Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 8, 9 [Reprint 2022 ed.] 9783112686386


169 99 58MB

German Pages 222 [228] Year 1890

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Das Gebet im Namen Jesu
Die fortlaufende Bedeutung des Dekalogs in der christlichen Kirche
Zacharias Ursins Briefe an Crato von Crafftheim, nach den in Breslau befindlichen Urschriften herausgegeben von Pastor W. Becker in Breslau, und ein Brief desselben Z. Ursins an Henricus Stephanus, nach einem Codex in Bremen
Zur rheinischen Martyrologie
Einige Ergänzungen zu v. Recklinghausen, Reformationsgeschichte der Länder Jülich, Berg, Cleve u. s. w
Zur rheinischen Reformationsgeschichte unter dem Erzbischof Hermann von Wied
Recension. Geschichte der Reformation am Niederrhein und der Entwicklung der ev. Kirche daselbst bis zur Gegenwart von E. Demmer, Pfarrer. Aachen 1885
Thesen der General-Versammlungen
Recommend Papers

Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 8, 9 [Reprint 2022 ed.]
 9783112686386

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Theologische Arbeiten aus dem

rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein.

Herausgegeben von den Vorstandsmitgliedern: D. Fabri, Prof. D. K a m p h a u s e n , Konsistorialrat Prof. D. Krafft, Konsistorialrat Prof. D. M a n g o l d ,

Pfarrer Sänger, Lic. Dr. Thönnes.

Achter und Neunter Band.

Bonn, E d u a r d Weber's V e r l a g (Julius Flittner).

1889.

Inhalt. Seite

1.

Pfarrer Lic. theol. M e t t g e n b e r g , Das Gebet im Namen Jesu

2.

Pfarrer Franz B r ü g g e m a n n , Die fortlaufende Bedeutung des Dekalogs in der christlichen Kirche

36

Pastor W. B e c k e r und Pastor Dr. C. K r ä f f t , Briefe Zacharias Ursins an Crato von Craiftheim und ein Brief desselben Z. Ursins an Henricus Stephanus

79

Dr. C. K r a f f t , Heber die „rabies theologorum" in den letzten Aufzeichnungen Melanthons vor seinem Heimgang . . .

124

5.

Dr. C. K r a f f t , Zur rheinischen Martyrologie

130

6.

Dr. C. K r a f f t , Einige Ergänzungen zu v. Recklinghausen, Reformationsgeschichte der Länder Jülich, Berg, Cleve u. s. w.

137

Dr. C. K r a f f t , Zur rheinischen Reformationsgeschichte unter dem Erzbischof Hermann von Wied

153

Recension der „Geschichte der Reformation am Niederrhein etc. von E. D e m m e r , Pfarrer. Aachen 1885"

173

Die Thesen zu den auf den bisherigen Jahresversammlungen des Vereins gehaltenen Vorträgen

183

3.

4.

7. 8. 9.

1

Das Gebet im Namen Jesu. Vortrag gehalten in der Jahresversammlung des wissenschaftlichen Predigervereins für die Rheinprovinz zu Bonn am 1. Juni 1887 von

Lic. theol. Mettgenberg, Pfarrer in Cleve.

Wenii ich aus den von dem verehrten Vorstande unserer Conferenz vorgeschlagenen Thematen dasjenige über das Gebet ausgewählt habe, so ist das nicht aus dem Grunde geschehen, dass ich hätte hoffen können in der Lage zu sein, über einen Gegenstand, der praktisch und wissenschaftlich so vielfache und vielseitige Behandlung erfahren hat, wesentlich Neues beizubringen. Auch habe ich keinen Augenblick die eigenthümlichen Schwierigkeiten verkannt, auf welche die Untersuchung gerade dieses Punktes der christlichen Lehre stossen muss, Schwierigkeiten, die zum Theil für das menschliche Denken für immer unlösbar bleiben werden und sich der Gewinnung eines praktischen, bestimmten Ergebnisses hindernd in den Weg stellen. Was mich zu meiner Wahl bewog und mir, wie ich hoffe, Ihre Geneigtheit, auf kurze Zeit zu folgen, leichter gewinnen wird, ist das Interesse, welches der Gegenstand für jeden Christen und zumal Theologen haben muss und thatsächlich hat. Er führt uns zurück bis zu den ersten Anfängen alles religiösen Lebens überhaupt. „Der religiöse Trieb", sagte R o t h e in seiner Ethik, „ist wesentlich Gebetstrieb" (II. p. 187). Im Gebet belauschen wir die ganze Stufenleiter der Aeusserungen frommen Gefühls von den ersten unvollkommensten Versuchen bis zu dem höchsten und mächtigsten Schwünge des Geistes, der über das Zeitliche und Vergängliche hinweg das Ewige und Göttliche sucht. Mit der ersten Regung des frommen Triebes, der ahnungsvoll in dem menschlichen Gemüth aufkeimte, regte sich auch das Gebet

2

Mettgenberg:

im Herzen und drängte sich auf die Lippen. Sobald der Mensch sich selbst erfasste als in Abhängigkeit von höheren Mächten, sobald entstand ihm unwillkürlich das Gebet als Klage und Wunsch, als Bitte und Dank, und daher finden wir es bei allen Völkern und zu allen Zeiten. So wenig es bisher gelungen ist, ein feuerloses Volk aufzufinden, so wenig ein religions- und damit gebetsloses. Es ist allerdings ein weiter Weg von einer schamanistischen Zauberformel bis zu dem Vaterunser, aber irgendwie zeugt die eine, wie das andere von demselben Grundtrieb. Es ist auch ein weiter Weg, wenn diese Analogie hier heranzuziehen erlaubt ist, von dem zusammenhangslosen Stammeln eines Kindes bis zu den Worten eines grossen dichterischen Kunstwerkes, und doch sind beide derselben geistigen Kraft entsprungen. Es gibt unzählige Unterschiede, Uebergänge, Stufen und ihre Geschichte wäre die Geschichte der Religion selbst. Doch unsere Aufgabe führt uns nicht auf das Gebet im Allgemeinen als irgenwelche Aeusserung irgendwie gearteter Religiosität, sondern zieht uns engere Grenzen. Sie verweist uns auf das specifisch-christliche Gebet. Vorstufe dazu ist das israelitische. Viele Gebetsklänge des A. T. sind auch dem Christen noch heimisch und unzählige male strömt auch heute noch aus Propheten und Psalmen Trost und Kraft in bekümmerte Seelen. Indess, wie sich die alttestamentliche Stufe der Religion zur neutestamentlichen verhält, nämlich wie das Morgenroth zum hellen Tage, das Gesetz zum Evangelium, die Weissagung, das Suchen und Sehnen zur Erfüllung, dem Haben und Besitzen, wie die Gebundenheit zur Freiheit, die Knechte Jehovas zu den Kindern des himmlischen Vaters, so verhält sich auch das Gebet des alten Bundes zu dem des neuen. Das wahre, echte, christliche und darum Gott wohlgefällige Gebet ist das im Namen Jesu. Dieser Ausdruck findet sich bei den Synoptikern nicht, kehrt aber bei Johannes in den letzten Unterredungen des Herrn mit seinen Jüngern häufig wieder, c. 14, 13; 15, 7, 16; 16, 23, 26. Hier wird ihnen wiederholt gesagt: Wenn ihr etwas bitten werdet sv TUJ OVL^IAXI /LIOV, so werdet ihr es empfangen, wobei der Erhörende und Gewährende bald Christus ist (14,13), bald Gott (15, 16). Was bedeutet die eigentümliche Formel sv ovo^iaxi /.wv? Dass dieselbe von Seiten der Ausleger verschiedene Deutungen erfahren hat, wird uns an und für sich nicht wunder nehmen, denn welches Wort der Bibel hätte es nicht? Aber sobald man daran geht, ihren Inhalt durch einen bestimmt umgrenzten Gedanken wiederzugeben, wird man in der That finden, dass das nicht so ganz leicht ist.

Das Gebet im Namen Jesu.

3

Von den mir zugänglich gewordenen Erklärungen führe ich einige an und zwar mit Uebergehung der ältern Exegeten, von denen Augustin der Wahrheit am nächsten kommt. (In nomine Salvatoris, non contra salutem nostram.) M e y e r fasst es: In meinem Lebenselement; de W e t t e 1 ) erklärt: sv Tijj ovb^iaxi /nov in meiner Sache, oder in der auf den Glauben an mich und mein Bekenntniss sich gründenden Gesinnung" und will das Gebet demgemäss auf die Angelegenheiten des Reiches Gottes beschränkt wissen. Nicht sehr verschieden davon L a n g e 2 ) , wenn auch ohne die Einschränkung. Er definirt: Im erkennenden und bekennenden Glauben, daher allerdings gleich sv xQtoTtp, sv xvqiq), wie schon L ü c k e gesagt, nur mehr objectiv und teleologisch bestimmt." G e s s in seinem auf der Pastoral-Conferenz in Barmen 1881 gehaltenen Vortrag über denselben Gegenstand unterscheidet ein Zwiefaches in dem Gebet im Namen Jesu. Es bedeutet nach ihm einmal: Beten im Vertrauen auf Jesum, in seinem Auftrag, weil er uns zu Gott schickt, dem wir uns als Unwürdige aus uns selbst nicht nahen dürften und sodann: beten in Jesu Sinn, so dass der Inhalt des Bittens nach Jesu Sinn ist. Er ist E b r a r d 3 ) gefolgt, der schreibt: „Im Namen Jesu beten heisst vor allem: nicht in seinem eigenen Namen beten und nicht um der eigenen Trefflichkeit willen auf Erhörung rechnen, sondern mit Berufung auf den, der zu diesem Gebete uns ermächtigt hat und im Vertrauen, dass der Vater um seinetwillen uns, die durch ihn Versöhnten, von ihm Erkauften, ihm Angehörigen erhören werde. Es ist, wie wenn ein Knecht im Namen seines Herrn irgend eine Bitte an einen Dritten ausrichtet: Mein Herr lässt dich bitten. Daraus folgt aber sofort auch das zweite, dass die Bitte ihrem Inhalte nach dem Auftrag jenes Herrn und seiner Willensmeinung entsprechen müsse, da sie ausserdem zur Lüge würde." Jede dieser Erklärungen enthält Wahres und doch befriedigt keine vollständig. Wer im Namen Jesu betet, muss unzweifelhaft im erkennenden und bekennenden Glauben an ihn und in der darauf sich gründenden Gesinnung beten; aber diese Bestimmungen sind doch sehr allgemein und fliessend gehalten; dadurch wird eine Häufung der Ausdrücke nöthig, um der Sache näher zu kommen. E b r a r d und G e s s drücken sich zwar bestimmt genug aus; aber das erste 1) Commentar zu Joh. 5. Aufl. S. 257. 2) Bibelwerk: Ev. Joh., S. 311. 3) H e r z o g : Realencyclopädie 1. Aufl.

4

Mettgenberg: /

der von ihnen geforderten Momente ist doch zu äusserlich, als dass es uns viel weiter führen könnte. Das Verhalten des Christen zu Christus, seinem Erlöser, ist ein anderes als das des Knechtes zu seinem Herrn, der sein Anliegen an einen Dritten unter Berufung auf denselben vorbringt. Es ist eben ein rein innerliches, was sich in der Uebereinstimmung der Gesinnung offenbart. Das zweite Moment soll dies nachholen; aber wenn wir mit demselben Ernst machen, wenn der Inhalt unseres Gebetes der Willensmeinung Jesu entspricht, dann ist keine Berufung auf seinen Auftrag weiter nöthig, weil, was seiner Willensmeinung auch der des Vaters entspricht. Wir erwarten dann j a freilich auch nichts von unserer Trefflichkeit und eigenem Verdienst; wir berufen uns auf ihn, jedoch nicht in äusserlicher Weise, sondern dadurch, dass, was wir sind und haben, wir sind und haben durch ihn. Von dem gleichen Gedanken mit E b r a r d ausgehend, kommt G o d e t 1 ) zu einer einheitlichem und tiefern Fassung: „Im Namen eines Andern bitten heisst im gewöhnlichen Leben an der Stelle einer Person, wie in ihrem Auftrag bitten. Eine solche Person hat durch ihre geleisteten Dienste, durch die Gunst, die sie geniesst, ein Recht auf die erbetene Gnade; wer in ihrem Namen bittet, bittet also, als ob die Person selbst durch ihn bäte. Im Namen Jesu beten wird also heissen, vor Gott erscheinen in der Gewissheit unserer Versöhnung mit ihm und unserer Kindschaft in Christo und zu ihm beten als ob wir die Stellvertreter Jesu selbst wären . . . . Jesus lebt, denkt, will, bittet in uns, die wir glauben und versöhnt sind, so dass unsere Bitte in den Augen Gottes wie sein eigenes Gebet ist." Man kann hiergegen vielleicht nicht mit M e y e r einwenden, dass wir dann nicht um die Vergebung der Sünden bitten könnten; denn Christus vertritt uns auch bei dem Gebet um Sündenvergebung; obgleich die Vorstellung: Christus betet in uns um die Vergebung der Sünden nicht sehr geschmackvoll ist; aber ein zweiter, von demselben Exegeten erhobener Einwurf wird schwerer zu entkräften sein. Jesus müsste sich nämlich selbst erhören, gemäss dem Wort oti av ah^ame sv tot

ovouaci

jxov,

TOVTO

nnirjau).

Die meisten der Commentatoren gehen bei der Erklärung des Ausdrucks: Im Namen Jesu von der Bedeutung aus, welche in unserm heutigen Sprachgebrauch der Formel: Im Namen Jemandes zukommt. Wenn der Gesandte im Namen seines Souveräns auftritt, so 1) Commentar zum Joh.-Ev. 1878. S. 456.

Das Gebet im Namen Jesu.

5

handelt er schechtweg in dessen Auftrag und wird in Folge dessen von der Auctorität und der Macht, die jener besitzt, gedeckt. Er ist eben nur Organ, nur der Mund, durch welchen sein Fürst, resp. sein Auftraggeber redet. Seine eigene Individualität kommt dabei kaum oder gar nicht in Betracht. Es ist möglich und wünschenswerth, dass seine persönliche Meinung mit den Ansichten, die er zu vertreten hat, Ubereinstimmt, unbedingt nothwendig zur Erfüllung seiner Aufgabe ist es nicht und es kommt in Wirklichkeit sicherlich nicht allzu selten vor, dass zwischen beiden eine Divergenz stattfindet, ohne dass man darum sagen könnte, er sei untauglich zu dem ihm übertragenen Geschäft. Das Verhältniss ist in diesem Falle ein rein objectives, äusserliches und in sofern reicht es nicht aus, eine Analogie zu einem religiösen Vorgang zu bieten, der seiner Natur nach durchaus innerlich vermittelt sein muss, oder er kann überhaupt nicht stattfinden. Wenn die uns geläufige Anwendung des Ausdrucks: im Namen Jemandes nicht genügt, uns deutlich zu sagen, was mit dem gleichen: im Namen Jesu eigentlich gemeint ist, so ist die Ursache davon die, dass im Laufe der Culturentwicklung Worte und Wendungen sowohl ihre Form als ihren Sinn allmählich und in leisen Uebergängen wechseln. Die Sprache verliert ihre plastische Kraft. Das Concrete, Feste, Sinnliche verschwindet. Anschauungen verblassen zu Begriffen und werden als Abstractionen weitergegeben von Geschlecht zu Geschlecht wie Scheidemünze und büssen dabei wie jene ihr ursprüngliches Gepräge zuletzt gänzlich ein. Bei uns ist der Name einfach ein willkürlich gewähltes Unterscheidungszeichen, nur äusserlich und lose den Dingen oder Personen anhaftend, ohne innere wesentliche Beziehung- zu denselben. Es ist aber bekannt, dass das nicht immer so war. Alle Namengebung geht ursprünglich von der Erscheinung aus. Was an den Dingen oder Menschen den Sinnen, namentlich dem Gesicht sich darstellt oder offenbar wird, das fasst der Geist vermittelst der Sprache nach seinen wesentlichen Merkmalen und Eigenschaften in einen Ausdruck zusammen und das ist der Name, so dass mithin ursprünglich Wesen und Name zusammenfallen, aber wohlgemerkt nur in sofern, als das Wesen in die Erscheinung und Offenbarung tritt und in den Beziehungen, welche dem Menschen daran deutlich werden. [Genau so erscheint in der Bibel der Vorgang nach 1. Mose 2, 19 ff. Jehovah bat aus der Erde alle Thiere des Feldes und Vögel des Himmels gebildet und bringt sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennete. Und wie sie dem Menschen sich dar-

6

Mettgenberg:

stellen, so gibt er einem jeglichen von ihnen seinen N a m e n . In höherem G r a d e als von den T h i e r e n gilt das von dem Menschen selbst. W i e er in seiner E r s c h e i n u n g u n d seinem Handeln sich zeigt, n a c h Eigenschaften, die er in wichtigen Momenten des Lebens offenbart, nach der Bestimmung, die er f ü r sich oder f ü r Andere in der Gemeinschaft erfüllt, w i r d er genannt. Adam ist der Röthliche, der E r d geborne, E v a die Mutter der Lebendigen, A b r a m der hohe Vater; als aber sein eigentlicher Beruf durch die Verheissung Gottes sich enthüllt, w i r d er A b r a h a m d. i. Vater der Menge. I m Vorübergehen erinnere ich n u r d a r a n , dass die Söhne des P r o p h e t e n J e s a i a s j e einen ganzen Satz zum N a m e n haben, die bedeutungsvoll sind für das Schicksal des Volkes Israel (Jes. 7, 3; 8, 3), und dass zur Zeit d e r Blüthe des P u r i t a n i s m u s in Schottland die Sitte vielfach geübt wurde, einen vollständigen Bibelspruch als N a m e n f ü r ein K i n d zu wählen. Aus d e r engen Verbindung, welche in alten Zeiten zwischen N a m e u n d P e r s o n e n bestand, e r k l ä r t es sich auch, dass ein Namenswechsel d u r c h a u s nichts Seltenes ist, der dann einzutreten pflegt, wenn eine A e n d e r u n g in der Stellung, den Verhältnissen, der Bedeutung einer P e r s o n sich vollzogen hat, wodurch er eben ein Anderer geworden ist. D a s Beispiel von A b r a h a m ist schon erwähnt, S a r a h bietet ein weiteres. Der Sohn I s a a k s heisst J a c o b ; aber nach seiner R ü c k k e h r aus Mesopotamien an der F u h r t J a b o k e m p f ä n g t er den bedeutungsvollen N a m e n Israel, Gotteskämpfer. Das W e i b Elimelechs, Naemi, n e n n t sich nach seiner R ü c k k u n f t aus dem Moabiterlande als arme und t r a u e r n d e W i t t w e Mara d. i. die Betrübte (Ruth 1, 20). Aehnliches findet sich im N. T. Z w a r auf die W a n d l u n g von Saulus in P a u l u s (Act. 13, 9) ist kein grosses Gewicht zu legen, d a es sich hier nur um verschiedene F o r m e n desselben N a m e n s h a n d e l t ; bedeutsamer ist, dass J e s u s dem Simon den N a m e n K e p h a s oder P e t r u s gibt (Joh. 1, 43), wie er die beiden Söhne Z e b e d ä i (Mc. 3, 16) Boanerges nennt, wobei augenscheinlich an C h a r a c t e r e i g e n t h ü m l i c h k e i t e n gedacht ist. Hierher gehört auch, was Act. 4, 36 berichtet ist, d a s s die Apostel den Joseph oder J o s e s (beide L e s a r t e n k o m m e n vor) B a r n a b a s g e n a n n t h a b e n d. h. viog naQcr/tlrjoetog, Sohn des Trostes. Auch bei sogenannten N a t u r v ö l k e r n der G e g e n w a r t besitzen die N a m e n eine ausserordentliche B e d e u t u n g und sind mit der P e r s o n und ihren Eigenschaften a u f s engste verwachsen. Cook beobachtete in Polynesien den Brauch, einen F r e u n d s c h a f t s b u n d durch den Austausch der beiderseitigen N a m e n feierlich zu besiegeln. Livingstone w a r Zeuge der gleichen Sitte in S ü d a f r i k a zwischen einem Zulu und Makololo

Das Gebet im Namen Jesu.

7

und Aehnliches ist unter den Mohawks in Nord-Amerika angetroffen worden 1 ). Es kann diese eigentümliche Sitte, die nach jenen Zeugnissen in der alten, der neuen und der neuesten Welt sich findet, keinen andern als den Sinn haben, dass die Freunde mit ihren Namen gleichsam auch die Gesinnung, die Person austauschen und sich nunmehr so nahe stehen, als ob jeder von ihnen der andere geworden wäre. Es ist wohl allseitig anerkannt, dass für die Kenntniss des geistigen Lebens eines Volkes die unter ihm vorkommenden Namen ein sehr werthvolles Material liefern. Aus ihrer Bedeutung lässt sich mit ziemlicher Sicherheit die Signatur seines Characters und die Richtung, in welcher seine Interessen vorzugsweise liegen, erkennen und darstellen. Nun war bei dem israelitischen Volke dem Leben durchaus der religiöse Stempel aufgeprägt. Seine einzigartige Stellung in der Weltgeschichte war ja dadurch bestimmt und bedingt, dass es sein Handeln und Leiden, sein Hoffen und Fürchten im Lichte seines Verhältnisses zu Gott anschaute. Das religiöse Element bildete die Basis seines Volkslebens. Demgemäss sind die Namen, die eine Beziehung auf Gott enthalten, so ungemein häufig und Zusammensetzungen mit bei, seltener mit i t ö und vor allen Dingen mit n w in den mannigfaltigsten Abschleifungen und Abwandlungen kehren immer wieder. Erwähnt seien nur Ismael, Samuel, Jesaias. Aus den Namensverzeichnissen der Chronika Hessen sich ganze Listen derelben zusammenstellen, und der Versuch ist bereits gemacht, die Bedeutung dieser Namen religionsgeschichtlich zu verwerthen. Es versteht sich von selbst, dass das, was durch den Namen bezeichnet wurde, bei dem Träger desselben nicht immer und überall zutraf. „Häufig war gewiss die Ertheilung solcher religiösen Namen, mit 0 e h l e r zu reden, blose Gewohnheitssache, hat doch selbst ein Ahab seinen mit der Isebel erzeugten Söhnen die mit rnrp zusammengesetzten Namen Ahasja und Joram gegeben. Aber ebenso fest steht, dass in vielen Fällen die Wahl des Namens ein religiöser Bekenntnissact von Seiten der Eltern war" 2 ). Von besonderer Wichtigkeit ist der Name Gottes. Er bezeichnet, entsprechend dem bisher Ausgeführten, nicht sowohl das, was Gott an und für sich in seinem verborgenen Wesen, seiner transcendenten Vollkommenheit ist, als vielmehr das, was er als der offenbare, sich 1) O s c a r P e s c h e l : Völkerkunde 5. Aufl., bearbeitet v. K i r c h h o f f S.31. 2) H e r z o g 2. Aufl. Art.: Name.

8

Mettgénberg:

selbst bezeugende Gott ist, der in einem bestimmten Verhältnis« zu seinem Volke steht als Bundesgott. Er ist wohl der Hohe, Mächtige, den aller Himmel Himmel nicht fassen; aber er ist vor allem der Heilige und Gerechte, der Wohlgefallen hat an seinem Volk, wenn es in seinen Wegen wandelt und zürnt, wenn es in Sünde und Schuld verfällt und den eingegangenen Bund bricht; der es mit starker Hand aus dem Diensthause Egyptens geführt und in das den Vätern gelobte Land gebracht hat. Das Volk kennt ihn, kennt ihn, weil er sich ihm bezeugt, offenbart hat in den Führungen der einzelnen Auserwählten, wie in denen der Gesammtheit, weil er Gebete erhört, dem Unterdrückten Recht schafft, den Frommen errettet. Als dieser Bundesgott trägt er den Namen Jehova. O e h l e r macht in seinem Artikel bei H e r z o g darauf aufmerksam, dass das Verbum r n n oder Mio, von dem der Name abgeleitet ist, schon die Begriffe des bewegten Seins, des Geschehens, des Lebens enthalte, um anzudeuten, dass es nicht das in sich selbst ruhende transcendente Wesen Gottes sei, was bezeichnet werde, sondern das in der Geschichte sich bezeugende und darlebende. Diese Beziehung tritt gleich in der bekannten Stelle 2. Mose 3, 14 ff. von der Beruf u n g des Moses hervor. „Und Gott sprach zu Mose: Ich bin, der ich bin. Und er sprach: So sollst du sprechen zu den Söhnen Israels: Ich bin, der ich bin, hat mich gesandt zu euch. Und Gott sprach wiederum zu Mose: So sollst du sprechen zu den Söhnen Israels: Jehova, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jacobs sendet mich zu euch. Das ist mein Name in Ewigkeit und das ist meine Benennung auf Geschlecht und Geschlecht." Wenn hier ohne Zweifel auf der einen Seite Gottes Ewigkeit und Unveränderlichkeit ausgedrückt wird, die sich selbst schlechthin getreu und gleich ist und unberührt bleibt von dem Wechsel der Zeit, dem Kommen und Gehen der Geschlechter, so bricht auf der andern doch sofort das Offenbarungsmoment durch. Dieser Gott ist nicht der unbekannte, dem man unwissend Altäre errichtet, nicht der Vater des Alls des Plato, den man schwer finden und, wenn man ihn gefunden, schwerer mittheilen k a n n ; nicht das OVTWg ov der Neuplatoniker, von dem man alle, auch einander widersprechende Prädicate aussagen kann, weil keines es wirklich erreicht, sondern er ist der Gott, der sich den Vätern kund gethan und sie an seiner Hand geführt, er ist eben der Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs. 5. Mose 5, 24 sprechen die Kinder Israel: Siehe Jehova, unser Gott, hat uns seine ,Herrlichkeit und seine Grösse sehen lassen und

Das Gebet im Namen Jesu.

9

seine Stimme haben wir gehört aus dem Feuer; an diesem Tage haben wir gesehen, dass Jehova mit dem Menschen redet, und er leben bleibet" und ähnlich an vielen andern Stellen. Wird nun in seinem Namen Gott gefasst als der in der Offenbarung unter seinem Volk sich kundthuende, so tritt als weiteres wichtiges Moment hinzu, dass sein Name eben nicht ein einfaches Unterscheidungszeichen, ein leerer Titel ist, sondern sein Wesen selbst, soweit es den Menschen bekannt wird. Sein Walten in Natur und Geschichte, seine ganze der Menschenwelt zugekehrte Thätigkeit, sein Wirken unter verschiedenen Umständen auf verschiedene Verhältnisse, das ist sein Name. „Jehova, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde," ruft der Psalmist aus (Ps. 8, 2), um zu bekunden, dass Gott seine Macht und Herrlichkeit, seine Grösse und Weisheit die Menschen hat sehen lassen in den Werken seiner Schöpfung. In besonderm Masse gehört sein Name der Offenbarungssphäre für das Volk Israel an. Die Heiden kennen seinen Namen nicht; denn er hat sich ihnen nicht offenbart; aber Israel kennt ihn, denn in seiner Mitte hat er sich erwiesen als sein Gott. Wenn sie ihn nicht kennen, dann ist es eine sittliche Verschuldung, die es hindert. Er hat sie auferzogen wie Kinder und sie ernähret; aber weil sie von ihm abgefallen sind, daher geschieht es, dass ein Rind seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn kennt, aber sein Volk nicht auf ihn merket (Jes. 1). Um seines Namens willen ist Gott langmiithig (Jes. 48, 9); um der Ehre seines Namens willen soll er helfen, was ja nur bedeuten kann, um sich als der zu bewähren und zu verherrlichen, als den er sich hat nennen lassen. (Hes. 20, 44; Ps. 138, 2 etc.). An vielen Stellen bezeichnet im A. T. der Name Gottes geradezu seine persönliche Gegenwart. Da, wo sein Name ist, ist er selbst, da ist seine Herrlichkeit und seine Gnade, da will er angerufen sein und die Gebete erhören, oder auch die Bosheit und Sünde strafen. Der Engel Jehovas soll vor Israel hergehen; aber sie sollen sich hüten vor seinem Angesicht, denn „sein Name ist in ihm." Jehova erwählt einen Ort, seinen Namen dahin zu legen (5. Mose 12, 5) oder daselbst wohnen zu lassen (5. Mose 12, 11) (1. Kge. 8, 29), und dies bedeutet sicherlich nicht nur locum eligere, ubi sacris solemnibus colatur, wie Win er es fasst, sondern auch, dass an jener Stelle der Gott der Offenbarung in besonderer Weise gegenwärtig sei und als Gegenwärtiger sich wolle finden lassen. Israel ist nach dem Namen Gottes genannt (Jer. 14, 9) und Gott ist

10

Mettgenberg:

in seiner Mitte d. h. was Israel ist, das ist es durch die Offenbarung Gottes, durch die Bundesgemeinschaft, in der es mit ihm steht. Es ist überflüssig, diese Stellen zu vermehren, was an sich nicht schwierig wäre. Im Ganzen besteht unter den Auslegern darüber kein Streit, dass im A. T . der Name Gottes das Wesen Gottes selbst versinnbildlicht, aber so, wie es durch seine Offenbarung gleichsam in die Erscheinung tritt.

Dabei verschlägt es nicht viel, durch welche

Formel wir dies Verhältniss ausdrücken, ob wir mit L a n g e sagen, der Name Gottes

sei der Abdruck des göttlichen Wesens in der

menschlichen Erkenntniss, oder mit H e n g s t e n b e r g , der Name Gottes sei das Product seiner Thaten, seiner Offenbarung, seiner geschichtlich kundgewordenen Herrlichkeit 1 ),

oder mit T h o l u c k , er sei die

Bezeichnung Gottes nach seinen Eigenschaften, die ihm in der Vorstellung

der Menschen beigelegt werden 2 ):

der Sache nach macht

es kaum einen Unterschied. Wenden wir uns nun vom A. zum N. T., so gelangen wir zu demselben Ergebniss.

An die Stelle der mrp die tritt das ovo/.ta TOV -d-eov

in derselben Bedeutung; ja in vieler Hinsicht liegt diese Bedeutung im N. T. noch offener zu Tage.

Paulus ruft Rom. 2, 24 den Juden

zu: Der Name Gottes wird wegen euch gelästert unter den Heiden. Da ist nicht die blose Bezeichnung Gottes oder sein Titel gemeint, sondern Gott selbst, dessen Offenbarungen sie sich rühmen, auf dessen Gesetz sie sich berufen, dessen Verheissungen und Forderungen sie aber durch ihr Leben in der Sünde verachten und dadurch die Ursache werden, dass die Heiden sie ebenfalls verspotten. Der Apostel weist hier auf dieselbe Erfahrung hin, welche die Missionare auch heute unter den gebildeten heidnischen Völkern in Indien, China und Japan machen, wo der Name des Christengottes oder, was dasselbe ist, der Christenglaube Gegenstand der Schmähung wird, weil

die

nominellen Träger dieses Glaubens demselben in Wort und Wandel so wenig Ehre machen. In gleicher Weise ist die Stelle Rom. 9, 17 zu verstehen: Die Schrift spricht zu Pharao: Gerade dazu habe ich dich erweckt, dass ich an dir meine Kraft erweise und dass mein Name

verkündigt

werde auf der ganzen Erde, wo TO ovofia fiov lediglich ein anderer Ausdruck ist für die Kraft, für das Thun, das Gericht Gottes.

Nicht

anders ist es mit der ersten Vaterunser-Bitte: ayiaad-tfru) ro ovoixa 1) K a m p h a u s e n : Gebet des Herrn S. 50. 2) Bergpredigt S. 344.

11

Das Gebet im Namen Jesu.

aov.

Der Name Gottes

soll

als ein heiliger

zu Anerkennung

und

Ehren gebracht werden; mit andern Worten: Sein Wesen, w i e er es den Menschen

durch seine Erweisungen der Gnade und L i e b e

kund gegeben, soll heilig gehalten werden.

hat

Nun ist die Offenbarung

Gottes auf der neutestamentlichen Stufe der Religion aber eine andere und höhere als auf der alttestamentlichen. Name Gottes im Neuen Bunde als im alten. und Jacobs,

eine

Demgemäss hat auch der

andere und höhere Bedeutung

Im alten wird er gefasst als der Gott Abrahams, Isaaks als Jehova,

der sich mächtig erwiesen an seinem Volk,

ihm durchgeholfen durch so viel Noth und Gefahr, es beschirmt gegen so viel Feinde die

und

in

grosse Herrlichkeit

seinen Verheissungen der Zukunft

Noth und Drangsal der Gegenwart.

es

hingewiesen

gegenüber

der

auf

mannigfachen

Er ist wohl gnädig und barm-

herzig, langmüthig und freundlich; aber er ist vor allem der Heilige und Gerechte,

dem

nichts Unreines

sich

nahen

darf.

Nur

einige

Prophetengestalten ragen hervor, bereits von dem Morgenroth eines helleren Tages beschienen. vollkommen.

Der Gott

Im neuen Testament ist die Offenbarung

der Väter

wird

zum Vater

Christi und in diesem wir zu seinen Kindern.

des Herrn Jesu

In Christo hat er sich

kundgegeben als die Liebe,

die auch die grösste Schuld vergeben

(Matth. 20: Gleichniss

Schalksknecht),

vom

auch die

verlorensten

Sünder mit Freuden aufnehmen will, wenn sie reumüthig zu ihm zurückkehren

(Luk. 15), als die Liebe,

welche die abgefallene, sich

feindselig von ihm abkehrende Welt thatsächlich Der

Inhalt

des Namens Gottes

wird

daher

mit sich versöhnt.

reicher,

umfassender.

Neue Seiten an demselben treten in das Bewusstsein der Menschen ein.

Ein neues Licht ist durch Christum über denselben ausgegossen.

In sofern dieses Licht vorher fehlte, war der Name Gottes noch ein verborgener,

die ganze Fülle seiner Beziehungen zum Menschenge-

schlecht war unbekannt und ist erst durch Christus und sein Evangelium offenbar geworden.

So erklärt es sich wie von selbst, dass

Jesus im hohenpriesterlichen Gebet von sich sagen kann: Icpavigcoad aov TO ovofxa xdig avd-Qwnoig, ovg ¿¿dor/.äg /.IOI (17, 6) und in demselben Kapitel v. 26: eyixoqiaa

avfoig

TO ovo/ia aov

Nicht als ob der Name Gottes überhaupt bis

/.cd yvogiaco.

dahin den Menschen

unbekannt gewesen wäre; aber das durch Christum und seine Erlösung geschaffene neue Verhältniss Gottes zur W e l t war neue

Offenbarung hatte Gott gewissermassen

unbekannt.

einen

Die

neuen Namen

gegeben, und dieser war durch Jesum verkündigt worden. D i e Stellen des Johannes-Evangeliums gestatten uns noch einmal

12

Mettgenberg:

die Probe auf unsere Auffassung des Namens Gottes auch im N. T . zu machen.

Aus ihnen geht unwidersprechlich hervor, dass derselbe

nicht die transcendente Seite des göttlichen Wesens, seinen Offenbarungen

der W e l t

sondern die in

zugekehrte bezeichnet;

sodann aber

auch, dass er wirklich der Ausdruck für sein W e s e n selbst ist, w i e es sich im 12, 28:

Bewusstsein

der

Menschen kundthut.

TOV viov,

iva 6 v'tog do^ctaj] os.

Jesus betet Joh.

und dann 17, 1: dol-aaov oov

7iaTSQ, dn^aaöv aov zo ovofta,

Das Object der Verherrlichung ist das

eine mal der Name, das andere mal die Person.

Der Sohn verherr-

licht das eine mal den Vater, das andere mal macht er seinen Namen bekannt.

Es ist ganz deutlich,

dass inhaltlich zwischen dem Einen

und dem Andern kein Unterschied besteht. drücke für dieselbe Sache

Es sind verschiedene Aus-

(cf. Joh. 17,11).

D i e weitere F r a g e ist nun:

Gilt das, was uns eine Prüfung der

Stellen in Bezug auf den Namen Gottes sowohl im alten als im neuen Testament gelehrt hat, auch von dem Namen Jesu? ebenfalls sein Wesen, nicht im metaphysischen, Sinne, in der W e i s e ,

w i e es sich der Welt,

der Seinigen

und That, im Handeln und L e i d e n darstellt? unbedingt bejahen.

Bezeichnet

er

sondern historischen in Lehre

W i r müssen die F r a g e

Sein N a m e ist eben mehr als bioser N a m e nach

unserem heutigen Verständniss des Ausdrucks; er ist nicht blos Schall und Rauch,

der Himmelsgluth umnebelt,

Leben und That. keiten entrückt.

sondern Wesen und Kraft,

Seine Benennung ist von vornherein allen ZufälligDer Engel Gottes bestimmt ihn, indem er zu Joseph

spricht: y.ai y.altaag TO ovo^ia avrov

denn

[[rjoovv,

V o l k erretten von ihren Sünden (Matth. 1, 21).

dieser w i r d sein

Hier ist mit seinem

Namen zugleich sein W e s e n und Werk umschrieben, nicht dogmatisch, sondern r e l i g i ö s : Es ist der Bringer des Heils, der Erlöser von Sünden. So w i r d er sich offenbaren; das ist sein Verhältniss zu den Seinigen, der W e l t .

Alles darum, was dieses Verhältniss umfasst und was sich

aus ihm als F o l g e ergibt, w i r d zu seinem Namen.

W e n n es 1. Joh.

3, 28 heisst: das ist sein Gebot, '¿va niaTsvaw^tsv tu> ovo/uau xov avxov 'Irjoov Xqiatov, 1, 12 lesen:

So viele ihn aufnahmen,

Kinder zu werden

TCIOT£VOVOIV

glaubten an seinen Namen, so können w i r

viov

oder wenn w i r bei dem Evangelisten Johannes ELG

TO

denen vvo/xa

gab

IXVTOV,

er Macht

Gottes

oder 2, 32: V i e l e

als sie die Zeichen sahen,

die

er

that,

in diesen Fällen ohne weiteres und unbeschadet des

Sinnes statt seines Namens das betreffende persönliche Fürwort, seine Person setzen.

Dasselbe Verhältniss findet bei vielen andern Stellen

statt, nur in verschiedenen Wendungen, welche durch den Zusammen-

Das Gebet im Namen Jesu.

13

hang und die jeweilige Situation bedingt sind. Ich weise in dieser Beziehung noch hin auf Worte, wie Matth. 19, 29: Wer verlässt Brüder oder Schwestern, Vater oder Mutter . . . . evexsv TOV ¿vó/xaTÒg fior,

oder

M a t t h . 10, 2 2 : -/.ai '¿aeod-e ¡.uaovfxevoi

VNÒ nàv-ciov

óià TÒ

ovovia Ttnv. Ihr werdet von Allen gehasst werden, um meines Namens oder um meinetwillen (cf. 24, 9; Luk. 21, 17). Act. 3 heilt Petrus den Lahmen an des Tempels Pforte. In seiner darauf folgenden Ermahnungsrede an das Volk sagt er mit Bezug auf jene Heilung: xa£ 87ii

xj]

TCÌGXEI

rov

òvój.iarng

avTov

TOVTOV,

òv

&SOJQEITS

v.aì

ül'öare,

: Auf Grund des Glaubens an seinen Namen hat sein Name diesen, den ihr seht und kennt, wieder kräftig gemacht, wo wir statt TÒ ovofia eher avròg oder ^AOVG als Subject erwarten würden. SOTEQTMOEV



OVO^A

avxov

Aber der Name Jesu bedeutet ebenso wenig wie der Name Gottes, sein Wesen an und für sich, sondern sein Wesen, wie es in seinem Leben und Werk zur Erscheinung kommt. Sein Name ist die Kraft, die, von ihm ausströmend in der Welt sich wirksam erweist, wenn in demselben die Dämonen ausgetrieben werden (Mc. 9, 38; Luk. 9, 17); wenn er vor seiner Rückkehr zum Vater den Gläubigen verheisst: Diese Zeichen werden sie begleiten: In meinem Namen werden sie die Dämonen austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen aufheben und wenn sie etwas Tödtliches trinken, wird es ihnen nicht schaden. Auf die Kranken werden sie die Hände legen und dieselben werden sich wohl befinden (M. IG, 17 ff.). Und von dem Einzelnen weiter zum Allgemeinen und Ganzen. Sein Name ist die kurze Zusammenfassung, die Umschreibung seines gesammten Erlösungswerkes. In seinem Namen haben wir das Leben (Job. 20, 31); in demselben empfangen wir die Gotteskindschaft (Joh. 1, 12). In seinem Namen werden wir geheiligt und gerechtfertigt (1. Cor. 6, 11), in welcher Stelle das ovovia TOV XVQLOV 3 ìtjaov als Heiligungsprincip nebengeordnet e r s c h e i n t d e m nvev^a

TOV d-eov rj/ndiv.

A c t . 8 , 12

steht

der Name

Jesu Christi in Verbindung mit dem Reich Gottes als Object der Verkündigung. Männer und Weiber in Samaria Hessen sich taufen, als sie dem Philippus glaubten, evayyeh'Co/xévq) TIEQÌ Tijg ßaadsiag 3 TOV iti ÖL -/.al TOV òvó/.iaTog ìrjaov XQIOTOV. Er predigt die frohe Botschaft von dem Reich Gottes und die frohe Botschaft von dem Namen Jesu als dem Mittel in jenes zu gelangen. Und weil es das einzige Mittel ist, darum ist in keinem Andern Heil und ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin sie können selig werden (Act. 4, 12) und darum lautet der letzte Befehl Theol. Arbeiten. VIIL

2

Mettgenberg:

14

dass sie die Völker taufen sollen eig TO

des Herrn an seine Jünger,

ovoj.ta TOV jiciTQoq xai rov viov x«t xov ayLov TtvevftaTog d. h. um mit dem Katechismus zu reden: Sie sollen sie taufen in den Gnadenbund mit dem Vater

und

dem Sohne und dem Geiste,

oder

mit

andern

Worten: Sie sollen sie hineintaufen in das Einlösungswerk, das von dem Vater beschlossen, vom Sohne in seiner Ausführung in der Welt begründet und vom heiligen Geiste seiner Vollendung entgegengeführt wird. Und

damit

der Ausdruck

näherte

sich

unsere

Untersuchung

„Jesu N a m e " besagen will,

den ich gegangen bin, war lang und gewiss ich hoffe, dass er

nicht

Gegenstandes, der

uns beschäftigt.

ganz vergebens

darüber,

ihrem Ende.

Der

was Weg,

auch langweilig;

war

aber

zur Klarstellung

Ist der Name Jesu Er

des

selbst,

aber in Beziehung zu den Menschen, ist er wesentlich die Umschreibung dessen, was er für sie bedeutet, Wirkungen,

die

objectiv die Gesammtheit der

von ihm ausgehen, subjectiv

die Gesammtheit der

Güter, welcher sie durch ihn und in ihm theilhaftig werden, so fragt es sich, in welcher Formel sich das alles zusammenschliessen lässt. Die Dogmatik redet von einem dreifachen Amt Christi und sucht in einer dreifachen Function

sein Heilswerk zu begreifen.

Er ist der

Prophet, der Gottes Rath und Willen von des Menschen Erlösung in vollkommener Weise offenbart hat; er ist der Hohepriester, der durch die absolute Selbsthingabe an den Willen seines Vaters die Versöhnung zwischen letztere

Gott von

und

der abgefallenen Menschheit

der Macht

gestiftet und

die

der Sünde und ihrem Fluche erlöst hat; er

ist der König, der diejenigen, welche seine Stimme hören, zu einem Reiche vereinigt, das nicht von dieser Welt ist, der sie hier durch sein Wort und seinen Geist regiert und sie fort und fort verklärend dereinst mit

zur Herrlichkeit führen wird.

Paulus wählt einen andern Aus-

gangspunkt, um die Bedeutung der einzigartigen Persönlichkeit Jesu zu veranschaulichen (Rom. 5, 12 ff.; 1. Cor. 15, 22 und 45 ff.) und Christus

werden

einer zwiefachen Menschheit. andere dem

Adam

sich gegenübergestellt als die zwei Vertreter

Himmel;

pneumatische Mensch.

Der erste

entstammt

der erste ist der psyische, Der erste hat Sünde

der der

und T o d

gebracht, der andere Gerechtigkeit und Leben.

Erde,

der

andere

der

in

die W e l t

Was mit dem ersten

in Verbindung steht, ist sündig und daher dem T o d e verfallen; was zu dem zweiten gehört,

ist gerechtfertigt

und

hat daher Theil

an

seinem Leben, nachdem er Sünde und T o d durch Sterben und Auferstehen überwunden hat. Nach

dieser Idee

erscheint

Christus als

der Begründer,

der

Das Gebet im Namen Jesu.

15

Stammvater einer neuen, der pneumatischen Menschheit, der für die Seinen dasselbe ist, was Adam für die natürlichen Menschen. Unter welchem Gesichtspunkt aber auch wir nun die Sache ansehen mögen, alle Aussagen, die wir über Person und Werk Christi machen können, kommen auf das Eine zurück: Er ist der Mittler des Heils. ,,Herr, wohin sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens", sagt sein Apostel. „Ich bin der W e g , die Wahrheit und das Leben; Niemand kommt zum Vater, denn durch mich", sagt er selbst. Was sich uns oben aus den zuletzt angeführten Stellen ergab, drängt sich uns hier von einer andern Seite her noch einmal auf: Alle die Beziehungen, welche durch den Namen Jesu bezeichnet werden, sind darin enthalten, dass er der Mittler ist zwischen Gott und den Menschen, der den letztern das Heil vermittelt mit der ganzen unendlichen Fülle seines Inhaltes und mit allen den Folgen, die sich daran knüpfen. Wir sind damit wieder bei dem angelangt, was der Engel gesagt: D e s s Namen sollst du Jesus heissen; denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden. Wo sein Name ist, da ist Heil, Leben und Seligkeit. Wer seinen Namen anruft, der ruft seine Heilsvermittlung an; wer in seinem Namen etwas thut oder leidet, etwas verkündigt, befiehlt, bezeugt, der thut es kraft der Gemeinschaft des Heils, in welcher er mit ihm steht. Die Voraussetzung für das Gebet im Namen Jesu ist demnach eine innerliche Verbindung mit ihm, das Stehen in seiner Heilsgemeinschaft. Wer nicht mit ihm verbunden ist, der kennt seinen Namen nicht, kann also auch nicht in seinem Namen beten, und wer es ist, der kann, in soweit er es ist, nur in seinem Namen beten. Nun ist es der heilige Geist, den der Vater senden wird, der Geist des Trostes, der in alle Wahrheit leitet, der diese Gemeinschaft, dieses Verbunden- und Einswerden mit ihm bewirkt und demgemäss heisst also: Beten im Namen Jesu: A u s d e r d u r c h d e n h e i l i g e n G e i s t g e w i r k t e n H e i l s g e m e i n s c h a f t m i t i h m h e r a u s b e t e n d. i. aus der Gemeinschaft, welche unser Heil bewirkt. Wir haben bisher absichtlich die Stellen des 4 Evangeliums, denen unser terminus technicus entnommen ist, unberücksichtigt gelassen. Auf diese Weise sind wir in der Lage, nunmehr auf die Richtigkeit dessen, was sich uns aus der Entwicklung des biblischen Begriffes vom Namen Jesu ergeben hat, an der Hand jener Stellen die Probe zu machen. Joh. 14, 11 heisst e s : Glaubt mir, dass ich im Vater und der Vater in mir ist, wenn aber nicht, so glaubt um der Werke selbst willen d. h., wenn euch dieser Glaube aus dem An-

16

Mettgenberg:

schauen meiner Person, sowie sie sich euch darstellt, zu schwer wird, so lasst euch durch die Werke, die ich unter euch verrichtet habe, darauf hinführen. Sie werden im Glauben an ihn noch grössere Werke thun als er, weil er zum Vater geht und dann fährt er fort: Was ihr auch bittet in meinem Namen, das will ich thun, damit der Vater in dem Sohne verherrlicht werde. Wenn er zum Vater gegangen ist, dann wird sich erst die Gemeinschaft des Heils zwischen ihm und ihnen vollenden können. In Kraft derselben werden sie grosse Thaten thun und im Gebet aus derselben empfangen, was sie begehren. Noch viel deutlicher tritt das im 15. Kapitel zu Tage. Dort vergleicht er sich selbst mit dem Weinstock, die Jünger mit den Reben. Wie die Rebe Kraft und Leben durch den Weinstock erhält, so sie durch die Verbindung mit ihm, durch die Einpflanzung in ihn. Ohne ihn vermögen sie nichts, sondern werden weggeworfen wie eine unnütze Rebe. Wer aber in ihm bleibet, der bringet viele Frucht. Unmittelbar daran schliesst sich auch hier wieder die Verheissung der Gebetserhörung. Er sagt: tav ^tsivrjTs sv ¿¡.IOL nai TU QR^TAIA F.IOV sv vulv /.teivt], o sav d-tXrjTE ahtjaaa&ai xcti ye.vrps.xui v/ilv. Es ist hier offenbar derselbe Gedanke ausgesprochen, der in d e m : „in meinem Namen beten" enthalten ist, nur anders gewandt. Dieses ist gleichsam erklärt und erläutert: Wenn ihr in mir bleibt, und meine Worte in euch bleiben. Was ist das anders als: Wenn ihr in der Heilsgemeinschaft mit mir steht und dann betet, so wird euch gegeben werden, um was ihr bittet. Und endlich wird die dargebotene Auffassung auch bestätigt durch Joh. 16, 23: „Amen, Amen, ich sage euch, was ihr den Vater bitten werdet, wird er euch in meinem Namen geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen." Der Vater wird es ihnen geben in seinem Namen d. i. um der Geraeinschaft willen, in welcher sie mit ihm stehen, um desswillen, dass sie in ihm sind, oder er in ihnen, wie er in dem Vater ist (Joh. 17, 21). Was dem Sohne gegeben wird, das wird ihnen gegeben; was ihnen gewährt wird, das wird dem Sohne gewährt; denn sie bilden eine Einheit in der Liebe. Sie haben bisher noch nichts in seinem Namen gebeten; denn bisher ist j a sein Heilswerk an ihnen noch nicht vollendet; aber nach seinem Leiden und seiner Auferstehung, nach seinem Heimgang zum Vater werden sie den Geist empfangen, und der wird jene Gemeinschaft mit ihm in ihnen wirken. Dann werden sie ihn ganz verstehen und durch den Geist wird er frei heraus, nicht mehr durch Sprichwort mit ihnen reden. Die

Das Gebet im Namen Jesu.

17

Zeit wird gekommen sein, wo sie in seinem Namen beten (Joh. 16, 26); denn sie werden dann beten aus der vollen Offenbarung, aus der vollen Gemeinschaft Christi heraus. Die johanneischen Stellen sind also unserer Formel nicht nur nicht entgegen, sondern fordern dieselben geradezu. In ihr sind auch alle die Elemente enthalten, welche die verschiedenen Ausleger, als zu jenem Gebete gehörig, namhaft gemacht haben; es bedeute in seinem Auftrag, seiner Vollmacht, seinen Angelegenheiten, seinem Sinn beten. Als ein fernerer Beweis für die Richtigkeit derselben dürfte es auch anzusehen sein, dass sie, unabhängig entstanden, sich begegnet mit den Anschauungen von R i t s e h l und R o t h e , die in ganz anderem Zusammenhang von diesen Theologen vorgetragen werden. R i t s e h l 1 ) erklärt das Gebet im Namen Jesu als dasjenige, das „unter der Rücksicht auf die in ihm gegenwärtige Offenbarung Gottes gebetet wird." Diese Offenbarung ist ja nichts anderes als seine Selbstoffenbarung, da er mit dem Vater Eins war und in ihm die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte. Weiterhin hat jene Offenbarung nur den Zweck, uns des Heiles zu versichern und wird religiös nur wirksam d. i. weckt den Trieb zum Gebet, wenn zwischen ihm und den Seinigen eine Vereinigung und Gemeinschaft in Kraft des heiligen Geistes stattgefunden hat. Noch näher berührt sich die vorgetragene Fassung mit R o t h e s ) , der in fast wörtlicher Uebereinstimmung schreibt: Gebet im Namen Jesu ist „Gebet in und aus der vollzogenen Gemeinschaft mit Christo, also beides ganz in und aus seinem Sinne und ganz vermöge seiner und seines uns innewohnenden heiligen Geistes." Bei den Synoptikern findet sich der Ausdruck im Namen Jesu beten nicht und doch vielfach von Seiten des Herrn die Aufforderung zum Gebet. Math. 17, 17 ff. wird ein Mondsüchtiger zu ihm gebracht, den er heilte. Der Vater hat denselben vorher zu den Jüngern geführt; aber sie haben ihm nicht helfen können. Als sie den Meister nach dem Grunde fragen, erhalten sie die Antwort: Wegen eures Unglaubens konntet ihr ihn nicht heilen a/iii]v yag ).tyw vf.uv, sav tyi]t£ ev&ev

relativ exel

CJG KOXKOV /ort

aivarraojg,

SGEIRE

¡u«TCtßrjoszai y.cxi nvöev

zw

OQEI

ädivarrjOei

rovrot: VLÜV.

FISRCßA Bei

dem

verdorrten Feigenbaum Matth. 21, 20 wiederholt er denselben Aus1) Rechtfertigung und Versöhnung Bd. 3, S. 600. 2) Theol. Ethik Bd. 4, S. 494.

18

Mettgenberg:

Spruch und fügt axtvovttg

hinzu:

nivta

oaa

av

aitrjorjze

sv r f j ngnasv^fj

m-

Xr/fiipead-e.

Hier

ist dem

gläubigen Gebete

dieselbe Verheissung gegeben,

w i e in dem vierten Evangelium demjenigen im Namen Jesu. Es würde allerdings

Decken

W i r dürfen diese F r a g e bejahen.

sich diese beiden Bestimmungen?

nicht der F a l l sein,

wenn

w i r den Glauben in

diesem Zusammenhang nur zu fassen hätten als die feste, unbedingte Zuversicht, dass unsere Bitte gewährt würde. A b e r schwerlich würden w i r mit solcher Auffassung der Sache gerecht. Der Glaube ist in vollerem Sinne

zu nehmen

als

der Glaube

an Jesum

und sein Heils-

werk, an die in ihm gegenwärtige Offenbarung Gottes. Mc. 11, 22

wird

zwar

gesagt, w e r glaubt,

dass er empfangen

werde, um was er bittet, dem w i r d es gegeben werden und demnach könnte es scheinen, als gehöre zu j e n e m Glauben versicht auf die Erfüllung der Wünsche; voran ¿jere

itloziv

aber

nur die feste Zu-

bedeutungsvoll

steht

d-eov und folglich kann auch hier der Gegenstand

der Bitte nur ein solcher sein, der sich mit der niarig

&eov verträgt,

aus dieser hervorgeht (Jacob. 1, 5). So W i r d e s auch 1. Joh. 3, 22 f. dargestellt:

„ U n d wenn w i r etwas bitten,

empfangen w i r

es von ihm

(Gott), w e i l w i r seine Gebote halten und das ihm W o h l g e f ä l l i g e thun. Und

das ist sein Gebot,

dass w i r dem Namen

seines Sohnes Jesu

Christi glauben und uns unter einander lieben, w i e er das Gebot gegeben

hat."

Der Glaube,

durch

den

Geist

gewirkt,

ist eben das

Mittel, durch welches w i r zu ihm kommen, gewissermaassen das Organ der Gemeinschaft mit ihm, j a diese Gemeinschaft selbst. stehen

heisst

in seiner Gemeinschaft stehen,

I m Glauben

im Glauben beten aus

seiner Gemeinschaft heraus beten. So findet an diesem Punkte keine Abweichung der synoptischen von der johanneischen Anschauung statt. W i r kämen aber bevor über

wir

nunmehr darauf

zu

näher

dem Inhalt des christlichen G e b e t e s ; eingehen,

den Empfänger desselben

m a g hier ein kurzes W o r t

seine Stelle

finden.

Es handelt sich

aber darum, ob ausser zu dem Vater auch zu Christus gebetet werden solle, oder dürfe.

Schon L ü c k e

einer Abhandlung

de

hat

den Gegenstand

behandelt in

invocatione Christi accuratius definienda

und

nach ihm hat S t e f f e n denselben weiter verfolgt in einem Vortrage, betitelt:

„ D a s Gebet zu Christo, biblisch und historisch beleuchtet."

Während ersterer das eigentliche Gebet zu Christi ablehnt, tritt letzterer entschieden rectem und geboten.

Zu

für dasselbe

directem Gebet jenem

rechnet

ein.

E r unterscheidet zwischen indi-

zu Christo er

und

findet

alle die Stellen,

beide in

im N . T .

welchen Gott

19

Das Gebet im Namen Jesu.

durch Christum angerufen wird, wie Rom. 1, 8 : Gott

Ich danke meinem

durch Jesum Christum für euch alle etc., oder Hebr. 13, 15:

„Lasset uns das Opfer des Lobes durch ihn vor Gott bringen". dürften solche Aussprüche schwerlich beweisend sein.

Doch

Christus er-

scheint in ihnen einfach als derjenige, durch den wir Gott kennen, in dem wir einen Zugang zu ihm haben, als der Gebetsvermittler, und es ist doch eine wunderliche Vorstellung, dass wir Christum, indem wir durch ihn zum Vater beten, zugleich bitten müssten, dass er unser Gebet vor den Vater bringt.

Ebenso wenig wie die Anrufung

Gottes durch Christus ist das Gebet in seinem Namen, was S t e f f e n ebenfalls zum Beweise seiner Behauptung anführt, ein Gebet zu Christus, auch nicht ein indirectes. Beten wir zum Vater aus der innigen Verbindung heraus, in welcher wir mit dem Sohne stehen, so ist es selbstverständlich, dass dieser, um mich so auszudrücken, das Gebet an seine Adresse bringt, ohne dass in das eigentliche Gebet noch ein besonderes an ihn zu diesem Zwecke eingeschlossen wäre. Indess kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Gebet zu Jesu im eigentlichen Sinne im N. T. vorkommt.

Zwar das ¿7tixaXsiG&ai

TO ovofta xov /.VQLOV, das sich so häufig findet, darf dafür nicht in Anspruch genommen werden.

Denn es drückt doch nichts weiter aus

als das lebendige Bekenntniss

zu ihm, die Berufung auf ihn,

auf

seinen Namen, als den Grund unsers Heils (1. Cor. 1, 2; Rom. 10, 13; 10, 12; Act. 2, 21; 9, 14; 22, 16; 2. Tim. 2, 22). Anders aber verhält es sich Joh. 14, 13. 14.

Wenn hier gesagt wird, „was ihr

auch bitten möget in meinem Namen, das will ich thun" und noch einmal:

„So ihr etwas bitten werdet in meinem Namen, ich werde

es thun", so ist aufs deutlichste ausgesprochen, dass er das Gebet erhören will.

Der Empfänger desselben ist nicht genannt; aber die na-

türliche Auslegung wird dabei stehen bleiben müssen, dass der Erhörer des Gebetes zugleich auch sein Empfänger ist. 1. Joh. 5, 14 heisst es: „Dies ist die Freudigkeit, die wir zu ihm haben (zu dem Sohne Gottes), dass, wenn wir etwas bitten nach seinem Willen, so hört er uns." Hört und erhört er uns aber, so ist er auch gedacht als derjenige, an welchen unsere Bitten sich wenden. Als Stephanus Act. 7, 59 unter den Steinwürfen seiner Feinde zusammenbricht, ruft er: „Herr Jesu, nimm meinen Geistauf", und wiederum als letztes Wort:

„Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu".

Es geht nicht an, wie man versucht hat, bei dem ersten kvqie 'iijaov das 'itjoov als Genitiv zu fassen, abhängig von /.vgis, SO dass also Gott und zwar als der Herr von Jesus angerufen würde; denn der

20

Mettgenberg:

neutestamentliche Sprachgebrauch kennt Gott nur als den Vater Jesu Christi,

nicht aber

als

Christus zu beziehen,

seinen Herrn.

so

auch

das

Ist aber

das erste

XVQIS

auf

zweite in dem folgenden Wort,

und wir haben also an dieser Stelle eine doppelte Anrufung Jesu im eigentlichen Sinne.

Somit

steht fest,

dass

innerhalb

des N . T . zu

Jesu gebetet worden ist, und dies Gebet ist auch seit der apostolischen Zeit niemals w i e d e r in der christlichen Kirche verstummt, wenn sich auch j e und j e Widerspruch

gegen

dasselbe

überhaupt,

oder doch

gegen seine zu häufige Anwendung erhoben hat; letzteres nicht immer mit Unrecht. sen

ist,

Gebet

so

in

Denn wenn auch das Gebet zu Jesu nicht ausgeschloswird

es

doch

im Allgemeinen dabei bleiben, dass das

seinem Namen

an

tiefste Born unseres Heils.

den Vater

gerichtet ist.

Gott ist der

In seinem Sohne hat er uns den Mittler

gegeben, durch den wir desselben theilhaftig werden. Mit Ausnahme und nicht einmal zweifellosen Ausnahme der einen Stelle Joh. 14, 13 hat Jesus den Seinen nirgends geboten, zu ihm zu beten. w o er sie zum Gebet antreibt oder den sie sich wenden sollen. hören w i r d .

ermuntert,

Er ist es,

Als er sie beten lehrt,

Vater anrufen.

ist es

der sie

heisst

er

Ueberall,

der Vater,

an

um seinetwillen ersie

den himmlischen

Dahin weist uns, wenn w i r nicht Buchstaben drehen

und deuteln wollen, der T o n und die Haltung des ganzen Evangeliums. So entspricht es auch dem gesunden christlichen Gefühl. Ziel unserer Sehnsucht ist Gott. nehmen kann, ist der,

dass

es sich,

kindlicher Zuversicht

dem Throne der e w i g e n Majestät selbst erhebt, als e w i g e L i e b e offenbart hat. dern

unterbricht

ihn,

wenn

Das letzte

Der höchste Flug, den unser Gebet die

sich

voll,

zu

in Christo

Es vollendet diesen Flug nicht, sones

vorher Halt

macht.

Das Gebet zu

Jesu hat mehr rhetorischen Character, d. h. es ist eine Gebetswendung, die ihrem innersten Gehalt nach den Vater in dem Sohne meint, aber durch bestimmte Umstände

und Beziehungen, durch bestimmte Ein-

drücke unter gegebenen Verhältnissen bewogen, statt des Vaters den Sohn nennt. nus Gebet.

So war es in Wahrheit auch der F a l l mit dem StephaA l s der erste christliche Blutzeuge seinen Anklägern und

Richtern gegenüberstand,

sah

er

in

einer Verzückung den Himmel

aufgethan und die Herrlichkeit Gottes und den Menschensohn stehen zu seiner Rechten.

Ganz erfüllt von diesem Bilde w i r d er zum Richt-

platz geführt, und es

war

durchaus

natürlich und berechtigt,

hier sein letzter Seufzer sich zu dem wandte,

dass

um desswillen er den

T o d erduldete. Es scheint nicht überflüssig,

dieses

im A u g e

zu behalten,

da-

Das Gebet im Namen Jesu.

21

mit nicht auf diesem Punkte sich in unsere Frömmigkeit etwas dem evangelischen Geiste Fremdes und Krankhaftes mische. Dem Inhalte nach darf und kann j a zwischen dem Gebet zu Jesu und dem zu Gott kein Unterschied sein. Was wir vor Jesum bringen können, dürfen wir auch vor Gott bringen. S t e f f e n schreibt in der angeführten Broschüre S. 10: „Der Heiland steht ja in gewissem Sinne dem rechten Beter näher; dieser verkehrt trauter mit ihm als mit dem Vater. Das Gebet an den Herrn fliesst brünstiger. So sind j a auch die Jesuslieder in den Gesangbüchern durchschnittlich tiefer, gluthvoller und hehrer als die andern". Da sind wir hart an der Grenze, wo jene Gefahr eintritt. Die Anschauung des römischen Katholizismus ist eine ähnliche, aber sie zieht daraus Consequenzen, die auch S t e f f e n sicherlich ablehnen würde. Er sagt ebenso: Der Sohn steht uns näher, als der Vater; aber näher noch als der Sohn steht uns seine Mutter, und die ganze Schaar der Heiligen, die ihr folgen. Wohin dieses Gefühl des Näherstehens führt, wenn es sich nicht fortwährend an Schrift und Vernunft orientirt und corrigirt, das zeigen uns Darstellungen der ältern kirchlichen Kunst in nicht misszuverstehender Weise. Auf den frühern Bildern sitzt Jesus auf einem Thron und Maria um eine oder einige Stufen tiefer. Darnach erscheinen sie beide auf gleicher Höhe, noch später ist das Verhältniss umgekehrt und der Sohn unter die Mutter gerückt, und endlich wird Maria zur Retterin, die um Erbarmen fleht, als Jesus im Grimm die Welt vernichten will. Solche Anschauungen sind nicht mehr auf dem Boden des Evangeliums erwachsen. Wenn gesagt wird, der Sohn stehe uns näher als der Vater und darum könne man zu ihm inniger, vertrauter und getroster beten, so lauert im Hintergrunde, wenn auch unbewusst, die Vorstellung, Gott selbst sei nur der zornige Richter, menschlichem Bitten unzugänglich. Dazu ist j a aber Christus gekommen, dass er den bis dahin fernen und unnahbaren Gott uns nahe bringe. Was kann uns näher sein, als der, in dem wir leben, weben und sind? näher sein als der Vater seinen Kindern? näher sein als der Gott, der die Liebe ist und in dem bleibt, wer in der Liebe bleibt? Zu ihm dürfen wir getrost und mit aller Zuversicht bitten, „wie die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten". Der Ausdruck „im Namen Jesu" enthält nun zunächst blos eine formale Bestimmung über den Sinn und Geist, in dem gebetet werden muss. Welches soll aber der Inhalt dieses Gebetes sein? Könnten

22

Mettgenberg:

wir unbemerkt alle die Gebete, die T a g für T a g zum Himmel emporsteigen, belauschen, so würden wir unter denselben unzählige finden, die sich ausschliesslich um äusserliche, weltliche Güter drehen, um Gesundheit und Ehre, das Gelingen von Unternehmungen, die Errettung aus Noth und Gefahr. An diese Dinge aber, wenn sie nicht unter einen höhern Gesichtspunkt gestellt werden, haftet sich die Selbstsucht des Menschen an und sein selbstsüchtiges Interesse mischt sich selbst in das Gespräch seines Herzens mit Gott. Das kann ihm nicht wohlgefällig sein und daher ist von mancher Seite Einspruch gegen das Gebet um äussere Güter überhaupt erhoben und betont worden, der Mensch könne blos um geistliche Gaben recht bitten. So hat W e i s s e 1 ) in seiner philosophischen Dogmatik sich in Bezug auf die 4. Bitte des Vaterunsers geäussert: „ D a s s inmitten dieser aus mächtigster Seelenerhebung hervorquillenden Gebetsworte die platte Bitte um tägliches Brot mit dem noch platteren Zusatz „auch heute" eine Stelle habe finden können, das muss einem J e d e n , der Sinn und Zusammenhang der andern Bitten gefasst hat, schon an und für sich undenkbar erscheinen, noch undenkbarer a b e r , wenn er die hehren Aussprüche Matth. 6, 25 f. 31 f. im Auge behält." E r versteht daher diese Bitte nicht von dem irdischen, sondern von dem himmlischen Brote und sie soll bedeuten: „ d a s Brot des morgenden T a g e s d. h. das Brot des J e n s e i t s , das Brot der E w i g k e i t , wird für heute d. h. für den T a g des Erdenlebens erbeten." D a s ist weder philosophisch noch christlich und entspricht noch weniger dem wunderbaren Zusammenhang der Vaterunser-Bitten. E s ist nicht wohlgethan, den Unterschied zwischen Leiblichem und Geistigem so sehr zu spannen, d a s s ein Gegensatz daraus w i r d , für den j e d e Vermittlung ausgeschlossen ist. Wo gibt es denn, in dieser Weltzeit wenigstens, ein Geistiges, d a s nicht auf dem Leiblichen sich a u f b a u e ? wo ein Sittliches, das nicht auf das Natürliche sich g r ü n d e ? die ganze E r d e ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdboden und was darauf wohnet. Alle Creatur Gottes ist gut und nichts verwerflich, was mit D a n k s a g u n g empfangen wird, denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. Das Christenthum will doch ganz gewiss nicht Weltverachtung und Weltflucht, sondern Weltsieg und Weltverklärung. Warum soll denn die Bitte um das tägliche Brot platt sein, wenn doch Regen und Sonnenschein, S a a t und Ernte nicht minder von Gottes Walten und Gottes Segen abhängen, wie alle 1) K a m p h a u s e n 1. c. S. 72f.

Das Gebet im Namen Jesu.

23

übrigen Dinge. In den angezogenen Stellen der Bergpredigt mahnt Jesus ab von einem Sorgen, das mit ängstlichen Gedanken jedes Bedtirfniss umflattert und setzt dann hinzu: Euer himmlischer Vater weiss, dass ihr das alles bedürfet. Ich sehe nicht ein, wie diesen Worten sich ein Grund gegen die Bitte um leibliche Gaben entnehmen liesse. Denn der himmlische Vater weiss auch, was wir in geistlicher Hinsicht bedürfen und doch bitten wir darum und sollen es. Je mehr wir in wahrer, acht christlicher Weise um äussere Güter bitten, desto mehr wird die Sorge um dieselben sich mindern und einem frohen Vertrauen weichen. Mit Recht sagt K a f t a n 1 ) : „Ohne unser Gebet empfangen wir sie (nämlich die irdischen Güter) nicht in der rechten Weise. Es gibt in diesen Dingen für den Christen nur zweierlei: entweder Gebet oder Sorge und Uebermuth." Wir dürfen und sollen in unserm Gebet alle unsere Angelegenheiten vor Gott bringen, die uns wirklich am Herzen liegen, das Kleine sowohl als das Grosse, das Leibliche nicht minder als das Geistliche. Das fordert schon die Kindesstellung des Christen zu Gott. Denn wie es in irdischen Verhältnissen, wo sie rechter Art sind, zwischen Vater und Kind kein Geheimniss geben kann, sondern der Vater in alle Regungen des kindlichen Herzens soll hineinschauen, so muss das noch in viel höherem Maasse der Fall sein in dem Verhältniss des Menschen zu Gott. Diese Vertrauensstellung soll nicht gestört werden auf irgend einem Punkte unseres Lebens. Die einzige Schranke, welche hier gezogen werden kann, ergibt sich von selbst aus der obigen Bestimmung, dass das Gebet im Namen Jesu das Gebet aus unserer Heilsgemeinschaft mit ihm heraus ist. Diese Schranke ist aber absolut. Unser Heil ist das höchste, alles andere in sich vereinigende Object unseres Gebetes. Was sich also darunter nicht begreifen lässt, kann niemals Gegenstand des christlichen Bittens sein; denn es würde ja sonst unsere Heilsgemeinschaft mit ihm aufgehoben. Das Gebet würde seinen Charakter ändern, hinabsinken in das Gebiet des selbstsüchtigen und daher unchristlichen Wünschens und Begehrens und aufhören, Gebet im Namen Jesu zu sein. Es könnte nun den Anschein haben, als ständen diese Sätze im Widerspruch mit dem vorher Gesagten, damit nämlich, dass alles, was unser Herz bewegt und an sich erlaubt ist, auch Gegenstand des Gebetes werden dürfe. In Wirklichkeit ist dem nicht so. Denn sollte in unserm Gebet Solches vorkommen, dann würde es, sofern 1) Die christliche Lehre vom Gebet. Vortrag S. 19.

24

Mettgenberg:

es Gebet im Namen Jesu ist, unwissentlich geschehen und es wäre zugleich darin die unausgesprochene Bitte mit enthalten, dass Gott unsere Unwissenheit und Schwachheit uns zu Gute halten und Solches als nicht von ihm erbeten ansehen wolle. mehr

schwer

sein,

das Verhältniss

Hiernach

kann

des Aeusserlichen,

es

nicht

Leiblichen,

Irdischen zu dem Innerlichen, Geistlichen, Himmlischen, wie wir es im Gebet vor Gott bringen, zu bestimmen.

Es

gibt

die Welt als Inbegriff aller äussern Güter anzusehen. sind sie Selbstzweck, in sich

zwei Weisen, Nach der einen

selbst begehrens- und erstrebenswerth,

nach der andern nur Mittel, durch sie einen höheren Z w e c k reichen. dem

Die erstere ist unchristlich,

Evangelium.

Schon

Augustin

die letztere allein mit

seinem

zu er-

entspricht

durchdringenden

Scharfsinn hat hier das Richtige gesehen und ausgesprochen,

wenn

er jene doppelte Weise sich der Welt gegenüber zu verhalten, durch die beiden Categorien uti und frui bezeichnet. sich

der

irdischen Dinge,

höheren Ziele zuzustreben; sie ihm nicht.

um durch aber

Der Christ bedient

sie über sie hinweg einem

eigentliche Befriedigung

Der Nichtchrist kennt

sie, um sich in ihnen zu verlieren.

nichts Höheres,

gewähren

er

geniesst

Sie sind für den Christen nicht

werthlos; aber sie werden werthvoll erst dadurch, dass sie die Leiter sind, mittels der wir unsere ewige Bestimmung erreichen.

Alles ist

euer; aber nur unter der Voraussetzung, dass wir Christi sind, wie Christus Gottes ist.

Die Welt

ist für

den Christen

einerseits das

Material, dem er den Stempel des Geistes Gottes aufprägen soll; aber anderseits

auch

der

gottgegebene Boden,

Persönlichkeit sich bilden muss.

Wer

auf dem

die

sie verachtet,

christliche

der

vergisst,

dass sie das W e r k Gottes ist, der sie gut geschaffen; wer in ihr das Höchste erblickt, der stellt das Aeussere Uber das Innere, das Zeitliche über das Ewige.

Wer nur, oder in erster Linie um ihre Güter

betet, der verliert seinen wahren Z w e c k

aus den A u g e n ;

wer die

Berechtigung unseres Gebetes um sie überhaupt bestreitet, der übersieht, dass, wer den Z w e c k will, auch die Mittel wollen muss. Vergängliche ist nur Gleichniss.

ein Gleichniss;

Die Ernte,

aber es

ist

auch

Alles

wirkliches

die auf dem Acker reift, die Lilie, die auf

dem Felde blüht, der Most, der in dem Schlauche

gährt, kurz alle

irdischen Dinge können für uns Mittel werden, durch die wir selbst wachsen und tüchtig werden zur Mitarbeit am Ausbau Gottes.

Sie dürfen daher auch

in unserm Gebet

des Reiches

erscheinen; aber

eben nicht als letzter Zweck, sondern als Mittel zu demselben.

Denn

Das Gebet im Namen Jesu.

25

das Wort muss stets seine volle Geltung behalten: Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit (Matth. 6, 3-3). Das lehrt uns auch das Vaterunser, jenes Mustergebet, nach dem alle anderen verlaufen sollen. Wollen wir des Genauem sehen, welches der Inhalt der christlichen Bitten sein soll, so gibt uns dieses dafür die rechte Norm an die Hand. Wir brauchen uns dieses Ortes nicht auf eine Untersuchung der Frage einzulassen, welche von den beiden Relationen desselben bei Matthäus und Lukas die ursprüngliche sei, ob also die Bitte um das Geschehen des göttlichen Willens, wie die um die Erlösung vom Bösen von Jesu selbst mitgesprochen sei, oder nicht. Wir halten uns an die in der Kirche recipirte Form nach Matthäus und dürfen das, wenn in derselben nichts vorkommt, w a s mit dem Gebet im Namen Jesu im Widerspruch stände. Das ist indess niemals behauptet worden. Wenn wir davon also ausgehen, so scheint mir der Gang des Gebetes in kurzer Andeutung folgender zu sein. Mit kühnem Glaubensschvvunge stellt es sich unmittelbar an den Thron der ewigen Gnade selbst in der Anrede: Unser Vater im Himmel. Es folgen sieben Bitten, von denen die drei ersten, die man im Unterschiede von den vier letzten wohl auch evyai, pia vota genannt hat, ganz allgemein sich auf die Verwirklichung ewiger Güter beziehen. Sie beschreiben gleichsam drei concentrische Kreise, die sich immer mehr erweitern und immer tiefer senken. Von Seinem Namen als dem seinem Wesen innigsten Verbundenen, schreiten sie fort zu Seinem Reich, dies noch als ein wesentlich jenseitiges, im Kommen begriffenes gedacht, bis sie mit dem Gebiete, auf welchem Sein Wille geschehen soll, die Erde erreichen, die Wohnstätte der Menschen, der Menschen, die, in Sorge und Kämpfe verstrickt, mit Sünde und Schuld beladen, doch nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen sind und eine ewige Bestimmung haben. Als leiblich geistige Wesen ist für sie aber die Erreichung dieser Bestimmung von den natürlichen Dingen mit abhängig. Sie bedürfen der Existenzmittel, und diese sind zusammengefasst in dem täglichen Brote, dem Brote der Nothdurft, der vierten Bitte. Wie sich, figürlich gesprochen, das Gebet bishierher gesenkt hat, so erhebt es von diesem Punkte aus seinen Flug wiederum dem Himmel und der Ewigkeit zu, von wo es seinen Ausgang nahm. An die Gewinnung des täglichen Brotes haftet sich die täglich sich mehrende Schuld. W i r bitten um Vergebung derselben in der fünften Bitte und um Bewahrung vor neuer in der sechsten. Dieselbe ist nicht von der Ersparung jeglicher Versuchung zu verstehen; denn es gehört zum Wesen des sittlichen Lebens, dass es sich bewähre und auch Christus selbst

26

Mettgenberg:

/

ist versucht worden allenthalben gleich wie wir; sondern von der Bewahrung vor der Sünde in derselben, davon, dass Gott wolle alle Versuchungen zu Prüfungen werden lassen und machen, dass dieselben so ein Ende gewinnen, dass wir es können ertragen. Endlich, zusammenfassend die letzte Bitte, er wolle uns freimachen von der Macht des Bösen Uberhaupt. Dann ist die Erde entsühnt und erneuert; dann geschieht Gottes Wille auf Erden, wie er im Himmel geschieht, dann ist sein Reich gekommen und sein Name wird geheiligt: Dann ist Er Alles in Allen und Sein ist das Reich, Sein die Kraft, Sein die Herrlichkeit in Ewigkeit, wie die, wenn auch später entstandene, doch aus dem Geiste des Gebetes hervorgeborene Doxologie es am Schlüsse ausspricht. Dieser gewaltige Inhalt umfasst, alles, Ewiges und Zeitliches, Himmlisches und Irdisches, Geistliches und Natürliches. Es gibt kein wahres Bedürfniss des Menschenherzens und des Menschenlebens, das hier nicht seinen Ausdruck fände. Und in welcher Knappheit und Kürze! welchem grossartigen Zusammenhang! Es lassen sich daran in Bezug auf den Inhalt des Gebetes noch folgende Bemerkungen knüpfen: 1) Das Leibliche fehlt nicht; aber es ist nach beiden Seiten eingefasst vom Geistlichen, zum Beweise dafür, dass es weder das Erste noch das Letzte sein soll, nicht wie jenes seinen Zweck in sich selbst trägt, sondern nur dienendes Mittel sein darf. 2) Es ist auf das bescheidenste Maass zurückgeführt, uns zur Mahnung, dass es auch in unserm Gebet sich nicht breit in den Vordergrund dränge. Recht zu beten ist eine heilige Kunst, welche der Mensch in seinem ganzen Leben nicht auslernt; aber je mehr er lernt, alle äussern und irdischen Dinge nach dem Werthe zu bemessen, den sie für seine eigene Heiligung und für das Reich Gottes besitzen und sie einzuschliessen in den bescheidenen Raum der vierten Vaterunserbitte, desto vollkommener, desto christlicher, desto mehr im Namen Jesu wird sein Gebet sein. 3) Es ist sicherlich nicht zufällig, dass für die sämmtlichen Bitten des zweiten Theils der Plural gewählt ist. Der Beter steht nicht für sich allein, sondern fasst sich mit allen Andern zusammen. Damit ist jede Selbstsucht, die nur an sich denkt und für sich etwas begehrt, ohne zu berücksichtigen, dass die Gewährung seines Wunsches vielleicht das Verderben für seinen Nachbar herbeiführen mtisste, von selbst ausgeschlossen. Der Christ darf für sich schlechterdings nichts verlangen, was das Wohl des Andern schädigte. Wenn das mehr beachtet und hierin mehr den grossen Gedanken des Vaterunsers gefolgt würde, wie viele Gebete würden anders lauten und dann, anstatt wirkungslos zu verhallen, die Wahr-

t)as Gebet im Namen Jesu.

2?

heit seiner Verheissung erfahren : Alles, was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben. Denn nichts ist von Jesu gewisser zugesagt als die Erhörung des gläubigen in seinem Namen geschehenen Gebetes. (Joh. 15, 7 ; 16, 23; Math. 7, 11; Luk. 11, 13 etc.) Für gewöhnlich gilt allerdings dieser Punkt als der schwierigste in der Lehre von dem Gebet. Indess liegt die Schwierigkeit vielleicht weniger in der Sache selbst, als in der Art und Weise, wie man sie betrachtet und der einseitigen Vorstellung, die man sich von dem Gebet überhaupt gebildet hat. In dem Maasse, wie man diese corrigirt, wird auch jene schwinden. Der letzte Endzweck eines jeden wahrhaft christlichen Gebetes, wie es aus der Heilsgemeinschaft mit Jesu hervorgeht, ist auf das Heil des Beters gerichtet, sei es direct oder indirect, ausgesprochen oder unausgesprochen. Nun ist die Grundvoraussetzung des Gebetes im Namen Jesu, dass Gott das Heil der Menschen will; denn um es ihnen zu gewähren, hat er j a den Mittler desselben in die Welt gesandt. So gewiss aber Gott das Heil der Menschen will, so gewiss wird er auch das rechte, darauf gerichtete Gebet erhören. Ein solches trägt schon die Erhörung in sich selbst, oder, wie R o t h e 1 ) sich ausdrückt: ,Jedes Gebet ist genau in demselben Maasse erhörlich, in welchem es wirkliches Gebet ist." Würde es nicht erhört, so könnte das seinen Grund nur darin haben, dass Gott es entweder nicht erhören könnte, was seiner Allmacht, oder nicht erhören wollte, was seiner Liebe widerspricht. In diesem Sinne ist die Erhörung etwas schlechthin Nothwendiges, weil in dem Wesen des geoflenbarten Gottes selbst Begründetes. Anders verhält sich die Sache, wenn man, wie es so häufig geschieht, zum Beweise dafür, dass eine bestimmte Bitte erhört worden sei, sich auf ein äusseres Geschehen, auf ein vereinzeltes Factum beruft. Ein solcher Erfolg kann nicht beweiskräftig sein. Zwar der Fromme, der in irgend einer Noth und Gefahr, in Trübsal und Anfechtung zu Gott ruft und ihm wird Trost, Kraft, Licht, Schutz zu Theil, wird sich seinen Glauben nicht erschüttern lassen, dass er eine directe Gebetserhörung erfahren, und dass das, was eingetreten, in Folge seiner Bitte eingetreten sei. Er thut recht daran. Denn wenn das Ereigniss auch ohne sein Gebet geschehen wäre, so hätte es für ihn doch nicht den Sinn, die Bedeutung, die Folgen gehabt, kurz, es wäre für ihn ein anderes gewesen, also in dieser Beziehung nicht geschehen. So gibt Gott auch ohne ihr Gebet 1) Ethik Bd. 2 S. 193

Mettgenberg:

28

das tägliche Brot allen bösen Menschen; aber weil sie ihn nicht darum bitten, darum empfangen sie es auch nicht von ihm und seiner Güte, sondern reissen es gleichsam an sich, wie einen Raub. Ueber dieses subjective Gebiet hinaus aber lassen sich dergleichen Erfahrungen kaum verwerthen. In sich nothwendig für uns ist nur unser Heil; der Wege aber die uns dazu führen, können unendlich viele sein und daher behält jenem Einen nothwendigen gegenüber alles, was uns äusserlich begegnet und zustösst, den Character des Zufälligen und ist als Solches in jedem einzelnen Falle dem Zweifel ausgesetzt. Die Richtigkeit dieser Behauptung können wir tagtäglich bestätigt finden. Wo Einer sich auf solche Erfolge als Beweis für die Gebetserhörung beruft, da werden ihm sofort ebenso viele oder mehr Fälle entgegengehalten werden können, wo ebenso eifrig, ebenso anhaltend und fromm gebetet worden und doch ein gleicher Erfolg nicht eingetreten ist. Und angenommen, es betet Jemand um etwas und es geschieht: Es wird niemals gelingen, den objectiv zwingenden Beweis zu führen, dass nicht durch rein natürliche Ursachen, ohne unser Gebet, dasselbe äussere Resultat wäre zu Stande gekommen. So wenig aber, w i e der äussere Erfolg einen Beweis abgeben kann für die Erhörlichkeit des Gebetes, sowenig der Nichterfolg gegen dieselbe. D i e wahre Erhörung bedingt vielmehr häufig die Nichtbefriedigung unserer Wünsche, auch der in bester und frommster Meinung und Absicht geäusserten. Würden sie alle gewährt, so würde damit die Erhörung des rechten Gebetes im Namen Jesu vereitelt. Denn w i e viele würden uns in der Erlangung des Heils nicht fördern, sondern hemmen. Paulus hat nach 2. Cor. 12, 7 dreimal den Herren gebeten, dass er ihn befreie von dem o-/.6koip in seinem Fleisch; aber er hat die Antwort empfangen: Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Das war von dem gewöhnlichen Standpunkte aus ein Versagen der Bitte, von einem höhern eine Gewährung derselben. Denn was war doch der innerste Gedanke dieses paulinischen Gebetes? Doch offenbar der, dass das aus seinem Leben hinweggeräumt werde, was nach seiner Meinung ein Hinderniss sowohl für die Vollendung seiner eigenen Persönlichkeit, als auch für seine Wirksamkeit im Dienste des Evangeliums war. Seine Meinung auf diesem Punkte war eine irrige. Gott hat sie berichtigt. Er, Paulus, sollte werden und leisten, was er geworden ist und geleistet hat, gerade durch seine Schwachheit. Gott gab dem Inhalte seiner Bitte Gewährung, indem er sie der Form derselben versagte. Man wende nicht ein,

demnach

habe

ein solches Gebet

gar

Das Gebet im Namen Jesu.

29

keinen Zweck. Das Resultat wäre ja dasselbe, ob nun gebetet worden oder nicht. In Wahrheit ist das Resultat ein sehr verschiedenes. Wenn Jemand eine Last zu tragen hat, die ihm zu schwer ist, und er bittet um Erleichterung, so hat seine Bitte inhaltlich auf gleiche Weise Erhörung gefunden, ob nun die Last gemindert, oder ob die Kraft zum Tragen gemehrt wird. Es sei gestattet, hier auf das höchste Beispiel hinzuweisen: Jesus mit seinen Jüngern in Gethsemane. Der Erlöser hat gebetet: Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Auch den Jüngern lag, sowohl für ihren Meister als sich selbst, mancher Wunsch am Herzen; aber sie haben nicht gebetet trotz seiner eindringlichen Mahnung. Der Kelch ging nicht vorüber; aber war darum auf beiden Seiten das gleiche Resultat? Der Herr erhob sich und ging voll von Gottesfrieden und Sohnesergebung dem Verräther und den Häschern entgegen, durch Leiden und Tod die Welt zu erlösen. Die Jünger flohen, ein jeglicher in das Seine, Petrus verleugnet ihn und alle ärgern sich und werden irre an ihm. Hatte er den Vater vergebens gebeten? und hatten sie ungestraft das Gebet unterlassen? Doch möchte ich nicht missverstanden werden. Es soll mit dem Ausgeführten nicht behauptet sein, dass nicht auch in einem äussern Geschehen die Erhörung bestehen könne. Sie kann und wird es, wenn dasselbe für unser Heil nothwendig ist. Jenes ist nur diesem stets untergeordnet. Da nun des Menschen Wissen und Weissagen unter allen Umständen Stückwerk bleibt, so kann auch sein Urtheil darüber, ob irgend ein äusserer Vorgang zur Erlangung des Heils nothwendig sei, und also das Gebet in dieser Form erhört werden müsse, höchstens nur ein relativ sicheres sein d. h. er kann sich niemals in der Lage befinden, mit absoluter Zuverlässigkeit zu bestimmen: Dies muss ich erhalten, dies muss geschehen, oder mein Gebet ist nicht erhört. Denn das eigentliche Object eines jeden Gebetes im Namen Jesu ist j a das Heil und wie schon angedeutet, stehen Gott, dieses zu bewirken unendlich viel Mittel und Wege zu Gebote; welche er aber von diesen auswählen will, bleibt seiner ewigen Weisheit vorbehalten. Höchstens mag es hie und da einem besonders begnadeten Menschen vergönnt sein, gleichsam von weitem einen ahnungsreichen Blick in das Geheimniss der göttlichen Welt- und Menschenleitung zu thun. Fast unwillkürlich kommt uns hier ein bekanntes Ereigniss aus dem Leben Luthers in den Sinn, als er mit dem Wort: „Behüte Gott, wie hat mir der Teufel dies Organon geschändet" an das Bett des auf den Tod darniederliegenden Freundes Melanchthon Tlieol. Arbeiten. VIII. IX.

3

30

Mettgenberg:

tritt. „Allda, so hat er selbst erzählt, musste mir unser Herrgott herhalten; denn ich warf ihm den Sack vor die Thüre und rieb ihm die Ohren mit allen seinen Verheissungen, dass er Gebet erhören wolle, die ich in der heiligen Schrift aufzuzählen wusste, dass er mich mlisste erhören, wo ich anders seinen Verheissungen trauen sollte." Das ist eine Art, die sehr verschieden beurtheilt werden kann und thatsächlich beurtheilt worden ist. Während die Einen darin den höchsten Triumph des Glaubens gesehen, haben sie Andere Gotteslästerung genannt. Ich für mein Theil möchte mich weder dem einen noch dem andern Urtheil anschliessen. Man kann es verstehen, dass ein Mann mit der elementaren Geisteskraft eines Luther, in der Ausführung eines Riesenwerkes begriffen, das er nicht als sein, sondern als Gottes und der ewigen Wahrheit Werk weiss, mit einer ungeheuren Verantwortlichkeit auf seine Schultern gelegt, in dem Augenblick, wo ihm eine der Hauptstützen dieses Werkes zu zerbrechen droht, über sich selbst hinausgehoben, gleichsam divinatorisch hineindringt in den Rath Gottes und fühlt: Diese Stütze darf und wird nicht zerbrechen und dass, was er, bis in die Tiefe seines Geistes erschüttert, fühlt, sich ihm in Bitte verwandelt, die mit titanenhaftem Glaubenstrotz zum Himmel emporsteigt. Das ist grossartig, gewaltig und wie gesagt mit Rücksicht auf Person und Umstände verständlich; aber daraus eine allgemeine Regel für die Weise eines glaubensvollen, christlichen Gebetes ableiten zu wollen, geht schwerlich an. Wir können mit unsern kleinen Alltagsangelegenheiten den Himmel nicht stürmen, und sollen es auch nicht versuchen. Gott allein weiss, welche Mittel in Wahrheit tauglich sind, uns zum Heil zu führen und wo ein trotziges Drängen darauf stattfindet, dass er sich dazu der von uns erdachten und gewünschten Mittel bedienen solle, da wird der Versuch gemacht, menschliche Kurzsichtigkeit an Stelle seiner Weisheit und den eigenen Willen an Stelle seines allein guten Willens zu setzen. Damit aber hört das Gebet auf, ein Gebet im Namen Jesu, ein christliches Gebet zu sein. Denn dieses kann seiner Natur nach unter keinen Umständen das Bestreben haben, den Willen Gottes ändern zu wollen. Gottes Wille ist ein Heilswille. Die Gemeinschaft mit Christo ist eine Heilsgemeinschaft. Die Bitte um Aenderung des Willens Gottes würde also der Voraussetzung des wahren Gebetes widersprechen und sich selbst aufheben. Nur zwei Parabeln, beide von dem Evangelisten Lucas berichtet, könnten scheinen, einen andern Sinn zu haben. Die erste steht Luc. 11, 5 ff. Ein Freund kommt um Mitternacht zu dem

31

Das Gebet im Namen Jesu.

andern und bittet ihn um drei Brote.

Wenn ihm nun, sagt Jesus,

jener auch die Bitte nicht erfüllt, um der Freundschaft willen, wird er ihm doch geben dia zrjv avaiösiav

so

wie Luther über-

avrov,

setzt hat, um seines unverschämten Geilens willen. Die andere findet sich Luc. 18, 1 ff. und handelt von dem Richter in

einer Stadt, der

sich

weder

vor Gott,

noch vor

den Menschen

fürchtet, aber doch um der Mühe willen, welche ihm eine Wittwe mit ihren übertäubenden Bitten macht,

zuletzt ihrem Drängen nachgibt.

Diese Erzählungen könnten zunächst zu bedeuten scheinen, dass wir nur nicht nachlassen sollten mit unserm Wünschen würde Gott zuletzt,

sich erweichen lassen und das Begehrte geben.

zu werden, widerlegt

und Quälen, so

ermüdet vom Anhören und um die Lästigen los

sich eine

man sie klar

solche Vorstellung

ausspricht.

Indess

schon allein dadurch,

Es würden Gott Eigenschaften

die wir an einem irdischen Vater verurtheilten.

dass

beigelegt,

Es kann dies nicht

der eigentliche Gedanke sein, den Jesus den Seinigen ans Herz legen will. Derselbe

geht

vielmehr

darauf,

und im Vertrauen beten sollen. damit eingeleitet, Jesus habe

dass wir ernstlich,

So wird

anhaltend

das Gleichniss Luc. 18, 1

es erzählt NGOG TO ösiv NÄVTORE

aev%eo9ai v.ai {irj Eyy.ay.elv um zu ermahnen, ten sollen und nicht nachlassen.

UQO-

dass w i r allewege be-

A m Schlüsse des Abschnittes aber,

der c. 11,5 beginnt, fügt er die bedeutungsvollen Worte hinzu: Wenn nun ihr, die ihr arg seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der himmlische Vater den heiligen Geist geben denen, die lehren

ihn

bitten.

soll, Freunde zu

Wie

der

machen durch

ungerechte Haushalter

uns

barmherzige Wohlthätigkeit,

aber nicht, wie wir die Mittel dazu erwerben, so zeigen uns die angeführten Parabeln, dass

wir

beten

sollen

in

der Zuversicht, Gott

werde uns alles Gute geben, aber nicht in der Absicht, Willen aufzudrängen.

Der Zug,

dass

der W i l l e

unsere

des Freundes und

des Richters sich ändert, ist nebensächlich und darf übertragen werden.

ihm

nicht

auf Gott

Es liegt nicht an Gott, wenn unser Gebet nicht

erhört wird, sondern an uns.

Auf unserer Seite müssen die Hinder-

nisse hinweggeräumt werden, die es verhindern, dass er es nicht erhören kann.

Nicht sein W i l l e muss sich ändern (das könnte j a nur

zu unserem Unheil ausschlagen), sondern der unsere, wenn er kurzsichtig und verkehrt dem eigenen Heil widerstrebt, muss deln und dem seinigen unter- und einordnen.

Das ist

sich wan-

einerseits in

dem rechten Gebet schon enthalten und anderseits wird dieses selbst

32

Mettgenborg:

uns dazu das kräftigste Hülfsmittel. Während desselben klären sich unsere Wünsche ab und das Unreine und Ungöttliche an ihnen wird verzehrt von seinem heiligen Feuer. Ein anderer Maassstab für die Dinge wird uns in die Hand gegeben, und an ihm gemessen, erscheint Vieles klein, was uns vorher das Grösste und Wichtigste dünkte, und was anfangs mit leidenschaftlicher Heftigkeit die erste Stelle beanspruchte, tritt zurück und macht der seligen Gewissheit Platz, dass, was Gott, unser Vater im Himmel thut, wohlgethan und sein Wille stets der beste ist. Schön sagt in dieser Beziehung M o n r a d 1 ) : „Standest du niemals am Lager eines Sterbenden, welcher dir theurer war wie dein eignes Leben ? Sahst du niemals einen Freund am Abgrund des Verderbens? Hast du noch niemals für dein geliebtes Vaterland zu Gott geschrieen, während es in äusserster Gefahr schwebte? Während aber ein solcher Herzenswunsch sich mit aller seiner Leidenschaftlichkeit auch in unser Gebet hineindrängt, siehe, da begegnet er Ihm, welcher uns erlaubt, ihn als unseren himmlischen Vater anzurufen und während in seiner Nähe unser Herz erwärmt, während das Gefühl seiner Liebe jedes andere Gefühl überstrahlt, steigert sich in uns die Zuversicht, dass er uns wahrhaftig lieb hat. Und mit dem Glauben an seine Liebe steiget und sinket in der Menschenbrust zugleich die kindliche Liebe zu ihm. Man kann beide wohl in Gedanken auseinanderhalten, aber nicht in der That, so wenig, wie das Licht und seine Strahlen. Die Liebe, an welche unser Herz glaubt, ist die allmächtige und allweise Liebe. Ihr übergeben wir getrost alles, was so heftig unser Gemüth bewegt. Und je völliger wir alsdann unsere Seele aufgehen lassen in dem Vertrauen zu seiner Liebe und Barmherzigkeit, ein um so helleres Licht breitet sich über das Verhältniss zwischen ihm, dem Schöpfer, und seinen Geschöpfen. Was sind wir, unsern Gott meistern zu wollen? In wessen Hand ruht wohl unser Geschick am sichersten, in unserer eigenen, oder in seiner Hand? So beugt sich dann der widerstrebende Wille und wird stille und zuletzt spricht man, obwohl unter Seufzern und Thränen: Dein Wille geschehe, o mein Gott. Dies ist also die unter dem Gebet vor sich gehende Metamorphose oder Verklärung unserer Wünsche. Mit unserem eigenen Wünschen und Wollen treten wir in's Gebet und mit Gottes Willen gehen wir daraus hervor." Ganz gewiss: das Gebet im Namen Jesu stellt sich nicht gegen, 1) Aus der Welt des Gebetes S. 173 f.

Das Gebet im Namen Jesu.

33

sondern unter den Willen Gottes. Und wie der Erlöser in der bängsten Stunde seines Lebens angesichts des Leidenskelches gesprochen hat: Ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille, so hat er auch uns beten gelehrt, dass nicht unser, sondern Gottes Wille geschehen möge, wie im Himmel also auch auf Erden. Das Gebet, wie jedes geistige Product steht auf dem Boden des menschlichen Selbstbewusstseins, das speciell christliche Gebet also auf dem Boden des durch das Evangelium bestimmten Bewusstseins. Was in dem Gebet Ausdruck findet, muss in unserem Bewusstsein irgendwie vorhanden sein, entweder positiv als Besitz, dessen wir uns freuen, oder negativ als Mangel, dessen wir inne werden. In dem einen Falle wird das Gebet Dank, in dem anderen Bitte sein. Es herrscht Verschiedenheit der Meinungen darüber, was in dem Gebet im Namen Jesu vorwalte, mit anderen Worten darüber, ob es wesentlich Dank- oder wesentlich Bittgebet sei. R i t s e h l 1 ) polemisirt gegen Schleiermacher, der besonders das letztere betone und meint, diese Einschränkung entspreche nicht dem ursprünglichen Sinne der nQoasvxrj, in welchem Begriff die Anerkennung Gottes durch den Dank und durch die Ergebung überwiege und demgemäss dürfe nicht das Danken eine Art neben dem Bitten sein, sondern vielmehr das Bitten nur eine Modification des Dankens. K a f t a n 2 ) , von der Ableitung des deutschen Wortes Gebet ausgehend, stellt die Bitte in den Mittelpunkt, die nur am Anfang und Ende vom Danke eingefasst werde und das eine Gebet mit dem anderen verbinde. Er unterscheidet zwei Ströme des christlichen Innenlebens: Gebet und Betrachtung. Jenes fängt mit uns und unserm Mangel an und steigt empor zu Gott und wird dann Betrachtung; diese richtet sich auf Gott, seine Ehre und Gnade und steigt dann hernieder zum Leben und wird Gebet. Diese Unterscheidung ist geistvoll und schön; aber doch nur in der Abstraction vorhanden. Und warum auseinanderreissen, was zusammengehört, wenn sich doch die Betrachtung immer wieder in Gebet und das Gebet immer wieder in Betrachtung verliert? Beide Auffassungen erscheinen einseitig. Wir erinnern uns noch einmal, dass das Gebet im Namen Jesu das Gebet aus seiner Heilsgemeinschaft ist. Wäre nun diese Gemeinschaft eine absolute, durch nichts mehr alterirt, dann würde allerdings, sofern es sich allein um uns handelte, keine Veranlassung zur 1) A. a. 0. Bd. 3, S. 597 ff. 2) A. a. 0. S. 4 u. 22.

Mettgenberg:

34

Bitte, sondern nur zum Danke vorliegen und R i t s e h l hätte mit seiner Forderung Recht, aber ein solches Bewusstsein ist in der Erfahrung nirgends gegeben.

Oder aber: Hätte

jene Gemeinschaft über-

haupt noch nicht begonnen, und das christliche Bewusstsein würde nur durch das Gefühl des Mangels ausgefüllt, dann würde

sein

einziges

Bedürfniss in der Bitte bestehen und die Anschauung K a f t a n ' s hauptete ihren P l a t z ; aber ein solches Bewusstsein

wäre

überhaupt

noch kein christliches und folglich könnte auch kein Gebet men Jesu aus demselben hervorgehen.

be-

im N a -

W i r müssen daher beide Auf-

fassungen zu einer höheren Einheit verbinden und sagen: Das christliche Gebet ist beides, Dank- und Bittgebet, w i e sich auf j e d e r Stufe des christlichen Bewusstseins beides findet, Freude über nene Heilsgemeinschaft mit dem Erlöser

die

begon-

und Schmerz über die Stö-

rungen und Hemmungen durch Sünde und Uebel, denn so ist es überall: In irgend einem Maasse, wenn w i r anders christliche Beter sind, wissen w i r uns im Besitze des Heils

und

werden

daher zum Dank

angeregt, und in irgend einem Maasse fühlen w i r uns seiner noch bedürftig und werden daher

zur Bitte

getrieben, w a s

natürlich nicht

ausschliessen soll, dass in einem gegebenen Moment und unter g e g e benen Umständen das Gefühl des Besitzes oder des Mangels in uns so sehr das überwiegende ist, dass uns das entgegenstehende noch bewusst wird, w i e das einzelne Aussprüche

kaum

des Apostels Pau-

lus (Phil. 4, 1; t. Thess. 15, 16—18), die R i t s e h l anführt, nach der einen Seite hin bekunden. eine

solche Ermattung

A b e r weder eine

des

christlichen

solche Erhebung, noch

Bewusstseins

stellt

seinen

normalen Stand dar. A u f die ursprüngliche Bedeutung unseres W o r t e s

„ G e b e t " darf

man sich aber für die eine oder andere Ansicht so wenig berufen, w i e auf die Bedeutung von 7tgoasvxRJ.

Denn neben NQOAEVXRJ und TIQOOEV-

Xea&ai k o m m t ebenso häufig cazrjoig, carrj^a und deo^iai o d e r

vor.

aheo^iai

Indess sollen Dank- und Bittgebete auch nicht mechanisch ge-

trennt sein.

Sie gehen

in einander über

und folgen

aus

einander.

Die Bitte w i r d in Rücksicht auf den schon erlangten Heilsbesitz zum Dank, und der Dank verwandelt sich in Rücksicht noch vorhandenen Heilsmangel

in Bitte.

auf

Ein frommes

den

immer

Bewusstsein,

das nicht beide Elemente, wenn auch in verschiedener Stärke in sich vereinigte, g i b t es nicht.

Nur Ein solches Bewusstsein ist auf Erden

erschienen, das des Erlösers selbst.

A b e r durch den Zusammenhang,

in welchen sein Leben gestellt war

mit dem Leben der Menschheit,

mit

ihrer Sünde

und Schuld,

ihren L e i d e n

und Schmerzen,

ihren

Das Gebet im Namen Jesu.

35

Sorgen und Kämpfen ist auch Er zu Bitten an seinen himmlischen Vater veranlasst worden.

Lösen wir seine Persönlichkeit in Gedanken

von diesem Zusammenhang los und schauen sie rein für sich an, so ist es allerdings nicht denkbar, dass er, weil in absoluter und vollkommener Gemeinschaft mit Gott, sollte etwas zu bitten gehabt haben. Seine nQoaev%rj in der Abgeschiedenheit der Wüste, in der Stille der Nacht, auf einsamem Berge, von der

wir in den Evangelien

lesen,

kann, wofern sie nicht sich auf die Brüder bezog, nur eine

anbe-

tende, preisende, selige Versenkung in die Weisheit und Liebe seines Vaters gewesen sein. Das ist auch das letzte und höchste Ziel unseres Strebens. mehr wir es erreichen, j e mehr unsere Gemeinschaft

mit

durch ihn mit Gott sich der Vollkommenheit nähert, wir in den vollen Besitz des Heils gelangen,

ihm

Je und

oder, jemehr

desto mehr wird das

Bitten und Sehnen in ausschliessliches Danken sich verwandeln. lange aber der Einzelne sich unvollkommen

weiss,

so lange

So

kann

auch aus seinem Verkehr mit Gott die Bitte nicht verschwinden, und sie würde selbst, wenn auch der Einzelne seine höchste Bestimmung erreicht hätte, als Fürbitte wiederkehren müssen, wenn nicht zugleich die Gesammtheit zur Vollkommenheit geführt wäre. im Geiste auf diese Höhe der Vollendung,

Stellen wir uns

dann müssen alle Saiten

unseres Herzens zusammenklingen in einem Lob- und Danklied zu Gott.

Dann ist mit den Worten des Dichters Gebet in Wahrheit „Friede, In Gott ein froher Untergang. Es ist mit Gottes ew'gem Liede Tiefinnerster Zusammenklang. Gebet ist Freiheit, die der Schranke Der Erdennacht die Seel entreisst. Dann steht kein Wort und kein Gedanke Mehr zwischen ihr und Gottes Geist. Geheimnisvoll und doch so helle Ist es der Seele wunderbar Ein süsses Schlummern an der Quelle Und doch ein Wachen seligklar."

Dann

schweigt

das Begehren

und die Sehnsucht

ist gestillt.

Die

Spannung der Wünsche kommt zur Ruhe und löst sich auf in tiefen Gottesfrieden.

W i r beten dann auch nicht mehr sporadisch, wie un-

fromme Regungen von frommen abgelöst werden: Unterlass.

Das Leben ist selbst Gebet.

Wir

beten ohne

Die fortlaufende Bedeutung des Dekalogs in der christlichen Kirche. Vortrag gehalten in der zwanzigsten Jahresversammlung des wissenschaftlichen Predigervereins in der Rheinprovinz am 23. Mai 1888. Von

Pfarrer Franz Brüggemann in Kettwig. Der Dekalog, die asereth hadebarim, das Zehnwort zeichnet sich vor den andern Gesetzesworten dadurch aus, dass es an der Spitze des Bundesbuchs (Ex. 24, 7), dessen Inhalt in Ex. 20—23 aufgeführt wird, steht; dass diese 10 Worte als von Gott selbst geredet (Ex.20,1), die andern als durch Mosis Vermittlung gegeben (Ex. 20, 21—22), bezeichnet werden; dass sie von Gott auf zwei Tafeln und zwar auf beiden Seiten derselben geschrieben waren (Ex. 32,15 cf. 34,1); dass sie in der Bundeslade aufbewahrt werden sollten (Ex. 25, 21); dass sie durch die Zehnzahl ein in sich geschlossenes Ganzes bilden, wie sich denn solche dekalogischen Reihen noch mehrere in den mittleren Büchern des Pentateuch finden. Wollte man aber aus dieser hervorragenden Stellung den Schluss machen, dass der Dekalog der streng verbindliche Theil des Gesetzes sei und dem andern Theil, dem sog. Ceremonialgesetze, nur eine nebensächliche Verbindlichkeit zukomme, so würde man irren. Die herkömmliche Eintheilung des Gesetzes in Sitten-, Ceremonial- und Rechtsgesetz hat nur eine die Uebersicht erleichternde, praktische Bedeutung; sie wird unrichtig, wenn man damit einen innern Unterschied ausdrücken und für diese bezeichneten Theile einen verschiedenen Werth in Anspruch nehmen will. Dies ist unschwer zu beweisen. 1) Das Princip des Gesetzes ist für alle Theile das gleiche: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig" (Lev. 11, 44 cf. 19, 2) oder vollständiger: „Ihr sollt euch heiligen, dass ihr heilig seid, denn ich bin Jahve, euer Gott". So wird das Verbot, sich durch den Genuss des Fleisches gewisser Thiere nicht zu verunreinigen (Lev. 11, 44), ganz ebenso wie das Gebot: „Ein jeglicher

Die fortlaufende Bedeutung des Bekalogs in der christlichen Kirche.

37

fürchte seine Mutter und seinen Vater" (Lev. 19, 2) mit dem Hinweis auf die Heiligkeit Gottes, welche Israel zur Heiligkeit verpflichtet, begründet. 2) Die Anordnung oder richtiger die prinziplose Aneinanderreihung der Gebote gestattet es nicht einen Werthunterschied zu machen. So steht z. B. das innerlichste Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst" (Lev. 19, 19) neben dem sehr äusserlichen: „Du sollst dein Feld nicht besäen mit zweierlei Samen". 3) Für das ganze Gesetz in allen seinen einzelnen Theileu ist die Form die gleiche, überall ergehen die Verbote in demselben schlechthin und unbedingt gebietenden Ton. Dieser streng objektive Charakter des Gesetzes verbietet es dem menschlichen Ermessen, einen Unterschied unter den einzelnen Geboten zu machen. Ob ein solcher zu machen ist, liegt im Ermessen des Gesetzgebers; dieser macht ihn, wenn er auf gewisse sittliche Greuel, sowie auf Uebertretung solcher Gebote, welche wie die Beschneidung, die Sabbathsfeier u. dgl. in unmittelbarster Beziehung zur Bundesidee stehen, härtere Strafen legt, als auf die Uebertretung anderer Gebote. Aber für den dem Gesetze unterworfenen M e n s c h e n fällt das geringfügigste Gebot unter den für das ganze Gesetz geforderten Gehorsam (cf. 0 e h l e r , Theol. des a. T. § 84). Würde man diese Verbindlichkeit des ganzen Gesetzes fest im Auge behalten haben, so würde der häufig wiederkehrende Fehler vermieden worden sein, den Dekalog als den eigentlichen Kern, als „die treffende Auswahl der wichtigsten Gesetze" ( D i l l m a n n ) losgelöst zu betrachten, um ihn nach willkürlichen religionsphilosophischen Gesichtspunkten zu erklären und ihn als grundlegende Akte des Monotheismus aufzufassen. Dies thut z. B. Frz. D e l i t s c h in Herzogs Realencyclopaedie (Art. über den Dekalog), wenn er den „Dekalog als die nationale Besonderung des für die Menschheit allgemein gültigen Willen Gottes auflasst, und es als eine Aufgabe weitererer religiössittlicher Entwicklung hinstellt, vermittelst Entnationalisirung und Verinnerlichung aus dem israelitischen Volksgesetze ein Menschheitsgesetz zu entwickeln. Denn der Wille Gottes an sein auserwähltes Volk könne nicht mit seinem Willen an die Menschen als solche in Widerspruch stehen". Der Dekalog verliert bei solcher Erklärung seine selbständige Bedeutung, er ist nur die aus erzieherischen Zwecken Gottes in nationalem Gewände verhüllte vorläufige Offenbarung eines für die Menschheit gültigen Willens. Selbstverständlich lässt sich dieser Gedanke nur einigermaassen durchführen, wenn das Gesetz als Ganzes ausser Acht gelassen wird, wenn die

38

Brüggemann:

ausser dem Dekalog darin enthaltenen Bestimmungen unbeachtet bleiben. Mir erscheint es unabweisbar, den Dekalog als T h e i l des g a n z e n G e s e t z e s zu betrachten lind ihn im Lichte des g a n z e n mosaischen Gesetzes zu verstehen. Um einem möglichen Missverständnisse vorab zu entgehen, erkläre ich ausdrücklich, dass ich den Pentateuch nicht als ein von Moses verfasstes, auch nicht als ein einheitliches Werk ansehen kann; dass ich die Ergebnisse wissenschaftlicher Kritik als feststehend anerkenne, nach welchen gerade die gesetzlichen Bestimmungen ein allmähliches Wachsthum erfahren haben und zwar entsprechend verschiedenen, jeweilig hervortretenden, geschichtlichen Bedürfnissen und Bedingungen; dass sich dem ursprünglichen mosaischen Gesetze fremdartige hierarchische Bestrebungen später geltend gemacht und mitgewirkt haben. Trotz dieser mit voller Ueberzeugung eingeräumten Zugeständnisse bin ich der Ansicht, dass von dem mosaischen Gesetze als Ganzes recht wohl gesprochen werden darf, weil sogar die späteren Hinzufügungen sich der Wucht mosaischer Tradition nicht zu entziehen vermocht haben und dies nach Form und Inhalt erkennen lassen. Die geschichtliche Entwicklung Israels steht in der Weltgeschichte einzig in ihrer Art da und bietet dem Forscher ein durch Analogieen unlösbares Räthsel dar. Während nämlich die Geschichte aller Völker einen einheitlichen Entwicklungsprocess aufweist, in welchem sich das religiöse und nationale Leben gegenseitig durchdringen, so dass die Religionsstifter oder die leitenden Gesetzgeber dem nationalen und religössittlichen Geist zum Ausdruck verhelfen und, indem sie sich von der Volksthümlichkeit getragen wissen, die volksthUmliche Eigenart in höhere Bahnen leiten, auf eine höhere Stufe erheben, — so verläuft die Geschichte Israels in einem Zwiespalt zwischen dem Volksthümlichen und Religiösen. Das Gesetz schafft durch Negation des ursprünglichen Volksthümlichen die theokratische Nationalität, welche Israels Eigenart bildet. In dieser dem Gesetze innewohnenden Kraft liegt der Offenbarungscharakter der israelitischen Religion. Aber die Volksthümlichkeit ist andererseits so kräftig, dass es niemals dahingekommen ist, dass das Gesetz zur vollen Herrschaft gelangen konnte, dass Gesetz und Volksthum zur Einheit sich erhoben und beides sich völlig gedeckt hat. Moses als Gesetzgeber ist nicht etwa ein überlegener Geist, sondern er schafft ein Gottesvolk, indem er auf dem Wege der Negation, des Verbotes, Israel in ein neues Verhältniss, in das Verhältniss zu Jahve hineinhebt. Die Bestimmungen des Gesetzes sind vorzugsweise bis ins Einzelnste gehende

Die fortlaufende Bedeutung des Dekalogs in der christlichen Kirche.

Forderungendessen, was Israel n i c h t thun soll.

39

Die wenigen positi-

ven Pflichten, welche es enthält, sind in allgemein gehaltenen Sätzen aufgestellt; manches

Positive, das in der Absicht des Gesetzes liegt,

wird gar nicht ausdrücklich geboten, sondern es sind vielmehr Thatsachen, Vorbilder und Einrichtungen, an welchen es sich entwickeln soll. (cf. 0 e h l e r , Theol. des a. T . ) Die Verbote erstrecken sich auf alles, was Israel in irgend ein Abhängigkeitsverhältniss zu einem

andern als Jahve,

in Abhängig-

keit nicht blos von anderen Göttern, sondern von der Natur und geschichtlichen Mächten bringen könnte. von Jahve abhängig

wissen

Israel soll sich ganz und gar

und fühlen und machen.

Darum wird

auf dem W e g e der Negation, des Verbots, eine Ordnung geschaffen, welche in alle Verhältnisse und Zustände eingreift, so dass der Israelit bei jedem wesentlichen Lebensgeschäfte darauf achten muss, dass er sich nicht durch Uebertretung mit Jahve loslöst.

Er ist

aus der Gemeinschaft seines Volkes

gezwungen

sich

überall

die Stimme des

befehlenden Gottes zu vergegenwärtigen und sich seiner Abhängigkeit als

israelitischer

bleiben.

Volksgenosse von

dem

Gott

Israels bewusst

zu

Hierin liegt das, was man Unfreiheit und Aeusserlichkeit

des Gesetzes genannt hat.

Aber nicht darin besteht die Aeusserlich-

keit, dass das Gesetz etwa nur äusserliche Angemessenheit an das Gesetz und nicht Gesinnung, nur Legalität und nicht Moralität fordert, denn das Gesetz dringt auf die Gesinnung, verlangt Liebe von Herzen (Deut. 6, 5; Lev. 19, 17), Beschneidung der Vorhaut des Herzens (Deut. 10,16); sondern darin besteht die Aeusserlichkeit, dass das Gesetz, innerliche Gesinnung und äusserliches Thun in unmittelbare Koordination bringend, die Funktionen

des Gewissens tibernimmt und

die Verzichtleistung

auf den Eigenwillen und auf das, was nach individuellem Dafürhalten recht

und schön erscheinen möchte, unbedingt

weis auf den vSfxog ygamog

fordert.

Einen Hin-

sv xaoSimg kennt das mosaische Gesetz

nicht. Diesen ganz einzigartigen verleugnen

auch

Charakter des mosaischen

Gesetzes

die spätesten Zusätze, auch die in hierarchischem

Interesse vorgenommenen nicht, und dies giebt den Vorschriften des Pentateuch ein gewisses e i n h e i t l i c h e s

Gepräge.

Mit diesen Erwägungen haben wir die maassgebenden Gesichtspunkte gewonnen,

von welchen aus der Dekalog,

dieses wichtigste

Stück des Gesetzes, beurtheilt werden will. Der Dekalog findet sich Ex. 20, 2—17 und Deut. 5, 6—18, aber nicht

in

tibereinstimmendem

Wortlaute.

Der

Unterschied

besteht

40

Brüggemann:

wesentlich in folgendem: 1. Das Sabbatgebot wird verschieden begründet, im Ex. durch den Schöpfungs-Sabbat, im Deut, durch die Erinnerung an die egyptisclie Knechtschaft und die Erlösung aus derselben. 2. Bei dem Verbot der sündigen Lust wird im Ex. das Haus, im Deut, das Weib gesondert vorangestellt und im Deut, wird diese Trennung noch durch den Wechsel des Zeitworts verstärkt (-tan und ¡"nNnrr Hithpa. von r n i j Luther: gelüsten und begehren). Alle übrigen Abweichungen erklären sich aus dem rednerischen und wortreichen Stiele, durch welchen sich das Deuteronomium von dem Exodus auszeichnet. Aber grade dies (neben manchen andern Gründen, bezüglich deren ich auf die Kommentare verweise) lässt das von alters hergebrachte Urtheil, dass im Ex. ein verhältnismässig ursprünglicherer Text vorliege, gerechtfertigt erscheinen. Jedoch ist dieser Exodus-Text darum nicht etwa als die buchstäblich genaue Abschrift der beiden Tafeln anzusehen. Die einzelnen Gebote zeigen nämlich eine möglichst kurze und knappe Fassung, wie eine solche auch die Steinschrift erheischte. Nun finden sich aber den Geboten Erläuterungen und Begründungen beigefügt, und in diesen Beigaben zeigen die beiden Rezensionen des Dekalogs die meisten Unterschiede. Der Vergleich der verschiedenen Begründung der Sabbatsfeier Ex. 20, 11 und Deut. 5, 15 ergiebt, dass wenigstens dieser Zuzatz kein allgemein gleichlautender war. Ferner — ich beziehe mich hier auf L e r n m e : Die religionsgesch. Bedeutung des Dekalogs p. 61 Anm. 1 — war in der ältesten Zeit der Sabbat weiter nichts als der Tag der wiederkehrenden 4 Mondphasen, so dass der Neumond einer der 4 Sabbate war. Die Unterscheidung zwischen Neumond und Sabbat ist spätem Datums und trat erst dann hervor, als man für den Sabbat immer den 7. Tag festhielt. Da nun in der Begründung des Sabbatsgebotes der Sabbat als der 7. Tag bestimmt wird, so muss diese Begründung jüngern Datums sein als das Gebot. Endlich setzt der Ausdruck ^"isaia „in deinen Thoren" d. h. in den Städten und Flecken deines Landes, die Ansässigkeit des Volks schon voraus. Es ist auch noch darauf aufmerksam zu machen, dass die beiden Hälften des Dekalogs sehr ungleich an Umfang gewesen sein würden, wenn alle diese Beigaben ursprünglich dazu gehört hätten. Zieht man dagegeu diese Beigaben ab, so bleiben 10 Worte in knappster Fassung von fast gleichem Umfange, welche auf 2 Steintafeln geschrieben sich vorzustellen, keine Schwierigkeit macht. Andererseits tragen diese Zusätze innere Zeichen eines sehr hohen Alters und sind (cf. K n o b e l s Kommentar zu Ex. ed. D i l l m a n n

Die fortlaufende Bedeutung des Dekalogs in der christlichen Kirche.

41

p. 201) auch durch die vielfach übereinstimmende Wiedergabe im Ex. und Dt. als alt bezeugt. „Man hat deshalb anzunehmen, dass sie oder wenigstens ein guter Theil davon schon in ältester Zeit theils im mündlichen Vortrag bei dem Unterricht des Volks, theils in den Abschriften des Zehnworts, deren manche vorhanden gewesen sein müssen, mit dem eigentlichen Zehnwort verbunden waren." Als Analogie hierzu weise ich auf den im Ev. Matthäus dem Unser-Vater hinzugefügten Schluss hin, dessen Ursprung in dem liturgischen Gebrauche des Herrngebetes zu suchen sein wird. Für die weitere Untersuchung ist noch festzustellen, dass bei Gebrauch des Dekalogs innerhalb der christlichen Kirche diese Beigaben jederzeit als integrirende Bestandtheile des Dekalogs behandelt worden sind. Dass der Dekalog seinen Namen mit Recht trägt, d. h. dass die am Sinai gesprochenen Worte grade 10 sind, ergiebt sich aus Dt. 4, 13 verglichen mit 5, 19; 10, 4 und Ex. 34, 28, sowie aus der Thatsache, dass in ältesten Zeiten die Zusammenordnung von Gesetzen nach Dekaden und Pentaden üblich gewesen ist. Wie aber die 10 Worte zu zählen sind, d. h. wie der Dekalog einzutheilen sei, ist uns in der Bibel nirgends angegeben und der Streit darüber dauert bis in die Gegenwart. Wir werden wiederholt auf diesen Streit zurückkommen müssen, weil sich merkwürdigerweise an die Verschiedenheit der Zählung der Gebote nicht zu unterschätzende Bewegungen in der christlichen Kirche geknüpft haben. Diese Erscheinung ist um so merkwürdiger, weil Uber die Eintheilung unter den Juden niemals ein Streit gewesen ist. Freilich ist die früheste uns bekannte Eintheilung erst die des Philo (geb. 20 v. Chr.). In der Schrift: Quis rerum divinarum heres? § 35 sagt derselbe, der Dekalog sei gleichmässig in zwei Fünfreihen eingetheilt, wovon die erste die Pflichten gegen Gott, die zweite die Pflichten gegen die Menschen enthalte 1 ). Er wiederholt diese Eintheilung in der Schrift de decalogo § 122), wobei er 1) „zliaiQidig xaia,

2) „II xoOfjog ' ntgl TOV

FJ£V

fiiv

lO.oi neviäg

fiiäg

yovtTs,

ovv

auelvtov x«l

hil

/UTAITIW

ygcupijg

TT\V

oi FJ.ifiovfj.evoi

roiääe xal

agyrjv

rrjv ixeivov

anayogevoeig

negieyei,

D e d e c a l o g o § 12.

tji', negl

&eov • ntgl

Uia

'^ov

ngoTiga

xal

ra Tigög Otuv

uovagyiag,

TOV

y uovuoytnui yeigoxfirfloiv

TT]V legav

exartgov

xal

afitpoT^gtov

naxigu

xal

TIOIT]TT]V

ipvaiv

yevviüai

uotysimv,

äi-

Quis d i v . rer. h e r e s ? § 35.

ovv6X