Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 7 [Reprint 2022 ed.] 9783112686348


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German Pages 108 [116] Year 1887

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Table of contents :
Inhalt
Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik
Luther und Melanchthon
Die neutestamentliche Lehre vom Lohn
Ein interessanter Fund aus dem Archiv der evangelischen Gemeinde zu Emmerich
Eine Cabinetsordre des Grossen Churfürsten aus dem Jahre 1675
Thesen der General-Versammlungen
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Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 7 [Reprint 2022 ed.]
 9783112686348

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Theologische Arbeiten aus dem

rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein.

In Gemeinschaft mit den übrigen Vorstands-Mitgliedern: D. F a b r i , Prof. D. Kamplianscn, Konsistorialrat Prof. D. Knifft, Konsistoriiiirat Prof. D. Mangold, Pfarrer Sänger, Lic. Dr. Thöncs,

herausgegeben von

D. Fr. Evertsbusch, Präses der rhoin. Prov.-Synode und Suporintondent in Lennop.

Siebenter Band.

Bonn, E d u a r d Weber's

Verlag

(Julius Flittner). 188G.

I n h a l t . Seite

1.

Prof. D. K a m p h a u s e n ,

Bemerkungen

zur

alttestament-

lichen Textkritik

1

2.

Prof. D. M a n g o l d , Luther und Melanchtlion

3.

Lic. N e v e l i n g , die neutestamentliche Lehre vom Lohn

4.

Yielhaber,

ein

interessanter

Fund

37

aus dem Archiv

. zu

Emmerich 5.

Vielhaber,

91 eine Cabinetsordre

des

Grossen

Churfiirsten

aus dem Jahre 1675 6.

57

93

Die Thesen zu den auf den bisherigen Jahresversammlungen des Vereins gehaltenen Vorträgen

94

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik. Von

Adolf Kamphaasen. 1. Lic. Dr. C a r l Heinrich C o r n i l l , ausserordentlicher Professor der Theologie an der Universität Marburg, hat uns kürzlich mit einer kritischen Arbeit über eines der schwierigsten Prophetenbücher beschenkt, deren Titel lautet: „Das Buch des Propheten Ezechiel, herausgegeben von C. H. Cornill. Leipzig, J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung. 1886." Es ist jetzt nicht meine Absicht, diesen jedenfalls in mancher Hinsicht werthvollen Beitrag zur Philologia sacra eingehend zu besprechen, weil ich dafür später in einer gelehrten Fachzeitschrift eine geeignetere Stelle zu finden hoffe. Wohl aber möchte ich die Leser dieser „Theologischen Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein" schon mit fliesen Zeilen zu fleissigem Studium des Cornill'schen Buches ermuntern, welches für ein tieferes Verständniss des Propheten Ezechiel gewiss nicht ohne gute Frucht bleiben wird. Die Absicht des Verfassers war, das Buch Ezechiels so zu bearbeiten, wie ein geschulter klassischer Philologe einen griechischen oder lateinischen Autor herausgeben würde, und er hegt die wohlbegründete Ueberzeugung, „dass es sich hier nicht um kleinliche Wortklaubereien bandelt, sondern dass wir, auch wenn wir dem Buchstaben unsere Mühe und unsere Sorgfalt zuwenden, doch für den Geist schaffen." Auf die lehrreichen P r o l e g o m e n a , worin die Bedeutung der bekanntlich fast ausschliesslich in den alten Uebersetzungen uns vorliegenden Hiilfsmittel zur Erkenntniss des ursprünglichen Textes eingehend erörtert wird, folgt von S. 178—515 der dreitheilige eigentliche Körper des Buches, oben auf der linken Seite der unpunktirte hebräische Text, welchen wir als d e n d u r c h d i e k r i t i s c h e n O p e r a t i o n e n h e r g e s t e l l t e n urThenl. Arbeiten. VIT.

1

2

Kamphausen:

s p r ü n g l i c h e n T e x t unseres Prophetenbuches betrachten sollen, oben rechts eine sorgfältige deutsche Uebersetzung desselben, endlich immer unten auf beiden Seiten der reichhaltige, in schöner Form dargebotene und die oft sehr werthvollen Ergebnisse langer gelehrter Studien knapp zusammenfassende kritische Apparat, dessen Siglen uns S. XI f. in vier Spalten erklärt werden. Bei weiten am ausführlichsten behandelt Cornill die unter dem Namen LXX bekannte alexandrinisch-griechische Uebersetzung (S. 13 —103), welche mit Recht allgemein nicht nur als die älteste, sondern auch als die wichtigste unter allen alten Versionen gilt. Nach Besprechung der Uncial- und Minuskelhandschriften, der Tochterübersetzungen, unter welchen die äthiopische besonders eingehend behandelt wird, endlich der Citate bei Kirchenvätern, deren grosser Mangel an Genauigkeit ganz unbestreitbar ist, geht der Verfasser zu der Vertheilung des die LXX betreffenden Materiales in Recensionen über. Auf Grund der sehr deutlichen Aeusserungen des Hieronymus, der in diesen Dingen ein unverwerflicher Zeuge ist, hat Paul de Lagarde, der bedeutendste Forscher auf dem Gebiete des griechischen Alten Testaments, die Dreizahl der offiziellen, in der alten Kirche anerkannten Recensionen der LXX betont. Es handelt sich für Antiochien und Constantinopel um die Recension des Lucian, deren Bearbeitung de Lagarde schon weit gefördert h a t f ü r Alexandrien und Aegypten um die Recension des Hesychius, endlich für Palästina um die Reeension des Eusebius und Pamphilus. Nun hat Cornill die interessante Ansicht gewonnen, dass der als B bezeichnete berühmte codex Vaticanus zum Zwecke der Herstellung der echten L X X aus der Hexapla des Origenes, d. h. aus der LXXcolumne derselben, entnommen oder ausgezogen sei. Es wäre allerdings merkwürdig, wenn die drei alten Fundamental-Ausgaben der L X X (vgl. Bleek's Einleitung in das A. T. 3 787 f.), wie Cornill vermuthet, im Grossen und Ganzen den genannten drei Recensionen entsprechen sollten, die editio Complutensis der Recension Lucians, die Aldina derjenigen des Hesychius, die editio Sixtina oder Vaticana der nach Eusebius und Pamphilus benannten Textrecension.

1) Vgl. den 1883 zu Göttingen erschienenen Band ,,Librorum Veteris Testamenti oanonieorum pars prior Graece Pauli de Lagarde studio et sumptibus edita", wo auf S. XIII die oben berührten Zeugnisse des Hieronymus abgedruckt sind. Ausserdem verweise ich auf Wellhausens Ausführungen in Bleek's Einleitung 4 590 ff. oder 5 547 ff.

3

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

Es ist ein schwieriges Geschäft, aus der Menge der Uberlieferten Lesarten den T e x t der echten L X X

zu ermitteln.

Wollten w i r nun

auch zugeben, dass dies Cornill in der R e g e l gelungen sei, so sind doch, wenn die L X X

als textkritischer Z e u g e w i r k l i c h fruchtbar ge-

macht werden soll, noch z w e i w e i t e r e schwierige F r a g e n zu erledigen. Ich w i l l sie kurz erwähnen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass ohne Hülfe des hebräischen Urtextes in unzähligen Fällen die griechische Uebersetzung weder verstanden noch kann.

Die e r s t e F r a g e

richtig gewürdigt werden

betrifft die Möglichkeit, dass aus dem als

echt ermittelten T e x t e der L X X

die hebräische V o r l a g e des alexan-

drinischen Uebersetzers gewonnen werde. Vernünftiger

diese

Möglichkeit

Nicht, als ob irgend ein

schlechterdings

leugnete.

Für

das

Buch Ezechiel gebe ich gerne zu, dass sie oft und in grossem Maße vorhanden

ist.

Dennoch kann ich den hohen Grad von Sicherheit,

womit Cornill, dem d i e a b s o l u t e T r e u e des alexandrinischen Uebersetzers feststeht, aus dem griechischen T e x t seine hebräische V o r l a g e meint erschliessen zu dürfen, schon darum nicht überall als gerechtfertigt anerkennen,

weil

mir

der Abstand aller Uebersetzungen von

ihrem Originale als ein so grosser erscheint, dass keine Uebersetzungskunst

ihn vollständig überbrücken kann.

W i e sehr Cornill (S. 100)

auch im Rechte ist, wenn er im griechischen Ezechiel zahlreiche Ausdrucksweisen findet, „ b e i denen j e d e m Hellenen die Haare zu Berge stehen mussten",

so fehlt es doch auch nicht an Abschnitten

oder

Stellen, „in welchen

sich durchweg

eine f r e i e r e Uebersetzungsweise

bemerklich macht".

Einigermassen

w i r d also auch für den griechi-

schen Ezechiel

gelten, was

ich in der Jenaer Literaturzeitung 1876

S. 170 über die Bedeutung des Hieronymus für die alttestamentliche Textkritik müssen

bemerkt

zwischen

setzung wirklich immer decken.

habe,

der

scharf

unterscheiden

hebräischen V o r l a g e und dem

dass

wir

nämlich

in der Ueber-

ausgedrückten T e x t e ,

weil

beide

sich keineswegs

Gesetzt aber auch, die Herstellung

der

hebr. V o r -

lage aus der Uebersetzung w ä r e vollkommen gelungen, so erhebt sich noch die schwierige z w e i t e F r a g e , ob w i r ein Recht haben, diesen, w i e Cornill (S. 102) meint, „ v ö l l i g

zuverlässigen Zeugen für den im

dritten vorchristlichen Jahrhundert zu Alexandrien schen

Text"

für

identisch mit

dem T e x t e

selber

zu halten und fast überall,

des

gelesenen hebräi-

Propheten

Ezechiel

w o sich eine A b w e i c h u n g

griechischen von dem üblichen jüdischen

T e x t e zeigt,

dieses

welchen

wir

mit M T als masorethischen T e x t bezeichnen, dem Griechen den V o r zug zu geben.

Ich bin weit davon entfernt, den von der

Synagoge

4

Kamphausen:

der Kirche überlieferten hebräischen Text mir durch die Dogmatik als einen zuverlässigen verbürgen zu lassen; aber so mangelhaft, als der MT Cornill und manchen tüchtigen Gelehrten erscheint, welche die Bedeutung namentlich der LXX m. E. sehr überschätzen, kann ich den offiziellen Text nach meinen bisherigen Studien unmöglich finden. 2. Zum Beleg dafür, wie tief die höhere oder geringere Schätzung der LXX in die niedere und auch in die höhere Kritik des alttestamentlichen Grundtextes eingreift, sei mir ein Hinweis auf die Bücher Jeremia und Samuel gestattet. Was das B u c h J e r e m i a betriift, so waren die starken Abweichungen der L X X vom MT schon dem Origenes und Hieronymus wohlbekannt. Es begreift sich, dass man lange Jahrhunderte hindurch dem von der Kirche angenommenen MT als der Hebraica veritas unbedingt folgte und jene Abweichungen als unberechtigt ansah, mochte man nun die Schuld nur dem Uebersetzer zuschreiben, oder auch schon der mangelhaften Beschaffenheit seiner hebräischen Vorlage. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts (vgl. ßleek 3 488 ff.) fingen einzelne Gelehrte an „einen entschiedenen Vorzug der Alexandrinischen Kecension zu behaupten", wie Bleek sich ausdrückt, der nach meiner Ueberzeugung eine irrige Wahl trifft, indem er sich im Grunde mit Movers und Hitzig auf die Seite der LXX stellt, wenn er auch mit vollem Rechte von der scheinbar orthodoxen Vertheidigung der vollen Integrität des MT nichts wissen will. Ich habe in meinen Anmerkungen zu Bleek 3 487. 489 mich unbedingt mit Ewald und Graf für den grösseren Vorzug des MT ausgesprochen, und noch entschiedener hat Wellhausen bei der Uebernahme meiner ersten Anmerkung in die vierte Auflage von Bleek's Einleitung Ewald's Behandlung des Verhältnisses der hebräischen Textgestaltung des Buches Jeremia zur griechischen als eine musterhafte bezeichnet. Da meine zweite Anmerkung in Bleek 4 377 ebenfalls Aufnahme und dabei keinen Widerspruch Wellhausen's gegen G r a f s Urtheil gefunden hat, so will ich meine Worte hier wiederholen und durch einige Mittheilungen aus dem werthvollen Buche „Der Prophet Jeremia, erklärt von K. H. Graf, Prof. an der Königl. Landesschule zu Meissen. Leipzig 1862" noch verdeutlichen und verstärken. Zu der Mittheilung Bleek's, dass Ewald, der überwiegend dem MT den Vorzug gebe, doch „nicht selten die ursprünglichere Lesart in der LXX erhalten glaubt", machte ich die Anmerkung: Dass das hie und da der Fall ist, leugnet auch der neueste Erklärer unseres Buches (gemeint ist der schon früher erwähnte G r a f ) nicht; dagegen

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

5

ist G r a f , der mit der günstigsten Meinung (vgl. sein Vorwort S. IX) in Betreff der LXX die Untersuchung begann, zu dem Ergebnisse gekommen (S. LI), „dass die von dem griechischen Uebersetzer dargebotene Textgestalt eine aus dem uns hebräisch erhaltenen Texte in viel späterer Zeit entstandene verstümmelte und verderbte ist". — Der 1869 gestorbene Elsässcr Graf, an dessen Namen sich die neuere Pentateuchkritik noch mehr angelehnt hat, als an den seines Lehrers Ed. Reuss, spricht sich in seinem Kommentare Uber das Buch Jeremía S. X L I I I f . also aus: »Der von dem alexandrinischen Uebersetzer dargebotene Text erweist sich als ein wesentlich kürzerer, denn ungefähr 2700 Wörter des masorethischen Textes, etwa der 8te Theil des Ganzen, sind darin nicht ausgedrückt, während andererseits die hie und da vorkommenden Zusätze zu demselben sehr unbedeutend sind. Indem wir nun zunächst es dahin gestellt sein lassen, ob der Alexandriner einen ihm vorliegenden hebräischen Text wortgetreu übersetzt habe oder nicht, also die Möglichkeit eines solchen vom MT abweichenden Textes annehmen, haben wir zu fragen: Erscheint der MT als ein aus dem alexandrinischen durch Zusätze, Erweiterungen Glossen entstandener verlängerter, oder der alexandrinische Text als ein aus dem uns hebräisch vorliegenden durch Weglassungen und Abkürzungen entstandener verkürzter Text, ist also der masorethische oder der alexandrinische der ältere ? Ueberall in dem ganzen Buche kommen gewisse stehende oft wiederholte Formeln und Redensarten vor, welche häufig da, wo sie im hebräischen Texte stehen, im griechischen fehlen; so fehlt: n'm j h v h 1 ) 64mal, von dem häufigen: jhvh sb'vt oder: jhvh sb'vt 'lhj jsr'l ist gewöhnlich blos: jhvh ausgedrückt, und das Wort: sb'vt fehlt 56mal; ebenso fehlt oft das zur Einführung einer neuen Gedankenreihe dienende: k h ' m r j h v h . In der Geschichtserzählung ist im hebräischen Texte regelmässig den Namen der handelnden Personen auch der Name des Vaters als dazu gehörend beigefügt; dieser fehlt in LXX oft, und so ist bei dem von C. 20 an häufigen: jrmjhv hnbj' der Titel: hnbj' gewöhnlich weggelassen; der Name Nebukadnezar, der im hebr. Texte 36mal vorkommt, fehlt bei LXX 23mal, so dass hier nur d e r K ö n i g v o n B a b e l i m allgemeinen

1) Ich erinnere an die in meinem früheren Aufsatze für diese Theologischen Arbeiten (Elberfeld 1874, S. 1) gewählte Transscription des hebr. Alphabets : '-, b, g, d, h, v, z, h, t, j, k, 1, m, n, s, f, s, q, r, s, s, t. Die Vocale ergänzt sich der Leser leicht; dagegen zeigt ein Doppelpunkt immer an, dass nun hebräische Consonanten folgen.

6

Kamphausen:

genannt ist. So nahe es nun liegt, dass ein Späterer die sich immer wiederholenden und doch für den Inhalt gleichgültigen Formeln, die immer wieder hinzugefügten Vaternamen oder Titel, nachdem j a doch einmal die Personen genau bezeichnet worden waren, den allgemein bekannten Namen des Königs von Babel als unnütz wegliess, so undenkbar ist es, dass ein Späterer alle diese Formeln und Bezeichnungen, wenn sie nicht ursprünglich da standen, erst überall hinzugefügt habe; oder soll man wirklich glauben, ein späterer Abschreiber oder Ueberarbeiter habe z. B. Kp. 40 ff. sich die überflüssige Mühe gemacht, dem Namen G e d a l j a immer wieder S o h n A c h i k a m ' s oder S o h n A c h i k a m ' s , d e s S o h n e s S a p h a n ' s , dem Namen J o h a n n a n das S o h n K a r e a c h ' s beizufügen, oder habe 20,6 zu: 'th noch den Namen: pshvr hinzugesetzt, der doch ganz wohl fehlen konnte ? Es wäre gar nicht zu erklären, wie ein Ueberarbeiter es über sich gewinnen konnte, den ohnehin breiten Stil Jeremia's durch entbehrliche Zusätze noch breiter und schleppender zu machen. Im MT kommen viele synonyme und pleonastische Ausdrücke und Sätze vor, welche oft in LXX nicht vorhanden sind; der Grund zu einer Weglassung des als überflüssig Erscheinenden ist überall leicht zu erkennen. Aus der grossen Zahl von Beispielen mögen nur einige wenige angeführt werden. Wenn von vier Verben, die das Zerstören bezeichnen, in LXX 1, io nur drei, in 31,28 nur zwei ausgedrückt sind, was konnte einen Späteren veranlassen, zu den vorhandenen und vollkommen genügenden zwei oder drei Verben noch ein drittes und viertes hinzuzusetzen? Wir lesen 12,3: „Du aber, Jahwe, kennest mich, (siehest mich und) prüfest mein Herz gegen dich; (reisse sie weg wie Schafe zum Schlachten und) weihe sie zum Tage des Würgens"; hier fehlen in LXX die in Parenthese eingeschlossenen Worte: der Sinn wird durch ihr Vorhandensein in nichts geändert oder erweitert, wohl aber wird durch ihre Weglassung der Parallelismus zerstört." Wer diese Bemerkungen G r a f s zum Buche Jeremia erwägt, der wird auch im Buche Ezechiel, obgleich ein anderer Alexandriner dieses ins Griechische übersetzt hat, bei Stellen des MT, welche in LXX nicht ausgedrückt sind, sich ernstlich fragen müssen, ob hier nicht Weglassungen des vom Propheten wirklich Geschriebenen vorliegen. Ein*'solcher Fall liegt nach meiner Ueberzeugung Ez. 24,16 wirklich vor, wo Cornill im MT „eine matte prosaische Glosse" in den Schlussworten mit Unrecht findet. Wir lesen in der zweiten Hälfte von Kp. 24, dass Ezechiel, dem Gott die Lust seiner Augen, d. h. sein

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

7

Weib (Vs. 18), durch plötzlichen Tod nehmen wird, sich aller Aeusserungen der Trauer enthalten soll, damit der Prophet (Vs. 24) dem Volke als Vorzeichen diene; so entsetzlich wird der bevorstehende Untergang Jerusalems und des Tempels das Volk treffen, dass die gewöhnlichen Aeusserungen der Trauer ganz unterbleiben, weil sie doch den tiefen Seelenschmerz nicht genügend ausdrücken könnten. Davon will ich jetzt nicht sprechen, dass der Grieche schon in Vs. 16 durch ein grobes Missverständniss in der Lust der Augen Jerusalem erblickt und demgemäss den Tod des Weibes aus Vs. 18 weggeschafft hat. Es freut mich, dass Cornill der Versuchung, Ezechiels Weib zu tilgen, widerstanden hat, weil die Ausdrücke in Vs. 17 ganz bestimmt auf die Trauer um einen gestorbenen Menschen hinweisen. Nur glaube ich nicht, dass ein blosser Schreibfehler, der sich in Vs. 18 der Vorlage des Griechen eingeschlichen hätte, die Tilgung von Ezechiels Frau verschuldet hat, da LXX schon in Vs. 16 das Wegnehmen der Augenlust nicht „durch eine Plage", wie Luther richtig Ubersetzt, sondern ev itapataSei geschehen lässt, also deutlich unter der Augenlust Jerusalem versteht. Es kommt mir jetzt nur darauf an, die Schlussworte von Ez. 24, i6 als echtes Gut unseres Propheten zu erweisen. Lesen wir diesen Vers in Luther's Uebersetzung: „Du Menschenkind, siehe, ich will dir deiner Augen Lust nehmen durch eine Plage. Aber du sollst nicht klagen noch weinen, n o c h e i n e T h r ä n e l a s s e n " , so erscheinen uns allerdings die letzten, von mir durch den Druck hervorgehobenen und in L X X fehlenden Worte leicht als ein müssiger Zusatz, zumal da in Vs. 23 lediglich das Klagen und Weinen verneint wird. Ja, Cornill sieht hier nicht nur eine matte prosaische Glosse, sondern findet auch den sprachlichen Ausdruck in diesem vermeintlichen Zusatz s o n d e r b a r , also bedenklich, fast als wenn die z. B. in Bunsen's Bibelwerk gewählte Uebersetzung „und keine Thräne soll dir kommen" dem Hebräischen des MT ganz genau entspräche. Die genaue Uebersetzung lautet etwa: „und nicht soll kommen dein Tropfen". Die weibliche Form: dm'h bedeutet, wie Böttcher in seinem Lehrbuch der hebr. Sprache § 632 a) richtig sagt, das Augengeträufel, die männliche: dm', welche sich nur Ex. 22, 28 findet, das Keltergeträufel, so dass hier (2 Mos. 22, 29) die Probebibel Luther's „Thränen" durch „Saft" ersetzt hat. Die weibliche Einzahlform für den Thränenguss wechselt frei mit der hebräischen Form der Mehrzahl (vgl. Ps. 80,«; KL. 2, 11), ähnlich wie sich dies bei dem sinnverwandten hebr. Wort für „Seufzen" (vgl. Ps. 6, 7; KL. 1, 22) findet, während wir dafür von Thränen in der Mehrzahl sprechen. Nach

8

Kamphausen:

Ftirst's Concordanz findet sich die Mehrzahl von: dm'h nur an den beiden angeführten Stellen, die gebräuchliche Einzahlform ausser Ez. 24, i6 nur noch an zwanzig Stellen. Bei der Geringfügigkeit dieser Zahl ist's wahrlich nicht auffallend, dass ein Kommen oder Eintreten nur an unserer Stelle von: dm'h ausgesagt ist. Das kann doch nicht sonderbarer sein, als Hiob 3,24 die Verbindung von S e u f z e n mit k o m m e n ; vgl. auch im Hebräischen Spr. 11, 2 oder Gen. 41, u ; 2 Chron. 7, 11. Muss also für den hebr. Schluss von Ez. 24, 16 alle sprachliche Schwierigkeit entschieden geleugnet werden, so gilt nunmehr dasselbe von der behaupteten sachlichen Schwierigkeit, welche nur dann vorläge, wenn für das hebräische Sprachgefühl das Weinen mit den Thränen völlig zusammenfiele und dadurch eine schwer erträgliche Tautologie entstände. Wie wenig das aber der Fall ist, beweist der Umstand, dass dem Hebräer leicht das Weinen eine Sache der S t i m m e ist, während die Thränen dem A u g e angehören, vgl. ausser Gen. 27, 38 und Jer. 13,17 z. B. Jer. 31,16, wo es heisst: „Wehre deiner Stimme das Weinen und deinen Augen die Thränen." Es ist also geradezu schön, wenn Ezechiel auf das Versglied „Und du sollst nicht klagen noch weinen" das andere folgen lässt: „noch deine Thränen fliessen lassen", während Cornill durch Bevorzugung der LXX den ursprünglichen MT ebenso zerstört, als dies die abkürzende Vulgata mit ihrer Uebersetzung „Et non planges neque fluent lacryniae tuae" in anderer Weise thut. Cornill meint, bei einem Minus des Griechen dem MT gegenüber dürfe mit Sicherheit angenommen werden, dass er die betreffenden Worte in seiner hebr. Vorlage nicht gelesen habe. Für die Frage nach dem echten Gut des Ezechiel ist's gleichgültig, ob erst der Grieche oder schon seine Vorlage der Verunstaltung des echten Prophetentextes schuldig befunden wird. Mit Recht behauptet Cornill (S. 101), dass das Plus des Griechen Ez. 24, u schon in seiner hebr. Vorlage stand, und spricht dennoch (S. 332) diesem Zusätze die vielfach behauptete Abfassung durch den Propheten selbst mit guten Gründen ab. 3. Nachdem wir beim Buche Jeremia einige für den Sinn nicht gerade schwer in's Gewicht fallende Differenzen zwischen MT und LXX besprochen haben, welche mehr dem Gebiete der niederen Kritik angehören, wollen wir jetzt aus dem S a m u e l b u c h e 1 ) einige Bei1) Die von Gliedern der Oxforder Universität herausgegebenen S t u d i a b i b l i c a (Oxford 1885) enthalten einen Aufsatz von F. H. Woods über das Licht, welches die LXX über das Samuelbuch verbreite, sind mir aber leider noch nicht zugänglich geworden.

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

9

spiele auswählen, welche stärker mit der sogenannten höheren Kritik zusammenhangen, und zwar zunächst die E r z ä h l u n g v o n d e r ers t e n B e k a n n t s c h a f t D a v i d s m i t d e m S a u l . Die 1 Sam. 18,« ff. erzählte Entstehung der Feindschaft des Königs Saul gegen David setzt eine längere Bekanntschaft beider mit einander voraus, über deren Beginn uns die erste, bis 2 Sam. 8 sich erstreckende alte Davidsgeschichte in 1 Sam. 16, u—23 ganz anders berichtet, als die Kp. 17, 1 ff. vorliegende und unzweifelhaft jüngere Goliathserzählung die Sache darstellt. Ich glaube nicht, dass die Erzählung von Goliath zu den jüngsten Bestandteilen des ersten Buches Samuelis gehört. Mit Recht behauptet Wellhausen, dass der Abschnitt IG, 1 —13, welchcr Davids Salbung berichtet, von der nach 17, 28 seine Brüder offenbar keine Ahnung haben, noch jünger als Kp. 17 sein muss, und erblickt z. B. in 16, 12 (vgl. Bleek 4 § 106) Abhängigkeit von 17, Auch die Erwähnung des Ephod in 1 Sam. 21,10 (vgl. Rieht. 8,25 ff), sowie die richtige 1 ) Erklärung des Namens: jhvh sb'vt (17, «) als Gott der Schlachtreihen Israels verbürgt uns, dass die Erzählung von Davids Sieg über Goliath geraume Zeit vor dem Untergang des Reiches Juda niedergeschrieben sein muss. Nun besteht noch eine bekannte Schwierigkeit in der Notiz 2 Sam. 21, 19, wonach Elhanan, der Bethlehemiter, den Goliath schlug, wofür wir l Chron. 20,5 mit verhältnissmässig geringer Abweichung der hebräischen Consonanten lesen, dass der unter Davids Leuten genannte Elhanan den Lahmi, den Bruder des Goliath, schlug. Hengstenberg nimmt in seiner Geschichte des Reiches Gottes unter dem Alten Bunde auf 2 Sam. 21,19 ebenso wenig Rücksicht, als dies der alte Buddeus in seiner Kirchengeschichte des A. T.'s nöthig fand. Für die frühere orthodoxe Auslegung, welche in Ps. 18 und 2 Sam. 22 zwei von David selbst besorgte Textausgaben erblickte, war j a die Annahme zweier gleichzeitiger riesiger Gathiter Namens Goliath ohne alle Schwierigkeit. Heute müssen wir entweder in 2 Sam. 21,19, wofür ich mich in den Theol. Studd. u. Kritt. 1882, S. 117 f. mit vielen Auslegern entschieden habe, den ursprünglichen Text finden, beim Chronisten dagegen nicht bewusste Textfälschung, sondern eine vermeintliche Emendation, oder wir müssen mit A. Köhler (Lehrbuch der Biblischen Geschichte A. T.'s II, S. 195) die Textgestalt in der Chronikstelle für die ursprüngliche halten. Im letzteren Falle käme die Annahme, dass dem Chronisten in 2 Sam. 21, 10 der jetzige

1) Vgl. Kautzsch in Stade's Zeitschrift für die alttest. Wissenschaft 1886, S. 20fif.

10

Kamphausen:

MT noch nicht vorgelegen habe, wesentlich auf dasselbe hinaus, wie die Vermuthung, der Chronist habe aus dem verderbten T e x t e durch glückliche Emendation das Ursprüngliche wiederhergestellt.

W e r an

dem Goliathsbruder Lahmi keinen Anstoss ninmit, wird natürlich mit Köhler annehmen, dass der Chronist den richtigen T e x t vorfand, wie er uns z. B. 2 Chron. 10,2 die richtigen Worte „kehrte er aus Aegypten zurück" statt des in 1 Kön. 12,2 verderbten Textes „blieb er in Aegypten" erhalten

hat.

WTie unberechtigt

mir übrigens

die Voraus-

setzung Köhler's auch erscheinen mag, der Verfasser unseres Samuelbuches habe sich keine eclatanten Widersprüche zu Schulden kommen lassen, so muss ich ihm doch darin Recht geben,

dass der Zustand

des Textes in den Notizen am Schluss von 2 Sam. 21 kein sonderliches

Vertrauen

einflösst.

Auch

ist

die

dass in der späteren Zeit von Davids

Vorstellung

abzuweisen,

Königthum über

Gesammt-

israel die Helden Davids, der als König allein von Juda geradezu Vasall

war,

hätten;

noch

mit

den Philistern

vgl.* meinen Aufsatz

vids" in Stade's Zeitschrift

Kämpfe

zu

bestehen gehabt

„Philister und Hebräer für die

zur

alttestamentliche

Zeit

Da-

Wissenschaft.

1886, S. 43—97, besonders S. 59 f. Es ist jetzt nicht meine Absicht,

zu untersuchen,

zählung von 1 Sam. 17 irgend eine von der Sage Thatsache zu Grunde liege.

ob der Er-

ausgeschmückte

Zur Hebung der geschichtlichen Schwie-

rigkeit genügt mir die Annahme Riehm's (Handwörterbuch, s. v. Elhanan) keineswegs,

dass die spätere Ueberlieferung,

wenn auch nicht

die ganze Heldenthat von Elhanan auf David, so doch den N a m e n des von

Elhanan

erlegten

Goliath

auf

den

von

David

besiegten

Philisterriesen, dessen Name ihr unbekannt gewesen sein soll, übertragen habe. der

Darauf fällt das Hauptgewicht,

ersten Bekanntschaft Davids

dem ihr widersprechenden

mit Saul

dass die Vermittlung

durch die

und zugleich durchaus

Goliath-Sage

glaubwürdigen

1) Ich halte es nicht einmal für nöthig, mit Stade (Geschichte des Volkes Israel, S. 224 Anm. 2) die Schlussworte von 1 Sam. 16, 19 „der bei den Schafen ist" für den Zusatz eines Harmonisten zu erklären, der damit den Kriegsmann David und den jugendlichen Hirtenknaben zusammenflicken wolle.

Da wir für

die in 1 Sam. 16—31 erzählten Geschichten einen Zeitraum von 5 Jahren mit Köliler (II S. 182) genügend erachten dürfen, so kam David (vgl. 2 Sam. 5, d) etwa im Alter von 25 Jahren an den Hof. über sein Alter gar nichts.

Die Schlussworte von 16, 19 sagen

Die Stelle 2 Sam. 7, 8 sieht nicht auf 1 Sam. 17

zurück, wenn sie den David hinter der Heerde weg von Gott berufen werden lässt, sondern auf 16, 19.

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

11

Bericht 1 Sam. 16, u—23 gegenüber ungeschichtlich heissen muss. Wie richtig aber auch Wellhausen § 106 sagt: „Handelt es sich um die Wahl zwischen 16, u -23, wo David als fertiger Mann zu Saul in Beziehung tritt, und 17, 1—18, s, wo eine legendarische Jugendgeschichte darüber erzählt wird, so kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein", ebenso sicher ist's, dass die schwerlich vor 18, 0 uns wieder begegnende alte Davidsgeschichte hinter 16,23 etwas erzählt haben wird (Bleek 4 § 107) „über die Lorberen, die David sich im Kampfe gegen die Philister erwarb; sonst würde sich der Triumphgesang der Weiber und Sauls Eifersucht nicht erklären." Der Abschnitt 17, 1—18,5 hat eir en andern verdrängt, worin erzählt war, wie David, der schon als tüchtiger Kriegsmann (16, is), um den schwermüthigen Saul durch sein Saitenspiel zu erheitern, an den königlichen Hof berufen wurde, infolge neuer und glänzender Bewährung seiner kriegerischen Tüchtigkeit zu einem Anführer über die Kriegsleute von Saul erhoben wurde. Die Erhebung des liebgewonnenen Waffenträgers zum Anführer (vgl. 18, 5) ist ebenso geschichtlich wie die im Beginn von Kp. 18 erzählte Freundschaft zwischen David und Jonathan, so dass es jedenfalls in dem Abschnitt 17,1 — 18,5 nicht völlig an geschichtlichen Zügen fehlt; aber für die Einführung Davids in die Geschichte kann die wegen ihres didaktischen Inhalts und ihrer schönen Form so werthvolle GoliathSage gar nicht in Betracht kommen, weil sie der 16,14—-23 jene Einführung ganz anders berichtenden Darstellung weichen muss. Der Widerspruch zwischen beiden Abschnitten zeigt sich am deutlichsten darin, dass nach 16, 21 ff. Saul den liebgewonnenen David als seinen persönlichen Diener bei sich behielt, während er nach 17,55—58 den Sieger über Goliath gar nicht kennt. Dieser Widerspruch, welcher sich, wie ich als junger Candidat erfahren habe, sogar kleinen Kindern aufdrängt, musste natürlich von der orthodoxen Exegese weggedeutet werden. Eine der erträglichsten Auskünfte ist noch die Meinung von Buddeus, der mit der Melancholie verbundene genius infernalis habe den Saul so vergesslich gemacht, dass er den David nicht mehr kannte. Ich will hier keine Blumenlese der thörichten Einfälle der Harmonisten geben, sondern nur die klassische Ausflucht Hengstenberg's erwähnen, der uns (II, S. 98) frischweg versichert: „Das Verhältniss Davids am Hofe Sauls war zuerst ein sehr unscheinbares. Zwar wird in C. 16, 21 gesagt, David sei Sauls Waffenträger geworden, a b e r d a m i t h a t t e e s n i c h t v i e l a u f s i c h , da der König gewiss eine sehr große Anzahl solcher Waffenträger

12

Kamphausen:

oder Kämpfer hatte. Joab, ein blosser Feldherr, hatte ihrer zehn. Die Beweise dafür, dass David wenig beachtet wurde, sind 1) dass er vor der Besiegung Goliaths sich nicht bleibend an Sauls Hofe aufhielt, sondern von Zeit zu Zeit zu seinem Vater zurückkehrte und dessen Heerden weidete, C. 17, 15, vgl. mit C. 18, 2, und 2) dass Saul, ;ils David sich ihm als Kämpfer gegen Goliath darstellt, nicht einmal mehr weiss, wer sein Vater, aus welcher Familie er ist, obgleich er ihn selbst wohl kennt. So sehr hat er sich ihm unter der Menge verloren." Es ist eine erfreuliche Thatsache, dass von den meisten neuoren Auslegern unserer Kapitel eine so leichtfertige Harmonistik verschmäht und offen eingestanden wird, dass im biblischen Texte selber die Spuren harmonistischer Thätigkeit, welche einander widersprechende Züge verschiedener Quellen unter sich auszugleichen suchte, unverkennbar vorliegen. Köhler (II, S. 191, Anm. 4) kann sich für seine Ansicht, dass in 1 Sam. 16—18 „Verschiedenheit der Quellenströmung" anerkannt werden müsse, nicht bloss auf evangelische Freunde freier Forschung berufen, wie Ewald, Bleek, Thenius, Schräder, Wellhausen, sondern auch auf den katholischen Theologen Himpel und auf so orthodoxe Protestanten, wie Hävernick, Nägelsbach, Erdmann und v. Orelli sind. Daran fehlt allerdings noch viel, dass über die Quellenscheidung 1 ) in allen Einzelheiten ein volles Einverständniss erzielt wäre. A u f E w a l d ' s (Gesch. 3 III, 97 ff.) künstliche Hypothese, dass in 1 Sam. 17. 1—18, 5 die Bestandtheile von drei früheren Erzählern durch einen vierten zusammengearbeitet seien, gehe ich um so weniger ein, als Ewald die Vertheilung des Stoffes an die 4 Erzähler selbst nicht durchführen konnte. Auch das lasse ich unentschieden, ob dem Harmonisten (Ewald's viertem Erzähler) ausser der alten in 16, 14 -23 benutzten Davidsgeschichte, welche Ewald besonders im Anfang von Kp. 17 wiederfindet, noch m e h r e r e Erzählungen über Goliath in verschiedenen Schriften vorlagen. Natürlich lässt sich mit freier Gestaltung i n h a l t l i c h aus Kp. 17 eine Mehrheit von Goliath-Erzählungen construiren und auch ein Stoff gewinnen, welchen schon der Verfasser von 16, u—23 erzählen konnte. In der Hauptsache jedoch herrscht Einverständniss, sofern alle ge1) Wie leicht man sich darin irren kann, zeigt Köhler, wenn er 17, 19 wegen angeblicher Wiederholung auf eine andere Quelle zurückführt, als auf die, welcher 17,2 angehöre. Die anstössige Wiederholung fällt fort, sobald wir Vs. 19 nicht mit Yulgata und Luther dem Erzähler zuschreiben, sondern ihn als Schluss der Rede des Isai in der Form der Gegenwart auflösen. Diese von Thenius näher begründete Auslegung haben auch Wellhausen und Stade mit Recht gebilligt.

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

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nannten Ausleger behaupten, dass dem Havmonisten eine völlige Verschmelzung nicht gelungen, dass vielmehr Widersprüche zurückgeblieben seien. Der Thatsache gegenüber, dass im echten Texte der LXX grössere Abschnitte des MT von 1 Sani. 17 f. fehlen, und dass durch diese Weglassungen anstössige Widersprüche des hebräischen Samuelbuches schwinden, erhebt sich nun die grosse Streitfrage, ob der durch LXX vertretene kürzere Text der echte, vom Verfasser des Samuelbuches gewollte ist, oder ob wir der L X X Abkürzungen, die aus harmonistischem Interesse entsprangen, zur Last legen müssen. Ich glaube, diese textkritische Frage zu Ungunsten der L X X beantworten zu müssen, werde aber bei der folgenden Auseinandersetzung, indem ich besonders die Ansichten von Köhler und Wellhausen prüfe, vor nicht hieher gehörigem Eingehen auf exegetische und historische Einzelheiten mich möglichst zu hüten suchen. 4. Zunächst bemerke ich, dass in dem echten, nicht interpolirten Text der L X X , wie ihn Tischendorfs Ausgabe nach dem cod. Vat. gibt, vom MT die Stücke 1 Sam. 17,12—31 und 17,55—18,6act (d. h. mit Einschluss der 7 ersten Wörter von Vs. 6) fehlen; vgl. Köhler II, S. 194 und besonders Wellhausen, Der Text der Bücher Samuelis. Göttingen 1871, S. 104, wo sich Proben dafür finden, wie hier dieselben hebräischen Wörter in der echten LXX durch andere griechische Ausdrücke übersetzt sind, als in der aus MT interpolirten LXX, welche Lagarde in seiner noch nicht die echte L X X darbietenden Ausgabe vom J a h r e 1883 wieder zum Abdruck gebracht hat. Köhler, der dem vorexilischen Verfasser des Samuelbuches den eclatanten Widerspruch hinsichtlich der ersten Bekanntschaft des David mit Saul nicht zuschreiben will, befreit allerdings dadurch, dass er 17,12—31. 55—18, eact dem Verfasser abspricht, denselben von diesem Widerspruch, verwickelt sich aber zugleich in nicht geringe Schwierigkeiten. Nennen wir der Kürze halber die vom Verfasser in 16, u—23 benutzte Quelle A und bezeichnen mit B die in Kp. 17 f. erkennbare zweite, nach Köhler dem Verfasser f r e m d e und neben dem kanonischen Samuelbuch herlaufende Quellenschrift, so ist's mit der blossen Tilgung von B nicht gethan. Vielmehr muss Köhler, um seine Hypothese glaublich zu machen, zwei Aufgaben lösen! Zum ersten muss er zeigen, wie der als Harmonist von B verschiedene Interpolator, den wir C nennen wollen, den Widerspruch zwischen A und B im MT ausgeglichen hat, und zum andern muss er darthun, dass nach Tilgung von B und C in Kp. 17 kein eclatanter Widerspruch mit A mehr zurückbleibt. Wir werden sehen, dass Köhler diese zweite Aufgabe

14

Kamphausen:

zu lösen ganz ausser Stande ist, dass also seine Hypothese ihren Zweck, den vorexilischen Verfasser von dem Vorwurfe, aus seinen Quellen einander widersprechende Stücke zusammengestellt zu haben, völlig zu befreien gründlich verfehlt. Besser gelingt Köhler die ihm mit uns gemeinsame erste Aufgabe oder die Nachweisung der Thätigkeit des Harmonisten oder Interpolators, nur dass C für Köhler „vermuthlich einer ziemlich späten Zeit angehört", also ein nachexilischer schriftstellernder Abschreiber ist, der das in der hebräischen Vorlage der echten L X X uns erhaltene Werk des vorexilischen Samuelbuches aus einer fremden Quelle und mit eigenen Zuthaten zum MT erweiterte, während ich mit Ewald und den meisten Auslegern C für den Verfasser des Samuelbuches selber halte. Mit Recht sieht Köhler in dem grammatisch unzulässigen: hzh, welches in 17,12 auf Kp. 16 zurückweist, ein haruionistisches Einschiebsel. Uebrigens ist dies von Luther u. A. gar nicht ausgedrückte Flickwörtchen ebenso entbehrlich als ungeschickt und mag darum erst sehr spät in den MT eingesetzt sein. Sicher ist dagegen, um nur das Wichtigste zu erwähnen, dass wir 17, h1'—16 mit Köhler, Wellhausen u. A. als Einschaltung von C betrachten müssen. Mit gutem Grunde nennt es Wellhausen (Der Text der B. Sam., S. 105 f.) „unnatürlich, dass sich die Scene von 1 Sam. 17,8ff. in der Interpolation (morgens und abends; vgl. Stade, Gesch. S. 226 Anm.) vierzigmal wiederholen muss, damit für das Eingreifen des Hirtenknaben Zeit gewonnen werde, und noch unnatürlicher, dass die Israeliten durch vierzigtägige Erfahrung nicht gelernt hatten, dass es zu keinem Kampfe komme, sondern trotz Allem Vs. 20 doch wieder das Kriegsgeschrei erhoben." Solche Schwierigkeiten mögen dazu beigetragen haben, dass (Ewald 3 I I I 100) „schon alte leser die stücke 17,12—31. 55—18,5 lieber ausliessen; denn sonst findet sich kein wahrscheinlicher grund für ihr fehlen in LXX." Eine weitere derartige Schwierigkeit hebt Köhler gut mit den Worten hervor: „Davon, dass David sich nach 17 , 25 - 27 wissentlich und geflissentlich die Anwartschaft auf die Hand der Tochter Sauls erworben hatte, ist sonst nicht die Rede; j a 18,17ff. zeigt, dass David von solchen Ansprüchen weit entfernt war." Die Geschichten von Samuel, Saul und David, welche die Masse unseres erst sehr spät in zwei Bücher zertheilten hebräischen Samuelbuches bilden, sind aus verschiedenen Quellenschriften geschöpft und „lange vor der deuteronomischen Bearbeitung" (Bleek 4 § 118) mit einander verbunden worden. Dadurch sind wir berechtigt, von einem vorexilischen Verfasser des Samuelbuches zu reden, obgleich dieses

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

15

gleich der Genesis und dem Richterbuche niemals für sich allein existirt hat, wie schon die zur zweiten Davidsgeschichte gehörigen Kpp. 1 Kön. 1. 2 ( ß l e e k 4 § 114) zeigen. Da nun auch darüber Einverständniss herrscht, dass (Stade, Gesch. S. 72) das Samuelbuch der späteren Bearbeitung viel besser Widerstand geleistet hat, als das Richterbuch, so müssen wir vollends mit der Annahme von Spuren „nachkanonischer Diaskeue" im Samuelbuch sehr vorsichtig sein. Es begreift sich leicht, dass der Sauls Alter und Regierungsdauer ungewiss lassende und unübersetzbare Vers 1 Sam. 13, i in L X X cod. Vat. ausgelassen werden konnte; jedenfalls hat Köhler (II, 37f.) diesen Vers, von welchem Wellhausen § 118 sagt: „Die LXX hat ihn noch gar nicht gelesen, so j u n g ist hier die chronologische Redaktion", keineswegs als ein Werk nachkanonischer Diaskeue betrachtet und den letzten vorchristlichen Jahrhunderten zugewiesen. Um so befremdlicher erscheint es mir, dass Köhler für 1 Sam. 17 den Harmonisten, wenn ich II, S. 194 richtig verstehe, in so späte nachkanonische Zeit setzen will. Sehen wir nun zu, ob Köhler seinen Zweck, den A mit B ungeschickt harmonisirenden Schriftsteller C vom Verfasser des Samuelbuches durch Jahrhunderte zu trennen, wirklich erreicht hat. Der Beweis, dass die Ausscheidung von 17, 12 — 31. 55—18, s sich auf Verschiedenheit des hebräischen Sprachcharakters stützen könne, ist nicht einmal versucht worden und müsste sicher misslingen. Auch liegt es am Tage, dass der Verfasser des Samuelbuches, so wenig als andere biblische Geschichtsschreiber bei der Zusammenarbeitung ihrer schriftlichen und mündlichen Quellen, keinen ganz von Widersprüchen freien Stofif hat darbieten können, wie z. B. die Vergleichung der beiden Verse 1 Sam. 9,2 und 13, 2, welche der Verfasser der Saulsgeschichte unbefangen neben einander gestellt hat, deutlich zeigt. Vergeblich sucht Köhler (II, S. 38. 137) der richtigen Behauptung Wellhausen's, die Vorstellung müsse aufgegeben werden, als sei Saul, dem von Anfang an sein Sohn Jonathan zur Seite stand, damals noch ein nicht ganz mündiger Haussohn gewesen, dadurch auszuweichen, dass er Kp. 9,2 das hebräische bhvr in unnatürlicher Weise deutet. Die Berufung auf HL. 5, IS kann j a nimmer beweisen, dass in der schlichten Prosa von 1 Sam. 9 , 2 : bhvr, von Luther unbefangen , j u n g e r Mann" übersetzt, statt der gewöhnlichen Bedeutung „Jüngling" die in einfacher Erzählung niemals vorkommende Bedeutung „erlesen, einzigartig, herrlich" haben werde. Trotz Thenius ist Kp. 9, 2 in dem e l e c t u s der Vulgata keine richtige Uebersetzung, sondern harmo-

16

Kamphausen:

nistische Ausflucht zu erblicken, und auch eü|aefe9riq der LXX scheint der im MT treu bewahrten und weder vom Verfasser der Saulsgeschichte, noch vom Verfasser des Samuelbuches bemerkten Incongruenz der Ueberlieferung mit bewusster Freiheit auszuweichen. In seinem Buche über den Text der Bücher Samuelis vom Jahre 1871 huldigte Wellhausen noch einer allzu günstigen Meinung von der LXX, indem er dieser eine Auslassung aus harmonistischer Tendenz überhaupt nicht zutrauen wollte. Wenn er aber S. 105 Anm. 2 fragte: „Hätte die LXX z. B. 17,55 18,5 bloss des Widerspruchs mit c. 16 wegen ausgelassen, warum Hess sie auch noch 18, e' aus, der ihr doch durchaus passte?" so ist die Antwort wohl nicht schwer zu geben. Die von LXX ausgelassenen ersten 7 Wörter von 18, 6 des MT lauten: vjhj bbv'm, bsvb dvd mhkvt 't-hflstj. Jeder sieht sofort, dass der Verfasser hier zweierlei zusammengeschweisst hat, denn „Und es geschah, da sie kamen (oder: einzogen, heimkamen)" steht auf gleicher Linie mit „Als David zurückkam, nachdem er den Philister erschlagen hatte". Wie die letztere Form der Ueberleitung aus der Goliathsage stammt, so mag die erstere ein Rest aus der Quelle A sein. Auch Stade (Gesch. S. 232) urtheilt richtig, dass vor 18, e von David vollbrachte Heldenthaten erzählt worden sein müssen, welche durch die Einschaltung der Sage von Davids Zweikampf mit Goliath verdrängt worden sind. Nun ist's doch gewiss nicht verwunderlich, dass die LXX oder ihre hebräische Vorlage, wenn sie aus harmonistischem Interesse das Stück bis 18,0 strich, auch die stillosen sieben ersten Wörter von Vs. 6 ausfallen liess und erst mit dem achten Worte: vts'nh, Kai e£fi\0ov wieder einsetzte. Fand doch auch Luther den Anfang von 18,6 so unerträglich, dass er mit der Vulgata die im MT gegebene doppelte Ueberleitung ignorirte und frei übersetzte: „Es begab sich aber, da er wiederkommen war von des Philisters Schlacht". Auch sonst ist die LXX in unsern Kapiteln mit derselben Freiheit verfahren, wenn sie z. B. den Vers 1 Sam. 17,50 ausliess, weil sie ihn mit Stade (Gesch. S. 227 Anm. 2) s t ö r e n d fand oder mit Wellhausen meinte, zuerst müsse die Tödtung des Goliath im Einzelnen zu Ende erzählt sein, bevor eine Reflexion über das Wie des Tödtens angebracht werden könne. Der ganze Vers 17, so, dessen Schlussworte Vulgata, Luther u. A. falsch (vgl. das Richtige bei Wellhausen) zu Vs. 51 ziehen, ist ein an seiner Stelle ebenso ursprünglicher als schöner Ausspruch oder vielmehr Ausbruch des israelitischen Nationalgefiihls. Wahrscheinlich wären die Kritiker niemals an diesen prächtigen Worten mit LXX irre geworden, wenn sie nicht den vom Ver-

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

fasser

in feiner W e i s e gemachten

Unterschied 1 )

17

zwischen

tödten

(Vs. 5 0 ) und v o l l e n d s t ö d t e n (Vs. 51, vgl. 14, is) ganz und gar übersehen hätten.

Doch kehren wir zu der grossen Auslassung 17, 12 — 31.

55—18, 5 zurück, lassungen

da

in K p . 17

eine Besprechung durch

die L X X

weiterer willkürlicher mich

Aus-

zu weit führen würde.

Köhler erblickt, wie Wellhausen im J . 1871 that, den Beweis für die Berechtigung fasser

der Annahme, 17,

des Samuelbuches

nicht

12—31.

an,

in

55

— 18,5 der

gehörten

dem

angeblichen

Ver-

Thatsache,

dass mit Auslassung dieser S t ü c k e aus dem M T j e d e r Widerspruch zwischen K p . 17 und K p . 16 schwinde.

Ich behaupte dagegen, dass

d e r e c l a t a n t e W i d e r s p r u c h z w i s c h e n 16, 18 u n d 17,33 v o r w i e nach

besteht,

dass also die harmonistische Auslassung der L X X

ihren Zweck nicht erreicht.

E s freut mich,

dass Wellhausen später

( B l e e k § 106) diesen Widerspruch zwischen dem: gbvr hjl v'js mlhmh 4

der älteren Quelle und dem: n i 'th vhv' 'js mlhmh m n r j v der Goliathsage,

den Widerspruch

zwischen dem Kriegsmanne David und dem

„friedlichen Hirtenknaben, der wegen seiner J u g e n d noch gar nicht in Betracht kommt und nichts weniger als kriegsgewohnt ist", deutlich erkannt hat und nunmehr mit S t a d e u. A. die Auslassung j e n e r Verse durch die L X X als harmonistische und ihren Z w e c k gleichwohl nicht erreichende K r i t i k ansieht.

Wenn Köhler von dem friedlichen

Hirtenknaben exegetisch nichts wissen will und den Gegensatz dahin abschwächt, dass David nicht als Hoplit, sondern als Schleuderer in der W e i s e eines Hirten zu kämpfen gewohnt war, so ist das dieselbe Künstelei,

mit welcher

der genannte Gelehrte aus

„ J ü n g l i n g " weggeschafft hat.

i Sam. 9, 2 den

Als Giebe in seiner Bearbeitung

von

Zahn's biblischen Historien aus 1 Sam. 16, is nur die Fertigkeit Saitenspiel erwähnte

im

und den von Zahn gebrachten Schluss des ge-

nannten Verses wegliess, hat er ein besseres Verständniss bewiesen, als die den M T so unglücklich chische L X X .

verkürzende

hebräische

oder grie-

Ist meine Beweisführung, dass 1 Sam. 17,12 —31. 55—18, b

trotz des F e h l e n s in L X X zur Hebraica veritas gehören, wie ich hoffe, 1) Beiläufig bemerke ich, dass die Beachtung dieses Unterschiedes

auch

den Schlüssel zum richtigen Verständniss des biblischen Doppelberichts über den Tod

des Königs Saul darbietet.

Nach dem Sinnt

des letzten

Verfassers

ist

2 Sam. 1 mit dem vorhergehenden Kapitel exegetisch sehr wohl vereinbar, der Amalekiter also kein Lügner.

Fragen wir aber nach der geschichtliehen Glaub-

würdigkeit, so finden wir diese nur in 1 Sam. 31, während der

geschichtliche

Kern des in 2 Sam. 1 gegebenen sagenhaften Berichts einfach in 2 Sam. 4, 10 steckt. Theol. Arbeiten. VII.

2

18

Kamphausen:

nicht misslungen, so haben wir also die LXX auf einer starken Verkürzung des echten hebräischen Textes ertappt; das mag denn zur Ergänzung von Wellhausen's richtigem Ausspruch (Der Text der B. Sam., S. 28) dienen: „Die LXX wird oft genug auf Erweiterungen ertappt, weit seltener der MT auf Verkürzungen." 5. Gehen wir jetzt zu der andern Erzählung Uber, welche uns wie wir's 1 Sam. 16. 17 beim Bericht von der ersten Bekanntschaft Davids mit Saul fanden, wieder ein mehrfaches Minus der LXX dem MT gegenüber zeigt, so ist's seltsam, wie Köhler und Wellhausen bei der Erzählung von der Entstehung der Furcht des Saul vor David in 1 Sam. 18 die Köllen ganz vertauscht haben. Während ich auch in Kp. 18 die Auslassungen der L X X für harmonistische Kritik halten muss, welche unser Samuelbuch zu verbessern sucht, stimmt Köhler, anders als vorhin, hier mit mir überein, obgleich er das Vorhandensein von Widersprüchen in Kp. 18 vergeblich leugnet; Wellhausen dagegen gibt nicht nur als Historiker, was ich ebenfalls thue, dem inhaltlich glaubwürdigeren Text der L X X den Vorzug, sondern hält auch den griechischen Text für den ursprünglichen, so dass ihm (Bleek 4 229) 1 Sam. 18 irrig als Beleg dafür dienen muss, dass „überhaupt zwischen vorkanonischer und nachkanonischer Diaskeue kaum eine Grenze zu ziehen ist." In der echten LXX besteht Kp. 18 aus 18 Versen oder Verstheilen des MT, wie sie Tischendorfs Ausgabe der LXX nach dem cod. Vat. mittheilt. Lagarde's Ausgabe der Recension des Lucian vom J. 1883 hat gleich dem MT 30 Verse und kommt hier nicht in Betracht. In bequemerWeise hat Stade (Gesch. S. 37ff.) den hebräischen und den griechischen Text von Kp. 18 in deutscher Uebersetzung neben einander gestellt und dabei die von LXX nicht dargebotenen Stücke, welche ihm, wie Wellhausen, als späte Zusätze zum hebräischen Texte gelten, durch gesperrten Druck hervorgehoben. Prüfen wir zunächst vom Standpunkte der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit aus das auf den schon besprochenen Anfang von 18, e folgende Kapitel 18, ob—so, unbekümmert darum, dass, von kleineren Differenzen abgesehen, die Verse 8 b —11. 12b. 17—19. 21 b . 29 b .30 in LXX fehlen, so scheint mir die Entstehung der Eifersucht des Saul aus dem David gespendeten Lobe beim Triumph ohne Schwierigkeit zu sein. Obgleich Stade (Gesch. S. 233) daran erinnert, dass menschliche Verhältnisse zweiseitig zu sein pflegen, nehme ich doch unbedenklich an, dass die Schuld der Trübung des guten Verhältnisses, in welchem Saul anfänglich zu dem tüchtigen Saitenspieler und

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

19

Kriegshelden stand, ausschliesslich dem kranken Könige zur Last fällt; vgl. meine Ausführungen in Stade's Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft 1886, S. 76 if. Was aber geschichtlich feststeht, ist dies, dass an die Stelle des anfänglichen Wohlwollens des Königs erst allmählich infolge des sich steigernden Ruhmes des gegen die Philister immer siegreichen Heerführers tödtlicher Hass treten konnte, und dass dieser aus Sauls Eifersucht allmählich erwachsene Hass plötzlich (vgl. 22, uf.) mit Ungestüm in dem Mordversuche des Speerwurfes (19, 8 ff.) losbrach. Nun ist's zwar unleugbar, dass der Verfasser des Samuelbuches die allmähliche Verschlimmerung der Stimmung Sauls gegen David in 18, 12. 15.29 deutlich und mit bewusster Absicht hervortreten lässt; aber, wie lobenswerth diese Absicht an sich auch sein mag, so hat der Verfasser seine auf die Darstellung jenes geschichtlichen Fortschritts gerichtete Absicht doch nur dadurch ausführen können, dass er ganz ungeschichtliche Züge, nicht von ihm selbst ersonnene, sondern aus dem reichen Schatze der ihm zu Gebote stehenden und zum Theil einander widersprechenden Leberlieferungen geschöpfte irrige Auffassungen der Sage in seine des geschichtlichen Kernes nicht entbehrende Erzählung hineinverwebte. Ohne auf alle Einzelnheiten einzugehen oder auf den in 1 Sam. 18 besonders schwierigen Versuch der Quellenscheidung uns einzulassen, wollen wir kurz drei Züge in's Auge fassen, welche nach meiner Ueberzeugung unglaubwürdig sind, nämlich das Fuchteln mit dem Speere, das Nichtgeben der vorher angebotenen älteren Tochter und das heimtückische Benehmen gegen den zukünftigen Eidam des Königs. Wir werden sehen, dass die beiden ersten Züge in LXX glücklich fehlen, nicht aber der noch viel schlimmere dritte, der uns im MT offenbar in besserer und ursprünglicherer Gestalt vorliegt, als in der echten LXX. Was den ersten Zug, das nur im MT 18, 10 f. berichtete Speerschwingen betrifft, so zeigt das zweimalige Ausweichen Davids, dass Saul seinen gefährlichen Scepter nicht schoss oder warf, sondern in der Hand behielt. Während der 19, 10 erzählte ernsthafte Speerwurf, der Mordversuch des Königs, der den David an die Wand spiessen wollte, sofort die wirkliche Flucht Davids von Saul zur Folge hatte, bleibt das spielende Fuchteln, wenn ich diesen drastischen Ausdruck wählen darf, ohne solche Folge. Gerade wie der geschichtliche Uebertritt Davids auf das Gebiet des Königs Achis von Gath, welchen 1 Sam. 27 berichtet, seinen Schatten vorherwarf und die ungeschichtliche Erzählung (21,11—«) von einem früheren, keine Spuren hinter-

Kamphausen:

20

lassenden Aufenthalt Davids bei Achis hervorrief,

so ist in 18,10 f.

unschwer eine zu früh gestellte und sagenhafte Abwandlung von 19, io zu erkennen.

W e r sieh durch das Dogma den Massstab des historisch

Glaubwürdigen aus der Hand winden lässt und nur darauf sein Augenmerk richtet, ob verschiedene Dinge sich logisch neben einander denken lassen, der beraubt sich (vgl. Schtirer's T h e o l . Litefaturzeitung 1876, Col. 157) damit grundsätzlich des gesunden historischen Urtheils; so verbietet sich meines E r a c h t e n s

für den Unbefangenen auch

die

Harmonisirung von 1 Sarn. 18, io f. mit 19, io von selbst. Ganz ungeschichtlich

ist ferner

die in L X X fehlende,

im M T

18,17— is>. 2ib vorliegende Beziehung Davids zu Sauls älterer (1 Sam. 14,49) Tochter Merab,

welche nach 2 S a m . 21, s, wo L X X nicht

mit

dem MT den Schreibfehler M i c h a l darbietet, dem Adriel fünf Söhne gebar.

An der kinderlos gebliebenen E h e Davids mit Sauls j ü n g e r e r

Tochter Michal zweifelt natürlich Niemand, und die Auslassung von 18,20 ff. ist der L X X

nicht in den Sinn gekommen,

dem mit Vs. 1 7 — 1 9 zusammenhangenden Halbverse 2 1

wenn -wir von b

absehen. D e r

geschichtliche Hergang ist einfach der, dass die j ü n g e r e Königstochter ihre Augen auf den von allen gefeierten David warf, dass Saul, der nach 16,21 den ihm

so nützlichen J u d ä e r sehr liebgewonnen,

die Herzensneigung

der Michal nichts

zu erinnern hatte,

gegen dass

und

(Stade, Gesch. S. 233) der tapfere Held für den Brautkaufpreis

von

hundert (vgl. ausser L X X

sein

noch 2 S a m . 3, u) Philistervorhäuten

königliches Gemahl gewann.

W i e ist nun die Entstehung der S a g e

von der vorhergegangenen und nachher wieder aufgehobenen Verlobung mit Merab zu e r k l ä r e n ? geblich

J e schneidender

geleugnete Widerspruch

zwischen

der von Köhler ver-

18,20 ff. und 18, n—19.21''

ist — richtig und bündig sagt Wellhausen (Bleek in 18,22.2s den David heimlich

Tochter Michal aufmerksam macht, (Vs. 21 b ) direkt angeboten.

4

218) „ W e n n S a u l

durch dritte Hand auf seine so

hat

er

zweite

sie ihm nicht vorher

Wenn ferner David den Gedanken

des

Königs Eidam zu werden für absurd und unmöglich ansieht (Vs. 2 3 ) , so weiss er nicht, dass er bereits mit der älteren Tochter verlobt gewesen ist" — desto nothwendiger stellt sich uns die eben aufgeworfene F r a g e .

Die Antwort kann

ich (vgl. Eichhorn's Einleitung I I I ,

S. 526) nur in der Goliathsage finden (17,25), wonach S a u l dem S i e g e r über den Philister seine Tochter zum W e i b e geben wollte.

Ich konnte

Köhler in der Ausmerzung von 17,25 nicht beistimmen, obgleich

er

darin Recht hat, dass die Anwartschaft auf die Hand der Prinzessin im Zusammenhang von K p . 18 erst durch neue, auf die Besiegung des

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

21

Goliath folgende und nach Sauls Wunsch für David tödtliche Bekämpfung der Philister erworben werden soll. Ehe ich Uber diesen tückischen Wunsch des Königs als über einen ungeschichtlichen Zug spreche, welchen der Verfasser des Samuelbuches bei Merab nicht minder als bei Michal geltend macht, sei noch Stade's (Gesch. S. 40) triftige Bemerkung erwähnt, „dass der Bruch des Verlöbnisses mit Merab durch Saul für David eine solche Beleidigung wäre, dass ein ferneres freundliches Verhältniss zu Sauls Hause dadurch ausgeschlossen wäre". Der aus dem Uriasbrief (2 Sam. 11, ir.) erwachsene dritte ungeschichtliche Zug schreibt 1 Sam. 18, 17. M. 25 die tückische Absicht dem Könige zu, dass er durch das Streben nach der Hand seiner Töchter den kühnen Krieger David in den sicheren Tod durch Philisterhand hineintreiben wollte. Indern aber die Sage den Saul dies hinterlistige Anerbieten der Verschwägerung machen lässt, widerspricht sie nicht nur allem, was wir sonst über den Charakter des ersten Königes Israels wissen, sondern bedenkt auch nicht, dass dem Saul, wenn er wirklich den David aus dem Wege räumen wollte, viel natürlichere und sicherer wirkende Mittel zu Gebote gestanden hätten, als solche wunderliche Arglist. Nur demjenigen gibt ein König seine Tochter zum Weibe, welchen er sich fest verbinden will, einem Unterthanen vollends nur dann, wenn er ihn werthschätzt, so dass David, als er die Michal bekam, noch Sauls Liebling gewesen sein muss, vgl. 1 Sam. 22, 14 f. Ich brauche kaum noch zu erwähnen, dass Uria sich von Joab den durch sicheren Tod bedrohten Platz musste anweisen lassen, während der kluge David auf seinen Kriegszügen als selbständiger Führer sich vor den Gefahren, welche der Krieg mit sich bringt, trotz aller Tapferkeit leichter zu wahren wusste. Die auf Merab bezüglichen Verse hat LXX allerdings weggelassen, aber in dem über Michal Gesagten hat sie diesen von Sauls Tücke handelnden schlimmsten ungeschichtlichen Zug, der gewiss nicht der ältesten Quelle schon angehörte, ruhig stehen lassen und obendrein nicht einmal überall den ursprünglichen Text des Samuelbuches so gut überliefert, als er uns noch im MT vorliegt. Kp. 18,21 am Schluss bietet 1) Der Bruch des von Saul gegebenen Versprechens würde in etwas milderem Lichte erscheinen, wenn wirklich (Ewald, Gesch. 3 III 103) Saul die an den Adriel bereits verheirathete Merab diesem zur Erfüllung des Versprechens vorher wieder hätte abnehmen müssen. Die Construction Ewald's, der Vs. 19 b das Plusquamperfeetum findet und Vs. 20 an 1911 anschliesst, ist jedoch von Thenius schon genügend zurückgewiesen worden.

22

Kamphausen:

LXX: „Und es war gegen Saul die Hand der Philister", wo d e r M T mit seinem: „und es sei (d. h. komme) über ihn (d. h. David) die Hand der Philister" offenbar im Rechte ist, wie auch Stade anerkennt. Schwerer aber als dies „sehr deutliche Beispiel einer willkürlichen Einsetzung des Explicitum" (Wellhausen) wiegen die in 18,27 „aus Anstandsrücksichten" (Wellhausen, Stade) vorgenommenen Aenderungen, welche mir für MT und L X X sehr charakteristisch erscheinen. Nach „Und David brachte ihre Vorhäute" fuhr das hebräische Samuelbuch fort: vjml'm lmlk, d. h. „und machte sie voll dem Könige", Vulgata: et annumeravit ea regi. Der Verfasser hat, wie der weitere Verlauf des Verses zeigt, das Zeitwort in der Einzahl geschrieben und den David als den Vorzählenden hingestellt. Da aber „er zählte vor" ohne Schwierigkeit als „er liess vorzählen" aufgelöst werden kann, so schrieb auch Luther „vnd vergnüget dem König die zal", wofür in der Probebibel gut „dem König in voller Zahl" gesetzt ist, obgleich der MT in: vjml'vm „aus Anstandsgefühl" die Mehrzahl (sie = man) darbietet. Während aber im MT mit Einsetzung Eines Buchstaben nur eine „leise Aenderung" des echten Textes des Verfassers vorgenommen ist, der sich offenbar über die Wahl von Einzahl oder Mehrzahl noch gar keine Gedanken gemacht hat, genügt die LXX ihrem Anstandsgefühl damit, dass sie die beiden ganzen Wörter einfach auslässt, also eine beträchtliche, wenn auch für den Sinn des ganzen Zusammenhangs unwesentliche Textänderung sich erlaubt. Das bisher Mitgetheilte genügt wohl zum Beweise dafür, dass in 1 Sam. 18, 6—30 der Text der L X X eine geschichtlich glaub wihwürdigere Erzählung enthält, als der MT uns gibt, ohne dass die LXX von allem historisch Anstössigen frei heissen könnte. Darin liegt eine eindringliche Warnung vor unbehutsamem Gebrauch der LXX zu Zwecken der historischen Kritik. Köhler hat ganz Recht, wenn er gerade daraus, dass die Geschichte nach LXX einfacher verläuft, als nach MT, den Schluss zieht: „dies muss gegen den Text der LXX als einen willkürlich zurecht gemachten Verdacht erregen". Was man vorgebracht hat, um hier von der L X X den Vorwurf harmonistischer Kritik abzuwehren, wiegt nicht schwer. So meint Wellhausen: „Die LXX hat 18,9—12 mit Ausnahme von Vs. 12 a nicht gelesen. An harmonistische Kritik derselben ist nicht zu denken, denn dann würde Vs. 9 stehen gelassen und Vs. 12a gestrichen worden sein". Aber die LXX, welche im Anfang von V. 8 das Ergrimmen Sauls wegliess, konnte nach Erwähnung seines Missfallens am Gesang der Weiber recht gut die in Vs. 9 erzählte Schelsucht des Königs über-

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

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gehen, während die in Saul entstandene Furcht vor David (Vs. 12 a ) als allein hinreichender Grund für die nun zu berichtende Entfernung Davids aus Sauls Nähe keineswegs fehlen durfte. Köhler ist hier sehr im Vortheil gegen Wellhausen; wenn auch seine Bevorzugung der LXX für 1 Sam. 17 inconsequent und die Leichtigkeit, mit welcher er die in Kp. 18 vorhandenen Widersprüche und geschichtlichen Unmöglichkeiten Ubersieht, für mich sehr befremdlich ist, so kann ich doch im Uebrigen seiner Ausführung (II, S. 197) nur zustimmen. Die Worte Köhler's lauten: „Hätte der hebräische Text von Kp. 18 ursprünglich so gelautet, wie ihn L X X Vat. darstellen, so wäre schwer zu begreifen, wie man hinterher dazu kam, ihn zu seiner jetzigen Gestalt zu entstellen. Man kann sich zwar, nach Analogie von Kp. 17, 12—3i. 55—18, e11" zu der Annahme versucht fühlen, dass auch in Kp. 18 die nach dem LXX-Texte fehlenden Stellen erst hinterher, und zwar in sehr später Zeit, aus einer Darstellung des Lebens Davids in die Erzählung des Samuelbuches eingearbeitet worden seien. Da aber diese Stellen mit den übrigen Angaben des Samuelbuches in keinerlei Widerspruch stehen, so ist diese Annahme hier nicht nur von vornherein willkürlich, sondern es müsste auch befremden, dass man sich nicht mit der Einschaltung von Vs. 9—11 und 17—19 begnügte, sondern auch noch Vs. 8 b . 12 b . 21 b . 29 b . 30 hineinarbeitete. Näher liegt die Vermuthung, dass die L X X jene Stellen in ihrem hebräischen Original vorfanden, aber Anstoss daran nahmen und sie daher wegliessen. Die Angabe von Vs. 8 b schien ihnen verfrüht; Vs. 9—11 schien ihnen eine Darstellung derselben Thatsache, wie 19,9. io, von der sie annahmen, dass sie sich nicht wiederholt haben könne; Vs. 12b schien ihnen nach 16,13. u überflüssig; die Wortbruchigkeit in Vs. 17—19 mochte ihnen zu dem übrigen Charakter Sauls nicht zu stimmen scheinen; mit Vs. 17—19 musste aber natürlich auch der schwer verständliche Vs. 21 b fallen; Vs. 29b. 30 endlich hielten sie für überflüssig nach Vs. 12—16." 6. Der Blick, den wir in die Bücher Jeremia und Samuel geworfen haben, mag uns vor unberechtigter Geringschätzung des von der Synagoge an die Kirche überlieferten hebräischen Textes warnen, soll uns aber durchaus nicht blind machen gegen die wirklichen zahlreichen Schäden, an welchen jener Text nur zu sehr leidet. Niemand, der sich unbefangen um das Verständniss des A. T. bemüht, kann sein Ziel erreichen, ohne an manchen Stellen den MT zu ändern, sei es nun durch E m e n d a t i o n e n oder durch reine C o n j e c t u r e n , die aller diplomatischen Zeugnisse entbehren. Leider spielt

Kamphausen:

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die Conjectur im A. T. eine sehr viel bedeutendere Rolle, als im N. T. Indem ich an die Worte 0 . v. Gebhardt's erinnere: „Nur wer die Ueberlieferung der neutest. Schriften den Gesetzen entrlicken zu dürfen glaubt, welche für die gesammte profane Literatur gelten, der mag sich auch im Princip gegen die Zulässigkeit der Conjectur entscheiden. Er müsste sich aber zugleich dazu entschliessen, die offenkundigsten Thatsachen der ältesten Textgeschichte zu leugnen", verweise ich auf die gediegenen Ausführungen Holtzmann's, der in seinem Lehrbuch der hist.-krit. Einleitung in das N. T. (Freiburg i. B. 1885, S. 88) auch die Fortsetzung der citirten Worte v. Gebhardt's mittheilt. Von ähnlichen Erfolgen, wie die Conjecturalkritik sie bezüglich der klassischen Autoren aufzuweisen hat, kann beim N. T. nicht von ferne die Rede sein; ich bezweifle auch, dass mein lieber College Spitta (Der zweite Brief des Petrus und der Brief des Judas. Halle 1885, S. 112. 193. 224. 502) mit seiner öfteren Annahme von Glossen durchdringen wird. Was aber Holtzmann a. a. 0 . vom N. T. rühmen darf, dass hier der im Vergleich mit den Klassikern „viel grössere Vorrath zuverlässiger Hülfsmittel das Bedürfniss nach Conjecturalkritik von vornherein gering erscheinen lässt", das gilt nicht vom A. T., wo uns eine solche Fülle zuverlässiger Hülfsmittel eben nicht zu Gebote steht. Der Ertrag der umfassenden Vergleichungen hebräischer Handschriften, welcher in den grossen Werken von Kennicott und de Rossi vorliegt, ist ein recht dürftiger, und sehr alte Handschriften gibt's überhaupt nicht. Es ist noch eine offene Frage (vgl. Bleek's Einleitung 3 733 Anm. 802), ob die Feststellung des officiellen Textes durch die Synagoge um die Zeit von Christi Geburt oder in der Zeit Hadrians stattgefunden hat; jedenfalls ist seitdem der hebräische Text des A. T. mit grosser Sorgfalt von den Juden überliefert worden. Cornill (S. 7 ff.) hat für das Buch Ezechiel seine Hahn'sche Handausgabe mit dem von H. L. Strack photolithographisch veröffentlichten babylonischen Prophetencodex vom Jahre 916 n. Chr. verglichen und gefunden, dass dieser codex Petropolitanus, die älteste aller bekannten Handschriften, in den 48 zum Theil recht langen Kapiteln Ezechiels »gegen den ersten besten Neudruck nur sechszehn wirkliche Varianten bietet". Geradezu beispiellos möchte ich diese Stabilität der Ueberlieferung nicht nennen, da Max Müller von der treuen Fortpflanzung uralter indischer Lieder durch Auswendiglernen ganz Aehnliches berichtet 1 ). Freuen wir uns aber des hohen Alters 1) Vgl. Bleck-Wellhausen

4

021 Anm. oder

5

576 f.

Bemerkungen zur alttostamentlichen Textkritik.

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des MT um so mehr, als wir von der Vergleichung hebräischer Handschriften niemals eine nennenswerthe Ausbeute zu erwarten haben, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass der MT von der Zeit der biblischen Schriftsteller durch Jahrhunderte getrennt ist, in welchen man von der späteren peinlichen Sorgfalt, mit der die Synagoge den recipirten Text hütete, noch keinen Gebrauch machte. Für die jenseit des Bereichs unserer kritischen Hülfsmittel liegende Zeit und für die Fälle, in welchen dieselben nicht ausreichen, sind wir natürlich auf die Conjectur angewiesen, wenn wir einer Stelle gegenüber, deren Dunkelheit auf Textverderbniss schliessen. lässt, nicht geradezu bei dem Geständniss „non liquet" stehen bleiben müssen; ich werde zum Sehluss dieser Bemerkungen dem Leser einige interessante Proben neuester Conjecturalkritik vorlegen. Zum Glück aber entbehren die meisten Aenderungen des MT, womit die Gelehrten diesen bisher zu verbessern gesucht haben, der diplomatischen Bezeugung darum nicht, weil wir vom MT mehr oder weniger unabhängige alte Uebersetzungen besitzen, die uns in ähnlicher Weise wirkliche Lesarten darbieten, als es im N. T. die griechischen Handschriften thun. Wenn ich z. B. Hiob 14, i6: tsmvr durch: tcbvr ersetze, so ist das keine Conjectur, sondern eine von L X X bezeugte Lesart, nach welcher ich den MT emendire. Allerdings geht der starre Dogmatiker Kliefoth in seinem Kommentar Uber Ezechiel mit dem MT durch Dick und Dünn, unbekümmert um den zum Zusammenhang und Sprachgebrauch passenden guten Sinn; da aber selbst Keil, dieser getreue Schüler Hengstenberg's, an sehr zahlreichen Stellen (vgl. z. B. Ez. 40, 44) nicht umhin kann, Emendationen des MT nach den Lesarten der LXX vorzunehmen, so halte ich es wirklich fast für überflüssig, auf den Schatz werthvoller Lesarten noch ausdrücklich hier hinzuweisen, welchen wir in den alten Versionen und besonders in der dem Leser am leichtesten zugänglichen LXX in der That besitzen, und verzichte jedenfalls auf die Mittheilung weiterer Beispiele. Irre ich mich nicht, so ist es jetzt eher zeitgemäss, vor einer Ueberschätzung der LXX zu warnen, und ich will dies, ohne auf ein einzelnes alttestamentlicbes Buch besondere Rücksicht zu nehmen, mit den Worten eines Mannes thun, der sich nicht nur durch reiches Wissen, sondern auch durch eine seltene Unabhängigkeit des Urtheils auszeichnet, eines Gelehrten, den Wellhausen (Prolegomena, S. IV) schon vor mehreren Jahren, ohne Widerspruch zu erfahren, „die grösste lebende Autorität auf dem Gebiete der semitischen Philologie und Geschichte" genannt hat. T h e o d o r N ö l d e k e spricht sich in

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Kamphausen:

seinem Buche „Die Alttestamentliche Literatur" (Leipzig 1868, S. 245 ff.) über die alten Versionen und besonders die L X X unter anderen mit folgenden beherzigungswerthen Worten aus: „An manchen der alten Uebersetzungen haben Jahrhunderte gearbeitet, und so wenig sie meistens dem Ideale entsprechen, welches wir uns von einem derartigen Unternehmen machen, so wichtig sind sie schon als Beweise des regen Eifers, die Bibel zum allgemeinen Volksbuche zu machen. Das Hauptinteresse war hierbei immer das religiöse. Daher spiegeln sich auch die religiösen Ansichten, welche man unwillkürlich immer auch in die alten Schriften selbst hineindeutete, vielfach in den Uebersetzungen ab, und so sehr hierdurch oft der wahre Sinn entstellt wird, so sehr wurde doch durch dies Anpassen der Bibel an den augenblicklichen religiösen Standpunkt der Gemeinde ihre Wirksamkeit gefördert. Durchgehends haben wir in solchen Umdeutungen, Zusätzen und Abschwächungen nicht die Willkür eines einzelnen Uebersetzers, sondern den Geist der Gemeinschaft zu suchen, innerhalb deren er stand. — Diese Uebersetzungen des A. T. geben uns nicht bloss die Auffassung des Originals bei den Alten, sondern auch zum Theil den Reflex eines Textes, welcher sich von dem recipirten mehr oder weniger unterscheidet. — Die unmittelbar aus dem Grundtext gemachten Uebersetzungen sind entweder ganz jüdischen Ursprungs, oder sie sind doch auf Grund jüdischer Vorarbeiten und mit Hülfe jüdischer Ueberlieferung angefertigt. Rein christlich sind bloss die zahlreichen Afterübersetzungen. Die Juden allein hatten sich durch eifrige Beschäftigung mit dem Original und eine lebendige Tradition ein wenn auch durch mancherlei Einflüsse getrübtes Verständniss desselben und eine genaue, freilich nichts weniger als wissenschaftlich-grammatische Kenntniss der hebräischen Sprache erhalten. Die wenigen Christen, welche hebräisch lernen wollten, mussten bei ihnen in die Schule gehen. Für den jetzigen Standpunkt der biblischen Philologie ist allerdings die in den Uebersetzungen niedergelegte Auffassung zur Erkenntniss des wahren Sinnes nicht besonders wichtig. Man ist jetzt mehr und mehr zu der Einsicht gekommen, dass in den Fällen, wo uns die sonstigen philologischen Hülfsmittel zur Erklärung schwieriger Worte und Stellen im Stich lassen, die alten Uebersetzungen selten fördern, denn gewöhnlich haben auch sie dann den Sinn nur errathen. — Die älteste und wichtigste dieser Uebersetzungen ist die sog. LXX. eine Sammlung von Uebersetzungen sehr verschiedenen Wesens, Ursprungs und Werthes. — Wir können kaum zweifeln, dass die Ueber-

Bemerkungen zur alttostamcntlichen Textkritik.

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setzung des Pentateuchs schon im dritten Jahrhundert verfasst ist. — In Alexandria gab man einen Vulgiirtext des Pentateuchs treu nach der Auffassung der Zeit wieder, wörtlich, aber ohne zu grosse Steifheit. Dieser Text war freilich kein reiner. In jenen Jahrhunderten scheute man sich nämlich selbst in Palästina noch nicht, allerlei wirkliche und vermeintliche Schwierigkeiten und Anstösse in den heiligen Schriften durch kleine Aenderungen, Zusätze und Weglassungen zu beseitigen, und dann kamen noch die unvermeidlichen Verderbnisse durch Flüchtigkeit der Abschreiber, sowie zufällige äussere Beschädigungen der Handschriften. — Die Uebersetzung des Pentateuchs, welche unzweifelhaft eine Gemeindesache war, wird von keiner der andern biblischen Bücher erreicht; in ihnen allen haben wir nur Privatunternehmungen zu sehen. Dies ergiebt sich für manche schon aus der geringen Sorgfalt, mit der sie gemacht sind. Für viele Schriften stand damals ja das kanonische Ansehen noch gar nicht fest und ihre etwas leichtfertige Behandlung erschien deshalb nicht so schlimm. — Dass so junge Bücher wie Esther und Daniel damals noch genau hätten übersetzt werden können, leidet keinen Zweifel. Aber es ist allerdings bezeichnend für die geringe Kenntniss des Hebräischen in Alexandria, dass so schlechte Arbeiten allgemein angenommen wurden. — Die Texte, nach denen diese Uebersetzungen gemacht sind, weichen von dem später reeipirten mehr oder weniger ab. Sehr gross ist der Unterschied nur bei einzelnen Büchern wie beim Jeremia, welcher den Alexandrinern in einer stark verkürzten und in Unordnung gerathenen Gestalt vorlag. Nicht selten f ü h r e n u n s d i e U e b e r s e t z u n g e n auf bessere L e s a r t e n als die unseres h e b r ä i s c h e n Textes, wenn dieser a u c h in d e n b e i W e i t e m m e i s t e n F ä l l e n b e s s e r i s t . " 7. Eben kommt mir die im Ganzen beifällige Anzeige zu Gesicht, welche der Berliner Textkritiker Herrn. L. Strack von Cornill's Ezechiel-Ausgabe bereits in Luthardt's Theolog. Literaturblatt (1886 Nr. 11 und 12) unter der Aufschrift: „Zur alttestamentlichen Kritik" veröffentlicht hat. Muss ich auch meine Beurtheilung von Cornill's auf fünfjährigem tüchtigem Studium ruhenden Buche noch so lange hinausschieben, bis ich zur gründlicheren Durcharbeitung desselben die Zeit gefunden habe, so kann ich mich doch schon jetzt mit dem Gesammturtheil vollkommen einverstanden erklären, welches der verdiente Herausgeber des Petropolitanus in die Worte fasst: „Wenn auch in nicht wenigen Fällen die Nothwendigkeit einer Aenderung nicht zur Anerkennung gelangen wird, so bleibt dem Verfasser doch

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Kamphausen:

das grosse Verdienst, erstens das ganze für die Kritik des Ezecbieltextes erforderliche oder verwendbare Material in übersichtlicher und wissenschaftlicher Form zusammengestellt und zweitens auf viele Schwierigkeiten scharfsinnig hingewiesen und die Heilung gar mancher Fehler gezeigt oder doch angebahnt zu haben." Strack fährt dann fort: „Wir weisen auf folgende Stellen hin: 1, is; 3, 21; 4" und gibt noch ein langes Verzeichniss weiterer Kapitel- und Verszahlen, ohne dass man weiss, ob er hier überall die Art billigt, in welcher Cornill den Text des Propheten zu reconstruiren sucht. Da ich, schon ehe ich Strack's Anzeige kannte, mir vorgenommen hatte, dem Leser Cornill's scharfsinnige Operationen zu Ez. 3, 21 und Kp. 4 als interessante Proben neuester Conjectnralkritik vorzuführen, so will ich die drei von Strack zuerst genannten Stellen hier kurz besprechen, also auch Kp. 1, is, bei welchem Verse Cornill nicht von aller handschriftlichen Ueberlieferung abgehen will. Uebrigens bemerke ich, dass dies Abgehen, von welchem Strack nicht spricht, mir sofort beim Durchblättern der neuen Ezechiel-Ausgabe an manchen Stellen auffiel. Wie weit ich auch von principieller Verwerfung der Conjectur entfernt bin, so flösst mir doch die starke Anwendung dieses letzten kritischen Mittels einiges Bedenken ein. Auf alle Fälle ist Cornill's consequente Durchführung seiner kritischen Methode im Interesse der Wissenschaft selbst dann mit Freuden zu begrüssen, wenn seine Arbeit vielfach mehr der Exegese als der eigentlichen Textgestaltung zu Gute kommen sollte. Kp. 1, is lautet nach Cornill der von Ezechiel geschriebene hebräische Text: vgbvt Ihm v'r'h Ihm vhnh ml'vt jnjm sbjb i'rb'tn was er übersetzt: „Und Felgen hatten sie, und ich sah auf sie und sie waren voll von Augen rings bei den vieren." Das liest sich in der ersten Hälfte glatter als Luthers: „Ihre Felgen und Höhe waren schrecklich, und ihre Felgen waren voller Augen um und um an allen vier Rädern"; Luther hat nicht nur das letzte Wort zugesetzt, sondern auch zu Anfang des Verses in demselben Streben nach Verdeutlichung statt „Ihre Felgen waren hoch und schrecklich", wie J. F. v. Meyer den MT genauer wiedergibt, in freier Weise die Höhe direkt den Rädern zugeschrieben; in der Probebibel ist nichts geändert. In der zweiten Vershälfte findet Cornill nur einen stilistischen Grund zur Abweichung vom MT; da er die wiederholte Erwähnung der Felgen „eine unendlich weitläufige und schleppende Ausdrucksweise nennt, so will er das allenfalls festzuhaltende: vgbvtm lieber durch das seltene: vhnh (vgl. Ez. 30,17) ersetzen, ohne sich für diese

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

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m. E. unnöthige Aenderung auf Theodoret stützen zu können. Zuversichtlicher erklärt Cornill die erste Vershälfte für so verderbt, dass sie nur durch Conjectur geheilt werden könne. Ich sehe indess mit Ewald, Sinend und den meisten Auslegern hier keinen triftigen Grund zur Abweichung vom MT: vgbjhn vgbh Ihm vjr'h Ihm, d. Ii. nach Ewald (Die Propheten 2 II 34G. 352): „Ihre Felgenaher — die hatten Erhabenheit und hatten hebre Herrlichkeit." Wird hier von den Felgen s o w o h l Höhe (nach Sinend im übertragenen Sinn, wenngleich der nächste Sinn nicht ausgeschlossen werden kann) a l s a u c h Furchtbarkeit ausgesagt (Ed. Reuss : étaient hautes et admirables), so haben wir einen reichen Gedanken, welchem Cornill's Sinn, dass die Räder Felgen hatten, ärmlich und fast trivial gegenübersteht. Ich bin mit Smend der Meinung, dass LXX hier den MT vorfand, und dass ihr Kai ïbov aÙTâ für: vjr'h gerathen ist. Umgekehrt meint Cornill, in diesen griechischen Worten sei die richtige Lesung Ezechiels uns erhalten: v'r'h Ihm. Ich kann nun, wenn ich auf den Sprachgebrauch des Propheten sehe, der nach „ich sah" höchstens noch den Accusativ „sie" erwarten liesse, meine starken Bedenken gegen Corniü'.s „und ich sah a u f s i e " nicht zurückhalten; denn Stellen wie 1 Sam. 16, 7; Ps. 64, 6; Jes. 17, i sind anderer Art. Es freut mich, dass Cornill Hitzig's höchst gekünstelte und auf das Arabische gestutzte Deutung U n t e r s e i t e für: jr'h als unhebräisch zurückweist. Dagegen scheint er mir in zwei Stücken Hitzig übel gefolgt zu sein. Der Machtspruch, dass: jr'h d a s s i c h F ü r c h t e n , nicht aber F u r c h t b a r k e i t bedeute, imponirt mir so wenig, als einem Ewald u. A., da es mir sicher erscheint, dass ein Wort, welches F ü r c h t e n bedeutet, auch den „Gegenstand (vgl. 1 Kön. 8, so; HL. 7,7) des Fürchtens", also im Prädicat den Begriff des Furchtbaren ausdrücken kann, ähnlich wie: mvr' (Gen. 9,2; Jes. 8,13) oder das gewöhnliche: nvr' (Gen. 28,17). Zum andern aber ist es schwerlich „ein wesentlicher Zug, dass die Räder Felgen haben und nicht blos eine Scheibe sind", wie ich eine solche Scheibe in Riehin's Handwörterbuch S. 1723 habe abbilden lassen, wo es sich um ein rohes Fuhrwerk des hohen Alterthums handelt; in der späten Zeit des Ezechiel verstand es sich in Palästina und Babylon von selbst, dass ein Wagenrad Felgen hatte. Der Vorwurf: „dass die Räder h o c h waren, wäre eine sehr triviale Bemerkung" (vgl. übrigens Riehin's HWB, S. 231) fällt also wohl auf seine Urheber zurück. Irrig ineint Cornill, das erste Wort von Vs. 18 sei in übertragener Bedeutung als masculinum „sehr verdächtig", da wir 1 Kön. 7, 33 das Angezweifelte ebenfalls finden ; darum kann ich auch

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Kamphausen:

nicht: vgbjhn für „offenbare Dittographie" aus dem folgenden: vgbh halten. Viel interessanter ist die zweite Stelle, welche wir jetzt an der Hand Cornill's betrachten wollen, nämlich Ez, 3,21, wo der Prophet geschrieben haben soll: v'th kj hzhrt sdjq lbltj ht' vhv' ht' bht'tv jmvt v'th 't nfsk hslt, d. h. „Wenn du aber den Gerechten gewarnt hast nicht zu sündigen und er (doch) sündigt, so wird er durch seine Sünde sterben, du aber [genauer wäre: und Du] hast deine Seele gerettet." Diese Uebersetzung Cornill's weicht i n h a l t l i c h von Luther's Wiedergabe des MT, mit welchem L X X „wesentlich" Ubereinstimmt, so merkwürdig ab, dass ich um der Kürze willen die mir geringfügig vorkommenden „mannigfachen sprachlichen Anstösse", welche Cornill durch seine Conjecturalkritik nebenbei zu beseitigen sucht, auf sich beruhen lassen will, um ausschliesslich „die viel schwerer wiegenden sachlichen Bedenken" zu prüfen. Auf den ersten Blick hat die Vermuthung des scharfsinnigen Kritikers etwas Bestechendes, da er die unerbittliche Logik auf seiner Seite zu haben scheint. Cornill meint: „Obwohl auffallender Weise noch Niemand an den Worten (des MT) Anstoss genommen hat, verlangen Sinn und Parallelismus gebieterisch das Gegentheil: w e n n d e r G e r e c h t e t r o t z d e i n e r W a r n u n g s ü n d i g t , so m u s s er s t e r b e n , d u a b e r h a s t d e i n e S e e l e g e r e t t e t . Die Aenderung im überlieferten Text [darin lautet der Schluss von 3, 21: und er sündigt nicht, so soll er leben, denn er hat sich warnen lassen, und du hast deine Seele errettet] ist natürlich absichtlich, indem man es für unmöglich hielt, dass ein Gerechter auf die Mahnung des Propheten hin nicht hören und Busse thun sollte. So wurde zunächst n i c h t eingeschoben und dann das Uebrige dem entsprechend consequent weiter umgestaltet." Zu den in Vss. 18—20 besprochenen drei Fällen gesellt sich nämlich in Vs. 21 ein vierter. Die beiden ersten betreffen den Gottlosen, Vs. 18 den vom Propheten nicht gewarnten, Vs. 19 den von Ezechiel gewarnten Gottlosen; die beiden folgenden Fälle betreffen den Gerechten, Vs. 20 den vom Propheten nicht gewarnten, Vs. 21 den von ihm gewarnten Gerechten. Da liegt es doch allem Anschein nach sehr nahe, dass der vierte Fall dem zweiten ebenso parallel läuft, als der dritte dem ersten. Kommt es nur auf das Davonkommen des Propheten an, der sich seiner schweren Verantwortlichkeit bewusst sein soll, so mag ja auch der vierte Fall mit dem Tode des ungehorsamen Hörers enden, wenn nur Ezechiel, wie im zweiten und vierten Fall deutlich vorausgesetzt wird, seine Schul-

Bemerkungen zur alttestamentlichen Textkritik.

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digkeit gethan hat. Dieser Schein hat auf Cornill so stark eingewirkt, dass er den im MT von Vs. 21 ausgedrückten Gedanken geradezu unmöglich findet. Dennoch zweifle ich nicht, dass unser Kritiker, der gegen alle Ueberlieferung den Gedanken von Ys. 21 in sein G e g e n t h e i l verkehrt, damit einen schweren Irrthum begeht. Logisch möglich ist ausser dem durch Verkehrung des vierten in sein Gegentheil gewonnenen fünften Falle auch ein sechster, dass nämlich der Gottlose sich infolge der prophetischen Predigt bekehrt und das Leben statt des Todes davonträgt. Die Lebensverheissung für den sich bekehrenden Gottlosen ist so wenig ein an sich unmöglicher Gedanke, dass sie die Grundlage der gesammten Prophetie bildet und trotz des s c h e i n b a r e n Fehlens in Ez. 3, 17—21 sehr deutlich in der Parallelstelle Ez. 33,7—20 ausgesprochen wird, vgl. 33,12. u—16.19. Ist's aber wohl wahrscheinlich, dass im Zusammenhang von 3,17 ff., wo der Prophet ein über d a s H a u s I s r a e l gesetzter Wächter heisst, die Lebensverheissung gar keine Stelle finden sollte? Ich finde das unwahrscheinlich, da der Gott, der keinen Gefallen am Tode des Gottlosen hat, unmöglich das ganze Haus Israel kann sterben lassen. Gewiss kann man den vierten und sechsten Fall auseinanderhalten; aber bei der allgemeinen Sündhaftigkeit und weil das Nichtsündigen des Gerechten (3, 21 MT) gleich dem Gerechtigkeitüben des bekehrten Gottlosen (33, u—ie) das Leben zur Folge hat, gehört beides so enge zusammen, dass wir von einem bloss scheinbaren Fehlen des sechsten Falles in 3,17 - 21 reden dürfen. Jedenfalls hätte der Umstand Cornill stutzig machen können, dass in der ausführlicheren Behandlung 33,7 ff. der von ihm angenommene fünfte Fall völlig fehlt, während die beiden ersten (zu 3, 18 19 vgl. 33, s. 9), der dritte (zu 3, 20 vgl. 33, 12. 13. is) und die Lebensverheissung für den wahrhaft Gerechten nicht fehlen. Im Grunde steckt Cornill's fünfter Fall schon im zweiten, sofern der auf seine Gerechtigkeit pochende und sündigende Gerechte sich von seiner Gerechtigkeit abgewendet hat und zum Gottlosen geworden ist. Ich kann den Gedanken von 3, 21 MT, der nach seinem wesentlichen Sinne, nur mehr der empirischen Wirklichkeit angepasst, in Kp. 33 wiederkehrt, durchaus nicht unmöglich finden, weise vielmehr darauf hin, dass in 3,21 MT der Gerechte der prophetischen Warnung bedarf. Umgekehrt aber könnte ich den angeblichen alten Correctoren nur Recht geben, wenn sie den von Cornill verlangten Gedanken für unmöglich gehalten hätten. Dass unser Prophet denselben in der That für unmöglich hielt, zeigt schon die sorgfältige Betrachtung von

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Kamphausen:

3, 20, v o n w e l c h e m H i t z i g r i c h t i g s a g t : „ W e n n d e r G e r e c h t e stirbt, s o stirbt er in a l l e W e g e haupt nur, steckt

durch seine S ü n d e ;

dagegen

w e n n er n i c h t v e r w a r n t w o r d e n "

stirbt

er

d i e für Cornill s o a n s t ö s s i g e V o r a u s s e t z u n g v o n V s . 21,

der G e r e c h t e " , „im G e g e n s ä t z e

wie Hitzig sagt, zum

Frevler

d e m Cornill

der Verwarnung

Uber-

A l s o schon in Vs. 20 hier

„dass

n i c h t g e f o l g t ist,

gewiss

Gehör

giebt.

E b e n w e i l er e i n G e r e c h t e r ist, b r a u c h t er w e i t e r n i c h t s , a l s d a s s e r auf das Sündhafte s e i n e s B e g i n n e n s a u f m e r k s a m g e m a c h t w e r d e , s i c h von s e i n e m I r r t h u m e z u r e c h t z u

um

finden."

G e h e n w i r e n d l i c h zu K p . 4 a l s d e r d r i t t e n S t e l l e ü b e r ,

welche

ich dem g e n e i g t e n Leser zur P r ü f u n g vorlegen will, so m u s s ich m i c h in der H a u p t s a c h e a u f d i e M i t t h e i l u n g v o n C o m i l l ' s A n s i c h t b e s c h r ä n k e n , w i e s i e in d e n v o n i h m v o r g e n o m m e n e n V e r s - U m s t e l l u n g e n z u tritt, d a e i n e e i n g e h e n d e

Erörterung dieses Kapitels

h a n d l u n g für s i c h e r f o r d e r n w ü r d e .

Tage

e i n e l a n g e Ab-

Auf innere Vermuthungen gestützt,

lässt d i e n e u e E z e e h i e l a u s g a b e h i n t e r 3, 27 d i e V e r s e v o n Kp. 4 in d i e ser R e i h e f o l g e n : 4 — 6 . 8. 9. 1 2 — 1 5 . 1 — 3 . 1 0 . 1 1 . 1 6 . 1 7 ; d a b e i w i r d , v o n den übrigen A e n d e r u n g e n des M T a b g e s e h e n , Vs. 7 g a n z

gestrichen

1) Zu 4, 7 lesen wir S. 195 einen nach meinem E r a c h t e n durch u n d d u r c h unhaltbaren textkritischen Commentar oder einen auf verschiedenen I r r t h ü m e r n beruhenden t e x t k r i t i s c h e n A p p a r a t , welchen ich ganz mittheile, weil Cornill sich später darauf b e r u f t . E r l a u t e t : „v. 7. Hebr. hsvfh ist trotz Jes. 52, 10 sehr auffallend und w i r d auch n u r vom MT geboten, L X X T a r g u m Peschito übereinstimmend: thzq, Vulgata's e r i t . e x t e n t u m ( e x s e r t u m Cod. Amiat.) ist keineufalls Uebersetzung von: hsvfh. Aber auch die Lesung des Griechen, T a r g . und Syrers kann nicht ursprünglich sein, da die R e d e n s a r t vom S t ä r k e n der Arme uns 30, 2-i. 25 in einem ganz anderen Sinne begegnet. Der ganze v. ist zu streichen, wie sich später ergeben wird.' 1 So viel ich weiss, h a t noch N i e m a n d den Vs. 7 sprachlich verdächtig g e f u n d e n ; vielmehr ist der MT ganz unanstössiges Hebräisch, welches n u r von den Uebersetzern m e h r oder weniger f r e i wiedergegeben wird. So h a t L u t h e r die von Ewald „mit entblösstem (d. h. drohend aufgehobenem) A r m e " übersetzten W ö r t e r „und dein A r m entblösst" in Unterordnung unter den vorhergehenden Imperativ „ r i c h t e " frei durch „und deinen blossen A r m " wiedergegeben, weil er gutes Deutsch schreiben wollte. Durch dieselbe Rücksicht bestimmt, b r i n g t Cornill's Uebersetzung 17, 9 den starken Arm, wo L u t h e r den Hebraismus „grosser A r m " wagt, vor welchem der Judengriechisch schreibende Alexandriner noch viel weniger zurückschrickt; und doch wird Niemand denken, dass Cornill Ez. 17. 9 nach Jer. 21, 5 h ä t t e eorrigiren wollen, ich behaupte, dass alle alten Uebersetzer Ez. 4, 7 n u r den MT vor sich hatten. Das Z e i t w o r t : hsf k o m m t nach F ü r s t ' s Concordanz n u r l l m a l im A. T. vor, und an diesen 11 Stellen geben es die L X X d u r c h 9 verschiedene Uebersetzungen. so dass mir Ez. 4, 7 v oüpavwv.

D i e dem i n n e r e n

Sein

e n t s p r e c h e n d e ä u s s e r e Vollendung und Verklärung

kann

nicht nur durch i n n e r e E n t w i c k l u n g

des Menschen,

son-

dern muss durch s u p r a n a t u r a l e W i r k u n g Gottes

herbei-

geführt

sowohl

werden,

und

a l s xäpi(T|uot v o n d e r ffOöq

solche

erwartet

göttlichen

von der g ö t t l i c h e n

d a s N. T .

G n a d e w i e a u c h a l s jui-

Gerechtigkeit.

Haben wir in dem Bisherigen,

so lange sich's um die Darstel-

lung der neutestamentlichen Lehre vom Lohn

in ihren

wichtigsten

Beziehungen handelte, nicht vermocht, uns kürzer zu fassen, so werden wir im Folgenden, wo sich's um die F r a g e handelt, welche Stellung wir zu der bisher dargelegten neutestamentlichen Lohnverheissung und Lohnerwartung einnehmen,

um so mehr zur Kürze

sein und uns mit einigen Andeutungen begnügen müssen. 1) a. a. 0. III, 554.

verpflichtet

81

Die neutestamentliche Lehre vom Lohn.

Wir sind evangelische Christen und evangelische Theologen. Als solche aber sind wir uns dessen wohl bewusst, dass in demselben Masse, in welchem die katholische Kirche der Lehre vom Verdienst und Lohn der guten Werke eine hervorragende Stelle zuweist, in der protestantischen Kirche und Lehrentwicklung der Lohngedanke in den Hintergrund getreten ist und treten soll. In entschiedenem Gegensatz zu der katholischen Lehre und Praxis, nach welcher alle auf Geheiss oder zum Vortheil der Kirche gethanen Werke ein Verdienst begründen sollen, ja sogar die Verdienste des Einen auf den Anderen übertragen werden können, theilen die protestantischen Gelehrten aller Richtungen das Gefühl, dem P a l m e r A u s d r u c k gibt in den Worten : „Würde die Schrift nicht selbst dieses Wort wiederholt gebrauchen, und zwar so, dass der Lohn in ganz genauer Proportion zur Arbeit steht, so müsste eine evangelische Moral Bedenken tragen, diesen Gesichtspunkt überhaupt nur aufzunehmen; Lohn passt j a nur für Tagelöhner- oder Handwerker-Arbeit; unser Leben und Lieben ist aber keine Leistung, die uns das Recht auf eine Gegenleistung gäbe; sobald an einen Lohn, z. B. für Reichung eines Almosens gedacht wird, sobald ist es nicht mehr die reine Liebe, die da handelt, sobald also geht auch der Werth des sittlichen Handelns verloren." Die römische Kirche ist ganz und gar wieder zurückgesunken auf den Standpunkt des Pharisäismus, der vor Gott hintreten möchte mit dem Vorhalt: „So viele Jahre diene ich dir und habe nie dein Gebot übertreten", der den gesetzlichen Gehorsam als eine harte und freudlose Arbeit ansieht und im Stillen den Sünder um sein lustiges Leben beneidet. Wie sehr dieser Standpunkt dem Kindschaftsbewusstsein, das Jesus begründet, widerspricht, zeigt Jesus selbst in dem Gleichniss von dem verlorenen Sohn. „Mein Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein", spricht dort der Vater zu dem älteren Bruder und bedeutet ihm damit, dass sein Leben bei ihm eigentlich doch fortwährende Freude und Seligkeit hätte sein können. Dem ächten Sohn ist es Herzensbedürfniss und Freude, des Vaters Willen zu vollbringen, wie Jesus das Joh. 4, 34 von sich selbst bezeugt, und in d e m s e l b e n M a a s s e , i n w e l c h e m d a s K i n d s c h a f t s g e f ü h l in d e m C h r i s t e n e n t w i c k e l t i s t , t r i t t d e r G e d a n k e an L o h n i n s e i n e m B e w u s s t s e i n z u r ü c k , darum nämlich, weil ihm sein Thun etwas naturgemässes ist und nicht als eine besondere Leistung bewusst wird. Er ist (naKctpioq ev xq 7roir| i d j t c . S u m ©ebraudj in ©cfnilcit, Setjrer* unb ßei)rerinucit=23ii= w bungSanftaltcn ausgctoäljit Don D r . S « r l cffcl, 9tcftor bcr tji%rcit SJtäbdjenfdjule unb 2ei)rcrinnen=33itbung§anftatt 31t .ffoblcnj. 3 Seite 1884. 8". (IV it. 76, V I u. 186, X V I u. 2 3 0 ©.) in einen SSanb geb. in ©anjteintoanb JC. 3,80. I. Seit. Unterftufc. 8°. ( I V 11. 76 6 . ) geb. in © ¿ t o b . JC. 0 , 8 0 I I . Seit. 351ittetftufe. 8°. ( V I u. 186 ©.) geb. in @afo>b. JC. 1,30. III. Seit. Cberftufe. 8°. ( 2 3 0 ©.) geb. in ©jltob. JC. 1,90. Klostermann, Marie, Vorsteherin einer höheren Mädchenschule in Kreuznach. E n g l i s h R e a d e r . Ein Lesebuch für Anfänger mit Fragen und Wörterverzeichnis. 1883. gr. 8°. ( V I u. 139 S.) in Leinwand gebunden JC. 1,80. M a n n , E l . , A S h o r t S k e t c h o f E n g l i s h L i t e r a t u r e from Chaucer to the Present Time compiled from English Sources. 1883. 8°. (VI u. 2 0 4 S.) in Leinwand gebunden JC. 3,-—. S c h n e i d e r , D r . 0 . , Ein L e h r p l a n f ü r den d e u t s c h e n U n t e r r i c h t in d e r P r i m a höherer Lehranstalten. 1881. gr. 8°. (64 S.) JC. 1,50. gdjroerljell, D r . ©rnttbäiige bcr