider besseres Wissen eine künstliche Religion der einen oder anderen Art als notwendige, wenn auch unerwünschte Konsequenz auf. Dieser wird sich das gemeine Volk immer aus freien Stücken sklavisch unterwerfen; und selbst ||

zu verbreiten. Welchen Dienst kann es der Menschheit leisten, wenn die Motive zur Tugend vermindert werden, oder welchen Schaden, wenn sie vermehrt werden?“ (Berkeley 1732: 149 [III. 16]) Diese Kritik wurde vielfach an Bolingbroke geübt, so etwa von Montesquieu; vgl. oben, S. 26, Anm. 28. 16 Diese Kritik an der Herrschaft der Kirche, die auf der Grundlage von Aberglaube und religiösen Vorurteilen errichtet werde, durchzieht von Hobbes (vgl. 1651, Kap. XLIV) über Voltaire (z. B. 1769: 52 ff.) bis zu Bolingbroke (z. B. 1754c, IV: 42 f., 626 f.) das politische Denken der Aufklärung, ohne dass dies bei den meisten aufklärerischen Denkern zur Ablehnung von Religion und institutionalisierten Kirchen geführt hätte.

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diejenigen von höherem geistigen Rang werden ihren Einfluss unwillkürlich hin und wieder zu spüren bekommen. Es ist daher von größter Bedeutung für uns, in dieser Hinsicht reinen Wein eingeschenkt zu bekommen und uns hinreichend klarzumachen, ob der bürgerliche Staat denn ein solcher Schutz vor natürlichen Übeln und eine solche Amme und Mehrerin von Wohltaten ist, wie es uns Menschen mit lebhafter Vorstellungskraft versprechen. In einer solchen Diskussion liegt mir nichts ferner, als unsere in höchstem Maße vernünftige Staatsform auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, so wenig wie ich in den freigeistigeren Teilen meiner philosophischen Schriften beabsichtige, mich gegen die Frömmigkeit, Wahrheit und Vollkommenheit unserer ganz vorzüglichen Kirche auszusprechen.17 Beide sind sie, wie mir bewusst ist, auf felsenfesten Grund gebaut. Keine neu entdeckte Wahrheit kann ihnen etwas anhaben. Im Gegenteil: Je genauer man den Ursprung von Religion und Staat untersucht, desto offensichtlicher muss ihre Vorzüglichkeit hervortreten. Sie kommen geläutert aus dem Feuer. Nicht mit ihnen möchte ich mich auseinandersetzen. Nachdem ich gegen alle Einwände aus dieser Richtung Protest eingelegt habe, kann ich Geschichte und Erfahrung umso freier daraufhin befragen, inwieweit die Staatskunst denn jemals dazu beigetragen hat, jene von der Vorsehung – die uns womöglich für einen Zustand der Unvollkommenheit entworfen hat – auferlegten Übel zu lindern, inwieweit unser technisches Geschick die Mängel unserer natürlichen Verfassung behoben hat und ob es nicht neue auf den Plan gerufen hat, die vielleicht durch kein Geschick zu beheben sind. Ein beliebiger Staat, über den wir uns ein Urteil bilden wollen, präsentiert sich in doppeltem Lichte: dem äußeren und dem inneren. Ersteres ist das Verhältnis, in dem er unter dem Aspekt der Freundschaft oder der Feindschaft zu anderen Staaten steht. Das zweite ist das Verhältnis, in dem seine einzelnen Teile, die Regierenden und die Regierten, zueinander stehen. Der erste Teil der äußeren Betrachtungsweise aller Staaten, ihre freundschaftliche Beziehung, ist geschichtlich so unergiebig, dass er mir zu meinem großen Bedauern wenig Anlass zu weitergehenden Ausführungen gibt. Die guten Dienste, die eine Nation ihrem Nachbarn erweist,* 18 die in öffentlichen Notlagen bereitgestellte Unterstützung, die bei allgemeinem Unheil geleistete Abhilfe, der vor drohender Gefahr gewährte Schutz, die gegenseitige Erwiderung von ||

17 Trotz seiner Kritik an Offenbarungsreligion und christlicher Orthodoxie war Bolingbroke von der politischen und sozialen Bedeutung der Religion überzeugt: „To make government effectual to all the good purposes of it, there must be a religion“, doch dazu bedürfe es der „establishment of a religious order subject to the civil magistrate, and subservient to the civil power, not that of a religious society pretending to be the allies and aiming to be the masters of the civil“ (Bolingbroke 1754c, IV: 630 f.). * Hätte seine Lordschaft bis in unsere Tage gelebt und somit die noble Hilfe gesehen, die diese Nation den notleidenden Portugiesen angedeihen ließ, dann hätte er womöglich eingeräumt, dass dieser Teil seiner Argumentation etwas geschwächt wurde. Doch halten wir uns nicht für berechtigt, den Wortlaut seiner Lordschaft zu ändern, sondern fühlen uns daran gebunden, ihm genauestens zu folgen. 18 Nach dem Erdbeben, das am 1. November 1755 Lissabon zerstörte und das Denken der Aufklärung erschütterte (Lauer/Unger 2008), hatte England Portugal eine Nothilfe von £ 100.000 gewährt.

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Gefälligkeit und Zuvorkommenheit – all dies böte der Geschichtsschreibung ein höchst reichhaltiges und erfreuliches Thema. Doch ach! Die Geschichte aller Zeiten und Nationen liefert nicht genügend Stoff, um auch nur zehn Seiten zu füllen, selbst wenn er durch die weitschweifige Ausschmückungen eines Guicciardini19 höchstpersönlich in die Länge gezogen würde. Die hervorstechende Seite ist die der Feindschaft. Krieg ist der Stoff, der sämtliche Chroniken füllt, und folglich bekommen wir die Außenseite der politischen Gesellschaft allein oder fast allein in feindseliger Gestalt zu Gesicht; und die einzigen Handlungen, zu denen wir sie immer bereit gesehen haben und immer noch bereit sehen, sind die auf gegenseitige Vernichtung ausgerichteten. „Ein Fürst“, sagt Machiavelli, „sollte sich mit keiner anderen Kunst befassen als mit der Kriegskunst“,20 wobei er unter einem Fürsten jede Form von Staat versteht, wie immer er verfasst ist. „Er sollte“, so sagt dieser große Heilkundige der Politik, „den Frieden nur als Atempause betrachten, die ihm den Freiraum verschafft, Kriegspläne zu schmieden, und die Fähigkeit verleiht, sie in die Tat umzusetzen.“21 Eine Untersuchung über das Verhalten politischer Gesellschaften brachte den alten Hobbes auf die Idee, der Krieg sei der Naturzustand.22 Und wahrlich, wenn jemand die Vertreter des Menschengeschlechts nach dem Verhalten beurteilt, das sie an den Tag legen, sobald man sie vereinigt und zu Nationen und Königreichen zusammenpackt, dann könnte er meinen, dass dem menschlichen Geist jede Art von Tugend unnatürlich und fremd ist. Die frühesten uns bekannten Darstellungen der Menschheit sind samt und sonders Darstellungen ihrer Schlächtereien. Alle Reiche sind auf Blut errichtet; und als das Menschengeschlecht sich erstmals zu Parteien und Verbünden zusammenfand, war der erste Effekt des Verbundes, ja tatsächlich der Zweck, für den er gezielt gebildet und vorzugsweise zugeschnitten zu sein schien, ihre wechselseitige Zerstörung. Die gesamte antike Geschichte liegt im Dunkeln und Ungewissen.23 Eines jedoch ist klar: Es hat in jenen Tagen Eroberer und Eroberungen gegeben und folglich all die Verheerungen, durch die sie gebildet, und all die Unterdrückung, durch die sie aufrechterhalten werden. Wir wissen wenig über Sesostris – außer dass er eine Armee von über 700.000 Mann aus Ägypten herausführte, dass er die Mittelmeerküste bis nach Kolchis überrannte, dass er zwar in manchen Gegenden nur auf geringen ||

19 Francesco Guicciardini (1483-1540), Politiker und von Bolingbroke geschätzter Geschichtsschreiber, verfasste u. a. eine Geschichte Italiens. Guicciardini war ein Freund und Briefpartner Niccolò Machiavellis. 20 Burke paraphrasiert hier Machiavelli: „Ein Fürst darf also weder ein anderes Ziel noch einen anderen Gedanken haben oder sich mit irgendeiner anderen Kunst befassen als mit der Kriegskunst“ (Machiavelli 1986: 113 [Kap. XIV]). 21 Diese Aussage von Burke ist zwar als Zitat ausgewiesen, doch handelt es sich lediglich um eine sinngemäße Wiedergabe; vgl. Machiavelli 1986: 117. 22 Vgl. Hobbes 1647: 207 (XIII. 7); ders. 1651: 97 f. [XIII. 12]. 23 Die Geschichte der Antike, so Bolingbroke 1754b: 294, sei „a thread of dark and uncertain traditions“.

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Widerstand traf und entsprechend wenig Blut vergoss, in anderen aber ein Volk vorfand, das den Wert seiner Freiheiten kannte und sie teuer zu verkaufen wusste.24 Wer sich klarmacht, welche Armee dieser Eroberer anführte, welche Räume er durchquerte und auf welche Gegenwehr er immer wieder stieß, und zudem die natürlichen Krankheitsfälle sowie die Dürftigkeit und schlechte Qualität der Versorgung in den unterschiedlichsten Klimazonen und Ländern, durch die ihn sein Marsch führte, in Rechnung stellt, dem muss doch auf jeden Fall klar sein, dass selbst die Armee des Eroberers große Verluste erlitten haben muss und dass von dieser großen Vielzahl nur ein Bruchteil zurückgekehrt sein kann, um sich der Beute zu erfreuen, die durch den Verlust so vieler ihrer Kameraden und die Zerstörung eines so bedeutenden Teils der Welt angehäuft worden war. Ich sage also, in Anbetracht der riesigen Armee dieses Eroberers, deren schwerfällige Masse fast allein schon hinreicht, um ihre Stärke zu neutralisieren, dürfte die Annahme kaum übertrieben sein, dass die Hälfte der Männer bei dem Feldzug ums Leben kam. Wenn dies die Lage der Sieger war, und den Umständen nach zu urteilen muss sie mindestens so ausgesehen haben, dann hatten die Besiegten gewiss einen viel ärgeren Verlust zu verzeichnen, denn das größte Gemetzel findet immer bei der Flucht statt, und in jenen Zeiten und Ländern ging der erste Eroberungsrausch stets mit einem großen Abschlachten einher. Es sollte daher äußert plausibel sein, zu den Verlusten des Eroberers seitens der Besiegten so viele hinzuzuzählen, dass wir bei einer Million Toten landen, und dann sehen wir, wie dieser Eroberer, der älteste, den wir aus den Annalen der Geschichte kennen (wenngleich, wie schon bemerkt, die Chronologie dieser fernen Zeiten äußerst ungewiss ist), das Schauspiel damit eröffnet, dass er wenigstens eine Million seiner eigenen Spezies vernichtet, und zwar aus keinem anderen Grund als dem seines Ehrgeizes, ohne andere Motive als die des Stolzes, der Grausamkeit und des Wahnsinns und ohne jeden Nutzen für sich selbst (denn Justinian erzählt uns ausdrücklich, dass er keine seiner Eroberungen behielt25), sondern einzig und allein, um all die Menschen in all den fernen Ländern einmal versuchsweise spüren zu lassen, was für eine schlimme Geißel die Vorsehung dem Menschengeschlecht schickt, wenn sie einem Menschen die Macht über viele verleiht und seine von Natur aus machtlose und schwache Raserei mit den Händen von Millionen bewaffnet, die kein gemeinsames Prinzip des Handelns kennen als das des blinden Gehorsams gegenüber ihrem Herrscher. Die nächste Figur, die in den Tragödien dieses antiken Theaters eine Rolle spielt, ist Semiramis; denn über Ninos wissen wir nichts Näheres, als dass er immense und ||

24 Sesostris I. regierte ab etwa 1975 v. u. Z. und war einer der bedeutendsten Pharaonen des Mittleren Reiches. Er führte Expansionskriege zur Eroberung Unternubiens, das im heutigen Grenzgebiet zwischen Ägypten und Sudan lag. 25 Justinus war römischer Geschichtsschreiber und lebte im 2./3. Jh. Er berichtet in seiner Weltgeschichte (I. 1), dass Sesostris und andere Könige der Zeit, „zufrieden mit dem Sieg, […] auf die Herrschaft über fremdes Land [verzichteten]. Ninus erst begann damit, das hinzuerworbene Gebiet in seiner ganzen Größe zu beständigem Besitz zu festigen“ (Iustinus 1972: 86).

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stürmische Eroberungen machte, die zweifellos nicht ohne das übliche Gemetzel vonstattengingen.26 Wir sehen eine Armee von vielleicht drei Millionen Mann, die diese Kriegskönigin in einen Krieg gegen die Inder schickt. Wir sehen, wie die Inder eine noch größere Armee bewaffnen; und wir werden Zeugen eines Krieges, der mit großer Heftigkeit und wechselndem Erfolg fortgeführt wird. Das Ganze endet mit dem Rückzug der Königin und mit kaum einem Drittel der auf den Feldzug geschickten Truppen; ein Feldzug, der folglich auf ihrer Seite zwei Millionen Seelen gekostet haben muss; und es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass das Land, das den Kriegsschauplatz bildete, in gleichem Ausmaß gelitten haben muss. Doch ich kann hiervon auch gerne absehen und mich auf die Annahme beschränken, dass die Inder nur halb so hohe Verluste erlitten, und dann sieht die Bilanz wie folgt aus: Allein in diesem Krieg (denn Semiramis führte weitere Kriege) unter dieser einen Regentschaft und an diesem einen Flecken Erde schieden drei Millionen Seelen aus dem Leben, unter all den entsetzlichen und schockierenden Begleitumständen, die alle Kriege mit sich bringen, und das in einer Auseinandersetzung, an der keiner der Leidtragenden das mindeste vernünftige Interesse haben konnte. Meere von Blut müssen vergossen worden sein, um die babylonische, die assyrische, die medische und die persische Monarchie zu begründen – und wieder zu zerstören. Xerxes’ Armeen und Flotten, ihre Zahl, der glorreiche Widerstand, der gegen sie geleistet wurde, und der unglückselige Ausgang seiner gewaltigen Kriegsanstrengungen sind jedermann bekannt.27 Bei diesem Feldzug, der halb Asien seiner Einwohner beraubte, befehligte er eine Armee von zwei Millionen Mann, die genau dort abgeschlachtet und von tausend verhängnisvollen Missgeschicken dahingerafft wurden, wo seine Vorgänger zuvor in ähnlichem Wahn die Blüte so manches Königreichs vernichtet und die Kraft eines so ausgedehnten Reiches vergeudet hatten.28 Wenn man zurückhaltend kalkuliert, kann man sagen, dass das persische Reich in seinen Kriegen gegen die Griechen und die Skythen das Leben von mindestens vier Millionen seiner Untertanen vergeudete, von seinen anderen Kriegen und den in ihnen erlittenen Verlusten ganz zu schweigen. Und dies waren nur die persischen Verluste im Ausland; doch wurde der Krieg zu ihnen nachhause gebracht, erst von Agesilaos und dann von Alexander.29 Ich habe auf meinem gegenwärtigen Ruhesitz nicht die Bücher, die notwendig wären, um ganz genaue Berechnungen anzustellen; es ist aber auch gar nicht nötig, jemandem von der Gelehrsamkeit Eurer Lordschaft mehr als Hinweise ||

26 Semiramis (ca. 9./8. Jh. v. u. Z.), legendäre assyrische Königin, Gemahlin des Ninus, soll weite Teile Asiens erobert haben. 27 Xerxes, persischer König (reg. 486-465 v. u. Z.), führte 480 v. u. Z. den zweiten Persischen Krieg gegen die Griechen, der 479 mit der Niederlage in der Seeschlacht bei Salamis endete. 28 Dareios (reg. 521-486 v. u. Z.), Xerxes’ Vater, hatte 490 v. u. Z. den ersten Persischen Krieg gegen die Griechen mit der Niederlage in der Schlacht bei Marathon verloren. 29 Der spartanische König Agesilaos (um 444-um 360 v. u. Z.) fiel 396 v. u. Z. in Persien ein, der Feldzug des makedonischen Königs Alexander (356-323 v. u. Z.) begann im Jahre 334 v. u. Z. und führte u. a. zur Einnahme der Hauptresidenz Susa (331) und Persepolis (330).

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zu geben. Sie werden sich an die ununterbrochene Folge seiner Siege erinnern. Sie werden seine Schlachten Revue passieren lassen. Sie werden sich das dabei angerichtete Gemetzel vor Augen führen. Sie werden einen Blick auf das Ganze werfen und mir zustimmen, dass nicht weniger als zwölfhunderttausend Menschenleben geopfert worden sein müssen, um ihn zu einem Helden zu machen; doch kaum war er selbst seinen Lastern zum Opfer gefallen, wurden tausend Breschen geschlagen, durch die der Untergang Einzug halten und an dieses Bild des Elends und der Zerstörung letzte Hand anlegen konnte. Sein Königreich wurde entzweigerissen und aufgeteilt, mit dem Erfolg, dass dessen eigenständigere Teile daran gingen, sich gegenseitig in Stücke zu reißen und das Ganze unter Blutbädern und Schlächtereien zu begraben. Die Könige von Syrien und Ägypten, die Könige des Pergamenischen Reichs und Makedoniens setzten einander mehr als zweihundert Jahre lang ununterbrochen zu, bis im Westen schließlich eine starke Macht auftauchte, über sie herfiel und ihre Tumulte beendete, indem sie allen streitenden Parteien die gleiche Zerstörung brachte. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass die Auseinandersetzungen zwischen Alexanders Nachfolgern diesen Teil der Welt um fast zwei Millionen Menschen entvölkerten. Der Kampf zwischen Makedoniern und Griechen und davor die Konflikte zwischen den griechischen Gemeinwesen untereinander um eine nutzlose Überlegenheit bilden eine der blutigsten Episoden der Geschichte. Man staunt darüber, dass ein so kleiner Flecken Erde genügend Männer hervorbringen konnte, die sich für das armselige Ziel opferten, fünf- oder sechstausend Morgen oder zwei bis drei Dörfer mehr zu besitzen; wenn man aber sieht, mit welcher Schärfe und Erbitterung zwischen Athenern und Lakedämoniern genau darum gerungen wurde,30 wenn man sieht, welche Armeen dahingerafft, welche Flotten versenkt und verbrannt, wie viele Städte gebrandschatzt, wie viele ihrer Einwohner abgeschlachtet und gefangengenommen wurden, dann sollte man in der Tat glauben, dass mindestens die Entscheidung über das Schicksal der Menschheit davon abhing! Doch diese Konflikte endeten so, wie sie immer geendet haben und immer enden werden, nämlich mit einer echten Schwäche aller Parteien, einem flüchtigen Schatten und Traum von Macht bei einer von ihnen sowie ihrer aller Unterwerfung unter das Joch eines Fremden, der weiß, wie er von ihren Entzweiungen zu profitieren vermag.31 Dies zumindest war bei den Griechen der Fall; und wir können mit Sicherheit ausschließen, dass ihre inneren Spaltungen und ihre auswärtigen Kriege von den frühesten Zeugnissen ihrer Existenz bis zu ihrem Aufgehen im Römischen Reich sie weniger als drei Millionen Einwohner gekostet haben.

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30 Burke spricht vom Peloponnesischen Krieg zwischen 431 und 404 v. u. Z. 31 Der römische Feldherr und spätere Diktator Sulla (um 138-78 v. u. Z.) eroberte 86 v. u. Z. Athen und verleibte Griechenland dem Römischen Imperium ein.

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Was für ein Akeldamach, was für ein Blutacker32 Sizilien in antiken Zeiten gewesen ist, als die republikanische und die tyrannische Partei um seine Regierungsform rangen und Einheimische, Griechen, Karthager und Römer um den Besitz der Insel stritten, brauche ich Eurer Lordschaft nicht ins Gedächtnis zu rufen.33 Sie werden sich der völligen Vernichtung eines solchen Gebildes wie einer Armee von 300.000 Mann erinnern. Sie werden jede Seite der Geschichte Siziliens blutgefärbt sehen, befleckt und verwirrt von Tumulten, Rebellionen, Massakern, Anschlägen, Proskriptionen und einer Abfolge von Schrecknissen, die womöglich die Geschichte jeder anderen Nation auf der Welt übertreffen, obwohl die Geschichten aller Nationen aus ähnlichem Stoff gemacht sind. Noch einmal entschuldige ich mich in puncto Genauigkeit mit meinem Mangel an Büchern. Aber ich veranschlage die Metzeleien auf dieser Insel auf lediglich zwei Millionen, was, wie Eure Lordschaft feststellen wird, weit hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Übergehen wir die Kriege und ihre Folgen, die Magna Graecia34 verwüsteten, bevor die Römische Macht in jenem Teil Italiens die Oberhand gewann. Sie werden vielleicht übertrieben dargestellt; ich beziffere sie deshalb nur auf eine Million. Geben wir lieber eilig den Blick auf jene große Szene frei, die das Römische Reich begründet und die große Katastrophe des antiken Dramas darstellt. Noch in seinen Kindertagen begann dieses Reich mit einem schier unglaublichen Vergießen von Menschenblut. Die kleinen Nachbarstaaten leerten sich infolge neuer Zerstörungen: die Sabiner, die Samniten, die Aequer, die Volsker, die Etrusker wurden durch eine Serie von Schlächtereien gebrochen, die einige Jahrhunderte kein Ende nahmen – Schlächtereien, die alles in allem mehr als zwei Millionen Angehörige der unglückseligen Völker dahinrafften. Die Gallier, die ungefähr zur selben Zeit in Italien einfielen, ergänzten das Abschlachten der Ureinwohner um die völlige Vernichtung ihrer eigenen Armeen.35 Kurzum, es wäre kaum möglich, sich ein grässlicheres und blutigeres Bild auszumalen, wenn nicht die Punischen Kriege, die bald darauf folgten, ein bei weitem schlimmeres abgäben.36 Mit ihnen erreichen wir den Höhepunkt der Zerstörung und des Zusammenbruchs, der den gesamten Erdball zu erschüttern schien. Das Ausmaß dieses Krieges, der so viele Nationen – und beide Elemente – heimsuchte, mitsamt der Verheerung des Menschengeschlechtes, die er in beiden verursachte, macht sprachlos ||

32 Akeldamach oder ‚Blutacker‘ war dem Neuen Testament zufolge der Friedhof in Jerusalem, auf dem Judas begraben wurde; vgl. Matthäus 27, 3-8; eine andere Version in Apostelgeschichte 1, 18-19. 33 Im 8. Jahrhundert v. u. Z. errichteten die Griechen auf Sizilien eine Kolonie. Ab dem 6. Jahrhundert v. u. Z. wurde Sizilien von Karthago beherrscht und war seit dem 3. Jahrhundert v. u. Z. eines der Schlachtfelder der Punischen Kriege zwischen Karthago und Rom. 34 Magna Graecia (griech. Megalē Hellas) für „großes Griechenland“ bezeichnete die Gebiete im südlichen Italien, die seit dem 8. Jahrhundert v. u. Z. von Griechen kolonisiert wurden. 35 Burke zählt hier in rascher Folge Eroberungskriege auf, die Rom im Zuge seines Aufstiegs zum Imperium vor allem im 4. und 3. Jahrhundert v. u. Z. auf der italischen Halbinsel führte. 36 Die insgesamt drei Punischen Kriege, die Rom gegen Karthago führte, begannen 264 v. u. Z. und endeten mit der Niederlage und Zerstörung Karthagos 146 v. u. Z.

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vor Staunen, wenn man es für sich betrachtet und die Dinge, die unsere Aufmerksamkeit sonst davon abzulenken pflegen – die Charaktere, Handlungen und Absichten der Beteiligten –, außer Acht lässt. Diese Kriege, ich meine die als Punische bezeichneten Kriege, dürften die Menschheit um nicht weniger als drei Millionen ihrer Vertreter dezimiert haben. Und doch bilden sie nur einen Teil, und zwar einen sehr kleinen Teil jener Verheerungen, die auf das Konto des römischen Ehrgeizes gehen. Der Krieg gegen Mithridates war kaum weniger blutig;37 jener Fürst tötete in einem Massaker auf einen Schlag 150.000 Römer. In diesem Krieg vernichtete Sulla 300.000 Mann bei Chaironeia. Er besiegte die Armee des Mithridates unter Dorialus und erschlug 300.000. Dieser große und unglückselige Fürst verlor weitere 300.000 vor Kyzikos. Im Laufe des Krieges hatte er zahllose weitere Verluste zu verzeichnen; da er zwischenzeitig aber auch obsiegte, rächte er sie in fürchterlicher Weise. Schließlich wurde er endgültig besiegt und riss den König von Armenien, seinen Verbündeten, durch seinen monumentalen Untergang mit in den Abgrund.38 All jene, die Verbindungen zu ihm unterhielten, ereilte dasselbe Schicksal. Der gnadenlose Genius des Sulla hatte freien Lauf; und nicht nur in den Straßen von Athen floss das Blut. In dieser Zeit richtete sich das Schwert, seiner Metzeleien im Ausland überdrüssig, gegen die Eingeweide der Römischen Republik selbst und verwandelte sie in ein Schlachtfeld der Grausamkeiten und des Verrats, das die Erinnerung an die Verwüstungen jenseits der Reichsgrenzen fast ausgelöscht hätte.39 Ich hatte eigentlich beabsichtigt, Mylord, gleichsam methodisch so fortzufahren, dass ich die Zahlen der Menschenkinder schätze, die in diesen Kriegen, sofern sie dokumentiert sind, dahingerafft wurden. Ich sehe mich aber gezwungen, meinen Plan zu ändern. Eine dermaßen tragische Eintönigkeit von Verwüstung und Mord würden Eure Lordschaft genauso abstoßen wie mich selbst; und ich gestehe, dass mir bereits die Augen brennen, weil ich sie schon so lange auf einen so blutigen Anblick geheftet halte. Ich werde kaum etwas zum Sklavenkrieg, zum Bundesgenossenkrieg, zum Gallischen und zum Spanischen Krieg sagen;40 und auch nichts zu denen gegen Jugurtha oder Antiochos sowie den vielen anderen, die genauso wichtig waren und mit der gleichen Raserei geführt wurden.41 Allein Julius Cäsars Schlächtereien werden von jemand anderem berechnet; die ||

37 Rom führte zwischen 89 und 63 v. u. Z. drei Kriege gegen Mithridates VI. (um 134-63 v. u. Z.), dessen Reich in Kleinasien das heutige Gebiet von der Türkei über den Irak bis zum Iran umfasste. Im Rahmen dieser Kriege fanden die im Folgenden genannten Schlachten statt. 38 Der römische Feldherr Lucullus (117-56 v. u. Z.) besiegte 68 Tigranes II., bei dem Mithridates VI. Schutz gesucht hatte, der von nun an nur noch von Roms Gnaden regierte. 39 Sulla ließ sich nach Jahren des Bürgerkrieges 82/81 v. u. Z. als Diktator einsetzen und mehrere tausend Aristokraten zur Proskription ausschreiben und töten. 40 Der Sklavenkrieg war der sogenannte Spartakusaufstand (73-71 v. u. Z.); der Bundesgenossenkrieg bezeichnet den zwischen 91 und 88 v. u. Z. stattfindenden Aufstand italischer Stämme gegen Rom. Der Gallische und der Spanische Krieg wurden 51 bzw. 48 v. u. Z. von Cäsar beendet. 41 Der numidische König Jugurtha (ca. 160-104 v. u. Z.) befand sich zwischen 112 und 105 im Krieg mit Rom und wurde nach seiner Niederlage 104 in Rom hingerichtet. Der Krieg gegen das syrische

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Zahl der Menschen, die ihm ihre Vernichtung zu verdanken haben, wurde auf 1.200.000 geschätzt.42 Um Eurer Lordschaft aber eine Vorstellung zu vermitteln, die als ein Maßstab dienen mag, an dem man bis zu einem gewissen Grad die anderen messen kann, bitte ich Sie, den Blick auf Judäa zu richten, einen an sich ganz und gar unbedeutenden Flecken Erde, der indes durch die einzigartigen Ereignisse geadelt wurde, die in jenem Land ihren Ursprung nahmen. Dieser Flecken Erde also war zu verschiedenen Zeiten ungewöhnlich dicht besiedelt – wobei hier keine Rolle spielt, wie es dazu kam –, und so ließen sich hier Menschen in einem Ausmaß abschlachten, wie man es kaum glauben würde, wenn dem nicht andere wohlbekannte und wohlbezeugte Massaker Plausibilität verliehen. Die erste Ansiedlung der Juden hier ging mit der fast vollständigen Ausrottung aller vormaligen Bewohner einher.43 Ihre eigenen Bürgerkriege sowie die Kriege gegen ihre unbedeutenden Nachbarn verschlangen über mehrere Jahrhunderte fast jedes Jahr gewaltige Menschenmengen; und die Invasionen der Könige von Babylon und Assyrien hinterließen immense Verwüstungen.44 Doch kennen wir ihre Geschichte nur bruchstückhaft, in undeutlicher, verworrener Weise, sodass ich nur jenen Teil von ihr ins helle Licht rücken werde, der mit der römischen Geschichte zusammenfällt, und von diesem Teil wiederum nur den Moment, in dem sie jenen großen und entscheidenden Schlag versetzt bekamen, der sie als Nation zerstörte, einen Schlag, der dieses Volk um annähernd zwei Millionen Leben gebracht haben soll.45 Ich sage nichts zu dem Reisig, den dieser Stamm abwarf, als er noch stand, sowenig wie zu den Trieben, die dieser alten Wurzel seither entsprossen. Wenn aber in diesem unbedeutenden Teil des Erdballs binnen zweier oder dreier kurzer Regentschaften ein solches Gemetzel veranstaltet wurde und dieses große Gemetzel, so immens es auch ist, nur einen Bruchteil des Leids jenes Volkes ausmacht, über das uns seine Geschichtsschreibung in Kenntnis setzt – was sollen wir da von größeren Ländern erwarten, die weit ausgedehntere Kriege geführt haben? ||

Seleukidenreich unter Antiochos III. dauerte von 192 bis 188 v. u. Z., König Antiochus III. (242-187 v. u. Z.) wurde von Rom besiegt und musste im Friede von Apameia 188 fast alle kleinasischen Besitzungen abtreten. 42 In Plinius’ Lob Julius Cäsars in der Naturgeschichte heißt es: „außer seinen Siegen in den Bürgerkriegen fielen durch ihn im Kampfe 1.192.000 Menschen“ – und fügt hinzu: „das aber will ich ihm nicht zum Ruhme anrechnen, dieses so große, wenn auch notgedrungen, der Menschheit zugefügte Leid“ (Plinius 1975: 71). Plutarch (Caesar, Abschn. 15) zufolge schlug sich Cäsar allein im Gallischen Krieg „mit drei Millionen Gegnern, von denen eine Million den Tod im Kampfe fand, eine zweite in Gefangenschaft geriet“ (Plutarch 2001: 229). 43 Zur Eroberung Kanaans durch die israelitischen Stämme (vermutlich im 13. Jh. v. u. Z.) vgl. die biblische Darstellung im Buch Josua, v. a. Kap. 11. 44 Die Eroberung durch Babylon fand vermutlich im 7. Jh. v. u. Z. statt, die durch das Assyrische Reich im 8. Jh. v. u. Z. 45 Im Jahre 70 v. u. Z. begann mit dem Jüdischen Krieg der erste von drei großen Aufständen gegen die römische Besatzung, die 135 mit dem Verbot für Juden, in Jerusalem zu leben, und mit der Zerschlagung eines einheitlichen jüdischen Siedlungsgebietes endeten.

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Aus solchen Vorgängen ist die Uniform der Geschichte gewebt. Und doch scheint es Phasen gegeben zu haben, in denen offenbar nicht weniger als die allgemeine Vernichtung des Menschengeschlechts auf dem Spiel stand. So war es, als die Goten, Vandalen und Hunnen nach Gallien, Italien, Spanien, Griechenland und Afrika strömten, wobei sie auf ihrem Vormarsch eine Welle der Zerstörung vor sich herschoben und allerorten entsetzliche Wüsten zurückließen.46 Vastum ubique silentium, secreti colles; fumantia procul tecta; nemo exploratoribus obvius: „Ödes Schweigen überall, verlassen die Hügel, rauchende Hütten in der Ferne, niemand kommt den Kundschaftern in den Weg“ – so beschreibt Tacitus die facies victoriæ, „des Sieges Glanz“.47 So ist es immer; hier aber war es ganz entschieden so. Aus dem Norden kamen die Schwärme der Goten, Vandalen, Hunnen, Ostgoten, die nach Süden strömten, nach Afrika selbst, das so zu leiden hatte wie zuvor alle im Norden. Ungefähr zur selben Zeit ergoss sich ein weiterer Strom von Barbaren,48 die von derselben Raserei ergriffen und von demselben Erfolg beflügelt wurden, aus dem Süden und verwüstete den gesamten Nordosten und Westen bis in die entlegensten Teile Persiens auf der einen Seite und bis an die Ufer der Loire oder noch weiter auf der anderen; sie zerstörten dabei alle stolzen und denkwürdigen Monumente der menschlichen Kunst, als sollte nicht einmal die Erinnerung die ehemaligen Bewohner überleben. Was seitdem angerichtet wurde und auch weiterhin angerichtet werden wird, solange es dieselben Anreize für den Krieg gibt, werde ich nicht im Einzelnen erörtern. Ich will lediglich mit einem Wort der schrecklichen Folgen von Bigotterie und Habgier bei der Eroberung Spanisch-Amerikas gedenken, eine Eroberung, die nach zurückhaltender Schätzung durch die Ermordung von zehn Millionen Vertretern unserer Spezies erreicht wurde.49 Ich möchte diesen Teil mit einer allgemeinen Berechnung des Ganzen beschließen. Ich glaube, ich habe bisher in der Tat mehr als 36 Millionen angeführt. Auf mehr bin ich nicht eingegangen. Es geht mir nicht um eine genaue Zahl; deshalb werde ich um des Gesamteindrucks willen all jene, die von Anbeginn der Welt bis heute in all ihren vier Teilen50 in Schlachten erschlagen wurden oder auf nicht weniger elende Weise durch die sonstigen zerstörerischen Folgen des Krieges ums Leben kamen, auf das Tausendfache beziffern, was angesichts der zeitlichen und räumlichen Erstreckung keine übertriebene Rechnung ist. Wir haben vielleicht nicht einmal den fünfhundertsten Teil angesprochen, ich meinesteils sicher nicht den fünfhundertsten Teil dessen, was historisch ||

46 Die Einfälle der Goten, Hunnen, Vandalen und Ostgoten fanden zwischen dem 3. und dem 5. Jahrhundert statt. 47 Tacitus 2012: 59 (38, 2). 48 Die arabisch-muslimische Expansion seit Mitte des 7. Jahrhunderts führte zur Eroberung Nordafrikas, der iberischen Insel und vereinzelter Gebiete Südfrankreichs im Westen und Teilen des byzantinischen Reiches und Persiens bis zum heutigen Pakistan im Osten. 49 Edmund Burke veröffentlichte ein Jahr nach der ersten Publikation der vorliegenden Schrift zusammen mit William Burke An Account of the European Settlements in America (2 Bände, London 1757), der die spanische Expansion in Südamerika detailliert behandelt. 50 Gemeint sind die damals bekannten vier Kontinente.

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verbürgt ist; wie viele dieser Schlächtereien aber nur in groben Zügen bekundet sind, welchen Teil der Zeit die Geschichtsschreibung nie erfasst hat und in welche gewaltige Räume des bewohnbaren Erdballs sie nie vorgedrungen ist, das muss ich Eurer Lordschaft nicht in Erinnerung rufen.51 Ich muss mich nicht über die Ströme stillen und ruhmlosen Blutes auslassen, die die durstigen Sandflächen Afrikas getränkt oder den Polarschnee verfärbt oder die amerikanischen Urwälder über so viele Zeitalter ununterbrochenen Krieges hinweg gedüngt haben. Sollte ich, um meine Berechnungen gegen den Vorwurf der Maßlosigkeit zu verteidigen, jene Scharmützel mitzählen, die es in allen Kriegen gibt, denen es aber für sich genommen an unheilvoller Größe gebricht, um einen Platz in der Geschichte zu verdienen, deren relative Unschuld sie freilich durch ihre Häufigkeit wettmachen? Soll ich die Bilanz durch jene allgemeinen Massaker aufblähen, denen ganze Städte und Nationen zum Opfer fielen, jene verheerenden Seuchen, jene katastrophalen Hungersnöte und all die anderen Furien, die der Krieg im Schlepptau führt? Ich brauche nicht zu übertreiben und habe in diesem Zusammenhang bewusst auf jede Eloquenz verzichtet. Ich würde sie in jedem Zusammenhang verachten, doch ist es bei der Erwähnung dieser Gemetzel offensichtlich, wie das Ganze durch eine gefühlsbetonte Beschreibung jener Gräuel gesteigert werden könnte, die mit der Verwüstung von Königreichen und der Plünderung von Städten verbunden sind. Aber ich appelliere nicht an das gemeine Volk oder an das, was das gemeine Volk einzig und allein regiert, seine Leidenschaften.52 Ich halte mich an eine nüchterne und maßvolle Berechnung, die nicht von pedantischer Genauigkeit ist, aber gerade hinreicht, um Eurer Lordschaft ein gewisses Gefühl für die Folgen der politischen Gesellschaft zu vermitteln. Ich mache für die Gesamtheit dieser Folgen die politische Gesellschaft verantwortlich. Ich bekenne mich zu dieser Anklage und werde sie zu Eurer Lordschaft Zufriedenheit begründen. Die konkreten Zahlen, die ich genannt habe, belaufen sich auf rund 36 Millionen. Neben denen, die in Schlachten getötet wurden, habe ich etwas – nicht halb so viel, wie es das Thema erlaubt hätte, aber doch etwas – über die Folgen des Krieges gesagt, die sogar noch schrecklicher sind als jenes monströse Gemetzel selbst, das unsere Menschlichkeit schockiert und uns fast vom Glauben abfallen lässt. Sie werden mich also – den Überschwang in die eine Richtung gegen die Untertreibungen in die andere verrechnend – alles in allem nicht für unvernünftig halten. Soweit ich weiß, schätzt man die Zahl der gegenwärtig auf Erden lebenden Menschen auf maximal fünfhundert Millionen. Hiermit beläuft sich das Massaker an der Menschheit grob überschlagen auf über siebzigmal die Zahl der Menschenseelen, die heutzutage auf dem Erdball leben: ein

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51 Die folgende Passage bis „[…] Krieg im Schlepptau führt?“ wurde erst in der 2. Auflage der Vindication 1757 hinzugefügt. 52 Bolingbroke schrieb über die Rolle von Leidenschaften und Vernunft in der Geschichtsschreibung: „[H]istory, true or false, speaks to our passions always. What pity is it, my lord, that even the best should speak to our understandings so seldom?“ (Bolingbroke 1754b: 265).

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Punkt, der demjenigen, der sich mit dem Ziehen von Schlüssen schwerer tut als Eure Lordschaft, zusätzlichen Stoff zum Nachdenken geben wird. Ich werde nun zeigen, dass der politischen Gesellschaft zu Recht der überwiegende Teil dieser Vernichtung der Spezies zur Last gelegt werden kann. Um jeder Seite gegenüber in dieser Frage so fair wie möglich zu verfahren, gebe ich zu, dass sich die menschliche Natur durch einen Hochmut und eine Wildheit auszeichnet, die unweigerlich zahllose Zusammenstöße verursachen, in welche Lage man die Menschen auch versetzt; dies zugestanden, halte ich doch nach wie vor die politischen Regelungen dafür verantwortlich, dass diese Zusammenstöße so häufig, so grausam und so unselig in ihren Folgen sind. Im Naturzustand wäre es unmöglich gewesen, für ein solches Gemetzel eine hinreichende Zahl von Männern zu finden, die sich in diesem blutigen Zweck einig gewesen wäre. Selbst wenn wir zugestehen, dass sie zu einer solchen Einigkeit gefunden hätten (eine unmögliche Hypothese), reichen doch die Mittel, mit denen die einfache Natur sie ausgestattet hat, für ein solches Ziel in keiner Weise aus; jede Seite hätte zweifellos viele Kratzer und viele blaue Flecken zu verzeichnen, aber nur wenige, sehr wenige Todesfälle. Gesellschaft und Politik, die uns diese zerstörerischen Absichten eingaben, gaben uns auch die Mittel an die Hand, sie zu verwirklichen. Vom ersten Erwachen der Staatskunst bis zum heutigen Tage hat die menschliche Erfindungsgabe das Mysterium des Mordens verfeinert und verbessert, von den ersten grobschlächtigen Versuchen mit Holzprügeln und Steinen bis zur gegenwärtigen Vollendung mit Gewehren, Kanonen, Bomben, Minen und jeder anderen Art von künstlicher, gelehrter und raffinierter Grausamkeit, in der wir heute so beschlagen sind und die für das Hauptstück unserer größten Ehre zu halten uns die Politiker gelehrt haben. Wie weit uns die bloße Natur gebracht hätte, können wir am Beispiel jener Tiere beurteilen, die immer noch ihren Gesetzen folgen, selbst am Beispiel derjenigen, denen sie wildere Veranlagungen und schrecklichere Waffen mitgegeben hat, als sie sie je für uns vorsah. Es ist eine unstrittige Tatsache, dass von Menschen unter Menschen binnen eines Jahres mehr Verheerungen angerichtet werden als von allen Löwen, Tigern, Panthern, Luchsen, Leoparden, Hyänen, Rhinozerossen, Elefanten, Bären und Wölfen unter ihrer jeweiligen Art seit Anbeginn der Welt; und das, obwohl sie schlecht genug miteinander auskommen und mit wesentlich größerer Wut und Wildheit bedacht sind als wir. Was euch aber angeht, ihr Gesetzgeber, ihr Zivilisatoren der Menschheit!, ihr Orpheuse, Mosese, Minose, Solone, Theseuse, Lykurge, Numase!, was euch angeht, sei gesagt, dass all eure Regelwerke in ihrer Kaltblütigkeit mehr Unheil angerichtet haben, als die gesamte Wut der wildesten Tiere in ihrer größten Panik oder Raserei es je taten oder tun könnten! Diese Übel sind kein Zufall. Wer sich die Mühe macht, die Natur der Gesellschaft genauer zu betrachten, wird feststellen, dass diese Übel eine direkte Folge ihrer Verfassung sind. Denn da Unterordnung oder, mit anderen Worten, das Zusammenspiel von Tyrannei und Sklaverei erforderlich ist, um diese Gesellschaften zu erhalten, reichen das Interesse, der Ehrgeiz, die Niedertracht, die Rachsucht, ja sogar die Laune

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und Willkür eines einzigen Herrschers aus, um alle anderen Menschen, ohne dass ihre privaten Meinungen dabei eine Rolle spielten, auf die schlimmsten und schwärzesten Ziele einzuschwören; und es ist so beklagenswert wie lächerlich, dass sich diese Unglückseligen unter solchen Bannern mit größerer Wut ins Zeug werfen, als wenn sie sich für selbst erlittenes Unrecht rächen wollten. Nicht weniger lohnenswert ist die Feststellung, dass diese künstliche Aufteilung der Menschheit in separate Gesellschaften an sich schon eine ständige Quelle von Hass und Streit unter den Menschen ist. Die Namen, die sie unterscheiden, reichen aus, um Hass und Wut zu entfachen. Man studiere die Geschichte, man berücksichtige die gegenwärtige Erfahrung,53 und man wird feststellen, dass der weitaus größere Teil der Streitereien zwischen verschiedenen Nationen kaum einen anderen Anlass hatte als den, dass diese Nationen unterschiedliche Verbindungen von Menschen waren, die auf unterschiedliche Namen hörten: Für einen Engländer löst der Name eines Franzosen, eines Spaniers, eines Italieners und erst recht eines Türken oder eines Tataren natürlich Vorstellungen aus, die von Hass und Verachtung erfüllt sind. Wollte man bei unserem Landsmann Mitleid oder Achtung für einen der Genannten erwecken, hielte man dann nicht mit dieser Unterscheidung hinterm Berg? Man würde ihn nicht bitten, Mitleid mit dem armen Franzosen oder dem elenden Deutschen zu haben. Keineswegs; man würde von einem Ausländer sprechen, von einer unglücklichen Lage, in die jeder von uns kommen kann. Man würde ihn als Menschen darstellen, der an derselben gemeinsamen Natur teilhat und demselben Gesetz unterliegt. Irgendetwas an diesen künstlichen politischen Unterscheidungen widerstrebt unserer Natur so sehr, dass wir keine weitere Trompete brauchen, um uns auf Krieg und Zerstörung einzustimmen. Doch die allgemeine Stimme der Menschheit hat etwas so Gütiges und Wohltuendes, dass der einfache Name des Menschen, recht gebraucht, nie seine heilsame Wirkung verfehlt, so sehr unsere Regelungen auch dazu angetan sind, dies zu verhindern. Dieser natürliche, spontane Effekt der Politik auf die herrenlosen Leidenschaften der Menschheit zeigt sich auch bei anderen Gelegenheiten. Man darf gewiss sein, dass die bloße Bezeichnung des Politikers, des Staatsmanns Angst und Hass auslöst; sie war stets mit Vorstellungen von Verrat, Grausamkeit, Betrug und Tyrannei verbunden; und die Autoren, die die Geheimnisse um die Geheimbündelei der Staatenlenker gewissenhaft gelüftet haben, wurden seither allgemein verabscheut, weil sie eine so verabscheuenswürdige Theorie überhaupt so gut kannten. Der Fall Machiavellis scheint diesbezüglich auf den ersten Blick durchaus hart zu sein. Er muss die Ungerechtigkeiten derjenigen ertragen, deren Maximen und Regeln der Staatsführung er öffentlich machte. Seine Theorie wird stärker verabscheut als ihre Praxis.54 ||

53 In den Tagen der Veröffentlichung der Vindication brach der Siebenjährige Krieg aus. Hier war bereits eine durch Politik und Medien beförderte Mobilisierung von Mustern nationaler Identifikationen zu beobachten, die auf das Zeitalter des Nationalismus vorauswies; vgl. oben, S. 30 mit Anm. 36. 54 So hatte der preußische König Friedrich II., der Verbündete Großbritanniens im 1756 beginnenden Krieg, 1740 einen Anti-Machiavel veröffentlicht, in dem er machiavellistische Machtpolitik kritisierte, um noch in demselben Jahr, unmittelbar nach seinem Machtantritt, den Schlesischen Krieg

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Gäbe es aber keine anderen Argumente gegen die künstliche Gesellschaft als dasjenige, das ich gleich anführen werde, müsste meines Erachtens schon dieses eine sie zu Fall bringen. Alle, die über die Wissenschaft von der Politik schreiben, stimmen darin überein, und zwar aus Erfahrung, dass alle Regierungen aus Gründen der Selbsterhaltung immer wieder gegen die Regeln der Gerechtigkeit verstoßen müssen, dass die Wahrheit hinter der Verheimlichung, die Ehrlichkeit hinter der Zweckdienlichkeit und die Menschlichkeit selbst hinter dem herrschenden Interesse zurückstehen muss. Zusammengenommen nennt man das Dunkel eines solchen Unrechts dann Staatsräson.55 Es ist dies eine Räson, die mir zugegebenermaßen verschlossen bleibt. Welche Art von Schutz soll dies dem allgemeinen Recht bieten, das gewahrt wird, indem man die Rechte von Einzelnen bricht? Welche Art von Gerechtigkeit ist das, der durch den Bruch ihrer eigenen Gesetze Geltung verschafft wird? Die Lösung dieser Paradoxien überlasse ich den fähigen Köpfen der Gesetzgeber und Politiker. Ich für meinen Teil sage, was ein geradeaus denkender Mensch bei solcher Gelegenheit sagen würde. Ich kann beim besten Willen nicht glauben, dass es irgendeine Institution, die der Natur entspricht und der Menschheit frommt, für nötig oder auch nur ratsam erachten könnte, in einem beliebigen Falle das zu tun, wovor uns die besten und wertvollsten Instinkte der Menschheit warnen. Andererseits verwundert es nicht, dass sich das, was gegen den Naturzustand in Stellung gebracht wird, nur erhalten kann, wenn es auf dem Gesetz der Natur herumtrampelt. Um zu beweisen, dass wohlgeordnete Gesellschaften dieser Art ein Verbrechen an der Natur sind und eine Fessel für den menschlichen Geist, müssen wir nur die blutigen Maßnahmen und gewaltsamen Mittel in den Blick nehmen, auf die man sich überall zu ihrer Absicherung stützt. Verschaffen wir uns also einen Eindruck von den Kerkern, Peitschen, Folterbänken und Galgen, mit denen jede Gesellschaft im Übermaß gesegnet ist und durch die jedes Jahr Hunderte für den Zweck hingeopfert werden, ein oder zwei Dutzend in ihrem Stolz und Wahnsinn und Millionen in elender Knechtschaft und Abhängigkeit zu halten. Es gab einmal eine Zeit, in der ich mit ehrfürchtigem Schauder auf diese Geheimnisse der Staatskunst blickte; doch haben Alter, Erfahrung und die Philosophie den Schleier zerrissen, und ich betrachte dieses sanctum sanctorum56 zumindest ohne jede schwärmerische Bewunderung. Ich räume sehr wohl die Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise in solchen Institutionen ein, muss aber zu einer sehr schlechten Meinung über Institutionen kommen, die solche Vorgehensweisen erfordern.

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vom Zaun zu brechen. – Zu dieser Relativierung des traditionellen Machiavelli-Bildes vgl. die Einleitung, S. 32, Anm. 41. 55 Den Begriff prägte Giovanni Botero in seinem Werk Della Ragione di Stato (1589), mit dem er allerdings Machiavellis Lehren zurückweisen wollte. 56 D. h. das Allerheiligste.

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Es ist ein Unglück, dass die natürliche Freiheit und die natürliche Religion in keinem Teil des Erdballs in Reinform und frei von politischen Verfälschungen anzutreffen sind. Indes sind uns durch die Vorsehung Ideen, Grundsätze und Regeln eingepflanzt,57 die uns sagen, was fromm, gerecht, billig und ehrlich ist und die uns keine politische List und keine gelehrte Sophistik restlos aus dem Herzen reißen kann. Nach ihnen beurteilen wir die verschiedenen künstlichen Formen von Religion und Gesellschaft – denn wie sonst sollten wir sie auch beurteilen? – und befinden über sie, je nachdem, ob sie diesem Standard nahekommen oder von ihm abweichen.58 Die einfachste Regierungsform ist die Despotie, in der alle untergeordneten Machtsphären allein vom Willen des Obersten gelenkt und alle, die wiederum diesen unterworfen sind, in gleicher Weise allein vom gelegentlichen Willen der Obrigkeit gesteuert werden.59 Diese Regierungsform ist, als einfachste, auch die bei Weitem üblichste. Kaum ein Teil der Welt, der nicht in ihrer Macht stünde. Und an jenen wenigen Orten, wo sich die Menschen – wie sie es nennen – der Freiheit erfreuen, steht diese unablässig auf wackligen Beinen und taumelt mit immer größeren Schritten auf jenen Abgrund der Despotie zu, der am Ende noch jede Art von Regierung verschluckt. Dass die Herrschaftsweise allein vom Willen des schwächsten und für gewöhnlich auch schlechtesten Vertreters der Gesellschaft bestimmt wird, erweist sich als die törichteste und launenhafteste Einrichtung, während sie zugleich die schrecklichste und destruktivste ist, die man sich wohl vorstellen kann. In einer Despotie stellt das Oberhaupt fest, dass es sich selbst, mögen die Bedürfnisse, der Kummer und die Armut seiner Untertanen sein, wie sie wollen, uneingeschränkt aller möglichen Dinge bemächtigen kann, um noch seine unersättlichsten Wünsche zu befriedigen. Mehr noch. Es stellt fest, dass diese Freuden sich proportional zum Elend und zur Versklavung seiner Untertanen vermehren. Dergestalt durch seine Leidenschaft wie durch sein Interesse dazu ermutigt, auf dem Gemeinwohl herumzutrampeln, und durch seine Stellung über Scham und Furcht erhaben, begeht es die grässlichsten und erschütterndsten Gräueltaten an der Menschheit. Die Menschen selbst werden ihm verdächtig. Das geringste Missvergnügen bedeutet den Tod; und ein unvorteilhafter Anblick ist ein so großes Verbrechen wie Hochverrat. Am Hofe Neros wurde ein gebildeter, unbestritten ||

57 Bolingbroke war, anders als Burke es hier zu vermitteln scheint, Anhänger von Lockes Erkenntnistheorie und bezeichnete es als „absurd […] to assume innate ideas“ (Bolingbroke 1754c, IV: 286), denn allgemeine Erkenntnisse werden seines Erachtens „by experience and observation“ gewonnen (vgl. ebd.: III. 376); vgl. Dickinson 1970: 158 ff. 58 Vgl. Pope 1711: 7 [Verse 68 ff.]: „First follow NATURE, and your Judgment frame / By her just Standard, which is still the same: / Unerring Nature, still divinely bright, / One clear, unchang’d and Universal Light.“ 59 „By simple forms of government, I mean such as lodge the whole supreme power, absolutely and without control, either in a single person, or in the principal persons of the community, or in the whole body of the people. Such governments are governments of arbitrary will, and therefore of all imaginable absurdities the most absurd. […] These governments do not only degenerate into tyranny, they are tyranny in their very institution.“ (Bolingbroke 1735: 126 u. 127).

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verdienstvoller und zweifellos loyaler Mensch aus keinem anderen Grund hingerichtet, als dass er zum Missfallen des Kaisers immer so schulmeisterlich-finster dreinblickte.60 Ebendieses Monster der Menschheit erweckte zu Beginn seiner Herrschaft den Eindruck, eine tugendhafte Person zu sein. Viele der größten Tyrannen in den Annalen der Geschichte haben ihre Regentschaft auf redlichste Weise begonnen. Die Wahrheit aber ist, dass diese unnatürliche Macht Herz und Verstand gleichermaßen verdirbt. Und um die geringste Hoffnung auf Besserung im Keim zu ersticken, ist ein König stets von einer Menge schändlicher Schmeichler umgeben, denen es zum Vorteil gereicht, wenn sie jedes Licht der Vernunft solange von ihm fernhalten, bis alle Vorstellungen von Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit gänzlich aus seinem Geist getilgt sind. Nachdem Alexander einen seiner besten Freunde und tapfersten Feldherrn in einem Wutanfall niedergemetzelt hatte,61 befiel ihn, als er wieder zur Vernunft kam, ein Grausen, das der Schuld eines solchen Mordes angemessen war. An diesem Punkt stand ihm sein Rat zu Diensten. Was aber tat sein Rat? Er suchte ihm einen Philosophen, damit dieser ihn tröste. Und wie tröstete ihn dieser Philosoph über den Verlust eines solchen Menschen hinweg und wie besänftigte er sein Gewissen, das vom Schmerz eines solchen Verbrechens erfüllt war? Plutarch berichtet es uns ausführlich. Er sagte ihm, dass „alles, was ein Herrscher tut, Recht und Gesetz ist“.62 In den Palästen sämtlicher Fürsten wimmelt es nur so von solchen Hofphilosophen. Es kam, wie es kommen musste. Alexander wurde täglich mehr und mehr zu einem Monster, das sich zunehmend unnatürlichen Gelüsten, Ausschweifungen, Trunkenheit und Mordgier hingab. Und doch war er ursprünglich ein großer Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten und besonderer Tugendhaftigkeit. Grenzenlose Macht dehnt sich schrittweise aus, bis sie jeden löblichen Grundsatz ausgemerzt hat. Man hat gesagt, kein Fürst sei so schlecht, dass seine Günstlinge und Minister nicht noch schlechter wären.63 Kaum ein Fürst, der keinen Günstling hat, von dem er so willkürlich beherrscht wird, wie er die ihm unterworfenen armen Teufel beherrscht. Hier verdoppelt sich die Tyrannei. Es gibt zwei Höfe und zwei Interessen, die sich beide stark von den Interessen des Volkes unterscheiden. Der Günstling weiß, dass die Gunst eines Tyrannen so unbeständig und unberechenbar ist wie die Gunst einer Frau; und da er folgert, dass seine Zeit knapp bemessen ist, beeilt er sich, die Abgründe seiner Bosheit ||

60 Gemeint ist hier vermutlich Publius Clodius Thrasea Paetus, ein vom Stoizismus beeinflusster Führer der Opposition gegen Nero, der 66 zum Tode verurteilt wurde; die Darstellung im Text folgt Sueton: Nero 37.1; vgl. dagegen Tacitus: Annalen 16.21-34. 61 Alexander hatte im Jahre 328 v. u. Z. Kleitos, als dieser ihn während eines Mahls in trunkenem Zustand kritisierte, vor Wut mit dem Speer eines Leibwächters getötet. 62 Plutarch, Alexander, 52, 4; bei dem Philosophen handelt es sich um den Geschichtsschreiber Kallisthenes von Olynth (ca. 370-327), einen Verwandten und Schüler von Aristoteles. Kallisthenes begleitete Alexander auf seinen Feldzügen und verfasste ein heroisierendes Werk über dessen Taten. Dies verhinderte nicht, dass er selbst in Ungnade fiel und vermutlich 327 hingerichtet wurde. 63 „Ich weiß nicht, woran es liegt, daß es keinen schlechten Herrscher gibt, der nicht einen noch schlechteren Minister hätte.“ (Montesquieu 1723: 220 [127. Brief]).

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mit Plünderungen, Verschwendungssucht und der Befriedigung von Rachegelüsten anzufüllen. Jeder Zugang zum Thron wird versperrt. Er unterdrückt und ruiniert das Volk, während er dem Fürsten weismacht, dass das durch seine eigene Unterdrückung verursachte Murren einer Unzufriedenheit mit der Regierung des Fürsten geschuldet sei. Dann wird die natürliche Gewalttätigkeit der Despotie von Hass und Rachegelüsten angeheizt und verschlimmert. Sich um den Staat verdient zu machen, ist ein Verbrechen gegen den Fürsten. Beliebt zu sein und ein Verräter zu sein, gelten als Synonyme. Selbst die Tugend als hochherzige Eigenschaft, die für sich und unabhängig von der Haltung des Hofes Achtung gebietet, ist gefährlich. Was über das Oberhaupt gesagt wurde, gilt nicht weniger für die untergeordneten Beamten dieser Art von Regierung; jeder von ihnen übt in seinem Bereich dieselbe Tyrannei aus und zermürbt das Volk mit einer Zwingherrschaft, die umso schwerer auf ihm lastet, als sie ihm so nahe ist und von niederen und subalternen Personen ausgeübt wird. Das Gros des Volkes gilt als bloße Viehherde, und binnen kurzem wird es in der Tat genau zu einer solchen; jeder Grundsatz ehrlichen Stolzes, jedes Gefühl für die Würde seiner Natur kommt ihm in seiner Versklavung abhanden. Der Tag, sagt Homer, an dem ein Mann zum Sklaven wird, nimmt ihm die Hälfte seines Werts;64 und tatsächlich verliert er jeden Antrieb zu handeln außer dem niedrigen und gemeinen der Angst. In dieser Staatsform wird die menschliche Natur nicht nur missbraucht und beleidigt, sondern in Wirklichkeit erniedrigt und auf eine Stufe der Unmenschlichkeit herabgewürdigt. Diese Überlegung war es, die Herrn Locke zu der überaus berechtigten Feststellung veranlasste, dass eine Regierung dieser Art schlimmer sei als Anarchie65 – und tatsächlich wird sie von all jenen, die unter Regierungen von milderem Anstrich leben, dermaßen verabscheut und gehasst, dass es kaum einen vernünftigen Menschen in Europa gibt, der einer asiatischen Despotie nicht den Tod vorzöge.66 Hier finden wir also von einem großen Philosophen bestätigt, dass ein ungeregelter Naturzustand einer solchen Regierung vorzuziehen ist;67 wir finden die Zustimmung aller verständigen und edelmütigen Männer, die noch darüber hinausgehen und offen gestehen, dass ihnen selbst der Tod lieber wäre; und doch ist diese Art von Regierung, die zu Recht so verdammt und so allgemein gehasst wird, genau die, unter der ein Großteil der Menschheit unendlich stöhnt und seit dem Anbeginn aller Zeiten gestöhnt hat. Sodass nach sicheren und unumstrittenen Prinzipien der überwiegende Teil der Regierungen auf Erden als Tyrannei bezeichnet werden muss, als ein Betrug und eine Vergewaltigung der natürlichen Rechte der Menschheit, die schlimmer ist als die

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64 So in der Odyssee: „Zeus’ allwaltender Rat nimmt schon die Hälfte der Tugend / Einem Manne, sobald er die heilige Freiheit verliert.“ (Homer 1987: XVII. 322 f.). 65 Vgl. Locke 1690: 341 (II, § 225). 66 Vor allem Montesquieus Werke waren einflussreich bei der zeitgenössischen Ausprägung des Stereotyps von der asiatischen bzw. orientalischen Despotie als Gegensatz zu den freiheitlichen Regierungsformen Europas; vgl. Young 1978; umfassend Osterhammel 1998: 271-309. 67 Vgl. etwa Locke 1690: 255 ff. u. 286 f. (II, §§ 91 u. 137).

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regelloseste Anarchie. Wie sehr andere Formen diese noch übertreffen, werden wir sogleich prüfen. Überall auf der Welt bewahrt sich die Menschheit, wie erniedrigt sie auch ist, noch immer ihre Empfindungsfähigkeit. Die Last der Tyrannei wird schließlich unerträglich, nur ist das Heilmittel nicht leicht auszumachen: Im Allgemeinen besteht das Heilmittel, mit dem man die Tyrannei zu kurieren versucht, darin, den Tyrannen auszuwechseln. Dies ist und war in den meisten Teilen der Welt immer so. In einigen Ländern jedoch fanden sich Menschen von größerer Einsicht, die „erkannten, dass es das Elend aller verursachte, wenn man nach dem Willen eines einzigen lebte“.68 Sie änderten deshalb ihr Verfahren und versammelten in ihren verschiedenen Gesellschaften jene Männer, die für ihre Auffassungsgabe und ihr Vermögen im höchsten Ansehen standen, um das Gemeinwohl in deren Hände zu legen. Dies begründete erstmals, was man eine Aristokratie nennt. Sie hofften, es wäre unmöglich, dass eine solche Anzahl sich jemals zu einem Vorhaben gegen das Allgemeininteresse zusammentun könnte, und versprachen sich von den vereinten Ratschlägen so vieler fähiger und erfahrener Personen ein großes Maß an Sicherheit und Glück. Jetzt aber stellt man aus überreichlicher Erfahrung fest, dass sich eine Aristokratie und eine Despotie nur dem Namen nach unterscheiden und dass ein Volk, dem jede Beteiligung an der gesetzgebenden Gewalt generell verwehrt bleibt, faktisch genauso versklavt ist, wenn zwanzig unabhängig von ihm herrschen, wie wenn einer alles beherrscht. Die Tyrannei wird sogar als noch drückender empfunden, da jeder einzelne Adlige den Hochmut eines Sultans an den Tag legt; die Menschen fühlen sich noch elender, da sie sich einer Freiheit zum Greifen nahe wähnen, von der sie für immer ausgeschlossen sind; und diese trügerische Vorstellung von Freiheit, die dem Untertanen ein wertloses Schattenbild der Glückseligkeit vorspiegelt, zieht zugleich die Ketten seiner Unterwerfung fester an. Was die natürliche Habgier und Hochmütigkeit derer, die über die anderen erhoben sind, nicht erledigt, das besorgen ihre Verdächtigungen und ihre Furcht, eine Gewalt einzubüßen, die keine Stütze im gemeinschaftlichen Nutzen der Nation findet. Eine Genueser oder eine venezianische Republik ist eine verdeckte Despotie, in der man denselben Stolz der Herrschenden, dieselbe niederträchtige Unterwerfung des Volkes, dieselben blutigen Maximen einer misstrauischen Politik antrifft.69 In einer Hinsicht ist die Aristokratie schlimmer als die Despotie. Eine politische Gemeinschaft ändert ihre Grundsätze nie, solange sie ihre Gewalt bewahren kann; eine Despotie, die an einem Tag durch die natürliche Launenhaftigkeit des menschlichen Herzens im höchsten Maße entsetzlich ist, kann durch dieselbe Launenhaftigkeit, die nun eine andere Richtung nimmt, am nächsten ebenso angenehm sein; in einer Herrscherfolge kann man auch auf manche guten Fürsten treffen. Wo es Tiberiusse, Caligulas und Neros gab, gab es ebenso die heitereren Tage der Vespasiane, ||

68 Richard Hooker, Of the Laws of Ecclesiastical Polity (1593), zit. nach Locke 1690: 259, Anm. 1. 69 Genua und Venedig waren dem Namen nach Republiken, wurden tatsächlich aber seit dem Mittelalter von adligen Familien beherrscht.

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Titusse, Trajane und Antoninusse.70 Eine politische Gemeinschaft aber ist nicht von Launenhaftigkeit und Marotten geprägt, sondern sie verfährt in geregelter Weise, ihre Herrscherfolge vollzieht sich unmerklich, und jeder, der Teil von ihr wird, erfasst sogleich oder doch sehr bald den Geist des ganzen Gemeinwesens. Noch nie hat man davon gehört, dass eine Aristokratie, die in einem Jahrhundert hochmütig und tyrannisch war, im nächsten umgänglich und sanft wurde. Tatsächlich ist das Joch dieser Staatsform so bitter, dass die Menschen es immer voller Entrüstung abwarfen und eine vom Volk ausgehende Form entwickelten, sobald sie über die geringste Macht verfügten. Und wenn sie nicht stark genug waren, um sich selbst zu helfen, warfen sie sich in die Arme des Despotismus als des annehmbareren der beiden Übel. Dies war der Fall Dänemarks, das vor der Unterdrückung durch seinen Adel in der Festung willkürlicher Macht Zuflucht suchte.71 Polen, gegenwärtig dem Namen nach eine Republik, ist eine der aristokratischen Form; es ist aber wohlbekannt, dass der kleine Finger dieser Regierung schwerer lastet als in den meisten Nationen die Lenden der willkürlichen Macht.72 Die Menschen sind nicht nur politisch, sondern auch persönlich Sklaven und werden aufs Äußerste gedemütigt. Die Republik Venedig ist ein wenig moderater, doch auch hier wiegt das aristokratische Joch so schwer, dass die Adligen genötigt waren, ihre Untertanen durch jede Art von Ausschweifung moralisch zu schwächen; sie versagten ihnen die Freiheit der Vernunft und hielten sie dafür mit etwas schadlos, was eine niedere Seele für die wertvollere Freiheit halten wird, denn nicht nur gestatteten sie ihnen, sie ermunterten sie gar, sich aufs Schändlichste selbst zu verderben. Sie betrachten ihre Untertanen wie der Bauer das Schwein, der es hält, um sich an ihm gütlich zu tun. Er hält es im Schweinestall fest, wo es sich freilich nach Herzenslust in seinem Dreck suhlen und seiner Fressgier frönen darf. Ein so schockierend verkommenes Volk wie das von Venedig findet man kein zweites Mal. Ob hochrangig oder gemein, Mann oder Frau, Klerus oder Laienstand, alle sind gleich. Die herrschenden Adligen haben voreinander nicht weniger Angst als vor dem Volk, und aus diesem Grund entkräften sie ihre eigenen Körper politisch durch denselben weibischen Luxus, mit dem sie ihre Untertanen korrumpieren. Sie bringen sich mit jedem Mittel, das ihre Erfindungsgabe hergibt, an den Bettelstab, und sie werden in ewigem Schrecken vor den Gräueln einer staatlichen Inquisition gehalten. Hier sieht man ein Volk, das aller vernunftgemäßen Freiheit beraubt ist und von rund zweitausend Menschen tyrannisiert wird; und doch ist diese Körperschaft der zweitausend so ||

70 Tiberius (reg. 14-37) stand wie Nero und Caligula (vgl. unten, Anm. 877) im Ruf, grausam und tyrannisch zu herrschen. Vespasian (reg. 69/70-79), Titus (reg. 79-81), Trajan (reg. 98-117) und Antoninus Pius (reg. 138-161) standen in der Geschichtsschreibung demgegenüber für eine gemäßigte und friedensorientierte Regierungsweise. 71 Dänemark wurde 1660 unter Friedrich III. von einer Wahl- zu einer Erbmonarchie, in der dem König absolutistische Gewalt übertragen wurde. 72 Für Montesquieu ist Polen ein Beispiel für die „unvollkommenste“ Aristokratie, wo „der gehorchende Teil des Volkes als Sklaven von der herrschenden Schicht abhängt“, insofern „in der polnischen Aristokratie […] die Bauern die Sklaven des Adels sind“ (Montesquieu 1748, I: 28 [II. 3]).

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weit davon entfernt, aus der Unterwerfung aller anderen irgendeine Freiheit für sich selbst zu beziehen, dass sie sich in einem unendlich schlimmeren Zustand der Sklaverei befinden; sie machen sich zu den dekadentesten und unglücklichsten Vertretern der Menschheit, nur um effektiver zum Elend einer ganzen Nation beitragen zu können. Kurzum, die geregelten und methodischen Verfahrensweisen einer Aristokratie sind sogar noch unerträglicher als die Exzesse einer Despotie – und im Allgemeinen auch viel unheilbarer. Wir haben also, Mylord, die Aristokratie durch ihre gesamte Entwicklung hindurch verfolgt; wir haben die Samen, das Wachstum und die Früchte gesehen. Sie konnte sich keiner der Vorteile einer Despotie rühmen, so elend diese Vorteile auch waren, und war mit einem selbst für den Despotismus ungekannten Übermaß an Übeln befrachtet. Tatsächlich ist sie nicht mehr als eine zügellose Tyrannei. Diese Staatsform konnte deshalb bei denen, die des Denkens mächtig waren, nicht einmal in der Theorie große Zustimmung finden, und noch weniger konnte sie von denen, die zu fühlen imstande waren, in der Praxis ertragen werden. Die ersprießliche Politik des Menschen war damit aber noch nicht erschöpft. Er besaß noch eine weitere Dreigroschenkerze, um die Unzulänglichkeiten der Sonne auszugleichen.73 Dies war die dritte Form, unter politischen Autoren als Demokratie bekannt. Hier wickelten die Menschen alle öffentlichen Geschäfte, oder doch einen Großteil, höchstpersönlich ab; sie machten ihre Gesetze selbst, und im Falle einer Pflichtverletzung waren ihre Amtsträger ihnen und nur ihnen Rechenschaft schuldig. Allem Anschein nach hatten sie sich durch diese Methode der Vorteile von Ordnung und gutem Regieren versichert, ohne dafür mit ihrer Freiheit bezahlen zu müssen. Nun, Mylord, sind wir bei dem Meisterwerk griechischer Raffinesse und römischer Solidität angelangt – einer Volksregierung. Die früheste und meistgerühmte Republik nach diesem Vorbild war die athenische.74 Sie war von keinem geringeren Künstler als dem berühmten Dichter und Philosophen Solon errichtet worden.75 Doch kaum war dieses politische Schiff vom Stapel gelassen, kenterte es bereits, noch zu Lebzeiten des Erbauers. Darauf folgte unmittelbar eine Tyrannei – nicht durch fremde Eroberung, nicht durch Zufall, sondern durch das Wesen und die Verfasstheit der Demokratie selbst. Ein gerissener ||

73 Die „Dreigroschenkerze“ (farthing candle) ist vermutlich eine Anspielung auf eine auf Robert Walpole, Bolingbrokes Hauptgegner, zielende Satire von Edward Young über die „Ruhmbegierde, die Hauptleidenschaft der Menschen“ (zuerst 1726). In dieser heißt es, dass „die Wissenschaften abnehmen und die Bände anwachsen. Wie Ausleger [commentators] eine jede dunkle Stelle übergehen, und ihre Pfennigkerze [farthing candle] neben die Sonne stellen. Wie gefolterte Texte auf unsere Meynung gezogen werden, und wie jedes Laster aus der Schrift beschönet wird“ (Young 1774: 101). 74 Bolingbroke hatte 1732 in Artikeln On the Policy of the Athenians im Gewand einer Geschichte der imperialen Ausdehnung der athenischen Demokratie die zeitgenössische Politik Walpoles kritisiert; vgl. Bolingbroke 1732; hierzu Ahn 2011: 109 ff. 75 Der Staatsmann und Dichter Solon (ca. 640-560 v. u. Z.) reformierte um 590 v. u. Z. die Verfassung Athens und gilt als Gründer der Demokratie. – Diese und die folgenden Ausführungen Burkes stützen sich weitgehend auf antike Geschichtsschreiber, vor allem auf Plutarch.

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Mann errang die Gunst des Volkes, das Volk hielt die Macht in Händen und übertrug seinem Favoriten einen beträchtlichen Anteil dieser Macht; der einzige Gebrauch aber, den er davon machte, war, die Menschen, die ihm die Macht gegeben hatten, in die Sklaverei zu stürzen.76 Der Zufall gab ihnen ihre Freiheit zurück, und dasselbe Glück brachte in ihren Reihen Männer von ungewöhnlichen Fähigkeiten und ungewöhnlichen Tugenden hervor. Doch man ließ es nicht zu, dass diese Fähigkeiten für ihre Besitzer selbst oder für den Staat von großem Nutzen wären. Einige dieser Männer, um derentwillen wir ihre Geschichte überhaupt lesen, verbannten sie, andere steckten sie ins Gefängnis, und alle zusammen behandelten sie sie auf unterschiedliche Weise mit dem beschämendsten Undank.77 Republiken haben viel vom Geist einer absoluten Monarchie, doch nirgends mehr als in dieser Hinsicht. Eine glänzende Leistung wird in einer Volksversammlung zu allen Zeiten gehasst oder misstrauisch beäugt werden, gerade so wie vor Gericht; und alle dem Staat geleisteten Dienste gelten als Gefahr für die Herrschenden, seien es Sultane oder Senatoren. Das Scherbengericht in Athen wurde nach diesem Grundsatz geschaffen.78 Die unbesonnenen Menschen, von denen wir hier sprechen, sahen sich durch ein paar blitzartige und nicht im Mindesten den eigenen Leistungen geschuldete Erfolge dazu ermutigt, die ihnen Gleichgestellten, die sich mit ihnen zum Zwecke der gemeinsamen Verteidigung verbündet hatten, zu tyrannisieren. So wie auf ihre Besonnenheit verzichteten sie auf jeden Anschein von Gerechtigkeit. Leichtsinnig und mutwillig zettelten sie Kriege an. Wenn sie keinen Erfolg hatten, dann schoben sie alle Schuld auf die Minister, die in diesen Kriegen beraten, und auf die Generäle, die sie geführt hatten, anstatt aus ihrem Missgeschick klug zu werden, bis sie nach und nach jeden ausgeschaltet hatten, der ihnen bei ihren Beratungen oder ihren Schlachten behilflich sein konnte. Kam es einmal vor, dass diese Kriege einen glücklicheren Ausgang nahmen, dann machten ihr Stolz und ihre Anmaßung es um nichts leichter, mit ihnen umzugehen. Weil das Volk blindwütig in seinen Missgeschicken und tyrannisch in seinen Erfolgen war, hatte ein Feldherr mehr damit zu tun, seine Verteidigung vor dem Volk zu entwerfen, als die Operationen des Feldzugs zu planen.79 Unter dem schrecklichen Despotismus der römischen Kaiser war es nicht unüblich, dass ein General umso unfreundlicher empfangen wurde, je größer sein Verdienst war. Agricola ist hierfür ein eindringliches Beispiel. Niemand hatte mit aufrichtigerem Streben Größeres vollbracht. Doch ||

76 Peisistratos (ca. 600-527 v. u. Z.) stürzte 561 v. u. Z. durch einen Staatsstreich die Demokratie und errichtete eine Tyrannis, die nach dessen Tod von seinen Söhnen fortgesetzt wurde und 510 v. u. Z. mit Hippias’ Gang ins persische Exil endete. 77 Staatsmänner wie Aristeides (480 v. u. Z.) oder Themistokles (471 v. u. Z.) wurden zur Verbannung verurteilt, während ein Feldherr wie Miltiades 489 v. u. Z. nach einem erfolglosen Feldzug des Hochverrats angeklagt wurde und in Gefangenschaft starb. 78 Zum Scherbengericht vgl. unten, S. 295, Anm. 29. 79 So warf man Alkibiades 415 v. u. Z. während des Peloponnesischen Krieges unmittelbar vor dem Auslaufen der Flotte zur Belagerung Siziliens vor, einen Frevel an einer Statue des Gottes Hermes begangen zu haben; er floh nach Sparta und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

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als er an den Hof zurückkehrte, war er gezwungen, Rom mit der Heimlichkeit eines Verbrechers zu betreten. Nicht wie ein siegreicher Heerführer, der die größten Belohnungen verdient hätte und fordern dürfte, ging er zum Palast, sondern wie ein Straftäter, der gekommen war, um für seine Verbrechen um Vergebung zu bitten. Der Empfang, den man ihm bereitete, war entsprechend: „[M]it einem kurzen Kuß wurde er aufgenommen und ohne Anrede in die Schar des Gefolges gereiht“ (Exceptusque brevi osculo et nullo sermone, turbae servientium inmixtus est).80 Doch in dieser schlimmsten Phase dieser schlimmsten aller monarchischen* 81 Tyranneien bildeten Bescheidenheit, Umsicht und Zurückhaltung selbst für die höchsten Verdienste noch eine gewisse Sicherheit. In Athen jedoch gewährte einem Mann von großen Fähigkeiten nicht einmal das freundlichste und wohlüberlegteste Benehmen ausreichenden Schutz. Einige ihrer tapfersten Heerführer waren gezwungen, aus ihrem Land zu fliehen, manche dazu, in den Dienst ihrer Feinde einzutreten, um sich nicht einer öffentlichen Beurteilung ihres Verhaltens auszusetzen, damit das Volk in seinem Leichtsinn, wie einer von ihnen sagte, nicht dazu verleitet würde, zu verurteilen, wo es eigentlich freisprechen wollte, eine schwarze Bohne hineinzuwerfen, obwohl es vorhatte, eine weiße zu nehmen.82 Die Athener machten auf dem Gebiet der ungeheuerlichsten Ausschweifungen überaus rasche Fortschritte. Die Menschen, denen keinerlei Beschränkungen auferlegt waren, wurden schnell zügellos, verschwenderisch und faul. Sie verweigerten sich jeder Arbeit und fingen an, von Steuergeldern zu leben.83 Sie verloren jedes Interesse an ihrer gemeinsamen Ehre oder Sicherheit und konnten keinen Ratschlag ertragen, der auf ihre Verbesserung abzielte. Zur damaligen Zeit wurde die Wahrheit für jene Herren, das Volk, zu einer Beleidigung und für den Sprecher in hohem Maße gefährlich. Die Redner betraten die Rostra84 nur noch, um es mit den übertriebensten Lobhudeleien weiter zu verderben. Diese Redner waren alle von fremden Fürsten der einen oder anderen Seite bestochen. Und neben ihren eigenen Parteien gab es in dieser Stadt – ||

80 Tacitus 2012: 61 (Agricola 40, 3). – Agricola (40-93) war Statthalter Roms in Britannien und wurde Tacitus zufolge von Kaiser Domitian (reg. 81-96) im Jahre 84 abberufen, da Domitian wegen Agricolas Erfolg gefürchtet habe, dieser könnte zu mächtig werden. Tacitus war Agricolas Schwiegersohn. * Sciant quibus moris illicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros, & c. Siehe 42 bis zum Schluss. 81 Burke zitiert hier aus Tacitus’ Agricola 42, 4: „Die gewohnt sind, Unerlaubtes zu bewundern, mögen also wissen, daß auch unter schlechten Herrschern große Männer leben können.“ (Tacitus 2012: 65). 82 Auf die Frage, ob er seinem Vaterland, das ihn zurückrief, um ihn vor Gericht zu stellen, nicht traue, antwortete Alkibiades, er traue, „wenn es um mein Leben geht, selbst meiner Mutter nicht, daß sie nicht womöglich aus Versehen den schwarzen Stein statt des weißen in die Urne legt“ (Plutarch 2001: 831 [Alkibiades, 22)]. 83 Vgl. etwa Plutarch, dem zufolge Perikles begann, die Athener zu alimentieren und „sie dadurch gründlich verwöhnt habe; die damals getroffenen Maßnahmen hätten das bescheidene und arbeitsame Volk zu Verschwendung und Übermut verführt“ (Plutarch 2001: 531 [Perikles, 9]). 84 „Rostra“ war die Bezeichnung für die Rednertribüne auf dem Forum Romanum.

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und nicht einmal heimlich – Parteien für die Perser, die Spartaner, die Makedonier, alle von einem oder mehreren Demagogen gefördert, die man gedungen und bestochen hatte, damit sie sich zu diesem schändlichen Dienst hergaben. Das Volk, das Tugend und Gemeinsinn ganz und gar vergessen hatte und von den Schmeicheleien seiner Redner (dieser mit den typischen Merkmalen aller Höflinge ausgestatteten Höflinge der Republik) berauscht war – dieses Volk, sage ich, erklomm schließlich den Gipfel des Wahns, als es durch ein ausdrückliches Gesetz kaltblütig und mit Bedacht jeden, der vorschlug, die immensen, bei öffentlichen Darbietungen verprassten Summen anderweitig und sei es für die notwendigsten Zwecke des Staates zu verwenden, eines Kapitalverbrechens zieh. Wenn Sie sehen, wie die Menschen dieser Republik ihre besten und fähigsten Bürger verbannten und erschlugen, den öffentlichen Reichtum auf das Sinnloseste verschleuderten und ihre gesamte Zeit als Zuschauer oder Darsteller mit Schauspielen, Fiedeln, Tanzen und Singen zubrachten, drängt sich Ihrer Einbildungskraft, Mylord, dann nicht das Bild eines aus vielen Einzelnen zusammengesetzten Neros auf? Und erfüllt es Sie nicht mit noch größerem Entsetzen, wenn Sie sehen, wie sich nicht nur ein einziger Mann, sondern eine ganze durch Stolz und Macht berauschte Stadt in wahnsinniger Raserei derselben gemeinen und sinnlosen Ausschweifung und Verschwendung hingibt? Doch wenn dieses Volk in seiner Verschwendungssucht Nero glich, so glich es ihm mehr noch, ja überflügelte ihn sogar im Hinblick auf Grausamkeit und Ungerechtigkeit. Zur Zeit des Perikles, in einem der am meisten gerühmten Zeitalter in der Geschichte dieses Gemeinwesens, sandte ihnen ein ägyptischer König eine Getreidespende.85 Sie waren geizig genug, sie anzunehmen. Und hätte der ägyptische Fürst diese Stadt gottloser Bedlamiten86 zugrunde richten wollen, so hätte er sich keine wirksamere Methode dafür aussuchen können als eine solch verführerische Großzügigkeit. Die Verteilung dieses Geschenks führte zu einem Streit; die Mehrheit veranlasste eine Überprüfung der Anrechte der Bürger, und mittels einer spontanen, auf die Umstände berechneten nichtigen Vorspiegelung von Unrechtmäßigkeit enthielten sie nicht weniger als Fünftausend ihres eigenen Gemeinwesens den Anteil an der königlichen Spende vor. Sie gingen noch weiter: Sie entrechteten sie. Und da sie nun einmal mit einem Akt der Ungerechtigkeit begonnen hatten, konnten sie diesem keine Grenzen setzen. Da es sie nicht zufrieden stellte, ihnen die Bürgerrechte zu entziehen, plünderten sie diese armen Kerle auch noch vollkommen aus. Und um dieses Meisterwerk der Gewalt und Tyrannei zu krönen, verkauften sie tatsächlich alle fünftausend Männer auf dem öffentlichen Markt als ||

85 Perikles hatte 451 v. u. Z. ein Gesetz durchgesetzt, wonach das Bürgerrecht und der Anspruch auf staatliche Leistungen nur solchen Einwohnern zustand, deren Eltern beide schon Bürger Athens waren. Dies führte später, als „der König von Ägypten dem Volk vierzigtausend Scheffel Weizen als Geschenk übersandte und das Getreide unter den Bürgern verteilt werden sollte“ (Plutarch 2001: 605 [Perikles, 37]), zu den Konflikten und Prozessen, die Burke hier im Weiteren beschreibt. 86 D. h. ‚Narren‘, ‚Irre‘ oder ‚Verrückte‘, umgangssprachlich für die Bewohner des früheren Hospital of Saint Mary of Bethlehem in London – verballhornt als „Bedlam“ –, seit dem 14. Jahrhundert eine Einrichtung zur Unterbringung von ‚Geisteskranken‘.

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Sklaven. Beachten Sie, Mylord, dass die Fünftausend, von denen wir hier sprechen, aus einem Gemeinwesen von nicht mehr als Neunzehntausend herausgerissen wurden; denn größer war die Gesamtzahl der Bürger zur damaligen Zeit nicht. Hätte der Tyrann, der dem römischen Volk einen einzigen Hals wünschte, hätte der Tyrann Caligula höchstpersönlich größeres Unheil anrichten oder es sich auch nur wünschen können, als mit einem Streich ein Viertel seines Volkes auszuschalten?87 Oder hat die Grausamkeit der Cäsaren, dieser Folge blutiger Tyrannen, jemals ein Stück von so ungeheuerlicher und umfassender Bösartigkeit aufgeführt? Die gesamte Geschichte dieser gefeierten Republik ist ein einziges Gewebe von Leichtsinn, Torheit, Undankbarkeit, Ungerechtigkeit, Unruhe, Gewalt und Tyrannei und, fürwahr, jeder Art von Bösartigkeit, die man sich wohl vorzustellen vermag. Dies war eine Stadt der weisen Männer, in der ein Minister seine Funktionen nicht ausüben konnte; ein kriegerisches Volk, in dessen Reihen sich ein General nicht trauen durfte, eine Schlacht zu gewinnen, und auch nicht, sie zu verlieren; eine gebildete Nation, in der sich ein Philosoph nicht an eine freie Untersuchung wagen konnte. Dies war die Stadt, die Themistokles verbannte, Aristeides ans Hungertuch brachte, Miltiades ins Exil jagte, Anaxagoras vertrieb und Sokrates vergiftete.88 Dies war eine Stadt, die ihre Regierungsform mit den Gezeiten wechselte; ewige Verschwörungen, tägliche Revolutionen, nichts Festes und Bewährtes. Eine Republik ist, wie ein alter Philosoph bemerkte, nicht eine bestimmte Art von Staat, sondern ein Warenlager sämtlicher Arten;89 hier findet man sie alle, und zwar in der schlimmsten Ausprägung. Da sich alles ständig verändert, die eine im Aufstieg, die andere im Niedergang begriffen ist, haben wir es hier mit all der Gewalt und politischen Niedertracht zu tun, mit der eine aufstrebende Macht immer ihre Stärke erwirbt, und mit all der Schwäche, die den vollständigen Ruin niedergehender Staaten besiegelt. Rom ist eine ehrwürdigere Erscheinung als Athen; und es betrieb seine Angelegenheiten, soweit sie mit der Zerstörung und Unterdrückung des größten Teiles der Welt verbunden waren, mit größerer Weisheit und Beständigkeit. Doch die Binnenökonomie dieser beiden Staaten war fast oder eigentlich ganz dieselbe. Eine innere Zwietracht zerfleischte unaufhörlich die Eingeweide des römischen Gemeinwesens. Man findet dieselbe Verwirrung, dieselben Parteiungen, die es in Athen gab, dieselben Unruhen, dieselben Revolutionen, kurzum: dieselbe Sklaverei, auch wenn die früheren Zustände den Namen vielleicht nicht in gleichem Maße verdienten. Alle anderen Republiken hatten denselben Charakter. Florenz war eine Kopie Athens.90 ||

87 Gemeint ist Caligula, 37-41 römischer Kaiser: „Weil er auf die Menge wütend war, die entgegen seinen Interessen eine andere Partei favorisierte, rief er aus: ‚Hätte doch das römische Volk nur einen einzigen Hals!‘“ (Sueton, Caligula XXX. 2). 88 Zu Themistokles, Aristeides und Miltiades vgl. Anm. 76; Anaxagoras (ca. 499-428 v. u. Z.) und Sokrates (469-399) wurden wegen Gottlosigkeit angeklagt und zu Verbannung bzw. zum Tode verurteilt. 89 Vgl. Cicero, De re publica I. 69. 90 Burke verweist hier auf das Florenz des 14. und 15. Jahrhunderts, das sich als Republik verstand und von Kämpfen zwischen sozialen Klassen und mächtigen Familien wie den Medici geprägt war.

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Und je nachdem, ob sich die modernen Republiken der demokratischen Form mehr oder weniger annähern, haben sie auch mehr oder weniger an der von mir beschriebenen Natur teil. Damit beschließen wir unseren Überblick über die drei einfachen Formen der künstlichen Gesellschaft. Haben wir doch gezeigt, dass sie, so sehr sie sich dem Namen nach oder hinsichtlich gewisser unbedeutender Begleitumstände unterscheiden mögen, faktisch alle gleich sind: faktisch alles Tyranneien. Aber nehmen wir einmal an, wir würden die weitestgehenden Zugeständnisse machen; wir wollen Athen, Rom, Karthago und noch zwei oder drei weiteren antiken und ebenso vielen modernen Gemeinwesen zugestehen, frei und glücklich gewesen zu sein oder es zu sein und ihre Freiheit und ihr Glück ihrer politischen Verfassung zu verdanken. Doch selbst wenn wir all das einräumen, welche Lanze bricht es für die künstliche Gesellschaft im Allgemeinen, dass diese unscheinbaren Flecken auf der Landkarte für einen Wimpernschlag der Geschichte bei einer so allgemeinen Anklage eine Ausnahme bildeten? Wenn wir diese Staaten aber frei nennen oder zugestehen, dass ihre Bürger glücklicher waren als diejenigen, die unter anderen Formen lebten, so tun wir dies lediglich ex abundanti.91 Denn wir würden uns maßlos irren, wenn wir wirklich dächten, dass die Mehrheit der Menschen, die diese Städte bevölkerten, auch nur in den Genuss jener nominellen politischen Freiheit, von der ich nun schon so viel gesprochen habe, gekommen wäre. In Wirklichkeit hatten sie keinen Anteil daran. In Athen gab es normalerweise zwischen zehn- und dreißigtausend freie Bürger;92 das war das Maximum. Die Zahl der Sklaven hingegen belief sich normalerweise auf bis zu vierhunderttausend und manchmal sogar viel mehr. Die freien Bürger von Sparta und Rom waren im Verhältnis zu denen, die sie in einer gar noch schlimmeren Sklaverei hielten als die Athener, nicht zahlreicher. Deshalb muss man die Sache angemessen darstellen: Die freien Staaten bildeten, selbst zusammengenommen, niemals mehr als den tausendsten Teil der bewohnbaren Erde; die freien Bürger dieser Staaten machten niemals auch nur ein Zwanzigstel der Bevölkerung aus, und die Zeit, die sie überdauerten, zählt fast nichts in diesem ungeheuren Ozean der Dauer, in dem Zeit und Sklaverei so weitestgehend deckungsgleich sind.93 Man bezeichne sie also als freie Staaten oder Volksregierungen oder wie es beliebt; wenn wir auf die Mehrheit ihrer Bewohner schauen und die natürlichen Rechte der Menschheit betrachten, so müssen sie uns in ||

91 D. h. bloß „der Vollständigkeit halber“. 92 Burke spricht hier wie im folgenden Satz von „freemen“. 93 Diese Ausführungen über die Anzahl der Sklaven in der Antike spielt möglicherweise auf eine zeitgenössische, vielbeachtete Debatte zwischen David Hume und Robert Wallace an, die sich auf Zahlenangaben antiker Autoren stützte und an der sich unter anderem auch Montesquieu beteiligte. Hume hatte 1752 Wallace’ Berechnungen der Bevölkerungszahl in der Antike als übertrieben hoch kritisiert und bei dieser Gelegenheit auch scharfe Kritik an der Sklaverei und den blutigen inneren und äußeren Kriegen in der Antike geübt. Wallace hatte seine Position daraufhin in einem umfangreichen Appendix zu seinem Werk zu verteidigen versucht. Vgl. Hume 1752; Wallace 1753; hierzu Harvey 2007; Streminger 2011: 347 f.

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Wirklichkeit und Wahrheit nicht besser erscheinen als erbärmliche, gewaltsame Oligarchien. Nach einer so fairen Überprüfung, in der nichts übertrieben und keine Tatsache angeführt wurde, die sich nicht beweisen ließe, und keine, die in irgendeiner Weise verdreht oder überspannt wäre, während tausende um der Kürze willen weggelassen wurden – welcher Sklave wäre nach einer in jeder Hinsicht freimütigen Diskussion so passiv, welcher Frömmler so blind, welcher Schwärmer so stürmisch, welcher Politiker so verstockt, dass er sich die Verteidigung eines Systems auf die Fahnen schriebe, welches zum Fluche der Menschheit ersonnen wurde? Ein Fluch, unter dem sie bis zur heutigen Stunde ächzt und stöhnt, ohne das Wesen der Krankheit gründlich zu kennen und ohne die Einsicht oder den Mut zu besitzen, Abhilfe zu schaffen. Ich muss mich nicht bei Eurer Lordschaft und überhaupt, wie ich annehme, bei keinem Ehrenmann für den Eifer entschuldigen, den ich in dieser Sache an den Tag gelegt habe, denn es ist ein ehrlicher Eifer, und er gilt einer guten Sache. Ich habe die natürliche Religion gegen eine Verschwörung von Atheisten und Kirchenmännern verteidigt.94 Nun plädiere ich gegen die Politiker für die natürliche Gesellschaft – und gegen alle drei Formen der künstlichen Gesellschaft für die natürliche Vernunft. Wenn sich die Welt einmal in einem besseren Zustand befindet als gegenwärtig, um die Wahrheit zu hören, oder wenn ich ihrem Zustand gegenüber einmal eine größere Gleichgültigkeit an den Tag lege, dann mögen meine Gedanken auch eine größere Öffentlichkeit erreichen. Bis dahin sollen sie in meinem eigenen Herzen und in den Herzen jener Männer ruhen, die geeignet sind, in die nüchternen Geheimnisse der Wahrheit und der Vernunft eingeführt zu werden. Meine Gegner haben schon alles getan, was ich mir wünschen könnte. In Religion und Politik machen die jeweiligen Parteien über einander genügend Entdeckungen, die einen besonnenen Mann zu angemessener Vorsicht ihnen allen gegenüber anhalten werden. Die Parteigänger der Monarchie, der Aristokratie und der Volksherrschaft sägen mit vereinten Kräften an den Wurzeln jedweden Staates und haben sich ihrerseits gegenseitig reihum als widersinnig und ungeeignet enttarnt. Vergeblich sagen Sie mir, der künstliche Staat sei gut und ich stritte lediglich gegen dessen Missbrauch. Die Sache! Die Sache selbst ist der Missbrauch! Beachten Sie, Mylord, ich bitte Sie, diesen großen Fehler, auf den jede künstliche gesetzgebende Gewalt gegründet ist. Man hat gesagt, dass die Menschen unbeherrschbare Leidenschaften hätten, die es notwendig machten, sich vor der Gewalt zu schützen, die sie einander wechselseitig antun könnten. Aus diesem Grund bestimmten sie Herrscher, die sie zu regieren hätten. Doch nun zeigt sich eine schlimmere und verwirrendere Schwierigkeit: Wie schützt man sich vor den Herrschenden? Quis custodiet ipsos custodes?95 Vergeblich ersetzen sie einen einzelnen ||

94 Bolingbroke wandte sich in zahlreichen seiner Schriften zugleich gegen „the partial representations of divines and atheists; one of whom defame, and the other deny, the Supreme Being“ (Bolingbroke 1754a: 482). 95 Juvenal, Satiren, 6, 347-348 („Wer aber bewacht die Wächter selbst?“).

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durch mehrere. Diese mehreren Personen haben die Leidenschaften der einen; und sie schließen sich zusammen, um stärker zu werden und die Erfüllung ihrer gesetzlosen Leidenschaften zu Lasten des Allgemeinwohls zu gewährleisten. Vergeblich fliehen wir zu den Vielen. Der Fall ist schlimmer; ihre Leidenschaften stehen weniger unter dem Mandat der Vernunft, sondern werden durch die Ansteckung verschärft und durch ihre Menge gegen alle Anwürfe geschützt.96 Ich habe es absichtlich vermieden, die gemischte Staatsform zu erwähnen, aus Gründen, die Eurer Lordschaft nur zu offensichtlich sein dürften. Doch kann mir meine Vorsicht nur wenig nützen. Sie, Mylord, werden es sich nicht nehmen lassen, die gemischte Staatsform zugunsten der politischen Gesellschaft gegen mich ins Feld zu führen. Sie werden es sich nicht nehmen lassen nachzuweisen, wie die Fehler der verschiedenen einfachen Formen durch eine Mischung aus allen und durch ein angemessenes Gleichgewicht der verschiedenen Gewalten in einem solchen Staat korrigiert werden können. Ich gebe zu, Mylord, dass dies lange Zeit auch einer meiner liebsten Irrtümer gewesen ist, und dass dies von allen Opfern, die ich der Wahrheit gebracht habe, bei weitem das größte war.97 Wenn ich zugebe, diese Idee für einen Irrtum zu halten, so weiß ich wohl, zu wem ich hier spreche, denn ich bin überzeugt davon, dass Gründe wie Spirituosen sind und es einige gibt, die nur starke Köpfe vertragen können. Nur mit wenigen pflege ich einen so freimütigen Austausch wie mit Pope.98 Doch Pope verträgt nicht jede Wahrheit. Seine Ängstlichkeit verwehrt ihm die uneingeschränkte Ausübung seiner Fähigkeiten fast ebenso wirksam, wie blinder religiöser Eifer die Fähigkeiten der gemeinen Menschenherde einschränkt. Wer aber ein rechter Gefolgsmann der Wahrheit ist, der hält seinen Blick fest auf seine Führerin gerichtet, wohin sie ihn auch leite, vorausgesetzt, sie ist es, die ihm den Weg weist. Und, Mylord, bei Licht betrachtet wäre es unendlich viel besser, auch weiterhin von der ganzen Legion gewöhnlicher Fehler beherrscht zu werden, als einige davon zurückzuweisen und gleichzeitig andere beizubehalten, die sämtlich nicht minder widersinnig und unvernünftig sind. Ersteres ist immerhin von einer Folgerichtigkeit, die einem Mann, wie sehr er auch irrt, wenigstens Konsistenz verleiht; letztere Vorgehensweise aber ist ein so

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96 Diese Dekadenzgeschichte der Regierungsformen ist seit Polybios ein Topos in der republikanischen Literatur, auf den die Lehre von der Mischverfassung eine Antwort bieten soll; vgl. hierzu und zum Folgenden die Einleitung, oben, S. 31. 97 Bolingbroke war ein entschiedener Verfechter der englischen Verfassung, deren gewaltenteilige Gliederung er als Schild gegen despotische Macht ansah: „In a Constitution like ours the safety of the whole depends on the Balance of the parts and the Balance of the parts on their mutual independency on one another.“ (Bolingbroke 1730/31: 338 [Letter VII]) Mit dieser Auffassung beeinflusste er das Englandbild französischer Aufklärungsdenker wie Voltaire und Montesquieu. 98 Bolingbroke war über Jahrzehnte hinweg ein enger Freund von Alexander Pope (1688-1744), dessen Denken er stark beeinflusste. Bolingbroke und Pope machten den jeweils anderen in vielen ihrer Schriften zum Gesprächspartner; so adressierte Pope den Essay on Man (1734/35) an Bolingbroke, während dieser u. a. seine erkenntnis- und religionskritischen Reflexionen in Gestalt von Letters or Essays addressed to Alexander Pope verfasste; vgl. Hammond 1984.

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widersprüchliches Hirngespinst und Gewirr aus Philosophie und ordinärem Vorurteil, dass sich nur schwer etwas Lächerlicheres denken lässt. Lassen Sie uns deshalb diese letzte Erfindung der Politik frei von Furcht und Vorurteil in Augenschein nehmen. Und lassen Sie sie uns, auch wenn wir uns dabei ins eigene Fleisch schneiden, rückhaltlos ergründen. Zunächst einmal sind sich also alle Menschen einig, dass diese Kreuzung aus königlicher, aristokratischer und Volksmacht eine überaus komplexe, empfindliche und komplizierte Maschine bilden muss, die, da sie aus so vielfältigen Teilen mit so gegenläufigen Tendenzen und Bewegungen zusammengesetzt ist, bei jedem Zwischenfall völlig aus dem Lot zu geraten droht. Ganz unmetaphorisch gesprochen, muss eine solche Regierung schon aufgrund ihrer Verfassung anfällig sein für häufige Intrigen, Unruhen und Revolutionen.99 Dies sind zweifellos die schlimmsten Folgen, die es für eine Gesellschaft geben kann; denn in einem solchen Fall dient die Nähe, die aus der Gemeinschaft erwachsen ist, nicht etwa der gegenseitigen Verteidigung, sie erhöht lediglich die Gefahr. Ein solches System gleicht einer Stadt, in der viele Gewerbe betrieben werden, die permanent offenes Feuer benötigen, und in der die Häuser aus brennbaren Materialien gebaut sind und denkbar nah beieinanderstehen. Da zweitens die diversen Bestandteile ihre eigenen Rechte haben, von denen viele genau bestimmt werden müssen, während sie ihrem Wesen nach doch so unbestimmt sind, wird dies zu einer neuen und andauernden Quelle von Streit und Verwirrung. Während eigentlich die Regierungsgeschäfte geführt werden sollten, stellt sich die Frage, wer ein Recht hat, diese oder jene Funktion auszuüben, oder welche Männer über die Macht verfügen, ihre Ämter in welcher Funktion auch immer zu behalten. Solange dieser Wettstreit anhält und solange dieser Schwebezustand in irgendeiner Weise fortbesteht, kann es keine Abhilfe geben; jede Art von Missbrauch und Schurkerei seitens der Beamten bleibt unbestraft; unter Missachtung der Justiz werden die Staatseinnahmen in großem Stil geplündert und veruntreut; und der Missbrauch wird auf Dauer und durch Straffreiheit zur Gewohnheit, bis er schließlich verjährt und oftmals so sehr in Fleisch und Blut übergeht, dass er überhaupt kein Heilmittel mehr duldet, das weniger schlimm wäre als die Krankheit selbst. Drittens bewahren die diversen Teile dieser Sorte Staat, auch wenn sie vereinigt sind, den Geist, den jede Form für sich genommen hat. Könige sind ehrgeizig, der Adelsstand ist hochmütig; das gemeine Volk ist ungestüm und unregierbar. Jede Partei, so friedlich sie auch scheinen mag, hegt bestimmte Absichten gegenüber den anderen; und dies ist der Grund, weshalb es bei allen Fragen, ob diese nun außenpolitische oder innenpolitische Angelegenheiten betreffen, im Allgemeinen eher um Parteiinteressen als um die Sache selbst geht, darum nämlich, ob ein gewisser Schritt die Macht der Krone beschneidet oder vergrößert oder wie weit die Rechte des Bürgers ||

99 Zur Kritik der Folgen einer solchen Souveränitätsteilung vgl. etwa Hobbes 1651: 142, 248 f. u. 250 f. (XVIII. 16, XXIX. 12 u. 16).

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durch ihn wohl ausgeweitet oder eingeschränkt werden. Und diese Fragen werden ständig ohne Ansehung des Sachverhalts geklärt, einzig in Abhängigkeit davon, wie sich die Parteien, die diese widerstreitenden Interessen wahrnehmen, zufällig gerade durchsetzen; und wenn sie sich durchsetzen, kippt das Gleichgewicht, mal auf diese Seite, mal auf die andere. Die Regierung ist an einem Tag willkürliche Macht in einer Person, an einem anderen ein manipulatives Bündnis einiger weniger, die den Fürsten betrügen und das Volk versklaven wollen, und am dritten eine rasende und unbeherrschbare Demokratie. Das große Instrument all dieser Veränderungen und zugleich das, was sie auf so bezeichnende Weise vergiftet, ist die Parteilichkeit.100 Es tut nichts zur Sache, welche Grundsätze oder Ambitionen eine Partei hat; der Geist, der alle Parteien antreibt, ist derselbe: der Geist des Ehrgeizes, des Eigeninteresses, der Unterdrückung und des Verrats. Dieser Geist verkehrt alle Prinzipien, die eine gütige Natur in uns aufgestellt hat, jede Ehrlichkeit, jede gleichmäßige Gerechtigkeit und sogar die Bande der natürlichen Gesellschaft, die natürlichen Neigungen, in ihr Gegenteil. Mit einem Wort, Mylord, wir alle haben gesehen und, wenn solche äußerlichen Erwägungen der ernsthaften Anteilnahme eines klugen Mannes würdig wären, einige von uns haben gespürt, dass keine andere Tyrannei einer solchen Unterdrückung durch eine Parteienregierung gleichkommt.101 Wir gewahren täglich, wie über die wichtigsten Rechte, über Rechte, von denen alle anderen abhängen, letzten Endes entschieden wird, ohne dass man auch nur im Mindesten den Anschein von Gerechtigkeit erwecken will; wir gewahren dies ohne Gefühlsregung, weil wir mit dem steten Anblick solcher Praktiken aufgewachsen sind; und es überrascht uns nicht, wenn wir hören, dass ein Mann gerade so ungerührt, wie man um den gewöhnlichsten Gefallen bitten würde, als Schurke und Verräter gedungen werden soll; und wir hören, wie dieses Ansinnen zurückgewiesen wird, nicht weil es sich um einen absolut unrechten und unverschämten Wunsch handelt, sondern weil dieser große Held sein Unrecht schon einem anderen versprochen hat. Diese und viele andere Punkte breite ich beileibe nicht so aus, wie sie es verdienen. Ihnen ist bewusst, dass ich mich nicht einmal mit halber Kraft bemühe, und der Grund kann Ihnen nicht verborgen geblieben sein. Einem Mann wird hinreichende Gedankenfreiheit gewährt, sofern er sein Thema recht zu wählen weiß. Man darf die chinesische Verfassung freimütig kritisieren und mit beliebiger Schärfe die absurden Tricks und die destruktive Bigotterie der Bonzen102 kommentieren. Die Situation ändert sich aber, wenn man nach Hause kommt, ||

100 Zu Bolingbrokes Kritik des „spirit of faction“ (Bolingbroke 1735: 36), dem die Ausrichtung des Staates am Gemeinwohl durch Korruption partikularer Interessen geopfert wird und dem er die Idee eines überparteilichen „Patriot King“ entgegensetzt (ders. 1730/31), vgl. oben, S. 22, u. unten, S. 101. 101 Bolingbroke war seit dem Beginn der Hannoveraner Herrschaft und dem Beginn der Whig-Dominanz 1714 in Ungnade gefallen, wurde politisch ausgeschaltet und verbrachte viele Jahre im französischen Exil; vgl. oben, S. 21 f. 102 Bonzen waren buddhistische Mönche, die im Zeitalter der Aufklärung – etwa in den Lettres chinoises (1739/40) des Marquis d’Argens oder in Jean-Baptiste Du Haldes Déscription de la Chine (1735) – als Vertreter einer bloß religiös verkleideten Herrscherkaste kritisiert wurden.

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und Atheismus und Landesverrat kann in Großbritannien nun das heißen, was man, über China gesagt, Vernunft und Wahrheit nennen würde. Ich füge mich den Umständen und verzichte darauf, dieses Argument weiterzutreiben, obwohl ich einen offenkundigen Vorteil auf meiner Seite habe. Denn sonst, Mylord, ist es ziemlich offensichtlich, welches Bild sich selbst in unserer Nation von den Parteiexzessen zeichnen ließe. Ich könnte zeigen, dass dieselbe Parteiung unter einer Regentschaft Volksverhetzungen unterstützt und unter der nächsten die Tyrannei gefördert hat. Ich könnte zeigen, dass sie alle miteinander stets die öffentliche Sicherheit verraten und oft mit gleicher Perfidie ihre eigene Sache und ihre eigenen Genossen zu Markte getragen haben. Ich könnte zeigen, wie heftig sie um Benennungen gerungen haben und wie stillschweigend sie über Dinge von äußerster Wichtigkeit hinweggegangen sind. Und ich könnte beweisen, dass sie die Gelegenheit, all dieses Unheil anzurichten, ja dass sie sogar ihren eigenen Ursprung und ihr Wachstum dieser komplexen Regierungsform verdanken, die man uns klugerweise für einen wahren Segen zu halten lehrt. Bedenken Sie, Mylord, unsere Geschichte seit der Eroberung.103 Wir hatten kaum je einen Fürsten, der nicht irgendwie durch Betrug oder Gewalt gegen die Verfassung verstoßen hätte. Wir hatten kaum je ein Parlament, das, als es der königlichen Macht Grenzen setzen wollte, gewusst hätte, wie es seine eigene begrenzt. Übel hatten wir, die beständig nach Reformen verlangten, und Reformen, die schlimmer waren als jedes Übel. Unsere hochgelobte Freiheit wurde manchmal niedergetrampelt, manchmal taumelnd wieder aufgerichtet, immer aber blieb sie schwankend und ungewiss; nur die Druckwellen ständiger Fehden, Kriege und Verschwörungen erhielten sie am Leben. In keinem Land Europas errötete das Schafott so oft vom Blut seines Adels. Aus Enteignungen, Verbannungen, parlamentarischen Strafbeschlüssen und Exekutionen besteht ein großer Teil der Geschichte derjenigen unserer Familien, die auf diesem Wege nicht gänzlich ausgelöscht wurden. Die damaligen Verhältnisse scheinen in der Tat grausamer gewesen zu sein als die heutigen. In diesen frühen und ungeschliffenen Zeiten setzte der streitlustige Teil einer gewissen chaotischen Verfassung seine jeweiligen Ansprüche mit dem Schwert durch. Erfahrung und Politik haben seitdem andere Methoden gelehrt. At nunc res agitur tenui pulmone rubetæ.104

Dabei maße ich mir nicht an zu entscheiden, inwieweit Korruption, Bestechlichkeit, die Missachtung der Ehre, die völlige Pflichtvergessenheit gegenüber unserem Land und die verkommenste politische Prostitution den grelleren und gewaltsameren ||

103 Bolingbroke schrieb die Geschichte Englands von der normannischen Eroberung im Jahre 1066 in den Remarks on the History of England, in der Dissertation upon Parties und den Letters on the Study of History als Geschichte des Kampfes um den freiheitlichen Charakter der englischen Verfassung; vgl. Bolingbroke 1730/31 (ab Letter IV), ders. 1735 (v. a. ab Letter XI) u. ders. 1754b (Letters VI-VIII). 104 „Jetzt dagegen geht man zu Werke mit der zarten Lunge einer Kröte“, so Juvenal (Satiren, VI, 659) mit Blick auf Frauen, die ihre Gatten vergiften statt sie wie ehedem mit Äxten zu erschlagen.

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Effekten der politischen Parteiungen vorzuziehen sind. Doch ich bin mir sicher, dass es sich um sehr große Übel handelt. Mehr habe ich zu den Staatsformen nicht zu sagen. Im Laufe meiner Untersuchung haben Sie womöglich einen ganz grundsätzlichen Unterschied zwischen meiner Denkweise und der Art und Weise, wie Helfershelfer der künstlichen Gesellschaft zu denken pflegen, bemerkt. Sie schmieden ihre Pläne je nachdem, was ihrer Vorstellung nach für die Ordnung der Menschheit am wünschenswertesten ist. Die Fehler jener Pläne ersehe ich aus den realen Folgen, die sie gezeitigt haben.105 Diese Freunde der künstlichen Gesellschaft haben die Vernunft genötigt, gegen sich selbst zu kämpfen und ihre ganze Kraft auf den Beweis zu verwenden, dass sie ein ungenügender Kompass für die Lebensführung ist. In dem Maße aber, in dem wir von dem einfachen Kompass unserer Natur abwichen und unsere Vernunft gegen sich selbst richteten, haben wir zu unserem eigenen Leidwesen die Torheiten und Nöte der Menschheit vergrößert. Je tiefer wir ins Labyrinth der Kunst vordringen, desto weiter sehen wir uns von den Zielen entfernt, mit denen wir es betreten haben. Dies ist in nahezu jeder Form von künstlicher Gesellschaft und zu allen Zeiten so gewesen. Wir fanden – oder bildeten uns ein –, es sei ungünstig, wenn jedermann selbst über seine Angelegenheiten urteilt.106 Deshalb wurden Richter berufen, denen man zunächst noch einen Ermessensspielraum zubilligte. Doch bald empfanden wir es als elende Sklaverei, dass unser Leben und unser Eigentum unsicher waren und von der willkürlichen Entscheidung irgendeines Mannes oder eine Gruppe von Männern abhingen. Um diesem Übel abzuhelfen, verfielen wir auf Gesetze. Durch sie, so redeten wir uns ein, würden wir mit einiger Sicherheit wissen können, ob wir festen Boden unter den Füßen hätten. Doch siehe da, es taten sich Meinungsverschiedenheiten über den Sinn und die Auslegung besagter Gesetze auf. Somit waren wir wieder auf unsere alte Unsicherheit zurückgeworfen. Neue Gesetze wurden gemacht, um die alten zu erläutern; und mit der Vermehrung der Wörter vermehrten sich auch die Gelegenheiten, an ihnen herumzukritteln. Also nahm man Zuflucht zu Fußnoten, Kommentaren, Randbemerkungen, responsa prudentum, fachkundigen Lesarten;107 Adler stand gegen Adler: 108 Die

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105 In diesem Sinne erklärte Machiavelli, da es seine Absicht sei, „etwas Nützliches für den zu schreiben, der es versteht, schien es mir angemessener, der Wirklichkeit der Dinge nachzugehen als den bloßen Vorstellungen über sie“ (Machiavelli 1986: 119 [Kap. XV]). 106 Die Idee, dass der Naturzustand zu verlassen sei, weil Menschen solange in Konflikte miteinander geraten, solange sie Richter in eigener Sache sind, ist seit Hobbes (vgl. z. B. Hobbes 1651, Kap. XV. 31) oder Locke (Locke 1690, §§ 13 u. 90) ein zentrales Argument der Rechtfertigung staatlicher Herrschaft in der Aufklärung. 107 Die „responsa prudentum, or opinions of learned lawyers“ (Blackstone 1765, I: 80) waren seit der Frühzeit Roms zunächst vornehmlich mündliche Bescheide und Gutachten zu Rechtsfragen von Priestern, dann von Rechtsgelehrten, die verbindlich waren; vgl. Bretone 1998: 138 ff. 108 Der Adler war in der antiken Welt als Symbol für Könige und Götter, so etwa bei Zeus und Jupiter, Zeichen für die höchste Autorität. Die Legionen des römischen Heeres trugen Adler, Symbole des Römischen Reiches, als Feldzeichen auf ihren Standarten voran.

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eine Autorität wurde gegen die andere ins Feld geführt. Manche sahen sich durch die Modernen verlockt, andere verehrten die Alten. Die Neuen waren aufgeklärter, die Alten ehrwürdiger. Manche hielten sich an den Kommentar, andere blieben beim Text. Die Verwirrung nahm zu, der Nebel wurde dichter, bis man schließlich gar nicht mehr wusste, was erlaubt und was verboten war, was sich in Privatbesitz befand und was der Allgemeinheit gehörte. Inmitten dieser Ungewissheit – ungewiss selbst für die Bekennenden, für den Rest der Menschheit wie eine Ägyptische Finsternis109 – sahen sich die widerstreitenden Parteien durch die Verzögerungen wirksamer ruiniert, als die Ungerechtigkeit irgendeiner Entscheidung dies je vermocht hätte. Unser Erbe ist Beute des Disputs geworden, Dispute und Gerichtsverfahren zu unserem Erbe. Die Anhänger des künstlichen Rechts sind mit den Anhängern der künstlichen Theologie stets Hand in Hand marschiert. Da sie genau dasselbe Ziel verfolgen, nämlich die Vernunft des Menschen zu verwirren und seine natürliche Freiheit zu beschneiden, haben sie auch ihre Mittel in genau derselben Weise auf diesen Zweck ausgerichtet. Gegen die Verletzung einer seiner kirchlichen Institutionen oder die Nichtbeachtung einiger seiner trivialen Ideen donnert der Gottesmann seine Bannflüche mit mehr Lärm und Terror heraus als gegen die Nichtbeachtung oder Verletzung jener Pflichten und Gebote der natürlichen Religion, die er mit Hilfe dieser Ideen und Institutionen durchzusetzen vorgibt. Auch der Jurist hat seine Formen und seine konkreten Institutionen, an denen er mit derselben religiösen Ehrfurcht festhält. Die ungünstigste Rechtssache kann einer Prozesspartei nicht so abträglich sein wie die Unkenntnis oder Nichtbeachtung dieser Formen durch ihren Anwalt oder Staatsanwalt. Ein Gerichtsverfahren ist wie ein schlecht geführter Disput, bei dem der ursprüngliche Gegenstand schnell aus dem Blick gerät und die beteiligten Parteien bei einem Thema landen, das nichts mehr mit dem zu tun hat, wovon sie einmal ausgegangen sind. In einem Gerichtsverfahren geht es um die Frage, wer ein Recht auf ein Haus oder eine Farm besitzt. Und diese Frage wird täglich entschieden, nicht aufgrund von Beweisen für das Recht, sondern aufgrund der Beachtung oder Nichtbeachtung bestimmter Formen von Wörtern, die unter den Herren in Richterrobe gebräuchlich sind und über die sie sich selbst in einem solchen Maße uneinig sind, dass selbst die erfahrensten Veteranen der Zunft niemals mit absoluter Sicherheit davon ausgehen können, nicht falsch zu liegen. So wollen wir denn diese gelehrten Weisen, diese Priester des heiligen Tempels der Justiz zur Rede stellen. Urteilen wir selbst über unser Eigentum? Auf keinen Fall. Mithin setzt ihr, die ihr in die Mysterien der Göttin mit den verbundenen Augen eingeweiht seid, mich in Kenntnis, ob ich ein Recht darauf habe, das Brot zu essen, das ich unter Lebensgefahr oder im Schweiße meines Angesichts verdient habe?110 Der ||

109 Vgl. 2. Buch Mose 10. 22: „Da ward eine so dicke Finsternis in ganz Ägyptenland drei Tage lang“. 110 Jonathan Swift, der zu dem in Opposition zur Whig-Herrschaft stehenden Zirkel um Bolingbroke und Pope zählte, hatte in Gullivers Reisen, bei der es sich um eine Satire auf die politischen und sozialen Verhältnisse seiner Zeit handelte, deren Hauptperson Züge Bolingbrokes erkennen

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gestrenge Doktor antwortet mit Ja; der ehrwürdige Stadtsyndikus mit Nein, und der gelehrte Anwalt argumentiert für die eine wie für die andere Seite und kommt zu keinem Schluss. Was soll ich tun? Ein Widersacher taucht auf und bedrängt mich hart. Ich nehme die Herausforderung an und beauftrage diese drei Personen, meinen Fall zu verteidigen. Mein Fall, den zwei Bauerntrampel in einer halben Stunde entschieden hätten, beschäftigt das Gericht zwanzig Jahre. Doch meine Mühen haben ein Ende und all meine Arbeit und Qual wird mit einem Urteil zu meinen Gunsten belohnt. Aber halt – ein scharfsinniger Feldherr der gegnerischen Armee hat einen Fehler im Verfahren entdeckt. Mein Triumph gerät zum Trauerfall. Ich habe oder gesagt statt und oder sonst einen Fehler begangen, der unscheinbar aussieht, aber schreckliche Folgen zeitigt, und mein ganzer Erfolg wird durch einen Gerichtsbefehl aufgehoben. Ich verlege mein Verfahren, ich ziehe von Gericht zu Gericht, vom Billigkeitsrecht zum Recht und vom Recht zum Billigkeitsrecht; überall begleitet mich die nämliche Ungewissheit; und ein Fehler, mit dem ich nichts zu tun hatte, entscheidet mit einem Streich über meine Freiheit und mein Eigentum, indem er mich vom Gericht ins Gefängnis bringt und meine Familie an den Bettelstab und ans Hungertuch. Ich trage keine Schuld an der Dunkelheit und Ungewissheit Ihrer Wissenschaft, Gentlemen. Ich habe sie nie mit widersprüchlichen und widersinnigen Begriffen verunklart oder durch rechtliche Kniffe und Sophisterei verdreht. Sie haben mich von jeder Beteiligung an meinem eigenen Fall ausgeschlossen; die Wissenschaft war mir zu hoch; ich gebe dies wohl zu, aber sie war auch Ihnen selbst zu hoch: Sie haben den Weg so umschweifig gestaltet, dass Sie sich selbst darauf verirrten; Sie irren, und Sie bestrafen mich für Ihre Irrtümer. Die Verzögerung der Justiz ist, so werden Eure Lordschaft einwenden, ein abgedroschenes Thema, und welche ihrer Missstände wären nicht zu schmerzlich empfunden worden, um nicht Anlass zu Klagen zu bieten? Das Eigentum eines Menschen soll seiner Versorgung dienen; eine diesbezügliche Entscheidung hinauszuzögern, stellt deshalb die schlimmste Ungerechtigkeit dar, wird dadurch doch gerade der Sinn und Zweck, für den ich die Rechtsprechung um Hilfe anrief, untergraben. Genau umgekehrt liegt der Fall, bei dem es um das Leben eines Menschen geht; hier kann der Entscheid kaum lange genug aufgeschoben werden. Fehler werden in diesen Fällen so oft begangen wie in vielen anderen; und ist das Urteil übereilt, dann sind diese Fehler von allen am wenigsten wieder rückgängig zu machen. Dies ist den Herren in den Roben selbst bewusst, und sie haben es in eine Maxime gegossen. De morte hominis nulla est cunctatio longa.111 Was sie aber dazu veranlasst haben könnte, die Regeln umzukehren und jener Vernunft zu widersprechen, die sie diktierte, vermag ich nicht im Mindesten zu erahnen. Eine Eigentumsfrage, die aus den soeben genannten ||

ließ, die Absurditäten im englischen Rechtswesen zum Gegenstand heftiger Kritik gemacht; vgl. Swift 1725: 319 ff. [IV.5]. 111 „Wenn es um den Tod eines Menschen geht, kann man nicht lange genug zögern.“ (Juvenal, Satiren, VI, 221).

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Gründen so schnell wie möglich entschieden werden sollte, fesselt oft den Scharfsinn ganzer Generationen von Anwälten. Multa virûm volvens durando sæcula vincit.112 Aber die Frage nach dem Leben eines Menschen, diese große Frage, in der kein Aufschub als ermüdend empfunden werden sollte, wird für gewöhnlich binnen höchstens vierundzwanzig Stunden entschieden. Man muss sich nicht darüber wundern, dass Ungerechtigkeit und Widersinn unzertrennliche Weggefährten sind. Man frage die Politiker, zu welchem Zweck die Gesetze ursprünglich konzipiert wurden, und sie werden antworten, man habe die Gesetze zum Schutz der Armen und Schwachen konzipiert, gegen die Unterdrückung durch die Reichen und Mächtigen.113 Aber zweifellos kann kein zweiter Vorwand so lächerlich sein; genauso gut könnte mir jemand erzählen, er hätte mir eine Last abgenommen, obgleich er sie nur durch eine andere ersetzte. Wenn der Arme seinen Prozess in jener schikanösen und teuren Form, die sich in zivilisierten Ländern durchgesetzt hat, nicht finanzieren kann, hat dann der Reiche ihm gegenüber nicht einen genauso großen Vorteil wie der Starke gegenüber dem Schwachen im Naturzustand? Doch werden wir nicht den Naturzustand, der die Herrschaft Gottes ist, gegen die politische Gesellschaft, die die absurde Usurpation des Menschen ist, ins Rennen schicken. Es stimmt, dass mich im Naturzustand jemand mit überlegenen Kräften schlagen oder ausrauben kann; aber es stimmt eben auch, dass ich völlig frei bin, mich zu verteidigen oder aber überraschend oder listig Vergeltung zu üben, falls ich nicht eine andere Weise finde, auf die ich ihm überlegen bin. In einer politischen Gesellschaft jedoch kann mich ein reicher Mann auf andere Weise ausrauben. Ich kann mich nicht wehren; denn Geld ist die einzige Waffe, mit der wir kämpfen dürfen.114 Und wenn ich versuche, mich zu rächen, steht alle Macht dieser Gesellschaft bereit, um meinen Untergang zu besiegeln. Ein guter Pfarrer sagte einmal: Wo das Mysterium beginnt, endet die Religion.115 Kann ich nicht mindestens genauso zutreffend sagen: Wo das Mysterium beginnt, endet das Recht? Es ist schwer zu sagen, ob die Doctores der Rechte oder der Theologie ||

112 Vergil, Georgica. Vom Landbau, II, 295: „[U]nbewegt bleibt sie [d. h. die Steineiche] stehn, lässt viele Enkel und viele Menschenalter an sich vorbeirollen und überlebt sie.“ (Vergil 2016: 167). 113 Vgl. etwa David Hume, dem zufolge „Menschen in keiner, zumindest keiner bürgerlichen Gesellschaft ohne Gesetze, Magistrate und Richter leben könnten, die die Unterdrückung der Schwachen durch die Starken und der Gerechten und Gesetzestreuen durch die Gewalttätigen verhinderten“ (Hume 1748b: 317). Demgegenüber scheint Jean-Jacques Rousseau zufolge „die menschliche Gesellschaft […] zunächst nur die Gewalttätigkeit der mächtigen Menschen und die Unterdrückung der schwachen zu zeigen“, und es scheine „der Ursprung der Gesellschaft und der Menschen gewesen [zu] sein, […] dem Schwachen neue Fesseln und dem Reichen neue Kräfte“ zu geben und „das Gesetz des Eigentums und der Ungleichheit für immer“ zu fixieren (Rousseau 1755: 59 u. 219). 114 Bolingbroke kritisierte die von der Geldmacht dominierte politische Ordnung: „that the power of money, as the world is now constituted, Is real power, and that all power, without this, is imaginary“ (Bolingbroke 1735: 183). 115 Bolingbroke zitierte in den Letters to Pope James Foster, einen dem Deismus zuneigenden Dissenter, mit dem ihn Pope offenbar bekanntgemacht hatte: „Where the mystery begins, religion ends“ (Bolingbroke 1754c, III: 344; vgl. Foster 1735: 114). Diese Sentenz wurde schon 1735 in einer Epistle von

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die größeren Fortschritte in dem lukrativen Geschäft des Mysteriums gemacht haben. Die Juristen haben wie die Theologen eine weitere Vernunft neben der natürlichen Vernunft und damit eine weitere Gerechtigkeit neben der natürlichen Gerechtigkeit eingeführt. Sie haben die Welt und sich selbst so sehr mit nichtssagenden Formen und Zeremoniellen verwirrt und die klarsten Angelegenheiten so sehr durch metaphysischen Jargon verkompliziert, dass es für einen Mann außerhalb dieses Berufsstands über die Maßen gefährlich ist, ohne ihre Beratung und Unterstützung auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Indem sie das Wissen um die Grundlage des Lebens und des Eigentums aller Menschen für sich behielten, verurteilten sie die gesamte Menschheit zur erbärmlichsten und unterwürfigsten Abhängigkeit. Wir sind dem Willen dieser Herrschaften in jeder Hinsicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und eine metaphysische Haarspalterei soll darüber entscheiden, ob der größte Schurke auf Erden bekommt, was er verdient, oder ob er sich straffrei aus dem Staube macht, oder ob nicht der beste Mann der Gesellschaft in die unwürdigste und kläglichste Lage gebracht wird, die sie zu bieten hat. Mit einem Wort, Mylord, die Ungerechtigkeit, die Verzögerung, die Albernheit, die falsche Raffinesse und das gekünstelte Geheimnis des Rechts sind dazu angetan, dass viele, die unter seiner Herrschaft leben, die Schnelligkeit, Einfachheit und Gleichheit willkürlicher Urteile zu bewundern und zu beneiden lernen. Ich brauche Eurer Lordschaft gegenüber umso weniger auf diesem Punkt zu beharren, als Sie die Übel, die uns aus dem künstlichen Recht erwachsen, ein ums andere Mal beklagt haben. Ihr Freimut ist diesbezüglich umso mehr zu bewundern und zu loben, als das noble Haus Eurer Lordschaft seinen Wohlstand und seine Ehren schließlich jenem Berufsstand zu verdanken hat. Bevor wir unsere Untersuchung der künstlichen Gesellschaft abschließen, möchte ich die Verhältnisse, die sie hervorbringt, und die Vorteile, die aus diesen Verhältnissen erwachsen, wenn es denn überhaupt Vorteile sind, zusammen mit Eurer Lordschaft näher betrachten. Die offensichtlichste Aufteilung der Gesellschaft ist die in Reiche und Arme; und es ist nicht weniger offensichtlich, dass die Zahl der ersteren in einem großen Missverhältnis zur Zahl der letzteren steht. Für die Armen dreht sich alles darum, den Müßiggang, die Verrücktheit und den Luxus der Reichen zu ermöglichen, und für die Reichen im Gegenzug alles darum, die besten Methoden herauszufinden, um die Sklaverei der Armen zu zementieren und ihre Lasten zu vermehren. Im Naturzustand gilt ausnahmslos das Gesetz, dass das, was sich ein Mann aneignet, im Verhältnis zu seiner Arbeit steht.116 Im Zustand einer künstlichen Gesellschaft gilt ||

Richard Savage, einem Freund Samuel Johnsons und Alexander Popes, aufgegriffen: „Foster well this honest truth extends, / Where mystery begins, religion ends. / In him (great modern miracle) we see / A priest, from av’rice, and ambition free.“ (Gentlemen’s Magazine, Bd. V, April 1735: 213); in derselben Ausgabe des Gentlemen’s Magazine erschien Bolingbrokes an Robert Walpole gerichtete Dedication of the Dissertation on Parties (ebd.: 173 ff.). 116 Vgl. 1. Korinther 3, 8 „Ein jeder aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit“; oder Locke 1690: 216 (II, § 27): „Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind […] im eigentlichen Sinne sein Eigentum.“

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ebenso dauerhaft und ausnahmslos das Gesetz, dass sich jene, die am meisten arbeiten, der wenigsten Dinge erfreuen, und dass jene, die überhaupt nicht arbeiten, die meisten Freuden haben. Eine Anordnung der Dinge ist das, unsagbar absonderlich und lächerlich! Auch wenn wir etwas tatsächlich Tag für Tag vor Augen haben, ohne uns im Mindesten darüber zu wundern, glauben wir es doch kaum, wenn man uns davon berichtet. Ich vermute, dass in Großbritannien mehr als hunderttausend Menschen in Blei-, Zinn-, Eisen-, Kupfer- und Kohlegruben beschäftigt sind; diese unglücklichen Gestalten sehen kaum einmal das Tageslicht; sie sind in den Eingeweiden der Erde begraben; dort verrichten sie ein schweres und trostloses Werk, ohne die geringste Aussicht, jemals davon erlöst zu werden; sie leben von der kargsten und schlechtesten Kost; ihre Gesundheit wird auf üble Weise geschädigt und ihr Leben verkürzt, weil sie ununterbrochen in die dichten Schwaden dieser schädlichen Mineralien gehüllt sind. Mindestens ein weiteres Hunderttausend wird unablässig von dem erstickenden Qualm, den starken Feuern und der dauernden Fronarbeit gequält, die für die Verarbeitung und Bewirtschaftung der Produkte aus jenen Minen erforderlich sind. Wenn uns irgendjemand wissen ließe, dass zweihunderttausend Unschuldige zu so unerträglicher Sklaverei verurteilt sind, wie würden wir die unglückselig Leidenden bedauern, wie groß wäre unsere berechtigte Empörung über jene, die eine so grausame und entwürdigende Strafe verhängten! Dies ist ein Beispiel – wie ich es mir überzeugender nicht wünschen könnte – für die zahllosen Dinge, an deren gewohnter Fassade wir achtlos vorübergehen, die uns aber schockieren, wenn wir sie unverhüllt gezeigt bekommen. Doch diese so beträchtliche Zahl und die Sklaverei, die wir zu Hause haben, in all ihrer Niedertracht und Abscheulichkeit, sind nichts im Vergleich zu dem, was die restliche Welt an Entsprechendem zu bieten hat. Millionen, die täglich in die giftigen Dämpfe und tödlichen Ausdünstungen von Blei, Silber, Kupfer und Arsen getaucht werden.117 Ganz zu schweigen von jenen anderen Anstellungen, jenen mit Elend und Verachtung gesegneten Dienstverhältnissen, in die die bürgerliche Gesellschaft die zahllosen enfants perdu ihrer Armee gesteckt hat.118 Würde sich irgendein vernünftiger Mensch einer solchen Fronarbeit aussetzen, und sei es auch in ihrer erträglichsten Form, nur weil die Politik allerlei künstliche Genüsse aus ihr hervorgehen lässt? Auf keinen Fall. Und muss ich Eure Lordschaft trotzdem noch darauf hinweisen, dass diejenigen, die Mittel und Wege finden, und diejenigen, die ans Ziel gelangen, ||

117 Auch Rousseau beklagt die „Fülle von ungesunden Berufen, die das Leben verkürzen oder die Gesundheit zerstören – wie die Arbeiten in den Minen, die verschiedenen Aufbereitungen der Metalle und Mineralien, vor allem des Bleis, des Kupfers, des Quecksilbers, des Kobalts, des Arseniks, des Realgars“ (Rousseau 1755: 313). Aber auch Montesquieu schrieb schon 1723 in den Persischen Briefen mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der Sklaven in Amerika: „Die Arbeit in den Bergwerken, zu denen man sie und die Einheimischen verpflichtet, die ungesunden Dünste, die dem Inneren der Erde entströmen, das Quecksilber, das sie ständig brauchen, dezimieren sie unaufhaltsam“ (Montesquieu 1723: 207 [118. Brief]). 118 Als „enfants perdus“ bezeichnete man Truppen, die in Schlachten an die gefährlichsten Positionen geschickt wurden und deren Überlebenschancen deshalb besonders gering waren.

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mitnichten dieselben Personen sind? Angesichts dieser seltsamen und unerklärlichen Launen und Erfindungen der künstlichen Vernunft habe ich diese Erde an irgendeiner Stelle als das Bedlam unseres Systems bezeichnet.119 Und wenn wir uns nun die Auswirkungen einiger dieser Launen vor Augen halten, können wir sie dann nicht ebenso gut das Newgate und das Bridewell des Universums nennen?120 Und tatsächlich war die Blindheit des einen Teils der Menschheit im Zusammenspiel mit dem Wahn und der Niedertracht des anderen die wahre Bauherrin dieses ehrenwerten Gebäudes der politischen Gesellschaft. Und wie die Blindheit des Menschen Ursache für seine Versklavung war, so wird sein Sklavenstand umgekehrt zum Vorwand genommen, um ihn auch weiterhin im Zustand der Blindheit zu halten; denn der Politiker wird Ihnen mit ernster Miene sagen, dass das Leben in Knechtschaft den größeren Teil des Menschengeschlechts für die Wahrheitssuche untauglich macht und ihm nichts als armselige und mangelhafte Vorstellungen eingibt. Dies ist nur zu wahr und einer der Gründe, warum ich solche Institutionen anklage. In einem derartigen Elend, das nur einigen Wenigen Milde gewährt, und auch davon nur wenig, plagen sich neun von zehn Teilen des ganzen Menschengeschlechts durchs Leben. Zur Beschönigung dieses Zustands ließe sich vielleicht ins Feld führen, dass zumindest die reichen Wenigen einen beträchtlichen und echten Nutzen aus dem Elend der Vielen ziehen. Aber ist dem wirklich so? Diesen Punkt sollten wir etwas genauer untersuchen. Zu diesem Zweck können wir die Reichen aller Gesellschaften in zwei Klassen unterteilen. Die erste ist die Klasse jener, die sowohl reich als auch mächtig sind und die Abläufe der gewaltigen politischen Maschinerie dirigieren. Die andere ist die Klasse jener, die ihre Reichtümer einzig zum Zwecke des Lustgewinns verwenden. Bezüglich der ersteren Art sind ihre beständige Sorge und Unruhe, ihre mühseligen Tage und schlaflosen Nächte fast schon sprichwörtlich. Diese Umstände sind beinahe dazu angetan, ihre Lage jener der unglücklichen Mehrheit anzugleichen; doch gibt es noch andere Umstände, die ihre Lage weit schlechter machen. Nicht nur arbeitet ihr Verstand ununterbrochen, was die härteste Arbeit ist, zudem werden ihre Herzen von den schlimmsten, beschwerlichsten und unersättlichsten Leidenschaften überhaupt zerrissen: von Habgier, Ehrgeiz, Angst und Neid. Kein Teil des Geistes kommt je zur Ruhe. Die Macht beraubt den Geist nach und nach jeder menschlichen und sanftmütigen Tugend. Mitleid, Nächstenliebe, Freundschaft sind in hohen Stellungen praktisch unbekannt. Veræ amicitiæ rarissime inveniuntur in iis qui in honoribus reque publica versantur, sagt Cicero.121 Und die Höfe sind wahr-

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119 „Our world seems to be, in many respects, the Bedlam of every other system of intelligent creatures.“ (Bolingbroke 1754c, IV: 353). – Zu Bedlam vgl. oben, S. 78 mit Anm. 86. 120 Newgate war das für seine unwürdigen Zustände bekannte Gefängnis, Bridewell ein Gefängnis und eine ‚Besserungsanstalt‘; beide befanden sich in London. 121 Vgl. Cicero, Laelius de amicitia, XVII, 64: „So erklärt es sich, dass man wahre Freundschaft nur schwer bei Männern antrifft, die hohe Ämter innehaben oder überhaupt im öffentlichen Leben stehen.“ (Cicero 2015: 75).

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lich die Schulen, an denen Grausamkeit, Stolz, Heuchelei und Verrat in der teuflischsten Perfektion gelernt und gelehrt werden. Dieser Punkt ist so eindeutig und allgemein bekannt, dass ich ihn komplett übergangen hätte, wenn er nicht zwangsläufig zu meinem Thema gehörte. Und ebendies hat mich davon abgehalten, dieses schockierende Bild von der Verkommenheit und Nichtswürdigkeit der menschlichen Natur, welches uns jener Teil bietet, der gewöhnlich als ihr glücklichster und liebenswürdigster gilt, in seinen grellsten Farben und in allen Einzelheiten auszumalen. Sie wissen, von welchen Originalen ich solche Bilder abzeichnen könnte. Glücklich sind die, die genug über sie wissen, um den geringen Wert der Besitzer solcher Dinge und all ihrer Besitztümer zu kennen; und glücklich auch die, die von den Überresten ihrer Tugend aus dieser gefährlichen Position, die sie innehatten, fortgerissen wurden; der Verlust von Ehren, Vermögen, Titeln, ja selbst der Verlust des eigenen Landes ist nichts im Vergleich zu einem solchen Vorteil. Betrachten wir aber nun die andere Art von Reichen, jene, die ihre Zeit und ihr Vermögen dem Müßiggang und dem Vergnügen widmen. Um wie viel glücklicher sind sie? Die der Natur gefälligen Freuden sind jedermann zugänglich und können daher keinen Unterschied zugunsten der Reichen machen. Die künstlich aufgedrängten Freuden sind selten echt und niemals befriedigend. Schlimmer noch, diese permanente Suche nach Vergnügen rückt den Genuss in weite Ferne oder macht ihn vielmehr zu einer beschwerlichen und mühseligen Angelegenheit. Doch hat sie noch verhängnisvollere Konsequenzen. Sie hinterlässt einen schwachen, kränkelnden Körper, von allerlei grauenvollen Leiden und natürlich noch grauenvolleren Heilmethoden heimgesucht, die einerseits dem Luxus, andererseits den schwächlichen und lachhaften Bemühungen der menschlichen Kunst geschuldet sind. Die Vergnügungen werden von solchen Menschen kaum als Vergnügungen empfunden, während sie zugleich Schmerzen und Krankheiten verursachen, die dafür umso schlimmer empfunden werden. Auch der Geist wird in Mitleidenschaft gezogen; er wird faul und kraftlos, unwillig und unfähig zur Wahrheitssuche sowie gänzlich außerstande, wahres Glück kennenzulernen oder gar zu genießen. Die Armen werden durch ihre übermäßige Arbeit, die Reichen durch ihren unerhörten Luxus auf ein und dieselbe Ebene gebracht und beide gleichermaßen im Unwissen darüber gehalten, was ihr Glück befördern könnte. Eine trostlose Innenansicht jeder bürgerlichen Gesellschaft! Der untere Teil durch die grausamste Unterdrückung gebrochen und zerrieben, die Reichen hingegen durch ihre künstliche Lebensweise, die ihnen schlimmere Übel beschert, als ihre Tyrannei den unter sie Gestellten je zufügen könnte. Ganz anders sieht es im Naturzustand aus. Hier haben wir keine durch die Natur gegebenen Bedürfnisse – und andere können Menschen in diesem Zustand nicht empfinden –, die sich nicht durch ein bescheidenes Maß an Arbeit befriedigen lassen; folglich gibt es keine Sklaverei. Genauso wenig gibt es irgendeine Art von Luxus, weil nämlich kein Mensch über die dafür notwendigen Güter verfügt. Das Leben ist einfach, und deshalb ist es glücklich.

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Mir ist bewusst, Mylord, dass Ihr Politiker zu seiner Verteidigung anführen wird, dieser ungleiche Zustand sei ausgesprochen nützlich; die Künste, die das Leben veredeln, könnten nicht ausgeübt werden, wenn nicht ein Teil der Menschheit zu besonderer Schufterei verurteilt wäre. Diesen Politiker aber frage ich, warum solche Künste notwendig wurden. Er antwortet, die bürgerliche Gesellschaft könne ohne sie nicht gut funktionieren. Diese Künste sind also notwendig für die bürgerliche Gesellschaft, und die bürgerliche Gesellschaft wiederum ist notwendig für diese Künste. Somit bewegen wir uns – ohne Bescheidenheit und Ziel – im Kreis und nehmen den einen Fehler und Luxus als Ausrede für den jeweils anderen. Meine Ansichten über diese Künste und ihren Grund habe ich oft ausführlich mit meinen Freunden erörtert. Pope hat sie in guten Versen ausgedrückt, in denen er mit so viel Kraft des Denkens und sprachlicher Eleganz den Naturzustand preist: Da war kein Stolz noch Kunst, von ihm gestützt da noch der Mensch beim Tier im Schatten sitzt.122

Alles in allem, Mylord, wenn die politische Gesellschaft, in welcher Form auch immer, doch die Vielen zum Eigentum der Wenigen gemacht hat; wenn sie unnötige Plackerei, unbekannte Laster und Krankheiten sowie mit der Natur unvereinbare Vergnügungen mit sich gebracht hat; wenn sie in allen Ländern das Leben von Millionen verkürzt und das von weiteren Millionen vollkommen erbärmlich und elend macht – sollen wir einen so zerstörerischen Götzen dann trotzdem verehren und ihm Tag für Tag unsere Gesundheit, unsere Freiheit und unseren Frieden opfern? Oder sollen wir diesen monströsen Haufen widersinniger Vorstellungen und abscheulicher Praktiken nicht auf sich beruhen lassen in dem Bewusstsein, dass wir unserer Pflicht, die nichtigen Betrügereien und lächerlichen Manipulationen einiger verrückter, hinterhältiger oder ehrgeiziger Priester aufzudecken, Genüge getan haben? Ach, Mylord, während wir uns eifrig um die Heilung eines wunden Fingers bemühen, sind wir dabei, den Kampf gegen eine tödliche Krankheit zu verlieren. Denn hat dieser Leviathan der bürgerlichen Macht die Erde nicht mit einer Welle von Blut geflutet, so als wäre er geschaffen, darin zu tollen und zu spielen?123 Wir haben gezeigt, dass es nach zurückhaltender Berechnung der politischen Gesellschaft im Laufe ihrer kurzen Existenz, die nach allen zuverlässigen Darstellungen nicht länger als viertausend Jahre währt, gelungen ist, ein Vielfaches an Menschen umzubringen, als jetzt auf Erden leben. Wir haben aber nichts über die andere und vielleicht genauso schlimme Folge jener Kriege gesagt, die solche Meere an Blut vergossen und Abermillionen von Menschen ||

122 Pope 1734/35: 65 (Essay on Man, III, 151 f.). 123 Burke verbindet Hobbes’ Bild des Leviathan als Inbegriff einer künstlich geschaffenen politischen Gesellschaft mit mehreren Bildern der Bibel: mit dem Leviathan als einem Meeresungeheuer (Ps. 74, 13 f. u. Hiob 40, 25 ff.), mit den „großen Fischen“, die im Meer spielen (Ps. 104, 26), und mit dem Wasser, das Mose „aus dem Strom genommen“ hat und das zu „Blut werden [wird] auf dem trockenen Land“ (2. Mose 4,9).

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zu einer gnadenlosen Sklaverei verurteilt haben. Doch sind dies nur die Zeremonien vor den Toren des politischen Tempels. Noch viel schrecklicherer wird man ansichtig, wenn man ihn erst betritt. Die verschiedenen Staatsformen wetteifern miteinander um den Widersinn ihrer Verfassungen und um die Unterdrückung, die sie ihre Untertanen erdulden lassen. Ganz gleich, in welcher Gestalt sie auch daherkommen, sind sie in Wirklichkeit nichts anderes als eine Despotie, und in der Tat geben sie sich nach sehr kurzer Zeit als ebenjene grausame und abscheuliche Art von Tyrannei zu erkennen, die sie sind. Als solche möchte ich sie lieber bezeichnen, denn wir wurden in einer anderen Form als dieser erzogen, die noch schlimmere Folgen für die Menschheit zeitigt. Denn die freien Staaten haben, in Anbetracht ihrer minimalen Ausdehnung und ihrer kurzen Dauer, mehr Wirren erlebt und mehr schamlose Akte der Tyrannei verübt als die despotischsten Staaten, von denen man je gehört hätte. Richten Sie Ihren Blick auf das Labyrinth des Rechts und auf das in seinen unüberschaubaren Schlupfwinkeln ausgebrütete Unrecht. Führen Sie sich die Verheerungen vor Augen, die Ehrgeiz, Habgier, Neid, Betrug, unverbrämte Ungerechtigkeit und vorgetäuschte Freundschaft in den Eingeweiden aller Gemeinwesen anrichten – Laster, die in einem Naturzustand wenig Nahrung fänden, auf dem Ferment der politischen Gesellschaft aber wachsen und gedeihen. Rufen Sie sich unseren ganzen Diskurs in Erinnerung, ergänzen Sie ihn um all jene Überlegungen, die Ihr eigenes Urteilsvermögen Ihnen eingeben mag, und versuchen Sie, beherzt über den Tellerrand der gewöhnlichen Philosophie hinauszublicken und zuzugestehen, dass die Sache der künstlichen Gesellschaft noch unhaltbarer ist als die der künstlichen Religion und dass sie der Ehre des Schöpfers ebenso abträglich ist wie der menschlichen Vernunft schädlich und dem Menschengeschlecht so unendlich unheilbringend. Wenn vermeintliche Offenbarungen Kriege verursachten, wo sie auf Widerstand, und Sklaverei, wo sie auf offene Ohren trafen, dann haben die vermeintlich klugen Erfindungen der Politiker ein Nämliches getan. Nur ist die Sklaverei ungleich härter, sind die Kriege weit blutiger und beides um ein Vielfaches allgemeiner gewesen. Zeigen Sie mir ein beliebiges Unheil, das sich der Tollheit oder Boshaftigkeit der Theologen verdankt, und ich zeige Ihnen hundert, die dem Ehrgeiz und der Niedertracht von Eroberern und Staatsmännern geschuldet sind. Wenn Sie sagen, dass die natürliche Religion auch ohne fremde Hilfe der Offenbarung eine hinreichende Wegweiserin ist, nach welchem Grundsatz sollten dann politische Gesetze notwendig werden? Können sich die Theologie und die Politik nicht derselben Vernunft bedienen?124 Wenn die Gesetze der Natur Gesetze Gottes sind, wie ist es dann mit der göttlichen Weisheit zu vereinbaren, dass sie uns Regeln vorschreibt, deren Durchsetzung jedoch dem Aberwitz der menschlichen Institutionen überlässt? Werden Sie der Wahrheit nur bis zu einem gewissen Punkt folgen?

||

124 Für Bolingbroke ist die Vernunft in beiden Gebieten dieselbe, doch Irrtümer seien in Fragen der Religion schwieriger zu korrigieren als solche in Fragen der Politik; vgl. Bolingbroke 1753c: IV. 171 f.

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Für all unsere Nöte ist unser Misstrauen gegenüber der Wegweiserin verantwortlich, welche die Vorhersehung als für unsere Lage ausreichend erachtete, nämlich unsere eigene natürliche Vernunft, und indem wir sie in menschlichen und göttlichen Angelegenheiten gleichermaßen verwarfen, spannten wir unsere Hälse ins Joch der politischen und theologischen Sklaverei. Wir haben dem Vorrecht des Menschen abgeschworen, und so ist es kein Wunder, wenn wir wie wilde Tiere behandelt werden. Unsere Not ist freilich viel größer als ihre, weil das Verbrechen, das wir durch die Verleugnung der rechtmäßigen Herrschaft unserer Vernunft begehen, viel größer ist als jedes Verbrechen, das sie begehen können. Sollten Sie am Ende all diese Dinge zugestehen und dennoch für die Notwendigkeit politischer Institutionen, so schwach und schlecht sie sind, plädieren, dann kann ich mit gleicher, vielleicht auch überlegener Kraft für die Notwendigkeit einer künstlichen Religion argumentieren; und jeder Schritt, den Sie bei Ihrer Beweisführung gehen, stärkt nur meine eigene. Sind wir mithin entschlossen, unsere Vernunft und unsere Freiheit der bürgerlichen Usurpation zu opfern, dann haben wir nichts weiter zu tun, als uns so still wie möglich den damit verbundenen pöbelhaften Vorstellungen zu fügen und die Theologie sowie die Politik des Pöbels zu übernehmen. Wenn wir diese Notwendigkeit aber eher für eingebildet denn für wirklich halten, dann sollten wir zusammen mit ihren religiösen Visionen auch ihren gesellschaftlichen Träumereien abschwören und für uns die vollkommene Freiheit einfordern. Sie, Mylord, haben die Welt gerade erst betreten; ich bin dabei, sie zu verlassen. Ich habe lange genug mitgespielt, um des Dramas herzlich müde zu sein. Ob ich meine Rolle darin gut oder schlecht gespielt habe, wird die Nachwelt freimütiger beurteilen, als ich oder als das gegenwärtige Zeitalter mit unseren gegenwärtigen Leidenschaften es wohl zu tun beanspruchen könnten. Ich meinesteils verlasse es ohne Bedauern und füge mich klaglos der allwaltenden Ordnung. Je näher wir dem Ziel des Lebens kommen, desto mehr erahnen wir den wahren Wert unserer Existenz und das wirkliche Gewicht unserer Meinungen. Am Anfang unseres Weges sind wir in beides sehr verliebt; aber wir lassen viel zurück, je weiter wir fortschreiten. Zusammen mit den Rasseln werfen wir als erstes die Märchen unserer Ammen über Bord; die des Priesters haben uns etwas länger im Griff und die unserer Herrscher am allerlängsten. Die Leidenschaften aber, die diese Meinungen stützen, werden eine nach der anderen zurückgenommen; und das kühle Licht der Vernunft zeigt uns an unserem Lebensabend, welch falscher Glanz diese Dinge in leichtblütigeren Zeiten umspielte. Sie können sich glücklich schätzen, Mylord, wenn Sie, durch meine Erfahrungen und selbst durch meine Fehler geschult, früh zu einer solchen Einschätzung der Dinge gelangen, die Ihrem Leben zu Freiheit und innerer Ruhe verhelfen wird. Ich befinde mich in der glücklichen Lage, dass mir eine solche Einschätzung im Angesicht des Todes Trost zu spenden verspricht.

Teil 2: Über Repräsentation und Wahlkämpfe

 

2 Über Repräsentation und Wahlkämpfe 2.1 Einleitung Dirk Jörke

2.1.1 Eine politische Welt im Umbruch und die Notwendigkeit der Parteibildung Burke lebte zu einer Zeit, in der sich mit der Amerikanischen und der Französischen zwei Revolutionen ereigneten, die später als ‚demokratisch‘ bezeichnet wurden (Palmer 1964). Sein Ruf als Gründungsvater des Konservatismus haftet Burke nicht zuletzt deshalb an, weil er zeitlebens gegen diese oft als radikal bezeichneten Bestrebungen eintrat, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit mehr Nuancierung, als eine simple Etikettierung als ‚Antidemokrat‘ erwarten lässt. Forderungen nach einer radikalen Reform der politischen Ordnung wurden in England bereits in den 1760er Jahren artikuliert, breiteten sich aber erst mit der Amerikanischen (und dann verstärkt mit der Französischen) Revolution aus.1 Zu diesen Forderungen zählten die Abschaffung der virtuellen Repräsentation, das allgemeine (Männer-)Wahlrecht, die Einführung imperativer Mandate und die Verkürzung des Wahlzyklus von sieben auf drei Jahre. Burke sprach sich zu verschiedenen Anlässen gegen diese radikalen Reformen mit dem Argument aus, sie würden die politische Ordnung zersetzen. Er fürchtete insbesondere die politischen Leidenschaften der einfachen Bürger. Für Burke war das Volk aufgrund seiner Lebensumstände zu anfällig für Vorurteile und Demagogie, wie er in der hier abgedruckten Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer unterstreicht: „Es sind Menschen – etwas Schlechteres ist damit gar nicht über sie gesagt; viele von ihnen sind wenig gebildet, viele leben unter kläglichen Bedingungen und sind deshalb leicht zu übervorteilen und zu verführen“ (125). Hinzu kam die wirtschaftliche Situation der meisten Bürger, die einer aktiven Teilhabe entgegenstand. Denn – und hier folgt Burke einer klassisch republikanischen Argumentationsfigur – nur diejenigen, die über ein gesichertes Vermögen verfügten, besäßen die für die politische Urteilsfindung erforderliche Unabhängigkeit. || 1 Einer der ersten politiktheoretischen Fürsprecher einer grundlegenden Reform der Repräsentation in Richtung eines allgemeinen (Männer-)Wahlrechts, aber auch kürzerer Wahlperioden und Instruktionen war Richard Price, der diese Forderungen in seinen Observations on the Nature of Civil Liberty (1776) erhob. Allerdings ist zu beachten, dass Price das allgemeine (Männer-)Wahlrecht nicht bedingungslos forderte, sondern vielmehr in Übereinstimmung mit Joseph Priestley und dem republikanischen Denken davon ausging, dass die persönliche Unabhängigkeit eine notwendige Voraussetzung des Wahlrechts sei; vgl. Hampsher-Monk 2006: 672. Zum Aufkommen radikaler Bestrebungen am Ende des 18. Jahrhunderts sowie deren teilweiser Verortung im republikanischen Denken vgl. auch Kramnick 1977b sowie unten, S. 268 ff. https://doi.org/10.1515/9783050087771-003

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Dass das gemeine Volk nicht unmittelbar am politischen Prozess teilhat, bedeutet für Burke jedoch nicht dessen völligen Ausschluss. Dessen Interessen fänden durchaus Berücksichtigung, und zwar mittels der Repräsentation durch den König einerseits, die peers und die commons andererseits: „The king is the representative of the people; so are the lords, so are the judges. They are all trustees for the people, as well as the Commons, because no power is given for the sole sake of the holder“ (WS II: 292). In den Thoughts on the Cause of the Present Discontent aus dem Jahr 1770, denen dieses Zitat entstammt, setzt sich Burke mit den Prinzipien der politischen Ordnung des Vereinigten Königsreichs auseinander. In diesem Zusammenhang skizziert er die Rolle des House of Commons als Vermittler zwischen Volk und Regierung, wobei das Parlament einerseits die Regierung kontrollieren, andererseits die Stimmung des Volkes, die public opinion, aufnehmen soll. Letzteres wurde auch insofern wichtiger, als die Regierungspraxis durch die Verbreitung von Zeitungen und periodisch erscheinenden Zeitschriften sowie der Parlamentsberichterstattung seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurde (vgl. Reid 1985). Burke schreibt zudem vor dem Hintergrund der Wilkes-Krise und der sich daran entzündenden Debatten über die Rolle der popular sentiments in der Politik.2 Vor diesem Hintergrund begreift er das House of Commons zugleich als repräsentativen wie als deliberativen Ort, an dem die Meinung des Volkes zwar einerseits aufgenommen, ihr aber andererseits nicht unmittelbar entsprochen wird. Es sei vielmehr die Aufgabe der Parlamentarier, die öffentliche Meinung zu filtern, abzuwägen und zu rationalisieren (vgl. Bourke 2015a: 264). Burke hat seine Thoughts als „the political creed of our party“ (Corr. II: 150) bezeichnet. Daher lassen sich die Thoughts auch als eine Art Parteiprogramm für die Rockingham-Whigs lesen.3 Diese beklagten, dass George III. seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überdehne und das Parlament degradiere. Tatsächlich war der König als „Patriot King above all Factions“ (Kluxen 1991: 452) bestrebt, den Einfluss des House of Commons zurückzudrängen, wobei ihm der Konflikt zwischen Pitt dem Älteren und eben jenen Rockingham-Whigs in die Hände spielte. Vor allem gelang es George III., eine Vielzahl sogenannter placeholders im House of Commons unterzubringen, die im Sinne der Krone abstimmten. Vor diesem Hintergrund galt es, eine effektive Opposition zu bilden, die in der Lage war, die politische Macht zurückzuerobern und auf diese Weise die verfassungsgemäße Ordnung, die die Rockingham-Whigs durch

|| 2 John Wilkes (1727-1797) war Whig-Politiker und Mitglied des House of Commons. Er wurde 1763 wegen Verrats angeklagt und des Parlamentes verwiesen. Wilkes floh ins Ausland, kehrte 1768 jedoch nach London zurück und konnte für das Unterhaus kandidieren, nur um erneut seinen Sitz zu verlieren und inhaftiert zu werden. Daraufhin entwickelte er sich zu einer Symbolfigur radikaler Kräfte und demokratischer Bestrebungen; vgl. Reid 1985 und Bluhm 2012: 120 f. 3 Benannt nach Charles Watson-Wentworth, dem 2. Marquis von Rockingham, der einer für damalige Zeiten eher ‚liberalen‘ Gruppierung innerhalb der Whigs vorstand und von 1765-1766 und 1782 Premierminister war.

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das Vorgehen George III. gefährdet sahen, wiederherzustellen.4 Ganz in diesem Sinne ist auch Burkes berühmte Definition zu verstehen: „Party is a body of men united, for promoting by their joint endeavours the national interest, upon some particular principle in which they are all agreed“ (WS II: 317). Die Legitimität und Notwendigkeit politischer Parteien bzw. Faktionen war im 18. Jahrhundert umstritten. Oftmals sah man in ihnen im Anschluss an republikanische Denkfiguren die Verkörperung von Partikularinteressen, die das Gemeinwesen zu zersetzen drohten. Zwar konnte die Existenz von politischen Parteiungen – wie sie sich augenfällig, aber nicht ausschließlich im Gegensatz zwischen Whigs und Tories zeigte – kaum bestritten werden, doch betrachtete man sie vornehmlich als ein die Einheit des Commonwealth zersetzendes Übel. Das wurde auch im politischen Denken betont. Sowohl Henry St. John Bolingbroke als auch David Hume5 erkennen zwar die Existenz von Parteiungen (factions) an, begreifen diese aber letztlich als temporäre Formen und Ausdruck einer strukturellen Krise, wobei sie den desintegrativen Charakter von Parteiungen betonen. Sie sehen in Parteiungen vorwiegend Instrumente sektiererischer Interessen und weltanschaulicher Spaltungen. Burkes Parteientheorie geht insofern einen entscheidenden Schritt über Bolingbroke und Hume hinaus, als er stärker die positiven Absichten und Effekte von Parteien betont und deren grundsätzliche Legitimität in einer freien Regierung unterstreicht (vgl. Conniff 1994: 161-172). Vor allem geht es ihm aber um den Nachweis der Notwendigkeit einer parteilichen Vereinigung unter der Voraussetzung einer angeblichen Verfassungskrise. Darauf deutet besonders die Erwähnung des nationalen Interesses in der zitierten Passage hin. Die Bildung von Parteien ist dann gerechtfertigt, wenn das nationale Interesse, das Gemeinwohl, in Gefahr gerät. Genau dieser Fall ist Burke zufolge mit der Etablierung einer Schattenregierung eingetreten. Burke plädiert für die Bildung geschlossener Fraktionen, deren Politik durch ein gemeinsames Ziel bestimmt ist: „[A] man must be peculiarly unfortunate in the choice of his political company if he does not agree with them at least nine times in ten. If he does not concur in these general principles upon which the party is founded, […] he ought from the beginning to have chosen some other, more conformable to his opinions“ (WS II: 319). Er unterstreicht damit die Notwendigkeit von Einheit, wenn || 4 Anlass für die Schrift, mit der Burke zum intellektuellen Kopf der Rockingham-Whigs avancierte, war deren Wahrnehmung einer Verfassungskrise, die durch ein angebliches Schattenkabinett und eine damit einhergehende Schwächung des Parlaments ausgelöst worden sei. Dabei handelt es sich jedoch um eine verzerrte Betrachtungsweise, die mehr dem Scheitern der ersten Regierung unter Lord Rockingham und der Annäherung des Königs an die Tories als einem tatsächlichen Bruch der Verfassung geschuldet war; allerdings ist es unter George III. zu einer Schwächung des Einflusses politischer Parteiungen gekommen; vgl. Bourke 2015a: 261. 5 Bolingbroke 1735; Hume 1758a. Allerdings findet sich bei Bolingbroke auch eine Denkfigur, an die Burke anknüpfen konnte. So formulierte Bolingbroke das Idealbild einer Partei, welche gleichsam über den Partikularinteressen steht und das Gemeinwohl verkörpert, die er als party im Unterschied zu factions bezeichnet; vgl. Kramnick 1968: 158.

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politischen Ziele erreicht werden sollen. Dieser Einheit dient die Partei. Doch sollen deren Aktivitäten auf das Gemeinwohl, nicht auf partikulare Interessen bezogen sein. „To bring the dispositions that are lovely in private life into the service and the conduct of the commonwealth; so to be patriots, as not to forget we are gentlemen“ (WS II: 320). Es ist also gerade nicht die Verfolgung von Gruppeninteressen oder spezifischen Weltanschauungen, die Burke mit dem Modell einer politischen Partei verknüpft. Vielmehr sieht er diese Form der politischen Assoziation nur insofern als nötig an, als sie einem verallgemeinerbaren Ziel verpflichtet ist. Hier zeigt sich, dass seine Auffassungen weit entfernt sind von einer modernen Parteientheorie, die politische Vereinigungen als legitimen Ausdruck von Interessen und Überzeugungen einer pluralistischen Gesellschaft betrachtet. Was Burke in den Thoughts mithin nicht liefert, ist eine Vorwegnahme oder gar Apologie der demokratischen Funktion von Parteien in einem parlamentarischen Regierungssystem. Vielmehr verbleibt er im Rahmen der damaligen Mischverfassungskonzeption.6

2.1.2 Das britische Wahlsystem und Burkes Rede an die Wähler in Bristol Die Parlamentarier begreift Burke also als Repräsentanten des gesamten Volkes, nicht etwaiger Partikularinteressen. Dahinter steht die Vorstellung einer organischen Ständeordnung im Sinne einer natürlichen und gottgegebenen Hierarchie, in der jedem Stand seine ihm gemäße Rolle zukommt. Die Aufrechterhaltung dieser Ordnung, inklusive der Ungleichverteilung von politischer Macht und Reichtum, sei im wohlverstandenen Interesse aller Gesellschaftsmitglieder. Die Aufgabe der Repräsentanten bestimmt Burke daher als deliberative Reinigung partikularer Forderungen. Das ist der zentrale Gegenstand der hier abgedruckten Rede an seine Bristoler Wähler. Doch um sie zur Gänze zu verstehen, ist es zunächst erforderlich, sich kurz der Grundstrukturen des britischen Wahlrechts zu vergewissern. Um 1780 gab es in England und Wales ca. 340.000 Wahlberechtigte. Das waren etwa siebzehn Prozent der volljährigen Männer bzw. vier Prozent der Bevölkerung. Doch nicht nur in dieser Hinsicht unterscheidet sich das damalige britische Wahlsystem von heutigen repräsentativen Verfassungen. Zudem war das Wahlrecht auch geographisch höchst ungleich verteilt. Das englische Wahlrecht hat seine Ursprünge im späten Mittelalter. Mit dem Act of 1430 wurde festgelegt, dass das Wahlrecht für das House of Commons auf freie Männer (freeholders) mit einem jährlichen Reinertrag von mindestens 40 Schilling beschränkt war.7 Die Festlegung der Städte und Gemeinden, der sogenannten boroughs, die zusätzlich zu den Grafschaften, den counties, || 6 Zur Kritik anachronistischer Deutungen von Burke als einem Vorläufer einer modernen Parteientheorie vgl. Brewer 1971: 495. 7 Allerdings war die Quelle der Einkünfte nicht notwendig auf den Besitz von Land beschränkt; vgl. unten, Anm. 11.

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überhaupt Repräsentanten ins Parlament entsenden durften, stammte aus noch früherer Zeit und wurde bis 1832 nicht geändert.8 Dies hatte zur Folge, dass einige Gemeinden und Städte, die zu Burkes Zeiten nahezu verwaist waren – die sogenannten rotten boroughs –, Abgeordnete bestimmen konnten, große Städte wie Newcastle oder Birmingham, die im 18. Jahrhundert erheblich gewachsen waren, jedoch nicht. Die rotten boroughs wurden auch als pocket boroughs bezeichnet, da infolge der geringen Wählerschaft und der örtlichen Patronagestrukturen nicht zwischen unterschiedlichen Kandidaten gewählt werden konnte. Selbst wenn es, was in diesen rotten boroughs die Ausnahme blieb, mehrere Kandidaten für einen Unterhaussitz gab, ist zu beachten, dass die Stimmabgabe öffentlich erfolgte und somit die soziale Kontrolle in sehr kleinen Wahlversammlungen entsprechend ausgeprägt war. Damit verfügten lokale Eliten über die Sitze, die sie etwa zur Tilgung von Schulden verkauften oder aber an ihnen genehme Personen vergaben.9 Burke selbst war 1765 über ein solches pocket borough (Wendover) ins Unterhaus gekommen, und auch 1780 musste er auf diesen sicheren Weg ins Parlament zurückgreifen (diesmal für Malton), als sich abzeichnete, dass eine Wiederwahl in Bristol sehr unwahrscheinlich war.10 Lediglich von 1774 bis 1780 saß Burke als gewählter Repräsentant für Bristol im Parlament. Die Wahl im Herbst 1774 war hart umkämpft, wovon die hier abgedruckte Rede an die Wähler in Bristol zeugt. Da Lord Verney, der Patron von Wendover, hochverschuldet war, musste er seine beiden Sitze verkaufen. Burke wurde daraufhin zunächst durch eine Kandidatur in Malton abgesichert, doch bot sich wenig später die Gelegenheit, in Bristol ein umkämpftes Mandat und damit auch mehr Reputation als Abgeordneter zu gewinnen. Im Gegensatz zu Malton war Bristol „a huge prize“ (Norman 2013: 76), handelte es sich doch um die zweitgrößte Stadt mit einem vergleichsweise großen Elektorat. Wahlberechtigt waren die sogenannten 40 Schilling-Freeholders sowie alle freien Männer (freemen), die in Bristol geboren waren; es war jedoch keine Voraussetzung für die Wahlteilnahme, dass sie auch zum Zeitpunkt der Wahl in Bristol wohnten.11 || 8 Die 40 counties in England schickten zu Burkes Zeiten jeweils zwei Mitglieder ins Parlament. Die 203 englischen boroughs und die zwei Universitäten (Oxford und Cambridge) stellten insgesamt 405 Parlamentsmitglieder. In der Regel wurden auch hier von jedem borough jeweils zwei gestellt. Es gab jedoch Ausnahmen. So kamen alleine aus London vier Repräsentanten, während Abingdon, Banbury, Bewdly, Higham Ferrers und Monmouth nur jeweils einen Parlamentssitz hatten. Schließlich sind noch die 24 walisischen und die 45 schottischen Wahlkreise zu nennen, die je einen Sitz innehatten. 9 Zum britischen Wahlrecht im 18. Jahrhundert vgl. die Angaben bei Pole 1966: 385-479, O’Gorman 1989, Dickinson 1995 und Lee 2002. 10 Zu den Details vgl. Lock 1998: 470-480. 11 „In Bristol only freeholders, in receipt of forty shillings or more from a freehold, and freemen were entitled to the franchise. Freemen were entitled to take up their freedoms by virtue of servitude, birth, marriage to a daughter or widow of a freeman, or by a special resolution of the Corporation. The son of a freeman had to prove that he was born within the city boundaries. There was no register of voters, and the voter might be resident in any part of the world“ (Weare 1894: 81).

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Insgesamt dauerte die Wahl vom 7. Oktober bis zum 2. November 1774, eine auch für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich lange Zeit. Gewählt wurde durch offene Stimmabgabe vor einer Wahlkommission. Für die Organisation des Wahlkampfes, vor allem für die Mobilisierung der Wähler und deren Geleit zur Wahlversammlung, waren Wahlkampfmanager (election agents) zuständig. Burkes Name erschien erst auf der Liste der Kandidaten, als die Wahl bereits drei Tage lief. Es gelang ihm dennoch, nach Henry Cruger das zweite Mandat zu erobern.12 Im ersten Teil der hier abgedruckten Rede an die Wähler von Bristol distanziert sich Burke zunächst vom Vorwurf der Wahlmanipulation, der vom unterlegenen Kandidaten, Matthew Brickdale, gegen ihn erhoben wurde. Dieser warf Burke vor, er verdanke seine Wahl lediglich dem Umstand, dass sein Wahlmanager vermeintliche Wahlberechtigte aus entlegenen Gegenden nach Bristol gebracht habe. Brickdale wertete insbesondere die Nachnominierung von bis zu 2.000 Wahlberechtigten als einen Verstoß gegen die Wahlgesetze. Eine entsprechende Petition zur Annullierung des Wahlergebnisses wurde jedoch vom House of Commons zurückgewiesen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, auf all die Einzelheiten des damaligen Wahlkampfes und der damit verbundenen Praktiken einzugehen.13 Gleichwohl wird in Burkes Rede deutlich, dass in den boroughs mit offenem Wahlausgang durchaus mit harten Bandagen gekämpft wurde. Und dazu gehört auch, dass sich Burke selbst von Praktiken wie denen des Stimmenkaufs oder gar der Manipulation von Wahllisten distanzierte. Berühmt geworden ist Burkes Rede an die Wähler von Bristol indes aufgrund der dort skizzierten Repräsentationstheorie. Cruger hatte in seiner Dankesrede betont, sich dem Willen seiner Wähler unterwerfen zu wollen. Dabei sprach er sich insbesondere für bindende Weisungen aus.14 Gegen diese Forderung wandte sich Burke. Zwar erkennt er durchaus an, dass sich der Repräsentant responsiv gegenüber seinen Wählern verhalten müsse, und das bedeutet für ihn, sich ihrer Interessen und Bedürfnisse bewusst zu sein, aber er darf ihnen eben nicht „blind und bedingungslos folgen“: Aber autoritative Weisungen, übertragene Mandate, denen das Mitglied des Parlaments blind und bedingungslos zu folgen, für die er seine Stimme zu geben und die er zu verteidigen hat, selbst wenn sie gegen die klarste Überzeugung seines Urteils und seines Gewissens verstoßen – derartige Dinge sind dem Recht dieses Landes gänzlich unbekannt, sie entspringen einem grundlegenden Irrtum hinsichtlich des gesamten Gefüges und Geistes unserer Verfassung. (119 f.)

|| 12 Das damalige Wahlrecht sah vor, dass Bristol, wie die meisten boroughs, zwei Repräsentanten ins House of Commons schicken durfte. Auf Cruger entfielen 3.656, Burke erhielt 2.707, Brickdale 2.456 Stimmen. 13 Detaillierte Schilderungen des Wahlkampfs in Bristol und der anschließenden Anfechtung des Wahlergebnisses durch Brickdale finden sich bei Weare 1894. 14 „It has ever been my opinion that the electors have a right to instruct their members. For my part, I shall always think it my duty in Parliament to be guided by your counsel and instructions. I shall consider myself the servant of my constituents, not their master. Subservient to their will, not superior to it.“ Henry Cruger, zit. nach Weare 1894: 790.

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Dem ‚Geist der Verfassung‘ entspricht es Burke zufolge vielmehr, dass das Parlament eine deliberierende Versammlung bildet, in der die verschiedenen Gesichtspunkte und Interessen zwar das Material der Beratung abgeben, es aber den Abgeordneten vorbehalten ist zu bestimmen, was das Gemeinwohl, also das Interesse der ganzen Nation ist. Entsprechend stellt das House of Commons für Burke auch kein Organ der Interessensaushandlung und Kompromissfindung dar, sondern bezeichnet den Ort einer gesamtgesellschaftlichen Deliberation: Das Parlament ist kein Kongress von Botschaftern unterschiedlicher und feindlicher Interessen, die ein jeder als Agent und Advokat gegen andere Agenten und Advokaten behaupten muss; das Parlament ist vielmehr eine beratende Versammlung einer Nation, mit einem Interesse: nämlich dem des Ganzen – wo nicht lokale Zwecke, nicht lokale Vorurteile den Ton angeben sollten, sondern das allgemeine Wohl, das der allgemeinen Vernunft des Ganzen entspringt. (120)

Die Bestimmung des Gemeinwohls erfolgt demnach ausschließlich durch die politische Elite, die kraft der Tradition und der nur ihr zukommenden Kompetenz hierzu berufen sei. Nun könnte man an dieser Stelle fragen, wozu überhaupt noch Wahlen erforderlich sind, wenn es lediglich darauf ankommt, dass, wie Burke in seiner Appellation gegen die neuen an die alten Whigs schreibt, eine „natürliche Aristokratie“ (302) im Parlament das Gemeinwohl definiert. Und in der Tat haben einige Interpreten gefolgert, dass Wahlen für Burke nicht mehr als „ein beiläufiges Hilfsmittel“ zur Bestimmung der politischen Elite darstellen (Sternberger 1980: 255). Diese Deutung ist allerdings verkürzt. Um das zu erläutern, ist es erforderlich, etwas ausführlicher auf Burkes Stellung zum Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ einzugehen.

2.1.3 Das Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ Für Burke stellt weder die Existenz von rotten boroughs noch der Umstand, dass Städte wie Newcastle und Birmingham keine Abgeordneten ins Unterhaus senden konnten, die Legitimität des britischen Repräsentationssystems in Frage. Dies wird besonders deutlich in seiner Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation, auf die sogleich noch ausführlicher eingegangen wird. Auch wenn er das Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ dort nicht explizit erwähnt, ist es doch genau diese Vorstellung, die er mit folgenden Worten verteidigt: „Es gibt eine gleiche Repräsentation, weil wir es mit Männern zu tun haben, die alle gleichermaßen am Wohlergehen des Ganzen interessiert sind, die sich für das Allgemeinwohl und die allgemeine Übereinstimmung einsetzen“ (140).15 Obgleich nur wenige Gemeinden über das Wahlrecht || 15 Explizit erwähnt Burke das Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ im Letter to Sir Hercules Langrishe, wo er schreibt: „Virtual representation is that in which there is a communion of interests, and a sympathy in feelings and desires between those who act in the name of any description of people, and the people in whose name they act, though the trustees are not chosen by them“ (WS IX: 629).

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verfügen, sind deren Abgeordnete für ihn nicht nur Abgesandte ihrer jeweiligen Wähler, sondern sie sind zugleich und zuvorderst Repräsentanten der ganzen politischen Gemeinschaft, mit der sie insgesamt verbunden sind. Dass keine gleich großen und gleichmäßig über das ganze Land verteilten Wahldistrikte existieren, lässt sich insofern mit dem Konzept der ‚virtuellen Repräsentation‘ rechtfertigen, als es im Parlament ja gerade nicht um die Vertretung von partikularen Interessen, sondern um die Hervorbringung des Gemeinwohls geht. Und das Gemeinwohl unterscheidet sich in Bristol für Burke nicht von dem in Birmingham. Zu seiner Bestimmung genügt es daher, wenn nur eine von beiden Städten Vertreter ins Parlament entsendet. Somit sind auch jene Gemeinden, die über kein Wahlrecht verfügen, virtuell repräsentiert. Allerdings erscheint sein Bekenntnis zur ‚virtuellen Repräsentation‘ nur auf den ersten Blick eindeutig. Folgt man Pitkin, so lassen sich bei Burke zwei Repräsentationsmodelle finden. „The first concept of representation encountered in Burke’s thought is thus an aristocracy of virtue and wisdom governing for the good of the entire nation“ (Pitkin 1967: 172). Es ist die Vorstellung, dass einzig eine ‚natürliche Aristokratie’ in der Lage sei, das Gemeinwohl zu bestimmen. Dazu ist es erforderlich, dass diese im Parlament deliberiert. Das andere Modell hebt auf die Repräsentation von ständischen Interessen ab. Doch steht dem eine ‚virtuelle Repräsentation‘ nur scheinbar entgegen. Nach dem heute vorherrschenden Verständnis sind Interessen partikular und subjektiv. Für Burke hingegen sind Interessen objektiv gegeben und lassen sich spezifischen sozialen Gruppen zuordnen. So haben Kaufleute ein anderes Interesse als etwa Großgrundbesitzer. Gemäß dieser Konzeption kann aber, und das ist für Burke entscheidend, ein Abgeordneter aus Bristol auch das Interesse der Kaufleute von Birmingham vertreten. Indem überhaupt Kaufleute wählen, ist laut Burke gewährleistet, dass deren Interessen im Parlament repräsentiert werden.16 Denn handelt es sich bei diesen Interessen um so etwas wie objektive Interessen und nicht lediglich um ein subjektives Dafürhalten (vgl. Pitkin 1967: 180). Die Interessen müssen also nicht notwendig mit den subjektiven Meinungen der Wähler übereinstimmen. Burke geht sogar so weit zu behaupten, dass er als Politiker über die wahren Interessen seiner Wähler besser informiert sei als diese selbst. In einer Wahlkampfrede in Bristol vom 6. September 1780, in der er sich gegen den Vorwurf wehrt, die Ansichten seiner Wähler nicht angemessen vertreten zu haben, bringt Burke dies auf den Punkt: „I maintained your interest, against your opinions.“ (WS III: 634)17 || 16 Darin folgt Burke der britischen Verfassungstradition; vgl. Wirsching 1990: 42-49 und Koselleck 2006: 439-444. 17 Burke sah sich in Bristol mit dem Vorwurf konfrontiert, in Fragen der Handelsbeziehungen mit Amerika und auch im Hinblick auf die Behandlung der irischen Katholiken nicht den Wünschen seiner Wähler entsprochen zu haben. In seiner Rede vom 6. September 1780 rechtfertigt Burke sein Abstimmungsverhalten, gesteht seinen Wählern aber auch das Recht zu, ihn wegen der offensichtlichen Differenzen nicht wiederzuwählen. Conniffs These, dass Burke das letzte Wort den Wählern zugesteht und sich damit dem demokratischen Prinzip der Verantwortlichkeit verpflichtet fühlt, geht allerdings zu weit; vgl. Conniff 1977: 331; vorsichtiger ders. 1994: 143. Denn Burke unterscheidet

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Burke vertritt zudem die Ansicht, dass das Gemeinwohl dem Zusammenspiel der als legitim eingestuften Interessen entspricht. Er setzt mithin ein über alle Bevölkerungsteile reichendes gemeinsames Interesse voraus, in dem die partikularen Interessen der einzelnen sozialen Gruppen aufgehoben sind. Doch gerade die Unterscheidung zwischen nicht verallgemeinerbaren Meinungen und legitimen Interessen erfordert jene spezifischen Fähigkeiten, die nach Burkes Ansicht den meisten Menschen nicht gegeben sind. Bis zu diesem Punkt existiert also kein Widerspruch zwischen den beiden Repräsentationskonzepten; sie greifen vielmehr ineinander. Allerdings ist damit noch nicht die Frage beantwortet, weshalb überhaupt Wahlen erforderlich sind. Es könnte doch genügen, dass die Mitglieder der ‚natürlichen Aristokratie‘, etwa durch Abstammungsklauseln oder öffentliche Ämter bestimmt, lebenslang im Parlament sitzen, wie es auch im House of Lords der Fall ist. Die Antwort hierauf lautet, dass Wahlen für Burke als eine Art Seismograph dienen. Sie gewährleisten, dass die Stimmungen der Bürger Eingang in das Parlament finden, dass die Repräsentanten sich mithin gegenüber den Bürgern insofern verantwortlich verhalten, als sie sich nicht abkapseln und vom Rest des Landes entfremden. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass deren Meinungen ausschlaggebend sind. In seiner Speech on Economical Reform bringt Burke diesen Gedanken wie folgt auf den Punkt: The people are the masters. They have only to express their wants at large and in gross. We are the expert artists, we are the skillful workmen, to shape their desires into perfect form, and to fit the utensil to the use. They are the sufferers, they tell the symptoms of the complaint; but we know the exact seat of the disease, and how to apply the remedy. (WS III: 547)

Allerdings werden Gruppen, die nicht an der Wahl zum Unterhaus teilnehmen, nicht zwangsläufig virtuell repräsentiert – ein Umstand, den Burke im Kontext seiner Schriften zu Irland und den amerikanischen Kolonien hervorhebt. Im Letter to Sir Hercules Langshire kritisiert er den Ausschluss der katholischen Iren von der Wahl. Zunächst wiederholt er seine Konzeption der ‚virtuellen Repräsentation‘. Kurz darauf wird jedoch ein Argument vorgetragen, das die Logik dieses Modells sprengt. Sie müsse nämlich einen gewissen Halt in der Praxis einer tatsächlichen Repräsentation besitzen. Davon aber könne bei den katholischen Iren keine Rede sein. Der Mechanismus der ‚virtuellen Repräsentation‘ könne vor allem deshalb nicht greifen, weil die irischen Abgeordneten im britischen Parlament den katholischen Interessen tendenziell feindlich gesonnen seien. Burke räumt Wahlen somit durchaus eine, wenn auch für unser heutiges Verständnis schwer greifbare, Funktion für die Repräsentation der jeweiligen Interessen ein. Auch mit Blick auf die amerikanischen Kolonien wendet er sich gegen die Idee einer ‚virtuellen Repräsentation‘. Dabei kritisiert er aber nicht den Ausschluss eines bestimmten Interesses, vielmehr macht er die räumliche Distanz für die Lockerung || strikt zwischen den subjektiven Meinungen der Wähler und ihren objektiven Interessen, die einzig die politische Elite erkennen könne.

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der virtuellen Bande verantwortlich. So fragt er in On American Taxation sarkastisch: „What! does the electric force of virtual representation more easily pass over the Atlantic, than pervade Wales, which lies in your neighbourhood: or than Chester and Durham, surrounded by abundance of representation that is actual and palpable?“ (WS III: 145) Indes geht Burke diesem Gedanken über das Verhältnis von Raum und Repräsentation nicht systematisch nach. Und auch die Frage bleibt unbeantwortet, nach welchen Kriterien man beurteilen soll, ob eine vom Wahlrecht ausgeschlossene Gruppe virtuell repräsentiert wird oder nicht.18

2.1.4 Die Kosten von Wahlkämpfen Die Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer hat Burke am 8. Mai 1780 vor dem House of Commons gehalten. In ihr verteidigt er den Septennial Act aus dem Jahr 1716. In der Bill of Rights (1689) wurden dem englischen Volk freie und regelmäßige Wahlen garantiert, und seitdem war die Frage des Wahlrechts ein strittiges Thema. Legt man moderne Maßstäbe an, gab es dazu auch genügend Anlass. So stand bis zum Reform Act (1832) überhaupt nur ein Viertel bis ein Drittel der 558 Sitze im Unterhaus wirklich zur Wahl, befand sich also nicht im Besitz von Adligen, die ihre Sitze gewissermaßen als vererbbare Pfründe innehatten. Eine wichtige Frage neben der Zugehörigkeit zum Elektorat und dem Zuschnitt der Wahlkreise war die Dauer der Wahlperiode. Mit dem Triennial Act (1694) wurde diese zunächst auf drei Jahre festgelegt, wenig später dann aber mit dem Septennial Act auf sieben Jahre ausgedehnt. Der Septennial Act diente einerseits dem Ziel, die Kosten der Wahlkämpfe zu reduzieren, andererseits sollte durch ihn die Whig-Vorherrschaft abgesichert werden. Vor dem Hintergrund des Aufkommens radikaler Bestrebungen mehrten sich jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Stimmen, die eine Reform forderten. 1771 wurde im Parlament zum ersten Mal der Versuch unternommen, die Wahlperiode wieder zu verkürzen, allerdings ohne Erfolg. Seitdem wurde der entsprechende Gesetzentwurf mehrfach eingebracht und immer wieder mit großer Mehrheit abgelehnt. Im Mai 1780 lagen die Dinge jedoch anders. Wenige Monate zuvor war im Unterhaus eine umfassende Parlamentsreform diskutiert, dann aber mit knapper Mehrheit abgewehrt worden. Burke selbst brachte, wenn auch vergeblich, ein Gesetzespaket zur Reform des Haushalts ein, das den Einfluss des Königshauses auf das Parlament begrenzen sollte.19 Gleichwohl herrschte im Parlament eine reformfreundliche Stimmung, und eben dies nährte bei den Befürwortern einer dreijährigen Wahlperiode die Hoffnung auf

|| 18 Zu Burkes Repräsentationstheorie und deren Spannungen vgl. insbesondere Pitkin 1967: 168-189 sowie Sternberger 1980, Conniff 1977 und Hofmann 1990: 454-462. 19 Speech on Economical Reform, in: WS III: 481-551; vgl. Lock 1998: 449-459.

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Erfolg.20 Auch in der Öffentlichkeit fand dieses Ansinnen zahlreiche Anhänger, und es ist wohl diesem Umstand zuzuschreiben, dass Charles James Fox, wie Burke Teil der Rockingham-Whigs und eine ihrer führenden Gestalten, als Fürsprecher der Reform auftrat.21 Ihm stand ein Wahlkampf in Westminster bevor, und unter den 12.000 Wählern forderten viele eine stärkere Kontrolle des Parlaments. Auch andere Angehörige der Rockingham-Whigs teilten das Vorhaben einer Verkürzung der Wahlperiode, unter ihnen der Duke of Richmond, dem sich Burke besonders verpflichtet fühlte.22 Er sah sich also in einer Situation, in der seine Parteifreunde ein Anliegen unterstützten, das er zutiefst ablehnte. Bereits in den Thoughts on the Cause of the Present Discontents (WS II: 308-310) war Burke einer Verkürzung der Wahlperiode entschieden entgegengetreten. Dass er trotz veränderter politischer Großwetterlage dieser Linie treu geblieben ist, kann man seinem eigenwilligen und prinzipientreuen Charakter zuschreiben.23 Vielleicht mag man darin aber auch ein Moment der Halsstarrigkeit erblicken – einen Charakterzug, der ihn im Kontext der Debatten um die Französische Revolution immer stärker von seinen ehemaligen Weggefährten entfernen sollte. Burke verteidigte in seiner Rede vom 8. Mai 1780 also den Septennial Act und fand sich damit in dem ‚konservativen‘ Kreis um Lord North, der zu jener Zeit Premierminister war, wieder, mit dem er ansonsten zum damaligen Zeitpunkt sehr wenige Berührungspunkte hatte. Burkes Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer wurde zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht, sondern von den Herausgebern seiner gesammelten Werke dem Nachlass entnommen. Sie ist daher nicht wie viele seiner bekannteren Reden – etwa On American Taxation (1774), On Conciliation with the Colonies (1775), Speech on Economical Reform (1780), Speech at Bristol Previous to Election (1780) – stilistisch durchgearbeitet. Viele Sätze bleiben unvollständig, es fehlt etwa ein Verb, oder sie verlieren sich im Nirgendwo. Gleichwohl zeugt auch diese ungeschliffene Parlamentsrede von der rhetorischen Begabung Burkes, der Macht seiner Worte und der Kraft seiner Bilder. Es gibt in der Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer keinen rein deduktiven Zugriff, und die Beweisführung spricht mehr die Intuition als den Verstand an. Zwar verzichtet Burke keinesfalls auf rationale Argumente, doch scheint er nicht allein auf deren Kraft zu vertrauen. Um sie zu unterstreichen, sie eindringlicher zu gestalten, greift er geradezu exzessiv auf metaphorische Figuren zurück. Ein weiteres rhetorisches Merkmal besteht in der Wiederholung von Aussagen, sogar von einzelnen Wörtern. Charakteristisch hierfür ist eine Passage, in der Burke die vermeintlichen Konsequenzen von dreijährlichen Wahlen skizziert: „Was wird die Folge dreijährlicher Bestechung, dreijährlicher Trunkenheit, dreijährlicher Untätigkeit, dreijährlicher Klagen, Prozesse, Strafverfolgungen, dreijährlicher Raserei sein [...], wenn nicht eine Moral, || 20 Zur Debatte stand neben einer dreijährigen auch eine einjährige Wahlperiode. 21 Vgl. die Dokumentation der Debatte in PH XXI: 594-615. 22 Vgl. Lock 1998: 463-467; zu Burkes Verhältnis zum Duke of Richmond vgl. Corr. IV: 235-238. 23 Burkes Eigensinn wird besonders schön von O’Brien 1992 herausgearbeitet.

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die bis ins Mark verdorben und brandig geworden ist?“ (127) Auffällig sind die kurzen, abgehackten, aber dafür umso einprägsameren Sätze; sie sollen das Gesagte intensivieren, die Zuhörer nicht nur rational, sondern vor allem emotional ansprechen. Diesem Zweck dient auch die fünfmalige Wiederholung der Verbindung des Adjektivs „dreijährlich“ mit Substantiven, die beim Zuhörer Angst und Schrecken hervorrufen sollen. Burke bedient sich hier der Repetition, um seinem Standpunkt besonderen Nachdruck zu verleihen. Die Zuhörer sollen in eine Stimmung versetzt werden, in der sie den argumentativen Kern besser aufnehmen können. Darüber hinaus tritt in dieser Passage ein für Burkes Reden insgesamt charakteristisches Merkmal hervor, nämlich die Verbindung von längeren argumentativen Einheiten auf der einen Seite mit der mehrmaligen Wiederkehr einer grammatischen Satzkonstruktion, die den rationalen Kern emotional einbettet, auf der anderen Seite. „Einer größeren, gegliederten Satzeinheit, wie sie in den argumentativen Passagen Burkes häufig vorkommt, stehen quasi kontrapunktisch mehrere kürzere Satzeinheiten gegenüber, die das Argument ergänzen und variieren“ (Zimmer 1990: 164).24 Argumentative und emotionale Bestandteile greifen somit ineinander und verstärken wechselseitig ihre Wirkung. Insgesamt bedient sich Burke also einer Sprache, die metaphorisch arbeitet, bewusst überzeichnet, dramatisiert und damit einen spezifischen Sog entfaltet. Zu Burkes bereits skizzierter Ablehnung einer imperativen Bindung der Repräsentanten durch die Wähler passt ebenso seine Kritik an einer Ausweitung des Elektorats – tatsächlich trat er für dessen Reduzierung ein25 – wie eben auch seine ablehnende Haltung gegenüber einer Verkürzung der Legislaturperiode. Wenn nämlich die Parlamentarier die Interessen ihrer Wähler nicht ungefiltert vertreten, sondern das Gemeinwohl durch Rede und Gegenrede deliberativ erzeugen sollen, dann müsse ihnen auch eine größtmögliche Unabhängigkeit gewährt werden. Eben diese Unabhängigkeit gefährdeten häufig wiederkehrende Wahlen. Eine Verkürzung der Wahlperiode würde die Parlamentarier abhängiger von der öffentlichen Meinung machen und sie stärker den Launen des Wählers aussetzen. Diese Argumentation überzeugt freilich nur vor dem Hintergrund von Burkes Konzeption der ‚virtuellen Repräsentation‘. An diesem Punkt ist Burke sicherlich am weitesten von heutigen Vorstellungen demokratischer Repräsentation entfernt. In anderer Hinsicht scheint der Unterschied zu unserer Gegenwart jedoch nicht allzu groß zu sein. Burke thematisiert in dieser Rede die heute noch wohlbekannte Seite von Wahlkämpfen. Bereits zu seinen Zeiten waren diese immer auch durch campaigning und politainment bestimmt. Um Wählerstimmen wurde nicht allein mit Programmen geworben, sondern eben auch mit Mitteln der Unterhaltung. Die Wähler mussten bei Laune gehalten werden – sei es durch Wahlversprechen oder durch Wahlkampfveranstaltungen und Bankette, bei denen der Kandidat in der Menge baden || 24 Zur Rhetorik Burkes vgl. auch Hampsher-Monk 1988: 455-484. 25 So bereits in der frühen Schrift Observations on a Late State of the Nation, in: WS II: 102-219, hier 177; vgl. O’Gorman 1973: 37.

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und sich als volksnah und trinkfest inszenieren musste. Diese Rolle erfüllte Burke selbst nur widerwillig, wie er in einem Brief an Lord Rockingham offenbart: I am sick, very sick – but in two minutes I must be one of the jolliest fellows in the world. They expect something of the kind here – and I hold out two streets, and part of the clubs, with great Stoutness – after deliberating speeching, Mobbing, and twice dining in the morning – About ten o’Clock at Night I could not conjure up one pun or joke, nor put any sort of tolerably acted Jollity, into my Countenance. (Corr. IV: 278)26

Indes ist es nicht in erster Linie ästhetischer Widerwille gegen die Pflichten des Wahlkampfs, den Burke gegen eine Verkürzung der Legislaturperiode ins Feld führt. Er beklagt vielmehr die damit verbundenen Kosten und die Abhängigkeiten, die ein allzu kostspieliger Wahlkampf erzeugt. Theoretisch, so argumentiert Burke an einer zentralen Stelle der Rede (126), müssten häufigere Wahlen die Abhängigkeit der Parlamentarier von ihren Wählern vergrößern. Die Erfahrung zeige jedoch, dass dadurch lediglich die Abhängigkeit der Kandidaten von ihren Geldgebern wachse. Auf diesen Aspekt legte Burke in seiner Rede besonderes Gewicht, konnte er doch davon ausgehen, damit nicht auf taube Ohren zu stoßen. In einer politischen Kultur, die auf der einen Seite von republikanischen Vorstellungen tugendhaften Verhaltens geprägt war, deren konkrete Praktiken aber auf der anderen Seite wesentlich von ökonomischen Motiven beherrscht wurden, war der Vorwurf der Korruption schnell zur Hand.27 Und auch Burke machte sich dieses Argumentationsmuster zu eigen, wenn er in der Rede gegen den Einfluss des großen Geldes auf die Wahlkämpfe agitierte. Wie sehr die Frage der Korruption die politische Debatte bestimmte, zeigen nicht zuletzt die Versuche, zumindest das Phänomen des Stimmenkaufs institutionell einzuschränken. Bereits 1696 wurde ein Gesetz erlassen, das Abgeordneten mit dem Verlust ihres Mandates drohte, sollten sie versuchen, ihre Wähler mit Geld oder Sachleistungen an sich zu binden; dieser Treating Act wurde jedoch eher zurückhaltend angewandt. Auch im 18. Jahrhundert wurde eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen ergriffen, um der Korruption zu begegnen; doch findige Wahlkampfmanager kannten Wege, diese Gesetze zu umgehen (vgl. O’Gorman 1989: 162 f.). Burke selbst macht auf zwei negative Konsequenzen aufmerksam. Erstens sah er die Gefahr eines wachsenden Einflusses der Krone auf die Wahlen, da diese in stärkerem Umfang über die erforderlichen administrativen und eben auch finanziellen Mittel verfügte. Im Unterhaus war damals insbesondere bei den Whigs die Angst vor einem zunehmenden Übergewicht des Königshofes und damit vor einer Gefährdung des verfassungsgemäßen Gleichgewichts weit verbreitet. Die Warnung vor einem tendenziell korrumpierenden Einfluss des Hofes wurde einen Monat vor Burkes Rede, nach || 26 In einem Brief an den Duke of Portland vom 3.9.1780 (Corr. IV: 266-275), also unmittelbar vor seiner gescheiterten Wiederwahl in Bristol, beklagt sich Burke über die immensen Wahlkampfkosten und die Risiken, die er dabei eingeht. 27 Zur Rolle der Gemeinwohlrhetorik im 18. Jahrhundert vgl. Pocock 1975 und Ottow 1996.

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einer langen und heftigen Debatte, vom Unterhaus ausdrücklich bekräftigt. In Dunning’s Motion ließ eine Mehrheit offiziell festhalten, „that the Influence of the Crown has increased, is increasing, and ought to be diminished“.28 Und eben dieser unwillkommene Einfluss würde nach Ansicht Burkes durch eine Verkürzung der Parlamentsperiode zusätzlich gefördert. Die zweite Konsequenz häufigerer Wahlen, die Burke skizziert, ist die wachsende Abhängigkeit der Kandidaten von privaten Geldgebern. Die Kosten würden geradezu explodieren, mit der Folge eines ruinösen Wettbewerbs, den sich immer weniger Kandidaten leisten könnten. Die Opfer dieser Entwicklung wären vor allem unabhängige Kandidaten, wobei Burke hier wohl auch an sich selbst dachte. Burkes Ablehnung einer radikalen Reform der Repräsentation hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass er sich mit seinem Bristoler Elektorat überworfen und auf eine erneute Kandidatur verzichtet hat.29 Doch die Niederlage in Bristol hat bei ihm nicht zu einem Gesinnungswandel geführt, wie seine Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation vom Juni 1784 verdeutlicht.30

2.1.5 Eine gewohnheitsrechtliche Verfassung Obwohl Burke von einer Veröffentlichung dieser Rede absah, stellt sie doch ein wichtiges Dokument seines politischen Denkens dar. In ihr findet sich nämlich nicht nur eine Verteidigung des existierenden Systems der ‚virtuellen Repräsentation‘, sondern mit presumption und prescription werden hier auch jene Kategorien erstmals systematisch entfaltet, die in der Folge die konzeptionelle Basis seiner Verteidigung der alten Ordnung gegen radikale Kräfte darstellen sollten, insbesondere gegen die Ideen der Französischen Revolution.31

|| 28 Zitiert nach Lock 1998: 460. 29 Ein weiteres Ereignis, welches Burke in seiner Ablehnung der Wahlrechtsausweitung bestätigte, waren die Gordon-Riots, bei denen sich Anfang Juni 1780 in London eine Menge von ca. 40.000 Menschen unter der Führung von Lord George Gordon gegen eine geplante Rücknahme der gesetzlichen Diskriminierungen von Katholiken wandte. Erst nach zehn Tagen konnte die öffentliche Ordnung wiederhergestellt werden; vgl. Norman 2013: 99 ff. 30 Die Rede ist von den Herausgebern der Works auf den 7. Mai 1782 datiert worden, P. J. Marshall und Donald C. Bryant können jedoch plausibel zeigen, dass Burke die Rede, oder zumindest Teile davon, höchstwahrscheinlich am 16. Juni 1784 gehalten hat; vgl. WS IV, 215. Der Gesetzentwurf zur Änderung der Repräsentation wurde am 16. Juni 1784 von Alderman John Sawbridge eingebracht. Sawbridge stand auf Seiten der radikalen Reformer und hatte bereits 1771 einen Gesetzentwurf zur Verkürzung der Wahlperiode eingebracht. Aber auch William Pitt der Jüngere als Premierminister sowie Fox und Charles Lennox, der 3. Herzog von Richmond, auf Seiten der Rockingham-Whigs, liebäugelten zumindest mit einer moderaten Reform der Repräsentation. 31 Vgl. unten, Teil 4, v. a. S. 298 ff.; s. auch oben, S. 47 f.

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Zu Beginn der Rede stellt Burke zunächst die Vorzüge der existierenden Verfassung gegen die erneute Forderung nach einer Reform der Repräsentation heraus. Neben dem Hinweis, dass diese Verfassung die Bewunderung der ganzen Welt erfahre, finden sich zwei substantielle Argumente. Erstens hebt Burke hervor, dass sich die britische Verfassung durch ein System der wechselseitigen Kontrolle und Machtbegrenzung auszeichne. Eine Erweiterung des Wahlrechts würde dieses System dagegen bedrohen, da es zu einer Verschiebung des Machtgleichgewichts zugunsten des einfachen Volkes käme. Vehement weist er Forderungen nach einer ‚persönlichen Repräsentation‘, also nach einem allgemeinen (Männer-)Wahlrecht zurück. Hinter dieser Forderung, die radikale Kräfte schon seit den 1770er Jahren erhoben hatten, vermutete Burke Bestrebungen von Kräften, die sich nicht mit einer Reform des Wahlsystems zufriedengeben würden, sondern seines Erachtens das ganze Verfassungssystem bedrohen. Burke verwendet in diesem Zusammenhang die bekannte Argumentationsfigur des ‚slippery slope‘, wenn er schreibt: „Geben Sie ihnen alles, was sie fordern, und Ihre Konzession ist immer noch ein Betrug“ (136). Er befürchtete, dass derartige Reformbestrebungen durch eine immer weiter um sich greifende Erosion von Autorität nichts Geringeres zur Folge haben würde als den Ausbruch von „Anarchie“ (142). Zweitens argumentiert Burke, dass es die in der britischen Verfassung sedimentierten Erfahrungen vergangener Epochen seien, die diese zu einem so besonderen Schatz machten, der nicht leichtfertig gefährdet werden dürfe: „Denn der Mensch ist ein höchst unvernünftiges und ein höchst vernünftiges Wesen. Der Einzelne ist töricht; die Menge ist in dem Moment töricht, in dem sie handelt, ohne sich zu beraten. Die Gattung aber ist vernünftig, und wenn man ihr Zeit lässt, so handelt sie als Gattung fast immer richtig“ (137). Es ist die Weisheit der Tradition, die Burke hier in Stellung bringt. Wenige Zeilen zuvor hatte er die britische Verfassung ganz in diesem Sinne als eine gewohnheitsrechtliche (prescriptive) Verfassung bezeichnet und damit eine aus dem Privatrecht stammende Figur auf das Verfassungsrecht übertragen. Im damaligen Privatrecht bezeichnete prescription die Vorstellung, dass Besitz seine Legitimität durch unhinterfragte Dauer erhält.32 Das soll Burke zufolge auch für die britische Mischverfassung gelten, allerdings mit der entscheidenden Qualifikation, dass die Nation unter ihr über lange Zeit stabil war und prosperiert habe. Zusammengenommen ergeben demnach die Kriterien von Stabilität und Prosperität „eine Präsumtion zugunsten jeder etablierten Regierungsform und zulasten jedes unerprobten Vorhabens“ (136). Betrachtet man die drei hier abgedruckten Reden zu Burkes Repräsentationstheorie im Zusammenhang, so stellt man fest, dass sie zwar zumeist auf einen konkreten Anlass reagierten, aber dennoch eine einheitliche Handschrift aufweisen. Wie viele seiner Zeitgenossen zeigt sich Burke skeptisch gegenüber radikalen Forderungen. Zugleich verweist Burke, wenn auch nur zögerlich, auf die Notwendigkeit || 32 Zu Burkes Gebrauch der Rechtsfigur der prescription vgl. Canavan 1987 und Bourke 2015a: 246-250.

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der Verankerung der virtuellen in einer tatsächlichen Repräsentation. Als wirkmächtig hat sich jedoch insbesondere das Konzept der argumentativen Reinigung partikularer Interessen durch eine parlamentarische Elite erwiesen. Dieses Modell wurde nicht nur in den Federalist Papers aufgegriffen, sondern findet sich auch heute noch bei Befürwortern der deliberativen Demokratietheorie wieder.33

|| 33 Zum Fortwirken dieser Denkfiguren in den Federalist Papers vgl. Jörke 2011.

2.2 Rede an die Wähler von Bristol aus Anlass seiner Ernennung zu einem der ordentlich gewählten Parlamentsabgeordneten für diese Stadt durch die Sheriffs, gehalten am Donnerstag, den 3. November 1774.1 von Edmund Burke

Gentlemen! Ich kann nicht anders, als die Gefühle des Herrn, dem dieselbe Ehre zuteil wurde wie mir, lebhaft nachzuempfinden.2 Wenn er, der unter Ihnen aufwuchs und sein ganzes Leben in Ihrem Kreis verbrachte, – wenn er, dem durch die sanften Übergänge zwischen Bekanntschaft, Freundschaft und Wertschätzung eine Ehre gewährt wurde, wie sie gleichsam von selbst auf natürliche und unmerkliche Weise jenen widerfährt, die durch ihren steten Sinn für angenehme Umgangsformen und gesellschaftliche Tugenden die Liebe und das Vertrauen ihrer Mitbürger erringen, – wenn er angesichts all der alten Freunde, von denen er umringt ist, nur sehr bewegt über dieses Thema sprechen kann, – so werden Sie die Güte haben, es mir nachzusehen, falls mich meine wirkliche, ungekünstelte Verlegenheit daran hindern sollte, Ihnen gegenüber meiner Dankbarkeit in gebührender Weise Ausdruck zu verleihen. Ich wurde unter der nachteiligen Voraussetzung hierher geholt, Ihnen allen nicht einmal vom Sehen bekannt zu sein. Es gab im Vorfeld keine Wahlkampagne für mich. Ich wurde nominiert, nachdem die Wahl bereits begonnen hatte.3 Ich trat erst in Erscheinung, als sie schon weit vorangeschritten war. Wenn mir Ihre geneigte Meinung ungeachtet all dieser Nachteile einen so glücklichen Erfolg beschert hat, dann werden Sie mir nachsehen, wenn ich Ihnen allen zusammen, so wie ich es Ihnen schon persönlich gesagt habe, schlicht und ergreifend meinen Dank aussprechen darf. Ich bin Ihnen verbunden, ich bin mir Ihrer Güte sehr wohl bewusst. Das ist alles, was ich zu der unschätzbaren Gunst zu sagen vermag, die Sie mir gewährt haben. Doch kann ich es nicht dabei bewenden lassen, ohne noch etwas zur Verteidigung jenes Rechts vorzubringen, das es Ihnen erlaubt, eine solche Gunst zu erweisen. Die Person, die hier als Berater des Kandidaten auftrat, der so lange und so ernsthaft um Ihre Stimmen geworben hat, hält es für angemessen abzustreiten, dass ein sehr großer Teil von Ihnen überhaupt seine Stimme abgeben darf.4 Dieser Mensch || 1 Die Rede ist auch unter dem Titel „Speech at the Conclusion of the Poll“ geläufig. 2 Burke wurde als Zweitplatzierter von den Bristoler Wählern ins Unterhaus gewählt. Zum Wahlmodus und zu den Ergebnissen der Wahl; vgl. oben, S. 102 f. 3 Die Wahl zog sich über 23 Wahltage zwischen dem 7. Oktober und dem 2. November 1774. Burkes Name erschien erst am dritten Tag auf der Liste der Kandidaten, am 10. Oktober; vgl. Weare 1894: 74. 4 Gemeint ist der election agent von Matthew Brickdale. Brickdale war der drittplazierte Kandidat bei den Wahlen. Er erhielt 2.456 Stimmen, verpasste damit den Einzug ins Parlament und ließ unmittelbar nach der Wahl erklären, er lege Widerspruch gegen das Ergebnis ein. Der Einspruch ist abgedruckt in Weare 1894: 93. Zur Funktion der elction agents vgl. O’Gorman 1989: 78-90. https://doi.org/10.1515/9783050087771-003

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bestimmt in seiner Phantasie einen festen Zeitraum (nicht den vom Gesetz vorgesehenen, sondern lediglich einen, der seinem Auftraggeber zum Vorteil gereicht), wodurch er mit einem Schlag all jene Freiheiten abzuschneiden gedenkt, die die wertvollsten Privilegien Ihrer Körperschaft5 darstellen, – die durch das Common Law garantiert werden, – die Ihre Obrigkeit gewähren muss, – die Sie6 bei Ihrer Beurteilung als gebührlich beglaubigt voraussetzen können, – und die in den klarsten Worten, mit der gewissenhaftesten Umsicht und Feinfühligkeit in eben jenem Parlamentsgesetz zugesichert werden, das zur Regelung der Wahlen durch freie Männer7 und zur Vermeidung jeglichen Missbrauchs im Zuge ihrer Durchführung erlassen wurde. Ich habe nicht vor, das Thema an dieser Stelle weiter zu vertiefen. Mein gelehrter Berater hat Ihr Anliegen mit den ihm eigenen Fähigkeiten unterstützt;8 die ehrenwerten Sheriffs haben mit der ihnen eigenen Billigkeit gehandelt; und ich zweifle nicht, dass dieselbe Billigkeit, von der die Wahl bestimmt ist, auch ihren endgültigen Ausgang prägen wird. Ich hatte die Ehre, zusammen mit vielen weitaus klügeren Männern, einen – wenn auch äußerst geringen – Beitrag zur Ausgestaltung jenes Gerichtshofs zu leisten, der über solche Fragen zu befinden hat.9 Es wäre unnatürlich, wollte ich im Hinblick auf die Verhandlung meines eigenen Falles die Rechtsprechung dieses Gerichts in Frage stellen, wo ich mich doch so nachdrücklich dafür eingesetzt habe, seine Gerichtsbarkeit in allen anderen Fällen zu etablieren. Ich versichere den geschätzten freien Männern und dieser Behörde, dass ich ihnen gewissenhaft und hoffentlich erfolgreich beistehen werde, falls dieser Herr bei den Absichten bleibt, zu denen ihn seine augenblickliche Hitzigkeit verleitet. Denn wenn ich irgendetwas über mich selbst weiß, dann dass mich nicht mein eigenes Interesse, sondern meine volle Überzeugung dazu bringt, Ihnen zu sagen: In diesem Fall gibt es meines Erachtens nicht den Hauch eines Zweifels. Ich nehme nicht an, bei Ihnen den Eindruck erweckt zu haben, ich würde mich Ihnen übereilt erklären oder Sie dreist belästigen. Vom Anfang bis zum Ende der Wahl habe ich zu allen Streitfragen Stillschweigen bewahrt. Nie habe ich einen Wähler der Gegenseite befragt oder mich um eine zweifelhafte Stimme für meine eigene Seite bemüht. Ich habe die Fähigkeiten meiner Helfer respektiert; ich habe mich auf die Aufrichtigkeit des Gerichts verlassen. Ich denke, die werten Sheriffs werden mir || 5 Die Gemeindebehörde von Bristol. 6 Gemeint sind die Wähler von Bristol. 7 Freie Männer (freemen) waren Bürger, welche über spezifische Vorrechte verfügten wie etwa Handel zu treiben oder auch das aktive Wahlrecht auszuüben. Dieser Rechtsstatus konnte vererbt, verliehen oder auch erworben werden. Die jeweiligen Regelungen waren von Gemeinde zu Gemeinde oftmals unterschiedlich; vgl. Dickinson 1995: 99 f. u. 112-122. 8 Es handelt sich hier um Thomas Symons oder Symonds; vgl. WS III: 65. 9 Burke verweist hier auf George Grenvilles Elections Act. Dieser sah die Wahl eines Gremiums von 13 Mitgliedern vor, um über Wahlstreitigkeiten zu entscheiden. Dadurch wurde der Einfluss der Regierungsmehrheit, die zuvor über diese Fälle entschied, geschwächt; zu Burkes Rolle in der parlamentarischen Auseinandersetzung um den Election Act vgl. Lock 1998: 288-290.

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bezeugen, dass ich kein einziges Mal versucht habe, mich gegen ihre Vernunft durchzusetzen, ihre Rechtsprechung anzugreifen oder ihre Gemütsruhe aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich stand auf der Rednertribüne nicht wie ein Kandidat, sondern eher wie der unbeteiligte Beobachter eines öffentlichen Verfahrens (ausgenommen, als ich jenen dankte, die mir ihre Stimmen gegeben hatten). Die Lage der Dinge ist hier allerdings eine andere. Hier haben wir es mit dem Versuch eines allgemeinen Massakers an Wahlstimmen zu tun – mit dem Versuch, ein wahlloses Blutbad unter Freunden und Feinden anzurichten, um über 2.000 Stimmen auszulöschen, darunter auch siebenhundert, die auf den Herrn entfielen, der sich jetzt beschwert und der bereit ist, die Freunde, die er gewann, zu vernichten, nur weil er nicht so viele bekommen kann, wie er gerne möchte. In welcher Form man ihm andernorts erlauben wird, sich zu blamieren und sich selbst ein Bein zu stellen und gegen sein eigenes Tun Einspruch zu erheben, das ist eine andere Frage. Das Recht wird darüber entscheiden. Ich werde nur insofern darüber sprechen, als die Schicklichkeit des öffentlichen Verhaltens in dieser Stadt davon betroffen ist. Ich maße mir nicht an, Anstandsregeln für andere Gentlemen aufzustellen. Sie werden selbst am besten wissen, welche Form von Betragen sie der Gunst ihrer Mitbürger empfiehlt. Ich gebe aber zu, mir stünde es schlecht zu Gesicht, wenn ich der Allererste gewesen wäre, der neue Wahlberechtigte herbeigelotst hätte, – wenn ich darauf bestanden hätte, sie bis zum letzten Moment herbeizulotsen, – wenn ich die hintersten Winkel des Königreichs durchstreift hätte, um sie mit der unermüdlichsten Beharrlichkeit und gründlichsten Nachforschung ausfindig zu machen,10 – und wenn ich dann urplötzlich auf dem Absatz kehrtmachen und erklären würde, ich hätte die ganze Zeit mit dem Wahlrecht nur meinen Jux getrieben und eine Stimmabgabe, die den Frieden meiner Mitbürger für einen vollen Monat störte, ohne jeden vernünftigen Grund in die Länge gezogen, – unter diesen Umständen würde ich mir persönlich wirklich lächerlich vorkommen. Und noch lächerlicher erschiene es mir, den Sheriffs mit vollem Ernst ins Gesicht zu blicken und ihnen zu sagen, sie dürften meine Angelegenheit weder nach meinen eigenen Prinzipien beurteilen noch meine Entsendung ins Parlament von jenen Stimmen abhängig machen, die mir zur Wahl verholfen haben. Genau diesen Eindruck aber würde ich vor dem Gericht und bei der Obrigkeit hinterlassen. Welchen Eindruck aber würde ich bei den Wählern selbst hinterlassen? Wenn ich unter den Bürgern, die das Privileg der Freiheit genießen, die Runde gemacht und ihnen die Hände geschüttelt hätte: „Sir, ich bitte untertänigst um Ihre Stimme – ich werde Ihnen ewig dankbar sein – darf ich auf die Ehre Ihrer Unterstützung hoffen? – Wohlan! – ich bitte Sie – wir werden Sie im Rathaus sehen.“ Wenn ich sie dann meinen || 10 Hier wehrt sich Burke gegen den Vorwurf von Brickdale, dass die Zulassung von ca. 2.000 neuen Wahlberechtigten (freemen) illegal gewesen sei und er nur aufgrund dieses Umstandes das zweite Mandat gewonnen habe; vgl. Weare 1894: 80 sowie oben, S. 104. Die Erzeugung neuer Wahlberechtigter im Vorfeld von Wahlen war eine durchaus geläufige Praxis; vgl. Dickinson 1995: 32 f.

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Helfern ausliefern, sie in Strichlisten packen, sie in der Wahlversammlung wählen lassen würde, und wenn ich vom Auditorium hörte: „Nur einen wie den! Und so einen immer! – der ist mein Mann“ – „Ich danke Ihnen, guter Mann – Ha! Mein werter Freund! Ich danke Ihnen von Herzen – was für eine ehrliche Haut – wie geht es Ihrer werten Familie?“ Während mir diese Worte noch kaum über die Lippen gekommen wären, so hätte ich mich flugs umdrehen und ihnen sagen sollen: „Schert Euch fort, nutzloses Pack! Ihr habt keine Stimmen – Usurpatoren seid Ihr! Ihr maßt Euch die Rechte echter freier Männer nur an! Ich will nichts mit Euch zu schaffen haben! Ihr hättet nie zu dieser Wahl herangezogen werden und die Sheriffs hätten Euch nie zur Wahl zulassen dürfen!“ Gentlemen, ich würde eine seltsame Figur abgeben, wenn ich mich so betragen hätte. Ich bin für Sie kein so alter Bekannter wie jener ehrenwerte Herr. Ich hätte mir solche Freiheiten bei Ihnen nicht herausnehmen können. Doch bin ich gezwungen und werde bestrebt sein, den Rechten der freien Männer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – auch wenn ich damit zugleich verpflichtet bin, das vormalige Verhalten meines Gegenspielers* gegen seine gegenwärtigen Neigungen zu verteidigen. Ich bin – in jeder Hinsicht – allen freien Männern dieser Stadt verpflichtet. Meine besonderen Freunde können von mir verlangen, dass ich ihre Erwartungen nicht enttäusche. Niemals wurde eine Sache oder ein Mann mit größerer Beharrlichkeit, größerer Tatkraft und größerer Hingabe unterstützt. Ich wurde von meinen Freunden wirklich mit einer Begeisterung und Aufrichtigkeit unterstützt, die man nicht genug rühmen kann (sofern der Gegenstand ihrer Bemühungen diese Mühe überhaupt wert war). Sie unterstützten mich im Geiste der freiheitlichsten Prinzipien. Sie hatten den Wunsch, dass die Abgeordneten aus Bristol für die Stadt, für das gesamte Land, nicht aber für sie selbst gewählt würden. Bislang sind sie noch nicht enttäuscht worden. Sollte es auch das einzige sein, was ich besitze, so bin ich mir doch des Charakters gewiss, dessen es bedarf, um Ihnen dienen zu können. Ich kenne nichts anderes von Bristol als die Gefallen, die man mir erwies, und die Tugenden, die ich dabei ausgeübt sah. Ich werde, genauso wie ich es jetzt empfinde, immer die vollkommenste und dankbarste Anhänglichkeit an meine Freunde bewahren – und ich verspüre keine Feindseligkeiten, keine Verstimmungen. Ich kann Treue gegenüber Verpflichtungen und Beständigkeit in Freundschaften immer nur mit dem größten Beifall betrachten, selbst dann, wenn diese edlen Eigenschaften gegen meine eigenen Absichten in Anschlag gebracht werden. Der Herr, der in diesem Wettstreit nicht so viel Glück hatte wie ich, genießt in dieser Hinsicht einen Trost, der sowohl ihm selbst als auch seinen Freunden zur Ehre gereicht. Sie haben zu seiner Unterstützung gewiss nichts unversucht gelassen.

|| * Mr. Brickdale eröffnete scheinbar seine Wahl mit einer Strichliste ebenjener Art von freien Männern und vereinte Hunderte ihrer Stimmen auf sich.

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Und was die belanglose Gereiztheit angeht, die der Parteienfuror bei einigen Kleingeistern auslöst, so hat sie mich, selbst wenn sie bis in dieses Gericht hineinreicht, nicht im Geringsten beeindruckt. Solche lärmenden Vögel schwingen sich nie in höhere Sphären auf. Wir hören sie, und wir betrachten sie gerade so wie Sie, werte Herren, wenn Sie die klare Luft auf Ihren stolzen Felsen genießen und auf die Möwen herabblicken, die bei Ebbe über den Schlamm Ihres Flusses streifen. Ich kann leider nicht schließen, ohne ein Wort zu einem Thema zu verlieren, das mein werter Kollege berührt hat.11 Ich wünschte, dieses Thema wäre in einem Moment, in dem ich so wenig Muße habe, um es zu erörtern, außer Betracht gelassen worden. Da er aber meinte, es in den Raum stellen zu müssen, schulde ich Ihnen eine klare Darstellung meiner bescheidenen Ansichten in dieser Sache. Er sagt Ihnen, dass „die Frage der Weisungen in dieser Stadt zu viel Streit und Unruhe geführt hat“; und er spricht sich selbst, wenn ich ihn richtig verstehe, für die zwingende Autorität solcher Weisungen aus.12 Natürlich sollten es, meine Herren, das Glück und die Ehre eines Abgeordneten sein, im engsten Verbund, in der strengsten Übereinstimmung und im offensten Austausch mit seinen Wählern zu leben. Ihre Wünsche sollten für ihn großes Gewicht besitzen, ihren Meinungen sollte er höchsten Respekt und ihrem Geschäft seine ungeteilte Aufmerksamkeit zollen. Es ist seine Pflicht, seine Ruhe, sein Vergnügen, seine Genugtuung den ihrigen zu opfern – und vor allem immer und in allen Fällen ihre Interessen über seine eigenen zu stellen. Seine unvoreingenommene Meinung aber, sein reifes Urteil, sein aufgeklärtes Gewissen sollte er weder Ihnen noch irgendeinem Menschen oder irgendeiner Gruppe lebender Menschen opfern. Denn diese leitet er nicht von Ihrem Vergnügen ab – nein, auch nicht von Gesetz und Verfassung. Sie sind ein Vermächtnis der Vorsehung, für dessen Missbrauch er zutiefst verantwortlich ist. Ihr Abgeordneter schuldet Ihnen nicht nur seinen beharrlichen Einsatz, sondern auch seine Urteilskraft; und er betrügt Sie, statt Ihnen zu dienen, wenn er sie Ihrer Meinung opfert. Mein geschätzter Kollege sagt, sein Wille sollte Ihren Willen untergeordnet sein. Wenn das alles ist, dann gibt es kein Problem. Wenn das Regieren eine Angelegenheit des Willens wäre, sollte der Ihrige fraglos Vorrang haben. Doch Regierung und Gesetzgebung sind Angelegenheiten der Vernunft und der Urteilskraft, nicht der Neigung; und was für eine Vernunft ist es, bei der die Beschlüsse vor der Beratung gefasst werden, bei der eine Reihe von Männern berät und eine andere entscheidet, und bei der diejenigen, die Beschlüsse fassen, möglicherweise dreihundert Meilen von denjenigen entfernt sind, welche die Argumente anhören? Eine Meinung zu äußern, ist das Recht aller Menschen; die Meinung der Wähler ist gewichtig und respektabel, und ein Abgeordneter sollte immer froh sein, sie zu hören, und sollte sie immer aufs Ernsthafteste erwägen. Aber autoritative Weisungen, || 11 Gemeint ist Henry Cruger, der Erstplatzierte der Wahl. 12 Gemeint ist das imperative Mandat; zu Crugers Rede nach der Wahl vgl. oben, S. 104.

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übertragene Mandate, denen das Mitglied des Parlaments blind und bedingungslos zu folgen, für die er seine Stimme zu geben und die er zu verteidigen hat, selbst wenn sie gegen die klarste Überzeugung seines Urteils und seines Gewissens verstoßen – derartige Dinge sind dem Recht dieses Landes gänzlich unbekannt, sie entspringen einem grundlegenden Irrtum hinsichtlich des gesamten Gefüges und Geistes unserer Verfassung. Das Parlament ist kein Kongress von Botschaftern unterschiedlicher und feindlicher Interessen, die ein jeder als Agent und Advokat gegen andere Agenten und Advokaten behaupten muss; das Parlament ist vielmehr eine beratende Versammlung einer Nation, mit einem Interesse: nämlich dem des Ganzen – wo nicht lokale Zwecke, nicht lokale Vorurteile den Ton angeben sollten, sondern das allgemeine Wohl, das der allgemeinen Vernunft des Ganzen entspringt. Sie wählen ein Parlamentsmitglied, in der Tat; aber sobald Sie es gewählt haben, ist es kein Mitglied Bristols mehr, sondern ein Mitglied des Parlaments. Wenn der örtliche Wähler ein Interesse haben oder sich eine überhastete Meinung bilden sollte, die offensichtlich dem wahren Wohl der restlichen Gemeinschaft widersprechen, sollte das Parlamentsmitglied, das diesen Ort vertritt, ebenso sehr wie jeder andere von jedem Bemühen absehen, diesem Interesse oder dieser Meinung Geltung verschaffen zu wollen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich mich so ausführlich zu diesem Thema äußere; ich wurde unwillentlich in es hineingezogen; doch werde ich mich im Austausch mit Ihnen immer einer respektvollen Aufrichtigkeit befleißigen. Ihr treuer Freund, Ihr ergebener Diener – das werde ich bis ans Ende meiner Tage sein: einen Schmeichler aber wünschen Sie sich nicht. Ich halte es allerdings nur schwer für möglich, dass wir bezüglich dieses Punktes der Weisungen jemals irgendeine Meinungsverschiedenheit haben werden. Vielleicht darf ich Ihnen hier eher zu viel als zu wenig zumuten. Von der ersten Stunde an, in der ich mich ermutigt sah, um Ihre Gunst zu werben, bis zu diesem glücklichen Tag, an dem sie mir gewährt wurde, habe ich Ihnen niemals etwas anderes versprochen als das bescheidene und unausgesetzte Bemühen, meine Pflicht zu tun. Das Gewicht dieser Pflicht lässt mich, wie ich zugeben muss, erschaudern; und jeder, der wohl bedenkt, worin sie – von allen Dingen dieser Welt – besteht, wird die Flucht ergreifen vor etwas, was alles andere ist als ein eindeutiger und leichtfertiger Wählerauftrag. Ein gutes Mitglied des Parlaments zu sein, ist, wie ich Ihnen versichern darf, keine leichte Aufgabe – insbesondere in diesen Zeiten, in denen die Neigung so groß ist, in die gefährlichen Extreme einer unterwürfigen Willfährigkeit oder einer hemmungslosen Volkstümlichkeit zu verfallen. Umsicht mit Tatkraft zu verbinden, ist absolut notwendig und doch extrem schwierig. Wir sind nun die Abgeordneten für eine reiche Handelsstadt; diese Stadt aber ist lediglich ein Teil einer reichen Handelsnation, deren Interessen unterschiedlich, vielgestaltig und verwickelt sind. Wir sind Parlamentsmitglieder für diese große Nation, die aber wiederum nur Teil eines großen Empires ist, das sich dank unserer Tugend und unseres Glücks bis an die äußersten Grenzen des Ostens und des Westens erstreckt. All diese weitgefächerten Interessen müssen berücksichtigt, müssen verglichen und, wenn möglich,

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miteinander versöhnt werden. Wir sind Abgeordnete für ein freies Land; und wir alle wissen, dass die Maschinerie einer freien Verfassung keine einfache Sache ist, sondern ebenso kompliziert und empfindlich wie wertvoll. Wir sind Abgeordnete in einer großen und alten Monarchie; und wir müssen die wahren, gesetzlichen Rechte des Souveräns peinlich genau schützen, sind sie doch der Schlussstein, der das edle und wohlgebildete Gewölbe unseres Empires und unserer Verfassung zusammenhält. Eine Verfassung, die aus ausbalancierten Gewalten besteht, muss immer eine heikle Sache bleiben. In diesem Sinne beabsichtige ich, mich um jenen Teil der Verfassung zu bemühen, der in meinem Wirkungsbereich liegt. Ich kenne meine Schwächen, und ich erhoffe mir Unterstützung von allen Seiten. Insbesondere werde ich mich um die Freundschaft des geschätzten Kollegen bemühen, den Sie mir gaben, sowie den besten Austausch mit ihm pflegen. Ich möchte Sie nicht weiter belästigen, sondern Ihnen allen nur noch einmal danken: Ihnen, meine Herren, für Ihre Gunst; den Kandidaten für ihr besonnenes und freundliches Auftreten; und den Sheriffs für ein Verhalten, das allen, die öffentliche Ämter bekleiden, als Vorbild dienen mag.

2.3 Rede zur Verkürzung der Parlamentsdauer, gehalten am 8. Mai 1780 von Edmund Burke

Es ist immer zu beklagen, wenn Menschen gezwungen sind, die Fundamente des Gemeinwesens zu überprüfen. Zweifellos muss man die Theorie der eigenen Regierungsform berücksichtigen, wenn man eine Änderung an ihrer Struktur vorschlägt – ob es bei dieser Änderung nun um die Wiederbelebung einer früheren, veralteten und aufgegebenen Staatsverfassung oder um die Einführung einer neuen Verbesserung des Gemeinwesens geht. Ziel unserer Beratung ist es, die guten Zwecke, zu denen Wahlen eingeführt wurden, zu fördern und gleichzeitig deren Nachteile zu vermeiden.1 Wenn wir dächten, mit häufigen Wahlen wären keine oder nur geringfügige Nachteile verbunden, dann würde uns das starke Grundprinzip unserer Verfassung wie ein Sturzbach zu ihnen tragen. Aber eine Arznei muss zur Krankheit passen, zur gegenwärtigen Krankheit wie zur ganzen Krankheit. Wer glaubt, irgendeine Erfindung des menschlichen Geistes hätte auch nur die geringste Aussicht auf Vollkommenheit, der überschätzt sie kolossal, und seine Meinung ist deshalb haltlos und irreführend. Es gibt keinen Grundsatz des Staates und gab nie einen auf Gottes Erdboden, der nicht im Streben nach dem von ihm in Aussicht gestellten Gut naturgemäß und unweigerlich irgendeinen Nachteil mit sich bringt. Dies macht es zwingend erforderlich, die Anwendung dieses ersten Grundsatzes selbst einzudämmen und abzuschwächen, mithin den Vorteil, den man sich von ihm versprach, in gewissem Umfang aufzugeben, um zugleich die Nachteile zu vermeiden, die aus der Beförderung all des Guten, das man vor Augen hatte, erwachsen sind. Im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand und den Interessen des Volkes zu regieren, ist ein großes und ruhmreiches Ziel der Regierung. Dieses Ziel lässt sich einzig und allein durch das Mittel der Volkswahl erreichen; und die Volkswahl ist ein gewaltiges Übel. Sie ist so sehr von Übel, dass, obwohl die Monarchen ursprünglich einmal in nur wenigen Nationen nicht gewählt wurden, sie heutzutage kaum mehr gewählt werden. Die mit Wahlen einhergehenden Unruhen sind es nämlich, die alle freien Staaten zerstört haben. Diese Unruhen zu vermeiden, ist schwierig, wenn nicht unmöglich. Folglich bleibt uns zur Rettung des Gemeinwesens nichts anderes übrig, als die allzu häufige Wiederkehr von Wahlen zu verhindern. Unsere Ziele sind also, Parlamente so häufig einzusetzen wie möglich, ohne sie dadurch von der Führung der öffentlichen Aufgaben abzulenken. Damit wird einerseits ihre Abhängigkeit vom Volk sichergestellt, andererseits wird ihnen die innere Ruhe und materielle Freiheit gewährt, die sie brauchen, um die anstrengendste und mühevollste Pflicht der Welt mit Tatkraft, Effizienz, Unabhängigkeit und Erfahrung zu erfüllen, und zwar || 1 Diskutiert wurde über einjährige, dreijährige und siebenjährige Wahlperioden. https://doi.org/10.1515/9783050087771-003

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tatsächlich als Anwälte der Öffentlichkeit und nicht als Stimmenwerber in einem unaufhörlichen Wahlkampf. Die Klugheit gebietet, so viele gute Ziele wie möglich zu vereinigen, doch, wenn man sieht, dass es Nachteile und Vorteile auf beiden Seiten gibt, einen Teil der Vorteile aufzugeben, um die Nachteile erträglicher zu machen. Eine vollkommene Heilung ist ausgeschlossen, da die Erkrankung denen lieb und teuer ist, von denen alleine eine Heilung zu erwarten wäre. Das Äußerste, was man tun kann, ist, zu lindern, zu vertagen, den jüngsten Tag der Verfassung bis zur letztmöglichen Stunde aufzuschieben – und möge es eine sehr späte Stunde sein! Dieser Gesetzesentwurf würde, fürchte ich, eine von zwei Konsequenzen zeitigen – und ich weiß nicht, welche von ihnen wahrscheinlicher und welche gefährlicher wäre: Entweder würde die Krone durch ihre Macht, ihren Einfluss und ihre Einnahmen, die konstant und vorgegeben sind, bei Wahlen jegliche Opposition zermürben; oder es würde eine aufgeheizte und gewaltbereite Stimmung im Volk aufkommen. Um mich überzeugen zu lassen, muss ich die Gegenmittel sehen; ich muss sehen, wie sie sich bei der Heilung der alten Missstände und bei der Heilung jener neuen Missstände, die mit allen Heilmitteln unweigerlich verbunden sind, gegenseitig die Waage halten und wie das Ergebnis am Ende aussieht. Mathematik und Metaphysik haben den Vorteil, nur je einen Aspekt in Betracht zu ziehen; bei allen moralischen Erwägungen aber bildet sich derjenige das beste Urteil, der die meisten und mannigfaltigsten Gesichtspunkte zugleich überblickt und sie allesamt mit der bestmöglichen Einschätzung der durchschnittlichen Ergebnisse berücksichtigen kann. Wir von der Opposition, die wir keine Freunde der Gesetzesvorlage sind, geben dem Volk zumindest diese Versicherung unserer Rechtschaffenheit und Ernsthaftigkeit: dass wir ihm in unserer Lage der grundsätzlichen Opposition gegen die derzeitigen Minister, in der jede Hoffnung, diese Opposition wirksam werden zu lassen, von seinem Interesse und seiner Gunst abhängt, nicht mit einem Verzicht auf unsere unbeeinflusste Beurteilung und Meinung schmeicheln werden. Für den Fall, dass sich unsere Situation je ändern sollte, geben wir die Zusicherung, dass uns keine Schmeichelei, die mit irgendeiner anderen Art von Macht und Einfluss lockt, dazu bewegen würde, gegen die wahren Interessen des Volkes zu verstoßen. Wir sind uns alle einig, dass Parlamente nicht von unbegrenzter Dauer sein sollten; die Frage ist nur, welcher Zeitraum sich für sie am besten eignet? – Hierzu gibt es drei unterschiedliche Meinungen. Wir sind uns ebenfalls einig, dass die Amtsdauer nicht so gewählt werden sollte, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Ausbreitung der Korruption und einer Ausweitung des jetzt schon übermäßigen Einflusses der Krone führt. Auf der Grundlage dieser Prinzipien möchte ich die Frage verhandeln. Sich als Freund der Freiheit auszugeben, ist ein Leichtes. Wer nicht in die Gefahr zu geraten meint, seine Versprechen in die Tat umsetzen zu müssen, weil ihm entweder ein Ruf der Unfähigkeit vorauseilt oder ihn diese Umsetzung vollkommen gleichgültig lässt, gibt sich gewiss den hochtrabendsten Vorstellungen hin. Diese sind zugleich die fadenscheinigsten; sie zu formulieren kostet ihn keinerlei Überlegung, sie anzupassen keinerlei Mühe und sie beizubehalten keinerlei Geschick. Die Aufgabe

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stellt sich jenen anders dar, die nichts zu versprechen gedenken, was nicht in ihren Absichten liegt, und die potentiell über die Macht ihrer Umsetzung verfügen – jenen, die sich aus grundsätzlichen Erwägungen dazu verpflichtet fühlen, weder das Verständnis ihrer Mitbürger in die Irre zu führen noch deren Freiheit zu verletzen. Wir sollten gewissenhafte Wächter über die Rechte und Privilegien des Volkes sein. Doch wenn wir unserer Pflicht so gewachsen sind, wie wir es sein sollten, besteht sie darin, dem Volk Orientierung zu geben, und nicht, diese von ihm zu erhalten: Nicht wir sollten beim Volk in die Lehre gehen, um die Grundlagen des Rechts und der Regierung zu erlernen. Täten wir dies, würden wir dem Volk nicht pflichtschuldig dienen, sondern es aufs Gemeinste und Skandalöseste verraten, denn es ist zu diesem Dienst von Natur aus nicht in der Lage und auch von der Verfassung keinesfalls dazu aufgerufen. Ich blicke mit Ehrfurcht und fast schon abergläubischer Scheu zur Meinung des Volkes auf. Ich würde mich schämen, ihm unter die Augen zu treten, wenn ich meine Gründe davon abhängig machte, wie es Personen, Dinge oder Meinungen in den höchsten Tönen lobte oder zutiefst verdammte – wenn ich mit jedem Umschwung schwankte und die Meinung änderte, mich ihm anschlösse oder widersetzte, ganz wie es irgendwelchen niederen Interessen oder Leidenschaften am besten entspräche – wenn ich bei ihm falsche Hoffnungen nährte, von denen ich wüsste, dass sie meinen Absichten nicht entsprächen, oder etwas verspräche, von dem ich sehr wohl wüsste, dass ich es nicht einlösen könnte. Über all diese Dinge kann das Volk in letzter Instanz völlig souverän urteilen; um aber über die Details einzelner Maßnahmen oder die allgemeine Ausrichtung der Politik entscheiden zu können, fehlt es ihm sowohl an der nötigen Reflexion als auch an Erfahrung in diesen Angelegenheiten. Es kann gut sehen, ob wir die Werkzeuge des Hofes sind oder des Volkes aufrichtige Diener. Darüber kann es sich gut ein Urteil bilden – und ich wünschte, es würde stets von seiner Urteilskraft Gebrauch machen; bezüglich der konkreten Vorzüge einer Maßnahme besitze ich jedoch andere Standards … Dass die im vorliegenden Gesetzesentwurf vorgeschlagene Häufigkeit von Wahlen den Sinn hat, den Einfluss und die Bedeutung der Wähler zu vergrößern, nicht aber den, die Bestechlichkeit zu verringern, räume ich sofort ein; insoweit ist er zu begrüßen. Das ist es, was für ihn spricht. Ich werde Ihnen nun sagen, was gegen ihn spricht. 1.) Er ist in keiner Weise geeignet, die Rechtschaffenheit und den Gemeinsinn der Wähler zu befördern, es sei denn, ein Machtzuwachs bei Wahlen hätte auf die Wähler einen Einfluss, den er unter keinen anderen Umständen dieser Welt und auf keinen anderen Teil der Menschheit hat. 2.) Dieser Gesetzesentwurf führt nicht dazu, den Einfluss der Krone zu beschneiden, ihre Einflussnahme zu erschweren oder dieser Einflussnahme dort entgegenzuwirken, wo sie auf keinen Fall verhindert werden kann. Ihr Einfluss behält sein volles Gewicht, seinen vollen Umfang und wird den Wählern gegenüber genauso unkontrolliert geltend gemacht wie zuvor. 3.) Drittens zügelt er auch nicht das Interesse oder die Neigung von Ministern, diesen Einfluss bei den Wählern geltend zu machen: Er zwingt sie im Gegenteil umso mehr, die Mittel zu dieser Einflussnahme zu vermehren, sie mit doppeltem Eifer anzuwenden und ihre

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entsprechenden Fertigkeiten zu verfeinern, wenn sie eine Mehrheit im Parlament finden wollen. Der einzige Effekt des Gesetzes ist somit, einen Teil der Einflussnahme von den Gewählten auf die Wähler zu verlagern und ein Interesse des Hofes weiter zu stärken und auszuweiten, das in den Wahlbezirken schon sehr mächtig zu spüren ist: hier nämlich seine Waffenlager und Waffenplätze anzulegen und sie zur wichtigsten, nicht mehr nur zweitrangigen Schaubühne jener Manöver zu machen, die ihm eine entschiedene Mehrheit im Parlament sichern sollen. Ich glaube, niemand wird leugnen, dass Wähler bestechlich sind. Es sind Menschen – etwas Schlechteres ist damit gar nicht über sie gesagt; viele von ihnen sind wenig gebildet, viele leben unter kläglichen Bedingungen und sind deshalb leicht zu übervorteilen und zu verführen. Gibt es viele von ihnen, ist der Lohn für ihre Käuflichkeit umso geringer; und ich wünschte bei Gott, es wäre eine menschenfreundliche Ansicht und keine verachtenswerte und heuchlerische Schmeichelei zu sagen, noch gäbe es in vielen Teilen dieses Königreichs unter den Wählern keine Verkommenheit, keine Korruption, keine Bestechlichkeit, keinen Eidbruch, keine blinde Wut und keine eigennützigen Faktionen! Und das ist in dieser Klasse von Privatleuten auch nicht überraschend oder in irgendeiner Weise tadelnswert, wenn jemandem nämlich das gehobene Ansehen seines Nachbarn vor Augen steht, während er selbst arm und tugendhaft ist und ohne den Glanz oder die Würde auskommen muss, derer sich bessergestellte Menschen erfreuen. Doch selbst wenn es wahr wäre, dass die große Mehrheit der Wähler für den Einfluss des Hofes ein unüberschaubarer und unerreichbarer Gegenstand wäre, den er ohne weitere Hoffnung aufgeben müsste – dann wüsste derjenige immer noch sehr wenig über die Natur jedes öffentlichen Interesses, dem nicht bekannt wäre, dass es in allen Gemeinden, in allen offenen Wahlbezirken,2 ja in jedem Distrikt des Königreichs irgendeinen führenden Mann gibt, einen Scharfmacher, vielleicht einen wohlhabenden Kaufmann oder gewichtigen Manufakturbesitzer, einen rührigen Anwalt oder beliebten Pfarrer, einen Geldverleiher usw. usf., dem die ganze Herde folgt. So verhält es sich in allen freien Ländern. Multum in Fabiâ valet hic, valet ille Velinâ; Cuilibet hic fasces dabit, eripietque curule.3

Diese Geister, von denen jeder seine eigene kleine Welt prägt und regiert, sind weder so zahlreich noch so machtlos, noch so unbestechlich, dass nicht ein Minister die Mittel finden kann, wie es ja auch oft genug geschieht, um sie auf seine Seite zu ziehen, und mit ihnen alle ihre Gefolgsleute. Einen ziemlich durchgängigen Einfluss auf die Wähler zu gewinnen, wird darum nicht schwieriger sein, als einen unzulässigen Einfluss auf Mitglieder des Parlaments zu nehmen. Ich fürchte deshalb, dass diese || 2 Im Gegensatz zu den pocket boroughs, vgl. oben S. 103. 3 „[...] der gilt in der Fabischen Tribus, der in der Velischen viel; wen der will, macht er zum Consul“ (Horaz, Epistolarum liber, I, 6, 52 f.).

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Gesetzesvorlage zwar den Ort verschiebt, an dem die Unordnung entsteht, der Verfassung aber in keiner Weise dienlich ist. Ich habe beinahe jede umstrittene Wahl zu Beginn dieses Parlamentes mitgemacht und viele davon als Wahlhelfer begleitet, wodurch ich mir, wenn auch wie in einer Schule von ziemlich strenger und harter Disziplin, ein gewisses Maß an Einsicht in die Mittel erworben habe, mit denen parlamentarische Interessen im Allgemeinen durchgesetzt und gefördert werden. Ich weiß, die Theorie geht davon aus, dass jede Parlamentswahl für den Repräsentanten ein Tag des Jüngsten Gerichts ist, an dem er sich seinen Wählern stellen und Rechenschaft darüber ablegen muss, welchen Gebrauch er von dem Pfund gemacht hat, das sie ihm anvertrauten, und welchen Gewinn er daraus zum öffentlichen Vorteil gezogen hat. So wäre es auch, wenn jedem bestechlichen Repräsentanten eine aufgeklärte und unbestechliche Wählerschaft gegenüberstünde. Aber die Praxis und die Kenntnis der Welt können uns schwerlich darüber hinwegsehen lassen, dass die Verfassung auf dem Papier eine Sache ist und die wirkliche, wie wir sie aus der Erfahrung kennen, eine andere. Wir müssen wissen, dass der Kandidat bei seiner Wahl nicht auf das Zeugnis seines Verhaltens im Parlament vertrauen kann, sondern das Zeugnis einer großen Geldsumme erbringen muss; dass er die Fähigkeit besitzen muss, großzügig allerlei Aufwendungen zu zahlen, und das Vermögen, den Gemeindevorstehern dienstbar und gefällig zu sein sowie die beliebten Oberhäupter von politischen Klubs, Vereinen und Wohngegenden für sich zu gewinnen. In all den Wahlen, die ich miterlebt habe, war es tausendmal wichtiger, als mächtiger Mann aufzutreten denn als redlicher. Wahlen werden daher zu einer kostspieligen Angelegenheit; und wenn sie häufig stattfinden, dann werden die damit verbundenen Ausgaben für manch einen schlicht ruinös sein. Kein Vermögen hält das lange aus, am wenigsten aber Vermögen aus Landbesitz, die oft, ja eigentlich meistens mit Schulden, Pflichtteilen, Mitgiftgütern belastet und aufgrund der Ansiedlungsbeschränkungen in den Händen ihrer Eigentümer gebunden sind. Dies ist im Zusammenhang mit Wahlen ein wesentlicher und meines Erachtens durchgängiger Aspekt aller sie betreffenden Fragen. Niemand soll die mit Wahlen einhergehenden Belastungen für unerheblich halten. Die Belastungen, die mit Wahlen verbunden sind, sollten deshalb niemals außer Acht gelassen werden, wenn es um deren Häufigkeit geht; denn das große Ziel, nach dem wir streben, lautet Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit des Geistes ist stets mehr oder weniger von der Unabhängigkeit des Vermögens beeinflusst; und wenn die sich leerenden Schleusen der Bewirtungen, Umtrünke, offenen Häuser, von Bestechungsgeldern ganz zu schweigen, regelmäßig alle drei Jahre geöffnet werden, – wenn bei jeder Gelegenheit Gefälligkeiten der Regierung, um die sich heutzutage in der einen oder anderen Form das ganze Menschengeschlecht bewirbt, eingefordert werden sollen, dann sehe ich die privaten Vermögen fortgespült und den letzten Hauch von Unabhängigkeit gleich mit. Ich glaube nicht ernsthaft, dass diese Verfassung, und nicht einmal ihre Trümmer, fünf dreijährliche Wahlen überleben würden.

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Wenn Sie sich auf diesen Kampf einlassen wollen, müssen Sie die Rüstung des Ministeriums anlegen, Sie müssen die Öffentlichkeit dazu aufrufen, das Privatvermögen zu unterstützen. Die Kosten der letzten Wahlen wurden auf 1.500.000 Pfund beziffert (und ich bin überzeugt, dass dies nicht zu hoch gegriffen ist) – drei weitere Schillinge Grundsteuer.4 Etwa gegen Ende des letzten und zu Beginn des jetzigen Parlaments zogen verschiedene Wahlagenten für die Bezirke umher, und ich erinnere mich noch gut, wie es aus ihrer aller Munde tönte: „Sir, Ihre Wahl wird Sie dreitausend Pfund kosten, wenn Sie unabhängig sind; wenn aber das Ministerium Sie unterstützt, lässt es sich für zwei machen, vielleicht sogar für weniger.“5 Das sprach nun wirklich für sich. Wo für den einen ein Lebensunterhalt heraussprang, ein Offizierspatent für einen anderen, ein Marineposten für einen dritten, Stellen im Zollamt ohne Maß und Zahl, wer wollte da bezweifeln, dass Geld zu sparen wäre? Die Schatzkammer mag sogar weitere Gelder hinzufügen, doch ist dies wahrlich überflüssig. Ein Gentleman mit zweitausend Pfund im Jahr, der auf einen anderen von gleichem Vermögen trifft, kämpft mit gleichen Waffen; wenn man jedoch einem der Kandidaten tausend Pfund im Jahr zuschießt, in Form von Positionen für ihn selbst und der Befugnis, noch einmal so viel an andere zu vergeben, dann muss er, oder arithmetische Beweise hätten keinen Sinn, seinen Gegenspieler ruinieren, wenn er jedes dritte Jahr auf ihn treffen und gegen ihn antreten soll. Man wird sagen, ich ließe den Einfluss des Charakters außer Betracht: Das tue ich nicht. Und ich weiß, dass der Charakter in den meisten Wahlen ins Gewicht fallen wird – vielleicht ist er in einigen ausschlaggebend; doch wird es nur wenige geben, in denen er große Ausgaben verhindert. Die Folge wird die Vernichtung unabhängiger Vermögen auf Seiten der Kandidaten sein. Was wird die Folge dreijährlicher Bestechung, dreijährlicher Trunkenheit, dreijährlicher Untätigkeit, dreijährlicher Klagen, Prozesse, Strafverfolgungen, dreijährlicher Raserei sein – einer aufgelösten Gesellschaft, ausgesetzten und zerstörten Fleißes – jener persönlichen Hassgefühle, die sich nie wieder besänftigen lassen, jener Feindseligkeiten und Fehden, die unsterblich werden, jener Querelen, die nie wieder abklingen sollen – wenn nicht eine Moral, die bis ins Mark verdorben und brandig geworden ist? Ich glaube, dass noch nie ein dauerhafter und nützlicher Vorzug aus dem Geld erwachsen ist, welches dem Wähler bei Wahlen zufließt, dass aber alles, was er bekommt, für die Öffentlichkeit doppelt verloren ist: Dieses Geld wird ausgegeben, um das allgemeine Kapital der Gemeinschaft zu verringern, das im Fleiße der Bürger steckt. Ich bin mir sicher, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis er oder seine Familie sich wieder auf ihre Geschäfte besinnen. Nie wieder werden sie einen kühlen Kopf haben; stets werden ihnen die Versuchungen der Wahlen verlockend vor Augen funkeln. Sie alle werden zu Politikern; ein jeder gibt sein Geschäft auf, um sich lieber durch seine Wahl zu bereichern. Sie werden alle lieber zum Eichmaß des Steuerbeamten greifen, || 4 Die Grundsteuer lag bei drei Schilling pro Pfund (d. h. ca. 15 %) und erbrachte rund 1.500.000 Pfund. 5 Die durchschnittlichen Preise für einen sicheren Wahlkreis verdoppelten sich von 1.500 Pfund im Jahr 1754 auf 3.000 Pfund im Jahr 1774; vgl. WS III: 595.

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neue Stellen werden für sie geschaffen; sie werden zum Zollhafen rennen, ihre Webstühle und Pflüge aber werden sich selbst überlassen bleiben. So wurde Rom durch das Chaos permanenter Wahlen zerstört, wobei das römische Chaos noch ein bescheidenes war. Sie hatten nichts als politische Faktionen, Bestechung, Brot und Bühnenspiele, um zu verkommen; wir sind auch noch aufgepeitscht durch den Alkohol: eine wüstere Raserei als all die anderen. Dort tobte der Streit lediglich zwischen Bürger und Bürger; bei uns gibt es einen Kampf zwischen ehrgeizigen, von der Krone unterstützten Bürgern auf der einen Seite, die sich den Bestrebungen (so es ihn gibt) des privaten, keine Unterstützung genießenden Ehrgeizes auf der anderen Seite widersetzen. Und doch wurde Rom durch die häufigen und belastenden Wahlen und die monströsen Kosten des unablässigen Werbens um das Volk zerstört. Ich glaube daher, dass der unabhängige Kandidat wie der unabhängige Wähler durch sie zerstört werden, die Gemeinschaft als ganze unendlich darunter zu leiden hat und ein lasterhaftes Ministerium der einzige Gewinner sein könnte. Ich weiß, dass Gentlemen das Gewicht dieses Argumentes spüren; auch sie sind der Ansicht, dass unter den gegebenen Umständen häufigere Wahlen eine solche Konsequenz hätten. Sie glauben jedoch, dass Ausmaß und häufige Wiederkehr des Übels selbst das beste Gegengift wären; dass nämlich ein Abgeordneter, der nur für eine kurze Periode im Parlament säße, es nicht lohnend fände, so immense Ausgaben zu tätigen, während ihn die Angst vor seinen Wählern wirksamer an seine Pflichten bände. Darauf erwidere ich, dass die Erfahrung ihnen rundweg widerspricht. Dies ist ja keine neue Idee; wir hatten bereits dreijährige Parlamente, und niemals wurde heftiger um die Sitze gerungen als zu jener Zeit.6 Alle Belastungen zusammengenommen waren die Wahlausgaben höher, als sie es jetzt sind. Die Ausgaben für Bewirtungen erreichten ein solches Maß, dass ein ebenso striktes wie wirkungsloses Gesetz dagegen verabschiedet wurde;7 jedes Dokument aus dieser Zeit kündet von den Kosten, und die meisten der Gesetze gegen Wahlkorruption wurden damals erlassen; alle Autoren sprachen und klagten darüber. Glaubt denn irgendjemand, dass um eine Gemeinde auch nur mit einer Schale Punsch oder einem Stück Rindfleisch weniger gekämpft wird, weil die Wahlen alle drei statt alle sieben Jahre stattfinden? Werden sie ihren Wein gegen Bier tauschen, weil in drei Jahren wieder Bier fließen soll? Glauben Sie das nicht. Werden sie seltener die Vorteile der Patronage in Form von Gefälligkeiten und Ämtern einfordern, weil sie ihren Repräsentanten besser unter Kontrolle || 6 Von 1694 an, dem Jahr der Verabschiedung des Triennial Act, fanden die Wahlen mindestens alle drei Jahre statt. 1716 wurde mit dem Septennial Act die maximale Zeit zwischen zwei Wahlen auf sieben Jahre verlängert. Dieser Beschluss wurde einerseits gefasst, um die Kosten der Wahlkämpfe zu reduzieren, andererseits sollte er aber auch die Whig-Vorherrschaft sichern. Während des 18. Jahrhunderts fanden Wahlen dann auch nur alle sechs bis sieben Jahre statt, im 19. Jahrhundert erhöhte sich dann aber die Häufigkeit von Wahlen, und zwar ohne formelle Wahlrechtsänderung. 1911 wurde die höchste Parlamentsdauer durch Parlamentsbeschluss schließlich auf fünf Jahre festgelegt. 7 Gemeint ist der Treating Act aus dem Jahr 1696, vgl. oben, S. 111.

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gebracht haben? Wir können in dieser Frage nicht nur auf unsere eigenen historischen Erfahrungen in England zurückgreifen, sondern auch auf die zur gleichen Zeit in Irland gemachten, wo sich die Wahlkosten nach einer Verkürzung der Parlamentsdauer keinesfalls verringert, sondern nahezu verdoppelt haben. Zuvor hatten sie ihre Sitze auf Lebenszeit des Königs, und ein Parlamentssitz kostete für gewöhnlich 1.500 Pfund. Jetzt sitzen sie für acht Jahre in vier Sitzungsperioden, und der Preis liegt nun bei 2.500 Pfund und mehr. Auch der Geist der Rivalität hat extrem zugenommen, und alle, die mit dem Umgangston in jenem Land vertraut sind, haben keinen Zweifel daran, dass sich dieser Geist weiter verschärft, dass neue Kandidaten die Führung übernehmen, dass die Kämpfe heftiger werden und die Aufwendungen für Wahlen höher als je zuvor. Es kann auch gar nicht anders sein. Ob man damit Gutes, Schlechtes oder gar nichts im Sinn hat (außer der schieren Wichtigkeit, die man daraus ableitet, an den öffentlichen Ratschlüssen beteiligt zu sein), ein Sitz in diesem Haus wird in England immer ein erstklassiges Ziel für den Ehrgeiz darstellen. Ehrgeiz aber ist kein guter Rechner. Noch nicht einmal die Habgier rechnet genau, wenn sie spielt. Eines ist sicher: dass es in diesem politischen Spiel die große Lotterie der Macht ist, in die sich die Menschen einkaufen wollen, auch wenn die Chancen millionenfach gegen sie stehen. Obwohl in der Türkei die Stellung, das Glück, selbst der Kopf so unsicher sind, dass seit Ewigkeiten kaum noch jemand in seinem Bett gestorben ist, sondern die Bogensehne als natürliche Todesursache der Paschas gelten muss, wird in keinem anderen Land mit so grenzenloser Gier nach Macht und Ansehen gestrebt (so unsicher sie, weiß Gott, für alle sind) – als ob der Wert einer Position durch die mit ihr verbundene Gefahr und Unsicherheit stiege. Nichts wird je verhindern, dass ein Sitz in diesem Haus für Unzählige ein Objekt der Begierde ist, das man mit allen Mitteln und zu jedem Preis erstrebt, so man es nicht aller Macht und Würde beraubt. Das würde reichen. Das ist die wahre und einzige Geheimwaffe für diesen Zweck. Aber ein House of Commons ohne Macht und ohne Würde, sei es die eigene oder die seiner Mitglieder, ist kein House of Commons im Sinne unserer Verfassung. Sie werden aber Angst davor haben, schlecht zu handeln, wenn sie wissen, dass der Tag der Abrechnung nie fern ist. Ich wünschte, dies wäre wahr, aber das ist es nicht. Auch hier haben wir schon Erfahrungen gesammelt, und die Erfahrung spricht dagegen. Die Krankheit unserer Zeit ist ihre Armut an Geist und Genie: Sie ist frivol, sie ist unerheblich, in höchstem Maße unwissend, nur oberflächlich unterrichtet; ihre Politik und ihre Moral sind eher die von Internatsschülerinnen als die von Männern und Staatsmännern. Doch hoffnungslos böse oder so käuflich wie ehedem ist unsere Zeit nicht. War es nicht ein dreijähriges Parlament, das die nationale Würde abschrieb, den Frieden von Utrecht billigte und nahezu alles andere aufgab, indem es alles tat, um die protestantische Erbfolge zu vereiteln?8 Wurde die Verfassung nicht || 8 1710 kam es nach längerer Dominanz der Whigs zu einem Wahlsieg der Tories, was dazu führte, dass Königin Anne ausschließlich Tories in die Regierung berief. Vor allem Lord Bolingbroke setzte

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von denen gerettet, die sich nie einer Wahl stellen mussten, den Lords, weil sich der Hof an die Wähler wandte und sie mit verschiedenen Mitteln von ihren wahren Interessen abbrachte, sodass das Tory-Kabinett eine Mehrheit hatte, ohne sich auch nur an ein einziges Parlamentsmitglied zu wenden?9 Und was das Verhalten der Parlamentsmitglieder betrifft, so war es damals alles andere als lauter und unabhängig. Man bestach viel unverhohlener. Einer Ihrer Vorgänger, Mr. Speaker, stellte die Frage nach seinem eigenen Ausschluss wegen Bestechlichkeit. Sir C. Musgrave war ein kluger, würdiger, unabhängiger Mann von großem Vermögen und guter Familie; dennoch betrieb er, als er in der Opposition war, ein Tauschgeschäft, ein schändliches Tauschgeschäft mit dem Kabinett.10 Bishop Burnet wusste von einer Zahlung über 6.000 Pfund, die er einmal erhalten hatte.11 Ich glaube, dass die Zahlung von Summen Bargelds, die schlichte nackte Bestechung bei uns selten ist. Damals war sie alles andere als ungewöhnlich. Ein dreijähriges Parlament richtete Ihre Verfassung fast zugrunde, ein siebenjähriges rettete sie; auch konnten Sie für den Dreiklang aus nationaler Wohlfahrt, Würde und Freiheit vielleicht niemals eine blühendere Phase erleben als die sechzig Jahre, die Sie unter dieser Verfassung des Parlamentes verbracht haben.

|| sich während dieser Zeit für die Wiedereinführung der Stuart-Dynastie und damit für die Rückkehr zur katholischen Erbfolge ein. Als Frieden von Utrecht (1713) wird eine Reihe von Friedensverträgen zwischen Frankreich, Spanien und den europäischen Großmächten bezeichnet. Diese Verträge setzten dem Spanischen Erbfolgekrieg (1702-1713) ein Ende und leiteten eine Zeit der Stabilität zwischen den Erzrivalen Frankreich und England ein. Im Vertrag mit England verzichtete Frankreich auf eine weitere Unterstützung der katholischen Erbfolge und erkannte offiziell Königin Anne als Herrscherin Englands an. Die nordamerikanischen Territorien Neufundland, Neuschottland, die Hudson Bay sowie die französische Hälfte der karibischen Insel St. Kitts gingen von Frankreich an England. Des Weiteren erhielt England für dreißig Jahre das Monopol über den Sklavenhandel in Spanisch-Amerika (Asiento de negro, Abkommen mit der spanischen Krone über die Lieferung von Sklaven). Für die Whigs gingen die Friedensverträge jedoch nicht weit genug. Sie warfen Königin Anne sowie den an den Verhandlungen beteiligten Politikern der Tories, Viscount Bolingbroke und Robert Harley, eine pro-französische Politik vor. Auch Burke kritisiert in den Observations on a Late State of Nation (1769) den Vertrag von Utrecht. Seiner Meinung nach hätte die Regierung in Utrecht über lukrativere territoriale Kompensationen verhandeln sowie bessere Konditionen für den Asiento abschließen können (WS II: 129 f.); zu Bolingbroke vgl. auch oben, S. 21 ff. 9 Burke spielt hier auf die Thronfolge durch Georg I. nach dem Tod von Königin Anne (1714) an. Die Whigs hatten sich bereits vor dem Tod der Königin auf eine harte Auseinandersetzung um die englische Thronfolge vorbereitet. Mehrere hochrangige Whigs kündigten an, im Falle einer Thronfolge durch Annes katholischen Halbbruder James notfalls auch vor einem Bürgerkrieg nicht zurückzuschrecken. Durch die Androhungen einer gewalttätigen Konfrontation gelang es den Whigs, Druck auf die im Sterben liegende Königin und die Lords auszuüben. Trotz einer Mehrheit der Tories konnten die Whigs so eine katholische Amtsfolge verhindern. 10 Christopher Musgrave (1632-1704), ein führender Tory, der von 1661 bis 1704 im House of Commons saß. 11 Gilbert Burnet (1643-1715) war ein schottischer Theologe und Historiker. Er stand den Whigs nahe und wurde 1689 zum Bischof von Salisbury ernannt.

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Die Kürze der Zeit, in der sie die Früchte des Frevels pflücken müssen, bremst die Gier korrupter Menschen nicht; sie steigert ihren Heißhunger nur ins Unermessliche. Außer Rand und Band stürzen sie ihrem Ziel entgegen, verlieren jeden Funken von Anstand. Die Momente, in denen ein Gewinn zu machen ist, sind kostbar; nie sind die Menschen so niederträchtig wie bei einer großen Sterbewelle. So war es bei der großen Pest in Athen, die ja von einem großen Historiker der Antike in allen Einzelheiten (und auch in dieser schlimmsten) so genau geschildert wird.12 So war es bei der Großen Pest von London im Jahr 1665.13 Man sieht es bei Soldaten, Seefahrern usw. Wem es gelänge, das menschliche Leben deutlich kürzer zu machen, als es ist, der fände damit, so bin ich überzeugt, das sicherste Rezept, um die Schlechtigkeit unserer Natur zu vergrößern. Meiner Meinung nach hätte die Kürze einer dreijährigen Sitzungsperiode somit die folgenden üblen Auswirkungen: Sie würde das Parlamentsmitglied noch schamloser und unerhörter korrumpieren; sie würde seine Abhängigkeit von jenen erhöhen, die ihn bei seiner Wahl am besten unterstützen können; sie würde die Vermögen all derer, die sich auf ihre eigenen Mittel und ihr privates Interesse stützen, ruinieren und in alle Winde zerstreuen; sie würde die Käuflichkeit der Wähler ungeheuer befördern; und sie würde das Volk in seiner Gesamtheit, das mit oder ohne Stimmrecht von Wahlen betroffen ist, ungezügelter, fauler, liederlicher machen; sie würde die Solidität, den Fleiß, die Rechtschaffenheit und die Bescheidenheit aller Menschen vollkommen zunichtemachen und, wie ich befürchte, die grundlegendsten und zuverlässigsten Fundamente des Gemeinwesens untergraben. Diejenigen, die sich außerhalb dieses Hauses mündlich oder schriftlich zu diesem Thema geäußert haben, bestreiten nicht so sehr, dass ihre Maßnahme wahrscheinlich die genannten Nachteile mit sich bringt; eher bauen sie darauf, dass die verschiedenen von ihnen vorgeschlagenen Mittel eine vorbeugende Wirkung haben werden. Erstens, eine Place Bill.14 Und wenn das, wie sie selbst befürchten, nicht genügt, dann sagen sie: Wir werden ein Rotationssystem einführen, und eine gewisse Anzahl von Ihnen wird für zehn Jahre nicht gewählt werden können. Und was die Wähler angeht, so sollen sie geheim wählen. Auch die Mitglieder des Parlaments sollen in geheimer Wahl entscheiden. Ein fünftes Projekt ist die Veränderung der

|| 12 Vgl. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges II, 47-54. 13 Der Großen Pest von London fielen 1665 bis 1666 ca. 70.000 Menschen zum Opfer, was etwa einem Fünftel der damaligen Bevölkerung Londons entsprach. 14 Ein Gesetz, das Personen, die ein königliches Amt innehaben, von der Wahl ins House of Commons ausschließt. Eine Implementierung dieses Gesetzes wurde vor allem von Wählern gefordert, die einen unabhängigen Kandidaten unterstützten. 1739 forderten Wähler der Städte London und Bristol ihre Repräsentanten auf, für eine Place Bill zu stimmen. Diese Forderung wurde überall im Land auch von anderen Wahlbezirken aufgegriffen. 1769 forderten eine Reihe von Wahlgemeinden, darunter Bristol und Newcastle, ihre Vertreter auf, für die Implementierung einer Place Bill und die Verkürzung der Parlamentsdauer zu stimmen. 1774 wurden diese Forderungen wiederholt.

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jetzigen rechtlichen Repräsentation des Königreichs.15 Zu all dem stelle ich fest, dass es Ihrer Weisheit äußerst schlecht zu Gesicht stünde, das Projekt eines Gesetzesentwurfs zu billigen, gegen den es Bedenken gibt, die durch das Gesetz selbst nicht überwunden werden, allein weil Sie hoffen, dass sich diese Bedenken vielleicht durch Folgeprojekte zerstreuen lassen, von denen aber jedes einzelne mit zahlreichen eigenen Schwierigkeiten behaftet ist und die alle auf substantielle Veränderungen der Verfassung hinauslaufen. Dies scheint überaus unsachgemäß und unüblich zu sein. Was könnte diese Maßnahme mehr in ein zweifelhaftes Licht stellen als der Umstand, dass sie nach Meinung ihrer Fürsprecher all unsere altbekannten Nachteile in einem Maß verschlimmern würde, das eine völlige Veränderung der Verfassung des Königreichs nötig machte? Wenn die Abhilfen bei dreijährlichen Wahlen gut funktionieren, dann werden sie es bei siebenjährlichen nicht minder tun. Versuchen wir es erst einmal mit diesen, um zu sehen, wie sie dem Unterhaus bekommen, wie sie in der Nation funktionieren, und wenn wir uns dann vorgetastet und gegen diese Nachteile gewappnet haben ... Wie der ehrenwerte Gentleman sieht, respektiere ich den Grundsatz, dem er folgt, genauso wie seine Absichten und sein Geschick. Er mag mir glauben, dass ich nicht aus willkürlichen und unerheblichen Gründen von seiner Meinung abweiche. Er darf sich absolut sicher sein, dass ich nicht einfach die Gegenrichtung einschlage, nur weil er sich für einen bestimmten Weg entschieden hat. Ich habe nicht den ersten groben Entwurf seines Gesetzesvorschlags mit kleinlichen und gehässigen Kommentaren in die Zeitungen getragen, um seinem unbescholtenen Ruf beim Volk zu schaden. Ich habe nicht als eifriger Einflüsterer seine Haltung in der ganzen Stadt und den Bänken dieses Hauses auf niedere und unwürdige Motive, die so unbegründet wie schädlich sind, zurückgeführt. Ich tue nicht so, als würde mir dieser Vorschlag Angst machen, als wäre eine grässliche Furie aus der Hölle gefahren, die man mit jeder nur erdenklichen Form von Exorzismus und jeder nur erdenklichen Art von Zauberformel wieder dorthin zurückjagen müsste. Ich beschwöre keinen Acheron,16 der ihn in den Strudeln seines schlammigen Golfs verschlingt. Ich sage den ehrenwerten Herren Antragstellern und -befürwortern nicht, durch eine Verdrehung ihres Sinns und ihrer Worte, dass ihr Vorschlag zwischen dem Lächerlichen und dem Gefährlichen schwankt. Ich gehöre nicht zu denen, die mir nichts, dir nichts zu dritt über jemanden herfallen und so ungestüm auf ihn losgehen, dass sich unsere Dolche in seinem Körper in die Quere kommen. Mein ehrenwerter Freund hat keinen kühnen Kobold der Ritterlichkeit zu Fall gebracht, um sich in einem ihm ungünstigen Umfeld das erste Wappenschild an seinem Haus und das erste Wappen auf seinem milchweißen Schild zu verdienen; und er hat auch nicht den starken Nachwuchs des Löwen losgelassen || 15 Gegen dieses Vorhaben wendet sich Burke in seiner Rede über die Reform der parlamentarischen Repräsentation; vgl. unten, S. 134-143. 16 In der griechischen Mythologie einer der fünf Flüsse der Unterwelt. Neben dem Styx gilt er als Totenfluss, über den die Toten von Charon, dem Fährmann, in den Hades geschifft werden.

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und zu ihm gesagt: „Nicht gegen diese Seite des Waldes! Hütet euch davor! – Hier ist die Beute, in die ihr eure Krallen schlagen sollt!“ – und, indem er ihren ungeübten Mäulern Blut zu schmecken gibt – „das ist die Milch, nach der ihr fortan dürsten sollt!“ Wir rufen keinen neuen Feiertag auf seine Kosten aus – und gebieten auch der Hölle keinen Einhalt, damit sich ein listiger Ixion17 von seinem Rad erholen kann – so wenig wie wir dem gemeinsamen Gegner (falls es denn ein gemeinsamer Gegner ist) einen Grund geben zu sagen: „Ich hätte mein Wort dagegen eingelegt, doch waren Ihre Verbündeten in diesem gesellschaftlichen Krieg mit solchem Feuereifer bei der Sache, dass ich Ihnen nicht ins Wort zu fallen vermochte.“ Ich hoffe, er sieht und fühlt, und jedes Mitglied des Parlaments sieht und fühlt mit ihm, den Unterschied zwischen einer Meinungsverschiedenheit unter Freunden und politischem Unfrieden.

|| 17 In der griechischen Mythologie war Ixion ein König der Lapither. Seinem Schwiegervater hatte er üppige Brautgeschenke zugesagt, doch als dieser sie einforderte, wurde er von Ixion in eine Falle gelockt und fiel in eine mit glühenden Kohlen gefüllte Grube. Für diesen Verwandtenmord wurde er auf Geheiß von Zeus an ein Feuerrad gebunden.

2.4 Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation, gehalten am 16. Juni 17841 von Edmund Burke

Mr. Speaker! Wir haben nun am Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt, dass die Verfassung Englands, die über mehrere Jahrhunderte das stolze Auszeichnungsmerkmal dieses Landes, immer ein Gegenstand der Bewunderung und manchmal auch des Neids der Klugen und Gebildeten aller anderen Nationen gewesen ist, – wir haben entdeckt, dass diese stolze Verfassung im stolzesten ihrer Teile eine grobe Zumutung für den Verstand der Menschheit, eine Beleidigung ihrer Gefühle und durch die Kniffe, deren sie sich bedient, schädlich für die besten und wertvollsten Interessen des Volkes sein soll. Unsere politischen Architekten haben den Bau der britischen Verfassung untersucht. Bemerkenswert ist, dass sie nichts gegen die Krone, nichts gegen die Lords vorbringen: Im House of Commons hingegen ist alles morsch, baufällig an allen Ecken und Enden, von der Trockenfäule befallen und im Begriff, uns ohne ihre sofortige Hilfe über dem Kopf zusammenzubrechen. An den Fehlern, die sie ausfindig machen, lassen sich ihre Vorstellungen zu einer Veränderung ablesen. Da jede Regierung auf Meinung beruht, wissen sie, dass man sie ins Mark treffen kann, wenn man diese Meinung zerstört, jede Ehrfurcht vor ihr und alles Vertrauen in sie zunichtemacht. Und dann stürzt sie mit der ersten Welle öffentlichen Unmuts und Aufruhrs in sich zusammen. In Erwägung dieser Frage führen die Gegner dieses Zerstörungsversuches unterschiedliche Gründe ins Feld. Der eine hat den Charakter einer Vorfrage: Einige Veränderungen mögen ratsam sein, doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Der andere besagt, dass keine wesentlichen Veränderungen erforderlich sind und dass es weder jetzt noch irgendwann klug oder ungefährlich ist, sich an den Grundfesten und altgedienten Gepflogenheiten unserer Verfassung zu schaffen zu machen, dass unsere Repräsentation nahezu vollkommen ist, so vollkommen wie es die notwendige Unvollkommenheit der menschlichen Angelegenheiten und der menschlichen Kreatur zulässt, und dass die Verfassung ein Gegenstand besonnenen, redlichen Gebrauchs und dankbaren Besitzes, nicht aber nörgelnder Kritik und unbesonnener Experimente sein soll. Auf der anderen Seite stehen zwei Parteien, die sich an zwei meines Erachtens – so, wie sie von ihnen vorgebracht werden – vollkommen unvereinbaren Gründen ausrichten. Einer davon ist rechtlich, der andere politisch. Der eine hat den Charakter eines rechtlichen Anspruchs, des Anspruchs auf die angeblichen Rechte des Menschen als Menschen. Diese Partei wünscht die Entscheidung eines Rechtsstreits. Der andere Grund, sofern ich erahnen kann, was genau er bedeutet, lautet, dass die || 1 Zur Frage der Datierung vgl. WS IV: 215. https://doi.org/10.1515/9783050087771-003

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Repräsentation politisch nicht so umgesetzt ist, wie es die Theorie ihrer Einsetzung verlangen würde. Was den Anspruch auf ein Recht betrifft, ist der geringste, der ungebildetste und einfältigste Antragsteller gerade so gut wie der beste. In gewissen Hinsichten ist sein Anspruch wegen seiner Einfalt vorteilhafter; seine Schwäche, seine Armut und Not sind seinen Rechtsansprüchen ausnahmslos förderlich. Er klagt in forma pauperis;2 er sollte ein Günstling des Gerichts sein. Wenn man sich aber auf den anderen Grund beruft, wenn die Frage politisch ist, wenn eine neue Verfassung auf der Grundlage einer stimmigen Theorie der Staatsführung geschaffen werden soll, dann muss man den vermessenen Stolz schulmeisterlichen Unverstands von der Beratung über diese bedeutsame und schwierige Angelegenheit ausschließen, welche oft der Erfahrung der Weisesten Hohn spricht. Erstere Partei fordert eine persönliche Repräsentation; letztere lehnt sie mit Hohn und Spott ab. Die Sprache der ersten Partei ist schlicht und verständlich. Wer ein absolutes Recht beansprucht, kann sich mit nichts unterhalb der persönlichen Repräsentation zufriedengeben, denn alle natürlichen Rechte müssen die Rechte von Einzelpersonen sein, da es von Natur aus so etwas wie eine politische oder körperschaftliche Persönlichkeit nicht gibt: All diese Ideen sind bloße Fiktionen des Rechts; sie sind die Frucht willkürlicher Einsetzung. Menschen als Menschen sind Einzelpersonen und nichts anderes. Wer mithin den Grundsatz der natürlichen und persönlichen Repräsentation ablehnt, wird grundsätzlich und für alle Zeiten mit demjenigen in Widerspruch stehen, der sie einfordert. Was die erste Art von Reformern betrifft, so ist es lächerlich, mit ihnen auf einer oder sämtlichen ihrer Grundlagen über die britische Verfassung zu reden: Denn sie postulieren, dass jedermann höchstselbst regieren solle und dass er seinen Repräsentanten nur dorthin schicken müsse, wo er höchstselbst nicht hingelangt; dass jede andere Art von Regierung einer Usurpation gleichkomme und nicht den mindesten Anspruch auf unseren Gehorsam erheben könne und dass es insofern nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht sei, ihr Widerstand zu leisten. Neun Zehntel der Reformer argumentieren so, d. h. auf der Basis natürlicher Rechte.3 Es lässt sich nicht vermeiden, einige Überlegungen zur Natur dieses Anspruchs anzustellen bzw. einen Vergleich zwischen der Reichweite dieses Grundsatzes und dem gegenwärtigen Ziel der Forderung anzustellen. Sollte dieser Anspruch begründet sein, dann ist klar, worauf er hinausläuft. Das House of Commons ist, in diesem Lichte besehen, zweifellos kein Repräsentant des Volkes, wenn man dieses als eine Ansammlung von Individuen versteht. Niemand behauptet das, niemand kann eine solche Behauptung rechtfertigen. Untersucht man diesen auf dem Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen basierenden Rechtsanspruch einmal genauer, wird man sehen, dass die geforderte Sache unendlich weit hinter den Grundsatz der Forderung zurückfällt. || 2 Als Armensache; er hat also die Möglichkeit, vor Gericht zu ziehen, ohne dafür die Kosten tragen zu müssen. 3 Einer der wirkmächtigsten Vertreter der von Burke kritisierten Position war Richard Price, vgl. oben, S. 99, Anm. 1. Allerdings setzten sich die meisten Reformer für moderate Veränderungen ein.

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Wie? Nur ein Drittel der gesetzgebenden Gewalt und überhaupt keinen Anteil an der Regierung? Was für ein Teilungsvertrag ist das denn für diejenigen, die ein eingeborenes Recht auf das Ganze besitzen? Geben Sie ihnen alles, was sie fordern, und Ihre Konzession ist immer noch ein Betrug: denn wie kann das Vermögen ihrer jüngeren Kinder bei dieser Regelung nur ein Drittel betragen? Wie kam es, dass sie weder bei Königen noch bei Lords oder Richtern oder Generälen oder Admirälen oder Bischöfen oder Priestern oder Ministern oder Friedensrichtern die Wahl haben sollten? Nun ja, was können Sie zugunsten der Vorrechte der Krone und des Adelsstandes anderes vorbringen als: Unsere Verfassung ist eine gewohnheitsrechtliche Verfassung.4 Sie ist eine Verfassung, deren einzige Legitimation darin besteht, dass sie seit unvordenklicher Zeit existiert. Sie ist auf dieses Verhältnis von zwei Anteilen zu einem festgelegt, was die Gesetzgebung betrifft – und hinsichtlich der gesamten Rechtsprechung, der gesamten außenpolitischen Befugnis, hinsichtlich der exekutiven, der innenpolitischen und der ökonomischen Verwaltung auf nur einen einzigen. Ebensowenig wurden Ihr House of Lords und die Vorrechte der Krone durch ein Urteil zugunsten natürlicher Rechte begründet: denn sie würden sich nie in dieser Weise aufteilen lassen. Ihr König, Ihre Lords, Ihre Richter, Ihre großen Anklage- und kleinen Urteilsjurys sind alle gewohnheitsrechtlichen Ursprungs. Den Beweis hierfür liefern die – noch nicht beigelegten und nicht einmal auf absehbare Zeit beizulegenden – Auseinandersetzungen darüber, wann irgendeines dieser Elemente erstmals ins Leben getreten ist. Das Gewohnheitsrecht ist der sicherste aller Rechtstitel, nicht nur für das Eigentum, sondern auch für das, was dieses Eigentum schützen soll, nämlich für den Staat. Sie harmonieren miteinander und stützen sich gegenseitig. Ein weiterer Geltungsgrund, der in der Natur des menschlichen Geistes liegt, gesellt sich ihm bei: die Präsumtion. Dass eine Nation unter ihr lange Zeit existiert und prosperiert hat, ist eine Präsumtion zugunsten jeder etablierten Regierungsform und zulasten jedes unerprobten Vorhabens. Selbst hinsichtlich der Wahl einer Nation ist es eine bessere Präsumtion – viel besser als jede überstürzte und vorübergehende Vereinbarung, die etwa durch eine tatsächliche Abstimmung hervorgebracht wurde. Denn eine Nation ist nicht die Idee einer nur begrenzten räumlichen Ausdehnung und einer nur vorübergehenden Ansammlung von Individuen, sondern die Idee einer Kontinuität, die sich sowohl in der Zeit als auch in Zahl und Raum erstreckt. Und es ist nicht die Wahl eines Tages oder einer bestimmten Gruppe von Menschen, keine stürmische oder leichtfertige Wahl: Es ist eine bedachte Abstimmung von Jahrhunderten und Generationen. Eine Nation ist eine Verfassung, die auf etwas beruht, was zehntausendmal besser ist als eine Wahl: Sie beruht auf den besonderen Umständen, Gelegenheiten, Charakteren, Veranlagungen || 4 Prescription, hier als „Gewohnheitsrecht“ bzw. „gewohnheitsrechtlich“ übersetzt, ist ein Rechtstitel von Eigentum, der aus der langen Dauer und der Unumstrittenheit des Besitzes entspringt. Wie oben, S. 113 f., erläutert, überträgt Burke diesen Terminus des Privatrechts auf das Feld der politischen Theorie, wenn er von einer prescriptive constitution, also einer gewohnheitsrechtlichen Verfassung spricht.

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sowie moralischen, politischen und gesellschaftlichen Gewohnheiten des Volkes, die sich nur über einen langen Zeitraum hinweg offenbaren. Sie ist ein Gewand, das sich dem Körper anpasst. Und die auf dem Gewohnheitsrecht beruhende Regierung entsteht auch nicht auf dem Boden blinder, sinnloser Vorurteile. Denn der Mensch ist ein höchst unvernünftiges und ein höchst vernünftiges Wesen. Der Einzelne ist töricht; die Menge ist in dem Moment töricht, in dem sie handelt, ohne sich zu beraten. Die Gattung aber ist vernünftig, und wenn man ihr Zeit lässt, so handelt sie als Gattung fast immer richtig. Der Grund, warum die Krone ist, was sie ist, warum die Lords sind, was sie sind, ist derselbe wie mein Grund dafür, warum die Commons sind, was sie sind, und warum die Wähler sind, was sie sind. Wenn nun die Krone und die Lords und die Rechtsprechung sich allesamt dem Gewohnheitsrecht verdanken, so hat auch das House of Commons diesen und keinen anderen Ursprung. Unsere Befugnisse und Privilegien sind wie die unserer Wähler durch Gewohnheitsrecht gleichermaßen geschaffen und begrenzt, und dies so voll und ganz wie auch im Fall der anderen Gewalten; in genau diesem Sinne und aus keinem anderen Rechtsanspruch heraus haben wir sie immer geltend gemacht. Das House of Commons ist eine gesetzgebende Körperschaft qua Gewohnheitsrecht. Sie verdankt sich keiner vorgängigen Theorie, sondern existiert – genau wie der Rest – gewohnheitsrechtlich. Diese Präskription hat sie wesentlich zu dem gemacht, was sie ist, ein Zusammenwirken von drei Teilen: Knights, Citizens und Burgesses.5 Man fragt sich, ob dies immer schon so gewesen ist, seit das House of Commons zu seiner gegenwärtigen Gestalt, zu seinen gegenwärtigen Verhältnissen gefunden hat und zu einem wesentlichen Bestandteil der Verfassungswirklichkeit geworden ist – was, wie ich unterstelle, seit mindestens fünfhundert Jahren der Fall ist. Diese Frage kann ich meinerseits nur positiv beantworten. Dann aber stellt sich eine weitere Frage: Ob dieses Haus auf seinen uralten Fundamenten auch standhält und nicht durch die Zeit und widrige Umstände so aus dem Lot gebracht ward, dass man der Hand des weisen und erfahrenen Architekten von heute bedarf, um es wieder geradezurücken, dauerhaft zu stabilisieren und zu untermauern; ob es den Grundsätzen noch treu ist, auf denen es bisher fußte; ob dies de facto die Verfasstheit des House of Commons ist, wie es seit jener Zeit war, da das House of Commons unbestritten zu einem notwendigen und wirksamen Bestandteil der britischen Verfassung wurde. Zu fragen, ob etwas, das immer unverändert geblieben ist, seinem gewohnten Grundsatz folgt, erscheint mir vollkommen widersinnig: Denn woher kennen Sie die Grundsätze, wenn nicht aus seiner Bauweise? Und wenn diese gleich bleibt, so bleiben es auch die Grundsätze. Zu sagen, die Verfassung sei so, wie sie immer gewesen ist, || 5 Großgrundbesitzer und Landadel stellten ca. vierzehn Prozent der Wählerschaft und wurden von den knights, den Edelmännern, vertreten. Knapp die Hälfte der Wähler waren Kaufmänner, Händler und Handwerksmeister die Burke unter dem Begriff der citizens, des Großbürgertums, zusammenfasst. Rund 28 Prozent der Wähler waren zudem ungelernte Handwerker und Landarbeiter, die Burke als burgesses, d. h. „einfache Bürger“, bezeichnet, vgl. Bourke 2015a: 384 f.

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ist keine ausreichende Verteidigung gegen jene, die sagen, sie sei eine schlechte Verfassung – das stimmt. Es ist eine Antwort auf jene, die sagen, sie sei eine entartete Verfassung. Denen, die sagen, sie sei schlecht, antworte ich: Achtet auf ihre Wirkungen! Die Probe auf jede moralische Maschinerie sind ihre moralischen Ergebnisse. Auf welcher Grundlage machen wir uns daran, unsere Verfassung wieder in den Zustand zu versetzen, in dem sie sich zu einer bestimmten Zeit befunden hat, oder sie nach Prinzipien zu reformieren und umzubauen, die mit einer stimmigen Theorie der Regierung besser zu vereinbaren sind? Eine gewohnheitsrechtliche Regierungsform wie die unsere war nie das Werk irgendeines Gesetzgebers, wurde nie auf irgendeine zuvor bestehende Theorie gegründet. Es scheint mir eine absonderliche Art des Denkens und eine vollkommene Verwirrung der Ideen zu sein, die Theorien zu nehmen, die gelehrte und spekulative Männer aus dieser Regierungsform abgeleitet haben, und der Regierung dann in der Annahme, diese Theorien, die doch aus ihr abgeleitet wurden, leiteten sie an, vorzuwerfen, sie stimme nicht mit ihnen überein. Ich verachte Theorie und Spekulation keinesfalls: nein, denn das hieße, die Vernunft selbst zu verachten: Neque decipitur ratio, neque dicipit unquam.6 Nein, wann immer ich mich gegen die Theorie ausspreche, meine ich eine schwache, fehlerhafte, irreführende, unbegründete oder mangelhafte Theorie; und eine der Möglichkeiten herauszufinden, dass es sich um eine falsche Theorie handelt, ist, sie mit der Praxis zu vergleichen. Dies ist der wahre Prüfstein für Theorien, die sich auf den Menschen und menschliche Angelegenheiten beziehen. Passt sie zu seiner Natur im Allgemeinen? Passt sie zu seiner durch seine Gewohnheiten modifizierten Natur? Je häufiger über diese Angelegenheit diskutiert wird, desto klarer scheint sich der Fall dem Verstand und den Gefühlen der Menschheit zu präsentieren. So wenig wie an meiner eigenen Existenz zweifele ich daran, dass eben jenes, was uns als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird, für unsere Verfassung, solange sie Bestand hat, das Mittel zu ihrer Erhaltung ist; – das Mittel, sie von den vielen Störungen zu heilen, die jede Art von Institution mit sich bringt und auch der Grundsatz einer exakten lokalen Repräsentation oder eine Repräsentation nach dem Grundsatz der Anzahl mit sich brächte. Lehnt man die persönliche Repräsentation ab, dann ist man auf Zweckmäßigkeit verwiesen. Und was sie dann von uns verlangen, ist, ihre Spekulationen zu dem Thema über die guten Erfahrungen zu stellen, die dieses Land fünfhundert Jahre lang mit einer wachsenden Freiheit und einem wachsenden Wohlstand gemacht hat. Welche Achtung ich ihren Talenten auch entgegenbringe, das jedenfalls werde ich nicht tun. Was aber ist der Maßstab der Zweckmäßigkeit? Zweckmäßig ist das, was gut für die Gemeinschaft ist und gut für jeden Einzelnen in ihr ist. Diese Zweckmäßigkeit ist nun das desideratum, das es entweder ohne die Erfahrung möglicher Mittel oder mit dieser Erfahrung zu suchen gilt. Geschieht es wie im Falle der

|| 6 „Die Vernunft lässt sich nicht täuschen und täuscht selbst nie.“ (Manilius, Astronomicon Liber Secundus, II, 130).

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künstlichen Erzeugung eines neuen Gemeinwesens ohne sie, werden mir die Gelehrten darlegen, was zweckmäßig zu sein verspricht. Wenn wir aber ein tatsächlich existierendes Gemeinwesen beurteilen sollen, dann erkundige ich mich als erstes: Was hat sich als zweckmäßig oder unzweckmäßig erwiesen? Und ich werde ihr Versprechen nicht über die Leistung der Verfassung stellen. ... Aber nein, dies war nicht die Ursache des Unmuts. Ich besuchte die meisten nördlichen Regionen – die Wahl in Yorkshire tobte gerade –, im Jahr zuvor die meisten westlichen Grafschaften – Bath, Bristol, Gloucester: nicht ein einziges Wort, weder in den Städten noch auf dem Land, zum Thema der Repräsentation. Viel wurde über die Receipt Tax gesprochen,7 manches über Mr. Fox’ Ehrgeiz;8 beides wurde als weitaus bedrohlicher empfunden als der Mangel an Repräsentation. Man würde meinen, der Ballast des Schiffes hätte sich mit uns verlagert, und unsere Verfassung stände bis zur Reling unter Wasser. Können Sie aber klar und deutlich ein einziges Übel oder einen Missstand aufzeigen, der sich darauf zurückführen ließe, dass der Volksvertreter nicht der Meinung seiner Wähler gefolgt ist? Wo findet sich ein einziges Symptom dieser Ungleichheit? Doch ist es nicht arithmetische Ungleichheit, die uns beunruhigen sollte. Dass es moralische, dass es politische Gleichheit gäbe, ist das desideratum unserer Verfassung und jeder Verfassung auf der ganzen Welt. Die moralische Ungleichheit besteht ebenso zwischen Orten wie zwischen Klassen. Nun frage ich Sie: Welchen Vorteil erkennen Sie, den die übermäßig repräsentierten Orte anderen, spärlicher repräsentierten gegenüber besäßen, was den sicheren Genuss der Freiheit, die Rechtssicherheit oder irgendeines jener Mittel zur Erlangung irdischen Wohlstands und ewiger Glückseligkeit betrifft, um derentwillen die Gesellschaft ins Leben gerufen wurde? Sind etwa die lokalen Belange Cornwalls und Wiltshires, ihre Straßen, Kanäle, Gefängnisse, ihre Polizei besser als die von Yorkshire, Warwickshire oder Staffordshire?9 Warwick hat Abgeordnete im Parlament. Ist Warwick oder Stafford reicher, glücklicher oder freier als Newcastle oder Birmingham? Ist Wiltshire der verhätschelte Liebling, während Yorkshire wie das Kind einer Leibeigenen in die Wüste gejagt wird? Es ist wie bei Personen, die in einem „statischen Stuhl“10 leben – wenn hier überhaupt von Leben die Rede sein kann –, die immer ihren Puls messen und || 7 1782 wurde eine Steuer auf Einkünfte über zwei Pfund eingeführt, die besonders bei Händlern sehr umstritten war; vgl. WS IV: 222. 8 Charles James Fox (1749-1806), einer der Parlamentsführer der Whigs und maßgebliches Mitglied der sogenannten Fox-North-Koalition, die von April bis Dezember 1783 die Regierung stellte. Eines der zentralen Regierungsvorhaben war die Reform der Kolonialverwaltung in Indien, die East India Bill, die auf eine Stärkung der Parlamentsrechte abzielte und an der die Regierung schließlich zerbrochen ist; zur East India Bill vgl. auch unten, S. 160-162. 9 Die Anzahl der Abgeordneten aus den von Burke genannten Grafschaften war sehr unterschiedlich und entsprach bei Weitem nicht der jeweiligen Bevölkerungsdichte. 10 Eine Art Wiegestuhl, den der italienische Arzt und Professor der Medizin Sanctorio Santorio (15611636) konstruierte, um das von ihm entdeckte Phänomen der Transpiration auch des ruhenden Leibes quantitativ zu erfassen.

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ihre Gesundheit nicht nach der Fähigkeit des Körpers beurteilen, seine Funktionen auszuüben, sondern nach ihrer Vorstellung davon, wie das richtige Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ausscheidungen des Körpers auszusehen habe. Ist ein Ausschuss von Cornwall usw. dicht besetzt, und die anderen sind menschenleer? Nein. Es gibt eine gleiche Repräsentation, weil wir es mit Männern zu tun haben, die alle gleichermaßen am Wohlergehen des Ganzen interessiert sind, die sich für das Allgemeinwohl und die allgemeine Übereinstimmung einsetzen. Und vielleicht werden diese Orte, die einen Überfluss an Amtsträgern und Verwaltern bereitstellen (ob sie nun streng genommen Repräsentanten sind oder nicht, will ich nicht untersuchen, sie sind aber Amtsträger und Verwalter), sich eher von lokalen Belangen, Leidenschaften, Vorurteilen und Ränken freimachen als die anderen und darum das Gleichgewicht der Teile bewahren, und zwar mit einem weiteren Horizont und einer ruhigeren Hand als der Rest … Bei keinem politischen Vorschlag dürfen wir die Frage der politischen Ansichten und Absichten des Antragstellers außer Acht lassen; und diese zeigen sich nicht an dem, was er sagt, sondern an den Grundsätzen, von denen er ausgeht. „Ich meine“, sagt er, „eine bescheidene und maßvolle Reform: mit anderen Worten beabsichtige ich, so wenig Gutes wie möglich zu tun“.11 Wenn die Verfassung so aussähe, wie Sie sie darstellen, und im Wandel keine Gefahr bestünde, dann täten Sie Unrecht, die Reform nicht dem Missbrauch anzupassen. Ein schöner Reformer, fürwahr! Ein großzügiger Spender! Aus welchem Grund wird mit der Freiheit gegeizt, die Sie so sparsam an das Volk verteilen? Wozu all diese Beschränkungen beim Austeilen von Segnungen und Vorteilen an die Menschheit? Sie geben zu, dass es einen extremen Grad an Freiheit gibt, der für jene, die in seinen Genuss kommen sollen, unsagbar schädlich sein kann und ihnen am Ende überhaupt keine Freiheit lassen wird. Das glaube ich auch. Und sie wissen es und spüren es. Die Frage ist dann: Woran bemessen wir dieses Extrem? An dem, was jener Herr und die Vereinigungen oder einige Teile ihrer Phalanx für richtig halten?12 Dann liegen unsere Freiheiten in ihrem Ermessen; es hängt dann von ihrem eigenmächtigen Willen ab, wie weit meine Freiheit reichen soll. Auf diese Freiheit verzichte ich nur allzu gerne. Wenn man folglich einen Standard der Mäßigung braucht, so werde ich nach ihm suchen. Wo? Weder in ihren Launen noch in meinen eigenen: Ich werde ihn dort suchen, wo ich gewiss bin, ihn zu finden – in der Verfassung, deren ich mich tatsächlich erfreue. Und was sagt diese Verfassung zu einem Missbrauch der Prärogative? „Dein Zepter hat seine Länge. Du kannst deinem Kopf kein Haar hinzufügen, deiner Krone keinen Edelstein, die das ewige Gesetz nicht vorgesehen hat.“ Hier sagt sie zu einem überheblichen Adelsstand: „Dein Stolz brandet an Ufer, über die er sich nicht erheben kann“, und hier zu || 11 Gemeint ist William Pitt der Jüngere (1759-1806), von 1783 bis 1801 Premierminister von Großbritannien. 12 Burke schlägt hier einen Bogen von Pitt bis hin zu den politischen Kräften außerhalb des Parlamentes, die für eine gleiche Repräsentation im Sinne eines allgemeinen (Männer-)Wahlrechts eintraten.

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einem ungestümen und leichtfertigen Volk: „Es gibt eine Grenze für das Wüten der See.“ Unsere Verfassung ist wie unsere Insel, die das ihr unterworfene Meer nutzt und in Schranken hält. Umsonst brüllen die Wellen. Unter dieser Verfassung weiß ich mich, und fühle es frohlockend, frei und zugleich nicht frei, mich selbst und andere zu gefährden. Ich weiß, dass keine Macht der Welt, sofern ich handle, wie ich soll, mein Leben, meine Freiheit oder mein Eigentum anzutasten vermag. Ich besitze dieses innere und ehrwürdige Bewusstsein meiner eigenen Sicherheit und Unabhängigkeit, welches das stolze und beruhigende Freiheitsgefühl in der Menschenbrust begründet und in der Tat alleine begründet. Ebenfalls weiß ich um meine gefahrlose Mittelmäßigkeit, und ich danke Gott dafür: Ich weiß, dass ich mich, auch wenn ich alle Talente der hohen Herren auf der Seite des House of Commons, auf der ich sitze, oder auf der anderen besäße, weder durch königliche Gunst noch durch öffentliche Verblendung oder oligarchische Ränke über einen bestimmten, sehr beschränkten Punkt erheben könnte, ohne meinen eigenen Fall oder die Vernichtung meines Landes zu riskieren. Ich weiß, es gibt eine Ordnung, welche die Dinge fest an ihrem Platz hält: Sie ist für uns gemacht, und wir sind für sie gemacht. Warum nicht gleich um eine andere Frau, andere Kinder, einen anderen Körper, einen anderen Geist bitten? Das große Ziel der meisten dieser Reformer ist es, auf die Zerstörung der Verfassung hinzuarbeiten, indem sie das House of Commons in Verruf und Misskredit bringen. Denn sie denken (klugerweise, wie ich finde), wenn sie die Nation davon überzeugen können, dass das House of Commons in seiner jetzigen Verfassung die öffentliche Freiheit nicht zu garantieren vermag, nicht in angemessener Verbindung zu den öffentlichen Interessen steht und weder tatsächlich noch virtuell die Vertretung des Volkes ist, dann werde es ein Leichtes sein zu beweisen, dass eine Staatsordnung, die aus einer Monarchie, einer von der Krone bestimmten Oligarchie und einem solchen House of Commons besteht, unter keinen Umständen ein System freien Regierens sein kann, welche Vorzüge sie sonst auch haben mag.13 Die Verfassung Englands soll keinen Todesstoß versetzt bekommen; sie soll kontinuierlich verunglimpft, angegriffen, geschmäht und boykottiert werden. Statt die Hoffnung und der sichere Anker in allen Stürmen zu sein, das Mittel zur Wiedergutmachung aller Kümmernisse, ist sie selbst die große Kümmernis der Nation, unsere Schande statt unser Ruhm. Wenn der einzig konkrete Plan, der vorgeschlagen wurde, nämlich die persönliche Repräsentation jedes Einzelnen, von demjenigen, den man als großen Befürworter dieses Unternehmens ansieht,14 umstandslos zurückgewiesen wird, dann kann man die Angelegenheit nur noch als eine Frage des Beliebens begreifen. Ein ehrenwerter Gentleman15 zieht die individuelle Repräsentation der gegebenen vor. Deshalb sieht er selbst keinen möglichen Mittelweg und bevorzugt von dem, || 13 Zu Burkes Konzept einer ‚virtuellen Repräsentation‘ vgl. oben S. 105-108. 14 Vermutlich dem Duke of Richmond; vgl. WS IV: 225. 15 Burke meint wohl John Sawbridge (1732-1795), der den Antrag zur Reform der Repräsentation eingebracht und sich für das allgemeine Männerwahlrecht ausgesprochen hatte; vgl. Bourke 2015a: 444.

142 | Über Repräsentation und Wahlkämpfe

was er vor Augen hat, die individuelle Repräsentation; ist dies doch der bislang einzige deutliche und nachvollziehbare Vorschlag, der vertreten wurde. Er hat fortan ein Programm, nämlich das der individuellen Repräsentation – er ist damit nicht in Verlegenheit, widerspricht sich nicht selbst –, ein Programm, das der andere ehrenwerte Gentleman16 ablehnt. Nun, wohin mag dies führen, wenn nicht unmittelbar in die Anarchie? Denn die einzige Regierung in Verruf zu bringen, die er besitzt, ohne eine überzeugende Alternative in Aussicht zu stellen – was ist das anderes als die Zerstörung jeder Regierung? Und das ist Anarchie. Indem mein ehrenwerter Freund17 diesen Antrag unterstützt, entehrt er seine Freunde und rechtfertigt seine Feinde, um die Verfassung seines Landes anzuschwärzen, selbst die des House of Commons, das ihn unterstützt hat. Es besteht ein Unterschied zwischen der moralischen und politischen Aufdeckung eines öffentlichen Missstands in der staatlichen Verwaltung, betreffe er Menschen oder Systeme, und der Behauptung von – wahren oder angenommenen – Mängeln der grundlegenden Verfassung des eigenen Landes. Ersteres lässt sich beim Einzelnen vielleicht durch Beweggründe der Religion, der Tugend, der Ehre, der Angst, der Scham oder des eigenen Interesses beheben. Man kann Menschen auch dazu bringen, falsche Systeme aufzugeben, indem man deren Widersinn oder verderbliche Tendenz ihrem eigenen besseren Denken aufzeigt oder der Verachtung und Empörung der Öffentlichkeit preisgibt. Und sollten sie existieren und ohne Korrektur existieren, dann entehren sie schließlich nur Einzelne, so wie irgendwelche flüchtigen Meinungen. Ganz anders aber verhält es sich mit dem Gerüst und der Verfasstheit des Staates: Sind diese erst einmal entehrt, dann ist der Patriotismus mit der Wurzel ausgerissen. Noch nie hat jemand einem verderblichen und widersinnigen Regierungssystem aus freien Stücken gehorcht oder gar darauf gebrannt, es mit seinem Blut zu verteidigen. Unsere erste, unsere innigste, umfassendste Beziehung, unser Land, ist verloren. Es kann einen schon melancholisch stimmen, dass wir uns heute infolge des seltsamen Kurses, den wir lange gesteuert sind, nicht mehr über den Charakter oder das Verhalten von Menschen oder den Sinn von Maßnahmen streiten, sondern die Geduld mit der englischen Verfassung an sich verloren haben: Sie ist den Engländern zu einem Gegenstand der Feindseligkeit geworden. Diese Verfassung pflegte in früheren Tagen die Bewunderung und den Neid der Welt zu erregen: Überall auf der Welt war sie Politikern Vorbild, Redegewandten Thema, Philosophen ein Gegenstand der Meditation. Und sie war der Stolz der Engländer und ihr Trost. Durch sie lebten sie, für sie waren sie bereit zu sterben. Ihre Mängel, so sie welche hatte, wurden zum Teil || 16 Vermutlich William Pitt der Jüngere. 17 Wahrscheinlich bezieht sich Burke hier auf Charles James Fox, der sich in der Debatte für eine Reform der Repräsentation einsetzte. In der Auseinandersetzung über die Französische Revolution kam es zum vielbeachteten Bruch zwischen den ehemaligen Parteifreunden. Die unten, S. 284 ff., abgedruckte Appellation gegen die neuen an die alten Whigs lässt sich auch als Rechtfertigung dieses Bruchs lesen; vgl. hierzu unten, S. 266 ff.

Rede zur Reform der parlamentarischen Repräsentation | 143

aus Voreingenommenheit verdeckt und zum Teil aus Besonnenheit ertragen. Heute, da all ihre Vorzüge vergessen sind, werden ihre Fehler mit Gewalt ans Tageslicht gezerrt und durch jeden Kunstgriff der Darstellung übertrieben. Sie wird von den Menschen verachtet und verworfen, und jede Einrichtung und Erfindung der Einfalt oder Trägheit wird ihr entgegengehalten oder vorgezogen. Gegen diesen Geist und gegen die aus ihm geborenen Maßnahmen stelle ich mich (und hoffentlich nicht ich alleine) auf das Entschiedenste. Nie zuvor haben wir uns in diesem Land miteinander über die Theorie unserer Regierungsform gebeugt, haben über die Verfassung unseres Landes zu Gericht gesessen, sie wie einen Straftäter vorgeladen und sie für jeden Mangel und jedes Laster angeklagt – nur um zu sehen, ob sie, dieser Gegenstand unserer Wertschätzung, gar unserer Anbetung, mit einem vorgefertigten Schema in den Köpfen gewisser Herren übereinstimmt oder nicht. Werfen Sie einen Blick in die Parlamentsmitschriften. Weil ich Angst habe, dass wir einen unschätzbaren Wert verlieren, wage ich nicht, sie in der eitlen Hoffnung auf Verbesserung aus der Hand zu geben und zu verspielen. Mit kindlicher Verehrung betrachte ich die Verfassung meines Landes, und nie werde ich sie zerstückeln und in den Kessel irgendeines Zauberers werfen, um aus dem Gemisch ihrer Bestandteile ein Kraft- und Jugendelixier zu brauen. Im Gegenteil, fortjagen werde ich solche Prätendenten. Ich werde dem ehrwürdigen Alter der Verfassung huldigen und mit sanften Künsten den Lebensatem eines Vorfahren verlängern.

 

Teil 3: Burke und das Empire

 

3 Burke und das Empire 3.1 Einleitung Dirk Jörke 3.1.1 Kritik des Kolonialismus Fragen der Herrschaftsausübung in den Kolonien gehörten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu den herausragenden Themen der politischen Auseinandersetzung im Vereinigten Königreich, und Burke hat sich während seiner Tätigkeit als Abgeordneter immer wieder mit ihnen beschäftigt. Bereits mit seiner ersten Rede am 18. Januar 1765 im britischen Unterhaus sprach er sich für die Rücknahme des im Jahr zuvor von der Grenville-Administration erlassenen Stamp Act aus, jener Steuer, die als einer der Auslöser des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gilt (vgl. O’Brien 1997: 42 f.). Die Krise in den amerikanischen Kolonien sollte Burke auch die folgenden Jahre beschäftigen. Die berühmten Reden On American Taxation (1774) und On Conciliation with the American Colonies (1775) stellen dabei lediglich den Höhepunkt seines ebenso umfassenden wie leidenschaftlichen Einsatzes für eine Versöhnung mit den Kolonien und für einen Verbleib der amerikanischen Siedler im britischen Empire dar. Ein weiterer Schwerpunkt von Burkes parlamentarischem Wirken war der Kampf für die bürgerlichen und politischen Rechte der katholischen Mehrheit in Irland. Ähnlich wie bei seinem Umgang mit der amerikanischen Revolte zeigt sich Burke auch in der Irlandfrage bemüht, eine Balance zwischen der rechtlichen Gleichbehandlung der Iren auf der einen Seite und der Aufrechterhaltung des britischen Herrschaftsanspruches auf der anderen Seite zu finden. Auch das Ende seiner parlamentarischen Laufbahn war wesentlich durch die Auseinandersetzung mit Fragen des Empires geprägt, vor allem durch das Impeachment-Verfahren gegen Warren Hastings, welches sich von 1788 bis 1795 hinzog und mit einem Freispruch endete. Hastings war von 1772 bis 1783 Generalgouverneur von Ostindien, und Burke warf ihm Amtsmissbrauch und die Missachtung fundamentaler Menschenrechte vor. Burke entwickelt dabei ein Verständnis von Menschenrechten, das einen abstrakten Universalismus ebenso vermeidet wie die von Hastings zur Rechtfertigung angeführte Doktrin einer geographisch gebundenen Moralität. Das britische Empire wurde von Burkes Zeitgenossen als „[p]rotestant, commercial, maritime, and free“ (Armitage 2000b: 8) verstanden. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das sich erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausbildete und nicht nur den Gegensatz zum Kolonialismus und Katholizismus des ehemaligen spanischen Weltreiches, sondern auch den primär ökonomischen Charakter des Empires zum Ausdruck bringen sollte. Gerade Letzteres, so die damalige Auffassung, sei Garant für eine legitime, weil nicht auf Zwang und Ausbeutung beruhende politische https://doi.org/10.1515/9783050087771-004

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Ordnung. Jedenfalls war das die Überzeugung großer Teile der englischen Öffentlichkeit und nicht zuletzt jener Kaufleute, die von dem Handel mit den Überseegebieten profitierten.1 Die Realität sah freilich ganz anders aus, worauf insbesondere Adam Smith am Ende seiner Untersuchung über den Wohlstand der Nationen hingewiesen hat. Smith kritisierte insbesondere die Vermengung von ökonomischen Interessen und politischer Herrschaft, da sie zu einer korrupten Herrschaftsausübung führe, die weder an der Wohlfahrt der Kolonien noch an deren Freiheit orientiert sei. Einziges Ziel sei die Plünderung der Kolonien, und dies allein im Interesse der Kaufleute, die sich Monopolrenten sicherten. Dies wiederum habe zur Konsequenz, dass der Staat für die erheblichen Kosten des Empires aufkommen müsse, die jedoch weder durch Steuern noch durch eine allgemeine Wohlfahrtssteigerung kompensiert würden. Laut Smith handelte es sich beim Empire daher „um ein Projekt, das bloß Kosten verursacht hat, ständig weitere verschlingt und, wird es genauso wie bisher fortgeführt, auch in Zukunft einen ungeheuren Aufwand erfordern wird, ohne daß aber die Wahrscheinlichkeit besteht, möglicherweise einen Gewinn zu erzielen. Und zudem bringt das Monopol im Kolonialhandel für die Masse der Bevölkerung mehr Verluste als Gewinne“ (Smith 1776: 819). Er rief dazu auf, aus „de[m] goldenen Traum“ (ebd.) des Empires aufzuwachen und an dessen Stelle ein System des freien Handels zu setzen.2 Burke teilte wesentliche Aspekte von Smiths Kritik. Insbesondere prangerte auch er die Vermischung von ökonomischen Interessen und politischer Herrschaftsausübung an. Vor allem in Indien habe dies zu einer „barbarische[n] Herrschaft“ (251) geführt. Doch standen bei Burke eher politische und moralische als ökonomische Überlegungen im Vordergrund (vgl. Hampsher-Monk 2009). Zudem zielten seine Überlegungen zum Empire nicht wie bei Smith auf dessen Abschaffung ab, sondern auf eine radikale Reform. Auch wenn es übertrieben ist, in Burke einen entschiedenen Gegner des britischen Empires zu sehen,3 so kann man doch eine Reihe von Argumenten entdecken, mit denen er sich gegen die vorherrschenden Überzeugungen stellte.4 Den Krieg mit den amerikanischen Kolonien und in dessen Folge deren Unabhängigkeit konnte Burke jedoch ebenso wenig verhindern wie Hastings’ Freispruch. Lediglich die schrittweise Aufhebung der Penal Laws gegen die irischen Katholiken konnte Burke als Erfolg seines parlamentarischen Kampfes verbuchen, auch wenn es nicht sein alleiniger Verdienst war. || 1 Ein wesentlicher Aspekt dieses Handels bestand freilich im Sklavenhandel. 2 Zu Smiths Kritik des britischen Empires vgl. Muthu 2003 u. ders. 2012; Pitts 2005; kritischer Bohlender 2014. 3 Diese Tendenz findet sich bei Mehta 2012. 4 Vor diesem Hintergrund ist es auch problematisch, wenn Jennifer Welsh (1995: 4) Burkes Stellungnahmen zum Empire als eine „conservative international theory“ versteht. Zwar ist es nicht falsch, Burkes entsprechende Stellungnahmen als Ausdruck seiner politischen Grundüberzeugungen zu lesen, doch aus damaliger Perspektive ergaben sich daraus gerade nicht am Status quo oder an der Restauration der alten Ordnung orientierte Politikempfehlungen, sondern Positionen, denen durchaus ein ‚progressiver‘ Gehalt innewohnte.

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Seine Ansichten zu diesen drei Konfliktherden des britischen Empires lassen sich aus zahlreichen Reden rekonstruieren, die zumeist auf einen konkreten Anlass Bezug nehmen. Burkes Interventionen sind nicht von abstrakten Prinzipien geleitet, sondern erklären sich zum größten Teil aus dem jeweiligen historischen Kontext. Dementsprechend ist es auch mehr als schwierig, aus ihnen eine konsistente Theorie des britischen Empires oder gar eine politische Theorie der internationalen Beziehungen herauszudestillieren.5 Dennoch kann man einige Grundüberzeugungen benennen, die in allen drei Zusammenhängen auftauchen. So zeichnen sich Burkes Stellungnahmen erstens durch eine insgesamt kritische Grundhaltung gegenüber der Praxis der britischen Herrschaftsausübung aus, wodurch er sich deutlich vom Mainstream seiner Zeitgenossen unterscheidet. „He was never tempted by the complacent view of the British empire as invariably a vehicle for liberty“ (Pitts 2012: 146). Diese selbstgefällige Sichtweise entsprach jedoch nicht nur dem damaligen Verständnis, sondern sollte sich noch knapp einhundert Jahre später bei John Stuart Mill finden.6 Demgegenüber hat Burke von Beginn bis zum Ende seiner politischen Karriere immer wieder auf die Schattenseiten des Kolonialismus hingewiesen. Zwar ging er nie so weit, die Aufgabe der überseeischen Besitzungen zu fordern,7 und auch an der engen Verbindung zwischen Irland und dem britischen Königshaus hat er stets festgehalten. Doch im Rahmen des Empires setzte er sich sowohl für die Stärkung der zivilen wie politischen Rechte der Bewohner der Kolonien als auch für die Achtung ihrer jeweiligen Traditionen ein. Ein zweiter Grundzug von Burkes Ansichten über das Empire besteht darin, dass er nicht von der kulturellen Überlegenheit der westlichen Zivilisation, des Protestantismus oder der englischen Gesellschaft ausgeht. Vielmehr hebt er die Errungenschaften etwa der indischen Kultur und Religionsauffassung ebenso hervor, wie er die spezifische Mentalität der amerikanischen Siedler und den Eigenwert ihrer Institutionen der Selbstverwaltung unterstreicht. Die Annahme einer vermeintlichen Überlegenheit der englischen Zivilisation sieht Burke als eine der Hauptursachen für das brutale Vorgehen gegen die indische Bevölkerung oder die schlechte Behandlung der irischen Katholiken.8 Burke wendet sich zudem gegen die Forderung, in allen Teilen des || 5 Einen Versuch, Burke als einen Theoretiker der internationalen Beziehungen zwischen Realismus und Idealismus zu rekonstruieren, hat Boucher 1991 unternommen; eine dezidiert konservative Verteidigung des Imperialismus meint O’Neill 2016 bei Burke vorzufinden. 6 Zu Mills ökonomischer wie auch paternalistischer Verteidigung der britischen Kolonialherrschaft vgl. unten S. 166. 7 Eine Ausnahme stellt allerdings Burkes spätere Akzeptanz der Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien dar; vgl. unten, S. 151 ff. 8 Eine bemerkenswerte Episode in diesem Zusammenhang ist Burkes Einsatz für die jüdischen Einwohner der westindischen Insel St. Eustatius, die 1781 von den Engländern im vierten Englisch-Holländischen Krieg erobert wurde. Burke kritisiert in einer Parlamentsrede vom 4. Dezember 1781 das besonders brutale Vorgehen der britischen Besatzer gegen die dort ansässigen Juden; vgl. Abbattista 2008. In Spannung zu diesem Engagement für die Rechte der Juden und Burkes generellem Einsatz

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Empires die gleichen politischen Institutionen zu errichten. Demgegenüber verweist er immer wieder auf die notwendige Einbettung des Regierungssystems in den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext – freilich ohne daraus einen moralischen Relativismus zu folgern. Denn drittens richtet sich Burke vehement gegen die Auffassung, dass es eine Art „geographische Moral“ (250, 251) gäbe. Diese Ansicht ist wesentlich von Montesquieus Diktum über den vermeintlichen „Sklavengeist“ (Montesquieu 1748: 378) Asiens geprägt, demzufolge dort andere moralische und politische Standards gälten als in Europa. Auch Hastings bediente sich in seiner Verteidigung dieser Argumentation. Dagegen insistiert Burke, dass in allen Teilen der Welt die gleichen moralischen Standards anzuwenden seien. In der Eröffnungsrede zum Impeachment-Verfahren gegen Hastings beruft er sich auf ein göttliches Naturrecht, das für alle Menschen gelte. Er betrachtet es als ein Recht, das gleichermaßen für die indische Bevölkerung, die katholischen Iren und auch die anderen Völker nicht nur des britischen Empires, sondern der ganzen Welt existiert. Hier besteht allerdings eine starke Spannung zu Burkes fundamentaler Kritik an der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung. Diese Spannung lässt sich zum einen durch den Verweis auf den rhetorischen Charakter seiner Reden und Schriften auflösen.9 Gerade weil es ihm nicht um den Entwurf einer geschlossenen politischen Philosophie ging, sondern er sich als ein „philosopher in action“ (WS II: 317 f.) verstand, konnte er scheinbar Gegensätzliches in unterschiedlichen Kontexten behaupten.10 Zudem zeigt sich bei Burke eine Differenz zwischen der Anerkennung basaler Menschenrechte, die für ihn göttlichen Ursprungs sind und die körperliche Integrität der Menschen, ihr Eigentum und ihre kulturellen Gemeinschaften schützen sollen, und der grundsätzlichen Ablehnung jener modernen revolutionären Forderungen, die die Statusunterschiede zwischen den Menschen einzuebnen trachten. Vor diesem Hintergrund lässt sich Burke auch als früher Kritiker eines falsch verstandenen westlichen Universalismus interpretieren, eines Universalismus, der lokale Traditionen mit seiner Forderung nach radikaler Gleichheit und kollektiver Selbstbestimmung in der Praxis oftmals überfordert.11 In der Forschungsliteratur wird bisweilen auf den Einfluss der traditionellen Naturrechtslehre oder auf Hugo Grotius’ Völkerrechtslehre verwiesen.12 Tatsächlich bedient sich Burke der entsprechenden Prinzipien und Doktrinen. Es wäre aber eine || für religiöse Toleranz stehen jedoch eine Reihe antisemitischer Passagen in seinen Betrachtungen über die Französische Revolution; vgl. De Bruyn 2001. 9 Vgl. dazu White 1994 und Waldron 1987. 10 Richard Bourke 2015a: 453 betont, dass es verkürzt wäre, Burke eine generelle Ablehnung politiktheoretischer Reflexionen zu unterstellen; er habe sich lediglich gegen abstrakte philosophische Doktrinen gewandt. 11 So Frohnen 2005. 12 Den Einfluss des thomistischen Naturrechts betonen u. a. Stanlis 1958 und Welsh 1995; die Bedeutung von Grotius für Burke wird von Armitage 2000a und Bourke 2015a: 667 hervorgehoben.

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Übertreibung, seine Interventionen auf eine konsistente Theorie des Natur- oder Völkerrechts zurückführen zu wollen (vgl. Pitts 2005: 82). Burke ist von diesen Traditionen sicherlich geprägt, bedient sich ihrer jedoch auch in rhetorischer Absicht. Hinzu kommt der Umstand, dass er sich mit Blick auf den amerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen ein militärisches Eingreifen ausspricht, wenige Jahre später hinsichtlich der Französischen Revolution ein solches jedoch sehr nachdrücklich einfordert und damit wiederum auf großen Widerstand stößt. Lassen sich beide Reaktionen aus dem Naturrecht ableiten? Besteht eine Kontinuität zwischen Burkes völkerrechtlichen Überzeugungen, oder ist es zu einem deutlichen Bruch gekommen? Diese Fragen werden in der Forschungsliteratur intensiv diskutiert.13 Hier stoßen wir wieder auf das bereits erwähnte Problem, dass sich aus Burkes Werk keine abstrakten Prinzipien gewinnen lassen, sondern er seine Handlungsmaximen vielmehr in Auseinandersetzung mit den jeweiligen politischen Herausforderungen entwickelt hat. Im Folgenden soll daher etwas detaillierter auf den historischen Kontext der hier abgedruckten Reden eingegangen werden, um Burkes Auffassungen besser einordnen zu können.

3.1.2 Der Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien und der Brief an die Sheriffs von Bristol Wie erwähnt, galt Burkes erste Rede im House of Commons der Aufhebung der amerikanischen Stempelsteuer, einer Steuer, mit der das damalige Kabinett von George Grenville 1765 die Schuldenlast des Siebenjährigen Krieges reduzieren wollte und die der Auslöser für eine Bewegung war, die schließlich in der Amerikanischen Revolution mündete. Nachdem der Widerstand gegen zuvor erlassene Zollgesetze (Sugar Act von 1764) bereits zu einem Boykott englischer Waren geführt hatte, wurde auch die Steuer von den Kolonisten als ungerecht und unverhältnismäßig empfunden. Der so erzeugte Unmut richtete sich zunächst vornehmlich gegen die Steuereintreiber. Das Stempelgesetz war zudem eine Art Initialzündung für radikale Kräfte, welche sich für eine völlige Loslösung vom englischen Mutterland einsetzten. Dabei beriefen sie sich auf den alten englischen Grundsatz ‚no taxation without representation‘, also auf die Vorstellung, dass ohne eine Repräsentation der Kolonien eine Belastung mit Steuern nicht legitim ist. Sie wendeten sich damit gegen die Doktrin einer ‚virtuellen Repräsentation‘. Auch Burke gelangte zu der Überzeugung, dass die Bande zwischen England und den amerikanischen Kolonien zu locker seien, als dass sich diese Theorie sinnvollerweise anwenden lasse.14 || 13 Von einem deutlichen Wandel der außenpolitischen Überzeugungen Burkes geht Welsh 1995 aus, deren Kontinuität und Übereinstimmung mit seinen grundlegenden politischen Ansichten wird demgegenüber von Vincent 1984, Armitage 2000a und O’Neill 2016 betont. 14 Zur Theorie der ‚virtuellen Repräsentation‘ und Burkes Weigerung, diese auf die nordamerikanischen Kolonien zu übertragen vgl. oben S. 107 f.

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Im Jahr 1766 war die Forderung nach Unabhängigkeit jedoch selbst auf Seiten der amerikanischen Siedler noch eine Minderheitenposition, und Burkes Einsatz war es unter anderem zu verdanken, dass sich die Wogen damals noch glätten ließen. Zwar bestand die Rockingham-Administration nur von 1765 bis 1766, aber eine ihrer wichtigsten Amtshandlungen war die Abschaffung der Stempelsteuer am 18. März 1766. Ebenfalls auf Betreiben der Rockingham-Whigs wurde aber zugleich der Declaratory Act verabschiedet, der die Souveränität des britischen Parlamentes gegenüber den amerikanischen Kolonien hervorhob. Den Rockingham-Whigs im Allgemeinen und Burke im Besonderen wurde vorgeworfen, hier inkonsistent gehandelt zu haben: Auf der einen Seite habe man das Recht des Parlaments bekräftigt, die amerikanischen Kolonien zu besteuern, auf der anderen Seite aber zugleich die Umsetzung dieses Rechts ausgesetzt. Zu diesem Vorwurf der Inkonsistenz passt, dass die RockinghamWhigs den Townshend Acts von 1767, die die Einsetzung von Zöllen für Waren des täglichen Gebrauchs vorsahen, nicht widersprachen und auch bis zur Verschärfung des Konfliktes im Jahr 1773 die Forderungen der Kolonisten nicht unterstützten (vgl. Langford 1973: 135-152). Bei Burke kommt auf den ersten Blick noch eine konzeptionelle Schwierigkeit hinzu, sprach er sich doch immer wieder – etwa in den Thoughts on the Present Discontents (WS II: 317 f.) – gegen die Verabsolutierung abstrakter Moral- oder Rechtsprinzipien aus, die den jeweiligen Kontext missachten. Warum, so lässt sich fragen, befürwortete er dann aber den Declaratory Act? Connor O’Brien argumentiert, dass ihn vornehmlich taktische Gründe dazu motiviert haben könnten (O’Brien 1976: 3-14). Denn um im britischen Parlament überhaupt eine Mehrheit für die Aussetzung der Stempelsteuer zu gewinnen, war es erforderlich, zugleich grundsätzlich dessen Rechte zu betonen. Insofern lässt sich sagen, dass das Bekenntnis zu einem abstrakten Recht in diesem Fall politisch motiviert war und es demnach nicht im Widerspruch zu Burkes sonstiger Skepsis gegenüber philosophischen Maximen stand. Ganz in diesem Sinne schreibt auch Richard Koebner: „Burke asked Parliament to believe that it could transform a defeat into something of a triumph by making it sound like a noble gesture, made more respectable still by the fine rhetoric of the oration by which it had been initiated“ (Koebner 1961: 222 f.). Gleichwohl erscheint es aus heutiger Perspektive etwas selbstgerecht und womöglich verzerrt, wenn Burke sich im hier abgedruckten Brief an die Sheriffs von Bristol selbst lobt: „Das gesamte Empire hat Grund, sich in ewiger Dankbarkeit der Weisheit und des Charakters jenes Mannes und seiner vorzüglichen Mitarbeiter zu erinnern, die im Jahr 1766 einen Friedensplan schmiedeten, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen“ (197).15 Die Beschäftigung mit den Entwicklungen in den amerikanischen Kolonien und die Kritik an der späteren britischen Kriegspolitik stellten in den 1770er Jahren einen Schwerpunkt von Burkes Wirken als Parlamentarier dar. Hinzu kam, dass er ab 1771 als Vertreter der Beratenden Versammlung von New York in London tätig war. Er galt daher in der britischen Öffentlichkeit zunehmend als Freund der Amerikaner. Wenn || 15 Zu den zeitgenössischen Reaktionen auf Burkes Amerikapolitik vgl. Dickinson 2012: 156-167.

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Burke schrieb, „[m]an wirft mir vor, ich sei ein Amerikaner“ (189), dann war dieser Vorwurf vor allem Resultat seiner berühmten Reden (On American Taxation und On Conciliation with the Colonies), die er 1774 und 1775 hielt, zu einer Zeit also, in der sich der Konflikt mit den amerikanischen Kolonien wieder zugespitzt hatte. Wenige Monate nach der Boston Tea Party, die in England den Ruf nach Vergeltungsmaßnahmen laut werden ließ und damit wesentlich zur Verschärfung des Konfliktes beigetragen hatte, sprach sich Burke in On American Taxation nicht nur für Zurückhaltung gegenüber den Amerikanern, sondern auch gegen die Erhebung eines Teezolls und für mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit der Kolonien aus. Eine völlige Loslösung vom Mutterland befürwortete er aber nicht. Stattdessen formulierte er hier erstmals eine Konzeption des Empires, welche zwar die Souveränität beim britischen Parlament – nicht bei der Krone – verortet, zugleich aber den Kolonien und ihren legislativen Versammlungen Selbstregierungsrechte einräumt: The Parliament of Great Britain sits at the head of her extensive empire in two capacities: one as the local legislature of this island […]. The other, and I think her nobler capacity, is what I call her imperial character, in which, as from the throne of heaven, she superintends all the several inferior legislatures and guides and controls them all, without annihilating any. (WS II: 459-460)

Allerdings führt Burke dort nicht aus, wie im Einzelnen die Kompetenzen zwischen Großbritannien als „throne of heaven“ und den legislativen Versammlungen der semiautonomen Kolonien aussehen soll. Es lässt sich jedoch entnehmen, dass er eine Art Delegation von Kompetenzen (etwa des Rechts der Steuererhebung) auf die untergeordnete Ebene befürwortet. Auch in seiner Rede On Conciliation with the Colonies, die Burke kurz vor dem Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen im House of Commons gehalten hat, kommt er auf die Idee einer Trennung von Souveränität und Autorität zurück. Dabei betont er die Gewöhnung der Amerikaner an ihre politischen Freiheitsrechte, die ihnen nicht ohne erheblichen Widerstand zu nehmen seien: In this Character of the Americans, a love of Freedom is the predominating feature, which marks and distinguishes the whole: and as an ardent is always a jealous affection, your colonies become suspicious, restive, and untractable, whenever they see the least attempt to wrest from them by force, or shuffle from them by chicane, what they think the only advantage worth living for. (WS III: 119)

Aufgrund dieser Gesinnung der amerikanischen Bürger ergibt sich für Burke, dass einzig eine moderate Politik, die die Freiheitsliebe der Amerikaner ernst nimmt, den Bestand der Kolonien in Nordamerika weiterhin sichern kann. Eben dazu entwirft er das Konzept einer ‚imperialen Oberaufsicht‘, das zwischen Souveränität und delegierter Autorität unterscheidet – ein Gedanke, der im Brief an die Sheriffs von Bristol wieder aufgenommen wird.16 || 16 Zu Burkes Idee einer ‚imperialen Oberaufsicht‘ vgl. Bourke 2000: 453-471, ders. 2015a: 495-497 und Stanlis 1997; vgl. unten, S. 155 u. 195.

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Anlass für die Abfassung dieses offenen Briefes waren Berichte über eine wachsende Unzufriedenheit seiner Bristoler Wähler.17 Burke hatte die Stadt nach seiner Wahl im Jahr 1774 lediglich zweimal besucht, was auf Seiten der Repräsentierten zu nicht geringem Unmut führte. Auch wurden ihm seine früheren Stellungnahmen zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der Amerikaner übelgenommen. Bristol war damals nach London die zweitgrößte Handelsstadt Großbritanniens und profitierte erheblich von dem sogenannten Dreieckshandel zwischen England, Afrika und Nordamerika. Der Unmut gegenüber Burke wurde dadurch noch vergrößert, dass er zusammen mit den Rockingham-Whigs den Parlamentssitzungen, in denen die Kriegspolitik verhandelt und beschlossen wurde, seit Herbst 1776 ferngeblieben war. Diese Maßnahme, mit der sie ihren Protest gegen die Kriegspolitik und die Mehrheitsverhältnisse zum Ausdruck bringen wollten, brachte den Rockingham-Whigs jedoch nicht das gewünschte Ergebnis. Statt die öffentliche Meinung auf eine versöhnlichere Politik einzustimmen, wandte sich diese nur noch stärker gegen die amerikanischen Kolonien. Ursächlich hierfür war neben der allgemeinen Unterstützung für den Krieg auch die Art und Weise, wie das Fernbleiben kommuniziert wurde. Zwar hatte Burke mit der Address to the King (WS III: 259-276) die Strategie der Rockingham-Whigs zu rechtfertigen versucht, doch diese Streitschrift wurde damals nicht publiziert. Hinzu kam eine mangelnde Geschlossenheit der Opposition um Rockingham. Burke hält sich im Brief an die Sheriffs von Bristol jedoch nicht allzu lang damit auf, sein Handeln zu rechtfertigen, sondern formuliert einen Text, der auch über den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hinaus ein „pamphlet against war“ (Bromwich 2014: 306) darstellt. Er schildert in vielen Passagen, wie der Krieg die öffentliche Meinung beherrscht und dabei ein Klima erzeugt, dem nicht zuletzt fundamentale Grundrechte zum Opfer fallen.18 Burke wendet sich hier insbesondere gegen den kurz zuvor beschlossen Letters of Marquee Act, der die Besatzung feindlicher Handelsschiffe zu Piraten erklärt, und den Treason Act, der in Amerika oder auf hoher See Personen alleine auf Verdacht hin ohne Gerichtsverfahren festzunehmen erlaubt. Burke beklagt, dass durch den Treason Act der Habeas Corpus Act von 1679 außer Kraft gesetzt werde, insbesondere die Unschuldsvermutung sowie die Garantie einer Anhörung vor einem ordentlichen Richter innerhalb von drei Tagen. In drastischen Bildern beschreibt er die Konsequenzen dieses Gesetzes. Vor allem aber kritisiert er, dass es sich um eine Aussetzung der Rechte für nur einen Teil der Untertanen handelt, womit die grundlegende Allgemeinheit des Rechtsschutzes, und zwar unabhängig von konkreten Straftaten, der Kriegshetzerei geopfert werde.

|| 17 Vgl. zum Folgenden die Darstellung in Lock 1998: 400-409. 18 „It is crucial to note that he favours the American cause not because he conceives of the colonists as having an abstract ‚right‘ to rebel, but because he fears the continued effects of the exercise of arbitrary power“ (Welsh 1995: 63).

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Wie erwähnt, findet sich die Idee einer „imperiale[n] Oberaufsicht“ über die Kolonien auch im Brief an die Sheriffs von Bristol (195). Burke skizziert, wie sich die kommunalen Verwaltungsbehörden immer mehr zu legislativen Versammlungen entwickelt und durch allmähliche Gewöhnung schließlich auch, gewissermaßen im Schatten der Krone, Selbstbestimmungsrechte angeeignet haben. Es ist charakteristisch für Burke, dass er keine prinzipiellen Erwägungen über die Legitimität dieses Systems geteilter Gesetzgebungsbefugnisse anstellt. Vielmehr betont er die Natürlichkeit einer Entwicklung, die sich für ihn aus der Freiheitsliebe der Amerikaner, aber auch aus praktischer Notwendigkeit ergeben hat. Und schließlich unterstreicht er, dass dieses System einer Selbstgesetzgebung unter ‚imperialer Oberaufsicht‘ doch bislang recht gut funktioniert hat: Auch wenn sich manchmal herausstellen mochte, dass diese beiden Gesetzgeber genau dieselben Funktionen erfüllten, kamen sie sich doch nicht schwerwiegend oder grundsätzlich in die Quere. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies auf reine Nachlässigkeit zurückzuführen, möglicherweise auf den natürlichen Gang der Dinge, die normalerweise, wenn sie sich selbst überlassen bleiben, zu der ihnen gemäßen Ordnung finden. (196)

Es wird allerdings nicht recht deutlich, inwieweit Burke die Entwicklung zu mehr Autonomie tatsächlich begrüßt. Er stellt sie als eine zwangsläufige Entwicklung dar, die er bereits in der Rede über die Conciliation wesentlich auf den Freiheitsdrang der Kolonisten zurückgeführt hatte. Auch weicht Burke der Frage aus, ob es in dem von ihm skizzierten System eine Grenze für die Autonomie der Kolonien gibt und wo diese Grenze verläuft. Seine Ansicht scheint eher zu sein, dass man es tunlichst vermeiden sollte, auf diese Fragen eine klare Antwort zu geben, was von beiden Seiten eine Haltung des Kompromisses unter Vermeidung der Verabsolutierung abstrakter Prinzipien erfordert. Sollte dies jedoch Burkes Position gewesen sein, dann ist sein Lob der Vorgehensweise der Rockingham-Whigs bei der Aufhebung der Stempelsteuer nur teilweise überzeugend. Zwar schreibt Burke, dass „dieser Plan, der auf die Natur des Menschen und auf die Lebensumstände und Gewohnheiten beider Länder gegründet war und nicht auf irgendwelche phantastischen Spekulationen, seinen Zweck in vollkommener Weise“ (198) erfüllt habe. Doch zu diesem Plan würde auch der erwähnte Declaratory Act gehören, der die Suprematie des britischen Parlaments festschrieb. Das war jedoch für keine der beiden Streitparteien eine überzeugende Position. Der britischen Seite gab der Declaratory Act die Vollmacht, wieder zum System der Zölle zurückzukehren und diese später durch Strafmaßnahmen zu ergänzen. Für die amerikanische Seite war er ein Beleg dafür, dass sie von einer immer fremder werdenden Macht beherrscht wurde.19

|| 19 Vgl. Dickinson 2012: 164.

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Obwohl Burke auch 1777 noch den Wunsch hegte, die alte Ordnung der ‚imperialen Oberaufsicht‘ beizubehalten, war er realistisch genug, um die Zeichen der Zeit zu erkennen. Angesichts der Kriegstreiberei in England auf der einen Seite und des erbitterten Widerstands in den amerikanischen Kolonien auf der anderen gewinnt Burke schlussendlich die Überzeugung, dass die Unabhängigkeit der Kolonien sowohl einem weiteren Krieg als auch ihrer Unterwerfung, die nur in weiteren Hass münden würde, vorzuziehen sei. Begleitet wird diese Einschätzung freilich von der Hoffnung, gerade eine großzügige Gewährung der Unabhängigkeit würde die Amerikaner stärker an ihr Mutterland binden, als es durch deren Unterwerfung jemals gelingen könnte. Vor diesem Hintergrund bekennt Burke, der Unabhängigkeit ohne Krieg den Vorzug vor der Unabhängigkeit mit Krieg zu geben; und ich hege ein so großes Vertrauen in die Neigungen und Vorurteile der Menschheit und ein so geringes Vertrauen in alles andere, dass ich von der Zuneigung Amerikas, und befinde sich das Land auch unter einer eigenen Staatseinrichtung, einen zehnmal größeren Nutzen für dieses Königreich erwarten würde als von seiner vollständigen Unterwerfung unter die Krone und das Parlament, wenn diese mit Schrecken, Abscheu und Verachtung einhergeht. Körper, die durch ein so unnatürliches Band wie den gegenseitigen Hass aneinander gebunden sind, sind mit dieser Verbindung einzig dem Untergang geweiht. (199)

Mit seiner Forderung, die amerikanische Unabhängigkeit anzuerkennen, um einen weiteren Fortgang des „Bürgerkrieges“ (176) zu vermeiden, stieß Burke damals freilich sowohl in der englischen Öffentlichkeit als auch bei seinen Bristoler Wählern auf wenig Gegenliebe. Erst nachdem sich immer mehr abzeichnete, dass der Krieg in Amerika nicht zu gewinnen war, kam es unter dem zweiten Kabinett von Rockingham zu Friedensverhandlungen und schließlich 1783 zum Frieden von Paris, in dem Großbritannien formell die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien anerkannte.

3.1.3 Der Kampf um religiöse Toleranz in Irland Burke stammte aus Irland, und seine Mutter war Katholikin. Beides hat sein Leben und seine Ansichten entscheidend geprägt.20 Allerdings verließ er Irland schon in jungen Jahren in Richtung London und kehrte im Lauf seines Lebens nur dreimal, und zwar ausschließlich in den 1760er-Jahren, in seine Heimat zurück. Trotzdem gehört die Beschäftigung mit dem Schicksal Irlands neben der mit (Nord-)Amerika, Indien und seit 1789 Frankreich zu den Schwerpunkten von Burkes politischem Wirken. Dabei setzte er sich insbesondere für die Abschaffung der von England auferlegten Handelsbeschränkungen und für die Rechte der irischen Katholiken ein, was neben seinem Engagement auf Seiten der amerikanischen Kolonisten dazu beitrug, dass er || 20 Die Bedeutung der irischen Abstammung und katholischen Prägung Burkes stellt besonders eindrücklich O’Brien 1992 heraus. Bromwich 2014 und Bourke 2015a kommen zu einem etwas anderen Bild von Burkes Verbundenheit mit Irland.

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1781 seinen Sitz für Bristol verlor. Denn die Hafenstadt profitierte nicht nur von den irischen Handelsbeschränkungen, sondern war auch stark protestantisch geprägt, so dass dort eine für die katholischen Iren vorteilhaftere Politik auf wenig Gegenliebe stieß. Burkes Stellungnahmen zu Irland lassen sich daher als Drahtseilakt verstehen. Wollte er sich einerseits für die Rechte der Katholiken in Irland einsetzen, musste doch andererseits auch immer darauf achten, in der britischen Öffentlichkeit – bei seinen Wählern wie auch bei seinen Mitstreitern von den Rockingham-Whigs – nicht aufgrund seiner Herkunft als Parteigänger der Papisten wahrgenommen zu werden. Bereits vor seinem Eintritt in die Politik verfasste Burke die fragmentarisch gebliebenen Tracts Relative to the Laws Against Popery in Ireland (1765), in denen er sich für die Aufhebung der sogenannten Penal Laws und für die Gleichberechtigung der katholischen Bevölkerungsmehrheit einsetzte. Mit deutlichen Worten prangert er dort die Unterdrückung dieser Bevölkerungsgruppe an und plädiert für rechtliche Gleichheit. Basis einer jeden Gesellschaft müsse „the great rule of equality“ sein und eben nicht die von den Penal Laws bewirkte „artificial difference between men“ (WS IX: 456). Um Burkes Kritik zu verstehen, soll im Folgenden kurz auf die Entstehung und die Auswirkungen der Penal Laws eingegangen werden. Seit 1169 sah sich Irland einer Kolonisation durch die Engländer ausgesetzt. Englische und später auch schottische Bauern wurden angesiedelt, die sich die fruchtbaren Böden aneigneten. 1541 unterwarf Heinrich VIII. Irland der englischen Krone, was eine weitere Vertreibung der angestammten Bevölkerung nach sich zog. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelten sich zudem religiöse Spannungen zwischen den eingewanderten Protestanten und den katholisch gebliebenen Altengländern sowie der ebenfalls überwiegend katholischen irischen Bevölkerung. In der Zeit des englischen Bürgerkriegs kam es zu Aufständen der katholischen Mehrheit und ihrer Niederwerfung durch britische Truppen. Insbesondere der stark puritanisch geprägte Oliver Cromwell verursachte 1649 in Irland großes Leid unter den Katholiken. Die Restauration unter Karl II. führte zwar zu leichten Verbesserungen für die Katholiken, doch zugleich wurden umfangreiche Handelsbeschränkungen gegen Irland beschlossen. Während der Glorious Revolution sympathisierten die irischen Katholiken offen mit Jakob II., was ihnen mit dem Sieg Wilhelms von Oranien in der Schlacht von Limerick 1690 zum Verhängnis wurde. Denn in der Folge wurde das System der sogenannten Penal Laws gegen die irischen Katholiken etabliert. Die Strafgesetze, die sowohl das englische als auch das irische Parlament verabschiedeten, waren zunächst nur gegen Amtspersonen und Parlamentsabgeordnete gerichtet. Diese mussten katholischen Dogmen abschwören. 1692 wurden Katholiken vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Ab 1695 durften Katholiken keine Waffen mehr besitzen, und man verbot die Erziehung katholischer Kinder im Ausland. Das richtete sich insbesondere gegen die Praxis der Geistlichkeit, ihren Nachwuchs im Ausland – vor allem im katholischen Frankreich – ausbilden zu lassen. Eine größere Dimension erlangten die Strafmaßnahmen jedoch erst 1704 unter Queen Anne mit dem Act to prevent the further Growth of Popery. Die damit verbundenen Einschränkungen waren

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überwiegend ökonomischer Art. So musste das Erbe unter allen Nachkommen zu gleichen Teilen aufgeteilt werden, was eine Zersplitterung des Grundbesitzes zur Folge hatte. Den Katholiken wurde darüber hinaus untersagt, neues Land zu erwerben; zudem durften sie Land nicht länger als 31 Jahre pachten. Das blieb nicht ohne Folgen. Der Landbesitz der Katholiken ging von vierzehn Prozent im Jahr 1703 auf nur noch fünf Prozent im Jahr 1778 zurück (vgl. Maurer 2013: 143). 1728 verloren die Katholiken schließlich auch das aktive Wahlrecht. Allerdings führten all diese Strafmaßnahmen und Verbote nicht dazu, dass die katholische Glaubenspraxis zum Erliegen gekommen wäre oder es zahlreiche Übertritte zur protestantischen Church of Ireland gegeben hätte. Vielmehr konnte die katholische Religionsausübung im Schatten der Strafgesetze fortbestehen und wurde, sofern sie kein politisch bedrohlicher Faktor war, geduldet oder zumindest nicht nachhaltig verfolgt. Die Penal Laws dienten also vornehmlich der Absicherung wirtschaftlicher und politischer Privilegien der protestantischen Minderheit, nicht der religiösen Bekehrung. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer Lockerung der Strafgesetze und Handelsbeschränkungen. Ursächlich hierfür waren nicht zuletzt die Entwicklungen in Nordamerika, welche dafür sorgten, dass die in Irland stationierten britischen Regimenter in Übersee benötigt wurden, man aber zugleich eine Invasion der Franzosen fürchtete. Dies führte zur Einrichtung irischer Freiwilligenkorps. Zugleich wollten sich die Briten in dieser prekären Situation der Loyalität der Katholiken versichern. So kam es 1778 zum Papists Act, der die Beschränkungen des Grunderwerbs, der Pachtzeiten und des Erbrechts aufhob. Allerdings hatte er keine vollständige rechtliche Gleichstellung zur Folge. Dies galt auch für den Gesetzentwurf von 1782, den Burke in dem hier abgedruckten Brief kommentiert. Dieser Gesetzentwurf sollte den Katholiken weitere Erleichterungen verschaffen und wurde von Luke Gardiner,21 der bereits das Gesetz von 1778 verantwortete, 1781 in das Dubliner Parlament eingebracht. Der Originaltext ist verschollen, lediglich eine inoffizielle Version ist überliefert (vgl. Corr. IV: 401, Fn. 1). Dieser ist zu entnehmen, dass der Entwurf zwar eine prinzipielle Gleichstellung der Katholiken vorsah, zugleich aber eine Reihe von restrictions bestätigte. Dazu zählten das Verwehren des passiven und aktiven Wahlrechts, der Ausschluss von zahlreichen Ämtern sowie das Verbot einer Tätigkeit als Anwalt. Während der Entwurf im Parlamentskomitee diskutiert wurde, warf John Hely-Hutchinson, der damalige Propst des Dubliner Trinity Colleges, die Frage der Ausbildung katholischer Geistlicher auf und schlug vor, diese im protestantischen Trinity College vorzunehmen. Im Unterschied zu Burkes Engagement beim Papists Act, den er maßgeblich vorangetrieben hatte, hielt er sich 1782 zurück. Dies lag vornehmlich daran, dass er im Winter 1781/1782, gegen Ende der Regierung von Lord Frederick North, mit anderen Fragen beschäftigt war: in erster Linie mit der Amerikapolitik, die nach der Niederlage von Yorktown schließlich zu Norths Sturz führte. Außerdem war Burke Mitglied || 21 Luke Gardiner (1745-1798) war von 1773 bis 1789 Mitglied im irischen House of Commons.

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einer Parlamentskommission, die einen Plan zur Reform der Ostindien-Kompanie ausarbeiten sollte. Und schließlich kam noch hinzu, dass Burke wegen der negativen Reaktion, die ihm seine Mitwirkung an der Verabschiedung der Irland betreffenden Reform von 1778 eingetragen hatte, nun zurückhaltender agierte (vgl. Zimmer 1990: 171). Der hier abgedruckte Brief geht auf ein Schreiben an Thomas Browne, den vierten Viscount of Kenmare, vom 21. Februar 1782 zurück, der 1783 leicht gekürzt unter dem Titel A Letter to a Peer of Ireland veröffentlicht wurde. Bei Lord Kenmare handelte es sich um einen der wenigen irischen Katholiken, die zu den Großgrundbesitzern zählten. Kenmare, mit dem Burke spätestens seit 1776 bekannt war, stand seit 1773 der Catholic Association of Ireland vor, die sich für die Abschaffung der Penal Laws einsetzte. Kenmare schickte Burke eine Kopie des Gesetzentwurfs von Gardiner mit der Bitte um seine Einschätzung (vgl. Corr. IV: 400-402). Wie auch die anderen Stellungnahmen Burkes zu den irischen Katholiken – etwa die bereits erwähnten Tracts Relative to the Laws Against Popery in Ireland oder die entsprechenden Passagen in der Speech at the Guildhall in Bristol (1780) –, ist der Brief an einen Peer aus Irland von einem der Toleranz und dem Aufklärungsgedanken verpflichteten Ton getragen. Burke prangert die aus seiner Sicht willkürliche und gerade nicht vorwiegend religiös motivierte Diskriminierung der irischen Katholiken an: Meiner Beobachtung nach waren es Stolz, Arroganz und Herrschsucht, die diese unterdrückerischen Gesetze ins Leben riefen und am Leben hielten, nicht religiöser Übereifer. Ganz ohne Zweifel habe ich Leute erlebt, die Papisten in ihren bürgerlichen Rechten unterdrückten, während sie sich im Hinblick auf deren religiöse Zeremonien über die Maßen nachsichtig zeigten und wirklich wünschten, diese möchten doch Katholiken bleiben, damit sie einen Vorwand für deren Unterdrückung besäßen. (219)

Burke verweist auf die vielen bürgerlichen und ökonomischen Nachteile der Penal Laws für die Katholiken. Und er kritisiert an dem Gesetzentwurf, dass dieser zwar das Praktizieren des katholischen Glaubens erleichtere, den Katholiken aber weiterhin viel zu viele bürgerliche Rechte vorenthalte. Demgegenüber fordert er auch die staatsbürgerliche Gleichstellung der Katholiken. Einen weiteren Schwerpunkt legt Burke in seinem Brief auf die Ausbildung der katholischen Geistlichkeit. Dabei verwirft er insbesondere den erwähnten Vorschlag von Hely-Hutchinson, katholische Priester im protestantischen Trinity College zu schulen. Hier fordert er, dass den Katholiken das Recht zugestanden wird, wieder selbst für die Ausbildung ihrer Priester zu sorgen. Burke war gewiss kein radikaler Aufklärer. Was sich aber im Brief an einen Peer aus Irland erneut zeigt, ist, dass er ein besonderes Gespür für die konkreten Effekte von Gesetzen besaß, die sich im Namen höherer Prinzipien gegen große Teile der Bevölkerung richteten. Burke erweist sich in dieser Hinsicht, trotz oder vielleicht auch gerade wegen seiner konservativen Grundhaltung, als Herrschaftskritiker. Das zeigt sich auch in seinem Einsatz für die Rechte der indischen Bevölkerung.

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3.1.4 Burkes Einsatz für die Rechte der Inder und sein Kampf gegen Warren Hastings In der zweiten Hälfte seiner politischen Karriere entwickelte sich Burke zunehmend zum Indien-Experten der Rockingham-Whigs. Einen ersten Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem britischen Kolonialreich in Asien stellt seine Speech on Fox’s India Bill aus dem Jahr 1783 dar. Darin verteidigt er den von der damaligen Fox-NorthKoalition eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform der Kolonialverwaltung, der den Regulating Act von 1773 erneuern sollte. Vorgesehen war insbesondere die Bildung einer Kommission, die die Tätigkeiten der East India Company, die zur damaligen Zeit faktisch die Regierungsgewalt in Indien ausübte, überwachen sollte. Die East India Company war zunächst nur eine Handelsvertretung, bekam aber um das Jahr 1670 weitreichende Herrschaftsrechte eingeräumt. So durfte sie Territorien erwerben, Kriege erklären, Frieden schließen, Bündnisse eingehen, Geld prägen und sowohl die Zivil- als auch die Strafgerichtsbarkeit in den erworbenen Gebieten ausüben. Nach dem Vertrag von Paris 1763 und dem damit verbundenen Rückzug der Franzosen aus Indien besaß die East India Company faktisch das Herrschaftsmonopol über den Subkontinent. Für Burke, und das ist ein zentrales Thema der Speech on Fox’s India Bill, ist nun insbesondere die Verquickung von ökonomischen Interessen und der im Besitz der East India Company liegenden Staatsgewalt problematisch. Dabei kritisiert er die mangelnde Legitimität der quasi-staatlichen Herrschaftsausübung. Diese beruhe eben nicht auf der Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen. Die East India Company handele primär gemäß ökonomischer Prinzipien und weder als legitimierte Vertretung des britischen Parlaments noch der indischen Bevölkerung. Burke begreift den Zweck der britischen Kolonialverwaltung demgegenüber als eine Art Treuhänderschaft, die dem Wohl der indischen Bevölkerung verpflichtet sein müsse. Diene sie diesem Ziel nicht, verliere sie ihre Legitimität: „that if the abuse is proved, the contract is broken, and we re-enter into all our rights“ (WS V: 386). Allerdings geht Burke bei aller Kritik an den Schattenseiten der britischen Kolonialherrschaft, wie zuvor in der Amerikafrage, nicht so weit, die Zugehörigkeit der indischen Kolonien zum britischen Königreich in Frage zu stellen (vgl. Bourke 2015a: 365). Jedoch hinterfragt er die verbreitete Annahme der Überlegenheit der europäischen Zivilisation und die damit einhergehende Rechtfertigung der britischen Herrschaft. Seine Anerkennung der zivilisatorischen Errungenschaften Indiens ist ein Motiv, das sich auch in Burkes Reden zum Impeachment-Verfahren gegen Warren Hastings wiederfindet. Zu diesem Impeachment-Verfahren kam es nicht zuletzt deshalb, weil Fox’ India Bill zwar im House of Commons mit großer Mehrheit gebilligt worden war, dann aber auf Intervention von George III. im House of Lords scheiterte. Der König, ein entschiedener Gegner der Reformbestrebungen, entließ die Fox-North-Koalition nach der gescheiterten Abstimmung. Da die neue Regierung unter William Pitt dem Jüngeren zwar eine stärkere Kontrolle der East India Company einführte, diese aber weniger

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weit ging als die von der Fox-North-Koalition geforderten Maßnahmen, bedeutete das im Hinblick auf Indien mehr oder weniger die Aufrechterhaltung des Status quo. Burke wollte sich damit nicht zufriedengeben und fand in Warren Hastings einen neuen Angriffspunkt. Hastings war 1772 zum Gouverneur von Bengalen und 1773 zum ersten Generalgouverneur von Ostindien ernannt worden. Während seiner Amtszeit hatte die Macht der East India Company weiter zugenommen, und es mehrten sich Berichte über damit einhergehende Gräueltaten der Kolonialmacht. Burke, der bereits Fox’ India Bill federführend vorbereitet hatte, war Hauptverantwortlicher eines Parlamentsausschusses zur Indienpolitik. Viel wurde über die Motive von Burkes Kampf gegen Hastings spekuliert: War es persönlicher Hass? Waren es politisch-taktische Gründe oder die Sorge um den Bestand des britischen Empires? War es die Frustration über die innenpolitischen Verhältnisse oder der emphatische Glaube an ein höheres, natürliches Recht (vgl. O’Gorman 1973: 93 ff.)? Vermutlich war es eine Mischung aus all diesen Beweggründen, wobei davon auszugehen ist, dass sich im Verlauf der Auseinandersetzung einzelne Motive verstärkt, andere dagegen abgeschwächt haben. Jedenfalls zeugt allein der Umfang der Reden über Indien im Allgemeinen und Hastings im Besonderen, die immerhin drei der neun Bände von Burkes Writings and Speeches umfassen, von der Intensität der Auseinandersetzung. Eine von Burkes Informationsquellen waren Berichte von Philip Francis, einem Mitglied der mit dem Regulating Act von 1773 eingesetzten Kommission zur Überwachung der East India Company und leidenschaftlichen Widersacher Hastings’. Es ist zu vermuten, dass diese Berichte nicht immer der Wahrheit entsprachen.22 Überhaupt war es mit Blick auf die Kolonialpolitik in Indien nicht immer einfach, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden, lag zwischen der Kolonie und dem Mutterland doch eine Schiffsreise von bis zu sechs Monaten. Auf diese Reise begab sich auch Hastings und kehrte 1785 nach England zurück. Dort geriet er zunehmend ins Visier von Burke, der ein Impeachment-Verfahren gegen ihn vorbereitete. Bei diesen Verfahren handelte es sich um eine altehrwürdige Institution, durch die Mitglieder der Regierung vom Parlament zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Burke hatte insgesamt 22 Anklagepunkte zusammengetragen, und Hastings musste im Sommer 1786 zunächst vor dem House of Commons erscheinen. 1788 wurde Hastings schließlich vor das House of Lords geladen, das damals für die höhere Rechtsprechung und damit auch für Impeachment-Verfahren zuständig war. Der Prozess zog sich bis 1795 hin, am Ende wurde Hastings von allen Anklagepunkten freigesprochen.23

|| 22 Zu Francis’ Kampf gegen Hastings vgl. Bourke 2015a: 539 f. Die Glaubwürdigkeit seiner Berichte über die britische Kolonialverwaltung wird von Norman 2013: 117 f. angezweifelt. 23 Zu Burkes Ansichten über Indien vgl. u. a. die Darstellung bei O’Gorman 1973: 93-106, Ayling 1988: 118-134 u. 161-182 sowie Marshall 1998. Eine detaillierte Aufarbeitung des Impeachment-Verfahrens liefert Marshall 1965, eine ausführliche Rekonstruktion der Anklagepunkte und deren Verortung im politischen Denken Burkes finden sich bei Whelan 1996.

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In diesem Band sind Auszüge aus Burkes Rede zur Eröffnung des ImpeachmentVerfahrens abgedruckt. Sie stammen aus den ersten beiden Tagen der insgesamt vier Tage dauernden und in den Writings and Speeches 200 Seiten umfassenden Rede. Allein an diesem Umfang wird deutlich, wie ausgiebig sich Burke vorbereitet hatte. Spürbar ist bei der Lektüre aber auch, mit welcher Leidenschaft er diese Sache verfolgt hat; die für ihn so charakteristische Macht der Rhetorik ist hier noch einmal erheblich gesteigert. Das mag auch dem Ort der Rede geschuldet sein, der ehrwürdigen Westminster Hall. Zudem fand die Eröffnungsrede nicht nur vor den fast 170 Peers, sondern auch vor vielen Mitgliedern der Königsfamilie und der höheren Aristokratie statt. Gerahmt wurde dieses Schauspiel durch zahlreiche Gäste auf der Galerie, unter ihnen hohe Staatsbeamte, Gelehrte und Schauspielerinnen.24 Dem Anlass geschuldet, beginnt Burke seine Rede mit einer Rechtfertigung des Verfahrens: Er verdeutlicht die erhebliche Dimension des Verbrechens, den hohen Rang des Verbrechers und appelliert an das Rechtsbewusstsein und die Rechtstradition Großbritanniens. Entscheidend ist das Argument, dass es sowohl um Gerechtigkeit für Indien als auch um das internationale Ansehen Großbritanniens gehe und beides eng miteinander verwoben sei. Für Burke ergibt sich die Notwendigkeit, vor das höchste Gericht zu ziehen, nicht nur wegen des Ausmaßes der Hastings zur Last gelegten Verbrechen, sondern auch daraus, dass zugleich die Rechtmäßigkeit der britischen Kolonialpolitik in Frage steht. Im weiteren Verlauf vertieft Burke ein Argument, das sich bereits in seiner Rede zu Fox’ India Bill findet, nämlich das der äußerst problematischen Verquickung von ökonomischen Interessen und quasi-staatlicher Hoheitsgewalt. Er legt dar, dass der East India Company die Hoheitsrechte zwar vom englischen König verliehen worden seien, weshalb sie sich ja auch vor der britischen Gerichtsbarkeit zu verantworten habe, ihr ursprüngliches Ziel jedoch der Handel gewesen sei. Je mehr Macht sie sich nun angeeignet und je weiter sie ihr Herrschaftsgebiet ausgedehnt habe, umso mehr seien die wirtschaftlichen Interessen in Spannung zur Kolonialverwaltung geraten, was schließlich dazu geführt habe, dass sich die East India Company unter Hastings in Verfolgung ihrer ökonomischen Ziele staatlicher Gewaltmittel bedient habe. Daraus könne nichts als Unrecht erwachsen: „Sie wurde zu dem, was das römische Recht für unvereinbar mit Vernunft und Anstand hielt – eundem negotiatorem et dominium: dieselbe Macht wurde der Generalhändler, dieselbe Macht der oberste Herrscher“ (232). Kurzum, eine Politik, die auf Profit aus ist, verträgt sich nicht mit den Prinzipien einer gerechten Regierung (vgl. hierzu auch Stagl 2012). Drei weitere Aspekte der Rede sollen im Folgenden hervorgehoben werden: erstens Burkes Schilderung der kolonialen Herrschaftsausübung (1), zweitens seine Kritik an der durch Montesquieu geprägten Vorstellung eines asiatischen Despotismus (2) und drittens schließlich seine Berufung auf ein höheres, göttliches Recht (3). || 24 Vgl. hierzu die Schilderung in von Wyss 1966: 122 f.; zur komplexen Editionsgeschichte der Rede vgl. die Hinweise in WS VI: 264 ff.

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(1) Burke analysiert Macht und Herrschaftsausübung eher selten, im Falle von Hastings geschieht dies aber sehr detailliert. Dabei betont er vor allem zwei Aspekte, die dazu geführt haben sollen, dass sich diese Regierung gerade nicht an Rechts- und Moralprinzipen gehalten, sondern das Land mit äußerster Brutalität ausgepresst habe. Erstens sei dies dem Umstand geschuldet, dass es sich vorwiegend um junge Männer handele, die in die Dienste der East India Company träten. Für Burke sind sie Schuljungen, die erst erzogen oder zumindest erst langsam an ihre verantwortungsvollen Aufgaben herangeführt werden müssten. Doch in Hastings’ System werde die vorgesehene Ämterlaufbahn umgangen, sodass junge, rohe Männer schnell über sehr viel Macht verfügten. Und diese übten sie in einer nahezu tyrannischen Weise aus, denn „[n]iedere Gerissenheit, Ränkespiel und List sind schnell erlernt“ (236), nicht jedoch jene Umsicht, die für eine verantwortungsvolle Kolonialadministration erforderlich sei. An anderer Stelle klagt Burke über die fatalen Auswirkungen, die es für das englische Mutterland hat, wenn diese Männer – durch Unrecht vermögend geworden, in ihren Sitten jedoch verroht – nach Hause zurückkehrten. Diese als Nabobs bezeichneten Männer hatten zu Burkes Zeiten erheblichen Einfluss. Sie verfügten nicht nur über große Geldvermögen, sondern saßen zum Teil auch im Parlament, wo sie immer wieder erfolgreich verhindern konnten, dass die East India Company der Kontrolle des Parlaments unterworfen wird. Ein weiteres entscheidendes Element des Herrschaftssystems von Hastings stellen laut Burke die indischen Banias dar, die bei den britischen Kolonialvertretern eine Art Verwaltungsposten innehaben. Bania, manchmal auch Vania, kommt ursprünglich aus dem Sanskrit-Wort banij oder vanij und bedeutet so viel wie Händler, Kaufmann. Für Burke sind die Männer dieser Kaste besonders grausam, wenn es um die Ausplünderung des Landes geht. Darüber hinaus besitzen die Banias seines Erachtens aufgrund ihrer Kenntnisse des Landes und der dort herrschenden Sitten die Fähigkeit, jene jungen Männer zu manipulieren, die, aus Großbritannien kommend, in Indien ihr Glück suchen. Burke geht sogar so weit zu behaupten, dass viele der englischen Abenteurer wegen ihres jugendlichen Alters und ihrer Unkenntnis der örtlichen Gegebenheiten den Banias völlig ausgeliefert seien. Bemerkenswert sind die entsprechenden Passagen von Burkes Rede, so übertrieben sie auch gewesen sein mögen, weil sie auf einer gleichsam phänomenologischen Ebene jene Machtdynamiken beschreiben, die offenbar eine unerlässliche Begleiterscheinung des Kolonialismus sind. Burke zeigt sich damit als ein früher Kritiker kolonialer Herrschaftsausübung, und zwar nicht in dem Sinne, dass er deren Legitimität auf einer abstrakten Ebene bestreiten würde, sondern weil er die koloniale Praxis entlarvt. (2) Im Vorfeld des Impeachment-Verfahrens berief sich Hastings zu seiner Verteidigung darauf, dass in anderen Weltgegenden andere politische, rechtliche und moralische Prinzipien gälten. Zudem hatte er argumentiert, seine Vorgehensweise sei machtpolitisch geboten gewesen. Gegen beide Rechtfertigungsstrategien wendet sich Burke (vgl. Whelan 1996: 123 ff. u. 188 ff.). Verbreitet war vor allem die auf Montes-

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quieu zurückgehende Ansicht, asiatische Gesellschaften müssten aufgrund ihres Klimas und der daraus resultierenden Mentalitätsstrukturen notwendig despotisch regiert werden. So schreibt Montesquieu: „Dagegen herrscht in Asien ein Sklavengeist, der es nie verlassen hat, und in der ganzen Geschichte dieses Landes ist es unmöglich, einen einzigen Zug zu finden, der ein freie Seele verrät: man wird dort immer nur das Heldentum der Knechtschaft antreffen“ (Montesquieu 1748: 378). Burke zeichnet in seiner Rede jedoch ein ganz anderes Bild von der indischen Gesellschaft. Zwar betont er die immensen kulturellen Unterschiede, die zwischen ihr und den europäischen Gesellschaften bestehen, doch – und das ist entscheidend – verbindet er damit gerade nicht die Überzeugung, die indische Gesellschaft im Allgemeinen und ihre religiösen Grundlagen im Besonderen befänden sich auf einer niedrigeren zivilisatorischen Stufe. Ganz im Gegenteil betont Burke, dass es sich um eine altehrwürdige Kultur handelt, die schon länger bestehe als die europäische Zivilisation, und hebt deren Stabilität und „ausgezeichnete[n] moralische[n] und politische[n] Auswirkungen“ (244) hervor. Bemerkenswert ist nicht zuletzt seine Umkehrung des Barbarendiskurses. Waren aus europäischer Perspektive immer die anderen barbarisch, so sind es für Burke die verschiedenen Eroberer Indiens, vor allem aber die Briten unter Hastings, die sich durch ihre Zerstörung der alten moralischen Ordnung Indiens als Barbaren entpuppt hätten. Nachdem Burke die moralischen und sozialen Vorzüge des Hinduismus geschildert hat, kommt er zu folgendem Fazit: „Dies, Eure Lordschaften, sind die Wirkungen, die das hinduistische Gemeinwesen in der ganzen gewaltigen Region hervorrief, bevor es durch die Barbarei fremder Eroberungen verformt und aus den Angeln gehoben wurde“ (245). (3) Burke begnügt sich indes nicht mit dieser Umkehrung des Barbarendiskurses, um die von Hastings vorgebrachten Verweise auf einen ‚natürlichen‘ Despotismus Asiens zu widerlegen. Darüber hinaus beruft er sich auf ein kulturübergreifendes und überzeitliches göttliches Recht: Eure Lordschaften, die East India Company besitzt keine willkürliche Macht, die sie ihm verleihen könnte; der König besitzt keine willkürliche Macht, die er ihm verleihen könnte; Eure Lordschaften besitzen sie nicht, ebensowenig wie die Commons oder die gesamte Legislative. Wir haben keine willkürliche Macht zu verleihen, weil willkürliche Macht etwas ist, das ein Mensch weder innehaben noch verleihen kann. Kein Mensch kann sich rechtmäßig selbst nach seinem eigenen Gutdünken regieren; noch weniger kann eine Person nach dem Gutdünken einer anderen regiert werden. Wir alle werden in Abhängigkeit geboren – alle, oben und unten, Regierende und Regierte gleichermaßen, werden wir in Abhängigkeit von einem großen, unabänderlichen, präexistenten Gesetz geboren, das all unseren Plänen und all unseren Erfindungen vorausgeht, das all unsere Ideen und all unsere Eindrücke übersteigt, das unserer Existenz selbst vorgängig ist, durch das wir alle in den ewigen Rahmen des Universums eingespannt und darin miteinander verbunden sind – ein Rahmen, dem wir uns nicht entziehen können. (251 f.)

Diese Passage wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts von Autoren wie Peter Stanlis (1958) oder Francis Canavan (1960) als Beleg dafür angeführt, dass Burke in der Tradition des klassischen Naturrechts stehe. Diese geistesgeschichtliche Verortung im

Einleitung | 165

Kontext des Kalten Krieges kommt einer Vereinnahmung Burkes als eines zutiefst konservativen, an traditionellen Werten orientierten Denkers gleich (vgl. Cliteur 1988). Dem steht eine Interpretationslinie gegenüber, der zufolge Burkes Berufung auf das Naturrecht eher strategisch motiviert gewesen sei und ihr keinesfalls ein systematischer Stellenwert zugeschrieben werden könne. So heißt es bei Insole: „Burke is not a natural law thinker, if by that we mean one who places this category at the centre of his thought; rather, Burke draws – strategically and sparingly – upon the natural law tradition.“ (2012: 123) Es spricht einiges für diese zweite Lesart. Erstens setzt sich Burke in seinem Werk in der Tat nicht systematisch mit dem Naturrechtsdenken auseinander, schon gar nicht beruft er sich dabei auf Thomas von Aquin. Ein wichtiger Referenzautor für ihn ist vielmehr Cicero.25 Zweitens bewegt sich Burke mit der Berufung auf das göttliche Naturrecht in den sprachlichen Konventionen seiner Zeit. Drittens ist daran zu erinnern, dass Burke philosophischen Doktrinen prinzipiell sehr skeptisch gegenüberstand. Wenn es überhaupt ein Grundzug seines politischen Denkens gibt, dann ist es die Abneigung gegen abstrakte philosophische Systeme. Ein Aspekt, der besonders in seinen Betrachtungen über die Französische Revolution, die er nur zwei Jahre später verfasste, hervortritt. Dort formuliert Burke auch seine berühmte Kritik an den Menschenrechten, denen er die Rechte der Engländer gegenüberstellt. Gleichwohl wäre es verkürzt, seine Berufung auf ein göttliches Naturrecht lediglich als rhetorische Strategie abzutun.26 Vielmehr ist davon auszugehen, dass Burke, ohne das systematisch jemals begründet zu haben, durchaus einige Normen für universell gegeben hält. Es handelt sich dabei um grundlegende Normen des menschlichen Miteinanders, wie der Respekt vor dem Eigentum, der körperlichen Unversehrtheit und der Religionsfreiheit; nicht jedoch um die Annahme einer fundamentalen Gleichheit der Menschen, wie sie im modernen Naturrecht artikuliert wird. Zudem vertritt Burke die Auffassung, dass diese fundamentalen Normen kulturell eingebettet sind. Es sind gewachsene Gesellschaften mit ihren jeweiligen sozialen Hierarchien, in denen sich die universell gültigen Normen realisieren. Hinzu kommt, dass diese basalen Normen für Burke zwar göttlichen, nicht aber wie bei Thomas von Aquin allein christlichen Ursprungs sind, weshalb er auch nicht von einer Überlegenheit der christlichen Zivilisation ausgeht. Schließlich besteht bei Burke eine fundamentale Differenz zwischen seiner Akzeptanz jener basalen Menschenrechte, die göttlichen Ursprungs sind und die Integrität von Menschen und kulturellen Gemeinschaften schützen sollen, und seiner grundsätzlichen Ablehnung jener modernen Forderungen, die die Statusunterschiede zwischen den Menschen einzuebnen trachten.

|| 25 Vgl. Insole 2012: 120; eine weitere Quelle von Burkes ‚Naturrechtsdenken‘ war die anglikanische Idee der Barmherzigkeit, wie sie etwa von John Tillotsen vertreten wurde; vgl. Bourke 2015a: 633 f. 26 Vgl. zum Folgenden auch Frohnen 2005.

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In nur scheinbar paradoxer Weise ist es gerade diese Differenz, die Burke zu einem frühen Kritiker des Kolonialismus werden ließ. Das verdeutlicht ein Vergleich mit John Stuart Mill.27 Mill unterscheidet im letzten Kapitel seiner Betrachtungen über die Repräsentativregierung zwischen zwei Formen des Kolonialismus: Kolonien, in denen zivilisierte Menschen leben, und solche, in denen barbarische Menschen leben. Als Beispiel für erstere verweist er auf die Kolonien in Nordamerika,28 wo vornehmlich Nachfahren von englischen Einwanderern lebten. Diese stünden auf „derselben Zivilisationsstufe wie das Mutterland“ (Mill 2013: 266) und seien deshalb auch in der Lage, sich im Rahmen der Repräsentativverfassung weitestgehend selbst zu regieren. Ganz anders dagegen bei Völkern, „die diese Stufe noch nicht erreicht haben“, wie es Mill zufolge in Indien der Fall ist. Für diese Völker sei „eine zielstrebige Despotie an sich schon die beste Herrschaftsform, um das Volk in den Dingen zu schulen, die es in spezifischer Weise für eine höhere Zivilisation reif machen“ (ebd.: 373). Mit dieser keinesfalls außergewöhnlichen Rechtfertigung einer Erziehungsdespotie reiht sich Mill in einer Tradition des englischen Liberalismus ein, zu der auch John Locke, Jeremy Bentham, James Mill und Thomas Macaulay zählen.29 Es führt an dieser Stelle zu weit, ideologiekritische Mutmaßungen über den Zusammenhang zwischen liberalen Rechtfertigungen des Kolonialismus als einer Zivilisierungsmission und den ökonomischen Interessen kolonialer Praxis anzustellen. Erwähnt werden soll jedoch, dass auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Export vermeintlich universeller Standards – hier Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft – der Legitimation neokolonialer Bestrebungen dient. Insofern Burke nicht nur den Eigenwert der indischen Zivilisation betont, sondern sich auch skeptisch gegenüber Versuchen zeigt, fremde Kulturen an europäischen Standards zu messen oder sie gar durch Gewalt an diese Maßstäbe anzupassen, lässt er sich als Kritiker eines falsch verstandenen westlichen Universalismus interpretieren, der lokale Traditionen mit seiner Forderung nach Gleichheit und kollektiver Selbstbestimmung in der Praxis oftmals überfordert.

|| 27 Zu Mills Zivilisationstheorie und der daraus folgenden Rechtfertigung des Kolonialismus vgl. Eberl 2011 und Buchstein/Geisler 2013: 24-27, dort auch weitere Verweise auf die Forschungsliteratur. 28 Mill bezieht sich auf das heutige Kanada. 29 Das wird anschaulich von Mehta 1999 nachgezeichnet; vgl. auch Losurdo 2010. Verkürzt ist jedoch die verbreitete Auffassung (etwa Bromwich 2014: 402; O’Brien 1992: 91), dass Burke ein früher Befürworter der Abschaffung der Sklaverei gewesen sei; vgl. dazu Kohn/O’Neill 2006.

3.2 Brief an die Sheriffs von Bristol von Edmund Burke

Gentlemen! Ich habe die Ehre, Ihnen die beiden letzten Beschlüsse zuzusenden, die angesichts der Unruhen in Amerika verabschiedet wurden.1 Diese Beschlüsse gleichen all den anderen, die zu diesem Thema gefasst wurden. Sie verfahren nach dem gleichen Prinzip, und sie verdanken sich genau derselben Politik. Ich glaube, mit ihnen erhöht sich die Zahl derartiger Parlamentsakte nun auf neun. Mit keinem geringen Missvergnügen gewahrt man, dass unsere Bürger in dem Maße weniger werden, wie sich unsere Gesetze vermehren. Wenn ich mir unglücklicherweise mit einigen meiner Mitbürger im Hinblick auf dieses bedeutende und schwierige Thema nicht einig bin, so ist es doch kein geringer Trost für mich, dass zwischen Ihnen und mir Einvernehmen herrscht. Mit Ihnen bin ich vollkommen einer Meinung. Wir stimmen mit ganzem Herzen in unserer Abscheu vor dem Bürgerkrieg überein. Von jeher haben wir die bedingungsloseste Missbilligung aller Schritte zum Ausdruck gebracht, die zu ihm führten, und all derer, die ihn zu verlängern drohen. Und ich zweifle nicht im Geringsten, dass wir angesichts all seiner elendigen Folgen, mögen diese nun auf der einen oder anderen Seite auftreten, in Gestalt von Siegen oder Niederlagen, in Gestalt von Eroberungen der Engländer auf dem Kontinent oder der Engländer dieser Inseln, in Gestalt von rechtlichen Bestimmungen, welche die Freiheiten unserer Brüder oder unsere eigenen Freiheiten untergraben, genau dieselbe Scham und Betrübnis empfinden. Über den ersten dieser Parlamentsakte – jenen über den Kaperbrief – werde ich wenig sagen. So anstößig er sein mag und meines Erachtens in bestimmten Hinsichten auch ist, erscheint er als das natürliche, vielleicht notwendige Ergebnis der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, und der Lage, in der wir uns befinden. Der andere – jener für eine partielle Außerkraftsetzung der Habeas Corpus-Akte – scheint mir von wesentlich abgründigerer Bösartigkeit zu sein. Im Laufe seiner Beratung durch das House of Commons wurde er so abgeändert, dass er die erklärten Empfindungen seiner Urheber deutlicher zum Ausdruck brächte, als dies zunächst der Fall war, und der Hauptgrund für meine Einwände gegen ihn besteht darin, dass er Zwecke zum Ausdruck bringt und in die Tat umsetzt, die mir allen Prinzipien nicht nur der Verfassungspolitik Großbritanniens, sondern sogar auch jener Art von Feindgerechtigkeit zu widersprechen scheinen, die keine Härte des Krieges in den Köpfen eines zivilisierten Volkes vollständig auslöscht. Er scheint zwei Hauptziele zu verfolgen: zunächst einmal die Regierung, solange sie es für richtig hält, in die Lage zu versetzen, diejenigen, die das Gesetz als Piraten zu bezeichnen beliebt, ihrer Freiheit zu berauben. Ich nehme an, bei den derart || 1 Es handelt sich um den American Treason Act (1777) und den Letters of Marque Act (1777). https://doi.org/10.1515/9783050087771-004

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Bezeichneten handelt es sich um die Kapitäne und Matrosen jener zu den Kolonien gehörenden Freibeuter- und Kriegsschiffe, die im Verlaufe dieses unseligen Streites der Krone in die Hände fallen mögen. So sollen sie unter dem Straftatbestand der Piraterie ins Gefängnis gesteckt werden, damit man sie später aburteilen und schmachvoll bestrafen kann, wann immer die Umstände eine bequeme Gelegenheit bieten, dass man sich unter Berufung auf dieses abscheuliche und niederträchtige Vergehen an ihnen rächt. Gegen diesen ersten Zweck des Gesetzes verspüre ich keinen geringen Widerwillen, denn es beschreibt seinen Gegenstand nicht angemessen, also nicht so, wie es alle Gesetze und alle fairen Rechtshandlungen eigentlich tun sollten. Die Personen, die im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Unruhen einen Seekrieg gegen uns führen, mögen Aufständische sein; sie aber als Piraten zu bezeichnen und zu behandeln, verkehrt nicht nur den natürlichen Unterschied zwischen den Dingen, sondern auch die Rangfolge der Verbrechen – was niemals geschieht, ohne das gesamte Rechtssystem auf gefährliche Weise in Unordnung zu bringen, ob Verbrechen nun von einer höheren Stufe auf eine niedrigere oder von einer niedrigeren auf eine höhere versetzt werden. Auch wenn Piraterie aus der Sicht des Gesetzes ein geringeres Vergehen sein mag als Landesverrat, würde ich, da beide im Ergebnis mit demselben Tod, derselben Enteignung und demselben Verlust der Erbrechtsfähigkeit bestraft werden, kein Mitgeschöpf jemals durch die Herabstufung seines Vergehens irgendeines Vorteils berauben, den ihm das Mitleid der Menschheit für seine Sicherheit oder ihre allgemeinen Gefühle für seinen Ruf bescheren mag, wenn ich seine Strafe schon nicht mildern kann. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass Verbrechen, die möglicherweise aus irregeleiteter Tugend begangen werden, nicht zur Klasse der schändlichen Handlungen gehören. Lord Coke,2 das Orakel des englischen Rechts, stimmt mit diesem gesunden Menschenverstand überein, wenn er sagt, dass „jene Dinge, die zu den schwersten Verbrechen zählen, die geringste Schande bedeuten können“. Das Gesetz bereitet eine Form verdeckten Vorgehens vor, das der Gerechtigkeit im Königreich nicht zur Ehre gereicht und für seine Sicherheit in keiner Weise notwendig ist. Ich kann hierauf nicht näher eingehen. Wenn Lord Balmerino während des letzten Aufstandes das Vieh von zwanzig Clans vertrieben hätte, so wäre es meines Erachtens eine skandalöse und niedere, der Mannhaftigkeit der englischen Rechtsprechung vollkommen unwürdige Gaukelei gewesen, ihn des Verbrechens des Rinderdiebstahls anzuklagen.3

|| 2 Sir Edward Coke (1552-1634), einflussreicher englischer Oppositionspolitiker, Richter und Rechtsgelehrter. 3 Arthur Elphinstone, 6. Lord Balmerino (1688-1746), war an den jakobitischen Aufständen gegen die englische Krone von 1715 und 1745 beteiligt und wurde nach deren Scheitern 1746 zum Tode verurteilt. Jakobiten werden die Anhänger Jakobs II. genannt, die nach der Glorious Revolution gegen die protestantische Thronfolge Englands kämpften.

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Ich muss Ihnen zudem ehrlich sagen, dass es mir außerdem nicht möglich wäre, für ein Gesetz zu stimmen oder es in irgendeiner Weise gutzuheißen, welches diese Männer, die ein Parlamentsbeschluss zuvor jedes rechtlichen Schutzes beraubt hatte, mit dem Verbrechen der Piraterie stigmatisiert. Als die Rechtsprechung dieses Königreichs befohlen hatte, dass all ihre Schiffe und Güter nur wegen des neu geschaffenen Vergehens, Handel zu treiben, als Beute unter den Matrosen der Marine aufzuteilen seien, wäre es jeder anderen Rechtsprechung als der unseren wie ein Zug der beleidigendsten und unnatürlichsten Grausamkeit und Ungerechtigkeit erschienen, die notwendige Vergeltungsmaßnahme eines unglücklichen, geächteten und ausgeschlossen Volkes als Verbrechen der Piraterie zu begreifen. Seien Sie versichert, ich entsinne mich nicht, irgendwann oder irgendwo jemals etwas Vergleichbares gehört zu haben. Der zweite erklärte Zweck des Gesetzes ist, all jene, die in Amerika Hochverrat begehen, in England festzusetzen, um ihnen hier den Prozess zu machen. Damit Sie in der Lage sind, den wahren Geist des vorliegenden Gesetzes zu erfassen, muss Ihnen, Gentlemen, zur Kenntnis gebracht werden, dass vor Urzeiten, nämlich unter der Herrschaft Heinrichs VIII., noch bevor irgendjemand einen Gedanken an englische Kolonien in Amerika verschwendete, beschlossen wurde, außerhalb des Königreiches begangenen Verrätereien in diesem Königreich abzuurteilen. Im Jahr 1769 hielt es das Parlament für angeraten, die Krone in einer förmlichen Eingabe mit seinem Gesetzentwurf vertraut zu machen, womit es Ihre Majestät ersuchte, Personen, die in Amerika des Hochverrats angeklagt waren, zur Aburteilung in dieses Königreich zu bringen. Durch dieses solchermaßen ausgelegte und angewandte Gesetz Heinrichs VIII. aber wird dem Bürger in den Kolonien fast alles genommen, was an einer Schwurgerichtsverhandlung wesentlich und segensreich ist. Doch damit nicht genug; denn einen Mann nach diesem Gesetz vor Gericht zu stellen, heißt in Wirklichkeit, ihn ohne Anhörung zu verurteilen. Eine Person wird im Kerker eines Schiffsbauchs hierher gebracht; daraufhin wird sie, mit Eisen beladen, völlig ohne Geld und ohne den Rückhalt von Freunden, an Land in einen Kerker ausgespien, 3.000 Meilen von jeder Möglichkeit entfernt, Beweismittel vorzulegen oder ihnen etwas entgegenzuhalten, und wo sich kein einziger örtlicher Umstand beurteilen lässt, der einen Meineid aufdecken könnte – eine solche Person wird vielleicht im Einklang mit den Gesetzen hingerichtet, doch niemals wird ihr im Einklang mit der Gerechtigkeit der Prozess gemacht werden. Aus diesem Grund werde ich mich niemals mit dem Gesetzentwurf, den ich Ihnen zusende, anfreunden, da er ausdrücklich dazu gedacht ist, alle Hindernisse für die Einrichtung einer Art von Gerichtsverfahren zu beseitigen, das mir von jeher überaus ungerecht und verfassungswidrig erschien. Weit entfernt davon, die Schwierigkeiten zu beheben, welche die Ausführung eines derart verderblichen Vorhabens verhindern, würde ich ihm, wenn es in meiner Macht stünde, gerne zusätzliche Schwierigkeiten aufbürden. All die altehrwürdigen, redlichen Rechtsprinzipien und -institute Englands sind so viele Steine, die dem überstürzten Gang von Gewalt und Unterdrückung in

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den Weg gelegt werden. Sie wurden zu diesem guten Zweck ersonnen: Was nicht gerecht war, sollte nicht leicht zu haben sein. Da ich hiervon überzeugt bin, würde ich die Dinge so belassen, wie ich sie vorfand. Das alte, besonnene, allgemeine Gesetz ist ebenso gut wie jede von der heutigen hitzigen Lage diktierte Abweichung von ihm. Ich konnte keine zu rechtfertigende Zweckmäßigkeit erkennen, die sich zugunsten dieser neuen Aufhebung der Freiheit des Bürgers geltend machen ließe. Wenn die Engländer in den Kolonien die Unabhängigkeit, zu der sie unglücklicherweise getrieben wurden, durchhalten können, dann hegt, wie ich vermute, niemand einen so fanatischen Eifer für die Strafjustiz Heinrichs VIII., dass er für Hinrichtungen eintreten wird, die zehnfach an seinen eigenen Freunden gerächt werden müssen; und niemand wird eine so seltsame Vorstellung von der englischen Würde haben, dass er die Niederlagen in Amerika durch die Triumphe in Tyburn4 aufgewogen sieht. Wenn die Kolonien hingegen zum Gehorsam gegen die Krone zurückgeführt werden, so muss es unter ihrer Befehlsgewalt Gerichtsverfahren im Lande selbst geben, die in vollem Umfang befugt sind, über alle Schuldigen Recht zu sprechen. Gibt es sie aber nicht – und dies müssten wir als einen für unsere Regierung sehr beschämenden Umstand ansehen, wäre dann doch dieser gesamte riesige Kontinent einhellig zu der Ansicht gekommen, dass keine noch so unglückliche Fügung den Widerstand gegen die königliche Obrigkeit zu einer verbrecherischen Tat machen könnte –, dann mögen wir das Ergebnis unseres Sieges „Frieden“ oder „Gehorsam“ oder sonst wie nennen, der Krieg aber wird kein Ende finden; die feindliche Gesinnung wird in voller Stärke weiterleben, und zwar in schlimmerer Gestalt als zuvor. Wenn unser Frieden nichts anderes ist als eine widerwillige Unterbrechung der Kämpfe, wenn ihre Ruhe nichts anderes ist als das Sinnen auf Rache, wobei verletzter Stolz, seine Wunden leckend, neuen Hass gebiert, dann wird weder das Gesetz Heinrichs VIII. noch sein Handlanger aus dieser Regierungszeit irgendeinem weisen Zweck der Politik oder des Rechts dienen. Denn wenn die blutigen Schlachtfelder, die sie mit eigenen Augen sahen und am eigenen Leibe zu spüren bekamen, nicht ausreichten, um die Vernunft Amerikas – so die ausdrucksvolle Wendung eines großen Lords im Amt – zu bezwingen, dann wird sie wohl auch der Justizmord, der in einer anderen Hemisphäre an ihrem allgemeinen Gerechtigkeitssinn begangen wird, nicht mit der britischen Regierung versöhnen. Ich gehe davon aus, Gentlemen, dass wir in der Empfindung eines gebotenen Entsetzens angesichts jeder Bestrafung, die das Maß eines Exempels übersteigt, übereinstimmen. Für wen ist dann das Exempel einer Hinrichtung in England wegen dieses amerikanischen Aufstands gedacht? Denken Sie daran, dass Ihnen tagtäglich versichert wird, es handele sich hier um einen Streit zwischen den beiden Ländern und wir in England befänden uns um unserer eigenen Würde willen im Krieg mit unseren aufständischen Kindern. Ist das wahr? Wenn es so wäre, dann wären es gewiss diese || 4 Öffentlicher Hinrichtungsplatz in Middlesex.

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aufständischen Kinder, unter denen man ein Exempel für Ungehorsam statuieren sollte, um einen irgendwie gearteten Lerneffekt zu bewirken: Denn wer würde jemals annehmen, man könnte Eltern ihre Pflicht lehren, indem man an einem ungehorsamen Sohn ein Exempel statuierte? Genauso gut könnte die Hinrichtung eines flüchtigen Negers in den Plantagen als eine Lektion verstanden werden, um den Sklavenhaltern einen menschenwürdigen Umgang mit ihren Sklaven beizubringen. Derartige Hinrichtungen mögen wohl unser Rachebedürfnis befriedigen; sie mögen unsere Herzen verhärten und uns mit Stolz und Überheblichkeit aufplustern. Aber ach! Das ist kein Unterricht. Wenn man aus solchen Beispielen durch eine Vergleichbarkeit der Fälle irgendetwas ableiten kann, dann ist es zu zeigen, wie schwer das Verbrechen und wie hart die Strafe für diejenigen sein wird, die jemals einer entfernten Macht zu widerstehen wagen, welche tatsächlich über ihr Eigentum verfügt, ohne dass sie selbst ihre Stimme oder Zustimmung dafür gegeben hätten, und die ihre Bürgerrechte ohne Anklage und Anhörung aufhebt. Möge Gott verhüten, dass England diese Lektion jemals in dem Blut irgendeines seiner Nachfahren wird nachlesen müssen! Der Krieg wird derzeit zwischen den eigenen und den fremden Truppen des Königs auf der einen Seite und den Engländern in Amerika auf der anderen geführt, auf derselben Grundlage wie bei anderen Kriegen; und entsprechend wurde von Anfang an regelmäßig ein Gefangenenaustausch vorgenommen. Wenn die Regierung ungeachtet der bislang gleichberechtigten Kriegsführung nun beabsichtigt, in der Aussicht, den Krieg erfolgreich zu beenden – was aber eine Illusion sein mag –, jene, die am Ende der Unruhen in ihren Händen verbleiben, als Verräter zu behandeln, dann werden wir vor der Welt das unanständigste Schauspiel der Ungerechtigkeit aufführen, das jemals ein Volkszorn hervorgebracht hat. Wenn die Gefangenen, die ausgetauscht wurden, durch diesen Austausch nicht wirklich begnadigt werden, dann ist das Abkommen über den Austausch von Kriegsgefangenen (sei es explizit oder implizit) ein grausamer Betrug; denn Sie haben das Leben eines Mannes erhalten, und Sie sollten dafür ein Leben zurückgeben, sonst gibt es keine Gleichheit oder Billigkeit bei dem Rechtshandel. Wenn wir andererseits zugeben, dass diejenigen, die wir tatsächlich austauschen, damit auch begnadigt sind, aber behaupten, dass man sich mit gutem Recht eine Rache an jenen vorbehalten kann, die nicht ausgetauscht wurden, dann ergibt sich daraus die unangenehme und unschöne Konsequenz, dass man die Verfehlungen von Menschen lediglich nach dem Zeitpunkt ihrer Schuld, nicht nach deren Abscheulichkeit bemisst und Glück und Zufall statt der moralischen Qualität menschlichen Handelns zum Maßstab seiner Gerechtigkeit macht. Diese seltsamen Missverhältnisse müssen jenen ein vollkommenes Rätsel sein, die das Unglück politischen Streits mit dem Verbrechen des Verrats verwechseln. Wann immer es einen wirklichen und echten Aufstand gibt, was man ebenso einfach wissen wie schwer definieren kann, hat sich die Regierung nicht auf solche militärischen Ab-

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kommen eingelassen, sondern immer schon jede unmittelbare Verhandlung abgelehnt, die den Aufständischen hinsichtlich des Krieges einen völkerrechtlichen Status verliehe. Den Befehlshabern würden keine Vorteile gewährt werden, weil sie nichts dafür zurückgeben könnten. Wer hätte bei den jüngsten Aufständen in diesem Königreich jemals etwas von Kapitulation, Ehrenwort und Gefangenenaustausch gehört? Die Antwort auf alle derartigen Forderungen lautete: „Wir können für nichts garantieren; der König kann mit Ihnen tun, was ihm beliebt.“ Wir sollten uns erinnern, dass des Königs Generäle, falls unsere gegenwärtigen Feinde wirklich und wahrhaft Rebellen sind, unter keinen Umständen das Recht besitzen, diese freizulassen; sie selbst sind an das Gesetz gebunden und bedürften für ein solches Vorgehen ebenso der Begnadigung wie die Rebellen, die sie freilassen. Ich weiß, dass Anwälte die Unterscheidung, für die ich plädiere, nicht machen können; denn sie haben ihre strenge Regel, an die sie sich halten müssen. Gesetzgeber aber sollten tun, was Anwälte nicht tun können; denn für sie gibt es außer den großen Prinzipien der Vernunft und der Billigkeit und dem allgemeinen Menschenverstand keine bindende Regel. Diesen müssen sie gehorchen und ihnen folgen und das Recht durch die Großzügigkeit der gesetzgebenden Vernunft erweitern und aufklären, statt ihre höhere Befugnis durch die enge Auslegung nachgeordneten, künstlichen Rechts zu knebeln. Wenn wir uns daran gehalten hätten, dann könnten uns die Erschütterungen eines großen Empires, das nicht nur von einer kleinen Splittergruppe gestört, sondern von ganzen Gemeinden und Provinzen und den ganzen gesetzlichen Vertretungen eines Volkes gespalten wird, niemals als geeigneter Verhandlungsgegenstand einer Kommission des Oyer et Terminer5 erscheinen. Dies widerspricht der Vernunft und der Klugheit nicht weniger als der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit. Diesen Parlamentsakt, der sich, nach solchen Prinzipien verfahrend, anschickt, die augenblicklichen Unruhen dadurch zu beenden, dass eine Form der Feindseligkeit unter dem Namen der Piraterie, eine andere unter dem Namen des Verrats verhandelt wird, und das Gesetz Heinrichs VIII. entsprechend einer neuen, nicht verfassungsgemäßen Auslegung anzuwenden, habe ich für schlecht und gefährlich gehalten, obwohl die Instrumente zum Erreichen solcher Zwecke von lediglich neutraler Qualität waren. Es scheint mir aber in der Tat so zu sein, dass die Mittel, derer sich dieses Gesetz bedient, mindestens so anstößig sind wie sein Zweck. Erlauben Sie mir in Bezug auf dieses Thema einige persönliche Bemerkungen. Denn wenn ich gezwungen bin, mich || 5 „Zu hören und zu bestimmen“. Im englischen Recht wurde damit ursprünglich eine von der englischen Krone beauftragte Kommission bezeichnet, die zweimal im Jahr in die Verwaltungsbezirke Englands entsandt wurde. In Bezug auf Hochverrat und schwere Verbrechen verfügte diese Kommission über vollständige richterliche Zuständigkeiten. Durch den American Treason Act (1777) findet sich dieses Prinzip im Umgang mit den amerikanischen Kolonisten wieder. So war es englischen Beamten in Amerika gestattet, Personen, denen Hochverrat vorgeworfen wurde, zu verhaften.

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der Staatsmacht zu unterwerfen, ohne den Gründen einer Gesetzgebung zuzustimmen, ist es mir wichtig, meinen Widerspruch mit solchen Argumenten zum Ausdruck zu bringen, von denen man annehmen darf, dass sie einem vernünftigen Mann einleuchten. Die wesentliche wirksame Regelung des Gesetzes besteht darin, das Common Law und die Habeas-Corpus-Akte – die einzigen Garantien für Freiheit und Gerechtigkeit – im Hinblick auf all diejenigen außer Kraft zu setzen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt außerhalb des Königreichs oder auf hoher See befanden. Das restliche Volk hat, wie ich es verstehe, denselben Rechtsstand wie zuvor. Ich gebe zu, Gentlemen, dass mir dies dem Grundsatz nach ebenso schlimm zu sein scheint wie eine allgemeine Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte, und in seinen Folgen gar noch viel schlimmer; und die einschränkende Bestimmung nimmt der Regelung meiner bescheidenen Meinung nach nicht etwa den Stachel, sondern spitzt ihn weiter zu und vergiftet ihn nur noch mehr. Die Freiheit ist, wenn ich sie denn überhaupt verstehe, ein allgemeines Prinzip, und sie ist ein eindeutiges Recht aller Bürger des Königreichs oder niemandes Recht. Partielle Freiheit scheint mir die abstoßendste Form der Sklaverei zu sein. Leider ist sie aber die Form von Sklaverei, mit der man sich in Zeiten eines Bürgerkonflikts am leichtesten abfindet: Denn die Parteien sind in dem Wunsch, ihren Feinden zu schaden, nur allzu gerne bereit, ihre eigene zukünftige Sicherheit zu opfern. Ohne große Umschweife erlauben Menschen die Zulassung dieser Ungerechtigkeit, deren unmittelbare Opfer nicht sie sein werden. In konfliktreichen Zeiten ist es nie das Lager der herrschenden Macht, das in Gefahr gerät, denn keine Tyrannis züchtigt ihre eigenen Handlanger. Es sind die Anstößigen und Verdächtigen, die des gesetzlichen Schutzes bedürfen. Und man kann die parteiische Gewalt staatlicher Faktionen durch nichts anderes zügeln als dadurch, „dass immer dann, wenn ein Beschluss zur Aussetzung von Recht und Gerechtigkeit gefasst wird, das ganze Volk ausnahmslos derselben Aufhebung seiner Bürgerrechte ausgesetzt sein sollte“. Der Aufschrei angesichts eines solchen Vorgehens wäre dann allgemein. Er würde als eine Art Weckruf der Nation wirken. Es würde jedermanns unmittelbare und dringende Sorge werden, die absolute Notwendigkeit seines totalen Freiheitsverlustes sehr genau erklärt zu bekommen. Man würde sich zurückhaltender gegenüber jeder Neuerung zeigen und ihr heftiger widerstehen. Diese weitreichenden, entschiedenen Maßnahmen sind für die Freiheit normalerweise nicht so gefährlich. Sie stechen zu deutlich hervor, als dass sie unbemerkt zu schleichenden Gewohnheiten werden könnten. Kein Einwand oder Vorwand, der auf Unannehmlichkeiten oder ein schlechtes Beispiel abhebt – die ihrer Natur gemäß tägliche und gewöhnliche Ereignisse sein müssen –, kann als Grund für ein so massives Vorgehen akzeptiert werden. Die echte Gefahr aber lauert dort, wo die Freiheit nach und nach, Stück für Stück, als Mittel zum Zweck ausgehöhlt wird. Im Gegensatz zum Charakter der meisten anderen Gesetze geht die Habeas-Corpus-Akte davon aus, dass die rechtmäßige Obrigkeit gewisse Männer vielleicht mit scheelem Auge ansieht, und sorgt für genau diesen Fall vor. Wenn aber Männer unter bestimmten Bedingungen, die von der

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Obrigkeit (magistrate) selbst festgelegt wurden, durch das Parlament dieser möglichen Boshaftigkeit ausgesetzt werden, dann wird nicht die Habeas-Corpus-Akte fallweise außer Kraft gesetzt, dann ist es ihr Geist, der falsch verstanden wird, und es sind ihre Prinzipien, die man untergräbt. Fürwahr, es kann keine andere Sicherheit für irgendjemanden geben als das Gemeininteresse aller. Aus diesem Grund enthält dieser Beschluss das klare Übel, dass es sich hier um die erste partielle Aufhebung der Habeas-Corpus handelt, die jemals vorgenommen wurde. Der Präzedenzfall, der stets von außerordentlich großer Bedeutung ist, ist damit geschaffen. Zum ersten Mal wird ein Unterschied zwischen den Menschen in diesem Königreich gemacht. Bevor dieses Gesetz verabschiedet wurde, wurde jedermann, der seinen Fuß auf englischen Boden setzte, und jeder Fremde, der nur eine örtlich und zeitlich begrenzte Untertanentreue schuldete, ja selbst jeder Negersklave, der in den Kolonien im Einklang mit einem Parlamentsbeschluss verkauft worden war, genauso frei wie jeder andere Mann, der dieselbe Luft einatmete wie er. Nun wird eine Linie gezogen, die sich nach Belieben weiter und weiter verlängern lässt, und zwar mit demselben Argument reiner Zweckmäßigkeit, mit dem sie ursprünglich gezeichnet wurde. Es gibt keine Gleichheit zwischen uns; wir sind einander nicht Mitbürger, wenn der Seemann, der am Kai anlegt, nicht auf demselben festen rechtlichen Boden steht wie der Kaufmann, der in seinem Kontor sitzt. Andere Gesetze mögen die Gemeinschaft verletzen; dieses löst sie auf. Es zerstört die Gleichheit, den Wesenskern der Gemeinschaft. Wie die Dinge nun liegen, steht jedermann auf den westindischen Inseln, jeder Bewohner dreier friedfertiger Provinzen des Kontinents, jede Person, die von den ostindischen Inseln kommt, jeder Gentleman, der aus Gründen seiner Gesundheit oder Bildung auf Reisen war, jeder Seemann, der die Meere befuhr, unter zeitweiliger Ächtung, ohne sonst irgendein Delikt begangen zu haben. Ihm muss nur einer dieser Umstände, die nun zu Schuldvermutungen geworden sind, nachgewiesen werden, schon stellt ihn die Krone auf bloßen Verdacht hin außerhalb des Rechts. Mir ist nicht einmal klar, ob nicht die negative Beweislast zum Hohn aller Rechtsprinzipien auch noch der auf bloßen Verdacht festgenommenen Person aufgebürdet wird. Ich habe diesem Gesetzentwurf auf seinem Weg durch das Parlament nicht widersprochen, denn es wäre vergeblich gewesen, ihn zu bekämpfen, und unmöglich, ihn zu korrigieren. Schon seit einiger Zeit bin ich ohne jeden Zweifel davon überzeugt, dass jeder Widerspruch gegen beliebige von Ministern vorgeschlagene Maßnahmen, in denen das Wort „Amerika“ vorkommt, angesichts der gegenwärtigen Lage vergeblich und unseriös ist. Seien Sie versichert, dass ich nicht über meinen Widerspruch spreche, auf den dies unter allen Umständen zutreffen muss, sondern über den Widerspruch von Männern, die über die größte Weisheit und Autorität in der Nation verfügen. Bei allem, was man gegen Amerika vorbringt, wird natürlich angenommen, es falle zugunsten Großbritanniens aus. Erfolg und Misserfolg sind gleichermaßen als Gründe zugelassen, um an den gegenwärtigen Methoden festzuhalten. Mehrere überaus kluge und wohlmeinende Personen waren der Auffassung, dass angesichts der

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Vorherrschaft derartiger Meinungen jeder Streit eher weitere Unruhen in den öffentlichen Beratungen auslösen als diese besänftigen würde. Da ein solcher Widerstand nach meiner Erfahrung von den meisten Parlamentariern und von sehr vielen NichtParlamentariern als parteiisch wahrgenommen wird, kann ich weder guten Gewissens befürworten, was meiner Meinung widerspricht, noch klugerweise gegen etwas kämpfen, was, wie ich weiß, unaufhaltsam ist. Meine Prinzipien bleiben unumstößlich, mein Tun aber beschränkt sich auf vernünftige Bemühungen, und ich hoffe, dass mein Verhalten in der Vergangenheit genügend Beweise erbracht hat, dass nicht Trägheit oder Vergnügungssucht schuld daran sind, wenn ich einmal einen Tag nicht an meinem Platze bin. Die geringste Hoffnung, Gutes zu bewirken, reicht aus, um mich an den Ort zurückzurufen, den ich mit Bedauern verließ. Wenn ich für eine gewisse Zeit meine sonst strikte Anwesenheit ausgesetzt habe, verurteile ich doch nicht im Mindesten die Geisteshaltung jener Gentlemen, die in gerechtfertigtem Vertrauen auf ihre Fähigkeiten (an denen ich aufgrund meiner Liebe und Bewunderung für sie gewissermaßen einen Anteil zu haben beanspruche) der Ansicht waren, dass ihre Anstrengungen in diesem hoffnungslosen Fall von irgendeinem Nutzen sein könnten. Sie glaubten, die Bösartigkeit eines unheilvollen Prinzips abschwächen zu können, indem sie seinen Anwendungsbereich verkleinern. Vielleicht hatten sie ja Recht. Da ich aber aus den gerade angeführten Gründen so eindeutig der gegenteiligen Meinung war, bin ich mir gewiss, dass meine Anwesenheit lächerlich gewesen wäre.6 Ich muss dem als zusätzliche Erklärung für mein Verhalten hinzufügen, dass ich weit davon entfernt bin, die Eigenschaften eines solchen Prinzips aufzuweichen und dadurch die Abneigung im Volk und die natürlichen Schrecken, die mit ihm verbunden sind, in irgendeinem Teil zu beseitigen. Vielmehr täte es mir leid, wenn irgendetwas, das im Widerspruch zum Geist unserer Verfassung steht, nicht tatsächlich augenblicklich das schlimmste aller Übel nach sich zöge, mit dem es seiner Anlage nach schwanger geht. Dadurch, dass sie, einem Schläfer gleich, lange ruht oder zunächst nur ganz selten ausgeübt wird, schleicht sich die willkürliche Macht hinterrücks an ein Volk heran. Zum nächsten verfassungswidrigen Gesetz wird die ganze elegante Welt bereitwillig sagen: „Ihre Prophezeiungen sind lächerlich, Ihre Befürchtungen sind eingebildet, Sie sehen doch, wie wenig von dem Verderben, das Sie ehedem vorhersagten, eingetreten ist.“ Und so wird diese kunstvolle graduelle Abschwächung aller willkürlichen Macht, nämlich die angebliche Seltenheit oder geringe Reichweite ihrer Anwendung, wie eine Art von Aphorismus aufgenommen werden – und Mr. Hume wird nicht der einzige sein, der uns sagt, dass dadurch das Glück der Menschheit nicht stärker beeinträchtigt wird als durch Erdbeben oder Donnerschlag oder andere eher ungewöhnliche Naturereignisse.7 || 6 Burke versucht eine vorübergehende Sezession der Rockingham-Whigs zu entschuldigen; vgl. Lock 1998: 402-404. 7 „Privates Eigentum erscheint mir in einer zivilen europäischen Monarchie fast ebenso gesichert wie in einer Republik. Auch Gefahr durch die Gewalt des Herrschers muss in einer solchen Regierung

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Der Beschluss, von dem ich spreche, zählt zu den Früchten des amerikanischen Krieges – eines Krieges, der meiner bescheidenen Meinung nach viel Schaden anrichtet, und zwar eine Art von Schaden, die ihn von allen anderen Kriegen unterscheidet. Dieser Krieg hat nicht nur unsere Politik durcheinandergebracht und unser Weltreich gespalten, sondern scheinbar unsere Gesetze und den Geist unserer Gesetzgebung vollkommen verdorben. Nicht nur mit Waffen, auch mit Gesetzen haben wir gegen unsere Kolonien Krieg geführt. Da Feindseligkeit und Recht nicht sehr gut zusammenpassen, wurde durch jeden Schritt, den wir in dieser Angelegenheit unternahmen, irgendein Gerechtigkeitsgrundsatz oder Grundsatz des klugen Regierens mit Füßen getreten. Welche Präzedenzfälle wurden nicht geschaffen, welche Prinzipien nicht umgestoßen – und ich spreche nicht von englischen Vorrechten, sondern von allgemeiner Gerechtigkeit –, etwa durch den Bostoner Port, die Charta von Massachusetts, die Military Bill und jene lange Reihe feindlicher Parlamentsakte,8 mittels deren der Krieg gegen Amerika angezettelt und vorangetrieben wurde! Wären die Prinzipien dieser Gesetze zunächst auf englischem Grund und Boden angewandt worden, dann hätte ihre erste Berührung mit ihm vermutlich auch gleich ihr Ende bedeutet. Indem man sie aber von uns selbst fernhielt, haben sie in unseren Gesetzen Wurzeln geschlagen, und so wird noch die fernste Nachwelt ihre Früchte zu kosten bekommen. Auch ist es nicht die schlimmste Auswirkung dieser unnatürlichen Auseinandersetzung, dass unsere Gesetze korrumpiert werden. Solange die Sitten unversehrt bleiben, werden sie die Laster des Rechts korrigieren und es schließlich ihrem eigenen Naturell entsprechend abmildern. Wir müssen aber beklagen, dass in den meisten der jüngsten Vorgänge kaum mehr Spuren jener Großzügigkeit, Menschlichkeit und geistigen Würde zu erkennen sind, die diese Nation früher einmal auszeichneten. Der Krieg setzt die Regeln der moralischen Pflicht außer Kraft, und was lange außer Kraft gesetzt bleibt, läuft Gefahr, gänzlich abgeschafft zu werden. Bürgerkriege treffen die Sitten eines Volkes am schlimmsten. Sie beschädigen seine Politik; sie korrumpieren seine Moral; sie verderben sogar den natürlichen Geschmack und den Genuss von Gleichheit und Gerechtigkeit. Indem er uns lehrt, unsere Mitbürger in einem feindlichen Licht zu sehen, beraubt er uns nach und nach der Liebe zu unserer Nation als ganzer. Sogar die Worte „Zuneigung“ und „Verwandtschaft“, die, solange wir uns einig waren, das Band der Liebe unter uns bildeten, verwandeln sich nun, da die Verbundenheit unseres Landes aufgelöst ist, zu neuen Anreizen für Hass und Wut. Wir mögen uns selbst schmeicheln, dass uns dieses Unglück erspart bleiben werde. Doch ich weiß von keinem Freibrief, der uns von den gewöhnlichen Schwächen unserer Natur befreit.

|| nicht mehr gefürchtet werden als der Schaden, den man gemeinhin als Folge von Gewitter, Erdbeben oder anderen sehr unwahrscheinlichen und außergewöhnlichen Unglücksfällen erwartet.“ (Hume 1758b, S. 100). 8 Vgl. oben S. 154.

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Was, wenn nicht die Herzensblindheit, die dem Wahnsinn des Bürgerzwistes entspringt, hätte irgendwen dazu bringen können, die gegenwärtige Lage der britischen Angelegenheiten als persönlichen Triumph oder als große Leistung des eigenen Souveräns anzusehen? Für diejenigen, die sich an die blühenden Jahre dieses Königreichs erinnern, könnte gewiss nichts schmerzlicher sein, als die irre Freude einiger unglückseliger Menschen inmitten des ganzen traurigen Schauspiels zu sehen, das unsere Angelegenheiten und unser Betragen zum Gespött Europas machen. Wir blicken auf unser Mutterland – und manch einer scheint an diesem Anblick Gefallen zu finden –, das einst der beneidete Schiedsrichter all seiner Nachbarn war und heute nur noch in willfähriger Abhängigkeit von deren Gnade existiert; das Freundschaftserklärungen hinnimmt, denen es nicht traut; das über Anfeindungen klagt, die es nicht übelzunehmen wagt; das seinen Verbündeten gegenüber unzureichend, seinen Untertanen gegenüber hochmütig, seinen Feinden gegenüber unterwürfig ist, während das gedungene Schwert der deutschen Flegel und Vasallen der freiheitlichen Regierung dieser freien Nation zur Hand geht und drei Millionen britische Untertanen Schutz für die englischen Vorrechte in den Armen Frankreichs suchen!9 Diese Umstände scheinen mir eher düstere Vorzeichen zu sein und keine natürlichen Veränderungen, wie sie in den alltäglichen Angelegenheiten der Menschen vorkommen. Männer mit gefestigterem Verstand mögen sie ohne Schwindel und Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Manch einer mag sie zum Anlass nehmen, um Glückwünsche und höfliche Botschaften zu übermitteln; ich aber vertraue darauf, dass Sie in Ihrer Unparteilichkeit so nachsichtig gegenüber meiner Schwäche sein und nicht die schlechteste Meinung von mir haben werden, wenn ich mich weigere, an dieser Freude teilzuhaben, und es ablehne, in einen solchen Triumph auch nur im Ansatz einzustimmen. Ich bin zu alt, zu versteift auf meine eingefleischten Vorlieben, um für all die modischen Meinungsumschwünge offen zu sein. Ich weiß kaum, wie ich meinen Geist den Gefühlen anpassen soll, mit denen die Court Gazettes10 das Volk zu beeindrucken suchen. Bei mir bricht nicht automatisch großer Jubel aus, wenn ich vom Hinmetzeln und der Gefangennahme zahlloser Menschen höre, deren Namen mir von Kindesbeinen an vertraut sind und die durch die Schwerter von Fremden fielen, deren barbarische Namen ich kaum auszusprechen weiß. Der von Oberst Rahl in den White Plains erkämpfte Ruhm besitzt keinen Zauber für mich, und ich gebe freimütig zu, dass ich noch nicht gelernt habe, mich am Auffinden von Fort Kniphausen im Herzen der britischen Herrschaftsgebiete zu ergötzen.11 || 9 Burke kritisiert hier den Einsatz deutscher Legionäre auf Seiten der britischen Truppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. 10 Bei Court Gazettes handelt es sich um die regierungsoffiziellen Zeitungen, vor allem die sogenannten „Gesetzesblätter“, die offizielle Nachrichten des Parlaments und des Königs wie Gesetze, Wahltermine, Ernennungen, Ehrungen etc. verbreiteten. 11 Gemeint sind Johann Gottlieb Rall (1725-1776), Oberst, sowie Reichsfreiherr Wilhelm zu Innhausen und Knyphausen (1716-1800), General der Truppen Hessen-Kassels unter britischem Oberbefehl im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg.

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Es könnte einen gewissen Trost für den Verlust unserer alten Beweggründe bedeuten, wenn unsere Vernunft in demselben Maße erleuchtet würde, in dem man unsere ehrlichen Vorurteile beseitigt. Wenn es uns nun an Gefühlen für die Ehre unseres Landes gebricht, können wir doch vielleicht dazu gebracht werden, mit ruhigem Blut ein wenig an unsere Interessen als Einzelbürger und an unser privates Gewissen als moralisch Handelnde zu denken. Unsere Angelegenheiten sind fürwahr in einem schlimmen Zustand. Ich versichere jenen Gentlemen, die für Krieg gebetet und den Segen empfangen haben, um den sie baten, dass sie sich in diesem Moment in einer denkbar großen Notlage befinden. Der missbrauchte Reichtum dieses Landes wird dessen Unruhen noch ein wenig länger nähren. Denn bislang haben sie und ihre deutschen Verbündeten aus zwanzig Söldnerstaaten sich nur mit der ungeschulten Stärke unserer eigenen jungen Kolonien gemessen. Dennoch ist Amerika nicht bezwungen. Nirgendwo auf dem ganzen Kontinent hat sich auch nur ein einziges der ursprünglich feindlich gesonnenen Dörfer, das nicht angegriffen wurde, bislang aus Liebe oder aus Angst ergeben. Sie haben den Grund und Boden eingenommen, auf dem Sie Ihr Lager aufschlugen – weiter nichts. Die Quartiere Ihrer Truppen und Ihr Herrschaftsgebiet sind von genau derselben Ausdehnung. Sie verbreiten Zerstörung, doch Sie vergrößern nicht Ihren Herrschaftsbereich. Das Kriegsgeschehen hat ein Ausmaß erreicht, das keiner, der diesen Krieg herbeiwünschte oder befürchtete, jemals erwartet hat; dieser Umstand allein sollte jedes besonnene Gemüt mit Angst und Misstrauen erfüllen. Weise Männer zittern oft vor eben jenen Dingen, die die Gedankenlosen in Sicherheit wiegen. Aus vielen Gründen sehe ich davon ab, den Zustand, in dem Sie sich im Laufe des gesamten letzten Jahres im Hinblick auf fremde Mächte befanden, in allen Einzelheiten öffentlich darzulegen. Ob Sie sich in dieser Hinsicht schon ganz außer Gefahr befinden, ist mehr, als ich weiß oder als Ihre Herrscher voraussagen können. Doch selbst wenn ich mir meiner Sicherheit gewiss wäre, könnte ich denen nicht leicht vergeben, die mich den entsetzlichsten Gefahren aussetzten, weil ich diesen nur durch Zufälle entronnen bin, die weder Sie noch ich vorhergesehen hatten. Glauben Sie mir, Gentlemen, der vor Ihnen liegende Weg ist schwierig, dunkel und voller verschachtelter und tückischer Labyrinthe. Diejenigen, die den Faden in Händen zu halten meinen, mögen uns aus diesem Irrgarten befreien. Wir mögen ihnen so weitgehend vertrauen, wie es uns geboten erscheint; doch da sie höchstwahrscheinlich aller Vernunft bedürfen, die ihnen zu Gebote steht, warum sollten wir deren Wirken dadurch stören wollen, dass wir ihre Leidenschaften entfachen? Ich mag außerstande sein, denen, die den Staat lenken, hilfreich zur Hand zu gehen; doch ich würde mich schämen, wenn ich mich der lärmenden Menge anschlösse, die sie dazu antreibt und ermutigt, in trübes und gefährliches Fahrwasser zu steuern. Ein gewissenhafter Mann würde sich vor einem Spiel auf Leben und Tod hüten. Er würde sich doch gehörig davor fürchten, eine gewaltige Zeche zahlen zu müssen, weil er bei einem so ernsthaften Spiel ohne die geringste Kenntnis der Regeln mitgespielt hat.

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Es ist keine Entschuldigung für vermessene Unwissenheit, dass sie von frecher Leidenschaft gelenkt wird. Das ärmste Lebewesen, das auf der Erde kriecht, um sich vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung in Sicherheit zu bringen, ist in Gottes und der Menschen Augen achtbar. Ich kann mir aber kein Wesen unter Gottes Himmel vorstellen (der in seiner tiefen Weisheit alle möglichen Dinge toleriert), das hassenswerter und abstoßender wäre als eine ohnmächtige, hilflose Kreatur ohne jede bürgerliche Weisheit oder militärische Fertigkeit, ohne das Bewusstsein irgendeiner anderen Qualifikation zur Macht als ihre Kriecherei vor ihr, aufgeblasen von Stolz und Überheblichkeit, nach Schlachten rufend, die sie nicht schlagen muss, eine Gewaltherrschaft fordernd, die sie niemals ausüben kann, und damit zufrieden, selbst gemein und erbärmlich zu sein, um andere verächtlich und elend zu machen. Wenn Sie und ich wissen, dass unsere Talente uns nicht zum Herrschen befähigen, so wissen wir unser Verhalten doch wenigstens unseren Fähigkeiten anzupassen. Niemand muss den Schiffbruch unseres Leichtsinns mit seinem Leben bezahlen. Keine verzweifelte Witwe vergießt wegen unserer Unwissenheit blutige Tränen. Gewissenhaft und bescheiden im wohlbegründeten Misstrauen gegen uns selbst, pflegen wir im Hafen des Friedens und der Sicherheit zu verweilen. Und anderen etwas von dieser unserer Bescheidenheit zu empfehlen, wäre wohl mehr eine milde Gabe für ihr Wohlergehen als eine Beleidigung ihrer Fähigkeiten. Vieles an dem Eifer, der für den Bürgerkrieg an den Tag gelegt wird, scheint kein Ausweis wahrer Großmut zu sein. Die Eiferer bieten ihre eigene Person an, bescheiden sich aber damit, Deutsche anzuheuern. Sie versprechen ihre privaten Vermögen, verpfänden aber ihr Land. Sie genießen alle Vorzüge von Freiwilligen, ohne ein persönliches Risiko eingehen oder einen eigenen Beitrag leisten zu müssen; und wenn der fühllose Arm eines fremden Militärs das Blut ihrer Verwandten wie Wasser vergießt, frohlocken und triumphieren sie, als hätten sie selbst eine beachtliche Heldentat vollbracht. Ich schäme mich wahrlich für die seit einiger Zeit kursierende Modesprache, die, um es wohlwollend zu sagen, so voller Leichtsinn ist. Sie wissen, dass ich auf die allgemeine Empörung über die Feigheit der Amerikaner anspiele, so als verachteten wir sie, weil sie dem königlichen Militär den Vorteil, den es erstritt, nicht zu einem günstigeren Preis gewährten. Diese Empörung, Gentlemen, bedeutet weder, die Fügung der Vorsehung zu achten, noch inmitten der Veränderlichkeit menschlicher Angelegenheiten eine annehmbare Zuflucht zu gewähren. Sie kennt nichts anderes als den unverfrorenen Sieg oder die entehrende Niederlage. Sie neigt dazu, unseren Verstand immer mehr unseren natürlichen Beweggründen zu entfremden und einen ewigen Riss und ein ewiges Schisma in der britischen Nation zu verursachen. Wer eine solche Trennung nicht wünscht, sollte den Zement der gegenseitigen Achtung und Rücksichtnahme, der einzig und alleine die Teile dieses großartigen Gebäudes zusammenzuhalten vermag, nicht auflösen. Es sollte unser Wunsch sein, wie es auch unsere Pflicht ist, nicht nur selbst auf diese Art von Empörung zu verzichten, sondern auch jeden so gut, wie wir nur können, auf die Unziemlichkeit und Unwürdigkeit der Stimmungen aufmerksam zu machen, die zu ihren Ursachen zählen und

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die hinterhältige Männer mit so bösartigem Fleiß in unseren Reihen zu verbreiten versuchen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen tunlichst entgegenzuwirken – wenn möglich, unsere natürlichen Wertschätzungen zu neuem Leben zu erwecken und die alte Parteilichkeit für den englischen Namen wiederzubeleben. Ohne irgendeine Maßnahme dieser Art sehe ich nicht, wie es jemals gelingen könnte, uns mit jenen zu versöhnen, deren Gewogenheit schließlich der festeste Rückhalt unserer Regierung sein muss und die uns tausendmal mehr wert ist als der käufliche Eifer sämtlicher Reichskreise Deutschlands. Ich kann mir gut ein vollkommen überranntes und furchtbar verwüstetes Land vorstellen, ohne dass die geringste Aussicht auf Schlichtung bestünde. Solange die englische Regierung versucht ist, über Engländer mit nichts anderem als dem Schwert zu gebieten, werden die Dinge, fürchte ich, so bleiben, wie sie sind. Vor meinem geistigen Auge nehme ich den Augenblick des endgültigen Triumphes der fremden Militärmacht vorweg. Sollte diese Stunde kommen – und sie kann kommen –, dann wird sie das gesamte Ausmaß an Schwäche und Gewalt ans Tageslicht bringen. Sollten wir aber aus Amerika vertrieben werden, könnten die Parteigänger einer Militärherrschaft ihre verblendeten Ansichten weiter aufrechterhalten. Vielleicht nährten sie ihre Einbildungskraft dann immer noch mit den möglichen positiven Folgen, die ein Erfolg hätte zeitigen können. Niemand könnte zum Beweis des Gegenteils auf Tatsachen verweisen. Falls das Schwert aber alles tun sollte, was ein Schwert zu tun vermag, werden der Erfolg ihrer Waffen und die Niederlage ihrer Politik ein und dasselbe sein. Sie werden niemals irgendwelche Einnahmen aus Amerika erzielen. Eine gewisse Vermehrung der Korruptionsmittel ohne eine Verminderung der öffentlichen Ausgaben ist wohl das Allerbeste, was wir erwarten können. Ist das der Grund, warum wir Krieg führen – und einen solchen Krieg? Mit Bangen frage ich mich, welche Schwierigkeiten es bereiten wird, ein weiteres Mal die Fundamente jener Regierung zu errichten, die von einer Faktion des Hofes willkürlich und sträflich niedergerissen wurde, um zu erobern, was uns gehörte. Hat sich irgendeiner dieser Gentlemen, die so erpicht darauf sind, die gesamte Menschheit zu regieren, im Besitz der wichtigsten Eigenschaft gezeigt, die man zum Regieren braucht, nämlich eine gewisse Kenntnis der Sache und der Schwierigkeiten, die im Zuge der selbstgestellten Aufgabe lauern? Ich versichere Ihnen, dass Sie selbst bei günstigstem Verlauf Ihres Waffengangs nicht dort stehen werden, wo Sie standen, als Sie zum Krieg aufriefen, um die Mängel Ihrer politischen Ordnung auszugleichen. Auch wird keine Störung der Regierung, kein Ungehorsam gegen sie, die dem verwerflichsten Zugeständnis unsererseits entsprängen, jemals an diejenigen heranreichen, die nach der siegreichsten Gewalt zu spüren sein werden. Nur haben Sie jetzt noch alle inzwischen eingetretenen Übel des Krieges mit in die Rechnung aufzunehmen. Ich glaube, Amerika zu kennen – sollte ich es nicht kennen, so ist meiner Unwissenheit nicht abzuhelfen, denn ich habe keinerlei Mühen gescheut, es zu verstehen –, und ich versichere denjenigen meiner Wähler, die auch nur das geringste Vertrauen

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in meinen Fleiß und meine Redlichkeit besitzen, auf das Feierlichste, dass alles, was dort unternommen wurde, einer vollkommenen Fehleinschätzung des Gegenstandes entsprang: dass unsere Mittel, Amerika anfangs zu halten, und unsere Möglichkeiten, uns nach dem Streit mit ihm zu versöhnen, es nach der Trennung zurückzugewinnen und nach einem Sieg zu behalten, in ihren verschiedenen Stadien und Phasen von einem kompletten Verzicht auf diese bedingungslose Unterwerfung abhingen und abhängen müssen, die so sehr Besitz vom Denken gewaltbereiter Männer ergriffen hat. Die Gesamtheit jener Maximen, auf deren Grundlage wir diesen Krieg angezettelt und geführt haben, muss aufgegeben werden. Überhaupt nichts (denn ich möchte Sie nicht täuschen) kann uns in unsere vormalige Lage zurückversetzen. Diese Hoffnung müssen wir fahren lassen. Doch es gibt einen Unterschied zwischen dem Schlimmen und dem Allerschlimmsten. Durch die Autorität des Parlaments sollten Bedingungen angeboten werden, die die Ursache des Krieges berücksichtigen. Eine Vereinbarung in ihrem Land sollte getroffen werden, die ihnen einige Sicherheit verspricht. Ohne unsere Stärke im Mindesten zu beeinträchtigen, mehren wir auf diese Weise das Ansehen unserer gemäßigten Haltung, die ja an sich schon immer mehr oder weniger Stärke ist. Ich weiß, vielen wurde eingeredet, dass eine gemäßigte Haltung in einem solchen Fall gewissermaßen auf Verrat hinausläuft – und dass sich alle Argumente zu ihren Gunsten ausreichend beantwortet finden, wenn man nur die Aufständischen und den Aufstand verflucht und jedes gegenwärtige und zukünftige Elend, das wir möglicherweise zu erleiden haben, dem Widerstand unserer Brüder zur Last legt. Doch würde ich ihnen, falls der Frieden noch nicht gänzlich aus ihren Herzen gewichen ist, in dieser besorgniserregenden Angelegenheit wünschen, dass sie zweierlei ernsthaft in Erwägung zögen: Zunächst einmal haben Beschuldigung und Gegenbeschuldigung in keiner denkbaren Auseinandersetzung zwischen Menschen jemals den Boden für eine Versöhnung bereitet. Und an zweiter Stelle wäre es richtig, sich klarzumachen, dass die amerikanischen Engländer (die sie beschimpfen können, wenn sie es für ehrenwert halten, Abwesende zu verunglimpfen), so wie die Dinge nun stehen, weder durch unsere Schmähungen provoziert noch durch unsere Lehren gebessert werden können. Jedes Gespräch zwischen uns ist abgerissen. Was wir allerdings mit Sicherheit wissen, ist, dass wir uns läutern können, auch wenn es uns nicht gelingt, sie zurückzuholen. Wenn Friedensmaßnahmen notwendig sind, dann müssen sie irgendwo beginnen; und ein versöhnlicher Geist ist die Voraussetzung und Grundlage für jeden Friedensplan. Auch bin ich nicht der Ansicht, dass wir durch eine solche Ausrichtung unserer Einstellung etwas verlieren. Wenn wir von unseren Leidenschaften entlastet sind, sind wir doch nicht entwaffnet. Ihre Ablehnung des Aufstands hat Ihre militärische Macht noch um kein einziges Bajonett und keine einzige Schießpulverladung verstärkt; doch fürchte ich, dass es das Mittel war, um viele Musketen gegen Sie in Anschlag zu bringen.

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Diese unverschämte Sprache, die nach allen Regeln der Kunst gepflegt und gefördert wurde, hat jetzt schon einen unglaublichen Schaden angerichtet. Selbst angesichts der Verwüstungen des Krieges, feindseliger Gesetze und der täglich beigebrachten Kränkungen hatten die amerikanischen Anführer doch scheinbar lange Zeit die größten Schwierigkeiten, ihr Volk zu einer Erklärung der vollständigen Unabhängigkeit zu bewegen. Der Court Gazette aber ist gelungen, was die Anstifter zur Unabhängigkeit vergeblich versuchten. Als dieses hinterhältige Gebräu und seltsame Gemisch aus Beschimpfungen und Schmeichelei zu einem Beweis für die einhelligen Gefühle des britischen Volkes erklärt wurde, fand in ganz Amerika eine große Veränderung statt. Die Wogen der öffentlichen Zuneigung, die immer noch dem Mutterland gegolten hatte, schlugen unmittelbar um und brandeten fortan mit großer Wucht in die entgegengesetzte Richtung. Der Autor des gefeierten Pamphlets,12 das die Köpfe der Menschen auf die Unabhängigkeit vorbereitete, versucht in keiner Weise, diese wilden Bekundungen der Feindschaft zu bemänteln, sondern betont die Vielzahl und den Geist dieser Reden nachdrücklich; und er leitet ein Argument aus ihnen ab, das unwiderstehlich sein muss, wenn die Tatsachen seinen Vermutungen entsprechen. Denn ich habe noch nie einen Autor gesehen, der in seiner Theorie des Regierens so parteiisch für die staatliche Macht gewesen wäre, dass er die feindliche Einstellung der Herrscher zu ihrem Volk nicht als vollgültigen Grund für einen Wechsel der Regierungsform zugelassen hätte; auch lässt sich kein anderer Grund anführen, warum ein Volk seine Vorrangstellung vor einem anderen freiwillig aufgeben sollte, als die Unterstellung einer großen Zuneigung und Gunst für jenes. Doch leider haben Ihre Herrscher, anderen Dingen vertrauend, diesem wichtigen Grundsatz der Verbindung keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt. Seit Beginn dieser Angelegenheit haben sie keine Gelegenheit ausgelassen, um Sie Ihren eigenen Verwandten zu entfremden; und wenn sie bei einer der Parteien ausreichend Hass gegen die andere schüren konnten, dann schienen sie zu glauben, dass sie schon die halbe Strecke auf dem Weg zu einer Schlichtung des Streits zurückgelegt hätten. Ich weiß, man sagt, dass Ihre Güte nur durch den Widerstand jener verprellt wurde und dass die Kolonien deshalb in Zukunft jede Art von Rücksicht und sogar viel Nachsicht zu erwarten hätten, wenn sie sich aus freien Stücken ergäben. Doch können diejenigen, die für eine Fortsetzung des Krieges eintreten, um eine solche Kapitulation zu erzwingen, nach allem, was geschehen ist, für einen derartigen zukünftigen Gebrauch einer Macht, die durch keinen Vertrag gebunden und von keinem Grauen gezügelt ist, Verantwortung tragen? Werden sie uns verraten, was sie unter Nachsicht verstehen? Bezeichnen sie nicht in diesem Augenblick den gegenwärtigen Krieg und all seine Schrecken als ein nachsichtiges und barmherziges Vorgehen? Ich habe noch nie von einem Eroberer gehört, der sich dazu bekannt hätte, einen grausamen, brutalen und anmaßenden Gebrauch von seinen Eroberungen zu machen. Nein! Der Mann mit dem unverblümtesten Stolz wird es kaum jemals wagen, || 12 Gemeint ist Thomas Paine, der Verfasser von Common Sense (1776).

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dem eigenen Herzen dieses fürchterliche Geheimnis seines Ehrgeizes anzuvertrauen. Doch es wird sich zu gegebener Zeit offenbaren; und niemand, der erklärt, einen anderen der anmaßenden Gnade einer fremden Armee auszuliefern, erwies diesem gegenüber jemals irgendeine Art von Wohlwollen. Eine Freundlichkeitsbekundung, die mit dem Schwert in der Hand und einer Unterwerfungsforderung im Gepäck erfolgt, ist ein besonders provozierender Akt der Feindseligkeit. Man wird mir sagen, dass all dies gegen aufständische Gegner nichts anderes als Milde beweist. Doch sind die Anführer ihrer Faktion milder gegen jene, die sich fügen? Lord Howe und General Howe verfügen durch Parlamentsbeschluss über die Macht, jedermann oder jeden Distrikt, der sich ergibt, wieder in den Stand des Landfriedens zu versetzen und ihnen Handelsfreiheit zu gewähren.13 Doch geschieht dies? Wir wurden durch die befugte Zeitung immer wieder darüber informiert, dass sich die Stadt New York und die Länder Staten Island und Long Island freiwillig und mit Freuden gefügt hätten und dass sich viele für die Sache der Regierung und ihrer Verwaltung ganz begeistert zeigten. Hat man ihnen augenblicklich die Handelsfreiheit zurückgegeben? Haben sie sie mittlerweile zurückbekommen? Ist nicht das Wohlwollen zweier Bevollmächtigter, von Natur aus überaus menschenfreundlicher und großzügiger Männer, von Anweisungen geknebelt, die gleichermaßen ihren Neigungen und dem Geist der parlamentarischen Glaubensartikel zuwiderlaufen, wenn sich Mr. Tryon,14 die Treue jener Stadt rühmend, in der er Gouverneur ist, gezwungen sieht, beim Ministerium die Genehmigung zu beantragen, dass er die dem König loyalen Untertanen beschützen und ihnen zwar nicht die strittigen Freiheitsrechte und -privilegien, aber doch die allgemeinen Menschenrechte als Gnadenakte gewähren darf? Warum setzen die Bevollmächtigten sie nicht augenblicklich wieder in Kraft? Wurden sie nicht ausdrücklich aus diesem Grund zu Bevollmächtigten ernannt? Doch wir sehen nur zu gut, wohin das Ganze führt. Der Handel Amerikas wird in Gestalt privater Gefälligkeiten und Konzessionen zugeteilt, – das heißt in Aufgaben, durch die den Brandstiftern des Krieges Kompensation verschafft wird. Man wird sie über den richtigen Zeitpunkt unterrichten, um ihre Waren zu versenden. Der amerikanische Handel, ehemals ein nationales Monopol, soll zu einem persönlichen Monopol werden, und eine Reihe von Händlern soll für den vorgeblichen Eifer belohnt werden, während eine andere Reihe zu den dadurch Betrogenen zählt; auf diese Weise wird die Stimme der Vernunft zwischen Geschick und Leichtgläubigkeit erstickt, und das gesamte Fehlverhalten und alle Katastrophen des Krieges werden verdeckt und fortgesetzt. Wäre ich nicht schon lange genug am Leben, um mich über gar nichts mehr zu wundern, dann würde mich die anhaltende Wut einiger Gentlemen in gewissem || 13 Gemeint ist der American Prohibitory Act von 1775 (vgl. hierzu weiter unten, Anm. 18). Richard Howe, 1. Earl Howe (1726-1799), war Vizeadmiral, sein Bruder William Howe, 5. Viscount Howe (17291778), war ein britischer General und Oberbefehlshaber der britischen Truppen während der ersten Phase des Unabhängigkeitskrieges. 14 William Tryon (1729-1788) war der königliche Gouverneur der Provinz New York.

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Maße erstaunen. Denn nicht zufrieden damit, Feuer und Schwert nach Amerika getragen zu haben, verfolgen sie fast mit demselben Zorn diejenigen ihrer Nachbarn, deren einziges Verbrechen es ist, ihnen barmherzig und menschenfreundlich gewünscht zu haben, sie möchten vernünftigere Gefühle hegen und ihr Interesse nicht ständig ihrer Leidenschaft opfern. All diese Wut gegen einen Widerspruch, der keinen Widerstand leistet, bringt mich zu dem Schluss, dass sie am Ende wenig überzeugt sind, selbst im Recht zu sein. Denn was hätten sie eigentlich gerne? Einen Krieg? Sie kommen derzeit sicherlich in den Genuss von etwas, das sehr nach einem Krieg aussieht; und wenn der Krieg, in dessen Genuss sie gegenwärtig kommen, nicht heiß und großflächig genug ist, so werden sie ihn vielleicht in Kürze so warm und ausufernd haben, wie es ihr Herz nur begehren kann. Ist es die Macht des Königreichs, nach der sie rufen? Die haben sie längst. Und wenn sie ihre Schlachten höchstpersönlich zu schlagen wünschen, wird niemand sie davon abhalten, mit dem nächsten Truppentransport Kurs auf Amerika zu nehmen. Glauben sie, der Kriegseinsatz leide an mangelndem Nachschub? Tatsächlich beschweren sie sich dann ohne Grund. Der Gabentisch des House of Commons wird sie schneller überhäufen, als ihr Hunger auf Ausgaben wächst. Und ich versichere ihnen darüber hinaus, dass jene, die im House of Commons so denken wie sie, ebenso leichtfertig in der Kontrolle wie großzügig bei der Abstimmung über diese Ausgaben sind. Wenn dieses Vertrauen oder Angebot noch nicht hinreichend sein sollte, dann lasst sie ihre eigenen privaten Geldhähne öffnen und von dem, was sie noch haben, so viel und so sorglos geben, wie es ihnen angemessen erscheint. Derweil man ihre Leidenschaften toleriert, bringe man ihnen aber auch bei, nicht gegen die Mäßigung ihrer Mitbürger zu hetzen. Wenn die ganze Welt mit ihnen gegen den Aufstand Sturm liefe und gegen die ganze Theorie und den Genuss der Freiheit genauso heiß entflammt wäre wie jene, die am verbissensten für die Knechtschaft eintreten, wäre bei dieser Auseinandersetzung meines Erachtens keinem einzigen Ziel gedient. Die Anführer dieses Krieges könnten, um ihre Freunde zu belohnen, nicht einen Deutschen zusätzlich anheuern oder ihm weniger Sinn für den Wert der Vorrechte ihrer aufständischen Brüder oder weniger Gefühl für deren Personen einimpfen. Wenn wir uns alle ihre Gefühle den Menschen gegenüber zu eigen machten, dann könnten ihre Verbündeten, die wilden Indianer, deshalb nicht grausamer sein, als sie es sind: Sie könnten keine einzige hilflose Frau, kein einziges Kind zusätzlich töten und nicht einen Körper von ihrem englischen Fleisch und Blut mit einer erleseneren Grausamkeit zu Tode foltern, als sie dies jetzt schon tun. Mit öffentlichem Geld wird dieses Bündnis erkauft – und sie profitieren davon. Sie brüsten sich unablässig mit ihrer Einmütigkeit oder rufen zur Einmütigkeit auf. Bevor diese Einmütigkeit aber Anlass für Wünsche oder Glückwünsche sein kann, sollten wir uns doch einigermaßen sicher sein, dass wir uns an einem vernünftigen Vorhaben beteiligen. Der Wahnsinn wird nicht zu einer weniger schweren Krankheit, nur weil sich vielleicht viele daran angesteckt haben. Verblendung und Schwäche produzieren kein Jota weniger Unheil, nur weil sie allgemein verbreitet

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sind. Ich gebe zu, dass ich nicht erkennen kann, welchen Vorteil es für uns haben könnte, unsere Kolonien davon zu überzeugen, dass sie in Großbritannien keinen einzigen Freund besitzen. Ganz im Gegenteil, wenn man die Affekte und Meinungen der Menschheit nicht als Grundsätze der Verbindung verwirft, dann wäre es meiner Ansicht nach gut für uns, wenn man ihnen nahebringen könnte, dass es in England sogar eine dezidiert amerikanische Partei gibt, bei der sie immer Unterstützung suchen könnten. Es wäre gut für uns, wenn sie in allen Lebenslagen auf ihr Mutterland blickten, sodass gerade ihre Aufgewühltheit und ihr Aufruhr nirgendwo sonst Erleichterung fände! Ich glaube, bis auf jene, die das Interesse irgendeiner läppischen Faktion sogar über das Bestehen ihres Landes stellen, gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht wünschte, dass die Amerikaner lieber von Zeit zu Zeit mit der Unterstützung einiger hiesiger Männer viele Anliegen vortrügen – selbst wenn einige davon nicht ganz vernünftig sind –, als dass sie dazu getrieben werden, in den Armen Frankreichs Schutz vor dem Zorn fremder Söldner und vor dem sinnlosen Abschlachten von Wilden zu suchen. Wenn eine beliebige Gemeinschaft mit einer anderen durch Unterordnung verbunden ist, so liegt die große Gefahr der Verbindung im übertriebenen Stolz und der maßlosen Selbstgefälligkeit des Übergeordneten, der bei allen Streitfragen wahrscheinlich zu seinen eigenen Gunsten entscheiden wird. Man verfügt über ein starkes Korrektiv für einen solchen sehr vernünftigen Grund, Angst zu haben, wenn die nachgeordnete Gesellschaft davon überzeugt werden kann, dass einige im übergeordneten Staat durch ihre Parteizugehörigkeit oder politischen Ansichten in gewissem Maße dazu bewegt werden, diese blinde und tyrannische Einseitigkeit zu bekämpfen. Es besteht nicht die Gefahr, dass irgendjemand, der im vorherrschenden Staat zu Ansehen oder Macht kommt, diese Neigung zu dem Untergeordneten zu weit treiben könnte. Die Schwäche der menschlichen Natur ist nicht von dieser Art. In wessen Händen die Macht auch liegen mag, selten wird man sie einer zu strikten Selbstbegrenzung beschuldigen können. Doch ein großer Vorteil für die Aufrechterhaltung der Befehlsgewalt geht mit einer so freundlichen und schützenden Verbindung einher: dass diejenigen, die Gefälligkeiten erwiesen haben, an Einfluss gewinnen und in Voraussicht auf zukünftige Ereignisse die Männer, denen Leistungen zuteilwurden, davon überzeugen können, sich irgendwann einmal dafür erkenntlich zu zeigen. Mittels dieser heilsamen Prinzipien also (man mag sie gut oder böse nennen) werden mühselige Diskussionen zu einer Art von Ausgleich gebracht, und nicht jede heiße Auseinandersetzung wird gleich zu einem Bürgerkrieg. Doch – um wieder auf das allgemeine Thema zurückzukommen – wenn die Kolonien sehen könnten, dass in Großbritannien die Masse des Volkes mit ihrer Regierung verschmolzen ist und jeder Disput mit der Obrigkeit notwendigerweise immer ein Streit mit der ganzen Nation ist, dann können sie im Verhältnis zu den Bürgern dieses Königreichs nicht mehr in der freien und freundschaftlichen Beziehung von Mitbürgern stehen. So bescheiden dieses Verhältnis einigen erscheinen mag, so wird doch, wenn es dereinst zerstört ist, ein starkes Band aufgelöst sein. Man wird sich

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nach anderen Formen der Verbindung umsehen. Denn es gibt nur sehr wenige auf der Welt, die einen nützlichen Verbündeten nicht einem anmaßenden Herrn vorziehen werden. Ein solcher Unfriede war die Folge der Einmütigkeit, zu der so viele in jüngster Zeit verführt oder gedrängt wurden oder deren Anschein sie aus reiner Verzweiflung erweckten. Man sagte ihnen, dass ihr Widerspruch zu gewaltsamen Maßnahmen einer Ermutigung zum Aufstand gleichkäme. Männer von großer Anmaßung und geringem Wissen befleißigen sich gerne einer Sprache, die vom gesamten Verlauf der Geschichte widerlegt wurde. Allgemeine Aufstände und Revolten eines ganzen Volkes wurden niemals ermutigt, weder heute noch sonst irgendwann. Sie werden immer provoziert. Doch wenn diese unerhörte Lehre von der Ermutigung zu Aufständen wahr wäre, wenn es wahr wäre, dass die zahlreichen Freundschaftsbekundungen aus diesem Land die Kolonien dazu ermutigen könnten, jede Verbindung zu uns aufzukündigen, was würde daraus folgen? Behauptet irgendjemand im Ernst, dass ich, der ich als Abgeordneter meinen Teil zu den öffentlichen Beratungen beizutragen habe, die Pflicht hätte, Projekten, die ich für schädlich halte, nicht zu widersprechen, damit Menschen, die unter ihnen leiden, nicht zum Widerstand ermutigt werden? Gerade die Neigung solcher Projekte, Aufstände hervorzurufen, ist einer der Hauptgründe, der gegen sie spricht. Soll man diesen Grund nicht erwähnen? Ist es mithin eine Regel, dass niemand in diesem Land seine Stimme zugunsten der Kolonien erheben, ihre Rechte verteidigen oder sich über ihre Leiden beschweren darf, oder dass niemand seinen Wunsch nach Frieden zum Ausdruck bringen darf, wenn der Krieg schließlich ausgebrochen ist? War dies in der Vergangenheit unser Gesetz, oder sollen so die Regeln unserer künftigen Verbindung aussehen? Und selbst wenn wir nicht über unseren Tellerrand blicken, ist es wirklich Loyalität gegenüber einer Regierung oder Patriotismus für eine Nation, wenn man ihre ehrwürdigen Räte zu servilen Empfangszimmern degradiert, wenn man ihrem Stolz und ihren Leidenschaften schmeichelt, statt ihre Vernunft zu erleuchten, und wenn man vermeidet, sie vor Gewalt zu warnen, damit sich andere nicht zum Widerstand ermutigt sehen? Durch eine solche Willfährigkeit wurden große Könige und mächtige Nationen zu Fall gebracht; und wenn sich heutzutage irgendwer in einer gefährlichen Lage befindet, weil er die Wahrheit verschmäht und der Schmeichelei sein Ohr geschenkt hat, dann stünde es ihm besser zu Gesicht, die Missstände, unter denen er leidet, zu reformieren, als diejenigen zu tadeln, die ihn vor der Gefahr warnten. Doch die Aufständischen ersuchten in diesem Land um Hilfe. Sie taten es jedenfalls zu Beginn dieser Auseinandersetzung, und zwar in Form ernsthafter Bittgesuche an die Regierung, die aus Hochmut abgewiesen und mit einer Aussetzung des Handels beantwortet wurden, den gering zu schätzen Ihnen der Reichtum Ihrer Nation erlaubte. Als sie merkten, dass weder Gebete noch Drohungen irgendetwas auszurichten vermochten, dass stattdessen eine strenge Resolution verabschiedet wurde, um sie mit militärischer Gewalt zu bedingungslosem Gehorsam zu zwingen, sahen sie sich zum Äußersten getrieben. Da sie an uns verzweifelten, vertrauten sie auf sich

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selbst. Und da sie selbst nicht stark genug waren, suchten sie Beistand in Frankreich. In dem Maße, wie hier jede Unterstützung schwand, wuchs ihre Distanz zu diesem Land. Mit der Unterstützung hat es sich erledigt; die Entfremdung ist vollendet. Um die geliebte Einmütigkeit in der Verblendung herzustellen und um jede Möglichkeit einer Rückkehr zu unserer alten glücklichen Eintracht zu verhindern, leitet man aus der jämmerlichen Lage selbst, in die wir durch Verrat gebracht wurden, Argumente für die Fortsetzung dieses Kurses ab. Da wir uns mit den Kolonien im Krieg befänden, seien nun alle Bande zwischen uns aufgelöst, so sagt man uns, und die einzige Politik, die uns – ungeachtet der Gefühle, die wir zuvor gehegt haben mögen – jetzt noch bleibe, sei die Stärkung unserer Regierung, auf dass jene bezwungen würden. Dem Grundsatz dieses Argumentes folgend, muss unser Vertrauen in eine beliebige Regierung umso größer sein, je mehr Schaden wir durch sie erleiden. Wenn sie uns erst einmal in einen Krieg verwickelt hat, dann ist ihre Macht gesichert, und für ihr gesamtes Fehlverhalten wird eine Amnestie erlassen. Doch stimmt es wirklich, dass eine Regierung immer durch die Instrumente des Krieges gestärkt wird, niemals aber durch die Mittel des Friedens? Ich muss zugeben, dass Minister in früheren Zeiten gelegentlich von der öffentlichen Stimmung dazu gebracht wurden, die nationale Ehre mit Waffengewalt gegen fremde Mächte zu behaupten. Die Weisheit der Nation aber trat klarer zu Tage, wenn diese Minister genötigt waren, die nationalen Interessen auf vertraglichem Weg zu ermitteln. Wir alle wissen, dass die Einsicht der Nation den Hof Karls des Zweiten zwang, den Niederländischen Krieg zu beenden, einen Krieg, der nach dem gegenwärtigen der unvernünftigste war, den wir je geführt haben. Das gute Volk von England betrachtete Holland als eine Art Kolonie dieses Königreichs; es befürchtete, Holland durch die eigene rücksichtslose Feindseligkeit in die Arme der französischen Schutzmacht oder unter das Joch ihrer Herrschaft zu treiben. Das Volk zollte dem Jargon des Hofes jener Tage wenig Respekt, und es brannte weder für die angebliche Handelsrivalität mit den Holländern – wegen des Blutbads in Amboyna, das inszeniert wurde, um öffentliche Vergeltung zu provozieren15 –, noch für die hetzerischen Reden gegen die Undankbarkeit der Vereinigten Provinzen angesichts der Vorteile, die ihnen England in ihren Anfangstagen gewährt hätte. Es ließ sich durch all diese Künste nicht von seinen offensichtlichen Interessen abbringen; auch genügte es nicht, ihm zu sagen, dass es sich im Krieg befinde, dass es diesen durchstehen müsse und dass sich der Grund für diesen Streit in seinen Folgen auflöse. Das Volk Englands war damals wie heute dazu aufgerufen, die Regierung stark zu machen. Die Menschen fanden es sehr viel besser, sie klug und ehrlich zu machen.

|| 15 1632 wurden auf der Insel Ambon (Molukken) zehn Gesandte der britischen East India Company durch Mitglieder der holländischen East India Company ermordet. John Drydens Stück Amboyna, or the Cruelties of the Dutch to the English Merchants wurde 1672 uraufgeführt und erschien 1673 im Druck.

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Als ich mich bei den letzten Sommerassisen16 unter meinen Wählern befand, äußerten, wie ich mich erinnere, Männer jeder Couleur den starken Wunsch nach Frieden und setzten keine geringen Hoffnungen darauf, ihn durch die von Lord Howe ausgesandte Kommission zu finden.17 Und es ist doch recht bemerkenswert, dass jedermann, insofern er sich für die Maßnahmen des Hofes begeisterte, zugleich eine ernst gemeinte Ansicht über den Umfang der angeblichen Macht dieser Kommission in Umlauf brachte. Als ich ihnen sagte, dass Lord Howe weder die Macht besäße zu verhandeln noch in irgendeinem Punkt der Auseinandersetzung Genugtuung zu versprechen, wurde mir praktisch nicht geglaubt – so stark und so allgemein war der Wunsch, diesen Krieg auf dem Wege eines Ausgleichs zu beenden. Soweit ich erkennen konnte, war dies die Stimmung, die damals im Königreich herrschte. Des Königs Streitkräfte waren, wie man bemerken muss, zum damaligen Zeitpunkt gezwungen, Boston aufzugeben. Die Überlegenheit des bisherigen Feldzugs war nun ganz auf die Kolonisten übergegangen. Wenn man sich eine solche Verhandlungsmacht wünschte, als die Aussichten auf Erfolg mehr als zweifelhaft waren, wieso erscheint sie uns plötzlich in einem anderen Licht, nachdem die Streitmacht Ihrer Majestät mit vielen beträchtlichen Erfolgen gekrönt worden ist? Haben uns diese Erfolge zum Umdenken gebracht, weil wir die Zeit des Sieges nicht für den rechten Augenblick halten, um mit Ehre oder Vorteil zu handeln? Wie sich der Nationalcharakter auch verändert haben mag, kann es doch kaum unser Wunsch sein, dass unserem Feind nur dann Friedensbedingungen vorgeschlagen werden sollten, wenn man sie einzig und allein unseren Ängsten zuschreiben muss. Es hat sich – unglücklicherweise, wie ich sagen muss – zugetragen, dass wir zur gleichen Zeit und in der gleichen Zeitung sowohl von der Kommission zur Friedensstiftung seiner Majestät als auch davon lasen, dass seine Truppen die letzte Stadt in den dreizehn Kolonien aufgeben mussten. Noch unglücklicher war es, dass erst einige Monate nach der Verabschiedung eines Gesetzes,18 das die Kolonien des Schutzes dieser Regierung enthob und verfügte, ihre Handelsgüter ohne eine Möglichkeit zur Rückgabe als Beute unter den Seemännern der Marine zu verteilen, eine Kommission nach Amerika ging, um die dortigen Unruhen beizulegen. Selbst die demütigste Unterwerfung seitens der Kolonien könnte sie nicht retten. Kein Mann auf dem gesamten Kontinent oder im Umkreis von dreitausend Meilen besaß die rechtliche Befugnis, Untertanentreue mit Schutz oder Unterwerfung mit Gnade zu vergelten. Ein solches Vorgehen ist in der Geschichte beispiellos. Unabhängigkeit, und zwar eine feindlich gesonnene Unabhängigkeit (die man – uns einmal ausgenommen – zweifellos als natürlich und stark provoziert bezeichnen würde), war die || 16 Mit Assisen wurden im englischen Recht Geschworenengerichte bezeichnet. 17 Im November 1775 setzte Lord North eine Kommission ein, die mit den amerikanischen Siedlern in Verhandlungen treten sollte und der Lord Howe vorstand. 18 Gemeint ist der bereits erwähnte American Prohibitory Act, der im Dezember 1775 vom House of Commons verabschiedet wurde. Dieser sah die Seeblockade der nordamerikanischen Häfen sowie das Recht vor, amerikanische Schiffe und deren Güter zu konfiszieren.

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unvermeidliche Folge. Vielleicht wird diese Nation eines Tages doch noch erkunden wollen, wie es dazu kommen konnte. Alle in dieser Sitzungsperiode angestrengten Versuche, den Befehlshabern in Amerika umfassendere Kompetenzen zum Friedensschluss zu geben, wurden durch die verheerende Siegesgewissheit und die ungezügelten Hoffnungen auf bedingungslose Unterwerfung zunichtegemacht. Es gab einen für die Streitkräfte des Königs günstigen Augenblick, als sich der Frieden trotz all unserer Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte wiederherstellen lassen, wenn auf der anderen Seite des Atlantiks irgendjemand die Befugnis gehabt hätte, Zugeständnisse zu machen. Doch unseligerweise sind Katastrophen die natürliche Zeit des Nachdenkens, und der Stolz der Menschen gesteht der Vernunft oft erst dann einen Spielraum zu, wenn sie überhaupt nichts mehr ausrichten kann. Da der Konflikt seinen Ausgang offenbar bei Dingen nahm, die im Parlament getan wurden, und da die im Parlament verabschiedeten Gesetze den Krieg auslösten, habe ich mir immer gewünscht, dass auch die Basis für den Frieden im Parlament gelegt würde. Ich war sehr erstaunt zu hören, dass diejenigen, die so sehr für die Würde unseres Gemeinwesens brannten, dass sie das Feuer des Bürgerkriegs legten, auch noch öffentlich erklärten, diese diffizilen Fragen sollten nun gänzlich der Krone überlassen werden. Auch wenn man denken mag, dass ich der Autorität des Parlaments wenig geneigt sei, so werde ich doch nie zulassen, dass unsere von der Verfassung verbürgten Rechte jemals zum Spielball der Verhandlungen von Ministerien werden können. Man wirft mir vor, ich sei ein Amerikaner. Wenn eine herzliche Zuneigung zu denjenigen, die mitzuregieren ich in gewissem Maße beanspruche, ein Verbrechen ist, dann bekenne ich mich dieses Vergehens für schuldig. Doch ich versichere Ihnen – und diejenigen, die mich öffentlich und privat kennen, werden meine Zeugen sein ‒, dass noch nie ein Mann so leidenschaftlich für die Vorherrschaft des Parlaments und die Rechte der Krone dieses Empire gelebt hat wie ich. Viele andere mögen mit Blick auf die Grundlagen dieser Rechte ein weit profunderes Wissen besitzen. Ich gebe nicht vor, ein Altertumsforscher oder ein Jurist zu sein oder über die Befähigung für einen Lehrstuhl der Metaphysik zu verfügen. Ich habe nie gewagt, Ihre wohlbegründeten Interessen auf spekulativen Grundlagen zu vertreten. Der Umstand, dass ich mich immer weigerte, dies zu tun, wurde mir als Unfähigkeit für derartige Abhandlungen ausgelegt; und ich selbst neige zu der Ansicht, dass dies zum Teil wirklich der Grund ist. Ich werde mich niemals schämen zuzugeben, dass ich mich zurückhalte, wo ich unwissend bin. Ich bin in der Tat nicht allzu sehr bestrebt, mich für diese angebliche Unfähigkeit zu rechtfertigen; denn Männer, die hinsichtlich dieser Art von Spitzfindigkeiten gar noch unbewanderter waren als ich und Positionen bekleideten, die ich keinesfalls anstreben sollte, haben allein kraft politischer Erwägungen die Geschicke großer Nationen oftmals mit überaus glücklicher und ruhmreicher Hand gelenkt.

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Als ich erstmals in den Genuss öffentlichen Vertrauens kam, fand ich Ihr Parlament im Besitz einer unbeschränkten gesetzgebenden Gewalt über die Kolonien. Ich konnte das Gesetzbuch nicht aufschlagen, ohne zu sehen, dass sie eigentlich in allen denkbaren Fällen auch tatsächlich ausgeübt wurde. Dieser Besitz erschien mir wie ein Rechtstitel. So ist es bei allen menschlichen Angelegenheiten. Niemand untersucht die Mängel seines Anspruchs auf das väterliche Erbe oder auf seine bestehende Regierung. Fürwahr, der gesunde Menschenverstand lehrte mich, dass man einer gesetzgebenden Gewalt, die nicht ausdrücklich durch die ausdrücklichen Bestimmungen ihrer Grundlegung oder die von ihr anschließend erlassenen Gesetze begrenzt wird, ihre Kompetenzen nicht durch begriffliche Unterscheidungen zerstückeln kann, so dass wir anschließend sagen könnten, hier ist sie bindend und dort ist sie es nicht. Niemand hatte die Güte, mir im Laufe des allmählichen Erwerbs der verschiedenen Kolonien oder im Laufe ihres Bestehens ein solches Verzeichnis der Unterscheidungen in Form eines Vertrages oder in anderer Form zur Verfügung zu stellen. Wenn irgendwelche Gentlemen zu erkennen vermochten, wie man eine Gewalt – allein aufgrund abstrakter Überlegungen – aufgeben könnte, ohne die restlichen aufzugeben, dann kann ich nur sagen, sie waren weitsichtiger als ich. Auch habe ich mir nie angemaßt, irgendjemanden zu tadeln, weil er klar gesehen hätte, wo ich blind war. Ich lobe ihren Scharfsinn und ihr Wissen und hoffe, dass ihr Handeln ihrer Theorie entsprach. Ich hegte wirklich und sehr nachdrücklich den Wunsch, den gesamten Körper dieser Staatsgewalt so vollkommen und unversehrt zu bewahren, wie ich ihn vorfand – und ihn in dieser Form zu bewahren, nicht nur zu unserem eigenen Vorteil, sondern grundsätzlich um derer willen, derenthalben jede gerechte staatliche Gewalt existiert: ich meine das zu regierende Volk. Denn ich glaubte zu sehen, dass in vielen Fällen die Ausübung all der Macht, die in der allgemeinsten Idee der Legislative beschlossen liegt, zu gegebener Zeit und unter gebenen Umständen für den Frieden und die Einigkeit der Kolonien untereinander nicht wenig vorteilhaft werden könnte, genauso wie für deren vollkommenen Einklang mit Großbritannien. Obwohl ich – vielleicht zu Unrecht, aber aus ehrlicher Überzeugung – dieser Ansicht war, war ich mir zugleich sehr sicher, dass sich die staatliche Autorität, auf die ich so eifersüchtig bedacht war, unter den gegenwärtigen Umständen in keiner einzigen unserer Kolonien irgendwie würde bewahren lassen, wenn man nicht bei ihrer Anwendung die größte Zurückhaltung walten ließe, besonders hinsichtlich jener heiklen Punkte, an denen die Gefühle der Menschen am reizbarsten sind. Diejenigen, die anderer Ansicht waren, sind doch bei ihrer Arbeit auf ein paar mehr Schwierigkeiten gestoßen, als sie, wie ich hoffe, zu Beginn der gegenwärtigen Unternehmung vorausgesehen hatten. Ich erlaube mir festzustellen, dass man sich nicht nur gegen den verhassten Aspekt der Besteuerung auflehnen wird, sondern dass auch kein anderer Bestandteil der gesetzgebenden Rechte ohne Rücksicht auf die allgemeine Meinung derjenigen ausgeübt werden kann, die regiert werden sollen. Diese allgemeine Meinung ist Medium

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und Organ der gesetzgebenden Allmacht. Ohne diese mag sie eine Theorie zur Ergötzung des Verstandes sein, zur Anleitung politischer Angelegenheiten aber ist sie dann null und nichtig. Die Vollständigkeit der legislativen Gewalt des Parlamentes über dieses Königreich wird nicht in Frage gestellt; und doch können viele Dinge, die in der abstrakten Idee dieser Macht zweifellos enthalten sind und an sich keine absolute Ungerechtigkeit darstellen, wenn sie den Ansichten und Empfindungen des Volkes widersprechen, so wenig ausgeübt werden, als besäße das Parlament in diesem Falle überhaupt kein Recht. Ich sehe keinen abstrakten Grund, den man anführen könnte, um zu erklären, warum ebenjene Gewalt, die das Hohe Kommissionsgericht und das Gericht der Sternkammer geschaffen und wieder aufgehoben hat, sie nicht wieder ins Leben rufen könnte;19 und gewarnt durch ihr früheres Schicksal, würden diese Gerichte ihre Befugnisse womöglich mit einem gewissen Grad an Gerechtigkeit ausüben. Doch der Wahnsinn wäre ebenso unbestreitbar wie die Kompetenz des Parlaments, das derlei versuchen würde. Wenn sich irgendetwas der Macht menschlicher Gesetzgebung entzieht, so ist es die Religion; ich gebe jedoch zu, dass die offizielle Religion dieses Landes drei- oder viermal durch Akte des Parlamentes verändert wurde und dass ein Statut selbst in diesem Fall bindend ist. Wir können aber mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass man es ungeachtet dieser scheinbaren Allmacht heute für ebenso unmöglich halten würde, dass König und Parlament gemeinsam die offizielle Religion dieses Landes veränderten, wie es für König Jakob seinerzeit unmöglich war, eine solche Änderung allein und ohne ein Parlament vorzunehmen. Der öffentlichen Neigung zu folgen, statt sie zu zwingen; dem allgemeinen Sinn der Gemeinschaft eine Richtung, eine Form, ein künstliches Kleid und eine besondere Bekräftigung zu geben – dies nämlich ist das eigentliche Ziel der Gesetzgebung. Und so verhält es sich mit der Ausübung aller Gewalten, die unsere Verfassung in all ihren Teilen kennt, und natürlich auch mit der realen Existenz jedes einzelnen ihrer Teile selbst. Das königliche Vetorecht bei Gesetzentwürfen ist eines der am wenigsten umstrittenen Vorrechte des Königs; und es erstreckt sich auf alle erdenklichen Fälle. Ich bin mir keinesfalls sicher, ob es für die Öffentlichkeit einen empfindlichen Verlust bedeutet hätte, wenn einige mir bekannte Gesetze unter dem Schlag dieses Zepters gefallen wären. Doch es ist nicht die Angemessenheit der Ausübung, die hier zur Debatte steht. Die Ausübung des Vetorechts wird weise unterlassen. Das Vetorecht ruhen zu lassen, bewahrt vielleicht seine Existenz; und seine Existenz kann ein Mittel sein, um die Verfassung in einer Situation zu retten, die seinen Einsatz wert ist.

|| 19 Das Hohe Kommissionsgericht (Court of High Commission) und die Sternkammer (Star Chamber) wurden beide 1641 vom Langen Parlament abgeschafft. Das Hohe Kommissionsgericht war ein religiöser Gerichtshof, der u. a. Zensurgewalt besaß, die Sternkammer ein Gerichtshof, der aus königlichen Räten und Richtern bestand. Beide waren nicht an das Common Law gebunden, sondern bezogen ihre Befugnisse unmittelbar vom König.

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Da unsere Opponenten, deren genaues und logisches Raisonnement uns in die gegenwärtige Lage gebracht hat, es widersinnig finden, dass Gewalten oder Organe einer Verfassung existieren sollten, die selten, wenn überhaupt jemals zur Ausübung kommen, hoffe ich, man wird es mir nachsehen, wenn ich auf ein weiteres wichtiges Beispiel zu sprechen komme. Wir wissen, dass die Kirchensynode früher mit fast ebenso großer Regelmäßigkeit einberufen wurde und getagt hat wie das Parlament selbst. Sie wird heute nur noch der Form halber einberufen. Sie tagt zu dem Zweck, dem König ein paar höfliche geistliche Komplimente zu machen, und zieht sich, wenn sie ihm diese Gunst erwiesen hat, wieder zurück und lässt sich fortan nicht mehr vernehmen. Sie ist nichtsdestoweniger ein Teil der Verfassung und kann immer dann zu Tat und Tatkraft aufgefordert werden, wenn es die Situation erfordert und wenn jene, die diesen Geist aus der Flasche lassen, die Konsequenzen zu tragen bereit sind. Es ist klug, ihre rechtliche Existenz zuzulassen; viel klüger noch ist es, sie nur rechtlich fortbestehen zu lassen. So besitzt die Klugheit – erkoren als Gott dieser niederen Welt – die volle Herrschaft über jede Ausübung der in ihre Hände gelegten Macht! Und doch musste ich mit ansehen, wie in unseren jüngsten Kontroversen Klugheit und die Berücksichtigung der Umstände vollkommen in den Wind geschlagen und so behandelt wurden, als wären sie die verachtenswertesten und unvernünftigsten Dinge überhaupt. Ich habe hundertfach die ganz ernsthaft vorgetragene Behauptung vernommen, es sei notwendig, die Macht, um sie bei Gegenwind zu behalten, vorzugsweise genau an jenen Punkten auszuüben, an denen sie mit größter Wahrscheinlichkeit auf Widerstand treffe und mit geringster Wahrscheinlichkeit irgendeinen positiven Effekt erziele. Diese Überlegungen waren es, Gentlemen, die mich früh zu der Überzeugung brachten, dass es im gesamten Herrschaftsbereich, den die göttliche Vorsehung in unsere Hände gelegt hatte, unsere Pflicht wäre, unsere Regierung in aller Nüchternheit dem Charakter und den Lebensumständen der unterschiedlichen Völker anzupassen, die diese gewaltige und eigentümlich vielgestaltige Masse ausmachen, statt unsere Köpfe mit Spekulationen über die Einheit des Empires und die Identität oder Besonderheit gesetzgebender Gewalten zu zerbrechen und unsere Leidenschaften an der Hitzigkeit und am Stolz des Streites zu entzünden. Ich war nie verrückt genug zu glauben, dass eine einzige Vorgehensweise für das Ganze genug wäre: dass man unter den Einheimischen von Hindustan und Virginia auf dieselbe Weise Ordnung schaffen könnte oder dass sich das indische Cutchery-Gericht und das Große Geschworenengericht von Salem nach einem vergleichbaren Plan anleiten ließen. Ich war überzeugt davon, dass das Regieren eine praktische Angelegenheit ist, die dem Glück der Menschheit dienen und nicht einen Mummenschanz der Einheitlichkeit aufführen sollte, um den Entwürfen visionärer Politiker zu genügen. Unsere Aufgabe war es zu regieren, nicht zu streiten; und es wäre eine armselige Entschädigung gewesen, wenn wir den Disput gewonnen, dabei aber ein Empire verloren hätten. Wenn es auf der Welt eine vollkommen klare Tatsache gibt, so ist es die, „dass dem Volk von Amerika jede andere als eine freie Regierung vollkommen zuwider

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ist“;20 und dies ist jedem rechtschaffenen Staatsmann Hinweis genug, wie er all die Macht, die er in Händen hält, auf diesen Fall anzupassen hat. Wenn mich irgendjemand fragt, was eine freie Regierung sei, so antworte ich, dass sie – für alle praktischen Zwecke – genau das ist, was das Volk dafür hält; und dass dieses Volk, und nicht etwa ich, der natürliche, rechtmäßige und kompetente Richter in dieser Frage sei. Wenn es mir in der Praxis ein größeres Maß an Rechtsgewalt über sich einräumt, als sich dies mit jeder richtigen Idee vollkommener Freiheit vereinbaren lässt, dann sollte ich ihm für dieses große Vertrauen danken und nicht versuchen, ihm vor diesem Hintergrund zu beweisen, dass es schlecht kalkuliert hat und, da es nun einmal so weit gegangen ist, in Zukunft folglich nichts anderes mehr genießen sollte, als mir beliebt. Wenn wir dieses Vorgehen bei irgendwem anders beobachtet hätten, hätten wir zu dem Schluss kommen müssen, sie seien völlig verrückt geworden. Es ist ebenso traurig wie lächerlich, die Art von Raisonnement zu beobachten, mit dem man die Öffentlichkeit unterhalten hat, um unseren Geist in Bezug auf unsere amerikanische Politik vom Weg des gesunden Menschenverstandes abzulenken. Es gibt Menschen, die die Lehre von der freien Regierung aufgespalten und in ihre Einzelteile zerlegt haben, als ginge es um eine abstrakte Erörterung metaphysischer Freiheit und Notwendigkeit und nicht um eine Frage der moralischen Klugheit und des natürlichen Gefühls. Sie haben darüber gestritten, ob die Freiheit eine positive oder eine negative Idee sei; ob sie nicht darin bestehe, von Gesetzen regiert zu werden, ohne dass man sich darüber Gedanken gemacht hätte, was die Gesetze oder wer die Gesetzgeber sind; ob der Mensch von Natur aus irgendwelche Rechte habe; und ob nicht alles Eigentum, in dessen Genuss er kommt, ein Almosen seiner Regierung sei und selbst sein Leben eine Gunst und eine Gefälligkeit, den diese ihm erweist. Andere haben, indem sie die Religion genau so verdrehten, wie jene die Philosophie auf den Kopf stellten, behauptet, dass Christen in die Gefangenschaft erlöst würden und das Blut des Retters der Menschheit vergossen worden sei, um aus ihnen die Sklaven einiger weniger stolzer und unverfrorener Sünder zu machen. Da erschütternde Extreme wie diese Extreme von anderer Art hervorrufen, ist der Spekulation, die so schädlich für jede staatliche Gewalt ist, wie es die zuvor genannten für die Freiheit sind, Tür und Tor geöffnet; und jede Regierung wird als Tyrannei und Usurpation bezeichnet, die nicht ihren Launen entspricht. Auf diese Weise begnügen sich die Anstifter dieser Auseinandersetzung nicht damit, unsere Kolonien zu quälen und sie mit Blut und Gemetzel zu überziehen, sondern verderben auch unseren Verstand: Sie bemühen sich, zusammen mit der praktischen Freiheit alle Grundlagen der menschlichen Gesellschaft in Stücke zu reißen, alle Gleichheit und Gerechtigkeit, Religion und Ordnung.

|| 20 Die Quelle des Zitates ist unbekannt.

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Anders als viele Sie glauben lassen wollten, Gentlemen, ist politische Freiheit nichts, was in den Tiefen einer abstrusen Wissenschaft verborgen liegt. Sie ist ein Segen und ein Gewinn, keine abstrakte Spekulation; und alle angemessenen Erwägungen, die man über sie anstellen kann, sind von so bodenständiger Beschaffenheit, dass sie vollkommen zu den üblichen Fähigkeiten derer passen, die in ihren Genuss kommen, wie auch derjenigen, die sie verteidigen sollen. Weit entfernt davon, jenen Aussagen der Geometrie und Metaphysik zu gleichen, die kein Mittleres zulassen, sondern in ihrem ganzen Umfang entweder wahr oder falsch sein müssen, findet man die gesellschaftliche und die politische Freiheit, wie alle anderen Dinge des täglichen Lebens, in unterschiedlicher Mischung und Variation, in sehr unterschiedlichen Graden genossen, in eine unendliche Vielfalt von Formen gegossen, je nach Temperament und Lebensumständen der jeweiligen Gemeinschaft. Das Extrem der Freiheit (das ihre abstrakte Vollkommenheit, aber ihren realen Mangel darstellt) wird weder irgendwo erreicht, noch sollte es irgendwo erreicht werden; denn wie wir alle wissen, sind Extreme in jedem Punkt, der sich auf unsere Pflichten oder auf unsere Befriedigungen im Leben bezieht, sowohl der Tugend als auch dem Genuss abträglich. Auch Freiheit muss, damit man sie besitzen kann, begrenzt sein. Dabei ist es unmöglich, den Grad der Beschränkung in irgendeinem Fall präzise zu bestimmen. Doch sollte es das feste Ziel jedes klugen öffentlichen Ratgebers sein, durch vorsichtige Experimente und vernünftige, bedachte Bemühungen herauszufinden, mit wie wenigen – nicht mit wie vielen – Beschränkungen die Gemeinschaft leben kann: denn die Freiheit ist ein Gut, das es zu verbessern, nicht ein Übel, das es zurückzudrängen gilt. Sie ist nicht nur ein privater Segen ersten Ranges, sondern die Lebensader und Kraftquelle des Staates selbst, der gerade so viel Leben und Kraft besitzt, wie es Freiheit in ihm gibt. Doch ob Freiheit nun von Vorteil ist oder nicht (denn ich weiß, es ist derzeit in Mode, ihr Prinzip an sich zu verunglimpfen), so wird doch niemand bezweifeln, dass der Frieden ein Segen ist; und oft muss der Frieden im Fortgang der menschlichen Angelegenheiten mindestens mit einer gewissen Nachsicht und Toleranz gegenüber der Freiheit erkauft werden: denn so, wie der Sabbat (obschon eine göttliche Einrichtung) für den Menschen geschaffen wurde und nicht der Mensch für den Sabbat, so muss sich die Regierung, die sich zumindest in ihrer Praxis auf keine höhere Herkunft oder Autorität berufen kann, den Erfordernissen der Zeit sowie dem Naturell und dem Charakter der Menschen, für die sie zuständig ist, anpassen und nicht immer versuchen, die Menschen gewaltsam auf ihre Theorien der Unterordnung hin auszurichten. Die meisten Menschen sind ihrerseits nicht übermäßig an irgendwelchen Theorien interessiert, solange sie wirklich glücklich sind; und ein eindeutiges Symptom für einen schlecht geführten Staat ist ihre Neigung, bei diesen Zuflucht zu suchen. Wenn die Bürger aber aufgrund einer lange andauernden schlechten Führung einmal gründlich entbrannt sind und sich der Staat selbst in heftiger Unruhe befindet, dann müssen die Gefühle der Menschen auf gründlichere Weise beruhigt werden

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als durch sophistische Spekulationen über Recht und Regierung. In einer solchen Situation befanden wir uns: und eine solche Befriedigung war notwendig, um einen Waffengang zu vermeiden; sie war notwendig, um die Waffen niederzulegen; sie wird notwendig sein, um zu verhindern, dass sie wieder und wieder ergriffen werden. Und ich hätte mir gewünscht, dass das Parlament geneigt gewesen wäre, ernsthaft zu überlegen, welcher Art diese Befriedigung sein müsste. Sicherlich war es eine Beratung, die nach dem Einsatz all seiner Weisheit rief. Ich bin mir der Schwierigkeit zutiefst bewusst – und bin es immer gewesen –, die darin besteht, die starke führende Macht, die so nützlich für den Erhalt eines riesigen, unzusammenhängenden und unendlich vielgestaltigen Empire ist, mit jener Freiheit und Sicherheit zu versöhnen, welche die Provinzen (zumindest in ihrer Überzeugung und Praxis) genießen müssen, weil sie sonst überhaupt keine Provinzen sind. Ich kenne die Schwierigkeit – und empfinde sie schon seit langem –, den schwerfälligen Hochmut einer großen, beherrschenden Nation, die zu befehlen gewohnt, von unerhörtem Reichtum verwöhnt und durch lange anhaltenden Wohlstand und Triumph selbstbewusst geworden ist, mit dem Übermut freier Kolonien zu versöhnen, die, von der ersten Glut und Lebhaftigkeit jugendlicher Begeisterung bewegt, einen Teil ebenjenes Stolzes, der sie unterdrückt, als ihr Geburtsrecht für sich selbst beanspruchen. Wer die Versöhnung dieser Temperamente nicht als Schwierigkeit begreift – und sie müssen auf die eine oder andere Weise versöhnt werden, wenn man Frieden schließen will –, der ist mir weit voraus, oder er bleibt weit hinter dem Ausmaß der Aufgabe zurück. Eines ist mir vollkommen klar: Der Frieden lässt sich nicht dadurch wiederherstellen oder bewahren, dass man über einen Rechtsstreit entscheidet, sondern dadurch, dass man die Differenzen durch Kompromisse ausgleicht. Wer solche Streitigkeiten beenden möchte, indem er sich rundweg zugunsten sämtlicher Forderungen einer der beiden Parteien ausspricht, hat meiner bescheidenen Meinung nach die Aufgabe eines Vermittlers missverstanden. Der Krieg dauert nun schon zwei volle Jahre an, der Streit noch viel länger. In unterschiedlichen Phasen des Disputs hätte man unterschiedliche Strategien der Versöhnung anwenden sollen. Ich möchte Sie mit einer kurzen Beschreibung der jeweiligen Lage der Dinge in den wichtigsten Phasen behelligen, um Ihnen eine deutlichere Vorstellung von unserer Politik im Hinblick auf diesen heikelsten aller Gegenstände zu geben. Die Kolonien waren von Anfang an der Gesetzgebung Großbritanniens unterworfen, basierend auf Grundsätzen, die sie selbst niemals überprüft haben; und wir gewährten ihnen viele lokale Privilegien, ohne sie jemals zu fragen, wie sie mit dieser gesetzgebenden Autorität zufrieden waren. Formen der Verwaltung wurden auf unverständige und sehr unsystematische Art und Weise vorgeschrieben. Doch sie passten sich allmählich den wechselnden Umständen an. Was zunächst ein einfaches Königreich war, dehnte sich zu einem Empire aus; und eine imperiale Oberaufsicht der einen oder anderen Art wurde notwendig. Das Parlament entwickelte sich von einer bloßen Vertretung des Volkes und einem Hüter der gängigen Privile-

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gien seiner eigenen direkten Wähler zu einem mächtigen Souverän. Statt eine Kontrollinstanz der Krone in eigener Sache zu sein, verlieh es der königlichen Gewalt eine Art von Stärke, die für die Bewahrung eines neuen Gegenstandes gebraucht wurde, aber nicht gefahrlos allein der Krone überlassen werden konnte. Andererseits hatten die Kolonien, die sich in ähnlichen Schritten fortentwickelten und unter derselben Notwendigkeit standen, auf ihrem eigenen Grund und Boden entweder durch königliche Weisung oder eine Royal Charter21 Versammlungen eingerichtet, die in allen Formen, Funktionen und Kompetenzen so außerordentlich einem Parlament glichen, dass sie sich zwangsläufig in gewissem Maße als eine solche Gewalt verstehen mussten. Als diese Versammlungen ursprünglich eingerichtet wurden, waren sie wahrscheinlich für nicht mehr gedacht (noch hielten sie sich vielleicht selbst für wichtiger) denn als Kommunalbehörden auf dieser Insel, mit denen sie manch einer heute gerne vergleicht. Nichts aber, was sich entwickelt, kann bei seinem ursprünglichen Plan verharren. Ebenso könnte man sich vorstellen, einen erwachsenen Mann noch wie ein Baby in der Wiege zu schaukeln. Als die Kolonien prosperierten und zu einem vielköpfigen und mächtigen Volk heranwuchsen, das bald einen großen Teil des Erdballs umspannte, war es deshalb nur natürlich, dass sie den Versammlungen, die ihrer formalen Verfassung nach so achtbar waren, einen gewissen Teil der Würde jener großen Nationen zuschrieben, die sie repräsentierten. Nachdem diese Versammlungen nicht mehr auf örtliche Verordnungen und Durchführungsbestimmungen beschränkt blieben, verabschiedeten sie Gesetze aller Art und für alle erdenklichen Fälle. Sie erhoben Steuern, und zwar nicht nur für lokale Zwecke, sondern zwecks regelmäßiger Zuwendungen an die Krone; dabei befolgten sie alle Regeln und Prinzipien eines Parlaments, dem sie von Tag zu Tag immer ähnlicher wurden. Diejenigen, die sich für klüger halten als die Vorsehung und für stärker als der Lauf der Natur, mögen sich über all diese Veränderungen in dieser oder jener Hinsicht beklagen, je nachdem, wie es ihre Temperamente und Vorurteile ihnen diktieren. Die Dinge könnten aber anders nicht sein; und englische Kolonien kann es überhaupt nur unter diesen Bedingungen geben oder gar nicht. Unterdessen fühlte sich keine Partei durch diese doppelten Gesetzgeber in irgendeiner Weise beeinträchtigt, die ihnen aus unbewussten Gewohnheiten und althergebrachten Sitten, jenen großen Stützen aller Regierungen der Welt, erwachsen waren. Auch wenn sich manchmal herausstellen mochte, dass diese beiden Gesetzgeber genau dieselben Funktionen erfüllten, kamen sie sich doch nicht schwerwiegend oder grundsätzlich in die Quere. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies auf reine Nachlässigkeit zurückzuführen, möglicherweise auf den natürlichen Gang der Dinge, die normalerweise, wenn sie sich selbst überlassen bleiben, zu der ihnen gemäßen Ordnung finden. Was auch immer der Grund war, gewiss ist doch, dass an regelmäßige, vom Parlament autorisierte Staatseinnahmen zur Unterhaltung der politischen und militärischen Einrichtungen scheinbar erst gedacht || 21 Bei Royal Charters handelte es sich um Rechte, die vom Kronrat Körperschaften, etwa Gemeinden und Universitäten, gewährt wurden.

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wurde, als die Kolonien zu stolz waren, um sich zu fügen, zu stark, um sich zwingen zu lassen, und zu aufgeklärt, um nicht alle Konsequenzen, die ein solches System mit sich bringen musste, absehen zu können. Sollte dieses Steuersystem jemals gegen die Neigungen des Volkes durchgesetzt werden, dann hätte dies selbstverständlich Diskussionen zur Folge, die alle Elemente, aus denen sich diese doppelte Verfassung zusammensetzt, aus ihren Verbindungen lösen würden; die Diskussionen würden zeigen, in welchem Maße sich alle Organe der Verfassung von ihren ursprünglichen Grundsätzen entfernt hatten, und würden bei jedem Gesetzgeber Widersprüche sowohl hinsichtlich der eigenen obersten Grundsätze als auch hinsichtlich seiner Beziehung zum anderen Gesetzgeber ans Licht bringen, die aufzulösen überaus schwer, wenn nicht gar unmöglich sind. In der ersten verhängnisvollen Anfangsphase dieser Auseinandersetzung schien es deshalb das Vernünftigste zu sein, die unmittelbaren Auslöser für den Streit so schnell wie möglich zu beseitigen und eine Diskussion, die sich durch klare Prinzipien nicht leicht entscheiden ließ und die aus Forderungen entstanden war, welche beide Parteien aus Gründen des Stolzes nicht würden aufgeben können, dadurch zu beenden, dass man, so gut es ging, wieder auf den alten erfolgreichen Kurs einschwenkte. Eine einfache Aufhebung der anstößigen Steuer zusammen mit einer Erklärung der gesetzgebenden Gewalt dieses Königreichs genügte damals vollkommen, um beiden Seiten den Frieden zu bringen.22 Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und da der erste Bruch nur von äußerst kurzer Dauer war, glitten die Kolonien exakt in ihren alten Zustand zurück. Der Kongress gebrauchte in Bezug auf diese Befriedung einen Ausdruck, der mir wirklich bezeichnend zu sein scheint. Nach der Aufhebung des Stempelgesetzes „fielen die Kolonien“, so erklärte diese Versammlung, „wieder in ihren alten Zustand des vorbehaltlosen Vertrauens in das Mutterland zurück“.23 Dieses vorbehaltlose Vertrauen ist das wahre Gravitätszentrum für die Menschheit, in dessen Nähe alle Teile zur Ruhe kommen. Es ist dieses vorbehaltlose Vertrauen, das alle Schwierigkeiten zum Verschwinden bringt und alle Widersprüche auflöst, die der Komplexität aller alten, verworrenen politischen Staatseinrichtungen entspringen. Glücklich die Herrscher, die das Geheimnis seiner Bewahrung kennen! Das gesamte Empire hat Grund, sich in ewiger Dankbarkeit der Weisheit und des Charakters jenes Mannes und seiner vorzüglichen Mitarbeiter zu erinnern, die im Jahr 1766 einen Friedensplan schmiedeten, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen.24 Solange man es für richtig befand, an ihm festzuhalten, erfüllte dieser Plan, der auf die Natur des Menschen und auf die Lebensumstände und Gewohnheiten beider Länder || 22 Vgl. oben, S. 155 f. 23 Burke paraphrasiert hier eine Formulierung aus den Dokumenten des ersten Kontinentalkongresses vom 19. Oktober 1774: „The people of these Colonies, having after the Repeal of the Stamp Act; resign’d themselves to their antient unsuspecting Affections for their parent State.“ (Letters of Delegates to Congress 1774, S. 210). 24 Gemeint ist der Marquess of Rockingham, der 1765-66 die Regierung leitete. Der Friedensplan sah die Rücknahme der Stempelsteuer vor und wurde maßgeblich von Burke entworfen; vgl. oben S. 152.

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gegründet war und nicht auf irgendwelche phantastischen Spekulationen, seinen Zweck in vollkommener Weise. Ohne der (recht oder schlecht verstandenen) Würde dieses Parlamentes einen herben Schlag zu versetzen, stellten sie unsere Kolonien umfassend zufrieden. Ohne den vermittelnden Geist und die Talente dieses großen Mannes wären wir damals schon über derart widerstreitende Ansprüche und Leidenschaften – und ich weiß, wovon ich spreche – Hals über Kopf in die Katastrophen dieses Bürgerkriegs gestürzt, in den wir, da wir uns von seinem System abgewendet haben, nun schon so lange verwickelt sind; und wir wären zu einer Zeit in diesen Krieg hineingeraten, in der für uns sowohl die Umstände zuhause als auch in den Kolonien sehr viel ungünstiger gewesen wären als beim Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen. Ich hatte das Glück, meine ersten Stimmen im Parlament für diese Befriedung abzugeben. Ich gehörte zur nahezu einhelligen Mehrheit von Abgeordneten, die die Autorität des Parlaments im Rahmen notwendiger Zugeständnisse so weit wie möglich bewahrt und seine Ehre so gut wie möglich respektiert wissen wollten. Ich konnte mein Herz nicht urplötzlich von Vorurteilen lösen, die mir lieb und teuer waren und tugendhaft auf mich wirkten. Ich hatte damals meine Vorlieben und habe sie bis heute. Was das Parlament aufgab, sollte es, so wünschte ich mir, aus Gnade, Gunst und Zuneigung geben und nicht als eine Rückerstattung gestohlener Güter. Die Würde des Hohen Hauses lenkte in dem Maße ein, wie sie besänftigt wurde; und Gutwilligkeit aus alter, anerkannter Größe hatte eine denkbar gute Auswirkung auf unsere Kolonien. Unsere uneingeschränkte Erklärung gesetzgebender Autorität rief nicht ein einziges Murren hervor. Wenn diese unbestimmte Macht der Kolonien mittlerweile verhasst ist und ein einziges Grauen bedeutet, so deshalb, weil das vorbehaltlose Vertrauen verloren gegangen und die elterliche Zuneigung, in deren grenzenloser Autorität die Vorrechte der Kolonien ruhten, nun einer Entfremdung und Feindseligkeit gewichen ist. Wenn dies damals meine Ansicht über die Art und Weise der Befriedung war, wie konnte ich dann, so wird man mich fragen, ausgerechnet zu der Person werden, die nicht nur die Aufhebung aller neuen Zwangsstatuten, sondern auf gesetzlichem Wege die Verstümmelung der gesamten gesetzgebenden Gewalt des Parlaments befürwortete und ihm das ganze Recht auf Besteuerung zu entreißen strebte.25 Meine Antwort darauf lautet, dass andere Umstände ein anderes Verhalten erfordern. Als sich der Streit bis zu den jüngsten Auswüchsen zugespitzt hatte (was niemand nachdrücklicher zu verhindern suchte als ich), waren die Zugeständnisse, die am Anfang einmal überzeugt hatten, nun nicht mehr überzeugend; denn die Verletzung stillschweigenden Vertrauens erforderte ausdrückliche Sicherheit. Dieselbe Ursache, die alle formalen Verträge und Abkommen zwischen Menschen überhaupt erst auf den Plan gerufen hat, machte dies notwendig: ich meine den Gemütszustand von Verärgerung, Eifersucht und Misstrauen. Ich schnitt das Recht auf Besteuerung ab wie eine || 25 Vgl. Burkes Second Speech on Conciliation vom 16. November 1775.

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Gliedmaße, schnitt sie aber ab, um den Körper zu retten. Und ich hätte noch mehr abgeschnitten, wenn es nötig gewesen wäre; alles lieber als ein fruchtloser, hoffnungsloser, widernatürlicher Bürgerkrieg. Diese Form des Nachgebens würde, so sagt man, ohne Krieg der Unabhängigkeit den Weg bereiten. Mit Blick auf das Wesen der Dinge und angesichts aller Informationen bin ich aber überzeugt, dass es genau den umgekehrten Effekt gehabt hätte. Wenn es aber diesen Effekt hätte, dann bekenne ich, der Unabhängigkeit ohne Krieg den Vorzug vor der Unabhängigkeit mit Krieg zu geben; und ich hege ein so großes Vertrauen in die Neigungen und Vorurteile der Menschheit und ein so geringes Vertrauen in alles andere, dass ich von der Zuneigung Amerikas, und befinde sich das Land auch unter einer eigenen Staatseinrichtung, einen zehnmal größeren Nutzen für dieses Königreich erwarten würde als von seiner vollständigen Unterwerfung unter die Krone und das Parlament, wenn diese mit Schrecken, Abscheu und Verachtung einhergeht. Körper, die durch ein so unnatürliches Band wie den gegenseitigen Hass aneinander gebunden sind, sind mit dieser Verbindung einzig dem Untergang geweiht. Einhundertzehn achtbare Parlamentsmitglieder stimmten für dieses Zugeständnis. Viele, die als der Antrag eingebracht wurde, nicht anwesend waren, empfanden genau wie jene, die ihre Stimme abgaben. Ich weiß, es hätte damals zum Frieden geführt. Ich habe die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass dies auch heute so sein könnte, falls der Antrag angenommen würde. Kein Vorteil, keine Einnahme würde dadurch verloren gehen, doch könnte durch seine Auswirkungen möglicherweise etwas gewonnen werden. Denn seien Sie mehr als gewiss, dass von allen Illusionen, die jemals die Einbildungskraft der gutgläubigen Welt getäuscht haben, die auf parlamentarische Einkünfte aus den Kolonien die absolut trügerischste ist. Wenn Sie sie in irgendeiner Form unterwerfen, wird Ihnen dies keineswegs eine finanzielle Entlastung sein (was der Vorwand für diesen Krieg ist), nicht die Streitkraft finanzieren, die Sie zur Vernichtung ihrer und Eurer eigenen unterhalten müssen. Mit dieser Prophezeiung gehe ich kein Risiko ein. Gentlemen, Sie kennen nun meine Ansichten zur gegenwärtigen Lage der öffentlichen Angelegenheiten. So armselig sie für sich genommen sein mögen, hat Ihre Gunst ihnen doch eine gewisse Bedeutung verliehen. Ohne mich lange mit der Frage aufzuhalten, ob ich denn in irgendeiner Art und Weise förmlich dazu verpflichtet bin, bereitet es mir Vergnügen, meinen Wählern Rechenschaft für mein Verhalten abzulegen. Dieses Thema berührt mich sehr, und ich halte damit nicht hinter dem Berg. Wenn ich mir herausnehme, irgendein öffentliches Vorgehen zu tadeln, so darf man nicht annehmen, es sei eine persönliche Sache. Könnte ich doch um Gottes Willen nur in diesem Verdacht stehen! Mein Fehler wäre dann vielleicht größer, das öffentliche Verhängnis aber hielte sich in engeren Grenzen. Obwohl es mir nicht gelungen ist, durch mein Verhalten Eindruck auf die mitfühlenden Teile jener alten und mächtigen Partei zu machen, die mir bei meiner Wahl nicht die Ehre ihrer Unterstützung gewährte, verringert dies in keiner Weise meinen Respekt, meine Rücksicht und mein

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Pflichtgefühl ihr gegenüber. Ich schulde den Gentlemen dieser Partei meine bescheidensten Dienste auf allen Gebieten. Ich hoffe, dass sie mich in meinem Gehorsam vollkommen unverändert fänden, wann immer einer von ihnen mir zu befehligen beliebte. Schmeichelei und Freundschaft aber sind sehr verschiedene Dinge, und jemanden in die Irre zu führen, heißt nicht, ihm zu dienen. Ich kann mir die Gunst eines Mannes nicht dadurch erkaufen, dass ich vor ihm verberge, was ich für sein Verderben halte. Durch die Gunst meiner Mitbürger bin ich der Repräsentant einer ehrenwerten, wohlgeordneten, tugendhaften Stadt – mit einer Bevölkerung, die sich von der ursprünglichen englischen Einfachheit und Reinheit vielleicht mehr bewahrt hat als die Einwohner aller anderen Städte. In Ihren Reihen finden sich Männer und Magistrate von großer Einsicht und Gelehrsamkeit, die für jeden beliebigen Posten in jedem Bereich geeignet wären. Ich handele mit all meinen Kräften so, dass ich mich einer so ehrenwerten Wahl würdig erweisen kann. Wenn ich bereit wäre, aus Gründen der Eitelkeit oder des Eigeninteresses oder aus Wahlkampftaktik Grundsätze aufzugeben – welche auch immer es seien –, die ich mir in reifem Alter nach gründlicher Überlegung zu eigen gemacht habe und die durch langjährige Erfahrungen bestätigt wurden, dann würde ich das Einzige verwirken, was Sie dazu bringt, meine zahlreichen Fehler und Unzulänglichkeiten zu entschuldigen. Nicht dass ich es für angeraten halte, dem eigenen Verstand allzu sehr zu vertrauen oder von einer Vermessenheit erfüllt zu sein, die einem Christenmenschen in seiner eigenen persönlichen Festigkeit und Rechtschaffenheit nicht dienlich ist. Ich hoffe, von dieser eitlen Selbstgewissheit frei zu sein, die eigentlich immer Schiffbruch erleidet, wenn man sie auf die Probe stellt. Ich kenne meine Schwäche in jeder Hinsicht, mindestens so sehr wie jeder meiner Feinde; und ich versuche, mich vor ihr zu schützen. Die einzige Methode, die sich jemals als wirksamer Schutz vor der Korruption durch die Natur oder durch schlechte Vorbilder erwiesen hat, besteht in einem Leben, das sich den Austausch und die Beratung mit den tugendhaftesten und gemeinsinnigsten Männern der eigenen Epoche zur Gewohnheit macht. Eine solche Gesellschaft wird man nicht ohne Gewinn pflegen und nicht ohne Schande verlassen können. Wegen dieser Verhaltensmaßregel darf man mir gerne vorwerfen, ein Parteimann zu sein; doch eine solche Anschuldigung berührt mich wenig. Was sie „Partei“ nennen, ist meine Art und Weise, die Verfassung Ihrer Vorväter in Ehren zu halten; und ich werde mich niemals für meine politischen Weggenossen schämen. Eher wird jede Wertschätzung der Ehre, jede Vorstellung davon, was Ehre eigentlich ist, vom Erdboden verschwinden, als dass man irgendjemandem ankreiden könnte, mit jenen unvergleichlichen – lebenden oder toten – Persönlichkeiten in enger Verbindung gestanden zu haben, mit denen ich elf Jahre lang ununterbrochen Gedanken und Taten geteilt habe. Wenn ich die Pfade der Geradheit zugunsten jener der Parteilichkeit verlassen habe, so geschah dies in Gesellschaft der Saviles, der Dowdeswells, der Wentworths, Bentincks; zusammen mit den Lennox, den Manchesters, den Keppels, den Saunders; mit der maßvollen, gleichbleibenden, angeborenen Tugend des ganzen

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Hauses Cavendish:26 Namen, von denen einige Ihren Ruhm und Ihr Weltreich mit Waffen vergrößert und die alle die Schlacht für Ihre Freiheiten auf nicht weniger ruhmreichen Feldern geschlagen haben. Diese und viele ihresgleichen haben, private Ehre durch öffentliche Prinzipien veredelnd, das gegenwärtige Zeitalter erlöst und wären eine Zierde für jede noch so großartige Epoche Ihrer Geschichte gewesen. Wo hätte sich ein Mann, wissend, dass er nicht alleine handeln kann, und willens zu handeln, wie es geboten ist, besser einrichten können? Sollte jemand den Beitritt zu einer solchen Gesellschaft für den besten Weg halten, niedere persönliche Interessen oder den eigenen Ehrgeiz zu befriedigen, dann irrt er und weiß nichts von der Welt. Auch wenn ich dieser Gesellschaft den Vorzug gebe, heißt das nicht, dass ich von anderen in irgendeiner Weise abraten möchte. Es gibt einige Personen, die ich gewissermaßen aus größerer Distanz bewundere, und ich hatte die Freude, mit ihnen in fast allen Einzelheiten, über die ich mit einigen der aufeinanderfolgenden Regierungen nicht übereinstimmen konnte, vollkommen einer Meinung zu sein. So wie diese Männer sind, kann es keiner Regierung jemals zur Ehre gereichen, sie zu ihren Feinden zu zählen. Ich hoffe, keiner von Ihnen hat sich von einer Lehre bestechen lassen, die boshafte Männer in der schlimmsten Absicht verbreiteten und die mit der heimtückischen Leichtgläubigkeit des Neides und der Unwissenheit aufgenommen wurde: dass Männer, die auf der politischen Bühne agieren, alle gleich seien, nämlich alle gleich korrupt, und alle von nichts anderem als den schäbigen Verlockungen ihres Gehalts und ihrer Pensionen angespornt. Dies ist, wie ich aus Erfahrung weiß, falsch. Ohne zu erwarten, in den Menschen Vollkommenheit zu finden, und in Gottesgeschöpfen nach göttlichen Eigenschaften zu suchen, habe ich im Umgang mit meinen Zeitgenossen viel menschliche Tugend gefunden. Ich habe nicht wenig Gemeinsinn, eine echte Unterordnung des Interesses unter die Pflicht und eine vernünftige und maßvolle Empfänglichkeit für ehrlichen Ruhm und einen guten Ruf gesehen. Das Zeitalter bringt zweifellos (ich weiß nicht, ob in größerer oder geringerer Zahl als frühere Zeiten) dreiste Verschwender und hinterlistige Heuchler hervor. Aber was heißt das? Soll ich mir nicht jedes mögliche Gut, das die Welt anzubieten hat, zunutze machen, nur weil es immer mit einem Gran Übel vermischt sein wird? Gibt es von einer Währung || 26 Sir George Savile (1726-1784), Member of Parliament (im Folgenden: MP) 1759-1783. William Dowdeswell (1721-1775), MP 1747-1754, 1761-1775. Charles Watson-Wentworth, 2. Marquess of Rockingham (1730-1782), zweimaliger Premierminister von 1765-1766 und April-August 1782. William Henry Cavendish-Bentinck, Duke of Portland (1738-1809), MP 1761-1809. Charles Lennox, 3. Duke of Richmond (1735-1806), Kommandant und Feldmarschall. Admiral Augustus Keppel (1725-1786), MP 1755-1782. Sir Charles Saunders (1713-1775), MP 1750-1775. Lord John Cavendish (1732-1796), Kopf der Familie, seine Brüder Lord Frederick (1729-1803), MP 1751-1780, und Lord George Augustus (1729-1794), MP 1751-1780, 1781-1794, deren Cousins Lord George Augustus Henry (1754-1784), MP 1775-1796, 17971831, und Lord Richard (1752-1781), MP 1773-1781, sowie deren Neffe William, 5. Duke of Devonshire (1748-1811). Bei den genannten Personen handelt es sich um einflussreiche Whig-Politiker und Militärs, die Burke in seiner Haltung gegenüber den amerikanischen Angelegenheiten unterstützten.

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nur geringe Mengen, so vergrößert sich lediglich ihr Wert. Wer aufgrund des Verhaltens schlechter Menschen die guten verdächtigt, gehört selbst zur Partei der ersteren. Die allgemeine Heuchelei ist kein Grund, für sie Partei zu ergreifen. Ich wurde, so sagen sie, von Titius und Maevius getäuscht;27 ich sei der Betrogene dieses Heuchlers und jenes Scharlatans gewesen; und ich könne dem Schein nicht länger trauen. Doch meine Gutgläubigkeit und mein fehlendes Urteilsvermögen lassen sich, wie mir scheint, nicht zu einem angemessenen Verdacht gegen jedermanns Redlichkeit addieren. Eine gewissenhafte Person würde eher ihrem eigenen Urteil misstrauen als ihre Spezies verdammen. Sie würde sagen: „Ich habe unaufmerksam beobachtet oder aufgrund falscher Maximen geurteilt; ich habe mich auf Bekenntnisse verlassen, wo ich auf das Verhalten hätte achten sollen.“ Durch Umgang mit der Welt wird ein solcher Mann weise und nicht bösartig. Jener aber, der die ganze Menschheit für verdorben hält, sollte nicht vergessen, dass er auf diese Weise mit Sicherheit nur einen schuldig spricht. In Wahrheit sollte ich viel eher jene, gegen die ich immer den größten Widerwillen hatte, als Muster der Vollkommenheit gelten lassen, als in einer allgemeinen Gemeinschaft der Verworfenheit mit allem, was mich umgibt, Trost für meine eigene Unwürdigkeit zu suchen. Dass diese bösartige Lehre von den Missionaren eines Hofes gepredigt wird, überrascht mich nicht. Es dient ihrer Absicht. Dass sie aber von jenen geglaubt wird, die vorgeben, große Verfechter der Freiheit zu sein, ist nicht nur überraschend, sondern auch wenig natürlich. Diese moralische Nivellierung ist ein Untertanenprinzip. Es führt in der Praxis viel wirksamer zu einem passiven Gehorsam als all die Lehren, die jemals von einer geschmeidigen Anpassung der Theologie an die Macht hervorgebracht wurden. Jede Idee gewaltsamen Widerstands, ja selbst jede Vorstellung von politischem Widerspruch erstickt sie im Keim. Sie verleitet Menschen zu einer kläglichen Unterordnung, nicht aufgrund einer Meinung, die sich durch Argumente ins Wanken bringen oder durch Leidenschaften verändern ließe, sondern durch die starke Verbindung des öffentlichen Interesses mit dem privaten. Denn wenn alle in der Öffentlichkeit agierenden Männer gleichermaßen eigensüchtig, verderbt und bestechlich sind, welcher Grund lässt sich dann überhaupt für den Wunsch nach irgendeiner Veränderung anführen, die, abgesehen davon, dass sie wie alle Veränderungen unweigerlich von Übeln begleitet ist, überdies keinen denkbaren Vorteil bringen kann? Die im Staate tätigen Männer sind stets ein getreues Abbild der Masse der Menschen. Wenn sie alle verkommen sind, dann ist auch das Gemeinwesen nicht unverdorben. Wir können uns, solange wir wollen, die Zeit damit vertreiben, über die Tugend des moderaten oder bescheidenen Lebens zu sprechen; wir können unser Vertrauen mit anderen Worten in die Tugend derjenigen setzen, die niemals in Versuchung gebracht wurden. Wenn die Personen, die stetig aus dieser Sphäre hervorgehen, aber nicht besser sind als diejenigen, die von Geburt aus über ihr stehen, welche || 27 Titius (oder Titus) und Maevius sind klassische juristische Bezeichnungen, die als Platzhalternamen für beliebige reale Personen fungieren.

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Hoffnung bleibt dann noch für den Rest des Körpers, der die dauerhafte Nachfolge im Staat gewährleisten soll? Alle, die jemals über Fragen des Regierens geschrieben haben, sind sich darin einig, dass die Freiheit in einem zur Gänze verdorbenen Volk nicht lange Bestand haben kann. Und wie sollte es denn auch möglich sein, wenn jene, die die Gesetze machen, schützen, durchsetzen oder befolgen sollen, durch eine unausgesprochene Verschwörung der Sitten dem Geist aller großzügigen und edlen Institutionen schlechthin abgeneigt sind? Ich bin mir bewusst, dass unser Zeitalter nicht dem entspricht, was wir uns alle wünschen. Doch sicher besteht die einzige Möglichkeit, seinen allzu raschen Verfall aufzuhalten, darin, eifrig an dem mitzuwirken, was das Beste an unserer Zeit sein mag, und eine genauere Richtschnur zur Beurteilung dieses Besten zu haben als nur die vorübergehende und ungewisse Gunst eines Hofes. Wenn wir einen Bund solcher Männer einmal finden und uns selbst dazu bringen können, ihn zu stärken, dann muss sich jeder, der zufälligerweise eine Abneigung gegen die (womöglich nur dem natürlichen Wirken menschlicher Leidenschaften geschuldete) schlechte Ausübung von Macht entwickelt, einer solchen Gesellschaft anschließen; und er wird ihr nicht auf Dauer verbunden sein können, ohne sich ihr in gewissem Maße anzupassen. Die Tugend wird sich genau wie das Laster durch den Kontakt übertragen; und der öffentliche Vorrat an ehrlichen, mannhaften Grundsätzen wird von Tag zu Tag anwachsen. Wir sollten die Motive nicht allzu kleinlich hinterfragen, solange das Handeln untadelig ist. Es ist genug (und einem ehrenwerten Mann vielleicht zu viel), die Schande verurteilter Schuld und erklärter Apostasie zu brandmarken. Dies, Gentlemen, war von Anfang an die Regel meines Handelns; und ich beabsichtige, sie solange beizubehalten, wie auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass ein solches Gebilde, wie ich es beschrieben habe, zusammengehalten werden kann; denn ich würde es für das scheußlichste aller Vergehen nicht nur an der jetzigen Generation, sondern auch an allen zukünftigen Generationen halten, wenn ich etwas täte, was auch nur den geringsten Bruch in diesem großen Gebäude der freien Grundsätze verursachte. Diejenigen, die vielleicht die gleichen Absichten verfolgen, aber durch kleine politische Animositäten getrennt sind, werden, so hoffe ich, endlich verstehen, wie wenig es einem vernünftigen Zweck zuträglich ist, seinen guten Ruf zu beschädigen. Ich meinerseits, Gentlemen, bin durch große Erfahrung, gehöriges Nachdenken und das Vergleichen vieler unterschiedlicher Dinge zu der folgenden festen Überzeugung gelangt: Die letzten Hoffnungen darauf, den Geist der englischen Verfassung zu retten beziehungsweise die verstreuten Mitglieder der englischen Rasse auf dem Boden eines gemeinsamen Plans der Ruhe und Freiheit wiederzuvereinigen, hängen zur Gänze von ihrer festen und dauerhaften Verbindung ab. Zumal müssen sie jener Verzweiflung Herr werden, welche diejenigen so gerne befällt, die wegen eines ungestümen Charakters und eines Gemischs ehrgeiziger Ansichten keinen langen, schmerzhaften und erfolglosen Kampf ertragen. Es hat, Gentlemen, niemals eine Zeit gegeben, in der die Standhaftigkeit einiger Männer so hart auf die Probe gestellt wurde. Für gebildete Menschen ist es nicht allzu

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schwer, ihre Interessen aufzugeben; die Trennung von Ruhm und Tugend aber ist eine harte Scheidung. Es besteht die Gefahr, dass man die Freiheit den Engländern verleidet. Im Ringen um eine imaginäre Macht übernehmen wir allmählich den Geist der Herrschaft und verlieren den Geschmack an wahrhafter Gleichheit. Die Prinzipien unserer Vorväter werden uns zweifelhaft, weil wir sie an der Wurzel des gegenwärtigen Widerstands unserer Kinder wiedererkennen. Die Fehler, die aus der Fülle an Freiheit erwachsen, erscheinen uns viel empörender als die niederträchtigen Laster, die der um sich greifenden Knechtschaft entspringen. Der geringste Widerstand gegen die Macht erscheint uns daher unverzeihlicher als die größten Missbräuche der Autorität. Jede Furcht vor einer stehenden Streitmacht wird als abergläubischer Schrecken betrachtet. Jede Scham davor, in einem Konflikt zwischen Bürgern Fremde und Wilde anzuwerben, geht verloren. Wir werden gleichgültig gegenüber den Folgen, die der Plan, das halbe Empire mit dem Schwert des Söldners zu regieren, unweigerlich für uns selbst mit sich bringt. Man wiegt uns in dem Glauben, dass der Wunsch, unsere Landsleute zu beherrschen, Vaterlandsliebe sei, dass jene, die den Bürgerkrieg hassen, den Aufstand begünstigen, und dass die liebenswerten und versöhnlichen Tugenden der Milde, der Mäßigung und der Zartheit gegenüber den Vorrechten derjenigen, die von diesem Königreich abhängen, eine Art von Verrat am Staate seien. Wir können unmöglich lange in einer Situation verharren, die derartige Vorstellungen und Gesinnungen hervorbringt, ohne dass sich unser Nationalcharakter grundlegend verändert. Jene treuherzigen und empfindsamen Seelen, die gegen alle anderen Dinge so gut gerüstet sind und so schlecht gegen alles, was ihnen in der Form von Schande begegnet, werden sich, wenn sie diese Grundsätze, die sie als sichere Mittel der Ehre betrachteten, in Misskredit gebracht sehen, entmutigt und abgestoßen zurückziehen. Diejenigen mit einer robusteren Konstitution, die wagemutigen, fähigen, ehrgeizigen Männer, die die Macht nie hofieren, ohne sich dabei auf das Volk zu berufen, und die Stimme vergänglicher Meinung an die Stelle wahren Ruhms setzen, werden sich der allgemeinen Stimmung anschließen; und jene verständigeren Geister, die das gemeine Vorurteil korrigieren sollten, werden seine Fehler bestätigen und verschlimmern. Viele Dinge haben schon lange auf einen allmählichen Wandel unserer Grundsätze hingewirkt; doch dieser amerikanische Krieg hat in wenigen Jahren mehr angerichtet, als all die anderen Ursachen in einem Jahrhundert hätten ausrichten können. Nicht allein um seiner selbst willen, sondern wegen seiner Begleitumstände halte ich deshalb seine Fortsetzung oder seine Beendigung in jeder anderen Form als einer ehrenhaften und freiheitlichen Beilegung für die größten Übel, die uns widerfahren können. Aus diesem Grund habe ich Sie mit diesem langen Brief behelligt. Aus diesem Grund ersuche ich Sie wieder und wieder, sich die Grundsätze, die bis heute so viele von Ihnen bewogen haben, den Krieg, seine Ursache und seine Folgen zu verabscheuen, weder ausreden zu lassen, noch sich um ihretwillen zu schämen, noch sich ihrer wegen zu ängstigen. Lassen Sie uns nicht zu den ersten gehören, die sich von den Grundsätzen unserer Vorväter lossagen.

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Ich habe die Ehre, Gentlemen, Ihr ergebenster und treuster Diener, Edmund Burke, Beaconsfield, 3. April 1777 P. S. Sie können diesen Brief auf jede Art und Weise, die Ihnen angemessen scheint, meinen Wählern zur Kenntnis geben.

3.3 Ein Brief an einen Peer aus Irland1 von Edmund Burke

Mylord! Ich bin Eurer Lordschaft wegen Ihrer Übermittlung der Hauptpunkte von Mr. Gardiners Gesetzentwurf verbunden.2 Ich erhielt ihn in einer früheren Fassung von Mr. Braughall3 und stehe immer noch in der Schuld dieses Gentleman, da ich mich für den Gefallen, den er mir erwies, nicht entsprechend erkenntlich zeigte. Dringende Geschäfte, bei denen meine Ansichten von Gewicht waren, nahmen mich seit dem Erhalt seines Briefes unaufhörlich in Anspruch.4 Diesen ersten Morgen, den ich mein eigen nennen darf, widme ich mit großer Freude dem Thema, zu dem Eure Lordschaft mir die Ehre erwiesen hat, meine Meinung hören zu wollen. Ich habe die Hauptpunkte des Gesetzentwurfs mitsamt den Zusatzartikeln gelesen. Eure Lordschaft ist mit den Menschen und ihren Angelegenheiten zu gut vertraut, um zu glauben, dass man nach Durchsicht eines Blattes Papier irgendein zutreffendes Urteil über den Wert einer wichtigen politischen Maßnahme fällen könnte. Was die Zustände in dem Land betrifft, auf welches das beabsichtigte Gesetz angewendet werden soll, tappe ich derzeit ziemlich im Dunkeln. Es fällt mir nicht leicht festzustellen, ob es klug war (um der Auslöschung des düsteren Wortlauts von Gesetzen willen, die doch, so bedrohlich sich dieser auch ausnahm, von Tag zu Tag mehr außer Gebrauch kamen), feierlich die Grundsätze eines Gesetzbuches zu bestätigen und seine Vorschriften neuerlich in Kraft zu setzen, durch die Sie vollständig von den Privilegien des Gemeinwesens ausgeschlossen werden, und zwar von den höchsten bis zu den geringsten, von den finanziell bedeutendsten der bürgerlichen Berufe, von der Armee und selbst von jeder Bildung, wo Bildung überhaupt zu erwerben ist.5 Ob dieses gleichermaßen auf Verachtung und Eifersucht gegründete Programm der Nachsicht geeignet ist, nach und nach etwas Besseres und Freiheitlicheres hervorzubringen, kann ich nicht sagen, weil ich mir über den gegenwärtigen Zustand || 1 Es handelt sich um eine leicht gekürzte Fassung eines Briefes von Burke an Lord Kenmare (Thomas Browne, 4. Viscount Kenmare, 1726-1795), einen der wenigen katholischen Großgrundbesitzer Irlands und einflussreichen Fürsprecher der Katholiken. Der Brief, auf der die hier abgedruckte Fassung beruht, wurde 1783 erstmals veröffentlicht. 2 Luke Gardiner, ein Abgeordneter des irischen Parlamentes, der bereits den Catholic Relief Act von 1778 dort eingebracht hatte, legte 1782 einen zweiten, weitergehenden Gesetzentwurf vor. Dieser ist jedoch verschollen; vgl. Corr. IV: 401. 3 Thomas Braughall (1729-1803) war einer der führenden Aktivisten der Emanzipationsbewegung der irischen Katholiken. 4 Burke war während dieser Zeit vornehmlich mit der oppositionellen Amerikapolitik der Rockingham-Whigs beschäftigt. 5 Der Entwurf des Gesetzes, der Burke geschickt wurde, bekräftigte zusammen mit der Aufhebung einiger Gesetze viele andere Bestimmungen der gegen die katholische Bevölkerung gerichteten Penal Laws; vgl. hierzu ausführlicher oben S. 157 ff. https://doi.org/10.1515/9783050087771-004

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des Landes nicht im Klaren bin. Wenn dies der Fall sein sollte, dann hätten Sie recht damit, es so zu akzeptieren, wie es ist. Wenn dies aber eines der Experimente sein sollte, die schon so manches Mal angestellt wurden, bevor die Stimmung der Nation für eine wirkliche Reform reif war, dann könnte das Programm meines Erachtens nachteilige Auswirkungen haben, weil es die strafrechtliche Materie in eine systematischere Ordnung bringt und dadurch jeglicher Entlastung, die wirklich gehaltvoll wäre, auf Dauer einen Riegel vorschiebt. Sämtliche Stärken und Schwächen der Maßnahme hängen von den Plänen und Einstellungen derjenigen ab, die dieses Gesetz formuliert haben, und damit zugleich von der allgemeinen Stimmung der Protestanten in Irland und ihrer Neigung, mit der Zeit einen gewissen Teil jener Gleichheit zuzulassen, ohne die man einander niemals Mitbürger sein kann. Über all dies bin ich gänzlich im Ungewissen. Mein Austausch mit Männern des öffentlichen Lebens in Irland kam schon vor einiger Zeit vollkommen zum Erliegen. Zum ersten Gesetzentwurf zur Entlastung der Katholiken Irlands wurde ich, ohne mich selbst darum bemüht zu haben, sowohl auf Ihrer Seite des Wassers als auch auf der hiesigen um Rat gefragt.6 Im jetzigen Fall kam mir noch von keinem Amtsinhaber irgendetwas zu Ohren, und ich kenne die Absichten der britischen Regierung ebenso wenig wie die Stimmung im irischen Parlament. Ich habe keinerlei Widerstand seitens der wichtigsten Minderheitenvertreter im House of Commons vernommen, und auch im House of Lords ist ein solcher nicht zu befürchten. Die gesamte Schwierigkeit scheint bei den wichtigsten Regierungsmitgliedern zu liegen, mit deren Rückendeckung dieser Gesetzentwurf eingebracht werden soll. Der heftige Widerstand und der beherzte Rückhalt, die aus ein und derselben Ecke kommen, erscheinen mir etwas rätselhaft und hindern mich daran, in Anbetracht des tatsächlichen Zustands des Landes und der allgemeinen Ausrichtung der Regierung, ohne die man nichts sagen kann, was sich nicht möglicherweise als überaus falsch erweist, ein klares Urteil über die Vorzüge der vorgeschlagenen Maßnahme zu fällen. Betrachten wir den Gesetzentwurf ganz abstrakt, so erkennen wir darin nicht mehr und nicht weniger als einen neuerlichen Akt der universellen, absoluten, unbedingten und ausnahmslosen Ausschließung. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass ein Gesetzentwurf, der eine solche Menge von Ausschlüssen von der Rechtsfähigkeit verhängt, die unmittelbare Folge einer Eroberung durch einen erbitterten Feind wäre, der noch unter dem frischen Eindruck der jüngsten Feindseligkeiten steht. Niemand könnte beim Lesen dieses Gesetzentwurfs auf den Gedanken kommen, dass es sich hierbei um einen Akt der Amnestie und Nachsicht handelt, der einer Schilderung des Wohlverhaltens derer folgte, auf die er abzielt – jene Schilderung war dem Gesetzentwurf nämlich bei seiner ersten Anhörung vorangestellt, wurde aber anschließend wieder fallengelassen, vermutlich, || 6 Burke verweist auf den Catholic Relief Act von 1778. Dieser sah die Aufhebung der Beschränkung des Grundbesitzes, des Erbrechts und der Pachtzeiten vor. Burke bereitete dieses Reformgesetz im Hintergrund mit vor, sprach dazu jedoch nicht im Parlament.

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weil sie so wenig mit dem Hauptteil der Vorlage zusammenstimmte. Dies sage ich aus dem Gedächtnis. Er führt jedoch immer noch den Schwur7 an sowie die Tatsache, dass die Katholiken als gute und loyale Untertanen seiner Majestät, seiner Krone und seiner Regierung zu betrachten seien. Daran schließt sich ein universeller Ausschluss dieser guten und loyalen Untertanen von jedem, selbst dem unbedeutendsten, auf Vertrauen basierenden und gewinnbringenden Amt an; von jedem Wahlrecht; von jeglichem Vorrecht in einer selbstverwalteten Stadt; ja selbst davon, zu einem freien Mann einer solchen Gemeinde erklärt zu werden; vom Dienst in Großen Geschworenengerichten; vom Stimmrecht in einer Kirchengemeinde; vom Waffenbesitz; von der Stellung eines Staatsanwalts oder Anwalts bei oberen oder niederen Gerichten etc. etc. etc. Das hat sicherlich viel eher den Charakter einer Proskriptionsliste als den eines Gnadenaktes. Wie haben wir uns die bis dahin geltenden Gesetze für diese guten Untertanen vorzustellen, wenn dies hier eine Erleichterung ihrer Situation darstellt? Ich weiß sehr wohl, dass gegenwärtig recht scheinheilig über den Unterschied zwischen einem – mitunter sogar rigorosen – Ausschluss von Berufen und einem Ausschluss von den natürlichen Vorteilen, die ein Mann seinem eigenen Fleiß verdankt, geredet wird. Ich gebe zu, dass der Unterschied mit Blick auf die Gerechtigkeit unter bestimmten Umständen gravierend ist und dass es Überlegungen gibt, die es einer klugen Regierung ratsam erscheinen lassen, die führenden Positionen in allen Bereichen der zivilen und militärischen Verwaltung in vertrauenswürdigster Hand zu behalten; doch ein totaler Ausschluss vom Gemeinwesen ist etwas ganz anderes. Wenn sich eine Regierung (so wie es Regierungen vormals taten) aus eigenen Domänen finanziert und nur wenige und unbedeutende Staatseinnahmen von den Untertanen bezieht, dann unterliegen die wenigen Amtsträger, die es in solchen Staatsgebilden gibt, natürlich der Verfügungsgewalt dieser Regierung, die die Löhne aus ihren eigenen Schatullen bezahlt: Eine ausschließliche Bevorzugung würde dort kaum den Namen einer Proskription anderer verdienen. Ein Mann behielt damals fast die gesamten Erzeugnisse seines Fleißes in seiner eigenen Tasche, um seine Familie zu ernähren. Doch die Zeiten haben sich geändert, und nun stammt das gesamte Vermögen einer Regierung aus privaten Abgaben. Wenn ein sehr großer Anteil der Arbeit des Einzelnen an den Staat geht und den Einzelnen wiederum durch die Vergabe von Ämtern vom Staat zurückgegeben wird, und wenn somit in diesem umständlichen Fortgang von den privaten zu den öffentlichen und von den öffentlichen wieder zurück zu den privaten Geldmitteln die Familien, von denen man die Staatseinnahmen abschöpft, entschädigt werden, dann wird ein faires Gleichgewicht zwischen der Regierung und dem Untertanen geschaffen. Wenn man aber eine große Gruppe jener Menschen, die einen Beitrag zu dieser staatlichen Lotterie leisten, von allen Gewinnen ausschließt, || 7 Der Gesetzentwurf sah vor, dass den Katholiken nur dann die bürgerlichen Erleichterungen gewährt würden, wenn sie den in den Penal Laws vorgesehenen Loyalitätseid gegenüber dem protestantischen Königshaus leisteten.

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dann kann die Aussetzung des Kreislaufs für sie eine überaus grausame Härte bedeuten und im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass sie doppelt und dreifach besteuert werden; und genau so wird es im Innersten von allen – den hochgestellten wie den schlichten – Familien jener Hunderttausende empfunden werden, denen man die Möglichkeit des Wiedererlangens der Früchte ihres eigenen Fleißes verweigert. Dies zumindest haben jene im Sinn, die die öffentlichen Einnahmen nur als Beute betrachten und natürlich wünschen, möglichst wenige an ihrer Verteilung beteiligt zu sehen. Sollte ein Staat unseligerweise glauben, dass er ohne eine so barbarische Proskription nicht fortbestehen könnte, dann sollten die dergestalt proskribierten Personen durch den Erlass eines großen Teils ihrer Steuern, durch eine Befreiung von allen öffentlichen Bürden und durch eine Verschonung vor jedem erzwungenen Militär- oder Marinedienst entschädigt werden. Dem gesunden Menschenverstand und dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl zufolge ist dies das Mindeste, was zu tun ist, um ein Volk in gewissem Umfang für seine Versklavung zu entschädigen. Wie viele Familien sind nicht überlebensfähig, wenn man ihnen die kleinen Ämter der Steuereintreibung und kleinen Armeekommissionen verweigert! Sie ihnen in ihrem eigenen Land zu verweigern und aus dem Glück, einige davon auswärts zu übernehmen, ein Schwerverbrechen oder Hochverrat zu machen, zeugt von einer Grausamkeit, wie ich sie bis vor sehr kurzem in unserem Zeitalter nicht mehr für möglich gehalten hätte. Eine Gleichartigkeit der Religion bildete für einen Menschen früher eine Art von Heimat in der einen oder anderen Weltgegend. Ein Glaubensflüchtling war ein geschütztes Wesen. Die Aufnahme fällt heutzutage jedoch kühl aus; und da das Asyl im Ausland zerstört wurde, finden sich die Nöte zuhause verdoppelt. Diese Nöte sind umso schwerer zu ertragen, als den Katholiken die akademischen Berufe versperrt sind. Die Kirche ist es natürlich erst recht. Über dieses Thema lässt sich viel sagen, im Hinblick auf sie und auf die protestantischen Dissenter. Doch das ist ein Kapitel für sich. Ich stehe dieser Kirche gewiss wohlmeinend gegenüber und zähle ihre Geistlichen zu den besten Bürgern Ihres Landes. Wie die Dinge aber liegen, bleibt ein bedeutsamer Lebensbereich für 1,7 Millionen der Bewohner Irlands verbotenes Terrain. Warum werden sie vom Rechtswesen ausgeschlossen? Wenden sie für ihre Rechtstreitigkeiten denn kein Geld auf? Warum dürfen sie sich nicht schadlos halten, indem sich einige von ihnen für die Verluste entschädigen, die andere erleiden? Warum dürfen sie keine Vertrauenspersonen haben, die sie in der Ausübung ihrer geschäftlichen Angelegenheiten vertreten, wenn sie dies wünschen? Der Ausschluss vom Rechtswesen, von den Großen Geschworenengerichten, von den Ämtern des Sheriffs und Untersheriffs sowie vom Status des freien Bürgers in jeder beliebigen Gemeinde bringt möglicherweise fürchterliches Elend über sie, da es sie von allem ausschließen kann, was im Rahmen eines Geschworenengerichtsverfahrens günstig, und sie allem aussetzen kann, was in diesem Rahmen nachteilig für sie ist. Dies konnte ich selbst deutlich beobachten, da ich zwischen 1760 und 1767 dreimal in Irland war, wo ich ausreichend Zugang zu Informationen

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über die unmenschlichen Vorgehensweisen hatte, die zu dieser Zeit infolge einer angeblichen Verschwörung in den Reihen der Katholiken gegen die Regierung des Königs gang und gäbe waren und zu denen, abgesehen von den zahllosen, in keinem zivilisierten Zeitalter gekannten Ausschreitungen und Unterdrückungen, viele grausame Morde zählten. Ich könnte, wenn dies noch nötig wäre, unter diesem Hauptpunkt des Ausschlusses von Ämtern und Berufen vom bereits eingetretenen Unheil auf das Unheil schließen, das noch geschehen mag. Der Punkt über den Ausschluss vom Stimmrecht bei Parlamentswahlen steht mit dem Vorhergehenden in einem engen Zusammenhang. Wenn Sie einen Blick in das Statute Book8 werfen, werden Sie sehen, dass nicht einmal unter Königin Annes grausamen Parlamentsgesetzen jemals ein Katholik wegen seiner Religion an der Stimmabgabe gehindert wurde.9 Für dieses Privileg waren einzig der Treue- und der Abschwörungseid erforderlich – die sich beide auf politische Belange bezogen. Seit damals hat das Parlament einen weiteren Schwur derselben Art hinzugefügt; und dennoch entzieht ein House of Commons, das die Sicherheiten der Regierung im selben Maße vergrößert, wie deren Gefährdung erklärtermaßen abnimmt, und das sowohl Vertrauen als auch Nachsicht bekundet, in Wirklichkeit das noch verbliebene Vorrecht durch einen Gesetzesakt voller Missgunst und offener Verfolgung. Jemanden seines Stimmrechts zu berauben bedeutet, ihn des Schutzschilds zu berauben, den der Bürger nicht nur gegen die Unterdrückung durch die Staatsmacht besitzt, sondern gegen diese schlimmste aller Unterdrückungen, nämlich die Verfolgung privater Verbindungen und privater Vorlieben. Niemand, der sich um parlamentarischen Einfluss bemüht, ist verpflichtet, ihnen auch nur die mindeste Aufmerksamkeit zu widmen, weder in den Städten noch in den Grafschaften. Im Gegenteil, sollten sie bei irgendeinem bigotten oder boshaften Menschen, unter dem sie leben, in Ungnade fallen, werden jene, die um das öffentliche Wohlwollen buhlen, ein Interesse daran entwickeln, die zahllosen Mittel, welche der Obrigkeit und dem Einfluss immer zu Gebote stehen, zu ihrer Unterdrückung zu nutzen. Die Vorgänge in einer gewissen Grafschaft der Provinz Munster zu der unseligen Zeit, von der ich sprach, legen ein beredtes Zeugnis von der Grausamkeit ab, Männer wegen ihrer spekulativen Anschauungen dieses Schutzschilds zu berauben.10 Die Protestanten Irlands haben natürlich ein lebhaftes Gefühl für das Ungemach, von Gesetzen gebunden zu sein, über deren Erlass sie weder direkt noch indirekt abstimmen. In diesen Dingen sind die Abgrenzungen haarfein, sie lassen sich nur schwer in der Theorie ziehen, und vielleicht wurde die Sache zu weit getrieben. Wie die irischen Protestanten aber || 8 Terminus für die Sammlung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze. 9 Anne Stuart (1665-1714), 1702-1714 Königin von Irland und England sowie ab 1707 von Großbritannien. Unter ihrer Regentschaft wurde 1703 der Act to prevent the further Growth of Popery verabschiedet, der einen Oath of Abjuration von den Katholiken einforderte. Dieser musste insbesondere bei Parlamentswahlen von irischen Katholiken geleistet werden. 10 Burke bezieht sich hier auf Bauernaufstände in der irischen Provinz Munster zu Anfang der 1760er Jahre.

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vermeiden können, dass sie die Grundsätze, die sie in ihren Auseinandersetzungen mit anderen in Anschlag bringen, auch in den Auseinandersetzungen mit ihren Mitbürgern anwenden, weiß ich nicht. Gewiss, der Wortlaut dieses Parlamentsgesetzes schafft keine Benachteiligung; er setzt sie aber eindeutig und offensichtlich voraus. Es gibt nur wenige katholische Grundbesitzer, die das Vorrecht nutzen könnten, wenn man es ihnen denn überhaupt einräumte. Die Art und Weise aber, mit der eben dieses Recht bei Grundbesitzern im Allgemeinen verteidigt wird, stützt sich nicht auf die Idee, dass Grundbesitzer wirklich und wahrhaftig das Volk repräsentieren, sondern darauf, dass, da alle die Möglichkeit haben, Eigentum zu erwerben, all jene, die durch ihren Fleiß und ihre Ernsthaftigkeit dieses Vorrecht verdienen, die Mittel haben, um das Stimmrecht zu erhalten. Das gleiche gilt für Gemeinden. Die Gesetze gegen eine Ausbildung im Ausland sind mit Abstand der schlimmste Teil des alten Gesetzbuches. Abgesehen von Ihrem Laienstand, müssen Sie auch noch für die Nachfolge von etwa 4.000 Geistlichen sorgen. Da diese keine Aussicht auf ein lukratives Auskommen haben, rekrutieren sie sich weithin aus den niederen Schichten des Volkes. Zuhause besteht für sie keinerlei Möglichkeit, eine geistliche oder überhaupt eine Ausbildung zu bekommen. Als ich vor etwa sieben Jahren in Paris war, da schaute ich mir alles an und lebte, soweit es meine Zeit zuließ, mit ganz unterschiedlichen Leuten. Dort sah ich das irische Collège des Lombards, das mir eine sehr gute Bildungsstätte zu sein schien, unter ausgezeichneten Geboten und Vorschriften stehend und unter der Führung eines äußerst vernünftigen und gebildeten Mannes (des vor einiger Zeit verstorbenen Dr. Kelly).11 Dieses Collège verfügte über feste jährliche Einnahmen von mehr als 1.000 Pfund im Jahr, von dem der größte Teil aus den Vermächtnissen und Zuwendungen ehemaliger Absolventen des Collège stammten, die in Frankreich in hohe Ämter gekommen waren und nun von der Vergütung dieser Ämter dankbar einen Teil zurückzahlten. An einen erinnere ich mich besonders, der jährlich eine Summe von 10.000 Livres spendete, wie auf dem Stifterdenkmal in ihrer Kapelle zu lesen ist. Die Armen Irlands haben es sich angewöhnt, so viele Kenntnisse der lateinischen Sprache zu erwerben wie unter den Bedingungen der allgemeinen Entmutigung und der zeitweiligen Verfolgungen durch die Obrigkeit möglich; und nachdem sie zuhause das Sakrament der Weihe empfangen hatten, wurden sie ins Ausland geschickt, um eine geistliche Ausbildung zu erhalten. Indem sie kleine Kaplanstellen annahmen und ab und zu gegen geringe Zuwendungen religiöse Ämter versahen, verdienten sie sich ihren Unterhalt, bis sie in der Lage waren, ihre Ausbildung abzuschließen. Trotz solcher Schwierigkeiten und Entmutigungen eigneten sich viele von ihnen eine beträchtliche Fertigkeit an, durch die sie sich im Ausland auszeichneten und dort Anerkennung fanden. Später jedoch, versunken in bitterste Armut, von den höheren Rängen der Protestanten verachtet und misshandelt, selbst von den wenigen || 11 Laurence Kelly (1720-1777), Rektor des Irish College in Paris von 1769 bis 1777.

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vermögenden Personen ihres eigenen Glaubens kaum höher geschätzt oder besser behandelt und die Angewohnheiten und Denkweisen der Armen und Ungebildeten übernehmend, unter denen sie zu leben gezwungen waren, behielten diese Personen binnen weniger Jahre wenige oder gar keine Spuren der Talente und Errungenschaften zurück, die sie in den frühen Phasen ihres Lebens ausgezeichnet hatten. Können wir ihnen gerechterweise den Besuch von Bildungsstätten verwehren, die zum größeren Teil auf den Entbehrungen der Armut und des Exils basieren, ohne ihnen etwas Gleichwertiges in der Heimat zur Verfügung zu stellen? Während diese Behinderung der Bildung im In- und Ausland Teil eines schrecklichen und unbarmherzigen Systems der Knechtschaft war, passten die Gliedmaßen doch gut mit dem Körper zusammen. Um Menschen trotz eines Entzugs aller Rechte der menschlichen Natur gefügig zu machen, war alles, was ihnen zu einem Wissen oder Gefühl hinsichtlich dieser Rechte verhelfen konnte, vernünftigerweise verboten. Um die Menschheit auf Beleidigungen einzustimmen, war es angemessen, sie herabzusetzen. Wenn wir aber erklären, Menschen die Fähigkeit zum Eigentumserwerb zurückgeben zu wollen, dann ist es ebenso unvernünftig wie ungerecht, ihnen die Möglichkeiten zur Verbesserung ihres Geistes und ihrer Aussichten zu verweigern. Immer schon war ich der Ansicht, dass das Verbot der Mittel zur Verbesserung unseres vernünftigen Wesens die schlimmste Art der Tyrannei ist, die menschliche Anmaßung und Perversität je zu errichten wagten. Dies gilt für alle Menschen, denen Bildung vorenthalten werden kann, und zwar in jeder Lebenslage. Eure Lordschaft erwähnt einen Vorschlag, der von meinem Freund, dem Provosten stammt, von dessen Güte und Hochherzigkeit ich vollkommen überzeugt bin – nämlich den Vorschlag, an der Universität einige Stipendien für die Ausbildung römisch-katholischer Geistlicher (wie ich annehme) einzurichten.12 Er hat es sicher gut gemeint; doch da der Vorschlag von einem solchen Mann kommt, ist er vielmehr ein Paradebeispiel für die permanente Gefahr, dass man einen beliebigen Kreis von Personen vollständiger Missachtung preisgibt. Die ihnen zugedachten Wohltätigkeiten werden nicht als die neuerlichen Beleidigungen wahrgenommen, die sie sind; und da man die wahre Natur ihrer Wünsche und Bedürfnisse nicht kennt, verschafft man ihnen Abhilfen, die gar nichts mit dem Wesen ihrer Klage zu tun haben. Es ist, als würde man einen kranken Hindu mit Rinderbrühe füttern und seine Wunden mit Branntwein kühlen. Wenn ihnen die anderen Teile der Universität offen stünden, ob nun mit Stipendium oder ohne, dann wäre das Angebot eines Stipendiums ein wohlbemessener Teil einer allgemeinen Gunst. Wenn aber alles Freiheitliche vorenthalten und nur das Unterwürfige erlaubt wird, dann kann man sich leicht vorstellen, auf welchen wackligen Beinen sie an einem solchen Ort stehen müssen.

|| 12 Gemeint ist John Hely-Hutchinson (1724-1794), der damalige Vorsteher des Trinity College in Dublin. Er hatte vorgeschlagen, eine geringe Anzahl von katholischen Priestern am Trinity College auszubilden.

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Mr. Hutchinson muss den Respekt und die Ehrerbietung wohl kennen, die ich ihm entgegenbringe; und er kann nicht denken, dass mein Widerspruch in dieser besonderen Frage von einer Geringschätzung seiner Meinung herrührt: Es zeigt nur, dass ich der Auffassung bin, dass er in Irland gelebt haben muss. Dort irgendwie Achtung für den Charakter und die Person eines papistischen Priesters aufzubringen – oh, das ist wirklich keine Kleinigkeit! Doch bis wir nicht endlich das achten, was anderen in einem guten, in einem achtenswerten Licht erscheint, mangelt es uns an der charakterlichen Disposition, die uns berechtigt, Gesetze und Vorschriften für sie zu machen: Es nimmt uns sogar die Fähigkeit zu wirksamer und vernünftiger Wohltätigkeit gegen sie. Wenn wir für die Ausbildung einer beliebigen Gruppe von Menschen Vorsorge treffen wollen, dann sollten wir uns ernsthaft vor Augen führen, welche besonderen Aufgaben sie im Leben erfüllen sollen. Ein römisch-katholischer Geistlicher ist der Diener einer überaus rituellen Religion und von Berufs wegen vielen Einschränkungen unterworfen. Er führt ein Leben nach strengen Regeln; und seine Pflichten erfordern eine große Selbstdisziplin und das größtmögliche Vertrauen zu anderen. Allein die Pflicht der Beichte reicht hin, um die Notwendigkeit einer angemessenen Ausbildung im klarsten Lichte erscheinen zu lassen. Die theologischen Ansichten und speziellen Riten einer Religion lassen sich nicht auf angemessene Art und Weise an Universitäten lehren, die für die Zwecke und nach den Grundsätzen einer anderen Religion errichtet wurden, welche ersteren in vielerlei Hinsicht diametral widersprechen. Wenn ein römisch-katholischer Geistlicher, der auf das Zölibat und die Abnahme der Beichte vorbereitet wird, nicht ausschließlich in einem Seminar erzogen wird, wo diese Dinge als heilig geachtet, eingeschärft und durchgesetzt und nicht zum Gegenstand von Hohn und Spott gemacht werden, dann wird er auf ersteres schlecht vorbereitet sein, und letztere wird in seinen Händen fürwahr zu einem schrecklichen Instrument. Zwischen dem ganzen Rahmen und Gefüge der griechischen und lateinischen Kirchen besteht eine große Ähnlichkeit. Da die Weltgeistlichen der ersteren verheiratet sind, ohne große Beschränkungen leben und keine besondere, ihrem Amt gemäße Ausbildung erfahren, sind sie einer solchen allgemeinen Verachtung anheimgefallen, dass man ihnen niemals erlaubt, nach den hohen Rängen ihrer eigenen Kirche zu streben. Es gilt als nicht respektvoll, sie mit ihrem wahren und althergebrachten Namen Papas zu nennen; wer sie höflich ansprechen möchte, pflegt sie vielmehr Hieromonachoi zu nennen. Infolge der Respektlosigkeit, die in einer solchen Kirche, wie ich doch behaupten möchte, die unweigerliche Konsequenz eines weltlichen Lebens sein muss, ist es fast in diesem ganzen großen Zweig der christlichen Kirche zu einem sehr starken Verfall der ehrbaren christlichen Sitten gekommen. Dies war vor dem Heiratsverbot auch in der lateinischen Kirche der Fall. Selbst dieses Verbot rief vor dem Konzil von Trient die größte Unordnung hervor; doch brachte das Konzil zusammen mit dem Umstand, dass dem guten Beispiel der reformierten Kirchen nachgeeifert wurde, wo immer man einander gegenseitig im Blick

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hatte, jene glückliche Korrektur, die wir im In- und Ausland in der lateinischen Glaubensgemeinschaft sehen.13 Das Konzil von Trient führte klugerweise die Disziplin der Seminare ein, der zufolge die Priester für eine kirchliche Institution nicht einmal nur der strengen Disziplin ihrer Universitäten anvertraut werden, sondern oftmals, wenn nicht gar zum größten Teil, verpflichtet sind, nachdem sie diese durchlaufen haben, in besonderen Methoden unterwiesen zu werden, die auf ihr spezielles rituelles Amt zugeschnitten sind. Es ist in großem Maße diesem Verfahren und ähnlichen, in der Ausbildung im Ausland gebräuchlichen Methoden zu verdanken, dass die römisch-katholische Geistlichkeit Irlands – erbärmlich versorgt, unter niederem, schlecht reglementierten Volk lebend und ohne die Zucht einer hinreichenden Macht, um anständige Sitten zu gewährleisten – davor bewahrt wurde, zu einer unerträglichen Belastung für dieses Land zu werden, um ihm vielmehr, so wie ich es im Allgemeinen wahrnehme, von außerordentlich großem Dienst zu sein. Die Pfarrer der protestantischen Kirchen benötigen eine andere, freiere und für den normalen geselligen Umgang geeignetere Form der Ausbildung. Da diese Religion wenig durch äußerliche Zeremonien und außerordentliche Riten oder durch gesonderte Lebensgewohnheiten Einfluss auf den Geist der Menschen nimmt, gleicht der Klerus diesen Mangel dadurch aus, dass er seinen Geist mit allerlei dekorativem Wissen veredelt. Die großzügige Versorgung, die Gemeindepfarrer in England und Irland genießen (ganz zu schweigen von den üppigen, mit wenigen oder gar keinen Pflichten verbundenen Kirchenpfründen), und die vergleichsweise geringen Pflichten des Pfarramts erlauben es den meisten von ihnen, sich dieses Wissen in beträchtlichem Maße anzueignen. Diese meines Erachtens recht allgemein verbreitete Bildung bietet im Zusammenspiel mit einer höheren Stellung und einer stärkeren Maßregelung durch die öffentliche Meinung eine ausreichende Sicherheit dafür, dass die anglikanische Geistlichkeit ihre Sitten und ihren geistlichen Charakter in Würde bewahrt. Es versteht sich allerdings von selbst, dass all diese Dinge mit ihrem Amt Hand in Hand gehen und dass ein protestantischer Pfarrer (ausgenommen für die Predigt, bei der er aus gedruckten Bücher schöpfen kann und dies de facto und oft mit besonderem Erfolg auch tut) kaum mehr benötigt als die Fähigkeit, Englisch lesen zu können – ich meine für die Ausübung seines Amtes, nicht für die Qualifikation seiner Zulassung zu diesem. Doch ein papistischer Pastor in Irland mag seine Sache auch ohne nennenswerte klassische Bildung oder eine Befähigung zur reinen oder gemischten Mathematik oder irgendwelche Kenntnisse der politischen Geschichte sehr ordentlich machen. Selbst wenn die katholische Geistlichkeit über diese Qualifikationen verfügen sollte, was zu Beginn viele Geistliche tatsächlich tun, so verlieren sie diese bald unter der schmerzlichen Last beruflicher und klerikaler Pflichten: Doch sie müssen über das ganze Wissen und, || 13 Das Konzil von Trient fand in drei Sitzungsperioden zwischen 1545 und 1563 statt. Mit dem Konzil reagierten die Oberhäupter der römisch-katholischen Kirche auf die Reformation.

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was für sie wichtiger ist als das Wissen, über die für diese Pflichten notwendige Disziplin verfügen. Alle Formen der Ausbildung, die von Personen durchgeführt werden, deren Köpfe gewissermaßen von anderem Schlage sind und deren Denkweise von Hause aus durch das gegenteilige Muster geprägt ist, müssen für sie nicht nur nutzlos, sondern schädlich sein. Genauso möchte ich annehmen, dass die Ausbildung in einem papistischen Priesterseminar für einen protestantischen Geistlichen schlecht geeignet wäre. Einen katholischen Priester in einem protestantischen Seminar auszubilden, wäre allerdings viel schlimmer. Der unter Katholiken ausgebildete Protestant muss nur etwas ablehnen: was er beibehält, mag nützlich sein. Doch ein katholischer Gemeindepriester lernt an einer protestantischen Fakultät wenig für seine speziellen Zwecke und Pflichten. Wie ich sehr wohl weiß, Mylord, wird all dies in den Ohren jener, die die päpstliche Geistlichkeit gerne ungebildet und in einem verachtenswerten und verabscheuungswürdigen Zustand sehen, kein Gehör finden. Ihr Geist ist vollkommen von Parteiquerelen absorbiert, und mir fehlt es sowohl an der Muße als auch an der Neigung, irgendetwas von dem, was ich zu sagen habe, auf diejenigen anzuwenden, die weder die Religion noch das Gemeinwesen jemals in einem anderen Licht als dem der ihnen genehmen Lagerbildung betrachtet haben. Ich spreche in der Annahme, dass die Bereitschaft besteht, den Staat so zu nehmen, wie man ihn vorfindet, und ihn in diesem Zustand zum größten Nutzen zu entwickeln. Bislang bestand der Plan für die Regierung Irlands darin, den bürgerlichen Wohlstand der religiösen Verbesserung der Nation zu opfern. Doch wenn die dortigen Machthaber schließlich zu anderen Vorstellungen gelangen, dann werden sie die sittliche Ordnung, den Anstand, die Tugend und die Moralität ihrer Mitmenschen gleich welcher Anschauung für unendlich viel wichtiger halten als den Kampf (denn um nichts anderes handelt es sich) um die Veränderung dieser Anschauungen durch Mittel, welche Dinge in Gefahr bringen, die meiner bescheidenen Meinung nach für die Religion und den Staat von größerer Bedeutung sind als all die polemischen Streitfragen, um die man von Anbeginn der Welt bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt gestritten hat. Vor diesem Hintergrund wird man eine Ausbildung, die Menschen aller Stände und Zugehörigkeiten, so wie man sie nun einmal vorfindet, angemessen ist, für eine Sache halten, die man eher begünstigen als missbilligen sollte; und bis es bei uns Institutionen gibt, die den Umständen und Erfordernissen der Menschen entsprechen und die, so wie jene im Ausland, mit der Autorität ausgestattet sind, die jungen, in ihnen auszubildenden Männer durch eine eiserne Disziplin an die Kandare zu nehmen, sollte man die Möglichkeiten einer günstigen und effektiven Ausbildung, die sich ihnen gegenwärtig in anderen Ländern bieten, nicht weiter durch Strafen oder Formen der Inquisition verbieten, über die man gegenüber Ohren, welche an die unschuldigen Laute von Billigkeit und Gerechtigkeit gewöhnt sind, schamvoll zu schweigen geneigt ist.

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Bevor ich mit meinem Schreiben so weit gekommen war, hörte ich von einem Plan, das Kirchenpatronat über die vorsitzenden Mitglieder der katholischen Geistlichkeit in die Hände des Castles14 zu legen. Zunächst konnte ich es kaum glauben; denn meines Erachtens ist es das erste Mal, dass man sich in irgendeinem Land darum bemüht hat, die Almosen anderer Leute zu verteilen. Wenn der Staat die führenden Mitglieder der römisch-katholischen Kirche Irlands und die Geistlichkeit in ihren Reihen mit einem angemessenen Unterhalt und angemessenen Temporalien versorgt, dann halte ich das Vorhaben, wie unrichtig es auch in anderen Hinsichten sein mag, in keiner Weise für ungerecht. Einem armen Volk aber, das von den elenden Resten, die ihm nach Steuern und dem Zehnten noch bleiben, eine zweite Riege von Geistlichen bezahlt, in ihrer eigenen Kirchengemeinschaft die Verfügung über ihre eigenen Wohltätigkeiten zu verweigern, wäre nach meinem Dafürhalten eine unerträgliche Härte. Niemals waren die Mitglieder einer religiösen Konfession in der Lage, die Pastoren für eine andere zu ernennen. Jene, die keinen Respekt für deren Wohlfahrt, Reputation oder Seelenfrieden empfinden, werden niemand Geeignetes einsetzen. Der Serail von Konstantinopel ist ebenso gerecht wie wir Katholiken oder Protestanten es sind – und im Hinblick auf seine eigene Konfession genauso religiös. Doch der Spott, den sie mit den unglücklichen Würdenträgern der griechischen Kirche treiben, die kleinen Parteiungen des Harems, denen sie sie unterwerfen, der unablässige Verkauf, dem sie ebendiese Würdenträger immer wieder aussetzen und durch den sie alle niederen Ränge der Geistlichkeit auspressen, entspricht – denn ich habe bestimmte Möglichkeiten gehabt, mich damit vertraut zu machen – fast der Gesamtheit aller anderen Unterdrückungen, die die unglücklichen Mitglieder der orientalischen Kirche je durch Muselmänner zu erdulden hatten. Es ist schon sehr abenteuerlich anzunehmen, dass ausgerechnet die gegenwärtige britische Verwaltung in Irland Bischöfe für die römisch-katholische Kirche Irlands mit einer religiös motivierten Rücksicht auf ihre Wohlfahrt ernennen würde. Vielleicht können sie es nicht, vielleicht wagen sie es nicht. Nehmen wir aber an, sie wären in eben dem Maße, wie ich es von mir selbst kenne, geneigt, den Katholiken jede Art von Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so erkläre ich, dass ich auch dann nicht das Recht der Ämterbesetzung wahrnehmen würde, wenn es in meiner Macht stünde. Denn ich weiß, ich sollte es nicht tun. Ich gehöre einer anderen Glaubensgemeinschaft an, und die Ausübung einer solchen Machtbefugnis wäre eine unerträgliche Usurpation meinerseits, wenn ich keinen Vorteil gewähre, ja selbst wenn ich – so wie es der Serail in gewissem Maße tut – zeitlich begrenzte Vorteile gewährte. Aber einmal zugestanden, dass sich die gegenwärtige britische Verwaltung in Irland in der Lage sieht, die Leitung einer Kirche zu organisieren, der sie feierlich abschwört, und zwar mit überaus harten Worten und vielen schmähenden Beiwörtern, und dies jedes Mal, wenn sie sich um die Macht bewirbt, welche ebendieses Patronatsrecht – oder was ihr Herz sonst noch begehren || 14 Gemeint ist Dublin Castle, im 18. Jahrhundert der Sitz der britischen Verwaltung von Irland.

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mag – zu vergeben hat, so kann sie sich dennoch nicht sicher sein, dass ihr nicht ein Mann wie der verstorbene Lord Chesterfield15 nachfolgt. Während dieser Mann die Papisten in ihrer Leichtgläubigkeit privat mit schönen Worten nasführte und ihr Wohlverhalten während eines Aufstands in Großbritannien lobte – das es wohl verdient hat, gelobt und belohnt zu werden –, war er imstande, in einer Thronrede Strafgesetze gegen sie zu fordern und durch Provokationen den ermüdeten und halb erschöpften religiösen Eifer des damaligen Parlaments von Irland anzufachen.16 Sie machten sich an die Arbeit, waren aber ratlos, was zu tun sei; denn sie hatten fast jeden Behelf ausprobiert, der die Vitalität ihres Landes auszuzehren versprach. Nach langem Ringen aber brachten sie im hohen Alter ein spätes Kind zur Welt: das empörende und unnatürliche Gesetz über Eheschließungen, das wie eine Vollendung des Plans wirkte, aus dem Volk nicht nur auf ewig zwei unterschiedliche Parteien zu machen, sondern sie wie zwei getrennte Spezies im selben Land zu halten. Mr. Gardiner, darüber menschlich entrüstet, hielt es für einen der schlimmsten Aspekte dieses wahrhaft barbarischen Systems, wenn man hier überhaupt noch differenzieren möchte, wo es doch in fast allen Teilen eine Freveltat gegen die Rechte der Menschheit und die Gesetze der Natur darstellt. Nehmen wir an, in diesem Land wäre wieder ein Atheist im Pelz eines religiösen Eiferers an der Macht:17 Denken Sie, er würde nach Treu und Glauben seiner Verantwortung für die Ernennung von Pastoren für eine Kirche nachkommen, welche mangels jeder anderen Unterstützung einen zehnfachen Bedarf an Geistlichen hat, die den ihnen anvertrauten Menschen am Herzen liegen und eine wirklich väterliche Autorität über sie ausüben? Doch auch wenn die übergeordnete Macht immer bereit wäre, diese Rechte, die sie für jene wahrnimmt, mit denen sie im Zwist liegt, gewissenhaft und wie ihr rechtschaffener Treuhänder und Wächter zu verleihen, hat sie denn überhaupt die Fähigkeit und die Mittel, es zu tun? Wie kann sich der Lordleutnant das geringste Urteil über die Vorzüge päpstlicher Priester bilden, um zu entscheiden, wer von ihnen geeignet ist, zum Bischof ernannt zu werden? Das ist unmöglich; die bloße Vorstellung ist lachhaft. Er wird sie den Lordleutnants der Landkreise, Friedensrichtern und anderen Personen übergeben, die unter den Geistlichen die schlechtesten und widerwärtigsten aussuchen, die sie finden können, und sie über die restlichen stellen, nur um dieses unglückliche Volk zu quälen und zu verspotten. Wann immer sich ein Bruder über einen anderen beschwert, wird letzterer als verfolgt gelten; wann immer einer von seinem Vorgesetzten getadelt wird, wird man ihn als unterdrückt betrachten; wann immer jemand nachlässig in seinen Meinungen ist und es mit der Moral nicht so genau nimmt, wird er ein Freigeist genannt || 15 Philip Dormer Stanhope (1694-1773), 4. Earl of Chesterfield, war ein britischer Politiker und Schriftsteller und von 1745-1746 Lordleutnant von Irland. 16 Burke bezieht sich hier auf Chesterfields Rede zur Eröffnung des irischen Parlaments am 17. Oktober 1745, bei der er sich für eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gegen Katholiken aussprach. 17 Gemeint ist vermutlich Oliver Cromwell.

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werden, und man wird behaupten, er habe sich den Hass zugezogen, weil er kein religiöser Frömmler sei. Denunzianten, Schwätzer, perverse und störrische Männer, Schmeichler, die ihrer Gemeinde den Rücken kehren und den protestantischen Gentlemen des Landes um den Bart gehen, werden befördert werden. Und dann gehe ich kein Risiko ein mit der Vorhersage, dass es mit jeglicher Ordnung, Ruhe und Moral, die im Lande herrschen, vorbei sein wird. Eine päpstliche Geistlichkeit, die nicht durch die strengste Unterordnung gezügelt ist, wird in jedem Land, das sie unterhält, ein Ärgernis, ein echter öffentlicher Missstand der schlimmsten Art werden; und anstelle des großen Nutzens, den Irland aus ihr zieht und lange schon gezogen hat, wird die Nation, sofern diese Geistlichkeit ohne irgendeine Vorstellung von Disziplin und Gehorsam ausgebildet und dann Bischöfen unterstellt wurde, die ihre Position nicht dem hohen Ansehen und dem Respekt seitens dieser Geistlichkeit verdanken, Verwerfungen kennenlernen, von denen sie sich – so schlimm die Zustände auch sein mögen – bislang keine Vorstellung macht. Ich sage dies nicht, weil ich glaube, die führenden Männer in Irland würden diese Aufgabe schlechter erfüllen als andere. Nicht im Mindesten. Kein Mensch und auch keine Gruppe von Menschen vermögen es, die Angelegenheiten einer Kirche zu verwalten oder ihre inneren Verhältnisse zu regeln, deren Feinde sie sind. Und wenn ich der Regierung einen besonnenen Rat mit auf den Weg geben dürfte, dann würde ich anregen, in Einrichtungen, aus denen ihr im gegenwärtigen Zustand keine grundlegenden Nachteile für die Ruhe des Landes erwachsen, so wenige Neuerungen wie möglich aus spekulativen Gründen einzuführen – quieta non movere.18 Ich könnte noch viel mehr sagen; doch bin ich erschöpft und fürchte, Eure Lordschaft ist es auch. Ich habe an diesem Brief nicht eine Viertelstunde arbeiten können, ohne unterbrochen zu werden. Er ist lang geworden und enthält vermutlich etliche Wiederholungen, da ich nicht die geringste Muße hatte, meine Gedanken zu Ende zu denken und zu verdichten; und was meine Formulierungen angeht, so würde ich mir wünschen, sie vielleicht etwas präziser abzumessen. Doch meine Absichten sind lauter, und verletzen möchte ich ganz gewiss niemanden. *** Wenn ich über dieses Thema nun mit etwas mehr Ruhe nachdenke, dann sehe ich keinen Grund, meine Meinung an irgendeiner Stelle zu revidieren. So weit, wie das Gesetz reicht, ist es zweifellos gut. Es kommt meines Erachtens im Hinblick auf religiöse Zeremonien einer Tolerierung sehr nahe; den bürgerlichen Rechten aber schiebt es einen neuen Riegel vor und vernietet ihn so mit dem alten, dass keiner von beiden, fürchte ich, leicht zu lösen wird sein. Lieber wäre es mir gewesen, dass der bürgerliche Nutzen den Vorrang gehabt hätte; der andere Nutzen einer religiösen || 18 „Ruhendes nicht bewegen“; diese sprichwörtliche Mahnung findet sich bereits bei Platon in der Variante: „Das Unbewegliche nicht bewegen“ (Nomoi, 913 B).

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Tolerierung würde natürlich – in gewisser Weise – folgen, wie ich vermute. Meiner Beobachtung nach waren es Stolz, Arroganz und Herrschsucht, die diese unterdrückerischen Gesetze ins Leben riefen und am Leben hielten, nicht religiöser Übereifer. Ganz ohne Zweifel habe ich Leute erlebt, die Papisten in ihren bürgerlichen Rechten unterdrückten, während sie sich im Hinblick auf deren religiöse Zeremonien über die Maßen nachsichtig zeigten und wirklich wünschten, diese möchten doch Katholiken bleiben, damit sie einen Vorwand für deren Unterdrückung besäßen. Wann immer sich jemand – durch Bekehrung – ihrer Macht entzog, vermerkten es diese Leute mit Widerwillen und Bedauern. Ich habe Männer gekannt, von denen man – obwohl sie tot sind – nicht zu Unrecht behaupten kann, dass sie Papisten geworden wären, um Protestanten zu unterdrücken, wenn sie als die Protestanten, die sie waren, nicht die Macht gehabt hätten, Papisten zu unterdrücken. Ungerechtigkeit und nicht ein fehlgeleitetes Gewissen ist der Grundsatz der Verfolgung gewesen – zumindest soweit ich dies beobachten konnte. – Doch so, wie ich anfing, möchte ich schließen. Ich kenne den gegenwärtigen Zustand des Landes nicht. Mr. Gardiner, der diese große und schwierige Arbeit leitet, und diejenigen, die ihn unterstützen, können die ganze Sache besser beurteilen als ich, der ich in diesen 16 Jahren keinen Fuß auf irischen Boden gesetzt habe, dies für mich in Anspruch nehmen könnte. Man hat mir zu verstehen gegeben, dass man mich nicht als einen Freund dieses Landes betrachtet; und ich weiß, dass Anstrengungen unternommen wurden, um das Vertrauen, das man dort in mich gesetzt haben mag, zu schwächen. Ich bin so sehr davon überzeugt, dass jede Einmischung in Angelegenheiten von Nachteil ist, wenn man nicht die Meinung des Volkes einholt, in dessen Angelegenheiten man sich einmischt, dass ich nicht weiß, wie ich mich von dem, was ich soeben getan habe, selbst freisprechen kann. *** Ich habe die Ehre, Mylord, mit großem Respekt und mit Hochachtung der untertänigste und gehorsamste Diener Eurer Lordschaft zu sein, Edmund Burke

3.4 Rede zur Eröffnung des Verfahrens gegen Warren Hastings (Auszüge) von Edmund Burke Erster Tag: Freitag, 15. Februar 1788 Eure Lordschaften! Die Herren, in deren Macht es steht, das Verfahren wegen Amtsmissbrauch gegen Mr. Hastings zu unterstützen, haben mich angewiesen, den Rechtsstreit mit einer allgemeinen Betrachtung der Gründe zu beginnen, aus denen das House of Commons seine Anklage gegen ihn erhoben hat. Sie haben mich angewiesen, diese durch eine weitere allgemeine Betrachtung des Ausmaßes, der Schwere, der Natur, der Tendenz und der Auswirkung der Verbrechen zu ergänzen, die sie ihm zur Last legen. Sie haben mich darüber hinaus angewiesen, eine Erklärung der Umstände zu geben, die den Mr. Hastings zur Last gelegten Verbrechen vorausgingen und sie begleiteten – wozu ich mit ihrer Hilfe vielleicht auch imstande sein werde – und die vielleicht dazu beitragen können, etwas Licht in die möglicherweise unverständlichen Aspekte der vorliegenden Anklagepunkte zu bringen. Schließlich forderte man mich auf, das Ganze um einige erläuternde Bemerkungen zu den Gesetzen, Gebräuchen, Ansichten und Sitten der Menschen zu ergänzen, die Opfer der Mr. Hastings zur Last gelegten Verbrechen geworden sind. Die verschiedenen Anklagepunkte, so wie sie Ihnen vorliegen,1 werden andere Gentlemen mit größerer Genauigkeit, mit größerer Deutlichkeit und zweifellos mit unendlich viel mehr Geschick entfalten, wenn Sie Ihnen die Beweise unterbreiten, die natürlich zu jedem Punkt dieser Anklage gehören. Dies, Eure Lordschaften, ist der Plan, mit dem wir die große Anklage zu betreiben gedenken, die nun Ihres Urteils harren soll. Eure Lordschaften, ich muss es als vielversprechenden Begleitumstand dieses Falles betrachten, der die Ehre des Königreichs und das Schicksal zahlreicher Nationen berührt, dass vom allerersten Beginn unseres parlamentarischen Verfahrens bis zu dieser Stunde der feierlichen Verhandlung nicht die geringste Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Häusern zu verzeichnen war. Eure Lordschaften, es gibt Personen, die sich für sich selbst tröstliche und für uns unehrenhafte Hoffnungen gemacht haben, indem sie ihren Blick eher auf das richteten, was in unseren Akten und Annalen zu finden sein würde, als auf das, was von der öffentlichen Gerechtigkeit zu erwarten wäre. Sie gefielen sich in dem Glauben, dass die Sittenverderbnis in Indien inmitten der Zwistigkeiten des Parlaments untergehen würde. Ihre Hoffnung trog. Sie wird auch im Hinblick auf alle weiteren Erwartungen, die sie auf alles Mögliche, nur nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Sache gegründet haben, trügen. Dem House of Commons wird nicht der traurige Ruhm zuteil|| 1 Unter der Federführung von Burke hatte das House of Commons insgesamt 22 Anklagepunkte erhoben, von denen jedoch nur acht im House of Lords eingebracht wurden; vgl. WS VI: 124-258. https://doi.org/10.1515/9783050087771-004

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werden, eine einsame Rolle in einem ehrwürdigen, aber unvollendeten Werk gespielt zu haben. Was die größte Untersuchungskommission der Nation begonnen hat, wird ihr oberstes Tribunal vollenden.2 Endlich wird Indien Gerechtigkeit widerfahren. Es ist wahr, dass Eure Lordschaften an diesem großen Erfolg in vollem Umfang beteiligt sein werden; doch die Abgeordneten des House of Commons waren immer der Auffassung, dass jede mit Ihnen geteilte Ehre für sie selbst eine doppelte Ehre sei. Eure Lordschaften, ich muss gestehen, dass sich die Commons ungeachtet all dieser ermutigenden Aussichten Ihrem Gericht nicht ohne Ehrfurcht und Beklommenheit nähern. Angesichts der Größenordnung der Angelegenheiten, über die wir hier zu befinden haben, wird sich eine gewisse Besorgnis um den Ausgang mit der ungebrochenen Zuversicht, mit der wir uns der Gerichtsbarkeit Eurer Lordschaften anvertrauen, in Einklang bringen lassen. Denn wir sind Menschen, Eure Lordschaften; und Menschen sind so geartet, dass sich das Ausmaß unserer Sorge bei jedem Vorhaben nicht nur an der Größe der Gefahr, sondern auch am Wert des Abenteuers bemisst. Ich versichere Euren Lordschaften feierlich, dass kein Maßstab genügt, um den Wert zu bemessen, den die Commons dem Ausgang des von ihnen nun vor Ihr Gericht gebrachten Falles beilegen. Eure Lordschaften, es geht heute nicht alleine um die Geschäfte dieses Mannes, es geht nicht alleine darum, ob der Gefangene vor Gericht schuldig oder unschuldig gesprochen wird, sondern darum, ob man Millionen von Menschen ins Elend stürzt oder glücklich macht. Eure Lordschaften werden im Verlaufe dieses Falles sehen, dass es sich hier nicht nur um eine lange, zusammenhängende, systematische Reihe von Vergehen handelt, sondern auch um ein ebenso zusammenhängendes System von Maximen und Grundsätzen, die zu ihrer Rechtfertigung ersonnen wurden. Über beides müssen Sie richten. Das Urteil, das Sie über die vergangenen Vorfälle in Indien sprechen werden, wird, so unauflöslich sind diese mit den sie leitenden Grundsätzen verbunden, ein für allemal über den gesamten Charakter Ihrer künftigen Regierung in jenem fernen Reich entscheiden. In dieser Stunde der Entscheidung wird die Grundhaltung jener Regierung dauerhaft bestimmt, ihr Charakter unwiderruflich geprägt. Nicht nur das Interesse Indiens, des heute beträchtlichsten Teils des britischen Empires, ist von dieser Entscheidung betroffen, hier wird über das Ansehen und die Ehre der britischen Nation selbst entschieden. Wir werden mit diesem Urteil entscheiden, ob sich die Verbrechen Einzelner zu öffentlicher Schuld und nationaler Schande auswachsen sollen oder ob diese Nation ebenjene Straftaten, die vorübergehend einen Schatten auf ihre Regierung geworfen haben, in etwas ummünzen wird, was der Ehre, Gerechtigkeit und Menschlichkeit dieses Königreichs dauerhaften Glanz verleiht. Eure Lordschaften, es gibt eine weitere Überlegung, die die Besorgnis der Commons vermehrt und darin den zwei großen Interessen gleicht, von denen ich sprach, denen unseres Empires und unseres Nationalcharakters; etwas, das den Gefühlen || 2 Gemeint sind das House of Commons und das House of Lords.

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und Herzen aller Engländer womöglich noch näher steht: ich meine das Interesse unserer Verfassung selbst, die vom Ausgang dieses Falles auf das tiefste berührt wird. Die zukünftige Anwendung und die gesamte Wirkung, wenn nicht gar die schiere Existenz eines aufgrund einer Anklage der Commons vor den Peers des Königreichs stattfindenden Enthebungsverfahrens wegen Kapitalverbrechen und schwerer Vergehen im Amt wird in hohem Grad von Ihrem Urteil über diesen Fall abhängen. Dieses Gericht wird man (wie es, so hoffe ich, immer sein wird) als zu bedeutend für belanglose Fälle erachten. Wenn es sich gleichzeitig für einen der bedeutendsten als unzulänglich herausstellen sollte – wenn Ihnen, anders gesagt, kleine Straftaten wegen ihrer Geringfügigkeit entgehen und die größten Sie durch ihr Ausmaß erdrücken –, dann wird diese Form von Gerichtsverfahren am Ende unweigerlich aus der Verfassung verschwinden. Denn wir dürfen uns nicht täuschen: Eine Einrichtung, der keine Glaubwürdigkeit beschieden ist, kann nicht lange bestehen. Und wenn man die Verfassung dieser Quelle berauben sollte, nicht formell, sondern de facto, dann wird sie de facto auch alles anderen beraubt, was an ihr wertvoll ist. Denn dieses Verfahren ist der Zement, der das Ganze zusammenhält; es ist das ausschlaggebende Prinzip, das England zu dem macht, was es ist. Vor diesem Gericht geht es darum, dass sich kein Bürger in keinem Teil des Empire qualifizierter und angemessener Rechtsprechung entziehen kann. Hier tragen wir für die wahre Vortrefflichkeit unserer Verfassung Sorge; nämlich für den großartigen Kreislauf der Verantwortlichkeit, durch den (mit Ausnahme der höchsten Macht) niemand, gleich unter welchen Umständen, der Rechenschaft entgeht, die er den Gesetzen seines Landes schuldet. Durch dieses Verfahren wird die Obrigkeit, die alle anderen Dinge kontrolliert und vor Gericht stellt, beurteilt, ihrerseits kontrolliert und vor Gericht gestellt. Andere Verfassungen geben sich damit zufrieden, gute Bürger hervorzubringen; diese ist eine Gewähr für gute Herrscher. Dieses Tribunal sorgt dafür, dass Staatsmänner, die ihre Macht missbrauchen, von Staatsmännern angeklagt und von Staatsmännern gerichtlich beurteilt werden, und zwar nicht aufgrund der kleinteiligen Unterscheidungen einer engstirnigen Rechtsprechung, sondern aufgrund der weitsichtigen und zuverlässigen Grundsätze der Staatsmoral. Hier ist der Ort, an dem diejenigen, die sich durch Machtmissbrauch am Geist des Gesetzes vergangen haben, niemals auf den Schutz eines seiner Organe hoffen können; hier können jene, die sich weigerten, seinen Vorzügen zu entsprechen, niemals darauf hoffen, durch eine seiner Schwachstellen zu entkommen. Deshalb sollte es unsere gemeinsame Sorge werden, Eure Lordschaften, über Ihr kostbares – so selten gebrauchtes, aber so wirkmächtiges – Unterpfand mit religiösem Eifer zu wachen und niemals zuzulassen, dass es in Verruf gebracht oder zum Relikt der Vergangenheit gemacht wird. Zu diesem bedeutsamen Zweck wurden Eure Lordschaften mit großer und uneingeschränkter Macht ausgestattet: Keine Rechtsprechung einer niedrigeren Instanz aber wird von Ihnen aufgehoben, ersetzt oder zunichtegemacht; im Gegenteil, Sie sind allen Instanzen Hilfe und Ergänzung.

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Ob es daran liegt, dass wir in glücklichen, an großen Straftaten vergleichsweise armen Zeiten leben, oder daran, dass eine träge Gleichgültigkeit die öffentliche Gerechtigkeit abgestumpft und geschwächt hat, ist nicht an mir zu entscheiden; doch es ist, aus welchem Grund auch immer, nun 63 Jahre her, dass ein Amtsenthebungsverfahren, das auf Machtmissbrauch und Vergehen im Amt plädierte, vor diesem Tribunal verhandelt wurde. Das letzte war das Verfahren gegen Lord Macclesfield, das im Jahre 1725 stattfand,3 so dass das älteste der Verfassung dieses Landes bekannte Verfahren nun bei seiner Wiederbelebung einen gewissen Anschein von Neuigkeit erweckt. In einer Zeit, in der sich ganz Europa in einem Zustand der vielleicht ansteckenden Gärung befindet, in der das Alte all seine Ehrwürdigkeit und seinen ganzen Einfluss auf das Denken der Menschen eingebüßt hat, in der sich zugleich jede Neuerung unverändert dem Argwohn ausgesetzt sieht, von dem alles Neue stets begleitet wird, waren wir ängstlich darauf bedacht, uns bei einem Geschäft, das sich sowohl den Einwänden gegen alles Alte als auch denen gegen alles Neue aussetzt, so zu verhalten, dass nichts an der Wiederbelebung dieses großartigen parlamentarischen Verfahrens einen Vorwand dafür liefern möge, es in Zukunft ungenutzt zu lassen. Eure Lordschaften, da die Commons so stark unter dem Eindruck dieser Gefühle stehen, haben sie eine außergewöhnliche Sorge und Umsicht an den Tag gelegt. Ohne den Geist und den Eifer einer öffentlichen Strafverfolgung preiszugeben, haben sie eine solche Mäßigung, einen solchen Gleichmut und Anstand walten lassen, wie es dem Endurteil dieses bedeutsamen Falles nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, wenn es an ihnen wäre, dessen Endurteil zu fällen. Die Angelegenheiten Indiens haben die Aufmerksamkeit der Commons mit sehr wenigen Unterbrechungen mehr als vierzehn Jahre lang in Anspruch genommen. Wir können guten Gewissens behaupten, dass wir es mit jeder Art von gesetzlicher Regelung versuchten, bevor wir auf die Mittel der Strafverfolgung zurückgriffen. Es war im Jahre 1773, dass wir ein Gesetz formulierten, um gegen die damals in Indien herrschenden Missstände vorzugehen, so, wie es uns die damals vorliegenden Informationen zu verabschieden erlaubten. Da das Parlamentsgesetz nicht alle darein gesetzten Erwartungen erfüllte, fassten wir im Jahr 1782 eine Reihe von Beschlüssen, welche die Beachtung der Gesetze anmahnten.4 Doch auch diese fruchteten nicht wie erwartet. Als wir herausfanden, dass unsere Ermittlungen und unsere Berichte, unsere Gesetze und unsere Verwarnungen alle gleichermaßen missachtet wurden, dass die Ungeheuerlichkeiten in dem Maße zunahmen, wie sie verboten, entdeckt und publik gemacht wurden; als wir herausfanden, dass die Schuld hocherhobenen Hauptes || 3 Thomas Parker (1666-1732), seit 1718 Lordkanzler und seit 1721 Earl of Macclesfield, wurde 1725 wegen Bestechlichkeit vor dem House of Lords angeklagt und für schuldig befunden. 4 Gemeint ist der The Regulating Act von 1773. Dieser sah in Reaktion auf wachsende Missstände in Indien, die sowohl finanzieller als auch juristischer Natur waren, eine stärkere Regulierung und Kontrolle der East India Company durch die britische Regierung vor und wurde am 28. Mai 1782 vom House of Commons bekräftigt und ergänzt.

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herumstolzierte und dass die rechtliche Autorität herumzuschleichen und ihr Haupt wie die geächtete Schuld zu verbergen schien; als wir herausfanden, dass einige ebenjener Personen, die vom Parlament dazu ernannt worden waren, den Gesetzen dieses Königreichs Geltung zu verschaffen, am unverschämtesten und beflissensten das Komplott zum Zwecke ihrer Zerstörung betrieben, – da war es an der Zeit, dass sich die Gerechtigkeit der Nation wieder ihrer selbst besann. Dies länger geduldet zu haben, wäre keine Langmut, sondern geheimes Einverständnis gewesen. Es wäre Mitverantwortung für die Schuld gewesen. Wir hätten uns damit zu Komplizen des Verbrechers gemacht. Wir erachteten es als unmöglich, uns einer schmerzlichen Pflicht zu entziehen, ohne ein heiliges Vertrauen zu missbrauchen. Als wir uns deshalb zum letzten und einzigen Mittel, einer Strafverfolgung, durchgerungen hatten, waren wir fortan bemüht, auf eine Art und Weise zu handeln, die sich unserer langen Beratung würdig erwies. In allen Anklagepunkten trafen wir mit Bedacht eine Auswahl. Wir haben das Verbrechen, den Verbrecher, die Beweise und die Form des Verfahrens so gewählt (und wir vertrauen darauf, dass Eure Lordschaften es ebenso sehen werden), dass sich dieser Gerichtsprozess selbst dann der Nachwelt empfehlen würde, wenn er sich auf kein einziges Beispiel in den Gepflogenheiten unserer Vorväter stützen könnte. Zunächst zum Verfahren: Wir möchten Eure Lordschaften in Kenntnis setzen, dass wir in seinem Vorfeld, ungeachtet der vierzehn Jahre langen vorangegangenen Beratung, jeden Umstand untersuchten, der sich zugunsten der augenscheinlich straffälligen Parteien auswirken könnte, bevor wir uns schließlich zur Strafverfolgung entschlossen. In den Protokollen des Unterhauses findet sich kein einziger für Personen in Mr. Hastings Umständen günstiger Präzedenzfall, der nicht geltend gemacht worden wäre. Viele Maßnahmen, die früheren parlamentarischen Verfahren vollkommen unbekannt waren und sie auch in gewissem Maße zu schwächen schienen, die aber allesamt jenen, die strafrechtlich verfolgt werden sollten, zum Vorteil gereichten, wurden bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal angewandt. In einer frühen Phase des Verfahrens wünschte der Straftäter gehört zu werden. Er wurde gehört; und er präsentierte dem Gericht des Unterhauses dieses unverschämte und unwürdige Dokument, das uns hier vorliegt. Es wurde in klarem Bewusstsein von ihm eigenhändig eingereicht und von ihm namentlich unterzeichnet.5 Die Commons aber übergingen mit einer Großmut, die ihnen gut zu Gesichte stand, alles Abstoßende an diesem Dokument. Sie berücksichtigten nichts als die Tatsachen, die der Angeklagte vortrug, und die Grundsätze, auf die er sich stützte; und nach einer Beratung, die nicht hinter den Anforderungen an ein Gerichtsverfahren zurückblieb, trugen wir den Fall vertrauensvoll vor Ihr Gericht. So viel zum Verfahren, das es meines Erachtens, obschon ich es in der Reihe und Reihenfolge, in der ich die Gegenstände unserer Auswahl aufzählte, als letztes nannte, am besten als erstes abzuhandeln galt. || 5 Hastings Antwort auf die vom House of Commons erhobenen Anklagepunkte; vgl. WS VI: 274.

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Zum Verbrechen, das wir auswählten, ist zu sagen, dass wir zunächst einmal gründlich untersuchten, welcher Natur es eigentlich jenseits all seiner Begleitumstände war. Wir wogen es mit all seinen mildernden und erschwerenden Umständen ab. Vor diesem Hintergrund können wir mit Bestimmtheit sagen, dass die Verbrechen, die wir dem Angeklagten zur Last legen, schwerwiegende Verbrechen sind; dass es sich hier nicht um Irrtümer oder Fehler handelt, wie sie weisen und guten Männern möglicherweise unbeabsichtigt und sogar mit überaus schädlichen Folgen unterlaufen könnten, ohne tatsächlich große Vergehen darzustellen. Die Commons sind von zu vorurteilsloser Gesinnung, um nicht die Schwierigkeiten einer herausgehobenen und schwierigen öffentlichen Position einzukalkulieren. Sie kennen die alles beherrschenden Zwänge, die meist in allen wichtigen Angelegenheiten auftreten, nur zu gut. Sie kennen die Erfordernisse einer drängenden Situation, die in der Plötzlichkeit ihres Eintretens alles andere überrollt; die dem Geist nicht die Zeit lässt, sich auf seine Vermögen zu besinnen, seine Vernunft zu stärken und auf feste Grundsätze zurückzugreifen, sondern die, indem sie eine unverzügliche und ungestüme Entscheidung erfordert, Männer dazu zwingt, auf eine Art und Weise zu entscheiden, die einem ruhigen Urteil sicher verwerflich erschienen wäre. Da es Menschen sind, die uns dienen, wissen wir, dass wir über die uns dienenden Personen auch als Menschen zu Gericht sitzen müssen, und in der Tat mit einer sehr großen Nachsicht gegen die menschliche Schwäche und Fehlbarkeit. Dies, Eure Lordschaften, wussten wir und zogen es wohl in Erwägung, ehe wir vor Sie traten. Doch die Verbrechen, die wir in diesen Anklagepunkten geltend machen, sind keine Fehltritte, Mängel, Irrtümer der allgemeinen menschlichen Schwäche, die zuzugestehen Herz und Verstand gebieten. Wir werfen diesem Missetäter kein Verbrechen vor, das nicht aus Leidenschaften begangen worden wäre, die zu hegen kriminell ist; kein Vergehen, das nicht in Geiz, Habgier, Stolz, Unverschämtheit, Grausamkeit, Verrat, Unmenschlichkeit, charakterlicher Bosheit wurzelt; kurz gesagt, nichts, was nicht einer vollständigen Auslöschung aller moralischen Grundsätze das Wort redete, was nicht die eingefleischte Schwärze eines zutiefst niederträchtigen, bis ins Innerste verdorbenen, beschädigten, verfaulten Herzens offenbarte. Wenn wir seine Verbrechen nicht in den Reigen jener Laster einreihen, die des Menschen Brust zu verabscheuen und der Geist aller – menschlichen und göttlichen – Gesetze zu verbieten bestimmt ist, dann wünschen wir nicht länger, zu diesem Fall gehört zu werden. Möge alles, was auf der Grundlage von Überraschung oder Irrtum geltend gemacht werden kann, mit Erfolg geltend gemacht werden: dann verzichten wir auf die gesamte Kategorie. Wir klagen keine Verbrechen an, die keine vorsätzlichen Verbrechen wären. Wir werfen ihm nichts vor, was er nicht mit Absicht begangen hätte; was er nicht gegen Ratschläge, Bitten und Vorhaltungen begangen hätte; was er nicht gegen die direkte Anweisung der rechtmäßigen Autorität begangen hätte; was er nicht nach Rüge und Verwarnung begangen hätte, der Rüge und Verwarnung jener, die von Gesetzes wegen dazu befugt waren, ihn zu rügen und zu verwarnen. Mr. Hastings’ Verbrechen sind nicht nur an und für sich Verbrechen;

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erschwerend kommt hinzu, dass sie Verbrechen der Widersetzlichkeit sind. Sie verstießen nicht gegen die Formen, sondern gegen die ewigen Gesetze der Gerechtigkeit, die unseren Maßstab und unser Geburtsrecht bilden. Seine Vergehen sind nicht lediglich in einem formalen oder technischen Sinne, sondern ganz real, ihrem Wesen und ihren Folgen nach Kapitalverbrechen und schwere Vergehen im Amt. So viel zu den Verbrechen. Zum Verbrecher ist zu sagen, dass wir ihn nach denselben Grundsätzen ausgesucht haben, nach denen wir die Verbrechen auswählten. Wir haben nicht beschlossen, Ihnen einen armen, kümmerlichen, zitternden Straftäter vorzuführen, der vielleicht von denen verleitet wurde, die ihn Besseres hätten lehren sollen, die ihn aber anschließend so durch ihre Macht unterdrückten, wie sie ihn zunächst durch ihr schlechtes Beispiel korrumpiert hatten. Es gab viele Fälle, bei denen die Bestrafung geringerer Vergehen von untergeordneten Personen als Mittel zu dem Zweck diente, schwerwiegendere Verbrechen hochrangigerer Personen zu vertuschen. Unser Vorgehen ist ein anderes. Wir haben Ihnen keinen unbekannten Straftäter vorgeführt, der, wenn man seine Bedeutungslosigkeit und Schwäche gegen die Macht der Strafverfolgung abwöge, selbst die öffentliche Justiz in einen gewissen Ruch der Unterdrückung brächte: Nein, Eure Lordschaften, wir haben Ihnen den seinem Rang, seiner Autorität und seinem Stand nach ersten Mann Indiens vorgeführt. Wir haben Ihnen das Oberhaupt der Sippschaft, den Kopf der gesamten Gesellschaft der Straftäter im Osten, einen Oberbefehlshaber des Frevels vorgeführt, unter dem der ganze Betrug, die ganze Veruntreuung, die ganze Tyrannei in Indien verwirklicht, geregelt, geordnet und bezahlt wird. Dies ist die Person, Eure Lordschaften, die wir vor Sie bringen. Wir haben eine Person jener Art vor Sie gebracht, dass Sie, wenn Sie sie mit dem festen und entschlossenen Arm der Gerechtigkeit schlagen, nicht allzu viele weitere Beispiele brauchen werden. Sie treffen den ganzen Körper, wenn Sie auf den Kopf zielen. So viel zum Verbrechen; so viel zum Verbrecher. Nun, Eure Lordschaften, werde ich einige Worte zu den Beweisen sagen, die wir zur Erhärtung einer solchen Anklage mitgebracht haben und die von ebensolchem Gewicht sein sollten wie die Anklage selbst. Es handelt sich im Wesentlichen um Beweise in Form von Akten, die in vielen Fällen vom Verbrecher selbst unterzeichnet wurden. Wir haben Ihnen seine eigenen Briefe vorgelegt, die seine Handschrift als echt ausweist. Auf diese stützen wir uns vor allem. Wir werden Ihnen aber gleichfalls lebende Zeugen vorführen, die in der Lage sind, über die Punkte, zu denen sie hier gehört werden sollen, Auskunft zu geben. Wenn Sie die noch vor kurzem unerhörte Macht des Gefangenen bedenken; wenn Sie seinen kriminellen, unermüdlichen Fleiß bei der Vernichtung aller schriftlichen Beweise bedenken; wenn Sie den Einfluss bedenken, den er auf praktisch sämtliche Aussagen lebender Zeugen hat; wenn Sie die Entfernung des Schauplatzes bedenken, – dann, glaube ich, werden sich Eure Lordschaften und die ganze Welt wundern, dass so viele, so eindeutige, so stichhaltige und so zwingende Beweise jeglicher Art gegen ihn erbracht worden sind. Ich habe keinen Zweifel, dass die Beweise in neun von zehn

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Fällen von der Art sind, dass sie den strengen Anforderungen genügen würden, die mutmaßlich bei jeder niedrigeren Instanz und jeder hierzu bevollmächtigten Gerichtsbarkeit gelten sollen, und in gewissem Maße zu Recht gelten sollen. Eure Lordschaften werden aber darauf bestehen, dass Sie – was wir auch als das Recht der Bürger Großbritanniens behaupten und einfordern – nicht an irgendwelche Beweisregeln oder irgendwelche sonstigen Regeln gebunden sind, außer an jene der natürlichen, unveränderlichen und substantiellen Gerechtigkeit. Gott bewahre, dass die Commons wünschen sollten, etwas als Beweis auszugeben, das von Natur aus nicht dafür geeignet ist, die fragliche Sache zu beweisen! Wenn sie ein solches Ansinnen vortragen sollten, so würden sie die Grundsätze jener Gerechtigkeit, an die sie appellieren, selbst aus den Angeln heben; sie würden der Nation ein schlimmes Beispiel geben, das auf sie selbst zurückfiele und über ihre eigenen Häupter und die Häupter aller ihrer Nachfahren Zerstörung brächte. Andererseits habe ich zu viel Vertrauen in die Gelehrtheit, mit der man Sie beraten wird, und in die Großzügigkeit und Vornehmheit der Empfindungen, die Ihnen von Geburt an eignen, um zu argwöhnen, dass Sie kraft irgendeines Missbrauchs der Formen und einer technischen Handhabung des Verfahrens einem so großen Teil der Welt die Gerechtigkeit versagen würden, die man doch aus Ihren Händen zu empfangen erwartet. Eure Lordschaften hatten immer eine weitreichende Macht und fast unbeschränkte Gerichtsbarkeit; Sie haben nun einen grenzenlosen Gegenstand. Nicht von diesem Distrikt oder jener Pfarrgemeinde, nicht von dieser Stadt oder jener Provinz wird nun um Hilfe ersucht: Verbannte und zugrunde gerichtete Fürsten, weitläufige Stämme, leidende Nationen, Menschen jeder erdenklichen Art, die sich in ihrer Sprache, ihren Sitten und ihren Riten unterscheiden, Menschen, die durch jede Schranke der Natur von Ihnen getrennt sind, haben sich alle durch göttliche Vorsehung zu einem einzigen gemeinsamen Anliegen zusammengefunden und sind nun zu Bittstellern vor Ihrem Gericht geworden. Geben Sie dieser Nation zu Ehren, diese geheimnisvolle Vorsehung in ihr Recht setzend zu verstehen, dass keine auf der Grundlage örtlicher Maximen gebildete Regel (sollte eine solche überhaupt existieren) den Gang dieser imperialen Gerechtigkeit wird aufhalten können, die Sie den Menschen schuldig sind, welche aus allen Ecken einer großen zerrissenen Welt an Sie appellieren. Denn da sich dieses Königreich Gott sei Dank in der Lage befindet, den Neid aller anderen Nationen zu erwecken, wird sein Verhalten in dieser bedeutsamen und außerordentlichen Situation zweifellos mit einer Strenge geprüft werden, die so groß ist wie seine Macht gefürchtet. Es ist wohlbekannt, dass durch tausend öffentliche und verdeckte Kanäle ein enormer Reichtum aus Indien in dieses Land geflossen ist; und es ist nicht besonders ehrenrührig, mit der Möglichkeit zu rechnen, dass man von etwas verdorben werden kann, von dem andere Reiche verdorben und fast ebenso ehrenwerte und ehrwürdige Versammlungen wie die Eurer Lordschaften direkt oder indirekt beschädigt wurden. Mindestens vierzig Millionen wurden bislang, soweit erinnerlich, von Indien nach

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England gebracht.6 In diesem Fall sollte noch die heiligste Rechtsprechung auf ihren guten Ruf achten. Ohne jemandem zu nahe zu treten, dürfen wir uns den Hinweis erlauben, dass man seinen guten Ruf nicht am besten dadurch wahrt, dass man die öffentliche Meinung stolz missachtet, sondern dadurch, dass man diese öffentliche Meinung erst einmal achtet und fürchtet, um ihr am Ende souverän die Stirn zu bieten. Kein unmittelbar falsches Urteil ist von den Gerichten dieses Landes zu befürchten; wohl aber, dass im Missbrauch unserer Verfahrensformen Parteilichkeit lauern und nisten mag. Deshalb ist es so wichtig, dass nichts an diesem Verfahren auch nur den geringsten Anschein und den mindesten Ruch von Schikane hat. Wenn die ernsteste aller Angelegenheiten, nämlich der Fall Asiens, vor europäischem Publikum verhandelt wird, dann gebe Gott, dass nicht der geringste Verdacht aufkommt, eine die Gerechtigkeit vollkommen zersetzende engstirnige Parteilichkeit könnte uns so verfahren lassen, als besäße ein Brite mit Regierungsgewalt tatsächlich Rechte, die den einfachen Verbündeten, den zugehörigen Untergebenen dieses Königreichs, verwehrt bleiben – obwohl diese doch durch ihre Entfernung einen doppelten Anspruch auf Ihren Schutz haben und sich aufgrund eines unausgesprochenen (ich hoffe, nicht schwachen und nutzlosen) Vertrauens in Sie aller anderen Hilfsmittel unter Gottes Himmel begeben haben! Ich sage dies nicht, weil ich Befürchtungen, Zweifel oder Bedenken bezüglich dessen hätte, was Eure Lordschaften letztlich tun werden – nichts weniger als das; doch kann ich meine Ohren nicht vor den Gerüchten verschließen, die, wie Sie alle wissen, im Ausland verbreitet werden. Diejenigen, die die Macht missbrauchen, haben vielleicht eine Chance, sich durch jene Zäune und Schanzen zu schützen, die errichtet wurden, um die Freiheiten des Volkes gegen Männer genau dieser Couleur zu verteidigen. Doch Gott bewahre, dass sich von Peking bis Paris verbreitet, die Gesetze Englands seien für die Reichen und Mächtigen gemacht, gewährten den Armen, Elenden und Schutzlosen aber keinerlei Hilfe! Gott bewahre, dass man sagt, keine Nation gleiche der englischen in ihrer realen Gewalt und ihrer formalen Gerechtigkeit; dass wir uns in diesem Königreich bemüßigt fühlten, öffentlichen Amtsträgern die übertriebensten und unmäßigsten Vollmachten zu erteilen, dass wir aber hinsichtlich der Mittel, sie für deren Gebrauch zur Rechenschaft zu ziehen, unzulänglich, arm, hilflos, schwach und ohnmächtig seien! Heimtückisch wurde in diesem Königreich und auch in fremden Nationen die Meinung verbreitet, wir hätten in der Absicht, unseren Anteil an der Schuld und unser gemeinschaftliches Interesse an der Plünderung des Ostens zu verschleiern, eine Reihe scholastischer Unterscheidungen in die Welt gesetzt, die mit dem gesunden Menschenverstand unvereinbar und den allgemeinen Bedürfnissen der Menschheit nicht förderlich seien und durch die wir uns das Wissen von etwas versagen wollten, was die restliche Welt wisse und was ein so großer Teil der Welt sowohl wisse als auch zu spüren bekomme. Ich missbillige jegliches Auftreten, das dieser Verleumdung Glaubwürdigkeit verleihen mag, nicht, weil ich argwöhne, || 6 Es ist unklar, wie Burke auf diese Summe gekommen ist.

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irgendein verwerfliches Motiv könnte dieses Gericht beeinflussen; ich missbillige es, weil ich weiß, dass wir uns bisher innerhalb des engen Kreises der lokalen Gerechtigkeit bewegt haben. Ich fürchte, dass wir von den Gewohnheiten, die wir durch unsere Beschränkung auf einen begrenzten Raum angenommen haben, eher dazu veranlasst werden, die Natur tunlichst in diesen lokalen Kreis hineinzuzwängen, als den Kreis der nationalen Gerechtigkeit auf die Erfordernisse des von uns erworbenen Empires auszudehnen. [...] Eure Lordschaften, die Befugnisse, deren Missbrauch Mr. Hastings vorgeworfen wird, sind die Befugnisse, die ihm von der East India Company erteilt wurden. Die East India Company selbst handelt auf der Grundlage zweier sehr ungleicher Arten von Befugnissen, die sich ganz unterschiedlichen Quellen verdanken. Die erste Quelle ihrer Macht verdankt sich Privilegien, welche die Krone Großbritanniens durch Parlamentsbeschluss zu gewähren autorisiert war; die andere verdankt sich diversen Privilegien, die sich vom Großmogul ableiten, jener Person, in deren Herrschaftsgebiet sie im Wesentlichen agierte – besonders jenem großen Privileg, durch das ihr im Jahre 1765 die Steuerhoheit und Zivilverwaltung der Königreiche von Bengalen, Bihar und Orissa übertragen wurde.7 Unter diesen beiden Chartaverträgen sind die East India Company und all ihre Bediensteten zu handeln befugt. Was die erstgenannte Quelle ihrer Macht angeht, so leitet sich ihr Vermögen, kraft dessen die Company und ihre Bediensteten als öffentliche Körperschaft bzw. als überhaupt zu einer öffentlichen Funktion fähig gelten, von den britischen Privilegien ab. Diese versetzte sie überhaupt erst in die Lage, sich von irgendeiner anderen Macht irgendein anderes Privileg einräumen zu lassen, irgendein anderes Amt zu übernehmen oder irgendwelche anderen Besitztümer zu halten. Insofern hierin Wurzel und Ursprung ihrer Macht liegen, sind sie jener Partei gegenüber verantwortlich, von der sich alle ihre unmittelbaren und daraus folgenden Befugnisse ableiten. Da sie aus der höchsten Macht dieses Königreichs hervorgegangen sind, sind die ganze Körperschaft und das ganze Gefolge ihrer Bediensteten, die Körperschaft als Körperschaft, die Einzelnen als Einzelne der Hochgerichtsbarkeit dieses Königreichs verantwortlich. Durch die Übertragung großer Macht an die East India Company verzichtet dieses Königreich nicht auf seine Souveränität; im Gegenteil, die Verantwortung der Gesellschaft wird durch die Erhabenheit und Heiligkeit der Vollmachten, die man ihr anvertraute, nur umso größer. In Übersee versucht man, die Idee in Umlauf zu bringen, die Handlungen der East India Company und ihrer Bediensteten seien nicht der hiesigen Gerichtsbarkeit unterworfen. Ich hoffe, Eure Lordschaften werden bei dieser Gelegenheit zeigen, dass diese Nation niemals eine Machtbefugnis verliehen hat, ohne diese mit einem entsprechenden Maß an Verantwortung zu verbinden. || 7 Die East India Company wurde im Jahre 1600 durch einen königlichen Freibrief gegründet, 1765 wurden ihr mit dem Vertrag von Allahabad die sogenannten Diwani-Rechte, insbesondere das Recht, Steuern zu erheben und einzutreiben, verliehen.

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Was ihre anderen Vollmachten betrifft, so hat die Company sie durch verschiedene Privilegien des Mogulreichs erlangt, insbesondere durch die Übertragung der Diwani im Jahr 1765, das heißt des Amts des Lord High Steward8 für die Königreiche Bengalen, Bihar und Orissa. Durch dieses Privileg verpflichtete sie sich (einschließlich aller ihrer Bediensteten), sämtliche mit diesem neuen Amt verbundenen Pflichten zu erfüllen und alle Bande zu respektieren, die mit diesem neuen Verhältnis einhergingen. Hätte das Mogulreich in seiner ursprünglichen Macht fortbestanden, dann wäre sie durch diese Verantwortung verpflichtet gewesen, die Gesetze, Rechte, Bräuche und Gewohnheiten der Einheimischen zu beachten und deren Vorteil in allen Dingen zu suchen: denn diese Pflicht wohnte der Natur, der Einrichtung und dem Zweck des Amtes, das sie erhielt, inne. Wenn die Macht des Souveräns, von dem sie diese Befugnisse zugesprochen bekam, durch irgendeine Umwälzung der menschlichen Verhältnisse vernichtet oder temporär ausgesetzt sein sollte, so ist ihre Pflicht gegenüber dem ihr unterstehenden Volk, die durch das Mogul-Privileg geschaffen wurde, nicht vernichtet und nicht einmal temporär ausgesetzt; und für ihre Verantwortung in der Ausübung dieser Pflicht ist sie auf das (Gott sei Dank nicht vernichtete) Land zurückgeworfen, dem sie ihre ursprüngliche Macht und alle folgenden abgeleiteten Machtbefugnisse verdankt. Als die Company dieses hohe Amt in Indien erlangte, wurde eine englische Körperschaft zu einem integralen Bestandteil des Mogulreiches. Als Großbritannien der Verleihung des Amtes de facto zustimmte und anschließend davon profitierte, garantierte Großbritannien zugleich die Erfüllung aller damit verbundenen Pflichten. Großbritannien ging faktisch einen Zusammenschluss mit diesem Land ein, durch den wir uns selbst verpflichteten, seinen Bewohnern all die Rechte, Gesetze und Freiheiten zu garantieren, die ihr natürlicher, ursprünglicher Souverän zu erhalten verpflichtet gewesen wäre, wenn er sie hätte erhalten können. Durch den Charakter der Ereignisse sind die beiden Pflichten, die zwei unterschiedlichen Quellen entstammen, nun zu einer einzigen verschmolzen. Deshalb tritt das Volk von Indien im Namen der Commons, aber aus eigenem Recht vor das Gericht dieses Hauses, vor die oberste königliche Gerichtsbarkeit dieses Königreiches, von dem alle Machtbefugnisse, unter denen es zu leiden hatte, ursprünglich abgeleitet waren. Wenn wir die Machtbefugnisse darlegen, welche die Company von ihrem Privileg abgeleitet hat und deren Missbrauch durch Mr. Hastings wir feststellen, mag es vielleicht notwendig sein, so kurz und bündig wie möglich (denn die Materie ist wirklich umfangreich) anzugeben, wie die Verfasstheit dieser Company aussieht – ich meine im Wesentlichen, wie sie im Hinblick auf ihren Einsatz in Indien, dem großen Schauplatz dieses Missbrauchs, aussieht. Eure Lordschaften werden selbstverständlich verstehen, dass ich nicht auf diese Details eingehe, um Sie darüber in Kenntnis zu setzen, sondern lediglich, um Ihnen die Umstände erneut ins Gedächtnis zu rufen. || 8 Der Lord High Steward war seit dem Mittelalter in England bzw. ab 1707 im Vereinigten Königreich der erste unter den hohen Staatsbeamten, den Great Officers of State.

Rede zur Eröffnung des Verfahrens gegen Warren Hastings (Auszüge) | 231

Sie werden sich gewiss erinnern, dass die East India Company gegen Ende der Regentschaft Elisabeths, in einer Zeit, als alle Arten von kommerziellen Wagnissen, Unternehmen und Monopolen in Mode waren, ihren Ursprung nahm. Zu dieser Zeit wurde die Company gegründet und mit umfangreichen Befugnissen zur Beförderung des Handels und der Ehre dieses Landes ausgestattet; denn seinen Handel zu befördern, ohne seine Ehre und seinen guten Ruf zu befördern, wurde damals und wird auch heute für das Land als schlechtes Geschäft angesehen. Die Befugnisse der Company waren unter diesem Privileg rein kommerzieller Natur. Da ihr Einsatzgebiet fern war, da sie es mit vielen großen, manchen barbarischen, durchweg aber bewaffneten Nationen zu tun hatte, in denen nicht nur der Souverän, sondern auch die Untertanen bewaffnet waren, hielt man es für notwendig, ihre Machtbefugnisse schrittweise zu erweitern. Die erste Befugnis, die ihr erteilt wurde, war die Aufrechterhaltung der Disziplin auf ihren Schiffen – eine Zuständigkeit, die inzwischen aufgegeben wurde; die nächste war die Befugnis, Truppen und Festungen zu befehligen; die nächste war die Befugnis der zivilrechtlichen und in gewissem Maße der strafrechtlichen Rechtsprechung innerhalb ihrer eigenen Fabriken, über ihre eigenen Leute und ihre eigenen Bediensteten; die nächste (und dies bedeutete wirklich einen großen Schritt) war die Macht über Krieg und Frieden.9 Diese hohen und fast unteilbaren Vorrechte der Souveränität, von denen man kaum je gehört hat, dass sie irgendwelchen Untertanen erteilt worden wären, und die in manchen Staaten nicht einmal dem Fürsten oder Oberhaupt des Gemeinwesens vollständig anvertraut wurden, gab man der East India Company. Besagte Company erhielt diese Machtbefugnisse gegen Ende der Herrschaft Charles’ II. Und sie wurden nach der Revolution dann auf umfänglichere sowie rechtmäßigere Art und Weise vom Parlament verliehen. Seit dieser Zeit war die East India Company nicht mehr nur eine zur Ausweitung des britischen Handels gebildete Gesellschaft: Sie glich eher einer in den Osten gesandten Abordnung, die über die gesamte Macht und Souveränität dieses Königreiches gebot. Seit jener Zeit musste man die Company als eine untergeordnete souveräne Macht begreifen – das heißt souverän im Hinblick auf die Gegenstände, die sie berührte; untergeordnet im Hinblick auf die Macht, von der sich ihre große Treuhandschaft ableitete. Unter diesen aufeinanderfolgenden Regelungen nahmen die Dinge einen Lauf, der sich ziemlich von ihrer herkömmlichen Ordnung unterschied. Es kam zu einer neuen Ordnung der Dinge, mit der die ahnungslosen Politiker nicht im Traum gerechnet hätten und für die es in der modernen Welt nur wenige, allenfalls entfernt ähnliche Beispiele gab, in der antiken hingegen kein einziges. Sonst wurde zunächst eine politische Körperschaft gegründet, die als Gemeinwesen fungierte, und der Handel folgte aus dem von der politischen Macht gewährten Schutz. Hier aber war die Reihenfolge umgekehrt. Das Statut der Company begann mit dem Handel und endete beim Empire. Wo immer die souveräne Macht über Krieg und Frieden gegeben ist, || 9 Burke fasst hier die Befugnisse zusammen, die die East India Company in den Jahren 1661, 1668, 1683 und 1686 sukzessive erhielt.

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braucht es in der Tat nicht mehr als Zeit und Gelegenheit, damit diese Macht alle anderen Befugnisse verdrängt. Die Handelsangelegenheiten werden dann schließlich an den ihnen gebührenden Platz und Zusammenhang verwiesen. So sehr sie ihrer ursprünglichen Absicht nach vorrangig gewesen sein mögen, werden sie nun zweitrangig. Da somit der Besitz und die Macht zur Durchsetzung dieser erheblichen Befugnisse mit dem verbesserten Zustand Europas, mit dem verbesserten Zustand der Künste in Europa, mit dem verbesserten Zustand der Gesetze und, was wesentlich relevanter ist, dem verbesserten Zustand der militärischen Disziplin, die bei uns von Tag zu Tag vollkommener wird, zusammenfielen – und die allgemeine Verbesserung in Europa wiederum mit dem allgemeinen Niedergang Asiens zusammenfiel (denn die stolzen Tage Asiens sind vorbei), da diese Verbesserung mit der Ermüdung und Auflösung des Mogulreichs zusammenfiel, mit dem Niedergang seines kriegerischen Geistes, mit der vollkommen außer Gebrauch gekommenen alten Strenge der von Tamerlan10 begründeten militärischen Disziplin –, wurde die East India Company das, was sie ist: ein großes Empire, das an zweiter Stelle umfangreichen Handel betreibt. Sie wurde zu dem, was das Römische Recht für unvereinbar mit Vernunft und Anstand hielt – eundem negotiatorem et dominum:11 Ein und dieselbe Macht wurde Generalhändler und oberster Herrscher. In dieser herausgehobenen Position aber bewahrt die East India Company immer noch Züge ihres ursprünglichen kaufmännischen Charakters. Die gesamte äußere Ordnung ihres politischen Dienstes beruht auf einem kaufmännischen Plan und richtete sich nach kaufmännischen Grundsätzen. Die East India Company in Asien ist de facto jedoch ein Staat unter dem Deckmantel eines Händlers. Ihr gesamter Dienst ist ein System öffentlicher Funktionen unter dem Deckmantel eines Kontors. Die gesamte äußere Ordnung und Abfolge ihrer Dienste ist, wie gesagt, eine kommerzielle; das Hauptsächliche, das Innere, das Wirkliche ist fast zur Gänze politisch. Dieses System des Dienstes der Company, ihrer Ordnung und Disziplin, muss Euren Lordschaften unbedingt erläutert werden, damit Sie sehen, auf welche Weise es durch die Missbräuche in Mitleidenschaft gezogen wurde. Zunächst einmal treten alle Personen, die im öffentlichen Dienst der Company nach Übersee gehen, als Kommis im Kontor an und werden entsprechend als „Schreiber“ bezeichnet. In dieser Stellung müssen sie fünf Jahre dienen. Die zweite Stufe ist die eines Agenten, auf der sie drei Jahre dienen müssen. Die dritte Position, die sie erreichen, ist die eines Juniorhändlers, in der sie drei weitere Jahre dienen müssen. Dann werden sie Seniorhändler und erklimmen damit die höchste Beförderungsstufe im Dienste der Company – einen || 10 D. i. der islamische Eroberer Temür ibn Taraghai Barlas (1336-1405), der berühmt-berüchtigt für seine Grausamkeit war. Burke betont jedoch, dass Barlas kein Barbar gewesen sei; vgl. unten, S. 247. 11 „Man kann nicht Herrscher (dominus) und Händler (negotiator) gleichzeitig sein.“ Wahrscheinlich eine Variante des römischen Rechtsspruchs „Nemo potest esse tenens et dominus“; zu deutsch: Niemand kann zugleich Pächter und Grundherr sein. Vermutlich zieht Burke hier eine Parallele zu Ciceros „Reden gegen Verres“, auf die er im Verfahren gegen Warren Hastings mehrfach verweist; vgl. Stagl 2012.

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Rang, mit dem sie vor 1774 noch Aussichten auf den Rat, auf die Nachfolge in der Präsidentschaft und auf alle anderen erdenklichen Ehren hatten, welche die Company erweisen kann. Die Company gründete in ihren frühen Tagen an bestimmten Orten Faktoreien, aus denen nach und nach so etwas wie eine Amtsgewalt und ein Rat hervorgingen, und zwar in dem Maße, wie Macht und Einfluss der Company zunahmen und das Politische zunächst mit dem Kaufmännischen rang und schließlich die Oberhand behielt. In dieser Form ging es weiter bis zum Jahr 1773, als die Gesetzgebung aus zwingenden Gründen in diese Ordnung des Dienstes eingriff und Personen, die nach den üblichen Gepflogenheiten des Dienstes keinen Anspruch auf diese Stellen gehabt hätten, auf der obersten Leitungsebene einsetzte. Mr. Hastings und Mr. Harwell12 wurden, welche anderen Titel sie auch sonst geführt haben mögen, allein durch Parlamentsbeschluss in ihre Ämter gebracht; in allen anderen Hinsichten aber, außer dort, wo dieses Gesetz und spätere Gesetze eingriffen, fußt der Dienst, was seine Rangfolge und Ordnung betrifft, nach wie vor auf seiner alten, nämlich kommerziellen Grundlage. Eure Lordschaften sehen hier eine reguläre Rangfolge, bei der es elf Jahre dauert, bis jemand in die höchsten Ämter und Positionen gelangen kann. Sie werden mithin verwundert sein, dass vor dem Hintergrund einer so langen Bewährungszeit im Dienst Wirkungen eingetreten sind, die angesichts langer Bewährung nicht zu erwarten gewesen wären. Sie werden darüber gestaunt haben, Menschen in einer wesentlich kürzeren Zeit als jenen elf Jahren mit großen, mit überwältigenden Vermögen in dieses Königreich zurückkehren zu sehen. Wenn wir vor Euren Lordschaften die Beweise gegen Mr. Hastings erhärten, wird es einen Großteil Ihrer Untersuchung in Anspruch nehmen, herauszufinden, wie es geschehen konnte, dass diese Ordnung so vollkommen zusammenbrach und sich kaum eine Spur von ihr zu irgendeinem guten Zweck erhielt. Obwohl ich nicht bestreiten will, dass diese Ordnung wie jede andere Ordnung in einem Staat von der herrschenden Macht ersetzt werden mag, wenn aufgrund dringender Notwendigkeiten große Talente herbeigerufen werden müssen, so muss ich doch sagen, dass die Ordnung selbst auf klugen Grundsätzen beruhte. Sie verschaffte all jenen, die sich auf diese Weise praktisch bewähren konnten, eine Möglichkeit (wenn die Umstände dies erlaubten), Erfahrung im Geschäft der Steuererhebung, des Handels und der Politik zu sammeln. Sie ermöglichte denen, die jene unter ihrer Aufsicht hatten, eine unausgesetzte Prüfung ihres Verhaltens im Laufe ihrer gesamten Entwicklung. Die Amtsanwärter waren so gezwungen, mit jeder höheren Stellung auch einen festeren Charakter anzunehmen, damit alles, was sie sich über die Jahre durch ihr gutes Verhalten erworben hatten, nicht durch das Fehlverhalten einer einzigen Stunde verloren ging. Es war eine große, weitreichende Regelung. Doch kaum eine Spur ihres wahren Geistes bleibt in Mr. Hastings Regierung zu erkennen, || 12 Vermutlich Richard Barwell (1741-1804), eines der vom Parlament ernannten fünf Mitglieder des Bengal Supreme Council, der durch den Regulating Act von 1773 etabliert wurde.

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denn Mr. Hastings schuf Ämter, nein, ganze Ämtersysteme und insbesondere 1781 ein System von Ämtern, für das, da es insgesamt vollkommen neu war, keine der Regeln zur Stufenfolge galt. Und er besetzte diese Ämter auf eine Art und Weise, die weder dem Statut noch dem Geist des Dienstes, sondern seinen eigenen speziellen Ansichten und Zwecken entsprach. Die Folge war, dass Personen in den unreifsten Phasen ihres Lebens dazu ernannt wurden, Angelegenheiten zu regeln, die eine große Reife des Urteils sowie die größtmögliche Gemütsruhe und Mäßigung verlangten. Dies hat natürlich die entsprechenden Folgen gezeitigt. – Ich werde Eure Lordschaften nicht mit weiteren Beobachtungen zu diesem System der Stufenfolge belästigen.13 [...] Es ist wahr, dass in einigen Teilen Europas die wichtigsten Positionen oftmals mit sehr geringen Vergütungen einhergehen, und dennoch sind sie besetzt. Warum? Weil Reputation, Ruhm, Bekanntheit, die Achtung, die Liebe, die Freudentränen, die aus glücklicher Empfindsamkeit strömen, der ehrliche Applaus eines dankbaren Landes manchmal die Sorgen, Ängste und Mühen aufwiegen, die mit wichtigen Positionen im Commonwealth verbunden sind; in diesen Ländern wird in Geld gezahlt, was mit Ruhm und Reputation nicht aufzuwiegen ist. Im Dienste der East India Company verhält es sich gerade umgekehrt. Ruhm ist den unteren Rängen nicht beschieden, und auf allen untergeordneten Stufen der Hierarchie finden sich Angestellte, die im Vergleich zu den ihnen anvertrauten Ämtern und Pflichten miserabel bezahlt werden; während der Prinzipal jeder großen Amtsgewalt über Vergütungen verfügt, die ihn gegen jede Art von Versuchung feien. Doch wenn dies das Haupt nicht gerettet hat, können wir leicht schließen, wie wir erst die Glieder in Schranken halten müssen. An der Spitze des Dienstes hat Mr. Hastings trotz seiner hohen rechtmäßigen Vergütungen seine Hände beschmutzt und seine Regierung besudelt, indem er Bestechungsgelder annahm. Er hat Unterdrückung und Tyrannei an die Stelle rechtmäßigen Regierens gesetzt. Mit all dieser unbeschränkten, ungehörigen Macht, die er über die öffentlichen Einnahmen erlangte, hat er die Personen, die der Öffentlichkeit in untergeordneten, aber mächtigen Positionen dienen, das Volk ohne die geringste Kontrolle ausplündern lassen, statt für sie tunlichst ein Schema der abgestuften, ansteigenden, ehrenwerten und angemessenen Entlohnungen zu finden. Statt ehrlichen Lohns gibt es den unbeschränkten Freibrief der Macht. Und wie mir einer der ehrlichsten und fähigsten Bediensteten der Company im Gespräch mitteilte, glich der öffentliche Dienst der Company dem Militärdienst der Maharadschas: geringe Entlohnung, aber eine unbegrenzte Lizenz zum Plündern. Ich sage nicht, dass sich manche in Indien gezahlten Besoldungen hierzulande nicht ordentlich ausnehmen würden. Wenn Sie aber die Natur der Treuhandschaft, das Ansehen der Position, wie immer sie heißen mag, die eingeräumten Befugnisse und die Hoffnungen eines jeden, einen eigenen Hausstand im heimatlichen Königreich zu gründen, bedenken, dann sind sie, dies sei || 13 Burke geht an späterer Stelle seiner Eröffnungsrede auf weitere Details dieses neuen Ämtersystems ein; vgl. WS VI: 399-402.

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noch einmal gesagt, die Quelle endlosen Grolls, endlosen Missbrauchs. Wir beschuldigen Mr. Hastings, sich diese Quelle korrupter Macht zunutze gemacht zu haben, indem er den Mangel an direkter Entlohnung durch das Aufspüren und Billigen jeder Art von unredlicher und ungerechter Vergütung füllte, doch man muss zugeben, dass er bei weitem nicht der Einzige ist, der sich dieses Vergehens schuldig gemacht hat. Ein weiterer für die East India Company bezeichnender Umstand ist die Jugend der in ihrem Dienste beschäftigten Personen. Die Bediensteten wurden fast ausnahmslos in jener Lebensphase, die überall sonst für eine strenge Ausbildung vorgesehen ist, in die Fremde geschickt, um ihre Entwicklung und Laufbahn in aktiver Beschäftigung und mit der Ausübung hoher Autorität zu beginnen. Kurz gesagt: Sie werden aus ihrer unzuverlässigen Jugend in eine gefährliche Unabhängigkeit gebracht, von gefährlicher Unabhängigkeit zu unmäßigen Erwartungen, von unmäßigen Erwartungen zu grenzenloser Macht. Schuljungen ohne Lehrer, Minderjährige ohne Vormunde – die Welt wird mit all ihren Versuchungen auf sie losgelassen, und sie werden mit der gesamten Macht, die der Despotismus mit sich bringt, auf die Welt losgelassen. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass diese Bediensteten ausüben, was Eure Lordschaften gerade im Ausüben begriffen sind: hohe richterliche Gewalt, und sie üben sie ohne das geringste Studium irgendeiner Rechtsordnung aus, weder der allgemeinen noch einer lokalen. Man hat es im Dienst der Company zu einer Art Regel gemacht – zu einer selbst durch die Versuche, sie zu korrigieren, bestätigten Regel (ich meine durch Sir Elijah Impey,14 als dieser sich unter der Schirmherrschaft von Mr. Hastings vornahm, Gesetzgeber für Indien zu sein) –, dass die Rolle des Richters, der Schlussstein in der juristischen Stufenfolge, zu dem alle Vertreter der Zunft als dem krönenden Abschluss ihrer Mühen aufblicken, jener letzten Hoffnung der in Ausübung ihres Berufs ergrauten Männer, zu den ersten Betätigungsfeldern eines Bediensteten der Company gehört. In dem Regelwerk, auf das ich mich beziehe, wird ausdrücklich gesagt, dass das Amt und die Position eines Richters der Sadr-DiwaniAdalat-Gerichte von den Juniorbediensteten der Company bekleidet werden soll und das Richteramt, da die richterliche Vergütung deutlich hinter der anderer Positionen zurückbleibt, gewissermaßen in transitu, als Übergang zu anderen Ämtern nicht-richterlicher Natur verstanden werden soll. Sobald ein junger Mann die Mängel seiner Ausbildung durch den Vorteil einer gewissen Erfahrung ausgeglichen hat, wird er deshalb unmittelbar in ein vollkommen anderes Amt versetzt; und ein anderer junger Mann tritt an seine Stelle, um auf Kosten indischen Besitzes eine Position auszufüllen, die er, wenn er vielleicht am Ende dazu befähigt ist, sie auszufüllen, nicht länger bekleiden soll.

|| 14 Sir Elijah Impey (1732-1809), ab 1773 Vorsitzender Richter am königlichen Supreme Court von Kalkutta, ab 1780 Vorsitzender Richter an dem von Hastings gegründeten Gericht der East India Company, dem Sadr-Diwani-Adalat.

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Mit den anderen Positionen verhält es sich weithin genauso. Es sind die Positionen großer Staatsmänner, die, wie es die praktische Erfahrung der Welt zeigt, eher einen ausgedehnten Umgang mit Menschen und viel Lebenserfahrung erfordern als ein intensives Bücherstudium – obwohl auch dieses von eminentem Nutzen ist –, um angemessen ausgefüllt zu werden. Wir wissen, dass die Menschen in den Gepflogenheiten des zivilisierten Lebens, in kultivierter Gesellschaft eine ganze Menge von der soliden Regierungspraxis, den wahren Staatsmaximen und all dem aufsaugen, was jemanden befähigt, seinem Land zu dienen. Diese Männer aber werden dorthin geschickt, um Funktionen auszuüben, vor denen hiesige Staatsmänner zittern würden, ohne jede theoretische Ausbildung und ganz ohne jene Erfahrung, die Männer in gemischten Gesellschaften privaten und geschäftlichen Verkehrs allmählich und unmerklich für große Aufgaben vorbereiten. Niedere Gerissenheit, Ränkespiel und List sind schnell erlernt; doch mannhafte, beständige Politik, die das Allgemeininteresse niemals einem parteiischen oder momentanen Vorteil opfert, ist vom menschlichen Verstand nicht so günstig zu erwerben. [...] Bis hierher habe ich Eure Lordschaften mit dem System der Verschwörung und Verschwiegenheit behelligt, das unter seiner Leitung den elementaren Grundsatz fast des gesamten Dienstes darstellte. Es gibt ein Mitglied des Dienstes, das ich ausgelassen habe. Ob ich es aber an die erste Stelle hätte setzen sollen, oder, wie ich es nun tue, an die letzte, das weiß ich gerade nicht zu sagen; denn auch wenn es der niederste – wenn überhaupt ein regulärer – Teil des Dienstes zu sein scheint, ist es bei weitem der beträchtlichste und wirksamste, ohne dessen vollumfängliche Berücksichtigung und Erklärung praktisch kein Teilaspekt von Mr. Hastings’ Verhalten und des Verhaltens vieler anderer, die in seiner Lage sein mögen, zur Gänze verständlich wird. Ich habe Euren Lordschaften von Schreibern, Agenten und Händlern berichtet, die als Richter, Lordkanzler, Schatzkanzler, Staatssekretäre und Verwalter großer Steuereinnahmen wirken. Doch es gibt noch eine andere Klasse von Männern, die wichtiger sind als all jene, eine Klasse, von der Sie schon oftmals gehört haben, die aber nicht hinreichend erläutert wurde: Ich meine die Bania.15 Als sich der Dienst der Company noch auf das Kaufmännische beschränkte und die Bediensteten im Allgemeinen nicht mit dem Land vertraut waren, bedienten sie sich bestimmter einheimischer Mittelsmänner, die man Bania nannte: So nannten wir sie, weil sie dem Stamm || 15 Bania, manchmal auch Vania, kommt ursprünglich aus dem Sanskrit. Es leitet sich ab von banij oder vanij, was so viel bedeutet wie Händler, Kaufmann. Als Bania wurden gut gebildete Männer der hinduistischen Oberschicht bezeichnet, die als Kaufleute für britische Beamte arbeiteten. Häufig stammten diese Männer aus Brahmin- (Priesterschicht), Vaidya- (Ayuverda-Mediziner) oder Kayastha- (Schreiber, Beamte) Familien. Viele der Banias waren bereits vor ihrer Tätigkeit für die Briten als Kaufleute und Händler aktiv. Da Händler in der Öffentlichkeit nicht wesentlich mehr galten als Handwerker oder Bauern, bemühten sich die Mitglieder dieser neu entstehenden und an Einfluss gewinnenden Gesellschaftsschicht um religiöse Reinheit und Strenge, um ihr Ansehen zu mehren.

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oder der Kaste der Bania oder Händler und Kaufleute angehörten – denn die Inder sind im Allgemeinen durch ihren Stamm auf Gewerbe festgelegt. Der Name blieb erhalten, auch wenn die Funktion der Bania eine ganz andere wurde. Der Bania wird auch mit anderen Begriffen bezeichnet. Man nennt ihn Diwan oder Verwalter; und dieser Begriff lässt sich in der Tat in einigen seiner Funktionen angemessener auf ihn anwenden. Er ist seiner Amtsbezeichnung nach der Verwalter des Haushalts eines europäischen Herrn: Ihm obliegt die Verwaltung von dessen Angelegenheiten und die Aufsicht über dessen Bedienstete. Er selbst ist ein Hausangestellter und wird normalerweise aus derjenigen Klasse der Einheimischen ausgewählt, die sich jedem Befehl fügen können, da sie an Elend und Unterwerfung gewöhnt sind und sich für alle niederen Dienste eignen. Unter Bedingungen der Unterdrückung ausgebildet – sie ist die wahre Erziehung –, sind sie geeignet, andere zu unterdrücken. Sie gehen in eine Lehre der Knechtschaft, die sie auf das Gewerbe der Tyrannei vorbereitet. Sie kennen alle Mittel, all die kleinen Betrügereien, all die Tricks und Kniffe, das ganze Rüstzeug der Abwehr, durch die sich einfallsreiche Sklaverei gegen die Gewalt der Macht zu schützen weiß. Sie kennen alle Schlupflöcher, alle Geheimgänge der Unglückseligen; und sie stöbern Not und Elend bis in ihre letzten Zufluchtsorte auf. Sie haben selbst gelitten. Doch diese Leiden haben sie keineswegs gelehrt, sich selbst jeder Härte zu enthalten, sondern ihnen lediglich Methoden vermittelt, um ihre Mitsklaven zu peinigen. Sie wissen bestens Bescheid, was in England vor sich geht. Sobald ein Bediensteter der Company in Indien eintrifft und seine englischen Verbindungen als mächtig gelten, ergreifen Vertreter dieser Klasse Besitz von ihm, als wäre er ihr Erbteil. Sie kennen ihr Land und seine Angelegenheiten; sie haben Geld; sie beherrschen die Kunst des Geldverdienens. Dem Herrn, der aus England kommt, geht all dies ab; er betritt diese Welt, so wie er die Welt schlechthin betreten hat: nackt. Seine Mitgift ist große Einfalt, große Bedürftigkeit und eine starke Neigung, sich Erleichterung zu verschaffen. Der Bania übt, sobald er einmal Besitz ergriffen hat, seine Tyrannei nicht nur über die Einheimischen aus, sondern oft auch über den Meister selbst, der am Vorgehen seines Dieners kaum mehr Anteil hat, als ihm den Freischein seines Namens zu geben, um deutlich zu machen, dass dieser mit einem Europäer verbunden ist und von einem Europäer protegiert wird, der zuhause wiederum selbst gut vernetzt ist und protegiert wird. Das ist eine Vollmacht, der nichts entgegengesetzt werden kann. Von diesem Moment an ist nicht der Engländer, sondern der schwarze Bania der Herr. Der nominelle Herr lebt oft von seiner Hand. Wir wissen, wie junge Männer aus diesem Land fortgeschickt werden; wir wissen, wie es uns freut, alsbald zu erfahren, dass sie ihren Freunden und Eltern nicht mehr zur Last fallen. Der Bania weiß das auch. Er versorgt den jungen Bediensteten mit Geld. Er hat ihn in seiner Macht: zunächst einmal aus der Notwendigkeit heraus, einen solchen Mann zu beschäftigen; des Weiteren (und dies ist der wichtigere Aspekt von beiden) hat er die furchtbare Macht über seinen Herrn, die jeder Gläubiger über seine Schuldner hat. Dieser muss aus nächster Nähe Taten mitansehen, die seiner Natur zutiefst zuwider sind, während tausende und abertausende schlimmere in seiner Abwesenheit verübt werden, und

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wagt es nicht, sich zu beschweren. Der Bania erpresst, raubt, plündert und gibt ihm dann genau den Anteil an der Beute, den er ihm geben will. Sollte der Herr murren, dann steigert ebenjene Macht, die entsandt wurde, um das Volk von Indien vor ebendiesen Missbräuchen zu schützen – denn die besten Dinge werden in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man sie auf unbekannte Gegenstände anwendet und in unpassende Situationen bringt –, nämlich das englische Recht, die Macht des Bania über seinen Herrn ins Unermessliche, indem es das Eintreiben der Schulden erleichtert. So wird der Oberste Gerichtshof, der doch eigentlich jeden Missbrauch abstellen soll, zu einer zusätzlichen Absicherung für diese abscheuliche Tyrannei, die von den begüterten Bania sowohl über Europäer als auch über die Einheimischen ausgeübt wird. Während wir uns hier der britischen Macht im Osten brüsten, sind wir in mehr als der Hälfte unseres Dienstes vielleicht nichts weiter als die unterlegenen, elenden Instrumente der Tyrannei, welche die niedersten Elemente der Einheimischen Indiens zur Schande der britischen Autorität und zum Verderben all dessen ausüben, was unter ihren Landsleuten achtbar ist. Diese Elemente haben die vornehmsten Häuser zerrüttet, das Land vollkommen ruiniert und zugrunde gerichtet, die Finanzbehörde betrogen und übervorteilt – der Herr währenddessen ein stummer, manchmal melancholischer Zuschauer, bis ihn irgendein Amt mit hoher Vergütung befreit. Dies ist häufig der wahre Grund, warum sich die Bediensteten der Company in Indien gezwungen sehen, Werkzeuge einer anderen Tyrannei zu werden, um sich von dieser entsetzlichen und grauenhaften Sklaverei zu befreien; warum sie sich mächtigen Männern gegenüber prostituieren, um möglichst irgendein Amt zu erlangen, das sie in die Lage versetzt, den niedrigsten Sklavendiensten zu entkommen, und es ihnen erlaubt, ihre Schulden zu bezahlen. Auf diese Weise sind viele zu Mr. Hastings’ Handlangern geworden. Diese Bania oder Diwani gehörten ursprünglich zu den niederen Kasten des Landes. Nun ist es aber wahr, dass sich Männer aus höheren Kasten, die zu Höherem bestimmt sind, nachdem sie die Macht und Gewinne dieser Männer gesehen haben; nachdem sie gesehen haben, dass anders als auf diesem Weg an keine Macht, keinen Beruf, keine Beschäftigung, die eine anständige Person ausüben kann, heranzukommen ist, in diese schändliche Knechtschaft herab begeben, sich zu Lakaien der Engländer gemacht haben, um durch ihre Erniedrigung vielleicht aufsteigen zu können. Wer immer sie aber sind, von welcher Geburt sie auch sein mögen, sie haben alle gleichermaßen ihre Rechtschaffenheit verkauft, haben alle gleichermaßen ihren Charakter verloren; und sobald sie einmal diesen Lebensweg eingeschlagen haben, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den besten und den schlimmsten Kasten. Dieses System hat Mr. Hastings bestärkt, durchgesetzt, ausgebaut und zum Instrument der härtesten Tyrannei, der niederträchtigsten Veruntreuung und der skandalösesten und schändlichsten Erpressung gemacht. In der Beschreibung, die ich von den Bania gegeben habe, muss eine Unterscheidung getroffen werden. Eure Lordschaften müssen die Bania der britischen Bediensteten in untergeordneten Positionen von den Bania unterscheiden, die Personen in

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höheren Ämtern dienen. In letzterem Fall befindet sich der Bania in strikter Unterordnung, weil er immer von seinem Vorgesetzten ins Verderben gestürzt werden kann; während es im ersteren Fall immer in seiner Macht steht, seinen nominell Vorgesetzten ins Verderben zu stürzen. Es geschah nicht aus Furcht, sondern freiwillig, und nicht im Interesse des Bania, sondern in seinem eigenen, dass Mr. Hastings seinen Bania begünstigte. Er verschaffte ihm einen Platz in den höchsten Adelshäusern und verhalf ihm zu Einkommen; er hat ihm unerhörte Stellungen verschafft; er hat ihn über die Häupter eines Adelsstands erhoben, der aufgrund seiner Erhabenheit, seines Alters und seiner Würde fast Euren Lordschaften ebenbürtig wäre. Er hat ihn zum obersten Kirchenrichter ernannt, Richter sogar über die Kasten selbst, wo doch dieses Volk aus der Erhaltung der getrennten Regeln und getrennten Privilegien dieser Kasten heraus lebt. Und wer die Herrschaft über das Kastenwesen führt, besitzt eine absolute Macht über etwas, das größer ist als Leben und Vermögen. Von diesem Schlage ist dieser erste oder letzte (ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll) Stand im Dienst der Company namens Bania. Die Mutseddies16 – Kanzlisten und Buchhalter – von Kalkutta fallen üblicherweise unter diese Kategorie. Eure Lordschaften werden später noch sehen, wie notwendig es war, Ihnen bei der Eröffnung des Falles einen Eindruck von der Stellung eines Bania zu vermitteln. Sie werden sehen, dass, da keiner von ihnen im engeren Sinne des Wortes alleine handelt, jeder Engländer für diese seine Bania genannte Person verantwortlich gemacht werden muss; für die Macht, die der Bania entweder unter ihm ausübt, oder für die Macht, die er über ihn gewonnen hat. Der Bania entzieht sich im Dunkel seiner Hautfarbe und Stellung der Untersuchung, vor die ein weißer Mann in diesem Land sowieso nicht zitiert werden könnte. Durch die Bania oder andere schwarze Einheimische erhält ein schlechter Bediensteter der Company seine Bestechungsgelder. Durch sie fällt er im Kastengericht oder in den Grundbuchämtern falsche Urteile über die Ansprüche der Prozessparteien. Durch sie hat Mr. Hastings eine Unterdrückung praktiziert, die er, wie ich doch behaupten möchte, in seinem eigenen Namen, seinen eigenen Ruf riskierend, so waghalsig er auch ist (und er ist der waghalsigste Verbrecher aller Zeiten), niemals auszuüben wagte. Viele, wenn nicht die meisten der Ungerechtigkeiten seiner schlechten inneren Verwaltung wurden durch diese Bania oder andere einheimische Handlanger und Vertraute begangen; und wir werden Ihnen zeigen, dass er sich nicht mit einem von ihnen zufriedengibt, nur wenige seiner Geheimnisse Europäern anvertraut und kaum einer seiner Handlanger, seien sie europäisch oder eingeboren, die Geheimnisse des anderen kennt. Dies ist das System des Banianismus und der Verschleierung, das Mr. Hastings, statt es gänzlich aus dem Dienst zu verbannen, || 16 Die Finanzbeamten und Verwaltungsangestellten von Kalkutta werden hier von Burke als Mutseddies (‫ ﻣﺘﺼﺪﻱ‬Mutasaddi) bezeichnet. Zu beachten ist allerdings, dass es sich dabei ausschließlich um muslimische Männer handelte und dass diese in der Regel für muslimische Großindustrielle arbeiteten und somit nicht wie die hinduistischen Banias für die Briten. Der Bedeutungszuwachs Letzterer führte 1789 und 1795 zu muslimischen Aufständen gegen den neuen Einfluss des ‚Hindu-Kapitals‘.

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durch Beispiel und Rückhalt verbreitet und dadurch so ausgeweitet hat, dass er selbst Europäer in so dunkle und hinterhältige Naturelle verwandelte. [...] Eure Lordschaften, zwei verschiedene Völker leben in Indien. In ein und demselben Land leben zwei Arten von Menschen, die sich ihrem Charakter, ihrer Lebensweise, ihren Ansichten, Vorurteilen und Sitten nach so vollkommen unterscheiden, als lebten sie in denkbar weit voneinander entfernten Ländern. Mr. Hastings war verpflichtet, für beide dieser Gruppen in gleicher Weise zu sorgen – gemäß den Bedingungen des Privilegs, das die Company von der rechtmäßigen Regierungsgewalt jenes Landes erhielt: ein Privileg, das sie auf eigenes Ersuchen erhielt; ein Privileg, das uns nicht von einer überlegenen Macht aufgenötigt, sondern das auf unmittelbares Ersuchen der führenden Bediensteten der Company erteilt wurde; ein Privileg, das von der Company feierlich angenommen und von ihr, wie ich zu meinem tiefsten Bedauern sagen muss, kaum geachtet wurde – oder zumindest von ihren führenden Bediensteten kaum geachtet wurde. Eure Lordschaften, bei der ersten Sorte von Menschen, die aufgrund der Mittel, die ich Ihnen beschrieben habe, faktisch dem britischen Empire unterworfen sind, handelt es sich um die ursprünglichen Einwohner Hindustans, die zu allen Zeiten und über alle für uns gängigen Zeitalter hinaus (immer mit Ausnahme der beiden großen Zeitalter)17 die eingeborenen Bewohner und Besitzer jenes Landes waren – mit Sitten, einer Religion, Gewohnheiten und Bräuchen, die für sie selbst am besten geeignet waren und die wenig Ähnlichkeit mit denen der restlichen Menschheit aufwiesen. Diese Sorte von Menschen wird gemeinhin Gentoos18 genannt. Das System und Prinzip ihrer Regierungsform ist das Lokale. Ihre Gesetze, ihre Sitten, ihre Religion sind allesamt lokaler Natur. Ihr Gesetzgeber, wer immer dies gewesen sein mag (denn wer er war, ist eine Frage, die sich in den Nebeln eines unergründlichen Altertums verliert), machte es zu einem obersten Grundsatz seiner Politik, die Menschen mit ihrer Heimaterde zu verbinden. Durch eine dieser Anomalien, die man bei näherer Bekanntschaft mit unserer Spezies tagtäglich entdecken kann und die sich durch reifliche Überlegung möglicherweise aus der Natur des Menschen erklären lässt, ist dieses eingeborene Volk Indiens; das von unserer gesamten Rasse die sanftesten, fast an weibliche Zartheit grenzenden Verhaltensweisen besitzt; das von Natur aus zur Güte bestimmt und in vielfacher Hinsicht dazu ausersehen ist, einen größeren Kreis des Wohlwollens auszufüllen, als ihn unsere Moralvorstellungen ziehen; dessen Wohlwollen sich auf || 17 Die Einfügung fehlt in der Erstausgabe der Rede in den Speeches (Bd. IV, London 1816, S. 323), findet sich aber in allen späteren Ausgaben (z. B. Works, London 1822, S. 51). Die Herausgeber der Writings and Speeches vermuten, dies bezeichne die Zeitalter von Schöpfung und Sintflut (WS IX: 301, Anm. 2). Sie selbst ändern die Einfügung ohne weitere Begründung in „I mean always the grand era excepted“ und folgen damit einer nur in einer Ausgabe der Rede von 1859 zu findenden Version (Bond 1859: 33). 18 Im 17. und 18. Jahrhundert übliche angloindische Slangbezeichnung für die Ureinwohner Indiens, die heute als abwertend empfunden wird.

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die gesamte kreatürliche Schöpfung erstreckt, – dieses Volk ist von allen Nationen diejenige, die sich anderen Teilen der Menschheit am wenigsten anzuschließen vermag. Sie kann nicht, zumindest ihre obersten Schichten können nicht mit irgendjemand anderem in Kontakt kommen. Das Band, das eines der wichtigsten Instrumente der Gesellschaft ist, weil es die Spezies verbindet, indem es die Individuen trägt, kann es bei ihnen nicht geben: Ich meine das Band der Geselligkeit. Diese Rasse kann durch dieses verbindende Prinzip des Lebens mit keiner anderen verkehren. Kein Hindu kann zusammen mit anderen seine Mahlzeiten einnehmen, auch dann nicht, wenn diese anderen es sind, die ihm den Hunger stillen. Dieser Umstand macht es uns schwer, uns mit dem gebotenen Mitgefühl mit ihren Angelegenheiten zu befassen, so wie es ihnen schwerfällt, dies mit den unseren zu tun, auch wo wir die gleichen Interessen haben. Und es gibt weitere Umstände, die unseren Umgang im Rahmen unserer wechselseitigen Beziehung erheblich erschweren. Das Meer liegt zwischen uns. Dieses Element, das die Menschheit zusammenführt, obschon es sie zu trennen scheint, stellt für sie einen verbotenen Weg dar. Die Wassermassen bilden eine große, zwischen Ihnen und jenen unverrückbare Kluft19 – nicht so sehr wegen der Urkraft des Elements, sondern wegen der Kluft, die Sitten, Meinungen und Gesetze in die Natur dieses Volkes selbst eingelassen haben. Niemand aus seinen höheren Kasten kann jemals ohne große Gefahr für die eigene Lebenslage, Religion, Stellung und Wertschätzung das Meer überqueren; und dies wird für immer jeden direkten Austausch zwischen diesem und jenem Land verwehren. Dieser bedeutsame und folgenreiche Umstand, Eure Lordschaften, macht es, da sie nicht zu uns kommen können, zehnmal so notwendig, all jene, die zu ihnen gehen, streng im Auge zu behalten. Er erlegt uns eine strengere Pflicht auf, diejenigen, deren Gewissensgrundsätze ihre Grundsätze der Selbsterhaltung schwächen, mit beständiger und großer Aufmerksamkeit zu bewachen. Wenn wir uns verpflichten, die Bewohner eines solchen Landes zu regieren, dann müssen wir sie nach ihren eigenen Grundsätzen und Maximen regieren, nicht nach den unseren. Wir dürfen sie nicht in den engen Kreis unserer eigenen Vorstellungen zu zwängen versuchen; wir müssen den unsrigen erweitern, um ihr System von Meinungen und Ritualen sowie die Erfordernisse, die sich aus beiden ergeben, darin aufzunehmen: jede Veränderung ihrerseits ist absolut unmöglich. Im Hinblick auf Persönlichkeit und Sitten haben wir die größere Anpassungsfähigkeit, also sind wir diejenigen, die sich anpassen müssen. Wir wissen, was das Reich der Meinung für die menschliche Natur bedeutet. Fast hätte ich gesagt, dass das Gesetz der Meinung die Natur des Menschen selbst ist. In jedem Fall bildet es den stärksten Grundpfeiler im Bauplan des menschlichen Geistes, und es beruht mehr Glück und Unglück der Menschheit auf diesem inneren Prinzip als auf allen äußeren Umständen zusammengenommen. Wenn es aber um das Reich der Meinung bei uns schon so bestellt ist, dann besitzt es bei ihnen eine reine, unumschränkte, ungeteilte || 19 „Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber“ (Lukas 16, 26).

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und despotische Macht. Die Vielfalt ausgewogener Meinungen in unseren Köpfen mindert die Kraft jeder einzelnen. Denn in Europa unterscheiden sich die Gesetze der Religion manchmal von den Gesetzen des Landes; manchmal weichen die Gesetze des Landes von den Gesetzen der Ehre ab; unsere Ehrgesetze sind voller Willkür, sie unterscheiden sich von jenen anderen Gesetzen und manchmal auch voneinander. Dort aber finden sich die Gesetze der Religion, die Gesetze des Landes und die Gesetze der Ehre alle in einem unveränderlichen System vereinigt und zusammengefasst, und sie binden die Menschen durch ewige und unlösbare Bande an die Regeln dessen, was sie ihre Kaste nennen. Vielleicht ist es notwendig, Euren Lordschaften kurz darzulegen, was eine Kaste ist. Das Volk der Gentoos ist seit grauer Vorzeit in verschiedene, allesamt erbliche Ordnungen unterteilt: Diese Familienordnungen nennt man Kasten; diese Kasten sind der wesentliche Bestandteil der Verfassung des Gentoo-Gemeinwesens, sowohl was ihre Religion als auch was ihren Staat betrifft. Eure Lordschaften werden an den Spitzen Ihrer Häuser in erbliche Würden hineingeboren; die übrigen vermischen sich mit dem Volk. Bei den Gentoos können adelig Geborene niemals in eine niedrigere Stellung herabsinken. Sie sind in vier Ordnungen mit jeweils zahlreichen Unterteilungen gegliedert: die Brahmanen, die Kshatriyas, die Vaishyas und die Shudras. Eine ewige Schranke ist zwischen sie gesetzt. Die höheren können nicht zu den niederen übergehen; die niederen können nicht zu den höheren aufsteigen. Sie alle haben eine ihnen zugewiesene Stellung, Position und Lebenslage und auch eine ihnen zugewiesene Religion, die sich nach ihren Ritualen und Zeremonien, manchmal nach ihrem Gegenstand in jeder dieser Kasten grundsätzlich unterscheidet. Wenn ein Mann, der in die höchste Kaste geboren wurde, welche etwa das vereint, was in diesem Land der Würde des Adelsstands und der geadelten Heiligkeit der bischöflichen Existenz zusammengenommen entspräche; wenn der diese Eigenschaften verkörpernde Brahmane seine Kaste verliert, dann fällt er nicht in eine niedrigere Ordnung, die der Kshatriyas, der Vaishyas oder der Shudras, sondern sieht sich augenblicklich aus allen gesellschaftlichen Stellungen verbannt. Er wird von den stolzesten Höhen der Achtung und Ehre in einen bodenlosen Abgrund der Verachtung hinabgestürzt: vom Ruhm in die Schmach, von der Reinheit in die Verunreinigung, von der Heiligkeit in die Entweihung. Kein ehrenwerter Beruf steht ihm mehr offen, seine Kinder sind nicht länger seine Kinder, ihre Verwandtschaft ist aufgehoben, das eheliche Band ist durchtrennt. Wenige überleben diese schlimmste aller Katastrophen. Spricht man mit einem Inder über seine Kaste, so spricht man mit ihm über sein Ein und Alles. Das Kastenwesen aber hat damit dem Schicksal eine Macht verliehen, wie es nach allem, was man weiß, die Sitten keiner anderen Nation jemals getan haben. Denn es ist einzigartig, dass man der Kaste nicht nur durch bestimmte vorsätzliche Verbrechen verlustig gehen kann, sondern auch durch bestimmte unfreiwillige Leiden, Schanden und Verunreinigungen, die zu verhindern partout in niemandes Macht steht. Diejenigen, die geduldig eine Haftstrafe ertrugen; diejenigen, die nicht vor der

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Peitsche zurückschreckten; diejenigen, die die Folter kalt wie Marmor über sich ergehen ließen; diejenigen, die noch dem Tod ins Gesicht lachten, – sie gaben augenblicklich nach, als man sie einer beliebigen Verunreinigung aussetzen wollte, die den Verlust der Kaste zur Folge hat. An diese Kaste sind sie durch alle denkbaren Gesetze gebunden, menschliche wie göttliche. Und eingefleischte Gewohnheit hat diese so tief und fest in ihnen verwurzelt wie kein anderes Vorurteil, von dem man je gehört hätte. So verfügt die Gewaltherrschaft gegen sie über ein vielfältigeres Waffenarsenal als gemeinhin üblich. Dieser Umstand sagt uns neben tausend anderen Überlegungen in gebieterischen Worten, mit welcher Sorge und Behutsamkeit wir ein so empfindliches Volk zu behandeln haben. Im Laufe dieses Prozesses werden Eure Lordschaften mit Schrecken gewahren, wie sich Mr. Hastings durch verschiedene seiner unter den Einheimischen selbst ausgewählten boshaften und abscheulichen Werkzeuge dieser zusätzlichen Mittel der Unterdrückung bediente. Ich werde im Laufe dieses Prozesses beweisen, dass er seinen eigenen Hauslakaien – einen ganz und gar von ihm abhängigen Schurken, einen extrem ungehobelten Schurken, das gemeine Werkzeug seiner Bestechungen und Unterschlagungen –, dass er diesen also auf den obersten Sitz der geistlichen Rechtsprechung beförderte, die über die Kasten all dieser Menschen, einschließlich ihrer Stellung, ihrer Familie, ihrer Ehre sowie ihres Glückes hier und, wie sie selbst glauben, nach ihrer zukünftigen Erlösung zu befinden hat. Unter dem Schrecken dieser Macht wagte kein Mensch, auch nur das Geringste gegen seine Gewaltherrschaft vorzubringen. Bestärkt in seiner Sicherheit, sagt er: „Wer beklagt sich über mich!“ – „Nein, keiner von uns wagt es, sich über Euch zu beklagen“, sagt der zitternde Gentoo. „Nein! Euer Hausdiener hat meine Kaste in seiner Gewalt.“ Ich werde Eure Lordschaften nicht mit der Erwähnung weiterer Namen behelligen. Es war genug, dass Cantoo Baboo20 und Ganga Govind Singh21 – Namen, mit denen Eure Lordschaften im Folgenden noch vertraut gemacht werden sollen –, es ist genug, dass diese Personen die Kaste und das Ansehen aller Menschen von Bengalen in der Hand hatten. Durch sie sicherte er sich wirksam gegen jede Beschwerde ab. Eure Lordschaften werden daher erkennen, wie überaus notwendig es geworden ist, dass ein anderer Akteur eingreifen, deren Repräsentation übernehmen und kraft seiner Freiheit und Macht die der Knechtschaft und Ohnmacht dieser Menschen geschuldeten Mängel beheben sollte. Die Commons von Großbritannien übernehmen diese Rolle. Eure Lordschaften, dieses Gentoo-Volk ist das ursprüngliche Volk Hindustans. Es ist immer noch das bei weitem größte. Diese Nation mag Fehler haben, doch bewahre uns Gott davor, über ein Volk zu richten, dessen Gesetze und Institutionen auf eine Zeit lange vor unserer armselig kurzen Zeitrechnung zurückgehen. Bei allen Fehlern || 20 Gemeint ist Krishna Kanta Nandy (1720-1794), Bania von Warren Hastings, der unter dem Namen ‚Cantoo Baboo‘ berühmt-berüchtigt war. 21 Ganga Govind Singh war Sekretär des von Hastings geschaffenen Committee for Revenue und laut Burke mit dem Generalgouverneur befreundet; vgl. WS VI: 400.

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ihrer Natur und allen Mängeln ihrer Institutionen weisen ihre Institutionen, die eine so große Macht über ihre Natur besitzen, zwei grundlegende Eigenschaften auf, denen man alle Ehre erweisen sollte: zunächst große Stärke und Beständigkeit; sodann ausgezeichnete moralische und politische Auswirkungen. Ihre Beständigkeit hat sich dadurch erwiesen, dass sie für eine Dauer, die sich mit allen Reichen messen kann, von denen uns die Geschichte berichtet, bei einer einheitlichen Grundausrichtung geblieben sind. Und immer noch erfreuen sie sich großer Rüstigkeit, zu der die Ehrfurcht vor dem Altertum genauso gehört wie die Leidenschaft, die Menschen dem Neuen und dem Wandel entgegenbringen. Sie stehen fest auf ihrem uralten Fundament und haben ihre Wurzeln tief in ihre Heimaterde geschlagen – vielleicht, weil sie sie nie irgendwo anders hingetrieben haben als in ihre Heimaterde. Ihr Blut, ihre Meinungen und der Boden ihres Landes bilden ein abgeschlossenes Ganzes, das keine Vermischung, keine Verfälschung, keine Verbesserung erlaubt. Aus diesem Grund hat ihre Religion niemanden bekehrt und ihre Herrschaft niemanden erobert; in dem Maße aber, wie ihre Gesetze und Meinungen auf sich bezogen und daran gehindert waren, sich außer Landes zu verbreiten, verdoppelten sie ihre Kraft zuhause. Sie hielten sich trotz mohammedanischer und portugiesischer Bigotterie, trotz tatarischer und arabischer Gewaltherrschaft, trotz des ganzen Wahnsinns unentwegter fremder Eroberungen, trotz eines noch furchtbareren Feindes, nämlich der Habgier der englischen Herrschaft. Eure Lordschaften, soeben sprach ich darüber, wie es hinsichtlich Stärke und Stabilität um ihre Prinzipien, ihre Gesetze und religiösen Institutionen bestellt ist; ich führte Beispiele für die Kraft an, die sie unter ebenjenen Umständen entfalten, unter denen alle Institutionen der Menschheit in anderer Hinsicht ihre Schwäche zeigen. Sie bestanden fort, als das Land ansonsten unterworfen war. Dies allein beweist schon hinlänglich, dass ihnen ein mächtiger Einfluss zuzuschreiben sein muss, von dem all die kleinen Theorien zu derlei Themen, die bei uns gerade in Mode sind, im Traum nichts ahnen. Die zweite Überlegung zu den Gentoo-Institutionen knüpft sich an ihre vorteilhaften moralischen und politischen Wirkungen. Das politische oder religiöse – oder, wie bei ihnen, das aus beidem bestehende – Regelwerk, das ein Volk glücklich und einen Staat wohlhabend macht (ungeachtet weitergehender und übergeordneter Überlegungen, die uns jetzt nicht unmittelbar betreffen), muss zweifellos, sofern menschliche Belange ausschlaggebend sind, eines sein, das in jeder Regierungsform mit Bedacht gewählt wird. Alle Beobachtungen bestätigen uns darin, dass sich jedes Land, in dem man die hinduistische Religion einführte, gut entwickelte. Das können wir in einigen Fällen noch heute sehen. Gerade das Land, das Gegenstand der richterlichen Untersuchung Eurer Lordschaften sein soll, gibt uns, da die Regierung vollständig ausgewechselt wurde, ein Beispiel für die unterschiedlichen Folgen, welche die Habgier einer ausländischen Hand und der väterliche, nachsichtige, schützende – aus der langen Verbindung von Vorurteil und Macht gewachsene – Arm einer einheimischen Regierung jeweils zeitigen. […]

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Dies, Eure Lordschaften, sind die Wirkungen, die das hinduistische Gemeinwesen in der ganzen gewaltigen Region hervorrief, bevor es durch die Barbarei fremder Eroberungen verformt und aus den Angeln gehoben wurde. Einige ausgesuchte, geschützte Flecken entwickelten sich unter ihm auch bis zum Jahre 1756 noch gut. Einige erhielten sich so lange, bis Mr. Hastings die Mittel an die Hand bekam, um sie gänzlich zu verunstalten. Solcherart waren die Aussichten von Benares unter dem glücklichen Regiment von Balwant Singh.22 In diesem glücklichen Zustand befand sich dasselbe Benares in den glücklichen Tagen von Chait Singh,23 bis Mr. Hastings 1781 in diesem Land seine Reformen einführte. Nachdem ich die Sitten des ursprünglichen Volks von Hindustan in groben Zügen umrissen, nachdem ich die allgemeinen Grundprinzipien ihrer Politik dargelegt habe, die eine Verbindung entweder verbieten oder uns zu einer ganz anderen Verbindung nötigen, als wir sie ihnen gegenüber bisher eingegangen sind, werde ich es dem Urteil Eurer Lordschaften anheimstellen, ob Sie es zulassen möchten, dass solch schöne Monumente der Weisheit und Güte durch die Raffgier Ihrer Gouverneure verunstaltet werden. Ich hoffe, dass ich im Hinblick auf die Religion und die Sitten der Gentoos nur so weit abgeschweift bin, wie es dem Verständnis unserer Herrschaft über sie zuträglich war; denn obwohl es für die Neugier des menschlichen Geistes niemals eine solche Nahrung gab wie die Sitten dieses Volkes, übergehe ich sie gänzlich. Ich möchte diese vorbereitende Übersicht in sechs Perioden unterteilen; und Eure Lordschaften mögen die der Hindus, die ich gerade erwähnte, als die erste Periode ansehen. Das zweite Zeitalter ist ein Zeitalter großen Unglücks für dieses Land und für die Welt im Ganzen: Ich meine die Zeit des Propheten Mohammed. Die Begeisterung, die seine Anhänger erfüllte, die despotische Macht, die der Religion durch diese Begeisterung erwuchs, und die aus beidem entstandenen Vorteile gegenüber den entkräfteten großen Reichen und den zerrütteten, zerstrittenen, unbedeutenderen Regierungen der Welt dehnten den Einfluss dieser stolzen, herrschsüchtigen Sekte von den Ufern des Ganges bis an die Ufer der Loire aus. Diese zweite Periode ist das Zeitalter der Araber. Dieses Volk hinterließ in Indien einen großen und bleibenden Eindruck. Sehr früh setzten die Araber mohammedanische Herrscher in allen Landesteilen ein, besonders im Königreich von Bengalen, das den Hauptgegenstand unserer gegenwärtigen Untersuchung bildet. Sie befehligten dieses Königreich für eine lange Reihe von Jahren, unter einer Dynastie von 33 Königen – da sie nicht lange nach der Zeit ihres Propheten mit ihrer Eroberung von Bengalen begonnen und ihr Herrschaftsgebiet dort begründet hatten.

|| 22 Balwant Singh (1770-1797), 6. Raja von Benares, einem der damaligen Fürstenstaaten im heutigen Bundesstaat Uttar Pradesh. 23 Chait Singh (?-1810), ältester Sohn und Nachfolger von Balwant Singh.

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Als sich dieses Volk erstmals in Indien niederließ, versuchte es, mit dem wilden Arm seines prophetischen Schwertes die Religion und die Sitten dieses Landes zu verändern. Als es aber sah, dass seine Grausamkeit der Standhaftigkeit der Leidenden nie etwas anhaben konnte und sich auf Dauer erschöpfte, gewährte es dem einheimischen Volk des Landes Ruhe und ließ die mohammedanische Religion ihre Wirkung auf die Menschen nach eigenem Vermögen entfalten, indem es an die Ehr- oder Habsucht der Großen appellierte oder das niedere Volk, das seine Kaste verloren hatte, in diese neue Sekte aufnahm und dadurch mit den Ausgestoßenen der Gentoos die Grenzen der mohammedanischen Religion erweiterte. Es beließ vielen der alten Rajas des Landes eine untergeordnete Souveränität; und wo die Stärke des Landes oder andere Umstände eine solche Unterordnung nicht erlaubten, gestattete es ihnen, in einem eigenen, mehr oder weniger, wenn nicht gar vollkommen unabhängigen Staat weiter zu regieren. Niemals vertrieben oder zerstörten die Mohammedaner in der Periode der Araber den einheimischen Gentoo-Adel, die Zamindare24 oder Grundbesitzer des Landes. Sie blieben alle oder fast alle unverändert an ihren Orten, bei ihren Besitztümern und in ihren Würden, wie es manche von ihnen schattenhaft auch unter unserer Rechtshoheit noch sind. Das folgende, also das dritte Zeitalter ist eines, auf das es noch dringlicher zu achten gilt, weil sich Mr. Hastings in seiner Verteidigung vor den Commons oft darauf bezogen hat: nämlich den Einfall der Tataren oder das Zeitalter Tamerlans. Diese Tataren errichteten ihre Herrschaft nicht auf den Ruinen der Hindus. Ihre Siege waren Siege über andere Mohammedaner, denn Tamerlan fiel in Hindustan ein, wie er in andere Länder einfiel, in der Gestalt des großen Reformers der mohammedanischen Religion. Er kam in göttlichem Namen, als eine Art Rechtsnachfolger des Propheten. Er griff alle mohammedanischen Fürsten an, die zu jener Zeit regierten. Er betrachtete sie als Abtrünnige, oder zumindest als schwach im Glauben, und als Tyrannen, die ihre Macht missbrauchten. Um sie leichter unterwerfen zu können, war er oft gezwungen, sich mit den Einwohnern des Landes, in das er einfiel, mehr oder weniger ins Benehmen zu setzen. Tamerlan hatte weder die Zeit noch die Mittel, noch die Neigung, die historischen Rajas des Landes zu enteignen. […] Hier war ein Eroberer, wie man ihn nennt, der verhandlungsbereit ins Land kam, der sein Blut mit dem der einheimischen Aristokratie des von ihm eroberten Landes vermischte und sie infolge dieser Mischung zu Thronfolgern des von ihm bezwungenen Landes, ja einen unter ihnen sogar zum erblichen Kommandanten der Hauptstadt seines Königreichs machte, womit er seine Nachkommenschaft als Unterpfand in ihre Hände gab. Was genauso bemerkenswert ist: Er befreite die Hindus für alle Zeiten von jener Steuer, mit der die Mohammedaner jedes Land belegten, über das || 24 Der Begriff bezeichnete ursprünglich Steuereintreiber, wurde später aber auch als Bezeichnung für Großgrundbesitzer verwandt.

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Mohammeds Schwert obsiegte – nämlich einer Kopfsteuer auf all jene, die sich nicht zur Religion der Mohammedaner bekennen. Die Hindus aber wurden durch einen ausdrücklichen Freibrief von diesem Zeichen der Knechtschaft ausgenommen und dadurch zu einem nicht unterworfenen Volk erklärt. Die einheimischen Fürsten trugen die augenfälligen Zeichen dieses Stands der Freiheit bei all ihren Unterhandlungen mit der Mogulregierung in einer vornehmen Unabhängigkeit des Geistes zur Schau. In ihren eigenen Distrikten schienen viele von ihnen über die ungeteilte Autorität zu verfügen. Wir werden bezüglich der Regierung Hindustans oft zu falschen Annahmen verleitet, weil wir sie mit solchen Regierungen vergleichen, in denen der Fürst mit voller, geistiger, ungeteilter Autorität ausgestattet ist und unter denen die Großen im Lande mit ihren großen Titeln überhaupt keine Privilegien haben oder, wenn sie Privilegien haben, diese Privilegien nur als Untertanen haben. In Hindustan aber sind die Formen, die Grade, die Umstände der Unterwerfung unendlich vielfältig. In manchen Orten war kaum eine Spur von Unterwerfung auszumachen; in einigen waren die Rajas praktisch die Steuereinschätzer des Throns, wie im Fall des Rajas Chait Singh. Diese Umstände zeigen, dass Tamerlan, mag man ihn auch mit den hässlichen Namen eines Tataren und Eroberers belegen, kein Barbar war; dass die Menschen, die sich ihm unterwarfen, dies nicht in der erbärmlichen Unterwerfung des Sklaven unter das Schwert des Eroberers taten, sondern einen großen höchsten Kaiser akzeptierten, der gerecht, besonnen und diplomatisch war – anders als die grausamen, gewalttätigen, unbedeutenderen mohammedanischen Souveräne, die sich zuvor mit dem Schwert ihren Weg in das Land gebahnt hatten. Jenes Land glich eher einer Republik von Fürsten mit einem obersten Herrscher an ihrer Spitze als einem Territorium in absoluter, einheitlicher, systematischer Unterwerfung von einem Ende zum anderen – in welchem Lichte Mr. Hastings und andere es aber in letzter Zeit zu betrachten beliebten. […] Sie sehen, dass die Monarchie auf wackligen Beinen stand, nicht die Rechte der nachrangigen Herrscher. Ungeachtet unserer Vorstellungen von einem orientalischen Despotismus können Eure Lordschaften sehen, dass diese führenden Rajas, wenn sie sich mit Waffengewalt gegen ihren Souverän erhoben, unter den Nachfolgern Tamerlans nicht als Schurken bezeichnet und behandelt wurden, wie Mr. Hastings sie zu bezeichnen und zu behandeln beliebte, sondern dass man ihnen mit Achtung begegnete und rasch versöhnliche Lösungen anbot, weil sie in Wirklichkeit in ihren gelegentlichen Feindseligkeiten eigentlich keine rebellischen Untertanen, sondern Fürsten waren, die oftmals nur auf ihren natürlichen Rechten und der gerechten Verfassung des Landes bestanden. Dieses Politikverständnis, wie es während der Dynastie Tamerlans vorherrschte, bringt mich auf natürliche Weise zur nächsten, der vierten Epoche in dieser Geschichte: ich meine das Zeitalter des Großmoguls Akbar.25 Er war der erste unter den Nachfolgern Tamerlans, der Bengalen in seinen Besitz brachte. Es lässt sich mühelos || 25 Jalaluddin Muhammad Akbar (1542-1605), Großmogul von 1556 bis 1605.

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zeigen, welcher Art seine Eroberung war. Sie bezwang die letzte mohammedanische Dynastie. Wie sein Vorgänger Tamerlan unterwarf auch er den Fürsten, nicht das Land. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich nicht um ein unterworfenes Land in dem Sinne handelt, in dem wir üblicherweise ein Land unterworfen nennen, ist die Tatsache, dass die Einheimischen, die Großen im Lande und die Grundbesitzer, überall ihre Besitzungen und die mit ihnen verbundenen Rechtsbefugnisse behielten. Es stimmt, dass in den verschiedenen Nachfolgekriegen des Mogulreichs und in anderen ihrer Bürgerkriege schlimme Racheaktionen verübt wurden, die Ähnlichkeiten mit denen der Rosenkriege unseres Landes aufwiesen, wo es auf beiden Seiten üblich war, im Eifer des Gefechts zu rufen: „Kopf ab! – Das war’s dann wohl mit Buckingham!“26 Doch wo das Land zu seiner Form und Einigkeit zurückfand, fand es auch zum Geiste sanften Regierens zurück. Wie unerbittlich man auch mit den mohammedanischen Abenteurern aus Persien, der Türkei und anderen Landstrichen verfuhr, die am Hof der Moguln die Stellung serviler Pracht innehatten, die Hindus jedenfalls waren ein bevorzugtes, behütetes und mit Sanftmut behandeltes Volk. Die nächste, die fünfte Epoche ist eine aufgewühlte und notleidende Zeit – die Epoche der unabhängigen Subahs27 Bengalens. Fünf dieser Subahs oder Vizekönige regierten etwa ab dem Jahr 1717. Sie erlangten ihre Unabhängigkeit zum Teil aufgrund der Schicksalsschläge und Erschütterungen, die jenes Reich im Zuge der Auseinandersetzungen um die Nachfolge Tamerlans ereilten, sicherlich und vor allem aber auch aufgrund des großen Schlags, unter dem das Reich erbebte, als Thamas Kuli Khan28 in das Land einfiel, seine Staatseinnahmen erbeutete, den Thron umstürzte und nicht nur viele Angehörige des führenden Adels, sondern fast alle Bewohner der Hauptstadt massakrierte. Dieser gewaltige Schlag, von dem sich jenes Reich nie wieder erholen sollte, ermöglichte es den Vizekönigen, unabhängig zu werden, doch ihre Unabhängigkeit führte zu ihrem Ruin. Diejenigen, die ihre Herren verdrängt hatten, hatten Diener, die wiederum sie verdrängten. Ali Vardi Khan29 ermordete seinen Herrn und ebnete einer Gruppe ausländischer Invasoren den Weg nach Bengalen, den Marathen,30 die das Land mehrere Jahre lang grausam malträtierten. Schließlich wurde ihr Rückzug mit einer Summe erkauft, die sich angeblich auf fünf Millionen Sterling belief. Durch diesen Handel sicherte er sich die ausgelaugten Überreste eines ausgelaugten Königreiches und überließ sie seinem Enkel Siraj ud-Daulah in Frieden || 26 Das Zitat entstammt einer berühmten Aufführung von Shakespeares Richard III. aus dem 18. Jahrhundert; es handelt sich jedoch nicht um ein originales Shakespeare-Zitat. 27 Subahs waren Provinzen des muslimischen Mogulreiches, das von 1526 bis 1858 bestand, seit dem 18. Jahrhundert jedoch in immer stärkere Abhängigkeit von der Ostindien-Kompanie geriet. 28 Er regierte als Nādir Schāh Afschār (1688-1747) mit dem Titel Tahmāsp Qulī von 1736 bis 1747 als Schah Persiens. Wegen des unter seiner Führung entstandenen Großreichs, das auch Teile des indischen Subkontinents umfasste, wird er von Historikern auch als ‚zweiter Alexander‘ bezeichnet. 29 Ali Vardi Khan (1671-1756) war von 1740 bis 1756 Herrscher von Bengalen. 30 Das Reich der Marathen bestand von 1674 bis 1818 in Zentralindien und stand Ende des 17. Jahrhunderts in Konkurrenz zum Mogulreich.

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und Armut.31 Mit dem Sturz Siraj ud-Daulahs im Jahr 1756 begann das letzte, mithin das sechste Zeitalter – das des Britischen Empires. Bezüglich der fünften Dynastie habe ich Euren Lordschaften gegenüber lediglich zu bemerken, dass sich die Hindu-Oberhäupter an deren Ende fast überall im Besitz des Landes befanden; dass unter Ali Vardi Khan, obwohl er ein grausamer Tyrann war, obwohl er ein unrechtmäßiger Usurpator war, obwohl er das Volk unter seiner Herrschaft plagte und quälte – mag dies angesichts des Eindringens einer Armee von 100.000 Pferden in sein Herrschaftsgebiet auch aus schierer Notwendigkeit geschehen sein –, die Rajas doch ihren Rang, ihre Würde, ihre Schlösser, ihre Häuser, ihre Feudalrechte, sämtliche Insignien ihrer Stellung und stets das Recht, manchmal sogar die Mittel behielten, ihre Untertanen zu beschützen, bis zu jener letzten und unglückseligen Epoche von 1756. Mit diesem ganzen historischen Abriss möchte ich Ihnen lediglich eine große und wichtige Wahrheit zu bedenken geben: dass nämlich durch all diese Regierungsumstürze und Machtwechsel hindurch in der Provinz, für die Mr. Hastings zuständig war, durchaus ein Hindu-Gemeinwesen und der Geist einer Hindu-Regierung existierten, bis er sie schließlich zerstören sollte. […] Zweiter Tag: Samstag, 16. Februar 1788 Will man die Verdienste und Fehler eines beliebigen Gouverneurs abwägen, so braucht man als erstes einen Maßstab, an dem sie zu messen sind. Und hier, Eure Lordschaften, lautet unsere Auffassung, dass ein britischer Gouverneur, den man ins Ausland entsendet, zu dem Zweck entsandt wird, so gut wie möglich dem Wohl der Menschen zu dienen, gemäß dem Geist der Gesetze dieses Landes, die in jeder Hinsicht auf ihre Erhaltung, ihr Glück und ihren Wohlstand zielen. Dies ist der Grundsatz, nach dem zu regieren Mr. Hastings verpflichtet war und nach dem er hier über sein Verhalten Rechenschaft ablegen muss. Er hatte zu tun oder zu unterlassen, was ein britischer Gouverneur, dem die Macht dieses Landes anvertraut ist, zu tun oder zu unterlassen verpflichtet war. Wenn er getan und gelassen hat, was er sollte, entlassen Sie ihn mit einem ehrenvollen Freispruch aus Ihrem Gericht; andernfalls verurteilen Sie ihn. Er mag sich auf andere Prinzipien und andere Maximen berufen, dieses Land aber wird ihn zwingend nach seinen Gesetzen beurteilen. Das Recht dieses Landes hat das wohlbekannte Verbrechen namens Amtsverletzung vorgesehen. Es ist ein Gegenstand des englischen Rechts und kann, sofern untergeordnete Gerichte über die entsprechende Zuständigkeit verfügen, vor diesen verhandelt werden. Die Zuständigkeit Eurer Lordschaften ist hier unbeschränkt: Sie sind in jeder Hinsicht dazu berufen, die Straftat zu untersuchen und zu ahnden. || 31 Mirza Muhammad Siraj ud-Daulah (1733-1757) war der letzte unabhängige Herrscher von Bengalen. Er fiel in der Schlacht von Plassey, in der die Truppen der Ostindien-Kompanie ihren entscheidenden Sieg erlangten.

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Und als erstes soll ich Euren Lordschaften aufgrund der Anweisung jener, denen Folge zu leisten ich verpflichtet bin, die Prinzipien nennen, deren gemäß Mr. Hastings nach eigenem Bekunden seine Regierung geführt hat – Prinzipien, zu denen er sich zunächst in mehreren an die East India Company gerichteten Briefen, dann ausdrücklich in einer an das House of Commons übergebenen Verteidigungsschrift und noch ausdrücklicher in seiner Verteidigung vor Euren Lordschaften bekannt hat. Nichts an Mr. Hastings Vorgehen ist so seltsam wie seine verschiedenen Einreden, und nichts an den Einreden ist so außergewöhnlich wie die Prinzipien, nach denen er vorgeht. Eure Lordschaften werden nicht nur über eine große, zusammenhängende, systematische Reihe von Delikten befinden müssen, sondern auch über ein gleichermaßen zusammenhängendes System von Regierungsprinzipien und -maximen, das erfunden wurde, um jene Delikte zu rechtfertigen. Er hat sie vorgebracht und sich am helllichten Tage zu ihnen bekannt. Er hat sie den Repräsentanten eines freien Volkes dreist und frech entgegengeschleudert, und wir können sie nicht auf sich beruhen lassen, ohne ihnen dadurch zuzustimmen. Ich bin angewiesen, gegen diese Gründe und Prinzipien, auf die er seine Verteidigung aufbaut, zu protestieren, denn wenn diese Gründe gut und berechtigt sind, dann entziehen sie unserer Anklage zumindest einen erheblichen Teil ihres Bodens, wenn nicht den gesamten. Eure Lordschaften, wir behaupten, dass Mr. Hastings als britischer Gouverneur nach britischen Prinzipien regieren sollte, nicht nach britischen Formen – Gott behüte! –, denn wenn es jemals den Fall gäbe, dass der Buchstabe tötet und der Geist Leben spendet, dann wäre es der Versuch, in einem beliebigen Land zugleich britische Formen und die Substanz despotischer Prinzipien einzuführen. Nein! Wir fordern jenen Geist der Billigkeit, jenen Geist der Gerechtigkeit, jenen Geist der Schonung, jenen Geist der Milde, der jeden britischen Staatsbürger in einer Machtposition auszeichnen sollte. Und nach diesen, und einzig nach diesen Grundsätzen soll ihm der Prozess gemacht werden. Er aber hat Euren Lordschaften zu seiner Verteidigung gesagt, dass Handlungen in Asien nicht dieselben moralischen Eigenschaften besitzen, die dieselben Handlungen in Europa besäßen. Eure Lordschaften, dieses Prinzip bestreiten wir entschieden. Ich bin dazu befugt und angehalten, es zu bestreiten. Und nachdem wir ausführlich dargelegt haben, was er meint, wenn er sagt, dass dieselben Handlungen in Asien und Europa nicht dieselben Eigenschaften besitzen, müssen wir Eure Lordschaften wissen lassen, dass diese Gentlemen den Plan einer geographischen Moral gefasst haben, nach dem die Pflichten der Menschen in öffentlichen wie in privaten Zusammenhängen nicht durch ihr Verhältnis zum großen Lenker des Universums oder durch ihr Verhältnis zur Menschheit, sondern durch Klimata, Längengrade, Gemeinsamkeiten nicht im Leben, sondern im Breitengrad bestimmt werden sollen: als ob nach Überqueren des Äquators alle Tugenden stürben, wie angeblich gewisse Insekten sterben, wenn sie diese Grenze überqueren; als ob es so etwas wie eine Taufe nach Art der Seeleute gäbe,

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durch die man sich von allem in Europa Gelernten reinwaschen kann und nach der eine neue Ordnung und Systematik der Dinge Einzug hielte. Gegen diese geographische Moral protestieren wir allerdings! Mr. Hastings soll sich nicht hinter ihr verstecken! Und ich hoffe und glaube, dass es nicht vieler Worte bedarf, um Eure Lordschaften in diesem Punkt zu überzeugen. Wir halten es aber für nötig, zu unserer Rechtfertigung zu erklären, dass die Gesetze der Moral überall die gleichen sind und dass es keine Handlung gibt, die in England als ein Akt der Erpressung, der Veruntreuung, der Bestechung und der Unterdrückung gälte, die nicht auch in Europa, Asien, Afrika und auf der ganzen Welt ein Akt der Erpressung, der Veruntreuung, der Bestechung und der Unterdrückung ist. Dies behaupte ich nicht hinsichtlich der technischen Formen dieser Akte, ich behaupte es aber hinsichtlich ihrer Substanz. […] Nichts jedoch ist falscher als der Glaube, Despotismus sei die Verfassung aller uns bekannten Länder in Asien. Ganz sicher stimmt dies für keine mohammedanische Verfassung. Wenn es aber so wäre, glauben Eure Lordschaften wirklich, dass es die Nation ertragen würde, dass es irgendein menschliches Lebewesen ertragen würde mit anzuhören, wie sich ein englischer Gouverneur auf einer solchen Grundlage verteidigt? Oder, wenn er sich auf einer solchen Grundlage verteidigen kann, ist dann noch der Schluss vermeidbar, dass es für keinen Menschen in Indien irgendeine Sicherheit gibt, es sei denn die vollständige Unabhängigkeit von der britischen Regierung? Hier hat er seine Ansicht verkündet, dass er ein despotischer Fürst ist, dass er gezwungen ist, willkürliche Macht zu gebrauchen, und unter diesem Schutzschild sind natürlich alle seine Taten gedeckt. „Ich kenne“, sagt er, „die Verfassung Asiens nur aus ihrer Praxis“. Werden sich Eure Lordschaften bereitwillig anhören, wie die korrupten Praktiken der Menschheit zu Prinzipien des Regierens gemacht werden? Nein! Es wird Ihnen zu Stolz und Ehre gereichen, Männer, denen Macht anvertraut ist, darüber zu belehren, dass sie sich in deren Ausübung an Prinzipien zu halten haben, statt ihre Prinzipien aus der korrupten Praxis irgendeines anderen abzuleiten. Hat man je gehört, könnte man sich überhaupt je vorstellen, dass ein Gouverneur es wagen würde, all die üblen Praktiken, all die Grausamkeiten, Schindereien, Erpressungen, Korruptionen, Bestechungen sämtlicher brutalen Usurpatoren, schlimmen Räuber, Diebe, Betrüger und Schwindler, die jemals irgendwo in den Weiten Asiens ein Amt innehatten, aufeinanderzuhäufen und, nachdem man diesen ganzen Haufen von Verbrechen und Absurditäten barbarischer Herrschaft zu einem einzigen Gesetzestext eingeschmolzen hätte, diesen zur alleinigen Pflicht eines englischen Gouverneurs zu erklären? Ich glaube, dass sich bis jetzt noch kein Mensch einer solchen Ungeheuerlichkeit erdreistet hat. Er besäße willkürliche Macht! Eure Lordschaften, die East India Company besitzt keine willkürliche Macht, die sie ihm verleihen könnte; der König besitzt keine willkürliche Macht, die er ihm verleihen könnte; Eure Lordschaften besitzen sie nicht, ebensowenig wie die Commons oder die gesamte Legislative. Wir haben keine willkürliche Macht zu verleihen, weil willkürliche Macht etwas ist, das ein Mensch weder

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innehaben noch verleihen kann. Kein Mensch kann sich rechtmäßig selbst nach seinem eigenen Gutdünken regieren; noch weniger kann eine Person nach dem Gutdünken einer anderen regiert werden. Wir alle werden in Abhängigkeit geboren – alle, oben und unten, Regierende und Regierte gleichermaßen, werden wir in Abhängigkeit von einem großen, unabänderlichen, präexistenten Gesetz geboren, das all unseren Plänen und all unseren Erfindungen vorausgeht, das all unsere Ideen und all unsere Eindrücke übersteigt, das unserer Existenz selbst vorgängig ist, durch das wir alle in den ewigen Rahmen des Universums eingespannt und darin miteinander verbunden sind – ein Rahmen, dem wir uns nicht entziehen können. Dieses große Gesetz entspringt nicht unseren Vereinbarungen oder Verträgen. Im Gegenteil, es verleiht unseren Vereinbarungen und Verträgen die ganze Kraft und allgemeine Billigung, die sie haben können. Es entspringt nicht unseren eitlen Institutionen. Jedes gute Geschenk kommt von Gott. Und Er, der die Macht verliehen und in dem allein sie ihren Ursprung hat, wird niemals dulden, dass ihre Ausübung auf einer weniger verlässlichen Grundlage als der der Macht selbst erfolgt. Wenn mithin alle Herrschaft des Menschen über den Menschen ein Ausfluss göttlichen Willens ist, dann ist sie an die ewigen Gesetze dessen gebunden, der sie verlieh und von dem sich keine menschliche Autorität entbinden kann – weder der, der sie ausübt, noch selbst diejenigen, die ihr unterworfen sind. Und wenn sie so verrückt wären, ausdrücklich einen Vertrag einzugehen, um ihren Herrscher von seiner Pflicht zu entbinden und ihr Leben, ihre Freiheit und ihr Eigentum als nicht von Regeln und Gesetzen, sondern als von seinem Willen abhängig zu erklären, dann wäre dieser Vertrag nichtig. Wer in diesen Vertrag einwilligte, vergrößerte nicht seine Autorität, sondern verdoppelte sein Verbrechen. Wenn dies also wahr wäre, könnte man sich dann vorstellen, dass Er mitansehen würde, wie der Staat, dieses größte und beste Geschenk, das Gott der Menschheit je gemacht hat, zum Spielball und Zeitvertreib des schwachen Willens eines Menschen würde, der durch blasphemische, absurde und launenhafte Usurpation seinen eigenen schwachen, verächtlichen, lächerlichen Willen an die Stelle göttlicher Weisheit und Gerechtigkeit setzen sollte? […]

Teil 4: Politisches Denken gegen die Revolution

 

4 Politisches Denken gegen die Revolution 4.1 Einleitung Olaf Asbach

4.1.1 Burkes Reaktion auf die Französische Revolution und die Folgen Am 1. November 1790 veröffentlichte Edmund Burke mit seinen Reflections on the Revolution in France die erste der Schriften, in denen er sich mit den revolutionären Ereignissen, die sich in Frankreich seit dem Frühjahr 1789 vollzogen hatten, und mit ihrer Bedeutung für England und Europa auseinandersetzte und die in den Jahren bis zu seinem Tod im Juli 1797 im Zentrum seines Denkens und Wirkens stehen sollten. Die Schrift wurde unmittelbar zu einem ‚literarischen Ereignis‘ (Zimmer 1995: 97); sie erlebte schnell zahlreiche Auflagen, wurde binnen kurzer Zeit ins Französische, Deutsche, Italienische und in andere Sprachen übersetzt und sicherte Burkes Schriften und Positionen europaweite und – wie sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte zeigen sollte – weltweite und bis heute anhaltende Bekanntheit und Bedeutung. Das lag nicht nur daran, dass er eine erste umfangreiche Kritik der Revolution vorlegte, sondern vor allem an den Argumenten und an der rhetorischen Strategie, mittels derer er dies tat.1 Denn er versuchte zu zeigen, dass es sich bei der Revolution nicht um den Sturz eines despotischen Systems und die Überwindung einer auf Ungleichheit und Korruption basierenden Gesellschaftsordnung und ihre Ersetzung durch eine Ordnung handelte, die auf den Interessen und der Zustimmung der Gesellschaftsmitglieder beruhte. Vielmehr bedeute sie die Zerstörung einer gewachsenen und legitimen Ordnung und die Entweihung der ehrwürdigen Einrichtungen von Monarchie, Aristokratie und Kirche durch die Machtergreifung einer Clique von Intellektuellen, die sich im Verbund mit dem monied interest – der Oligarchie von Spekulanten und Finanziers – zu Herren aufschwingen.2 Dabei errichteten sie auf der Grundlage abstrakter Prinzipien und eines fanatischen Atheismus ein instabiles Regime, das allein auf der Willkür und dem Machtanspruch derjenigen beruhe, die sich durch Gewalt und Manipulation zum Sprecher eines imaginären ‚Volkes‘ machten und Gehorsam dafür fänden oder erzwingen könnten. Hier zeigt sich ein wesentlicher Grund für den enormen Widerhall, den Burkes Schrift seitdem fand. Denn obwohl die Reflections in Form eines Briefes an einen jungen französischen Adligen verfasst sind und Burke in ihnen – wie so oft – wenig systematisch || 1 Vgl. Lock 1985: 100 ff.; White 1994: 60 ff.; Bluhm 2012: 117 u. 128 ff. 2 Vgl. Burke 1790c: 215 ff. – Zur Rolle der politischen Ökonomie in Burkes Revolutionsanalyse vgl. Pocock 1982. https://doi.org/10.1515/9783050087771-005

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argumentiert,3 enthält dieses Werk eine grundsätzliche Kritik an den Prinzipien und politisch-sozialen Konzeptionen, auf die sowohl die Akteure der revolutionären Aufhebung des Ancien Régime wie ihre Befürworter inner- wie außerhalb Frankreichs zurückgreifen, und verbindet sie mit einer scharfen Kritik der Grundlagen des Denkens der Aufklärung und insbesondere des Naturrechts des 17. und 18. Jahrhunderts generell. Denn bei der Französischen Revolution handele es sich um eine „Revolution of doctrine and theoretick dogma“ (WS VIII: 341), die auf „the nakedness and solitude of metaphysical abstraction“ – wie der abstrakten Ideen von natürlicher Freiheit und natürlicher Rechte – gründe (WS VIII: 58). Es nimmt also nicht Wunder, dass sich die Geister an Burkes Schrift bis heute scheiden und sie zu einem der wichtigsten Ausgangs- und Bezugspunkte der Herausbildung grundlegender Strömungen politischen Denkens und politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert wurde. Auf der einen Seite bezogen sich Gegner von Revolution und Aufklärungsdenken zunehmend auf die Reflections. Das antirationalistische Plädoyer für den Primat der Tradition, die Betonung des Eigenwerts der überkommenen Verfassungs- und Gesellschaftsordnung und die stabilisierende Funktion von Monarchie und Aristokratie wie auch von Religion und Kirche machten Burke in den Augen der Nachwelt zu einem der geistigen Väter des konservativen Denkens und seine Reflections zur „eigentliche[n] Geburtsurkunde des Konservatismus“ (Ottmann 2008: 1).4 Zugleich regte Burkes Schrift eine große Zahl von Erwiderungen an, welche die Revolution und die sie tragenden Prinzipien verteidigten, so dass sich eine Debatte entspann, die ein wesentliches Element der Gründungsgeschichte des modernen liberalen und demokratischen Denkens bildet. Kaum vier Wochen nach dem Erscheinen von Burkes Werk veröffentlichte Mary Wollstonecraft mit A Vindication of the Rights of Men, in a Letter to the Right Honourable Edmund Burke; Occasioned by His Reflections on the Revolution in France (Wollstonecraft 1790) die erste von vielen Dutzend Schriften, die in den folgenden Jahren auf Burke antworten sollten.5 Die berühmteste und wirkmächtigste davon war wohl Thomas Paines Rights of Man, die im März 1791 erschien und eine der meistgelesenen politischen Kampfschriften des 18. || 3 So bemerkte schon Thomas Paine, Burkes Vorurteile und „die unordentliche Richtung seines Genies“ seien der Grund für sein Unvermögen, „die Materie, über die er schreibt [die Verfassungen Englands und Frankreichs; d. Verf.], zu behandeln. Sein Genie selbst hat keine Konstitution. Es ist ein herumschweifendes und nicht nach Gesetzen geordnetes Genie.“ (Paine 1791: 91). 4 Erst bei Burke, so v. Beyme 2013: 35, „verdichtet sich so etwas wie eine Theorie des Konservatismus“. Diese Einordnung unter den Konservatismus erfolgt teilweise in analytischer Perspektive (Mannheim 1984), verbindet sich aber oft mit politischen Zuschreibungen, durchaus auch – so bei Kirk 1953 – in affirmativer Absicht; generell skeptisch gegenüber dieser Interpretation Burkes als eines Konservativen ist Bourke 2016 u. ders. 2018; zur Rezeptionsgeschichte Burkes als eines konservativen Denkers Jones 2017. 5 Vgl. Lock 1985: 132-165; Hampsher-Monk 2005a. Es wäre freilich verkürzt anzunehmen, die Debatte um Reform und Revolution in den 1790er Jahren sei eine direkte Folge von Burkes Schrift (vgl. Macleod 2007); die Reflections sind ein früher und wichtiger, aber eben nur ein Beitrag zu diesen Auseinandersetzungen; vgl. Gilmartin 2000: 94 f.

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Jahrhunderts wurde. In diesem Werk warf Paine Burke nicht nur die „heftigsten Schmähungen gegen die Französische Revolution und gegen die Grundsätze der Freiheit“ vor, sondern auch, sachlich völlig „falsche Vorstellungen des ganzen Vorgangs“ zu vermitteln, die „die übrige Welt irreführen“ könnten (Paine 1973: 43). Burkes oftmals polemische Invektiven gegen die Revolution offenbarten für die Mehrzahl seiner Kritiker somit „[a]n abhorrence for abstract politics, a predilection for aristocracy, and a dread of innovation“ (Mackintosh 1791: 5). Dass Burke auf diese Weise zum Ausgangspunkt einer Bewegung des politischen Denkens wurde, die sich gegen die Überwindung eines Regimes richtete, das nach allgemeiner Ansicht allen aufgeklärten Prinzipien der Grundlagen und Einrichtungen einer vernunftgeleiteten Gesellschafts- und Staatsverfassung widersprach, war für viele Zeitgenossen eine Überraschung. Hier schrieb schließlich jemand, der die Rechte des Parlaments gegen die Übergriffe der Monarchie verteidigt hatte, der für die Rechte der amerikanischen Kolonisten und schließlich für deren Loslösung von Großbritannien eingetreten war, der die Unterdrückung Irlands und die Herrschaft der East India Company in Indien angeprangert und das seit 1788 und noch bis 1795 laufende Verfahren gegen den ehemaligen Generalgouverneur Hastings maßgeblich vorangetrieben hatte.6 Entsprechend erwartete man 1789 denn auch allgemein, dass sich Burke grundsätzlich auf die Seite der Revolution stellen würde – und wie noch deutlich werden wird, waren es nicht zuletzt solche Erwartungen, die Burke dazu bewogen, sich mit den Ereignissen, die er zunächst nicht öffentlich kommentiert hatte, auseinanderzusetzen.7 Vor allem bedeutete Burkes Reaktion eine Entfremdung von der Mehrheit seiner Parteifreunde, die die französischen Ereignisse vor der Folie der Whig-Tradition als legitime Überwindung eines despotischen Systems und als Einrichtung einer freiheitlichen Verfassungsordnung interpretierten.8 Für die Zeitgenossen wie die Nachwelt stellten Burkes Reaktionen auf die Französische Revolution also weithin ein Rätsel dar, das in der Forschung auch als ‚BurkeProblem‘ verhandelt wird (Kramnick 1977a: 3 ff.; Macpherson 1980; Winch 1985; Furniss 1993: 3 ff.). Wie lassen sich Burkes Zustimmung zum gewaltenteiligen System der englischen Verfassung, zu den Rechten des Parlaments und der Herrschaft des Gesetzes, zum Widerstand der Amerikaner gegen das britische Empire oder zur Entfaltung der Dynamik kapitalistischer Ökonomie mit der ebenso polemischen wie grundsätzlichen Wendung gegen die Politik und die Prinzipien der Französischen Revolution vereinbaren? Verwarf Burke hier nicht die Grundlagen der aufklärerischen Kritik des Ancien Régime und der praktischen Durchsetzung einer Staats- und Gesellschaftsordnung, die doch gerade darauf zielte, die Freiheit und das Eigentum der Bürger durch || 6 Vgl. hierzu oben, Teile 2 u. 3. 7 Die Reflections selbst gehen auf den Letter to Charles-Jean-François Depont vom November 1789 zurück, Sohn einer Familie, mit der Burke lange bekannt war; vgl. WS VIII: 1-51. 8 Fox etwa schrieb nach dem Fall der Bastille am 30. Juli 1789: „How much the greatest event it is that ever happened in the world! and how much the best!“ (zit. nach Lock 2006: 243).

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die Unterordnung von Willkürhandeln unter die Herrschaft des Gesetzes zu sichern und das Recht des Volkes anzuerkennen, über seine Verfassung, sein Regierungssystem und die geltenden Gesetze selbst zu bestimmen?9 Dieses ‚Burke-Problem‘ stellt sich, wie zu zeigen sein wird, auf mindestens drei Ebenen: auf der persönlichen Ebene hinsichtlich der Frage nach Konsistenz und Kontinuität oder Bruch und Wende in der Entwicklung von Burkes politischen und theoretischen Positionen und Überzeugungen (4.1.2); auf der politischen Ebene mit Blick auf die theoretische und ideologische Ausrichtung der Whig Party, die sich schließlich wesentlich in der Tradition der Glorious Revolution und der englischen Verfassung gesehen hat (4.1.3); und schließlich stellt sich auf einer grundsätzlichen ideengeschichtlichen Ebene die Frage, ob es sich hier um Ideen und Argumente handelt, die dem modernen politischen Denken, wie es vom neuzeitlichen Naturrecht und der Aufklärung dominiert wurde, prinzipiell widersprechen, und wie ihr Verhältnis zueinander sowie innerhalb der Entwicklung der Theorie und Praxis moderner Staats- und Gesellschaftsordnung zu verstehen ist (4.1.4).

4.1.2 Der Appeal als theoretisches und politisches Manifest Viele der Schriften, die Burke nach dem Ausbruch der Französischen Revolution verfasst hat, lassen sich als Versuche verstehen, diese Probleme zu lösen und seine Stellung zu ihnen zu klären. Der Appeal from the New to the Old Whigs, den Burke ein Dreivierteljahr nach den Reflections, am 3. August 1791, veröffentlichte und der im vorliegenden Band erstmals auszugsweise in deutscher Übersetzung vorgelegt wird,10 ragt unter ihnen heraus. Obwohl diese Schrift den endgültigen Bruch Edmund Burkes mit seinen politischen Freunden der Whigs besiegelte und nach vier Wochen schon drei Auflagen erlebt hatte, erreichte sie bei weitem nicht die Resonanz und Breitenwirkung der Reflections. Dies schmälert jedoch keineswegs ihre historische und theoretische Bedeutung. Denn im Unterschied zu den Reflections und zahlreichen anderen, oftmals auf Briefen und Reden basierenden Werken zeichnet sich der Appeal durch einen – zumindest nach Burkeschen Maßstäben – systematischen Aufbau und klaren Argumentationsgang aus, die ihn zu „one of the most sustained and systematic analyses of political concepts“ mache, die „Burke ever produced“ (HampsherMonk 2012b: 211). || 9 Vgl. die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, die „Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung“ als „Ziel jeder politischen Vereinigung“ bestimmt (Art. 2) und von der Nationalversammlung ausdrücklich dem Akt der Verfassungsgebung vorausgeschickt wird, „damit die Handlungen der gesetzgebenden wie der ausübenden Gewalt in jedem Augenblick mit dem Endzweck jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr geachtet werden“ (Präambel). 10 Nur August Wilhelm Rehberg veröffentlichte 1791 im Neuen Teutschen Merkur einige ins Deutsche übersetzte Passagen des Werkes; vgl. Burke 1791c sowie unten, S. 284, Anm. 2.

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a) Der Anstoß: Die Debatte um die Quebec Bill im Mai 1791 Am 6. und 11. Mai 1791 war es im House of Commons zu einer aufsehenerregenden Konfrontation zwischen Burke und Charles James Fox, dem führenden Kopf der Whig Party, gekommen, die als Beginn der sich in den folgenden Jahren vollziehenden Spaltung der Partei angesehen werden kann.11 Auf der Tagesordnung stand die Quebec Bill, die der englischen Kolonie Quebec in Kanada eine neue Verfassung geben sollte. Burke nahm diese Debatte zum Anlass, um die Differenzen zwischen seinen Ansichten und den von Fox und anderen Whigs vertretenen klarzumachen, indem er die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der Englischen Revolution von 1688 und der Französischen Revolution von 1789 sowie den ihnen zugrundeliegenden Verfassungsverständnissen herausstellte.12 Dies war für Burke insbesondere deshalb bedeutsam, weil Fox und andere ihm vorwarfen, mit den eigenen Prinzipien gebrochen zu haben. Ihrer Ansicht nach ging die Französische wie schon die Englische und die Amerikanische Revolution auf Prinzipien zurück, die Burke bisher selbst vertreten und jetzt durch „an unjustifiable change of opinion“ aufgegeben habe (WS IV: 389). Dabei handelte es sich um die Prinzipien der „rights of man, which his right honourable friend [Burke] had ridiculed as chimerical and visionary“, die aber Fox zufolge „were in fact the basis and foundation of every rational condition, and even of the British constitution itself“ (Fox 1791: 216). Der politische und persönliche Bruch zwischen Burke und Fox wurde deshalb allgemein als Folge der Abkehr Burkes von den Whigs und ihren Prinzipien verstanden, damit aber zugleich auch als Abkehr von den Prinzipien der Glorious Revolution und der Verfassung Großbritanniens selbst. Am Tag nach der zweiten dieser Debatten berichteten die Zeitungen in diesem Sinne: The great and firm body of the whigs of England, true to their principles, have decided on the dispute between Mr. Fox and Mr. Burke, and the former is declared to have maintained the pure doctrines by which they are bound together, and upon which they have invariably acted. The consequence is, that Mr. Burke retires from parliament. (Morning Chronicle vom 12.5.1791)

Auch wenn die Information sachlich falsch war, da ein solcher Ausschluss weder ausgesprochen werden konnte noch entschieden worden war, war damit doch die Frage, ob Burke seine Überzeugungen verraten hatte und so von einem Vordenker der Whig Party zu einem ihrer Gegner geworden war, in aller Schärfe aufgeworfen. b) Die antirevolutionäre Stoßrichtung des Appeal Der Appeal nahm, wie der Untertitel zeigt, direkt auf diese „jüngst im Parlament erfolgte[n] Diskussionen anlässlich der Betrachtungen über die Französische Revolution“ Bezug, um die Grundsatzdiskussion über die Frage nach dem richtigen || 11 Vgl. O’Gorman 1967: 65-69; diese Debatte ist abgedruckt in PH XXIX: 364-427. 12 Burke rechtfertigt im Appeal, warum seines Erachtens gerade diese Debatte um die Quebec Bill besonders geeignet ist, um diese Differenzen aufzuzeigen; vgl. WS IV: 383 f.

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Verständnis der „Whig principles“ (WS IV: 417) und damit über die Kohärenz von Burkes Position zu führen. Burke gab seiner Schrift die Gestalt eines Beitrags zu einem Gerichtsverfahren, in dem die Frage unter Darstellung des Falles, der Anrufung von Zeugen und des Vortrags der Argumente Burkes in möglichst sachlicher Weise den „unparteiische[n] Menschen auf der Welt“ (284) zur Prüfung vorgelegt wird, wobei er selbst die imaginäre Sprecherposition eines Verteidigers seiner Positionen einnimmt. Dabei erhebt Burkes ‚Verteidiger‘ Einspruch gegen die neuen Whigs im Namen der alten Whigs, die zugleich als Richter angerufen werden,13 zu bezeugen und zu bestätigen, dass gerade Burke den überkommenen Grundsätzen der Whig Party treu geblieben sei, nicht aber seine Gegner: „An diese wende ich mich mit dem anhängigen Einspruch, der in seinem Namen gegen die Lebenden an die Toten, gegen die modernen Whigs an die alten gerichtet ist.“ (284)14 Die Rekonstruktion der Positionen der alten Whigs soll der Gleichsetzung der Revolutionen von 1688 und 1789 sowie der Grundsätze der englischen, amerikanischen und französischen Verfassungen, die seit Burkes erster Stellungnahme zur Revolution am 9. Februar 1790 im House of Commons im Zentrum seiner Kritik stand,15 ein für allemal den Boden entziehen. Die zeitliche Nähe zwischen dem einhundertsten Jahrestag der Glorious Revolution im November 1788 und den nur wenige Monate später beginnenden Ereignissen in Frankreich trug nicht unwesentlich zu dieser Parallelisierung beider Revolutionen bei. Das Jubiläum war Anlass für öffentliche Gedenkfeiern gewesen und aktualisierte in Großbritannien einen Diskurs, der die Konzepte von Revolution und einer freiheitlichen englischen Verfassung verkoppelte, positiv besetzte und ihnen damit eine gleichsam staatsbegründende und staatstragende Legitimität verlieh. 1788 wurde aus diesem Anlass auch die Revolution Society gegründet, die ein Jahr später einen der wichtigsten Gründe für die Schärfe von Burkes Betrachtungen über die Französischen Revolution liefern sollte. Denn diese waren eine Reaktion auf eine Rede, die Richard Price am 4. November 1789 vor dieser Gesellschaft gehalten und deren Druckfassung Burke Ende Januar 1790 gelesen hatte. Dass Price die Glorreiche Revolution unmittelbar als Vorbild für „two other Revolutions, both glorious“ bezeichnete, nämlich für die Amerikanische und die Französische (Price 1789: 49), und die Prinzipien und Praxis letzterer folglich als Aktualisierung || 13 Burke, so heißt es in einer anderen, hier nicht übersetzen Passage, „appeals to them as judges“ (WS VIII: 431). 14 Die Unterscheidung von alten und neuen Whigs, die auf die Zeit nach 1714 zurückgeht, als sich die Whigs als moderne Regierungspartei – ‚Court Whigs‘ – von den politisch-ideologischen ‚Altlasten‘ ihrer Zeit als Opposition zu Hof und Regierung stehender ‚County-Whigs‘ befreiten, greift Burke hier zwar dem Namen nach auf, gibt ihr aber eine ganz andere inhaltliche Bedeutung. Zu den Bezeichnungen ‚new‘ und ‚old Whigs‘ seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. Dickinson 1977, v. a. Kap. 4 u. 5; Col 1996: 255 ff.; Leonhard 2002: 192 ff.; Goldie 2006: 75 ff. 15 Hier findet sich erstmals das apodiktische Statement zur Exzeptionalität der englischen Verfassung und Revolution: „We had in fact no revolution, nor did we obtain a new constitution.“ (Burke 1790a: 299). Vgl. hierzu auch Wagner 1994: 40 f. u. 43 f.

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der ersteren verstand, trug entscheidend dazu bei, dass Burke seine Verteidigung der ‚alten‘ gegen die ‚neuen Whigs‘ und ihre „total fundamental opposition“ (WS IV: 390) ins Zentrum seines Kriegszugs gegen die Französische Revolution stellte.16 Denn Price’ Rede war geeignet, die radikalen Unterschiede zwischen beiden Revolutions- und Verfassungsverständnissen herauszuarbeiten. c) Glorious Revolution und Ancient Constitution: Burkes Konstruktion der alten Whigs Die Bezeichnung alte Whigs und die von ihnen vertretenen Grundsätze werden für Burke zur Chiffre für sein eigenes Verständnis der Glorious Revolution und der Spezifik der englischen bzw. – nach der Vereinigung mit Schottland 1703 – britischen Verfassung. Diese sieht er durch die „principles of a mixed constitution“ geprägt (WS IV: 391 u. 392), welche die ihrer Natur nach ganz unterschiedlichen Elemente von Monarchie, Aristokratie und Demokratie miteinander verbänden und den Kern der in England herrschenden Freiheit bildeten. Diese Verfassung sei 1688 jedoch nicht revolutionär etabliert worden, vielmehr habe man damals die bereits bestehende und gefährdete Verfassung gegen die despotischen Übergriffe der Krone verteidigt und gesichert.17 Um sich als Repräsentant der Ansichten dieser Verteidiger der überkommenen Verfassung Englands in Stellung zu bringen, zitiert Burke ausführlich aus Reden, die Vertreter der Whigs 1710 im House of Commons während eines Prozesses hielten, den sie gegen Dr. Sacheverell führten.18 Sacheverell war ein hoher Vertreter der Anglikanischen Kirche, Tory und Anhänger des 1688 gestürzten Königs Jakob II., dessen Sohn James und Anhänger bis weit ins 18. Jahrhundert hinein versuchten, mittels Aufständen und Invasionen die alte Erbfolge wieder einzusetzen. In einer Kanzelpredigt hatte Sacheverell die Legitimität der Glorious Revolution und damit auch der Regierungen Williams III. und – seit dessen Tod 1702 – Queen Annes bestritten und sich gegen die 1689 im Toleration Act eingeführte relative religiöse Toleranz gegenüber nichtanglikanischen protestantischen Glaubensrichtungen, den sogenannten Dissenters oder Nonkonformisten, ausgesprochen. Das zentrale Argument Sacheverells || 16 Die Constitutional Society bezeichnete Burke in den Reflections denn auch als „eine Art von UnterKomitee“ der französischen Nationalversammlung, „die bestimmt ist, in England die Prinzipien der National-Versammlung auszubreiten“ (Burke 1790c: 53). Das erste Drittel der Reflections diente, worauf einzugehen sein wird, dem Versuch der Widerlegung von Price’ Rede, was deutlich macht, wer als der eigentliche Adressat von Burkes Kritik und Warnungen anzusehen ist. 17 Vgl. unten, S. 293. – De facto handelte es dabei nur um die Acts of Revolution bzw. das Revolution Settlement, die zwischen 1688 und 1710 erlassen wurden und die Rechte der drei Verfassungsgewalten, ihre wechselseitige Beziehung sowie die Thronfolgeregelung betrafen; vgl. Kraus 2006: 44 f. 18 In der vorliegenden Ausgabe werden nur die einleitenden Teile von Burkes Ausführungen zum Prozess abgedruckt (vgl. unten, S. 291-293), denn sie bestehen über weite Strecken aus Zitaten und Kurzkommentaren; ihre wichtigsten Aspekte werden in dieser Einführungspassage vorgestellt; vgl. im Zusammenhang zum Sacheverell-Prozess WS IV: 409-430. Zu Sacheverell vgl. unten, S. 292, Anm. 23.

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war dabei, dass es der englischen Verfassung gemäß kein Recht auf Widerstand gegen den legitimen Herrscher, Jakob II., gegeben habe, womit die Glorious Revolution und all ihre Folgen illegitim seien.19 Die Whigs, die sich als Träger und Wahrer der 1688/89 geschaffenen Ordnung verstanden, sahen sich damit vor eine heikle Aufgabe gestellt: Zur Verteidigung des Status quo mussten sie ein Recht auf Widerstand gegen den Stuart-König rechtfertigen, zugleich aber ein solches Widerstandsrecht gegen die nun regierende Monarchin ausschließen.20 Dies konnten sie Burke zufolge, indem sie das englische Verfassungssystem als eine ancient constitution interpretierten (vgl. zu dieser Konstruktion Goldie 2019), die auf einen „original contract between the crown and the people“ zurückgehe, der in den Anfängen des englischen Staates eingegangen worden sei und sich seitdem unverändert erhalten habe: „the uniform preservation of such a constitution for so many ages, without any fundamental change, demonstrates to your lordships the continuance of the same contract.“21 Dieser Vertrag habe erst die verschiedenen Gewalten, ihre Rechte und ihre Stellung im Staat geschaffen und dadurch die Pflicht begründet, diese Verfassung zu erhalten – „binding at all times upon the parties“ (WS IV: 412). Diese Vorstellung einer vermeintlich von alters her überkommenen und verpflichtenden ancient constitution schließt es für die alten Whigs Burke zufolge deshalb notwendig aus, dass die Verfassung, wie in Frankreich geschehen sei, auf der Grundlage freier Willensentscheidungen – von bloßem „good-will and pleasure“ der Untertanen (WS IV: 428; vgl. WS IV: 455) – und unter Berufung auf „visionary theories of the rights of man“ (WS IV: 425) zur Disposition gestellt und geändert werden kann: Es gebe auf Seiten des Volkes schlicht kein Recht „to change their antient constitution, and to frame a new government for themselves“ (WS IV: 423). Für Burke steht die Revolution von 1688 also in diametralem Gegensatz zu derjenigen ein Jahrhundert später: Während diese eine radikale Neuerung und eine Umwälzung der bisherigen Verhältnisse darstellt, verstehen die alten Whigs Burke zufolge „Revolution“ noch ganz im traditionellen Sinne einer re-volutio, der Wiederherstellung eines alten Zustandes: Revolution ist Restauration und keine Innovation, wofür er Sir Joseph Jekyl als Kronzeugen anführt, der 1710 erklärte: „The Revolution did not introduce any innovation; it was a restoration of the antient fundamental constitution of the kingdom“ (WS IV: 423; Hervorh. i. O.; zum Revolutionsbegriff vgl. Niggemann 2017). Ein Recht auf Widerstand gegen die bestehende Obrigkeit ist insofern nur dann legitim, wenn er „das einzig verbliebene Mittel zur Wiederherstellung jener alten Verfassung [ist], die infolge des ursprünglichen Vertrags des britischen Staats || 19 Zum Prozess und den zeitgenössischen Hintergründen vgl. Cowan 2012; die klassische Studie ist immer noch Holmes 1973; zur jüngeren Forschung vgl. Knights 2012. Zu den Jakobiten und ihren verschiedenen Versuchen, durch Invasionen und Aufstände an die Macht zurückzukehren, vgl. Monod 1989, v. a. Kap. 6 u. 7 (S. 161-232). 20 Zu dieser 1689 einsetzenden Debatte um die Interpretation der Glorious Revolution und um das Problem des Widerstandsrechts vgl. Taylor 2014: 103-111. 21 WS IV: 412 (Hervorh. i. O.). – Burke zitiert aus einer Rede Nicolas Lechmeres (1675-1727) von 1710.

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gebildet worden war, aber auch zum künftigen Erhalt derselben Regierung“ (293; vgl. auch WS IV: 413 f., 417 f., 428). Die Glorious Revolution war aus Sicht dieser Whigs nur deshalb notwendig und legitim, weil eine der Gewalten, die innerhalb und durch die Verfassung existierten – in diesem Falle eben der Monarch, Jakob II. –, das Gleichgewicht und die jeweiligen Rechte der verfassten Gewalten innerhalb der ancient constitution verletzt und so die Fundamente des englischen Staates gefährdet hatte. Genau diese Position sei es, so Burke, die seit den 1760er Jahren die Grundlage all seiner bisherigen politischen Interventionen und Aktivitäten als führender Vertreter der Whigs gebildet habe: Ob nun der Kampf für die Rechte des Parlaments gegen die Krone oder für die Rechte der Einwohner der amerikanischen Kolonien, der Kampf gegen die Macht und Herrschaftsausübung der East India Company oder der für die Rechte der Iren oder nicht-konformen Gläubigen – immer sei es nur um die Verteidigung der Grundsätze und Einrichtungen von Verfassungsordnung und Empire gegangen. Nicht Wandel und Innovation seien sein Ziel gewesen, sondern „to reform abuses in government“ (WS IV: 403), die das bestehende Verfassungs- und Regierungssystem und die sie tragenden gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse und Traditionen gefährden könnten.22

4.1.3 Die neuen Whigs als politisch-theoretische Feind(bild)konstruktion Wenn Burke also erklärt, dass er die Positionen der alten Whigs vertrete und diese wiederum jene wahrhaften Prinzipien von Verfassung und Revolution verträten, die der Glorious Revolution und der britischen Staats- und Gesellschaftsordnung insgesamt zugrundelägen, dann ist für ihn der Nachweis erbracht, dass es die neuen Whigs sind, die von diesen Prinzipien abweichen und sie damit in der Theorie, vor allem aber in der politischen Praxis in Gefahr bringen. Deshalb trug Burke seine Kritik an der Französischen Revolution schon so früh mit einer Vehemenz vor, die bis zum Vorwurf des „spirit of proscription, plunder, murder, and cannibalism“ reichte (WS IV: 402).23 Er malte derartige Konsequenzen angesichts einer politischen Öffentlichkeit aus, von der viele sich erhofften, dass die Revolution in Frankreich auch den Anstoß für mehr oder weniger weitreichende Veränderungen in Großbritannien geben würde. Diese Stimmen bilden in ihrer Gesamtheit jene Gruppe, die Burke schließlich unter die Kategorie der neuen Whigs subsumierte. || 22 Vgl. Burkes im Appeal ausführlich vorgetragene Rechtfertigung der Konsistenz seiner politischen und theoretischen Positionen und Argumente im Zusammenhang WS IV: 390-407. 23 Solche Vorwürfe ließen sich durch die tatsächlichen Ereignisse in Frankreich zum damaligen Zeitpunkt sachlich noch kaum rechtfertigen. Sowohl die Reflections als auch der Appeal entstanden lange vor der Absetzung und Hinrichtung des Königs, der Einführung der Republik, der ‚Septembermassaker‘ oder gar der Terreur von 1793/94. Diese Ereignisse trugen Burke später allerdings in weiten Kreisen Bewunderung ob seiner ‚prophetischen Einsichten‘ ein. – Vgl. kritisch zu solchen und ähnlichen Positionen etwa Higonnet 1998; Margerison 1998: 177 ff.; Andress 2013.

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a) Die politische und soziale Lage in England und das drohende Übergreifen der Revolution Eine Reihe solcher Stimmen hatte Burke seit dem Herbst 1789 alarmiert und seine Befürchtung wachsen lassen, dass „some people here are willing that we should […] reform our State to the French model. They have begun; and it is high time […] to look about them“.24 Einer der wesentlichen Anstöße zur Ausarbeitung seiner Kritik war die schon erwähnte Rede von Richard Price, in der dieser die Amerikanische und die Französische Revolution als den Beginn eines allgemeinen Kampfes der „friends of freedom“ gegen die „oppressors of the world“ bezeichnet hatte (Price 1789: 50). Im Verlauf derselben Sitzung verfasste die Revolution Society zudem eine Grußadresse, die an die französische Nationalversammlung gesandt und dort am 25. November 1789 verlesen wurde. In aller Klarheit äußerte man in dieser Botschaft die Hoffnung auf „the tendency of the glorious example given in France to encourage other nations to assert the unalienable rights of mankind, and thereby to introduce a general reformation in the governments of Europe, and to make the world free and happy“.25 Und schließlich hatte Thomas Paine Burke am 17. Januar 1790, als er dessen Einstellung zur Revolution noch nicht kannte, unverblümt geschrieben, er erwarte, dass die „Revolution in France is certainly a forerunner to other Revolutions in Europe“, und dass sie in der Lage sei, „[to] set fire to the four corners of the kingdom“ (Corr. VI: 71 u. 70). Burke war sich nur zu bewusst, dass es in Großbritannien politische und soziale Entwicklungen gab, die Spannungen und Unzufriedenheit erzeugten und das bestehende Verfassungssystem vor grundsätzliche Funktions- und Legitimationsprobleme stellten. Die unzureichende Repräsentation der wachsenden und aufstrebenden bürgerlichen Schichten, die Gegensätze von Stadt und Land sowie der verschiedenen Fraktionen von Produzenten und Kaufleuten wie auch die ungleiche Verteilung von Steuer- und Abgabelasten waren Triebkräfte der Herausbildung einer kritischen Öffentlichkeit. Aus ihr gingen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Bewegungen hervor, die für Reformen des Parlaments, gegen Klientelismus und Korruption sowie gegen die privilegierte Stellung einiger Gesellschaftsschichten in den Staats- und Verwaltungsapparaten eintraten. Hinzu kamen Bestrebungen, das traditionelle System der Verflechtung von Staat und anglikanischer Kirche zu reformieren, da es immer größere Teile der bürgerlichen Schichten, die oftmals nonkonformistischen protestantischen oder gar katholischen Glaubensrichtungen anhingen, vom Zugang von Ämtern und Pfründen in Verwaltung, Kirche und Staat ausschloss. Einen immer wichtigeren Faktor stellten seit Mitte des 18. Jahrhunderts die sich herausbildenden neuen Unterschichten dar, in denen sich der Übergang zur industriellen Revolution und die Entstehung einer proletarisierten Klasse freier Lohnarbeiter abzeichnete. Das säkulare || 24 So Burke in einem Brief von Anfang 1790, in dem er vermutlich auf ein Schreiben von Depont vom 29. Dezember 1789 antwortet; vgl. Corr. VI: 71 u. 70. 25 Abgedruckt als Anhang zur 2. Auflage von Price’ Rede; vgl. Price 1789, hier S. 13 des separat paginierten Appendix.

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Bevölkerungswachstum, die erneute Welle von Einhegungen, die Durchsetzung der kapitalistischen Organisation der Agrarproduktion und der beständige Anstieg der Preise, mit dem derjenige der Löhne aufgrund des wachsenden Angebots an Arbeitskräften nicht mithalten konnte, führten zu einer immer größeren Klasse von verelendeten Arbeitern, den labouring poor, so dass rund ein Drittel der englischen Bevölkerung ohne jede politische Interessenvertretung blieb.26 b) Kritik und Reformbewegungen als Weg zur Revolution In Großbritannien ließ sich in den Jahren unmittelbar vor und zu Beginn der Französischen Revolution, abgesehen von kleineren Kreisen, noch kein schnelles Erstarken weitergehender politischer und sozialer, gar revolutionärer Bewegungen beobachten. Doch Burke erkannte deutlich, dass auch hier der Boden für ein weiteres Ausgreifen vermeintlich ‚französischer‘ Prinzipien bereitet war.27 Auch wenn die politischen und sozialen Interessen und Träger der innerhalb- und außerhalb des Parlaments vertretenen Reformforderungen und die daraus folgenden politischen Forderungen und Programmatiken äußerst heterogen waren, liefen sie für Burke im Grundsatz alle auf eine akute Bedrohung der ancient constitution Großbritanniens hinaus: Indem sie das politische System Englands als mehr oder wenig grundlegend reformbedürftig darstellten und eine prinzipielle Änderung der Repräsentationsverhältnisse und der Beziehung zwischen Volk und Regierung forderten, drohten sie, es – sei es unwillentlich oder absichtlich – zum Einsturz zu bringen. Damit würde sich Burke zufolge wiederholen, was in Frankreich geschehen war. Auch dort sei schließlich die Revolution auf die Zersetzungsarbeit der ‚spekulativen‘ philosophes gefolgt, die dort eine zwar stark mangelhafte, aber doch prinzipiell reformierbare Verfassungs- und Staatsordnung zum Einsturz gebracht hätten. Burke machte also letztlich nicht Ansprüche und Forderungen einer sich wandelnden Gesellschaft, die durch die überkommenen Zustände von Verfassung und politischem System nicht zu bewältigen waren, für die revolutionären Veränderungen verantwortlich, sondern die ‚theoretick dogmas‘ und ‚false principles‘ der philosophischen und politischen Zirkel von Kritikern sowie der societies und Interessengruppen, die sie in politische Programme umgesetzt, die politische Ordnung durch Manipulation der Meinungen und ‚plots‘ destabilisiert und am Ende zur revolutionären Transformation geführt hätten.28 Aus diesem Grund konstruierte Burke mit dem || 26 Vgl. hierzu die Einleitung zu Teil 5, v. a. S. 328 ff. 27 Zwar bestehe, so Burke in der Rede über die Quebec Bill am 6. Mai 1791, „no immediate danger“ für die englische Verfassung, doch gebe es „certain persons in the country, to put us out of love for our Constitution“, und es komme darauf an, die „dreadful consequences“, die aus ihren „dangerous doctrines“ folgten, präventiv zu bekämpfen (Burke 1791a: 335, 337 u. 340). – Klassisch zu den Bewegungen im England der 1790er Jahre Goodwin 1979. 28 Burkes Weigerung, die sozialen und politischen Voraussetzungen in die Analyse mit einzubeziehen und die Unterschiede in Frankreich und Großbritannien in den Blick zu nehmen, wurde schon

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Gegensatzpaar von alten Whigs und neuen Whigs ein diskursives und strategisches Feld einander strikt ausschließender politischer Ideen und Programmatiken, das eine Parteinahme erzwingen sollte. Schon bei seiner ersten Replik auf die Französische Revolution war es Burke weniger um Frankreich selbst als vielmehr um deren Auswirkungen auf Großbritannien gegangen: „[M]y object was not France […] but this country.“29 Denn: „These societies of modern Whigs […] prepare the minds of the people for treason and rebellion“ (WS IV: 438). c) Drei Strömungen der neuen Whigs Wer sind nun genau die Whigs, die er im Auge hat und im Appeal angreift? Die neuen Whigs (1) – Fox und die parlamentarischen Whigs Am stärksten muss der Vorwurf, Verrat und Rebellion anzustacheln, jene getroffen haben, um die es Burke zu allererst ging und für die er einen Affront darstellen musste, nämlich die Mitglieder der Whigs im House of Commons. Die Whigs hatten sich nach dem Ende ihrer langjährigen Regierungszeit, die mit dem Beginn der Selbstherrschaft Georges III. endete, als politische Opposition zu profilieren gesucht, indem sie sich wieder dem ‚antidespotischen‘ Diskurs der frühen Whigs mit ihrer Betonung des Rechts des im Unterhaus repräsentierten ‚Volkes‘ annäherten. Sie unterstützten die in dieser Zeit in der Öffentlichkeit verstärkt erhobenen Forderungen nach einer Reform des Wahlrechts und stellten sich, wie seit dem 17. Jahrhundert üblich, auf die Seite der Nonkonformisten bei der Forderung nach Stärkung ihrer religiösen und bürgerlichen Rechte. Vor allem in den 1780er Jahren wurde diese – zunächst von Burke wesentlich mitgestaltete – Ausrichtung der Whigs nach dem Tode Rockinghams und dem Versuch, nach den verlorenen Wahlen 1784 neue Wählerschichten zu erreichen, dann jedoch in einem Maße und in einer Weise vorangetrieben, die bereits zu einer Entfremdung Burkes von seiner Partei geführt hatte. Mit ihrer positiven Reaktion auf die Französische Revolution führten Fox und seine Mitstreiter ihrem Selbstverständnis nach diesen oppositionellen Reformkurs nur fort und sahen sich damit ganz in der über hundertjährigen Tradition whiggistischer Politik.30 Die revolutionären Ereignisse in Frankreich galten ihnen als Signal, || von Zeitgenossen vielfach kritisiert; vgl. Destutt de Tracy 1790: 6 ff.; Macauly 1790: 32 ff.; Paine 1791: 71 f. u. ö.; zur Einseitigkeit von Burkes Quellen und Sicht vgl. Skalweit 1956: 31 ff.; Lock 2006: 245 ff. 29 Burke an Calonne, 25. Oktober 1790, Corr. VI: 141. Diese Ausrichtung wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass die ersten Ankündigungen von Burkes Reflections, die sich schon im Februar 1790 in Zeitungen fanden, zeigen, dass diese nicht, wie der spätere Titel lautet, ‚Betrachtungen über die Ereignisse in Frankreich‘ sind, sondern vielmehr Betrachtungen über die Aussagen der britischen Revolution Society zu den Ereignissen: „Reflections on certain Procedings of the Revolution Society of the 4th of November, 1789, concerning the affairs of France“ (zit. in Lock 2006: 255). 30 „Faced with a despotic king and an intolerant Church, the [French] revolutionaries of 1791 were merely doing their Whig duty in attacking both.“ (Mitchell 1971: 164).

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dass gerade ein Beharren auf den bestehenden Strukturen unweigerlich zu Spannungen und Umwälzungen der politischen Ordnung führen muss. Deshalb war für Fox die Überzeugung, dass Großbritannien bereits „long enjoyed the advantages of a free and happy constitution“ (Fox 1790: 34), die als Grundlage der Freiheit in England unbedingt zu bewahren sei, kein Widerspruch zu der Auffassung, dass die „British Constitution in theory was imperfect and defective“; denn sie sei grundsätzlich „capable of improvements“, müsse historisch immer wieder angepasst werden und sei, wie etwa 1688, auch beständig angepasst worden (Fox 1791: 222). Die Erhaltung der Verfassung einerseits und innovation andererseits schlössen einander mithin nicht aus, sondern gerade ihre Verbindung sei für England bezeichnend: „That constitution which we all revered, owed its perfection to innovation; for, however admirable the theory, experience was the true test of its order and beauty.“ (Fox 1790: 52 f.) Die Betonung, dass die ‚rights of man‘ die Grundlage aller Verfassung und Regierungsformen sei, ist für Fox deshalb kein Plädoyer für das Prinzip der Volkssouveränität und schon gar kein Bekenntnis, dass er „a friend to democracy“ sei, sondern er bleibt, wie er ausdrücklich hervorhebt, ganz auf dem Boden der überkommenen Mischverfassungslehre, welche die Verabsolutierung des demokratischen wie des monarchischen Elements gleichermaßen ablehne und nur ihre Neujustierung erstrebe.31 Ebenso ist der Hinweis von Fox, dass er hoffe, die in Frankreich etablierte „complete unequivocal toleration […] was also established in England“ (Fox 1791: 225), ein Versuch, die bei den Wahlen 1784 erstmals verlorengegangene Unterstützung der Whigs durch die Dissenter wiederzugewinnen. Deshalb hatte er etwa im House of Commons im März 1790 einen Gesetzesantrag eingebracht, der die Test and Corporation Acts abschaffen sollte. Obwohl Burke gleichfalls lange Zeit den durch diese Acts festgeschriebenen Ausschluss nicht-anglikanischer Glaubensrichtungen von religiösen und staatsbürgerlichen Rechten bekämpft hatte, stimmte er jetzt nicht für die Aufhebung dieser diskriminierenden Gesetze. Denn unter den neuen Bedingungen verbanden sich für ihn er mit der Toleranzpolitik andere Folgen als Fox und die Mehrheit der Whigs. Diese hofften durch ihren Antrag die Unterstützung der Dissenter zu gewinnen und dadurch zugleich die weitere Radikalisierung ihrer politischen Forderungen zu verhindern und ihre radikalsten Vertreter zu isolieren: „Separate the dissenters – break their union – abandon those who are unreasonable – and grant to all such as are moderate all they so justly require. […] [I]f you repeal the test laws, there will be an end of all farther claim of the dissenters to the indulgence of the legislature“ (Fox 1790b: 74). Burke hingegen sah aufgrund der Aktivitäten von Dissentern wie Richard || 31 Fox beklagt sich, Burke sei „unkind enough to impute democratical or republican sentiments to him“ (Fox 1791: 234). Denn Fox „declared himself equally the enemy of all absolute forms of government, whether an absolute monarchy, an absolute aristocracy, or an absolute democracy. He was adverse to all extremes, and a friend only to a mixed government, like our own, in which, if the aristocracy, or indeed either of the three branches of the constitution, were destroyed, the good effect of the whole, and the happiness derived under it, would, in his mind, be at an end.“ (Fox 1790: 52).

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Price oder Joseph Priestley und von ihnen wesentlich bestimmte Reform- und Revolutionsgesellschaften – von denen sogleich zu sprechen sein wird – die Gefahr, dass sie die Ordnung von Staat und Kirche, wie sie eines der zentralen Fundamente der englischen Verfassung bilde, unterminierten, denn sie verfolgten letztlich „the same sort of robbery and plunder of the wealth of the Church as had happened in France“.32 Burke versicherte zwar, er habe Fox niemals unterstellt, ein Republikaner zu sein (Burke 1791a: 354; WS IV: 386 ff.) – womit er faktisch unzweifelhaft recht hat, denn nichts hätte Fox ferner gelegen (vgl. Mitchell 1992: 150 ff.) –, doch lief seine Argumentation hinsichtlich dessen Einstellung sowohl zur politischen Reform des politischen Systems wie zur Anerkennung der Rechte der Dissenter letztlich genau darauf hinaus. Fox und die Whigs schienen ihm – und sei es wider Willen – auf dem besten Wege, die Grenze zwischen republikanischen bzw. demokratischen Positionen zu verwischen und so zur Gefahr für die englische Verfassungs- und Gesellschaftsordnung zu werden.33 Die neuen Whigs (2) – Dissenter und Reformgesellschaften Wenn Burke also 1791 einen scharfen Bruch zwischen den alten und den neuen Whigs vollzieht und dies auch von Fox und seinen bisherigen Kollegen der ParlamentsWhigs einfordert, und wenn er sich dabei als einsamer Rufer in der Wüste inszeniert und in Kauf nimmt, sich in einer Partei zu isolieren, die er über Jahrzehnte hinweg mit angeführt und mitgeprägt hatte,34 dann fordert er zugleich den Bruch mit den bisherigen Verbündeten, denn deren Positionen und Ziele müssten angesichts der in der Französischen Revolution manifest gewordenen Entwicklungen in einem neue Licht gesehen und als inakzeptabel bewertet werden. Seit ihrem Gang in die Opposition nach dem Regierungsantritt Georges III. hatten Burke und die Rockingham-Whigs ihren ‚antidespotischen‘ Diskurs und den Kampf um die Rechte des Parlaments gegen die vermeintlichen Bestrebungen der monarchischen Exekutive, die Balance der Verfassung zu ihren Gunsten auszuhebeln, in den Vordergrund gerückt. Dabei hatten sie zeitweise Allianzen gebildet und sich auf politische und soziale Gruppen gestützt, deren Positionen und Ziele teilweise nur in geringem Maße mit den ihren kompatibel waren. Vor allem in den 1760er und 1770er Jahren gab es jedoch zumindest mit Blick || 32 Vgl. Burke 1790b: 312. – Vgl. Seed 2008: 155 ff.; zur Beziehung zwischen Burke und den Dissentern vgl. Fitzpatrick/Page 2017. 33 Weiter zur Spaltung der Whigs 1792/93 in drei Fraktionen vgl. Wagner 1994: 98 f., wobei der ‚linke Flügel‘ um Fox zunehmend isoliert wurde und den Krieg gegen Frankreich und die Verfolgung der ‚jakobinischen‘ Kräfte in England bekämpfte, aber nur für eine gemäßigte Parlamentsreform eintrat; vgl. O’Gorman 1967: 112-117. 34 Die im Appeal begründete Kluft spiegelt Burkes Wahrnehmung seiner Lage nach der Konfrontation anlässlich der Quebec Bill im House of Commons wider, die er am 5. Juni 1791 in einem Schreiben an Earl Fitzwilliam wie folgt schilderte: „It was an exhibition absolutely new, to see a man who had sat twenty years in Parliament, not to have one friend in the House.“ (Corr. VI: 275).

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auf die Ablehnung der gestärkten Monarchie eine Reihe von Übereinstimmungen der Whigs mit Bewegungen, die in England erstmals überhaupt neue außerparlamentarische Formen der politischen Opposition und der Formulierung politischer Rechte und Ansprüche entwickelten.35 In diesen Bewegungen brachten sich verschiedene soziale Gruppen und Interessen zu Gehör, die sich im Rahmen der überkommenen Institutionen nicht angemessen repräsentiert sahen. Wichtige Kristallisationspunkte bildeten zum einen die Auseinandersetzungen, die dem ersten Ausschluss John Wilkes aus dem Parlament 1763 folgten. Dieser mehr als ein Jahrzehnt währende Konflikt führte zu Demonstrationen, politischen Streitschriften und Auseinandersetzungen in Pamphleten und Zeitungen und zur Gründung der ersten außerparlamentarischen politischen Clubs und Gesellschaften (Black 1963). Er setzte das Thema der Parlaments- und Wahlrechtsreform auf die Tagesordnung, das im Laufe der folgenden Jahre immer wieder im Zentrum der Auseinandersetzungen stand.36 Zum anderen bildeten seit den siebziger Jahren die Konflikte um die Stellung der amerikanischen Kolonien im britischen Empire und ihr Kampf um die Unabhängigkeit weiteren Zündstoff für die Debatten um die Grundlagen von Verfassung und Regierung und um die Rechte der Bürger. In allen diesen Protesten bildeten Dissenter bzw. Nonkonformisten eine wichtige Trägerschicht, die zentrale Argumente und Begründungen beisteuerte, die sich im Laufe der Zeit stärker politisierten und radikalisierten. Dabei eigneten sie sich den Diskurs um Glorious Revolution und englische Verfassung neu an und verliehen ihm die Stoßrichtung gegen die bestehende Ordnung, von der sich immer größere Teile der Bevölkerung ausgeschlossen sahen. John Cartwright, Joseph Priestley oder Richard Price machten seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts Interpretationen stark, die die Verfassung Englands auf die natürliche Freiheit und die Rechte der Individuen zurückführten, die unveräußerlich seien und, wenn sie seitens der Regierung vorenthalten oder verletzt werden, von ihnen eingefordert und unter Berufung auf das „right to resist“ erkämpft werden dürften.37 Von solchen Grundsätzen aus konnten Rechte wie die der Souveränität des Volkes begründet und legitimiert werden, die sich gegen die Institutionen und Strukturen der bestehenden Parlaments- und Verfassungssystems richteten und diese damit zumindest potentiell in Frage stellten. Auch wenn sich selbst unter den radikalsten || 35 Über die (spannungsreiche) Beziehung vgl. als Überblick Brewer 1976; Dickinson 1977: 195 ff.; Langford 1989: 352 ff. u. 526 ff. 36 1769 wurde als erste die Society of Gentlemen Supporters of the Bill of Rights gegründet; weitere wichtige Clubs, die gleichsam als öffentliche Pressure groups und Zentren politischer Agitation und Organisation wirkten, waren die 1771 von der genannten Gesellschaft abgespaltene Constitutional Society, die 1780 gegründete Society for Constitutional Information und 1788 die schon genannte Revolution Society. Sie zielten in unterschiedlicher Radikalität auf die Erweiterung des Wahlrechts, die Verkürzung der Wahlperioden, auf Finanz- und Steuerreformen und die Reform klientelistischer und finanzieller Abhängigkeiten. 37 Vgl. Dickinson 1995, Kap. 6; Lottes 1979: 87 ff.; ders. 1981: 102 ff.

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Strömungen dieser außerparlamentarischen Bewegungen kaum jemand fand, der die mixed constitution ernsthaft in Frage stellte, und es vor allem um eine stärkere Öffnung des Zugangs zum Parlament ging, führten diese Positionen schnell zu grundlegenden Differenzen zwischen Burke und den Vertretern der Whig Party. Diese gingen deshalb in der Rockingham-Ära dazu über, wie oben gezeigt, auf die ‚virtuelle‘ Repräsentation zu setzen und alle weitergehenden Parlamentsreformen zu blockieren.38 Es war also bereits in den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution, dass Burke in England die Anfänge jener societies und „wicked principles“ von natürlichen Rechten und Volkssouveränität bemerken konnte, die er in den 1790er Jahren dann unter dem Oberbegriff der neuen Whigs zusammenfasst und im Appeal als Grundsätze beschreibt, die gleichsam aus Frankreich importiert würden (vgl. 292). Indem er den Umsturz des Ancien Régime in Frankreich als direkte Folge desselben Verständnisses der englischen Verfassung und Revolution beschreibt, wie sie von den ‚radikalen‘ Dissentern und außerparlamentarischen Gesellschaften bis hin zu den reformoffenen Vertretern der Whig Party vertreten würden, signalisiert er denjenigen der Whigs, die Fox’ Linie folgen, dass dies auf die Umwälzung eben jener Prinzipien und Verfassungsordnung hinausläuft, die bisher das Fundament der Whigs gebildet hatten. Die Bestätigung hierfür sind für ihn die Reaktionen der Dissenter und Reformgesellschaften in Großbritannien auf die revolutionären Ereignisse in Frankreich. Auf der Sitzung der Revolution Society am 4. November 1789, auf der auch Richard Price seine bereits erwähnte Predigt über die Love of Our Country gehalten hatte, wurde eine Erklärung an die französische Nationalversammlung verabschiedet, derzufolge „the gloryous fabric of the British Constitution“ auf jenen Prinzipien beruhe, die die Volkssouveränität – „That all civil and political authority is derived from the people“ – und das Widerstandsrecht – „That the abuse of power justifies resistance“ – zum Fundament habe.39 Die Revolution in Frankreich gilt demnach wie die in England als ein Ereignis, das nicht allein nationale Bedeutung habe, sondern geeignet sei, „to encourage other nations to assert the unalienable rights of mankind, and thereby to introduce a general reformation in the governments of Europe, and to make the world free and happy“ (zit. in Price 1789: 13). Wenn dann schließlich zur Gründung von „societies throughout the kingdom upon Revolution principles“ aufgerufen wird, „to maintain a correspondence with each other, and to form that grand concentrated union of the true friends of public liberty, which may be necessary to maintain its existence“ (zit. in Price 1789: 11), steht für Burke fest, dass von Gesellschaften wie diesen im Namen der Glorious Revolution und ihrer Grundsätze tatsächlich zu nichts anderem aufgerufen wird als zu ihrer Abschaffung.40 || 38 Zur schrittweisen Entwicklung dieser Position bei Burke vgl. Bluhm 2012: 121 ff. 39 Erklärung der Society for Commemorating the Glorious Revolution of 1688 auf dem „Anniversary Meeting of this Society, held at the London Tavern, Nov. 4, 1789“; vgl. oben, S. 268, Anm. 25. 40 In diesem Sinne empörte sich Burke auch bei der Lektüre der bei derselben Gelegenheit gehaltenen Rede von Price, die mit den Worten endete: „Behold, the light you have struck out, after

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Die neuen Whigs (3) – Paine und die ‚radikale‘ Reformbewegung Um dies deutlich zu machen, stellt Burke im Appeal seiner Konstruktion einer vermeintlich klassischen Doktrin der alten Whigs als Exempel für die „doctrine then propagated by these societies“ (W IV: 432) die einer dritten Position oder Denkströmung gegenüber, aus der für ihn die Gefährlichkeit der neuen Whigs am klarsten hervorgeht. Zu ihrer Illustration führt er zahlreiche Belegstellen aus einer nicht genannten Quelle an, damit dann nach den Darstellungen und Belegen der Positionen zunächst der alten und dann der neuen Whigs „[t]he Whig reader may make his choice between the two doctrines“ (W IV: 432).41 Den Zeitgenossen war unmittelbar klar, welche Quelle Burke hier heranzog: Thomas Paines Schrift Rights of Man, die seit ihrem Erscheinen im März 1791 für das größtmögliche Aufsehen gesorgt hatte und eine der erfolgreichsten Schriften des 18. Jahrhunderts überhaupt wurde, die breiten Schichten der englischen Bevölkerung die revolutionären und demokratischen Ideen der amerikanischen und der französischen Revolution zugänglich und populär machte (Goodwin 1979: 171 ff.). Wenn Burke mithin Paine als konsequentesten und radikalsten Protagonisten der neuen Whigs präsentiert, ist dies in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist es nicht ohne eine gewisse Ironie: Paine hatte diese Schrift schließlich explizit als Entgegnung auf Burkes Reflections verfasst, so dass Burke einem seiner mächtigsten Gegner im Kampf gegen die Revolution sozusagen selbst die Waffen in die Hand gegeben hat, vor denen er warnen will.42 Zum anderen bedeutete es für die früheren Verbündeten Burkes, die er gleichfalls unter die Rubrik der neuen Whigs subsumiert, eine denkbare große Provokation, wenn er Paine als ihren Vordenker und ihr ‚Sprachrohr‘ darstellt und damit signalisiert, die neuen Whigs seien letztlich allesamt „Paine at bottom“.43 Denn auch wenn sie dies nicht wahrhaben wollten, würden der Sache nach selbst die „modern Whigs in parliament“ dieselben radikalen Auffassungen || setting America free, reflected to France, and there kindled into a blaze that lays despotism in ashes, and warms and illuminates Europe! Tremble all ye oppressors of the world! Take warning all ye supporters of slavish governments, and slavish hierarchies! Call no more (absurdly and wickedly) REFORMATION, innovation. You cannot now hold the world in darkness. Struggle no longer against increasing light and liberality. Restore to mankind their rights; and consent to the correction of abuses, before they and you are destroyed together.“ (Price 1789: 50 f.). 41 Diese mit Zwischenkommentaren Burkes versehenen Zitate sind wie jene aus dem SacheverellProzess in der Teilübersetzung im vorliegenden Band nicht übersetzt worden; sie finden sich im Appeal unmittelbar im Anschluss an die Zeugnisse zum Denken der alten Whigs als Belege für die Positionen der neuen Whigs; vgl. WS IV: 432-439. 42 In diesem Sinne teilte der radikale Reformer Henry Wisemore Burke in einem Brief vom 16. April 1791 spöttisch mit, die Unitarian Society habe speziell zu seinen Ehren einen Toast ausgebracht, denn: „If you had not written we should not have been blessed with Paynes Magnificent answer to you, which is a book that must tend to open the eyes of the people of England.“ (Corr. VI: 247). 43 So Burke an French Laurence, 3. August 1790, in: Corr. VI: 312. Tatsächlich jedoch hatte Fox als Kopf der frankophilen Whigs ausdrücklich betont, dass er Paines Positionen ebensowenig billige wie jene Burkes; so etwa in der Debatte am 20. April 1792 im House of Commons; vgl. PH XXIX: 1338.

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vertreten (WS IV: 457), die Paine und die außerparlamentarischen Gesellschaften in Großbritannien vertreten und mit politischen Folgen verbinden, die die Stabilität und die Verfassungsordnung des Landes gefährdeten. Bestätigt sah sich Burke dadurch, dass die britischen Revolutionsgesellschaften Paines Schrift öffentlich als angemessene Antwort auf Burkes Revolutionskritik begrüßten, so etwa die Society for Constitutional Information, die am 28. Mai 1791 „recommended to the attentive perusal of every Citizen, the excellent Vindication of the French Revolution written by Mr. Thomas Paine“, um Burke dadurch wegen seines „deserting the principles of genuine Whiggism“ zu verurteilen.44 Paines Rights of Man, die Burke als Essenz der Positionen der neuen Whigs versteht, geht weit über die 1791 von den meistens der englischen Reformgesellschaften und Dissenter, vor allem aber auch über die von den parlamentarischen Whigs vertretenen Ansichten hinaus. Sie macht in der Tat unmissverständlich deutlich, dass die Prinzipien, auf denen die neuen Verfassungen in Amerika und Frankreich beruhen, auf die völlige Umwälzung und Überwindung der überkommenen mixed constitution hinauslaufen, auf deren Grundlage die meisten ihrer englischen Verteidiger noch argumentierten und die sie lediglich zu reformieren suchten. Für Paine hingegen fallen die rights of man und das Bekenntnis zu einem republikanischen Verfassungsverständnis, wie er es in Amerika und in Frankreich bereits praktisch verwirklicht sah, unmittelbar zusammen. Grundlage und Zweck aller Regierung und staatlichen Einrichtungen sind demnach die Menschen, die sie zur Verwirklichung und Sicherung ihrer natürlichen Rechte hervorbringen. Die Souveränität muss ihm zufolge deshalb notwendig bei der Nation als der Gesamtheit der Gesellschaftsmitglieder liegen – „Jeder Bürger ist Glied der Souveränität“ (Paine 1791: 172) –, die bei Paine, wie bei Sieyes, als verfassungsgebende Gewalt (pouvoir constituant) allen staatlich verfassten Gewalten und Ordnungen, den pouvoirs constituées, vor- und übergeordnet ist.45 Die Verfassung, die die Grundlage aller Institutionen, Regeln und Gesetzgebung ist, die ein politisches Gemeinwesen organisiert und anleitet,46 ist demnach „ein Werk […] des Volkes“, geht auf dessen Willen und Entscheidung zurück und muss in dokumentierter Form – „in sichtlicher Gestalt“ – vorliegen und so „eine wirklich Existenz“ besitzen (ebd.: 86 u. 85), um als Ausdruck des Willens des Volkes gelten und || 44 So die Whitehall Evening Post vom 7.-9. Juni 1791; zit. nach WS IV: 375, Anm. 1. 45 Paine verwendet die Termini von Sieyes zwar an dieser Stelle nicht, doch er übernimmt diese Position und bezieht sich in dieser Schrift auch auf eben die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die wesentlich auf Sieyes zurückgeht; vgl. Sieyes 1789, hier S. 198 u. 208 f. die Konzepte von verfassungsgebender und verfasster Gewalt. 46 Vgl. Paines nahezu klassische Definition des modernen Verfassungsverständnisses: „Sie enthält die Grundsätze, worauf die Regierung gegründet, die Art, wie sie besetzt werden soll, ihre Macht, die Art der Wahlen, die Dauer der Parlamente oder welche Namen sonst dergleichen Versammlungen führen, die Macht der ausübenden Teile der Regierung: mit einem Worte alles, was sich auf die vollständige Einrichtung einer bürgerlichen Regierung und die Grundsätze, nach denen sie verfahren und woran sie gebunden sein soll, bezieht.“ (Paine 1791: 86).

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Anerkennung finden zu können. Damit ist ein klares normatives und institutionelles Abhängigkeits- und Legitimationsverhältnis gestiftet: Regierung und staatliche Einrichtungen sind „das Geschöpf der Konstitution“, und die Verfassung ist „nicht das Werk der Regierung, sondern des Volkes“ (ebd.: 86; vgl. ebd.: 127). Es ist demnach für Paine das Volk, das die Souveränität innehat und auch dauerhaft besitzen muss, denn nur so könne gesichert sein, dass Regierungen und Gesetze tatsächlich den natürlichen Rechten der Bürger gemäß sind und ihnen nicht widersprechen. Deshalb behalte das Volk das Recht, seine Verfassung, Regierung und alle anderen Einrichtungen zu ändern wie auch die Regierungsformen gänzlich „abzuschaffen, die sie unbequem findet, und diejenigen zu gründen, die mit ihrem Vorteil, ihrer Neigung und ihrem Glück übereinstimmen“ (ebd.: 172). Paine verbindet diese Darstellung der Grundsätze der Amerikanischen und Französischen Revolution und ihre Verteidigung gegen Burkes Attacken mit einem Frontalangriff auf die englische Verfassungsordnung, wie sie mit der Glorious Revolution von 1688 verbunden wurde. Zum einen nämlich erklärt er rundweg, England besitze überhaupt keine Verfassung – „no such thing as a constitution exists or did ever exist“.47 Zwar sei beständig von einer Verfassung die Rede, auf die man sich beziehe und um die gestritten werde, doch beweise gerade „[d]er beständige Gebrauch des Worts Konstitution im englischen Parlament […], daß keine Konstitution existiert; und daß der ganze Körper nur eine Regierungsform ohne Konstitution ist und sich mit Macht nach eigener Willkür konstituiert“ (ebd.: 157). Zum anderen sei das, was man in England als Verfassung bezeichne, das genaue Gegenteil einer Ordnung, die den Rechten der Menschen gemäß sei, denn sie sei weder Ausdruck noch Repräsentant einer Nation, die „durch gesellschaftliche Verbindung“ der mit ihren natürlichen Rechten ausgestatteten Menschen gebildet werde (ebd.: 86).48 Die englische Verfassung sei nichts anderes als ein beschönigender Ausdruck für die Gesamtheit der Einrichtungen und Verhältnisse, die das Ergebnis historischer Zufälle und einer Geschichte sei, die von einer Abfolge von „Eroberung und Tyrannei“ (ebd.: 91) geprägt wurde. Die hochgelobte englische Mischverfassung ist für Paine mithin letztlich nicht mehr als eine auf Macht und Gewalt basierende und in Rechtsformeln gekleidete Usurpation und Anmaßung von Privilegien und Herrschaftsrechten, die zum Eigentum Einzelner oder kleiner Gruppen und Oligarchien geworden sei und dadurch für sakrosankt erklärt wurde, dass sie unter Verweis auf Tradition und Erblichkeit allen Ansprüchen und Veränderungen gegenüber abgedichtet werde.49 Deshalb ist es

|| 47 Weniger prägnant die deutsche Übersetzung in Paine 1791: 86. 48 Diese Konzeption, wonach die Individuen sich zur Nation zusammenschließen und den Ausgangs- und Bezugspunkt von Verfassung und Staat bilden, garantiert erst die Einheit des Staates und seiner Verfassung als „Inbegriff der Bestandteile, worauf man sich beziehen, woraus man jeden Punkt ableiten kann“ (Paine 1790: 86). 49 Im Einzelnen zu dieser Kritik der englischen Verfassung und der einzelnen Bestandteile des politischen Systems Paine 1791: 86-111 sowie, in dem ein Jahr später entstandenen zweiten Teil von Rights

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für Paine keine Frage, dass auch in Großbritannien „früher oder später eine konstitutionelle Totalreformation vorgehen muß, […] [wie] wir es in Frankreich wirklich erlebt haben“ (ebd.: 158). Die Ausbreitung der Ideen von den Rechten der Menschen einschließlich des Rechts, die Verfassung von Staaten auf dem Willen des alle Bürger umfassenden Volkes zu gründen, sind für Paine also die Anfänge dieser Entwicklung, die es zu fördern gelte. Genau diese Entwicklung hin zu einer „Totalreformation“ und die Rolle ‚revolutionärer‘ Ideen dabei sieht auch Burke, bewertet sie aber in gegensätzlicher Weise. Wenn seit 1791/92 in Großbritannien immer neue Gesellschaften und Clubs entstehen, die auf die Reform des Parlaments, des Wahlrechts oder der Repräsentationsverhältnisse zielen und dabei von den parlamentarischen Whigs unterstützt werden, die dabei die natürlichen Rechte der Menschen als Grundlage auch der englischen Verfassung anerkennen, so handeln diese ihm zufolge zumindest fahrlässig und übersehen, dass dadurch „treason and rebellion“ gefördert werden (WS IV: 438; vgl. ebd.: 457 f.). Schriften und Reden wie jene Paines oder der reformorientierten Gesellschaften untergraben Burke zufolge nämlich das englische Verfassungs- und Regierungssystem und werden von ihm deshalb als Hochverrat oder als „Pest“ bezeichnet, die „von so schrecklicher Art [sei], daß die strengste Quarantäne kaum strenge genug sein kann, uns dagegen zu schützen“ (Burke 1790c: 182), um zu verhindern, „dass aus der Infektion eine Epidemie“ wird (308).50 Damit schlägt Burke einen Ton an, den er in den folgenden Jahren noch verschärfen sollte und der nahelegt, dass die Ausbreitung der revolutionären Prinzipien von Menschenrechten und Volkssouveränität sowie der sie tragenden Personen und Organisationen in Großbritannien und im Ausland mit den Mitteln des Polizei- und Strafrechts sowie des Militärs verhindert werden muss. Zum einen liefert Burke „der britischen Regierung die ideologische Rechtfertigung für eine repressive Politik im Inneren“ (Alter 1985: 71) wie das Verbot von Schriften und Gesellschaften und die Verfolgung und Inhaftierung von Autoren und Anführern.51 Diese Repressionsmaßnahmen setzten vor allem seit der Verschärfung der Spannungen und dem Beginn des Krieges Englands gegen das revolutionäre Frankreich ab 1792 ein. Mit den Sedition und Treason Trials, die Paine zur Flucht aus England bewogen, fanden sie einen || of Man, Paine 1792: 143-158; die Grundlagen dieser Kritik finden sich schon 1776 in Paines Common Sense; vgl. Paine 1776: 13 ff. u. 21 ff. 50 Diese „anxiety about the ‚sympathetic contagion‘ of words“ verweist, so Ryan 2013: 41, auf Burkes Verständnis politischer Rhetorik seit dem Enquiry. Die rhetorischen und publizistischen Aktivitäten der radikalen Aufklärer gewinnen aufgrund der Vielzahl ihrer Medien und Organisationen transformative Macht. 51 Die Darstellung der Prinzipien der radikalen Whigs anhand der Zitate aus Paines Schrift schließt Burke schließlich mit der Frage, „if such writings shall be thought to deserve any other than the refutation of criminal justice“ (WS IV: 439). – Paine versteht diese Äußerungen also nicht ohne Grund als Kriminalisierung seiner Ansichten; vgl. Paine 1792: 183 f.; näher zur Kritik an und Verfolgung von Paine in England vgl. Dickinson 2011.

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ersten Höhepunkt und führten nach 1794 auch zur weitgehenden Zerschlagung und für mehrere Jahrzehnte erfolgreichen Repression radikaler Reformbewegungen (Goodwin 1979: 307 ff.; Ehrman 1983: 387 ff. u. 455 ff.; Emsley 1985; Hilton 2006: 65 ff.).52 Zum anderen rief Burke schon seit dem Frühjahr 1791 dazu auf, die Revolution in Frankreich durch die Intervention der europäischen Mächte zu beenden und die Monarchie und die vormalige Verfassung wieder zu etablieren – ein Thema, das von nun an ins Zentrum seiner weiteren Publikationen und seiner persönlichen Lobbyarbeit bei Politikern und Staatsmännern rückte.53 Der Kampf gegen die Revolution in Frankreich stellte sich für Burke zunehmend als ein gerechter Krieg dar, als ein Kreuzzug gegen die vermeintlich von dort ausgehende Bedrohung der überkommenen, auf Ständen, Eigentum und Kirche beruhenden Ordnung der europäischen Staaten gegen die ‚atheistischen‘, auf Prinzipien von Menschenrechten und Volkssouveränität gründenden Mächten und Ideen.54 Aus diesem Grund ist die strikte Opposition zwischen den alten Whigs und den neuen Whigs, die Burke im Appeal konstruiert, eine so grundsätzliche und existenzielle, dass es nur ein Dafür oder Dagegen geben kann. Daher sind diejenigen, die auch nach der Aufklärung über diesen Gegensatz noch an den Prinzipien der neuen Whigs || 52 Nicht zuletzt angeregt durch das Erscheinen des zweiten Teils von Paines Rights of Man, die in einer kostengünstigen Ausgabe erschien und besonders weite Verbreitung fand, entstand vor allem von 1792 an in Großbritannien eine Vielzahl an Clubs und Gesellschaften, deren politische und teils auch soziale Reformforderungen deutlich weitergingen als zuvor. Neben der breiten Strömung moderater Reformer, die sich mit der Ausweitung des Wahlrechts und politischer Interessenvertretung auf weitere Teile des Besitzbürgertums zufrieden gaben, forderten andere bereits mehr, so etwa ein Wahlrecht auch für Nichteigentümer, die Stiftung einer ganz neuen, die Ständeverfassung durch eine auf den Willen aller Staatsbürger gründende Organisation des Staats- und Regierungssystems oder eine grundsätzliche Änderung der gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse; vgl. Dickinson 1977: 240-269; Lottes 1979: 263-334; Goodwin 1979: 208 ff.; Ehrman 1983: 113 ff.; 130 ff. Zugleich entstand eine starke Gegenbewegung von loyalistischer Seite, der es durch Publikationen, Pamphlete sowie die Aktivitäten einer großen Zahl antirevolutionärer Gesellschaften – wie der Association for Preserving Liberty and Property against Republicans and Levellers, die allein schon in kurzer Zeit zweitausend lokale Sektionen bildete – gelang, die radikalen Reformbewegungen auch bei den mittleren und unteren Gesellschaftsschichten, die eher konservativ gestimmt waren und die bestehende Ordnung nicht grundsätzlich in Frage stellten, nachhaltig zu diskreditieren; vgl. Dickinson 1977: 270 ff., Claeys 1989b oder die Beiträge in Philp 1991. 53 Für Wagner (1994: 55) wird Burke seit 1791 „zunehmend zum ‚Cheflobbyisten‘ der französischen Emigranten in England und zum unermüdlichen und kompromißlosen Propagandisten eines gegenrevolutionären Interventionskrieges der europäischen Mächte gegen das revolutionäre Frankreich“. 54 Zur Begründung der Bedrohung, die das revolutionäre Frankreich für Großbritannien und den Kontinent darstelle, bei Burke und seinen Mitstreitern während der 1790er Jahre und zu den Aktivitäten, die sie entfalteten, vgl. Wagner 1994: 54-71, 94-99, 263-269 u. 280-289. – Zu Burkes Rechtfertigung der Interventionen und der Aushebelung des klassischen Völkerrechts durch die Konzeption einer ‚gemeineuropäischen‘ Gesellschafts-, Kultur- und Verfassungsordnung zwecks Legitimierung eines gemeinsamen Rechts zum Krieg gegen die entstehenden republikanischen Staaten – „It is a question not between France and England. It is a question between property and force.“ (Burke 1796: 138; vgl. im Zusammenhang ebd. 122 ff.) – vgl. Hampsher-Monk 2012b: 215-219; ausführlich ders. 2005b.

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festhalten, für ihn „nicht etwa irrende Politiker, sondern schlechte Menschen“ (288). Und deshalb werden unter den Bedingungen der 1790er Jahre die geringsten Zugeständnisse der reformbereiten parlamentarischen Whigs – selbst wenn sie an der oligarchisch-ständischen Klassengesellschaft gar nicht prinzipiell rütteln wollen (Ellis 1979: 1258 ff.)55 – an die politischen Ideen und Forderungen der Reformbewegungen in Großbritannien und auf dem Kontinent (vgl. W IV: 374) für Burke schon zu einer Kriegserklärung an die Prinzipien und die Praxis der ancient constitution und der sie restaurierenden ‚Revolution‘ von 1688.

4.1.4 Politisches Denken der Aufklärung im Umbruch zur bürgerlichen Gesellschaft Wie Burkes politisches Denken generell, so sind auch seine Schriften seit Ausbruch der Französischen Revolution ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich unterschiedliche Strömungen innerhalb des modernen politischen Denkens im Zusammenhang mit historischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, Problemlagen und Auseinandersetzungen aus- und fortgebildet haben. Es werden innerhalb je spezifischer Konstellationen neue, in der Folge als ‚konservativ‘, ‚liberal‘ und ‚demokratisch‘ bezeichnete Konzepte und Argumente zur Begründung, Rechtfertigung und Kritik von politischen und sozialen Verhältnissen, Normen und Zielen entwickelt, in denen sie sich in vielfältigem Austausch und in Ideen- und Diskurskämpfen transformieren, miteinander interagieren und Übereinstimmungen sowie Abgrenzungen produzieren. a) Aufklärerisches Denken gegen die Revolution Wenn Burke seit dem 19. Jahrhundert als einer der wichtigsten oder gar als der Begründer des modernen Konservatismus verstanden wird, so liegt dies an dem spezifisch ambivalenten Verhältnis, das er zu den politischen und sozialen Verhältnissen und Institutionen wie zu den Ideen und Normen einnimmt, die sich im Übergang zur modernen Gesellschaft herausgebildet haben bzw. die diese überhaupt als solche erst begründen. Auf der einen Seite ist er ein grundsätzlicher Vertreter der sich herausbildenden commercial society und einer Staats- und Gesellschaftsverfassung, die den Individuen und gesellschaftlichen Gruppen einen größtmöglichen Spielraum zur Verfolgung ihrer Interessen gibt. Als politischer Denker wie als Politiker stellt er sich in die Traditionslinie whiggistischen Denkens, das seit dem 17. Jahrhundert immer || 55 So heißt es in der Adresse der Friends of the People vom 31. Mai 1794: „[W]e did not mean […] to divide the interests of our Countrymen, and to sow the seeds of jealousy and discord between the higher and the lower orders of Society“, sondern „to ensure the universal freedom and happiness of the Nation by preserving those gradations of society which, in some mode or other, are inseparable from civil life“ (abgedruckt in: Wyvill Papers 1804: xiii); zu dieser Association, einer am 11. April 1792 gegründeten Gruppe revolutionsfreundlicher Whigs, vgl. Goodwin 1979: 203 ff.; Ehrman 1983: 109 ff.

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auch von naturrechtlichen, vertragstheoretischen und konstitutionalistischen Theorien und Argumenten geprägt war, auf die sich liberale und später auch demokratische bzw. republikanische Theorien und Strömungen wesentlich stützten. Auf der anderen Seite tritt er entschieden gegen alle Elemente und Interpretationen dieser politischen Konzepte und Argumente auf, wo diese den Ansatzpunkt für radikale Kritik und durch Willen und Vernunft geleitete Veränderung oder potentiell eben auch revolutionäre Neugründung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung bieten könnten. Hiergegen bringt Burke den Vorrang des Bestehenden und der Erhaltung und Stabilisierung der überkommenen und – wie unvollkommen auch immer – funktionierenden Ordnung in Anschlag, die als Bedingung der Möglichkeit aller existierenden und möglichen Rechte und Freiheiten der Gesellschaftsmitglieder verstanden und gerechtfertigt wird. Dieser doppelte Bezug auf das politisch-soziale Denken des modernen Naturrechts und der Aufklärung macht es möglich, dass Burke zum Ausgangs- und Bezugspunkt einer Strömung politischen Denkens und Argumentierens werden kann, die sich gegen jede an universalen Prinzipien orientierte Veränderung der jeweils bestehenden politischen Ordnung und Gesellschaftsstruktur wendet, ohne jedoch hinter die politisch-institutionellen, die sozioökonomischen und die kulturellen Errungenschaften der entstehenden bürgerlichen Gesellschaftsordnung zurück zu wollen. Dieser Spagat wird dadurch möglich, dass Burke die zentralen Ideen und Konzepte des neuzeitlichen Naturrechts und der Aufklärung aufgreift, sie aber neu aneignet, interpretiert und umprägt. Er zieht ihnen dadurch gleichsam den Stachel der radikalen Kritik der bestehenden Ordnung, in der und gegen die sie entwickelt worden waren, und des potentiell revolutionären Moments, die den Prinzipien legitimer Herrschaft widersprechenden Verhältnisse umzuwälzen und neu zu begründen. Diese theoretische Positionierung enthält zugleich eine praktisch-politische Stoßrichtung und fungiert im Kontext der Französischen Revolution und der Reformbewegungen in Großbritannien als zentrales Instrument jener angesprochenen ‚Quarantäne‘, durch die nach Burke die ‚Pest‘ demokratischer und revolutionärer Ideen und Bewegungen bekämpft und die Geister gegen eine ‚Infektion‘ immunisiert werden sollten.56

b) Burke und die ‚konservative‘ Umprägung der Aufklärung Die theoretische und rhetorische Strategie, mittels derer Burke diese ‚konservative‘ Reformulierung der zentralen Kategorien des modernen politischen Denkens und der durch sie begründeten Konzepte ‚vernünftiger‘ Institutionen und Rechte verfolgt, ist die ihrer Historisierung und Naturalisierung. Dadurch werden sie zum einen aufgegriffen und fortgeführt, so dass ihnen eine normativ-praktische Orientierungsfunktion für das politische Handeln und die Anerkennungswürdigkeit politischer und sozialer || 56 Zum Folgenden vgl. die Hinweise zu den Grundlagen von Burkes politischem Denken oben, S. 41 ff.

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Institutionen und Verhältnisse zukommt. Zum anderen aber werden sie dadurch ihres Status als allgemeine Prinzipien und Normen, die von allen mittels ihrer Vernunft erkannt und der Wirklichkeit kritisch entgegengehalten werden können, entkleidet, dass sie in Geschichte und Natur verlegt und so dem unmittelbaren Zugriff der kritischen Prüfung und praktischen Veränderung oder gar Umwälzung entzogen werden. Indem Burke in Reaktion auf die Französische Revolution in Schriften wie den Reflections und vor allem dem Appeal seine Stellung zu den Kategorien des neuzeitlichen Naturrechts und der Vertragstheorie in Abgrenzung zu den in der Aufklärung und bei radikalen Reformern dominierenden Verständnissen schärfer herausarbeitet und auf ihre politischen Konsequenzen hin fokussiert, entwickelt er gleichsam eine ‚konservative‘ Variante der Aufklärung über die Grundlagen politischer und sozialer Verhältnisse und Institutionen, die sowohl das theoretische Denken über sie wie das praktische Verhältnis zu ihnen betrifft.57 Aufgrund ihres theoretischen Allgemeinheitsgrades ist diese Auslegung dann auch in ganz anderen politischen und gesellschaftlichen Kontexten seit dem 19. Jahrhundert für das weitere politische Denken anschlussfähig. Durch Burkes Entgegensetzung von Positionen der alten und neuen Whigs und den Bezug auf die mit der Verfassung verbundenen Fragen der Grundlagen und Ausrichtung politischer Herrschaft wird klar, dass es nicht um ein Verwerfen, sondern um die Frage der ‚richtigen‘ Auslegung prinzipiell gemeinsamer Konzepte, Normen und politischer Programmatiken geht, und zwar im Sinne ihrer Aneignung und Umdeutung zugunsten des Gewordenen und Bestehenden im Gegensatz zu einer solchen, die auf das Gewollte und Gemachte abzielt.58 So hält Burke an den grundlegenden Konzepten des modernen politischen Denkens fest, bindet sie aber dergestalt in den Zusammenhang von natürlicher Ordnung und historischem Prozess ein, dass sie ihres kritischen, dem Gewordenen und Bestehenden entgegenstehenden Charakters beraubt werden. Demnach können für Burke die Begriffe von Recht, Freiheit und Eigentum, der Herrschaft des Gesetzes im Rahmen einer Verfassung, die auf dem Willen des Volkes gründet und Willkür durch ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Gewalten und Mächten || 57 Vgl. Bourke 2015b; Pocock zufolge war Burke „an Enlightened figure, who saw himself defending Enlightened Europe against the gens de lettres and their revolutionary successors“; es liege insofern „one Enlightenment in conflict with another“ (Pocock 1999: 7). Burke stehe so für die Strömung einer „conservative Enlightenment“ (ders. 1989), „founded on conservative Whig constitutionalism which colluded with sceptical philosophy, moderate Anglicanism and economic modernisation. It was an enlightenment threatened by radical and revolutionary tendencies“ (Fitzpatrick 2012: 46). 58 Zur Revision der Kategorien der Whigs durch Burke und ihre Wirksamkeit vgl. Hellmuth/Schmidt 2006: 258: „Dazu revidierte er die traditionellen Ideen des Whiggismus, grenzte zahlreiche Konzepte aus, die dem ‚commerce‘ oder dem ‚empire of reason‘ entstammten und arrangierte die verbliebenen Elemente im Einklang mit der Sprache des common law. Die Art und Weise, wie Burke diese Neukonfiguration des Whiggismus vornahm, löste bei Zeitgenossen zunächst Kopfschütteln aus […]. Aber wenige Jahre später war dieser Text [der Reflections] zum Kern einer neuen Identität geworden.“

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im Staat verhindern soll, nicht als durch die Vernunft ermittelte Normen verstanden werden, an denen die Wirklichkeit zu messen wäre und die politischem Handeln als Orientierung dienen könnten. Vielmehr geht zwar auch bei Burke die Ordnung, „in die wir hineingeboren werden“, auf eine Art von ‚ursprünglichem Vertrag‘ zurück, doch fällt dieser letztlich mit dem Resultat eines generationenübergreifenden Prozesses zusammen, der vom Willen der Individuen unabhängig ist (297).59 Die Rechte, die sie kennen und genießen, erwachsen den Individuen erst aus diesem historisch generierten Zusammenhang einer Sozial- und Verfassungsordnung, aus der, da sie für ihre Erhaltung sorgt und sie aus ihm Nutzen ziehen, zugleich Pflichten folgen. Die Idee einer Verfassung ist bei Burke deshalb, anders als bei Paine, Sieyes und der Mehrzahl liberaler und republikanischer Denker seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, keine ‚Idealverfassung‘ im Sinne einer normativen Ordnung. Vielmehr bezeichnet sie die Realverfassung im Sinne einer konkreten Gestalt politischer Institutionen und Prinzipien, der prescriptive constitution – und zwar mitsamt der spezifischen gesellschaftlichen Strukturen, Macht-, Eigentums- und Rechtsverhältnisse, wie sie sich historisch herausgebildet haben und einen stabilen Zusammenhang bilden, an dem alle ihrer Stellung und ihrem Stand entsprechend teilhaben und von dem alle profitierten.60 Damit verschiebt Burke den Fokus des politischen Denkens der Aufklärung auf eine dann für spezifische Strömungen konservativen Denkens charakteristische Weise. Da das politische Denken und Handeln der Menschen und die zugehörigen Begriffe und normativen Kategorien jeweils innerhalb besonderer Zusammenhänge geprägt werden, kann Politik Burke zufolge keine Prinzipienwissenschaft sein, die die bestehenden Verhältnisse auf der Basis universalistischer Kategorien und Zwecke analysieren und beurteilen könnte; Politik ist vielmehr eine praktische Wissenschaft in der aristotelischen Tradition, die auf der Grundlage der Faktizität der historisch generierten Gesellschafts- und Verfassungsordnung entsteht und wirkt.61 Politisches Denken steht somit vor der Aufgabe, die Strukturen dieses Zusammenhangs und die Bedingungen seines Funktionierens und seiner Erhaltung zu erkennen und an ihrer Aufrechterhaltung mitzuwirken. Dabei zeigt Burke auf eine Weise, die Züge einer politisch-historischen Soziologie und kultursoziologischen Analyse im Stil Montesquieus und der schottischen Aufklärung trägt, die Bande auf, die seines Erachtens die gesellschaftliche Integration und Entwicklung ermöglichen und befördern: dass eine entwickelte, || 59 Vgl. im Zusammenhang unten, S. 295 f. Vgl. Burke 1790c: 90 ff. 60 Vgl. oben, S. 112 ff. u. 261 f. Zu den unterschiedlichen Verfassungsverständnissen vgl. Schmitt 2003: 36 ff. (§ 4 zum Idealbegriff einer Verfassung) und 3 ff. (§ 1 zum Begriff der Verfassung als einheitlichem Ganzen). Für Burke gilt, was Rehberg (1990: 116) zu Arnold Gehlen bemerkt: dass er „politische Repräsentation, gesellschaftliches Normengefüge und obrigkeitsstaatliche Ordnungsvorstellungen identifikatorisch so eng zusammen[denkt], daß ihm alle Veränderungsprozesse […] als Entinstitutionalisierungen und damit als fundamentale Ordnungsbedrohung erscheinen“. 61 So heißt es im Appeal: „Es ist eine Theorie, die ihre Lehre aus dem Faktum unseres Staatswesens zieht.“ (313) Vgl. zu Burkes Politikverständnis auch oben, S. 41 ff. – Zum Aristotelismus von Burkes Politikbegriff vgl. Strauss 1953: 315 ff.

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Freiheit, Eigentum und Reichtum der Gesellschaftsmitglieder sichernde Verfassungsordnung wie die britische auf der Existenz von Grundeigentum und Aristokratie beruht, auf der ständischen Gesellschaftsstruktur, auf der Verflechtung von Staat und Kirche und auf der Bindung der Individuen an die bestehende Ordnung durch die Einprägung von Traditionen, Religion sowie von Meinungen und Vorurteilen, die ihnen die Pflicht zum Gehorsam einimpfen. Im Unterschied zu den vernunftorientierten und den radikaleren Strömungen ist diese Variante der Aufklärung über die Formen, mittels derer die Gesellschaftsmitglieder gerade unter Vermeidung rationaler Gründe und Einsicht durch Staat, Kirche und Tradition integriert werden und wie „[d]urch glücklich geleitetes Vorurteil […] des Menschen Pflicht zuletzt ein Teil seiner Natur“ wird (Burke 1790c: 179), freilich nicht primär kritisch gerichtet. Sie soll dem politisch Handelnden vielmehr ein Wissen an die Hand geben, mittels dessen die Eliten – jene ‚natürliche Aristokratie‘, die zum Regieren bestimmt und befähigt ist (302 f.) – dafür Sorge tragen können, dass der komplizierte, historisch gewachsene Funktionszusammenhang der Gesellschaft als solcher nicht in seiner Angemessenheit und Legitimität hinterfragt und problematisiert, sondern mit der nötigen Ehrfurcht angesehen und ihm Gehorsam geleistet wird.62 Dabei schließt diese Sicht auf die historisch generierte Verfassung von Staat und Gesellschaft Reformen und Veränderungen nicht aus, unterstellt sie aber vollständig dem Imperativ des Bewahrens und Stabilisierens. Die Kriterien für mögliche und notwendige Reformen sind nicht die Wahrheit oder Richtigkeit von Prinzipien und Normen, die ihre Umsetzung begründen sollen, sondern konsequenzialistisch die Angemessenheit und Zweckmäßigkeit ihrer Folgen: Nur wenn sie geeignet sind, der durch den Zusammenhang der Generationen und des Gegebenen vor- und aufgegebenen Pflicht zu genügen, das politische, ökonomische und soziokulturelle Erbe der bestehenden Ordnung zu bewahren, weiterzugeben und zu steigern, sind Reformen gerechtfertigt.63 Eine Politik der Reformen ist bei Burke also ein prinzipiell „systemerhaltender Weg, der die institutionelle Kontinuität bewahrt und Veränderung als Systemanpassung verwirklicht“ (Zimmer 1995: 69).

|| 62 Ausführlich thematisiert Burke im Appeal die Bauernaufstände des 14. und 15. Jahrhunderts, die für ihn derselben Logik wie die der französischen Revolutionäre folgten, wodurch er zeigen will, dass das Volk „nicht zum ersten Mal […] so lange aufgeklärt [wurde], bis es zu Landesverrat, Mord und Plünderung bereit war“ (303 f.). 63 Vgl. unten, S. 288 ff. u. W IV: 399 f. – In den Reflections spricht Burke (1790c: 93) vom „Prinzip der Erhaltung (conservation)“, das Veränderungen an die Überlieferung des Ererbten bindet – in der prägnanteren Originalfassung: „the idea of inheritance furnishes a sure principle of conservation, and a sure principle of transmission; without at all excluding a principle of improvement“ (WS VIII: 83 f.). – Diese Ausrichtung an den praktischen Folgen, nicht der theoretischen Wahrheit politischer Aussagen prägte schon 1756 Burkes Vindication; vgl. oben, S. 25 f. u. 41.

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c) Burkes konservative Affirmation der bürgerlichen Gesellschaft An Burkes Kritik der Französischen Revolution und der sie leitenden Prinzipien zeigt sich, wie die Ideen und Normen des modernen, im weitesten Sinne aufklärerischen Denkens seit dem 17. Jahrhundert in unterschiedlichen Kontexten von Sprechern und Akteuren mit unterschiedlichen Interessen und Zielen aufgenommen, interpretiert und fortgebildet werden. Insbesondere wird deutlich, wie in dem historischen Moment, in dem mit den politisch-ökonomischen Revolutionen und Umwälzungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts das bürgerlich-kapitalistische Zeitalter mit seinen neuartigen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen, Anforderungen und Widersprüchen anbricht und begonnen wird, die Ideen der Aufklärung von einer politischen und sozialen Ordnung, in der persönliche Freiheit, Gleichheit und Eigentum sowie die Herrschaft des Gesetzes realisiert werden, praktisch-institutionell umzusetzen, diese eine neue Bedeutung erhalten und eine veränderte Stellung zur politischen und sozialen Wirklichkeit einnehmen. Die praktisch-kritische, gegen die überkommenen feudalen und ‚despotischen‘ Strukturen und Schranken gerichtete Stoßrichtung tritt in den Hintergrund bzw. zielt nicht mehr auf das Grundsätzliche und Ganze der politisch-sozialen Ordnung, sondern nur mehr auf die Einrichtung und Änderung bestimmter Einrichtungen. Werden die Prinzipien einmal durchgesetzt und leiten in je spezifischer Ausprägung die bestehende Ordnung, geht es vor allem noch um deren praktische Ausgestaltung und um die Frage, wie sie erhalten und verbessert und den jeweiligen Umständen angepasst werden kann. Die Positionen, die Burke im Appeal formuliert, sind in diesem Zusammenhang sowohl mit Blick auf den unmittelbaren historischen Kontext wie auf die weitere Geschichte politischen Denkens und politischer Strömungen aufschlussreich. Im historischen Zusammenhang der politischen und sozialen Auseinandersetzungen in Großbritannien im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts stellt das in den Schriften Burkes aus den 1790er Jahren noch einmal verstärkte Plädoyer für das Verfassungs- und Revolutionsverständnis der alten Whigs „eine Apotheose des Whiggistischen Systems aristokratischer Magnatenherrschaft ‚for and in trust of the people‘“ dar,64 das auf der Grundlage der Interessen des Grundeigentums, der traditionellen ständischen Ordnungen und Sitten und der Verbindung von Staat und anglikanischer Kirche funktioniert. Da dieses System seit dem 17. Jahrhundert der Garant dafür war, dass Großbritannien zu einem weltumspannenden Imperium wurde, eine blühende Ökonomie entwickelte und eine commercial society ausbildete, die es nach Burke zu bewahren und zu stärken gilt, verträgt sich dessen Verteidigung des Überkommenen ohne Weiteres mit einer Offenheit für die laufenden Modernisierungsprozesse.65 Solange dabei eine || 64 Mommsen 1981: 343. – Vgl. in diesem Sinne Burkes Erklärung, die Whigs seien immer „an aristocratic party [gewesen,] connected with the solid, permanent, long-possessed property; a party which, by temper derived from that species of property, and affording a security to it, was attached to the ancient tried usages of the kingdom“ (Burke an William Weddell, 31. Januar 1792, in: Corr. VII: 52 f.). 65 Vgl. Schofield 1986: 604: „Conservatives were proud of the progress which had been made under the existing system of government since the Glorious Revolution, and looked to further improvements

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stärkere Berücksichtigung und auch Beteiligung neu entstehender und aufstrebender Schichten und Interessen notwendig war, konnte dem, so die Strategie der Whigs seit den 1760er Jahren, durch vorsichtige Reformen durchaus nachgekommen werden. Sobald die Forderungen und ihre Folgen aber zu einer Gefahr für die altbewährte Ordnung der sozioökonomischen Verhältnisse und Hierarchien werden, auf denen das Verfassungssystem beruht, indem etwa die schnell wachsenden Mittel- und Unterschichten und schließlich schon die labouring poor in die politische Öffentlichkeit drängen und danach streben, im politischen System repräsentiert zu werden und ihre Interessen zur Geltung zu bringen, ist Burke zufolge jedes Nachgeben systemgefährdend und die entschiedene Verteidigung der bestehenden Ordnung gegen solche Neuerung nötig.66 Denn sonst werde eine Dynamik in Gang gesetzt, die nicht mehr einholbar wäre und über kurz oder lang zu Umbrüchen und Verwerfungen führe, die die bestehende Ordnung umwälzen und damit die Grundlagen der politischen und ökonomischen Größe des Landes zerstören würde.67 In ideengeschichtlicher Perspektive ist es somit gerade die grundsätzlich affirmative Grundeinstellung, die Burke den die modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft prägenden Institutionen und Verhältnissen gegenüber einnahm und die ihn für Zeitgenossen und Interpreten vielfach als liberalen oder gar demokratieaffinen Denker und Politiker erscheinen ließ, die seine Positionen und seinen Stil politischen Denkens für eine spezifisch konservative Variante modernen politischen Denkens anschlussfähig bzw., je nach Einschätzung, sogar grundlegend machte. Dieses konservative Denken nämlich ist weder ‚traditionalistisch‘ noch gar reaktionär,68 sondern steht auf Seiten der etablierten bürgerlichen Wirtschafts- und Sozialordnung in ihrer je historisch konkret realisierten Gestalt. Im politischen Denken wie in der politischen || when circumstances required or allowed. This progress was not viewed in terms of an extension of political rights, as demanded by the radicals, but in terms of what conservatives saw as the more solid ground of economic prosperity and social happiness.“ So auch Claeys 1989b: 316 ff. – Zur jüngeren Forschungsliteratur vgl. Macleod 2007: 694 f.; zu der an Burke anschließenden Debatte in England zur Rolle der Aristokratie in den 1790er Jahren vgl. Goodrich 2005. 66 Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist der oben angesprochene kontextbedingte Wandel von Burkes Haltung gegenüber den Dissentern. Er war ihnen und ihren Forderungen nach der Aufhebung der Test Acts (vgl. Goodwin 1978: 65 ff.) solange gewogen, wie sie unpolitisch blieben und ohne grundsätzlichen Wandel im politischen System zu verwirklichen waren. Sobald sie sich seit den 1780er Jahren deutlicher mit weitergehenden politischen und schließlich auch sozialen Forderungen verbanden, verweigerte Burke alle Reformen, auch die, die er zuvor unterstützt hatte (vgl. Phillips 1961). – Zur Stellung Burkes zu den labouring poor und der aufkommenden sozialen Frage sowie den ihnen zugrundeliegenden sozioökonomischen Umbrüchen vgl. den folgenden Teil 5 in diesem Band. 67 Dieses Argument lässt jedoch die Frage offen, wie mit den strukturellen Veränderungen der Gesellschaft umgegangen werden soll, die – wie zu Burkes Zeiten schon bemerkbar – den Übergang zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung und ihre Entwicklung begleiteten und zum Wachsen der Zahl von ausgeschlossenen Unterschichten und ihren Interessen führten, wenn diese nicht mehr mit den Institutionen und dem ‚Geist der Gesetze‘ jener englischen Verfassung zu vereinbaren sind, die Montesquieu und Burke wegen ihrer Organisations- und Integrationsmacht so priesen. 68 Zur Unterscheidung von Konservatismus und Traditionalismus vgl. Mannheim 1984: 92 ff.

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Praxis zielt es deshalb vor allem und zuerst auf die Erhaltung und Absicherung jener politischen, sozialen, kulturellen und ideologischen Einrichtungen, Praktiken, Normund Wertordnungen, die sie möglich gemacht haben und auf denen sie beruhen. Ihre Kosten und negativen Effekte treten demgegenüber in den Hintergrund und werden im Geiste eines sich als ‚realistisch‘ verstehenden Weltbildes als natürlich oder unvermeidlich angesehen. Die die bestehenden Verhältnisse immer auch im Lichte universaler Prinzipien kritisch beleuchtende und insofern theoretisch, zumindest potentiell aber auch praktisch transzendierende Dimension des modernen naturrechtlichen und aufklärerischen Denkens tritt demgegenüber in den Hintergrund oder wird, wie bei Burke, zu etwas, das eine Sache der Vergangenheit ist. Der Fortschritt und die Versprechen, die das aufklärerische politische Denken in Aussicht stellt und die gegen das Ancien Régime gerichtet wurden – die Verwirklichung einer vernünftigen Ordnung, in der Freiheit, Wohlstand und Sicherheit der Individuen garantiert werden –, erscheinen aus dieser Perspektive als bereits wesentlich erfüllt. Sie liegen nicht mehr in der Zukunft, die durch Veränderung der bestehenden Verhältnisse erst zu schaffen wäre, sondern sie wurden bereits in einer mehr oder weniger fernen Vergangenheit realisiert. Aufgabe des politischen Denkens ist es demnach, mit Hegel gesprochen (Hegel 1970: 26 f.), vor allem, das Vernünftige in der Geschichte und Wirklichkeit der konkreten Staatsordnung zu erkennen und daran mitzuwirken, sie zu bewahren und beständig so anzupassen, dass sie auch in der Zukunft weiter Geltung behält.

4.2 Eine Appellation gegen die neuen an die alten Whigs. Veranlasst durch einige jüngst im Parlament erfolgte Diskussionen anlässlich der Betrachtungen über die Französische Revolution (1791) (Auszüge)1 von Edmund Burke […] Es ist für Mr. Burke zweifellos von Vorteil, dass es auch unparteiische Menschen auf der Welt gibt. An diese wende ich mich mit dem anhängigen Einspruch, der in seinem Namen gegen die Lebenden an die Toten, gegen die modernen Whigs an die alten gerichtet ist.2 Die Gentlemen, die im Namen der Partei ein Urteil über Mr. Burkes Buch gefällt haben, sind unter dem Gesichtspunkt der Literaturkritik als Richter über jeden Verdacht erhaben.3 Er hat sich durchaus nicht eingebildet, als Schriftsteller den Beifall von Männern finden zu können, deren Talente seiner wie der allgemeinen Meinung nach ans Wunderbare grenzen, sofern solche Personen überhaupt je geneigt sein sollten, den Wert einer Abhandlung am Grad ihrer eigenen Fähigkeiten zu messen.4 || 1 Die Auswahl der hier übersetzten Teile der Schrift umfasst rund ein Drittel des Textes. Sie orientiert sich im Wesentlichen an der Auswahledition von Iain Hampsher-Monk (1987), ergänzt um einige Passagen, die der Erstausgabe, London 1791, entnommen wurden. Weggelassen wurden insbesondere die zahlreichen Passagen, in denen Burke sich mit aktuellen Stimmen zu seinen Positionen in der Debatte um die Französische Revolution auseinandersetzt und diese umfänglich zitiert; dasselbe gilt für seine Zitate aus dem Prozess gegen Sacheverell 1710 (s. u., S. 291 ff.); alle Auslassungen werden im Text markiert („[…]“), längere Auslassungen mit einem Absatz, kürzere ohne Absatz. 2 Die Wendung „pending the appeal“ ist ein Rechtsterminus für ein schwebendes Berufungsverfahren. Burke betont damit die juridische Anlage des Textes, insofern es wie im Sacheverell-Prozess um ein Verfahren vor einem Tribunal geht, das über die wahrhaften Grundsätze der Whigs urteilen soll (deshalb spricht Burke hier auch von sich in der dritten Person und lässt einen Verteidiger seiner Positionen zu Worte kommen). Dieser Charakter einer Appellation erklärt auch die Übersetzung des Titels An Appeal from the New to the Old Whigs. – August Wilhelm Rehberg übersetzte in seiner Veröffentlichung einiger Passagen des Werkes den Titel mit Appellazion von dem Urtheile der neuen Whigs an die alten, über die Grundsätze der französischen Revoluzion (Burke 1791c: 225). 3 Burkes langjähriger Freund Philip Francis (1740-1818), der Burke im Prozess gegen Warren Hastings unterstützte, schrieb ihm am 19. Februar 1790 zu den ersten Entwürfen der Reflections, sie seien „very loosely put together“ (Corr. VI: 86), um nach deren Erscheinen zu wünschen: „I wish you would let me teach you write English“ (4. November 1790, Corr. VI: 151); und Charles James Fox, so Burke am 29. November 1790 an Gilbert Elliot, sei der Meinung, „in point of composition it is the worst I have ever published“ (Corr. VI: 178). Zu Thomas Paines Urteil über die argumentative Qualität der Reflections vgl. oben, S. 256, Anm. 3. 4 Hier mag Burke an Richard Brinsley Sheridan (1751-1816) denken, Schriftsteller und Parlamentsmitglied, der unter den parlamentarischen Whigs einer der prominentesten Befürworter der Französischen Revolution war und eine Antwort auf die Reflections plante, die aber nicht erschien. Sheridan war einer der schärfsten Konkurrenten Burkes um die Meinungsführerschaft innerhalb der Whigs, https://doi.org/10.1515/9783050087771-005

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In ihrem kritischen Tadel findet Mr. Burke, mag ihn dieser auch als Autor, als Mensch und als Engländer Demut gelehrt haben, nicht nur Grund zum Trost, sondern auch zum Stolz. Er hat versucht, einem fremden Volk nicht seine eigenen Ideen, sondern die vorherrschenden Meinungen und Empfindungen einer Nation zu vermitteln, die für ihre Weisheit gerühmt und für ihre wohlverstandene und wohlregulierte Freiheitsliebe zu allen Zeiten gepriesen wurde. Dies war der erklärte Zweck des weitaus größten Teils seines Werkes. […] Er hatte mit Argumenten, die er für unwiderlegbar hielt, und mit Dokumenten, die seiner festen Überzeugung nach unanfechtbar waren, den Beweis in Angriff genommen, dass sich die britische Regierungsform und die französische Usurpation nicht miteinander vergleichen ließen.5 – Dass jene,6 die sich auf den Vorsatz versteiften, sie zu vergleichen, keineswegs ein gutes System mit einem anderen guten System verglichen, welche sich lediglich hinsichtlich ortsgebundener und nebensächlicher Merkmale voneinander unterschieden; geschweige denn, dass sie uns ein überlegenes Muster rechtlicher Freiheit vor Augen führten, das wir an die Stelle unserer alten und ihrem Verständnis nach veralteten Verfassung setzen könnten. Er wollte beweisen, dass das französische Modell nicht vergleichsweise gut, sondern eindeutig von Übel war. – Dass die Frage nicht im Entferntesten, wie behauptet, an einer Parallele zwischen Monarchie und Republik hing. Er bestritt, dass die gegenwärtigen Zustände in Frankreich überhaupt den ehrwürdigen Namen einer Republik verdienten:7 Daher gab es für ihn keinen Vergleich zwischen Monarchien und Republiken anzustellen. – Dass es sich bei den Vorgängen in Frankreich um einen wüsten Versuch handelte, die Anarchie zur Methode und die Unordnung zur Dauereinrichtung zu machen. Dass es eine verdorbene, gottlose, ungeheuerliche Angelegenheit war, außerhalb jeder moralischen Ordnung der Natur. Er nahm sich vor zu beweisen, dass sie durch Verrat, Betrug, Falschheit, Heuchelei und grundlosen Mord hervorgebracht worden war. – Er erbot sich darzutun, dass die Anführer dieser Unternehmung ihren Mitstreitern gegenüber die größte Niedertracht an den Tag gelegt hatten und sowohl ihrem König als auch ihren Wählern gegenüber aufs Schamloseste eidbrüchig geworden waren: Dem einen hatte die Nationalversammlung einen Lehenseid geschworen; den anderen hatte sie geschworen, sofern keinerlei Gewalt oder Zwang ausgeübt würde, ihren || nachdem Burke schon am 9.2.1790 im Rahmen der Debatte um den Militärhaushalt im House of Commons mit ihm und Fox heftig zusammengestoßen war; vgl. Sheridans Kritik an Burke in dieser Sitzung in: PH XXVIII: 367-370. 5 Burke rekapituliert hier die Argumente, die er in der Rede zur Quebec Bill am 6. Mai 1791 vorgetragen hatte; vgl. Burke 1791a. 6 Burke zielt damit neben den Whigs um Fox und Sheridan vor allem auf Dissenter wie Richard Price und Joseph Priestley sowie auf Reformgesellschaften und Clubs, deren Vertreter der Überzeugung waren, die Französische Revolution gründe auf denselben Prinzipien wie die Glorious Revolution von 1688; vgl. ausführlich hierzu die Einleitung, oben S. 269 f. 7 Vgl. etwa Reflections, WS VIII: 119 f. u. 174.

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Anweisungen uneingeschränkt Folge zu leisten.8 – Dass sie durch den Schrecken von Meuchelmorden eine sehr große Zahl der Mitglieder vertrieben hatten, um den falschen Anschein einer Mehrheit zu erwecken.9 – Dass diese fingierte Mehrheit eine Verfassung ersonnen hatte, die nach jetzigem Stand der Dinge eine Tyrannei ist, wie man sie in der zivilisierten europäischen Welt unserer Zeit beim besten Willen kein zweites Mal findet; dass ihre Liebhaber folglich keine Liebhaber der Freiheit, sondern lediglich der niedrigsten und gemeinsten Form von Knechtschaft sein können, so sie deren Wesen wirklich erkennen. Er erbot sich zu beweisen, dass die gegenwärtige Lage in Frankreich kein vorübergehendes Übel ist, aus dem, wie es einige allzu wohlwollend dargestellt haben, auf Dauer Gutes erwachsen wird; sondern dass das gegenwärtige Unheil einzig und allein ein Mittel ist, um weiteres und (sofern überhaupt möglich) noch schlimmeres Unheil anzurichten. – Dass wir es nicht mit einem noch unverdauten, unvollkommenen und groben Modell zu tun haben, das sich allmählich zu einer gesitteten und gesellschaftlichen Freiheit mäßigen und auswachsen kann; sondern dass es grundfalsch und gänzlich ungeeignet ist, sich jemals – möge auch noch so viel Zeit verstreichen – selbst zu korrigieren oder in eine beliebige Form von Gemeinwesen überführen zu lassen, dem ein Mitglied des House of Commons öffentlich seinen Segen zu erteilen vermöchte. […] Er hätte gezeigt, dass es sich bei dem allgemeinen Frieden und Einklang zwischen den Nationen, den diese gemeinsamen Feinde der Menschheit mit denselben arglistigen Zielen und Vorwänden verheißen hatten,10 mit denen sie durchweg jede einzelne ihrer Maßnahmen unternahmen, um grobes und plumpes Blendwerk handelte, das es nicht wert war, von einem gut unterrichteten und scharfsinnigen Mitglied des || 8 Die gemäß Wahlreglement vom 24. Januar 1789 bestimmten Mitglieder der Generalstände (ÉtatsGénéraux) besaßen dem traditionellen Repräsentationsverständnis gemäß keine gesetz- oder verfassungsgebenden Kompetenzen, sondern wurden lediglich als Vertreter der Stände der Monarchie konsultiert, damit, wie es im königlichen Reglement heißt, „die Wünsche und Beschwerden eines jeden vor den Thron gelangen können“; hierzu Halévi 1996. 9 Sachlich wenig begründet war in der Zeit bis zur Publikation der Reflections im August 1791 diese Darstellung der Rolle von Gewalt in den Anfangsjahren der Revolution, wonach, so in einer der ersten dokumentierten Äußerungen Burkes, „the old Parisian ferocity“ nun „in a shocking manner“ wieder ausgebrochen sei (an Lord Charlemont, 9.8.1789, Corr. VI: 10). Burkes Sicht auf die Ereignisse wurde von Anfang an durch dramatisierende Einschätzungen und Berichte geprägt, die er durch antirevolutionäre Propaganda von Anhängern der Monarchie und von Emigranten erhielt, mit denen er korrespondierte und die er persönlich empfing; vgl. Skalweit 1956: 34 ff. u. 63 ff.; Mitchell 1989: 3 ff. 10 Mit dem Hinweis auf die Verheißung von Frieden und Einklang bezieht sich Burke auf die auf Vorschlag von Mirabeau am 22. Mai 1790 erfolgte Erklärung der Nationalversammlung in Artikel 4 des Décret sur l’exercice du droit de la guerre et de la paix: „que la nation française renonce à toute espèce de conquête, et qu’elle n’emploiera jamais ses forces contre la liberté d’aucun peuple“ (Lallement 1818: 334). Diese Aussage wurde als erster Satz von Titel VI über die Beziehungen Frankreichs zu anderen Nationen in die Verfassung von 1791 übernommen.

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House of Lords irgendeinem anderen Land zur Nachahmung empfohlen zu werden.11 – Dass sie beileibe nicht Frieden und Wohlwollen gegenüber den Menschen, sondern Krieg gegen alle anderen Staaten im Sinn hatten und gedachten, in diesen systematisch die schlimmsten Formen von Aufruhr anzustacheln, die zu ihrer aller Zerstörung führen sollten. – Dass sie in den wenigen Fällen, in denen ihnen bislang die Macht dazu gegeben war (wie in Avignon und im Comtat, in Cavaillon und in Carpentras12), offenbart hatten, auf welch grausame Art und Weise sie Aufruhr und Kriege vom Zaun zu brechen gedenken, die sie gegen ihre Nachbarn geplant haben, um sich selbst an die Spitze eines Bundes von Republiken zu setzen, die so wild und böswillig sind wie ihre eigene. Er hätte gezeigt, auf welche Weise dieser schändliche Plan an jenen Orten vorangetrieben wurde, ohne direkt eingeräumt oder bestritten zu werden, immer in der Hoffnung, die zugrunde gerichteten Menschen seien am Ende gezwungen, sich fluchtartig unter ihren tyrannischen Schutz zu begeben, um dort eine gewisse Zuflucht vor ihrer barbarischen und heimtückischen Feindseligkeit zu finden. Er hätte anhand jener Beispiele gezeigt, dass weder diese noch irgendeine andere Gesellschaft sicher sein kann, solange ein solcher Staatsfeind in der Lage bleibt, mit derartigen Praktiken ihren Frieden weiter direkt oder indirekt zu stören. – Dass Großbritannien ein vorrangiges Ziel ihrer Machenschaften war und dass sie als ersten Schritt Korrespondenzen, Verbindungen und eine Art föderativen Bund mit den hiesigen Aufwieglern aufgebaut hatten. – Dass der praktische Genuss einer Sache, die so unvollkommen und gefährdet ist, wie es die menschliche Glückseligkeit sein muss, nicht einmal unter der besten aller Regierungen die Existenz der betreffenden Staaten sichern kann, solange die französischen Prinzipien vorherrschen und von dieser großen Schule aller erdenklichen Unordnung und Laster propagiert werden. Er war bereit, den Aberwitz ihrer Erklärung der vorgeblichen Menschenrechte aufzuzeigen, die kindische Sinnlosigkeit einiger ihrer Maximen, die krasse und törichte Absurdität und offenkundige Falschheit manch anderer, schließlich die verderbliche Tendenz solcher Erklärungen für das Wohlergehen der Menschen und Bürger sowie für die Sicherheit und Wohlfahrt eines jeden gerechten Gemeinwesens. Er war zu zeigen imstande, dass die Nationalversammlung nicht nur unmittelbar gegen jeden vernünftigen Grundsatz der Staatsführung verstoßen hatte, sondern ausnahmslos auch gegen jede ihrer eigenen falschen oder sinnlosen Maximen, ja schlechthin gegen jede Regel, die sie angeblich zu ihrer eigenen Anleitung aufgestellt hatte. Er war, kurz gesagt, entschlossen zu zeigen, dass all jene, die den französischen Wahnsinn nach einer so umfassenden und fairen Entlarvung weiterhin gutheißen konnten, nicht etwa irrende Politiker, sondern schlechte Menschen waren; doch || 11 Dies ist vermutlich gegen Sheridan gerichtet, der am 12. April 1791 erklärte, er hoffe „what had happened to France would serve as an useful lesson, and that we should have the leisure to improve it by studying it“ (PR XXIX: 150). 12 In diesen päpstlichen Enklaven wurden Volksabstimmungen abgehalten, die im September 1791, kurz nach der Veröffentlichung des Appeal, zum Anschluss an Frankreich führten.

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glaubte er, dass in diesem Fall, wie in so vielen anderen, Unwissenheit die Ursache der Bewunderung gewesen sei. […] Dass einer über die Zerschlagung einer absoluten Monarchie frohlocken und triumphieren kann; dass er in einem solchen Fall über die Gefangenschaft, Schande und Entwürdigung eines unglückseligen Fürsten sowie die unablässige Gefahr für ein Leben, dessen Schicksal die Gefährdung ist, hinwegsehen kann; dass er über den Untergang ganzer Stände und Klassen von Menschen hinwegsehen kann, obwohl dieser direkt oder in seinen unmittelbaren Folgen wenigstens eine Million unserer Artgenossen betrifft und zumindest das vorübergehende Elend einer ganzen Gemeinschaft bedeutet – all dies mag zweifellos in gewissem Maße natürlich sein. Denn wenn sich Menschen ein – leidenschaftlich herbeigesehntes – politisches Ziel lediglich in einer Hinsicht vor Augen führen, dann neigen sie dazu, die mit dem Erreichen dieses Ziels möglicherweise verbundenen Übel drastisch zu beschönigen oder zu unterschätzen. Damit soll nichts über die Menschlichkeit jener Personen gesagt sein. Ich wäre der letzte, der an ihrer Gutmütigkeit zweifeln wollte. Es zeigt nur, dass sie nicht informiert oder besonnen genug sind. Wenn sie erst einmal ernsthaft über den Vorgang nachdenken, werden sie sich Rechenschaft darüber ablegen müssen, was denn mit der ganzen Verwüstung erreicht wurde. Sie werden dann kaum behaupten, dass die Zerschlagung einer absoluten Monarchie an sich schon eine gute Sache sei, ohne die früheren Zustände oder die Konsequenzen des Umbruchs im mindesten zu bedenken – ohne also zu überlegen, ob sich ein Land unter seiner althergebrachten Herrschaft nicht durch beträchtlichen Wohlstand und Bevölkerungsreichtum, einen hohen Grad an Kultivierung und an wirtschaftlicher Entwicklung ausgezeichnet hatte, und ob unter jener Herrschaft, in der zwar die persönliche Freiheit widerruflich und unsicher gewesen, zumindest das Eigentum aber stets unangetastet geblieben war. Sie können die moralischen Sympathien des menschlichen Geistes nicht für sich gewinnen, wenn sie sich in Abstraktionen flüchten, die vom guten oder schlechten Zustand des Staates, von der Qualität der Handlungen und dem Charakter der Handelnden absehen. Niemand von uns liebt die absolute und unkontrollierte Monarchie; und doch können wir über die Leiden eines Marcus Aurelius oder eines Trajan, jener absoluten Herrscher, nicht so frohlocken wie darüber, dass Nero vom Senat dazu verurteilt wird, mos maiorum bestraft zu werden;13 und auch, als dieses Scheusal gezwungen war, mit seiner Frau Sporus14 zu fliehen und aus einer Lache zu trinken, rührte er die Menschen nicht so wie der ehrwürdige Galba mit all seinen Fehlern und Irrtümern, der von einer || 13 Nero wurde im Jahre 68 von Senat zum öffentlichen Feind erklärt und nach dem mos maiorum, d. h. den Sitten der Alten gemäß, zum Tode verurteilt. Der mos maiorum bezeichnete in der ungeschriebenen Verfassung der Römischen Republik das Recht der Tradition und Vorfahren, wobei es sich vor allem um jene der adligen Oberschicht oder der jeweiligen aristokratischen Familien handelte (zum mos maiorum vgl. Bloesel 2000). – Marc Aurel regierte von 161 bis 180, Trajan von 98 bis 117. 14 Nero habe, so berichtet Sueton (Leben des Nero, 28. 1), im Jahre 65 den Knaben Sporus kastrieren lassen und dann offiziell geheiratet.

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revoltierenden Söldnertruppe ermordet wurde.15 Stehen uns solche Dinge vor Augen, dann widersprechen unsere Gefühle unseren Theorien; und wenn das der Fall ist, dann haben die Gefühle recht, und die Theorie ist falsch. Worum es mir geht, ist, dass man im Lob auf die Zerschlagung einer absoluten Monarchie nicht alle Umstände gänzlich übergehen soll, als seien es „Überlegungen, die einzig seichten und oberflächlichen Köpfen geziemen“ (so oder ähnlich die Worte von Mr. Fox).16 Die Umwälzung einer Regierung darf, soll sie überhaupt irgendein Lob verdienen, einzig und allein als ein vorbereitender Schritt hin zu etwas Besserem betrachtet werden, betreffe dies nun das Regierungssystem selbst oder die Personen, die die Regierungsgeschäfte führen, oder beides. Diese Ereignisse lassen sich vernünftigerweise nicht voneinander trennen. Wenn wir zum Beispiel unsere Revolution von 1688 preisen, belassen wir es nicht dabei, obwohl die Nation in jenem Akt in der Defensive war und das gute Recht hatte, alle Übel eines Verteidigungskrieges zu riskieren. Wir verbinden mit der Umwälzung der alten Regierung stets die glückliche Übereinkunft, die darauf folgte.17 Wenn wir jene Revolution bewerten, dann wollen wir beides einkalkulieren, sowohl den Wert dessen, wovon wir uns trennten, als auch den Wert dessen, was wir im Gegenzug erhielten. Die Beweislast liegt allein bei denen, die die ganze Struktur, das ganze Gewebe ihres Landes in Stücke reißen. Sie müssen beweisen, dass sie keinen anderen Weg finden konnten, um eine Regierung einzusetzen, die ihre vernünftigen Ziele zu erreichen vermocht hätte – außer jenem, den sie mit Mitteln verfolgten, die das bestehende Glück von Millionen Menschen beeinträchtigten und den gänzlichen Untergang einiger Hunderttausend bedeuteten. Die Menschen haben nicht das Recht, in ihren politischen Regelungen das Wohlergehen der bestehenden Generation gänzlich außer Acht zu lassen. Vielleicht ist die einzige moralische Pflicht, derer wir einigermaßen gewiss sein können, die Sorge um unsere eigene Zeit. Was die Zukunft betrifft, so sollen wir sie wie ein Mündel behandeln. Dessen Vermögen sollen wir nicht in einer Weise zu vergrößern streben, die das Kapital seines Erbes irgendeinem Risiko aussetzt. Es lohnt die Mühe nicht, sich auf die sophistische Diskussion einzulassen, ob denn niemals ein gewisses Übel zugunsten eines gewissen Nutzens geduldet werden darf. In keiner moralischen oder politischen Frage lässt sich vernünftigerweise etwas Allgemeines sagen. Die reine metaphysische Abstraktion hat hier nichts verloren. Die Grundlinien der Moral sind nicht wie die Ideallinien der Mathematik. Sie sind nicht

|| 15 Lucius Livius Galba war Nero als römischer Kaiser im Jahre 68 nachgefolgt und gleich im Januar des folgenden Jahres ermordet worden. 16 Das Zitat kann in Fox’ Reden nicht nachgewiesen werden; in den ersten Editionen des Appeal 1791 fehlt der Hinweis auf Fox wie der Ausweis als Zitat selbst gänzlich. 17 Mit der Bill of Rights wurden 1689 die Rechte des Parlaments gegenüber dem König festgeschrieben, mit dem Act of Settlement von 1701 wurde die protestantische Thronfolge gesichert und die ‚Revolution‘ abgeschlossen.

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nur lang, sondern auch breit und tief. Sie lassen Ausnahmen zu; sie verlangen Abwandlungen. Diese Ausnahmen und Abwandlungen verdanken sich keinem logischen Prozess, sondern den Regeln der Klugheit. Die Klugheit steht nicht nur an oberster Stelle aller politischen und moralischen Tugenden, sie ist sogar die Dirigentin, der Taktstock, das Maß all dieser Tugenden. Die Metaphysik kann ohne Definition nicht leben; die Klugheit hingegen sieht sich beim Definieren vor. Unsere Gerichte können nicht entschiedener davor zurückschrecken, zur Bühne fingierter Fälle gemacht zu werden, die ihnen eine Entscheidung in einer Rechtsfrage entlocken sollen, als kluge Moralisten davor zurückschrecken, sich anlässlich eines nicht eingetretenen Ernstfalls extreme und abenteuerliche Gewissensfragen zu stellen. Ohne daher definieren zu wollen, was sich keinesfalls definieren lässt, nämlich den Fall einer Revolution der Regierung, kann man doch so viel, meine ich, mit Gewissheit feststellen – dass man die Aussicht haben muss, dass ein schlimmes und nachdrückliches Übel beseitigt und ein Gut von großem Umfang und eindeutiger Natur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an seine Stelle treten werde, bevor der unwägbare Preis unserer eigenen Sittlichkeit und des Wohlergehens einer Reihe unserer Mitbürger für eine Revolution gezahlt wird. Wenn gutes Haushalten, bis hin zu Geiz, irgendwo angebracht sein sollte, dann im willentlichen Anrichten von Unheil. Und jede Revolution birgt Unheilvolles in sich. […] Die Angriffe auf die Schlüssigkeit der Argumentation des Verfassers in Bezug auf Frankreich18 mögen für seine Gefühle zwar schmerzlich sein, doch bleiben sie ihm und uns in hohem Maße äußerlich, und auch für das englische Volk sind sie eher belanglos. Der wesentliche Vorwurf, der ihm gemacht wird, betrifft das, was er über die Revolution von 1688 lehrt. Diesbezüglich hielten es diejenigen, die im Namen der Partei sprechen, für geboten, ihn am lautesten und mit größter Schroffheit zu tadeln.19 Hier verbeißen sie sich, und sollten sie in der Sache Recht haben, so hätten sie ihre Wahl mit Augenmaß getroffen. Falls ihn an dieser Stelle eine Schuld trifft, ist er zu tadeln, ganz gleich, ob seine Positionen konsistent sind oder nicht. Wenn er versucht, seine Landsleute durch eine falsche Darstellung des Geistes dieses herausragenden Ereignisses sowie der wahren Natur und Amtszeit der in seiner Folge gebildeten || 18 Burke hatte sich in den hier ausgelassenen Passagen gegen den Vorwurf der Inkonsistenz gewandt, demzufolge seine Kritik der Revolution im Widerspruch zu den früher von ihm vertretenen Positionen stehe. Er versuchte deshalb, mit ausführlichen Verweisen auf seine früheren Ausführungen zur englischen Verfassung oder zum amerikanischen Unabhängigkeitsstreben zu zeigen, dass er sich treu geblieben sei und stets auf der Grundlage derselben Grundsätze argumentiert habe (vgl. WS IV: 383-407). 19 Fox hatte in der Debatte im House of Commons am 9. Februar 1790 Burkes Interpretation der Glorious Revolution ausdrücklich abgelehnt: „He [d. h. Fox; d. Hrsg.] differed, however, from his right honourable friend, in his opinion of the Revolution in 1688. From that period we had, undoubtedly, to date the definition and confirmation of our liberties; and the case was certainly more parallel to the revolution in France than his right honourable friend seemed willing to allow.“ (Fox 1790a: 53; vgl. hierzu die Einleitung, oben S. 259 ff.).

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Regierung hinters Licht zu führen, dann trägt er in vollem Umfang die Verantwortung, dann ist er ein Feind der freien Verfassung des Königreichs. Aber er ist ganz und gar unschuldig. Ich behaupte, dass er in seinen Betrachtungen die Revolution und das Settlement nach den wahren Prinzipien ihrer Rechtsgründe und ihrer konstitutionellen Politik dargelegt hat.20 Berufen kann er sich auf die Beschlüsse und Erklärungen des Parlaments in ihrem eigenen Wortlaut.21 Diesbezüglich ist seinen Zitaten nichts hinzuzufügen. Die Frage ist, ob er sie richtig verstanden hat. Ich denke, sie sprechen eine hinreichend deutliche Sprache. Wir müssen nun aber sehen, ob er noch über eine andere Gewähr verfügt als seine eigenen Deutungen, und wenn ja, über welche. Seine Verteidigung wird sich in diesem Teil nicht auf Argumente stützen, sondern auf den Schuldlosigkeitseid.22 Er bringt seine Eideshelfer, seine Gewährsmänner, seine Bürgschaften mit. Ich weiß, er wird sich nicht mit einer Rechtfertigung zufriedengeben, die allgemeine politische Gründe anführt. Er muss auch auf dem Boden der Partei verteidigt werden, sonst ist seine Sache nicht so haltbar, wie ich sie erscheinen lassen möchte. Es muss nicht nur bewiesen werden, dass er in seiner Deutung dieser öffentlichen Akte und Dokumente den Regeln einer fairen, gesetzeskonformen und logischen Interpretation folgt, sondern auch, dass seine Deutung vollkommen mit jener der alten Whigs harmoniert, an die ich hier, auf seiner Seite stehend, gegen das Urteil der modernen Whigs appelliere. […] Selten bekommt eine Partei die Gelegenheit, ihre politischen Grundsätze anlässlich eines so bedeutenden konstitutionellen Ereignisses wie desjenigen der Revolution klar, authentisch und schriftlich darzulegen. Die Whigs hatten diese Gelegenheit – oder genauer gesagt, sie verschafften sie sich. Die Amtsenthebung des Dr. Sacheverell wurde von einem Whig-Kabinett und einem House of Commons mit Whig-Mehrheit eingeleitet und unter einer mächtigen und stabilen Mehrheit von Whig Peers betrieben.23 Sie wurde ausdrücklich zu dem Zweck betrieben, die wahren Gründe und Prinzipien der Revolution zu benennen – was das Unterhaus emphatisch als seine || 20 Burke verweist hier auf die Glorious Revolution von 1688 und den Act of Settlement von 1701 (s. oben, Anm. 17); hierzu die Reflections, WS VIII: 66-85 (Burke 1790c: 68-95). 21 Vgl. hierzu die folgenden Ausführungen zu den alten Whigs im Prozess gegen Sacheverell, die in Anm. 24 genannten Passagen der Reflections sowie die Einleitung, oben S. 261 ff. 22 Wager of law (auch compurgation) bezeichnete ein seit dem Mittelalter zuerst im Strafrecht, später nur noch im Zivil- und Handelsrecht geltendes Verfahren, durch Herbeibringen von – meist zwölf – Zeugen von einer Anklage freigesprochen zu werden. 23 Henry Sacheverell (1674-1724) war ein Anhänger der jakobitischen Tories und hoher Vertreter der Anglikanischen Kirche, der 1710 auf Initiative von Whig-Politikern im House of Commons angeklagt wurde. Sacheverell vertrat die Überzeugung, es habe der englischen Verfassung gemäß 1688 kein Recht auf Widerstand gegen den legitimen Herrscher, Jakob II., gegeben, womit er den Ergebnissen der Revolution, der Bill of Rights und der Thronfolgeregelung wie auch der damals regierenden Königin Anne die Legitimität absprach; vgl. oben, S. 261 f.

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Grundlage bezeichnet. Sie wurde betrieben, um die Prinzipien zu verurteilen, aufgrund derer man sich der Revolution erst widersetzte und sie dann verleumdete, damit Whig-Grundsätze per Gerichtsurteil der höchsten Autorität bestätigt und festgeschrieben würden – Grundsätze, wie sie sowohl im Widerstand gegen König Jakob I. als auch im anschließenden Settlement zum Tragen kamen –, und zwar in dem Maße und mit den Einschränkungen festgeschrieben, wie man sie von der Nachwelt verstanden wissen wollte. […] Im Verlauf dieses Prozesses müssen sich die Whig-Prinzipien hinsichtlich der Revolution und des Settlements finden lassen, oder sie werden sich nirgends finden lassen. Ich wünsche mir, dass Whigs, die diese Appellation lesen, zunächst einmal die Seiten 20 bis 50 von Mr. Burkes Betrachtungen zur Kenntnis nehmen,24 um sich anschließend den folgenden Auszügen aus dem Prozess gegen Dr. Sacheverell zuzuwenden. Danach werden sie zwei Fragen erwägen: erstens, ob die Lehre von Mr. Burkes Betrachtungen mit der Whig-Doktrin der damaligen Zeit im Einklang steht; und zweitens, ob nicht vielleicht sie es waren, die jene Grundsätze aufzugeben beliebten, welche die der Vorfahren einiger von ihnen und ihrer aller Vorgänger waren, um statt dessen neue, aus Frankreich eingeführte whiggistische Grundsätze zu erlernen. Diese neuen Grundsätze werden hierzulande von den Kanzeln der Dissenter, durch Föderations-Gesellschaften und mittels Pamphleten verbreitet, die man – weil sie angeblich das politische Credo jener Synoden enthalten – fleißig in allen Teilen der beiden Königreiche25 in Umlauf bringt. Das ist die vor ihnen liegende Aufgabe, und sie werden ihre Wahl treffen. Diese neuen Whigs glauben nicht nur, dass die Souveränität, ob nun von einem oder von vielen ausgeübt, vom Volke ausgeht (eine Position, die nicht bestritten wird und die zu bestreiten so wenig lohnt wie ihr zuzustimmen), sondern dass ebenjene Souveränität dauerhaft und unveräußerlich beim Volke liegt; dass das Volk rechtmäßig Könige absetzen kann, nicht nur wegen Fehlverhaltens, sondern auch ohne das geringste Fehlverhalten; dass es sich selbst jede Art von Regierung geben oder aber ohne Regierung weitermachen kann, ganz wie es beliebt; dass die Menschen im Wesentlichen ihr eigenes Gesetz sind und ihr Wille das Maß ihres eigenen Verhaltens; dass die Einsetzung der Obrigkeit kein geeigneter Gegenstand eines Vertrages ist, weil Oberhäupter Pflichten haben, aber keine Rechte; und dass ein Vertrag mit ihnen, sollte er de facto zu einer bestimmten Zeit abgeschlossen werden, sofern er überhaupt verbindlich ist, dies nur für die unmittelbar von ihm Betroffenen ist, nicht aber auf die Nachwelt übergeht. Diese Lehren über das Volk (ein Terminus, den sie bei weitem nicht genau definieren, unter dem sie aber, wie bei vielen Gelegenheiten deutlich wird, ihr eigenes Lager verstehen, sofern dieses durch frühzeitiges Aufrüsten, Verrat || 24 Vgl. WS VIII: 251-276. 25 D. h. zum einen in England und Schottland, die seit 1707 ein Königreich bildeten, zum anderen in Irland, das, obwohl längst von England beherrscht, erst mit dem Act of Union 1801 förmlich zum Teil des United Kingdom of Great Britain and Ireland wurde.

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oder Gewalt zur vorherrschenden Kraft wird) leisten meines Erachtens nicht nur der vollständigen Zersetzung jeder beliebigen Form von Regierung und jeder stabilen Absicherung vernünftiger Freiheit Vorschub, sondern auch einer vollständigen Zersetzung aller moralischen Regeln und Grundsätze selbst. Ich behaupte, dass die alten Whigs Lehren vertraten, die sich völlig von den zuletzt genannten unterscheiden. Ich behaupte, dass die Grundlagen, die von den Commons anlässlich des Prozesses gegen Dr. Sacheverell zur Rechtfertigung der Revolution von 1688 formuliert wurden, genau dieselben sind, die sich in Mr. Burkes Betrachtungen finden – nämlich ein Bruch des ursprünglichen Vertrags, der in der Verfassung dieses Landes zum Ausdruck kam, jenes Vertrages, der eine Regierungsform unabänderlich festschrieb, welche sich elementar durch das Dreigestirn König, Lords und Commons auszeichnet; dass der radikale Umsturz dieser alten Verfassung, der von einem ihrer Teile ausging und schließlich auch zum Ziel führte, die Revolution gerechtfertigt hat; dass sie einzig und allein durch die Notwendigkeit der gegebenen Umstände gerechtfertigt war, als das einzig verbliebene Mittel zur Wiederherstellung jener alten Verfassung, die infolge des ursprünglichen Vertrags des britischen Staats gebildet worden war, aber auch zum künftigen Erhalt derselben Regierung. Dies sind die Punkte, die es zu beweisen gilt. […]26 Ich27 möchte mich nicht allzu ausgiebig auf die Diskussionen einlassen, die sich von diesem ergiebigen Gegenstand ausgehend in alle Richtungen verzweigen und verästeln. Ein Thema aber gibt es, auf das ich hoffentlich etwas ausführlicher eingehen darf, als es für meine Zwecke notwendig wäre. Jene Faktionen in unseren Reihen, die sich heutzutage so viel Mühe geben, den Menschen alle Liebe zu ihrem Land auszutreiben und sie jede Pflicht gegenüber dem Staat vergessen zu lassen, versuchen uns glauben zu machen, dass das Volk im Zuge der Einrichtung seines Gemeinwesens in keiner Weise seine Macht über dieses aufgegeben habe. Es ist eine uneinnehmbare Festung, in der sich diese Gentlemen verschanzen, sobald sie sich dem Geschützfeuer von Gesetzen, Gebräuchen und konkreten Konventionen ausgesetzt sehen. So uneinnehmbar und mächtig ist sie, dass alle Anstrengungen, die zur Verteidigung ihrer Außenbefestigungen unternommen wurden, nichts als Zeitverschwendung und vergebliche Mühe waren. Man stelle irgendeine ihrer Maßnahmen in Frage, die Antwort || 26 In den hier ausgelassenen Passagen (WS IV: 411-439) folgen zunächst ausführliche Zitate aus dem Prozess gegen Sacheverell, mit denen Burke belegen will, dass er mit den von den alten Whigs der Zeit der Glorious Revolution vertretenen Auffassungen übereinstimmt. Die Positionen der neuen Whigs und ihre Kritik an Burkes Reflections referiert er im Anschluss, wobei er ohne Angabe des Verfassers aus Thomas Paines Rights of Man (1791) zitiert. – Vgl. hierzu die Einleitung, S. 271 ff. 27 In der dritten Auflage nahm Burke innerhalb des Appeal Umstellungen vor (vgl. unten, Anm. 53). Die hier beginnenden Ausführungen (bis S. 308) bildeten in den ersten beiden Auflagen den letzten Teil der Werks. – Rehbergs Übersetzung von Passagen aus dem Appeal, die im November 1791 in Der Neue teutsche Merkur unter dem Titel „Das Recht der Völker, ihre Staatsverfassungen willkührlich abzuändern“ (= Burke 1791c), beginnt mit dem dritten Satz dieses Absatzes („Jene Faktionen“).

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lautet immer, er sei ein Werk des Volkes, und das genüge. Dürfen wir einer Mehrheit des Volkes das Recht verwehren, den gesamten Bau ihrer Gesellschaft zu verändern, wenn dies ihr Wunsch sein sollte? Sie können sie heute, so wird behauptet, von einer Monarchie in eine Republik und morgen zurück von einer Republik in eine Monarchie verwandeln; und wieder hin und zurück, so oft es ihnen gefällt. Sie sind die Herren des Gemeinwesens, weil sie Kern selbst das Gemeinwesen sind. Die Französische Revolution, so wird behauptet, war das Werk der Mehrheit des Volkes; und wenn die Mehrheit irgendeines anderen Volkes, etwa des englischen, dieselbe Veränderung vornehmen wolle, dann habe sie dazu dasselbe Recht. Genau dasselbe, zweifellos. Nämlich gar keins. Weder die Wenigen noch die Vielen haben das Recht, einzig nach ihrem Willen zu handeln, wenn es um irgendetwas geht, was mit Pflicht, Vertrauen, Verbindlichkeit oder Verpflichtung zu tun hat. Wenn die Verfassung eines Landes einmal mit einer – stillschweigenden oder ausdrücklichen – Übereinkunft geregelt ist, dann kann sie keine Macht der Welt mehr ändern, ohne den Bund zu brechen oder die Zustimmung aller Parteien zu haben. Dies ist nun einmal das Wesen eines Vertrages. Und was immer die infamen Schmeichler den Leuten auch einflüstern mögen, um ihren Geist zu verderben, so können die Stimmen einer Mehrheit des Volkes die Moral ebenso wenig ändern wie das physische Wesen der Dinge. Man sollte die Menschen nicht lehren, ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren Herrschern auf die leichte Schulter zu nehmen; andernfalls würden die Menschen nämlich ihre Herrscher lehren, ihre Verbindlichkeiten den Menschen gegenüber auf die leichte Schulter zu nehmen. Bei diesem Spiel ist am Ende das Volk mit Sicherheit der Verlierer. Wenn man ihm so lange um den Bart geht, bis es Treue, Wahrheit und Gerechtigkeit verachtet, richtet man es zugrunde; denn in diesen Tugenden besteht seine ganze Sicherheit. Irgendeinem Menschen oder irgendeinem Teil der Menschheit unter irgendeinem Vorwand weiszumachen, bei der Wahl der Verbindlichkeiten wären er oder sie frei, jedes andere Menschengeschöpf aber wäre gebunden, heißt letztlich, die Herrschaft der Moral dem Vergnügen derjenigen anheimzustellen, die ihr strikt unterworfen sein sollten – die souveräne Vernunft der Welt den Launen schwacher und oberflächlicher Menschen unterzuordnen. […] Nach Macht zu dürsten, muss man den Menschen nicht erst beibringen. Ausgesprochen ratsam ist es hingegen, dass man sie durch moralische Unterweisung lehrt und durch ihre bürgerlichen Verfassungen zwingt, der maßlosen Machtausübung und dem übertriebenen Machtbegehren zahlreiche Beschränkungen aufzuerlegen. Wie man diese beiden großen Ziele am besten erreicht, ist für den wahren Staatsmann das wichtige, zugleich aber auch schwierige Problem. Er denkt über den Ort, an dem die politische Macht anzusiedeln ist, in keiner anderen Hinsicht nach als in der, ob dieser ihre heilsame Beschränkung und kluge Ausrichtung mehr oder weniger praktikabel macht. Deshalb kennt die Weltgeschichte noch keinen Gesetzgeber, der den Sitz der aktiven Macht aus freien Stücken in die Hände der Menge gelegt hätte; denn dort ist sie weder zu kontrollieren noch zu regulieren, noch in irgendeiner Weise beständig auszurichten. Das Volk ist der natürliche Kontrolleur der Staatsmacht; sie zur

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gleichen Zeit auszuüben und zu kontrollieren, ist jedoch widersprüchlich und unmöglich.28 Da man der unmäßigen Machtausübung unter einer Herrschaft des Volkes nicht wirksam Einhalt gebieten kann, ist dem anderen großen Gegenstand der politischen Ordnung, nämlich den Mitteln zur Zügelung eines exzessiven Machtbegehrens, in einem solchen Staat noch weniger gedient. Der demokratische Staat ist der fruchtbare Nährboden des Ehrgeizes. Unter den anderen Formen trifft dieser auf viele Beschränkungen. Wann immer Gesetzgeber in Staaten mit demokratischer Grundlage versucht haben, den Ehrgeiz in seine Schranken zu weisen, waren ihre Methoden so gewalttätig wie letztlich wirkungslos – so gewalttätig fürwahr, wie es sich die missgünstigste Despotie nicht besser hätte ausdenken können. Das Scherbengericht29 konnte sich nicht sehr lange vor den Anschlägen des Ehrgeizes retten – einer der natürlichen, angeborenen, unheilbaren Krankheiten einer mächtigen Demokratie –, und erst recht nicht den Staat, den es beschützen sollte. Kehren wir nun von dieser kurzen Abschweifung zurück – die indes der Frage nach den Auswirkungen des Willens der Mehrheit auf die Form oder die Existenz ihrer Gesellschaft nicht ganz äußerlich ist. Ich kann allen Menschen, in deren Augen die politische Gesellschaft ein Gegenstand der moralischen Beurteilung ist, nicht oft genug ernsthaft zu bedenken geben, dass, sofern wir ihr irgendeine Pflicht schulden, diese Pflicht keine Frage unseres Willens ist. Pflichten sind nichts Freiwilliges. Pflicht und Wille sind sogar gegensätzliche Begriffe. Obwohl nun die politische Gesellschaft ursprünglich ein freiwilliger Akt sein mag (und dies in vielen Fällen zweifellos auch war), so verdankt sie ihre Beständigkeit einem permanent feststehenden Bund, welcher mit der Gesellschaft koexistiert; und dieser bindet jedes Individuum in dieser Gesellschaft, ohne dass es dafür noch eines formalen Aktes von dessen Seite bedürfte. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Praxis, wie sie dem gesunden Menschenverstand (general sense of mankind) entspringt. Ohne eine eigene Wahl zu treffen, ziehen Menschen einen Nutzen aus dieser Verbindung; ohne eine eigene Wahl zu treffen, sind ihnen infolge dieses Nutzens Pflichten auferlegt; und ohne eine eigene Wahl zu treffen, gehen sie eine virtuelle Verpflichtung ein, die so bindend ist wie jede tatsächliche. Man betrachte nur das Leben und das System der Pflichten im Ganzen. Die bei weitem stärksten moralischen Verpflichtungen sind jene, die nie das Resultat unserer Entscheidungen waren. Ich gebe zu: Wenn es keinen höchsten Gebieter gibt, der weise genug ist, um das moralische Gesetz zu schaffen, und mächtig genug, es auch durchzusetzen, dann gibt es gegen den Willen der gerade herrschenden Macht für keinen || 28 Zu Burkes lebenslanger Skepsis gegenüber Demokratie vgl. oben, S. 31 ff., 106 ff., 265-276. 29 Das Scherbengericht (Ostrakismos) war ein Verfahren, die Praxis willkürlicher Vertreibungen durch tyrannische Herrscher in ein geregeltes Rechtsverfahren zu überführen. Seit dem 5. Jahrhundert v. u. Z. stimmten die Bürger ohne Anklage und Aussprache mittels einer Tonscherbe (ostrakon) ab, auf der der Name des zu Verbannenden verzeichnet wurde. Wer mit der Mehrheit der mindestens 6.000 abgegebenen Stimmen verurteilt wurde, musste die Stadt für zehn Jahre verlassen, erhielt danach jedoch Bürgerrechte und Eigentum ungeschmälert zurück.

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Vertrag eine Absicherung, nicht für den virtuellen und nicht einmal für den tatsächlichen. Dieser Hypothese zufolge gilt: Sobald eine beliebige Menge von Menschen stark genug ist, ihre Pflichten zu missachten, hören diese auf, Pflichten zu sein. Wir haben nur diesen einen Einspruch gegen unwiderstehliche Macht – Si genus humanum et mortalia temnitis arma, At sperate Deos memores fandi atque nefandi.30

Da ich es für selbstverständlich halte, dass ich mich nicht an die Schüler der Pariser Philosophie wende,31 darf ich davon ausgehen, dass der ehrfurchtgebietende Autor unseres Seins auch der Autor unseres Platzes in der Ordnung des Seins ist – der uns, dem göttlichen Plan gemäß, nicht nach unserem, sondern nach seinem Willen bestimmte und ordnete und damit in dieser Ordnung und durch diese Bestimmung virtuell darauf verpflichtet hat, die Rolle zu spielen, die zu dem uns zugewiesenen Platz gehört. Wir haben Verpflichtungen gegenüber der Menschheit insgesamt, die aus keinem besonderen freiwilligen Pakt herrühren. Diese Verpflichtungen gehen aus der Beziehung des Menschen zum Menschen und aus der Beziehung des Menschen zu Gott hervor, die sich beide keiner Wahl verdanken. Im Gegenteil hängt die bindende Kraft aller Pakte, die wir mit einer bestimmten Person oder Reihe von Personen aus dem Kreise der Menschheit eingehen, von jenen vorhergehenden Verpflichtungen ab. In einigen Fällen sind die Unterordnungsverhältnisse freiwillig, in anderen sind sie notwendig – die Pflichten aber sind alle zwingend. Wenn wir heiraten, ist dies eine freiwillige Wahl, die Pflichten aber sind keine Frage der Wahl: Sie werden uns von der Natur der Situation diktiert. Dunkel und unerforschlich sind die Wege, auf denen wir in die Welt kommen. Die Instinkte, die diesen geheimnisvollen Naturprozess in Gang bringen, sind nicht unser Werk. Aus physischen Ursachen jedoch, von denen wir nichts wissen, vielleicht auch nichts wissen können, gehen moralische Pflichten hervor, die wir unweigerlich erfüllen müssen – dies zu verstehen wiederum, liegt vollkommen im Bereich unserer Möglichkeiten. Eltern weigern sich vielleicht, der moralischen Beziehung zuzustimmen, in der sie sich befinden; ob sie aber zustimmen oder nicht, sie sind an eine lange Reihe beschwerlicher Pflichten jenen gegenüber gebunden, mit denen sie nie irgendeine Form von Vertrag abgeschlossen haben. Kinder stimmen der Beziehung, in der sie sich befinden, nicht zu; aber auch ohne ihre tatsächliche Zustimmung bindet ihre Beziehung sie an die sich aus ihr ergebenden Pflichten – oder vielmehr impliziert es ihre Zustimmung, da die unterstellte Zustimmung jeder vernünftigen Kreatur im Einklang mit der vorherbestimmten Ordnung der || 30 „Wenn ihr des Menschengeschlechts und der Sterblichen Waffen spottet, / Sollt ihr doch wissen, daß Götter des Guten und Bösen gedenken.“ Aneis, I, 542 f. (Vergil 1981: 24). 31 Burke verwendet hier wie bereits in den Reflections die Begriffe philosophy und philosophers stets in pejorativer Bedeutung für abstraktes, auf Vernunft und Prinzipien basierendes und auf praktische Veränderung der Gesellschaft abzielendes Denken der Aufklärung und für seine Vertreter von den Enzyklopädisten bis zu Condorcet oder Sieyes.

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Dinge steht. Auf diese Weise treten Menschen in eine Gemeinschaft mit dem sozialen Status ihrer Eltern ein, das heißt, sie verfügen über alle Vorzüge ihrer Situation und müssen alle mit ihr verbundenen Pflichten auf sich nehmen. Sind die sozialen Bindungen und Bande, wie sie sich aus den physischen Beziehungen entspinnen, die die Zellen des Gemeinwesens bilden, in ihren Anfängen auch zumeist und in ihrer Folge stets unabhängig von unserem Willen, dann sind wir auch – ohne irgendeine Festlegung von unserer Seite – durch die Beziehung gebunden, die wir unser Vaterland nennen, das, wie es so treffend heißt, „alle guten Werke aller“ umfasst.*32 Nicht, dass es uns an mächtigen Instinkten fehlte, die uns diese Pflicht ebenso lieb und teuer machen, wie sie furchteinflößend und unbedingt ist. Bei unserem Vaterland haben wir es nicht nur mit einem physischen Ort zu tun. In erheblichem Maße besteht es aus der altehrwürdigen Ordnung, in die wir hineingeboren werden. Wir können dieselben geographischen Gegebenheiten haben, aber ein anderes Vaterland; wie wir dasselbe Vaterland auf fremdem Boden haben können. Dasjenige, was unsere Pflicht gegenüber unserem Vaterland bestimmt, ist eine soziale, politische Beziehung. Dies sind die Ansichten des Autors, dessen Sache ich verteidige. Nicht um sie anderen im Disput aufzudrängen, zeichne ich sie auf, sondern als Darstellung seines Vorgehens. Sie bestimmen sein Handeln; und vor ihrem Hintergrund ist er davon überzeugt, dass – abgesehen von jenem Recht, das die außerhalb und über jeder Regel stehende Notwendigkeit eher erzwingt als verleiht – weder er noch irgendein anderer oder eine Reihe von anderen das Recht hat, sich dieser ursprünglichen Verpflichtung zu entziehen. Denn jeder Mensch, der in eine Gemeinschaft hineingeboren wurde, geht durch sein Hineingeborenwerden eine solche Verpflichtung in der gleichen Weise ein, wie ihm den eigenen Eltern gegenüber eine Verpflichtung erwächst, weil er ihren Körpern entstammt. Der Ort eines jeden Menschen bestimmt über seine Pflicht. Fragst du: Quem te Deus esse jussit?, erhältst du eine Antwort, sobald du diese andere Frage klärst: Humana qua parte locatus es in re?*33 || * „Cari sunt parentes, cari liberi, propinqui, familiars, sed omnes omnium caritates patria una complexa est, pro qua bonus dubitet mortem oppetere, si ei sit profuturus?“ 32 Aus: Cicero, Vom rechten Handeln, I. 17: „Teuer sind die Eltern, teuer die Kinder, die Verwandten, die Freunde, aber alle Liebe zu allen umfaßt das eine Vaterland. Welcher Gute würde zaudern, den Tod für es zu suchen, wenn es ihm nützen könnte?“ (Cicero 1994: 57). * Ein paar Zeilen von Persius enthalten eine gute Zusammenfassung aller Gegenstände der moralischen Betrachtung und deuten das Ergebnis unserer Untersuchung an: Der menschliche Wille hat dort keinen Platz. „Quid sumus? et quidnam victuri gignimur? ordo / Quis datus? et metæ quis mollis flexus, et unde? / Quis modus argento? Quid fas optare? Quid asper / Utile nummus habet? Patriæ charisque propinquis / Quantum elargiri debet? Quem te Deus esse / Jussit? et humana qua parte locatus es in re?“ 33 Aus: Persius, Satiren, 3. Satire, V. 87-72: „Was wir sind, und wozu wir ins Leben geboren, und welche / Ordnung gesetzt, oder wie man das Ziel ohn’ Scheitern umfahre;/ Was des Silbers genug, was zu wünschen erlaubt, und der schnöden / Münze gerechter Gebrauch, und wieviel dem Land und den lieben / Nächsten zu schenken sich ziem’, und wie Gott dich haben hat wollen, / Und an welcherlei Stelle im Menschengetriebe dein Platz sei!“ (Persius 1974: 37).

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Ich gebe zu, dass sich in der Moral wie in allen anderen Dingen mitunter Probleme auftun. Manchmal werden wir Pflichten haben, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Dann wird man sich die Frage stellen, welche von ihnen als nachrangig zu betrachten ist oder gänzlich übergangen werden kann. Derlei Bedenken rufen den Kasuistik genannten Zweig der Moralwissenschaft auf den Plan. Zwar müssen all jene, die Experten dieser Wissenschaft und mithin das werden wollen, was, so glaube ich, Cicero an irgendeiner Stelle artifices officiorum nennt,34 selbige gründlich studieren. Sie erfordert in ihrer praktischen Anwendung aber ein sehr verlässliches und feines Urteilsvermögen, große Bescheidenheit und Vorsicht sowie einen ausgesprochen nüchternen Geist; andernfalls besteht die Gefahr, dass sie jene Pflichten, die sie lediglich methodisch ordnen und miteinander in Einklang bringen soll, gänzlich untergräbt. An ihren äußersten Grenzen sind Pflichten so fein gesponnen, dass man sie kaum mehr wahrnimmt. Hier wird immer der Rest eines Zweifel bleiben, wenn man diesen Fragen mit großer Spitzfindigkeit nachgeht. Doch schon die Gewohnheit, solche Grenzfälle anzuführen, ist weder besonders löblich noch ungefährlich, weil es im Allgemeinen nicht richtig ist, unsere Pflichten in Zweifel zu ziehen. Sie sind uns auferlegt, um unser Verhalten anzuleiten, nicht, um unseren Scharfsinn zu erproben; und deshalb sollten sich unsere Meinungen über sie nicht in einem wankelmütigen Zustand befinden, sondern gleichmäßig, sicher und entschieden sein. Diesen spitzfindigen und daher gefährlichen Punkten der Kasuistik lässt sich die Frage zurechnen, die augenblicklich so viel hin und her gewälzt wird – ob denn, nachdem sich das Volk seiner ursprünglichen Macht durch gewohnheitsmäßige Übertragung entledigt hat, niemals Umstände eintreten können, die ihre Wiederergreifung rechtfertigen würden? So weit gefasst, ist die Frage nur sehr schwer mit Ja oder Nein zu beantworten. Ich bin indes davon überzeugt, dass kein Umstand eine solche Wiederergreifung zu rechtfertigen vermag, der nicht zugleich ein Abstreifen jeder beliebigen anderen moralischen Pflicht, ja vielleicht aller moralischen Pflichten überhaupt rechtfertigen würde. Und obschon es im Allgemeinen nicht leicht sein mag, ein Urteil über die Rechtmäßigkeit derart zweifelhafter Vorgänge zu fällen, die sich stets am Rande des Verbrechens bewegen, so kann man doch recht unschwer die gefährlichen Konsequenzen vorhersehen, welche die Wiederbelebung einer solchen Macht im Volke mit sich brächte. Die praktischen Konsequenzen eines jeden politischen Grundsatzes tragen viel dazu bei, über seinen Wert zu befinden. Bei politischen Problemen geht es nicht in erster Linie um Wahrheit oder Falschheit. Bei ihnen geht es um Gutes oder Schlechtes. Was im Ergebnis mit einiger Wahrscheinlichkeit Schlechtes bewirkt, ist politisch falsch; was Gutes bewirkt, politisch wahr. Wenn wir es daher für eine in der Theorie zumindest schwierige und in der Praxis höchst bedenkliche Frage halten, stünde es uns gut an, so klar wie möglich festzustellen, was für ein Wesen wir mit unseren Beschwörungen aus der Dunkelheit und || 34 Der Begriff artifices officiorum (Werkmeister oder Schöpfer der Pflichten) ist bei Cicero nicht nachgewiesen.

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dem Schlaf der Jahrhunderte heraufzurufen im Begriff sind. Steht die oberste Autorität des Volkes in Frage, dann sollten wir uns, bevor wir sie auszuweiten oder einzuschränken versuchen, erst einmal eine feste und einigermaßen deutliche Vorstellung davon machen, was wir meinen, wenn wir sagen: das VOLK. In einem rohen Naturzustand gibt es so etwas wie ein Volk nicht. Eine Anzahl von Menschen besitzt an sich noch keinen gemeinschaftlichen Status. Die Idee eines Volkes ist die Idee einer Körperschaft. Sie ist durch und durch künstlich und entsteht, wie alle anderen rechtlichen Fiktionen, durch allgemeine Übereinkunft. Worin die besondere Natur jenes Abkommens bestand, lässt sich der Form entnehmen, in die eine besondere Gesellschaft gebracht wurde. Jeder andere Bund ist nicht der ihre. Wenn Menschen folglich den ursprünglichen Vertrag, das ursprüngliche Abkommen brechen, die einem Staat seine körperschaftliche Form und Funktion verleiht, dann sind sie kein Volk mehr, sie haben keine körperschaftliche Existenz mehr, sie verfügen im Inneren über keine rechtlich zwingende Bindungskraft mehr und können auch nicht mehr beanspruchen, jenseits ihrer Grenzen anerkannt zu werden. Sie sind nun eine Reihe zerstreuter, unverbundener Individuen und sonst nichts. Für sie muss alles von vorne beginnen. Ach, sie ahnen ja kaum, wie viele beschwerliche Schritte unternommen werden müssen, bevor sie sich selbst zu einer Menge mit wahrhaft politischem Charakter formen können. Von Leuten, denen die Verwegenheit ihres Urteils nicht aus der Tiefgründigkeit ihres Denkens erwächst, hören wir in einem Falle wie dem Frankreichs, wo sich eine althergebrachte Gesellschaft aufgelöst hat, so manches über die Allmacht einer Mehrheit. Nur kann es unter einer derart zerfallenen Menschenmenge so etwas wie eine Mehrheit oder Minderheit gar nicht geben, ebenso wenig wie irgendjemand die Macht haben kann, jemand anderen zu binden. Die Macht, durch eine Mehrheit zu handeln, welche die Herren Theoretiker so voreilig zu unterstellen scheinen, muss, nachdem sie den Vertrag gebrochen haben, der diese Macht begründete (sofern sie überhaupt existierte), auf zwei Annahmen beruhen: erstens der eines einstimmig beschlossenen Zusammenschlusses; und zweitens der einer einstimmigen Übereinkunft, dass der Wille einer einfachen Mehrheit (von vielleicht nur einer Person) dieser selbst und allen anderen als der Wille der Gesamtheit gelten soll. Gewohnheitsmäßige Dinge berühren uns so wenig, dass wir diese Idee der Entscheidung einer Mehrheit gleichsam für ein Gesetz unserer ursprünglichen Natur halten. Doch ist ein solches schöpferische Ganzes, das lediglich in einem Teil angesiedelt ist, eine der gewaltsamsten Fiktionen des positiven Rechts, die je auf den Grundlagen des künstlichen Zusammenschlusses gemacht wurde oder werden könnte. Außerhalb der politischen Gesellschaft weiß die Natur davon nichts; und auch die Menschen können, selbst wenn sie in eine politische Ordnung eingepasst sind, nur durch sehr lange Übung überhaupt dazu gebracht werden, sich ihr zu unterwerfen. Der Geist lässt sich weitaus leichter dazu bewegen, das Vorgehen eines einzelnen Menschen oder einiger weniger hinzunehmen, die mit einer allgemeinen Vollmacht für den Staat agieren, als das Votum einer siegreichen Mehrheit in einem Gremium, im

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dem jeder am Entscheidungsprozess teilhat. Denn dort ist die unterlegene Partei von der vorangegangenen Auseinandersetzung verbittert und gereizt und von ihrer endgültigen Niederlage gedemütigt. Diese Form der Entscheidung, bei der dieser oder jener Wille fast gleich viel Gewicht haben können, bei der die kleinere Zahl gegebenenfalls die stärkere Kraft darstellen kann und bei der die Vernunft offenbar ganz auf einer Seite und auf der anderen wenig mehr als unersättliches Verlangen sein mag – all dies muss das Resultat einer sehr eigentümlichen und besonderen Verabredung sein. Und diese Übereinkunft muss anschließend durch lange Gewohnheiten des Gehorchens und durch eine Art gesellschaftlicher Disziplin bestätigt werden, aber auch durch eine starke Hand, die mit der unverrückbaren und beständigen Macht ausgestattet ist, diese Art von schöpferischem Allgemeinwillen durchzusetzen. Welches Organ den körperschaftlichen Willen zum Ausdruck bringen soll, hängt so sehr von der konkreten Ausgestaltung ab, dass in vielen Staaten ein weit größerer Stimmenanteil als nur der einer einfachen Mehrheit erforderlich ist, um bestimmte Gesetze rechtskräftig zu machen. Diese Größenverhältnisse unterliegen so vollkommen der Übereinkunft, dass in manchen Fällen die Minderheit entscheidet. In vielen Ländern erfordern die Gesetze für Verurteilungen mehr als eine einfache Mehrheit, für einen Freispruch aber weniger als Stimmengleichheit. In unseren Gerichtsprozessen verlangen wir sowohl für eine Verurteilung als auch für einen Freispruch Einstimmigkeit. In manchen Staatsgebilden spricht ein Mann für das Ganze; in anderen sind es einige wenige. Bis vor kurzem verlangte die Verfassung Polens Einstimmigkeit, um irgendein Gesetz ihres großen Nationalrats oder Parlaments in Kraft treten zu lassen.35 Dies kommt der rohen Natur wesentlich näher als die Einrichtungen aller anderen Länder. So muss es sich in der Tat mit jedem Gemeinwesen verhalten, solange dieses kein positives Recht kennt, das den Willen des Gesamtkörpers in einer bestimmten Zahl erkennt. Wenn die Menschen ihr althergebrachtes Staatsgebilde auflösen, um ihre Gemeinschaft zu erneuern, dann hat jeder, dem der Sinn danach steht, das Recht, ein Individuum zu bleiben. Jede beliebige Anzahl von Individuen, die sich einigen können, hat zweifellos das Recht, sich als Gruppe zu einem eigenen und völlig unabhängigen Staat zu erklären. Wird irgendeines von ihnen zur Gefolgschaft eines anderen gezwungen, dann haben wir es mit einer Eroberung, nicht mit einem Vertrag zu tun. Gemäß jedem Grundsatz, der die Gesellschaft als das Ergebnis einer freien Vereinbarung betrachtet, muss eine solcher Zwangsverband null und nichtig sein. Genauso wenig wie ein Volk ohne allgemeine Zustimmung ein Recht auf körperschaftliche Vertretung haben kann, kann es das Recht haben, im Namen und mit || 35 Die Verfassung Polens enthielt seit 1652 das sogenannte liberum veto, wonach jeder Abgeordnete des Sejm, der Ständeversammlung, das Recht hatte, gegen Beschlüsse des Reichstags sein Veto einzulegen. Dies führte schnell zur völligen Blockade. In der Folge wurden 53 Reichstage gesprengt, zwischen 1736 bis 1763 konnte kein einziger Beschluss mehr gefasst werden. Erst mit der Verfassung vom 3. Mai 1791 wurde das liberum veto durch das Mehrheitsprinzip ersetzt.

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dem Anspruch einer Körperschaft exklusiv Grund und Boden zu besitzen. Nach dem Modell der gegenwärtigen Herrscher unseres Nachbarlandes haben sie selbst trotz all ihrer Erneuerung kein größeres Anrecht auf das Frankreich genannte Territorium als ich. Ich habe das Recht, mein Zelt an jeder unbewohnten Stelle aufzuschlagen, die ich dort finden kann, und ich kann jeden Teil ihres unbestellten Bodens für meinen eigenen Unterhalt nutzen. Ich kann das Haus oder Weingut jedes einzelnen Eigentümers kaufen, welcher dem neuen Staatsgebilde seine Zustimmung verweigert hat – und die meisten Eigentümer haben sie verweigert, sofern sie es wagten. Ich stehe auf seinem unabhängigen Boden. Wer sind diese unverschämten Menschen, die sich selbst als die französische Nation bezeichnen und diese schöne Domäne der Natur monopolisieren wollen? Liegt es daran, dass sie einen bestimmten Jargon sprechen? Ist es ihre für mich unverständliche Weise zu schwatzen, die ihren Anspruch auf mein Land begründet? Wer sind sie, die sich auf ihre Ersitzung und Abstammung von gewissen Räuberbanden namens Franken, Burgundern und Westgoten berufen, von denen ich vielleicht noch nie gehört habe und von denen zweifellos 99 von 100 unter ihnen selbst noch nie gehört haben, während sie mir zur gleichen Zeit erzählen, dass Ersitzung und langjähriger Besitz keinen Eigentumsanspruch begründen? Wer sind sie, dass sie sich zu der Behauptung versteigen, das Land, das ich von einem Individuum, einer natürlichen Person, und nicht von einer Staatsfiktion gekauft habe, gehöre ihnen, die sie in der Funktion, in der sie ihren Anspruch erheben, selbst nur als ein imaginäres Wesen existieren können, und zwar genau kraft jener Ersitzung, die sie verwerfen und verleugnen? Man könnte diese Argumentation bis ins letzte Detail weitertreiben, um keinen Zweifel daran zu lassen, dass die Menschenansammlung auf der anderen Seite des Ärmelkanals, welche die Dreistigkeit besitzt, sich ein Volk zu schimpfen, gemäß ihren eigenen Prinzipien und auf der Grundlage, auf die zu stützen sie sich beliebt, niemals der rechtmäßige, ausschließliche Eigentümer des Bodens sein kann. Mit ihrer Form der – wie sie es nennen – vorurteilslosen Argumentation lassen sie im Gefüge der menschlichen Gesellschaft keinen Stein auf dem anderen. Sie untergraben die gesamte Autorität, die sie innehaben, genauso wie die, die sie zerstört haben. Auf abstrakter Ebene ist völlig klar, dass Mehrheit und Minderheit Verhältnisse sind, die es außerhalb des Zustands einer politischen Gesellschaft gar nicht geben kann. In diesem Sinne entscheiden innerhalb einer politischen Gesellschaft die jeweils besonderen Vereinbarungen ihrer Körperschaften, was eigentlich das Volk konstituiert und damit ihrem Beschluss die Bedeutung des Allgemeinwillens verleiht. Auf konkreter Ebene ist aber genauso klar, dass weder in Frankreich noch in England der ursprüngliche oder irgendein späterer Vertrag im Staate, weder explizit noch implizit, eine Mehrheit der Menschen, nach Köpfen gezählt, zum beschlussfähigen Volk ihrer jeweiligen Gemeinschaften erklärt hat. Und ich vermag ebenso wenig politische Klugheit und Nützlichkeit wie Rechtmäßigkeit darin zu erkennen, dass eine Mehrheit der Menschen, nach Köpfen gezählt, dem Grundsatz nach als das Volk zu gelten und deren Wille als solcher Gesetz zu sein habe. Welche politische Klugheit lässt sich in

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Vereinbarungen finden, die allen politischen Grundsätzen Hohn sprechen? Damit Menschen mit dem Gewicht und dem Charakter eines Volkes handeln und den Zwecken genügen können, zu denen sie mit einem solchen Vermögen betraut wurden, müssen wir voraussetzen, dass sie – unmittelbar oder auf indirektem Wege – jenen Zustand gesellschaftlicher Disziplin gewohnt sind, in dem die Weiseren, die Gebildeteren und die Reicheren all jene anleiten und durch diese Anleitung aufklären und beschützen, die schwächer, weniger gebildet und weniger mit Reichtümern gesegnet sind. Unterliegt die Menge nicht dieser Disziplin, kann man schwerlich behaupten, sie befinde sich im Stande der politischen Gesellschaft. Nimmt man eine bestimmte Beschaffenheit der Dinge an, die in einem Staat eine Vielzahl unterschiedlicher Bedingungen und Umstände hervorbringt, dann findet sich in der Natur wie in der Vernunft ein Prinzip, das zwar nicht das Interesse, wohl aber das Urteil jener, die in numero plures sind, zu ihrem eigenen Vorteil hinter das Urteil jener zurückstellt, die virtute et honore majores sind.36 Zahlen sind in einem Staat (wenn wir davon ausgehen wollen, dass überhaupt ein Staat existiert, was in Frankreich nicht der Fall ist) immer zu bedenken – aber sie sind nicht alles, was es zu bedenken gilt. In Zusammenhängen, die ernster sind als ein Theaterstück, lässt sich sehr wohl sagen: Satis est equitem mihi plaudere.37 Eine wahre natürliche Aristokratie ist keine eigene Interessengruppe im Staat, sie ist von ihm nicht zu trennen. Sie ist ein integraler und integrierender Bestandteil jedes richtig verfassten großen Gemeinwesens. Sie besteht aus einer Klasse rechtmäßiger Ansprüche, die man in verallgemeinerter Form als tatsächliche Wahrheiten anzuerkennen hat. Wer in einer angesehenen Umgebung aufwächst; wer von Kindesbeinen an nichts Niedriges und Schmutziges zu sehen bekommt; wem beigebracht wird, sich selbst zu achten; wer an den strengen, tadelsüchtigen Blick der Öffentlichkeit gewöhnt ist; wer schon in jungen Jahren die öffentliche Meinung beachtet; wessen Platz privilegiert genug ist, um einen guten Überblick über die weit gestreuten und unendlich vielfältigen Kombinationen von Menschen und Verhältnissen in einer großen Gesellschaft zu gewähren; wer die Muße hat, zu lesen, nachzudenken und sich zu unterhalten; wer allerorten die Sympathien und die Aufmerksamkeit der Weisen und Gebildeten auf sich ziehen kann; wer in Armeen daran gewöhnt wird, zu befehlen und zu gehorchen; wem gelehrt wird, im Streben nach Ehre und Pflichterfüllung allen Gefahren zu trotzen; wer unter Umständen, unter denen kein Vergehen ungestraft bleibt und der geringste Fehler die verheerendsten Folgen zeitigt, zum höchsten Maß an Wachsamkeit, Weitblick und Umsicht angehalten wird; wer aus dem Bewusstsein heraus, in den vornehmsten Belangen als Lehrmeister seiner Mitbürger zu gelten und als Vermittler zwischen Gott und Mensch aufzutreten, zu einem || 36 D. h., dass diejenigen, die in der numerischen Überzahl sind, ihr Urteil zu ihrem eigenen Vorteil hinter das Urteil jener zurückstellen, die durch Tugend und Ehre höhergestellt sind. 37 Vgl. Horaz 1975: 89: „Denn ‚mir genügt es, wenn die Vornehmen mir Beifall klatschen‘, wie die kecke Arbuscula sagte, voll Verachtung für das übrige Publikum, das sie auspfiff.“ (Satire I, 10, 76).

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zurückhaltenden und ausgewogenen Verhalten findet; wer mit der Verwaltung von Recht und Gerechtigkeit befasst ist und dadurch zu den obersten Wohltätern der Menschheit gehört; wer sich den edlen Wissenschaften oder den freien und noblen Künsten verschrieben hat; wer zu den reichen Kaufleuten gehört, denen man aufgrund ihres Erfolgs einen scharfen und energischen Verstand zuschreibt, aber auch die Tugenden Fleiß, Ordnung, Beständigkeit und Gleichmäßigkeit sowie die Kultivierung eines in Fleisch und Blut übergegangenen Sinns für ausgleichende Gerechtigkeit: der lebt in Verhältnissen, die das bilden, was ich eine natürliche Aristokratie nennen möchte, ohne die es keine Nation gibt. Der Zustand einer politischen Gesellschaft, der diese Aristokratie unweigerlich hervorbringt, ist ein Naturzustand – und ist dies viel eher als eine wilde und widersprüchliche Lebensform. Denn der Mensch ist von Natur aus vernünftig; und er ist nur dann ganz in seinem natürlichen Element, wenn ihm ein Ort zugewiesen wird, wo die Vernunft am besten kultiviert werden kann und am uneingeschränktesten vorherrscht. Des Menschen Natur ist die Kunst. Im ausgeprägten Mannesalter befinden wir uns mindestens so sehr im Naturzustand wie als unreife und hilflose Kinder. Die Männer der soeben beschriebenen Art bilden in der Natur, so wie sie in den üblichen Variationen der Gesellschaft zum Ausdruck kommt, den führenden, wegweisenden und herrschenden Teil. Er ist die Seele zum Körper, ohne die es den Menschen nicht gibt. Wenn man daher in der Gesellschaftsordnung Menschen, die einer solchen Beschreibung entsprechen, nicht mehr Wert beilegt als allen möglichen anderen Elementen, so ist dies eine fürchterliche Usurpation. Wenn große Menschenmengen unter diesen Regeln der Natur zusammen handeln, dann erkenne ich das VOLK. Ich erkenne etwas an, was der Herrschaft der Übereinkunft vielleicht ebenbürtig ist, sie aber auf jeden Fall anleiten sollte. Die Stimme dieses großen Chors der nationalen Harmonie sollte bei allen Themen einen großen und wesentlichen Einfluss haben. Stört man diese Harmonie, zerbricht man diese schöne Ordnung, diese Anordnung von Wahrheit und Natur, aber auch von Gewohnheit und Vorurteil, trennt man die gewöhnliche Sorte Menschen von ihren passenden Oberhäuptern, um eine gegen diese gerichtete Armee aus ihnen zu machen – dann erkenne ich in einer derart zersprengten Rasse von Deserteuren und Vagabunden die ehrwürdige Einheit, die man „das Volk“ nennt, nicht mehr wieder. Eine Weile lang mögen sie wohl furchteinflößend sein – aber so, wie es wilde Tiere sind. Der Geist schuldet ihnen keinerlei Unterordnung. Sie sind, wofür sie immer schon gehalten wurden, Rebellen. Man kann sie rechtmäßig bekämpfen und unterwerfen, wann immer sich ein Vorteil bietet. Wer versucht, Menschen durch Ausschreitungen und Gewalt um jeden Vorteil zu bringen, der ihnen nach dem Gesetz zusteht, und die natürliche Ordnung des Lebens zu zerstören, dem sollte man den Krieg erklären. Aus den Geschichtsbüchern kennen wir jene wütende Erhebung der einfachen Leute in Frankreich, die man Jacquerie genannt hat: Denn nicht zum ersten Mal wurde das Volk so lange aufgeklärt, bis es zu Landesverrat, Mord und Plünderung bereit

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war.38 Sein Ziel war die Ausrottung des Adels. Der Captal de Buch,39 ein berühmter Soldat jener Tage, entehrte den Titel eines Edelmannes wie den eines Mannes, indem er für die Grausamkeiten dieser verblendeten Halunken grausam Rache an ihnen nahm: Es war jedoch sein Recht und seine Pflicht, gegen sie in den Krieg zu ziehen und sie anschließend – maßvoll – für ihre Rebellion zu strafen, obwohl sie im Sinne der Französischen Revolution und einiger unserer Clubs das Volk waren – und dies tatsächlich auch waren, sofern man unter dieser Bezeichnung jede Mehrheit an Köpfen verstehen will. Da solche Launen noch nie eine Nation befallen haben, ohne dass dies einen gewissen Einfluss auf die anderen gehabt hätte, kam es nicht sehr viel später zu mehreren Bauernaufständen in England. Diese Aufständischen stellten in den Grafschaften, in denen sie ansässig waren, sicher die Mehrheit der Einwohner. Und Cade, Ket und Straw40 taten, von gewissen ranghohen Verrätern aufgehetzt, an der Spitze ihrer jeweiligen Nationalgarde nichts anderes, als die souveräne Macht auszuüben, die rechtmäßig der Mehrheit zukommt – zumindest wenn man unseren eigenen und den Pariser Gesellschaften Glauben schenken will. Uns gilt die Epoche, in der sich jene Ereignisse abspielten, als ein dunkles Zeitalter. In Wirklichkeit sind wir zu gnädig mit unseren eigenen Leistungen. Der Abbé John Ball verstand die Menschenrechte genauso gut wie der Abbé Grégoire.41 Dieser || 38 Gemeint ist der von Juni bis August 1358 währende Bauernaufstand in Nordfrankreich, in dessen Verlauf bis zu 20.000 Bauern im Kampf oder durch Hinrichtung starben. Auslöser waren die hohen Abgaben für den Hundertjährigen Krieg und Plünderungen der ländlichen Gebiete durch entlassene Söldnertruppen. Der Name geht vermutlich auf die Bezeichnung der Adligen für die Bauern – Jacques Bonhomme – zurück und wurde in England und Frankreich im Folgenden allgemein für Bauernaufstände verwendet. 39 Jean III. de Grailly, Captal de Buch (ca. 1330-1376), Kreuzritter und Teilnehmer am Hundertjährigen Krieg auf Seiten des englischen Königs Edward III. und 1358 an der Niederschlagung des Bauernaufstandes beteiligt. Er wurde 1372 von den Franzosen gefangen genommen und starb in Gefangenschaft. 40 Es handelt sich um Anführer verschiedener Bauernaufstände im England des 14. und 15. Jahrhunderts. Jack Straw zog im größten Bauernaufstand Englands, der im Mai 1381 begann, mit Bauern aus Kent und Essex gegen London. Sie forderten u. a. die Reduzierung von Abgaben und die Abschaffung der Leibeigenschaft. Richard II. erfüllte eine Reihe der von den Aufständischen gestellten Bedingungen. Nachdem diese jedoch weitere Bedingungen stellten, wurde der zweite Anführer, Wat Tyler, ermordet und das Parlament nahm alle Konzessionen zurück. Jack Cade führte 1450 einen Aufstand in Kent an. Robert Ket stand an der Spitze eines 1459 gegen die Praxis der Einhegungen gerichteten Bauernaufstandes in Ost-England mit dem Zentrum Norwich. Er wurde nach der Niederschlagung des Aufstandes gehängt. – Paine verteidigt im zweiten Teil der Rights of Man die Berechtigung der Forderungen Wat Tylers gegen Burkes „Verleumdungen“; vgl. Paine 1792: 276 f. Anm. 41 John Ball (1338-1381) war Priester und Anhänger der Lehren John Wycliffes, die viele der reformatorischen Ideen des 16. Jahrhunderts vorwegnahmen und großen Einfluss auf die englischen Bauernbewegungen ausübten. Ball wurde nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes als einer seiner Anführer hingerichtet. – Henri Jean-Baptiste Grégoire, genannt Abbé Grégoire (1750-1831), war ein reformorientierter Priester, Mitglied der Nationalversammlung und Verfechter der Revolution, der Menschenrechte, der Emanzipation der Juden und der Aufhebung der Sklaverei.

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ehrwürdige Patriarch der Volksverhetzung und Prototyp unserer modernen Prediger teilte die Meinung der Nationalversammlung, dass alle Übel, die über die Menschen gekommen seien, auf die Unkenntnis des Umstands zurückzuführen wären, „dass sie als Gleiche an Rechten geboren und dies auch geblieben sind“.42 Wäre das gemeine Volk in der Lage gewesen, diese profunde Maxime zu wiederholen, hätte mit ihm alles zum Besten gestanden. Keine Willkürherrschaft, keine Schikane, keine Unterdrückung, keinen Kummer und kein Leid hätte es auf der Welt geben können. Sie wäre sein magisches Allheilmittel gewesen. Zu allen Zeiten aber verstanden sich die elendsten Jammergestalten in ihrer größten Unwissenheit darauf, solche Reden zu schwingen, und haben doch zu allen Zeiten viel Übel und reichlich Unterdrückung erlitten, und zwar sowohl vor als auch seit der neuerlichen Publikation dieses Zauberspruchs von heilender Macht und Tugend durch die Nationalversammlung. Um die Einsicht und Leidenschaft seines Publikums in diesem Punkt neu anzufachen, griff der aufgeklärte Dr. Ball zu folgendem Zweizeiler: Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?43

Ich behaupte gar nicht, diese weise Maxime stamme aus seiner eigenen Feder. Sie scheint sich historischer Überlieferung zu verdanken und ist zweifellos zu einem geflügelten Wort geworden: Aber ungeachtet der Frage, ob sie damals ersonnen oder lediglich verwendet wurde, muss man doch immerhin zugeben, dass sie an Gelehrsamkeit, Sinn, Kraft und Verständlichkeit allen modernen Abhandlungen über die Gleichheit des Menschengeschlechts absolut ebenbürtig ist, ja diesen gegenüber sogar einen Vorteil besitzt – dass sie gereimt ist.* || 42 Vgl. die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, Artikel 1: „Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten.“ 43 „When Adam delved and Eve span, / Who was then the gentleman?“ – Dieses Sprichwort wurde von John Ball während des größten Bauernaufstandes im mittelalterlichen England, der Peasants’ Revolt von 1381, in Blackheath in einem öffentlichen Gebet verwendet. Burke bezieht seine Informationen über die Bauernaufstände vor allem aus der Chronicon von Henry Knighton (1337-1396) und Historia Anglicana 1272-1422 von Thomas Walsingham (?-1422). – Thomas Paine hatte in seiner gegen Burke gerichteten Schrift Rights of Man geschrieben, aristokratische Titel seien „nur Spottnamen […]. In Adams ganzem Wörterbuche finden wir kein solches Tier als einen Herzog oder Grafen; auch können wir keine gewisse Idee mit diesen Worten verbinden.“ (Paine 1791: 98). * Es ist kein geringer Verlust für die Welt, dass sich der vollständige Text dieser aufgeklärten und philosophischen Kanzelrede, die vor zweihunderttausend in Blackheath versammelten Nationalgardisten gepredigt wurde, nicht erhalten hat – wobei diese Zahl derjenigen der erhabenen und majestätischen Fédération vom 14. Juli 1790 auf dem Champ de Mars gleichkommen dürfte. Eine kurze Zusammenfassung findet sich jedoch bei Walsingham […]. Wir stellen ebenfalls fest, dass sie in jenen alten Tagen ihre eigene Society for Constitutional Information hatten, in welcher Reverend John Ball ein herausgehobenes Mitglied war, manchmal unter seinem eigenen Namen, manchmal unter dem fingierten Namen John Schep. Neben ihm bestand sie (wie Knyghton uns mitteilt) aus Personen, die auf die realen oder fiktiven Namen Jack Mylner, Tom Baker, Jack Straw, Jack Trewman, Jack Carter

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Zweifellos hat dieser große Lehrer der Menschenrechte seinen Vortrag über diesen wertvollen Text mit Lemmata, Theoremen, Scholien, Korollaren und dem ganzen Apparat der Wissenschaft verziert, der ihm in den dogmatischen und polemischen Zeitschriften – jener alten Rüstkammer der Scholastiker, unter denen Rev. Dr. Ball großgezogen worden war – in ebenso stattlicher Menge und Perfektion zu Gebote stand, wie ihn das neue Zeughaus in Hackney44 zu liefern vermag. Zweifellos standen ihm all die Definitionen und Unterscheidungen zur Verfügung, in denen, wenn mich nicht alles täuscht, die alten Marschalls genauso beschlagen waren wie die modernen Martinets.45 Auch können wir nicht leugnen, dass die philosophische Zuhörerschaft, nachdem sie dieses Wissen einmal erlangt hatte, nie wieder in ihre frühere Unwissenheit zurückfallen oder nach einer derart aufschlussreichen Vorlesung in derselben Gemütsverfassung verharren konnte, als hätte sie sie nie gehört.*46 Diese armen Menschen, die nicht um ihr Wissen zu beneiden, sondern für ihren Irrglauben zu bemitleiden waren, wurden jedoch nicht mit Argumenten – was unmöglich war –, sondern mit Schlägen um ihre Einsicht gebracht. Zusammen mit ihrem Lehrer wurden sie den Anwälten übergeben, die mit ihrem Blut die Landesgesetze niederschrieben, und zwar so drastisch und mit der gleichen Tinte, wie sie und ihre Lehrer die Menschenrechte niedergeschrieben hatten. Unsere heutigen Doktoren sind weniger darauf erpicht, die Meinungen dieses altehrwürdigen Weisen zu zitieren, als darauf, sein Handeln nachzuahmen: Erstens weil sonst der Eindruck entstehen könnte, dass sie gar nicht die großen Neuerer sind, || und wahrscheinlich noch zahlreiche andere hörten. Einige der auserlesensten Blüten der Publikationen, die sie in ihrer Wohltätigkeit gratis verfassten und in Umlauf brachten, sind bei Walsingham und Knyghton dokumentiert: Und ich bin geneigt, die markige und prägnante Kürze dieser Bulletins der alten Rebellion jener vagen und verworrenen Weitschweifigkeit unserer modernen Propaganda für „Verfassungskunde“ vorzuziehen. Sie enthalten mehr gute Moral und weniger schlechte Politik, wurzeln viel stärker in wirklicher Unterdrückung und empfehlen sich dadurch, dass sie dem Auffassungsvermögen der Menschen, die sie unterrichten sollten, wesentlich besser angepasst waren. Auch wenn die Lehrer von heute allerlei lobenswerte Mühen auf sich zu nehmen scheinen, kann ich ihnen doch nicht das Kompliment machen, es sei ihnen auch nur halb so gut gelungen wie Jack Carter und Reverend John Ball, sich sprachlich auf das Niveau ihrer Schüler, der Verteidiger der Staatsgewalt, herabzubegeben. […]. 44 Das New College in Hackney wurde 1786 unter dem Einfluss der Unitarier gegründet, einer deistischen Strömung innerhalb des protestantischen Dissent; hier lehrten u. a. Richard Price und Joseph Priestley. 45 Jean Martinet war unter Ludwig XIV. Regimentskommandeur und Feldmarschall und damit beauftragt, die Disziplin in der französischen Armee durchzusetzen; vgl. Voltaire 1751: 161 (Kap. 10); Kaiser 1978. * Vgl. die weise Bemerkung zu diesem Thema in der von den Gesellschaften in Umlauf gebrachten Defence of Rights of Man. 46 Bei dem 1791 anonym erschienenen Pamphlet Defence of Rights of Man; being a discussion of the Conclusions drawn from those Rights by Mr. Paine handelt es sich um einen jener zahlreichen Versuche, Paines Argumente zu widerlegen, deren Vorgehen jedoch nicht immer auf Burkes Zustimmung stieß; vgl. Fennessy 1963: 213 ff.

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für die sie gerne gehalten würden; und zweitens weil er, sehr zum Schaden seines Rufes, keinen Erfolg hatte. Es ist eine Beobachtung, zu der es so wenige Ausnahmen gibt, wie dies bei einer allgemeinen Feststellung nur der Fall sein kann, dass all jene, die galoppierendem Wahnsinn applaudieren und triumphierende Schuld vergöttern, noch nie dafür bekannt waren, angesichts menschlicher Schwächen oder Vergehen Beistand zu leisten oder gar Mitleid zu zeigen, wenn diese, der Wechselhaftigkeit menschlicher Launen ausgeliefert, bestraft werden, statt an die Macht zu kommen. Ein mildernder Umstand für ihren Mangel an Mitgefühl gegenüber dem Leiden ihrer Genossen ist die Tatsache, dass sie damit nicht einmal ganz falsch liegen. Denn Irrsinn und Bosheit sind an sich scheußliche Missgeburten und bedürfen aller Verhüllungen und Insignien des Schicksals, um sich der Menge zu empfehlen. In ihrer bloßen Natur könnten sie nicht verabscheuenswerter sein. Verirrungen wie diese sind, ob altertümlich oder modern, ob erfolglos oder erfolgreich, vorübergehender Art. Sie bieten kein Argument für die Annahme, eine nach Köpfen gezählte Menge sei das Volk. Eine solche Menge kann nicht den geringsten Anspruch darauf haben, den Sitz der Macht in der Gesellschaft zu verändern, in der ihr stets die Rolle des Gehorchenden und nicht die der Herrschenden oder des Vorsitzenden zukommt. Welche Macht der Masse in ihrer Gesamtheit zukommt – jener Masse, innerhalb derer die natürliche Aristokratie oder diejenige Gruppe, die sie der Übereinkunft gemäß repräsentiert und stützt, handelt, und zwar an ihrem natürlichen Ort, mit ihrem natürlichen Gewicht und ohne Gewalt ausgesetzt zu sein –, das ist eine tiefergehende Frage. In diesem Fall aber und unter diesen Umständen habe ich meine Zweifel, ob man überstürzte oder extreme Veränderungen im Staate, wie wir sie in Frankreich beobachtet haben, jemals zustande bringen könnte. Ich habe gesagt, dass in allen politischen Fragen die Konsequenzen eines jeden behaupteten Rechts für die Entscheidung über seine Gültigkeit von großer Bedeutung sind. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir ein wenig näher betrachten, wie es sich auswirkt, wenn die bloße Mehrheit der Bewohner eines beliebigen Landes das Recht hat, ihre Regierung nach Belieben abzulösen und zu verändern. Die Gesamtheit eines jeden Volkes besteht aus seinen einzelnen Elementen. Jedes Individuum muss das Recht haben, den Anstoß zu dem zu geben, was später zum Willen der Mehrheit werden soll. Wozu auch immer dieses Individuum rechtmäßig den Anstoß geben darf, das muss es auch rechtmäßig zu vollenden suchen dürfen. Somit hat das Individuum das Recht, von sich aus die Bande und Verpflichtungen aufzukündigen, die es an das Land binden, in dem es lebt; und es hat das Recht, so viele Menschen zu seinen Ansichten zu bekehren und Bundesgenossen für seine Pläne zu finden, wie es vermag. Denn wie sollte man die Bereitschaft der Mehrheit, ihre Regierung zu zerstören, einschätzen können, wenn man es nicht an einem Teil des Gemeinwesens ausprobiert? Man muss mit einer geheimen Verschwörung anfangen, um schließlich zu einem nationalen Bündnis zu finden. Allein das reine Belieben des Neuerers kann den Weg weisen, da das reine Belieben der anderen in jedem Moment des Fortgangs die einzige letztgültige Bestätigung und die einzig treibende Kraft

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darstellen muss. Willkür, das größte Laster der herrschenden Macht, vergiftet so nach und nach das Herz jedes Bürgers. Scheitert der Neuerer, dann trifft ihn das Missgeschick des Rebellen, nicht aber dessen Schuld. Durch solche Lehren wird jegliche Liebe zu unserem Land, jede fromme Verehrung und Ergebenheit für seine Gesetze und Sitten aus unserem Geist getilgt. Und sobald sich diese Sicht der Dinge einmal zu einem Grundsatz ausgewachsen hat und von Unzufriedenheit, Ehrgeiz oder Schwärmerei beflügelt wird, kann nichts anderes aus ihr hervorgehen als eine Serie von Verschwörungen und Aufwiegelungen, die mitunter den sicheren Untergang für ihre Urheber, immer aber Unheil für den Staat bedeuten. Kein Pflichtgefühl kann irgendjemanden daran hindern, Anführer oder Anhänger solcher Unternehmungen zu sein. Nichts hält den Verführer auf, nichts schützt den Verführten. Auch ist der neue Staat, den solche Künste schaffen, nicht sicherer als der alte. Denn was kann den bloßen Willen einer beliebigen Person, welche die Willen anderer mit ihrem eigenen zu vereinigen hofft, daran hindern, diesen Staat einfach umstürzen zu wollen? Es braucht nichts weiter als die Bereitschaft, die herrschende Ordnung zu stören, um das Unternehmen zu rechtfertigen. […] Die vorgeblichen Menschenrechte, die dieses Chaos ausgelöst haben, können nicht die Rechte des Volkes sein. Denn ein Volk zu sein und diese Rechte zu haben, ist miteinander unvereinbar. Das eine setzt das Vorhandensein einer politischen Gesellschaft voraus, das andere ihr Fehlen.47 Schon die Grundlage des französischen Staates ist falsch und selbstzerstörerisch; auch können seine Grundsätze in keinem anderen Land angewendet werden, ohne dieses mit Sicherheit in genau denselben Zustand zu versetzen, in dem Frankreich sich befindet. Es gibt Bemühungen, diese Grundsätze in allen Nationen Europas einzuführen. Insofern unsere Nation den größten Einfluss besitzt, ist es vor allem sie, die sie zu verderben wünschen, denn so können sie sich sicher sein, dass aus der Infektion eine Epidemie wird. Ich hoffe daher, man wird es mir nachsehen, wenn ich versuche, so knapp wie möglich darauf hinzuweisen, wie gefährlich es wäre, sie explizit oder stillschweigend auch nur im mindesten zu tolerieren. […] Dies zeigt meiner Meinung nach, wie schnell von Begriff und hellwach alle Männer sein müssen, die in öffentlichem Ansehen stehen und dieses Vertrauen zu Recht genießen. Sie laufen andernfalls Gefahr, mit ihren Überzeugungen Schiffbruch zu erleiden, wenn Dogmen verbreitet und Vorhaben verfolgt werden, die an die Grundfesten der Gesellschaft rühren. Bevor sie Vorschläge zur Änderung der Regierung ihres Landes auch nur anhören, und seien diese auch moderat, sollten sie dafür Sorge tragen, dass zu diesem Zweck keine Prinzipien propagiert werden, die über ihr Ziel hinausschießen.

|| 47 Hier endet das Werk – ergänzt um den Schlusssatz – in den ersten beiden Auflagen des Appeal (vgl. oben, S. 293).

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Lehren, deren gegenwärtige Anwendung begrenzt ist, deren Grundprinzipien aber umfassender Art sind, sind nämlich nie bloß auf den Zweck beschränkt, den sie zunächst vorschützen. Wollte ich die Auswirkungen der aktuellen Machenschaften auf das Volk allein aufgrund der Kümmernisse vorhersagen, die es unter unserer Verfassung erleidet, wäre ich unbesorgt. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen einer Menge, die unter dem Eindruck eines Missstandes gegen ihre Regierung vorgeht, und einer Menge, die dies im Eifer für irgendwelche Meinungen tut. Sind die Menschen ganz und gar von diesem Eifer besessen, ist seine Kraft nur schwer vorherzusehen. Seine Macht steht aber gewiss in keinem genauen Verhältnis zu seiner Vernünftigkeit. Es muss denkenden Menschen schon immer einsehbar gewesen, heute aber für alle Welt offensichtlich sein, dass eine Theorie über das Regieren genauso zu Fanatismus führen kann wie ein Glaubenssatz in Religionsfragen. Wenn Menschen aus Gefühlen heraus handeln, sind ihre Leidenschaften begrenzt, nicht aber, wenn sie unter dem Einfluss der Einbildungskraft stehen. Beseitigt man einen Missstand, so hat man, wenn Menschen aus Gefühlen heraus handeln, viel dazu beigetragen, einen Aufruhr zu beruhigen. Das gute oder schlechte Gebaren einer Regierung, der Schutz, den die Menschen durch sie genossen, oder die Unterdrückung, die sie unter ihr erlitten haben, sind jedoch ganz bedeutungslos, sobald eine Gruppierung aus spekulativen Gründen gegen die Form dieser Regierung eifert. Wenn jemand der Monarchie oder dem Episkopat aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zürnt, dann wird das Wohlverhalten des Monarchen oder Bischofs nichts anderes bewirken, als den Gegner weiter zu reizen. Es provoziert ihn, weil es einem Appell gleichkommt, die Sache zu bewahren, die er zerstören möchte. Der Anblick eines Königszepters oder Bischofsstabs wird ihn so wütend machen, als wäre er von diesen Symbolen der Autorität täglich gegeißelt und verwundet worden. Bloße Erscheinungen, bloße Namen werden zu hinreichenden Gründen, um das Volk zu Krieg und Aufruhr anzustacheln. […] Auch unter den am besten verfassten Regierungen kommt es aus Gründen, die keines Menschen Weisheit voraussehen und keines Menschen Macht verhindern kann, immer wieder zu großer Unzufriedenheit. Solche Zustände werden zu unbestimmten Zeiten ausgelöst, zu Zeiten aber, die in der Regel nicht weit auseinanderliegen. Regierungen aller Art werden schließlich nur von Menschen geführt, und schwere Fehler, die eine solche Unzufriedenheit anzufachen pflegen, können sich summieren. Die Unentschlossenheit derjenigen, die in diesen kritischen Zeiten gerade an der Regierung sind, ihre träge Gleichgültigkeit oder auch ihr überstürztes und kopfloses Reagieren können den öffentlichen Unmut schüren. In einer solchen Situation werden die bis dahin gerade erst gesäten Prinzipien prächtig wachsen und gedeihen. Unter solchen Umständen werden die Menschen reizbar und gallig. Sie verlieren die Geduld mit allen öffentlichen Personen und Parteien, deren Zwistigkeiten ermüden sie, deren Koalitionen stoßen ihnen übel auf; man kann sie leicht in dem Glauben wiegen – wozu auch erhebliche Anstrengungen unternommen werden –, dass alle Widerstände faktionistisch sind und alle Höflinge niederträchtig und unterwürfig.

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Ihre Abscheu gegenüber den Menschen verleitet sie bald dazu, mit dem System ihrer Regierung zu hadern, das ihres Erachtens die wirklichen oder vermeintlichen Laster derjenigen nährt, die ihre Geschäfte führen. Weil sie Bösartigkeit mit Scharfsinn verwechseln, werden sie bald dazu gebracht, jede Hoffnung auf eine gute Staatsverwaltung aufzugeben, und freunden sich mit dem Gedanken an, dass jegliche Reform nicht etwa von einem Wechsel des Personals, sondern von einem Umbau der Maschinerie abhängt. Dann wird man in vollem Umfang spüren, was es heißt, Lehren zu ermutigen, die die Bürger dazu bringen, ihre Verfassung zu verachten. Dann wird man das ganze Unheil einer Lehre zu spüren bekommen, die das Volk glauben macht, alle althergebrachten Institutionen seien das Produkt von Unwissenheit, und jede Regierung, die eine gewohnheitsrechtliche ist, sei im Grunde Usurpation.48 Dann wird man ungemildert zu spüren bekommen, wie gefährlich es ist, Personen in ihrer Streitsucht zu ermutigen, deren unreifer und unvollkommener Wissensstand sie für Zweifel anfällig macht, ohne sie zu deren Lösung zu befähigen. Dann wird man in ganzer Schärfe zu spüren bekommen, wie gefährlich es ist, denjenigen Köpfen jegliche Fügsamkeit auszutreiben, die nicht dafür gemacht sind, ihren eigenen Weg durch die Labyrinthe der politischen Theorie zu finden, und nun dazu gebracht wurden, den Leitfaden zu verschmähen und den Führer zu verachten. Dann wird man das Verderben spüren – und zu spät erkennen –, welches daraus folgt, dass man Religion und Staat, Politik und Moral voneinander trennt und dem Gewissen in der grundlegendsten aller sozialen Bindungen, nämlich dem Grundsatz unserer Pflichten gegenüber dem Staat, keine Geltung und keine zwingende Kraft einräumt. Abgesehen von der eitlen, widersprüchlichen und selbstzerstörerischen Sicherheit, in der sich manche Leute angesichts der gewohnheitsmäßigen Anhänglichkeit des Volkes an diese unsere Verfassung wiegen, während sie es mit einer gewissen verspielten Nachgiebigkeit dulden, dass man sie vor ihren Augen in den Schmutz zieht, weiß ich auch, dass besagte Leute noch aus anderen Gründen einen unbesorgten Schlaf haben. Sie sind nämlich der Ansicht, dass es zu viele Männer von ererbtem hohem Rang und Einfluss in diesem Königreich gibt, als dass man hierzulande die Übernahme des in Frankreich eingeführten gleichmacherischen Systems zu befürchten hätte. […] Doch auch Reichtümer garantieren nicht unbedingt einen – und sei es trägen und passiven – Widerstand. Immer gibt es in dieser Kategorie Männer, deren Vermögen, wenn ihr Verstand einmal durch Leidenschaft oder schlechte Prinzipien beeinträchtigt ist, sie in keiner Weise davor bewahren wird, ihren Beitrag zur Aufkündigung des öffentlichen Friedens zu leisten. Wir sehen ja, für welche niedrigen und verabscheuungswürdigen Leidenschaften aller Art Männer aus dieser Klasse bereitwillig ihre ererbten Güter opfern, Besitztümer, die in ihren Familien in aller Pracht – und mit dem Ruf geborener Wohltäter der Menschheit – von Generation zu Generation weitergegeben werden könnten. Sollten wir etwa blind dafür sein, wie leichtsinnig || 48 So Richard Price oder Thomas Paine; vgl. Price 1789: 12; Paine 1791: 120; s. a. oben, S. 135 u. 273 f.

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Menschen mit ihrem Vermögen umgehen, wenn sie der Spielleidenschaft verfallen sind? Das Spiel von Ehrgeiz und Missgunst wird von vielen der Reichen und Berühmten so erbittert und so blind seinen Folgen gegenüber gespielt werden wie jedes andere Spiel auch. War es denn ein Mann ohne Rang und Vermögen, der die Unruhen, die Frankreichs Untergang bedeuteten, losgetreten hat?49 Seine Leidenschaft machte ihn blind für die Folgen, soweit sie ihn selbst betrafen; und was die Folgen für andere angeht, so spielten sie in seinen Überlegungen keine Rolle – und werden dies auch in den Überlegungen all jener nie tun, die auch nur die geringste Ähnlichkeit mit jenem virtuosen Patrioten und Liebhaber der Menschenrechte aufweisen. Auch gibt es Zeiten der Unsicherheit, in denen alle möglichen Interessen zum Gegenstand der Spekulation werden. Gerade der Umstand, dass sie um ihren Wohlstand und ihren Einfluss fürchten, wird dann einige Reiche dazu verleiten, sich der Partei anzuschließen, die ihrer Meinung nach die Oberhand behalten wird, und vielleicht sogar eine führende Rolle in ihr zu übernehmen, um ihre Interessen in einer neuen Ordnung oder Unordnung der Dinge gewahrt zu sehen. Vielleicht handeln sie so, weil sie dadurch einen Teil ihres Eigentums sichern und sich womöglich an der Beute aus dem Untergang ihrer eigenen Ordnung beteiligen können. Unter Personen von Rang und Vermögen finden sich immer viele, die auf einen Wandel spekulieren, nicht anders als unter den Geringeren und Mittellosen. […] Worauf können wir vertrauen, um diesen wirren Vorstellungen ein Ende zu bereiten? Nun, nicht mehr und nicht weniger als darauf: dass die moralischen Gefühle einiger weniger unter ihnen ihren wilden Theorien gewisse Zügel anlegen. Doch sollten wir vorsichtig sein. Die moralischen Gefühle, die mit unseren anfänglichen Vorurteilen so eng zusammenhängen, dass man beide fast für ein und dasselbe halten kann,50 werden gewiss nicht lange unter einem Regelwerk überleben, dessen Grundlagen die Zerstörung aller Vorurteile und die Immunisierung des Geistes gegen jegliche Scheu vor den Folgen der angeblichen Wahrheiten ihrer Philosophie bilden. In dieser Schule müssen die moralischen Gefühle tagtäglich schwächer werden. Wenn die vorsichtigeren dieser Lehrer ihre Maximen darlegen, leiten sie hier nur das an Schlussfolgerungen ab, was nicht etwa zu ihren Prämissen, sondern zu ihren politischen Absichten passt. Den Rest stellen sie dem Scharfsinn ihrer Schüler anheim. Andere – diejenigen nämlich, die man am meisten für ihren Geist rühmt – belassen es || 49 Burke mag hier den bedeutenden Revolutionspolitiker Mirabeau (1749-1791) vor Augen haben. Er bezeichnete ihn als „Grand Anarch“ inmitten des „portentous state of France – where the Elements which compose Human Society seem all to be dissolved, and a world of Monsters to be produced in the place of it – where Mirabeau presides as the Grand Anarch; and the late Grand Monarch makes a figure as ridiculous as pitiable.“ (an Richard Burke, 10. Oktober 1789, Corr. VI: 30; s. a. oben, S. 286, Anm. 10). 50 Mit seiner Fundierung politischer, sozialer und rechtlicher Institutionen in prärationalen historischen Entwicklungen und ihrer Befestigung durch Vorurteile, denen dadurch eine zentrale gesellschaftliche Integrationsfunktion zukommt, zeigt sich Burkes enge Verbindung zu Vertretern der Schottischen Aufklärung wie Hume oder Smith, die seit seinen ersten Publikationen erkennbar ist (vgl. oben, Teil 1 u. unten, Teil 5, S. 324 ff.); hierzu O’Neill 2007: 51-87 u. 150 ff.

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nicht beim Aufstellen ebenjener Prämissen, sondern ziehen auch kühn die Schlüsse, die auf eine Zerstörung unserer gesamten Verfassung von Kirche und Staat hinauslaufen. Werden diese Schlüsse aber auch richtig gezogen? Ja, ganz bestimmt. Ihre Prinzipien sind wüst und niederträchtig; doch selbst der Raserei und Schurkerei gebührt Gerechtigkeit. Diese Lehrer sind vollkommen systematisch. Niemand, der ihre Grundlagen teilt, kann die britische Verfassung von Kirche und Staat dulden. Diese Lehrer behaupten, dass sie jegliches Mittelmaß verachten, dass sie nach Vollkommenheit streben, dass sie den einfachsten und kürzesten Weg gehen. Sie gründen ihre Politik nicht auf Zweckmäßigkeit, sondern auf Wahrheit, und sie beteuern, die Menschen durch das Geltendmachen ihrer unzweifelhaften Rechte zur sicheren Glückseligkeit zu führen. Bei ihnen gibt es keine Kompromisse. Alle anderen Regierungen sind für sie eine Form von Usurpation, die Widerstand rechtfertigt, ja sogar erfordert. Ihre Prinzipien zielen immer aufs Extreme. Diejenigen, die den Prinzipien der alten Whigs folgen, jenen also, die in Mr. Burkes Buch enthalten sind, können nie zu weit gehen. Sie mögen sogar vor einer riskanten und undurchsichtigen Vortrefflichkeit zurückschrecken, die sie dieser Lehre gemäß zugunsten eines jeden vernünftigen Maßes an Gutem, über das sie vielleicht wirklich verfügen, zurückstellen werden. Die in jenem Buche verfochtenen Meinungen können nie zu einem Extrem führen, weil ihre Grundlage in der Ablehnung von Extremen besteht. Die Grundlage des Staates bilden dort nicht imaginäre Menschenrechte (was bestenfalls eine Verwechslung von richterlichen und staatsbürgerlichen Prinzipien darstellt), sondern die politische Zweckmäßigkeit und die menschliche Natur – die menschliche Natur im Allgemeinen oder in ihrer durch örtliche Gewohnheiten und soziale Fähigkeiten abgewandelten Form. Die Grundlage des Staates bildet, woran sich derjenige, der jenes Buch gelesen hat, erinnern wird, die Sorge für unsere Bedürfnisse51 und die Befolgung unserer Pflichten: Sie besteht darin, für die einen zu sorgen und den anderen Geltung zu verschaffen. Diese Lehren tendieren von sich aus zu einem mittleren Punkt oder zu einem Punkt nahe einer Mitte. Sie unterstellen in der Tat ein gewisses Maß an Freiheit als wesentlich für jede gute Regierungsform. Sie folgern daraus aber, dass diese Freiheit mit der Regierungsform verschmolzen werden muss, um mit ihrer konkreten Ausgestaltung und ihren Regeln zu harmonieren, und dass sie ihrem Ziel untergeordnet werden muss. Diejenigen, die es nicht mit jenem Buche halten, halten es mit seinem Gegenteil; denn es gibt keine Mitte außer der Mitte selbst. Jene Mitte ist nicht eine solche, weil sie dort gefunden wurde, sie wird vielmehr dort gefunden, weil sie mit der Wahrheit und der Natur übereinstimmt. Hier folgen nicht wir dem Autor. Vielmehr bewegen wir uns, gemeinsam mit dem Autor, auf demselben sicheren und mittleren Weg.

|| 51 Vgl. Burke 1790c: 134 (WS VIII: 110): „Staaten sind Kunststücke menschlicher Weisheit, um menschlichen Bedürfnissen abzuhelfen.“

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Die in seinem Buch entfaltete Theorie bietet keine Grundsätze für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, sondern veranschaulicht die Grundsätze einer Verfassung, die bereits vorhanden ist. Es ist eine Theorie, die ihre Lehre aus dem Faktum unseres Staatswesens zieht. Wer sie ablehnt, muss zeigen, dass seine Theorie gegen dieses Faktum spricht; sonst hadert man nicht mit seinem Buch, sondern mit der Verfassung des eigenen Landes. Die ganze Systematik unserer Mischverfassung zielt darauf zu verhindern, dass irgendeiner ihrer Grundsätze so weit getrieben werden könnte, wie er für sich genommen theoretisch reichen würde. Wenn man hierin den wahren Zweck des britischen Systems erkennt, dann werden die meisten Mängel, die man diesem System anlastet, nicht als Unzulänglichkeiten erscheinen, die es ungewollt ausgebildet, sondern als Vorzüge, die es gezielt angestrebt hat. Um zu vermeiden, dass sich die Extreme vollständig entfalten, sind seine verschiedenen Bestandteile sämtlich so beschaffen, dass sie nicht nur ihre je eigenen Zwecke erfüllen, sondern auch jeweils die anderen Bestandteile begrenzen und kontrollieren, sodass man von jedem beliebigen ihrer Grundsätze feststellen kann, dass er an einem bestimmten Punkt in Schach gehalten und außer Kraft gesetzt wird.52 Eher erlischt die gesamte Bewegung, als dass irgendein Teil über seine Grenze hinausgehen dürfte. Daraus folgt, dass in der britischen Verfassung ständig Übereinkommen und Kompromisse geschlossen werden, manchmal offen, manchmal eher verdeckt. Wer die britische Verfassung betrachtet, dem wird es immer so gehen wie dem, der die untergeordnete materielle Welt betrachtet: Er wird stets sorgfältigster Untersuchungen bedürfen, um das Geheimnis dieser wechselseitigen Beschränkung zu ergründen. […]53 Sie ist nicht eitle Beute schneller Jagd, Sondern Frucht der Reife, die sich klug vertagt.54

Die britische Verfassung ist das Ergebnis der Gedanken vieler Köpfe aus vielen Jahrhunderten. Sie ist keine einfache, oberflächliche Angelegenheit, und sie erschließt sich auch nicht bei oberflächlicher Betrachtung. Ein Unkundiger, der nicht so töricht wäre, sich an seiner Uhr zu schaffen zu machen, traut sich jedoch zu, eine moralische || 52 Vgl. Burke 1790c: 238 (WS VIII: 173): „Haben sie nie von einem Staat gehört, wo ein Monarch nach Gesetzen regiert, wo die große Masse des erblichen Reichtums und der erblichen Würden in einem National-Senat vereinigt, dem Monarchen und eine vernünftige wohl-abgemeßne Einwirkung des Volks durch ein schickliches und dauerndes Organ, ihnen beiden das Gleichgewicht hält?“ 53 Die Umstellung, die dazu führte, dass die nun folgenden Abschnitte den Abschluss des Appeal bilden, geht auf einen Vorschlag von French Laurence (1757-1809) zurück, des engen Mitarbeiters und späteren Verwalters von Burkes literarischem Nachlass. Am 8. August 1791 schrieb Laurence nach der Veröffentlichung des Appeal an Burke, er solle die Passagen mit Montesquieus Zeugnis zugunsten der englischen Verfassung und den politischen Lektionen, die daraus zu ziehen seien, ans Ende seines Werkes setzen, denn „they would in my opinion leave an impression ten fold deep in the mind of the readers“ (unveröff. Brief, zit. nach WS VIII: 472, Anm. 1). 54 „‘Tis not the hasty product of a day, / But the well-ripened fruit of wise delay.“ (John Dryden: Astraea Redux. A Poem on the Restoration of Charles the Second (1660), V. 169 f.).

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Maschine von ganz anderer Art, Bedeutung und Komplexität nach Belieben in all ihre Einzelteile zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen, eine Maschine, die aus ganz anderen Rädern und Federn und Gegengewichten, aus gegenläufigen und zusammenwirkenden Kräften besteht. Die Menschen bedenken nicht, wie unmoralisch sie handeln, wenn sie unbedacht an etwas herumpfuschen, was sie nicht verstehen. Ihre vermeintlich gute Absicht entschuldigt nicht ihre Anmaßung. Wer es wirklich gut meint, muss sich davor fürchten, schlecht zu handeln. Einem klugen und nachdenklichen Kopf kann man die Vorzüge der britischen Verfassung aufzeigen, ihre Vorzüglichkeit ist aber von zu hohem Rang, um für gewöhnliche Köpfe fassbar zu sein. Zu viele Aspekte sind in sie eingeflossen, in zu vielen Kombinationen werden sie präsentiert, als dass diese Verfassung bei seichter und oberflächlicher Betrachtung auch nur annähernd verständlich wäre. Tiefschürfende Denker werden ihre Vernunft und ihren Geist erkennen. Die weniger Wissbegierigen werden sie mittels ihrer Gefühle und Erfahrung anerkennen. Sie werden Gott dafür danken, dass sie einen Maßstab besitzen, der sie bei der wesentlichen Frage dieser wichtigen Angelegenheit auf eine Stufe mit den Weisesten und Kenntnisreichsten stellt. Wenn wir die früheren Untersuchungen von Männern, die als vernünftig und gebildet gelten, nicht zurate ziehen, werden wir immer Anfänger bleiben. Irgendwo aber müssen Menschen lernen, und die neuen Lehrer bedeuten nicht mehr als das, was sie bewirken, sofern sie erfolgreich sind – sofern es ihnen nämlich gelingt, die Menschen um den Nutzen der gesammelten Weisheit der Menschheit zu bringen und sie zu blinden Jüngern ihrer eigenen besonderen Anmaßung zu machen. […] Vernünftige und erfahrene Menschen wissen und wussten schon immer zur Genüge, wie man zwischen wahrer und falscher Freiheit oder zwischen echter Wahrheitsliebe und einem falschen Anspruch auf Wahrheit unterscheidet. Niemand aber, der nicht umfassend gelehrt ist, kann die raffinierte Beschaffenheit eines Stoffes ermessen, der darauf zugeschnitten ist, die private und die öffentliche Freiheit nicht nur mit der öffentlichen Macht zu vereinbaren, sondern auch mit Ordnung, mit Frieden, mit Gerechtigkeit und vor allem mit den Institutionen, die geschaffen wurden, um diesem unschätzbaren Ganzen über die Jahrhunderte Beständigkeit und Stabilität zu verleihen. Führen wir uns etwa einen Mann wie Montesquieu vor Augen. Denken wir an ein Genie, wie es nicht in jedem Land und zu jeder Zeit geboren wird: an einen Mann, den die Natur mit einem durchdringenden Adlerauge ausgestattet hat, mit einem Urteilsvermögen, das auf der umfassendsten Gelehrsamkeit beruht, mit einer herkulischen Festigkeit des Geistes und mit Nerven, die keine Schwerstarbeit zerreißt – einen Mann, der zwanzig Jahre ein und derselben Sache nachgehen konnte.55 Denken wir an einen Mann, der es, wie der Menschheitspatriarch bei Milton (der in einer prophetischen Vision die ganze Folge der Generationen vor sich sah, die seinen Lenden entspringen || 55 „Im Laufe von zwanzig Jahren sah ich mein Werk beginnen, wachsen, fortschreiten und sich vollenden.“ (Montesquieu 1748: 8).

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sollte),56 vermochte, alle Regierungsformen, welche die Menschheit je gesehen hatte – nachdem er sie aus Ost und West, Nord und Süd, von der gröbsten Barbarei bis zur verfeinertsten und raffiniertesten Zivilisation zusammengetragen hatte –, Revue passieren zu lassen, sie alle abwägend, abschätzend, ordnend und vergleichend, wobei er Tatsachen und Theorie verband und angesichts dieser gewaltigen Zusammenstellung all die Spekulationen zurate zog, die den Verstand tiefgründiger Denker zu allen erdenklichen Zeiten ermüdet hatten. Bedenken wir weiter, dass all dies nur vorbereitende Schritte waren, um einen Mann, und zwar einen solchen Mann, der von keinem nationalen Vorurteil, von keiner Vorliebe für sein Land erfüllt war, in die Lage zu versetzen, die Verfassung Englands zu bewundern und der Menschheit zur Bewunderung zu empfehlen.57 Und wir Engländer sollen einem solchen Beispiel nicht folgen? Sollen wir, wenn noch so viel mehr zu verstehen und zu bewundern bleibt, als er hervorhob, die Schule der echten Wissenschaft fliehen und uns Menschen zu Lehrern wählen, die keiner Belehrung fähig sind – deren einziger Anspruch auf Wissen darin besteht, dass sie nie Zweifel hegten; von denen wir nichts lernen können als ihre eigene Unbelehrbarkeit; die uns zu verachten lehren würden, was wir still im Herzen verehren sollten? Von ihnen unterscheiden sich alle großen Kritiker. Sie haben uns eine grundlegende Regel gelehrt. Ich meine, der ausgezeichnete philosophische Künstler Sir Joshua Reynolds,58 ein wahrer Kenner und vollendeter Schüler der Natur, hat diese Regel – oder eine ihr ähnliche – irgendwo auf seine eigene Profession angewandt. Sie besagt: Wenn uns jemals der Sinn dafür gebricht, jene Autoren und Künstler – Livius und Vergil zum Beispiel oder Raphael und Michelangelo – zu bewundern, die von allen Gebildeten bewundert wurden, dann sollten wir nicht unseren Launen nachgeben, sondern sie so lange studieren, bis wir wissen, wie und was wir bewundern sollen. Und wenn uns diese Kombination von Bewunderung und Wissen nicht gelingt, sollten wir eher uns selbst für Banausen halten als den Rest der Welt für leichtgläubig. Diese Regel gilt mindestens ebenso gut für unsere hochgeschätzte Verfassung. Wir sollten sie verstehen, soweit es uns zu Gebote steht, und das an ihr verehren, was wir gegenwärtig noch nicht zu begreifen vermögen. Solche Verehrer waren unsere Väter, denen wir dieses großartige Erbe verdanken. Lasst es uns voller Eifer, aber auch voller Scheu verbessern. Lasst uns unseren Vorfahren folgen, Männern nicht ohne ein vernünftiges, doch ohne ein ausschließliches Vertrauen || 56 Vgl. John Milton, Paradise Lost, Buch XI, V. 423 ff. 57 Vgl. das berühmte 6. Kapitel zur englischen Verfassung in Buch XI von Montesquieus De l’esprit des loix; diesem stellt er jedoch ein weniger beachtetes Kapitel zur Seite, in dem er deren Wirkungen deutlich skeptischer einschätzt; vgl. Buch XIX, Kap. 26. 58 Vgl. etwa Reynolds 1842: 139: „Men’s minds must be prepared to receive what is new to them. Reformation is a work of time.“ – Sir Joshua Reynolds (1723-1792) war einer der wichtigsten Maler Englands im 18. Jahrhundert und wurde 1768 erster Präsident der neugegründeten „Royal Academy of Arts“. Burke und Reynolds verband eine lebenslange Freundschaft. Zwischen 1789 und 1790 trafen sie sich regelmäßig und diskutierten Burkes Entwürfe zu den Reflections.

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in sich selbst, die, indem sie die Vernunft anderer respektierten und ebenso zurück wie nach vorne blickten, diese Verfassung mit der Bescheidenheit wie der Kraft ihres Geistes unmerklich immer weiter perfektionierten, ohne jeweils von ihren Grundprinzipien abzuweichen oder irgendeinen Zusatz einzuführen, der nicht in den Gesetzen, der Verfassung und den Gepflogenheiten des Königsreichs verwurzelt war. Mögen jene, die politische oder natürliche Autorität genießen, angesichts der zum Äußersten entschlossenen Anschläge der Neuerung stets wachsam bleiben, ja, möge sogar ihr Wohlwollen gerüstet und gewappnet sein. […] Die Whigs von heute haben mit vorliegende Appellation die Ahnen ihrer Verfassung vor sich; und sie haben die Doctores der modernen Schule. Sie werden sich entscheiden müssen. Der Autor der Betrachtungen hat sich entschieden. Wenn eine neue Ordnung kommt und alle politischen Meinungen, die unsere Vorfahren als Offenbarungen verehrten, als bloße Träume verwehen müssen, dann sage ich an seiner statt, dass er eher der letzte (so sicher wie der geringste) jenes Menschenschlags sein will als der erste und größte von denen, die sich mit einem französischen Prägestempel Whig-Prinzipien münzen, welche dem Stempel, mit dem unsere Väter die Verfassung prägten, gänzlich fremd sind.

Teil 5: Politik und Ökonomie bei Edmund Burke

 

5 Politik und Ökonomie bei Edmund Burke 5.1 Einleitung Olaf Asbach

„All men have equal rights; but not to equal things.“ (Edmund Burke)

5.1.1 Das Rätsel der Rolle der politischen Ökonomie in Burkes politischem Denken Die Frage der politischen Ökonomie spielt in der Forschung zum politischen und sozialphilosophischen Denken von Edmund Burke keine bedeutende Rolle. Dies muss erstaunen, dachte und handelte er als politischer Autor, als Whig-Politiker und als Mitglied des englischen Parlaments doch in einer Zeit, in der Fragen von marktorientierter Produktion und Handel in ihrer Bedeutung für Staat, Gesellschaft und internationale Beziehungen ins Zentrum politischer wie theoretischer Debatten rückten. Burke war Zeitgenosse des Aufstiegs Großbritanniens zur führenden Handels- und Wirtschaftsmacht und der damit verbundenen tiefgreifenden Veränderungen in den Eigentumsbeziehungen und Sozialstrukturen, Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die Whig-Partei, für die er seit 1766 im Unterhaus saß, hatte diese Entwicklung und Ausrichtung von Staat und Politik jahrzehntelang wesentlich befördert und die Interessen der Eliten an der Ausbreitung marktwirtschaftlicher Beziehungen, der Entfaltung des Binnen- und Außenhandels und der Bedingungen der produktiven Nutzung und Steigerung von Privateigentum und Kapital vertreten. Dabei bewegte sich Burke als „principal advisor, spokesman and pamphleteer of the Rockingham Whigs“ (Hampsher-Monk 1987: 3) im Zentrum der Macht des britischen Empire und war mit allen politischen und ökonomischen Entwicklungen, Debatten und Konflikten der Zeit befasst. 1796 wies er, seine Verdienste um die englische Politik betonend, auf seine Leistungen „im Fache der politischen Oekonomie“ hin: vom ersten Jahr im Parlament an sei er genötigt gewesen, „die gesammten Handels- Finanz- Constitutions- und auswärtigen Verhältnisse Großbrittanniens und seiner Besitzungen zu untersuchen“ (Burke 1796: 40 u. 41; vgl. Lock 1998: 234 ff). Tatsächlich befasste Burke sich zeitlebens mit Fragen von Wirtschaft, Handel und Finanzen. Reflexionen über Grundlagen und Mechanismen der ökonomischen Entwicklungen und Umbrüche im Übergang zur commercial society sowie über ihre Bedeutung für Staat und Gesellschaft durchziehen und prägen alle Themenbereiche, die die in diesem Band versammelten Beiträge behandeln. Denn ganz gleich, ob er sich mit der englischen Verfassungs- und Gesellschaftsordnung, der Frage der Rechte

https://doi.org/10.1515/9783050087771-006

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der amerikanischen und irischen Kolonien, des Empire oder der Französischen Revolution und den mit ihr verbundenen Bewegungen in England befasste: Sein Denken und Handeln beruhte stets auf der Überzeugung, dass, wie er 1774 schrieb, „our prosperity and dignity arose principally, if not solely, from two sources; our constitution and commerce“ (WS III: 59). Es stellt sich also weniger die Frage, ob für Burke die ökonomischen Verhältnisse und Probleme seiner Zeit für sein politisches, verfassungsrechtliches und sozialphilosophisches Denken von systematischer Bedeutung sind, sondern in welcher Weise dies der Fall ist. Handelt es sich dabei um angesichts je konkreter Anlässe ad hoc entwickelte Aussagen und Positionen, die man in Darstellungen seines Denkens allenfalls beiläufig referieren muss? Oder kommt ihnen eine grundsätzliche Bedeutung für Burkes Denken zu, so dass man seine Sicht auf Staat, Gesellschaft und Geschichte gar nicht angemessen erfassen kann, wenn man seine ökonomischen Positionen nicht mit einbezieht? – Burke selbst jedenfalls hielt seine Kenntnisse, Einsichten und Bedeutung auf diesem Feld für beachtlich. Selbstbewusst erklärte er, seine Stellungnahmen zu diesem Thema wurzelten in einem tiefgreifenden Verständnis der politisch-ökonomischen Entwicklungen seiner Zeit, das er – gleichsam als einer ihrer Pioniere – durch seine Studien zur neu entstehenden politischen Ökonomie erworben habe: Hätte ich sie nicht für wichtig gehalten, so würde ich nicht politische Oekonomie zu allen Zeiten, und schon zu einer Zeit, wo diese Wissenschaft in England noch in ihrer Kindheit lag, in andern Europäischen Ländern fast gänzlich unbekannt war, als eins meiner angelegentlichsten Studien getrieben haben. Große und erfahrne Männer schienen überzeugt zu seyn, daß meine Bemühungen in diesem Felde nicht ganz fruchtlos gewesen waren, und würdigten mich zuweilen[,] mit mir über die Gegenstände ihrer unsterblichen Werke zu Rathe zu gehen. Das Parlament hat die Früchte dieser Bemühungen während acht und zwanzig Jahren bey mehr als einer Gelegenheit eingeerndtet. (Burke 1796: 42 f. [WS IX: 159])

Ganz unbeachtet sind Burkes Überlegungen zur Bedeutung der Ökonomie für Politik und Gesellschaft denn auch nicht geblieben. In der Mitte des 20. Jahrhunderts begann man, seinem Verhältnis zu Adam Smith und der mit diesem verbundenen politischen Ökonomie nachzugehen (Dunn 1941). Denn meint man nicht, Smiths Credo von der Freiheit des Marktes und seiner Gesetze zu hören, wenn Burke 1780 proklamiert, dass „commerce […] flourishes most when it is left to itself. Interest, the great guide of commerce, is not a blind one. It is very well able to find its own way; and its necessities are its best laws“ (WS III: 535)? Insbesondere die Thoughts and Details on Scarcity, der einzige, explizit grundlegende Fragen ökonomischer Mechanismen diskutierende Text, der von Burke vorliegt, gab Anlass zu solchen Vermutungen. Burke und Smith verfolgten nicht nur früh bereits das Wirken des jeweils anderen, sie standen auch über Jahrzehnte hinweg in persönlichem Kontakt. Hergestellt hatte ihn David Hume, der 1759 Smith gegenüber erklärte, er sei „very well acquainted with Bourke“ und habe diesem ein Exemplar der gerade erschienenen Theory of Moral Sentiments übersandt (Hume an Smith, 28.7.1759, in: Smith 1987: 42). Burke

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verfasste daraufhin nicht nur eine positive Besprechung des Werkes, sondern hob Smith gegenüber auch in einem Brief die „solidity and Truth“ des Werkes und besonders Smiths empirisch-induktive Methode hervor, „the fittest to explain those natural movements of the mind with which every Science relating to our Nature ought to begin“.1 In den folgenden Jahrzehnten pflegten beide offenbar einen kontinuierlichen Austausch – einer von Smiths Biographen sprach gar von einer „cordial personal friendship“ (Rae 1895: 158) –, der neben moral- und sozialphilosophischen Fragen auch solche der Politik und Ökonomie umfasste.2 Wenn Burke also 1796 in der oben zitierten Passage mit Blick auf seine ökonomischen Kenntnisse und Verdienste auf die ‚great and learned men‘ hinweist, die seine ökonomischen Kenntnisse geschätzt und mit ihm ihre „unsterblichen Werke“ beraten hätten, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er hiermit vor allem auf Smith und dessen inzwischen europaweit zum zentralen Bezugspunkt der Debatten um die neue Wissenschaft von der politischen Ökonomie gewordenes Werk Of the Wealth of Nations hinwies. Umstritten ist jedoch, wie das Verhältnis von Burke und Smith im Hinblick auf die Herausbildung ihrer ökonomischen Theorien zu bewerten ist. Lange Zeit galt als ausgemacht, Burke als „one of the earliest and most articulate disciples“ von Smith anzusehen (Kramnick 1977a: 158; vgl. Halévy 1928: 230). Diese Sichtweise lag nahe, da Smiths Hauptwerk 1776 publiziert wurde, während Burkes Thoughts on scarcity erst knapp zwanzig Jahre später entstanden. Übersehen wird dabei jedoch, dass sich alle zentralen ökonomischen Aussagen und politischen Folgerungen, die Burkes Schrift von 1795 prägen, schon in seinen Schriften und Reden aus den Jahrzehnten finden, die dem Erscheinen von Smiths Werk vorausgegangen sind (vgl. Lennox 1923: 209 f.). Deshalb haben andere Interpreten Burke nicht als Schüler, sondern als einen Autor angesehen, der Smiths ökonomisches Werk (zumindest auch) beeinflusst hat. So schrieb French Laurence, Burkes Mitarbeiter, Nachlassverwalter und Herausgeber der Thoughts on scarcity, dass Burke „was also consulted, and the greatest deference was paid to his opinions by Dr. Adam Smith, in the progress of the celebrated work on the Wealth of Nations“.3 In der Tat finden sich Hinweise darauf, dass Smith auf Einwände Burkes hin Änderungen im Wealth of Nations vornahm (vgl. Viner 1965: 25 ff.), ohne dass dies doch darauf schließen ließe, dass Burkes Einfluss für das Werk von substanzieller Bedeutung gewesen wäre. || 1 Edmund Burke an Adam Smith, 10. September 1759, Corr. I: 130; Burkes Rezension erschien in dem von ihm herausgegebenen Annual Register of the year 1759 (London 1760, S. 488-489). 2 Von ihrer Korrespondenz sind nur wenige Briefe erhalten. Am besten dokumentiert ist eine Begegnung im April 1784, als Burke auf einer Reise nach Schottland über mehrere Tage hinweg mit Smith zusammentraf; vgl. Rae 1895: 387-396; Lock 1998: 536-538. Wahrscheinlich gab es immer wieder auch Begegnungen in London; vgl. McGee 1992: 162. 3 Preface in: Burke 1800: vi; zu Laurences Verantwortung für die Edition vgl. Barrington 1954: 257. – Auch der englische Schriftsteller William Wordsworth habe 1820 bewundernd von Burkes umfassender Bildung gesprochen, „by far the greatest man of his age“, unter anderem „assisting Adam Smith in his ‚Political Economy‘“ (Moore 1853: 162); Barrington 1954: 257 hält diese Aussage für glaubwürdig.

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In der Forschung hat sich weitgehend die Auffassung durchgesetzt, dass Burke und Smith unabhängig voneinander und auf eigenständige Weise zu ihren marktliberalen Überzeugungen gelangt sind (vgl. z. B. Barrington 1954: 256; Winch 1996: 202). Dies würde bestätigen, was Smith einer vielzitierten Passage einer zeitgenössischen Biographie zufolge zu Burke gesagt haben soll: „he [Burke] was the only man, who, without communication, thought on these topics exactly as he did“ (Bisset 1800: II. 429). Diese Übereinstimmung zwischen Burke und Smith bestand vielen Interpreten zufolge darin, dass beide eine vom laissez-faire-Denken geprägte Konzeption ökonomischer Theorie und Praxis vertraten. Demnach seien Smith und Burke die ersten, die „a lasting attack on the mercantilist view“ führten (McGee 1992: 167), wie sie im 19. und im 20. Jahrhundert dann unter anderem bei Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek seine Fortsetzung fand. Wie Smith sei Burke aufgrund seiner „predilection for competitive market economy“ ein „Free Trader“ und ein „liberal Practioner of Political Economy“ gewesen (Macpherson 1980: 52; Barrington 1954: 258; Petrella 1963/64). „Most scholars“, so fassten Gandy und Stanlis den Diskussionsstand der 1980er Jahre zusammen, „have identified his economic theory as similar to or identical with that of Adam Smith in Wealth of Nations, a free market, laissez-faire system of free trade and natural liberty in economic enterprise“ (Gandy/Stanlis 1983: 213). Diese Rekonstruktion von Burkes politisch-ökonomischem Denken führte zugleich jedoch zu einer Vielzahl neuer Diskussionen. Sie kreisen zum einen um das sogenannte ‚Burke-Problem‘, das die Frage nach der Konsistenz seines politischen und sozialphilosophischen Denkens betraf, zum anderen um das ‚Burke-Smith-Problem‘ (Winch 1985), d. h. um die Frage, ob nicht Burke und Smith gleichermaßen fehl- oder zumindest verkürzt interpretiert werden, wenn sie in gleicher Weise als Vertreter eines laissez-faire-Denkens verstanden werden. Als ‚Burke-Problem‘ wird das Spannungsfeld zwischen Konstruktionen eines ‚liberalen‘ und eines ‚konservativen Burke‘ bezeichnet (vgl. Kramnick 1977a: 3 ff. sowie oben, S. 257 ff. u. 279 ff.). Für eine Reihe von Interpreten erscheint Burke als „defender of traditional, inherited social order of subordination of ranks“ (Macpherson 1980: 61), als konservativer Apologet einer hierarchisch strukturierten Gesellschaftsordnung, der die egalisierenden Tendenzen einer vom Kommerz beherrschten Gesellschaft ablehnt (vgl. etwa Cobban 1929, Kap. 7). In ökonomischer Hinsicht ist Burke damit gleichsam ein „romantischer“ Antiliberaler, der sich gegen die commercial society richte, „die Idee einer patriarchalisch umhegten, konservativ-feudalen Gesellschaft“ vertrete und sich dabei an vorkapitalistischen Tugenden von Aristokratie und Ritterlichkeit orientiere (Müller-Armack 1944: 10 f.). Von hier aus gesehen muss ein Text wie die Thoughts on scarcity wie eine Verirrung – „an aberration“ (Preece 1980: 273) – wirken, wenn dort der Primat der Gesetze des Marktes gegenüber allen anderen politisch-sozialen Prinzipien behauptet wird und Burke als „friend of the commercial interest“ und „advocate of self-regulating market economy“ aufzutreten scheint (Macpherson 1980: 3).

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Interpreten, die diese Problematik zum Thema machen und zu klären versuchen, sind in ihren Antworten gespalten. Ist dies einfach Folge des Umstands, dass Burke primär ein praktisch-politisch orientierter Denker ist, der gar kein Problem darin sieht, je nach Lage der Dinge für protektionistische Maßnahmen oder für Freihandel einzutreten, prinzipienbasierte Argumente oder praktische Klugheitsgründe anzuführen (vgl. Conniff 1987: 493, 510 u. ö.)? Oder liegt hier eine Inkonsistenz vor und beruhen „his economic and political ideas on entirely opposed principles“ (Shklar 1957: 225)? In diesem Falle stünden Burkes liberale „bourgeois economics“ und seine konservativen bzw. „aristocratic principles“ unverbunden nebeneinander (Kramnick 1977a: 165). In der Forschung wurde eine Reihe von Versuchen unternommen, die Annahme solcher Inkonsistenzen in Burkes politischem und ökonomischem Denken zu erklären bzw. zu vermitteln. Der meistdiskutierte Erklärungsansatz ist der von Macpherson und anderen unternommene Versuch, sie aus der spezifischen historischen Konstellation Englands heraus zu erklären. Während es sich an der Oberfläche noch um eine „traditional English hierarchic society“ handele, sei sie aufgrund des sich seit dem 17. Jahrhundert formierenden Agrar-, Handels- und Finanzbürgertums im Kern bereits tatsächlich eine „capitalist market economy“ – Burkes (konservative) Verteidigung der traditionalen ständischen Gesellschaftsordnung wäre damit zugleich eine Apologie der neu entstehenden (liberalen) kapitalistischen Marktgesellschaft.4 Das ‚Burke-Smith-Problem‘ steigert die Vielfalt der Positionen in Bezug auf das Burke-Problem noch einmal. Dabei wird das lange Zeit vorherrschende Bild eines konservativen, der commercial society gegenüber kritisch eingestellten Burke und eines auf das freie Spiel der Märkte setzenden Smith in gewisser Weise umgekehrt. Demnach sei Smith gar kein Vertreter eines rigiden laissez-faire-Denkens, der die Imperative der Marktgesetze allen politischen Interventionen im Namen anderer Normen und Ziele übergeordnet habe (vgl. Winch 1978; Herzog 2013: 17 ff.). Vielmehr sei für Smith wie für die Mehrheit der Aufklärungsdenker die politische Ökonomie „not an end in itself but a means to an end, that end being the wealth and well-being, moral and material, of the ‚people‘“ (Himmelfarb 1984: 63). Wenn Burke also in einem Text wie Thoughts on scarcity die unbedingte Freiheit von Handel und Preisen sowie die Gesetze des Marktes für sakrosankt erkläre und Interventionen des Staates auch dann ablehne, wenn die Marktgesetze zu Krisen und Elend führen, erscheine das Verhältnis von Burke und Smith nicht mehr als eines des ‚konservativen Burke‘ zu dem ‚liberalen Smith‘ oder als eines zweier miteinander übereinstimmender Vertreter eines laissez-faire-Denkens, sondern in einem wiederum neuen Licht. Burke erscheint dann als „Economist“ (Barrington 1954) im Sinne des liberalen, die ökonomische Sphäre als eigengesetzliche von der des Politischen abtrennenden Denkens – als „die-hard economic liberal“ (Whatmore 2012: 81).

|| 4 Vgl. Macpherson 1980 (Zitat hier S. 63); vgl. Kramnick 1977a: 164 ff.; Canavan 1995: 130; Muller 2002: 102; Robin 2018: 127 ff.; anders Miller 1982; Winch 1985.

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In der Geschichte der Politischen Ökonomie müsste Burke dann ganz neu verortet werden. Er wäre nicht mehr ein ‚romantischer‘ Antiliberaler oder Parteigänger Adam Smiths, sondern einer jener Autoren, die, wie Malthus oder Ricardo, daran gehen, das reformorientierte ökonomische Denken der Aufklärung in eine Wissenschaft von der Ökonomie zu verwandeln, die sich gegen politisch und sozial motivierte Interventionen in ökonomische Strukturen und Prozesse verwehrt.5 Aus dem konservativen Burke würde so gleichsam ein Stammvater des Neoliberalismus à la Hayek, der auf eine politisch-soziale Ordnung zielt, die eine rationale Bestimmung und Kontrolle ökonomischer Prozesse prinzipiell ausschließt (vgl. Hayek 1967; ders. 2003).6 Die bisherigen Debatten und Forschungen zeigen also, dass Burkes Thoughts on scarcity einen aufschlussreichen Zugang zu seinem politisch-ökonomischen Denken und dessen Rolle im Zusammenhang seines Werkes versprechen. Zugleich sind sie geeignet, die Frage seiner Position in der Entwicklung des politischen und ökonomischen Denkens im Übergang zum 19. Jahrhundert neu zu beleuchten. Denn er entwickelte diese in Auseinandersetzung mit den Problemlagen und Debatten der Zeit und griff dabei zugleich in wissenschaftliche, politische und ökonomische Diskurse ein, die für die weitere Entwicklung relevant wurden. Im Folgenden sollen zunächst diese Kontexte aufgewiesen werden, die zu Verständnis und Interpretation von Burkes Äußerungen zur politischen Ökonomie beitragen (5.1.2). Vor diesem Hintergrund können die Entstehung und die theoretischen wie praktischen Implikationen und Folgen seiner politisch-ökonomischen Interventionen in den Blick genommen werden (5.1.3 u. 5.1.4).

5.1.2 Die Entstehungshintergründe der Thoughts on scarcity a) Dimensionen der ökonomischen Krise in England 1795 Anlass der Abfassung der Thoughts on scarcity war die Frage nach den Gründen und dem Umgang mit der damals herrschenden Nahrungsmittelkrise. Nach einer Reihe schlechter Ernten hatte die Missernte 1795 die größte Versorgungskrise seit Jahrzehnten hervorgerufen. Die Weizenpreise stiegen von rund 50 Shilling pro Viertelzentner im August 1794 auf je nach Region 110 bis 180 Shilling im August 1795.7 Da Getreideprodukte für weite Teile der Bevölkerung das Hauptnahrungsmittel darstellten, führte dies zu einer Lebensmittelknappheit, die viele an den Rand des Hungertodes brachte.8 In den Jahrzehnten zuvor war Knappheit an Nahrungsmitteln meist nur noch || 5 Vgl. Cobban 1929: 196 f.; Pocock 1982; Himmelfarb 1984: 61; Rothschild 2001: 52 ff.; Magnusson 2004: 24 ff.; Stedman Jones 2004: 88f., 231 f.; Backhouse/Tribe 2014: 434 f.; Asbach 2018: 92 ff. 6 Dazu passt, dass sich bei Hayek ein dem Burke-Problem vergleichbares Spannungsfeld zwischen liberalen und konservativen Elementen findet; vgl. Raeder 1997; Feser 2003; Reichhold 2018. 7 Vgl. Wells 1988: 446, Abb. 1; Stern 1964: 168 ff. mit der Grafik auf S. 170. 8 Da mehr als zwei Drittel des Bedarfs aus Getreideprodukten bestand, hatte der Preisanstieg gravierende Folgen: „a massive sector of the population was unable, unaided, to command the most basic

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regional und zeitlich begrenzt gewesen und führte zumindest nicht mehr zu einem signifikanten Anstieg der Sterberate aufgrund von Unterernährung.9 Wenn sich nun aber Probleme von Hunger und Armut am Ende des 18. Jahrhunderts erneut krisenhaft zuspitzten, so war dies weniger der Effekt guter oder schlechter Ernten als das Resultat von langfristigen Transformationsprozessen innerhalb der Sozial- und Wirtschaftsstruktur Großbritanniens. Eine zentrale Triebkraft dieser Entwicklungen stellte die Kommerzialisierung der Landwirtschaft dar, die zunehmend auf die Maximierung von Gewinn auf Märkten ausgerichtet wurde (Deane 1998: 53). Der Anstieg der Nachfrage nach Agrarprodukten, der zunächst von den kontinental- und außereuropäischen Märkten und Kolonien ausging, seit den 1740er Jahren aufgrund des exponentiellen Wachstums der Bevölkerung sowie der sich beschleunigenden Urbanisierung dann zunehmend vom Binnenmarkt,10 führte zu einem beständig hohen Preisniveau. Die Grundbesitzer konnten ihre Grundrente durch möglichst effektive Formen von Produktion und Vermarktung steigern. Dies geschah weniger durch eine Agrarrevolution im Sinne einer Verbesserung der Anbaumethoden, des Einsatzes innovativer Techniken oder einer effizienteren Nutzung vorhandener Ressourcen11 als durch eine Transformation der Produktions-, Eigentums- und Sozialverhältnisse, die ‚landlord’s revolution‘, in der sich die seit der Glorious Revolution 1688 in Politik und Justiz dominierenden Vertreter der landed interests auf nationaler und lokaler Ebene durchsetzten (Allen 1992; Deane 1998: 38 ff.; Kopsidis 2006: 222 ff.; Mokyr 2009: 171 ff.). Grund und Boden wurden zunehmend zum Privateigentum der grundbesitzenden Schichten, gewohnheitsrechtliche Ansprüche und Rechtstitel der Landbevölkerung wurden aufgehoben. Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an wurden vom Parlament etwa 4000 Enclosure Acts bewilligt, davon allein 2000 in den 1790er Jahren. Vormals freies Feld, gemeinsam genutztes Land und kleinbäuerliche Höfe wurden zu großen Grundherrschaften || of subsistence levels; wretched faces became a reality […]. The famine caused serious malnutrition, disease, and ultimately demographic distortions with increased death rates, decreased birth rates, and delayed marriages.“ (Wells 1988: 252; vgl. ebd.: 13 ff., 35 ff.; Stern 1964; Thompson 1980: 71). 9 Ob England im 18. Jahrhundert „effectively famine-free“ (Campbell/Ó Gráda 2011: 878) oder von regelmäßigen Hungerkrisen durchzogen war (Wells 1988: 13-38), hängt wesentlich vom Verständnis ab, ab wann man von einer Hungersnot sprechen kann. In seiner großen Bestandsaufnahme über The State of the Poor konstatierte Frederick Eden 1797, dass „the labouring classes of the community […] have, during the last two years, been subjected to great distress, from a rise, unexampled within the present century, in the price of the necessaries of life“ (Eden 1797: I. 574). 10 Um 1750 wurde noch ein Viertel der Getreideproduktion ins Ausland exportiert, bevor England dann vom Ex- zum Importeur wurde; vgl. Daunton 1995: 44, Abb. 4.2. Die Bevölkerung Englands wuchs von 5 Mio. im Jahre 1701 über 5,8 Mio. um 1750 auf 8,7 Mio. im Jahre 1801, wobei die jährliche Wachstumsrate von 0,3 Prozent 1746 auf 1,1 Prozent 1801 anstieg; vgl. Wrigley/Schofield 1981: 208 f., Tab. 7.8. 11 Ein führender Propagandist dieser Sichtweise war Arthur Young (vgl. unten, S. 351, Anm. 1), der die Fortschritte damit erklärte, dass „the practice of agriculture“ nicht mehr als „a mere means of subsistence“ betrieben werde, sondern „as a trade“, denn: „The former is of no benefit to the modern state, the latter of infinite importance.“ (Young 1774: 48).

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zusammengeführt und gingen in die Verfügungsgewalt der Grundherren über.12 Diese verpachteten das Land nicht mehr in langfristigen Erbpachten, sondern nur noch mit kurzen Laufzeiten an kapitalistisch produzierende Farmer, die es unter verstärktem Einsatz von Lohnarbeitern bearbeiteten, möglichst hohe Profite erwirtschafteten und die Bodenrente überproportional steigen ließen (Daunton 1995: 52 ff.). Die Folgen dieser Entwicklungen waren ambivalent. Erstmals wurde es möglich, die Produktivität nachhaltig zu steigern und „die Nahrungsmittelbedürfnisse einer schnell wachsenden und verstädternden Bevölkerung mit einem ständig sinkenden Anteil an der Gesamtzahl von Arbeitskräften (fast) vollständig zu erfüllen“ (Deane 1998: 54). Zugleich erzeugte die Einbeziehung der Landwirtschaft in den kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess neue Ungleichheiten und strukturelle Spannungen. Unter der Oberfläche einer weitgehend unveränderten traditionalen Rechts- und Sozialstruktur vollzog sich der Übergang zu einer kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsform. Die zentrale Bedeutung des Grundeigentums für die politischen und sozialen Positionen blieb zwar erhalten, doch jetzt in neuer Weise auf der Grundlage seines Funktionierens als Kapital; auf diese Weise wurde „der Adel […] integraler Bestandteil der bürgerlichen Erwerbsgesellschaft“.13 Hauptprofiteur dieser Entwicklung war vor allem die kleine, kaum zwei Prozent der Bevölkerung umfassende Schicht von Grundherren und Großbauern, d. h. Aristokratie und Gentry (Hilton 2006: 9). Der überwiegende Teil der Landbevölkerung hingegen wurde zu lohnabhängig Beschäftigten, die je nach Konjunktur, Jahreszeit und Arbeitsbedarf eingestellt oder entlassen werden konnten. Der durch Einhegung und Privatisierung von offenem und Gemeindeland bewirkte Verlust von Anbau-, Weide- und sonstigen Nutzungsrechten schloss aus, sich wie in der Vergangenheit durch eigene Subsistenzproduktion über Zeiten des Mangels an Arbeit und Einkommen hinwegretten zu können (Hammond/Hammond 1920: 82). Die Mehrheit der Bevölkerung hing in einer neuartigen Weise existenziell von Arbeits- und Warenmärkten, vom Steigen und Fallen der Preise und Löhne ab. b) Krise, Unruhen und das Ende der „moral economy“ In der Krise von 1795/96 zeigten sich die Folgen und Widersprüche dieser neuen sozialen und ökonomischen Strukturen und Dynamiken in England. Große Teile der arbeitenden und armen Bevölkerung sahen ihr Überleben durch hohe Preise, nicht || 12 1700 waren 71 Prozent des Bodens eingehegt, 1800 etwa 84 Prozent; vgl. Burnette 2014: 92. Dieses durch das Parlament sanktionierte „means of capturing the property rights of tenants and transferring rents to landowners, who took a large part of the increase in agrarian income“ (Daunton 1995: 52) war auch für neoklassische Autoren wie Deirdre N. McCloskey eine Art von „Klassenraub“ (zit. n. Kopsidis 2006: 259); zur Welle der Enclosures in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Turner 1989; Langford 1989: 435 ff.; Daunton 1995: 106 ff.; Kopsidis 2006: 243 ff. u. 256 ff. 13 Haan/Niedhart 2002: 215 f.; es bildet sich so in der überkommenen Form einer „traditional order“ eine neue „capitalist order“ (Macpherson 1980: 5); vgl. hierzu auch Hobsbawm 1970: I. 27 ff. u. 98 ff.; Canavan 1995: 4 ff.; Muller 2002: 104; Hilton 2006: 2 ff.

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länger subsistenzsichernde Löhne und die Knappheit lebenswichtiger Nahrungsmittel, die sie auf Märkten erwerben mussten, unmittelbar gefährdet. Seit dem Frühjahr 1795 breiteten sich in fast allen Regionen Unruhen und Aufstände aus.14 Dabei richteten sich die Proteste weniger gegen die lokalen und nationalen Autoritäten als gegen die wirtschaftlichen Akteure, die man seit jeher schon für den rapiden Preisanstieg und die Verknappung des Nahrungsmittelangebots verantwortlich gemacht hatte. Müller, Bäcker oder Händler wurden verdächtigt, durch überhöhte Preise, Spekulation und künstliche Verknappung des Angebots aus der erntebedingten Krise Profit ziehen zu wollen.15 Neben der Durchsuchung von Getreidespeichern, Warenlagern und Geschäften sowie der Blockade von Straßen und Häfen zur Unterbindung des Abtransports von Korn war die taxation populaire eine besonders verbreitete Protestform. Bei dieser in der frühen Neuzeit auch auf dem Kontinent verbreiteten „Form der Festsetzung von oberen Preisgrenzen“ (Rudé 1977: 39) erzwangen die Aufständischen den Verkauf knapper Güter zu einem als ‚natürlich‘ oder ‚gerecht‘ angesehenen Preis, der meist demjenigen vor der Krise entsprach (Booth 1977: 92 ff.; Thompson 1987: 71 ff.; Wells 1988: 90 ff.). Diese Aufstände und Aktionsformen beruhten auf spezifischen Legitimationsvorstellungen über gesellschaftliche Rechte und Pflichten im Sinne einer „moral economy of the poor“: eine traditionell geteilte „Auffassung von sozialen Normen und Verpflichtungen und […] von den angemessenen wirtschaftlichen Funktionen mehrerer Glieder innerhalb des Gemeinwesens“ (Thompson 1980: 69 f.), die an den Bedürfnissen der Verbraucher orientiert war. Dieser Konsens wurde im 16. und 17. Jahrhundert von Volk und sozialen Eliten geteilt und schlug sich im Gefüge von Gesetzesrecht, Common Law und Gewohnheitsrecht nieder. So bildete etwa das zwischen 1580 und 1630 entstandene Book of Orders einen wichtigen Bezugspunkt des paternalistischen Modells der moralischen Ökonomie, indem es neben zahlreichen anderen sozial- und gesundheitspolitischen Maßnahmen auch die Verhältnisse auf Märkten und die Rechte und Pflichten der Produzenten und Händler regelte und strikter Kontrolle durch die lokalen Behörden unterwarf (Slack 1980). Es legte die Preise für Getreide und Brot fest, untersagte spekulatives Aufkaufen und Zurückhalten von Korn, regelte den Zugang zu Marktplätzen oder die vorrangige Versorgung der Armen, so dass „the ‚visible hand‘ of charity and morality tempered the ‚invisible hand‘ of supply and demand“.16 Wenn die Unruhen und Aufstände in England 1795 zu Eingriffen in Marktbeziehungen und das Eigentum von Agrarproduzenten und Kaufleuten führten, geschah dies also nicht wegen des Aufgreifens von neuen, gar ‚revolutionären‘ Ideen, sondern || 14 Vgl. Booth 1977; Wells 1988: 90 ff.; Charlesworth 1994; Ehrman 1983: 450 ff.; Bohstedt 1983 u. ders. 2010, dort S. 175 eine Karte über die Food Riots 1795. 15 Zu den regionalen Adressaten der Riots vgl. Wells 1988: 420 f., 423, 425 f., 427 ff. u. 430-439. 16 Daunton 1995: 319; zu den Regulierungen vgl. Thompson 1980: 73 ff., 98 ff. u. 125 ff.; zur Geschichte der Gesetze gegen Händler Herbruck 1929.

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meist im Rückbezug auf die traditionelle Ordnung, in der die Eigentums- und Marktbeziehungen den Regeln der moral economy unterlagen. Angesichts des Krieges gegen das revolutionäre Frankreich und der auf Parlaments- und Verfassungsreformen drängenden Clubs und Gesellschaften (vgl. oben, S. 269 f., 274 ff.) nahmen die politischsozialen Führungsschichten die Aufstände jedoch zugleich auch als eine neuartige Bedrohung wahr und fürchteten ein Erstarken politischer und sozialer Bewegungen. Seit 1794 verstärkte die Regierung die Repressionen gegen die Reformbewegungen. Die Habeas Corpus-Akte wurde aufgehoben, prominente Regierungskritiker wie Thomas Paine, Thomas Hardy und John Thelwall wurden verfolgt und verhaftet. Im Dezember 1795 wurden der Treason und der Seditious Meetings Act erlassen, die die Verfolgung und Verhaftung von Oppositionellen ermöglichten (Emsley 1985; Hilton 2006: 65 ff.; Johnston 2013). Auch wenn also Vorwürfe der Regierungen gegen Kritiker und Reformer, sie zielten wie die ‚Jakobiner‘ auf die Beseitigung allen Eigentums, deren Zielsetzungen polemisch verzerrte, deutet diese Frontstellung doch auf die wachsende Einsicht hin, dass die politischen und gesellschaftlichen Widersprüche so tiefgreifend waren, dass die Einforderung auch ‚traditioneller‘ Rechte schnell in eine neuartige Problematisierung der Sozial- und Eigentumsverhältnisse und der sich vollziehenden Durchsetzung einer marktwirtschaftlichen Ordnung umschlagen konnte. Einflussreiche Intellektuelle wie Paine oder Thelwall argumentierten zwar wesentlich auf der Grundlage der liberalen Sozialphilosophie John Lockes, doch gerade dies konnte, wie dann auch Burke fürchtete, Einfallstor weitergehender Forderungen sein. Wenn Paine ein natürliches „Recht auf Selbsterhaltung“ behauptet, hinter dem die bürgerliche Institution eines Rechts auf Eigentum zurücktreten müsse, da es „nicht als Barmherzigkeit (charity), sondern als Recht zu betrachten“ sei, ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Begründung sozialer Anspruchs- und Teilhaberechte vom Niedergang bedrohter Kleineigentümer und der ständig wachsenden Zahl der besitzlosen Lohnarbeiter.17 c) Das Poor Law und die Schranken der traditionellen Ordnung In der Krise von 1795 kamen also soziale und ökonomische Problemlagen zum Tragen, die mit dem überkommenen Instrumentarium der moral economy nicht mehr bearbeitet werden konnten – und in den Augen der ökonomisch aufstrebenden Schichten auch nicht mehr sollten. Auf lokaler wie nationaler Ebene kam es zu vielfältigen Maßnahmen und Debatten, die darauf abzielten, die aktuelle Krise zu überwinden, die soziale Ordnung zu sichern und die Ausweitung und Radikalisierung des Protests zu verhindern. Dabei sollten sie jedoch der Dynamik der auf Freisetzung individuellen Gewinnstrebens beruhenden Produktion und Marktbeziehungen nicht zuwiderlaufen. || 17 Paine 1792: 292. Thelwall verfasste seine zentralen Schriften, die „Rights of Britons“ (1795) und die „Rights of Nature“ (1796), in Auseinandersetzung mit Edmund Burke; vgl. Thelwall 1795; ders. 1796. Zu Paine und Thelwall vgl. Lottes 1979: 284 ff., 307 ff., 311 ff. u. 327 ff.; Claeys 1989a; HampsherMonk 1991; McNally 2000: 428 ff.; Scrivener 2001; Mee 2016, v. a. Kap. 1, 2 u. 6.

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Eine zentrale Rolle bei der Organisation der sozialen und ökonomischen Verhältnisse und der Bearbeitung ihrer Probleme und Krisen spielte im England der Frühen Neuzeit das auf lokaler Ebene verwaltete System des Armenwesens, das 1598/1601 mit dem Act for the Relief of the Poor gesetzlich eingerichtet worden war. Die bis dahin durch Kirche, religiöse Stiftungen oder private Testamente getragene Armenfürsorge wurde von nun an zum Zentrum staatlicher Arbeits- und Armenpolitik (Himmelfarb 1984: 3 f.). In den Gemeinden wurden unter der Ägide von Friedensrichtern Verwaltungen errichtet, die mittels Erhebung einer Steuer auf Grundbesitz, der Poor Rate, nicht arbeitsfähige Arme, Alte und Kranke versorgte und arbeitsfähige Erwachsene und Kinder in Arbeitshäuser einwies oder in Arbeits- und Lehrverhältnisse vermittelte.18 Zusammen mit dem Statute of artifices von 1563, das den Friedensrichtern die Regulierung von Arbeitsverhältnissen und Löhnen übertrug, und dem Settlement Act von 1662, der die Mobilität von Handwerkern, Gesellen und Tagelöhnern regulierte, verfügten die landbesitzenden Schichten damit über ein institutionelles und rechtliches System zur Regulierung von Sozial- und Arbeitsbeziehungen (Taylor 1976; Polanyi 1978: 124 ff.; Bohlender 2007: 75 ff.; Sokoll 2008b). Dieses System bildete den außerordentlich flexiblen Rahmen (Wells 1988: 289; Shave 2017: 4 ff.), innerhalb dessen die sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Übergang zu einer ganz neuen, auf Privateigentum, freier Lohnarbeit und kapitalistischer Marktwirtschaft basierenden Sozial- und Wirtschaftsordnung bewältigt werden konnten. Es sicherte das Überleben einer wachsenden, „immer ausgeprägteren saisonalen Schwankungen unterliegenden […] Lohnarbeiterschaft […], deren traditionelle Einkommensmöglichkeiten […] zunehmend weggebrochen waren“ (Kopsidis 2006: 272; vgl. Solar 1995; Song 1998). Das Poor Law war somit für die Aufrechterhaltung von Stabilität und Akzeptanz der politischen und sozialen Ordnung von ebenso zentraler Bedeutung wie für die Durchsetzung einer flächendeckenden Sozialkontrolle und Unterwerfung der Armen oder von Armut bedrohten, ständig wachsenden Schicht der von Lohnarbeit Abhängigen unter die Aufsicht lokaler Magistrate (Solar 1995: 2; Patriquin 2007). Arbeitsfähige Männer, Frauen und Kinder wurden in Arbeitshäuser oder zur Arbeit bei Farmern, in Manufakturen oder private Dienste gezwungen, damit sie zur Steigerung der Produktivität und des Reichtums des Landes beitrugen.19 Im Laufe des 18. Jahrhunderts stieß das Poor Law-System jedoch zunehmend an seine Grenzen und zog immer stärkere Kritik auf sich. Aufgrund der Umbrüche in den Eigentums- und Produktionsverhältnissen nahm die Zahl der zeitweise oder dauerhaft von Armut Betroffenen stetig zu, und der Reichtum des Landes wuchs ebenso || 18 „The design of our poor laws is to provide for the employment of the able and industrious, for the correction of the idle and vicious, and for the maintenance of the aged and impotent“ (Davies 1795: 2). 19 Zu den entsprechenden Legitimationsdiskursen von William Petty und John Locke über Daniel Defoe bis zu Henry Fielding vgl. Bohlender 2007: 81 ff.; Orsi 2017; s. a. Poynter 1969: 24 ff. Zur Praxis vgl. Lees 1998: 52 ff., 60 ff., 100 ff. u. 106 ff.

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beständig wie die Kosten für die Versorgung der Armen (Eden 1797: I. 404 f.). Hatten die Kosten der Armensteuer zu Beginn noch bei 0,25 Prozent des Nationaleinkommens gelegen, stieg sie vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rapide auf etwa 2 Prozent an. Allein zwischen 1785 und 1803 bedeutete dies einen Anstieg von 2 auf 4,3 Mio. Pfund (Slack 1990: 22). Zwischen 5 und 15 Prozent der Bevölkerung bezog Leistungen aus der Armenversorgung, indirekt hing bis zu einem Drittel der Bevölkerung von ihr ab, in Zeiten hoher Preise und Krisen nochmals deutlich mehr (Solar 1995: 7 f.; Innes 2002: 389 u. 390 f.; Williams 2005: 495 ff. u. 516). In der Mitte der 1790er Jahre wurde aufgrund dieser Lasten die traditionelle Funktion des Armenrechts als „safety net for the labouring classes“ in Zeiten steigender Getreidepreise zunehmend prekär (Mokyr 2009: 444 f.; vgl. Innes 2002: 290 f.). Die politischen und ökonomischen Widersprüche und Schranken dieses durch nationale Gesetzgebung fixierten, auf lokaler Ebene organisierten Systems der Regelung der Arbeits-, Sozial- und Armenverhältnisse wurden immer deutlicher. Auf Gemeindeebene reagierten die Obrigkeiten in Zeiten ökonomischer Krisen und Hungersnöte und dadurch hervorgerufener Aufstände immer wieder damit, dass sie – sei es aus Überzeugung oder aus Sorge um die Stabilität – vielerorts den Forderungen nach Regulierungen und niedrigeren Preisen Gehör schenkten. Sie griffen dabei auf traditionelle, dem Geist der moral economy entsprechende Vorschriften zurück, die obrigkeitliche Eingriffe in die Marktverhältnisse ermöglichten – auf die Assize of bread, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichte und die Herstellung und die Preise von Brot festlegte, oder auf Vorschriften, die den Transport und Verkauf von Korn und anderen Lebensmitteln auf Märkten engmaschigen Regeln unterwarfen, die sicherstellen sollten, dass die Preise nicht Gegenstand von Spekulation, und das hieß in diesem Falle: nicht durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden.20 Einen zentralen Konfliktherd bildete zudem das Problem sinkender Reallöhne. Nachdem die Löhne in den 1730er und 1740er Jahren einen Höchststand erreicht hatten, waren sie von der Mitte des 18. Jahrhunderts an stetig gefallen, wobei sie in der Landwirtschaft aufgrund der genannten Umbrüche und wachsenden Zahl an Tagelöhnern noch einmal deutlich unter denen in den Städten und Industrieregionen lagen.21 In der Krise von 1795 reichte das Einkommen der Lohnabhängigen schließlich oftmals nicht mehr aus, um das Existenzminimum zu sichern (Innes 2011: 204 ff.). Viele Gemeinden zahlten ihnen deshalb Unterstützungsleistungen, sogenannte Allowances, bei denen in Abhängigkeit vom Brotpreis Beihilfen gezahlt wurden, die die Differenz zwischen dem Lohn und dem zum Überleben Erforderlichen ausglichen. Die berühmteste dieser Maßnahmen war der Speenhamland Act, bei dem die Friedensrichter von || 20 Zur Assize of bread vgl. Webb/Webb 1904 u. Ross 1956; die Gesetze und Urteile gegen Händler, die verstärkt durchzusetzen seien, versammelte Browne 1767; zur Praxis der Marktregulierungen vgl. Thompson 1980: 73-79 u. Hay 1998: 93 f. u. 99 ff. 21 Vgl. Wrigley/Schofield 1981: 412; Boyer 1990: 43 ff.; Clark 2010: 101; zur Frage der Bestimmung von Lebensstandard und Reallöhnen vgl. Daunton 1995: 420 ff.; Feinstein 1998; Mokyr 2009: 449 ff.

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Berkshire am 6. Mai 1795 im Gasthof Pelican Inn bei Newbury „beschlossen, daß zusätzlich zu den Löhnen Zuschüsse bezahlt werden sollten, und zwar nach einem gestaffelten, mit dem Brotpreis verbundenen Tarif, damit den Armen, unabhängig von ihren Einkünften, ein Minimaleinkommen garantiert werde“ (Polanyi 1978: 114). Auf nationaler Ebene stießen solche Eingriffe in Lohn-, Preis- und Marktbeziehungen, mit denen auf lokaler Ebene die Krise bewältigt, der Lebensunterhalt der Bevölkerung gesichert und die Ausbreitung von Aufständen verhindert werden sollten, auf immer stärkere Ablehnung. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vollzog sich in den politischen und gesellschaftlichen Eliten und Diskursen ein prinzipieller Wandel hinsichtlich der Beantwortung der Frage, ob die Produktion individuellen und gesellschaftlichen Reichtums und die Verhinderung von Krisen und Armut den Kräften des Marktes überlassen oder politisch kontrolliert und gesteuert werden soll. Man wandte sich von den Prinzipien einer moralischen Ökonomie ab und setzte zunehmend auf die Dynamik freier Märkte und die damit verbundenen Erwartungen: Das natürliche Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem freien Markt würde bei allen Parteien maximale Zufriedenheit erzeugen und das Gemeinwohl gewährleisten. Der Markt, so nahm man an, war dann am besten reguliert, wenn er sich selbst überlassen blieb. (Thompson 1980: 80)

Adam Smith kanonisierte diese neue Ausrichtung am Primat freier Märkte und erklärte die Versuche der Regierung, „mit Gewalt und ungeeigneten Mitteln die Unannehmlichkeiten einer Teuerung zu beseitigen“, zum eigentlichen Grund von Hungersnöten; demgegenüber sei „der unbegrenzte und unbeschränkte Getreidehandel das einzig wirksame Mittel […], dem Elend einer Hungersnot vorzubeugen“, und „das beste Palliativmittel für die schlimmen Folgen einer Teuerung“ (Smith 1776: 438 f.). Gerade hohe Preise und die Aussicht auf Gewinn motiviere Produzenten und Kaufleute, die Produktion zu steigern und die Märkte mit den nachgefragten Gütern zu versorgen.22 Zwar wurden in Krisenjahren wie 1766 und 1772 immer wieder Ansätze unternommen, das Parlament zur verstärkten Durchsetzung und Verschärfung der traditionellen Gesetzgebung zur Regulierung von Märkten und Preisen zu bewegen. Doch diese Versuche stärkten ironischerweise letztlich immer nur den „deregulatory shift“ (Innes 2011: 195), den die Repräsentanten der Agrar- und Handelsinteressen, die von der Freigabe der Konkurrenz im Binnenhandel und den damit verbundenen hohen Preisen und sinkenden Löhnen profitierten, in Regierung und House of Commons vorantrieben (Bohstedt 1994: 46 ff.; Kulischer 1965: II. 424). Parlamentskommissionen, die man zur Prüfung dieser Fragen einsetzte und an denen auch Burke mitwirkte, bekräftigten die Überzeugung, dass Versorgungskrisen nicht durch Stärkung, sondern nur durch die Befreiung von obrigkeitlichen Marktbeschränkungen || 22 So schrieb John Arburthnot 1773: „Heben wir jedes Gesetz, das sich auf die Getreidegesetzgebung bezieht, auf! Lassen wir Korn wie Wasser fließen, und es wird seinen Pegel finden“ (zit. n. Thompson 1980: 80). Zu den theologischen Wurzeln des in England des 18. Jahrhunderts entstehenden Vertrauens in das harmonische Zusammenspiel von Interessen auf freien Märkten vgl. Oslington 2017.

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überwunden werden können (Hay 1998: 95 ff.; Langford 1989: 442 ff.). 1772 mündete dies in ein vermutlich wesentlich von Burke vorbereitetes Gesetz, durch das alle traditionellen Regulierungen für Marktteilnehmer aufgehoben wurden.23 d) Die Debatten um das Poor Law und die Durchsetzung der Marktordnung Die tiefgreifenden Wandlungen in den gesellschaftlichen Strukturen, Problem- und Interessenlagen hatten gravierende Konsequenzen für das Verständnis von Armut und ihrer Bedeutung für eine dynamische und produktive Wirtschaftsordnung. Es wurden nun erste systematische Bestandsaufnahmen und Analysen unternommen, die das Paradox klären sollten, warum trotz der beobachtbaren Steigerung von Arbeitsproduktivität und gesellschaftlichem Reichtum die Zahl der Armen beständig wuchs und zu einer immer stärkeren Belastung des überkommenen Systems des Poor Law führte. Dabei traten neben traditionelle, vor allem moralisierende, auf obrigkeitliche Regulierungen setzende Schriften zunehmend solche, die die Entwicklungen und ihre Probleme im Lichte politisch-ökonomischer Zusammenhänge analysierten. Ins Zentrum rückte hier das neue Problem der Entstehung einer Schicht von Armut bedrohter freier Lohnarbeiter und des Umgangs mit ihr. Die daraus resultierenden Versuche, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Armenpolitik miteinander zu verbinden, führten theoretisch zur Reformulierung politisch-ökonomischen Denkens in der Tradition Adam Smiths und anderer, praktisch zur Abschaffung des Old Poor Law 1834. Diese Entwicklungen zeigen sich am Relief of the Poor Act (Gilbert’s Act) von 1782, der in der kurzen zweiten Regierungsperiode der Rockingham-Whigs erlassen wurde. Dieses Gesetz basierte auf der Unterscheidung von arbeitsfähigen und nicht arbeitsfähigen Armen, die einem neuen Regime von Fürsorge und Arbeitspflicht unterworfen wurden (Coats 1960: 46 ff.; Daunton 1995: 451 ff.; Shave 2017: 56 ff.). Da sich die 1722/23 im Workhouse Test Act für obligatorisch erklärte Einweisung aller Bezieher von Armenhilfe in Arbeitshäuser als ineffektiv und zu kostspielig erwiesen hatte (vgl. Boyer 1990: 21 ff.; Webb/Webb 1927: 215 ff.), sollten nur noch diejenigen indoor relief beziehen, die nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbstständig zu bestreiten. Arbeitsfähige Arme hingegen – „the orderly and industrious poor“ (PH XVIII: 548) – mussten außerhalb der Arbeitshäuser auf dem Gebiet von Gemeinden, die sich zusammenschlossen und gemeinsam Arbeitshäuser betrieben, als Lohnarbeiter tätig werden. Dafür erhielten sie outdoor relief, d. h. Unterstützungsleistungen in Form von Zuschüssen zu den gezahlten Löhnen. Dieses Gesetz lockerte damit zugleich den Settlement Act von 1662, der die Mobilität der labouring poor auf die für die Unterstützung verantwortliche Gemeinde beschränkt hatte und deshalb im Zentrum der Kritik von Politikern und Ökonomen wie Smith, Pitt oder Burke stand, die auf freie Arbeitsmärkte setzten.24 || 23 Vgl. Hay 1998: 97 f.; Lock 1998: 234 f.; hierzu unten, S. 365, Anm. 25. 24 Vgl. Smith 1776: 118 ff. (I.10) oder Pitt, für den der Settlement Act, wie er 1796 erklärte, „prevented the workman from going to that market where he could dispose of his industry to the greatest advantage, and the capitalist, from employing the person who was qualified to procure him the best

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Die Folgen dieser Neuausrichtung des Poor-Law-Systems waren ambivalent. So konnte die Verbreitung des outdoor relief für die arbeitenden Armen angesichts von Löhnen, die nicht existenzsichernd waren, als indirekte Anerkennung einer Art von „Recht auf Lebensunterhalt“ (Polanyi 1978: 114, 128) verstanden werden. Es stellte zudem einen Schritt in Richtung auf die Etablierung eines überregionalen Arbeitsmarktes dar, auf dem sich auch unterstützungsberechtigte Arme bewegen konnten bzw. mussten. Auf diese Weise entstand jedoch zugleich ein ständig wachsendes Reservoir an Lohnarbeitern, die je nach konjunktur- oder saisonbedingtem Arbeitsanfall zu niedrigen Löhnen eingestellt und entlassen werden konnten (Solar 1995: 8 ff.). Für Landlords und Pächter, aber auch für Unternehmer in Städten und Industrieregionen war das outdoor relief eine Subvention. Nun konnten sie die Lohnkosten auf oder gar unter das Existenzminimum drücken, da die Armenhilfe in den Gemeinden den Lohn aufstockte und einen Teil ihrer Kosten auf die Gesamtheit der Steuerpflichtigen umwälzte (Polanyi 1978: 139; Hobsbawm 1970: I. 106; Kopsidis 2006: 272 ff.). Angesichts der Zunahme der Zahl der labouring poor und des Anstiegs der Kosten für die Armenhilfe wurden seit den 1780er Jahren aber auch Stimmen laut, die diese Probleme grundsätzlicher und radikaler angingen. Kritiker wie Joseph Townsend, Frederick Eden oder Thomas Malthus argumentierten nun wie ein vereinzelter früher Kritiker des Poor Law, dass „the very Law, that provides for the Poor, makes Poor“ (Alcock 1752: 11).25 Aus der Sicht einer von den Bedenken der traditionellen moral economy befreiten politischen Ökonomie erschienen politische Einrichtungen wie das öffentliche Armenwesen nunmehr als Eingriffe in das „System der natürlichen Freiheit“ (Smith 1776: 582) und das Wirken der Gesetze des Marktes. Das zentrale Problem des Poor Law im Allgemeinen und des Allowance-Systems im Besonderen bestand demnach gerade darin, dass es einen Rechtsanspruch auf die zur Erhaltung des Lebens notwendigen Mittel verlieh, der den Armen die Angst vor dem Verhungern nehmen sollte.26 Indem das System der Subventionierung von Löhnen zugleich die Aussicht nehme, durch eigene Arbeit eine dauerhafte Verbesserung des eigenen Schicksals jenseits der Erhaltung der bloßen Existenz erreichen zu können, fielen „Hoffnung und Furcht“ als „Triebfedern des Fleißes“ fort (Townsend 1786: 14), und damit || returns for his advances“ (PH XXXII: 708); zu Pitt vgl. Ehrman 1983: 447 ff., zu Burke weiter unten, Anm. 43. 25 Vgl. Townsend 1786: 9 u. 14, Eden 1797: I. 450 u. 465 oder Malthus 1798: 42, 49 u. ö. – Zur Debatte über das Poor Law und ihre Bedeutung für die politisch-ökonomische Theorie und Praxis vgl. Blaug 1963; Poynter 1969, Kap. II u. ff.; Polanyi 1978: 156 ff.; Himmelfarb 1984, Kap. II bis IV; Boyer 1990: 51 ff.; Dean 1992; Bohlender 2007: 85 ff. u. 143 ff.; Lepenies 2011: 87 ff.; Orsi 2018. 26 So zählt Eden es – mit Verweis auf Burke (1790c: 132) – zu den „mistaken principles […] that every individual of the community has not only a claim, but a right […] to the active and direct interference of the Legislature, to supply him with employment while able to work, and with a maintenance when incapacitated from labour“ (Eden 1797: I. 447 f.); schon Townsend (1786: 27) sprach von solchen „Prinzipien, die an das Absurde grenzen“. Malthus erklärt die Annahme eines „right to subsistence“ in seiner Auseinandersetzung mit Paine als „attempt to reverse the laws of nature“ (Malthus 1803: 531).

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die Garanten für die Steigerung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit.27 Die Folge sei die Genese einer Klasse von improvident poor, die gerade aufgrund dieser Umstände faul und arbeitsunwillig würden, und da sie von der Vergrößerung der Familien nichts zu befürchten hätten, weil sie auf die Erhöhung der Zuwendungen vertrauen könnten, würde ihre Fortpflanzungsrate und folglich „the number of unprofitable citizens“ immer weiter steigen.28 Die sozialen und ökonomischen Konsequenzen des Poor Law-Systems waren diesen Diagnosen zufolge in jeder Hinsicht desaströs. Die unaufhaltsam steigenden Kosten für die labouring poor würden zu einer exponentiellen Steigerung der Armensteuer führen und den Steuerpflichtigen Kapital entziehen, das nicht mehr produktiv eingesetzt werden könne (vgl. etwa Eden 1797: I. 481 f., 467 f. u. 582 ff.). Das durch die subsistenzsichernde Armenhilfe erst beförderte Wachstum der armen Bevölkerung führe, da es nicht von einer entsprechenden Steigerung der Arbeitsproduktivität begleitet werde, zur Verknappung der Nahrungsmittel – und damit zu eben jenen Versorgungsproblemen, die das Poor Law-System lösen sollte.29 Im politisch-ökonomischen Denken rückt damit also das Bevölkerungswachstum ins Zentrum der Erklärung der Existenz von Armut inmitten der von Reichtum geprägten kommerziellen Gesellschaften. Dies mündet in die Begründung von Schranken, die von Natur aus der Möglichkeit, dass es in ihnen allen Gesellschaftsmitgliedern gleichermaßen besser gehen werde, gesetzt seien. In der Theorie und Praxis des Umgangs mit der Armut der Arbeitenden wird hier ein doppelter Umbruch vollzogen. Er läutet nicht nur den definitiven Abschied von der traditionellen moral economy ein, sondern auch den von den optimistischen Hoffnungen im politisch-ökonomischen Denken der Aufklärung.30 An die oberste Stelle rückt nun die Erkenntnis und Befolgung der Gesetze der natürlichen Ordnung, denn „[d]er Lauf der Natur kann leicht gestört werden, aber ihre Gesetze wird kein Mensch umkehren“ (Townsend 1786: 30). Deshalb müsse die Entscheidung über Produktion || 27 Vgl. auch Eden 1797: I. 448 u. 467 oder Malthus 1798: 43. Zur wissenschaftlichen Debatte über die sozioökonomischen Konsequenzen des Allowance-Systems vgl. Boyer 1990: 60-84. 28 So Townsend im englischen Original; vgl. Townsend 1786: 31; ebenso Eden 1797: I. 481; Davies 1795: 25 f. u. 98 f.; Malthus 1798: 46 ff. 29 In der commercial society führt demnach der Überfluss und nicht die Knappheit zu Versorgungsproblemen und Armut, da die Bevölkerung überproportional steige; Townsend 1786: 15 ff., 29 ff.; Malthus 1798: 85 ff.; vgl. Bohlender 2007: 165, Anm. 20. 30 Malthus richtete sein Bevölkerungsgesetz nicht zufällig direkt gegen Aufklärer wie Condorcet, Godwin und „all jene, die über die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen und der Gesellschaft schreiben“ (Malthus 1798: 69). Marx sah in diesem Werk denn auch wesentlich „ein Pamphlet gegen die französische Revolution und die gleichzeitigen Reformideen in England (Godwin etc.)“, das ansonsten kaum mehr als ein Plagiat von Schriften wie derjenigen Joseph Townsends sei (Marx 18611863: II. 1253; vgl. ebd.: I. 183, 766, 772, II. 1231 u. 1264). Malthus spitzte diese Debatten und Positionen zu, „galvanize[d] the movement of the abolition of the poor law, and establish[ed] an axiom for the new economic discourse“ (Dean 1992: 231). Zu Townsend und Malthus vgl. Lepenies 2011: 100 ff. u. ders. 2014.

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und Verteilung von Gütern, über Löhne und Preise und den Anteil, den die Gesellschaftsmitglieder an dem gesellschaftlich produzierten Reichtum haben sollen, ganz den Gesetzen des Marktes überlassen bleiben.31 Für diese spiele die Angst vor Armut und Hunger eine konstitutive Rolle, denn sie allein treibe zu Arbeit und Produktivitätssteigerung als Grundlage individuellen und gesellschaftlichen Wohlstands. Ihre Grenzen habe diese jedoch in der Anzahl der Menschen, die mit der Menge der produzierten Nahrungsmittel erhalten werden können. Übersteige die Nachfrage einer wachsenden Bevölkerung das vorhandene Angebot und stiegen entsprechend die Preise an, führe dies zur Reduzierung der (zahlungskräftigen) Nachfrage, d. h. zu Armut, Hunger und Elend (vgl. ebd. 1786: 33). Diesen kommt mithin eine ökonomisch regulative Funktion im natürlichen Lauf der Dinge zu, der durch Einrichtungen wie das Poor Law gestört wird. Denn könne die überschüssige Bevölkerung nicht überleben, löse sich das Problem von Überbevölkerung und Nahrungsmittelknappheit gleichsam von selbst32 – wenn auch um den zwar bedauerlichen, aber eben notwendig zu zahlenden Preis, dass „aufgrund der unausweichlichen Gesetze unserer Natur manche Menschen der Not ausgesetzt sein müssen. Das sind die Unglücklichen, die in der großen Lotterie des Lebens eine Niete gezogen haben“ (Malthus 1798: 94; ebenso Townsend 1786: 27 u. Eden 1797: I. 58). Verarmung, Knappheit und Hunger sind diesen, Smiths marktliberale Konzepte weitertreibenden Positionen zufolge also Teil jener natürlichen Ordnung, durch welche sich „das Gleichgewicht zwischen der Anzahl der Menschen und der Nahrungsmenge“ herstellt.33 Armut bis hin zur Vernichtung physischer Existenzen wird damit zum unvermeidlichen Faktor in der biologisch-naturalistisch verstandenen Ordnung der Natur und der hier wirkenden Gesetzmäßigkeiten eines sich selbst regulierenden ökonomischen Systems erklärt.34 Alle politischen Regulierungen von Löhnen und Preisen oder gar Umverteilung zugunsten der Armen verschärften nur das Problem || 31 „Würden die Dinge […] ihrem natürlichen Gang überlassen, hätte das zur Folge, dass unsere Bevölkerungszahl nicht mehr unnatürlich und erzwungen wäre, sondern sich selbst durch die Nachfrage nach Arbeit regulieren würde“ (Townsend 1786: 55); vgl. auch Malthus 1798: 30 oder Eden 1797: I. 587, für den das Poor-Law-System das beste Beispiel für die „maxim ‚pas trop gouverner‘“ ist und zeigt, dass die Armen sich selbst helfen müssen: „The Poor should not be deceived: the best relief they can receive must come from themselves.“ 32 Townsend (1786: 27 ff.) illustriert dies mit dem Gleichnis von Hunden und Ziegen, bei dem auf einer bergigen Insel angesichts knapper Ressourcen das natürliche Gleichgewicht der Populationen durch Hunger und Gefressenwerden erhalten wird: „Die Schwächsten [mussten] […] der Natur ihren Tribut zahlen; die Aktivsten und Stärksten hielten sich am Leben“ (ebd.: 29). 33 Townsend 1786: 34; vgl. Malthus 1798: 19: „Die natürliche Ungleichheit, die zwischen den beiden Kräften – der Bevölkerungsvermehrung und der Nahrungsmittelerzeugung der Erde – besteht, und das große Gesetz unserer Natur, das die Auswirkungen dieser beiden Kräfte im Gleichgewicht halten muss, bilden die gewaltige, mir unüberwindlich erscheinende Schwierigkeit auf dem Weg zur Vervollkommnungsfähigkeit der Gesellschaft.“ 34 Für Bohlender (2007: 150) lesen Townsend, Malthus und andere Ökonomen das Credo der physiokratischen und schottischen Ökonomen damit als „Laissez faire, Laissez-mourir“.

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der Armut, da sie auf „benevolent, though mistaken, principles of policy“ beruhten: sie würden die überschüssige Zahl der Armen nur weiter steigern und die soziale Katastrophe vergrößern (Eden 1797: I. 575; ebenso Malthus 1798: 85 ff.). Damit entlastet die politische Ökonomie jetzt zugleich Staat und besitzende Schichten von der Verantwortung für die Lage der Armen, lag doch offenbar „die Schuld an der Verelendung“ in der Ordnung der Natur, und das heißt letztlich bei „den Verelendeten selbst […], die durch übermäßige Vermehrung ihrer Zahl sich selbst proletarisiert hätten“ (Kruse 1997: 67).

5.1.3 Die Thoughts on scarcity als politisch-theoretische Intervention Burkes Thoughts on scarcity entstanden also in einer Zeit, in der theoretische und praktische Auseinandersetzungen und Neuorientierungen in einer außergewöhnlichen Weise miteinander verbunden waren. Der Text ist gleich auf mehreren Ebenen das Produkt einer politischen Auseinandersetzung mit aktuellen und strukturellen Entwicklungen und Umbrüchen wie auch ihrer theoretischen Verarbeitung: hinsichtlich (a) seiner Genese und Editionsgeschichte selbst, (b) der politischen Funktion der Abwehr als revolutionär erachteter Maßnahmen und Argumente und (c) einer Reformulierung der Grundlagen der noch jungen liberalen politischen Ökonomie in Richtung auf eine Gesetzeswissenschaft, die die bestehende Ordnung gleichsam konzeptionell verteidigen will. a) Die Genese von Burkes Thoughts on scarcity Im House of Commons wurde vom 3. November 1795 an über Wege diskutiert, die hohen Preise für Getreide zu senken, die Versorgung der Bevölkerung zu sichern und die Unruhen im Lande zu beenden. Zwar wurden auch hier Stimmen laut, die die Ursache der Preisexplosion vor allem in der Monopolstellung mächtiger Farmer und den Wucherpreisen von Zwischenhändlern ausmachten und deshalb die Wiederbelebung der traditionellen Regulierungen von Preisen und Handel, die Errichtung öffentlicher Getreidespeicher und ähnliche Interventionen des Staates forderten (vgl. PH XXXII: 236 f.; s. a. unten, S. 370, Anm. 34), aber stießen sie auf entschiedenen Widerstand. Zwar zeigten sich Tories und Whigs offen für „regulations“, doch sollten diese keine negativen Auswirkungen auf Handel, Manufakturen und Landwirtschaft haben. Pitt forderte vielmehr die weitergehende Liberalisierung des innerstaatlichen Getreidehandels (PH XXXII: 236), und Fox, sein politischer Gegenspieler, beklagte zwar, dass die Löhne langsamer als die Preise für Lebensmittel stiegen und „the great majority of the people of England […] are no longer in a situation in which they can boast that they live by the produce of their labour“, betonte aber zugleich, dass eine Festlegung von Löhnen nicht Sache der Gesetzgebung sei, sondern „the justice and humanity of the gentlemen in the different counties“ überlassen bleiben müsse (PH XXXII: 241). So beschloss das House of Commons erst einmal die Einsetzung einer Kommission,

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die einen Bericht über die Gründe der hohen Getreidepreise und über Maßnahmen zur Überwindung von Knappheit und Hunger vorlegen sollte. Es war diese Debatte, die Burke auf Anregung von Henry Dundas, einem wichtigen Regierungsmitglied und engen Freund Pitts, dazu bewog, jene Überlegungen zur Knappheit niederzuschreiben, die er am 7. November 1795 an Pitt sandte (Corr. VIII: 337) und in Regierungs- und Parlamentskreisen zirkulieren ließ, um Forderungen nach der politischen Regulierung von Preisen und Löhnen abzuwehren. Die weitere Entwicklung führte jedoch dazu, dass Burke diesem Thema vorerst keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Die Maßnahmen, die im Kommissionsbericht und in den weiteren Debatten im House of Commons diskutiert wurden, beschränkten sich auf aus seiner Sicht wenig bedrohliche Vorschläge wie die Reduktion des Weizenanteils bei der Herstellung von Brot, die Steigerung des Konsums alternativer Grundnahrungsmittel wie Reis oder Kartoffeln oder gar die feierliche Verpflichtung, auch die Reichen sollten in Notzeiten auf Weizenprodukte verzichten. Grundlegende Eingriffe in die Markt- und Wirtschaftsordnung waren demnach nicht zu erwarten.35 Burke griff seinen Plan zur Ausarbeitung und Veröffentlichung seiner politischökonomischen Ansichten aber wenige Wochen später zumindest kurzfristig wieder auf. Der Abgeordnete Samuel Whitbread legte am 9. Dezember 1795 im House of Commons einen Gesetzentwurf vor, der die Friedensrichter ermächtigen sollte, eine Art bedarfsdeckender Mindestlöhne festzulegen.36 Während Pitt erklärte, mit einer zweiten Lesung des Gesetzentwurfs einverstanden zu sein, ohne dass er „approve[d] either of the general principle or particular regulations of the bill“ (PR XLIII: 648), zeigte sich Fox diesmal deutlich offener. Auch wenn er grundsätzlich gegen politische Eingriffe in Marktbeziehungen sei, könne ein freies Land nicht akzeptieren, dass die Löhne nicht das Überleben sichern und „the industrious poor“ von der Barmherzigkeit (charity) der Reichen abhängen, so dass er dafür sei, „to put the price of labour upon a footing adequate to the rate of provisions“ (PH XXXII: 702). Die Aussicht auf eine drohende gesetzliche Regelung der Höhe von Löhnen motivierte Burke, seine ökonomischen Vorstellungen doch weiter auszuführen. Wenige Tage nach Whitbreads Initiative wussten Zeitungen zu berichten, Burke plane die Veröffentlichung eines Letter to Arthur Young […] on the Projects talked of in Parliament for an Encrease of Wages to Day Labourers, and other topics of Rustic Œconomy.37 Dadurch wollte er offenbar unter anderem die schon in seinem an Pitt übersandten Text geäußerte Auffassung vertiefen, dass der Lohn als Preis der Arbeit wie der einer

|| 35 „The entire parliamentary operation served to venerate the free market and its operators. The producers, distributers and manufacturers, were nothing acquitted of populist accusations, but sanctified by this political exercise.“ (Wells 1988: 234) Zur Debatte über den Bericht vgl. PH XXXII: 687 ff. 36 Vgl. PH 32: 700 f.; vgl. hierzu Hammond/Hammond 1920: 109 ff.; Poynter 1969: 48 ff. u. 55 ff.; Polanyi 1978: 379 ff.; Innes 2011: 204 ff. 37 The Times vom 14. 12. 1795; Oracle vom 17. 12. 1797; am 28. 12. 1795 erschien in der Times eine kurze Inhaltsangabe des geplanten Werkes; vgl. unten, S. 356, Anm. 11.

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jeden Ware von der Nachfrage abhängig sein müsse und keiner politischen Entscheidung unterworfen werden dürfe (vgl. unten, S. 355). Doch Burke führte auch dieses Vorhaben nicht aus. Im Nachlass fanden sich nicht mehr als „two or three detached fragments only of the first letter to Mr. Young “ (Laurence/King 1800: 55). Es war wohl das absehbare Scheitern von Whitbreads Gesetzesvorschlag, das Burke davon absehen ließ, das Vorhaben weiterzuverfolgen. In der Debatte über Whitbreads Proposal am 12. Februar 1796 stimmte zwar Fox für die Möglichkeit, Lohnuntergrenzen festzulegen (PH XLIV: 28 f.), doch Pitt und die überwiegende Mehrheit des Hauses sprachen sich entschieden gegen die Gesetzesinitiative aus.38 Dies bedeutete das Ende für Burkes Pläne für eine Publikation seiner politischökonomischen Ansichten. Ein Versuch des Präsidenten des Board of Agriculture, Sir John Sinclair, ihn zu einer Abhandlung „on the subject of labour and provisions“ zu bewegen, scheiterte (Sinclair an Burke, 25. April 1796, zit. n. WS IX: 119; vgl. Young 1898: 256-261). Young hatte Burke als Emissär des Board am 1. Mai 1796 aufgesucht, „to discover whether that celebrated character continued his intentions of throwing his thoughts upon paper“ (Young 1898: 256), doch kamen ihm angesichts von Burkes Gesundheitszustand Zweifel, dass er noch ein solches Werk verfassen werde (Young 1898: 257). Dass Burke eine solche Abhandlung gerne geschrieben hätte, versicherte er Young aber noch kurz vor seinem Tod in einem Schreiben vom 23. Mai 1797: My constant opinion was, and is, that all matters relative to labour, ought to be left to the conventions of the parties. That the great danger is in Governments intermeddling too much. What I should have taken the liberty of addressing to you, had I had the Strength to go through it, would be to illustrate or enforce that principle. (Corr. IX: 361)

Es ist das Werk French Laurence’ und Walker Kings, seiner engen Mitarbeiter und Nachlassverwalter, dass eine solche Schrift im Jahre 1800, drei Jahre nach Burkes Tod, doch noch erschien. Den Anlass bildete der Umstand, dass sich England in einer vergleichbaren Krise wie 1795/96 befand. Wieder herrschte eine Nahrungsmittelknappheit, wieder erreichten die Preise ungekannte Höhen, wieder sanken Löhne und Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung auf einen Stand, der die Krise zur schlimmsten des Jahrhunderts werden ließ,39 und wieder herrschte „a season of ferment and riot“ (Laurence/King 1800: 58), die jetzt sogar für die politische und soziale Ordnung bedrohlich wurde. Die Aufstände 1795 waren weitgehend spontan und lokal aufgetreten; es wurden nur wenige übergreifende politische und soziale Forderungen erhoben, und sie waren kaum mit jenen politischen Reformbewegungen der Zeit verbunden, gegen die Parlament, Regierung und Justiz eine Vielzahl von repressiven Maßnahmen ergriffen (vgl. oben, S. 274 f. u. 328). Die Proteste und Aufstände um 1800 hingegen waren deutlich stärker organisiert und koordiniert; jetzt wurden radikalere || 38 Vgl. die Berichte über die Debatte am 12. Februar 1796 in PH XXXII: 703-715 u. PR XLIV: 19-34. 39 Vgl. Hay 1998 104; zu beiden Krisen vergleichend Wells 1988: 46 ff. u. passim; Booth 1977; Charlesworth 1994; Bohstedt 2010: 206 ff.

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politische und soziale Forderungen und Ideen vertreten, auf die Regierung und Parlament wie die intellektuellen Verteidiger der bestehenden Ordnung mit aller Härte reagierten (vgl. Booth 1977: 100 ff.; Thompson 1980: 120 ff.; Wells 1988: 253 ff.; Charlesworth 1994: 59 ff.). Laurence und King veröffentlichten die Thoughts on scarcity als Beitrag zu diesen politischen und sozialen Auseinandersetzungen. Sie fügten die in Burkes Nachlass gefundenen Fragmente in das 1795 an Pitt übersandte „paper“ ein, „where they seemed best to cohere“ (Laurence/King 1800: 55), und erklärten das Resultat zu „Mr. Burke’s most mature reflections on these interesting subjects“ (ebd.: 54). Es wird so als das Werk präsentiert, das jene Prinzipien der politischen Ökonomie angeben soll, die Burke im Sinn gehabt habe und die den politischen und sozialen Forderungen der labouring poor in Krisen wie denen 1795/96 oder 1800 ihre Berechtigung entziehen sollte. In diesem Sinne verstanden die Herausgeber die Veröffentlichung der Schrift als „a duty. […] While he lived, he never ceased, publickly and privately, to warn his country and her rulers, against every danger which his wisdom foresaw. He now gives to her and them, this solemn warning from his grave“ (ebd.: 60). b) Die politische Funktion ökonomischer Argumente In der Tat waren für Burke seine Ausführungen zu Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten von Politik und Ökonomie in den Thoughts on scarcity ein wesentlicher Beitrag zur zeitgenössischen Krise 1795/96 wie zu den grundsätzlichen Auseinandersetzungen der Zeit. Die angesichts der akuten Krise erhobenen Forderungen nach einer politischen „Einmischung in den Handel“ (351) machten für ihn eine grundsätzliche Behandlung und Zurückweisung nötig. Denn im Klima der politischen und sozialen Debatten seit dem Ausbruch der Französischen Revolution sah er in ihnen das Einfallstor für die revolutionären „Eiferer der Regulierungssekte“ (359). Wohin deren Forderungen, die ökonomischen Verhältnisse politisch zu regulieren, führe, dafür sei Frankreich, „[d]er einst mächtige Staat, […] ein eindrucksvolles Beispiel“, denn dort sei der „Gesetzgeber […] in diese Falle getappt“ (382). Die Antwort auf die Frage nach der angemessenen Reaktion des Staates auf die wirtschaftliche Krise und Not ist für Burke also für die englische Staats- und Verfassungsordnung von existenzieller Bedeutung. Sie erfordere ein richtig verstandenes Verhältnis der Aufgaben und Schranken politischen Handelns in Bezug auf die Sphäre der Ökonomie. Burkes systematische Aussagen zur politischen Ökonomie in den Thoughts on scarcity sind also eine Form praktisch-politischer Aufklärung und Intervention. Wenn er erklärt, dass „das erste, was die Regierung uns, dem Volk, schuldet, Information“ sei, um „unser Urteil anzuleiten“, so sieht er in der Aufklärung über „wildwuchernde Spekulationen“, „Vorurteile“ usw. (351 f.) hinsichtlich der Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie und der Aufgaben des Staates einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der politischen und sozialen Ordnung. Und indem er den Staatsmännern die Gesetzmäßigkeiten einer produktiven und dynamischen Ökonomie vor Augen hält, um zu verhindern, dass diese aus Unwissenheit, „eitle[r] Anmaßung“ (352)

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oder aufgrund „törichter guter Absichten“ (351) Fehlentscheidungen treffen, ist Burkes Text zugleich eine mit wissenschaftlichen Argumenten arbeitende Form der Politikberatung. Die Art und Weise jedoch, in der diese Aufklärung erfolgen soll, gründet in einem neuen, seit dem 19. Jahrhundert hegemonial werdenden Verständnis politisch-ökonomischer Theorie und Praxis. Zwar versteht er das Wissen um die Grundlagen und die Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie wie schon Adam Smith als umfassende „Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber“ (Smith 1776: 347; vgl. Winch 1991: 14 f.; ders. 1996: 22; Nakazawa 2010). Burke radikalisiert in seiner Interpretation dieser Lehre jedoch die Separierung der Sphäre der Ökonomie von derjenigen von Staat und Politik: Gerade um im Ganzen der politischen und sozialen Ordnung wirksam sein und ihre produktiven Potenziale entfalten zu können, müssen ihm zufolge die Gesetzmäßigkeiten wirtschaftlicher Aktivitäten von bewusster politischer Intervention und Planung unbehindert ihren Lauf nehmen können. Politische Ökonomie wird auf diese Weise gleichsam auf „Economics“ reduziert. Für Burke ist die Sphäre der Ökonomie damit sowohl Teil der Sphäre der Politik und der Verfügungsgewalt des Staates wie ihr gegenüber eigenständig. Dabei spricht er vom ‚Staat‘ einmal in einem umfassenden Sinne – „used to signify the whole commonwealth“ –, einmal in einem engeren Sinne, „only the higher and routing part of the commonwealth, which we commonly call the Government“ (WS IX: 598). Das angemessene politische Handeln der Regierung – des Staates i. e. S. – in ökonomischen Fragen hängt mithin von der Einsicht in die jeweilige Lage des Gemeinwesens – des Staates i. w. S. – ab. Vor diesem Hintergrund wird plausibel, warum Burke sich wirtschaftspolitischen Interventionen, die er in den Jahrzehnten zuvor zwar abgelehnt, doch aus Gründen politischer Klugheit akzeptiert hatte, 1795 entschieden entgegenstellt. Würde die Regierung durch Regulierung von Löhnen und Preisen in das wirtschaftliche Geschehen eingreifen, würden die historisch generierten politischen und sozialen Voraussetzungen und Bedingungen – die Staats-, Eigentums- und Sozialordnung des Commonwealth – zerstört, von deren Bestehen sie selbst abhängig sei.40 c) Die Ökonomie als System der natürlichen Gesetze und Ordnung Burke begründet diese Auffassung, indem er die im 18. Jahrhundert entwickelten Konzeptionen der politischen Ökonomie in Richtung auf eine gänzliche „De-Politisierung der Wirtschaftsordnung“ (Reichhold 2018: 179) zuspitzt. Diese entwirft er als das Ganze eines rein gesellschaftlichen, d. h. vor- und unpolitischen Interaktionszusammenhangs von Akteuren, der von spezifischen Gesetzmäßigkeiten geprägt werde, die ohne – und nur ohne – den Einsatz außerökonomischer Formen von Macht- und || 40 Burke verwendet wie Townsend, Malthus u. a. ein Argumentationsmuster, das Hirschman als „Sinnverkehrungsthese“ bezeichnet hat, die vor allem seit der Kritik am Poor Law-System im 18. und 19. Jahrhundert zu den grundlegenden rhetorischen Figuren konservativen bzw. reaktionären Denkens zähle. Bekämpfte progressive Politiken werden demnach nicht frontal angegriffen, sondern es wird behauptet, die intendierten Maßnahmen führten „über eine Kette unbeabsichtigter Folgen zum genauen Gegenteil dessen […], was erklärtermaßen beabsichtigt ist“ (Hirschman 1992: 24).

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Gewaltausübung funktionierten (vgl. unten, S. 360). Grundlage und Triebkraft dieses Prozesses sind die von ihren Bedürfnissen und Interessen getriebenen Individuen, die ihren je besonderen Nutzen verfolgen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen suchen (vgl. unten, S. 354, 359 u. 365). Der Markt bildet dabei das Zentrum dieses gesellschaftlichen Interaktionszusammenhangs, denn er sei „Treffpunkt und Beratungsort von Konsument und Produzent, wo diese wechselseitig ihre jeweiligen Bedürfnisse entdecken“ (368) und einander Nützliches zum Austausch bieten. Was hier so unspektakulär klingt, bezeichnet der Sache nach einen die gesamte Gesellschaft und ihre wirtschaftlichen Grundlagen prägenden Strukturzusammenhang mitsamt einer spezifischen Dynamik sozialer Beziehungen und Entwicklung. Den zentralen Mechanismus bilden hierbei die Preise als Indikatoren für die Bedingungen von Tauschakten. Preise haben Burke zufolge eine doppelte Funktion. Zum einen geben sie den Wert der Ware an, der für ihn mit dem Tauschwert zusammenfällt, d. h. mit dem Preis, den sie auf Märkten zu erzielen vermag: „Die einzige Frage lautet: Was ist sie dem Käufer wert?“ (360)41 Demnach bestimmt das Gesetz von Angebot und Nachfrage mittels des Preismechanismus den Wert von Waren, der somit etwas Fluides, von je gegebenen Beziehungen und Bedürfnissen, Erwartungen und Einschätzungen anderer Marktteilnehmer Abhängiges und insofern ohne substanziellen Eigenwert ist. Damit verweist Burke zum anderen auf eine zweite Funktion von Preisen in marktwirtschaftlichen Ordnungen, die der Koordination. Indem steigende oder sinkende Preise das Steigen oder Sinken der Nachfrage nach spezifischen Gütern oder Leistungen anzeigten, seien sie ein „faire[r] Test für Überfluss und Knappheit“ (369), d. h. Indikatoren für das Bestehen oder Fehlen von gesellschaftlichen Bedürfnissen und Interessen, die befriedigt werden wollen. Preise wirken auf diese Weise auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Produktion und Verteilung und damit zugleich auf die Gesellschaft als Ganzes. Sie geben an, was als gesellschaftlich nützlich und wertvoll angesehen wird und was mit Gewinn produziert und angeboten werden kann. Ohne bewusste Planung und Koordination sorgten Märkte auf diese Weise für eine schnellst- und bestmögliche Organisation der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung im Sinne der Interessen und Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder: Ich glaube, niemand hat sich je ernsthaft Gedanken über das Wesen des Marktes gemacht, ohne darüber zu staunen, mit welcher Wahrheit, Angemessenheit, Geschwindigkeit und allgemeinen Billigkeit hier ein Ausgleich der Bedürfnisse stattfindet. (368 f.)

Dieses Gesetz von Angebot und Nachfrage auf freien Märkten zur Wertmessung und Koordination für Produktion und Verteilung gilt Burke zufolge auch für die Lohnar-

|| 41 Vgl. auch unten, S. 368 f. Burke unterscheidet also, anders als andere frühe liberale Ökonomen wie Smith 1776: 48 ff., Cantillon 1755: 17 ff. u. 76 ff. oder Ricardo 1820: 72 ff. nicht zwischen einem ‚natürlichen‘ Wert oder Preis und dem Marktpreis von Waren.

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beit, denn „Arbeit ist eine Ware wie jede andere, und sie steigt oder fällt mit der Nachfrage“ (355). Allein auf Märkten entscheide sich, was die menschliche Arbeitskraft, die Burke als Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums ansieht (vgl. unten, S. 352 mit Anm. 3), jeweils wert sei, nämlich der Preis, den an ihrem Einsatz interessierte Produzenten für sie zu zahlen bereit sind. Zugleich regelt für Burke der Marktmechanismus den optimalen Einsatz menschlicher Arbeit in arbeitsteilig organisierten Gesellschaften. Steigende Preise für Arbeit signalisieren eine hohe Nachfrage, da sich Produzenten von ihrem Einsatz die Produktion nachgefragter Güter und Leistungen versprechen, so dass die Produktivität und die Herstellung von Mitteln zur Befriedigung von Bedürfnissen der Gesellschaftsmitglieder steigt.42 Die Dynamik einer marktwirtschaftlichen Ordnung setzt Burke zufolge demnach die völlige Freiheit der Marktakteure und ihrer Interaktionen voraus. Die Produktion individuellen und gesellschaftlichen Reichtums erfordert, dass ganz „im Ermessen und im Interesse der beteiligten Parteien“ gehandelt (357), Waren und Arbeitskraft gekauft und verkauft, produziert und konsumiert werden können, wie es „der wechselseitige Nutzen der Beteiligten und natürlich ihre wechselseitigen Bedürfnisse gebieten“ (359). Aus diesem Grund verbiete sich auch jede Regulierung und Beschränkung individueller Freiheitsausübung und Zweckverfolgung. Auch in Zeiten der Krise darf „the desire of accumulation“ von Grund- und Kapitalbesitzern (WS IX: 353) ebensowenig behindert werden wie die Verfolgung des Eigeninteresses von Zwischenhändlern und Spekulanten. Man muss sie nur, so schreibt Burke mit Blick auf letztere, „unbehelligt ihren Geschäften nachgehen lassen“, denn „je mehr sie verdienen und je reicher sie werden und je größer die Mengen sind, mit denen sie handeln, desto besser sowohl für den Farmer als auch für den Konsumenten, zwischen denen sie ein natürliches und überaus nützliches Verbindungsglied darstellen“ (368). Dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten Burke zufolge auch für die Beziehung zwischen Unternehmern und Arbeitern als Käufern bzw. Verkäufern von Arbeitskraft auf Arbeitsmärkten. Explizit bestreitet er am Beispiel von Arbeitsverträgen zwischen Farmern und Tagelöhnern, dass „die vertragschließenden Parteien ursprünglich unterschiedliche Interessen“ haben: „Sie haben immer die gleichen Interessen, und es ist absolut unmöglich, dass ihre freiwilligen Verträge für eine der beiden Parteien belastend sind“ (358). Da der Unternehmer von der Qualität des Arbeitsprodukts seiner Arbeiter profitiere, habe er ein originäres Interesse daran, dass „sein [des Arbeiters] Körper alle Kraft und sein Gemüt alle Heiterkeit und Freude bewahren kann“ (ebd.), weshalb er ihn gut entlohne. Ebenso sei es „das oberste und grundlegendste Interesse des Arbeiters, dass der Farmer einen satten Gewinn aus dem Produkt seiner Arbeit“ zieht (359). Denn nur in diesem Falle wird er Arbeitskräfte benötigen sowie in der Lage sein und das Interesse haben, gute Löhne zu zahlen. Die Festlegung der Höhe

|| 42 Dies ist für Burke auch der Grund für den von ihm konstatierten Anstieg des Lebensstandards der englischen Arbeiter im 18. Jahrhunderts; vgl. hierzu oben, S. 324 ff. und unten, S. 354 f.

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von Löhnen müsse deshalb dem freien Aushandlungsprozess auf offenen Arbeitsmärkten überlassen bleiben,43 denn nur dann bestehe ein Interesse beider Seiten, bestmöglich zu produzieren und zu entlohnen, wovon am Ende alle profitierten. Burke entwickelt also ein Verständnis des Systems der politischen Ökonomie, das sich nur entfalten kann, wenn „the natural course of things and the great wheel of circulation“ nicht gestört wird (WS VIII: 209 [Refl.]). Der Zusammenhang, in den die Mannigfaltigkeit der einzelnen wirtschaftlichen Entscheidungen und Akte mündet, d. h. das so entstehende Ganze der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung, bildet sich somit ohne jede bewusste Planung und Steuerung. Die Gesetze der Produktion und des Handels setzen für Burke die Freiheit der Akteure und Entscheidungen voraus, die über den Mechanismus der Preisbildung gemäß dem Spiel von Angebot und Nachfrage eine produktive Dynamik erzeugen. Diese unbedingte Freiheit der Akteure im ökonomischen System, „nach jedem möglichen Profit zu streben“ und alles zu tun, was dem eigenen Interesse dient und man „ohne Betrug oder Gewalt erzielen kann“ (365), ist für Burke Garant nicht nur des individuellen Wohlstands, sondern „the grand cause of prosperity to all States“ (WS IX: 347 [RP III]). Deshalb sind für ihn die „allgemeinen Grundsätze des Handels“ (365) ewig und unbedingt gültig, und deshalb dürfe man „nicht darauf setzen […], die Gesetze des Handels zu brechen, welche die Gesetze der Natur und folglich die Gesetze Gottes sind“ (373).

5.1.4 Burke und die ‚konservative‘ Wende der politischen Ökonomie Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die ‚marktliberalen‘ und die ‚konservativen‘ Seiten von Burkes politisch-ökonomischem Denken einander nicht ausschließen, sondern in spezifischer Weise ergänzen. Sein Plädoyer für eine von den Gesetzen des Marktes beherrschte Wirtschafts- und Sozialordnung und das für die Geltung einer Gesellschaft und Staat übergreifenden Naturordnung sind Teile desselben Zusammenhangs. Gerade die Betonung der Eigengesetzlichkeit der Ökonomie korrespondiert mit einem Politik- und Staatsverständnis, das mit der Verteidigung des Status quo der historisch generierten Verhältnisse einhergeht. Für beide gelte, so Burke 1780, eine prinzipielle Unverfügbarkeit gegenüber der „Willkühr der Macht“ und dem Eingriff in den ‚natürlichen Lauf der Dinge‘: Stets sei es „am besten, der Ordnung der Natur nachzugehen, und ihren langsamen, aber sanften und sichern Lauf nicht zu stören“ (in Burke 1796: 147). Damit gab Burke dem Verständnis der politischen Ökonomie eine Wendung, die für die (neo-)klassische und neoliberale politische Ökonomie des 19. und 20. Jahrhunderts prägend und anschlussfähig war (vgl. Robin 2018: 141 f.). || 43 Burke plädierte deshalb für die freie Mobilität der Arbeiter und die Abschaffung des Settlement Act von 1662. Dieser nämlich versklave die Arbeiter, da er verhindere, dass sie dorthin gehen, „where I can best maintain and support myself“ (WS II: 402 [1774]).

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Wenn Burke die Gesetzmäßigkeiten der marktwirtschaftlichen Ordnung als solche der Natur und Gottes bestimmt, verleiht er ihr und der daraus folgenden Bestimmung von Aufgaben und Grenzen des Staates gleichsam metaphysische und theologische Weihen. Burke folgt dabei der sich im 18. Jahrhundert herauskristallisierenden Überzeugung, dass „der natürliche Mechanismus des Marktes“ darüber richte, was eine „gute Regierung“ sei (Foucault 1979: 55 f.). Der Staat als öffentliche Gewalt muss demnach die Funktionsbedingungen des nach eigenen Gesetzen ablaufenden Prozesses privater Interaktionen freier Individuen als Gesellschaftsmitglieder und als Marktteilnehmer regeln und sichern, d. h. „den öffentlichen Frieden, die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung, den öffentlichen Wohlstand“ (381). Die zentrale Aufgabe des Staates ist deshalb der Schutz des Eigentums der Bürger – ohne dass er sich in die Verteilung dieses Eigentums einzumischen hätte, denn „all men have equal rights; but not to equal things“ (WS VIII: 110 [Refl.]). Ebenso muss der Staat die Geltung von Verträgen zwischen ökonomischen Akteuren garantieren (357) – doch kann und darf er die Inhalte des Vertrages nicht vorschreiben. Er hat das Eigentum und das Recht der Gesellschaftsmitglieder vor Übergriffen und Verletzungen zu schützen – nicht nur vor denen anderer Individuen, sondern auch vor willkürlichen Eingriffen der Staatsgewalt selbst. Der Staat hat Burke zufolge in Fragen des gesellschaftlichen und ökonomischen Verkehrs außen vor zu bleiben und ist nur dafür verantwortlich, dass dieser ungehindert seinen Lauf nehmen kann: Let Government protect and encourage industry, secure property, repress violence, and discountenance fraud, it is all that they have to do. In other aspects, the less they meddle in these affairs the better; the rest is in the hands of our Master and theirs. (WS IX: 355 [RP III])

Mit dieser ökonomischen Bestimmung der Aufgaben und Grenzen staatlichen Handelns lieferte Burke ein Arsenal an Argumenten zur marktliberalen Kritik politischer Interventionen zugunsten politischer und sozialer Rechte und Gleichheit (a), die zur Rechtfertigung bestehender Verhältnisse politischer und sozialer Hierarchie und Ungleichheit dienen (b). a) Die Thoughts on scarcity als Arsenal marktliberaler Argumente Die Umsetzung dieser Bestimmungen in den Thoughts on scarcity zeigt die Radikalität der neuen Phase politisch-ökonomischer Theorie und Praxis, die Burke einläutet: Ökonomische Argumente werden im politischen Diskurs zu Instrumenten der Verteidigung einer von Ungleichheit geprägten commercial society. Paradoxerweise führt dabei aber Burkes Wille, revolutionäre Veränderungen der englischen Staats- und Gesellschaftsverfassung zu verhindern, dazu, dass er zentrale Institutionen und Praktiken dieser Ordnung delegitimiert und an ihrer Überwindung mitwirkt. Burkes scharfe Trennung zwischen den Sphären von Staat und Ökonomie erfüllt eine mit ökonomischen Argumenten gestützte politische Funktion. Wenn es Aufgabe des Staates ist, die Eigendynamik sozialer Austausch- und Produktionsprozesse zu

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sichern, er selbst aber an der Organisation der Produktion gesellschaftlichen Reichtums nicht teilhat und teilhaben darf (vgl. 352 u. 372 f.), kann er in Zeiten ökonomischer Krise auch kein Adressat politischer und sozialer Ansprüche mehr sein. Jeder Versuch, ökonomische Prozesse im Interesse politischer Zwecke zu regulieren oder zur Krisenlösung in die wirtschaftlichen Zusammenhänge zu intervenieren, wäre zudem kontraproduktiv, wofür Burke zwei für das weitere marktliberale Denken zentrale Argumente anführt. Zum einen verfüge der Staat angesichts der Komplexität des marktwirtschaftlichen Systems und seiner Entwicklung als Resultante unzähliger Einzelentscheidungen von Marktakteuren gar nicht über das Wissen hinsichtlich des ökonomisch Notwendigen. Die Entscheidung über Preise, Löhne, Produktion und Marktverhältnisse könne vielmehr nur dezentral von den konkret betroffenen und interessierten Akteuren getroffen werden, deren „Interessen, Gepflogenheiten und die stillschweigende Übereinkunft, wie sie tausend namenlosen Umständen geschuldet sind, ein Fingerspitzengefühl hervorbringen, das ohne Schwierigkeiten reguliert, was Gesetze und Richter in keiner Weise regulieren können“ (362; ebenso Hayek 1945: 63; Collins 2017: 571 f.). Zum anderen ist für Burke der Staat als Marktakteur aufgrund seines Monopols politischer und gesetzlicher Macht „in jedem Fall und in jedem Maße von Übel“ und untergräbt „alle Marktprinzipien“ (368 u. 371). Wenn der Staat der freien Preisbildung künstliche Schranken auferlege, zerstöre er ihre Funktion der indirekten Koordinierung von Produktion und Beschäftigung und „legt seine Axt an die Wurzel der Produktion selbst“ (369). Es kollidieren hier zwei Prinzipien der Gerechtigkeit: das Prinzip der kommutativen Gerechtigkeit, bei dem der Staat den Bürgern das ihnen Zustehende verschaffen soll, mit der distributiven Gerechtigkeit des Marktes, der zufolge gerecht ist, was sich als Resultat der freien Aushandlungsprozesse auf Märkten ergibt (vgl. 368 f.; auch WS III: 636; vgl. Macpherson 1980: 58; Canavan 1995: 134). Für Burke ist evident, dass jeder Versuch, Gerechtigkeit politisch durchzusetzen, die Gesetze der Marktgerechtigkeit unterlaufe und damit die Grundlage von Wohlstand und Gerechtigkeit selbst (360).44 Burke vollzieht mit diesem dezidiert antirevolutionären Plädoyer einen radikalen Bruch mit der Politik der Obrigkeiten im England des 17. und 18. Jahrhunderts. Ökonomische Krisen sollen nicht mehr mittels Praktiken im Sinne der traditionellen moral economy überwunden werden, sondern nur noch durch konsequent marktwirtschaftliche Maßnahmen, die auf das Eigeninteresse der handelnden Akteure, auf das Spiel von Angebot und Nachfrage und auf die Wirkungen freier Preisbildung und Märkte vertrauen (vgl. 360 f., 364, 368 f., 372 f.). Damit richtete sich Burke insbesondere gegen die zeitgenössischen Initiativen zu staatlichen Eingriffen in die Höhe von Löhnen oder gar die Gewährleistung subsistenzsichernder Mindestlöhne. Jede Bindung der Löhne an die Reproduktionskosten der Arbeiter würde gleichermaßen gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit wie gegen die der ökonomischen Vernunft || 44 Vgl. exemplarisch Burkes Kritik an den Eingriffen in den Getreidehandel, an der Einrichtung von Getreidespeichern oder am Verbot von Destillerien, unten S. 369 ff., 379 ff. u. 381 ff.

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verstoßen und die den Marktbeziehungen inhärente Verteilungsgerechtigkeit und das Eigentumsrecht der Kapitalbesitzer und Käufer von Arbeitskraft verletzen. Denn dies wäre „eine direkte“ und „willkürliche Steuer“ (356), eine staatlich verordnete Zwangsabgabe, die das Tor für beliebige Eingriffe des Staates in die Beziehungen und Rechte der Gesellschaftsmitglieder öffnen würde. Hinter all dem steht Burkes Furcht vor einer drohenden revolutionären Umwälzung der Eigentumsverhältnisse zur Herstellung sozialer Gleichheit. Denn wenn sich die staatliche „Autorität einschaltet und den Käufer zwingt, einen bestimmten Preis zu zahlen […], was heißt es anderes, als sein Eigentum willkürlich zwischen ihnen aufzuteilen?“ (360) Dabei wäre, so argumentiert er i. S. der ‚Sinnverkehrungsthese‘, ein solcher staatlicher Eingriff in die Höhe von Löhnen auch ökonomisch kontraproduktiv. Die Kosten würden auf die Unternehmer umgewälzt, was zu höheren Preisen, zum Rückgang von Investitionen, zur Steigerung von Arbeitslosigkeit, letztlich zum Ruin von Unternehmen und zum Rückgang von gesellschaftlicher Produktivität und Reichtum führe (vgl. 360 f. u. 364 ff.). Politische Eingriffe in die Gesetze der Ökonomie und die bestehenden Rechts- und Eigentumsverhältnisse würden, so höhnt Burke, zwar bewirken, dass „in der Tat vollkommene Gleichheit hergestellt“ werde – aber nur in dem Sinne, dass „die gleiche Not, das gleiche Elend und der gleiche erbärmliche Zustand sowie auf Seiten der Aufteilenden eine traurige, hilflose und verzweifelte Enttäuschung [herrschten]. So sieht das Ergebnis allen erzwungenen Gleichmachens aus.“ (369) Mit diesen Argumenten wird Burke zu einem der Vordenker der Fundamentalkritik am Poor Law. Obwohl er es in den Thoughts on scarcity nicht explizit zum Thema macht, versammelt Burke die Einwände, die die marktliberale Kritik des Poor Law vorbrachte, die in diesen Jahren entstand und dann zu seiner Abschaffung führte. Denn seine Argumente gegen die Einführung eines Mindestlohnes betrafen auch die Unterstützung der arbeitsfähigen Männer und Frauen, wie sie in Form von direkten oder indirekten Zuschüssen zu Löhnen wie beim Speenhamland Act erfolgte.45 Die Garantie eines Mindesteinkommens würde den für den Prozess der Produktion gesellschaftlichen Reichtums zentralen Mechanismus der freien Aushandlung von Löhnen aushebeln. Deshalb können und dürfen für Burke auch dann, wenn „eine echte Hungersnot droht“, die Lohnabhängigen nur auf das hoffen, was ihnen „unter Berufung auf die Regeln des Handels und die Grundsätze der Gerechtigkeit“ zusteht, nämlich auf den Lohn, den sie auf dem Arbeitsmarkt erzielen können. Für Burke sind mithin alle Leistungen, die, wie das steuerbasierte System des Poor Law, darüber hinausgehen, rechtlich, politisch und ökonomisch gleichermaßen ausgeschlossen. || 45 Deshalb ist es zwar ein Irrtum, wenn man lange Zeit annahm, Burkes Thoughts on scarcity richteten sich vor allem gegen das Speenhamland-System (so die Kritik von Winch 1996: 201 an Macpherson 1980: 52, Himmelfarb 1984: 69 oder Canavan 1995: 130; vgl. oben, S. 330 f., u. unten, S. 356, Anm. 13). Zugleich aber fällt dieses System als bloßer Sonderfall marktfremder und -verzerrender Leistungen zum Unterhalt von Arbeitern unter das generelle Verdikt des Verbots politischer Intervention, das in dieser Schrift über sie ausgesprochen wird.

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Wie das Diktat eines Mindestlohnes eine ungerechte und willkürliche Steuer wäre, sei auch die Erhebung einer Armensteuer zur direkten Absicherung der Subsistenz der arbeitenden Armen „eine Verletzung des Eigentums, das sie [die Obrigkeit] von Amts wegen zu schützen hat“ (363). Dies würde nicht nur ein gefährliches Anspruchsdenken der labouring poor nähren (372), sondern auch ihre Arbeitsmoral und damit die Bedingungen von Produktivität und Prosperität unterminieren, denn es „teach[es] them to seek resources where no resources are to be found – in something else than their own industry, and frugality, and sobriety“ (WS IX: 355 [RP III]). b) Burkes Vereinbarung von ökonomischer Freiheit und natürlicher Ungleichheit In Burkes System der politischen Ökonomie manifestiert sich eine folgenschwere Verschiebung der von den politischen Ökonomen der Aufklärung vertretenen Erwartungen hinsichtlich der Dynamik freier Märkte. Zwar ist er wie diese überzeugt, dass in der commercial society der Wohlstand der Nationen wie auch derjenige der Armen und der arbeitenden Bevölkerung gestiegen sei und weiterhin steigen werde (vgl. 354 f. u. 380 f.). Doch er verleiht dem am Ende des 18. Jahrhunderts sichtbar werdenden Umstand, dass diese Wirtschaftsordnung zugleich regelmäßig Krisen, Armut und Elend hervorbringt, in einer neuartigen Weise Ausdruck, indem er diese zum Moment des ‚natürlichen Laufs der Dinge‘ erklärt. Ähnlich wie Townsend vor und Malthus nach ihm, verschiebt Burke das Verständnis dieses ‚Natürlichen‘ in Richtung auf die Einbeziehung biologischer Prozesse in die Mechanismen sozialer und ökonomischer Zusammenhänge. Gleich zu Beginn der Thoughts on scarcity erklärt er das Problem der Armut zu einem der Zahl (352), d. h. der Bevölkerungszahl und der verfügbaren Lebensmittel. Die Lösung des Armutsproblems liege deshalb nicht „in der Macht der Regierung als Regierung oder gar der Reichen als Reicher“ (373), sondern sei Sache der natürlichen Gesetze des Marktes, die für das Gleichgewicht zwischen der Zahl der labouring poor, der verfügbaren Güter zu ihrer Erhaltung und der Nachfrage nach ihrer Arbeitskraft sorgten. In Zeiten der Krise kann und darf Burke zufolge mithin nicht mehr auf politisches Handeln oder ein System sozialer Absicherung wie das Poor Law gesetzt werden: Die arbeitsfähigen Armen und Hungernden werden ganz auf ihr Vermögen verwiesen, ihren Kampf ums Überleben auf freien Märkten erfolgreich zu gestalten, und wem dies nicht gelingt, der muss auf die Barmherzigkeit (charity) der Bürger hoffen (vgl. 363 f. mit Anm. 21-23). So sehr solche marktliberale Härte und Radikalität als Bruch mit dem gängigen Bild Burkes als Traditionalisten erscheint, zeigt sich doch bei näherem Hinsehen, dass der oft konstatierte Gegensatz zwischen seinem Einsatz für die überkommene Staats- und Rechtsordnung mit seinem gleichzeitigen Verfechten des Primats der Ökonomie und der Gesetze freier Märkte nur scheinbar besteht. Denn insofern in der Sphäre der Ökonomie eigene, feste Gesetze gelten, ist sie Teil und Funktion jener Natur, Gesellschaft und Geschichte übergreifenden Ordnung, von deren Existenz Burke von seinen ersten Schriften an ausging (vgl. oben, S. 36 ff.). Diese Ordnung ist für ihn menschlicher Vernunft und Praxis vor- und übergeordnet, so dass der Mensch zwar

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„niemals der sehende Herr seines Schicksals werden“ (Strauss 1953: 329), doch durch Erkenntnis der Ordnung und ihrer Gesetze verhindern kann, dass der ‚natürliche Lauf der Dinge‘, der die Grundlage allen Seins, aller Entwicklungen und Zivilisation sei, gestört wird. Dem funktionalen Mechanismus marktvermittelter Organisation von Produktion und Distribution kommt somit eine gesamtgesellschaftlich produktive wie auch normative Qualität zu. Wie Smiths ‚unsichtbare Hand‘ des Marktes (vgl. Smith 1759: 296 ff.; ders. 1776: 371), nötigt bei Burke jener „weise Sachwalter aller Dinge“ die Individuen mittels der Gesetze des Handels „in der Verfolgung ihrer eigennützigen Interessen, ob sie es wollen oder nicht, das allgemeine Gute mit ihrem eigenen individuellen Erfolg zu verknüpfen“ (359). Die ‚Eigenlogik‘ des Marktsystems ist damit gleichsam ein notwendiges Durchgangsmoment der Eigenlogik der universalen Ordnung der Natur selbst: diese schafft Menschen als bedürftige, ihren Eigennutz verfolgende Wesen, die in kooperativ-kompetitiver Form gesellschaftlich produzieren und dadurch den Reichtum der Nationen, zugleich aber auch das Fundament politischer und sozialer Ordnung und Zivilisation stiften (vgl. Canavan 1995: 25 ff.). Durch die Art und Weise jedoch, in der Burke das – mit Polanyi gesprochen46 – ‚entbettete‘ Marktsystem in eine naturwüchsige Ordnung von Natur und Gesellschaft ‚einbettet‘, gibt er der politischen Ökonomie eine neue Wendung. Indem er die Existenz einer marktwirtschaftlichen Ordnung selbst von der historischen Genese politischer und sozialer Institutionen und Verhältnisse abhängig macht, bindet er sie an die je konkreten Rechts- und Eigentumsverhältnisse. So bilden für Burke in England die ‚landed interests‘ – d. h. die Grundeigentümer und die kapitalistisch produzierenden Pächter – nicht nur das historische Fundament von Gesellschaft und Zivilisation, sondern haben auch in der auf freien Märkten und Marktakteuren beruhenden Ordnung den Vorrang inne.47 Ebenso sind die ökonomischen und sozialen Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern Burke zufolge sowohl in der Sphäre des Marktes wie der Produktion von struktureller Ungleichheit und Hierarchie geprägt – und müssen es sein. Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft treten einander dann zwar als rechtlich Freie und Gleiche gegenüber, doch schlössen sie stets „einen unausgesprochenen Vertrag“, wonach bei der Höhe der Löhne das Interesse der Kapitalbesitzer, „einen Gewinn auf sein Kapital und einen Ausgleich für sein Risiko“ zu erhalten, den Interessen der Lohnabhängigen vorhergehe (356). In der Sphäre der Produktion bestehe eine „Kette der Unterordnung“, in der der Unternehmer „ein denkendes und beherrschendes Prinzip für den Arbeiter“ sei und diesen so einsetze, dass „sein Kapital […] ständig gedüngt wird und Früchte trägt“ (358 f.). Und wenn Burke schließlich die paternalistische Vorstellung der „Reichen“ als der „persönlichen Treuhänder derjenigen, die arbeiten“ (353; vgl. dort Anm. 6), auf die Beziehungen zwischen Unternehmern || 46 Vgl. Polanyi 1978: 87 ff.; hierzu Block/Somers 2014, Kap. 5 u. 6. 47 Vgl. WS IX: 374 f. (RP III): „[W]hile the landed interest, instead of forming a separate body, as in other countries, has, at all times, been in close connexion and union with the other great interests of the country, it has been spontaneously allowed to lead and direct, and moderate all the rest.“

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und Arbeitern überträgt, macht er den Zwang, den Gesetzen des Marktes zu folgen, gleichsam zu einer moralischen Pflicht, da dies dem Interesse aller diene. Auf diese Weise ist für Burke die Verteidigung der (kapitalistisch wirtschaftenden) Aristokratie und Gentry und der damit verbundenen ständischen Sozialordnung in England gleichbedeutend mit der Verteidigung der marktwirtschaftlichen Ordnung.48 Alle Eingriffe in die Freiheit und das Eigentum der agrarischen Eliten würden „auf die Zerstörung unserer gesamten Landwirtschaft […], ja auf die Zerstörung der Sicherheit und selbst der Existenz unseres Staates“ hinauslaufen (373). Die commercial society und die ständisch-aristokratische Sozial- und Staatsordnung Englands sind gleichermaßen Teil einer gottgewollten, hierarchisch strukturierten Natur- und Weltordnung, so dass die Ungleichheit „out of the nature of things“ erwächst (an J. Bourke, Nov. 1777, Corr. III: 403). Das Verhältnis zwischen Politik und Ökonomie ist für Burke von hier aus zu bestimmen. Aufgabe des Staatsmannes ist es, das Ganze der politischsozialen Welt – des commonwealth im weiteren Sinne – im Rahmen der übergreifenden Naturordnung und ihrer Gesetze zu erkennen, um darin „die unterschiedlichen Ordnungen des Seins“ zu differenzieren und bestimmen zu können, was jeweils in die Sphäre der Ökonomie fällt und was in die der Politik, d. h. die des commonwealth im engeren Sinne (382).49 Für den Burke der Thoughts on scarcity ist das Urteil klar: Politische Entscheidungen dürfen die Entwicklung und Dynamik der Marktbeziehungen, der Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums als solche nicht stören, da für diese wie für die Sozial-, Natur- und Weltordnung selbst gilt, dass sie rationaler Kontrolle und Steuerung nicht zugänglich sind und ihr natürlicher Lauf nicht behindert werden darf. Politische Interventionen in die Gesetzmäßigkeiten des marktwirtschaftlichen Systems von Produktion und Distribution sind allenfalls in Ausnahmefällen und in dem Maße sinnvoll und möglich, in dem sie die Gesetze des Marktes respektieren. Politische und rechtliche Absicherung der Marktordnung, Aufklärung über ihre Zusammenhänge, Appell an Eigenverantwortung und Arbeitsfleiß sowie durch Kirche und Religion gespendeter Trost für die von marktbedingter Ungleichheit und Not Betroffenen – das ist es, was Staat und Politik im Vertrauen darauf, dass die Produkte der Selbsttätigkeit der kapitalistischen Marktwirtschaft in letzter Instanz allen zugutekommen, zu leisten haben und zu leisten vermögen. Dagegen fallen die Opfer, die Krisen wie die von 1795 kosten, für Burke letztlich nicht ins Gewicht.50 Sie rechtfertigen keine Eingriffe in die Mechanismen der Marktordnung, schon gar nicht ihre || 48 Damit prägt Burke eine Verbindung „zwischen einer aristokratischen Auffassung von Politik und den Realitäten des modernen Kapitalismus“, die Robin zufolge „ein Leitmotiv konservativen Denkens“ darstellt (Robin 2018: 12). 49 Burke argumentiert hier ganz auf der Basis seiner schon in den 1750er Jahren vertretenen Konzeption der Aufgaben und Grenzen von menschlichem Wissen und Handeln; vgl. oben, S. 38 ff. 50 Schon 1780 schrieb Burke: „Individuen gehen wie Schatten vorüber; aber der Staat ist bleibend und ewig. Der Unterschied zwischen Heute und Morgen, für einen Privatmann oft von unendlicher Wichtigkeit, gilt dem Staate nichts.“ (Burke 1796: 148).

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revolutionäre Aufhebung. Genau diese Reformulierung der politischen Ökonomie und ihre Entpolitisierung machte Burkes Denken für eine neue Epoche der Durchsetzung der kapitalistischen Marktwirtschaft attraktiv, indem es das Versprechen auf Freiheit und Gleichheit der Individuen in der commercial society aufgibt, das man im Jahrhundert der Aufklärung noch mit ihr verbunden hatte.

5.2 Allgemeine Überlegungen und Details zur Frage der Knappheit. Ursprünglich unterbreitet dem sehr ehrenwerten Herrn William Pitt im November 17951 von Edmund Burke

Die größte Gefahr überhaupt ist eine unbesonnene Einmischung in den Handel mit Lebensmitteln, und sie ist immer dann am größten, wenn Menschen am meisten dazu neigen – in Zeiten der Knappheit nämlich.2 Denn es gibt nichts, was die Leidenschaften der Menschen so heftig erregt, was ihr Urteil so schwächt und was eine solche Fülle weitverbreiteter unbegründeter Vorurteile hervorgebracht hat. Der große Nutzen der Regierung besteht in ihrer beschränkenden Funktion; und es gibt keine Beschränkung, die sie anderen, aber ebenso sich selbst auferlegen sollte, als die, die wildwuchernden Spekulationen unter Bedingungen der Verunsicherung auferlegt werden. Die vielen unnützen Geschichten, die mit eifernder Parteilichkeit und der Inbrunst törichter guter Absichten in Umlauf gebracht und von der || 1 Der Text wurde im Jahre 1800 von French Laurence und Walker King aus Burkes Nachlass herausgegeben. Sie kompilierten mehrere Texte, die Burke im Zusammenhang mit den Debatten über die Ursachen der Lebensmittelknappheit 1795/96 und Wege ihrer Überwindung verfasst, doch nicht abgeschlossen hatte. Der so entstandene Text wurde drei Jahre nach Burkes Tod publiziert, um in Kontroversen über den Umgang mit einer erneuten Nahrungsmittelkrise einzugreifen (vgl. Laurence/ King 1800). Den Hauptteil der Schrift bildet ein Memorandum, das Burke am 7. November 1795 an William Pitt, den britischen Premierminister, übersandt hatte, nachdem im House of Commons am 3. November eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für Maßnahmen zur Krisenbearbeitung eingesetzt worden war. Als der Whig-Abgeordnete Samuel Whitbread Anfang Dezember 1795 einen Gesetzentwurf zur Einführung von Mindestlöhnen vorlegte, fasste Burke, so berichtete die Times am 14. Dezember 1795, den Plan, einen „Letter to Arthur Young […] on the Projects talked of in Parliament for an Encrease of Wages to Day Labourers, and other topics of Rustic Œconomy“ zu veröffentlichen (s. a. unten, Anm. 11). Auch diese Schrift wurde nicht fertiggestellt. Die Herausgeber fanden im Nachlass drei Fragmente dieses angekündigten Briefs an Arthur Young (1741-1820), einen der führenden Agrarökonomen der Zeit, von 1784 an langjähriger Herausgeber der Annals of Agriculture und ab 1793 Sekretär des Board of Agriculture (vgl. Gazley 1973; s. a. unten, Anm. 29). Diese Fragmente bauten die Herausgeber dort, wo es ihnen passend schien, in Burkes Memorandum an Pitt ein; sie werden im Folgenden kenntlich gemacht. Zur Entstehungsgeschichte vgl. oben, S. 336 ff. 2 Als Burke seine Schrift verfasste, herrschte in England eine Nahrungsmittelkrise. Mehrere schlechte Ernten hatten zu einer Knappheit an Getreide geführt, es mangelte vor allem an Weizen, dem wichtigsten Bestandteil der Ernährung breiter Schichten; die Preise stiegen innerhalb kurzer Zeit um das Zwei- bis Dreifache, was angesichts fallender Löhne zu Hungersnot, Aufständen und Unruhen führte. Vor dem Hintergrund der Französischen Revolution, politischer Bewegungen, die sich auf deren Prinzipien beriefen, sowie der Beteiligung Englands am Krieg gegen das revolutionäre Frankreich und der dadurch bestehenden Belastungen erschienen Regierung und Parlament Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise besonders dringlich; vgl. hierzu unten, Anm. 34 sowie oben, S. 336 ff. https://doi.org/10.1515/9783050087771-006

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tückischen Leichtgläubigkeit der Menschheit gierig verschlungen werden, führen dazu, Vorurteile, die an sich schon mehr als hinreichend ausgeprägt sind, unendlich zu verstärken. Angesichts dieser Umstände und des mit ihnen einhergehenden Zustands der Öffentlichkeit ist das erste, was die Regierung uns, dem Volk, schuldet, Information, das nächste ist rechtzeitiger Zwang: das eine, um unser Urteil anzuleiten, das andere, um unsere Gemüter zu beruhigen. Unsere täglichen Bedürfnisse zu befriedigen, steht nicht in der Macht der Regierung. Es wäre eine eitle Anmaßung, wenn Staatsmänner glaubten, dies tun zu können. Das Volk unterhält sie, nicht sie das Volk. Zwar steht es in der Macht der Regierung, sehr viel Schaden abzuwenden, doch kann sie in dieser wie vielleicht überhaupt in jeder Angelegenheit selbst nur wenig Gutes ausrichten. Dies gilt nicht nur für den Staat und für Staatsmänner, es gilt für alle Klassen und Arten von reichen Menschen: Sie beziehen ihre Renten von den Armen und werden von deren Überfluss unterhalten.3 Sie befinden sich in absoluter, angestammter und unveräußerlicher Abhängigkeit von denen, die arbeiten und fälschlicherweise als „Arme“ bezeichnet werden. Das arbeitende Volk ist nur deshalb arm, weil es so zahlreich ist. Eine große Anzahl bedeutet naturgemäß Armut.4 Bei einer gleichmäßigen Verteilung auf eine riesige Menge kann niemand viel bekommen. Die Klasse abhängiger Rentiers, die Reichen genannt, ist so außerordentlich klein, dass man alle ihre Kehlen durchschneiden und alles verteilen könnte, was sie in einem Jahr verbrauchen, ohne dass für jene, die arbeiten und in Wahrheit sowohl die Rentiers als auch sich selbst ernähren, dabei auch nur ein Bissen Brot und Käse für eine Abendmahlzeit herausspringen würde.5 || 3 Dieses Argument führte Burke schon 1772 an, als er im Rahmen parlamentarischer Debatten über die Regulierung des Getreidehandels erklärte: „it is not we that are charitable to them, but they to us. We hoard up a portion of what is produced by their labour, and, when we give it back, we give back but their own-“ (PH XVII. 481) Die Erklärung, dass der gesellschaftliche Reichtum auf menschlicher Arbeit und ihrer Produktivität beruht, rückte im entstehenden politisch-ökonomischen Denken seit dem 17. Jahrhundert zunehmend ins Zentrum der Debatte. Dadurch erhielt die Frage der Armut der Arbeitenden und der Rechtfertigung der politischen, sozialen und ökonomischen Rolle der Besitzenden eine neue Bedeutung. John Bellers postulierte ein Jahrhundert vor Burke: „The Labour of the Poor being the Mines of the Rich“ (Bellers 1696: 2). Und für Adam Smith gründete der Wohlstand der Nationen auf der Produktivität der Arbeit; die anderen Einkommensformen – Kapital und Grundrente – seien Abzüge vom Ertrag der Arbeit der Produzenten (Smith 1776: 3 u. 42-44). 4 Die Erklärung der Armut durch das demographische Argument der großen Zahl, wie es Thomas Malthus 1798 im Essay on the Principle of Population als natürliches Gesetz formuliert hatte, wurde in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verstärkt vertreten, so etwa von Joseph Townsend in seiner Dissertation on the Poor Laws von 1786. Das Armutsproblem wird so zu einem natürlichen Phänomen erklärt, das nur bedingt durch politische Maßnahmen zu beeinflussen sei; vgl. oben, S. 333 ff. 5 Bereits 1790 wandte Burke in seinen Betrachtungen über die Französische Revolution gegen die Enteignung der Reichen ein, dass „das Ausplündern der Wenigen, wenn die Beute unter die Menge verteilt werden soll, immer nur unendlich geringe Portionen abwerfen [wird]: aber die Menge ist unfähig, diese Berechnung anzustellen, und die, welche sie zum Raub anführen, haben niemals im Ernst den Willen, mit ihr zu teilen“ (Burke 1990c: 118).

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Doch weder sollten die Kehlen der Reichen durchschnitten noch ihre Lagerhäuser geplündert werden; denn sie sind die persönlichen Treuhänder derjenigen, die arbeiten, und ihre Schätze sind deren Bankhäuser.6 Ob sie dies nun wollen oder nicht, sie üben diese Treuhandschaft tatsächlich aus – die einen mit mehr, die anderen mit weniger Redlichkeit und Urteilskraft. Im Großen und Ganzen aber wird die Pflicht erfüllt, und abzüglich äußerst geringfügiger Provisionen und Abschläge kehrt alles an den Ort zurück, von dem es kam. Wenn sich die Armen erheben, um die Reichen zu vernichten, handeln sie in ihrem eigenen Interesse gerade so klug, als würden sie Mühlen anzünden und das Getreide in den Fluss schütten, um den Brotpreis zu senken. Wenn ich sage, dass wir, das Volk, informiert werden sollten, dann sage ich damit zugleich, dass man uns nicht schmeicheln sollte: Schmeichelei ist das Gegenteil von Unterweisung. Die Armen würden in diesem Fall so unbesonnen gemacht wie die Reichen, was in keiner Weise gut für sie wäre. Nichts kann so niederträchtig und so gemein sein wie die scheinheilige politische Wendung „die arbeitenden Armen“. Möge sich das Mitgefühl in Taten ausdrücken – je mehr, desto besser –, jeder nach seinen Möglichkeiten; doch möge es kein Wehklagen über die Lebensumstände der Arbeiter geben. Es verschafft ihrem armseligen Dasein keine Erleichterung; es beleidigt lediglich ihren armseligen Verstand. Es verdankt sich einem vollständigen Mangel an Barmherzigkeit oder einem vollkommenen Mangel an Nachdenken. Noch nie ließ sich ein Mangel durch einen anderen Mangel ausgleichen. Geduld, Arbeit, Nüchternheit, Genügsamkeit und Religion sollte man ihnen empfehlen – alles andere ist regelrechter Betrug.7 Es ist schrecklich, sie die „einstmals glücklichen Arbeiter“ zu nennen. || 6 Der Begriff des Vertrauens (trust) spielt bei Burke – wie in der Tradition liberalen politischen Denkens von Locke über Hume bis zu den Federalists generell – eine zentrale Rolle. In politischen, sozialen wie in ökonomischen Kontexten steht Vertrauen für die Wechselseitigkeit von Beziehungen und der Pflichten, die sich daraus sozusagen naturwüchsig ergeben. Vertrauensbeziehungen tragen bei Burke dabei stets Züge einer natürlich entstehenden Hierarchie, bei der Macht und Herrschaft mit der patriarchalisch konnotierten Verantwortung für Abhängige und Beherrschte einhergehen und zum Wohle aller ausgeübt werden soll. Dies gilt bei Burke im Verhältnis der Eltern als „Trustees“ ihrer Kinder (Corr. VII: 592), zwischen politischen Repräsentanten und Repräsentierten in Konzepten wie der ‚natürlichen Aristokratie‘ oder ‚virtuellen Repräsentation‘ (vgl. in diesem Band, S. S. 100, 105 ff. u. 302 f.), zwischen dem Empire und den Kolonien (vgl. in diesem Band für Amerika S. 197, für Indien S. 249) wie schließlich hier für das Verhältnis zwischen Unternehmern bzw. Grundbesitzern und Lohnarbeitern; vgl. auch Canavan 1995: 39 ff.; Conniff 1993: 294 ff.; ders. 1994: 137-160. 7 Die – seit Daniel Defoe (1700: 27) – im 18. Jahrhundert übliche Rede von den „labouring poor“ kritisiert Burke auch im dritten seiner zur gleichen Zeit verfassten Letters on a Regicide Peace. Es gehöre demnach zum „bon ton of the humanity of this day“, von den „Labouring Poor“ zu sprechen und Pläne zur Erleichterung ihrer Lage zu schmieden. Für Burke ist dieser „jargon […] not as innocent as it is foolish“, denn „the name of Poor […] has not been used for those who can, but for those who cannot labour“; und nur diesen gegenüber seien Mitleid und (freiwillige) Unterstützung angebracht. Denn bezeichne man die Arbeitsfähigen als arm und bringe ihnen Mitleid entgegen, untergrabe man

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Ob sich das, was man als moralisches oder philosophisches Glück der arbeitenden Klassen bezeichnen könnte, vergrößert oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Diese Art von Glück ist geistiger Natur, und es gibt wenige Anhaltspunkte, um den relativen Geisteszustand zu zwei beliebigen Zeiten zu bestimmen. Philosophisches Glück bedeutet, Weniges zu benötigen. Bürgerliches oder gemeines Glück bedeutet, Vieles zu benötigen und Vieles zu genießen. Wenn wir das Glück des sinnlichen Menschen – das gewiss zum Glück des vernunftbegabten Menschen beiträgt – einzuschätzen versuchen, dann möchte ich ohne das geringste Zögern behaupten, dass sich die Lebensumstände derer, die (in allen Spielarten und Abstufungen der Arbeit, von der höchsten bis zur niedrigsten) arbeiten, insgesamt sehr verbessert haben, sofern mehr und bessere Nahrung als Maßstab für Verbesserungen gelten darf.8 Sie arbeiten mehr, das ist gewiss; sie profitieren aber auch von ihrer Mehrarbeit. Die Frage allerdings, ob diese Zunahme an Arbeit insgesamt gut oder schlecht ist, würde uns sehr weit abführen und dient auch nicht meinem gegenwärtigen Zweck. Wann immer man mich dazu auffordert, werde ich mir allerdings gerne die Mühe machen, in allen Einzelheiten zu beweisen, dass die Ernährung tatsächlich besser geworden ist. Bis dahin dürfte die bekannte Schwierigkeit, das Volk mit irgendetwas anderem als mit Brot von allerfeinstem Mehl und hochwertigstem Fleisch zufriedenzustellen, ein hinreichender Beweis sein.9 || ihre Arbeitsmoral und damit sowohl „the condition of mankind“ als auch die Stabilität der Gesellschaft: „This affected pity only tends to dissatisfy them with their condition, and to teach them to seek resources where no resources are to be found – in something else than their own industry, and frugality, and sobriety.“ (WS IX: 355) Burke folgte hier nicht nur Montesquieu – „Der Mensch ist nicht arm, weil er nichts besitzt, sondern weil er nicht arbeitet.“ (Montesquieu 1748: II. 157 [XXIII. 29]) –, sondern lieferte auch Argumente in der zeitgenössischen Debatte über die Unterstützung der labouring poor durch das bestehende Armenrechtsystem. Dieses sah Hilfe vor, wenn der Arbeitslohn nicht zur Subsistenzsicherung ausreichte, was im ausgehenden 18. Jahrhundert bei weiten Teilen der Lohnabhängigen der Fall war; vgl. Rule 2002: 184 sowie weiter unten, S. 363 f. mit Anm. 21-23, und oben, S. 329 ff. – Zu diesen Debatten über die die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Armen bzw. Paupern, mit der sich Burke auch von Smith distanzierte (Winch 1996: 202), vgl. Himmelfarb 1984: 68 f., 76 ff.; Dean 1991: 140 ff.; Bohlender 2007: 155 f. 8 Die Entwicklung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung in England im 18. und 19. Jahrhundert ist seit langem Gegenstand breiter Debatten. Die langfristigen Trends zeigen, dass die Löhne der englischen Landarbeiter zwischen den 1740er und den 1790er Jahren um etwa 40 Prozent stiegen, dass die Reallöhne aber aufgrund des gleichzeitig deutlich stärkeren Anstiegs der Preise bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sanken. Zugleich wuchs durch Einhegungen und andere Entwicklungen die Zahl derjenigen, die als Tagelöhner ganz von Märkten abhängig waren und ihre Subsistenz in Zeiten plötzlicher Preisanstiege und Nahrungsmittelkrisen nicht mehr durch Produkte sichern konnten, die sie mit eigener Arbeit auf eigenem oder Gemeindeland herstellten. – Zur Entwicklung von Löhnen, Preisen und Lebensstandard vgl. Lindert/Williamson 1983; Crafts 1989; Kopsidis 2006: 205 ff.; Sokoll 2008a: 680 ff.; Clark 2010. Vgl. die Einleitung oben, S. 324 ff., v. a. 330 f. 9 Vor allem im Süden Englands galt der arbeitenden Bevölkerung aus reinem Weizen hergestelltes Brot als unverzichtbarer Teil ihrer Ernährung, mit anderen Getreidesorten oder Kartoffelmehl gemischtes dagegen als minderwertig und die Arbeitskraft schwächend. Versuche wie der, etwa durch eine

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Außerdem behaupte ich, dass es den arbeitenden Menschen trotz aller Entbehrungen des vergangenen Jahres entweder wegen ihrer unmittelbaren Einkünfte oder dank milder Gaben (was aber mittlerweile eine Beleidigung für sie zu sein scheint) in der Tat besser ging als zu Zeiten des allgemeinen Überflusses vor fünfzig oder sechzig Jahren – oder selbst in der Zeit meiner Beobachtungen in England, die etwa 44 Jahre zurückliegen. Ich behaupte sogar, dass so viele Angehörige dieser Klasse wie nie zuvor weiterhin Geld sparen. Und dies kann ich belegen, soweit meine eigenen Informationen und Erfahrungen reichen. Es stimmt nicht, dass die Lohnhöhe nicht mit dem Nominalpreis für Lebensmittel gestiegen wäre. Ich gebe zu, sie ist nicht im selben Maße wie dieser Preis gestiegen und gefallen – und sollte es auch nicht; die ehrenwerten Herren von Norfolk hatten offenbar gerade gespeist, als sie verlauten ließen, diese könne oder solle gegebenenfalls mit dem Preis auf dem Lebensmittelmarkt steigen und fallen.10 Die Höhe der Löhne steht in Wahrheit in keinem direkten Zusammenhang mit diesem Preis. Arbeit ist eine Ware wie jede andere, und sie steigt oder fällt mit der Nachfrage. Dies liegt in der Natur der Sache; doch die Natur der Sache hat auch für ihre täglichen Bedürfnisse vorgesorgt. Die Löhne wurden zu meiner Zeit zweimal erhöht. Und sie stehen zur durchschnittlichen Lebensmittelversorgung der letzten zwanzig Jahre, die eine schlechte Zeit waren, in einem ganz und gar angemessenen, möglicherweise sogar in einem mehr als angemessenen Verhältnis als zuvor. Sie stehen in einem ganz und gar angemessenen Verhältnis zum Ergebnis ihrer Arbeit. Wenn wir aufs Geratewohl versuchten, sie darüber hinaus zu treiben, dann würde ihnen der Stein, den wir bergauf rollten, lediglich als verringerte Nachfrage oder – was in der Tat von weit geringerem Übel wäre – als gestiegener Preis für alle die Lebensmittel, die das Produkt ihrer körperlichen Arbeit sind, wieder vor die Füße fallen. || im Dezember 1795 vom House of Commons beschlossene Bill for lessening the consumption of wheat (PH XXXII: 687-700) die Herstellung von Mischbrot durchzusetzen, wurden von der Landbevölkerung als Angriff auf ihren Lebensstandard wahrgenommen und scheiterten; vgl. Barnes 1930: 74 f., Thompson 1980: 71 ff. 10 An 21. Oktober 1795 hatten die Magistrate von Norwich, Hauptstadt der Grafschaft Norfolk, ihre lokalen Parlamentsvertreter, Henry Hobart und William Windham, aufgerufen, sich im House of Commons für Maßnahmen einzusetzen, „to reduce the present exorbitant prices of every Necessities of life“ (zit. n. Girdler 1800: 342), verlangten aber keine Bindung der Löhne an die Entwicklung der Brotpreise. Anders die Magistrate von Suffolk, die auf der General Quarter Session am 12. Oktober 1795 gefordert hatten, „to bring a bill into parliament, so to regulate the price of labour, that it may fluctuate with the average price of bread corn“ (Annals XXV: 316). Diese Erklärung wurde vom Abgeordneten John Rous am 25. November 1795 auch in der Debatte zur Einführung von Mindestlöhnen angeführt (Chalmer 1798: 66 f.). Die Breite der Debatte über diese Form der Sicherung subsistenzsichernder Löhne zeigt eine Umfrage, die Arthur Young, der an der Sitzung in Suffolk teilgenommen hatte, am 27. Oktober 1795 startete, bei der er nach den Vor- und Nachteilen dieser Forderung von „various quarter sessions“ fragte (Annals XXV: 345). Sie führte zu zahlreichen Diskussionsbeiträgen, die teils für, teils gegen diese Form der Lohnregulierung argumentierten; vgl. ebd.: 473 ff. u. 499 ff.; Annals of Agriculture XXVI: 1 ff. u. 115 ff.

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Es11 gibt einen unausgesprochenen Vertrag,12 viel stärker als jedes Instrument oder jede Klausel einer Vereinbarung zwischen einem Arbeiter in jeder Art von Beschäftigung und seinem Dienstherrn, – dass die Arbeit, soweit es ihr zu Gebote steht, hinreichen soll, um dem Dienstherrn einen Gewinn auf sein Kapital und einen Ausgleich für sein Risiko zu zahlen: kurz, dass die Arbeit einen ihrer Bezahlung entsprechenden Vorteil erziele. Alles, was darüber hinausgeht, ist eine direkte Steuer; und wenn die Höhe dieser Steuer dem Willen und Belieben eines Dritten überlassen wird, so handelt es sich um eine willkürliche Steuer. Wenn ich recht verstehe, dann soll die für den Bereich der Landwirtschaft dieses Königreichs vorgeschlagene Steuer nach dem sogenannten Ermessen der Friedensrichter erhoben werden.13 Folgende Fragen wirft ein derart willkürliches Besteuerungsprinzip auf: Ob es besser ist, jeden Handel, bei dem weder Zwang noch Betrug, weder geheime Absprachen noch Bündnisse anderer Art im Spiel sind, gänzlich den Personen zu || 11 Hier beginnt das erste Fragment des Letter to Arthur Young, jener Schrift, die Burke nach dem am 9. Dezember 1795 im House of Commons eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung eines Mindestlohns zu verfassen erwog und deren Stoßrichtung die Ankündigung in der Times verrät: „It is said to be the opinion of Mr. Burke, that it is an unwise measure to raise the price of labour by any settled regulation. Wages, like every thing else, ought to find its own level. If wages are to be regulated by the Justices, the consequence, he says, will be, that the farmers will be delivered over, band hand and foot, to the mercy of the landowners; instead of this, he proposes that labour should be left to regulate itself“ (Times vom 28. Dezember 1795, S. 3). 12 Die Idee eines „implicit contract“ spielt eine zentrale Rolle in Burkes sozialphilosophischem Denken. Er lehnt den naturrechtlichen Kontraktualismus entschieden ab, da dieser die Verpflichtungskraft von Normen und Institutionen von der Zustimmung der Individuen abhängig mache, hält jedoch an der Vertragsidee als Grundlage von Ordnungen und wechselseitigen Beziehungen von Rechten und Pflichten fest, indem er sie zu einem ontologischen Prinzip erhebt. So werden Individuen, Staaten und Generationen als Teil eines „great primeval contract of eternal society“ (WS VIII: 147) verstanden, d. h. eingebunden in übergreifende, hierarchisch strukturierte Ordnungen und Prozesse, die dem Willen der Einzelnen entzogen sind (vgl. hierzu auch oben, Teil 1, v. a. S. 38 ff. u. 46 ff., und Teil 4, v. a. S. 278 ff.). In Bezug auf den Arbeitsmarkt bedeutet dies die Pflicht der Parteien, gemäß ihrer Stellung in der Ordnung der Dinge – als Unternehmer und als Arbeiter – zu handeln und die damit verbundenen Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Hierarchien zu akzeptieren. 13 Burke bezieht sich hier auf Vorschläge, die – wie in Whitbreads Gesetzentwurf 1795 – Friedensrichter ermächtigen sollten, „to regulate the wages of labourers in husbandry“ und „to fix the minimum“ (PH XXXII: 700 u. 701) (vgl. hierzu oben, S. 337 f.). – Burkes Argumentation zielt hier also nicht, wie oft angenommen wird, auf den im Mai 1795 in Newbury beschlossenen Speenhamland Act, demzufolge bei Löhnen, die nicht subsistenzsichernd sind, die Differenz zum Lebensnotwendigen der vom Lohn abhängigen Familien aus Mitteln der Armenunterstützung zugeschossen wird. Dieses sogenannte Speenhamland-System hatte für Grundbesitzer und Farmer zwei Vorteile. Es vermied zum einen die Einführung eines subsistenzdeckenden Mindestlohnes, bei dem sie die Sorge hatten, ihn nach der Krise nicht mehr abschaffen zu können. Zum anderen konnten sie so Lohnkosten auf die Gesamtheit der Steuerpflichtigen abwälzen und sie dauerhaft niedrig halten oder weiter senken. Zum Speenhamland Act und der Debatte über seine soziale und ökonomische Bedeutung bis in die Gegenwart vgl. Block/Somers 2014: 114 ff.

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überlassen, die an der jeweils vertraglich vereinbarten Sache beteiligt sind; oder aber den Vertrag in die Hände jener zu legen, die kein oder nur ein sehr entferntes Interesse daran haben können und von seinem Gegenstand nur wenig oder gar keine Kenntnis haben. Man könnte meinen, dass sich diese Frage ohne größere Schwierigkeit beantworten ließe. Denn welcher Mensch, der nur einen Funken Verstand besitzt, kann denken, dass mangelndes Interesse an einem Thema, gepaart mit mangelnder Befähigung, jemanden dafür qualifiziert, sich auch nur in die geringste dieser Angelegenheiten einzumischen – und schon gar nicht in Angelegenheiten, die von so lebenswichtiger Bedeutung für die Landwirtschaft des Königreichs sind, jenes oberste all seiner Interessen und die Grundlage all seines Wohlstands auf jedem anderen Gebiet, auf dem dieser Wohlstand produziert wird? Der landläufige Irrtum über diesen Gegenstand entspringt einer vollständigen Verwirrung der Vorstellung, die man sich von Dingen macht, die an sich sehr unterschiedlich sind, – von jenen der Übereinkunft und jenen der Rechtsprechung. Wird ein Vertrag geschlossen, so liegt dies im Ermessen und im Interesse der beteiligten Parteien. Bei dieser Verbindung und bei dem, was aus ihr folgen soll, sind die beteiligten Parteien die Herren und Meister. Wenn sie es nicht in vollem Umfang sind, sind sie nicht frei und ihre Verträge folglich ungültig. Diese Freiheit aber erlischt, sobald der Vertrag einmal geschlossen wurde. Dann endet ihre Ermessensfreiheit, und eine neue Ordnung der Dinge tritt in Kraft. Dann, und erst dann, kann der Richter seines Amtes walten, sofern es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Parteien kommt. Er kann den Vertrag nicht vorschreiben. Seine Aufgabe ist sicherzustellen, dass er durchgesetzt wird – vorausgesetzt, er verstößt nicht gegen geltendes Recht und ist nicht durch Zwang oder Betrug zustande gekommen. Ist er in irgendeinem Sinne Vertragspartei oder an der gesetzlichen Regelung solcher Verträge beteiligt, so ist er in eben diesem Maße untauglich, als Richter aufzutreten. Doch diese Art der unklaren Verteilung von regulierenden und rechtsprechenden Rollen (mit der wir schon reichlich, um nicht zu sagen überreichlich gesegnet sind) ist nicht die einzige Verwirrung der Vorstellungen und Leidenschaften, die uns zurzeit Sorgen bereitet. Die Regelung geht davon aus oder gibt vor, dass Farmer und Arbeiter gegensätzliche Interessen haben, dass der Farmer den Arbeiter unterdrückt und dass ein Gentleman, den man Friedensrichter nennt, ein Beschützer des letzteren und eine kontrollierende oder beschränkende Instanz gegenüber ersterem wäre. Dies ist ein Thema, das ich doch recht anders prüfen möchte als jene Gentlemen, die ihren Fähigkeiten mehr vertrauen, als sie sollten, und ihnen, genährt einzig vom Futter ihrer eigenen privaten Spekulationen, Dinge zutrauen, die jede natürliche Fähigkeit übersteigen. Gesetzgebende Akte zur Regulierung dieses Teils der Wirtschaft sind mindestens so sehr wie alle anderen auf eine genaue, detaillierte Kenntnis aller Umstände angewiesen sowie auf allgemeine Prinzipien von größter Gewissheit. Diese sind notwendig, um Experimente und Untersuchungen anzuleiten, mit deren Hilfe sich den

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näheren Umständen dann wiederum Prinzipien entnehmen lassen, belastbare und einleuchtende allgemeine Prinzipien, die einem zweckmäßigen gesetzgebenden Verfahren als Richtschnur dienen können. Zunächst einmal bestreite ich, dass es in diesem oder in irgendeinem anderen Fall eine notwendige Voraussetzung ist, dass die vertragschließenden Parteien ursprünglich unterschiedliche Interessen gehabt haben sollten. Dies mag in Einzelfällen anfänglich zweifellos so sein. Dann jedoch hat der Vertrag den Charakter eines Kompromisses, und Kompromisse beruhen auf der Unterstellung, es liege im Interesse der Vertragsparteien, sich irgendwo in der Mitte zu treffen. Hält man sich an das Prinzip des Kompromisses, dann hören die Interessen auf, verschiedenartig zu sein.14 Im Falle des Farmers und des Arbeiters aber gilt: Sie haben immer die gleichen Interessen, und es ist absolut unmöglich, dass ihre freiwilligen Verträge für eine der beiden Parteien belastend sind. Es liegt im Interesse des Farmers, dass seine Arbeit effektiv und schnell erledigt wird; und das wird nicht geschehen, wenn der Arbeiter nicht wohlgenährt und auch sonst mit all den Gütern ausgestattet ist, die er seiner Gewohnheit gemäß für sein leibliches Wohlergehen braucht, damit sein Körper alle Kraft und sein Gemüt alle Heiterkeit und Freude bewahren kann. Denn unter allen Instrumenten seines Gewerbes ist es die Arbeitskraft des Menschen – das, was die alten Autoren instrumentum vocale nannten –, auf die er sich im Hinblick auf die Rückzahlung seines Kapitals vor allem verlassen muss. Die beiden anderen, das semivocale der antiken Klassifikation, d. h. der Viehbestand, und das instrumentum mutum wie etwa die Karren, Pflüge, Spaten usw. haben alle, auch wenn sie selbst nicht ganz unwichtig sind, einen weit geringeren Nutzen oder wesentlich niedrigere Kosten, und sie besitzen ohne eine bestimmte Menge von ersterem nicht den geringsten Wert.15 Denn von allen möglichen Dingen ist der Geist das wertvollste und wichtigste; und auf dieser Skala findet sich die gesamte Landwirtschaft in einer natürlichen und gerechten Ordnung: Das Vieh ist wie ein leitendes Prinzip für Pflüge und Karren. Der Arbeiter ist wie die Vernunft für das Vieh. Und der Farmer ist wie ein denkendes und beherrschendes Prinzip für den Arbeiter. Der Versuch, diese Kette der Unterordnung zu zerreißen, ist an jeder Stelle gleichermaßen widersinnig; der || 14 Vgl. dagegen Smith 1776: 58: „Was üblicherweise Arbeitslohn ist, hängt überall von dem Vertrag ab, den beide Parteien gewöhnlich miteinander vereinbaren, wobei die Interessen der beiden keineswegs die gleichen sind. Der Arbeiter möchte soviel wie möglich bekommen, der Unternehmer so wenig wie möglich geben.“ 15 Das Verhältnis zwischen Farmer und Lohnarbeiter entwirft Burke dem Denken der römischen Antike folgend als ein hierarchisches. So unterschied Marcus Terentius Varro (116-27 v. u. Z.) in Über die Landwirtschaft (Rerum rusticarum libri tres) zwischen den drei Instrumenten, mit denen der Landwirt den Boden bestellt – den Tagelöhnern und Sklaven als dem „sprachfähigen“, dem Vieh als dem belebten, „halbsprachfähigen“ und den Gerätschaften oder Fuhrwerken als dem „stummen Teil der Gutsausstattung“ (Varro 1996: 187 [I. 17]). Anders als bei Ökonomen wie Adam Smith impliziert das ökonomische Verhältnis zwischen freien Vertragsparteien für Burke damit zugleich eine hierarchische Beziehung im Sinne einer gewachsenen natürlichen Sozialordnung; vgl. hierzu oben, S. 348 f.

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Widersinn ist aber in praktischer Hinsicht dort am schädlichsten, wo er am einfachsten ist – d. h. wo er am stärksten einem irrigen Urteil unterliegt. Es ist für den Farmer offensichtlich von größerem Interesse, dass es seinen Männern gut geht, als dass seine Pferde wohlgenährte, kräftige Arbeitstiere mit glänzendem Fell oder dass sein Wagen und seine Pflüge leistungsstark, in gutem Zustand und einsatzbereit sind. Wenn der Farmer hingegen nicht mehr von seinem Arbeiter profitiert, und wenn sein Kapital nicht ständig gedüngt wird und Früchte trägt, dann ist es ihm unmöglich, weiterhin die reichliche Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft zu gewährleisten, die für die Bewahrung seiner Instrumente angemessen ist. Somit ist es das oberste und grundlegendste Interesse des Arbeiters, dass der Farmer einen satten Gewinn aus dem Produkt seiner Arbeit erhalten sollte. Die Aussage versteht sich von selbst. Und einzig die Boshaftigkeit, Verdorbenheit und die fehlgeleiteten Leidenschaften der Menschen, insbesondere der Neid, mit dem sie dem Wohlstand des jeweils anderen begegnen, können verhindern, dass sie dies voller Dankbarkeit gegen den gütigen und weisen Sachwalter aller Dinge einsehen und anerkennen, welcher die Menschen nötigt, in der Verfolgung ihrer eigennützigen Interessen, ob sie es wollen oder nicht, das allgemeine Gute mit ihrem eigenen individuellen Erfolg zu verknüpfen. Doch wer sollte beurteilen, wie dieser Gewinn und Vorteil auszusehen hat? Mit Sicherheit keine Autorität auf Erden. Es ist eine Frage der Übereinkunft, wie sie der wechselseitige Nutzen der Beteiligten und natürlich ihre wechselseitigen Bedürfnisse gebieten. Was aber, wenn der Farmer über die Maßen habgierig ist? Nun, umso besser: Je mehr er seinen Gewinn zu vergrößern hofft, desto größer ist sein Interesse an den guten Lebensbedingungen derjenigen, von deren Arbeit sein Gewinn wesentlich abhängen muss.16 Die Eiferer der Regulierungssekte werden mir sagen, dass dies ja wahr sein und man es gefahrlos der Übereinkunft zwischen dem Farmer und dem Arbeiter überlassen mag, wenn letzterer in der Blüte seiner Jugend steht, gesund und kräftig ist und die normalen Zeiten der Fülle herrschen. In schweren Zeiten aber, bei plötzlicher Krankheit, wenn die Blüte des Lebens vorbei ist und unter dem Druck einer zahlreichen Nachkommenschaft – jener künftigen Ernährer der Gemeinschaft, aber gegenwärtigen Parasiten und Blutsauger ihrer Erzeuger –, was soll man da tun? Wenn ein

|| 16 Burke vertrat schon 1765 in den Tracts relating to Popery Laws die Auffassung, dass Habgier (avarice) für alle positiv sei, da individuelles Besitzstreben „the pleasures of labour and free industry“ anrege und jede gesetzliche Beschränkung privater Verfügung über Eigentum „a Law against industry [sei], the latter having always the former, and nothing else, for its object“. Deshalb zerstöre die durch die englische Politik verfügte Beschränkung der „free circulation“ des Grundeigentums irischer Katholiken die Entwicklung von Wohlstand und Reichtum, die nur durch die dauerhafte Sicherung privater Eigentums- und Verfügungsrechte zu sichern sei, denn: „The desire of acquisition is always a passion of long views“ (WS IX: 476 u. 477).

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Mann vom natürlichen Lohn seiner Arbeit weder leben noch seine Familie ernähren kann, sollte dieser dann nicht durch den Staat erhöht werden? Man erlaube mir, meine von jeher feststehenden Ansichten zu diesem Thema etwas ausführlicher zu erläutern. Zunächst einmal setze ich voraus, dass Arbeit, wie schon angedeutet, eine Ware ist und als solche ein Handelsartikel. Wenn ich hierin nicht irre, dann muss die Arbeit allen Gesetzen und Prinzipien des Handels unterliegen und nicht irgendwelchen handelsfremden Vorschriften, die mit diesen Prinzipien und Gesetzen vielleicht vollkommen unvereinbar sind. Wird eine beliebige Ware zu Markte getragen, dann ist es nicht das Bedürfnis des Verkäufers, sondern das Bedürfnis des Käufers, das den Preis erhöht. Die extreme Not des Verkäufers hat – so liegt es in der Natur der Dinge, gegen die wir umsonst ankämpfen würden – vielmehr genau den umgekehrten Effekt. Übersteigen die Güter am Markt die Nachfrage, so vermindert sich ihr Wert; bleiben sie hinter ihr zurück, dann steigt er. Dass ein Mann, der seine Arbeit zu Markte trägt, nicht von ihr leben kann, ist unter diesem Gesichtspunkt vollkommen irrelevant. Die einzige Frage lautet: Was ist sie dem Käufer wert? Wenn sich aber eine Autorität einschaltet und den Käufer zwingt, einen bestimmten Preis zu zahlen, was heißt dies beispielsweise für den Farmer, der die Arbeit von zehn oder zwölf Arbeitern und drei oder vier Handwerkern kauft – was heißt es anderes, als sein Eigentum willkürlich zwischen ihnen aufzuteilen? Der Wert seines gesamten Gewinns (dies sage ich mit voller Überzeugung) wird niemals an das heranreichen, was er seinen Arbeitern und Handwerkern zahlt, so dass ein ganz kleiner Zuschlag auf das, was ein Mann vielen zahlt, dessen gesamte Besitztümer aufzehren und letztlich zu einer Aufteilung seines gesamten Kapitals unter ihnen führen kann. Dann wird in der Tat vollkommene Gleichheit hergestellt sein, – nämlich die gleiche Not, das gleiche Elend und der gleiche erbärmliche Zustand sowie auf Seiten der Aufteilenden eine traurige, hilflose und verzweifelte Enttäuschung. So sieht das Ergebnis allen erzwungenen Gleichmachens aus. Was oben ist, wird herabgezogen; nie wird das Untere erhöht; und Oben wie Unten werden zusammen noch unter das ursprünglich niedrigste Niveau gedrückt. Wird eine Ware17 auf staatliches Geheiß über das Niveau dessen angehoben, was sie dem Käufer an Gewinn einbringt, dann wird mit dieser Ware weniger gehandelt werden. Würde man nun ein zweites Mal tölpelhaft eingreifen, um die Tölpelei des ersten Eingriffs zu korrigieren, und den Kauf der Ware – wie etwa der Arbeit – zu erzwingen versuchen, dann müsste man mit einer der beiden folgenden Konsequenzen rechnen: Entweder wird der zum Kauf Gezwungene ruiniert, oder der Preis für das Produkt der Arbeit steigt entsprechend. Dann wendet sich das Blatt und das beklagte Übel ereilt den Kläger mit doppelter Härte. Der Getreidepreis, der sich aus der Summe aller Ausgaben für den landwirtschaftlichen Betrieb ergibt, und zwar über

|| 17 Gemeint ist der Preis einer Ware.

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einen gewissen Zeitraum hinweg, wird auf den Arbeiter als Konsumenten zurückfallen. Das bestmögliche Resultat wird dann sein, dass er so gestellt bleibt, wie er war. Wenn der Getreidepreis aber den Preis der Arbeit nicht aufwiegt, was viel eher zu befürchten ist, wird man sich auf das schlimmste Übel einstellen müssen, nämlich die Zerstörung der Landwirtschaft selbst. Nichts ist der Genauigkeit des Urteils abträglicher als eine zu grobe Unterscheidung, als das Fehlen einer Klassifizierung und Verteilung, die dem Gegenstand angemessen wären. Erhöht den Lohnsatz der Arbeiter, sagen die Regulierer – so als wäre Arbeit eine einheitliche Sache von einheitlichem Wert.18 Doch dieser sehr allgemeine Gattungsbegriff der Arbeit lässt mindestens zwei oder drei spezifische Spielarten zu; und diese sollten doch ausreichen, dass die Herren zumindest ein wenig die Notwendigkeit erkennen, bei ihrer auf Zwang gestützten Lenkung derjenigen Vorsicht walten zu lassen, deren Existenz von der Beachtung noch feinerer Unterscheidungen und Unterteilungen abhängt, als sie selbst bei der Beurteilung dieses überaus umfangreichen Teils der Wirtschaft üblicherweise in Anschlag bringen. Die Arbeiter in der Landwirtschaft lassen sich unterteilen: Erstens gibt es jene, die imstande sind, die ganze Arbeit eines Mannes zu leisten – mit anderen Worten das, was eine Person im Alter von 21 bis 50 Jahren schaffen kann. Ich kenne keine landwirtschaftliche Arbeit (das Mähen kaum ausgenommen), zu der nicht alle Personen dieses Alters gleichermaßen in der Lage wären, wobei die Reiferen durch Geschick und Gewohnheit vollkommen wettzumachen vermögen, was sie an Vitalität einbüßen. Was Kraft, Fertigkeit und ehrlichen Einsatz angeht, unterscheidet sich der Wert der Arbeit des einen Mannes zweifellos gehörig von der des anderen. Nach meinen eigenen Beobachtungen bin ich mir aber ziemlich sicher, dass fünf beliebige Männer des genannten Alters zusammen eine Arbeitsleistung erbringen, die der Arbeitsleistung fünf beliebiger anderer Männer entspricht. Das heißt, unter fünf solchen Männern werden einer sein, der das Zeug zu einem guten Arbeiter hat, ein schlechter Arbeiter und drei mittelmäßige, die dem ersten und dem letzten nahekommen, so dass man schon in einem so kleinen Pulk von fünf Personen die gesamte Bandbreite dessen vorfindet, was fünf Männer verdienen können. An beliebigen Orten im Königreich wähle man zwei Gruppen von fünfen aus, und sie werden gleich sein: Eine fehlerhafte Angleichung ihrer Löhne seitens derer, die fünf beschäftigen, was Farmer ja mindestens tun, kann deshalb nicht ins Gewicht fallen.

|| 18 Vgl. etwa die erwähnte Forderung der Magistrate von Suffolk im Oktober 1795, die Höhe der Löhne an die der Brotpreise zu koppeln (vgl. oben, Anm. 11). David Davies brachte in seinem vielbeachteten Werk über The Case of Labourers in Husbandry neben diesem Modell (Davies 1795: 115 ff.) ein zweites, weitergehendes in Anschlag, dem zufolge die Friedensrichter die Löhne in regelmäßigen Abständen gemäß dem jeweiligen Durchschnitt der Lebenshaltungskosten festlegen sollten (vgl. ebd.: 108 ff.). Dass solche Forderung auch von Tagelöhnern auf Versammlungen wie denen in Heacham in Norfolk am 5. November 1795 erhoben wurden (vgl. Annals XXV: 503 ff.), musste Burkes Befürchtungen vor ihren revolutionären Implikationen nur verstärken.

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Zweitens gibt es diejenigen, die zwar arbeiten können, aber nicht das komplette Pensum eines Tagelöhners schaffen. Diese Klasse ist unendlich vielgestaltig, wird sich aber ohne größere Schwierigkeiten in Hauptkategorien unterteilen lassen: Männer von dem Moment an, da ihre Kräfte langsam schwinden, was nach dem 50. Lebensjahr zunehmend spürbar wird, bis zur Phase der Altersschwäche und Hinfälligkeit und zu den Krankheiten, mit denen sich der endgültige Verfall ankündigt. Frauen, die nur gelegentlich in der Landwirtschaft beschäftigt sind und deren effektive Arbeitsleistung sich stärker voneinander unterscheidet als die der Männer, weil Schwangerschaft, Kinderaufzucht und Haushaltsführung stärker zu Buche schlagen als das, was sie mit den Männern teilen, nämlich die Unterschiede zwischen einem aufblühenden, einem stetigen und einem schwindenden Leben. Kinder, die sich in umgekehrter Richtung, von geringerer zu größerer Nützlichkeit entwickeln, bei denen man es allerdings mit einem noch größeren Ungleichgewicht zwischen Nahrung und Arbeit zu tun hat als in der zweiten dieser Unterkategorien, wie jeder sehen kann, der sich die Mühe macht, die Binnenwirtschaft eines Armenhauses unter die Lupe zu nehmen.19 Mithilfe dieser weitergehenden Untergliederung soll gezeigt werden, dass Gesetze, die eine überaus starre und oftmals unanwendbare Regelung vorschreiben, oder Obrigkeiten, die ein blindes und überstürztes Urteil umsetzen, niemals das rechte Verhältnis zwischen Ertrag und Vergütung auf der einen Seite und Nahrung auf der anderen herstellen können, während Interessen, Gepflogenheiten und die stillschweigende Übereinkunft, wie sie tausend namenlosen Umständen geschuldet sind, ein Fingerspitzengefühl hervorbringen, das ohne Schwierigkeiten reguliert, was Gesetze und Richter in keiner Weise regulieren können.20 Die erste Klasse von Arbeit || 19 Die Einweisung von Männern, Frauen und Kindern, die Armenhilfe beanspruchten, in Armenund Arbeitshäuser war seit dem Workhouse Test Act 1722/23 obligatorisch. Der Zwang zur Arbeit in Arbeitshäusern sollte über die Kontroll- und Abschreckungsfunktion hinaus die wachsenden Kosten der Armenhilfe reduzieren. Seit der Mitte des Jahrhunderts wurde dies als unrealistisch erkannt (Boulton 2014). Mit dem Gilbert’s Act 1782 wurde für arbeitsfähige Männer die durch Armenhilfe finanzierte oder bezuschusste Beschäftigung in Landwirtschaft und Manufakturen eingeführt, während Arbeitshäuser nur noch für die sogenannten impotent poor vorgesehen waren. Kinder blieben bis zum Alter von acht Jahren in diesen Einrichtungen und wurden danach in Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisse gegeben. Zeitgenössische Beobachter beklagten, „that the mortality in workhouses is uncommonly great, particularly among the children“ (Davies 1795: 84; vgl. Eden 1797: I. 338 ff.). So lag die Sterblichkeitsrate von Kindern in Armen- und Arbeitshäusern durchschnittlich bei über 25 Prozent, betrug teilweise aber auch 80 bis 90 Prozent; vgl. Hanway 1767: 73 ff.; Marshall 1926: 144 f.; Porter 1991: 131 f.; Lees 1998; Levene 2012: 140. – Ein frühes Zeugnis seiner Einschätzung der Nützlichkeit von Kinderarbeit ist Burkes Brief an Shackleton vom 28.9.1752, in dem er anlässlich einer Reise aufs Land schrieb: „[T]he Country is very populous, and it is the only one, I ever saw where children are really an advantage to their parents for I have seen little Girls of 6 or 7 years old at the wheel and I am told they can earn 3s. 6d. a week each, which is more than their keeping can amount to.“ (Corr. I: 114). 20 Burke unterstützt somit zeitgenössische Stimmen gegen die Festlegung von Mindestlöhnen durch die Obrigkeit; dies würde, so hieß es, Ungleiches gleich behandeln und „an end to all competition“ bedeuten: „No man but the employer can judge of the value of a man’s labour“ (Annals XXV: 502).

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bedarf keinerlei Egalisierung. Sie egalisiert sich selbst. Die zweite und dritte lassen sich beim besten Willen nicht egalisieren. Was aber, wenn die Höhe des Arbeitsentgelts nicht im Mindesten für den Lebensunterhalt ausreicht und wenn die Zeiten so schwer sind, dass eine echte Hungersnot droht? Soll man den armen Arbeiter dem steinharten Herzen und dem – vom Schwert des Gesetzes unterstützten – eisernen Griff des gemeinen Eigennutzes überlassen, insbesondere wenn Grund zu der Annahme besteht, dass gerade die Habgier der Farmer selbst in Verbindung mit Fehlern der Regierung die Hungersnot über das Land gebracht hat? In diesem Falle lautet meine Meinung: Wann immer ein Mann unter Berufung auf die Regeln des Handels und die Grundsätze der Gerechtigkeit nichts einfordern kann, verlässt er diesen Bezirk und fällt unter die Gerichtsbarkeit der Gnade. In dieser Sphäre hat die Obrigkeit nichts zu schaffen; ihre Einmischung ist eine Verletzung des Eigentums, das sie von Amts wegen zu schützen hat.21 Ohne jeden Zweifel ist Barmherzigkeit Armen gegenüber eine unmittelbare und bindende Pflicht eines jeden Christen. Sie steht gleich nach der Pflicht des Schuldenzahlens an zweiter Stelle, ist genauso zwingend und von Natur aus für uns unendlich erfreulicher. Pufendorf und andere Kasuisten geben ihr meines Erachtens keinen angemessenen Namen, wenn sie sie als unvollkommene Pflichten bezeichnen.22 Doch die Art und Weise, der || 21 Burke wendet sich hier gegen Positionen, die einen Rechtsanspruch der Armen auf das Lebensnotwendige dem Staat gegenüber behaupten. Davon gingen nicht nur ‚radikale‘, naturrechtlich argumentierende Denker wie Thomas Paine oder John Thelwall aus, sondern (zumindest aus ordnungspolitischen Gründen) auch das traditionelle System des Armengesetzes (Poor Law), wie es 1598/1601 kodifiziert, auf Ebene der Gemeinden (parishes) institutionalisiert und durch Steuern (poor rate) finanziert wurde (vgl. oben, S. 329 f.). Die Regierung schulde den Armen deshalb, so Burke schon am 4. Mai 1772 im House of Commons, nicht „charity und parliamentary aid“, sondern die Gewährleistung der Bedingungen von Produktion und Erwerb durch eigene Arbeit, denn: „they must work out their salvation with their own hand“ (PH XVII: 481). Deshalb beruhten Forderungen, aus Gründen akuter Versorgungskrisen lange bestehende und bisher erfolgreiche Maßnahmen zur Förderung von Getreideexporten aufzuheben, auf „general principles of policy“, die „extremely dangerous“ seien (ebd.: 480). 22 Samuel Pufendorf unterscheidet in seinem Werk Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, das während Burkes Zeit am College in Dublin als Grundlage des moralphilosophischen Unterrichts diente, zwischen „vollkommenen“ und „unvollkommenen“ Rechten und Pflichten (Pufendorf 1673: 87 [I. 9, § 4]). „Vollkommene“ Pflichten sind ‚negativ‘, d. h. sie fordern, Leben, Freiheit und rechtmäßig erworbenes Eigentum anderer nicht zu schaden (ebd.: 73 [I. 6, § 63]). Werden diese Rechte und Pflichten verletzt, kann man Wiedergutmachung fordern oder, wenn das nicht geschieht, „selbst durch Gewaltanwendung oder mit Hilfe obrigkeitlicher Gewalt erzwingen“ (ebd.: 87 [I. 9 § 4]. „Unvollkommene“ Rechte und Pflichten sind ‚positive‘; sie folgen „aus einer Verwandtschaft zwischen allen Menschen“ und fordern von jedem, „den Vorteil des anderen [zu] fördern, soweit er es ohne eigene Einbuße kann […], woraus das gegenseitige Wohlwollen der Menschen gespeist wird“ (ebd.: 82 [1.8, § 1]. Hierzu zählen die Gebote der Menschlichkeit und Barmherzigkeit, „maßvolle Spenden der Reichen, die Bedürftigen gegeben werden“ (ebd.: 83 [§ 4]), aber auch die Pflicht der Beschenkten, dankbar zu sein, sich würdig zu erweisen und sich zu bemühen (ebd.: 83 f. [§§ 55 ff.]). Unvollkommene Rechte und Pflichten sind als rein moralische jedoch

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Charakter, der Zeitpunkt, die Wahl der Gegenstände und der Umfang sind dem persönlichen Ermessen anheimgestellt. Und man übt sich vielleicht aus genau diesem Grund mit größerer Befriedigung in ihr, weil ihre Gewährung eher den Anschein von Freiheit hat – und weil sie als Ausübung einer Tugend, die einem Wesen bestens zu Gesichte steht, das sich seiner eigenen Gebrechlichkeit bewusst ist, nebenbei noch ganz besonders gottgefällig ist.23 Um das Geschrei der Menschen in den Städten und Dörfern, das leider (aus Furcht vor ihrer Menge und Vereinigung) die größte Beachtung findet, sollte man sich in diesem Zusammenhang eigentlich am wenigsten scheren: denn Bürger wissen nicht das Geringste von den Mitteln, die ihre Ernährung gewährleisten, und tragen zu ihrem eigenen Unterhalt wenig oder nichts bei – und wenn überhaupt, dann nur auf endlos umständliche Art und Weise. Sie sind wahrhaft fruges consumere nati.24 Man soll ihnen große Achtung und Aufmerksamkeit entgegenbringen, wenn sie sich zu Themen aus ihrem eigenen Lebensbereich äußern, das heißt zu Gewerben und zur Güterherstellung; bei jeglichen Fragen aber, die die Landwirtschaft betreffen, sollte man ihnen mit ebenjener Ehrfurcht lauschen, mit der wir den Dogmen anderer unwissender und anmaßender Männer begegnen. Wenn ihnen jemand sagte, dass sie in ihren Geschäften eine Bestandsaufnahme aller Waren vornehmen sollten; dass man versuchen würde, ihre Gewinne zu schmälern oder den Preis der Fabrikarbeiter auf ihre Kosten zu erhöhen; oder der Regierung zu raten, mit dem Kapital aus Staatseinnahmen ein Geschäft für dieselben Waren zu eröffnen, um ihnen Konkurrenz zu machen und sie zu günstigem Handel anzuhalten – dann würde ihnen ziemlich schnell die Frechheit, Ungerechtigkeit und Schikane eines solchen Vorgehens bewusst werden. Sie lägen nicht falsch. Und doch glauben || nicht erzwingbar: „was allein aufgrund der bloßen Pflicht der Menschlichkeit geschuldet wird“, kann zwar rechtmäßig gefordert und geleistet werden: „Aber wenn der andere nicht aus freien Stücken leistet, kann ich mich nur über seine Unmenschlichkeit, Rohheit und Hartnäckigkeit beklagen, aber die Leistung nicht selbst durch Gewaltanwendung oder mit Hilfe obrigkeitlicher Gewalt erzwingen.“ (ebd.: 87 [I. 9 § 4]) Zur Spezifik der englischen Ausgabe von Pufendorfs Werk vgl. Hunter/Saunders 2003. 23 Ende des ersten Fragments des Letter to Arthur Young. – Burke plädiert damit faktisch für die Abschaffung des Poor Law-Systems und dessen Ersetzung durch ein auf privater Barmherzigkeit (charity) beruhendes System. Er zählt so zu den frühesten Protagonisten der Forderung nach Abschaffung des Armengesetzes, die – trotz einzelner Vorläufer wie Thomas Alcock (1752) – erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts bei Autoren wie Joseph Townsend (1786) oder Thomas Malthus (1798) laut wurden; vgl. hierzu oben, S. 333 ff. – Aus Burkes Sicht besteht nur für Individuen, nicht für Staaten eine Pflicht, Armen zu helfen, denn sie beruhe nicht auf Vernunft, sondern auf dem Gefühl des Mitleids (pity). So heißt es in einem nicht datierten, wohl aus den frühen 1770er Jahren stammenden Text: „When we talk of the poor, that moment our reason quits us. Pity is one of the noblest of the Passions. […] This principle of Charity and compassion is only applicable as between man and man as to a nation it cannot be charitable. The idea is ridiculous. From what fund must this Charity come. Why from the Labour and only from the Labour of the poor themselves.“ (zit. n. WS IX: 129, Anm. 2). 24 „[…] nur dazu auf der Welt, die Früchte der Erde zu verzehren“ (Horaz 1975: 157 [Episteln I. 2, 27]).

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sie, dass die Landwirtschaft anderen Gesetzen gehorchen sollte und nach anderen Grundsätzen zu lenken sei. Man kann keinem größeren und verheerenderen Irrtum anhängen als der Vorstellung, die Gewerbe des Ackerbaus und der Weidewirtschaft ließen sich nach anderen Prinzipien als den allgemeinen Grundsätzen des Handels betreiben: dass man dem Produzenten nämlich erlauben und gar von ihm erwarten sollte, nach jedem möglichen Gewinn zu streben, den er ohne Betrug oder Gewalt erzielen kann; aus Überfluss oder Knappheit den für ihn bestmöglichen Vorteil zu ziehen; seine Waren nach eigenem Belieben zurückzuhalten oder auf den Markt zu bringen; niemandem Rechenschaft über seinen Lagerbestand oder seinen Gewinn zu geben. Unter allen anderen Bedingungen ist er der Sklave des Konsumenten – und als solcher brächte er dem Konsumenten keinerlei Vorteil. Kein Sklave war für seinen Herrn jemals so nützlich wie ein freier Mann, der mit ihm auf der Basis einer aus den Regeln und Prinzipien widerstreitender Interessen und wechselseitig zugestandener Vorteile genährten Übereinkunft auf gleicher Augenhöhe Geschäfte macht. Der Konsument wäre, wenn man ihn ließe, am Ende immer das Opfer seiner eigenen Tyrannei und Ungerechtigkeit.25 Der Grundherr soll niemals vergessen, dass der Farmer sein Stellvertreter ist. Es26 ist gefährlich, den Farmer zum Gegenstand von Experimenten zu machen. Abgesehen von sehr wenigen Personen und sehr wenigen Orten, ist das Kapital des Farmers viel dürftiger als allgemein angenommen. Dieses Gewerbe ist ein überaus armes Gewerbe; ihm drohen große Risiken und Verluste. Das Kapital, so wie es beschaffen ist, wird nur einmal im Jahr umgeschlagen; in manchen Zweigen dauert es drei Jahre, bis das Geld zurückgezahlt ist: ich glaube, mindestens drei Jahre im Rüben- und Weideland-Zyklus, der auf den mehr oder weniger fruchtbaren sandigen und kiesigen Lehmböden vorherrscht, – und daraus besteht der Boden im Süden und Südosten Englands, der sich am besten und vielleicht einzig und allein für den Rübenanbau eignet.

|| 25 Die in Normaljahren kaum noch angewandten traditionellen Gesetze gegen die vermutete Spekulation der Produzenten, Zwischenhändler und Kaufleute 1795 wurden, wie in früheren Krisenjahren, von den Magistraten zur Bekämpfung von Versorgungsengpässen und Unruhen wieder verstärkt angewandt, aber auch oftmals von Aufständischen selbst durch Aktionen gegen als illegitim erachtete Preise, Vorratshaltung oder Transporte auf andere Märkte erzwungen. Burke hatte seit seinem Einzug ins Parlament daran mitgewirkt, die traditionellen marktregulierenden Gesetze außer Kraft zu setzen und die Freiheit des Handels mit Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten durchsetzen, da, wie er am 16. Mai 1787 im House of Commons erklärte, „a free commerce was that species of commerce most likely to flourish and to prosper“ (PR XXII: 368). So war er führend an der Vorbereitung und Einführung des Gesetzes beteiligt, mit dem im Juni 1772 „the repeal of the absurd code of Statutes against the most useful of all trades, under the invidious names forestalling and regrating“ erreicht wurde (Brief an Arthur Young, 23. Mai 1797, Corr. IX: 362). 26 Hier beginnt das zweite Fragment aus Burkes Letter to Arthur Young.

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Wenn man den Wert des lebenden und toten Inventars, die Zinsen des eingesetzten Geldes und den eigenen Lohn als Verwalter oder Aufseher zusammenrechnet, kommt es selbst beim erfolgreichsten Farmer kaum einmal vor, dass er eine jährliche Rendite von zwölf oder fünfzehn Prozent seines Kapitals erzielt. Ich spreche von den erfolgreichen. In den meisten Teilen Englands, in denen ich mich umsah, lernte ich kaum einen Farmer kennen, der neben seinem eigenen Gewerbe nicht noch irgendeiner anderen Beschäftigung oder anderen Geschäften nachgegangen wäre und der nach einer Zeit der unermüdlichsten Sparsamkeit und Arbeit (wie sie den meisten von ihnen beschieden ist), und nachdem er lange Jahre in seinem Geschäft gewirkt hatte, zum Zeitpunkt seines Todes mehr besessen hätte als das, was zum Bezahlen seiner Schulden nötig war. So hinterließ er seinen Nachkommen das Schicksal, in fast demselben Widerstreit zwischen Fleiß und Mangel zu verharren, in dem er als letzter Vorfahr und eine lange Reihe von Vorfahren vor ihm gelebt hatten und gestorben waren. Man beachte, dass ich von der großen Masse der Farmer spreche, die nicht mehr als einhundertfünfzig bis drei- oder vierhundert Morgen besitzen. In diesem Teil des Landes gibt es nicht viele, die weniger als einhundertfünfzig oder viel mehr als vierhundert Morgen ihr Eigen nennen. In anderen Landesteilen existieren zweifellos wesentlich größere Höfe.27 Ich bin aber überzeugt davon, dass ein Farmer – in welchem Teile Englands er auch angesiedelt sein mag –, der 1.200 Morgen bewirtschaftet (was nach meiner Ansicht ein großer Hof ist, obwohl es natürlich weit größere gibt), mit einem Kapital von weniger als 10.000 Pfund nicht ansatzweise sicher oder effizient wirtschaften kann, und dass er in einem durchschnittlichen Erntejahr auf der Basis eines so großen Kapitals nicht mehr als 1.200 Pfund verdienen kann. Was die geringeren Vermögen angeht, so kann man sich angesichts der Tatsache, dass sie durch winzig kleine Fehler weiter vermindert, geschwächt, unproduktiv gemacht und eventuell gänzlich verspielt werden können, leicht ein Urteil bilden. Diese permanente Unsicherheit und die letztlich bescheidenen Verdienstaussichten noch des Farmers mit der stärksten Kapitalausstattung hebe ich nicht nur angesichts der riskanten Spekulationen unserer Tage hervor, sondern auch, weil die ausgezeichneten und überaus nützlichen Arbeiten meines Freundes, Mr. Arthur Young, dazu beitragen, den Irrtum (und ich bin mir ganz sicher, dass es sich um einen solchen handelt) von den großen Gewinnen der Farmer zu verbreiten.28 Nicht dass seine || 27 Die neuere Forschung bestätigt, dass in England im 18. Jahrhundert „lohngestützte Pachtbetriebe mit durchschnittlich 150 acre im getreidedominierten Süden und 100 acre im Norden“ vorherrschten (Kopsidis 2006: 271). Die Zahl selbstständig wirtschaftender Bauern ging bis Ende des Jahrhunderts auf unter 20 Prozent zurück. Mehr als 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche befand sich infolge der Landlord’s Revolution im Besitz großer Grundeigentümer, die sie an Agrarunternehmer verpachteten. Diese Unternehmer produzierten vor allem mit Hilfe von Lohnarbeitern, welche je nach Bedarf angeworben und wieder entlassen werden konnten; vgl. Allen 1991; ders. 1992: 171 ff. u. 191 ff.; Daunton 1995: 61 ff.; O’Brien 1996: 237 ff.; Mokyr 2009: 174 ff. 28 Young trat in zahlreichen Werken für Einhegungen und hohen Kapitaleinsatz als Grundlage für die Steigerung landwirtschaftlicher Produktivität ein; vgl. etwa Young 1774: 122 ff. u. 287 ff.

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Berechnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse oft viel zu hoch gegriffen wäre, doch versäumt er gänzlich, Unglücke und Ausfälle angemessen zu berücksichtigen. Ich könnte auf ein überzeugendes Detail eingehen, wenn mir nicht andere, beunruhigendere und notwendigere Details vor Augen stünden. Die vorgeschlagene diskretionäre Besteuerung der Arbeit steht im Widerspruch zu den Empfehlungen des Board of Agriculture, das die allgemeine Einführung der Reihensaat empfiehlt.29 Ich stimme mit den Empfehlungen des Board insofern überein, als dieses Vorgehen dort, wo der Boden nicht übermäßig schwer oder von großen Steinen durchsetzt ist (was nichtsdestoweniger bei vielen sonst guten Böden der Fall ist), am besten und ertragreichsten sein mag – vorausgesetzt, dass das schärfste Auge, die aufmerksamste Aufsicht, das unverzüglichste Eingreifen, welches niemals etwas auf morgen vertagt, die beständigste Voraussicht und vorausschauendste Ordnung, damit alles und jeder an seinem Ort bereit sei, um in unserem launischen Klima vom glücklichen, flüchtigen Moment zu profitieren, zusammenwirken, – vorausgesetzt, so sage ich, dass all diese Faktoren zusammenkommen, um den Pflug anzutreiben, lasse ich ihre Überlegenheit gegenüber den alten und allgemeinen Methoden gelten. Erprobt man sie allerdings in nennenswertem Ausmaß mit gewöhnlichen, die Dinge aufschiebenden, sorglosen Landwirten, welche die wenigen Gelegenheiten, ihre Böden durch unermüdliche Anstrengungen und konzentrierte Aufmerksamkeit aufzulockern und zu veredeln, versäumen oder verstreichen lassen, dann kann nichts schlimmer oder gefährlicher sein: Man zerstört möglicherweise den Hof, statt den Boden auf diese Weise anzureichern und fruchtbarer zu machen. Doch auch wenn wir bereitwillig zugestehen, dass die Methode, sofern auf einem geeigneten Boden und von dieser seltenen Spezies von Landwirten angewandt, ausgezeichnet ist: Wie und unter welchen Bedingungen lässt sich diese Technik dann verwirklichen? Nun, durch ganz erhebliche Mehrarbeit: Die Arbeit von Hand müsste mindestens um ein Drittel zunehmen, und damit ist noch nichts über die Pferde und Gerätschaften gesagt, die bei der gewöhnlichen Bodenbestellung eingesetzt werden. Jedem muss doch auffallen, wie wenig der Würde der Gesetzgebung gedient ist, wenn wir ein Board unterstützen, welches uns aus zweifellos gewichtigen Gründen zu einer Erhöhung des Kapitals rät, das wir in die Arbeit von Menschenhand investieren, und dann ein Gesetz verabschieden, das diese ohnehin schon sehr teure manuelle Arbeit

|| 29 Vgl. Board of Agriculture 1795. – Das Board war ein halboffizielles Beratungsgremium, das Informationen über Entwicklungen und Probleme der Agrarproduktion sammelte und Vorschläge zur Verbesserung machte. Es wurde 1793 auf Initiative von Sir John Sinclair (1754-1835) gegründet, der 17801811 Mitglied im House of Commons und 1793-1798 sowie 1806-1813 Präsident des Board war. Es setzte sich aus 30 regulären Mitgliedern zusammen, die alle Parlamentsmitglieder und Vertreter der landed interests waren. Langjähriger Sekretär war Arthur Young, der eine systematische Bestandsaufnahme der Verhältnisse in den verschiedenen Regionen des Landes organisierte, deren Resultate aber aufgrund unzureichender empirischer Erhebungsmethoden nur begrenzt fruchtbar waren; vgl. Mitchison 1959.

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besteuert – und uns dadurch zwingt, den Umfang der Arbeit, die wir beim üblichen Vorgehen tatsächlich einsetzen, zu verringern.30 Was für den Farmer gilt, gilt in gleicher Weise für den Mittelsmann – ob der Mittelsmann auf den Getreidemärkten nun als Handelsagent, Zwischenhändler, Verkäufer oder Spekulant auftritt. Man soll diese Kaufleute unbehelligt ihren Geschäften nachgehen lassen; und je mehr sie verdienen und je reicher sie werden und je größer die Mengen sind, mit denen sie handeln, desto besser sowohl für den Farmer als auch für den Konsumenten, zwischen denen sie ein natürliches und überaus nützliches Verbindungsglied darstellen – selbst wenn sie dank der Machenschaften des alten hinterlistigen Ratgebers Neid von beiden Parteien gehasst und verleumdet werden. Ich höre, dass man den Mittelsmännern eine Monopolstellung zur Last legt.31 Zweifelsohne ist ein Machtmonopol in jedem Fall und in jedem Maße von Übel; ein Kapitalmonopol aber ist das Gegenteil. Es ist ein großer Vorteil, und zumal ein Vorteil für die Armen. Ein Händler, der nur über ein Kapital von 100 Pfund verfügt, das er (sagen wir) einmal im Jahr umschlagen kann, kann nicht von einem Gewinn von zehn Prozent leben, weil er nicht von zehn Pfund im Jahr zu leben vermag; ein Mann mit einem Kapital von 10.000 Pfund kann hingegen von fünf Prozent Gewinn im Jahr leben und es sich gut gehen lassen, weil er dann über 500 Pfund im Jahr verfügt. Dasselbe Verhältnis gilt, auch wenn der Gewinn zwei- oder dreimal so hoch ausfällt. Diese Grundsätze sind klar und einfach; und nicht so sehr unser Unwissen als der Leichtsinn, der Neid und die Schlechtigkeit unserer Natur hindern uns daran, sie zu erkennen und zu befolgen: Doch dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Laster den Platz unserer Urteilskraft an sich reißen. Das Gleichgewicht zwischen Konsum und Produktion bestimmt den Preis. Der Markt legt diesen Preis fest, er allein kann ihn festlegen. Der Markt ist Treffpunkt und Verhandlungsort von Konsument und Produzent, wo diese wechselseitig ihre jeweiligen Bedürfnisse entdecken. Ich glaube, niemand hat sich je ernsthaft Gedanken über das Wesen des Marktes gemacht, ohne darüber zu staunen, mit welcher Wahrheit, Angemessenheit, Geschwindigkeit und allgemeinen Billigkeit hier ein Ausgleich der || 30 Ende des zweiten Fragments aus Burkes Letter to Arthur Young. – Die folgenden Ausführungen schließen direkt an die vor dem eingefügten Fragment angestellten Überlegungen zur Freiheit des Handels mit Agrarprodukten an; vgl. oben, S. 365 mit Anm. 25. 31 Wie bei jeder durch die Steigerung der Getreidepreise bewirkten Krise machten 1795 weite Teile der labouring poor, aber auch der lokalen und politischen Eliten die Monopolstellung von Händlern wie generell von Produzenten, Müllern und Bäckern dafür verantwortlich, durch künstliche Verknappung des Angebots und ihre Marktmacht die Preissteigerungen anzuheizen. Und wie nach früheren Krisen riefen auch jetzt nicht nur Aufständische oder kritische Publizisten (vgl. etwa Wright 1795), sondern auch Parlamentsmitglieder nach staatlichen Regulierungen. So forderte Pownall am 29. September 1795, dass „the MONOPOLY of the Corn, and the ARTIFICIAL ENHANCING OF THE PRICES thereof“ gebrochen werden müsse (Pownall 1795: 48), und Lechmere sprach sich am 3. November im House of Commons dafür aus, die Macht der Großbauern („great farmer“) und Getreide-Zwischenhändler („corn-jobber“) zu brechen (PH XXXII: 237 f.). Vgl. zu diesen Debatten Thompson 1980: 85 ff.; Wells 1988: 80 ff.; Hay 1998: 93 ff.; Bohstedt 2010: 173 ff.

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Bedürfnisse stattfindet. Wer dieses Gleichgewicht zerstören und durch willkürliche Regulierung verhindern möchte, dass eine mangelhafte Produktion durch gestiegene Preise ausgeglichen wird, legt seine Axt an die Wurzel der Produktion selbst. Eine derart fehlgeleitete Politik kann schon in einem einzigen Jahr unermesslichen Schaden anrichten; denn das Geschäft des Farmers ist, wie ich bereits erläutert habe, im Hinblick auf seine Gewinne eines der unsichersten, für Verluste in höchstem Maße anfällig und im Vergleich zu allen anderen am wenigsten profitabel. Es erfordert zehnmal mehr Arbeit, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und, lassen Sie mich noch hinzufügen: auch mehr Glück als alle anderen Gewerbe, um das Geschäft des Farmers dauerhaft mit Erfolg zu betreiben. Vor diesem Hintergrund möchte ich mir keinesfalls anmaßen, das jüngste Rundschreiben des Kronrates mit Instruktionen an die Lordleutnants32 zu tadeln, ich gebe aber zu, dass ich nicht ganz verstehe, was es eigentlich bezweckt. Ich fürchte sehr, dass die Nachforschung zu einiger Besorgnis Anlass geben dürfte, weil man sie als eine Maßnahme begreifen wird, die zum französischen System der Getreiderequisition führt.33 Denn jenem System ging eine im Prinzip durchaus ähnliche Nachforschung voraus, auch wenn dessen Grundsätze der dortigen Art entsprechend von jener Gewaltsamkeit sind, die wir hierzulande nicht allzu sehr fürchten müssen. Die Nachforschung beruht auf einem Grundsatz, der meinem eigenen diametral entgegengesetzt ist: dass nämlich der Markt keinen fairen Test für Überfluss oder Knappheit darstellt. Sie schürt den die öffentliche Stimmung möglicherweise beunruhigenden Verdacht, „dass der Farmer etwas zurückhält und sich durch Verzug einen unlauteren Vorteil verschafft“; im Hinblick auf den Händler befördert sie ganz offensichtlich tausend ruchlose Vermutungen. Falls der Ertrag günstig ausfällt, soll die Untersuchung dann Maßnahmen zur Beförderung des Getreideexports und zur Kontrolle seines Imports begründen? Soll sie es nicht, welchen Zweck kann sie dann haben? Und ich glaube nicht, dass sie es soll. Diese Meinung lässt sich vielleicht durch einen publik gewordenen Bericht erhärten, demzufolge man plant, öffentliche Getreidespeicher zu errichten, und demzufolge die Regierung durch diese Untersuchung in eine vorteilhafte Lage für ihre Ankäufe gebracht werden soll. || 32 Der Duke of Portland (1738-1809), 1794-1801 Innenminister in der Regierung William Pitts, hatte am 28. Oktober 1795 in einem Rundschreiben die lokalen Repräsentanten der Krone in England, Wales und Schottland aufgefordert, Versammlungen einzuberufen, um Bestandsaufnahmen der jüngsten Ernteerträge vorzunehmen; vgl. House of Commons 1803: IX. 45; Minchinton 1953: 29 f. 33 Im August 1793 hatte der Konvent angesichts von Lebensmittelknappheit und steigenden Preisen unter dem Druck der Sansculotten gesetzliche Regelungen erlassen, die die zentrale Erfassung von Getreidevorräten ermöglichten und Konventskommissare ermächtigten, zur Versorgung der Pariser Bevölkerung Getreide zu requirieren. Der Aufstand der Pariser Sektionen am 4. und 5. September 1793 erzwang dann die Aufstellung einer Revolutionsarmee, die Requisitionen von Getreide erzwingen und Personen bestrafen konnte, die im Verdacht standen, Getreide zurückzuhalten oder zu Wucherpreisen zu verkaufen; vgl. hierzu auch unten, Anm. 54.

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Ich höre, dass eine solche Maßnahme vorgeschlagen wurde und sich gegenwärtig in Beratung befindet: Die Regierung solle auf Kosten des Staates in jeder Marktgemeinde einen Getreidespeicher bauen, um die Händler auszuschalten und die Farmer den Konsumenten zu unterwerfen, indem man letzteren die Getreideversorgung zu einem bestimmten, gleichbleibenden Preis garantiert.34 Sollte ein solches Vorhaben in die Tat umgesetzt werden, dann würde ich nicht für die Sicherheit des Getreidespeichers, der Bevollmächtigten oder der Gemeinde selbst, in der ein solcher Getreidespeicher errichtet wurde, geradestehen wollen: Dieser Getreidespeicher fiele dem allerersten Sturm der Volksraserei zum Opfer. Soviel aus politischer Perspektive. Aus ökonomischer Perspektive muss ich anmerken, dass der Bau solcher Getreidespeicher im gesamten Königreich finanziell völlig unkalkulierbar wäre. Sie zu betreiben, würde hohe Kosten verursachen. Zu ihrer Verwaltung und Instandhaltung wäre eine Armee von Bevollmächtigten, Lagerverwaltern, Buchhaltern und Bediensteten erforderlich. Eine enorme Menge an Kapital müsste für den Kauf des Getreides aufgewendet werden. Das ganze Vorhaben hätte durch Verschwendung, Fäulnis und Verderben herbe Rückschläge einzustecken, und die Unzufriedenheit der Menschen, denen – wie es unweigerlich der Fall wäre – verfaultes, verunreinigtes oder verdorbenes Getreide verkauft würde, wäre enorm. Unser Klima (wie immer es anderswo sein mag) ist Getreidespeichern, in denen Weizen für eine gewisse Zeit aufbewahrt werden soll, nicht zuträglich. Der beste, ja || 34 Die englische Regierung hatte im Dezember 1794 damit begonnen, Getreide im Ausland aufzukaufen. In den Debatten um die hohen Weizenpreise im House of Commons wurden Stimmen laut, die die Einrichtung öffentlicher Getreidespeicher forderten: „a proper number of granaries be erected all over the kingdom, where corn may be sold as at a market, and for a market price; and where the poor man may at least have his bushel for his money, as well as the corn-dealer“ (Edmund Lechmere, 3.11.1795, PH XXXII: 237). Thomas Pownall, mit dem Burke 1772/1773 bei Gesetzesentwürfen zur Frage des Getreidehandels zusammengearbeitet hatte (vgl. Lock 1998: 321 ff.) und der prinzipiell danach strebte, „to render our market a FREE MART“, schlug am 25. September 1795 vor, dass „Great cities, and great towns, […] and districts wherein great manufactories are established […], should, as a measure of political œconomy, establish magazines so as to be enabled to meet an approaching scarcity and enhancing price, whether real or artificial, with corn, at all times in sufficient quantity, to prevent such scarcity; and at prices, proportioned to a due profit on one hand, and to the scale of the wages of labour on the other“ (Pownall 1795: 55 f.). Solche Vorhaben konnten sich jedoch gegen die landed interests und Kaufleute, die sich gegen die ökonomischen Aktivitäten der Regierung wandten und auf Importprämien setzen, nicht behaupten. Im ersten Bericht des Select Committee Appointed to take into Consideration the present High Price of Corn vom 16. November 1795 wurde denn auch empfohlen, „[t]hat it was expedient for the Executive Government to desist from making any further purchases of Corn; and that a bounty should be granted upon the importation of certain sorts of Grain into this country, for the encouragement of private speculation“ (House of Commons 1803: IX. 45). Diese Maßnahme unterstützte Burke am 17. November 1795 in einem Schreiben an Windham ebenso (Corr. VIII: 344), wie er Getreideaufkäufe durch die Regierung billigte (Brief an Henry Dundas, 6.12.1795, Corr. VIII: 354). – Zu den Auseinandersetzungen über Getreideimporte seit Ende 1794 bis 1796 vgl. Stern 1964: v. a. 178 ff.; Wells 1988: 184-195.

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in Wirklichkeit der einzig gute Getreidespeicher ist der Heuboden des Farmers, auf dem das Getreide im eigenen Stroh lagert, frisch, sauber, gesund, frei von Schädlingen und Insekten und vergleichsweise für einen Spottpreis. Der Heuboden und die Scheune, die viele gemeinsame Vorteile besitzen, sind von Anbeginn der Landwirtschaft bis zum heutigen Tag immer Englands einzige Getreidespeicher gewesen. All dies geschieht auf Kosten des Unternehmers, und er allein trägt das volle Risiko. Er leistet seinen Beitrag zum Staat und bekommt von ihm im Gegenzug nichts anderes als Schutz, und darauf hat er einen Anspruch. In dem Moment, in dem der Staat am Markt auftritt, werden alle Marktprinzipien untergraben. Ich weiß nicht, ob der Farmer hierunter leiden wird, solange es noch einen ausreichenden Marktwettbewerb gibt; doch ich bin mir sicher, dass an allererster Stelle die Handel treibende Regierung schnell bankrott sein und der Konsument am Ende den Schaden haben wird. Tätigt die Regierung alle ihre Käufe auf einmal, wird sie den Markt im Handumdrehen über sich selbst hinaustreiben. Tätigt sie sie nach und nach, muss sie den Bewegungen des Marktes folgen. Wenn sie den Bewegungen des Marktes folgt, wird sie keine Wirkung erzielen, und der Verbraucher kann ebenso gut selbst kaufen wie er möchte. Alle Kosten sind damit umsonst aufgewendet. Wenn das Ziel dieses Vorhabens aber, wie ich vermute, darin besteht, den – üblicherweise Mittelsmann genannten – Händler auszuschalten und sich absichtlich einen Verlust einzuhandeln, um den Bäcker zum Geschäftemachen mit der Regierung zu bringen, dann werde ich ihnen sagen, dass sie ein anderes Gewerbe begründen müssen, das eines Müllers oder Mehlhändlers, was eine neue Lawine von Ausgaben und Risiken zur Folge haben wird. Wenn sie in beiden Gewerben so erfolgreich sein sollten, dass sie jene ausschließen, die mit natürlichem und privatem Kapital Handel treiben, dann werden sie über ein Monopol verfügen, das sich hinter der Maske eines Kapitalmonopols in Wirklichkeit als Machtmonopol erweisen und alles zerstören wird, womit es in Berührung kommt. Die Landwirtschaft des Königreichs ist ihm nicht gewachsen. Ein kleiner Ort von nicht mehr als 25‒30.000 Einwohnern wie Genf – das über kein oder fast kein Hinterland verfügt, zum Überleben vom guten Willen dreier benachbarter Mächte abhängig ist und sich natürlich permanent in einer Art Belagerungszustand oder in Erwartung eines solchen befindet – könnte in staatlichen Getreidespeichern ein nützliches Hilfsmittel sehen und gewisse Einnahmen aus dem Monopol des Verkaufs an Gastwirte beziehen. Diese Politik passt zu einem Staat, der für die Landwirtschaft zu klein ist.35 Sie eignet sich aber beispielsweise nicht für ein || 35 Die Diskussion über den je nach Rahmenbedingungen unterschiedlichen Nutzen von Getreidespeichern in kleinen, mittleren und großen Staaten diskutierte Ferdinando Galiani in seinen einflussreichen Dialogues sur le commerce des blés am Beispiel von Genf, Rom und anderen Staaten; vgl. Galiani 1770: 33 ff. – James Steuart, der Verfasser der wenige Jahre vor Adam Smiths Wealth of Nations erschienenen, für eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaft eintretenden Political Oeconomy (1767),

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so großes Land, wie es der Papst besitzt, wo sie nichtsdestoweniger in größerem Stil und rigoroser angewandt und verfolgt wird. Da bestimmte Ländereien des Papstes, von denen aus die Stadt Rom versorgt wird, dazu verpflichtet sind, Rom und die Getreidespeicher seiner Heiligkeit zu einem festgelegten Preis mit Getreide zu versorgen, ist dieser Teil der päpstlichen Ländereien vollkommen heruntergewirtschaftet. Ihr Ruin lässt sich mit Sicherheit auf diese eine Ursache zurückführen; daran scheint kein Zweifel möglich, wenn man ihren Zustand und ihre Lage mit denen anderer kirchlicher Hoheitsgebiete vergleicht, die nicht denselben Regelungen unterliegen und prächtig gedeihen. Eine Reform dieses üblen Systems ist in gewisser Weise undurchführbar. Denn erstens hält es Brot und alle anderen Lebensmittel, die der Wirtschaftskammer unterstehen, in der Stadt Rom auf einem recht annehmbaren und stabilen Preisniveau. Das sorgt für Ruhe unter den zahlreichen armen, müßigen und naturgemäß rebellischen Menschen einer sehr großen Hauptstadt. Die Ruhe in der Stadt aber wird um den Preis einer Zerstörung des Landes und schließlich des Elends beider erkauft. Der zweite Grund, der dieses Übel unheilbar macht, sind die daraus hervorgegangenen Arbeitsplätze, die selbst unter wesentlich mächtigeren Regierungen als der schwächlichen Autorität des Papstes und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen aus einem solchen System hervorgehen würden. Dieses Beispiel der Stadt Rom, das aus der ältesten Zeit und der blühendsten Epoche des Römischen Reiches (nicht aber der römischen Landwirtschaft) stammt, mag allen Regierungen eine eindringliche Warnung davor sein, das Volk aus der Hand der Obrigkeiten füttern zu wollen. Sobald es sich einmal daran gewöhnt hat, und sei es auch nur für ein halbes Jahr, wird es sich nie mehr mit etwas anderem zufriedengeben. Und wenn die Menschen erwarten, von der Regierung mit Brot versorgt zu werden, werden sie sich bei der allerersten Knappheit umdrehen und die Hand beißen, die sie fütterte. Um dieses Übel zu vermeiden, wird die Regierung wiederum dessen Ursachen verdoppeln; und dann wird es unüberwindlich und unheilbar werden. Ich ersuche die Regierung (die ich hier im weitesten Sinne des Wortes verstehe, der beide Häuser des Parlaments umfasst), ernstlich zu berücksichtigen, dass Jahre der Knappheit oder des Überflusses nicht abwechselnd oder in kurzen Abständen aufeinanderfolgen, sondern in recht großen Zyklen und unregelmäßig. Wenn wir von den vorübergehenden Erfordernissen einer Saison ausgehend eine falsche Maßnahme ergreifen, können wir uns folglich alleine dessen sicher sein, dass uns die nächste Saison – und wahrscheinlich noch weitere – zwingen werden, diese Maßnahme fortzuführen. So gibt es meines Erachtens keine andere Möglichkeit, dieses Übel, || wies in seiner Schrift Dissertation on the Policy of Grain zwar wie Galiani darauf hin, dass der Umgang mit ökonomischen Verhältnissen stets von den Umständen abhängig gemacht werden muss (Steuart 1783: 3), schlug aber auch für Staaten wie England die Einrichtung staatlicher Getreidespeicher vor, wodurch starke Schwankungen der Getreidepreise, die Produzenten oder Konsumenten gefährden können, verhindert werden sollten (ebd.: 10 ff.).

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das auf die Zerstörung unserer gesamten Landwirtschaft und jenes Teils des Binnenhandels, der am engsten mit unserer Landwirtschaft verbunden ist, ja auf die Zerstörung der Sicherheit und selbst der Existenz unseres Staates hinausläuft, zu vermeiden, als der allerersten – sei sie spekulativen oder praktischen – Vorstellung mannhaft zu widerstehen, es liege in der Macht der Regierung als Regierung oder gar der Reichen als Reicher, die Armen mit jenen lebensnotwendigen Gütern zu versorgen, welche die göttliche Vorsehung ihnen für eine Weile vorzuenthalten beliebte. Uns, dem Volk, sollte bewusstgemacht werden, dass wir in unserer Hoffnung, den göttlichen Unwillen zu besänftigen, damit jegliches Unheil, das uns peinigt oder droht, beseitigt werde, nicht darauf setzen sollten, die Gesetze des Handels zu brechen, welche die Gesetze der Natur und folglich die Gesetze Gottes sind.36 So weit zu den Grundsätzen der allgemeinen Politik. Was die Lage der Dinge betrifft, die als Grund angeführt wird, um von ihnen abzuweichen, so handelt es sich um die Umstände der Ernten von 1794 und 1795.37 Im Hinblick auf die Ernte von 1794 gestehe ich bezogen auf das edelste Getreide, den Weizen, dass etwas weniger eingebracht wurde, wenngleich nicht über Gebühr, – und was die Qualität anbelangt, so kann ich mich nicht erinnern, dass im Laufe der 27 Jahre, die ich als Farmer tätig bin,38 der Weizen jemals so gut gewesen wäre. Die Welt hatte aber auf ein anderes Ergebnis spekuliert und war nun enttäuscht – der Farmer ebenso wie der Händler. Entsprechend schwankte der Preis in einem Maße, das alles übertrifft, woran ich mich erinnern kann: denn zu einem Zeitpunkt in diesem Jahr verkaufte ich meinen Weizen zu 14 Pfund die Fuhre (ich verkaufte alles, was ich hatte, weil ich dies für einen angemessenen Preis hielt), während ich am Ende der Saison, hätte ich dann noch etwas zu verkaufen gehabt, 30 Guineen für dieselbe || 36 Die Auffassung, dass sich die Regierung den göttlichen Gesetzen des Handels fügen muss, vertrat Burke bereits 1773, als er angesichts zeitgenössischer Forderungen nach politischer Regulierung von Handel und Preisen zur Bekämpfung der Krisenfolgen darauf drang, den Wünschen der unwissenden, hungernden Bevölkerung entschieden entgegenzutreten: „Let us not deceive them, but meet them upon fair and honest ground. Bravely oppose their passions, and tell them we CANNOT RELIEVE YOU; that we cannot alter the decrees of Providence“ (London Evening Post, 25.-27. März 1773, zit. n. Lock 1998: 341); diese Position vertrat Burke auch schon anlässlich einer früheren Hungerkrise in einer Parlamentsrede vom 24. November 1767; vgl. WS II: 71 f. 37 Entgegen der lange Zeit herrschenden Vorstellungen einer ‚Agrarrevolution‘ im England des 18. Jahrhunderts, stagnierte die Produktivität der Landwirtschaft nach dem Ende einer Aufschwungphase des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Die Erträge der Getreideernten lagen bis zum Ende des Jahrhunderts bei etwa 22 bushels per acre (zu den Maßeinheiten vgl. Kopsidis 2006: 226, Anm. 552), und in den Krisenjahren 1794 und 1795 gingen die Erträge der Weizenernten deutlich auf 16,8 bzw. 15,6 bushels per acre zurück. Vgl. Turner u. a. 2001: 117, 128 ff. u. 137 ff.; Allen 1992: 130 ff.; Kopsidis 2006: 226 ff. – Zur Entwicklung der Weizenpreise, die sich 1795 zeitweise verdoppelten und verdreifachten, vgl. oben, S. 324 f. 38 Burke hatte 1768 in der Nähe von Beaconsfield Grundbesitz erworben. Arthur Young besuchte Burke dort schon kurz darauf und beschrieb seinen Besitz und seine ersten landwirtschaftlichen Experimente im vierten Band seines Werkes The farmer’s tour through the East of England (Young 1771: 76-84); vgl. Cone 1945; Lock 1998: 249 ff. u. 315 ff.

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Getreidesorte hätte bekommen können.39 Ich verkaufte, wie schon gesagt, alles, was ich hatte, zu einem vergleichbar geringen Preis, weil ich ihn im Verhältnis zu dem, was nach meinem Dafürhalten das Gesamterzeugnis der Ernte war, für einen guten Preis hielt; als ich aber schließlich darüber nachdachte, wie mein eigener Gesamtertrag aussah, erkannte ich, dass er nicht meinen Erwartungen entsprach. Man darf nicht vergessen, dass diesem kurzen, aber ausgezeichneten Erntejahr (dem Jahr 1794) ein Jahr folgte, in dem weder über die Maßen viel noch von überragender Qualität produziert wurde, so dass nur wenige Vorräte übrigblieben. Zunächst wurde dies nicht bemerkt, weil die Ernte ungewöhnlich früh eingefahren wurde – einen Monat früher als üblich. Der Winter 1794/1795 war für Getreide wie Gras ungünstiger als gewöhnlich. Dies lag an der plötzlichen Milderung des sehr strengen Frosts, der von Regenfällen abgelöst wurde, denen wiederum ein rascher Frost folgte, der sogar noch strenger war als der vorherige. Eine große Menge Weizen wurde vollkommen vernichtet. Vielerorts litt das Kleegras. Das Weidelgras oder Straußgras litt stärker als der Klee, was ich nie zuvor beobachtet habe. An einigen Orten war selbst das Wiesengras bis an die Wurzel abgestorben. Im Frühjahr sah es besser aus, als wir erwarteten. Das ganze früh gesäte Korn erholte sich und spross mit voller Kraft, doch das spät gesäte war von schwachem Wuchs und versprach nicht, im Frühjahr etwaigen schädlichen Einflüssen widerstehen zu können. Dieses Frühjahr ging mit all seinen unerfreulichen Launen dennoch sehr gut vorüber, und nichts sah zum Zeitpunkt der Blüte besser aus als der Weizen. In dieser kritischsten Phase überhaupt aber brachte ein kalter, trockener Ostwind sehr strenge Fröste – längere und strengere, als ich es in dieser Jahreszeit je erlebt habe –, die die Blüten zerstörten und auf erstaunliche Art und Weise die ganze gegen den Wind stehende Seite der Ähre verkümmern ließen. Zu dieser Zeit brachte ich einige der Ähren in die Stadt, um meinen Freunden die Folgen dieser unnatürlichen Fröste zu zeigen, und prophezeite angesichts ihrer Strenge eine große Knappheit. Doch die Freude an angenehmen Aussichten ist offenbar so groß, dass man meiner Meinung wenig Gehör schenkte. Beim Dreschen fand ich die Dinge vor wie erwartet – die Ähren ungefüllt, einige der Hülsen ziemlich leer und manch andere nur mit verwelktem, magerem Korn, das minderwertiger aussah als Roggen. Meine besten Ähren und mein bestes Korn waren nicht gut. Nie zuvor hatte ich Korn von so schlechter Qualität, und doch verkaufte ich eine Fuhre für 21 Pfund. Gleichzeitig kaufte ich meinen Saatweizen (der ausgezeichnet war) zum Preis von 23 Pfund. Seitdem ist der Preis gestiegen, und ich habe etwa zwei Fuhren derselben Art zu 23 Pfund verkauft. So war die Marktlage, als ich letzten Montag von zuhause abreiste. In meiner Scheune sind kaum noch Vorräte. Ich hoffe, auf dem Heuboden sind sie von besserer Qualität, weil sie, soweit ich mich erinnern || 39 Da der Wert einer Guinee seit 1721 auf ein Pfund und einen Schilling festgelegt war, handelt es sich also um mehr als eine Verdoppelung des Preises einer Fuhre von 14 auf über 31 Pfund.

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kann, früher gesät wurden. Einige meiner Nachbarn haben besseres, einige in etwa so schlechtes oder gar schlechteres Getreide. Ich gehe davon aus, dass sich das Ergebnis der Weizenernte überall dort, wo zur Blütezeit der schädliche Wind und diese Fröste herrschten, als sehr mittelmäßig erweisen wird. Die Gegenden, die verschont geblieben sind, werden, woran für mich kaum Zweifel bestehen, eine akzeptable Ernte einfahren. Was die anderen Getreidesorten angeht, so muss man feststellen, dass, da der Weizen (meines Erachtens aufgrund der Schädlinge) erst sehr spät reifte, die Gerste die Nase vorn hatte und als erste reif war. Die Ernte war auf meiner Seite, und soweit sich meine Untersuchung erstreckte, ausgezeichnet, an manchen Orten viel besser als meine. Der Klee, der mit der Gerste wuchs, war der beste, den ich je gesehen habe. Die Rüben sind in diesem Jahr im Allgemeinen gut. Der im vergangenen Jahr gesäte Klee trug dort, wo er nicht gänzlich zerstört wurde, zwei gute Ernten beziehungsweise eine Ernte und reichlich Futter ein. Und abgesehen vom Verlust des Weidelgrases kann ich mich an kein besseres Ergebnis erinnern. Das Wiesengras erbrachte nur eine mittelmäßige Ernte, und weder vom ausgesäten noch vom wildwüchsigen Gras war am Ende des Jahres im Besitz irgendeines Farmers ein nennenswerter Rest verblieben. In den meisten Gegenden gab es überhaupt nichts mehr. Ich hatte auch keine größeren Mengen an Hafer als in durchschnittlich guten Erntezeiten. Doch habe ich ihn niemals so schwer gesehen, wie dies an anderen Orten der Fall war. Der Hafer erbrachte nicht nur eine schwere, sondern auch eine ungewöhnlich reiche Ernte. Meine Erbsenfelder waren nicht größer als ungefähr ein Morgen, die Ernte war aber in der Tat fabelhaft. Ich glaube, dass sie im ganzen Land überreich ausfiel. Man muss allerdings feststellen, dass, wie insgesamt bei allen Saaten, insbesondere von den Erbsen, nicht der geringste Vorrat blieb. Die Nachfrage dieses Jahres muss gänzlich aus dessen Ernte befriedigt werden; und es ist nicht zu erwarten, dass der Preis für Frühlingsgetreide in absehbarer Zeit oder überhaupt irgendwann einmal sehr stark fallen wird. Uxbridge ist ein großer Getreidemarkt. Als ich durch diese Stadt kam, sah ich, dass die Gerste am letzten Markttag vierzig Schilling den Viertelzentner kostete. Hafer gab es buchstäblich keinen mehr; und der Gastwirt war gezwungen, diesen aus London holen zu lassen. Ich vergaß, nach den Erbsen zu fragen. Die Kartoffeln kosteten fünf Schilling den Scheffel. Wie man mir sagt, stellte ein führender Parlamentarier mit großen Fähigkeiten, aber wenig Kenntnis von diesen Dingen, in der Debatte, die zu diesem Thema im Parlament geführt wurde, fest, dass sich der allgemeine, einheitliche Preisanstieg bei Schlachtfleisch, Butter und Käse nicht auf ein mangelhaftes Weizenerzeugnis zurückführen ließ; und vor diesem Hintergrund äußerte er den Verdacht, es könnte in

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diesem Zusammenhang unfaire Praktiken geben, die Untersuchungen erforderlich machten.40 Ohne Zweifel konnte der Weizenmangel allein nicht die Teuerung der anderen Artikel bewirken, die nicht nur für die genannten, sondern ausnahmslos für alle Lebensmittel galt. Die Ursache ist in der Tat so überaus einfach und offensichtlich, dass man sich umgekehrt wundern muss. Führt man eine richtig angelegte Untersuchung durch, dann werden die Herren, die vom Preis dieser Waren überrascht sind, erkennen: wenn Heu – was sie wohl wissen sollten – sechs Pfund die Fuhre kostet, dann muss Grünfutter knapp sein, und zwar für mehr als ein Jahr; und sie werden zu dem Schluss kommen, dass Rindfleisch, Kalbfleisch, Hammelfleisch, Butter, Milch und Käse teuer sein müssen, wenn Gras knapp ist. Um die Sache aber ein wenig im Detail zu betrachten: Während die der Qualität nach ausgezeichnete Weizenernte von 1794 quantitativ kümmerlich ausfiel, war die Gerstenernte in ihrer Qualität durchschnittlich genug und der Menge nach kümmerlich. Das machte sich schnell beim Malzpreis bemerkbar. Noch ein anderes Erzeugnis – Bohnen – gab es keinesfalls im Überfluss. Die Erbsenernte war vollständig zerstört, sodass einige Farmer diesbezüglich recht früh alle Hoffnung fahren ließen und die grünen Halme als Futter für ihr Vieh schnitten, das in diesem trockenen und brennend heißen Sommer nicht genug zu fressen fand. Mir selbst erging es besser als den meisten: Ich brachte etwa ein Viertel der üblichen Erbsenernte ein. Man wird sich daran erinnern, dass der ganze Speck und das ganze Schweinefleisch, die in diesem Land verbraucht werden (der mit Abstand größte Fleischverbrauch außerhalb der Städte), gleichsam bei der Aufzucht mit Gras oder mit Molke und entrahmter Milch gefüttert werden – und bei der Mast teilweise mit letzterer. So machen es die milchverarbeitenden Gegenden, die allesamt große Schweinezüchter und -erzeuger sind; zum weitaus größeren Teil und in allen Weizengebieten aber wird mit Bohnen, Gerstenfutter und Erbsen gemästet. Wenn das Futter des Tieres knapp ist, muss sein Fleisch teuer sein. Diese Erkenntnis bedarf, so sollte man annehmen, keines großen Scharfsinns. Der so überaus große Ausfall des Angebots an Fleisch einer Tierart lenkt die gesamte Nachfrage natürlich auf das verringerte Angebot sämtlicher Fleischsorten und in der Tat auf das aller Nahrungsmittel des Menschen. Auch sollten wir meiner Ansicht nach nicht erwarten, dass der Preis für jenen Artikel in diesem Jahr fallen wird, || 40 Charles Fox, der einflussreiche Whig-Politiker, mit dem Burke sich wegen ihrer unterschiedlichen Stellung zur Französischen Revolution entzweit hatte (vgl. oben, S. 259 u. 266 ff.), hatte in der Parlamentsdebatte am 3. November 1795 darauf verwiesen, dass die hohen Preise nicht allein auf Missernten zurückzuführen seien. Dass neben den Preisen von Brot auch die von Fleisch, Milchprodukten und anderem gestiegen seien, zeige, so argumentierte Fox, dass man eine Vielzahl von Gründen berücksichtigen müsse (PH XXXII: 238 ff.).

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selbst wenn das Getreide billiger werden sollte, wie man wohl hoffen darf. Das Einstellschwein41 wird aufgrund des letztjährigen Versorgungsausfalls jetzt zu einem extravaganten Preis gehandelt. Auf unseren Messen wurden in letzter Zeit Schweine für fünfzig Schilling verkauft, die vor zwei Jahren nicht mehr als zwanzig eingebracht hätten. Im Hinblick auf die Schafe wird, wie ich annehme, niemandem entgangen sein, dass es im vergangenen Jahr praktisch keine Rüben zu kaufen gab: denn die frühen Rüben waren, als sie aus dem Boden kamen, von der großen Trockenheit und Hitze versengt worden; die späten Rüben sowie jener Teil der frühen, der die Hitze überlebt hatte, wurden von den klirrenden Frösten des Winters und dem nassen und strengen Wetter des Frühjahrs vernichtet. Vielerorts ging ein ganzes Viertel der Schafe oder Lämmer verloren; die übrigen Lämmer waren unzureichend und schlecht genährt, da die Mutterschafe keine Milch gegeben hatten. Die Kälber kamen spät, und sie waren generell ein Artikel, dessen Mangel man nicht weniger zu befürchten hatte als den jedes anderen. Dieses Lebensmittel also, das es im Frühsommer, zumal in London, ehemals in Hülle und Fülle gab und das in weiten Teilen fast zwei Monate lang das knappe Angebot an Hammeln ausglich, war praktisch überhaupt nicht mehr zu bekommen. Alle Erzeugnisse der Erde sind miteinander verknüpft. Alle Quellen des Überflusses, bei welchem Gut man sie auch suchen mochte, waren ausgetrocknet oder eingefroren. Knappheit herrschte nicht nur, wie die Herren anzunehmen scheinen, im Hinblick auf Weizen. Eine andere Ursache mit durchaus beträchtlicher Wirkung beförderte die Knappheit der Fleischversorgung. Hierbei handelt es sich um eine Ursache, die in vielerlei Hinsicht zwar nicht allzu viel Bedauern hervorrufen kann, in einer aber doch: Sie war nämlich die einzige Ursache für die Knappheit dieses Artikels, die sich auf das menschliche Verhalten selbst zurückführen ließ: Ich meine das Verbot der Brennerei.42 Die Schweine (und das allein wäre schon genug), die mit den Abfallprodukten dieses Erzeugnisses gefüttert wurden, verbrauchten nicht einmal ein Viertel des Getreides, das die Farmer zum Mästen benutzten. In fast ebendiesem Maße war der Schnaps ein klarer Gewinn für die Nation. Es ist eine seltsame Methode, das Fleisch billig zu machen, indem man die Brennerei verbietet oder beschränkt. || 41 Einstellschweine (store swines) sind Schweine, die für den Weiterverkauf an Mäster und Viehhalter aufgezogen werden. 42 Im Juli 1795 war das Destillieren von Weizen, Gerste und Malz gesetzlich verboten worden, um den Getreideverbrauch zu senken. Damit verband sich die Hoffnung, dass infolgedessen die Getreideund Brotpreise fallen würden. Nach einer kontroversen Debatte im House of Commons, in der Pitt auf die ökonomischen Nachteile hingewiesen, Fox sich dagegen aus moralischen Gründen für das Verbot ausgesprochen hatte (PH XXXII: 235 u. 240), wurde das Verbot im November 1795 bis 1. Februar 1797 verlängert; vgl. Barnes 1930: 72 u. 74. Zum Zusammenhang der Entwicklungen in Landwirtschaft und Destillier- und Brauereiindustrie im 18. Jahrhundert vgl. Mathias 1979: 252-264.

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Die Brennerei selbst erzeugt einen überaus wichtigen Handelsartikel, der fast in die ganze Welt ausgeführt wird – nach Afrika, nach Nordamerika und in verschiedene Teile Europas. Er ist für unsere Fischerei und unsere gesamte Seefahrt von fast ebenso großem Nutzen wie die Nahrungsmittel selbst. Ein Großteil des Schnapses wurde aus verdorbenem Getreide gewonnen, aus dem sich kein Brot machen ließ, sowie aus Gerste und Malz der schlechtesten Qualität. Diese Dinge hätte man nicht untadeliger verwenden können. Der inländische Schnapsverbrauch brachte, ohne dass darüber geklagt worden wäre, sehr große Einnahmen, die sich ganz nach unserem Belieben entweder zur Subventionierung des Imports von weitaus mehr Getreide, als bei der Schnapsherstellung verbraucht wird,43 oder zur Förderung einer gesteigerten heimischen Getreideproduktion verwenden ließen. Hinsichtlich dessen, was aus medizinischer und moralischer Sicht gegen den heimischen Schnapskonsum gesagt wird, hat mich die Erfahrung schon seit langem gelehrt, diesbezüglichen Erklärungen wenig Glauben zu schenken. Ob nun der Donner der Gesetze oder der Donner der Beredsamkeit „auf den Gin niedergeht“,44 ich jedenfalls bin gegen Donner gefeit. Der Destillierkolben ist für die Welt aus meiner Sicht ein weit größerer Nutzen und Segen, als es das opus maximum je gewesen wäre, so die Chemie es wirklich gefunden hätte und wir wie Midas alles zu Gold machen könnten.45 Zweifellos kann übermäßiger Alkoholkonsum einen gefährlichen Missbrauch darstellen; und dieser Missbrauch war zu Zeiten erheblich, das glaube ich gerne.46 || 43 Trotz seines beständigen Eintretens für den Freihandel und seiner Wendung gegen staatliche Eingriffe in Marktprozesse der Preis- und Lohnbildung sah Burke die Intervention des Staates in die Ökonomie also durchaus nicht grundsätzlich negativ. Im Unterschied zu Adam Smith, der der Ablehnung von Im- und Exportprämien im Wealth of Nations ein langes Kapitel widmete (Smith 1776: 411-454), sah Burke, wie oben, Anm. 34, angemerkt, Prämien positiv, wenn sie dazu dienten, Krisen zu überwinden und Investitionen, Produktivität und Beschäftigung zu fördern; so verteidigte er im Mai 1772 in der Debatte um den Getreidehandel (vgl. oben, S. 331 f.) die Nützlichkeit der Prämien für Getreideexporte, da sie ungeachtet der aktuellen Krise für niedrige Getreidepreise gesorgt hätten; vgl. PH XVII: 480 f. – Allgemein zur Bedeutung von Im- und Exportsubventionen für die Entwicklung der englischen Wirtschaft im 18. Jahrhundert vgl. Hoppit 2011. 44 Vgl. Alexander Pope, Epilogue on the Satires I, 129-131: „Vice thus abused demands a nation’s care; / This calls the Church to deprecate our sin, / And hurls the thunder of the Laws on Gin.“ 45 In der Alchemie stellte die Verwandlung von Metall in Gold das bedeutendste Werk (opus maximum) dar. Midas war der Sage zufolge ein König in Kleinasien, dessen Wunsch, es möge alles, was er berühre, zu Gold werden, sich erfüllte. Und da sich auch die Lebensmittel verwandelten, konnte er in der Folge keine Nahrung mehr zu sich nehmen. 46 Im 18. Jahrhundert waren das sogenannte „Gin-Problem“ und die Forderung nach Beschränkung von Produktion und Verkauf von Alkohol Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, da der Schnapskonsum der Armen als Ursache sozialer Missstände galt. William Hogarth illustrierte diese Kritik in seinem berühmten Kupferstich „Gin Lane“ von 1751 – und stellte ihm die „Beer Street“ gegenüber, die von wohlgenährten Bürgern bevölkert wird. In demselben Jahr wurde der Gin Act erlassen, der hohe Steuern auf Spirituosen erhob und den Konsum bremste, ohne die Schnapsbrennerei als ökonomischen Faktor zu schädigen; vgl. Langford 1989: 148 f.

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Wenn Spirituosen billig sind, dann lässt sich der Zustand der Trunkenheit schnell und mühelos erreichen; dieses Übel betrachte ich aber als gänzlich abgewendet. Meine Beobachtungen im Laufe der vergangenen vierzig und ganz besonders während der letzten dreißig Jahre haben mir für einen solchen Fall von Trunkenheit zehn Fälle zur Kenntnis gebracht, bei denen sich die Trunkenheit anderen Ursachen verdankte als dieser. Hochprozentiger Schnaps ist eine großartige Medizin, mit der sich Verstimmungen oftmals beheben, viel häufiger noch vorbeugen oder gleich in ihrem Anfangsstadium vertreiben lassen. Er ist in keinem nennenswerten Maße nahrhaft. Doch auch wenn er keine Nahrung ist, verringert er doch das Bedürfnis nach ihr erheblich. Er stärkt den Magen für die Verdauung einer schlechten, armseligen Kost, die sich nicht leicht mit der Konstitution des Menschen verträgt. Wein können die Armen nicht bekommen. Das Bier, das bei vielen Gelegenheiten zum Einsatz kommt (wie beispielsweise unter Seefahrern und Fischern), wird den Zweck bei weitem nicht erfüllen. Lassen Sie mich etwas hinzufügen, worüber sich von Champagner und Rotwein beseelte Witzbolde lustig machen werden – Schnaps ist eine Medizin für den Geist. Belastet von den Sorgen und Nöten unserer Sterblichkeit haben die Menschen zu allen Zeiten und in allen Ländern auf irgendeine Art medizinischer Hilfe als moralischen Trost zurückgegriffen – auf Wein, Bier, Opium, Weinbrand oder Tabak. Aus diesem Grund halte ich das Verbot der Brennerei ökonomisch, finanziell, kommerziell, medizinisch und in gewissem Maße auch moralisch für eine eher gut gemeinte als wohlüberlegte Maßnahme. Sie opfert dem Vorurteil zu viel.47 Gentlemen wissen sehr wohl, ob es eine Rebhuhnknappheit geben wird und ob sie auf das Horten und die Absprachen einiger weniger zurückzuführen ist. All die zahmen Vogelarten leben und sterben genauso wie die wilden. Was die einfacheren Güter anbelangt, so verhält es sich mit ihnen wie mit den bedeutenderen. Sie sind dem Auf und Ab der Saison gefolgt. Warum sind Hühner teuer? Waren nicht der Farmer oder der Zwischenhändler schuld daran? Ich verkaufte einem Zwischenhändler sechs junge schlanke Hühner meines Hofes für 24 Schilling – Hühner, für die derselbe Mann vor zwei Jahren nicht einmal einen Schilling pro Stück gegeben hätte. Er verkaufte sie anschließend in Uxbridge, von wo aus sie nach London gingen, wo letzte Hand an sie gelegt wurde. Was die Rolle des Krieges unter den Ursachen für die Lebensmittelknappheit betrifft, so verstehe ich, dass Mr. Pitt darauf eine spezielle Antwort gegeben hat;48 sie ist aber nach meinem Dafürhalten keinen Schuss Pulver wert.

|| 47 Dass Edmund Burke in der vorliegenden Schrift Partei für das Schnapsbrennen ergriff, und dies nicht nur aus ökonomischen Gründen (so etwa [Anonym] 1784), sondern auch mit medizinischen und moralischen Argumenten, machte ihn zum Helden von Autoren, die für die Freiheit der Produktion und Handel von Spirituosen eintraten; vgl. etwa Dixon 1810, der auf der Titelseite seiner Schrift ein Burke-Zitat abdrucken ließ. 48 Da England seit den 1780er Jahren vom Exporteur zum Importeur von Agrarerzeugnissen wurde (vgl. Daunton 1995: 44, Tab. 2.4), stieg die Abhängigkeit insbesondere von Getreideeinfuhren in Zei-

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Ich wundere mich nicht, dass ein solches Thema die Gazetten füllt, bin aber doch etwas überrascht, es im Parlament behandelt zu sehen. Wie über alle großen, den Staat betreffenden Fragen kann man über Frieden und Krieg diskutieren, und man kann aus politischen Gründen nachvollziehbar unterschiedlicher Meinung sein; zur Frage des gegenwärtigen Lebensmittelpreises aber kann ich zu einem Zeitpunkt, da der Frieden mit den Königsmördern immer an erster Stelle steht, nur bemerken: Hier muss die Liebe groß sein. Haben wir schließlich nicht Grund genug, dem Spender alles Guten dankbar zu sein? In unserer Geschichte und wenn man „vom Arbeiter Englands sagt, er sei einstmals glücklich gewesen“,49 finden wir regelmäßig, in gewissen Abständen, eine wirkliche Hungerperiode, die unter dem Menschengeschlecht traurig gewütet hat.50 Die Lebensmittelpreise schwankten fürchterlich und kündeten von einer Knappheit, die sich erheblich von den schlimmsten Ausfällen der jetzigen Zeit unterschied. Seit ich England kenne, habe ich nie mehr als eine relative Knappheit erlebt. Betrachtet man seine Entwicklung über einige Jahre hinweg, so unterlag der Weizenpreis keinen nennenswerten Schwankungen; auch ist er, wenn man von den vergangenen zwölf Monaten absieht, nicht über die Maßen gestiegen. Selbst jetzt weiß ich von keinem einzigen Mann, keiner einzigen Frau, keinem einzigen Kind, die Hungers gestorben wären: wenn überhaupt, dann, wie ich glaube, weniger als in den Jahren des Überflusses, wenn so etwas zufälligerweise geschehen kann. Dies ist einer Fürsorge und || ten von Missernten und Preissteigerungen. 1795 wurde in der Öffentlichkeit wie im House of Commons vielfach ein aus dem Krieg mit Frankreich resultierender Rückgang der Getreideimporte für Knappheit und hohe Preise verantwortlich gemacht. So wurde etwa am 29. Oktober 1795 die Kutsche des Königs auf dessen Fahrt zur Eröffnungsrede der neuen Parlamentsperiode von Protestierenden unter Rufen wie „No war“ und „Peace, Peace“ angegriffen (PH XXXII: 145, 148 u. 153). Pitt erklärte am selben Tag im House of Commons, es sei ein Gerücht, dass die Lebensmittelknappheit auf Getreideexporte zwecks Unterhaltung der Truppen auf dem Kontinent zurückzuführen sei (Woodfall 1795: 48), während Abgeordnete wie Fox oder Lechmere den Krieg für die Versorgungskrise zumindest mitverantwortlich machten (Chalmers 1798: 11, 35, 61 f., 68 u. ö.; PH XXXII: 239; vgl. zur Frage des Einflusses der Kriege gegen Frankreich auf Englands Wirtschaft Crouzet 1989). – Im dritten seiner gleichzeitig mit der Arbeit an den Thougts on scarcity und zu einem Letter to Young entstehenden Letters on a Regicide Peace, in denen Burke sich entschieden gegen die einsetzende Kriegsmüdigkeit und Pläne für Friedensverhandlungen mit den ‚Königsmördern‘ wandte, betonte er demgegenüber die ökonomischen Vorteile, die sich entgegen der landläufigen Meinung für England aus dem Krieg gegen Frankreich ergeben würden (WS IX: 352 ff.). 49 So beklagte Fox am 3. November 1795 in der Unterhausdebatte über die hohen Getreidepreise „the condition of the once happy labourer in this country“ (Woodfall 1795: 114). 50 Hungersnöte traten in England trotz des allgemeinen Aufschwungs auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder auf, so vor den Krisen im letzten Jahrzehnt schon 1756-1758, 1766/67, 1772/73 oder 1782-1784. Obzwar durch Missernten veranlasst, unterschieden sie sich von früheren Hungerkrisen. Sie waren zunehmend durch die Auswirkungen der Transformation Englands in ein marktwirtschaftliches System verursacht, das neben demographischem Wachstum und soziostrukturellen Veränderungen eine Zunahme der Abhängigkeit von Märkten und die Schwankungen von Marktpreisen, Löhnen usw. bedeutete; vgl. oben, S. 324 ff.

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Beaufsichtigung der Armen geschuldet, wie ich sie in vergleichbarem Umfang noch nicht gesehen habe.51 Die Beachtung dieses Umstands sollte uns alle, Reiche wie Arme, gegen jene niederträchtigen Zeitungsschreiber verbünden, die die Armen gegen ihre Freunde, Hüter, Schirmherrn und Beschützer aufhetzen.52 Nicht nur waren es sehr wenige (wie bereits bemerkt, weiß ich von keinem einzigen Fall, obwohl ich in einer Gegend lebe, die gerade so arm ist wie die meisten anderen), die tatsächlich aus Not gestorben sind, auch haben wir keine Spur jener schrecklichen verheerenden Seuchen beobachtet, die als Folge einer mangelhaften und ungesunden Ernährung in früheren Zeiten nicht selten ganze Nationen dahinrafften. Mögen wir von allzu viel eigener Weisheit verschont bleiben, dann wird es uns einigermaßen gut gehen. Es53 ist eine der subtilsten Schwierigkeiten der Gesetzgebung, die mich im Zuge meiner beruflichen Laufbahn oft beschäftigt hat: Was sollte der Staat auf sich nehmen, um durch öffentliche Vernunft zu lenken, und was sollte er mit der geringstmöglichen Einmischung dem Ermessen des Einzelnen überlassen? Sicherlich kann man zu diesem Thema nichts statuieren, was keine Ausnahmen zulässt – oftmals dauerhafte, manchmal gelegentliche. Die eindeutigste Trennlinie aber, die ich ziehen könnte, hätte ich überhaupt eine Kreide zum Ziehen etwaiger Linien zur Hand, wäre folgende: dass sich der Staat auf das beschränken sollte, was den Staat oder die Organe des Staates angeht, nämlich die äußere Geltung seiner Religion, seine Obrigkeit, seine Einnahmen, seine militärische Macht zu Wasser und zu Lande, die Körperschaften, die ihre Existenz seinem Fiat verdanken, mit einem Wort, auf alles, was wirklich und im eigentlichen Sinne öffentlich ist – auf den öffentlichen Frieden, die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Ordnung, den öffentlichen Wohlstand. Und in seiner vorbeugenden Politik sollte er seine Kräfte wohl dosieren und sich nur gelegentlich weniger und starker Mittel bedienen statt häufig vieler kleiner und schwacher, die sich in ihrer politischen Kümmerlichkeit zu vermehren und dadurch zu entkräften pflegen. || 51 Das durch das Poor Law errichtete System der ‚Fürsorge und Beaufsichtigung der Armen‘ war von Anfang an auch ein „Relief of Destitution within a Framework of Repression“ (Webb/Webb 1922: 8). Es diente dazu, die durch zunehmende Marktproduktion, Kommerzialisierung, Monetarisierung und Auflösung traditioneller Sozial- und Wirtschaftsstrukturen in England früher als auf dem Kontinent wachsenden Probleme von Armut und Arbeitslosigkeit, die sich in Form von Bettelei, Vagabundentum, Kriminalität und sozialen Unruhen Ausdruck verschafften, durch ein gesetzlich etabliertes, steuerfinanziertes und institutionell strukturiertes Regime der Fürsorge und Kontrolle zu organisieren. Es erwies sich bis ins 19. Jahrhundert hinein als hinreichend flexibel, um die sozialen Verwerfungen im Übergang zum System freier Lohnarbeit in Grenzen zu halten und zugleich die Bereitschaft zu fördern, sich den damit verbundenen Anforderungen zu unterwerfen; vgl. oben, S. 329 u. 333. 52 Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution und dem Entstehen von Reformgesellschaften und politischen Clubs entwickelte sich erstmals in England eine Art von ‚plebejischer Öffentlichkeit‘. Die sozialen Verhältnisse und Ansprüche der unteren Schichten wurden in Zeitungen, Traktaten, Pamphleten und anderen Publikationen zum Thema gemacht und Gegenstand politischer Forderungen; vgl. Lottes 1979; Philp 2014: 86 ff., 123 ff.; Mee 2016, Kap. 1 u. 2; vgl. oben, S. 268 ff. u. 270 ff. 53 Hier beginnt das dritte Fragment aus Burkes Letter to Arthur Young.

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Staatsmänner, die sich selbst kennen, werden mit der zur Weisheit gehörigen Würde darin nur dem obersten Himmelskörper und Ersten Beweger ihrer Pflicht folgen, stetig, wachsam, ernst und mutig: Alles andere wird, auf seine Weise, für sich selbst sorgen. In dem Maße aber, wie sie vom Staat in die Provinz hinabsteigen, von einer Provinz zu einer Gemeinde und von einer Gemeinde zu einem Privathaus, beschleunigen sie ihren Fall immer weiter. Sie können die niedrigere Pflicht nicht verrichten; und in dem Maße, wie sie es versuchen, werden sie gewiss an der höheren scheitern. Sie sollten die unterschiedlichen Ordnungen des Seins kennen – was in den Bereich der Gesetze fällt und was sich alleine durch die Sitten regeln lässt. Diesen können große Politiker etwas Halt, aber kein Gesetz geben. Unser Gesetzgeber ist in diese Falle getappt, ebenso wie andere Regierungen: Sie alle sind mehr oder weniger hineingetappt. Der einst mächtige Staat, der uns räumlich, ja in jeder Hinsicht am nächsten war und dessen Trümmer uns auf den Kopf zu fallen drohen, ist ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Fehler.54 Niemals kann ich Frankreich ohne einen ahnungsvollen Seufzer anführen – „ΈΣΣΕΤΑΙ ΉΜΑΡ“ („Der Tag wird kommen“). So sprach Scipio inmitten des in Flammen aufgehenden großen Rivalen seines Landes zu seinem mitschreibenden griechischen Freund.55 Der französische Staat ist durch die Hand der Vatermörder dieses Landes gefallen, Revolutionäre und Konstitutionalisten genannt: eine Spezies von Verrätern, deren Furie und abscheuliche Bosheit bisher in den Annalen der Raserei und Verworfenheit der Menschheit beispiellos ist und über die ich weder nachdenken noch sprechen kann, ohne eine schwer benennbare Mischung aus Empörung, Entsetzen und Abscheu zu empfinden. Diese ruchlosen Ungeheuer haben ihr Land aufgrund dessen zerstört, was in ihm gut war: denn viel Gutes war an der Verfassung dieser edlen Monarchie, die große Männer aller Art hervorgebracht und beheimatet und der Welt großartige moralische Vorbilder gegeben hat. Doch obwohl ihre Feinde keine Feinde seiner Fehler waren, gaben seine Fehler diesen die Mittel zu seiner Zerstörung an die Hand. || 54 Burke setzt die Eingriffe von Regierungen in die Wirtschaft mit den Maßnahmen gleich, die die Revolutionäre 1793 in Frankreich ergriffen, um die durch Inflation, steigende Preise, Missernten und Kriegsmaßnahmen bewirkten Wirtschafts- und Ernährungskrisen zu überwinden. Nachdem nach 1789 Handel, Märkte und Preise weitgehend liberalisiert worden waren, war der Druck gestiegen, die Versorgung zu bezahlbaren Preisen zu sichern. Im Mai 1793 wurden Gesetze erlassen, die auf Departementsebene Höchstpreise für Getreide einführten und Spekulation und Wucher verboten. Der mangelnde Erfolg dieser Maßnahmen und der wachsende Druck der Pariser Sansculotten führten zur Steigerung der Sanktionen, Regulierungen, Kontrollen und Zwangsmaßnahmen und der Festlegung allgemeiner Maximalpreise für Güter des täglichen Bedarfs wie auch für Löhne (Loi du Maximum général vom 29. September 1793). Nach der Ausschaltung der radikalsten Vertreter staatlicher Interventionen noch durch den Wohlfahrtsausschuss und Robespierre wurden die Maximum-Gesetze am 24. Dezember 1794 schließlich wieder abgeschafft. Vgl. hierzu van den Heuvel 1988; Furet 1996. 55 Der römische Feldherr Scipio d. J. soll Polybios‘ Historien (Buch 38, 22.1 f.) zufolge angesichts des brennenden Karthago (146 v. u. Z.) aus der Illias die Worte zitiert haben, die der trojanische Held Hektor bei seinem Abschied sprach: „Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt“ (Homer, Illias VI, 448; Übers. Voß).

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Mein lieber von uns gegangener Freund,56 dessen Verlust für die Öffentlichkeit gar noch schwerer wiegt als für mich, bemerkte oft, das ärgste Laster der französischen Monarchie (mit der er sich eingehend befasst hatte) liege in der fehlgeleiteten guten Absicht und im rastlosen Wunsch, zu viel zu regieren. Die Hand der Staatsmacht war in allen Dingen und an allen Orten sichtbar. Alles, was schiefging – selbst bei häuslichen Angelegenheiten –, lastete man daher der Regierung an; und wie es bei einer derart übereifrigen allgemeinen Einmischung immer der Fall ist, endete das, was mit einer verhassten Macht begann, immer, ja ich darf sagen ausnahmslos in verachtenswerter Beschränktheit. Soweit ich Neuerungen überhaupt gutheißen kann, hielt ich aus diesem Grund große Stücke auf die Provinzverwaltungen.57 Wäre die übergeordnete Macht streng und wachsam und energisch genug gewesen, hätten diese politisch einen nützlichen Beitrag leisten können, um die Regierung aus vielen ärgerlichen Details herauszuhalten. Da aber alles in der Art und Weise gut oder schlecht ist, wie es miteinander zusammenhängt oder verbunden wird, und die Regierung oben genauso unbekümmert war wie die unten, und da die Köpfe der Menschen dank aller möglichen wirklichkeitsfremden Spekulationen immer konfuser wurden, stellten die Szenenwechsel auf den Provinztheatern letztlich nur das Vorspiel für eine Revolution im Königreich dar und das Handeln des Volkes dort nichts anderes als die Proben für das schreckliche Schauspiel der Republik. Tyrannei und Grausamkeit mögen Menschen zu Recht auf den Untergang missbrauchter Mächte hoffen lassen, doch glaube ich, dass bislang noch keine Regierung aus einem anderen Grund unterging als dem ihrer eigenen Schwäche. Ich stelle mich gegen den Übereifer jeder Art von Regierung und ganz besonders gegen diese folgenreichste aller Einmischungen von Seiten der Staatsmacht – die Einmischung in die Lebensgrundlage des Volkes.58

|| 56 Burke spricht hier vermutlich von seinem Sohn Richard, der, gerade als Nachfolger seines Vaters ins House of Commons gewählt, am 2. August 1794 im Alter von 36 Jahren gestorben war. 57 Im Rahmen der Reformversuche in der Endphase des Ancien Régime sollten 1787 Provinzialversammlungen (Assemblées provinciales) als beratende Gremien lokaler und regionaler Mitglieder des Dritten Standes eingerichtet werden, die den Grundbesitzern insbesondere in Fragen der Erhebung und Verteilung von Steuern die Möglichkeit der Mitwirkung geben sollten. Diese Einrichtungen gingen auf Ideen und Versuche zurück, die Turgot und Necker in den 1770er und 1780er Jahren entwickelt hatten, um feudale Privilegien durch die Verbindung der Interessen von Drittem Stand und monarchischer Zentralgewalt zurückzudrängen. Thomas Paine bezeichnete sie als „une représentation aussi complette du peuple que les Parlemens d’Angleterre“ (Paine 1788: 29). Die Pläne scheiterten jedoch; vgl. hierzu umfassend Renouvin 1921. 58 Hier endet das dritte Fragment aus Burkes geplantem „Letter to Arthur Young“.

 

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Drucknachweise A Vindication of Natural Society (1756) Anzeige zur ersten Auflage nach der Erstausgabe London: Robert Dodsley 1756. Vorrede zur 2. Aufl. 1757 und Text aus: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. I, S. 1-66. Speech at the Conclusion of the Poll (1774) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. II, S. 89-98. Speech on a bill for shortening the duration of parliaments (1780) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. VII, S. 69-87. Speech on Reform of Representation (1784) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. VII, S. 89-104. Letter to the Sheriffs of Bristol on the Affairs of America (1777) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. II, S. 187-245. A Letter to a Peer of Ireland (To Lord Kenmare) (1782) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. IV, S. 217-239. Speech in Opening the Impeachment of Warren Hastings (1788) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. IX, S. 329-396 (gekürzt). An Appeal from the New to the Old Whigs (1791) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. IV, S. 57-216 (gekürzt). Thoughts and Details on Scarcity (1795) in: The Works of the Right Honourable Edmund Burke, London 1887, Bd. V, S. 131-169.

https://doi.org/10.1515/9783050087771-008

 

Personenregister Die Seitenzahlen sind bei Namen, die im Haupttext erscheinen, in normaler Schriftart verzeichnet, bei ausschließlicher Erwähnung in den Anmerkungen sind sie kursiviert. Erwähnungen von Edmund Burke werden nicht separat aufgeführt.

Abbattista, Guido 149 Addison, Joseph 4, 23 Afschār, Nādir Schāh 248 Agesilaos II., spartan. König 60 Agricola, Gnaeus Iulius 76 f., 77 Akbar, Jalaluddin Muhammad 247 Alcock, Thomas 333, 364 Alexander, makedon. König 60 f., 71 Alkibiades, athenenischer Staatsmann 76, 77 Allen, Robert C. 366, 373 Alter, Peter 274 Altmann, Angelika 2 Anaxagoras 79 Andress, David 263 Angelow, Jürgen 8 Anne, Königin von Großbritannien 21, 129, 130, 157, 210, 261, 291 Antiochus III., seuklidischer König 63, 64 Antoninus Pius, römischer Kaiser 74 Aquin, Thomas von 165 Arburthnot, John 331 Argens, Jean-Baptiste de Boyer, Marquis d' 84 Aristeides von Athen, athenischer Staatsmann 76, 79 Aristoteles 71 Armitage, David 147, 150, 151 Asbach, Olaf 324 Aurelius, Marcus (auch: Marc Aurel), römischer Kaiser und Philosoph 288 Ayling, Stanley 3, 161   Backhouse, Roger E. 324 Baker, Tom 305 Ball, John 304 ff. Balmerino, Arthur Elphinstone, 6. Lord 168 Barlas, Temür ibn Taraghai (auch Tamerlan oder Timur) 232, 246-248 https://doi.org/10.1515/9783050087771-009

Barnes, Donald G. 355, 377 Barrington, Donal 321, 322, 323 Barwell, Richard 233 Bellers, John 352 Bentham, Jeremy 166 Bentley, Richard B. 23 Berkeley, George 24, 25, 26, 47, 53, 55, 56 Berry, Christopher J. 34 Beyme, Klaus von 256 Bisset, Robert 322 Black, Eugene Charlton 269 Blackmore, Richard 23 Blackstone, William 86 Block, Fred 348, 356 Bloesel, Wolfgang 288 Bluhm, Harald 2, 255, 270 Bohlender, Matthias 148, 329, 333, 334, 335, 354 Bohstedt, John 327, 331, 338, 368 Bolingbroke, Henry St. John, Lord 4, 10, 18, 21-24, 25, 26, 27-29, 31, 35, 36-38, 39, 40, 42, 48, 49, 50-53, 55, 56, 57, 58, 66, 70, 75, 81, 82, 84, 85, 87, 89, 90, 92, 95, 101, 129, 130 Bond, Edward A. 240 Booth, Alan 327, 338, 339 Boucher, David 149 Boulton, Jeremy 362 Bourke, Richard 3, 18, 19, 25, 26, 48, 100, 101, 113, 137, 141, 150, 153, 156, 160, 161, 165, 256, 278 Boyer, George R. 330, 332, 333, 334 Braughall, Thomas 206 Bretone, Mario 86 Brewer, John 102, 269 Brickdale, Matthew 104, 115, 117, 118 Bromwich, David 3, 18, 19, 27, 35, 154, 156, 166 Browne, Stephen 330 Bryant, Donald C. 112

408 | Personenregister

Buchstein, Hubertus 166 Burke, Christopher 6 Burke, Richard 5, 383 Burke, William 5 Burnet, Gilbert 130 Burnette, Joyce 326 Butler, Joseph 23, 24, 40, 48   Cade, Jack 304 Caligula, römischer Kaiser 74, 79 Calonne, Charles Alexandre de 266 Campbell, Bruce M.S. 325 Canavan, Francis P. 2, 113, 164, 323, 326, 345, 346, 348, 353 Cantillon, Richard 341 Cardwell, M. John 30 Carter, Jack 305, 306 Cartwright, John 269 Cäsar, Julius 63, 64 Cavendish, Lord Frederick 201 Cavendish, Lord George Augustus 201 Cavendish, Lord George Augustus Henry 201 Cavendish, Lord John 201 Cavendish, Lord Richard 201 Chalmer, Francis 355 Charlemont, James Caulfeild, Earl of 286 Charlesworth, Andrew 327, 338, 339 Chesterfield, Philip Dormer Stanhope, 4th Earl of 217 Cicero, Marcus Tullius 79, 92, 165, 232, 297, 298 Claeys, Gregory 275, 282, 328 Clark, Gregory 330, 354 Clark, Jonathan C. D. 25 Clarke, Samuel 23, 24 Cliteur, Paul 165 Coats, Alfred W. 332 Cobban, Alfred 2, 322, 324 Coke, Edward 52, 168 Col, Norbert 260 Colley, Linda 30 Collins, Anthony 23, 37, 52 Collins, Gregory M. 345 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de 296, 334 Cone, Carl B. 3, 373 Conniff, James 101, 106, 108, 323, 353 Cooper, Mary 49

Cooper, Thomas 49 Cottret, Bernard 22, 24 Cowan, Brian 262 Crafts, Nicholas F. R. 354 Cromwell, Oliver 157, 217 Crouzet, François 380 Crowe, Ian 29, 49 Cruger, Henry 104, 119   Dareios I., persischer König 60 Daunton, Martin J. 325, 326, 327, 330, 332, 366, 379 Davies, David 329, 334, 361, 362 De Bruyn, Frans 150 Dean, Mitchell 333, 334, 354 Deane, Phyllis 325, 326 Defoe, Daniel 18, 329, 353 Depont, Charles-Jean-François 257, 264 Destutt de Tracy, Antoine Louis Claude 266 Devonshire, William, 5th Duke of 201 Dickinson, Harry T. 21, 22, 24, 70, 103, 152, 155, 260, 269, 274, 275 Diderot, Denis 5, 32 Dinwiddy, John 2 Dixon, William 379 Dodsley, Robert 5, 49, 50 Doering, Detmar 18, 37, 42 Domitian, römischer Kaiser 77 Dorialus, Feldherr unter Mithridates 63 Dowdeswell, William 201 Dreyer, Frederick A. 2 Dryden, John 187, 313 Du Haldes, Jean-Baptiste 84 Dundas, Henry 337, 370 Dunn, William Clyde 320 Dwan, David 42   Eberl, Oliver 166 Eden, Sir Frederick Morton 325, 330, 333, 334, 335, 336, 362 Edward III., König von England 304 Ehrman, John 275, 276, 327, 333 Elisabeth I., Königin von England 231 Elliot, Gilbert 284 Ellis, Harold A. 276 Emsley, Clive 275

Personenregister | 409

  Feinstein, Charles H. 330 Fennessy, R. R. 306 Ferguson, Adam 44 Feser, Edward 324 Fielding, Henry 329 Fitzpatrick, Martin 2, 268, 278 Foster, James 89 Foucault, Michel 344 Fox, Charles James 109, 112, 139, 142, 257, 259, 266-268, 270, 271, 284, 285, 289, 290, 336, 337 f., 376, 377, 380 Francis, Philip 161, 284 Friedrich II., König von Preußen 68 Friedrich III., König von Dänemark 74 Frohnen, Bruce 150, 165 Funk Deckard, Michael 19 Furet, François 382 Furniss, Tom T. 19, 257   Galba, Lucius Livius 288 Galiani, Ferdinando 371, 372 Gandy, Clara I. 322 Gardiner, Luke 158 f., 206, 217, 219 Gay, John 22 Gazley, John G. 351 Gehlen, Arnold 279 Geisler, Antonia 166 Gentz, Friedrich 9 Georg I., König von Großbritannien 130 Georg II., König von Großbritannien 7 Georg III., König von Großbritannien 6, 100 f., 160, 266, 268 Gerrish, B. A. 24 Gilmartin, Kevin 256 Girdler, J. S. 355 Godwin, William 35, 334 Goldie, Mark 260, 262 Goldsmith, Oliver 18 Goodrich, Amanda 282 Goodwin, Albert 265, 271, 275, 276, 282 Gordon, George 112 Grégoire, Henri Jean-Baptiste, Abbé 304 Grenville, George 116, 147, 151 Grotius, Hugo 150 Guicciardini, Francesco 58

  Haan, Heiner 326 Halévi, Ran 286 Halévy, Elie 321 Halifax, George Montagu Dunk, Earl of 6 Hamilton, William Gerard 6 Hammond, Barbara 326, 337 Hammond, Brean S. 22, 82 Hammond, John L. 326, 337 Hamowy, Ronald 44 Hampsher-Monk, Iain 19, 24, 25, 26, 27, 37, 99, 110, 148, 256, 258, 275, 284, 319, 328 Hanway, Jonas 362 Harris, Ian 27 Harvey, David 80 Hastings, Warren 1, 7, 8, 10, 11, 147, 148, 150, 160-164, 220, 224, 225 f., 229 f., 232, 233-235, 236, 238-240, 243, 245, 246, 247, 249-251, 257, 284 Hay, Douglas 330, 332, 338, 368 Hayek, Friedrich 12, 44, 322, 324, 345 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 283 Heinrich VIII., König von England 157, 169, 170, 172 Hellmuth, Eckart 278 Hely-Hutchinson, John 158, 212, 213 Herbruck, Wendell 327 Hereth, Michael 21 Herrick, James, A. 24 Heuvel, Gerd van den 382 Hicks, Philip 29 Higonnet, Patrice 263 Hilger, Dietrich 17, 42 Hilton, Boyd 275, 326, 328 Himmelfarb, Gertrude 323, 324, 329, 333, 346, 354 Hippias, Tyrann von Athen 76 Hirschman, Albert O. 340 Hobart, Henry 355 Hobbes, Thomas 27, 29, 34, 43, 54, 55, 56, 58, 83, 86, 94 Hobsbawm, Eric J. 326, 333 Hofmann, Hasso 108 Hogarth, William 378 Holmes, Geoffrey 262 Homer 72, 382 Hooker, Richard 73 Hoppit, Julian 33, 378

410 | Personenregister

Horaz 125, 302, 364 Howe, Richard, Lord, 1st Earl 183, 188 Howe, William, 5th Viscount 183 Hume, David 5, 12, 29, 30, 43, 44, 47, 80, 89, 101, 175, 176, 311, 320, 353 Hunter, Ian 364 Huntington, Samuel 3   Impey, Elijah 235 Innes, Joanna 330, 331, 337 Insole, Christopher 42, 165 Isokrates 51 Israel, Jonathan 24 Iustinus 59   Jäger, Wolfgang 22 Jakob (James) I., König von England, Irland und Schottland 292 Jakob (James) II., König von England, Irland und Schottland 157, 168, 191, 261 f., 263, 291 James Francis Edward Stuart, Sohn Jakobs II. 130, 261 Jean III. de Grailly, Captal de Buch 304 Jekyl, Sir Joseph 262 Johnson, James William 18 Johnson, Samuel 18, 90, 23 Jones, Emily 3, 256 Jones, Peter 2 Jörke, Dirk 114 Jugurtha, numidischer König 63 Justinus, Marcus Junianus 59 Juvenal, Decimus Junius 81, 85, 88   Kaiser, Klaus-Dieter 306 Kallisthenes von Olynth 71 Karl II., König von England, Irland und Schottland 157, 187, 231 Kelly, Laurence 211 Kenmare, Thomas Brown, Lord, 4th Viscount 159, 206 Keppel, Augustus, 1st Viscount 201 Ket, Robert 304 Khan, Ali Vardi 248 f. Khan, Thamas Kuli (siehe: Afschār, Nādir Schāh)

King, Walker 338, 339, 351 Kirk, Russell 3, 256 Kleitos 71 Kluxen, Kurt 6, 21, 22, 39 Knighton, Henry 305, 306 Knights, Mark 262 Koebner, Richard 152 Kohn, Margaret 166 Kopsidis, Michael 325, 326, 329, 333, 354, 366, 373 Koselleck, Reinhart 106 Kramnick, Isaac 2, 3, 18, 21, 22, 39, 99, 101, 257, 321, 322, 323 Kraus, Hans-Christof 22, 261 Kriele, Martin 42 Kruse, Alfred 336 Kulischer, Josef 331   Lallement, Guillaume 286 Langford, Paul 12, 23, 30, 33, 152, 269, 326, 332, 378 Lauer, Gerhard 57 Laurence, French 313, 321, 338, 339, 351 Lechmere, Nicolas 262 Lee, Stephen M. 103 Lees, Lynn Hollen 329, 362 Lennox, Richmond 321 Leonhard, Jörn 30, 260 Lepenies, Philipp 333, 334 Levene, Alysa 362 Lindert, Peter H. 354 Livius, Titus 315 Lobban, Michael 33 Lock, Frederick P. 3, 18, 21, 27, 35, 103, 108, 109, 112, 116, 154, 175, 255, 256, 257, 266, 319, 321, 332, 370, 373 Locke, John 2, 4, 23, 24, 27, 29, 34, 37, 39, 40, 55, 70, 72, 73, 86, 90, 166, 328, 329, 353 Losurdo, Domenico 166 Lottes, Günther 269, 275, 328, 381 Lovejoy, Arthur O. 39, 40 Lucullus, Lucius Licinius, römischer Feldherr und Senator 63 Ludwig XIV., König von Frankreich 306 Ludwig XVI. , König von Frankreich 8 Luhmann, Niklas 42 Lukas, Evangelist 241  

Personenregister | 411

Macaulay, Thomas 166 Macclesfield, Thomas Parker 223 Machiavelli, Niccolò 30, 58, 68, 69, 86 Mackintosh, Sir James 257 Macleod, Emma Vincent 256, 282 Macpherson, Crawford B. 2, 257, 322, 323, 326, 345, 346 Magnusson, Lars 324 Mallet, David 22, 50 Malthus, Thomas Robert 12, 324, 333, 334, 335 f., 340, 347, 352, 364 Mandeville, Bernard 43, 44 Manilius, Marcus 138 Mannheim, Karl 256, 282 Margerison, Kenneth 263 Marshall, Peter James 112, 161, 362 Martinet, Jean 306 Marx, Karl 334 Mathias, Peter 377 Maurer, Michael 30, 158 McCloskey, Deirdre N. 326 McGee, Robert W. 321, 322 McNally, David 328 Mee, Jon 328, 381 Mehta, Uday S. 2, 148, 166 Melon, Jean-François 29 Michelangelo Buonarroti 315 Mill, James 166 Mill, John Stuart 149, 166 Miller, Peter N. 25, 323 Miltiades 76, 79 Milton, John 315 Minchinton, Walter Edward 369 Mirabeau 286, 311 Mises, Ludwig von 322 Mitchell, Leslie G. 266, 268, 286 Mitchison, Rosalind 367 Mithridates VI., König von Pontos 63 Mokyr, Joel 325, 330, 366 Mommsen, Wolfgang J. 281 Monod, Paul Kléber 262 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat , Baron de La Brède et de 5, 22, 26, 29, 30, 31, 43, 44, 45, 47, 56, 71, 72, 74, 80, 82, 91, 150, 162, 164, 279, 282, 313, 314, 315, 354 Morley, John 2, 3 Muller, Jerry Z. 323, 326 Müller-Armack, Alfred 322

Münkler, Herfried 32 Musgrave, Christopher 130 Muthu, Sankar 148 Mylner, Jack 305   Nakazawa, Nobuhiko 340 Nandy, Kanta 243 Nelson, Jeffrey O. 3 Nero, römischer Kaiser 70, 71, 74, 288 Newman, Gerald 30 Newton, Isaac 37 Niedhart, Gottfried 326 Niggemann, Ulrich 262 Ninus, assyrischer König 59 Norman, Jesse 103, 112, 161 North, Frederick 158, 188 Nugent, Jane Mary 5   Ó Gráda, Cormac 325 O’Brien, Conor Cruise 3, 109, 147, 152, 156, 166 O’Brien, Patrick K. 366 O’Gorman, Frank 1, 17, 103, 110, 111, 115, 259, 268 O’Neill, Daniel I. 2, 44, 149, 151, 166, 311 Oakeshott, Michel 42 Orsi, Cosma 329, 333 Oslington, Paul 331 Osterhammel, Jürgen 72 Ottmann, Henning 256 Ottow, Raimund 111   Pagano, Frank N. 19, 27, 35, 40 Page, Anthony 268 Paine, Thomas 11, 182, 256 f., 264, 266, 271274, 275, 279, 284, 293, 304, 305, 306, 310, 328, 333, 363, 383 Palmer, Robert 99 Pappin, Joseph L. 2 Patriquin, Larry 329 Peisistratos 76 Perikles, athenischer Staatsmann 77, 78 Persius 297 Petrella, Frank 322 Petty, William 329 Phillips, N. C. 282

412 | Personenregister

Philp, Mark 275, 381 Pitkin, Hanna Fenichel 106, 108 Pitt, William (der Ältere) 30, 100 Pitt, William (der Jüngere) 8, 112, 140, 142, 160, 332, 333, 336-338, 339, 351, 369, 377, 379, 380 Pitts, Jennifer 2, 148, 149, 151 Platon 218 Plinius Secundus d. Ä., Caius 64 Plutarch 64, 71, 75, 77, 78 Pocock, John G. A. 2, 111, 255, 278, 324 Polanyi, Karl 329, 331, 333, 337, 348 Pole, Jack Richon 103 Polybios von Megalopolis 82, 382 Pope, Alexander 18, 22, 23, 24, 40, 54, 70, 82, 87, 89, 90, 94, 378 Porter, Roy 362 Portland, William Henry CavendishBentinck, 3rd Duke of 111, 201, 369 Pownall, Thomas 368, 370 Poynter, John R. 329, 333, 337 Preece, Rod 322 Price, Richard 99, 135, 260 f., 264, 267 f., 269, 270, 271, 285, 306, 310 Priestley, Joseph 99, 268, 269, 285, 306 Pufendorf, Samuel 27, 43, 363, 364   Rae, John 321 Raeder, Linda C. 324 Rall, Johann Gottlieb 177 Raphael da Urbino 315 Raynal, Guillaume-Thomas François 5 Rehberg, August Wilhelm 258, 284, 293 Rehberg, Karl-Siegbert 279 Reichhold, Clemens 44, 324, 340 Reid, Christopher 100 Renouvin, Pierre 383 Reventlow, Henning Graf 24 Reynold, Joshua 315 Ricardo, David 12, 324, 341 Richardson, Samuel 23 Richmond, Charles Lennox, 3rd Duke of 109, 112, 141, 201 Riklin, Alois 31 Robin, Corey 323, 343, 349 Rockingham, Charles-Watson Wentworth, 2nd Marquess of 1, 6, 100, 101, 111, 154, 156, 197, 201, 266, 270

Ross, Alan S. C. 330 Rothschild, Emma 324 Rous, John 355 Rousseau, Jean-Jacques 24, 27, 29, 32, 34, 40, 51, 89, 91 Rudé, George 327 Rule, John 354 Ryan, Dermont 274 Ryan, Vanessa L. 19   Sacheverell, Henry 261 f., 271, 284, 291-293 Samuels, Arthur P. 18, 24 Santorio, Sanctorio 139 Sato, Sora 38 Saunders, Charles 201 Saunders, David 364 Savage, Richard 90 Savile, Sir George 201 Sawbridge, John 112, 141 Schmidt, Johann N. 18 Schmidt, Martin 278 Schmitt, Carl 2, 279 Schofield, Roger S. 325, 330 Schofield, Thomas Philipp 281 Schumann, Hans-Gerd 27 Scipio, Publius Cornelius Africanus (d. J.), römischer Feldherr und Konsul 382 Scrivener, Michael 328 Seed, John 268 Semiramis, assyrische Königin 59, 60 Sesostris I., Pharao 58 f., 59 Sewell, Richard B. 27 Shakespeare, William 248 Shave, Samantha 329, 332 Sheridan, Richard Brinsley 284 f., 287 Shklar, Judith 323 Sieyes, Emmanuel Joseph 272, 279, 296 Sinclair, John 338, 367 Singh, Balwant 245 Singh, Chait 245, 247 Singh, Ganga Govind 243 Siraj ud-Daulah, Mirza Muhammad 248 f. Skalweit, Stephan 27, 266, 286 Skjönsberg, Max 22 Slack, Paul 327, 330 Smith, Adam 12, 44, 148, 311, 320-324, 331, 332, 333, 335, 340, 341, 348, 352, 354, 358, 371, 378

Personenregister | 413

Smith, Bruce James 2 Sokoll, Thomas 329, 354 Sokrates 79 Solar, Peter M. 329, 330, 333 Solon, athenischer Staatsmann 75 Somers, Margaret R. 348, 356 Sommer, Andreas Urs 29 Song, Byung Khun 329 Sporus 288 Stagl, Jakob Fortunat 162, 232 Stanlis, Peter J. 2, 27, 42, 150, 153, 164, 322 Stedman Jones, Gareth 324 Stern, Walter M. 324, 325, 370 Sternberger, Dolf 105, 108 Sterne, Laurence 23 Steuart, James 371, 372 Stillingfleet, Edward 25 Straus, Ralph 49 Strauss, Leo 2, 42, 279, 348 Straw, Jack 304, 305 Streminger, Gerhard 80 Stryer, Steven 38 Sueton, Gaius 71, 79, 288 Sulla Felix, Lucius Cornelius, römscher Feldherr und Diktator 61, 63 Swift, Jonathan 18, 22, 23, 87, 88   Tacitus, Publius Cornelius 65, 71, 77 Tamerlan (siehe: Barlas, Temür ibn Taraghai) Taylor, James Stephen 262, 329 Thelwall, John 328, 363 Themistokles, athenischer Staatsmann 76, 79 Thompson, Edward P. 325, 327, 330, 331, 339, 355, 368 Thrasea Paetus, Publius Clodius 71 Thukydides, athenischer Politiker und Geschichtsschreiber 131 Tiberius, Iulius Caesar Augustus, römischer Kaiser 74 Tierney, Robert 49 Tigranes II., seuklidischer König 63 Tillotsen, John 165 Tindal, Matthew 23, 52 Titus, römischer Kaiser 74 Toland, John 23, 47, 52 Townsend, Joseph 333-335, 340, 347, 352, 364

Trajan, römischer Kaiser 74, 288 Trewman, Jack 305 Tribe, Keith 324 Troeltsch, Ernst 23 Tryon, William 183 Turner, Michael E. 326, 373 Tyler, Wat 304   Unger, Thorsten 57   Varro, Marcus Terentius 358 Vergil 89, 296, 315 Vermeir, Koen 19 Verney, Ralph, 2nd Earl of 103 Vespasian 74 Vincent, R. J. 151 Viner, Jacob 321 Voltaire, François-Marie Arout 22, 45, 56, 82, 306   Wagner, Michael 260, 268, 275 Waldron, Jeremy 150 Wallace, Robert 80 Walpole, Sir Robert 21 f., 75, 90 Walsingham, Thomas 305, 306 Warburton, William 23, 24, 26 Weare, George E. 103, 104, 115, 117 Webb, Beatrice 330, 332, 381 Webb, Sidney 330, 332, 381 Wecter, Dixon 18 Weddell, William 281 Weinsheimer, Joel 29 Weiß, Wolfgang 18 Wells, Roger A. E. 324, 325, 327, 329, 337, 338, 339, 368, 370 Welsh, Jennifer M. 8, 148, 150, 151, 154 Weston, John C. 35 Whatmore, Richard 323 Whelan, Frederick G. 2, 161, 163 Whitbread, Samuel 337 f., 351, 356 White, Stephen K. 19, 20, 150, 255 Wilkes, John 100, 269 William III., König von England, Schottland und Irland 261 Williamson, Jeffrey G. 354

414 | Personenregister

Winch, Donald 2, 257, 322, 323, 340, 346, 354 Windham, William 355, 370 Wirsching, Andreas 106 Wollstonecraft, Mary 11, 256 Womersley, David J. 29 Wood, Neal 19, 43 Woodfall, William 380 Wordsworth, William 321 Wright, Thomas 368 Wrigley, Edward A. 325, 330 Wycliffe, John 304 Wyss, Walter von 8, 162 Wyvill, Christopher 276  

Xerxes I., persischer König 60   Young, Arthur 325, 337 f., 351, 355, 356, 364, 365, 366 f., 367, 368, 373, 380, 381, 383 Young, David 72 Young, Edward 23, 75   Zimmer, Robert 2, 3, 18, 27, 110, 159, 255, 280