Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 6 [Reprint 2022 ed.] 9783112686362


173 116 42MB

German Pages 160 [172] Year 1886

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Die Lehre vom dreifachen Amte Christi
Urkunden zur Geschichte des deutschen Pietismus
Urkunden aus den ersten Jahren der Reformation in der freien Reichsstadt Essen (1561—1576)
Hauskirchen Ordnung derer Gemeine wilche zv Aichen die Augspurgische Confession bekennen
Recommend Papers

Theologische Arbeiten aus dem rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein: Band 6 [Reprint 2022 ed.]
 9783112686362

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Theologische Arbeiten aus dem

rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein.

In Gemeinschaft mit den übrigen Vorstands - Mitgliedern: D. Paltri, Prof. D. Kamphtinsen, Iionsistorialrat Prof. D. Krafft, Konsistorialrat Prof. D. Mangold, Pfarrer Sänger, Lie. Dr. Thunes,

herausgegeben von D. F r .

Evertsbusch,

Präses der rhein. Prov.-Synode uud Superintendent In Lennep.

Sechster Band.

Bonn, Eduard Weber's V e r l a g (Julius Flittner).

1885.

EDUARD WEBER'S VERLAG (Julius Flittner) in BONN.

Soeben erschien:

Publicationen der

Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. I.

Kölner Schreinsurkunden des zwölften Jahrhunderts.

Quellen zur

Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Köln herausgegeben von

Robert Hoeniger. Erster Band. Erste Lieferung.

M . 7)—>

Theologische Arbeiten aus dem

rheinischen wissenschaftlichen Prediger-Verein.

In Gemeinschaft mit den übrigen Vorstands-Mitgliedern: D. Fabl'i, Prof. D. Kamphansen, Konsistorialrat Prof. D. Krafft, Konsistorialrat Prof. D. Mangold, Pfarrer Sänger, Lie. Dr. Thönes, herausgegeben von

D. Fr. Eyertsbusch, Präses der rhein. Prov.-Synode und Superintendent in Lennep.

Sechster Band.

Bonn, Eduard Weber's Verlag (Julius Flittner). 1885.

Universitats-Biichdruckerei von Cari Georgi in Bonn.

Vorwort. Die Beiträge dieses 6. Bandes sind nicht nach der Reihenfolge ihrer Einlieferung geordnet; denn dann hätte derjenige des Herrn Prof. B e n d e r die erste Stelle einnehmen müssen, da er bereits im September 1883 eingeliefert und von dem Vorstande zur Aufnahme bestimmt worden ist.

Vielmehr hat der Vorstand für geeignet be-

funden, den nach Beschluss der Generalversammlung von 1884 aufzunehmenden dogmatischen Vortrag des Herrn Pfarrer Z u r h e l l e n an die erste Stelle zu setzen und alsdann die übrigen Stücke folgen zu lassen, welche sämmtlich kirchengeschichtliche

Urkunden ent-

halten und zusammen den Charakter eines mehrfach gewünschten Urkundenbuches tragen.

Bei der Votierung über den Ben der'sehen

Beitrag wurde von einem Collegen desselben ein möglichst rascher Druck gewünscht, da dem Verfasser die Originale der Urkunden später nicht mehr zur Hand sein würden, ohne deren stete Vergleichung aber eine sorgfältige Correktur des Drucks wohl nur schwer ausführbar sein würde.

Ich bedaure sehr, dass diesem Wunsche nicht

hat entsprochen werden können, weil der zur Ausfüllung des Bandes erforderliche Stoff erst vor kurzem mir vollständig zugesandt worden ist; ich hoffe aber, dass die etwa hieraus erwachsenen Uebelstände nur von unwesentlicher Bedeutung seien. Nachdem der bisherige Verleger Herr R. L. F r i e d e r i c h s in Elberfeld unsern Wünschen entsprechend auf den Verlag der theologischen Arbeiten verzichtet hat, haben wir an Herrn E d u a r d W e be r's Verlag ( J u l i u s F l i t t n e r ) in Bonn

einen neuen Verleger ge-

funden, der uns günstigere Bedingungen darbietet und bessere Aus-

sichten auf das Gedeihen unseres Unternehmens eröffnet. Nämlich der Preis der an die Vereinsglieder gratis zu liefernden und aus der Vereinskasse zu zahlenden Exemplare ist so viel billiger gestellt, dass er nicht mehr, wie früher, eine ganze Vereinseinnahme in Anspruch nimmt und uns damit die Möglichkeit eröffnet, bei Vorhandensein geeigneten Stoffes in kürzeren Fristen die Bände auf einander folgen zu lassen. Sodann hat sich der neue Verleger bereit erklärt, was der frühere ablehnte, den Mitarbeitern so viele Separatabzüge ihrer Beiträge, als bei Ablieferung des Manuskripts bestellt werden, zum Preise von 30 Pf. für Exemplar und Bogen machen zu lassen, wodurch ein besserer Verkehr unsefes Vereins mit anderen wissenschaftlichen Kreisen ermöglicht wird. Möge denn mit dem regeren Eifer des neuen Herrn Verlegers sich eine frischere Arbeitslust geeigneter Kräfte zum fortschreitenden Gedeihen unseres Unternehmens verbinden 1 Die Zahl der Vereinsglieder ist langsam, aber stetig gestiegen. Sie beträgt jetzt gögen 170. L e n n e p , am 8. Juni 1885. D. Evertsbusch.

Inhalt. Seite

1. Z u r h e l l en, die Lehre vom dreifachen Amte Christi . . .

1

2. Prof. D. B e n d e r , Urkunden zur Geschichte des deutschen Pietismus

33

3. W ä c h t l e r , Urkunden aus den ersten Jahren der Reformation in der freien Reichsstadt Essen (1561—1576) . . . .

106

4.

K ü s t e r , Kirchenordnung der lutherischen Gemeinde zu Aachen

149

Die Lehre vom dreifachen Amte Christi. Vortrag, gehalten in der Versammlung des wissenschaftlichen Predigervereins für die Rheinprovinz zu Bonn am 4. Juni 1884. Von

Pfarrer Znrhellen in Mülheim a. Rhein.

T h e s e 1. Das Lehrstück vom dreifachen Amte Christi (Munus s. officium triplex) hat sich seit Calvin in der evangelischen Dogmatik erhalten, weil dasselbe dem theologischen Bedürfniss entspricht, das Ganze des heilsbegründenden Werkes Christi so darzustellen, dass sowohl seine Einzigartigkeit wie sein historischer Zusammenhang mit dem Alten Bunde zur Geltung komme. T h e s e 2. Die Verschiedenheiten, welche sich in der Entwickelung des Lehrstücks auf reformirter und lutherischer Seite zeigen, hangen einerseits mit der Lehre von der Person Christi, andererseits mit Modificationen in der Auffassung des christlichen Lebensideals zusammen. T h e s e 3. Die Bemühungen der Dogmatiker, der „Aemterlehre" auch eine innere (speculative) Begründung zu geben, beruhen auf dem richtigen Gedanken, dass ohne den Nachweis eines allgemeingültigen Wahrheitsgehalts die Einführung Alttestamentlicher Typen in die Lehrdarstellung der absoluten Religion sich kaum rechtfertigen lasse.

T h e s e 4. Die übliche Ableitung des dreifachen Amtes von der Wortbedeutung des „Amtsnamens" Christus ist in ihrer äusserlichen Fassung unhaltbar. i

2 T h e s e 5. Sie ist aber der, wenn auch inadäquate, Ausdruck für die doppelte biblische Wahrheit: a) dass die messianische Idee, ursprünglich königlich gedacht, schon im Laufe ihrer Alttestamentlichen Entwickelung mit wesentlichen Momenten priesterlichen und prophetischen Thuns bereichert worden ist; b) dass Christus, als Verkörperung der gereinigten und vertieften Messiasidee, die Funktionen aller theocratischen Bundesmittler realiter in sich vereinigt, und eben dadurch ihre empirische Geltung für die Gemeinde des Neuen Bundes aufgehoben hat. T h e s e 6. Der Fortgebrauch der Ausdrücke munus, Amt, ist unverwerflich unter der Voraussetzung, dass der juristische Amtsbegriff ausgeschlossen, und munus im Sinne von officium, Berufsdienst, verstanden wird. T h e s e 7. Die heilsbegründende Thätigkeit Christi entfaltet und erschöpft sich in einem Dreifachen: 1) Zeugniss vom Heil, 2) Versöhnung der Gewissen, B) Stiftung der Gemeinde; d. i. ideelle, individuelle und sociale Gestaltung der Gottesgemeinschaft. Dem entsprechen ungezwungen die Functionen des Propheten, Priesters und Königs. T h e s e 8. Die drei munera rückwärts an dem präexistenten oder vorwärts an dem erhöhten Christus aufzuweisen, überschreitet das theologische Bedürfmss. Die Einbeziehung der Ständelehre (status exinanitionis et exaltationis nach Phil. 2, 5—11) in die Aemterlehre führt zu Verdunkelungen beider, und zur Vermischung der Oeconomie des Sohnes mit der des heiligen Geistes. T h e s e 9. Weder die „ s t o f f l i c h e n " (Lehren, Handeln, Leiden u. s. w.) noch die z e i t l i c h e n Bestandtheile (Anfang, Mitte, Ende) des Lebens Christi lassen sich rein und ohne Rest nach dem Schema des dreifachen Amts gliedern; vielmehr führt die biographische Betrachtung überall nur auf ein r e l a t i v e s Vorwiegen dieser oder jener Function. T h e s e 10. Die Aemterlehre bezweckt also die b e g r i f f l i c h e Darstellung des Mittlerwerks im Unterschied von der historischen. So gefasst ist dieselbe ein „genialer Griff des grossen Systematikers der Reformation" (Calvin), und wird weder von den älteren Einwürfen Ernesti's berührt, noch von den neueren (Schweizer, Ritsehl) wesentlich erschüttert.

3 T h e s e 11. Für die allseitige und harmonische Gestaltung des christlichen Lebens ist die Lehre vom dreifachen Amt Christi hochbedeutungsvoll, nicht blos sofern der Christ Object der Heilsfunctionen Christi ist, sondern auch sofern er aus diesen Motive zur Nachfolge Christi in Gesinnung und Handeln schöpft. T h e s e 12. Die einseitige Hervorhebung bezw. Vernachlässigung eines der drei Aemter in der L e h r e läuft — sowohl in der Kirchengeschichte wie beim einzelnen Christen — parallel mit der Verkümmerung des christlichen L e b e n s . Dies schliesst nicht aus, dass besondere Zeiten oder Umstände auch die besondere Betonung eines einzelnen munus Christi (in Lehre, Cultus, Seelsorge) erheischen. T h e s e 13. Die Auslegung des zweiten Glaubensartikels in Luther's Katechismus ist nach der Seite des prophetischen Amtes ergänzungsbedürftig. Dagegen bietet Fr. 31 des Heidelberger Katechismus (Fr. 55 des Rheinischen K.) für die katechetische Unterweisung eine treffliche Handhabe; nur hat der Katechet die Fragestellung „Warum wird er Christus u . s . w . genannt?" vor Missdeutung zu schützen.

Verehrte Herren und Brüder! Wer einigermassen bekannt ist mit der Länge, Breite, Tiefe und Höhe des Heilswerks Christi, dem wird es ein thörichtes und vermessenes Beginnen dünken, seine reiche Fülle in ein paar typische Begriffe, und wären sie noch so correct, gleichsam einspannen zu wollen. Ja es lässt sich eine ebenso fromme wie wissenschaftlich befriedigende Darstellung des Mittlerwerkes Christi wohl denken, die doch nirgend mit expressen Worten auf die Typen des Propheten, Priesters und Königs Bezug nimmt, und für die persönliche Glaubensstellung des Christen ist es vollends bedeutungslos, wie er etwa über die Richtigkeit oder Zweckmässigkeit des hergebrachten Lehrschemas denkt. Gleichwohl ist es für den T h e o l o g e n nicht uninteressant, sich die Frage vorzulegen, ob der ausgedehnte Gebrauch, welcher sowohl in dogmatischen Lehrgebäuden, als in der praktischen Katechese von unserm Lehrstück gemacht wird, auch wissenschaftlichen Grund habe. Augenblicklich wird diese Frage keineswegs überall bejaht. Während z. B. Kahnis behauptet, die dreifache Gliederung des Mittlerwerks Christi werde in Kraft bleiben, so lange es eine kirchliche Dogmatik gebe, wird ihre Zweckmässigkeit für den wissenschaftlichen Gebrauch aufs Lebhafteste von Männern wie Schenkel, Beck, Schweizer, Ritsehl bestritten. Theils wegen

4 dieser Sachlage, theils aber wegen des Umstandes, dass unsre Frage notwendiger Weise zu einer Reihe von exegetischen, dogmatischen, kirchenhistorischen Erörterungen führt, glaube ich für die Wahl meines Themas, die sich aus besonderem äusseren Anlass ergab, Ihrer Entschuldigung mich versichert halten zu dürfen. Lassen Sie uns unsern Gegenstand nacheinander aus historischem, biblisch-theologischem, dogmatischem und praktischem Gesichtspunkt betrachten! I. T h e s e 1. Schon lange vor Calvin begegnet bei christlichen Schriftstellern die dreifache Bezeichnung Christi als eines Propheten, Priesters und Königs. Eusebius in seiner Kirchengeschichte I, cap. 3 erklärt den Namen „Christus" in folgender Weise. Sowohl die Hohenpriester als die Könige, als auch die Propheten seien im Alten Bunde durch Salbung typische Chri stusse geworden, so dass diese sämmtlich „Beziehung haben auf den wahren Christus, das gottvolle himmlische Wort, den einzigen Hohenpriester von Allen, den einigen Erzpropheten von allen Propheten des Vaters." — Aehnlich noch an zwei andern Stellen, wo u. A. darauf hingewiesen wird, dass der gänzliche Untergang jener drei theocratischen Aemter die Ankunft des wahren Christus angezeigt habe. Es ist also Eusebius, der zuerst den Namen „Christus" als den eigentlichen „Amtsnamen" des Herrn bezeichnet, durch welchen das vollbrachte Erlösungswerk für die Gemeinde des Neuen Bundes allseitige und genügende Beleuchtung empfange. — Die Anregung des Eusebius blieb lange unbenutzt. Leise Anklänge hat man bei Lactanz, Gregor von Nyssa, Cyrill von Jerusalem, Augustin finden wollen; aber es sind eben nur Anklänge. Cyrill ist darin eigen, dass er den Christusnamen lediglich auf das ewige Priesterthum deutet, während er die Königswürde vielmehr im Namen Jesus = Josua geweissagt findet. — Den ersten Ansatz zu theologischer Yerwerthung des Eusebianischen Gedankens macht Thomas von Aquino. In seiner Summa, Pars III, quaest. 22 erörtert er, wie Christus, a l s das H a u p t A l l e r , die Vollkommenheit aller Gnadengaben besitzt. Anderswo sei der Eine Gesetzgeber, der Andere Priester, ein Dritter König; dagegen bei Christo, dem Quell aller Gnaden, treffe dies Alles zusammen, u. s. w. — Aber auch Thomas unterscheidet nicht, was für Geschäfte nun Christus vermöge eines jeglichen Amtes vollbracht habe; und so blieb auch seine Andeutung für die Folge unbeachtet. Erst Calvin hat den Gedanken des Eusebius klar erfasst und

5 erfolgreich für die Dogmatik verwerthet. Zwar nicht mit einem Mal, und nicht ohne Anregung von Seiten Luthers; wenigstens ist mit Ritsehl wohl anzunehmen, dass Luthers Schrift von der christlichen Freiheit, in welcher des Christen priesterliche und königliche Würde so schön begründet, nämlich als Gnadengabe von Christo abgeleitet wird, zu der calvinischen Ausführung starke Impulse gegeben habe. Immerhin ist die Art und Weise dieser Ausführung dem schweizerischen Reformator eigenthümlich. In der ersten Ausgabe seiner Institutionen von 1536 wird nur vom Königthum und Priesterthum Christi geredet; in der folgenden wird sodann das Prophetenthum als drittes hinzugefügt; endlich in der Ausgabe von 1559 wird das prophetische Amt in die vorderste Linie gerückt. „Wir wissen, dass unter dem Gesetz sowohl Propheten als Priester als Könige mit Oel gesalbt wurden . . . Zwar sei der Name Messias mit besonderer Rücksicht auf das Königreich gebraucht worden, doch sei auch die Salbung der Propheten und der Priester nicht zu übersehen. Da nun Jesus mit dem heiligen Geist gesalbt sei, so ziele die prophetische Würde des Herrn darauf, dass wir in seiner Lehre die vollkommene Weisheit besitzen. Sein Königthum habe er als Herr der Gläubigen, die er mit geistigen Gütern begäbe und bei ihrem Erdenwandel allzeit in seiner Obhut halte. Seines Priesterthums Zweck bestehe darin, dass wir uns vermöge seiner Selbstopferung der Gnade Gottes versichert wüssten und selber zu Priestern würden, fähig, Gott angenehme Opfer darzubringen. So in nuce die Ausführung Calvins. Bemerkenswerth ist darin: 1) Die drei Aemter Christi spiegeln sich ab nicht blos in dem H e i l s b e s i t z , der Heilserfahrung des Gläubigen, sondern auch — wiewohl dies nicht gleichmässig durchgeführt wird — in dem L e b e n s w e r k des Christen; 2) Die drei Aemter werden von Calvin nicht auf drei verschiedene Lebensperioden des Herrn vertheilt, sondern bilden drei verschiedene Seiten der Betrachtung, welche das in sich einige Mittlerwerk darbietet. Was die g e s c h i c h t l i c h e n Momente des Lebens Christi betrifft, so betrachtet Calvin dieselben gesondert für sich. So auch seine Nachfolger. — Das ganze Verfahren findet sich im Heidelberger Katechismus, wie schon im Genfer von 1545, deutlich wieder; neuerdings hat Calvins Darstellung auch in unirte Katechismen, ja selbst in lutherische, z. B. den hannoverschen, Eingang gefunden. Ebenso blieb für die w i s s e n s c h a f t l i c h e Darstellung der reformirten Lehre Calvin massgebend. Ohne im Einzelnen die Wandlungen zu verfolgen, welche die Aemterlehre auf reformirter Seite erfahren hat, will ich nur an ihre bedeutendste

6 Weiterbildung erinnern, die sich an den Namen des Baseler Professors Wolleb knüpft (starb 1629; sein Compendium theologiae christianae erschien 1626). Gegenüber dem verlegenen Schwanken, welches die bisherigen Dogmatiker in Betreff des königlichen Amtes zeigen, betont Wolleb nachdrücklich, dasselbe gehe keineswegs in dem Begriff des Status exaltationis auf. Vielmehr bestehe dasselbe in Sammlung und Bewahrung der Gemeinde, und sei ebenso wie die Lehrthätigkeit und das priesterliche Opfer eine im Stande der Erniedrigung vollzogene und zum Vollbringen des Mittlerwerks wesentlich mitgehörende Leistung. — Freilich hat derselbe Wolleb weiterhin geglaubt, auch dem erhöhten Christus drei verschiedene Amtsthätigkeiten zuschreiben zu müssen. Dass er m. E. dadurch das Lehrstück nicht verbessert hat, wird bei These 8 zur Sprache kommen. Für die wissenschaftliche Fruchtbarkeit des calvinischen Gedankens spricht augenscheinlich der Umstand, dass alle auf dem Boden der Reformation entstandenen Kirchengemeinschaften die Aemterlehre in ihre Lehrsysteme aufgenommen haben. Als z. B. die Arminianer aus der reformirten Kirche ausscheiden mussten, nahmen sie mit manchen andern dogmatischen Traditionen auch das Schema vom Munus triplex Christi in ihre Lehrbücher hinüber. Die Socinianer gaben ihm sogar in ihrem Rakauer Katechismus ein gleichsam symbolisches Ansehen, freilich mit dem thatsächlichen Vorbehalt, die positiven Lehrbestimmungen, mit welchen Calvin das Schema ausgefüllt hatte, skeptisch zu bestreiten. Sogar die katholische Kirche, obgleich sie den Erzketzer Calvin schlimmer noch als Luther mit ihrem Hasse verfolgte, nahm in ihren Catechismus Romanus die Dreiämterlehre genau nach Calvinischem Muster auf. Eigenthtimlich ist die Entwickelung des Lehrstücks auf l u t h e r i s c h e m Boden. Luthers Katechismus und Melanchthons Loci machen von dem Schema des Munus triplex keinen Gebrauch; von den Nachfolgern fassen die meisten das Mittleramt Christi zweiseitig, als Bethätigung seiner priesterlichen und seiner königlichen Würde, ohne doch diese Gliederung recht durchzuführen. Noch um die Mitte des 17. Jahrhundert galt — bezeichnend für die Weise damaliger confessioneller Polemik — die Frage, ob das munus salvatorium duplex sei oder triplex, als ein dogmatischer Streitpunkt zwischen Lutheranern und Reformirten. Inzwischen aber hatte Johann Gerhard in seinen Locis theologicis 1610 das munus t r i p l e x förmlich adoptirt. Zwar mit der Bemerkung, es könne füglich bei der Zweizahl bewenden, denn nach Maleachi 2, 7 habe der Priester auch zu lehren. In-

7 dessen zweckmässig sei doch die Dreigliederung etc. Das munus regium besteht nach Gerhard in Regierung und Beschützung (nicht aber in Stiftung oder Sammlung) der Kirche; das regnum Christi sei potentiae, gratiae, gloriae — ohne dass es ihm gelingt, das Reich der Macht von der Oecononie das Vaters, das Reich der Herrlichkeit von der des h. Geistes zu sondern. Der Vorgang Gerhards machte allmählich den Widerspruch der Lutheraner verstummen, so dass heute nicht blos referirende Werke, wie der bekannte Hutterus redivivus, sondern namhafte, auf lutherischen Voraussetzungen fussende Dogmatiker, wie Hase, Nitzsch, Martensen, Kahnis, sich behufs selbständiger Bearbeitung der evangelischen Glaubenslehre dieses Lehrstücks bedienen. In seiner Anwendung treffen also heute Reformirte und Lutheraner einmüthig zusammen. — Woher diese Erscheinung? Wir antworten: nicht blos daher, weil gegenüber einseitigen und unvollständigen Darstellungen des Heilswerkes die Aemterlehre eine gewisse Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit garantirt, so dass die Gefahr, Wesentliches ausser Acht zu lassen, beseitigt erscheint, sondern mehr noch, weil sie das Heilswerk in solche Beleuchtung rückt, dass sowohl seine Einzigartigkeit als auch sein historischer Zusammenhang mit dem Alten Bunde klar zu Tage tritt. Beides, die Continuität aller göttlichen Heilsoffenbarung und ihre absolute Vollendung in Christo, prägt sich deutlich in diesem Lehrschema aus. Dies betonen auch Schleiermacher und Schweizer, wiewohl ihre Darstellung sonst eigene Wege einschlägt, als einen unbestreitbaren Vorzug. Sollte aber hingegen geltend gemacht werden, dass unser Lehrstück verhältnissmässig jungen Datums, nämlich bis zum sechszehnten Jahrhundert so gut wie unbekannt gewesen sei, so scheint mir im Gegentheil der reformatorische Ursprung das Lehrstück eher zu empfehlen. Denn augenscheinlich berührt es sich nahe mit den Principien der Reformation: mit dem formalen, indem es die Heilslehre auf ihr biblisches Fundament zurückstellt; mit dem materialen, indem es die Person und das Werk des Erlösers in den Mittelpunkt alles Heilslebens rückt. T h e s e 2. Es ist schon erwähnt worden, dass sich zwischen lutherischer und reformirter Auffassung unsres Lehrstücks Verschiedenheiten zeigen. Dieselben sind interessant genug, um eine etwas eingehendere Betrachtung zu rechtfertigen. Eine wesentliche Differenz tritt zu Tage in der Auffassung des munus regium. Zwar auch Hollaz und andre lutherische Dogmatiker

8 behaupten gelegentlich, Christus sei schon auf Erden König gewesen und habe bisweilen willkürlich sein Königsrecht ausgeübt. Allein, so fügen sie alsbald hinzu, des vollen und eigentlichen Gebrauchs habe er sich im Stande der Erniedrigung entäussert; erst im Stande der Erhöhung übe er dasselbe wahrhaft und uneingeschränkt. Bei dieser Betrachtungsweise bleibt offenbar fttr das m u n u s regium kein o f f i c i u m übrig, vielmehr nur eine verborgene Würde des erniedrigten und eine unbestimmte Machtsphäre des erhöhten Christus; — unbestimmt, weil ihre Grenzen unaufhörlich in das Machtgebiet des Vaters und das des h. Geistes (wenn es erlaubt ist, sich so auszudrücken) überfliessen. Der tiefere Grund dieser Auffassung liegt klar: es ist der beherrschende Einfluss, welchen in der lutherischen Dogmatik die christologische Frage, einschliesslich der communicatio idiomatum, nach allen Seiten ausübt. Das Absehen der lutherischen Theologie ist mehr auf den persönlichen Zustand (status) als auf das Werk (opus) Christi gerichtet. In dem ersteren für sich allein, nämlich in der durch die Menschwerdung Christi nicht weniger wie durch seinen Tod bekundeten Selbsterniedrigung, schien dem Lutheraner bereits die volle Leistung, welche das opus salutare bildet, enthalten und beschlossen. Dagegen betont die reformirte Theologie nicht blos die menschliche Entwicklung Jesu, sondern namentlich auch sein irdisches Werk als eine mit Absicht vollbrachte Leistung, die zur Begründung des Heils nothwendig sei. Es liegt auf der Hand, dass diese letztere Auffassung einer consequenten Durchbildung der Aernterlehre entschieden förderlicher sein muss, während auf Grund lutherischer Prämissen weder das munus regium, noch das m. propheticum zu seinem Rechte kommt, vielmehr das ganze Heilswerk in das munus sacerdotale so gut wie völlig aufgeht. Mit dieser principalen Differenz hängt nun eine andere zusammen; diese betrifft die Auffassung des c h r i s t l i c h e n L e b e n s i d e a l s . Auf lutherischer Seite beschreibt man dasselbe vorwiegend als Genuss der in Christo geschenkten Heilsgüter, auf reformirter Seite mehr als Auswirkung der durch Christum eingepflanzten Lebenstriebe; der Lutheraner sucht es in Seligkeit, der Reformirte in Gerechtigkeit. Die Yorbildlichkeit des Lebens Christi kommt daher auf reformirter Seite entschiedener zu ihrer Geltung. Zwar auch dem Lutheraner ist Christi Leben — nach seiner menschlichen Natur — ein urbildliches Ideal; aber das zur Nachahmung Auffordernde ist vornehmlich die heilige G e s i n n u n g (Geduld, Barmherzigkeit u . s . w . ) , wie sich dies im Scheffler'schen Liede „Mir nach, spricht Christus unser Held"

9 so schön ausspricht. Der Reformirte dagegen findet das Nachabmenswürdige an Christo in allen Auftritten und Thätigkeiten seines Erdenlebens, ganz besonders auch in seinem dreifachen Amtsgeschäfte. Vgl. Frage 32 des Heidelberger Katechismus. Zwar dass der Christ kraft des Glaubens an Christum Priester und König sei, hatte Luther im Büchlein von der Freiheit eines Christenmenschen herrlich entwickelt; indessen ein zur Thätigkeit in der Welt verpflichtendes Amt leitete er daraus nicht ab. Anders der Reformirte. Diesem liegt ex participatione unctionis zunächst prophetische, weiterhin auch priesterliche und königliche Verrichtung ob. Das H e i l s w o r t Christi soll er nicht blos hören und bewahren, sondern auch bekennen, ausbreiten, vertheidigen! S c h n e c k e n b u r g e r g l a u b t aus diesem Punkte den specifisch reformirten Bekenntnisseifer ableiten zu sollen; er will die Wahrnehmung gemacht haben, dass in reformirten Kirchen ein aus Welt- und Sündenleben zu Christo Bekehrter sofort als Zeuge, Prediger, kurz in einer nach aussen gerichteten religiösen Thätigkeit aufzutreten pflege, während dagegen der lutherische Neophyt in Ruhe und Selbstzucht sein Kleinod bewahre, ohne den gewöhnlichen Lebensberuf zu verlassen. — Vom p r i e s t e r l i c h e n Amte Christi eine entsprechende Lebensthätigkeit der Gläubigen abzuleiten, fiel auch den Reformirten einigermassen schwer. Denn sie bezogen ebenso wie die Lutheraner das Priesterthum Christi in der Hauptsache auf sein stellvertretendes Opfer, diesem aber schien auf menschlichem Boden nichts Analoges nachgebildet werden zu können, weil sein Werth ausschliesslich durch die göttliche Natur des Herrn Christus bedingt galt. Deshalb nähert sich hier die reformirte der lutherischen Betrachtungsweise, indem von den Gläubigen meist nur die Nachbildung der hohenpriesterlichen Charak t e r e i g e n s c h a f t e n gefordert wird. Doch suchte man auch hier wenigstens in einem Punkte dem Priesterthum Christi eine gleichsam transeunte Kraft beizulegen, indem man mit Berufung auf Psalm 51, 19. Psalm 119, 108. 1. Petri 2, 5. Rom. 12, 1. Hebr. 13,16, und unter Vernachlässigung der Differenz zwischen Sühnopfer und Dankopfer, das christliche Leben als ein Gott geweihtes Opfer beschrieb. Schneckenburger macht dazu die Bemerkung, die Darbringung des zerknirschten Herzens als eines gottgefälligen Opfers sei eine durchaus unlutherische Betrachtungsweise; wer die contritio cordis ausschliesslich auf den Schrecken des göttlichen Zornes gründe, der könne Stellen wie Psalm 51, 19 unmöglich anders als bildlich 1) Vergleichende Darstellung des lutherischen und reformirten Lehrbegriffs.

10 fassen. Derselbe Autor führt auf diesen Differenzpunkt auch die Wahrnehmung zurück, dass Gebet und Gottesdienst einschliesslich der Sacramentsfeier dem Reformirten mehr unter dem Gesichtspunkt einer schuldigen Dienstleistung, dem Lutheraner mehr als ein Dienst Gottes für uns, als Gnadenmittel ex parte Dei erscheine — wobei denn auf reformirter Seite eine bedenkliche Annäherung an katholische Begriffe, obschon in entgegengesetzten Prämissen wurzelnd, leicht in die Augen springe. — Ich möchte dazu bemerken, dass auch bei Lutheranern die Auffassung des Gottesdienstes als einer pflichtmässigen Verrichtung nicht gänzlich fehlt; vgl. z. B. das Wegleiter'sche Lied „Beschwertes Herz, leg ab die Sorgen", Strophe 2. Ausserdem scheint mir die Ableitung dieser Differenz von der verschieden aufgefassten Vorbildlichkeit d e s O p f e r s C h r i s t i ziemlich weit hergeholt. Eine näherliegende Begründung zu entwickeln ist hier nicht der Ort. Deutlicher wird jedenfalls der conf'essionelle Unterschied wieder, sobald es sich um Nachahmung des k ö n i g l i c h e n Geschäftes Christi handelt. Als Theilhaber der königlichen Salbung soll der reformirte Christ alle Hebel in Bewegung setzen, die das Reich Christi befordern, z. B. Aussendung von Arbeitern, Errichtung von Schulen, von Kirchen, von treuen Obrigkeiten; durch christliche Haus- und Kirchenzucht, endlich durch Bekämpfung aller Feinde des Reiches Christi. Unter letzteren wird nicht blos Sünde und Satan, sondern jegliche unchristliche Tendenz inmitten der Christenheit verstanden. — Hieraus erklärt Schneckenburger nicht blos die strenge Kirchenzucht der Reformirten, sondern auch die directe Einmischung ihrer Kirche in das politische Leben. Dass letztere kein zufälliges Merkmal bilde, zeigt allerdings schon Art. 42 der ersten Zwingli'schen Disputation: quando magistratus perfide et extra regulam Christi egerint, possunt cum Deo deponi — ein Grundsatz, der sich weiter in Calvins Genfer Thätigkeit, in den Hugenottenkriegen, in der englischen Revolution verfolgen lässt. Auf lutherischer Seite findet sich Analoges nicht. Hier wird aus dem königlichen Amt Cristi für die Gläubigen nur die Pflicht der geistlichen Vasallentreue, des Unterthanengehorsams abgeleitet; dagegen eine heilende und erbauende Einwirkung auf das Ganze liegt nicht dem Christen als solchem, sondern nur demjenigen ob, der dazu besondern ordentlichen Beruf empfangen hat. Luthers persönliche passive Stellungnahme zu den politischen Fragen und Händeln ist bekannt, und wir können dabei das in seiner Art Heroische nur bewundern; wohl aber hat man im Blick auf die Ge-

11_ schichte der Reformation und angesichts der eminent socialpolitischen Macht des Katholicismus die Frage aufwerfen dürfen, ob die lutherische Reformation voll durchzuführen, geschweige zu behaupten gewesen wäre, wenn ihr nicht eine specifisch reformirte zur Seite gestanden hätte. Ob freilich Schneckenburger darin Recht hat, dass er die Divergenz in den politischen Grundsätzen der beiden evangelischen Kirchen wesentlich auf dogmatische Unterschiede bezüglich des munus Christi regium zurückführt? Mir scheinen noch andre Factoren dabei mitgewirkt zu haben. Jedenfalls ergibt bei allen drei Offizien Christi eine nähere Betrachtung der confessionellen Differenz das Resultat, dass die ganze und volle Wahrheit erst durch Synthese der lutherischen und reformirten Auffassung gewonnen wird. Thatsächlich hat schon der lutherische Pietismus diese Synthese vollzogen; wenigstens für das prophetische und priesterliche Amt hat er sich die reformirte Consequenz mit vollem Bewusstsein angeeignet. Die nähere Darlegung würde hier zu weit führen. T h e s e 3. Für die historische Betrachtung der Aemterlehre erübrigt noch ein kurzer Hinweis auf das Bemühen der Systematiker, für die dreifache Gliederung des Propheten, Priesters und Königs einen speculativen Unterbau herzustellen. Dies Bemühen begegnet nicht erst zu der Zeit, da gegen die Einwürfe Ernestis und seiner Anhänger gleichsam ein angegriffener Posten zu vertheidigen war, sondern schon im Anfang des 17. Jahrhunderts beim reformirten Dogmatiker Amesius. Gegen Ende desselben Jahrhunderts construirt Leydecker das dreifache Schema sogar auf dreifachem Fundament. Erstlich mit Bezug auf unsern sündlichen Zustand: die Blindheit des Geistes werde durch den Propheten, unsre Sündenschuld durch den Priester, der Satansdienst durch den König getilgt. Zweitens bezüglich der gespendeten Wohlthat: Erleuchtung gehe aus vom Propheten, Rechtfertigung vom Priester, Heiligung vom Könige. Drittens in Bezug auf Christum selbst: anfänglich habe er als Prophet gelehrt, sodann als Priester gelitten, schliesslich als König sein Reich angetreten. (Mit dieser dritten Construction entfernt sich der Autor gänzlich von der genuinen calvinischen Auffassung.) Um Sie nun nicht mit allen ähnlichen Theoremen zu ermüden, will ich nur noch einige Neuere reden lassen. Kahnis unterscheidet: offerre salutem als Prophet, acquirere als Priester, conferre als König

12 — beschreibt also nicht die Thätigkeiten selbst, sondern ihre Erfolge. Martensen: Christus als Prophet gibt ein neues Bewusstsein von Gott; Christus der Hohenpriester ein neues Leben in Gott; Christus der König eine neue Weltentwickelung bis zur Sündlosigkeit hin. Endlich Biedermann, bekanntlich auf principiell anderem Boden stehend, reducirt die Aemterlehre auf folgende allgemeine Wahrheiten: 1) im religiösen D e n k e n Aufhebung des fleischlichen Selbst- und Gottesbewusstseins in die wahre geistige Selbst- und Gotteserkenntniss; 2) im religiösen G e f ü h l Versöhnung, d. i. Macht des Geistes über das Fleisch in der Liebe oder der Selbsterschliessung Gottes; 3) im religiösen W i l l e n Freiheit, nämlich subjective in der Erlösung, objective in der Gestaltung der Welt zum Ausdruck unsrer gottebenbildlichen Bestimmung, absolute in der Selbstbebefreiung zum ewigen Leben in Gott. — Die hier benutzte psychologische Tripartition von Denken, Fühlen und Wollen findet sich auch sonst öfter; dass sie das Wesen der Sache nicht treffe, hebt richtig u. A. Schweizer hervor. Es ist nun nicht meine Absicht, an alle diese Constructionen die kritische Sonde anzulegen. Statt dessen möge die Frage gestattet sein: Wozu überhaupt diese dialectischen Operationen? Die Gegner unsres Lehrschemas erblicken in denselben nur vergebliche Bemühungen, eine an sich unlogische Coordination und Partition mit dem täuschenden Scheine der Denkrichtigkeit bezw. Wissenschaftlichkeit zu überkleiden. Dagegen spricht indessen, um Anderes zu verschweigen, schon der Umstand, dass wir an jenen Substructionen eine Reihe von Theologen betheiligt finden, die das Resultat wissenschaftlicher Correctheit niemals mit dem Preise einer Täuschung bezahlen würden. Eher könnte man sagen, jene Dogmatiker seien durch die Besorgniss geleitet gewesen, es möchte um der alttestamentlichen Typen willen leicht der Centrallehre des Christenthums etwas Judaisirendes, oder doch der Schein eines solchen, anhaften bleiben. Schleiermacher hat diesem Gefühl bekanntlich Ausdruck gegeben in der Bemerkung, die Typen des Propheten, Priesters und Königs seien eigentlich nur dem Urchristenthum ganz und sofort verständlich, der urchristlichen Lehrform aber auch ganz angemessen gewesen, „weil es darauf ankam, das Antijudaisirende des Christenthums unter der judaisirenden Form zur Anschauung zu bringen." Flir die heutige Zeit hätten jene Typen das Missliche, dass sie uns zum Verständniss des Erlöserwerks einen Umweg durch die alttestamentliche Geschichte aufnöthigten. Zweckmässig bleibe daher die kirchliche Eintheilung nur deswegen, weil sie die Geschäfte Christi als potenzirte Umbildungen derjenigen

13 darstelle, durch welche sich im Alten Bunde die göttliche Regierung offenbart habe. Schleiermacher legt persönlich auf dieses letztere Moment kein Gewicht, geht demgemäss in der Darstellung des Heilswerks Christi 1 ) seine eigenen Wege und erörtert gleichsam nur anhangsweise die hergebrachte Aemterlehre. Indessen wenn wir die volle, namentlich wissenschaftliche Erkenntniss der neutestamentlichen Heilslehre gewinnen wollen, so sind wir an zahlreichen und wichtigen Punkten genöthigt, in die Ideenkreise der vorchristlichen, sowohl jüdischen wie heidnischen, Welt aufzusteigen; wir lassen uns auch diese Mühe gerne gefallen, in der durch die Erfahrung bestätigten Zuversicht, dass ein guter Umweg nicht krümmt. Insofern scheint mir also das alttestamentliche Gewand der Dreiämterlehre keiner Entschuldigung vor dem Forum heutiger Wissenschaft zu bedürfen. Nur bleibt selbstverständlich hier wie überall die Prüfung vorbehalten, ob etwa die vorchristlichen Analogien mehr zur Verdunkelung als zur Aufhellung der neutestamentlichen Lehre gereichen. Ist das letztere der Fall, so kann der Grund nur darin liegen, dass in jenen Typen unter der zeitlichen Hülle ewige und allgemeingültige Wahrheit verborgen ist. Und eben diese Ueberzeugung wollen jene Substructionen der Dogmatiker aussprechen; als Zeugnisse für die innere Wahrheit der Aemterlehre wollen sie gelten, nicht als wissenschaftliche Kunststücke oder als Spielerei. Dass die Versuche dieser Art nicht gleichmässig befriedigen, thut nichts zur Sache. Verhältnissmässig am meisten gelungen wird diejenige innere Begründung der Aemterlehre heissen dürfen, welche ohne Eintragung fremder Kategorien aus der Sache selber schöpft, und welche innerhalb der Gliederung zugleich den genetischen Fortschritt veranschaulicht. In dieser Beziehung unterliegt natürlich die in These 7 versuchte Darstellung, wie jede andere, der Kritik. II. T h e s e 4. Die gewöhnliche Ableitung des Aemterschemas vom Amtsnamen Christus beruht eigentlich auf einem Kettenschluss. „Christus ist mit dem Geist ohne Mass gesalbt. Die Geistessalbung ist symbolisirt und präformirt in der theocratischen Oelsalbung. Mithin culminirt in Christo Alles, was im Alten Bunde mit Oel gesalbt wurde. Dies waren aber thatsächlich die Könige, die Priester und die Propheten. Ergo vereinigt Christus in sich mit absoluter Voll1) Dogmatik §.§. 100, 101.

14 kommenheit die Aemter des Propheten, Priesters und Königs." — Diese Conelusion steht unleugbar an mehr als einem Punkt auf schwachen Füssen. Wenn in Christo alle Geistessalbung culminirt, so folgt doch daraus nur, dass er die g e i s t g e s a l b t e n Träger der Theocratie absolut Uberragt; fiel aber wirklich die Geistessalbung mit der Oelsalbung so zusammen, dass nur die mit Oel Gesalbten, diese aber ausnahmslos des heiligen Geistes theilhaftig wurden? Ferner: Ist der Ritus der Oelsalbung bei Propheten, Priestern und Königen erweisbar? und sonst bei Niemandem? — Wir könnten diese Einwände leicht noch vermehren. Fraglich ist von vorn herein, ob das officium des Propheten als theocratisches Amt mit dem Nebensinn des Ständigen und Ordnungsmässigen betrachtet werden kann. Die Prophetenschulen möchten allenfalls darauf führen; nur wissen wir leider sehr wenig über ihren Zweck und ihre Organisation. Im Uebrigen erscheint die Prophetie weit eher als ein freier Beruf, auf besonderer göttlicher Begabung und Veranlassung ruhend. — Weiter fragt sich, ob die theocratische Oelsalbung überall in gleichem Sinne, d. i. mit der gleichen symbolischen Bedeutung geschehen sei. Die gottesdienstliche Oelsalbung basirt zunächst auf der Sitte profaner Salbung zu festlichen Zwecken, und bedeutet Weihe und Aussonderung zum Dienst Jehovahs mit dem Effect der Unverletzlichkeit. In diesem Sinne wurden die Priester gesalbt, vergl. 3. Mose 8, 10—12; aber ebenso auch die Stiftshütte, der Altar, Denkmäler und anderes. Gleichen Sinn hat auch wohl ursprünglich die Salbung des Hohenpriesters gehabt. Derselbe wird vorzugsweise „gesalbter Priester" genannt, während von den übrigen' Priestern sogar zweifelhaft ist, ob sie überhaupt gesalbt wurden. 2. Mose 40, 15 scheint dies zu bejahen; die Rabbinen meinen, der gewöhnliche Priester sei nur an der Stirn, der Hohenpriester aber durch Ueberschütten seines Haupts mit dem heiligen Oele gesalbt worden. In bildlicher Rede werden als Gottgeweihte und Unverletzliche selbst die Patriarchen mit dem Namen „Gesalbte" bezeichnet. Vergl. Psalm 105, 15 identisch mit 1. Chron. 17, 22. Nun aber geht diese Grundbedeutung des Salbens unter besonderen Umständen in eine höhere über, nämlich in die der Ausrüstung mit besonderer Art oder grösserem Mass von göttlichen Geisteskräften. D i e s e Salbung, Symbol der Geistesmittheilung von Jehovah, empfing der König. Daher wird Maschiach promiscue für „König" gebraucht; selbst dem heidnischen Cyrus wird der Name des Gesalbten beigelegt. Auch die Prophetensalbung, von welcher übrigens nur ein

15 einziges Beispiel (Elisa von Elias gesalbt 1. Kön. 19, 17) begegnet, hatte offenbar diesen höchsten symbolischen Sinn. Und die Salbung des Hohenpriesters? Verschiedene Umstände, darunter die Handhabung des räthselhaften Urim und Thumim, die politische Wichtigkeit seiner Stellung u. A. brachten es mit sich, dass man sich im Laufe der Zeit gewöhnte, auch beim Hohenpriester nicht blos Unverletzlichkeit u. dgl., sondern eine durch Salbung empfangene höhere Geistesmittheilung anzunehmen. Wenigstens erscheint die Stelle Evgl. Joh. 11, 51 nur so verständlich. Dass die Grundbedeutung des Salbens leicht in die höhere tiberfliessen konnte, liegt in der Natur der Sache. Das Gesagte wird genügen, um das schwache Fundament der gewöhnlichen Deutung des Christusnamens zu illustriren. Daher denn auch Manche diese Argumentation verlassen und an ihre Stelle etwa Folgendes setzen: „Wie es sich auch immer mit den typischen Salbungen verhalten haben möge, jedenfalls hat man zur Zeit Jesu allgemein unter „Messias" einen solchen Volksheiland verstanden, der die Aemter des Königs, Priesters und Propheten in seiner Person vereinigen würde." So behauptet Stier in seinem grösseren Katechismus, so lässt auch Hase seinen Hutterus redivivus reden. Leider kann ich auch für diese Behauptung keinen Beweis in den evangelischen und apostolischen Schriften des Neuen Testaments entdecken. Im Gegentheile scheint aus Joh. 7, 40 hervorzugehen, dass man die Erscheinung des grossen Propheten (5. Mose 18, 15) von der des Messias wohl unterschied. Und dass Johannes der Täufer die Vermuthung erwecken konnte, er möchte wohl der Messias sein (Luc. 3, 15), spricht gleichfalls gegen die obige Annahme. T h e s e 5. Dennoch ist in der üblichen Ableitung der drei Aemter Christi von seinem Messiasnamen ein Körulein Wahrheit. Thatsache ist zunächst, dass zur Zeit Jesu die Frommen, die auf den Trost Israels warteten, nicht blos ein weltliches Königreich der Macht, des Friedens und des Wohlstandes ersehnten, sondern vor allem eine reale Reinigung des sündigen Volkes an Haupt und Gliedern, und eine neue Aufschliessung der Erkenntniss Gottes für alles Volk. Eben diese Erwartung weist aber auf die Verheissungen des Alten Bundes zurück als auf ihre eigentliche Quelle; Verheissungen, in welchen sich schrittweise die ganze Heilshoffnung so in die Tiefe und Breite entfaltet, dass ihre einstige Erfüllung in dem Rahmen bloss königlicher Functionen eines zukünftigen Davidssprossen

16 schlechterdings keinen Baum mehr findet. Ich erinnere nur an Jesajas, sowohl im ersten, wie im zweiten Theile; an Sacharja, der einen offnen Born wider die Sünde verheisst; an Joel, der eine neue Geistesausgiessung über alles Fleisch weissagt; an Jeremias 31, wo gleichsam in einem Athem Gotteserkenntniss, Sündentilgung und Volkserneuerung genannt werden — eine Stelle, die man in der That typisch für die Erwartung eines dreifach gesalbten Heilands nennen könnte, obschon sie kein Wort von Salbung meldet. Alles zusammengenommen wird man nicht leugnen können, dass die messianische Idee, obwohl ursprünglich royalistisch gedacht, doch im Laufe ihrer Alttestamentlichen Entwickelung entschieden bereichert worden ist, und zwar mit solchen Momenten, welche schon im Alten Bunde auf der Linie priesterlichen und prophetischen Wirkens liegen. Hierzu kommt nun, dass ein gewisses Uebergreifen des einen Amts in die Sphäre des andern schon theocratisch geordnet war. Ich erinnere z. B. an das prophetische Urim und Thumim des Hohenpriesters, sowie an den Umstand, dass in einzelnen Fällen (1. Könige 13) der König auch als Opferpriester fungirte. Ja in ausserordentlichen Zeiten der Neugründung oder Reformirung des Alten Bundes hat thatsächlich Cumulirung der Aemter stattgefunden. Moses war Volksfiihrer und Prophet zugleich; Samuel erscheint als Prophet, Priester und Richter in einer Person. Endlich führt auch die Psalmstelle 110, 4, wie man immer den Anlass zu diesen Worten sich denken mag, zu der Annahme, dass die Erscheinung eines ewigen Priesters, welcher zugleich wie Melchisedek König wäre, dem theocratisch gesinnten Theile der Nation wenigstens zeitweilig als hohes Ideal vorgeschwebt haben muss. Welche Anwendung der Hebräerbrief von dieser Stelle macht, ist bekannt. Nitzsch macht die Anmerkung, dass auf eine ursurpatorische Weise und mit wesentlicher Entstellung jeder einzelnen Würde bereits in Johannes Hyrcanus (starb 106 vor Christo, Sieger von Jamnia) die persönliche Vereinigung der drei Aemter historisch geworden sei. Ihn preist Josephus in seinem „Jüdischen Krieg" mit folgenden Worten: Die dreifache Oberherrlichkeit besass er allein, nämlich die Herrschaft über das Volk, die Hohenpriesterwürde und die Prophetie. Denn das Daimonion verkehrte mit ihtn, sodass er alles Zukünftige wusste. (Nebenbei bemerkt bestätigt hier Josephus, dass als die höchsten theocratischen Würden bezw. Functionen nur diese drei, die königliche, priesterliche und prophetische gegolten haben, wie sie es denn auch in der That gewesen sind.)

17

Wenden wir nun den Blick in die Zeit der Erfüllung, auf die Person des Heilandes. In einer Herrlichkeit, die über alles Ahnen und Weissagen hinaus geht, hat er a l l e messianische Hoffnung realiter erfüllt, hat es gethan vermöge einer Salbung mit heiligem Geiste, die jenseits aller Vergleichungen liegt; und was dem alten Bundesvolk seine theocratischen Säulen und Mittler geleistet, das hat in absoluter Potenz der Heiland dem Volke des Neuen Bundes, der ganzen Welt und für alle Zeit geleistet. Und wie in Israel jene drei Würden einerseits erforderlich, anderseits genügend waren, um den ganzen Heilsrath Gottes der bedürftigen Menschenseele zuzueignen, so hat auch Christus in seinem dreifachen Amte das ganze Werk der Welterlösung entfaltet und vollendet. Die urchristliche Gemeinde hat es freudig bekannt und die Christenheit bekennt es bis an diesen Tag und aller Orten, dass neben und nach Christo kein Raum mehr ist für theocratische Könige, Priester und Propheten; ausser in soweit als Christus selbst, das ewige Haupt, den Gliedern seines Leibes seine Würde übertragen will und kann. T h e s e 6. Ehe wir nun zu dem Nachweis schreiten, in welcher Weise Christus jene drei Aemter ausgeübt hat, sei hier ein kleiner Excurs gestattet über über den Gebrauch des Wortes „Amt," der neuerdings durch R i t s e h l b e m ä n g e l t worden ist. Gegen die Angemessenheit dieses Ausdrucks wird geltend gemacht, „Amt" bedeute einen besonderen Beruf zur Verwirklichung einer Rechtsgemeinschaft, oder zur Verwirklichung einer sittlichen Gemeinschaft unter den Bedingungen des Rechts. Das Reich Gottes sei aber keine Rechtsgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft des liebevollen Handelns. Hier könne es also Aemter nicht geben, denn die Liebe verzichte auf ihr Recht. Dass das Königthum Christi nicht von dieser Welt sei (Joh. 18, 36), habe auch weiter keinen Sinn, als dass es dem rechtlichen Maassstab entzogen sei. Dazu komme noch Folgendes. Denke man sich Christum als Beamten, so könne das leicht zur bösen Folge haben, dass auch die kirchlichen Amtsträger der Gegenwart sich wegen ihrer privilegirten Rechtsstellung als Stellvertreter (warum nicht Collegen?) Jesu Christi gerirten. — So weit Ritschi. Meines Erachtens liegt kein Grund vor, die Sache so tragisch zu nehmen. Freilich ist der geistliche Amtsbegriff nicht blos auf katholischer, sondern auch auf protestantischer Seite in Theorie uud Praxis oft 1) Rechtfertigung und Versöhnung III. 2

18 überspannt worden; auch ist vor 200 Jahren einmal ein reformirter P f a r r e r n e b e n andern Ursachen deshalb seines Amtes entsetzt worden, weil er in einer Predigt behauptet hatte „Gott könne der Prediger Collega genannt werden, denn er habe im Paradies die erste Copulation verrichtet." Allein dass dergleichen Extravaganzen durch den technischen Gebrauch des Wortes „Amt Christi" angeregt oder befördert würden, dürfte schwerlich zu erweisen sein. Die Ueberspannung des geistlichen Amtsbegriffes hat andere, und leider viel kräftigere Wurzeln! — Was aber den deutschen Sprachgebrauch betrifft, so ist die behauptete juristische Färbung des Begriffes „Amt" in dieser Allgemeinheit nicht stichhaltig. Wir reden ohne jede Beziehung auf Rechtsverhältnisse vom Lehramt, Trostamt, Zuchtamt des heiligen Geistes, gebrauchen das Wort Amt im Sinne von Pflicht (Sirach 3,- 24) oder von pflichtmässiger Verrichtung (Hochamt, Vesperamt). Luther hat vielfach „Amt" übersetzt, wo in der Grundschrift diaconia steht, und etymologisch bezeichnet merkwürdiger Weise „Amt", ahd. Ampaht, genau denselben Begriff wie dimovia = diayxwvla, nämlich Unterstützung der Ellenbogen. Mithin erscheint der Fortgebrauch des hergebrachten Ausdrucks ganz unverwertiich, falls nur, wie selbstverständlich, der juristische Amtsbegriff ausgeschlossen, und „Amt" als Berufsdienst verstanden wird (munus gleich officium). Oder sollten wir aus der biblischen und theologischen Sprache alle Ausdrücke ausmerzen, die im Laufe der Zeit im Profangebrauch eine andere, bezw. eine Nebenbedeutung gewonnen haben? Wo bliebe dann z. B. das Wort Glaube? Und müsste dann nicht alle paar Menschenalter die Sisyphusarbeit von Neuem beginnen? III. T h e s e 7. Gehen wir nun zur Betrachtung des Heilswerks Christi Uber und achten auf die verschiedenen Momente, in welchen es sich thatsächlich entfaltet und erschöpft. 2 ) Das heilsame Werk Christi ist nichts anderes, als die Selbstoffenbarung seiner Person in der sündigen Welt. Das Centrum des Personlebens Christi ist aber absolute Gotteskindschaft. Die hatte Niemand zuvor gekannt noch gesehen. Also ist die heilsame Wirksamkeit Christi zunächst eine bezeugende, offenbarende. Wie neu, herrlich, heilig, ewig die in 1) Abraham Lüneschloss zu Solingen, abgesetzt 1677. 2) Es bedarf kaum der Erklärung, dass hier nicht von Erschöpfung s v. a. Ermüdung die Rede ist. Das Wort will nur sagen, dass kein Moment des Heilswerkes unberücksichtigt bleiben soll.

19 ihm persönlich erscheinende Gotteskindschaft sei; welches ihre Voraussetzungen auf Seiten Gottes, welches ihre Einwirkung auf die Welt und bis in die Ewigkeit hinein: dies war der Inhalt seiner Offenbarung. Gewissermassen geht das ganze Heilswerk des Herrn darin auf, die Wahrheit zu zeugen. So sagt er es selbst Joh. 18, 37. So setzt er das ganze Heil in die Kraft der Wahrheit, die von ihm ausgeht: Joh. 8, 31. — Als Mittel des Zeugnisses dient ihm das W o r t ; doch nicht das mündliche allein; auch sein heiliges Leben, sein Leiden und Sterben dient seiner Lehre zur Veranschaulichung, Bekräftigung, Besiegelung. — Es würde zu weit führen, wenn ich auch nur in knappen Umrissen die Heilslehre Jesu skizziren wollte; ich erinnere nur an die drei Cardinalpunkte der Bergpredigt: der Vater, das Himmelreich, die neue Gerechtigkeit; desgleichen an die johanneische Trilogie: Licht, Leben, Liebe. Diese Seite nun der Selbstoffenbarung Christi lässt sich als „ideelle Gestaltung der Gottesgemeinschaft" bezeichnen darum, weil es eben ihre absolute Idee ist, die sich im Zeugniss Christi nach allen Seiten auseinander legt, — ewig wahr und gültig, g a n z a b g e s e h e n d a v o n , ob e i n e e i n z i g e S e e l e s i c h von i h r e r B e z e u g u n g überzeugen l a s s e n würde. Prophetisch aber ist dieses Heilsgeschäft zu nennen, erstlich weil Christus sich selbst deswegen als Propheten bezeichnet. Die Stelle Luc. 4, 24 entscheidet zwar nicht, wohl aber die Weise wie er dort Jesajas 6 1 , 1 auf sich anwendet. Ferner Luc. 13,33: es schickt sich nicht, dass ein Prophet ausserhalb Jerusalem umkomme. Matth. 23, 5 7 : Jerusalem, die du tödtest die Propheten. Zum andern ist Christus als Prophet a n e r k a n n t worden eben wegen seines Zeugnisses. So Luc. 7, 16: ein grosser Prophet aufgestanden. Luc. 24, 19: ein Prophet mächtig an Thaten und Worten. Joh. 4, 19: ich sehe dass du ein Prophet bist. Joh. 6, 16: das ist wahrlich der Prophet etc. Joh. 7, 40: dieser ist der grosse Prophet. Es darf hierbei als bekannt vorausgesetzt werden, dass der prophetische Beruf in Israel nicht im Vorhersagen des Zukünftigen, sondern im Heraussagen des Verborgenen bestand. Das Verborgene ist der mannigfaltige Heilswille Jehovahs, der bei Vielen verdeckt und verdunkelt, den Propheten aber durch göttliche Erleuchtung kund war. Dies schliesst nicht aus, dass wie die alttestamentlichen Propheten, so auch Christus mitunter im speciellen Sinne geweissagt hat; z. B. von seines Lebens Ausgang, vom Schicksal des Volkes Israel, von der Vollendung des göttlichen Reiches. Aber unterschieden hat sich

20 Christus von allen Propheten als absoluter Vollender des Gesetzes und der Verheissung, so dass fortan Alle, die im Neuen Bunde Apostel, Lehrer, Evangelisten und Propheten heissen mögen, durchaus von ihm abhängen, aus ihm schöpfen, und keinen andern Grund legen können, denn der gelegt ist, noch auch denselben vervollkommnen. Gal. 1, 7. 1. Cor. 3, 11. Die heilsame Wirkung des Wortes Christi soll sicher und unvergänglich sein. Zu diesem Behuf muss der Zeuge der Wahrheit die Hindernisse, die sich ihm widersetzen, intensiv und definitiv überwinden. Denn das, wovon uns der Erlöser befreien will Job. 8, 31 Sünde und Tod, Welt und Fleisch, will sich in seiner Güte und Freiheit behaupten, widersetzt sich also dem göttlichen Wirken. In seiner Selbstoffenbarung als Gotteskind beharrt nun der Erlöser, so dass jede neue Regung der Feindschaft ihm zum Mittel wird für neue Entfaltung seiner heiligen Liebe. In die Noth und Schuld des Sünders lebt er sich mitfühlend also hinein, dass auch das Aeusserste, was die Sünde an ihm und wider ihn vermag, nur den Triumph des göttlichen Erbarmens besiegeln und somit Bürgschaft leisten muss, dass ein freier Zugang zum Vaterherzen Gottes durch ihn eröffnet ist. So entfaltet sich das Zeugniss der Wahrheit zur V e r s ö h n u n g d e r G e w i s s e n . Alles was zu dieser Entfaltung beiträgt, in Jesu Reden, Thaten, Leiden und Sterben, anhebend mit der Taufe im Jordan und der Versuchung in der Wüste, gipfelnd in seinem Tode am Kreuz, der höchsten That seiner Liebe, — das Alles bildet den Inhalt seines versöhnenden Wirkens. „Individuelle Gestaltung der Gottesgemeinschaft" verdient dasselbe genannt zu werden, weil eben das persönliche Gewissen die Stätte ist, in welcher Christus den Sieg der Gnade über die Sünde, den Sieg der Gottesliebe über die Gottesflucht erstreitet Und dass dies Geschäft ein hohenpriesterliches ist, ergibt sich aus der Analogie mit den Functionen des alttestamentlichen Priesterthums. Den freien Zugang zu dem heiligen Gott, der dem Priester eignet, vermittelte derselbe seinem Volk, indem er im Namen desselben die Verletzungen der göttlichen Ordnung gleichsam zurücknahm, also die Schranken, welche Sünde, Tod und Welt zwischen dem Menschen und Gott aufrichten, entfernte. Als Mittel zu diesem Zweck diente keineswegs das Opfer allein, sondern eine Reihe von 1) Dass individuell hier nicht als Gegensatz zu universell verstanden wird, bedarf wohl kaum der Erwähnung,

21 rituellen Ceremonien (Waschungen, Besprengungen, Segnungen), alle auf Reinigung, Entsündigung, d. i. Herstellung der verletzten Gottesgemeinschaft abzweckend. So gefasst, erscheint mir die Analogie zwischen dem typischen Priesterthum des alten Bundes und dem Hohenpriesterthum Christi schlagender, als wenn lediglich das O p f e r zum tertium comparationis genommen wird. Zwar fällt mir nicht ein, den eigenthümlichen Werth, welchen die Idee des hohenpriesterlichen Versöhn-Opfers zur Veranschaulichung der Versöhnkraft des Todes Christi hat, schmälern oder gar bestreiten zu wollen. Nur scheint mir in dieser Beschränkung das eigentliche punctum saliens nicht getroffen zu werden; auch findet diese Beschränkung in der Lehre Christi und seiner Apostel keine Stütze. Denn eine Auffassung, welche ausschliesslich im Tode des Herrn sein versöhnendes Wirken erkennt, und diesen Tod ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt eines stellvertretenden Opfers betrachtet, lässt werthvolle Gedanken der neutestamentlichen Heilslehre unbeachtet. Ich will nur daran erinnern, wie neben andern Begriffen z. B. das „Lösegeld" als Veranschaulichungsmittel verwendet wird; ferner erwähnen, dass gerade der Hebräerbrief das versöhnende Thun unseres Hohenpriesters darin gipfeln lässt, dass er in das Heiligthum eingegangen sei, d. i. nicht blos sich, sondern in seiner Person die ganze Menschheit in die Gemeinschaft mit Gott hineingerückt habe. Endlich wo bleibt die Analogie zwischen dem Priesterthum Christi und dem des G l ä u b i g e n , wenn lediglich das Stihnopfer als tertium comparationis gelten soll? Auch hier weisen Stellen wie Hebr. 10, 19—22, 1. Petri 2, 5 und 9 auf einen umfassenderen Begriff vom Hohenpriesterthum Christi zurück. — Mehr als diese Andeutungen werden Sie .nicht erwarten in dem beschränkten Rahmen dieses Referats. Hat sich das Zeugniss der Wahrheit entfaltet zur Versöhnung der Gewissen, so entfaltet sich nun dieses weiter zur S t i f t u n g d e r G e m e i n d e . Von allem Anfang an hat der Herr Fürsorge treffen wollen, dass nicht nur hier und da, gleichsam zufällig, ein Individuum von der Gewalt der göttlichen Wahrheit und Liebe ergriffen werde, und in seiner Vereinzelung der Gotteskindschaft sich erfreue, sondern dass eine weltumfassende Gemeinschaft der Gotteskinder erwachse, die an ihm dem Haupt als Glieder hangen, unter sich aber Mitglieder und Reichsgenossen Gottes seien, alle regiert durch seinen Willen, alle verbunden durch die Liebe, das Band der Vollkommenheit. Was er zu diesem Zweck gelehrt und gethan hat, bildet den Inhalt seiner

22 k ö n i g l i c h e n Amtsverrichtung. Zu einem wahrhaftigen Königthum bekennt sich der Herr schon hier auf Erdeu, und zwar so entschieden (Job. 18, 87), dass dies der Welt zur äussern Veranlassung wird, ihn zu verdammen und zu tödten. Er ruft zu sich, wen er will, verordnet durch Gebot und Verheissung eine äussere Gemeinschaft der Glaubenden und Betenden, stiftet für diese Gemeinschaft unterpfändliche Bundeszeichen, gebietet den Jüngern zusammenzubleiben, die Verheissung des Vaters erwartend, wiederum befiehlt er ihnen hinauszuziehen als Herolde seines Worts und W e r k s , und alle Welt zu ihm zu bekehren. Diese Art des Wirkens Christi gehört zu seinem mitlerischen Thun ganz wesentlich; denn nicht blos das Ganze seines Erfolges, sondern auch speciell sein prophetisches wie sein priesterliches Wirken w a r durch jenes bedingt. Königlich ist dieses W i r k e n , nicht sowohl weil er es in göttlicher Erhabenheit vollbrachte, obschon es selbstverständlich nicht ohne diese geschehen konnte, sondern weil es der allgemeinen Idee des Königthums und der speciellen im Israelitischen Volke genau entspricht. Denn der wahre Begriff vom Könige ist der, dass er die zum Heile des einzelnen Volksgenossen dienenden K r ä f t e so verwaltet, dass sie zugleich Band, Schutzmittel und Vollendungstrieb des ganzen Volkes werden. Speciell im Alten Bunde lag dem Königthum das Zusammenhalten, Erneuern, Verbessern ob, während die Priester das mehr innerliche und unmittelbare Verhältniss des Volkes zu Gott pflegten. Demgemäss wirkt der Erlöser als König, d. i. als Regierer, Beschützer und Vollender seiner Jünger, und rüstet sie mit königlichen Kräften zur Welteroberung aus. In welchem Sinne ich diese Thätigkeit „sociale Gestaltung der Gottesgemeinschaft" genannt habe, bedarf wohl k a u m der Erläuterung. Nicht an sociale Probleme und Aufgaben im modernen Sinne, sondern an die gemeinschaftbildende Kraft des Erlösungswerkes will der Ausdruck erinnern. T h e s e 8. Wenn man geglaubt hat, die Auffassung des Heilswerks Christi dadurch noch tiefer und voller zu gestalten, dass man auch dem präexistenten Christus sowie dem zur Herrlichkeit Erhöhten besondere Thätigkeiten zur Vollbringung desselben vindicirte, so hat man m. E. dabei die Linie des theologischen, geschweige des religiösen Bedürfnisses überschritten. Am augenscheinlichsten, soweit es sich um den präexistenten, d. i. vorhistorisch als loyog existirenden Christus handelt. Zwar wird demselben ein priesterliches oder könig-

23 liches Geschäft, soweit ich sehe, von Niemandem beigelegt; höchstens ein prophetisches wollen Einige ihm zusprechen, theils in dem allgemeinen Sinne, der löyng sei von Ewigkeit her Princip aller göttlichen Offenbarung, theils in dem besonderen, als sei Christus schon in den alttestamentlichen Propheten das treibende Agens, der spiritus rector gewesen. Dabei führt man wohl 1. Cor. 10, 4 als Analogie und 1. Petri 1, 11 als directe Bestätigung an. Indessen eine nähere Beleuchtung, wie sie hier nicht wohl angestellt werden kann, würde nicht blos den f i g ü r l i c h e n Sinn jener Schriftstellen ergeben, sondern auch bald klarstellen, dass ein munus propheticum Christi ante Christum zur volleren Auffassung des Mittlerwerks schlechterdings nichts beiträgt, j a dass ein solches die altestamentlichen Propheten in eine seltsame Doppelstellung bringen würde. Wie können dieselben zugleich Typen des zukünftigen und Werkzeuge des schön existirenden Christus sein? Nicht ebenso leicht erscheint es, diejenigen Vorstellungen abzuweisen, welche die dreifache mittlerische Thätigkeit des Erlösers auch in den nachweltlicben Stand seiner Herrlichkeit hinein verlegen. Es ist schon erwähnt worden, wie zuerst der Dogmatiker Wolleb für jedes der drei Offizien eine doppelte Wirkungssphäre statuirte, eine irdische und eine himmlische. Als Prophet habe Christus hienieden gewirkt durch sein Wort; vom Himmel rede er durch Apostel, Prediger, und durch die heilige Schrift überhaupt. Als Priester habe er hier auf Erden im stellvertretenden Opfer die Sünde gesühnt, im Himmel übe er für uns die intercessio und interpellatio aus. Als König habe er hienieden die Gemeinde gesammelt, vom Himmel her schütze, regiere, vollende er sie. Bei den Lutheranern, die sich bald diese Auffassung aneigneten, ist die Darstellung ähnlich, nur dass, wie schon berührt wurde, beim königlichen Amt mehr von Jesu persönlicher Würde, als des Theilhabers an göttlicher Ehre und Macht, die Rede ist. — Diese Weiterentwickelung der Aemterlehre erweckt allerdings den Schein der Gründlichkeit. Auch führt man einige Schriftstellen für sie an. Z. B. Joh. 14, 2; die Zubereitung der himmlischen Bleibstätten sei ohne specifische Werkverrichtung, so meint man, nicht wohl denkbar. Weiterhin 1. Joh. 2, 1: Fürsprache bei dem Vater; Hebr. 7, 25: lebt immerdar und bittet für sie; Rom. 8, 34: ist zur Rechten Gottes und vertritt uns u. s. w. Dennoch er1) Auf Erörterungen über den ,,Engel des Herrn" als Manifestation des präexistenten Christus kann hier vollends verzichtet werden.

24 geben sich, sobald man der Sache näher ins Auge sieht, bei dieser Auffassung eigentümliche Schwierigkeiten. Zunächst liegt auf der Hand die Unmöglichkeit, sich die himmlischen Geschäfte Christi irgend vorstellig zu machen, ohne in crassen .Anthropomorphismus zu verfallen. Ferner wird auf diesem Wege die schriftgemässe Lehre, dass Christi Erlösungswerk mit seinem Sterben wirklich vollendet worden sei, wesentlich erschüttert, und das Siegeswort, womit der Herr am Kreuz nicht blos das Ende seiner Marter, sondern auch die Vollendung seines Werkes markirt, wird alsdann erheblicher Einschränkung bedürfen. Können wir uns so leichten Herzens dazu entschliessen? Meines Theils sehe ich nicht ein, was uns hindern sollte, jene vorhin citirten Bibelstellen tropisch zu verstehen, in dem Sinne nämlich, dass die Heilskräfte, welche Christus durch sein irdisches Leben und Wirken in absoluter Fülle erschlossen und entfaltet hat, fort und fort in Ewigkeit von ihm ausgehen. Denn freilich wirket der Herr bis hieher, aber wie? Durch den Geist, der von ihm ausgeht! So hat er's seinen Jüngern verheissen, und seine Verheissung hat er erfüllt. Aber auf besondere Amtsverrichtungen, die der verklärte Herr im Himmel zu bewerkstelligen habe, führt das nicht. Oder dürften wir fragen: Womit füllt der Herr im Himmel seine ewige erhabene Müsse aus? Der Gläubige erachtet dergleichen Fragen für müssige; ihm genügt an seines Herrn Gnade und an seiner Verheissung: Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Wenn ich also, im Einklang mit namhaften Exegeten und Dogmatikern, in jenen Ausdrücken interpellatio, intercessio b i l d l i c h e Rede vermuthe, und ihre Verwerthbarkeit für dogmatische Constructionen bezweifle, so will ich damit ihre Anwendbarkeit überhaupt nicht im Mindesten bestreiten. Mit vollem Reohte sagen wir von beiden, von Christo und vom heiligen Geiste, dass sie unsere Vertreter beim Vater sind; vom hl. Geiste, sofern wir subjectiv durch ihn der Begnadigung inne werden; von Christo, sofern er der objective, bei Gott ewiglich gültige Grund unserer Begnadigung ist. Man kann auch sagen: dem Vater ist allezeit das Heilswerk unseres Mittlers gegenwärtig; oder: der Vater schaut uns in dem Sohne an. Vgl. auch Joh. 16, 26. 27: ich sage nicht, dass ich für euch bitten will; denn er selbst, der Vater hat euch lieb. — Vollends auf liturgischem und hymnologischem Gebiet ist gegen den Gebrauch der mehrberührten Ausdrücke nicht viel einzuwenden. In geistlichen Liedern finden wir oft die Bitte zu Christo, er wolle uns beim Vater vertreten; z. B. Provinzialgesangbuch Lied 142, 2: Trag es deinem Vater vor,

25 dass er mir die Schuld vergebe. — Lied 187, 4 : Bitt du den Vater, dass er mir im Zorn nicht lohne nach Gebühr.

Und so öfter. — Zuweilen

kommt auch die umgekehrte Anschauung zu Worte: Lied 680, 3 (Gebet an den Vater): Befiehl mich Christo, deinem Sohn, der wird mich wohl bewahren. Vgl. auch Lied 188, wo beide Vorstellungsreihen abwechseln. T h e s e 9.

Die incorrecte Weise, mit der man die stofflichen

und zeitlichen Bestandtheile des Lebens Jesu unter die drei einzelnen Aemter vertheilte, hat sich, namentlich in der Katechese, vielfach auch bei denen erhalten, welche von der Incongruenz ein deutliches Bewusstsein haben.

Es erklärt sich das einigermassen aus dem Be-

dtirfniss, die einzelnen Lebensphasen des Herrn an einem Leitfaden gleichsam

aufzureihen und zwar einem solchen,

bietet, dass nichts Wesentliches übergangen wird.

der die

Garantie

Aber wo es ge-

schieht, sollte niemals die Hinweisung unterlassen werden, dass die biographische Betrachtung überall nur auf ein r e l a t i v e s

Vorwiegen

dieser oder jener Amtsfunction führt, während eigentlich Christus in

allem

Thun

und

Erleben

gleichzeitig

lich und königlich gewirkt hat. illustriren. lichen

priester-

Der sündlose Wandel des Herrn wird in der herkömm-

Dogmatik

an Stelle

prophetisch,

Zwei Beispiele mögen die Sache

der

priesterlichen augenscheinlich

und

Katechese

sündigen Welt Amte

Christi

unter dem

Gesichtspunkt

geleisteten

Satisfaction,

abgehandelt.

Dabei

einer

also

beim

kommt

aber

die vorbildliche Kraft seines Wandels zu kurz; j a weil hier übergangen,

überhaupt

im katechetischen Leitfaden nirgends hervorgehoben wird.

es kann geschehen,

dass letztere,

So ist es

leider im Rheinischen sog. Unionskatechismus. Vgl. daselbst Frage 5 9 : W a s für Nutzen hast du von dem heiligen Leben des Herrn?

Ant-

wort : Dass er mit seiner Unschuld und Heiligkeit unsre Unreinigkeit, und mit seinem vollkommenen Gehorsam unsern Ungehorsam bedeckt hat. — Es

bleibt bei dieser einseitigen Betrachtungsweise gänzlich

unberücksichtigt, dass in Jesu sündlosem Wandel nicht nur die authentische Illustration und Interpretation seiner Lehre, sondern auch der kräftigste Impuls, sich ihm vertrauensvoll anzuschliessen, folglich zur Stiftung seiner Gemeinde enthalten war. Aehnliche Mängel zeigt die übliche Betrachtungsweise des Leidens und Sterbens Jesu. fenbarungsstätte seiner

Dass das Kreuz des Herrn die höchste OfWahrheit

und Weisheit,

das

Siegel

seines

prophetischen Wirkens ist, tritt vor dem alles beherrschenden Satisfactionsgedanken ebenso zurück, wie die schriftmässige Lehre, dass

26 der Tod Jesu unmittelbar zur Förderung seiner Reichsgemeinschaft dienen musste, indem er die zeitlichen und räumlichen Schranken seines Wirkens aufhob. Jnh. 12, 24: Weizenkorn. 2. Cor. 5, 16: Wir kennen Niemand nach dem Fleisch, auch Christum nicht. T h e s e 10. Es ist also in der Aemterlehre keineswegs ein Schema zur Eintheilung der stofflichen und zeitlichen Bestandtheile des Lebens Jesu angegeben, sondern, wie Calvin es ausgesprochen, eine dreifache Betrachtungsweise des g a n z e n Mittlerwerks. Kraus in seiner lehrreichen Abhandlung 1 ) über das munus triplex nennt die calvinische Aemterlehre „einen genialen Griff des grossen Systematikers der Reformation"; und trotz mannigfacher Bestreitung, welche das Lehrstück in alter und neuer Zeit erfahren hat, scheint mir sein Urtheil nicht unzutreffend. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Einwände der Kritiker. Ihren Reigen eröffnete Johann August Ernesti (starb zu Leipzig 1781) mit einer kleinen Abhandlung de officio Christi 1773. Neben manchem Richtigen, was er gegen die lutherischerseits übliche Darstellungsweise vorbringt, richtet sich seine Polemik im Wesentlichen auf zwei Punkte. Erstlich behauptet Ernesti, die dreifache Gliederung des Geschäftes Christi greife aus der Fülle von Ehrenprädicaten, welche dem Erlöser in der heiligen Schrift beigelegt werden, willkürlich einige heraus, ohne dass ein Grund vorliege, gerade diese zu bevorzugen, oder bei der Dreizahl Halt zu machen. Eher sei z. B. das Prädicat des H i r t e n charakteristisch für die Natur des Erlösungswerks, und die dogmatische Verwendung dieses Prädicats um so empfehlenswerther, weil Jesus es sich selber beigelegt habe. — Zum andern behauptet Ernesti, alle jene Ausdrücke (König, Priester, Prophet), denen man auch das Licht, der Weinstock, die Thüre u. a. anreihen könne, seien blos bildliche Bezeichnungen oder Tropen, welche, auf Christum angewendet, Höheres aussagten, als sie im Munde der Juden, bezw. des Alten Testamentes bedeuten wollten. So Ernesti, dem dann eine Reihe von Theologen wie Döderlein, Zachariae, Knapp, Bretschneider secundirten. Doch erhoben sich auch gleichzeitig Stimmen zur Vertheidigung des angegriffenen Lehrschemas, welche den Nachweis zu führen versuchten, dass hier weder Willkür in Auswahl der Begriffe, noch blosser Tropus vorliege. Am kräftigsten führten diesen Nachweis Schleiermacher und Nitzsch. „Von einem Tropus", sagte der letztere, „sollte da nicht geredet wer1) In den Jahrbüchern für deutsche Theologie XVII.

1872.

27

den, wo sich die vollkommenste Verwirklichung einer Amtsidee, keineswegs blosse Aehnlichkeit vorfindet." In der That muss es bei einem Manne, wie Ernesti, befremden, wie er die Namen Prophet, Priester, König auf der einen, Hirte, Licht, Thür, Weinstock auf der andern Seite in ihrer Bildlichkeit als gleichwertig taxiren konnte. Hier blosse Bilder, hergenommen vom Naturleben, vom Bauwesen, Pflanzen-, Thierleben — dort concrete historische Amtspersonen, dem religiösen Gemeindeleben des Menschen angehörig, in ihm wurzelnd, aus ihm hervorblühend, über ihm waltend. Was aber die behauptete Willkür der Auswahl anbelangt, so steht dieselbe mit der Geschichte Israels in tatsächlichem Widerspruch. Das oben citirte Zeugniss des Josephus von den drei Trägern oder Säulen der Theocratie entspricht genau dem wirklichen Verhältniss. Endlich das von Ernesti bevorzugte „Hirtenamt" ist im königlichen inbegriffen, von welchem es nur eine besondere Seite darstellt. Kein Wunder also, dass die heutigen Kritiker, soweit sie fortfahren, das Lehrschema vom munus triplex zu bestreiten, doch die Bahnen Ernesti's verlassen haben. Gegenwärtig wird hauptsächlich der Vorwurf logischer Fehlerhaftigkeit geltend gemacht. Das Schema trennt, so sagt man, was nicht zu trennen ist, und ferner, es coordinirt, was nicht zu coordiniren ist. Der erstere Vorwurf richtet sich nur gegen die falsche Verwerthung unsres Schemas zur Eint e i l u n g der stofflichen und historischen Bestandteile des Lebens Jesu; diesem Einwand ist also durch These 9 und die dahin gehörigen Ausführungen die Spitze abgebrochen. Wie steht es aber um den zweiten Vorwurf? Unter den Theologen, die ihn erheben, ist unstreitig der bedeutendste A. Ritschi. Derselbe unterstützt ihn mit folgenden Worten: Nur Priesterthum und Prophetenthum lassen sich formell nicht auf einander reduciren; jenes bewegt sich in der Richtung von den Menschen zu Gott; dieses in der Richtung von Gott auf die Menschen. Dagegen findet das königliche Wirken Christi seine Erscheinung in der deutlichen Absicht des Erlösers, die Gemeinde des Gottesreichs zu gründen und auf ihr Ziel zu leiten; das königliche Wirken ist eine specifische Modification des prophetischen und des priesterlichen. Nach Ritsehl lässt sich also wohl reden von Christo als einem königlichen Propheten und königlichen Priester, nicht aber in der Weise der bisherigen Tripartition. Zustimmung verdient es allerdings, dass Ritsehl das königliche Amt Christi nicht in die überirdische Herrlichkeit des erhöhten Heilandes aufgehen lässt, sondern ihm, wie schon Calvin g e t a n , eine reale Beziehung

28 gibt zur Gründung und Erhaltung der Gemeinde. Was aber das behauptete antithetische Verhältniss vom prophetischen und priesterlichen Wirken betrifft, so hat bereits AI. Schweizer (Reformirte Dogmatik 1847) sich darüber geäussert wie folgt: Das Prophetische ist die Darbietung des Göttlichen ans Menschliche; das Priesterliche ist die Darbringung des Menschlichen ans Göttliche. Beides zusammen erschöpft den Begriff mittlerischer Erlösung; was übrig bleibt, ist auf Seiten des Erlösers nur die königliche Herrlichkeit, die ihm persönlich aus dem Werke zuwächst, auf Seiten des Menschen nur die Application des Werkes an die Einzelnen und das Ganze; in beider Hinsicht bedarf es keines besondern Erlösergeschäftes mehr. So Schweizer, mit welchem sich also hier Ritsehl, abgesehen von dem verschieden bestimmten Inhalt des Königthums Christi, aufs engste berührt. So sehr ich das Gewicht dieser Argumente anerkenne, so wenig will es mir gelingen, die bedeutenden dagegen sich erhebenden Bedenken zu entkräften. Dass beim priesterlichen Thun die Darbietung des Göttlichen an das Menschliche vor der entgegengesetzten, der Darbietung des Menschlichen an das Göttliche, zurücktrete ; m. a. W. dass hier die religiöse Betrachtung vor der ethischen verschwinde, will mir nicht einleuchten. Eins der wichtigsten priesterlichen Geschäfte ist das Segnen; ist das nicht Darbietung des Göttlichen an das Menschliche? Und was ist die Versöhnung der Gewissen? Ist sie nicht Hineinwirken des göttlichen Gnadenwillens in die Herzen der gottfliehenden Menschenkinder? Ist nicht Darstellen und Herstellen des ungehemmten Zugangs zu Gott eine Neuerschliessung des göttlichen Erbarmens von Seiten Gottes für die Menschen? M. E. lässt sich vom hohenpriesterlichen Thun des Erlösers mit gleichem Rechte beides aussagen: sowohl, dass es sich in der Richtung vom Menschen auf Gott, wie dass es sich in der Richtung von Gott auf die Menschen bewege. Und ebendasselbe gilt, wie sich unschwer zeigen Hesse, vom prophetischen Thun; daher ich meinestheils der durch Schweizer-Ritsehl vorgeschlagenen Verbesserung unsres Lehrschemas nicht zustimmen kann. Auch was man von andrer Seite zur Vereinfachung gleichsam der Construction vorgeschlagen, vermag ich als eine sachliche Förderung nicht zu erkennen. Man sagt, das ganze Heilswerk Christi gehe im p r o p h e t i s c h e n , nämlich in der Offenbarung des göttlichen Heilswillens auf; diese vollziehe sich einestheils intensiv, d. i. priesterlich gegenüber der widerstrebenden Sünde, anderntheils extensiv, d.i. königlich gegenüber der widerstrebenden Welt. Noch andre befttr-

29 worten die Ueberordnung des p r i e s t e r l i c h e n Amts, so dass das ganze Heils werk im officium sacerdotale aufgehe; das prophetische sei davon nur die nothwendige Voraussetzung, das königliche nur die nothwendige Consequenz. Letztere Construction ist bekanntlich bei vielen practisehen Christen populär; dass sie einseitig ist und zu Einseitigkeit führt, wird unten noch zur Sprache kommen. Allen diesen Constructionen gegenüber glaube ich für die hergebrachte Trilogie das Prädicat grösserer auch logischer Richtigkeit beanspruchen zu dürfen, wenn unser Schema, um oben Gesagtes zu recapituliren, so gefasst wird: die reale Gottesgemeinschaft bewegt sich im prophetischen officium Christi h e r a b a u s d e r H ö h e , im priesterlichen h i n e i n in d i e G e w i s s e n , im königlichen h i n a u s in d i e Welt. In dieser nicht zeitlich, sondern begrifflich gedachten Abfolge vollzieht sich das Ganze des mittlerischen Wirkens Christi. IV. T h e s e 11. Hochbedeutsam ist die Lehre vom dreifachen Amte auch für die practische Gestaltung des christlichen Lebensideals. Und zwar darum, weil der Christ, als Theilhaber des XQiofia Christi, nicht nur stetes Object seiner Heilswirkungen bleibt, sondern auch Subject nachahmender Thätigkeit wird; letzteres wieder in doppelter Hinsicht, einmal (lutherisch) durch eine prophetische, priesterliche und königliche G e s i n n u n g , dann wieder (reformirt) durch entsprechendes Wirken nach aussen. Der Christ soll also seines dreifachen Amtes dreifach walten: durch Christum, mit Christo, für Christum. Er soll des ewigen Propheten stetiger Hörer, Schüler, Jünger bleiben; soll alles wissen 1. Job. 2, 20 und 27; er soll aber auch in persönlicher Wahrheit, Begeisterung und Treue ein Lehrer, Zeuge, Bekenner, Missionar und Märtyrer sein; ein Verkünder der Tugenden Christi 1. Petri 2, 9; ein Licht für die Welt 2. Cor. 4, 6. Vgl. auch Matth. 5,14. Desgleichen soll er aus dem priesterlichen Herzen Christi stets Gnade um Gnade schöpfen, in befreitem Gewissen den Zugang zum Vaterherzen Gottes pflegen, aber auch in priesterlichem Erbarmen diesen Zugang Anderen vermitteln, sie auf fürbittendem Herzen tragen, der Sünden Menge decken 1. Petri 4, 8, ihre Seelen selig machen 1. Tim. 4, 16. Endlich soll er, gehorsam dem Königswillen seines Herrn und seinem Schutz vertrauend, königlicher Freudigkeit gemessen inmitten der Welt und ihrer Angst; soll aber auch als Glied und Mitglied die Welt ringsum zum Gottesreich gestalten, den göttlichen Sauerteig hineinmengen, die Schafe des Erzhirten weiden u. s. w.

30 T h e s e 12. Wird nun aber in der öffentlichen L e h r e eines der Offizien Christi vernachlässigt, so tritt alsbald — sei es als Ursache, oder als Folge, oder als beides in Wechselwirkung — auch eine Verkümmerung des christlichen L e b e n s hervor. Denselben Effect, wie die Vernachlässigung, hat einseitige Hervorhebung eines Amtes auf Kosten der übrigen. In dieser Beziehung brauche ich nur an den Rationalismus zu erinnern, der zum Theil in ausschliesslicher Betonung des prophetischen Thuns Christi sein charakteristisches Merkmal hat. Wo diese Richtung herrschte, war von Versöhnung der Gewissen, überhaupt vom priesterlichen Werk des Herrn kaum mehr die Rede; wie darunter das christliche Leben gelitten hat, bedarf keiner näheren Ausführung. Umgekehrt vertrug sich einseitiger Pietismus, weil ihm das ganze Heilswerk in die Versöhnung, diese aber in persönliche Schuldbefreiung so gut wie völlig aufging, sehr wohl mit einer weitgehenden Gleichgültigkeit gegen die Lehre; zu geschweigen, dass er der Welt, mit Nitzsch zu reden, „die christliche Sittenbildung schuldig blieb." Er verstand eben das königliche Amt des Herrn Christus nicht. Auch das königliche Amt Christi hat, wenn einseitig auf Kosten der andern hervorgehoben, oft Titel und Vorwand herleihen müssen zu allerlei Schwärmerei, namentlich chiliastischer Art; zu utopischen Versuchen, ein Gottesreich auf Erden herzustellen, ungefragt, ob die versöhnten Gotteskinder zu seinem Bau vorhanden seien, und ohne Rücksicht auf die Regel des prophetischen Wortes Christi, an dessen Stelle das „innere Licht" genügende Klarheit verbreiten sollte. Wenden wir von den historischen Verkümmerungen des christlichen Lebens unsern Blick auf die individuellen, die überall und zu jeder Zeit eintreten können. Dass sie mit einseitigen Auffassungen des Heilswerks Christi sich berühren, können wir oft beobachten. Oft mögen diese bedingt sein durch natürliche Anlagen des Geistes und Gemüths, oft durch eigenthümliche Lebensführungen. Auch tragen wir Alle den Schatz des Heils in irdischen Gefässen. Selten wird ein Christ sich finden, der für alle Functionen des Mittlers ein gleich scharfes geistliches Sensorium zeigt; selten ein Jünger, der gleiche Liebe und gleichen Eifer nach allen den Richtungen beweist, welche das Urbild des dreifachen Amts unserm Christenleben vorzeichnet. Denn wie unser Erkennen, so ist auch unser Vollbringen hienieden ein stückweises; darum gilt auch hier, dass die Gaben sich ergänzen sollen zum Heile Aller.

31 Dies führt zu dem Gedanken des zweiten Alinea in These 12. Zu besonderen Zeiten, etwa des K i r c h e n j a h r s , werden wir eingeladen, uns in eine einzelne Phase oder Seite des Heilswerkes tiefer zu versenken. Da tritt dann aus dem Gesammt-Rahmen der Offizien Christi ein einzelnes deutlicher heraus. So z. B. sein königliches Amt zu Pfingsten, sein hohenpriesterliches am Charfreitag, sein prophetisches in der Epiphaniaszeit. Die Liturgie nimmt darauf billige Rücksicht, das Gegentheil wäre tactlos. — Da ferner auch das E i n z e l l e b e n seinen Zeiten Wechsel hat, so gut wie das kirchliche, so ist es für die Seelsorge erspriesslich, dass nicht immer nur von Einer Seite Christus vor Augen gemalt werde. Wer die Hirtenpflicht kennt, das Wort recht zu theilen 2. Tim. 2, 15, vgl. Luc. 12, 42, der wird heute den Propheten, morgen den Priester, ein andermal den König Christum „herausstreichen", j e nach dem innern Bedürfniss der Person und des Moments. — Endlich aber: unterliegt nicht auch das W e l t l e b e n dem Zeiten Wechsel? Zwar Christus ist nicht zertheilet; indessen, wo heilsnothwendige Kräfte schlummern, da gilt es, mit der rechten Losung sie zu wecken. Da kann es für den, der die Zeichen der Zeit zu deuten versteht, Pflicht werden, j e und dann ein anderes officium Christi auf die Fahne zu schreiben. Nur als eine Frage möchte ich den Gedanken aufwerten, ob nicht die gegenwärtige Zeitlage im Allgemeinen zu einer kräftigeren Betonung des k ö n i g l i c h e n Amtes Christi auffordere? Dass wir nicht blos Glieder an unserm himmlischen Haupte, sondern auch untereinander Mitglieder seien; dass wir gegenüber weiterverbreitetem Angstchristenthum in königlicher Freiheit und Freudigkeit des Herrn Sache führen sollen; dass wir — nicht etwa socialpolitische Probleme lösen, wohl aber zur socialen Gestaltung der Gottesgemeinschaft daheim und draussen fleissiger die Hände regen: sollte dergleichen Wahrheit, alt und doch ewig jung, es nicht verdienen, dem heutigen Christengeschlecht nachdrücklicher eingeprägt zu werden? Zur innern Mission drängt offenbar die Lage unsres Vaterlandes; und die Weltlage, günstiger als seit Jahrhunderten, lockt sie nicht zur ä u s s e r n ? T h e s e 13. Indem ich zum Schlüsse meines Referates eile, möchte ich mich zunächst gegen die Unterstellung verwahren, als wünschte ich, der lutherischen Katechismusauslegung des zweiten Glaubensartikels durch irgend ein ergänzendes Einschiebsel aufzuhelfen. Nur einer vom Katecheten oft empfundenen Verlegenheit möchte ich hier Ausdruck geben. Während das priesterliche Ver-

32 söhnungswerk und das königliche Reich, darin wir leben sollen, kräftig in jener Auslegung zur Sprache kommt, übergeht sie das prophetische Lehren und vorbildliche Leben des Herrn mit gänzlichem Stillschweigen. Freilich zeigt diesen Mangel das Apostolicum selber, und bekannt ist, was z. B. Nitzsch darin eingefügt wünschte: „er ist umhergezogen und hat wohlgethan und den Frieden verkündigt" — nach Apostelgesch. 10, 38 und Eph. 2, 17. Wie soll es nun geschehen, dass diesem wichtigen Stück der Heilslehre der ihm beim katechetischen Unterricht gebührende Platz gesichert werde? Entweder wird man mit Stier dem „Amtsnamen" Christus die entsprechende Deutung beifügen, oder man wird sich in der Weise Palmers helfen, der nach Absolvirung des zweiten Glaubensartikels einen Appendix nachzutragen vorschlägt. Etwa so: Woher weist du nun, dass der Heiland dies Alles gethan hat? Antwort: Aus seinem Wort, das er von sich selber zeuget. — So wird dann das übergangene prophetische Officium gleichsam durch eine Hinterthüre eingeführt. In ähnliche Verlegenheit kommt derjenige nicht, welcher nach dem Heidelberger oder nach dem Rheinischen Unionskatechismus unterrichtet. Dem Missverständniss, welches allenfalls durch die eigentümliche Fragestellung in Frage 31 des Heidelberger (Frage 55 des Rheinischen) Katechismus hervorgerufen werden könnte, wird der Katechet durch eine kurze Erläuterung zu begegnen wissen. Denn die Meinung darf er (vgl. oben These 4) nicht befördern, als wäre der Heiland darum mit dem Christusnamen bezeichnet worden, weil etwa Petrus oder die Jünger oder die Juden entdeckt hätten, er vereinige in seiner Person die Aemter des Propheten, Hohenpriesters und Königs. Sondern er hat die Fragestellung dahin zu deuten: Was will es heissen, wenn wir Jesum mit dem Namen Christus, d. i. Gesalbter, bezeichnen? Oder: Woran denken wir, wenn wir den Heiland „Christus", d. i. Gesalbter, nennen? Ich beschliese, verehrte Herren und Brüder, mein Referat mit dem Wunsche, dass es das Vertrauen zur wissenschaftlichen Berechtigung der Aemterlehre bei Ihnen stärken, vielleicht auch deren practische Behandlung einigermassen befruchten möge.

Urkunden zur Geschichte des deutschen Pietismus. Aus dem Archive des Fürstlich- und Gräflich-Ysertburgischen Gesammthauses zu Büdingen. Mitgetheilt von

Professor Wilhelm Bender in Bonn.

Mit der Veröffentlichung dieser Akten verfolge ich, wie von vornherein bemerkt werden soll, ein besonderes Interesse, nämlich genauere Nachweise Uber den Antheil des Pietismus an der Entstehung der religiösen Aufklärung in Deutschland zu geben. Abgesehen von diesem Interesse, über welches ich mich nachher aussprechen will, hoffe ich mit dieser Veröffentlichung den Geschichtschreibern des Pietismus zu dienen und dieselben zu weiteren archivalischen Forschungen anzuregen. Denn bevor wir mehr oder weniger zuverlässige Genealogien des deutschen Pietismus aufstellen und über den kirchlichen und culturellen Werth desselben ein sicheres Urtheil bilden können, müssen wir diese für die Reform unserer kirchlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse gleich wichtige Bewegung jedenfalls auch in ihrer volkstümlichen Ausprägung genauer kennen lernen. Unsere Kenntniss des pietismus vulgaris ist aber durch die neuere Geschichtschreibung nicht wesentlich über das Maass dessen, was schon B a r t h o l d und Goebel gegeben haben, hinausgeführt worden. Man muss es freilich als einen Mangel unserer gesammten Kirchengeschichtschreibung bezeichnen, dass dieselbe vielmehr Theologengeschichte, wie Geschichte des religiösen Gemeindelebens ist. Nirgends aber macht sich diese Einseitigkeit so fühlbar, wie bei der Darstellung des Pietismus, der doch in gewisser Hinsicht geradezu 3

34 als Emancipation des praktischen Laienchristenthums von der Herrschaft der theologischen Schule bezeichnet werden darf. Bereits unter diesem Gesichtspunkte glaube ich auf das Interesse der Historiker für die Veröffentlichung der folgenden PietistenAkten rechnen

zu dürfen, trotzdem

die von B r i e g e r

in Marburg

herausgegebene „Zeitschrift für Kirchengeschichte" den Abdruck derselben abgelehnt hat. Was nun das besondere Interesse betrifft, bei der Auswahl der Akten geleitet hat,

welches

mich

auch

so ist mir wohl bekannt,

dass von den Geschichtschreibern des 17. und 18. Jahrhunderts

der

Antheil des Pietismus an der Entstehung der religiösen Aufklärung in Deutschland nicht übersehen worden ist 1 ). Aber dass der Pietismus nicht nur indirekt durch seine Opposition gegen das orthodoxe Kirchenthum

die religiöse Aufklärung

(die von der weltlichen wohl zu unterscheiden ist) vorbereitet, er vielmehr die wichtigsten Ideen derselben

dass

bereits direkt vertreten

hat, j a dass er unter den gegebenen Verhältnissen sich mit der N o t wendigkeit eines geistigen Processes in „Aufklärung" gleichsam umgesetzt hat und umsetzen musste,

das glaube ich allerdings an dem

geeignetesten Beispiele zum ersten Male genauer aufgezeigt zu haben 2 ). Freilich bezieht sich dieser Nachweis nur auf den radikalen Pietismus, der unter der Führung vön G o t t f r i e d A r n o l d , und D i p p e l

aus

dem Misserfolg

Hochmann

der Spener'schen Kirchenreform

(etwa seit 1700) das Recht abgeleitet hat, sich vollständig

von der

1) Man vergleiche z. B. J u l i a n S c h m i d t , Geschichte d. geist. Lebens in Deutschland seit dem westfälischen Frieden, 1862. schichte des 18. Jahrhunderts. 2. A. 1879.

H. H e t t n e r ,

Literaturge-

B i e d e r m a n n , Deutschland im 18.

Jahrhundert. 2. A. 1880. — Auch E r d m a n n hat in seiner Geschichte der Philosophie den Einfluss des Pietismns auf unsere Culturentwickelung richtig gewürdigt, obwohl ihm verborgen geblieben ist, dass derselbe nicht nur in Schleiermachers mystischer Religionslehre,

sondern auch in Kants rigoristischer Moral

fortwirkt. — Ebenso haben unter den Theologen z. B. K a h n i s ,

Hagenbach,

N i p p o l d und, wie ich mich gerne durch M ö l l e r belehren lasse (Theol. Lit. Zeitung 1883. Nro. 15), auch T h o l u c k , mus" (Realencyklopädie

freilich nur in dem Artikel „Pietis-

1. A.) auf diesen Zusammenhang von Pietismus und

Aufklärung hingewiesen, während derselbe neuerdings Realencyklopädie,

die man nicht überall

in der 2. Auflage der

als eine verbesserte bezeichnen kann,

von K ü b e l (Art. Rationalismus) wieder vollständig in Abrede gestellt wird. 2) Man vergleiche meine Monographie: Johann Konrad Dippel. Der Freigeist aus dem Pietismus. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Aufklärung. Bonn.

Webers Verlag (Julius Flittner).

1882.

35 Kirche zu emancipiren, oder eine ungleich radikalere Reform derselben zu versuchen, oder endlich die historische Kirche durch kirchliche Neubildungen zu antiquiren. Dieser „radikale" Pietismus entstammt zwar derselben Quelle wie der kirchliche Pietismus, nämlich der asketischen Mystik, welche in diesem sich zur Reform der historischen Kirche aufrafft, in jenem dagegen in offene Opposition gegen die Kirche umschlägt 1 ). Er vertritt auch die wichtigsten Reformideen S p e n e r s ; aber er macht einen anderen Gebrauch von ihnen. Spener hat nämlich immer die Tendenz auf die Reform des kirchlichen Lebens durch das biblische Christenthum aufrecht erhalten; ebenso die Hallischen Pietisten, die in der dritten Generation doch wohl mehr unter dem Einfluss der wolfischen Philosophie, wie des pietistischen Reformprogramms selbst zur Aufklärung fortgeschritten sind. Dagegen stellen die radikalen Pietisten die einfache Lehre Jesu gegen das dogmatische Bekenntniss, lösen die mystische Verbindung mit Christus vom kirchlichen Sakrament los und versuchen, die kirchliche Sitte durch die asketische Nachfolge Jesu zu ersetzen2). Wenn man den radikalen Pietismus, dem allem Anschein nach nicht nur die erweckten Volksmassen, sondern auch der kleine deutsche 1) Die Versuche, den deutschen Pietismus aus der Wiedertäuferei oder aus dem englischen Quäkerthum abzuleiten in Ehren, glaube ich doch bemerken zu dürfen, dass dieselben nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beanspruchen können. Denn abgesehen davon, dass die historischen Verbindungsglieder noch keineswegs genügend festgestellt sind, und dass die Pietisten sich überall, wie es scheint, von den Täufern ferngehalten haben, würde das, was wir Pietismus nennen, bei dem Fortwirken der Mystik unter den damaligen kirchlichen und socialen Verhältnissen ohnehin entstanden sein. Aus dem Bestreben, das Ideal des apostolischen Zeitalters, welches die Mystik immer vertreten hat, wieder herzustellen, dürften sich leicht alle Spielarten des Pietismus in Deutschland erklären. Die Büdinger Wiedertäufer- und Inspiranten-Akten, aus welchen ich mir Mittheilungen vorbehalte, bieten für diese Meinung wichtige Belege dar. 2) Man vergleiche hierzu die Akten. — Das sehr stark ausgeprägte Bewusstsein der Sündhaftigkeit in diesen Kreisen gibt weniger Veranlassung, die Versicherung über die Rechtfertigung zu suchen, wie die Aufgabe der Heiligung einzuschärfen. Das erklärt sich aber aus der durch die Satisfactionstheorie veranlassten Missdeutung der reformatorischen Reclitfertigungslehre, ebenso wie sich die asketische Auffassung der Heiligung aus dem Gegensatz gegen die sittliche Verwilderung der Zeit erklärt. Unter Beachtung der historischen Constellation erscheint sogar der Chiliasmus keineswegs nur im Lichte des schwärmerischen Fanatismus.

36 Adel zugefallen ist, aus seiner Haltung gegenüber dem Kirchenthum mit Recht einen Vorwurf macht, so sollte dabei nicht übersehen weiden, wie dieses Kirchenthum damals einen durchaus politischsocialen Charakter an sich trug. Es ist die Zeit, in welcher nicht nur bei Uebernahme eines kirchlichen Berufs, sondern bei Eheschliessung, Erwerb von Grundbesitz, Aufnahme in die Zünfte u. s. w. der Nachweis des kirchlichen Bekenntnissstandes verlangt wurde und in welcher die Kirche selbst von einem Doktrinarismus beherrscht war, dessen ebenbürtiges Gegenbild nur in dem römischen Ritualismus zu finden ist. In Anbetracht dieser und anderer Verhältnisse erscheint die Opposition gegen die Kirche in einem milderen Licht und die Opposition gegen die theologisch-politischen Confessions-Staaten des heiligen römischen Reichs deutscher Nation sogar als ein Verdienst. Man wird in den unten abgedruckten Akten weitere Belege für die in meiner Monographie über Dippel ausgesprochene Meinung finden, dass nicht den späteren Aufklärern, sondern dass den radikalen Pietisten das Verdienst gebührt, den Kampf gegen die Verquickung von Politik und Religion eröffnet und der Gewissensfreiheit in Deutschland die Bahn gebrochen zu haben 1 ). In den nachfolgenden Akten tritt nun zwar nicht die direkte Transformation des Pietismus in Naturalismus zu Tage, wohl aber die durchaus oppositionelle Haltung desselben gegenüber den Confessionskirchen und dem Confessionsstaat. Indessen sieht man leicht, wie diese Opposition über ein ganz bestimmtes Reformprogramm verfügt, welches mit demjenigen der positiver gerichteten religiösen Aufklärung nahezu identisch ist, wenn es auch nach Lage der verschiedenen historischen Verhältnisse hier und dort modificirt erscheint. 1) Wobei ja ohne Weiteres anzuerkennen ist, dass die kleinen deutschen Fürsten, Grafen und Herren, die dreissig Jahre vor Friedrich dem Grossen in ihren Ländern „Jeden nach seiner Façon seelig werden Hessen", nicht nur von religiösen, sondern auch von Ökonomischan und politischen Interessen geleitet waren. — Uebrigens kann man auch aus den staatlichen und socialen Reformversuchen des Pietismus ersehen, dass er die Askese keineswegs nur im „mönchischen" Stile aufgefasst und betrieben hat. Weitere Belege hierfür finden sich namentlich in den Büdinger „Inspiranten-Akten", aus denen zu ersehen ist, wie die Hauptabsicht der priesterlichen Propheten doch nur dahin ging, nach Art der alttestamentlichen Propheten das Strafamt an der verdorbenen Zeit zu üben und nach dem durch Türken und Franzosen (Assur und Babel !) zu vollziehenden Gericht das Kommen besserer Zeiten (vielleicht des Reiches Christi selbst !) zu verheissen.

37 Die Akten selbst, aus welchen ich natürlich nur eine Auswahl mittheilen kann, beziehen sich nicht nur auf die pietistischen Bewegungen in den reformirten Ysenburgischen Ländern, sondern auch auf die gleichartigen Erscheinungen in der lutherischen Grafschaft Solms-Laubach und streifen die Bewegungen im Waldeckischen, in Anhalt und in Thüringen 1 ). Ich möchte vermuthen, dass die Erscheinungen, die uns hier begegnen, überall wo der Conventikel-Pietismus sich etablirt hat, sich gezeigt haben. Es wäre aber sehr zu wünschen, dass uns die Lokal-Historiker die aktenmässigen Belege, durch welche diese Vermuthung bestätigt oder widerlegt werden könnte, darbieten wollten. Die zahlreichen Edikte, welche besonders seit 1700 in den meisten Staaten gegen den Pietismus erlassen wurden, sind für dergleichen archivalische Forschungen die besten Wegweiser. Und die Kenntniss des pietismus vulgaris werden wir doch vorwiegend aus den Akten zu schöpfen haben. I.

Pietistische Händel in Laubach und Arolsen.2) A. ACTA. Wegen der also genanten Pietisten. 1) Ein schreiben von Herrn grafen von Hanau an Herrn graf Johann Philibsen nach offenbach unterm dato Hanau den 8. Jan. 1700. 1) Die Versuche, den Pietismus confessionell abzugrenzen, übersehen die unionistische Tendenz, die denselben allenthalben beherrscht, und sind jedenfalls in Beziehung auf den Laienpietismus ganz werthlos. Ebenso wenig ist es möglich, dem „lutherischen" Pietismus eine stärkere Tendenz zur Aufklärung oder einen grösseren Antheil an der Entstehung derselben wie dem „reformirten" Pietismus zuzuschreiben. Im Gegentheil hat gerade in reformirten Territorien (Wittgenstein-Berleburg und Ysenburg-Büdingen) der Pietismus seine radikalste Ausbildung gefunden. Und wenn man geltend machen will, dass die Verfassung der reformirten Gemeinden eine gewisse Schutzwehr gegen die auflösenden Wirkungen des Pietismus dargeboten habe, so ist dagegen zu bemerken, dass gerade diese Verfassung, welche das Laienthum zur Mitwirkung an der Kirchenleitung heranzieht, ebenso wie die asketische Disciplin und Sitte der Reformirten auch stärkere Motive zur Emancipation der erweckten Laien von der officicllen Kirche bezw. der Geistlichkeit und zur Bevorzugung der moralischen Seite des Christenthums darbieten. 2) Ysenburgisches Archiv zu Büdingen s. Kulturwesen Nr. 75 Wetterauische Grafen-Acta.

38 2) Ein schreiben von Herrn graf Ludwig, und Herrn graf Ludwig Heinrich zu Solms an Herrn graf Johann Philibsen zu offenbach, unterm dato Laubach den 17. Jan. 1700, wobei ein protocoll vom 9. xbr. 1699 mit Beylagen A. B. C. D. E. F . G. H. I. K. & L. 3) Ein Memorial vom Solms Rödelheim etc. abgesanden Herrn Feuerbach an sämbtl. Herrn abgesanden des grafen Convents mit Beylagen 11, 2. & 3. 4) Ein schreiben, so an Herrn graf Friedrich Ernsten zu Laubach von sämbtl. Herrn abgesanden des grafen Convents unterm dato Frankfurt den 6. Febr. 1700 abgang, worin obiges Memorial mit seinen 3 Beylag geschlossen worden. 5) Ein Unterthäniger Bericht vom Herrn Caplan Mylio zu Laubach an die Herrn grafen zu Solms. 6) Ein schreiben vom Secretarlo Breithaubt an Herrn Diaconum Mylium zu Laubach unterm 20. xbr. 1699. 7) Eine Bekentnus von Anthon Wilhelm Böhmen de dato den 17. & 18. Jan. 1700. Hochgebohrner graf, freundl. Vielgeliebter Herr Vetter undt Bruder. Ew. Lbn. ist ohne meine erinnerung bekant, was masen Unser Reichsgräfl. Wetterauer Collegium Vor denen übrigen diese absonderliche praerogatio hergebracht, dass dasselbe als purè Evangelium neben anderen Evangel. Churflirsten, und Ständen zu denen ieweilig Reichs Deputationen ordentlich gezogen zu werden pfleget. Gleichwie nun Von der Zeit an des mir darbey aufgetragenen Directory Ich mir nichts mehr angelegen seyn lasen, als wie daselbe bey seinen Dignitäten, und rechten conservirt bleiben möge: also gehet mir nicht wenig zu gemüth, dass sich unter dem schein einer absonderlichen heiligkeit bey denen protestirenden Ständen hin und wider solche Irrgeister auferstehen, welche sich nicht allein Von der Christlichen Kirchen und dem gebrauch der heil. Sacramenten enthalten, und bey Ihren heimlichen Conventiculis sich selbsten die Schrift nach ihrer eigenen phantasie erklären, das abendmahl reichen, und andre in der Christlichen Kirchen gantz ohngewöhnliche dinge verüben, sondern auch denen obrigkeitlichen gesätzen und Ordnung sich zu entziehen suchen, und also in dem Kirchenwesen und weltlichen Regiment Viele gefährliche Zerrüttungen erregen. Wann aber Besorglich, dafern Ihnen nicht auf eine zulängliche weise gesteuert werden solte, sich weiter ausbreiten, und hernacht

39 schwerlich wiederumb zu Vertilgen seyn, Unserem gräfl. Collegio auch dadurch leichtlich einiges nachtheil zuwachsen dörfte, bevorab diese Leuthe zum Theil sich zu keiner Religion Völlig bekennen, sondern in denen mehrsten Glaubensarticuln gantz irrige und solche principia führen, wodurch der einfältige neben Mensch gar bald Von dem rechten Weg Verleytet werden könte, imfolglichen sich selbsten aus dem Stande setzen, dass sie des Religions- wie auch Westphäl. friedens fähig seyn, oder gedultet werden können und dann an- und Vor sich selbsten billig ist, dass eine Christliche Obrigkeit der andern in dergleichen fällen mit rath und that zu dem ende an die hand gehe, damit der in statu seculari et Ecclesiastico höchstnöthige ruhestand erhalten, und alle schädliche unordnung in Zeiten abgeschafft werden; so habe Ich zumahlen auf einige bey mir eingeloffene nachricht und erinnerung eine nothurft erachtet, diese materie auf dem bevorstehenden grafentag unter die proponenda kommen zu lasen, und Ew. Lb. neben andern hohen mitglieder freundvetterl. zu ersuchen, dass dieselbige dero abgesanden wie über andere zur deliberation gestelte puncten, also auch hierüber zu instruiren sich gefallen lassen wollen, dieselben damit dem schütz Gottes empfehlend in Verbleibung Ew. Lbn. dienstwilligster Bruder Vetter und Diener Hanau den 8. Januar 1700. P. R. Gz. Hanau. Hochgebohrener Graf, freundl. Vielgeliebter und hochgeehrter Herr Vetter und Bruder. Wie sawer es Uns allhier gemacht werde, dem Bösen Unwesen der recht schwermerl. quakerey zu stewern, ist schwerlich zu glauben. Da anhiero gewiss nöthig ist, wo man nicht in Kurtzem die flamen von diesem ärger als der Krebs umb sich fressenden unrath an allen orthen, und in allen nachbarschaften sehen will, dass man gemeinsamlich darzu thun, und im Wetterauischen Crays sothanes übel Von grund ausrotten, masen es unter der Hand gleichsam zusehend umb sich frisset, und ob Wir schon das Unserige thun, dennoch Von Unsrem Vetter allhier keine assistentz, wohl aber alle Verhinderung haben müsen. Wir haben demnach rathsam erachtet, Ew. Lbn. quasi in protocollo den Statum Vorzustellen, und damit ein, und andern Beylag zu dero mehrerer nachricht zu communiciren, nicht zweiffelndt, Ew. Lbn. werden darauf an Ihrem orth dasjenige, was zum geistlichen ruhestand, wo nicht im Crays, doch in Unserer grafenglieder Landen dienen möge, zu contribuiren nicht ermangeln,

40 allermasen Wir Uns auch fest versichern, Ew. Lb. werden uns gestatten suchen noch mit dero Beyräthig gedanken freund-Vetterl. assistiren, und könte ohnmasgeblich nicht schaden, wann Unserem Vetter stark zugeschrieben und remonstrirt würde, dass er doch umb einiger privat Kleinigkeiten willen, die ohne dem ohnerfindlich seyen, das bonum publicum nicht hindern, noch anlas geben möge, dass der gantze Crays oder grösere sich drein schlagen dörffen. Womit dann Ew. Lb. göttl. obhut wohl erlassen und Verharren. Ew. Lb. dienstwilligste Vettern Brüdern und Dienern Ludwig g. z. Solms Ludwig Heinrich g. z. S. Dem Hochgebohrnen Grafen Herrn Johann Philipp zu Ysenburg und Büdingen und Unserem frdl. Vielgeliebt- und hochgeehrten Herrn Vettern und Brüdern, s. d. Offenbach. Nachdem der äuserliche ruf nicht allein sondern auch die getruckte Zeitungen gegeben, wie zu Laubach des ohnlängst dahin gekommenen Kloppers Kind nicht getauft worden, der Ober Pfarrer M. Marquard auch der heil. Sacramenten, und deren administraron sich enthielten; so haben die hochgebohrne grafen, und Herrn, Herr Ludwig, und Herr Ludwig Heinrich, Grafen zu Solms etc. an den Ober Pfarrer Verlangt, seine rationes oder dubia, so ihn darzu brächten, einzuschicken, hat er darauf geantwortet, wie die Beylage A zeigt. Wie Er nun darinnen öffentlich bekennet, dass Er das heil, abendmahl dem häufen nicht reichen könte, hat sich gndl. Herrschaft so gleich nach Laubach erhoben, da sie dann den 30. Nvbr. 1699 ankamen, eines und des andern sich erkundigten, und Sontags den 3. Dcbr. da morgends das heil, abendmahl gehalten, und nachmittag ein Kind getauft wurde, selbst Persönlich gesehen, dass M. Marquard so wenig dem heil, abendmahl als der Tauf beygewohnt, damanhiro sei genöthiget worden, denselben zu sich in dero Zimmer zu fordern, zu Besprechen und zu Befragen, worauf Er denn geantwortet, wie die Beylag B besagt. Den 9. Dcbr. überreichte Burgermeister Huth, und gemeind der Statt Laubach ein unterthäniges Memorial, so Lit. C zu sehen. Worauf gndl. Herschaft Von Solms Rödelheim, weilen Herr Graf Friderich Ernst nicht zu Haus, sondern in Sachsen war, dessen zu Haus gelassen Ambtmann Herrn Plönies so balden eodem die zu sich gebothen, der dann über eine weil sich einstellete, und wurde Ihm remonstrirt, Was Vor gefährlichkeiten in der Kirchen Vorgingen, und hofften Ill mi er werde in abwesenheit seines gnedl. Herrn zu Vorkommung

41 alles Übels hierin contribuiren helfen, wie dem Unwesen möchte abgeholfen werden. Er wollte aber sich nicht dazu bequemen, sondern entschuldigte sich, wie denn alles das, so mit ihm gepflogen worden, in der Beilage D mit mehreren zu finden. Eodem. Als auch Vorkommen dass die 2 Müntzenberger Conrad und Martin Schäfer, so ohnlängst sich allhier in die Bürgerschaft begeben, ihre erlernte Schuster und Bender Handwerken trieben, und dennoch denen Articula sich nicht gemäss bezeigen • wolten, auch im übrigen grose confusion macheten, indem sie nichts auf die Kirchen, und Pfarrherrn, hingegen heimliche Zusammenkünften hielten, die Schrift erklärten, und absonderliche Kirchen und Gottesdienst anstelleten, So wurden selbige Vorgefordert, und Befraget, worauf sie geantwortet, wie die Beylage E weiset. Indem nun zu Befahren, es möchte auch uf dem Land anfangen dergleichen einzuschleichen, undt das übel ärger werden, hat gndl. Herrschaft Von Solms Rödelheim in abwesen dero Herrn Vetters, und demselben ohne eintziges nachteil, den 11. Dcbr, die geistliche zu sich kommen lasen, und absq. ulla forma vel specie Consistory dieselbe Befraget, ob dergleichen bey Ihnen sich anmase? Nachdem aber sich keiner etwas zu besinnen wusste, auser dass der Pfarrer Von Horluf draiss anzeigte, das Verschiedene aus der Schweitz sich zu Utphe im herrschaftl. Hof aufhielten, welche keine Kirch frequentiren thäten und auser Zweifel auch der newen irrigen meinung zugethan wären, So hat man nach verschiedenen dieser Schwermerey, und unraths halber gepflogenen discursen die Herrn Geistlichen sambt, und sonders bey der Mahlzeit behalten, und darauf erinnert, und ermahnet, weilen ein solches Unwesen der Augspurg. confession und eines ieden vocation zuwider, so wolte gndl. herrschaft sämbtliche, und einen ieden insonderheit erinnert und ermahnt haben, dass sie in Ihren Aembtern recht einträchtig in Lieb und Einigkeit bey einander leben, ihr ambt der hiesigen löbl. Kirchenordnung, worauf sie geschworen, Ihrer vocation und Augspurg. Confession gemäs Verrichten, das reine Evangelium predigen, nichts newes einführen, die einschleichende Conventícula meiden, hingegen den Gottesdienst in die öffentlichen Christlichen Versamblung nemlich in der Kirchen halten, ohne noth und obrigkeitl. Consens keinen frembden nicht ordinirten, zumahlen bey welchem man der reinigkeit der Religion nicht gewiss Versichert ist, die Cantzel besteigen lasen, auch ohne Vorbewust gndl. Herrschaft, so das Bischoffl. amt trage, in Kirchensachen nichts än-

42 dern, oder auslasen solten, was in der Kirchenordnung ihnen Vorgeschrieben seye. Hierauf sagte der Ober Pfarrer M. Marquard, es seye alles gut, er hoffte aber, gndl. Herrschaft würde Ihn über sein gewissen nicht treiben, noch zumuthen dass Er dawider thun, und Sacramenta adniinistriren solte, dann die gewissen sich nicht beherrschen liesen. Ob nun schon gndl. Herrschaft sagte, dass es Ihre ernstliche meinung seye, und wenn er demselben nicht nachkommen wolte, Er nicht Pfarrer seyn könte, bliebe er doch beständig seiner meinung, und nahmen damit alle Pfarrer Ihren Abschiedt. Gleich hierauf schickte Herr Ambtmann Plönnies die protestation sub Lit. F. wogegen man sich per reprotestationem G Verwahrte, so aber Herr Plönnies nicht annehmen wolten, wes wegen man solche in der Cantzley auf den Tisch nidergeleget, jedoch wahrgenommen, dass sie eröfnet gewesen, und wieder zugemacht worden. Den 12. Dcbr. hat gndl. Herrschaft die 2 Müntzenberger Conrad und Martin Schäfer zu sich kommen lasen, dieselbe Vernommen, und abgemahnet; weilen sie sich aber nicht anders weisen lasen wolten, ihnen den schütz aufgekündiget und, wiewohl nur zum schrecken, anbefohlen, den 13. ejusdem die Statt zu räumen, in meinung, gleichwie sie zu Mtintzenberg auf dergleichen manier fortgeschaft worden, sie würden auch darauf allhier Von selbst ausweichen, welches man dann der Burgerschaft zu erkennen gegeben, es hat aber Herr Plönnies den Befehl H dagegen ergehen lasen und gndl. Herrschaft datzu bewogen, dass sie den sub. Lit. I beygehenden Befehl an die Burgerschaft ertheilet. Den 13. dieses nach der Predigt schickte die fraw Gräfin den Stallmeister Gaillard zu Ill m i s und liese bitten, die 2 Müntzenberger nicht fortzujagen, sondern einzuhalten, bis Ihr Herr Sohn ankäme. Hierauf antwortete Ill mi , wenn Sie (die fraw Gräfin) parole von sich geben wolte, dass die Conventicula eingestellet werden solten, wolten sie Ihro (der fraw Gräfin) zu respect einhalten. (NB. es wäre aber ohne dem eingehalten worden) darauf die fraw Gräfin sagen lies, sie wolten den nachmittag zusammen kommen, und davon reden, worbey es dann geblieben, intzwischen aber war hiesige Laubach. Miliz, welche doch Rödelheimischer Seiten pro quota mit besoldet wird, beordert, sich Rödelheim zu opponiren, und sich auf 2 schuss gefast zu halten. Den 14. hat man in Cancelaria zusammen kommen, und sehen wollen, wie man ein, und anders abthun möchte, allein es wolte sich

43 nichts geben, noch die Conventicula abgeschafft, sondern Vom gegent e i l i g e n Herrn Ambtmann Plönnies, und Secret. Zeller alles auf die lange Bahn, und process gespielet werden,

so man pp summum in

mora periculum nicht practicabel noch zurichig, sondern

rathsamer

hielte, dem Offenbahren übel ex officio zu stewern, und inhibition zu thun, welches aber Herr Plönnies nicht thun wolte, gienge man also ohnverrichter Sachen Voneinander, und gndl. Herrschaft wegen bevorstehende feyertagen nach Haus. — Als nun der Bericht geschehen, dass Herrn Graf Friedrich E m s t s zu Solms hochgräfl. Excell. am 30. Dcbr. wiederumb

ankommen,

haben Herrn Graf Ludwig Henrichs

hogräfl. Excell. Von Solms Rödelheimb sich so gleich wieder aufgemacht, und sind den 2. Januar 1700 zu Laubach ankommen, und den Regierungs Rath Fewerbach, nebst dem Secretario Hipp, nachmittags zu Herrn Graf Friederich Ernsten geschickt, weilen aber der hochgräfl. Excell. mit der Post occupiret, und die abgeschickte nicht Vorkommen können, den 3. darauf nochmahlen abgefertiget,

undt

nach abgelegten Curalien, und angewünschtem newen Jahr, weniger nicht nach geschehener Vorstellung, in was gefährliche widertäufrische terminas, und quaekerische Irrthumber einige allhier gerathen, und grose confusion bey der gantzen Bürgerschaft entstanden, fragen und Vernehmen lasen, ob sie gesinnt seyen, sothanes eingeschlichenes Unwesen mit untersuchen,

und dem Befinden nach Verfahren

helffen

wolten, indem der ambtmann Plönnies sich dartzu nicht Verstehen wollen; Hierauf und, nach abgestatteten gegen complimenten liesen Herr Graf Friederich Ernsts hochgräfl. Excell. sich Vernehmen, ob es zwar billig seye dass die sache quaestionis gemeinschaftl. untersuchet würde, so könten sie sich doch nicht einlasen, weilen man Ihro newlich eingriffer gethan, indem man die Leuthe, so sie in schütz genommen, durch die Bürgerschaft

austreiben wollen,

denn solches

seye ein

spolium wogegen sie zu vor müsten restituirt seyn; ob nun dargegen Versetzt wurde dass es kein spolium, und dartzu nach auswies des Bescheids Lit. I Ihro alles vorbehalten,

und ohne nachtheil seyn

solte, man auch gemeinet hatte, es geschehe Ihro noch ein gefallen dadurch, indem man nichts mehr

gethan, als was man geglaubt,

weilen es eine Sache, daran dem gantzen Crays und dem Reich gelegen, datzu causa celerrimae expeditionis seyn, dass sie nicht anders verfahren könten, noch verfahren würden, masen das Edictnm de Anno 1529 und Recess. Imp. de anno 1551 klar besagten, dass man gegen solche Leuthe,

ohne Vorhergehende geistliche Inquisition Verfahren

sollte p. wolten sie doch Von Ihrer exception nicht abweichen; sagende

44 es miisten j a die Leuthe zuvor darüber Verhöret, und tiberzeugt seyn, und fienge man nicht ab executione an: Hierauf sagte man, dass man dero ambtmann Herren Plönnies gar angelegentlich dartzu ersuchet, er aber nicht hatte Hand mitanlegen wollen, und dann die höchste Gefahr vorhanden gewesen, hatt man was thun müsen, wodurch dem unwesen ein wenig gestewert, und daselbige gestopfet werden möchte, die Leuthe hatten es selbsten gestanden, und würden es noch gestehen. Brauchte allso keines weitren Beweises wenn Herr Plönnies mitanstehen wollen, hatte er es selbsten hören können. Es wolte aber auch nichts helfen, weswegen die abgeschickte nach Verschiedenen andern Commissionen mehr ihren abschied nahmen, und referirten. Den 5. Januar wurde man gewahr, dass morgends mit anbrechendem Tage die Laubach Militz hinaus vor die Statt getzogen und daselbst 3 Musquetiers, so zugleich Bürger, und Bürgers Kinder, und ohnlängst auf dem Bathhaus nebst denen Bürgern unterschrieben, nicht von der reinen Lehr zu weichen, noch die newe Lehr a b z u nehmen, sondern bey der Bürgerschaft zu halten, mit nichten aber gegen Rödelheim zu opponiren, auf Herrn Graf Friederich E m s t s einseitigen Befehl einer 7 mahl der ander 3 mahl durch die spissruthen laufen, der 3te aber, so unpässlichkeit wegen nicht laufen können, grausamlich abgeprügelt worden, und nach geschehener Execution mit klingendem spiel quasi re bene gesta in die Statt ziehen müssen. Ingleichen hat Herr Graf Friedrich Ernst diesen morgen eines Bürgers f r a w , so vor wenig wochen noch im Kindbett gelegen, umb des willen, weilen sie von Klopper was geredet, wovon sie den authoren nicht nennen können, in gefängnis werfen lasen. Welcher Beider höchstnachtheiligen Dinge wegen dann der Solms Rödelheim Regierungs Rath Fewerbach nochmahl nebst dem Secretario Hipp zu Herrn Graf Friedrich Ernst geschickt wurde, dagegen zu protestiren, und die nochmahlige gemeinschaftl. Untersuchung der höchstgefährlichen schwermerey vorzustellen. Hierauf sagte Herr Graf Friedrich Ernst: Was die abstrafung der Soldaten anlangte, gingen selbige Ihn allein, und Rödelheim nichts a n , sie hatten was pexiret und also nilisen gestraft werden. Ingleichen war der fraw, so einige reden ausgesprenget, so sie nicht erweisen können, ihre behörige straf wiederfahren, doch hatte er befohlen, sie gegen abend wieder heraus zu lasen; die Untersuchung der vorseyenden Sachen könnte nicht ehender geschehen, bis sie ratione spoly restituirt worden. Worauf der Rödelheim. Regierungs Rath Fewerbach Versetzte (1) die militz müste j e mit helfen betzahlen, und hette Solms

45 Rödelheim die Jurisdiction im Laubach mit, könte also keine Justitz ohne Rödelheim geschehen, (2) die Gefangene fraw betreifend, seye solche eine Bürgerin, und müste auch gemeinschaftl. judicirt werden. Weilen es aber alles einseitig geschehen, thäte man wegen Rödelheim hiemit dagegen Solennissime protestiren, und sich quavis competentia reserviren, unter welcher protestation dann auch, Untersuchung

der Vorseyenden

was der

schwermerey und die Beschuldigung

eines Vorgekehrten spoly anlange, zum ziemlichsten contradiciren thäte, mit Bitte, mit dergleichen eintzuhalten, und sich zu mäsigen. E s blieben aber Herren Graf Friedrich Ernsts hochgräfl. Excell. bey Ihrer gestrigen, und heutigen meinung beständig.

Und nachdem

man noch von andern Sachen e. g r : der allhier so lang gesessenen gefangenen Weibsperson in pto. scostationis et infanticidy und derselben Urtheil

geredet, Beide

abgeschickte

wiederumb

abschied

nahmen,

und referirten. Eodem

die hörte man, dass Herr Graf Friederich

Ernst der

Bürgerschaft auf ihr unterthäniges Memoriale sub Lit. C befindlich geantwortet,

und eine

straf angesetzet, wie sub Lit. K zu sehen,

worgegen man Solms Rödelheim Seiten ein andres ertheilet, wie die Beilage L zeiget.

Nachdem nun hieraus klar zu sehen, dass man

einerseits diese Schwermer heegen und schützen, auch gegen die mit herrschaft

Rödelheim,

welche

denen

Reichs

Constitutionen

gemäs

sothanes unkraut gerne ausrotten wolte, die Miliz anführen thun, dass man Rödelheim Seiten nicht kan, wie man will, und aber an ausrottund fortschaffung sothaner Schwermer so wohl den Crays, als Reich gelegen, allermasen es ein weites aussehen hat," und der anfang dem in ana 1535 Vorgewesenen Münsterischen Unwesen nicht ungleich ist; so wird nun gefragt,

wie solchem

übel gründlich» zu steuern,

und

j u x t a tritum illud: Nam tua res agitur, paries cum proximus ardet, allen Besorglichen weiter aussehenden Unheil Vorgekommen werden möge. Lit. A. Hochgebohrene Grafen gnädige Grafen und Herrn. Demnach mir nicht möglich ist, E w . Hochgräfl. Excell. Excell. auf d a s , was von einig principys mir nachgeredet worden, zu antworten, angesehen ich dergleichen nicht habe, sondern bey der reinigkeit des e w i g E v a n g e l y fest stehe, als Bitte in aller demuth und unterthänigkeit, umb des allerheiligsten Jesuswillen, der der Richter

46 ist über alles fleisch nach der gnaden, mit welcher sie mir stets zugethan gewesen, meiner armen, und unter Vielen Kämpfen gestandenen Seele zu Verschonen. Was die heil. Sacram. anlangt, venerire ich dieselbe, und halte sie hoch in meiner Seelen, habe auch noch vor wenig Tagen das heil. Abendmahl einer kranken Person gereichet, dass es aber noch zur Zeit dem Haufen des Volks öffentlich nicht geben kan, darinnen handele ich nach dem Trieb meines gewissens, über welches der Herr allein Herrschaft hat, Von welches Majestät alle Engeln in allen Himmeln, alle Cherubim, und Seraphin sich beugen, niederfallen, und sie anbethen; habe also das unterthänige Vertrawen, Ew. Ew. hochgräfl. Excell. Excell. werden mich dabey gndl. ansehen, da ich ohnablässig Vor dero wolfahrt den H e r r n J e s u m anflehe; Uebrigens erwarte Ich mit freuden, was der ewige Rath gottes über mich beschlossen, und bin bereit, umb meines gecreutzigten Jesus, und des gewissens willen alles zu dulten, Jehovah ist mein, undt Jesus ist mein, Amen. Nun der nähme Jehovah, und aller segen, der aus Jesus wunden geflossen sey auf Ew. hochgräfl. Excell. Excell. und alle hochangehörigen, und nachkommen geleget immer, und ewiglich ; der Herr spreche Amen, und alles Volk spreche Amen. Ich bleibe Ew. Ew. hochgräfl. Excell. Excell. Unterthäniger Diener und Vorbitter Laubach, den 26. Nvbr. 1699. J. Philipp Marquard. Denen hochgebohrenen Grafen, und Herrn, Herrn Ludwigen, und Herrn Ludwig Henrichen, Grafen zu Solms, Herrn zu Müntzenberg, Wildenfels und Sonnenwald etc. Meinen gnädigen Grafen und Herrn Rödelheim. Lit. B. Actum Laubacb den 4. December 1699. Nachdem der Ober Pfarrer M. Marquard der administration der heil. Sacramenten sich eine Zeitlang entzogen, auch sonsten ein, und anderes Von sich spüren lasen, so bei seinen Pfarr Kindern nicht geringes nachdenken Verursachet; Als haben die hochgebohrnen grafen Herr Ludwig, und Herr Ludwig Heinrich, Grafen zu Solms etc. Unser gndl. grafen, und Herrn, denselben zu sich in ihr zimmer gefordert, und befraget wie folget. Frag. Antwort. R. Ja, eine christliche Obrigkeit 1) Ob bey Uns Lutherischen ein Pfarrer gehalten seye, seiner Obrig- habe macht, die geister zu prüfen, keit als Episcopo von seinem Lehr- ob sie aus Gott Seyen, ambt red und antwort zu geben?

47 Frag. 2) Wer dann sein

Antwort. Episcopus

seye?

R. Wie es heut zu Tag in der Kirchen seye, so seye die Obrigkeit die einige Person, so in ä u s s e r l i c h e n Dingen zu ordnen habe.

3) Ob er nicht anhiero beruffen und ordinirt seye nach der Augs-

R. Ja, G o t t s e l b s t habe Ihn datzu beruffen.

purg. confession das reine Evangelium zu predigen, und die heil. Sacramenta zu administriren? 4) Ob Er der augspurg. confes-

R. Er bekenne sich zu der euser-

sion mit reinem Hertzen zugethan

lichen Confession der so genanten

seye, und die Evangel. Lutherische

Lutherischen

religion vor die wahre seligma-

stehe, das wort aber Lutherisch

chende religion halte?

seye ihm so verhast dass ers nicht

religion

wobey

er

hören möge: Was Lutherus aus dem worte Gottes getzogen,

das

hielte Er hoch, die frage seye also gestellet, als ob sie die andern religionen von seligmachenden ausschliese, so er nicht thun könne, die wahre religion seye da man Jesum in seinem Hertzen habe. Ob einer ein Evangelisch-

R. Ja, wann er wichtige Ursa-

Lutherischer Pfarrer seyn könne,

chen hatte, könte er sich davon

welcher seiner vocation, und ordi-

entziehen, und doch Pfarrer seyn,

nation zuwider der administration

allegirt hiertzu Esaia cap. 52, v. 11

der

5)

sich ent-

u.17. 2. Cor. 6, v. 14 seqq. 1. Cor.l,

ziehe, und ob er nicht dergleichen

heil. Sacramenten

v. 17. Er verwerffe das heil. Abend-

einer seye, und gar den Leuthen

mahl nicht; wie es aber bisher de-

gesagt, es möchte es sich doch

nen Leuthen indifferent ausgespän-

selben reichen, und administriren?

det worden, und in ansehung einiger von der ersten einsetzung abgehender umbstände, befinde er in seinem gewissen, dass er das unreine nicht anrühren, noch sich frembder Sünden theilhafftig machen könne, denen Leuthen hatte er wunschweis gesagt, es mögte wünschen, dass es wäre, wie bey

48 Frag.

6) Ob ein Evangel. Luther. Pfarrer mit einem (e. gr. dem Klopper) so aus der Kirchen getretten, selbe eine Hur schelte, und die Pfarrer Baals Pfaffen nenne, umbgehen, denselben loben und defendiren könne und zwar ohne seine ihm anvertraute Pfarrkinder zu ärgern? 7) Ob ein Pfarrer einen frembden nicht ordinirten- noch vocirten Menschen ohne dem eines irthums in der religion beschuldiget, suspect und Uberzeuget, die Cantzel besteigen und predigen lasen könne? 8) Ob ihm dann nicht wissend, dass der gewesene fürstl. Informator Töppel zu Darmbstatt grausamer Irthumber in der luther. religion beschuldiget, durch seine eigene Schriften Uberzeuget, und deswegen abgeschafft worden?

9) Worumb Er dann denselben ohnlängst allhiero predigen lasen? 10) Ob der Mensch vollkommen seyn könne?

Antwort. den ersten Christen gewesen, die es sich selbsten administriret. ß. Der Apostel sage, prüfet alles, behaltet das gute, er wisse, dass der Klopper zwar aus der ä u s e r l i c h e n Kirchen getretten, als-mit welchem er conversiret, i n C h r i s t o J e s u aber stehe Er fest; Wann die Leuthe seine absieht wüsten, würden sie sich an seiner conversation mit dem Klopper nicht ärgern. ß. Welcher in solchem irthumb stecke, der wider den grund Jesu Christi streite, den liese er freylich nicht zu zum predigen.

B. Quoad errores wider den grund Jesum Christum negirte Er, dass Töppel darinnen seye, habe eben seine Schriften nicht so eigentlich gelesen, im grund Christi Jesu seye er rechtschaffen, so Viel er an ihm gefunden; Was etwa nebensachen betreffe, so nicht zum grund dieneten, wisse er nicht alle. ß. Eben darumb, weilen er im grund nichts widriges an Ihm gefunden. ß. In der Vollkommenheit des glaubens seye der Mensch schöner, als die Cherubim, und Seraphim, denn es seye die Vollkommenheit Jesu Christi, die Vollkommenheit des Lebens aber betr. Darnach müsten wir ringen, und kämpfen, dann wir sie erlangen könnten und solches seye dem wort Gottes gemäs. 1. Cor. 2, v. 6. Eph. 4, v. 12

49

11) Ob er sich dann nicht widerumb bequemen wolle, die heil. Tauffe zu verrichten, und das heil. Abendmahl denen Leuthen auszuspänden? 12) Was dann das vor Banden seyen?

Antwort. u. 13 st. 1. Thesal. 5, v. 28. Philip. 3, v. 10,11,12,15 seqq. 1. Joh. c. 3, v. 9. ß. Nein, dann so lang er in solchen Banden stehe, womit er gebunden, könte er sich nicht dartzu ermächtigen.

R. Die könne er niemand offenbahren, die prophetische wortEsaia 52,v. l l u . 12st. 2. Cor. 6, v. 14 seqq. hetten ihn gar zu sehr abgeschrecket. Nach diesem hat man annoch erfahren, dass dieser Pfarrer nuper Domin. Cantate auch öffentlich geprediget, es müste noch dahin kommen, dass Männer, und Weiber predigen, absolviren, Tauf und abendmahl halten würden. Dom. 13. Trin. geprediget: Ich bin vom Predigambt los, Ich achte manche Prediger nicht werth, dass Ich sie mit dem Dreck auf der gassen vergleiche, das predigen kommt nicht den Männern in langen mänteln, sondern allen zu, Ich will meinen Mantel, und Kragen dem Teuffei opffern. Item hat er aus Apocal. c. 3, v. 7 vom 1000 Jährigen Reich geprediget, und Philadelphiam erkläret, sagend: Wehe denen, ja verflucht seye, wer dieser Wahrheit nemlich vom 1000 Jährigen Reich widerspricht. Item als vorm halben Jahr ein Bürger zum heil. Abendmahl gehen wollen, und sich bey diesem Pfarrer im Haus angemeldet, hat der Pfarrer zugelasen, dass der reformirte Prediger Geyer, so eben bey Ihm gewesen, Ihn den Bürger examinirt, und als sie an die Kindertaufe kommen, gesagt: Es seye unrecht, dass man die Kinder tauffe, sondern man solte warten, bis sie 17 Jahr alt wären, hat der Ober Pfarrer M. Marquard still geschwiegen, und den Bürger in solchem zweifei weggehen lasen. Item hat der reformirte Prediger Geyer gesagt: Er und der Ober Pfarrer M. Marquard seyen darinen einig, dass die widergebohrnen nicht könten aus der widergeburth fallen. Item in einer neulichen passions Predigt hat er sup. verb. Hebr. 13, v. 13. Laset uns hinaus gehen aus dem Lager etc. mit groser 4

50 Heftigkeit gesagt: Er lobe die Prediger, welche aus Ihren ämbtern giengen und solche Verliesen. Item in der Schul hat er ohnlängst einem Schüler gefragt: Ob die Teufel auch selig werden könten? als nun der Jung Nein geantwortet, hat er gesagt: Ja, dann weilen am grosen Hall Jahr (wovon im e w i g e n E v a n g e l i o ) alles solte erlöset werden, und dann nach 49000 Jahren ein solches Jahr seye, so würden auch die Teufel als dann selig werden ; Er will es aber nun also drehen, dass er es nicht positivé, sondern nur allegoricè geredet habe. Lit. C. Hochgebohrne Grafen, Gnädigste Grafen, und Herrn. Ew. Ew. hocligräfl. Excell. Excell. ist vorhin schon bekant, was masen einer nahmens Klopper sich allhier in der Herrschaftl. Mühl aufhält, welcher sein Kind nicht taufen lasen will, auch in keine Kirche gehet, bey welchem andere frembde, wie auch einige von der Bürgerschaft aus- und eingehen, und ist dadurch das Stättgen Laubach in üble renommé gerathen, so Uns an andern orthen, wo wir auf die Jahrmärkte, und sonsten hinkommen, vorgerückt wird, und mit Yerdruss anhören müsen. Ob nun zwar wir nicht zweifeln, es werde die gndste Herrschaft von selbsten hierinnen remediren, und solche Verordnung thun, dass diese blâme fallen mögte; So haben wir iedoch nicht umbhin gekönt, zu Verhütung mehreren ärgernus, und da Unsere Herrn Geistliche nicht in harmonie stehen, sondern gegeneinander predigen, mit diesem Memoriale unterthänig eintzukommen, und bitten wollen, daferner j a wieder verhoffen der Klopper noch eine Zeitlang solte geduldet werden, gndl. zu verordnen, dass keine von frembden orthen anhiro kommende, die denselben adhäriren, und bey ihm aus- und eingehen, gelitten, wir ingleichen, was die Herrn Pfarrer unter sich für dispute haben, privatim ausmachen, undt Beide in der Kirchen ihre Predigten, und Gottes dienst der Augspurg. confession gemäs ohne dergleichen affecten verrichten möchten, damit nicht die gantze Gemeinde hierdurch geärgert, noch in irthumb verführet, sondern bey der. einen Evangel. Religion erhalten werde. Gnädiger resolution Uns getröstende Ew. Ew. Hochgräfl. Excell. Excell. Unterthäniger Burgermeister, Rath und Gemeinde zu Laubach. Memoriale mit unterthäniger Bitte Unserer Burgermeister, Rath und Gemeinde zu Laubach. ps. in Laubach d. 4. xbr. 1699.

51 Lit. D. Actum Laubach d. 9. xbr. 1699. Nachdem die Statt Laubach wegen eingeschlichener so genanter Pietisten dato durch ein unterthäniges Memoriale einkommen, hat gndl. Herrschaft gleich den Hh. ambtmann Plönnies ersuchen lasen, ob Er sich wolte gefallen lasen, ein wenig zu ihnen zu kommen, Er bliebe aber ziemlich lange aus, weswegen gndl. Herrschaft vor rathsam erachtet es schriftlich an denselben gelangen zu lasen, wie dann folgendes aufgesetzet, und Hh. Plönnies zugeschicket worden,

es war

aber derselbe nicht in seinem logement, sondern bey der fraw Gräfin, dannenhero der laquay hinauf beordert wurde,

weilen Er aber den

hh. Plönnies verfehlet, und dieser bey gndl. Herrschaft sich angebe auch eingelasen wurde, und der diener wiederkommen, so stellete man es ihm selbst zu, mit Bitt, sich darauf schriftlich zu erklären, und lautet disseitiges Desiderium also: Nachdem nicht allein in dem gantzen Land das Geschrey erschollen, sondern auch die getruckte Zeitung damit angefiillet worden, wie in der Statt Laubach gantz newe von der Augspurg. confession abweichende meinung

in

der Christi. Lehre

sich

hervor

thäten, auch Leuthe, welche solch ihrer irrig meinung halber andernorts verwiesen, und abgeschafft worden, allhier zu nicht geringem ärgernus der gantzen Bürgerschaft aufgenommen, und gedultet werden wolten, Uber das auch die Biirgermeist, Rath und ganzte Gemeind hiesiger Statt in einer Supplication, so der mitherrschaft zweifeis ohne auch tiberreicht seyn, gegen sothanen iibelen ruff umb gndstr. remedire und abschaffung sothanen einschlichen vollenden tlbels gantz angelegentlich gebetten, und dann gndl. herrschaft in dergleichen fällen Kraft tragender juris Episcopalis höchst verbunden, sothanen bösen einschlichen vortzukommen, reuthen.

und das bereits eingeschlichene auszu-

So ist man Solms Rödelheim Seiten dartzu bereit, und willig,

und achtet höchstnöthig, ohnverlängt in Cancellaria als loco communi zusammen zu kommen, oberwehnte der Bürgerschaft supplication pro fundamento vortzunehmen, zu examiniren, undt ferner zu verfahren, als es denen rechten, und Constitutionibus Impery gemäs sich gebühret: Und damit man da ehnder datzu gelangen und alles ordentlich und communicato consilio geschehen möge; So will man hiemit vornehmen,

ob man mitherrschaftl. seiten ob summum mora pericu-

lum gleicher meinung, und dem Unwesen abtzuhelfen, und deswegen in Cancellaria zusammen zu kommen, oder wesen man gesinnet seye, damit mau sich hochgräfl. Solms Rtidelheim seiten darnach richten,

52 und seine mesures darnach nehmen könne. Und wird umb schriftl. erklärung hierauf gebethen. Hochgräfl. Solms Rödelheim anwesendte Laubach den 9. xbr. 1699. Räthe und Befehlshabern. (S. T.) Herrn Ambtmann Plönnies allhier eintzuhändigen und die erklärung auszubitten. Laubach. Nachdem dieses nun Ihm Herrn Plönnies behändigt worden, nahm gndl. Herrschaft Gelegenheit mit ihm zu reden, sonderlich ob man nicht (1.) in Cancellaria wolte zusammen kommen, (2.) den Klopfer fortschaffen, (3.) die Geistlichen auf ihr Ambt verweisen, (4.) die Miintzenberger Leuthe umb des willen, dass sie heimliche Conventicula anstelleten, die schrift explicirten, Seegen, kirchen, das Predigtambt verachten, sich vor berufene Diener Gottes ausgeben, und herrschaftl. Verordnung zuwider handelten, vornehmen und nach Befinden ansehen, auch (5.) die Cantzley gemeinschaftl. frequentiren, gemeinschaftl. protocoll halten, und also dem Commissions - Decretis gemäs allhier so lang leben. Er regerirte aber quod Ad. (1) Sein gndl. Herr habe es ihm verbotten, wegen der bekanten action zu Müntzenberg nicht mit Hh. Krug zu sitzen, und Cantzley zu halten. Und ob man ihm schon gegenremonstrationes thäte, wolte es doch nicht verfangen, sondern er sagte, es wäre ihm leid, und hette unrecht gethan, dass er etliche actus wider seines Herrn Befehl mit Hh. Krug vorgenommen. Ad. (2) Der Klopper seye seines Herrn Gast, wolte also nicht hoffen, dass man an demselben sich vergreifen würde. Ad. (3) Wann sein Herr käme, könte es vorgenommen, und ein Consistorium deswegen bestellet werden, Er könte niemand wider sein gewissen etwas zumuthen. Ad. (4) Verneinte Er, die beide Müntzenberger thäten j a nichts Böses, warumb man dieses gute, und nicht das Böse, nemlich die spinnstuben abschaffen thäte, urgirte auch, dass einig die Fenster wären ausgeworfen worden, solches solle man untersuchen, und abstrafen, wie Er dann auch Ad. (5) sich erklärte, mit mir dem Regierungs Rath Feverbachen in der Cantzley zu ambten, dieses zu untersuchen, und abtzustrafen. Nahm damit abschied und gienge zu der hochgräfl. fraw wittib Ill m i aber wolten die schriftl. erklärung sogleich erwarten. Hierauf gienge ich mit Hh. ambtmann Krug in die Cantzley in meinung Partheye antzutreffen, es war aber alles davon gangen. Wir blieben aber eine gute halbe Stunde drinnen in

53 meinung es wirde Hh. Plönnies auch kommen, Er kam aber nicht, weswegen Mir wieder hinauf giengen, und solches IllmiB unterthg. referirten. Lit. E.

Actum Laubach den 9. xbr. 1699. Nachdem Klage vorkommen, wie Conrad, und Martin Schäfer, beide Mtintzenberger, als Handwerker, dem Articulsbrief sich nicht gemäs bezeigen wolten; So wurden Beide so wohl hierüber, als auch ihres W i n k e l p r e d i g e n vorgefordert, und befragt: Wie lang sie hier seyen? Ii. 24 Tag nach Pfingsten. Ob sie Bürger seyen? R. Conrad nicht, aber Martin. Ob sie Handwerker gelernt? R. Schumacher, und Benderhandwerk. Ob sie in der Zunft? R. Nein. Ob sie ihre Handwerker treiben ? R. Ja. Warumb sie dann sich nicht in die Zunft begeben? R. Martin: Die Zunft habe ihn noch nicht darumb angeredet, Conrad aber wolte sich auch hinein begeben, wenn sie ihn bey seiner gewissens freyheit liesen, und nichts an ihn begehrten, so wider Gotteswort wäre. Ob dann Ihm was dergleichen zugemuthet? R. Ja, es stände viel darinnen, so wieder sein gewissen, wider Gott, und wider die Liebe des nechsten seye. Welche dann dergleichen seyen ? R. Könne es nicht all erzehlen, etliches aber seye darinnen: Kein Kindt ohne Beweisung seines ehrlichen nahmens anzunehmen, und sein Handwerk zu lehren, It. dass man so viel Unkosten dabey haben, und nicht geringer lernen solte. It. der albus auflag Geld zu versauffen. — Warumb sie nicht in die Kirch giengen? R. Man würde es ihnen nicht nachsagen können, dann sie auch darinnen gewesen. Auf ferneres Befragen, ob sie auch fleisig hinein giengen? R. Nein, könten sich zu Haus besser erbaven, dann in der Kirch gar viel Heuchler wären; Sie hatten die Kirche innerlich in sich, die äuserliche seye nirgends gebotten; als Ihnen nun vorgehalten war, der Tempel des alten Testaments, und dass David das Haus des Herrn rühme, sagte Conrad, das alte Testament seye nur ein schattenwerk, sagte auch, sie seyen hierher beruffen, als man sie fragte, wo sie dann ihre vocation hetten? gaben sie zur antwort, Gott gebe keine Zettel, sondern sie seyen in ihrem gewissen beruffen, hierher zu ziehen, Gott hier zu dienen, und ihren nechsten zu ermahnen.

54

Hierauf hat man ihnen eingeredet, bey ihren Handwerken zu bleiben, und das schritt erklären unterwegs zu lasen, sagten sie, sie wären ja heute noch am Tage beysamen gewesen, thäten ja nichts böses, liesen dabey sich in stücke zu hawen. Hier wurde ihnen hart zu geredet, dass es ihnen nicht zu komme, und dass in den ßeichsabschieden befohlen wäre, solche Secten ohne geist. inquisition auszurotten, und mit fewer und schwerd zu verfolgen, sagte Conrad: das gesetz hetten Menschen gemacht. Man zürnte über sie, aber sie sagten: wer mit seinen Bruder zürnet, ist des gerichts schuldig. Auf beschuldigung eines grausamen Irthumbs, sagte Martin: wolte Gott, alle Menschen steckten in solchem Irthumb. Sie allegirten viele Sprüche aus dem newen Testament, und dabey sehr viele wunderliche reden, welche nicht alle aufzuzeichnen, sonderlich, Gott habe es denen Klugen verborgen, aber Ihnen als unmündigen gegeben. It. das studieren seye vor Gott ein Grewel, dann der Apostel sage, läse Dich nicht verführen durch die Philosophie. It. Martin sagte, es seye ihnen leid dass er newlich, als er Bürger worden, uf dem Rath haus einen Eyd geschworen, denn das Eyd schweren seye verbotten, sondern alle rede solte seyen. Ja Ja, Nein Nein. Weniger nicht verwerffen sie die Kinder Tauff. Nach vielen ferneren einwürffen wurde Ihnen befohlen, die Conventicula und Schrift auslegen bey leib und lebens straf einzustellen, die Kirche zu besuchen, und ihres dings zu warten, auch den Obrigkeitl. Ordnungen, und Satzungen nach zu leben, oder gewertig zu seyn, dass Ihnen der herrschaftl. schütz aufgekündiget und sie wiederumb fortgejagt würden. Lit F. Nachdem man in erfahrung kommen dass hochgräfl. Solms Rödelheim Seiten diesen morgen der hiesige Ober Pfarrer M. Marquard nicht nur, sondern auch der Statt Capellan Mylius nebst denen übrigen Pfarrern vom Lande einseitig vorgefordert, und ein vermeintlicher Consistorialact vorgenommen worden seye, solche widerrechtliche Verfahren aber wieder die bishero vielfaltig ergangene allergerechteste Kays. Mandate, und Commissions decreta, folglich also wider Ihro hochgräfl. Excell. Herrn Grafen Friedrich Ernsten U Gl. Grafen, und Herrn, als zu 4/B unstrittig Condomino und dero zukommendes Jus Episcopale schnurstracks laufet, als haben wir dero heimgelasene Rathe und Befehlhaber Kraft tragende pflichten nicht umbhin gekont,

55 wider solchen einseitig, und nulliter vorgenommenen vermeintl. Consistorialcongress, und alle dabey ergangenen Handlungen quam solennissime zu protestiren, und Unseres gndl. Grafen, und Herrn jura et quavis alia competentia dagegen zu reserviren, mithin auch gegen die hiesige Statte undt die übrigen Pfarrer vom Lande, dass sie wider ihren so thewer geleisteten Eyd und pflichten, womit sie Unserem gndl. Grafen und Herrn, als Condomino insonderheit zugethan, freventl. und unverantwortl. gehandelt haben, die Herrschaftl. straf, und ahndung gegen dieselben per expressum hierdurch vorbehalten wolle, Laubach d. 11. xbr. 1699. Ihro hochgräfl. Excell. Herrn Graf Fridrich Emsts zu Solms Laubach heimgelasene Räthe und Befehlhaber. Lit. G. Nachdem die Solms Wildenfeldische (oder Ihro hochgräfl. Excell. Herrn Graf Friedrich Emsts Grafens zu Solms etc. allhiero) zurückgelasene Räthe, und Befehlhaber in erfahrung kommen seyn wollen, ob hätte man hochgräfl. Solms-Rödelheim Seiten diesen morgen den hiesigen Ober-Pfarrer M. Marquard, nebst dem Statt Capellan Mylio und übrigen Pfarrern von Land einseitig vorgefordert, und einem Consistorialactum, welcher so wohl contra Mandata Caes., als auch hochgndl. Ihres gndl. Herrn hochgräfl. Exell. Jus Episcopale lauffe, vorgenommen, dannenhero sie Kraft tragender pflichten nicht umbhin gekönt, gegen solchen einseitigen actum, und Consistorial congress quam solennissime zu protestiren, Ihren gndl. Herrn quavis conpetentia Jura zu reserviren, und die straf gegen die Pfarrer vom Land per expressum vorzubehalten; so läset man solche protestation, und reservation auf ihrem kundbarl unwerth beruhen: Nachdem aber obige vermeintlich protestirende Rathe gar übel berichtet und informiret worden, masen diese mit den Pfarrern höchstnöthige Besprechung wegen der in dieser Statt leider! sich anmasenden nicht allein pietistischen, sondern auch höchst verdamblichen Widertäuferischen, und quäckerischen Lehr den geringsten schein eines actus Consistorialis vielweniger jydicialis nicht hat, auch vorhero, und nachdem man ä parte der gegenseiten zu abwendung solchen Übels nicht behülflich seyn will expresse bedungen werden, dass solche Besprechung niemand an seinen Juribus nachtheilig seyn solte; So ist man hochgräfl. Solms Rödelheim Seiten eben falls gemtisiget, gegen obangeführte vermeinte, aber nulliter eingelegte protestation, und derselben angehengte gewöhnliche aber nichtige Betrohung quam solennissime zu reprotestiren, allermasen man auch

56 hiermit zum ziemlichsten dagegen reprotestirt und Unserer gndste Herrschaft alle heilsame Jura, so lkro zu statten kommen könen, oder mögen per expressum vorbehalten, und bedungen haben will. Laubach den 11. xbr. 1699. Hochgräfl. Solms Rödelheimische allhiero anwesende Räthe und Befehlhaber, s p T Herrn Ambtmann Plönnies allhiro einzuhändigen. Laubach. Lit. H. In abwesenheit Ihro hochgräfl. Excell. Unseres gndl. Grafen, und Herrns wird Burgermeister, Rath, undt gesambter Bürgerschaft dieser Statt hiemit bey unausbleiblicher hoher, j a Leibs- und Lebens straf verbotten, sich nicht gelüsten zu lasen, an allen, und ieden, so in und unter dieser Statt in höchstgndl. Unsres gndl. Grafen, und Herrn Gnad, und schütz aufgenommen worden, weder von selbsten, noch auf einiges Menschen Befehl, gewalt zu thun, oder im gegentheil gewärtig zu seyn, dass an denen übertrettern dieses Verbotts, als rebellen, und offenbahren aufrührern, obige straf ausgeübet werde, und soll der Burgemeister dieses der gesambten Bürgerschaft ohne einig anstand auf gewöhnliche arth öffentlich kund thun. Wornach sich ein ieder zu achten. Laubach d. 17. xbr. 1699. Ihro hochgräfl. Excell. Herrn Graf Friedrich Ernsts zu Solms Laubach heimgelasene Räthe, und Befehlhaber. Lit. I. Nachdem Wir nicht sonder grose Verwunderung vernehmen müsen, wie Unseres Vettern Herrn Graf Friedrich Ernsten zu Haus gelasene Räthe, und Befehlhaber sich der bösen quäcker, und wiedertäufferischen Leuthen, so in Unser Statt Laubach tag und nacht herumb gehen, und die Seelen mit ihren irrig verdambten Lehrarten verführen wollen, annoch annehmen, dieselbe schützen und der Bürgerschaft bey leib und lebens straf verbieten wollen, nichts gegen dieselbe vorzunehmen, da Ihnen iedoch aus denen Reichssatzungen bekant, dass solche Leuthe ohne eintzige geistliche inquisition mit fewer und schwerd zu verfolgen, und auszurotten seyen. So wollen Wir auch hoffen, es werde sich eine trewe Bürgerschaft nicht irre machen lasen, sondern zu abwendung solcher Seelengefahr Unseren willen erfüllen, und solche Leuthe (welche gegen alle obrigkeitliche, gerechte, und allenthalben gültige Verordnung, und Satzung sich legen, dieselbe nicht erkennen, Ihnen nicht pariren, auf ihren verdambten

57 principys bleiben, die Tauf und heil, abendmahl verachten, heimliche winkel zusammen Künfte wider alles Verbiethen halten, und Ihren bösen Saamen der irrigen Lehre ausstrewen) nicht dulten, sondern gleichwie Wir Ihnen den Schutz, der ihnen ohne dem nur unter dem Beding, wenn sie sich allen herrschaftlichen gebotten, und Satzungen unterwerffen würden, kürtzlich zugesagt, aber durch ihr widriges Bezeugen desen verlustigt worden, auch theils gar nicht in Unserem schütz stehen, noch umb des willen stehen können, weilen Sie in 3 benachbarte Fürstenthumb, und Herrschaften ihrer irrigen Lehr wegen ausgewiesen worden, umb da mehr fortzuschaffen, als Wir änderst nicht glauben können, als dass Wir Unsern noch abwesenden Herrn Vettern desen heimbgelasene Räthe, und Befehlhabern zu ausrottung sothanen Unwesens keiner mithülffe thun wollen, einen grosen gefallen hierdurch erweisen werden, hingegen bey längerem anstand die gefahr gröser zu besorgen und die gäntzliche Verführung in grawsam irrige Lehre ohnvermeidlich in wenig T a g erfolgen dörfte, welche Seelengefahr quovis modo abzuwenden kein Mensch in der weit zu verdenken ist; Wornach sich dann zu achten. Geben Laubach den 17. xbr. 1699. Ludwig GZ. Solms. Ludwig Henrich GZ. Solms und Gaildorff, Ahn die Bürgerschaft zu Laubach. Lit K. Demnach durch die am 9. xbr. des nechstgewichenen 1699. Jahres an Uns von allhiesigen Burgermeister, Rath und Gemeinde überreichte supplique so viel den in die herrschaftl. Mühle, und das darinnen Uns allein zukommende logement aufgenommenen Klopfer betrift, in Unsere hohe Jura ein unverantwortlicher und höchst strafbahrer eingriff, und excess beschehen, als finden Wir Uns genöthiget, hiergegen ernstliche andung vorzunehmen, zu dem ende dann vermeltem Burgermeister, Rath, und Gemeinde hiemit Ein hundert Thaler straf angesetzet worden, denen ienigen aber, so in dieses böse unternehmen nicht gewillet, und desen glaubhaftes Zeugnus beybringen können, bleibt des fals Ihre unschuld vor Unseren Beambten binnen Zeit von 8 Tagen dartzuthun wie nicht weniger auch, wenn ie wider besagten Klopfer iemandt mit grund was zu klagen haben solte, solches mit behörigem respect, und auf getziemende arth zu thun, hiemit allerdings unbenommen. Was aber die wieder hiesige Geistliche zugleich angestelte Klage betrift, sollen mehrbesagte Kläger binnen Zeit 14 tag specificiren,

58 was und wie dieselbe eigentlich gegeneinander geprediget, auch worinnen sie bisher in ihren Predigten von der Augsspurg. abgegangen, wartig seyn.

und so dann ferneren Bescheids

confession

und Verordnung ge-

Laubach den 4. Jan. 1700.

Friedrich Ernst GZ. Solms. Lit. L. Nachdem Wir vernommen, dass von Unsers Vettern Graf Friedrich Emsts zu Solms Wildenfels Lb. Burgermeister, umb des wegen,

Rath und Gemeind

ob hatten Sie ietztgndl. Unseres Vettern Lb. Ihren

am 9. xbr. abgewichenen Jahr überreichten unterthänigen memoriali, den Klopper, und die geistlichen gegeneinander laufende Predigern betref. unverantwortliche und höchststrafbahren eingriff in dero hohe Jura gethan, am 4. dieses 100 Thlr. straf angesetzet werden wollen. Wir aber die Wir gleiche J u r a allhier haben, dergleichen eingriff oder auch einige excesse nicht finden können; so befehlen Wir hiemit gnädig und wollen ernstlich, dass Burgermeister, Rath und Gemeinde allhiro sich an solches gebott, und vermeintlich angesetzte straf nicht kehren, noch einen pfennig davon erlegen, masen solche strafe einseitig angesetzet, und dem gemeinschaftsrechte, und Kays. Comissions Decreten allerdings zuwider lauffet, wiedrigen fals Wir geursachet würden, ebenmäsig eine straffe anzusetzen.

Wornach sich zu achten.

Ludwig Henrich GZ. Solms. Laubach den 10. Jan. ao. 1700. Dictatum Frankfurt d. 25. Febr. 1700. Hochedelgebohrene, Hochedle und Gestrenge, Hochgeehrte Herrn Abgesanden. Meine hochgeehrten Herrn Abgesanden erinnern sich hochgeneigt desen, was in puncto der zu Laubach entstandenen schen s c h w e r m e r e y

widertäufferi-

verschiedentlich communiciret, und gebotten

worden, in solcher den gantzen Grafenstand, j a gar den Crays angehenden höchstimportirlichen Sachen gesambter Hand auf mittel und wege bedacht zu seyn, wie solchem Unwesen gestewert, und Unser Augspurg. Confession pura et Masa erhalten werden mögte.

Und

zweifle Ich umb so weniger, es werden Meine hochgeehrten Herrn sambt, und sonders auf zulängliche mittel instruiret und bedacht seyn. Nachdem denn das werck keinen Vertzug leidet, allermasen der mit solchem irthumb gäntzlich eingenommene Ober Pfarrer M. Marquard, ohne vorhergängige

behörige anzeige auf eine sonderbahie

unge-

59 wohnliche art, wie die Beylage Nr. 1 zeiget, am vergangenen Sontag renuncyrt dabey aber sich unterstanden die Bürgerschaft gantz confus und bestiirtzt zu machen, j a gar zu seiner Lehre inwitiret, und vertröstet, dass er dennoch in der Statt Laubach bleiben werde, welches besorglich nichts gutes nach sich ziehen dürfte. Die Burgerschaft auch nach der Beylage Nr. 2 gantz angelegentlich supplicirt, dass ihnen geholfen, ihr Kirchenwesen lauter und rein erhalten, und die Sacramente nach Gottes Befehl, und bisherigen Christlichem gebrauch administriret werden möge, anbey nicht undeutlich zu vernehmen geben, wie sie im widrigen fall nicht zu verdenken seyen, wenn sie einen anderen protectorem sucheten. So habe auf special gndl. Befehl Meiner gndl. Grafen, und Herrn diese vorinnerung thun, und dienstl. Bitten wollen, nachdem bereits nach der Beylage Nr. B gestrigen tages ein Schweitzer sich unterstanden, den in puritate religionis noch fest stehenden Capellan gewaltthätig antzugreiffen, und einen Baals Pfaffen gescholten, ohnschwer ob summum in mora periculum dieser Religionspunct ohne weiteres aussetzen vorzunehmen, und mittel vorzuschlagen wie des Herrn Cammerpraesidenten Graf von Solms hochgräfl. Excell. welcher bis hero zu gemeinschaftl. Untersuchung und abstellung solchen unkrauts die Hand nicht mitanlegen lasen wollen. Zu der gemeinschaftl. untersuch- und abhelfung drey Reichsabschieden de ao. 1529 de ao. 1532 und de ao. 1551 gemäs vermöget, und dadurch alles weit aussehendes Unheil, so wohl von dieses löbl. Grafenstandes hohe Herrn Mitglieder Land und Leuthe, als auch den gantzen Crays ausgerottet werden mögen. Solches wie es die höchste noth erfordert gereichet zu Gottes Ehre, Meine Hochgeehrten Herrn aber zu stetswärendem nachruhm; welchen Meine gndl. Herrn gegen ieden danknehmig erkennen werden, Ich aber verharre nach gehorsambster meiner empfehlung. Meiner hochgeehrten Herrn Ergebenster Diener Johann Georg Fewerbach p. t. Solms Rödelheimischer Gr. Vollmächtigter. Dictatum den 13. Febr. 1700. Renunciatio M. Marquards geschehen den 11. Febr. 1700 in der Kirch vor dem Puldt. 1) Thäte er einen wünsch, dass Gott alle Hertzen möchte erleuchten, umb die Greuel des Kirchenwesens einzusehen. 2) fienge an, Liebste Kinder, dieser heutige T a g wird Euch ein wunderlicher Tag seyn, mir aber ists ein T a g der freyheit, und erlösung.

60 3) denn 3. Gott habe ihn erkennen lasen, die grewel des Kirchenwesens, darin er 14 Jahr, als 5 zu Müntzenberg, und 8 hier in der Babilonischen dienstbarkeit gefangen gewesen, daher weil Ihn Jesus erleuchtet, so gebe Er hiermit 4) da er in das 33. Jahr seines alters gehe, dem götzenwerk der Cantzel (auf welcher bishero so viele Sünden begangen worden) dem Taufstein, Altar, Beichtstuhl gute nacht, und stelle 5) für einen fluch in der 2. Chronik am 21, vers 8 usque ad 19 inclusiv^, dieser fluch würde mich treffen wo ich, der ich des Herrn will gekant habe, solchen nicht suchte zu vollbringen, den segen 2. Chronik. 20, vers 14 usgi 24. Der segen ist mein, sprach Er. 6) Vermahnet Er die Seelen, die mit ihm ein Geist wären, und den Grewel auch erkenneten, dass sie ausgehen wolten. 7) Wünschte, dass der saame, den der Herr noch verborgen hette, allhiro müste getrost machen, und auch ausziehen lasen, umb auf dem Berge Zion mit den 144000 zu erscheinen. 8) Warnete Er man solte Ihn nicht richten, als ob ihm geträumet, oder als fürchte Er sich vorm absetzen, weils gar nahe seye dadurch würde man sich schwerlich versündigen. 9) Bezeugte Er, dass Er auf den eintzigen Tag sich zwar grose feindschaft würde auf den Hals laden, Babel die schwartze Zunft etc. würde grausam erzürnet werden, aber Er frage nichts nach denen 2 leschbränden, und wenns auch 100 Leschbrände waren, und nach allen feinden, ob deren gleich noch so viel wären, seine sache seye des Herrn Jesu der werde vor Ihn streiten, wer an Ihn wolte, der müste erst an Jesu laufen, denn derselbe seye seine mawer. 10) Revocirt Er alle obrigkeitliche vocationes; und kündiget auf alle salarien. 11) Sprach Er doch, die, so seiner erbawung verlangten, wolte er trewlich unterrichten, dann Er so lange, als Gott wolte nicht aus Laubach gienge, sondern des Herrn Priester darin bleiben wolte. 12) Thete Er ein langes gebeth, und versuchte Gott, dass die Leuthe doch erkennen möchten, dass das nichts seye, getauft seyn, einmahl in die Kirch gehen, ein geplerr machen, ein gewäsch von der Cantzel hören, einmahl in Beichtstuhl kommen, und umb den Altar gehen; da er für gndl. Herrschaft bethe, sprach Er sonderliche, dass Jesus die, so noch nicht erleuchtet, wolte ergreiffen, aus der finsternus heraus reisen, damit sie nicht ewig verdambt werden mögten. Nach dem nun gesungen war worden, Erhalt Uns Herr bey Deinem Wort etc.,

61 Sprach Er endlich den segen his verbis. Nun empfahet zum letzten mahl an diesem orth den segen, der Herr segne Euch etc. Dictatum Frankfurt d. 16. Febr. 1700. Hochgebohrene Grafen, Gnädige Grafen, und Herrn. Es ist Uns den 4. Jan. jüngsthin ein hochgräfi. Decret zukommen, dass Burgermeister, Rath, und Gemeinde in ihrer am 9. xbr. vorigen Jahres tibergebenen schrift in die hohe Herrschaftl. Jura höchststrafbahrer weis eingegriffen, und excedirt hetten, indem sie wegen des Kloppers darin gedacht, der doch in der herrschaftl. Mühl, und darinnen Ew. hochgrfl. Excell. zukommende logement aufgenommen, und dannenhero 100 Thlr. straf erkant worden. Wann aber in Unserer supplie nichts zu finden welches gegen Ew. hochgräfi. Excell. Jura, Hoheit, und respect lauft, Uns ad tenorem ejus betziehend, und derwegen nichts strafwürdiges begangen, sondern Uns beschweret, dass der Klopper gar nicht in die Kirche gehe, sein Kind nicht taufen lasen wolle, und andere frembde, wie auch einige von der Burgerschaft bey ihm aus- und eingehen, dass dadurch das Stättchen Laubach in üble renommé gerathe, als wird man Unser mit dergleichen unverdienten Bestraffung gnädig verschonen, allermasen dieses, was Wir angeführt, die lautere warheit ist, werwegen auch dieser Klopper welcher die Kirch, und Gotteshäuser verachtet, von Braunfels relegirt worden, und ob Er wohl zu Giesen geraume Zeit gewesen, in Hoffnung er würde sein Leben verändern, und die offenen Gottesdienste besuchen, so ist er iedoch bey seiner opinion geblieben, und hat sich derwegen auch daselbst weg begeben müsen, ist auch nicht zu läugnen, dass Er zu Braunfels sein Kind nicht taufen lasen wollen, wie er denn ietzo auch thut, dannenhero dieses in die offene Zeitung kommen, und wird bey Uns darmit groses ärgernus und Spaltungen verursacht. Wir haben dieses gantz kürtzlich in zuläsigen terminis vorgestelt, und angeführt, dass Wir nicht zweifeln, die gndl. Herrschaft würde von selbst remedireu, und solche Verordnung thun, dass diese blâmé cessiren möchte. Wir haben ferner unterthänig gebetten, dafern j a wider verhoffen der Klopper noch eine Zeitlang solte geduldet werden, doch keine frembden anhero Kommende die demselben adhariren, bey ihm aus- und eintzugehen, gelitten werden mögen, zur Verhütung greiseren Ärgernus, ingleichen dass die Pfarrer allhier die unter sich habende disputé privatim ausmachen, und in der Kirchen ihre Predigten, und

62 Gottesdienst der Augspurg. confession gemäs ohne affecten verrichten möchten, womit Wir ja nichts strafbahres begangen, dafern aber EwHochgndl. Excell. diese sache etwa änderst vorgestellet worden, so wäre solches Uns nicht zu imputiren, wir sind bey der warheit geblieben; Unserer Klage nun geziemender masen gegen den Klopper zu thun, wie solches Uns in Ew. hochgräfl. Excell. Decret gndl. erlaubt worden. So haben wir solches schon in voriger Unserer schritt berühret. Er gehet in keine Kirch, ist in viel Jahren auch in keine kommen, noch darin nicht zu bringen gewesen. Dieweil nun zu dem end der Sontag, und andere festtage angeordnet sind, dass die Gemeind darinnen ihren Gottes dienst mit anruffung, bethen, loben, und danken auch empfahung der heil. Sacramenten andächtig halten sollen, und die solches nicht thun, man vor Sabbathsschänder hält, so verursachet dieser Klopper hiemit ärgernus, er läst sein Kind nicht taufen, welches abermahls ärgerlich, und wider die augspurg. confession ist. Er ziehet andere frembde, und einheimische an sich, welches auch ärgernus gibt, wie dann die Beide, so von Müntzenberg anhero nach Laubach sich begeben, und fleisig zu ihm gehen, austrücklich gesagt, sie sehen lauter Heuchler darin, da doch viele ehrliche untadelhafte Leuthe hinein gehen, wie dann auch nunmehr diese Müntzenberger gar aus der Kirche bleiben, und dadurch ein gewaltiges ärgernus geben, von der übrigen Lehr, und Leben, so der Klopper führt, ist Uns zu schwer zu richten, und lasen es zu examinirung gndl. Herrschaft gestellet seyn. Was nun die Pfarrer allhier anbelangt, so hat Herr M. Marquard öffentlich von der Taufe auf der Cantzel verkleinerlich geprediget, man solle Christ- und Juden Kinder untereinander stellen, und solte sehen, ob ein unterschied unter denselben wäre, ja man solte sehen, ob die Christen Kinder nicht verteuffelter aussähen als die Juden Kinder, welches ärgerlich zu hören, ja er nennet es ein Taufgeschmier, und scheinet, dass er des Kloppers meinung hierin seye, wie er dann auch geraume Zeit keine Kinder getauft, so er doch vorher gethan, wenn es in seiner woche gewesen. Wegen des heil, abendmahls aber hat er gegen Conrad Wölten, und Johann Veit dickein gesagt, sie solten sich das abendmahl selbst reichen, und was der wort mehr gewesen, so diese Beide eydlich deponiren werden, ja er administrirt das heil, abendmahl gar nicht mehr, welches den Zuhöreren ärgerlich vorkambt; Herr M. Marquard lehret ferner, wir müsten Gottes Gebott vollkomlich erfüllen, wir könten auch solches thun: Herr Mylius aber lehret, dass Wir allezeit darnach ringen und trachten solten, die Gebott Gottes zu

63 halten, vollkomlich aber zu erfüllen, liesen nach dem fall Unsere Schwachheiten nicht zu, sondern Unser Erlöser Jesus Christus habe vollkomlich das gesätz vor Uns erfüllet; Was aber ferner vor misverstände diese Beide unter sich haben, wird ein ieder, wenn er auf sein gewissen examinirt werden solte, wohl anzeigen müsen. Wir inhariren derowegen Unserer vorigen unterthänigen Bitt, und getrösten Uns gndl. erhörung Ew. hochgräfl. Excell. Excell. Untherthänige Burgermeister, Rath und Gemeinde zu Laubach. Injungirte unterthänige antzeige und Bitt, Burgermeister, Rath und Gemeinde zu Laubach. PS. Laubach d. 22. Jun. 1700. Dictatum Frankfurt d. 15. Febr. 1700. Hochgebohrne Graffen, gnädigste Grafen und Herrn. Heut morgen gegen acht uhr ist der Herr Capellan, wie er alleweil, als wir aus der abend Bethstunde kamen, ertzehlt und klaget, aufs Schloss durch die Pabstin in der fraw Wittib ihr Zimmer geruffen worden, worinnen nebst der fraw wittib der Contesse, und Herrn Graf Carln ein Schweitzer, so etwa ein Tag oder acht in der Mühle beym Klopfer sich aufgehalten, und wie die Leuthe sagen, nicht bey sinnen seyn solle, sich auch befunden, welcher den Herrn Capellan gleich angefallen, auf die Brust gestossen, ein Baals Pfaffen vielfaltig gescholten, den mantel abgerissen, und in die stube geschmissen, ihn zu ihrer lehr bereden wollen, als er aber dem allem widersprochen, ihm geantwortet, du Baals Pfaff, bist ein Teufelslehrer, und weist nicht, was ein Baals Pfaff seye etc. welchem die Schweitzerin aber widersprochen, und gesagt, er ist ein Apostel Christi, Hh. Cappellan aber geantwortet, was wilt doch du sagen, ihr seyd narren miteinander, dieses ist das wenigste, was Herr Cappellan in staunen ertzehlet, welche etliche aus dem Rath zu mir geschicket, mich verlangten, weswegen er abbreche und zu verstehen gab, dass er gndste Herrschaft mit Verlangen hier erwartete, der Rath und Burgerschaft wolte vernehmen ob gndl. Herrschaft bald käme, und wie sie sich wegen dieser action zu verhalten hetten, dann die Bürgerschaft als sie dieses procedere mit Herrn Cappellan vornamen zusammen gelaufen, und wann sie Rathsherrn nur ein wort gesagt, und zugestimmt hetten, den Schweitzer aus dem Schloss heraus, und in arrest nehmen wolten, wolten, und könten also nicht ruhen bis gndl. Herrschaft hier seye und

64 dem Unwesen ein end gemacht werde. Weilen dann hoch nöthig und gute gelegenheit sich zeiget, als habe dieses citissime unterthgst. berichten solten, indesen haben Wir Vertröstung gethan, dass gndl. Herrschaft innerhalb 2 mahl 24 stund gewiss hier wieder seyen, sonste waren der Rath und Bürgerschaft willens nach Wetzlar zu gehen, und den Herrn Cammerpräsidenten solches zu klagen, welches sie aber uf die Vertröstung dass gndl. Herrschaft bald hier wolte seyn, so lange beruhen lasen wolten. Herr Cappellan sagte Uns auch, dass wenn er die Burgerschaft, welche es ohne ihn erfahren, nicht so zu geredet, und abgewehret hette, sie ohnfehlbar revoltirt, und hielten deswegen auch hochnöthig dass gndl. Herrschaft herzukommen eilen wolte, womit nach unterthgr empfehlung allerstets verharre Ew. Hochgräfl. Excell. Excell. Unterthger trewgehorsamer Knecht Laubach den 13. Febr. 1700 Jh. Krug. Dict. Frankfurt d. 16. Febr. 1700. Hochgebohrener Graf gnädiger Graf und Herr. Ew. hochgndl. Excell. geruhen aus der Beylage in gnaden zu ersehen, was im nahmen der hochgebohrnen Grafen und Herrn, Herrn Ludwig und Herrn Ludwig Henrichen, Grafen zu Solms, Herrn zu Mtintzenberg, Wildenfels, und Sonnenwald, dero Regierungsrath Herr Fewerbach auf veranlasen der Bürgerschaft zu Laubach an Uns gelangen lasen; ob nun wohl die auch hochgebohrene Unsere gndsten Herrschaften Uns in specie auf das ienige, was an diesem orth vorgehet nicht, sondern vermöge des von dem hochlöbl. Directorio an die Herrn Adjunctor d. 8. Jan. jüngsthin sub specul. communicationis ergangenen ausschreibens nur in genere über das Hin, und wider in pto. religionis einreisende Unwesen instruiret; So sind Wir doch versichert dass denenselben nichts mehr angelegen seye, als die vertrawliche Einigkeit unter den sämbtl. hohen Mitgliedern des hohen gräfl: Wetterauer Collegy beizubehalten, und zumahlen die unter so nahen hohen anverwandten entstandene irrung dergestalt beygelegt zu wissen, dass weder Ihnen selbsten, noch dem Gemein wesen eine fernere schädliche Weitläufigkeit darunter zuwachse, welches besorglich geschehen würde, wenn die Bürgerschaft der gemeinschaftlichen Statt Laubach sich einen potentiorem protectorem zu suchen gemüsiget werden solte, daher Wir Uns dann in Unserm diesem hochlöbl. Collegio geleisteten pflichten obligirt befunden, Ew. hochgräfl. Excell. desen ohne einigen anstand in unterthänigkeit ohne einige masgebung zu

65 benachrichtigen, nicht zweifelnd, es werden dieselbige der sach Wichtigkeit in hocherleuchtete considuation ziehen, und das ienige was der eigenen und dero Herrn Vettern Beruhigung und Sicherheit gereichen mag, von selbsten zu verfügen, wie nicht weniger über denselben zu Untersuchung der wir sonsten an andern orthen mehr, als auch dem vernehmen nach zu Laubach hervorbrechenden irrigen und bereits in dem vorigen seculo durch die heilsame Reichs Constitutiones verbottenen lehre eine zu längliche anstalt unter andern Ursachen auch zu dem ende verfügen, damit die Burgerschaft, und andere nicht zu bewerkstelligung ihres weitaussehenden Beginnens veranlaset werden möge und allermasen dann Ew. hochgräfl. Excell. Wir darumb nicht weniger unterthänig versuchen als zu dero hoher äquanimität Uns getrösten dass dieselbige diese Unsere pflichtmäsige Vorsorge in keine Ungnade vermerken, sondern in Gnaden glauben werden, dass wir mit allen vollkommenen respect seyen Ew. hochgrfl. Excell. Untrthg. gehorsamer Diener zu gegenwärtigen des hochgrfl. Wetterauer Collegy ausgeschriebenen Grafentag abgesande Frankfurt d. 16. Febr. 1700. Ahn Ihro hochgrfl. Excell. H. Graf Fridrich Ernst zu Laubach abgangen. Dictatum Frankfurt d. 2. Mart 1700. Hochgebohrne Gnädige Grafen und Herrn. Wenn es billig ist, dass ein ieder Christ sich befleisigen soll, das übel mit Geduld zu vertragen, und das unrecht mit gutem Gewissen zu leiden; So habe mich desen billig auch zu befleisigen, an meinem ort und also sonderlich auch wegen desen, so mir dieser Tagen begegnet, keine ausbreitung zu machen, wie ich dann auch nicht gewillet gewesen, auch noch ietzo nicht aus Zorn und rachgier nachfolgendes entdecke, gleich wohl aber weil die sach da ich kaum zu haus kommen war, bald kündbar worden so gar, dass auch benachbarte orth Vieles davon zum Theil mit unwarheit geredet, noch an dem Tag da es geschehen, und folglich auch Ew. hochgräfl. Excell. gndst. befohlen der Sachen wahre Beschaffenheit schriftl. aufzusetzen; So habe dem gndl. Befehl unterthgst. nachleben, und die sach in der Wahrheit, so Viel mir wissendt und mich entsinnen kann, erzehlen sollen. Berichte demnach dass am verlittenen 13. Febr. 1700 die hochgräfl. fraw Wittib durch deren Cammerfraw Maria Magdalena 5

66 Babstin sagen lasen, morgens gegen 8 uhr, ich solte aufs Schloss kommen, als nun hierauf kam und ins Zimmer tratt waren unterschiedliche hochgräfl. Personen zugegen, undt lief ein Mensch in dem Zimmer mit heftiger Bewegung herumb (in braunem rock und rothem Camisohl) welcher, nachdem er ein wenig still geschwigen, mich grässlich ansahe und mit entsetzlicher stimme rief, den Baalsrock herunter, den Baalsrock herunter, als nun den Geist leicht prüfen und erkennen konte war es nicht noth ihm zu gehorsamen, dannenhero er solche stimme wieder hören liess und endlich auf mich zulief den Mantel vom Leib mit gewalt abrisse, und da solchen wieder aufheben wolte, wurde mir solches durchaus nicht erlaubet. Ich gieng nach dem fenster zu, ob ichs aus eigenem Trieb, oder aus Befehl, oder aus einem anderen Zweck gethan, kan eigentlich nicht sagen, und fragte, was denn sein Begehren und verlangen wäre, dass er mich also traktire, bekam die antwort, du bist ein Baals Pfaff ein Heuchler, ein Lügen Prediger. Ich versetzte mit lachendem munde, du leugst, ich bin ein Diener Jesu Christi, und Christus ist mein Leben, dem ich auch trew seyn will, bis an mein ende; Er fragte wie lang bist du denn Christi Diener. Ich antwortete: seith meiner Bekehrung. Er versetzte ferner, Nein ein Baals Pfaflf bist du, ein Teufelslehrer, ein falscher Prophet, aber heut solt du zu deinem heil bekehret werden. Ich versetzte, Ich bin bekehret, da lief er auf mich zu, schlug mir auf die Brust, und sprach: du bists nicht, ein halsstarriger Baals Pfaff bist du, lief intzwischen mit seltzamen geberden, und schnauben auf und nieder. Ich kehrte mich zu der gndl. Comtesse und sprach (dann die gndl. fraw Wittib war in das Cabinett gangen) wenn man mich zu keinem andern Zweck berufen wollen, als zu dem end, mich einem so seltsamen bekehrer, oder wie die wort eigentlich sonst mögen gewesen seyn, so hette man mich zu haus können lasen; Sie sprach aber, Ich solte mich nicht ärgern, sondern nur auswarten, es wüste sich niemand in den Menschen zu richten; Nun will ich nicht sagen, was vor einen Kampf es mich gekostet, bis dahin. Ich hette aber doch mit Gedult des ausgangs wollen erwarten, wenn die lästerwort aufgehöret, und die sanfte art des Geistes Jesu Christi sich erzeiget hette, allein er fuhr fort in seinem rasenden Beginnen, und schrie dermasen dass mir die ohren gelleten, wie ich nun sähe, wesen Geistes Trieb da war, nahm ich den in der stube ausgebreiteten Mantel, oder Baalsrock an arm, und gieng weg. Da liefe er mir nach und schrie, der fluch wird dich treffen, hat auch den fluch genennet, ich hab aber nicht verstanden, welches der fluch

67 war, iedoch weil er entsetzlich mir nach rief, kehrte ich mich aufm Vorgemach umb, und sprach, der fluch bleibe über dir, dann du bist ein Apostel des Teufels, der segen aber ist mein, der ich Jesu Christi diener bin; Eine weibs Person aus der Schweitz stund da, und wolt behaubten, dass Ihr Landsmann Christi Apostel wäre, Ich antwortete aber in tibereilender Hitz, Narren seyd ihr, du und Er, miteinander, darauf hieng ich meinen ausgescholtenen und verbannten Mantel wieder umb, und gieng nach haus. So viel kan ich mich erinnern, eines mehreren nicht, wiewohl bekennen mus, dass mehrere reden gefallen, wie aber oben erwehnet, so schreibe ich solches nicht klagweis sondern der Wahrheit zu stewer, und Ew. hocbgräfl. Excell. gndste Befehl in unveränderlicher Verharrung Ew. hochgräfl. Excell. Excell. zu geboth und gehorsamb ergebenster Johl. Henrich Mylius, Prediger des worts Gottes in Laubach. Copia Unterthhl. Berichts von Herr Caplan Mylio. Dictatum Frankfurt d. 1. Mart 1700. Copia Ein wort aus dem munde des Sohnes Gottes, der zur rechten seiner Kraft sitzet, und König über sein Volk ist. Was vermissest du dich selbst, dass du fromm und orthodox seyest und verachtest und verurtheilest die andern mit deinem hertzen, und durch deinen mund? und Worten? du stoltzer Pharisäer; bin ich nicht der heilige, und hocherhabene Gottes Sohn? der da sitzet zur rechten seiner Majestät der Glantz seiner Herrlichkeit, das Licht aus einer lebendigen Quelle, das da alle Dinge allein recht siehet, und erkennet? habe ich nicht recht, der da lebet von ewigkeit zu ewigkeit mit dem lebendigen Sigel meines Geistes, in dem Hertzen meiner Gläubigen zu Laubach versiegelt, dass ich Ihr Gott, und sie meine Söhne und Döchter seyen? Warumb verurtheilest, und lästerst du dann dieselben in deinem Hertzen, und mit deinem munde als Irrglaubige, und als einen fluch und fegopfer der weit. Ists nicht also, dass weil du wieder mein lebendiges Zeugnus der Wahrheit also arges gedenkest, und thust du nicht von mir, sondern von deinem Vatter dem argen bist, bin ich auch nicht der ewige mund der Wahrheit, und habe Ich nicht in den Tagen meines fleisches meine Jünger austrücklich gelehret, sie solten vollkommen seyn, wie ihr Vatter im Himmel vollkommen seye, und habe ich auch nicht ferner verheisen, und es mit einem doppeln eidt bestättiget, dass, wer an mich glaube, eben die werke wie Ich, ja noch grössere thun werde, als ich, weil

68 ich zum Yatter gehe, warumb wilt du dann durch dein widersprechen diese meine klare wort zu lügen machen, und dadurch den Geifer deiner selbst ersonnenen deutung schwächen, und auflösen, oder meinest du dass Ich von dir erdulden werde, dass du einer recht verkehrten meinung mich damit zu ehren, meine ehre und die Kraft zu der rechten meiDes Vatters, die Ich erlanget habe, dadurch verunehrest, und der macht der slinden, und des Teufels unterwirfst dass du die macht der slinden im fleisch dergestalten erhebest, und auf den Thron setzest dass die göttl. Kraft meines Geistes sie nicht gantz überwinden, ertöden, und meiner Glaubigen Geist, seel, und leib nicht durch und durch heiligen könne? 0 du ohnmächtige Creatur, weil du dich nicht entblödest in der Vermessenheit deiner eingebildeten Weisheit dich gegen deinen Schöpfer zu empören, so will Ich dich mit dem Odem meines Mundes, wie eine Blume auf dem Felde weg wehen, dass man deine stätte in meinem heiligthumb nicht mehr finden soll, dann ob du schon in meinem nahmen weisagest, in meinem nahmen die Kinder taufest, in meinem nahmen Beicht sitzest, und die Sünde vergiebest, in meinem nahmen das Abendmahl austheilest und in meinem nahmen viele dergleichen thaten thust, so habe ich dich doch nie erkant, darumb weiche von mir du übelthäter. Geschrieben zu Laubach aus dem Munde, und Befehl des Sohnes Gottes, der zur rechten seiner Majestät und Kraft sitzet, und von ewigkeit zu ewigkeit lebet. Den 20. Fbr. 1699 von Gf. Breithaupt. Herrn Herrn Diacono Mylio ggrl. Laubach. B. ACTUM AROLSEN, den 17. January 1700. Demnach der Informator Anth. Wilh. Böhme ohnlängsthin an den Herrn Superintendenten Joh. Kleinschmitt ein schreiben abgegeben, darinnen einige puncta nachdenklich, und frembd zu seyn scheinen und dann des hochgebohrnen Unsers gnädigsten Grafen und Herrn denen zum hochgräfl. Consistorio verordneten Cantzlaren und Käthen comission in Gnaden aufgetragen haben mit zuziehung des Visitatoris zu Landaw von demselben seine erklärung darüber zu vernehmen; So ist derselbe auf erfordern vor denenselben erschienen, und hat auf die zu solchem ende aus seinem schreiben gezogene und auf desen veranlasung ferner gestelte fragen folgender gestalt mit resumption der fragen geantwortet. Ex pag. 1 seines Schreibens: Erste frage:

69 Warumb Ich die orthodoxie genennet habe eine vermeintliche orthodoxiam ? Ad. 1) Weil der meisten Prediger ihr leben, und wandel mit der Schrift nicht einstimmet, wo aber nicht ein heilig leben mit einer heiligen Lehre verbunden ist, da ist die vorgegebene orthodoxia eine vermeinte orthodoxia. 2) Ex pag. 3. Ob Er durch andere menschliche Schriften, deren Er neben denen systematibus gedenket, auch andere, auch die libros symbolicos verstehe? Ad. 2) Ja. 3) Ob Er nach denen libris symbolicis seine Lehre wolte urtheilen lasen? Ad. 3) So fern die libri symbolici mit der Schrift und mit dem sinn Christi übereinkommen, mag auch meine Lehre nach denenselben wohl prüfen lasen. 4) Was es dann vor errores seyn, so in denen libris symbolicis enthalten, und dem sinne Christi nicht gemäs seyn ? Ad. 4) Derselben finden sich unterschiedliche, deren anietzt nur einige namhaft mache, wiewohl sonst noch viel mehrere vorhanden (1), weil in der Apologia Aug. Confess. gesagt wird: vere esse tria Sacramenta Baptismum, Coenam Domini et absolutionem (2) weil in den art. Schmalkaldic. der Apocalyptische Engel in der offenbahrung Joh. am 10. von dem Pabst erkläret wird, welches aber mit weit besserem Grunde und nach dem folgenden gantzen contextu von Christo selbst erkläret werden mus. das mag anietzo genug seyn. 5) Ob Ich den Sinn des Geistes in dem geschriebenen worte absondern, und das wort nur vor eine äusere rinden halte? Ad. 5) Antw. Ich, wann das geschriebene wort objectivé angesehen wird, so hat es den Sinn des Geistes in sich, wann Ich es aber subjectivè, nach dem der Prediger ist, der es verkündiget, ansehe, so wird der Sinn des Geistes durch einen unerfahrenen Prediger bald verstümmelt, bald verdunkelt, bald verkehrt, und so erklärt, wie es dem alten Adam wohl bekombt. 6) Ob Ich das geschriebene wort Gottes für ein kräftiges, lebendig- und selig machendes mittel halte? Ad. 6) Antw. So fern das wort von Christo zeuget, aus welchem Wir allein das göttliche leben empfangen, wann aber der Mensch bey dem blosen äusserlichen worte stehen bleibet, und gehet

70

Ad.

Ad.

Ad.

Ad.

nicht durch daselbe zu Christo selbst, dass Er seiner natur, seines Sinnes, und seiner Kraft theilhaftig werde; So kann der Mensch durch das wort weder lebendig noch selig gemacht werden, sondern ist ein bioser Pharisaer der den Buchstaben der Schrift treibet, aber nicht zu Christo kommen will, auch dahero folglich in Sünden todt liegen bleibet. Siehe Joh. 5, vs. 87 et seq. 7) Welches die färbe sey damit die Symbolische Bücher bestrichen seyn als falsche Brille? 7) Antw.: Die allzugrose erhebung solcher Bücher. 8) Ob Ich die meisten Professores auf den Academien kenne, und deren hertz und wandel geprüfet habe, dass Ich sagen könne, dass der Teuffei durch sie lehre? 8) Antw.: Eine solche erkantnus ist nicht nöthig zu dieser prüfung, indem die früchte ihrer lehre genugsam ausweisen, dass nicht Christi Geist, sondern der Teuffei durch sie lehre, indem das wilde ungebundene und mehr als viehische leben, derer die sie lehren, bezeuget, dass sie ein Greuel vor Gott seyen, dann wann sie das wort des herrn in der wahren Kraft Ihnen verkündigten, würde dadurch ihr hertz zu einer Werkstatt des heiligen Geistes zubereitet werden (conf. Jer. 23, vs. 22) nahmentlich Wittenberg, Jehna, Rinteln, und andere mehr, da gehets grewlich zu, Ich wolte, dass man mich zum Lügner machte, so wolte Ich alsobald revociren, also man mus mir erweisen, dass die meisten^ Academien werkstätte des heiligen Geistes seyen, das solte mich frewen. 9) Warumb Ich die buchstäbliche und umb das Geld erkaufte Theologiam verwerffe? 9) Antw.: Ich verwerffe nicht die buchstäbliche Theologie an sich selbsten, sondern so fern sie blos buchstäblich (wie die wort in meinem Brief lauten) das ist ohne Geist, Kraft, nachtruck, und wirklichen gehorsam desen was die Buchstabe der Schrift saget, angesehen wird. 10) Ob man davor Professoren von ihrer mühe und arbeit, die sie mit denen studiosis haben, kein Geld geben solle? 10) Antw.: So fern sie arbeiter Christi sind, sind sie des lohns und der speise werth, weil aber die meisten aus liebe des irdischen den reichern williger, als denen armen dienen, so wird hiedurch die unersättliche Begierde und der Geitz solcher Leuthe nur gestraffet.

71

Ad. 11)

Ad. 12)

Ad. 13)

Ad. 14)

10) Ob man dann die Theologiam nicht mit mühe und arbeit ins gedachtnus bringen möge? Die wahre Theologiam, und deren erlernung besteht nicht so wohl in würken, als in leiden, das ist, dass ein Studiosus denen würkungen des heiligen Geistes in einer Stilen Seele räum und platz läse, auf dass derselbe die Geheimbnüse des Reichs Christi im inneren gründe seiner Seelen offenbahre, auf welchen Sie hernach bey dem äuserlichen Vortrag solcher Geheimbnüse von sich selbst gar leicht ins Gedächtnus flieset. Math, am 12. 12) Ob die Glaubensarticul und streitpuncta in die Theologia nicht zu tractiren seyn? Antw.: Was die streitpuncten betrift, müsen selbige gar sobrie tractirt werden, und wird hierdurch nur gestraffet der erschröckliche misbrauch solcher Dinge, da man fast die meiste Zeit in erlernung der controversien zubringt, da doch viel besser wäre, dass man erstlich einen festen thesin, und Grund Christlicher lehre durch Gottes Geist in sich legen liese, so würde hernach die lust zur Ketzermacherey nach und nach von sich selbst hinfallen: Die Glaubensarticul können so ferne tractirt werden, dass allemahl die Kraft und praxis der Lehre denen Studiosis angewiesen werde. 13) Was Ich durch die Salbung, die ich zu einem Prediger erfordere, verstehe? Antw.: 1) Die Kräftige ausgiesung des heiligen Geistes in seine Seele. 2) Eine wahre heiligung aller seine Ihm geschenkten gaben. 3) Den innerlichen Beruff, den Er von Gott haben mus und also folglich eine vollige Überzeugung und Versicherung, dass Ihn der Herr ausgesondert und beruffen habe das Lehrambt newes Testaments zu führen. 14) Wo diese redensart, durch lebendigen Glauben in die Gerechtigkeit Christi eintringen, in der heiligen Schrift zu finden seye? Dass der Glaube ein lebendig werk seyn müse, hoffe nicht, dass Jemand in Zweifel ziehen werde, und sind der örther sehr viel, die von dem göttlichen leben des Glaubens handeln. Was die vollkommene Gerechtigkeit betrift, die die Gläubigen in Christo erlangen, so ist ja offenbahr, dass Christi Gerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit selbst, und also überschrecklich gros seye. v. 2. Cor. 5, vs. 21. Das wort eintringen

72

stehet zwar dem Buchstaben nach nicht in der Schrift, es wird aber nach dem Sinn gar oft gefunden, als Joh. 6, vs. 44. Da es durch den vorzug des Vatters ausgetriickt wird, und Cant. 1, vs. 4 durch das laufen, Luc. 13, vs. 24 durch das ringen vorgestellet wird. 15) Ob Ich davor halte, dass der arme Sünder durch die wesentliche Gerechtigkeit Christi für Gott gerecht werden? Ad. 15) Antw.: Ich halte davor dass die Gerechtigkeit Christi dem armen sünder zugerechnet werde, doch so, dass selbige zugerechnete gerechtigkeit Christi alsobald auch Christi natur» Christi Sinn, willen, sanft- und demuth etc. mit sich bringe, als eine unabsonderliche folge solcher Gerechtigkeit v. 2. Pet. 1, vs. 4. 1. Cor. 2, vs. 16. 16) Worin Ich das rechte wesen und die natur der rechtfertigung setze? Ad. 16) Antw.: In der theilhaftigkeit des gantzen Christi, den Ich durch lebendigen Glauben ergreiffen mus. 17) Ob der gefallene Mensch noch einige Kräfte zu seiner Bekehrung in sich habe, weil es nur verdorbene Kräfte in dem schreiben genennet werden? Ad. 17) Antw.: 1) So dieser austruck verwerflich, so mus auch das Lied, welches doch noch fleisig in denen Lutherischen Kirchen gesungen wird (durch Adams falls ist gantz verderbt) verworfen werden. 2) halte Ich davor, dass noch einige spur zeichen von dem verlornen Bilde Gottes übrig geblieben, welches Paulus Röm. 1, vs. 18 warheit nennet, welche warheit die Heiden in Ungerechtigkeit aufhalten. Diese warheit, die gleichsam noch als ein tiefer athem von dem leben Gottes in der Seelen übrig ist, wird in der Buse durch Christum, als die vollkommene Wahrheit (Joh. 14, vs. 6, Eph. 4, vs. 21) wieder erwecket, und ernewert. 18) Was Ich von der Erbsünde halte? Ad. 18) Resp.: Die Erbsünde ist der same des Teufels, oder der schlangen, mit welchem der Mensch nach dem fall durch und durch an Leib und Seel vergiftet, also dass sein thun und würken zum ersten trieb hat eigen liebe, eigen willen, eigen nutzen, eigen ehre etc. 19) Ob das wort Gottes, dass ein unwiedergebohrener Prediger ohne Beysatz prediget, Kraft habe? Ad. 19) Antw.: Wenn Ihm Gott bisweilen aus heiligen Ursachen, zum

73

exempel umb der anwesenden hungerigen Seelen willen, das wort in den mundt leget, hat selbiges seine Kraft; dass aber Gott solches allemahl und zu aller Zeit und bey allen thun wolte, davon habe Ich bis hero in der Schrift keine verheisung gefunden. 20) Ob dann der Gottes dienst der in den Mawer Kirchen, und äusserlichen Tempeln geschiehet, Gott nicht angenehm seye, und ob dieser Gottes dienst dem Gottes dienst, der im Geist, und der warheit geschehen solte, zu wider seye? Ad. 20) Antw.: Der orth thut zur sache nichts, es sey ein Tempel, oder stube, oder wüste, oder Berg, oder Löcher der erden (in welchen die erste Christen oft musten zusammen kommen) dann Gott wohnet nicht in Tempeln die mit Händen gemacht sind. act. 17, vs. 24. 2) Von dem heutigen anstalt des äuserlichen Gottesdienstes ist dieses meine meinung, dass sie nemlich von der ersten lauterkeit, und Apostolischen Vorschrift und Exempel sehr abgewichen seyn, indem sie untereinander sich erbaweten, auch denen so genanten Layen die freyheit zu reden und zu fragen vergönneten. Vid. Hebr. 10, vs. 24, 25. Act. 2, vs. 37 et Cap. 13, vs. 15. Luc. 2, vs. 46 et 47 et Cap. 4, vs. 17. fürnemlich aber 1. Cor. 14 f. tot. Also verwerffe Ich nicht die äuserliche Versamblung an sich selbst, wann sie nach Apostolischer Ordnung gehalten werden, als welche mit dem Gottesdienst im Geist, und in der warheit lieblich harmoniren, sondern nur den verfall von solcher ersten Ordnung, indem die heutige anstalt bey weitem nicht so kräftig und erbawlich ist, als die erste gewesen. 21) Ob nicht nöthig seye, dass sich an einen äuserlichen Religionshaufen zu binden? Ad. 21) Antw.: Es ist dieses nicht absolute nöthig, und hat ein häufe vor dem andern nur diesen vortheil, dass er nicht so viel praejudicia und hinterntlsen zur warheit zu gelangen hat, als der andere. 22) Ob Ich die heilige Tauff als ein Kräftiges mittel der Wiedergeburt halte, welches Vergebung der stinden, leben und Seligkeit wiirket? Ad. 22) Resp. Ich habe davon bis hieher noch keine vollige gewissheit, und sind Lutheri worte im Kleinen Catechismo (da der Tauffe Vergebung der Sünden, erlösung vom Todt und Teuffei, und die ewige Seligkeit beygeleget wird) mir noch nicht Be-

74 weises genug, dass Ich solchen beypflichten könne, zu denen machet mir auch nicht wenig scrupel, dass Ich bey einem getauften, und ungetauften Kinde wenig unterscheidt finde, dennoch bestehe Ich nicht fest auf dieser meinung, noch will dieselbe halsstarrig vertheidigen, sondern will einem ieden der mit Kräftigem gründe die Taufe ein mittel der newen geburth asseriren kan, gerne weichen. 23) Was dann die Kinder vor ein mittel zur Wiedergeburt!), und Seligkeit haben? Ad. 23) Antw.: Ich habe auch hiervon noch keine völlige gewissheit. 24) Ob Ich die Kindertaufe vor nöthig halte? Ad. 24) ßesp.: Ich halte sie nicht absolut nöthig, ist auch nicht bey denen ersten Christen üblich gewesen, dahero mache Ich mir ein gewissen solcher Leuthe Kinder, die ohne die Taufe verstorben, zu verdammen; Indesen gönne ich einem ieden hierin seine freyheit, und will den ienigen, der seine Kinder taufen läset, nicht urtheilen. Ich will aber auch den ienigen in liebe tragen, der seine Kinder ungetauft, undt sie erst gros werden läset, indem Ich gestehe dass die jenige Gründe die ins gemein in Unsern Büchern zur behaubtung der Kindertaufe beygebracht werden, nicht zu länglich seyn, eine Seele, die in allem den lautern Grund suchet zu vergnügen. 25) Wo dann und welche die jenige Prediger seyn in der Grafschaft Waldeck die den würdigen wandel, der auf die Taufe folgen mus, kaltsinnig oder gar nicht vortragen? Ad. 25) Resp. Auch hier ist nicht nöthig, dass gewisse individua ausgetruckt werden, indem der grose und rohe Haufe Volks, der leider! in einer mehr als viehischen Thumbheit dahin gehet von diesem allem ein betrübtes Zeugnus ist, dann wann die Lehrer bey dem Rath Gottes blieben und seine worte dem Volk, wie von allen stücken des Christenthumbs, also auch vor der Taufe predigten, so würden sie daselbe von ihrem losen wesen, und von ihrem bösen leben bekehren. Jerem. 23, vers 22. 26) Ob dann die Prediger in hiesiger Grafschaft, wenn sie die laster strafen, undt im gegentheil die Christliche Tugenden vortragen, den würdigen wandel der heiligen Taufe nicht treiben? Ad. 26) Antw.: Es sind zweyerley art Prediger, etliche nennet der Apostel Zuchtmeister, andere aber Vätter 1. Cor. 4, vs. 15. Jene (die

75 Zuchtmeister) sind solche, die auf eine gesetzliche art, und strengigkeit die laster äuserlich strafen, aber nicht die quelle zeigen, wo der Mensch Kraft hohlen solte, der in ihm herrschenden stinden abzusterben: diese (die Vätter) sind solche, die da selbst aus dem Evangelischen Geiste Christi gebohren sind, und dahero selbst erkant, und geschmecket, wie freundlich der Herr seye, daher sie auch nicht so wohl auf eine gesetzliche und ungestume weise dem Volk die stinden zu verleiten suchen, sondern vielmehr mit Vorhaltung der Evangelischen Gnadenschätze, die in Christo liegen, die Menschen abzuhalten suchen von der Lust der weit: die Zuchtmeister nun (welcherley die meisten sind) die predigen den wandel, der auf die Taufe erfolgen soll, nicht würdiglich, als worzu allein die Vätter tüchtig sind. 27) Ob Ich das Sacrament der heiligen Taufe nur vor ein äuserlich wasserbadt halte, durch welches die innerliche abwaschung der sünde nur blos bedeutet werde? Ad. 27) Resp. Alle äuserliche Ceremonien und Vorstellungen, die Wir in der Christenheit haben, sind gewisse austrücke der inneren Kräften des Reichs Christi, und wie selbige nach und nach in der Seele aufeinander gewickelt werden, welches Gott gefallen hat, dass er den Menschen der nach dem fall gantz äuserlich worden und von den inneren geheimbnusen des Reichs Christi wenig oder nichts verstehet, durch solche äuserliche Vorstellung in das innere einführe, dahero der Mensch in keinem blosen äuserlichen Dinge, es mag nahmen haben wie es wolle, beruhen darf, sondern mus durch alles hindurch gehen, Christum allein suchen, und den selben zum Centro seiner ruhe erwählen; durch das wort austruck verstehe Ich alle diejenige äuserliche Bilder oder Vorstellungen die auf etwas höheres und gründlicheres abzwecken. 28) Wer mich zum Reformator der Kirchen berufen habe? Ad. 28) Resp. Ich habe mich noch nie zum Reformatore, ja nicht einmahl zum Lehrer aufgeworffen, als der Ich wohl weis den ausspruch Jacobi C. 3, vs. 1. dass Ich aber nach dem mas der mir mitgetheilten Gnade von den grewlen der Verwüstung zeuge, dartzu verbindet mich mein gewissen, als der Ich dem Herrn von den gebrauch der mir geschenkten erkantnus eine so genawe rechenschaft geben mus, so dann auch die liebe meines nechsten, welches (nechsten) elend, und falcher wahn

76 darin die meisten liegen, mich oft beweget, zur errettung seiner Seelen meine wenige erkantnus mitbeyzutragen. 29) Welches die mehr als heidnische Verwirrungen seyen, die in Unsern Kirchlichen anstalten bey dem gebrauch des Abendmahls sich finden. Ad. 29) Resp. Es ist eine mehr als heidnische Verwirrung wann man allerley leuthe, und also böse und gute ohne gründlich prüfund Untersuchung hinzu läset, da doch dieses allein denen, die nach der gnade Gottes hungrig sind, von Christo gewidmet ist, dann die Heiden Ihre vermeinte heiligthumber so hoch hielten dass sie keinen Christen (den sie vor Gottlos hielten) verstatteten, dieselbe anzurühren, oder zu besehen; Nun aber befiehlet der Apostel, dass man mit einem solchen, der sich einen Bruder nennet, und doch unordentlich wandelt, das mahl nicht nehmen soll, und dieses ist auch unter andern eine ursach, die mich bewogen hat, des äuserlichen nachtmahls mich zu enthalten, und habe Ich in meinem Gewissen zu desen gebrauch keine freyheit gefunden, wohl aber durch würkliche enthaltung deselben solchen misbrauch thätlich bestraffen müsen. 30) Ob Ich dann lieber mich wolte des Abendmahls enthalten, als mit unwürdigen hinzugehen? Ad. 30) Resp.: Noch zur Zeit will Ich mich lieber desen enthalten, als auf besagte weise h. e. mit unwürdigen hinzugehen; Solte mir aber Gott in meinem gewissen diesen scrupel einmahl solviren, so kan Ich auch alsdann deselben mich wieder auf besagte weise bedienen. 31) Worin der Päpstliche Zwang, der in Unsern Kirchen nach Besag des Briefs noch ziemlich herrschen soll, bestehe? Ad. 31) Resp. Hiervon liegen leider unterschiedliche betrübte Zeugnuse am Tage, zum Exempel, so man die Leuthe will zwingen zum Kirchengehen, dieses und ienes Buch nicht zu lesen, Item in aufbürdung, oder Verbindung an diese und jene redensart, formul, und dergleichen, und so man dazu nach seinem Gewissen sich nicht verstehen kan oder will, einen solchen, als einen irrigen, und Ketzer traducirt, welches wie es wider die liebe streitet, so mus bekennen, dass solches noch ein ziemlich stück des Päpstischen sawerteiges sey, dabey Ich wünsche, dass Unsere Kirche sich auch hiervon in mehr, und mehr reinigen läse, auf dass die wahre freyheit

77 nach den Geist, die aus Christo flieset (Joh. 8 v. 31. 32. 36) allein herrschen möge, so halte Ich auch davor dass, wenn man die Kinder Taufe und das nachtmahl gehen Jemand abzwingen

wolte,

solches

auch zum

Päbstischen

Gewissens

Zwang gehöre. 32) Was dann in ansehung des Predigers vor ein unterscheidt seye der Tüchtigkeit zur Behandlung des werks und der Sacramenten? Ad. 32) Resp. Bey behandlung der Sacramenten als bey der Taufe und bey ausspändung des Abendmahls darf der Prediger keine sonderliche erklärung zu machen, sondern spricht nur die vorgeschriebenen worte ohne ferneren eigenen zusatz, welches aber bey Verhandlung des worts sich nicht also befindet, Ich versehe aber durch die handlung in der Taufe die ausgiesung des wassers, und in dem nachtmahl die darreichung des Brods, und weines,

sambt bey gefügten Worten der einsetzung: die

Vermahnung, so der Prediger aus der Kirchenordnung bey Verhandlung der Sacramenten lieset, betreffend, so halte Ich solche allerdings vor Kräftig, wenn sie mit der Schrift und dem sinne Christi überein kommet. 33) Ob nicht vermöge Christi Ordnung nöthig seye, das heilige Abendmahl zu gebrauchen ? Ad. 33) Resp. Wenn Ich das Abendmahl in der Ordnung in welcher es Christus eingesetzt hat, haben kan, bin Ich erbietig, auch deselben mich zu bedienen, weil aber diese Ordnung, wie aus dem Vorigen erhellet, sehr verfallen, und viel

misbräuche

eingerissen sind, so verbindet solche Ordnung nur als dann, wenn sie

in solchen

terminis stehet, wie sie Christus ge-

stellet hat. 34) Ob ich die worte Christi: Solches thut g. nicht vor Befehlworte halte? Ad. 34) Resp. 1) Wenn die Ordnung das Abendmahl zu gebrauchen, so bleibet wie sie Christus gestellet hat, so halte ich solche worte verbindlich (2.) folget nun aus diesen worten,

dass

mans thun solle, ohne Bemeltung wie oft, oder wie viel mahl; Weil ich nun das Abendmahl schon oft gebrauchet, so habe Ich auch darin dem Gebott Christi

nachgelebet.

35) Ob ich dann nicht nöthig habe, das heilige Abendmahl zu gebrauchen? Ad. 35) Resp. So oft Christus einen eingang in unsere Herzen findet,

78 hält er mit der Seelen das Abendmahl und mehret den inwendigen Menschen mit sich selbsten, daher geniese Ich oft Christi Abendmahl, das äuserliche aber kan Ich als dann erst ohne Verletzung meines Gewissens geniesen, wenn Ichs in der Ordnung Christi ohne dergleichen eingerissene misbräuche, die droben zum theil erwehnet, haben kan. 36) Warumb ich die worte Lutheri aus seinem kleinen Catechismo in praefat. da er sagt: dass der nicht vor einen Christen zu halten, der nicht des Jahrs wenigstens viermahl das heilige Abendmahl empfanget, nicht allegirt habe, sondern nur die zwei örther, worin Er die freyheit gibt, das heilige Abendmahl zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen? Ad. 36) Resp. Ich habe diese worte nicht allegiret, weil Ich sie dem sinne Christi nicht gemas befinde, als welcher allein durch seinen Geist die Seele zum Gebrauch des Abendmahls bewegen mus, wann und wie oft man dar zu gehen solle, daher Ich mich in diesem stück seiner meinung nicht unterwerffen kan, sondern bleibe vielmehr bey dem rath Lutheri, welchen locis a me citatis von der wahren freyheit in diesem dinge gibt, und bezeuget, dass Wir durch Christum zur freyheit alles äuserlichen wesens, auch die Sacramenta mit eingeschlossen, gekommen seyen. Ich halte es auch vor einigen verfall und Schwachheit des lieben Mannes, in welche er nach und nach durch das heftige disputiren mit denen Papisten verfiehl, indem er zu anfang in unterschiedlichen dingen viel lauterer geschrieben hat, als hernach, daher auch fleisige Leser seinen Schriften anmerken, dass er sich in einigen Sätzen oft widerspreche, welches dann aus allzu groser heftigkeit seines hitzigen temperaments, und der groben widersprecher im Pabstumb verursachet seyn mag, und mus daher bey lesung seiner Schriften die Apostolische erinnerung, prüfet alles und das gute behaltet, nicht aus den äugen gelasen werden. 37) Warumb Ich die Lutherische Religion ein altes Satirisches Lutherthumb nenne? Ad. 37) Resp. Ich nenne es alt, weil so wenig sind, die in Christo zu newen Menschen, und zu newen Creaturen wiedergebohren sind, Ich nenne es aber Satirisch, weil man für den äuserlichen nahmen des Lutherthumbs so gewaltig streitet, welches doch ein heilloser nähme ist, so dann auch darumb weil sich

79 so Viele in dem Lutherthumb finden, welche andere, die nicht in allen opinionen, Satzungen, Ceremonien, redensarthen, symbolog. mit Ihnen Ubereinkommen, verwerfen, verketzern, verdammen, und aus der Brüderschaft ausschliesen, die ienige wenige aber, die unter solchen häufen rechtschaffen sind, kennet Gott, und gehet denen dieser nähme nicht an, als die lauterlich, undt allein an Christo dem hochgebenedeyten Oberhaupt seiner Gemeine hangen, und allein aus Ihm Kraft und saft schöpfen zum wachsthumb Ihres inwendigen Menschen. 38) Ob ich die hochgräfl. Kinder, und andere so Ich informiret, dahin unterwiesen habe, auf die Frage des Catechismi: Bist du ein Christ? zu antworten, Nein, ich will noch einer werden? Ad. 38) Resp. Ich brauche bei solchen fragen keinen Catechismum, sondern das Leben, und wandel derer damit ich umbgehe, dahero Ich sie auch wohl erinnert bey der Beantwortung dieser frage sich erst wohl zu prüfen, ob sie auch die salbung vom heiligen Geist empfangen, auch den Sinn, sanft- und demuth Christi angenommen hetten, oder mit einem worte, ob sie auch Christo im leben nachfolgeten, und solten denen nach Befindung ihres inwendigen Zustandes mit J a , oder Nein antworten, dabey Ich dann beklage, wie solche prüfung, und Untersuchung, die bey denen Kindern sehr nothwendig ist, von so Vielen Vorgesetzten verabsäumet, und die Kinder auf ein bloses nachschwätzen zu Ihrem grosen schaden angewiesen werden. 39) Ob dann die Kinder in der Taufe nicht zu Christen worden seyn? Ad. 39) Resp. Von der Taufe ist meine erkantnus aus dem vorigen zu ersehen, gesetzt, dass die Kinder würcklich aus Gott gebohren gewesen, so bezeuget doch die erfahrung, wie so gar wenige in solchem Bunde beharren, die allermeisten aber nach der schwemme sich in den sündenkoth bey zunehmenden Jahren wieder weltzen, daher Ihnen dann ihr Verfall aus der newen Geburth gezeuget, und alsdann anleitung gegeben werden mus, dass sie noch einmahl müsen wiedergebohren werden, ehe sie die frage: Bist du ein Christ? mit Grunde der Wahrheit durch J a beantworten können. Actum Arolsen den 18. January 1700. Was Ich vom Ehestand halte?

80 ß.

Ich halte selbigen vor eine göttliche Stiftung, woraus dann

von selbsten folget, dass er auch auf eine Göttliche und und heilige arth, oder wie es Paulus nennet 1. Cor. 7. in dem Herrn geführet werden müse, auf dass durch solchen äuserlichen Ehestand, und Vermählung zweyer Personen

das grose Geheimnus

der Vereinigung

Christi mit Unsern Seelen abgebildet werden könne v. Eph. 5 v. 32. ferner halte Ich, dass wenn der Ehstand nicht in dem Herrn geführet wird, sondern die Personen, die sich verehligen, aus mancherley fleischlichen absichten, es seye um Goldes, GUther, Ehre oder blos viehischer Lust nutzens etc. wegen zusammen laufen, dass dann auch die Kinder die von Ihnen gezeuget werden, vor Gott Huren Kinder seyen und halte Ich davor dass auch vielen Eltern Ihre Kinder deswegen so übel gerathen, weil Ihre Ehe nicht in dem Herrn, sondern aus obengeführten unordentlichen absichten getroffen ist, und mag darzu die so genannte Priesterliche Einsegnung nichts thun, indem die worte, was Gott zusammen gefügt, sol der Mensch nicht scheiden, bey solcher Verhandlung, oder so genanten Copulation lästerlich gemisbrauchet

werden, weil

die meiste Eheleute nicht durch Gott,

sondern etliche durch Geldbegierde, andere durch andere böse absichten gefüget worden, und dieser misbrauch obangeflihrter worte schwebet mir so lebendig ob in meiner Seelen, dass, wenn ich sonst kein motiv hette, des Predigambts mich zu äusern, doch der misbrauch dieser worte, die bey den Copulationen ins gemein ausgesprochen werden zuträglich genug wären, mich davon abzuhalten. Ob Ich davor halte, dass die Glaubige Gottes gesätze können erfüllen ? ßesp.

Von dieser frage ist ja

bishero in der Lutherischen

Kirchen Viel gestritten und gedispudirt, aber wenig darauf gedacht worden, ob man etwa bey sich selbst erfahren müste, ob man das gesätz erfüllen könne, oder nicht. in denen Glaubigen

So halte ich dennoch davor, dass

nachdem sie Christo dem lebens- und Kraft-

vollen weinstock durch lebendigen Glauben eingepflantzet sind, das gesätze nach der rechtfertigung vollkommen erfüllet werde.

Rom. 8

v. 4. die aus der rechtfertigung fliesende heiligung aber hat ihre gewisse Staffel, und erfüllet die eine nach derselben das gesätz mehr als der andere, doch sind Ihnen nunmehro die Gebotte Gottes nicht schwer 1. Job. 5 v. 3 weil sie mit dem Geist der Liebe gefüllet, durch welchen sie auch denen Gebotten des Herrn immer völliger nach zu leben sich bestreben, und da die Herrschaft der sünde bey allen Glaubigen gehoben werden mus, so halte Ich doch davor, dass

81 die empfindungen, und aufwallungen der Sünden im fleisch noch übrig bleibet, die endlich einmahl bey ablegung der äuserlichen hütte des Leibes in die Verwesung gantz werden geführet werden. Dass Vorstehendes alles meine eigene ad Calamum von mir dictirte worte, und meinung sey, solches attestire mit dieser meiner eigenen hand, und Unterschrift. Arolsen d. 18. January 1700. Anthon Wilhelm Böhme.

II. Verschiedene Akten betr. das Yerhältniss der Pietisten in Ysenburg-Büdingen, Anhalt und Thüringen zur staatskirchlichen Obrigkeit.1) A.

Kirchliches Begräbniss.

1) Relation wegen Umgehung des kirchlichen Begräbnisses. Hochgebohrner Herr Graff, Gnädigster Graff und Herr! Nachdem Euer hochgräffl. Gnaden gnädigst befohlen, wegen des Friederich Enslin absterben und Begräbnüss eine schriftl. kurtze relation abzustatten, so habe hiemit in unterthänigkeit referiren wollen, dass gedachter Friederich Enslin vor ungefähr einem viertel Jahr gestorben, auch nach seinem abschied zuerst der Christmann, Zimmermann, von Bürstadt, hernach des Enslin Frau, zum drittenmahl aber wiederumb der Christmann nebst einem Becker von Dudelsheim bey mir erschienen, mich mit allerley guten, wortten zu Persuadiren, dass ich möchte zulassen, den verstorbenen Enslin ohne gesang und Klang begraben zu lassen, wogegen ich ihnen aber der hochgräfl. Herrschaft Befehl vor ungefähr zwey Jahren datiret entgegen geworffen, dass sie mich nicht versuchen sollten, weil ich nichts weder darzu noch davon thun könte, auch der Herr Ambtmann ein solches gleichfalss nicht permittiren dürffte, worauf aber vier von denen so genannten Pietisten den verstorbnen Enslin vor der gewöhnliche Zeit genommen und ohne sang und Klang begraben, der Bündner und drey weiber 1) Ysenburgisches Archiv zu Büdingen. betr. Pietisten.

S. Kulturwesen Nr. 211 und 212

6

82 hinter der Leiche gefolget, sonst aber eine grosse Menge Volks zusammen gelaufen und grosse ärgernliss darauss entstanden. Nach der Beerdigung seynd der Bündner und Becker von Dudelsheim nach Assenheim gangen, vielleicht bey dem Herrn Ambtmann relation des gantzen Handels abzustatten. Weilen aber Ew. Hochgräfl. Gnaden wegen des Herrn Ambtmanns ungetaufften Kindes nichts befohlen haben, so habe es auch hiermit bewenden lassen. Verharre Ew. hochgräfl. Gnaden untertänigster Vorbitter im Herrn Johann Henrich Kunkel. Datum d. 20 juli 1717. 2) Befehl wegen Befreiung von der kirchlichen Begräbnissordnung. Copia. Des Hochgebornen Graffen und Herrn, Herrn Carl Augusts Graffen zu Ysenburg und Büdigen, Unsers Gnädigsten Herrn hochgräfl. Gnaden haben auf unterthänigstes ansuchen Georg Schiesslers, Wingert Manns und Beysassen zu Dudelsheim Gnädigst Erlaubet, dass er seine gestern verstorbene Ehefrau, benebenst der auch am selbigen Tage bey ihm in seinem Hause Verschiedene Gertraud Enslerin in der Stille, ohne Klang und Gesang begraben lassen möge, Jedoch mit dem Beding, dass er sowohl dem Ehren Pfarrer als dem Schuhlmeister zu Dudelsheim das accidens oder gebühr, so sonsten Wenn Verstorbene öffentlich mit gewöhnlichen Ceremonien zur erden bestattet werden und eine leiche Predigt gehalten Wird, zu entrichten sind, entrichten, So denn auch hinführo, so lange er sich in Ihro hochgräfl. Lande aufhalten wird, sich den Herrschafts-Verordnungen gebührend unterwerffen, Und in dergleichen äusserlichen gar keinen Gewissens Zwang importirenden dingen sich nicht Separiren sollte. Urkundl. Ihro hochgräfl. Gnaden Marienborn d. 18. May 1728. Carl Aug. z. Ysenburg. B. K i r c h l i c h e T r a u u n g . 1) Vorstellung des Presbyteriums zu Dudelsheim wegen Missachtung der kirchlichen Ceremonien, besonders der Trauung durch die Pietisten. Hochgebohrner Graff, Gnädigster Graff und Herr. Wir unterschriebene Prediger und Aeltesten der Kirchen und Gemeinde Dudelsheim sind genöthiget, unseres Ambts und pflichten halber, hiemit vor Ew. Hochgräfl. Gnaden unterthänigst zu erscheinen um durch die beygelegte Einlage zu referiren, was sich am 12. dieses monaths Maji mit den Ludwig Niess Beysassen und einer Tochter

83 Görg Schiessler auch Beysassen und Wingertsmann allhier betreffend ihre eheverlöbnüss begeben und zugetragen hat. Welcher vorgegangene actus gradt zuwieder ist. 1) Der in unserer Kirchen statthabenden Lehre, welche, wie sie eine Einigkeit im zwecke des glaubens und der Bekantnüss setzet, also auch eine Einigkeit in der ceremonien der copulation, dass sie vor einem ordentlichen Diener des Evangelji verrichtet werde, bisher mit einhellige Zustimmung aller Glieder gehabt hat. Sollte nun nach der heutigen Separatisten ein bildung eine reformation dieser oder anderer ceremonien, zu welchen sich alle Glieder der Kirchen auch sonderlich Obrigkeiten und unterthanen hiesigen Landes öffentlich bekennen und solche guttheissen, gemacht werden, so mtisst, damit gutte Ordnung beybehalten würde, selbige bey allen gliedern eingeführet werden. Ob aber ein solches von besonderen Gliedern der Kirchen in einem Lande oder in einem Orthe sich ins Werk bringen lasse? dass Uberlassen wir Ew. Hochgräfl. Gnaden hohem judicio. 2) Ist dadurch die bisher gebräuchliche löbliche Kirchen Ordnung, welche gebiethet, dass alle ehelich Verlobte in der Gemein, worinnen sie wohnen und sich auffhalten von dem ordentlichen Prediger sollen proclamiret und copuliret werden, geschwächt und aufgehoben, und folglich wäre, wenn der Separatiste Verfahren solle erlaubet und gutt geheissen bleiben, denn Atheisten, Gottlosen und Heuchlern zu ihrem epicurische Leben thür und thor geöffnet. Denn auf die freyheit worauf sich der Separatist in christlichen gebrauchen zuverlassen, darauff kann sich ohne aussnehmung ein jeder, der sich zum Christenthumb mit dem munde bekennet, beruffen. Und so könte mancher bey dergleichen Freyheit seinem weibe, bey dem geringsten Verdruss und Wiedermuth den Scheid- und Wanders Zettel anbiethen, oder geschähe das nicht, so möchte doch seinen Kindern dass übel darauss zuwachsen, dass es ihnen dermahlen (da die menschen, die in einem Lande gebohren nicht alle darinnen ihr verbleiben haben) in andern Ländern sich häusslich niederzulasen schwer fallen dürfte, weil man ihnen den geburthsbrieff, wie er bey dergleichen gelegenheit erfordert wird, nicht ertheilen könte. 3) Wird durch solches Verfahren der Separatisten der einfältige und schwache, der solche neuerungen nicht fassen und begreiffen kann, vorsetzlich geärgert und auff allerhand irrigen wahn gebracht, worüber das Wehe aussgesprochen ist. 4) Wird dadurch denen, die draussen sind, anlass zur Lästerung gegeben, welches grosse Veranthwortung nach sich zeucht.

84 5) Handeln hierdurch die Separatisten wider die in der Christenheit verordnete Statuten und gesetze, welche in dergleichen begebenheiten von keinen andern Ceremonien und gebrauchen, als welche von den dreyen religionen angenohmen und üblich seind, wissen wollen. Nebst der obgedachten beylage A legen wir noch eine bey B, worauss Ew. hochgräffl. Gnaden geruhen gnädigst zu ersehen, wie das Anno 1723 dem Görg Schiessler seine todten in der stille zu begraben erlaubet worden, aber unter der Bedingung, dass er fernerhin sich der hochgräffl. Verordnungen und also auch proclamation und copulation unterwerffen solle. Wir leben der unterthänigsten Zuversicht Ew. hochgräffl. Gnaden werden wegen der obgedachten, von den Separatisten vermeindlich gültig geschähenen copulation dergleichen Verordnungen ergehen lasen, wodurch die Einigkeit der Kirchen ceremonien beybehalten, die Gesetze der Kirchen Ordnung gehandhabet, dass durch die vermeinlich geschähene copulation vorsetzlich gegebene ärgernüss gehoben und denen drausen seyenden Lästerung zu sprechen aller anlass benohmen werde. Womit Gott, der Ein Gott der Ordtnung, Einigkeit und des Friedens ist, wird gedienet werden, in welches Allmächtigen schütz und schirm wir Ew. hochgräffl. Gnaden empfelen Und verharren Ew. hochgräffl. Gnaden treu unterthänigst Prediger und ältesten der Gemeine Dudelsheim. (Folgen die Unterschriften.) (Die Gräfliche Entscheidung fehlt in den Akten.) Dudelsheim d. 12. Maji 1728. 2) Verhör wegen Privat - Trauung. Actum Dudelsheim d. 7. May 1728. Wurden der Kirchen ältester Wilhelm Jacoby und der Schuhlmeister Johann Jost Köhler Von Mir Zeitlichen Pfarrer allhier Duillio ins obere Dorff zum beysassen Lndwig Niest geschicket umb ihn zu befragen 1) ob er heute Hochzeit hätte. 2) wer ihn Copuliret hätte. 3) auf wessen Befehl und Erlaubnüs solches geschehen. Ludwig Niest hat geantwortet ad quaest. 1) Ja, die Hochzeit seye heute. ad quaest. 2) Sie, weil sie keinen privat-Prediger hätten, hätten solches Untereinander, Unter dem Glückwunsch gethan.

85 ad quaest. 8) Sie hätten längstens bey der Herrschaft angehalten, dass sie ihre Copulation so unter sich, Wie heute geschehen verrichten möchten, aber nichts darauff erhalten, Hätten aber die vorige Woche eine demtithige und bittliche Supplic eingegeben, Wäre aber kein J a und Nein darauf erfolget, Wäre darauff weder Ge- noch Verbott geschehen. Sie wollten inzwischen diesser geschehenn sache wegen ihre Verantwortung Entweder bey den Pfarrer oder der Herrschaft thun. Wer es von ihnen fordere. 3) Gesuch um Befreiung von der kirchlichen Trauung. Hochgebohrner Reichs-Graf Gnädigster Landes Vatter, Graf und Herr! Dass Euer hochgräfl. Gnaden aus Landesvätterlicher Gnade und Liebe, mich nebst andern Fremdlingen und Beysassen in dero hochgräfl. Landen aufgenommen und gnädigen Schutz, gewissens- und Nahrungs-Freyheit vergönnen wollen, erkenne in aller Unterthänigkeit mit demüthigem und dankbarem Hertzen vor eine grosse Gnade, Wohlthat und Barmhertzigkeit, welche der Herr aller Herren in Zeit und Ewigkeit gewisslich belohnen will und wird. Und da ich nunmehr durch das Absterben meiner Frauen mich höchst genöthiget gefunden mich um eine andere treue Gehillfin umzusehen, die mich in meiner Hausshaltung mit meinen Kindern unterstützte, So habe durch besondere Vorsehung eine Wittwe aus Esslingen im Würtenbergischen hierzu willig und gemäss gefunden, die nun schon einige Zeit meine geringe Hausshaltung geführet hat, mit welcher ich mich seitdem auch ordentlich und ehelich versprochen, Und wollte also hierdurch Euer hochgräfl. Gnaden in aller Unterthänigkeit demüthigst bitten, dass die Vollziehung meines Ehebands oder die Copulirung dürfte von meinen Mitbrüdern in unser brüderlichen Versandung vorgenommen, werden, und geschehen in Beyseyn des Herrn Pfarrers zu Duddelsheim oder sonsten Jemands, welchen Ew. hochgräfl. Gnaden gnädigst geruhen wollen zu befehlen. Ich getröste mich gnädigster Erhörung, weilen diese hohe Gnade denen Fremdlingen und Beysassen in denen hochgräfl. Ysenburgischen Landen schon lange gegen Entrichtung schuldigster Gebühr gnädigst Vergönnet worden, der ich Lebenslang verharre Ew. hochgräfl. Gnaden Unterthänig demüthigster Knecht Peter Herraucourt Beysass zu Dudelsheim.

86 4) Begierungs-Entschliessung in Ehesachen vom März 1738. Des hochgebohrnen Graffen und Herrn Herrn Carl Friedrichss Regierenden Graffens zu Ysenburg und Büdingen Hochgräfl. Gnaden haben auf Johann Georg Flechseis, Beysassen zu Limbach in Gericht Eberts-Hausen unterm 13. dieses übergebene unterthänigste Memorial, seine mit Georg Scharren daselbst zweiter Tochter Barbara Verehelichung betreffend, in Gnaden resolviret, dass er als ein Fremdling und Separatist ohn gedachte Persohn, wenn änderst beiderseitige Eltern nichts dargegen einzuwenden haben, sich verheurathen und diese Ehe in ihrer Gemeind mit gebeth und flehen zu Gott und unter Betrachtung göttlichen Worts vollziehen möge, jedoch der Ehren Pfarrer von Lebel zu Eberts-Hausen mit darzu beruffen werde, und die Eheliche Verbindung in Seiner gegenwart mit geschehe. Welchem die junge Eheleute die gewöhnliche jura Copulationis sowohl als hiesiger Hochgräfl. Cantzley vor den Permissions-Schein die hergebrachte jura bezahlen sollen. Ad Mandatum Illmi hochgräfl. Cantzley daselbst. Merholz, den 27. Marty 1738. C.

Die kirchliche Taufe betreffend.

Dem Amtsverweser Wisskemann dienet auf sein am 24. Marty jtingsthin eingeschicktes Berichtschreiben, dass der Johan Adam Schneider zu Dudelsheim sein Kind nicht taufen lassen wolle, hiermit zur Nachricht: dass obschon Ulmi Hochgräfl. Gnaden niemanden zwingen wollen, sich taufen zu lassen; so solle doch dem Pfarrer geschrieben werden, dass er freundlich mit den manne rede und tentire, ob er ihn in Liebe dahin bringen könne, dass er das Kind taufen lasse und also bey dem unwissenden alles ärgernüs evitire, gestatten dieses Illmi gnädigster Befehl ist. Marienborn den 21. April 1716.

Cantzley daselbst.

D. K i r c h l i c h e L e h r - u n d K u l t u s o r d n u n g im A l l g e m e i n e n . 1) Schreiben des Büdingischen Consistoriums an die Grafen Georg Albrecht und Carl August zu Ysenburg und Büdingen, betr. Laienpredigt und Sonntagsheiligung. Hochgebohrne Grafen, gnädige Grafen und Herrn. Ew. Ew. Hochgräfl. Gnad. Gnaden Können wir in unterthänigkeit nicht verhalten was gestalten verschienenen Donnerstag als den 28. December des nechstabgewichenen 1699. Jahres zwey Personen

87 von der also genanten newen pietistischen Secte anhero in des Johann Welten Geyers Haus gekommen, und seinem aeltesten Sohn, welcher ärger als einer mit dergleichen Secte behafftet ist, zugesprochen, da sie dann einer nach dem andern des abends Bey Licht unter grossem zulaufen alter und junger Leuthe, dass sie nicht alle in der Stube und im Haus stehen können, sondern Theils auf der gassen gestanden und zugehört, öffentlich und laut geprediget, da dann der Geyer so am letzten geprediget in sehr ärgerlichen excessionen und exorbitanten terminis sowohl gegen die weltliche obrigkeit als das Ministerium und sonderlich gegen unsern Collegam Herrn Hofprediger Hossen (welches nächstens wegen seiner umbständten mündlich referirt werden soll) sein Lästermaul aufgethan, dass Theils Leuthe aus Verdruss hinweg gegangen, nichts desto weniger fähret er, Geyer, täglich fort sein gifft den hiesigen Leuthen bey zubringen und einzupflanzen. Wenn diess aber gnädige Grafen und Herrn ein sehr gefährlich weitaussehend wider die Reichs - Constitutiones, Religionsfrieden und Ew. Ew. Hochgräfl. Gnaden Gnaden Landsstatuta auch die allgemeinen Symbola laufendes werk ist, dass zu besorgen, wann darin nicht in Zeiten remedir- und stewerung geschieht, es Spaltung, trennung und Meuterey in geist- und weltlichen Regiment anrichten, und nach sich ziehen dürfte, wie man schon in der Benachbarschaft dergleichen Exempel hat: Als haben Wir nicht ermangeln wollen Ew. Ew. hochgräfl. Gnaden Gnaden davon unterthänig zu referiren und zu dero gnädigen Befehl und Verordnung zu stellen, wie diesem Unwesen bey Zeiten zu begegnen seyn möge, in welcher erwartung Wir in tiefster devotion verbleiben Ew. Ew. hochgräfl. Gnaden Gnaden Unterthänig-trew gehormsambste Consistorial Räthe und Assessores. Büdingen den 2. Januar 1700. (Hierauf haben die Grafen eingehenden Bericht von dem Consistorium verlangt (Schreiben vom 8. Januar 1700). Ueber den Ausgang der Sache findet sich nichts. Dagegen ist obengenannter Geyer 1704 wegen öffentlicher Arbeit am Sonntag abermals belangt worden. In einer Erklärung vom 30. Mai 1704 verantwortet er sich: „Worum ich nun nichts übless und argess begehe, darin kann ich mich nicht hindern lassen, so ich weiss guhtes damit zu würcken als dass stricken ist, es geschehe solches auf Sontag oder andern Tags." Derselbe ist sodann mit noch andern des Pietismus verdächtigen Personen verhört und verurteilt worden, worüber das Nähere in den nachstehenden Akten.)

88 2) Herrn Pfarrer Rosen zu Wolfenborn, Henrich Philipp Geyers und Christian Koppen examination betr. Actum in consistorio den 11. Juny 1704. Ist der Herr Pfarrer Ross von Wolfenborn auf geschehene citation erschienen und von Ihro hochgräfliche Gnaden selbsten auf nachfolgenden Punkten befragt worden. 1) Warum er die bishero übliche observantz zu Wolfenborn unterliesse und das Nachtmahl auf Fest und andere Tagen nicht erst allda, sondern zu Windsachsen (?) hielte, ungeacht Ihm solches von dem consistorio expresse zugeschrieben worden. Respondebat, dass er solches bishero unterlassen, indem er gehoffet hätte dem sündlichen Vorzug und hochmuth der Wolfenborner, welchen sie darin suchten, dardurch zu dämpfen. Ueber das so wehre solches ein Menschensatzung, so noch aus dem Pabstum herrührete, woran er sich nicht binden könnte. Worauf Illustrissimus Ihme remonstrirte dass dieser Vorzug ein Regal von dem hochgräfl. Haus Büdingen wehre, welches zu vergeben oder darin eine präjudicirliche Veränderung zu machen, nicht bey Ihme, sondern bey der Herrschaft stünde; so sehe man auch nicht dass er dadurch sein Gewissen könnte verletzen, wenn er diese übliche Ordnung observirte und das nachtmal erst zu Wolfenborn und darnach zu Windsachsen hielte. 2) Wurde er gefragt wegen der von beyden gnädigen Herrschaften approbirten eigenhändig unterschriebenen und introducirten Kirchenordnung, ob er dieselbe hätte und darnach in seiner Gemeinde den Gottesdienst und was davon dependirte einrichtete. Respondebat, es wehre Ihm zwar eine Kirchenordnung zugeschickt aber auch wieder von dem Herrn Secretario Schöffer abgefordert worden. So wehre über das dieselbe eine Menschensatzung, woran er sich nicht binden könnte. Worauf Ihme vorgehalten worden, dass gleich wohl in einer Gemeinde alles ordentlich hergehen und verfolglich eine Kirchenordnung, wornach sowohl der Prediger als auch die Zuhörer sich zu richten haben, nothwendig sein muss, derowechen Ihme eine sollte zugeschickt werden, welche er innerhalb acht Tagen durchlesen und was Ihme, seiner meynung nach, darinnen in seinen Gewissen anstösslich vorkäme, annotiren und zum consistorio zuschicken sollte, welches er angenommen, und ist Ihme auch bereits am 13. Juny die Kirchenordnung in originali zugeschickt worden, worauf man nuhn seine Antwort erwartet.

89 Es fragte Illustrissimus, warumb er in seiner Gemeinde mit der Jugend dem Heydelbergischen catechismum, wie sonst in der gantzen Grafschaft üblich, nicht tractirte. Respond. dass diesses Buch ein zusammengesetztes Werk von Menschen wehre, worinnen er viele Irrthtimer und Fehler finde, welche zu lehren wider sein gewissen stritte, so hätte er über dass Gottes Wort, welches Ihme genug wehre. Mann replicirte Ihme darauf, dass gleich wohl Paulus seinem Timotheo eine hypotyposin der gesunden Lehre, gleich wie auch dieses Buch ist, recommandiret, über dass möchte er doch die Irrthümer und Fehler in catechismo ahnzeigen, welches zu thun er sich erbotten und nuhn von ihm erwartet wirdt. 3) Actum in consistorio den 12. Juny 1704. Nachdem des Hochgeborncn unseres gnädigsten Herrn Graf Georgs Alberti hoch Gräfl. Gn. Tags vorhero um den Mittag gnädigst befohlen in dero Nahmen den gewesenen Ministerii candidatum Philipp Henrich Geyer durch den Klöckner ahnsagen zu lasen, dass er umb 3 Uhr selbigen Tages vor dem consistorio erscheinen sollte, dass Ihro Hoch Gräfl. Gnaden in hoher Persohn Uber ein und andere sach mit Ihme reden wollte, liess er wieder antworten, er wüsste nicht was Man mit Ihm reden könnte, er hilte sich j a still und thät Keinen Menschen nichts, er wollte sich Zuvor mit seinem Gott darüber besprechen. Weil nuhn Illustrissimus aus dieser Antwort nicht vernehmen konnte, ob er kommen wolte oder nicht, haben Ihro hoch Gräfl. Gnaden zum Zweytenmahl nach Ihm geschickt, aber der abgeschickte habe das Haus verschlossen gefunden. Er ist gleich wohl umb 3 Uhr hernach gekommen. Weilen aber die consistoriales wegen seiner ungewissen Antwort waren von einander gangen, haben Ihro hoch Gräfl. Gnaden durch Herrn Ambtmann Kirchner Ihnen bedenken lassen, dass er des folgendes Tages umb 9 Uhr erscheinen sollte, so auch geschehen. Illustr. hilte Ihm vor, dass Sie vernommen hatten, wie er auf den Sonntag sowohl als Werktag seiner handt arbeith mit strumpf stricken und anderen Handtirungen abwartete, auch sich nicht scheuete solches öffentlich zu thun, worüber viele so solches sehen und hörten sich ärgerten: so wüsste er auch das Solches verbotten und schnurstracks sowohl wider die eingeführte Kirchen- als Polizey-ordnung were. Weilen er nun bereiths über diese Frage seine Antwort schriftlich verfasset und sie copeylich bei kommet und eingeschickt habe wahr für diesmahl seine mündliche antwort: Er halte einen T a g wie

90 den andern undt könnte mit einer solchen hantarbeit ebensowohl Gott dienen, fürnehmlich weilen solches geschehe zu dienst seines nechsten. Gefragt, ob er sich dann nicht verpflicht finde, seiner Herrschaft gehorsam zu leisten undt dero befehl verfolglich dero gegebene Kirchenund polizey-Ordnung sich zu unterwerfen? Respondebat: Solches alles wehren Menschensatzungen welchen er mit guthem gewissen sich nicht unterwerfen könnte. Gefragt, warum er nicht in die Kirchen wollte gehen? Antwortete er, solche wehren lauter Götzen häuser. Nachdem Ihro hoch Gräfl. gnaden nuhn waren weg gegangen wurde ob gemelter Geyer von denen consistorialen erinert, Warumb er die gnäd. Herrschaft, welche in hoher Persohn mit Ihm geredet, in dem gantzen discurs niemahlen Ihr gnaden oder gnädiger Herr genenet hat? worauf er antwortete: Ich habe und erkenne Keinen andern gnädigen Herrn als Gott, der in den Himmel ist, worauf nach einer kurtzen Unterredung er heim gangen. 4) Actum in consistorio den 13. Juny 1704. Auf Ihro hoch Gräfl. gnaden Graf Georgs Alberti, unsers gnädigen Herrn befehl seindt auf dem consistorio citiret und erschienen Christian Kopf Bürger und Schmitt allhier, sambt seiner frau, und wurden gefragt: Warumb Sie nicht in die Kirchen gingen, undt die GemeindeVersammlungen verliessen, welches doch gegen Gottes Gebott undt alle guthe christliche Verordnungen wehre? Der Mann antwortete Ich gehe auch in die Kirchen, aber nach meinem gelieben und will mich darzu nicht zwingen lassen: Er hörete den Hofprediger gerne, weilen sein lehr und Vermahnungen so guth wehren, dass er dafilhr hilte, sie könnten nicht besser vorgebracht werden. Die Frau aber antwortet, Sie hette Ihren Lehrer undt Prediger undt die Kirche in sich, und brauchte also nicht mehr eines andern Lehrers ausser demselben, so wehre auch die Kirche nuhr von Menschen händen gemacht, in welchen Gott nicht will gedienet seyn. Man gab Ihnen zwahr darüber eine nach drückliche erläuterung, Welche aber nach Ihrem principio nicht wollte ahn genommen werden. Fragte Herr Ambtmann Kirchner, ob Sie die hohe Herrschaft dieses Ohrts nicht vor Ihre ordentliche undt von Gott vorgesetzte Obrigkeit und verfolglich als Ihre gnädige Herrn erkännten und was von denselben Ihnen gebotten würde, dem unterthänigst nach zukommen sich verpflichtet befinden?

91 Respondebat der Mann Er hielte die Obrigkeit führ guht er gebe auch seine Zinsse und Schätzung und verhielte sich in diesem stück wie andere nachbarn, sonst wüsste er von keinem gnädigen Herrn als allein Gott. Thäte Ihm die Herrschaft etwas guthes, so were es guth undt er wolte Ihr danken, womit seine Frau sich conformirte. Man gab Ihnen dilation bis auf künftig Montag sich besser zu bedenken, antworteten aber beyde als aus eynem Mundte, dass solches Nicht noethig wehre, denn was sie jetzt sagten das würden Sie al Zeith reden und nicht änderst, es möcht Ihnen gehen wie Gott wolte, die obrigkeit habe Macht sie zu strafen wenn sie unrecht thäten dafür sie sich aber mit allem fleiss hüthen wolten, worauf sie hindterlassen worden. (Mit Landesverweisung bedroht hat sodann der Pietist Geyer die folgende Erklärung abgegeben.) Auf das Gräfl. Mandat erkläre ich Endesunterschriebener mich folgender gestalt. bitte aber in aller unterthänigkeit, dass solches nicht im Zorn, sondern mit geduld und lang muth werde durchlesen, nicht hart aufgenommen, was hart darinnen lautet, weil es die Wahrheit ist aus heyliger Schrift bewiessen. Ich bin ein elender Mensch, der sein geistl. Elendt, armuth, mangel und Jammer erkennet, fühlet, traget und dem täglich klaget, der auch daraus erlöset, Ein Mensch der sich vor keinem Menschen sondern vor einen arm seligen Wurm und des christl. Nahmens unwürdig achtet; Weil ich mich in meinem ewigen Leben, zur Zeit meiner Unwissenheit führ einen Christen ausgeben undt doch nichts weniger als solches bin gewesten, wie ich nun erkenne, nachdem mihr gott die äugen eröffnet, dass ich weiss was das heisse ein Christ zu sein in Wahrheit, welches nichts anderes anzeiget als das göttlich Leben Jesu Christi in der Krafft, wie die apostel und erste Christen gehabt haben, über welche der heylige Geist sichtbarlich war ausgegossen, durch welche geist Sie geistl. Dinge in grossen Kräfften, Zeichen und wundern verrichten konnten. Ich danke aber gott, der mich zu seinem reich erwählet undt berufen hat, welche erwählung undt Beruf ich mich befleissige täglich fester zu machen, durch die gnade Jesu Christi, an welcher ich mich gerne will begnügen lassen, dass ich nur möge sein eines der geringsten schafen Jesu Christi und unter der geringsten glaubigen undt heyligen auf Erden der Niederigste unter dem geistl. Volk Israel undt in der Gemeinde des Herrn, umb welcher ursach willen ich gerne fahren lasse alles was ich habe undt sonst wohl haben könnte: vor-

92 nehmlich Vatter, Mutter, Brüder, schwester, weib Kinder, Hauss acker gelt und andere güther, und sage solchem täglich ab, sambt aller Lust, Freude und ergötzung und Yergänglichkeit der Welt; darzu auch allem abergläubischen undt abgöttischen Wesen dardurch der nähme gottes entheiliget und gelästert wird: nehmlich alles was führ Gottes dienst undt Christenthumb wirdt ausgegeben, das doch nicht ist, ob es gleich dessen form möchte haben, auf dass ich den wahren gott Israel allein im geiste undt in der Wahrheit ungehindert dienen möge in meiner einsamkeit und stille, so lang mirs gott vergönnet; darzu achte ich auch mein eigen Leben führ nichts, sondern hasse es und sterbe Ihm täglich, kreutzige undt döte alle meine lüste undt begierdten so viel mihr hilfft die gnade Jesu Christi, des gekreuzigten, die ich über alles ehre, anbethe und täglich suche, und fleissige mich guthen wandels gegen Jedermann mit dem ich umgehe, also dass ich niemandt wissentlich oder vorsetzlich beleydige mit Worten oder Werken: sondern einen Jeden gern diene und guthes thue nach meinem Vermögen wann und wo es gott von mir erfordert: Uber demselbigen Verlasse ich mich allein auf gott und hoffe auf seine güthe täglich undt verlasse mich auf keinen Menschen, suche auch nicht Freundschaft mit Jemandt zu halten umb genusses und nutzens Willen oder Jemandt zu lieb Kosten: sondern leyde mich so viel nuhr möglich ist, dass ich Keinem menschen lästig und beschwerlich sey und erwarte immerdar der barmhertzigkeit gottes, die mir hilft und helfen wirdt aus allen meinen noethen und Trübsahlen, die ich umb seines Nahmens willen leyde. Also ist es umb all mein Thun bewandt, soviel mir gott meinen eigenen Zustandt zu erkennen gibt, vor welchem ich mich nicht verbergen kann: welchem ich auch meine Sünden, fehler und Gebrechen, die noch wider meinen Willen in mihr sindt, wider welche ich auch streite und Sie hasse, allein bekenne, bereue und täglich beweine und umb die erlösung von dem leibe des Todes und der Sünden bitte, weil er allein undt sonst kein mensch noch ander creatur davon mihr helfen kann: alleine beichte ich dem der mihr vergibt. Diessen meinen Zustandt muss ich darumb hie beschreiben, auf dass der Obrigkeit kundt werde der arme und Elendte, wieder welchen sie sich berathschlagt, dass so sie einen solchen nicht in ihrer statt dulden und vertragen können, Ihnen selbst Vor äugen geleget worden, dass Sie keine Freunde sondern Feinde des Reiches Gottes und Liebhaber Ihres eigenen regiments und selbst gemachter Ordnung, wie

93 auch Verfolger Jesu Christi in seinen armen gliedern wieder welche diese Schrift zum Zeugniss dienen soll an Jenem Tage. Darzu auch soll sie wissen, dass sie ahn Xristo und seinem Reich nimmermehr kein antheil haben, so lang sie sich also erzeigen 2. Tess. 1, 6. 7., dann also lautet Xristi Lehre, wer mein Jünger sein will, der verläugne sich selbst und nehme sein Creutz auf sich Täglich und folge mir nach, Ihr müsset gehasset seyn umb meines Nahmens willen, von Jedermann, Sie werden euch führen in Ihre Marc. XIII, 9 2vvedqia, Consistoria undt werden euch Verdammen, Sie werden euch in den ban thun, und wer euch tödten wird, der wird meinen er thue gott Einen Dienst daran, hat auch jemahls Christus oder die Apostel Jemand, den sie von Ihrer Gemeinde haben ausschliessen wollen, zur statt und zum Land hinaus gejagt? Solches ist nirgends in der Schrift zu finden, denn sie waren keine Verfolger, sondern die Verfolgung litten, das ist allesamt die Verfolgte undt haben gelehrnet, dass alle die da wollten gottseelich Leben in Christo Jesu, die müssen Verfolgung leiden, wie Christus auch. Worin bestundt aber Ihre aussscbliessung damit sie Jemand von Ihrer gemeinde abscheideten? Zum höchsten darin, dass sie mit demselben nichts zu schaffen hatten, sondern ihn hielten als einen Heyden und Zöllner und denselbigen Hessen dem gericht Gottes anbefohlen seyn, wie zu lesen Math. 18, 15—17. Joh. III, 36. 1. Corinth. XII, 12, an welchem letzten ordt der Apostel dabey füget, was gehen mich die draussen an, dass sie solte richten. Richtet Ihr nicht die da drinnen sindt? Gott aber wirdt die draussen sindt richten. Thut von Euch selbst hinaus den bösen, das ist wie er im Anfang des XI und X gesagt hatte, habt nichts mit Ihm zu schaffen, sondern lasset Ihn gehn. Sonsten auch wird austrücklich erfordert an einem Knecht des Herrn, dass er soll vertragen können die bösen mit sanftmuth und strafen die wiederspenstigsten ob Ihnen gott dermahlseins busse gebe, die warheit zu erkennen 2. Tim. X, 29, wie soll aber solches nun zugehen, wenn man die leuthe, welche sich dem Kirchendienst Ihres gewissens halben nicht conformiren können zur statt und zum landt hinaus will jagen? Diesse warheit kann ich nicht verschweigen noch verhehlen sondern sage sie heraus frey öffentlich, will mich nun die Obrigkeit desswegen straffen oder verjagen, so will ichs gern umb Christi und seiner warheit willen leiden undt er wird mihrs zu meinem besten wenden. Wollen sie mich aber dulden, sie mögen mich dann halten für

94 einen feind, Ketzer undt Heiden undt Zöllner oder für einen Menschen, der ein abgebranntes Gewissen habe oder für den ärgsten Bösewicht, so will ich mich doch unter ihnen nicht anderster jemahls betragen als wie ich meinen Zustandt und mein Thun zuvor beschrieben habe, der Obrigkeit geb was der Obrigkeit ist nehmlich ihre Ehre und was Ich sonst nach Gottes Gebotten ihnen schuldig bin, Gott aber auch was sein ist. Undt will mich gern Ihren Statuten und Menschlicher Ordnung umb des Herrn Meines Gottes willen sofern unterwerfen, dass wenn Sie mich finden werden alss einen aufrührerischen, der die Leuthe zum Bösen leitet oder alss einen Schwelger oder Hurer oder Dieb oder Geizigen oder Trunkenboldt oder Lästerer oder Räuber oder sonst auf irgend einer übelthat dadurch Gottes Gesetz übertretten und geschändet wirdt oder in einiger sach, so die Liebe Gottes und des Nechsten kränket, ich alsdann auch solche Straffe von Ihnen annehmen und gewärtig sein will, wie meine Uebertrettung wird verdient haben. Zu mehrerem kann ich mich nicht verstehen noch verbinden lassen, und wo die Obrigkeit damit zufrieden ist, dunket mich es werde Ihr solches zu keinem nachtheil oder schaden gereichen. Gott hiermit empfohlen. Geschrieben zu Büdingen am 13. Juny 1704. Philipp Henrich Geyer. (Infolge dieses Verhörs gibt der Graf Georg Albrecht seinem Bruder, dem Grafen Carl August, der damals zu Frankfurt weilte, durch ein bei den Akten befindliches Schreiben vom 27. Juny 1704 seinen Entschluss, den Pfarrer seiner Stelle zu entsetzen und die Geyer und Schmidt des Landes zu verweisen, mit der Bitte um dessen Zustimmung kund.) E.

E r m a h n u n g s - u n d S t r a f b r i e f e an F ü r s t e n etc.

1) Ein Brief Hochmanns von 1714: A son Altesse Serenissime le Prince Charles Guilleaume Prince d'Anhalt, ßegnant etc. tres humblement ä Zerbst. Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr. Es wird Ew. Hochgräfl. Durchl. annoch im frischen Andenken schweben, was maassen Ich den 31. July jüngsthin auf dero Befehl die Statt Zerbst räumen müssen. Nun muss ich zwar offenherzig gestehen, dass es mir etwas frembd vorgekommen, dass mir ohne

95 Verhör, ja ohne Urtheil und Recht, so tumultuario procedendi modo von einem protestirenden Reichsfürsten, der sich doch zur Evangelischen Religion bekennet, wieder das Gesetz und Evangelium auss der Statt ist gebotten worden. Und ob ich zwar diesem nicht Evangelischen Aussgebott nach dem Befehl meines allergnaedigsten Königs Jesu Christi: Wann sie euch in einer Statt verfolgen so fliehet in eine andere Matth. 10, 23 sogleich noch denselben Tag (ob es mir schon wegen meines, noch nicht zu recht gemachten Rockes, den ich aus der arbeith habe nehmen müssen, und wegen des noch nicht trocken gewordenen Weisszeuges, auch wegen des sehr grossen eingefallenen Regens etwas beschwerlich wahr) nachgelebet und aus der Statt gegangen, und also mein Creutz willig auf mich genommen und für meine Verfolger auch zu Zerbst nach Christi Vermahnung (Matth. 5, 44 bittet für die so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seit eures Vatters im Himmell) gebethen, so bleibet es doch eine Wahrheith, dass Ew. hochfürstl. Durchl. mit allen Ihren so genannten Geist- und Weltlichen Rathen, so etwa darzu wieder alle natur- ja gött- und weltlichen Rechte möchten gerathen haben, sich gegen Mich alss Ihren Nächsten, und folglich auch gegen Gott (der den Nechsten und sonderbahr die Wahrhaftige Glieder Christi, in deren venerablen orden mich mein König Allergnädigst Auf- und angenommen und mir durch seinen Königlichen Geist das allergnädigste Zeugnüss in das innerste meines Hertzens gegeben, dass ich sein Kind und Erbe bin Rom. 8, 16. 17 nicht zu hassen und zu verfolgen, sondern zu lieben befohlen hat Matth. 22, 39) schwerlich versündiget. Dahero ich auch in meinem Gewissen gedrungen werde, Ew. hochfürstl. Durchl. so wohl alss die so genannte Geist- und Weltliche Räthe, die darzu wiederrechtlich gerathen haben möchten, die Unbilligkeit diesses so schweren Aussgebotts auss der Statt Zerbst in sanftmüthiger Liebe, die sich doch nicht der Ungerechtigkeith, sondern der vielmehr der Wahrheith freuet 1. Cor. 13, 16, vorzustellen. (Pro primo.) Ist es wieder das Jus gentium, und wieder das Jus humanitatis und Hospitalitatis die frembden ohne einige Ursache mal honest zu tractiren. (Pro secundo.) So ist e diametro dem juri divino entgegen, das da aussdrücklich spricht; die frembdlinge sollet Ihr nicht unterdrücken, dann Ihr wisset umb der frembdlinge Hertz, dieweil Ihr auch seith frembdlinge in Egyptenland gewessen; Exod. 23, 9 und deut. 10, 18 sagt Gott austrücklich: Er habe die frembdlinge lieb,

96 darum sollet Ihr (worunter auch die souverainesten Potentiell der Erden alss Gottes Diener mit zu verstehen sind) die frembdlinge lieben, denn Ihr seit auch frembdlinge in Egyptenland gewesen v. 19. Welches aber an meiner Persohn, der ich auch in der Statt Zerbst alss ein Frembling und Passagier mich aufgehalten, gahr nicht observiret worden. (Pro tertio.) So ist es auch Wiederrechtlich, dass man mich vor meiner Aussbiethung nicht einmahl gehöret und etwa meine defensión (quae juris natura nemini etiam Sceleratissimo, imo ipsi Diabolo incarnato, uti Ilti docent, deneganda est) vernommen, welches Nicodemus der doch nur vor die Zeith ein Pharisaer und kein Evangelischer Christ war, gar wohl erkannt hat, wann er in der Affaire von Christo, der auch unverhöret von dem Jüdischen Rath zu Jerusalem verdammet war, raisonable judicirte: Eichtet unser Gesetz auch einen Menschen ehe man ihn verhöret und erkennet was er thut? Joh. 7, 51. (Pro quarto.) So ist j a die Obrigkeith von Gott verordnet, die bössen zu strafen und die frommen zu schätzen wie ausdrücklich Rom. 13, 3. 4 geschrieben stehet. Die Gewaltigen sind nicht den guten Wercken sondern den bössen zu fürchten, Wiltu dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeith so thue Gutes, so wirstu Lob von derselben haben, denn sie ist Gottes Dienerin, Dir zu Guth, thustu aber bösses, so fürchte dich, denn sie trägt das Schwerd nicht umbsonst, Sie ist Gottes Dienerin eine Rächerin zur Straffe über den, der Bösses thut. Welche göttliche Ordtnung bey mir (der ich nichts Bösses, sondern vielmehr durch Gottes Gnade in demjenigen Hausse, alwo ich logiret, im Beten, Gott loben, und dancken, und auss Gottes Wort reden, wie die Leute im Hausse nicht anders werden zeugen können, notorie guthes gethan) nicht ist observiret, sondern vielmehr die obrigkeithliche Gewalt gegen mich, alss ein Kind Gottes und Glied Jesu Christi, gemissbrauchet worden, welches gewiss vor Gott der Allerhöchsten Obrigkeith, wo alle Obrigkeithen Ihr forum competens finden werden, nicht recht gethan ist; Zumahl da man aber in erstgedachtem Hausse wohl öfter hat leyden können, dass dem Satan durch grausames Saufen, debauchiren und tourniren Tag und Nacht ist gedienet, und Kein Mensch, der damit interessiret war, im Geringsten von der Obrigkeit desswegen uebel angesehen worden, welches doch die Obrigkeit alss böse sündliche Dinge zu bestrafen von Gott eigentlich verordtnet ist. Und diesses sind meine in jure divino et humano gegründete

97 gravamina, die Ew. Hochftirstl. Durchl. in untertänigster Liebes Submission vorzustellen, [umbdeswillen der Nothdurfft zu seyn achtet?] damit dieselben das an Mir aussgeübte Unrecht noch in der Gnaden Zeith erkennen, und darüber wahre Busse thun, auch künftighin an den Kindern Gottes Ihre Obrigkeithliche in dem Reich der Natur habende Gewalt nicht ferner missbrauchen, sondern vielmehr nach Gottes Gebott die wahren Kinder Gottes lieben und nach Ihrer hohen Ambtspflicht gnädigst protegiren mögen. Denn gewisslich ist es von Leib und Seel eines Regenten sehr periculeus seine Hände an die Kinder Gottes zu legen; Allermaassen j a Gott selber spricht Zach. 2, 8: Wer mich antastet, der tastet meine Aug-Apfell an, und Psalm 105, 15: Tastet meine Gesalbten nicht an und thut meinen propheten kein leyd, Item, was Ihr gethan habt (welches auch von dem angethanen Unrecht zu verstehen ist) einem Unter diesen meinen Geringsten Brüdern, das habt Ihr mir gethan. Matth. 25, 45: Denn wer die Glieder Jesu verfolget, der verfolget Jesum selbst. Act. 9, 5: Da Christus zu Paulo spricht, Ich bin Jesus den du verfolgest, Es wird dir schwer werden wieder den Stachel zu locken. Gott wolle Ew. Hochftirstl. Durchl. erleuchtete Augen des Verstandes geben, dass Sie das Rechtschaffen Wessen, das in Christo Jesu ist, recht einsehen mögen, so werden Sie zuförderst Christum Jesum, den Ewigen Sohn Gottes, Ihrem Erlöser und Souveraines Oberhaupt, und in demselben auch seine Glieder recht erkennen und lieben lernen. Denn das ist eben ein unfehlbares Kennzeigen, dass mann Den der innwendigen Krafft nach, noch nicht liebe, wann man seine Glieder nicht liebet, denn so Jemande spricht; Ich liebe Gott und hasset (worunter die Verfolgung auch mit begriffen ist) seinen bruder, der ist ein lügner, denn wer seinen bruder nicht liebet, den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet? Und diess Gebott haben wir von Ihm, dass, wer Gott liebet, der auch seine brüder liebe 1. Job. 4, 20. 21. Maassen die liebe Jesu und seiner Glieder wie eine Kette an einander hanget, und nicht getrennet werden kann. Und diesses ists nun, Gnädigster Fürst und Herr! was ich auss Drang meines Gewissens nach dem Befehl meines Allergnädigsten Königs Jesu Christi Luc. 17, 3: So dein Bruder an dir sündiget so straffe Ihn und so er sich bessert vergib Ihm, Ew. Hochftirstl. Durchl. unterthgst zu remonstriren noethig erachtet. Nehmen Sie es mit Liebe zu Ihrer Besserung an, so werden Sie den Segen davon in Ihrem Hertzen gewisslich empfinden, nehmen Sie es aber nicht mit sanfftmiithigem Hertzen an, so wird doch diesses ein Zeug7

98 nüss seyn, dass ich aus Liebe zu Ihrer teuren Seele, Ihnen die Wahrheith bezeuget, dixi et salvavi animam meam. Ez. 3, 19. Womit Ew. hochflirst. Durchl. sambt dem gesambten hochftirstl. Hausse Gott und dem Worte seiner Gnade hertzlich empfehlend, in allzeithiger unterthänigster Liebes-Submission verharre Ew. hochftirstl. Durchl. meines gnädigsten Fürsten und Herrn Unterthgster Diener und Vorbitter bey Gott Ernst Christoph Hochmann v. Hochenau ein Knecht Jesu Christi. Friedenburg d. 8. Aug. 1714. (Eine Erklärung Hochmanns, die ohne Angabe von Zeit, Ort und Anlass bei obigem Briefe in den Akten liegt, mag hier gleichfalls eine Stelle finden.) Auff die vorgelegte Frage V o n d e r G ö t t l i c h k e i t h m e i n e s B e r u f f e s und d e r e r zu d e m s e l b e n g e h ö r i g e n h i n l ä n g l i c h e n Geisteskräfte. Antworte hiermit in aller einfältigkeith des Hertzens, dass ich durch das unmittelbahre und unbetrügliche Zeugnüss des heiligen Geistes versichert bin, dass ich ein Kind Gottes und auch dessen Erbe und ein Mit Erbe Jesu Christi bin Rom. 8, 16.17 und mit allen heiligen Brüdern durch den himmlischen Beruif mit beruffen bin, wahrzunehmen des Apostels und Hohen Priesters, den wir bekennen, Christi Jesu, Hebr. 3 , 1 . Dieser Jesus hat mir innerlich durch seinen werthen heiligen Geist und äusserlich durch sein Wort befohlen, Ich soll mein Licht, welches nichts anders alss Christus in mir ist Col. 1, 27 leuchten lassen vor den leuthen, dass sie meine guthe Wercke sehen und unsern Vatter im Himmell preissen sollen; Welches mir sowohl von Christo befohlen alss den ersten Jüngern und Aposteln durch deren Wort ich gläubig worden bin Joh. 17, 20. Bin ich nun zu Hausse in meiner Humitage Friedenburg, so muss ich solches durch die Gnade Gottes thun, weilen ich aber eben anjetzo auff der Reisse bin, so muss ich eben auch dasselbe thun und die Tugend dess der mich beruffen hat auss der Finsternüss zu seinem wunderbahren Licht verkündigen 1. Pet. 2 , 9 . Was die zulängliche Cräffte darzu anlanget, so weiss ich, dass ich in mir gahr keine Krafft habe; Allein das weiss ich auch, dass mir Christus, der ewige Sohn Gottes, durch sein Leyden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt unendliche Lebenskräfte hat zu Wege gebracht, dass wenn ich diesselbe im Glauben ergreifife, Er mir auch die Verheissung gegeben hat, dass auch von meinem Leib Ströhme des lebendigen Wassers iiiessen sollen

99 Joh. 7, 38. Wie er aber diesses bey andern auff eine verborgene Weisse auswürcket, das überlasse ich Ihm, und will es lieber selbst nicht wissen, alss dass ich davon grosse Ausssprüche machen solte, zumahl weil das lauther Dinge sind, die ohnedem dem Menschen nicht in die Augen fallen, sondern in Gott verborgen bleiben müssen. En fin: ich ringe darnach, dass ich, ich seye zu Hauss oder nach Gottes Vorsehung auff der Reise dem dreyeinigen Gott mit Geist, Seel und Leib conserviret seyn möge, welcher auch seinen reissenden Kindern diessfallss seine Hülffe versprochen, indem Er nicht nur allein in ihrer Einsamkeith, sondern auch auff ihren Wegen ihr getreuer Gott seyn will, wann er spricht Matth. 28: Ich bin bey euch alle Tage bis an der Welt Ende. Und gleichwie Christus Unsser Oberhaupt . . . die beständige Gegenwarth seines himmlischen Vatters zu Wasser und zu Lande erfahren, also haben auch seine Jünger Ihres Meisters Gegenwart auch . . . in Ihren Hertzen erfahren, Und so müssen auch noch heuthiges Tages seine Jünger darnach ringen, dass der Herr Jesus bey Ihnen seyn möge, wie er denen Jüngern die nach Emaus gingen auff dem Wege auch ist gegenwärtig gewessen und Ihre Hertzen in der Liebe Jesu gebrand haben; Und gleich wie die Jungfrau Maria, da sie mit dem Kindlein Jesu schwanger wahr Christum auch lieblicher Weisse mit über das Gebürg zu ihrer Base der Elisabeth gebracht und weil sie Christum bey sich hatte, ein Segen bey ihr gewesen ist, also trägt auch ein wahres Kind Gottes, welches Jesum in Geist gebohren hat und mithin eine Mutter des Herrn Jesu geworden ist Matth. 12, 50 Jesum im Glauben mit sich, und ist nicht ohne Seegen, wo es hinkombt, da es sich mit Ihren christlichen Befreundeten aus der innern göttlichen Krafftgeburth von Jesus Liebe unterredet und so im Seegen wieder von einander und hinweg gehet. Dass Christus zwar dem Buchstaben nach bekannt ist, leugne ich nicht, aber sein wahres das Herz veränderndes Krafft-Evangelium ist denen Meisten noch unbekannt, so dass ich gäntzlich dafür halte, dass der Herr ins Künftige vor der Zukunfft Christi zu seiner Herrlichkeith noch gar gewaltige Zeugen, die er darzu erkohren hat, erwecken wird, die das Evangelium vom Reich nachdrücklich predigen werden. In Wahrheith es sind nicht alle von Gott gesalbte Knechte Gottes, die in dem äusserlichen Ministerio stehen, sondern es ist der meiste Theil unter Ihnen selbst von dem noch weith entfernt, was sie etwa andern auss den Buchstaben daher sagen, und diejenige selbst, die da in dem Ministerio noch stehen und göttliche Erkännt-

100 ntiss haben, dtirffen doch auss Furcht umb von ihren diensten von der Obrigkeith abgesetzet zu werden, nicht so unparteyisch auss Gott vor Gott in Christo Jesu das Zeugntiss von ihm abstatten, dahero dem Souverainen Gott allezeith freystehet, auch ausser der äusserlichen menschlichen Ministerial-Ordtnung andere zu erwecken, die von seinem Reiche kräfftige Zeugnüsse abstatten müssen, wie sein freyer Geistin keine menschliche Schranken kann eingeschränket und eingezirkelt werden. Schlüsslich werde Mich durch Gottes Gnade dahin bestreben immer mehr und mehr mit meinem Heyland selbst vereiniget zu werden und dahin zu ringen, dass ich nur Ihm gefallen und seinen Willen thun möge, ich seye gleich in der Einsamkeith oder ich seye nach seinem Willen unter Menschen, sein Geist und Wille soll mir das eintzige Gesetz seyn, welches ich über alles Gutachten der Menschen, auch meiner Mutter Kinder selber, die bissweilen mit unzeitigen und noch sectirischen Eyfer zürnen, und andere nach ihrem Bild und Form haben wollen, Zeith meines Lebens veneriren werde, biss ich zu Jesu selbst in seine Glorie dem schauen nach kommen werde, da wird dann einem jeden unparteyisch vergolten werden nach seinen Wercken. Wie guth ist es nun Jesum selbst zu haben und sich mit ihm hier in der Gnade Zeith alsso zu vereinigen, dass man sich getraue mit Freudigkeith vor seinem Richterstuhl zu bestehen; darum lasset uns bey Ihm allein bleiben, auff dass wenn er alss unser Glorieuses Oberhaupt offenbahret wird, wir Freudigkeith haben, und nicht zu Schanden werden vor Ihm in seiner Zukunft Joh. 2, 28 Ernst Christoph Hochmann v. Hochenau. 2) „Ein nachdenklicher Brief, welcher an Ihro Hoch-Fürstl. Durchlauchtigkeit zu Eisenach von einem Wohlgesinnten in Unterthänigkeit geschrieben worden, Betreffend die ohnlängst geschehene drey Mordthaten in Jena, Auffgesetzet von B. S., nunmehr aber herausgegeben zur Warnung allen übelgesinneten Feinden derjenigen, welche man spottweise Pietisten nennet. 4 B. Mos. 35. v. 33. Anno 1712." Durchlauchtigster Hertzog, Gnädigster Fürst und Herr! Blut ist es, welches das Land beschweret; j a Blut ist es, welches der Fürsten Gewissen ewig drucken wird, wen sie schuld daran haben, dass solches vergossen worden. Ach! gantz entsetzlich ist es auch zu lesen, wenn ein Land vom Blut nicht kan versöhnet werden ohne durchs Blut dessen der es vergossen hat, wie Gott nachdrücklich in 4. Buch Mose 35. v. 33. bezeugen lassen. — Ew. H. F. durchl. haben

101 ohngefehr vor i y 4 Jahren in dero Stadt Jena einen Auffruhr erfahren müssen, jetzo aber gar etliche erschreckliche Mordthaten; Ach! derer erschossenen Blut schreyet nun zu Gott um Rache. Weil es denn nun heisset: dass das Land vom Blut nicht kann versöhnet werden, ohne durchs Blut dessen, der es vergossen hat, so werden Ew. H. F. Durchl. hieraus sattsam überzeuget, wenn der Thäter solcher Mordthaten nicht zu gebührender Straffe wird gezogen werden, dass denn die Rache Gottes über dero Lande und Gewissen bleiben werde. Demnach haben Sie grosse Ursache zu sorgen, wie sie die rechten Urhäber und Thäter solcher Sünden ausmachen, wo anders Sie vor Christi Richterstuhl einmal nicht schwere Rechenschafft auf sich laden wollen. Wo wollen Sie nun aber die rechten Thäter solcher Mordthaten finden, und wie mögen sie wohl mit Nahmen heissen? Ach! dass doch Ew. F. Durchl. ein weisses Hertz hätten! Ach dass Sie doch von Gott erleuchte Augen bekommen möchten, die Gerichte und Wege Gottes wohl ein zusehen! Ach! dass Gottes Geist Ew. H. F. Durchl. Gesichte doch so schärffen möchte, damit Sie wohl durchsehen könnten diejenige Wand und das Loch, welches im Propheten Hesekiel (Cap. 8 v. 7 u. w.) ihnen gezeuget wird. Sie belieben doch näher hinzu zu treten und schauen doch an alle Greuel, die da betrieben werden, und ob sie unter solchen Männern nicht mit finden ihren Hoff-Prediger, Herr Mönchen, und andere Aeltesten, nemlich den Superintendenten, Hrn. Zillig in Jena, wie auch D. Förtsch, ihren gevollmächtigten Rath Hr. Kellner und noch andere mehr ? Ew. H. F. Durchlaucht betrachten doch solche in der Furcht Gottes, ob sie nicht auch nach ihrer Art Räuchwerk in den Händen haben, zu opffern denen Götzen und Greueln ihrer Hände? Ew. H. F. Durchl. werden noch in unvergessenem Andenken haben, welcher Gestalt Magister Stolte in Jena vor einiger Zeit Uebungen der Gottseeligkeit in seinem Hause angestellet, und anders nichts gethan, als Gottes Wort einfällig erkläret, dessen Zuhörer von allen Sünden abgemahnet, auf ein thätig Christenthum gewiesen, darbey Gott um seinen Beystand angeruffen; Wie aber Ew. H. F. Durchl. solche exercitia pietatis und den Lauff alles Guten wiederum gehindert, darüber wird dero Gewissen Gott ihrem Richter die beste Antwort geben können; Ja, ihr Fürstl. Gewissen wird nicht verneinen können, dass eine grosse Anzahl nach göttlicher Wahrheit hungriger Seelen (die etwas Bessers suchen als was geistlose und unbekehrte Prediger von den Cantzeln dahin schreyen und darinen den Papageyen sich gleichstellen) supplicando, und zwar auf eine gar bewegliche und nachdenkliche weise,

102 bey Ew. H. Fürstl. Durchl. in Unterthänigkeit gesuchet, damit ihr Wachssthum im wahren Christenthum nicht gehindert werden möchte. Aber dem allem ungeachtet dennoch Ew. H. F. Durchl. (vermuthlich durch böse Rathgebung ihres Hoff-Predigers, Hr. Mönchens) fortgefahren, und gedachte exercitia pietatis wider den ausdrücklichen Befehl Jesu Christi, Math. 18. v. 20 und seines Apostels, Hebr. 10. v. 24. 25, untersagen lassen; Und was noch mehr ist, gar durch die Finger gesehen, dass Hr. Zillig, ein Mann, dessen Hertz mehr von bitterm Hass und Zorn, alss göttlichen Eyfer brennet, den redlichen Stolten gar vom Beichtstuhl und Abendmahl, als den ärgsten Kätzer, abgewiesen, (will hier nicht sagen was auf öffentlicher Cantzel zum unaussprechlichen Aergerniss aller Zuhörer geschehen) da man ihn doch niemahls, weder in seinem Leben noch Worte, einiger Kätzerey Uberführen können. Ew. H. F. Durchl. belieben doch nun auch an ihr Gewissen zu halten, was weiter, und NB. zwar gar bald darauf geschehen und erfolgt ist, als man Hrn. Stolten seine Hauss - Uebungen inhibiret; Und ob man es nicht als ein gerecht Gericht von Gott anzusehen habe, da man zuvor den Geist des Gebets, des Friedens und der Gottseligkeit nicht vertragen wollen, dass Gott ihnen hernach den Geist des Tumults und Aufruhrs aus der Höllen gesand hat, der die gantze Stadt in Furcht und Schrecken setzen müssen? Ob man nun wohl den Finger Gottes hieraus erkennen und sich hüten sollen, dergleichen unchristlich Verboth, was gedachte gute Uebungen anlanget, länger zu unterhalten: Ja gar sich fürchten sollen, dass man mit der schweren Hand Gottes, wenn man die Drohungen seines Fingers verachtet, auch werde getroffen werden, so ist doch solches nicht geschehen. Was ist aber alsdann geschehen, da man Gottes Finger verachtet hat? Wissen Ew. H. F. Durchlaucht nicht, was Ihnen bey jüngsten Landtage, Hr. Stolten Sache wegen von neuem vorgetragen wor" den? Ja, Sie wissen es, wie denen frommen im Lande ihre Bitte abermahl abgeschlagen worden. Weil nun Ew. H. F. Durchlaucht nicht verstatten wollen, dass man zusammen kommen und gleichsam mit einem Hertzen Gott anruffen möchte, dass Er alles Unheyl, allen Zanck, Auffruhr, Mord und Todtschlag, ja alle Wercke des Fleisches und der Finsternüss, wie solche 1. Cor. 6, vs. 6. 10 beschrieben werden, aus dero anvertrauten Landen schaffen wolle; So muss ich daher in geziemender Demuth Dieselbe bitten, dass sie in ihr Cabinet zu gehen belieben wollen, diesen Brieff vor Gottes Angesicht legen und ihr Gewissen fragen: Ob sie nicht ein grosser Sünder seyn, dass

103 sie das Gute zu Gottes Ehre verhindert, und bis auff diese Stunde noch verhindern; Und ob dieses nicht die rechte Ursach sey, weil man Gottes drohenden Finger vormals verachtet, dass er nunmehro mit seiner Zorn-Hand gar drein schlagen müssen, so, dass auch 3 Menschen durch das Gewehr ihrer Grenadierer ums Leben gebracht worden. Es wollen Ew. Durchlaucht der Sache weiter nachdencken, ob es nicht etwas fatales und nachdenckliches sey, dass diese greuliche Mordthaten wieder bald darauff geschehen sind, als Sie kaum von Jena ab und wieder nach ihrer Residentz-Stadt gereiset? Sehen Ew. H. F. Durchl.? so sehen Sie doch nunmehro auch recht, was vor Früchte aus denen Rathschlägen ihres Hoff-Predigers und anderer Uebelgesinnten sind erwachsen. Ich halte Sie hoch empor, damit ihr Gewissen solche wohl betrachten möge; Ja demüthig bitte dieselbe, weil es gewiss ist, dass Sie einmal vor Christi Richterstuhl werden erscheinen und Rechenschafft von ihren Wercken geben müssen, dass Sie doch vor Gott, dem grossen Richter ihr Gewissen fragen wollen: Wer doch die angeführte 3 Personen nun ertödtet ? Ach! ihr Blut schreyet zu Gott (wie Sie gehöret) um Rache und Ew. H. F. Durchl. Land kan nach Gottes Wort vom Blut nicht versöhnet werden, als durchs Blut dessen der es vergossen hat: Ach! darum sage ich nochmahls, weil es Blut solcher Seelen ist, die gantz unschuldig und in den Auffruhr nicht mit gewesen (weswegen Gott auch desto grössere Rache üben möchte) so werden Ew. H. F. Durchlaucht so vielmehr dadurch überzeuget, dass Sie sich nach dem rechten Thäter um sehen, und mit allem Fleiss dahin bemühen müssen, wie Sie ihn oder solche bekommen und zur gebührenden Straffe bringen mögen. Hat nun ein oder mehrere ihre Grenadierer solche Mordthaten begangen, so heisst es nach Gottes Gesetz, Kopff vor Kopff, Seele vor Seele; Aber möchte man hierbey nicht fragen: Ob derjenige, will jetzo nicht sagen vor Gottes Gericht, sondern nur vor Ew. H. F. Drl. weltlichem Gericht ohne Straffe passiren könne, der eine mit-Ursach solcher Mord-Geschichte gewesen, oder der es allermeist verursachet, dass dero Granadierer unschuldig Blut vergiessen müssen? Damit Ew. H. F. Durchl. mich nun noch besser verstehen mögen, wie ich dieses meine, so will es in Demuth Ihnen sagen, wie Sie es erfahren können, was ich meine, und was Sie nach ihrer Amts-Pflicht thun müssen dem, der die meiste Schuld an solchen begangenen Mordthaten hat; Und dass auff solche weise, nemlich: Wann Ew. H. F. Durchl. ihr eigen Hertz erst untersuchen und es an Gottes Wort prüfen; Ob sie ihre Regierung Zeit ihres Lebens auch so geführet haben, dass

104 es mit Christi Geboten überein kommt, also, dass ihnen ihr Gewissen saget (doch setze ich darzu ohne Heucheley

und ohne eigen-Liebe)

dass Sie Gottes Bild und Christi Exempel bey allen ihren Wercken, es sey bey Hoffe oder in ihrer Cantzeley, Rent-Kammer, aufm Rathhauss und andern Amtshäussern,

in Städten und Dörffern etc. von

sich leuchten lassen; Insonderheit aber ob Sie, wie beym Propheten Jesaia cap. 49, 23 denen Königen und Fürsten befohlen worden, nach dem Exempel einer Säugammen Gottes Kirche mit ihren Brüsten ernehret, das ist, die Frommen geschätzet, ihnen gutes gethan und auff alle Weise

ihrem

geistlichen Wachsthum

befördern helffen?

Wann

Sie es nun vor wahr befinden, so sage ich, wohl Ew. H. F . Drl. theuren Seele, j a abermahl wohl Ihnen!

So aber dieselbe bey ihrer Ge-

wissens-Untersuchung vor Gott das Gegentheil in ihrem Hertzen fin. den möchten, nemlich, dass Sie nicht Gottes Bildniss,

sondern das

Bildniss der Welt in vielen oben angeführten Stücken von sich scheinen lassen, auch Gottes Kinder gar nicht unter ihren Schutz nehmen, noch ihnen im guten beystehen, so werde ich auch nicht das ewige Wohlseyn über ihrem Haupt ausruffen können,

sondern muss viel-

mehr Ew. H. F. Durchl. demüthig bitten, dass Sie in ihr Kämmerlein sich verschliessen wollen,

auff ihre Kniee fallen, und mit Thränen

Gott ihre Sünden bekennen und abbitten.

Wann nun bey solchem

Buss- und Reue-Kampffe die drei ermordete Seelen auch vor ihr Gewissen mit treten möchten, und Sie wissen wollen, wer solche eigentlich umgebracht, so dencken Sie doch zurück an ihre eigene Sünde, oder an ihre straffwürdige Sorglossigkeit, gangen,

welche Sie darinnen be-

dass Sie anfänglich bei der ersten Aufruhr, ohngefehr

1 x / 4 Jahren,

vor

den drohenden Finger Gottes verachtet und nicht zu

Hertzen genommen:

Wann nun sage ich

zu pochen und zu schlagen,

dero Hertz wird anfangen

so stellen Sie doch ihrem Gott weiter

vor und fragen: Ob nicht diejenigen mehrere Schuld an den neulichst geschehenen

Mordthaten haben,

die Ew. H. F . Durchl.

durch ihre

böse Rathschläge zur Sünde und Verhinderung alles guten mit verleidet haben, als wohl ihre Granadierer?

Ich vor mich hüte mich

es zu sagen, dass Ihr Hoffprediger und andere, so eines hertzens mit ihm sind, mehr schuld an solchen 8 Mordthaten haben, als dero Granadierer ; Sondern ich will in Unterthänigkeit Ew. H. F . Durchl. aus hertzlicher Liebe zu ihrer Seele ersuchen, Gottes Angesicht liegen bleiben wollen, grossen Richter bitten,

dass Sie nur allein vor

und diesen ihren erzürneten

dass er ihrem Gewissen offenbahren wolle,

wer oder welche eigentlich die unschuldige Seelen umgebracht ha-

105 ben? Mir zweiffeit auch nicht, wenn Ew. H. F. Durchlaucht mit zerbrochenem Hertzen und geängsteten Geiste nach Davids Exempel (welcher auch nicht mit eigner Hand den Urian erschlagen hatte) Ihrem Gott um weiter Erkänntniss seines Willens bitten werden, dass der Allerhöchste ihnen nicht allein die rechte Thäter zeigen, sondern auch ihrem Gewissen entdecken werde, wie oder auf was weise Sie dieselben abstraffen sollen. Gleich wie ich nun bezeige, dass unter diesem allen so in Unterthänigkeit jetzo hier vorstelle, nichts anderes gesuchet wird, als Gottes Ehre, und Ew. H. F. Durchlaucht Leibes und Seelen Bestes, also muss ihnen auch im Nahmen des lebendigen Gottes noch dieses sagen: Wenn sie ihr Gewissen vor der Wahrheit zuschliessen, ja diese gegenwärtige und wohlgemeinte Zuschrifft mehr mit erbittertem als sanfftmiithigen Hertzen auffnehmen werden, (wofür doch Gottes Barmhertzigkeit dieselbe bewahren wolle) dass dann Gott auch die Thür seiner Gnade vor Sie wieder zuschliessen und seine bereits ergangene Gerichte mit noch mehreren häuffen werde. Meine Seele aber bittet nochmahls Gott, dass Er Dieselbe vor diesem behüten wolle; doch weil mit Gott und seinen Gerichten nicht zu schertzen, so werden Ew. H. F. Durchl. nur noch in Demuth ersuchet, dass Sie zu Hertzen nehmen wollen, was in dem schon angeführten Propheten Hesekiel, und zwar im gantzen 9. Capitel vorgestellet, da unterschiedliche Würgengel durch Jerusalem gehen, und ohne Ansehn der Person todtschlagen und erwürgen müssen, was ihnen vorgekommen, NB. a u s g e n o m m e n d i e j e n i g e n , so über a l l e n G r e u e l g e s e u f f z e t h a t t e n . Ach! vor Gott bin ich einer, der auch über diejenigen Greuel seuffzet, welche in dero Landen und an andern Orten Sachsen-Landes mehr gehöret werden. Darum habe ich auch, wegen Kränkung Gottes Ehre und seines heiligen Nahmens, nicht stillschweigen können, sondern ihnen auch solche Würgengel noch vorstellen müssen; Und wenn man diese wohlmeinende Warnung auch verachten wird, wer weiss, ob Gott nicht bald andere und mehrere senden werde, die diejenigen Fürsten, Schlösser und Städte mit Pestilentz schlagen und allerhand Plagen darein säen, welche sein Bildniss verunehret, ihren Christen-Nahmen geschändet, und hier und dar Gottes Kinder nebst ihren Unterthanen geärgert haben; Womit Ew. Hoch-Fürstl. Durchl. der erbarmenden Gnade Gottes überlasse und verbleibe Ew. Hoch-Fürstl. Durchl. in aller Unterthänigkeit ergebenster Knecht Dat. den 29. Aug. 1712.

B. S.

Urkunden aus den ersten Jahren der Reformation in der freien Reichsstadt Essen (1561—1576) *). Von

Pfarrer Wächtler in Essen.

Ob die Stadt Essen wirklich eine freie Reichsstadt gewesen sei, ist nie recht klar geworden. Der Magistrat hat es zwar stets behauptet, während die geftirstete Aebtissin wie auch die kaiserlichen Kommissarien es in Abrede stellten. Zwar wies der Magistrat nach, wie er sein Gebiet von dem der Abtei streng abgegrenzt, ja das Recht über Leben und Tod geübt, auch Reichstage beschickt habe, aber er konnte nicht beweisen, dass er je dem Reiche Matrikularbeiträge geleistet hätte. Diese Unklarheit der Stellung der Stadt zum Reiche erschwerte daher auch die Einführung der Reformation, da sowohl die Aebtissin, wie der Schirmvogt der Stadt, Herzog Wilhelm IV. von Cleve, dem durch den Vertrag von Venlo (1543) seine reformatorischen Ideen auszuführen streng verboten war, dem Magistrat das jus reformandi absprachen und für sich in Anspruch nahmen. Die Folge davon war ein Prozess beim Reichskammergericht, welcher über hundert Jahre währte und dessen Entscheidung im Laufe der vielfachen politischen Veränderungen zuletzt bedeutungslos war 1) Sämmtliche Schreiben des Rathes befinden sich nur in der Unreinschrift und wegen häufiger Abkürzungen schwer zu lesen; die aus der Herzoglichen Kanzlei sind zwar sauber geschrieben, aber ein Gemisch von Hochdeutschem und Niederdeutschem Dialekt. Im städtischen Archiv sind sie aufbewahrt, aber nicht chronologisch geordnet.

107 und nur die inzwischen eingetretenen politischen Umwälzungen rechtlich festsetzte. Die Stadt ward zu einer fürstlich freien Stadt erklärt, behielt ihre eigne Gerichtsbarkeit und das Recht der Appellation an das kaiserliche Kammergericht und freie Uebung der Augsburgischen Confession, während die gefürstete Aebtissin die Landeshoheit erhielt, aber die Stadt bei ihrem hergebrachten Recht belassen sollte (4. Februar 1670). Die ersten Anfänge der Reformation fallen Ausgang der 50 er und Anfang der 60 er Jahre des 16. Jahrhunderts. Vor allem wird ein Weber Georg Tuber, nicht zu verwechseln mit einem Theologen, der in Marburg studirt hatte, Johann Tuber, genannt, welcher nach seiner Rückkehr aus der Wanderschaft die deutschen Kirchenlieder, die er in Sachsen hatte kennen gelernt, hierher brachte, sie Kindern und Erwachsenen lehrte. Seine aus Holz geschnitzte Büste stand bis auf gegenwärtige Zeit noch in dem von ihm bewohnten Hause in der 2. Weberstrasse und dasselbe erhielt bald den Namen „die lutherische Wieme". Um selbige Zeit war in der Stadtkirche St. Gertrud statt eines ordentlichen Pfarrers nur ein Prediger-Mönch vom Stiftskapital, Namens Saldenberg, angestellt. Derselbe war den Bürgern in seiner Sprache unverständlich und durch sein Betragen missfällig, auch hielt man es für unerhört, dass die Kirchspielskirche durch einen PredigerMönch regiert werden solle. Die Bürgerschaft verlangte stürmisch die Entfernung des Saldenberg und die Einsetzung eines neuen Predigers. Der Magistrat musste sich endlich dazu verstehen, mit Saldenberg folgendes Uebereinkommen zu treffen: Anno eintausend fünfhundert ein und sechzig auf Tag conceptionis Mariae hat Herr Heinrich Saldenberg Pastor der Kirchen zu St. Gertrud, mit Danksagung eingewilligt, dass ein Ehrsamer Rath wolle dann bestellen einen frommen gelehrten Predikanten, der sein Gehilf in der unsern Kirchen sein sollte. Und das zu mehrer und wirklicher Dankbarkeit hat Herr Heinrich uns als vor itzt zu Händen Bürgermeisters und Raths niedergegeben und resignirt so damit Officium als ihms der Rath herbeiführe unter condition und Vorbehalt solchen Predikanten und Gehilfen bestellen sollte, das er geoferirt, actum conam senatu et 24 Vorsteher. Saldenberg kam jedoch seinem Versprechen nicht nach, was die Bürgerschaft zu eigner Selbsthilfe veranlasste. Denn Weihnachten stimmten die in der Kirche versammelten Bürger zum Entsetzen des Saldenberg unerwartet die deutschen Gesänge an und sangen die-

108 selben bis zum Abend. Der Magistrat ward nun genöthigt, um jedem Aufruhr vorzubeugen, die deutschen Gesänge in der Kirche zur allgemeinen Freude der Bürger einzuführen. Es folgten eine Reihe von Streitigkeiten mit der Aebtissin, die an den Kaiser sich wandte, und mit Wilhelm von Cleve, wie auch innere Zwistigkeiten, die mit allerlei Schwärmereien drohten. Der Magistrat wendet sich um Schutz an seinen Schirmvogt Herzog Wilhelm: Durchlauchtiger, Hochgeborner, vermögender Fürst, gnädiger Herr! Ew. F. G. unsere willigen Dienste zuvor und bereit, Gnädiger Fürst und Herr. Nachdem natürlich und billig ist, dass in unsern hoch anliegenden Geschäften zu E. F. G. als unserm gnädigen und geliebten Schirmfürsten und Herrn, wir Zuflucht suchen sollen, da wir Trost, Rath und Schirm nächst Gott, wirklich befinden. Hinwieder wissen wir uns schuldig zu E. F. G. mit unsern unterthänigen Diensten und Gehorsam, dessen wir noch und zu allen Zeiten mit Insetzung alles was wir an Leibe und Gut vermögen, zu leisten allerwilligst geflissen und geneigt sind. Dieweil nun, gnädiger Herr, eine geraume Zeit hin und wieder mancherlei Eigensinnung, verkehrte Sekten und Rotten fürhanden und dermassen geschwebt, dass kaum in viel Leuten, die wie gute Christen geachtet gründlich vermerkt könnt werden, was sie gehalten und gemeinet in den fundamentlichen Artikeln unsers allgemeinen christlichen Glaubens. Daher wir allen möglichen Fleiss fürgewendet mit vielfältigem Trachtungen und Nachforschungen, wie den Dingen im besten (wenigsten Unraths) bei unsrer Bürgerschaft aufrichtiglich verholfen möcht werden; was ohne Ruhm zu reden erfolgt, wie wir uns mit Wahrheit erkundigt, Gott Lob, dass nu unsre Bürger insgemein die wahren Bekenntnisse und Religion unsres allgemeinen christlichen Glaubens, aberst keinerlei Wiedertäufern, Sakramentirern, noch keinerlei andern Sekten oder Rotten anhängig und verwandt wollen sein, unsers Wissens und des Ursach darob und manchmal an uns flehlichst angehalten und gebeten. Nachdem leider fast irrige öffentliche Missbräuche in der Kirche eingerissen, die niemands gesunds Verstands loben noch verteidigen könnt, dass wir dieselben wollen abschaffen und mit Rath, Beistand und Hilf, E. F. G., andre gottselige Dienste, die dem heiligen Worte Gottes gemäss, an die Statt rücken und verordnen helfen. Weil wir aber wol bewegen können, dass unsrer armen Bürger Gewissen in dem Fall nicht allein, sondern schier der mehrere Teil in der christlichen Gemein, sonderlich in den benachbarten Landen beschwert,

109 und die Wichtigkeit des Handels unsern Verstand überlastet, haben wir in Hoffnung und Erwartung andrer gottseligen Mittel, solche Bitt unsern Bürgern zwar mehrmal so füglich es immer möglich, abgeschlagen, und auf ein allgemein christlich künftiges Concilium oder Reichstag, oder dass E. F. G. einen andren christlichen Weg gnädiglich bedenken und fürstellen werde, allemal hingeschoben und vertröstet; damit wir bisher allerlei infallende Unruh und Empörung (doch beschwerlich) verhüt und abgewandt. Dieweil aber leider wir ihre Gemüter eine räume Zeit her vergeblich suspendirt und leider keine Einigkeit noch Reformirung unsrer christlichen Religion, wiewohl dick und viel widerstanden, darauf erfolgt, und noch heutiges Tages solche christliche Wege durch den höllischen Feind und seine Rüstzeuge am höchsten verzäumet und versperret worden; und noch zur Zeit, Gott erbarm es, keine Hoffnung noch Schein einiger Besserung noch Einigkeit sich ansehen lässt. Sondern vielerlei Spaltungen und Irrungen je länger je mehr häufig einfallen. Und dann die Sach kein zeitlich noch vergänlich Gut, sondern unsers Schöpfer und Erlösers Ehr und unser aller Seelen Heil und Seligkeit, das in Ewigkeit dauern wird, anlangt, haben hierorts unsre gemein Bürger nu unlängst zu etzlichen malen abermals dieser Ursachen halben ganz flehentlich Ansuchung gethan und als wir in ihre Bitt zu befehlen (?) uns beschwert, haben sie zuletzt am allerfleissigsten gebeten und auch ernstlich angehalten, dass man ihnen erlauben und gestatten wolle, das hochwürdige heilige Sakrament des Nachtmals unsres Herrn und Verlösers Christi Jesu, in beiderlei Gestalt nach seiner göttlichen Insetzung und Befehl, Vermeidung des heiligen Evangeliums und des Apostels St. Paulus Lehre gegeben ausgetheilt werde, wies auch sonst im römischen Reich zugelassen und auch von E. F. G. in Ihren Landen und mehr Oertren gnädlich verhängt und frei gelassen werde. Dem wir auch für unsre Person nicht zuwider gewest und wol erleiden mögen, angesehen es auch unser selbiges Gewissen und Seligkeit berührt und göttlichem Wort und Frieden gemäss erachten. Als solches etliche missgünstige Ruhmgeizige, die vielleicht nicht weit von uns gesessen, vermerkt, haben sie unverzogen Gelegenheit genommen ihre hässigen Gemüter zu eröffnen, ufgerissen und ein Pönal-Mandat von dem Herrn Official von Cöln heimlich usgebracht, darin vernemtlich verboten von Usteilung des heiligen Sakraments, welches sie (ihrer Gewohnheit nach) schismatisch und wider die alte katholische Kirche zu sein interpretirt, auch darin andre unerfindliche Sachen erdichtet. Dasselbe sie insgeheim am Tage des Abendmals Christi lässt ver-

110 bidden öffentlich in beiden Kirchspielskirchen allhier uf den Predigtstlilen lassen ausrufen, wie E. F. Gr. aus innen verwahrter Kopie gnädiglich zu vernehmen; ohn dass der Official gegen uns und unsre Bürger das zu gebieten noch verbieten keine Fuge noch Macht er hat, und ist gestracks gegen und wider unsre von weiland unsrem allergnädigsten Herrn Römischen Kaiser und König hochlöblicher Gedechtniss, unsern Vorfahren und uns gegebenen und itzt abprobirten und konfirmirten von dem allerdurchlauchtigten grossmächtigsten Herrn jetzigen Römischen Kaisers Majestät, E. F. Gr. geliebten Schwäher Herrn, Begnadungen und Privilegien. Wiewohl nu gnädiger Fürst und Herr unsre Bürgerschaft durch solche unbillige und widerwillige Mandate die von etzlichen verstockten zur Unterdrückung göttlicher Ehre und Beschwerung menschlichen Gewissens praktizirt, nicht wenig bewegt, wir uns auch allerlei Unruhe befürchtet, so haben wir doch sie diesmal noch zur Geduld berichtet, sonderlich aber damit, dass wir an E. F. G. als unsern gnädigen Schirmherrn diesen Handel unterthänig wollen gelangen und um gnädigen Rath und Hilf ansuchen lassen der ungezweifelten unterthänigen Zuversicht E. F. G. mit unser armen Bürgerschaft höchst Anliegen und Gewissens Beschwerung gnädiges Mitleiden tragen und uns nicht verlassen. Dieweil nu gnädiger Fürst und Herr wir unsre arme Bürger so deren Mehrteil sich vom Nachtmal gar enthalten, nicht lange ohne Unruhe, Spaltung und Zertrennung in diesem ihren christlichen Fürnehmen wissen ufzuhalten und ihre Bitt zu allem friedlichen Wesen und zur Vermeidung allerlei Rotterei und Sekten dienlich erachten, auch sonst dardurch an den Tag brechen würde, ob noch einige Schwarmgeister, die unter solchen Scheinstücken und das heilsame Nachtmal schmähen, in unsrer Stadt fürhanden, die alsdann in andre christliche Wege zu berichten sein möchten und wir nicht zweifeln, sondern mit Wahrheit bei vielen E. F. G. Unterthanen in gleicher Sache im Werk befinden, dass dieselben E. F. G. die betrübten Gewissen aus fürstlichem christlichen Gemüt und Eiferung göttlicher Ehren mit Trost ufhelfen und erfreuen. Und unsrer Bürger Bitt ist christlich und zu keiner Spaltung und Unruhe gerichtet, auch im heiligen römischen Reich deutscher Nation frei gelassen. Bitten wir E. F. G. am allerunterthänigsten die wolle uns und unsrer Gemein so gnädig erscheinen, als unser gnädiger Schutz- und Schirmherr um Gott und allgemein Seligkeit Nutz und Wolfahrt willen, das obgemelter unser Bürgerschaft Flehen und Bitten in kein Ungnad ermessen, sondern gnädiglich statt gebend sieh gefallen lassen in obgedachten gottseligen

111 Sachen heilsamen Rath und Hilf mitzuteilen gegen diejenigen, so sich dawider uflehnen wollen, (des wir uns doch gegen niemand versehen) mit gnädigem Schutz und Schirm nicht verlassen, bis aller Streit in der Religion durch ein allgemein Concilium oder sonst durch ein Nationalerklärung verglichen und verricht werde. Solches soll E. F. Gr. (massen dem dass es bei sich zum höchsten rühmlich, Gott und heiliger Dreifaltigkeit nichts angenehmer sei) ohn Zweifel zu sonderlicher glückseliger Regierung und Gedeihen zeitliches und ewiges gereichen, wir sollend auch wissen dem wir schuldig an all unserm Vermögen Leibes und Guts billig jederzeit ungespart verdienen und beschulden uns nichts ervinden lassen. E. F. G. hierauf gnädige tröstliche Antwort bittend. Essen und unsrer Stadt sekreth. Siegel. Am 1. Tage des Monats Juli anno 1562. E. F. G. gehorsamer Schirmsverwante Bürgermeister und Rath der Stadt Essen. Der Herzog scheint auf diese Eingabe keinen schriftlichen Bescheid gegeben, sondern die Gesandten der Stadt mündlich abgefertigt zu haben, wie aus folgendem Schreiben geschlossen werden kann. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue 1 Was an uns die ehrwürdige wolgeborene unsre liebe Nichte, Abdissin zu Essen, von etlichem Missverstand, so sich der Religion und andrer Sachen halben zwischen ihr und euch erhoben haben solle, schriftlich gelangen und begehren lassen, solches thut sich aus binnenverwahrter Abschrift erfinden. Weil wir uns nu gnädiglich zu erinnern wissen, was ihr uns am 3. Juli des nächstverlofenen zwei und sechzigsten Jahres angegeben, dergleichen was wir euern Gesandten damals darub von uns in Antwort vermeldet worden und wir ungern sehen sollten, dass zwischen wohlgedachter Abdissin sammt dem Kapitel und euch und gemeinen Mitbürgern aus Vorangerichten Missverstand, oder sonst einige Widerung, Verlof (?) oder Widerwärtigkeit verursacht werden soll. So sind wir geneigt etliche unsrer Räthe nach diesen Anständen hörichtyt Paschan binnen der Stadt Essen (als ihr vor uns noch wolverständigt werden sollen,) zu schicken und allen Unverstand gütlich zu versönen und nach Befindung daran zu sein, dass solcher Missverstand, (so viel Gott Gnad verlehnen wird,) uf Seit gestellt werd, gottselige Eintracht erhalten und niemands von euch guten christlichen Gewissen beschwert oder bedrängt werde. Darmit aber in diesem nächstkommenden hörichtyt zu Unruhe oder Aergerniss keine

112 Ursache gegeben, sehen wir zu Unterbauung friedlichen Wesens für gut und dienlich an, dass ihr mittlerweil keine Aenderung anrichten, sondern alle Dinge bis daran, und dass Wolgedachte Abdissin und ihr derhalben durch unsre verordneten Räthe in der Güte verglichen, in Stillstand und Eintracht gut williglich beruhen lassen, — wollen Wir uns zu euch also gnädiglich verlassen. Gegeben zu Cleve den 7. April 1563. Zugleich hatte sich der Magistrat mit dem Pfalzgrafen Wolfgang von Neuburg und Zweibrücken in Verbindung gesetzt, dass ihm von dorther ein Prediger geschickt werde, der im Stande wäre die unruhigen Gemüther zu beschwichtigen und mit kräftiger Hand das Werk der Reformation in Essen durchzuführen. Der Rathsverwandte Hieronymus Rosendahl begab sich persönlich zu dem Pfalzgrafen und fand in dem Prediger Heinrich Barenbroch zu Castelaun, gewöhnlich Heinrich Kempensis genannt den für Essen geeigneten Mann. Derselbe wurde auch dafür gewonnen, doch seine Ankunft verzögerte sich, trotz wiederholter Gesuche und täglich sich steigender Unruhe, bis ins Frühjahr 1563. Am 2. Mai 1563, Sonntag Jubilate, predigte derselbe in der St. Gertrudkirche und theilte das Abendmal in beiderlei Gestalt aus. Nachdem es ihm gelungen die Ordnung herzustellen und den Rath, nebst der Bürgerschaft auf das evangelische Bekenntniss gemäss der Augsburger Konfession zu verpflichten, auch eine Kirchenordnung, ähnlich der Zweibrückner, die der Magistrat und jeder Kirchen- und Schuldiener unterschreiben musste, aufgestellt, kehrte derselbe nach einigen Wochen in seine Heimath wieder zurück. Sein Weggang entfesselte die mit Mühe darnieder gehaltenen unruhigen Köpfe und sein Werk erfuhr von Seiten der Äbtissin und des Herzogs, der weniger dem Reformationswerk, sondern der Person des Reformators abhold war, weil man denselben mit Umgehung des Herzogs vom Pfalzgrafen Wolfgang erbeten hatte, sowie des Erzbischofs von Cöln die heftigsten Angriffe. Davon zeugen folgende Schriftstücke, deren erstes eine Protestation des Magistrats gegen die von der Äbtissin ausgewirkten kaiserlichen Mandate wider die Stadt: Ehrwürdige Wolgeborne gnädige liebe Frau. Wir wissen uns mit beschwerten Gemüt zu erinnern, welcher Gestalt E. G., bei der Römischen Kaiserlichen Majestät unserm allergnädigsten Herrn solcher Ursachen halben zwei Befehlsschriften wider uns doch unerhörter Sachen und darum nichtiglich, ausgebracht; als sollten hier in der Stadt Essen verrückter Zeit etliche wenig Personen unterstanden und noch im Werk für haben die neue Religion einzubringen, und den

113 alten wahren katholischen Gottesdienst und Zeremonien gänzlich abzuthun, sonderlich aber einen sektischen verführerischen Predikanten in der einen Kirchen als Pfarrer einzuführen und dass darum wir weder für uns selbst oder jemands anderes jene Neuerung nicht unterstehen, auch E. G., verordnete Kirchendiener an Haltung ihrer wolhergebrachten christlichen Zeremonien göttlichen Amtes und Religion nicht verhindern noch molestiren oder anderen solches zuthun nicht gestatten. Dass auch, E. G. höchstgedachter Kaiserlichen Majestät und des heiligen Reichs allhie nachgesetzte Oberkeit und denselben in Kraft des aufgerichteten Religionsfriedens den angebrachten verführerischen sektischen Prädikanten unverzüglich wieder abschaffen und uns um solches Ungehorsams und Verachtung des an uns gefertigten kaiserlichen Mandats mit allem Ernst strafen sollen1) und alles fernem Inhalts derselbigen Mandats ohn Not weitläufiger zu verholen. Und hätten uns je nichts weniger versehen, denn dass E. G., (welche ihrem geistlichen Stande und Amte nach für alle Dinge und allein daher billig,) soll trachten, dass die Kirchen der Stadt Essen mit tauglichen, getreuen Seelsorgern bestellet und versorget würden, die die Bürger und Schäflein Christi mit gesunder Lehr und aller Seelsorge im heiligen unsträflichen Leben weiden und zu aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit könnten unterweisen und anführen, bei höchstgedachter kaiserlichen Majestät in massen wir davon gemeldt unschuldiglich soll haben anlangen und verklagen lassen. Denn dass wir den Bürgern so es begehren das Sakrament des heiligen Nachtmals mit der Betrachtung der armen Gewissen Notdurft ganz haben reichen lassen, (nachdem dies ursprünglich in der christlichen katholischen Kirche also gewöhnlich gewesen, auch von unserm Heiland und Seligmacher Christo selbst also verordnet und befohlen und wie St. Paulus schreibt: Ich habe es vom Herrn empfahen das ich auch gegeben habe,) so werd je kein Gottesliebender mit gutem Gewissen oder auch mit Wahrheit sagen können, dass diese Zulassung nicht der alte katholische und wahre Gottesdienst, sondern eine neue Religion sein sollte. Wir wollen geschweigen, dass die kaiserliche Majestät selber droben in ihrer Majestät Erblanden

1) Die Aebtissin war beauftragt, 10,000 Thaler zwangsweise von der Stadt als Strafe einzutreiben. Ob diese Strafe gezahlt worden ist, lässt sich der Klageschrift an das Kammergericht nicht erkennen.

8

114 in Städten und Dörfern ohne alle fahr und unverhindert das ganze Nachtmal zulasset. So haben wir auch keineD aufrührerischen, sektischen Predikanten angesetzt, sondern einen gelehrten, bewährten und treuen Seelsorger, welcher uns das göttliche Wort rein und unverfälscht lehrt, die Sakramente nach Gottes Ordnung ausspendet und mit einem ehrbahren, christlichen und unstrafbaren Wandel und Leben seinen Scbäflein vorgeht, weicherauch erbietig ist jedermann wessen Würden oder Standes der auch sei, seiner Lehr Rede und Antwort zu geben und dieselbe mit prophetischer und apostolischer Schrift zu bewähren. Wir werden nebens dem E. Gr. und denselben Kirchendienern in ihrer Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnnngen und Zeremonien nicht kein Eintracht gethan, sondern vielmehr (wie E. G. kund,) öffentlich von der Kantzel unsern Bürgern ernstlich und auf höchster Straf haben befehlen lassen 1 ), E. G., denselben mit Kapitularien Kanonichen, Altaristen und andern geistlichen Standespersonen an ihren Personen oder Zeremonien mit Worten noch Werken zu molestiren oder zu verhindern. Auch tragen E . G . gut Wissen, dass ein Rath und Stadt Essen in ihrer Befalung vermöge ihrer kaiserlichen alten und bestätigten Privilegien nicht E. G. sondern ohnmittel der kaiserlichen Majestät und dem heiligen Reich deutscher Nation sind unterworfen, dass auch vom Ehrsamen Rath in rechtlichen Sachen die Appellation oder Berufung nicht an E. G., sondern ohnmittel am kaiserlichen Kammergericht gelangt werden. Daher denn zwei Ding notwendig folgen: Erstlich, dass E. G. dieses christlichen Werks halben auf der kaiserlichen Majestät Be1) Das Verbot lautet nämlich: Bürgermeister und Rath thun verbieten einem jeden Bürger und Bürgerischen Inwohnern und Inwohnerischen, dass niemand wider dere Frau Äbtissin Kapitel, auch nicht wider Kanoniche, Yikarien oder andere geistliches Standes Personen, und wider niemand jegliches halte, noch des etwas unfriedliches furwende, um keinerlei Ursache willen oder in einigem gesuchten Schein, sondern alle Dieselbigen ungezerrt und ungestört lassen in ihren Kirchen Zeremonien und Gebräuchen, niemand beschädigen, belästigen noch in welcherlei Gestalt verachte noch beschweren, aberst einig nnd friedlich mit einander aller Ehren gebürlich leben, nach Vermeidung des heiligen Römischen Reichs Abschieden und ofgerichteten Landfrieden, alles bei Vermeidung der ihm verbriften Pön und sonder Genaden der höchsten Strafe so Bürgermeister und Rath zu strafen haben; hierin ein jeder sich gehorsamlich und unverweigerlich schicken wolle.

115 fehl (die doch sub obreptitionem erlangt,) uns nicht haben zu strafen. Zum andern, dass ein Rath und Stadt Essen als ohnmittel dem Reich unterworfen in Kraft des Religionsfriedens und Abschiedes im Jahr 1555 zu Augsburg aufgericht frei stehe die heilsame Augsburgische Konfession (dero wir uns hiermit ausdrücklich und im Namen Gottes erklären,) anzunehmen und dessfalls unter solcher Religion und Landfriedens Schutz und Schirm unser Thun wider E.Gr, uns weniglich zu verteidigen. Dieweil nu aus diesem am Tag, dass wir in unserm christlichen Fürhaben den kaiserlichen Mandaten zu leben nicht schuldig, dass auch unser Thun für keine Neuerung kann gehalten werden, sondern dass ihre Majestät vermög des angeregten Religionsfriedens vielmehr schuldig uns bei der Augsburgischen Konfession gnädigst zu schützen und zu handhaben, dass auch E. G. über der Stadt und Rath von Essen kein Gebot noch Verbot haben. So langt denn allem nach an E. G. unsere unterthänige Bitt, dieselbige wolle diess Ding dermassen christlich und bedächtlich beherzigen damit wir wider den heilsamen Religionsfrieden und besunderst wider Gottes Wort mit ferneren Mandaten nicht beschwert und vorbesorgt werden, nicht allein bei der kaiserlichen Majestät uns zu verteidigen, sondern auch E. G. vermelten unchristlichen Fürhabens bei andern, welche solchen Religionsfrieden neben der kaiserlichen Majestät zu handhaben schuldig sein, uns zu Verlagen. Das E. G. wir in unterthäniger Antwort nicht haben sollen unangezeigt lassen. Antwort eines ehrbaren Raths der Stadt Essen an die Frau Aebtissin wegen des ausgebrachten Mandats. 1. Oktober 1563J). Die Äbtissin hatte sich zugleich beim Herzog Wilhelm über des Rathes zu Essen Vorgehen beschwert, worauf der Herzog nach Essen schreibt: Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg Herr zu Ravenstein etc. Ehrsame, liebe und Getreue! Uns haben die gnädige und wolgeborne unser liebe Nichten Irmgardt geborne Gräfin zu Diepholt, Abdissin und Probstin der Kapitels Jungfren des Stifts Essen angeben lassen, wie in Sachen der Religion und hoher Oberheit allda, 1) Dieses Schreiben von einem kaiserlichen Notar aufgesetzt und vom Rath unterschrieben wurde von dem Notar und einer Rathsdeputation in der Abtei feierlich und förmlich übergeben.

116 allerhand Veränderung und Neuerungen bemeldeten Stifts zu beschwerlichem Nachteil, durch euch unbefugter Weise fürgenommen werden sollten, mit angehangner Bitt, als solches wiederum inhaltslich beigelegter Kopien zu vernehmen. Weil wir uns nu zu erinnern wissen, dass ihr dieser Sachen halben uns auch hierbei früher ansuchen thatet, und dann aus günstiger und gnädiger Neigung sowie gleich weiland unsre Vorherrn seligen Gedächtnisses, von wegen obliegenden Schirmamtes und sonst zu dem Stift und Stadt Essen je und allwegs gelangen und noch ungern sehen sollten, dass die gute alte Einigkeit und Verwantniss welche zwischen obbemelten Stift und Stadt Essen allezeit gestanden und bis an uns gebracht, zu schädlicher Beschwerung derselben einigesteils verstöret, sondern viel lieber gnädigsten fleisses befördern wollen, dass solche Einigkeit und Verwantniss zu beiderseits Unterthanen und Bürgern, Wolfart, Gedeihen und Upkommen unterbauet und nach aller Gebühr erhalten würde; so haben wir etliche unsrer Räthe verordnet auf Sonntag für S. Symon und Judä den vier und zwanzigsten jetzigen Monats gegen den Abend alldao zu Essen einzukommen mit Befehl den folgenden Morgen zwischen wolgedachter unsrer Nichten und euch in obgemelten Sachen gütlich Verhör und Handlung an die Hand zu nehmen und nach Befindung an ihrem Thun und Fleiss, nichts das zu Gebür billiger Vergleichung und Hinlegung derselben Sachen ervinden zu lassen. Guter Hoffnung und Zuversicht der Allmächtige seine Gnade darzu verleihen wird, und ist demnach unsre gnädige Gesinnung, dass ihr etliche friedliebende von den Euern sammt aller Notdurft (?) gegen die bestimmte Zeit vor unsern Räthen erscheinen und solches Verhörs und Handlung erwarten lassen, damit ungtitlicher Nachteil und Widerung, so sonst aus dem flihrnehmen entstehen kann, in Zeiten füglich begegnet und für keinen werden möge, versehen Wir uns also gnädiglic-h. Gegeben zu Düsseldorp 11. Oktober 1563. Hierauf folgt Antwort des Rathes. Durchlauchtiger Hochgeborner vermögender Fürst, gnädiger Herr! E. F. G. seien unsre willigen Dienste allezeit zu vor und bereit. Gnädiger Fürst und Herr! Als E. F. G. jetz verlittenen Monat Oktobris allhier zu Essen an unsern Bürgermeister gnädiglich Gesinnung gethan, uns und unsere Gemeine im Guten zu wissen und zu unterrichten um eine kurze Zeit, (als bis nach dem gehaltenen Tage, so E. F. G. damals thaten ernennen zwischen der Ehrwürdigen unsrer gnädigen Frau Abdissin des Stifts Essen sammt ihrer Gnaden Kapitel und Canonichen eines- und uns von wegen unsrer Stadt und

117 Gemeine andernteils, nemlich den Montag für Simonis und Jndä, sicherst darnach,) das Predigen göttlichen Wortes, so etliche Zeit her durch einen bestellten gelehrten Prediger bei uns geübt und das etzliche Jahre bisher gebrauchte deutsche Kirchengesänge und nicht länger, stillzuhalten, mit gnädiger Vertröstung E. F. G. würden mit göttlicher Gnad christlich gute Vorsehung geschehen lassen, damit die Misshell und Gebür (als wolgedachter Abdissin Kapitel und Canonichen wider uns zu haben sich angenommen und vermeintlich geklagt,) gütlich hingelegt. Besondern auch, dass E. F. G. gnädiger Insehung wollen thun widerfahren, dass wir und unsre Gemeine wider unser Gewissen in Sachen der christlichen Religion nicht sollten beschweret werden, welchem E. F. G. gegebnen gnädigen Bescheide und löblicher guter Vertröstung wir billig unterthänig E. F. G. zum höchsten danksagen. Und da unser gedachter Bürgermeister (als dem in solcher unsrer allgemeinen Sache, allein aus sich selbst jetzt einzuräumen nicht zuständig gewesen,) uns als voriges Sonntags erzält, haben sie und wir nicht mögen unterlassen solchen E. F. G. gnädigen Bescheid unsrer Gemeine fürzutragen, folgends wir alle, einmal bei der Gemeine das gar schwerlich zu erhalten gewesen, E. F. G. als unsern gnädigen lieben Schirmflirsten und Herrn zu Ehr und unterthänigsten Wolgefallen gehorsamet. Aberst, gnädiger Fürst und Herr, es haben sich die zugegen wesende von wegen der Abdissin Kapitel und die Canonichen uf kein Vergleichsmittel schicken noch bewegen lassen, sondern unerfindlicher zu der Sache wunderlicher langufhaltender Worte und gar unerheblicher Anzeige sich unterstanden zu ihrem Fürmeinen zu gerissen. Darauf wir dann beständigen Gegenbericht gezeiget dagelegt und bewiesen haben, als E. F. G. hochweise Räthe so darzugegen solches allenthalben angehört und gesehen, E. F. G. ohne Zweifel vermeldet. Und was nu, E. F. G. Räthe für gütlich Mittel fürgeschlagen, dass wir die gemelte Religionssache prorogiren wollten und bis auf E. F. G. jetzigen anstehenden Landtag zu Dinslaken angesetzt, haben wir an unserm angewendten Fleiss was zu Gutem uud Einigkeit dienlich, uns nichts lassen verwinden. Aberst in weitrer Ufhebung und Verlängerung ihres gebrauchten christlichen Gottesdienstes, also für und für zu verwilligen findet sich endlich unsre Gemeine zum höchsten beschwert. Besondern da sie öffentlich vernommen, dass auch der Widerteil keine Scheu getragen anzugeben was wider unsrer Stadt habende besitzliche Gewohnheiten, deren wir und unser Vorfahren von alten Zeiten und für aller Menschen Gedanken in steter Uebung und Gebrauch gewesen und noch, auch

118 mit kraft unsrer vom Römischen Kaiser und König unserm allergnädigsten Herrn hohen und gegebnen und konfirmirten Begnadungen und Privilegien etc., daher wir uns uf dieselben gezogen und referirt, mit Erbietung, ob sie damit nicht erbötig, (des wir uns wenig versehen wollen,) dass wir bereitwillig sollen und wollen sein, zu jeder Zeit uns gegen sie, uf Anklage, wie recht an das hochlöbliche kaiserliche Kammergericht, uns so viel wir schuldig, zu verantworten. Bevor ab sein wir herzlich und unterdienstlich E. F. G. als unserm gnädigen lieben Schirmherrn alle schuldige Pflicht und Gehorsam in allerwegen und Zeit zu erzeigen geneigt und geflissen, und wir sollen mit Wahrheit zu E. F. G. also gesinnet zu sein gespürt werden. Hierum, gnädiger Fürst und Herr, E. F. G. rufen wir an mit untert ä n i g e n Bitten um Gottes willen, die wollen Gottes Ehr aufs höchste sammt der Seelen Seligkeit und ewiges Heil fürstlich und gnädiglich beherzigen und uns und unsre Bürger (dero gnädiger gegebener Vertröstung nach,) gegen ihr Gewissen nicht beschweren lassen, sondern die Religion der heilsamen Augsburgischen Konfession gemäss gnädiglich in unsrer Pfarrkirchen gestatten und dero nicht zu wider sein wollen. Auch als ein christlicer Fürst fürstlich und gnädiglich uns mit Schirm und Schutz nicht verlassen, auch wolgedachte Abdissin und Kapitel zu friedlichem Wesen genädig thun weisen uns unsrer Stadt Gerechtigkeiten, wie billig, geniessen zu lassen, gleich als wie wir ihre habenden Gerechtigkeiten uns mit nichten unterwinden wollen. Dieses soll E. F. G. (zu dem dass es ein berühmt gut christlich Werk und dem Allmächtigen nichts angenehmer ist,) zu sonderlicher guter und glückseliger Regirung, auch zeitlichem und ewigen Gedeihen und Wolfahrt ohn Zweifel verreichen. Wir wollen auch massen aller Pflicht schuldigen Gehorsams uns nichts erwinden lassen, an all unserm Vermögen Leibes und Gutes solches in allezeits zu verdienen und beschulden um E. F. G., kennet Gott, der E. F. G. in christlicher, fürstlicher und langdauernder Regirung zu seiner göttlichen Ehre und der Gemeinden Seligkeit mit Gnaden fröhlich und gesund bewahre. Geschrieben unter unsrer Stadt Sekret. Siegel am 2. November 1563. E. F. G. gehorsame Schirmsverwandte Bürgermeister und Rath der Stadt Essen. Hierauf erfolgte nachstehende Antwort aus Dinslaken. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue! Uns ist von unsern verordneten Rathen,

119 was die Ehrwürdige wolgeborne unser liebe Nichte Abdissa zu Essen und ihr jüngst of dem gütlichen Verhör fürgegeben und begehrt auch beiderseits von Schein und Beweis ubgelegt, unterthänige Relation und Bericht gethan und demnach euer Schreiben ausgeantwortet worden, und haben ungern vernommen, dass nicht allein die gütliche Handlung zerschlagen, sondern auch dass ihr die gnädige von uns selbst euch letztmal gethane Erinnerung und Eröffnung nach, unser Räthe vertrecken und von unserer wegen begehrten Stillstand von euch noch mehr fürgewant, därbei eures ferner Verlop und Widerungen (die sonst damit zu besorgen,) fürkommen. So sehen wir für gut an, dass nochmals mit angehobner Neuerung und eurem Fürnehmen stillgestanden und ihr unsern gnädigen treuen Rath (darmit wir uns jederzeit geneigt,) nicht ausschlaget. Was wir dann gnädiglich gemeint zwischen gedachter unsrer Nichten Abdissin und euch Widerhandlungen am förderlichsten fürnehmen und durch Gnade des Allmächtigen, alle schädliche Uneinigkeit fürkommen zu lassen. Welches wir euch gädiger Meinung nicht wollen verhalten. Gegeben Dinslaken den 7. November 1563. Hierauf geben sämmtliche Bürger eine notariell abgefasste Erklärung an die Herzoglichen Räthe: Ehrbare Ehrsame vorsichtige sonders günstige und gebietende Herrn! Euer Erb. sei Gnad und Friede bei Gott dem Vater durch Jesum Christum unsern Heiland und unser williger Gehorsam an aller Zeit zuvor. Gebietende Herrn des durchlauchtigen hochgebornen vermögenden Fürsten und Herrn, Herrn Wilhelms zu Cleve Jülich und Berg, Grafen zu der Mark und Ravensberg Herrn zu Ravenstein etc. unsern genädigen Schirmfürsten. Wie durch Schreiben so ihre F. G. unter dem Dato des siebenten jetzigen Monats an euer Ehrb. usgehen lassen, welches von euer Ehrb. uns uf Donnerstag den 11. desselbigen Monats mit ihrem Nebenbericht vorlesen und angeben thun, haben wir gehorsamlich angehört (Inhalts so unnötig zu verhalen,) und verstanden. Und dieweil wir darauf Bedenken begehrt, das uns auch vergünstigt, wollen wir euer Ehrb. jetzo so viel an uns und bei uns ist nicht verhalten, dass wir nicht zweifeln euer Ehrb. haben gut Wissens, wie viel Jahre her und wir dann und manchmal wir sämmtliche gemeine Bürger von selbst und auch sonst durch unsre Fürständer bei E. Ehrb. Vurfadern einesteils ja bis an E. Ehrb. selbst haben thun bitten und anhalten doch durch einen zeitlichen Rath unsrer Stadt Essen, als unsrer christliche verordnet

120 Oberheit günstige und fleissige Vorsehung geschehen möchte, damit wir arme, Ehrb. Herrn deren gehorsame Mitbürger ein klein Brosamlein göttlichen Wortes und das Nachtmal nach Christi Insetzung gereicht und mitgeteilt werden möchte, wie es doch oben und benahe (?) ja ringweis um uns her zugelassen und usgeteilt wurde. Denn dass wir, Gott Lob, selbst wüssten, dass es so recht und vom Herrn Christo, so eingesetzt so befohlen, und wir darum ohn schwerer Verletzung unsrer Consciention, des nicht länger entrathen noch müssig gehen möchten und dass wir auf all solche malfältige Bitte auch viel Jahre her gütlich vertröstet, dann noch wider unser aller Gewissen nicht allein nicht verholfen, sondern auch als ob es eine verdammte Lehr und ketzerische Sache darüben gehalten sein, das Gott erbarm. Aber dieweil das theure und helle Wort Gottes nicht mögen verborgen bleiben, noch länger im Dunkeln schweben und der Allmächtige die Seinen zu verordnen und zu erhalten, auch die Zeit zu geben weiss, wie wannher und durch welche das hier ausbrechen soll und durch seine Gnade immer darin seiner Gemeine diejenigen allezeit gehabt und erhalten, die in obbemelter Bitte und Anhaltung standhaftig geblieben, hat Gott zuletzt seiner gnädigen Verheissung nach: petite et dabitur vobis! gnädiglich verfügt, dass auch unter Euer Ehrb. diejenigen erweckt und angekommen, so Gottes Wort geliebt, das verstanden und darum ermessen können, dass unsre Bitten nicht allein recht, sondern auch christlich und billig und derowegen dem gelehrten Sprüchwort nach: Quod justa petenti non sit denegandus assensus; uns solche christliche Bitt nicht länger abschlagen mögen, sondern des innerlichen Gewissens halber uns vertrösten mögen. Das E. Ehrb. nach Hilf des Allmächtigen unsern Bitten nach das also verfügen und geschehen lassen wollen. Darnach E. Ehrb. um also sämmtlich durch Gott gelehrt und getrieben sein heiliges Wort zu befördern und darum dass es je ohn Unwillen angehoben zu gehen und danach christlichem Befellich nach in den rechten Zwang gebracht werden soll, haben wir den vernameten Pastor zu St. Gertrud Henrichen Saldenbergius zu mehrmalen in aller Güte angemutet, dass er doch, wie einem wahren Pastor wol anstände, Gottes Wort lauter und reine lehren und denjenigen, so das begehren, das Nachtmal nach Christi Insetzung mitteilen sollte. Ob er nun das zum Teil wol so angefangen auch etlichen der unseren das Nachtmal erzälter massen gereicht, hat er doch letzlich aller Dinge und ohne Grund abgeschlagen und zu thun sich gewidert. Ja was Hoffens Bittens und Flehen wir durch E. Ehrb. und einer

121 ganzer Gemeine darum gethan und angewendt in Hoffnung es sollte stattgewonnen und den Widersachern ihr Herz eröffnet haben, damit sie der Wahrheit Beifall gethan und die gestattet, ist unnötiglich, (ohn dass es uns jetzo leid,) herzusetzen, könne aber zu seiner Zeit genugsam an den Tag gegeben werden. Dieweil denn Christus selber spricht: nemo qui manu sua admota aratro respexerit a tergo aptus est regno dei, und E. Ehtb. daneben und mit uns die Hand also an den Pflug gelegt und indem keine um sein mehr statt haben willen, auch hier bei uns unter so vielen vermeinten Geistlichen leider nicht einen wahren und rechten Pfleger oder Lehrer gehaben mögen, so ist erfolglicht, dass mit E. Ehrb. wir hinwiederum E. Ehrb. mit uns einträchtigen Ueberkommen, dass ein gelehrter frommer Lehrer und Prediger bestellt werden, welcher Gottes Wort rein lehre, die Sakramenta nach Christi Befehl administriren und also mank uns angehörten Christen die Kirche Gottes bauen und pflegen sollte. Mit dem Anhang, dass wir so Gott wollte ohn welchen wir nicht vermöchten bei demselben reinen göttlichen Worte und rechten Gottesdienste festlich bleiben, und an dem uns nichts irren lassen wollten, wie wir Gott Lob noch gemeint sind, als E. Ehrb. das zu mehrmalen gehört uns desgleichen wiederum verständigt haben etc. Nachdem wir denn nun durch Hilfe des Allmächtigen all solche werthe Leute, die uns Christi Wort und den Willen seines himmlischen Vaters recht lehren und den wahren und rechten Gottesdienst anzeigen und uns des berichten bekommen und also die arme Kirche Gottes gerne bauen wollten. Haben E. Ehrb. als die Wolverständigen abzunehmen, dass dem Erbfeind göttlichen Wortes und der christlichen Kirchen das nicht wenig verdrossen, und darum mit aller seiner Helfer Hilf uns zusetzen, allen Verdruss und Unwillen uns zufügen, erwecken, erregen thun, Satanas leo rugiens quaerit, quem devovet, um uns gehen und allen Unmut stiften wird, das wir leider gar jetzt befinden. Dass wir darum kleinmütig, erschrocken sein und Hinderung sehen gar von dem erkannten göttlichen Worte (damit wir hier in der Welt Frieden haben und unbeschwert leben möchten,) wiederum abfallen sollten, das sei ferne von uns. Denn also die ganze Schrift: Quis enim animam suam voluerit salvam facere, perdet illam; qui vero perdiderit animam suam propter me, is salvam faciet illam. Darum wollen wir ob Gott will den Spruch Petri nachbeten, wachen, nüchtern sein und bei Gottes Wort festlich bleiben, dem gekreuzigten

122 Christus für den rechten Hirten bekennen und das Kreuz so uns von Gott derowegen uferlegt und vermutlich uferlegt rnöeht werden geduldiglich annehmen tragen und dem Teufel, als unserm Erbfeind und allem seinen Anhange im festen Glauben, der uns hilft überwinden, widerstehen. Denn wie schwerlich und verletzlich uns das an unsrer Consciention sein soll, dass wir dem erkannten Christum und seinen Willen wiederum leugnen und mit Gott und seinem angefangnen Worte stillhalten und rückstehen sollten, dieweil wir in der Schrift lesen: Qui enim negaverit me coram hominibus et negabitur coram angelis dei, ferner: Ille autem servus, qui cognovit voluntatem domini sui et se non praeparavit nec fecit secundum voluntatem ejus plagis vapulabit multis, haben alle fromme Christen zu beherzigen und zu bedenken, darum der allmächtige Gott uns in Ewigkeit davor behüten wolle. Dass nu auch unsere Widerteile bei hochvermeltem Fürsten unserm gnädigen Herrn sich unterstehen uns inner wenigen Tagen mit vermeinter Anzeigung, dass wir Verneuerung anzufangen vorhaben, und noch täglich weiter verneuern sollten, wie das aus Hochgedachten Fürstens Schreiben nicht allein, sondern auch aus Gegenteils Geplerr leichtlich zu verstehen, und dieselben Ihrer F. G. als solche Neuerung mit gnädigem Rathe beruhen zu lassen und darin still zu halten flir gut hält und ansiehet etc., darauf geben wir für Antwort, dass wir überall mögen sonders das aller Edelste (?) und eben das Gottes Wort, so Gott Vater dem ersten Menschen im Paradiese verkündigt und gelehrt, und also von der Zeit bis noch, (wiewol leider ein lange Zeit her durch Menschen dichten verdunkert,) bei seiner lieben Kirchen behalten hat und so fort an in Ewigkeit blieben ist, uns lernen, predigen und in dem allen und in keinem andern uns unterrichten lassen. Ob aber menschliche Satzungen darzu gethan und auch sonst allerlei unrichtiges in der Kirche mit eingeschlichen, dass welche Gottes Worte öffentlich zu wider und darum von uns hinderlassen, und allein op das Wort gesehen werde, kann uns von niemand, als dass wir darmit Verneuerung vorhaben und anrichten sollten, mit gesunder Consciention nicht ufferlacht noch zugemessen werden. Darum wir auch als vorgemelt ohn gross Beschwer unsers Gewissens von demselben alten und alle Zeit bei der rechten Kirchen gewesenen Gottes Wort nicht abstehen noch still halten mögen. Dass dieselben Gegenteile auch uff uns dichten, als sollten wir obernannten vermeinten Pastor Saldenbergium aus St. Gertrauden

123 Kirchen ausgestossen, und einen andern unsers Gefallens darin gesetzt und eben damit vermeinen den Fuchs gefangen zu haben und zu beweisen, dass wir doch der hochwiirdigen und wolgebornen frauen Abdissin des kaiserlichen weltlichen Stiftes Essen darmit in ihre G. Hoheit ingegriifen den Canonichen ihre Collation benommen und also die Neuerung am Handhaben sollten etc. Ohne dass wir noch zur Zeit mehr wissen, dieweil die Gemeinde Gottes Kirchendiener zu erwälen Macht hat, wie das Dekret des Nizänischen Concils 1. tit. vermeldet und die Exempla beider der Apostel und alten Lehrer das auch beweisen, und darin wenn die Oberheit die zu bestätigen sich widert, von der Gemeinde konfirmirt und ingesetzt werden mögen, wie die Exempla Christi: J o ; Baldt. und der Apostel das bezeugen und dass es die geistlichen Satzungen mit Verlierung das der Patronen Macht auch zulassen. Warum wir jedoch E. Ehrb. ohn mittel von unsern wegen in dieselbe Kirche, wenn er derselben so darin Kirchendiener sein sollte, seine Schafe mit Rechte weiden wollte, noch könnte, oder aber sonst seines vermeinten Eides halber nicht dürfte und also ein Mieding sein und die Schafe dem Wulfen zum besten gebend, welche keinen andern bequemern und treuem Lehrer nicht solten mögen insetzen etc. So können wir doch noch mit demselben, das mit E. Ehrb. Zuthun, Hilf und Verlaupnis wir einen wahren und bewährten Predikanten darinnen geordnet der drei Punkte keine, 1) als dass wir den Saldenbergium Verstössen, 2) oder der Frauen Abdissin in ihre Hoheit ingegriifen, 3) oder aber den Canonichen ihr jus und Collection genommen, nicht überzeugt werden. Denn wenn beide die Frauen Abdissin dar einige Hoheit und die Canonichen darzu recht hätten, das wir in dem Fall noch nicht gestehen, sondern dieselbe Kirche für unsre gemeine Bürgerkirche, die wir auch in dero Zuthun in esse warten müssen, halten, so erfolgten doch us dem ersten unwaren (als dass wir den Saldenbergium nicht verstosset) die andern zwei Punkte auch unwahr, als sie sich dann auch allezeit finden sollen. Denn Gott der Allmächtige weiss und soll das in Ewicheit unser Zeugniss sein, dass wir einer Hochwürdigen Abdissin, noch ihrem ehrwürdigen Kapitel Stifte, noch all dessen Anhange ihrer Hoheit, der ihrer F. G. hat, Gerechtigkeit, Freiheit, Zynsgülde, noch Rente nicht zu vernachteiligen noch im einigen zu verengern gedacht, viel weniger j e zugefügt haben, wie auch noch nicht. Wir wollen uns mit Gott das allezeit zu erinnern wissen, dass

124 wir schuldig, wie Christus spricht:

reddite ergo quae sunt caesaris

caesari, et quae sunt dei deo, demselben also nachkommen. Dargegen müssen aber ihrer F. G. wiederum gnädig bedenken, dass die wie auch keine Oberheit in der Religion und Glaubenssache, keine Hoheit Gericht

noch andre Insaggens haben, wie

alten und neuen Freiheiten

genugsam

beweisen,

ohn

das

unsre

dass Christus

selber spricht: regnum meum non est ex hoc mundo, und darum dem Allmächtigen nichts zu nah grieffen noch uns armen Christen unser Gewissen beschweren mag etc. Dass euer Ehrb. aber mit jenem Saldenbergio

so gelinde

ge-

handelt und demselben zu mehrmalen in dero Guten angesacht, dass er,

ob er wol

in derselben Kirche St. Gertrudis entweder so froe,

oder aber so spät seine Ceremonien halten soll, dass unser Predikant seinen Sermon

und das Nachtmal des Herrn

und austeilen möcht, nommen,

mit dem

noch verhindert,

wäre

ihme

viel weniger

zu rechter Zeit halten warlich noch nichts be-

dass er darmit Verstössen.

Aber eben mit dem hat er sich selber entsetzt, dass er deren beide keine erwälen noch annehmen, sondern mit seinem vermeinten und stolzen unbesinneten

ufgeblasen mutwilligen Keifen

. . . .

den Predi-

kanten und uns allen an dem rechten Gottesdienst verhindern wollen, welches Gott nicht gestatten wollen,

ohne

dass es auch bei keinem

Eurer zu dulden gewest, noch werden kann etc. Es wissen euer Ehrbarheiten auch mit was öffentlichen Lastermalen derselbige Saldenbergius beflecket,

die doch hier unnötig zu

specificiren, wenn aber offene Lästermäuler, Weinsäufer und Hurer, Pastores oder Bischöfe sein mögen,

so haben St. Paulus und St. Pe-

trus in die geistlichen und selbstgemachten Recht,

die da sprechen,

dass kein sträflicher Vortheller Richter sein möge, eines andern Lasters oder Glaubens. Item, dass die Geistlichen sündliche Laster treiben,

so unzüchtig sein, huren und andre

sollen ihres Amptes entsetzt werden,

un-

recht gelehrt und geschrieben. Dass nun der fromme Arnos aus der Kirchen gelassen falschen Priester Platz darin haben sollten, wie bisher, Gott erbarmen; wir

wollen aber E. Ehrb.,

fleissiglich

und die

das

müsst

ermahnt und

gebeten haben, die wollen die Sache besser bedenken und mit denjenigen,

so die Schaf nicht weiden und die Wulle gern haben woll-

ten, uns nicht beschweren.

Wollen

etwas von der Wullen mithaben,

oder sollen sie j e zuletzt noch

das wir E. Ehrb. noch dieser Zeit

heimgeben, das aber die wöllt ihnen aus Gunsten schenken etc.

125 Und mit diesem allen haben wir mit nichte oder keine Verneuerung vurgenommen, vielweniger dass wir derhalben mit Billigkeit beschulden, noch darmit still zu halten genöthigt werden mögen, wollen darum nochmalen bei enniger und allezeit gethaner Bitt gegebner Antwort und ufgerichtetem Bescheid halten und bleiben, willt Gott etc. So viel um Hochernantz unsers gnädigen Fürsten und Schirmherrn gnädigen erbietend, als dass dieselbe gnädiglich gemeint zwischen der F r a u Abdissin etc. und E. Ehrb. Wiederhandlung am förderlichsten vorzunehmen belangen thut: Wiewol uns die Gebrache nicht eigentlich bewusst und aber die Abdissin mit dieser Religionssache j a nichts zu thun hat und derwegen viel T a g e Leitung zu halten unnötig etc. thun ihrer F. G. wir doch so viel es uns gemeine Bürger betreffen möchte des u n t e r t ä nigen demütigen und herzlichen Dank sagen, mit Erbietung um ihrer F. G. das mit Leib, Gut und Blute allezeit zu verdienen. D a es aber unsre Stadt Essen und deren Höh- und Freiheit antrifft in dem sind, E. Ehrb. unser aller Furstender deren Willen wir uns treulich und wol vorzusehen und nichts davon verkommen zu lassen bewollen und ermahnt haben an der emsigen Bitt, E. Ehrb., uns in diesem vorerzälten, so doch göttlich und recht mit begehalten, darvon nicht abstehen und den hochermelten unsern gnädigen Schutzund Schirmfürsten neben und mit uns unterthänig und demütig um Gottes und Gottes willen bitten wollen. D a s s ihre F . G. (als ein hochgeborner milder christlicher Fürst, et pater patriae, die doch des göttlichen Wortes hohen Bericht) in I. F . G. selbst eignem gewissenlichen Insehen sich gnädiglich bedenken und darum sich in deren Gewissen und deren Religionssachen über uns seine arme Schirmsverwanten nicht verungnädigen, zu Zorn bewegen, denn viel mehr aus fürstlicher angeborner Mildheit unser Gewissen uns frei lassen, auch demselben nach unsern Gegenteilen alle ihre Anbringen gegen uns unerhört unbefundner Sachen, nicht so starken Glauben geben, sondern gnädig gedenken wolle, dass es unsere Viande etc. Wannher aber ihrer F . G. uns etwas anderes et in polliticis aus Gnaden anmutete, das nicht der Religion und unserm Gewissen zuwider, und doch gleich Leib, Gut und Blut darbei ufsetzen sollten, in dem wollten ihrer F . G. ganz gern Gehorsam leisten, wie wir uns des allezeit erbieten thun. Aber in diesen so Gott und seinem Wort und unserm Gewissen entgegen und zu wider, folgen wir dem Spruch Petri und J o h a n n i s :

126 Obedire oportet magig deo quam hominibus, so wissen ihrer F. Gr. sich auch gnädiglich zu erinnern was der Reichs Abschied anno 1555 in der Religionssache ufgericht unter andern jeden zu lassen, demselbigen wir uns desfalls mit unterworfen und an den derowegen ufgerichteten Frieden mit berufen haben wollen, der unterthänigen Zuversicht I. F. G. werden uns hierüber nicht beschweren, noch gestatten von jemandz derhalben beschwert zu werden. Das eurer Ehrbarheit wir also zum entlichen Bericht und begehrter Antwort nicht haben verhalten mögen und sein deroselben die Gott allmächtiglich bei seinem Worte standhaftiglich erhalten, lange Gesundheit und uns christlich zu regiren gefristen wolle, schuldigen Gehorsam zu leisten willig. E. Ehrb. gehorsame Vier und zwanzig Gildenamt und Bürgermeister sammt ganzer gemeiner Bürgerschaft der Stadt Essen. Diese gegenwärtige Kopie inhaltend fünf Blätter ist geschrieben und unterschrieben durch mich Everhardum zom Bagen von kaiserlicher Macht ein freier offener Notarius und vergelicht sich von Wort zu Worten mit ihrem Original dat Ich beztige mit dieser meiner eignen properlichen Hanschrifft. Hierauf erfolgte als Antwort: Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ehrsame liebe Getreue! Wiewol wir auf euer an uns jüngst gethane Schreiben, nach angehörtem Bericht und Relation der gütlichen Handlung, so in letztverrückten Oktober vor unsern verordneten Rathen zwischen der Ehrwürdigen wolgebornen unsrer lieben Nichte Abdissin und deren Kapitel allda zu Essen eines und euch andernteils ergangen an euch wieder aus unsrer Stadt Dinslaken in Antwort gnädiglich gelangen lassen; Dass bei uns für gut angesehen mit euerm Fürnehmen stillzustehen und unsern gnädigen Rath zu folgen. Denn wir gemeint, friedlichem Wesen zum Guten weiteres darin gnädiglich handeln zu lassen, der Zuversicht, ihr dem also gutwillig nachgekommen sein sollten. So werden wir doch glaublich bericht, dass ihr in diesen Sachen gleichwol fortschreiten und wolgedachte Abdissin und ihr Kapitel sich des am höchsten beschweren und beklagen thun. Dieweil wir nn diesgnädige Fürsorge tragen, dass euch und euren Bürgern hieraus allerlei beschwerliche Widerung balder denn vermutlich, aus Ursachen, die vielleicht bei euch nicht erwogen werden, erfahren und begegnen könnten, die wir lieber zeitlich abgewendt sähen.

127 So ist unser gnädiges Gesinnen und Meinung, von der Euren den

vy t e n

gegen unsrer lieben Frauen

nächstkommenden

dass ihr etliche

durch Commission (??)

Monats Dezembris den Abend allhier

binnen unsrer Stadt Düsseldorf inzukommen schicken und den folgenden Morgen unser gnädiges Bedenken anhören, welchergestalt diese Sachen ohn Beschwerung christlich Gewissens uf leyderliche Wege zur Vermeidung weitern beschwerlichen Verlaufs gericht und unterfangen und gute Eintracht

in diesen gefährlichen Zeiten erhalten

werden

möge; verlassen wir uns also. Gegeben zu Düsseldorf den 22. Novb. 1563. Mittlerweile

hatte sich aber

des Herzogs Wilhelm schon an gewendet

und denselben

von Kempen gebeten, schwichtige

den Pfalzgrafen

an den Rath

Trostbrief eine Stelle

von

Zweibrücken

derselbe

die Unruhe in der Stadt be-

sein Ansehen die Ordnung wieder herstelle.

Zugleich mag ein von Hesshusius, aufhielt,

zu Essen ohne Wissen

um nochmalige Ueberlassung des Heinrich

damit

und durch

der Rath

der um diese Zeit in Wesel sich

und an die Gemeinde zu Essen geschriebner finden.

Der Rath zu Essen hatte sich

schon

im Jahr 1563 an Hesshusius um sein Gutachten über einen Prediger gewandt. Supplikation an Herzog von Zweibrücken um Verleihung seines Predigers Heinrich von Kempen auf eine Zeitlang: Durchlauchtiger Hochgeborner Fürst und Herr!

E. F . G. zu je-

dem schuldigen unterthänigen Gehorsam jeder Zeit bereit und immer Gnädiger Fürst und Herr. und ganze Gemeinde der

E . F . G. geben wir Bürgermeister,

Rat

alten Reichsstadt Essen hiermit unterthä

nigst zu erkennen, wie dass wir durch Gnade des allmächtigen und ewigen Gottes längst der grausam greulichen, irrigen und verdammten bapistischen Lehre Missbräuchen,

sammt allen

dero anhänigen

menschlichen Traditionen

oder Irrlehren,

abgöttischen Satzungen,

so leider eine lange Zeit, nicht ohne grossen Schaden und Nachteil vieler Menschen, eingerissen, nach Erkenntniss des theuern heiligen und allein seligmachenden Wortes,

in unsrer Kirche abzuschaffen,

und dargegen das lautre, reine und ewige Wort Gottes, den wahren Brauch der hochwürdigen Sakramente

und rechten wahren Gottes-

dienst Augsburgischer Confession gemäss, anzunehmen und in unsrer Kirche öffentlich predigen zu lassen,

in Sinn genommen.

So sind

wir doch durch mancherlei (?) und vielfältige Impedimenta, Hindernisse und Obstakula,

so die alte Schlange eingeworfen an solchem hohen

theuern und trefflichen Werke,

nicht ohne unser

grosses Herzleid,

128 Betriibniss und Widerwillen bis auf die verschwundene (?) Ostern aufgehalten und verhindert worden, also dass wir uns vielfältige Opinionen, Rotten und Sekten in unsrer Stadt zu besorgen gehabt und ein kläglich Seufzen, Heulen und Weinen (E. F . G-. ohn Ruhm gemeldet) zu Gott dem Vater unsers Herrn und Heilandes J e s u Christi geschehen und uns der allmächtige ewige Gott zu letzt mit Gnaden angesehen, natürlich erhöret und das längst vorgehabte hohe theure und treffliche Werk durch E. F . G. Diener, unsern lieben Herrn Bruder und Landsmann, Herrn Henrikum Kempensem (derweil er aus gnädiger und fürstlicher Yerwilligung E. F. G. in sein Vaterland und Grenzen notwendig verreiset und unsre Kirche in der Reise versorgt und begriisst) angefangen, und dermassen zu Werk bracht, dass es dem leidigen Teufel sammt allen seinen Werkzeugen sehr leid gethan und von Herzenleid gewesen. Nu aber gnädiger Fürst und Herr mangelt es uns an dem, dass wir noch zur Zeit mit gottseligen gelehrten und der Kirche dienstlichen Personen, die Gottes Wort mit treuen Männern Gottes, mit unsträflichem christlichen Wandel beleben und fördern wollen und aller Dinge mehr versehen; auch in diesen geschwinden Läufen und gar gefährlichen Zeiten in welchen christliche fromme und gelehrte Predikanten so beständig und E. F. G. aus hohem fürstlichen Verstände wol ermessen, sehr theuer und selten zu erfinden, nicht jedem Geiste zu glauben und fremde unbekannte Personen leichtlich ufzunehmen und dem Kirchendienste fürzustellen: So gelangt an E. F. G. unser unterthänig Bitten, laut und um Gotteswillen, die wolle aufs höchste Gottes Ehr, Förderung seiner Gemeinde, die Seligkeit und ewiges Heil vieler Menschen fürstlich und gnädiglich beherzigen aus fürstlicher angeborner Güte, Gnade und Müdigkeit gedachten E. F. G. Diener in E. F . G. Stadt Castellaun, Herrn Henrikum Kempensem (des Lehr und Wandel und angebornes Ideoma oder Eigenschaft zu reden uns dieses Orts wol bekannt) eine Zeit lang, bis wir uns um dienliche Personen mit Rath gottseliger Leute bewerben und umsehen mögen, um Gottes willen bei uns zu sein gnädiglich erlauben und gestatten, damit dem leidigen Pabst gewehrt, alle falsche Lehr, aller vermeintlicher Gottesdienst ausgerottet, vertilget und zerstöret werde; daneben auch alle Rotten, Sekten und irrigen Opiniones aus Gottes Wort gestraft, widerlegt, verdammt und vermeidet werden, und also die lautre reine prophetische und apostolische Lehr laut der Augsburgischen Konfession und deren Apologie, rechter reiner und wahrer Brauch des hochwürdigen Sakraments nach Christi unsers Herrn und Heilandes Institution, Ordnung

129 und Insetzung zu Gottes Lob und vieler Menschen Heil und Seligkeit in unsrer Kirche getrieben, gepflanzt und durch Gottes Gnade erhalten werde. Solches zu E. F. G., als der wahren christlichen Religion des reinen Wortes und rechten Gottesdienstes erhabnen Mäcenaten, Liebhaber und Patronen, wollen wir uns unterthäniglich in ganzer Zuversicht vertrösten, und gegen E. F. G. mit schuldigem Gehorsam und E. F. G. Unterthanen mit geneigtem Vermögen hintwiederum zu beschulden und verdienen unterthänig zu jeder Zeit geflissen, willig und geneigt sein. Damit Gott allmächtiglich diese E. F. G. in christlicher fürstlicher lang währender Regierung zu seiner göttlichen Ehr und der Gemeinden Seligkeit, mit Gnaden frölich und gesund friste, E. F. G. gnädige und tröstliche Antwort und dringlich bittend. Mit vorstehend unsrer Stadt Sekret. Siegel, den wir mit unser aller Wissen und Willen unter Aufsparen dieses Briefes haben thun drucken. Anno ein Dusent vifhundert drei und sechzig am XXIten Dage Octobris. 1563. 27. Oktober. E. F. G. unterthänige Supplikanten Bürgermeister, Rait und ganze gemeynde der Reichsstadt Essend. Gottes Gnade und Friede durch Jesum Christum, seinen eingebornen Sohn, unsern Herrn und Heiland und ewigen wahrhaftigen Helfer, sammt Erbietung meiner willigen Dienste und christlichen Gebets zu vor: Ehrsame, flirsichtige und weise günstige Herrn! Der Sturm und Anfechtung, so E. E. W., wie ich berichtet werde, darob begegnet, dass dieselbe sammt eurer löblichen christlichen Gemeinde die heilsame seligmachende Wahrheit des Evangelii von Herzen angenommen, vom lästerlichen Antichrist zu Rom und seinen pabistischen Gewebe (?) sich abzusondern und zu dem heiligen frommen Gott Jesu Christo und 1) Tilemann Hesshusen, eifriger lutherischer Theolog, der zu Nieder-Wesel am 3. November 1527 geboren, wegen seines grossen Eiferns für die reine lutherische Wahrheit nirgends lange bleiben durfte,

war 1650 Magister an der Uni-

versität Wittenberg, dann Pastor in Goslar, in Rostock, Professor in Heidelberg, dann Pastor in Bremen,

Superintendent in Magdeburg 1561,

von da wieder

vertrieben flüchtete er nach Wesel, wo er bald wegen Herausgabe einer Schrift: „vom Unterschied zwischen der wahren katholischen Lehre der Kirche und zwischen den Irrthümern der Papisten und des römischen Antichrists", vom Herzog von Jülich i. J . 1564 wieder vertrieben ward. diejenige gewesen zu sein,

Dieselbe scheint unzweifelhaft

welche er im folgenden Schreiben dem Magistrat in

Essen zuschickt.

9

130 seiner geliebten auserwälten Kirche und Spons mit öffentlichem Bekenntniss der Wahrheit begeben und versuchet, ist in meinen Augen ein gewiss Zeichen, dass Gott bei E. E. W. angefangen seine Kirche zu bauen und eine neue wieder einzusammeln. Dann dass Gott einigem Land oder Volke sein Wort ohne Anfechtung gegeben habe, wird nirgend in der heiligen Schrift, auch in keiner bewährten (?) Historien gefunden. Vielmehr heisst die Regel also: Durch viel Trübsal müssen wir gehen ins Reich Gottes. Derowegen wollen E. E. W. nicht kleinmütig darob werden, dass derselben ziemlich zugesetzt würde von denen, die der Wahrheit keinen Brauch haben, vielmehr wollen E. E. W. dabei spüren, dass der fromme Gott E. E. W. mit dem Wort der Gnade beseliget hat, dem der Feind unsers Lebens zuwider ist und gern verhindern wollte. Wollen aber auch nicht zweifeln, der heilige und wahre Gott zu dem Ihr euch bekennet, des Wort Ihr angenommen, wird E. E. mit göttlicher Kraft beistehen und wird verleihen, dass die Liebe seiner Wahrheit von Sieg zu Sieg euch helfe und klarer bei euch scheinen wird. Nur dass E. E. W. an dem christlichen Gebete emsig und fleissig anhalte, dem almächtigen und wahren Gott vertrauen (?) und vom heiligen Evangelio sich nicht trennen lassen, und E. E. W. werdens erfahren, wie Gott so wunderlich seine Kirche führe und erhalte und wider die Pforte der Hölle schütze. Weil dann auch E. E. W. jetziger Pfarrer und Seelsorger Gottes Wort ohne menschlichen Zusatz fleissig führe und dem Volke für recht gebe (?), wie ich mit grosser Freude vernommen und deswegen E. E. W. wir dann auch schuldig für falsche Lehr, Schwärmerei und Irrtum sollen verwarnen, wollen E. E. W. ihn als Gottes Diener und Mundesboten (?) hören und folgen. Denn gar reicher Segen denen widerfährt, die Jesu Christi treue Diener in Ehren halten und friedlich mit ihnen leben. Darum ich denn auch, E. E. W. etwas geistliche Gaben mitteile. Weil ich allhier in der Nachbarschaft sitze und vermerke, wie E. E. W. ganz dürstig und hungrig nach der heilsamen unverfälschten Wahrheit sein sollen, habe ich aus christlicher Zuneigung und dem Herrn Jesu Christo sein Reich zu befördern derohalben wir auch dem Ehrsamen Rath und Gemeinde zu geschrieben und dodicirt, darin ich aufs kürzeste und unfertig, wie es zu Unterrichtung der angehenden Schüler Jesu Christi am bequemsten und füglichsten mit Gottes Hilfe verfasset, welches die Hauptartikel sind unsers seligmachenden Glaubens, zu welchem sich die wahre christliche Kirche Gottes bekennet, und dagegen vermerket, welche Abgötterei, Irrtum und Greuel des Pabsttums zu fliehen

131 sind mit angehängter Bewährung unsers christlichen Glaubens durch klar Zeugniss der heiligen Schrift, nach Ablehnung der päbstlichen Scheingründe, so weit es von mir in solchem kurzen Büchlein hat geschehen können. Welches zugeschriebne Büchlein E. E. W. ich bei gegenwärtigen Briefzeiger übersende mit freundlicher Bitte E. E. W. wollen dies Büchlein durchlesen, in Gottes Furcht erwägen, der heilsamen seligmachenden Wahrheit Beifall geben und meine christliche Zueignung im besten vernehmen. Hiermit will ich E. E. W. dem heiligen und lieben Gott in gnädigen väterlichen Schutz befehlen, der E. E. W. bei dem heiligen Evangelio erhalte, die päbstliche Abgötterei bei euch abschaffen und gnädige friedliche langwierige Regierung verleihen wolle. Datum den 8. Martii.

Wesel 1564 E. E. W. williger

Tilemannus Hesshusius Doctor ff/us Christi. Da sich die Ankunft des vom Pfalzgrafen erbetenen Predigers Heinrich von Kempen verzögerte, so bewog der Magistrat zu Essen den Prediger des Pfalzgrafen Georg, Namens Johannes Kempensis, Pfarrer zu Rheinbollen, wahrscheinlich ein Bruder oder Verwandter des Henricus Kempensis, der auf einer Reise war, hieselbst zu bleiben, für einige 5$eit das ledige Pfarramt zu versehen. Zu seiner Rechtfertigung richtete der Vorstand der Stadt nachfolgendes Schreiben an den Pfalzgrafen Georg: Durchlauchtiger Hochgeborener Fürst! Gnädiger Herr! E. F. G. M. unsern unterthänigen Gehorsam zu jeder Zeit bereit zuvor. Gnädiger Herr! E. F. G. geben wir Bürgermeister und Rath der alten Reichsstadt Essen unterthäniglich zu erkennen, wie dass wir durch Gnade des Allmächtigen und Ewigen in kurz verrunten (?) Zeiten das lautre reine und alleinseligmachende Wort Gottes angenommen und aber zur Zeit mit keinen gottseligen treuen und dem reinen Worte von Herzen zugethanen und verwandten Dienern und Predikanten jetzt aber versehen, auch in diesen gefährlichen Zeiten und geschwinden Läufen jedem Geist leichtlich zu glauben unrathsam bedacht und angesehen, seien also eine Zeit lang in grosser Bekümmerniss, Sorg und Gefahr gestanden. Hat sich auch das Werk eine Weil nicht ohne unser und unsrer ganzen Gemeinde grosses Herzeleid und Betrübniss, nicht anders ansehen lassen, als ob es vergeblich angefangen sei. Indem schicket es der allmächtige ewige und barmherzige Gott ohn alle unsre Gedanken, Sinn und Hoffnung gnädiglich und ganz

132 wunderbarlich, dass E. F. Gr. Diener Johannes Kempensis eine n o t wendige Reise in sein liebes heimisches Vaterland aus Verwilligung E. F. 6 . Kanzlers und Superintendenten fürgenommen und wir ihn, dieweil die Sache bei uns solche Gestalt hat und er auch eine Zeit lang, wie wir bericht, von wegen etlicher Spaltungen und Gerichtes Handlungen, so vorgefallen, dieses Ortes nothwendig verharren musste, er friedlich und freundlich etliche Predigten Gott dem Allmächtigen zur Ehr und seiner armen hungrigen dürstigen Gemeinde zu Nutz, Förderung und Bestem zu thun gebeten. Solches, wie wol er mit grosser Beschwerniss, nachdem E. F. G. darum nicht zubevor durch Supplikation, (wie uns zwar wol angestanden,) versucht, angenommen hat, so hat doch unser und unsrer eifrigen Gemeinde Flehen, Bitten und Begehren dermassen bei ihm statt genommen, dass er etliche Predigten gethan, das hochwürdige Sakrament des wahren Leibes und Blutes Christi nach unsers Herrn und Heilandes Institution ausgeteilt, daneben die christlichen Zeremonien dem Worte Gottes gemäss, inmassen wie er in E. F. G. Herzogtum und Landen dermassen eingericht, dass wir, unsre Gemeinde und andre Nachbarn, ein herzlich Freud, Ruhm und Wolgefallen daran gehabt, und also in kurzer Zeit Christum unsern Herrn und einigen Heiland, des wir keinen Zweifel tragen, in grosser Menge und Anzahl Seelen gewonnen. Nachdem aber sich die Zeit verweilt und gedachter E. F. G. Diener zu E. F. G. Dienst, wie billig, sich wieder ohnmittel zu begeben, ernstlich fttrgenommen und oftmals unterstanden, (dass wir für Gott und E. F. G. in Wahrheit zeugen,) und aber unser längst bestellter Kirchdiener seine Ankunft zu uns verzogen, wir aber in grossen Bedenken abermals gestanden, den Widersachern in die zu geben und die Kanzel leer zu lassen als unrathsam angesehen; haben wir gedachten E. F. G. Diener des daher mit Flehen, Bitten und Weinen, kennet Gott der Allmächtige, ohne seinen Willen uffgehalten und verhindert. So langet derowegen an E. F. G. unser unterthänig Bitten, lauter um Gotteswillen E. F. G. wollen oft gedachten E. F . G. Diener vonwegen dieses seines langwährenden Ausbleibens nicht mit Ungnaden, dieweil solches nicht aus einigem Fürwitz, sondern aus hochbewährten Ursachen, durch welche Gottes Ehr und vieler Menschen Heil und Seligkeit gefördert, wie oben bemerkt, geschehen, ansehen, sondern aus fürstlicher Güte, Gnade und Müdigkeit, als der rechten Wahrheit Liebhaber und Patron, fürstlich und gnädiglich uffnehmen. Solches zu E. F. G., gegen welche wir uns von wegen beschehener gnädiger Entlehnung unterthäniglich bedanken, wollen wir uns unterthäniglich

133 vertrösten und mit unserm unterthänigen Gehorsam, wo möglich, gegen E. F. Gr. unterthänig zu bescheiden jeder Zeit geneigt und geflossen sein, kenne Gott der Allmächtige, der E. F. G. fürstliche und langwährende Regierung gnädiglich gefriste. Geschehen und unsrer Stadt Sekret. Siegel am 7. Tage des Monats Dezembris anno 1563. E. F. G. gutwillige B. und ß. sammt den vier und zwanzig Vorstehern von wegen der ganzen Gemeinde der Stadt Essend. Dem durchlauchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Georgen Pfalzgrafen bei Rhein, Herzogen in Baiern und unsern gnädigen Fürsten und Herrn etc. Der sehnsüchtig erwartete Henricus Kempensis kam endlich Ausgang des Jahres 1563 wieder nach Essen, aber schon im Januar 1564 drang der Herzog von Cleve wieder auf seine Entfernung und schickte an dessen Stelle den Prediger Caspar Isselburg, welcher auch allmälig das Vertrauen der Gemeinde erwarb und mehrere Jahre im Segen wirkte, was nachfolgende Schreiben näher darstellen. Zunächst kam eine vom Kaiser und dem Kurfürsten von Cöln und vom Herzog von Cleve ernannte Kommission, um die in Essen begonnene Reformation wieder abzustellen, wie folgendes zeigt: Die vom Römischen Kaiser Majestät Kommission an den Kurfürsten zu Cöln und Herzogen von Cleve, belangend die von Essend vermeldend den Effekt nachfolgender Artikuln: Erstlich wird darin repetirt die einstlich vorgethane Klage, nemlich dass etlich wenig Personen der Stadt Essend Angesessene hätten in der Religion Neuerung fürgenommen, ohn Bewilligung der Abdissin als ihrer ordentlichen Oberheit, die Lehre und Zeremonien der alten katholischen Kirchen damit abzuthun, die Geistlichen zu turbiren und zu molestiren an ihren Gottesdiensten, da sich doch ihrer Verwandtniss nach, ihnen zu helfen und schuldigen Gehorsam zu leisten, billig sollten sein beflissen. Und der Befehl repetirt, dass die Abdissin hinfort bei dem alten katholischen Glauben und Kirchengebräuchen beständiglich bleiben, die Aenderung abstellen und mit Straf fürfahren solle. So sein jedoch ihrer Kaiserl. Majestät glaubwürdig bericht, dass die Bürger von Essend der Abdissin Vermahnung indessen nicht gelebt, sondern sich ganz ungehorsam erzeigt, mit den neuen Predikanten fortgefahren, und als des Herzogs von Cleve auch darin verordnete Räthe bei den Bürgern derwegen handeln lassen, sei der

134 Bäthe Handlung unfruchtbarlich abgangen, so doch Befehl gelassen, dass man sich aller Neuerung sollte enthalten, hätten die von Essen ihre angenommene sektirerischen Predikanten wieder gestellt. Ihr Fürnehmen sei dem Religionsfrieden und dem Reichs Abscheidt zuwider. Ferner dass der Kaiser die Abdissin in ihren Kirchengebräuchen, auch in temporalibus zu schützen gemeint sei. Weiter haben beide der Kurfürst und der Fürst ihre Räthe abzufertigen, die sich sollten mit bestem Fuge und Glimpf befleissigen, dass die von Essen solche furgenommene Neuerung gänzlich abstellen und dieselben sammt und sonderlich mit Motiven ausführen sich wiederum zu ergeben in den vorigen Glauben und ihrer Fürfahren Kirchengebräuche, mit Warnung und Vernehmung zeitlicher und ewiglicher Wolfahrt und der Abdissin bestellte Kirchendiener nicht zu turbiren, verhindern noch beschweren, ihr schuldigen Gehorsam zu erzeigen und mit stättlicher Adhortirung etc. Geben Wien 6. Januarii 1564. Hierauf reichten die Vorsteher und Rath der Stadt an die betreffende Kommission eine Rechffertigungsschrift ein, deren Schluss entschieden gegen die Zumutung, ihrem evangelischen Glauben zu entsagen, protestirt und wörtlich also lautet: Edle Ehrwürdige und Ehrenfeste, hochweise Kur- und fürstliche Räthe! Wir stehen allhier als mit und von wegen der ganzen gemeinen Bürgerschaft der Stadt Essen und vernehmen, wie man uns wiederum auf die alte bapistische Lehr dringen und aber von der itzt durch Gott rechten angefangnen Lehr und heiligem wahren Evangelio abzuschrecken gemeint ist, dessen wir denn also einzugehen noch einiger Gestalt zu verwilligen keineswegs und überall nicht bedacht, sondern viel eher und lieber uns alle und sonderlich mit dem Schwert richten und den Kopf abhauen zu lassen, auch alle Widerwärtigkeit, so uns dardurch widerfahren möchte zu leiden, gemeint sind. Und derweil wir eine Stadt von Recht und nicht von Gewalt haben, im Fall der Notdurft erbötig die Pforten williglicher zu öffnen und mit uns handeln zu lassen wies kaiserlicher Majestät gefällig. Geben zu wissen, dass man auch nie in der kaiserlichen Kommission angezogen, vermeint, „dass unser etzliche", und nicht jedermänniglich diese göttliche Religion angenommen hätten. Darum thun wir die hochweise Kur- und fürstlichen Räthen zu wissen, dass itzt bis 200 und mehrere Personen in der Kirchen versammelt stehen und auf Zeitung, dass wir sie alle hier gegenwärtig erscheinen lassen möchten, ganz hegehrlich erwartend. Und in Fall Euer Fürweisen Ehrw-

185 dieselbigen zu sehen und anzuhören gelüsten, sollen diejenigen sammt den andern, so noch itzt darbei mitsein alle sämmtlich in einer halben Uhren Zeit ganz bereit und williglich und wirs herbei verschafft und leichtlich zu weg bracht werden. Hiermit abgetreten und durch Kur- und fürstliche hochweise verordnete Räte als auf folgenden Tag, welcher war der 24. Martii zu morgen um 8 Uhr wiederum vor Dieselbigen zu erscheinen und auf obgemelte Yurgeben Antwort zu erwarten nur beschieden. Der Herzog hatte vorher an den Magistrat um Vorführung des Heinrich Kempensis nach Düsseldorf geschrieben. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue. — Wiewol wir uns versehen, ihr sollet euch auf den jüngsten allhier genommenen Affscheidt in Sachen der veränderten Religion und sonst zwischen der würdigen wolgebornen, unsrer lieben Nichten, der Abdissin und Kapitel aldair, und euch bescheidentlich (wie gemeldte Abdissin zum Teil gethan,) erlert (?) und uns mit billiger Antwort begegnet haben, so kommen wir doch in Erfahrung, dass ihr berührten Affscheidt nicht allein nachgekommen, sondern noch seit der Zeit andere und mehr Neuerungen anrichten lassen. Dieweil denn wir als der Erffvogt und Schirmherr von gemelter Abdissin und Kapitel um gnädigen Insehens und Furkommens fernerer schädlicher Widerungen vielfältig angesucht werden, so gesinnen wir abermals gnädiglich, dass ihr etliche von euern Rathsverwandten up übermorgen Freitag den 14. dieses den Abend allhier bei uns zu Düsseldorf schicken, auch den Predikanten Henrichen Kempensen (der darzu äff und angefordert sein soll,) alsdann mit euch bringen, den folgenden Morgen die fernere Meinung und Gelegenheit anzuhören; versehen wir uns also. Gegeben zu Düsseldorf den 12. Januarii 1564. Die Stadt wandte sich in ihrer grossen Verlegenheit am 8. März 1564 an den Grafen Hermann zu Mörs um dessen Fürsprache beim Herzog Wilhelm, dass ihr Prediger Heinrich Kempensis bleiben möchte. Der Graf antwortet ihr sofort, doch ohne Aussicht auf Erfolg. Unser gnädiger Gruss zuvor. Ersame vorsichtige besonders gute Freunde! Wir haben euer Schreiben, des Datum an uns dies Monats heute dato allhier empfangen und den Inhalt desselben betreffend euern Predikanten Henrikum Kempensen wol und genugsam verstanden. Mögen euch darauf heut und längere Zeit nicht lassen, dass wiewol wir wol geneigt und fast gern eure ßitt statt geben

136 wollen, so wissen wir doch nicht ob wir etwas fruchtbarliches euch zu gut sollten verrichten mögen. Wir haben aber nicht unterlassen gegenwärtigen euern Boten unser wolmeinlich Bedenken (wie ihr von ihm vernehmen werdet,) zu vermelden und da wir euch alsfalls weiteres zu Gefallen sein könnten und sonst gute Nachbarschaft und Gunst zu erzeigen wissen, werdet ihr uns gewiss spüren. Datum Mörss den 9. Martii 1564. Hermann Graf zu Neuenar. Zu gleicher Zeit schreibt der Herzog von Cleve kurz und gebieterisch an den Rath zu Essen. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue. Wir haben unsern Diener und Sekretarien Waltern Werner itzt an euch abgefertigt und von unsern wegen zu vermelden befohlen, als ihr von ihm vernehmen werdet, gnädiglieh gesinnend. Dass ihr ihm darin diesmal glauben, euch auch als gutwillige darin erzeigen, versehen wir uns also. Gegeben zu Düsseldorf den 9. Martii 1564. Die Stadt schreibt inzwischen an den Herzog: Durchlauchtiger Hochgeborner Vermögender Fürst, gnädiger lieber Herr. E. F. G. sein unsere willigen gar geflissenen Dienste stets zuvor, Gnädiger Fürst und Herr! Nachdem E. F. G. uns für Abscheidt gnädiglich geben lassen, als auch nu von wegen E. F. G. dero Diener und Sekretarius Mr. Walter Werner, nach Anzeige glaublicher Cordenz befohlen, dass wir sollten den würdigen und wolgelehrten Magister Henrikum Kempensen, unsern auf eine Zeitlang entliehenen Kirchendiener, von hier unverletzt (?) wiederum seines Weges vertrecken lassen, sobald E. F. G. uns einen andern guten Predikanten geschickt, der uns das seligmachende göttliche Wort reinpredigen, und die heilsamen Sakramente nach Christi Insetzung ausspenden sollte, welches wir dann mit ausdrücklichem unterthänigen bittlichen Vorbehalt eingeräumt und bewilligt. Sofern solch Abtrecken unsers (um uns und unsre ganze Gemeinde wolverdienten Kirchendieners) nicht war zu erbitten, dieweil dann E. F. G. uns der ehrbaren Kasparn Isselberg folgends für einen Predikanten haben bestellen lassen, der nu etliche Predigten gethan und die heilsamen Sakramente, Gottlob, mit grossem Frohlocken der Gemeine Christi, hat helfen austeilen, dafür nächst Gott dem allmächtigen E. F. G. wir hiermit gar unterdienstlich danksagen. So bitten wir E. F. G. die wollen gnädiglich

137 diesen unsern wahren Bericht wiederst vernehmen, dass wiewol wir sonsten unterthänigen Fleiss als obgedachten gnädigen Abscheidt aller Gebtir zu willfahren bedacht und geneigt, ists es doch nicht ohne, dass für E. F. G. hochweisen Rathen wir herzlich bewogen, wie gedachtes unsers Kirchendieners wegen Ehefrauen mit dem Bande der Natur, mit Verlöbniss wird F. G. vermelt, deren Gestalt schwerlich beladen, daraus sie frauenlicher Blödigkeit und Schwachheit wegen umgestaltet, dass ihr von dannen ohn Perikul und Vermuten sträflicherweise nicht möglich zu verreisen, als sie dann durch Gottes Erbarmung glücklich ihres Leibes Frucht verschiener Tage verlasset. Daruf wir in keinen Zweifel stellen, E. F. G. wollen aus fürstlicher guter Natur christliches Mitleiden in Gnaden zulassen innen der Zeit solches Kindelbetts bei uns ziemliche Verpflegung vergünstigt zu warten. Nach dem gnädiger Fürst und Herr ist in Einigkeit unerfindlich, dass itztgemelter unser Kirchendiener Henrich Kempensis keinerlei Faktion, Sekten oder sunsten andrer argwöhniger Sachen je war zugethan, sondern vielmehr allsolches sittigen ufrichten Wandels ist und Glaubens, dass er nicht allein dieser Gemein, denn auch der benachbarten dieser Oerter fast lieb und angenehm ist, besonders mit seiner von Gott erleuchten Wolgeschicklichkeit wegen, dass er die irrigen Opiniones der Sakramentirer und andrer dergleichen Schwarmgeister kunstreiche, eigentlich aus göttlichem Worte weiss zu widerlegen und solche Leute wieder uf rechte Bahn zu bringen gar wol geübt. Solcher Geschäfte er auch bei uns an etlichen verworrenen betrübten Gemütern (als leider in diesen langwährenden geschwinden Lauften an mancherlei Standes der Menschen erfunden,) als einem guten Hirten wol anständig, getreulich und unerweglich sich hat erzeiget, also dass wir und unsre Gemeinde seiner werden deshalb nächst Gott, billig danksagen. Dennach, gnädiger Herr, E. F. G. bitten wir zum flehendlichsten wir immer mögen, die wollen als unser guter lieber Schutz und Schirmherr und des heiligen Reichs christlicher Fürst uns so gnädig erscheinen und mit Gnaden nicht zuwider sein, dass wir obgemelten unsern treuen Kirchendiener Henricum Kempensem noch eine geräumige Zeit bei uns um der Kirche Gottes (massen E. F. G. geschicktem Prediger denn nu das Ministerium um viels des Volks zu gross und zu schwer,) zu bedienen helfen, verpflegen möchte. Denn solches Befehls in diesen betrübten und fährlichen Zeiten, auf dass auch die Kranken nicht versäumt, allhier zum höchsten von Nöten ist. Er ist auch zu allen Zeiten bereitwillig und erbötig für jedermänniglichen, so er gegenwärtig seiner Lehre, Handelns und

138 Wandeins aufrichte gute Rechenschaft zu geben. Wo aberst diess alles nicht möglich zu erhalten, als wir doch nicht verhoffen, so getrösten wir uns zu E. F. G. die wollen nicht in Ungnaden ermessen innen des Zeit des jetzigen ihres puerperii und Kindelbetts bei uns, wie Christenleuten geblirlich, vor der Reise auszuwarten, jedoch so immer möglich die oben irstvermelte Bitt wollen E. F. 6 . uns gnädiglich gewähren. Wiewol zu E. F . G. wir all solcher und vielmehr Gnaden uns vertrösten wollen. So bitten wir dennoch uns darin zuschicken bei gegenwärtigen Zeigern, unsern Bürgern und Rathsverwandten gnädige christliche Antwort von E. F. G., die der allmächtige Gott in hochftirstlichen Stande christlich guter Regierung in langen Zeiten erhalte. Geschrieben unter unsrer Stadt Sekret. Siegel am 11. Tage des Monats Martii anno 1564. Gehorsame Schirmverwandte Bürgermeister, Rath und vierundzwanzig Vorständer der ganzen Gemein der Stadt Essend. Dem durchlauchtigen etc. Da, wie folgt, auf dieses Schreiben keine günstige Antwort erfolgte, entstand in der Stadt ein grosser Tumult, die Bürgerschaft erhob sich wider den Rath und wollte ein längeres Verweilen des geliebten Predigers gewaltsam erzwingen. Der Rath von den Bürgern umlagert bestand jedoch darauf, dass es unmöglich sei, den Heinrich Kempensis noch länger zu halten. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue! Was ihr Bürgermeister Rath uud vierundzwanzig Vorständer der Gemeinheit zu Essen nu mit etzlichen eurer Abgesandten schriftlich an uns gelanget, solches haben wir allhier empfangen und uns vorlesen lassen, und befremdt nicht wenig, dass ihr aller voriger Abschiede, Bedenken und Vermahnungen, auch eures selbsts Zuschreibens also vergessen. Als nemlich wannher wir euch einen Predikanten zuschickten, der das göttliche Wort rein predigte und die Sakramente nach Christi Insetzung ausspendete, dass ihr dann anstont euern ingehalten Henricum Kempensem von dannen vertrecken zu lassen. Nun vernehmen wir aber, dass ihr unsern gnädigen Rath und Vermahnungen, auch .eurer Zusage wenig achtet, indem dass ihr gedachten Kempensen noch länger alldar begehret zu erhalten, welches uns nicht wenig zu Herzen geht. In Ansehung wir solche Vertröstung etzlichen Kur und Fürsten, auch andern zuge-

139 schrieben, der angezweifelten Zuversicht, ihr solltet euern Worten Macht gegeben haben. Dieweil aber das Widerspiel darin gespürt, können wir nicht anders erachten, denn ihr nicht allein bei euerm Fürnehmen gemeint sein zu verharren, sondern auch den wider unser Wissen und Willen ingeführten unruhigen mutwilligen Predikanten zu unsern mehreren Widerwillen und unsrer Reputation Verkleinerung noch länger gedenket zu erhalten, was unleidliches Gefallens uns nun darin geschieht geben wir euch zu bedenken und ist darum nochmals unsre ernste Meinung und Befehl, (all andre Ursachen hintangesetzt,) dass ihr gerürten Kempensen zwischen diesen und zukommenden Sonntag Judica von dannen lasset ziehen, hierinzwischen auch nicht predigen oder einige Sakramente administriren lassen, auch nicht gestatten, dass er wiederkomme; darmit wir spüren müssen, dass ihr euch als Friedliebende und Getreue erzeigen und der Hochwtirdige Fürst, unser lieber Neffe und Freund, Erzbischoff zu Köln und Kurfürst und wir, der Römischen Kaiserl. Majestät, unsere allergnädigsten Herrn Kommission, mit mehr Ruhe und Frieden ins Werk stellen mögen. Sollt aber diesem kein Gefolge geschehen» hättet ihr abzunehmen, das nicht allein hochberühmter Kaiserl. Majestät solches auffallen würde und wir uns für unsere Person zu gedenken, als hätten wir uns keines billigen Gehorsams zu den von Essen mehr zu versehen, würden auch auf die Wege und Mittel zutrachten, wie diesem Handel zu begegnen, und was wir uns dieses endlich zu euch zu versehen. Darauf wollet uns für genannten Sonntag Judica euer eigentlich Gemüt wiederum verständigen. Gegeben zu Düsseldorf 13. März 1564. Hierauf antwortet der Rath also: Durchlauchtiger und gnädiger Fürst und Herr! So E. F. G. an uns gnädig geschwind hatten fertigen lassen, dass wir den würdigen wohlerfahrnen Herr Magister Henrikum Kempensen seines Weges vertrecken lassen sollen, seint wir als E. F. G. gehorsame solches zuthuende (und dero Hochgedacht unsers gnädigsten Herrn Erzbischoffen zu Cöln und Kurfürsten) und sammt Euer F. G. verordneten Räthen Ankunft unterthäniglich auszuwarten, gar williglich, aberst an E. F. G. gar dienstlich bittend, die wollen bei gegenwärtigen Zeiger (bevor ab derweil ihms nicht zugelassen bis darin dem angesetzten Tage allhier gegenwärtig zu bleiben,) uns zu Behuf desselbigen unsers gewesenen Kirchendieners Kempensis mit E. F. G. freifährlichen Geleit gnädiglich versorgen zu lassen durch E. F. G. Fürstentümer und Länder ungefärt zu passiren. Als ingleichen bitten wir auch

140 E. F. G. solches an hochgedachten unsers geistlich Herrn Erzbischofs und Kurfürstens Landen und Gebieten, den gedachten Kempensen ungifart zu passiren, gnädiglich wollen thun erwerben. Zu E. F. G. wir uns dieses unterthänig getrösten, gnädige tröstliche Antwort bittend. Geschehen und unsrer Stadt Sekret. Siegel am 17. Tage des Monats Martii anno 1564. E. F. G. gehorsame Schutzverwandte Bürgermeister und Rath der Stadt Essend. Dem Durchlauchtigen etc. Sofort erfolgte fürstliche Gewährung dieser Bitte. Wilhelm Herzog zu Cleve, Jülich und Berg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc. Ersame liebe Getreue! Wir haben euer itziges Schreiben und Vermelden, dass ihr als die gehorsamen Henricum Kempensem seines Weges vertrecben wollen lassen, empfangen, und gerne vernommen, wie solches ungezweifelt euch zum Guten wird gereichen und schicken euch unsre Geleite für denselbigen hierbei. Dieweil aber der Hochwürdige Fürst, unser besonders liebe Neffe und Freund, der Erzbischof und Kurfürst zu Cölln, diesen Morgen von uns verzogen, haben wir seiner L. euer Begehren auch zugeschrieben, der freundlichen Zuversicht sein, und uns ihro Geleit für denselbigen auch zuschicken werde. Dennoch wollet uns wiederum verständigen, auf welchen Platz das köllnische Geleit dem Kempensi up dem Wege zugestellt werden solle. Und haben uns dieser gnädigen Meinung nicht wollen enthalten. Gegeben zu Düsseldorf den 18. März 1564. Somit endigte die erste reformatorische Thätigkeit des Heinrich von Kempen in Essen. Zu den Streitigkeiten zwischen Magistrat und Aebtissin und Herzog von Cleve kam eine neue in der Gemeinde selber, nemlich die Furcht und Verdacht, dass an Stelle der reinen lutherischen Lehre der Kalvinismus eingeschmuggelt werden möchte. Zuerst wurde der aus Utrecht gebürtige Pastor Marcus Hortensius, der nach Heinrich Kempensis Weggang als 2. Prediger neben Kaspar Isselburg angenommen war, des Kalvinismus beschuldigst und musste sein Glaubensbekenntniss de coena schriftlich einreichen, und da in demselben seine zwinglianische Ansicht sehr verdeckt war, so musste er ein vollständiges Glaubensbekenntniss abfassen, das aber in Dortmund von Paul Herstallius für ganz zwinglisch erklärt wurde. Auf Grund dessen ward Hortensius i. J. 1565 wieder entlassen. Aber auch Kaspar Isselburg, der sich in der schrecklichen Pest 1566 so

141 treu und aufopferungsvoll bewährt hatte, verfiel in den Verdacht der Abweichung von der Augsburger Konfession, zumal er bald nach Hortensius Weggang in dessen Nachfolger Kaspar Kolhase aus Deventer, einem frühern Karthäuser-Mönch, einen Gesinnungsgenossen fand. Noch vor dessen Amtsantritt kam Heinrich Kempensis zum 3. male i. J. 1567 nach Essen, um die mancherlei Missstände abzustellen. Der Magistrat hatte sich deshalb an den Oberamtmann zu Traubach gewandt, der hierauf antwortete: Ehrenhafte, Vorsichtige und Weise! meinen freundlichen Dienst und alles Gute zuvor, sonders liebe Herrn und Freunde. Was gestalt ihr, Herrn Henrichen, den Pfarrer zu Castellaun zu Wiederausrottung eingerissener, seit daselbst bei euch, angeordneter wahren und christlichen Religion und reiner Lehre, Rott und Sekten, jetzt abermal erfordert, das hab ich aus euerm an mich sub dato den 19. hujus gethanen Schreiben nach der Länge vernommen. Und wiewol nun jetziger geschwindener Läufe halb nicht allein bedenklich sondern auch gefährlich bemelten Herrn Henrichen ziehen zu lassen, so hab ich doch, besonders aber zur Beförderung Gottes Ehre, dahier denn dies euer Anlangen gerichtet, demselben statt zu geben billig geachtet, alles in Erwägung, dass der durchlauchtige und hochgeborne, mein gnädiger Fürst und Herr, Herzog Wolfgang Pfalzgrafen und Graf zu Veldenz, euch hierinnen gnädiglieh willfahret, und habe darauf auch ihn, Herrn Henrichen (dieweil er ohne diess gutwillig,) hiermit zu euch abgefertigt, der dann sich zur Restaurirung der rechtschaffnen reinen Lehre der Augsburgischen Konfession gemäss, an Wochen drei und vier bei euch bleiben und an seinem Fleiss nichts mangeln lassen würde, freundlich bittend, ihr wolltet ihn auch mit Geleit und sonst versehen, dass er sich hierüber keiner Gefahr zu besorgen. Das hab ich euch, den euch freundschaftlichen guten Willen zu erzeigen, ganzerlei nicht wollen verhalten. Datum Traubach den 26. Martii 1567. Friedrich Schenk von Schmidberg Oberamtmann zu Traubach. Da nach Heinrich Kempensis baldigem Weggang die beiden Prediger Isselburg und Kolhase mit ihrem Kalvinismus immer offner hervortraten, beim Abendmal z. B. statt der Hostie Brot nahmen und es in viereckigen Stücken reichten, so wurde zunächst Kolhase in Folge eines Gutachtens der Leipziger Fakultät als Irrlehrer entlassen und an seine Stelle auf Empfehlung von Leipzig der Lizentiat Hamelmann nach Essen berufen, mit welchem in Freundschaft und kolle-

142 gialischer Eintracht zu leben Isselburg in keinerlei Weise zu bewegen war, bis er endlich trotz seines grossen Anhangs auch entlassen werden musste und i. J. 1571 nach Bremen ging, von wo er eine Verteidigungsschrift ausgehen liess. Die Verwirrung stieg jetzt in der Stadt bis dahin, dass die Regierung zu Cleve dem Rath schreiben konnte, da es mit ihren Predigern doch nichts wäre und sie zu keiner Ruhe kommen könnten, so möchten sie den alten Saldenberg wieder annehmen und zur katholischen Kirche zurückkehren mit der Vergünstigung das heil. Abendmal sub utraque zu feiern. In dieser Not ward Heinrich von Kempen wieder angerufen und suchte man ihn als ständigen Pfarrer zu gewinnen, zumal Hamelmann auch weichen musste und von hier wahrscheinlich nach Braunschweig als Generalsuperintendent ging. Ueber Anstellung des Heinrich Kempensis findet sich ausser seinem Berufschein noch ein Schreiben an seinen Schwiegervater Jacob Schmidt, Bürgermeister in Bacharach. Wir Bürgermeister und Rath der Stadt Essend thun kund und bekennen in diesem offnen Briefe, dass wir den ehrwürdigen wolgelehrten Herrn Heinrich von Kempen, Magister in der Theologie, zu unserm Prediger, Seelsorger und Kirchendiener allhie in unsrer Kirchspiels Kirchen zu St. Gertrud vociret, auf und angenommen haben. Bei also, dass er der reinen unverfälschten Lehr der heiligen göttlichen prophetischen apostolischen Schriften, Ausweisung und Inhalts der augsburgischen Konfession und derselben Apologie, auch in Zeremonien noch Vernehmung des Agendbuches, so in der vermelten unsrer Kirchspiels Kirchen seine Ehrwürden hinbefor gebraucht, sich getreulich halten und dabei verbleiben wird, mit unsträflichem Wandel seines Lebens und Unterweisung der blöden schwachen Gewissen, auch mit Austeilung der heil. Sacramente eben nach Christi Wort und Insetzung, alles wie einem guten aufrichten vorstender Prediger und Seelsorger zusteht, zu jeder Zeit der Herde Christi unsers Heilandes treulich vorstehen soll. Nachdem dann billig, dass der Diener des heiligen Evangelii, seligmachenden göttlichen Wortes ehrlich erhalten und verpflegt, auch mit Schutz und Schirm versorgt werde, so haben wir versprochen, gelobt und zugesichert, loben und zusagen hiermit in gutem Trauen in nährendem Dienst seine Ehrwürden sammt seiner lieben Hausfrauen, Kindern und Gesinde allhier in ehrlichem Schutz zu halten und zu verpflegen, auch eine bequeme gute Wohnstatt, Haus und Hof, als Herr Kaspar Isselburg zu bewohnen pflegte, dazu einen wolgelegenen Garten, so viel zur Haushaltung nötig ihm einräumen-, zu dem alles und jedes Jahres auf Michaelis vierzehn

143 Tage vor of nach ihm zu liefern und wol zu bezalen einhundert gute Dalerpfennige, of dafür die Gewärde, vor jährlichs auf Martini vierzehn Tage vor of nach zwinzig Malter gutes klares Schultkorns half Roggen und half Gerste, für zwei Schweine zehn Daler oder die Schweine jährlichs. Zu seiner Ehrwlirden Korn für Brandholz sechs Thaler und Weide für eine Kuh, Winter und Sommer Zeits. Auch geloben wir, nachdem allhie kein Wein wächst, ebenwol seiner Ehrwürden auf Martini vor Weingeschenk fünfzehn Dhaler jährlichs zu geben und zu bezalen. Sollen und wollen auch alle Unkosten und Fahrgeld, so seine Ehrwürden vor sich und die Seinen zwischenweges zu uns thun und ausgeben werden entrichten und wiedergeben. Weiter wenn es gefiele, (welches doch Gott freundlich gnädig abwende,) dass gedachter Herr Heinrich, zu jeniger Zeit länger bei uns nicht bleiben könnte, das soll ein dem andern ein halb Jahr, (oder aber im Fall schädlicher allgemeiner Gefährlichkeiten,) eine gute ungefürte Zeit zuvor gütliche getreue Anmeldung thun, alsdann sollen und wollen wir seine Würden und die Seinen wiederum frei auf Verkosten unverhindert sammt der Besolde Entrichtung nach der Zeit, ausgenommen ob seine Würden solch Bleiben bei uns vor seine Person selbst, in keinlichen ungefährlichen Zeiten den Dienst aufkündigte, oder ob er von andern Herrschaften von hinnen begehrt und erfordert würde und derohalb verreisete, so soll solche Reise auf seine Kosten beschehen, jedoch nach der Zeit soll dann die verdiente Besoldung ehrlich entrichtet werden; also dass seine Ehrwürden gemelts angenommenen Dienstes weiteres des obgemelt nicht verbunden noch verpflichtet sein solle. Sonder Arglist, erkund der Wahrheit haben wir einträchtiglich mit unser aller Wissen und Willen unser Stadt Siegel an diesen Brief thun hangen. Datum 1572, den 27. Tag des Monats August. Zurück uff den Brief geschrieben anno 157(7) (?) opten 4. Tag Monats Februarii: Nachdem Herr Heinrich Kempensis dem E. Rathe zu erkennen gegeben, dass nach Gelegenheit seiner Haushaltung wegen der einigen Kinder und ihrer Bedürftigkeit etwas Zusetzung seiner Besoldung, darum haben Bürgermeister und Rath dasselbige reiflich erwogen und seiner Ehrw. Besoldung all jegliches Jahrs jetzt verlittenen Martini mit inloidirt, verbessert mit ein Malter Weizen, drei Malter Roggen, zwei Malter Gerste, ein Malter Häver und vier Fuder Bruchholzes. Exmandato Senatus . . . . Dem Ehrenhaften Achtbaren und Frommen Jakob Schmidt, Bürgermeister zu Bacharach, unsern günstigen und guten Freund.

144 Unsern freundlichen Gruss und alles Gutes zuvor, Ehrenhafter, achtbarer und frommer, günstiger und guter Freund. Wir zweifeln mit nichten, Euer Gunst wol vermeldt zu sein, wessgestalt Euer Ehedomb, der ehrwürdige wolgelehrter Herr Heinrich von Kempen gütliche Erlaubniss bekommen, dass er uf unser Yokation und Bitt pnsrer Gemein Pfarrherr und Prediger göttliches Worts solle sein, worzu er auch bewilligt hat, mit Vorbehalt, dass euere Gunst und euer geliebte Gemahl, als die Eltern, und eurer geliebten Tochter, seiner werthen 1. Hausfrau, ihren Willen mit darin zu geben, wir billig ersuchen sollten, damit dann der Sache Euer günstlich gutwissens haben mögen und für ungezweifelt halten. So ist unser sehr freundlich Begehr, dieses von uns günstiglich zu vermeinen, dass gedachter Euer Ehedomb, Tochter und geliebte Kinder mit alle den Ihren bei uns aufrichter ehrlicher Verpflegung und Beschützung wolgehalten werden sollen, allerding wie in einer kaiserlichen freien Stadt sich gebüren will. Auch massen der ehelichen Wohnstatt und guten Garten, all solcher Besoldung aufs bestendigste Versicherung geben, dass er von uns Designation und Verzeichniss bekommen hat. Hierumb grossgünstiger Freund dieweil Herr Heinrich euer geliebter Ehedomb allhier zuerst durch Gottes gnädigen Willen die Kirche gepflanzt und viel Nutz geschaffen und unsre Gemein besonders auf seine Ehrwürden Aufmerken hat und hält, langt an Eure Gunst unser freundlich Begehr, die wollen zu Gottes Ehr und seines geliebten Sohns unser Seligmachers Christi Jesu uns in dieser hochanliegenden göttlichen Sache fürterglich und vorbemelten Herrn Heinrichen gütliche Juredich und gewilligt sein, dass er nu länger sich nicht beschweren wolle hierher bei uns sich zu verfügen und folgends seine geliebte Hausfrau, Kinder und Gesind sammt den Ihren fürderglist mit gutem Wegfrieden sich folgen zu lassen, alles uf unsre Kosten, Euer Ehrw. werden gewisslich hieran ein angenehmes Dienst dem Allmächtigen beweisen, der Euch und den Euern dargegen allen gnädigen guten Vorspeit (?), zeitlich verleihen, und ewiglich das unvergängliche Gut, (so allen die das Reich Gottes fürdern helfen gehörig,) zur Belohnung geben. Hiermit in den gnädigen Schirm desselbigen allmächtigen und ewigen Gottes Euer Ehrw. empfehlend. Gegeben unter unser Stadt Sekret. Siegel am 13. Tage des Monats Augusti anno 1572. Bürgermeister und Rath der Stadt Essend. Leider sollte Heinrich von Kempen auch als ordentlicher Pfarrer keine Buhe haben, sondern erlebte an seinem Diakonus, der zugleich

145 Rektor der höhern Schule war, Namens Petrus Lamprus, viel Verdruss, welcher ihn sogar in seinen Predigten schmähte, wie er selbst in seinen Schreiben an den Magistrat zugesteht. Zuletzt setzte derselbe etliche Artikel auf, nach deren Gewährung er sich dem vorgesetzten Pfarrer fügen zu wollen erklärte. Dieselben lauteten: Ehrbare, wolweise Herrn und grossgünstige liebe Väter! Weil E. E. W.. mir eingebunden, ich solle keine andre Lehr und Ceremonien einführen, auch nicht leiden, dass es andre thun, als unsre Kircbenordnung setzet und mich dabei zu schützen und Hand zu haben verheissen, so bitte ich unterthänig E. E. W. wollten verschaffen, dass diese Stücke in dieser oder einer bessern Form möchten gehalten werden: 1) dass zwei Knaben also gelehret werden, dass sie den Katechismus laut, deutlich und langsam recitiren, und die deutsche Schulmeistereien ihre Kinder in der Kirchen bis die Predigt aus ist, behalten. 2) dass man einem jeden insonderheit Beichte höre, mit öffentlichen Sündern der Kirchenordnung gemäss sich verhalte. 3) dass man das Abendmal zum wenigsten alle drei Wochen halte und austeile. 4) dass man so viel Brot und Wein aufsetze als man benötigt ist, oder aber die Worte der Einsetzung noch einmal recitire, und dass man auch keinen Wein im Kelche bleiben lasse, der wieder in die Kandel gegossen werde. 5) dass man alleine aus unserm Agendbuche singe, und der andern unreinen Gesänge sich enthalte. Alleine Gott in der Höhe etc. und etliche andre Reims und der Kirchen bekannt, mögen bleiben. 6) dass man in der Schule in allen Dingen unserm Agendbucb gehorsam sei. Wird nu solches ein ehrbarer, wolweiser Rath, wie billig n nd nötig, verschaffen und darüber halten, so soll mir nichts lieberes sein, denn dass ich einen alten, erfahrnen und wolgeübten. Mann, als ich weiss, dass der Ehrwürdige Herr Heinrich ist, möge zum Haubten haben, und was ich alsdann, demselbigen kanu zu willen und Gefallen thun, soll mir nicht zu viel sein. E. E. W. dienstwilliger gehorsamer Petrus Lamprus. Mit seiner Friedensliebe war es nicht von Dauer. Der Riss zwischen diesem kleinlichen und heftigen Manne und dem Pfarrer Heinrich ward immer grösser und unheilbarer, dass zuletzt Petrus 10

146 Lamprus entlassen werden musste. Der Rath wandte sich, um einen für Heinrich Kempensis geeigneten Gehilfen zu finden, nach verschiedenen Seiten, besonders aber nach Zweibrücken, wo man den Rath an Johann Marbach, Dr. und Professor der Theologie in Strassburg, verwies, welcher zu der Zeit in Heidelberg anwesend war. Das geschah i. J. 1576. Unter diesen verschiedenen Schreiben mögen 2 Briefe von Marbach hier mitgetheilt werden: Gottes Gnad durch Jesum Christum unsern Heiland sammt meinem freundlichen und gutwilligen Diensten zuvor. Fürsichtige, Ehrsame und Weise Herren, als ich vor etlichen Tagen von Heidelberg (dahin mich mein gnädigster Herr der Pfalzgraf Churfürst in Religions Geschäften erfordert,) wieder anheimisch kommen, hab ich E. E. W. Schreiben empfangen, belangend Herrn Nicolaus Kriegern, euern jetzigen Diakon, der auch den 9. Augusti in der Person selber hier ankommen, und mich aller Gelegenheit und E. E. W. christlichen Kirchen Notdurft weiter berichtet, damit dann durch sein Abreisen und die Zeit seines Ausbleibens, nichts versäumt werde, hab ich mich selber angriffen, und aus meinen Kostgängern, die ich bei mir zum Kirchendienst anführe und hab ich alsbald Zeiger dieses M. Chrisostomum Lunscher (?) angesprochen und dahin vermocht, dass er bereitwillig zieh an eures Nicolai statt, solang bei euch sich gebrauchen zu lassen, bis er nach Verrichtung seiner Geschäfte bei uns, sich wieder bei E. E. W. einstellen möge. Ich versehe mich aber ihr werdet in der weilen mit diesem wol versehen sein, als der allhier im Predigen ziemlich erübet, und sonsten ein sinniger, verständiger gelehrter Mann ist und sich noch bis daher bei mir im Kirchendienst allerding wolgehalten hat. Wir wollen ihn E. E. W. freundlichsten befohlen sein. So solls an Beförderung Herrn Nicolai, dass er sich uffs fürderlichste wieder einstelle, so viel an mir auch nicht ervinden, dann E. E. W. und eurer christlichen Gemein zu dienen. Was zu Gottes Ehr und derselbigen Uffbarung mag dienstlich sein, dazu sollet ihr mich jederzeit willig und bereit haben; thun hiermit E. E. W. dem Allmächtigen in Gnaden befehlen. Datum Strassburg den 16. Augusti anno 1579. E. E. W. dienst- und gutwilliger Johann Marbach Doctor etc. Die Gnade Gottes durch Jesum Christum unsern Heiland sammt unsren geflissenen Diensten seien E. E. W. jederzeit zuvor. Fürsichtige, Ehrsame und Weise Herrn. M. Nicolaus Krieger, eurer christlichen Kirchen zu Essend mir ein Zeit lang geliehener Diakon, stellet

147 sich wiederum nach Verrichtung seiner fürgenommenen Reise und Geschäften bei E. E. W. ein. Er ist zwar wider seinen Willen und änderst denn er anfangs vermeint, uffgehalten worden, aber weil die Geschäfte vielfältig fürgefallen neben den jetzigen Läufen, ists unmöglich gewesen, dass er balder hätte können befördert werden. Wollen deswegen ihn seinens langen Ausbleibens und Verzuges günstlich entschuldiget haben. Denn wäre etwas versäumt worden, ist er erbötig mit desto mehr Fleiss und Treue wieder einzubringen, wie wol ich mich versehe M. Chrisostomus so ihn bis daher vertreten, wird sein Amt mit Treue verrichtet haben. Denselbigen wollen E. E. W. uffs fürderlichste wieder erlauben und abfertigen zu seiner Kirchen, von der ich ihn genommen und ob seines Dienstes als ein freundliches Gefallen und Vergnügen haben. Da sichs dann künftig begeben würde, dass ihr in Sachen Gottes und der h. Religion betreffend ferner Rath oder Hilfe würdet von nöten haben, sollen E. E.W. uff deren freundlich Ansuchen und Begehren, diesselbige auch mit Verleihung göttlicher Gnade, mit gutem Willen mitgetheilt werden. Thun E. E. W. sammt deren christliche Gemein in den Schutz des Allmächtigen befehlen. Datum Heidelberg uff Andreas (?) des h. Apostels Tags anno 1579. E. E. W. dienst- und gutwilliger Johann Marbach Doctor. Noch folge zum Schluss ein Glaubensbekenntniss vom heiligen Abendmahl, von dessen Abfassung weder die Zeit noch der Verfasser angegeben ist. Es findet sich neben der Kirchenordnung, ist aber nicht, wie diese, von den einzelnen Kirchendienern unterschrieben. Die Schriftzüge gleichen vielfach denen aus der Herzoglichen Clevischen Kanzlei. Wörtlich ists also geschrieben: Ich glaub und beken, dass Im heiligen Nachtmall des Herrn laut der Insatzungs Christi, nicht allein brot und wein als blosse Zeichen, sunder auch der wäre leib der auss maria geboren und am Creutz gestorben, und auch das wäre blutt das am Creutz auss den wunden Christi vergossen ist, so gewiss als wan Wir Christum mit unsern leiblichen ogen ansehen, und mit Henden angriffen, entfangen, essen und trinken, etfangen, sag ich, nicht allein den nutz und frucht des leidens Christi, das unss essen so vill sey als glauben allein, Sunder den waren Christum mit allem was er ist, und mit seinem leiden erworben hatt selber. Auch sagen ich nicht, das umb der hymmelfart Christi willen soliches nicht geschehen khunne, want Christus bedarf darumb nyt

148 ob noch abfharen und kan ebenvoll Im Hymmel oder auss dem hymmell unss mit seinem fleisch und blutt speisen, als sein wort lauten, wie ess Im gefeit; want er Zugleich warhafftigh und Allmechtig ist, und darumb das soliche mit der natur nicht zugrundenn, müssen wyr ess mit dem glauben ergreiffen. Auch bekenne ich, das die Christen durch das essen des leibs und drinken des leibsbluts Christo eingeleibet, wie die grüne Zweige In den stam gepfroffet werden und wie S. Paulus zeuget: fleisch von seinem fleische und bein von seinen beynen sein; und also leiblicher weiss mit Christo vereiniget sein, wie der weinstock und die reben.

Hauskirchen Ordnung derer Gemeine wilche zv Aichen die Augspurgische Confession bekennen. Mitgetheilt von

Pfarrer Küster in Aachen.

Denn 3. Augusti Ao. 1578 in Herrn Johann Bode Haus vermittels der Vornemsten der gantzen Gemeine durch Hrn. Matthiam Statfeldtt vnd Hn. Johann Engelbertti aufgericht. Nachdem der getrewe Got mit gnedigen äugen auch vns angesehen hat, vnd nach lang und vil erlittener Finsternis und Päbstlicher abgottereien vns durch sein Heiliges Euangelium hat heimgesuchet, erleuchet und erlösett Sagen wir demselbigen Gott durch seinen Son Jsum Chum Lob und Dank, auch Ehre vor alle diese seine Wohlthat vnd Gnade vnd bitten, dass er mit seinem H. Geist vns dermassen wolle beiwohnen, dass wir in dem gestärcket vnd bewaret werden bis ins versprochene Reich zum seligen Leben. So wir aber auch wissen dass Gott ist ein Herr aller Ordnungen, vnd vns auch Paulus vermanet, dass alles zierlich vnd mit Ordnungen zu gehen solle. Haben wir vns auch gottes beuelch vnd Willen vnderworffen, und durch Dienst unserer Cristlicher Predigern sampt auch anderer weiser verstendig frommer Cristlicher menner Radt vnd mithtilff nach guttem Bedacht und erkundigung aller Sachen, dihse nach folgende Hausskirchen Ordnung gestellet vfrichtett forgenommen vnd uns darnach zohald. Schriftlich versprochenn, vnd das in form und gestalt wie hernach volget.

150 Vom

Prediger.

1) Dieweil vns Got sein heiliges Wortt anders nichtt zusendt, denn allein durch das muntliche Predigamptt, so soll die Gemein für allen Dingen sich dahin befleisichen, das sie ein reinen beruffnen Predig. zum Predigampt mit gebuerlicher formen anneme. 2) Ehr das er confirmiret ist, sol er mit fleiss exeminiret vnder suchet vnd erkundiget werden, ob er Rein od. recht vond. Augspurgische Confession sei, dan auch vil heimlich Schleicher vntter dem Namen inkhommen vnd schaden anrichtten. 3) Wann ein Predig, mit dem Munde ind. Examination recht bekennet hat, sol er auch mit eigener Hant Namen und Zunamen der Confession vnderschreibenn. 4) Einem ieglichen Predig, sol nach gelegentheit seiner Haushaltung gegeben werden. 5) Wanehr die Gemein den Prediger nach vmblauff eines Jars lang: nicht gebrauchen wollt oder ein Predig: in ferner nicht dienen konntte, so sol ein ieddem andern ein vierttel Jahrs zuuorn afkundigen. Vom P r e d i g a m p t t vnnd s e i n e r A d m i n i s t r a t i o n . 1) Dieweil vns durch Paibstliche gewalt des leydigen Teufifels verhinderniss die Kirchen noch verschlossen sein, vnd vorbehalden werden, so sol sich der Prediger nicht wegern in den (verschiednen plazen) Heusern zu predigen vnd die Sacramentten auszutheilen. 2) E r sol in Jhed: woche vier Predigtten thun. Des Dienstags eine, des freittags eine vnd am Sonttag zwo Predigtten. 8) Dieweil viel menschen aus dem Pabstumb kommen, vnd fast wenig verstehen von den Haubtstiicken der Religion vnd auch die Jugent von Natur vnuerstendich vnd in Sachen vngelernet ist, so sol vf den Sondach nachmittach der Catechismus gelernet werden darzu denn die Newen Cristenn, vnd die Jugent sunderlich khommen soln vnd soln auch wan es gelegenheit gibt, die Jugent im Catechismo examinihret werden. 4) Dieweil bis anher der kleine Catechismus Lutheri gebrtichlich ist gewesen, so sol er auch bei der Jugent sünderlich gelernet vnd auch sie daraus examiniehret werrden. Tauff. 1) Wanne die Elttern wolln ir Kind zur Tauff brengenn so soll der Vatter vor dem Tage solches dem Diaconen ansagen auff das er

151 möge befragtt werden vmb die beruffenen getzeugen, ob sie zolessich seien od. nicht. 2) Der Vatter sol auch des Cristlichen Bedachts sein, dass er auch geine andere getzeugen zur Tauff stelle, dann die glaubich, ehrlich, vnd ohne grobe Laster sein werden, damit vnordnung vnd Ergernus verhüttet werde. 3) Wo aber iemant ein Pabistische person oder [sonst einer anderer frembder Religiohn zugethan od. auch ärgerliche Pson.] wurde zum zeugen erfordern willen (das wir doch nicht gerne sehen) so sol er for allenn dingen die person für den Predig: brengen, vnd nach erforderung der psonen nacher dan angenomen od. abgeschlagen werden. 4) Wannehr ein Kindt fleischlich geboren ist, so gehört es zur Wiedergeburt, darumb soln auch die Kind, ohn lengern vertzog sobaldt muglich ist zur Tauff getragen werden. Nachtmeill. 1) Dieweil der Predig: der Diener des Nachtmeilles ist so sol es auch im allein gebuiren die Zeitten und den Dach zobestimmen, vff wilchen die Communication des Abentmals Chi sol gehalden werden, darzu sich dan die Gemeine ein ied: nach seiner gelegenheit richtten soll. 2) Der Prediger sol achtt tage zuuorn das Nachtmeil avssverkundigenn vnder der Gemeine, uff dass sich ein ied: darnach richtten möge. 3) Dieweil auch vil vngeschickte minschen sich vnderstehn mit zum Nachtmeil durchtzodringen, solche vnordnung zo verhoettenn sol ein ied: Communicant sich dem Diaconen drey tage züuorn antzeigen, damit die Psonen erkennet, und wo mangel ist, mach verbessert werden. 4) Wanne man das Nachtmal handien wirt, sol in alwoche einen tage od: zwohn zuuorn eine Bosspredigt gethann werden, damit ein Jhed: gelernet vnd erinnert werdt wie man Cristlich sich zum Nachtmail richtten solle zu wilcher Busspredich auch ein ied: Communicant zokhommen verbunden sein sol. 5) Wilche dies verachtten, vnd sich nicht den Diaconen antzeigen, noch zur Busspredicht kommen woln, die sol man vom Tisch des Herrn abwisen, es sei den ein sunderliche angeneme orsach forhandenn. 6) Wan Newlingen ankhommen: die solnn erstlich anhoeren, die predichtten, vnnd die Lehre wol probieren, vnd alsdann fleissich

152 examinihret werden vmb iren Glauben vnd also zum Nachtmeil zu gelassen. 7) Wilche öffentliche lesterer seint solen (wie nachfolgen wirtt) vom Nachtmal abgeslageDn werden. Vom E h e Stant. 1) Wilche Sich zum Ehestant wollen begeben die soln ehrlich freyen vnd nicht mit vnwillen noch vnwissenheit der Elttern innen ire Kind heimlich rauben noch mit Heimlichen gelubden sich verbinden, od. andere vnehrliche mittel dartzo gebrauchen, wilche es aber thun, soln,

bis zur gebuerlich vergleichung der Sachen abge-

wiessen werden. 2) Dieweil auch offtermails vnder den newen Ehleutten vill vnrichtigkeit, vnnd bedrogs verborgenn liecht, sol man sie drey Sonttach nacheinand. in der Predig für der Gemein ausroffen vnd wo sich dan gein Verhinderung findett, ehelich zosamen sprechen. 3) Die verehlichung

sol auch nicht Heimlich geschehen Sond:

frei öffentlich for der Cristlicher Gemeine,

da auch etliche Seniores

vnnd Diaconi bei sein soln, damit sie eine gutte getzeuchnis ihres Ehestandts haben mögen. 4) Nachdem auch Gott allen hoffart hasset vnd verbotten hatt, so solln die Junge Ehleut alles vnmessich vnehrlich Heidnisch Hurachttich snourken und Zieren

[wie Christen gröndlich] vnderwegen

lassen. 5) Gott hasset und verbeut auch fressen, Sauffen vnd misbrauch seiner gaben

darumb vermanen wir auch, das vff die Hochtzeitten

wie bissonsten die prachtige bancketten verkortzet werdenn, wilche bei geinen rechten Cristen sollen gesehen werden. 6) Wilche sich in diessen stucken sträfflich erfinden vnnd troetzlich dawider thuin,

die soln nicht Ehelich Ingesegnet werden,

bis

sie es verbessern, Es sol auch festlich gehalttenn werden, das bei allen Kirchenadministration

es sei bei Tauf, Nachtmail od: Ehe,

solnn etliche Seniores vnnd Diaconen gegenwurttich bey sein, dartzu mittaufzosehen vnd beiwechttich zosein. Von Predigtheusern. 1) Wilchen Christen vnd. der Gemein Gott verlehent hat, gereumliche, gelegene Heuser zum Predigampt, da sonst keine

wirkliche

Verhinderung sein, die soln die Diaconi besichtigen, vnd auch die

153 Cristen dieselbigen sich nicht wegern Cho zu seinem Enangelio solche zolasen vnd eroiffnen. 2) Die Predigtheuser, solln vf vertzeichnet werden, eins nach dem andern [das ein nach dem andern soln gebrauchet werden] vnd wilche der Predig: vnd Diaconi haben soln. 3) Es sol mit den Heusern disse Ordnung gehaltten werdenn, das sei eins nach dem andern solln gebraucht werden, wie sei vertzeichnet stehen, vff dass sie geleichen last tragen. 4) Dieweil auch vff den Sonttach die vilheit des arbeitsamen Volks, zusamen kommet, soln etliche gereumliche Heuser dortzo aufgenommen werden, vnd allein zur Sondachspredigt gebraucht. 5) Man wirt auch die Stundt ernennen, wen man die Predigt soll anfangen, zur selbigen Stunde sol ein ied. der zur Predigt kommen sol da sein, wen aber alsdann die Haustheur verslossen were fernner nicht anklopffen, damit die Predig: vnd Zuhoerer nicht wertten verstoret. 6) Wan es die gelegenheit der Heuser gibt, soln die erstingegangenen Cristenn Psalmen singen, datzu dan ein ied: sein Psalmbüchlein sol nachtragen vnd mitbringen. 7) Wilche vnder dem Gesänge kommen, wan sie nicht eben fugliche platzen sehen, soln sie solang still stehen, bis das angefangene gesang vss ist damit nicht ein verstorung im gesange (wie offt bescheen ist) gemacht werde. 8) Es bringet auch verhindernis vnd vnordnung vnder dem gesang vnd Predigtten reden vnd zusprechen. Darumb wan das gesange ist angefangen, sol ein ied: still schweigen vnd keiner mitt en andern (wie den vil gewont sein) reden schwatzen vnd klappern. 9) Wan man zur Predigt kompt, so sol ein ied: mit gutter stiller weise vnd Ordnung in vnd aus gehen, wie den der Havssuatter solches begeret vnd im gefellig ist. Von der Gemeinen. 1) Wilche zur Predigt beruffen werden soln sich befleissen dahin zukhommen od: doch iemant von Irem Hausgesint dahin senden, wo aber sie nicht kommen mechten, soln sie ir ausbleiben dem Diener antzeigen, das andere in die Platz beruffen werden. 2) Wir woln auch das ein Jed: wilches Standts er sein werdtt, vnder diese Ordnung sich ergebe. Wo aber iemant mangel od. feele daran mirkt so sage ers in Zeit das es verbessert werde. 3) Wilcher disse Ordnung nicht tadlen mag vnd doch eben wol

154 dawid: thoin will vnd noch seinem Eigenen Sin von dem Predig: es gemacht wil haben wie es im gefeit, Es sei in Tauffen, Nachtmeil, Ehestandt vnd dergeleichen, der sol abgeslagenn werden bis das er vnderthenich werde. 4) Heuchler vnd wilche zu beitten seitten hincken, das ist, wilche bei vns wolln die Sacramentten sochen vnd lauffen doch eben wol zur Pebstlicher kirchen, vnd abgottereien, oder sochen bey uns das Nachtmeil, vnd dreigen ire kind. zur Pebstlicher Tauff die solln man bis zur Bekerung zu keiner gemeinschaft vnd Sacramenten v n s er C o m m u n i c a t i o n nicht lassen kommen. 5) Alle die, so ein öffentlich lesterlich leben foerren als fressen, Sauffen, Ebrecher, Hurer Zauberer Weissag: Zeichendeutter, Godtlesterer, die dan flouchen, Schweren, gottes nam vnnutzlich foerren, So da vnnutze vnreine vnkeusche wortt schamparn redenn, Narrentheiding. wilchs denn Cristen nicht bezemett frey vnuerschampt avsreden, vnd so mit andern lästern öffentlich vbirzeucht sollen zu keinen Sacramenten zogelassen werden bis das sei sich bekerenn. 6) Welche gegenn Cristen Blutzuerwandtten, vnd ander minschen im Hertzen, angesicht vnd wortten dragen Zorn, neidt, Hass, od. rachgirigheit, die soln sich mit dennen vereinigen, vnd auch versonen lassen, od. von den Sacramentten abgebannet sein. 7) Wilche ire gutt: vff ausgeben vnd vngeburlichen gewinst wider K e i s e r s od. L a n t r e c h t dauon nemen, od: betriegen ire negsten, in wahr vnd handel, mit Ellen, Mass, gewicht, Brieflf, Contracten etc. mit liegen vnd finantzieren, so man erfarett soln sie für genomen vnd soe sei sich nitt bessern vom Nachtmall abgehalten werden. 8) In Summa, wilche mit wercken vnd wortten werden öffentliche ergerniss anrichtten, die sol man avsd. Gemeine bannen. Bann. 9) Der Bann soll aber also gehaldenn werden, das wilche werden frei vnnd mutwillich sein zusundigen in dissen vnd derngeleichen ergerlichen stucken die soln erstlich dorch den Predig: cristlich vnnd doch ernstlich ermannt vnd gestraffet werdenn. Bessert er sich nichtt sol die Straff vnd ermanung bescheen im beisein zweier od. dreier getzeugen. 10) Wo aber als sich ein solch minsch nicht bessern wirtt, sol es der Predg: vnd beigewesene getzeugen der Gemein ansagen, von wilche der gotloss vermanet vnd gestraffet werde, Hoeret er aber

155 auch die Gemeine nicht So sol ein solcher gotloser von dem Predig: öffentlich für der gemein ausgebanntt werden, nach dem sprach Matth. 18. 11) Die Execution des Bannes begreift in sich, das ein solcher minsch vond: gemeinschaft der Cristen sei ausgeslossen hinfort: zu geiner Tauff, Nachtmal noch gemeine Gebett noch derengleichen werde zugelassen soll allirdings keine Leibliche gemeinschaft mitt im voerder gehalden werden, mit Essen, Drinken Grussen, vnd derngeleichen soll auch vbergeben sein, solang er vntter solchen Ban verbleibt mit Leib vnd Seele dem Teuffei, und abgekundigett von Gott vnd seinem ewigen Reich nach d. Lehre des H. Christi vnd Pauli. 12) Wo aber ein Verbannetter sich bedenken vnd wiedrumb sich wolle zur cristlicher Gemeinschaft dürch bekerung lassen inlieben, so sol er for allen Dingen vor der Gemeine öffentlich mit leidwesen seine Sünde bekenn abstehen vonn seiner wircklicher missethat vnd auch seiner Bekerung ein gutte getzeuchnis vnnd schein von sich gebenn vnd also die absolution von Diener des worts G. empfangen. 13) Darnach aber, wie er sich nicht hat geschemet öffentlich zu sundigen vnd die gemeine zu ergeren vnd zo bederrbenn, so sol er sei auch öffentlich widrumb versonen, vnd die form vnd gstalt der versoenung wie sei im der cristlich: Prediger wird vfferleg: annemen vnd sich auch nicht wegern zodragenn. Von d e n E l t t e s t e n d e r Gemeinen. 1) Der Elttesten od. Senior ampt wirt hirinne bestehn Nachdem villerlei beschwernus vntter souil minschen in der Gemeinen vorstandtt furfallen, wilche durch dem Predig: oftmeils nicht mögen, noch auch ratsam sein zuuerfechtten, so sollen sei den Predig: mitraidtlich vnd beistendlich sein, in allen, vnd in den beschwerlichen furfallenden Sachen. 2) Dieweil auch der Prediger nicht vermach an allen ortten bei iedem minschen sein vnd vfwechen, auch er nicht alles sehenn, hoiren vnd vernemen mach. Da soln sich die Senioren den Cristlichen Eifer lassen treibenn, das sie auch ein Cristlichs auffsehen mit vff die Gemein haben, vnd mit vermanen vnd Straffen, iederm ergernis helfen wehren, vnd das soll sonderlich gescheen wo der Predig: abwesens ist vnd nicht bey sein mach. 3) Sei solin auch dahin verpflicht sein nachdem auch solche Gemeinttn müssen mit eusserlichem Ordnungen regiert vnnd erhaldenn

156 werden, das die Seniores was gestaltter Ordnunge sein mit fleiss thuin erhalden, wo es aber mangeln wurde mit ernst daran sein, vnnd sich befleissen, das es vffgerichtet vnnd erbawet werde. 4) Es kann auch (leid:) balde gescheen, das ein ergernis bei den predigern erwachsen mach, das sie enttweder mit falsch: lehre vergiftet sein od: werden od: auch mit irem leben ergernis geben khonnen. Darumb soln auch die Elttesten ein aufsehen vff die Predig, haben vnd wo vnd wie sich mangel bey inen erfinden wurde, entwed: sei vermanen thuin verbessern, od. soln die Gemeine bei Zeitten for solchen leren warnnen. 5) Es sol auch den Eltesten vond: Gemein vifer lecht sein, das sei in Zeit, da es ain Predigern wurde mangeln, sich mit fleiss bemuhen, das die werden beroiffen vnd angenomen. Auch wan es noit vnd gelegenheit gebe wider abzoscheiden, das sei als dann denen abdanken vnd beurlauben soln, doch das alletzeit mit Rath der Diaconen vnd anderer verstendig: menner aus der Gemeinen. 6) Nachdem auch offtermals die Predig: dtirch vnuerstendige troitziche minschen werden vf mancherlei weiss angefechttet, solln die Elttesten den Predigern hierinnen einen vurstandt thuin, bei wilchen dan die Prediger in solchen beschwernus mögen Zuflucht vnd schirm soichen. 7) Die Besoldiing, wilche die Gemeine zusammen legnt denn Predig: seine arbeit damit zo ergetzen, soln die Elttestenn selbs vnder der Gemeinen vfif samlen, ohn der Diaconen arbeit, vnd soln verplichttet sein die Predig: zo vergnuigen, bei dennen dan auch die Predig: ire besuldiing allein foddern sollen. Auff das auch sulchs bestendich vnd ordentlich zogehe so sol den Senioren vbertzelt werdenn, durch die Diaconen, die versamlett almus der Armen, wilches sei auch in irr gewarsam vntfangen soln. Sei soln auch den Sltissel vnnd Almus Buchsen bei sich habenn, vnd wan etwan durch die Diaconen darin versamlet im beisehn irer einer zusich vberzellenn vnd darnach nach erkantnis der Armen noth denn Diaconen od: verordnetten personen solches vbergeben, od: auss zospendenn vnd alsdann ein Jhed: halb Jahr vom vntfank vnd aufgabe eine geburliche Rechenschaft vom Diaconen vnd Almuspfleger antzohoirenn. Von den D i a c o n i s . 1) Der Diaconen ampt sol for erst vnd allen Dingen sein, das sei der Armen vnnd Almusen pflegen soln.

157 2) Da aber Chr gesacht hat Ir sollt Armenn bei euch haben, vnd die Reichen vmb der Armen willn sein, so soln die reichen auch freiwillich mitdeilen, das aber auch solch almuss geben ordentlich zogehe, so soln die Diaconen [wenn es nott ist] zu allen vom Haus zu Haus, die geben möge, vmbgehen, vnd die Almussen einsamlen. 3) Wo vnnd wan man Predigen wirt, sol der Predig: die Zuhörer zur liebe der Armen vermanen, da sol alsdan auch in ieglicher Predigttenn einer der Diaconen sein mitt s. Almusen Buchsen vnnd die Liebe der Zuhoerer vur die Armen darin versamlen. 4) Auf das es auch loblich zogehe vnd der Almuss mit guttem Raith aufgedeilet werde so solnn die Diaconen die versamlette Almus den Senioren wen sei es erfodderen werden, getrewlich vbertzellen. 5) Dieweil auch das Armut vilen frommen Chrn. in dissen thewren Zeitten heimlich ins Havss schleichett, das auch vill verborgenen mangel leitten, solin die Diaconen allen fleiss anwenden die heimliche vnd wissentliche Armen zo erkundigen, vnd solche den Senioren vnnd frommen Reichen Cristenn entdecken, damit einem geholffen werde. 6) Auff das auch aller Verdacht werde hinwech genomen vnnd die Reichen wissen, das es mitten Almusen ordentlich zugehe, Soln die Diaconen zu allen halben Jair denn Senioren rechenschaft thain, wen, wo, wann vnd wie sei die Almosen ausgegebenn habenn. 7) Dieweil man auch geine Kirchen hatt sondernn zu predigen sich inden Heusern muss behelfen, so sollen die Diaconen denn Predigern einen vurstant leisten, vnd verordnen, das man predichtheuser haben möge. Dieweil auch die Gemeinde fast gross ist, (Gott sei Ehre) darumb ind. Zosamenberufung etlicher Zohoerer mocht vergessen werden, soln sei flessich vfsehung haben, das einer nach dem andern berußen werde vnd nicht etliche alletzeit vnd die andern seltten od: nimmermehr zur Predicht kommen. 8) Da auch nun von Tag zu Tage newe Zohoerer vnnd Chn. sich finden, wilche dann im ersten anfang noch swaich vnd der Religion noch vngewiss sein, solnn auch die Diaconen daran sein, das die Newlingen nicht durch vergessen wid. abverfoeret werden. 9) Wan auch vnser Gott die Gemeine mit krankheitt werdtt heimsochen, da nun die Prediger mit Sacramenten zu administriren, vnd andern Kirchen Geschefften beladenn seindt, das sei der Kranken allerding nicht warnemen mögen, so soln auch die Diaconen der geist-

158 liehen Almus hirin pflegenn, vnnd die Kranken mit besuchen, vnd nach ihrer gaben, Cristlich, erwissenn, vnnd Stercken. 10) Wann auch der Predig: selbst die Kranken wirt besoichen vnd im das Nachtmeil Chi Communiciren, sol vffs wenigst einer von den Diaconen (souil muglich) mittem Predig: zum Kranken gehenn, vnnd was da zohandlen sei zusehn vnnd beirettlich sein. 11) Wo man wirt predigenn inden Heusern, da solnn alwegen etliche Diaconen, oder vffs wenichts einer sein gegenwerttich, auff das, so der Predig: in Kirchendienst ftirfallende actione» finden wurde, das es durch iren beistant verferttiget möge werdenn. 12) Vff das ferner die Administration der Sacramentten ein Cristliches ansehens hoben Soln sei selber die Diaconen die furbereittung dazu thuin, das ist zur Tauf wasser herfur tragen vnnd zum Nachtmail den Tisch bereitten, vnd broit, vnnd wein hintzu setzen, vnd was mehr mitt eusserlichen Dingen muss in Kirchendienst gethann werdenn. V o l g e n etliche gemeine stuck zobehalttenn. 1) Vf das auch wan ein notturft wurde fürfallen man zuhelffen hette, so sol ein Jhed: doch nach seiner gelegentheit zum iedern vierttel Jairs das vierttel seiner Beilagen den Senioren hantreichen. 2) Wenne auch gescheen wurde, das frembden, vnd ausslendige Cristenn alhier sein wurden, wilche begeren des Predigers mit zogebrauchen vnd erkent wurde das auch Gott sei mit Reichttumb begnadet hette, soln alsdan auch die Diaconen sich nicht entsehen, bei denen auch der Armen zogedenken vnd ein Almus zur Stewer zu erfodderen. 3) Wir ordnen auch, das gehallten soll werden, was für die armen wirt gegebenn, das sol auch allein zu nutz der Armen angewent werdenn, wo aber die Seniores vnd Diaconi werden iemants avsd: armen gelt vnd gut etwan Lehen, borgenn, od. anderes damit hanttieren, ohnne bewilligung vnd forwissen der Gemeinen so soln sei es auch selbst infoddern, vf iren kostenn, od. aus den Iren selbst erstatten vnnd betzalenn. 4) Es sollen auch die Seniores vmb alle Ordnungen willn eine Summarische Contra Rechnung haltten von allen ergangenen entpfang vnnd ausgabn. Es sei durch sei selbst gethain od: von den Diaconen für Innen vorrechnett vnd das sol bescheen für denn Predig: Diaconen vnd andern verstendigen mennern. 5) Wanne das vnuersehens frembde Zohoerer werden ingeforet

159 od: kommen selbst zur Predigt, soln als die Seniores od. Diaconi solchs dem predig: antzeigen damit er die gegenwerttige personen erkenne vnd sicli dahin möge richtten, das sie gewonnen mochtten werdenn. 6) Es sol mit allen administrantten also gehalden werden, beide an Elttesten vnd Diaconen, das die Zeit ihres Dienst sol anheben Ioes Teuffers midt Sommers vnd also gehaltten, das in allwege das halbe theil, der Diener zum halben Jahr abstehe, vnd andre tuchttige Personen dartzu verordnet werden vnnd das solle also für vnnd für gehaltten werden. 7) Dieweil nun die Gemeine auch groiss ist, nicht mehr durch eine Person kann beruffen werden beisamen. Soln hinfort zwo dartzu angenomen vnd behaltten werden, damit die Beruffung recht geschee, vnd auch nach notturft Senioren vnd Diaconen ein Beidienst geleistet khonne werden. 8) Die Form vnd weiss vond: Tauff, Nachtmail, Ehestandtt vnnd Kranken zu besoichen sol gehaltten werden nach inhalt der Zwenbrukischen Kirchenordnung, dem wir dan vnderworffen zo sein himit bekennen. B e s 1 u s. Diese Ordnung, nachdem wir vns in gottes wortt erkundichtt erkennen sei, das sei nach gottes wort, vnd willen sei gestellet, darumb wir vns auch verbinden, verpflichten, dieselbige zuhaltten nach allem Cristlichenn vermoigen, so lang dieselbige nach gelegenheit vnserer Hausskirchen, Zeit vnd Personen so darzu sich durch Gottes Gnad finden möchten, erbawlich mag erknudt werden, vnd wilche darwider streben wurden, willen wir durch den Cristlichen Ban auswerfen vnd absneidenn vnd zum getzeuchnis vnseres cristlichen geneigten willens haben wir gebotten, vnsere cristliche Predig: auch die verordnete Seniores vnd Diaconos das sei doch im Namen vnd vonn wegen vnser aller, vnd semptlicher Gemeine deren sonsten zuuil weren, wollen mit eigenen Henden Namen vnnd zuNamen vnderschreibenn. Actum vnd geordnet denn 6. nach Augusti Ao. 1578. C. Nachdem dan disse vnsre Ordnung vff gottes wort vnd erhebliche bewogennen gründen, vnd vrsachen bestehet auch etlich meil for der Gemeine verstentlich forgelesen, mit solcher protestation des Jhederm in vnserer Gemein wes standts od. werdem der sein wurde,

160 da ime geduchtte etwas anderes den sich gebuirt vnnd mit guttetn gewissen vnd Gottes wortt vertheidigen woltte lassen darin verfasset sein, frey stehen soltte, Solchs bescheidentlich antzogeben vff das es gewirkt vnd verbessert wurde, Od: das Jhemant mit Stilschweigen vnserer geneichtten willen vnd Cristliche meynung in disser gotselig Ordnung möge verfast, for recht erkennen, vnd billigen wurde Sich in alweg auss cristlichem eifer derselbigenn vnderworffen zo sein erkennen solle das dennoch (diweil Stilschweigendt Beifal gibtt vnd niemandt Ingeredtt) wir darauss beslossen, wie nichts vnchristliches darinnen Inuerleibt, also ein Jhed: so hietzo vnser Gemeinen mit ofnen bekentnis verwert od: folgen durch gottes gnedigen segenn beikommen wurde sich dertzo bekenne, das dan wir Predig: Senioren vnd Diaconen auff der gantzen gemein nu begern for Jhederm: mit vnserer eigner hantt for vnsere Ordnung. C.

EDUARD W E B E R ' S V E R L A G (Julius Fiittner) in BONN. Bender, W i l h e l m , Johann Eonrad Dippel. Der F r e i g e i s t aus dem Pietismus. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Aufklärung. 1882. gr. 8. (VIII und 221 S.) JU 4.50. » « t t f c e r , 2BiU)elut, §djteteruta